eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 24/48

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2021
2448 Dronsch Strecker Vogel

Sharon Betsworth, Julie Faith Parker (Hg.): T&T Clark Handbook of Children in the Bible an the Biblical World - London/New York: T&T Clark 2019 - 496 S. ISBN 978-05-67-67257-5

2021
Tanja Forderer
Buchreport Tanja Forderer Sharon Betsworth, Julie Faith Parker (Hg.) T&T Clark Handbook of Children in the Bible an the Biblical World London/ New York: T&T Clark 2019 496 S. ISBN 978-05-67-67257-5 Zeitschrift für Neues Testament 24. Jahrgang (2021) Heft 48 118 Tanja Forderer Das Handbook of Children in the Bible and the Biblical World aus der Reihe der Handbücher von T&T Clark bietet einen thematischen, hermeneutischen und methodischen Überblick und Einstieg zum gleichnamigen Thema. Der Band, der inklusive einer Einführung achtzehn Beiträge umfasst, bündelt die Ergebnisse eines sich seit 2008 mit dem Thema befassenden SBL-Seminars. Das Handbuch nimmt zunächst eine forschungsgeschichtliche und methodische Verortung des Forschungsgegenstandes vor ( Part One ). Hierauf folgen Einzelstudien zu Texten des Alten Testaments ( Part Two ), der antiken jüdischen Literatur ( Part Three ), des Neuen Testaments ( Part Four ) und der neutestamentlichen Apokryphen ( Part Five ). Das Hauptaugenmerk des Bandes liegt aber auf den alt- und neutestamentlichen Schriften. Das Handbuch möchte die Erforschung von Kindern und Kindheit in der Bibel und ihrer Umwelt weiter etablieren und zugleich einen Beitrag in diesem schnell wachsenden Forschungsbereich leisten (3). Die Relevanz der Fragestellung ergibt sich u. a. aus sozialgeschichtlichen Erkenntnissen zur Gesellschaft in der Antike und zum Vorkommen von Kindern in den biblischen Texten. Letzteres wurde in der Forschung bisher unzureichend wahrgenommen, weil z. B. einzelne Charaktere als junge Erwachsene und nicht als Kinder interpretiert wurden (2). Zu den einzelnen Beiträgen, die im Folgenden zusammengefasst werden: Reidar Aasgaard (13-38) befasst sich mit der Forschungsgeschichte der Fragestellung, die in den späten 1960er Jahren aufkam, aber erst seit den 1990er Jahren größeres Interesse erhält. Die Untersuchung von „Kindern/ Kindheit in der Bibel“ steht dabei exemplarisch für die seit dieser Zeit in der exegetischen Wissenschaft zu beobachtenden Etablierung einer interdisziplinären und intersektionalen Arbeitsweise. Nach Aasgaard ist das Thema in der neutestamentlichen Exegese besser bearbeitet als in der alttestamentlichen Forschung. Auch konstatiert er fehlende Studien, z. B. zu relevanten Schriften des antiken Judentums oder zu pseudepigraphen Schriften des Neuen Testaments. Laurel W. Koepf Taylor (39-63) gibt einen Einblick in die interdisziplinäre Vielfalt, die die Bearbeitung der Frage nach „Kindern/ Kindheit in der Bibel“ mit sich bringt. Wichtige hermeneutische Einsichten werden vorab genannt: Die Untersuchung von „Kindern“ werde stets von erwachsenen WissenschaftlerInnen durch die Brille kultureller und zeitgeschichtlich gebundener Konzepte von „Kindheit“ vorgenommen. Es sei daher sinnvoll, zwischen der Frage nach „Kindern“ als Subjekte und Persönlichkeiten und „Kindheit“ als soziokulturelle Konstruktionen zu unterscheiden. Die von Taylor vorgestellten Disziplinen wie z. B. Archäologie, Geschichtswissenschaften, Ethnografie oder Anthropologie zeigen die unterschiedlichen methodischen Zugänge auf, die die Thematik erschließen helfen. Was ist neu am childist criticism? 