eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 14/28

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2011
1428 Dronsch Strecker Vogel

Das Böse ist böse genug

2011
Manuel Vogel
Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 47 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 47 1. Erste Vorüberlegung: »Ist da wer? « In die Dunkelheit hinein gefragt, geht das nicht ohne Herzklopfen. Beruhigend ist, wenn niemand antwortet, wenn das Knarren bloß von den alten Dielen, das Heulen allein vom Wind kam, wenn der nächtens unheimliche Raum, bei Tageslicht und Vogelgezwitscher durchstreift, sich freundlich und hell zeigt, als Alltagsding in seiner Selbigkeit und Brauchbarkeit. Die alten Griechen nannten diese Vertrautheit mit der Umwelt pistis; das Wort, das wir im christlichen Kontext mit »Glaube« zu übersetzen pflegen. In einem Haus sind wir zuhause, wenn wir uns auch bei Dunkelheit ohne Angst darin bewegen. Ein wenig Nervenkitzel darf freilich dann und wann sein-- das beliebte Spiel auf Nachtwanderungen etwa: Man geht zu acht los, zählt nach einer Stunde Nachtmarsch zur Kontrolle durch, und wenn alle acht sich zu Wort gemeldet haben, sagt einer mit verstellter Stimme: »neun«. Dann kreischen die Mädchen und die Jungs haben ihre Chance, Beschützer zu spielen und den sich stark gebenden Arm um eine weibliche Schulter zu legen. In Zeiten, da Jugendgruppen keine Nachtwanderungen mehr veranstalten, besorgt jenen Kitzel die Filmindustrie. Das Okkulte hält geduldig her, um den Kinos und Videotheken ihre Kundschaft zu sichern, zuletzt etwa in »Das Ritual« mit Anthony Hopkins in einer der Hauptrollen: Ein aufgeklärt denkender Priester wird von seinem Bischof dazu verdonnert, im Vatikan eine Exorzisten-Ausbildung zu machen. Sein gut fundiertes rationalistisches Weltbild bröckelt in dem Maß, wie der Kinozuschauer sich gruseln soll. Eine Szene: Der Priester insistiert, das Mädchen sei nicht besessen, sondern krank, und kaum, dass er das gesagt hat, geht ihm die Patientin mit böse verzerrtem Gesicht und übermenschlicher Kraft an die Gurgel. Auch dieser Kinostoff nutzt sich freilich ab: Eine im Internetforum notierte Äußerung aus dem Publikum lautet, der Film sei langweilig. Intelligenter ist die Produktion »Fall 39« mit Renée Zellweger in der Rolle einer Sozialarbeiterin, die sich eines schüchternen kleinen Mädchens annimmt, das von seinen Eltern augenscheinlich arg vernachlässigt wird. Das Böse, das in diesem Mädchen steckt, agiert zunächst unerkannt: Sie fragt Menschen ihrer Umgebung nach ihren geheimen Ängsten aus, lässt sie dann durch Telepathie diese Ängste erleben und daran im Schock sterben. Die Sozialarbeiterin merkt, mit wem sie es zu tun hat, als das Mädchen mit Satansfratze, tiefer Stimme und behaarter Faust die Zimmertür zertrümmert, hinter der sie sich verbarrikadiert hat. Der showdown geht dann so: Die Sozialarbeiterin ist mit dem Mädchen in rasender Fahrt im Auto unterwegs, plötzlich eine Rückblende zu einem Autounfall, den sie in ihrer Kindheit erlebt hat und den sie jetzt erst dadurch verarbeitet, dass sie selbst am Steuer sitzt und mit durchgedrücktem Gaspedal ihrer Angst trotzt. Der teuflische Bann ist damit gebrochen: »Hast du Angst? «, fragt die Heldin das Mädchen auf dem Beifahrersitz herausfordernd, und setzt hinzu: »Ich nicht! «. Dann eine scharfe Rechtskurve, das Auto schießt über die Kaimauer ins Hafenbecken, noch ein fight zwischen Mensch und Dämon unter Wasser, der Dämon ersäuft, die Heldin befreit sich in letzter Sekunde aus dem sinkenden Auto, taucht auf, hat ihre Angst bezwungen und damit (damit! ) auch den Teufel. 2. Zweite Vorüberlegung: Wer oder was? Die bekannte grammatische Testfrage zur Kasusbestimmung steht in dieser Kontroverse mit ausschließenddisjunktivem »oder« als Frage nach dem Wesen des Bösen zur Entscheidung. Um falschen erkenntnistheoretischen Sicherheiten vorzubeugen, muss zunächst aber historisch-anthropologisch etwas weiter ausgeholt werden, denn personale wie apersonale Konzepte des transhumanen Bösen hängen mit Vorannahmen über personale Ich-Identität zusammen, die wenigstens kurz zu problematisieren sind. Mit G. Theißen kann für die Antike eine Entwicklung angenommen werden, die im Zuge einer »psychologischen Wende« von einer externen Lokalisierung des Seelischen zur Binnenlokalisierung der Außenseele sowie zur Zentrierung der Binnenseele führte. 1 Die archaische Vorstellung einer externen Seele außerhalb des Körpers als (temporär oder permanent) »dissoziatives Selbst«, wie Kontroverse Manuel Vogel Das Böse ist böse genug Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 48 - 3. Korrektur 48 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Kontroverse sie griechisch im daimōn und römisch im genius noch greifbar ist, geht in Ägypten und Griechenland im Laufe der Entwicklung über in die Anschauung von im Inneren des Menschen lokalisierten Seelenteilen, freilich zunächst dezentral als Organseelen, die dissoziativ im Körper wirksam sind. Erst die Ausrichtung der Organseelen auf ein Zentrum und dann die Zentrierung der Seele wahlweise im Gehirn oder im Herz schafft die Voraussetzung für die Ich-Einheit, wie sie dem modernen Personbegriff zugrunde liegt. »Der Schritt zur Einheit des Ich wird […] dort vollzogen, wo die vereinheitlichte Außenseele nach innen verlagert wird und die plurale Seele im