eJournals Forum Modernes Theater 33/1-2

Forum Modernes Theater
0930-5874
2196-3517
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FMTh-2022-0011
Schauspielende nehmen in den Social Media der Volksrepublik China eine Sonderstellung ein. Ihre große Popularität, die sich auf anderen Produktionsräumen (Theater, Film, Fernsehen etc.) gründet, und durch die digitalen Plattformen weiter ausgebaut wird, beschert ihnen einen Einfluss, der Öffentlichkeit konfigurieren kann. Sie sind bevorzugte Zielscheibe für Kritik an (digitalen) Phänomenen, welche die Machthabenden als gesellschaftliche Fehlentwicklungen ausgemacht haben. Diese Gemengelage begründet eine Flut von kritischen Äußerungen der Sprechorgane des Machtapparats, die als zeitgenössische Schauspielpamphlete gewertet werden können. Am Beispiel eines besonders prominenten und ausführlichen Pamphlets fragt der folgenden Text nach den Spielräumen, die sich für Schauspielende ergeben, wenn sie Verhandlungsmasse einer Kalibrierung von Erscheinungsformen des digitalen Kapitalismus sind. Statt vorgezeichnete zeigen sich hier fluide Spielräume mit im ständigen Wandel begriffenen Regeln und Begrenzungen zwischen den technologisch-merkantilen Möglichkeiten des digitalen Kapitalismus und den politisch-moralischen Interventionen durch die rote Kultur der kommunistischen Partei.
2022
331-2 Balme

Stanislawski vs. Datensternchen: Fluide Spielräume junger Schauspielender im digitalen Zeitalter der Volksrepublik China

2022
Raimund Rosarius
Stanislawski vs. Datensternchen: Fluide Spielräume junger Schauspielender im digitalen Zeitalter der Volksrepublik China Raimund Rosarius (München) ACTOR Stop. Stop a moment. Now let ’ s extend the game a little, make it even more complex. [ … ] Now I can establish all kinds of relationship to you, tight, loose, distant, close, and your reactions will influence me differently. For we are each of us pulled into this complicated, everchanging human world. (Pause) As if we had fallen into a spider ’ s web. (Pause) Or as if we were the spider itself. 1 Schauspielende nehmen in den Social Media der Volksrepublik China eine Sonderstellung ein. Ihre große Popularität, die sich auf anderen Produktionsräumen (Theater, Film, Fernsehen etc.) gründet, und durch die digitalen Plattformen weiter ausgebaut wird, beschert ihnen einen Einfluss, der Öffentlichkeit konfigurieren kann. Sie sind bevorzugte Zielscheibe für Kritik an (digitalen) Phänomenen, welche die Machthabenden als gesellschaftliche Fehlentwicklungen ausgemacht haben. Diese Gemengelage begründet eine Flut von kritischen Äußerungen der Sprechorgane des Machtapparats, die als zeitgenössische Schauspielpamphlete gewertet werden können. Am Beispiel eines besonders prominenten und ausführlichen Pamphlets fragt der folgenden Text nach den Spielräumen, die sich für Schauspielende ergeben, wenn sie Verhandlungsmasse einer Kalibrierung von Erscheinungsformen des digitalen Kapitalismus sind. Statt vorgezeichnete zeigen sich hier fluide Spielräume mit im ständigen Wandel begriffenen Regeln und Begrenzungen zwischen den technologischmerkantilen Möglichkeiten des digitalen Kapitalismus und den politisch-moralischen Interventionen durch die rote Kultur der kommunistischen Partei. Die Volksrepublik China erlebt in den letzten Jahren eine Flut von Schauspieltraktaten, die in ihrer Reichweite und ihrem präfigurativen Einfluss auf gesamtgesellschaftliche Verhaltenskodizes eine maßgebliche politische Intervention darstellen. Im digitalen Zeitalter allgemein und in einem Land von Early Adopters im Speziellen ist es wenig verwunderlich, dass solche Diskurse in den Social Media geführt werden. Aus globaler Perspektive ist vielmehr beachtlich, dass zentrale Verhandlungen über die Digitalisierung von Öffentlichkeit, und die daraus resultierenden impliziten Handlungsanweisungen, zuerst an Schauspielenden vorexemplifiziert werden. Dienen die Diskurse zum Schauspielen in Anbetracht ihrer eingeschränkten Medienspezifizität als Stellvertreterschauplätze? Gewiss handelt es sich nicht um willkürlich gewählte: Schauspielende bieten sich als Initialschauplätze gesellschaftlicher Umwälzungen geradezu an. Joseph Roach hat auf die moralische Sonderstellung von Schauspielenden hingewiesen, die sie gleichsam zu einer Gefahr macht und gefährdet. First, the actor possessed the power to act on his own body. Second, he possessed the power to act on the physical space around him. Finally, he was able to act on the bodies of the Forum Modernes Theater, 33/ 1-2, 135 - 152. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.24053/ FMTh-2022-0011 spectators who shared that space with him. In short, he possessed the power to act. [ … ] His passions, irradiating the bodies of spectators through their eyes and ears, could literally transfer the contents of his heart to theirs, altering their moral natures. 2 Über eine ähnliche Wirkmacht verfügen die Schauspielenden im digitalen Raum, den sie mit den Zuschauer*innen teilen — ein Raum, der nicht weniger materiell ist als die Server, die ihn ermöglichen, und in seiner Rekursivität eine Ko-Präsenz 3 ermöglicht. Die Schauspielenden können diesen Raum bespielen und dadurch besetzen. Sie sind außerdem durch ihre Arbeiten in Film, Fernsehen und Bühnen fiktional aufgeladen und strahlen Leidenschaften aus, wodurch sie die Wirkmacht anderer Player in den Social Media 4 übersteigen. Während in den USA Donald Trump die Social Media zu dominieren schien bis ihn BigTech-Unternehmen von ihren Plattformen sperrten und ihre politische Macht noch deutlicher offenbarten, scheinen Nachrichten, welche die Schauspielende betreffen, die chinesischen Social Media zu dominieren. Dabei geht die Besetzung der Räume durch Schauspielende inzwischen über Inhalte hinaus. Die Schauspielenden verfügen über einen solchen - durch die Social Media noch weiter gesteigerten - Bekanntheitsgrad, dass sie Öffentlichkeit konfigurieren können. Sie sind eine Gefahr für die Machthabenden und ihre moralischen Herrschaftsinstrumente und damit auch besonders gefährdet, wodurch sie sich in eine lange Tradition von Theaterfeindlichkeit 5 einreihen. Sie sind Profiteur*innen und Leidtragende ihrer Popularität in den Social Media, denn sie haben die Reichweite, um die Diskurse zu tragen, welche die chinesische Regierung etablieren will. Märchenhafte Verdienstmöglichkeiten stehen Berufsverboten wegen moralischer Verfehlungen gegenüber. 6 Eine Unterscheidung zwischen Schauspielenden und ihren Rollen wird, anderen Theaterfeindlichkeitsphänomenen ähnlich, nicht gemacht. Schauspielende haften für ihre Rollen, wie gleichsam Rollen und mit ihnen das ganze schauspielerische Produkt für die Schauspielenden haften. Schauspiel steht, wie schon im 20. Jahrhundert, ganz oben auf der gesellschaftspolitischen Agenda der chinesischen Regierung, denn moralische Anweisungen werden als erprobte Mittel anhand der Schelte von Schauspielenden vorexemplifiziert. Statt Topoi eines „ illiberalen China “ 7 zu reproduzieren und Herrschaft in die Metapher der Einbahnstraße zu überführen, fragt dieser Text allerdings nach den Spielräumen 8 der in den Fokus geratenen Schauspielenden. Wie bei Journalismus und Schauspiel im Vormärz handelt es sich bei der Verknüpfung von digitalem Kapitalismus und Schauspiel um eine „ historische Situation von Medienverkreuzungen “ . 9 Aus dieser Situation des Dazwischen ergeben sich für die Schauspielenden fluide Spielräume, in denen sie medial, ästhetisch als auch moralisch flexibel, die eine oder andere Seite bedienen oder zu bedienen vorgeben. Sie spielen ein Spiel zwischen Als-Ob, Formen sozialer Theatralität und realer Produzierenden-Rolle, deren Regeln sich unentwegt ändern und so variabel sind wie die Farbdarstellung digitaler Endgeräte. Stanislawski oder Schauspiel in rot Medial changieren die fluiden Spielräume zwischen Schauspiel und digitalen Medien, ideologisch bestimmen ‚ rote ‘ Kultur und digitaler Kapitalismus die Fluiddynamik. Diese beiden Randbedingungen, rote Kultur und digitaler Kapitalismus, die für ein Verständnis der chinesischen Spezifizität unabdingbar sind, möchte ich im Folgenden in ihrem Verhältnis zum chinesischen Schauspiel skizzieren. 