eJournals Forum Modernes Theater 22/2

Forum Modernes Theater
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2196-3517
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2007
222 Balme

Performanz des Netzes

2007
Wolf-Dieter Ernst
Meike Wagner
Performanz des Netzes. Prolegomena zu einer Netzwerk-Perspektive in der Theaterwissenschaft Wolf-Dieter Ernst, Meike Wagner (München) 1. How to do things with YouTube Patricia G. Lange stellt in ihrem YouTube- Video What Defines a Community? einer Reihe von Interviewpartnern die Frage, ob YouTube eine “Community” sei und warum. Fünf Tage nach dem Posting des Videos, am 9. Oktober 2007, haben 319.215 Personen den Film gesehen, 1247 haben ihn kommentiert, 242 als Favoriten benannt und 8 YouTube- Mitglieder haben eine Video-Botschaft als Kommentar ins Netz gestellt. Es erscheint unmöglich, den Film, der durch diese Fakten gerahmt wird, die zudem noch permanent aktualisiert werden, als singuläres Werk zu betrachten. Der Film selbst ist letztlich nur noch Redeanlass, Impulsgeber einer medialen Netzstruktur, die sich durchaus als Gemeinde darstellt. Der Chat um den Film zeugt vom Selbstverständnis der Mitglieder und auch vom Spaß an der sprachlichen Pointe: “If youtube is a community, then if you post a video and don’t charge others to watch it, is that considered community service? ” (treelandhaha, 9.10.2007) Einen Film anschauen auf der Video- Plattform YouTube erschöpft sich keineswegs in laufenden Bildern. Schon die Start-Seite bietet ungeheuere Möglichkeiten, sich in die Struktur hineinzubegeben und an ungezählten Aktivitäten Teil zu haben. Das Log-in ist die Eingangspforte in die Gemeinschaft, die sich um die bunten Bilder der Trailer, Clips und Filme gruppiert. Filme werden mit Sternchen beurteilt, die Chat-Diskussionen erzeugen neue Verknüpfungen und letztlich neue Bilder. In der Kategorie “Videos being watched right now…” mischt man sich in das laufende Wahrnehmungsverhalten der anderen; jeder Klick auf einen Clip verändert die Angabe der Zugriffe, die neben Filmtitel und Filmautor zur wichtigsten Information für den potentiellen ‘Zugreifer’ wird. Man ist nicht einfach Zuschauer, der sich einer ästhetischen Oberfläche ausgesetzt sieht, man begreift sofort, dass sich jede eigene Handlung - millionenfach multipliziert im Verhalten der anderen - entscheidend auf die Struktur auswirkt und die Web-Gemeinde beeinflusst. Im Menü “Community” erscheint eine Reihe von Wettbewerbs-Aufrufen. Gesucht wird der beste Musik-Trailer, der beste Animationsfilm, das beste Amateurvideo. “Werde Teil der aktiven Gemeinde, stelle Deinen Beitrag zur Diskussion” ist das Credo von YouTube. Und natürlich soll man ‘im Netz’ seine Meinung mitteilen, seine Ratings als ästhetisches Urteil verkünden. Aber was passiert hier eigentlich im Prozess der Vernetzung, und wie stehen die neuen Möglichkeiten der Vernetzung zu jenen Formen der Gemeinschaft, wie sie sich in kulturellen Performances, in Ritual, Spiel, Festen, Sport und Theateraufführungen gebildet haben? Um diesen Fragen nachzugehen, ist es sicher sinnvoll, zumindest zwei Arten von Netzwerk zu unterscheiden. Zum einen geht es um die konkrete Materialisierung von Netzwerken, wie sie uns insbesondere im Zusammenhang mit neuen Medien begegnen und uns herausfordern, Handeln und Denken in Netzen zu erproben. Zum anderen liegt der Fokus auf dem Prozess des Netzwerkens und einer daraus abgeleiteten theaterwissenschaftlichen Fragestellung. Wie kann man ästhetisches Handeln untersuchen, welches keine fixierbare Herkunft oder Autorschaft mehr kennt, sondern als Effekt von Forum Modernes Theater, Bd. 22/ 2 (2007), 197-210. Gunter Narr Verlag Tübingen 198 Wolf-Dieter Ernst, Meike Wagner vernetzten Aktivitäten entsteht? Wie lässt es sich beobachten? Entsteht etwa eine ‘verteilte oder zerstreute Ästhetik’, wenn wir es mit verteilten Handlungen und kollektiven Akteuren zu tun haben, wenn wir selbst Teil der Vernetzung sind? Es geht also um die Performanz von Netzwerken, die hier im Zusammenhang mit Cultural Performances als einem Gegenstand der Theaterwissenschaft und mit neueren Medienpraxen betrachtet wird. Aufschlussreich für eine Analyse-Perspektive ist hier die Actor Network Theory (Bruno Latour), die relationale Zusammenhänge in ihrem produktiven Wirken untersucht und enthierarchisierte Strukturen als distribuierten Handlungszusammenhang versteht. Inwiefern kann nun eine Netzwerk-Perspektive einen eigenen Beitrag zur Diskussion um Intermedialität und Theater leisten? Intermediale Ansätze in der Theaterwissenschaft wachsen heute über das Konzept der medialen Übersetzung (ein Medieninhalt wird in ein neues Medium ‘übersetzt’) hinaus, das noch weitgehend von der formalen Unterscheidung von ‘Mediencontainer’ und ‘Inhalt’ ausging; sie bereichern den Methodenkanon um Perspektiven zur Analyse von medialer Wahrnehmung im Theater 1 oder auch zur Untersuchung des theatralen Potentials der kritischen (und auch politisch motivierten) Medienreflexion. 2 Dennoch basiert die Idee der ‘Intermedialität’ auf einer Unterscheidung zwischen Medien. So wird etwa das Verhältnis von Live Performance und projizierten Bildern auf der Bühne als Ausgangssituation von gegensätzlichen Medienästhetiken angenommen, die dann intermedial operieren, d.h. aufeinander einwirken, sich verknüpfen, stören, ergänzen, überschneiden etc. Der Umgang mit digitalen Medien fordert jedoch immer auch die Analyse der medialen Alltagspraxis heraus und macht eine kulturwissenschaftliche Perspektive notwendig. Das Netzwerk ist nicht nur wirksam in der Schöpfung einer intermedialen Ästhetik, sondern verknüpft Aspekte einer Aufmerksamkeits- Ökonomie mit möglichen Marketingstrategien und wirtschaftlichen Werten; somit bezieht es sich auf Dimensionen ästhetischen Handelns, die jenseits binnenästhetischer Fassbarkeit liegen. Die hier entwickelten Gedanken sind eng mit dem Forschungsprojekt “Networking. Zur Performanz distribuierter Ästhetik” verbunden, 3 das den Vorstoß in außertheatrale Medienfelder versucht, der jedoch in mehrfacher Hinsicht fundamental mit theaterwissenschaftlicher Theorie verbunden ist: zum einen ist es der Theaterwissenschaft aufgrund ihres traditionell interdisziplinären Instrumentariums möglich, sich als Medien- und Kulturwissenschaft durch eine methodische Verschiebung hin zur Analyse von medialer Performanz, Wahrnehmungszusammenhängen und gesellschaftlichen Dispositiven von kultureller Praxis neu zu positionieren. So erlaubt insbesondere die Performance-Theorie eine Verknüpfung mit medientheoretischen und kulturwissenschaftlichen Ansätzen. Zum anderen können die hier entwickelten methodischen Perspektiven zurückwirken auf die Sichtweisen von ästhetischer theatraler Praxis, die sich außerhalb klassischer Dramen-Inszenierung bewegt und in den Bereich von Pop- und Medienkultur hineinreicht. 