eJournals Vox Romanica 77/1

Vox Romanica
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
10.8357/VOX-2018-020
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2018
771 Kristol De Stefani

Anne Carlier/Céline Guillot-Barbance (ed.), Latin tardif, français ancien. Continuités et ruptures, Berlin/Boston (de Gruyter) 2018, VI + 422 p. (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie 420)

2018
Jochen  Hafner
308 Besprechungen - Comptes rendus Vox Romanica 77 (2018): 308-315 DOI 10.8357/ VOX-2018-020 Galloromania Anne Carlier/ Céline Guillot-Barbance (ed.), Latin tardif, français ancien. Continuités et ruptures, Berlin/ Boston (de Gruyter) 2018, VI + 422 p. (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie 420) Die Frage nach dem Ende des (Vulgär-)Lateinischen und dem Beginn der romanischen Vernakularsprachen - mithin also auch die Frage nach Brüchen oder Kontinuitäten beim Übergang von der einen Sprachform in die anderen - beschäftigt die historisch orientierte romanistische Sprachwissenschaft schon seit langer Zeit. Sie kann als einer ihrer thematischen Gründungsdiskurse im 19. Jahrhundert gelten. Nichtsdestotrotz besteht in diesem Bereich, bei dem Latinisten und Romanisten idealiter zusammenarbeiten (und genau dies geschieht im vorliegenden Band auf vorbildliche Weise), nach wie vor großer Forschungsbedarf. Zu Recht stellen die beiden Herausgeberinnen fest: L’étude de cette filiation [latin tardif > français ancien] se heurte en effet au problème qu’il existe un écart important entre la langue des premiers textes en langue vernaculaire et celle des textes en latin tardif. (1) Umso erfreulicher ist, dass Anne Carlier und Céline Guillot-Barbance sich in ihrem ansprechenden Buch erneut dieser «Lücke», dem Themenkomplex Spätlatein - Protoromanisch - Altfranzösisch/ ancien français (bei allen Vorbehalten, die man aus varietätenlinguistischer und sprachhistorischer Perspektive dieser letzteren Sprachbezeichnung gegenüber haben kann), widmen. Die beiden Herausgeberinnen versammeln in ihrem Band eine Reihe von Beiträgen namhafter Forscherinnen und Forscher, die schon im Vorfeld dieser Publikation Bedeutendes zum behandelten Thema geleistet haben. Hier nun werden aber nicht etwa disparate Einzelstudien in lockerer Form zusammengetragen, sondern die Ergebnisse eines internationalen Projekts veröffentlicht, bei dem Latinisten wie Sprachhistoriker des Französischen kooperierten. Insofern fokussieren die Beiträge in Latin tardif, français ancien jenen écart, also jenen zu dokumentierenden Übergang vom Spätlatein zum sog. Altfranzösischen, auf der Basis eines bisher unveröffentlichten, systematisch zusammengestellten Textkorpus, das in der Einleitung genau beschrieben wird (2-8). Das Korpus besteht zum Großteil aus Heiligenviten und setzt sich wie folgt zusammen: 25 lateinische Texte (cf. deren synoptische Darstellung [15-16]), eine Reihe altfranzösischer Texte (126 Texte der online verfügbaren Base de français médiéval, http: / / txm. bfm-corpus.org) und zwei aus mittelalterlicher Zeit stammende Übersetzungen lateinischer Heiligenviten (sowie drei weitere mittelalterliche Übersetzungen aus dem Lateinischen als Kontrolltexte). Unter methodischen Gesichtspunkten liegen die Vorteile einer solchen korpusbasierten Untersuchung auf der Hand: … le présent recueil entend renouveler l’analyse des changements qui s’opèrent dans la latinité tardive en Gaule et au cours du passage du latin au français dans le domaine de la morphosyntaxe, et cela grâce à l’exploration d’un corpus inédit bilingue: celui-ci permet … l’analyse 308 315 020 309 Besprechungen - Comptes rendus Vox Romanica 77 (2018): 308-315 DOI 10.2357/ VOX-2018-020 contrastive de textes latins et français de genre comparable, et … met en regard plusieurs textes de latin mérovingien et carolingien avec leur traduction en ancien français. (2) In diesem Sinne gelingt es dem hier besprochenen Buch, seine Beiträge in großer thematischer Kohärenz und inhaltlicher Konsistenz zu präsentieren. Dies geschieht nicht zuletzt auch dank der Aufteilung der Beiträge in sechs Themenbereiche: Während sich der die Aufsätze von Banniard, Buridant, Longrée/ Phillipart de Foy beinhaltende Bereich I (Perspectives générales) mit eher allgemeinen Fragestellungen und Herangehensweisen zur Problematik des Spätlateinischen und Altfranzösischen befasst, widmen sich die Bereiche II bis VI spezifischeren, vor allem morphosyntaktischen, Problemen. Bereich II (Nom et syntagme nominal: flexion casuelle, déterminants et pronoms), der die Beiträge von Pinkster, Schøsler, Prévost und Carlier/ Guillot-Barbance umfasst, widmet sich dem Komplex der Nominalstrukturen im weiteren Sinne. Weitere sprachinterne Bereiche folgen. Sie sind allerdings mit je nur einem Beitrag pro Bereich - und dies zu Unrecht - deutlich weniger prominent im Band vertreten: der Aufsatz von Haverling bildet den Bereich III (Le verbe et l’expression du temps et de l’aspect), der Beitrag von Hansen den Bereich IV (La négation), der Aufsatz von Spevak den Bereich V (Les propositions principales et indépendantes). Der letzte Bereich VI (Les propositions complexes) setzt sich dann wieder aus zwei Beiträgen (Bodelot, Combettes) zusammen. Abgerundet wird der Band durch einen sorgfältig redigierten französischen (413-17) sowie einen englischen (418-22) Sachindex, der leider kleinere Ungenauigkeiten in der formalen Umsetzung aufweist. Es sollen nun die Beiträge im Überblick kurz vorgestellt werden, wobei auf einzelne Aufsätze vertieft eingegangen wird. M. Banniards «Comment le latin parlé classique est devenu le français parlé archaïque: pour une historicisation et une modélisation innovantes (Bréviaire)» betitelter Beitrag (21-34) positioniert sich im Umfeld einer neu verfahrenden, sich von den Vorgaben der Philologie der beiden vergangenen Jahrhunderte weitgehend emanzipierten, Herangehensweise an philologische Fragestellungen. Er kann als eine Art programmatische Präambel und Matrix des gesamten Bandes verstanden werden. In dieser hier propagierten, neuen - und dringend notwendigen - philologischen Perspektive werden die folgenden Bereiche der diachronischen Linguistik auf den Prüfstand gestellt: a) caractères historiques de la période (5 e - 8 e siècles); in diesem Zusammenhang wird insbesondere auch die Frage nach dem Stellenwert der Schriftlichkeit in jener Zeit und die Frage nach ihrer jeweiligen Ausprägung fokussiert; b) théorie et pratique de la linguistique diachronique; hier ist laut Banniard eine Neuorientierung am kommunikativen Aspekt der Sprache notwendig, der in der Vergangenheit zugunsten von sprachinternen Kriterien bisweilen aus dem Blick der diachronisch verfahrenden Sprachwissenschaft geraten sei; c) problématisation des rapports entre écriture et parole; das Mündlichkeits-Schriftlichkeits-Gefüge müsse in sinnvoller Weise (neu) verortet werden; d) im Abschnitt l’«instinct du langage» contre les prototypes culturels plädiert er für eine nicht wertende Herangehensweise an den Bereich des gesprochenen Lateins und für eine Revision der hierarchisierenden, diastratisch ausgelegten, Sichtweise «Vulgärlatein vs. klassisches Latein»; e) comparaison typologique et critères linguistiques; in diesem Bereich spricht sich Banniard für die Loslösung von einer rein graphematisch orientierten Forschungsrichtung (die in ihren Zuweisungen bzw. 