eJournals Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur 1/1

Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur
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expert verlag Tübingen
Beim Brückenmonitoring ist die Extraktion von geeigneten Kenngrößen (Merkmalen) aus den Messsignalen ein wesentlicher Schritt in der Datenanalyse. Für die Talbrücke Sachsengraben wurde im Projekt OSIMAB ein Monitoringsystem entwickelt, dass die Signale kontinuierlich und automatisiert auswertet. Die extrahierten Signalmerkmale werden für die Kalibrierung eines Finite Elemente Modells, für eine Bewertung der Bauwerkssicherheit und zur Strukturüberwachung mit Methoden der Anomalieerkennung verwendet. Der vorliegende Artikel beschreibt die betrachteten Merkmale und erläutert das Vorgehen bei der Signalanalyse. Die übergeordnete Zielstellung für die extrahierten Merkmale und mögliche Fehlerquellen werden diskutiert. In einem Anwendungsbeispiel wird die Überwachung der Brückenlager durch einen Ansatz zur Anomalieerkennung demonstriert.
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OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring

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1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 113 OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring Andreas Jansen Technische Universität Berlin, Berlin, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler Technische Universität Berlin, Berlin, Deutschland Zusammenfassung Beim Brückenmonitoring ist die Extraktion von geeigneten Kenngrößen (Merkmalen) aus den Messsignalen ein wesentlicher Schritt in der Datenanalyse. Für die Talbrücke Sachsengraben wurde im Projekt OSIMAB ein Monitoringsystem entwickelt, dass die Signale kontinuierlich und automatisiert auswertet. Die extrahierten Signalmerkmale werden für die Kalibrierung eines Finite Elemente Modells, für eine Bewertung der Bauwerkssicherheit und zur Strukturüberwachung mit Methoden der Anomalieerkennung verwendet. Der vorliegende Artikel beschreibt die betrachteten Merkmale und erläutert das Vorgehen bei der Signalanalyse. Die übergeordnete Zielstellung für die extrahierten Merkmale und mögliche Fehlerquellen werden diskutiert. In einem Anwendungsbeispiel wird die Überwachung der Brückenlager durch einen Ansatz zur Anomalieerkennung demonstriert. 1. Einführung Beim kontinuierlichen Brückenmonitoring stellt die Verarbeitung und Handhabung der großen Messdatenmengen immer noch eine Herausforderung dar. Die Rohdaten der Messsignale haben häufig nur geringe Aussagekraft, sodass die Ableitung von geeigneten Kenngrößen sog. Merkmalen ein wesentlicher Schritt in der Datenanalyse ist. Die extrahierten Merkmale dienen daraufhin als Eingangsgrößen für weiterführende Auswertungen. Grundsätzlich lassen sich beim Brückenmonitoring zwei Bereiche unterscheiden [1]: • Die Ergänzung zur statischen Nachrechnung und • die Strukturüberwachung, engl. Structural Health Monitoring (SHM). Im Projekt OSIMAB werden beide übergeordneten Zielstellungen untersucht. Konkret dienen die extrahierten Signalmerkmale für die folgenden Ansätze: Eine Kalibrierung von Finiten Elemente (FE)-Modellen, eine sicherheitsäquivalente Bewertung sowie eine Anomalieerkennung (Bild 1). Bei einer Ergänzung der statischen Nachrechnung werden die Messdaten dazu genutzt, zusätzliche Informationen über die Einwirkungen und das Tragsystem zu generieren. Ein wichtiger Baustein ist dabei die Kalibrierung von FE-Modellen anhand der Messdaten. Der Prozess einer automatisierten Kalibrierung wird als FE-Update bezeichnet. In einem FE-Modell werden dazu freie Parameter definiert, z. B. für Materialeigenschaften wie den E-Modul von Beton. Mithilfe eines Optimierungsalgorithmus werden diejenigen Werte der freien Parameter bestimmt, durch die eine möglichst hohe Übereinstimmung des FE-Modells mit den Messdaten bzw. den betrachteten Merkmalen erreicht wird. In den meisten Veröffentlichungen werden die Eigenfrequenzen und Schwingungsformen als Merkmale genutzt. Es ist aber beispielsweise auch möglich, (zusätzlich) Merkmale für Dehnungssignale während Belastungsfahrten für FE-Update zu verwenden, z. B. [2]. Neben einem optimierten FE-Modell für eine statische Bewertung bietet FE-Update auch Ansätze, um Schäden zu lokalisieren und ein Schadensausmaß aus den Messdaten abzuleiten [3]. OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 114 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 1: Schematische Übersicht zur Auswertung der Monitoringdaten im Projekt OSIMAB Aus den Messdaten lassen sich statistische Modelle, z. B. Beanspruchungskollektive sowie Extremwertverteilungen, für die Einwirkungen auf das Tragwerk ableiten. In einer sicherheitsäquivalenten Bewertung können diese auf den Messdaten basierenden Modelle für direkte (probabilistische) Ermüdungs- und Tragfähigkeitsnachweise verwendet werden [4]. Für die vereinfachende Anwendung können alternativ objektspezifische Lastmodelle, Teilsicherheitsbeiwerte und Kombinationsbeiwerte begründet und damit die Messdaten in das normative Nachweisformat der Nachrechnung integriert werden. Objektspezifische Verkehrslastmodelle für Straßenbrücken lassen sich zusätzlich aus den Daten von Bridge Weighin-Motion (BWiM) Systemen ableiten [5]. Durch solche Systeme werden Merkmale wie Fahrzeuganzahl, -masse und -typ aus den Messsignalen extrahiert. Bei der Strukturüberwachung ist die Messung keine Ergänzung der Nachrechnung, sondern ein eigenständiges Bewertungsinstrument, durch das ein Bauwerksschaden zum frühestmöglichen Zeitpunkt erkannt werden soll. Hier besteht das Potential, dass sich die messtechnische Strukturüberwachung langfristig als unterstützende Maßnahme für die visuelle Bauwerksprüfung etabliert, insbesondere für Brücken am Ende ihrer Nutzungsdauer, bei denen eine kritische Schadensentwicklung zwischen den Prüfintervallen nicht ausgeschlossen werden kann. Als Konzept für die Strukturüberwachung kann die Anomalieerkennung mit Modellen des maschinellen Lernens genutzt werden [6]. Bei der Anomalieerkennung wird die Struktur der Messdaten im ungeschädigten Ausgangszustand der Brücke durch das Modell gelernt. Die Daten des Ausgangszustands werden auch als Trainings- oder Lerndaten bezeichnet und sollten beim Brückenmonitoring möglichst alle Einwirkungszustände abdecken. Wegen des zumeist großen Einflusses der Temperatur bedeutet dies, dass die Lernphase mindestens einen Sommer und einen Winter beinhalten sollte. In der Anwendungsphase können Bauwerksschäden daraufhin als Abweichungen neuer Messdaten zu den Vorhersagen des gelernten Modells erkannt werden. Im Gegensatz zu FE-Modellen enthalten Modelle zur Anomalieerkennung keine physikalische Information über das Brückentragwerk. Wird eine Anomalie festgestellt, so muss eine weitere Bewertung des Zustandes der Brücke durch eine Bauingenieur*in erfolgen. Dabei ist auch der Einsatz von FE-Update möglich. Es ist zu beachten, dass neben Bauwerksschäden auch Sensorfehler oder Fehler bei der Datenauswertung als Anomalien gewertet werden. In der Literatur zur Strukturüberwachung kommen v. a. die Eigenfrequenzen einer Brücke als Merkmale zur Anwendung, die durch Beschleunigungsmessungen bestimmt werden, siehe [7]. In der jüngeren Forschung werden aber verstärkt auch Signalmerkmale von Sensoren wie Dehnmesstreifen [8] oder Neigungsaufnehmern [9] untersucht. Neben einer Anomalieerkennung mit extrahierten Merkmalen wird im Projekt OSIMAB auch an der Verwendung von Deep Learning Modellen geforscht. Durch diese Ansätze kann eine Anomalieerkennung direkt anhand der Rohsignale erfolgen, da die Modelle selbständig relevante Signalmerkmale lernen. Eine detaillierte Beschreibung dieser Ansätze erfolgt in einem weiteren Beitrag dieses Tagungsbandes. Der vorliegende Artikel erläutert die Bestimmung von Merkmalen für die kontinuierliche Bauwerksmessung an der Talbrücke Sachsengraben. Die angewendeten Algorithmen zur Extraktion der Merkmale werden diskutiert und die Ansätze der weiteren Analyse mit FE-Update, der sicherheitsäquivalenten Bewertung oder der Anomalieerkennung werden beschrieben. Ein Modell zur Überwachung der Auflagerverschiebung mittels Anomalieerkennung wird im Detail vorgestellt. 2. Messanlage und Datenvorverarbeitung An der Talbrücke Sachsengraben im Zuge der BAB 45 wird im Rahmen von OSIMAB eine umfangreiche Messanlage betrieben. Um ein großes Spektrum an Bauwerksreaktionen messtechnisch zu erfassen, werden an der dreifeldrigen Hohlkastenbrücke (Stützweiten: , , ) die folgenden Sensortechnologien verwendet: Dehnmessstreifen (DMS), Beschleunigungsaufnehmer (BA), Neigungsaufnehmer (NA), Wegaufnehmer (WA) und Temperatursensoren (T). Die Messanlage und die Sensorbezeichnungen sind ausführlich in einem weiteren Beitrag dieses Tagungsbandes beschrieben. Die Signale von kontinuierlichen Bauwerksmessungen an Brücken können als Überlagerung verschiedener Signalanteile aufgefasst werden. Bestimmte Merkmale sind dabei nur für gewisse Signalanteile und Zeitfenster OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 115 sinnvoll. Für die Berechnung der Merkmale können eine Reihe von Vorverarbeitungsschritten benötigt werden. Für die Talbrücke Sachsengraben kommen dazu die folgenden Ansätze zur Anwendung: Segmentierung: Die Anteile der Signale der DMS, WA und NA werden in Bereiche mit Verkehrseinwirkung x V und Bereiche mit überwiegend Temperatureinwirkung x T aufgeteilt. Das Vorgehen ist in Bild 2 für die Signale der DMS jeweils in Feldmitte am nördlichen Steg des nördlichen Überbaus (ÜB) beispielhaft für die Überfahrt eines LKW mit ca. 40 t dargestellt. Zunächst sind die Rohsignale in Bild 2a zu sehen. Der identifizierte Bereich mit Verkehrsanregung x V ist noch einmal in Bild 2b dargestellt. Abbildung 2: Darstellung der Segmentierung nach Zeitbereichen mit Verkehrseinwirkung x V und Bereichen mit überwiegend Temperatureinwirkung x T : (a) Rohsignale am nördl. ÜB (b) Anteil x V nach Tarierung Tarieren: Ein konstanter Wert wird von den Messdaten abgezogen, sodass sich die Nulllinie des betrachtetem Zeitfenster in einer gewünschten Lage befindet. Der Tarierungsschritt ist ebenfalls in Bild 2 zu sehen. In den Bereichen x T in Bild 2a liegen die Werte der Sensoren deutlich auseinander. Nach der Trennung der Signalanteile wird das Zeitfenster mit Verkehrseinwirkung x V anhand des Mittelwerts der ersten und letzten 0.5 s tariert. Die feldweise Belastung der Brücke während der Überfahrt ist in Bild 2b deutlich sichtbar. Skalieren: Die Messwerte in einem betrachteten Zeitfenster werden mit einem konstanten Faktor multipliziert, sodass die Maxima und Minima einen gewünschten Wert, z.B. ±1.0 annehmen. Glätten/ Filtern: Um Rauschen oder ungewünschte hohe Frequenzanteile im Signal zu entfernen kann ein Filter angewendet werden. Für die Glättung der Dehnungs- und Wegsignale wird hier ein Gauß-Filter verwendet. Nach der Vorverarbeitung der Daten kommt die eigentliche Berechnung der Merkmale mit unterschiedlichen Algorithmen. Je nach Merkmal werden verschiedene Zeitintervalle betrachtet, die sich von der Dauer einer Überfahrt bis zu wochenweisen Extremwerten erstrecken. Tabelle 1 bietet eine Übersicht über die Merkmale, die aus den Signalen der jeweiligen Sensoren extrahiert werden. Im Abschnitt 3 werden die verwendeten Algorithmen genauer beschrieben. Aus den Temperatursignalen werden 15 min-Mittelwerte gebildet. Diese dienen v. a. als Eingangsgrößen für Regressionsmodelle zur Anomalieerkennung, siehe Abschnitt 4. Die Verarbeitung der Temperatursignale ist nicht noch mal in Abschnitt 3 aufgeführt. Aus Gründen der Vollständigkeit wird die direkte Erfassung von Beanspruchungskollektiven an den Messquerschnitten für Ermüdungsnachweise mit in Tabelle 1 aufgeführt. Die Bestimmung der Beanspruchungskollektive mit den Signalen der DMS oder Riss-WA kann mithilfe des Rainflow-Algorithmus z. B. tageweise durchgeführt werden. Ein solches Vorgehen eignet sich insbesondere bei Spannbetonbrücken mit Koppelfugenproblematik, siehe [10]. An der Talbrücke Sachsengraben liegen keine Koppelfugen vor. Auf eine kontinuierliche Auswertung der Messdaten mit der Rainflow-Zählung wird verzichtet. Stattdessen können Beanspruchungskollektive aus den Daten des B-WiM-Systems abgeleitet werden. Die Berechnung der Merkmale erfolgt kontinuierlich und automatisiert. Softwareseitig werden die Berechnungen in einem Postgresql-Datenbanksystem vorgenommen. Es wird die Erweiterung TimescaleDB verwendet, die speziell für Zeitreihen ausgelegt ist. Die Automatisierung der Auswertungen wird über Apache Airflow realisiert. Die verwendeten Algorithmen sind überwiegend in der Programmiersprache Python geschrieben. OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 116 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Sensoren Signalanteil Merkmale Intervall Zielstellung BA x V + x T Eigenfrequenzen, Schwingungsformen 15 min FE-Update, Anomalieerkennung BA auf ext. Spgl. x V + x T Eigenfrequenzen/ Vorspannkraft 15 min FE-Update, Anomalieerkennung DMS + Riss-WA x V Extremwerte, Integrale Je Überfahrt Anomalieerkennung WiM-DMS x V Fahrzeugmasse, -geschwindigkeit Achsanzahl, -abstand, Fahrspur Je Überfahrt Sicherheitsäq. Bewertung DMS + Riss-WA x V + x T Beanspruchungskollektive im Messquerschnitt Je Tag Sicherheitsäq. Bewertung DMS x V Extremwerte 1 Woche Sicherheitsäq. Bewertung WA + NA x T Mittelwert 15 min Anomalieerkennung T - Mittelwert 15 min Anomalieerkennung Tabelle 1: Übersicht zu den extrahierten Signalmerkmalen beim Monitoring an der Talbrücke Sachsengraben 3. Signalmerkmale 3.1 Globale Schwingungseigenschaften Aus den Daten der BA in den Hohlkästen der jeweiligen Überbauten werden die Eigenfrequenzen und Schwingungsformen mittels experimenteller Modalanalyse ermittelt. Auf eine Bestimmung der modalen Dämpfung wird verzichtet. Datenvorverarbeitung: Die Auswertung erfolgt je 15 min-Zeitfenster ohne Trennung von Signalanteilen. Die Signale werden im Zeitfenster tariert. Algorithmus: Die Frequency Domain Decomposition (FDD) wird als Algorithmus für die experimentelle Modalanalyse verwendet [11]. Die Leistungsdichte-Matrix wird dafür mit der Welch-Methode für die Signale der Beschleunigungsaufnehmer bestimmt. Als Fenstergröße für die Welch-Methode werden 2 13 Werte verwendet. Bei einer Abtastrate von 100 Hz ergibt sich eine Frequenzauflösung von 0.012 Hz. Eigenfrequenzen werden durch eine automatische Erkennung von lokalen Maxima in den Frequenzspektren des skalierten ersten und zweiten Singulärwerts s 1 , s 2 (Bild 3) bestimmt. Abbildung 3: Frequenzspektrum des ersten und zweiten Singulärwerts s 1 , s 2 bei der Modalanalyse mit der FDD für Signale der BA am nördl. ÜB Abhängigkeiten und Fehlerquellen: Für den nördlichen Überbau können sechs Biege- (B) und sieben Torsionsschwingungen (T) ermittelt werden. Aufgrund der geringeren Anzahl an