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Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung in der Sprachvermittlung

2022
978-3-7720-5687-1
A. Francke Verlag 
Karin Madlener-Charpentier
Giulio Pagonis
10.24053/9783772056871
CC BY-SA 4.0https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de

Der Mensch kann sich neues Wissen prinzipiell auf zwei Arten aneignen: mithilfe des Bewusstseins (explizit, intentional) oder beiläufig, also durch Lernmechanismen, die unterhalb der Schwelle des Bewusstseins operieren (implizit). Wie aber werden neue Sprachen erworben? Und welche Optionen eröffnet dies für eine erfolgreiche Sprachvermittlung? Der Sammelband skizziert für ausgewählte Erwerbsbereiche (z.B. Morphologie, Syntax) zentrale Aspekte impliziten und expliziten Wissens und Lernens und diskutiert Effekte und Nutzen impliziter und expliziter Vermittlungs- und Förderansätze im Kontext des Deutschen als Erst-, Zweit- und Fremdsprache.

Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung in der Sprachvermittlung Karin Madlener-Charpentier / Giulio Pagonis (Hrsg.) Kognitive und didaktische Perspektiven auf Deutsch als Erst-, Zweit- und Fremdsprache N° 102 Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung in der Sprachvermittlung Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur Herausgegeben von Heike Behrens, Nicola Gess, Alexander Honold, Martin Luginbühl und Ralf Simon Band 102 Karin Madlener-Charpentier / Giulio Pagonis (Hrsg.) Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung in der Sprachvermittlung Kognitive und didaktische Perspektiven auf Deutsch als Erst-, Zweit- und Fremdsprache Dr. Karin Madlener-Charpentier Prof. Dr. Giulio Pagonis Universität Basel Universität Heidelberg Deutsches Seminar Institut für Deutsch als Nadelberg 4 Fremdsprachenphilologie CH-4051 Basel Plöck 55 https: / / orcid.org/ 0000-0002-5471-3415 69117 Heidelberg DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783772056871 © 2022 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Überset‐ zungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0067-4508 ISBN 978-3-7720-8687-8 (Print) ISBN 978-3-7720-5687-1 (ePDF) ISBN 978-3-7720-0187-1 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Dieser Sammelband ist gewidmet Brigitte Handwerker († 2020) und Konstantinos Pagonis († 2020) 9 11 31 67 99 127 169 213 251 Inhalt Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Madlener-Charpentier & Giulio Pagonis Optionen der didaktischen Formfokussierung zwischen Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Madlener-Charpentier & Heike Behrens Konstruktion(en) erst- und zweitsprachlichen Wissens: Lernprozesse und Steuerungsoptionen aus gebrauchsbasierter Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . Teil 1: Input und Aufmerksamkeitslenkung Karin Madlener-Charpentier Aufmerksamkeitslenkung durch strukturierte Inputfluten: Gelingensbedingungen impliziten und expliziten inzidentellen Zweitsprachlernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christina Kauschke Inputspezifizierung und Bewusstmachung als Methoden sprachtherapeutischer Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Giulio Pagonis Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Henk Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? . . . . . . . . . . . Teil 2: Output und Bewusstmachung Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann & Torsten Andreas Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog . . . . . . . Ingo Fehrmann Integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz durch gezielte Bewusstmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 315 343 371 395 Franziska Baumeister Zu den Effekten eines explizit bewusstmachenden Aussprachetrainings zum deutschen Wortakzent bei erwachsenen, frankophonen Lernenden des Deutschen als Fremdsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothee Kohl-Dietrich & Eva-Larissa Maiberger Die Interface-Hypothese: Annahmen zum Zusammenspiel von implizitem und explizitem Wissen im Spracherwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil 3: Implikationen für die Lehrerbildung Daniela Rotter Focus-on-Form in der Lehrkräftefortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Milena Kuehnast & Beate Lütke Fachsprachliche Kompetenzentwicklung bei Grundschullehramtsstudierenden - metasprachliches Wissen und Registerflexibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . AutorInnenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt Dank Der vorliegende Sammelband geht auf eine Reihe von Workshops zum Leit‐ thema „Bewusstmachung in der Sprachvermittlung: Kognitive und didaktische Perspektiven auf Deutsch als Erst-, Zweit- und Fremdsprache“ zurück. Die Workshops wurden geleitet von Karin Madlener-Charpentier, Beate Lütke und Giulio Pagonis und fanden in Heidelberg (2014, 2018), Basel (2015, 2017, 2019) und Berlin (2016) statt. Wir danken an dieser Stelle allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser Workshops für spannende Beiträge, anregende Fragen und bereichernde Dis‐ kussionen! Weiterhin danken wir den herausragenden Kolleginnen und Kollegen, die uns durch ihre wegweisenden Ideen in Bezug sowohl auf erwerbstheoretische Fragestellungen als auch auf didaktische Optionen einer Formfokussierung zwischen Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung inspiriert und uns in persönlichen Gesprächen über viele Jahre begleitet und ermutigt haben. An erster Stelle sind dies Nick C. Ellis, Brigitte Handwerker (†2020), Erika Kaltenbacher und Heike Behrens. Unser herzlicher Dank gilt schließlich all den weiteren wundervollen Men‐ schen, die uns privat und beruflich begleiten und die uns unter anderem auch während der langen Arbeit an diesem Sammelband geduldig ertragen, uns von nah und fern motiviert, ermuntert und unterstützt haben. Insbesondere sind dies Dorothee Pagonis, Hervé Charpentier, die Madleners, Hana Klages, Kirstin Mascher, Yvonne Ziegelmeier, Nicole Schumacher, Andrea Ender, Mirjam Weder und Philipp Dankel. Zuletzt danken wir Carolin Brandt und Leonie Massoth für das sorgfältige Korrekturlesen und Formatieren des Textes und selbstverständlich dem Verlag für die gute Zusammenarbeit. 1 Von Erstspracherwerb (L1-Erwerb) spricht man in Kontexten, in denen eine oder mehrere Sprachen ab der frühen Kindheit, typischerweise im Kontext der primären Sozialisierung im Familienkontext erworben werden (Ortega 2009: 3-4). Von Zweit‐ spracherwerb (L2-Erwerb) im weiteren Sinne (entsprechend dem englischen Terminus Second Language Acquisition) spricht man, wenn zu späteren Zeitpunkten im Leben eine oder mehrere weitere Sprachen erworben werden. Mit dem Terminus Zweitspracherwerb im engeren Sinne beziehen wir uns im Folgenden auf Kontexte, in denen die neue Sprache Umgebungssprache ist und daher zumindest teilweise auch ungesteuert, durch den Kontakt mit L1-SprecherInnen dieser Sprache im Alltag, erworben wird (z. B. beim Erwerb des Deutschen als Alltags-, Arbeits- und Bildungssprache in einem deutschsprachigen Land). Von Fremdspracherwerb hingegen wird im Folgenden gesprochen, wenn die neue Sprache in einem Kontext erworben wird, wo sie nicht Umgebungssprache, damit nicht oder kaum informell zugänglich ist, sondern in erster Linie unterrichtlich gesteuert erworben wird (z. B. beim Erwerb des Deutschen als Schulfremdsprache in nicht deutschsprachigen Ländern). Optionen der didaktischen Formfokussierung zwischen Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung Karin Madlener-Charpentier & Giulio Pagonis 1. Ausgangslage Sprachkompetenzen eröffnen Wege zu gesellschaftlicher Teilhabe. Der Grund‐ gedanke der Teilhabe durch Sprache bezieht sich auf die Verfügbarkeit von erst-, zweit- und fremdsprachlichen Kompetenzen 1 für verschiedene Ziele und Zwecke des Sprachgebrauchs, zum Beispiel für den Zugang zu schulischer Bildung, zu beruflicher Aus- und Weiterbildung, zum Arbeitsmarkt und zu Optionen lebenslangen Lernens; für die Teilhabe am Alltagsleben und die Mit‐ gestaltung von gesellschaftlichen Prozessen; aber auch für das Absolvieren einer Sprachprüfung im Rahmen eines Einbürgerungsverfahrens oder als Zugang zu einem Studien- oder Ausbildungsgang im In- oder Ausland. Für all diese Ziele und Zwecke sind Sprachkompetenzen auf unterschiedlichen Niveaustufen nötig, von sprachlichen Basiskompetenzen über fortgeschrittene Text- und Gesprächskompetenzen bis hin zu spezifisch bildungs-, fach- und berufssprach‐ lichen und gegebenenfalls auch sprachreflexiven Kompetenzen. Vor diesem Hintergrund wird u. a. diskutiert, wie Maßnahmen der Sprachver‐ mittlung und Sprachförderung dazu beitragen können, Individuen bei der Aus‐ bildung ihrer Sprachkompetenzen gezielt zu unterstützen. Dabei unterscheiden sich Ziele und dementsprechend auch Förderbedarfe in verschiedenen Gruppen von SprachlernerInnen und SprachnutzerInnen stark (siehe z. B. Klages & Pagonis 2014 zu ein- und mehrsprachigen Kindern und Jugendlichen; Hoefele & Konstantinidou 2018 zu ein- und mehrsprachigen Jugendlichen und jungen Er‐ wachsenen in der beruflichen Bildung; Ender & Madlener 2019 zu neuzugewan‐ derten jugendlichen und jungen erwachsenen Geflüchteten und MigrantInnen). Daher muss es das Ziel von Vermittlungs- und Fördermaßnahmen sein, den Erwerb von Sprachkompetenzen so zu unterstützen, dass Teilhabe entsprechend den individuellen Bedürfnissen und Zielsetzungen möglich wird. Die Entwicklung wirkungsvoller Maßnahmen der Sprachvermittlung und Sprachförderung setzt dabei ein umfassendes Verständnis grundlegender As‐ pekte von Spracherwerb voraus: Erst wenn bekannt ist, wie Spracherwerb in verschiedenen Kontexten funktioniert und unter welchen Bedingungen der Erwerb sprachlicher Kompetenzen gut voranschreitet, können Sprach‐ lerngelegenheiten gezielt optimiert und Erwerbsprozesse bei verschiedenen Zielgruppen und für verschiedene Lerngegenstände und Sprachverwendungs‐ bereiche systematisch unterstützt werden. Daher setzt sich der vorliegende Sammelband mit einer Reihe von Fragen auseinander, die an der Schnittstelle zwischen Spracherwerbsforschung und Sprachdidaktik verortet sind: 1. Welche grundlegenden Lernmechanismen werden für die Aneignung von Sprachkompetenzen angenommen? 2. Unter welchen Bedingungen gelingt sprachliches Lernen in verschiedenen Kontexten (Erst-, Zweit- und Fremdspracherwerb) gut? 3. Welche didaktischen Konsequenzen, Handlungsspielräume und Optionen ergeben sich zielgruppenspezifisch aus diesen erwerbstheoretischen An‐ nahmen? Wie können Lernbedingungen also didaktisch so beeinflusst werden, dass Lernprozesse angestoßen und optimiert, die Lerngeschwin‐ digkeit und der Lernerfolg erhöht werden? 2. Lernen, Spracherfahrung und Aufmerksamkeit Gegenstand des Spracherwerbs sind aus Sicht gebrauchs- und konstruktions‐ basierter Ansätze Form-Bedeutungbzw. Form-Funktion-Zuordnungen. Diese sogenannten Konstruktionen können mehr oder weniger abstrakt sein (z. B. 12 Karin Madlener-Charpentier & Giulio Pagonis Wortart Nomen vs. ein konkretes Nomen wie Buch) und mehr oder weniger komplex (z. B. eine Mehrwortverbindung wie etwas durch die Blume sagen vs. ein Morphem wie Blume). Regelhaftigkeiten wie die Ditransitiv-Konstruktion (Nomen Nominativ Verb Nomen Dativ Nomen Akkusativ ) werden in diesem Ansatz als komplexe abstrakte Form-Funktion-Zuordnungen beschrieben (Tab. 1, siehe Tomasello 2003: 101, siehe auch Diessel 2015, Goldberg 2013). einfach komplex konkret Buch, Blume etwas durch die Blume sagen abstrakt Nomen Ditransitiv-Konstruktion Tab. 1: Komplexitäts- und Abstraktheitsgrade im Konstruktionsinventar Die traditionelle, kategorische Unterscheidung zwischen (konkretem und bedeutungsvollem) Lexikon und (abstrakter, kombinatorischer, bedeutungs‐ leerer) Grammatik wird in diesen Ansätzen aufgegeben. Für den Erwerb aller Form-Bedeutung-Zuordnungen (konkret oder abstrakt, einfach oder komplex) werden dieselben allgemein-kognitiven Lernmechanismen angenommen (N. Ellis 2003: 63, siehe Madlener-Charpentier & Behrens in diesem Band). Aktuelle gebrauchs- und konstruktionsbasierte Modelle des Spracherwerbs gehen von der Annahme aus, dass die Aneignung von Sprachkompetenzen großteils implizit verläuft (N. Ellis 2013, Ortega 2015). Dabei wird implizite Aneignung verstanden als „acquisition of knowledge about the underlying structure of a complex stimulus environment by a process which takes place naturally, simply and without conscious operations“ (N. Ellis 1994: 1-2, 2015: 3). Implizites Lernen ist also ein unbewusster Prozess der allmählichen induktiven Abstraktion von Regelhaftigkeiten bzw. Mustern, der auf der Verarbeitung von Sprache in kommunikativ bedeutungsvollen Kontexten beruht (N. Ellis & Ca‐ dierno 2009: 124, Ortega 2015: 355). Dieser implizite Modus der Sprachaneignung wird abgegrenzt von der Fähigkeit des Menschen zum expliziten Lernen, also dem Lernen unter Einsatz des Bewusstseins. Explizites Lernen kann lernerini‐ tiiert stattfinden (z. B., wenn Lernende ein Problem identifizieren, bewusst nach Informationen und Lösungen suchen und Hypothesen entwickeln) oder es kann von außen angestoßen werden (wie beim bewussten Lernen von Regeln, die in einem gesteuerten Erwerbskontext z. B. durch eine Lehrperson angeboten werden) (N. Ellis 2015). Für den Erstspracherwerb wird grundsätzlich angenommen, dass selbst komplexe und abstrakte Konstruktionen (z. B. Verbstellungsmuster) erfolgreich 13 Optionen der didaktischen Formfokussierung implizit erworben werden, sofern Lernende in ausreichendem Maße an be‐ deutungsvoller sozialer Interaktion beteiligt sind (Behrens 2009, Matthews & Krajewski 2015, siehe aber Kauschke in diesem Band zu monolingualen Kindern mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen). Hingegen wird häufig darauf verwiesen, dass der Erwerb einer Zweit- oder Fremdsprache in der Regel weniger erfolgreich verläuft (u. a. N. Ellis 2015, N. Ellis & Cadierno 2009, Hyltenstam & Abrahamsson 2003, Meisel 2021). Die Gründe für diesen Erwerbsnachteil im späten Fremd- und Zweitspracherwerb werden kontrovers diskutiert; aus gebrauchsbasierter Perspektive sind zwei Aspekte zentral: Zum einen wird der sogenannte Limited L2 Endstate (N. Ellis 2008) auf ein mangelhaftes Sprachangebot zurückgeführt, wenn die für einen erfolgreichen Erwerb erforderliche Quantität an Spracherfahrung in der Fremd- oder Zweit‐ sprache nicht verfügbar ist: [L2] learners have to enter into communication from experience of a very limited number of tokens. Their limited exposure poses them the task of estimating how linguistic constructions work from an input sample that is incomplete, uncertain, and noisy (N. Ellis 2011: 203, siehe auch Hart & Risley 2003, Pfenninger 2014). Auch die erforderliche Qualität des Sprachangebots wird als Ursache für Erwerbsnachteile diskutiert, z. B. weil (für den Erstspracherwerb typische) interaktionale Modifikationen und Elaborationen des Inputs ausbleiben (z. B. Wiederholungen, Reformulierungen, Elaborationen, Nachfragen oder Vereinfa‐ chungen, siehe Kappeler Suter & Plangger 2018, Szagun 2013), sodass Zweit- und FremdsprachenlernerInnen (L2-LernerInnen) in vielen Fällen nicht auf dieselbe Reichhaltigkeit von Spracherfahrung zurückgreifen können wie Erstsprachler‐ nerInnen. Zum anderen wird angenommen, dass der verfügbare Input in der Zweit-/ Fremdsprache nicht optimal verarbeitet und für den Spracherwerb genutzt werden kann: „Although L2 learners are surrounded by language, not all of it ‚goes in‘“ (N. Ellis 2015: 12). Hier wird auf das Konzept der Learned Attention (N. Ellis 2006) verwiesen, also auf das Problem, dass L2-LernerInnen ggf. durch von der Erstsprache geformte Sprachverarbeitungs- und Aufmerksam‐ keitsroutinen daran gehindert werden, für die Zweit-/ Fremdsprache relevante Konstruktionen im Sprachangebot wahrzunehmen, wenn diese von denen der Erstsprache abweichen (N. Ellis & Cadierno 2009: 112). In diesem Fall wird, bild‐ lich gesprochen, die Aufmerksamkeit der L2-Lernenden für bestimmte Merk‐ male des L2-Inputs blockiert, und zwar durch Routinen der Sprachverarbeitung in der Erstsprache. Diese Aufmerksamkeitsblockierung wird als problematisch betrachtet, denn „[u]m Lernprozesse zu generieren, müssen (neue) Sprachele‐ 14 Karin Madlener-Charpentier & Giulio Pagonis mente in mehr oder weniger expliziter Form in den Aufmerksamkeitsfokus gelangen“ (Schifko 2008: 37, siehe auch Kohl-Dietrich & Maiberger in diesem Band). Vor diesem Hintergrund soll in diesem Sammelband gefragt werden, welche didaktischen Steuerungsmöglichkeiten geeignet sind, um Spracherwerb gezielt zu unterstützen, und welche Rolle Verfahren der Formfokussierung (s. u.) dabei spielen, dem Quantitätsproblem, dem Qualitätsproblem und/ oder dem Blockie‐ rungsproblem zu begegnen. 3. Formfokussierung zwischen Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung Ansätze der didaktischen Formfokussierung (sog. Pedagogical Focus on Form/ FoF; siehe Long & Robinson 1998) sind grundlegend kommunikativ, also bedeutungs- und interaktionszentriert angelegt. Sie entstehen im Kontext aufgabenbasierter Sprachvermittlung (sog. Task-Based Language Teaching, u. a. R. Ellis 2017a, Long 2015, Niemeier 2017) und basieren auf der Beobachtung, dass L2-Ler‐ nende trotz reichhaltiger kommunikativer Settings häufig nur eingeschränkte Kompetenzen (vor allem in Bezug auf die Komplexität und Korrektheit ihres L2-Gebrauchs) erreichen: Canadian total immersion projects […] have shown that grammar does not develop on its own just by exposing the learners to rich input but that the result is rather one of fossilised reduction (Niemeier 2017: 19, siehe auch Swain 1985). Ansätze der Formfokussierung (FoF) erlauben bzw. fordern im grundlegend kommunikativen Lernkontext daher spontane oder auch vorgeplante, in jedem Fall aber typischerweise kurze Episoden der Aufmerksamkeitslenkung auf oder auch Bewusstmachung von Form-Bedeutung-Zuordnungen (Doughty & Williams 1998a, R. Ellis 2016). Damit unterscheidet sich FoF gleichermaßen von strikt kommunikativen, ausschließlich bedeutungsorientierten didaktischen Ansätzen (sog. Focus on Meaning/ FoM, z. B. Immersionsansätze) und von tradi‐ tionellen expliziten und grammatikorientierten Vermittlungsansätzen, in denen formale Paradigmen häufig in Isolation (ohne kommunikative Einbettung) vermittelt werden (sog. Focus on FormS/ FoFS). Die didaktische Formfokussierung versteht sich dabei nicht als geschlossene Methode, sondern als „Bauanleitung für bestimmte unterrichtliche Vorgehens‐ weisen“ (Schifko 2008: 37). Diese FoF-Techniken vereint in Abgrenzung zu FoFS das Bestreben, die Sprachvermittlung aufgaben- und bedeutungsorientiert anzu‐ legen und an den aktuellen Ausdrucksbedürfnissen der Lernenden auszurichten, 15 Optionen der didaktischen Formfokussierung weswegen dekontextualisierte, behavouristisch motivierte Übungsformen wie z. B. isolierte Pattern Drills ebenso abgelehnt werden wie Verfahren, die sich darauf beschränken, den Lernenden kontextlos deklaratives Wissen über gram‐ matische Strukturen und Regeln zu vermitteln. In Abgrenzung zu FoM verbindet alle FoF-Varianten hingegen das Ziel, die (gesprochene oder geschriebene) sprachliche Form im Rahmen eines prinzipiell kommunikativ ausgerichteten Unterrichts (pro- oder reaktiv) didaktisch zu forcieren (Tab. 2). FoM FoF FoFS kommunikative Einbettung + + didakti‐ sche For‐ cierung reaktiv (durch Feedback) und/ oder proaktiv (durch Vorge‐ staltung des Sprachangebots) - + + durch Bewusst‐ machung der Form - - (implizite FoF) + (explizite FoF) + Tab. 2: Merkmale didaktischer Formfokussierung (FoF) in Abgrenzung zu FoM und FoFS Tabelle 2 illustriert mit der Unterscheidung zwischen impliziter und expliziter Formfokussierung (implizite FoF, explizite FoF) die oben eingeführte Grundan‐ nahme der didaktischen Formfokussierung, dass nämlich Form-Bedeutung-Zu‐ ordnungen „in mehr oder weniger expliziter Form“ (Schifko 2008: 37, H.d.V.) in den Aufmerksamkeitsfokus der Lernenden gelangen müssen, wenn Lernpro‐ zesse angestoßen werden sollen. Damit wird ausgesagt, dass im Kontext einer didaktischen Forcierung eine Beteiligung des Bewusstseins an der Sprachverar‐ beitung je nach Lernendengruppe, Lerngegenstand und Kontext zwar sinnvoll sein kann, aber keineswegs notwendig ist (Doughty & Williams 1998b, Schifko 2011). 3.1. Implizite Formfokussierung Von impliziter Formfokussierung wird gesprochen, wenn durch die didaktische Vorgestaltung eines kommunikativ relevanten Sprach- und Interaktionsange‐ bots der Versuch unternommen wird, die unterschwellige Aufmerksamkeit der LernerInnen auf Form-Bedeutung-Zuordnungen im Kontext zu lenken, ohne dass diese als Lerngegenstand bewusst werden und/ oder metasprachlich reflektiert werden sollen. 16 Karin Madlener-Charpentier & Giulio Pagonis Bei impliziten Verfahren der Formfokussierung wird also vermieden, das Bewusstsein der Lernenden auf Formen im Input zu lenken oder Regelzu‐ sammenhänge bewusst zu machen. Stattdessen soll durch weniger invasive Vermittlungsoptionen (z. B. vorgeplant durch Inputfluten, s. Hernández 2011, Madlener 2015; oder reaktiv/ spontan durch Recasts als Feedbackform, s. R. Ellis, Loewen & Erlam 2006, Lyster 2004) die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, dass Lernende notorisch schwierige, komplexe, wenig saliente und ggf. durch L1-Routinen blockierte sprachliche Form-Bedeutung-Zuordnungen im Input wahrnehmen und erwerbsförderlichen Intake generieren. Es wird in diesem Zusammenhang von unterschwelliger bzw. unbewusster Aufmerksamkeit (Attention) gesprochen, wenn zwar die Orientierung der Ler‐ nenden auf bestimmte Anteile des Inputs hin erfolgt, sodass diese Anteile des Inputs mit erhöhter Wahrscheinlichkeit wahrgenommen und (im Sinne der Her‐ stellung von Form-Bedeutung-Zuordnungen) verarbeitet werden, dabei aber nicht das Bewusstsein (sog. Consciousness) der Lernenden an der Wahrnehmung der sprachlichen Form beteiligt ist (s. Gass 1997: 8-12). 3.2. Explizite Formfokussierung Bei expliziter FoF wird hingegen die bewusste Aufmerksamkeit der Lernenden (punktuell) während der kommunikativen Aushandlung explizit auf die Form des sprachlichen Ausdrucks gelenkt; die Form-Bedeutung-Zuordnung wird den Lernenden damit also bewusst gemacht (im Sinne des Noticing nach Schmidt 2001, s. Swain 1995: 129-130), ggf. wird auch eine bewusste Hypothesenbildung in den Lernenden angestoßen (Swain 1995: 130-132), sodass auch das bewusste Verstehen (Understanding) bzw. Reflektieren von Regelhaftigkeiten (Swain 1995: 132-140) ins Spektrum der explizit formfokussierenden Verfahren fällt - unter der Bedingung allerdings, dass diese explizite Formfokussierung und Bewusstmachung stets im Rahmen eines kommunikativen Unterrichtsrahmens erfolgt. Man spricht also von expliziten Techniken der Formfokussierung, wenn in einer grundlegend kommunikativ eingebetteten Lehrsituation der didaktische Versuch unternommen wird, das Bewusstsein der Lernenden relativ aufdring‐ lich, in der Regel aber punktuell und bedarfsorientiert, auf ein sprachliches Problem oder auf ein oder mehrere konkrete Exemplare einer ausgewählten Form-Bedeutung-Zuordnung zu lenken, die für die Lösung einer kommunika‐ tiven Aufgabe relevant sind (z. B. vorgeplant durch Consciousness Raising Tasks, s. R. Ellis 2017b: 511, Wong 2005, oder durch Textrekonstruktions- oder -reparaturaufgaben, s. Eckerth 2008; spontan/ reaktiv durch Feedback-Typen wie Prompts, s. Mackey 2012). 17 Optionen der didaktischen Formfokussierung Dieses didaktische Vorgehen sei vorrangig bei relativ wenig salienten Form-Bedeutung-Zuordnungen (wie z. B. Artikelformen) sinnvoll, vor allem wenn sie zusätzlich stark mit L1-Konstruktionen kontrastieren (N. Ellis 2015: 12, R. Ellis 2017b: 522, Schifko 2008: 45). Explizite FoF soll in erster Linie dazu beitragen, dass neue Form-Bedeutung-Zuordnungen im Input bemerkt und (im Sinne des Weak Interface, N. Ellis 2007) in der Folge auch für implizite Lernprozesse zugänglich werden: The primary conscious involvement in L2 acquisition is the explicit learning involved in the initial registration of pattern recognizers for constructions that are then tuned and integrated into the system by implicit learning during subsequent input processing (N. Ellis 2015: 14). Unter dem Ansatz einer (im oben eingeführten Sinne gebrauchsbasierten) di‐ daktischen Formfokussierung (siehe Madlener-Charpentier & Behrens in diesem Band) kann also vorläufig angenommen werden, dass sich - im Rahmen eines generell kommunikativ-interaktionalen Vermittlungsansatzes - eine (punktu‐ elle) explizite Formfokussierung, ggf. auch in Form der Vermittlung deklarativen Wissens, zielführend und erwerbsförderlich auswirkt, wenn die entsprechende Aufmerksamkeitslenkung bzw. Bewusstmachung längerfristig die Wahrschein‐ lichkeit erhöht, dass kritische Form-Bedeutung-Zuordnungen im Input von Lernenden mit Aufmerksamkeit belegt werden und damit potenziell Intake für die implizite Ableitung abstrakter Strukturen generiert wird (Doughty & Williams 1998a, b, Long & Robinson 1998, N. Ellis 2007, 2008, R. Ellis 2016, siehe auch Kohl-Dietrich & Maiberger in diesem Band). Als geradezu kontraproduktiv kann sich explizite FoF hingegen erweisen, wenn sie - in Annäherung an FoFS - das Bewusstsein der Lernenden allzu aufdringlich von der Bedeutungsseite weg auf die sprachliche Form lenkt: Da bewusste Verarbeitungsprozesse kognitiv aufwändig sind, unterbrechen sie gegebenenfalls Makroprozesse der Sprachverarbeitung bzw. der Form-Bedeu‐ tung-Zuordnung (Doughty 2001: 211-212, Schifko 2008: 38); es soll durch die Aufmerksamkeitslenkung aber eben gerade „kein Bruch mit dem Verstehen, Aushandeln oder Produzieren von Bedeutungen“ (Schifko 2008: 38) entstehen. So ist laut Wong (2005) beispielsweise in Bezug auf das sogenannte Visual Text Enhancement festzustellen, dass stark aufmerksamkeitslenkende typogra‐ phische Hervorhebungen wie z. B. Fett- oder Farbdruck tatsächlich zu besserem Noticing der entsprechenden Formen (z. B. Präteritumsendungen) führen, dies aber ggf. auf Kosten des verstehenden Lesens und damit auch des längerfristigen Erwerbs, der auf der Herstellung von Form-Bedeutung-Beziehungen beruht. 