4 Von der Theaterwissenschaft sind die hier angesprochenen Vernetzungsphänomene bislang in zweierlei Hinsicht thematisiert worden. Als soziale Situation, in welcher Menschen auf bestimmte Weise aufeinander bezogen sind und Gemeinschaften bilden, ist Vernetzung von je her ein konstituierendes Element des Theaters. Dies wäre ein gemeinsamer Nenner, auf den sich etwa Theateranthropologen und Soziologen einigen können. In Begriffen der Atmosphäre, des kollektiven Handelns und Zuschauens, der Polis und Politik als einem sozial-anthropologischem Moment des Theaters wurde Vernetzung also implizit immer bedacht wiewohl nicht pro- Performanz des Netzes 199 blematisiert. Die zweite Sicht auf Vernetzung nimmt ihren Ausgangspunkt bei diversen technischen Realisierungen im Bereich des experimentellen Theaters und der Medienkunst. Martina Leekers Band Maschinen, Medien, Performances 5 folgten diverse Einzeluntersuchungen, etwa zum interaktiven Tanz, zur Performance, zu Theater und Internet. 6 Auffallend ist, dass diese Studien oft vor dem Problem stehen, Theater und Medien bzw. als Medium zu definieren. Häufig erschöpfen sie sich dabei in der Beschreibung ästhetischer Formvariationen eines konventionellen Theaterdispositivs bzw. in Genrezuordnungen. Jedoch: Wenn eine Guckkastenästhetik auf dem Computerbildschirm simuliert oder eine tänzerische Bewegung vor dem elektronischen Auge einer Kamera vorgeführt wird, so ist das zunächst nur eine mögliche Variation dessen, was vor Einführung dieser Medien bereits inszeniert wurde. Und häufig ist die Überführung einer Form in ein anderes Medium nicht einmal neu. Denn ein Blick auf die Geschichte der Avantgarden, der Film- und Hörkunst etwa belegt, dass sich die digital realisierte Vernetzung von Akteur und Publikum häufig auf bereits erprobte Konzepte der Partizipation und Interaktion des Publikums berufen kann, wie sie die Theatergeschichte im zwanzigsten Jahrhundert kennzeichnen. Es ist daher lohnend, die aktuellen Vernetzungseffekte in intermedialen Theater und der Performance Kunst als Indikatoren zu begreifen, welche auf einen grundlegenden Wandel der Gemeinschaftsbildung und damit auch auf einen Wandel von Theater als einer sozialen Situation hinweisen. 2. Von der Ästhetik zur Handlung vernetzter Gemeinschaften Netzwerke haben Konjunktur. Dies gilt umso mehr, als die Vernetzung durch neuere Medien wie Internet, mobile Telefone und Ortungsgeräte (GPS) zu einem alltäglichen Phänomen wird. Neue Arten und Weisen entstehen, wie Menschen sich in sozialen Verbünden organisieren - etwa in Form von ‘virtuellen Gemeinschaften’. Längst wird etwa mittels E-Mail, Handy und Internet auch die intime Kommunikation geregelt, werden Liebesbeziehungen angebahnt oder beendet. Schenkt man jüngeren Studien Glauben, so ist Mobilität und Vernetzung ein persönlicher Stil, der über Events und Statussymbole inszeniert wird und ökonomische Ausmaße erreicht, die über jene der herkömmlichen Verbreitungsmedien TV, Radio und Film hinaus wachsen. 7 Wer in der “Daumenkultur” 8 noch ohne E-Mail Adresse oder Handy- Nummer eine gesellschaftlich aktive Rolle ausfüllen möchte, muss sich schon zumindest in urbanen und globalisierten Kontexten die mediale Askese eines Guy Debord oder Thomas Pynchon auferlegen. Verknüpft mit dieser Wandlung persönlicher Lebensstile ist auch ein soziales und politisches Moment, welches auf eine Wandlung von Gemeinschaftskonzepten und der Wahrnehmung von Gemeinschaft zielt. So ist es etwa bezeichnend, wie sich neue Formen des politischen Protestes (NGO, Attac! ) und der kritischen Öffentlichkeit formieren und dabei strategisch auf mediale Vernetzung, verteilte Handlungsmacht und Enthierarchisierung der Kommunikation setzen. Die Forderung nach einem demokratischen Zugang zu medialen Kanälen - wie sie etwa von Bertolt Brecht 9 und Hans Magnus Enzensberger, 10 von Alexander Kluge 11 oder Geert Lovink 12 erhoben wurde - gewinnt dabei erneut an Aktualität und mit ihr die utopischen Ideen von Kollektivität in virtuellen Gemeinschaften, 13 bzw. deren kulturpessimistische Variante vom Zerfall alter Gemeinschaften. Es fragt sich, ob die Theorie der Intermedialität diese Formen der verteilten Gemeinschaft und der vernetzten Kommunikation erfassen kann. Denn was im eingangs beschriebenen Beispiel von YouTube als interaktive Verschaltung von Filmkultur und 200 Wolf-Dieter Ernst, Meike Wagner Fangemeinde erscheint, geht ja über die tradierten Konzepte von Intermedialität und Interaktivität hinaus. Wie nämlich in diesem Beispiel Handlung und Rezeption verteilt sind, ist weniger ein Problem ästhetischer Anschauung, lässt sich nicht in statischen Begriffen von Form und Inhalt erfassen. Die gewandelten sozialen Beziehungen und Kommunikationsweisen in dem, was dann ‘virtuelle Gemeinschaft’ genannt wird, können eher als verteilte ästhetische Prozesse verstanden werden. Man kann diese Verlagerung von der ästhetischen Form zum sozialen und politischen Moment einer verteilten Ästhetik sehr gut am Begriff der Interaktivität verdeutlichen. Interaktivität war bekanntlich ein zentraler Begriff der Debatte um neue Theaterformen und eine “neue Medienkunst” in den 90er Jahren, 14 eine Debatte, die auch dazu geeignet schien, das traditionelle Verhältnis von Bühne und Zuschauer zu revolutionieren. Stephen Galloways Electroclips (1994) etwa, oder Paul Sermons Telematic Dreaming (1992) loteten das szenische Potential einer mit Sensoren und Steuerungselementen ausgestatteten Bühne aus. Auffallend an diesen frühen Experimenten mit interaktiver Technologie war jedoch insbesondere die singuläre Position eines Darstellers im Raum. Der Darsteller wird etwa mit der Tonanlage der Bühne verschaltet, um bestimmte Musikeinsätze zu steuern. Dieses Konzept einer Live-Schaltung betrifft auch das Spiel mit dem Außenraum der Bühne, mit Fernabwesenheiten und virtuellen Räumen etwa wie bei Paul Sermon. Sie alle werden hier und jetzt präsentiert und meist auch als ‘Echtzeit-Geschehen’ wahrgenommen. Es geht um Interaktion im Singular. Anders bei YouTube: Die Rückkopplung von Fangemeinde und Film weist auf Interaktionen, also eine schnell ablaufende Reaktionskette hin, die nicht mehr von einem einzelnem Darsteller gesteuert wird oder auf ihn zurück wirkt. Die Interaktionen laufen hier ähnlich einer permanenten Installation ab, sind immer möglich. Während eine interaktive Bühnendarstellung also inszeniert und kontrolliert abläuft, zeichnet virtuelle