eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 41/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2012
412 Gnutzmann Küster Schramm

UniComm English – ein Formulierungswörterbuch für die Lehrveranstaltungskommunikation

2012
Annelie Knapp
Silke Timmermann
© 2012 Narr Francke Attempto Verlag FLuL 41 (2012) • Heft 2 A NNELIE K NAPP , S ILKE T IMMERMANN * UniComm English - ein Formulierungswörterbuch für die Lehrveranstaltungskommunikation 1 Abstract. There is conclusive empirical evidence by now that using English as a medium of instruction at universities is anything but unproblematic for non-native speakers of English. To support students and lecturers alike in coping with the communicative requirements of university courses, the authors have developed an online phrasal dictionary for university communication (UniComm English). Based on the assumption that many of the recurring communicative requirements in university courses can be met by prefabricated phrases, it offers a vast collection of such phrases, arranged according to their communicative function. The particular challenges of this approach lie in the identification and definition of such functions as well as in finding terms for their description which are not only user-friendly but also adequate in terms of linguistic systematics. The article will give an insight into the process of developing UniComm English and into its structural features. 0. Einleitung Der Anteil englischsprachiger Lehre an deutschen Hochschulen hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen. Dies ist zum einen eine Konsequenz der wachsenden Dominanz von Englisch als Publikationssprache und damit auch des größer werdenden Anteils englischsprachiger Fachliteratur als Textgrundlage für Lehrveranstaltungen. Zum anderen spielt das Bestreben eine Rolle, internationalen Studierenden mit der Verwendung von Englisch als Lingua franca ein attraktives und sprachlich adäquates Lehrangebot zu machen sowie Studierende mit deutscher Muttersprache auf eine durch zunehmende Dominanz des Englischen geprägte Arbeitswelt vorzubereiten, in der sie über fachliche Inhalte (auch) in englischer Sprache kommunizieren müssen. Die Verbreitung englischsprachiger Lehre an deutschen Hochschulen wird inzwischen mit guten Gründen auch kritisch betrachtet (vgl. z.B. E HLICH 2000), was aber nicht Gegenstand dieses Beitrags sein soll. Ausgangspunkt für die Entwicklung des in diesem Bei- * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Annelie K NAPP , Universität Siegen, Fakultät I, 57068 S IEGEN . E-Mail: knapp@anglistik.uni-siegen.de Arbeitsbereiche: Interkulturelle Kommunikationskompetenz, CLIL, Mehrsprachige Kommunikation in Institutionen. Silke T IMMERMANN , M.A., Universität Siegen, Fakultät I, 57068 S IEGEN . E-Mail: timmermann@anglistik.uni-siegen.de Arbeitsbereiche: English for Specific Purposes, Lexikografie, CALL. 1 UniComm English wurde im Rahmen des von der Volkswagen-Stiftung geförderten Projekts „Mehrsprachigkeit und Multikulturalität im Studium (MuMiS)“ entwickelt (s. www.mumis-projekt.de). UniComm Englisch - ein Formulierungswörterbuch für die Lehrveranstaltungskommunikation 43 FLuL 41 (2012) • Heft 2 trag vorgestellten Formulierungswörterbuchs für englischsprachige Lehre war vielmehr die Überlegung, dass - wenn denn schon englischsprachige Lehre an deutschen Hochschulen ein nicht wegzudiskutierender Tatbestand ist - diese Lehre qualitativ so hochwertig wie möglich und nicht durch mangelnde Sprachkompetenz negativ beeinflusst sein sollte. 1. Englisch in der Lehre - eine Herausforderung für Lehrende und Studierende Nun mag man angesichts der Tatsachen, dass das Abitur - mit dem Anspruch von Englischkenntnissen auf B2-Niveau - in der Regel Zulassungsvoraussetzung zum Studium ist und dass Lehrende an Universitäten ja praktisch täglich mit englischsprachigen wissenschaftlichen Texten konfrontiert sind, zum großen Teil selbst auf Englisch publizieren und an wissenschaftlichen Kongressen mit Englisch als Veranstaltungssprache teilnehmen, argumentieren, dass englischsprachige Lehre kein Problem darstellen sollte. Die Realität sieht anders aus. Befragungen von Lehrenden sowie Analysen sprachlicher Interaktion in Lehrveranstaltungen, in denen Englisch von Nichtmuttersprachlern als Veranstaltungssprache verwendet wird, haben gezeigt, dass Lehrende - bei relativ wenig Problemen mit englischem Fachvokabular und der Darstellung fachlicher Inhalte auf Englisch - Schwierigkeiten haben, die Moderation von Lehr-Lerndiskursen, die Klärung von mit Lehrveranstaltungen verbundenen organisatorischen Fragen sowie - was ja auch Realität an den Hochschulen ist - die Lösung von Konflikten, die im Kontext von Lehrveranstaltungen entstehen können, in englischer Sprache zu bewältigen (C OLEMAN 2006; K NAPP 2011a, b). Bei den Studierenden ist die Problemlage etwas anders. Sie haben - sowohl produktiv als auch rezeptiv - erklärlicherweise häufig Probleme mit Fachvokabular, mit allgemeiner wissenschaftlicher Terminologie und adäquater wissenschaftlicher Ausdrucksweise. Ihnen fällt es aber häufig auch schwer, im Rahmen von Lehr-Lerndiskursen ihre Redebeiträge adäquat auf Englisch einzuleiten - etwa wenn sie um ein weiteres Beispiel bitten, ein Gegenargument oder Kritik vorbringen oder auf eine frühere Äußerung oder eine Textstelle verweisen möchten. Ihnen fehlen häufig auch sprachliche Mittel, um die Klärung