eJournals Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur 1/1

Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur
2748-9213
2748-9221
expert verlag Tübingen
Das Verbundforschungsvorhaben BrAssMan hat zum Ziel, das bisherige Erhaltungsmanagement von Straßenbrücken mit bestandsübergreifenden Datenanalysen (Prognosemodelle, Dauermesssysteme, Kennwerte) zu ergänzen. Hierfür sind von den assoziierten Partnern des Projektes – Straßen. NRW und LBM Rheinland-Pfalz – Brückenbauwerke zur Verfügung gestellt worden, die im ersten Schritt zu drei Bauwerksclustern zusammengefasst wurden: Cluster 1: „Koppelfugen“; Cluster 2: „orthotrope Fahrbahnplatte“; Cluster 3: „Hänger/Seile“. Für ausgewählte Brücken der jeweiligen Bauwerkscluster wurden numerische Modelle („digitaler Zwilling“) mit Finite-Elemente-Software erstellt und die relevanten Nachweise mit den Bemessungslastmodellen der Nachrechnungsrichtlinie (Ermüdungslastmodell 3 und 4) geführt. Durch Sensitivitätsanalysen lassen sich für diese Brücken Grenzwerte ableiten bzw. definieren, die zur Entwicklung von Performance-Parametern herangezogen werden können, welche wiederum mit angepassten standardisierten Messsystemen zunächst verifiziert und dann überwacht werden können.
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Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung

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Achim Geßler
Benno Hoffmeister
Thorben Geers
Dominik Honerboom
Rainer Jergas
1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 59 Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung Achim Geßler RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Dr. Benno Hoffmeister RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Thorben Geers RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Dominik Honerboom Leonhardt, Andrä und Partner, Stuttgart, Deutschland Rainer Jergas Leonhardt, Andrä und Partner, Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Das Verbundforschungsvorhaben BrAssMan hat zum Ziel, das bisherige Erhaltungsmanagement von Straßenbrücken mit bestandsübergreifenden Datenanalysen (Prognosemodelle, Dauermesssysteme, Kennwerte) zu ergänzen. Hierfür sind von den assoziierten Partnern des Projektes - Straßen.NRW und LBM Rheinland-Pfalz - Brückenbauwerke zur Verfügung gestellt worden, die im ersten Schritt zu drei Bauwerksclustern zusammengefasst wurden: Cluster 1: „Koppelfugen“; Cluster 2: „orthotrope Fahrbahnplatte“; Cluster 3: „Hänger/ Seile“. Für ausgewählte Brücken der jeweiligen Bauwerkscluster wurden numerische Modelle („digitaler Zwilling“) mit Finite- Elemente-Software erstellt und die relevanten Nachweise mit den Bemessungslastmodellen der Nachrechnungsrichtlinie (Ermüdungslastmodell 3 und 4) geführt. Durch Sensitivitätsanalysen lassen sich für diese Brücken Grenzwerte ableiten bzw. definieren, die zur Entwicklung von Performance-Parametern herangezogen werden können, welche wiederum mit angepassten standardisierten Messsystemen zunächst verifiziert und dann überwacht werden können. 