eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 39/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2010
391 Gnutzmann Küster Schramm

Sylwia ADAMCZAK-KRYSZTOFOWICZ: Fremdsprachliches Hörverstehen im Erwachsenenalter. Theoretische und empirische Grundlagen zur adressatengerechten und integrativen Förderung der Hörverstehenskompetenz am Beispiel Deutsch als Fremdsprache in Polen. Poznań: Instytut Lingwistyki Stosowanej UAM 2009 (Reihe: Język Kultura Komunikacja 6), 403 Seiten [43,00 Złoty]

2010
Jürgen Quetz
Buchbesprechungen C Rezensionsartikel 195 1 Gary B UCK : Assessing listening. Cambridge: Cambridge University Press 2001; David M ENDELSOHN / Joan R UBIN (eds.): A Guide for the Teaching of Second Language Listening. Cambridge University Press 2001; Michael R OST : Teaching and Researching Listening. London: Pearson Education 2002, John F LOWERDEW / Linda M ILLER : Second Language Listening: Theory and Practice. New York, Cambridge University Press 2005. J. F IELD : Listening in the language classroom. Cambridge/ UK & New York: Cambridge University Press 2008 - um die wichtigsten zu nennen. 2 Gert S OLMECKE : Texte hören, lesen und verstehen. Berlin [etc.]: Langenscheidt 1993. 39 (2010) Sylwia A DAMCZAK -K RYSZTOFOWICZ : Fremdsprachliches Hörverstehen im Erwachsenenalter. Theoretische und empirische Grundlagen zur adressatengerechten und integrativen Förderung der Hörverstehenskompetenz am Beispiel Deutsch als Fremdsprache in Polen. Poznań: Instytut Lingwistyki Stosowanej UAM 2009 (Reihe: Język Kultura Komunikacja 6), 403 Seiten [43,00 Złoty] In den aktuellen englischsprachigen Titeln zum Thema Hörverstehen 1 wird die fachdidaktische Diskussion in Deutschland ausgeblendet. Es gibt überhaupt bislang kein Werk, das sich ausführlicher auf deutschsprachige Publikationen bezieht, da auch Solmeckes „Klassiker“ (1993) 2 weitgehend auf angelsächsischer Forschung basiert. In dieser Hinsicht ist der Forschungsbericht in den ersten vier Kapiteln des Buches von Sylwia Adamczak-Krysztofowicz schon ein bahnbrechendes Werk: Er gibt einen gründlichen und umfassenden Überblick über die deutschsprachige und polnische Forschung und Literatur zum Thema Hörverstehen und klammert die englischsprachigen dabei nicht aus. Als Leser staunt man dabei immer wieder, wie viele deutschsprachige Publikationen es zu sehr vielen Aspekten des Hörverstehens gibt. Hier sind sie zum ersten Mal umfassend zusammengeführt. Dazu kommt, dass die Verfasserin mit großer Energie und souveränem Zugriff in jedem Kapitel Systematisierungen vornimmt, die eine sinnvolle Einordnung der vielen erfassten Titel erlauben. Kapitel 2 ist dem „Hörverstehensprozess in der Mutter- und Fremdsprache“ gewidmet. Ein Abschnitt gibt einen Überblick über Theorien der Laut-, Wort- und Satzerkennung, also die sprachpsychologischen Grundlagen des Hörverstehens, ein zweiter referiert Modelle fremdsprachlicher Hörverstehensprozesse. Vor allem dieses Kapitel beeindruckt durch ein klares Konzept von konstruktivistischen Modellierungen, bei denen der Begriff der „Verarbeitungstiefe“ eine wichtige Rolle spielt. Auch im 3. Kapitel „Zur Entwicklung der fremdsprachlichen Hörverstehenskompetenz“ findet man eine klar strukturierte Darstellung aktueller Kompetenzmodelle. Der kritische Blick auf den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen, aber auch auf andere Ansätze ist überzeugend, weil er im Rahmen einer plausiblen und stets sehr systematischen Argumentation erfolgt. Die fremdsprachendidaktische Forschung zur Entwicklung des Hörverstehens, aber auch die vielen konkurrierenden oder aufeinander bezogenen Modelle werden hier akribisch umrissen. Dieses Kapitel ist die gründlichste und erhellendste aktuelle Übersicht zu diesem Thema, die mir bekannt ist. Das Kapitel 4 über Hörverstehen im Erwachsenenalter ist nicht ganz so überzeugend, obgleich auch hier wiederum die bekannten lerntheoretischen Forschungsansätze zur Frage des Fremdsprachenlernens im Erwachsenenalter gut erfasst sind. Im Abschnitt 4.3.3 fragt man sich dann allerdings, ob bei dieser Diskussion nicht doch einige Faktoren übersehen wurden, denn die beschriebenen Lernschwierigkeiten Erwachsener treffen in vollem Umfang z.B. auch für Hauptschüler zu, was die Verfasserin auch anmerkt (S. 165); es bleibt allerdings bei dieser rhetorischen Frage. Zusammenfassend kann man aber feststellen, dass dieser Forschungsbericht sehr aufschlussreich ist und Schneisen in das Dickicht der verzweigten Diskussion der verschiedenen Aspekte vor allem kompetenzorientierter Entwicklung des Hörverstehens schlägt. Er macht das Buch sehr lesenswert. 