organisatorischer Fragen zu initiieren, etwa sich auf Englisch nach Leistungsanforderungen, Literaturangaben etc. zu erkundigen. Das unterstellte B2-Niveau ihrer Englischkompetenz impliziert ja nicht notwendig die Fähigkeit, sich in einem ganz bestimmten Genre und über bestimmte fachliche Sachverhalte klar und detailliert, spontan und fließend auszudrücken, und sagt insgesamt wenig aus über die Fähigkeit zu akademischem Sprachgebrauch. Diese Situation mag sich mit der weiteren Verbreitung von bilingualem Sachfachunterricht (CLIL) an Schulen demnächst ändern, ist aber derzeit noch für einen nicht unerheblichen Teil der Studierenden als problematisch anzusehen. Sie führt aus der Sicht der Studierenden zu zusätzlichem Lernaufwand (ein bei der Kritik an der Überforderung von Studierenden in Bachelor- 44 Annelie Knapp, Silke Timmermann FLuL 41 (2012) • Heft 2 studiengängen noch kaum berücksichtigter Faktor), potenziell aber auch zu mangelndem Verständnis der behandelten Inhalte und zu geringerer aktiver Partizipation an der Lehrveranstaltungskommunikation (A IREY 2009, D OIZ / L ASAGABASTER / S IERRA 2011, K NAPP / M ÜNCH 2008). 2. Charakteristika von Lehrveranstaltungskommunikation 2.1 Typische Kommunikationssituationen Lehrveranstaltungen sind zwar die zentralen, aber nicht die einzigen Kommunikationssituationen, in denen Lehrende und Studierende miteinander interagieren. In Kontexten, in denen englischsprachige Lehre von deutschsprachigen Lehrenden für deutschsprachige Studierende angeboten wird, reduziert sich die englischsprachige Interaktion allerdings in der Regel auf die Lehrveranstaltungen selbst. Wenn aber - wie häufig bei internationalen Studierenden an deutschen Hochschulen - Englisch die einzige gemeinsame Sprache ist, also als Lingua franca genutzt wird, sind auch andere, die Lehrveranstaltung flankierende Kommunikationssituationen zu bewältigen: Interaktionen zwischen Lehrenden und einzelnen Studierenden vor oder nach der Lehrveranstaltung und in Sprechstunden. Auch hier sind Schwierigkeiten bei der Kommunikation in englischer Sprache zu erwarten. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich jedoch auf die Kommunikation in Lehrveranstaltungen selbst. 2.2 Wiederkehrende kommunikative Anforderungen Universitäre Lehrveranstaltungskommunikation (im Folgenden: LV-Kommunikation) ist ein Genre, das durch spezifische kommunikative Anforderungen sowie durch spezifische sprachliche Mittel zur Bewältigung dieser Anforderungen gekennzeichnet ist. Da die kommunikativen Charakteristika von LV-Kommunikation für die Gestaltung des Formulierungswörterbuchs UniComm zentral sind, sollen sie hier zunächst näher dargestellt werden. • LV-Kommunikation ist ein Genre, das sich überwiegend aus zwei zentralen Diskurstypen konstituiert: dem „Lehr-Lerndiskurs“, dessen vorrangiges Ziel die Konstruktion von akademischem Wissen ist, und dem „Organisationsdiskurs“, der die Verständigung über Leistungserwartungen, Arbeitsformen, zeitlich-räumliche Aspekte der Lehrveranstaltung u.Ä. zum Ziel hat. Diese Diskurstypen werden während einer Lehrveranstaltungssitzung in teilweise mehrfachem Wechsel, mit unterschiedlichen Anteilen, mehr oder weniger dialogisch bzw. monologisch realisiert. • In LV-Kommunikation werden typischerweise bestimmte kommunikative Funktionen realisiert, während andere wiederum eher unüblich sind. Häufig in der Alltagskommunikation anzutreffende Sprechhandlungen, wie z.B. Versprechen, Komplimente, Glückwünsche, sind hier eher untypisch. Hingegen spielen in der UniComm Englisch - ein Formulierungswörterbuch für die Lehrveranstaltungskommunikation 45 FLuL 41 (2012) • Heft 2 LV-Kommunikation charakteristischerweise kommunikative Funktionen wie Beschreiben, Erklären, Definieren, Bewerten, Einwenden, Vergleichen, Bezweifeln, Widerlegen etc. eine herausragende Rolle. Diese häufig als „academic language functions“ bezeichneten Funktionen (D ALTON -P UFFER 2007, ²2009) und die damit verknüpften sprachlichen Handlungen dienen spezifisch der Konstruktion von Wissen, und das Erlernen sprachlicher Mittel zu ihrer Realisierung ist ein wichtiger Teil fortgeschrittener Sprachlernprozesse, im Muttersprachenerwerb ebenso wie im Fremdsprachenerwerb (vgl. D ALTON -P UFFER ²2009). Darüber hinaus werden sprachliche Handlungen, die die Diskursstruktur explizieren, wie z.B. der Rückverweis auf etwas vorher Gesagtes („wir haben dieses Problem schon bei der Analyse von Tabelle x thematisiert“) oder die Ankündigung demnächst folgender sprachlicher Handlungen („ich werde das gleich noch genauer erläutern“; „ich habe da noch eine Frage“) sowie weitere Sprechhandlungen, die der Verständnissicherung dienen („ist das jetzt klar geworden? “), in LV-Kommunikation mit hoher Frequenz realisiert. 