eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 50/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.2357/FLuL-2021-0002
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2021
501 Gnutzmann Küster Schramm

Zur Integration von sprachlichem und konzeptuellem Lernen im bilingualen Unterricht -

2021
Tobias Scholl
Lars Schmelter
50 (2021) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0002 T OBIAS S CHOLL , L ARS S CHMELTER * Zur Integration von sprachlichem und konzeptuellem Lernen im bilingualen Unterricht - Potenziale inszenierter Sprachmittlung im deutsch-französischen Geschichtsunterricht Abstract. In contrast to other types of code-switching in bilingual education, mediation tasks create fictitious but still realistic situations in which only the mediator has the necessary linguistic and cultural reference systems at their disposal to communicate with interlocutors of different languages. This specific communicative situation may provide educational potential to foster linguistic and conceptual learning, with the aim of developing students’ literacy in two subjects (doppelte Fachliteralität). Nevertheless, the potential of mediation tasks has not been empirically investigated so far: this forms the starting point of our contribution. After a brief introduction outlining the characteristics of the use of mediation tasks in monolingual foreign language classes and in bilingual CLIL classes, a theoretical model is presented. The model enables us to plan language mediation tasks in bilingual (history) classes and to investigate students’ use of such tasks. 1. Problemaufriss Bilinguales Lehren und Lernen lässt sich weltweit in vielen verschiedenen Kontexten beobachten. Die jeweiligen Angebote unterliegen trotz häufig gleicher bzw. ähnlicher Bezeichnungen ihren eigenen Voraussetzungen und Bedingungen, adressieren unterschiedliche Lerner*innen und verfolgen dementsprechend mit ihren eigenen methodisch-didaktischen Vorgehensweisen spezifische Ziele. In wissenschaftlichen Diskursen muss folglich mit der Verwendung des Begriffs „bilingualer Unterricht“ eine konzeptuelle Klärung bzw. Positionierung einhergehen. Dieser Beitrag bezieht sich auf den bilingualen Unterricht in deutschen Schulen, er nimmt also einen Fachunterricht in den Blick, der unter Rückgriff auf mindestens zwei Sprachen erteilt wird (der Verkehrssprache Deutsch und einer schulisch vermittelten Fremdsprache - zumeist Englisch oder Französisch). Hinsichtlich des Anspruchs und der Zielsetzung dieser Unterrichtsangebote nehmen wir in unserer Forschung, die im Kontext des Wupper- * Korrespondenzadresse: Tobias S CHOLL , Prof. Dr. Lars S CHMELTER , Bergische Universität Wuppertal, Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften, Gaußstr. 20, 42119 W UPPERTAL E-Mail: tscholl@uni-wuppertal.de; lars.schmelter@uni-wuppertal.de Arbeitsbereiche: Bilinguales Lehren und Lernen, Mehrsprachigkeitsdidaktik, Vermittlung und Aneignung sprachlicher Strukturen 16 Tobias Scholl, Lars Schmelter DOI 10.2357/ FLuL-2021-0002 50 (2021) • Heft 1 taler Studiengangs „Master of Education Bilingualer Unterricht“ 1 erfolgt, die „schulischen Richtlinien und Lehrpläne und Handreichungen beim Wort: Sie zielen durch den funktionalen Einsatz der involvierten Sprachen systematisch auf die Vermittlung und Aneignung doppelter Sachfachliteralität ab, die über die bloße Kenntnis des Fachvokabulars hinausgehen muss“ (D IEHR / P REISFELD / S CHMELTER 2016: 11). Die möglichen Herausforderungen, vor denen Lehrer*innen und Schüler*innen bei der Vermittlung bzw. Aneignung der angestrebten doppelten Fachliteralität stehen, können mit dem von D IEHR (2016) vorgestellten „Integrated Dynamic Model des bilingualen mentalen Lexikons“ herausgearbeitet werden. Wie das Zusammenspiel der Sprachen zum Erreichen der fachlich geprägten Diskurskompetenz im Einzelnen aussehen kann, wird insbesondere im Kontext der deutsch-französischen bilingualen Angebote schon seit längerem diskutiert (vgl. u.a. die Darstellung in H ELBIG 2001: 13-19; vgl. zu einer Typologisierung unterschiedlicher Vorstellungen des Spracheinsatzes im bilingualen Unterricht D IEHR 2012: 23-27). Zuletzt wurde von A BENDROTH - T IMMER / W IELAND (2019) auf das besondere Potenzial von Sprachmittlungsaufgaben im bilingualen Unterricht verwiesen. Wie sich die verschiedenen methodischen Vorschläge (vgl. u.a. A LBRECHT / B ÖING 2010; B ÖING / P ALMEN 2012) zum systematischen Sprachwechsel im bilingualen Unterricht auf der unterrichtlichen Makrobzw. Mikro-Ebene 2 bei der Vermittlung und Aneignung sprachlicher und fachlicher Kompetenzen und damit auch auf die Aneignung der angestrebten doppelten Fachliteralität auswirken, ist bislang kaum zum Gegenstand empirischer Forschung gemacht worden; ebenso wenig welche Lernprozesse durch Sprachwechsel angestoßen und gezielt angesprochen werden können (vgl. jedoch einige der Studien in D IEHR / P REISFELD / S CHMELTER (Hrsg.) 2016). Unser Artikel setzt an den beiden zuletzt genannten Punkten an. