eJournals Kodikas/Code 31/3-4

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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2008
313-4

Sprache und Politik

2008
Ernest W. B. Hess-Lüttich
An early Dutch treatise on language and communication 343 all branches of science into one faith’ (sic): the German theologian Eugen Drewermann. Actually, this seems to me a rather feeble line of argumentation. It would have been sufficient to expose Van Eedens ideas about a faith in freedom as something that fits our times, but 18 Drewermann quotations seem to me rather overdone. Apart from these critical remarks this is a valuable publication, mainly because it presents the text by Van Eeden to an international public. Van Eeden should have his place in the history not only of Dutch literature but also in that of Dutch - and European - philosophy. He was an important representative of the upheaval of art and philosophy in the beginning of the 20 th century, therefore we ought to remember him. And because especially his ideas about language, knowledge and communication are still valuable to us, it is also good to remember him. Notes 1 Frederik van Eeden, Logische Grundlage der Verständigung/ Redekunstige grondslag van verstandhouding. Niederländisch-Deutsche Paralleledition. Herausgegeben von Wilhelm H. Vieregge, H. Walter Schmitz und Jan Noordegraaf. Stuttgard: Franz Steiner Verlag, 2005. Review Articles Sprache und Politik Neue Studien zur Politolinguistik Ernest W.B. Hess-Lüttich Ähnlich wie das Verhältnis von Sprache und Recht ist das von Sprache und Politik in jüngerer Zeit verstärkt in den Blick genommen worden von Linguisten, die an der Wirklichkeit des Sprachgebrauchs in allen Sektoren der Gesellschaft interessiert sind. Politische Kommunikation gilt zwar gegenwärtig als aktueller Gegenstand der modernen Diskursforschung, aber ihre Untersuchung hat eine (mindestens) genauso lange Tradition wie die der juridischen Kommunikation (zu Neuerscheinungen dort s. Hess-Lüttich 2008: 233-237). Denn die Wurzeln beider Forschungsstränge reichen bekanntlich zurück in die antike Rhetorik mit ihrer Unterscheidung der genera causarum, zu denen eben neben der Gerichtsrede (genus iudicale) und der Festrede (genus demonstrativum) auch die politische Rede (genus deliberativum) gehörte. Der Hinweis auf diese lange Tradition (die hier angesichts einer Fülle einschlägiger Literatur natürlich nicht nachgezeichnet werden muß) soll die heutige Beschäftigung mit dem Thema lediglich gegen den wohlfeilen Vorwurf des Modischen schützen. In der deutschsprachigen Germanistik hat vor gerade einmal einer guten Dekade der Magdeburger Linguist Armin Burkhardt (1996: 82) “[f]ür die bisher namenlose Disziplin der Sprachwissenschaft, die sich mit der Untersuchung der politischen Sprache […] beschäftigt, […] die Bezeichnung Politolinguistik” vorgeschlagen [Hervorh. v. mir, EHL]. Zu ihren Aufgaben gehöre die Historiographie der politischen Sprache im Rahmen der Sprachgeschichtsschreibung und die kritische Auseinandersetzung mit der politischen Kommunikation der jeweils eigenen Zeit (cf. id. 2002). Im Rückblick auf die jüngere Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg macht er (in Deutschland) mehrere Wellen aus: (i) in den 1950er Jahren die intensive Beschäftigung mit der Sprache des Nationalsozialismus; (ii) in den 1960er Jahren die Erforschung der sprachlichen Folgen der Teilung des Landes; (iii) in den 1970er Jahren das Interesse am Zusammenhang von Sprache und Herrschaft; (iv) in den 1980er Jahren die kritische Betrachtung des Sprachgebrauchs in der Rüstungs- und Militärpolitik; (v) in den 1990er Jahren die Beobachtung der sprachliche Bewältigung der Vereinigung zweier ideologisch antagonistischer Teile von Deutschland. Dabei sei die “Antriebskraft der ‘Politolinguistik’ immer eine sprachkritische gewesen” (id. 2002: 76). K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 31 (2008) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Ernest W.B. Hess-Lüttich 