eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 24/47

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2021
2447 Dronsch Strecker Vogel

Mk 16 im Codex Bobbiensis: Neue Materialien zur conclusio brevior des Markusevangeliums

2021
Claire Clivaz
Mk 16 im Codex Bobbiensis: Neue Materialien zur conclusio brevior des Markusevangeliums Claire Clivaz Dieser Beitrag untersucht den kürzeren Markusschluss im Codex Bobbiensis, auch bekannt als VL 1, G.VII.15 oder Codex k, der ältesten erhaltenen lateinische Handschrift des Markusevangeliums (nachfolgend: HS, pl. HSS) des MkEv. 1. Einführung: Das Rätsel des kürzeren Mk-Schlusses 1.1 Der Handschriftenbefund und die Debatte um das Ende des MkEv Der Beitrag ist Teil des Projekts MARK16, das sich mit dem bekannten textkritischen Problem der stark divergierenden HSS-Überlieferung am Ende des MkEv befasst, 1 und zwar auf der Grundlage des nunmehr weitestgehend digital zugänglichen HSS-Bestandes. 2 Bisherige Publikationen des Projekts haben gezeigt, dass sich zwar die Annahme des ursprünglichen Mk-Schlusses in Mk 16,8 seit Jahrzehnten behauptet, 3 dass es aber hierzu auch in früheren Epochen der Forschungsgeschichte bereits lebhafte Diskussionen gegeben hat. 4 Ein neuerlicher Blick auf den HSS-Befund zeigt, dass die Frage neu aufgerollt werden muss: keine HS von Mk 16 wird vor dem 4. Jh. datiert, womit sich ein großer zeitlicher 1 Das Projekt ist auf fünf Jahre angelegt und wird vom Schweizerischen Nationalfonds (SNSF) gefördert. Zur virtuellen Forschungsumgebung des Projekts vgl. https: / / mark16. sib.swiss. Alle Weblinks in diesem Beitrag wurden zuletzt am 29.04.21 aufgerufen. Mein Dank gilt Prof.-Dr.-Manuel Vogel für seine ausgezeichnete deutsche Übersetzung dieses Artikels, und auch Prof. Dr. Teunis van Lopik und Prof. Dr. Jean-Daniel Dubois für ihre nützlichen Bemerkungen. 2 Eine große Zahl ntl. HSS ist heute online zugänglich im New Testament Virtual Manuscript Room (NTVMR, INTF, Münster, https: / / ntvmr.uni-muenster.de/ ), auf der Webseite des Center for the Study of New Testament Manuscripts (CSNTM, http: / / www.csntm.org/ ), sowie auf den Webseiten einzelner Bibliotheken oder Projekte. Zum digitalen Teil von MARK16 vgl. C. Clivaz, The Impact of Digital Research. Thinking about the MARK16 Project, Open Theology 5/ 2019, 1-12, open access unter https: / / doi.org/ 10.1515/ opth-2019-0001. 3 Vgl. C. Clivaz, Returning to Mark 16,8: What’s new? , EThL- 95/ 2019, 645-659, hier 644-649, open access unter https: / / poj.peeters-leuven.be/ content.php? url=article&id=3286928&journal_code=ETL; und C. Focant, La canonicité de la finale longue (Mc 16,9-20): vers la reconnaissance d’un double texte canonique? , in: Ders., Marc, un évangile étonnant. Recueil d’essais (BETL 194), Leuven 2006, 371-381, 371. 4 Vgl. C. N. Croy, The Mutilation of Mark’s Gospel, Abingdon, 2003, 18. 60 Claire Clivaz Spielraum für textgeschichtliche Hypothesen zum MkEv auftut. Die frühesten Zeugen für den Mk-Schluss in 16,8 sind der Codex Sinaiticus (01) und der Codex Vaticanus (03), gefolgt von der wesentlich jüngeren Minuskel 304, dem koptische Papyrus sa 1 (P. Palau Rib. Inv.-Nr. 182), 5 oder dem koptischen Amulett sa 393var (Äth 2006.8). 6 Einige HSS lassen den zufälligen Verlust von Folioseiten nach 16,8 erkennen, so etwa die Minuskeln 1420 7 und 2386 8 oder die äthiopische HS Chester Beatty W 912. 9 Belegt sind außerdem mindestens drei Fälle von Blattersetzung am Ende des MkEv, nämlich im Codex Bezae (05), 10 in den lateinischen Codices a (VL 3, Codex Vercellensis, 4. Jh.) 11 und n (VL 16, 5.-Jh.) 12 . 5 Vgl. H. Quecke, Das Markusevangelium saïdisch. Text der Handschrift PPalau Rib. Inv.-Nr. 182 mit den Varianten der Handschrift M 569 (Papyrologica Castroctaviana), Rom 1972. 6 Vgl. G.- Emmenegger, Der Abgarbrief und seine Verwendung in koptischen Amuletten, in: K. Dietz u. a. (Hg.), Das Christus-Bild. Zu Herkunft und Entwicklung in Ost und West, Würzburg 2016, 121-136. Transkription und französische Übersetzung open access unter https: / / mr-mark16.sib.swiss/ show? id=c2EzOTN2YXI=. 7 Ich bin in der Minuskel 1420 auf zwei Indizien gestoßen, die deutlich auf einen Blattverlust nach Mk 16,8 hinweisen (f. 47v). Erstens enthält f. 48r den zweiten Teil der lukanischen Kephalaia. Die fehlende Seite enthielt mutmaßlich vorderseitig weiteren Text des Mk-Schlusses und rückseitig den ersten Teil der Liste der lk. Kephalaia. Zweitens enden die drei anderen Evangelien der Handschrift mit einem förmlichen ἀμήν (f. 61v zum MtEv, f. 150r für das LkEv und 195r für das JohEv). Von hier aus kann sicher auf ein entsprechendes ἀμήν nach dem Ende des MkEv auf dem fehlenden Blatt geschlossen werden (Am Ende von f. 47v steht nach Mk 16,8 kein ἀμήν). 8 Nach J. Keith Elliott kommt auch für die Minuskel 2386 ein Blattverlust nach Mk 16,18 (f. 92v) in Frage, vgl. J.-K. Elliott, The Last Twelve Verses of Mark: Original or Not? , in D. A. Black (Hg.), Perspectives on the Ending of Mark: 4 Views, Nashville 2008, 80-102, 82. Außerdem gibt es einen Hinweis auf eine liturgische Pause nach γάρ, dem letzten Wort von 16,8 in Form eines Kreuzes und dem Wort τέλος. Dieselbe Notierung findet sich auf dem vorangehenden Blatt f. 92r nach Mk 15,41 (Hinweis von Dr. Mina Monier). 9 CB W 192 f. 29v ist digital zugänglich unter https: / / viewer.cbl.ie/ viewer/ object/ W_912/ 58/ . Wie Bruce Metzger erläutert hat, fehlen die Wörter ἐφοβοῦντο γάρ am Ende der Seite und „die Vorderseite jedes der beiden folgenden Blätter enthält eine seitenfüllende Miniatur, mit jeweils unbeschriebener Rückseite. [… Wie die beiden Punkte nach dem letzten Wort zeigen], ist das Manuskript in seiner jetzigen Form fragmentarisch und enthielt ursprünglich weiteren Text.“ (B.-Metzger, The Ending of the Gospel according to St. Mark in Ethiopic Manuscripts, in J. Reumann-(Hg.), Understanding the Sacred Texts, Toronto 1972, 167-180, 180 Anm. 29; mit einer Ergänzung wieder abgedruckt in Ders., New Testament Studies, Leiden 1980, 127-147, das Zitat 140 Anm. 29). 10 Folio 348v wurde im 9. Jh. in Lyon ersetzt, E. A. Lowe, The Codex Bezae and Lyons, JTS 25/ 1924, 270-274. 11 Die Vetus Latina wurde durch den Text der Vulgata ersetzt, vgl. C. H. Turner, Did Codex Vercellensis (a) contain the last twelve verses of St. Mark? , JTS-29/ 1927, 16-18. Nach Turners Ansicht, „muss a den kürzeren Mk-Schluss enthalten haben oder gar keinen“ (18). 12 Das Ende des MkEv wurde im Laufe des 7. Jh.s ersetzt; vgl. online Chur, Bischöfliches Archiv, 041.0.1, S.-88 https: / / www.e-codices.unifr.ch/ en/ csg/ 1394/ 88 und St. Gallen, Stiftsbibliothek, 1394, p.-91: and https: / / www.e-codices.unifr.ch/ en/ csg/ 1394/ 90/ 0/ Sequence-748, Mk 16 im Codex Bobbiensis 61 Eines der bisher wichtigsten Ergebnisse des MARK16-Projekts lautet, dass der Mk-Schluss über Jahrhunderte hinweg Gegenstand einer eingehenden Diskussion war. Mina Monier, Postdoktorand bei MARK16, hat etwa gezeigt, dass die Minuskel 304 das klare Interesse erkennen lässt, das MkEv mit 16,8 enden zu lassen, zugleich aber auch Spuren einer anhaltenden späteren Diskussion zeigt. 13 In einem in 2020 erschienenen Artikel 14 führe ich neun HSS vom lateinischen Codex k vom Ende des 4. Jh.s bis zur griechischen Minuskel 579 aus dem 13. Jh. auf, die eine über die Jahrhunderte fortdauernde Diskussion zu den Textvarianten des Mk-Schlusses belegen. 15 Dazu gehören des weiteren die Minuskel 274 mg , das griechisch-koptische Lektionar l1602, die koptische HS sa9 (M 569), 16 131 äthiopische HSS, die den kürzeren und den langen Mk-Schluss enthalten, 17 sowie HS 2374 aus dem Zentralarchiv für armenische HSS (Matenadaran), in vgl. J. Wordsworth u. a. (Hg.), Portions of the Gospels according to St. Mark and St. Matthew from the Bobbio Ms. (k) Now Number G. VII.15 at the National Library at Turin, together with Other Fragments of the Gospels from Six Mss. At the Libraries of St. Gall, Coire, Milan and Berne (usually cited as n, o, p, a2, s and t), Oxford 1886, 72-74; online unter https: / / archive.org/ details/ portionsofgospel00worduoft/ page/ 72/ mode/ 2up. 13 M. Monier, GA 304, Theophylact’s Commentary and the Ending of Mark, Filología Neotestamentaria 52/ 2019, 94-106, hier 101, open access: http: / / reader.digitalbooks.pro/ book/ preview/ 125526/ filo-8? 1574842521282. 14 C. Clivaz, Looking at Scribal Practices in the Endings of Mark 16, in: P. Pouchelle/ J.-S. Rey (Hg.), Henoch Sonderheft 2020, 209-223. 15 In chronologischer Reihenfolge: Codex k, syh mg , die Majuslen 083, 099, 019, 044 und die Minuskeln 1, 304, und 579. 16 Vgl. die Transkription der Folioseiten 59v and 60r mit dem kürzeren und dem langen Schluss, eingeleitet und kommentiert bei Quecke, Das Markusevangelium saïdisch, Appendix I. 17 59 von 194 äthiopischen HSS enthalten nur den längeren Schluss, während „von den verbleibenden 133 äthiopischen HSS alle bis auf zwei den kürzeren Schluss enthalten, der unmittelbar an 16,8 anschließt und 16,9-20 vorausgeht“, so Metzger, The Ending, 147. Von diesen beiden Ausnahmen ist die eine von Metzger nicht näher beschrieben und die andere (CB W 912) weist ein zufälliges Ende in 16,8 auf (vgl. 140 Anm. 29). Schließlich enden in der bei Metzger genannten Kollationierung von Macomber zwei HSS in 16,8 (EMML 2868 and 3875), doch „sollte diesem Umstand keine größere Bedeutung beige- Dr. Claire Clivaz ist nach sieben Jahren als Assistenzprofessorin für Neues Testament und Digital Humanities an der Universität Lausanne seit 2015 am Swiss Institute of Bioinformatics (SIB) tätig. Dort leitet sie seit 2018 die von ihr ins Leben gerufene Projektgruppe Digital Humanities+. Sie ist außerdem Leiterin weiterer Projekte im Schnittfeld von Neuem Testament und Digital Humanities. Ihre Publikationen bewegen sich auf diesen beiden Gebieten. 