eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 41/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2012
411 Gnutzmann Küster Schramm

Testung und Evaluierung des Leseverstehens unter besonderer Berücksichtigung methodischer Kompetenzen

2012
Julia Popescu
Bettina Neugebauer
41 (2012) • Heft 1 © 2012 Narr Francke Attempto Verlag I ULIA P OPESCU , B ETTINA N EUGEBAUER * Testung und Evaluierung des Leseverstehens unter besonderer Berücksichtigung methodischer Kompetenzen Abstract. This article examines the influence of methodological competencies on the French reading performance of ninth and tenth graders in Germany. Students (N = 866) completed a competence test and a questionnaire. The questions in the questionnaire assess the frequency with which students deal with French texts in a differentiated way, i.e., by using methodological knowledge such as skimming and scanning strategies. Results show that in 2008, students applied certain methods to unknown texts repeatedly. Furthermore, the students’ reading performance is correlated with their subjective assessment of the frequency and intensity of training presented in the questionnaire. Results show a statistically significant relationship between the use of methods when dealing with French texts and reading performance. The promotion of methodological competencies can thus be regarded as crucial in the domain of foreign language teaching. 1. Einleitung Die Ergebnisse der PISA-Studie offenbarten im Jahre 2001 die Schwächen des deutschen Bildungssystems, das im internationalen Vergleich lediglich Leistungen im unteren Mittelfeld hervorbrachte. Eine wichtige Erkenntnis im Zusammenhang damit war, dass Schülerinnen und Schüler (= SuS), die in der Lage waren, ihren Lernprozess zu einem gewissen Grad zu kontrollieren und somit beim Lösen von Aufgaben methodisch-differenziert vorzugehen, besser abschnitten als diejenigen, die dies kaum oder gar nicht taten (vgl. OECD 2001: 127 ff). Gleichzeitig wurde auch die Lesekompetenz der Fünfzehnjährigen für unterdurchschnittlich im Vergleich mit anderen OECD-Ländern befunden (vgl. OECD 2001: 60 ff). Die Forderung nach Maßnahmen zur Vermittlung von Lesestrategien und -techniken, gewissermaßen einem methodisch-differenzierten Umgang mit Texten, wurde dabei nicht nur dem Deutschunterricht aufgetragen, sondern als fächerübergreifende Aufgabe deklariert (vgl. D RECHSEL 2010: * Korrespondenzadressen: Iulia P OPESCU , Master of Education, (derzeit) Studienreferendarin in den Fächern Englisch und Französisch in Berlin, Am Hanffgraben 5a, 12357 B ERLIN (Privatanschrift) E-Mail: iulia.popescu@gmx.net Arbeitsbereiche: Methodische Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht, Lernstrategien und -techniken, der Leseprozess in der Fremdsprache. Bettina N EUGEBAUER , Master of Arts, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Humboldt-Universität zu Berlin, Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), Unter den Linden 6, 10099 Berlin E-Mail: bettina.neugebauer@iqb.hu-berlin.de Arbeitsbereiche: (Fach)spezifische Kompetenz von Eltern als Determinante von Schülerleistung, Validität fremdsprachlicher Tests, Vergleichsarbeiten für die 8. Jahrgangsstufe (VERA-8) im Fach Französisch als 1. Fremdsprache. 88 Iulia Popescu, Bettina Neugebauer 41 (2012) • Heft 1 86 f), nicht zuletzt, weil das Lesen eine Basiskompetenz für Lern- und Verstehensprozesse in allen Fächern darstellt. Vor allem auch im Fremdsprachenunterricht (= FSU) wird die Ausbildung und systematische Entwicklung textueller Kompetenzen für essenziell erachtet, weil Texte sowohl in lebensweltlichen als auch didaktischen Kontexten die diskursiven Grundeinheiten jeder Kommunikation darstellen (vgl. B AUSCH [et al.] 2007). In diesem Beitrag wird eine Untersuchung vorgestellt, die 2010/ 11 am Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) auf der Basis von Normierungsdaten aus dem Jahre 2008 durchgeführt wurde. Diese ist insofern innovativ, als methodische Kompetenzen schulischen Lernens im Fach Französisch bislang noch nicht mit quantitativ empirischen Verfahren untersucht wurden. Zum einen wird dabei der Frage nachgegangen, wie oft SuS der 9. und 10. Klassenstufen mit Französisch als erster Fremdsprache üben, methodisch-differenziert mit Texten umzugehen. Zum anderen wird untersucht, welcher Zusammenhang zwischen einem methodisch-differenzierten Umgang mit Texten und der Leseleistung besteht. 