346 Gegenwärtig scheint sich das (sprachkritische) Augenmerk vornehmlich auf die Problemkreise des Migrationsdiskurses (der von einem Team um den Düsseldorfer Germanisten Georg Stötzel in vorbildhafter Weise aufgearbeitet wurde) und des (politischen) Sprachgebrauchs in den Medien zu richten. Dem zweiten Schwerpunkt im weiteren Sinne widmet sich ein aktueller Sammelband, den Armin Burkhardt vor kurzem gemeinsam mit Kornelia Pape vorgelegt hat, in dem es um den Sprachgebrauch in der medialen Inszenierung politischer Skandale geht, vor allem am Beispiel der sog. ‘Spendenaffäre’ der CDU, die 1999 ans Licht kam, aber auch anderer Skandale. 1 Die Beiträge widmen sich den politischen Sprachstrategien, die bei der Aufdeckung solcher Machenschaften verfolgt werden. Im Vorwort stellen die Herausgeber die Bedeutung der Glaubwürdigkeit in der Politik als einer moralischen Kategorie heraus, die eine Übereinstimmung von Denken und Sagen mit dem Einklang von Sagen und Handeln verbinde: ‘glaubwürdig’ sei ein Mensch dann, wenn von ihm angenommen werde, daß er sage, was er für richtig halte und entsprechend handle - eine Kategorie, die man natürlich auch schon in der antiken Rhetorik an zentralem Ort im ethos-Postulat verankert findet. Ein lange nachwirkender Skandal wie der um die CDU-Parteispenden stellt nun die Glaubwürdigkeit aller Beteiligten in exemplarischer Weise auf die Probe. Zum Auftakt legt der frühere ‘Vordenker’ der SPD, Erhard Eppler, im ersten Beitrag (S. 13-21) seine Sicht des Zusammenwirkens von Sprache und Glaubwürdigkeit in einem Skandal dar, den er selber hautnah miterlebte und an den er sich auf eher persönlicher als sprachanalytischer Ebene erinnert. Wer sich politisch betätige, setze sich möglichen Angriffen aus, weshalb Politiker dazu neigten, ihre Anliegen so zu formulieren, dass sie möglichst wenig Angriffsfläche böten. Entsprechende sprachliche Verfahren findet Eppler wie erwartet bei Helmut Kohls Versuch, seine Rolle im CDU-Spendenskandal zu marginalisieren, indem er seine Verfehlungen als kleine Fehler verharmlost. Linguistisch um einiges gehaltvoller ist der Artikel von Johannes Volmert (S. 22-46). Nach einer Darstellung der Geschehnisse, die später unter der Bezeichnung ‘Flick-Spendenaffäre’ zusammengefaßt wurden, geht er auf die Schwierigkeiten ein, mit denen der parlamentarische Untersuchungsausschuß während der versuchten Aufklärung des Falles zu kämpfen hatte. In diesem Ausschuß saßen Mitglieder der in den Skandal verwickelten Parteien, was die Arbeit nicht erleichterte. Erschwerend kam die dürftige Aktenlage hinzu, da viele Papiere aufgrund laufender Strafverfahren nicht einsehbar waren. Die schließlich zugänglichen Dokumente waren durch einen Sprachgebrauch gekennzeichnet, der im Gewirr der verwendeten Kürzel und Paraphrasen, die sich nur schwer als justitiable Tatbestände interpretieren ließen, den Nachvollzug der Vorgänge allenfalls Eingeweihten ermöglichte. Die Zeugenvernehmungen trugen ebenfalls wenig zur Klärung des Sachverhalts bei, da die sich Zeugen durch Schweigen und prätendiertes Nichtwissen selbst zu schützen suchten. Soweit diese Strategie ‘auf Vorhalt’ von Tatbeständen hin nicht mehr verfing, wurde deren juristische Relevanz bestritten oder auf eine ‘politische’ Verpflichtung zum Handeln verwiesen. Zum genaueren Verständnis des Skandalgeschehens in der ‘CDU-Spendenaffäre’ entwickelt Werner Holly in seinem Aufsatz (S. 47-68) einen diskursanalytisch instrumentierten ‘Skandal-Frame’, in dem der vermeintlich chaotische Skandal einer klaren Ordnung und stereotypen Mustern folgt. Semantisch betrachtet sei der Skandal ein wohlgeordneter Ereigniskomplex, der mit einer von der moralischen Norm abweichenden Handlung beginne, die dann durch mediale, rechtliche oder parlamentarisch-politische Enthüllung als ‘Skandal’ wahrgenommen werde. Die der Enthüllung folgende Empörung sei konstitutives Skandalmerkmal und der erste Schritt einer korrektiven Sequenz, der dann die Aufarbeitung in den Sprache und Politik 347 Medien, die