18 Karin Madlener-Charpentier & Giulio Pagonis 3.3. So implizit wie möglich, so explizit wie nötig Wenn aus der Perspektive einer didaktischen Formfokussierung also explizite Vermittlungstechniken und auch explizites Wissen über Sprache durchaus „legitimer Bestandteil des Unterrichts“ (Schifko 2008: 44) sein können, so doch nur unter der Bedingung, dass dabei die „Aufrechterhaltung des Bedeutungs‐ bezugs nicht aus dem Blick gerät“ (ebd.). Bewusstmachende, gegebenenfalls auch metasprachliche Episoden sollten daher tendenziell kurz und in jedem Fall funktional eingebettet sein (Schifko 2008: 38). Die grundlegende Ausrichtung des Unterrichts solle stets kommunikativ und bedeutungszentriert bleiben: „Aufmerksamkeit auf Form [bzw. Form-Bedeutung-Paare] erfolgt im Rahmen einer kommunikativen Zielsetzung“ (ebd.; siehe auch Doughty & Williams 1998a, b, R. Ellis 2016, Long & Robinson 1998). Der Einsatz expliziter Formfokussierung stellt also eine Art Gratwanderung dar: Einerseits soll eine explizite Formfokussierung nicht zu einer isolierten FormENfokussierung (FoFS) werden, andererseits die Aufmerksamkeitslenkung auch nicht zu gering ausfallen. Anteile expliziter Instruktion dürfen jedenfalls nicht zum Selbstzweck werden, sondern müssen punktuell und bedarfsorientiert eingesetzt werden und sich grundsätzlich auf Form-Bedeutung-Zuordnungen beziehen, nicht auf rein formale Paradigmen: whatever language we teach, and whether we teach it using implicit or explicit pedagogical techniques, it must always be taught in the service of meaning making and communication and at the level of language constructions rather than rules (Tyler & Ortega 2018: 7). Tabelle 3 fasst die wesentlichen Merkmale von Verfahren der (impliziten und expliziten) Formfokussierung in Abgrenzung zu FoM und FoFS zusammen: FoM FoF FoFS implizit explizit Sprache als … Kommunikations‐ mittel Kommunikationsmittel Lerngegenstand Ziel sprachliches Können sprachliches Können Sprachwissen Aufgaben‐ typen kommunikative Aufgaben kommunikative Aufgaben dekontextuali‐ sierte Übungen Lehrerseitige Aufmerksam‐ keitslenkung keine Formfokussierung geplant: proaktiv oder reaktiv struktureller Syllabus 19 Optionen der didaktischen Formfokussierung FoM FoF FoFS angestrebter Grad der lernerseitigen Aufmerksam‐ keit für Form(-Bedeu‐ tung-Zuord‐ nung)en bewusste Auf‐ merksamkeit für Bedeutungen; un‐ bewusste Verar‐ beitung der Form-Bedeu‐ tung-Zuord‐ nungen unbewusste Aufmerk‐ samkeit für Form-Be‐ deutung-Zu‐ ordnungen: Attention bewusste Aufmerk‐ samkeit für Form-Be‐ deutung-Zu‐ ordnungen: Noticing, ggf. Under‐ standing Bewusstmachung von Formen, Para‐ digmen und Re‐ geln Tab. 3: Bedeutungsvs. formzentrierte Ansätze der Sprachvermittlung. Bei der Unter‐ scheidung zwischen impliziter und expliziter FoF wird von einem Kontinuum ausge‐ gangen, siehe u. a. Doughty & Williams (1998b) und Schifko (2011) für Aufgabentypen zwischen impliziter und expliziter Formfokussierung. Die zentralen, bisher noch weitgehend ungeklärten didaktischen Fragen in Bezug auf die Optionen, Anwendungskontexte und Wirksamkeit verschiedener Techniken impliziter und/ oder expliziter didaktischer Formfokussierung, die sich durch die Beiträge in diesem Sammelband ziehen, sind dabei die folgenden: 1. Unter welchen Bedingungen und in welchen Erwerbskontexten ist es für welche Lernendengruppen tatsächlich zielführend bzw. ausreichend, implizite Angebote der Formfokussierung zu unterbreiten bzw. relativ wenig aufdringliche Verfahren der Aufmerksamkeitslenkung einzusetzen (zum Beispiel Inputanreicherungen)? An welchen konkreten didaktischen „Stellschrauben“ (Frequenz, Variation, Progression, Prototypikalität etc.) kann in diesen Fällen begründeterweise gedreht werden? 2. Wann ist es sinnvoll und nützlich oder gar notwendig, auch explizitere Formen der Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung anzubieten (wie z. B. korrektives Feedback oder Erklärungen), um z. B. Inputmangel zu kompensieren oder Effekte von Learned Attention aufzubrechen? Wie können diese expliziteren FoF-Optionen erwerbsförderlich gestaltet werden, wie kann also eine explizite Formfokussierung konkret angelegt sein? 3. Inwiefern ist das didaktische Vorgehen abzustimmen auf lernerbezogene Faktoren (z. B. Alter, Vorwissen, Arbeitsgedächtniskapazität oder Musterer‐ kennungsfähigkeit) und/ oder auf lerngegenstandsbezogene Faktoren (z. B. die Abstraktheit und Komplexität des Erwerbsgegenstandes; die Salienz und Variabilität der Zielstrukturen im Input und ihre kommunikative Funktionalität und Transparenz)? 20 Karin Madlener-Charpentier & Giulio Pagonis Gerade für die Zielsprache Deutsch steht die Entwicklung eines umfassenden didaktischen Modells zur Formfokussierung und die Entwicklung und Aus‐ differenzierung von Vermittlungs- und Förderkonzepten für die Vielfalt an Lerngegenständen, Zielgruppen, Leistungsniveaus und Erwerbskontexten nach wie vor aus. Ob für Kinder und Jugendliche mit Deutsch als Erstsprache aus bildungsfernen Familien, die in Schulleistungsstudien in ihren (schrift-)sprachli‐ chen Leistungen auffällig sind (siehe u. a. Ehlich, Valtin & Lütke 2012), für mehr‐ sprachige Kinder und Jugendliche im sprachlich heterogenen Klassenzimmer (Ahrenholz & Oomen-Welke 2010) oder für im Schulalter zugewanderte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene (sogenannte SeiteneinsteigerInnen, Ender & Madlener 2019, Reich 2017), stellt die Entwicklung eines didaktischen Rahmens, der situationsgerechte Vorschläge bezüglich des Einsatzes formfokussierender Techniken formuliert, ein zentrales Desiderat dar. Der vorliegende Sammelband bringt erwerbstheoretische Hintergründe, didaktische Vorschläge und empi‐ rische Untersuchungen zur Wirksamkeit ausgewählter formfokussierender Sprachvermittlungs- und Sprachförderoptionen für den L1- und L2-Kontext von der Vorschule bis zur Erwachsenenbildung zusammen, um diese Lücke zu füllen. 4. Die Beiträge im Sammelband In den Beiträgen in diesem Sammelband werden ausgewählte didaktische Teilfragen zum Lernen und Lehren des Deutschen als Zielsprache theoretisch diskutiert und empirisch untersucht. Dies betrifft Fragen (a) zu den Zielen des Lehrens und Lernens, also u. a. zum Kompetenzbegriff und zum Verhältnis von (explizitem) Wissen und (implizitem) Können; und (b) zu den Wegen des Lehrens und Lernens sowie zu den entsprechenden didaktischen Optionen und Effekten ausgewählter aufmerksamkeitslenkender bis bewusstmachender Vermittlungs- und Fördertechniken in verschiedenen Kontexten. Der Sammelband wird von einem erwerbstheoretischen Beitrag eröffnet, der als Grundlage für die folgenden Beiträge betrachtet werden kann. Die weiteren Beiträge sind dann in drei thematische Abschnitte gebündelt, und zwar (1) Input und Aufmerksamkeitslenkung; (2) Output und Bewusstmachung sowie (3) Implikationen für die Lehrerbildung. Zentrale Hintergrundannahmen für den gesamten Sammelband schlüsselt der erste Beitrag Konstruktion(en) erst- und zweitsprachlichen Wissens: Lernpro‐ zesse und Steuerungsoptionen aus gebrauchsbasierter Perspektive von Karin Madlener-Charpentier und Heike Behrens auf. Er fasst grundlegende Annahmen gebrauchsbzw. konstruktionsbasierter Ansätze von Sprache und Spracherwerb zusammen und fokussiert dabei Erwerbsprozesse, Lernmecha‐ 21 Optionen der didaktischen Formfokussierung nismen und Gelingensbedingungen sprachlichen Lernens. Der Beitrag kontras‐ tiert insbesondere erst- und zweitbzw. fremdsprachliche Erwerbskontexte und zeigt die spezifischen Herausforderungen des Zweit- und Fremdspracherwerbs auf. Vor diesem Hintergrund werden ausgewählte Optionen einer (gebrauchs‐ basierten) didaktischen Formfokussierung skizziert und erwerbstheoretisch begründet. Der erste thematische Schwerpunkt Input und Aufmerksamkeitslenkung beinhaltet vier Beiträge. Diese umreißen erwerbstheoretische Hintergründe, Einsatz- und Gestaltungsmöglichkeiten sowie Wirkeffekte vorrangig inputba‐ sierter impliziter Formfokussierungsoptionen. Der erste Beitrag Aufmerksamkeitslenkung durch strukturierte Inputfluten: Gelingensbedingungen impliziten und expliziten inzidentellen Zweitsprachlernens von Karin Madlener-Charpentier ruft grundlegende Annahmen in Bezug auf die Rolle des Inputs bzw. der Inputverarbeitung im Spracherwerb auf. Vor dem Hintergrund der spezifischen Erwerbsherausforderungen im L2-Kontext werden Optionen einer gebrauchsbasierten didaktischen Formfokussierung beschrieben und begründet, die auf die Optimierung der Inputquantität und der Inputqualität abzielen. Es wird aufgezeigt, unter welchen Bedingungen sogenannte Inputfluten erwerbsförderlich sein können und welche Rolle Wie‐ derholung und systematische Variation von Sprachmaterial für den L2-Erwerb spielen. Auf Basis einer Reihe von Interventionsstudien werden Vorschläge skizziert, wie Inputfluten für verschiedene Kontexte, Erwerbsgegenstände und Lernerpopulationen erwerbsförderlich gestaltet werden können. Der zweite Beitrag Inputspezifizierung und Bewusstmachung als Methoden sprachtherapeutischer Intervention von Christina Kauschke zeigt auf, inwie‐ fern inputmaximierende Methoden (z. T. in Kombination mit expliziter Bewusst‐ machung) im Kontext der Sprachförderung bzw. Sprachtherapie wirksam einge‐ setzt werden können. Dazu wird die Rolle impliziten und expliziten Lernens bzw. Wissens in der Sprachförderung und -therapie für Kinder verschiedenen Alters kritisch diskutiert. Auf Basis zweier empirischer Studien werden Optionen und Effekte des Einsatzes sogenannter Inputanreicherungen für verschiedene Lernendengruppen aufgezeigt; es wird gezeigt, dass Kinder unterschiedlichen Al‐ ters von implizit aufmerksamkeitslenkenden Verfahren der Inputanreicherung profitieren, dass der mögliche Nutzen zusätzlicher metasprachlicher Instruktion hingegen kontextabhängig ist (nämlich nur in der Gruppe mit sprachtherapeu‐ tischen Bedarfen auftritt, nicht aber in der Gruppe mit Sprachförderbedarf) und ihre Wirksamkeit daher weiterer Untersuchungen bedarf. Der dritte Beitrag Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung von Giulio Pagonis diskutiert, in Anlehnung an das Sprach‐ 22 Karin Madlener-Charpentier & Giulio Pagonis 2 www.deutsch-fuer-den-schulstart.de förderprojekt „Deutsch für den Schulstart“ 2 , Prinzipien einer implizit formfo‐ kussierenden Sprachdidaktik für mehrsprachige Kinder im Elementarbereich. Mit Blick auf den Erwerbsgegenstand Plural (d. h. Kennzeichnung des Plurals am Nomen) werden erwerbstheoretische und didaktische Perspektiven aufge‐ zeigt, wie Vorschulkinder in ihrer natürlichen, unbewussten Sprachentwicklung im Deutschen als Zweitsprache gezielt und systematisch unterstützt werden können. Dabei stehen implizit aufmerksamkeitslenkende Verfahren der Inputstrukturierung sowie die Progression innerhalb der Fördereinheit „Plural“ im Mittelpunkt. Es wird skizziert, welche Arten der Inputanreicherung in welchen Phasen der Plural-Aneignung erwerbstheoretisch geeignet sind und wie sie didaktisch gewinnbringend umgesetzt werden können. Der vierte Beitrag Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? von Katrin Henk erweitert die Frage nach den Effekten strukturierten Inputs im schulischen Fremdspracherwerb um die Frage nach den Effekten struktu‐ rierten Outputs. Dies vor dem Hintergrund der Annahme, dass Input (Rezeption) und Output (Produktion) im Klassenzimmer grundsätzlich gemeinsam gedacht werden müssen. Anhand einer Reihe empirischer Studien im schulischen Fran‐ zösischunterricht wird aufgezeigt, inwiefern ein implizit formfokussierendes Vermittlungsverfahren den Erwerb einer ausgewählten, notorisch schwierigen morphosyntaktischen Struktur unterstützt. Fokussiert wird dabei das Prinzip des Skewing (der Schiefverteilung), wonach eine kleine Zahl zentraler Vertreter eines Musters den Großteil der zur Verfügung gestellten Exemplare der Ziel‐ struktur ausmacht (N. Ellis 2009). Dieses Prinzip wird sowohl auf den Input der Lernenden angewandt als auch auf die Prompts, auf deren Basis die Lernenden selbst Sprache produzieren. Die Studien legen nahe, dass Skewing positive Effekte auch in einem grundlegend explizit ausgerichteten Lernsetting entfalten kann. Der zweite thematische Schwerpunkt Output und Bewusstmachung umfasst ebenfalls vier Beiträge. Diese zeigen die Bandbreite expliziter formfokussierender Verfahren, ihre Einsatzmöglichkeiten und Wirkeffekte für erwachsene Lernende auf. Der erste Beitrag Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog von Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann und Torsten Andreas diskutiert die zentrale Frage, inwiefern eine in interaktionalen Auf‐ gaben angelegte Aufmerksamkeitslenkung tatsächlich zu einem potenziell er‐ werbsförderlichen Sprachgebrauch führt. Im Mittelpunkt stehen sprachreflek‐ tierende Sequenzen, sogenannte Language-Related Episodes (Swain & Lapkin 23 Optionen der didaktischen Formfokussierung 2001: 104), in denen Lernende bei der Bearbeitung von kollaborativen Aufgaben spezifische aufgabenbezogene Formen und Bedeutungen aushandeln, sodass Sprache gleichzeitig als Kommunikationsinstrument und als Lerngegenstand fungiert. Es wird aufgezeigt, welche Aufgabentypen sich für verschiedene Kom‐ petenzniveaus anbieten, auf welche sprachlichen Phänomene die Lernenden bei der Bearbeitung grundlegend kommunikativer Aufgaben tatsächlich ihre Aufmerksamkeit richten und welche konkreten Indikatoren für lernerseitige Aufmerksamkeit sich dabei beobachten lassen. Anhand von Ausschnitten aus Interaktionssequenzen zwischen Lernenden werden dazu vor allem Selbst- und Fremdkorrekturen sowie metasprachliche Sequenzen diskutiert und bezüglich ihres Lernpotenzials analysiert. Der zweite Beitrag Integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompe‐ tenz durch gezielte Bewusstmachung von Ingo Fehrmann fokussiert den Erwerb der Verbzweitstellung und der textstrukturellen Optionen der Vorfeldbesetzung im Deutschen als Fremdsprache durch japanische Lernende. Diese wurden nach dem Ansatz der sogenannten Concept-Based Instruction (CBI; Lantolf 2011) unterrichtet. Dabei wurde, unterstützt durch systematische Visualisierungen, explizites Wissen über die Verbstellung und die Funktion des Vorfeldes vermit‐ telt. Auf Basis der Ergebnisse von Schreibaufgaben ausgewählter Lernender werden Wirkung und Wirksamkeit der konzeptbasierten Bewusstmachung und der integrierten Schreib- und Grammatikförderung analysiert. Dabei zeigt sich, dass die Lernenden, die nach den CBI-Prinzipien unterrichtet wurden, nicht nur in Bezug auf die sprachliche Korrektheit der Satzbaumuster (Verbzweitstellung), sondern auch in Bezug auf die Angemessenheit der Textstrukturen (Vorfeldbe‐ setzung) bessere Leistungen zeigen als Lernende in einer Vergleichsgruppe. Der dritte Beitrag Zu den Effekten eines explizit-formfokussierenden Aus‐ sprachetrainings zum deutschen Wortakzent bei erwachsenen, frankophonen Lernenden des Deutschen als Fremdsprache von Franziska Baumeister erwei‐ tert die Bandbreite der betrachteten Lerngegenstände exemplarisch um die phonologische Ebene. Der Beitrag beschreibt die Befunde einer Unterrichtsein‐ heit, die auf die bewusste Reflexion von Betonungsmustern im Deutschen abzielte. Berücksichtigt wurden dabei die Regelhaftigkeiten der Betonung mor‐ phologisch einfacher und ausgewählter komplexer Wortstrukturen, die für frankophone Lernende eine Herausforderung im Erwerb des Deutschen als Fremdsprache darstellen. Die Studie legt nahe, dass es zumindest bei einigen Lernenden gelingt, durch relativ kurze bewusstmachende Interventionen die Aufmerksamkeit für die deutschen Betonungsmuster zielführend zu erhöhen. Die Anschlussfrage, ob die kurzfristige Bewusstmachung über den korrektiven, bewussten Zugriffsmodus (im Sinne des Monitors) hinaus auch auf den Bereich 24 Karin Madlener-Charpentier & Giulio Pagonis der unbewussten Aufmerksamkeit wirksam ist und gegebenenfalls den Aufbau impliziter Sprachkompetenz begünstigt, bedarf weiterer Untersuchungen. Der vierte und abschließende Beitrag Die Interface-Hypothese - Modelle und ihre empirische Überprüfbarkeit von Dorothee Kohl-Dietrich und Eva Mai‐ berger bietet eine zusammenfassende, einordnende und erweiternde Reflexion der in den vorausgegangenen Beiträgen aufgerufenen Annahmen zur Rolle expliziten Wissens für den Aufbau einer impliziten Sprachkompetenz. Dazu werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede der drei „klassischen“ Hypothesen zum sogenannten Interface zwischen (explizitem) Wissen und (implizitem) Können aufgeschlüsselt und in Bezug auf die potenzielle Rolle expliziten Wissens bzw. explizit formfokussierender, bewusstmachender Vermittlungs‐ techniken interpretiert. Basierend auf Cintrón-Valentín und N. Ellis (2015) wird schließlich aufgezeigt, wie die Wirksamkeit formfokussierender Verfahren empirisch untersucht werden kann und inwiefern verschiedene, mehr oder we‐ niger stark bewusstmachende Verfahren der Formfokussierung dazu beitragen können, kurzfristig die Effekte erlernter selektiver Aufmerksamkeit im Bereich der Morphologie aufzubrechen. Die weiterführende Frage, welche der in der zitierten Studie eingesetzten Verfahren auch längerfristig und außerhalb des Laborkontexts am erwerbsförderlichsten sind, bedarf weiterer Untersuchungen. Der dritte thematische Schwerpunkt ist den Implikationen für die Lehrerbil‐ dung gewidmet. Hier sind zwei weiterführende Beiträge zusammengefasst, die verschiedene Domänen der Lehrerbildung in den Blick nehmen. Der erste Beitrag Focus on Form in der Lehrkräftefortbildung von Daniela Rotter skizziert einerseits die (Interaktions-)Kompetenzen, die Sprach- und Fachlehrpersonen brauchen, um eine sinnvolle und kompetente Umsetzung von formfokussierenden Verfahren im Klassenzimmer zu gewährleisten, und andererseits die Herausforderungen, denen Lehrpersonen in Bezug auf die Umsetzung und Anwendung von formfokussierenden Verfahren im sprachlich heterogenen Klassenzimmer begegnen. Basierend auf Einblicken in eine Fort‐ bildungsveranstaltung wird reflektiert, wie Lehrpersonen der Primarstufe das relevante Wissen in Bezug auf die erwerbstheoretischen Hintergründe und die Optionen der didaktischen Formfokussierung vermittelt werden kann und wie ihre Handlungskompetenzen erweitert werden können. Der zweite Beitrag Fachsprachliche Kompetenzentwicklung bei Grundschullehramtsstudierenden - metasprachliches Wissen und Registerflexibilität von Milena Kuehnast und Beate Lütke schließlich skizziert ein aktuelles For‐ schungsprojekt, in dem die Entwicklung der Registerflexibilität von Lehr‐ amtsstudierenden über die Zeit des Studiums hinweg verfolgt wird. Unter Registerflexibilität wird die Fähigkeit der Lehramtsstudierenden verstanden, in 25 Optionen der didaktischen Formfokussierung Abhängigkeit von salienten Merkmalen der kommunikativen Situation (u. a. kommunikativem Ziel und sozialer Relation zum Adressaten) ein angemessenes Register für die Erklärung ausgewählter fachlicher Phänomene zu wählen. Das im Beitrag beschriebene Projekt fokussiert damit den potenziellen Zusammen‐ hang zwischen der fachspezifischen Qualifikation der Studierenden und ihrer wachsenden Bewusstheit für die soziokulturellen Bedingungen sprachlichen Handelns, und zwar unter der Annahme, dass ein zunehmend kontrollierter Zugriff auf Fach- und Registerkenntnisse dazu eingesetzt werden kann, Kom‐ munikationsabläufe zu optimieren. Literatur Ahrenholz, Bernt/ Oomen-Welke, Ingelore (Hrsg.) (2010). Deutsch als Fremdsprache. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren. (Deutschunterricht in Theorie und Praxis, Band 10). Behrens, Heike (2009). Usage-based and emergentist approaches to language acquisition. Linguistics 47: 2, 383-411. Cintrón-Valentín, Myrna/ Ellis, Nick (2016). Salience in second language acquisition: Physical form, learner attention, and instructional focus. Frontiers in Psychology 7. doi.org/ 10.3389/ fpsyg.2016.01284. Diessel, Holger (2015). Usage-based construction grammar. 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Wie werden im Erwerbsverlauf nach und nach die strukturellen und funktionalen Regelhaftigkeiten aus der konkreten Spracherfahrung abstrahiert? Unter welchen Bedingungen laufen diese Verarbeitungspro‐ zesse erfolgreich ab? Wodurch unterscheiden sich typischerweise L2- und L1-Erwerbskontexte in Bezug auf Spracherfahrung und -verarbeitung? Und welche Optionen gibt es dementsprechend aus der Perspektive einer gebrauchsbasierten didaktischen Formfokussierung, um L2-Spracherfah‐ rung bzw. L2-Erwerbsbedingungen so zu optimieren, dass L2-Lernprozesse möglichst erfolgreich ablaufen können? 0. Einleitung The term constructionist is intended to evoke both the notion of ʻconstructionʼ and the notion that our knowledge of language is ʻconstructedʼ on the basis of the input together with general cognitive, pragmatic and processing constraints. (Goldberg 2009: 93-94) Wie kommt der Mensch zur Sprache? Und was ist überhaupt Sprache? In der Sprachwissenschaft dominierten bis in die Anfänge des 21. Jahrhunderts theo‐ retische Ansätze, die unter Sprache in erster Linie ein abstraktes System gram‐ matischer Regeln verstehen, durch die Wörter zu Sätzen kombiniert werden. 1 Konstruktionsbasierte Ansätze (Englisch: constructionist, teilweise auch constructivist) sind hingegen nicht in direkten Bezug zu setzen zu didaktischen Ansätzen des Kon‐ struktivismus. Dieses System wird dabei in seinen Grundzügen als angeboren betrachtet. Wir betrachten Sprache und Spracherwerb aus einer anderen Perspektive, in der die titelgebenden Konstruktionen einen zentralen Platz haben und die u. a. interessante Optionen für die Vermittlung von Fremdsprachen eröffnet. Diesen Ansatz bzw. diese Familie von Ansätzen bezeichnen wir im Folgenden als konstruktionsbzw. gebrauchsbasiert. 1 Konstruktionen im Sinne von Goldberg (2009) oder N. Ellis (2002) sind konven‐ tionalisierte, erlernte Form-Bedeutung-Zuordnungen. Konstruktionsbasierte Ansätze in Sprachwissenschaft (Boas 2013, Diessel 2015, Goldberg 2009, 2013) und Spracherwerbsforschung (Behrens 2009, Diessel 2013, 2019, N. Ellis 2003, Ibbotson 2013, Tomasello 2003) sind grundlegenden Annahmen der Kognitiven Linguistik (Langacker 2000) verpflichtet. Dazu gehören die folgenden (nach N. Ellis & Cadierno 2009: 111-112): (1) Sprache ist Teil der menschlichen Kognition. Sprachverarbeitung und Spracherwerb basieren auf allgemeinen kognitiven Prozessen der Wahr‐ nehmung, Aufmerksamkeit und Kategorisierung und unterliegen den Beschränkungen des Arbeitsgedächtnisses. (2) Die Grundeinheit der sprachlichen Kommunikation ist die Äußerung in ihrem konkreten Kontext. Alle sprachlichen Einheiten haben eine Funktion; durch die Kopplung von Form und Funktion ist es LernerInnen möglich, das Sprachsystem auf Basis einer funktionalen Analyse der Äußerungen zu erschließen. (3) Das sprachliche Wissen von LernerInnen wie kompetenten SprecherInnen ist darstellbar als strukturiertes Netzwerk von Konstruktionen, d. h. kon‐ ventionalisierten Form-Bedeutung-Zuordnungen unterschiedlicher Abstraktheit und Komplexität. (4) Sprache ist nicht angeboren, sondern wird in der Auseinandersetzung mit bzw. durch die Verarbeitung von bedeutungsvollem Input in sozialer In‐ teraktion erworben. Dabei beeinflussen Inputcharakteristika wie Vorkom‐ mensverteilungen und die relative Salienz und semantische Transparenz von Konstruktionen den Erwerb. Der Terminus Konstruktion ruft nach Goldberg (2009: 93-94) einerseits Annahme (2) auf, dass Konstruktionen die grundlegenden Einheiten in Sprachbeschrei‐ bung, Sprachverarbeitung und Erwerb darstellen. Andererseits verweist der 32 Karin Madlener-Charpentier & Heike Behrens Terminus auf Annahme (4), dass sprachliches Wissen nach und nach in der Auseinandersetzung mit dem Input (re-)konstruiert wird. 1. Konstruktionsbasierte Grammatik Wenn wir im Folgenden verkürzt von Grammatik sprechen, ist damit die mentale Repräsentation sprachlichen Wissens gemeint, die SprecherInnen dazu befähigt, verbal miteinander zu kommunizieren: Äußerungen zu produzieren, die von anderen verstanden werden, und die Äußerungen von anderen zu verstehen, auch wenn diese in genau derselben Form vorher noch nie aufge‐ treten sind (Taylor 2012: 6). Dabei wird die traditionell kategoriale Unterschei‐ dung zwischen Grammatik (im engen Sinne) und Lexikon zugunsten eines lexikogrammatischen Kontinuums zwischen ein- und mehrteiligen, mehr oder weniger stark fixierten und abstrakten bzw. transparenten und idiomatischen Konstruktionen aufgehoben (s. Abschnitt 1.1.). Grammatik in diesem Sinne beinhaltet also lexikalisches, strukturelles, se‐ mantisches und pragmatisches Wissen. Dazu zählt u. a. Wissen um nichtwört‐ liche Bedeutungen (wie z. B. in jemanden auf die Palme bringen oder Geistesblitz) und um häufig wiederkehrende Sequenzen (wie z. B. Guten Tag, Lass uns gehen oder Wären Sie bitte so freundlich und würden…) sowie deren situative Kontexte, aber auch Wissen um kreative Möglichkeiten der Verwendung von sprachlichen Mustern (z. B. in Bayern zittert sich ins Halbfinale). Wissen kann dabei bewusst sein, ist aber im Normalfall für ErstsprachverwenderInnen unbewusst. Kinder erwerben dieses Wissen für ihre Erstsprache(n) (L1) in den ersten Lebensjahren, und zwar im Normalfall ohne umfassende explizite Erklärungen und allgegenwärtige explizite Korrekturen. Dazu müssen sie aus den konkreten Äußerungen im Input zunehmend generelle Regelhaftigkeiten und Muster abstrahieren, d. h. das Repertoire der zielsprachlichen Konstruktionen rekon‐ struieren, so dass flexible Sprachproduktion und das Verstehen neuer, kreativer Äußerungen möglich werden (siehe Abschnitte 1.1 bis 1.5). Gebrauchsbasierte Ansätze gehen davon aus, dass im Prinzip dieselben Lernprozesse auch im Zweit- und Fremdspracherwerb (L2-Erwerb) angewendet werden (Ortega 2015: 368), dass es aber aufgrund des Vorwissens der LernerInnen, durch explizite Instruktion gerade in gesteuerten L2-Erwerbskontexten (Fremdsprachenunter‐ richt) und durch unterschiedliche Erwerbssituationen vor allem im Hinblick auf die Reichhaltigkeit und Variabilität der Spracherfahrung in der L2 zu anderen Erwerbsverläufen kommen kann (siehe Abschnitt 2). 