eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 11/21

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2008
1121 Dronsch Strecker Vogel

Eckart Reinmuth Anthropologie im Neuen Testament UTB 2768, Tübingen 2006, S. 338; ISBN: 978-3-8252-2768-5; Preis: 24,90 €

2008
Uta Poplutz
Eckart Reinmuth Anthropologie im Neuen Testament UTB 2768, Tübingen 2006, S. 338; ISBN: 978-3-8252-2768-5; Preis: 24,90 € Mit der anzuzeigenden Publikation wendet sich Reinmuth einem Themenkomplex zu, der durch die Infragestellung überkommener Menschenbilder einer immer drängender werdenden Verunsicherung ausgeliefert ist. Besonders die den öffentlichen ethischen Diskurs dominierenden Debatten um die Bestimmung von Anfang und Ende menschlichen Lebens oder das Verhältnis von Determination und Willensfreiheit offenbaren, wie sehr das jeweils zugrunde gelegte Menschenbild die Kommunikation und damit die Wahrnehmung dieser auch gesellschaftspolitisch relevanten Problemfelder bestimmt. Die darin greifbare Infragestellung des Menschen ist jedoch keine moderne Irritation, sondern ein anthropologisches Phänomen, das zutiefst in die Definition des Menschseins gehört: »Anthropologische Reflexion setzt ein, wo Menschen nach sich selbst fragen, wo das Gegebene aufhört, selbstverständlich zu sein, wo Menschsein reflexiv wird« (S. 8). Die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit anthropologischen Fragen beschäftigen, führen zu recht unterschiedlichen Bestimmungen des Menschseins. Allen ist jedoch gemeinsam, dass sie - wenn sie seriös arbeiten - niemals zu einer finalen Definition vorstoßen, die ein für alle mal festzulegen vermag, was und wer der Mensch denn nun sei. Diese Einsicht in die Unabgeschlossenheit und Vielschichtigkeit anthropologischer Zuordnungen teilt auch die theologische Anthropologie, der es ebenfalls nicht darum gehen kann, sich in endgültigen Antworten zu erschöpfen, sondern die versuchen muss, biblisch begründete Sinnlinien aufzuzeigen, die ein christliches Menschenbild grundlegen. Die Offenheit für den interdisziplinären ethischen Diskurs ist auf einer solchen Basis angezeigt und liegt im Interesse der vorliegenden Monographie. So ist es die klar formulierte Absicht des Verfassers, »einen Horizont anthropologischer Lektüren des Neuen Testaments aufzuspannen, der diese Dialogsituation zu verbreitern hilft« (S. 39). Neutestamentliche Anthropologie präzisiert die allgemeine Frage nach dem Menschen und spitzt sie theologisch zu: »Ist der Mensch seine eigene Erfindung, kann er sich selbst produzieren, ist er in diesem Sinne frei - oder beruht sein Menschsein darauf, dass er selbst Geschöpf und damit Adressat einer Liebe ist, die er selbst nicht aufbringt? « (S. 7). Reinmuth organisiert seine Abhandlung nicht nach thematischen Kriterien, sondern legt bewusst exemplarische Textstudien vor, die sich an der chronologischen Abfolge der neutestamentlichen Schriften orientieren. Dieser methodische Ansatz, keine enzyklopädisch abrufbaren Themenbereiche zu behandeln, sondern exemplarisch vorzugehen, hängt mit dem Textverständnis des Verfassers zusammen, das sich dezidiert gegen eine schematische Systematisierung oder Vereinnahmung zur Wehr setzt: »Werden sie [sc. die neutestamentlichen Texte] für allgemeine, zeitlos gültige Aussagen verwendet, liegt die Gefahr einer ideologischen Nutzung nahe. Ihre Wahrheit ist konkret. Sie erschließt sich nur, wenn Menschen sich mit ihnen auseinandersetzen. Abstrakte Destillate allgemein gültiger Richtigkeiten helfen kaum, den Texten und ihren Fragen nach dem Menschen auf den Grund zu gehen« (S. 39). Nach einer umfangreichen Einleitung (S. 1-44), die sich gezielt mit kulturwissenschaftlichen Positionen auseinandersetzt und die gesellschaftliche Aktualität und Brisanz der Rede vom Menschen in den Mittelpunkt der Reflexion stellt, folgt ein Durchgang durch die einzelnen neutestamentlichen Schriften, die der Verfasser in vier großen Kapiteln vorlegt: »Anthropologie in den synoptischen Evangelien« (S. 45-135), »Anthropologie im Johannesevangelium« (S. 137-184), »Paulus« (S. 185-243), »Übrige Schriften« (S. 245-313). Am ausführlichsten stellt Reinmuth die anthropologischen Perspektiven der vier Evangelien dar, was sich einer hermeneutischen Grunderkenntnis verdankt: Menschsein definiert sich vorrangig in Geschichten und vermittelt sich narrativ (S. 42). Fragt man nun, inwiefern Menschsein im Neuen Testament überhaupt thematisch