eJournals lendemains 46/181

lendemains
0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
10.24053/ldm-2021-0012
2021
46181

CATHERINE MAZELLIER-LAJARRIGE / INA ULRIKE PAUL / CHRISTINA STANGEFAYOS (ED.): GESCHICHTE ORDNEN. INTERDISZIPLINÄRE FALLSTUDIEN ZUM BEGRIFF ‚GENERATION‘ / L’HISTOIRE MISE EN ORDRE. ÉTUDES DE CAS INTERDISCIPLINAIRES SUR LA NOTION DE ‚GÉNÉRATION‘, BERLIN, PETER LANG, 2019, 354 S

2021
François Höpflinger
ldm461810111
DOI 10.24053/ ldm-2021-0012 111 Comptes rendus aurait été possible vu les nombreux parallèles parmi les textes traités); cela a l’avantage qu’un lecteur/ une lectrice intéressé(e) par un seul auteur peut très facilement choisir le chapitre respectif et le lire de façon autonome. Le désavantage ou le risque d’une telle structure - l’isolation ou la juxtaposition des chapitres - ont été contrebalancés avec beaucoup de soin et d’intelligence par l’auteure qui se réfère tout au long de son étude aux chapitres précédents, dégage des différences et des similitudes dans les œuvres discutées afin de garantir un lien entre les chapitres successifs. Il s’agit d’une étude théoriquement bien fondée qui utilise une grande diversité de concepts et théories (Memoria Studies, théorie poststructuraliste, intermédialité) pour les mettre au service des textes qui gardent toujours la primauté. Ainsi, les analyses sont bien fondées, sans jamais être étouffées par les concepts théoriques. Bref: l’étude est d’une grande originalité et richesse intellectuelles et se caractérise par sa clarté structurelle et langagière; une œuvre incontournable pour tous ceux qui s’intéressent à la littérature française de l’extrême contemporain. Birgit Mertz-Baumgartner (Innsbruck) ------------------ CATHERINE MAZELLIER-LAJARRIGE / INA ULRIKE PAUL / CHRISTINA STANGE- FAYOS (ED.): GESCHICHTE ORDNEN. INTERDISZIPLINÄRE FALLSTUDIEN ZUM BEGRIFF ‚GENERATION‘ / L’HISTOIRE MISE EN ORDRE. ÉTUDES DE CAS INTER- DISCIPLINAIRES SUR LA NOTION DE ‚GÉNÉRATION‘, BERLIN, PETER LANG, 2019, 354 S. Im Zentrum des anzuzeigenden Bandes stehen Mechanismen der intergenerationellen Weitergabe von intellektuellen, spirituellen, künstlerischen oder politischen Phänomenen. Dabei werden sowohl verbindende als auch disruptive bzw. konfliktive Dimensionen von Generationenverhältnissen und Generationenbeziehungen thematisiert und analysiert. Die Einzelbeiträge basieren auf einer 2016 durchgeführten deutsch-französischen Tagung „Intergenerationelle Bindungen, Mechanismen der Weitergabe und Übertragung“. Die neunzehn literatur- und kulturwissenschaftlichen Einzelbeiträge sind inhaltlich sehr heterogen und, bezogen auf die heutige Generationenforschung, von unterschiedlicher Relevanz. Einige Beiträge beziehen sich auf philosophische und literarische Personengruppen bzw. Bewegungen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, die heute nur noch wenigen Fachexperten und Fachexpertinnen vertraut sind. Dabei bleibt offen, inwiefern Prozesse intergenerationeller Weitergabe aus diesen Epochen auch für heutige Gesellschaften noch bedeutsam sind, da sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Lebensverläufen und intergenerationellen Beziehungen vor allem seit Mitte des 20. Jahrhunderts klar von vorherigen Epochen unterscheiden. Aus meiner Sicht für die heutige Generationenforschung weiterhin interessant und bedeutsam sind primär jene Beiträge, die fehlende oder gestörte 112 DOI 10.24053/ ldm-2021-0012 Comptes rendus intergenerationelle Transmissionen ansprechen und diskutieren (ein Thema, das von der modernen Generationenforschung eher ausgeblendet wird). In einem ersten Teil des Buches konzentrieren sich drei Beiträge auf Fragen politischer Sozialisierung und die intergenerationelle Weitergabe politischer und/ oder konfessioneller Zugehörigkeiten. Diese Beiträge („1789,1830,1933 - Trois générations de l’exil allemand en France: répétition, héritage et transmission“; „Deux générations völkisch“; „Generation und Familie. Intergenerationelle Prozesse bei den Abgeordneten des