eJournals Vox Romanica 62/1

Vox Romanica
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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2003
621 Kristol De Stefani

Auslautendes -e und -i in der Mundart von Villagrande Strisáili (Sardinien)

2003
Philipp  Burdy
Moritz  Burgmann
Auslautendes -e und -i in der Mundart von Villagrande Strisáili (Sardinien) In occasione di ricerche dialettologiche svolte sul posto, si è potuto constatare che la presunta conservazione della -e finale latina nel dialetto di Villagrande non corrisponde ai fatti. A differenza delle parlate campidanesi, il mutamento di -e in -i finale nel dialetto villagrandese costituisce uno sviluppo fonetico limitato alle voci proparossitone. Probabilmente questo sviluppo è dovuto alla loro caratteristica accentazione sdrucciola. Inoltre, si osserva una presenza diffusa di -i finale al posto di -e in alcune voci parossitone la cui causa potrebbe essere spiegata in parte per l’azione dell’analogia, in parte per una meridionalizzazione occasionale di singole parole del dialetto locale. Das Sardische läßt sich, was die auslautenden Vokale anbelangt, in zwei Räume untergliedern. Die logudoresischen (= log.) Mundarten im Zentrum und im Norden der Insel behalten lat. -i, -e, -o, -u bei (z. B. bínti viginti, òe hodie, dège dece, nèmos nemo, òtto octo, dòmo domo (Ablativ), kád . d . u caballu) 1 , während die campidanesischen (= camp.) Mundarten im Süden ursprüngliches -e und -o im Auslaut zu -i bzw. zu -u heben. In der acamp. Urkunde in griechischer Schrift (Ende 11. Jh.) überwiegt noch -e, in Verbalformen der 1. Pers. Sg. -o, sonst erscheint schon vielfach -u. Die Carte volgari (12./ 13. Jh.) weisen deutlich häufiger -i und -u im Auslaut auf, letzteres auch in Verbalformen wie appu 2 . Wagner meint allerdings, daß die Hebung von -e zu -i zuerst eintrete und -o zu -u sich etwas später anschließe 3 . Diese Lautentwicklungen gehen vom äußersten Süden der Insel aus und dringen dann nach Norden vor, was sich aus der Tatsache erhellt, daß sie in cagliaritanischen Dokumenten früher greifbar sind als in den arborensischen Urkunden aus der Gegend von Oristano 4 . Heute liegt im Camp. ausschließlich -i bzw. -u vor. Die die Nordgrenze dieser Lautentwicklungen darstellenden Isoglossen sind von Contini 1987/ 2 (Karten 91 u. 92) angegeben worden; sie teilen die Insel etwa auf der Höhe Oristano-Baunei. Bereits Wagner hat in HLS §52 darauf hingewiesen, daß es eine Mischzone zwischen dem log. und dem camp. Typus hinsichtlich des Auslautvokalismus gibt. Demnach werde in Láconi -e nach vorhergehenden e und o bevorzugt, während sonst -i erscheine. In Baunei sei -e stabil, während im Plural häufig -us statt -os nach vorhergehenden u und i eintrete. Ebenso spricht Contini mit Blick auf -e und -o in der nördlichen Ogliastra von einer «situation transitoire» 5 . Es zeigt sich mithin, daß eine Betrachtung der Lautverhältnisse in Orten, die nahe an den oben genannten Isoglossen liegen, aufschlußreich 1 HLS §45. Wir sehen hier von den galluresisch-sassaresischen Mundarten ab, die korsisches Gepräge aufweisen. 2 Contini 1987/ 1: 445 3 HLS §46 4 HLS §46 u. 487 5 Contini 1987/ 1: 443s. sein kann. Im folgenden soll der Auslautvokalismus (speziell lat. -e) in der Mundart von Villagrande Strisáili untersucht werden, einem Ort, der von Contini ausdrücklich dem log. Typus zugeschlagen wurde 6 . Bei genauerer Untersuchung der örtlichen Lautverhältnisse zeigt sich jedoch, daß diese Einschätzung unzutreffend ist. Die nachfolgenden Ausführungen stützen sich auf Sprachaufnahmen, die von den Verf. im September 2001 in Villagrande durchgeführt wurden. Diese umfassen neben dem AIS-Katalog auch Flurnamen. Befragt wurden dabei zahlreiche Gewährspersonen aller Generationen 7 . 1. Zum Auslautvokalismus in der Ogliastra: Kritische Sichtung des Forschungsstandes Anders als bei Contini 1987/ 1: 446 dargestellt, ist das auslautende -o in Villagrande (= vgr.) ebenso stabil wie im Logudoresischen und zeigt keinerlei Anzeichen der campidanesischen Hebung zu -u. So lauten die vgr. Formen etwa òtto ‘acht’ octo (camp. òttu), a intro ‘innerhalb’ intro (camp. intru), grògo ‘gelb’ kat. groc mit paragogischem -o (cf. DES 1: 593, camp. grògu); des gleichen ist die Endung des Plurals der Nomina durchweg -os (ir lámpos ‘die Blitze’, is arán os ‘die Apfelsinen’) und die der 1. Pers. Sg. der Verben -o (a ¯ bèr o ‘ich öffne’, áppo ‘ich habe’). Im Camp. liegt in diesen Fällen immer -u vor. In anderer Form als im Norden erscheint lediglich dómu ‘Haus’, was jedoch mit Contini 1987/ 1: 447 N40 auf den lat. Akkusativ domu zurückgeführt werden kann und somit wohl nicht wie die logudoresischen Formen auf dem Ablativ domo beruht 8 . Das auslautende -e ist in Villagrande grundsätzlich ebenso stabil. Entsprechende