eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 50/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.2357/FLuL-2021-0014
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2021
501 Gnutzmann Küster Schramm

Michael BASSELER, Ansgar NÜNNING (Hrsg.): Fachdidaktik als Kulturwissenschaft: Konzepte, Perspektiven, Projekte. Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier 2019, 310 Seiten [38,50 €]

2021
Laurenz Volkmann
Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 139 50 (2021) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0014 Zunächst berichten L OWE und L AWRENCE über die Implementierung eines duoethnographischen Projekts in den Englischunterricht und erläutern in Anknüpfung an soziokulturelle Theorien den Mehrwert solcher Projekte sowohl für das Fremdsprachenlernen als auch für die Herstellung von Motivation, lernförderlichen Beziehungen und positiven Gruppendynamiken. Anschließend versucht L OWE , das Potential von DE zur Förderung von peer interaction und, daraus folgend, von fremdsprachlichen Kompetenzen empirisch zu belegen. Dazu untersucht er Gespräche unter Englischlernenden an einer japanischen Privatuniversität auf das Vorkommen verschiedener Typen von language-related episodes. Schließlich untersucht L AWRENCE in einem universitären Konversationskurs den Beitrag der DE zur Verbesserung von Zweierbeziehungen und Gruppendynamiken unter Lernenden. Er kommt zu dem Ergebnis, dass insbesondere die Zweierbeziehungen von duoethnographischen Ansätzen profitieren, wobei dem Aspekt der Leistungsheterogenität noch größere Aufmerksamkeit zu widmen sei. Im Epilog werden zunächst einige Limitationen der DE (z.B. Gefahr der Manipulation bei der Datenauswahl und Konstruktion der Dialoge, Gefahr einer überzogenen Egozentrik, Gefahr des Ausblendens ungleicher Machtverhältnisse innerhalb des Forschungsteams) angesprochen und z.T. entkräftet. Im Hinblick auf Anschlussforschung werden sowohl neue denkbare Perspektiven (z.B. critical realism, Intersektionalität) als auch Themen (z.B. soziales Milieu, Neoliberalismus) vorgeschlagen und eine Erweiterung des Blicks auf Kontexte außerhalb Nordamerikas und Japans sowie des tertiären Ausbildungssektors angeregt. Der Band liefert insgesamt einen leicht zugänglichen, anschaulichen und vielstimmigen Einblick in die Grundlagen, Verfahrensweisen und Anwendungsbereiche der DE und dürfte für Forschende und Lehrende moderner Fremdsprachen gleichermaßen von Interesse sein. Berlin K ATRIN S CHULTZE Michael B ASSELER , Ansgar N ÜNNING (Hrsg.): Fachdidaktik als Kulturwissenschaft: Konzepte, Perspektiven, Projekte. Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier 2019, 310 Seiten [38,50 €] Neben Begriffen wie „Gemütlichkeit“ und „Waldsterben“ ist der aus der deutschen Ordinarienrepublik stammende Begriff der „Festschrift“ als Lehenswort in die englische Sprache eingegangen. In Deutschland selbst scheint der Terminus in Buchtiteln stark aus der Mode gekommen zu sein; er wird vielmehr sogar vermieden. Denn die Verlage vermuten wohl zu Recht, dass eine derartige linguistische Markierung eher wenig auflagen- und verkaufsförderlich wirkt, signalisiert sie doch in der Regel das publizistische Gegenstück zu doppelt blind begutachteten Zeitschriften. Noch dazu haben Festschriften inzwischen mit dem zweifelhaften Ruf zu kämpfen, lediglich eine bunte Ansammlung von irgendwie mit dem Oeuvre der zu ehrenden Persönlichkeit verbundenen Gedanken in ein breites akademisches Florilegium zu fügen. Entsprechend vermeidet der vorliegende Band im Titel seine eigentliche Raison d’être - diese wird am Anfang in dem kurzen Teil „Vorwort und Danksagung“ dann allerdings fairerweise klar benannt. Es handelt sich um eine publizistische Danksagung anlässlich der Verabschiedung des renommierten Gießener Fremdsprachendidaktikers Wolfgang H ALLET , der zum Wintersemester 2017/ 2018 in den Ruhestand entlassen und im April 2018 mit einem Symposium geehrt wurde. Der Band versteht sich demnach vor allem als Ehrung des Wirkens Wolfgang H ALLET s als Mensch, als Forscher, als Lehrender sowie als dankbares Geschenk für dessen zehnjährige Amtszeit als „Head of the Teaching Centre“ am „International Centre for the Study of Culture (GCSC)“ an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Um es vorweg zu nehmen: Die sonst bisweilen übliche disparate Heterogenität der akade- 140 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2021-0014 