Innern ein Zentrum erhält, so dass sich Grenzen nach außen und innen hin bilden« 2 . Erst dort, wo diese Grenzen bestehen, sind sie gefährdet und müssen verteidigt werden. Die Vorstellung einer Fremdbestimmung durch Dämonen bezieht ihr Bedrohliches daher nicht erst aus der angenommenen dämonischen Bosheit, sondern bereits aus dem ganz äußerlichen Umstand, dass »Besessenheit« dem Ideal autonomer Selbststeuerung zuwider läuft. Ist die Interaktion zwischen Seele und Außenwelt anders strukturiert, kann die Vorstellung von Geistern jeder Couleur (guter wie böser) ganz selbstverständlich Teil einer entsprechenden Weltauffassung sein. Der nachfolgend zu entfaltende Widerspruch gegen die geforderte Wiederzulassung des Geisterglaubens, gar mit akademischem Gütesiegel und exegetischer Methode, weiß sich also durchaus kulturell gebunden. Er fällt deshalb allerdings nicht weniger bestimmt aus und bewegt sich auch nicht auf dem von meinem-- ebenfalls geschätzten! -- Kontroverspartner gelegten Gleis der Sprachkompetenz. Denn weder ist dem Problem durch das Mitspielen von Sprachspielen beizukommen noch steht in der Moderne poetische und liturgische Sprache notwendig dort zur Disposition, wo es um den Teufel geht. Selbst Schleiermacher, dem jeder Teufelsglaube ein Graus war, hat den Teufel auf dem Felde der Poesie und des kirchlichen Liedgutes nachgerade unter Artenschutz gestellt. Die beiden mit dem Thema befassten Paragraphen der Glaubenslehre (§§ 44-45) lassen bereits im ersten Satz an Klarheit nichts zu wünschen übrig: »Die Vorstellung vom Teufel, wie sie sich unter uns ausgebildet hat, ist so haltungslos, dass man eine Überzeugung von ihrer Wahrheit niemandem zumuten kann.« 3 Die Schlusssätze des § 45 lauten dann aber wie folgt: »Am freiesten ist daher und auch am unbedenklichsten der dichterische Gebrauch; denn in der Poesie ist die Personifikation ganz an ihrer Stelle, und daher kann aus einem kräftigen Gebrauch dieser Vorstellung in frommen Gesinnungen an und für sich nicht leicht ein Nachteil zu besorgen sein. Es wäre daher nicht nur unzweckmäßig, sondern möchte in mancher Hinsicht nicht leicht zu verantworten sein, wenn jemand auch aus unserm christlichen Liederschatz die Vorstellung des Teufels verdrängen wollte.« 4 Luthers Abendsegen ist also nicht gefährdet, auch nicht die gesungene Absage an des Satans »schnöde Werke«, letzteres schon deshalb nicht, weil es ja nur mittelbar um den Satan geht, unmittelbar dagegen um seine »Werke«. Nur mit diesen bekommt man es, so der Liederdichter, im Laufe eines Christenlebens zu tun. Übrigens gebe ich gern zu, dass mir der zitierte Liedvers v. a. wegen des wunderbar geschraubten »hingegen« und des Adjektivs »schnöd« lieb und wert ist. 3. Dritte Vorüberlegung: Wer ist wie gemeint? Wie steht es mit dem Argument, der persönliche Charakter von Leiderfahrungen fordere ein personales Gegenstück auf Seiten der Kräfte, die Leid verursachen? Impliziert die persönliche Unglücksadresse einen personalen Absender? Biblisch geht das jedenfalls auch ohne dämonologischen Umweg in direkter Hinwendung zu Prof. Dr. Manuel Vogel, geb. 1964 in Frankfurt/ Main, Studium der Evangelischen Theologie in Erlangen, Heidelberg und Frankfurt, 1994-1996 Vikariat in Bayern, 1995 Promotion in Heidelberg, 1996-2003 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institutum Judaicum Delitzschianum in Münster, 2003 Habilitation in Münster, 2003-2006 Pfarramt in Hessen-Nassau, 2006-2008 Pfarrer im Hochschuldienst an der Goethe-Universität Frankfurt, seit 2009 Professor für Neues Testament an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Veröffentlichungen u. a. zu Paulus, Josephus und zum Hellenistischen Judentum. Manuel Vogel Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 49 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 49 Manuel Vogel Das Böse ist böse genug Gott: Die Psalmen sind voll von Verzweiflungsrufen und Vertrauensäußerungen von Menschen im Leid, die sich an Gott wenden und der Mithilfe von Dämonen nicht bedürfen, um mit dem eigenen Leid (mal besser, mal schlechter) klarzukommen. Das Wort Jesu von den Spatzen und von den Haaren auf dem Haupt (Mt 10,29 f.) weist in dieselbe Richtung, und wenn unmittelbar vorher (Mt 10,28) von der notwendigen »Furcht vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle« die Rede ist, dann ist Gott gemeint, nicht der Teufel, 5 und die verordnete »Furcht« vor Gott ist durch den Kontext ausgewiesen als das einzig wirksame Mittel gegen Menschenfurcht. Sodann ist die abgeklärte Deutung eigenen Leides als Widerfahrnis im allgemeinen Weltenlauf keine Erfindung der Moderne. Schon die Stoa, zumal die späte, hat so gedacht: Das kleine Leben hat in Freud und Leid seinen Platz und seinen Sinn im großen Ganzen. Des ungeachtet macht der Teufel bis heute von sich reden, auch unter Akademikern. Auf dem XIV. Europäischen Kongress für Theologie, der im September dieses Jahres zum Thema »Gott-- Götter-- Götzen« in Zürich stattfand, befasste man sich in der Sektion Praktische Theologie in ökumenischer Perspektive mit dem Thema »Zwischen Aberglaube und Besessenheit. Der Teufel, die Dämonen und das Böse in uns nach der Aufklärung«. Zwei Vorträge waren vorgesehen: »›Dem Teufel entsagen.