Formen sind etwa páne ‘Brot’ pane, pad - ènte ‘Wald’ patente, dè e ‘zehn’ dece, pí e ‘Pech’ pice, koíle ‘Unterstand für Tiere’ cubile, akkarcinad - òre ‘ausschlagend (Pferd)’ zu karce ‘Ferse’ calce, sabòne ‘Seife’ sapone, rú e ‘Kreuz’ cruce (cf. HLS §375), gúrce ‘süß’ dulce. Nicht anders verhält es sich mit den Infinitivendungen wie in akkattáe ‘finden’ *adcaptare oder dromíe ‘schlafen’ dormire, trèmme ‘zittern’ tremere, prá e ‘gefallen’ placere. In Perdasdefogu, dem nächstgelegenen südlichen Aufnahmepunkt des AIS, finden sich dagegen bereits ausschließlich die für das Campidanesische typischen Formen auf -i wie páni, kuíli oder die Infinitive auf -ái. Die Inkohärenzen in den Dialekten der Übergangszonen, von denen gemeinhin die Rede ist, sind offenbar zum Teil erst in jüngerer Zeit aufgetreten, wie Blasco Ferrer am Beispiel von Talana (etwa 10 km nördlich von Villagrande gelegen) 54 Philipp Burdy/ Moritz Burgmann 6 Contini 1987/ 1: 443 N19: «L’aire de e stable s’étend jusqu’à Villagrande Str. et à Baunei.» 7 Neben den Aufzeichnungen der Verf. wurden auch Notizen von M. Beuscher, T. Duncker, M. García Romero, S. Guzzo, D. Marzo, G. Masala, T. Pohl, S. Rücker und A. Wolfart hinzugezogen, die ebenfalls an den Aufnahmen beteiligt waren. Unser Dank gilt unserem Lehrer H. J. Wolf, der diese Untersuchung angeregt hat. 8 Zu einer anderen Erklärung cf. Blasco Ferrer 1989: 47s. dartut 9 . Derlei Schwankungen sind in Villagrande nur in ganz vereinzelten Fällen zu konstatieren. Im Zuge unserer Aufnahmen wurden uns jedoch auch hier zahlreiche bei allen Befragten einheitlich auf -i auslautende Lexeme genannt, denen logudoresische Formen mit -e entsprechen. Dies scheint zunächst der oben getroffenen Feststellung hinsichtlich der Stabilität des auslautenden -e in Villagrande zu widersprechen. Die betreffenden Formen beruhen jedoch offenbar überwiegend nicht auf vereinzeltem lautlichen Einfluß des Campidano, da sie bestimmte Regelmäßigkeiten aufweisen 10 . Diese betreffen in besonderem Maße proparoxytone Einheiten, die daher im folgenden zuvorderst behandelt werden sollen. 2. Proparoxytona im Villagrandesischen Der Lautwandel von -e zu -i in der letzten Silbe erfaßt bis auf ganz vereinzelte Ausnahmen (cf. infra) alle etymologisch auf -e auslautenden Proparoxytona im Villagrandesischen. Davon betroffen sind vornehmlich lateinische Substantiva auf -o, -$nis und solche auf -ex, -$cis, denen im Akkusativ die prosodische Struktur -V´ (K)KVKV gemein ist: 2.1. Lat. - O , -$ NIS orrúndini ‘Schwalbe’ hirund$ne, log. rúndine (DES 2: 370). òrd - ini ‘Reihe von Weinreben’ ord$ne, log. òrdine (DES 2: 191); cf. auch den vgr. Flurnamen Sèrra pirar d’òrd - ini. fod . d . íni ‘Ruß’ fullig$ne, log. fod . d . íne (DES 1: 531). Hier muß eine Zwischenstufe *fullíøine angenommen werden. Zum Schwund des intervokalischen -gcf. HLS §131 und Contini 1987/ 2 Karte 35 11 . ómini ‘Mensch, Mann’ hom$ne, log. ómine (DES 2: 187); auch im Flurnamen S’ómini mórtu. Die Form von Baunei, Urzulei und Talana, also der direkt nördlich von Villagrande gelegenen Alta Ogliastra, ist ómmine 12 . 55 Auslautendes -e und -i in der Mundart von Villagrande Strisáili (Sardinien) 9 Blasco Ferrer 1988: 25 N50: «Talana mostra . . . una posizione di transizione, . . . dall’inizio del secolo le nuove irradiazioni . . . dalla zona costiera a sud di Lotzorai hanno alterato lo schema precedente.» Ähnliche Verhältnisse konstatiert er auch in Ilbono (10 km südlich von Villagrande) und zitiert (p. 182) auf der einen Seite pèttene, nòmene, auf der anderen sámbani, frád - i, ómini. 10 Hierin unterscheiden sie sich grundlegend von den Zuständen, wie sie Blasco Ferrer 1988: 182 für Talana schildert: «Nella nostra zona Talana dà segni di labilità nel comportamento delle vocali finali, ma le eccezioni avvengono secondo moduli del tutto incoerenti.» (Hervorhebung d. Verf.) 11 Zum -oder ersten Silbe äußert sich Wagner nicht. Möglicherweise erklärt es sich durch von pód . d . ini ‘grobes Mehl’ ausgehende Kontamination, das fod . d . íni sowohl von der Lautgestalt als auch von der Beschaffenheit des bezeichneten Stoffes her nahesteht. 12 Cf. Blasco Ferrer 1988: 67. Dort werden die hier relevanten Formen nicht systematisch behandelt. rándini ‘Hagel’ grand$ne, log. rándine (DES 1: 586) 13 . pód . d . ini ‘grobes Mehl’ poll$ne, log. pód . d . ine ‘feines Mehl’ (DES 2: 290). Ein neben der klat. neutralen Form existierendes *pollis m. (cf. REW 6636) oder *pollo f. läßt sich aus der schon bei Cato und Plinius belegten Form pollinem erschließen 14 . Ein Genuswechsel belegendes pol(l)ines findet sich auch in späterer Zeit (6. Jh.) bei Dioskorides Longobardus 15 . Das Wort ist mithin als Proparoxytonon nach Sardinien gelangt und fällt daher nicht unter die weiter unten besprochenen paroxytonen Neutra vom Typ semen, termen etc. trémini, trébini ‘Dreifuß’ *trip$ne, log. tríbid - e (DES 2: 519b). Ähnliche Formen in Unteritalien (z. B. trépene, trépinu, trípane) rechtfertigen den auch von Wagner vorgenommenen Ansatz von *trip$ne statt tripeøde. Das -eder betonten Silbe beruht vielleicht auf dem Einfluß von trèze ‘drei’, das -mder erstgenannten Variante auf Labialwechsel. Es findet sich auch der vgr. Flurname Sa òrt’es trébinis. líndini ‘Nisse’ lend$ne statt lendem (ThLL 7,2: 1154s.), log. léndine (DES 2: 20). már ini ‘Geländeform’ marg$ne (DES 2: 74). 