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung eines Modells zur konzeptuellen Fassung des besonderen Potenzials von Sprachmittlungsaufgaben zur Vermittlung und Ausbildung von doppelter Fachliteralität im bilingualen deutsch-französischen Geschichtsunterricht. Das Modell wurde im Rahmen einer im Design-Based Research-Paradigma (vgl. H UßMANN et al. 2013) angesiedelten Studie (S CHOLL in Vorbereitung, s. Abschnitt 4) entwickelt. Ziel der Studie ist es, am Beispiel des bilingualen Geschichtsunterrichts der gymnasialen Oberstufe Antworten auf die Frage zu finden, wie Schüler*innen mit den (fach-)sprachlichen Anforderungen der Transformation und Produktion von Texten im Rahmen von Sprachmittlungsaufgaben im bilingualen Unterricht umgehen, um das bislang weitgehend auf der Grundlage konzeptueller Überlegungen behauptete Potenzial einer empirischen Prüfung zuzuführen. Im Rahmen dieses Beitrags wird das dem Forschungsprojekt zugrundeliegende Modell vorgestellt und diskutiert. Hierzu werden in Abschnitt 2.1 unter Bezugnahme auf das Theoriemodell von A BENDROTH -T IMMER / P LIKAT (2017) zentrale Charakte- 1 Nähere Informationen zum Studiengang und zur Arbeitsgruppe unter: https: / / bilingual.uniwuppertal.de 2 Vgl. zur macro- und micro-alternance der Sprachen im bilingualen Unterricht D UVERGER (2005). Zur Integration von sprachlichem und konzeptuellem Lernen im bilingualen Unterricht 17 50 (2021) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0002 ristika des Einsatzes von Sprachmittlungsaufgaben im Fremdsprachenunterricht dargestellt, um hiervon ausgehend in Abschnitt 2.2 die Spezifika des Einsatzes von Sprachmittlungsaufgaben im bilingualen Unterricht herausarbeiten und das Potenzial von Sprachmittlungsaufgaben im Vergleich zu anderen Formen von Sprachwechseln theoretisch-konzeptionell erfassen zu können. In Abschnitt 3 erfolgt dann die Darstellung und Begründung des Modells zur Förderung des sprachlichen Teils der doppelten Sachfachliteralität mithilfe von Sprachmittlungsaufgaben. 2. Sprachmittlung als besondere Form des Sprachwechsels im fremd- bzw. mehrsprachigen Unterricht 2.1 Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht Mit der Publikation des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (E UROPARAT 2001) (im Folgenden: GeR) und insbesondere der nationalen Bildungsstandards (K MK 2004, 2012) haben sprachmittelnde Aktivitäten eine neue Legitimation erfahren. Es ist anzunehmen, dass sie aufgrund der expliziten Formulierung standardisierter Kompetenzziele häufiger Gegenstand systematischer Vermittlungsbemühungen im Fremdsprachenunterricht geworden sind. Schließlich stellen Sprachmittlungsaufgaben mittlerweile eine feste Größe in den länderspezifischen Abiturvorgaben dar. Doch ungeachtet dieser Bedeutung, die der Sprachmittlung - zumindest in curricularer Hinsicht - im fremdsprachlichen Unterricht beikommt, existieren nach wie vor sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was unter Sprachmittlung zu verstehen ist. Während etwa die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (K MK 2012) Sprachmittlung als eine adressatengerechte und situationsangemessene Wiedergabe „wesentliche[r] Inhalte authentischer mündlicher und schriftlicher Texte […] in der jeweils anderen Sprache […] für einen bestimmten Zweck“ (ebd.: 18) verstehen, manifestiert sich im GeR und noch mehr im 2018 erschienenen Companion Volume (C OUNCIL OF E UROPE 2018, im Folgenden: Companion) 3 ein sehr weites Verständnis von Mittlung, das über das Nur-Sprachliche hinausreicht. So wird im GeR Sprachmittlung u.a. als eine kommunikative Sprachaktivität ausgewiesen, in deren Rahmen Kommunikation zwischen Personen ermöglicht wird, „die aus irgendwelchen Gründen nicht direkt miteinander kommunizieren können“ (E UROPARAT 2001: 26), wobei auch Formen des Dolmetschens und Übersetzens der Sprachmittlung zugerechnet werden. Der Companion nimmt im Vergleich zum GeR eine zusätzliche Ausweitung des Begriffs der Sprachmittlung vor, indem er unter den Sprachmittlungsaktivitäten neben dem schon im GeR angelegten „mediating a text“ (C OUNCIL OF E UROPE 2018: 107-117) die Bereiche „mediating concepts“ (ebd.: 117-121) und „mediating communication“ (ebd.: 122-125) aufführt. Sprachmittlung betrifft hier dementsprechend auch z.B. die Herstellung förderlicher Bedingungen für den Aufbau von Konzepten 3 Deutschsprachige Version des Companion/ Begleitbands: E UROPARAT (2020). 