eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 24/48

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2021
2448 Dronsch Strecker Vogel

Birthing, Nursing and Mothering Salvation

2021
Anna Rebecca Solevåg
Birthing, Nursing and Mothering Salvation Metapher und Realität in den Pastoralbriefen Anna Rebecca Solevåg Einleitung Der vorliegende Artikel leistet einen Beitrag zur anhaltenden Diskussion über die Formulierung „gerettet werden durch Kindergebären“ in 1Tim 2,15 aus der Perspektive der intersektionalen Gender Studies und der Metapherntheorie. Ausgehend von der Metapher „Haus Gottes“ in 1Tim 3,15 wird die Rolle der Frauen in den Pastoralbriefen untersucht und diskutiert, inwieweit die Metapher das Leben von Männern und Frauen in dieser Gemeinschaft geprägt hat. In meinem 2013 erschienenen Buch Birthing Salvation führe ich den Begriff „Oikos-Ideologie“ ein, um zu beschreiben, wie eng die antiken mediterranen Vorstellungen vom Hausstand mit den Heilsvorstellungen der Pastoralbriefe verbunden sind. Ich argumentiere, dass der Verfasser des Briefes, wenn er in 1Tim 2,15 sagt, dass „Frauen durch das Gebären von Kindern gerettet werden“, genau das meint: Er stellt das Kindergebären als einen Weg zur Erlösung der christusgläubigen Frauen dar. 1 Mit anderen Worten: Das Kindergebären ist in den Pastoralbriefen nach meiner Lesart keine Metapher. Es ist eine Realität mit soteriologischen Konsequenzen. In den Pastoralbriefen werden jedoch auch Metaphern in den Diskurs über das Heil und das Gemeinschaftsleben einbezo- 1 A. R. Solevåg, Birthing Salvation: Gender and Class in Early Christian Childbearing Discourse (BINS), Leiden 2013. Zeitschrift für Neues Testament 24. Jahrgang (2021) Heft 48 46 Anna Rebecca Solevåg gen. Insbesondere die Metapher „Haus Gottes“ ( oikos theou , 1Tim 3,15) wird als übergreifende Metapher verwendet. Im Folgenden werde ich die Aussagekraft und die Funktionsweise der Metapher in den Pastoralbriefen untersuchen und mich dabei auf die kognitive Metapherntheorie (KMT) stützen. Nach einer kurzen Einführung in die KMT und ihre Bedeutung für die intersektionale neutestamentliche Forschung, widmet sich der Aufsatz der Welt der Pastoralbriefe: Zunächst werde ich die Schlüsselmetapher „Haus Gottes“ analysieren und aufzeigen, wie sie sowohl die soziale Realität als auch die Theologie prägt. Zweitens werde ich meine Interpretation von 1Tim 2,15 darlegen und für ein wörtliches Verständnis der Erlösung durch das Kindergebären plädieren. Abschließend werde ich den Zusammenhang zwischen der Metapher „Haus Gottes“ und dem wörtlichen Verständnis der Erlösung durch das Gebären erläutern und aufzeigen, dass das Gebären, Stillen und Nähren des Heils in den Pastoralbriefen auch eine metaphorische Ebene beinhaltet. Die kognitive Metapherntheorie als theoretisches Instrument für die neutestamentliche Forschung In ihrem bahnbrechenden Werk Metaphors We Live By haben George Lakoff und Mark Johnson ein neues Verständnis von Metaphern entwickelt. 2 Die Metapher, so argumentierten sie, ist nicht nur blumige Sprache, sondern sie prägt die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen. Seitdem haben Lakoff und Johnson zusammen mit Mark Turner, Raymond Gibbs, Zoltán Kövecses und zahlreichen anderen Wissenschaftlern ein umfangreiches Theoriefeld erschlossen. 3 In frühchristlichen Texten fungieren konzeptionelle Metaphern als leistungsfähige kognitive Werkzeuge, die es den Leserinnen und Lesern, den Hörerinnen und Hörern ermöglichen, über abstrakte und komplexe theologische Konzepte in Form von konkreten und vertrauten Ideen und Bildern nachzudenken. Es ist jedoch wichtig, sich bewusst zu machen, dass die Metapher kulturell gebunden und gesellschaftlich festgelegt ist. Was in den Köpfen der Menschen vor sich geht, ist eng mit der sozialen Realität verbunden, in der sie leben; ein Diskurs prägt eine bestimmte Kultur und wird gleichzeitig von ihr geprägt. Erkenntnisse aus der Kritischen Theorie und den Gender Studies sind hilfreich, um zu untersuchen, auf welche Weise sich ideologische Strukturen im sozialen Leben widerspiegeln. In jüngerer Zeit wurden solche Erkenntnisse in 2 G. Lakoff / M. Johnson, Metaphors We Live By, Chicago 1980. 3 Für eine Einleitung und Übersicht vgl. z. B. R. W. Gibbs, The Cambridge Handbook of Metaphor and Thought, New York 2008; Z. Kövecses, Metaphor. A Practical Introduction, New York 2 2009. Metapher und Realität in den Pastoralbriefen 47 die KMT integriert, und Wissenschaftler wie Kövecses und Ning Yu betonen die kulturellen Dimensionen der Metapher. 4 Die gesellschaftlichen Implikationen von Metaphern werden so allmählich Teil der Diskussion, 5 so dass man sogar von einem discourse turn in der Metapherntheorie spricht. 6 Was mir bei der KMT nützlich zu sein scheint, ist die fundamentale Einsicht, dass Metaphern eine maßgebliche Rolle dafür spielen, wie wir denken und wie wir die Welt strukturieren, und dass daher eine Untersuchung der Art und Weise, wie Metaphern in verschiedenen Kontexten verwendet werden, aufschlussreich und sinnerhellend sein kann. Metaphern sind komplex und müssen daher sorgfältig und in einem theoretischen Bezugsrahmen analysiert werden. Zu diesem Zweck verwende ich das recht schlichte, aber sehr hilfreiche konzeptionelle Instrumentarium des Ursprungsbereichs und des Zielbereichs , das im Rahmen der KMT entwickelt wurde. Kurz gesagt ist der Zielbereich das Konzept, das man zu verstehen versucht, während der Ursprungsbereich das Konzept ist, mit dem man es erklärt. 