136 Raimund Rosarius Das Sprechtheater, Huaju, war Anfang des 20. Jahrhunderts über rückkehrende chinesische Austauschstudierende aus Japan nach China gebracht worden. Vom japanischen Shinpa inspiriert, hatten sie 1907 in Japan begonnen etwa US-amerikanische Stücke zur Aufführung zu bringen. 10 Von Beginn an verfügten diese Inszenierungen über starke politische Implikationen, hatten eine anti-imperialistisch und dekoloniale Ausrichtung. 11 Dadurch entwickelte sich ein an unterschiedlichen Kulturtransfers reicher, eigentümlicher Zugang zum Sprechtheater, der sich auch durch die Opposition zum - der feudalen Kultur entstammenden - klassischen chinesischen Theater (etwa Peking Oper/ Kun Oper etc.) auszeichnete. Erst mit der ‚ roten Kultur ‘ , einem Begriff, mit welchem die Kommunistische Partei (KP) dem von ihr errichteten System den Glanz einer originären Hochkultur verleiht, 12 wird der Zugang zum Sprechtheater von einem stalinistisch geprägten Stanislawski-System überschrieben. Dieses wird von sowjetischen Expert*innen in Peking und Shanghai gelehrt und setzt den Referenzrahmen der staatlichen Schauspielschulen bis heute. Hierbei sind jüngere Forschungen aufschlussreich, die zeigen, dass es sich nicht um ein einheitliches Schauspielsystem oder Lehrmethoden handelte. 13 Die russischen Expert*innen unterrichteten stattdessen ihren je eigenen Zugang zu Stanislawski. So blieb die importierte Expertise eine Ergänzung zum vorkommunistischen chinesischen Sprechtheater statt einer Substitution desselben. Außerdem wanderten zahlreiche Elemente aus dem klassischen chinesischen Theater - beispielweise Standbilder - ins Stanislawski-System chinesischer Prägung ein. Diese Elemente stehen im Kontrast zum naturalistischen Schauspielstil. Die Stanislawski-Anverwandlung zeigt also schon in ihrer Frühform spezifisch chinesische Merkmale, ist Ausdruck einer roten Kultur, die unterschiedlichen Stilrichtungen und die ihnen innewohnenden Ideologien eklektizistisch zusammenfügt, solange die KP ihr Zentrum bleibt. Im Zuge der Reformpolitik seit den 1980er Jahren wandert die Marktwirtschaft ins zuvor durch sozialistische Propaganda bestimmte Theater ein. „ Zwei Welten und zwei Wertsysteme prallen aufeinander. “ 14 In diesem Aufeinanderprallen offenbart die rote Kultur abermals eine ausgeprägte ideologische Flexibilität. 15 Schauplatz der ideologischen Neuorientierung ist wieder das Schauspiel. 16 Aus Michael Gissenwehrers Studien zum Propagandatheater 17 möchte ich den Gedanken der Kosmologie aufgreifen, der besagt, dass die chinesischen Machthabenden ihre Macht festigen, indem sie sich ins Zentrum neuer Erscheinungsformen stellen. Diese Methode ist dabei keine Erfindung der KP, sondern ähnelt der Herrschaftsform im kaiserlichen China. In der Konfrontation der Wertsysteme vermischen sich beide; das daraus entstehende Hybrid wird nach der Kosmologie neu ausgerichtet. In Bezug auf die KP lässt sich dieses Vorgehen wie folgt beschreiben: Aus Wertsystem A und B entsteht Wertsystem C, das häufig als Wertsystem B mit chinesischer Prägung von den Machthabenden bezeichnet wird und die Einverleibung des neuen Elements in die KP-Kosmologie signalisiert; die Synonymwerdung je aktueller KP-Ideologie und dem adjektivischen China ist zentrales Anliegen der Machthabenden. Aus Sozialismus und Marktwirtschaft entsteht (sozialistische) Marktwirtschaft mit chinesischer Prägung. Im Reformtheater werden Elemente der Marktwirtschaft unter das Leitbild der roten Kultur gestellt, dieser Vorgang wird im Schauspiel explizit gemacht. Das Schauspiel lässt die (sozialistische) Marktwirtschaft chinesischer Prägung so als folgerichtiges Resultat einer theatralen Auseinandersetzung erscheinen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Konfrontation mit dem digitalen Kapitalis- 137 Fluide Spielräume junger Schauspielender im digitalen Zeitalter der Volksrepublik China mus möchte ich für diesen Aushandlungsprozess den Begriff der Kalibrierung vorschlagen. Der Begriff ist metaphorisch aus dem Farbmanagement abgeleitet: Jedes Endgerät weist eine andere Farbdarstellung auf. Derselbe Datensatz sieht auf unterschiedlichen Bildschirmen anders aus. Durch die (Farbraum-)Kalibrierung wird manuell, mit Augenmaß, eine komplexe Farbanpassung des jeweiligen Bildschirms vorgenommen. Der Bildschirm wird für die Augen trainiert. Einige Bildschirme verfügen außerdem über eine (Entzerrungs-)Kalibrierung; wird diese veranlasst, scheint der Bildschirm für einige Sekunden zu erzittern und gibt einen [dz]- Reibelaut von sich: Sinnbild für Intervention. Danach erscheint der Bildschirm in neuen Farbnuancen, vielleicht mit Rotstich. Gegenstand der Kalibrierung, die in der prozessualen Neuausrichtung der Marktwirtschaft im Reformtheater einen historischen Vorläufer findet, ist der digitale Kapitalismus. Da die Kalibrierung ein Prozess ist, dessen konkrete ideologische Ausgestaltung noch nicht fixiert ist, dessen Erscheinungsformen sich evolutiv zeigen, befinden sich Schauspielende gleichsam in einer Medienwie einer Ideologieverkreuzung. Sie bewegen sich in noch nicht ausverhandelten, fluiden Spielräumen. Freiheit der Netze? Unfreiheit der Firewall? We have all heard the prognostications: the Internet will vault us into global brotherhood, revitalize our children ’ s education, usher in an era of robust direct democracy [ … ] — and, ultimately, create the conditions for the development of what the chief executive officer of Microsoft hails as a ‘ frictionfree ’ capitalism. 18 Der Begriff digitaler Kapitalismus, den der amerikanische Historiker Dan Schiller noch vor der Jahrtausendwende prägte, ist eine radikale Abkehr von Lesarten des Internets als humanitärer Möglichkeitsraum einer zweiten Aufklärung globalen Ausmaßes. Nicht ohne Augenzwinkern fragt Schiller wie eine aus militärischen Ursprüngen hervorgegangene Technologie abrupt zu einem vollständigen Sinneswandel fähig sein soll. Stattdessen hat sie nach dem Fall des Eisernen Vorhangs eine genealogische Affinität zu einem expandierenden Kapitalismus: „ Far from delivering us into a high-tech Eden, in fact cyberspace itself is being rapidly colonized by the familiar workings of the market system. “ 19 War die Lesart des Internets als digitaler Kapitalismus um die Jahrtausendwende eine Außenseiterposition, sind heutige öffentliche Diskurse der Social Media als Demokratie-Ermöglicher längst solchen von Social Media als Blasen und als Radikalisierungsorte gewichen. Jüngste Ereignisse lassen Dan Schillers Auffassung des Internets als autoritär disponiert noch zaghaft erscheinen. In den Künsten und ihren Wissenschaften scheint die Euphorie, die sich in Texten um die Jahrtausendwende zeigt, 20 nachzuhallen. Innerhalb der Theaterwissenschaft sind mir explizit digitalkapitalistische Perspektivierungen von Schauspielphänomenen zwischen Digitalisierung und Digitalität bisher nicht bekannt. Der deutsche Soziologe Philipp Staab sieht gerade das unter dem Einfluss von BigTech 21 durchkommerzialisierte Internet als Anlass, dem Begriff des digitalen Kapitalismus eine zentrale Rolle innerhalb der Wissensproduktion zukommen zu lassen. In Staabs Studie ist China kontrastierender Faktor zur Dominanz der US-amerikanischen Unternehmen. Die chinesische Variante des digitalen Kapitalismus, die in ihren Erscheinungsformen eine starke kulturelle Eigenständigkeit aufweist, entwickelte sich unter dem Einfluss einer protektionistischen Politik, der Great Firewall of China. 138 Raimund Rosarius Heute stehen China und die USA trotz der ähnlichen Entwicklungslogik der jeweiligen Leitunternehmen für verschiedene Modelle des digitalen Kapitalismus. Die Unterschiede liegen weniger in der Ökonomie als in unterschiedlichen Paradigmen der Distribution von Lebenschancen [ … ] Der Distribution von Lebenschancen in Form kapitalistischer Services steht in diesem Fall ein Modell der sozialen Privilegien gegenüber. 22 Nach diesem Modell 23 werden Personen, die sich nach den moralischen Vorgaben der Regierung richten, privilegiert. Devianten werden soziale Privilegien, z. B. Fliegen, entzogen. Zusätzlich wird mit der öffentlichen Beschämung derselben experimentiert. 