eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 51/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2022-0014
2022
511 Gnutzmann Küster Schramm

Anastasia DRACKERT, Mirka MAINZER-MURRENHOFF, Anna SOLTYSKA, Anna TIMUKOVA (Hrsg.): Testen bildungssprachlicher Kompetenzen und akademischer Sprachkompetenzen. Zugänge für Schule und Hochschule. Berlin: Lang 2020, 326 Seiten [69,95 €]

2022
Jana Gamper
Besprechungen 147 51 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0014 über mehrsprachigen Lernarrangements zeigten (S. 388) und dass die Deskriptoren nicht als „Standards (...) für einen ‚guten‘ [Anführungszeichen im Original] mehrsprachigen Unterricht“ (S. 411) zu verstehen seien. Sie stellen jedoch einen Versuch dar, die Vielfalt mehrsprachigkeitsdidaktischer Überlegungen wie Mehrsprachigkeitsförderung und Sprachmittlung, Mehrsprachigkeitsförderung und Literatur sowie Mehrsprachigkeitsförderung und mehrsprachige Kommunikationssituationen in einem Modell zu bündeln. Rostock S TEFFI M ORKÖTTER Anastasia D RACKERT , Mirka M AINZER -M URRENHOFF , Anna S OLTYSKA , Anna T IMUKOVA (Hrsg.): Testen bildungssprachlicher Kompetenzen und akademischer Sprachkompetenzen. Zugänge für Schule und Hochschule. Berlin: Lang 2020, 326 Seiten [69,95 €] Der Sammelband, der im Nachgang an das im November 2018 in Bochum durchgeführte Symposium „Testen bildungssprachlicher Kompetenzen und akademischer Sprachkompetenzen - Synergien zwischen Schule und Hochschule erkennen und nutzen“ entstanden ist, widmet sich einem im bildungsinstitutionellen Bereich drängenden und aktuellen Desiderat. Die elf in die beiden Bereiche ‚Kontext Schule‘ und ‚Kontext Hochschule‘ unterteilten Beiträge gehen aus unterschiedlichen Perspektiven Fragen nach dem Testen von Bildungssprache an. Im Fokus stehen dabei neben dem Testkonstrukt auch einzelne Test- und Prüfungsverfahren in unterschiedlichen schulischen und universitären Lehr- und Lernkontexten. Der erste Teil des Bandes (Kontext Schule) wird mit einem konzeptionellen Beitrag von Frauke M ATZ , Michael R OGGE und Dominik R UMLICH eröffnet, die sich mündlichen Prüfformen im Englischunterricht der Sekundarstufe II widmen. Im Kontext des pluriliteracies-Ansatzes verstehen die AutorInnen den Aufbau bildungssprachlicher Kompetenz als Aufbau von cognitive discourse functions (CDFs) wie Beschreiben und Argumentieren, die SprecherInnen dabei helfen, (im Beitrag nicht immer trennscharf abgrenzbare) Genres und Schemata situationsangemessen zu meistern. Am Beispiel des TED-Talks wird ein solches Genre im Kontext eines mündliches Prüfformats erprobt und in Hinblick auf potentielle Bewertungskriterien hin beleuchtet, wobei offengelassen wird, inwiefern sich die diskutierten Kriterien für die Formulierung eines kontextübergreifenden Testkonstrukts eignen. Christiane D ALTON -P UFFER richtet den Blick auf das Content and Language Integrated Learning (CLIL) in der Sekundarstufe. Ausgehend vom Konstrukt Academic English/ Language, dem englischsprachigen Pendant zu ‚Bildungssprache‘, werden unterschiedliche Zugänge ausgeführt, die der Operationalisierung des Konstrukts dienen. Es wird deutlich, dass sich hier Ansätze bewährt haben, die auf funktionalen Sprachtheorien aufbauen, allen voran der Systemisch Funktionalen Linguistik nach Halliday. Eine Operationalisierung sprachlicher Strukturen erfolgt hierbei also vor dem Hintergrund von