Gemeinschaften und deren Selbstdarstellung aus, dass sie unkontrolliert und selbst generierend sind. Von der künstlerischen Kompetenz im Umgang mit neuer Technologie verlagert sich in virtuellen Gemeinschaften der Schwerpunkt hin zu Kontrolle und Kontrollverlust. Als aufwändig programmiertes und produziertes Interface nämlich ist die YouTube-Seite hochgradig kontrolliert. Zugleich ist die massenhafte Verteilung von Filmen und Kommentaren auf ihr - also die Kinokultur im weiteren Sinne - alles andere als kontrollierbar. Der ‘Wildwuchs’ wird zum Signum und bedeutet gleichzeitig für die Kinoindustrie ein ökonomisches Problem. An die Stelle eines Darstellers oder Zuschauers rücken in virtuellen Gemeinschaften wie YouTube also tendenziell kollektive Akteure und mit ihnen eine neuartig organisierte Gemeinschaft. Geht man von einem erweitertem Theaterbegriff aus, der auch kulturelle Performances wie Spiel, Sportveranstaltungen, politische Demonstrationen umfasst, dann fällt hier eine deutliche Parallele auf. Hier wie dort haben wir es mit organisierten Formierungen von Zuschauern und Akteuren zu tun, die für eine gewisse Zeit in intensive Interaktion miteinander treten können und sich dazu eines bestimmten Raumes, einer Dramaturgie und einer Zeitstruktur bedienen. Weniger geht es dabei um eine spezifische Ästhetik als um die Darstellung von Gemeinschaft, um die Manifestation und Zur-Schau-Stellung eines gemeinsamen Handelns. Die Frage nach Intermedialität und Interaktion könnte also vor dem Hintergrund des Begriffs der Cultural Performance und der damit verknüpften theateranthropologischen Perspektive erneut verhandelt werden. So kommen Phänomene des Theaters wie Kollektivität, gesellschaftliche und politische Relevanz, Feierlichkeit und Ritualcharakter erneut ins Performanz des Netzes 201 Blickfeld, allerdings in deutlich gewandelter Hinsicht. Denn was uns in den interaktiven Verschaltungen und den Interaktionen im virtuellen Raum begegnet, trägt deutlich die Züge einer Zerstreuung und einer Dissoziation von sozialen Verbünden, Orten und Zeiten. Das ist ja gerade ein Novum der elektronischen Vernetzung und als solches auch bereits viel besprochen, mitunter beklagt worden. Mittels technischer Verbindungen wird eben nicht per se eine Verbindlichkeit des Sozialen bewirkt. Vernetzung in sozialer und anthropologischer Hinsicht meint also weniger die sozialen Bindungskräfte einer Gemeinschaft für sich sondern umfasst immer auch die zentripetalen Kräfte, die Gemeinschaften in Frage stellen, auflösen oder in Hybride überführen. Medien trennen und verbinden zugleich und gerade diesen Befund hebt der klassische Begriff des Inter-Mediums besonders hervor. Bislang wurden solche Kräfte im Prozess der Gemeinschaftsbildung sowohl in der Theatertheorie als auch in der Anthropologie als transformative Schwellenmomente erforscht. Dabei ging man jedoch häufig von einem konventionellen Aufführungs- und Inszenierungsbegriff aus, der sich mit Fernabwesenheiten und virtuellen Gemeinschaften nicht zu vertragen scheint. Es wäre jedoch lohnend, hier umzudenken und just diesen Punkt des Schwellenmomentes auf medialisierte Gemeinschaften zu übertragen. Abstrakter formuliert ginge es dann um die Performance eines Netzwerkes. Folgt man diesem Gedanken, demgemäß elektronisch vernetzte virtuelle Gemeinschaften sich ebenso performativ verbinden, wie dies soziale Gemeinschaften in face-toface Kommunikation tun, so müsste man den Geltungsbereich des Performanzbegriffs freilich auf die technischen und zunehmend ökonomischen Verfasstheiten ausdehnen, die aktuell ja die Gestalt etwa des Netzes der Netze, des Internets prägen. YouTube ist eben auch ein wohl kalkuliertes Produkt, welches dem Google-Konzern bei der Übernahme immerhin 1,31 Milliarden Euro wert war. 3. Actor Network Theory und das Paradigma der Performanz In theoretischer Hinsicht kann man sich hier auf Ansätze der Actor Network Theory (ANT) berufen. Denn aus dieser ganz anderen Perspektive, nämlich jener der Wissenschaftsgeschichte, kündigt sich eine ähnliche Erkenntnis über den performativen Vollzug von Gemeinschaftsbildung in technisierten Umgebungen an. Bereits Anfang der achtziger Jahre und damit noch vor der massenwirksamen Durchsetzung von World Wide Web und Internet entwickelt eine Forschergruppe um den französischen Wissenschaftshistoriker Bruno Latour ein Konzept von Vernetzung, welches geeignet ist, soziale, ökonomische und technische Vernetzung auf ein und derselben Ebene zu untersuchen. 15 Die Actor Network Theory steht im Zeichen der Netzmetaphorik, welche eine Reihe philosophischer Vordenker der Netztheorie wie Roland Barthes, Michel Serres, Gilles Deleuze und Félix Guattari entwickelten und die auch für die Performanztheorien wichtig sind. 16 Diese Vordenker waren sich einig, dass die Metapher des Netzes Prozesse der Kommunikation oder der technischen und sozialen Verbindungen enthierarchisiert abbilden kann. Ein Netz ist von jedem Punkt aus in gleichem Maße zugänglich, es bildet keinen Hintergrund und kein Oben und Unten, wie dies etwa eine Hierarchie oder ein Denken in Ursache und Wirkungsmechanismen nahe legen. Dieser Befund impliziert dann auch, dass es für Vernetzung keine Instanz der Inszenierung und Kontrolle geben kann; und genau hier gibt es deutliche Parallelen zur Cultural Performance als einem kollektiven Handeln. So wie die Aufführung einer Cultural Performance in besonderem Maße davon ‘lebt’, dass sie von allen Mitgliedern 202 Wolf-Dieter Ernst, Meike Wagner einer Gemeinschaft gleichermaßen vollzogen wird und damit diese Gemeinschaft bestätigt, so verweist auch ANT auf eine verteilte und zirkulierende Handlungsmacht und macht diese fassbar. Ein Netz ist nach Latour kein gebautes oder kommuniziertes ‘Ding’, sondern eine Perspektive der Forschung, mit welcher quer zu bestehenden Klassifizierungen wie etwa Natur-Kultur, Materie-Geist, Kunst-Alltag etc. und auch unabhängig von etablierten Denkmustern wie etwa Ursache-Wirkung, Zentrum-Peripherie, Masse und Einzelner eine Analyse von Relationen vorgenommen werden kann. 17 Latour beschreibt diesen Perspektivenschwenk anschaulich, wenn er beispielsweise das gewohnte Denken in Relationen der Nähe und Distanz in Frage stellt: Elements which are close when disconnected may be infintely remote when their connections are analyzed; conversely, elements which would appear as infinitely distant may be close when their connections are brought back into the picture. I can be one metre away from someone in the next telephone booth and nevertheless be more closely connected to my mother 6000 miles away; an Alaskan reindeer might be ten metres away from another one and they might nevertheless be cut off by a pipeline of 800 miles that makes their mating for ever impossible; my son may sit at school with a young Arab of his age, but in spite of this close proximity in first grade they might drift apart in worlds that will become incommensurable later. 