7 In der Metapher Gott ist unser Vater ist das abstrakte Konzept 4 Vgl. z. B. Z. Kövecses, Metaphor in Culture: Universality and Variation, Cambridge 2005; N. Yu, Metaphor from Body and Culture, in: R. W. Gibbs (Hg), The Cambridge Handbook of Metaphor and Thought, Cambridge 2008. 5 Vgl. z. B. M. J. Landau / M. D. Robinson / B. P. Meier, The Power of Metaphor. Examining Its Influence on Social Life, Washington D.C. 2014, und die Zeitschrift Metaphor and the Social World . 6 L. Cameron / G. Low, Metaphor and the Social World: Introduction to the first issue, Metaphor and the Social World 1/ 2011, 1-5, 1. 7 M. J. Landau / M. D. Robinson / B. P. Meier, Introduction, in: M. J. Landau / M. D. Robinson / B. P. Meier (Hg.), The Power of Metaphor. Examining Its Influence on Social Life, Washington 2014, 5. Prof. Anna Rebecca Solevåg, PhD, geb. 1973, Studium der Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Oslo, MA 2000, Promotion 2011. Sie ist Professorin für Neues Testament und Leiterin des PhD-Programms in Theologie und Religionswissenschaft an der VID Specialized University in Stavanger, Norwegen. Solevåg ist die Autorin von Negotiating the Disabled Body. Representations of Disability in Early Christian Texts (SBL Press, 2018) und Birthing Salvation. Gender and Class in Early Christian Childbearing Discourse (Brill, 2013). Sie forscht zu Überschneidungen von Geschlecht, Klasse, Behinderung, Alter, ethnischer Zugehörigkeit und anderen Formen der Marginalisierung und zu den komplexen Aushandlungsprozessen von Identität und Macht. 48 Anna Rebecca Solevåg Gott der Zielbereich, welches durch das vertraute, konkrete Konzept des Vaters , den Ursprungsbereich, erklärt wird. In der Metapher „Haus Gottes“ ist das Haus oder die Familie der Ursprungsbereich, während der Zielbereich die gläubige Gemeinschaft, die Kirche, ist ( ekklēsia 1Tim 3: 15). Das Haus - oikos - war in der Antike eine soziale Einheit, die aus dem männlichen Oberhaupt der Einheit, seiner Frau, seinen Kindern, Sklaven und manchmal auch weiteren Familienangehörigen bestand. Es handelte sich um eine hierarchische Struktur, in der das Oberhaupt des Haushalts die Autorität und rechtliche Verfügungsgewalt über die anderen Mitglieder innehatte. Nach Aristoteles bilden die drei wesentlichen Beziehungsstrukturen - Ehemann-Ehefrau, Vater-Kind und Eigentümer-Sklave - gemeinsam die Ordnung des Hauses ( oikonomia ) ab und verkörperten den Mikrokosmos der Gesellschaft. 8 Der Hausherr wurde kyrios genannt, was im Griechischen „Herr“ oder „Gebieter“ bedeutet. Die feministische Bibelwissenschaftlerin Elisabeth Schüssler Fiorenza hat den Begriff Kyriarchat als Alternative zum Patriarchat geprägt, um die Bedeutung dieser Struktur in der antiken mediterranen Gesellschaft sowie ihre heutigen Auswirkungen zu verdeutlichen. 9 Es ist hilfreich, diese kyriarchale Struktur bei der Analyse antiker Texte zu berücksichtigen. Da der Kyrios die Autorität über Frau, Sklaven und Kinder innehatte, wurden die Unterschiede zwischen Geschlecht (männlich/ weiblich), Status (Sklave/ frei) und Alter (Erwachsener/ Kind)/ Generation (Eltern/ Nachkommen) zu wichtigen Markern in der Gesellschaft. Es ist daher von Bedeutung, sich bewusst zu machen, dass die Metapher „Haus Gottes“ den (antiken) Zuhörern diese Rollen, Gruppen und Kategorien vor Augen führte. Ich werde im Folgenden untersuchen, wie diese Metapher in den Pastoralbriefen verwendet wird. Die Metapher des „Hauses Gottes“ in den Pastoralbriefen Die Formulierung „Haus Gottes“ wird in 1Tim 3,15 verwendet. Dieser Vers gilt als zentral für den gesamten Brief, weil er den Grund für die Absendung des Briefes angibt: „Dies schreibe ich dir und hoffe, bald zu dir zu kommen; 15 wenn ich aber erst später komme, sollst du wissen, wie man sich verhalten soll im Hause Gottes, welches ist die Gemeinde des lebendigen Gottes, ein Pfeiler und eine Grundfeste der Wahrheit.“ (1Tim 3,14f). 10 8 Aristoteles, Pol. 1253b. 9 E. S. Fiorenza, Rhetoric and Ethic. The Politics of Biblical Studies, Minneapolis 1999, ix. 10 Zitate hier und im Folgenden nach der Lutherübersetzung 2017. Metapher und Realität in den Pastoralbriefen 49 Die Metapher „Haus“ ist nicht zufällig gewählt. Die Organisation des Hauses scheint für das Verständnis des Verfassers für die gesellschaftliche Ordnung und Struktur von zentraler Bedeutung zu sein. Das metaphorische Konzept steht in engem Zusammenhang mit nicht-metaphorischen Ratschlägen, die in den Briefen immer wieder auftauchen, wie die Gläubigen als gute Ehemänner, Ehefrauen, Kinder und Sklaven leben sollten, ganz im Sinne der kyriarchalen Werte. Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Gruppen in der Gemeinschaft der Gläubigen, der ekklēsia , orientieren sich an den Gruppen des Hauses: „Einen Älteren fahre nicht an, sondern ermahne ihn wie einen Vater, die jüngeren Männer wie Brüder, die älteren Frauen wie Mütter, die jüngeren wie Schwestern, mit allem Anstand.“ (1Tim 5,1-2). Mit anderen Worten, es wird erwartet, dass die Leiter der Gemeinde in Wirklichkeit auch Hausväter sind. Ihre Stellung als Gemeindeleiter hängt von ihrer Fähigkeit ab, ihre Rolle als gute Väter und Hausväter in ihren eigenen Familien auszuüben (vgl. z. B. 1Tim 3,4-5; 3,12; Tit 5-6). Wie der Verfasser in 1Tim 3,5 feststellt: „Denn wenn jemand seinem eigenen Haus nicht vorzustehen weiß, wie soll er für die Gemeinde Gottes sorgen? “ 11 In ähnlicher Weise wird den Frauen gesagt, dass sie sich in der Gemeinde unterordnen und schweigen sollen, so wie sie sich zu Hause ihren Ehemännern unterordnen (z. B. 1Tim 2,11-12; 5,11-14; Tit 2,4-5). Und schließlich werden auch Kinder und Sklaven in ähnlicher Weise zur kyriarchalen Unterordnung angehalten (1Tim 5,1-3; 6,1-2; Tit 2,9-10). Wir können also sagen, dass diese kyriarchalen Rollen in den Pastoralbriefen auf zwei Ebenen funktionieren, auf einer individuellen und einer gemeinschaftlichen Ebene. Und die beiden Ebenen sind eng miteinander verbunden: Die Gruppe, der man in seiner Hausgemeinschaft zugehört, ist auch die Gruppe, der man in der Gemeinde zugehört. Ich habe diese Logik der Kirchenorganisation die „Oikos-Ideologie“ der Pastoralbriefe genannt. 