eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 2/4

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
1999
24 Dronsch Strecker Vogel

Feministische Theologie - zwischen Integration und Ignoriertwerden

1999
Monika Jakobs
Monika Jakobs Feministische Theologie zwischen Integration und lgnoriertwerden Die Wogen um die feministische Theologie, wie es sie noch in den 80er Jahren gab, haben sich inzwischen geglättet. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Zum ersten hat sich eine recht klare Trennung zwischen wissenschaftlich und nicht-wissenschaftlich arbeitenden Theologinnen ergeben. Feministische Theologinnen haben in bemerkenswerter Zahl Qualifikationen wie Promotion und Habilitation erlangt und sich in der wissenschaftlichen Welt etabliert. Besonders in der biblischen Theologie, aber auch in der praktischen Theologie und in der Religionspädagogik kann man von einer Integration feministischer Thematik und Forschung sprechen. Es hat sich weder die Befürchtung bewahrheitet, ein solcher Weg durch die wissenschaftlichen Institutionen käme einer Aufgabe feministischer Haltungen gleich, noch die, daß die entsprechenden Wissenschaftlerinnen die Grundfesten wissenschaftlichen Arbeitens erschütterten. Im Gegenteil: Es ist er- Generation, insbesondere der jungen Frauen, für die Selbstverwirklichung und Chancengleichheit (im Sinne des Leistungsprinzips) eine unreflektierte Selbstverständlichkeit geworden ist und die sich von einem politisch-perspektivischen, auch kämpferischen Element des Feminismus absetzt. Der Ansatz ihrer Lebensperspektiven und Lebenshoffnungen ist streng individualistisch. Es wird sich zu erweisen haben, ob der weltanschauliche Supermarkt der Postmoderne für jede(n) die passende individuelle Mischung der Lebensbewältigung parat hat. Wissenschaftlich ist es nach wie vor lohnend, insbesondere die methodisch-hermeneutischen Ansätze feministischer Theologie wahrzunehmen. Die wissenschaftliche feministische Theologie enthält teilweise ein starkes Element der Methodenreflexion und Selbstkritik, die auch der Theologie allgemein gut ansteht. kannt worden, daß von feministischer Seite neue 1. Hat feministische Theologie eine bleibende Bedeutung? inhaltliche und methodologische Impulse ausgehen. Auf der praktischen Seite ist gerade in der kirchlichen Frauenarbeit feministische Theologie recht breit rezipiert und umgesetzt worden. Daneben hat sich eine außerkirchliche, z. T. esoterisch orientierte Szene entwickelt, die sich in entsprechender Literatur und freien Bildungsangeboten manifestiert und mit der »etablierten« feministischen Theologie wenig zu tun hat. Kann man also davon sprechen, daß jetzt feministische Theologie jedweder Couleur einen Schlupfwinkel gefunden hat, in dem sie mehr oder weniger selbstzufrieden existieren kann? Beileibe nicht. So wie es in manchen kirchlichen und akademischen Kreisen eine Selbstverständlichkeit geworden ist, feministische Theologie zu rezipieren, so gibt es andere, in denen sie schlicht ignoriert wird. Raum für polarisierende Auseinandersetzungen gibt es kaum noch. Eine weitere Veränderung ergibt sich aus dem gewandelten Bewußtsein der heranwachsenden 42 Von ihren Gegnern ist feministischen Theologie als eine vergängliche Modeerscheinung angesehen wird, die sich schnell überlebt haben würde. In der Tat gehört der Feminismus zur Zeit nicht gerade zu den Haltungen, die gesellschaftlich und wissenschaftlich im Trend liegen; vielmehr so könnte man vielleicht sagen die selbstbewußte Abgrenzung davon. Das gilt übrigens nicht für die globale Perspektive. Betrachtet man Frauengeschichte im Ganzen, so sind solche Entwicklungen immer wieder zu beobachten. Da die Problematik des Geschlechterverhältnisses