33 Konstruktion(en) erst- und zweitsprachlichen Wissens 1.1. Konstruktionen als Basiseinheiten der Sprache Constructions are stored, conventionalized pairings of form and function that are entrenched in the speech community and in the minds of individual speakers as means to express specific semantic or discourse functions. (N. Ellis 2002: 167) Konstruktionen sind Form-Bedeutung-Zuordnungen auf allen Ebenen des Sprachsystems. Sie können lexikalisch fixiert sein (Morpheme, Wörter, Mehr‐ wortverbindungen), teilweise variabel (z. B. un-klug, un-sauber, un-ehrlich oder Ich hätte gern ein Eis/ Bier/ Wasser) oder ganz abstrakt, sodass im Prinzip jeder Teil der Konstruktion mit anderen Wörtern gefüllt werden kann (z. B. Ditransitiv wie X VERBt Y ein Z, oder Passiv wie X wird von Y geVERBt). Und sie können semantisch transparent sein (wie z. B. in un-schön und Öffnen Sie bitte die Tür) oder idiomatisch (wie z. B. in un-geschickt oder etwas durch die Blume sagen). Konstruktionen werden als die Grundeinheiten der Sprachbeschreibung, der Sprachverarbeitung und des Spracherwerbs angesehen, da sie - und nicht ausschließlich die (Summe der) Bedeutung der einzelnen Wörter - die Funktion einer Äußerung bestimmen. Konstruktionsbasierte Ansätze gehen davon aus, dass kompetente erwach‐ sene SprecherInnen einzelne Exemplare, d. h. konkrete Vorkommen von Kon‐ struktionen, neben schematischen Abstraktionen und Generalisierungen spei‐ chern und in der Sprachverarbeitung abrufen (Abbot-Smith & Tomasello 2006). Konstruktionen können also gleichzeitig auf mehreren Ebenen entschlüsselt und/ oder gespeichert werden. So kann z. B. die Äußerung Ich hätte gern ein Bier als kommunikativ relevante vorgefertigte, lexikalisch fixierte Einheit genutzt werden (man denke an Urlauber, die einen solchen Satz als Formel lernen), aber auch als Vertreterin des teilweise variablen Musters Ich hätte gern ein X und/ oder der abstrakten transitiven Verb-Argument-Konstruktion NP1 Verb NP2 analysiert werden. Selbst wenn also eine abstrakte Generalisierung existiert, d. h. auch wenn SprecherInnen über Wissen darüber verfügen, wie eine Äußerung auf Basis einer hochabstrakten Regelhaftigkeit (z. B. NP1 Verb NP2) gebildet werden kann, können sie ebenso auf konkrete Exemplare oder Muster zugreifen, um dieselbe Information zu verarbeiten (Behrens 2009: 431, Dąbrowska 2006: 12). 34 Karin Madlener-Charpentier & Heike Behrens 2 Diese Verbindungen sind aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht eingezeichnet. 1.2. Konstruktionsnetzwerk, Exemplare und Abstraktionen The grammar lists the full set of particular statements representing a speaker’s grasp of linguistic conventions, including those subsumed by general statements. Rather than thinking them an embarrassment, grammarians regard particular statements as the matrix from which general statements (rules) are extracted. (Langacker 1987: 46) Konstruktionen und Äußerungen sind auf Basis ihrer Teilkomponenten und abstrakterer Schemata mit anderen Strukturen vernetzt. Das in Netzwerken strukturierte Gesamtinventar von Konstruktionen, das sogenannte Konstruk‐ tikon, bildet das Wissen der SprecherInnen über die Konventionen ihrer Sprache ab (Diessel 2019). Schaut man sich einen Teil dieses Konstruktikons an, sieht man, dass z. B. bestimmte (Typen von) Verben in ähnliche Konstruktionen eingehen. In Abbil‐ dung 1 (Madlener 2015: 306) ist auf der oberen Abstraktionsebene eine Gruppe von Verben (Kopulaverben) abgebildet, die eine Gleichsetzung der Argumente X und Y ausdrücken (z. B. Hans ist ein Lügner, Hans bleibt ein Lügner, Hans sieht aus wie ein Lügner etc.). Äußerungen mit dieser Struktur repräsentieren ein sogenanntes Schema, eine starke Abstraktion weg vom Detail hin zu den übergeordneten Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten (Langacker 2000: 4). Mit entsprechender Erfahrung lernen LernerInnen die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Kopulaverben erkennen und können die Subschemata (2. Ebene) für die weitere Generalisierung nutzen, d. h. ihr strukturelles Wissen darüber, was mit der Kopula sein möglich ist, auch auf Äußerungen mit bleiben oder scheinen anwenden. Gleichzeitig sind die Bestandteile solch abstrakter Schemata auch mit anderen Konstruktionen vernetzt, wie man in Abbildung 1 am Beispiel der Form ist sieht: Semantisch gesehen tritt ist in einer Reihe von Konstruk‐ tionen auf, die Zustände beschreiben (3. Ebene). Als Zustandsprädikate treten verschiedene kleinere Konstruktionstypen auf (z. B. eine Nominalphrase wie Ärztin, ein Adjektiv wie krank, eine Präpositionalphrase wie im Garten etc. 2 ), die wiederum Teil anderer (hier ebenfalls nicht eingezeichneter) Schemata sind (z. B. Präpositionalphrasen als Adverbiale wie in Anna arbeitet im Garten). 35 Konstruktion(en) erst- und zweitsprachlichen Wissens Abb. 1: Verschiedene Ebenen der Abstraktion in einem Ausschnitt des Konstruktikons (Madlener 2015: 306); konkrete Realisierungen (Exemplare) von Konstruktionen sind unten verortet, nach oben hin werden die Repräsentationen zunehmend abstrakt (sche‐ matisch). Die Besonderheit konstruktionsbasierter Ansätze ist nun, dass sich LernerInnen das System von den größeren, funktional relevanten und potenziell teilweise nicht komplett analysierten Einheiten her erschließen: Man kann Sprache er‐ folgreich und korrekt verwenden, wenn man größere Einheiten als vorgefertigte Versatzstücke reproduziert, ohne dass man die systematischen, regelhaften Verbindungen zu anderen Konstruktionen kennen muss. Korpusbasierte und experimentelle Studien zeigen, dass kompetente Spre‐ cherInnen im Normalfall große Anteile wiederkehrender, eingeschliffener Äu‐ ßerungsteile verwenden (Wray 2002). Mit anderen Worten: In vielen Fällen produzieren SprecherInnen nicht etwa auf Basis ihres Regelwissens kreativ 36 Karin Madlener-Charpentier & Heike Behrens ganz neue Äußerungen, Strukturen und Wortkombinationen, sondern greifen auf (teilweise) vorgefertigte Teilkonstruktionen als Versatzstücke zurück. Diese werden in Routinesituationen als unanalysierte Einheiten (sogenannte Chunks, N. Ellis 2003) benutzt, auch wenn sie grundsätzlich in ihre Einzelteile zerlegbar und als Muster analysierbar wären (Sinclair 1991: 110-112). Der hohe Anteil von solchen als Ganzes gespeicherten Mehrworteinheiten im L1-Diskurs trägt zu Routine, Ökonomie und Gelingen der L1-Sprachverar‐ beitung und L1-Kommunikation bei (Wray 2017). Chunks lassen muttersprach‐ liche SprecherInnen natürlich und idiomatisch klingen und sie auch lange Äußerungen flüssig produzieren (Pawley & Syder 1983). Die hohe Erwartbar‐ keit dieser wiederkehrenden vorgefertigten Mehrworteinheiten hat auch für die HörerInnen Vorteile: Da innerhalb eines wiedererkennbaren Chunks die Sequenz mit großer Wahrscheinlichkeit vorhersagbar ist, sind Anteile, die z. B. im Umgebungslärm untergegangen sind, leicht zu rekonstruieren. Ebenso sind bekannte Chunks leichter zu verarbeiten, sodass das Arbeitsgedächtnis mehr Zeit hat, neue Informationen zu verarbeiten. Mit Hilfe von Chunks oder Prefabs (Bybee 2010) ist gesprochene Sprache für L1-SprecherInnen auch unter widrigen Bedingungen weitgehend verständlich und flüssig produzierbar (Wray 2017). Für das Erlernen von Sprache(n) impliziert dies, dass der Weg zur Sprachbe‐ herrschung nicht vorranging oder gar ausschließlich „über die Grammatik“ geht, wie es logisch nötig wäre, wenn wir Sätze immer regelgeleitet aus den kleinsten Einheiten konstruieren würden. Für die Fremdsprachenvermittlung ist dies eine besonders wichtige Erkenntnis, da sie es erlaubt, das Erlernen von Kommunikation und Grammatik über geschickte Input-Steuerung zu verbinden. Aus gebrauchsbasierter Sicht ist es nicht zielführend für L2-LernerInnen, hochabstrakte grammatische Regeln (und ihre Ausnahmen) bewusst auswendig zu lernen, ebenso wie eine ungerichtete Inputflut LernerInnen überfordern kann. Zunehmend generalisierte Regelhaftigkeiten sollten sich im Gegenteil in einem graduellen Prozess der Musterabstraktion aus einem strukturierten, kommunikativ relevanten Inputangebot mit möglichst vielen Vorkommen der jeweiligen Zielstruktur herleiten (s. Madlener-Charpentier in diesem Band). 37 Konstruktion(en) erst- und zweitsprachlichen Wissens 3 Diese scheinbar lineare Einteilung soll nicht implizieren, dass die Schritte getrennt voneinander erfolgen. Für jede neue Konstruktion muss der Zyklus zumindest ähnlich durchlaufen werden. Jedoch kann das Vorhandensein von verwandten Vorgängerkonstruktionen den Abstraktionsprozess beschleunigen (Abbot-Smith & Behrens 2006). 1.3. Konstruktion sprachlichen Wissens […] children do not experience constructions but only utterances; they must (re-)construct for themselves the constructions of their language from the individual utterances they experience. (Ibbotson & Tomasello 2009: 60) Der Begriff der Konstruktion hat sich nicht nur in der Sprachbeschreibung, son‐ dern auch in der Spracherwerbsforschung als praktikabel erwiesen (Tomasello 1998, Behrens 2009). Der Konstruktionsbegriff ermöglicht - eine flexible und dynamische Darstellung sprachlichen Wissens unter‐ schiedlicher formaler und funktionaler Abstraktheitsgrade (Lesart 1: Kon‐ struktionen als Basiseinheiten der Sprache). - eine Beschreibung der allmählichen Entwicklungs- und Generalisierungs‐ prozesse im Erwerbsverlauf (Lesart 2: (Re-)Konstruktion sprachlichen Wis‐ sens aus dem Input). Sprachliches Wissen wird primär durch Spracherfahrung in bedeutungsvoller, sozial kontextualisierter kommunikativer Interaktion erworben (Behrens 2009). Das Konstruktionsinventar bzw. Kategoriensystem der Sprache wird im Er‐ werbsverlauf durch die LernerInnen aus dem Input rekonstruiert, und zwar mit Hilfe allgemeiner sozio-kognitiver Verarbeitungs- und Lernmechanismen (N. Ellis 2003). Spracherwerb beruht also auf allmählicher Abstraktion struktureller und funktionaler Regelhaftigkeiten über konkrete Äußerungen im Input (Ibbotson & Tomasello 2009: 60). Dabei beginnt der L1-Erwerb typischerweise mit kommu‐ nikativ funktionalen, weitgehend unanalysierten Einheiten unterschiedlicher Größe (Wray 2002). Graduell werden dann durch (vorwiegend unbewusste) Analysen der Vorkommensverteilungen im Input variablere Muster und Sche‐ mata generalisiert (N. Ellis 2002: 143, Tomasello 1998). LernerInnen müssen also drei grundlegende Herausforderungen meistern: In einem ersten Schritt 3 müssen sie relevante Teile des Inputs abspeichern bzw. in Intake transformieren. Unter Intake wird der Anteil des Inputs (d. h. des Sprachangebots) verstanden, der tatsächlich verarbeitet und zumindest kurzfristig als Form-Bedeutung-Zuordnung gespeichert wird und daher in die Entwicklung der Lernergrammatik eingehen kann (Wong 2005: 29). Dazu 38 Karin Madlener-Charpentier & Heike Behrens müssen wiederkehrende Form-Bedeutung-Zuordnungen identifiziert, aus dem Lautstrom segmentiert und im Langzeitgedächtnis verankert werden. Diese Form-Bedeutung-Zuordnungen werden zu Beginn potenziell als unanalysierte Versatzstücke behandelt. Mit Wiederholung im Input und imitativer Nutzung in der eigenen Produktion werden Teilkonstruktionen automatisiert und stehen zunehmend gut für einen flüssigen Abruf zur Verfügung. Häufige Sequenzen mit hoher Oberflächenähnlichkeit sind in dieser Stufe gute Kandidaten für Intake, Speicherung als Chunks und Imitation. Durch den Vergleich wiederkehrender Ähnlichkeiten und Unterschiede in Formen und Funktion sowohl zwischen verschiedenen abgespeicherten Ein‐ heiten als auch zwischen abgespeicherten Einheiten und neu registriertem Input setzt typischerweise die Mustererkennung ein. Es entsteht so eine be‐ ginnende Ordnung oder Kategorisierung über die bis dahin unverbundenen unanalysierten Einzelexemplare und ihre Komponenten. Dies wird potenziell begünstigt durch die Wahrnehmung systematischer Ko-Variation zwischen Formen und Bedeutungen im Input. Für den L1-Erwerb ist dabei die Rolle der Bezugspersonen, die mit den Kindern immer wieder gleiche und ähnliche verbale Routinen durchspielen und sich im Sinne eines Gerüst-Bauens (engl. Scaffolding) den wachsenden Fähigkeiten anpassen, gut belegt, ebenso wie die entstehenden Sprachprobleme, wenn dieses Zusammenspiel nicht funktioniert. Dabei muss eine Analyse der Regelhaftigkeiten bzw. kleinstmöglichen Ein‐ heiten einer Struktur nicht notwendigerweise erfolgen (Needs-Only Analysis, Wray 2002: 131). Wenn eine Analyse erfolgt, dann graduell, sodass emergente Muster typischerweise als „lokale Grammatiken“ (Behrens 2009: 436) zuerst um feste lexikalische Einheiten, sogenannte Inseln (Behrens 2009: 432, Tomasello 1992), angelegt werden. Ein Kind muss beispielsweise anfangs noch nicht wissen, dass Eigenschaften, die auf das Verb werfen zutreffen (z. B. die Kombi‐ nierbarkeit mit einem Akkusativobjekt und einer Richtungsangabe wie in ich werfe das Buch auf den Boden), auch auf legen, schubsen, schieben, rollen etc. über‐ tragbar sind. Die anfängliche Inselhaftigkeit von Mustern und die allmählich zunehmende Abstraktheit der sich herauskristallisierenden Schemata zeigt sich besonders im graduellen Erwerb von Verben und Verb-Argument-Konstruk‐ tionen: Longitudinal child-language acquisition data suggest that, to begin with, each word is treated as a semantic isolate in the sense that the ability to combine it with other words is not accompanied by a parallel ability with semantically related words. […] children are picking up frequent patterns from what they hear around them, and only slowly making more abstract generalizations as the database of related utterances grows. […] in the early stages the child learns about arguments and syntactic markings on a 39 Konstruktion(en) erst- und zweitsprachlichen Wissens verb-by-verb basis, and ordering patterns and morphological markers learned for one verb do not immediately generalize to other verbs. (N. Ellis 2003: 70) Schließlich muss weitergehend generalisiert werden (im obigen werfen-Fall z. B. auf ein kausatives Bewegungsschema NP1 Verb NP2 Präposition NP3). Kom‐ petente SprecherInnen imitieren ja nicht nur mit geringfügigen Variationen, was sie gehört haben, sondern produzieren regelmäßig und mit Leichtigkeit Äußerungen, die sie vorher nie gehört haben. HörerInnen wiederum haben normalerweise keine Probleme mit dem Entschlüsseln solcher neuen Äuße‐ rungen wie z. B. Die wollte unbedingt noch mehr vertuppern (im Kontext einer Tupperware-Party) oder Der muss immer gleich alles schubladisieren (über einen unflexiblen Kollegen), sofern sie eine Erweiterung bekannter Muster sind. Spre‐ cherInnen bzw. HörerInnen müssen also auch über relativ abstrakte Schemata verfügen, die über den registrierten Input hinausgehen, um flexibel kreative lexikalische Exemplare komplexer Konstruktionen, aber auch neue komplexe Konstruktionen zu bilden und zu verstehen. Die ursprünglichen Chunks werden dabei aber nicht verworfen, sondern stehen in Routinesituationen weiterhin als Processing Shortcuts zur Verfügung (Wray 2002). 1.4. Erwerbsprozesse und Lernmechanismen Constructivist views of language acquisition hold that simple learning mechanisms operating in and across human systems for perception, motor action and cognition while exposed to language data in a communicatively rich human social environment navigated by an organism eager to exploit the functionality of language are sufficient to drive the emergence of complex language representations. (N. Ellis 2003: 63) Konstruktionsbasierte Ansätze gehen davon aus, dass Spracherwerb auf Erfah‐ rung basiert und dass es daher nicht notwendig ist, angeborene Grammatiken und Sprachlernfähigkeiten zu postulieren. Spracherwerb ist durch allgemeine perzeptuelle, motorische und kognitive Verarbeitungs- und Lernprozesse in Kombination mit den ausgeprägten soziokognitiven Fähigkeiten des Menschen hinreichend erklärbar (N. Ellis 2003: 63). Notwendig ist lediglich ein kommuni‐ kativ bzw. sprachlich reichhaltiges, sozial kontextualisiertes Umfeld, das (die Motivation für) bedeutungsvolle Interaktion fördert und ein umfangreiches Set an Sprachdaten (d. h. Input) zur Verfügung stellt. Mit anderen Worten, der Input und die Inputverarbeitung sind der Schlüssel zum Spracherwerb. Longitudinale Studien wie z. B. Hart und Risley (1995) zeigen, dass signifi‐ kante Unterschiede in der Menge und Qualität des Inputs bestehen, welcher Kindern als Erwerbsbasis zur Verfügung steht, und dass diese Unterschiede 40 Karin Madlener-Charpentier & Heike Behrens sich langfristig signifikant auf den Erwerb auswirken. So erwerben Kinder aus bildungsnahen Haushalten, in denen deutlich mehr und in einer Weise mit den Kindern gesprochen wird, die Kinder zur sprachlichen Interaktion ermutigt, im Vorschulalter signifikant mehr Wortschatz als Kinder, die weniger, weniger ermutigenden und weniger elaborierten Input zur Verfügung haben (Hart & Risley 2003: 7-8). Diese Unterschiede sind essenziell, da Wortschatzgröße nachweislich mit Grammatikentwicklung korreliert (Saxton 2010: 144) und frühe Wortschatzentwicklung die rezeptiven und produktiven lexikalischen, seman‐ tischen und syntaktischen Fertigkeiten sowie Leseverstehenskompetenzen in der späteren Primarschulzeit (9-10 Jahre) vorhersagt (Hart & Risley 2003: 8). Im Folgenden werden ausgewählte (sozio-)kognitive Verarbeitungs- und Erwerbsmechanismen beschrieben, die auch für den Spracherwerb nutzbar gemacht werden. 1.4.1. Joint Attention Gemeinsame Aufmerksamkeit (Tomasello 2008) entsteht durch gleichzeitige Ausrichtung des aktuellen Aufmerksamkeitsfokus der interagierenden Per‐ sonen auf dasselbe Objekt oder Ereignis. Joint Attention kann z. B. durch Blicke, Zeigegesten oder verbal (Guck mal, das Auto; Weißt du noch, als wir damals in Frankreich …) hergestellt werden und etabliert einen gemeinsamen kommuni‐ kativen Referenzpunkt. Spracherwerb basiert grundlegend auf Joint Attention im Hier und Jetzt: Lernbar sind neue sprachliche Einheiten als Form-Bedeu‐ tung-Zuordnungen, wenn klar ist, worum es geht bzw. worauf sie sich beziehen - normalerweise eben auf etwas, das im gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus steht (Behrens 2009: 436). 1.4.2. Entrenchment Durch wiederholte Erfahrung werden Gedächtnisspuren für Form-Bedeu‐ tung-Zuordnungen gestärkt. Dieser Prozess wird Entrenchment (Einschleifung) genannt (Tomasello 2003: 300-301). Häufige Konstruktionen werden zuneh‐ mend stabil gespeichert und nach und nach automatisiert, sodass sie immer besser für den Abruf zur Verfügung stehen (im Sinne eines kognitiven Tram‐ pelpfades, der durch wiederholte Erfahrung angelegt wird; Behrens 2009: 434). Wiederholung bzw. eine hohe Vorkommenshäufigkeit von Konstruktionen ist daher essenziell für den Spracherwerb, auch wenn spontanes Lernen prägnanter Form-Bedeutung-Zuordnungen auf Anhieb in bestimmten Situationen durchaus möglich ist (Tomasello 2001). Neben Wiederholung spielt systemati‐ sche Variation im Input eine grundlegende Rolle für den Erwerb (s. u.). 41 Konstruktion(en) erst- und zweitsprachlichen Wissens 1.4.3. Chunking Chunking als Bündelung von wiederholt gemeinsam auftretenden Einheiten zu größeren Gesamteinheiten (N. Ellis 2003: 76) ist ein grundlegender Prozess in der Informationsverarbeitung, der zur Vergrößerung der Verarbeitungskapazität führt (Miller 1956): Das Arbeitsgedächtnis kann im Durchschnitt nur ungefähr sieben Einheiten gleichzeitig verarbeiten. Wenn aber kleinere Informationsein‐ heiten zu größeren Blocks gebündelt werden, steigt die Verarbeitungskapazität. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sich mehrere Buchstabenkombinationen des Typs Sprachkompetenz merken kann, deutlich größer als für ebenso lange Buchstabenkombinationen des Typs gbtoirevczykwpük. Das liegt u. a. daran, dass sich die Einzelteile (Buchstaben) in ersterer zu einem größeren Chunk, in diesem Fall einem bekannten und routinisierten Wort, fügen, in letzterer nicht. Im Spracherwerbskontext versteht man unter Chunks typischerweise Mehr‐ worteinheiten, die als ganze gespeichert, d. h. nicht analysiert sind, auch wenn sie analysierbar wären. Wray (2002: 107) berichtet z. B. von einem englischspra‐ chigen Kind Ellen, das im jungen Alter von 21 Monaten mehrfach die sehr komplexe Einheit [ʻtaipǝʻkɒpǝʻkɒpı] - als Annäherung an time for a cup of coffee - produzierte, wenn es einen Keks haben wollte. Es ist nicht anzunehmen, dass Kinder in diesem Alter eine Vorstellung der syntaktischen Struktur einer so komplexen Nominalphrase und die Kompetenz der kreativen Produktion einer solchen entwickelt haben; naheliegender ist die Annahme, dass Ellen die kommunikativ nützliche Mehrworteinheit mit einer groben Vorstellung ihrer Bedeutung bzw. Funktion ohne weitere Analyse aus dem Input kopiert hat - und zwar von ihrer Mutter, die wohl ab und zu, um Ruhe für eine Tasse Kaffee zu haben, (it’s) time for a cup of coffee sagte und dazu ihren beiden Kindern einen Keks (keinen Kaffee! ) gab: Ellen, aged one year and nine months, used the string [ʻtaipǝʻkɒpǝʻkɒpı] when she wanted a biscuit. Her mother often said time for a cup of coffee when she wanted to sit down for a few minutes peace and quiet. The children would each get a biscuit. Whatever Ellen actually thought time for a cup of coffee meant, saying it was a very effective way of requesting a biscuit […]. (Wray 2002: 107) 1.4.4. Tuning Tuning verweist auf den Aufbau von Erwartungshaltungen im Zusammen‐ spiel zwischen Arbeits- und Langzeitgedächtnis bzw. zwischen datengeleiteten (bottom up) und erwartungsgeleiteten (top down) Prozessen der Sprachverarbei‐ tung: Wiederholte Verarbeitung von Sequenzen im Arbeitsgedächtnis führt zu ihrer Konsolidierung als Chunks im Langzeitgedächtnis und zur Entwicklung von Routinen. Diese wiederum führen zur Entstehung von Erwartungshal‐ 42 Karin Madlener-Charpentier & Heike Behrens tungen u. a. darüber, welcher Input in kommunikativen Situationen wahrschein‐ lich ist. Das Langzeitgedächtnis stellt sich also auf Wiederkehrendes und damit Erwartbares ein und es werden schnelle Routinen für den Abruf angelegt. Input mit Sequenzen, die solchen Erwartungshaltungen entsprechen, wird in der Folge einfacher und besser verarbeitet und ergibt dadurch wiederum potenziell besseren Intake (N. Ellis 2003: 77). 1.4.5. Distributionelle Analyse und Mustererkennung Ist eine kritische Masse von Spracherfahrung erreicht, können (primär unbe‐ wusste) Vergleichs- und Analyseprozesse einsetzen. Auf Basis von systemati‐ schen Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen Äußerungen kristallisieren sich nach und nach wiederkehrende Muster im gespeicherten bzw. neu einge‐ henden Sprachmaterial heraus. Systematische Variation in Formen und Funk‐ tionen im Input ist ein wichtiger Auslöser für solche Vergleichsprozesse (Lieven 2010). Im Prozess distributioneller Analyse (Tomasello 2003: 301-303) werden Re‐ gelhaftigkeiten in den Vorkommensverteilungen sprachlicher Einheiten in Sequenzen identifiziert. Zum Beispiel gibt es Einheiten, die eine starke Tendenz dazu haben, nach die aufzutreten (z. B. Schuhe, Milch, Katze, Mütze). Nur ein Teil dieser Einheiten tritt ebenfalls nach eine oder beispielsweise nach blaue auf. Diese distributionellen Gemeinsamkeiten, zusammen mit Ähnlichkeiten in der Bedeutung, können zur Kategorisierung ähnlich verteilter Form-Bedeutung-Zu‐ ordnungen führen, z. B. für den Erwerb der Wortarten. Für entsprechendes dis‐ tributionelles bzw. statistisches Lernen reichen starke Trends, die Verteilungen müssen nicht eindeutig sein. Mustererkennung ist also in erster Linie eine Frage der Entschlüsselung der Wahrscheinlichkeiten in der Abfolge von Elementen im Input (N. Ellis 2002: 143). Distributionelle Regelhaftigkeiten können Aufschluss über Bedeu‐ tungs- und funktionale Ähnlichkeiten geben. So ist es wahrscheinlich (aber nicht notwendig), dass ein unbekanntes Wort im Muster Hast du schon …? im weiteren Sinne auf eine (abgeschlossene) Tätigkeit referiert. Meist sind statisti‐ sche Mustererkennungsprozesse implizit, d. h. unbewusst (siehe Kauschke in diesem Band für Annahmen zu Beeinträchtigungen des impliziten Lernens bei spezifischen Sprachentwicklungsstörungen). 