‹ Die katholische Lehre vom Exorzismus in liturgischer und psychologischer Perspektive« und: »›Jesus ist Sieger! ‹ Dämonenaustreibung und Krankenheilung in evangelischer Sicht«. Eine Neuerscheinung zum Thema ist im Verlag F. Pustet angezeigt: Monika Scala, Der Exorzismus der Katholischen Kirche. Ein liturgisches Ritual zwischen Film, Mythos und Realität (Studien zur Pastoraltheologie 29), Regensburg 2011. Wir prügeln in dieser Kontroverse also keinen toten Hund. 4. Das Neue Testament und die Dämonen: Ein Stich ins Wespennest? Wenn nachfolgend das neutestamentliche Zeugnis aufgerufen wird, steht die hier vertretene Position allem Anschein nach von vornherein auf verlorenem Posten, denn im Neuen Testament wimmelt es von Dämonen, und exorziert wird allenthalben. Kann man darüber hinwegsehen, es sei denn, man lässt sich in unverantwortlicher Weise vom eigenen Erkenntnisinteresse (ver-) leiten? Hierzu sei zweierlei vorausgeschickt: Erstens ist die Rede vom »neutestamentlichen Zeugnis« insofern zu präzisieren, als die folgenden Überlegungen nicht auf einer (wie der Singular »Zeugnis« nahe legen könnte) synthetischen Lektüre des NT fußen. Das NT ist als Dokument des Anfangs und als zweiter Teil des christlichen Bibelkanons gerade deshalb von Interesse, weil es eine anfängliche Vielfalt dokumentiert, die gar nicht differenziert genug wahrgenommen werden kann. Die historische Analyse erschließt die neutestamentlichen Texte als Niederschlag einer Vielzahl von Glaubensweisen, die zu Anfang für sich standen und als solche genügten, und sei es nur für ein paar Jahre oder Jahrzehnte. Oder aber sie bekämpften sich in intensiver Fühlung und entschiedener Abgrenzung gegenseitig, was für die Biodiversität des frühen Jesusglaubens auf dasselbe hinaus läuft. Die Ironie der Kanongeschichte besteht nun darin, dass der Kanon diese in vieler Hinsicht unausgeglichene und nicht harmonisierbare Vielfalt in allen ihren Teilen als gültig setzt. Wenn es »das« Zeugnis des NT gibt, dann lautet es: Man konnte in der Zeit des Anfangs, an der die Kirche bis heute Maß nimmt, auf sehr unterschiedliche Weise Christ sein. Wenn der kritisch geschulte Blick der Exegese diese Unterschiede herauspräpariert, dann nicht in destruktiver Absicht, sondern in einer Art ökumenischen Bewusstseins, das sich selbst und möglichst vielen (nicht: beliebig vielen) anderen Brüdern und Schwestern ein Bleiberecht in einem Haus mit vielen Wohnungen zubilligen möchte. Zweitens: Das erkenntnisleitende Interesse, welches darin besteht, die neutrische Rede vom Bösen neutestamentlich zu plausibilisieren, liegt schon allein durch den Part, den dieser Beitrag in der aktuellen Kontroverse spielt, klar zutage. Ist es aber dergestalt expliziert, ist es kontrollierbar und damit zulässig. Untersucht werden soll, ob sich eine Weltauffassung, die ohne Teufel und Dämonen auskommt, im Neuen Testament, das weithin beides selbstverständlich voraussetzt, häuslich einrichten kann. Kann man die Texte nehmen, wie sie sind, und sie auch lassen, wie sie sind, sie also nicht kulturrelativistisch oder rationalistisch erledigen, darin aber gleichwohl Anknüpfungspunkte für eine Position finden, die das personifizierte Böse dem Inventar biblischer Sprachbilder zuschlägt und damit zu jeglichem Geisterglauben auf Distanz geht? Folgende Überlegungen sollen dazu angestellt werden: (1) Für den Bereich der synoptischen Evangelien wird die These durchgespielt, dass die Darstellung der Exorzismen Jesu so konzipiert ist, dass eine stärker von Gebet und Heilungen bestimmte Praxis der frühen Gemeinden in deren legitimer Nachfolge steht. (2) Im Johannesevangelium soll gezeigt werden, dass die »konsequente Christologie« des johanneischen Denkens es nicht zulässt, dass sich die Gläubigen über- Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 50 - 3. Korrektur 50 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Kontroverse haupt ›separat‹ mit dem Teufel beschäftigen. (3) Es folgen drei Beobachtungen zum Matthäusevangelium, nämlich zur Vaterunserbitte um Erlösung von dem Bösen, zum Satanswort wider Petrus und zum Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen. (4) Im Blick auf die paulinischen Gemeinden ist festzustellen, dass deren charismatische Grundausstattung, wie sie namentlich in Korinth sichtbar wird, nirgends so etwas wie Dämonenabwehr oder -bekämpfung vorsieht. Entgegen dem ersten Augenschein gilt das auch für die »geistliche Waffenrüstung« im Epheserbrief. (5) Abschließend kommt nochmals Paulus zu Wort: Bemerkenswert ist, dass dort, wo er die großen Linien im Drama von Schöpfung und Erlösung auszieht, vom Teufel nicht die Rede ist. Das skizzierte Erkenntnisinteresse ist bei diesen Textbeobachtungen durchweg leitend. Ob und in welchem Maße es den Texten gerecht wird oder ihnen Gewalt antut, ist durch sein bloßes Vorhandensein noch nicht entschieden. Die Lesenden mögen selber urteilen. 