2.2. Lat. - EX , -$ CIS úi i ‘Richter’ iud$ce (DES 1: 711). Im Gegensatz zum Campidano ( ú i) bewahrt Villagrande den proparoxytonen Charakter des Wortes 16 . fíli i ‘Farn’ fil$ce, log. fílige (DES 1: 523). íli i ‘immergrüne Eiche’ il$ce, log. élige el$ce (DES 1: 487). Auch in zahlreichen vgr. Mikrotoponymen vertreten (S’íli i entóza, Su au’e s’íli i, S’íli i zóla, S’iskr’e s’íli i). Talana weist éli i auf 17 . púli i ‘Floh’ pul$ce, log. púlige (DES 2: 321). sóri i ‘Maus’ sor$ce, log. sórige (DES 2: 427). pínni i ‘Wanze’ cim$ce (mit pvon pulice, REW 1915), log. kímige, pínnige (DES 1: 338). pód . d . i i ‘Fingerkuppe’, ‘Prise’ poll$ce, log. pód . d . ige (DES 2: 290). In Talana lautet die Form pód . d . i e 18 . 56 Philipp Burdy/ Moritz Burgmann 13 Bei diesem Wort traten lautliche Schwankungen auf (7 Sprecher -i gegen 5 -e), die bei keinem der übrigen behandelten Wörter vorkamen. Ein Grund hierfür ist nicht ersichtlich. 14 OLD 2: 1397. 15 Cf. die Ausgabe von Stadler 1899: 209 Zeile 6 u. 10. 16 Die Tendenz zum Schwund des unbetonten -izeigt sich dagegen bei unregelmäßig alternierenden Varianten wie préidi/ prédi (cf. infra) und tréi i/ tré i, séi i/ sé i. 17 Cf. Blasco Ferrer 1988: 80. 18 Cf. Blasco Ferrer 1988: 172. 2.3. Lat. - ES , -$ TIS séd - i ‘Kraut der Kartoffel’ seg$te, log. sègete (DES 2: 400). Der ursprünglich proparoxytone Charakter der Form, der auch für Vgr. anzusetzen ist, zeigt sich bspw. noch in Baunei sèid - e (DES ib.) und Elini sèid - i (Aufnahme der Verf.). Es zeigt sich, daß alle zu diesen lat. Deklinationstypen gehörigen Substantiva lautlich einheitlich behandelt werden, was den Auslaut anbelangt: sie enden alle auf -i. 2.4. Sonstige Proparoxytona Neben den bisher behandelten Typen -o, -$nis und -ex, -$cis finden sich Proparoxytona, die sich diachron nicht weiter klassifizieren lassen. Unter diesen weisen vier Lexeme unbetontes ´-ili auf: báttili ‘Kissen auf dem Kutschbock’ coact$le, log. báttile (DES 1: 187s.). kó ili ‘Lappen, Flicken, Tuch’, Ableitung zu kò a ‘Keil, Füllsel’ (DES 1: 393s.), cf. zum Wortbildungsmechanismus Wagner 1952: §44 (´-ile). Die Ableitung selbst fehlt im DES. Blasco Ferrer 1988: 162 nennt für Baunei als Hapax kóttilis ‘panni, calzoni, busti’ 19 ; insbesondere die letztere Bedeutung läßt ihn an ein kat. cotilla ‘Korsett’ als Etymon denken. Sowohl der lautliche bzw. prosodische (Proparoxytonon mit auslautendem -i(s)) als auch der semantische Aspekt (‘panni’) legen jedoch nahe, daß es sich nicht um eine Entlehnung, sondern um die auch in Villagrande belegte sardische Ableitung handelt. Die Bedeutung ‘busti’ mag durch Einfluß des katalanischen Wortes (cf. DES 1: 393, log. kottíl’a) hinzugefügt worden sein. Weder die von Blasco Ferrer (kóttilis) noch die von Puddu (cótili) angeführte Form kann lautlich befriedigen, sollte es sich um eine kò a-Ableitung handeln: das -t(t)weist ins Log., wo es jedoch auslautendes -i aus -e grundsätzlich nicht gibt. Allein die vgr. Form kó ili wird den lokalen Lautverhältnissen gerecht. séttili ‘Geländeform’ (DES 2: 413, s. sétti ´a, mit Verweis auf Villanova Str. séttile ‘pianura’), laut Wagner mit unklarer, vielleicht vorrömischer Etymologie 20 . débili ‘schwach’ sp./ kat. débil, log. débile (DES 1: 458). Durch das lexikalisierte paragogische -i fällt auch dieses Lemma unter die hier behandelte Kategorie 21 . núr ili ‘Nichtsnutz’, ‘unnütze Sache’ it. inutile oder sp. inútil, Dorgáli núrtile (Pittau 2000: 680, Puddu 2000: 1227). Zwei weitere Einheiten gehören dem lat. Deklinationstyp -er, -eøris an: píbiri ‘Pfeffer’ pipeøre m. (cf. Georges 2: 1714), log. píbere (DES 2: 273). 57 Auslautendes -e und -i in der Mundart von Villagrande Strisáili (Sardinien) 19 Cf. auch Puddu 2000: 547: cótili ‘arrobba téssia, pannamenta’. 20 In den Aufnahmen der Verf. nur als Su zéttili in der villagrandesischen Mikrotoponymie erfaßt. 