310 Besprechungen - Comptes rendus Vox Romanica 77 (2018): 308-315 DOI 10.8357/ VOX-2018-020 Filiationen graphischer Merkmale nicht ausreichend sein könne) und stattdessen für eine systematische Untersuchung sprachinterner Faktoren (Morphologie, Syntax, Lexikon etc.) aus. In den sich anschließenden Ausführungen wird Banniard einer neuen Beleuchtung dieser Parameter gerecht. Zwar verfährt er nicht exhaustiv, als programmatischer Aufriss gewertet ist sein Aufsatz jedoch absolut gewinnbringend. Erhellend ist insbesondere die Schlusspassage des Beitrags, in welcher sich der Autor für eine stärkere Berücksichtigung der quantitativen Methode einsetzt, die die Kontinuität der Übergänge vom Lateinischen zum Romanischen klar hervortreten lässt - während man bei einer rein qualitativen Vorgehensweise eher den Eindruck eines Bruchs bekommen könnte - und damit den Duktus des Bandes stützt: En définitive, le changement de langue est avant tout une question non pas de qualité, mais de quantité: une large part des traits qui caractériseront la morphologie de ce «latin moderne» étaient déjà disponibles à l’origine, mais aux marges du diasystème. En huit siècles, ces traits sont passés au centre. Cela implique inversement que la nouvelle langue, même structurée de façon neuve, porte en elle de fortes rémanences de l’ancienne. Cette migration s’est produite de façon discontinue, en accélération constante jusqu’à une installation finale en mode exponentiel, selon le modèle des systèmes dynamiques non linéaires. (32) Tatsächlich folgen die restlichen Beiträge des Bandes dann diesem - weitgehend - quantitativen Analyseverfahren und kommen im Sinne Banniards zu sehr interessanten Ergebnissen. C. Buridant widmet sich in seinem ausführlichen Aufsatz «La traduction des Dialogues Grégoire lo pape, XII e siècle: essai d’étude systématique» (35-72) dem spezifischen Problem mittelalterlicher Übersetzungspraxen aus dem Lateinischen. Seine sorgfältige, korpusgestützte Analyse des oben erwähnten Textes «vise à mettre en lumière la remarquable richesse de ce texte et tout son intérêt original pour l’histoire du français et de la traduction» (35) und versucht, auf der Basis der Analyse von diskursspezifischen Übersetzungen, deren Beitrag zum Sprachwandel zu ermessen. Dabei geht Buridant detailliert auf die Bereiche des Lexikons und der Morphosyntax ein. D. Longrée und C. Philippart de Foy nehmen in «La Vita Benedicti de Grégoire le Grand confrontée aux œuvres narratives de l’Antiquité classique: une étude quantitative de la distribution des parties du discours» (73-94) eine quantitative Auswertung eines spätlateinischen Textes sowie klassisch lateinischer Vergleichstexte vor, um die Distribution der Wortarten in einer diachronischen Perspektive des Lateinischen aufzudecken. Ihr Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Frequenz bestimmter Wortarten, womit sie sich in die methodischen Vorgaben des Bandes einreihen. Sie können auf diese Weise nicht allein Sprachwandel als «Wortartenwandel» nachvollziehbar machen, sondern auch auf die textuellen Spezifika der Benediktsvita eingehen. Ebenfalls vergleichend - diesmal jedoch anhand eines quantitativen Vergleichs nicht klassisch lateinischer und spätlateinischer Formen, sondern von spätlateinischen mit mittelalterlichen Texten - verfährt der Beitrag von H. Pinkster: «La contribution des marques casuelles à l’interprétation des propositions dans trois extraits de textes latins tardifs et médiévaux» (97- 127). Der Autor beschäftigt sich hier mit dem Verlust der Kasusmarkierung und untersucht diese im 1. Buch der Dialogi Gregors des Großen aus dem Jahr 593, in einem Ausschnitt aus dessen Benediktsvita