Sensoren können am südlichen Überbau nur drei Biege- und zwei Torsionsschwingungen bestimmt werden. Die Eigenfrequenzen zeigen einen annähernd linearen Zusammenhang zur Bauwerkstemperatur (Bild 4). Es ist bekannt, dass die temperaturabhängigen Steifgkeitseigenschaften des Fahrbahnbelags wesentlich zur Varianz der Eigenfrequenzen einer Brücke beitragen. Weiterhin sind Einflüsse durch andere Einwirkungen, z. B. durch die Verkehrseinwirkung möglich [12]. In Bild 3 zeigt sich, dass die Brücke mehrere eng beieinander liegende Eigenfrequenzen besitzt (closely spaced modes). Die Ermittlung der zugehörigen Schwingungsformen kann in diesen Bereichen leicht verfälscht sein [11]. OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 117 Weitere Auswertung: Die Eigenfrequenzen werden zur Kalibrierung des FE-Modells der Talbrücke Sachsengraben verwendet. Außerdem erfolgt eine Strukturüberwachung anhand der Eigenfrequenzen. Die Abhängigkeiten der Eigenfrequenzen von der Bauwerkstemperatur werden durch die Gauß-Prozess-Regression abgebildet, s. a. [13]. Eine Anomalieerkennung erfolgt ähnlich dem Vorgehen in Abschnitt 4. Ein Bauwerksschaden, der eine Veränderung der Eigenfrequenzen hervorruft, kann durch diesen Ansatz erkannt werden. Es ist jedoch aus verschiedenen Veröffentlichungen bekannt, dass sich die globalen Eigenfrequenzen einer Brücke nur bei gravierenden Bauwerksschäden wesentlich verändern, siehe [7]. Abbildung 4: Eigenfrequenzen T4 und B4 des nördl. ÜB in Abhängigkeit von der Temperatur der Fahr-bahnplatte (N_F1_T_1). Daten des Jahres 2020 3.2 Eigenfrequenzen der ext. Spannglieder Je Überbau sind im Jahr 2000 sechs externe Spannglieder vom Typ VBF CMM 04-150D als Ertüchtigungsmaßnahme verbaut worden. Zwei Spannglieder je Überbau werden dabei über die gesamte Bauwerkslänge geführt, die restlichen Spannglieder sind zwischen den Auflagerquerträgern des Mittelfelds angeordnet. Die langen Spannglieder bestehen aus vier CMM-Bändern, die kurzen aus drei. Datenvorverarbeitung: Die Auswertung erfolgt je 15 min-Zeitfenster ohne Trennung von Signalanteilen. Die Signale werden im Zeitfenster tariert. Algorithmus: Die Eigenfrequenzen werden durch eine automatische Erkennung von Maxima im Leistungsdichtespektrum der Beschleunigungssignale bestimmt. Die diskrete Fourier-Transformation wird zur Berechnung der Leistungsdichte mit 2 16 Werte verwendet werden. Es ergibt sich eine Frequenzauflösung von 1.52 · 10 -3 Hz. Abhängigkeiten und Fehlerquellen: Zwischen den ersten Eigenfrequenzen der einzelnen Spannglieder bestehen geringe Abweichungen (Bild 5). Ein Pearson-Koeffizient von ca. 0.4 im Verhältnis zur Bauwerkstemperatur zeigt eine geringe Temperaturabhängigkeit. Dennoch ist die Varianz im Vergleich zu den globalen Eigenfrequenzen in den Daten für das Jahr 2020 gering. Das Dichte-Histogramm zeigt eine gute Übereinstimmung mit der Normalverteilung. Weitere Auswertung: Aus den Eigenfrequenzen der Spannglieder lässt sich näherungsweise die vorhandene Vorspannkraft bestimmen. Diese Information wird im FE-Modell und bei Nachweisen im Rahmen einer sicherheitsäquivalenten Bewertung angesetzt. Die messtechnisch ermittelten Eigenfrequenzen zeigen dabei gute Übereinstimmung mit den Ansätzen der Bestandsstatik. Veränderungen der Eigenfrequenzen durch Bauwerksschäden können im Rahmen einer Strukturüberwachung durch die Anomalieerkennung festgestellt werden. Grenzwerte, ab der eine Eigenfrequenz als Anomalie gilt, werden durch die die Anpassung einer Normalverteilung probabilistisch hergeleitet. Abbildung 5: Verteilungsdichte der ersten Eigenfrequenzen der externen Spannglieder am nördl. ÜB im Jahr 2020. Analyse der Signale der Sensoren N_F2_ACC_N2, N_F2_ACC_N4, N_F2_ACC_S2 und N_F2_ACC_S4 3.3 Maxima/ Minima und Integrale von Überfahrten Entsprechend der Ansätze in [1], [14] und [15] werden hier die Extremwerte und die Integrale des Signalanteils x_V der DMS und Riss-WA im Holkasten der Brücke betrachtet. Datenvorverarbeitung: Es erfolgt zunächst eine Isolation des Signalanteils x_V sowie eine Tarierung und Glättung. Durch mehrere Prüfabfragen werden Signalintervalle x_V mit mehreren Fahrzeugen auf der Brücke von den weiteren Berechnungen ausgeschlossen. OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 118 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Algorithmus: Je Überfahrt werden bis zu zwei Maximalwerte max 1/ 2 und zwei Minimalwerte min 1/ 2 bestimmt. Zusätzlich wird das numerische Integral I berechnet. Insgesamt ergibt sich je Sensor und einzelner Überfahrt der Merkmalvektor [max 1 , max 2 , min 1 , min 2 , I] (Bild 6). Für die Integrale I j und I k über die Signale s j und s k der Sensoren j und k während einer einzelnen Fahrzeugüberfahrt kann gezeigt werden, dass der Verhältniswert am einfachen Balkenmodell theoretisch konstant ist (Gleichung 1), siehe [14]. Der Verhältniswert wird als R-Wert bezeichnet, der Vektor aller möglichen Sensorpaare als R- Signatur. Entsprechend