eJournals Italienisch 41/82

Italienisch
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
10.2357/Ital-2019-0031
2019
4182 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott

Marcello Carmagnani/Ferruccio Pastore (Hrsg.): Migrazioni e integrazione in Italia. Tra continuità e cambiamento. Atti del Convegno tenuto presso la Fondazione Luigi Einaudi (Torino, 6-7 ottobre 2016), Firenze: Leo S. Olschki editore 2018, 328 Seiten, € 33,00

2019
Stephanie Neu-Wendel
13 4 Kurzrezensionen dung mit einer bereits im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts beschriebenen Geste ‘dello schiavo’ (Andrea de Jorio, La mimica degli antichi investigata nel gestire napoletano), bei der die mit geschlossenen Fäusten gekreuzt übereinandergelegten Hände bedeuten: ‘mir sind die Hände gebunden’ ‘ich bin ein Gefangener’. De Blasi sieht hier eine gemeinsame Etymologie der verbalen Grußformel und der Verabschiedungsgeste. Außerdem kommt De Blasi auch auf die in neuerer Zeit im öffentlichen Raum immer öfter zu hörende Vervielfachung des Abschiedsgrußes ciao, insbesondere am telefonino oder cellulare zu sprechen, wo die Kommunikationspartner sich nicht mit einem einfachen ciao zufrieden geben und es stattdessen verdoppeln (wie übrigens bereits im Refrain von «Piove») oder verdreifachen: ciao, ciao bzw. ciao, ciao, ciao oder - wiederum verkürzt - gleichsam zwitschernd cià cià cià cià (ciao) sagen. Das sind nur einige der wissenswerten, teils kuriosen Geschichten aus der ‘Biographie’ des Wortes Ciao. De Blasis Buch ist ein gutes Beispiel dafür, dass Etymologie mehr ist als die Suche nach dem Ursprung und der Versuch, phonetische oder morphologische Veränderung lautgesetzlich zu rekonstruieren; es macht das enge Zusammenwirken von Kultur- und Sprachgeschichte gut begreifbar. Das Buch ist allen linguistisch Interessierten, insbesondere aber denjenigen, die sich für Kulturgeschichte interessieren, zu empfehlen. Rafael Arnold Marcello Carmagnani/ Ferruccio Pastore (Hrsg.): Migrazioni e integrazione in Italia. Tra continuità e cambiamento. Atti del Convegno tenuto presso la Fondazione Luigi Einaudi (Torino, 6-7 ottobre 2016), Firenze: Leo S. Olschki editore 2018, 328 Seiten, € 33,00 Der hier vorgestellte Band versammelt die Ergebnisse einer interdisziplinären Tagung, die im Herbst 2016 von der Fondazione Luigi Einaudi (www.fondazioneeinaudi.it) und dem Forum Internazionale ed Europeo di Ricerche sull’Immigrazione FIERI (www.fieri.it) durchgeführt wurde. In ihrer Einleitung (S. 1-9) heben die Herausgeber Marcello Carmagnani und Ferruccio Pastore hervor, dass sich die Migration nach Italien verändert habe: Während die Einwanderung aus Arbeitsgründen abnehme, steige die Anzahl der Asylanträge aus politischen Gründen sowie als Folge ökologischer Veränderungen durch den Klimawandel. Carmagnani und Pastore betonen entsprechend die Notwendigkeit, Methoden und theoretische Herangehensweisen zu über- DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 0 31 Italienisch_82.indb 134 20.01.20 15: 36 135 Kurzrezensionen denken und über disziplinäre sowie über Generationsgrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Der Tagungsband spiegelt diese Gedanken wider, indem darin sowohl etablierte als auch jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vertreten sind, die ihre Untersuchungen mit Hilfe von Stipendien der Fondazione Luigi Einaudi durchgeführt haben. Insgesamt umfasst der Band zwölf Beiträge und gliedert sich in drei Sektionen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Jeder Beitrag ist mit einer ausführlichen Bibliographie versehen; angehängt ist zudem ein Indice dei nomi. Der erste thematische Block, Impatto economico delle migrazioni, beginnt mit Gian Carlo Blangiardos Aufsatz zu «Migrazioni ed economia irregolare. Spunti di riflessione» (S. 13-32), in dem zahlreiche statistische Daten zur Region Lombardei angeführt werden. Zusammenfassend stellt Blangiardo fest, dass eine