2 • Charakteristisch ist weiterhin, dass diese „academic language functions“ nicht nur sprachlich realisiert, sondern häufig auch explizit metakommunikativ thematisiert werden, z.B. durch folgende Äußerungen: Let’s illustrate this with an example. Would somebody like to comment on this? I will start by explaining X’s position and we will then compare it to Y’s approach. Could you please explain that again? We will analyze this in more detail later on. • Allerdings findet eine explizite Thematisierung nicht für jede Art von Sprechhandlung in gleichem Maße statt. So ist es z.B. eher ungewöhnlich, bewertende Sprechhandlungen, etwa Lob für gute Antworten von Studierenden, explizit anzukündigen. Einige wenige Sprechhandlungen werden auch unter Nutzung eines performativen Verbs gleichzeitig thematisiert und ausgeführt (z.B. I‘d like to welcome you …) • Charakteristisch für LV-Kommunikation sind nicht nur die sprachlichen Handlungen selbst, sondern auch die jeweiligen Inhalte, mit denen sie verknüpft sind. So sind z.B. Fragen, Antworten oder Bitten - kommunikative Funktionen mit großer Relevanz sowohl für Alltagsals auch für LV-Kommunikation - mit typischen Inhalten verknüpft. In einem universitären Seminar geht es also normalerweise nicht darum, um das Salz zu bitten, sondern - wie in den Äußerungen oben - eher um die Bitte, etwas noch einmal zu erläutern, ein Beispiel zu geben, einen bestimmten Abschnitt eines Textes zu fokussieren, oder auch darum, aufmerksamer zuzuhören oder das Fenster (und nicht etwa die Autotür) zu schließen. 2 Dem Explizieren der Diskursstruktur und der Ankündigung sprachlicher Handlungen kommen in der Kommunikation mit Englisch als Lingua franca besondere Bedeutung zu, da auf diese Weise Missverständnisse vermieden werden können (vgl. B JÖRKMAN 2010: 81). 46 Annelie Knapp, Silke Timmermann FLuL 41 (2012) • Heft 2 • Gleichzeitig ist charakteristisch für LV-Kommunikation, dass nur ein spezifisches sprachliches Register, in dem bestimmte Sprechhandlungen realisiert sind, als angemessen angesehen wird. So werden z.B. positive Bewertungen im Rahmen von Lehrveranstaltungen eher nicht durch Formulierungen wie „echt Spitze“ „toll“ oder gar „geil“ realisiert, sondern stattdessen durch Formulierungen wie „ein sehr interessanter Vorschlag“, „gute Idee“, „genau - richtig“. Was sprachlich-kommunikativ in einer Lehrveranstaltung geschieht, ist also sowohl in pragmatischer als auch in semantischer Hinsicht charakterisierbar und darüber hinaus als spezifische Varietät, ein spezifisches Register. 2.3 Formulierungen: Standardlösungen für die Realisierung kommunikativer Funktionen Wir gehen davon aus, dass es häufig die angemessene Realisierung der lehrveranstaltungstypischen kommunikativen Funktionen in englischer Sprache ist, die Lehrenden und Studierenden Schwierigkeiten bereitet. Wir gehen weiterhin davon aus, dass Äußerungen zur Realisierung dieser kommunikativen Funktionen von Sprechern nicht jeweils neu konstruiert werden müssen, sondern dass es vielmehr „vorgefertigte Standardlösungen“ gibt, die als Ganze gelernt und abgerufen, bei Bedarf aber auch variiert werden können. Die Erforschung vorgefertigter, formelhafter Äußerungen hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen (z.B. A GUADO 2002, W RAY 2002, 2008, S CHMITT 2004, W OOD 2010). Inzwischen beschäftigt sich eine Fülle von Arbeiten mit der Erforschung unterschiedlicher Aspekte formelhafter Äußerungen. Sie betreffen sowohl Spracherwerb als auch Sprachverwendung, in muttersprachlicher ebenso wie in lernersprachlicher Kommunikation. Weitere Aspekte betreffen die Untersuchung der Idiomatizität (vgl. C OWIE 1998) und der Häufigkeit solcher Formulierungen in bestimmten Genres (vgl. B IBER et al. 2004). In unserem Zusammenhang ist vor allem relevant, dass das Verfügen über fertige Formulierungen insbesondere Sprecher einer Fremdsprache bei der Produktion längerer und komplexerer mündlicher Äußerungen entlastet. So werden mentale Kapazitäten frei, die für die Konzentration auf die Inhalte und/ oder die Formulierung problematischerer Teile der Äußerung verwendet werden können. Für Fremdsprachenlerner ist zudem von Vorteil, dass sie auf die sprachliche Korrektheit und stilistische Angemessenheit solcher fertigen Formulierungen vertrauen können, sofern ihr Erwerb auch mit spezifischen Kommunikationssituationen und -funktionen verknüpft wurde. 3 3 Vgl. D ECHERT (1983: 18): „islands of reliability“. UniComm Englisch - ein Formulierungswörterbuch für die Lehrveranstaltungskommunikation 47 FLuL 41 (2012) • Heft 2 3. Ziele von UniComm English Charakteristische kommunikative Funktionen in LV-Kommunikation und englischsprachige Formulierungen zu ihrer Realisierung sind also Gegenstände des Formulierungswörterbuchs UniComm English. 4 Mit diesem online verfügbaren Wörterbuch haben wir ein Instrument entwickelt, das Lehrenden und Studierenden dabei helfen kann, größere und flexibler einsetzbare Handlungsfähigkeit beim Gebrauch der Fremdsprache Englisch in einem spezifischen Verwendungskontext, nämlich universitären Lehr- Lernsituationen, zu erlangen. Insbesondere soll UniComm English dazu beitragen, dass Studierende Sicherheit bei der Produktion eigener Redebeiträge in Seminaren gewinnen und sich auf dieser Grundlage aktiver produktiv an der LV-Kommunikation beteiligen. Auch Lehrenden soll UniComm English dabei helfen, mit größerer Sicherheit in englischsprachigen Lehrveranstaltungen zu agieren. Hier steht im Vordergrund, dass sie stärker dialogisch-interaktive Lehrveranstaltungsphasen souverän meistern und dabei ihre fachliche Kompetenz ebenfalls sprachlich angemessen demonstrieren können. Das Verfügen über sprachliche Mittel zur Verständnissicherung und Bedeutungsaushandlung soll weiterhin Studierenden und Lehrenden gleichermaßen dabei helfen, eine erfolgreiche Konstruktion akademischen Wissens im Studium bei englischsprachiger Lehre zu erreichen. 