18 Latours Begriff des Netzes kann damit erhellen, wie heterogene Entitäten miteinander in Relation stehen und dass die Kartierung der Welt nach dem Muster von Nähe und Distanz nur eine der möglichen Ordnungen darstellt. Dieses Konzept gewinnt in dem Maße an Attraktivität, wie im Zuge der Medialisierung und Globalisierung Phänomene der Vermischung etwa des Technischen und Sozialen oder der Auflösung statischer Begriffe von Ort und Identität erscheinen. Ein besonderes Merkmal dieses Netz- Konzeptes ist es, dass die Verknüpfung innerhalb von Netzwerken die Züge eines performativen Prozesses trägt. Das wird bereits in der begrifflichen Verknüpfung von ‘network’ und ‘actor’ deutlich. 19 So schreibt Latour: [Actor-Network Theory] makes use of some of the simplest properties of nets and then adds to it an actor that does some work, the addition of such an ontological ingredient deeply modifies it. […] A network in mathematics or in engineering is something that is traced or inscribed by some other entity - the mathematician, the engineer. An actor-network is an entity that does the tracing and the inscribing. It is an ontological definition and not a piece of inert matter in the hands of others, especially of human planners or designers. It was in order to point out this essential feature that the word ‘actor’ was added to it. 20 Wenn Latour von “entity” spricht, so will er sich deutlich von intentionalen Handlungsmodellen abheben, ähnlich wie dies auch in der Ritual- und Performance-Analyse mit Konzepten wie dem des “restored behaviour” 21 (Schechner) versucht wurde. Ihr gemeinsames Anliegen ist es, Handlungspotentiale als verteilt zu denken, dabei auch Handlung von nicht-lebendigen Dingen und Handlungen kollektiver Akteure einschließend. In der Tat gilt nach Latour: An ‘actor’ in ANT is a semiotic definition - an actant -, that is something that acts or to which activity is granted by others. It implies no special motivation of human individual actors, nor of humans in general. An actant can literally be anything provided it is granted to be the source of an action. 22 Aktanten umfassen also das Aktivitätspotential von Subjekten ebenso wie von Dingen - ein Umstand, den man in Form der internen Umcodierung für ästhetische Texte bereits kennt, der aber nun im Rahmen eines theateranthropologischen Modells tatsächlich Performanz des Netzes 203 neue Perspektiven ermöglicht. Ihm entsprechend könnten tatsächlich Medienapparate ebenso wie Informationen, Alltagsgegenstände, Rohstoffe, Nachrichten, Tiere oder Menschen als relational zueinander betrachtet werden. Dieses Konzept der Verknüpfung hat aber nicht zur Folge, dass nun alles mit allem beliebig verknüpft wäre. Relational heißt nicht relativ. Denn hier kommt die performative Bewegung ins Spiel, mit der es Aktanten innerhalb eines Netzwerkes gestattet wird zu handeln. Die “source of an action” wird “granted”, gewährt, und dies geschieht im Vorfeld der Analyse über die Auswahl von ‘Objekten’ und Relationen und die Entscheidung für die Actor Network-Theorie. Ganz im Sinne der Performance Analysis haben wir es also bei Latours begrifflichem Hybrid mit einem umstrittenen Konzept zu tun, welches die strikte Unterscheidung von Beschreibung und Interpretation in Frage stellt. Das Actor Network existiert in dem Maße, wie es in einer auf Dinge erweiterten Perspektive des Schreibens und (Spuren)Lesens hergestellt wird. “No net exists independently of the very act of tracing it, and no tracing is done by an actor exerior to the net. A network is not a thing, but the recorded movement of a thing”. 23 Hier kündigt sich das (post)strukturalistische Konzept eines Netzes als einer Bewegung, einem “recorded movement of a thing” an, welche Parallelen zu jenen Bewegungen des Zitats und des Aufschubs aufweist, wie sie für performative Prozesse beschrieben wurden. ANT ist also methodisch mit dem Performanzkonzept kompatibel; sie hat zudem den Vorteil, die Bereiche des Materiellen, Technischen und Ökonomischen als den maßgeblichen Kräften der aktuellen Vernetzungswelle gleichermaßen zu erfassen. Diese Erhöhung der Reichweite schließt an aktuelle Tendenzen in der Performance Analysis an, der Cultural Performance den technischen und ökonomischen Begriff von Performanz im Sinne der Leistung an die Seite zu stellen. In diesem Sinne hat der amerikanische Performancewissenschaftler Jon McKenzie Performanz als ein neues Paradigma untersucht. 24 McKenzie hebt hervor, dass das Konzept der Performanz grundsätzlich Prozesse der Normierung und der Subversion beinhaltet. Dieses Wechselspiel sei jedoch von unterschiedlicher Qualität, je nachdem welche Effekte von Normierung und Subversion erscheinen und nach welchen Kriterien deren Effektivität bewertet wird. Dies können im Bereich des Ästhetischen andere Kriterien sein, als im Bereich des Ökonomischen. Wenn in der Wirtschaft etwa ein Performanceanalyst die Geschäfte einer Bank bewertet, so tut er dies nach einem anderen Schema von vorteilhaft und nachteilig, als etwa ein Kunstpublikum, welches eine künstlerische Performance als gelungen oder gescheitert bewertet. Ebenso verhält es sich mit der institutionellen Performanz einer Universität oder eines Ministeriums, welche eine soziale Funktion erfüllen, etwa die Verteilung von Geld oder die Weitergabe von Daten und Wissen. McKenzie unterscheidet dabei drei verschiedene Qualitäten innerhalb des Performanzparadigmas: die institutionelle, die ökonomisch-technische und die ästhetische Leistung, im Englischen mit dem eingängigen Dreiklang effectiveness, efficiency, efficacy (= Effektivität, Effizienz, Wirksamkeit) wieder gegeben. Die Effektivität bezieht sich dabei auf technische Funktion, die Effizienz auf institutionelle und ökonomische Leistungsfähigkeit und die Wirksamkeit auf kulturelle Performances. Vor dem Hintergrund des Performanz-Paradigmas, wie es in Bezug auf technische Apparate und soziale Institutionen von Jon McKenzie beschrieben wird, kann man also nach den je verschiedenen Leistungen eines Netzwerkes fragen. ANT als Forschungsperspektive verspricht im Zusammenspiel mit dem erweiterten Performanzbegriff dabei jene Übergänge zwischen Handlung und Affizierung, zwischen sozialer und technischer Interaktion 204 Wolf-Dieter Ernst, Meike Wagner zu erhellen, wie sie uns am Beispiel von YouTube und anderen virtuellen Gemeinschaften heute begegnen. 