eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 24/47

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2021
2447 Dronsch Strecker Vogel

Cilliers Breytenbach: The Gospel according to Mark as Episodic Narrative Leiden/Boston: Brill 2021 (NT.S 182) 535 S. ISBN 978-90-04-44333-4

2021
Manuel Vogel
Buchreport Manuel Vogel Cilliers Breytenbach The Gospel according to Mark as Episodic Narrative Leiden/ Boston: Brill 2021 (NT.S 182) 535 S. ISBN 978-90-04-44333-4 Zeitschrift für Neues Testament 24. Jahrgang (2021) Heft 47 128 Buchreport Die in diesem Band gesammelten zweiundzwanzig Beiträge dokumentieren, dass B. seit seiner Dissertation Nachfolge und Zukunftserwartung nach Markus. Eine methodenkritische Studie von 1984 der Markusforschung bis auf den heutigen Tag eng verbunden ist und sie im Laufe von dreieinhalb Jahrzehnten wesentlich mit geprägt hat. Am Anfang des ersten von vier Hauptteilen (The Gospel according to Mark) steht ein kurzer Text gleichen Titels zu den Einleitungsfragen (3-10), konzipiert für den Artikel zum MkEv in der Encyclopedia of the Bible and Its Reception, hier in leichter Überarbeitung. Erhellend ist zumal die Unterscheidung von realem und implizitem Autor in ihrem Nutzen gerade auf dem Feld der Einleitungsfragen: „We do not know who the historical author Mark was, so we will concentrate on the implied author, who is in the text“ (3). Die Zurückhaltung im Blick auf das historisch Wissbare zahlt sich aus in der geschärften methodischen Aufmerksamkeit auf das, was sich valide aus dem Text selbst erheben lässt, und das ist nicht wenig. Mit The Gospel of Mark as ,Episodic Narrative‘ (11-40) liegt die englische Übersetzung eines Aufsatzes von 1985 vor, der in dem für die deutschsprachige Mk-Forschung wichtigen Sammelband „Der Erzähler des Evangeliums“ (hg. F. Hahn) erschienen ist (hier 139-169, vorliegend wird auf die deutsche Fassung Bezug genommen). Wichtig ist in diesem methodisch an einer reichhaltigen literarischen Erzählforschung geschulten Beitrag v. a. zweierlei: (a) Die Analyse des MkEv entsprechend der narrativen Superstruktur „Szene - Komplikation - Evaluation - Auflösung - Moral“ (vgl. 150-157) ergibt einerseits, „dass das Markusevangelium eine narrative Makrostruktur hat und daher als ,Erzähltext‘ zu gelten hat“ (157). Andererseits gibt es aber signifikante und für das Verständnis des MkEv entscheidend wichtige Abweichungen von diesem Schema, nämlich dort, wo „Auflösung“ und „Moral“ nicht (intradiegetisch) erzählt, sondern (extradiegetisch) für die Zukunft vorausgesagt werden. Gemeint ist damit, „dass die Lösung der Komplikation der ,narrativen‘ Makrostruktur“ in den Aussagen zu suchen ist, die über das bis Mk 16,8 Erzählte hinausgehen“ (154). Das „Element ,Auflösung‘“ ist präsent in der „Voraussage endzeitlichen Geschehens und in Gestalt apokalyptisch-prophetischer Sätze“ (154). Auch für die „Moral“ gilt: Sie liegt in der „Zukunftserwartung“ (157) und besteht in Treue, Wachen, Ausharren und dem Festhalten am Wort. (b) Für „die ,Gliederung‘“ (162) des MkEv - von B. hier kritisch in Anführungszeichen gesetzt, sofern damit (lediglich) ein Verfahren der linearen Textsegmentierung gemeint ist - sind die „hierarchisch zugeordneten Ebenen des Erzähltextes“ (162) zu beachten, näherhin „die Unterscheidung von verschiedenen Kommunikationsebenen innerhalb des Markustextes, die Differenzierung zwischen Makro-Erzählung und einzelnen Episoden, zwischen erzählerischer Darstellung und Zitation, Bewertung, Vo- Buchreport 129 raussage, Ermahnung und die Trennung zwischen dem Erzähltext selbst und seiner narrativen Makrostruktur“ (169). Stets geht es dabei um das Aufspüren von Textsignalen, die „Orientierungspunkte“ (168) für den Leseprozess setzen und damit auch für die Interpretation des MkEv entscheidend sind. Neuesten Datums ist der Beitrag The Gospel according to Mark: The Yardstick for Comparing the Gospels with Ancient Texts von 2020 (41-65). B. teilt die Zurückhaltung, von „Biographie“ im Sinne einer klar bestimmbaren