4. Makrostruktur - Auswahl der Formulierungen und funktionale Zuordnung Bei der Gestaltung der Struktur des Wörterbuchs waren zunächst einige theoretische, empirische und anwendungsbezogene Fragen zu klären: • Wie gelangt man zu einer Liste lehrveranstaltungsrelevanter kommunikativer Funktionen? • Wie lassen sich die kommunikativen Funktionen strukturieren/ systematisieren? • Wie geht man mit den beiden Ebenen „sprachliche Realisierung einer kommunikativen Funktion“ und „Thematisierung (metasprachliche Realisierung) einer kommunikativen Funktion“ um? • Wie geht man mit den Verknüpfungen von kommunikativen Funktionen und lehrveranstaltungstypischen Inhalten um? • Wie gelangt man zu adäquaten englischsprachigen Formulierungen für die Realisierung der kommunikativen Funktionen? • Welche Varietät(en) des Englischen sollen die Formulierungen repräsentieren? • Wie soll die Zuordnung von kommunikativen Funktionen und Formulierungen erfolgen? • Wie soll man die kommunikativen Funktionen benutzerfreundlich benennen? 4 UniComm English ist kostenlos verfügbar unter: www.mumis-unicomm.de 48 Annelie Knapp, Silke Timmermann FLuL 41 (2012) • Heft 2 4.1 Auswahl der Formulierungen Ausgangspunkt für die Sammlung der in UniComm English zusammengestellten Formulierungen waren die Korpora MICASE 5 und BASE 6 . Hinzu kamen im Internet frei verfügbare Mitschnitte universitärer Lehrveranstaltungen, wie sie mittlerweile in großer Anzahl verfügbar sind, und eigene Mitschnitte aus englischsprachigen Lehrveranstaltungen der Universität Siegen. Die Formulierungen für die Sprechstundenkommunikation sind dem Korpus des von Kolleginnen in Hamburg durchgeführten MuMiS- Teilprojekts zu Sprechstundenkommunikation entnommen. Im Vorfeld musste möglichst genau bestimmt werden, wonach auf welche Weise gesucht werden sollte. Zunächst wurde die Entscheidung getroffen, nur solche Formulierungen zu sammeln, die von Sprechern der Standardvarietäten des britischen und amerikanischen Englisch produziert wurden, und weder Äußerungen von Sprechern anderer Varietäten des Englischen noch lernersprachliche bzw. Lingua-franca-Formulierungen aufzunehmen. Grundlage dafür war unsere Annahme, dass Nutzer von UniComm English überwiegend erwarten, Formulierungen präsentiert zu bekommen, die aus ihrer Perspektive als „richtiges“ Englisch gelten. Dass die Verarbeitung der angebotenen Formulierungen durch die Benutzer des Wörterbuchs dann auch zu nicht in diesem Sinne zielsprachenkonformen Äußerungen ihrerseits führen kann, steht auf einem anderen Blatt. Die Analyse der Daten wurde mit dem Ziel durchgeführt, eine möglichst umfangreiche Liste mit Formulierungen zu erstellen, die zur Realisierung der für LV-Kommunikation und lehrveranstaltungsbezogene Kommunikation charakteristischen Funktionen verwendet werden. Als Verfahren ergab sich ein kombinierter top-down-/ bottom-up-Prozess: Ausgangspunkt für die top-down-Suche war ein grobes Vorverständnis von für LV-Kommunikation relevanten kommunikativen Funktionen. Dieses Vorverständnis basierte auf den oben unterschiedenen beiden zentralen Diskurstypen innerhalb von LV-Kommunikation (Lehr-Lerndiskurs und Organisationsdiskurs), vorliegenden wissenschaftlichen Analysen von LV-Kommunikation (z.B. C ASPER -H EHNE 2005 und G RÜTZ 2002), dem Konzept der „academic language functions“, wie oben kurz dargestellt, dem Institutionenwissen der Analysatoren sowie eigenen Erfahrungen mit diesem Genre und resultierte in den folgenden übergeordneten Suchkategorien: • Explizieren der Diskursstruktur (z.B.: Let’s go on to the next point.) • Explizieren der Funktion einer nachfolgenden Äußerung (z.B.: To elaborate on that a little…) • Ausführen einer sprachlichen Handlung an sich, u.a. durch die Verwendung einer explizit performativen Formel (z.B.: I‘d like to welcome you …) • Initiieren einer sprachlichen Handlung (z.B.: Could you give an example? ) 5 Michigan Corpus of Academic Spoken English. 6 British Academic Spoken English. UniComm Englisch - ein Formulierungswörterbuch für die Lehrveranstaltungskommunikation 49 FLuL 41 (2012) • Heft 2 • Initiieren einer außersprachlichen Handlung (z.B.: Get together in groups of three, please.) • Begleiten einer außersprachlichen Handlung (z.B.: Let’s switch off the computer for a moment.) Bei der Suche nach geeigneten Formulierungen lag ein besonderer Fokus auf solchen sprachlichen Handlungen, mit denen akademische Sprachfunktionen realisiert wurden. Ein weiteres Suchkriterium war der weitgehend fachunabhängige Charakter der Formulierungen und damit deren Verwendbarkeit in möglichst vielfältigen fachlichen Kontexten. Dieses Kriterium führte dazu, dass zwar auch Formulierungen mit fachspezifischen Inhalten prinzipiell berücksichtigt wurden, dann aber auf Formulierungsmuster mit Leerstellen reduziert wurden, die mit unterschiedlichen fachspezifischen Inhalten aufgefüllt werden können. Die so identifizierten Formulierungen bzw. Formulierungsmuster ergaben die Grundlage für eine weitere, auf funktionalen Kriterien beruhende Subklassifizierung der kommunikativen Funktionen innerhalb dieser Grobkategorien - eine Klassifizierung, die später für die Entscheidung über Spezifizierung und Benennung der kommunikativen Funktionen im Formulierungswörterbuch relevant wurde (siehe 4.3). Unser Fokus bei der Suche lag dabei nicht auf hochfrequenten idiomatischen Formulierungen. Im Gegenteil: Teilnehmern an englischsprachigen Lehrveranstaltungen mangelt es insbesondere an Vertrautheit mit weniger frequenten Formulierungen, die aber gleichwohl für die Erreichung bestimmter kommunikativer Ziele in Lehrveranstaltungen extrem wichtig