eJournals Brückenkolloquium 4/1

Brückenkolloquium
2510-7895
expert verlag Tübingen
Die übliche Zustandsbewertung im Kontext der DIN 1076 erfolgt aktuell nach den Vorgaben der RI-EBW-PRÜF. Hierbei werden zunächst Schäden in den Bauwerkshauptprüfungen nach Intensität, Art und Einfluss auf Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit klassifiziert. Die strukturelle Leistungsfähigkeit von Brückenbauwerken und Teilen hiervon, auf diese Schäden vulnerabel oder robust zu reagieren, stellt einen wesentlichen Indikator für die Ausfallwahrscheinlichkeit dar. Die konstruktionsinhärente Bauwerksrobustheit ist damit eine zusätzliche Ausgangsinformation für eine qualifizierte Zustandsbewertung im Erhaltungsmanagement und für die Priorisierung von Maßnahmen. Ursprünglich für Verkehrswasserbauwerke konzipiert, wird die von der Hochschule Karlsruhe (HsKA) in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) entwickelte Methode zur Ermittlung der Bauwerksrobustheit und deren Verknüpfung von Schadensprozessen zu einem „Schadensindex“ auf Brückenbauwerke der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) übertragen. Hierdurch werden perspektivisch sowohl eine typologische Clusterung gleichartiger Bauarten in Bezug auf Schadensprozesse als auch Maßnahmenreihungen im Bauwerksportfolio ermöglicht. Gleichzeitig ergeben sich aus der Systematik ggf. erweiterte Anforderungen an die Bauwerksprüfung und -dokumentation. Der Beitrag stellt die Systematik der Methode sowie die exemplarische Anwendung auf Brückenbauwerke dar.
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Bauwerkrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement

2020
Jan Akkermann
Simon Weiler
Jörg Bödefeld
Sarah Elting
4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 259 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Prof. Dr.-Ing. Jan Akkermann Institut für Angewandte Forschung Hochschule Karlsruhe Simon Weiler M. Eng. Institut für Angewandte Forschung Hochschule Karlsruhe Dr.-Ing. Jörg Bödefeld Referat Infrastrukturmanagement Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Sarah Elting M. Eng. Referat Infrastrukturmanagement Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Zusammenfassung Die übliche Zustandsbewertung im Kontext der DIN 1076 erfolgt aktuell nach den Vorgaben der RI-EBW-PRÜF. Hierbei werden zunächst Schäden in den Bauwerkshauptprüfungen nach Intensität, Art und Einfluss auf Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit klassifiziert. Die strukturelle Leistungsfähigkeit von Brückenbauwerken und Teilen hiervon, auf diese Schäden vulnerabel oder robust zu reagieren, stellt einen wesentlichen Indikator für die Ausfallwahrscheinlichkeit dar. Die konstruktionsinhärente Bauwerksrobustheit ist damit eine zusätzliche Ausgangsinformation für eine qualifizierte Zustandsbewertung im Erhaltungsmanagement und für die Priorisierung von Maßnahmen. Ursprünglich für Verkehrswasserbauwerke konzipiert, wird die von der Hochschule Karlsruhe (HsKA) in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) entwickelte Methode zur Ermittlung der Bauwerksrobustheit und deren Verknüpfung von Schadensprozessen zu einem „Schadensindex“ auf Brückenbauwerke der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) übertragen. Hierdurch werden perspektivisch sowohl eine typologische Clusterung