insgesamt ungelöst bleibt, wird es immer wieder zu politischen Bewegungen kommen. Die feministische Theologie der letzten drei Jahrzehnte hat inhaltliche und methodische Markierungen gesetzt, die nicht unbeachtet bleiben können. Jede Wissenschaft, die mit Menschen zu tun hat, wird nicht darum herum kommen, das Geschlechterverhältnis wenigstens zu bedenken. ZNT 4 (2.Jg. 1999) Monika Jakobs Monika Jakobs, geb. 1959 in Trier. Studium der Katholischen Theologie, Germanistik und Sozialkunde in Saarbrücken und Cardiff/ Wales. Lehrerin an verschiedenen Schulformen, Erwachsenenbildung, Gemeindedienst. Promotion 1993. Seit 1993 akademische Angestellte am Institut für Katholische Theologie an der Universität in Landau. Im folgenden geht es darum, die Bedeutung von Methodologie und Hermeneutik in der feministischen Theologie als Impuls herauszustellen. Dies ist im Besonderen im Hinblick auf die biblische Theologie der Fall. Vor fast genau 100 Jahren erschien in New York das aufsehenerregende Werk einer über siebzigjährigen Frau: die »Women's Bible« von Elizabeth Cady Stanton. Es war das Ergebnis ihrer langjährigen Arbeit an der Bibel mit dem Ziel, diejenigen Inhalte zu eliminieren, die als offensichtlich frauenunterdrückend empfunden wurden. Dahinter stand die Überzeugung, daß die eliminierten Sätze und Passagen der eigentlichen Absicht der Bibel widersprächen. Das grundsätzliche Interesse feministischer Theologie hat sich seitdem wenig gewandelt: Aufdeckung Spuren von Frauenabwertung und/ oder -Unterdrückung in der christlichen Tradition, ebenso aber der Lebensmöglichkeiten von Frauen in eben dieser Tradition. Diese Parteilichkeit ist oft als mangelnde Objektivität ausgelegt worden; dem wurde widersprochen, indem auf die (z. T. unausgesprochene androzentrische) Tendenz aller Theologie hingewiesen wurde, die sich selbst als neutral oder objektiv versteht. Allerdings hat sich als problematisch erwiesen, einen allgemeinen Frauen-Standpunkt zu postulieren; kulturelle, soziale und politische Kontexte spielen ebenso eine bedeutende Rolle. Die femini- ZNT4(2.Jg.1999) stische Theologie sah sich bald dem Vorwurf des Eurozentrismus bzw. einer Theologie weißer Mittelschichtfrauen ausgesetzt, und es entstanden in Asien formulierte Theologien ebenso wie bei schwarzen Frauen in Nordamerika, die sog. »womanistische Theologie«. Sie wiesen auf die doppelte Unterdrückung durch Rassismus und Frauenfeindlichkeit hin, ebenso wie auf die Wurzeln in der jeweiligen Kultur. Einen Alleinvertretungsanspruch für alle Frauen kann feministische Theologie nicht haben. Eine Theologie, die einen befreienden Anspruch hat, wird immer selbstkritisch ungehörten Stimmen zum Ausdruck verhelfen mussen. Eine weitere Herausforderung ergab sich von jüdischer Seite. In dem Bemühen, die Frauenfreundlichkeit der christlichen Tradition zu betonen, wurde die Frauenzugewandtheit Jesu gegen die jüdische Tradition ausgespielt; seine Haltung als Kritik und Überschreitung jüdischer Kultur bewertet. Dies wird der jüdischen Herkunft Jesu ebensowenig gerecht wie der differenzierten Situation des Judentums und führt den Antijudaismus der christlichen Tradition weiter. Ebenso muß auch die Frauentradition im historischen und zeitgenössischen Judentum wahrgenommen werden, denn Frauenbefreiung ist auch innerhalb des Judentums möglich. In der feministischen Theologie ist auch hierzu eine breite Auseinandersetzung geführt worden. Feministische Theologie ist ohne Bewußtsein für die Kontextualität von Theologie nicht denkbar. Diese ist zugleich Begrenzung und Voraussetzung für Deutung und Bedeutung. Dies zeigt sich im besonderen bei der Auslegung biblischer Texte. Angesichts des angedeuteten Problemhorizonts ist klar, daß sich ein