sowie einem Ausschnitt (1. Buch) der Synonyma de lamentatione animæ 311 Besprechungen - Comptes rendus Vox Romanica 77 (2018): 308-315 DOI 10.2357/ VOX-2018-020 peccatricis des Isidor von Sevilla (ca. 610). Die Unterschiedlichkeit der Diskurstraditionen, denen diese drei Texte jeweils angehören (texte ego, texte narratif, soliloque de l’âme), lassen eine unterschiedliche Distribution der Kasus vermuten, «[p]uisque le genre textuel détermine dans une certaine mesure la complexité des propositions et des phrases …» (97). Pinksters detaillierte Analyse (cf. insbesondere die ausführlichen Anhänge, in denen die Okkurrenzen verzeichnet und ausgewertet sind, 108-25) zeigt jedoch, dass diese Vermutungen nicht haltbar sind und letztlich weder die Diskurstradition noch die Autorschaft entscheidenden Einfluss auf die Kasusverwendung in den untersuchten Texten haben, sondern dass der Verlust der redundant gewordenen Kasuskategorie und die Beibehaltung und Stärkung der Kategorien Numerus und Genus zu den bestimmenden grammatischen Charakteristika dieser Texte werden (107). Auch L. Schøslers Beitrag «How useful is case morphology? : from Latin to French» (127- 70) beschäftigt sich mit dem Kasusabbau. Hier wird eine breitere diachronische Perspektive eingenommen als bei Pinkster: die Autorin analysiert Formen vom klassischen Latein über das Vulgärlateinische bis hin zum Altfranzösischen. Dabei stellt sie den Bezug her zu der provokanten Fragestellung nach der Nützlichkeit oder Unnützlichkeit von Kasusmorphologie, die U. Detges in seinem 2008 erschienenen Artikel aufgeworfen hatte 1 . Schøsler geht in ihrer Analyse über den Ansatz von Detges hinaus «[whose] approach is highly relevant, but he studies the function of the case system in isolation, without taking into account other properties of the grammatical system» (127). Insofern versucht die Autorin eine Neupositionierung der Fragestellung um den Nutzen von Kasusmorphologie und stellt hierbei die folgenden Fragen in den Fokus ihres Beitrages: a) What was the function of the case system? ; b) If unnecessary, why was declension preserved for so many centuries? ; c) Why was declension abandoned at that particular time? Dabei ist der Neuansatz Schøslers - ihren eigenen Angaben nach - darin begründet, dass sie die Kasusmorphologie und deren historische Entwicklung vom Lateinischen hin zum (Alt-)Französischen im Kontext zahlreicher weiterer grammatischer Phänomene beleuchtet (127). Dies geschieht wiederum auf quantitativer Basis. Besonders interessant an Schøslers Aufsatz ist auch, dass sie ihre Ergebnisse direkt mit den Ergebnissen von Pinkster (s.o.) vergleicht (157). Was die Beantwortung der oben aufgeworfenen Fragen betrifft, so kommt die Autorin zu folgenden Ergebnissen: ad a) «The function of the case system was to contribute to the marking and identification of arguments, in combination with a number of other factors.» (158) - gerade wegen dieser Kombination müssen die anderen grammatischen Kategorien berücksichtigt werden; ad b) und c): hier geht Schøsler auf die - bereits 1984 von ihr dargelegte 2 - sukzessive Auflösung (bzw. die längere Beibehaltung) der Kasusmorphologie (genauer der sogenannten altfranzösischen Zweikasusflexion) in den unterschiedlichen altfranzösischen scriptæ von Westen nach Osten des oïl-Gebiets ein. Darüber hinaus verweist sie auf die - ebenfalls spätestens seit ihrem Buch von 1984 - bekannte Tatsache, dass die Zweikasusflexion sich im Artikelsystem länger hielt als bei Nomen und Adjektiven: «I have proposed that 1 U. Detges «How useful is case morphology? The loss of the Old French two-case system within a theory of preferred argument structure», in: J. Barðal/ S. Chelliah (ed.), The role of semantic, pragmatic, and discourse factors in the development of case, Amsterdam 2008: 93-120. 