2. Das Lernen lernen Bereits Anfang der Neunziger Jahre spricht man in Deutschland von einem „Lernenlernen-Boom“ (vgl. R UMPF 1990). Der früher behavioristisch-kognitiv geprägte Lernbegriff ist von einem veränderten gemäßigt konstruktivistischen ersetzt worden, nach dem die menschliche Wahrnehmung eine geistige (kognitive) Konstruktion ist, die von Erfahrungen, Einstellungen, Haltungen und Emotionen des jeweiligen Lerners geprägt wird (vgl. C HOTT / B ARTH 2008: 11-13). Der Fokus liegt nun auf dem autonomen selbstgesteuerten Lerner, der mithilfe seines Lernberaters für ihn geeignete Methoden entwickelt, seinen Lernprozess zu gestalten und somit seine Lernkompetenz zu optimieren, die ihn schließlich zu lebenslangem Lernen befähigt. Bezeichnungen wie ‚selbstständiges‘, ‚selbsttätiges‘ oder auch ‚methodisches‘, ‚eigenständiges‘ und ‚eigenverantwortliches Lernen‘ (vgl. C ZERWANSKI / S OLZBACHER / V OLLSTÄDT 2002: 16) spielen im Kontext gesellschaftlicher, wissenschaftlicher, technischer und auch kultureller Veränderungen in der aktuellen Diskussion eine wichtige Rolle. 2.1 Ergebnisse empirischer Untersuchungen zum Thema Die wichtige Rolle der Methodenkompetenz ist in vielfältiger Weise auch empirisch begründet und beforscht worden. Dazu soll im Folgenden ein kurzer Überblick gegeben werden. 2.1.1 Studien zur Verbesserung der Methodenkompetenz Der Blick in die deutsche Unterrichtspraxis zeigt, dass methodische Kompetenzen auch nach und trotz der Ergebnisse aus PISA 2000 eher im Hintergrund bleiben. H Aß (2006: Testung und Evaluierung des Leseverstehens 89 41 (2012) • Heft 1 168) stellt fest, dass im alltäglichen Englischunterricht nach wie vor ‚konventionelle‘ Lehrtraditionen dominieren und einer systematischen Methodenschulung zu wenig Beachtung geschenkt wird. Das ist zumindest Schülerbefragungen neueren Datums (vgl. z.B. B ÄR 2009) zu entnehmen, denen zufolge die Thematisierung des Lernens bislang im FSU kaum eine bzw. gar keine Rolle gespielt hat. In Anlehnung an C HOTT und B ARTH (2008) sollen im Folgenden Untersuchungen vorgestellt werden, die sich mit der Möglichkeit, der Notwendigkeit sowie der Wirkung diesbezüglicher Fördermaßnahmen beschäftigt haben. Grundsätzlich gelten methodische Kompetenzen verglichen mit fachbezogenen, deklarativen Wissensformen als weniger planbar und systematisch schwieriger erzeugbar (vgl. F END 1998). Es gibt zahlreiche Studien, die sich mit der Frage befassen, ob man das Lernenlernen überhaupt lehren sollte. Viele empirische Studien haben gezeigt, dass gute Lerner sich im Vergleich zu weniger guten in Ausmaß und Qualität des Einsatzes ihrer Lernstrategien unterscheiden (vgl. M ANDL / F RIEDRICH 1992: 26) und nicht etwa in der Quantität. Die aktuellen PISA-Ergebnisse verzeichnen zwar Verbesserungen in der Lesekompetenz vor allem schwacher SuS, sie verweisen gleichzeitig aber auch auf einen noch immer vorhandenen Mangel an systematisch entwickelten und evaluierten Fördermaßnahmen der Lesekompetenz (vgl. K LIEME [et al.] 2010: 23). Ein methodisch-differenzierter Umgang mit Texten im Unterricht könnte in diesem Sinne einen ersten Schritt darstellen. W EINSTEIN und M AYER (1986) konnten die Hypothese bestätigten, dass es möglich ist, Lernende in niveauangepasster Weise Lernstrategien zu lehren. Vor allem im Bereich der Lesestrategien haben Interventionsstudien deren Lehrbarkeit bestätigen können (vgl. B IMMEL 2006: 366). Zu der Frage, wie strategische Kompetenz wirksam gefördert werden könne, verweist T ÖNSHOFF (2003: 334) auf zahlreiche empirische Studien aus dem FSU und anderen Unterrichtssituationen (vgl. die Überblicke bei C ARREL 1998, H ATTIE / B IGGS / P URDIE 1996; T ÖNSHOFF 1992). Ihnen zufolge scheint eine Strategievermittlung am wirkvollsten zu sein, wenn • sie integriert in den Unterricht (bspw. anhand geeigneter Lese- oder Hörtexte) vermittelt und geübt wird; • bewusstmachende Verfahren eingesetzt werden und die SuS das Warum, Wann und Wie ihres Strategieeinsatzes reflektieren (vgl. dazu auch M ARTINEZ 2004); • Gelegenheiten zur praktischen Anwendung und Reflexion von verschiedenen Strategien gegeben werden; • auch metakognitive Strategien zur Steuerung und Evaluation des Lernprozesses einbezogen werden. Inwiefern diese Erkenntnisse in gängigen Englisch- und Französischlehrwerken umgesetzt wurden, hat M ORKÖTTER (2009) untersucht. Dabei hat sie die Förderung von Lernkompetenz durch Strategien in den Lehrwerken English G 2000 (Englisch) und À plus! (Französisch) für die Klassen 5 und 6 verglichen. Insgesamt konnte sie eine starke Verengung des Strategiebegriffs auf Behaltens- und Gedächtnisstrategien und somit eine Ausblendung wichtiger Bereiche