12 Wie bereits erwähnt, ist der Zielbereich der Haus-Gottes-Metapher die Organisation der Gemeinde. Ich behaupte jedoch, dass diese Metapher noch weiter reicht. Die Metapher vom „Haus Gottes“ bezieht sich nicht nur auf die Gemeindestruktur, sondern erstreckt sich auch auf den Aspekt der Erlösung, wie 1Tim 2,15 zeigt. Die Erlösung ist ein zentrales Thema in den Briefen. Es wird als der Wunsch Gottes für die Menschheit vorgestellt (1Tim 2,4). Der Grund, warum Jesus in die Welt gekommen ist, ist „um Sünder zu retten“, wie es in 1Tim 1,15 heißt. Zu Beginn des Briefes bezeichnet der Verfasser den wahren Glauben als 11 Ich betrachte die Pastoralbriefe als nachpaulinische, pseudonym verfasste Briefe, die etwa um die Wende vom 1. zum 2. Jh. geschrieben wurden, vgl. Solevåg, Birthing Salvation, 85. 12 Solevåg, Birthing Salvation, 96-98. 50 Anna Rebecca Solevåg „Gottes Hausordnung“ ( oikonomia theou , 1Tim 1,4). Wie wird nun diese Hausordnung in Bezug auf die Erlösung verwirklicht? Offenbar hängt der gesamte Heilsplan vom Konzept des „Hauses Gottes“ ab: Jeder Gläubige muss seine Aufgabe erfüllen und die ihm zugewiesene Rolle in diesem Plan annehmen. Zunächst einmal spielen die männlichen Leiter der Gemeinschaft, die metaphorisch als Väter konstruiert sind, eine entscheidende Rolle für die Erlangung des Heils der gesamten Gemeinschaft. Dies zeigt sich in der starken Betonung der männlichen Leiter als Lehrer in den Pastoralbriefen. „Die heilsame Lehre“ ist der Lieblingsbegriff des Verfassers für die christliche Botschaft (1Tim 1,10; 2Tim 4,3; Tit 1,9; 2,1). Die Männer werden angewiesen, diese zum Heil führende Lehre zu vermitteln. Wie der Verfasser in 1Tim 4,16 sagt: „Hab acht auf dich selbst und auf die Lehre; beharre in diesen Stücken! Denn wenn du das tust, wirst du dich selbst retten und die, die dich hören.“ Diese Lehrer sind auch die metaphorischen Väter der Gemeinschaft. In der Antike bestand eine enge Verbindung zwischen den beiden männlichen Idealen des Vaters und des Lehrers, denn es war die Aufgabe des Vaters, für die Erziehung seiner Söhne, die so genannte paideia , zu sorgen. Die paideia war das Mittel, mit dem ein Vater seinen Sohn zu einem mündigen Erwachsenen und Bürger erziehen konnte. In den Pastoralbriefen sind es die Väter und männlichen Lehrer, die die Gemeinschaft in der „heilsamen Lehre“ unterrichten, die zur Erlösung führt. Aber ist das „Heil“ dann nur „Männersache“? Wenn die Lehrtätigkeit dieser männlichen Leiter als „väterliche Heilsvermittlung“ aufgefasst wird, kann man dann in den Pastoralbriefen auch von einer „mütterlichen Heilsvermittlung“ sprechen? Im „Haus Gottes“ des Verfassers der Pastoralbriefe haben auch die Frauen eine Rolle zu spielen. Die Rolle der freien, verheirateten Frau im antiken Mittelmeerraum bestand in erster Linie darin, Kinder zu gebären und damit legitime Erben zu zeugen. In der augusteischen Zeit zeigte sich ein zunehmendes Interesse an traditionellen „Familienwerten“. Das Kindergebären wurde durch die Gesetzgebung gefördert, 13 und die kaiserliche Propaganda stellte die Kaiserin als fruchtbare Mutter des römischen Volkes dar. 14 Die Schriftsteller der rhetorischen und philosophischen Tradition lobten Frauen, die sie als gute Mütter ansahen, und tadelten andere Frauen für „un-mütterliches“ Verhalten. Eine Abtreibung oder die Unterstützung durch eine Amme, die die Kinder stillte, sind typische Beispiele des Fehlverhaltens, das Frauen in diesen Texten vorgeworfen wurde. 15 13 S. Dixon, The Roman Mother, London 1988, 71. 14 E. Fantham et al., Women in the Classical World. Image and Text, New York 1994, 84. 15 Vgl. z. B. Seneca, Consolation to his mother , 16.3-6 und Pseudo-Plutarch, The Education of Children 3e. Seneca, Moral Essays, übers. J. W. Basore (LCL), Cambridge, Mass. 1979; Metapher und Realität in den Pastoralbriefen 51 Ab der Regierungszeit des Augustus setzten die römischen Kaiser die Gesetzgebung als Mittel ein, um die römischen Bürger zum Heiraten und zum Kinderzeugen zu bewegen. 16 Dixon zufolge sahen Augustus und seine literarischen Unterstützer den Bürgerkrieg unter anderem als Strafe der Götter für die Vernachlässigung der traditionellen Religion und Moral an. 17 Die augusteischen Heiratsgesetze (von 18 v. Chr. und 9 n. Chr.) sahen Strafen für unverheiratete Frauen über 20 Jahre und für unverheiratete Männer über 25 Jahre vor, 18 belohnten aber zugleich Frauen, die Kinder gebaren. Eine Frau erhielt das ius liberorum , wenn sie drei Kinder gebar und von der Notwendigkeit eines gesetzlichen Vormunds befreit war. Freigelassene Frauen erhielten das gleiche Recht, wenn sie vier Kinder hatten. 19 Ziel war es, die Geburtenrate in der Oberschicht zu erhöhen und gleichzeitig das Sexualverhalten der Bürger zu kontrollieren. 20 Während verheiratete Männer außereheliche Affären haben durften, solange sie respektablen Frauen aus dem Weg gingen, hatten matronae diesen Spielraum nicht. Ein solches Verhalten gefährdete ihre Rolle bei der Hervorbringung legitimer Erben, so dass Ehebruch (Affären mit verheirateten Frauen) unter Strafe gestellt wurde. 