eJournals Kolloquium Bauen in Boden und Fels 12/1

Kolloquium Bauen in Boden und Fels
2510-7755
expert verlag Tübingen
Für den Neubau eines Forschungszentrums wurde eine 45 Jahre alte Schlitzwand erneut reaktiviert und mit 1.739 Ankern aus dem Bestand heraus gesichert, um eine 140 m lange, 70 m breite und 22 m tiefe Baugrube in Basel zu erstellen. Die Baugrube liegt im innerstädtischen Bereich, am Rande des Industrie- und Forschungsareals eines Pharmakonzerns mit sensibler Nachbarbebauung. Die bestehende Schlitzwand wurde ausgiebig materialtechnologisch untersucht. Zur Sicherung gegen den Erddruck und den bis zu 12 m hohen Wasserdruck im stark durchlässigen Baugrund wurden 6 Ankerlagen eingebaut. Zur termingerechten Fertigstellung waren bis zu 12 Kellerbohrgeräte gleichzeitig im Einsatz, die aus den bestehenden Untergeschossen des Bestands arbeiten mussten. Aufgrund der engen Platzverhältnisse wurde an rund 200 Ankern Bohrlochvermessungen durchgeführt, um Kollisionen mit anderen Ankern, Bauwerken oder Leitungen zu verhindern. Dazu wurde die Baugrube mit allen Ankern in einem 3D-Modell konstruiert und mit Hilfe von automatisierten Prozessen, die Ergebnisse der Ankervermessungen eingepflegt, die Bohrungen kontrolliert und eine zeitnahe Rückmeldung an die Baustelle gegeben. Der Endaushub der Baugrube konnte im August 2019 erreicht werden, wobei die Verformungen der Baugrubenwand innerhalb der prognostizierten Werte lagen.
2020
121

Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung

2020
Konrad Westermann
Pasquale Grasso
Laurent Pitteloud
12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 307 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung Konrad Westermann Gruner AG, Basel, Schweiz Pasquale Grasso Gruner AG, Basel, Schweiz Laurent Pitteloud Gruner AG, Basel, Schweiz Zusammenfassung Für den Neubau eines Forschungszentrums wurde eine 45 Jahre alte Schlitzwand erneut reaktiviert und mit 1.739 Ankern aus dem Bestand heraus gesichert, um eine 140 m lange, 70 m breite und 22 m tiefe Baugrube in Basel zu erstellen. Die Baugrube liegt im innerstädtischen Bereich, am Rande des Industrie- und Forschungsareals eines Pharmakonzerns mit sensibler Nachbarbebauung. Die bestehende Schlitzwand wurde ausgiebig materialtechnologisch untersucht. Zur Sicherung gegen den Erddruck und den bis zu 12 m hohen Wasserdruck im stark durchlässigen Baugrund wurden 6 Ankerlagen eingebaut. Zur termingerechten Fertigstellung waren bis zu 12 Kellerbohrgeräte gleichzeitig im Einsatz, die aus den bestehenden Untergeschossen des Bestands arbeiten mussten. Aufgrund der engen Platzverhältnisse wurde an rund 200 Ankern Bohrlochvermessungen durchgeführt, um Kollisionen mit anderen Ankern, Bauwerken oder Leitungen zu verhindern. Dazu wurde die Baugrube mit allen Ankern in einem 3D-Modell konstruiert und mit Hilfe von automatisierten Prozessen, die Ergebnisse der Ankervermessungen eingepfl egt, die Bohrungen kontrolliert und eine zeitnahe Rückmeldung an die Baustelle gegeben. Der Endaushub der Baugrube konnte im August 2019 erreicht werden, wobei die Verformungen der Baugrubenwand innerhalb der prognostizierten Werte lagen. 1. Allgemeines 1.1 Projektübersicht Das Projekt pRED-Center liegt am westlichen Ende des Roche Areals in Basel und besteht überirdisch aus vier Gebäuden: Ein Konferenzgebäude, ein Bürogebäude sowie zwei Laborhochhäusern. Unterirdisch sind alle vier Gebäude über eine mehrgeschossige Tiefgarage verbunden. Die 140 m lange, 70 m breite und 22 m tiefe Baugrube des pRED-Centers ist im Süden und im Westen durch Straßen begrenzt. Auf der Ostseite grenzt die Baugrube direkt an das empfi ndliche Nachbargebäude Bau 95. Der empfi ndliche pharmazeutische Betrieb in Bau 95 musste während der gesamten Arbeiten