eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 24/47

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2021
2447 Dronsch Strecker Vogel

Markus: Autor oder Erinnerungsfigur?

2021
Manuel Vogel
Kontroverse Markus: Autor oder Erinnerungsfigur? Einleitung in die Kontroverse Manuel Vogel Arbeitstitel für die vorliegende Kontroverse war: „Das Markusevangelium: Gedächtnisspur oder historische Quelle? “ Im Zuge der Vorgespräche mit den Autorinnen zeigte sich aber, dass die anfangs formulierte Alternative beiden Positionen, die nun im kontroversen Gespräch zur Darstellung kommen, nicht gerecht wurde. Denn einerseits wird die Frage nach dem Autor Markus in einem historisch identifizierbaren Kontext der antiken Literaturgeschichte (Eve-Marie Becker) in voller Kenntnis der reichhaltigen text- und kulturwissenschaftlichen Erträge der neueren Markus-Forschung gestellt. Und andererseits macht auch die Erforschung des Markusevangeliums als Erinnerungstext (Sandra Huebenthal) ein genuin historisches Interesse geltend, sofern eine Lektüre, die im Paradigma der Erinnerung die Funktion des Markusevangeliums im Prozess frühchristlicher Identitätsbildung erforscht, die Frage nach dem Entstehungsmilieu des Textes als historische Frage für unverzichtbar ansieht. Hier besteht im Grundsatz Einigkeit zwischen beiden Positionen. Deshalb würden auch die Gegensätze „historisch/ ahistorisch“ oder (methodologisch) „diachron/ synchron“ nicht verfangen. Wo liegt also der Dissens? Er liegt in der Frage nach Begriff und Bedeutung des „Autors“ für das Verständnis des Markusevangeliums. Während es für Eve- Marie Becker an der Zeit ist, die Frage nach dem Autor als einer textexternen, Zeitschrift für Neues Testament 24. Jahrgang (2021) Heft 47 88 Manuel Vogel historisch zu erforschenden Größe neu zu stellen, macht Sandra Huebenthal geltend, dass es einen „Markus“ bis ins zweite Jh. gar nicht gegeben hat, der Text selbst sich also gegen ein wie auch immer zu bestimmendes Autor-Konzept sträubt. Oder gehört sogar das Verwischen der eigenen Spuren noch zur Genialität einer Autorenpersönlichkeit, die als solche zu würdigen ist? Und wie verhält es sich mit der „Theologie“ dieses Evangeliums, die, je mehr wir ihren narrativen Finessen auf die Spur kommen, unwillkürlich nach einem „Kopf“ ruft, dem wir sie zuschreiben können? Aber woher kommt eigentlich der Reflex, einen Text wie das Markusevangelium „jemandem“ als „geistiges Eigentum“ zuzuschreiben? Möglicherweise von einer unguten Mischung aus Genieästhetik und Besitzdenken? Und wäre diese gar ein Grund für die Abneigung gegen den text- und kulturwissenschaftlich verordneten Verzicht auf das Autorkonzept und den Widerwillen gegen das Programm, etwaige Verfasserinnen und Verfasser (nun problemlos auch im Plural und unter Einschluss möglicher weiblicher Personen) ganz auf die Entstehungsverhältnisse hin transparent zu machen, aus denen heraus und in die hinein sie literarisch gewirkt haben? Oder geht es darum, das intuitive und legitime Bedürfnis, individuelle Geistesleitungen als solche zu benennen und zu bewundern, gegen egalitäre Gleichmacherei zu verteidigen? Spätestens hier wird es ziemlich grundsätzlich, und außerdem ließe sich das Spiel des Fragestellens in Rede und Gegenrede noch lange fortsetzen, was nicht nur für den Sachgehalt beider Teile der vorliegenden Kontroverse spricht, sondern nicht zuletzt auch für das Markusevangelium selbst. Der Stab sei also ohne weitere Worte an die Autorinnen dieser Kontroverse weitergereicht. Und Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünschen wir eine anregende Lektüre!