21 Frauen und ihre Verantwortlichkeiten und Pflichten kommen in den Pastoralbriefen auffallend häufig zur Sprache. Es gibt mehrere längere Abschnitte, die Frauen betreffen. 1Tim 2,9-15 gibt Anweisungen für die Kleidung und das Verhalten von Frauen; 1Tim 5,1-15 enthält Regeln für die so genannte Witwenordnung, und Tit 2,3-5 weist ältere Frauen an, den jüngeren in ihren ehelichen und mütterlichen Pflichten ein Vorbild zu sein. Die Verantwortung der Frauen gegenüber ihren eigenen Kindern wird in 1Tim 5,8 klar und deutlich formuliert. Im folgenden Abschnitt dieses Artikels werde ich argumentieren, dass die Behauptung in 1Tim 2,15, dass Frauen „durch das Gebären von Kindern gerettet werden“, ein zentraler Bestandteil der Rolle der Frau im „Hause Gottes“ ist. Nicht zuletzt erhalten auch Sklaven und Kinder, die beiden anderen Gruppen in der kyriarchalen Struktur, in den Pastoralbriefen spezifische Anweisungen. Sklaven müssen ihren Herren Ehre und Respekt erweisen, damit der Name Gottes und die Lehre nicht gelästert werden (1Tim 6,1f). Das gehorsame und Pseudo-Plutarch, The Education of Children, übers. F. C. Babbitt (LCL), Cambridge, Mass. 1969. 16 Dixon, The Roman Mother, 71. 17 Dixon, The Roman Mother, 72. 18 B. Rawson, The Roman Family, in: B. Rawson, The Family in Ancient Rome, London 1986, 9-10. 19 J. E. Grubbs, Women and the Law in the Roman Empire. A Sourcebook on Marriage, Divorce and Widowhood, London 2002, 84. 20 Fantham, Women in the Classical World. Image and Text, 302f. 21 E. DʼAmbra, Roman Women, Cambridge 2007, 48. 52 Anna Rebecca Solevåg schweigsame Verhalten der Sklaven wird als „die Lehre Gottes, unseres Heilands, schmückend“ beschrieben (Tit 2,10). Wie bereits erwähnt, gehört die Erziehung der Kinder zum Gehorsam zu den Aufgaben der Männer, die als Aufseher und Älteste in der ekklēsia tätig sind (1Tim 3,4f; Tit 1,6). Die Pflichten eines Kindes gegenüber seinen Eltern enden nicht, wenn es erwachsen wird, wie in den Bestimmungen der Witwenordnung deutlich gemacht wird. Kinder oder Enkelkinder sollten für verwitwete Familienmitglieder sorgen, und ihr Glaube wird in Frage gestellt, wenn sie dies nicht tun: „Wenn aber jemand die Seinen, besonders seine Hausgenossen, nicht versorgt, hat er den Glauben verleugnet und ist schlimmer als ein Ungläubiger“ (1Tim 5,8). Aus diesen Passagen geht klar hervor, dass das Wohlergehen der Gemeinschaft und in der Folge das Heil der Mitglieder der ekklēsia auch vom gehorsamen Verhalten der Kinder und Sklaven sowie von ihrem Glauben abhängt. „Gerettet durch das Gebären von Kindern“ als soziale Realität Ich komme nun zu 1Tim 2,15: sōthēsetai de dia tēs teknogonias, ean meinōsin en pistei kai agapē kai hagiasmō meta sōphrosynēs - „Die Frau aber wird gerettet werden durch das Gebären von Kindern, wenn sie bleiben im Glauben, in der Liebe und in der Heiligung mit Bescheidenheit.“ 22 Ist das Kindergebären hier metaphorisch gemeint? Bevor ich meine eigene Auslegung dieses Verses vorführe, möchte ich zunächst zwei interessante, unterschiedliche Lesarten vorstellen. Annette Weissenrieder liest 1Tim 2,15 im Lichte antiker medizinischer Vorstellungen über den weiblichen Körper und seine Rolle bei der Fortpflanzung. 23 Sie argumentiert, dass der Autor des 1Tim ein medizinisches Argument aufgreift, nämlich dass das Kindergebären für Frauen gesund sei. Die hippokratischen Abhandlungen sowie medizinische Werke aus der hellenistischen und römischen Epoche befürworteten sexuelle Aktivität und Kindergebären als Schlüsselfaktoren für die weibliche Gesundheit. Sie erklärten, dass sich überschüssiges Blut im Körper ansammeln und zu Krankheiten und Wahnsinn führen würde, wenn sie von dieser Norm des Gebärens abwichen. 24 22 Meine Übersetzung: But woman will be saved by means of childbearing, if they remain in faith, love and holiness with modesty. 23 A. Weissenrieder, What does σωθήσεθαι δὲ διὰ τῆς τεκνογονίας ,to be saved by childbearingʻ mean (1 Timothy 2: 15)? Insights from Ancient Medical and Philosophical Texts, Early Christianity 5/ 2014, 313-336. 24 Siehe z. B. On Generation (Genit.) , 4; Female Diseases (Mul.) I,2; Diseases of Young Girls (Virg.) ; Aretaeus, Sign. acut. 2.11. A. Weissenrieder, Images of Illness in the Gospel of Luke. Insights of Ancient Medical Texts, Tübingen 2003, 263-266. Metapher und Realität in den Pastoralbriefen 53 Dies wurde als „pronatalistische“ Haltung bezeichnet. Ann Ellis Hanson hat dargelegt, dass die hippokratischen Autoren „produktorientiert“ waren. Es ging ihnen nicht um die Gesundheit der Frauen an sich, sondern um den Schutz der Fruchtbarkeit der Frauen, damit sie einen Erben hervorbringen und so den Fortbestand der Familie in der nächsten Generation sichern konnten. 25 Die von Weissenrieder vorgeschlagene Übersetzung von 1Tim 2,15 lautet daher „she will be saved/ healed by childbearing“. 26 Diese Übersetzung stützt sich auf den Doppelaspekt des griechischen Begriffs sōzō , der sowohl „heilen, gesund machen“ als auch „retten“ bedeuten kann. 27 Sie kommt zu dem Schluss, dass „with the phrase ,salvation by childbearingʻ theological discourse exists at the point where the natural meets the social, where what is obvious and universal - pregnancy - meets what is far less obvious and specific - particular theological models of the female and her place in the ekklēsia. “ 28 In Weissenrieders Lesart von 1Tim 2,15 werden die Frauen durch das Gebären „gesund gemacht“ und die Pastoralbriefe orientieren sich dabei an den hippokratischen Schriftstellern sowie an anderen medizinischen Abhandlungen, die die Gesundheit und das Wohlbefinden der Frauen durch Schwangerschaft und Gebären propagierten. Elna Mouton und Ellen van Wolde lesen diesen Abschnitt ganz anders. 