immer bessere Integration von Migrantinnen und Migranten in den Arbeitsmarkt zu beobachten sei; problematisch sei aber nach wie vor ihr z.T. ungeklärter und unsicherer «stato di soggiorno». Tommaso Frattini und Luigi Minale, die Autoren des zweiten Beitrags «L’integrazione dei rifiugiati nel mercato del lavoro: Evidenza dalla ‘EU Labour Force Survey’» (S. 33-51), legen den Fokus explizit auf Geflüchtete und Asylsuchende und heben wie Blangiardo Unterschiede zur «più ‘tradizionale’ immigrazione economica» (S. 33) heraus. Ihre Ergebnisse basieren auf der Umfrage EULFS («Labour Force Survey») der EU aus dem Jahr 2008. Das statistische Material wird anschaulich aufbereitet, und die Autoren präsentieren konkrete Vorschläge, um der festgestellten Benachteiligung von Geflüchteten und Asylsuchenden auf politischer Ebene entgegenzuwirken. Auch der sich anschließende Beitrag von Bruno Anastasia, «L’impatto della ‘grande recessione’ sulla presenza straniera nel mercato del lavoro italiano» (S. 53-85), zeichnet sich durch eine Fülle an Datenmaterial und Statistiken aus. Der Fokus liegt auf einem Vergleich der Anzahl an italienischen und - etwas undifferenziert - als «lavoratori stranieri» bezeichneten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in verschiedenen Sektoren des Arbeitsmarkts. Anastasia stellt zusammenfassend symmetrische Entwicklungen fest, auch wenn in jüngerer Zeit ein Rückgang der Anzahl aus dem Ausland stammender Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu beobachten sei. Im vierten Beitrag, «Costi e benefici dell’immigrazione» (S. 87-108), beziehen sich die Verfasser/ innen Stefano Solari, Enrico Di Pasquale und Chiara Tronchin auf das Feld des «lavoro regolare»; ihr Aufsatz bildet entsprechend eine gute Ergänzung zum Beitrag von Gian Carlo Blangiardo. Begriffe wie immigrazione werden problematisiert, die Autor/ innen beziehen ferner Aspekte wie den «valore della mobilità, ma anche il dovere di accoglienza, di reciprocità, di collaborazione, di assistenza e di rispetto per le vite umane» (S. 90) ein, die wirtschaftlichen Abwägungen innewohnen sollten. Italienisch_82.indb 135 20.01.20 15: 36 136 Kurzrezensionen Den zweiten Themenblock, Aspetti sociali e culturali, eröffnet Pietro Cingolanis «Migrazione e tensione nelle città italiane. Quartieri della diversità e famiglie rom» (S. 111-133). Darin illustriert der Autor anhand von zwei «quartieri urbani» in Chieri und Messina, in denen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten leben, die Chancen, Vorurteile gegenüber Roma-Familien abzubauen. In seinen einleitenden Überlegungen geht der Autor auf den Begriff der diversità sowie kritisch auf rassistische politische Praktiken in Italien in Bezug auf Roma-Familien ein. Der Autor beschreibt sehr detailliert jeweils den Wohnkontext und die Beziehungen der Bewohnerinnen und Bewohner zueinander. Zusammenfassend stellt er u.a. fest, dass Grenzen oft nicht zwischen verschiedenen Nationalitäten, sondern z.B. zwischen Generationen verlaufen. Konkret und anschaulich präsentiert sich auch der nachfolgende Beitrag von Rachele Bezzini zu « Convivenze e matrimoni misti albanesi in Italia, posizioni e significati di confine » (S. 135 ‒ 165), in dem die Autorin auf Identitäts- und Alteritätsvorstellungen und die Rolle von « matrimoni misti » im Kontext von Integration eingeht. Am Beispiel von italienisch-albanischen und albanisch-rumänischen Paaren beschreibt sie, wie identitäre Abgrenzungen konstruiert werden und sich in unterschiedlichen Phasen verschieben. Bezzinis Analyse beruht auf einer Reihe von Interviews, deren Anbahnung und Durchführung sie transparent darlegt. Paola Rotolos Beitrag « Spezzati tra due mondi. Il romanzo arabo in lingua italiana » (S. 167 ‒ 193) erweitert schließlich das Panorama im Hinblick auf die Literatur: Rotolo skizziert zunächst die so genannte « letteratura della migrazione » , um anschließend die Frage zu stellen, ob man in diesem Kontext