5. Die synoptischen Evangelien: Exorzismen und Heilungen Die drei Synoptiker sehen nicht nur in Jesus einen Exorzisten, er gibt seine exorzistische Vollmacht auch ausdrücklich an seine Jünger weiter: »Er gab ihnen Macht über die unreinen Geister«, so Mk 6,7 im Zusammenhang der Aussendung der Zwölf (Mk 6,7-13). Damit greift der Evangelist auf Mk 3,14 zurück: Jesus hat die Zwölf berufen, »damit sie um ihn wären und damit er sie aussenden könnte zum Verkündigen und mit der Macht Dämonen auszutreiben«. Summarisch notiert dann 6,12 f. über deren Wirken: »Da zogen sie aus und verkündigten, man solle Buße tun, und trieben viele Dämonen aus, salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie«. Mt und Lk übernehmen die Aussendungsrede Jesu, verarbeiten aber allem Anschein nach außerdem eine parallele Tradition der Logienquelle. Bei beiden gehört der Exorzismus ebenso zum Repertoire wie bei Markus (Mt 10,8; Lk 9,1). Lukas ergänzt zur Berufung der Zwölf diejenige der Zweiundziebzig. Exorzismen spielen zunächst keine Rolle, sie werden in der Szene der Rückkehr der Ausgesandten (Lk 10,17-20) aber zum beherrschenden Thema: Der überwältigende Erfolg ihrer Mission bemisst sich, sagen die Zweiundsiebzig, daran, dass »uns sogar die Dämonen untertan sind in deinem Namen«, und dies, obwohl bei Lk gar nicht sie, sondern die Zwölf exorzistische Vollmacht erhalten haben. Der in 10,18-20 anschließende Kommentar Jesu klingt zunächst nicht minder euphorisch, bringt dann jedoch eine leise Korrektur an: Nicht über den exorzistischen Erfolg sollen sie sich freuen, sondern darüber, dass ihre Namen im Himmel angeschrieben sind (V. 20). Möglicherweise ist hier ein Vergleich mit Joh 21,29 nicht ganz abwegig: Thomas darf seine Finger in Jesu Wundmale legen, doch »selig sind, die nicht sehen und doch glauben«. Analog wäre dann mit Lk 10,20 einem etwaigen (und in einem zweiten Schritt für die Adressaten des LkEv anzunehmenden) Ausbleiben exorzistischer Evidenzerfahrungen vorgebeugt: Entscheidend ist allein der eigene Heilsstand, mit den Dämonen mag es sich verhalten, wie es will. Deutlicher lässt Mk 9,29 die Grenzen der frühchristlichen Praxis erkennen: Die Jünger, die erfolglos mit der Austreibung eines Dämons befasst waren, werden von Jesus belehrt, »diese Art« könne »durch nichts ausgetrieben werden außer durch Gebet«. Spätere Handschriften ergänzen zum Gebet das Fasten. Das heißt: Wo das gegen das Böse gerichtete verbale Performativ des Exorzismus nichts mehr ausrichten kann, nimmt die an Gott selbst gerichtete Sprache des Gebets (ggf. durch Fasten als Teil einer strukturierten praxis pietatis ausgewiesen) seinen Platz ein. Die Vertreibung des Bösen wird zum Nebeneffekt der Gottesbeziehung bzw. des gottesdienstlichen Gebets der Gemeinde. Die Exorzismen Jesu sind dann primär als Bestandteil der Jesus-Erzählung zu verstehen, in deren Verlauf die Erzählfigur Jesus als Akteur im Drama der anbrechenden Basileia aufgebaut wird. Auch die von Jesus ausgesandten Jünger repräsentieren nicht einfach die frühchristlichen Verhältnisse. Zwar scheint gerade in der Aussendungsrede frühchristliche Missionspraxis durch, doch kann die Szene nicht in allen ihren Teilen so gelesen werden, als solle sie »zeigen, was für ein Verhalten der Herr seinen Boten, damals und für die ganze Zukunft, vorgeschrieben hat« 6 . Vielmehr dürfte, was für den Wanderradikalismus der Zwölf gilt, auch für ihre exorzistische Vollmacht zutreffen: Sie sind darin in erster Linie Gestalten der Anfangszeit, Akteure der Reich-Gottes-Botschaft, von Jesus in seinen Erdentagen berufen, »damit sie um ihn wären« (Mk 3,14). Was aber ist mit denen, für die die Zeit des Erdenwirkens Jesu schon Jahrzehnte zurück liegt? Über Lk 10,20 und Mk 9,29 hinaus verdienen zwei weitere Stellen nähere Beachtung: (a) Die bereits zitierte summarische Notiz Mk 6,12 f. erwähnt die Dämonenaustreibungen in einem Atemzug mit Krankensalbungen. Damit stehen Exorzismus und Salbung als zwei mögliche »Therapieformen« neben einander. Während der Exorzismus eine eindeutige Diagnose voraussetzt (dämonische Verursachung von Krankheit), lässt sich der Ölgebrauch im antiken Kontext nicht eindeutig einem dämonischen oder »medizi- Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 51 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 51 Manuel Vogel Das Böse ist böse genug nischen« Hintergrund zuordnen. Blicken wir von hier aus zu Jak 5,14 (außer Mk 6,13 der einzige Beleg für die Ölsalbung Kranker im NT), ist vom exorzistischen Aspekt explizit nicht mehr die Rede. Das Beten »über« dem Kranken (d. h. unter Handauflegung) und die Ölsalbung »im Namen des Herrn« lässt für den religionsgeschichtlich geschulten Blick exorzistische Motive erkennen, ob diese den Adressaten des Jak (noch) geläufig waren, ist aber bereits zweifelhaft. Wir bewegen uns an dieser Stelle in einem Bezugsfeld mit exorzistischen, medizinischen und sakramentalen Elementen, in welchem jedenfalls der exorzistische Aspekt nicht dominiert. (b) Nicht unwichtig ist vielleicht auch Lk 9,1f.: Die »Kraft und Vollmacht über die Dämonen« gehört zur Grundausstattung der Zwölf, nicht aber explizit zu ihrem Auftrag, der in Reich-Gottes- Verkündigung und Krankenheilung besteht. Dies kann eine absichtsvolle Nuance sein: Exorzistisch Begabte betätigen sich als Heiler. Entsprechend heißt es in Apg 10,38 von Jesus, dass er »alle heilte (griech. iaomai), die vom Teufel beherrscht waren«. Terminologisch tut Jesus das, was auch ein Arzt tut (nämlich heilen), die Kausalattribution von Krankheit an den Teufel unbenommen. Über die Heilmethoden ist dann gesondert zu befinden, wobei der Übergang zwischen Medizin, Magie und Aberglauben in der Antike fließend war. Einen kräftigen Eindruck hiervon erhält man zu Beginn des 28. Buches der Naturgeschichte des Plinius, das den »Arzneimitteln von Tieren« gewidmet ist, zunächst aber ausführlich und material- und belegreich die heilende Wirkung von »Worten