gleichartiger Bauarten in Bezug auf Schadensprozesse als auch Maßnahmenreihungen im Bauwerksportfolio ermöglicht. Gleichzeitig ergeben sich aus der Systematik ggf. erweiterte Anforderungen an die Bauwerksprüfung und -dokumentation. Der Beitrag stellt die Systematik der Methode sowie die exemplarische Anwendung auf Brückenbauwerke dar. 1. Einleitung - Erhaltungsmanagement von Brücken Der Erhalt der bundesdeutschen Verkehrsinfrastruktur stellt eine der wesentlichen Aufgaben im aktuellen Brückenbau dar. Der Bundesverkehrswegeplan 2030 sieht mit 70% der veranschlagten Mittel erstmalig den Erhalt bedeutender als Neu- und Ausbau an. Wesentlicher Steuerparameter im Erhaltungsmanagement sind Zustandserfassung und -bewertung. Die Regelungen für Straßenbrücken im Kontext von DIN 1076 und RI-EBW-PRÜF [1] sind die Basis für Einzel- und Portfoliobewertungen - sowohl für den Hoheitsbereich des BMVI als auch auf kommunaler Ebene. Während sich für Bundesfernstraßen durch konzertierte Erhaltungs- und Erneuerungsprogramme die problematischen Bauwerksbewertungen (Noten > 3,5) verbessern konnten [2], nimmt die Bewertung des Bauwerksportfolios insgesamt ab. Abb. 1 verdeutlicht bspw. eine zunehmende Verschlechterung der Bauwerksnoten an Bundesautobahnen. Gleiches lässt sich für die geschätzten 100.000 kommunalen Straßenbrücken feststellen. 260 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Abb. 1 Zustandsnoten nach RI-EBW-PRÜF an Bundesautobahnen nach M arzahn [2] Für die Brücken im Hoheitsbereich der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV), die grundsätzlich auch nach [1] beurteilt werden, stellt sich der aktuelle Zustand etwas günstiger dar (Abb. 2). Gleichwohl ist auch hier eine kontinuierliche Degradation des Zustandes zu erkennen. Abb. 2 Zustandsnoten und Substanzkennzahlen der Brückenprüfung nach DIN 1076 von Straßen- und Wegebrückenanlagen im Verantwortungs-bereich der WSV Bei der üblichen Bewertung gemäß RI-EBW-PRÜF [1] nach Standsicherheit (S), Verkehrssicherheit (V) und Dauerhaftigkeit (D) sind im bautechnischen Erhaltungsmanagement insbesondere die Werte von S und D von Interesse, welche zusammen die Substanzkennzahl ergeben. Schlechte Substanzkennzahlen sind zunächst Indikatoren für einen mittel- oder kurzfristig kritischen Bauwerkszustand und damit für die qualitative Ausfallwahrscheinlichkeit einer Brücke. Die kontinuierliche Degradation der Bauwerke überlagert sich aktuell mit erheblicher Ressourcenknappheit. Obgleich beim Bund finanzielle Mittel in bedeutendem Umfang bereitgestellt werden, fehlt es in der Verwaltungsstruktur, gerade auch in Kommunen, an Personal zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben. Zwecks Priorisierung von Instandsetzungsmaßnahmen sind daher erweiterte Zustandsbewertungen der Bauwerke an sich und eine Einbeziehung der Ausfallfolgen [3] in die Maßnahmenreihung sinnvoll. 