29 Sie argumentieren, dass „gerettet durch Kindergebären“ allegorisch gemeint ist. 30 Frauen sollen die metaphorischen Kinder des „Glaubens, der Liebe, der Heiligkeit und der Bescheidenheit“ gebären, die vier Tugenden, die am Ende von V. 15 erwähnt werden. Mit anderen Worten: Der Weg der Frauen zum Heil führt über ein angemessenes christliches Verhalten, ein Verhalten, das in diesen Briefen eindeutig geschlechtsspezifisch ist. Nach Mouton und van Wolde diente die Metapher des Gebärens dazu, angesichts der damaligen Irrlehren zu lebens- 25 A. E. Hanson, The Medical Writersʼ Woman, in: D. M. Halperin / J. J. Winkler / F. I. Zeitling (Hg.), Before Sexuality. The Construction of Erotic Experience in the Ancient Greek World, Princeton 1990, 309-338, 316. 26 A. Weissenrieder, What does σωθήσεθαι δὲ διὰ τῆς τεκνογονίας ,to be saved by childbearingʻ mean, 315. 27 LSJ, s. v. sōzō pass.: „to be saved, kept alive, preserved; to be healed, recover from sickness“. BDAG, s. v.: „save, keep from harm, preserve, rescue; save/ free from disease“. 28 A. Weissenrieder, What does σωθήσεθαι δὲ διὰ τῆς τεκνογονίας ,to be saved by childbearingʻ mean, 335f. 29 E. Mouton / E. van Wolde, New Life from a Pastoral Text of Terror? Gender Perspectives on God and Humanity in 1Timothy 2, Scriptura 111/ 2012, 583-601. 30 Mouton / van Wolde, New Life from a Pastoral Text of Terror? , 594-596. 54 Anna Rebecca Solevåg spendendem Verhalten zu ermutigen. 31 Mouton und van Wolde betonen, dass diese Lesart nicht notwendigerweise einer Gegenkultur zuzurechnen ist: „Both the transformative potential and risk of metaphor lies in its reference . If the ,newʻ in its reference is not recognizable to an audience, it will not shock and surprise, but (unwittingly) support the status quo .“ 32 Meine Interpretation von 1Tim 2,15 unterscheidet sich von der Weissenrieders insofern, als ich sōzō dahingehend verstehe, dass es sich auf die Errettung und nicht auf die körperliche Gesundheit durch die Geburt bezieht, und sie unterscheidet sich von Mouton und van Wolde insofern, als ich nicht glaube, dass dieser Abschnitt metaphorisch gemeint ist. Die Schlussfolgerung des Verfassers der Pastoralbriefe zu seinen Anweisungen an die Frauen in 1Tim 2,9-15 lautet, dass die Frauen buchstäblich durch das Gebären gerettet werden. 33 Warum stellt er diese Behauptung auf ? Ich verstehe die soteriologische Perspektive des Verfassers auf das Kindergebären als logische Schlussfolgerung aus seiner Argumentation in den vorangegangenen Versen über das Schweigen der Frau und ihre Unterordnung unter den Mann. Ein wichtiger Faktor ist hier, dass diese Anweisung durch einen Verweis auf die Schöpfungsgeschichte untermauert wird: „Denn Adam wurde zuerst gemacht, danach Eva. Und Adam wurde nicht verführt, die Frau aber wurde verführt und übertrat das Gebot.“ (1Tim 2,13-14) Diese Interpretation der Schöpfungsgeschichte in Genesis 2-3 ist nicht unproblematisch. Der Verfasser behauptet, dass Eva verführt wurde, Adam aber nicht und stützt sich dabei auf eine hellenistisch-jüdische Auslegungstradition, die Evas Verführung in sexueller Hinsicht auffasste: Der Sündenfall impliziere, dass Eva von der Schlange sexuell verführt wurde. 34 In Texten wie 2Henoch, 4Makkabäer, dem Leben Adams und Evas und dem Protevangelium des Jakobus wird Evas Übertretung als sexuelle Verführung verstanden. 35 In diesen Texten wird daher auch Eva mehr Verantwortung für den Sündenfall zugeschrieben als Adam, ähnlich wie in 1Tim. Die Argumentation des Verfassers ist von dieser Tradition geprägt, der zufolge Eva sexuell verführt wurde. Er geht davon aus, dass Evas Sündenfall tiefgreifender war und dass es daher einen ontologischen Unterschied zwischen Adam und Eva in Bezug auf ihre Erbsünde gibt. Evas uranfänglicher Verrat und Fall wird dann auf alle Frauen übertragen. Eva, als erste Frau, hat durch ihre (sexuelle) Sünde alle Frauen zu Fall gebracht und sie 31 Mouton / van Wolde, New Life from a Pastoral Text of Terror? , 596. 32 Mouton / van Wolde, New Life from a Pastoral Text of Terror? , 596. 33 Solevåg, Birthing Salvation, 129-132. 34 A. T. Hanson, Studies in the Pastoral Epistles, London 1968, 76. 35 Vgl. 2Enoch 31,6; 4 Macc 18,7f; L.A.E. 7.1f; Prot. Jas. 13,3-5. Hanson, Studies in the Pastoral Epistles, 65-66. Metapher und Realität in den Pastoralbriefen 55 befinden sich nun in einem Stand der Übertretung. Die Argumentation in Vv. 13 f endet also mit der Vorstellung eines grundlegenden Unterschieds zwischen Männern und Frauen - ein Unterschied auf ontologischer Ebene. 36 Der Verfasser löst das Problem der Lehre und der Autorität der Frauen, indem er das Schweigen und die Unterordnung der Frauen biblisch begründet, aber er schafft auch ein neues Problem: Wenn sich Frauen ontologisch in einem anderen Zustand befinden als Männer, wie kommen sie dann aus diesem Zustand heraus? Wie werden Frauen gerettet? Ich vertrete die Ansicht, dass V. 15 die Lösung des Autors für dieses Problem ist: Frauen werden durch das Gebären von Kindern gerettet. Dieser letzte Vers ist sowohl lexikalisch als auch syntaktisch schwierig. Wer ist das Subjekt von sōthēsetai und wie soll man den Begriff sōzō übersetzen? Bezieht sich dieses Verb auf die eschatologische Rettung oder die Bewahrung in der Gefahr? Wie ist die Präposition dia in diesem Zusammenhang zu verstehen? Was bedeutet das seltene Substantiv teknogonia ? Und warum wird vom einfachen „sie wird gerettet werden“ ( sōthēsetai ) zum Plural „wenn sie bleiben“ ( meinōsin ) übergegangen? 