Preußischen Landtags (1919-1933)“) sind primär sozialhistorisch deskriptiver Natur. Angesichts neuer Fluchtbewegungen ist vor allem der Beitrag zu intergenerationellen Dimensionen von (politischem) Exil von hoher Aktualität (auch weil intergenerationelle Aspekte von freiwilligen oder unfreiwilligen Migrationsbewegungen erst seit einigen Jahren vermehrt untersucht werden). Der zweite Teil diskutiert den klassischen Gegensatz ‚Jung gegen Alt‘ als politische Selbstthematisierungsformel an drei Beispielen („Die zionistische Situation im Wandel der Generationen. Strategien der Selbstgenerationalisierung im deutschen Zionismus“; „La mission de la ‚jeune génération‘ après 1918 chez Richard: Nikolaus Coudenhove-Kalergi et Karl Anton Rohan“; „Zwischen Traditionsstiftung und radikalem Neuanfang. Zur Konstruktion eines „feministischen Erbes“ in den Frauenbewegungen“). In allen drei Beiträgen wird deutlich, dass Jung-Alt-Gegensätze durch politische Krisen verstärkt werden, da damit neue gesellschaftliche Herausforderungen und Orientierungen die intergenerationellen Differenzen von erlebten soziokulturellen Rahmenbedingungen und Lebensverläufen hervorheben. In einigen Fällen können intergenerationelle Umbrüche so stark sein, dass intergenerationelle Transmissionen wegbrechen. Ein interessantes Beispiel ist die feministische Bewegung der 1970er Jahre, die sich in einer als revolutionär interpretierten Zeitepoche nicht auf frühere Frauenbewegungen bezog (und der Bezug zu früheren Generationen von Frauen aus der Frauenbewegung erfolgte erst im Nachhinein als Teil einer nachträglichen Selbstreflektion einer in vielen Bereichen erfolgreichen Bewegung). Im dritten Teil stehen Fragen des kulturellen Erbes (Weitergabe und Erhalt) im Zentrum. Vier der Beiträge beziehen sich auf spezifische kultur- und sozialhistorische Bewegungen aus früheren Jahrhunderten auf („Exhumer, rassembler et publier les lettres des Lumières autour de 1800. Les enjeux générationnels d’un héritage culturel“; „ Génération-s Dessau : quelles influences de la pédagogie nouvelle (Reformpädagogik) des philanthropistes allemands sur le parcours des élèves? “; „Intergenerationelle Strukturen bei Adalbert Stifter“; „Vererbte Kunst. Der Bildhauer und Maler Helmut Ammann (1907-2001) und sein Nachlass“). Ein Beitrag bezieht sich auf aktuellere Bestrebungen („Die ‚Tagebuch-Generation[en]‘ und das Vermächtnis des Wiener Tagebuch als Generationsobjekt“); ein insofern interessanter Beitrag, weil er die oft unterschätzten Beschränkungen gezielter intergenerationeller Weitergabe-Projekte illustriert (und viele initiierte Generationenprojekte leiden an sozialromantischen Vorstellungen zu Generationenbeziehungen von früher). Alle vier Beiträge des dritten Buchteils bieten durchaus lesenswerte Illustrationen zu intergenerationellen kulturellen Einflüssen (und deren Grenzen), sie sind aber ohne DOI 10.24053/ ldm-2021-0012 113 Comptes rendus vertiefte Kenntnisse der spezifischen kultur- und sozialhistorischen Zeitumstände nicht zu verstehen. In diesen Beiträgen (aber auch in anderen Buchbeiträgen) wird - aus meiner Sicht - eine grundlegende Problematik eines bedeutsamen Teils der Generationenliteratur sichtbar: Generationenverhältnisse und Generationenbeziehungen sind zwar universale soziale und kulturelle Phänomene von menschlichen Gesellschaften (und es gibt keine menschliche Existenz außerhalb von Generationenabhängigkeiten). In ihrer konkreten Ausgestaltung und Form sind Generationenverhältnisse und Generationenbeziehungen jedoch in starkem Maße durch zeit- und kulturspezifische Rahmenbedingungen geprägt. Zudem unterliegen sie ausgeprägten Struktur- und Generationenwandlungen bzw. Kohorteneffekten. Feststellungen und Beobachtungen aus einer spezifischen Zeitperiode sind nicht auf andere Zeitperioden übertragbar; ein Aspekt, den schon Karl Mannheim betont hat. Dieselbe Grundproblematik gilt teilweise auch für die Einordnung der Beiträge im vierten Buchteil zu identitätsstiftenden Vorbildern („Max Reinhardt, Bertolt