50 (2021) • Heft 1 mischen Gattung Festschrift wird hier gewissermaßen durch die durchaus illustre Schar der Gratulanten wie auch durch die integrative Wirkkraft des geehrten Wissenschaftlers selbst zugunsten eines recht homogenen, die Verbindungen zwischen Kultur- und Literaturwissenschaft und (fremdsprachlicher) Literatur- und Kulturdidaktik auslotenden Gesamtpakets überwunden. Jedoch möchte ich den einleitenden Worten Ansgar N ÜNNING s durchaus widersprechen, dass Ansätze und Konzepte der Literatur- und Kulturwissenschaft bisher in der Fremdsprachendidaktik nur „allenfalls in Ansätzen“ (S. 2) aufgegriffen wurden und in die Diskussion einfließen (dazu gibt es auch außerhalb des hier exklusiv vertretenen Gießener Kontextes zahlreiche nennenswerte Publikationen). Wenn N ÜNNING also einleitend mehrfach das „wechselseitige Desinteresse bzw. die friedliche, aber interesselose Koexistenz“ (S. 3) von Kulturwissenschaft und Kulturdidaktik beschreibt, so ist dies wohl eher als ein rhetorischer Kniff zu verstehen, um das einzigartige und herausragende Wirken H ALLET s im Sinne einer integrierenden, verbindenden Kraft zwischen diesen beiden doch so ähnlichen Wissenschaftsdisziplinen hervorzuheben. Diese „fruchtbare Liaison“ (S. 11), welche H ALLET als Wissenschaftler gewissermaßen verkörpert, ist entsprechend, und hier wiederum ist N ÜNNING s einleitenden Gedanken zu folgen, durchaus auch die integrative Kraft für die einzelnen Beiträge dieses Bandes. In der Tat kann das Wirken H ALLET s nicht hoch genug eingeschätzt werden, als Mensch und Kollege (wie dies N ÜNNING in einem weiteren, eher launigen Beitrag im Nachwort hervorhebt), als Lehrender sowie als ein maßgeblich den Diskurs bestimmender Wissenschaftler, welcher immer wieder Theorien und Konzepte der Literatur- und Kulturwissenschaften für die Fremdsprachendidaktiken fruchtbar und applizierbar gemacht hat. Wer hier einen gelungenen und klar strukturierten ersten Überblick erhalten möchte, der sei auf den Beitrag von Carola S URKAMP in diesem Band hingewiesen, der die eigentliche wissenschaftliche Laudatio mit dem Titel „Werke und Wirken Wolfgang H ALLET s als Paradigma innovativer Literatur- und Kulturdidaktik im 21. Jahrhundert“ am Ende des Bandes darstellt. Zu nennen seien hier beispielsweise H ALLET s Überlegungen zu Modellen literarischer Kommunikation im Unterricht, die richtungsweisende Dissertation zur Intertextualität als Paradigma des fremdsprachlichen Literaturunterrichts, seine Überlegungen zu Gattungskonventionen und zu „generischen Kompetenzen“ sowie die Konzeptualisierungen im Bereich bilinguales Lehren und Lernen (die hier weniger Erwähnung finden). S URKAMP stellt H ALLET vor allem als Wissenschaftler im Dialog heraus, im Dialog zwischen Fachwissenschaften und Fachdidaktik, Wissenschaft und Schulpraxis, Wissenschaft und Schulbuchverlagen, sowie als einen Menschen, der stets den Dialog mit Kollegen/ innen, Mitarbeiter/ innen und Studierenden suchte und fand. Die einflussreichen Entwicklungslinien des Forschungsschaffens Wolfgang H ALLET s erläutert sie zusammenfassend sehr einleuchtend wie folgt: „Linie 1: von der Beschäftigung mit Einzeltexten zum Spiel der Texte und Kulturen. Linie 2: vom close reading zum wide reading mittels Kontextualisierung. Linie 3: von der Leseförderung zur Ausbildung von multiliteracies. Linie 4: vom Sprechen und Schreiben über Texte als skills zur Entwicklung einer umfassenden fremdsprachlichen Diskursfähigkeit. Linie 5: vom Sprechen und Schreiben über Texte in der Fremdsprache zum generischen Lernen. Linie 6: von der Beschäftigung mit literarischen Texten durch pre-, while- und post-reading activities zu einem aufgabenorientierten Literatur- und Kulturunterricht mit komplexen Aufgaben.