eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 31/5

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.2357/PM-2020-0116
Agile Arbeitsweisen in Behörden? Die Bundesagentur für Arbeit zeigt, wie es geht – seit Jahren schon! Mit einem essenziellen Softwareprojekt startete die Agentur in die agile Transition. Seither arbeiten nicht nur Teams agil, sondern auch die Linie. Wir sprachen mit Dr. Markus Schmitz, CIO der Bundesagentur für Arbeit. Im Interview erklärt er, weshalb agile Arbeitsweisen für die Agentur heute unverzichtbar sind, wie sie seine Führung verändern – und weshalb er „Übersetzungsaufgaben“ in der Führungsspitze wahrnimmt.
2020
315 Gesellschaft für Projektmanagement

Die „Übersetzungsarbeit” des Top-Managements

2020
Steffen Scheurer
Oliver Steeger
Im Interview mit Dr. Markus Schmitz, CIO der Bundesagentur für Arbeit Die „Übersetzungsarbeit“ des Top-Managements Steffen Scheurer, Oliver Steeger Agile Arbeitsweisen in Behörden? Die Bundesagentur für Arbeit zeigt, wie es geht-- seit Jahren schon! Mit einem essenziellen Softwareprojekt startete die Agentur in die agile Transition. Seither arbeiten nicht nur Teams agil, sondern auch die Linie. Wir sprachen mit Dr. Markus Schmitz, CIO der Bundesagentur für Arbeit. Im Interview erklärt er, weshalb agile Arbeitsweisen für die Agentur heute unverzichtbar sind, wie sie seine Führung verändern-- und weshalb er „Übersetzungsaufgaben“ in der Führungsspitze wahrnimmt. Herr Dr. Schmitz, viele denken, dass Behörden und agiles Arbeiten kaum zusammenpassen. Die Bundesagentur für Arbeit, die größte Behörde Deutschlands, beweist das Gegenteil. Ihre IT-Organisation arbeitet vielfach agil-- sowohl in Projekten als auch in der Linie. Bereits vor Jahren haben Sie die agile Transition gestartet. Was gab den Ausschlag dafür? Wir haben vor gut fünfzehn Jahren eine Software namens VAM VERBIS entwickelt. Dabei handelt es sich um einen virtuellen Arbeitsmarkt. Europaweit einzigartig war, dass sowohl unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch unsere Kunden auf diese Plattform zugreifen. Dieses Projekt haben wir klassisch gestartet, ganz nach dem damals üblichen Wasserfallprinzip. Doch das Vorhaben war mit hunderten von Anforderungen und Funktionalitäten überlastet. Kurz, wir waren damals nahe dran, dieses für uns essenzielle Projekt gegen die Wand zu fahren. Erst durch den allmählichen Einsatz agiler Vorgehensweise haben wir den Turnaround geschafft und dieses Projekt gerettet. Heute arbeiten wir weiter daran, auch weiterhin agil-- in der Linie. Dieses Projekt war gewissermaßen der Nukleus für die agile Transition Ihrer Behörde? Genau gesagt, des IT-Bereichs der Bundesagentur. Hier arbeiten wir mit einem Projektvolumen von jährlich rund 160 Millionen an Softwarelösungen und Online-Plattformen für die Bundesagentur. Wir haben festgestellt, dass sich unser Markt immer schneller entwickelt. Auch die Gesellschaft unterliegt hoher Dynamik. Die Covid-19-Pandemie zeigt dies ja soeben. Die Geschwindigkeit, die „Drehzahl“ unserer Projekte ist mittlerweile so hoch, dass die klassische Vorgehensweise nach dem Wasserfallprinzip riskanter ist als agile Arbeitsweisen. Nochmals zu dem Projekt virtueller Arbeitsmarkt. Wo lag die Herausforderung bei dem VAM-VERBIS- Projekt? Auf der einen Seite bildet VAM VERBIS ein Fachverfahren für die Kolleginnen und Kollegen der Agentur ab. Auf der