2 L. Schøsler, La déclinaison bicasuelle de l’ancien français, son rôle dans la syntaxe de la phrase, les causes de sa disparition, Odense 1984. 312 Besprechungen - Comptes rendus Vox Romanica 77 (2018): 308-315 DOI 10.8357/ VOX-2018-020 an intermediate case system based on more robust case distinctions in articles seems to have functioned for some time» (158). In Verbindung mit lautlichen (Verstummen von -s) und syntaktischen Kriterien (Stabilisierung der Satzgliedfolge seit spätestens der mittelfranzösischen Zeit) lässt sich ein Kasusabbau feststellen. Trotzdem dürfen - so Schøsler - die folgenden lexikalischen, syntaktischen und grammatischen Faktoren entgegen allzu häufig praktizierter philologischer Gepflogenheiten, nicht unberücksichtigt bleiben: In terms of case-role indexing, the Romance languages preserve, increase and innovate compared to Latin: 1. They preserve the marking and identification of arguments and referents by means of the lexicon, but also partially by means of case, since case never completely disappears as an argument marker in Romance languages and is still present in all languages, especially in the pronominal system …; 2. They increase the use of specialised constructions and they increase the marking and identification of arguments by grammaticalising and extending the use of prepositions; 3. They innovate by introducing cross-reference and by introducing word order rules. (159) «Increase of pronominal subjects in Old French: evidence for a starting-point in Late Latin» (171-200) lautet der Titel des Aufsatzes von S. Prévost, in dem sie den Anstieg der Verwendung von Pronomen in den beiden PRO-drop-Sprachen (Spät-)Latein und Altfranzösisch dokumentiert. So stellt sie korpusgestützte quantitative Untersuchungen zu der Verwendung des Personalpronomens ego und des Demonstrativums ille an und berücksichtigt für deren Verwendung insbesondere die Parameter des Entstehungszeitpunktes der lateinischen Texte ebenso wie denjenigen der Übersetzungen dieser Texte ins sogenannte Altfranzösische. Sie kommt dabei zu folgendem vorläufigen Ergebnis, das - so die Aussage der Autorin - in weiteren Studien überprüft werden sollte: … the existence of a bilingual Latin-Old French corpus has allowed us to scrutinize how Latin personal pronouns and demonstrative ille were rendered in Old French, the assumption being that both the dates of the Latin texts and of their translations might have an influence on the translator’s choices. However, we did not observe any overwhelming tendency to use constructions which would express in French the markedness of the Latin overt pronouns. Concerning the translation of ille, by a demonstrative or by a personal pronoun, it turned out to be difficult to identify clear tendencies associated with the respective datations of the texts, even though the date of the Latin texts seem to be more relevant than the date of their translation. (198) Die beiden Herausgeberinnen des Bandes, A. Carlier und C. Guillot-Barbance, beschäftigen sich in ihrem Beitrag «The restructuring of the demonstrative paradigm in the transition from Latin to French» (201-31) ebenfalls mit der Verwendung der Pronomina, genauer: mit den lateinischen Demonstrativa, aus denen sich ja bekanntlich die bestimmten Artikel der romanischen Sprachen entwickelten. Die Autorinnen fokussieren - ausgehend von der Prämisse M. Banniards, derzufolge wir es bei der Übergangszeit vom Lateinischen zu den romanischen Sprachen mit einem breiten variationellen Spektrum zu tun haben - in ihrer Untersuchung