feministischer Zugang zur Bibel nicht darauf beschränken kann, »Frauentexte« aus der Bibel zu extrahieren und diese als die eigentlich bedeutsamen zu betrachten. Es ist das Verdienst von Elisabeth Schüssler Fiorenza, den ersten Entwurf einer feministischen Bibelhermeneutik, bezogen auf das Neue Testament, vorgelegt zu haben. Sie warnt vor einer autorisierenden Schriftauslegung, selbst wenn dieser eine feministische Tendenz hat. Dabei würde der Text reduziert auf ein Beweisstück für die eigene Überzeugung. Oft verbirgt sich Apologetik oder Orthodoxie hinter historischen oder anderen als wissenschaftlich geltenden Kriterien. Den Vorwurf der Frauenfeindlichkeit in I Kor 14,34 f. etwa versuchte man mit dem Argument zu entkräf- 43 ten, sie sei deuteropaulinisch, gehe also nicht auf Paulus zurück, sondern sei eine spätere Einfügung. Dieser Argumentation liegt eine Beurteilungshierarchie zugrunde, die die neutestamentliche Tradition gegenüber der Alttestamentlichen bevorzugt, die jesuanische gegenüber der paulinischen und die paulinische gegenüber der der frühen Gemeinden. Dies aber, so Schüssler Fiorenza, komme der Konstruktion eines »Kanon im Kanon« gleich, dessen Kriterien zwar textimmanent zu sein scheinen, in Wirklichkeit aber außerhalb des Textes liegen. Hier richtet sie sich an die Adresse von so bedeutenden Theologinnen wie Letty Russel und Rosemary Radford Ruether, die eine grundlegend befreiende und emanzipatorische Intention als eigentlichen Kern der Bibel ausmachen wollen. Einen solchen Kanon im Kanon hat es jedoch immer gegeben, variierend nach Zeit, Konfession, politischen Umständen, und insofern war das Ansinnen Elizabeth Cady Stantons nur folgerichtig. Wie aber kann eine biblische Hermeneutik aussehen, die die Falle der Neo-Orthodoxie vermeidet? Sie ist eine kritische, sowohl im Hinblick auf den Text selbst wie gegenüber des Rezeptionskontextes. Der erste Schritt ist nach Schüssler Fiorenza die Hermeneutik des Verdachts. Jeder Text wird zunächst einmal »verdächtigt«, androzentrisch zu sein. Dieser Verdacht gründet auf der Kenntnis der zeitgenössischen Gesellschaftsordnung. Das bedeutet auch zu überprüfen, welche Funktion positiv erscheinende Frauengestalten in ihrem ursprünglichen Kontext gehabt haben, oder aber, ob Frauen in den Texten eine Rolle spielen, in denen sie nicht eigens genannt werden. Wenn Paulus in seinen Briefen nur Brüder anspricht, bedeutet dies, daß er nur Männer anspricht, obwohl Frauen in der Gemeinde sind, oder daß die christliche Gemeinde nur aus Männern besteht, oder daß er christliche Frauen einfach »mitmeint«? Um diese Fragen zu erklären, muß die historische Situation der Texte, das Leben konkreter Männer und Frauen geklärt werden. Dieser Vorgang wird Hermeneutik des Erinnerns genannt. Er lenkt den Blick auf die konkrete historische Situation. Mit welchen Frauen oder Männern hatte z.B. Paulus zu tun? Auf welchem politisch-theologischen Hintergrund kam er zu bestimmten Ansichten, das Verhalten von Frauen betreffend? Gab es so etwas wie eine Logik der Mission? Spiegelt ein Text eine Auseinandersetzung wider? Erst dieser Schritt ermöglicht eine 44 Beurteilung des Textes, z.B. für eine Situation der Verkündigung. Insofern ist der gesamte Textkorpus Gegenstand feministischen Interesses. Feministische Theologie fordert nicht einen neuen autoritativen Umgang mit der Bibel, der nun statt der Unterordnung von Frauen ihre Gleichberechtigung im Namen der heiligen Schrift einfordert, sondern Universalansprüche >objektiver< Bibelinterpretation grundsätzlich ablehnt. Der universalistische Anspruch ist nicht nur unredlich, sondern führt auch zu einer Bedeutungslosigkeit, die niemanden wirklich anzusprechen vermag. So haben wir es mit einem