21 Bezüglich ´-ili gibt Blasco Ferrer 1988: 171 für Urzulei Schwankungen zwischen óspile und óspili ‘Höhle, Schlucht’ an. cí iri ‘Kichererbse’ ciceøre m. (cf. ThLL 3: 1048); im Log. gilt fazólu pittúd - u oder fazólu túndu (DES 1: 453). Da auch in Fonni fazólu cí iri anzutreffen ist (AIS 1384), wo das -e erhalten sein müßte, ist die Frucht offenbar dort und vielleicht auch in Villagrande nicht einheimisch und ihre Bezeichnung aus dem Camp. entlehnt. Hinzu kommen noch: préid - i ‘Priester’ alttosk. preite; Dorgali, Tonara u. a. préid - e, Urzulei prèd - e, camp. prèd - i (DES 2: 304). Der proparoxytone Charakter des Wortes tendiert im modernen Villagrandesischen dazu, verloren zu gehen, cf. auch die Varianten des Flurnamens Sa vuntan’e su bréd - i / Sa vuntan’e su bréid - i. káuli ‘Kohl’ caule, log. káule (DES 1: 322) 22 . orròali ‘Eiche’ rob re 23 , Baunei orròele, Árzana arròele, camp. orròli (DES 2: 195; der log. Typ ist kérku). Während das -laller Formen wohl auf Liquidentausch beruht, erklären sich die Vokalveränderungen der Mittelsilben vielleicht durch Dissimilation: *orròole orròale, orròele 24 . Praktisch alle etymologisch auf -e auslautenden Proparoxytona im Vgr. zeigen die Schwächung zu -i. Dies geschieht unabhängig davon, ob die vorhergehenden Silben -iaufweisen oder nicht. Die Erscheinung ist folglich nicht als Vokalharmonie (progressive Fernassimilation) zu werten, wie es Formen wie z. B. ómini oder cí iri zunächst nahelegen.Allgemein ist Vokalharmonie in den romanischen Sprachen nicht greifbar 25 . Analog zu den bisher genannten Erbwörtern auf ´-ini gilt in Villagrande auch is tèndinis ‘Sehnen’, welches zwar aus it. tendine entlehnt ist (laut DES 2: 474 «non popolare» in Sardinien), in der Endung aber an die zahlreichen möglichen Vorbilder angeglichen wurde. Ähnliches ist einigen Wörtern widerfahren, deren etymologischer Auslautvokal kein -e ist, die jedoch das hier behandelte Betonungsmuster sowie -ials Pänultimavokal mit etlichen der obigen Beispiele gemein haben. So wird (aus dem It. entlehntes) réd - inas pl. ‘Zügel’ zu réd - inis; ebenso wird die lat. Bezeichnung der Schaflaus ric$nus zu errí ini ‘Zecke’ (so auch DES 2: 491: « . . . l’uscita in -i sarà analogica, come in altri casi»). In gleicher Weise zu erklären ist wahrscheinlich auch kárcini ‘(Huf-, Fuß-)Tritt’ 26 , camp. kárcinu, laut DES 1: 298 deverbale Rückbildung 58 Philipp Burdy/ Moritz Burgmann 22 Weshalb der alte Diphthong von caulis im Sard. im Gegensatz zur üblichen Entwicklung (au a) gebrochen wird, so daß zwei Silben entstehen, ist unklar. Synchron gesehen erlaubt dies jedoch die Einreihung in die Proparoxytona. 23 Zum Wechsel des Genus von n. zu m. cf. HLSMA 4: §76.6. 24 Eine vergleichbare Entwicklung zeigt die Mundart von Láconi (ebenfalls unweit südlich des Gennargentu gelegen): primäres und sekundäres -úuwerden über die Zwischenstufe -úo- (so auch in den zentralen und barbarizinischen Dialekten) zu -úa-, etwa bei crudu *krúu *krúo krúa (HLS §55). 25 Cf. Dieth 1950: 265 und 320s. (keine Bsp. aus romanischen Sprachen, wohl aber aus dem Türkischen, Schottischen, Altenglischen, Altnorwegischen und Schweizerdeutschen [Wallis]). 26 Diese Form gilt auch für Tortolì; Orgòsolo hat lautgerechtes ? ál? ine. zu camp. karcinái. Das gleiche Lexem ist offenbar auch enthalten in bubbuliskárcini ‘Purzelbaum’ (fehlt im DES). Zu den hier vorgestellten Proparoxytona des Typs ´-ini paßt lautlich auch die lokale Bezeichnung der Kresse íspini. Diese ist allerdings bisher weder in botanischen noch in allgemeinen lexikographischen Publikationen zum Sardischen verzeichnet worden und etymologisch unklar. Eine Beziehung zu grúspinu ‘id.’ (DES 1: 595: «probabilmente preromano») bzw. úspinu, uspínu ‘senape bianca’ 27 scheint nicht ausgeschlossen, zumal in diesem Falle die gleiche analogische Einreihung vorläge wie bei errí ini 28 . Die Betonungsstruktur und die Endung i teilen mit den unter 2.2 genannten Lexemen auch die Numeralia úndi i, dóa i, tréi i, kató(r)di i, kwíndi i und séi i. Hier setzt das -i zwar bereits lateinisches -i fort (undecim etc.), doch trägt dies nichtsdestoweniger zur Stabilität des vorliegenden Betonungsmusters bei, was sich bspw. noch darin zeigt, daß it. erpice (DES 1: 493) als entlehntes Proparoxytonon auf -e in Villagrande in der Form érpici ‘Egge’ erscheint. Das hier beschriebene Akzentuierungsmuster findet sich überdies in einigen Mikrotoponymen, von denen Su ízini, Ováili, Erríu arráuli und - G èrd - olis von Paulis 1987: 432-43 als vorrömische Toponyme aufgeführt werden. Su bòsku’e saròmminis und Bakku arcéd - ili dürften ebenfalls dem Substrat zuzurechnen sein 29 , der Flurname Su strintu’e sa zóali bleibt vorerst rätselhaft. Ist das -i in diesen Formen auch etymologisch, wie entsprechend suffigierte Toponyme des nördlich angrenzenden Logudoro zeigen, fügen sie sich dennoch nahtlos und stabilisierend in das in Villagrande Strisáili anzutreffende Schema ein. Auffällig ist nun, daß die auf den alten lat. Neutra semen, termen, sanguen, inguen beruhenden sèmene, trèmene, sámbene, ámbene 30 , die in Pausastellung ebenfalls proparoxytone Akzentuierung aufweisen, nicht von dem Wandel des -e zu -i betroffen sind. Dies wird bei dem späteren Erklärungsversuch zu berücksichtigen sein. 59 Auslautendes -e und -i in der Mundart von Villagrande Strisáili (Sardinien) 27 Cf. Paulis 1992: 236, der uspínu als die ursprüngliche Form betrachtet und sie von ius + pinus herleitet. 