anderen Seite nutzen Bürgerinnen und Bürger dieses System. Wir haben zwei grundverschiedene Kundengruppen. Das System hat gewissermaßen zwei Seiten. Wie dürfen wir das verstehen? Eine Fachseite für unsere Mitarbeiter und eine für Bürger. Wir mussten also ein System entwickeln, dass sowohl als Expertensystem taugt als auch für unsere externen Kunden verständlich ist. Ein weiteres Beispiel: Wir haben unlängst unser Portal arbeitsagentur.de überarbeitet. Vor einigen Jahren war dieses Portal alles andere als bürgerfreundlich. Nur wer die Struktur und Arbeitsweise der Bundesagentur verstand, der konnte sich dort zurechtfinden. Interview Die „Übersetzungsarbeit“ des Top-Managements DOI 10.2357/ PM-2020-0116 31. Jahrgang · 05/ 2020 9 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0116 Sie war an der Lebenswelt und Denkweise der Bürger vorbei entwickelt? Ja, das war ein Problem. Für dieses Projekt haben wir von der agilen Vorgehensweise beim virtuellen Arbeitsmarkt gelernt. Wir haben enge Verbindung zu Nutzergruppen gesucht. Wir wollten von ihnen lernen. Beispielsweise haben wir mit Bürgern in einem Nürnberger ”Testcafè” Customer Journeys entwickelt. Was hat dies bewirkt? Gehen Sie nicht mehr von Verwaltungsabläufen und Aktenzeichen aus? Nein, wir rücken Lebenslagen der Bürger ins Zentrum, also persönliche Situationen, in denen Bürger Informationen auf der Seite suchen. Zum Beispiel: Ein Nutzer beendet die Schule und will eine Ausbildung machen. Ein anderer Nutzer ist arbeitslos geworden und will Leistungen beziehen. Ein solcher Ansatz erfordert ein hohes Maß an interdisziplinärem Denken. Ein weiteres Beispiel dafür ist unser Webangebot zum Thema Kindergeld. Kindergeld? Ist dies eine Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit? Ja, die Bearbeitung von Kindergeldanträgen ist bei uns angesiedelt. Das wissen nur wenige. Das alte Informationsangebot hatte eine Nutzungsrate von einem Prozent. Diese Seiten haben wir vor einiger Zeit gründlich überarbeitet-- und zwar interdisziplinär. Nach der klassischen Vorgehensweise hätten wir die Antragsstrecke der Agentur abgebildet, also den Prozess. Damit erreicht man wohl kaum jemanden. Was die Frage aufwirft: Wie erreicht man wirklich die Menschen? Genau das wollten wir wissen. Meine Mitarbeiter sind komplett neu gestartet. Sie sind beispielsweise in Geburtskliniken gegangen. Sie haben mit Menschen gesprochen, die soeben Eltern geworden sind. Dadurch bildet die Seite heute die Lebenswirklichkeit der Nutzer ab. Unser neues Angebot hat derzeit eine Nutzungsquote von 25 bis 30 Prozent. Uns interessiert Ihre agile Transition. In Ihrer Behörde sind rund 100.000 Menschen beschäftigt. Allein im Bereich Software investieren Sie ein jährliches Projektbudget von 160 bis 170 Millionen Euro. Trotz der Größe haben Sie die agilen Arbeitsweisen erfolgreich eingeführt. Welche Erfolgsfaktoren spielen dabei eine Rolle? Wichtig sind die erwähnten interdisziplinären Teams, etwa aus der IT und Fachbereichen, die beispielsweise rechtliche Fragen im Blick haben. In puncto interdisziplinäre Teams sind Behörden häufig keine Vorbilder-… Das ist häufig so, ja. Die Bereiche sind oft abgeschottet. Die Bildung interdisziplinärer Teams ist eine Herausforderung. Es gibt dabei noch eine zweite Herausforderung. Das ist der permanente Fokus auf Kunden. Es ist leicht gesagt, dass man vom Kunden her denkt. Wir haben ja auch