“ (S. 296f.) In insgesamt sechzehn Beiträgen (exklusive der einleitenden Grundsatzüberlegungen und der nachgestellten Laudationes) soll nun, so der Anspruch des Bandes, die von H ALLET selbst in Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 141 50 (2021) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0014 zahlreichen Publikationen vollzogene Verflechtung von Fachdidaktik und Kulturwissenschaft an ausgewählten literarischen, filmischen und anderen medialen Beispielen nachvollzogen werden - eben auch im Sinne des Buchtitels von „Fachdidaktik als Kulturwissenschaft“. An dieser Stelle kann nur darauf verwiesen werden, dass mehrere Beiträge, der disziplinären Verortung ihrer Verfasser/ innen entsprechend, doch recht eindeutig dem Bereich der Literatur- und Kulturwissenschaft verpflichtet sind. Aus fremdsprachendidaktischer Perspektive lassen sich Peter H ANENBERG s Reflexionen über Rainald G OETZ ‘ Roman Kontrolliert oder Michael B ASSELER s Ausführungen zu Mark T WAIN s Autobiography eher als wissenschaftlich beeindruckende denn als didaktisch verwertbare Beiträge verorten. Deutlich integrativen Charakter bezeugen hingegen Beiträge wie der Silke B RASELMANN s zur Funktion multimodaler Jugendromane, in welchem didaktisch anschlussfähige Ausführungen zu einer immer beliebter werdenden literarischen Gattung erfolgen. Auch eher theoretisch-konzeptuelle kulturwissenschaftliche Aufsätze wie der von Doris B ACHMANN -M EDICK erscheinen mir durchaus Potenzial im Sinne von Impulsen für die Fremdsprachendidaktik aufzuweisen: Die Verfasserin unternimmt hier einen ersten Versuch der Systematisierung von kultureller Übersetzung in einer von „Diversität, Pluralisierungen und Überlappungen“ (S. 257) geprägten globalisierten Welt. So seien im Sinne des vorliegenden fremdsprachendidaktischen Publikationsorgans und seiner Leser/ innenschaft vor allem eine Reihe von Beiträgen herausgehoben, welche auch in der fremdsprachendidaktischen Community durchaus rezipiert werden könnten: Die Ausführungen von Frank G. K ÖNIGS „zum (scheinbaren) Hype um Mehrsprachigkeitsdidaktik“ (S. 157); die Überlegungen von Nevena S TAMENKOVIĆ zum Paradigmenwechsel von der fremdsprachigen zur mehrsprachigen Diskursfähigkeit, verbunden mit der Frage nach den Konsequenzen dieser Akzentverschiebung für den Fremdsprachenunterricht; unbedingt empfehlenswert sind auch die Überlegungen von Britta F REITAG -H ILD zu den gegenwärtigen pädagogisch-didaktischen Modebegriffen agency und empowerment. Ausnehmend gut gefallen hat mir die selbstreflexive Betrachtung der Historiker/ innen Florian H ANNIG und Katharina S TORNIG . Diese reflektieren eingehend über ihre Seminarerfahrungen im Zusammenhang mit einem gemeinsamen Betrachten emotional hoch aufgeladener Szenen aus dem US-amerikanischen TV-Mehrteiler „Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiss“. Der Versuch in Seminar und Publikation, „einen kurzen Überblick über die jüngere historische Forschung zum Thema Emotionen“ zu bieten und dies mit dem Ziel, „ihr Potential für die Geschichtsdidaktik auszuloten“ (S. 273), erscheint bemerkenswert und nachdenklich machend. Die Verfasser/ innen können aufzeigen, wie mediale Sympathielenkung Zuschauer dazu auffordert, „in den dargestellten Konflikten und Entscheidungssituationen Position zu beziehen“ (S. 279). Die Ausführungen aus Sicht der Geschichtsdidaktik sind dabei unbedingt von Bedeutung für die Fremdsprachendidaktik, in welcher das Thema Empathie in interkulturellen Kontexten als zentraler Begriff Verwendung findet. Dies wird klar, wenn folgende Schlussfolgerungen der Verfasser berücksichtigt werden (S. 284): „Die Frage nach Fühlen und Gefühlen lässt sich für alle Studierenden lebensweltlich rückbinden und ihre theoretische Reflexion kann auf die Alltagserfahrung zurückgreifen. […] Mit diesem lebensweltlichen Bezug ähnelt die didaktische Auseinandersetzung mit Gefühlen derjenigen mit dem Sehen, die Wolfgang Hallet unter dem Stichwort ‚kulturelles Sehen‘ thematisiert hat. In beiden Fällen geht es darum ‚neue soziale und kulturelle Sichtweisen, Wahrnehmungen und Verstehensweisen und selbstverständlich auch interkulturelle Differenzwahrnehmungen‘ zu erlernen und ‚damit neue, selbstreflexive Blicke der Lernenden auf sich selbst‘ zu entwickeln (Hallet 2010: 45)“. 142 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2021-0014 50 (2021) • Heft 1 Dieser Beitrag aus historischer Perspektive sei hier besonders hervorgehoben, da er einerseits ein gelungenes Beispiel für „Fachdidaktik als Kulturwissenschaft“ darstellt und über diese integrative Funktion hinaus eine sehr passende und stimmige Anbindung an einen wesentlichen Gedanken des zu ehrenden Ausnahmewissenschaftlers Wolfgang H ALLET gelingt. Damit streicht er aus meiner Sicht auch die positive Funktion von Festschriften insgesamt wie auch dieser speziellen Festschrift heraus - für die wissenschaftliche Community richtungsweisende Erkenntnisse und Überlegungen werden hier als fruchtbar erkannt, aufgegriffen und exemplarisch in das eigene Forschen integriert. Jena L AURENZ V OLKMANN