wird, zeigt sich, dass es vor allen Dingen im Zuge der vielfältigen Interpretationen der Geschichte Jesu in den Blick kommt (S. 40). Mit anderen Worten: Die fundamentale theologische Bewegung, die das Neue Testament als Ganzes prägt, ist, dass die Geschichte Jesu und die Geschichte Gottes in der Jesus-Christus- Geschichte miteinander verbunden sind: »Gerade das Grundstürzende dieser Geschichte führte dazu, dass sie immer wieder erzählt und interpretiert wurde« (S. 41). Der vorliegende Entwurf einer neutestamentlichen Anthropologie setzt inhaltlich und methodisch an diesem Buchreport ZNT 21 (11. Jg. 2008) 67 004608 ZNT 21 19.03.2008 21: 15 Uhr Seite 67 Punkt an: Er ist in allen Aspekten der Jesus-Geschichte verpflichtet, die bereits bei den neutestamentlichen Autoren als Interpretationsaufgabe verstanden wurde und jedwede abstrahierende Anthropologie untergräbt. »Der Geltungsanspruch neutestamentlicher Anthropologie steht und fällt deshalb mit der Perspektive der Jesus-Christus- Geschichte« (S. 41). Was Menschsein heißt, haben die neutestamentlichen Autoren im Licht der Jesus- Geschichte neu zu begreifen versucht. Aus diesem Grund sind die Evangelien von besonderer Relevanz und nehmen den größten Raum der vorgelegten Analysen ein. Aber auch der Durchgang durch die wichtigsten paulinischen Textpassagen folgt diesem Konzept, indem gefragt wird, wie sich das theologische Denken des Paulus auf die Jesus-Geschichte bezieht. »Dazu kommt es darauf an, die narrativen Strukturen seines Argumentierens zu erkennen. Sie spielen für seine Interpretation der Jesus-Christus- Geschichte die entscheidende Rolle« (S. 185). Ohne auf die repräsentativ ausgewählten und in Einzelstudien behandelten Texte einzugehen, lässt sich als wichtigste Erkenntnis der vorliegenden Untersuchung resümieren, dass sich die neutestamentlichen Texte gegen eine allgemeine Definition des Menschseins sträuben und stattdessen vielfältige, zum Teil recht widersprüchliche Perspektiven aufzeigen, die der Widersprüchlichkeit des Menschen selbst entsprechen. Die Texte »entwerfen kein Wunschbild des Menschen, sondern thematisieren seine Wirklichkeit, indem sie die Geschichte Jesu Christi interpretieren« (S. 315). Es ist das Verdienst der vorliegenden Abhandlung, diese Widersprüchlichkeit methodisch und inhaltlich ernst zu nehmen. Und so legt Reinmuth in einer angenehmen und klaren Sprache ein Buch vor, das sich gezielt in die gesellschaftliche Diskussion um die Frage nach dem Menschen einmischt und versucht, neutestamentliche Perspektiven für diesen Dialog fruchtbar zu machen. Wer ein kompaktes Nachschlagewerk zu zentralen anthropologischen Themen des Neuen Testaments sucht, ist mit diesem Werk schlecht beraten. Es erschließt sich nicht dem schnellen Blick. Wer sich jedoch die Mühe macht, dieses Buch wie jedes gute Buch von Anfang bis Schluss durchzulesen, dem werden Einsichten erlaubt, die erfrischend aktuell präsentiert werden und eine Perspektive entwickeln, die die theologische und interdisziplinäre Diskussion bereichert. Uta Poplutz 68 ZNT 21 (11. Jg. 2008) Buchreport Universitätsverlag w i n t e r Heidelberg Häufig gilt es als unmöglich, eine Literaturgeschichte der neutestamentlichen Schriften im Rahmen der urchristlichen Literatur zu schreiben. Man begnügt sich mit „Einleitungen“ zu einzelnen Schriften. Der hier vorgelegte Grundriss einer Literaturgeschichte zeigt, dass man bei der Entstehung der literarischen Formensprache des Neuen Testaments eine Entwicklung in Phasen erkennen kann: Zwei charismatische Gestalten, Jesus und Paulus, geben den Anstoß zur Entstehung der beiden Grundformen Evangelium und Brief; diese werden in einer pseudepigraphen Phase nachgeahmt, in einer dritten Phase durch funktionale Gattungen ergänzt und zu einer Zeit im Kanon gesammelt, als eine apokryphe Jesusliteratur eine neue Blütezeit erlebte. In der Formensprache des Urchristentums werden dabei viele Grenzen überschritten: zwischen Judentum und der nichtjüdischen Welt, Ober- und Unterschicht, mündlicher und schriftlicher Überlieferung. theißen, gerd Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem 2007. 371 Seiten. (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, 40/ 07) Geb. 48,- isbn 978-3-8253-5323-0 D-69051 Heidelberg · Postfach 10 61 40 Tel. 0 62 21/ 77 02 60 · Fax 0 62 21/ 77 02 69 Internet: www.winter-verlag-hd.de E-mail: info@winter-verlag-hd.de 004608 ZNT 21 19.03.2008 21: 15 Uhr Seite 68