24 Die öffentliche Beschämung von Schauspielenden ist ein theatergeschichtlich erprobter Modus 25 von erstaunlicher Parallelität. An Schauspielenden lässt sich vorexemplifizieren, welche Art von Verhalten unerwünscht ist, ohne explizit repressiv aufzutreten, da der moralische Status von Schauspielenden ohnehin fragwürdig erscheint oder aktiv in der Schwebe gehalten wird. Staabs Lesart des chinesischen Gesellschaftsmodells überakzentuiert den Aspekt sozialer Privilegierung und verkennt die bewusste Ambivalenz und moralische Flexibilität der roten Kultur, in der Machterhalt über der Etablierung eines Gesellschaftsmodells steht. Eine monodirektionale ideologische Steuerung hin zu einem festkörperhaft starren Gesellschaftssystem auf Basis des Social Credit Systems ist nicht in der Klarheit erkennbar, die Staab suggeriert. Festzuhalten ist, dass sich der digitale Kapitalismus wie einst die Marktwirtschaft wirtschaftlich durchgesetzt zu haben scheint, sodass die Machthabenden wiederum einen digitalen Kapitalismus chinesischer Prägung etablieren wollen. Hier halte ich das Modell der Kalibrierung, bei der sich die KP ins Zentrum einer bereits bestehenden Erscheinungsform setzt, für angemessener, um die chinesische Spezifizität zu beschreiben. Für die analytische Erschließung der Spielräume professionellen Schauspielens in China ermöglicht der Begriff des digitalen Kapitalismus eine Bidirektionalität. In seiner Akzentuierung erlaubt der Begriff eine Abkehr vom Dualismus eines romantisierten, freien und internationalen World Wide Webs auf der einen, sowie eines abgeschotteten, repressiven chinesischen Webs auf der anderen. Stattdessen stehen sich zwei tendenziell autoritäre Formen digitalisierter Herrschaft gegenüber, zwischen denen die Schauspielenden nach ihren Spielräumen suchen, ohne dass sie zwischen Gut und Böse wählen müssten, ohne dass ihr Dienst für das eine oder andere Gesellschaftssystem als verwerflich zu markieren wäre. Fallstudie: „ Wer gibt der Datenfälschung eine Brutstätte? “ Die Kalibrierung des digitalen Kapitalismus in die rote Kultur und die sich daraus ergebenden fluiden Spielräume für Schauspielende sollen anhand eines digitalen Schauspielpamphlets dargestellt werden: Unter dem Titel „ Wer gibt der Datenfälschung eine Brutstätte? “ 26 wird das Pamphlet am 05. Januar 2019 durch den Account der Renmin Ribao (wörtl. Volks-Tageszeitung) auf der Social Media Plattform Weibo freigeschaltet. Die in Peking ansässige Renmin Ribao ist die oberste chinesische Staatszeitung und das direkte Sprachrohr der Regierung. Diverse Meldungen der Renmin Ribao auf Weibo lösen in den letzten Jahren Erdbeben aus, welche die Spielräume professionellen Schauspielens in der Volksrepublik China tektonisch zu verschieben suchen. Das Pamphlet ist Teil einer andauernden Auseinandersetzung der chinesischen Machthabenden mit Verfehlungen junger Schauspielender im Internetzeit- 139 Fluide Spielräume junger Schauspielender im digitalen Zeitalter der Volksrepublik China alter und dem Versuch ihrer Korrektur durch politische und erzieherische Mittel. Die Renmin Ribao als Herrschaftsinstrument blickt in ihrer medialen Verkreuzung mit dem Schauspiel auf eine lange Tradition innerhalb der roten Kultur zurück. Im bereits 1978 uraufgeführten Reformstück Forsythie, 27 das die Reformpolitik präfiguriert, wird die Renmin Ribao „ das Symbol der richtungsweisenden politischen Macht, als Waffe im Vernichtungskampf [ … ] gegen dieselben alten Übel “ 28 gar zum Requisit. 29 Den Begriff des Pamphlets habe ich bewusst gewählt, um der Vieldeutigkeit und Multidirektionalität von „ Wer gibt der Datenfälschung eine Brutstätte? “ beizukommen. Seit dem 16. Jahrhundert in der Bedeutung „ zu Fragen von allgemeinem Interesse Stellung beziehende aktuelle kleine Schrift “ 30 geläufig, berührt er heute die Bedeutungskomponenten „ Schmäh-, Flugschrift, politische Streitschrift “ 31 . In der hier analysierten Quelle sind alle vier Bedeutungskomponenten angelegt. Die moralischen Fragen, welche für eine Kalibrierung des digitalen Kapitalismus verhandelt werden, sind von gesamtgesellschaftlichem Interesse, die Kritik an den Schauspielenden wiederum erfolgt durch den Modus einer Beschämung, die in einem anvisierten „ Reputationsstaat “ 32 eine immanent politische Intervention darstellt. Die Flugschrift soll außerdem eine medienfluide Zirkulation betonen. Parallel erscheint die Kritik in gedruckter Form in der Guangmin Ribao und wird über den Account der Renmin Ribao in der privatwirtschaftlichen mobilen Applikation Weibo zirkuliert. Die gedruckten Zeitungen haben eine starke Affiliation zum politischen Machtapparat und finden außerhalb desselben kaum Rezipierende. 33 Durch die Zirkulation im Social Medium Weibo entwickelt sich die Kritik hingegen zum meistgelesenen Post. Das Pamphlet ist „ von allgemeinem Interesse “ , da Schauspielkritik in der Renmin Ribao alle zukünftigen Schauspielprodukte in der Volksrepublik beeinflusst, und somit einen substantiellen Teil des alltäglichen Lebens, rechnet man die unzähligen gestreamten Serien ein, mit denen Zuschauende nicht nur ihre Feierabende, sondern auch ihre langen Pendelzeiten zur Arbeitsstelle und ihre Pausen verbringen. Einer am permanenten Medienkonsum geschulten visuellen Kultur Rechnung tragend, ergänzt der Internetpost den Zeitungstext um ein vorangestelltes Foto 34 . Das digitale Pamphlet soll daher zuerst auf ikonographischer Ebene analysiert werden: Junge Hände umfassen eine abgegriffene chinesische Ausgabe von Konstantin Stanislawskis „ Die Arbeit des Schauspielers an sich selbst “ . Auf den ersten Blick hat die vorangestellte Fotografie nichts mit dem Inhalt des Pamphlets unter dem kryptischen Titel „ Wer gibt der Datenfälschung eine Brutstätte? “ zu tun. Weder der Name Stanislawski noch seine Lehren werden außerhalb der Fotografie explizit angesprochen. Angesichts der Kritik, die schlagfertig und kenntnisreich mit Phänomenen der Digital- und Netizenkultur 35 umgeht, wirkt das abgegriffene Hardcover mit Schutzumschlag medientechnisch deplatziert. Stanislawskis Lehre in ebenso selektivem Kanon wie Übersetzungen ist, wie oben geschildert, das Zentrum der staatlichen chinesischen Schauspielausbildung und meint weniger den russischen Schauspiellehrer und die Bibeltreue zu seinen Schriften, sondern die durch die rote Kultur kalibrierte Schauspieltradition, die dem ideologischen Wildwuchs des digitalen Kapitalismus im gegenwärtigen Schauspiel mit Trimmschnitt begegnen will. So erklären sich auch einige scheinbare Unstimmigkeiten in der figurativen Gestaltung des Fotos. Anders als die Knochenarbeit des Schauspielers vermuten ließe, sind die Finger, welche die chinesische Stanislawski-Ausgabe umfassen, wohl manikürt, beide Hände 140 Raimund Rosarius halten das Buch, halten es somit auch geschlossen - ein Close-Reading ist wohl nicht angedacht. Das Halten eines Gegenstandes mit beiden Händen vor der Körpermitte, die Daumen nach oben, steht für die spirituelle Aufladung eines Gegenstandes. Alltäglich ist diese Geste heute noch bei Übergaben von Geschenken oder dem Opfern von Räucherstäbchen. „ Die Arbeit des Schauspielers an sich selbst “ ist dabei Opfergabe und Demutsgeste gegenüber den Herrschenden zugleich - die positive Konnotierung von Anhimmeln wird im Pamphlet-Text noch deutlicher. [ … ] im Zeitalter des Internets werde die traditionelle Star-Kultur durch eine neue Fan-Kultur ersetzt. Dies erschüttere die traditionelle Idolisierung von Stars, in der Fans einseitig zu ihren Idolen aufschauen und sie bewundern, in ihren Grundfesten. Eine neue Generation von Fans habe eine größere Konsumbereitschaft und ein größeres Mitspracherecht. Sie betonen, dass Stars und Fans sich als Individuen entwickeln. Sie betonen den Partizipationscharakter und die gegenseitige Abhängigkeit. Sie propagierten Slogans wie ‚ wer kein Geld ausgibt ist kein echter Fan ‘ und organisierten zahllose Unterstützer-Websites im Internet. Es sei schwer eine Vielzahl von unpassenden und sogar illegalen Tätigkeiten zu verhindern, z. B. Datenwischen, Gossip produzieren, Popularität hypen. 