eJournals Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) 6/1

Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
10.2357/VvAa-2021-0001
2021
61 Fischer Heilmann Wagner Köhlmoos

Editorial

2021
Stefan Fischer
Jan Heilmann
Thomas Wagner
David O’Neill
Verstehen von Anfang an 6/ 1 (2021) DOI 10.2357/ VvAa-2021-0001 Editorial Stefan Fischer (ORCID 0000-0002-4856-5946) Jan Heilmann (ORCID 0000-0003-2815-6827) Thomas Wagner (ORCID 0000-0002-4076-5134) Der theologische Bildungsauftrag von Kirchen und konfessionellen Fakultäten verändert sich in der modernen Gesellschaft. Sie haben ihre Deutungshoheit in der religiösen Pluralität verloren und verzeichnen einen abnehmenden Einfluss auf die Glaubensvorstellungen von Menschen. Radikalisierung von Menschen, die diese mit ihrem Glauben begründen, sowie ein zunehmender Verlust christlich geprägter Bildung und reflektiertem religiösen Deutungswissen zeichnen die westliche Gesellschaft derzeit aus. In diesem gesellschaftlichen Kontext steht die Fortexistenz konfessionell getrennter theologischer Fakultäten, Seminare und Institute, wie sie für die Ausbildung von Fachtheologen für das Pfarramt und das Lehramt an deutschsprachigen Universitäten vorhanden sind, immer stärker in Frage. Die Forderungen nach einer christlich-theologischen Ausbildungsstätte an Universitäten, in denen Theologinnen und Theologen aller Konfessionen lehren und lernen, wie sie von Universitäten in anglo-amerikanischer Tradition bekannt sind, werden vehementer. Dieser Prozess wird dadurch verstärkt, dass Theologie - neben von einer Konfession geprägten und/ oder getragenen Ausbildungsstätten - vielerorts und zunehmend innerhalb der Geistes- und Kulturwissenschaften angesiedelt wird. Der Druck zur Auflösung konfessioneller Grenzen nimmt so auch an den Universitäten immer weiter zu. Ein solcher Veränderungsdruck des universitären Bildungsangebotes kann auch als Anpassungsbewegung an die Vermittlung von Religionslehre in den Schulen verstanden werden. So sind Tendenzen hin zu kooperativen Formen bzw. konfessionsübergreifenden oder sogar religionsübergreifenden Formen des Religionsunterrichts zu verzeichnen - gerade in der pandemiebedingten Phase des Wechselunterrichts in Deutschland und der Notwendigkeit, Kontakte zu reduzieren und auf klassenübergreifende Gruppen zu verzichten, waren solche Formen aus organisatorischen Gründen unausweichlich. Neben die bzw. anstelle der von den christlichen Konfessionen verantworteten schulischen Unterweisung treten (insbesondere in der Schweiz durch den Lehrplan 21 ) ein konfessionsunabhängiger staatlicher Religionsunterricht oder die Einordnung von Religionslehre in ein übergeordnetes Fach, welches je nach Region leicht unterschiedlich bezeichnet wird, etwa als Ethik Religionen Gemeinschaft (ERG) , in der Schweiz, oder Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (LER) , im deutschen DOI 10.2357/ VvAa-2021-0001 Verstehen von Anfang an 6/ 1 (2021) 4 Stefan Fischer / Jan Heilmann / Thomas Wagner Bundesland Brandenburg. Die Integration von Religion in die Bereichsdidaktik führt insbesondere bei nicht spezifisch ausgebildeten Lehrpersonen (siehe den Beitrag von Eva Ebel) zu einer Schwächung des Faches. Die hier vorausgesetzte, darstellende und vergleichende Religionskunde wird unter dem Slogan ‚Learning about religion‘, als religionsneutraler Unterricht geführt, während die Einsicht, dass eine existentielle Dimension nur durch einen konfessionellen Unterricht mit persönlichem Bezug der Lehrperson erreicht werden kann, als ‚Learning from religion‘ bezeichnet wird. Diese Einsicht wird jedoch von staatlicher Seite nicht unbedingt geteilt. 1 Als drittes tritt noch ‚Learning in religion‘ in den Strukturen der Kirchen oder anderer Religionsgemeinschaften hinzu. 