196 Buchbesprechungen C Rezensionsartikel 3 Eckhard Klieme [et al.] (Hrsg.): Unterricht und Kompetenzerwerb in Deutsch und Englisch. Ergebnisse der DESI-Studie. Weinheim [u.a.]: Beltz 2008. 4 Vgl. http: / / www.winstat.de/ function/ function.htm (zuletzt besucht am 07. 12. 2009) 39 (2010) Der zweite Teil des Buches berichtet dann über eine empirische Untersuchung zum Hörverstehen in polnischen DaF-Kursen für Erwachsene in Sprachschulen und anderen Institutionen. Eine gerechte Würdigung dieses Teils ist schwierig, weil diese Habilitation die Arbeit einer einzelnen Person darstellt. Sie ist nicht aus einem Forschungsverbund hervorgegangen, in dem umfangreichere Ressourcen zur Verfügung gestanden hätten. Nun sind aber unter dem Druck der bekannten Großprojekte der Bildungsforschung die Ansprüche an empirische Arbeiten in den letzten Jahren ganz erheblich gestiegen. Das Handwerkszeug, das mittlerweile im Gefolge von DESI 3 und vielen anderen Studien Standard in deutschen Forschungsarbeiten geworden ist und das international vor allem in den USA schon seit langem üblich ist, stand der Verfasserin ganz offensichtlich nicht zur Verfügung. Nicht möglich war wohl auch ein offener Zugang zum Forschungsfeld, was wahrscheinlich dazu beitrug, dass schon die Fragen, denen Adamczak-Krysztofowicz in ihrer Untersuchung nachgeht, unter diesen Beschränkungen nicht ganz glücklich entwickelt wurden. Es sind Fragen nach dem Stellenwert des Hörverstehens in der Einschätzung erwachsener Deutschlernender in Polen, dem aktuellen Stand der Materialien und Methoden, mit denen zum Zeitpunkt der Erhebung in Polen gearbeitet wurde, nach Auswahlkriterien und vor allem nach Faktoren, die die Schwierigkeit von Hörtexten und -aufgaben steuern. Dies wurde mit Fragenbögen und Leitfadeninterviews untersucht. Das Ziel der Untersuchung, zur Verbesserung des Unterrichts beizutragen, rückt sie in die Nähe von Interventionsforschung, was sicher kein Nachteil ist. Auch ist das Design, vor allem das Sampling, gut durchdacht und plausibel: eine qualitative Vorstudie mit 23 Lernenden (und 11 Kursleitern), die das Interview mitmachten, sollte die Items des Fragebogens absichern, der von 318 Lernenden ausgefüllt wurde. Dieser Fragebogen sollte wiederum die in der explorativen Vorstudie gewonnenen Aussagen generalisierbar machen. Das Problem der Untersuchung besteht vor allem darin, dass fast ausschließlich nur die prozentuale Häufigkeit von Antworten ermittelt wird; nur in zwei Aspekten gibt es Korrelationen („Alter und Hörverstehen“ und „Anzahl der gelernten Sprachen und Hörverstehen“). Das wird mit Hilfe von Excel ermittelt. Die Möglichkeiten dieses Programms mit Hilfe kostenloser oder freier Zusatzprogramme wie WinSTAT 4 werden nicht genutzt, jedenfalls gibt es dazu bei den Tabellen keine Hinweise. Es finden sich nirgends Überlegungen zur Signifikanz der Aussagen und der Skalierungen (Zufälligkeitstests, Ausreißer u.a.). Nicht einmal Korrelationen zu den personalen Daten werden dargestellt, geschweige denn t-Tests oder Varianzanalysen bei den dringend notwendigen genaueren Interpretationen der Daten nach Verteilung in Gruppen oder nach anderen Merkmalen. Das macht die Befunde allein schon formal wenig belastbar. Aber auch inhaltlich bringen die Antworten der Lernenden, die in Kapitel 6 referiert werden, nur wenig, was man nicht schon aus der Fachliteratur kennt. „Exploriert“ (sprich: Neuland erkundet) wird da wenig, denn dass z.B. für Lernende die gesprochene Sprache ein wichtiges Kursziel ist (S. 192), ist solange trivial, wie damit keine Rückkoppelung an Fragen der Motivation (Gründe für die Kurswahl) verbunden ist. Auch die Aussagen über Faktoren, die die Schwierigkeit von Hörverstehensübungen beeinflussen, sind aus der Fachliteratur und aus älteren Forschungen hinreichend bekannt. Die ermittelten Werte bestätigen das zwar, sind aber wegen des eher bescheidenen forschungsmethodischen Ansatzes auch nicht weiterführend. Dieser ganze explorative Teil enthält zwar viele interessante Aspekte (die sich dem des Polnischen nicht kundigen Leser aber nicht vollständig erschließen), die aber