für unsere IT-Organisation den klaren Auftrag, vom Kunden her zu denken. Diesen Anspruch dann aber wirklich umzusetzen- - das ist schwierig. Wir betrachten ja nicht nur den Bürger als unseren Kunden, sondern auch unsere Mitarbeiter, die unsere Software nutzen. Was macht dieses Denken vom Kunden her so schwierig? Für dieses Denken braucht man mehr als nur neue Methoden. Dafür ist ein Mentalitätswechsel erforderlich. Die Arbeitsweise ändert sich grundlegend. Mitarbeiter bekommen mehr Freiheit und Verantwortung. Vieles entscheiden sie selbst. Das heißt aber nicht, dass man beliebig arbeitet. Beispielsweise müssen Backlogs konsequent geführt werden. Diese Mischung aus Freiheit, Selbstverantwortung und Orientierung an agilen Regeln fällt nicht jedem leicht. Die neue Arbeitsweise üben wir seit vielen Jahren, und wir sind, denke ich, gut vorangekommen. Sprechen wir bitte über Sie als Führungskraft. Agiles Arbeiten verändert stark die Führung. Es stellt klassische Führungsgrundsätze in Frage. Wie erleben Sie selbst diese agile Transition Ihrer Organisation? Die agile Transition ist kein Selbstläufer. Sie muss von Führungskräften angestoßen und dann auch gestaltet werden. Wir haben uns auf diesen Wandel gründlich vorbereitet mit einer agilen Strategieklausur im Führungsteam. Wir haben Agilität von allen Seiten aus betrachtet, also Experten gehört und agil arbeitende Unternehmen besucht. Wir wollten nicht das agile Manifest für unsere Organisation quasi abschreiben. Wir wollten unseren eigenen Weg finden. Weshalb einen eigenen Weg? Da geht es auch um Authentizität und Glaubwürdigkeit. Die Mitarbeiter sollten uns unsere Pläne abnehmen und glauben. Deshalb haben wir die Transition gemeinsam mit unseren Mitarbeitern gestaltet und uns intensiv ausgetauscht, etwa zu Kunden, Visionen, Werten oder Arbeitsweisen. Anschließend habe ich mit meinem Führungskreis jeden unserer 12 Standorte in Nürnberg besucht, das Konzept erklärt und an Beispielen erläutert. Die klassische Roadshow? Ja. Wichtig ist darüber hinaus ein Qualifizierungsprogramm für agiles Arbeiten, das sich an verschiedene Fachbereiche und IT-Bereiche richtet. Da kann sich jeder mit den Werkzeugen und dem Mindset vertraut machen. Noch ein weiterer Punkt: Wir haben agile Coaches. Dafür konnten wir wirklich hervorragende Leute gewinnen. Sie tragen dazu bei, die agilen Prinzipien und vor allem das Mindset in der Organisation zu verankern. Das Thema Mindset interessiert uns näher. Agilisierung bedeutet, dass Führungskräfte den Projekten und Teams Freiheit ermöglichen und Verantwortung an sie abgeben-… Das ist richtig, und es ist nicht ganz einfach. Als Führungskräfte sind wir ja letztlich dafür verantwortlich, dass Ziele erreicht und Ergebnisse erbracht werden. Früher haben Führungskräfte die Arbeiten beispielsweise durch Lastenhefte gesteuert. Da wurde dann abgehakt, ob ein Ziel erreicht wurde. Bei agilen Projekten sieht dies anders aus. Für die kreative Ausgestaltung der Projekte sind allein die Teams zuständig. Sie entwickeln selbstverantwortlich die Features der Soft- Interview | Die „Übersetzungsarbeit“ des Top-Managements 10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0116 ware. Anfangs wissen Führungskräfte wenig über die konkreten Details, die am Ende des Projekts stehen. Ich gebe also einen Vertrauensvorschuss. Man muss den Teams vertrauen, dass sie den Projektauftrag gut