aufrechterhalten und nicht beeinträchtigt werden. Auf der Nordseite grenzt die Baugrube an ein weiteres Neubauprojekt auf Roche-Areal (BSN Bau 08 und 11). Abbildung 1 zeigt den Planungsperimeter des pRED-Projektes und die bestehenden Nachbargebäude. Die Erstellung des Neubaus erfordert den vollständigen Abbruch des bestehenden Gebäudes Bau 74. Die 6 Untergeschosse des bestehenden Bau 74 sind von einer Baugrubensicherung in Form einer Schlitzwand umgeben, die zur Sicherung der neuen Baugrube wiederverwendet wurde. Abbildung 1: Übersicht Projekt pRED-Center mit farbigen Neubaumaßnahmen. 308 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung 1.2 Schlitzwand Die bestehende Schlitzwand wurde 1973 erstellt. Die einzelnen Lamellen haben eine nominelle Wandstärke von 80 cm und wurden in Elementbreiten von 2,50 und 5,0 m mit Greifern ausgehoben. Die Unterkante der Schlitzwand liegt zwischen 25 und 35 m unter der GOK. Die Schlitzwand wurde als wasserundurchlässiger Verbau ausgeführt und über die Einbindung in die Molasse eine Unterströmung der Wand verhindert. Die Schlitzwand war 45 Jahre lang die Sicherung der Untergeschosse gegen das Erdreich. Während der Bauzeit wurde die Schlitzwand durch Anker gesichert. Die Decken des Hochbaus wurden bis an die Schlitzwand betoniert und im Anschluss wurden alle Anker entspannt und abgedichtet. 1.3 Baugrund Der anstehende Baugrund lässt sich in drei stratigraphische Einheiten unterteilen. Direkt unter der Geländeoberkante befindet sich eine künstliche Auffüllung in dünner Schicht. Darunter liegt eine dicke, tragende Schicht aus dicht gelagerten Niederterrassenschottern, die bis in eine Tiefe von ca. 240,00 - 237,00 m. ü. M. hinabreicht (die Geländeoberkante in nächster Nähe des Bau 74 liegt bei etwa 257,70 m. ü. M.). Innerhalb dieser Schotterschicht treten harte, stark verkittete bzw. zementierte Bereiche, sog. Nagelfluhbänke, auf. Unter den Schottern befindet sich ein tragfähiger Untergrund aus sich abwechselnden Schichten von Cyrenenmergel und Elsässermolasse. Diese Schicht aus veränderlich festem Gestein wird im Folgenden als Molasse bezeichnet. Der mittlere Grundwasserspiegel liegt bei 246,00 m. ü. M. (ca. 11.7 m unter OK Terrain), wobei dieser bei Hochwasser auf 247.60 m. ü. M. (ca. 10.2 m unter OK Terrain) ansteigen kann. Das Grundwasser zirkuliert in der stark durchlässigen Schicht des Niederterrassenschotters und hat ein Gefälle nach Süden hin zum Rhein. Tabelle 1: Bodenkennwerte Abbildung 2: Schnitt auf der Südseite mit Baugrundmodell gem. geologischem Gutachten 2. Vergangenheit Die Herausforderungen bei der Erstellung der Baugrubenumschliessung im Jahr 1973 und die Erfahrungen während der Ausführung sind in [1] eindrucksvoll beschrieben. Im Folgenden werden einige Besonderheiten kurz angesprochen und zitiert. 2.1 Plastisches Gelenk Bereits bei der Erstellung der Schlitzwandlamellen wurden Inklinometerrohre eingebaut und damit die Verformungen der Baugrubenwand überwacht. Dadurch wurde bei der Erstellung der dritten Ankerlage die Bildung eines plastischen Gelenks in der Schlitzwand rechtzeitig erkannt (siehe Abbildung 3) und der überlastete Bereich mit zusätzlichen Ankern gesichert. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 309 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung Abbildung 3: Inklinometermessung im Bereich der überbeanspruchten Wand (Bildung plastisches Gelenk), aus [1]. 2.2 Einbetonierter Schlitzwandgreifer Bei den Greiferarbeiten im anstehenden Nagelfluh und der Molasse kam es immer wieder zu Verklemmungen. Dreimal musste der Schlitzwandgreifer durch das Graben eines Parallel-Schlitzes wiedergewonnen werden. Im Nordosten konnte ein Schlitzwandgreifer gar nicht mehr geborgen werden. Da der Schlitzaushub fast auf Endaushubtiefe war, wurde der Schlitzwandgreifer aufgegeben und mit der Lamelle einbetoniert. An dieser Stelle bindet die zusammenhängende Schlitzwandlamelle damit ca. 3 m weniger in den Baugrund ein. Abbildung 4: Teil des einbetonierten Schlitzwandgreifers der auf Höhe des Endaushubs freigelegt wurde. 