1.4.6. Kategorisierung, Schemabildung, Analogie und Generalisierung Je grobkörniger Ähnlichkeiten betrachtet werden, desto abstrakter werden die erkennbaren Muster. Einzelheiten und Spezifika werden herausgefiltert, während sich die wiederkehrenden Elemente im Vergleich verstärken (Behrens 43 Konstruktion(en) erst- und zweitsprachlichen Wissens 2009: 434), s. Abbildung 1. Mit der Zeit können sich durch zunehmende Abstrak‐ tion allgemeinere Schemata herausbilden, die auf den über die individuellen Unterschiede einzelner Exemplare hinausgehenden Gemeinsamkeiten vieler Exemplare beruhen (Langacker 2000: 93). Kurz gesagt ist ein Schema eine induktiv inferierte, relativ abstrakte Repräsentation eines wiederkehrenden Musters. Sehr erwartbare Muster sind das, was man gemeinhin „Regeln“ nennen würde, etwa die Tatsache, dass auf ein Subjekt in der 3. Person Singular im Präsens ein mit -t flektiertes Verb folgt, sofern es kein Modalverb ist. Hier zeigt sich ein weiterer „Clou“ gebrauchsbasierter Ansätze: Da die Generalisie‐ rung auf Basis konkreter Exemplare geschieht und nicht als Anwendung abstrakter Regeln gefasst wird, stellen „Ausnahmen“ von Regeln keine besondere Erwerbsschwierigkeit dar. Durch den ständigen Abgleich von erwarteten mit tatsächlichen Äußerungen schärft sich das Bewusstsein für die Reichweite von Generalisierungen, sodass Übergeneralisierungen korrigiert werden können (s. u.). Schemata können auf neue Elemente generalisiert werden (z. B. Nominali‐ sierungen in -ieren von Archiv-archivieren auf Schublade-schubladisieren) und erlauben top-down Vorhersagen über „weniger frequente oder aber neue Ver‐ wendungsweisen“ (Behrens 2009: 437). Generalisierungen basieren dabei auf erkannten formalen und funktionalen Regelhaftigkeiten und entsprechenden Analogieschlüssen (Tomasello 2003: 297-299). Dabei können generalisierte Kon‐ struktionen auch Exemplare generieren, die semantisch akkommodiert werden müssen (Behrens 2009: 439): So lässt sich z. B. die Äußerung Der Trabi keuchte um die Ecke analog zu Der Dieb rannte um die Ecke und Das Auto fuhr um die Ecke dem abstrakteren Schema der Verbargumentkonstruktion NP1 Verb Präposition NP2 mit der Bedeutung „Bewegung von NP1 auf dem Pfad, der durch die Präposition und NP2 bezeichnet wird” zuordnen und als solche entschlüsseln, obwohl keuchen eigentlich kein Bewegungsverb ist. 1.4.7. Vermeidung/ Abbau von Übergeneralisierungen Wenn SprecherInnen nun das kreative Potenzial von abstrakten Konstruktionen ausnutzen, um durch Generalisierungs- und Kompositionsprozesse (s. u.) weit über den Input hinauszugehen, wie kommt es, dass sie dabei normalerweise nicht über das Ziel hinausschießen? Am Beispiel der unregelmäßigen Verben wurde früh ein lexikalischer Blockierungsmechanismus diskutiert (z. B. Aronoff 1976). Kinder bilden zwar manchmal überregularisierte Formen wie *gehte (analog z. B. zu kochte, lachte, kaufte und hüpfte), doch diese Übergeneralisie‐ rungen verschwinden bald wieder. Die Annahme ist, dass das häufige Auftreten 44 Karin Madlener-Charpentier & Heike Behrens der unregelmäßigen Form ging im Input an genau den Stellen, wo *gehte erwartbar wäre, die Übergeneralisierung vermeiden bzw. abbauen hilft. Das konsistente Auftreten von ging verdrängt, kurz gesagt, das theoretisch mögliche *gehte. Für die entsprechende Diskussion im Bereich der Syntax siehe Goldberg (2011) und Stefanowitsch (2005). 1.4.8. Komposition Komposition ist ein strukturbildender Prozess, durch den „einfache Strukturen zu komplexeren vereinigt werden“ (Behrens 2009: 434). Er erklärt die Lern‐ barkeit von komplexen, im Input seltenen Konstruktionen wie z. B. kom‐ plexen W-Fragen des Typs Was hat Anna gestern zu Peter gesagt, dass sie am Sonntag gemacht hat? ausgehend von den relevanten Teilkonstruktionen (hier: W-Fragen, Perfekt, Nebensatz etc.). Durch Komposition entstandene komplexe Konstruktionen können neue (emergente) Eigenschaften aufweisen, die nicht auf die einzelnen Bestandteile zurückzuführen sind. 1.5. Zwischenfazit: Grammatik als Konstruktion […] grammar is the cognitive organization of one’s experience with language. (Bybee 2006: 711) Eine grundlegende Rolle für den Spracherwerb spielen aus gebrauchsbasierter Perspektive Input, Inputverarbeitung, Gedächtnis, Aufmerksamkeit und gra‐ duelle Generalisierungsprozesse. An dieser Stelle treffen sich konstruktionsba‐ sierte Ansätze mit Forschungsansätzen aus dem Bereich formelhafter Sprache (Wray 2002). Letztere haben empirisch belegt, dass vorgefertigte Konstruktionseinheiten (Chunks) im L1-Gebrauch omnipräsent sind, durch ihren hohen Grad an Automatisierung (sprecherseitig) und Erwartbarkeit (hörerseitig) die Sprachverarbeitung erleichtern und grundlegend zum Gelingen erstsprachli‐ cher Kommunikation, zu Flüssigkeit und Idiomatizität beitragen (Pawley & Syder 1983, Sinclair 1991). Auch im L1-Erwerb spielen Chunks nachweislich eine essenzielle Rolle. Wray (2002) formuliert theorieunabhängig Grundannahmen zur Rolle von Chunks (Prefabs) für den frühen Einstieg in die Kommunikation und als Datenbasis für die spätere Analyse und Abstraktion, die den Annahmen gebrauchsbasierter Ansätze entsprechen (s. 1.4). Dies stützt konstruktionsbasierte Annahmen sowohl hinsichtlich des Nebeneinanders von Konstruktionen verschiedener Grade der Abstraktheit und Komplexität im Sprachgebrauch (s. 1.2) als auch in Bezug auf die graduelle Entwicklung von Chunks über lokale Muster hin zu abstrakten Generalisierungen im Spracherwerb (s. 1.3, 1.4). 45 Konstruktion(en) erst- und zweitsprachlichen Wissens 4 Den Terminus Zweitsprache (L2) benutzen wir im Folgenden für alle Sprachen, die nach einer weitgehend etablierten Erstsprache (L1) gelernt werden, also nach dem Ende der frühen Kindheit, im Sinne einer „additional new language“ bei Ortega (2015: 351). Eine L2 kann gesteuert (im Unterricht) oder ungesteuert (natürlich) erworben werden; in der Kindheit, Jugend oder im Erwachsenenalter; im Zielsprachenland, sodass die L2 Umgebungssprache ist, oder im Ausland, sodass der Kontakt zur L2 auf spezifische Unterrichts- oder Lernkontexte beschränkt ist. Der Terminus ist ebenfalls neutral bezüglich der Frage, ob die aktuelle Zielsprache konkret die zweite, dritte, vierte oder siebte Sprache für die LernerInnen ist, ob also vorher bereits andere zusätzliche Sprachen gelernt wurden oder ob die LernerInnen mit mehreren Erstsprachen aufge‐ wachsen sind. Der Schwerpunkt unserer Überlegungen wird im Folgenden jedoch auf dem klassischen Fremdsprachenerwerb, also auf gesteuerten L2-Erwerbskontexten und erwachsenen LernerInnen, liegen. Wray (2002) zeigt darüber hinaus, dass notorische L2-Erwerbsschwierig‐ keiten erwachsener LernerInnen u. a. auf eine geringere Nutzung vorgefertigter Mehrworteinheiten zurückzuführen sind. Viele erwachsene L2-LernerInnen kopieren und memorisieren in geringerem Umfang kommunikativ relevante, häufige Mehrworteinheiten aus dem Input als Kinder im L1- und L2-Erwerb. Ihre Chunk-Basis ist daher weniger (umfang-)reich. Entsprechend profitieren sie weniger von der entlastenden Wirkung vorgefertigter Einheiten in der Sprachverarbeitung, haben dadurch weniger freie Kapazitäten für die Verar‐ beitung/ Planung anderer (inhaltlicher, interaktionaler etc.) Aspekte und ent‐ wickeln zudem weniger gute Erwartungshaltungen. Auch können sie später für Analysezwecke auf eine weniger große und detaillierte Datengrundlage zurückgreifen (s. 2.2, 2.3). 2. Konstruktionen im Zweitspracherwerb Konstruktionsbasierte Modelle gehen davon aus, dass die folgenden beiden Annahmen auf Erst- und Zweitsprachen 4 gleichermaßen zutreffen (nach Taylor 2012: 122): (1) Kompetenter Sprachgebrauch basiert auf dem angemessenen, korrekten und flüssigen Abruf von Konstruktionen unterschiedlicher Abstraktheit und Komplexität aus dem verfügbaren Konstruktionsinventar (dem soge‐ nannten Konstruktikon). (2) Spracherwerb ist der Prozess sowohl der allmählichen Erweiterung des verfügbaren Repertoires von Konstruktionen und der zunehmenden Ver‐ knüpfung zwischen ihnen zu einem strukturierten Konstruktionsnetzwerk als auch der zunehmenden Expertise (d. h. Routine, Flüssigkeit, Korrekt‐ heit) im Abruf von Elementen dieses Konstruktikons. 46 Karin Madlener-Charpentier & Heike Behrens Wieso ist nun die (Re-)Konstruktion einer L2-Grammatik aus dem Input häufig schwieriger als die Konstruktion einer L1-Grammatik? Und inwiefern können aufmerksamkeitslenkende und/ oder bewusstmachende Optionen der Sprachvermittlung (im Sinne der didaktischen Formfokussierung, s. R. Ellis 2016, Madlener-Charpentier & Pagonis in diesem Band) zur Verbesserung von L2-Erwerbsprozessen beitragen? 2.1. Konstruktion einer zweiten Sprache Reconstructing a language is more complex than its initial induction because, during development, L2 constructions are in direct competition with those of the learners’ L1. (N. Ellis & Cadierno 2009: 112) Traditionellerweise wird angenommen, dass L1- und L2-Erwerb sich in mindes‐ tens vier Aspekten grundlegend unterscheiden, und zwar 1. hinsichtlich des Erwerbsalters, 2. der Menge und Qualität des verfügbaren Inputs sowie 3. des Anteils an explizitem, bewusstem Lernen und 4. des Vorhandenseins früherer sprachlicher Erfahrung (Dąbrowska 2009): 1. L2-Erwerb beginnt per definitionem später als L1-Erwerb, nämlich nach dem Ende der frühen Kindheit (ab circa 3 Jahren). Während im L1-Er‐ werb grundlegende konzeptuelle, neurophysiologische und sprachliche Entwicklungen parallel ablaufen, sind erstere im L2-Erwerb bereits weitge‐ hend abgeschlossen und erleichtern den Verstehensprozess, da das nötige konzeptuelle Wissen zum Großteil vorhanden ist. 2. L2-LernerInnen bekommen, zumindest im gesteuerten Erwerbskontext, typischerweise weniger Input, davon außerdem einen großen Anteil schriftlich statt mündlich. L2-LernerInnen haben daher typischerweise eine kleinere und weniger reiche Datenbasis sowohl zur Entlastung der Online-Sprachverarbeitung (s. 1.2) als auch als Basis für die Abstraktion und Generalisierung der zielsprachlichen Konstruktionen (s. 1.4). Der Input basiert zudem oft weniger auf natürlichen Interaktionssituationen als im L1-Erwerb und beinhaltet stattdessen explizite Erklärungen und Korrekturen. 3. Während L1-Erwerb weitgehend auf implizitem, unbewusstem Lernen in der natürlichen Inputverarbeitung basiert, beinhaltet L2-Erwerb (zumin‐ dest im Klassenzimmerkontext) substanzielle Anteile expliziten Lernens, Übens und Reflektierens. Dies kann Auswirkungen auf Aufmerksamkeit, Lernmotivation und emotionale Aspekte haben. 47 Konstruktion(en) erst- und zweitsprachlichen Wissens 4. L1-LernerInnen verfügen per definitionem nicht über vorangehende Erfah‐ rungen mit einer anderen Sprache (eventuell aber über parallele Erfah‐ rungen mit mehreren Sprachen in Fällen des mehrfachen L1-Erwerbs), während L2-LernerInnen bereits jahrelange Erfahrung und eine mehr oder weniger voll ausgebildete L1 mitbringen. N. Ellis und Cadierno (2009: 112) gehen davon aus, dass L2-Erwerb grundsätzlich deswegen komplexer ist, weil bereits vorhandene L1-Konstruktionen bzw. etablierte L1-Verarbei‐ tungs- und Aufmerksamkeitsroutinen potenziell in Konkurrenz zu den neuen L2-Konstruktionen stehen und dass diese größere Komplexität die erhöhte Schwierigkeit bedingt. Dennoch gibt es aus gebrauchsbasierter Perspektive gute Gründe, auch grund‐ legende Gemeinsamkeiten zwischen L1- und L2-Erwerb anzunehmen. Auch gesteuerter L2-Erwerb besteht ja nicht ausschließlich aus explizitem Lernen. Während der Verarbeitung von Input laufen im L2-Erwerb neben bewussten Reflexionsprozessen auch unbewusste Automatisierungsprozesse und implizite, statistische Lernprozesse ab (s. 1.4), die u. a. von Inputmerkmalen wie den Vorkommensverteilungen, der Salienz und Komplexität einzelner Strukturen abhängen. So besteht neben dem L1eben auch der L2-Erwerb zu einem oft unterschätzten Teil aus dem „piecemeal learning of many thousands of constructions and the frequency-biased abstraction of regularities within them“ (N. Ellis 2002: 143). Daher gehen konstruktionsbasierte Ansätze der L2-Erwerbsforschung und L2-Vermittlung von einer grundlegenden Rolle von Input und Inputverarbeitung aus. Damit schließen sie durchaus an andere Ansätze der L2-Erwerbsforschung an, so schreibt z. B. auch Gass (1997: 1, Herv. i. O.): „The concept of input is perhaps the single most important concept of second language acquisition. It is trivial to point out that no individual can learn a second language without input of some sort.“ Dennoch ist die Rolle des Inputs und der Inputverarbeitung in konstruktionsbasierten Ansätzen größer und grundsätzlicher als in anderen Modellen (was eine zusätzliche Rolle für Output, explizites Wissen und korrektives Feedback keineswegs ausschließt): Aus dem Input werden nicht nur die Wörter als Bausteine der Sprache identifiziert und die häufigen, kommunikativ relevanten Mehrwortverbindungen als Chunks gespeichert, sondern auch die abstrakteren Schemata erkannt und allmählich produktiv generalisiert, was vorrangig implizit vor sich geht. Entscheidend für das Fortschreiten und Gelingen des Erwerbsprozesses ist letztlich die Qualität der Inputverarbeitung: Für LernerInnen ist nicht nur der objektiv in der Welt verfügbare Input ausschlaggebend, sondern das, was sie tatsächlich damit anfangen können (N. Ellis & Cadierno 2009: 117). Die 48 Karin Madlener-Charpentier & Heike Behrens tatsächliche Nutzung des Inputs und die Aufnahme von Teilen des verfügbaren sprachlichen Materials als Intake hängt dabei von der Wahrnehmung durch die LernerInnen ab. Für die Frage, welcher Teil des verfügbaren Sprachangebots in den Fokus der Aufmerksamkeit einer/ eines Lernenden gerät und somit als Intake Eingang in den Spracherwerbsprozess findet, spielt - neben Charakteristika der Zielkonstruktion wie z. B. ihrer Häufigkeit, Salienz und Transparenz - eine Reihe von Faktoren eine Rolle, auf die im Folgenden eingegangen wird. 2.2. Input & Inputverarbeitung in der L2: Chunks & Entrenchment L2-LernerInnen unterscheiden sich bezüglich der Verarbeitung von Input sowie der Prozesse von Chunking, Entrenchment, Tuning und Automatisierung in mehrfacher Hinsicht von L1-LernerInnen: 1. haben sie größere Arbeitsgedächt‐ niskapazitäten; 2. bekommen sie typischerweise weniger Input als L1-LernerInnen und 3. tendieren erwachsene L2-LernerInnen dazu, sich auf wortähn‐ liche Einheiten zu konzentrieren (Wray 2002). 2.2.1. Arbeitsgedächtniskapazitäten Elman (1993) zeigt, dass Kinder im L1-Erwerb „klein anfangen“ (starting small): Ihre Arbeitsgedächtniskapazitäten sind beschränkt, sodass sie in den ersten Phasen des Spracherwerbs lediglich kurze, lokale Inputsequenzen verarbeiten können. Diese Beschränkung in Bezug auf den verfügbaren Arbeitsspeicher stellt jedoch keinen Nachteil, sondern offenbar geradezu eine Voraussetzung für den erfolgreichen Erwerb komplexer Konstrukte dar (Elman 1993: 71). Sie wirkt als Inputfilter, der die Lerneraufmerksamkeit zu Beginn auf die essenziellen lokalen Abhängigkeiten und Muster fokussiert und den Gesamthy‐ pothesenspielraum auf ein fassbares Maß reduziert (Elman 1993: 84). Von dieser Perspektive aus gesehen sind erwachsene L2-LernerInnen potenziell gerade deswegen überfordert, weil sie durch ihre größere kognitive Reife eine geringere Beschränkung in ihrer Arbeitsgedächtniskapazität aufweisen und ihre Inputver‐ arbeitung dadurch weniger fokussiert ist. Zudem spielt sich Zweitspracherwerb meist in komplexeren Situationen ab als in den überschaubaren, kindzentrierten sozialen Routinen, die für den frühkindlichen Erstspracherwerb typisch und förderlich sind (sog. Socio-Interactional Bubble), weil hier Rollen, Abläufe und Form-Funktion-Beziehungen stark vorhersagbar sind (Wray 2002). 2.2.2. Weniger Input Die Entwicklung stabiler Repräsentationen von Form-Bedeutung-Zuordnungen setzt Wiederholung voraus. Je öfter ein Form-Bedeutung-Paar in unterschiedli‐ chen Kontexten verarbeitet wird, desto besser sein Entrenchment, d. h. desto 49 Konstruktion(en) erst- und zweitsprachlichen Wissens stärker seine mentale Repräsentation und Integration ins sich entwickelnde L2-Konstruktikon und desto einfacher sein Abruf im nächsten Verarbeitungs‐ kontext. L2-LernerInnen haben gerade im Klassenzimmer nun aber oft kein gutes Chunk-Angebot in ihrem Input, d. h. nicht genug Möglichkeiten, kommunikativ relevante Mehrworteinheiten vielfach anzutreffen und stabil abzuspeichern. Im Klassenzimmer ist der Input sowohl quantitativ als auch qualitativ beschränkt. Die Unterrichtszeit ist insgesamt begrenzt und muss aufgeteilt werden zwischen Lese- und Hörverstehen, schriftlicher und mündlicher Produktion, Wortschatz- und Grammatikübungen, Grammatikerklärungen und Korrekturen. Umso be‐ schränkter die Zeit, die im Unterricht für bedeutungsfokussierte Inputverarbei‐ tung zur Verfügung steht. Lese- und Hörtexte weisen zudem oft gerade nicht die L1-typischen und nachweislich erwerbsfördernden gestaffelten Interaktionsse‐ quenzen (sog. Scaffolding) mit Umschreibungen, Modifikationen, Elaborationen, systematischen Wiederholungen und lokal kontrastierenden Variationssets (Arnon & Clark 2011) auf. L2-LernerInnen haben also typischerweise zu wenig Spracherfahrung und müssen sich das zielsprachliche Konstruktionsinventar auf Basis einer reduzierten, unvollständigen und daher unsicheren Datenbasis erschließen (N. Ellis 2011: 203). Dies macht ihre Lernprozesse, sowohl auf der Ebene der Verfestigung (Entrenchment, Chunking) als auch der Musterabstrak‐ tion (s. u.) tendenziell instabil und fehleranfällig. 2.2.3. Fokus auf Wörter Während Kinder im L1-Erwerb nicht über das Konzept von Wörtern als sprach‐ liche Bausteine verfügen, haben Erwachsene diverse Gründe, sich von Anfang an auf wortähnliche Einheiten zu konzentrieren: Viele L2-LernerInnen sind in ihrer L1 (oder in einer anderen L2) alphabetisiert und sich dessen bewusst, dass Äußerungen aus kleineren Teilen bestehen, die frei kombinierbar sind. Diese wortähnlichen Einheiten werden typischerweise in Vokabellisten und Wortschatztraining als flexible Bausteine vermittelt, die mit Hilfe abstrakter Regeln kreativ kombiniert werden sollen. Dazu kommt, dass der Großteil des Inputs erwachsener L2-LernerInnen oft schriftlich ist. Im Kontrast zu auditivem Input, der in größere und kleinere nützliche Einheiten segmentiert werden kann (z. B. Laute, Wörter, Mehrworteinheiten, Phrasen), ist für Sprachen wie das Deutsche die Analyseeinheit Wort in schriftlichem Input vorgegeben. Der Fokus auf Wörter als Analyse- und Erwerbseinheiten führt dazu, dass ein Großteil der theoretisch verfügbaren Inputinformation nicht verarbeitet wird und potenziell verloren geht. Der Vorteil des Chunking kommunikativ relevanter und frequenter Mehrworteinheiten liegt ja nicht nur in Flüssigkeit 50 Karin Madlener-Charpentier & Heike Behrens und Verarbeitungsökonomie, sondern auch darin, dass in späteren Stadien des Aufbrechens der initialen Chunks auf eine Menge in den Chunks gespeicherter Informationen zurückgegriffen werden kann (Handwerker 2002). Dazu gehört das Wissen darüber, welche Wörter häufig zusammen vorkommen (z. B. Kol‐ lokationen, Funktionsverbgefüge, präpositionale Anschlüsse bei Verben) und welche kleinen, funktionalen Konstruktionen die Wörter im Diskurs zusam‐ menhalten (z. B. Artikel, Personen-, Plural- und Kasusmarker). Während Kinder für diese Analyseleistung auf eine große Menge von Chunk-artig gespeicherten größeren Form-Bedeutung-Zuordnungen zurückgreifen können, haben viele erwachsene L2-LernerInnen eine sehr viel kleinere Datenbank zur Verfügung. 2.3. Input & Inputverarbeitung in der L2: Mustererkennung & Generalisierung Mustererkennungs- und Generalisierungsprozesse in der L2 unterscheiden sich ebenfalls in mehrfacher Hinsicht grundlegend von denen in der L1: 1. ist die L2-Mustererkennung durch L1-Erwartungen beeinflusst; 2. entsprechen Vor‐ kommensverteilungen von Konstruktionen im L2-Input nicht immer typischen Verteilungen im L1-Input; 3. erfolgen Mustererkennung und Generalisierung in der L2 häufig nicht primär implizit während bedeutungsfokussierter Interak‐ tion, sondern zu einem mehr oder weniger großen Anteil explizit, häufig in Form dekontextualisierter Übungen; und schließlich unterscheiden sich 4. der Status von hochgradig abstrakten Generalisierungen wie auch ihre Rolle in der L1- und L2-Sprachverarbeitung. 2.3.1. L1-Verarbeitungsroutinen als Filter Die L2-Inputverarbeitung an sich ist geprägt von den spezifischen Verarbei‐ tungsroutinen, die für die L1 ausgebildet wurden. N. Ellis und Sagarra (2010) gehen davon aus, dass ein Großteil der sogenannten zwischensprachlichen Einflüsse (durch die L1 oder eine andere L2) dadurch zustande kommt, dass LernerInnen mit sprachlicher Erfahrung spezifische Erwartungshaltungen aus‐ bilden. Im Laufe des L1-Erwerbs wird die Lerneraufmerksamkeit für die spezi‐ fischen in der L1 relevanten Cues (z. B. Wortstellung versus Kasus), Kategorien (z. B. Lautinventar; Aspekt versus Tempus) und Konstruktionen geschärft, die Aufmerksamkeit für nicht relevante schwindet. L1-SprecherInnen verfügen so über eine spezifische selektive Aufmerksam‐ keit, basierend auf erlernten Erwartungshaltungen bezüglich möglicher und relevanter Kategorien, Konstruktionen und Perspektivierungen, also bezüglich der Dinge, die sprachlich ausgedrückt werden können bzw. müssen (s. die Thinking for Speaking-Hypothese, Slobin 1997). SprecherInnen des Deutschen 51 Konstruktion(en) erst- und zweitsprachlichen Wissens oder Englischen erwarten in den meisten Konstruktionen einen definiten oder indefiniten Artikel vor dem Nomen, SprecherInnen des Chinesischen oder Vietnamesischen nicht. Lange bevor sie diese Elemente selbst korrekt und re‐ gelmäßig produzieren, wissen deutsch- oder englischsprachige Kinder aufgrund der Satzmelodie, dass kurze Elemente vor dem Nomen stehen, und beginnen oft mit Protoartikeln wie de Auto oder e Frau, diese Lücke zu füllen, bevor sie nach und nach das ganze Artikelsystem erwerben. Diese Art der Musterbildung macht die L1-Wahrnehmung schnell und effektiv, ist aber von Nachteil für die Entschlüsselung einer L2 mit von der L1 abweichenden Cues, Kategorien und Konstruktionen, wenn LernerInnen die L1-spezifische Aufmerksamkeit auf die L2 übertragen (Learned Attention, N. Ellis 2006). Diese Übertragung kann dazu führen, dass auch sehr häufige L2-Merkmale und Form-Bedeutung-Zuordnungen über lange Zeit durch den antrainierten selektiven Aufmerksamkeitsfilter der L1 rutschen können, weil sie durch Er‐ wartungen aus der L1 überschattet werden (N. Ellis 2007). So beeinflussen automatisierte L1-Verarbeitungs- und Aufmerksamkeitsroutinen sowie ggf. auch das explizite Wissen um L1-Konstruktionen die selektive Aufmerksamkeit von L2-LernerInnen und damit ihre Mustererkennungs- und Generalisierungs‐ prozesse. Vietnamesische und chinesische LernerInnen des Deutschen als L2 erwarten aufgrund ihrer L1 oft keine Artikel, wo sie im Deutschen obligatorisch sind, und sind es nicht gewohnt, die meist unbetonten Elemente vor dem Nomen in der Inputverarbeitung zu berücksichtigen, so dass sie - im Zusammenspiel mit geringerem Input - meist erhebliche Probleme haben, das komplexe und teilweise intransparente Artikelbzw. Kasus- und Genus-System zu erwerben. Die L1 kann aber auch hilfreich sein, wenn die LernerInnen ihr Wissen auf die L2 übertragen können: So ist es für englische LernerInnen des Deutschen keine Überraschung, dass es Artikel gibt, sie wissen also, wo man Artikel verwenden sollte (aber nicht welchen, da sie aus ihrer L1 keine voll verlässlichen Vorhersagen über die Genus- oder Kasusmarkierungen des Deutschen herleiten können). Im Fremdsprachunterricht können aufmerksamkeitslenkende Methoden helfen, die Wahrnehmung der LernerInnen auf relevante Faktoren zu lenken (siehe Abschnitt 2.5). Der Inputverarbeitungsansatz von VanPatten (2004) geht teilweise von Beobachtungen zur Rolle der L1 aus. Die vorgeschlagene Verarbeitungssteuerung (Processing Instruction, VanPatten 2004, Wong 2004, s. auch Handwerker 2009) zielt darauf ab, die Lerneraufmerksamkeit durch spezifische Manipulationen der Inputstruktur und Aufgaben zum strukturierten Input auf diejenigen Form-Bedeutung-Zuordnungen im Input zu lenken, die 52 Karin Madlener-Charpentier & Heike Behrens (u. a. aufgrund von L1-Erwartungshaltungen der LernerInnen) ein notorisches L2-Wahrnehmungs- und Lernproblem darstellen. 