eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 41/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
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Narr Verlag Tübingen
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2012
412 Gnutzmann Küster Schramm

Vokabeln sprachenübergreifend lehren und lernen

2012
Anina Lenz
© 2012 Narr Francke Attempto Verlag FLuL 41 (2012) • Heft 2 A NNINA L ENZ * Vokabeln sprachenübergreifend lehren und lernen - Wege einer intensivierten Zusammenarbeit der Fächer Englisch und Latein zu Beginn der Sekundarstufe (Dissertationsvorhaben) Abstract. Against the backdrop of lifelong language learning, cross-linguistic approaches to teaching foreign languages at school have received more attention during the last decade. However, transferring this idea into practice seems a challenge for language teachers since they often feel insecure of how and also why to include other languages in their classes. The model ,Latein Plus‘ is an example of such an approach between the subjects English and Latin that has been developed by classical grammar schools themselves in order to avoid a gap in English language learning. The research project aims at identifying ways of how to intensify the cross-linguistic approach to teaching and learning vocabulary in ‘Latein Plus’-classes. 1. Ausgangspunkt des Forschungsprojektes Gegenstand des Forschungsprojekts ist die Intensivierung des sprachen- und fächerübergreifenden Ansatzes zwischen den Fächern Englisch und Latein im Rahmen des Modells ‚Latein Plus‘. Das Ende der 1990er Jahre entwickelte Modell kommt bundesweit an altsprachlichen Gymnasien und Gymnasien mit altsprachlichem Zug zum Einsatz (vgl. T HIES 2004). Um an den frühbeginnenden Englischunterricht in der Grundschule anknüpfen zu können, wird die ‚zweite‘ Fremdsprache Englisch in die fünfte Klasse neben den Unterricht in Latein vorgezogen, das weiterhin als erste Fremdsprache gilt. Etliche ‚Latein Plus‘-Schulen nutzen diese Gelegenheit für die inhaltliche Verschränkung der beiden Fächer. Um die Schüler/ -innen beim Sprachenlernen zu unterstützen, werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Sprachen thematisiert. Somit stellt das Modell ein Beispiel für einen sprachenübergreifenden Ansatz zwischen Fremdsprachenfächern dar, der aus der Praxis heraus entstand und in die Rahmenbedingungen des Handlungsfeldes Schule gut eingepasst ist. Das Modell bietet dem Fach Englisch die Möglichkeit, sein Profil vor dem Hintergrund aktueller bildungspolitischer und fremdsprachendidaktischer Diskurse zu schärfen: Sprachen- und fächerübergreifende Ansätze nehmen in der Mehrsprachigkeitsdidaktik eine große Bedeutung ein, da kontrastiv-komparative Verfahren einen Beitrag * Korrespondenzadresse: Annina L ENZ , Universität Bremen, Studiengang English Speaking Cultures, Fachdidaktik Englisch, Bibliothekstraße 1, 28359 B REMEN . E-Mail: a.lenz@uni-bremen.de Arbeitsbereiche: Mehrsprachigkeitsdidaktik; sprachenübergreifendes Lehren und Lernen. Vokabeln sprachenübergreifend lehren und lernen 125 FLuL 41 (2012) • Heft 2 zur Einbindung lebensweltlicher Mehrsprachigkeit einerseits und zur Befähigung lebenslangen Sprachenlernens andererseits leisten können (vgl. H ALLET / K ÖNIGS 2010). Der Englischunterricht als fast flächendeckend erstes Fremdsprachenfach ist besonders verpflichtet, sich gegenüber anderen (Fremd-)Sprachen zu öffnen (vgl. D OFF / K IPF 2007). Das Fach Latein wurde in der Vergangenheit bei der Diskussion um vernetztes Lernen vernachlässigt, was vor allem an seiner analytischen Ausrichtung auf eine alte Sprache und der Konkurrenzsituation mit anderen Fremdsprachenfächern liegt (vgl. M ÜLLER -L ANCÉ 2004). Vor dem Hintergrund der Verwandtschaftsbeziehungen der