werden auch die Verhältniswerte der Maxima und Minima berechnet (Gleichung 2). Diese Verhältniswerte sollen als M-Werte bzw. M-Signatur bezeichnet werden. (1) (2) Abbildung 6: Bestimmung der Maxima / Minima und Integ-rale im Signal eines DMS (N_F2_SG_2_NO) während der Überfahrt eine LKW Abhängigkeiten und Fehlerquellen: Die R-/ M-Signatur zeigt Abhängigkeiten zur Spurlage der Fahr-zeuge in Brückenquerrichtung, sowie eine leichte Tem-peraturabhängigkeit. Der Mittelwert und die Varianz der M-Werte sind in den Daten des Jahres relativ kon-stant (Bild 7). Die R-Werte zeigen größere Streuungen. Es wird davon ausgegangen, dass die niedrigen Amplituden der Signale der DMS an den Stegen des Hohlkastens und der damit verbundene hohe Rauschanteil insbesondere die Berechnung der Integrale verfälscht. Abbildung 7: M-Wert (max 1 ) für die DMS N_F1_SG_1_ NO und N_F3_SG_2_NO im Verlauf des Jahres 2020 Weitere Auswertung: Die R-/ M-Signatur liefert In-formationen über die Steifigkeitsverteilung im Bau-werk. Ändert sich die Steifigkeitsverteilung durch einen Bauwerksschaden, zeichnet sich dies in der Sig-natur ab. In Simulationen zeigt sich, dass die R-Signatur deutlich empfindlicher auf eine Steifigkeits-veränderungen durch einen Bauwerksschaden reagiert als die globalen Eigenfrequenzen [14]. Entsprechend kann die R-/ M-Signatur für die Strukturüberwachung mittels Anomalieerkennung genutzt werden. Die Ab-hängigkeit zur Spurlage sowie zur Bauwerkstemperatur wird dabei durch die Hauptkomponentenanalyse abge-bildet, siehe [15]. 3.4 Bridge Weigh-in-Motion Je Überbau und Fahrspur werden jeweils zwei DMS zur Erfassung der Fahrzeugeigenschaften verwendet (WiM- DMS). Die DMS befinden sich dabei jeweils im Abstand von 2 m unter der rechnerischen Aufstandsfläche von Fahrzeugrädern unter den Fahrspuren. Datenvorverarbeitung: Der Signalanteil x V der WiM- DMS wird isoliert. Die Signale werden zusätzlich tariert und geglättet. Durch die kleine Einflussfläche der WiM-DMS handelt es sich beim Signalanteile x V fast ausschließlich um die Überfahrten einzelner Fahrzeuge. Durch Prüfabfragen werden Signalbereiche mit sehr dicht hintereinander- oder nebeneinanderfahrenden Fahrzeugen von den weiteren Berechnungen ausgeschlossen. Algorithmus: Aus dem Zeitversatz der Signale der zwei DMS kann die Fahrzeuggeschwindigkeit bestimmt werden. Achsanzahl und Achsabstände werden über die lokalen Maxima im tarierten und skalierten Signal bestimmt (Bild 8). Anhand der Achskonfiguration können die Fahrzeuge klassiert werden. Für die Bestimmung von Fahrzeugmassen wird eine Abwandlung der Beta- Methode aus [16] verwendet. Dazu wird das Integral I über das Signal während einer Überfahrt berechnet. Das Integral ist proportional zur Fahrzeugmasse. Durch einen Referenzwert I ref und eine Referenzmasse m ref kann die OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 119 Fahrzeugmasse m F entsprechend Gleichung 3 näherungsweise bestimmt werden. (3) Abhängigkeiten und Fehlerquellen: Durch das Verfahren können Fahrzeugmassen ab ca. 10 t näherungsweise bestimmt werden (Bild 9). Die Ergebnisse für Fahrzeuganzahl und -klassierung können durch eine fehlerhafte Signalsegementierung und Fehler bei der Erkennung von Maxima verfälscht werden. Weiterhin zählt bei der Massebestimmung der Einfluss der Spurlage der Fahrzeuge in Brückenquerrichtung sowie der Einfluss der temperaturabhängigen Steifigkeit des Fahrbahnbelags zu den möglichen Fehlerquellen. Zur Quantifizierung dieser Fehler ist ein umfassendes Testprogramm mit eingewogenen Fahrzeugen nötig, das im Rahmen von OSIMAB bisher nicht durchgeführt wurde. Abbildung 8: Signale der WiM-DMS an Fahrspur 1 des nördl. ÜB zur Bestimmung von Achsanzahl, -abständen und Fahrzeuggeschwindigkeit wäh-rend der Überfahrt eines fünfachsigen LKW (Typ 98) Abbildung 9: Dichteverteilung der Masse von fünfachsigen LKW (Typ 98) auf nördl. ÜB im Jahr 2020. Keine zuverlässige Bestimmung im straffier-ten Bereich Weitere Auswertung: Das B-WiM System liefert wichtige Information über die Verkehrseinwirkung auf einer Brücke im Messzeitraum. Anhand der Verkehrsstärke und -Zusammensetzung können objektspezifische Lastmodelle für Tragfähigkeits- und Ermüdungsnachweise abgeleitet werden, siehe [4]. Für Ermüdungsnachweise kann beispielsweise eine Anpassung des ELM 4 entsprechend der Nachrechnungsrichtlinie erfolgen. Im Vergleich zu einer direkten messtechnischen Bestimmung von Beanspruchungskollektiven für Ermüdungsnachweise, können mithilfe von objektspezifischen Lastmodellen und einem kalibrierten FE-Modell Nachweise an beliebigen Stellen des Tragwerks geführt werden. Außerdem kann die Verszusammensetzung als Eingangsgröße für objektspezifische Verkehrslastsimulationen dienen, siehe [17]. Simulationen bieten den Vorteil, dass die Beanspruchung für Tragfähigkeit und Ermüdung unter prognostizierten Verkehrsentwicklungen bestimmt werden kann. 3.5 Extremwerte je Woche Mithilfe der Extremwertstatistik können die