umsetzen. Im agilen Projektmanagement wird Scheitern als Lernchance gesehen. „Fail fast“, heißt es. Dann aber stehen die Führungskräfte nach außen hin für dieses Scheitern gerade. In der Politik oder Gremien geben Sie Rechenschaft für Projekte ab- - über die Sie am Ende kaum Kontrolle haben. Wie gehen Sie damit um? Kommt ein Projekt in Schwierigkeiten, dann bin ich häufig zu Gast in Gremien. Und man kann etwa im Verwaltungsrat nicht einfach sagen: Tja, das ist halt ein agiles Projekt…! Darauf wollten wir hinaus-… Natürlich haben wir in unserer Organisation einige Haltelinien. Projektbüros und Controller stehen den Projekten zur Seite. Sie haben grundlegende Aspekte wie Termine, Ziel und Budget im Blick. Wir investieren ja Mittel aus Beiträgen und Steuern. Wir müssen die Wirtschaftlichkeit von Projekten darlegen. Aber im Kern handelt es sich für Führungskräfte um einen Balanceakt. Ich muss natürlich meine Führungsrolle wahrnehmen und ausfüllen. Das steht außer Zweifel. Ich verstehe mich nicht als Helikopter-Führungskraft, die morgens beim Team landet und ihm sagt, wo es langgeht heute. Ich sehe mich eher in einer Rolle des Coachs. Zum einen: In agilen Projekten gibt es häufig keine klare Trennung zwischen “richtig” und ”falsch”. Das muss ich als Führungskraft anerkennen. Zum anderen: Übersieht man als Führungskraft mehrere Dutzend Projekte gleichzeitig, wäre es vermessen zu sagen, dass man das Richtige weiß- - oder es zumindest auch nur besser weiß als der Projektleiter. Was heißt dies konkret? Wir haben hier neue Formate eingeführt, Dialogformate für Führungskräfte und Teams. Eines davon ist das ”Stage-Gate”. Ich besuche Projekte. Diese Besuche sind völlig losgelöst von Lenkungsausschüssen und regelmäßigen Berichten. Auf einem Stage-Gate stellen mir Teams ihre Arbeit vor- - und zwar nicht als Power-Point-Präsentation, sondern mit greifbaren Zwischenergebnissen, etwa Prototypen oder ersten Features. Ich sage: Wenn ich Verantwortung abgebe, will ich auch regelmäßig sehen, wo meine Teams stehen, wo und wie sie ihre Prioritäten setzen, wie sie denken und wie sie arbeiten. Neben dem Stage-Gate gibt es ein zweites Format, nämlich der Projekttag. Jedes Team hat eine Viertelstunde Zeit, mit mir eine Art Health Check des Projekts zu machen. Das ist ein anstrengender Tag; ich habe einen Termin nach dem anderen von morgens bis abends. Bei Stage-Gates oder bei Health Checks bekomme ich ein gutes Gefühl dafür, wo die Projekte stehen und wie sie unterwegs sind. Nach diesen Veranstaltungen könnte ich keinen Detailbericht über die Projekte schreiben. Aber ich sehe, wie die Teams unterwegs sind und wo ich unterstützen muss. Man merkt, was man einer Organisation zutrauen kann… Mitarbeiter dürfen Ihr Vertrauen erwarten. Was erwarten Sie dagegen von Ihren Mitarbeitern? Ich gebe Vertrauen und stelle dafür Entscheidungsspielräume bereit. Ich erwarte natürlich Kreativität und Eigenverantwortung. Vor allem erwarte ich Wahrhaftigkeit insofern, dass Mitarbeiter Probleme rechtzeitig und transparent nach draußen geben, sodass ich reagieren kann. Das ist das Spannungsfeld im Führungsalltag: Man bewegt sich zwischen Vertrauen und Wahrhaftigkeit. Manchmal ertappe ich mich selbstkritisch dabei, dass mir das Geben von Vertrauensvorschuss schwerfällt-- vor allem dann, wenn hinter dem Projekt große Interessen stehen. Dafür braucht man den Mut, von dem ich vorhin