die Spezifika des alt- und neufranzösischen Gebrauchs der Demonstrativa. Sie gehen dabei sowohl auf die lautlichen Entwicklungen als auch auf die semantischen und pragmatischen Bedingungen ein, die zur Herausbildung des altfranzösischen Paradigmas führten, wobei ein Schwer- 313 Besprechungen - Comptes rendus Vox Romanica 77 (2018): 308-315 DOI 10.2357/ VOX-2018-020 punkt auf der «Analysis of the semantic value of the demonstratives in the different texts of the corpus» (211-27) liegt. Dabei werden vor allem die - schon im klassischen Latein wichtigen - pragmatisch konfigurierten Kommunikationsbedingungen (sprecher-, hörer-, denotatsbezogen etc.) der Analyse auch der altfranzösischen Formen zu Grunde gelegt. Als Ergebnis ist unter anderem festzuhalten … that the extension of iste at the expense of hic occurs successively in two discourse configurations: iste first competes with hic when used to include a referent in the sphere of interlocution, in opposition to ille, which excludes it from this sphere; it is only during a second phase that it competes with hic when this demonstrative is used to include a referent in the personal sphere of the speaker, conceived as opposed to the personal sphere of the hearer. This, in turn, alters the contexts in which ille is used, as this demonstrative is no longer reserved for the zone outside the interlocutionary event, but can occasionally involve a referent in the sphere of the hearer. (227-28) Mit dem Aufsatz «Sur les changements dans le lexique verbal en latin tardif» (235-66) von G. V. M. Haverling wird unter anderem auf die Codierung der Kategorie Aspekt eingegangen. Der Autor verweist nicht nur auf die Konsolidierung des Perfekts als einem zunehmend kohärenten Tempus, sondern er zeichnet vor allem in Hinblick auf den sprachlichen Ausdruck von Aspekt 3 minutiös die Entwicklungen vom klassischen Latein zum Spätlatein nach und geht auf die zunehmende lexikalische Realisierung dieser ursprünglich grammatischen Kategorie ein: Dans le système de l’aspect lexical il y a des changements profonds, qui apportent un lexique différent dans les langues romanes et qui ont aussi des rapports avec les changements qui affectent le système de l’aspect grammatical… Il y a aussi un rapport entre les changements dans l’aspect lexical et d’autres changements en latin tardif, comme par ex. dans le rapport entre les temps du passé … et le développement des articles dans les langues romanes … (263) Zur Negation und der Distribution einfacher vs. verstärkter Negationstypen arbeitet M.-B. Mosegaard Hansen (die in der Einleitung der Herausgeberinnen, p. 12, übrigens fälschlicherweise als «Hansen-Moosegard» auftaucht,) in ihrem Artikel «The expression of clause negation: from Latin to Early French» (269-97). Die Autorin legt ihren Überlegungen die Frage nach Unmarkiertheit bzw. Markiertheit im Sinne von Givón zu Grunde und unterscheidet insofern in klassischer Weise die direkt aus dem Lateinischen ererbten, unmarkierten Negationsmarker non und ne des Altfranzösischen einerseits - wobei non nur für die frühen Texte des vorliegenden Korpus: Straßburger Eide 4 und Eulaliasequenz als unmarkiert gelten kann, für die späteren 3 Auf die wichtige theoretische Arbeit von Dessì Schmid zu diesem Themenkomplex, die den Verbalaspekt als übereinzelsprachliche Kategorie der romanischen Sprachen versteht und framebasiert untersucht, geht Haverling allerdings nicht ein; vgl. S. Dessì Schmid, Aspektualität. Ein onomasiologisches Modell am Beispiel der romanischen Sprachen, Berlin/ Boston 2014. 