und Zauberformeln« abhandelt. Wichtig ist allein der mögliche oder nach Plinius’ Urteil jedenfalls nicht mit Sicherheit auszuschließende therapeutische Effekt. Gut ist, was hilft, Theorien zur Genese von Krankheit sind in diesem Zusammenhang uninteressant. Verwischt Lukas also mit Bedacht die Grenzen zwischen Besessenheit, deren Überwindung Signatur der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu und seiner Jünger ist, und einem weiteren Feld unterschiedlichster Krankheitsphänomene, Krankheitsursachen und Heilungsmethoden? Aus den voranstehenden Beobachtungen lässt sich gewiss keine gemein-urchristliche Tendenz ableiten, die beim Exorzismus beginnt und beim Arztbesuch endet. Doch bleibt als Fazit festzuhalten, dass die Darstellung der Überwindung von Besessenheit im Wirken Jesu Spuren zu einer frühchristlichen therapeutischen Praxis legt, die keinen explizit exorzistischen Charakter mehr erkennen lässt. 6. Der Teufel im Johannesevangelium Blickt man von den Synoptikern zu Johannes hinüber, ändert sich die Szenerie grundlegend: Der johanneische Jesus exorziert überhaupt nicht. Dass ein Mensch einen Dämon haben könnte, sagt der Volksmund (8,48 f.52; 10,20, stets mit Bezug auf Jesus), nicht der Evangelist. Dass der Teufel in Judas fährt (13,27), ist ein singulärer Fall, denn Judas ist ein Akteur im Geschehen der Erhöhung und Verherrlichung Christi, in dessen Verlauf der Teufel seinen ultimativen Platzverweis erhält. Was an und durch Judas geschieht, ist strikt von dorther zu verstehen. Auch sonst wird die Figur des Teufels (im JohEv auch »Satan« und »Fürst dieser Welt«) ganz auf die Christologie hin zentriert bzw. von dorther neu verstanden. Sein »Kommen« in 14,31 meint, dass er nun (durch Judas) seinen Part in der Passionsgeschichte zu spielen hat, und zugleich ergeht in der Passion/ Erhöhung Jesu über ihn das Gericht (12,31; 16,11). Sofern er den Kosmos beherrscht, steht er für einen universalen Verblendungszusammenhang (Stichwort »Lüge«: 8,44), der durch Jesu Offenbarung durchbrochen wird. Die Bitte Jesu an den Vater, die Seinen »zu bewahren vor dem Bösen«, ist eine Bedingung ihres Seins in der Welt (17,15). Die Welt ist ihrerseits vom »Fürst dieser Welt« beherrscht, ihm aber nicht verfallen und auch nicht wesenhaft böse, denn sonst könnte sie nicht bleibend Adressatin der Offenbarung Jesu sein (Joh 3,16). Johanneisch gedacht, bekommen es die Glaubenden im Einzelnen oder als Einzelne überhaupt nicht mit dem Bösen zu tun, denn über den Teufel ist durch Jesu Passion letztgültig entschieden (Auf Hebr 2,14 f. sei »Terminologisch tut Jesus das, was auch ein Arzt tut (nämlich heilen), die Kausalattribution von Krankheit an den Teufel unbenommen. Über die Heilmethoden ist dann gesondert zu befinden, wobei der Übergang zwischen Medizin, Magie und Aberglauben in der Antike fließend war. […] Gut ist, was hilft, Theorien zur Genese von Krankheit sind in diesem Zusammenhang uninteressant.« »Johanneisch gedacht, bekommen es die Glaubenden im Einzelnen oder als Einzelne überhaupt nicht mit dem Bösen zu tun, denn über den Teufel ist durch Jesu Passion letztgültig entschieden.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 52 - 3. Korrektur 52 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Kontroverse wenigstens verwiesen: Durch Jesu Tod ist der Teufel und mit ihm die Todesfurcht überwunden. Für die Glaubenden ist er damit eine Figur der Vergangenheit). Im JohEv wird den Glaubenden dementsprechend die Bitte um die Bewahrung vor dem Bösen abgenommen: Der Sohn hat sie dem Vater bereits hinterbracht. Liest man das JohEv als eigenständige Stimme, die den Christusglauben auf sein Wesentliches zuzuspitzen beansprucht, kann man so formulieren: Die Bestimmung der Glaubenden ist allein das »Bleiben in Christus«, ihre Teilhabe an der Beziehung des Sohnes zum Vater. Ein irgendwie geartetes Befasstsein mit dem Teufel, das aus ihm mehr machte als eine Nebenrolle im Drama der Offenbarung des Vaters durch den Sohn, könnte diese Bestimmung nur kompromittieren. Im Blick auf den von Christus überwundenen Gegenspieler gibt es, mit der Hirtenrede Joh 10 gesprochen, nur ein »Nichtkennen« seiner Stimme, eine »Nicht-Kommunikation«. 7. Vaterunser, Satanswort, Unkraut im Weizen Aus der Perspektive des JohEv bedeutet die letzte Vaterunser-Bitte um »Erlösung von dem Bösen« einen gewissen Rückschritt: Worum Jesus in Joh 17,15 einmalig den Vater bittet, ist den Christen in Mt 6,13 als ständiges Gebet aufgetragen. Kann johanneisch die Bitte Jesu als erhört gelten, ist die Erlösung vom Bösen im Vaterunser so wenig selbstverständlich wie das tägliche Brot. Das oder der Böse ist bei Matthäus nicht in der Weise durch das Christusgeschehen erledigt wie im JohEv. Aber auch hier gilt entscheidend: Auch im Vaterunser gibt es keine direkte Konfrontation mit dem Bösen, sondern wiederum allein die Beziehung zu Gott als Vater, in die das Gebet des Herrn die Christen einweist. Personaler Natur ist kraft der Anrede Gottes im Vaterunser allein die Gottesbeziehung. Der Teufel wird (wenn er denn gemeint ist) in der Objektstellung der Bitte unkenntlich, wird der Möglichkeit der grammatischen und sachlichen Neutralisierung preisgegeben. Wir bleiben noch bei Matthäus, nämlich bei Jesu Satanswort an Petrus (Mt 16,23), als dieser ihm gut zureden und ihn von seinem Weg ins Leiden abbringen will. Die