wie bspw. der Texterschließungsstrategien 90 Iulia Popescu, Bettina Neugebauer 41 (2012) • Heft 1 sowie eine mangelnde Kopplung von strategiebezogenen Bewusstmachungen an konkrete sprachliche Aufgaben attestieren. Obwohl diese Studien die Notwendigkeit sowie die Wirksamkeit von Fördermaßnahmen zur Verbesserung der Methodenkompetenz weitgehend bestätigen, stellen C HOTT / B ARTH (2008: 35) fest, dass andere Studien keine oder nur geringe Erfolge derartiger Förderung ergaben. Auch G ROB / M AAG M ERKI (2001: 495) verweisen auf den bisher eher geringen bis unbedeutenden Zusammenhang zwischen Leistungsergebnissen und Strategienutzung hin (vgl. S TEBLER / R EUSSER 1997; B AUMERT 1993). Daraus resultiert die Frage, ob ein nachweisbarer Zusammenhang zwischen der Förderung methodischer Kompetenz und der Leistung besteht. Da diese Frage für den Kompetenzbereich Lesen beantwortet werden soll, werfen wir zunächst einen Blick in die Leseforschung. 2.1.2 Ergebnisse aus der Leseforschung In Bezug auf die Wirksamkeit des Einsatzes von Lesestrategien in der Muttersprache lassen die Ergebnisse einer Untersuchung von G RÜTZ (2010: 98) annehmen, dass die Vermittlung von Verfahren zur Erschließung von Informationen aus dem Text mit Zunahme des Lesekompetenzniveaus an Bedeutung verliert. Je lesekompetenter der Leser, desto eigenständiger und erfolgreicher entnimmt er Informationen aus dem Text und handelt somit lesestrategisch. Insgesamt lässt die Studie von G RÜTZ vermuten, dass der Einsatz von Lesestrategien durch Lesende von der Aufgabenstellung, bewusstmachenden Verfahren, dem Grad an Vorwissen und Interesse sowie der Textsorte abhängt. Da diese Erkenntnisse sich jedoch nur auf das muttersprachliche Lesen beziehen, verweisen wir an dieser Stelle auf den Leseprozess in der Fremdsprache, zu dem vergleichsweise wenige Forschungsergebnisse existieren (vgl. L UTJEHARMS 2010: 14). L UTJEHARMS (ebd.: 21) nimmt an, dass die muttersprachliche Lesekompetenz den Erwerb fremdsprachlicher Lesekompetenz mit bedingt, da bereits mangelhafte Dekodierfähigkeiten in der Muttersprache auch den Erwerb der zielsprachigen Kompetenz beeinträchtigen. Eine wichtige Rolle spielen für sie dabei Nähe oder Distanz der Ausgangs- und Zielsprache, die bedinge, ob Transferprozesse eingesetzt werden. Demnach müssen geübte Leser einer noch nicht gut beherrschten Fremdsprache typische Strategien schwacher Muttersprachler einsetzen, wie z.B. das Inferieren auf der Ebene der Worterkennung. Gleichzeitig seien sie nach L UTJEHARMS im Vergleich zu Lesern, die das Lesen in ihrer Muttersprache erwerben, geübter im Inferieren, können bereits mehrere Auslöser gleichzeitig verarbeiten und auf eine bessere Textkompetenz zurückgreifen. Insgesamt wird angenommen, dass der Einsatz geeigneter Lesestrategien beim Lesen unterstützend wirkt (vgl. auch G RÜTZ 2010: 95). Wie wichtig Sprachkenntnisse bei Inferenzprozessen sind, wird aus den Untersuchungen von G RENFELL / H ARRIS (1999) und J ACQUIN (2010) deutlich. SuS stellten dabei auf Grund fehlender Sprachkenntnisse falsche Hypothesen zu einem Text auf, an denen sie konsequent festhielten (G RENFELL / H ARRIS 1999: 66). Die Vermutung liegt daher nahe, dass fremdsprachliche Leser ihre Testung und Evaluierung des Leseverstehens 91 41 (2012) • Heft 1 Interkulturelle Kompetenz Sprachkompetenz Sprachdefizite durch Inferenz auszugleichen versuchen, was jedoch oft scheitert. Die Autoren nehmen weiterhin ebenfalls einen Zusammenhang zwischen Lesestrategien, Textsorte, Aufgabenstellung und Unterrichtspraxis an. 2.2 Entwicklung eines erweiterten Kompetenzmodells für den FSU Zum aktuellen Zeitpunkt fehlt es an wissenschaftlich abgesichertem Konsens zur Verwendung des Kompetenzbegriffs. Des Weiteren wird durch häufig unterschiedliche Bezeichnungen für gleiche Sachverhalte Unklarheit verursacht (vgl. C ZERWANSKI / S OLZBACHER / V OLLSTÄDT 2002: 14). Es ist uns kein detailliertes Modell methodischer Kompetenzen bekannt, das den Untersuchungsgegenstand dieser Studie erfassen könnte. Deshalb beziehen wir uns im Folgenden auf das Kompetenzmodell, das der Berliner Rahmenlehrplan Französisch (vgl. RLP-I 2006: 12) vorgibt. Für unsere Belange haben wir dieses um die der Methoden- und Sprachkompetenz untergeordneten Elemente (Lernstrategien, Lesen, Lesestrategien etc.) erweitert. Lernkompetenz bezweckt auf der Anwendungs- und Handlungsebene im FSU Methodenkompetenz Interkulturelle fremdsprachige Handlungsfähigkeit Lernstrategien Lerntechniken Lesetechniken Lesen Lesestrategien … … Abb. 1: Erweitertes Kompetenzmodell