36 „ Partizipationscharakter “ und „ größeres Mitspracherecht “ werden zu „ Abhängigkeit “ stilisiert und mit Taktiken der (scheinbaren) „ Fans “ gleichgesetzt, die an Erpressung erinnern: „ Künstlich zertrennen sie Stück für Stück die kulturelle Verbindung zwischen Stars und Fans und drängen sie einfältig und rüpelhaft in eine monetäre Verbindung. “ 37 Das Anhimmeln von Stars wird hingegen naturalisiert. Ein goldenes Zeitalter der „ traditionellen Star-Kultur “ wird gezeichnet, das durch die Phänomene des digitalen Kapitalismus erschüttert werde. Die unerreichbaren Idole verkörpern die rote Kultur. In diesem KP-imaginierten Naturzustand ist die Bewunderung von Schauspielenden gleichbedeutend mit dem Anhimmeln der Machthabenden. Die moralische Makellosigkeit der Stars wäre systemisch. Können die Erschütterungen der roten Kultur durch den digitalen Kapitalismus aufgehoben, kann die rote Starkultur restituiert werden? Als Kontrastfiguren zu den an sich selbst arbeitenden Schauspielenden aus dem rot kalibrierten Stanislawski-Universum, die dadurch zu makellosen Sternen der roten Kultur werden, baut das Pamphlet ‚ Datensternchen ‘ auf: Datensternchen sind ein virales Konzept der letzten Jahre. Im Wesentlichen bedeutet es, dass Schauspiel-Sternchen, die eine hohe Popularität beim Publikum, insbesondere beim jungen Publikum genießen und viele Fans haben, Internetdaten-Ströme für sich gewinnen können. Sie besetzen damit die erste Reihe der Geschäftsressourcen. 38 Schauspielende, die sich nach diesen Gesetzen des digitalen Kapitalismus ausrichten, könnten zunächst nur unter ästhetischen Gesichtspunkten kritisiert werden, wie sie vielfach ins Pamphlet eingewoben sind: Datensternchen wird Bewunderung zuteil, ihre Gagen steigen mit der Datenfälschung, wie die Flut, die alle Boote hebt. Ein Großteil der Investitionen in Film und Fernsehen fließen in die astronomischen Gagen, das Produktionsbudget schrumpft, die Drehbücher werden zusammengestrichen, die Postproduktion und weitere Glieder der Produktionskette müssen mit dem Nötigsten auskommen. [ … ] Werke mit Mängeln wie Handlungslöchern, Ideenlosigkeit und unbeholfener Schauspielerei häufen sich. Ästhetische Erschöpfung verbraucht das Vertrauen des Publikums in die Schauspielbranche. 39 Das Pamphlet verfolgt eine andere Schlagrichtung als marktorientierte Praxen zu 141 Fluide Spielräume junger Schauspielender im digitalen Zeitalter der Volksrepublik China kritisieren. Bevor der Begriff der ‚ Datensternchen ‘ überhaupt erklärt wird, wird seine Verbindung zur ‚ Datenfälschung ‘ deutlich gemacht. Datensternchen werden durch ihre Involvierung in Praxen der Datenfälschung gekennzeichnet. So sind auch im obigen Zitat hohe Gagen direktes Resultat von Datenfälschung, nicht etwa von Beliebtheit oder Marktkenntnis der Schauspielenden. Das Pamphlet zeichnet implizit ein Szenario, nachdem Schauspielende, die im Internet populär sind, dies durch Datenfälschung wurden. So wäre Datenfälschung kein Auswuchs, sondern notwendiger Bestandteil einer Schauspielendenkarriere im digitalen Kapitalismus. Die einzige Alternative zeichnet das Pamphlet selbst: „ Schauspieler mit echtem Talent und Gewissenhaftigkeit bekommen vom Markt die kalte Schulter gezeigt. “ 40 Aus Praxen, die der Geschäftslogik des digitalen Kapitalismus entstammen, werden automatisch kriminelle Praxen, häufig nur durch ein Komma getrennt, das statt analytischer Trennschärfe Austauschbarkeit von Datensternchen und Datenfälschung signalisiert. Datensternchen werden kriminalisiert, damit wird aus einer ästhetischen Frage eine moralische. Worum handelt es sich bei den Praxen der Datenfälschung? Als Beispiele für diese als moralisch verwerflich geschilderten Praxen des digitalen Kapitalismus werden „ systematische Veranstaltungsreservierungen “ , 41 „ Zahlensprechen “ , 42 „ Gesichtspastings “ 43 und verschiedene Manipulation von Schauspielpreisen und Web-Rankings zu Gunsten der Datensternchen beschrieben. Bei Letzteren setzen sich die Datensternchen nicht durch Qualität oder Beliebtheit ihrer Darbietungen an die Spitze, sondern durch gezielte Manipulation von Daten. In diesem Text sollen nur die im Pamphlet genannten Praxen behandelt werden, denn „ Methoden der Datenfälschung sind zahllos und verblüffend, außer systematischen Veranstaltungsreservierungen und Klickgenerierung sind Fans, Suchthemen, Reposts, Likes und Kommentare käuflich. “ 44 Einleitend führt das Pamphlet zwei Datensternchen als Beispiele an, die im Folgenden betrachtet werden sollen, um den Detailreichtum der jeweiligen Fälle nicht durch Verallgemeinerungen zu verlieren. Zwar nennt das Pamphlet deren Namen nicht explizit, doch sind sie für die schauspielwie internetaffinen Lesenden leicht zu dechiffrieren. Die ‚ Wasserkönigin ‘ und der Global Player? Fallbeispiele des Pamphlets Eine beliebte Schauspielerin, die kürzlich einen Fernsehkunst-Preis erhielt, hat einen Internet-Kampf zwischen zwei Gruppen von Fans verursacht. Als sie die Trophäe in Händen hielt, gaben ihr die Netizens den Titel ‚ Wasserkönigin ‘ . 45 Als die beliebte Schauspielerin Dilireba 2018 beim 12. Golden Eagle Goddess Award den Vorzug vor der Schauspielerin Yangzi erhielt, konnten sich die Fans von Yangzi dies nur mit Datenfälschung erklären, woraufhin sie Dilireba als ‚ Wasserkönigin ‘ verfemten. 46 Der Neologismus Wasserkönigin spielt auf den Begriff der Wasserarmee an, 47 eine undurchsichtige Mischung aus Klickarbeitern, Bots, gefälschten, zombifizierten und realen Social Media Accounts. Diese wenig greifbare und in ihren Zuneigungen fluide Söldnerarmee richtet ihr Abstimmungsverhalten in den digitalen Medien nach den Höchstbietenden. Dilirebas Erfolg beruhte, so die Anschuldigungen der gegnerischen Fanstimmen, allein auf der Wasserarmee. Dilireba 48 entstammt durch ihre Ausbildung an der Shanghai Theatre Academy der roten Kultur; der Verweis auf Stanislawski kann als Aufruf zur Rückbesinnung auf ihre Wurzeln verstanden werden. Wie ihre beachtliche Filmographie mit einigen 142 Raimund Rosarius Arthouse-Filmen zu Beginn ihrer Karriere zeigt, schickt sie sich an, eine ernsthafte Schauspielerin, ein ‚ alter Theaterknochen ‘ 49 , zu werden, scheint aber in den Strudel des digitalen Kapitalismus geraten zu sein. Das Pamphlet lässt im Dunkeln, ob die Tat oder der Vorwurf Veranlassung für die Nennung von Dilireba in der Kritik ist. Hat sie sich der Datenfälschung schuldig gemacht oder genügen allein die Anschuldigung der Social Media Öffentlichkeit, um an der Schauspielerin ein Exempel zu statuieren? Jedenfalls reden die Machthabenden den gegnerischen Fans das Wort, als wären sie bemüht, Sprachrohr für Stimmungen im Social Media Volk zu sein. Durch Anlehnung an etablierte Sprachmuster beginnt die Kalibrierung der digitalen Schauspielphänomene, wie auch das zweite Fallbeispiel des Pamphlets zeigt: Ein chinesischer Sänger stand an erster Stelle der I-Tunes Charts, obwohl ein Großteil der US-Amerikaner ihn nicht kennt. Deswegen wurden der Name des Sängers und die ‚ chinesische Wasserarmee ‘ eine Trending Topic auf Twitter … Es handelt sich um den in den USA ausgebildeten und durch eine südkoreanischchinesische K-Pop Casting-Show bekannt gewordenen Sänger und Schauspieler Cai Xukun, dessen Schauspiel im Musikvideo Wait Wait Wait 50 tatsächlich als Paradebeispiel für Non-Acting herhalten könnte und damit im deutlichen Kontrast zum Stil von an den staatlichen Konservatorien ausgebildeten Schauspielenden steht. Cai Xukun spielt wiederholt mit den Sujets Wasser sowie gesichtslosen Menschen, die sich auf seinen phlegmatischen Fingerzeig hin in Wellen neu ausrichten, fast als wäre es eine bewusste Allusion an die Wasserarmee und nicht nur Produkt frugaler Spezialeffekte. Cai verkörpert sich selbst und die Rolle, welche dieses Selbst im Spiel des digitalen Kapitalismus spielt. Seine unaffizierte Coolness erinnert eher an ein Pokerface als an einen Mimen. Er tritt weniger als schauspielender Sänger denn als Player auf. Ist daher das Argument, Cai Xukun arbeite nicht an sich selbst, zutreffend? Schließlich arbeitet Cai doch sehr wohl an seinem Pokerface, eine Metapher, die sich konzeptuell zu einem Pokerbody ausweiten ließe. Schauspieltechnisch hat er diesen Stil der ungerührten Mühelosigkeit, die einer mühelosen Kontrolle gleichkommt, perfektioniert. Die Virtuosität des Marionettenspielers mit dem Publikum/ den Fans an den Fäden, die an seiner statt Partei ergreifen und affiziert handeln, stünde Machthabenden gut zu Gesicht. Hier ist weniger relevant wie affektgeleitet Cais Fans einerseits und eine umfassendere Social Media Öffentlichkeit andererseits tatsächlich sind. Wie viel Berechnung hinter Affekten als Erscheinungsform in den Social Media steckt - die Frage ob Trolle aufgebracht sind - tangiert die Argumentation des Pamphlets nicht. Der Anschein des Gerührtseins, die Suggestion einer durch Cai Xukun in Wogen