28 In diesem Falle wäre allerdings der Wortanlaut zu klären. Man vergleiche auch die bekannte Grotte Ispinigoli bei Dorgali, deren Name sicherlich vorrömisch ist (cf. Paulis 1987: 446 s. Spinigolli) und die, obwohl in einer gänzlich stabilen -e-Zone gelegen, ebenfalls das Element ispiniaufweist. In diesem Falle wäre das -i bereits Bestandteil des paläosardischen Morphems und keines, das auf -e beruhte oder durch die o. g. analogische Wirkung zu erklären wäre. Nichtsdestoweniger reiht sich aber auch ein schon paläosardisches íspini perfekt in den ´-ini- Typus ein. 29 Cf. die Komponenten arzin (Mikro-)Toponymen der Gemeinden Árzana, Gadoni und Dèsulo und sarin Fonni, Gadoni, Sarule, Olíena u. a. sowie die von Wolf 1998 aufgeführten paläosardischen Suffixe ´-ili (62, in der Barbagia Ollolai in Fonni, 25 km nordwestlich von Villagrande, sehr häufig vertreten) und ´-ini (58). 30 DEI 1: 206 erklärt das ain it. anguinaia inguinalia (mit Suffixwechsel) durch Einfluß von anguen. Dies müßte auch für den Dialekt von Villagrande angenommen werden, da ansonsten im Sd. mit iantlautende Formen vorherrschen (etwa Orosei ímbene DES 1: 613). 3. Paroxytona im Villagrandesischen Neben den genannten Proparoxytona weisen im Villagrandesischen auch einige etymologisch auf -e auslautende Paroxytona -i auf 31 . Lautliche Regelmäßigkeiten lassen sich dabei nicht feststellen, verschiedene Kategorien sind jedoch auch hier greifbar. 3.1. -anti ambulánti ‘fahrender Händler’ it. ambulante, log. ambulánte (DES 1: 78, Espa 1999: 78s.). kummercánti ‘Händler’ it. commerciante, log. kummercánte, kommercánte (Espa 1999: 395). passánti ‘Riegel’ it. passante, log. passánte (Espa 1999: 897, Puddu 2000: 1282). tirántis pl. ‘Hosenträger (für Frauen)’ sp. tirantes / kat. tirants (DES 2: 487, hiernach nur im Log.: tirántes). turrunánti ‘Kehre’ it. tornante. Es handelt sich bei diesen Lexemen um Lehnwörter. Formen auf -ante existieren im Vgr. nicht. Überraschenderweise weist das Pendant -ente genau das entgegengesetzte Resultat auf: -enti ist im Vgr. als Endung gänzlich unbekannt. Neben vereinzelten Erbwörtern (pad - ènte ‘Wald’ patente, molènte ‘Esel’ molente) liegen auch hier überwiegend Lehnwörter vor, so etwa nundènte ‘Wollstoff’ it. filondente (DES 2: 176), kaènte ‘warm’ sp. caliente (DES 1: 269) oder pulènte ‘Polenta’ it. polenta (DES 2: 292). Der unterschiedliche Auslaut (-ánti gegenüber -ènte) läßt sich mithin weder anhand der Herkunft der Wörter noch durch lautliche Gegebenheiten - eine Kausalität zwischen der Hebung zu -i und vorhergehendem -áist nicht denkbar - erklären. Vielmehr scheint es sich um eine analogische Wirkung ausgehend von etymologisch i enthaltendem vgr. adenánti ‘vor (räumlich)’, innánti ‘vor (zeitlich)’ zu handeln, welches abzüglich verschiedener Präfigierungen auf lat. *anti zurückgeht 32 . Aufgrund seiner hohen Frequenz im alltäglichen Sprachgebrauch hat dieses eine Muster offenbar ausgereicht, um ursprüngliches -ante zu beeinflussen und es als Suffix -anti im modernen Vgr. zu etablieren. 60 Philipp Burdy/ Moritz Burgmann 31 Wir berücksichtigen hier folglich nicht solche Wörter, deren -i nicht auf -e zurückgeht, wie etwa páris ‘zusammen’, ‘Ebene’ pari + adverbiales -s (DES 2: 223), péri ‘auch’ per (DES 2: 245), síd - i ‘Durst’ sitis (DES 2: 421s.; besser wäre der Ansatz siti Akk.), tiváni ‘Schreckgespenst’ (in der Wendung bai ka no d . d . u este tiváni ‘sieh her, da ist nichts, wovor du Angst haben mußt’) PN Tifani, Tiuani (DES 2: 492), die zahlreichen Nomina auf -éri ( kat.), die in ganz Sardinien vertreten sind, sowie Appellativa (z. B. la óri ‘Stechpalme’) und Flurnamen (z. B. Brúnku id - íni, Sa gòst’e leppóri), die auf -i auslautende vorrömische Suffixe enthalten. 32 Cf. Wolf 1997: 507-15. 3.2. -á i Auch -á i gehört zu den Endungen, die etymologisches -e aufweisen, in Villagrande jedoch ausschließlich mit auslautendem -i anzutreffen sind. Zu nennen sind die Lexeme: lioná i ‘Oleander’, log. neuláge (DES 2: 165). Wagner verweist auf ein in Glossen belegtes biblace 33 . Unabhängig von der tatsächlichen Etymologie liegt in vgr. lioná i (metathetische Form) ein Suffix -ace vor, dessen dortiger Auslaut überrascht. Ebenso ungewöhnlich ist die Form neulá i (Triei, Talana), wo gemeinhin auslautendes -e bewahrt bleibt. nurá i ‘Nuraghe (typisches turmähnliches Bauwerk der vorrömischen Bevölkerung auf Sardinien)’ nurac (inschriftl.), log. nuráge (DES 2: 176s.). Auch hier würde man in Villagrande *nurá e erwarten; wiederum