sein können, z.B. für die nicht häufig vorkommende, aber doch sehr konsequenzenreiche Aufgabe, in einer Lehrveranstaltung entstandene Konflikte zu lösen. Eine rein frequenzbasierte Identifikation von Formulierungen wurde daher als nicht zielführend verworfen. Um die Aufnahme idiosynkratischer Formulierungen in UniComm zu vermeiden, wurde nach weiteren Vorkommen der entsprechenden Formulierungen bzw. Muster in den Korpora gesucht. Es muss aber betont werden, dass keine irgendwie geartete Vollständigkeit der Erfassung geeigneter Formulierungen angestrebt war, zumal keine quantitative Analyse erfolgen sollte, sondern lediglich Beispiele für die englischsprachige Realisierung von für LV-Kommunikation relevanten kommunikativen Funktionen gesucht wurden. Inwiefern sich die auf diese Weise erarbeitete Struktur sprachlicher Handlungen in LV-Kommunikation als benutzerfreundlich erweist, wird in einer Benutzerstudie zu klären sein. Ziel dieser Studie ist es, das Verständnis der Teilnehmer an LV-Kommunikation für die von ihnen in Lehrveranstaltungen ausgeführten Sprechhandlungen zu analysieren und die für das Wörterbuch gewählten Kategorien und Bezeichnungen ggf. anzupassen. 4.2 Zuordnung von kommunikativer Funktion und Formulierungen Eine 1: 1-Zuordnung von kommunikativer Funktion und Formulierung ist im Prinzip nicht möglich, da kommunikative Funktionen immer auf mehr als eine Weise sprach- 50 Annelie Knapp, Silke Timmermann FLuL 41 (2012) • Heft 2 lich realisiert werden können und da eine sprachliche Äußerung je nach sprachlichem und situativem Kontext unterschiedliche Funktionen erfüllen kann. Als weitere Probleme kommen Phänomene wie Indirektheit von Sprechhandlungen oder Ironie hinzu. Teilweise helfen prosodische Merkmale als Kontextualisierungshinweise, doch sind gerade diese Phänomene von Mündlichkeit in einem Wörterbuch kaum abbildbar. Für die Zuordnung von Formulierungen zu Sprachfunktionen - und umgekehrt - in UniComm English ist zunächst festzuhalten, dass in der Regel mehrere Formulierungen angeboten werden, mit denen eine bestimmte kommunikative Funktion realisiert werden kann und zwischen denen die Benutzer wählen können. Wir können dabei davon ausgehen, dass nicht alle diese Formulierungen für die Benutzer völlig neu sind, sondern dass sie sie zu einem großen Teil durchaus wiedererkennen oder zumindest rezeptiv verarbeiten und bezüglich der Brauchbarkeit für ihre speziellen kommunikativen Zwecke in den jeweiligen Kontexten einschätzen können. Anders und problematischer für die meisten Benutzer wäre dies allerdings bei einem Formulierungswörterbuch in einer Sprache, die sie gar nicht beherrschen. Für die Zuordnung von Funktionen und Formulierungen bei der Erstellung des Wörterbuchs ist hilfreich, dass die Formulierungen aus einem bestehenden Kommunikationskontext entnommen und bei ihrer Funktionsbestimmung im Zweifelsfall wieder darauf zurückführbar sind. Hilfreich für unsere Zwecke ist außerdem, dass alle ausgewählten und dann im Wörterbuch angebotenen sprachlichen Äußerungen in einem klar definierten Kontext, nämlich LV-Kommunikation, verortet sind - ein Kontext, in dem Teilnehmerrollen ebenfalls klar definiert und kommunikative Zwecke begrenzt sind. Zudem wird eine Zuordnung dadurch erleichtert, dass - wie oben dargestellt - LV-Kommunikation durch einen erheblichen Anteil von Metakommunikation und damit auch die explizite Thematisierung sprachlicher Handlungen gekennzeichnet ist und dass viele Handlungsabläufe rekurrent auftreten. Gleichwohl muss im Blick bleiben, dass Phänomene wie Ironie oder Indirektheit jenseits konventionalisierter Formen im Wörterbuch nicht berücksichtigt werden können. 4.3 Benennen der kommunikativen Funktionen In wissenschaftlichen Untersuchungen, deren vorrangiges Ziel die terminologische Abgrenzung von Sprechhandlungen ist, findet die Benennung der Sprachfunktionen ausschließlich zu Zwecken der Kategorisierung statt und wird zudem durch die häufig sehr enge Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes vereinfacht, da sich auf diese Weise die Anzahl der zu identifizierenden Funktionen einschränken lässt. Das Benennen der Funktionen von Sprechhandlungen ist in einem Wörterbuch aber zwangsläufig diffiziler. Die Benennungen dienen nicht allein der Abgrenzung der Funktionen voneinander, sondern stellen gleichzeitig als Anordnungskriterium auch den Zugangsweg zu den ihnen zugeordneten Formulierungen dar. Sie müssen daher • so detailliert und aussagekräftig sein, dass Wörterbuchbenutzer in der Lage sind, möglichst genau zu bestimmen, in welchen Situationen universitärer Kommunikation die zugeordneten Formulierungen zu verwenden sind, UniComm Englisch - ein Formulierungswörterbuch für die Lehrveranstaltungskommunikation 51 FLuL 41 (2012) • Heft 2 • so gewählt sein, dass auch Nicht-Linguisten den bezeichneten Kommunikationszweck erkennen können. Bei der Benennung der sprachlichen Funktionen war u.a. das Problem zu lösen, zwischen der kommunikativen Funktion, die die jeweiligen Sprechhandlungen selbst haben, und sprachlichen oder außersprachlichen Handlungen, auf die sie verweisen bzw. die sie begleiten, zu unterscheiden. Wir haben uns hier wiederum an den sechs bereits unter 4.1 genannten Suchkategorien orientiert und auf dieser Basis einheitliche Benennungen gewählt - nicht zuletzt auch, um den Benutzern eine Orientierungshilfe bei der Suche nach geeigneten Formulierungen zu geben. Sprechhandlungen, die