versetzten Social Media Öffentlichkeit genügt, um die Drohkulisse einer Verfremdung der Wirklichkeit durch die Datensternchen aufzubauen. Der im Pamphlet gezeichnete Einfluss dieses schauspielerischen Tuns reicht weit über ein Produkt hinaus, das sich nur durch Datenmanipulation im aufmerksamkeitsökonomischen Markt durchsetzen kann. In der Kritik implizit ist, dass die spezifische ‚ chinesische Wasserarmee ‘ erst durch das Fehlverhalten Cai Xukuns im Ausland zum Begriff wird: Er beschädigt also das Ansehen der Volksrepublik in der Welt. 51 China und damit die KP würden mit Datenmanipulation assoziiert. Das digital distribuierte Schauspiel wird für die Soft-Diplomacy relevant, indem es die von der KP anvisierten „ selektiven Identitäten “ 52 gefährdet. In jedem Tun von chinesischen Schauspielenden im digitalen Kapitalismus wohnt ein poten- 143 Fluide Spielräume junger Schauspielender im digitalen Zeitalter der Volksrepublik China zieller Gesichtsverlust der KP inne und birgt die Risiken eines diplomatischen Skandals. Dass die KP, in ihrer eigenen Gleichung, mit der Wasserarmee in Verbindung gebracht wird, schreibt sie dem Verantwortungsbereich Cai Xukuns zu. Die Wahl der beiden notdürftig anonymisierten Einzelakteure Dilireba und Cai Xukun ist aus heuristischen Gesichtspunkten aufschlussreich, da beide einem völlig anderen Umfeld entstammen und ihre Nennung unterschiedliche Implikationen aufweist. Die Schauspielbranche wird in ihrer Vielschichtigkeit erfasst; die Notwendigkeit einer Kalibrierung aller Spielformen betont. Während Cai Xukun und seine Fans direkt mit dem Datensternchen-Unterhaltungskosmos in Verbindung gebracht werden, Diskussion um ihn häufig um Phänomene des zeitgenössischen digitalen Kapitalismus kreisen und die Anwendung solcher Praktiken von Datenfälschung durch Cai Xukun und seine Anhängerschaft nicht überrascht, wird Dilireba außer durch den Schandtitel ‚ Wasserkönigin ‘ nicht gleich als ‚ Datensternchen ‘ identifiziert. Anders als Cai Xukun, entstammt Dilireba der eingangs beschriebenen kosmologisch roten Schauspielkultur. Die Kalibrierung ist in beiden Fällen anders, während der fotografische Verweis auf Stanislawski in Bezug auf den genreflexiblen Entertainer Cai Xukun geradezu absurd erscheint, ist es bei der ausgebildeten Schauspielerin Dilireba als ein Aufruf zur Rückbesinnung zu den eigenen Wurzeln zu verstehen, eine Rückkalibrierung in die Kosmologie, in die sie sich mit Aufnahme ihrer Ausbildung eingegliedert hat; deren Formen sie per Training beherrscht. Dilireba wird sich im Anschluss an die Vorfälle als ein Opfer von Cybermobbing stilisieren. Über ein Schreiben ihrer Rechtsvertretung, das sie auf Weibo postet, wird sie juristische Schritte gegen die Fans ihrer Kontrahentin Yangzi androhen; Yangzi unternimmt dieselben Handlungen spiegelgleich. 53 Im Gegensatz zu Dilireba lässt Cai Xukun alle Vorwürfe unkommentiert an sich abprallen. Seine kühle Ungerührtheit suggeriert eine unanfechtbare Machtposition, die den Machthabenden besser zu Gesicht stehen würde als die Unsicherheit, die über zensorische Bemühungen manifest wird, selbst wenn sie wie im Falle des Pamphlets, in Gestalt einer Wiedergabe von Protesten aus der Social Media Öffentlichkeit erscheint. Bei Cai Xukun ist der Verweis auf Stanislawski in einem globalen Rahmen Aufruf zur Rückbesinnung auf die eigenen chinesischen Wurzeln, die im Wertsystem der Machthabenden mit der roten Kosmologie identisch sind. Zum Zwecke von deren Gesichtswahrung hat er im globalen digitalen Kapitalismus zu agieren. Cais Handlungsspielräume sind davon abhängig wie wichtig ihm der festlandchinesische Binnenmarkt und die regimetreuen Anteile des auslandschinesischen Publikums sind. Da sich ihre Schauspielkarriere (bisher) auf den chinesischen Binnenmarkt beschränkt, verfügt Dilireba nicht über die globalen Spielräume von Cai Xukun, zumal das Musikvideo als Gattung die Sprach- und Kulturräume wesentlich müheloser überschreitet als Film und Fernsehen. Ein Berufsverbot in Festland-China bedeutet für die (letztlich immer noch zu genrespezifische) Dilireba das Karriereende, für Cai Xukun eine - wenn auch substanzielle - Verkleinerung seines Publikums. Es zeigen sich also je nach Fall sehr unterschiedliche Spielräume, was deren Unberechenbarkeit verschärft. Sie sind wohl in ihrer Unterschiedlichkeit absichtlich gewählt, um das gesamte Spektrum chinesischen Schauspielens zu erfassen. So ergeht eine unspezifische Warnung an eine gesamte Branche, es mit technischen Möglichkeiten des digitalen Kapitalismus nicht zu weit zu treiben. Die Spielräume der technischen Möglichkeiten sind mit den Spielräumen von Schauspielenden nicht gleichzusetzen. Während die Schauspielenden selbst ihre Spielräume entrepreneurisch ausgeweitet 144 Raimund Rosarius haben, mehren sich die unternehmerischen Risiken gegen die Schlagrichtung einer sich ebenso ausdehnenden roten Kosmologie anzuecken. Nicht jedes Experiment mit den technologischen Möglichkeiten des digitalen Kapitalismus, nicht jede Verfehlung in den Augen der Machthabenden, gestattet durch Kalibrierung nachträglich in rote Kosmologie eingefasst zu werden. Mit beiden Polen im ständigen Wandel müssen sie ihr Tun fluide ausrichten. Doch was zeichnet eine spielregelkonforme Schauspielkultur laut Pamphlet aus? Welche Spezifika haben die Wurzeln, auf die sich Dilireba und letztlich auch Cai Xukun rückbesinnen sollen? Diese Fragen werden im Pamphlet vornehmlich ex negativo und in keiner Weise abschließend beantwortet. Pathetisch wird das Pamphlet durch den Aufruf eines Experten beendet, sich „ von den Ketten des Kapitals zu befreien “ , stattdessen sollen sich „ die Schauspiel-Produzenten besinnen und selbst bodenständig in die Kunstproduktion vertiefen “ . 54 Wiederholt ist von ‚ Qualität ‘ die Rede: „ Die Datensternchen, deren künstlerisches Niveau verbessert werden muss, und die künstlerische Qualität ihrer schauspielerischen Werke sind ein Streitthema. “ 55 Das ist so wenig konkret wie die einleitende Stanislawski- Fotografie. Zu klare Handlungsanweisungen würden angesichts nicht absehbarer zukünftiger Entwicklungen angreifbar machen. Dabei ist es die Vagheit dieser Handlungsanweisungen, die den Schauspielenden letztlich erst die fluiden Spielräume zwischen roter Kultur und digitalem Kapitalismus ermöglicht, in denen ihnen Ressourcen mühelos zutreiben, während sie andererseits unberechenbaren Ströme ausgesetzt sind. Vom Nutzen fluider Spielräume Interessanter als das KP-imaginierte Schauspielideal ist daher die Frage, wieso den Schauspielenden Spielräume zugestanden werden. Schließlich wird die Verantwortlichkeit diesen zugeschrieben, wenn von „ Datenfälschung durch die Datensternchen “ 56 die Rede ist oder Dilireba vorgeworfen wird, dass sie „ einen Internet-Kampf [ … ] verursacht “ 57 habe. Wieso werden sie ob ihrer kriminellen Handlungen im digitalen Kapitalismus nicht vom Markt genommen - wie es bei Ehebruch oder Steuerhinterziehung der Fall wäre? Durch die Reichweite der Kritik wird ihr Bekanntheitsgrad noch gesteigert. Ist das Pamphlet vielleicht nur eine letzte Warnung? Statt einer Löschung, die angesichts der „ Automatisierung von Rekursivität “ 58 eine naheliegende Sanktion wäre, werden die Phänomene durch die Renmin Ribao aktiv in der Diskussion gehalten. Tatsächlich haben sie sich am Markt längst überholt, das Pamphlet tritt nach: Einige Datensternchen, die aufgrund von Datenfälschung berühmt wurden, haben stark an Berühmtheit eingebüßt. Im Jahre 2018 erlebten ein Großteil der Schauspiel- Werke, in denen Datensternchen mitspielten, ihr ‚ Waterloo ‘ . An der Abendkasse waren sie nicht erfolgreich und sanken in der öffentlichen Beachtung. Die opportunistischen Akteur*innen in der Branche zahlten einen hohen Preis dafür während von hoher Qualität und Abwechslungsreichtum ausgezeichnete Werke Mainstream des Marktes wurden. 