18 Tobias Scholl, Lars Schmelter DOI 10.2357/ FLuL-2021-0002 50 (2021) • Heft 1 sowie die Schritte der Konstruktion bzw. Weiterentwicklung dieser Konzepte. Außerdem bezieht sich Sprachmittlung im Companion auch auf das Ermöglichen bzw. Erleichtern von Kommunikation zwischen Kommunikationsteilnehmern mit unterschiedlichen Sichtweisen usw. (vgl. C OUNCIL OF E UROPE 2018: 106f.; E UROPARAT 2020: 113f.). Zwar ist diese weite Begriffsfüllung, die sich vermutlich insbesondere im englisch- und französischsprachigen Kontext aufgrund der Doppelbedeutung von mediation bzw. médiation ergibt, einerseits nachvollziehbar. Sie ist jedoch andererseits vor dem Hintergrund insbesondere der deutschen Versuche einer begrifflichen und konzeptuellen Präzisierung mit Bedacht zu rezipieren. Denn nicht nur mit Blick auf die wissenschaftliche Verständigung (vgl. K ÖNIGS 2015), sondern auch mit Blick auf die Operationalisierung von Konzepten der Sprachmittlung in didaktischen Empfehlungen und insbesondere in empirischen Untersuchungen sollte hinter den erreichten Stand begrifflich-konzeptueller Präzisierungen nicht zurückgegangen werden (vgl. auch A BENDROTH -T IMMER / W IELAND 2019: 90). Die fremdsprachendidaktische Diskussion, insbesondere in Deutschland, hat sich in den Anfängen zunächst an dem durch GeR und in der Folge KMK inhaltlich neu gefüllten Begriff abgearbeitet. Erst im Anschluss hat sich die Fremdsprachendidaktik mit den Spezifika realer, d.h. in der Regel nicht-schulischer Sprachmittlungssituationen auseinandergesetzt und versucht, diese auf der Grundlage unterschiedlicher fachlicher Perspektiven möglichst präzise in verschiedenen Modellen zu beschreiben, um so die unterrichtliche Inszenierung zur Vermittlung von Sprachmittlungskompetenz zielgenauer gestalten zu können (vgl. u.a.: A BENDROTH -T IMMER / P LIKAT 2017; K OLB 2016; K ÖNIGS 2016; 2017; N IED C URCIO / K ATELHÖN / B ASIC 2015; R EIMANN / R ÖSS - LER 2013; R ÖSSLER 2008; R ÖSSLER / S CHÄDLICH 2019; S IEPMANN 2013). Als weitgehend akzeptierter Konsens kann mittlerweile gelten, dass sich Sprachmittlung auf der einen sowie Dolmetschen und Übersetzen auf der anderen Seite vor allem durch den Grad der Professionalität des*r Mittlers*in und damit aufgrund der Qualität des Produkts unterscheiden, während die Situationsgerechtigkeit und Adressatenbezogenheit der Mittlungsbzw. Translationsprozesse auf beiden Seiten der Skala durch die Funktionalität des Produkts bestimmt sind (vgl. insb. S IEPMANN 2013). Darüber hinaus scheint in Sprachmittlungssituationen eine höhere persönliche und damit emotionalere Involviertheit des*r Mittlers*in wahrscheinlicher. Schließlich wird angenommen, dass in Übersetzungs- und Dolmetschprozessen seltener als in Sprachmittlungssituationen Genrebzw. Textsortenwechsel erfolgen (vgl. A BENDROTH -T IMMER / P LIKAT 2017: 11). Zudem sind die realen Sprachmittlungssituationen von den unterrichtlich inszenierten Sprachmittlungssituationen zu unterscheiden. Denn jene finden in einer spezifischen (fremd-)sprachenunterrichtlichen Situation statt und sie verfolgen - wie u.a. C ASPARI (2013: 30-36) zeigt - z.T. andere Unterrichtsziele als die Förderung von Sprachmittlungskompetenz. Mit ihrem Modell liefern A BENDROTH - T IMMER / P LIKAT (2017: 12-14) eine Grundlage, um die verschiedenen Ebenen von unterrichtlich inszenierten Sprachmittlungsaufgaben zu reflektieren und in die Planung und Gestaltung einfließen zu lassen. So verdeutlichen die Autor*innen, dass die Akteur*innen bereits auf der Ebene der einsprachig-muttersprachigen Kommunika- Zur Integration von sprachlichem und konzeptuellem Lernen im bilingualen Unterricht 19 50 (2021) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0002 tion (Abb.1, Ebene 1 mit den Akteur*innen 1 und 2) und der Ebene der einsprachigfremdsprachigen Kommunikation (Abb.1, Ebene 2 mit den Akteur*innen 1 und 3) sich zwar derselben Sprache bedienen, Aussagen aber schon hier „mit unter Umständen ganz anderen Vorstellungen bzw. Konnotationen verbunden“ sind (A BENDROTH - T IMMER / P LIKAT 2017: 13). In realen Sprachmittlungssituationen unterscheiden sich darüber hinaus auch die Sprachen der Akteur*innen 1 und 3 (Abb.1, Ebene 3), sodass ein*e vermittelnde*r Akteur*in 4 notwendig wird. Werden nun konstruierte, aber realitätsbezogene Sprachmittlungsaufgaben in unterrichtlichen Kontexten eingesetzt, tritt die Ebene der didaktischen Inszenierung (Abb.1, Ebene 4) hinzu. Diese klare Unterscheidung der verschiedenen Ebenen macht ersichtlich, dass das im Fremdsprachenunterricht häufig notwendige „So-Tun-Als-Ob“ in Sprachmittlungsaufgaben in der Regel noch deutlicher hervortritt, da innerhalb einer Lerngruppe