antiken Gattung zu sprechen und das MkEv dieser Gattung zuzuordnen. Dementsprechend will er die „illustrative“ Weise des Textvergleichs, die ein bestehendes Modell voraussetzt, einstweilen zurückstellen zugunsten des „analytischen“ Vergleichs des MkEv „with selected texts that are generally reckoned to belong to the family of Graeco-Roman biographical narratives“ (47), u. zw. „on the basis of what is typical for Mark as a narrative“ (46 f.). Das Interesse dieses analytischen Modus „is heuristic, for it allows us to see in a field of difference certain similarities that are of intellectual interest“, wie B. mit John Kloppenborg formuliert (44). Der Ertrag dieses Vergleichens fällt je unterschiedlich aus. So überwiegen etwa in der Vita Hippocratis des Ps.-Soranus und in Cornelius Nepos‘ De viris illustribus im Blick auf „form, common narrative strategy and mode“ des MkEv (52) die Unterschiede, bei der Vita Aesopi dagegen (49-52) zeigen sich weitgehende Gemeinsamkeiten formaler (Episodenstil, narrative Strategie) und inhaltlicher Art (keine Passagen zu Vorfahren, Kindheit und Jugend, Begabung Äsops durch die Göttin Isis). Beim Vergleich des MkEv mit Lukians Demonax (52 f.) fällt bei gemeinsamer Verwendung von Chrien auf, dass Lukian dieselben anders als bei Mk nicht in einem übergreifenden narrativen Plot organisiert (52). Der analytische Vergleich soll den illustrativen vorbereiten („pave the way“, 62), d. h. letzterer ist nicht verfehlt, sondern er käme nur zum gegenwärtigen Zeitpunkt verfrüht. Freilich könnte sich das MkEv selbst einer Einordnung in ein zu erhebendes biographisches Gattungsschema widersetzen. Es ist nämlich gar nicht unstrittig, ob Jesus überhaupt der Hauptakteur des MkEv ist oder nicht vielmehr Gott, oder ob es eigentlich um eine Person geht oder nicht vielmehr um eine Sache, nämlich das Evangelium. „I am not convinced that the Gospel according to Mark starts as a biography. Moreover, it is not about the life of Jesus, but about the good news he proclaimed.“ (61). In Das Markusevangelium als traditionsgebundene Erzählung? Anfragen an die Markusforschung der achtziger Jahre von 1993 (66-105) geht es um das Verhältnis von synchroner Auslegung im Gefolge des amerikanischen literary criticism und historisch-kritischer diachroner Exegese. B. zeigt, dass dort, wo der literary criticism in der deutschsprachigen Mk-Forschung übernommen wurde, diachrone Fragestellungen vielfach als obsolet und entbehrlich angesehen wurden, zugunsten einer rein textimmanenten Analyse, dies freilich nicht selten unter 130 Buchreport Verzicht auf eine eigene theoretische Durchdringung dessen, was der literary criticism an linguistischer Methode voraussetzt (80: „lediglich auf der Grundlage einer ,Commonsense-Lektüre‘ des Gesamttextes“, 79: „gefährliche Methodenlosigkeit“). Dass aber die Scheidung von mk. Redaktion und verwendeter Tradition im Blick auf ihren Erkenntniswert für das Verständnis des Gesamttextes in Verruf geraten ist oder jedenfalls im Methodenkanon der synchronen Textanalyse nachgeordnet wurde, kommt angesichts des im Laufe der Forschung entstandenen Hypothesengewirrs nicht von ungefähr. Deutlich geworden ist auch, dass die weitgehende stilistische Prägung seines Stoffs durch den Evangelisten die Scheidung von Tradition und Redaktion zusätzlich erschwert (82). Aussichtsreich ist die Frage nach vormk. Tradition für B. aber nach wie vor überall dort, wo literarisch unabhängige parallele Überlieferungen vorliegen (83), etwa in Q oder im ThEv, vorausgesetzt, das ThEv hat an den betreffenden Stellen frühsynoptische Tradition bewahrt. Am Beispiel von Mk 9,9-11 (Elia und der Menschensohn) zeigt B. außerdem überzeugend, dass eine rein textsynchrone Lektüre fallweise einen kohärenten Text gar nicht erheben kann. Für Mk 9,9-11 gilt, „dass synchrone Interpretation keine achrone, textimmanente Interpretation sein kann, sondern eine Konstruktion der zeitgenössischen Endzeiterwartung und Schriftauslegungstradition voraussetzt, die im Umfeld der Hörer des Textes