findet sich aber sogar nördlich eine Form auf -i (Flurname in Urzulei: bad . d . e su nurá i, cf. Blasco Ferrer 1988: 169). Brandoná is: Flurname, der wahrscheinlich mit dem vorrömischen Suffix -ake gebildet ist, das im unweit nördlich angrenzenden Fonni noch in der Form -á? e auftritt 34 . Der Stamm des Flurnamens kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Sa levrá i, Su’e levrá i, Erríu sa levrá i: ebenso wie Brandoná is gebildete Flurnamen. Auch Paulis 1987: 435 verzeichnet in der Liste der von ihm als vorrömisch klassifizierten Toponyme für Villagrande eine Form Levraisi 35 . Es ist möglich, zumindest für lioná i eine individuelle, hinsichtlich der sprachlichen Zustände in Villagrande mögliche Erklärung beizubringen 36 . So könnte das Wort seinen Auslaut der analogischen Wirkung anderer Pflanzenbezeichnungen auf i (íli i, fíli i) verdanken. Die genannten -i-Formen aus Talana, Triei und Urzulei entzögen sich jedoch diesem Erklärungsansatz, da dort die ursprünglich -e aufweisenden Proparoxytona nicht regelmäßig auf -i auslauten und etwaige Analogien somit ausscheiden. Vielmehr sprechen diese Formen wie auch die vgr. Flurnamen Brandoná is und Levrá i dafür, daß die Suffixausprägung -á i sich in der Ogliastra einheitlich weiter nach Norden hin durchgesetzt hat, als dies bei dem allgemeinen e i-Wandel des Südens der Fall ist. 61 Auslautendes -e und -i in der Mundart von Villagrande Strisáili (Sardinien) 33 Dagegen möchte Paulis 1992: 419s. das Wort als eine Zusammensetzung aus nebula und dem vorrömischen Suffix -ake verstanden wissen. 34 Cf. Wolf 1998: 74. 35 Diese Form ist wahrscheinlich als Levrái i zu lesen, vgl. die in Villagrande gelegentlich zu hörende lautliche Realisierung nurái i statt nurá i. 36 Der palatale Charakter von scheidet als theoretisch denkbare Erklärung für die Palatalisierung des -e aus, da sich zahlreiche Gegenbeispiele mit dem Auslaut e finden, wie etwa pí e ‘Pech’, mí e ‘Strumpf’, nú e ‘Nuß’. 3.3. Weitere Fälle Die folgenden Beispiele lassen sich nicht weiter kategorisieren. tid - óri ‘Ringeltaube’ *titone mit Suffixwechsel, log. tid - òne (DES 2: 482s.). Die Substantiva auf -òne bilden im Vgr. eine stabile Klasse und enden immer auf -e (cf. etwa imin òne ‘Zitze’, pisti òne ‘Gecko’, guttòne ‘Knopf’). Es stünde bei lautgerechter Entwicklung mithin eine Form *tid - òne zu erwarten. Diese Entwicklung bleibt nicht nur in Villagrande aus; tid - óri fällt auch in Dorgali, Dèsulo und Baunei aus dem Rahmen, die allesamt ebenfalls -òne sowie auslautendes -e allgemein bewahren. palíni m. ‘(Brot-)Korb’, entspricht der camp. Abl. palína f. ‘kleiner Weidenkorb’ zu pála ‘Schaufel’ (DES 2: 205s.). Wagner führt nur feminine Bsp. an (u. a. Dèsulo, Belvì: sa b - alíne); Terracini/ Franceschi 1964 (Tav. 37) bringt für Villagrande palíni. Für ‘(Brot-)Korb’ im allgemeinen wurde uns einmal auch su b - ánili genannt. Hierbei scheint es sich um eine ´-ili-Ableitung zu páne ‘Brot’ zu handeln, die im DES fehlt. Dieses Wort scheint im heutigen Vgr. weitaus weniger gebräuchlich als palíni, hat letzteres jedoch offenbar wegen der ausdrucksseitigen und inhaltlichen Ähnlichkeit der Formen stark beeinflußt. Durch diesen Einfluß von pánili erklärt sich überdies nicht nur der Auslaut, sondern auch das abweichende Genus der vgr. Form. sántu miáili ‘Oktober’. Gemeinhin lautet die Entsprechung zu Michael im Sard. Miále, Miáli (DES 2: 113), aber auch schon im Asd. ist Miaili belegt 37 . In der Endung -áili begegnet abermals das unter Sa levrá i angesprochene Phänomen des Einschubs eines anorganischen -i-, der immer mit einem -i im Auslaut einhergeht. Diese Erscheinung scheint uns lauthistorisch nicht erklärbar zu sein. Ferner fällt jedoch auf, daß auch der Ortsname Strisáili selbst diese lautliche Struktur aufweist. Während der Name etymologisch im Dunkeln liegt, ist die Endung -áili hierfür seit den ältesten Dokumenten bezeugt 38 . mar áni ‘Fuchs’ PN Mariane (Vokativ zu Marianus), log. mardzáne (DES 2: 75). Wagner gibt im DES für Vgr. die Form mar áne an, die wir jedoch nicht bestätigen können. Vielmehr ist mar áni die ausnahmslos genannte Form, sowohl im appellativischen Wortschatz als auch in der Mikrotoponymie (Mar áni ábis, Sèrr’e mar áni, Kònk’e mar áni). Es ist eher unwahrscheinlich, daß die von Wagner notierte Form auch zum Zeitpunkt seiner Aufnahmen die für Villagrande typische gewesen ist. Auch Terracini/ Franceschi 1964 (Tav. 57) bringt für Villagrande die Form mar áni 39 . 62 Philipp Burdy/ Moritz Burgmann 37 Cf. Wagner 1951: 166. 38 Cf. Coco 1989: 233-42. Der offizielle Ortsname Villagrande Strisaile, der erst in der zweiten Hälfte des 20. Jhs. in Villagrande Strisaili geändert wurde, dürfte dem tatsächlichen lokalen Sprachgebrauch mithin zu keiner Zeit entsprochen haben. Ohnehin sprechen die Einwohner von Villagrande heute von ihrem Ort beinahe ausschließlich als von Bid . d . amánna. 