62 Claire Clivaz welchem der lange Mk-Schluss „einen charakteristisch anderen (aus einer anderen Quelle übernommenen) Text enthält.“ 18 Diese fortdauernde Diskusion zum Mk-Schluss schlägt sich auch nieder in den Minuskeln 1210, 1230, 1192 und nun auch 2937, 19 einer von H.A.G. Houghton und Mina Monier in Alexandria neu entdeckten HS. 20 Schon früher ist sie aufgefallen bei HSS der Minuskelfamilie f1, besonders in den Minuskeln 1 und 1582. 21 Die verbreitete Ansicht, dass „sich die Akzeptanz des langen Mk-Schlusses über Jahrhunderte gehalten hat“, 22 muss folglich überdacht werden: Der lange Schluss wurde kontinuierlich zusammen mit dem kurzen und dem kürzeren Schluss abgeschrieben, und dies mitunter zusammen mit kommentierenden Notizen über die Häufigkeit seines Vorkommens in den HSS. Für ein hinreichendes Verständnis dieses Phänomens bedarf der kürzere Schluss besonderer Aufmerksamkeit. Der vorliegende Beitrag richtet sein Augenmerk auf dessen früheste Bezeugung im Codex k. Der Onlinekatalog Earlier Latin Manuscripts datiert ihn zwischen 380 und 420, also in die Zeit des Codex Sinaiticus und des Codex Vaticanus. 23 1.2 Der unterschätzte Befund zum kürzeren Mk-Schluss Der verbreiteten Meinung, dass der Codex Bobbiensis der einzige Textzeuge für die conclusio brevior ist, 24 ist der Befund der vorigen Abschnitts an die Seite zu stellen. Tatsächlich umfasst die äthiopische Tradition 131 HSS, die beide Enden ohne eine Unterbrechung vor dem kürzeren Schluss enthalten 25 - entweder ganz ohne Unterbrechung (mindestens 34 äthiopische HSS, 26 dazu die messen werden, denn bei beiden handelt es sich lediglich um Lektionare für die Passionswoche“, wie Metzger erklärt (147). 18 J. Knust/ T. Wasserman, The Pericope of the Adulteress ( John 7: 53-8: 11): A New Chapter in Its Textual Transmission, SEÅ 85/ 2020, 49-82; 76 Anm. 81, mit Bezug auf A. Sukri, Divine Liturgy from the Seventies to the Armenian New Year, Bazmavep 35/ 1877, 211. 19 In Transkription zugänglich unter http: / / ntvmr.uni-muenster.de/ manuscript-workspace und https: / / mr-mark16.sib.swiss. 20 H. A. G. Houghton/ M. Monier, Greek Manuscripts in Alexandria, JThS 71/ 2020, 119-133, https: / / academic.oup.com/ jts/ article/ 71/ 1/ 119/ 5824945. 21 Vgl. hierzu etwa M. D. C. Larsen, Gospels Before the Book, Oxford 2018, 119. 22 N. C. Croy, The Mutilation of Mark’s Gospel, Nashville 2003, 19. 23 https: / / elmss.nuigalway.ie/ catalogue/ 811. 24 B. M. Metzger, The Early Versions of the New Testament: Their Origin, Transmission and Limitations, Oxford 1977; Oxford Scholarship Online, 2011, 315: „k ist der einzige Textzeuge, der nur den kürzeren Mk-Schluss enthält. Dieser findet sich auch in L Ψ 274 al, jedoch zusammen mit dem langen Schluss.“ DOI: 10.1093/ acprof: oso/ 9780198261704.001.0001. 25 Metzger, The Ending, 147. 26 Metzger, The Ending, 137. Ein vollständiger kritischer Apparat des kürzeren Mk-Schlusses der äthiopischen HSS-Überlieferung auf der Grundlage von Metzgers Aufsatz fehlt bisher. R. Zuurmond hat in seiner Edition von 1985 den bei Metzger erreichten For- Mk 16 im Codex Bobbiensis 63 griechische Minuskel 579), oder mit einer Unterbrechung vor dem längeren Ende (mindestens 13 HSS), 27 wie auch in der Majuskel 044. Diese ist neben der Minuskel 579 einer von mindestens zwei Zeugen für den ohne Unterbrechung an 16,8 anschließenden kürzeren Schluss. In einigen anderen griechischen, koptischen und syrischen HSS dokumentieren Text- oder Randnotizen, dass der Schreiber mit der Möglichkeit des ursprünglichen kürzeren Schlusses gerechnet hat. 28 Während diese Fülle an Daten eine kontinuierliche Lektüre-Geschichte erkennen lässt erkennen lässt, sprechen die ältesten Textzeugen gegen die Auffassung Stephen Hultgrens von der Verstümmelung bzw. Überschreibung des Mk-Schlusses. Seine „Hypothese setzt voraus, dass das Originalmanuskript oder eine frühe Abschrift des Markusevangeliums derart ,sauber‘ verstümmelt wurde, dass nachfolgende Abschreiber im frühesten Stadium der Textgeschichte über keinerlei Hinweis verfügten, dass Mk 16,8 nicht der ursprüngliche Schluss war.“ 29 Tatsächlich zeigen die patristischen Quellen die Präsenz des langen Schlusses im 2. Jh., 30 während die Schreiber des Codex Sinaiticus und des Codex Vaticanus „Kenntnis davon hatten (…), dass der Mk-Schluss umstritten war“, so schungsstand nicht voll ausgeschöpft; vgl. R. Zuurmond, Novum Testamentum Aethiopice: The Synoptic Gospels. General Introduction. Edition of the Gospel of Mark, Wiesbaden 1989, 295. 27 Metzger, The Ending, 137. Nicht berücksichtigt sind hier die auf S.-141-147 als Zeugen für die conclusio brevior gesammelten 129 HSS. 28 Die Liste der conclusio brevior HSS enthält: Griechisch: GA 019, 044, 083, 099, 274 mg , 579, l1602; mit den Kommentaren GA 1422 und GA 2937 (Dank an Mina Monier); Lateinisch: VL 1 (Codex Bobbiensis); Syrisch: Vat. Syr. 268, CB Syr. 703 und Alqosh 25; Sahidisch: sa 9, sa 14L (https: / / mr-mark16.sib.swiss); sa 366 (Dank zu Anne Boudh’ors und Sofía Torallas Tovar); sa 102v, sa 121v and sa 474 (Dank an Siegfried G. Richter und Katharina D. Schröder); Fayumisch 32; Bohairisch und Arabisch (Dank an Albert ten Kate): A mg (Huntington HS 17) und E1 mg (Or 1315); und 131 äthiopische HSS. Unter den griechischen HSS nennt W. L. Lane, The Gospel According to Mark: The English Text with Introduction, Exposition, and Notes, Eerdmans, 1974, p.-602 außerdem l961, doch enthält dieses Lektionar nach E. Amélineau, Notice des manuscrits coptes de la Bibliothèque Nationale renfermant des textes bilingues du Nouveau Testament, Notices et extraits de la Bibliothèque Nationale et autres bibliothèques 34/ 1895, 363-427, 376 nicht Mk 16. Lane hat möglicherweise l961 und GA 099 verwechselt, die beide ganz oder teilweise in der koptischen HS BNF 129 (8) enthalten sind. 29 S. Hultgren, ,A Vision for the End of Days‘: Deferral of Revelation in Daniel and at the End of Mark, ZNW 109/ 2018, 153-184,-166 (https: / / doi.org/ 10.1515/ znw-2018-0010; here p.-166). 30 So bei Justin, Irenäus und Tatian, vgl. K. W. Clarke, The Theological Relevance of Textual Variation in Current Criticism of the Greek New Testament,-JBL 85/ 1966, 1-16, 9 f. Aber das Problem des Mk-Textes im 2. und 3. Jh. ist überaus komplex, so P. Head, The Gospel of Mark in Codex Sinaiticus: Textual and Reception-Historical Considerations“, TC: A Journal of Biblical Textual Criticism- 13/ 2008, 1-38 (http: / / jbtc.org/ v13/ Head2008.pdf), 1 Anm. 3. MARK16 wird sich hiermit in absehbarer Zeit näher befassen. 64 Claire Clivaz Elliott. 31 Der Codex Vaticanus enthält nach Mk 16,8 eine absichtliche Lücke von anderthalb Spalten. Diese fehlt am Ende der anderen Evanglien, die jeweils in der nächsten Spalte des Blattes direkt anschließen. 32 Im Codex Sinaiticus ist die Sachlage zu Mk 16 schwieriger zu beurteilen, zeigt aber ebenfalls Hinweise auf die Aktivität des Schreibers. 33 Vor diesem veränderten Horizont befasst sich der vorliegende Beitrag mit Codex k, einer der wichtigen HSS für einen neuen Anlauf, dem Rätsel des Mk- Schlusses auf die Spur zu kommen. Dieser Codex, der einen zweifelhaften Ruf genießt, weil er zwar einerseits der älteste Lateinische Codex des MkEv und des MtEv ist, nach landläufiger Auffassung aber zugleich zahlreiche Fehler enthält, bietet den kürzeren Mk-Schluss, jedoch mit einer leichten Abweichung vom griechischen Text. Nach meiner Meinung hat Codex k eine spezifische Variante des kürzeren Mk-Schlusses. 34 Dies deckt sich mit der Einschätzung von Matthew Larsen, dass „der Codex Bobbiensis (k) als weiterer eigener Mk- Schluss angesehen werden kann“, 35 eine Sicht, die bereits Tischendorf im Jahr 1849 geäußert hat. 36 Seit etwa 15 Jahren hat erfreut sich der Codex k eines lebhaften Interesses der Forschung, auch innerhalb der ntl. Exegese, bleibt aber doch weithin ein Unbekannter, sobald es um Details geht. Nach einem Überblick zum gegenwärtigen Stand der Forschung soll es anschließend um die merkwürdige Formulierung et 31 Elliott, The Last Twelve Verses, 85. 32 Clivaz, Returning, 648. 33 Elliott, The Last Twelve Verses, 85 macht auf einen offenbar kalkulierten Leerraum im Codex Sinaiticus Q.77 (Folio 5r) aufmerksam, wo sich eine Leerstelle nach dem Ende des MkEv findet. Doch wie bereits D. Jongkind, Scribal Habits of Codex Sinaiticus (TaS. ThS 5), Gorgias Press 2013, (https: / / doi.org/ 10.31826/ 9781463211592), 42 überzeugend herausgestellt hat, „hätte der sogenannte längere Mk-Schluss unmöglich auf dieses Blatt gepasst.“ MARK16 wird sich demnächst hiermit befassen. Dann wird auch das Fehlen von Mk 15,47b-16,1a im Codex Sinaiticus, üblicherweise als Auslassung aufgrund eines Homoioteleuton verstanden (Elliott, The Last Twelve Verses, 85), nochmals neu zu bedenken sein. Die Namen der in 16,1 genannten Frauen fehlen übrigens auch in den HSS 05, k, n und im Petrusevangelium; vgl. hierzu C. H. Turner, Western Readings in the Second Half of St. Mark’s Gospel, JThS 29/ 1927, 1-16, 13: „Die Namen fehlen in D, k und n, d. h. (da n mit a äquivalent ist) in unseren drei gewichtigsten westlichen Zeugen. a b und i sind korrupt.“ Der Codex Sinaiticus ist wie der Codex Vaticanus auch das Ergebnis eines bedeutenden editorischen Werkes, wie von P. Cecconi, The Codex Sinaiticus and Hermas: The ways of a crossed textual transmission, ZAC 22/ 2018, 278-295 neuerdings am Beispiel des Hirten des Hermas gezeigt wurde. 34 Vgl. Clivaz, Looking at Scribal Practices, 218. 35 Larsen, Gospels Before the Book, 116. 