gegenwärtig war, bevor man überhaupt von einem kohärenten Text sprechen kann. Die Kohärenz liegt nicht im Text - es ist die Interpretationsstrategie der Exegeten (…), die mit Hilfe des Textes eine kohärente Lektüre hervorbringt“ (93). In Mark and Galilee: Text World and Historical World (106-118) von 1993 geht es um zweierlei: Erstens wird in einigen wenigen Strichen die mk. Präferenz für ein ländliches Setting herausgearbeitet. Wo Namen größerer Städte fallen, etwa Tyrus, Gerasa, Cäsarea Philippi oder Jericho, betritt Jesus diese Städte i. d. R. nicht, sondern hält sich nur in ihrer Umgebung auf. Hier helfen die antiken historischen Quellen, allen voran Josephus, diesem narrativen Setting etwas von der Farbe zu erstatten, mit der ein Publikum des 1. Jh. diese Landschafts- und Städtenamen hörte und imaginierte (108-111). Ausgesprochen anregend ist zweitens das Gespräch, das B. am Beispiel der Grabungsbefunde zum „Haus des Petrus“ zwischen der Archäologie und dem MkEv eröffnet. Selbst bei sehr vorsichtiger Auswertung der Befunde (Umgestaltung des Gebäudes erst Anfang 3. Jh., Verehrung des Platzes als „Haus des Petrus“ erst Anfang 4. Jh., Datierung des Gebäudes aber jedenfalls späthellenistisch oder römisch, spätestens um 60 n. Chr.) lässt doch das archäologische Interesse den mk. Text - das „Haus des Simon und des Andreas“ (1,29) als „primary centre of spatial orientation in the first half of the Gospel“ (113) in einem neuen Licht erscheinen: Spielt dieses Haus bei Mk deshalb eine solch prominente Rolle, weil es bereits zur Zeit der Buchreport 131 Abfassung des MkEv ein christlicher Versammlungsort war? „So it might just be that archaeology could benefit from the analysis of spatial focalization in Mark’s discourse. The text world thus helps us to construct the historical world.“ (113). Bisher unveröffentlicht ist der Aufsatz Galilee and Jerusalem: Rural Villages versus the Cultic City according to Mark’s Gospel (119-141), der auf einen Vortrag von 2018 zurückgeht. Auch hier geht es darum, die topographische und räumliche Struktur der mk. Erzählung anhand archäologischer Daten und antiker Historiographie nachzuvollziehen, hier nun unterlegt mit reichem Bild- und Kartenmaterial. Ein wichtiges Ergebnis ist, dass das MkEv eine Vertrautheit mit den Ortslagen der einzelnen Episoden voraussetzt, u. zw. auch bei den Lesenden (139). Brisant ist der Gegensatz Galiläa - Jerusalem, der bei einer räumlichen Betrachtungsweise mit besonderer Schärfe hervortritt. „Jerusalem, the city dedicated to the cult, became dysfunctional. It is bound to be destroyed.“ Der Auferstandene erscheint „not in Jerusalem“ (139). Dass sich hier gewichtige theologische Anschlussfragen ergeben, sei nur am Rande notiert. Jedenfalls gerät Galiläa theologiegeschichtlich verstärkt in den Blick als ein wichtiges Zentrum der frühen Jesusbewegung, nicht zuletzt das „Haus des Simon und des Andreas“ als mögliche Referenz auf einen historisch bedeutsamen frühchristlichen Versammlungsort. Wichtig sind auch die Galiläa-Referenzen in späteren Texten, bis dahin, dass noch Kaiser Julian die Christen „Galiläer“ nannte (139 f. Anm. 45). Im Beitrag From Mark’s Son of God to Jesus of Nazareth - un cul-de-sac? (142- 176) von 2013 geht es um die methodischen Anforderungen an die Rückfrage nach dem historischen Jesus. Unter dem Leitmotiv der „Straße“, ansprechend allegorisiert mit durch den Wald geschlagenen Schneisen, Querfeldein-Ralleys nach eigenem methodischen Gutdünken oder notwendigen Grabungen unter (vormk. Tradition) und neben (Q) dem Asphalt, begibt sich B. auf eine Fahrt auf der „Wrede-Straße“ (d. h.: das MkEv als Erzählung), vorbei an Bultmann (Beziehungslosigkeit zwischen Kerygma und historischem Jesus) und Käsemann (spannungreiche Beziehung zwischen beidem) hin zu J.D.G. Dunns „impact“, den Jesu Wirken in den Texten hinterlassen habe, und der Rede von den Synoptikern als „historischen Jesus-Erzählungen“ („historical Jesus narratives“, passim). Bei beiden Ansätzen sieht B. jedenfalls einen noch