Schelte Jesu wiegt schwer, weil vom »Satan« im Matthäusevangelium (mit Mk übereinstimmend) zuletzt die Rede war, als die Leute Jesus mit dem Teufel im Bunde wähnen (12,26), und davor in der Versuchungsszene (4,1-11). Ist Petrus also plötzlich ein Agent des Leibhaftigen? Das Scheltwort an Petrus lässt eine bemerkenswerte Asymmetrie zwischen Gott und dem Satan erkennen: Petrus ist ein »Satan«, weil er das Göttliche nicht in Richtung auf das Teuflische oder Böse, sondern auf das Menschliche verfehlt: »Du meinst, was menschlich ist«. Nimmt man das beim Wort, hat das Böse neben bzw. außerhalb der Beziehung von Gott und Mensch keinen eigenen Wirklichkeitsbereich. Konkret geht es darum, ob Jesus seine göttliche Sendung erfüllt oder verfehlt. Der »Satan« Petrus wird dadurch bezwungen, dass er erneut in die Nachfolge gerufen wird. In diesem Sinne ist wohl der Befehl »weiche hinter mich (gr. hopisō mou)« zu verstehen, der im folgenden Abschnitt über die Nachfolge (wörtlich »hinter mir [d. h. Jesus] hergehen«, gr. hopisō mou elthein) terminologisch aufgenommen wird. Eine dritte Beobachtung zum MtEv: Die Parabel vom Unkraut unter dem Weizen Mt 13,24-30 erzählt von einem »Feind«, der giftiges Unkraut auf ein Weizenfeld sät. Während dieser Feind in der Parabel selbst unbestimmt bleibt, wird das gesamte Bildfeld in der anschließenden Deutung (13,36-43) allegorisiert. Vom Feind erfährt man nun: Er ist der Teufel, seine Saat sind die »Söhne des Bösen« (13,38 f.). Damit aber erhält die Anweisung des Hausvaters, das Unkraut nicht auszureißen, das größtmögliche Gewicht, geht es doch um nichts Geringeres, als den Teufel inmitten von Gottes Acker gewähren zu lassen (wie auch immer dieser Acker zu vermessen und wo er zu lokalisieren ist). Die eigentliche Gefahr geht nicht vom Bösen aus, sondern vom Versuch, es oder ihn dingfest zu machen und zu beseitigen. Auch hier gilt wieder: Eine direkte Interaktion mit dem Bösen ist nicht Sache der Gläubigen, die im Guten wie im Bösen allein auf Gott verwiesen sind. 8. Paulus, Deuteropaulinen Unter den Paulusbriefen ist für unser Thema besonders der 1. Korintherbrief von Interesse: Weder hatte Paulus Probleme mit Fleisch aus paganer kultischer Schlachtung (gr. eidōlothyta) noch hat er Kultbildern (gr. eidōla) eine magische Qualität zuerkannt (1Kor 10,19). Für »Paulus steht also auf der Grenze zwischen einem dämonologischen und einem (so würden wir es nennen) aufgeklärt monotheistischen Weltbild. [...] Anzumerken ist, dass von »Dämonen« bei Paulus nur an der genannten Stelle [sc. 1Kor 10,20f.] die Rede ist. Ansonsten leben Paulus und seine Gemeinden augenscheinlich nicht in ständiger Dämonenfurcht.« Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 53 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 53 Manuel Vogel Das Böse ist böse genug gefährlich hielt er allerdings die Teilnahme an paganen Kulthandlungen (gr. eidōlolatria, 10,14). Kultbild und Opferfleisch sind ungefährlich, weil es die Gottheit, der sie gewidmet sind, gar nicht gibt (8,5 f.). Mit der Teilnahme an paganen Kulten verhält es sich anders, und zwar deshalb, weil Paulus neben dem einen Gott (der ist) und den Göttern (die nicht sind) mit einer dritten Größe rechnet, nämlich mit den Dämonen (gr. daimonia, 10,20 f.). Wer an solchen Kulthandlungen teilnimmt, geht eine »Gemeinschaft« (gr. koinōnia) mit ihnen ein. Paulus steht also auf der Grenze zwischen einem dämonologischen und einem (so würden wir es nennen) konsequent monotheistischen Weltbild. Das macht seine Position für unser Thema interessant. Anzumerken ist, dass von »Dämonen« bei Paulus nur an der genannten Stelle die Rede ist. Ansonsten leben Paulus und seine Gemeinden augenscheinlich nicht in ständiger Dämonenfurcht. Das wird vor allem daran deutlich, dass es unter den reichhaltigen Geistesgaben (gr. pneumatika, charismata), mit denen sich Paulus in 1Kor 12-14 befasst, keine Techniken der Teufels- oder Dämonenabwehr gibt. Zwar sind in der charismatischen Gemeinde nach 1Kor 12,10 »Geister« (gr. pneumata) Gegenstand von »Beurteilung« (gr. diakrisis), es werden aber nicht böse Geister oder Dämonen ausgetrieben. Paulus hat sich die Gemeinde allem Anschein nach als einen geschützten Binnenraum vorgestellt, als ein pneumatisches Immunsystem, das sich nach 1Kor 7,14 sogar auf nichtchristliche Ehepartner und die gemeinsamen Kinder erstreckt. So sonderlich beunruhigt scheint Paulus angesichts der Teilnahme einiger Gemeindeglieder an paganen Kulthandlungen übrigens gar nicht zu sein (Will man einen ernstlich alarmierten Paulus hören, muss man Gal 1,6- 9 lesen). In 1Kor 10,14-22 wird etwas zurechtgerückt, eine schlechte Praxis unterbunden, mehr nicht. Gravierender ist da schon der Ausschluss des Unzüchtigen per Übereignung an den Satan in 1Kor 5,4 f. Dass sich dieser Vorgang jenseits jeglicher Routine bewegt, mithin einen Sonderfall darstellt, wird schon daran deutlich, dass Paulus für dieses Ausschluss-Ritual extra anreisen zu müssen meint. Aber wird denn die Gemeinde durch die Liaison eines Christen mit der »Frau des Vaters« (5,1), d. h. mit der Stiefmutter-- vielleicht ist der leibliche Vater schon gestorben und die Stiefmutter kaum älter als der erwachsene Sohn! -- mehr geschädigt als durch die Teilnahme anderer Christen an paganen Kulthandlungen? Meine Vermutung ist, gestützt auf 5,6a (»euer Rühmen ist nicht