eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 18/36

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2015
1836 Dronsch Strecker Vogel

Einleitung zur Kontroverse: »Gerechtigkeit« bei Matthäus: Ethisch oder christologisch?

2015
Hanna Roose
Zeitschrift für Neues Testament_36 typoscript [AK] - 09.11.2015 - Seite 45 - 4. Korrektur ZNT 36 (18. Jg. 2015) 45 Einleitung zur Kontroverse: »Gerechtigkeit« bei Matthäus: Ethisch oder christologisch? Die Kontroverse um die Frage, wie »Gerechtigkeit« bei Matthäus zu verstehen sei, hat es theologisch in sich. Sie hat nicht nur Auswirkungen auf die Deutung der matthäischen Ethik und Christologie, sondern auch auf die Deutung seiner Soteriologie, also auf die Frage, wie Matthäus sich den Weg zum Heil oder Unheil vorstellt, und auf die Bestimmung des Verhältnisses von Christologie und Torafrömmigkeit im matthäischen Denken. Holzschnittartig lassen sich die von Manuel Vogel und Roland Deines vorgestellten Positionen folgendermaßen darstellen: Manuel Vogel deutet »Gerechtigkeit« bei Matthäus ethisch. Jesus erscheint als Tora-Lehrer und als ethisches Vorbild. Nachfolge Jesu heißt dann, ethisch so zu handeln wie Jesus. Diese These impliziert, dass die Nachfolgenden, also die in der matthäischen Gemeinde Getauften, auf die Tora verpflichtet waren, jedenfalls die jüdischen unter ihnen. Den Missionsbefehl deutet Vogel konsequent als »Lehrauftrag«. Die matthäische Rede von der Gerechtigkeit ist nach Vogel von den theologischen Themen der Christologie, der Soteriologie und der Heilsgeschichte strikt zu trennen. Die Vielfalt der neutestamentlichen Stimmen werde damit um eine weitere Stimme bereichert, die aktuell attraktiv sein könne. Denn sie unterfüttere biblisch die Option, sich als Christusanhänger zu verstehen, indem man tut, was Jesus zu tun aufgetragen hat-- ohne auf den (Opfer-)Tod am Kreuz rekurrieren zu müssen. Roland Deines lehnt die separate Deutung des Gerechtigkeitsthemas bei Matthäus ab. Er verortet die Frage nach der Gerechtigkeit im Zentrum der matthäischen Theologie und deutet sie als »Jesus-Gerechtigkeit«. Deines schließt damit für Matthäus aus, dass sich Jesusnachfolge ausschließlich am Tora-Lehrer Jesus orientiert. Die in der matthäischen Gemeinde Getauften waren also nicht (zwangsläufig) auf die Tora verpflichtet. Jesus hat Gesetz und Propheten »erfüllt« und damit die heilsgeschichtliche Wende zum Reich Gottes vollzogen. Rettung erfolgt nicht durch das Halten der Tora, sondern dadurch, dass die Getauften Jesus als Gottes Messias bekennen. Die Kontroverse bildet einen Ausschnitt aus einem umfangreichen Diskurs, der seit einer Reihe von Jahren geführt wird. Er zeigt sich auch in der hier dargestellten Kontroverse selbst: So reagiert Roland Deines auf den Beitrag von Manuel Vogel und Manuel Vogel reagiert seinerseits in einem kurzen Vorspann zu seinem Beitrag auf die Thesen von Roland Deines. Es bleibt den Leserinnen und Lesern überlassen, diesen Diskurs auf der Grundlage der vorgetragenen Argumente weiter fortzuführen und sich selbst eine Meinung zu bilden: zum matthäischen Gerechtigkeitsverständnis und vielleicht auch zur aktuellen Frage der Gerechtigkeit. Hanna Roose Kontroverse