den Zweck verfolgen, die Diskursstruktur zu explizieren, beginnen mit den Verben indicating oder introducing (introducing the summary). Dasselbe gilt für Formulierungen, die die Funktion der nachfolgenden Äußerung explizit markieren, wie z.B. indicating an explanation. Für Sprechhandlungen, die durch eine explizit performative Formel und damit unter Verwendung eines illokutiven Verbs vollzogen werden können, bot es sich an, dieses Verb als Bezeichnung für die Sprechhandlung zu wählen. Das Initiieren einer sprachlichen oder außersprachlichen Handlung wird durch encouraging oder asking for (encouraging discussion participation) und daran anschließend die Benennung des performativen Effekts gekennzeichnet, während der Zweck einer Sprechhandlung, die eine außersprachliche Handlung begleitet, mit commenting on (commenting on technical problems) eingeleitet wird. Die Benennungen weisen dabei einen unterschiedlichen Grad an Komplexität auf. Neben Sprechhandlungen, die mit Hilfe eines illokutiven Verbs treffend bezeichnet sind, wie z.B. concluding, finden sich auch komplexere Konstruktionen, wie etwa announcing the subject for the next lesson. Diese stellen inhaltlich näher spezifizierte Sprechhandlungen dar. Gerade im Bewusstsein der an universitärer Kommunikation beteiligten Sprecher spielen nämlich nicht nur wiederkehrende Handlungen eine Rolle, sondern insbesondere auch wiederkehrende Themen und/ oder Kommunikationsinhalte. Dies wurde durch die Vorstudie zu der noch laufenden Benutzerstudie bestätigt. Die Teilnehmer eines hochschuldidaktischen Kurses zu englischsprachiger Lehre wurden gebeten, Kommunikationszwecke zu benennen, denen sie in der alltäglichen Hochschulkommunikation begegnen. Neben weniger komplexen Benennungen wie concluding oder greeting fanden sich auch thematisch spezifizierte Sprechhandlungen wie announcing the subject for the next session. Der Schwerpunkt dieser noch laufenden Benutzerstudie liegt u.a. auf der Anwendbarkeit der von uns gewählten Kategorien. Durch die Flexibilität, die die elektronische Publikationsform bietet, ist es möglich, aufgrund der Ergebnisse der Studie Änderungen und Anpassungen vorzunehmen, um die Benutzerfreundlichkeit weiter zu verbessern. Mit ihrer konsequenten Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Benutzer und dem Angebot konkreter Lösungen für deren Kommunikationsprobleme unterscheidet sich die Formulierungssammlung in UniComm English von anderen, streng korpuslinguistisch arbeitenden quantitativen Ansätzen, wie z.B. der „Academic Formulas List“ von 52 Annelie Knapp, Silke Timmermann FLuL 41 (2012) • Heft 2 S IMPSON -V LACH / E LLIS (2010), deren Anwendungsbezug weniger unmittelbar ersichtlich wird. Die Relevanz der Orientierung an Benutzerbedürfnissen wird auch an der folgenden Darstellung der Makrostruktur von UniComm English deutlich. 5. Makrostruktur - Anordnung und Suche Die Qualität eines Wörterbuchs wird einerseits über die dort angebotenen Informationen bestimmt, andererseits aber auch über die Zugriffsmöglichkeiten auf dieses Angebot. In elektronischen Wörterbüchern besteht die Möglichkeit, mehr als einen Zugangsweg zu den Informationen anzulegen. Dadurch ergibt sich eine bessere Orientierung an den Bedürfnissen potentieller Benutzer, die je nach Benutzungssituation sehr unterschiedlich sein können. Für UniComm English haben wir zunächst zwei primäre Benutzungssituationen angenommen: • Benutzer haben einen kommunikativen Zweck identifiziert und suchen nach einer Formulierung, um diesen in der Fremdsprache umzusetzen. Für diesen Fall bietet sich die Suchfunktion des Wörterbuchs an (siehe 5.1). • Benutzer können eine beabsichtigte Sprechhandlung nicht exakt benennen, haben aber eine Vorstellung davon, wo diese situativ im Kontext von universitärer Kommunikation einzuordnen ist. Für diesen Fall bietet sich der Zugang über die Diskursstruktur der Kommunikationssituationen an (siehe 5.2). Darüber hinaus sind weitere Benutzungssituationen denkbar, in denen das Wörterbuch sinnvoll eingesetzt werden kann. 5.1 Suchfunktion Suchen Benutzer Formulierungen, mit deren Hilfe sie eine spezifische Sprechhandlung ausführen können, so erlangen sie Zugang zu den Formulierungen über die Suchfunktion. Als Volltextsuche sucht das Programm nach sämtlichen Vorkommen des Suchstrings im Wörterbuch und berücksichtigt nicht nur die Bezeichnungen der Sprechhandlungen selbst, sondern auch sämtliche im Wörterbuch verzeichneten Formulierungen. Die Eingabe von conclude führt somit zu folgendem Ergebnis (  S. 53): Beim Benennen der Sprechhandlungen wurde größter Wert auf die Eindeutigkeit der Benennungen gelegt. Diese drücken möglichst unmissverständlich aus, für welchen Kommunikationszweck die ihnen zugeordneten Formulierungen verwendet werden können. Wie bereits erwähnt wurde, gibt es keinen Mechanismus, der Formulierungen über ihre Funktion automatisch mit einer für alle Kommunikationsteilnehmer aussagekräftigen Benennung verknüpfen könnte. Aus diesem Grund wurden alle Sprechhandlungen mit zusätzlichen alternativen Bezeichnungen versehen. Diese werden in die Suche ein- UniComm Englisch - ein Formulierungswörterbuch für die Lehrveranstaltungskommunikation 53 FLuL 41 (2012) • Heft 2 bezogen und tragen dazu bei, dass eine Suchanfrage auch dann erfolgreich verläuft, wenn die Benennung, die ein Benutzer für die Suche nach einer Sprechhandlung eingibt, nicht identisch mit der im