2 Letzteres beschränkt sich nicht mehr auf den Konfirmandenunterricht, sondern führt zu strukturierten Angeboten ab der Primarschule. Zur Einordnung der beschriebenen Tendenzen gehört aber auch die folgende, relativierende Einsicht: Die gesellschaftlich mit den Organisationsformen theologischer Lehre und schulischem Religionsunterricht thematisierte religiöse Pluralität ist ein Phänomen, mit dem sich Theologie von jeher auseinandersetzen musste. Auch wenn die Religionsgruppen von außen betrachtet oftmals homogen erscheinen, so erweisen sie sich im Binnendiskurs als Gemeinschaften mit individuellen Deutungsmustern, die zum Teil toleriert, zum Teil kontrovers diskutiert werden. Die vorliegende Ausgabe unserer Zeitschrift geht auf religiöse Pluralität im Spannungsfeld von universitärer Lehre und schulischem Unterricht ein. Sabrina Weiß bietet als Religionswissenschaftlerin eine grundlegende Perspektive auf Diversität an den Hochschulen. Von der Diversität im Allgemeinen wendet sie sich spezifisch dem hochschuldidaktischen Umgang mit religiöser und weltanschaulicher Diversität in der Lehre zu. Anhand von Fallbeispielen zeigt sie verschiedene Umgangsformen mit religiöser und weltanschaulicher Kommunikation und stößt mit vielen offenen Fragen Reflexionsprozesse an. Der Beitrag Begegnung ermöglichen stellt ein Modell des interreligiösen Lernens in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung an der Pädagogischen Hochschule Wien/ Krems (KPH) vor. Der Beitrag wurde von fünf Dozierenden der KPH verfasst, welche fünf anerkannte Konfessionen bzw. Religionen für den Religionsunterricht repräsentieren. Diese sind: römisch-katholisch, evangelisch, freikirchlich, islamisch und alevitisch. Allein, dass solch ein gemeinsamer Bei- 1 Hier sei auf den Beschluss des Regierungsrates St. Gallen von November 2020 verwiesen, dass Wahlpflichtfach ERG-Kirchen, welches parallel zu ERG-Schule angeboten wurde, abzuschaffen und diesen Sonderweg zu beenden. 2 Vgl. Monika Jakobs: Das Terrain der Religionspädagogik jenseits des Konfessionalismus. Eine Perspektive aus der Schweiz, Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 15 (2016), 58-76. Verstehen von Anfang an 6/ 1 (2021) DOI 10.2357/ VvAa-2021-0001 Editorial 5 trag möglich ist, ist ein Zeichen des Binnendiskurses der akademischen Auseinandersetzung. Hanna Roose geht auf eine spezifisch protestantische Tradition ein und stellt die Frage: Was ‚bringt‘ die historisch-kritische Exegese dem Religionsunterricht unter den Bedingungen von Interreligiosität? Sie legt dar, wie sich Studierende dieses ‚Hintergrundwissen‘ aneignen und wie dieses didaktisch fruchtbar gemacht werden kann, so dass die damit einhergehenden Fragen und Probleme behandelt werden können. In einem Lehr-/ Lern-Beispiel geht Eva Ebel von den schwierigen Rahmenbedingungen im Kanton Zürich (Schweiz) aus, dass für die Primarschule Lehrpersonen eingesetzt werden, die keine Fachstudierenden sind und mit wenig Vorwissen das Fach Religion zu unterrichten haben. Für das Studium stellt sie die Klärung der eigenen Haltung und den Erwerb von Gattungskompetenz als Schlüsselkompetenz für einen religionskundlichen Unterricht heraus. In einem zweiten Lehr-/ Lern-Beispiel stellt Gerald West einen Kurs des universitären christlich-islamischen Dialogs in Südafrika aus einer feministischen und einer queeren kontextuellen Perspektive vor. In diesem wurde offensichtlich, wie in beiden Religionen die theologisch-ideologischen Voreinstellungen die Analyse beschränken, auch wenn insbesondere in den Bibelwissenschaften die ganze Bandbreite textueller Methoden zum Einsatz kommt. In seiner Rezension bespricht Thomas Wagner die Deutung von Welt, Geschichte und Menschsein in dem Werk der Geschichte der biblischen Welt von Dieter Vieweger. Sönke Finnern rezensiert das von Eva von Contzen/ Stefan Tilg herausgegebene Handbuch Historische Narratologie und stellt seine interdisziplinäre Weite heraus. Er wertet aus, welche Kapitel für die Bibelwissenschaften, von denen es leider keinen Beitrag gibt, gewinnbringend zu lesen sind. Im Frontend gibt Emanuele Scieri einen Überblick über https: / / www.biblindex.org . Diese Ressource basiert auf dem Projekt Biblia Patristica . Scieri stellt Erwägungen an, wie diese in der akademischen Lehre nutzbar gemacht werden kann. Schließlich führt der Wiener Religionswissenschaftler Wolfram Reiss im Interview sein Verständnis von gelungener