auch nicht immer überzeugend analysiert sind. So sind die Schlüsse auf S. 255, dass Lehrer die Bedeutung des Hörverstehens falsch einschätzen, m. E. zu wenig kontextualisiert. Könnte es nicht auch sein, dass die Hörmaterialien einfach nicht so leicht Buchbesprechungen C Rezensionsartikel 197 39 (2010) zugänglich sind, die Geräte fehlen, die Lehrenden andere „subjektive“ und trotzdem plausible Theorien des Unterrichts verfolgen usw.? Das wäre nun wirklich nur durch eine Korrelation zu personalen Faktoren aussagekräftig geworden, z.B. nach dem Alter der Lehrenden bzw. Lernenden, aus dem man ihre didaktische Sozialisation erschließen könnte. Bei manchen anderen Fragen stellt man ebenfalls fest, dass die Verfasserin zwar klare didaktische Ziele im Sinn hat, dass deren Ableitung aber auch bereits aus der in Teil 1 referierten Fachliteratur plausibel gewesen wäre. Alle ihre Forderungen, die sie bereits auf der Basis der schmalen Ergebnisse erhebt, sind gut nachvollziehbar und sinnvoll - aber im Grund nicht neu (z.B. S. 259 zur Lehrerfortbildung). Die Auswertung der Daten aus dem quantitativen Teil der Studie in Kapitel 7 sind aus den oben erläuterten forschungsmethodischen Gründen nicht belastbar, inhaltlich sind sie zu den Befunden des Kapitels 6 weitgehend redundant. Es gibt nur ein oder zwei interessante Aspekte, so z.B. auf S. 272 der Befund, dass Übungen im Leseverstehen - weil sie Verstehensstrategien trainieren - auch das Hörverstehen verbessern können, aber auch dies ist nur behauptet und nicht empirisch (im engeren Sinn des Wortes) ermittelt. Auch bei den Beobachtungen zur Abhängigkeit der Hörverstehenskompetenz vom Alter gibt es Befunde, die aufhorchen lassen. Hier werfen die Tabellen insgesamt allerdings mehr Fragen auf, als sie beantworten, da es keine Variablenkontrolle gibt. Trotz des einen oder anderen aufschlussreichen Details (etwa S. 281 der Hinweis, dass die Lernenden eher textbezogene als aufgabenbezogene Faktoren als Schwierigkeitsfaktor wahrnehmen) liest sich die empirische Studie leider wie eine Pflichtübung, die im Rahmen einer Habilitationsschrift unumgänglich war. Das ist schade, aber man kann sie ja bei der Lektüre des Buches überblättern und vom hervorragenden Forschungsbericht direkt übergehen zu den „Bausteinen einer erwachsenenspezifischen und integrativen HV-Didaktik“ in Kapitel 8. Hier schließt die Verfasserin nahtlos an den beeindruckenden theoretischen Teil 1 an und legt ihre didaktisch-methodischen Konzepte dar. Dies geschieht mit vielen Verweisen auf die Fachliteratur und wenigen und meist sehr pauschalen Verweisen auf den empirischen Teil, die in der Regel folgende rhetorische Struktur haben: „[...] die folgenden, auf der Grundlage der theoretischen Erkenntnisse (vgl. Kap. 4.3.3) und der durchgeführten Studie (vgl. Kap. 6.17 und 7.3.3) erarbeiteten Kriterien [...]“ (S. 332). Geht man diesen Verweisen nach, so fügen die Ergebnisse der Studie wenig zu den aus der Fachliteratur gewonnenen Erkenntnissen hinzu. Der Empfehlung, Hörverstehen „integrativ“ zusammen mit anderen Fertigkeiten in einer Art aufgabenorientiertem Ansatz zu trainieren, kann man nur zustimmen: sie ist bereits in Teil 1 gut begründet worden und wird hier kompetent und systematisch umgesetzt. Die Verfasserin umreißt akribisch und unter Einbezug aller nur denkbaren Aspekte ein genaues Bild ihrer Vorstellungen, von der Textauswahl und -beschaffenheit bis hin zu methodischen Details der Arbeit mit Hörtexten. Allen diesen Ausführungen mag man gerne folgen, obgleich sie - trotz der wiederum sehr systematischen und gut durchdachten Zusammenstellung - keine wesentlich neuen Erkenntnisse enthalten, sondern nur eine aus der Fachliteratur bereits bekannte Position beziehen. Man liest diesen Schluss am besten als einen aufschlussreichen und sehr gut organisierten Überblick über didaktischmethodische Ansätze und die Parameter, die sie steuern. Insgesamt ist das Buch trotz der Einwände gegen den zweiten Teil sehr empfehlenswert als didaktisch-methodischer update und als Überblick über den Forschungsstand in einem mittlerweile weltweit gut erforschten Bereich der Fremdsprachendidaktik. Bei einer Neuauflage sollten Verfasserin und Verlag allerdings überlegen, ob die Kapitel 6 und 7 nicht ersetzt werden könnten durch ein neues Kapitel mit veranschaulichenden Beispielen zum Kapitel 8. Lüneburg J ÜRGEN Q UETZ