2.3.2. Vorkommensverteilungen Themen und Gesprächsanlässe im Klassenzimmer müssen nicht denen in der Welt außerhalb des Klassenzimmers entsprechen. Da Konstruktionen, ihre le‐ xikalischen Füllungen und Modifikationen mit der Situation variieren, ist davon auszugehen, dass Klassenzimmerinput per se nicht die Regelhaftigkeiten und Verteilungswahrscheinlichkeiten eines L1-Korpus widerspiegelt. Zudem sind die lexikalischen und strukturellen Variationsmöglichkeiten aller Beteiligten im Klassenzimmer begrenzt, und zwar auf andere Weise als im Falle kindgerichteter Sprache im L1-Erwerb. Der Input von den MitlernerInnen, ggf. aber auch von der Lehrperson sowie aus Hör- und Lesetexten des Lehrwerks, weist mit großer Wahrscheinlichkeit weniger Wiederholungen einzelner (Exemplare von) Konstruktionen (s. Henk 2021) und zudem wohl auch teilweise unnatürliche Vorkommensverteilungen auf (z. B. für Kollokationen, Tempusgebrauch oder Artikelwörter). 2.3.3. Bewusstes Lernen Das Suchen (und Finden) von Regeln wird im Klassenzimmerkontext typischer‐ weise gefordert und gefördert. Explizites Lernen nimmt so oft einen großen Raum im L2-Unterricht ein: Regeln werden erklärt, exemplifiziert und geübt. Muster im L2-Input weden aufgezeigt und, im Gegensatz zur L1 (Ibbotson & Tomasello 2009: 60), explizit mit einem Label versehen (z. B. als Passiv, bestimmter Artikel, Perfekt oder trennbares Verb) und korrigiert. Die Tendenz zur Top-Down-Verarbeitung in der L2 wird durch derlei explizite, ob induktive oder deduktive, Instruktion in Lehrwerken und Grammatikstunden verstärkt. Muster werden dabei oft von Anfang an als explizite Regeln und abstrakte Ka‐ tegorien an die LernerInnen herangetragen. Generalisierungen und Kategorien kristallisieren sich nicht nach und nach aus dem Input heraus, sondern werden den LernerInnen früh übergestülpt (ggf. auch ganz dekontextualisiert in rein formalen Pattern Drills). 2.3.4. Maximale Generalisierungen L1-LernerInnen sind typischerweise konservativ, d. h. sie generalisieren nur langsam und selten ganz kreativ über die tatsächlich im Input vorhandene Evidenz hinaus (Bannard & Matthews 2011) und produzieren z. B. überregu‐ larisierte Formen wie *gehte (s. 1.4). L1-SprecherInnen greifen auch später im Sprachgebrauch präferiert auf Prefabs zurück und nutzen hochabstrakte 53 Konstruktion(en) erst- und zweitsprachlichen Wissens Konstruktionen lediglich in Fällen, wo sie Verständnisschwierigkeiten nicht bewältigen können oder besonders innovative Sprache produzieren möchten. Produktive Generalisierungen und abstrakte Kategorien (wie z. B. Verb oder Ditransitiv) sind dabei vorrangig implizit und beruhen auf graduellen Abstrak‐ tionen über den Input. Im gesteuerten L2-Erwerb werden sie dagegen oft und schon früh vorrangig explizit als abstrakte Kategorien vermittelt. Abstrakte Schemata spielen daher in der L2-Sprachverarbeitung früher eine größere Rolle. Diese Tendenz wird potenziell verstärkt durch die allgemeine kognitive Tendenz Erwachsener zu maximaler Generalisierung bei beschränkter Evidenz. Experimentelle Studien mit Kunstsprachen zeigen, dass Erwachsene auf Basis desselben Inputs unbekannte Konstruktionen deutlich weiter generalisieren als Kinder (z. B. Boyd & Goldberg 2012). Daher sind bei erwachsenen L2-LernerInnen auch mehr Übergeneralisierungen zu erwarten. 2.4. Zwischenfazit: L2-Konstrukti(k)on Learners have to enter into communication from experience of a very limited number of tokens. Their limited exposure poses them the task of estimating how linguistic constructions work from an input sample that is incomplete, uncertain, and noisy. (N. Ellis 2011: 203) Die (Re-)Konstruktion einer L2-Grammatik durch erwachsene LernerInnen unterscheidet sich grundlegend von der Konstruktion einer L1-Grammatik, und zwar nicht ausschließlich aufgrund des Einflusses der L1. Erfolgreiche L2-Vermittlung beinhaltet zwar durchaus eine Komponente des Retuning der erlernten selektiven Aufmerksamkeit der LernerInnen von der L1 auf die neu relevanten L2-Cues, Konstruktionen und Kategorien (N. Ellis 2008: 389). Dazu müssen Mittel und Wege gefunden werden, um - im Dienste und Sinne einer Art Retuning der selektiven Aufmerksamkeit der LernerInnen - die Sichtbarkeit notorisch unbeachteter L2-Inputmerkmale und Form-Bedeutung-Zuordnungen und damit ihre Verarbeitungswahrscheinlichkeit zu erhöhen. Erlernte Aufmerksamkeit ist aber nicht die einzige, vielleicht nicht einmal die wichtigste Ursache suboptimaler L2-Inputverarbeitung. Für die meisten erwachsenen L2-LernerInnen liegen die größten Stolpersteine im L2-Erwerb vermutlich nicht (nur) in den L1-geprägten Top-Down-Erwartungen bezüglich des möglichen bzw. wahrscheinlichen Konstruktionsinventars von Sprachen, sondern in ihrer Lernumgebung. Typische Merkmale des L2-Inputs (Quantität, Qualität) und der Erwerbssituation beeinflussen neben den genannten allge‐ meinen kognitiven Merkmalen Erwachsener (Arbeitsgedächtnis, Generalisie‐ 54 Karin Madlener-Charpentier & Heike Behrens rungstendenzen) grundlegend die Inputverarbeitung sowie die Abstraktions- und Generalisierungsprozesse in der L2. In erster Linie betrifft dies das begrenzte verfügbare Inputangebot. Damit fehlen Möglichkeiten zur Wiederholung als Grundlage für stabiles Entrench‐ ment von Form-Bedeutung-Zuordnungen, der allmählichen Verstärkung von Assoziationen (N. Ellis 2002: 173). Wenn zu lernende Konstruktionen nicht häufig genug im Input auftreten, sind die entstehenden Gedächtnisspuren für die Form-Bedeutung-Assoziationen und für wiederkehrende Sequenzen zu schwach, um stabile Chunks auszubilden (welche wiederum die notwen‐ dige Datengrundlage für die folgende implizite Mustererkennung darstellen). L2-Inputverarbeitung und Mustererkennung sind umso schwieriger, appro‐ ximativer und fehleranfälliger, je kleiner das verfügbare Input-Datenset ist (N. Ellis 2011: 203). Dazu kommt selbst in kommunikativen Vermittlungsansätzen oft ein starker Fokus auf der Vermittlung expliziten Wissens über Sprache. L2-LernerInnen haben also weniger konkrete Äußerungen zur Verfügung, dafür mehr Wissen über die abstrakten Konstruktionen der L2. Das L2-Konstruktikon unterscheidet sich so mit großer Wahrscheinlichkeit grundlegend vom L1-Konstruktikon. Es besteht für viele LernerInnen einerseits aus vielen Einzelwörtern und anderer‐ seits aus hochabstrakten Regeln. Der Mittelbau, also vorgefertigte Mehrwort‐ einheiten und teilvariable Muster mit eingeschränkt flexiblen Lücken, sind dagegen unterrepräsentiert (Wray 2002, s. Henk in diesem Band). 2.5. Skizze einer gebrauchsbasierten didaktischen Formfokussierung Im Gegensatz zur weit verbreiteten Praxis der Fremdsprachenvermittlung, in der von Beginn an großer Wert auf die Vermittlung expliziten Wissens über sprachliche Strukturen der L2 gelegt wird, gehen gebrauchsbasierte Ansätze davon aus, dass implizites inzidentelles Lernen aus dem Input auch im L2-Er‐ werb essenziell ist und dass daher eine zentrale Aufgabe in der Vermittlung darin besteht, die Bedingungen dafür zu optimieren, d. h. möglichst viel und möglichst guten Input anzubieten. Lehrende stehen so vor der essenziellen Aufgabe, (1) die Menge und Qualität des L2-Inputs zu erhöhen und (2) die Inputverarbeitungsstrategien der LernerInnen zu optimieren, d. h. suboptimale, ggf. L1-basierte Verarbeitungs- und Aufmerksamkeitsroutinen aufzubrechen und anzupassen. Explizite Instruktion zielt in gebrauchsbasierten Ansätzen dabei vorwiegend darauf ab, die Aufmerksamkeit der LernerInnen auf relevante neue Form-Be‐ deutung-Zuordnungen im Input zu richten (Noticing) oder aber auf Lücken oder Fehler im aktuellen Stand der Lernergrammatik (Noticing the Gap). 55 Konstruktion(en) erst- und zweitsprachlichen Wissens Auch suboptimale Inputverarbeitungsstrategien können Gegenstand der Refle‐ xion und Vermittlung sein. Eine Input- und Inputverarbeitungsoptimierung beschränkt sich daher nicht auf die Ermöglichung eines Sprachbades, wie es in Immersionskontexten geboten wird. Der Anteil expliziter Instruktion, der von erwachsenen L2-LernerInnen ja durchaus oft eingefordert wird, darf aber nicht zu einer Sackgasse werden, wenn nämlich keine oder nicht genug Zeit bleibt für bedeutungsvollen Input und die Inputverarbeitung. Konstruktionsbasierte Ansätze schließen also stark an die sogenannten Ansätze der (impliziten) didaktischen Formfokussierung an (Doughty & Williams 1998, R. Ellis 2016, Schifko 2011). Sie fordern in erster Linie eine gezielte, struk‐ turierte Anreicherung des (schriftlichen und mündlichen) L2-Inputs, welche die Komplexität der Zielstruktur und spezifische Lernercharakteristika wie z. B. Vorwissen berücksichtigt und die Aufmerksamkeit der LernerInnen (mehr oder weniger) beiläufig auf die relevanten Konstruktionen im Input lenkt. Formfokussierung steht dabei eigentlich für Form-Bedeutung-Zuordnung-Fo‐ kussierung, denn ein Focus on Form hebt sich nicht nur von einem reinen Bedeutungsfokus (Focus on Meaning) ab, wie er ggf. in Immersionskontexten oder im bilingualen Sachfachunterricht zu finden ist, sondern auch von der traditionellen expliziten, weitgehend kontextunabhängigen Sprachvermittlung (Focus on FormS) nach dem Wörter-und-Regeln-Prinzip (Doughty & Williams 1998: 3-4). Kurz gesagt genügt ein Vermittlungsansatz den Grundsätzen der Formfokussierung, wenn die Bedeutungsverarbeitung im Mittelpunkt steht und innerhalb von kommunikativ herausfordernden, bedeutungszentrierten Kontexten lediglich temporär die Lerneraufmerksamkeit auf formale Input- oder Outputmerkmale gelenkt wird, die spezifische Bedeutungen transportieren (Long & Robinson 1998). Formfokussierung kann reaktiv oder proaktiv sein. Eine reaktive Formfokus‐ sierung ergibt sich spontan in Folge eines Fehlers, einer Lernerfrage oder Ver‐ arbeitungsschwierigkeit von Seiten der LernerInnen. Typisch sind sogenannte Recasts als Feedbackform, d. h. Reformulierungen von fehlerhaften Lerneräuße‐ rungen, durch die eine angemessenere Alternative modelliert und angeboten wird (R. Ellis 2015: 6-7, Mackey 2012). Da Recasts eine sehr implizite Form von Korrektur darstellen, ist nicht immer klar, ob sie als solche erkannt werden (und damit auch ihr Kontrastierungs- und Korrekturpotential im Sinne eines Noticing the Gap). Als effektiv haben sich Recasts besonders dann erwiesen, wenn sie konsistent und über längere Zeit angeboten werden; wenn sie relativ kurz sind (d. h. nur einen Fehler fokussieren) und relativ salient (betont, ggf. kombiniert mit Prompts (Nachfragen/ Elizitierungen), s. Doughty & Varela 1998, Mackey 2012). Proaktive Formfokussierung ergibt sich durch vorab geplante 56 Karin Madlener-Charpentier & Heike Behrens 5 Die Rolle von explizitem Wissen für den L2-Erwerb wird kontrovers diskutiert. Der Ansatz des starken Interface zwischen explizitem und implizitem Lernen und Wissen geht davon aus, dass explizites Wissen durch Übung automatisiert und in implizites Wissen (Können) überführt werden kann (z. B. in der Skill Acquisition Theory; De Keyser 2007). Der entgegengesetzte Ansatz (No Interface, z.B. bei Krashen 1982 oder Paradis 2009) geht davon aus, dass explizites und implizites Wissen nur parallel zueinander aufgebaut werden können, aber nicht direkt ineinander umgewandelt. Der Ansatz des schwachen Interface schließlich geht davon aus, dass LernerInnen ihr explizites Wissen z. B. nutzen können, um Input bewusster und damit besser zu verarbeiten (s. N. Ellis 2005, 2007), wenn explizite, aufmerksamkeitslenkende Erklärungen zusammen mit einer substanziellen Anzahl einschlägiger Beispiele, d. h. verbunden mit ausreichend Input, angeboten werden; dies gelte vor allem für relativ einfache und transparente Konstruktionen (siehe auch Kohl-Dietrich & Maiberger in diesem Band). Unterrichtseinheiten zu spezifischen, neuen oder als schwierig identifizierten Konstruktionen, z. B. Inputanreicherungen (s. Henk in diesem Band, Kauschke in diesem Band, Madlener-Charpentier in diesem Band). Eine Formfokussierung soll in erster Linie die simultane Verarbeitung von Form und Bedeutung im Kontext und eine entsprechende Form-Bedeutung-Zu‐ ordnung bewirken. Sie kann aber durchaus auch zu einem weiterführenden kognitiven Vergleich (Noticing, Noticing the Gap) und entsprechender Analyse bzw. Hypothesenentwicklung führen. Das Spektrum der Techniken didaktischer Formfokussierung (Abb. 2) deckt daher implizit-minimalinvasive Optionen der Aufmerksamkeitslenkung (wie z. B. Inputfluten, siehe Madlener-Charpentier in diesem Band) ebenso wie mehr oder weniger stark explizit-bewusstmachende Techniken ab (wie zum Beispiel Dictogloss, siehe Eckert 2008, Schumacher, Andreas, Fehrmann & Möller in diesem Band). Letztere sollen jedoch nur punktuell eingesetzt werden, da angenommen wird, dass Optionen expliziter Bewusstmachung statt verarbeitungs- und er‐ werbsfördernd geradezu erwerbshindernd wirken können, wenn sie zu viele kognitive Ressourcen binden (Doughty 2001: 211-212). Es muss vermieden werden, dass zu viel Aufmerksamkeit auf der Form liegt und zu wenig Auf‐ merksamkeit für die Form-Bedeutung-Zuordnung im Kontext bleibt. N. Ellis (2007) geht davon aus, dass bewusste Aufmerksamkeit nur kurzfristig und vor allem beim Erstkontakt mit einer neuen Konstruktion nötig ist, so dass die relevante neue From-Bedeutung-Zuordnung erstmalig zuverlässig etabliert werden kann. Danach sollte im weiteren Erwerbsverlauf der Schwerpunkt der Vermittlung auf impliziten formfokussierenden Herangehensweisen liegen, die eine Verbesserung und Intensivierung des weitgehend unbewussten inziden‐ tellen Lernens eben durch eine verbesserte Inputverarbeitung ermöglichen, z. B. durch eine Erhöhung der Frequenz und/ oder Sichtbarkeit und Systematik der Zielkonstruktionen im Input. 5 57 Konstruktion(en) erst- und zweitsprachlichen Wissens Abb. 2: Optionen didaktischer Formfokussierung zwischen Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung Eine gebrauchsbasierte Ausprägung der Formfokussierung unterscheidet sich vom ursprünglichen Konzept der (vorrangig reaktiven, impliziten) didakti‐ schen Formfokussierung (Long 1991) in der Reichweite der Anwendung. Im ursprünglichen Konzept sind formfokussierende Einheiten lediglich für die Vermittlung notorisch schwieriger Lerngegenstände und für langanhaltende Fehler vorgesehen (Doughty 2001: 206). Aus gebrauchsbasierter Sicht bekommt die systematische Förderung inzidentellen Lernens aus angereichertem Input eine grundlegende Rolle nicht nur für die schwierigen, sondern für alle zu lernenden Konstruktionen (s. Kauschke in diesem Band zu Inputanreicherungen in Sprachförderung und Sprachtherapie). Vermittlungsziel ist der (vorrangig inzidentelle, implizite) Aufbau eines umfangreichen und in sich gut vernetzten L2-Konstruktikons. Dazu können letztlich verschiedene Herangehensweisen eingesetzt werden; aus einer ge‐ brauchsbasierten Perspektive der Formfokussierung sollte dabei jedoch immer der Aspekt der (Aufmerksamkeit für) Bedeutung und Funktion im Mittelpunkt stehen, denn a user’s language emerges as a result of exposure to iterative usage events […], or repeated, situated instances when the language user understands or produces language to convey particular meaning in a specific communicative situation. […] language learning involves both implicit bottom-up processing and generalizations across individual instances, or category formation, which once in place will enable 58 Karin Madlener-Charpentier & Heike Behrens top-down processing. […] there is room, in fact arguably even need, for both implicit and explicit instruction. […] whatever language we teach, and whether we teach it using implicit or explicit pedagogical techniques, it must always be taught in the service of meaning making and communication and at the level of language constructions rather than rules. (Tyler & Ortega 2018: 7) Somit wären die LernerInnen nicht nur sprachlich-grammatisch, sondern auch kommunikativ handlungsfähig, da die relevanten Konstruktionen in ihren Anwendungsbereichen geübt würden. Literatur Abbot-Smith, Kirsten/ Behrens, Heike (2006). How known constructions influence the acquisition of other constructions: The German passive and future constructions. Cognitive Science 30: 6, 995-1026. Abbot-Smith, Kirsten/ Tomasello, Michael (2006). Exemplar-learning and schematization in a usage-based account of syntactic acquisition. The Linguistic Review 23, 275-290. Arnon, Inbal/ Clark, Eve V. (2011). Why “on your feet” is better than “feet”: Children’s word production is facilitated in familiar sentence frames. 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In einem zweiten Schritt wird reflektiert, wie die Struktur von Inputfluten weiter optimiert werden kann, indem das Verhältnis von Wiederholung und Variation der Zielstrukturen innerhalb der Inputfluten an das Vorwissen der jeweiligen Lernendengruppe angepasst wird. Zusammenfassend wird diskutiert, in‐ wiefern und unter welchen Bedingungen sogenannter schiefverteilter Input eine vielversprechende didaktische Option zur Optimierung von Inputfluten und damit auch eine Optimierung der resultierenden inziden‐ tellen Lernprozesse darstellt. Gebrauchsbasierte Modelle (s. Madlener-Charpentier & Behrens in diesem Band) gehen davon aus, dass Spracherwerb grundlegend auf Erfahrung be‐ ruht. Das zielsprachliche Konstruktionsrepertoire wird im Zuge primär bedeu‐ tungszentrierter Inputverarbeitung aus dem Input (re-)konstruiert. Häufige Sequenzen werden potenziell als Ganzes aus dem Input kopiert und abgespei‐ chert (sog. Chunks). Mit zunehmender Spracherfahrung kann der angesammelte Chunk-Vorrat aufgebrochen werden und als Datenbasis für die Mustererken‐ nung und Generalisierung dienen (Handwerker 2002); dabei verfestigen sich nach und nach Muster unterschiedlicher Abstraktionsgrade. Der Erwerbserfolg ist daher abhängig von der Qualität der Inputverarbeitung. Guter Input ist eine grundlegende Voraussetzung für gute Inputverarbeitung und damit Schlüssel zum Erwerb. So postuliert Ortega (2015: 355): A central tenet of usage-based theories of language acquisition is that the construction of [language knowledge] is input driven. Input refers to the linguistic data that come about through participation in meaningful language usage events. Die Lernbarkeit einzelner Konstruktionen ist dabei abhängig u. a. von der Häufigkeit ihres Vorkommens, von der Transparenz der Form-Bedeutung-Zu‐ ordnung und von ihrer Salienz im Kontext (u. a. kommunikativer Wert, Ver‐ ständnisrelevanz, Kontrast, Elaboration), siehe N. Ellis (2015). Die zentrale Rolle von Input im Zweit- und Fremdspracherwerb (L2-Erwerb) darf als unstrittig gelten: „The concept of input is perhaps the single most important concept of second language acquisition. It is trivial to point out that no individual can learn a second language without input of some sort“ (Gass 1997: 1; Herv.i.O.). Eine zentrale Beobachtung in Bezug auf L2-Erwerbskontexte ist jedoch, dass bedeutungsvoller natürlicher Input oft nicht ausreicht, um robuste Lernprozesse in Gang zu setzen (Wong 2005: 31). Gerade im gesteuerten L2-Er‐ werb ist einerseits die Inputmenge problematischerweise oft stark beschränkt (N. Ellis 2011: 203). Die L2-Inputverarbeitung verläuft dann nicht optimal, da die mögliche Spracherfahrung (bezüglich der verfügbaren Inputmenge und Interaktionsgelegenheiten, aber auch der systematischen Wiederholung und Variation sprachlicher Muster über Kontexte hinweg) nicht ausreichend ist. Andererseits bringen gerade erwachsene L2-LernerInnen sowohl ein stark verankertes, teilweise mit dem L2-Zielrepertoire konkurrierendes erstsprachli‐ ches (L1-)Konstruktionsinventar als auch hochgradig automatisierte L1-Verar‐ beitungsroutinen und Erwartungshaltungen mit (N. Ellis 2006). Auch häufige Zielstrukturen im tatsächlich verfügbaren L2-Input können daher durch den Wahrnehmungsfilter der LernerInnen fallen, wenn stark eingeschliffene L1-Ver‐ arbeitungsroutinen die notwendige Lerneraufmerksamkeit für abweichende Kategorien und Konstruktionen in der L2 blockieren (Sagarra & N. Ellis 2013 zum Beispiel der Flexionsmorphologie). Diese beiden Aspekte der Inputarmut und des erstsprachlichen Wahrneh‐ mungsfilters werden meist aufgerufen, wenn es um die Frage geht, wieso L2-Erwerb — obwohl erfolgreicher Erwerb auch durch erwachsene LernerInnen durchaus nicht a priori ausgeschlossen ist (Ortega 2015: 368) — häufig unvoll‐ ständig bleibt, d. h. „far short of a nativelike endstate“ (N. Ellis 2008: 383); warum also L2-SprecherInnen typischerweise ein kleineres Konstruktionsin‐ ventar haben als L1-SprecherInnen sowie Schwierigkeiten im Hinblick auf 68 Karin Madlener-Charpentier Flüssigkeit und Präzision beim Abruf von Konstruktionen für ihre spontane oder geplante Produktion und wieso viele LernerInnen über lange Zeit eine Reihe idiosynkratischer (objektiv „falscher“) Konstruktionen verwenden (s. Madlener-Charpentier & Behrens in diesem Band). Wie lassen sich nun die Lernbedingungen (d. h. unter anderem der Input und die Inputverarbeitung) und damit potenziell der Erwerbserfolg (d. h. die Lerngeschwindigkeit und/ oder das letztlich erreichbare Kompetenzniveau) durch gezielte didaktische Interventionen optimieren? In der Sprachlern- und -lehrforschung haben sich dazu Ansätze wie das Input Enhancement (Sharwood Smith 1993), die Processing Instruction (VanPatten 2017) und die didaktische Formfokussierung (Doughty & Williams 1998, N. Ellis 2008) etabliert (s. den folgenden Abschnitt 1 und Kauschke in diesem Band zu Inputanreicherungen in Sprachförderung und Sprachtherapie). Diese streben eine Erhöhung der Sichtbarkeit relevanter Form-Bedeutung-Zuordnungen im Input bzw. der Lerneraufmerksamkeit für diese Konstruktionen und damit eine Optimierung der L2-Inputverarbeitung an, welche wiederum in einer Verbes‐ serung des Erwerbserfolgs resultieren sollten. Sie gehen davon aus, dass sich „guter Input“ sowohl in der Quantität als auch in der Qualität der natürlichen und aufbereiteten Sprachdaten bemisst, die LernerInnen zur Verfügung stehen, und machen daher u. a. Vorschläge, wie a. die Inputmenge im gesteuerten L2-Erwerb erhöht werden kann (s. Ab‐ schnitt 2) b. die Inputqualität durch Optimierung der Inputstruktur optimiert werden kann (s. Abschnitt 3). 1. Formfokussierung & inzidentelles Lernen […] focus on form starts from the assumption that pedagogical interventions that are overly intrusive actually hinder language learning. (Doughty 2001: 211-212; Herv. i. O.) Bei Sharwood Smith (1993: 167) findet man die pointierte Beobachtung, dass Sprachkompetenzen von LernerInnen sich entweder als Reaktion auf den zur Verfügung gestellten Input entwickeln oder aber trotz des Inputs stagnieren können. Um erfolgreichen Erwerb auszulösen, reicht es oft nicht aus, L2-LernerInnen einfach nur (großen Mengen von) natürlichem Input auszusetzen, wie teilweise in kommunikativen Ansätzen angenommen. Dies zeigt sich in großen Studien zum L2-Erwerb in Immersionskontexten, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Kanada durchgeführt wurden: „Canadian total 69 Aufmerksamkeitslenkung durch strukturierte Inputfluten immersion projects […] have shown that grammar does not develop on its own just by exposing the learners to rich input but that the result is rather one of fossilised reduction” (Niemeier 2017: 19; s. Swain 1985). Vor allem redundante, non-saliente und komplexe Konstruktionen werden — vor allem wenn sie zugleich durch erlernte selektive Aufmerksamkeitsroutinen aus der L1 blockiert werden — nur schwer erworben, wenn sie nicht gezielt fokussiert werden (N. Ellis 2007: 30, 2008, R. Ellis 2017b: 522). Eine grundlegende Aufgabe von Lehrenden ist es daher, den Input und die Interaktionskontexte so aufzuwerten, dass die Verfügbarkeit (Menge) und Sichtbarkeit (Salienz) der jeweils relevanten Information erhöht wird. Damit sollte sich auch die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die LernerInnen diese verarbeiten und dabei den für eine Erweiterung oder Restrukturierung ihrer in Entwicklung befindlichen Lernergrammatik notwendigen Intake generieren (Abb. 1). Dafür, dass erwerbsrelevanter Intake erschlossen wird, d. h. relevante Form-Bedeutung-Zuordnungen wenigstens temporär abgespeichert werden und potenziell längerfristig in die sich entwickelnde Lernergrammatik eingehen können, muss eine minimale Aufmerksamkeitsschwelle überschritten werden, sodass die entsprechenden Form-Bedeutung-Zuordnungen registriert werden (Tomlin & Villa 1994, Robinson, Mackey, Gass & Schmidt 2011). Aufmerksamkeit - bestehend aus den Komponenten alertness (Bereitschaft, etwas zu lernen), orientation (Aktivierung von Ressourcen) und detection (kognitive Registrierung von Stimuli) - muss dabei nicht (bzw. nicht bei jeder Begegnung mit der Zielstruktur) die Schwelle zur Bewusstheit überschreiten, d. h. nicht unbedingt auch Noticing (bewusste Wahrnehmung) beinhalten (Gass 1997, Tomlin & Villa 1994, N. Ellis 2015: 20; s. aber die Noticing-Hypothese von Schmidt 1990). 