für den FSU (eigene Darstellung) beobachtbar in Form von methodischdifferenzierter Umgang mit Texten beobachtbar in Form von 92 Iulia Popescu, Bettina Neugebauer 41 (2012) • Heft 1 An oberster Stelle des Modells in Abb. 1 befindet sich die Lernkompetenz, ein übergeordnetes allgemeines Konstrukt, das die Fähigkeit zum Lernen bezeichnet. Sie umfasst die überfachliche Fähigkeit zur selbstständigen Aneignung von Sach- und Fachwissen, die Auswahl geeigneter Methoden sowie die Organisation der Zusammenarbeit mit Mitschülern (vgl. M EYER 2007: 153). Richtet man den Blick auf die Anwendungs- und Handlungsebene des FSU, so sollte diese Lernkompetenz dazu genutzt werden, eine interkulturelle fremdsprachige Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Diese kann wiederum laut Berliner Rahmenlehrplan (vgl. RLP-I 2006: 12) nur im Zusammenspiel von interkultureller Kompetenz, Sprachkompetenz und Methodenkompetenz entwickelt werden. Gleichzeitig bedeutet dies, dass sich auch alle Kompetenzen gegenseitig beeinflussen, teilweise ineinander übergehen und im FSU nicht isoliert unterrichtet werden sollten. Die Methodenkompetenz, als ein wichtiger Teilbereich der Lernkompetenz, bezeichnet dabei die Fähigkeit zur eigenständigen Beschaffung, Vorbereitung, Speicherung und Anwendung von Wissen (vgl. C HOTT / B ARTH 2008: 10). Der methodenkompetente Fremdsprachenlerner muss demzufolge über ein geeignetes Methodeninventar verfügen, das er in verschiedenen Situationen gezielt einsetzen kann. Dazu gehören bspw. Lernstrategien, d.h. interne mentale Handlungspläne, die nicht beobachtet, sondern nur anhand von Aussagen inferiert werden können (vgl. V IEBROCK 2010: 191). Laut T ÖNSHOFF (2003: 331 f) steuert und kontrolliert der Lerner den Aufbau, die Speicherung, den Abruf und den Einsatz von Informationen mithilfe von Lernstrategien. Beobachtbar werden diese u.a. durch den Einsatz von Lerntechniken. Diese bezeichnen nach D ECKE -C ORNILL und K ÜSTER (2010: 216) „etablierte Handlungspläne, die einzeln gelernt und geübt und als Elemente einer persönlich ausgewählten Lernstrategie verwendet werden können“. Lesestrategien können als eine Form von Lernstrategien beim Umgang mit Texten betrachtet werden. Auch sie können als mentale Handlungspläne nur direkt über die Verwendung von Lesetechniken fungieren, die als konkrete Handlungen der Lernenden zur Unterstützung ihres Leseverhaltens verstanden werden können, wie z.B. das Unterstreichen wichtiger Textpassagen. Lesestrategien und Lesetechniken bilden somit gewissermaßen eine Schnittstelle zwischen Sprach- und Methodenkompetenz, da sie sowohl den Leseaspekt als auch den strategisch-methodischen Aspekt enthalten. Analog lässt sich dies auf andere Sprachkompetenzen wie z.B. Hören übertragen, wobei dann von Hörstrategien bzw. Hörtechniken gesprochen wird. Der fett gedruckte Pfeil zwischen Methoden- und Sprachkompetenz zeigt den Untersuchungsbereich dieser Studie auf. Der Untersuchungsgegenstand wird dabei als ‚methodisch-differenzierter Umgang mit Texten‘ bezeichnet und die Begriffe ‚Lern-‘, ‚Lesestrategien‘, ‚Lern-‘ und ‚Lesetechniken‘ als darin eingeschlossen betrachtet, was im Modell durch die geschwungene Klammer illustriert wird. Testung und Evaluierung des Leseverstehens 93 41 (2012) • Heft 1 3. Die empirische Studie 3.1 Forschungsfragen In der hier vorgestellten Studie wird der Zusammenhang von methodischen Kompetenzen und der Leseleistung im Fach Französisch untersucht. Die dafür durchgeführte Analyse gliedert sich in zwei Teile mit jeweils unterschiedlichem Forschungsschwerpunkt. In einem ersten Schritt soll zunächst untersucht werden, mit welcher Häufigkeit der methodisch-differenzierte Umgang mit Texten, der in einigen bildungspolitischen Forderungen deutlich wird, in die Unterrichtspraxis umgesetzt wurde. Die in Abschnitt 2.1 dargestellten Studien lassen vermuten, dass auch lange nach dem „PISA-Schock“ das Lernenlernen im Unterricht noch selten thematisiert wird. Daher lautet die erste Forschungsfrage: 1. Mit welcher Häufigkeit üben SuS den methodisch-differenzierten Umgang mit Texten im Jahr 2008 im Fach Französisch? Ziel der Untersuchung ist, einen Überblick über die Häufigkeit zu geben, mit der SuS bestimmte Tätigkeiten beim Umgang mit Texten im Fach Französisch in den letzten sechs Monaten vor der Befragung ausgeübt haben, und die Ergebnisse zu diskutieren. Nachdem das Unterrichtserlebnis der SuS erfasst worden ist, stellt sich eine weitere Frage, nämlich ob ein Zusammenhang zwischen der Förderung methodischer Kompetenz und Leseleistung