uneingelösten theoretischen Mehrbedarf durch „insights from cultural anthropology, phenomenology, cognitive psychology, and narratology“ (150). Nach einer theoretischen Fundierung und Differenzierung des Erinnerungsbegriffs (154-161) setzt sich B. dann mit der nötigen Vorsicht und Umsicht selbst ans Steuer (161-171). Der Plot des MkEv ist „a construction of reality in which God is the main actor“ (163) und insofern keine verarbeitete Jesuserinnerung. „Nevertheless, there are major aspects of the plot of this highly theo-logical episodic narrative that can be utilized for historical construction“ (164), etwa das Jüngerunverständnis, die Ableh- 132 Buchreport nung Jesu durch seine Familie oder die Rolle der Herodianer. Auch die Galiläa- Topographie des MkEv ist historisch nicht einfach wertlos (ungeachtet dessen, dass sie zu dem von K. L. Schmidt identifizierten mk. „Rahmen der Geschichte“ gehört; vgl. 143 Anm. 4), und in Anwedung der „old-fashioned historical-critical analysis“ (164) versprechen das „Mark/ Q-substratum“ (168), die zwischen LXX und hebr. Text differenzierende Untersuchung des mk. Schriftgebrauchs (169) und die Analyse semitischer und griechischer Gattungen (169 f) weiteren Ertrag. An zwei Stellen dieses überaus dichten und instruktiven Beitrages möchte ich mit weitergehenden Fragen ansetzen: (a) Zu diskutieren ist m. E., warum gerade das ausgesucht redaktionelle mk. Missverständnismotiv beweisen soll, dass es keinen „pre-Easter faith in Jesus“ (149 Anm. 27) gegeben habe (Q 7,9; 17,6 sind rudimentär und nicht tragfähig). Als Gedankenexperiment: Was hätte wohl der nach Gal 1,18 im Gespräch mit Paulus befindliche Kephas auf die Vorhaltung geäußert, er habe seinen Meister in den Tagen der gemeinsamen irdischen Wanderschaft völlig falsch verstanden? Und: Das Missverständnismotiv lässt sich aus Sicht des literary criticism vermutlich leicht beschreiben und suffizient erklären als ein narratives Mittel, das einen Spannungsbogen bis zum Bekenntnis des Centurio in 15,39 schlägt: Erst hier löst sich das Missverständnis, vorher muss es die Narration Schritt um Schritt begleiten. Historisch wäre es dann praktisch wertlos. Nebenbei bemerkt: Das Jüngerunverständnis ist in der mk. Zeichnung keineswegs nur ein „christologisches“ Problem. Die Jünger versagen auch im Umgang mit Macht (10,37), mit der pharisäischen Halacha (7,18), mit Frauen (14,5) und mit Eltern und Kindern (10,13). (b) Die 148 Anm. 20 zustimmend aufgenommene Beobachtung von B. Lategan, „that Jesus’s life has always been interpreted, positively by his followers, negatively by his opponents“ gilt nicht nur bereits von den Gegnern und Nachfolgern des irdischen Jesus, sondern auch schon von Jesus selbst. Dass es „no way (…) back to the bare, un-interpreted life of Jesus“ gibt, stimmt nur insofern, als auch schon das Handeln Jesu nicht ohne eine irgendwie qualifizierte Selbstauffassung denkbar ist (und sei es nur im - keineswegs unsympathischen! - Typus des traditionsignoranten kynischen Störenfrieds, der mit Vergnügen und ohne Anspruch auf größere Sinntiefe einer saturierten Provinzelite auf die Nerven ging. Alles Biblische wäre dann nachösterliche Verzeichnung). Die Selbstauffassung Jesu ist mithin eine nicht nur legitime, sondern nachgerade unverzichtbare Frage der historischen Jesusforschung. Wenn man die kynische Variante für nicht naheliegend hält und statt dessen der Meinung ist, dass die synoptische Tradition das Wirken Jesu historisch zutreffend in großer Nähe zum Täufer ansiedelt, der seinerseits eine apokalyptisch geprägte biblisch-jüdische Selbstauffassung hatte, dann eröffnet sich mit dem weiten Feld biblisch- Buchreport 133 jüdischer Geschichtsdeutung ein mögliches Kontinuum zwischen täuferischer, jesuanischer und nachösterlich-jesusgläubiger Sinnbildung. Im ersten von fünf Beiträgen des zweiten Teils (Discourse Studies on the Text of the Earliest Gospel) geht es um Alternation between Aorist, Historical Present and Imperfect: Aspects of Markan Narrative Style (179-219). Es