sprach. Vorhin sagte Sie, dass Sie sich auch in der Rolle eines Coachs sehen. Wie dürfen wir uns dies genau vorstellen? Bei meiner Führung handelt es sich vielfach um wechselseitiges Coaching und gemeinsame Reflexion. Ich bringe beispielsweise Wissen aus anderen Projekten mit. Ich kann sagen, wie ein anderes Projekt eine ähnliche Herausforderung gemeistert hat. Dann sieht man, ob dieser Impuls hilfreich ist und wie er fruchtbar gemacht werden kann. Bei alledem muss ich darauf achten, dass ich keine versteckten Steuerungsimpulse gebe. Ich gebe nicht vor, wie das Team etwas zu bauen oder bei einer Fachfrage vorzugehen hat. Es geht eher um die Frage, ob im Projekt alles bedacht worden ist. Die Teams können dabei erwarten, dass ich gute Ideen unterstütze, dass ich neugierig bin und sogar den Spieltrieb teile, den viele Entwickler haben. Ihre Mitarbeiter bekommen Feedback nicht nur von Ihnen, sondern auch von Nutzern. Sie pflegen Nutzergruppen aus ganz Deutschland, die Sie virtuell zuschalten und die immer wieder auf Zwischenergebnisse schauen. Richtig! Auf diese Weise profitieren wir von sehr verschiedenen Perspektiven. Das Team muss sich dann natürlich mit diesem Feedback auseinandersetzen. Feedback annehmen und umsetzen ist nicht jedem in die Wiege gelegt. Wie bereiten Sie Ihre Mitarbeiter auf dieses Arbeiten mit Feedback vor? Ich denke, dass der Appetit mit dem Essen kommt. Anfangs waren einige Mitarbeiter nach der Nutzerkritik gekränkt. Das hat sich verändert. Wer eine Customer Journey entwickelt, braucht schon eine bestimmte Offenheit im Kopf. Man muss akzeptieren, dass man noch nicht genau die Lösung kennt und Feedback braucht. Insofern verstehen viele meiner Teams, dass zum funktionierenden agilen Projektmanagement diese Rückmeldung gehört. Häufig wird Feedback auch nicht mehr als Kritik gesehen, sondern als wertvoller Beitrag. Das Feedback scheint heute vielen Teams willkommen zu sein, und manche Feedbackgruppen und Entwickler wachsen richtig zusammen. Da entsteht stellenweise eine beeindruckende Vertrautheit im Sinne von Teamgeist. Diese Teams sind zur Überzeugung gekommen, dass durch den Dialog ein besseres Produkt entsteht. Interview | Die „Übersetzungsarbeit“ des Top-Managements 11 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0116 Das agile Mindset ist für viele Menschen eine Befreiung. Sie können selbstverantwortlich und kreativ im Team arbeiten. Andere aber empfinden eben dies als Bürde. Ist dies Ihrer Erfahrung nach eine Frage des Alters? Nein, überhaupt nicht. Wir habe viele langjährige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die wirklich modern denken und völlig offen sind gegenüber Agilität. Im Grunde handelt es sich dabei wahrscheinlich um eine Frage der persönlichen Haltung-- also damit, wie jemand gestrickt ist. Unsere Organisation ist groß genug, um Menschen, die sich mit Agilität nicht wohlfühlen, einen Platz anzubieten. Niemand wird bei uns in Rollen hineingezwängt, die er nicht ausfüllen will oder kann. Aber, wie Sie eben sagten, für viele ist Agilität auch eine Befreiung. Ich finde es wichtig, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier an einem für sie erfüllenden und sinnstiftenden Thema arbeiten können. Inwiefern sinnstiftend? Bei der Bundesagentur wollen wir ja Menschen und Arbeit zusammenbringen. Wir wollen Existenzen sichern. Das ist eine wirklich beeindruckende Aufgabe-- zumal