besteht. Wie in Abschnitt 2.1 bereits dargestellt, gibt es dazu unterschiedliche Studien, wobei diejenigen, die einen solchen Zusammenhang vermuten lassen, überwiegen. Somit kann auch zwischen der Teilkomponente ‚methodisch-differenzierter Umgang mit Texten‘, wie sie in Abschnitt 2.2 definiert wurde, und der Leseleistung ein Zusammenhang vermutet werden. Folgende Forschungsfrage kann daher abgeleitet werden: 2. In welchem Zusammenhang stehen die Häufigkeit, mit der ein methodisch-differenzierter Umgang mit Texten geübt wird, und die im Test erbrachte Leseleistung? Ziel der Untersuchung ist dabei, den Zusammenhang der methodisch-differenzierten Tätigkeiten (Lesestrategien, Lesetechniken, etc.) mit der Leseleistung zu erfassen. 3.2 Untersuchungsdesign und Versuchsdurchführung Die im Folgenden dargestellte Untersuchung basiert auf Daten, die im Jahr 2008 vom IQB erhoben wurden. 1 Dabei sind lediglich jene Daten relevant, die im Kompetenzbereich Leseverstehen mithilfe von insgesamt 184 Items erhoben wurden. Die Items wurden Blöcken à 20 Minuten zugewiesen, die wiederum mithilfe eines Multi-Matrix-Designs auf insgesamt 28 Testhefte verteilt wurden, wobei mit jedem Testheft zwei oder mehr Kompetenzen getestet wurden. Aus administrativen Gründen konnten nicht alle 1 Die so genannte Normierungsstudie wird in P ORSCH / T ESCH / K ÖLLER (2010) ausführlich dargestellt. 94 Iulia Popescu, Bettina Neugebauer 41 (2012) • Heft 1 SuS in allen Kompetenzbereichen getestet werden. Zusätzlich zu den Kompetenzdaten wurden mithilfe von Schülerfragebögen u.a. zum Unterrichtserlebnis weitere Daten erhoben. Bei der im Folgenden beschriebenen Untersuchung handelt es sich daher um eine Querschnittstudie, die die Situation im Jahr 2008 erfasst und keine prozessbezogenen Aussagen treffen kann. Das IEA Data Processing and Research Center (DPC) in Hamburg wurde mit der Organisation und praktischen Durchführung der Studie beauftragt. Insgesamt wurden in einer repräsentativen, bundeslandübergreifenden Stichprobe von 100 Schulen SuS aus den Jahrgängen 9 und 10 getestet. Die reine Testzeit für den Leistungstest betrug 120 Minuten. Mithilfe von Schülerteilnahmelisten, die von den Lehrerinnen und Lehrern (LuL) bzw. Schulkoordinatoren auszufüllen waren, wurden zusätzlich zu den Leistungsdaten Hintergrunddaten der SuS, z.B. der Migrationshintergrund, erhoben. Das Ausfüllen des Schülerfragebogens war für die SuS freiwillig und von der Einwilligung der Eltern abhängig. Die Bearbeitung des Schülerfragebogens dauerte ca. 75 Minuten. Durch erfahrene, geschulte Testleiter konnten bundesweit vergleichbare Testbedingungen geschaffen werden. 3.3 Stichprobe und Erhebungsinstrumente Insgesamt liegen Daten zu 3.602 SuS vor. Beteiligt waren drei Bildungsgänge (Schulen mit mehreren Bildungsgängen inklusive integrierter Gesamtschule, Realschulen und Gymnasien) in den sechs Bundesländern, in denen Französisch als erste Fremdsprache angeboten wird (Saarland, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Berlin, Baden-Württemberg und Hessen). Die meisten Testpersonen der Gesamtstichprobe besuchten zum Testzeitpunkt das Gymnasium (N = 692). Für unsere Studie wurden lediglich SuS betrachtet, die sowohl am Leistungstest für den Kompetenzbereich Leseverstehen teilgenommen als auch den Schülerfragebogen ausgefüllt hatten (470 aus der 9. und 396 aus der 10. Jahrgangsstufe). Der Ausschluss von SuS aus den Analysen ist auf mehrere Punkte zurückzuführen: (1) es lag keine Einverständniserklärung der Eltern zur Testung vor, (2) der freiwillige Schülerfragebogen wurde von den SuS nicht ausgefüllt, und (3) es lagen designbedingt nicht ausreichend Leistungsdaten für das Leseverstehen von den SuS vor, sodass nicht allen SuS mit Leistungsdaten die entsprechenden Fragebogendaten zugeordnet werden konnten. Leistungstest: Der Leistungstest erfasst Kompetenzdaten für das Leseverstehen im Fach Französisch mit insgesamt 184 Items. Diese berücksichtigten unterschiedliche Aufgabenformate (offen, halboffen, geschlossen), Textsorten und Themen und variierten in den kognitiven Anforderungen, die sich aufgrund von A-priori-Einschätzungen den Niveaustufen A1 bis C1 des GER (vgl. E UROPARAT 2001) zuordnen ließen. 