2.3 Undichtigkeiten Bereits bei der Erstellung der Schlitzwand mussten im Bereich oberhalb der Molasse klaffende oder undichte Schlitzwandfugen saniert werden. Zur Entwässerung wurden Drains angeordnet und armierte Betonschürzen vor den Fugen betoniert, um dem starken Wasserandrang Herr zu werden. Abbildung 5 zeigt ein besonders drastisches Beispiel einer 30 cm breiten klaffenden Fuge in der Schlitzwand und deren Sanierungsmaßnahme. Abbildung 5: Oben: Klaffende Fuge in der Schlitzwand mit starken Wasserandrang; Unten: Sanierung der klaffenden Fuge mit einer Drainage und Betonschürze, beide aus [1]. 310 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung 3. Bestandsuntersuchung 3.1 Laserscanning Zur Kontrolle der Einhaltung der Baulinie des geplanten Neubaus wurde die Schlitzwandoberfl äche mit einem 3D Laserscan aufgenommen und dokumentiert. Generell liegt die Innenkante der Schlitzwand außerhalb der Baulinie. An verschiedenen Stellen überschreiten jedoch Lamellen aufgrund ihrer Schiefstellung im Grundriss die Baulinie. Abbildung 6 zeigt beispielhaft den Verlauf der Schlitzwandlamellen über die Untergeschosse. Erkennbar ist die Verdrehung der Lamellen untereinander mit zunehmender Tiefe. Abbildung 6: Exemplarischer Verlauf der Schlitzwandoberfl äche aus dem 3D-Scan über die Untergeschosse. 3.2 Bohrkerne Um im Voraus die Betonfestigkeit der Schlitzwand zu ermitteln wurde in jedem Untergeschoss an mindestens drei verschiedenen Messstellen jeweils drei Bohrkerne gewonnen. Für die somit gewonnenen 93 Bohrkernen wurde die Verteilung der Betonfestigkeit ermittelt. Die genaue Ermittlung der Betonfestigkeit war von besonderer Bedeutung, da die Schub- und Durchstanznachweise mit Standardfestigkeitswerten und unter Berücksichtigung der schwach bewehrten Schlitzwand kaum zu führen waren. Um während der Ausführung eine größere Aufl ösung der Schlitzwandqualität zu haben und damit mögliche lokale Schwächezonen der Schlitzwand zu detektieren, ist die Druckfestigkeit direkt an der Manteloberfl äche der Bohrkerne aus den Kernbohrungen der Anker mittels Rückprallhammer ermittelt worden. So wurde die Druckfestigkeit von etwa 980 Bohrkernen geprüft und dokumentiert. Davon wurden ca. 100 Stück im Baulabor einer einaxialen Druckprüfung unterzogen. Dadurch konnte eine Korrelation zwischen der Oberfl ächendruckfestigkeit und der Zylinderdruckfestig hergestellt werden. 3.3 Betonfestigkeiten Die Schlitzwand wurde seinerzeit im Kontraktorverfahren betoniert, so dass durch den mit der Tiefe zunehmenden Druck im Frischbeton die Verdichtung erfolgte. Dadurch erreichte der Beton in den unteren Geschossen aufgrund des größeren Drucks eine höhere Festigkeit. Auf Basis der gemessenen Festigkeiten in der Voruntersuchung wurden Bereiche der Schlitzwand in aktuelle Betonfestigkeitsklassen eingestuft (Siehe Tabelle 2). Wegen der Streuung der Messwerte wurde in der Statik für Krafteinleitungsbereiche (Durchstanzen) auf der sicheren Seite nur die nächst kleinere Druckfestigkeitsklasse angesetzt und für die Biegenachweise eine Betonfestigkeitsklasse C30/ 37. Betonsorte C45/ 55* C40/ 50** Gültigkeitsbereich Ch. Wert der Zylinderdruckfestigkeit [N/ mm 2 ] 45 40 UG1, UG2, UG3 Mittelwert der Zylinderdruckfestigkeit [N/ mm 2 ] 53 48 UG1, UG2, UG3 Betonsorte C50/ 60* C45/ 55** Gültigkeitsbereich Ch. Wert der Zylinderdruckfestigkeit [N/ mm 2 ] 50 45 UG4, UG5, UG6 Mittelwert der Zylinderdruckfestigkeit [N/ mm 2 ] 58 53 UG4, UG5, UG6 * Erwartungswert ** Ansatz für Durchstanzen Tabelle 2: Einstufung der Druckfestigkeit des Schlitzwandbetons aus den Voruntersuchungen. Aus den Untersuchungen an den Kernbohrungen der Anker beträgt die Druckfestigkeit des Betons der Schlitzwand im Mittel 62 N/ mm2 bei den Laborversuchen und 34 N/ mm2 bei den Versuchen mittels Rückprallhammer an den gleichen Kernbohrungen. Die gewonnenen Resultate aus den Laborversuchen weisen im Vergleich zu den Rückprallhammerversuchen durchschnittlich einen um den Faktor 1.78 höhere Druckfestigkeit auf. In Abbildung 7 sind die Druckfestigkeiten der Proben aus dem Baulabor und aus der Rückprallhammeruntersuchung sowie deren Mittelwerte dargestellt. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 311 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung Abbildung 7: Druckfestigkeitsprüfung Beton Schlitzwand - Werte Rückprallhammer und Laborversuch (Korrelation). Die Auswertung sämtlicher Rückprallhammerversuche (Druckfestigkeit beaufschlagt mit dem Korrelationsfaktor 1.78) und deren Vergleich mit der erforderlichen Mindestfestigkeit gem. Tabelle 2 kann der Abbildung 8 entnommen werden. Für die bessere Übersicht sind die Proben für die jeweiligen Untergeschossen farblich gegliedert. Zudem sind die Mittelwerte der Druckfestigkeit des Betons f cm abzüglich deren einfache, zweifache und dreifache Standardabweichung σ dargestellt. Abbildung 8: Betondruckfestigkeit der Schlitzwand im Vergleich zu den charakteristischen Werten der für die Statik angenommenen Festigkeitsklassen. 3.4 Stahlfestigkeiten Auch die Zugfestigkeit und die Korrosion des Bewehrungsstahls in der bestehenden Schlitzwand wurden an den Messstellen der Voruntersuchung ermittelt. Über die Betondeckung und den Chloridgehalt in Abhängigkeit der Eindringtiefe wurde auf die Korrosionsgefährdung der restlichen Schlitzwandbereiche geschlossen. Durch die Rippung des Bewehrungsstahls konnte eindeutig das Produkt Roto des Herstellers Ferrowohlen bestimmt werden. Für diese Stahlsorte III dürfte gem. [1] eine Stahlfestigkeit von f sd = 400 N/ mm² und eine Duktilitätsklasse A-B angenommen werden. Für die Statik wurde jedoch nur eine Stahlfestigkeit für den Betonstahl III von f sd = 390 N/ mm². Die Versuche an den untersuchten Bewehrungseisen bestätigen diese Werte (siehe Abbildung 9). Die Untersuchung der Betonüberdeckung lieferte erwartungsgemäß eine deutliche Streuung aufgrund des Herstellverfahrens der Schlitzwand. Vereinzelt war die Bewehrung der Schlitzwandlamellen auf der Innenseite sichtbar. Im Mittel konnte jedoch eine Betonüberdeckung von mindestens 41 mm berücksichtigt werden (siehe Abbildung 10). Bei der Untersuchung des Chloridgehalts wurde nur im 6. Untergeschoss der Grenzwert von 0.050 Clb (Massen-% / Beton) überschritten (siehe Abbildung 11). Der hohe Chlorideintrag weist auf eine potentielle Korrosionsgefährdung der Bewehrung hin. Die hohen Werte sind auf einen vorhandenen Riss in der Schlitzwandlamelle an der Messstelle zurückzuführen und sind damit nur lokal kritisch. Probe d0 [mm] R p0,2 [N/ mm 2 ] R m [N/ mm 2 ] e u [%] 1 26 530 649 12.9 13 26 529 632 16.3 18 30 518 - - 27 16 458 561 18.8 29 24 497 609 16.5 Abbildung 9: Ergebnisse der Zugfestigkeit des Betonstahls der Schlitzwand. Objekt Tiefenprofil Chloridgehalt Clb [Massen-% / Beton] Bezeichnung 0-15 mm 15-30 mm 30-45 mm 6. UG 0.15 0.14 0.43 5. UG 0.029 0.048 0.045 4. UG 0.026 0.017 0.015 2. UG 0.064 0.040 0.040 Abbildung 11: Chloridprofi le für die untersuchten Untergeschosse. 312 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung Messstelle kleinste Überdeckung [mm] größte Überdeckung [mm] durchschnittliche Überdeckung [mm] 1 28 99 76 2 23 99 66 4 40 96 62 7 47 99 78 8 7 66 32 10 36 89 61 12 44 99 79 18 35 90 51 19 23 99 41 20 23 66 42 24 38 99 82 26 40 94 61 27 31 99 51 Abbildung 10: Bewehrungsüberdeckung der Schlitzwand an den untersuchten Messstellen. 