119 Den Abschnitt zu den Beiträgen zum Alten Testament eröffnet Kristine Henriksen Garroway (67-90). In ihrem methodisch orientierten Beitrag erörtert sie eine Definition von „Kind“ und sucht nach Texten, in denen Kinder vorkommen. Bereits die Definition für „Kind“ sei komplex, da die meisten antiken Kulturen soziale Altersbezeichnungen anstelle chronologischer Daten verwendet hätten. Eine Untersuchung biblischer Zeugnisse wie außerbiblischer Quellen müsse ferner beachten, dass jeder Quellentyp, wie z. B. ikonografische Abbildungen, die sozialen Altersgruppen von Kindern unterschiedlich stilisiere. Letztendlich sei eine Exegese biblischer Texte, die Kinder sichtbar mache, eine Herausforderung, da Kinder selten eine eigene Stimme in diesen hätten. Mit Ex 22,28-29 und der Frage nach der Logik von der Opferung von Kindern beschäftigt sich Heath D. Drewell (91-107): Die Nennung von Kinderopfern in Ex 22,28-29 könne nicht wegdiskutiert werden. Hierfür spricht, dass die nicht sehr verbreitete und kaum überlieferte Praxis des Kinderopfers durch die innere „Logik“ des Opferns alles Erstgeborenen gestützt werde. Dieses ziele auf Fruchtbarkeit ab und nähre die Hoffnung auf weitere Nachkommen. Auch lasse sich die Praxis als Reproduktionsstrategie verstehen, bedenke man die hohe Geburtenrate im antiken Israel. Dong Sung Kim (109-130) fragt am Beispiel des Estherbuchs nach „Kindheit“ im Diasporajudentum und fokussiert sich auf die Identitätsprozesse, die Kinder durchlaufen, um in ihre soziale und kulturelle Umgebung hineinzuwachsen. Das Estherbuch habe eine kulturell-performative Funktion für das Diasporajudentum in hellenistischer Zeit und zeige, wie jüdische Identität in der Fremde erfolgreich bewahrt werden könne. Auf dem Kind Esther liege ein hoher Akkulturationsdruck, der Ergebnis von hegemonialen Identitätsprozessen sei (125) und verdeutliche, dass und wie Esther zwischen jüdischer und persischer Kultur stehe. Ericka S. Dunbar und Kenneth N. Ngwa (131-154) zeigen, wie komplex die Frage nach Kindern bzw. nach Kindheit für das Buch Proverbien ist. Das „Kind“ in Proverbien sei ein literarischer, polyvalenter, männlich konzipierter Charakter. Es sei zum einen Adressat der Lehre des Weisen, zum anderen aber auch Gegenstand der Unterweisung, wenn es z. B. um die Themen „Familie“ und „Erziehung“ gehe. Mittels sprachlicher Analyse gelingt es den beiden, die unterschiedlichen literarischen Ebenen, auf denen das „Kind“ in Proverbien begegnet, zu erhellen und so die inhaltliche wie pragmatische Bedeutung dieses Charakters herauszustellen. In ihrem Beitrag fragt Julie Faith Parker (155-177) nach der Charakterisierung Gottes als „Kind“ im Alten Testament. Die Textbasis (Gen 1,26-27; 1Kön 19,12; Ps 10,14; Prov 8,30) ist gering und, wie auch Parker in ihrem Beitrag zeigt, wenig aussagekräftig. So könne in Bezug auf Gen 1,26-27 indirekt aus den Familien- 120 Tanja Forderer erzählungen der Genesis geschlossen werden, dass die Ebenbildlichkeit Gottes durch Kinder repräsentiert werde (160). Am eindeutigsten scheint Prov 8,30 zu sein: dort werde die Weisheit als vor Gott spielendes Kind charakterisiert (174). Zwei Beiträge befassen sich mit intertextuellen Fragestellungen und Texten aus der Zeit des Zweiten Tempels: Kathleen Gallagher Elkins (181-197) befasst sich mit der kollektiven Erinnerung von traumatisierender Gewalt und ihrer Auswirkung