36 Beim kürzeren Schluss folgt der Codex Bobbiensis „ganz seinem eigenen Weg“, so C. Tischendorf, Rechenschaft über meine handschriftlichen Studien auf meiner wissenschaftlichen Reise von 1840 bis 1844, II: Die Bobbienser Evangelienfragmente zu Turin (Schluss), Jahrbücher der Literatur 126/ 1849, 1-71, 4 Anm. 6. Mk 16 im Codex Bobbiensis 65 qui cum puero erant („und die mit dem Knaben waren“) im kürzeren Mk-Schluss gehen, mit dem Ergebnis einer Transkription, Edition und Übersetzung. In 2016 hat H.A.G. Houghton den kürzern Mk-Schluss des Codex k unter Hinweis auf die Wahl zwischen puero und Petro wie folgt übersetzt: But those who were also with the boy [for Petro, Peter? ] told in brief everything which they had been instructed. After this, Jesus himself appeared too and sent the holy and unchanging <message> of eternal salvation through them from the east all the way right to the east [west? ]. Amen. 37 Die vorliegende Untersuchung beleuchtet eine in manchen Versionen des kürzeren Schlusses enthaltene alternative Tradition: Die Begleiter des Petrus berichten vor der endgültigen Erscheinung kurz über erhaltene Anweisungen. Dieser Befund gibt den Anstoß für weitere Untersuchungen zum Problem des Mk-Schlusses. 2. Zum Stand der Forschung: Die fällige Neubewertung des Codex k 2.1 Die Beschreibung des Codex k oder VL 1 Im vierten Band der Codices Latini Antiquiores (CLA) als Nr.- 465 gezählt und nach der Regalnummer in der Universitätsbibliothek Turin mit G.VII.15 bezeichnet, handelt es sich bei dem Codex k um eine HS „von unsicherer Herkunft“, so Elias Avery Lowe. 38 „Aus zwei Gründen wird Afrika vorgeschlagen: Der Text von k steht dem Evangelientext am nächsten, den der afrikanische Autor Cyprian verwendet hat, und die in k verwendete Unzialschrift hat ihre nächste Parallele in zwei HSS Cyprians aus dem 5. Jh. (**458, 464). Er hat sich wahrscheinlich von frühester Zeit an in Bobbio befunden, und dass ein für den normalen Gebrauch so wenig geeignetes Buch die Zeit überdauert hat, hat wohl damit zu tun, dass es sich um ein Relikt des Gründers von Bobbio handelt“, nämlich St. Columban, dies freilich eine Katalognotiz erst des 18. Jh.s. 39 Daher rührt also der Name Codex Bobbiensis. Die Sigel k geht auf Konstantin von Ti- 37 H.A.G. Houghton, The Latin New Testament: A Guide to its Early History, Texts, and Manuscripts, Oxford Scholarship Online 2016, 161. 38 E. A. Lowe, Codices Latini Antiquiores. A Palaeographical Guide to Latin Manuscripts Prior to the Ninth Century, Teil IV, Perugia-Verona/ Oxford 1947, n° 465, 18. 39 A.a.O. 66 Claire Clivaz schendorf zurück. 40 In der digitalen Kultur der Gegenwart hat er von Seiten der Leuven Database of Ancient Books (nun verwaltet von der Trismegistos-Website) die Sigel 7820 erhalten, und auf papyri.info wird er unter der Nr.-66572 geführt. 41 Überzeugt von der Bedeutung dieser HS für die neutestamentliche Textkritik und ihre digitalen Möglichkeiten hat das MARK16-Projekt angeregt, Codex k in den Bestand der HSS Liste des Instituts für Neutestamentliche Textforschung (INTF) aufzunehmen und ihn mit eigener Dokumenten-ID dem New Testament Virtual Manuscript Room (NTVMR) hinzuzufügen. 42 Hier wird er nun unter der Sigel VL 1 geführt, Vetus Latina 1, entsprechend der von Bonifatius Fischer für die altlatinische Überlieferung eingeführten Sammelbezeichnung VL. 43 Im vorliegenden Beitrag verwende ich die vom INTF für den NTVMR eingeführten Sigel und referiere auf den Codex k hauptsächlich mit VL 1. Das MARK16-Projekt befindet sich in täglichem Austausch mit dem NTVMR für den Aufbau eines eigenen digitalen manuscript room für Mk 16, darin auch Fotografien und Transkriptionen von VL 1 f. 40r, 40v, and 41r. 44 Die Sigel VL 1 sichert der HS einen prominenten Platz in der ntl. Textkritik und steht zugleich für eine Art retour en grâce dieses Codex, dem oft nachgesagt wird, er sei unsorgfältig geschrieben. Lowe ist im obigen Zitat zurückhaltend, wenn er von einem „unbrauchbaren Buch“ spricht. Deutlicher wird Pieter Willem Hoogterp in seiner der HS gewidmeten Dissertation von 1930. Er urteilt, dass „der Kopist sehr inkompetent ist und auf phantastische und völlig verständnislose Weise den Archetyp hohen Alters reproduziert, geschrieben in einer Kursivschrift, die für einen Kopisten, der nur eine vage Vorstellung von 40 Vgl. E. Stampini, Recensione di Il Codice Evangelico k della Biblioteca Universitaria Nazionale di Torino, Rivista di Filologia et di Istruzione Classica 62/ 1914, 355-358, 355. Tischendorf hat den Codex k samt Transkription in fünf Heften der Jahrbücher der Literatur publiziert: C.- Tischendorf, Rechenschaft über meine handschriftlichen Studien auf meiner wissenschaftlichen Reise von 1840 bis 1844. II. Die Bobbienser Evangelienfragmente zu Turin, Jahrbücher der Literatur 120/ 1847, 43-56; 121/ 1848, 50-72; 123/ 1848, 40-46; 124/ 1848, 1-8; 126/ 1849, 1-71. Die Transkription von Mk 16 findet sich in Heft 126/ 1849, 3f. 41 Vgl. https: / / www.trismegistos.org/ text/ 66572 und http: / / papyri.info/ dclp/ 66572. Zu den zahlreich divergierenden Bezeichungen antiker Manuskripte und Papyri vgl. C. Clivaz, The New Testament at the Time of the Egyptian Papyri. Reflections Based on P12, P75 and P126 (P. Amh. 3b, P. Bod. XIV-XV and PSI 1497), in: C.-Clivaz/ J.-Zumstein (Hg.), Reading New Testament Papyri in Context - Lire les papyrus du Nouveau Testament dans leur contexte (BETL 242), Leuven 2011, 15-55. 42 http: / / ntvmr.uni-muenster.de/ community/ vmr/ api/ projects/ bibliacoptica/ mssview/ ? docID=200001. 43 Vgl. The Vetus Latina Online Database unter https: / / about.brepolis.net/ vetus-latina-database/ . 44 Vgl. https: / / mr-mark16.sib.swiss/ show? id=Vkwx. Mk 16 im Codex Bobbiensis 67 korrektem Latein hatte, möglicherweise nur schwer zu entziffern war“. 45 Bridget Gilfillan Upton stellt fest, dass seine Sprache „undurchdringlich ist fast bis zur Unverständlichkeit“ 46 , während William Farmer hervorhebt, dass der Text „zahlreiche Abschreibfehler enthält“. 47 Diese schelchte Reputation hat zur Folge, dass die HS oft nur oberflächlich zur Kenntnis genommen wird, wenn überhaupt. In seiner gelehrten Edition des Mk-Textes der Vetus Latina notiert Jean-Claude Haelewyck, dass er VL 1 nicht herangezogen habe, weil „die Handschrift völlig unleserlich ist und es nutzlos war, das Vetus-Latina-Institut überhaupt um Fotografien zu bitten“. 48 Doch obschon die HS im Jahr 1904 durch ein Feuer beschädigt wurde, 49 ist sie größtenteils noch immer lesbar, und mein herzlicher Dank geht an dieser Stelle an die Universität Turin, die dem Mark16-Projekt drei Abbildungen von G.VII.15 zur Verfügung gestellt hat. Bereits im Mai 1989 hatte David Parker die Gelegenheit, die HS in der Turiner Bibliothek in Augenschein zu nehmen, und in 1991 hat er einen Artikel veröffentlicht, der als Comeback von VL 1 in der gegenwärtigen Forschung gelten darf. 50 Der mangelnde Kenntnisstand zu diesem alten Textzeugen schlägt sich auch in den Angaben bei Trismegistos nieder, die den Eindruck erwecken, dass das MkEv in VL1 anstatt mit dem kürzeren Schluss mit 16,8 endet und dass in das MkEv auf das MtEv folgt, erstaunlicherweise, denn die umkehrte Reihenfolge - erst Markus, dann Matthäus - wurde in der Studie von Wordsworth u. a. nachgewiesen, die VL 1 im Jahr 1886 ediert und damit der Auffassung Tischendorfs von 1847 widersprochen haben 51 . Vollends bestätigt wurde diese Sicht von Parker. 52 Woodsworth hat Signaturen auf den Quaternionen (den in VL 1 verwendeten Lagen des Codex aus vier Bögen, d. h. 8 Blättern bzw. 16 Seiten) entdeckt, die Tischendorf entgangen waren. Er konnte auch „zeigen, dass es sich um ein Buch mit den vier Evangelien mit dem Matthäusevangelium am Schluss han- 45 P. W. Hoogterp, Etude sur le Latin du Codex Bobiensis (k) des Evangiles, Groningen 1930, 8. 46 B. G. Upton, Hearing Mark’s Endings (BIS 79), Leiden 2006, 197. 47 W. R. Farmer, The Last Twelve Verses of Mark, Cambridge 2005, 48, zitiert bei N. P. Lunn, The Original Ending of Mark. A New Case for the Authenticity of Mark 16: 9-20, Eugene (Or) 2014, 60 Anm. 168. 48 J.-C. Haelewyck, Evangelium secundum Marcum, Vetus Latina. Die Reste der altlateinischen Bibel 17, fasc. 1, Freiburg 2013, 2. 49 Vgl. Stampini, Recensione, 355. 50 D. C. Parker, Unequally Yoked: The Present State of the Codex Bobbiensis, JThS 42/ 1991, 581-588; wieder abgedruckt in: D. C. Parker, Unequally Yoked: The Present State of the Codex Bobbiensis, in: Ders, Manuscripts, Texts, Theology. Collected Papers 1977-2007 (ANTT-40), Berlin-2009, 25-32 (Zitate hier nach der Erstveröffentlichung). 51 Wordsworth u. a. (Hg.), Portions of the Gospels, XI-XII; Tischendorf, Rechenschaft, Jahrb. 120/ 1847, 47 Anm. 1. 52 Parker, Unequally Yoked, 586. 68 Claire Clivaz delte“, 53 auch wenn nur 96 Folioseiten von Mk 8,8 bis Mt 15,36 erhalten sind. 54 Parker hat sich der HS in seinem Aufsatz in großartiger Weise angenommen und dabei auch die Einschätzung des Turiner Bibliothekars Dr. Edmondo Lupieri berücksichtigt. 55 Parker kommt zu dem Ergebnis, dass der Codex „ursprünglich aus 415 Blättern bestand, ein Blatt weniger als 52 Quaterionen“, und dass „die Seiten in einer Weise neu nummeriert werden sollten, die den fehlenden Blättern Rechnung trägt. Die Seiten 1-48 sollten als die Seiten 257-304 gezählt werden, 49-94 als 306-351 und 95-96 als 356-357.“ 56 Er bekräftigt, dass in der HS das MkEv dem MtEv voransteht, „eine unübliche Reihenfolge der Evangelien“, die sonst zumindest noch in der Minuskel 90 belegt ist, „einer Kopie einer HS des späten 13. Jh.s. aus dem 16. Jh.“ 57 Die überaus sorgfältigen Bemühungen von Wordsworth, Parker und Lupieri um den Aufbau von VL 1 zeigen beispielhaft, welche Aufmerksamkeit nötig ist, um dieser HS mit ihren mancherlei Besonderheiten die gebührende Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. 