4. Planung 4.1 Zu kurze Einbindelänge Neben der Beschreibung und den Angaben in [1] lagen keine Angaben zur Statik und Bemessung der Schlitzwand von 1973 vor. Vermutlich wurde die Molasse als unverschieblicher Felshorizont in der damaligen Statik angesetzt (Wandfuss horizontal und vertikal festgehalten). Für die neue Statik wurde der gesamte Boden dagegen als Lockergestein modelliert (siehe Tabelle 1). Vermutlich wurde auch damals ein geringerer Anteil des Erdruhedrucks in der Statik berücksichtigt. Das neue Aushubniveau lag ungefähr auf der gleichen Höhe wie damals. Jedoch wurde damals ein 8 m breiter Stützkeil am Rande der Baugrube zur Schlitzwand hin belassen, der in der neuen Planung vollständig auf allen Seiten zu entfernen war, um eine ebene, durchgängige Bodenplatte zu erstellen. Auf Basis der neuen Randbedingungen ergab sich in der Statik in manchen Schnitten eine erforderliche Einbindelänge der Schlitzwand, die grösser als die vorhandene Einbindelänge ist. Nachdem die Überlegungen von einer Verlängerung der Schlitzwand nach unten beispielsweise über Mikropfähle oder Injektionsarbeiten verworfen wurden, wurde beschlossen durch eine stärkere Verankerung der Schlitzwand eine Erddruckumlagerung von unterhalb der Baugrubensohle nach oben zu erzwingen und damit den „fehlenden“ Erdwiderstand vor der Wand durch die Ankerlagen auszugleichen. Da die tatsächliche Einbindelänge der Schlitzwand bekannt war, wurde der maximal mobilisierbare Erdwiderstand des Wandfuss als Ersatzlast auf Höhe der Baugrubensohle angesetzt. In der Figur der Erddruckumlagerung wurde der Erddruck unterhalb der BGS bis zur theoretisch erforderlichen Einbindetiefe umgelagert. Als Ergebnis wurden die unteren Ankerlagen in Bereichen mit zu geringer Einbindetiefe der Schlitzwand in einem engeren Raster gesetzt. 4.2 Bewehrungsansätze Die Schlitzwandlamellen sind abgestuft bewehrt und im Bereich der alten Anker mit Zusatzbewehrung verstärkt. Leider befindet sich die Zusatzbewehrung nicht auf Höhe der neuen Ankerlagen und wurde deswegen nicht berücksichtigt. Zudem wurde pro Element die Bewehrungsmenge reduziert, um ein Durchtrennen der Bewehrung durch die Ankerkernbohrung zu berücksichtigen. Die Schwächung der Wand wurde damit in der neuen Baugrubenstatik berücksichtigt. Die Bügelbewehrung wurde nicht berücksichtigt, da damals lediglich ein Bügel Ø12 mm alle 300 mm im Bewehrungskorb angeordnet wurde. 4.3 Durchstanznachweis Aufgrund der punktuellen Lagerung durch die Anker wurde gemäss SIA 262 [3] der Durchstanznachweis der Schlitzwand untersucht. Aufgrund der geringen Rotationsfähigkeit der Wand wurden hohe Widerstandskräfte rechnerisch ermittelt. Gemäss [3] muss eine Mindestrotation erreicht werden, um damit die Bewehrung beim Durchstanzen zu aktivieren. Es wurde untersucht, auf welchem reduzierten Sicherheitsniveau der Durchstanznachweis unter Berücksichtigung der minimalen Plattenrotation erfüllt ist und diese reduzierte Sicherheit akzeptiert. Während dem Vorspannen der Anker konnte im Sinne der Beobachtungsmethode das Verhalten der Schlitzwand gemessen und geprüft werden, ob Zusatzmaßnahmen erforderlich sind. 4.4 Umlagerung Die Baugrubenumschliessung des Projekts pRED wurde mit 4 bis 5 Ankerlagen rückverankert und daher ein erhöht aktiver Erddruck gem. EAB EB22 Ziffer 3 [5] angesetzt. Durch die regelmäßige Verankerung wird eine realitätsnahe Erddruckumlagerung berücksichtigt (siehe Abbildung 12). Laut der EB 70 Absatz 6 [5] ist eine Umlagerung des Erddrucks unterhalb der Baugrubensohle nach oben möglich, sofern die Umlagerung durch konstruktive Massnahmen begünstigt wird. Die gestellten Anforderungen der EB 70 [5] sind durch die dichte Anordnung der Anker erfüllt, da damit eine Versteifung der Wand im Bereich der Anker (zwischen ersten Ankerlage und Baugrubensohle) erzwungen wird. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 313 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung Die Lastfigur des Erddrucks im Projekt pRED wird grundsätzlich wie folgt angenommen: Von der Geländeoberkante aus bis zur Höhe der ersten Ankerlage bildet sich eine dreiecksförmige Erddruckverteilung. Von der ersten Ankerlage bis zur Aushubsohle wird dank der versteifenden Wirkung der Anker der Erddruck rechteckförmig umgelagert. Ab der Baugrubensohle nimmt der Erddruck bis zum Wandfuss dreiecksförmig wieder ab. In Abbildung 12 ist die gewählte Lastfigur des Erddruckes auf der Baugrubenwand schematisch dargestellt. Abbildung 12: Angenommene trapezförmige Erddruckverteilung auf die Schlitzwand gemäss EAB EB 70 4.5 BIM-Modell Aufgrund der Vielzahl an Ankern und der Randbedingungen (Werkleitungen, Nachbarbauwerke, Anker des Nachbarprojekts Bau 08+11) war bereits in der Planung klar, dass es bei Ankerausfällen während der Ausführung anspruchsvoll wäre, Ersatzstandorte zu definieren. Daher wurde die gesamte Baugrubensicherung, alle relevanten Werkleitungen, Untergeschosse der Nachbargebäude und die Sicherungselemente der Nachbarbaugrube von Bau 08+11 in einem gemeinsame 3D-Modell modelliert. Die Anker wurden über ein eigens dafür programmiertes Skript automatisch im 3D-Modell generiert. Zusätzlich zur Bauteilgeometrie wurden auch Toleranzen für die Ankerbohrungen (SIA 267 [4]: 3% Abweichung) modelliert und das Potential für Ankerkollisionen ermittelt. Für die Ausführung wurden für alle in Frage kommenden Ankerkonflikte Bohrlochvermessungen vorgesehen, um den tatsächlichen Verlauf der Ankerbohrung im 3D-Modell abzubilden und damit Kollisionen zu verhindern. Abbildung 13: 3D-Modell der Schlitzwand mit allen Ankern, sowie der Nachbarbaugrube Abbildung 14: Beispiel für den Konfliktbereich sich überschneidender Anker (Weiß: vorhandene Bohrlochvermessungen, Grün: erstellte Anker, Gelb/ Violett: umgeplante Anker) 5. Ausführung Während des oberirdischen Rückbaus fanden in den Untergeschossen die Ankerarbeiten zur neuen Sicherung der bestehenden Schlitzwand aus dem Jahr 1973 statt. Aufgrund des engen Zeitplans kamen dabei bis zu 12 Ankerbohrgeräte (Kellerbohrgeräte) zeitgleich zum Einsatz, um die insgesamt 1.739 Anker zu erstellen. 5.1 Beengte Platzverhältnisse Alle Anker wurden aus den bestehenden Untergeschossen heraus erstellt. Dafür musste Teilabbrüche bestehender Wände erfolgen, um einen Zugang für die Ankerbohrgeräte zu schaffen. Gleichzeitig durften tragende Bauteile nicht beschädigt werden und somit mussten die Arbeiten unter teilweise sehr beengten Verhältnissen erstellt (eingeschränkte Höhe, Stützen und Wände) wer- 314 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung den. Diese führten oft zu Anpassungen einzelner Anker in ihrer Lage und Neigung, um die Herstellung überhaupt zu ermöglichen. Aufgrund der engen Platzverhältnisse und der vielen Ankerbohrgeräte im gleichzeitigen Einsatz erfolgte eine permanente CO2-Überwachung, um eine Gefährdung aller Personen durch die Abgase der Geräte zu verhindern. Trotz Frischluftzufuhr und aktiver Abluftabführung kam es zu einem erheblichen Temperaturanstieg in besonders beengten Bereichen der Untergeschosse und einer damit einhergehenden starken Belastung der Arbeiter. Abbildung 15: Extrem beengte Platzverhältnisse mit erschwerter Bewetterung 5.2 Erhöhte Bohrgenauigkeit und Bohrlochvermessung Für die Bohrgenauigkeit der Ankerbohrungen wurde die Regelung nach SIA 267 im LV verschärft und vom Unternehmer eine Bohrgenauigkeit von 2% gem. LV