Wörterbuch verzeichneten ist. Dabei wurden sowohl morphologisch verwandte als auch in diesem Kontext synonym verwendbare Bezeichnungen berücksichtigt. So führt nicht nur die Suche nach conclude zum Artikel concluding, sondern auch die Eingabe von finish oder finishing. Als zusätzliche Hilfestellung kann der Benutzer die Suche in deutscher Sprache durchführen, was insbesondere dann von Vorteil ist, wenn die Fremdsprachenkompetenz des Benutzers nicht zulässt, den Kommunikationszweck in englischer Sprache zu benennen. Über die Volltextsuche werden Benutzern auch sämtliche Vorkommen des Suchstrings in den Formulierungen angezeigt. Ausgehend von diesen Formulierungen besteht wiederum die Möglichkeit, zu den Sprechhandlungen zu gelangen, denen sie zugeordnet sind. Dies ermöglicht u.a. das Auffinden alternativer Formulierungen für einen Kommunikationszweck, ohne diesen näher benennen zu müssen. Die Eingabe von rephrase im Suchfeld zeigt u.a., dass dieser String in der Formulierung Let me rephrase that. auftaucht. Unter der hier zugeordneten Sprechhandlung indicating a paraphrase findet sich aber auch die Formulierung To put it another way…, die alternativ verwendet werden kann, um eine Paraphrase zu markieren bzw. einzuleiten. 54 Annelie Knapp, Silke Timmermann FLuL 41 (2012) • Heft 2 5.2 Kommunikationssituationen - Struktur Um Kommunikation in Institutionen so effektiv wie möglich zu gestalten, haben sich Diskursstrukturen herausgebildet, die einen möglichst reibungslosen Kommunikationsablauf fördern. Derartige Diskursstrukturen lassen sich u.a. als Aneinanderreihung sprachlicher Handlungen in einer mehr oder weniger festgefügten Reihenfolge begreifen. Dabei kann den sprachlichen Handlungen ein mehr oder weniger fester Platz in der Struktur zugewiesen werden. Im Laufe des institutionellen Sozialisationsprozesses gewinnen die Teilnehmer an LV-Kommunikation Vertrautheit mit derartigen Strukturen, und so erwartet jeder Teilnehmer an LV-Kommunikation eine Begrüßung oder auch die Einführung in das Thema zu Beginn einer Lehrveranstaltung und nicht etwa an deren Ende. Ebenso erwarten erfahrene LV-Teilnehmer beim Aufbau einer Argumentation, dass eine These oder Hypothese eingeführt wird, der Sprecher dazu Stellung nimmt und anschließend Schlüsse daraus zieht. Die Ziele der beiden bereits kurz charakterisierten Diskurstypen „Lehr-Lerndiskurs“ und „Organisationsdiskurs“ führen zu einer für beide je charakteristischen Strukturierung im Wörterbuch. In Lehr-Lerndiskursen lassen sich übergeordnete Aufgaben oder Zwecke definieren, denen entsprechende Sprechhandlungen oder Sprechhandlungssequenzen zugeordnet werden können, wie z.B. beim Aufbau einer Argumentation (s.o.). Da das Ziel des Organisationsdiskurses die Verständigung über Themen ist, die im gegebenen institutionellen Rahmen unmittelbare (z.B. ein Handout austeilen) und/ oder weitreichende (z.B. Verständigung über Leistungsanforderungen) Handlungsrelevanz haben, bietet sich hier eine thematisch orientierte Anordnung der jeweiligen Sprechhandlungen an. Die Vertrautheit der Teilnehmer an LV-Kommunikation mit derartigen Diskursstrukturen ermöglicht es, einen zweiten Zugangsweg zu den Formulierungen anzubieten. Auf der Grundlage des Institutionenwissens der Analysatoren wurden Diskursstrukturen für Lehrveranstaltungs- und Sprechstundenkommunikation erarbeitet, die mit Hilfe der vorliegenden Datenbasis validiert wurden. Um eine geeignete Formulierung zu finden, arbeiten sich die Benutzer schrittweise auf immer tiefere Ebenen der Struktur vor, bis sie schließlich an der von ihnen gesuchten Sprechhandlung angelangt sind. Sucht ein Benutzer nach Formulierungen, mit denen er die Präsentation einer grafischen Darstellung einleiten kann, so klickt er sich über university courses und presentation weiter in den Hauptteil main part einer Präsentation. Dort geht er die Liste mit Themen und Aufgaben durch, bis er zu talking about visualized data gelangt. Hier findet er neben referring to parts of a graph und describing trends dann auch die Sprechhandlung introducing visualized data und die ihr zugeordneten Formulierungen (  S. 55). Diese Form der makrostrukturellen Anordnung kann nebenbei auch das Bewusstsein der Wörterbuchbenutzer für das Vorhandensein derartiger Strukturen schärfen. Benutzer aus dem Kreis der Lehrenden haben bestätigt, dass sie, angeregt durch die Darstellung in UniComm English, die dort abgebildete Struktur in Zukunft bei der Vorbereitung von Lehrveranstaltungen und Präsentationen nutzen werden. UniComm Englisch - ein Formulierungswörterbuch für die Lehrveranstaltungskommunikation 55 FLuL 41 (2012) • Heft 2 Bei der Erarbeitung der Struktur wurde wiederum besonderer Wert darauf gelegt, zu einer möglichst fachunabhängigen Form der Darstellung zu gelangen. Dabei ist durchaus vorstellbar, in Zukunft eine Ergänzung um fachspezifischere Strukturen vorzunehmen. 56 Annelie Knapp, Silke Timmermann FLuL 41 (2012) • Heft 2 In der sogenannten „Library“ sind noch einmal alle Sprechhandlungen in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt. Neben der Volltextsuche bietet sich Benutzern hier eine weitere Möglichkeit, unmittelbar auf von ihnen gesuchte Sprechhandlungen zuzugreifen. 