1. Brückenbauwerksclusterung Die Bewertung des Bestandes der insgesamt ca. 40.000 Brücken des Bundes erfolgt nach DIN 1076 [1]: Alle 6 Jahre ist eine Hauptprüfung (H) vorgesehen, die eine handnahe Untersuchung aller Bauwerksteile vorsieht. Die bei der Bauwerksprüfung erfassten Schäden und Mängel werden in Prüfberichten mit Hilfe des Programmsystems SIB-Bauwerke nach den Kriterien Standsicherheit (S), Verkehrssicherheit (V) und Dauerhaftigkeit (D) je Bauteilgruppe dokumentiert und bewertet. Mit den erfassten Daten werden Bestandsaussagen und Statistiken erstellt, die Grundlage des Erhaltungsmanagements sind [3]. Das mFund Forschungsprojekt Brücken Asset Management (BrAssMan) beschreitet den Weg hin zum intelligenten Asset Management mit datenbasierten Zustandsaussagen, die nicht nur für eine Brücke, sondern unter Verwendung von Einheitsmodellen, Standardmesssystemen und vergleichenden Kennwerten (KPI) für mehrere vergleichbare Brücken getroffen werden können. Zur Veranschaulichung des Ansatzes und zur Sicherstellung einer homogenen Datenbasis (auch für künftige weitergehende Entwicklungen) wurden vor dem Hintergrund des Brückenbestandes aus einer größeren Anzahl ausgewählter Brücken struktur-, verhaltens- und altersähnliche Bauwerke zusammengefasst. Das Ziel ist dabei die Auswahl bestgeeigneter Brücken für weitere Untersuchungen sowie die Definition bauweisenspezifischer Kriterien (Massiv-, Stahl- und Verbundbrücken) für eine Clusterbildung. Hierbei soll darauf geachtet werden, dass einheitliche Modellierbarkeit und einheitliche Messkonzeption möglich sind. Durch die am Projekt als assoziierte Partner beteiligte Straßenbauverwaltungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz (Straßen.NRW und LBM) wurden ca. 100 Brückenbauwerke vorausgewählt, welche dann genauer analysiert wurden. Nach einer Vor-Clusterung Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung 60 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 durch die Projektpartner der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) wurden drei dieser Cluster genauer spezifiziert und jeweils einzelne repräsentative Bauwerke für die weiteren Untersuchungen ausgewählt. Im ersten Schritt wurde das Bauwerkscluster Hohlkastenbrücken (allgemein), mit den Kriterien der Bauart Hohlkastenbrücken, des Baustoffes Spannbeton und des statischen Systems mehrfeldrig mit Durchlaufwirkung, gebildet. Mit Bezug auf typische Defizite, insbesondere im Hinblick auf die Ermüdung an Koppelfugen, wurden weitere Kriterien ergänzt und ein Bauwerkscluster 1 Hohlkastenbrücken definiert: Unter den 41 zur Verfügung gestellten Brückenbauwerken der Bauart Hohlkastenbrücke erfüllten 39 Teilbauwerke das Kriterium, einer vorhandenen Koppelfuge. In der Vor-Clusterung der BASt sind zwei weitere Cluster (Bogenbrücken und Schrägseilbrücken) vorgestellt worden, welche Stahl- und Verbundfahrbahnen enthalten. Im nächsten Schritt wurden die Brücken aus diesen Vor-Clustern genauer hinsichtlich ihrer Bauteile analysiert. Alle Stahlbrücken haben eine orthotrope Fahrbahnplatte. Eine orthotrope Fahrbahnplatte weist bestimmte potenzielle Schadenscharakteristika auf. Diese lassen sich in vier Kategorien einteilen [4]. Aufgrund dieser bereits etablierten Schadenskategorien ist eine Vergleichbarkeit von verschiedenen Ausführungen von orthotropen Platten auf Grund aufgetretener Schäden möglich. Dementsprechend ist es sinnvoll, diese Brücken in einem Cluster (Bauwerkscluster 2 - orthotrope Fahrbahnplatte) zusammen zu fassen: 28 Teilbauwerke können Cluster 2 zugeordnet werden. In allen in der oben angeführten Vor-Clusterung vorgestellten Bauwerken übernehmen Hänger bzw. Seile Zugkräfte. Zudem ähneln sie sich vom Querschnitt und dem Aufbau her: In der Regel werden im Straßenbau Rundstähle verwendet [5]. Es ist somit naheliegend, hierauf basierend ein weiteres Cluster (Bauwerkscluster 3 - Hänger und Seile) festzulegen. Aus der Vorauswahl der Straßenbauverwaltung kommen hierfür 16 Teilbauwerke infrage. 