Sprachverwendungssituationen und Kommunikationskontexten. Ausgehend von einer solch funktionalen Einbettung sprachlicher Strukturen ist im Bereich des Testens und Prüfens bildungssprachlicher Kompetenz ein „Trend zu integrierten Aufgabenstellungen“ (S. 50) auszumachen, bspw. mit Blick auf die stärkere Berücksichtigung von Genres. Der Beitrag bietet das Potential, aktuelle Diskurse zu Bildungssprache im deutschsprachigen Raum zu reflektieren, einzuordnen sowie in Anlehnung an ebendiese weiterzuentwickeln. Mirka M AINZER -M URRENHOFF und Lisa B ERKEL -O TTO geben in ihrem Beitrag einen Überblick über Ansätze zur Erfassung bildungssprachlicher Kompetenz im DaZ-Bereich und arbei- 148 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2022-0014 51 • Heft 1 ten systematisch heraus, wie die einzelnen Ansätze versuchen, das Konstrukt der Bildungssprache bzw. bildungssprachlichen Kompetenz zu operationalisieren und wie die einzelnen Operationalisierungsansätze in Diagnoseinstrumente überführt werden. Da das Testkonstrukt je nach Ansatz äußerst unterschiedlich operationalisiert wird, werfen die AutorInnen die berechtigte Frage nach der Validität der im Beitrag analysierten und auf die Erfassung bildungssprachlicher Kompetenz ausgerichteter Diagnoseverfahren auf und fordern eine stärkere Orientierung an funktionalen Sprachtheorien in dem Sinne ein, dass bildungssprachliche Strukturen stärker vor dem Hintergrund ihrer kontext- und verwendungsspezifischen Funktionen betrachtet werden müssen. Davon ausgehend, so die AutorInnen, müssten integrativ und handlungsorientiert ausgerichtete Ansätze zur Konstruktbeschreibung stärker Berücksichtigung finden als bisher. Raja R EBLES empirischer Beitrag untersucht Klausuren im Fach Politik von GymnasialschülerInnen der Jahrgangsstufe 10 (n=45). Ziel der korpusanalytischen Studie ist die Identifikation ausgewählter bildungssprachlicher Merkmale, die im ersten Teil des Beitrags überzeugend auf Basis theoretischer Ansätze und empirischer Erkenntnisse hergeleitet werden. Die Autorin kommt zu dem Fazit, dass hypotaktische Strukturen, Passivkonstruktionen sowie attribuierte Nominalphrasen systematisch vorkommen und geeignete Merkmale bildungssprachlicher Kompetenzen im untersuchten Korpus zu sein scheinen. Die Ergebnisse stellen einen wichtigen Beitrag zur Identifikation von Indikatoren für bildungssprachliche Kompetenz dar, auch wenn, wie die Autorin selbst anmerkt, eine entsprechende Validierung dieser Annahme aussteht. Der ebenfalls empirische Beitrag von Grit M EHLHORN widmet sich Sprachmittlungsaufgaben als potentiellem Mittel einer sog. Zweisprachigkeitsdiagnostik mehrsprachiger SchülerInnen mit den Herkunftssprachen Russisch und Polnisch. Die Ergebnisse der longitudinalen Studie mit 40 Jugendlichen weisen darauf hin, dass die Jugendlichen, wenn auch in Abhängigkeit der Kontaktintensität zur Herkunftssprache, Sprachmittlungsaufgaben meistern und im Bereich der aufgabenspezifischen Fachlexik Kompensationsstrategien entwickeln. Dies wird vor dem Hintergrund des Diagnosepotentials von Sprachmittlungsaufgaben diskutiert. Auch wenn der Beitrag für Ansätze einer gesamtsprachlichen Diagnostik als wertvoll einzustufen ist, bleibt sein Bezug zur Rolle bildungssprachlicher Kompetenzen eher vage. Der zweite Teil des Bandes zum ‚Kontext Hochschule‘ wird von einem empirischen Beitrag von Anastasia D RACKERT und Anna T IMUKOVA eröffnet, der