auf Kinder. Ihr Beitrag geht zunächst auf die besondere Verwundbarkeit von Kindern ein. Als Beispiele für Traumata von Kindern in der Antike nennt sie Sklaverei, sexuellen Missbrauch und die Praxis der Aussetzung. Im Anschluss hieran untersucht sie exemplarisch in Klgl 2; 4 und Mk 13 mögliche psychologische Aspekte. Solche Erzählungen können Ausdruck für die gefühlte Verwundbarkeit und den Verlust von Zukunftsperspektiven einer traumatisierten Gemeinschaft sein. Das Buch Tobit kann besonders in den Kap. 6-12 als Coming-of-Age-Erzählung interpretiert werden. Mithilfe von methodischen wie hermeneutischen Grundlagen der masculinity studies gibt Stephen M. Wilson (199-219) zunächst einen Einblick in Männlichkeitskonzepte des Alten Testaments und der griechisch-römischen Welt, um in einem zweiten Schritt das Tobitbuch anhand von vier für Coming-of-Age-Erzählungen typischen Merkmalen zu analysieren (207). Er kann zeigen, dass die in Tob 6-12 erzählte Reise Tobits die Funktion hat, das Erwachsenwerden Tobits zu beschreiben und in die Gesamterzählung einzubinden. Den Abschnitt zu den Beiträgen, die sich mit dem Neuen Testament befassen, eröffnet John W. Martens (223-243) mit seinem methodisch orientierten Beitrag zur Frage, was ein Kind ist und wo Kinder in der griechisch-römischen Welt zu finden sind. Sein intersektionaler Ansatz kombiniert biologische Daten und kulturell-soziale Kategorien. Martens untersucht antik-jüdische wie griechisch-römische Texte, die über die Entwicklung von Kindern reflektieren. In einem zweiten Teil bietet Martens einen Überblick über Texte im NT, in denen Kinder vorkommen. In knapper Ausführung bietet er in einem dritten Abschnitt weitere, für die Fragestellung interessante Quellen wie etwa archäologische Zeugnisse oder Inschriften. Sharon Betsworth (245-263) untersucht die Parabel von den Kindern auf dem Marktplatz in Mt 11,16-19 und Lk 7,31-35 und geht auf die jeweiligen narrativen wie kontextuellen Besonderheiten im Matthäus- und Lukasevangelium ein. Darüber hinaus verortet sie die negative Charakterisierung der Kinder in der Parabel in der griechisch-römischen Rhetorik und interpretiert auf der Grundlage von modernen Spieltheorien das in der Parabel erzählte Spiel der Kinder als eine Art Rollenspiel. Die Parabel ziele in beiden Versionen darauf ab, Jesu Tadel an seinen Kontrahenten zu veranschaulichen. Was ist neu am childist criticism? 121 Mit der lukanischen Version der Segnung der Kinder (Lk 18,15-17) befasst sich Amy Lindeman Allen (265-289). Ihre These ist, dass Lukas das antike Konzept des Hauswesens umkehrt und kleine Kinder wie auch sozial ausgegrenzte Menschen als Besitzer des Gottesreiches beschreibt. Diese Umkehrung der sozialen Verhältnisse habe zur Folge, dass christusgläubige Haushalte dazu aufgefordert seien, Kinder und andere sozial ausgegrenzte Menschen in ihrer Mitte als Personen wertzuschätzen. Ausdruck dieser neuen Sichtweise sei u. a. die Gütergemeinschaft in Act 2,42-47. Gibt es in der Quelle Q Hinweise auf kleine Kinder? Dieser Frage geht A. James Murphy (291-310) nach, indem er Erkenntnisse aus der feministischen Forschung und der Sozialgeschichte aufgreift. Unter den von ihm vorgestellten möglichen Texten seien Q 11,11-13; 9,61-62; 12,49-53; 14,26 vielversprechend. In Anwendung von W. Arnals These von „gendered couplets“ in Q als „repetitious examples, statements, or arguments, paired by gender“ (305), identifiziert er in allen vier