europäischen Sprachen und der grundsätzlichen Weiterentwicklung semantischer Konzepte ist jedoch anzunehmen, dass sich lateinisches Sprachwissen nicht weniger für kontrastiv-komparative Verfahren eignet, sondern dass vielmehr eine Sensibilisierung für interlinguale Beziehungen entscheidend ist. Die dargelegten Aspekte legen eine genauere Untersuchung des Modells ‚Latein Plus’ aus der Perspektive der englischen Fachdidaktik nahe, um in Erfahrung zu bringen, wie das Profil des Englischunterrichts um eine sprachenübergreifende Dimension erweitert werden kann. 2. Erkenntnisinteresse und Forschungsdesign Zur genaueren Erforschung des Modells ‚Latein Plus‘ erfolgte eine Zusammenarbeit zwischen dem interdisziplinären Netzwerk ELiK (Englisch- und Lateinunterricht in Kooperation) und der Projektgruppe ‚Latein Plus‘ aus Rheinland-Pfalz, dem bundesweit einzigen ministeriell koordinierten Zusammenschluss von 15 ‚Latein Plus‘-Gymnasien (vgl. Pädagogisches Zentrum Rheinland-Pfalz 2006, 2008). Bei einer Arbeitstagung der Projektgruppe wurde deutlich, dass den Lehrkräften hinsichtlich einer Intensivierung des sprachenübergreifenden Ansatzes Grenzen gesetzt sind. Vor diesem Hintergrund richtet sich das Erkenntnisinteresse auf die didaktisch-methodische Weiterentwicklung des Ansatzes im lexikalischen Bereich, da sich dort die Sprachverwandtschaft am deutlichsten zeigt (vgl. M ADER 2000). Es wird untersucht, inwiefern aus der Sicht des Englischunterrichts das Vokabellehren und -lernen bereits zu Beginn der Sekundarstufe systematisch mit dem Fach Latein vernetzt werden kann. Damit widmet sich das Forschungsprojekt der empirischen Erforschung und fachdidaktischen Fundierung des sprachen- und fächerübergreifenden Ansatzes zwischen schulischen Fremdsprachenfächern am Beispiel des Modells ‚Latein Plus’. Insgesamt nahmen rund 100 Schüler/ -innen aus der fünften und sechsten Klasse sowie sieben Englisch- und Lateinlehrkräfte von zwei Gymnasien der Projektgruppe an der empirischen Studie teil. Da der Forschungsgegenstand auf einem von der Schulpraxis identifizierten Handlungsbedarf basiert, bietet sich als Forschungsansatz die Schulbegleitforschung an, die schulische Entwicklungsprozesse aufgreifen und theoretische Diskurse praxisorientiert weiterentwickeln möchte (vgl. A CKERMANN 2011). Es handelt sich um fallbezogene, explorative und prozessorientierte Forschung, die der qualitativ-rekonstruktiven Schul- und Unterrichtsforschung zuzuordnen ist. Nach dem Hamburger Modell, das für die vorliegende Arbeit den Bezugsrahmen darstellt, verbleibt die 126 Annina Lenz FLuL 41 (2012) • Heft 2 Forschung auf Seiten der Wissenschaft, während Lehrkräfte und Schüler/ -innen als Experten für Unterricht angesehen werden (vgl. C OMBE 2002). Orientierung bei der Entwicklung des Forschungsdesigns bietet eine Erweiterung des von P ETERßEN (2000: 208 f) ausgebauten Berliner Modells nach H EIMANN (1970). Das Modell zielt auf die wissenschaftliche Analyse von Unterrichtswirklichkeit ab, weshalb es eine gewisse Nähe zur empirischen Lehr- und Lernforschung aufweist (vgl. T ERHART 2009: 137 ff). Für das Forschungsdesign werden an zwei Stellen Veränderungen vorgenommen, sodass das ‚erweiterte Strukturmodell‘ ein Beziehungsgefüge zwischen den Dimensionen Lehrende, Lernende, Inhalte, Ziele, Methoden, Medien und Organisation herstellt, das wiederum in ein Bedingungsfeld aus anthropologisch-psychologischen Voraussetzung (z.B. lerntheoretische Grundlagen), sozial-kulturellen Voraussetzungen (z.B. Ziele des Fremdsprachenunterrichts) und institutionellen Voraussetzungen (z.B. Sprachenfolge) eingebettet ist. Um also den Forschungsgegenstand adäquat untersuchen und die praktische Relevanz der Forschungsergebnisse sichern zu können, wird die