2. Bauwerksrobustheit 2.1 Robustheitsdefinition und -kriterien Wie in [4], [5] bereits festgestellt, liegt in einer normenkonformen Planung von Brückenbauwerken nicht automatisch eine in allen Aspekten hohe Nachhaltigkeit der Konstruktion begründet. Vielmehr stellt die Möglichkeit einer Konstruktion, während ihrer Lebensdauer auch auf unvorhergesehene Einflüsse „gutmütig“ zu reagieren, ein entscheidendes Qualitätsmerkmal dar. Als unvorhergesehenes Ereignis kann hierbei sowohl eine außergewöhnliche Belastung, bspw. ein Unfallereignis, aber insbesondere auch die unplanmäßige Degradation des Bauwerks durch verzögerte und unterlassene Instandhaltung angesehen werden. Trotz aktuell gültiger, deskriptiver Bemessungskonzepte zur Dauerhaftigkeit in gültigen Normen sind die Streuungen der Lebensdauerprognosen erheblich. Insbesondere aber bei älteren Brückenbauwerken, denen in ihrer Entstehungszeit noch nicht moderne Nachhaltigkeitsbemessungen (z. B. Betongüte, Betondeckung; Rissbreitenbegrenzung usw.) zugrunde lagen, zeigt sich oft ein signifikanter Unterschied bei den Auswirkungen gleichartiger Schädigungen auf Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit. Bei der ursprünglich für Schleusenbauwerke [6] entwickelten Methode zur Bewertung der Bauwerksrobustheit hinsichtlich Alterungs- und Abnutzungsschäden im Erhaltungsmanagement, wurde die Robustheit als Differenz der strukturellen Leistungsfähigkeit zwischen einem ungeschädigten und einem geschädigten System definiert (Abb. 3). 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 261 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Abb. 3 Definition der Robustheit als Maß der strukturellen Leistungsfähigkeit: a) üblicher Ansatz von Schädigung im Erhaltungs-management, b) Robustheit als erweiterte Bauwerksqualität hinsichtlich des Schädigungsgrades [6] In der für Verkehrswasserbauwerke gültigen Nachrechnungsvorschrift BAW-TbW [7] wird Robustheit ähnlich definiert: „Robustheit (Schadenstoleranz) ist die Eigenschaft eines Tragwerks, unvorhergesehenen bzw. unberücksichtigten Beanspruchungen oder Ausfällen zielgerecht zu widerstehen.“ Zur qualitativen aber auch quantitativen Bewertung der Bauwerksrobustheit, um sie sowohl potentiellen als auch realen Schäden gegenüberzustellen, bedarf es der Definition von Robustheitskriterien, die sich sowohl auf die Tragfähigkeit als auch auf die Gebrauchstauglichkeit erstrecken. Hierzu wurden für Brücken im Hinblick auf deren Entwurf bereits qualitative Vorschläge unterbreitet [8] (Tab. 1). Tab. 1 Robustheitskriterien Brückenentwurf nach [8] Robustheitskriterium 1 Redundanz (Alternativer Lastpfad) 2 Ausfallsicherheit gegenüber außergewöhnlichen Einwirkungen 3 Stabilisierende Konstruktion (Stabilitätsgefährdung) 4 Duktilität 5 Monolithische Bauweise 6 Verformungsfähigkeit 7 Kraftflussorientierte Form 8 Kompaktheit 9 Austauschbarkeit 10 Anpassungsfähigkeit 11 Fehlerunanfällige Herstellbarkeit In einer eigenen Betrachtungsweise [6] werden diese Kriterien neu geordnet, zusammengefasst und auf die bei Bestandsbauwerken zu erwartenden Alterungsschäden bezogen. Hieraus ergeben sich zunächst sieben Robustheitskriterien (Tab. 2). Tab. 2 Robustheitskriterien Schleusen nach [6] Robustheitskriterium 1 Redundanz (bestimmt durch den statischen Ausnutzungsgrad) 2 Progressiver Kollaps 3 Duktilität 4 Verformungsfähigkeit 5 Nutzungsintensität (Ermüdung) 6 Instandsetzungsaufwand 7 Globale Standsicherheit (Geotechnik) Für alle Kriterien werden qualitative Bewertungen mit Noten zwischen 1 und 4 vergeben. Hierbei können die statischen Ausnutzungsgerade für die Kriterien Redundanz und Ermüdung direkt aus den Ergebnissen der Bauwerksnachrechnung nach TbW [7] entnommen werden, sofern diese vorliegen (Abb. 4a und 4b). Für die anderen Kriterien werden Noten nach qualitativen