6. Mikrostruktur Aspekte der Mikrostruktur beziehen sich auf die im jeweiligen Wörterbuchartikel angebotenen Informationen und deren Anordnung. Die Wörterbuchartikel in UniComm English bestehen aus einer Liste von Formulierungen, denen eine gemeinsame Sprechhandlung zugeordnet wurde. Die Reihenfolge der Formulierungen innerhalb des Artikels ist durch zwei Kriterien bestimmt: • aufsteigende Komplexität der Formulierungen • Markiertheit der Formulierungen; so stehen z.B. durch einen höheren Grad an Formalität gekennzeichnete Formulierungen am Ende des Artikels. Diese Kriterien sind als Leitlinien zu verstehen. Sie basieren auf eher intuitiven Einschätzungen von Komplexität und Formalität und nicht auf irgendeiner Form der Messung. Die Formulierungen weisen unterschiedliche Grade an Idiomatizität auf. Neben solchen, die keinerlei Variation zulassen, finden sich auch Formulierungsmuster, die variabel zu füllende slots enthalten, wie z.B. In the following [30 minutes] I will introduce you to ... Gegenwärtig wird daran gearbeitet, ausgewählte Wörterbuchartikel durch „cultural and stylistic notes“ zu ergänzen. Damit tragen wir zwei möglichen Problemen Rechnung: Zum einen ist dies die Tatsache, dass unsere Datenbasis überwiegend aus dem US-amerikanischen und britischen Kontext stammt und die ausgewählten Formulierungen u.U. kulturspezifisch andere Grade von Formalität widerspiegeln, als im deutschen Kontexten angemessen sind. Zum anderen weisen wir hier auf kulturbedingte Unterschiede in der Angemessenheit von bestimmten Sprechhandlungen - z.B. „Kritik äußern“ - hin. 7. Weitere Besonderheiten und Möglichkeiten von UniComm English 7.1 Individualisierungsmöglichkeiten Nach erfolgreicher Registrierung können Benutzer von UniComm English eigene Listen mit Formulierungen anlegen. Durch Anklicken können Formulierungen ausgewählt werden, die dann automatisch in eine entsprechende Liste exportiert werden. Dies ermöglicht es Benutzern, zur Vorbereitung auf für sie relevante Kommunikationssituationen individuelle Sammlungen von Formulierungen anzulegen. UniComm Englisch - ein Formulierungswörterbuch für die Lehrveranstaltungskommunikation 57 FLuL 41 (2012) • Heft 2 7.2 Erweiterbarkeit des Wörterbuchs Die Arbeit an UniComm English ist nicht abgeschlossen. Wir haben einen Grundstock an Formulierungen gesammelt und eine Struktur bereitgestellt, die es Benutzern erlauben soll, über verschiedene Zugangswege möglichst schnell zur gesuchten Information zu gelangen. Benutzer können nach erfolgreicher Registrierung nun aktiv in den Prozess der Erweiterung des Wörterbuchs um weitere Formulierungen und den daran anschließenden Validierungsprozess einbezogen werden. Unter der jeweiligen Sprechhandlung können Formulierungen für die Aufnahme in diesen Artikel vorschlagen werden. Die entsprechende Formulierung wird als „noch nicht validiert“ markiert und gleichzeitig in die Liste neu vorgeschlagener Formulierungen eingetragen. Auf diese Weise erhält man einen Überblick über die kürzlich vorgeschlagenen und noch nicht abschließend begutachteten Formulierungen. Hier besteht nun die Möglichkeit, ein Votum für oder gegen die Aufnahme der Formulierung in das Wörterbuch abzugeben und dies bei Bedarf zu kommentieren. Erst wenn sich eine bestimmte Anzahl von Benutzern für die Aufnahme der Formulierung ausgesprochen hat oder ggf. kommentierte Fehler behoben sind, wird sie endgültig in das Wörterbuch aufgenommen. Es ist geplant, UniComm English in einem nächsten Schritt um Formulierungen aus Lehrveranstaltungsankündigungen zu ergänzen und damit auch schriftsprachliche Formulierungen und über die Satzgrenze hinausgehende Formulierungsmuster anzubieten. Lehrveranstaltungsankündigungen als eine die mündliche LV-Kommunikation flankierende schriftliche Textsorte sind thematisch sehr eng mit dem Organisationsdiskurs verbunden, was eine Aufnahme in UniComm English nahegelegt hat. 7.3 Qualitätsoptimierung und Benutzerorientierung Die Publikation als Online-Wörterbuch ermöglicht nicht nur die bereits erwähnte quantitative Erweiterung des Formulierungsbestandes durch die Benutzer. Darüber hinaus bietet sich die Möglichkeit, auf der Grundlage noch zu erhebender Daten die Qualität des Wörterbuches weiter zu verbessern. So lässt sich z.B. leicht nachvollziehen, wie häufig einzelne Sprechhandlungen von Benutzern angewählt werden. Für Sprechhandlungen mit auffällig geringer Benutzerfrequentierung wird dann im Einzelfall zu analysieren sein, ob z.B. eine ungeeignete Benennung der Sprechhandlung, eine unangemessene Zuordnung von Formulierungen oder eine unangemessene Platzierung in der Wörterbuchstruktur ein Grund dafür sein kann. Auf diese Weise kann eine weitere Validierung der Wörterbucheinträge erfolgen. All diese Maßnahmen zielen darauf ab, UniComm English weiter den Benutzerbedürfnissen anzupassen. Parallel zur Arbeit am Wörterbuch haben die Mitarbeiterinnen des MuMiS-Projekts einen Starterkurs zur Vorbereitung auf englischsprachige Lehre für Studierende entwickelt, der auf den Formulierungen von UniComm English basiert. In acht unabhängig voneinander einsetzbaren Modulen, die in Lehrveranstaltungen unterschiedlicher Fachrichtungen integrierbar sind, geht es darum, die Verwendung von 58 Annelie Knapp, Silke Timmermann FLuL 41 (2012) • Heft 2 Formulierungen aus UniComm English einzuüben, um insbesondere Studierende noch besser auf die Herausforderungen englischsprachiger Lehre vorzubereiten. 7 Literatur A GUADO , Karin (2002): „Formelhafte Sequenzen und ihre Funktionen für den L2-Erwerb“. In: Zeitschrift für Angewandte Linguistik 37, 27-49. 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