2. Untersuchungen am Brückencluster 1: „Koppelfugen“ Um die strukturellen Eigenschaften, d.h. tragfähigkeitsrelevanten Eigenschaften von Brücken besser zu erfassen und zu bewerten, wurde Ende 2018 für Bundesautobahnen und zum Jahreswechsel 2019/ 2020 für Bundesstraßen der Traglastindex als weiterer Kennwert zur Beurteilung der Bestandsbrücken eingeführt. Das primäre Einstufungskriterium in die fünf Indexstufen I bis V ist der Vergleich zwischen der Soll-Tragfähigkeit, welche dem Ziellastniveau der Bestandsbrücke entspricht und in der Nachrechnungsrichtlinie in Abhängigkeit der Verkehrsstärke, Verkehrzusammensetzung und des Straßenquerschnittes geregelt ist, und der Ist- Tragfähigkeit, welche sich aus der Einstufung des Tragwerks in die normativ geregelte Brückenklasse (BK) ergibt und im Rahmen von Nachrechnungen erhöht bzw. zugeordnet werden kann. Als weiteres wesentliches Kriterium, das in diese Einstufung mit einfließt, wird die Ermüdungssicherheit der Koppelfugen bei Bauwerken bis Baujahr 1980 (Änderung der normativen Bemessungsregeln) betrachtet. Vor diesem Hintergrund wurden aus den 41 zur Verfügung gestellten Brückenbauwerken unter folgenden Kriterien: • Bauart: Hohlkastenbrücke (Ein- oder zweizellige Querschnitte) • Baustoff: Spannbeton • Statisches System: Mehrfeldrig mit Durchlaufwirkung (Koppelfugen vorhanden) • Bauverfahren Überbau: mittels Traggerüst bzw. Hilfsstützen (inkl. Vorschubrüstung) • Baujahr: vor 1980 • DTV-SV-Aufkommen: mehr als 8000 Fz • Grundrisskrümmung: gering (R > 1500) • Querschnitte: symmetrisch, ohne Aufweitung fünf Bauwerke für die weiteren Untersuchungen und eine Ausrüstung mit Messtechnik ausgewählt: 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 61 Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung Cluster Bauwerksname Bauwerksnummer Teilbauwerk Baujahr Gesamtlänge [m] 1 Talbrücke Alzey 6214541 1 (FR Nord) 1975 549,7 2 (FR Süd) 1 Talbrücke Pfeddersheim 6315537 A1 (FR Ko) 1975 208,7 A2 (FR Lu) B1 (FR Ko) 437 B2 (FR Lu) C1 (FR Ko) 344,7 C2 (FR Lu) D1 (FR Ko) 481 D2 (FR Lu) 1 Ahrtalbrücke 5408609 A1 (FR K) 1976 910,2 A2 (FR Ko) B1 (FR K) 611 B2 (FR Ko) 1 Allerheiligenbergbrücke 5611731 A 1977 501,5 1 Talbrücke Weinheim 6214569 1 (FR Mz) 1981 1249,5 2 (FR Kl) Tabelle 1: Auswahl Brückenbauwerke für Cluster 1 Basis für die Ausrüstung mit Messtechnik ist zunächst eine Bewertung der Brückenbauwerke durch Berechnungen nach der Nachrechnungsrichtlinie [2]. Von allen ausgewählten Brücken werden numerische Modelle in Finite Elemente Programmen erstellt - hierzu sind zunächst die vorhandenen Bestandsdaten der Straßenbauverwaltung auszuwerten und durch eigene Ortstermine mit ggf. zusätzlicher Aufnahme von zum Teil fehlenden Vermaßungen zu ergänzen. Für die fünf Brückenbauwerke ergeben sich daraus im Einzelnen folgende Erkenntnisse: Bei der Talbrücke Pfeddersheim (Bild 1) konnte, gemäß Handlungsanweisung zur Beurteilung der Dauerhaftigkeit vorgespannter Bewehrung an älteren Spannbetonüberbauten von 2005, die Dauerhaftigkeit der Koppelfugen nicht nachgewiesen werden und es wurde eine Verstärkung mit externen Spanngliedern empfohlen, welche 2015 umgesetzt wurde. Abbildung 1: Talbrücke Pfeddersheim Bauwerksuntersicht (oben); Hohlkasten-Innenansicht mit erkennbaren Querfugen (unten) Der Nachweis des Ankündigungsverhaltens aufgrund der SpRK-Gefährdung konnte 2014 gemäß Handlungsanweisung des BMVBS erbracht werden. Für die Talbrücke Alzey konnte ebenfalls die Dauerhaftigkeit der Koppelfugen nicht nachgewiesen werden und es wurde eine Verstärkung mit externen Spanngliedern empfohlen. Anhand des Einstufungsberichtes und der Übersichtblätter