Paradoxon zu tun: Gerade das partikulare Interesse ist die Voraussetzung für die Deutung und Bedeutung eines Textes. In diesem Sinne ist die Interpretation auch eines biblischen Textes unabschließbar.Das heißt nicht, daß sie damit der Beliebigkeit preisgegeben wäre. Das Erkenntnisinteresse muß artikuliert und begründet werden. Es rechtfertigt sich durch die jeweilige geistige, politische und soziale Situation, die eine solche Fragestellung hervorgebracht hat. Das Ziel kann aber nicht sein, eine politische, z.B. feministische Überzeugung aus der Bibel heraus zu rechtfertigen. Gefragt ist intellektuelle Redlichkeit im Umgang mit der eigenen Überzeugung und mit der Schrift. Damit wird vermieden, um mit Klara Butting zu sprechen, daß die »erfahrene Gnade Gottes in eine Habe verwandelt werden [kann], die der Widerfahrnis der Gnade in der Begegnung mit der in den biblischen Schriften bezeugten Gottheit gerade im Wege steht. Im Widerstand gegenüber denen, die patriarchalen Texten die Autorität göttlicher Offenbarung zusprechen, droht die Gefahr, daß wir unsererseits biblische Texte als Handhabe wünschen.« Schüssler Fiorenzas Verdienst ist es, eindringlich auf die Gefahren eines neo-fundamentalistischen Zugangs zur Bibel hingewiesen zu haben und die Formulierung des Erkenntnisinteresses als Bedingung des Zugangs zur Bibel einzufordern. Der Ort der Bedeutsamkeit ist die heutige Gemeinde mit ihren Bedingungen; um aber den Text zu verstehen, muß die damalige Gemeinde in ihren Zusammenhängen verstanden werden. Damit hat sich aber die Frage nach der Textangemessenheit einer Interpretation nicht erledigt. Die Instrumente historisch-kritischer Exegese sind nach wie vor unabdingbar. Möglichst zuverlässige Texte und Übersetzungen, Kenntnis über Entstehung und Umwelt sind die Voraussetzung ZNT 4 (2.Jg. 1999) auch für feministische Exegese. Ihr Verdienst besteht darin, auf blinde Flecken in der Forschung aufmerksam gemacht zu haben, so z.B. auf die Rolle der Kulturen, mit denen sich Israel auseinandersetzen mußte, wodurch die Annahmen über die Entstehung des Monotheismus modifiziert worden sind, oder auf solche Texte, die sowohl in der Forschung wie in der kirchlichen Tradition eine nachgeordnete Rolle gespielt haben. Hier sind in der Tat »Frauenthemen« und Frauengestalten zu nennen. Auf dem Hintergrund einer kritischen Hermeneutik kann es aber nicht um bloße Identifikationsangebote für Frauen gehen. Ein weiteres Augenmerk gilt der Wirkungsgeschichte von Texten. Gerade vielzitierte Paulusstellen wurden dazu benutzt, die Nachordnung und Disziplinierung von Frauen zu rechtfertigen, ohne; auch die jahwistische Schöpfungs- und Paradieserzählung wäre hier zu nennen. Die Wirkungsgeschichte ist bedeutender geworden als der Wortlaut des Textes und der ursprüngliche Kontext. Hier bleibt die Texttreue selbst ein kritisches Instrument. Oft stellt es sich heraus, daß sie in ihrer Aussage zurückhaltender und weniger wertend sind, als das die Rezeptionsgeschichte vermuten läßt. Daher ist es nur folgerichtig, daß das Methodenbewußtsein in der feministischen Exegese einen breiten Raum einnimmt. Im Sinne der historischen Rekonstruktion spielt auch die Sozialgeschichte eine bedeutende Rolle. Neben den wissenschaftlichen Veröffentlichungen gibt es eine Reihe von Publikationen, die in pastoraler Absicht verfaßt werden mit dem Ziel, Frauen eine biblische Identifikation im Leiden, aber auch in Stärke zu ermöglichen. Dies bezieht sich sowohl auf die Thematik »Frauen um Jesus« wie auch auf Frauen des Alten Testaments. Die Problematik dieser Texte besteht häufig darin, daß die identifizierende Absicht nicht hinreichend kritisch reflektiert und der enorme zeitliche und kulturelle Unterschied von der