59 Das Spiel ist noch komplexer. Die Kalibrierung geht über eine (ästhetische) Anpassung der Erscheinungsformen hinaus. Die KP wartet gemäß einer Methodologie, in der es - dem wirtschaftspolitischen Pragmatismus Deng Xiaopings folgend - auf die Farbe der Katze zunächst nicht ankommt, 60 wie sich der Markt entwickelt. Im Nachhinein entfalten die gescheiterten Experimente des digitalen Kapitalismus in China einen ideologischen Verhandlungswert, wie im Fol- 145 Fluide Spielräume junger Schauspielender im digitalen Zeitalter der Volksrepublik China genden anhand der im Pamphlet mantraartig fallenden Wasserarmee und der ihr zum Vorbild gereichenden ‚ 50 Cent Party ‘ exemplifiziert werden soll. Die Schauspielenden sind als Träger dieser Themen von systemischer Relevanz. Der Wasserarmee als auf die Schauspielbranche spezialisierter Neologismus geht auf die 5 Mao Dang zurück, die als ‚ 50 Cent Party ‘ übersetzt seit Längerem in den China- Studien verhandelt wird. 61 Der Kaufkraft entsprechend wäre Partei halber Pfennige als Übersetzung angebrachter. Diese auf ihre schlechte Besoldung anspielenden Sonderformen von Klickarbeitern waren und sind für die Meinungsbildung in der digitalen Volksrepublik zuständig. In ihrer großen Zahl haben sie die Möglichkeit, die Debatten in den Social Media zu steuern, von der KP begrüßte Inhalte zu hypen und unwillkommene mit Shitstorms zu überziehen. Zwar wirkt dies auf den ersten Blick gesteuerter als das undurchsichtige digitale Fluidum der Wasserarmee, was aber nicht ausschließt, dass ‚ halbe Pfennige ‘ um noch kostensparendere Bots ersetzt würden, naheliegend ist auch, dass sich besonders regierungstreue Netizens durch ehrenamtliche Klickarbeit in den Chor der halben Pfennige einreihen. Während die 5 Mao Dang aus Gründen der Zensur in den Social Media kein Thema mehr ist, 62 nur noch durch ausländische wissenschaftliche Diskurse und den nicht digital entäußerten Sprachgebrauch von chinesischen Millennials spukt, ist die im Pamphlet manifeste Diskussion um die Wasserarmee ein von der KP selbst zum Gegenstand erhobenes Phänomen, das konkret mit der Schauspielbranche statt unmittelbar mit politischer Meinungsbildung assoziiert wird. Es ist dies ein Beispiel, dass Schauspiel der KP nicht nur für „ Vorpostengefechte “ 63 dient, sondern auch als Träger von Ablenkungsmanövern. Möglich ist, dass sich ein digitaler Kapitalismus chinesischer Prägung strukturell auf der „ Wasserarmee “ nicht unähnlichen Phänomenen gründen wird, die dessen Geist als Steuerungsinstrumente je nach Anliegen fesseln und entfesseln können. Wo Staab den Staat (über alle Gesellschaftsformen hinweg) als globalen Verlierer des digitalen Kapitalismus ausmacht, 64 sind hier Formen von Gegenwehr festzustellen, die sich nicht in Opposition, sondern Kalibrierung artikulieren. Unter Nutzbarmachung der Schauspielenden wird ein womöglich systemrelevantes „ Datenfälschungs “ -Phänomen aus einem KP-eigenen Kontext dem Verantwortungsbereich von Schauspielenden überschrieben. Die Popularität der Schauspielenden ist dabei eine wichtige Ressource, „ Datensternchen “ werden in ihrer Rolle als Sündenböcke systemisch relevant, was ihre Spielräume überhaupt erst ermöglicht. Hier zeigt sich eine weitere Dimension der Kalibrierung. Eigene Experimente der Machthabenden mit der Medien- und Ideologieverkreuzung werden verschleiert und auf die im öffentlichen Fokus stehenden Schauspielenden umgeleitet. Datenfälschung erscheint nicht systemisch, sondern als eine Untugend in den Spielräumen einer exklusiven Gruppe, 65 den Schauspielenden, jenen ohnehin moralisch fragwürdigen Außenseitern, deren Arbeit nicht als ehrenhaft, wenn überhaupt als Arbeit gilt. Die Nähe der Schauspielenden zu Diskursen von Täuschung, Ansteckungsgefahr und Käuflichkeit prädestiniert sie als Schauplätze solcher Verhandlungen, der Raum des Als-Ob, den sie genealogisch besetzen, macht sie als Gegenstand gleichzeitig unverfänglich. Fluide Schauspielende als Ressource Auf dem Weg zu einem digitalen Kapitalismus chinesischer Prägung auf Basis der Kalibrierung bestehender digitalkapitalistischer Spielarten dienen Schauspielende als Exerzierfeld. Im Unterschied zum Reform- 146 Raimund Rosarius theater der späten 1970er und 1980er Jahre, das eine Marktwirtschaft chinesischer Prägung etablieren sollte, beschränkt sich die Verhandlung nicht mehr nur auf die Bühnenwirklichkeit. Schauspielende als Privatperson und Personen des öffentlichen Lebens sind Teil der Verhandlungsmasse. An den einleitenden bei Joseph Roach entlehnten Gedanken anschließend sind sie eine systemische Gefahr, vor allem aber auch Gefährdete. Nicht nur ihr Bekanntheitsgrad und ihre Fähigkeit zu affizieren ist Grund für die ihnen zugewiesene Hauptrolle innerhalb einer gesamtgesellschaftlichen Kalibrierung, sondern auch die moralische Fragwürdigkeit ihres Berufsstandes. So werden auch eigene Experimente der Machthabenden mit dem digitalen Kapitalismus diskursiv auf die Schauspielenden umgelenkt. Die Machthabenden möchten einerseits die Kontrolle aufrecht erhalten, andererseits volkswirtschaftliche Potentiale nicht verschenken. Schauspielende suggerieren dabei eine ausreichende Distanz zum Machtapparat. 66 Es scheint um Boulevard, weniger um Politik zu gehen. Die „ Datensternchen “ werden als Abweichler*innen von etablierten und moralisch geschätzten Konventionen dargestellt - etwa als vom Stanislawski-System chinesischer Prägung abweichend. Gleichsam scheinen sie in ihrer pionierhaften Funktion im digitalen Kapitalismus geschätzt zu werden. Schauspielende suchen Spielräume zwischen zwei tendenziell autoritären Herrschaftssystemen und testen diese auf eigene Gefahr aus. Sie dienen einem Ausfechten der moralischen Spielräume des digitalen Kapitalismus in der Volksrepublik China, die dessen technologische Möglichkeitsräume begrenzen soll. Diese vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten von Schauspielenden innerhalb der Kalibrierung, deren Zweck es ist, die KP ins kosmologische Zentrum des digitalen Kapitalismus zu rücken, einen digitalen Kapitalismus chinesischer Prägung zu schaffen, erklärt die Flut von Schauspielpamphleten. Für Schauspielende bedeutete das die Notwendigkeit zur Fluidität ihres Handelns, das sich den fluiden Spielräumen anpasst. Technologischen Möglichkeiten können sie sich nicht verschließen. Auf Anweisungen hin, die sich nicht die Mühe klarer Formulierung machen, müssen sie jederzeit umsteuern können. Die Fluidität der Spielräume ist für die Schauspielenden eine existentielle Herausforderung. Fluide Spielräume machen fluide Schauspielende. Der Grat zwischen geachtet, toleriert und geächtet werden ist schmal. Daher kommt es im chinesischen Schauspiel der Gegenwart zu einer permanenten Fluktuation, nicht nur der Erscheinungsformen wie Schauspielstilen und -techniken, sondern auch zu einem häufigen Austausch der Akteur*innen selbst. Schauspielende in der Volksrepublik China dürfen keinen Phänomenen aufsitzen, die sich in Markt oder Macht bereits überholt haben, beim Experimentieren mit neuen Methoden müssen sie mit der Gunst des Publikums ebenso spekulieren, wie sie dem System der Postzensur immer einen Schritt voraus sein müssen, um im Spiel zu bleiben. 67 Anmerkungen 1 Gao Xingjian, The Other Side: A Contemporary Drama Without Acts, übers. Jo Riley, in: Martha P. Y. Cheung und Jane C. C. Lai (Hg.), An Oxford Anthology of Contemporary Chinese Drama, Hong Kong et al. 1997, S. 149 - 261, hier S. 155. 2 Joseph R. Roach, The Player ’ s Passion: Studies in the Science of Acting, Ann Arbor 1993, S. 27. Die Darstellung der Mächte, die Schauspielende entfesseln und ihnen gleichzeitig zum Opfer fallen können (ebd., S. 28), entstammt einer Analyse der Rhetorik der Leidenschaften aus dem siebzehnten Jahrhundert. Im Sinne einer „ history of the theatricalization of the human body “ (ebd., S. 12), die Roach 147 Fluide Spielräume junger Schauspielender im digitalen Zeitalter der Volksrepublik China anstrebt, können solche Denkfiguren, die Schauspielende als Abstraktum spezifizieren, als sich transhistorisch fortschreibend gedeutet werden. Das hier analysierte Beispiel suggeriert überdies eine transkulturelle Anwendbarkeit. Die Sprechtheater-Tradition in China rekurriert, wenn auch ungleich verschütteter, auf dieselben Fragmente historischen Denkens. 3 Spielarten von Ko-Präsenz im Digitalen wurden vor allem in der digitalen Ethnographie durchdekliniert. Vgl. vor allem Sarah Pink et al., Digital Ethnography: Principles and Practice, Los Angeles et al., 2016. 