4. Netzwerke und Interaktionen - retrospektiv und aktuell Netzwerke leisten ohne Zweifel etwas, was über die individuelle Leistung und das individuelle Anschauungsvermögen hinausgeht. Dies dürfte als zeitdiagnostisch plausible Annahme gelten. Im Rahmen der bislang angestellten Überlegungen lässt sich bilanzieren: Unter einem Netzwerk als Gegenstand der Theaterwissenschaft kann eine performative Verknüpfung heterogener Entitäten verstanden werden. Die Verknüpfungsleistung kann mit ANT und im Rahmen des Performanz-Paradigmas auf ihre Reichweite und ihre Qualitäten hin befragt werden. Wenn es gilt, dass auch die technischen und ökonomischen Felder unserer Gesellschaft sich performativ über ihr Tun Rechenschaft ablegen, so wäre eine Theaterwissenschaft als Kulturwissenschaft prädestiniert, die verschiedenen Qualitäten von Performanz gleichermaßen zu untersuchen und mit den Cultural Performances ins Verhältnis zu setzen. Das Phänomen der Vernetzung bietet sich dabei als bevorzugter und bislang nur randständig betrachteter Gegenstand an, denn gerade in der Vernetzung werden die Übergänge zwischen dem Sozialen, dem Technisch-Ökonomischen und dem Ästhetischen, die sonst in der Aufteilung gesellschaftlicher Prozesse in Systeme oder Handlungsfelder wie ‘Kunst’, ‘Wirtschaft’ oder ‘Soziales’ verborgen bleiben, zum eigentlichen Movens der Analyse: Globalisierung, virtuelle Gemeinschaften und die Auflösung bestehender Orte und Hierarchien stehen ja nicht nur allgemein auf der Agenda. Diese Tendenzen haben auch unmittelbaren Bezug zu zeitgenössischen performativen Theater- und Kunstformen, die den Übergang von Handlungsfeldern exemplarisch vollziehen und demonstrieren. Diese Reflektion von Vernetzung kann auch Kunstaktionen vor der Ära von Internet und WWW in neuem Licht erscheinen lassen, wie man in Hinsicht auf den ‘erweiterten Kunstbegriff’ von Joseph Beuys zeigen kann, und es lassen sich von dort aus Parallelen zu aktuellen Aktionsformen im Bereich des politischen Protestes aufzeigen. Joseph Beuys etwa hat in den 1960 und 1970 Jahren seine Vorstellung von ästhetischpolitischem Handeln zunehmend in Kunstaktionen umgesetzt. Er kann als historischer Grenzgänger gelten, der noch vor der Digitalisierungswelle in den 1980ern und dem Siegeszug des Internets als Mittel der Alltagskommunikation in den 1990ern, die oben beschriebenen Übergänge inszenierte, und dessen Werk als Netzwerk-Kunst gelesen werden kann. Beuys setzt dem traditionellen Kunstverständnis, das vom Künstler als Schöpfer von Werken ausgeht, die radikale Vorstellung eines Kunstschaffens als grundlegende menschliche Tätigkeit in der Gesellschaft entgegen. Das Künstler-Genie wird ersetzt durch ein demokratisches Netz von kreativ gestaltenden Menschen, die ästhetisch handelnd an der Gestaltung von Gesellschaft, Kultur, Politik und Wirtschaft mitwirken. Sein Schlagwort von der ‘Sozialen Plastik’ bezieht sich auf die plastische Formung, kreative Gestaltung der wahrnehmbaren Form einer Gesellschaft, dabei wird eben nicht die Plastik - das Werk als künstlerischer Einzelwert - zentral gesetzt, sondern die soziale Dimension eben dieser Materialisation von kreativem Schaffen. Der Prozess des kreativen Denkens und politischen Handelns wird wichtiger als die Herstellung eines materiellen Kunstwerkes und auch des Kunstwertes. Beuys’ Kunstaktionen lassen sich insbesondere ab Ende der 60er nicht von Politik trennen und kulminieren in der Forderung nach politisch-kreativer Tätigkeit jedes Menschen: Performanz des Netzes 205 Die Formel ‘Jeder Mensch ist ein Künstler’, die sehr viel Aufregung erzeugt hat und die immer noch mißverstanden wird, bezieht sich auf die Umgestaltung des Sozial-Leibes, an dem nicht nur jeder Mensch teilnehmen kann, sondern sogar teilnehmen muß, damit wir möglichst schnell die Transformation vollziehen. 25 Beuys erfand immer aufs neue Netzwerke, die zu kreativem Schaffen führen sollten. Kommunikation und energetischer Kreislauf veranlassen und speisen ästhetisch politisches Handeln. Konsequenterweise müsste Beuys vollständig hinter seine Netzwerke zurücktreten, dies gelang jedoch angesichts seines medialen Images nicht. 1977 verknüpft Beuys bei der documenta 6 in Kassel seine berühmte Installation Honigpumpe am Arbeitsplatz mit der Ausrufung der Freien Internationalen Universität für Kreativität und interdisziplinäre Forschung e.V. (FIU), 26 die im Fridericianum als 100-Tage-Forum tagte. Beuys hatte zum FIU-Seminar alternative Arbeitsgruppen, Vertreter politisch unterdrückter Minderheiten, Exilanten, Verfolgte, eine Abordnung von Lucas Aerospace Shop Stewards Combine, 27 Wissenschaftler, Ärzte, Musiker, Maler, Bildhauer, Journalisten usw. Initiativen aus aller Welt zur öffentlichen Diskussion eingeladen. Er wollte an diesem Kommunikations-Modell die Idee einer zu institutionalisierenden, permanent tagenden, internationalen Konferenz demonstrieren. Diese künftige Tagung sollte über die Schicksal entscheidenden Fragen der Menschheit beraten. Während nun das ‘Werk’ Honigpumpe vielfach analysiert und kommentiert ist, wird sein Zusammenhang mit der FIU nur gestreift, bzw. quasi als Parallel-Erscheinung wahrgenommen. Im Sinne der Netzwerk- Perspektive sollen jedoch hier der wesentliche Zusammenhang und die Netzstruktur des ästhetischen Handelns in und an Honigpumpe/ FIU betrachtet werden. Beuys selbst hat Hinweise auf den inneren Zusammenhang gegeben: With Honeypump I am expressing the principle of the Free International University working in the bloodstream of society. Flowing in and out of the heart organ - the steel honey container - are the main arteries through which the honey is pumped out of the engine room with a pulsing sound, circulates round the Free University area, and returns to the heart. The whole thing is only complete with people in the space round which the honey artery flows and where the bee’s head is to be found in the coiled loops of tubing with its iron feelers. 