Verkehrseinwirkungen im Grenzzustand der Tragfähigkeit anhand der Signale der DMS in den maßgebenden Querschnitten, v. a. Feld- und Stützbereich, extrapoliert werden [4]. Datenvorverarbeitung: Es erfolgt eine Isolation des Signalanteils x_V sowie eine Tarierung. Im Signalanteil x_V können dabei auch zeitgleiche Überfahrten mehrerer Fahrzeuge vorhanden sein. Damit eine dynamische Überhöhung in den Extremwerten enthalten bleibt, wird keine Glättung der Signale vorgenommen. Algorithmus: Zunächst wird das Maximum (Feldbereich) bzw. Minimum (Stützbereich) je Überfahrt ermittelt. Für die weitere Auswertung wird daraufhin der Extremwert je Bezugszeitraum betrachtet. Entsprechend den Empfehlungen in [18] wird als Bezugszeitraum eine Woche gewählt. Die Dichteverteilung der Wochenextrema kann durch eine Extremwertverteilung (EV) von Typ 1 (Gumbel-Verteilung) beschrieben werden (Bild 10). OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 120 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 10: Wochenextrema im Jahr 2020 mit angepasster EV-Typ 1 und Extrapolation auf einen Be-zugszeitraum von 50 Jahren zur Bestimmung des charakteristischen Werts (N_F3_SG_2_NO) Abhängigkeiten und Fehlerquellen: Die temperaturabhängige Steifigkeit des Asphalts kann einen geringen Einfluss auf die ermittelten Extremwerte haben, ansonsten wird die Berechnung der Wochenextrema nicht als fehleranfällig eingestuft Weitere Auswertung: Mit den Parametern der angepassten Extremwertverteilung kann eine Extrapolation der Dichtefunktion für unterschiedliche Bezugszeiträume, beispielsweise 50 Jahre erfolgen [4]. Die entsprechende Verteilung für die Verkehrseinwirkung kann daraufhin für probabilistische Nachweise verwendet werden. Für die Anwendung in der Praxis im Rahmen einer Nachrechnung ist die Ableitung eines charakteristischen Werts sowie eines Teilsicherheitsbeiwerts zielführend. Der charakteristische Wert für den Bezugszeitraum von 50 Jahren entspricht dabei dem Modalwert der entsprechenden Verteilung (Bild 10). Der messtechnisch ermittelte charakteristische Wert E k,mess kann ins Verhältnis zu einem rechnerischen Wert E k,Norm für ein normatives Lastmodell, z. B. LM 1, gesetzt werden (Gleichung 4). Der rechnerische Wert wird dabei mit dem kalibrierten FE-Modell ermittelt. Für Tragfähigkeitsnachweise an beliebigen Querschnitten des Bauwerks wird das normative Lastmodell mit dem Faktor α NR angepasst. Erfolgt die Bestimmung des charakteristischen Werts für mehrere Messpunkte, so ist der größte Anpassungsfaktor maßgebend. (4) Es ist zu beachten, dass es sich beim messtechnisch ermittelten charakteristischen Wert mit den Daten eines Jahres um eine Momentaufnahme handelt. Die Aussagen für einen Bezugszeitraum von 50 Jahren sind durch sinnvolle Abschätzungen zur Verkehrsentwicklung zu ergänzen. Hier spielt insbesondere der genehmigungspflichtige Schwerverkehr eine Rolle. In den betrachteten Messdaten des Jahres 2020 werden 55% der Wochenextrema durch einzelne Schwertransporte mit teilweise über 100 t hervorgerufen. 3.6 Temperaturabhängige Auflagerverschiebung Die Bauwerksreaktion der Temperatureinwirkung zeigt sich am deutlichsten in den Signalen der WA an den Widerlagern. Eine ähnliche Betrachtung für die Signale der NA liefert keine klaren Zusammenhänge. Hier wird davon ausgegangen, dass die Temperatureinwirkung auf die Nivelliervorrichtung der NA die Signale verfälscht. Datenvorverarbeitung: Der Signalanteil x T wird isoliert. Algorithmus: Für den Signalanteil x T erfolgt eine Berechnung des Mittelwerts je 15 min-Zeitfenster. Abbildung 11: 15 min-Mittelwert des Signalanteils x T für die Signale der WA an den Auflagern des südl. ÜB in Abhängigkeit von der Bauwerkstemperatur (S_F6_T_MO): S_F4_WA_SU (Achse 0), S_F6_WA_SU (Achse 30) Abhängigkeiten und Fehlerquellen: Der 15 min-Mittelwert der WA zeigt erwartungsgemäß eine deutli-che Temperaturabhängigkeit. Für den südlichen Über-bau ist dieser Zusammenhang linear und in den Bau-werksachsen 0 und 30 ähnlich (Bild 11). Dieses Ver-halten sowie die extrapolierte Gesamtausdehnung des Überbaus ist vergleichbar zu den Berechnungen der Bestandsstatik. Die temperaturabhängige Auflagerver-schiebung am nördlichen Überbau zeigt einen bi-linearen Zusammenhang. Eine genauere Beschreibung erfolgt in Abschnitt 4. Die Extraktion des Merkmals wird nicht als fehleranfällig eingestuft. Weitere Auswertung: Die messtechnische Ermittlung der temperaturabhängigen Auflagerverschiebung dient zum einen zur Kontrolle der rechnerischen Ansätze in der Bestandsstatik oder einer Nachrechnung, zum anderen kann die Funktionsfähigkeit der Lager anhand die-ses Merkmals überwacht werden. Beispielsweise wird ein Blockieren der Lager in einer Anomalieerkennung sicht- OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 121 bar. Für den südlichen Überbau wird ein einfaches lineares Regressionsmodell zur Anomalieerkennung genutzt. Der Ansatz für den nördlichen Überbau wird nachfolgen im Detail beschrieben. 