2 Die Leseaufgaben, die in Anlehnung an die Bildungsstandards (vgl. KMK 2003, 2004) mit Hilfe des Testkonstrukts des IQB entwickelt wurden, wurden vor der Nor- 2 Beispielaufgaben können auf der IQB-W EBSITE (www.iqb.hu-berlin.de) eingesehen werden. Testung und Evaluierung des Leseverstehens 95 41 (2012) • Heft 1 mierungsstudie präpilotiert und pilotiert, sodass sie mehrmals empirisch überprüft, gegebenenfalls überarbeitet und somit optimiert wurden. Schülerfragebogen: Der Schülerfragebogen beinhaltet neben Fragen zum sozioökonomischen und kulturellen Hintergrund der SuS auch Skalen zum Unterrichtserlebnis, die für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse sind. Nach der Umpolung negativer Items wurden die Skalen einer explorativen Faktorenanalyse (Varimax; Hauptkomponentenanalyse) unterzogen. Für die resultierenden Faktoren wurden Reliabilitätsanalysen durchgeführt. Kriterien zur Verwendung der Faktoren waren neben inhaltlichen Überlegungen auch eine Mindestitemanzahl von drei Items und ein Cronbach’s > 0,5. Diese Bedingungen konnte lediglich Faktor I (‚methodisch differenzierter Umgang mit Texten‘) erfüllen. Der Faktor I erklärt zudem den größten Anteil an der Gesamtvarianz und erfasst somit das Konstrukt ‚Methodenkompetenz‘ am besten. Faktor I besteht aus acht Items, die sich auf die Häufigkeit, mit der die SuS in den vergangenen sechs Monaten eine bestimmte Aktivität im Französischunterricht geübt haben, beziehen. Verschiedene Aussagen (Bsp. „Ich habe geübt, die Hauptaussage eines französischen Textes herauszufinden“) mussten dabei anhand einer klassischen Likert-Skala mit fünf Antwortoptionen (1 = nie bis 5 = (fast) jede Stunde) eingeschätzt werden (Cronbach’s = 0,82). 3.4 Ergebnisse: Forschungsfrage 1 (Häufigkeiten) Bei der Berechnung der Häufigkeiten, mit denen die bereits beschriebenen Tätigkeiten in den letzten sechs Monaten im Unterricht praktiziert wurden, lässt sich zunächst eine Tendenz zur Mitte feststellen, d.h. die meisten SuS geben an, die erwähnten Tätigkeiten mehrmals in den letzten sechs Monaten geübt zu haben. Ein Blick in die Häufigkeiten zeigt ein differenzierteres Bild auf. Dabei werden jeweils die zwei oberen und unteren Antwortmöglichkeiten (‚nie‘ und ‚1 Mal‘ [1. Spalte] sowie ‚fast jede Stunde‘ und ‚mehrmals pro Stunde‘ [3. Spalte]) zusammengefasst und in Prozenten angegeben. Item Häufigkeit in den letzten sechs Monaten nie und 1 Mal mehrmals fast jede Stunde a Hauptaussage in Texten finden 31,0 % 51,5 % 17,5 % b roten Faden in argumentativen Texten finden 61,4 % 31,6 % 7,1 % c konkrete Informationen aus einem Text heraussuchen 29,2 % 52,9 % 17,7 % d Bedeutung der Wörter aus dem Kontext erschließen 27,0 % 39,2 % 33,8 % e Schlussfolgerungen über Absichten, Gefühle, Einstellungen des Autors ziehen 54,7 % 33,0 % 12,4 % 96 Iulia Popescu, Bettina Neugebauer 41 (2012) • Heft 1 Item Häufigkeit in den letzten sechs Monaten nie und 1 Mal mehrmals fast jede Stunde f zur Lösung von Aufgaben Informationen aus mehreren Texten suchen 48,3 % 40,6 % 11,1 % g sich schnell einen groben Überblick über den Inhalt eines Textes verschaffen 44,8 % 41,0 % 14,2 % h wichtige Stellen im Text hervorheben 44,3 % 36,8 % 19,0 % Tab. 1: Kumulative Prozente der Häufigkeit, mit der bestimmte Tätigkeiten in den letzten sechs Monaten geübt wurden Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass nach Aussage der SuS in den letzten sechs Monaten Item d ‚Bedeutung der Wörter aus dem Kontext erschließen‘, eine relativ leichte Tätigkeit, am häufigsten und Item b ‚roten Faden in argumentativen Texten finden‘, eine relativ komplexe Tätigkeit, am seltensten im Unterricht geübt wurde. Auf der Basis der erhobenen Daten kann insgesamt festgehalten werden, dass ein methodisch-differenzierter Umgang mit Texten im Jahr 2008 mehrmals im Halbjahr stattfand. 3.5 Ergebnisse: Forschungsfrage 2 (Zusammenhang) Um zu überprüfen, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Unterrichtserlebnis aller in der Teilstichprobe beteiligten SuS in Bezug auf einen methodisch-differenzierten Umgang mit Texten und ihren Leistungsdaten im Lesen gibt, wurde der Faktor I (‚methodisch-differenzierter Umgang mit Texten‘) mit den Leistungsdaten im Lesen korreliert. Die Korrelation des Unterrichtserlebnisses mit der Leseleistung (r = 0,27) fiel relativ hoch aus, und auch der Wert für die Signifikanz (p = 0,0) zeigt, dass man hierbei von einem statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen dem Unterrichtserlebnis und der Leseleistung sprechen kann. 3 Somit zeigen SuS, die angeben, einen methodisch-differenzierten Umgang mit Texten nicht regelmäßig praktiziert zu haben, auch schlechtere Leistungsergebnisse. Ein Blick auf die einzelnen Items gibt eine noch differenziertere Rückmeldung. 