4 In China wird im alltäglichen Sprachgebrauch eine - durchaus überraschend klare - Unterscheidung zwischen Influencer*innen (Wanghong) und Stars/ Sternchen (Mingxing) gemacht. Während die Influencer*innen ihr soziales Kapital ursprünglich aus den Social Media beziehen, d. h. über die Social Media bekannt geworden sind, beziehen Sternchen ihr soziales Kapital aus Branchen mit längerer Geschichte (Theater, Film, Fernsehen etc.). Das Prestige professioneller Schauspielender in den Social Media ist ungleich höher als das der medienspezifischen Influencer*innen. Die Übergänge zwischen den verschiedenen Branchen sind in China allerdings besonders durchlässig. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Influencer*innen in klassischen Filmproduktionen spielen, andererseits werden sie dabei stets als Wanghong - im Netz Populäre - wahrgenommen. Datensternchen (Liuliang Mingxing) sind daher als eine durch ihre Social Media Praxen veranlasste Abwertung prestigereicher Akteur*innen zu verstehen. 5 Historiographisch fundierte Studien zu Theaterfeindlichkeitsphänomenen sind zahlreich. Mein Verständnis beruht im Wesentlichen auf Jonas A. Barish, The Antitheatrical Prejudice, Berkeley et al. 1981. Chistopher Wild betont den Unterschied zwischen Antitheatralität und Theaterfeindlichkeit im Deutschen, wobei erstere eine Medialität, letztere das Theater im Ganzen attackiert. Vgl. Christopher J. Wild, „ Theorizing Theater Antitheatrically: Karl Philipp Moritz ’ s Theatromania “ , in: MLN 120 (2005), S. 507 - 538, hier S. 509 - 510, Fußnote 9. Beide Bedeutungsebenen umfassend hat Lisa Freeman argumentiert: „ antitheatrical sentiments are directed not simply toward representational forms but also towards those bodies that act in public as vehicles for those forms. “ Lisa A. Freeman, Antitheatricality and the Body Public, Philadelphia 2017, S. 3. Diesem Verständnis von Theaterfeindlichkeit schließe ich mich an. Im deutschsprachigen Raum ist 2012 ein einschlägiger Sammelband zum Thema erschienen: vgl. Stefanie Diekmann, Christopher Wild und Gabriele Brandstetter, „ Theaterfeindlichkeit: Anmerkungen zu einem unterschätzten Phänomen “ , in: Dies. (Hg.), Theaterfeindlichkeit, München 2012, S. 7 - 15. 6 Beispielhaft soll hier der Fall um die Steuerhinterziehung der Schauspielerin Fan Bingbing stehen, deren Verurteilung gleichsam zu einem Aufführungsverbot führte; oder jener der Schauspielerin Li Xiaolu, deren neueste Produktionen nach einer außerehelichen Affäre nicht übertragen wurden, obschon es keine für die Zensur bedenklichen Inhalte gab. 7 Vgl. Daniel F. Vukovich, Illiberal China: The Ideological Challenge of the People's Republic of China, Singapur 2019. 8 Spielräume ist ein für die hier beschriebenen Phänomene adäquater Begriff, da er gleichermaßen Beinfreit und Beschränkungen akzentuiert. 9 Meike Wagner, „ Mediale Konstellationen im Vormärz “ , in: Norbert Otto Eke (Hg.), Vormärz-Handbuch, Bielefeld 2020, S. 301 - 308, hier S. 301. 10 Vgl. Liu Siyuan, „ The Impact of Shinpa on Early Chinese Huaju “ , in: Asian Theatre Journal 23 (2006), S. 342 - 355. 11 Vgl. etwa Michael Gissenwehrer, „ Das 20. Theaterjahrhundert in China “ , in: Cao Kefei, Sabine Heymann und Christoph Lepschy (Hg.), Zeitgenössisches Theater in China: Zhongguo Dangdai Xiju, Berlin 2017, S. 78 - 99, hier S. 81. 12 Im Rot vermischen sich drei Bedeutungskomponenten: Die Farbe steht in der traditionellen chinesischen Kultur für Festlichkeit aber auch moralische Komponenten wie 148 Raimund Rosarius Tugend. Diese Grundierung spielt in die Wertung der ‚ roten Fahne ‘ sozialistischer Herrschaft mit ein. Außerdem steht Rot für Popularität. Vgl. etwa Andreas Steen, „‚ Voices of the Mainstream ‘ : Red Songs and Revolutionary Identities in the People ’ s Republic of China “ , in: Christian Utz und Frederick Lau (Hg.): Vocal Music and Cultural Identity in Contemporary Music, New York/ London 2013, S. 225 - 247, hier S. 225. Wenn jemand Berühmtheit erlangt, sagt man in China wörtlich, sie oder er sei rot geworden. Der oben angesprochene Wanghong (Influencer*in in China) setzt sich aus den Komponenten Netz (Wang) und rot (hong) zusammen. Die Farbe Rot umspannt also feudale, sozialistische und digitale Kultur. Dennoch wird die ‚ rote Kultur ‘ in China zumeist mit Propaganda assoziiert, ‚ rote Stücke ‘ , ‚ rote Filme ‘ oder ‚ rote Lieder ‘ verfügen nicht nur über einen propagandistischen Inhalt, sondern eine eigene ästhetische Formensprache; sie sind als Genre erkennbar. 13 Vgl. Jonathan Pitches und Li Ruru, „ Stanislavsky with Chinese Characteristics: How the System was Introduced into China “ , in: Jonathan Pitches und Stefan Aquilina (Hg.), Stanislavsky in the World: The System and Its Transformations Across Continents, London et al. 2017, S. 166 - 195, hier S. 167 - 168. 14 Michael Gissenwehrer, Chinas Propagandatheater 1942 - 1989, München 2008, S. 176. 15 So kann auch die Marktwirtschaft letztlich der Machtsicherung der KP dienen, was Deng Xiaopings mit seinem berühmten Ausspruch ausdrückt: „ White cat, black cat, if it catches mice it is a good cat “ , zitiert nach: Robert Weil, Red Cat, White Cat: China and the Contradictions of ‚ Market Socialism ‘ , New York 1996, S. 10. 16 In den Umwälzungen der Reformpolitik sehe ich die stärksten historischen Parallelen zur heutigen Auseinandersetzung mit dem digitalen Kapitalismus, nicht etwa in der Kulturrevolution, auch wenn zur chinesischen Zentralität des Schauspiels nicht unerwähnt bleiben sollte, dass Mao Zedong, der sich von der KP zunehmend ins Abseits gedrängt sah, mit einer Theaterkritik die Kulturrevolution einleitete. Vgl. Alessandro Russo, Cultural Revolution and Revolutionary Culture, Durham/ London 2020, S. 11 - 25. 17 Vgl. Gissenwehrer, Chinas Propagandatheater, S. 26 - 27. 18 Dan Schiller, Digital Capitalism: Networking the Global Market System, London/ Cambridge 1999, S. XIII. 19 Ebd., S. XIV. 20 Vgl. z. B. Elisabeth Schweeger, „ Wissensgesellschaft und Kunst: Das Netz als Chance für kulturelle Vielfalt und Toleranz “ , in: Christa Maar, Ernst Pöppel und Hans Ulrich Obrist (Hg.), Weltwissen - Wissenswelt: Das globale Netz von Text und Bild, Köln 2000, S. 74 - 80. 21 Gemeint sind hier die GAFA-Unternehmen Google, Apple, Facebook und Amazon, sowie die chinesischen BAT-Unternehmen, Baidu, Alibaba und Tencent. 22 Philipp Staab, Digitaler Kapitalismus, Berlin 2019, Kap. „ Lebenschancen als Services “ . 23 Staab nennt hier auch das SCS (Social Credit System) als dessen offensichtlichste Materialisierung. 24 Vgl. hierzu die ebenfalls von Staab zitierte Studie zur SCS-Beschämung: Mareike Ohlberg, Shazeda Ahmed und Bertram Lang, „ Central Planning, Local Experiments: The Complex Implementation of China ’ s Social Credit System “ , in: Merics (2017), S. 10. 25 Vgl. hierzu Freeman, Antitheatricality and the Body Public. 26 Renmin Ribao, „ Wer gibt der Datenfälschung eine Brutstätte? “ (Shei Zai Gei Liuliang Shuju Zaojia Dazao Wenchuang? ), http s: / / www.weibo.com/ ttarticle/ p/ show? id=230 9404325082620114148#rnd1594289531933 [letzter Zugriff 09.07.2020]. Die vollständige Übersetzung, die auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden kann, ist durch den Autor erfolgt; nicht anderweitig gekennzeichnete Zitate stammen aus dieser. Die Originalfassung des Pamphlets ist über den oben angeführten Weibo-Link abrufbar. 27 Vgl. Gissenwehrer, Chinas Propagandatheater, S. 128. 28 Ebd., S. 131. 29 Vgl. ebd., S. 130 - 131. 149 Fluide Spielräume junger Schauspielender im digitalen Zeitalter der Volksrepublik China 30 „ Pamphlet “ , in: Wolfgang Pfeifer et al. (Hg.), Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. digitalisierte und überarbeitete Version, https: / / www.dwds.de/ wb/ etymwb/ Pamphlet [letzter Zugriff 13.01.2021]. 31 Ebd. 32 Vgl. Dai Xin, „ Toward a Reputation State; A Comprehensive View of China ’ s Social Credit System Project “ , in: Oliver Everling (Hg.), Social Credit Rating: Reputation und Vertrauen beurteilen, Wiesbaden 2020, S. 139 - 163. In dieser Studie ist außerdem ein aufschlussreiches Detail zu finden, das wiederum auf die Nähe zwischen Schauspiel und Beschämung hindeutet. Fotos von deskreditierten Personen wurden bisweilen als Vorspann vor Kinofilmen gezeigt: vgl. ebd., S. 149. 33 Vgl. hierzu Kevin Latham, „ People ’ s Daily “ , in: Edward L. Davis (Hg.), Encyclopedia of Contemporary Chinese Culture, London/ New York 2005, S. 637, sowie Kevin Latham, „ Guanming Ribao “ , in: Edward L. Davis (Hg.), Encyclopedia of Contemporary Chinese Culture, London/ New York 2005, S. 322. 