Brecht: une filiation impossible? “; „Gide, Klaus Mann und Döblin: Homosexualität in der Literatur - transgenerationelle Aspekte“; „Martin Heidegger und sein Gebrauch von Nietzsche: persönliches Vorbild, philosophische Leitfigur und Gegner“; „Wilhelm Lehmann und Günter Eich: Vom Epigonentum zur gegenseitigen Ungültigkeitserklärung“). Allgemeinen Charakter - und die Beiträge stellen das gut dar - weisen allerdings die auftretenden Spannungsfelder zwischen intergenerationellen Kontinuitätskonstrukten und intergenerationeller Ablösung und Distanzierung auf. Besonders klar wird dies im Beitrag über Wilhelm Lehmann / Günter Eich. Generationenbeziehungen unterliegen permanent einem nie endgültig lösbaren Spannungsfeld von intergenerationeller Wertekontinuität und intergenerationellem Wandel bzw. Loslösung (ein Aspekt, der in der neueren Generationenforschung zu einer verstärkten Berücksichtigung ambivalenztheoretischer Ansätze beigetragen hat). Das Spannungsfeld zwischen identitätsstiftender intergenerationeller Kontinuität und Loslösung und Distanzierung wird im fünften Teil des Buchs (Verweigertes Erbe und Generationensprünge) explizit analysiert und illustriert. Ein Beitrag diskutiert Probleme intergenerationeller Transmission bei Kafka („Les troubles de la transmission intergénérationnelle chez Kafka“). Zwei Beiträge thematisieren intergenerationelle Brüche und Distanzierungen in Nachkriegsdeutschland („‚Ein Nazi-Kind und nichts weiter‘? Aussagen von Exilanten und Remigranten über die im ‚Dritten Reich‘ sozialisierte Jugend; Le lien intergénérationnel et les mécanismes de la (non)transmission du passé nazi dans quelques ‚Vaterbücher‘ des années 2000“) und ein Beitrag diskutiert „Das Erbe der ‚68er-Generation‘ in der deutschsprachigen Gegenwartsdramatik am Beispiel von Rebekka Kricheldorf, Ulrike Syha und Darja Stocker“. In allen vier Beiträgen wird - bei genauer Betrachtung - ein für die kulturbezogene Generationendiskussion zentraler Aspekt deutlich: Intergenerationelle Diskontinuitäten ebenso wie intergenerationelle Wertekontinuitäten basieren auf sozialen und kulturellen Konstrukten, die selbst einem bedeutsamen Generationenwandel unterliegen. Dieser Punkt wird auch in vielen anderen Buchbeiträgen deutlich: Die Analyse 114 DOI 10.24053/ ldm-2021-0012 Comptes rendus und Interpretation von Generationenbeziehungen aus früheren Zeitperioden wird mitgeprägt durch die spezifische und fachbezogene Generationenzugehörigkeit der analysierenden Forscher und Forscherinnen. Als integrative Klammer für die inhaltlich sehr unterschiedlichen Beiträge wird in der theoretischen Einführung (Ulrike Juweit) und in der Synthese (Françoise Lartillot) das Konzept der Transgenerationalität eingeführt und diskutiert. Transgenerationalität spricht die Weitergabe konflikthafter, unverarbeiteter Inhalte an die nächste Generation an, beispielsweise durch Prozesse ausbleibender Ent-Identifizierung. Dadurch bestimmen teilweise beschädigte psychische Strukturen und unbearbeitete Konflikte der vorherigen Generation die Werthaltungen und Lebensperspektiven nachfolgender Generationen. Die vorgelegte Perspektive ist insofern innovativ, als das ursprünglich psychoanalytische Konzept der Transgenerationalität in diesem Buch gezielt auf kulturwissenschaftliche Themenfelder angewendet wird. Das Konzept der Transgenerationalität erlaubt es, die dreifache Generationenkontingenz (Vorgängergeneration, Nachfolgegeneration, Generation der Forschenden) von Generationenanalysen zu reflektieren. Insgesamt ein spannendes Buch, das am besten je nach Fachbereich und Interesse selektiv gelesen werden sollte (da die Einzelbeiträge teilweise nur für spezifische Fachpersonen verstehbar sind). Das Buch ist insofern spannend, als hier das generelle Spannungsfeld der Generationenforschung zwischen Generationenbeziehungen als universales, grundlegendes menschliches Phänomen und ihrer generationenbzw. kohortenspezifischen Ausprägungen in aller Deutlichkeit sichtbar wird. François Höpflinger (Zürich)