4 Bezüglich der Frage ob die Straßburger Eide bereits eine Form des «Altfranzösischen» bzw. des «very old French» (276), zu dem die Verfasserin «Les Serments de Strasbourg and La séquence de Sainte Eulalie (both composed in the 9 th c.)» (276) zählt, oder doch eher des «Protoromanischen» darstellen, wurde viel Tinte vergossen. Die verschiedenen Standpunkte sollen hier nicht erneut erörtert werden, 314 Besprechungen - Comptes rendus Vox Romanica 77 (2018): 308-315 DOI 10.8357/ VOX-2018-020 Texte ist es eine markierte Form (277) - und die markierten Formen andererseits. Zu diesen zählt sie neben non für die spätere Zeit ne-pas und ne-mie (285-87), ne-point (287-89), ne-goutte (289-90), ne-guère (290-91) sowie weitere Formen, die als «[n]e + indefinite quantifier» (291-94) bezeichnet werden. Als eines der Ergebnisse kann festgehalten werden: … that Early French may have been an NC language of the same type as colloquial Latin, i.e. one that allows combinations not only of several quantifiers, but also of the standard clause negator + one or more quantifiers to yield only a single-negation reading. (294) O. Spevaks Beitrag «L’ordre des mots dans la Vie de Saint Benoît de Grégoire le Grand: une comparaison de l’original latin avec sa traduction en ancien français» (301-19) beschäftigt sich in einer vergleichenden Perspektive (Latein - Altfranzösisch) mit der Satzgliedstellung in verschiedenen Fassungen der von Gregor dem Großen verfassten Vita Benedikts von Nursia. Dieser Ansatz verspricht insofern neue Erkenntnisse als er von tatsächlichen Okkurrenzen in miteinander vergleichbaren Texten ausgeht und damit die der früheren Forschungsliteratur zu Grunde gelegten reinen Statistiken überwindet: En effet, les débats sur le changement typologique du latin SOV → SVO sont fondées sur des relevés statistiques bruts de la place de ces trois constituants sans prendre en considération d’autres phénomènes, en particulier la nature nominale ou pronominale du sujet et de l’objet, la possibilité de l’ellipse de l’objet … et la disjonction du syntagme nominal. (302) In überzeugender Weise verfolgt die Autorin ihren Ansatz und vermag Spezifika der Satzgliedabfolge im Umfeld der untersuchten Übersetzung der Benediktsvita aufzuzeigen und zugleich den Anteil des Übersetzers an der Ausprägung des altfranzösischen Textes zu unterstreichen. Die beiden letzten Beiträge des Bandes widmen sich - wie zuvor schon der Aufsatz von Spevak - syntaktischen Problemen, allerdings unter besonderer Berücksichtigung der Gliedsätze. C. Bodelots Aufsatz «Les subordonnées complétives déclaratives et interrogatives indirectes dans un corpus italo-gaulois d’hagiographie médiolatine» (323-72) verfährt anhand eines über die Fredegar-Chronik (s.u.) weit hinausgehenden Textkorpus und setzt sich zum Ziel: Pour voir si les tendances observées chez Frédégaire se vérifient, à une échelle plus large, dans un corpus d’hagiographie italienne et gauloise s’échelonnant du 4 e au 12 e s., nous nous attacherons à analyser ici, plus particulièrement, les complétives assertives introduites par le verbe dico, à la suite duquel la concurrence entre propositions conjonctionnelles et A.c.I. est censée être devenue très âpre au fil des siècles. Pour les interrogatives indirectes, nous nous limiterons à des observations ponctuelles concernant la syntaxe modale et certains termes interrogatifs, dont l’emploi particulier semble caractéristique de la latinité tardive et peut jeter de la lumière sur leur devenir ultérieur en roman. (324) Sehr genau werden in den zentralen Passagen der Studie die verschiedenen Kontexte, Distributionen und syntaktischen Strukturen untersucht (so beispielsweise die quantitativen Verteiallerdings sei darauf verwiesen, dass uns eine nicht diskutierte, quasi selbstverständliche, Zuordnung dieses Textes (mit all seinen Überlieferungsproblematiken) zum «Altfranzösischen» als prekär erscheint. 