verlangt. Aufgrund der hohen Ankeranzahl und des geringen Abstands der Anker untereinander musste diese Abweichung in der horizontalen Richtung eingehalten werden. In der vertikalen Richtung wurde bereits in der Planung eine Abweichung bis zu 3% berücksichtigt. Der geringe horizontale Ankerabstand erforderte eine Staffelung der Anker in der Länge, um Wechselwirkungen zwischen den Verpresskörpern zu minimieren und die Tragfähigkeit nicht zu reduzieren. Daher wurden Ankerlängen von bis zu 34 m erstellt. Durch den Einsatz von Kleinbzw. Kellerbohrgeräten und die beschränkten Platzverhältnisse wurden meist nur 1 m-Rohrschüsse verwendet. Dies führte in Kombination mit harten Nagelfl uhbänken bzw. dem variierenden Übergangsbereich zwischen Schotter und Molasse im Baugrund zu teils sehr starken Abweichungen der Bohrungen. Insgesamt wurden 190 der 1.739 Ankerbohrungen vermessen. Durch den digitalen Datenaustausch der Ergebnisse der Bohrlochvermessung konnte der gemessene Bohrlochverlauf im 3D-Modell voll integriert werden. Bei Messungen auf der halben Ankerlänge konnte der weitere Verlauf der Bohrung extrapoliert und kurzfristig eine Kollision abgewendet oder die Fortführung der Bohrung freigegeben werden. Die statistische Auswertung der Bohrlochvermessungen zeigt deutlich, dass die in der Planung berücksichtigte Abweichung von 2% in der horizontalen realistisch war. In der vertikalen Richtung hielten nur etwa 40% der gemessenen Ankerbohrungen die ausgeschriebene Toleranz ein. Selbst die nach SIA planerisch zu berücksichtigende Abweichung von 3% hielt jede dritte Ankerbohrung nicht ein. vertikal horizontal Abweichung < 2% ? 77 Stk. 169 Stk. 41% 89% Abweichung < 3% ? 127 Stk. 186 Stk. 67% 98% Tabelle 3: Ergebnis der Abweichungen der Ankerbohrungen auf Basis der Bohrlochvermessungen Abbildung 16: Vertikaler Verlauf der gemessenen Ankerbohrungen. Gelb: zul. Soll-Abweichung gem. Ausschreibung; Rot: zul. Soll-Abweichung gem. [4]. Abbildung 17: Horizontaler Verlauf der gemessenen Ankerbohrungen. Gelb: zul. Soll-Abweichung gem. Ausschreibung; Rot: zul. Soll-Abweichung gem. [4]. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 315 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung 5.3 Verlorene Ankerbohrungen Aufgrund der starken Abweichungen bei den Ankerbohrungen kam es bei 30 Ankern zum Abriss des Rohrstrangs der Verrohrung. 14 Anker wurden durch andere Ankerbohrungen angebohrt bzw. beschädigt. Viele Anker mussten an die Randbedingungen vor Ort (Wände/ Stützen im Bestand, Lafette nicht positionierbar) oder infolge des Ersatzes für verlorene Bohrungen angepasst werden. Insgesamt wurden daher 220 Anker kurzfristig umgeplant. Dies war nur auf Basis des 3D-Modells möglich. Abbildung 18: Beispiel der Ankerumplanung im Bereich des Luftschutzbunkers (Ansicht auf Schlitzwand aus Bestand heraus). Abbildung 19: Beispiel der Ankerumplanung im 3D-Modell infolge mehrerer verlorener Ankerbohrungen (Rot). 5.4 Drückendes Wasser und Schlitzwandfugen Die Baugrubensohle der ca. 22 m tiefen Baugrube lag bis zu 12 m unter dem anstehenden Grundwasserspiegel (Hochwasser). Die untersten vier Ankerlagen mussten daher gegen drückendes Grundwasser erstellt und die Ankerköpfe teilweise mehrfach abgedichtet werden. Für das Bohren gegen drückendes Wasser wurde von der ausführenden Firma ein Konzept zur Abdichtung während der Ankerbohrung mittels Quetschdichtung vorgeschlagen. Eine Moosgummi-Scheibe wird mittels eines Stahlrings an der Schlitzwand fixiert und der Ringspalt zwischen Verrohrung und Kernbohrung durch das zusammendrücken des Gummis geschlossen (siehe Abbildung 20). Zusätzlich wurde ein Preventer am Ankerbohrgerät angeordnet, um das anfallende Wasser zu fassen (siehe Abbildung 21). Beide Massnahmen haben jedoch keine überzeugende Wirkung gezeigt und es kam zu einem signifikanten Wasserandrang während der Ankerbohrarbeiten. Abbildung 20: Abdichtung bei der Ankerbohrung mittels Quetschdichtung. Abbildung 21: Ankerbohrgerät mit angeschlossenem Preventer. 