eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 25/49

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
2022
2549 Dronsch Strecker Vogel

Editorial

2022
Ute E. Eisen
Susanne Luther
Christian Strecker
Manuel Vogel
Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, Die bekannte Rede vom Menschen als dem Maß aller Dinge galt lange Zeit und gilt weithin bis heute zumal vom „männlich“ gelesenen Menschen. Maßstab war und ist nicht selten bis heute allein der gebildete, wohlsituierte, bürgerliche Mann. Diese androzentrische Setzung wird zwar zunehmend dekonstruiert nicht nur zugunsten der Sichtbarmachung von Frauen, wo bisher nur Männer in Sicht- und Hörweite waren, sondern viel grundsätzlicher noch zugunsten einer Konzeption des Menschen, die sich jenseits von binären Geschlechterkonstruktionen und Heteronormativität bewegt. Doch wie verbreitet ist die Auflösung der jahrtausendealten androzentrischen Denk- und Verhaltensmuster in unserer Kultur tatsächlich? Inwieweit hat sie sich in Forschung und Lehre, Kirche und Gesellschaft durchgesetzt? Das vorliegende Heft der ZNT, das von Ute E. Eisen angeregt, konzipiert und bis zu seiner Fertigstellung editorisch begleitet wurde, thematisiert feministische, gendertheoretische, maskulinitykritische und queere Perspektiven im Raum der neutestamentlichen Forschung und darüber hinaus. Zu Beginn führt Martin Leutzsch in der Rubrik NT aktuell in einem weit gespannten forschungsgeschichtlichen Horizont in gegenwärtige Diskurse und Theoriedebatten zum Heftthema ein und skizziert exemplarisch aktuelle Forschungsfelder. Im ersten Beitrag in der Rubrik Zum Thema befasst sich Heidrun Mader mit ägyptischen Praktiken der Frauenbeschneidung und gewinnt von hier aus ungewohnte und überaus erhellende Einsichten zu solch vertraut anmutenden Text wie der paulinischen Allegorie von Hagar und Sara in Gal 4,21-31 und der Honigwabenszene aus Joseph und Aseneth in JosAs 14-17. Angesichts des hier wie auch in vielen anderen antiken Quellen zu beobachtenden Oszillierens Zeitschrift für Neues Testament 25. Jahrgang (2022) Heft 49 4 Editorial der Geschlechterkonstruktionen plädiert sie dafür, „bei der Rekonstruktion der Historie mit offenen Kategorien zu arbeiten und mit multiplen Perspektiven zu rechnen“. Im anschließenden Beitrag macht Moises Mayordomo darauf aufmerksam, dass die Frage „nach den sozialen Konstruktionen von Männlichkeit im historischen Wandel“ bisher insbesondere in der deutschsprachigen neutestamentlichen Exegese ausgeblendet wurde. Dieser Befund impliziert, und darauf hat nach Mayordomo „die feministische Exegese seit ihrem Aufkommen hingewiesen - das Männliche als das Natürliche, Gegebene und Ungeschlechtliche zu betrachten und das Weibliche als das Problematische und das ‚eigentlich‘ Geschlechtliche“. Als „Testfall“ für einen neutestamentlichen Männlichkeitsdiskurs wählt Mayordomo den umstrittenen Passus 1. Korinther 11,2-16. In ihrem Beitrag Der johanneische Jesus - queer gelesen zeigt Silke Petersen, dass Queer Studies einen wichtigen Beitrag leisten können, um auf Differenzen zwischen modernen (heteronormativen und binären) und antiken Geschlechterkonstruktionen aufmerksam zu machen. Es wird deutlich, dass moderne Vorannahmen den antiken Geschlechterdiskurs häufig verkürzen und verzeichnen. Insofern sind Queer Studies schlicht eine längst fällige Ergänzung der historischen Anthropologie. Auf die von Silke Petersen angeführten Bildbeispiele aus der christlichen Kunst sei eigens verwiesen. In der Kontroverse mit Beiträgen von Ute E. Eisen und Meltem Kulaçatan kommen die Positionen einer christlichen Neutestamentlerin und einer islamischen Religionspädagogin, Erziehungs- und Politikwissenschaftlerin zur Sprache. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln, jedoch auf beiden Seiten in der Doppelperspektive auf die eigene wissenschaftliche Autobiographie und zeitgenössische Forschungszusammenhänge wird deutlich, wo feministische Positionen in kontroversen Diskursen der Gegenwart gefordert sind. In der Rubrik Hermeneutik und Vermittlung erhellt Claudia Janssen den forschungsgeschichtlichen Hintergrund des Konzepts der Intersektionalität und erläutert anhand instruktiver neutestamentlicher Passagen den methodologischen und hermeneutischen Zugewinn im Kontext von feministischer Exegese und Gender Studies . Nicht zuletzt geht es darum, „die eigenen Überkreuzungen von Gender, race, class , Alter, (dis-)ability sichtbar zu machen, die die Exeget: innen in der Auslegung biblischer Texte beeinflussen“. Angela Standhartinger beschließt das Heft mit ihrer Besprechung des preisgekrönten Buches Liebe zwischen Frauen von Bernadette Brooten. Das 1996 auf Englisch erschienene grundlegende Werk zu weiblicher Homoerotik in der Antike liegt seit 2020 in deutscher Übersetzung vor. Der detaillierte und informative Buchreport möge zu einer weiten Verbreitung des Buches im deutschsprachigen Raum seinen Teil beitragen. Abschließend möchten wir in eigener Sache auf eine Personalie hinweisen: Mit dem vorliegenden Heft scheidet Günter Röhser entsprechend unserer Statuten mit Eintritt in den Ruhestand aus dem Kreis der Herausgebenden der ZNT aus. Günter Röhser war Gründungsmitglied der ZNT, die aktuell auf ein fast 25jähriges Bestehen zurückblicken darf. Während dieser Jahre verdankt ihm die Zeitschrift, die er wesentlich mit geprägt hat, sehr viel. Ihm sei an dieser Stelle ein herzlicher Dank ausgesprochen, verbunden mit guten Wünschen für die Zukunft und verbunden mit dem Wunsch, dass er der ZNT gewogen bleiben und sich in dieser (auch „seiner“) Zeitschrift auch künftig noch als Autor zu Wort melden möge. Und Ihnen, liebes Lesepublikum, wünschen wir nun eine anregende Lektüre dieses hoffentlich herausfordernden Heftes. Ute E. Eisen Susanne Luther Christian Strecker Manuel Vogel Editorial 5