39 Die Aufnahmen von Ugo Pellis, auf denen der Atlas Terracinis und Franceschis beruht, stammen wie die Wagners aus den dreißiger Jahren. bírd - i ‘grün’ vir(i)de, log. birde (DES 2: 579). In diesem Falle ist möglicherweise auf die camp. Form zurückgegriffen worden, um eine Homonymenkollision mit bírd - e ‘Glas’ kat. vidre (DES 1: 205) zu vermeiden. Wie einige Male aber auch genanntes bírd - i für ‘Glas’ zeigt, gerät diese Form vereinzelt selber unter den Einfluß von bírd - i ‘grün’. fíni ‘fein, dünn’ it. fine, log. fíne (DES 1: 525). Auffällig ist, daß auch in Dèsulo, das sonst allgemein -e im Auslaut aufweist, fini gilt. Die camp. Form ist mithin nicht nur bis nach Villagrande vorgedrungen. pí i ‘Fisch’ pisce, log. píske (DES 2: 277). in(i)kúi ‘dort’ in eccu huc, log. inkúe (DES 1: 418). túi ‘du’ tu + paragogischer Vokal, log. túe (DES 2: 530) 40 . arbáci ‘grobes Wollzeug’, laut DES 1: 68 Sardisierung von ait. albagio; Atzara: obráke, Aritzo: orbáce; Séulo, Gadoni: orbáci, Meana: orbá i 41 . mussond uanni, veraltete personifizierende Bezeichnung für ‘Hunger’, aus mussón ‘(mein) Herr’ kat. mossèn, mossón (DES 2: 146) und dem PN ¸ uanni. ¸ uanni ‘Johannes’, log. Yuánne, Yuánni (DES 1: 710). In diesem Fall ist es die italienische Form Giovanni, die selbst die log. Namensform beeinflußt hat. Nur selten werden überhaupt noch sard. Namen gebraucht. paúli ‘Sumpf’ palude, log. paúle (DES 2: 204). paúli wurde uns nur als Bestandteil von Flurnamen genannt (Sa baúli, Nurá i baúli’e gòsti), wohingegen im appellativischen Wortschatz Bezeichnungen wie sa ludrína, su ludráu gelten. 4. Schlußfolgerungen Die obige Zusammenstellung der Formen läßt erkennen, daß von der Hebung von ausl. -e zu -i in erster Linie Proparoxytona betroffen sind: Von den im Log. auf -e auslautenden Proparoxytona, die in unserem Korpus erfaßt sind, erfahren im Vgr. 94 % die Hebung zu -i, während dies bei den Paroxytona nur in 12 % der Fälle zutrifft. Dieses Zahlenverhältnis läßt den Schluß zu, daß die Betonungsverhältnisse hier eine Rolle spielen müssen und daß diese Erscheinung nicht auf lautlicher Konditionierung beruht, wie es offenbar in Láconi der Fall ist (HLS §52). Dort läßt sich unabhängig von den Betonungsverhältnissen beobachten, «dass -e im Ausgang nach vorhergehenden -e oder -o bevorzugt wird» (ib.), sonst herrscht -i vor. Wenn man den von Wagner für Láconi angeführten Paroxytona, die nicht e oder o als Tonvokal haben, die entsprechenden vgr. Formen gegenüberstellt, zeigt sich, daß keinerlei Übereinstimmung vorliegt: 63 Auslautendes -e und -i in der Mundart von Villagrande Strisáili (Sardinien) 40 Die in Villagrande angetroffene Form gilt auch weiter nördlich in Baunei und Urzulei, cf. Blasco Ferrer 1988: 67. 41 Alle heutigen sardischen Formen sind zweifellos von it. orbace beeinflußt, wenn sie nicht sogar direkt darauf zurückgehen. Láconi Villagrande áb - i áb - e látti látte káni káne frácci fárce ab - ríli ab - ríle frad - íli frad - íle núi núe Überdies verhalten sich die Plurale im Dialekt von Láconi entsprechend; sie weisen «-os mit Vorliebe nach e und o [auf], sonst -us» (ib.). Pluralformen auf -us sind hingegen dem Vgr. gänzlich unbekannt. Gleichwohl fällt auf, daß die unter 3.3. aufgeführten vgr. Paroxytona auf -i tatsächlich kein e oder o als Tonvokal enthalten (ausgenommen tid - óri). Eine grundsätzliche Abhängigkeit des Auslauts vom Tonvokal kann für Villagrande jedoch schon deswegen nicht angenommen werden, da der Liste der vgr. Paroxytona auf -i keine weiteren Beispiele hinzuzufügen sind, wohingegen sich zu den in der obigen Aufstellung genannten Gegenbeispielen noch Hunderte weitere mit -e aus unserem Korpus, das durch Aufnahmen im Jahr 2002 noch vermehrt werden konnte, anführen ließen. Wagner erhebt ebensowenig wie die Verf. den Anspruch, diese Beobachtungen erklären zu können. Für die vgr. Proparoxytona indes, die wie gesehen nahezu ausnahmslos die Hebung des auslautenden -e zu -i erfahren, scheint es möglich, einen Erklärungsansatz beizubringen. Proparoxytona in den romanischen Sprachen können - um mit Lausberg zu sprechen - «fallende» oder «hüpfende» Druckverteilung aufweisen 42 . Im ersteren Fall ist die letzte Silbe die druckschwächste, während die erste Nachtonsilbe mit leichtem Nebenton gesprochen wird, etwa tépìdus. Bei der hüpfenden Druckverteilung fällt der Nebenton auf die letzte Silbe, so daß die erste Nachtonsilbe die druckschwächste ist, also tépidùs. Die unterschiedliche Druckverteilung führt oft zum Ausfall der jeweils druckschwächsten Nachtonsilbe, daher tépìdu prov. tebe, aber tépidù frz. tiède 43 . In der in Villagrande gesprochenen Mundart scheint fallende Druckverteilung vorzuliegen, da ein mittelsilbiges kurzes $in den Proparoxytona stets Umlaut bewirkt, was nur denkbar ist, wenn die Mittelsilbe den Nebenton trägt 44 . Der durch das $ausgelöste Umlaut führt zur geschlossenen Aussprache der haupttonigen Antepänultimavokale e und o, z. B. ómini, sóri i, trémini, líndini 45 . Im Lichte dieser Überlegungen wäre es möglich, die Hebung von auslautendem -e zu -i in den Proparoxytona als einen Sonoritätsabbau der druckschwächsten Sil- 64 Philipp Burdy/ Moritz Burgmann 42 Lausberg 1969/ 1: §121. 