in der Regel alle Beteiligten - mit Ausnahme der Lehrperson - die involvierte Verkehrssprache sowie die zu vermittelnde Fremdsprache (einschließlich all ihrer pragmatischen, sozio-kulturellen etc. Besonderheiten) in vergleichbarer Weise nur sehr ausschnitthaft beherrschen. Daher können die Schüler*innen nur in einem sehr begrenzten Maße die Rollen der (ausschließlich) fremdsprachigen Akteur*innen und der zwei- oder mehrsprachigen Mittler*innen übernehmen. Um außerunterrichtliche Sprachmittlungssituationen bewältigen zu können, müssen insbesondere Schüler*innen mit weniger gut ausgeprägten sprachlichen Kompetenzen und einem allenfalls fragmentarischen soziokulturellen Wissen (spezifische) Strategien entwickeln und anwenden, um die nur partielle Beherrschung der Fremdsprache und ihrer kulturellen Bezugssysteme kompensieren zu können; zu denken ist hierbei etwa an Strategien des Umschreibens und Nachfragens. Diese Strategien sind im Übrigen in realen Sprachmittlungssituation für alle Beteiligten wichtig und sollten daher in unterrichtlichen Inszenierungen nicht nur auf Seiten der sprachmittelnden Schüler*innen, sondern auch auf Seiten der Schüler*innen, die die monolingual-fremdsprachigen Rollen einnehmen, eingefordert und trainiert werden.  Abb. 1 (S. 20) 20 Tobias Scholl, Lars Schmelter DOI 10.2357/ FLuL-2021-0002 50 (2021) • Heft 1 Abb. 1: Ebenen unterrichtlich inszenierter Sprachmittlung (nach A BENDROTH -T IMMER / P LIKAT 2017: 13) 2.2 Sprachmittlung im bilingualen Unterricht Von den in der Literatur vorgeschlagenen Sprachwechsel-Aktivitäten, die sich aus der Notwendigkeit der Vermittlung von fachlich geprägter Sprache und Konzepten in zwei Sprachen ergeben (s. Abschnitt 1), sind Sprachmittlungsaufgaben deutlich zu unterscheiden. Denn die in ihnen didaktisierten Mittlungssituationen können sich, anders als die allein unterrichtlich motivierten Sprachwechsel-Aktivitäten, auch in realen Fachkontexten als Sprachmittlungssituationen ergeben. Bevor die Frage diskutiert werden kann, welcher unterrichtlicher Inszenierungen es bedarf, um die Schüler*innen auf außerschulische fachliche Sprachmittlungssituationen (z.B. Treffen internationaler Fachvertreter usw.) vorzubereiten, erscheint es notwendig, zunächst einmal wesentliche Charakteristika solcher Situationen herauszuarbeiten. Zur Integration von sprachlichem und konzeptuellem Lernen im bilingualen Unterricht 21 50 (2021) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0002 Werden in fremdsprachendidaktischen Modellierungen die situativen Bedingungen als grundlegend für die Gestaltung des Sprachmittlungsprozesses herausgestellt (vgl. z.B. C ASPARI 2013: 36-40), so ist zu konstatieren, dass sich real-fachspezifische Sprachmittlungssituationen bezüglich dieser Kontextfaktoren - zumindest graduell - von alltäglichen Sprachmittlungssituationen unterscheiden: Geht man etwa von der Situation aus, dass eine sprachmittelnde Person historische Quellen und Darstellungstexte zu historischen Inhalten für ein französischsprachiges Fachpublikum mitteln soll, dann verfügen die Adressat*innen hier bereits über ein fachlich geprägtes, allerdings an die Zielsprache gebundenes konzeptuelles Wissen, das u.U. sogar das fachliche Wissen (nicht-professioneller) Sprachmittelnder übersteigt bzw. diesem zumindest ähnelt. Sprachmittler*innen müssen in solchen Situationen überdies mit fachlichen Konzepten umgehen, die zum einen häufig eher von abstrakter Natur sind und zum anderen in den beteiligten Sprachen bzw. den jeweiligen fachlichen Diskursen nicht deckungsgleich sind (vgl. D IEHR 2016: 65-73). So lässt sich etwa annehmen, dass das besagte französischsprachige Fachpublikum mit dem Konzept der UNION SACRÉE 4, 5 zwar vertraut ist sowie über ein durchaus fundiertes Wissen über die innenpolitische Situation Frankreichs vor und zu Beginn des Ersten Weltkriegs verfügt, gleichzeitig aber u.U. das Konzept des BURGFRIEDENS 6 (und dessen historische Bezüge) nicht bzw. nur in Ansätzen kennt. Gerade in einem stark sprachlich geprägten Fach wie Geschichte, in dem solche fachlichen Konzepte und ihre begrifflich-sprachlichen Realisierungen häufig auch „als Abbreviaturen auf komplexe Ergebnisse historischen Denkens verweisen können“ (S CHMELTER 2012: 43) und somit Ausdruck historischer Konstruktions- und Interpretationsprozesse sind, ergeben sich für Sprachmittelnde spezifische Herausforderungen bezüglich der Übertragung solcher Konzepte bei gleichzeitiger Orientierung an den jeweiligen Adressat*innen. Diese Herausforderungen betreffen einerseits fachlich-konzeptuelle Aspekte (Abgleich von Fachkonzepten, Reflexion über mögliche adressatenbezogene fachliche Anknüpfungspunkte usw.) und andererseits sprachlich-diskursive Gesichtspunkte (Wahl geeigneter sprachlicher Übertragungsformen für fachlich geprägte Konzepte; Verwendung fachspezifischer Register, Anwendung fachspezifischer Textsorten usw.). Zum Verständnis unterrichtlicher Inszenierungen realer fachlich geprägter Sprachmittlungssituationen ist das bereits weiter oben thematisierte Modell von A BEND - ROTH -T IMMER / P LIKAT (2017) hilfreich: Vergegenwärtigt man sich die unterrichtlichen Bedingungen, vor deren Hintergrund Sprachmittlungsaufgaben eingesetzt wer- 4 Die Großbuchstaben verweisen hier und im Folgenden auf die mit den jeweiligen Lexemen verbundenen Konzepte. 