Lehre aus und äußert sich spezifisch zum Unterrichten unter den Bedingungen von Interreligiosität. Der Band bietet Beispiele religiöser Diversität im akademischen Unterricht und könnte mit Ihrer Erfahrung im Umgang mit religiös pluralen Lerngruppen in der Spanne aus Religionswissenschaft und Religionstheologie fortgeschrieben werden. Wir freuen uns darüber, den elften Band von VvAa als hoffentlich anregende und für die Lehre förderliche Lektüre den Leserinnen und Lesern zu übereignen. DOI 10.2357/ VvAa-2021-0001 Verstehen von Anfang an 6/ 1 (2021) Editorial translated by David O’Neill The theological educational mission of churches and denominational faculties is changing in modern society. They have lost their interpretive sovereignty in religious plurality and are registering a decreasing influence on people’s beliefs. Radicalisation of people who justify it with their faith, as well as an increasing loss of Christian-based education and reflective religious interpretive knowledge characterise Western society. In this social context, the continued existence of denominationally separate theological faculties, seminaries and institutes, as they exist for the training of specialist theologians for the pastorate and the teaching profession at German-speaking universities, is increasingly being called into question. The demands for a Christian theological training centre at universities where theologians of all denominations teach and learn, as known from universities in the Anglo-American tradition, are becoming more vehement. This process is reinforced by the fact that, in addition to educational institutions shaped and/ or supported by one denomination, theology is in many places and increasingly located within the humanities and cultural studies. The pressure to dissolve denominational boundaries is thus also increasing at the universities. Such pressure for change in university education can also be understood as a movement to adapt to the teaching of religious education in schools. Thus, there are tendencies towards cooperative forms or cross-denominational or even cross-religious forms of religious education - especially in the pandemic phase of alternate teaching in Germany and the need to reduce contacts and do without cross-class groups, such forms were unavoidable for organisational reasons. In addition to, or instead of, the school instruction for which the Christian denominations are responsible, there are (especially in Switzerland through the Lehrplan 21 ) non-denominational state religious education classes or the integration of religious education into a higher-level subject, which is called something slightly different depending on the region, such as Ethik Religionen Gemeinschaft (ERG) in Switzerland or Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (LER) in the German state of Brandenburg. The integration of religion into area didactics leads to a weakening of the subject, especially for teachers who are not specifically trained (see the contribution by Eva Ebel). The here presupposed representational and comparative religious studies is led under the slogan ‘learning about religion’, as religion-neutral teaching, while the insight that an existential dimension can only be achieved through denominational teaching Verstehen von Anfang an 6/ 1 (2021) DOI 10.2357/ VvAa-2021-0001 Editorial 7 with personal reference by the teacher is called ‘learning from religion’. However, this insight is not necessarily shared by the state. 1 The third dimension is ‘learning in religion’ in the structures of the churches or other religious communities. 