fein«), folgende: Paulus will ein Exempel statuieren gegen ein allzu forsches pneumatisches Selbstbewusstsein einiger Gemeindeglieder. Das würde bedeuten, dass die performative Dramatik des Vorgangs in keinem Verhältnis zu seinem Gefahrenpotential steht. Paulus will nicht den Teufel in die Schranken weisen, sondern die Indifferenz von Pneumatikern gegenüber ihrer eigenen Konstitution als leibliche Beziehungswesen erschüttern. Der inszenierte Ausschluss des Unzüchtigen soll ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es Grenzen des Erlaubten gibt. Die geschürte Höllenangst wäre dann pädagogischer Natur, wobei man mit Paulus über die Verhältnismäßigkeit der Mittel streiten könnte. Im Bereich der Deuteropaulinen fällt der Blick sogleich auf die berühmte »geistliche Waffenrüstung« in Eph 6. Mit dieser »Rüstung« (griech. panoplia) gilt es, der »Arglist des Teufels« zu widerstehen und (in kurioser Spannung zum Bild der Rüstung) einen »Ringkampf« zu kämpfen (gerungen wurde nämlich nackt) mit allerlei bösen Geistern, Mächten und Gewalten, die sich in den unteren Himmelsregionen tummeln (Eph 6,11 f.). Deutlicher als an dieser Stelle kann die für das NT weithin maßgebliche dämonologische Weltauffassung kaum zur Geltung kommen. Allerdings: Der in 6,14- 17 anschließende Katalog mit den Einzelteilen dieser Kampfmontur unterscheidet sich so gar nicht vom dem, was man auch sonst zur Grundausstattung eines Christenlebens zählen würde: Wahrheit, Gerechtigkeit, Bereitschaft zur Ausbreitung des Friedensevangeliums 7 , Glaube, Heil(sgewissheit) und heiliger Geist, der im Wort Gottes wirkt. In der Summe soll man, in aller Einfalt gesagt, ein guter Christ sein, dann hat nichts und niemand Böses etwas zu wollen. Gerade dieser Glaube, der von Dämonen förmlich umzingelt ist, wird nicht antidämonisch supplementiert, vielmehr wird ihm insgesamt eine suffiziente Wirksamkeit gegen das Böse zugeschrieben. Lebt man diesen Glauben, darf man sich, so möchte ich behaupten, die Freiheit nehmen, vom Bösen in der Art Schleiermachers zu denken und zu sprechen. Sollte das ein Denk- und Sprachfehler sein, wird einem gleichwohl nichts Böse widerfahren. An dieser Stelle sei auf 4Q286 Frg. 7 verwiesen, ein Text, der die liturgische Verfluchung böser Geister als jüdische Praxis belegt und die bei Paulus und im Epheserbrief beobachtete Leerstelle zusätzlich bedeutsam erscheinen lässt 8 : (1) (des Rat(es) der Einung sagen sie alle zusammen: »Amen, Amen! « [(leer)] Und danach verdammen sie Belial (2) und das ganze Los seiner Schuld und heben an und sprechen: »Verflucht ist B[e]lial im [De]nken seiner Anfeindung (3) und verdammt ist er in der Herrschaft seiner Schuld, und verflucht sind alle Gei[ster] seines [Lo]ses Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 54 - 3. Korrektur 54 ZNT 28 (14. Jg. 2011) Kontroverse im Denken ihres Frevels, (4) und verdammt sind sie in den Gedanken ihrer [U]nreinheit, denn [sie sind ein] Finsternis-[Lo]s und ihre Heimsuchung erfolgt (5) zu ewigem Verderben. Amen, Amen! [(leer)] Und verflucht der Frev[ler…….] seiner Herrschaftsbereiche und verdammt sind (6) alle Beli[als]-- Söhne in allen Verschuldungen ihres Standortes bis aufs Vertilgen [auf immer. Amen, Amen (? )«][(leer)] (7) Und [sie fahren fort und sprechen: »Verflucht bist du, Enge]1 des Verderbens und Gei[st des Abg]runds, in al[1] dem Denken des Sinnes (8) [, deiner] Sch[uld und in ……..].. und Rat [deines] Frevels, und verdammt bist du in der Wa[cht deiner/ s …] (9) […..]. mit allen […….]. und m[it……….]. (10) [und mit Schan]den von Vernichtung oh[ne Vergebungen] …im Zorn des Grimmes [Gottes für al]le [Zeiten von Ewigkeit]en. Amen, Amen! « Eine solche Praxis sieht 1Kor und Eph nirgends vor. Es gibt paulinisch trotz aller charismatischen Vollmacht kein verbales Angehen von bösen Geistern in der Art dieses Qumrantextes. Will man in dieser Richtung innerhalb des NT fündig werden, ist man an die Gegner des Judasbriefes verwiesen, die augenscheinlich ähnliches taten wie der »Rat der Einung« in 4Q286. Der Verfasser des Judasbriefes hält dieses Treiben für hochgradig gefährlich und verweist auf das Beispiel des Erzengels Michael: Sogar der ließ in der Wahl seiner Worte wider den Satan größere Vorsicht walten und stellte die Bestrafung des Teufels Gott anheim. 9 9. Nochmals Paulus: Röm 5 und Röm 8 Mit der Adam-Christus-Typologie in Röm 5,12-21 und der Betrachtung zu Schöpfung und Erlösung in Röm 8,19-23 liegen zwei Passagen vor, die ich »Miniaturen des Ganzen« nennen möchte. Sie sind deshalb interessant, weil in beiden Texten ein Bogen vom Anfang zum Ende der Geschichte geschlagen wird, ohne dass der oder das Böse dabei zur Sprache und zu Ehren käme. In Röm 5,12-21 bilden Adam und Christus die inclusio um das Weltganze mit Adam als Verursacher von Sünde und Tod und Christus als Bringer von Gnade und Gerechtigkeit. Zwar »herrschen« Sünde und Tod als universale Mächte, sie werden damit aber ebenso wenig zu regelrechten personalen Größen wie deren Gegenspielerinnen Gnade und Gerechtigkeit. In Röm 8,19-23 ist wichtig, dass erstens Gott derjenige ist, der die Schöpfung der Nichtigkeit (gr. mataiotēs) unterwirft, und dass dieses Gotteshandeln zweitens noch nicht einmal etwas mit dem Sündenfall zu tun hat. Vielmehr wird die Vergänglichkeit der Schöpfung allem Anschein nach allein aus dem Grund zugemutet, um ihr eine