sich mit der Eignung von C-Tests für die Einschätzung allgemein- und bildungssprachlicher Sprachkompetenz bei SprecherInnen mit der Herkunftssprache Russisch (n=89) befasst. Untersucht wird mithilfe eines differenzierten Bewertungsrasters, das neben der Worterkennung auch zwischen Flexions- und Orthographiefehlern differenziert, welche Ergebnisse SprecherInnen mit der Herkunftssprache Russisch (im Beitrag als HerkunftssprecherInnen bezeichnet) im Vergleich zu FremdsprachlernerInnen (n=119) erzielen. Die Autorinnen kommt zu dem Fazit, dass eine differenzierte Betrachtung von Lösungen notwendig ist, um die sprachlichen Fähigkeiten von HerkunftssprecherInnen angemessen einstufen zu können. Ob der C-Test auch spezifische bildungssprachliche Kompetenzen erfasst, bleibt jedoch offen. Sonja Z IMMERMANN widmet sich in einem ebenfalls empirischen Beitrag der Frage, wie internationale StudienbewerberInnen (n=19) mit integrierten und computerbasierten Schreibaufgaben umgehen, deren Einsatz im Kontext einer Digitalisierung des TestDaF diskutiert wird. Die mittels eye tracking und anschließenden stimulated recall-Interviews erhobenen Daten zeigen, dass TeilnehmerInnen aufgrund der Bearbeitung der Aufgabe am Computer einen höheren Verarbeitungs- und Planungsaufwand zeigen, was bei der Vorbereitung von Teilnehmenden auf die TestDaF-Prüfung zu berücksichtigen sei. Aufschlussreich ist die methodisch innovativ angelegte Studie für die Erforschung komplexer Schreibprozesse sowie für die Weitentwick- Besprechungen 149 51 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2022-0014 lung von Aufgabenformaten, eher vage bleibt jedoch leider der Bezug des Beitrags zu bildungssprachlicher Kompetenz. Der konzeptionell angelegte Beitrag von Annemarie H ÜLSMANN versucht, am Beispiel von Passivkonstruktionen und Nominalisierungen Aufgabenformate im Rahmen der Deutschen Sprachprüfung für den Hochschulzugang (DSH) zu konzipieren, die der Funktionalität und Kontextgebundenheit dieser Strukturen Rechnung tragen. Ausgehend von der Feststellung, dass in der bisherigen Form vorliegende Transformationsaufgaben (Passiv zu Aktiv oder Nominalzu Verbalstil umwandeln) nicht zielführend seien, um die Strukturen funktional und kontextangemessen verwenden zu können, werden in gelungener Weise unterschiedliche geschlossene und halboffene (DSH-kompatible) Aufgabentypen präsentiert und diskutiert. Der Beitrag liefert sinnvolle sowie reflektierte Überlegungen zur Kompatibilität standardisierter Testformate und zur funktionalen Einbettung bildungssprachlicher Strukturen. Auch Christian K REKELER widmet sich in seinem konzeptionellen Beitrag Aufgabentypen im DSH. Im Fokus steht die Frage, welche Formen der standardisierten Leistungsbeurteilung sich eignen, um im Fremdsprachunterricht als lernförderlich in Hinblick auf den Aufbau bildungssprachlicher Kompetenz eingestuft werden zu können. Die Evaluation isolierter sowie integrativer Schreib- und Projektaufgaben (zu letzteren gehört z.B. die Erstellung einer Radiomeldung für eine Nachrichtensendung) ergibt, dass besonders integrative Aufgabentypen geeignete Formen einer nicht-standardisierten Leistungsbeurteilung sein könnten. Ob, wie der Beitrag vermutet, integrative Schreibaufgaben dabei auch bildungssprachliche Kompetenzen erfassen können, harrt einer empirischen Überprüfung. In ihrem diskurs- und gesprächsanalytisch angelegten Beitrag geht