Gesichtspunkten vergeben (Abb. 4c). Diese Noten werden für unterschiedliche Bauwerksbereiche ermittelt und ergeben 262 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement nach Überlagerung eine Gesamtnote zur Bewertung der Robustheit des Gesamtbauwerks. Abb. 4 Robustheitsnoten 1-4 für: a) „Redundanz“ bei Biegenachweisen im Grenzzustand der Tragfähigkeit; b) „Nutzungsintensität“ bei Ermüdungsnachweisen im Grenzzustand der Tragfähigkeit; c) „Instandsetzungsaufwand“ [6] In einer aktuellen Fortentwicklung der Methode [9] für Verkehrswasserbauwerke aus Stahlbeton wird die Anzahl der Robustheitskriterien nochmals reduziert und sehr stark auf die Berechnungsergebnisse nach TbW [7] bezogen. Die primär hinsichtlich des quantitativen Kriteriums Ausnutzungsgrad benoteten Nachrechnungen der Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit sowie Ermüdung - sowohl für die Konstruktionselemente als auch die Geotechnik - werden durch qualitative Kriterien wie Lastumlagerung, Verformungsfähigkeit, Nutzungsintensität und Instandsetzungsaufwand graduell korrigiert. Tab. 3 optimierte Robustheitskriterien nach [9] Robustheitskriterium 1 Ausnutzungsgrad (Note 1-4) • Tragfähigkeit • Gebrauchstauglichkeit • Geotechnik 2 Korrekturfaktoren zu 1 (+/ - 0,1) aus a) Lastumlagerung • Kraftflussorientierte Form • statische Bestimmtheit • stabilisierende Bettung • Bewehrungsreserven b) Verformungsfähigkeit • Ankündigungsverhalten • Duktilität Stahl • Mindestbewehrung • Rotationsvermögen • Mindestdruckzone c) Nutzungsintensität • Anzahl Nutzlasten d) Instandsetzungsaufwand • Erhalt Funktionstüchtigkeit Mögliche Lastumlagerungen oder eine hohe Duktilität relativieren bspw. hohe Ausnutzungsgrade. Bei statisch bestimmten Konstruktionen wirkt sich eine hohe Ausnutzung hingegen negativ auf die Robustheit aus. Bei Schleusen werden im Kammerquerschnitt die in Abb. 5 dargestellten Bereiche und Regel-Berechnungsschnitte berücksichtigt. Abb. 5 Nachweisbereiche und Berechnungsschnitte in Schleusenkammerquerschnitten [9] 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 263 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement 2.2 Robustheit von Brücken Die vorgenannten Robustheitskriterien nach [9] (Tab. 3) lassen sich sinngemäß auf Stahlbetonbzw. Spannbetonbrücken übertragen. Zunächst bietet die Nachrechnungsrichtlinie des Bundesverkehrsministeriums (NRR) [10] ebenso wie die TbW [7] im Ergebnis Ausnutzungsgrade in den Einzelnachweisen an. Die in der Anlage 2 zur NRR dargestellte Ergebniszusammenfassung beinhaltet ebenfalls die Ergebnisse zu Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Ermüdung. Zusätzlich werden - soweit vorhanden - die Brückenlager rechnerisch bewertet. Die Lage der Nachweisführung im Querschnitt ist i.d.R. durch die NRR vorgegeben (Abb. 6). Neben einer Querschnittbetrachtung ist auch das statische System in Längsrichtung von Bedeutung (Abb. 7). Nach [8] sind lagerfreie (integrale) Stahlbetonbrücken, die zumeist statisch unbestimmt sind, als robuster einzustufen. Basierend auf den Ausnutzungsgraden gemäß NRR können somit für alle Brückenbereiche in Längsrichtung und jeweiligem Querschnitt die Robustheitsnoten ermittelt werden. Die Auswertung der Robustheit kann sodann bezogen auf: • Brückenquerschnitt • Nachweisformat (z. B. Spanngliedermüdung) • Spezialbauteile (z. B. Lager) • Gesamtbauwerk erfolgen. Abb. 6 Nachweisbereiche in Brückenquerschnitten gemäß Anlage Nachrechnungsrichtline [10] Abb. 7 Nachweisbereiche in Brückenlängsrichtung gemäß Anlage Nachrechnungsrichtline [10] Das prinzipielle Vorgehen wird an zwei Fallbeispielen (Tab. 4 und 5) überschlägig erläutert. 