58 Bruce Metzger gehört zu denjenigen Forschern, die eine positive Sicht auf VL 1 vertreten: 59 „Es handelt sich um die wichtigste altlateinische Handschrift und zweifellos um den ältesten erhaltenen Vertreter des afrikanischen Texttyps (…). Der Schreiber war, obwohl ihm zahlreiche Abschreibfehler unterlaufen sind, 53 Wordsworth u. a. (Hg.), Portions of the Gospels, XII. 54 A.a.O., IX. 55 Parker, Unequally Yoked, 586. 56 Parker, Unequally Yoked, 585.587. 57 Parker, Unequally Yoked, 585 f Anm. 1 mit Bezug auf Th. Zahn, der die Frage der Reihenfolge der Evangelien in Codex k ausführlich diskutiert; vgl. Th. Zahn, Geschichte des neutestamentlichen Kanons, Bd 1, Berlin-1918, 370f. 58 M. Larsen hat sich jüngst mit dem Aufbau der HS befasst, dabei aber nicht auf Parkers Untersuchung (v. a. die Nummerierung der Quaternionen) Bezug genommenen. Er gelangt zu einem recht spekulativen Ergebnis: Der Codex Bobbiensis sei eine absichtliche Zusammenstellung der zweiten Hälfte des MkEv und der ersten Hälfte des MtEv. Der Codex Bobbiensis wäre damit ein Evangeliencodex für Reisende, die ihn für Predigt und Lehre verwendet haben (M.-Larsen, A Real-and-Imagined Biography of a Gospel Manuscript,-Early Christianity-12/ 2021, 103-131, hier 124). Ich danke Matthew Larsen für die Zusendung des Aufsatzes vor Erscheinen. 59 Schon Flecks Beschreibung in der ersten modernen Edition von VL 1 war geradezu enthusiastisch: „Aber wir lieben die Fehler [des Kopisten], welcher Art auch immer, grammatisch, orthographisch oder historisch“, denn dieser Kopist ist gegenüber seiner griechischen Vorlage mit großer Ernsthaftigkeit verfahren (F. F. Fleck, Anecdota maximam partem sacra in itineribus italicis et gallicis collecta, in: Wissenschaftliche Reise durch die südlichen Deutschland, Italien, Sicilien und Frankreich, II 3, Leipzig 1837, X). 150 Jahre später urteilt Petitmengin: „[E]inige unserer ehrwürdigsten Manuskripte, wie der Codex Bobiensis der Evangelien (Nr.-465), präsentieren das Wort Gottes in einer Weise, die die Gründer der British and Foreign Bible Society begeistert hätte“ (P.-Petitmengin, Les plus anciens manuscrits de la Bible latine, in: J. Fontaine/ Ch. Pietri (Hg.), Le monde latin antique et la Bible, Bible de tous les temps, Bd.-2, Paris 1985, 89-123, 100). Mk 16 im Codex Bobbiensis 69 keineswegs unkundig, denn er schreibt mit fester und geübter Hand.“ 60 Das Argument für ein frühes Datum von VL 1 - zwischen 380 und 420 für den ELMSS Katalog 61 - ist allgemein anerkannt. Gelegentlich wird die Auffassung vertreten, dass der Archetyp von VL 1 auf Papyrus geschrieben war, eine Lowe zugeschriebene Sicht, 62 doch hat Metzger dies in 1977 präzisiert; es handelt sich nur um einen mündlichen Bericht von Ploij aus dem Jahr 1936. 63 Die Datierungsfrage kann durch linguistische Beobachtungen zusätzlich vertieft werden. Die von Hans von Soden aufgezeigte Nähe von VL 1 zu Cyprians Mt- und Mk-Zitaten 64 legt den Schluss nahe, dass seine lateinische Vorlage vor das 4. Jh. zu datieren ist. In einer akribischen linguistischen Analyse von 1930 hat Hoogterp gezeigt, dass der Codex Bobbiensis die Kopie eines „sehr alten Archetyps in Kursivschrift ist, der für einen Kopisten, der nur eine vage Vorstellung von korrektem Latein hatte, schwer zu entziffern war.“ 65 Dieses mühevolle Kopieren einer Kursivschrift des 3. Jh.s kann zahlreiche Fehler in VL 1 erklären. 66 Drei Jahre später hat Adolphine Bakker in ihrer Dissertation eine Feststellung getroffen, die diese Hypothese stützt: In einigen Passagen sind dem Kopisten zahlreiche Fehler unterlaufen, in anderen dagegen kein einziger, ganz so, als hätte er stellenweise Schwierigkeiten gehabt, den Text zu entziffern. Sie zieht daraus den Schluss, dass „wenn wir dem Kopisten Gerechtigkeit widerfahren lassen wollen, wir ihm zugestehen müssen, dass er sein Bestes gegeben hat.“ 67 Bakkers Hinweis auf die unregelmäßige Fehlerdichte, die möglicherweise von schwer entzifferbaren Passagen herrührt, stützt Hoogterps Hypothese einer 60 Metzger, The Early Versions of the New Testament, 315. Vgl. auch B. Fischer, Beiträge zur Geschichte der lateinischen Bibeltexte (Vetus Latina 12), Freiburg 1986, 197.199. Für einen erschöpfenden bibilographischen Überblick vgl. G. Vagnone (Hg.), Lettere di C. von Tischendorf à V.-A.-Peyron, Bd.-1, Bollettino dei Classici 17/ 1996, 171-175, 171 f Anm. 2. 61 https: / / elmss.nuigalway.ie/ catalogue/ 811. 62 Vgl. Houghton, The Latin New Testament, 22; Larsen, Gospels Before the Book, 117. 63 Vgl. Metzger, The Early Versions, 315 Anm. 3, mit Bezug auf D.-Plooij in BBC 11/ 1936, 11. 64 H. Von Soden, Das lateinische Neue Testament in Afrika zur Zeit Cyprians, Leipzig 1909, 106-134; vgl. etwa auch A. Vööbus, Early Versions of the New Testament. Manuscript Studies (Papers of the Estonian Theological Society in Exile 6), Evanston (IL) 1954, 33- 65, 51. Die von Adolphine Bakker in 1933 vorgetragene Hypothese von Spuren eines „irischen Scheibrohrs“ in der HS war bereits von Burkitt in 1904 ausgeschlossen worden und auch von B. Metzger in 1977. (vgl. Metzger, The Early Versions, 315 Anm. 2; A. H. A. Bakker, A Study of Codex Evang. Bobbiensis (k), Part I, N. V. Noord-Hollandische Uitgeversmaatschappij 1933, 8-12; F. C. Burkitt, Further Notes on Codex k, JThS 5/ 1903-04, 100-107). 65 Hoogterp, Etude sur le Latin, 7. 66 Hoogterp, Etude sur le Latin, 15: „Wir sehen, dass die meisten der zitierten Fehler durch die Beschaffenheit der kursiven Schrift erklärt werden können, wie sie zwischen 237 und 247 üblich war.“ 67 Bakker, A Study, 14. 70 Claire Clivaz Vorlage in Kursivschrift. Beider Untersuchungen bestätigen die Datierung der Vorlage von VL 1 in das 3. Jh. 68 2.2 VL 1 in der gegenwärtigen Forschung Zwar wurde der Codex Bobbiensis in der Zeit vor dem 2. Weltkrieg verhältnismäßig gründlich erforscht, doch vorwiegend auf dem Feld der christlichen Apokryphen und der ntl. Textkritik. 69 Von der Exegese des NT war er lange Zeit fast völlig vergessen. 70 Mit Blick auf die vergangenen ca. 15 Jahre markiert die Dissertation von Jayhoon Yang aus dem Jahr 2004 eine Wende. Yang stellt zutreffend fest, „dass der Markus-Schluss ein reiches Feld ist“, und seiner Hoffnung, „dass mehr Markus-Arbeiter sich an der Ernte beteiligen“, kann man sich nur anschließen. 71 Er schlägt vor, den kürzeren und den längeren Schluss als Niederschlag von „Strategien in einem Wettbewerb“ zu lesen, „der durch Werbung und Legitimation entschieden wird“, 72 v. a. zwischen Maria Magdalena und Petrus: „Der kürzere Schluss unterscheidet sich vom längeren in der Charakterisierung wichtiger Figuren wie Maria Magdalena und Petrus. Der Verfasser des kürzeren Schlusses wertet Maria Magdalena dadurch ab, dass er ihre Rolle bei der Überbringung der Botschaft der Engelsgestalt verdunkelt. Im längeren Schluss war sie die erste und singuläre Augenzeugin der Erscheinung, nicht aber im kürzeren.“ 73 Durchweg ist in den antiken Evangelien das Zeugnis der Frauen am Grab Gegenstand einer Diskussion, in der es um Konkurrenz um 68 Vgl. auch J. K. Elliott, The Endings of Mark’s Gospel and the Presentation of the Variants in the Marc Multilingue Edition, in: C.-B. Amphoux/ J.- K. Elliott/ B.- Outtier (Hg.), Textual Research on the Psalms and Gospels - Recherches textuelles sur les psaumes et les évangiles, Papers from the Tbilisi Colloquium on the Editing and History of Biblical Manuscripts - Actes du Colloque de Tbilisi, 19-20 septembre 2007, Textual Research on the Psalms and Gospels (NT.S-142), Leiden 2012, 113-124, 119: ein „Text, der in das frühe 3. Jh. zurückreicht“. 69 Vgl F. Bovon/ P. Geoltrain (Hg.), Ecrits apocryphes chrétiens I (Pléiade 442), Paris 1997, 403; Parker, Unequally. 70 Beispeilsweise notiert James Kelhoffer in einer Anmerkung, dass die HS „den kürzeren Schluss“ (it k ) bewahrt, tatsächlich handet es sich jedoch um die gebräuchliche griechische Verison, die mit VL 1 in keinem Zusammenhang steht, vgl. J. A. Kelhoffer, Miracle and Mission (WUNT 2.112), Tübingen 2000, 1; vgl. auch den vollständigen griechischen Text 232 f Anm. 215). Merkwürdig ist die Äußerung Larsens, dass sich seit dem Aufsatz von Parker von 1989 zu VL-1 in der Forschung „nichts mehr getan“ habe (Larsen, A Real-and- Imagined Biography, 130). 71 J. Yang,-Other Endings of Mark as Responses to Mark: An Ideological-Critical Investigation into the Longer and the Shorter Ending of Mark’s Gospel, White Rose 2004, 220. Die Arbeit ist online verfügbar unter http: / / etheses.whiterose.ac.uk/ 3555/ . 72 Yang,-Other Endings, 212. 73 Yang,-Other Endings, 217. Mk 16 im Codex Bobbiensis 71 Legitimation geht. Yang übersieht freilich eine wichtige Auslassung von VL 1 in Mk 16,1, nämlich das Fehlen der Liste der Frauen, insbesondere Marias, Mutter des Jakobus, und Salomes. 74 Dagegen hat Yang beobachtet, dass sie im längeren Schluss fehlen. Diese kaum beachtete Auslassung 75 in VL 1 muss berücksichtigt werden, um das gesamte Kapitel 16 in seiner Fassung in VL 1 zu verstehen. Die Konkurrenz zwischen Petrus und Maria Magdalena reicht nicht aus, um zu veranschaulichen, worum es in Mk 16 in VL 1 geht. Kara Lyons-Pardue hat zwar in ihrer im vergangenen Jahr erschienenen Studie die Frauen im längeren Mk-Schluss von VL 1 berücksichtigt, jedoch insofern unpräzis, als sie offenbar annimmt, dass VL 1 mit der griechischen Fassung des kürzeren Schlusses identisch ist, und deshalb den lateinischen Text gar nicht heranzieht. Der im Appendix der Studie enthaltene Satz „und sie sagten niemandem etwas“ findet sich gar nicht in der HS. 76 Sie erwähnt nicht die Auslassung der Frauen in Mk 16,1, auch nicht den Befund zu cum puero in der conclusio brevior, sondern lediglich das Vorhandensein des kürzeren Schlusses und die Hinzufügung von Mk 16,3f. 77 Dementsprechend misslich ist ihre Kritik an der Monographie von Gilfillan Upton von 2006. 78 Sie will Uptons Überlegungen zur rhetorischen Wirkung des kürzeren Schlusses nicht gelten lassen und hält dem entgegen, k sei der einzige Beleg einer solchen Lesart. 