70 Karin Madlener-Charpentier 1 Für einen Überblick siehe R. Ellis 2015, 2016, 2017a, b, Loewen 2011, Mackey 2012. Abb. 1: Input, Inputverarbeitung und Lernersprachrestrukturierung (Gass 1997: 3, Mad‐ lener 2015: 19) Ansätze der didaktischen Formfokussierung (Focus on Form bzw. FoF; u. a. R. Ellis 2016, Long & Robinson 1998) stellen nun Techniken zur Verfügung, wie entspre‐ chende Aufmerksamkeit für relevante Form-Bedeutung-Zuordnungen im Input bei LernerInnen hervorgerufen und gesteuert werden kann, sodass erwerbsre‐ levanter Intake für spezifische Zielkonstruktionen generiert wird. Diese Tech‐ niken lassen sich auf einem Kontinuum zwischen implizit aufmerksamkeitslen‐ kend und explizit bewusstmachend verorten (Madlener-Charpentier & Behrens in diesem Band); sie können geplant oder spontan (reaktiv), input-, output- oder feedbackbasiert sein. 1 Gemeinsam ist ihnen das Anliegen, innerhalb generell bedeutungszentrierter Lern- und Interaktionskontexte die Aufmerksamkeit der LernerInnen punktuell auf schwierige oder unbekannte sprachliche Formen zu lenken, die im Kontext einer Aufgabe relevante Bedeutungen transportieren bzw. relevante Funktionen erfüllen: „FoF overtly draws students’ attention to linguistic elements as they arise incidentally in lessons whose overriding focus is on meaning or communication“ (Long 1991: 4546, s. R. Ellis 2016: 409-410). Dabei dürfen laufende Aufgaben des Verstehens und der Bedeutungsaushandlung nicht oder zumindest nur kurzzeitig unterbrochen werden, damit die für den 71 Aufmerksamkeitslenkung durch strukturierte Inputfluten 2 Dabei wird nicht angenommen, dass eine lehrerseitig implizit intendierte Formfokus‐ sierung lernerseitig immer zu implizitem (unbewusstem) Erwerb führen muss, s. 3.3 für ein Beispiel teilweise sehr expliziten Lernens aus strukturierten Inputfluten, in Abhängigkeit von der Inputstruktur und Lernermerkmalen wie z. B. Vorwissen. Erwerb zentrale Etablierung von Form-Bedeutung-Zuordnungen stattfinden kann (Doughty 2001). Damit setzt sich ein FoF einerseits ab von einem sogenannten Focus on FormS, wo explizit, isoliert, dekontextualisiert und häufig metasprachlich (be‐ wusste) Aufmerksamkeit für formale Paradigmen (d. h. für sprachliche Formen und strukturelle Regelhaftigkeiten, nicht für Form-Bedeutung-Zuordnungen) hergestellt wird, und andererseits von einem rein kommunikativen Focus on Meaning, wo Aufmerksamkeit für die Formseite von Konstruktionen prinzipiell unterbunden, weil als geradezu schädlich empfunden wird (Loewen & Sato 2017: 5). Gerade implizite, inputbasierte FoF-Techniken sind aus gebrauchsba‐ sierter Perspektive in gesteuerten, inputarmen L2-Erwerbskontexten zentral: The input-driven and experientially-based assumptions of […] language acquisition as usage-based have a parallel in approaches to classroom second [language] acquisition where learners are exposed to rich and meaningful input and are encouraged to use the L2 meaningfully while performing situated communicative activities. (N. Ellis & Cadierno 2009: 124) Didaktisch gelenkte bzw. verstärkte Aufmerksamkeit für Form-Bedeutung-Zu‐ ordnungen im Kontext soll dabei primär inzidentelle, beiläufige Lerngelegen‐ heiten generieren. Dazu wird die Häufigkeit ausgewählter Konstruktionen, die relevant für das inhaltliche Verstehen sind, im angereicherten Input erhöht, so‐ dass ihre Verarbeitung im Kontext einer grundlegend kommunikativen Aufgabe (die durchaus auch weitere erwerbsrelevante Komponenten wie Output oder Feedback enthalten kann, s. z. B. Henk in diesem Band) wahrscheinlich oder sogar notwendig ist. 2 2. Maximale Inputquantität: Inputfluten […] enriched input can promote noticing of specific forms, can lead to acquisition, and, in some cases, works as effectively as or more effectively than other instructional techniques that involve more traditional, explicit instruction. (Shintani & R. Ellis 2010: 613) Die impliziteste Variante der Formfokussierung ist die sogenannte Inputflut (Wong 2005: 37-47): Der den LernerInnen zur Verfügung gestellte Input wird 72 Karin Madlener-Charpentier regelrecht geflutet, also massiv angereichert, mit möglichst vielen Exemplaren einer ausgewählten Zielstruktur. Diese sollen systematisch ausgewählt und für das Verständnis relevant sowie in natürliche situative und bedeutungsvolle sprachliche Kontexte eingebettet sein (Madlener 2015; s. auch Kauschke in diesem Band). Die LernerInnen werden über diese Manipulation des Inputs nicht in Kenntnis gesetzt und die Inputverarbeitung bleibt primär bedeutungszent‐ riert (Hörverstehen, Leseverstehen). Inputfluten ermöglichen „iterative experience of […] highly frequent form-meaning mappings, […] meaningful chunks in rich […] and varying contexts“ (Ortega 2015: 362). Durch die Erhöhung der Vorkommenshäufigkeit steigt nicht nur die Verfügbarkeit, sondern potenziell auch die Sichtbarkeit dieser Konstruktion im Input (bzw. der verschiedenen Exemplare, die auf dem Muster beruhen), ihre Relevanz für das Textverständnis und damit die Wahrscheinlichkeit, dass die LernerInnen in ihrer Auseinandersetzung mit dem Input tatsächlich eine kritische Anzahl von Exemplaren dieser Zielkonstruktion registrieren und verarbeiten. Dies soll dazu führen, dass sie diese im Input häufige Konstruktion quasi nebenbei erwerben. Da Inputfluten als formfokussierende Vermittlungsoptionen sehr implizit sind, binden sie wenig kognitive Ressourcen der LernerInnen und interfe‐ rieren nicht mit der bedeutungszentrierten Inputverarbeitung als Grundlage für Erwerbsprozesse (Doughty 2001). Andererseits ist es möglich, dass die LernerInnen auch hochfrequente Zielkonstruktionen einfach übergehen, da diese nicht zusätzlich hervorgehoben sind und nicht auf sie hingewiesen wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass inzidentelles Lernen durch Inputfluten ausgelöst wird, ist daher umso größer, - je größer die Gesamtanzahl von Exemplaren der Zielstruktur in der Input‐ flut ist; - je relevanter die Zielkonstruktionen für das Verständnis des Textes und die Bearbeitung der zu den Texten gestellten bedeutungszentrierten Aufgaben sind; - je weniger allgemeine, kognitive Ressourcen bindende Verständnisschwie‐ rigkeiten die LernerInnen mit dem Input an sich haben. Empirische Evidenz für die tatsächliche Wirksamkeit solcher Inputfluten, d. h. für die Möglichkeit erfolgreichen inzidentellen Lernens aus angereichertem Input, ist gemischt. Doughty (1991) berichtet als erste von erwerbsfördernden Effekten von Inputfluten. Ihre Studie zielt eigentlich auf einen Vergleich zwi‐ schen expliziter Instruktion und Formfokussierung durch visuelle Hervorhe‐ bung (z. B. Farbmarkierung, Unterstreichung; s. u.) der Zielstrukturen (hier: 73 Aufmerksamkeitslenkung durch strukturierte Inputfluten Relativsätze) ab. Doughty kann zeigen, dass beide Vermittlungsoptionen zu ähnlich guten Erwerbserfolgen führen. Zusätzlich aber zeigt sich, dass die Kontrollgruppe unerwarteterweise ebenfalls Fortschritte beim Erwerb der Re‐ lativsätze macht, und dies lediglich auf der Basis der gefluteten Lesetexte ohne zusätzliche visuelle Hervorhebung (Doughty 1991: 452). Positive Ergebnisse verzeichnen unter anderem auch Reinders & R. Ellis (2009), Shintani & R. Ellis (2010) und Huang, Wible & Ko (2012) für den inzidentellen Erwerb u. a. des Pluralmarkers -s und ausgewählter Mehrworteinheiten im Englischen sowie Hernández (2008, 2011) für Diskursmarker im Spanischen. Hernández (2011) findet keine Unterschiede in den Lerneffekten durch Inputfluten mit bzw. ohne zusätzliche explizite Instruktion und schließt daraus, dass „exposure to a rich [input flood] combined with communicative practice and feedback is sufficient to foster acquisition of discourse markers, despite their lack of salience for second language learners“ (Hernández 2011: 177; s. Kauschke in diesem Band zu Inputanreicherungen in der Sprachförderung). Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Forschung zur Processing Instruction (VanPatten 2017). Hier wird angereicherter Input mit einer hohen Anzahl verständnisrelevanter Zielstrukturen im Kontext sogenannter strukturierter Inputaufgaben (Structured Input Activities) angeboten, nachdem explizite Infor‐ mationen (1) zur relevanten Zielkonstruktion, (2) zu suboptimalen, meist L1-ba‐ sierten Verarbeitungsstrategien und (3) zu zielführenden L2-Verarbeitungsstra‐ tegien gegeben wird (z. B. Gehen Sie nicht davon aus, dass das erste Substantiv im Satz immer das Agens ist, sondern beachten Sie Kasusmarkierungen). Dabei zeigt sich, dass zusätzliche explizite Information nicht zu besserem Erwerb führt als lediglich die Bearbeitung der bedeutungszentrierten strukturierten In‐ putaufgaben. Farley (2004: 238) kommt zum Schluss, die implizite (oder explizite, s. u.) Aufmerksamkeit der LernerInnen für die häufigen verständnisrelevanten Zielstrukturen während der Bearbeitung der inputbasierten Aufgaben sei die eigentlich notwendige und wohl ausreichende Komponente der Inputverarbei‐ tungsinstruktion (s. auch Handwerker 2009). In anderen Studien werden weniger positive Ergebnisse berichtet, zum Beispiel in De Jongs (2005) Studie zum Erwerb der Substantiv-Adjektiv-Kon‐ gruenz für grammatisches Genus in einer spanischbasierten Miniatursprache. Hier schneiden die LernerInnen in der impliziten Inputflut-Bedingung zwar in Bezug auf ihre Reaktionszeiten beim Sprachverstehen besser ab als LernerInnen in der expliziten Instruktionsbedingung, machen aber mehr Fehler als LernerInnen, die explizite Erklärungen zur Zielkonstruktion bekommen. Eine mögliche Erklärung ist, dass der Input hier nur aus einzelnen Sätzen bestand und dass dieser Input nicht in bedeutungszentrierte Aufgaben eingebettet war. 74 Karin Madlener-Charpentier Eine zweite mögliche Erklärung ist, dass implizites Lernen mehr Zeit braucht als explizites Lernen und erst über längere Zeiträume hinweg zu robustem Erwerb führt. In einer zweiwöchigen Studie zum Erwerb der Adverbstellung im Englischen durch frankophone LernerInnen in Kanada verzeichnen Trahey & White (1993) in der Tat auch signifikante Fortschritte durch inzidentelles Lernen aus Inputfluten — allerdings nur hinsichtlich einer Zunahme der im Englischen korrekten und in den Inputfluten häufigen präverbalen Adverbpo‐ sitionierung (die in der L1 Französisch nicht korrekt ist). Inkorrekte postverbale Adverbplatzierungen hingegen (die in der L1 Französisch korrekt sind) nehmen im Laufe der Trainingszeit nicht ab, woraus die Autorinnen schliessen, dass durch verstärkte positive Evidenz zwar mögliche Strukturen erworben, aber inkorrekte nicht zuverlässig ausgeschlossen werden können. Handwerker & Madlener (2009) untersuchen in ebenfalls zweiwöchigen Studien den Erwerb der prädikativen deutschen Partizipkonstruktionen. Er‐ wachsene LernerInnen des Deutschen als Fremdsprache bekommen in einer multimedialen Lernumgebung massiv gefluteten Audio- und Video-Input für die Konstruktion sein+Partizip 1 (das Buch war enttäuschend) und für die Kon‐ struktion sein+Partizip 2 (er war enttäuscht) sowie Input, der beide Konstruk‐ tionen kontrastiert. Zusätzlich stehen Hilfsressourcen (u. a. Video-Untertitel, Filmskripts, Grammatikerklärungen, Verblexikon) sowie interaktive Aufgaben zur Verfügung. Es können im Durchschnitt klare Lernfortschritte verzeichnet werden: Im Nachtest zeigen die LernerInnen im Vergleich zum Vortest we‐ niger starke Tendenzen zur Vermeidung der komplexen Zielstrukturen, zudem nehmen tendenziell die Fehlerproduktionen ab. Jedoch gibt es sehr starke interindividuelle Unterschiede bezüglich der Wirksamkeit inzidentellen Lernens aus solchen multimedialen Inputfluten. Diese deuten darauf hin, dass dieselbe Inputflut u. a. je nach Vorwissensstand, Motivation, Aufmerksamkeitsfokus, Lerntradition und Mustererkennungsfähigkeit der einzelnen LernerInnen zu unterschiedlich guten Lernerfolgen führen kann. Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass Inputfluten zwar durchaus Erwerbspotenzial haben, dass sie aber weder für alle Lerngegenstände noch zu allen Zeitpunkten noch für alle LernerInnen auch mit Sicherheit erwerbsför‐ dernd wirken. Dieses Ergebnis entspricht der Beobachtung, dass nicht alle hoch‐ frequenten Konstruktionen früh gelernt werden. Im Deutschen und Englischen zum Beispiel enthält jeder Text unzählige Nominalphrasen mit bestimmtem oder unbestimmtem Artikel, dennoch werden die Artikel von erwachsenen L2-LernerInnen tendenziell spät erworben. L2-LernerInnen können also durchaus auch in Fällen hoher Vorkommenshäufigkeiten spezifischer Konstruktionen im Input Schwierigkeiten haben, den erwerbsnotwendigen Intake zu generieren. 75 Aufmerksamkeitslenkung durch strukturierte Inputfluten Der folgende Abschnitt diskutiert daher potenzielle Effekte von Manipulationen nicht nur der Gesamtanzahl, sondern auch der Auswahl der konkreten einzelnen Vertreter der Zielkonstruktionen in den Inputfluten und ihre Abhängigkeit von spezifischen Lernercharakteristika. 3. Optimale Inputqualität: Effekte von Typ- und Tokenfrequenzmanipulationen [W]hile varying the types in a construction is important to learning, holding the type constant over some repetitions facilitates learning. (Bybee 2008: 223) Eine mögliche Erklärung für die (auch längerfristige) Variabilität im Lernerfolg (bezogen auf verschiedene Lerngegenstände und verschiedene Zielgruppen) liegt in der internen Struktur der jeweiligen Inputfluten, d. h. in der jeweiligen Auswahl der konkreten Vertreter der Zielstruktur in den Texten. Bei gleich hoher Gesamtanzahl von Exemplaren (Tokens) einer spezifischen Konstruk‐ tion kann der konkrete Inputtext immer noch sehr unterschiedlich aussehen (s. u.). In einem gebrauchsbasierten Verständnis von Sprachverarbeitung und Spracherwerb ist es durchaus naheliegend anzunehmen, dass verschiedene Vorkommensverteilungen auch verschiedene Effekte haben. Daher ist eine gute Inputflut nicht nur eine, die viele Zielstrukturen enthält, sondern eine, die gut ausgewählte Zielstrukturen in einer gut überlegten Verteilung enthält (N. Ellis 2009, Madlener 2015, 2016, 2018). Festgelegt ist für eine Inputflut, dass sie eine hohe Gesamtanzahl von Vorkommen (Tokens) der Zielkonstruktion enthalten muss, also eine hohe Tokenfrequenz. Innerhalb dieser Vorgabe gibt es aber verschiedene Optionen der konkreten Umsetzung in Texten. Eine erste legt den Fokus auf Wiederholung und Ähnlichkeiten; eine zweite legt im Kontrast dazu den Fokus auf systema‐ tische Variation und Abwechslung; eine dritte schliesslich hebt ausgewählte hochfrequente Exemplare der Zielkonstruktion als Ankerpunkte hervor. Im Folgenden werden diese Optionen am Beispiel der sein+Partizip 1-Konstruktion (Das Kleid ist wirklich entzückend. Das Spiel war nicht gerade berauschend. Der Ausflug war enttäuschend.) veranschaulicht, die nicht nur im Deutschen eine Herausforderung für L2-LernerInnen darstellt (Handwerker & Madlener 2009, Hirakawa & Suzuki 2014). Nehmen wir an, ein Verblemma (wie z. B. entzücken, faszinieren, enttäuschen) im Partizipslot (NP ist/ war VERBend) entspreche einem Typen der Konstruktion. Werden wenige Verben häufig wiederholt in der Konstruktion präsentiert, ergibt sich eine hohe Tokenfrequenz pro Typ (d. h. eine hohe Wiederholungsrate durch mehrfaches Vorkommen einzelner Verben in der Konstruktion), hingegen eine 76 Karin Madlener-Charpentier niedrige gesamthafte Typfrequenz der Zielkonstruktion im Text, also wenig Variation. Abbildung 2 zeigt ein Beispiel für eine solche Inputflut mit niedriger Typfrequenz (hier: 2 verschiedene Partizipien, spannend und enttäuschend), dafür aber hoher Tokenfrequenz pro Typ (hier: je 3-4 Wiederholungen). Damit entsteht am zentralen Partizipslot der Zielkonstruktion viel Oberflächenähn‐ lichkeit. Wenn L2-LernerInnen mit einer solchen Inputflut konfrontiert werden, umfasst ihre Erfahrung mit der Zielstruktur sein+Partizip 1 zwar nur ein kleines Set verschiedener Typen, diese hören sie dafür oft und in wechselnden Kontexten und Variationen. Hast du gestern das Barcelona-Spiel gesehen? Das war doch total spannend! Gleich in der ersten Minute ein Tor von Madrid, das war echt enttäuschend. Aber nach der Pause kam Barça in Gang, da haben sie gleich zwei Tore hintereinander geschossen, das war spannend. Madrid hatte gar keine Chance mehr, das war fast schon wieder enttäuschend. Gegen Ende wurde es aber doch nochmal spannend, da gab es ein paar Patzer und fast den Ausgleich. Aber dann kam Messi, natürlich. Das war so spannend, wie der alle an die Wand gespielt hat, einfach enttäuschend für Madrid. Ein tolles Spiel! Abb. 2: Inputflut mit insgesamt niedriger Typfrequenz und hoher Tokenfrequenz pro Typ Der Beispieltext in Abbildung 3 illustiert die zweite Variante, eine Inputflut mit hoher Typfrequenz und niedriger Wiederholungsrate pro Typ. Der Text enthält dieselbe hohe Gesamtanzahl von Vertretern der Zielkonstruktion wie Variante 1 (Abb. 2 oben), aber ein sehr viel breiteres Spektrum verschiedener Typen (hier: 7 verschiedene Verben). Jeder Typ erscheint entsprechend weniger häufig im Text; in diesem konkreten Fall gibt es lediglich ein Vorkommen pro Typ. Wiederho‐ lungen konkreter Formen gibt es hier also nicht, die Oberflächenähnlichkeit ist gering. Sie erlaubt es, viele verschiedene Typen der Zielkonstruktion, ob mit bekannten oder neuen Verben, im Text unterzubringen, was Texte eventuell interessanter machen könnte und die Einführung einer großen Zahl von neuen Vokabeln ermöglicht. 77 Aufmerksamkeitslenkung durch strukturierte Inputfluten Hast du gestern das Barcelona-Spiel gesehen? Das war doch total spannend! Gleich in der ersten Minute ein Tor von Madrid, das war echt ernüchternd. Aber nach der Pause kam Barça in Gang, da haben sie gleich zwei Tore hintereinander geschossen, das war beeindruckend. Madrid hatte gar keine Chance mehr, das war fast schon enttäuschend. Gegen Ende wurde es aber doch nochmal aufregend, da gab es ein paar Patzer und fast den Ausgleich. Aber dann kam Messi, natürlich. Das war wie immer umwerfend, wie der alle an die Wand gespielt hat, einfach faszinierend. Ein tolles Spiel! Abb. 3: Inputflut mit insgesamt hoher Typfrequenz und niedriger Tokenfrequenz pro Typ In der dritten Variante werden die Typ-Token-Verhältnisse manipuliert, inso‐ fern als ein einzelner zentraler Vertreter der Konstruktion überproportional häufig auftritt (N. Ellis 2009). In Abbildung 4 ist die Gesamthäufigkeit der Zielkonstruktion im Inputtext gleich hoch wie in den beiden vorherigen Texten (jeweils 7), aber die Verteilung ist schief in dem Sinne, dass ein Typ viel häufiger vorkommt als die anderen. In diesem Fall ist dieser zentrale und daher potenziell saliente Vertreter (X ist) spannend, was der Verteilung in grossen L1-Korpora des Deutschen entspricht (Madlener 2015). Dieser Typ von Schiefverteilung, wo ein Typ einer Konstruktion für die Mehrzahl der Gesamttokens dieser Konstruktion verantwortlich ist, also deren Löwenanteil ausmacht, wird Skewed Input genannt (N. Ellis 2009, 2011). Hast du gestern das Barcelona-Spiel gesehen? Das war doch total spannend! Gleich in der ersten Minute ein Tor von Madrid, das war echt ernüchternd. Aber nach der Pause kam Barça in Gang, da haben sie gleich zwei Tore hintereinander geschossen, das war spannend. Madrid hatte gar keine Chance mehr, das war fast schon enttäuschend. Gegen Ende wurde es aber doch nochmal spannend, da gab es ein paar Patzer und fast den Ausgleich. Aber dann kam Messi, natürlich. Das war wie immer spannend, wie der alle an die Wand gespielt hat, einfach faszinierend. Ein tolles Spiel! Abb. 4: Inputflut mit schiefer Verteilung und selektiv erhöhter Tokenfrequenz für wenige zentrale Typen Welche spezifischen Effekte sind nun erwartbar, wenn Inputfluten der einen oder anderen Art verwendet werden, um L2-LernerInnen mit einer neuen Kon‐ struktion vertraut zu machen oder eine bereits bekannte, aber problematische Konstruktion zu konsolidieren? Wie wirken sich eine mehr oder weniger ausge‐ 78 Karin Madlener-Charpentier prägte Wiederholungsrate (Tokenfrequenz), die Variationsbreite (Typfrequenz) und die Verfügbarkeit eines zentralen Vertreters auf den Erwerb verschiedener Zielstrukturen aus (z. B. syntaktische, morphologische Konstruktionen)? Dazu gibt es theoretisch begründete Annahmen und empirische Evidenz aus Studien und Experimenten zum Erwerb von Erst-, Zweit- und Kunstsprachen. Gutes Entrenchment einer kritischen Anzahl von relevanten Exemplaren, auf deren Basis später ein abstrakteres Muster erkannt werden kann, beruht auf Wiederholung (N. Ellis 2011: 198, s. Madlener-Charpentier & Behrens in diesem Band). In der ersten Bedingung (Abb. 2), wo die Typfrequenz niedrig und die Wiederholungsrate hoch ist, sollten die Konstruktionsexemplare, die je mehrfach in der Inputflut vorkommen, gut im Gedächtnis verankert und stark repräsentiert (entrenched) sein. Je häufiger derselbe Typ gehört wird, desto wahrscheinlicher wird er verarbeitet und wenigstens temporär abgespeichert, also zu Intake. Allerdings kann es sein, dass in dieser Bedingung lediglich einzelne Exemplare der Zielstruktur gelernt werden (zum Beispiel das ist spannend), ohne dass die LernerInnen ein abstrakteres und produktives Schema „NP sein Partizip 1“ erkennen. In diesem Fall ergibt sich zwar ein Lernerfolg, aber er ist auf die bekannten Typen beschränkt (sogenanntes Item-Learning, Cruttenden 1981), eine Abstraktion und Generalisierung des Musters erfolgt nicht (Bybee 2010: 35). Für den Erstkontakt mit einer neuen Konstruktion ist dies potenziell trotzdem eine gute Option. In der zweiten Bedingung (Abb. 3) gibt es hingegen kaum Gelegenheit für Entrenchment durch häufige Wiederholung einzelner Vertreter der Zielkon‐ struktion. Input dieses Typs enthält viel Evidenz für die lexikalische Variabilität der Zielstruktur, gegebenenfalls auch niederfrequente bzw. unbekannte Wörter. LernerInnen ohne Vorwissen zur Zielkonstruktion sind dadurch eventuell überfordert. Diese Variante sollte sich daher vor allem für die Konsolidierungs‐ phase anbieten, also für LernerInnen, die bereits über etwas Vorwissen zur Zielkonstruktion verfügen. Es ist erwartbar, dass durch die hohe Inputvariation schnell Prozesse der Mustererkennung und Generalisierung ausgelöst werden, wenn die LernerInnen - bewusst oder unterbewusst - die systematischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der im Input vorkommenden Exemplare erkennen können (Bybee & Thompson 2007: 275, N. Ellis 2011, N. Ellis & Cadierno 2009: 112-113). Dabei besteht aufgrund u. a. der hohen lexikalischen Variabilität die Möglichkeit, dass LernerInnen temporäre Tendenzen der Über‐ generalisierung zeigen - um beim Beispiel der sein+Partizip1-Konstruktion zu bleiben, z. B. *ich war arbeitend -, weil sie die Grenzen der tatsächlich zulässigen lexikalischen Variation und des Geltungsbereichs der Konstruktion nicht gleich erkennen können. 79 Aufmerksamkeitslenkung durch strukturierte Inputfluten Die dritte Bedingung schief verteilten Inputs (Abb. 4) schließlich sollte einerseits zu gutem Entrenchment des zentralen Typen als eine Art Anker führen (wie Variante 1, Abb. 2), da dieser häufig wiederholt wird und relativ prominent ist, andererseits auch zu guter Mustererkennung auf Basis der Variation innerhalb der weiteren nicht zentralen und weniger häufigen Typen der Zielkonstruktion (wie Variante 2, Abb. 3), also die positiven Effekte der beiden anderen Varianten vereinen (N. Ellis 2009, 2011). Studien zum Erwerb von Kunstsprachen (z. B. Casenhiser & Goldberg 2005) legen die Annahme nahe, dass Erwachsene aus schiefverteiltem Input tatsächlich schnell und gut Muster von Form-Bedeutung-Zuordnungen generalisieren, und zwar sogar dann, wenn der Input nur fünf verschiedene Typen der Zielstruktur enthält, die angebotene Variation also stark beschränkt ist. Im Folgenden wird eine Auswahl von empirischen Studien zu Frequenzef‐ fekten diskutiert, in denen die hier skizzierten theoretisch begründeten An‐ nahmen bezüglich der spezifischen Wirkung verschiedener Vorkommensver‐ teilungen von Konstruktionen in Inputfluten untersucht worden sind. Folgende Hypothesen liegen den Studien zugrunde: (1) Die Typfrequenz der Zielkonstruktion spielt eine Rolle. LernerInnen im Erstkontakt mit einer neuen Konstruktion sollten am meisten von Inputfluten mit niedriger Typfrequenz, d. h. beschränkter Variation, dafür aber hoher Wiederholungsrate, profitieren. In späteren Phasen der Konsolidie‐ rung, wo eine zunehmende Abstraktion von Mustern und die Entwicklung produktiver Generalisierungen gefragt ist, sollten LernerInnen am meisten von Inputfluten mit hoher Typfrequenz profitieren. (2) Die relativen Typ-Token-Verhältnisse spielen eine zusätzliche Rolle. Schief‐ verteilter Input sollte vor allem im Erstkontakt mit einer neuen Kon‐ struktion beziehungsweise für das Herausfiltern einer solchen neuen Konstruktion aus zusammenhängendem Textinput hilfreich sein, da der überproportional häufige und saliente zentrale Typ einen Ankerpunkt für den Erwerb der neuen Konstruktion darstellen kann (N. Ellis 2009). In späteren Phasen der Konsolidierung von Form-Bedeutung-Zuordnungen sollten schiefe Verteilungen keinen nennenswerten Vorteil mehr dar‐ stellen. 