lässt sich schlussfolgern, dass 2006 eine alternative Berechnung die Restnutzungsdauer von mehr als 90 Jahren ergab und die Umsetzung der obigen Maßnahme damit entfallen konnte. In der Nachrechnung von 2012 ergaben sich für die Ahrtalbrücke keine Ermüdungsdefizite. Gemäß Handlungsanweisung zur Beurteilung der Dauerhaftigkeit vorgespannter Bewehrung an älteren Spannbetonüberbauten von 2004 konnte die Dauerhaftigkeit der Koppelfugen nachgewiesen werden. Für die Allerheiligenbergbrücke zeigt die Nachrechnung von 2015 in Stufe 1 Ermüdungsdefizite in den Feldbereichen und an den Koppelstellen. In Stufe 2 gemäß Nachrechnungsrichtlinie dürfen die Zwangsschnittgrößen (Temperatur und Stützensenkung) pauschal auf 40 % abgemindert werden; damit wären die Ermüdungsnachweise erfüllt. Streng genommen gilt die Abminderung der Zwangsschnittgrößen nur für den Grenzzustand der Tragfähigkeit infolge Rissbildung. Aus der aktuellen Analyse ergeben sich ebenfalls Überschreitungen der zulässigen Spannungs-schwingbreite für den vereinfachten Ermüdungsnachweis (ELM 3). Mit dem expliziten Be- Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung 62 triebsfestigkeitsnachweis (ELM 4) lässt sich jedoch eine ausreichende Nutzungsdauer erzielen. Die Talbrücke Weinheim befindet sich derzeit in der Nachrechnung. Gemäß Übersichtsblätter liegt eine SpRK-Gefährdung vor, die noch nicht untersucht wurde. Aus den aktuellen Analysen ergeben sich Überschreitungen der zulässigen Spannungsschwingbreite für den Spannstahl an zwei Koppelfugen. Die technischen und/ oder betriebswirtschaftlichen Key Performance Indikatoren lassen sich nach [6] in drei Kernbereiche unterteilen: • Verfügbarkeit, Nutzerinteressen und Sicherheit • Einnahmen- und Ausgabenmanagement • Zustand, Betrieb und Erhaltung Im Zuge des Forschungprojektes BrAssMan geht es primär um den dritten Kernbereich ‚Zustand, Betrieb und Erhaltung‘ und die Ausarbeitung und Entwicklung von technischen Kennzahlen, die den technischen Zustand einer Brücke in Bezug auf bestimmte Risiken und Schwachstellen oder Schadensbilder beschreiben und quantifizieren. Das Schadensbild bzw. die Risiko- und Schwachstelle des Cluster 1 bezieht sich auf die Ermüdung in der Koppelfuge. Bei der Definition der KPI wird unterschieden zwischen ‚Unmittelbar feststellbaren Indikatoren (abrupte Zustands- oder Verhaltensänderung)‘ und ‚Über längeren Zeitraum feststellbaren Indikatoren (graduelle Zustands- oder Verhaltensänderung)‘. Ein Ermüdungsversagen von Spannbetonbauteilen oder Bauwerken stellt sich i.A. nicht schlagartig ein. Sofern mehrere Spannglieder aus jeweils mehreren Drähten oder Litzen bestehen, erfolgt die Ankündigung über ein Anwachsen der Rissbreite des Betons, da der Ermüdungsbruch i.d.R. drahtweise erfolgt [7]. Daher handelt es sich bei diesem Schadensbild um einen zu entwickelnden Indikator, der über einen längeren Zeitraum die graduellen Zustandsänderungen beschreibt und aufzeigt. Zur Risikoidentifizierung werden die bauwerks-, bauteil- oder komponentenbezogenen Rechenmodelle der fünf Brückenbauwerke hinsichtlich der für die Ermüdungsnachweise der Koppelfugen relevanten Eingangsgrößen einer Sensitivitätsanalyse unterzogen. Wesentliche Eingangsgrößen des Ermüdungsnachweises im Spannbeton sind: (i) das Grundmoment M 0 (setzt sich zusammen aus den Einwirkungen infolge Eigengewicht, statisch unbestimmten Anteil der Vorspannung, Kriechen und Schwinden sowie den wahrscheinlichen Setzungen und der Temperaturbeanspruchung, insbesondere aus dem vertikalen Temperaturgradienten), (ii) das Dekompressionsmoment