37 Ich möchte jede dieser Fragen einzeln angehen. Die koordinierende Konjunktion de verbindet V. 15 mit dem vorhergehenden Satz und impliziert wahrscheinlich, dass das Subjekt von sōthēsetai dasselbe ist wie bei dem vorhergehenden Verb exapatētheisa : „die Frau“ ( hē de gynē ). Die Frau (generisch) befindet sich also in einem Zustand der Übertretung und muss daraus gerettet - oder geheilt - werden. Die Bedeutung von sōzō ist, wie bereits erwähnt, umstritten. An allen anderen Stellen in den Pastoralbriefen bezieht sich das Verb auf das Heil in einem kosmischen Sinn 38 - so auch hier. Für ein theologisches Verständnis von sōzō spricht auch die Nähe dieser Aussage zu dem „verlässlichen Wort“ in 3,1a ( pistos ho logos ). Frances Young argumentiert überzeugend, dass diese „verlässlichen Worte“, die in den Pastoralbriefen fünfmal vorkommen, immer im Zusammenhang mit einer soteriologischen Aussage stehen. 39 Außerdem passt ein kosmisches Verständnis besser zur Logik des Textes als ein bloßer Hinweis 36 Boyarin hat für einen solchen ontologischen Unterschied zwischen Mann und Frau bei Philo argumentiert. Ihm zufolge vertritt Philo im Gegensatz zum rabbinischen Judentum „the ontologically secondary status of the gendered human, and ,womanʻ as the name for that entity which produces gender“, so D. Boyarin, Carnal Israel. Reading Sex in Talmudic Culture, Berkeley 1993, 80. 37 S. E. Porter, What does it Mean to Be ,Saved by Childbirthʻ (1Timothy 2.15)? , JSNT 49/ 1993, 87-102, 88. 38 Porter, What does it Mean,94. 39 F. M. Young, The Theology of the Pastoral Letters, Cambridge 1994, 56 f; M. Dibelius / H. Conzelmann, The Pastoral Epistles: A Commentary on the Pastoral Epistles, übers. P. Buttolph / A. Yarbro Collins (Hermeneia), Philadelphia 1972, 28f. 56 Anna Rebecca Solevåg auf die Bewahrung. Die vorangehenden Verse, die zu dem Schluss kommen, dass sich die Frau (generisch) in einem Zustand der Übertretung befindet, verlangen nach einem Mittel zur Erlösung. Das Mittel ist teknogonia in Verbindung mit einer Reihe von Tugenden. Was die Präposition anbelangt, so bezeichnet der häufigste Gebrauch von dia mit Genitiv ein Instrument oder ein Mittel: „mittels, durch, mit“. Ein zeitlicher Sinn („während“) ist weniger wahrscheinlich, wenn man sōzō als einen heilsbezogenen Begriff versteht. 40 Teknogonia ist ein neutestamentliches Hapax legomenon , das im altgriechischen Textcorpus nur sehr selten vorkommt. Wörterbücher übersetzen den Begriff mit „das Gebären von Kindern“ 41 oder „Kindergebären“. 42 Der Begriff findet sich in einigen wenigen medizinischen Abhandlungen über das Gebären von Kindern, 43 zudem es gibt einige Beispiele für seine Verwendung in moralphilosophischen Texten, die sich auf die Tradition der Haushaltungsführung stützen. 44 Aristoteles verwendet den Begriff in einer Betrachtung über das beste Gebäralter für Frauen. 45 In dieser Passage liegt der Schwerpunkt auf der besonderen Rolle der Frau bei der Fortpflanzung. In 1Tim scheint der Begriff an die erste Strafe Gottes in Gen 3,16 anzuknüpfen, die Schmerzen bei der Geburt von Kindern (LXX: texē tekna ), und konzentriert sich somit ebenfalls auf die weibliche Rolle bei der Fortpflanzung, d. h. Schwangerschaft und Geburt. In diesem Text liegt der Schwerpunkt also auf der besonderen Rolle der Frau als Gebärende. 46 In 1Tim 5, wo das gleiche Verb verwendet wird ( teknogoneō ), wird ebenfalls deutlich, dass das Kindergebären zu den grundlegenden Aufgaben der Frau im Haushalt gehört. Die Kinder zu erziehen und zu lieben wird durch andere Be- 40 Porter, What does it Mean, 98. 41 BDAG, s. v. teknogonia : „the bearing of children“. 42 LSJ, s. v. teknogonia : „child-bearing“. 43 Siehe z. B. Hippokrates, Epistulae 17, Aristoteles, HA 582a, Galen, In Hippocratis de natura hominis librum commentarii , 3.49. 44 Arius Didymus, Liber de philosophorum sectis , 76,1, Chrysippus, Fragmenta moralia 611. Beide Passagen sind identisch, so dass sie vermutlich auf bereits vorhandenes, heute verlorenes Material zurückgreifen. Balch geht davon aus, dass Arius Didymusʼ Schriften auf die aristotelische Tradition der Haushaltsführung zurückgreifen. D. L. Balch, Let Wives Be Submissive. The Domestic Code in 1 Peter, Chico 1981, 40-41. 45 Aristoteles, Hist. an. 582a. 46 Vgl. J. M. Bassler, 1Timothy, 2Timothy, Titus, Nashville 1996; D. Krause, 1Timothy, London 2004, 63. Quinn und Wacker sowie Collins hingegen verstehen den Begriff in einem weiteren Sinne, der auch die Kindererziehung umfasst, vgl. J. D. Quinn / W. C. Wacker, The First and Second Letters to Timothy: A New Translation with Notes and Commentary, David Noel Freedman (Hg.) (The Eerdmans Critical Commentary), Grand Rapids 2000, 231; R. F. Collins, 1 & 2Timothy and Titus. A Commentary, Louisville 2002, 77. Metapher und Realität in den Pastoralbriefen 57 griffe ausgedrückt ( teknophoreō , 1Tim 5,10; philoteknos , Tit 2,4). Daher bezieht sich teknogoneō wahrscheinlich in erster Linie auf das Gebären von Kindern. 47 Kinder zu gebären ist also in den Pastoralbriefen, wie auch im griechischrömischen Kontext, die primäre Funktion der ehrbar verheirateten Frau. Der bestimmte Artikel ( tēs teknogonias ) ist daher generisch zu verstehen. 