Teleologie der Erlösung, eine inhärente Qualität von Hoffnung einzustiften. Die Pointe der Geschichte zeigt sich von ihrem Ende, nicht von ihrem Anfang her. An diesem Ende gibt es keine Vernichtung des Teufels, sondern einzig den Triumph der Gnade. Getrennt von einander finden sich paulinische Reflexionen zum Anfang und zum Ende der Geschichte in Röm 7 und 1Kor 15. Das Agieren der »Sünde« nach Röm 7,7-24 weist Anklänge an die Sündenfall-Erzählung auf, bewegt sich darin aber konsequent auf der Ebene anthropologischer Begriffe: Die Schlange aus Gen 3 wird in geradezu mustergültiger Weise entmythologisiert. Zu 1Kor 15,24ff ist anzumerken, dass der Parusie-Christus zwar allerhand Mächte und Gewalten bezwingt (ein Geschehen, das sich mit einer gewissen Unschärfe zwischen »Vernichtung« und »Unterwerfung« abspielt), dass an deren Spitze und Ende aber nicht der Satan steht, sondern der Tod: Wiederum wird der Mythos in Anthropologie übersetzt, denn der Tod ist-- mythologische Anklänge unbenommen 10 - - nicht der Dämonen Oberster, sondern eine Daseinsbedingung des Menschen. 10. Fazit Was würde ich also der Dame auf dem Anrufbeantworter erwidern? Ich würde ihr wohl in etwa so antworten: Schauen Sie, ich stehe jetzt im siebenundvierzigsten Jahr meines Lebens, und mir ist noch nie ein Geist erschienen außer in der Geisterbahn, und der war aus Pappmaché mit Glühbirnen in den Augenhöhlen. Ich weiß wohl, dass die Weltsicht, die sich vielfach im Neuen Testament niederschlägt, eine andere war: Die Leute glaubten damals tatsächlich, dass der Luftraum von lauter Geistern und Dämonen bevölkert ist, und dass man sich vor ihnen hüten müsse. Ich mag mir aber, so würde ich weiter antworten, diesen Glauben nicht zu eigen machen, einfach auf dem Hintergrund meines gewachsenen (und zugleich mühsam erworbenen) eigenen Bildes von der Welt. Von dieser Warte stelle ich fest, dass die Menschen, deren Glaube im Neuen Testament greifbar ist, Zeitschrift für Neues Testament typoscript [AK] - 04.10.2011 - Seite 55 - 3. Korrektur ZNT 28 (14. Jg. 2011) 55 Manuel Vogel Das Böse ist böse genug sich vergleichsweise wenig mit Teufel und Dämonen beschäftigt haben. Die Vaterunser-Bitte um Bewahrung vor dem Bösen bringt etwas zum Ausdruck, das man mit ein wenig Wagemut neutestamentlich verallgemeinern darf: Dass der schlichte Glaube, die Gottesbeziehung, die Du-Anrede Gottes im Gebet hinreicht, um sich das Böse vom Halse zu halten. Deshalb komme ich, wovon ich einige Textproben gegeben habe (die sich noch vermehren ließen), mit dem Neuen Testament ganz gut zurecht, und, so hoffe ich, das Neue Testament auch mit mir. Ich möchte es also dabei belassen: Eine Depression ist eine Depression, eine Krebszelle ist eine Krebszelle, ein Genozid ist ein Genozid, ein Spekulant ist ein Spekulant, eine Kernschmelze ist eine Kernschmelze, wie auch eine knarrende Bodendiele eine knarrende Bodendiele ist, nichts anderes, nicht weniger, nicht mehr. Das Böse ist böse genug. Es braucht dafür nicht noch den Teufel. Anmerkungen 1 Das Folgende nach G. Theißen, Erleben und Verhalten der ersten Christen. Eine Psychologie des Urchristentums, Gütersloh 2007, 52-57. 2 A. a. O., 56. 3 F. D. E. Schleiermacher, Der christliche Glaube, Bd. 1, Berlin 7 1960, 211. 4 A. a. O., 223 f. 5 So votiert U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (EKK I,2), Neukirchen-Vluyn/ Zürich 1990, 127. 6 E. Haenchen, Der Weg Jesu, Berlin 1966, 221. 7 Vgl. dazu R. Schnackenburg, Der Brief an die Epheser (EKK X), Zürich/ Neukirchen-Vluyn 1982, 284 f.: »Dem Eph-Autor kommt es in dieser Mahnrede zum Feststehen im Kampf gegen das Böse nicht so sehr auf die Ausbreitung des Evangeliums wie auf die Friedensbereitschaft an. Gerade sie ist paradoxer Weise eine Ausrüstung des Gottesstreiters. Angeregt durch Jes 52,7, meint ›Evangelium des Friedens‹ […] den Inhalt des Evangeliums, das Frieden und Heil ansagt, Friede, der in Christus verwirklicht ist (vgl. 2,17). Christus, unser Friede (2,14), wird zur Anforderung an den Gottesstreiter, den geschenkten Frieden zu bewahren. Verglichen mit den Kampfesschilderungen in Qumran, die auf Sieg und Rache an den Gottesfeinden gerichtet sind, zeigt sich hier die Besonderheit der christlichen Gemeinde, die sich in Christus schon als Sieger weiß und in der Welt mit ihren Kämpfen nur eine Friedensaufgabe im umfassenden Sinn zu erfüllen hat: den Frieden Gottes verkündigen und ausbreiten. Dazu gehört auch das Bemühen, den Frieden unter den Menschen zu fördern, aller in den menschlichen Konflikten und Kriegen aufbrechenden Gewalt des Bösen abzusagen und zu widerstehen.« 8 Zitiert aus: J. Maier, Die Qumran-Essener. Die Texte vom Toten Meer, Bd. 2, München 1995, 247 f. 9 Vgl. dazu K. Berger, Theologiegeschichte des Urchristentums, Tübingen 1995, 311-313. 10 Im Dictionary of Deities and Demons of the Bible wird der Tod unter seinem hebräischen Namen eines eigenen Artikels gewürdigt: J.F. Healey, Art. Mot, DDD, Leiden/ New York/ Köln 1995, 1122-1132. Aber schon für das AT gilt: »In O[ld] T[estament] Poetry Death is often personified (e. g. Hos 13: 14), so that there is frequently the possibility that there may be mythological overtones in texts which could, however, be read in a totally demythologised way. Plausible cases of Hebrew passages referring to Death with mythological overtones may number about a dozen« (1122 f.).