79 Upton hat sich aber ihrerseits bereits mit diesem Argument auseinandergesetzt angesichts nicht weniger Ausnahmen, 80 wie oben in Abschnitt 1 dargelegt. Nach meiner Auffassung ist Uptons Studie, die zwei Jahre nach der Dissertation von Yang erschienen ist, ein sprechendes Beispiel für die schrittweise Rehabilitation von VL 1 in der ntl. Exegese. Sie schenkt den Details von VL 1 die gebührende Aufmerksamkeit, 81 etwa im parallelen Vergleich mit der 27. Auflage des NT Graece von Nestle/ Aland und der Übersetzung der New Revised Standard Version (NRSV). 82 Im selben Jahr hat Camille Focant einen Artikel zum Problem des Mk-Schlusses veröffentlicht, in welchem er hervorhebt, dass „in diesem Manuskript [VL-1], 74 Yang,-Other Endings, 114. 75 Vgl. aber Turner, Western Readings, 13; Elliott, The Endings of Mark’s Gospel, 119. 76 K. J. Lyons-Pardue, Gospel Women and the Long Ending of Mark, Edinburgh 2020, Kindle edition, l. 6049. 77 Lyons-Pardue, Gospel Women l. 5940. 78 Upton, Hearing Mark’s Endings. 79 Lyons-Pardue, Gospel Women, l. 1834 Anm. 216: Uptons „Verfahren (ist) irreführend und bestechend zugleich“. 80 Upton, Hearing Mark’s Endings, 171: 579 ohne Lücke zwischen den unterschiedlichen Schlüssen des MkEv.; 019, 099, 044, und l1602 mit beiden Schlüssen. 81 Upton, Hearing Mark’s Endings, 192. 82 Upton, Hearing Mark’s Endings, 171-180. 72 Claire Clivaz in v. 8 die Worte ,und sie sagten niemandem etwas‘ weggelassen wurden, um einen Widerspruch mit dem Folgenden zu vermeiden“, denn „gemäß diesem Schluss hätten die Frauen den Jüngern die Nachricht kundgetan und Jesus hätte sie ausgesandt, um die ,heilige und unvergängliche Predigt des ewigen Heils‘ zu verkünden“. 83 Nach Parkers grundlegendem Artikel von 1991 steht Focant für ein neu erwachtes Interesse der ntl. Exegese an VL 1 mit Yang, Upton and Lyons-Pardue, während die ntl. Textkritik und die Altertumswissenschaft dieser HS schon immer ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben, zuletzt H.- A.- G.- Houghton (2016), Matthew Larsen (2018 und 2021) und Jean-Claude Halewyck in der Vetus-Latina-Ausgabe des MkEv (2013-2018). 84 3. Qui cum puero erant: Ein Fehler in VL 1 oder nicht? Wir wenden uns nun der höchst merkwürdigen Formulierung des kürzeren Schlusses in VL 1 zu, et qui cum puero erant. Sie ist auf der Folioseite f. 41r in klarer Schrift geschrieben, erkennbar ohne Hast. Doch gehen die Meinungen hier auseinander, ob et qui cum puero erant oder et qui cum Petro erant, oder sogar eis qui cum Petro erant zu lesen ist. Im Folgenden geht es um einen Überblick über die bisherige Forschung (3.1), um vier Fragen und Antworten (3.2) und den Vorschlag einer Transkription, Edition und Übersetzung der conclusio brevior in VL 1 (3.3). 3.1 Die bisherige Forschung zur Alternative puero/ Petro im kürzeren Schluss in VL 1 Matthew Larsen hat sich in seiner Monographie von 2018 nicht mit der Phrase et qui cum puero erant befasst, 85 erwähnt sie aber als fehlerhafte Schreibung in seinem Aufsatz von 2021. 86 H.A.G. Houghton (2016) lässt die Frage offen: Er wählt puero als Übersetzung, fügt aber Petro in Klammern hinzu. 87 Haelewyck (2018) nimmt in diesem Satz für Korrekturen vor und liest Petro. 88 Außerdem korrigiert er wie die meisten anderen Forscher, die Petro lesen, das et in et qui cum puero 83 C. Focant, Un silence qui fait parler (Mc 16,8), in: Ders., Marc, un évangile étonnant. Recueil d’essais-(BEThL-194), Leuven 2006, 341-358, 343. 84 H.A.G. Houghton, The Gospel according to Mark in two Latin Mixed-text Manuscripts, RBén 126/ 2016), 16-58; ders., The Latin New Testament; Larsen, Gospels Before the Book; ders., A Real-and-Imagined Biography; Haelewyck, Evangelium secundum Marcum. 85 Larsen, Gospels Before the Book, 117. 86 Larsen, A Real-and-Imagined Biography, 110: „Dies ist natürlich als harmloser Textfehler leicht zu erklären“. 87 Houghton, The Latin New Testament, 161. 88 Haelewyck, Evangelium secundum Marcum, fasc. 10, 798 Anm. Mk 16 im Codex Bobbiensis 73 erant zu eis, um eine Formulierung zu erhalten, die mit dem griechischen kürzeren Schluss übereinstimmt: eis qui cum Petro erant, was heißt, dass die Frauen den Personen berichten, die Petrus begleiten. Diese doppelte Korrektur wurde zuerst in der Einleitung der Edition von Wordsworth vorgeschlagen 89 und dann in 1901 prominent übernommen von F. Crawford Burkitt, von J.- M.- S.- Baljon in 1906 und von G. Wohlenberg in 1910. 90 Doch seit dem 19.-Jh. haben andere Forscher die Lesart et qui cum puero erant favorisiert, so etwa Fleck 91 in der ersten modernen Edition von VL 1 aus dem Jahr 1837. Tregelles, der in 1854 et qui cum puero erant las, schlug eine Änderung nur für puero vor und ergänzte „[l. cum Petro]“. 92 Tischendorf, der oft Fleck korrigiert, behält jedoch puero bei 93 und fügt seit der Ausgabe von 1859 in Klammern „corrige petro“ hinzu, 94 des weiteren Wordsworth u. a. in ihrer Edition von 1886 (jedoch nicht in der Einleitung), 95 Turner und Burkitt (1903/ 1904), 96 Cipolla (1913), 97 Hoogterp mit Petro in Klammern (1930), 98 Jülicher (1970), 99 Upton (2006), 100 und Houghton, mit Fragezeichen und Petro in Klammern (2016). 101 89 Wordsworth u. a. (Hg.), Portions of the Gospels, CXXX. 90 F. C. Burkitt, Two Lectures on the Gospels, London/ New York 1901, 27; J.M.S. Baljon, Commentaar op het evangelie van Markus, Utrecht 1906, 271. Diese doppelte Korrektur wurde auch von G. Wohlenberg ab der 2. Aufl. seines Mk-Kommentars aus dem Jahr 1910 übernommen; vgl. G.-Wohlenberg, Das Evangelium des Markus (KNT 2), Leipzig 3 1930, 389. 91 Fleck, Anecdota maximam partem, 46. 92 S. P. Tregelles, An Account of the Printed Text of the Greek New Testament, with Remarks on its Revision upon Critical Principles, together with a Collation of the Critical Texts of Griesbach, Scholz, Lachmann, and Tischendorf, with that in Common Use, London 1854, 253. 93 Tischendorf, Rechenschaft über meine handschriftlichen Studien, Jahrbücher 126/ 1849, 4; Ders., Jahrbücher 120/ 1847, 43 f über Flecks Edition. 94 Vgl. C. Tischendorf (Hg.), Novum Testamentum Graece, Leipzig 2 1849, 147 Anm. zu Mk 16,9-20 https: / / archive.org/ details/ bub_gb_QyxbMbtSJVQC/ page/ n245/ mode/ 2up. 95 Wordsworth u. a. (Hg.), Portions of the Gospels; vgl. S.-23 mit S. CXXX. In der Transkription auf S.-23 verlautet nichts über et qui cum puero erant, vgl. https: / / archive.org/ details/ portionsofgospel00worduoft/ page/ 23/ mode/ 2up. 96 In JTS 5/ 1903-04 publizierten Turner und Burkitt Bemerkungen zu ihren eigenen Beoachtungen zum MS: Sie nehmen bei puero keine Korrektur vor. Vgl. C. H. Turner, A Re-Collation of Codex k of the Old Latin Gospels, JTS 5/ 1903-04, 88-100; F. C. Burkitt, Further Notes on Codex k, JTS 5/ 1903-04), 100-107. 97 C. Cipolla u. a., Il codice evangelico k della Biblioteca universitaria nazionale di Torino, riprodotto in fac-simile per cura della Regia accademia delle scienze di Torino, Turin 1913, 68 (in der Liste der Korrekturen zur Folioseite 41 f. keine Erwähnung von puero). 98 Hoogterp, Etude sur le Latin, 9. 99 A. Jülicher, Das Neue Testament in altlateinischer Überlieferung. II. Marcus-Evangelium, Itala-2, Berlin 1970, 158. 100 Upton, Hearing Mark’s Endings, 174.192. 101 Houghton, The Latin New Testament, 161. 74 Claire Clivaz In einem Aufsatz von 2020 habe ich die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass puero das Echo einer polymorphen Christologie sein könnte, eine Hypothese, die ich in in 3.2. näher überprüfen werde. 102 Zunächst erfordert aber der voranstehend referierte Forschungsstand eine nähere Befassung mit dem Problem. Zuvorderst ist anzuerkennen, dass die betreffenden Buchstaben in klarer Schrift geschrieben sind. Man liest ohne Schwierigkeiten et qui cum puero erant. 103 Zweitens liegt kein grammatischer oder orthographischer Fehler vor. Wie Hoogterp hervorhebt, „sieht das Wort richtig aus, ist aber im Kontext unverständlich“. 104 Es handelt sich also nicht um einen Schreibfehler wie etwa bei Maxriam in Mt 1,20 auf f. 44r, wie Yang meinte. 105 Drittens enthält die HS zahlreiche Korrekturen. Adolphine Bakker vergleicht puero mit der Schreibung regnus statt Petrus in Mk 14,66, f. 34v. 106 Aber ein Blick in das Cipolla-Faksimile zeigt, dass regnus in f. 34v sorgfältig zu Petrus korrigiert wurde. 107 Hoogterp erklärt den Fehler im Rahmen seiner Kursiv-Hypothese: 108 regnus wurde später vom Zweikorrektor (6.-7. Jh.) aus logischen Erwägungen geändert. Nach Hoogterp gilt insgesamt, dass die HS „ausgiebig korrigiert wurde“. 109 Dementsprechend ist es überaus bemerkenswert, dass die Korrektoren puero in f. 41r unverändert gelassen haben, während Hoogterp nachvollziehbar eine Buchstabenkonfusion aufgrund der Abschrift von einer lateinischen Kursivhandschrift annahm. 110 Larsen hat bereits seine Verwunderung hierüber zum Ausdruck gebracht, 111 zu Recht, denn auf Folioseite 41 r. wurde an anderen Stellen durchaus korrigiert: Ein doppeltes cum wurde durch Expunktion getilgt, wahrscheinlich vom zweiten Korrektor. 112 Im letzten Satz wurde das fehlende praedication[em] 113 in einer Marginalie am unteren Seitenrand nachgetragen. Andererseits haben die 102 Clivaz, Looking, 218-223; vgl auch Acta Petri 21,29 (Hinweis Jean-Daniel Kaestli). 103 Vgl. f. 41r, zugänglich über https: / / mr-mark16.sib.swiss/ show? id=Vkwx 104 Hoogterp, Etude sur le Latin, 9. 105 Yang,-Other Endings of Mark as Responses to Mark, 194. 106 Bakker, A Study, 19. 107 Cipolla u.a., Il codice evangelico k, f. 34v. 108 Hoogterp, Etude sur le Latin, 12-14. 109 Hoogterp, Etude sur le Latin, 8. Er ist mit Sunday und Wordsworth gegen Cipolla der Ansicht, dass nicht nur einer, sondern zwei Korrektoren am Werk waren (vgl. Cipolla, Il codice evangelico k, 13). 