5 Das Konzept der UNION SACRÉE (dt.: „heilige Union“) bezieht sich auf den Zusammenschluss der zuvor zerstrittenen gesellschaftlichen und politischen Strömungen Frankreichs vor und während des Ersten Weltkriegs. 6 Ähnlich wie bei der UNION SACRÉE geht es auch hier um den Gedanken einer Aussetzung gesellschaftlicher und politischer Konflikte, allerdings im Kontext des deutschen Kaiserreiches unter Rückgriff auf die Vorstellung einer mittelalterlichen Befestigungs- und Verteidigungsanlage. 22 Tobias Scholl, Lars Schmelter DOI 10.2357/ FLuL-2021-0002 50 (2021) • Heft 1 den können (Abb.1 [S. 20], Ebene 4), wird deutlich, dass sprachmittelnde Schüler*innen in besonderer Weise mit den zuvor skizzierten Herausforderungen konfrontiert werden, da sie in der Regel die relevanten fachlichen Konzepte selbst erst kürzlich aufgebaut haben bzw. im Zuge der Aufgabenbearbeitung noch aufbauen müssen. Gleichzeitig verfügen sie auch in (fach-)sprachlicher Hinsicht in der Regel (noch) nicht gänzlich über die sprachlichen Ressourcen, die zur Bewältigung realer fachspezifischer Sprachmittlungssituationen notwendig wären. Trotz bzw. gerade aufgrund dieser spezifischen Herausforderungen könnten Sprachmittlungsaufgaben gegenüber anderen Formen von Sprachwechseln ein besonderes Potenzial für das inhaltlich-konzeptuelle und das sprachliche Lernen aufweisen: Zunächst lässt sich annehmen, dass die sprachmittelnden Schüler*innen aufgrund der konstruierten kommunikativen Situation u.U. in einem größeren Ausmaß als bei anderen Formen von Sprachwechseln Fachkonzepte in verschiedenen Sprachen bewusster miteinander vergleichen. 7 Darüber hinaus kann durch die Ausgestaltung entsprechender Situationen und durch begleitende Stützmaßnahmen auch die Ausbildung fachsprachlicher Strukturen in fiktiven, aber an der Realität angelehnten fachlichen Anwendungssituationen befördert werden. Zuletzt weisen Sprachmittlungsaufgaben das Potenzial auf, dass die Schüler*innen spezifische fachliche und sprachliche Übertragungsstrategien entwickeln. Diese Übertragungsstrategien werden erst durch die konstruierte Situation, in der nicht alle Kommunikationspartner*innen über die relevanten sprachlichen und kulturellen Bezugssysteme verfügen, kommunikativ notwendig. Betrachtet man etwa das Konzept BURGFRIEDEN, wäre es aufgrund des bilingualen Charakters der Unterrichtssituation etwa bei anderen Sprachwechsel- Aktivitäten ohne weiteres möglich und kommunikativ gerechtfertigt, den deutschen Begriff als Insertion (vgl. M USYKEN 2000: 60-95) in einen zielsprachigen Kontext (evtl. mit Anführungszeichen) einzupflegen und auf eine Übertragung dieses Konzeptes zu verzichten. Wird demgegenüber durch die Verwendung von Sprachmittlungsaufgaben eine fiktive Kommunikationssituation geschaffen, müssen die Schüler*innen auf andere Formen der Übertragung fachlicher Konzepte zurückgreifen, die den situations- und adressatenspezifischen Bedingungen der konstruierten Sprachmittlungssituation (Abb.1, Ebene 3) entsprechen. Bei der Übertragung eines Konzeptes wie POILU 8 müssten die Schüler*innen etwa Strategien der Umschreibung oder der Erklärung verwenden. Bei einem Konzept wie BURGFRIEDEN könnten zur Erläuterung für ein französischsprachiges Fachpublikum Bezüge zum Konzept der UNION 7 Auf eine solche kognitive Funktion von Sprachmittlungsaufgaben im bilingualen Unterricht haben kürzlich auch A BENDROTH -T IMMER / W IELAND (2019) hingewiesen, indem sie argumentieren, dass Sprachmittlungsaufgaben im bilingualen Unterricht nicht nur zur Ausbildung der kommunikativen Kompetenz der Schüler*innen in fachlichen Kontexten beitragen könnten, sondern die Lernenden auch „durch die sprachmittelnde Auseinandersetzung mit Texten und Ideen (im Sinne von mediating concepts) ein tieferes Verstehen derselben erlangen (…)“ könnten (A BENDROTH -T IMMER / W IELAND 2019: 91). 