48 Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass sich der bestimmte Artikel auf eine bestimmte Geburt bezieht, zum Beispiel auf die Geburt Jesu durch Maria, wie von einigen Exegeten behauptet wird. 49 In der Oikos-Ideologie der Pastoralbriefe ist das Kindergebären die Aufgabe der Frau schlechthin. Grammatikalische Herausforderungen finden sich auch im zweiten Teil des Verses. Wird der implizite Plural der Gattungsbezeichnung Frau mit der Pluralform des Verbs meinōsin explizit gemacht? Oder findet eine Subjektverschiebung von den Frauen zu den Kindern statt, die sie durch ihr Gebären bekommen? 50 Nach der Oikos-Ideologie der Pastoralbriefe ist die Stellung von Kindern und Frauen in gewisser Weise ähnlich - es ist die der Unterordnung im Haushalt (zur Frau vgl. z. B. 1Tim 2,11: en pasē hypotagē ; zu den Kindern vgl. 1Tim 3,4: tekna echonta en hypotagē ). Dies könnte erklären, warum es schwierig ist, festzustellen, ob es sich auf gebärende Frauen oder auf ihre Kinder bezieht - die Anweisungen passen auf beide Gruppen gleichermaßen. Wenn sie sich auf die Kinder bezieht, stimmen die Anweisungen mit den Bestimmungen überein, die an anderer Stelle in den Pastoralbriefe über die Verantwortung der Eltern, ihre Kinder im Glauben zu erziehen, formuliert werden. Wird der Vers hingegen auf Frauen bezogen, so präzisiert der Konditionalsatz ( ean meinōsin ), auf welche Frauen sich der Vers bezieht. Er legt fest, dass das Gebären nur für gläubige Frauen heilsam ist, die über die genannten Tugenden verfügen. 51 In diesem Fall betont V. 15b, dass nicht alle Frauen durch ihr Gebären gerettet werden: Es muss von den christlichen Tugenden des Glaubens, der Liebe, der Heiligkeit und der Bescheidenheit begleitet sein. 52 Die Wiederholung von sōphrosynē , die eine Rückbindung an die Aufzählung der Tugenden in Vers 9 erwirkt, ist für mich ausschlaggebend dafür, die Frauen und nicht die Kinder das Subjekt zu betrachten. Eine solche Lesart behält im gesamten Abschnitt ein einheitliches 47 LSJ, s.v. teknogoneō : „Bear young, bear children“, Porter, What does it Mean, 96. 48 Porter, What does it Mean, 92. 49 B. Witherington, Letters and Homilies for Hellenized Christians, Bd. 1, A Socio-Rhetorical Commentary on Titus, 1-2Timothy and 1-3 John, Downers Grove 2006, 230. 50 Für die Position, dass das Thema in V. 15b von Frauen zu Kindern wechselt, vgl. C. B. Horn / J. W. Martens, ,Let the little children come to meʻ: Childhood and Children in Early Christianity, Washington 2009, 139 f; J. H. Ulrichsen, Noen bemerkninger til 1Tim 2,15, Norsk teologisk tidsskrift 84/ 1983, 19-25. 51 Dibelius / Conzelmann, The Pastoral Epistles, 48. 52 Collins, 1 & 2Timothy and Titus. A Commentary, 77. 58 Anna Rebecca Solevåg Subjekt (die Frau allgemein) bei und schafft außerdem eine Inclusio , indem sie zur Pluralform zurückkehrt, die den Abschnitt eröffnet ( gynaikas , V. 9 f). Die vier Tugenden, die in V. 15 abschließend aufgezählt werden, knüpfen an V. 9 an und bilden somit eine chiastische Struktur heraus: Der Abschnitt endet dort, wo er begonnen hat, nämlich mit einer Aufzählung von in Bezug auf Frauen geschätzten Tugenden. Es gibt also eine kleinere chiastische Struktur in Vv. 11-12 mit der Wiederholung des Schweigens ( hēsychia ) und eine größere, die Vv. 9-15 mit zwei Listen von Tugenden einrahmt (wobei sōphrosynē in beiden wiederkehrt). Das Anliegen der Bescheidenheit und Keuschheit der Frauen eröffnet und beschließt den Textabschnitt. Der Schwerpunkt liegt in der ganzen Passage auf Frauen und ihren Tugenden, wobei Tugenden im Zusammenhang mit der Sexualität ein Hauptanliegen zu sein scheinen. In 1Tim 2,15 argumentiert der Verfasser, dass die Mühen der Frauen beim Kindergebären nicht nur eine Strafe oder eine Folge der ursprünglichen Übertretung sind, sondern auch Teil der Erlösung. Um die Möglichkeit der Erlösung zu erlangen, muss sich die Frau in die Ehe und das potentiell damit verbundene Kindergebären fügen - sie muss der Ideologie des Oikos gemäß leben. 53 Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die Gemeinschaft, wenngleich sie in Gruppen unterteilt war, eine Rolle in der Heilsökonomie der Pastoralbriefe spielt. Der Wechsel zurück zum Plural in V. 15b könnte darauf hinweisen, dass das Heil eine Gemeinschaftsleistung ist. Das Heil kann nur durch die gemeinschaftliche Anstrengung der Frauen erreicht werden, die ihrer gottgegebenen Rolle in Ehe, Kindergebären und Haushaltsführung treu bleiben ( gamein, teknogonein, oikodespotein , 1Tim 5,14). Gebären und Nähren der Erlösung als Realität und Metapher Ich habe argumentiert, dass es in diesem Abschnitt um das körperliche Kindergebären als Mittel zur Erlösung der Frauen in der Gemeinschaft der Pastoralbriefe geht. Dennoch deutet die übergreifende Metapher vom „Haus Gottes“ darauf hin, dass das Gebären und Nähren in den Pastoralbriefen auch eine metaphorische Ebene haben kann. Die betonte Ausrichtung auf die Gemeinschaft und ihre Rolle bei der Erlösung verleiht den Frauen eine Mutterrolle, die auch dann noch besteht, wenn sie das Kindergebären hinter sich haben. Jüngere Frauen sollen „Kinder gebären und ihren Haushalt führen“ (1Tim 5,14), aber für ältere Frauen wird das Gebären und Nähren zur Metapher, es wird zu ihrer Rolle in der gläubigen Gemeinschaft. Die Anweisung an ältere Frauen in Tit 2,3-5, 53 Solevåg, Birthing Salvation, 134f. Metapher und Realität in den Pastoralbriefen 59 dass sie junge Frauen ermutigen sollen, ihre Männer und Kinder zu lieben und ihren Haushalt zu führen, deutet darauf hin, dass diese Frauen immer noch eine mütterliche Rolle in der Gemeinschaft