Gegenwart zur Ursprungssituation »übersprungen« wird. Insbesondere bei Frauen, die einen hinterhältigen Mord begehen, wie J ael und Debora, geraten Kommentatorinnen in ihrem Bemühen einer positiven Darstellung und Entschuldigung oft in Argumentationsnöte. Hier zeigt sich ganz deutlich, daß ein neuzeitliche psychologisch-individualistischer oder ein moralisierender Zugang zu alttestamentlichen Personen oft nicht angemessen ist. An zwei Beispielen von Frauengestalten im AT ZNT 4 (2.Jg. 1999) sollen solche möglichen Engführungen aufgezeigt werden, Michal und Abigail. Michal wird vorgestellt als die Tochter von Saul, dem Vorgänger Davids (I Sam 18; 19; II Sam 6). Später wird sie Davids (erste? ) Ehefrau. An diese Ehe knüpfen die beiden beteiligten Männer, Saul und David, sich widersprechende Interessen: Saul will David mit dieser Ehe ins Verderben stürzen, indem er als Preis für seine Tochter zweihundert Vorhäute der Philister fordert, mit dem Hintergedanken, daß David diese Aktion nicht überleben würde. Der zu diesem Zeitpunkt noch unbedeutende, aber militärisch erfolgreiche David erhofft sich durch die Einheirat in die Dynastie des Saul seine eigenen Chancen für die Nachfolge Sauls zu sichern. In einer zweiten Erzählung tritt Michal als Kritikerin Davids hervor, weil sie seinen Tanz beim Einzug der Bundeslade in Jerusalem als eines Herrschers unwürdig erachtet. Michal wird in der feministischen Literatur als selbstbewußt und eigenwillig interpretiert, weil sie es gewagt habe, ihrem Mann zu widersprechen. Damit habe sie die Rolle der liebenden und treu ergebenen Ehefrau durchbrochen. Ulrike Bechmann geht sogar soweit, die Ehe mit David als Ergebnis des ausdrücklichen Wunsches von Michal zu sehen. Im entsprechenden Vers heißt es: »Sauls Tochter Michal liebte David. Dies teilte man Saul mit. Es war ihm recht, denn er sagte sich: Ich will sie ihm geben, sie soll ihm zum Verhängnis werden.« Mit Blick auf im heutigen Sinne starke und selbstbewußte Frauen wird Michal hier apologetisch interpretiert. Dazu eignet sich gerade Michal nicht, denn sie ist für den biblischen Text in ihrer Rolle als Königstochter und Ehefrau des David interessant. Diese Rolle überschreitet sie nicht. Daß sie als liebende Frau David zur Flucht verhilft, ist kein echtes Ausbrechen aus dieser Vorgabe. Die ähnliche Tat der Rahab aus dem Buch Josua ist aus vielerlei Gründen anders zu werten. Bei Michal sehen wir jedoch, daß gerade der Status das Handeln ermöglicht. Ihr kommt der Zufall zugute, daß ihre Heiratswunsch politischen Interessen entspricht. Auch die Kritik an David kann sie sich aufgrund ihres Status leisten. Etwas anderes wäre es, wenn sie eine unbedeutende Nebenfrau des David gewesen wäre. Ihr hoher Stand ermöglicht es dem Erzähler, Michals Verhalten als Paradigma des politisch-religiösen Konfliktes darzustellen, in dem es um Vorbehalte gegenüber kanaanäischen Fruchtbarkeitskulten geht. Anders verhält es sich mit Abigail (I Sam 25) Sie wird als außergewöhnlich schöne, kluge und 45 pragmatische Frau geschildert, die durch ihr Eingreifen einen Angriff Davids auf den eigenen Stamm verhindern kann. Sie erkennt sofort, welche katastrophalen Folgen der Starrsinn ihres Mannes Nabal hat und handelt entschlossen. Als Nabal stirbt, ergreift sie die Chance, sich mit David zu verheiraten. Abigail ist eine Frau, die nicht als rollenkonform geschildert wird, sondern ein eigenes persönliches Profil hat. In der Erzählung werden ihre positiven Eigenschaften um so deutlicher, als sie von Anfang an mit der äußerst negativen Gegenfigur ihres Mannes N abal konfrontiert wird. Diese Erzählung zeigt einiges über die Möglichkeiten eines Frauenlebens im vorstaatlichen Israel, allerdings in Abhängigkeit vom