8 Das Konzept POILU bezieht sich auf die französischen Soldaten des Ersten Weltkrieges. Es handelt sich dabei um eine umgangssprachliche Bezeichnung. Zur Integration von sprachlichem und konzeptuellem Lernen im bilingualen Unterricht 23 50 (2021) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0002 SACRÉE hergestellt werden, wohingegen bei dem Konzept BOCHE 9 für ein deutschsprachiges Publikum ggf. auch ein Hinweis auf den pejorativen Charakter dieser Bezeichnung gegeben werden müsste. 3. Sprachmittlungsaufgaben zur Förderung des sprachlichen Teils der doppelten Fachliteralität: ein Modell Entsprechend dem Design-Based Research-Paradigma wurde zur Bearbeitung der in Abschnitt 1 skizzierten Zielsetzung des Forschungsprojektes ein Modell entwickelt, mit dem die Förderung des sprachlichen Teils der doppelten Fachliteralität durch didaktisch inszenierte Sprachmittlung konzeptuell gefasst und überprüft werden kann. Dieses Modell geht von der Grundannahme eines kompetenzorientierten Ansatzes aus, und zwar in der Weise, dass sich die doppelte Fachliteralität (s. Abschnitt 1) in der Bewältigung fachspezifischer Rezeptions- und Produktionsprozesse - und damit in fachlichen Anwendungskontexten - in beiden Sprachen manifestiert. Zur Bewältigung dieser fachlichen Anwendungskontexte werden sprachliche Mittel benötigt, die je nach Anwendungssituation abgerufen werden müssen. Das Modell nimmt hierbei Bezug auf das Integrated Dynamic Model des mentalen Lexikons bilingual Unterrichteter (im Folgenden: IDM) (D IEHR 2016: 65-73), welches seinerseits bestehende Modelle zum Zusammenhang zwischen Sprach- und Konzepterwerb von K ROLL / S TEWART (1994: 157f.) und P AVLENKO (2009: 146-151) ergänzt bzw. weiterentwickelt. Das IDM geht wie auch die zuvor genannten Modelle von einem L1-, einem L2- und einem Konzeptspeicher aus, versteht die Sprachspeicher allerdings im Kontrast zu den Vorgängermodellen als sich fortlaufend verändernde Größen, die sich auch unabhängig voneinander weiterentwickeln können. Das IDM kann somit auch Fälle beschreiben, in denen etwa durch einen ausschließlich monolingual-fremdsprachlichen Unterricht (Typ A bei D IEHR 2012) Konzepte nur mit den Fachbegriffen der L2 verbalisiert werden können und die Wort-Konzept-Verbindungen in der L2 entsprechend stärker ausgeprägt sind als die in der L1. Ferner differenziert das IDM im Vergleich zu den Vorgängermodellen den Konzeptspeicher näher aus, indem es vier verschiedene Äquivalenzgrade zwischen L1- und L2-Konzepten unterscheidet. Da sich das hier präsentierte Modell insbesondere auf die sprachlichen Aspekte der Förderung der doppelten Fachliteralität konzentriert, sind für die vorliegenden Zwecke insbesondere die Überlegungen zur Modellierung der Sprachspeicher von Relevanz: Während D IEHR (2016) hier jeweils eine Unterscheidung in ‚Alltagssprache‘ und ‚Fachsprache‘ vornimmt, differenziert das vorliegende Modell zunächst einmal zwischen einem fachübergreifenden und einem fachspezifischen Teil der Sprachspeicher. Diese Unterscheidung ergibt sich aus der Überlegung, dass in fachspezifischen Anwendungssituationen neben den von D IEHR (2016) aufgeführten alltags- und 9 Herablassende Bezeichnung für Deutsche, die insbesondere in den Weltkriegen, durchaus aber auch heute noch gebraucht wird. 24 Tobias Scholl, Lars Schmelter DOI 10.2357/ FLuL-2021-0002 50 (2021) • Heft 1 fachsprachlichen Strukturen auch solche sprachlichen Strukturen von Relevanz sind, die dem entsprechen, was häufig als Bildungssprache (vgl. hierzu G OGOLIN et al. 2013) bezeichnet wird. Diese Bildungssprache weist einen fächerübergreifenden Geltungsbereich auf. 10 Wie K ÖSTER / S PIEß (2018) etwa im Hinblick auf das Fach Geschichte betonen, sind hierbei insbesondere im Bereich der Lexik die Grenzen zwischen fachübergreifender und fachspezifischer Sprache als fließend zu betrachten (ebd.: 205). Daher differenziert das vorliegende Modell einen aus Alltags- und Fachsprache bestehenden fachspezifischen Teil und einen aus Alltags- und Bildungssprache bestehenden fachübergreifenden Teil. Zum Abruf in fachspezifischen Anwendungssituationen stehen nun sprachliche Mittel auf den Ebenen der Lexik, der Syntax sowie des Textes zur Verfügung (vgl. Abb. 2, S. 25). 