3.1. Typfrequenzeffekte: Zur Rolle von Wiederholung und Variation In einem Kunstsprachen-Experiment im Laborkontext zeigen Suttle & Goldberg (2011), dass für erwachsene LernerInnen der Grad produktiver Generalisierung einer neuen Konstruktion abhängig ist von der entsprechenden Breite der 80 Karin Madlener-Charpentier Inputvariation. Genauer gesagt generalisieren die Versuchspersonen besser und produktiver, wenn die Zielstruktur im Input mit hoher Typfrequenz vor‐ kommt (d. h. das Muster erscheint mit vielen verschiedenen lexikalischen Füllungen, z. B. können viele verschiedene Verben eingesetzt werden) und auch mit substanzieller Typvariation (d. h. das Muster erscheint mit lexikalischen Füllungen, die eine grosse Reichweite aufweisen, z. B. können Verben aus ganz verschiedenen Verbklassen eingesetzt werden). Dennoch ist gerade bei Erwachsenen eine gute produktive Generalisierung (über die im Input manifeste Evidenz für die Variabiliät eines Musters hinaus; siehe Madlener-Charpentier & Behrens in diesem Band) auch bei niedriger Inputvariation nicht ausgeschlossen. Boyd & Goldberg (2012) zeigen in einem Kunstsprachen-Experiment, dass Kinder bei gleichem Input konservativer in ihren Generalisierungen sind als Erwachsene. Letztere generalisieren auch auf der Basis von minimalem Input spontan maximal (s. auch Wonnacott, Newport & Tanenhaus 2007, Wonnacott, Boyd, Thomson & Goldberg 2012). Dies legt die Annahme nahe, für Erwachsene sei „minimal exposure to a novel construction […] sufficient for the formation of generalizations that go well beyond the specific exemplars encountered in the input“ (Boyd & Goldberg 2012: 460). Um abstrakte sprachliche Muster zu erkennen und weitgehend beiläufig generali‐ sierte Schemata zu entwickeln, brauchen Erwachsene also — zumindest unter bestimmten Bedingungen — offenbar weniger Evidenz für Variation im Input als oft angenommen (Taylor 2012: 187). McDonough & De Vleeschauwer (2012) zeigen in einer Klassenzimmer-Studie zum Erwerb englischer W-Fragen durch koreanische L2-LernerInnen, dass die Effekte von wenig oder stark variiertem Input auch von individuellen Lerner‐ charakteristika abhängen. So profitieren in dieser Studie nur LernerInnen mit guter nonverbaler auditiver Mustererkennungsfähigkeit von Input mit hoher Typfrequenz. Sie sind offenbar eher fähig, auch in weitgehender Abwesenheit von Oberflächenähnlichkeiten und Wiederholungen Muster zu erkennen und zu generalisieren. LernerInnen mit schlechterer allgemeiner Mustererkennungsfä‐ higkeit profitieren mehr von Input mit weniger Variation und mehr Wiederho‐ lung: Sie sind von zu stark variiertem Input offensichtlich überfordert und brauchen mehr Oberflächenähnlichkeiten als Ankerpunkte für (analogische) Prozesse der Musterabstraktion. Bezüglich des Deutschen als Fremdsprache untersucht Madlener (2015, 2016, 2018) ebenfalls Effekte von systematischer Wiederholung bzw. Variation in strukturierten Inputfluten. Erwachsene LernerInnen auf B2-Niveau bekommen im Rahmen eines freiwilligen zusätzlichen Hörverstehenstrainings (d. h. mit starker kontextueller und funktionaler Einbettung) über zwei Wochen struk‐ 81 Aufmerksamkeitslenkung durch strukturierte Inputfluten 3 D.h. LernerInnen, die im Vortest fähig waren, mindestens drei verschiedene Typen der Zielkonstruktionen zu produzieren (dabei wurden korrekte, aber auch inkorrekte Bildungen berücksichtigt, z. B. *beleidend statt beleidigend), die aber insgesamt nicht mehr als 75 % der Aufgaben lösen können, also die Zielstruktur noch nicht vollständig erworben haben (Madlener 2015: 115). turierte Inputfluten mit insgesamt 150 Exemplaren der sein+Partizip 1-Kon‐ struktion. Die Trainingseinheiten sind rein hörverstehens- und bedeutungsfo‐ kussiert, die Zielstruktur und das lexikogrammatische Lernpotenzial in den Texten werden nicht explizit thematisiert. Der Input der einzelnen Gruppen unterscheidet sich hinsichtlich der Gesamttypfrequenz der Zielstruktur (50, 25 oder 9 verschiedene Typen) und der Typ-Token-Verhältnisse (ausgeglichen oder schief). Bezüglich der Typfrequenzeffekte ergibt sich eine klare Interaktion mit dem Vorwissenslevel, und zwar in der vorhergesagten Richtung: LernerInnen, die zum Zeitpunkt des Vortests keinerlei Kenntnisse über die Zielstruktur haben, profitieren signifikant am meisten von Inputfluten mit niedriger Typfrequenz, d. h. wenig Variation, aber höheren Wiederholungsraten pro Typ. Sie zeigen in dieser Bedingung auch gute produktive Generalisierung (d. h. sie lernen nicht nur einzelne Wörter oder Sätze, sondern tatsächlich ein Muster). LernerInnen hingegen, die bereits etwas Vorwissen zur Zielstruktur mitbringen 3 , profitieren für die weitere Musterabstraktion tendenziell am meisten von Inputfluten mit hoher Typfrequenz, d. h. viel Variation. Im Gegensatz zu den LernerInnen ohne Vorwissen zeigen sie in der Trainingsbedingung mit niedriger Typfrequenz kaum Ansätze zu produktiver Generalisierung. LernerInnen mit Vorwissen, die Inputfluten mit hoher Typfrequenz bekommen, haben allerdings offensichtliche Schwierigkeiten mit der Entschlüsselung der Argumentstruktur der Zielkonstruktion, d. h. mit der Form-Bedeutung-Zuordnung, wie z. B. übergeneralisierende Lernerproduktionen zeigen: So nehmen z. B. Fehler vom Typ *Da war ich spannend für den Film (statt der Film war spannend oder ich war gespannt auf den Film) in dieser Gruppe zwischen Vor- und Nachtest signifikant zu; sie zeigen, dass die semantische Rolle des Subjekts in der Zielkonstruktion für die LernerInnen unklar bleibt. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Es gibt nicht einen generellen Typfrequenzeffekt. Wie L2-LernerInnen im Klassenzimmerkontext auf strukturierte Inputfluten mit mehr oder weniger hoher Typfrequenz und entsprechend reduzierter oder höherer Variationsbzw. Wiederholungsrate reagieren, hängt u. a. von ihrer allgemeinen Mustererkennungsfähigkeit und ihrem Vorwissens‐ level ab: Im Erstkontakt mit einer neuen Konstruktion oder bei eher einge‐ schränkten auditiven Mustererkennungsfähigkeiten profitieren LernerInnen eher von Inputfluten mit reduzierter Typfrequenz, mit mehr Wiederholungen 82 Karin Madlener-Charpentier und Oberflächenähnlichkeiten. Je besser LernerInnen allgemein Muster in auditivem Input erkennen können und je mehr Vorwissen zur Zielstruktur sie bereits mitbringen, desto mehr profitieren sie tendenziell von Inputfluten mit hoher Typvariation. Dennoch ist auch für LernerInnen mit Vorwissen viel Inputvariation nicht ausschliesslich positiv, denn inzidentelles Lernen aus Input mit hoher Typfrequenz kann Form-Bedeutung-Zuordnungen erschweren und zu (temporärer) Übergeneralisierung der Zielkonstruktion führen (s. u. für erfolgreiches Lernen ohne Übergeneralisierungen). Mehr (Variation) hilft im Gegensatz zur oben ausgeführten Hypothese (1) also nicht unbedingt auch immer allen LernerInnen tatsächlich mehr. Daher fragt der folgende Abschnitt entsprechend Hypothese (2) nach zusätzlichen Effekten von Skewed Input. 3.2. Typ-Token-Effekte: Zur Rolle von schiefverteiltem Input Input mit schiefen Typ-Token-Verteilungen, in dem ein zentraler Vertreter überproportional häufig vorkommt, ist in den letzten Jahren vermehrt als grund‐ legende Voraussetzung für erfolgreichen Spracherwerb dargestellt worden (Taylor 2012: 180-195). Input wird dann schiefverteilt genannt, wenn ein kleines Set von Typen die Mehrheit der Gesamtvorkommen (Tokens) einer Konstruk‐ tion ausmacht (N. Ellis 2009). Diese Art von Typ-Token-Verteilungen entspricht der natürlichen Struktur von (sprachlichen und nichtsprachlichen) Kategorien, die typischerweise um einen zentralen, häufigen Prototypen (z. B. Spatz für die Kategorie Vogel, Apfel für die Kategorie Obst) herum organisiert sind (Rosch 1978). Dies ergibt eine Kombination aus einer kleinen Anzahl häufiger und damit salienter, die Kerneigenschaften der Kategorie hervorhebender zentraler Vertreter und einem Set von weniger häufigen, die Variabilität der Kategorie illustrierenden Vertretern - d. h. eine potenziell gute Balance aus Wiederholung und Variation, die sowohl gutes Entrenchment zentraler häufiger Exemplare als auch gute Mustererkennung und frühe produktive Generalisierungen erlauben bzw. anstoßen sollte. Elio & Anderson (1984) zeigen in einem Kategorisierungsexperiment, dass Erwachsene neue willkürliche Kategorien schneller und besser lernen, wenn ihr Input schiefe Verteilungen und somit einen klaren zentralen Vertreter für jede Kategorie aufweist. Allerdings gilt das laut Elio & Anderson (1984) nur für implizites inzidentelles Lernen. Werden die Versuchspersonen explizit aufgefor‐ dert, nach Regelhaftigkeiten und Kriterien für die Kategorienbildung zu suchen, haben sie keinen Vorteil von schiefverteiltem Input. Aus diesen Befunden sowie aus aktuellen L1- und Kunstsprachen-Studien (u. a. Boyd & Goldberg 2009, Casenhiser & Goldberg 2005, Goldberg, Casenhiser & Sethuraman 2004, 83 Aufmerksamkeitslenkung durch strukturierte Inputfluten Goldberg, Casenhiser & White 2007) leiten z. B. Bybee (2008) und N. Ellis (2009) die Empfehlung ab, auch L2-LernerInnen für jede neue Konstruktion Input(-fluten) mit schiefen Verteilungen und einem häufigen zentralen Vertreter als kognitivem Anker zur Verfügung zu stellen: The best informed practice is to introduce a new construction using an initial, low-variance sample centered upon prototypical exemplars to allow learners to get a ‚fix’ on the central tendency that will account for most of the category members. (N. Ellis 2009: 150-151) Bezogen auf den L1-Erwerb des Englischen zeigen Goldberg et al. (2004) tat‐ sächlich, dass natürlicher L1-Input für alle untersuchten Verb-Argument-Kon‐ struktionen schiefe Verteilungen zugunsten eines zentralen Vertreters aufweist. Das ist z. B. das Verb go ‚gehen‘ für die intransitive Bewegungskonstruktion (Anna VERB-t nach Hause/ zur Schule/ in den Keller) oder das Verb give ‚geben‘ für die Dativkonstruktion (Anna VERB-t Peter/ ihrer Mutter/ jedem einen Apfel/ ein Geschenk/ eine Ohrfeige). Das jeweils zentrale Verb wird für jede dieser Konstruk‐ tionen zuerst gelernt. Erst allmählich entwickelt sich im kindlichen Konstruk‐ tionsrepertoire ein größeres Spektrum an Typvariation für den Verbslot. Daraus schließen die AutorInnen, dass der zentrale Vertreter in schief verteiltem Input als prominenter Ankerpunkt den LernerInnen hilft, eine neue Kategorie mental zu etablieren. In einem anschliessenden Kunstsprachen-Experiment im Laborkontext zeigen Goldberg et al. (2004), dass Kinder auch eine Nonsens-Konstruktion (wie z. B. the hat the nose moopoes (NP1 NP2 Verb) mit der Bedeutung NP1 erscheint am Ort NP2) aus schiefverteiltem Input besser und schneller lernen als aus gleichverteiltem Input, wo alle Verbtypen gleich häufig vorkommen. Folgestudien zeigen unter anderem, dass der Effekt in Kunstsprachen-Experi‐ menten für verschiedene syntaktische Konstruktionen nachweisbar und relativ langfristig ist; dass der Effekt am stärksten ist, wenn der zentrale Vertreter zuerst mehrmals präsentiert und erst anschließend die Variation eingeführt wird und dass der Effekt bei Kindern (ab fünf Jahren) und Erwachsenen schon bei minimalem Input (20 Tokens, 5 Typen) robustes Lernen ermöglicht (s. Goldberg & Casenhiser 2008 für eine Zusammenfassung). Teils abweichende Ergebnisse findet Cordes (2014). Sie untersucht in einem Kunstsprachen-Experiment den Erwerb einer morphologisch markierten Phan‐ tasiekonstruktion (vom Typ he vadrinks, she vapaints mit der Bedeutung er tut so, als ob er trinkt; sie tut so, als ob sie malt) durch Kinder mit L1 Englisch. Sie zeigt, dass erstens schiefe Verteilungen im Input nicht in jedem Fall einen Erwerbsvorteil darstellen, sondern nur gemäßigt schiefe Verteilungen, wenn es 84 Karin Madlener-Charpentier nämlich mindestens zwei häufige zentrale Vertreter für die Zielkonstruktion im Input gibt; und dass dies zweitens vorrangig für den Erwerb von abstrakten syntaktischen Verb-Argument-Konstruktionen gilt, weniger für den Erwerb morphologischer Konstruktionen, da diese bereits inhärente Oberflächenähn‐ lichkeiten mit sich bringen. Cordes (2014) zeigt zudem, dass mit zunehmendem Alter der LernerInnen der Skewing-Vorteil abnimmt, also aus gleichverteiltem Input zunehmend gut gelernt wird. In einer (sehr kurzen) Klassenzimmerstudie finden McDonough & Trofimo‐ vich (2013) keinen Skewing-Vorteil für das Lernen der Esperanto-Transitiv-Kon‐ struktion durch Studierende mit L1 Thailändisch (und L2 Englisch). Die Bedingungen der Studie entsprechen insgesamt eher einem Kunstsprachen-Ex‐ periment als einem typischen L2-Erwerbskontext. Dennoch ist die Abwesenheit eines erwerbsfördernden Effekts von Input mit schiefen Verteilungen auffällig und widerspricht Ergebnissen aus Kunstsprachen-Experimenten im Laborkon‐ text (s. o.). Eine mögliche Erklärung ist, dass auch die von McDonough & Trofi‐ movich (2013) als „implizit“ betitelte Testgruppe eher explizite Lernbedigungen hatte. Die Gruppe bekam zwar keine explizite Instruktion zur Zielstruktur (deduktiv-explizite Herangehensweise), aber sie bekam den Auftrag, nach Regelhaftigkeiten im Input zu suchen (induktiv-explizit). Die Ergebnisse von McDonough & Trofimovich (2013) bestätigen somit potenziell die Annahme von Elio & Anderson (1984), schiefe Verteilungen böten bei explizitem Lernen keinen Erwerbsvorteil. Die Klassenzimmerstudie von Year & Gordon (2009) zeigt ebenfalls kein besseres Lernen (hier: der englischen Ditransitivkonstruktion) aus Input mit schiefen Typ-Token-Verteilungen. Im direkten Nachtest unterscheiden sich die Lernfortschritte in der Fokus-Testgruppe (Inputflut mit schiefer Verteilung) nicht von denen der zweiten Testgruppe (Inputflut mit gleichmässiger Vertei‐ lung). Im langfristigen Nachtest schneidet entgegen den Erwartungen die zweite Testgruppe sogar besser ab als die Fokus-Testgruppe. Auch hier liegt aber die Vermutung nahe, dass aufgrund des spezifischen Klassenzimmer- und Inputset‐ tings (s. u.) die meisten LernerInnen eher explizit als implizit gelernt haben. In expliziten Lernbedingungen scheint das Vorhandensein eines salienten zen‐ tralen Vertreters aber keinen L2-Erwerbsvorteil darzustellen, sondern hohe Typvariation zum besten Lernerfolg zu führen. Zusätzlich gehen Goldberg & Casenhiser (2008: 208-209) davon aus, dass Skewed Input nur dann nachweislich erwerbsfördernd wirkt, wenn der Input „noise-free“ ist, also keine alternativen oder kontrastierenden Konstruktionen vorkommen. Bei Year & Gordon (2009) bestand der Input der LernerInnen hingegen aus kontrastierenden Dativkonstruktionstypen (je 20x Double Object vs. Prepositional Dative: He gave her 85 Aufmerksamkeitslenkung durch strukturierte Inputfluten a book vs. He gave the book to her), was der grundlegenden Forderung von Formfokussierungsansätzen, es dürfe immer nur eine Form-Bedeutung-Zuord‐ nung im Mittelpunkt stehen (Wong 2005), widerspricht und zusätzlich explizit reflektierendes Lernen ausgelöst haben könnte. In der Klassenzimmer-Studie von Madlener (2015, 2016, 2018) ist die Vermitt‐ lung hingegen tatsächlich implizit und die Lernbedingungen sind inzidentell (s. o.), wodurch sich die Erwartung eines starken Erwerbsvorteils für L2-LernerInnen in den Gruppen mit schief verteiltem Input ableiten lässt. In dieser Studie bekamen erwachsene LernerInnen des Deutschen als Fremdsprache über zwei Wochen Hörverstehenstexte, die unangekündigt reiche Inputfluten zur Zielkonstruktion sein+Partizip 1 enthielten. Die Ergebnisse der Studie legen drei grundlegende Schlüsse nahe: Erstens bietet Input mit einer hohen Anzahl von Zielstrukturen und schief verteilen Typ-Token-Verhältnissen ein hohes Erwerbspotenzial. Zweitens reagieren L2-LernerInnen im Klassenzimmer teilweise anders auf Skewed Input als im Laborkontext von Kunstsprachen-Ex‐ perimenten. Drittens sind Richtung und Stärke der Lerneffekte abhängig sowohl vom Vorwissenslevel der LernerInnen als auch von der gesamthaften Typfre‐ quenz der Zielstruktur. LernerInnen ohne Vorwissen zur Zielstruktur (Erstkontakt) LernerInnen mit minimalem Vorwissen zur Zielstruktur (Konsolidierung) Mittlere Typfrequenz (25 Typen) mit schiefer Verteilung signifikanter Erwerbsvorteil durch Skewed Input: schnelle Mustererkennung, frühe gute Generalisierung, kaum Fehler weitgehend implizites (unbe‐ wusstes) inzidentelles Lernen aus Inputfluten (unauffällige Vorkommensverteilungen) tendenzieller Erwerbsvorteil durch Skewed Input: gleich gute Generalisierung wie bei hoher Typfrequenz (50 Typen), kaum Fehler weitgehend implizites (unbe‐ wusstes) inzidentelles Lernen aus Inputfluten (unauffällige Vorkommensverteilungen) Niedrige Typfrequenz (9 Typen) mit schiefer Verteilung tendenzieller Erwerbsnach‐ teil durch Skewed Input: Probleme bei Mustererkennung, kaum Generalisierung, viele Fehler weitgehend explizites (be‐ wusstes) Lernen, ausgelöst durch die auffälligen Vorkom‐ mensverteilungen signifikanter Erwerbsvorteil durch Skewed Input: gleich gute Generalisierung wie bei hoher Typfrequenz, kaum Fehler weitgehend explizites (be‐ wusstes) Lernen, ausgelöst durch auffällige Vorkommens‐ verteilungen Tab. 1: Skewing-Effekte in Abhängigkeit von Vorwissen & Typfrequenz (Madlener 2015, 2016, 2018) 86 Karin Madlener-Charpentier 4 Nachweisbar durch das Verhalten der LernerInnen (z. B. Lachen und Getuschel während der Hörverstehensaufgaben) und entsprechende Berichte über bewusstes Lernen (z. B. im Debriefing-Interview; zudem gab es offenbar einen Wettbewerb, wer die meisten Partizipien finden/ hören würde; eine Teilgruppe berichtete, in der zweiten Woche der Datenerhebung lediglich „diese lustige neue Form“ bei Gesprächen beim gemeinsamen Mittagessen benutzt zu haben). Wie die obere Zeile in Tabelle 1 zeigt, stellen Inputfluten mit schiefen Typ- Token-Verteilungen und substanzieller Gesamttypfrequenz der Zielstruktur (25 verschiedene Typen) sowohl im Erstkontakt mit einer neuen Konstruktion als auch in der Konsolidierungsphase einen deutlichen Erwerbsvorteil dar. Unab‐ hängig von ihrem Vorwissensstand zeigen die LernerInnen hier gute Muster‐ erkennung und produktive Generalisierung, und zwar mit guter Form-Bedeu‐ tung-Zuordnung (ohne nennenswerte Übergeneralisierungserscheinungen). Kurzinterviews nach dem Nachtest zeigen, dass die Vorkommensverteilungen der Zielstruktur dabei offensichtlich unauffällig für die L2-LernerInnen sind, denn inzidentelles Lernen aus strukturiert angereichertem Input ist in diesem Fall weitgehend implizit. Im Gegensatz dazu lösen Inputfluten mit niedriger Gesamttypfrequenz und schiefen Typ-Token-Verteilungen wohl aufgrund der extrem erhöhten Häufig‐ keit und Salienz der beiden zentralen Typen der Zielstruktur (hier: sein+span‐ nend, sein+enttäuschend) bewusstes Lernen und explizites Hypothesentesten aus. 4 Dies führt bei LernerInnen, die auf minimales Vorwissen zur Zielstruktur zurückgreifen können, zu sehr erfolgreichem bewusstem Lernen, nämlich zu guter Generalisierung bei sehr niedriger Fehlerquote (rechtes unteres Feld in Tab. 1). Im Erstkontakt mit einer neuen Konstruktion hingegen ergibt sich ein Nachteil durch schiefe Typ-Token-Verteilungen in Kombination mit niedriger Typfrequenz: LernerInnen ohne Vorwissen lernen in dieser Bedingung tendenziell nur vereinzelte, im Input häufige Exemplare der Zielstruktur (X ist spannend, X ist enttäuschend), zeigen aber wenig Mustererkennungsfertigkeiten, praktisch keine produktive Generalisierung und zunehmende Fehlerquoten (linkes unteres Feld in Tab. 1). Dieser letzte Befund steht in starkem Kontrast zu den Ergebnissen von Kunstsprachen-Experimenten (u. a. Boyd & Goldberg 2009), die für erwachsene LernerInnen in dieser Bedingung sowohl gutes Entrenchment als auch robuste Mustererkennung nachweisen konnten. Zusammenfassend lässt sich also sagen: Schiefe Typ-Token-Verteilungen in Inputfluten sind oft, aber nicht immer von Vorteil für L2-LernerInnen. Sie können im L2-Klassenzimmer die initiale Mustererkennung und frühe Generalisierung neuer Konstruktionen signifikant verbessern, wenn der Input substanzielle Evidenz für die Variabilität der Zielkonstruktion bietet (hier: 25 87 Aufmerksamkeitslenkung durch strukturierte Inputfluten verschiedene Typen, Schiefverteilung). Während jedoch reduzierte Typfrequenz allein im Erstkontakt mit einer neuen Konstruktion klar erwerbsfördernd wirkt (s. 3.1), führt eine (maximal variationsreduzierte) Kombination aus schiefen Verteilungen und reduzierter Typfrequenz zu sehr konservativem Lernen bei weitgehender Abwesenheit von Mustererkennung und produktiver Generali‐ sierung. LernerInnen mit Vorwissen hingegen profitieren unabhängig von der Gesamttypfrequenz der Zielstruktur deutlich von schiefen Typ-Token-Ver‐ teilungen. Selbst bei extrem reduzierter Typvariation führen schiefe Vertei‐ lungen zu guter produktiver Generalisierung, ohne dass Übergeneralisierungs‐ tendenzen auszumachen wären (im Gegensatz zum in 3.1 beschriebenen Effekt hoher Typfrequenz bei gleichverteiltem Input). Hypothese (2) lässt sich also nur teilweise bestätigen, da die Effekte von Typ-Token-Verteilungen mit anderen Variablen wie z. B. der Gesamttypfrequenz der Zielstruktur interagieren. Damit lässt sich die oben angeführte Annahme von Bybee (2008: 223) grundsätzlich bestätigen, und zwar sowohl für den Erst‐ kontakt als auch für eine spätere Konsolidierungsphase: Für typischerweise heterogene Lerngruppen scheinen Inputfluten mit substanzieller Typfrequenz (für die Variation) und schiefen Verteilungen (für die Konstanz) die günstigste inzidentelle Lernbedingung darzustellen. 4. Fazit und Ausblick: Durch implizite Formfokussierung Chunking & Mustererkennung fördern […] effects of different types of input-based practice [are] of particular relevance to input-poor FL [foreign language] classrooms where there is a need to optimize any exposure to input. (Kasprowicz & Marsden 2018: 888) Damit (erwachsenen) L2-LernerInnen die Rekonstruktion eines umfangreichen und flexiblen L2-Inventars von Konstruktionen unterschiedlicher Abstraktions‐ grade und Komplexität aus dem Input gelingt, brauchen sie viel Input und viele Gelegenheiten zu bedeutungszentrierter, sinnvoller Inputverarbeitung (sowie entsprechende Gelegenheiten, selbst Sprache zu produzieren und mit anderen SprecherInnen zu interagieren). L2-Erwerbskontexte, insbesondere Fremdspracherwerbskontexte, zeichnen sich nun aber häufig dadurch aus, dass Input und Spracherfahrung nicht in ausreichendem Maße verfügbar sind, um zuverlässige inputbasierte implizite Lernprozesse anzustoßen: „[L]earning a language implicitly requires extensive exposure to input, which is very often unavailable“ (Kasprowicz & Marsden 2018: 886). Diese zentrale Annahme dient als Ausgangspunkt für inputbasierte bzw. inputanreichernde didaktische Interventionen im Sinne einer Formfokussierung. 88 Karin Madlener-Charpentier Problematischerweise ist erwerbstheoretisch und didaktisch immer noch umstritten, was in (gesteuerten) L2-Erwerbskontexten tatsächlich guten, reich‐ haltigen Input ausmachen kann: „Few of us have a deep or detailed understan‐ ding of what providing ‚good‘, ‚rich‘ or ‚varied‘ input entails“ (Young-Scholten & Piske 2009: 16, s. auch Mackey 2012, Mitchell, Myles & Marsden 2013). In diesem Beitrag wurde gezeigt, dass eine konsequente Erhöhung der Inputmenge in Form von Inputfluten z. B. im Lese- oder Hörverstehenstraining durchaus erwerbsfördernd wirken kann. Jedoch hilft viel nicht immer auch viel: Zu tatsächlich verbessertem Intake und damit zu verstärktem inzidentellem Lernen führt eine Inputanreicherung (Inputflut) nur dann mit hoher Wahrscheinlich‐ keit, wenn sie sich im oben dargestellten Sinne als strukturierte Inputflut in ihrer konkreten Ausgestaltung an den Voraussetzungen der Lernenden orientiert, d. h. wenn die konkreten Exemplare der Zielstruktur so ausgewählt werden, dass sich für die Lernenden ein gutes Maß an Wiederholung und/ oder Variation ergbt. Dies ist bei einem gebrauchsbasierten Verständnis, das Spracherwerb versteht als „[…] piecemeal learning of many thousands of constructions and the frequency-biased abstraction of regularities within them“ (N. Ellis 2002: 143) und damit ein Hauptaugenmerk auf die Effekte verschiedener Vorkommensvertei‐ lungen im Input legt, durchaus zu erwarten und bereits diskutiert worden (N. Ellis 2002, 2011). Als grundlegende Frage ergibt sich daher die folgende: „[W]hat types of distributional information influence learning and generalization and under which conditions“ (Wonnacott, Brown & Nation 2017: 36)? Aktuelle empirische Studien zeigen: Soll im Erstkontakt mit einer neuen Kon‐ struktion die initiale Verankerung der Form-Bedeutung-Zuordnung als men‐ tale Repräsentation gefördert werden, dann sollten strukturierte Inputfluten potenziell ein begrenztes Set verschiedener Typen der Zielstruktur (auf Basis bekannter, in L1-Korpora für die Konstruktion zentraler Lemmata) enthalten, die in verschiedenen situativen und sprachlichen Kontexten großzügig wieder‐ holt werden (s. Abschnitt 3.1). Alternativ können wenige absichtlich überhäu‐ fige zentrale Exemplare durch ihre Prominenz in Inputfluten mit schiefen Typ-Token-Verteilungen im Erstkontakt einen erwerbsfördernden Ankerpunkt darstellen (s. Abschnitt 3.2). Allerdings muss in impliziten Vermittlungskon‐ texten sichergestellt werden, dass der Input ausreichend Variation enthält, um die LernerInnen über die Stufe des Item-Learning hinaus zur Musterabstraktion und produktiven Generalisierung zu ermutigen (s. Abschnitt 3.2). Dies kann eventuell auch durch eine Kombination mit induktiv- oder deduktiv-expliziter Instruktion (z. B. Erklärungen, Feedback) erreicht werden (s. Henk in diesem Band). 