Intensivierung der sprachenübergreifenden Vokabelarbeit aus dem Blickwinkel des Unterrichtsinhalts, der Lehrenden und der Lernenden erforscht, um dadurch mögliche Ziele, lohnenswerte Medien/ Materialien und geeignete Methoden zu identifizieren sowie Erkenntnisse über Fragen der Organisation zu gewinnen. In aufeinander aufbauenden Phasen der Datenerhebung wurden (1) die in den beiden Schulen verwendeten Lehrbücher im Hinblick auf verwandte englische und lateinische Vokabeln analysiert, (2) Experteninterviews 1 mit den Lehrkräften geführt, (3) eine schriftliche Befragung der Lerner vorgenommen sowie (4) eigens entwickelte sprachenübergreifende Vokabelübungen durch kollaboratives Problemlösen erprobt. Hier zeigt sich, dass das gesamte Forschungsprojekt von der Planungsphase über die Datenerhebung bis zur Datenauswertung durch die Triangulation von Perspektiven, Methoden und Daten geprägt ist (vgl. F LICK 2008). So konnten beispielsweise die Ergebnisse aus den Experteninterviews, der Lehrbuchanalyse und dem Fragebogen in die Entwicklung und Erprobung der Vokabelübungen einfließen. Die Triangulation dient dabei nicht der Erhöhung der Validität, sondern stets der Erweiterung und Vertiefung der Erkenntnisse. 3. Erste Ergebnisse Zwar ist die Datenauswertung noch nicht abgeschlossen, jedoch liegen erste Zwischenergebnisse bereits vor (vgl. L ENZ 2012, D OFF / L ENZ 2011). Die Auswertung des Fragebogens zeigt beispielsweise, dass rund zwei Drittel der Lerner den interlingualen Vergleich von Vokabeln aus Gründen einer erleichterten Memorierung begrüßen, während ein Drittel beklagt, dass dies vor allem zu Verwechslungen führe oder nichts bewirke. Bei der Befragung der Lehrkräfte wurde u.a. deutlich, dass das Modell ‚Latein Plus‘ einen Beitrag zu einer umfassenderen sprachlichen Bildung leisten kann, da die Unter- 1 Zur Wahl des Experteninterviews als Interviewform vgl. Lenz (erscheint). Vokabeln sprachenübergreifend lehren und lernen 127 FLuL 41 (2012) • Heft 2 schiedlichkeit des kommunikativen und sprachanalytischen Zugangs genutzt, Bedeutungsverschiebungen sowie kulturgeschichtliche Parallelen verdeutlicht und auch die deutsche Sprache einbezogen werden kann. Es scheint dabei auch auf Seiten der Lehrkräfte auf eine gewisse interlinguale Sprachenbewusstheit anzukommen, die sich aus spezifischen Kenntnissen, Fertigkeiten und Einstellungen zusammensetzt. Die Analyse der Lehrbücher veranschaulicht, dass ausreichend verwandte Vokabeln auch in dieser frühen Phase vorhanden sind. Beispielsweise können zu 150 Englischvokabeln allein der fünften Klasse entsprechende sprachverwandte Vokabeln im Lateinbuch bis zur achten Klasse gefunden werden. Es kommt dabei nicht so sehr darauf an, dass sie zum selben Zeitpunkt gelernt werden. Vielmehr ist entscheidend, dass das Vorwissen der Lerner bei ihrer Einführung für Erschließungs- und Memorierungsprozesse genutzt wird, wobei Lehrkräfte mit der lexikalischen Progression des jeweils anderen Faches vertraut sein müssen. Die Erprobung der Vokabelübungen zeigt, dass den jungen Lernern kontrastiv-komparative Verfahren durchaus zugetraut werden können. Selbstverständlich beeinflusst der Grad der interlingualen Ähnlichkeit das Antwortverhalten der Lerner. Graphematische und phonologische Gemeinsamkeiten verleiten die Lerner zu Fehlschlüssen (z.B. example - explicare). Durch den häufigen Umweg über die deutsche Sprache kommt es auch auf der semantischen Ebene zu Interferenzen (z.B. people - homines). Jedoch unterscheiden sich die jungen ‚Latein Plus‘-Lerner dabei beispielsweise nicht von Germanistikstudierenden (vgl. M ÖLLER / Z EEVAERT 2011). Im Rahmen der systematischen Datenanalyse werden die verschiedenen Datensätze mithilfe des ‚erweiterten Strukturmodells‘ noch genauer miteinander in Beziehung gesetzt, um Wege für eine Intensivierung des sprachenübergreifenden Ansatzes in der unteren Sekundarstufe am Beispiel des Modells ‚Latein Plus‘ aufzuzeigen und damit einen Beitrag zur praxisorientierten Weiterentwicklung der Mehrsprachigkeitsdidaktik aus der Perspektive der englischen Fachdidaktik zu leisten. Literatur A CKERMANN , Heike (2011): „Die Schulbegleitforschung“. In: M OSER , Heinz (Hrsg.): Forschung in der Lehrerbildung. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 129-147. C OMBE , Arno (2002): „Interpretative Schulbegleitforschung - konzeptionelle Überlegungen“. In: B REIDENSTEIN , Georg (Hrsg.): Interpretative Unterrichts- und Schulbegleitforschung. Opladen: Leske + Budrich, 29-37. D OFF , Sabine / K IPF , Stefan (2007): „‚When in Rome, do as the Romans do …‘ Plädoyer und Vorschläge für eine Kooperation der Schulfremdsprachen Englisch und Latein“. In: Forum Classicum 4, 256-266. D OFF , Sabine / L ENZ , Annina (2011): „Ziele und Voraussetzungen eines fächerübergreifenden Fremdsprachenunterrichts am Beispiel von Englisch und Latein“. In: E LSNER , Daniela / W ILDEMANN , Anja (Hrsg.): Sprachen lernen - Sprachen lehren: Perspektiven für die Lehrerbildung in Europa. Frankfurt am Main: Lang, 141-156. F LICK , Uwe (2008): Triangulation - Eine Einführung. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. 128 Annina Lenz FLuL 41 (2012) • Heft 2 H ALLET , Wolfgang / K ÖNIGS , Frank G. (2010): „Mehrsprachigkeit und vernetzendes Sprachlernen“. In: dies. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber: Klett | Kallmeyer, 302-307. H EIMANN , Paul (1970): „Didaktik als Theorie und Lehre“. In: K OCHAN , Detlef C. (Hrsg.): Allgemeine Didaktik, Fachdidaktik, Fachwissenschaft. Ausgewählte Beiträge aus den Jahren 1953-1969. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 110-142. L ENZ , Annina (2012): „Sprachenverbindende Vokabelübungen und interlinguale Sprachenbewusstheit“. In: F ÄCKE , Christiane / M ARTINEZ , Hélène / M EIßNER , Franz-Joseph (Hrsg.): Mehrsprachigkeit. Bildung - Kommunikation - Standards. 3. Bundeskongress des GMF. Stuttgart: Klett, 167-181. L ENZ , Annina (erscheint): „Experteninterviews in der Fremdsprachenforschung: Anwendungsspezifische Planung, Durchführung und Auswertung“. In: D OFF , Sabine (Hrsg.): Empirisch basierte Methoden in der Fremdsprachenforschung: Grundlagen und Anwendung. Tübingen: Narr. M ADER , Michael (2000): Lateinische Wortkunde für Alt- und Neusprachler: Der lateinische Grundwortschatz im Italienischen, Spanischen, Französischen und Englischen. Stuttgart: Kohlhammer. M ÖLLER , Robert / Z EEVAERT , Ludger (2010): „‚Da denke ich spontan an Tafel‘ - Zur Worterkennung in verwandten germanischen Sprachen“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 21.2, 217- 248. M ÜLLER -L ANCÉ , Johannes (2004): „Latein als Zielsprache im Rahmen mehrsprachigkeitsdidaktischer Konzepte“. In: K LEIN , Horst G. / R UTKE , Dorothea (Hrsg.). Neuere Forschungen zur Europäischen Intercomprehension. Aachen: Shaker, 83-94. P ÄDAGOGISCHES Z ENTRUM R HEINLAND -P FALZ (2006): Handreichung zum Schulprojekt ‚Latein Plus‘ Rheinland Pfalz. Band 1: Dokumentation. Bad Kreuznach. P ÄDAGOGISCHES Z ENTRUM R HEINLAND -P FALZ (2008): Handreichung zum Schulprojekt „Latein Plus“ Rheinland Pfalz. Band 2: Materialien. Bad Kreuznach. P ETERßEN , Wilhelm H. (2000): Handbuch Unterrichtsplanung: Grundfragen, Modelle, Stufen, Dimensionen. München: Oldenbourg. T ERHARDT , Ewald (2009): Didaktik. Eine Einführung. Stuttgart: Reclam. T HIES , Stefan (2004): „‚Latein-Plus‘. Latein und Englisch in den ersten beiden Jahren des Gymnasiums in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen“. In: Altsprachlicher Unterricht 1, 54-59.