34 Unter der Fotografie steht der Titel „ Wer gibt der Datenfälschung eine Brutstätte “ und eine kurze Einleitung in einem Absatz, in der die Fallstudien von zwei exemplarischen Schauspielenden als Kontext der weiteren Ausführungen dargestellt werden. Es folgt die erste Unterüberschrift „ Mit dem Aufkommen der Daten-Gedanken stürzt die Branche ins Chaos “ und zwei Absätzen, in denen die Konzepte ‚ Datensternchen ‘ und ‚ Datenfälschung ‘ detailliert vorgestellt werden. Die zweite Unterüberschrift „ Heimgesucht von einem flatterhaften Geisteszustand wird die künstlerische Qualität besorgniserregend “ leitet vier Absätze ein, in der zahlreiche Expert*innen die Qualitätsverluste in Schauspielprodukten bedauern und nach Erklärungsansätzen suchen. Die dritte Unterüberschrift „ Die Fankultur an der Macht herrscht ein Mangel an der Steuerung von Wertvorstellungen “ macht die Fans, und vor allem die Fan-Anführer*innen, als Schuldige für die Phänomene von Datenfälschung aus. Drei Absätze werden darauf verwendet, die so wahnhafte wie kriminelle Parallelwelt der Fankultur zu beschreiben. Im letzten Absatz werden schließlich die Maßnahmen geschildert, welche die Regierung als Reaktion auf die Datenfälschung unternommen hat und ein utopisches Bild einer zukünftigen chinesischen Schauspielbranche gezeichnet. Die durch Absätze und Überschriften gestaltete Form, in der auf einen Absatz zwei und schließlich zweimal vier Absätze folgen, wirkt strukturiert und suggeriert eine logische Beweisführung. Demgegenüber steht ein Inhalt mit vielen Rückverweisen, der sich nur durch mehrmaliges Lesen entschlüsseln lässt. Eine Auffälligkeit im gesamten Pamphlet ist der fluide Gebrauch von direkten und indirekten Zitaten der Expert*innen, die sich vor allem aus der Professor*innenschaft rekrutierten. Diese sind mit den eigenen Argumenten des Pamphlets in einer Dichte verwoben, dass Trennschärfe gar nicht erst behauptet wird. Dieses Vorgehen könnte man getrost als „ Datenfälschung “ bezeichnen. 35 Netizens (Citizens of the Net) ist eine Bezeichnung für (aktive) Akteur*innen im Internet. Auf die wörtliche Übersetzung der chinesischen Entsprechung ‚ Internetfreunde ‘ (Wangyoumen) verzichte ich bewusst. Netizens konnotieren auch heute noch unkontrollierte Dissemination von Inhalten und Meinungen (vgl. auch Paul Clark, Youth Culture in China: From Red Guards to Netizens, New York et al. 2012), selbst wenn der öffentliche Raum, in denen die Internetfreunde sich anschicken, umtriebig zu werden, in der Materialität des chinesischen Webs längst ein gänzlich anderer, ein in weiten Teilen kontrollierter, ist. 36 Renmin Ribao. „ Wer gibt der Datenfälschung eine Brutstätte? “ 37 Ebd. 38 Ebd. 39 Ebd. 40 Ebd. 41 Ebd., Suochang Baopaipian bedeutet wörtlich ‚ Aufführungen abschließen/ blocken ‘ . Da Filme in China rund um die Uhr gezeigt werden, ergeben sich nicht selten Vorführungen ohne Publikum. In diesem Fall kann das Kino den angebotenen Film durch einen 150 Raimund Rosarius anderen ersetzen. Wenn es hingegen nur wenige Reservierungen gibt, werden die Filme abgespielt. Suochang ist eine Methode der Fans „ um die Filme, in denen ihre Idole mitspielen, in einem hochkompetitiven Markt vor schlechten Verkaufszahlen an der Abendkasse, und so vor der Absage ihrer Filme durch die Kinos zu bewahren “ (Renmin Ribao). 42 Ebd., beim Nian Shuzi sprechen die Datensternchen Zahlen statt eines Rollentextes, der nachsynchronisiert wird. Das erspart ein Textlernen. 43 Ebd., Mittels Koutu können die Datensternchen beim Dreh durch Doubles ersetzt werden. In der Postproduktion werden die Gesichter der Datensternchen eingefügt, was diesen ermöglicht, in einer großen Zahl von Schauspielprodukten zu spielen. 44 Ebd. 45 Ebd. 46 Vgl. Jinri Toutiao, „ Nach zweijährigem Lästern haben Yangzi und Dilireba nun endlich angefangen ohne Visier zu kämpfen, wie tief muss ihr Hass sein? “ , https: / / www.toutiao.c om/ a6819870761038119439/ [letzter Zugriff 14.01.2021]. 47 Wasser ist zudem in der chinesischen Kultur - als moralisch nicht standhaft - häufig ein stark pejoratives Begriffselement. 48 Dilireba ist, wie an ihrem Namen zu erkennen, uighurischer Abstammung. In Anbetracht des Ausmaßes der gegnerischen Fan-Reaktion können Vorurteile von Han- Chinesen, wie etwa das Stereotyp, Minderheiten hätten es besonders leicht, durchaus eine Rolle spielen. Im chinesischen Diskurs um Dilireba scheint ihre Abstammung keine Rolle zu spielen. Dilireba verkörpert die vollassimilierte Uigurin, spielt zumeist Han-Chinesische Rollen, und wird letztlich nur über das Elemente exotischer Schönheit mit ihrer Abstammung in Verbindung gebracht. 49 In China wird eine Grenze zwischen ‚ kleines Frischfleisch ‘ (Xiao Xianrou) und ‚ alten Theaterknochen ‘ (Lao Xigu) gezogen. ‚ Alte Theaterknochen ‘ sind gestandene Schauspieler mit jahrelanger Bühnenund/ oder Filmerfahrung; ‚ kleines Frischfleisch ‘ stammt aus den unterschiedlichsten Kontexten (Konservatorien bis hin zu Casting Shows) und wird allein über Jugend, Neuheit am Markt und Kriterien von äußerer Schönheit definiert. ‚ Theaterknochen ‘ definieren sich durch eine virtuose Schauspieltechnik, ‚ kleines Frischfleisch ‘ zumeist durch einen Mangel an derselben. Der Sprung vom ‚ kleinen Frischfleisch ‘ zum ‚ Theaterknochen ‘ ist schwierig. Er verspricht ein gesichertes Auskommen in der chinesischen Schauspielbranche über viele Jahre. Unter dem Titel „ Theaterknochen, Frischfleisch und die Unprofessionellen: Selbstverständigungsmetaphern und Propaganda technischer Qualität und Professionalisierung im chinesischen Schauspiel der Gegenwart “ habe ich am 22.11.2019 im Rahmen der Arbeitstagung der AG Schauspieltheorie (Gesellschaft für Theaterwissenschaft) an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz einen Vortrag über dieses Phänomen gehalten. 50 Vgl. Cai Xukun Guanfang Zhuanshu Pindao Kun ’ s Official Channel, Wait Wait Wait, https: / / www.youtube.com/ watch? v=anKcvc mzhrs [letzter Zugriff 01.05.2021]. 51 Dabei scheint sich Cai Xukun alle Mühe zu geben, die chinesische Kultur in die USamerikanische Pop-Kultur zu exportieren; sein Video strömt über von visuellen Verweisen auf dieselbe. 52 Vgl. Dominik Mierzejewski und Bartosz Kowalski, China ’ s Selective Identities: State, Ideology and Culture, Singapur 2019. 53 Vgl. Jinri Toutiao, „ Nach zweijährigem Lästern “ . 54 Renmin Ribao, „ Wer gibt der Datenfälschung eine Brutstätte? “ 55 Ebd. 56 Ebd. 57 Ebd. 58 Philipp Staab, Digitaler Kapitalismus, Kap. „ Die Lücke schließen “ . 59 Renmin Ribao. „ Wer gibt der Datenfälschung eine Brutstätte? “ 60 Hier spiele ich auf die in Fußnote 15 dargestellte Maxime der KP im Zuge der Reformpolitik an, die pragmatische Erwägungen der Subsistenz vor ideologische Zugehörigkeitserwägungen stellt. 151 Fluide Spielräume junger Schauspielender im digitalen Zeitalter der Volksrepublik China 61 Vgl. Rongbin Han, „ Manufacturing Consent in Cyberspace: China ’ s ‚ Fifty-Cent Army ‘“ , in: Journal of Current Chinese Affairs 44 (2015), S. 105 - 134; Gary King, Jennifer Pan und Margaret E. Roberts, „ How the Chinese Government Fabricates Social Media Posts for Strategic Distraction, Not Engaged Argument “ , in: American Political Science Review 111 (2017), S. 484 - 501. 62 Vgl. Jason Q. Ng, Blocked on Weibo. What Gets Suppressed on China ’ s Version of Twitter (And Why), New York/ London 2013, Kap. „ #dissent# #censorship# #justice# “ . 63 Gissenwehrer, Chinas Propagandatheater, S. 240. 64 Philipp Staab, Digitaler Kapitalismus, Kap. „ Keine Einheit von Staat und Kapital “ . 65 Mit einem allgemeineren Verständnis von Spiel, beschreibt der Soziologe Udo Thiedeke „ Spiel-Räume [ … ] als Exklusionsbereiche gesellschaftlicher Normalität “ . Vgl. Udo Thiedeke, „ Spiel-Räume: Zur Soziologie entgrenzter Exklusionsbereiche “ , in: Herbert Willems (Hg.), Weltweite Welten: Internet- Figurationen aus wissenssoziologischer Perspektive, Wiesbaden 2008, S. 295 - 317, hier S. 298. 66 Tatsächlich hat der Machtapparat insbesondere im maoistischen China immer die Nähe zum Schauspielstand gesucht, vielleicht weil beide wie zwei kaum zu verwebende Entitäten wirken. 67 Das mag ein Grund sein, warum sich die ästhetischen Erscheinungsformen, die in diesem Text noch nicht untersucht werden, im digitalen Zeitalter der Volksrepublik China innerhalb weniger Monate grundlegend ändern können. 152 Raimund Rosarius