4. Anwendungsbeispiel für die Anomalieerkennung Eine Anomalieerkennung wird beispielhaft mit den Daten für die temperaturabhängige Auflagerverschiebung des nördlichen Überbaus demonstriert. Die Daten zeigen einen bi-linearen Zusammenhang in Abhängigkeit zur Bauwerkstemperatur (Bild 12). Ab einer Temperatur von ca. 15 °C nimmt die Auflagerverschiebung in Achse 30 deutlich stärker zu als in Achse 0. Am Auflager in Achse 0 beträgt die Spanne der auftretenden Verschiebungen 11 mm im Jahr 2020. Am Auflager in Achse 30 ist die Spanne der Verschiebungen mit 27 mm deutlich größer. Die Spanne der gesamten Überbauausdehnung liegt mit ca. 38 mm in der gleichen Größenordnung wie am südlichen Überbau. Die gehemmte Auflagerverschiebung in Achse 0 wird entsprechend durch die größere Verschiebung in Achse 30 kompensiert. Die gemessenen asymmetrischen Verschiebungen am nördlichen Überbau werden als unplanmäßig eingestuft. Die Ursache für dieses Verhalten konnte bisher noch nicht geklärt werden. Hier ist zu prüfen, ob die asymmetrischen Verschiebungen zu übermäßigen horizontalen Beanspruchungen der Stützen führen. Die Festlager der Brücke sind auf den Stützen angeordnet. Für die Anomalieerkennung wird davon ausgegangen, dass der bi-lineare Zusammenhang unplanmäßig, aber normal ist, d. h. das Verhalten reproduziert sich und es sind keine Änderungen im Messzeitraum feststellbar. Als Modell wird ein Entscheidungsbaum in Kombination mit linearer Regression gewählt. Ein Regressionsmodell kann als Zwischenschritt genutzt werden, um eine Anomalieerkennung probabilistisch zu begründen. Ein Entscheidungsbaum ist ein einfaches Modell des maschinellen Lernens, das für Klassifikations- und Regressionsprobleme genutzt werden kann, engl. Classification and Regression Trees (CART), siehe z. B. [19]. Zum Aufbau des Baumes wird hier ein greedy Ansatz verwendet. An jedem Knoten bzw. Blatt des Baumes werden die Daten anhand eines Eingangsmerkmals auf zwei neue Knoten aufgeteilt. Aus der Menge aller möglichen Teilungspunkte wird derjenige ausgewählt, der eine Zielfunktion minimiert. Für das Regressionsproblem wird hier die Summe der quadrierten Abweichungen als Zielfunktion gewählt. Der Algorithmus stoppt, wenn ein Abbruchkriterium erreicht ist, z. B. die minimale Anzahl an Datenpunkten je Knoten oder die maximale Anzahl an zulässigen Knotenebenen. Da die Aufteilung der Daten rekursiv an jedem Knoten erfolgt, muss die Aufteilung nicht einem globalen Optimum entsprechen. Bei einer Kombination mit linearer Regression, engl. Treed Linear Model (TLM), wird in jedem Knoten ein lineares Regressionsmodell gebildet. Diese Kombination kommt eher selten zur Anwendung, wird aber in [13] erfolgreich für die Strukturüberwachung von Brücken demonstriert. In dieser Veröffentlichung wird ein bayesianischer Ansatz zur Erstellung des Baumes gewählt. Neben einem linearen Modell wird auch die Kombination mit der Gauß-Prozess-Regression für nicht-lineare Zusammenhänge innerhalb eines Knoten des Baumes vorgestellt. Die Anwendung des TLM soll zunächst mit einer Eingangsgröße und zwei Zielgrößen illustriert werden. Als Eingangsvariable wird die Temperatur des Bauwerks am Messpunkt N_F1_T1 (Fahrbahnplatte) verwendet. Als Ausgangsgrößen werden die temperaturabhängigen Überbauverschiebungen in Achse 0 (N_F1_WA_NU) und Achse 30 (N_F3_WA_NU) angesetzt. Für die Modellanpassung werden die Daten des Jahres 2020 verwendet (Trainingsdaten). Zur Kontrolle der Güte des Modells bleiben 20% der Trainingsdaten als Testdaten in der Modellanpassung unberücksichtigt. Da bekannt ist, dass ein bi-linearer Zusammenhang besteht, wird nur eine Knotenebene als maximale Anzahl für das Modell gewählt. Die Daten des Jahres 2020 sowie die Vorhersagen des Modells sind in Bild 12 dargestellt. Es zeigt sich, dass das Modell den bi-linearen Zusammenhang gut abbildet. Als Teilungspunkt ergibt sich eine Temperatur von 14.54 °C. Die Güte des Modells wird mit dem Bestimmtheitsmaß R 2 bewertet. Bei einem perfekten Modell wird ein Wert von 1.0 erreicht. Im vorliegenden Fall wird sowohl für die Daten des Sensors N_F1_WA_NU als auch für N_F3_WA_NU ein Bestimmtheitsmaß der Trainings- und Testdaten von gerundet 0.99 erreicht. OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 122 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 12: Temperaturabhängige Auflagerverschiebung des nördl. ÜB im Jahr 2020 in Abhängigkeit von der Bauwerkstemperatur (N_F1_T_1) mit Regressionsmodell (TLM): (a) N_F1_WA_NU (Achse 0) (b) N_F3_ WA_NU (Achse 30) Für die Anomalieerkennung wird die absolute Abweichung |x - x*| zwischen den Messwerten jedes Sensors x und den Vorhersagen des Modells x* als Rekonstruktionsfehler ε betrachtet. Für die Fehler der Trainings- und Testdaten ergibt sich eine ähnliche Dichteverteilung, die sich durch eine Normalverteilung abbilden lässt. Anhand der angepassten Normalverteilungen werden die Grenzen des 99%-Intervalls als