wir diesen Beitrag digital leisten. Hier entstehen attraktive Lösungen beispielsweise für Familien mit Kindern oder für Arbeitslose. Wir helfen Menschen, Probleme zu lösen und Chancen zu ergreifen. Erwerbsbiografien verändern sich derzeit sehr stark. Sie sind nicht mehr so kontinuierlich wie vor 40 Jahren. Menschen müssen oder wollen sich beruflich umorientieren. Wir helfen ihnen mit Online-Angeboten, sich zu orientieren und über ihre Potenziale klar zu werden. Wir wollen auch, dass sie ihre Talente beruflich besser nutzen. Im Augenblick arbeiten wir an einer Plattform für Self-Assessment. Durch psychologisch normierte Testverfahren werden Nutzer künftig Ihre Stärken besser kennenlernen und erkennen, wie es für sie beruflich weitergehen kann. Als Führungskraft ist es auch meine Aufgabe, unseren Teams diesen gesellschaftlichen Nutzen unserer Arbeit zurückzuspielen und zu übersetzen. Wie wichtig sind solche Übersetzungsaufgaben für Sie als Führungskraft? Sehr wichtig! Ich übersetze in verschiedene Richtungen. Ich übersetze politische Aufträge in meine Organisation hinein. Meine Kollegen arbeiten sich tief in ihre Themen ein. Manchmal sehen sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Meine Aufgabe ist dann, den Sinn hinter dem politischen Auftrag zu verdeutlichen: Es geht um den Nutzen für den Bürger. Das ist der Grund, weshalb wir agil arbeiten und täglich unseren Job machen. Darüber hinaus übersetze ich die agile Arbeitsweise auch in Richtung Politik und Gremien. Wie schwierig ist es die agile Arbeitsweise für Dritte zu übersetzen? Vielleicht weniger schwierig als man zunächst annimmt. Politiker wollen ja Bürger beteiligen und bürgernahe Angebote schaffen. Im Prinzip haben wir alle damit die gleichen Ziele. Erklärt man unter diesem Gesichtspunkt das agile Projektmanagement, so erreicht man schnell Verständnis und Zustimmung. Ein Beispiel dazu: Kürzlich hat man ein Gesetz auf den Weg gebracht, dass die Meldung von Arbeitslosigkeit online ermöglichen soll-- inklusive einer Online-Terminvereinbarung und einer Online-Beratung. Daraus soll eine gute, bürgernahe Lösung entstehen. Dafür ist die agile Vorgehensweise besser geeignet als ein Behördenprozess… …-auch wenn die Freiräume für Teams revolutionär für eine Behörde sind? Man muss das nur richtig übersetzen. Es gibt keinen Widerspruch zwischen dem Auftrag und der agilen Vorgehensweise. Wir ziehen alle an einem Strang! Eingangsabbildung: © iStock.com / piranka Dr. Markus Schmitz Dr. Markus Schmitz ist seit 2016 CIO, Generalbevollmächtigter und Geschäftsführer Informationstechnologie und Digitale Prozesse der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit. Er studierte Sozialwissenschaften und Geschichte in Münster, Oxford, Bern und Bonn. Nach seiner Promotion war er als Unternehmensberater im Bereich Telekommunikation, Human Resources und dem Öffentlichen Sektor beruflich aktiv. Seit 2005 ist Dr. Markus Schmitz bei der Bundesagentur für Arbeit beschäftigt und verantwortete im Rahmen der sogenannten Hartz-Reformen mehrere Großprojekte. Er war Geschäftsführer der Zentrale für die Produktentwicklung der Grundsicherung und später Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit. Foto: Stefan Brending Interview | Die „Übersetzungsarbeit“ des Top-Managements 12 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 31. Jahrgang · 05/ 2020 DOI 10.2357/ PM-2020-0116