28 Honigpumpe drückt das Prinzip der FIU aus, die in einem blutkreislaufähnlichen Prozess Energien ästhetischen Handelns generiert. Die Biene als Symboltier der netzwerkähnlichen Lebensstruktur generiert den Honig: ein Energiespender, der im Zusammenhang mit der Maschinerie der Pumpe und den politischen Diskussionen eine enthierarchisierte ästhetische Struktur darstellt. Die Bedeutsamkeit des Einzelwerkes wird hier ersetzt durch die Wirksamkeit des Prozesses und der Schaffenskraft des Netzwerkes. Beuys nutzt die Institution Kunst und das Irritationspotential der ästhetischen Inszenierung, um einen Aufmerksamkeitswert zu erreichen, der politisches Handeln stützt. Die Netzwerke des Internets machen die Übergänge zwischen Handlungs- und Gesellschaftsfeldern höchst durchlässig. Geschwindigkeit und Reichweite von digitaler Kommunikation eröffnen neue politische Potentiale, die jedoch an ältere Formen der Kunstaktion weiterhin anknüpfen, da sie das Störpotential der Kunst nutzen. Der Flash Mob stützt sich auf die Kommunikation, den Wissenstransfer der Virtual Community, um dann mit der realen Performance der Aktionskunst den Übertritt in den öffentlichen Gesellschaftsraum zu vollziehen. Die virtuelle Gemeinschaft spiegelt die Bindungskräfte realer Gemeinschaften, verknüpft Medienpraxis mit sozialer Praxis. Selektionskriterium ist die Medienkompe- 206 Wolf-Dieter Ernst, Meike Wagner tenz, die sich in technischem Wissen, aber auch in Netiquette und Style äußert. Genau wie in der sozialen Gemeinschaft basiert die Gruppenzugehörigkeit auf spezifischen Codes. Bedeutsam ist jedoch die ‘szenische’ Handlungsplattform im Internet, welche sowohl ästhetische als auch soziale und ökonomische Performanzen aufweist. Flash Mobs und Smart Mobs 29 sind kollektive Aktionen von virtuellen Gemeinschaften, die neue Medien als Kommunikation - Internet, Handy - nutzen. Während der Flash Mob 30 durch seine Schnelligkeit, Kurzlebigkeit und das Überraschungsmoment gekennzeichnet ist, wird der Smart Mob durch eine politische Agenda gerahmt und kann eine Serie von Aktionen beinhalten. Bereits 2001 wurden in Manila auf ähnliche Weise ad hoc politische Demonstrationen organisiert, die den unter Korruptionsverdacht stehenden Präsidenten Joseph Estrada begleiteten, wo auch immer er auftrat, und so nachweislich zu seinem Sturz beitrugen. Beide Aktionsarten irritieren durch ihre schnelle, nicht nachvollziehbare kollektive Verabredung. Die Gruppe der Aktivisten taucht scheinbar aus dem Nichts auf, die Handlungsaufforderung verbreitet sich unvorhersehbar und durch verborgene Kanäle. Wesentlicher Effekt ist die Massierung der Beteiligten, je mehr Performer, desto erstaunlicher ihre Kohärenz als Aktionskollektiv. In welchem Ausmaß das politische mit dem ästhetischen Handeln im Netzwerk verknüpft wird, zeigen politisch performative Aktionen von Greenpeace, Attac! und anderen Gruppierungen. Ein Beispiel unter vielen ist die Aktion EURIZONS, einer “European Tour for Global Responsibility” des Global Education Network of Young Europeans (GLEN), die zeigt, wie selbstverständlich mediengestützte Performances sich in das Instrumentarium der aktivistischen Arbeit einreihen. Ziel der Aktion war es, auf die im Jahr 2000 von der UNO verabschiedeten Millenium Development Goals (MDG) 31 aufmerksam zu machen, die eine Verpflichtung beinhalten, bis zum Jahr 2015 Grundlagen für eine Verbesserung von globalen sozialen und ökonomischen Ungleichheiten zu schaffen. Im Sinne einer klassischen Awareness Raising Campaign versuchen die EURIZONS-Aktivisten über die MDGs aufzuklären und an das Verantwortungsgefühl des Einzelnen zu appellieren sowie die politischen Handlungsträger zu aktivieren: The most important goals of the campaign are raising awareness, educating about global interdependencies, development issues and the MDGs. We want European citizens to be involved in an active reflection of their own responsibility. Further, we want to encourage political decision makers to stand up and lobby for the achievement of the MDGs. EURIZONS qualifies young Europeans as global education multipliers, because: the more we are the stronger we are when we stand up for the MDG’s and global responsibility. 32 Für unser Thema sind hier nun die Mittel und die Funktionsweise des EURIZONS- Netzwerkes interessant. Zum einen organisiert EURIZONS seine Aufmerksamkeits- Ökonomie entlang von performativen Formen. In einer Reise-Performance werden 50 Hitchhiker von Riga aus in Richtung Straßburg losgeschickt. Sie machen in ausgewählten europäischen Metropolen Station und führen dort theatrale Straßenaktionen, Konzerte, Diskussionsforen durch. Der Flash Mob übernimmt hier die Rolle, durch das irritierende Verhalten der Aktivisten in der Performance die alltägliche Wahrnehmung der Passanten zu durchbrechen. ‘Stand up Europe! ’, echoed many times over the big squares in European cities, as a long line of young people marching in identical T-shirts, accompanied by a catchy rhythm of drums, tambourines and all kinds of crazy instruments suddenly went quiet and sat down in the middle of the street. Then, one after another they jumped up and finished Performanz des Netzes 207 with a common message shouted out loud: Eurizons - Your action matters! ! ! This flash mob was just one out of many street actions that helped us to attract attention, to make people stop, listen and think about what they have seen and heard from us. 33 Gestützt werden diese Aktionen durch die webbasierte Kommunikation von EURI- ZONS. Bereits vier Monate vor der geplanten Tour (23.8.-8.9.2006) wird eine Website mit Informationen über das Projekt aktiviert. Medien-Teams starten in jedem der beteiligten Staaten (Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Deutschland, Frankreich) Email-Kampagnen und kümmern sich um Presse-Kontakte. Das interaktive Forum der Website wird pro Monat etwa von 15.000 Personen besucht, während der eigentlichen Tour werden tägliche 1.000 Zugänge registriert. Zum Projekt-Ende sind etwa 200 internationale Web-Artikel über das Projekt veröffentlicht. In der Konzeption seiner politischen Arbeit stellt das EURIZONS-Team immer wieder die Vokabel “colorful” in den Vordergrund. Farbenfroh ist die Palette der beteiligten Nationen, farbenfroh sollen die politischen Ziele präsentiert werden, farbenfroh sollen die performativen eye catcher ihre Wirksamkeit entfalten. Dabei beschreibt die Vokabel nicht nur eine ästhetische Oberfläche, sondern sie möchte den Charakter des Aktiven, der freudigen Aktivität aller Beteiligten demonstrieren. Man muss hier unwillkürlich an die Werbe-Aktion “United Colors of Benetton” denken, die Mitte der 1980er Jahre den Zusammenhang von sozialem Engagement und Style erstmals in einer Plakat-Aktion darstellte und eine starke Prägung des Bedeutungskontextes von ‘colours’= Gemeinschaft, Engagement, Aktivität in Gang setzte. 34 EURIZONS stellt sich selbst als Netzwerk dar, das etwas bewirkt und dem man sich anschließen soll, um dessen ‘Farbpalette’ und Effektivität zu erhöhen. Die Straßenaktionen, Flash Mobs, sind keine theatralen Darstellungen, die politische Inhalte transportieren wollen; demonstriert werden soll die moderne Kommunikationsfähigkeit, die Spielfreude und das politische Engagement der Beteiligten, die sich eine Promotion der MDGs auf die Fahnen geschrieben haben. ‘Spiel mit! ’, ‘Sei dabei! ’, ‘Werde Teil unserer Gemeinschaft! ’, ist die message der Aktion, denn nur dann funktioniert das Netzwerk der politischen Aktivität. 