handelt sich um die erweiterte Fassung der Frans Neirynck Memorial Lecture von 2018. In Aufnahme der wichtigen Arbeiten zum Stil des MkEv von Neirynk und Peter Dschulnigg zeigt B. anhand des Tempusgebrauchs im MkEv, dass der Evangelist seinen Stil dem Text so flächendeckend aufgeprägt hat, dass die traditionelle Redaktionskritik so nicht mehr durchführbar ist. Konkret geht es um den Wechsel vom Imperfekt (repetitive, kontinuierliche oder distanziert erzählte Handlung im Hintergrund) zum Aorist oder in das historische Präsens zur Hervorhebung einer dramatischen Wendung des Geschehens oder der Rede Jesu. „[T]he use of the imperfect in its relation to the aorist and the historical present should be a warning to any attempt to do successful redactioncritical work on the Gospel according to Mark.“ (216). Mit Metaphor in Argument: The Beelzebul Controversy in the Gospel according to Mark (220-232) von 2019 lenkt B. die Aufmerksamkeit von der im MkEv prominenten Parabeltheorie 4,10-12 auf die parabolai, die der mk. Jesus im argumenativen Kontext von 3,22-30 verwendet, dem frühesten Beleg für parabolē im MkEv. Deutlich wird, dass die verwendeten Bilder von Königreich (3,24) und Haus (3,25.27) ihr argumentatives Gewicht erst im weiteren Kontext der Erzählung erhalten: Der „Stärkere“ in 3,27 verweist auf den von Johannes angekündigten „Stärkeren“ in 1,7, und der „Satan“ (3,23) gemahnt an den Satan der Versuchungsszene (1,13), dem Jesus, getrieben vom „Geist“ (1,12), widerstanden und ihn besiegt/ gebunden hat (228). In Incomprehension en route to Jerusalem (Mark 8: 22-10: 52) (234-245), zuerst 2018 erscheinen in einem u. a. vom Vf. herausgegeben interdisziplinären Band über Interconnection(s) between Knowledge and Journey in the Greco-Roman World, führt B. vor, wie Mk den Weg Jesu nach Jerusalem im Mittelteil des MkEv metaphorisch als einen Weg des Verstehens in der Nachfolge gestaltet, den auch die Lesenden „mitgehen“ können. Die dabei verwendete Tradition wird in der frühchristlichen „communal memory“ (243) verortet, zu der nicht nur gehörte, dass Jesus von Nazareth nach Jerusalem gewandert ist und einen Kreis von Anhängern gebildet hat, sondern auch das Versagen und das Nichtverstehen dieser seiner Begleiter. Ich wiederhole hier meine bereits formulierte Anfrage: Ist das Jüngerunverständnis nicht auch als weitestgehend narratives Motiv beschreibbar, das Mk verwendet hat, um die Mitarbeit der Lesenden für ein echtes Verstehen zu stimulieren? Woher können wir wissen, dass das mk. Jüngerunverständis zu den „historischen Jüngern“ führt oder auch nur zu ihrem 134 Buchreport nachösterlich zweifelhaften Ruf? (Selbst die Jüngerflucht kann, wenn es denn so gewesen ist, seitens der Jünger wider besseres Wissen erfolgt sein. Sie hätten dann das richtig geglaubt und falsch gehandelt). Auch Das Markusevangelium, Psalm 110,1 und 118,22f.: Folgetext und Prätext (246-273) verdankt sein Thema einem Sammelband (The Scriptures in the Gospels), in welchem der Beitrag in 1997 erschienen ist. Am Beispiel des Schriftbeweises aus Ps 110,1 zur Widerlegung der schriftgelehrten Auffassung über die Davidssohnschaft des Messias und dem aus Ps 118,22f entwickelten Motiv der „Verwerfung“ und wunderbaren Auferweckung Jesu wird deutlich, was im Rahmen der (zu Beginn des Beitrags skizzierten) längst hoch entwickelten Intertextualitätsforschung unter Intertextualität zu verstehen ist: Es geht nicht nur um Sinnbezüge innerhalb des MkEv, die durch die untersuchten Psalmzitate allererst geschaffen werden, sondern auch um die zahlreichen Übersetzungs- und Zitatvarianten (LXX, Symmachus, Theodotion, Qumrantexte, Targumim, etc.), um Echos und Einsprengsel anderer biblischer Prätexte, die sich erst dem zweiten Blick erschließen, sowie um ein verzweigtes Netzwerk frühchristlicher Rezeptionen der untersuchten Verse. Hier bedarf es äußerster philologischer Aufmerksamkeit auch noch auf die kleinsten Varianten und Abweichungen, die bei näherem Hinsehen eine frühchristliche Deutungsarbeit von erheblichem „schriftgelehrtem“ Niveau erkennen lassen. Der Aufsatz Das Wissen und Nicht-Wissen um die Zeit als Verhaltensregel: Eine textpragmatische Analyse der Endzeitrede in Markus 13 (274-291) von 2017 bietet einen methodisch kontrollierten Durchgang durch die mk. Apokalypse. Indem B. den Text sicheren Schrittes und mit ruhiger Hand auf seine linguistischen Merkmale und Strukturen untersucht, wird der Ertrag einer streng formalen (und konsequent textsynchronen) Analyse gerade anhand eines so dramatischen Stoffs wie der mk. Endzeitrede deutlich: Der linguistisch „disziplinierte“ Umgang mit dem Text übt einen heilsamen Zwang aus, den Text selbst unter Hintanstellung eigener Vorannahmen zu Wort kommen zu lassen. Der Beitrag scheint mir auch zu Lehrzwecken als eine linguistische Musterexegese gut verwendbar, nicht zuletzt auch darin, dass B. sich jeder applikativen „Auswertung“ enthält. Was zu diesen Bedingungen zu sagen ist, sagt tatsächlich der Text selbst, und es ist seine eigene Sache, die er preisgibt, und aus der sich für ein besseres Verständnis des MkEv helle Funken schlagen lassen. Teil 3 (On Markan Theology) enthält vier Beiträge. In Grundzüge markinischer Gottessohn-Christologie (295-314) verweist B. auf Arbeiten zum MkEv, die im Blick auf die mk. Christologie „nur ein diffuses Nebeneinander von verschiedenen Traditionen feststellen“ (298), d. h. die christologischen Aussagen bzw. Titel zwar traditionsgeschichtlich aufschlüsseln, diese aber nicht zu einer einheitlichen christologischen Konzeption verbinden. So originell wie plausibel ist Buchreport 135 hier der Hinweis auf Mk 13,21-23: Angesichts der „Erwartung des Evangelisten, dass die Gemeinde von falschen Christussen heimgesucht wird“ (295), sollte die Annahme, dass das MkEv hiergegen eine eigene, kohärente Christologie gesetzt habe, nicht vorschnell aufgegeben werden. B.s eigene Lösung setzt einen starken eschatologischen Akzent: Nicht bei der Auferweckung (so einst Wrede), sondern in Erwartung der Wiederkunft laufen die christologischen Fäden Gottessohn - Christus - Menschensohn zusammen. Schlüsselstelle ist Mk 14,61f. Hier werden „beide, der Gesalbte und der Sohn des Hochgelobten, mit dem zum Gericht kommenden Menschensohn identifiziert“ (309). Mit Identity and Rules of Conduct in Mark: Following the Suffering, Expecting the Coming Son of Man (315-340) von 2006 gibt B. eine weitere Probe auf die Leistungsfähigkeit linguistischer Methoden, die gerade in der exegetischen Rollenbegrenzung - „[c]onfining ourselves to a reading of the text“ (319) - und der strikten Konzentration auf die textuelle Konstruktion der „implied audience“, also „not past or present audiences“ (315 Anm. 1) höchst relevante Entdeckungen zeitigen. Herausgegriffen sei aus den Ergebnissen des Beitrages die bemerkenswerte Sparsamkeit, mit der das MkEv die Gegenwart der Gläubigen konstruiert: Gläubige Existenz lebt in der Erinnerung an den Irdischen und der Erwartung des Kommenden, d. h. aber in einer Zeit der Abwesenheit Jesu. Altvertrautes klingt hier mit einem Mal völlig anders: Jesus sagt eben nicht johanneisch „glaubt an mich“ - denn er ist nicht mehr da, als das MkEv gelesen wird -, sondern „glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15; vgl. 320). Ebenso kann man sich in der Zeit des MkEv nicht mehr „Jesu schämen“ (Mk 8,35) - denn „er ist nicht hier“ (Mk 16,6) - wohl aber „seiner Worte“ (vgl. 328). Im Vergleich etwa mit der reziproken Immanenz des JohEv („Ihr in mir und ich in euch“), dem mt. „Mitsein“ Jesu bis ans Ende der Zeit oder dem pln. „In Christus sein“ könnte der besondere Wert der mk. Konzeption darin bestehen, dass sie jedenfalls nicht Gefahr läuft, zu viel zu versprechen. Den Beitrag Narrating the Death of Jesus in Mark: Utterances of the Main Character, Jesus (341-357) aus dem Jahr 2014 lasse ich beiseite und beschränke mich bei dem thematisch affinen Beitrag „Wie geschrieben ist“ und das Leiden des Christus: Die theologische Leistung des Markus (358-373) von 2019 - es handelt sich um B.s Abschiedsvorlesung - auf eine Anfrage: Wird es Mk vollumfänglich gerecht, wenn B. formuliert: „Markus de-politisiert Erwartungen, die mit der Christus-Bezeichnung verbunden werden konnten“ (366)? Gewiss ist ein leidender und sterbender davidischer Messias jüdisch bis dahin ungeläufig. Aber was bedeutet es, dass Mk zu Joseph v. Arimathäa, der sich den Leichnam Jesu von Pilatus erbittet, notiert, dass „er auch auf das Reich Gottes wartete“ (15,42)? M. E. legt diese Nebenfigur eine andere Spur: Es geht nicht um einen de-politisierten Christus, sondern um die Einzeichnung eines leidenden und sterben- 136 Buchreport den Messias (in Solidarität mit einem leidenden und sterbenden Jerusalem? ) in den Horizont einer unerledigten jüdischen Reich-Gottes-Erwartung, die für Mk auch nach Jesu Tod und Auferweckung an politischer Brisanz nichts eingebüßt hat, denn mit dem verheißenen sichtbaren Anbruch des Gottesreiches bei der Erscheinung des Menschensohnes in den Wolken würde nach antiker apokalyptisch-jüdischer Mehrheitsmeinung auch das römische Reich (als letztes der Weltreiche) sein verdientes Ende finden. Der erste Beitrag von Teil 4 („BeforeMark? “) lenkt mit Das Problem des Übergangs von mündlicher zu schriftlicher Überlieferung (377-392) von 1986 in das Jahr von B.s Habilitationsvortrag zurück. B. ist hier erkennbar daran gelegen, einerseits die Gründe, die den Optimismus der klassischen Formgeschichte im Blick auf redaktionell angeblich weitgehend unangetastete mündliche Tradition erschütterten, gründlich zu würdigen, andererseits aber auch nicht alle Katzen grau sein zu lassen. Es sei ja fallweise damit zu rechnen, „dass kein Gegensatz zwischen der schriftstellerischen Absicht des Markus und der vorangegangenen mündlichen Tradition bestanden hat“ (390). In solchen Fällen hätte „der zweite Evangelist doch eine Kerze brennen lassen, deren Licht auf die urchristliche Dunkelheit scheint“ (391). Der Beitrag Μνημονεύειν - Das „Sich-Erinnern“ in der urchristlichen Überlieferung: Die Betanienepisode (Mk 14,3-9/ Joh 12,1-8) als Beispiel (393-403) von 1992 gehört in die Frühzeit der Anwendung erinnerungspsychologischer Theorien auf das Problem der vorsynoptischen Tradition als Alternative zu literarischen Überlieferungsmodellen, wo diese eine Präzision fordern, die die Texte nicht hergeben. Die seinerzeit ausgesprochene Einschätzung, dass „die Modalitäten des Erinnerns seitens der Evangelienforschung größere Aufmerksamkeit [verdienen] als bislang zu beobachten ist“ (402), darf sich durch eine inzwischen lebhafte Rezeption des Erinnerungsparadigmas in der ntl. Exegese bestätigt wissen. Ebenfalls in das Jahr 1992 datiert der Beitrag Vormarkinische Logientradition: Parallelen in der urchristlichen Briefliteratur (404-432). Während als ausgemacht gilt, dass „die sprachlichen Kriterien für die Erhebung vormarkinischer Tradition aus dem vorliegenden Markustext fehlen“ (405), erscheint die Lage bei Logien mit Parallelen in den Paulusbriefen und in der späteren urchristlichen Briefliteratur aussichtsreicher. Doch nach der so materialreichen wie eingehenden vergleichenden Untersuchung solcher Logien fällt das Resümee zurückhaltend aus: „Ist die Frage nach dem Wortlaut mündlich tradierter vormarkinischer Tradition überhaupt angemessen? Meiner Meinung nach ist sie ein unsachgemäßer Überrest der alten Literarkritik.“ Gleichwohl: „Die Frage nach den inhaltlichen Motiven, der Form und dem Zweck vormarkinischer Logien ist zu stellen. Sie lässt sich eher auf der Ebene der Tiefenstruktur von Texten beantworten.“ Somit gilt, „dass die Frage nach vormarkinischer Tradition Buchreport 137 zwar umzuformulieren, aber nicht aufzugeben ist. Ihre Beantwortung bleibt notwendig für einen Einblick sowohl in die Kompositionsarbeit des Evangelisten als auch in die Überlieferung der vorsynoptischen Tradition. Dabei kann es aber nur um das Nachzeichnen von Umrissen gehen.