Texten literarische Figurenpaare (z. B. Mutter/ Vater; Sohn/ Tochter) und ordnet die von ihm analysierten Texte nach Arnal der pragmatischen Kategorie der argumentative examples zu. Judith M. Gundry (311-333) nimmt sich der vieldiskutierten Stelle 1Kor 7,14 im Kontext der paulinischen Ehescheidungsargumentation (1Kor 7,10-16) an. In Anlehnung an G. Fee vertritt sie die These, dass hagios/ hagiazō in 1Kor 7,14 wie in Röm 11,16 im Sinne von „ausgesondert“ oder „geweiht“ zu verstehen sei. Paulus setze in 1Kor 7,14 voraus, dass die Aussonderung eines Teils der Familie, der Christusgläubigen, auch auf den Rest des Haushalts übergehe. Nach Gundry vertrete Paulus für Mischehen das Konzept einer „religious endogamy“ (330), das trotz verschiedener religiöser Überzeugungen in einem Haushalt eine gewisse religiöse Einheit ermögliche. Auch der nächste Beitrag von John W. Martens (335-355) untersucht einen Ausschnitt aus 1Kor 7, die Verse 1Kor 7,36-38. Martens plädiert dafür, diese vor dem Hintergrund einer entstehenden christlichen Askese zu interpretieren. Anhand u. a. detaillierter philologischer und sozialgeschichtlicher Analysen weist Martins potentielle soziale wie gesellschaftliche Konflikte nach, in die ein christusgläubiger Familienvater geraten konnte, der seine Tochter nicht verheiraten wollte. Ein denkbares Szenario könnte sein, dass bereits ein Ehevertrag mit einem künftigen, nicht christusgläubigen Ehemann bestanden habe, den zurückzunehmen dem antiken Konzept von „Ehre“ widersprochen hätte (353). Die letzten beiden Beiträge des Handbuchs fokussieren sich auf frühchristliche apokryphe Schriften. Anna Rebecca Solevåg (359-377) untersucht das Vorkommen von Kindern in den Apostelakten. Hierfür zieht sie intersektionale Methoden heran. Sie zeigt auf, dass sich die Kinder in den Apostelakten in ihrer Charakterisierung (Geschlecht, Alter, sozialer Status) erheblich unterscheiden. 122 Tanja Forderer So sei z. B. Thecla in den Paulusakten eine Jugendliche, die aktiv Entscheidungen für ihr Leben treffe, während die Tochter des Petrus in den Petrusakten passiv bleibe. Auch zeigen die Thomas- und Andreasakten, wie Ehe und Familie zugunsten von sexueller Enthaltsamkeit problematisiert werden. Tony Burke (379-397) beleuchtet das Motiv der Flucht in den apokryphen Kindheitsevangelien. Die von ihm untersuchten Texte sind narrative Ausgestaltungen von der im Matthäusevangelium erzählten Flucht Jesu nach Ägypten (Mt 2,13-15.19-21). Burke unterscheidet zwischen östlichen (z. B. syrisches oder armenisches Kindheitsevangelium) und westlichen (z. B. Kindheitsevangelium des Thomas) Traditionen. Auffällig sei, dass der Jesus in diesen Texten weniger als Kind denn als Wunder wirkender Erwachsener agiere. Rezeptionsgeschichtlich seien die Fluchterzählungen Ausgangspunkt für die Entstehung von Pilgerrouten (Ägypten und Palästina) und gehören für das koptische Christentum zur religiösen Identität. Insgesamt bietet das Handbuch einen sehr interessanten, lesefreundlichen Überblick zum Thema. Die locker aufeinander folgenden Beiträge zeigen durch ihre thematische wie methodische Breite die Vielseitigkeit des Forschungsgebiets auf. Dass dabei nicht alle vertretenen Positionen zu überzeugen vermögen, ist der Gattung „Handbuch“ und dem Anliegen des Buches als Überblickswerk geschuldet. Der Band ist ungeachtet dessen eine lesenswerte Einführung zur Frage nach „Kindern und Kindheit in der Bibel und der biblischen Welt“.