43 Ibid. 44 Lausberg 1969/ 1: §193. 45 In letzterem Fall scheint die Schließung des e bis zu i gegangen zu sein, was möglicherweise auch mit dem nachfolgenden Nasal zusammenhängt. be aufzufassen: i ist verglichen mit e der Vokal mit dem nächstgeringeren Schallfüllegrad. Bei primärem auslautendem -u in Proparoxytona (cf. etwa ín alu ‘Stechmücke’, ápulu ‘Flicken’, úncinu ‘Haken’) würde eine Schallfüllereduktion der Auslautsilbe gänzlichen Wegfall bedeuten. Der vorhergehende Konsonant träte in den Auslaut, wogegen das Sard. Abneigung zeigt. Mithin bleibt -u in Proparoxytona offenbar ungeachtet der Druckschwäche als Stützvokal erhalten. Weiterhin fällt auf, daß auch Proparoxytona auf -a gelegentlich eine vergleichbare Schwächung des Auslautvokals erleiden, indem dieser zu -e wird. Dies entspricht phonetisch gesehen der Hebung von -e zu -i, da auch hier ein Schallfülleabbau um eine Stufe stattfindet, z. B. ankód - ine ‘Amboß’ ankód - ina 46 , áule ‘Leberfleck’ *áula *s’áula *s’aúla (mit falscher Abtrennung 47 ) *sa úla gula. Die oben aufgestellte Regel, der zufolge -e in Proparoxytona zu -i wird, kennt zwei Ausnahmen: lèpore ‘Hase’ lepore + vorröm. lappar (DES 2: 22), árbore ‘Baum’ arbore. Daß die alten Neutra wie sámbene sanguen, arrámene aeramen, led - ámene laetamen etc. 48 (cf. supra), die in Pausastellung ebenfalls Proparoxytona sind - im Satz eingebunden lauten sie dagegen sámben, arrámen etc. 49 - im Auslaut kein -i aufweisen, liegt daran, daß es sich hierbei um konsonantisch auslautende Paroxytona handelt, deren paragogischer Sützvokal in Villagrande grundsätzlich mit dem vorangehenden Vokal identisch ist (cf. Pluralbildung sa d - ènte - ir dènteze, s’ógru - iz ògrozo; Neutra wie su górpuzu corpus, su gòro cor; Verbalformen 3. Pers. òled - e volet, òlente volent) 50 . Ebenso stellen die Infintive der lat. - und eø-Konj., die im Sard. im ´-ere-Typ zusammenfallen, keine Proparoxytona dar, da sie schon in alter Zeit zu Paroxytona werden 51 . Der Wandel von -e zu -i in der Mundart von Villagrande Strisáili stellt im Unterschied zum Campidanesischen einen bedingten Lautwandel dar, der an Proparoxytona gebunden ist und wahrscheinlich durch die diesen eigene fallende Ak- 65 Auslautendes -e und -i in der Mundart von Villagrande Strisáili (Sardinien) 46 Dies ist die in dieser Gegend geläufige sard. Form, cf. AIS 1410. Gelegentlich notiertes ankúd - ine wäre dann ital. (incudine) beeinflußt. 47 Cf. zu diesem Phänomen auch HLS §386 mit zahlreichen Beispielen. 48 Hierher gehört wohl auch prúere ‘Staub’ pulver n., cf. Georges 2: 2084, anders DES 2: 316s. 49 Ebenso sind der Flurname La oracézere und sènsene ‘Zypergras’ nur in Pausastellung Proparoxytona. 50 Der paragogische Vokal richtet sich übrigens weder hier noch anderswo prinzipiell nach dem Tonvokal, wie Blasco Ferrer 1989: 93 wohl versehentlich formuliert: «i nomi uscenti in -en . . . si conservano saldi seppure con vocale paragogica (omorganica con la vocale tonica)». 51 Wagner 1938: 138s. erklärt diese sogenannten Kurzformen durch Apokope von -re (acamp. benne benne|re). Mit Blick auf die vgr. Verbalendungen -áe -are und -íe -ire wäre jedoch zu fragen, ob nicht in diesen Fällen von einem Schwund des -rauszugehen ist, der auch für die entsprechenden camp. Formen wie -ái und -í ( -*íi -ire) angenommen werden könnte. Weshalb dieser Schwund vor allem in Infinitiven begegnet, bleibt unklar. Interessant ist jedoch in diesem Zusammenhang vgr. erizéo ‘gestern’ heri + sero, das ebenfalls durch Schwund des -rauffällt. zentverteilung hervorgerufen wird. Darüber hinaus ist ein diffuses Auftreten von auslautendem -i statt -e in paroxytonen Wörtern feststellbar, das teils als Wirken von Analogie, teils als punktuelle Meridionalisierung der einheimischen Mundart aufgefaßt werden kann. Continis Darstellung der vgr. Lautverhältnisse bedürfte somit einer Korrektur. Bonn Philipp Burdy/ Moritz Burgmann Bibliographie AIS: Jaberg, K./ Jud, J. 1928-40: Sprach- und Sachatlas Italiens und der Südschweiz, 8 vol., Zofingen Blasco Ferrer, E. 1988: Le parlate dell’Alta Ogliastra. Analisi dialettologica. Saggio di storia linguistica e culturale, Cagliari Blasco Ferrer, E. 1989: «Il latino e la romanizzazione della Sardegna. 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