5. Zurück zum Theater Die Netzwerkstruktur globaler politischer Kommunikation und Aktion lässt sich so nachvollziehbar darstellen. Wie aber verhält es sich mit theaternahen Performances, die im Zeichen der ‘lokalen Gemeinschaft’ stehen? Auch hier könnte die Netzwerkperspektive Erkenntnis bringend wirken. Dazu ein Ausblick. Im aktuellen politischen Theater und in der engagierten theatralen Performance ist zu beobachten, dass nicht so sehr Stoffe und Inhalte mit politischem Gehalt präsentiert werden; vielmehr wird eine ästhetische Form gesucht, die soziale Situationen exemplarisch her- und ausstellt. Die Künstler nehmen damit Bezug auf Cultural Performances, zitieren diese. Dabei wird der Zuschauer zum exemplarischen Handeln herausgefordert. So fordert etwa die Aktion Bitte liebt Österreich (2000) von Christoph Schlingensief Passanten in Wien dazu auf, an einem Spiel ähnlich einem bekannten TV-Format teilzunehmen, dessen Ziel die Auswahl und Abschiebung von ‘Ausländern’ darstellt. Was auf der ästhetischen Ebene eine bekannte Aneignungsstrategie der Performance-Kunst ist - ein TV-Format wird übernommen und auf provozierende Weise in Analogie zum politischen Diskurs gesetzt - umfasst als Vernetzungsphänomen weit mehr. Hier kommt ein fremdenfeindliches Binnenklima 208 Wolf-Dieter Ernst, Meike Wagner in Österreich ebenso ins Spiel, wie eine wenig abgeklärte Kulturberichterstattung, bzw. Kulturpolitik. Ebenso spielt das damals kontrovers aufgenommene Big Brother-Format des Senders RTL eine wichtige Rolle, insofern bereits im Vorfeld der Situation in Wien Modelle für ein mögliches soziales Handeln, für Teilnahme oder Ablehnung, bekannt waren. Ein fremdenfeindliches Klima, repräsentiert durch die Parole “Ausländer raus! ” und das Fernsehformat Big Brother, in welchem die soziale Kontrolle und der soziale Ausschluss des anderen inszeniert werden, waren also zwei aktuelle gesellschaftliche Debatten, die in je verschiedenen Netzwerken sich vollzogen. “It just happened to be this way”, wie Bruno Latour die relationale Perspektive der Actor Network Theory beschreibt. Ist damit also gesagt, dass gesellschaftliche Kräfte oder virtuelle Gemeinschaften ganz beliebig und unabhängig von künstlerischen Intentionen ihre vernetzten Performances aufführen? Wohl kaum. Jedoch, ob eine Cultural Performance oder eine künstlerische Performance strikt durchgeplant ist (was immer eine starke Regisseurs- und Autorfigur impliziert) oder ob sie offen gestaltet ist, ist nur ein Parameter für den Grad der Vernetzung. Und so können wir die mit dem Image des Provokateurs behaftete Figur Schlingensief in das Netz einbeziehen, welche von der Aktion neben der Wiener Oper aus ihre Fäden spinnt. Hier die Medienkritik und der Wettbewerb um Einschaltquoten, dort ein Wahlkampfthema und ein Verteilungskonflikt. Und als weiterer Knoten kommt nun eine neue Form des politischen Theaters hinzu: die Medienfigur Schlingensief und sein eingespieltes Team, eine künstlerische Strategie und bestimmte Erfahrungswerte mit dessen Umsetzung, etwa in Form der Aktion Passion Impossible. 7 Tage Notruf für Deutschland. Eine Bahnhofsmission (1997) um das Hamburger Schauspielhaus. Die Kunst der Beschreibung besteht darin, diese heterogenen Elemente exemplarisch aufeinander treffen zu lassen und deren Performanz aus sich selbst heraus zu bestimmen, statt sie mit einem fertigen Konzept von (künstlerischer) Performance zu analysieren. Die kulturellen Wirkungen dieser Performance lassen sich in den wütenden Kommentaren und der Polarisierung nachlesen, die sich in der Dokumentation dieser Aktion findet. 35 Die Netztheorie erweitert die Performance-Analyse vom engeren Bereich der Theaterkunst hin auf das, was bislang als Materialität der Kommunikation und als Ressource von Publikum, Geld und Aufmerksamkeit ‘irgendwie’ vorausgesetzt wurde. 36 Die hier vorgestellte Netzwerk-Perspektive für theaterwissenschaftliche Analysen versteht sich als Versuch, einer gewandelten Vorstellung von ästhetischem Handeln gerecht zu werden und Gegenstände in den Untersuchungsbereich zu integrieren, die sich binnenästhetischen und autorzentrierten Analysen entziehen. Es gilt nun, das vorgestellt Konzept mit verfeinerten Instrumenten und weit reichenden Tiefbohrungen auf seinen Bestand hin zu überprüfen. Anmerkungen 1 Siehe hierzu etwa Wolf-Dieter Ernst, Performance der Schnittstelle. Theater unter Medienbedingungen, Wien 2003; Meike Wagner, Nähte am Puppenkörper. Der mediale Blick und die Körperentwürfe des Theaters, Bielefeld 2003; Ulrike Haß, Das Drama des Sehens. Auge, Blick und Bühnenform, München 2005. 2 Siehe hierzu etwa Götz Dapp, Mediaclash in Political Theatre. Building on and Continuing Brecht [= Kleine Mainzer Schriften zur Theaterwissenschaft, Band 9], Marburg 2007; Kati Röttger, “Media/ Politics in Performance”, in: Meike Wagner und Wolf-Dieter Ernst (Hg.), Performing the Matrix. Mediating Cultural Performances, München 2007, im Druck. Performanz des Netzes 209 3 Das Forschungsprojekt “Networking. Zur Performanz distribuierter Ästhetik” im Rahmen von LMUexcellent unter der Leitung von Prof. Dr. Christopher Balme, Projektgruppe: Josef Baierlein, Dr. Jörg von Brincken, Dr. Wolf-Dieter Ernst, Dr. Meike Wagner, nahm zum 1.10.2007 seine Arbeit auf. 4 Siehe etwa die Theater- und Kunstprojekte von Rimini Protokoll oder auch Christoph Schlingensief. 5 Martina Leeker (Hg.), Medien, Maschinen, Performances. Berlin 2001. 6 Vgl. Kerstin Evert, DanceLab, Würzburg 2003; Petra Maria Meyer (Hg.), Performance im medialen Wandel, München 2006; Wolf-Dieter Ernst, “The Liveness of the Rain. Die Techniken der Betrachtung im zeitgenössischen Theater”, in: Georg Christoph Tholen, Sigrid Schade (Hg.), Schnittstellen. Basler Beiträge zur Medienwissenchaft, Basel 2005, S. 353- 368; Julia Glesner, Theater und Internet, Bielefeld 2005. 7 Vgl. die Daten zur Mediennutzung in Gisela Hüser, Manfred Grauer, “Zur Verbreitung des Internets und des Mobiltelefons in der Netzwerkgesellschaft”, in: Peter Gendolla, Jörgen Schäfer (Hg.), Wissensprozesse in der Netzwerkgesellschaft, Bielefeld 2005, S. 83-115. 8 Peter Glotz, Stefan Bertschi, Chris Locke (Hg.), Daumenkultur. Das Mobiltelefon in der Gesellschaft, Bielefeld 2006. 9 Bertolt Brecht, “Der Rundfunk als Kommunikationsapparat”, in: Ders.: Schriften zur Literatur und Kunst 1 (= G.W., Bd. 18), Frankfurt a.M. 1967, S. 127-134. 10 Hans Magnus Enzensberger, “Baukasten zu einer Theorie der Medien”, in: Kursbuch 20, Frankfurt a.M. 1970, S. 159-186. 