M D (besteht aus dem statisch bestimmten Anteil der Vorspannung unter Berücksichtigung aller sofortigen und zeitabhängigen Verluste; beim Ermüdungsnachweis wird dieser Anteil in den Koppelfugen zusätzlich auf 75 % (außerhalb von Koppelfugen auf 90 %) reduziert) und (iii) das Schwingbzw. Wechselmoment ΔM (ergibt sich aus den ermüdungsrelevanten Lasten, welche i.A. aus dem Schwerverkehr resultieren und normativ über die Ermüdungslastmodelle beschrieben werden). Dementsprechend wird bei Sensitivitätsanalysen in diesem Cluster die Vorspannkraft variiert: Diese hat extreme Auswirkungen auf den Nachweisausgang der Ermüdung. So führt eine Veränderung der Vorspannung von 70 % auf 85 % bei einer Berechnung der Schädigungen D nach Palmgren-Miner exemplarisch für die Talbrücke Alzey zu einer Reduktion von D = 4,3 auf D < 0,01. Hieraus lässt sich die Relevanz der genaueren Kenntnis der Vorspannkraftverluste aber auch die Kalibrierung des Dekompressionsmomentes MD im Zuge eines Messsystems ableiten. Das ausgearbeitete Messkonzept des Clusters 1 hat daher zum Ziel, über die direkte Korrelation zwischen der Rissdoppelamplitude zum Stoffgesetz des Spannstahls (ebenfalls im gerissenen Zustand II) bei einer Dauermessung mit verschieden gemessenen Temperaturgradienten, auch einen Anstieg bzw. Steigungswechsel der Rissdoppelamplitude zu erkennen, der den Übergang von Zustand I in den Zustand II kennzeichnet und somit das tatsächliche Dekompressionsmoment aufzeigt. Hierüber ließen sich die Abweichung des tatsächlichen Dekompressionsmomentes vom rechnerischen Dekompressionsmoment und damit ebenfalls die verschiedenen Grundmomente in Abhängigkeit des Temperaturgradienten kalibrieren. 3. Untersuchungen am Brückencluster 2: „orthotrope Fahrbahnplatte“ und Brückencluster 3: „Hänger/ Seile“ Aufgrund der Tatsache, dass alle Brücken aus Cluster 3 ebenfalls in Cluster 2 vertreten sind, ist es sinnvoll, dies bei der Auswahl der mit Messtechnik auszurüstenden Teilbauwerke zu berücksichtigen. Dadurch lassen sich an einem Bauwerk - und demzufolge auch an einem Modell - verschiedene Aspekte untersuchen. Von den nachfolgend vorgestellten Brücken wurden vier für beide Cluster gewählt und jeweils eine, die nur einem Cluster zugeordnet wird. Aufgrund der Relevanz für das Verkehrsnetz sind die Rheinbrücken besonders im Fokus der Untersuchungen - hier werden die Rheinbrücken Neuwied, Rees und Emmerich untersucht. Um die Vergleichbarkeit und Übertragbarkeit der abschließend identifizierten KPI sicherzustellen, ist es sinnvoll, bei den ausgewählten Brücken des zweiten Clusters auch eine Verbundbrücke mit einem Trägerrost und eine Brücke mit einem alternativen Längssystem zu betrachten. Als Verbundbrücke ist die Datteln-Hamm-Kanal-Brücke besonders interessant, da diese Hauptträger, zusätzliche Längsträger und Querträger besitzt und somit als Hybridkonstruktion aus Trägerrost und orthotroper Platte betrachtet werden kann. Als weitere Brücke mit alternativem Längssystem (zweifeldrige Stegbrücke) wird das Teilbauwerk 2 der Dortmund-Unna-Brücke untersucht. Dieses Bauwerk weist viele gleichartige Schäden auf, so dass bei diesem Bau- 1.. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 63 Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung werk von systematischen Beanspruchbarkeitsdefiziten ausgegangen werden kann. Aufgrund der oben beschriebenen Relevanz werden die drei Rheinbrücken ebenfalls im Hinblick auf Cluster 3 untersucht. Mit den gewählten Rheinbrücken wird auch das Kriterium der unterschiedlichen Bauarten der Seilbrücken (Schrägseilbrücken mit sog. harfenförmiger oder fächerförmiger Anordnung, sowie eine Hängebrücke) im Cluster berücksichtigt. Die beiden ausgewählten Kanalbrücken ergänzen dementsprechend als Bogenbrücken diese Auswahl um den Bauteilparameter „Hänger“. Bei der Dortmund-Ems- Kanal-Brücke kommt dabei hinzu, dass dort bereits in der Vergangenheit Rissschäden an den Hängern dokumentiert worden sind. Es ergeben sich somit folgende Kandidaten für die Untersuchungen in Cluster 2 und 3, welche mit Messtechnik ausgestattet werden: Cluster Bauwerksname Bauwerksnummer Teilbauwerk Brückenbauart Schrägseilbrücke Hängebrücke Bogenbrücke mit abgehängter Fahrbahn Hohlkasten (Stahl) Stegbrücke (Stahl) 2/ 3 Rheinbrücke Neuwied 5510594 C x x 2/ 3 Rheinbrücke Emmerich 4103535 B x 2/ 3 Rheinbrücke Rees 4204507 B x x 2/ 3 Datteln- Hamm- Kanal A2 4313648 1 x 2 x 2 Dortmund- Unna A44 4411595 1 x 2 x 3 x 4 x 3 Dortmund- Ems- Kanal A30 3610645 A1 x A2 x Tabelle 2: Auswahl Brückenbauwerke für Cluster 2/ 3 Die Ermüdungsgefährdung eines Brückenbauwerks lässt sich anhand der in der Nachrechnungsrichtlinie für Stahl- und Verbundbrücken angegebenen Tabellen abschätzen. Sowohl für Stahlbrücken als auch für Verbundbrücken wurde hierzu jeweils eine einfache Bewertungsmatrix entwickelt, welche die gültigen Nachweise im Erbauungsjahr hinsichtlich wahrscheinlichem Instandsetzungs- und Ertüchtigungsbedarf der betrachteten Brücke bewertet [8]. Durch Aufsummierung der einzelnen Bewertungszahlen wird eine Gesamtkennzahl ermittelt: Je größer diese Kennzahl ist, desto wahrscheinlicher ist der Instandsetzungs- und Ertüchtigungsbedarf. Bei Stahlbrücken kann eine maximale Kennzahl von 28 erreicht werden, bei Verbundbrücken hingegen eine von 50. Die folgende Tabelle 3 zeigt, dass die Rheinbrücke Emmerich die größten Defizite aufweist (sehr nah an der maximalen Kennzahl). Die Rheinbrücke Rees weist ebenfalls große Defizite auf (Kennzahl 21 von max. 28). Die Dortmund- Unna-Brücke hat ein mittleres Gefährdungspotenzial. Die Gefährdung der anderen drei Brücken hinsichtlich Ermüdung (insbesondere der Dortmund-Ems-Kanal- Brücke) wird danach als gering eingestuft. Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung 64 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Tabelle 3: Kennzahlermittlung der Ermüdungsgefährdung für Brückenbauwerke Cluster 2/ 3 Für die Untersuchung dieser ausgewählten repräsentativen Stahl- und Verbund-Brückenbauwerke der beiden Cluster 2 und 3 wurde entschieden, dass die jeweilige Modellierung und Grenzwertbetrachtung zunächst an vergleichsweise konstruktiv einfacheren Bauwerken (Einfeldsystem, einfache Bogen- oder Balkenbrücken) vorgenommen wird, und darauf aufbauend die Übertragbarkeit der Grenzwertbetrachtungen bei komplexeren Brückenbauwerken, wie den Rheinquerungen mit Schrägseilbrücken großer Spannweite, überprüft wird. Auch für die Brücken im Cluster 2 und 3 werden die numerischen Modelle in Finite Elemente Programmen erstellt, basierend auf Bestandsdaten und Ortsaufnahme. Bei der Modellierung ist die Anforderung zu beachten, dass die im Fokus der jeweiligen Cluster 2 und 3 stehenden Bauwerkdetails einerseits eine hohe Verdichtung der FEM-Netze erforderlich machen, während andererseits die gesamten Bauwerkreaktionen nur mit Modellen mit gröberer Elementierung berechnet werden können. Bild 2 zeigt exemplarisch den Kreuzungsbereich des Trägerrostsystems der Datteln-Hamm-Kanal-Brücke mit starker Netzverdichtung im Bereich der kritischen Schweißnathverbindung. Abbildung 2: Modellausschnitt FEM Trägerrostkreuzungsbereich Gleichzeitig ist zu beachten, welche Grenzwerte bei den kritischen Details mit hierzu hypothetisch angenommenen Schäden, deren Schadenstypen den vorliegenden Prüfberichten zuvor entnommen werden konnten, berechnet werden können. Darüber hinaus muss deren Sensitivität auf einzelne variierende Parameter hin untersucht werden. Für den oben im Bild 2 dargestellten Kreuzungsbereich lassen sich so z.B. die im nachfolgenden Bild 3 gezeigten, zu untersuchenden Riss-Parameter bestimmen. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 65 Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung Abbildung 3: Modellausschnitt FEM Riss-Sensitivitätsanalyse In Abhängigkeit der ausgewählten kritischen Details werden anschließend Art und Umfang für die geplante Messwerterfassung und Datenaufzeichnung (Abtastrate, Auflösung) festgelegt. Für das Cluster 3 ist erkennbar, dass man die Bauwerksreaktionen der Hänger- und Seilkonstruktionen mit entsprechenden Messsystemen zur Analyse des Schwingungsverhalten erfassen kann. Hierzu sind Kombinationen von 2D- und 3D-Beschleunigungssensoren anzuordnen. Ergänzend werden mit Hilfe von DMS-Applikationen die jeweiligen Zugkräfte gemessen. Um die Einflüsse aus Witterung zu berücksichtigen, werden zudem Temperaturen am Bauteil und der Luft, sowie die Windgeschwindigkeiten und Niederschlagsmengen gemessen. Aus den Anforderungen und Sensitivitätsstudien zu den Grenzwertbetrachtungen für das Cluster 2 resultiert ein klarer Fokus auf die möglichen Risse an Kerbdetails der Schweißnähte der Querträgeranschlüsse der orthotropen Fahrbahnplatte (sog. Kategorie 2 und 3-Schäden). Andererseits besteht die Schwierigkeit in der messtechnischen Erfassung der lokalen Reaktionen: die Risse führen nur in unmittelbarer Nähe zu Spannungsspitzen, welche sich umlagern. Daher eignen sich lokale Messungen mit DMS zwar zur Erfassung der ermüdungskritischen Kenngrößen und damit zur Verifizierung von Modellannahmen, jedoch eine unmittelbare Überwachung von (beginnenden) Schadensszenarien ist damit kaum möglich. Hierzu wird daher mit den Projektpartnern ein Ansatz mit Hilfe von kontinuierlicher Schallemissionsmessung erarbeitet, um eine mögliche Rissentstehung sowie Risswachstum in dem Bereich der orthotropen Fahrbahnplatte zu erfassen. Auch hier werden die Einflüsse aus Witterung durch Temperaturmessungen am Bauteil und der Luft beachtet. Für die Konfiguration des Messsystems sind dabei Untersuchungen von bauwerksspezifischen Randbedingungen (z.B. Noise Level, Dämpfungseigenschaften) erforderlich. Basierend auf diesen Monitoringkonzepten werden für die einzelnen Brückenbauwerke jeweils abgestimmte Messsysteme ausgearbeitet. Hierbei sind enge Absprachen mit den Brückenbetreibern nicht nur hinsichtlich der möglichen Messpositionen, sondern auch zu Energieversorgung, Kabelwegen oder Vandalismusschutz nötig. Die Umsetzung der Monitoringkonzepte erfolgt zunächst jeweils an den beiden „kleineren“ Bauwerken, getrennt für die beiden Cluster: Zum einen für die Brücke über den Dortmund-Ems-Kanal bei Rheine (Bild 4) zur Umsetzung des Messkonzepts für Cluster 3 (Bild 6, links) und zum anderen für die Brücke am Autobahnkreuz Dortmund-Unna (Teilbauwerk 2, Bild 5) für das Cluster 2 (Bild 6, rechts). Bei beiden Bauwerken sind bereits in der Vergangenheit Schäden an den jeweils für das Cluster ausgewählten maßgeblichen Bauwerkdetails aufgetreten. An der Brücke Dortmund-Unna werden zudem beide konzeptionellen Ansätze für das Cluster 2 verfolgt, nämlich ein Erfassen der Performance-Indikatoren bei