110 Hoogterp, Etude sur le Latin, 12. 111 Larsen, A Real-and-Imagined Biography, 110f.: „Es ist merkwürdig, dass der Korrektor (die zweite Hand) so viele andere Fehler korrigiert, diesen aber stehengelassen hat.“ 112 Wordsworth u. a. (Hg.), Portions of the Gospels, 23, v.8 Anm. 2. 113 Wie Wordsworth u. a., Portions of the Gospels, 23, Anm. zu v. 9 feststellen, ist praedicationis eine sekundäre Lesart, die praedicationem ersetzen sollte; vgl. auch Hoogterp, Etude sur le Latin, 107. Mk 16 im Codex Bobbiensis 75 Korrektoren das zweite usque stehen gelassen, das als „Emphase durch Wiederholung“ 114 verstanden werden kann, und sie haben, wie gesagt, auch puero nicht geändert, außerdem auch nicht et qui zu eis qui, wie Wordsworth u. a. und andere Forscher vorgeschlagen haben. Hieraus ergeben sich vier Fragen, die nachfolgend zu stellen und zu beantworten sind: 3.2 Vier Fragen, die für eine Transkription und Edition der conclusio brevior in VL 1 zu bedenken sind (1) Ist ein Hintergrund denkbar, der erklärt, warum die Korrektoren puero stehengelassen haben? Das Fehlen einer Korrektur von puero ist, wie gesagt, ziemlich erstaunlich. Beispielsweise wurde nämlich maledixisti in Mk 15,34 (f. 38v) in dereliquisti geändert. 115 Aus einer konsequent rezeptionsorientierten und rezeptionsgeschichtlichen Sicht scheint mir eine polymorphe Christologie ein plausibler Hintergrund zu sein, der erklärt, warum puero in VL 1 nicht korrigiert wurde. Nach wegbereitenden Studien in den 50er und 60er Jahren 116 ist das Thema der polymorphen Christologie mit zwei Aufsätzen aus dem Jahr 1981 von Eric Junod und Guy Stroumsa verstärkt in den Blick geraten. Dem Beitrag von Junod verdankt die Forschung eine gültige Definition dessen, was unter polymorpher Christologie zu verstehen ist, 117 und Stroumsa hat sein besonderes Augenmerk auf die Johannesakten und das Johannesapokryphon gerichtet. 118 Aus den 1990er und frühen 2000er Jahren stammen die Studien von Pieter J.-Lalleman zu den apokryphen Apostelakten 119 und von Hughes Garcia zwei Aufsätze und seine Dissertation. 120 Weitere Studien zur apokryphen Literatur folgten, etwa Combs Artikel über das Petrusevangelium von 2014. 121 114 Upton, Hearing Mark’s Endings, 192. 115 F. C. Burkitt, Notes. 1. On St. Mark XV 34 in Cod. Bobiensis, JThS 1/ 1900, 278f. 116 Vgl. die Arbeiten von Weigandt, Puech, de Lubac, Ménard, und Peterson, auf die Eric Junod, Polymorphie du Dieu Sauveur, in: J. Ries (Hg.), Gnosticisme et monde hellénistique, Publications de l’Institut orientaliste de Louvain 27, Louvain 1982, 38-46, 38 f verweist. 117 E. Junod, Polymorphie, 39; zitiert beispielsweise von P. J. Lalleman, Polymorphy of Christ, in: J. N.-Bremmer (Hg.), The Apocryphal Acts of John, Studies on the Apocryphal Acts of the Apostles, Kampen 1995, 97-118, 99 und P. Foster, Polymorphic Christology: Its Origins and Development in Early Christianity, JThS 58/ 2007, 66-99, 66. 118 G. Stroumsa, Polymorphie divine et transformations d’un mythogène: l’Apocryphon de Jean et ses sources, VC 35/ 1981, 412-434. 119 Lalleman, Polymorphy of Christ. 120 H. Garcia, La polymorphie du Christ. Remarques sur quelques définitions et sur de multiples enjeux, Apocrypha 10/ 1999, 16-55; ders., L’enfant vieillard, l’enfant aux cheveux blancs et le Christ polymorphe, RHPR 80/ 2000, 479-501; ders., La polymorphie du Sauveur gnostique. Une contribution à l’étude du gnosticisme ancien, Diss. Paris 2003. 121 J. R. Combs, A Walking, Talking Cross: The Polymorphic Christology of the Gospel of Peter, Early Christianity 5/ 2014, 198-219. 76 Claire Clivaz Dagegen ist das Verhältnis zwischen christologischer Polymorphie und der ntl. Literatur bisher kaum erforscht. Der wichtige Aufsatz von Paul Foster von 2007 mit einem Überblick zu nichtkanonischen und kanonischen Texten stellt eine Ausnahme dar. 122 Immerhin kann Bogdan Bucur in seiner in 2019 vorgelegten Monographie zu christophaner Exegese von einem anerkannten Forschungsthema ausgehen. 123 Eine klare Typisierung dessen, was als polymorphe Christologie bezeichnet wird, steht indes noch aus. Lalleman weist mit Recht darauf hin, dass „verschiedene Phänomene in frühchristlichen Texte voreilig als Polymorphie bezeichnet wurden, wo es eigentlich um Metamorphose geht.“ 124 Eine Klärung des Sachverhalts ist m. E. dadurch zu erreichen, dass kanonische und nichtkanonische Texte miteinander untersucht werden. Der Ausdruck ἐν ἑτέρᾳ μορφῇ in Mk 16,12, dem Garcia in seiner Dissertation immerhin eine Fußnote widmet, 125 spielt in Fosters Untersuchung eine Schlüsselrolle. Foster meint, dass „Darstellungen Jesu in mehreren Gestalten sowohl in doketischen wie in ,protoorthodoxen‘ Christologien verwendet werden, um die je eigene Auffassung von der Natur der Person Christi zu entwickeln.“ 126 Mit dieser neuen und kühnen Sicht 127 geht er über James Kelhoffer hinaus, der den Ausdruck ἐν ἑτέρᾳ μορφῇ in Mk 16,12 lediglich als „merkwürdige Aussage“ einordnet. 128 Nach Foster zeigt der Ausdruck „die zunehmende Bedeutung von Beschreibungen eines polymorphen Christus im Laufe des 2. Jh.s und später.“ 129 Es liegt nahe, von hier aus nach möglichen Hinweisen auf christologische Polymorphie zu fragen, die sich speziell auf Jesus als Kind beziehen. 122 Foster, Polymorphic Christology. 123 Vgl. B. Bucur, Scripture Re-envisioned. Christophanic Exegesis and the Making of a Christian Bible (The Bible in Ancient Christianity 13), Leiden 2019, 225-228; 254-256. 124 Lalleman, Polymorphy of Christ, 99. 125 Garcia, La polymorphie, 121 Anm. 344: „Mk 16,12 und der Ausdruck ἐν ἑτέρᾳ μορφῇ verweist an sich auf hellenistische mythologische Traditionen und ist mit Joh 20,15 in Verbindung zu bringen ( Joh 20,11-18 ist die genaue Parallele zu Mk 16,9-11). James A. Kelhoffers überaus gelehrtes Buch, Miracle and Mission […], bietet gleichwohl keinen Kommentar zum mythologischen Thema des Polymorphismus oder der Metamorphosen Christi (die andere Gestalt Jesu wird auf eine theologische und innerkanonische Erklärung des Geheimnisses von Jesu Inkognito vor den Jüngern in Emmaus reduziert).“ Mein Dank geht an Hughes Garcia, der mir seine bisher noch unpublizierte Dissertation zur Verfügung gestellt hat. 126 Foster, Polymorphic Christology, 66.99. 127 Christologische Polymorphie wurde oft als Phänomen angesehen, das erst recht spät in das christliche Denken eindrang. Jacques E. Ménard, Transfiguration et polymorphie chez Origène, in: Epektasis. Mélanges Daniélou, Paris 1972, 367-372 bei Lalleman, Polymorphy of Christ, 101 vermutet iranischen Einfluss auf Origines. 128 Kelhoffer, Miracle and Mission, 89. 129 Foster, Polymorphic Christology, 71. Mk 16 im Codex Bobbiensis 77 Foster verweist auf das Judasevangelium, wo Jesus, vor der Kreuzigung im Gespräch mit seinen Jüngern „als Kind“ erscheint (33,1.15-20). 130 Diese Lesart der Editio princeps wird allerdings in der zweiten Auflage durch drei Punkte ersetzt und in einer Anmerkung als sehr unsicher eingestuft. 131 In der gebotenen Vorsicht werden wir die Stelle also nicht als Beleg innerhalb unserer Diskussion werten. Foster nennt aber außerdem zwei Belege für Erscheinungen Jesu nach der Kreuzigung als alter Mann, als junger Mann und als Kind: In Acta Petri 21,29 gemäß dem Bericht einer alten Frau an Petrus, 132 und im Johannesapokryphon berichtet Johannes von einer Vision, in der Christus als Kind, als alter Mann und dann als ein junger Mann erscheint. 133 Wie Eric Junod in 1981 bemerkte, „gibt es gibt das Motiv der Polymorphie in verschiedenen Epochen, ein Motiv, das sowohl alt als auch sehr einfach ist, das sich als erfolgreich erweist und sich vor allem für vielfältige Kombinationen und Erweiterungen eignet.“ 134 Er vermutet den Ursprung des Motivs in Ägypten und sieht einen Zusammenhang zur Polymorphie des Sonnengottes Horus, der ebenfalls manchmal als Kind, als junger Mann oder als alter Mann erscheint, entsprechend den Stationen des täglichen Laufs der Sonne. 135 Von daher kann man einen ägyptisch-nordafrikanischen Hintergrund für Mk 15,35b in VL 1 annehmen, der Region also, die, wie bereits notiert, oft als Entstehungsort von VL 1 angenommen wird. Tatsächlich heißt es in Mk 15,35 (f. 38v): et quidam eorum qui aderant cum audissent aiebat ,helion uocat‘ („und einer von denen, die anwesend waren und hörten, sagte: ,er ruft 130 Vgl. die Diskussion bei Foster, Polymorphic Christology, 80-83. 131 R. Kasser/ M. Meyer/ G. Wurst (Hg.), The Gospel of Judas, Washington 2 2008, 30 Anm. 8: „Möglicherweise ,als Kind‘ oder ,eine Erscheinung‘ oder auch ,eine Decke‘. Die Bedeutung von ’nhrot ist unklar.“ 132 Vgl. M. Döhler (Hg.), Acta Petri. Text, Übersetzung und Kommentar zu den Actus Vercellenses (TU 171), Berlin 2018, 107: „Einige sagten: ,Wir sahen einen Alten, welche Gestalt er hatte, können wir dir nicht erzählen.‘ Andere aber: ,Einen jungen Mann‘, 〈wieder〉 andere aber sagten: ,Wir haben einen Knaben gesehen, der unsere Augen leicht berührte; so wurden unsere Augen geöffnet.‘ Petrus rühmte darauf den Herrn und sagte: Du alleiniger Herr und Gott, wieviele Münder brauchen wir, dich zu loben, damit wir dir gemäß deiner Barmherzigkeit danken können? Also, Brüder, wie ich euch kurz zuvor berichtet habe, größer ist unser beständiger Gott als unsere Gedanken, wie wir von den alten Witwen erfahren haben, die jeweils auf andere Weise den Herrn gesehen haben‘.“ 133 AJ II,2,1-II,2,12: „ich] sah im Licht [ein Kind] bei mir [stehen]. Während ich [es] anstarrte, [wurde] es wie ein alter Mann. Dann [änderte] er seine Erscheinung in die eines Dieners. Da war [nicht eine Vielheit] vor mir, sondern eine [Erscheinung mit] mehreren Gestalten im [Licht], und [die Gestalten] erschienen durcheinander und die [Erscheinung] hatte drei Gestalten.