315 Besprechungen - Comptes rendus Vox Romanica 77 (2018): 308-315 DOI 10.2357/ VOX-2018-020 lungen bei den déclaratives indirectes in Verbindung mit quod, quia, ut vs. A.c.I.) und zusätzlich im Anhang des Artikels (369-72) aufbereitet. Die vielfältigen Ergebnisse sind in der Conclusion des Aufsatzes (364-65) zusammengefasst. Der Artikel von B. Combettes «La subordination dans la Chronique de Frédégaire: les propositions non régies» (373-412) schließlich untersucht die Fredegar-Chronik hinsichtlich bestimmter Nebensatztypen. Auf einen einzigen Text bezogen können hier zwar keine Vergleichsuntersuchungen angestellt werden, doch verfährt Combettes textimmanent sehr präzise bei der Analyse des syntaktischen «Verhaltens» in den subordonnées conjonctives nach cum, cumque und dum (376-89) sowie im Umfeld anderer temporaler Ausdrücke (389-93) einerseits, andererseits in den relations autres que temporelles (394-403). Hier werden Konstruktionen mit ut, qualiter, ideoque, eo quod ausgewertet. Darüber hinaus werden auch Partizipialkonstruktionen in der Analyse berücksichtigt. Der Band ist insgesamt als sehr gelungen zu bewerten. Die Innovation besteht nicht zuletzt darin, dass traditionelle Ansätze und Ergebnisse der Philologie hier anders beleuchtet und im Lichte der quantitativen Methode neu interpretiert werden. Die Ergebnisse der Einzelstudien sind durchweg überzeugend, sowohl was den quantitativen methodischen Zugang (der ja dem ganzen Band zu Grunde liegt) als auch was den Detailreichtum und die interpretatorischen Stärken der Beiträge angeht. Der Band wird sicherlich wegweisend für die zukünftige Beschäftigung mit dem hier behandelten Themenkomplex. Der Qualität des Bandes stehen nur einige wenige Monita entgegen. Neben den Ungenauigkeiten im Layout des englischen Index wäre vor allem - wie oben bereits angeklungen - die ungleiche Verteilung der Beiträge auf die Themenbereiche zu nennen. Es wäre schön gewesen, wenn es für jeden Bereich zumindest zwei Aufsätze gegeben hätte, um die Ausgewogenheit der Problematik des Übergangs vom Spätlatein zum Altfranzösischen in allen morphosyntaktischen Bereichen zu verdeutlichen. Überraschend erscheint die Tatsache, dass einige Ergebnisse der jüngeren und jüngsten romanistischen Forschung (cf. bestimmte Anmerkungen in den Fußnoten dieser Rezension) nicht rezipiert wurden, dies gilt insbesondere auch für die theoretischen Überlegungen der drei fundamentalen Aufsätze von Peter Koch, in denen er nicht zuletzt auch für den Übergang vom Lateinischen zu den Vernakularsprachen varietätenlinguistische Reflexionen fruchtbar macht, die sich gut in den Kontext des vorliegenden Bandes eingefügt hätten 5 . Jochen Hafner https: / / orcid.org/ 0000-0001-6596-4001 ★ 5 P. Koch, «Romanische Sprachgeschichte und Varietätenlinguistik», in: G. Ernst/ M.-D. Glessgen/ C. Schmitt/ W. Schweickard (ed.), Romanische Sprachgeschichte. Ein internationales Handbuch zur Geschichte der romanischen Sprachen/ Histoire linguistique de la Romania. Manuel international d’histoire linguistique de la Romania, vol. 1, Berlin/ New York (2003): 102-24; P. Koch, «Le Latin - une langue pas tout à fait comme les autres? Le problème de la diglossie en Gaule septentrionale», in: M. Van Acker/ R. Van Deyck/ M. Van Uytfanghe (ed.), Latin écrit - Roman oral? De la dichotomisation à la continuité, Turnhout (2008): 43-67; P. Koch, «Sprachgeschichte zwischen Nähe und Distanz: Latein - Französisch - Deutsch», in: V. Ágel/ M. Hennig (ed.), Nähe und Distanz im Kontext variationslinguistischer Forschung, Berlin/ New York (2010): 155-206.