“ (428). In Die Vorschriften des Mose im Markusevangelium: Erwägungen zur Komposition von Mk 7,9-13; 10,2-9 und 12,18-27 (433-455) von 2006 geht es mit expliziten Zitaten aus „Mose“ um ein unverfängliches Feld vormk. Tradition, denn bei gekennzeichneten AT-Zitaten verweist ja nun einmal der Mk-Text selbst zweifelsfrei auf vorausliegende Tradition. Methodologisch interessant ist das Zusammenspiel der „Analyse der Argumentationsstrategie“ und der Frage nach dem „Werden der Perikope“ (446). Es scheint sich so zu verhalten, dass jeweils die Problemstellung und die als jesuanisch tradierte Lösung dem Evangelisten vorgegeben waren, Auswahl und Arrangement der Schriftzitate aber von ihm stammen. Unwillkürlich erinnert das an das Verfahren antiker Historiographen beim Abfassen von Reden, die sie ihren Protagonisten in den Mund legten: Verlangt wurde, dass sie wussten, was wer in welcher Situation sagen würde, formulieren durften sie aber selbst und mit eigenen Worten. Zu vernehmlichem Widerspruch nötigt mich B.s Auffassung, dass in der Argumentation des mk. Jesus zur Ehescheidung (Mk 10,1-12) „das von Mose Geschriebene grundsätzlich abgewertet“ werde (444) und dass „Gottes Schöpferwille und die Tora auseinander[treten]“ (445). Auch die gegen die pharisäische Position aufgebotenen Genesisstellen stehen doch in der Tora und Mose erweist sich als derart kluger Gesetzgeber, dass er sogar solche Gesetze erlassen konnte, die ein Unrecht allein dadurch offenbar machen, dass man sie in Anspruch nimmt. Oder so: Die Mosetora taugt eben auch zur Einhegung menschlicher Schäbigkeit. Jedenfalls: Jesus widerlegt mit Mose die Pharisäer, das ist der Punkt! In The Minor Prophets in Mark’s Gospel (456-467) von 2009 nimmt B. die Kleinen Propheten in Augenschein, die notorisch im Schatten mk. Jesajarezeption stehen, unterschieden nach Zitaten (457-495) und Anspielungen (460-465). Ergebnis ist, dass das Zwölfprophetenbuch bei Mk tatsächlich eine Nebenrolle spielt, an den wenigen einschlägigen Stellen aber jeweils Wichtiges beisteuert. Der Beitrag Das Evangelium nach Markus: Verschlüsselte Performanz? (468- 497) ist zuerst in 2019 erschienen. Einer eigenen Erwähnung wert ist die eingangs auf nur zwei Seiten souverän und mit leichten Strichen hingeworfene Skizze zur Mk-Forschung des 20. Jh. solche Wissenschaftsprosa, die das eigene, über viele Jahre hinweg erworbene Wissen in einfachen Sätzen mitteilt (mit anderen teilt, zum großen Nutzen v. a. für die weniger Kundigen), ist vorbildlich, zu jeder Zeit eine Notwendigkeit und leider zu keiner Zeit eine Selbstverständlichkeit. Thematisch geht es mit dem Begriff der Performanz um ein in der ntl. Exegese neuartigen Ansatz, der den unanschaulichen Begriff der Mündlichkeit 138 Buchreport buchstäblich mit Leben füllt und zugleich zwischen mündlichen und schriftlichen Überlieferungsprozessen eine neue Brücke schlägt. Die These lautet, „dass es eine dem Evangelium nach Markus vorausgehende Praxis der performance der Jesustradition gab und dass der Evangelist daran teilgenommen hat“ (474), dass mithin „der Autor des ältesten Evangeliums aus dem Kreis solcher Performer kam und die wiederholten Aufführungen der Überlieferung, die er gut kannte und an der er mitwirkte, nachträglich in einem literarischen Werk verschriftlichte“ (474 f.). Die Grundidee ist sehr einfach: „Bekannte markinische Kompositionstechniken“ werden „auf die Frage hin (untersucht), ob sie als Spuren der dem Evangelium vorausgehenden performances zu bewerten sind“, dass sich also literarische Gliederungsmerkmale ihrer Erstverwendung bei der Strukturierung einer mündlichen performance verdanken, etwa die Chrien, deren dialogische „Rollenverteilung schon der mündlichen performance“ entstammen könnte (476). B. will hier gar nichts beweisen, wohl aber dazu einladen, die alte Forschungsfrage der vormk. Tradition unter einem neuen Blickwinkel ganz neu zu bedenken. Der Band ist durch Register gut erschlossen. Hilfreich ist, dass anstelle einer Gesamtbibliographie die in jedem Aufsatz genannte Literatur jeweils am Ende verzeichnet ist. So liefert jeder Beitrag zum gestellten Thema gleich eine Spezialbibliographie mit.