Almut S CHÖN der Frage nach, wie geflüchtete LernerInnen in studienvorbereitenden Sprachkursen mündliche Prüfungssituationen meistern. Anhand von zwei Beispielanalysen stellt der Beitrag dar, wie die Aufgabenstellung (mündliche Präsentation samt Textzusammenfassung und persönlicher Meinung) ausgestaltet wird, welche Redemittel die Prüflinge verwenden und wie sie ihren Prüfungsbeitrag strukturieren. Die Studie folgt klassischen gesprächsanalytischen Prinzipien, geht jedoch nur am Rande auf das Testkonstrukt Bildungssprache ein. In welcher Weise sich das im Fokus stehende Prüfungsformat konkret zur validen Erfassung (spezifischer) bildungssprachlicher Kompetenzen - jenseits von bspw. kohärenzstiftender Redemittel - eignet, bleibt deshalb vage. Zu den erkenntnisreichsten und methodisch innovativsten Beiträgen des Bandes gehört die umfassende empirische Studie von Katrin W ISNIEWSKI , Jupp M ÖHRING , Wolfgang L ENHARD und Jennifer S EEGER . Mithilfe eines umfangreichen multifaktoriellen Designs arbeiten die AutorInnen heraus, dass die (wissenschafts-)sprachlichen Kompetenzen von BildungsausländerInnen (n=141) trotz GeR-bezogener Hochschulzugangstests immens divergieren. Es zeigt sich zudem ein deutlicher Zusammenhang zwischen Kompetenzunterschieden, der individuellen Studiensituation sowie individuellen Lebensbedingungen. Der Beitrag wirft die wichtige Frage nach der Validität von Hochschulzugangsprüfungen zur Erfassung studienbezogener Sprachkompetenzen auf und fordert auf Basis der Ergebnisse eine durchgehende Sprachbildung von BildungsausländerInnen im Laufe des Studiums. Der Band vereint einen multiperspektivischen Blick auf das übergeordnete Thema und ermöglicht dadurch Erkenntnisgewinne in Hinblick auf drängende Fragen nach dem Testkonstrukt und seiner validen Erfassung. Zugleich offenbart grade die Zweiteilung in Schule und Hochschule institutionsspezifische Desiderate: Während die Beiträge im ersten Teil (Kontext Schule) v.a. Fragen nach dem Testkonstrukt aufwerfen, dominieren im zweiten Teil (Kontext Hochschule) Beiträge, die konkrete Test- und Prüfverfahren sowie Aufgabenformate in den Fokus rücken. Diese Asymmetrie der Forschungsfragen offenbart einen missing link zwischen der Frage nach dem Testkonstrukt und dem tatsächlichen Testen, nämlich empirische und dabei 150 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2022-0014 51 • Heft 1 auf die sprachliche Entwicklung und konkrete sprachliche Kompetenzen hin ausgerichtete Studien. Diese sind Bedingung dafür, um sich einerseits an ein operationalisierbares Testkonstrukt anzunähern und andererseits erfassen zu können, ob die grade im Hochschulbereich oftmals zum Einsatz kommenden Sprachprüfungen tatsächlich diejenigen bildungssprachlichen Kompetenzen erfassen, die sie erfassen sollen. Auch wenn der Band diesen missing link nicht explizit hervorhebt, veranschaulicht er doch deutlich, worin drängende Fragen im Themenfeld ‚Testen bildungssprachlicher Kompetenzen‘ liegen und hebt darüber hinaus hervor, dass ein multiperspektivischer Blick für alle Seiten lohnenswert ist, damit die Entwicklung von Test- und Prüfungsformen in der Schule vorangeht und die Frage nach der Validität der zahlreichen Tests und Prüfungen in der Hochschule stärker in den Fokus rückt. Vor diesem Hintergrund leistet der Band einen wichtigen Beitrag zur Spezifizierung konkreter Forschungsdesiderate. Gießen J ANA G AMPER