264 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Tab. 4 Fallbeispiel 1: Stahlbeton-Halbrahmen Bereich: Rahmenecke Widerlagerwand Randbedingung Kriterium Note Ausnutzung Rahmeneckbewehrung 95% Ausnutzung 3 Schlaff bewehrt, höherduktiler Stahl BSt III Verformungsfähigkeit, Duktilität -0,1 Hinterfüllung Widerlager Lastumlagerung, Bettung Baugrund -0,1 statisch unbestimmt Lastumlagerung -0,1 Mindestbewehrung vorh. Verformungsfähigkeit -0,1 Rotationsvermögen vorh. Verformungsfähigkeit -0,1 Kreisstraße (DTV-SV < 1000) Intensität -0,1 einfacher Fahrbahnbelag Instandsetzungsaufwand -0,1 Korrigierte Robustheitsnote 2,3 Der in Tab. 4 dargestellte Fall eines einfachen Stahlbeton-Halbrahmens (s. Beispielbauwerk in Abb. 8) weist alle Merkmale einer robusten Konstruktion auf. Die zunächst geringe Robustheit (Note 3) wird durch mehrere Kriterien signifikant erhöht. Die hohe Ausnutzung der betrachteten Rahmeneckbewehrung würde im Fall eines Alterungsschadens, z. B. chloridinduzierte Korrosion aufgrund defekter oberseitiger Abdichtung, dennoch nicht zu einem Globalversagen führen. Abb. 8 Beispiel: Straßenbrücke über Kanal als Stahlbetonrahmen [WSV] Die in Tab. 5 behandelte Spannbetonbrücke (s. Beispielbauwerk in Abb. 9) hat zwar grundsätzlich eine geringere Ausnutzung des Spannstahls in Feldmitte, weist aber gleichzeitig wenig robuste Merkmale auf. Die Robustheitsnote ist daher in Summe schlechter als bei dem Stahlbeton-Halbrahmen. Abb. 9 Beispiel: Straßenbrücke über Kanal als Spannbeton-Einfeldträger [WSV] Es sei daran erinnert, dass bei beiden Bauwerken die normative Bemessung als eingehalten angenommen wird. Ferner wird bislang keinerlei Schädigung des betrachteten Bereiches berücksichtigt. Die unterschiedliche Robustheitsnote verdeutlicht jedoch, dass ein im Zuge einer Bauwerksinspektion festgestellter Schaden sich bei der Spannbetonbrücke in Feldmitte - unabhängig von den Ausfallfolgen des Bauwerks - ungünstiger auswirken würde als beim Stahlbeton-Halbrahmen in der Rahmenecke. Bei gleicher Verkehrsbedeutung der Bauwerke und gleicher Schadensintensität wäre daher die Spannbetonbrücke priorisiert zu behandeln. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 265 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Tab. 5 Fallbeispiel 2: Spannbeton-Einfeldträger Bereich: Feldmitte Randbedingung Kriterium Note Ausnutzung Spannbewehrung 90% Ausnutzung 3 Spannstahl Verformungsfähigkeit, Duktilität +0,1 statisch bestimmt Lastumlagerung +0,1 Lastabtrag nur durch Lager Lastumlagerung, Bettung Baugrund +0,1 keine Robustheitsbewehrung Verformungsfähigkeit +0,1 Bundesstraße (DTV-SV > 2000) Intensität +0,1 Flussquerung Instandsetzungsaufwand +0,1 Korrigierte Robustheitsnote 3,6 3. Einfluss von Bauwerksschäden 3.1 Schäden an Verkehrswasserbauwerken Im Zuge der Bauwerksinspektionen werden festgestellte Schäden nach BAWMerkblatt MSV [11] in Schadensklassen von 1 bis 4 eingeteilt. Hierbei wird in verschiedene Schadensprozesse unterschieden. Für eine Korrelation der Schadensprozesse mit der jeweiligen