unmittelbarer Rissinitiierung (und -wachstum) durch Schallemissionsmessungen am Brückenüberbau der orthotropen Fahrbahnplatte (Deckblech, Längssteifen, Querträger), im Bereich zwischen den (geschraubten) Querträger-Hauptträger-Anschlüssen, als auch ein Erfassen der Performance-Indikatoren zur Verifizierung der Ermüdungslastmodellberechnungen mit DMS-Messungen. Für die großen Rheinbrücken ist es erforderlich, die jeweiligen Monitoringansätze auf maßgebliche Abschnitte der Brücken zu beschränken. Abbildung 4: Bogenbrücke Dortmund-Ems-Kanal bei Rheine Abbildung 5: Stegbrücke Autobahnkreuz Dortmund-Unna Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung 66 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 6: Clusterdetails: Hänger (links); orthotrope Fahrbahn (rechts) 4. Zusammenfassung und Ausblick Im Rahmen des Projekts wurden drei Bauwerkscluster spezifiziert und für die jeweiligen Cluster repräsentative Brücken ausgewählt. Um abschätzen zu können, wie sich Messgrößen bei vorhandenen Schäden verändern und in welchem Bereich diese messtechnisch erfasst werden können, wurden numerische Untersuchungen mit FEM- Modellen an den ausgewählten Brücken durchgeführt, wobei für die ermüdungsrelevanten Details verschiedene Rissparameter und Rissorte analysiert wurden. Darauf basierend konnten für alle ausgewählten Brücken der drei Bauwerkscluster jeweils Messkonzepte entwickelt werden, die auch den Aspekt der gegenseitigen Übertragbarkeit berücksichtigen. Derzeit befinden sich die Messkonzepte in der Ausschreibung durch die beteiligte Straßenbauverwaltung. Nach der Installation der Messtechnik wird es möglich sein, die zugrunde gelegten Performance-Parameter in der Datenanalyse zu bewerten und dauerhaft zu überwachen. Mit den Ergebnissen der Pilotanwendung wird die Voraussetzung geschaffen, eine solche Bewertung auch auf andere Brücken für ein intelligentes Brücken Asset Management zu übertragen. Literatur [1] DIN 1076 „Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen, Überwachung und Prüfung“ [2] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie), 2011 [3] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen RI-EBW- PRÜF, 2017 [4] Sedlacek, G.; Paschen, M.; Feldmann, M.: Instandsetzung und Verstärkung von Stahlbrücken unter Berücksichtigung des Belagssystems. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen B, Brücken- und Inge-nieurbau Heft 76, 2011 [5] Geissler, K.: Handbuch Brückenbau - Entwurf, Konstruktion, Berechnung, Bewertung und Ertüchtigung. Ernst & Sohn, Berlin, 2014 [6] Speer, A.: Entwicklung von Key Performance Indikatoren als ein Element auf dem Weg vom Erhaltungsmanagement zum Asset Management für Bundesautobahnen, Dissertation, 2018 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 67 Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung [7] Heinrich, J.; Maurer, R.: Rissmonitoring zur Untersuchung der Ermüdungsfestigkeit an bestehenden Brückenbauwerken, 10. Symposium Experimentelle Untersuchungen von Baukonstruktionen, 2019 [8] Neumann, W.; Brauer, A.: Nachrechnung von Stahl- und Verbundbrücken - Systematische Datenauswertung nachgerechneter Bauwerke. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen B, Brücken- und Ingenieurbau Heft 144, 2018 Danksagung Die beteiligten Forschungsstellen bedanken sich für die gute Zusammenarbeit mit den assoziierten Partnern der Straßenbauverwaltung Straßen.NRW und LBM Rheinland-Pfalz und die finanzielle Förderung durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Rahmen der Modernitätsfonds/ mFUND Fördermaßnahme.