3 Zum Vergleich: Die Autoren von PISA sprechen im internationalen Vergleich von einem positiven Zusammenhang bei einer aufgeklärten Varianz von 4,60 % (vgl. OECD 2001: 128 ff). Die aufgeklärte Varianz unserer Untersuchung beträgt 7,12 %. Testung und Evaluierung des Leseverstehens 97 41 (2012) • Heft 1 Item Korrelation (Pearson’s r) mit der Leseleistung a Hauptaussage in Texten finden 0,20 4 b roten Faden in argumentativen Texten finden 0,16 4 c konkrete Informationen aus einem Text heraussuchen 0,19 4 d Bedeutung der Wörter aus dem Kontext erschließen 0,26 4 e Schlussfolgerungen über Absichten, Gefühle, Einstellungen des Autors ziehen 0,23 4 f zur Lösung von Aufgaben Informationen aus mehreren Texten suchen 0,12 4 g sich schnell einen groben Überblick über den Inhalt eines Textes verschaffen 0,15 4 h wichtige Stellen im Text hervorheben 0,12 4 Tab. 2: Korrelation (Pearson’s r) der Leseleistung mit den Items des Faktors 1 Gemäß der Tabelle 2 lässt sich der stärkste Zusammenhang für Item d ‚Bedeutung der Wörter aus dem Kontext erschließen‘ und der geringste für das Items f ‚zur Lösung von Aufgaben Informationen aus mehreren Texten suchen‘ sowie das Item h ‚wichtige Stellen im Text hervorheben‘ verzeichnen. 4. Diskussion 4.1 Die Forschungsfragen Die Ergebnisse zur ersten Forschungsfrage weisen darauf hin, dass im Französischunterricht ein methodisch-differenzierter Umgang mit Texten acht Jahre nach PISA 2000 mehrmals im Halbjahr stattfand. Hierbei ist anzumerken, dass die Konzentrationsfähigkeit der SuS nach einer knapp 4-stündigen Testung wahrscheinlich nachgelassen hat und mit ihr auch die Motivation zum Ausfüllen des Schülerfragebogens. Eine andere Versuchsdurchführung, bei der der Fragebogen am nächsten Tag ausgefüllt worden wäre, war aus organisatorischen Gründen nicht möglich. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass die vorherige Bearbeitung von Aufgaben zum Leseverstehen auch die Rezeption und Selbsteinschätzung der eigenen Methodenkompetenzen beeinflusst. Problematisch war dabei die Komplexität der Items, welche Tätigkeiten erfragten, für die wiederum andere Aktivitäten und Strategien vorausgesetzt werden mussten. Ebenso kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob die SuS die Fragen genau 4 Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant. 98 Iulia Popescu, Bettina Neugebauer 41 (2012) • Heft 1 verstanden oder die erfragten Tätigkeiten bewusst wahrgenommen und den Fragebogen somit entsprechend der tatsächlich stattgefundenen Unterrichtspraxis ausgefüllt haben. Die am häufigsten geübte Tätigkeit war laut den Berechnungen ‚die Bedeutung unbekannter Wörter aus dem Kontext erschließen‘, eine Kompetenz im Bereich der Lexikerschließung, die nach dem Kompetenzstufenmodell des IQB auf dem Niveau A2/ B1 von den SuS beherrscht wird, die den MSA anstreben. Es erscheint plausibel, dass genau diese Tätigkeit häufiger geübt wurde als andere, da sie eine aktive Schüler- und eine passive Lehrerrolle impliziert. Für LuL ist es vermutlich leichter umsetzbar, die SuS zunächst selbstständig unbekannte Vokabeln aus dem Kontext erschließen zu lassen als bspw. mit ihnen zu üben, Schlussfolgerungen über die Absichten eines Autors zu ziehen, eine viel komplexere und aus mehreren Teilstrategien zusammengesetzte Tätigkeit, die laut den Erhebungen relativ wenig geübt wurde. Am seltensten wurde laut den Befragungen das Finden und Erläutern eines roten Fadens in argumentativen Texten geübt (Item b). Denkbar ist hierbei, dass die SuS diese Tätigkeit zwar häufig, jedoch unbewusst und unreflektiert geübt haben. Aus der Untersuchung von G RÜTZ (2010) für den Leseprozess in der Muttersprache ist bekannt, dass kompetente Leser erfolgreich Informationen aus Texten entnehmen und diesbezügliche Fördermaßnahmen an Bedeutung verlieren, sodass die LuL möglicherweise ihre fachdidaktischen Absichten hinter dem Üben dieser Tätigkeit nicht explizit gemacht haben. Schließlich kann aber auch vermutet werden, dass diese Aktivität eher selten praktiziert wurde, da sie im Vergleich zu anderen relativ komplex ist und mehrere Teiltätigkeiten voraussetzt, die zuvor stattgefunden haben müssen. Vielleicht fehlt noch immer vielen LuL das Wissen darüber, wie solche Tätigkeiten systematisch geübt werden können. Die Ergebnisse zur zweiten Forschungsfrage haben einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen dem Unterrichtserlebnis der SuS in Bezug auf einen methodisch-differenzierten Umgang mit Texten und ihrer Leseleistung im Fach Französisch gezeigt. Empirische Studien, die in Abschnitt 2 beschrieben wurden, haben dies bereits vermuten lassen. An dieser Stelle sollte allerdings Folgendes beachtet werden: Der