auch von einer spezifischen « letteratura araba italiana » sprechen könnte. Rotolo geht detailliert u.a. auf Nassera Chohras autobiographischen Text Volevo diventare bianca (1993) ein, den sie als « esempio (unico) di memoir beur in italiano » (S. 175) definiert, sowie auf die « produzione algerina » (S. 174) in Italien und die Thematisierung des algerischen Bürgerkriegs in ausgewählten Romanen, der durch die Exil-Situation der Protagonisten eine zusätzliche schmerzliche Dimension hinzugefügt werde. Den dritten Themenblock, Politiche e politica, eröffnet Luca Einaudis Aufsatz « Quindici anni di politiche dell’immigrazione per lavoro in Italia e in Europa (prima e dopo la crisi) » (S.-197 ‒ 231), in dem der Autor verschiedene EU-Länder im Hinblick auf die Regulierung der Immigration vergleicht. In seinem Fazit weist Einaudi darauf hin, dass « effetti della fase di de-globalizzazione » (S. 230), u.a. durch rechte Parteien, die eine Anti-Einwanderungspolitik vertreten, das Vorgehen in Zukunft nicht einfacher machen werden. Im nachfolgenden Beitrag « Migranti e rifugiati: flussi misti e procedure di asilo in Italia nella crisi migratoria recente » (S. 233 ‒ 261) stellt Ester Salis kritisch die Frage, ob und wie zwischen « rifugiati » und « migranti eco- Italienisch_82.indb 136 20.01.20 15: 36 137 Kurzrezensionen nomici » unterschieden werden kann. Zunächst geht sie auf Definitionen aus akademischer Sicht und im Anschluss auf Kategorienbildungen und deren praktische Umsetzung im Rahmen der italienischen Migrationspolitik ein. Die Autorin zeigt die Komplexität des Themas auf und weist darauf hin, dass die Rahmenbedingungen für die Gewährung von Asyl u.a. durch die politische Entwicklung in Italien restriktiver geworden seien. Ergänzend zu Salis’ Aufsatz rückt Gaia Testore in ihrem Beitrag « Il fondo FEI e la gestione dell’integrazione. Analisi dell’implementazione di una politica europea » (S. 263 ‒ 297) die Integrationspolitik in Italien im Vergleich zu Frankreich in den Mittelpunkt und untersucht, wie EU-Gelder aus dem Fondo Europeo per l’Integrazione (FEI) (2007 ‒ 2013) eingesetzt wurden. Die Analyse ist klar strukturiert, zudem legt die Autorin ihre Vorgehensweise dar und liefert wichtige Hintergrundinformationen, u.a. zum FEI. In ihrer Zusammenschau hebt sie hervor, dass in Frankreich bereits passende Strukturen bestanden, während sich in Italien neue Machtverhältnisse in der Frage der Integrationspolitik herausgebildet hätten, von denen vor allem das Innenministerium profitiert habe. Der letzte Beitrag des Themenblocks, Marianna Griffinis « Invasione, arretratezza e contaminazione: L’immigrato nel discorso dell’estrema destra italiana » (S. 299 ‒ 320), ergänzt das Spektrum durch eine Analyse des politischen Sprachgebrauchs der extremen Rechten anhand eines Korpus von italienischen Tageszeitungen aus dem Zeitraum von 2014 bis 2016. Auch Griffini legt ihre Methodenwahl und ihre Analysekategorien ausführlich dar. Als Ergebnis zeigt sie u.a. auf, dass koloniale Diskurse im Sprachgebrauch der extremen Rechten ungebrochen präsent sind. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die meisten Beiträge des Bandes durch methodologische Stringenz und genaue Analysen auszeichnen. Viele der Autorinnen und Autoren stellen größere Zusammenhänge her, betonen die europäische Dimension und formulieren konkrete Vorschläge. Einige der Aufsätze liefern vor allem statistisches Datenmaterial, das als Hintergrundwissen relevant ist, und verbleiben eher in einem fachspezifischen Duktus. Insgesamt ergänzen sich alle Beiträge jedoch sehr gut und beleuchten die Themen Migration und Integration aus komplementären Perspektiven. Der Band erweist sich somit als aktuelle Quelle auch für Kultur-, Literatur- und Sprachwissenschaftler/ innen und lässt sich aufgrund der angeführten Fallbeispiele und Statistiken ebenfalls für den Unterricht verwenden. Stephanie Neu-Wendel Italienisch_82.indb 137 20.01.20 15: 36