“ Zitiert aus M. Waldstein, Das Apokryphon des Johannes (NHC II,1; III,1; IV,1 und BG 2), in: H.-M. Schenke u. a. (Hg.), Nag Hammadi Deutsch (Studienausgabe), Berlin/ New York 2007, 74-123, 78. 134 Junod, Polymorphie, 41. 135 Junod, Polymorphie, 42. 78 Claire Clivaz Helion‘“). 136 Hougthon nimmt mit anderen Forschern an, dass „Helion, der Name des Sonnengottes, anstelle von Heliam in Mk 15,34 [richtig: 15,35, Anm. d. Vfn.] steht“. 137 Auch nach Larsen „hängt Jesus am Kreuz und ruft nach Helios, dem Sonnengott“. 138 Aber in VL 1 ist nicht direkt gesagt, dass Jesus am Kreuz Helios/ Helion anruft, sondern dass dies die Wahrnehmung aus der Beobachterperspektive ist. Dieser quidam („einer“) ist keiner von Jesu Begleitern. Er steht für eine in Ägypten verbreitete Meinung: Clemens von Alexandria erzählt, ein Grammatiker namens Alexarch habe sich als Repräsentation des Helion ausgegeben und der Arzt Menakrates habe sich den Namen Zeus beigelegt. 139 Zweifellos ist der Ruf Jesu am Kreuz nach Helios aus der Sicht eines ägyptischen quidam im 2. und 3. Jh. bedeutsam. Mk 15,35 bestätigt mithin die ägyptische Herkunft von VL 1 und, so Junod, denselben kulturellen Hintergrund auch für das Motiv der Polymorphie der drei Lebensalter. 140 Dieser Befund spricht dafür, dass die Schreiber von VL 1, sollten sie die Petrusakten und das Johannesapokryphon gekannt haben, der Phrase et-qui cum puero erant in der conclusio brevior einen entsprechenden Sinn beilegen konnten. Eindeutig steht puero in der HS, ebenso eindeutig wurde es von späterer Hand nicht korrigiert, und dementsprechend wird puero in unserer Transkription beibehalten (3.3). Aus der Perspektive einer Geschichte der Interpretation ist es wichtig, dieses besondere Detail in seinem spezifischen kuturellen Überlieferungszusammenhang nicht aus den Augen zu verlieren. (2) Kann von einer christologischen Polymorphie bereits in der Entstehungszeit von VL 1 ausgegangen werden, oder handelt es sich um einen schlichten Lesefehler, der der Kursivschrift der Vorlage geschuldet ist (Hoogterp)? Wenn es vorstellbar ist, dass die beiden Korrektoren cum puero als ein Echo christologischer Polymorphie aufgefasst haben, wie verhält es sich dann mit dem Schreiber von VL 1? Nach meinem Dafürhalten ist das nicht zu entscheiden, und die eine Möglichkeit muss die andere ja auch nicht ausschließen: Der Lesefehler kann dadurch begünstigt worden sein, dass der Schreiber in Kategorien christologischer Polymorphie dachte. Wir müssen die Frage also offen lassen. 136 Wordsworth u. a., Portions of the Gospels, 21. 137 Houghton, The Latin New Testament, 22. 138 Larsen, A Real-and-Imagined Biography, 111. 139 Protreptikos 4,54,3: „Und nicht nur Könige, sondern auch einfache Bürger pflegten sich mit göttlichen Namen zu schmücken, wie z.-B. der Arzt Menekrates, der den Beinamen Zeus hatte. Warum soll ich den Alexarchos erwähnen? Dieser war seines Zeichens ein Grammatiker, verwandelte sich aber, wie Aristos von Salamis erzählt, in Helios.“ Zitiert aus O. Stählin, Des Clemens von Alexandreia ausgewählte Schriften Bd.-1 (BKV 2. Reihe, Bd.-7), Kempten 1934, 45. 140 Auch Larsen, A Real-and-Imagined Biography, v. a. 116-120, votiert entschieden für einen nordafrikanischen Hintergrund von VL 1. Mk 16 im Codex Bobbiensis 79 (3) Kann mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass puero bereits in der Vorlage von VL 1 stand? Dafür, dass in der Vorlage nicht puero, sondern Petro stand (Hoogterp’s Vorschlag), gibt es meiner Meinung zufolge drei gewichtige Argumente. (a) Zwar ist Mk 16 in mehreren Varianten überliefert, doch gibt es im Unterschied zur Erwähnung der drei Lebensalter in ActPetr 21,29 oder AJ II,2,1-12 nirgends einen weiteren Anhaltspunkt im Text, der auf christologische Polymorphie deuten würde, zumal an den genannten Stellen, wie Junod anmerkt, die polymorphe Erscheinung den Zeugen rätselhaft erscheint. 141 Im kürzeren Mk-Schluss ist hiervon absolut nichts zu bemerken. (b) In allen anderen mir aktuell 142 zugänglichen Varianten des kürzeren Schlusses wird eindeutig und ausnahmslos Petrus genannt. Diese Beobachtung erhält zusätzliches Gewicht im Vergleich mit den Textvarianten am Anfang des Satzes in den unterschiedlichen alten Übersetzungen des kürzeren Schlusses, s. u. unter (4). Die stabile Überlieferung des Petrusnamens ist ein starkes Argument für seine Beibehaltung in der Edition der conclusio brevior in VL 1. (c) Der kürzere Schluss in k hat die Funktion eines endgültigen Abschlusses der Erzählung. Alles wird nun breviter dargestellt und es gibt keinerlei Raum mehr für Begebenheiten mit außergewöhnlichen Erscheinungen oder weitere Belehrungen. Diese drei Argumente legen es m. E. nahe, in der Edition cum Petro als Lesart vorzuschlagen, die höchstwahrscheinlich in der Vorlage von VL 1 und der vorangehenden Texttradition stand. (4) Wenn puero ein Lesefehler aus einer HS in Kursivschrift ist, ist dann auch et qui in eis qui zu ändern? Wie wir in 3.1 gesehen haben, wurde in der Forschung mit der Änderung von puero in Petro oft auch et qui in eis qui geändert, um eine Übereinstimmung mit dem Wortlaut des griechischen kürzeren Schlusses zu erreichen. 143 So versteht etwa Laurent die Aussage in k: „Die Frauen hätten die Nachricht den Jüngern überbracht“ 144 . Wenn wir aber et qui beibehalten, ist gesagt, dass die Leute des Petrus - qui cum Petro erant - einen kurzen Bericht 141 Junod, Polymorphie, 39: „Das Hauptmerkmal der Polymorphie besteht in der Paradoxie einer Einheit, die sich in mehreren Formen manifestiert; diese paradoxe Erscheinung verursacht in der Regel Probleme für die Person, die sie erlebt“. 142 Über den Wortlaut der von Metzger und- William F.- Macomber kollationierten äthiopischen HSS von Mk 16 wird erst die inzwischen begonnene Kooperation mit Damien Labadie (CNRS) Aufschluss geben. 143 Vgl Nestle-Aland 28 online: Πάντα δὲ τὰ παρηγγελμένα τοῖς περὶ τὸν Πέτρον συντόμως ἐξήγγειλαν. Μετὰ δὲ ταῦτα καὶ αὐτὸς ὁ Ἰησοῦς ἀπὸ ἀνατολῆς καὶ ἄχρι δύσεως ἐξαπέστειλεν δι‘ αὐτῶν τὸ ἱερὸν καὶ ἄφθαρτον κήρυγμα τῆς αἰωνίου σωτηρίας. ἀμήν. www.nestle-aland.com/ en/ read-na28-online/ text/ bibeltext/ lesen/ stelle/ 51/ 160001/ 169999/ . 144 Focant, Un silence, 343 (s. o., Ende Abschnitt 2.2). 80 Claire Clivaz von den erhaltenen Instruktionen geben. So hat etwa Tischendorf in puero korrigiert, jedoch et qui beibehalten (s. o. unter 3.3.). 145 Zunächst: Auch andere alte Übersetzungen belegen, dass die Begleiter des Petrus als Subjekte eines Berichts auftreten können. Während die griechischen Zeugen des kürzeren Schlusses eindeutig dem eis qui entsprechen, bieten die syrische Harklensis (615/ 616 n. Chr.) 146 und äthiopische HSS abweichende Lesarten. In der von Yohanna besorgten Edition und Übersetzung des kürzeren Schlusses der syrischen Harklensis heißt es: „Alle diese Dinge, die dem Haus des Petrus aufgetragen wurden, haben wir kurz wiedergegeben. Danach sendete Jesus selbst durch sie vom Osten bis in den Westen die heilige und unvergängliche Verkündigung der ewigen Erlösung. Am[en].“ 147 In dieser Version wurden die „Dinge“ dem „Haus des Petrus“ mitgeteilt, nicht der Gruppe von Frauen, und ein „Wir“ berichtet innerhalb der Erzählung davon. Von den Frauen verlautet nichts. In der äthiopischen Version heißt es: „Und alle Dinge, die er Petrus und seinen Leuten aufgetragen hatte, berichteten sie vollständig, und danach zeigte sich Jesus ihnen, und vom Aufgang der Sonne bis in den Westen sandte er sie, um die ewige Erlösung durch das heilige Evangelium zu verkündigen, das unzerstörbar ist.“ 148 In dieser Version sind Petrus und seine Begleiter die Berichtenden, entsprechend dem et qui in VL 1: Metzger vergleicht diesen äthiopischen kürzeren Schluss mit der griechischen Version und hält fest: „Da die maskuline Verbform […], sie berichteten vollständig‘ nicht zum zugehörigen Subjekt passt, d. h. den Frauen am Grab, erscheint das Verb in den HSS 31 und 57 in femininer Form. Ebenso wird in den HSS 31 und 35 das maskuline Suffix ,ihm‘ bei dem Wort, das hier mit ,die er aufgetragen hatte‘ übersetzt ist, in ,ihnen‘ (fem. pl.) geändert.“ 149 Mit anderen Worten: Die HSS 31, 35 und 57 haben den Text an die griechische Version angeglichen. Alle anderen von Metzger herangezogenen HSS nennen dagegen Perus und seine Leute als diejenigen, die berichten, entsprechend et qui in VL 1. Wenn es sich hier um eine alternative Tradition handelt, gibt es keinen Grund mit Metzger die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass „der ursprüngliche Übersetzer in das Äthiopische den ersten Satz des kürzeren Schlusses miss- 145 Tischendorf, Novum Testamentum, 320, Anm. 9-20, 1. 146 S. S. Yohanna, The Gospel of Mark in the Syriac Harklean Version. An Edition Based upon the Earliest Witnesses, Rom 2015, 5. 147 Yohanna, The Gospel of Mark in the Syriac Harklean Version, 93. 148 Metzger, The Ending, 1980, 135. 149 Metzger, The Ending, 136. Mk 16 im Codex Bobbiensis 81 verstanden hat“. 150 Bedauerlicherweise bezieht sich Metzger in seinem Aufsatz nicht auf den kürzeren Schluss in k, der die Beurteilung der äthiopischen Version in allen Einzelheiten ermöglicht hätte. Eine alternative Texttradition ist umso wahrscheinlicher, als die Harklensis ein „Wir“ als Subjekt des Berichts einführt. Während puero sich unter den Versionen des kürzeren Schlusses nur in VL 1 findet und als Lesefehler aus einer Vorlage in Kursivschrift erklärt werden kann, erfährt die Tradition, die die Leute des Petrus als Berichtende nennt - et qui cum Petro erant, Unterstützung aus anderen alten Übersetzungen. Zweitens spricht Mk 16,8 in VL 1 für das Szenario, dass die Frauen ihres Weges gingen, während „die bei Petrus waren“ eigenständig berichteten. Wie wir wissen, wird in 16,8 VL 1 nicht gesagt, dass die Frauen stumm geblieben seien. Der Text formuliert auf eigene Weise durch das autem astelle von καί am Anfang: „Illae autem cum exirent a monumento fugerunt“ (16,8a). 