2 The latter is no longer limited to confirmation classes but leads to structured offers from primary school onwards. However, the following relativising insight is also part of the classification of the tendencies described: The religious plurality thematised socially with the organisational forms of theological teaching and school religious education is a phenomenon that theology has always had to deal with. Even if religious groups often appear homogeneous when viewed from the outside, they turn out to be communities with individual patterns of interpretation in domestic discourse, some of which are tolerated, others controversial. This issue of our journal deals with religious plurality in the field of tension between university teaching and school teaching. Sabrina Weiß, as a religious studies scholar, offers a fundamental perspective on diversity at universities. From diversity in general, she turns specifically to the university didactic approach to religious and ideological diversity in teaching. Using case studies, she shows different ways of dealing with religious and ideological communication and triggers reflection processes with many open questions. The article Begegnung ermöglichen (Enabling Encounter) presents a model of interreligious learning in teacher training at the University of Teacher Education Vienna/ Krems (KPH). The article was written by five KPH lecturers representing five recognised denominations or religions for religious education. These are: Roman Catholic, Protestant, Free Church, Islamic and Alevi. The very fact that such a joint contribution is possible is a sign of the internal discourse of academic debate. Hanna Roose addresses a specifically Protestant tradition and asks the question: What does historical-critical exegesis do for religious education under the conditions of interreligiosity? She sets out how students acquire this ‘background knowledge’ and how it can be made fruitful didactically so that the questions and problems it raises can be addressed. In a teaching/ learning example, Eva Ebel takes as her starting point the difficult framework conditions in the canton of Zurich (Switzerland), where teachers are employed for primary school who have never intensely studied the 1 In this context, reference should be made to the decision of the Government Council of St. Gallen in November 2020 to abolish the elective subject ERG Churches, which was offered in parallel to ERG School, and to end this special path. 2 Cf. Monika Jakobs: Das Terrain der Religionspädagogik jenseits des Konfessionalismus. Eine Perspektive aus der Schweiz, Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 15 (2016), 58-76. DOI 10.2357/ VvAa-2021-0001 Verstehen von Anfang an 6/ 1 (2021) 8 Stefan Fischer / Jan Heilmann / Thomas Wagner subject and have to teach religion with little prior knowledge. For the study, she emphasises the clarification of one’s own attitude and the acquisition of genre competence as a key competence for teaching religion. In a second teaching/ learning example, Gerald West presents a course of university Christian-Islamic dialogue in South Africa from a feminist and a queer contextual perspective. In this, it became obvious how in both religions theological-ideological preconceptions limit analysis, even when the full range of textual methods are used, especially in Biblical studies. In his review, Thomas Wagner discusses the interpretation of world, history and humanity in Dieter Vieweger’s work Geschichte der Biblischen Welt . Sönke Finnern reviews the Handbuch der historischen Narratologie edited by Eva von Contzen/ Stefan Tilg and highlights its interdisciplinary breadth. He evaluates which chapters are profitable reading for Biblical studies, of which there is unfortunately no contribution. On the front end, Emanuele Scieri gives an overview of https: / / www.biblindex.org . This resource is based on the Biblia Patristica project. Scieri ponders how it can be made useful in academic teaching. Finally, in an interview, the Viennese religious scholar Wolfram Reiss elaborates on his understanding of successful teaching and specifically comments on teaching under the conditions of interreligiosity. The volume offers examples of religious diversity in academic teaching and could be continued with your experience in dealing with religiously plural learning groups in the span of religious studies and theology of religion. We are pleased to present the eleventh volume of VvAa to the readers as hopefully stimulating and beneficial reading for teaching.