Eröffnung von Rechtsverfahren und gegebenenfalls personalpolitische Konsequenzen folgten. Frank Liedtke konstatiert in seinem subtilen Beitrag (S. 69-86) einen inflationären Gebrauch der ‘Entschuldigung’ in der öffentlichen Rede. Als performativer Sprechakt sei die sprachliche Handlung, sich für etwas zu entschuldigen, zugleich ihr sprachlicher Vollzug. Allerdings gehört der Sprechakt ‘Entschuldigen’ zu jenen bilateralen Sprechakten, die erst mit der Akzeptanz durch den Adressaten vollzogen werden. Werden Entschuldigungen also öffentlich und ohne direkte Adressierung formuliert, entfällt die Möglichkeit des Akzeptierens oder Zurückweisens der Entschuldigung. Der aus dem Zusammenhang (dem social frame) des direkten Gesprächs von Angesicht zu Angesicht (face-to-face) in den der öffentlichen Kommunikation übertragene bilaterale Sprechakt wird so zu einem unilateralen, zu einem Signal des Bedauerns, das keiner Antwort mehr bedarf, um als erfolgreich zu gelten. Neben der öffentlichen ‘Entschuldigung’ stehen dem skandalisierten Politiker freilich noch einige andere Strategien zur Verfügung, um seine Reputation zu bewahren. Astrid Schütz und Janine Hertel widmen sich in ihrem Aufsatz (S. 87-103) solchen Strategien aus psychologischer Perspektive. Als Stufen defensiver Strategien, die dem Schutz des eigenen Image dienen, nennen sie etwa ‘Leugnen’, ‘Ablehnen der Verantwortung’, ‘Rechtfertigen’, ‘Minimieren negativer Implikationen’ und - ‘Eingestehen’. Die Variante der assertiven Selbstdarstellung ziele darauf, Sympathien zu wecken, Kompetenz zu demonstrieren, Integrität zu behaupten. Die Strategien werden bei den am ‘CDU-Spendenskandal’ beteiligten Politikern nachgewiesen. Diese Befunde ergänzt Armin Burkhardt aus linguistischer Perspektive (S. 104-119). Er schildert die sprachlichen Techniken, die ein Politiker gerne anwendet, wenn er seine Glaubwürdigkeit durch den Skandal bedroht sieht. Sein Dilemma ist dabei, daß er, um ehrlich zu erscheinen, um also seine Glaubwürdigkeit zu erhöhen, frühere Unredlichkeiten eingestehen muß, was wiederum seine Glaubwürdigkeit beeinträchtigt und damit seinem Image schadet. Burkhardt illustriert nun, wie Politiker dieses Glaubwürdigkeitsdilemma vor der Kamera aufzulösen suchen. Er beobachtet z.B. die ‘ethische Vorwärtsstrategie’, mittels derer der politische ‘Wille zur schnellen Aufklärung’ suggeriert werden soll. Eine andere Variante ist die ‘Opfer-Strategie’, mittels derer die unausweichliche Notwendigkeit des eigenen Handelns behauptet wird. Die dritte Strategie ist es, einen peripheren Vorwurf effektvoll zurückzuweisen, um damit geschickt von den eigentlichen Vorwürfen abzulenken. Die ‘Gegenstrategie’ will die Aufklärungsarbeit bremsen, behindern, verwirren, um eine Selbstbezichtigung zu vermeiden. Beliebte Techniken dafür sind, wie jeder aufmerksame Fernsehzuschauer weiß, verharmlosende Euphemismen, öffentlich-unadressierte Entschuldigungen, verbose Vernebelungen und feierliche Ehrenwort-Verkündigungen. Einige dieser Strategien könnten auch schlicht als politische Lügen bezeichnet werden. Mit solchen setzt sich Kornelia Pape auseinander (S. 120-140). Jemand lügt, wenn er einen Sachverhalt behauptet, an den er selber nicht glaubt. Nach den Kooperationsmaximen à la Paul Grice sollten eigentlich auch Politiker nicht etwas sagen, was sie selbst für rundweg falsch halten oder wofür ihnen zumindest die Gewißheit fehlt. Daß gewisse Sachverhalte nicht immer und zu jedem Zeitpunkt für die Öffentlichkeit bestimmt sind, verletzt allein noch nicht das Gricesche Kooperationsprinzip. Es wird jedoch empfindlich gestört, wenn jemand vorsätzlich Falsches behauptet, was dann als Lüge entdeckt wird. Für das Lügen ließen sich bei den Protagonisten der CDU-Spendenaffäre verschiedene Strategien beobachten: ‘Verschweigen durch Bagatellisieren’, ‘verwerfliches Lügen durch Tabuisieren’ und ‘Täuschen durch Unterlassen’ sind Varianten, mit denen sie der Entdeckung ihrer Machenschaften zu Ernest W.B. Hess-Lüttich 348 begegnen suchten. Solche