151 Der Jüngling gibt den Frauen einen Auftrag, aber sie flohen weg vom Grab. Wenn zu Recht das autem so verstanden und auch et qui auf dieser Sinnlinie gelesen wird, wäre erklärt, warum die Leute des Petrus alles ihnen Aufgetragene berichteten, omnia quaecumque praecepta erant. Die zweifache Rückkehr nach Galiläa, die der Frauen und des Petrus samt Begleitern, findet sich, wie Junod hervorhebt, auch in einem anderen Evangelienschluss, nämlich im Petrusevangelium, Kap. 54 und 58. Die Frauen kommen „nach Hause zurück“ (54), ohne von dem Jüngling am Grab mit dem Überbringen einer Nachricht beauftragt worden zu sein. Kap 57 erwähnt nichts von ihrem Schweigen, wie in VL 1 Mk 16,8b. Petrus und seine Begleiter sind betrübt (58.59), weil sie „noch nicht von der Auferstehung erfahren haben“. 152 Leider bricht der fragmentarische Text ab, als Petrus mit Andreas und Levi zum Fischen geht, wohl vor der Erscheinung Jesu. Interessanterweise heißt es in den letzten erhaltenen Zeilen „Wir, die zwölf Jünger“ und dann „Ich, Simon Petrus“. Die syrische Harklensis hat hier ebenfalls in „Wir“, wie oben angemerkt. Während das EvPetr und VL 1 in der Forschung wiederholt vergleichend untersucht wurden, 153 war der Vergleich speziell dieser doppelten Heimkehr - 150 Metzger, a.a.O. 151 Wordsworth u. a. (Hg.), Portions of the Gospels, 23. Wie in 3.1 bereits notiert kann das erste cum, vom ersten Korrektor durch Punkte getilgt, weggelassen werden (Vgl. 23, v.8, Anm. 2). 152 Vgl. E. Junod, Evangile de Pierre, in: F. Bovon/ P. Geoltrain (Hg.), Ecrits apocryphes chrétiens I (Pléiade 442), Paris 1997, 254 Anm. 59: „Wie die Frauen (s. Kap. 54) kehren die Jünger nach Hause, d. h. nach Galiläa, zurück, was ihren Zustand der Traurigkeit erklärt: Sie wissen noch nichts“. 153 Vgl. v. a. T. P. Henderson, The Gospel of Peter and Early Christian Apologetics. Rewriting the Story of Jesus’ Death, Burial, and Resurrection (WUNT II.301), Tübingen 2011, sowie Junod, Evangile de Pierre, 252 Anm. 35. Der Vergleich wird selbstredend auch das 82 Claire Clivaz einerseits der Frauen, andererseits des Petrus und seiner Leute - nach meiner Kenntnis bisher ein Desiderat, wobei EvPetr nicht nur mit et qui cum Petro erant in VL 1 übereinstimmt, sondern eben auch mit den äthiopischen und syrischen Versionen des kürzeren Schlusses. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf (s. u. unter 4). Kurz gesagt: Nach alten Übersetzungen des kürzeren Schlusses sind die Leute des Petrus die Berichtenden. Dementsprechend behalte ich et qui in der Edition als Echo dieser alternativen Tradition bei. 154 Die Untersuchung unter 3.2. hat, so hoffe ich, gezeigt, warum eine Edition des kürzeren Schlusses in VL 1 et qui cum Petro erant anstatt et qui cum puero erant oder eis qui cum Petro erant bieten sollte. Das Hauptargument lautet, dass keine Version, in der die Begleiter diejenigen sind, die den Bericht geben, puero statt Petro enthält (Sollten im Fortgang des Projekts solche Textzeugen auftauchen, wäre selbstredend neu zu überlegen). Der folgende Teil bietet eine Transkription, eine annotierte Edition und eine Übersetzung des kürzeren Schluss in VL 1. 3.3 Die conclusio brevior in VL 1: Transkription und Edition. 3.3.1 Transkription Die von Mina Monier und mir besorgte Transkription ist auf der Website des MARK16-Projekts zugänglich (s. u.). Dabei haben wir uns so exakt wie möglich an der Fotografie von f. 41 f orientiert, die wir aus der Turiner Bibliothek erhalten haben. Als Grundlage diente uns die Transkription von Wordsworth u. a. Im September 2020 hatte ich die Gelegenheit, die HS im Original zu sehen. Die genannten Schritte haben zu unserer Transkription geführt; Anmerkungen s. u. unter 3.3.2 EvPetr und das MkEv insgesamt heranziehen. Für Henderson, The Gospel of Peter and Early Christian Apologetics, 230.233 ist „EvPetr 12,50-13,57 bei weitem der ,markinischste‘ Abschnitt dieses Evangeliums“, womit er sich zugleich von Köster abgrenzt, der das EvPetr in Abhängigkeit von einer vormk. Quelle sieht. C. H. Turner, The Gospel of Peter, JThS 14/ 1913, 161-187, 174 zieht in Betracht, dass das EvPetr „auf anderen Quellen fußt, v. a. auf dem verlorenen Mk-Schluss“. Henderson, 207 resümiert, dass „die Forschung mehrheitlich der Auffassung ist, dass die Ähnlichkeiten zwischen dem EvPetr, dem Codex Bobbiensis, dem Martyrium Jesajas und der Ascensio Jesajae in einer allen gemeinsamen Tradition zu suchen sind, wobei das EvPetr dieselbe am umfangreichsten bewahrt hat“. 154 So auch Houghton, The Latin New Testament, 161, zitiert in Abschnitt 1.2. Mk 16 im Codex Bobbiensis 83 VL 1, f. 41r 155 ; transcription by Mina Monier and Claire Clivaz, auf Grundlage der HS und der Edition von Wordsworth et al., S.-23; SNSF MARK16 CC-BY-4.0 3.3.2 Edition und Übersetzung Omnia autem quaecumque 156 praecepta erant et 157 qui 158 cum P[et]ro 159 erant breuiter exposuerunt posthaec et ipse Iesus adparuit et ab orientem 160 usque in 161 orientem 162 misit per illos sanctam et incorruptam [praedicationem] 163 salutis aeternae. Amen. 155 https: / / mr-mark16.sib.swiss/ show? id=Vkwx; Dank an Hugh Houghton für eine kritische Prüfung des Lateinischen. 156 Quaecumque hat hier keine besondere Bedeutung: „Seit Cicero wird quicumque als unbestimmtes Relativpronomen verwendet“ (Hoogterp, Etude sur le Latin, 163). 157 Das et meint augenscheinlich, dass die Frauen ihrerseits Bericht erstattet haben. Die Rolle der Frauen in Mk 16 VL 1 bedarf für ein angemessenes Verständnis weiterer Untersuchungen, namentlich im Blick auf 16,1 und die Ergängung zwischen 16,3 und 16,4 (Dank an Joel Marcus, der mich auf das Gewicht des et vor qui hingewiesen hat). 158 Zur Entscheidung et qui beizubehalten vgl. die Diskussion zu Frage 4 unter 3.2. 159 Zur Entscheidung puero durch Petro zu ersetzen vgl. die Diskussion zu Frage 3 unter 3.2. 160 Für ab orientem gibt Hoogterp, Etude sur le Latin, 110 Beispiele für einen Akkusativ nach a/ ab. 161 Hoogterp, Etude sur le Latin, 119. 162 Upton, Hearing Mark’s Endings, 192 versteht das (im MS unkorrigierte) doppelte usque als „Emphase durch Wiederholung“. Entsprechend behalte ich auch die Wiederholung von orientem bei, ersetze also nicht das zweite durch das logisch geforderte occidentem. Gemeint ist: Die ganze Welt empfängt die Predigt der ewigen Erlösung. Für Hoogterp, Etude sur le Latin, 9 ist das zweite usque eine Dittographie. Beide Sichtweisen schließen einander nicht aus. 163 As Wordworth et al. have already noted, the letters -dicationis should have been preceeded by -dicationem (Wordsworth et al. [eds.], Portions of the Gospels, p.-23, footnote on 9). 84 Claire Clivaz Alle übermittelten Weisungen aber legten auch die, die mit Petrus waren, kurz aus; und danach erschien Jesus selbst und sandte durch sie die heilige und unvergängliche Predigt des ewigen Heils vom Osten zum Osten. Amen. 4 Ergebnis Ziel dieses Beitrags war zu zeigen, dass Codex k bzw. VL 1 ein wichtiger Teil des Rätsels ist, das der Schluss des MkEv in den Handschriften des 4. Jh.s aufgibt, gleichen Ranges mit GA 01 und GA 03. Der Codex bedarf als Kopie einer Vorlage aus dem 3. Jh., mithin einer frühen Stimme unter den alten Textzeugen des NT, eingehender Forschungen. Die Phrase et qui cum puero erant war eine eigene Untersuchung wert: Sie ist in VL 1 in klarer Schrift geschrieben und wurde auch von späteren Korrektoren nicht angetastet. Für (den Schreiber und) die Korrektoren von VL hatte sie eine Bedeutung. In der Transkription wurde sie dementsprechend beibehalten. Die Diskussion unter 3.2 hat aber ergeben, dass die Vorlage sehr wahrscheinlich et qui cum Petro erant enthielt, wie auch ausnahmslos alle anderen Versionen des kürzeren Schlusses „Petrus“ enthalten. Dieser Faktor ist umso wichtiger, als äthiopische und syrische Versionen darin alternative Lesarten bieten, dass sie wie VL 1 den Bericht über empfangene Instruktionen den Leuten des Petrus zuschreiben - et qui. Außerdem hat der kürzere Schluss in VL 1 die Funktion eines definitiven Erzählabschlusses (breviter), der nur noch kurze Formulierungen zulässt und keinen Raum für weitere Erzählmotive wie etwa wunderbare Erscheinungen oder weitere Unterweisungen bietet. Deshalb wurde der Knabe in der Edition durch Petrus ersetzt. Die wichtigste Besonderheit des kürzeren Schlusses in VL 1 besteht am Ende darin, dass „die mit Petrus waren“ von Instruktionen durch Jesus berichten, und zwar „kurz“ (breviter), während die Frauen vom Grab geflüchtet sind, ohne dass von ihrem Verstummen die Rede ist (16,8b). Ein Vergleich des hier vorausgesetzten zweifachen, voneinander unabhängigen Aufbruchs von Jerusalem mit der Darstellung am Ende des EvPetr bietet sich an. Von hier aus können weitere Gemeinsamkeiten, die zwischen beiden Texten bestehen, untersucht werden, etwa das Fehlen der Namen der Maria, Mutter des Jakobus, und der Salome in 16,1 und EvPetr 50 oder das Fehlen der Notiz über das Schweigen der Frauen in 16,6b und EvPetr 57. Zu untersuchen ist auch das Verhältnis des zwischen 16,3 und 16,4 eingeschobene Verses zu EvPetr 35-44 wie auch zum Evangelium nach Bartholomäus I,6-9. 164 Die sehr alte alternative Tradition eines Berichts durch 164 D. W. Palmer, The origin, form and purpose of Mark XVI,4 in Codex Bobbiensis, JThS 27/ 1976, 113-122, 122. Mk 16 im Codex Bobbiensis 85 die Leute des Petrus, auf die wir in lateinischen, äthiopischen und syrischen Versionen des kürzeren Schlusses gestoßen sind, ist für ein besseres Verständnis dessen, worum es in den unterschiedlichen Versionen des Schlusspassagen des MkEv bis zum 4. Jh. geht, von großer Bedeutung. Die Arbeit geht also weiter.