Schwellen bestimmt, ab der ein Datenpunkt als Anomalie gewertet wird. Das Vorgehen ist für die Daten des Sensors N_F1_WA_NU in Bild 13 illustriert. Das 99%-Intervall ist ebenfalls in Bild 12 dargestellt. Abbildung 13: Rekonstruktionsfehler des TLM für den Sen-sor N_F1_WA_NU mit angepasster Normal-verteilung und 99%-Intervall Für die kontinuierliche Anwendung zur Strukturüber-wachung wird die temperaturabhängige Verschiebung aller acht WA am nördlichen Überbau im Modell als Zielgröße berücksichtigt. Als Eingangsgrößen werden die Signale der Temperaturaufnehmer N_F1_T1, _T3, _T6, _T9 sowie die Außentemperatur verwendet. An-sonsten ist das Vorgehen analog zum beschriebenen Modell für die Sensoren N_F1_WA_NU und N_F3_WA_NU. Die Anwendung der Strukturüberwachung ist in Bild 14 für die Sensoren in Achse 30 während der Monate März und April 2021 dargestellt. Ab Ende März werden die Daten des Sensors N_F3_WA_NO als anomal eingestuft. Das System gibt die Warnmeldung aus, dass die Ursache für eine Anomalie zu prüfen ist. Im vorliegenden Fall haben die Untersuchungen erge-ben, dass der WA aufgrund von Flugrost blockiert ist. Die Daten der anderen Sensoren zeigen kein auffälliges Verhalten. Dies zeigt, dass die Funktionsfähigkeit der Lager gegeben ist. OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 123 Abbildung 14: Beispielhafte Anwendung der Anomalieerkennung für die temperaturabhängige Auflagerverschiebung in Achse 30 des nördl. ÜB mit den Daten von März und April 2021 5. Schlussbemerkungen Aus der Entwicklung und dem Betrieb des Monito-ringsystems an der Talbrücke Sachsengraben ergeben sich die folgenden Rückschlüsse und weitere For-schungsansätze: • Das System erlaubt es kontinuierlich relevante Merkmale aus den Messdaten zu extrahieren, die im Projekt für FE-Update, eine sicherheitsäquiva-lente Bewertung und Verfahren zur Anomalieer-kennung herangezogen werden. • Für die experimentelle Modalanalyse ist zu unter-suchen, ob die Auswertung mit einem anderen Al-gorithmus anstelle der FDD, beispielsweise der Stochastic Subspace Identification (SSI), in Berei-chen von engbeieinander liegenden Eigenfrequen-zen akkuratere Ergebnisse erzielt. • Insbesondere die Algorithmen des B-WiM-Systems sind anhand von umfassenden Versuchs-fahrten zu überprüfen. Dadurch wird es möglich, Fehlereinflüsse zu quantifizieren und das Verfahren zu verbessern. Interessant sind hierbei auch Versu-che mit zeitgleichen Überfahrten von mehreren eingewogenen Fahrzeugen. • Es wird demonstriert, dass der Sensordefekt eines WA durch die Anomalieerkennung identifizierbar ist. Das wesentliche Ziel der Strukturüberwachung ist jedoch die Erkennung von Bauwerksschäden. Hier bietet es sich an, Signale unter Bauwerks-schäden durch umfassende FE-Simulationen mit realitätsnaher Verkehrs- und Temperatureinwirkung zu generieren. Die implementierten Ansätze zur Anomalieerkennung können daraufhin mit den si-mulierten Signalen validiert werden. Dabei ist v a. interessant, welche Schäden in welchem Ausmaß an der Talbrücke Sachsengraben erkennbar sind. • Als Ziel für weiterführende Forschung an der Talbrücke Sachsengraben ist die stärkere Verknüpfung der drei Teilbereiche FE-Update, sicherheitsäquivalente Bewertung und Anomalieerkennung relevant. Ein Beispiel ist die Kombination von datenbasier-ten Modellen zur Anomalieerkennung mit FE-Update, sodass eine (teil-)automatisierte physikali-sche Interpretation von Anomalien möglich wird. Es ist zu untersuchen, wie Anomalien durch Bau-werksschäden und Anomalien durch Fehler des Messsystems unterscheidbar sind. Für den Fall ei-nes Bauwerksschadens sind Ansätze zur Lokalisie-rung und Bewertung des Schadensausmaßes zu entwickeln. OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 124 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Aus dem Einsatz der gewählten Sensorik kann folgendes Fazit gezogen werden: • Die Signale der DMS an den Stegen der Hohlkäs-ten zeigen geringe Amplituden. Die Qualität der Dehnungssignale wird zusätzlich von den lokalen Gegebenheiten der Betonoberfläche beeinflusst. Hier ist zu untersuchen, ob der Einsatz von WA anstelle einer Dehnungsmessung zielführend ist. • Die Signale der NA liefern nur sehr eingeschränkt verwendbare Informationen. Geeignete Sensormodelle, Applikationsvorrichtungen sowie Messein-stellungen (Abtastrate, Filter) sind hier durch La-borversuche, z. B. in einer Klimakammer, zu spe-zifizieren. • Bei den WA zur Überwachung der Auflagerver-schiebung sind Ausfälle durch Flugrost zu ver-zeichnen. Für den weiteren Einsatz der Sensoren sind Ansätze zu entwickeln, wie die Aufnehmer besser vor Umwelteinflüssen geschützt werden können. Literaturverzeichnis [1] A. Jansen und K. Geißler, „Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen,“ in 4. TAE-Brückenbaukolloquium, 2020. [2] X. Xiao, Y. L. Xu und Q. Zhu, „Multiscale modeling and model updating of a cable-stayed bridge. 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