11 Alexander Kluge, “Die schärfste Ideologie: daß die Realität sich auf ihren realistischen Charakter beruft”, in: Klaus Eder, Alexander Kluge (Hg.), Ulmer Dramaturgien. Reibungsverluste, München 1980, S. 119-125. 12 Geert Lovink, “Strategien eines radikalen Medienpragmatismus für techno-soziale Bewegungen”, in: Gerfried Stocker, Christine Schöpf (Hg.), Information. Macht. Krieg, Wien 1998, S. 259-267; sowie David Garcia, Geert Lovink, The ABC of Tactical Media, www.thing.desk.nl/ bilwet/ Geert/ ABC.txt (letzter Zugriff 7.10.2007). 13 Zur Sozialutopie der ersten erfolgreichen ‘virtual community’, “The Well” (seit 1985), s. Howard Rheingold, The Virtual Community. Homesteading on the Electronic Frontier, Reading, Mass., 1993. 14 Vgl. Katharina Gsöllpointner, Ursula Hentschläger, Paramour. Kunst im Kontext Neuer Technologien, Wien 1999; kritisch dazu Hans Ulrich Reck, Mythos Medienkunst, Köln 2002. 15 Vgl. zur Actor Network Theory auch folgende Publikationen der Forschergruppe: Michel Callon, John Law, Arie Rip (Hg.), Mapping the Dynamics of Science and Technology, London 1986; John Hassard, John Law (Hg.), Actor Network Theory and After, Oxford 1999 und Bruno Latour, Der Berliner Schlüssel. Erkundungen eines Liebhabers der Wissenschaft (übersetzt von Gustav Roßler), Berlin 1996. 16 Vgl. etwa den Begriff des hyphos (= Spinnennetz, Gewebe) bei Roland Barthes, Die Lust am Text (übersetzt von Traugott König), Frankfurt a.M. 1994, S. 37; den Begriff des Gewebes bei Michel Serres, Die fünf Sinne. Eine Philosophie der Gemenge und Gemische, Frankfurt a.M. 1993, S. 102f.; das Rhizome-Konzept bei Gilles Deleuze, Félix Guattari, Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie, Berlin 1997, S. 36f. 17 Latour weist darauf hin, dass der Begriff Netz, fr. réseau, von Diderot übernommen wurde, der von einem Netz aus Materie und Körpern spricht und damit die cartesianische Unterscheidung von Materie und Geist zu ersetzen sucht. 18 Bruno Latour, “On actor/ network theory. A few clarifications”, in: Soziale Welt Jg. 47 (1996), S. 369-379, 371. 19 Actor ist dabei die englische Übersetzung des Aktanden-Begriffs, wie er in der semiotischen Erzähltheorie gebräuchlich ist. Vgl. hierzu Algirdas Julien Greimas, “Die Struktur der Erzählaktanten. Versuch eines generativen Ansatzes”, in: Jens Ihwe (Hg.), Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven, Bd. 3 (= Zur linguistischen Basis der Literaturwissenchaft), Frankfurt a.M. 1972. 20 Latour, “On actor/ network theory. A few clarifications”, S. 371f. 210 Wolf-Dieter Ernst, Meike Wagner 21 Als “restored behaviour” (= wiederholtes und wieder hergestelltes Verhalten) bezeichnet der amerikanische Performancewissenschaftler Richard Schechner eine Abfolge alltäglicher Verhaltensweisen, die in Cultural Performances zitiert und so einer Transformation unterzogen werden. Vgl. Schechner, Richard, Between Theatre and Anthropology, Philadelphia 1985. 22 Latour, “On actor/ network theory. A few clarifications”, S. 373. 23 Latour, “On actor/ network theory. A few clarifications”, S. 378; das Schreibkonzept, welches die Bewegung der Dinge verzeichnet, schließt an Überlegungen zu Mapping und Kartografie an. Vgl. hierzu grundsätzlich Martin Stingelin, “Metaphern des Netzes oder Wie deleuzianisch ist das Internet? ”, in: Ders, Das Netzwerk Deleuze, Berlin 2000, S. 15-31; bezogen auf Netzkunst und Netzliteratur Wolf-Dieter Ernst, “Kartografien des Interface. Zum Widerstand des Lesens und Schreibens bei Duchamp, O.U.L.I.P.O., Jodi und Knowbotic Research.” In: Martin Stingelin (Hg.), (Digitalisiertes) Schreiben von 1950 bis zur Gegenwart, München 2006, S. 101-130. 24 Jon McKenzie, Perform or Else. From Discipline to Performance, London 2001. 25 Joseph Beuys, “Rede über das eigene Land”, in: H. Mayer u.a. (Hg.): Reden über das eigene Land. Deutschland, Bd. 3. München 1985, S. 40. 26 Die FIU wurde bereits 1972 oder 1973 (die Quellen nennen verschiedene Daten) von Beuys begründet. 27 Nachdem das britische Unternehmen Lucas Aerospace Anfang der 1970er Jahre im Zuge von Rationalisierungsmaßnahmen Massenentlassungen angekündigt hatte, legte eine Gruppe von Werksingenieuren einen Entwurf vor, der nicht nur die Industrie und ihre Produktionsformen, die Gesellschaft und ihre Machtverhältnisse, sondern auch den Umgang mit der Natur und den Ressourcen radikal in Frage stellte. Das Besondere daran: Ihr Entwurf, den sie im Januar 1976 der Öffentlichkeit vorstellten, bestand nicht aus einer utopischen Vision. In mühsamer Kleinarbeit hatten sie eine Reihe von Produkten entworfen und zum Teil bis zur Serienreife durchkonstruiert, die in erster Linie dem Menschen dienen sollten. 28 Caroline Tisdall, Joseph Beuys, London 1979, S. 254. 29 Zum Smart Mob siehe etwa Howard Rheingold, Smart Mobs. The Next Social Revolution, Cambridge, Mass. 2002. 30 Der erste Flash Mob soll 2003 von Bill Wasik, Herausgeber des Harper’s Magazine, in New York organisiert worden sein. Wasik veröffentlichte in seinem Magazin 2006 einen Bericht darüber. Er versammelte mehr als 100 Personen in der Teppichabteilung von Macy’s, die auf Anfrage der Verkäufer angaben, zusammen in einem Haus zu wohnen und auf der Suche nach einem Love Rug zu sein, der gemeinsam ausgewählt werden sollte. 31 Siehe www.un.org/ milleniumsgoals (letzter Zugriff 2.10.2007). 32 Ausschnitt aus dem Mission Statement auf der Eurizons-Website www.eurizons.net (letzter Zugriff 2.10.2007). 33 Ebd. 34 Der italienische Fotograf Oliviero Toscani setzte für diese Kampagne verletzte Soldaten, einen AIDS-Kranken, frühgeborene Babies und andere ‘Schock’-Motive ins Bild. Die Werbung war für Benetton höchst erfolgreich, obgleich der Konnex von ‘Notsituation’, bildlichem Voyeurismus und Modevermarktung in der Presse sehr kritisch gesehen wurde. Vergleich hier etwa: Rauterberg, Hanno: “Schmarotzer. Wie Benetton sein Warenzum Wertezeichen umdeuten möchte.” In: Die Zeit, 45/ 2001, online-Ausgabe: zeus.zeit.de/ text/ archiv/ 2001/ 45/ 200145_spitze.xml (letzter Zugriff 7.10.2007). 35 Matthias Lilienthal, Claus Philipp, Schlingensiefs Ausländer Raus! , Frankfurt a.M. 2000. 36 Es wäre zu fragen, wie sich das Team um Schlingensief der medialen Kanäle bedient, in der Binnenkommunikation und der Kommunikation nach außen, welche Ressourcen in Form von Gerät und Geld diese Aktion verbraucht und in Form von anschließenden Aktionen (etwa die Opern- und Filmprojekte) wieder einspielt. Diese ‘Daten’ sind nicht neu, neu ist freilich, dass sie selbst bedeutend werden dürfen und nicht zu Trägern vorgefertigter Bedeutung etwa von Politik und Kunst degradiert werden.