sozialen Status der Frau. Insofern bietet Abigail in ihrem nonkonformem und mutigem Verhalten durchaus eine Möglichkeit zur Ermutigung und Identifikation. Psychologisch-existenzielle Zugänge haben gerade in der pastoralen Praxis ihren Ort; allerdings muß durchsichtig sein, inwieweit biblische Motive enthistorisiert werden. Für viele ermöglichen diese Methoden überhaupt einen Zugang und ein Interesse am biblischen Text, denn eine wissenschaftlich-kritische Analyse macht erst einmal die große Distanz zwischen Text und Hörenden bewußt. Hörerinnen und Hörer werden zunächst radikal in eine Relativität gestellt, die eine existentielle Betroffenheit auszuschließen scheint. Sie aber ist die Voraussetzung dafür, die Schrift als »heilige«, als Zeugnis des Glaubens verstehen zu können. Die »Betroffenheitsliteratur« weist auf einen Mangel theologischer Verkündigung hin, nämlich den, die gesamte Glaubenstradition als auch von Frauen getragene und für Frauen bedeutsame zu formulieren. Trotz aller Einschränkungen ist zu bedenken, daß spirituelle und beschauliche Literatur grundsätzlich eine andere Funktion als wissenschaftliche hat. Feministische Theologie hat in der Tradition der politischen und der Befreiungstheologie die unaufgebbare Verbindung zur Praxis und Erfahrung von Frauen betont. Wie schon erläutert, wird es immer schwieriger, so etwas wie eine weibliche Erfahrung zu beschreiben. Auch die Diskussion um Weiblichkeit im Zusammenhang mit dem Dekonstruktivismus, die theologisch stark rezipiert wird, stellt eine universalistische Annahme in Frage. Was könnte in diesem Zusammenhang die Verpflichtung zum Praxisbezug bedeuten? 46 Ich denke, daß alle wissenschaftliche Theologie eine immer eine politische (gesellschaftlich, theologisch, kirchlich) Komponente hat und insofern praxisrelevant ist. Dieses Verständnis des Praxisbezugs führt zurück zur Forderung Schüssler Fiorenzas nach der Artikulation und Reflexion des Erkenntnisinteresses und in der Folge der Methoden. Auch biblische Theologie ist eine Praxiswissenschaft im Hinblick auf Erfahrung und Lebensdeutung konkreter Menschen, und nicht nur eine reine Textwissenschaft. Die Frage aber, worin das rechte Verständnis der Bibel besteht, stellt sich nicht nur im Hinblick auf die Bewertung von Frauen, sondern immer dann, wenn Antworten auf konkrete aktuelle Fragen gesucht werden. Will man nicht dem Fundamentalismus anheim fallen, so muß man sich der Erkenntnis stellen, daß ein unverstellter, reiner Zugang zur Bibel nicht möglich ist, selbst bei größtem Bemühen um eine angemessene Interpretation; möglich ist ein selbst- und methodenkritischer Zugang unter sorgfältigster Berücksichtigung des Textes und des Kontextes. Ein feministisches oder anderes Interesse an der Bibel ist dann nicht zu verstehen als die Suche nach dem Stein der Weisen, sondern als Element einer vielfältigen und kollektiven Glaubensgeschichte. Anmerkungen 1 Zur Entstehungsgeschichte der Women's Bible vgl. Elisabeth Schüssler Fiorenza, Zu Ihrem Gedächtnis: Eine feministisch-theologische Rekonstruktion der christlichen Ursprünge, München 1988, 33-42. 2 Vgl. Katie G. Cannon, Die Entstehung des schwarzen feministischen Bewußtseins, in: Letty M. Russell (Hg.), Befreien wir das Wort. Feministische Bibelauslegung, München 1989, 32-45, Themenheft »Stimmen schwarzer Frauen«, Schlangenbrut 16 (1998), Nr. 63 (mit Bibliographie). 3 Vgl. Pnina Nave Levinson, Eva und ihre Schwestern. Perspektiven einer jüdisch-feministischen Theologie, Gütersloh 1992; Judith Plaskow, Standing Again at Sinai. Judaism From A Feminist Perspective, San Francisco 1991. 4 Vgl. Leonore Siegele-Wenschkewitz (Hg.), Verdrängte Vergangenheit, die uns bedrängt. Feministische Theologie in der Verantwortung für die Geschichte, München 1988. 