Robustheit in den betrachteten Bauwerksbereichen wird in [6] eine Zuordnungsmatrix erstellt. Die quantitative Überlagerung erfolgt gewichtet. Hieraus wird ein Schadensindex SI als erweiterte Zustandsnote ermittelt. (1) Hierbei nehmen die Parameter folgende Werte an: SI Schadensindex 0 - 16 R maßgebende Robustheitsnote am Betrachtungsort i 0 - 4 W Wichtung der Kriterien 1 - 3 SK Schadensklasse 1 - 4 F Faktor Zusammenhangs von Schaden und Kriterium; vereinfachend 1 1 i Betrachtungsorte 1 - 16 j Kriterien 1 - 7 Zur besseren Verständlichkeit wird anschließend der Schadensindex SI auf Werte zwischen 0 und 1 normiert. Ein Schadensindex von 1 ergibt sich aus geringer Robustheit bei gleichzeitig hohem Schaden. Ein Vergleich von Schleusenquerschnitten unterschiedlicher Bauart (Abb. 10) verdeutlicht den relativierenden Effekt der um die Bauwerksrobustheit erweiterten Zustandsbetrachtung. Die in Tab. 6 gezeigten Bewertungsergebnisse zeigen, dass Schleusen mit hohen Schadensklassen aufgrund guter Robustheitsnoten in der Priorisierung von Instandsetzungsmaßnahmen zurückstehen. So weist die Schleuse Bachhausen zwar eine hohe Schadensklasse nach Bauwerksinspektion aus, hat aber aufgrund der gedrungenen Rahmenstruktur eine hohe Robustheit. Hierdurch wird der Schadensindex signifikant reduziert. 266 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Tab. 6 Vergleich Schleusenquerschnitte [6] Schleuse Zustandsnote Schadensindex Anzahl > 0,72 Robustheit Schnitt Schadensklasse Maßgeb. Verfallsprozess Erlangen 3,9 1,00 15 0,19 1 4 Fugen und Dichtungen Eibach 3,9 1,00 8 0,23 2 4 Fugen und Dichtungen Leerstetten 4,0 1,00 5 0,66 2 4 Fugen und Dichtungen Strullendorf 4,0 1,00 4 0,29 13 4 Fugen und Dichtungen Nürnberg 3,9 0,88 2 0,19 5 3,1 Risse im Stahlbeton Uelzen I 4,0 0,61 0 0,44 13 3,2 Oberflächenschäden Beton Oberhausen 3,2 0,50 0 0,59 7 3,2 Oberflächenschäden Beton Herne-Ost 4,0 0,34 0 0,58 3 2,2 Oberflächenschäden Beton Kelheim 4,0 0,32 0 0,69 7 2,9 Fugen und Dichtungen Bachhausen 4,0 0,30 0 0,84 13 3,1 Oberflächenschäden Beton Zeltingen 2,1 0,25 0 0,62 15 2,1 Risse im Stahlbeton Henrichenburg 3,2 0,18 0 0,67 9 1,9 Oberflächenschäden Beton Abb. 10 Parameterstudie an unterschiedlichen Schleusenquerschnitten [6] 3.2 Schäden an Brückenbauwerken Die an Brückenbauwerken im Rahmen der Bauwerksinspektion festgestellten Schäden werden nach [1] klassifiziert. Die ergänzend zur RI-EBW-PRÜF zur Verfügung gestellten Schadensbeispiele legen den Rahmen für die Bewertung der Kriterien S/ V/ D fest. Allerdings erfolgt die Bewertung hinsichtlich der Gebrauchs- und Tragfähigkeit nur überschlägig. Die Auswirkungen auf das Bauwerksverhalten werden größtenteils implizit beurteilt. Bei gleichem Schadensbild und gleicher Konstruktionsart wird die gleiche Schadensbewertung vorgenommen - unabhängig von den Konsequenzen auf das Gesamtbauwerk. Zur Verdeutlichung werden die vorherigen Fallbeispiele wieder aufgenommen. Fall 1: Stahlbeton-Halbrahmen Beispiel-ID 002-05 Tragbewehrung liegt im karbonatisierten Bereich und ist korrodiert ⇒ S = 1; D = 3 Fall 2: Spannbeton-Einfeldträger Beispiel-ID 201-04 einsetzende Korrosion der Spannstähle (verpresste Hüllrohre) ⇒ S = 1; D = 3 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 267 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Die festgestellten, sich ähnelnden