haben. Marianne Bjelland Kartzow und ich haben dargelegt, dass die Rolle dieser Frauen sehr wohl auch die Unterweisung im Glauben beinhaltet haben könnte, 54 wenngleich dies durch Begriffe ausgedrückt wird, die mit den kyriarchalen Normen der Oikos-Ideologie vereinbar sind (Begriffe für die Lehre werden vermieden, Frauen werden angewiesen, kalodidaskalos zu sein). Außerdem wird Timotheus angewiesen, sich gegenüber älteren Frauen wie Müttern zu verhalten (1Tim 5,2). Und Timotheus‘ Mutter und Großmutter, Lois und Eunike, werden dafür gelobt, dass sie Timotheus’ Glauben genährt haben, der offenbar von den Müttern dieser Familie an ihre Kinder weitergegeben wurde (2Tim 1,5). Wie bereits erwähnt, war es die Aufgabe des Vaters, die Kinder zu erziehen und ihre paideia zu sichern. Die Mutter hatte jedoch einen zentralen Beitrag zu dieser paideia zu leisten, und zwar durch das Stillen, das als erster Schritt der paideia verstanden wurde. 55 Vielleicht wurde die nährende Funktion der Frau in der Gemeinschaft also als „die Erlösung nähren“ verstanden? Interessanterweise weisen die Bestimmungen für Diakoninnen in 1Tim 3,11 Ähnlichkeiten mit den Bestimmungen für Ammen in der medizinischen und philosophischen Literatur auf, wobei Bescheidenheit und Mäßigung betont werden. 56 In den Pastoralbriefen können Frauen also in mehrfacher Hinsicht metaphorisch als „Gebärerinnen des Heils“ verstanden werden. Zunächst einmal „gebären“ Frauen das Heil, und zwar indem sie durch ihr tatsächliches Kindergebären nicht nur ihr eigenes Heil sichern, sondern auch Kinder in die rettende Gemeinschaft der Gläubigen bringen. Außerdem fungieren Frauen auch als „Gebärerinnen des Heils“, wenn sie andere Frauen, Kinder und wahrscheinlich auch Sklaven in der Gemeinschaft unterweisen. Diese Unterweisung und Ermutigung steht in völliger Übereinstimmung mit den kyriarchalen Vorschriften, kann sogar Glaubensunterweisungen beinhalten, solange die Frau keinen männlichen Hausvorsteher unterrichtet. 54 M. B. Kartzow / A. R. Solevåg, Who Loves The Pastorals and Why? (Vortrag auf dem Annual Meeting der Society of Biblical Literature , San Diego 2007). Auf norwegisch publiziert als A. R. Solevåg / M. B. Kartzow, Hvem bryr seg om Pastoralbrevene? Nyere trender i Pastoralbrevsforskningen, Norsk teologisk tidsskrift 111/ 2010, 255-269 55 Pseudo-Plutarch, The Education of Children , 3e. 56 Vgl. z. B. Soranus, Gyn. 2.19 und den pseudepigraphen Brief von Pythagoras‘ Tochter Myia, der bei I. M. Plant, Women Writers of Ancient Greece and Rome. An Anthology, Norman 2004, 79 f, zitiert wird. 60 Anna Rebecca Solevåg Fazit: Spielt die Metapher eine Rolle? In seinem Bemühen, eine neue Einheit, eine neue Art von Gemeinschaft zu beschreiben, verwendet der Verfasser der Pastoralbriefe die Metapher „Haus Gottes“. Was waren die Folgen dieser Metaphernwahl? Es ist festzuhalten, dass der Verfasser die Metapher „Haus Gottes“ in einer ganz spezifischen Weise verwendet hat, die eine strikte Analogie zwischen metaphorischen und realen Vätern, Müttern, Kindern und Sklaven aufweist. Andere frühchristliche Autoren verwendeten Metaphern auf kreativere und potenziell subversivere Weise. Paulus zum Beispiel bezeichnet sich selbst als Sklaven Gottes (z. B. 1Kor 9,19), obwohl er ein freier Mann war. Er bezeichnet sich auch als Amme, ungeachtet seines Geschlechts, und spricht metaphorisch über die Unterweisung im Glauben als das Nähren der Gläubigen mit Milch (1Thess 2,7). 57 Auch in anderen frühchristlichen Texten finden wir eine derartige geschlechtsübergreifende und statusumkehrende Verwendung von Metaphern. 58 In den Pastoralbriefen sind es jedoch nur (freie) Frauen, die als reale und metaphorische Kindergebärende und Mütter konzipiert werden. Dies ist ein reaktiver Gebrauch, der dazu diente, kyriarchale Strukturen zu verstärken, anstatt sie zu untergraben, indem ihnen zusätzlich theologischer Rückhalt geboten wird, wie auch Mouton und van Wolde argumentierten. 59 Durch eine solche reaktive Verwendung prägt die Haus-Gottes-Metapher nicht nur das Verständnis des Zielbereichs, d. h. der Heilsvorstellung, sondern sie wirkt auch rückwärts und beeinflusst das Verständnis des Ausgangsbereichs - der antiken Hausgemeinschaft. Die Verwendung dieser Metaphern ist jedoch nicht nur deshalb von Bedeutung, weil sie das Leben und die Theologie dieser frühen christlichen Gemeinschaften tiefgreifend geprägt haben. Sie sind auch aufgrund ihrer Rezeptionsgeschichte von Bedeutung. Die kyriarchalen Metaphern und Weisungen des Verfassers der Pastoralbriefe haben die Theologie und die Vorstellungen vom christlichen Familienleben in der gesamten Kirchengeschichte bis in die Gegenwart geprägt. 60 57 Zu Paulusʼ Verwendung der Ammen-Metapher vgl. J. Houston McNeel, Paul as Infant and Nursing Mother (Early Christianity and Its Literature), Atlanta 2014. 58 Siehe z. B. die „Geburtsszene“ in den apokryphen Andreasakten (ActAndr 7-9), in der der Apostel Andreas als Hebamme auftritt und der Jünger Stratokles ein gebärender Mann ist, der seinen eigenen Glauben zur Welt bringt. Im Martyrium der Perpetua und Felicitas wird Gott mit weiblichen Attributen dargestellt, der die Märtyrerinnen ins ewige Leben gebiert (M. Perp. und Fel. 10.4; 15.6) und sie im Jenseits stillt (M. Perp und Fel 4.9), vgl. dazu Solevåg, Birthing Salvation, 243f. 59 Vgl. Mouton / van Wolde, New Life from a Pastoral Text of Terror? , 596. 60 Vgl. zur Rezeptionsgeschichte der Pastoralbriefe: J. Twomey, The Pastoral Epistles Through the Centuries (Blackwell Bible Commentaries), Malden 2009.