Strategien könnten nach Pape als jeweils unterschiedliche Grade politischer Lügen bezeichnet werden. Mit der Presse beschäftigt sich Paul George Meyer (S. 141-154), der die Berichterstattung über den CDU-Spendenskandal in der seriösen britischen Tagespresse semantisch, pragmatisch und textlinguistisch analysiert. Dabei sind für ihn in der bewährten Tradition des britischen Kontextualismus drei Sphären von Belang: der verbale Kontext, die Sprechsituation und der Hintergrund (wobei die Sphäre der Sprechsituation in Pressetexten eigentlich entfällt). Er will Kohäsionsketten und Kohärenzrelationen herausarbeiten und aufzeigen, welche Referenzmittel verwendet werden, um auf verschiedene Aspekte des Themas zu referieren und Assoziationsfelder aufzudecken, die der Produzent beim Rezipienten aktivieren will. Im nächsten Beitrag schildert der Koblenzer Germanist (und Ex-Politiker) Josef Klein (S. 155-162), wie er als ehemaliger Bundestagsabgeordneter (der CDU) Opfer einer Medienkampagne zur intendierten Skandalisierung eines eigentlich nicht besonders skandalträchtigen Sachverhaltes wird. Klein erläutert die Quellen eines Zeitungsartikel und seine eigene Richtigstellung der darin enthaltenen Informationen, die er dem Journalisten im Vorfeld der Veröffentlichung zukommen ließ. Nun kann er zeigen, wie großzügig der Journalist in diesem Fall mit der Wahrheit und den tatsächlichen Sachverhalten umgegangen ist. Ebenso schön sind die Techniken zu erkennen, mit denen der Schreiber die falschen Zusammenhänge nicht etwa explizit formuliert (sodaß er dafür belangt werden könnte), sondern sie vielmehr so insinuiert, daß sie für den Leser eindeutig zu sein scheinen. Im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zur politischen Sprachberatung, in denen er Politolinguistik ebenfalls als nicht nur rein deskriptive, sondern kritische Wissenschaft versteht, die einen entsprechend kritischen Umgang mit dem Datenmaterial nicht nur rechtfertige, sondern erfordere (cf. Roth 2004: 17), widmet sich Kersten Sven Roth im letzten Beitrag des Bandes einer denkwürdigen Bundestagsdebatte, in deren Anschluß ein politischöffentlicher Streit ausbrach, der als Skandal bezeichnet wurde. In seiner rhetorisch-linguistischen Analyse weist der Verf. nach, daß der Sturm der Empörung nicht erst in der Debatte spontan entstand, sondern aus wahltaktischen Gründen regelrecht inszeniert wurde. Roth sucht den Inszenierungscharakter der Parlamentsdebatte zu belegen, indem er zeigt, wie die Redner den Skandal antizipieren und ihn kommentieren, bevor er überhaupt stattgefunden hat. Er erläutert die komplexe Vorbereitung des Skandals im dramaturgischen Aufbau der Debatte von Rede zu Rede und die kunstfertigen rhetorischen Strategien, die dabei phantasievoll zum Einsatz kommen. Die in dem Band Politik, Sprache, Glaubwürdigkeit versammelten Beiträge (die noch um das Protokoll der 7. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Sprache und Politik ergänzt werden), bieten einen facettenreichen Zugang zum Thema des politischen Skandals. Ihre Reihenfolge und Anordnung leuchtet zwar nicht immer auf den ersten Blick ein - so hätte Volmerts fundierter Beitrag über die Arbeit des Aufklärungsausschusses zur ‘Flick-Affäre’ vielleicht besser ans Ende gepaßt als zwischen die Beiträge zur ‘CDU-Spendenaffäre’, während Hollys Überblick über den Skandal einen noch treffenderen Einstieg in den Band geboten hätte als Epplers Erinnerungen eines integren Politprofis - , aber insgesamt wird dem Leser ein guter Einblick in die verdienstvoll sprachkritische Arbeit der heutigen Politolinguistik vermittelt. Ein anderer Protagonist in der politolinguistischen Szene beschreitet einen etwas anderen Weg. Heiko Girnth unterscheidet in der neueren Forschung zwei Ansätze: einen eher lexikonorientierten und einen eher text- und diskursorientierten (Girnth 2002: 9 f.). Der eine hat seinen Ursprung in der semantischen Einzelanalyse politisch relevanter Wörter, der es vor allem um die “Geschichte der Schlagwörter” ging (Dieckmann 1975: 21) und die Beschrei- Sprache und Politik 349 bung des ideologisch gebundenen Wortschatzes, der andere untersucht komplexere Handlungsmuster in Texten und Diskursen und deren jeweilige pragmatische Verwendungszusammenhänge. Den verschiedenen Ansätzen gemeinsam aber ist der sprachkritische Impetus, auch wenn sprachtheoretische und methodologische Grundlagen für die Bewertung des politischen Sprachgebrauchs bis heute weitgehend fehlen. Es bleibt daher das Ziel einer politischen Sprachkritik, Verfahren zur angemessenen und analytisch nachvollziehbar begründeten Beurteilung politischen Sprechens bereitzustellen, um “dem Bürger sprachreflexive Kompetenzen zu vermitteln und den Politiker zur Einhaltung einer kommunikativen Ethik zu veranlassen” (Kilian 1994: 10). Vor diesem Hintergrund hat Heiko Girnth jetzt gemeinsam mit Constanze Spieß einen neuen Sammelband vorgelegt, der sich den Strategien politischer Kommunikation widmet. 2 Er soll die heutige Bandbreite und Bedeutung pragmalinguistischer Analysen der politischen Kommunikation aufzeigen. Wenn es zutrifft, daß politisches Handeln vornehmlich sprachliches Handeln ist, dann gehe es nach Auffassung der Herausgeber beim politischen Sprachhandeln immer “um Wirklichkeitsdeutungen und um die Konstitution von Wirklichkeit innerhalb bestimmter situativer und kontextueller Bedingungen” (S. 7) und da politisches Handeln mittels Sprache entworfen, ausgelöst und gesteuert werde, sei sie notwendige Bedingung politischer Tätigkeit. Das weitgespannte Interesse gilt dabei allen Arten des öffentlichen, institutionellen und privaten Sprechens und Schreibens über politische Fragen: ‘politische Kommunikation’ sei letztlich alles, was in den Kommunikationsbereich falle, in dem über Angelegenheiten öffentlichen Interesses und über politische Fragen kommuniziert werde. Das macht es nicht leichter, ‘politische Kommunikation’ von anderen Domänen gesellschaftlicher Verständigung abzugrenzen. Aber die Editoren versuchen in ihrer instruktiven Einleitung gleichwohl, einige für das politische Sprechen typische und für die öffentliche Kommunikation konstitutive Merkmale herauszuarbeiten: etwa die Dichotomie zwischen Eigen- und Fremdgruppe, die in der Mittel-Zweck-Relation zur Sprecherintention stehenden Kommunikationsstrategien, die Bedingung massenmedialer Vermittlung, der Inszenierungscharakter, die Mehrfachadressierung und die Dissensvs. Konsensorientierung der Sprecher. Auf solche und ähnliche Merkmale in den verschiedenen Dimensionen politischen Sprachhandelns zu achten, waren die Autoren des Bandes ermuntert, der sich in vier Teile gliedert. Der erste Teil ist theoretischen Aspekten und methodischen Ansätzen der Politolinguistik gewidmet. Zur Einstimmung wünscht sich Josef Klein in seinem Beitrag über “Pragmatik und Hermeneutik als Gelingensbedingung für die Politolinguistik (S. 17-26) eine engere Verbindung von handlungsorientierter Pragmatik und verstehensorientierter Hermeneutik, weil Handeln menschliches Verhalten unter Sinnzuschreibung sei und Verstehen die Grundbedingung für das Gelingen jeglicher Kommunikation (cf. jetzt auch Hermanns & Holly 2007: 1). Dem dürfte niemand widersprechen, wer sich die Taktiken politischer Kommunikation mit ideologisch und strategisch geleitetem Verstehen und Mißverstehen vergegenwärtigt, deren politolinguistische Analyse ja die Verbindung von Pragmatik und Hermeneutik erfordert. Constanze Spieß gibt dann im zweiten Artikel des Bandes (S. 27-45) einige methodische Hinweise dazu. Am Beispiel des Gebrauchs von Hochwertwörtern wie Gattungssolidarität im Bioethikdiskurs erläutert sie die Nutzung (pseudo-)argumentativer Bewertungen mit lexikalischen Mitteln, d.h. die Bedeutungsfixierung der Hochwertwörter erfolgt in wohlüberlegten Strategien, die dem Argument Akzeptanz und Legitimation verschaffen sollen. Im zweiten Teil des Bandes stehen einzelne Sprechhandlungstypen und komplexe Handlungsspiele des öffentlich-politischen Diskurses im Mittelpunkt. Melanie Schröter befaßt sich