5.5 Fehlstellen Im Zuge der Ankerarbeiten und des Rückbaus traten Fehlstellen der alten Schlitzwand zu Tage (siehe Abbildung 24). Teilweise war die Bügelbewehrung der Schlitzwandlamellen auf der Innenseite freigelegt (keine Betonüberdeckung), teilweise traten Leckagen in Bereichen von Kiesnestern auf, die durch Betonschürzen gesichert und abgedichtet wurden (siehe Abbildung 26). Da die neue Aushubsohle unter der von 1973 liegt, wurden an kritischen Stellen zwischen einzelnen Lamellen 316 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung Vakuumfilterbrunnen angeordnet, um einen hydraulischen Grundbruch bzw. einen Einbruch im Bereich der Schlitzwandfuge zu verhindern (siehe Abbildung 23). Weiter dienten die Vakuumfilterbrunnen der Vermeidung eines hydraulischen Grundbruchs bei der Ausführung von Großbohrpfählen zur Gründung des neuen Bauwerks. Abbildung 22: Alte Betonschürze vor einer Schlitzwandfuge. Abbildung 23: Verlauf der Schlitzwandlamellen auf Höhe der neuen Gründungssohle mit Vakuumfilterbrunnen bei „gefährdeten“ Schlitzwandfugen. Abbildung 24: „Offene“ Schlitzwandfuge. Abbildung 25: Sickerbeton unter einer alten Betonschürze auf Höhe der damaligen Gründungssohle. Abbildung 26: Angetroffene Leckage einer Fehlstelle der Schlitzwand infolge der Rückbauarbeiten und Abdichtung der Leckage mittels Kunstharz. 6. Fazit Die Wiederverwendung der 45 alten Schlitzwand aus dem Jahr 1973 zur Sicherung der Baugrube für das pRED-Center wurde erfolgreich realisiert und damit eine enorme Kostenersparnis für den Bauherrn erreicht. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 317 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung Durch die detaillierte Planung der Baugrubenumschliessung und die Aufarbeitung in einem 3D-Modell konnten unvorhersehbare Konfl ikte und Problemstellungen in der Ausführung schnell und sicher gelöst werden. Abbildung 27: Ketteninklinometermessung auf der Westseite. Blaue Linie: Endmessung der Verformung; Blauer Bereich: Verlauf der gemessenen Verschiebungen über die gesamte Bauzeit. Für den anstehenden Baugrund und unter den gegebenen Einschränkungen haben sich die Vorgaben gem. SIA für die Bohrlochabweichungen als mehrheitlich realistisch erwiesen, wobei ein signifi kanter Unterschied zwischen der horizontalen und der vertikalen Abweichung festzustellen ist und immerhin ein Drittel der Ankerbohrungen die geforderte Toleranz nicht einhalten. Die anfänglichen Schwierigkeiten beim Nachweis des Durchstanzens konnten durch die ausgiebigen Untersuchungen an der Substanz der Schlitzwand und die daraus abgeleitete Korrelation zwischen Beton- und Oberfl ächenfestigkeit aus dem Weg geräumt werden. Dadurch konnte auf erhebliche Zusatzmassnahmen im Sinne der Beobachtungsmethode im Bereich der Anker verzichtet werden. Der Umgang in der Statik mit der zu geringen Einbindetiefe und der Bemessung der Schlitzwand hat sich als erfolgreich herausgestellt. Die Verformungen der Baugrubenwände (siehe Abbildung 27) lagen alle innerhalb des prognostizierten Bereichs. Literatur: [1] Rückverankerte Baugrubenumschliessung im Grundwasser als bleibender Bestandteil des Bauwerkes mit permanenter Drainage, U. Schäfer, SIA-Heft 1/ 1975, Band 93, 1975 [2] Weisungen für die Überprüfung von Kunstbauten, Mechanische Eigenschaften von Betonstahl, Tiefbauamt Graubünden, 2012 [3] SIA 263: Betonbau, 2013 [4] SIA 267: Geotechnik, 2013 [5] Empfehlung des Arbeitskreises Baugruben (EAB), 5. Aufl age, Deutsche Gesellschaft für Geotechnik e. V. (DGGT), Essen, 2012.