11 Aufgrund der Unterschiedlichkeit der fachspezifischen Rezeptions- und Produktionsprozesse, für deren Bewältigung sprachliche Strukturen aus den Sprachspeichern abgerufen werden müssen, geht das Modell davon aus, dass solche sprachlichen Anwendungsprozesse fachspezifisch zu bestimmen sind. Da Sprache und fachliche Inhalte bzw. fachliche Denk- und Arbeitshandlungen immer Hand in Hand gehen, fachliches Lernen und Arbeiten dementsprechend immer auch sprachliches Lernen bzw. Arbeiten sind, greift das hier präsentierte Modell exemplarisch für das Fach Geschichte das sog. „Prozessmodell historischen Erzählens im Geschichtsunterricht“ (H ANDRO 2018) (in vereinfachter Form) auf. Dieses Modell beschreibt „Dimensionen sprachlichen und fachlichen Handelns im historischen Lern- und Erkenntnisprozess“ (ebd.: 29), indem es nach den fachlichen Funktionen des sprachlichen Handelns fragt. H ANDRO (2018) unterscheidet dabei erkenntnisgenerierende rezeptive und produktive Sprachhandlungen in den Bereichen der Heuristik, der Quellenkritik und der Interpretation von „komplexere[n] Darstellungs- und argumentative[n] Diskursleistungen historischen Erzählens zur Ergebnispräsentation“ (ebd.: 29). Das hier dargestellte Modell geht davon aus, dass zur erfolgreichen Bewältigung dieser sprachlich-fachlichen Prozesse im bilingualen Unterricht sprachliche Mittel aus den L1- und L2- Sprachspeichern abgerufen werden müssen. Anders als H ANDRO (2018: 30-33) knüpft das konzipierte Modell dabei bewusst nicht an das „Modell der Sprachlichkeit des Lernens“ von H ALLET (2013: 66-68) an, welches die Ebenen der Begriffe, Denkoperationen und Sinnbildungsmuster sowie der Gattungen und Genres voneinander unterscheidet. Da insbesondere Denk- und Sinnbildungsmuster auch über die Satzebene hinausreichen können und somit beispielsweise das Beschreiben oder das Argumentieren auf der Ebene größerer textueller Einheiten realisiert werden, fällt eine Grenzziehung zwischen Denk- und Sinnbildungsmustern einerseits und Genres bzw. Gattungen andererseits schwer. Das vorliegende Modell nimmt daher in Bezug auf 10 Vgl. hierzu auch die Ausführungen von K ÖSTER / S PIEß (2018), die in ihrer Betrachtung sprachlicher Aspekte des Geschichtsunterrichts darauf hinweisen, dass es sich bei Fach- und Bildungssprache „um funktional unterschiedliche Register mit verschiedener institutioneller Anbindung und unterschiedlich stark ausgeprägtem Fachbezug“ handle (ebd.: 205). 11 Diese Beschreibung sprachlicher Mittel auf Wort-, Satz- und Textebene orientiert sich an der Überblicksdarstellung zu schulischen Fachsprachen von M ICHALAK / L EMKE / G OEKE (2015: 68). Zur Integration von sprachlichem und konzeptuellem Lernen im bilingualen Unterricht 25 50 (2021) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0002 die Beschreibung der sprachlichen Mittel - wie bereits skizziert - eine Differenzierung hinsichtlich der Ebenen der Lexik, Syntax und des Textes vor. Der Abruf der jeweils notwendigen sprachlichen Mittel ist von verschiedenen Faktoren abhängig, z.B. von dem Kontext, in dem eine historische Frage gestellt wird 12 , von den zu rezipierenden Quellen sowie von den Adressat*innen, denen etwa Analyseergebnisse vorgestellt oder erläutert werden sollen. Im Falle der Auseinandersetzung mit historischen Texten werden die Schüler*innen darüber hinaus mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass sie in der Rezeption auch auf sprachliche Strukturen treffen (z.B. historisch konnotierte Begriffe), die in der Gegenwartssprache u.U. nicht mehr existieren oder dort eine andere Semantik aufweisen als in den Quellentexten. Das Modell berücksichtigt diese Tatsache durch die Bezeichnungen „Lver“ für „Sprachen der Vergangenheit“ und „Lgw“ für „Sprachen der Gegenwart“ 13 (Abb. 2): Abb. 2: Modell des sprachlichen Teils der doppelten Fachliteralität (Beispiel: Geschichte) 14 12 So ist etwa davon auszugehen, dass gerade auf der gymnasialen Oberstufe auch bei der Formulierung historischer Fragen der Rückgriff auf fach- und bildungssprachliche Strukturen notwendig ist, wohingegen dies in anderen Kontexten, z.B. bei der Abfassung eines eher populärwissenschaftlichen Textes, u.U. nicht in demselben Maße notwendig ist. 13 Das Modell greift hier die Gedanken von H ANDRO (2018) auf, die historisches Lernen als „ein Changieren zwischen den Sprachen der Vergangenheit und der Gegenwart“ beschreibt (H ANDRO 2018: 15). 14 Eigene Darstellung, z.T. in Anlehnung an bzw. Weiterentwicklung von D IEHR (2016: 71) und H ANDRO (2018: 30). 26 Tobias Scholl, Lars Schmelter DOI 10.2357/ FLuL-2021-0002 50 (2021) • Heft 1 Auf der Grundlage dieser Beschreibung der relevanten fachspezifischen Rezeptions- und Produktionsprozesse muss im Anschluss die Beziehung der Sprachmittlung bzw. Sprachmittlungsaufgaben zu diesen fachlich-sprachlichen Prozessen geklärt werden, um das Potenzial inszenierter Sprachmittlung bei der sprachlichen Förderung der fachlichen Prozesse einschätzen zu können. Die für die Bewältigung von Sprachmittlungssituationen relevanten sprachlichen Prozesse werden in der fremdsprachendidaktischen Literatur in verschiedenen Modellen dargestellt (z.B. A BENDROTH - T IMMER / P LIKAT 2017; C ASPARI 2013; K OLB 2010; 2016; sowie oben Abschnitt 2.1). Allen diesen Ansätzen ist gemein, dass Sprachmittelnde Texte rezipieren und - im Hinblick auf die jeweiligen Adressat*innen, die jeweilige Situation usw. - neue