5 Elisabeth Schüssler Fiorenza, Zu Ihrem Gedächtnis; Leicht zugänglich in: Maria Kassel (Hg.), Feministische Theologie. Perspektiven zur Orientierung, Stuttgart 1988, 13-44. ZNT 4 (2.Jg. 1999) 6 Vgl. Luise Schottroff/ Marie-Theres Wacker (Hgg.), Kompendium feministische Bibelauslegung, Gütersloh 2 1999. 7 Klara Butting, Die Buchstaben werden sich noch wundern. Innerbiblische Kritik als Wegweisung feministischer Hermeutik, Berlin 1994, 169. 8 Vgl. Marie-Theres Wacker/ Erich Zenger (Hgg.), Der eine Gott und die Göttin: Gottesvorstellungen des biblischen Israel im Horizont feministischer Theologie (Quaetiones disputatae 135), Freiburg/ Br. u. a. 1991. 9 Z.B. Phyllis Trible, Mein Gott, warum hast du mich vergessen! Frauenschicksale im Alten Testament, Gütersloh 1987; Irmtraud Fischer, Gottesstreiterinnen. Biblische Erzählungen über die Anfänge Israels, Stuttgart/ Berlin/ Köln 1995. 10 Das zeigt Phyllis Trible an Gen 2-3: Gegen das patriarchalische Prinzip in Bibelinterpretationen, in: Elisabeth Moltmann-Wendel, Frauenbefreiung: Biblische und theologische Argumente, 3. veränd. Aufl. München 1982, 93-117. 11 Vgl. Luise Schottroff / Silvia Schroer / Marie-Theres Wacker (Hgg.), Feministische Exegese, Darmstadt 1995. 12 Z.B. Luise Schottroff, Lydias ungeduldige Schwestern, Feministische Sozialgeschichte des frühen Christentums, Gütersloh 1994. 13 Ulrike Bechmann, in: Karin Walter (Hg.), Zwischen Ohnmacht und Befreiung, Freiburg 1988, 71-80; vgl. Uwe Buschmann, in: Eva-Renate Schmidt u.a. (Hgg.), Feministisch gelesen 2, Stuttgart 1989, 109f. 14 Vgl. Andrea Günter (Hg.), Feministische Theologie und postmodernes Denken. Zur theologischen Relevanz der Geschlechterdifferenz, Stuttgart 1996; Dorothee Jungblut, »Gaia am Spülstein«. Weiblichkeitstheorien als Voraussetzung feministischer Theologie, St. Ingbert 1998. ZNT 4 (2.Jg. 1999) Monika Jakobs Fim1inistische Theologie Neues Testament Biblische Hermeneutik Jahrbuch für Biblische Theologie (JBTh), Band 12 (1997) Beiträge v. N. Lohfink, H. Spieckermann, G. Stemberger, S. Pedersen, U. Wilckens, E. Herms, U. H. J. Körtner, W. Pannenberg, R. Koerrenz, 0. Fuchs, J. Barthel, B. Ego, H. Hoping, S. Reader 280 Seiten, Paperback, DM 68,-/ öS 496,-/ sFr62,- ISBN 3-7887-1642-8 Biblische Hermeneuli~ Wer von „Biblischer Hermeneutik" spricht, geht von der Überzeugung aus, daß die eine Wahrheit der zweigeteilten christlichen Bibel einer Auslegung bedarf, welche die Verbindlichkeit ihrer Botschaft wahrnimmt und verständlich weitersagt. Der neueste Band des Jahrbuchs stellt sich dieser Aufgabe in Form von Grundsatzbeiträgen aus der Biblischen Exegese, der Judaistik sowie der Systematischen und Praktischen Theologie. / nton Vögtle l i Ein)l; d•itct, be,irb•iu-t und hor•u•...i: 01<.•b•n von Rudolf llopp.,. Mil c,nem J'; cnrag von Eduard Loh~e NEUKIRCHEN ER Anton Vogtle Biblischer Osterglaube Hintergründe - Deutungen - Herausforderungen Eingeleitet, bearbeitet und herausgegeben von Rudolf Hoppe Mit einem Beitrag von Eduard Lohse 144 Seiten, Paperback, DM 28,-/ öS 204,-/ sFr 26,- ISBN 3-7887-1739-4 Nach der vehementen Diskussion um die Entstehung des Osterglaubens in den 60er und 70er Jahren ist der theologische Disput um die Auferstehung Jesu neu entbrannt. Wie sich die nachöstcrliche Verkündigung der Botschaft des irdischen Jesu zuordnen läßt, die Frage des leeren Grabes und das Problem der historischen Begründung des Osterglaubens sind nach wie vor schwierige Punkte einer redlichen Diskussion um die Wahrheit des Auferweckungszeugnisses. Das komplette Buch-Programm fordern Sie bitte an bei: Neukirchener Verlag 47506 Neukirchen-Vluyn Andreas-Bräm-Str. 18/ 20 Telefon 02845/ 392222 Telefax 02845/ 33689 47