eingesetzte Schülerfragebogen hat ein Bewusstsein über den Einsatz der beschriebenen Tätigkeiten gewissermaßen vorausgesetzt und durch allgemeine Formulierungen wie ‚die Hauptaussage erfassen‘ auch die Transferierbarkeit von Strategien suggeriert, was als problematisch einzuschätzen ist. Auch das komplexe Konstrukt ‚Lesen‘ bringt einige Probleme mit sich. So mangelt es bislang noch immer an einem für die Fremdsprache empirisch abgesicherten Modell des Leseverstehens. Die Tendenz, den Leseprozess in einzelne Teilfertigkeiten zu segmentieren und Kompetenzniveaus zuzuordnen, wie sie im Kontext standardbasierter Testentwicklung üblich ist, gilt ebenfalls als umstritten. Dies deuten zahlreiche Arbeiten an, die u.a. die Validität des GER und der Bildungsstandards, an denen sich auch das IQB orientiert, anzweifeln (vgl. z.B. B AUSCH [et al.] 2005). Zudem gilt, dass der nachgewiesene Zusammenhang zwischen dem Unterrichtserlebnis in Bezug auf methodische Textkompetenzen und der Leseleistung durch das Ermitteln von Korrelationen noch keine eindeutigen Schlussfolgerungen über Ursa- Testung und Evaluierung des Leseverstehens 99 41 (2012) • Heft 1 chenzusammenhänge erlaubt. Jedoch signalisieren die nachgewiesenen statistischen Zusammenhänge, dass bestimmte im Unterricht geübte Tätigkeiten sich in einem gewissen Maß positiv auf die Leseleistung auswirken können. Welche das sind, zeigt der Blick auf die Einzelitems. So ließ sich für Item d ‚Bedeutung der Wörter aus dem Kontext erschließen‘ der stärkste Zusammenhang zwischen dem Unterrichtserlebnis und der Leseleistung verzeichnen. Dies korrespondiert mit den Ergebnissen der Leseforschung aus Abschnitt 2.1.2, nach denen der Leseprozess in der Fremdsprache maßgeblich von den vorhandenen Sprachkenntnissen beeinflusst wird. Eine der ersten Verarbeitungsebenen, die Wortebene, spielt dabei offensichtlich eine entscheidende Rolle. Für zukünftige Studien wäre es interessant, diesen Zusammenhang auch im Hinblick auf bildungsgangspezifische Unterschiede zu analysieren. Zudem wäre der Zusammenhang vermutlich noch höher, wenn man die Komplexität des Konstrukts ‚methodische Kompetenzen‘ besser erfassen könnte. So deutet das erweiterte Kompetenzmodell aus Abschnitt 2.2 bereits an, dass Sprach-, methodische und interkulturelle Kompetenzen im FSU nur im Zusammenspiel erfolgreich gefördert werden können. Folglich ist es schwer, einen Teilaspekt der methodischen Kompetenzen aus der komplexen Unterrichtsgesamtheit zu entnehmen und ihn genau empirisch abzubilden. Eine weitere Schwierigkeit stellen die vielen begrifflichen Unklarheiten bzw. Unstimmigkeiten in den Definitionen der Begriffe dar. Vor allem der Begriff ‚Strategie‘ hat sich als problematisch herausgestellt, weil in der Fachliteratur keine Einigkeit darüber besteht, ob Strategien grundsätzlich bewusst sind oder ob sie bewusstseinsfähig sind, aber unbewusst und automatisch ablaufen können (vgl. z.B. F RIEDRICH / M ANDL 1992). Ähnlich umstritten ist auch deren Transferierbarkeit (vgl. G ROB / M AAG M ERKI 2001: 492). 4.2 Ausblick Diese Untersuchung stellt unseres Erachtens, trotz aller dargestellten Restriktionen, einen wichtigen Forschungsbeitrag zum Themenbereich methodischer Kompetenzen dar. Zum einen spiegelt sie die Unterrichtspraxis in Bezug auf methodische Kompetenzen beim Umgang mit Texten anhand einer repräsentativen Stichprobe sieben Jahre nach dem „PISA-Schock“ in Deutschland. Durch die Fokussierung auf die prozedurale Ebene von Unterricht und die Förderung bzw. Ausbildung methodischer Kompetenzen ergänzt sie deutsche Schulleistungsuntersuchungen, die diese Kompetenzen lediglich implizit über Leistungsdaten in Form von messbaren Produkten erfassen. Zum anderen weist sie einen Zusammenhang zwischen methodischen Kompetenzen und der Leseleistung empirisch nach. Dies kann zukünftig als Anregung für die Entwicklung eines theoretischen Modells methodischer Kompetenzen und dessen empirische Absicherung dienen, woran es noch immer mangelt. Gerade im Hinblick erkenntnistheoretischer, gesellschaftlicher, technischer und kultureller Veränderungen gewinnt die Rolle methodischer Kompetenzen an Bedeutung und erweist sich im Bereich des Leseverstehens als wertvoll, sodass eine wirksame Förderung dieser Kompetenzen Eingang in den FSU finden sollte. 100 Iulia Popescu, Bettina Neugebauer 41 (2012) • Heft 1 Literatur B ÄR , Marcus (2009): Förderung von Mehrsprachigkeit und Lernkompetenz. Fallstudien zu Interkomprehensionsunterricht der Klassen 8 bis 10. 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