Schäden führen quasi zu gleichen Bauwerksnoten im Prüfbericht. Perspektivisch ist jedoch der Fall 2 aufgrund der geringeren Bauwerksrobustheit von viel größerer Bedeutung im Erhaltungsmanagement. Anders als bei Verkehrswasserbauwerken werden die Schäden von Brücken über zwei Schadensbewertungen klassifiziert. Hierbei geht die Dauerhaftigkeitsbewertung D immer der Standsicherheitsbewertung S voraus. Im Kontext von Schadensprozessmodellen gilt es hier Korrelationen herzustellen. Eine vereinfachende Umrechnung könnte hierbei wie folgt lauten: (2) 4. Zusammenfassung und Perspektive Die im vorliegenden Beitrag vorgestellte Bewertung der Robustheit von Infrastrukturkonstruktionen ermöglicht eine detailliertere Bewertung der Bauwerke, als dass sie über die reine Zustandsbewertung der Bauwerksprüfung möglich ist. Im Ergebnis ergibt sich auf Basis einer nach NRR [10] durchgeführten Nachrechnung ein Robustheitsindex zwischen 0 und 1, der durch Überlagerung mit der Zustandsnote zu einem Schadensindex zusammengeführt wird. Je nach in der Bauwerksprüfung festgestellter Schadenspropagation können damit die Instandsetzungsmaßnahmen gezielter für geringer robuste Bauwerke priorisiert werden. Für eine verlässlichere Überlagerung von aus Nachrechnungsergebnissen gewonnenen Robustheitsnoten mit Schadensprozessen wäre ein Abgleich von Nachweisbereichen nach NRR [10] und Dokumentationsbereichen in der Hauptprüfung von Vorteil. Bislang erfolgt die Verbuchung von Schäden in der Bauwerksdatenbank SIB-Bauwerke nur grob nach Brückenkomponenten (Überbau, Unterbau, etc.). Digitale Dokumentationshilfen ermöglichen hier zukünftig genauere Ortsangaben. Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2017) Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 (RI-EBW-PRÜF). Bonn 2017. [2] Marzahn, G. (2018) Straßenbrücken der Zukunft -Anforderungen aus Sicht eines Bauherrn. Symposium Intelligente Brücke - Neue Entwicklungen. Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach. [3] Schmidt-Bäumler, H. (2016) Risikobetrachtungen bei der Instandhaltung von Infrastrukturbauwerken. Kolloquium Instandhaltung von Wasserbauwerken. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe [4] Kersken-Bradley, M. (1992) Unempfindliche Tragwerke - Entwurf und Konstruktion. Bauingenieur, Band 67, S. 1-5. [5] Pötzl, M. (1996) Robuste Tragwerke - Vorschläge zu Entwurf und Konstruktion. Bauingenieur, Band 71, S. 481-488. [6] Akkermann, J., Weiler, S., Bödefeld, J., Meier, J. (2018) Die Bauwerksrobustheit im Kontext eines risikobasierten Erhaltungsmanagements. Beton- und Stahlbetonbau 113, H. 10, S. 716-726, doi: 10.1002/ best.201800057. [7] Bundesanstalt für Wasserbau (2016) BAW- Merk-blatt: Bewertung der Tragfähigkeit bestehender, massiver Wasserbauwerke (TbW). [8] Pötzl, M. (1996) Robuste Brücken. Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig/ Wiesbaden. [9] Akkermann, J., Wild, M. (2020) Robustheit von Verkehrswasserbauwerken - Systemoptimierung. FuE-Vorhaben der Bundesanstalt für Wasserbau, Institut für Angewandte Forschung, Hochschule Karlsruhe, 1. Zwischenbericht (unveröffentlicht) [10] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2011) Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie). [11] Bundesanstalt für Wasserbau (2015) BAWMerkblatt Schadensklassifizierung an Verkehrswasserbauwerken (MSV).