Texte produzieren müssen. Diese Rezeptions- und Produktionsprozesse, die in der Sprachmittlung notwendig werden, unterscheiden sich dabei von anderen fachspezifischen Rezeptions- und Produktionsprozessen insbesondere dadurch, dass sie mit einem geplanten Sprachwechsel einhergehen, indem z.B. eine historische Frage im Hinblick auf eine*n Adressat*in in der L1 formuliert wird, dann in der L2 verfasste Darstellungsund/ oder Quellentexte rezipiert und interpretiert werden, um die Ergebnisse der Auseinandersetzung mit diesen Texten wiederum in der L1 zu präsentieren. Dieser der Sprachmittlung inhärente Sprachwechsel macht nicht nur ein Changieren zwischen sprachlichen Rezeptions- und Produktionsprozessen in beiden Sprachen notwendig, sondern verlangt auch von den Sprachmittelnden die Ausbildung und Anwendung situations- und adressat*innenadäquater sprachlicher Strategien im Umgang mit Konzepten, die in der L1 und L2 nicht gleich sind (vgl. D IEHR 2016). Ebenso sind im Hinblick auf den jeweiligen Sprachmittlungskontext ggf. auch Anpassungen der sprachlichen Register sowie Transformationen historisch geprägter Sprache in eine Gegenwartssprache notwendig. Aus diesem Grund geht das hier präsentierte Modell zum Einsatz von Sprachmittlungsaufgaben im bilingualen (Geschichts-)Unterricht von sprachlichen Übertragungsprozessen in dreifacher Hinsicht aus: 1. Prozesse der Übertragung von „Sprachen der Vergangenheit“ in „Sprachen der Gegenwart“, 2. Prozesse des Wechselns der sprachlichen Register und 3. Prozesse des Wechselns der Sprachsysteme. (  Abb. 3) Während die unter 1. und 2. genannten Prozesse auch im monolingualen Fachunterricht von Bedeutung sind bzw. sein können, sind die unter 3. genannten Prozesse dem bilingualen (Geschichts-)Unterricht eigen. Sie verlangen seitens der Schüler*innen die Anwendung spezifischer sprachlicher Strategien im Umgang mit Konzeptungleichheiten zwischen der L1 und der L2. Zur Integration von sprachlichem und konzeptuellem Lernen im bilingualen Unterricht 27 50 (2021) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0002 Abb. 3: Beziehung zwischen dem sprachlichen Teil der doppelten Fachliteralität und Sprachmittlung 15 15 Eigene Darstellung, oberer Teil in Anlehnung an H ANDRO (2018: 30) 28 Tobias Scholl, Lars Schmelter DOI 10.2357/ FLuL-2021-0002 50 (2021) • Heft 1 4. Ausblick Ausgehend von dem im vorherigen Kapitel dargelegten Modell wurden im Rahmen eines am Dortmunder Design-Based Research-Ansatz (vgl. H UßMANN et al. 2013) angelehnten Forschungsprojekts (S CHOLL in Vorbereitung) exemplarische Sprachmittlungsaufgaben für den gymnasialen bilingualen Geschichtsunterricht der Oberstufe entwickelt und in verschiedenen Kursen bereits erprobt. Es handelt sich hierbei um schriftliche Sprachmittlungsaufgaben zum Themenschwerpunkt „Erster Weltkrieg“, die fiktive, aber dennoch realitätsbezogene fachliche Anwendungssituationen (z.B. Planung einer Ausstellung zu französischen Feldzeitungen) kreieren und in Zweierteams bearbeitet werden. Ziel des Einsatzes dieser Aufgaben ist es zu erforschen, wie Schülerinnen und Schüler mit den fach- und bildungssprachlichen Anforderungen, mit der Historizität der sprachlichen Strukturen sowie mit Fällen von Konzeptungleichheiten (vgl. D IEHR 2016) in der Mittlung von Quellentexten umgehen, um letztlich auch Aussagen darüber treffen zu können, ob das aufgrund konzeptioneller Überlegungen behauptete Potenzial von Sprachmittlungsaufgaben im bilingualen Unterricht auch empirisch nachweisbar ist. Hierzu werden im Rahmen des Forschungsprojektes sowohl die Schreibprodukte der Schülerinnen und Schüler als auch die Interaktionsprozesse während der Aufgabenbearbeitung untersucht und kategorienbasiert ausgewertet. Das vorgestellte Modell dient dabei zum einen als Planungsinstrument zur Gestaltung der eingesetzten Sprachmittlungsaufgaben, zum anderen aber auch als Grundlage für die Datenanalyse und -interpretation. Im Rahmen der Pilotierung erwies sich das Modell sowohl hinsichtlich der Planungsprozesse als auch für die Auswertung der gewonnenen Daten als zweckmäßig. Literatur A BENDROTH -T IMMER , Dagmar / P LIKAT , Jochen (2017): „Sprachmittlung - Warum gute Praxis gute Theorie braucht“. In: Hispanorama 155, 10-16. A BENDROTH -T IMMER , Dagmar / W IELAND , Katharina (2019): „Sprachmittlungsaufgaben im bilingualen Sachfachunterricht Französisch - zwischen Scaffolding und Emergenz“. In: R ÖSSLER / S CHÄDLICH (Hrsg.), 88-101. A LBRECHT , Volker / B ÖING , Maik (2010): „Wider die gängige monolinguale Praxis? ! - Mehrperspektivität und kulturelle Skripte als Wegbereiter der Zweisprachigkeit im bilingualen Geographieunterricht“. 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