89 Aufmerksamkeitslenkung durch strukturierte Inputfluten Soll in einer späteren Konsolidierungsphase eine breitere produktive Gene‐ ralisierung einer bereits teilweise bekannten Konstruktion erreicht werden, sollten Inputfluten ein breiteres Spektrum an verschiedenen Typen der Zielkon‐ struktion enthalten, sodass deren Variabilität bzw. systematische Variation in den Vordergrund rückt. Es ist anzunehmen, dass bei flüchtigem Audio-Input (d. h. Inputfluten in Hörtexten) hohe lexikalische Variation allein durch die potenziell involvierte Menge an unbekannten Wörtern zu Überforderung führen kann; bei schriftlichem Input hingegen mag auch für LernerInnen ohne Vor‐ wissen eine grössere Bandbreite an verschiedenen Typen der Zielkonstruktion verträglich sein, da Sätze gegebenenfalls mehrfach gelesen, unbekannte Wörter nachgeschlagen werden können. Eventuell zeigen LernerInnen, die Inputfluten mit hoher Typfrequenz (Variation) bekommen, eine temporäre Tendenz zu Übergeneralisierungen (s. Abschnitt 3.1). In dem Fall können sie durch direkte oder indirekte negative Evidenz in Form von Korrekturen oder einem Angebot alternativer Formulierungen für die Grenzen der lexikalischen Variabilität und Reichweite der Zielkonstruktion sensibilisiert werden. Inputfluten mit schiefen Verteilungen und substanzieller Typfrequenz beugen Übergeneralisierungen hingegen bereits weitgehend vor (s. Abschnitt 3.2). Inputfluten mit schiefen Typ-Token-Verteilungen und stark reduzierter Typfrequenz führen aufgrund der Auffälligkeit der Vorkommensverteilungen potenziell zu weitgehend expli‐ zitem, aber bei LernerInnen mit Vorwissen unter bestimmten Bedingungen (s. u.) durchaus erfolgreichem und kreativ-explorativem Lernen mit guter produktiver Generalisierung (s. Abschnitt 3.2). Ausgehend von einem gebrauchsbasierten Modell des Spracherwerbs ist davon auszugehen, dass implizite Erwerbsprozesse zwar viel Zeit und Sprach‐ erfahrung erfordern, dafür aber im Ergebnis sehr robust sind; dass die meisten erwachsenen LernerInnen im gesteuerten L2-Erwerbskontext vorrangig analy‐ tisch, explizit und stark abstrahierend an die Erwerbsaufgabe herangehen und daher in erster Linie das implizite Lernen gerade komplexerer Konstruktionen durch das Entrenchment von typischen Exemplaren unterstützt werden muss, auf Basis derer eine spätere analogiebasierte Abstraktion und robuste Genera‐ lisierungen möglich sind (s. Henk in diesem Band); und dass der Erwerbsprozess nicht linear verläuft, dass es also Momente schnelleren Fortschritts neben Momenten scheinbarer Stagnation ebenso wie Momente des Rückschritts geben kann, wenn etwa verschiedene Konstruktionen und Generalisierungen in der sich entwickelnden Lernersprache miteinander konkurrieren. Insgesamt ist auf Basis der verfügbaren L1-, Kunstsprachen- und L2-Studien davon auszugehen, dass schiefverteilter Input eine vielversprechende didaktische Option zur Opti‐ mierung von (indizentellen Lernprozessen aus) Inputfluten ist, wenn 90 Karin Madlener-Charpentier - genügend Input bereitgestellt wird (z. B. 150 Exemplare der Zielstruktur in Madlener 2015 vs. 20 Exemplare z. B. in McDonough & Nekrasova-Becker 2014); - die Gesamtvariation im Input ausreichend hoch ist (z. B. 25 Typen der Ziel‐ struktur in Madlener 2015 vs. 5 Typen in Year & Gordon 2009, McDonough & Nekrasova-Becker 2014); - der angereicherte Input über mehrere Tage hinweg angeboten wird (z. B. 6 Tage innerhalb von 2 Wochen in Madlener 2015 vs. eine einzelne Un‐ terrichtseinheit z. B. in McDonough & Trofimovich 2013, McDonough & Nekrasova-Becker 2014, Nakamura 2012; s. Childers & Tomasello 2002, Vlach & Sandhofer 2012 zu Massed vs. Spaced Learning); - der angereicherte Input in Form kohärenter Texte präsentiert wird, nicht in Form isolierter Einzelsätze oder kurzer Textbruchstücke, die keinen Bezug zueinander aufweisen (wie z. B. in Year & Gordon 2009, McDonough & Nekrasova-Becker 2014); - die Zielkonstruktion tatsächlich verständnis- und aufgabenrelevant (Task-essential) ist; - die Inputverarbeitung in bedeutungszentrierte und bedeutungsvoll kontex‐ tualisierte Aufgaben eingebettet ist und Erwerbsprozesse entsprechend inzidentell ablaufen (Madlener 2015). Interessanterweise lassen sich Lernerfolge auf Basis von angereichertem Input (Inputfluten) nicht durch die auffälligere Variante des sogenannten (Visual) Text Enhancement verstärken, wo die Sichtbarkeit bestimmter Konstruktionen erhöht wird, indem diese z. B. duch Farbmarkierungen, Fettdruck oder Unter‐ streichen zusätzlich hervorgehoben werden (Wong 2005: 33). Die Begründung für diese expliziter aufmerksamkeitslenkende bzw. stärker bewusstmachende Herangehensweise liegt in der Annahme, es reiche nicht aus, LernerInnen impli‐ zite Spracherfahrung zu ermöglichen, um Lernprozesse anzustoßen: „[S]imply exposing learners to a given grammatical form without pushing them to notice or process it does not benefit learning“ (Kasprowicz & Marsden 2018: 890). Input müsse daher potenziell auf eine Weise optimiert werden, die spezifische Zielstrukturen so salient macht, dass ihre bewusste Verarbeitung und damit Intake wahrscheinlicher werden, z. B. eben durch Visual Text Enhancement. In einer Metastudie zeigen Lee & Huang (2008) jedoch, dass (Visual) Text Enhancement zwar tatsächlich zu höherer bewusster Aufmerksamkeit für die Zielstrukturen führt, d. h. zu besserem Noticing (s. auch Cintrón-Valentín & N. Ellis 2016). Allerdings führt dies angesichts der beschränkten Verarbeitungs‐ kapazitäten von (beginnenden) L2-LernerInnen (VanPatten 1990) potenziell kontraproduktiv zu einer insgesamt schlechteren Inhaltsverarbeitung: Ein 91 Aufmerksamkeitslenkung durch strukturierte Inputfluten durch Text Enhancement hervorgerufener starker Aufmerksamkeitsfokus auf ausgewählte Formen (z. B. Flexionsendungen) scheint also gerade bei komple‐ xeren und wenig transparenten Konstruktionen zu wenig Raum für die (für den Erwerb zentrale) Verarbeitung der Form-Bedeutung-Zuordnungen und der textuellen Bedeutungszusammenhänge zu lassen. Dies führt potenziell dazu, dass zwar bewusst über die hervorgehobenen Formen reflektiert, aber kein erwerbsrelevanter Intake in Form von Form-Bedeutung-Zuordnungen generiert wird. Insgesamt erweisen sich also Inputfluten mit Hervorhebungen nicht als effektiver als (strukturierte) Inputfluten allein (R. Ellis 2016: 417; Wong 2005). Literatur Boyd, Jeremy K./ Goldberg, Adele E. (2012). 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Von der impliziten Methode der Inputanreicherung scheinen Kinder generell zu profitieren, während der Nutzen einer Kombination mit metasprachlicher Instruktion von weiteren Faktoren abhängt und weiter erforscht werden muss. Die Frage, wie sprachliche Lernprozesse optimal angestoßen, gelenkt und befördert werden können, stellt sich nicht nur im Bereich der sprachlichen Bildung - insbesondere in der Zweit- oder Fremdsprachdidaktik -, sondern in ganz ähnlicher Weise im Bereich der Sprachintervention. Intervention ist hier als Oberbegriff für verschiedene Formen der Einflussnahme auf sprachliche Lernprozesse zu verstehen, zu denen Sprachförderung und Sprachtherapie ge‐ hören. Im vorliegenden Beitrag stehen Interventionsmaßnahmen im Kindesalter im Fokus. Typischerweise erwerben Kinder ihre Muttersprache(n) problemlos im Laufe der ersten Lebensjahre (zum Erstspracherwerb Kauschke 2012, 2017) auf der Basis des familiären und außerfamiliären Sprachangebots, das einge‐ bettet in kommunikative Situationen erlebt wird. In den Bildungseinrichtungen Kindergarten und Schule wird sprachliches Wissen zunehmend erweitert, ausdifferenziert, gefestigt und systematisiert. Aber nicht allen Kindern gelingt es, ihre Muttersprache(n) so zu erwerben, dass ihre rezeptiven und expressiven Sprachfähigkeiten denen gleichaltriger Kinder entsprechen. Kinder, die in einem wenig förderlichen Umfeld mit ein‐ geschränktem Sprachangebot aufwachsen, zeigen oft sogenannte umgebungs‐ bedingte Sprachauffälligkeiten (De Langen-Müller, Kauschke, Kiese-Himmel, Neumann & Noterdaeme 2012). Dazu zählen auch mehrsprachige Kinder, die zu wenig Sprachangebot in der Umgebungssprache erhalten. Bei ihnen sind die Sprachfähigkeiten in der Umgebungssprache auffällig, in der Her‐ kunftssprache dagegen altersgerecht. Bei Kindern mit derartigen umgebungsbe‐ dingten Sprachauffälligkeiten besteht ein pädagogischer Förderbedarf. Zusätz‐ liche Sprachfördermaßnahmen in den Bildungseinrichtungen (Kindergarten, Vorschule, Schule) sollen helfen, ihren Rückstand auszugleichen. Bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen (SES) dagegen liegen klinisch relevante Ent‐ wicklungsstörungen vor, denen ein pathologischer Wert zukommt und die in medizinischen und psychologischen Klassifikationssystemen wie ICD (Interna‐ tional Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems), ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health) und DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) beschrieben werden. Die Ursachen, Verläufe und Symptome der SES sind vielfältig und individuell unterschiedlich. Zum einen können SES durch vorliegende Erkrankungen (wie z. B. Hörstörungen, genetische Syndrome oder Störungen aus dem autistischen Spektrum) verursacht werden, da das zugrunde liegende komplexe Störungs‐ bild einen typischen Spracherwerb erschwert. Bei etwa 8 % der Kinder eines Jahrgangs verläuft der Spracherwerb ebenfalls nicht problemlos, obwohl keine offensichtlichen Kausalfaktoren auszumachen sind und die SES daher nicht ohne Weiteres erklärbar ist (Bishop 2014). Vorrangig aufgrund genetischer Faktoren stehen den betroffenen Kindern früh verfügbare Mechanismen und Prädispositionen zur effektiven Sprachverarbeitung nicht uneingeschränkt zur Verfügung, so dass der Spracherwerb bei ihnen mühsamer, langsamer und fehleranfälliger verläuft. Daraus resultieren heterogene Symptome, die ver‐ schiedene Ebenen des Sprachsystems - die Aussprache, den Wortschatz oder die Grammatik - betreffen können, die Kommunikationsfähigkeit beeinträchtigen und oft auch mit subtilen Einschränkungen in nichtsprachlichen Bereichen verbunden sind. Bei mehrsprachigen Kindern mit SES zeigen sich charakteris‐ tische sprachliche Symptome dementsprechend in beiden (allen) Sprachen. Da Bildungs- und Fördermaßnahmen bei SES nicht ausreichen, ist eine sprachthe‐ rapeutische Intervention notwendig, die von Fachkräften sprachtherapeutischer Berufsgruppen nach ärztlicher Verordnung übernommen wird. 100 Christina Kauschke Die Differentialdiagnose zwischen umgebungsbedingten Sprachauffälligkeiten und SES ist anspruchsvoll, da die offensichtlichen sprachlichen Symptome, z. B. ein eingeschränkter Wortschatz oder Fehler bei der Produktion syntaktischer Strukturen oder morphologischer Markierungen, recht ähnlich erscheinen. Hier ist besondere diagnostische Kompetenz und Sorgfalt vonnöten, damit die Kinder rechtzeitig die passenden Interventionsmaßnahmen im Bildungs- oder Gesundheitssystem erhalten. Die dann folgenden Förderbzw. Therapiemaßnahmen unterscheiden sich insbesondere in Bezug auf die institutionellen und administrativen Rahmen‐ bedingungen, die beteiligten und verantwortlichen Berufsgruppen, die zeitliche Organisation und „Dosierung“ der Maßnahme (Anzahl, Länge und Frequenz der Einheiten, Gesamtdauer) und das Setting (z. B. Gruppen- oder Einzelsitzungen; zur Abgrenzung siehe Kauschke & de Langen-Müller 2020, Schrey-Dern 2014). Ge‐ meinsam ist beiden Interventionsformen jedoch, dass sie darauf abzielen, kognitive Prozesse des sprachlichen Lernens professionell zu unterstützen und dafür geeignete Methoden einzusetzen. Die Zielsetzung des vorliegenden Beitrags ist es, sich mit dem Nutzen und der Effektivität von impliziten und expliziten Vermittlungsmethoden in Kontexten von Sprachförderung und Sprachtherapie auseinanderzusetzen. Lei‐ tende Fragestellungen lauten, welche Methode oder Methodenkombination zu Lernfortschritten führt und inwieweit Methodeneffekte von individuellen Faktoren (wie Alter und Art der Auffälligkeit) abhängen. Dazu werden aktuelle Ansätze und Befunde aus der Forschung sowie eigene Studien präsentiert und diskutiert. 1. Von kognitiven Mechanismen zu didaktischen Methoden Der Begriff „Lernen“ ist vielschichtig und umfasst ganz unterschiedliche kogni‐ tive Mechanismen und Strategien, um Wissen, Kenntnisse, Einsichten, Fähig‐ keiten und Fertigkeiten aufzubauen. Um diese Vielfalt zu systematisieren, wird traditionell die Dichotomie des impliziten und expliziten Lernens verwendet, verknüpft mit der Unterscheidung zwischen prozeduralen und deklarativen Gedächtnisinhalten. Demnach bildet deklaratives Wissen den Teil des Langzeit‐ gedächtnisses, der bewusst zugängliches Faktenwissen („Wissen was“) enthält, während im prozeduralen Gedächtnis die Abläufe motorischer und anderer Fertigkeiten abgespeichert sind („Wissen wie“), die implizit (d. h. inzidentell, unbewusst) gelernt und durch zahlreiche Wiederholungen allmählich automa‐ tisiert werden. Auch angesichts lang bestehender Kritik an einer zu pauschalen Aufspaltung und angesichts von Vorschlägen, eher von einem Kontinuum mehr oder weniger bewusstseinsnaher Gedächtnisinhalte auszugehen, ist diese 101 Inputspezifizierung und Bewusstmachung Dichotomie in Bezug auf sprachliche Verarbeitungsprozesse nach wie vor ein‐ flussreich. Mit dem Begriffspaar Words versus Rules (Pinker 1999) werden me‐ morierte Inhalte des mentalen Lexikons, die keiner Regelhaftigkeit unterliegen (d. h. Wörter und konventionalisierte Mehrworteinheiten), von grammatischen Regularitäten (Rules) unterschieden, die z. B. die Bildung von Sätzen oder kom‐ plexen Wörtern steuern. Diese unbewussten Regeln gelten als Default, solange keine Ausnahme gelernt wurde. Ein solcher dualer Mechanismus (Clahsen 1997, Marcus, Brinkmann, Clahsen, Wiese & Pinker 1995) wird beispielsweise postuliert, um die Verarbeitung regulärer und irregulärer Partizipien im Deut‐ schen (z. B. gelacht versus geschwommen) zu erklären. Während die regulären Partizipien auf der Basis vorhandenen Regelwissens generiert werden, müssen irreguläre Partizipien als Ganzes gelernt und gespeichert werden. Bei anderen morphologischen Paradigmen im Deutschen wie Numerus oder Genus ist die Unterscheidung zwischen regelhaften und irregulären Formen weniger eindeutig (Eisenberg 2013). Sicher ist, dass beide Mechanismen im Spracherwerb zusammenwirken, denn kein sprachlicher Lerngegenstand erfordert ausschließlich prozedurales oder ausschließlich deklaratives Wissen. In den ersten Lebensjahren bauen Klein‐ kinder mit erstaunlicher Effektivität implizites Regelwissen auf, indem sie auf der Basis der ihnen zur Verfügung stehenden Prädispositionen unterschiedliche Hinweisreize (Cues) im Sprachangebot auffinden, nutzen und gewichten und so das zu erwerbende Sprachsystem über unbewusstes, prozedurales Lernen ent‐ schlüsseln (Hirsh-Pasek & Golinkoff 1996). Genau diese Fähigkeit zur Nutzung von Hinweisreizen scheint bei Kindern mit SES eingeschränkt zu sein. Ullman und Pierpont (2005) postulieren mit der Procedural Deficit Hypothesis, dass bei SES gerade die neuronalen und kognitiven Strukturen beeinträchtigt sind, die für das prozedurale Gedächtnissystem relevant sind. Damit sei vor allem der Erwerb regelbasierter grammatischer Operationen erschwert, was sich in der sprachlichen Symptomatik widerspiegele. Darüber hinaus weisen Befunde darauf hin, dass das prozedurale Defizit nicht nur bei sprachlichen, sondern auch bei nonverbalen Anforderungen zutage tritt. In einer Metaanalyse betrachteten Lum, Conti-Ramsden, Morgan und Ullman (2013) Studien, die so genannte Serial Reaction Tasks einsetzten, bei denen die ProbandInnen die Position eines visuellen Stimulus über Tastendruck angeben müssen. In der impliziten Bedingung folgt die Stimuluspräsentation einer vordefinierten Reihenfolge, die prozedural gelernt werden kann. Kinder und Jugendliche mit SES schnitten in dieser Bedingung schlechter ab als Gleichaltrige ohne SES. Sanjeevan und Mainela-Arnold (2017) untersuchten prozedurales Lernen, indem sie Kindern die motorischen Abläufe für das Binden eines bestimmten Knotens 102 Christina Kauschke 1 SLI = Specific Language Impairment. Dieser Begriff wurde inzwischen international von der Bezeichnung DLD (= Developmental Language Disorder) abgelöst. Im vorliegenden Beitrag wird als deutsche Entsprechung der Begriff Sprachentwicklungsstörung (SES) verwendet; zur aktuellen Debatte um die Terminologie siehe Kauschke und Vogt (2019). vermittelten. Wiederum zeigte sich, dass Kinder mit SES diese Aufgabe deutlich schlechter bewältigten als typisch entwickelte Kinder. Einschränkend merken die Autorinnen jedoch an, dass die Gruppenunterschiede nur moderat ausfielen und nur bei komplexen motorischen Anforderungen auftraten. Wie umfassend prozedurale Defizite bei SES ausgeprägt sind, ist derzeit somit unklar. Komplementär zur Procedural Deficit Hypothesis verhält sich die Declarative Memory Compensation Hypothesis (Ullman & Pullman 2015), der zufolge das deklarative Wissen bei SES weitgehend intakt sei und daher die bestehenden prozeduralen Defizite ausgleichen könne: Whereas typically developing children depend importantly on procedural memory for grammar, children with SLI 1 use declarative memory to help them compensate for their grammatical deficit (Ullman & Pullman 2015: 211). Die bei SES vorhandenen Fähigkeiten, sprachliche Regeln bewusst zu lernen und im deklarativen Gedächtnis zu speichern, könnten eingesetzt werden, um grammatische Probleme zu kompensieren. Dieser Sichtweise widersprechen Ferman, Kishon-Rabin, Ganot-Budaga und Karni (2019). In ihrer Studie waren Kinder mit SES durchaus in der Lage, eine prozedural gelernte artifizielle morphologische Regel anzuwenden, jedoch hatten sie deutliche Schwierigkeiten bei Beurteilungsaufgaben, die das bewusste Erfassen der Regel erforderten. Gerade jüngeren Kindern stehe explizites, bewusstes Problemlöseverhalten noch nicht ausreichend zur Verfügung, was die Rolle deklarativen Wissens als generelle Kompensationsmöglichkeit in Frage stelle. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es durchaus empirische Evi‐ denz für die Auffassung gibt, dass sich SES durch das Vorliegen prozeduraler Schwächen bei gleichzeitigen deklarativen Stärken auszeichnen. Aufgrund der uneinheitlichen Befundlage erfährt diese Auffassung aber auch Widerspruch. Kritisch anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass zur Unterstützung der o. g. Annahme auf ein häufiges Profil der SES verwiesen wird, bei dem grammatische Fähigkeiten wesentlich stärker betroffen sind als lexikalische. Die Profile der SES sind jedoch heterogen, denn verschiedene sprachliche Ebenen können in unterschiedlichem Ausmaß betroffen sein. Andere Ausprägungen, z. B. lexikalisch-semantische Einschränkungen bei guten syntaktischen Leis‐ tungen, sind durchaus möglich (s. Nation 2014 zu lexikalischen Defiziten bei 103 Inputspezifizierung und Bewusstmachung SES) und schwerer mit dem Muster „prozedural schwach, deklarativ stark“ zu vereinbaren. Offensichtlich kann prozedurales und/ oder deklaratives Wissen über Sprache im Rahmen gestörter Spracherwerbsverläufe nicht ausreichend aufgebaut werden. Hier setzt nun die Frage an, welche unterstützenden Maßnahmen geeignet sind, um den Problemen entgegenzuwirken. Vertreter der Kompen‐ sationshypothese schlagen vor, bewusste, explizite Lernprozesse zu stärken und zu diesem Zweck grammatische Regeln explizit durch metasprachliche Instruktion zu vermitteln, den Kindern somit eine „metalinguistische Brücke“ zu bauen (Hirschmann 2000: 254). Denkbar wäre aber auch ein Ansatzpunkt an den eingeschränkten prozeduralen Fähigkeiten mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit verstärkt auf die zu erwerbenden Regularitäten zu lenken und so implizite Sprachlernfähigkeiten anzustoßen. Im Folgenden werden methodische Ansätze aus der Sprachförderung und der Sprachtherapie präsentiert, die den genannten Zielen zuzuordnen sind. 2. Implizite und explizite Methoden in der Sprachintervention Die Reflexion über geeignete Methoden in der Sprachintervention und die Suche nach effektiven Methoden, mit denen die Sprachfähigkeiten von Kindern mit umgebungsbedingten Sprachauffälligkeiten oder SES verbessert werden können, ist ein zentraler Bestandteil der Sprachtherapiedidaktik (Lüdtke 2012, Wildegger-Lack & Reber 2016). Baumgartner definiert sprachtherapeutische Methodik als Teildisziplin der Sprachtherapiedidaktik, die sich mit dem Lehren und Lernen sprachspezifischer Inhalte beschäftigt. Sprachliche Lernprozesse werden durch die Lehrtätigkeit des Therapeuten ausgelöst, gefordert, unterstützt, anerkannt und auf‐ rechterhalten (Baumgartner 2008: 186). Auf der Basis einer umfassenden Diagnostik werden die jeweiligen Problem‐ bereiche identifiziert und individuelle, entwicklungsadäquate Ziele festgelegt. Daraufhin werden die Methoden ausgewählt, mit denen das Ziel am besten erreicht werden kann. Dazu steht ein umfangreiches Methodenrepertoire zur Verfügung, das von Inputanreicherung über Elizitationsverfahren, rezeptive und produktive Übungsformate, Rückkopplungs- und Modellierungstechniken bis zu metasprachlicher Instruktion reicht (Überblick in Kauschke & Rath 2017), wobei die jeweiligen Methoden unterschiedliche Anforderungen an die Aufmerksamkeit, die Kooperationsfähigkeit, die Aktivität und den Grad der bewussten Auseinandersetzung des Kindes mit dem Lerngegenstand stellen. 104 Christina Kauschke Aus diesem Repertoire werden hier zwei Methoden herausgegriffen, die sich in Bezug auf die Dimension der Explizitheit gegenüberstehen: Mit verschiedenen Formen der Inputanreicherung (Abschnitt 2.1) wird die Aufmerksamkeit unauf‐ dringlich auf zu erwerbende Strukturen gelenkt, um eher implizites, inziden‐ telles Lernen anzustoßen, während metasprachliche Methoden (Abschnitt 2.2) explizite Bewusstheit über die hinter den sprachlichen Strukturen stehenden Regeln vermitteln. 2.1. Inputanreicherung Inputanreicherung wird als Oberbegriff für rezeptionsorientierte Methoden aus dem Bereich der Sprachtherapie verstanden, bei denen im Rahmen des Interventions‐ prozesses individuell ausgewählte sprachliche Zielstrukturen in besonderer Weise aufbereitet und dem Kind auditiv angeboten werden. Dahinter steht die Annahme, dass ein sprachlich beeinträchtigtes Kind allein nicht in der Lage ist, die entwicklungs‐ auslösenden Informationen und Hinweisreize aus dem alltäglichen Sprachangebot zu extrahieren. Werden die Frequenz (Häufigkeit) und Salienz (Auffälligkeit) be‐ stimmter sprachlicher Merkmale im Sprachangebot jedoch erhöht, soll diese gezielte Stimulation die Aufmerksamkeit auf genau die Strukturen oder Regularitäten der Sprache lenken, die den stagnierenden Spracherwerbsprozess vorantreiben können. Dies soll dazu beitragen, dass ein Kind trotz seiner eingeschränkten Sprachverarbei‐ tungskapazitäten die nötigen und passenden Anstöße zu einer eigendynamischen Weiterentwicklung erhält. Das Kind nimmt dabei zunächst eine Zuhörerrolle ein und wird nicht zur eigenen Sprachproduktion aufgefordert (Ebbels 2014, Fey & Proctor-Williams 2004). Somit handelt es sich um eine für das Kind unbewusste, sti‐ mulierende und entwicklungsauslösende Methode. Für Evans (2001) und Poll (2012) spielt die Optimierung des Inputs eine zentrale Rolle in der Therapie von Sprachentwicklungsstörungen. Die therapeutisch genutzte Inputmanipulation (in der internationalen Literatur als Modelling oder Focused Stimulation bezeichnet), weist starke Parallelen zur didaktischen Formfokussierung auf. Das sogenannte Inputfluten, bei dem das Sprachangebot massiv mit Exemplaren ausgewählter Zielstrukturen angereichert wird (s. Madlener-Charpentier in diesem Band), wird in der Sprachdidaktik als implizite Vermittlungsoption eingesetzt, um Sprachlernprozesse in Zweit- und Fremdsprachen zu befördern. Angesichts der geteilten Grundannahmen über die Wirkweise dieser Methode ist es verwun‐ derlich, dass sich therapeutische und didaktische Ansätze nahezu ohne Bezug aufeinander entwickelt haben. Ein Therapieansatz, der im deutschsprachigen Raum implizit-aufmerksamkeits‐ lenkende Methoden einsetzt, ist der patholinguistische Ansatz (PLAN, Kauschke & Siegmüller 2017a). Der PLAN ist ein kindzentriertes, sprachspezifisches und 105 Inputspezifizierung und Bewusstmachung entwicklungsorientiertes Interventionskonzept, mit dem die sprachlichen Symptome kindlicher Sprachentwicklungsstörungen gezielt auf allen betroffenen Ebenen be‐ handelt werden können. Eines der Prinzipien dieses Konzepts ist die Methoden‐ vielfalt: Unter Berücksichtigung individueller Faktoren (Alter des Kindes, Phase der Therapie, Therapiegegenstand, Störungsbewusstsein u. a.) werden passende Methoden ausgewählt und gewichtet. Innerhalb des Methodenrepertoires ist die Inputspezifizierung ein unverzichtbarer Bestandteil. Unter Inputspezifizierung wird im PLAN die gezielte Aufbereitung des therapeutischen Sprachangebots verstanden. Ausgewählte Zielstrukturen werden dazu in zeitlich begrenztem Rahmen mit hoher Frequenz und besonderer Prägnanz dargeboten, um die Aufmerksamkeit des Kindes auf sie zu lenken. Durch eine Erhöhung der Quantität, Qualität und Intensität des therapeutischen Inputs sollen eingeschränkte Verarbeitungsmechanismen stärker als durch das alltägliche Sprachangebot angesprochen werden. Dies geschieht implizit, d. h. das Kind wird (zumindest anfangs) nicht darauf hingewiesen, auf welche Informationen es achten soll. Umgesetzt wird dies in Form von vorbereiteten, komprimierten (meist nicht länger als dreiminütigen) Texten. Die Inputsequenzen werden entweder vorgelesen oder als Hörgeschichte eingespielt, meist wird zur Aufmerksamkeitserhaltung zusätzlich Bildmaterial eingesetzt, das die Geschichte illustriert. Auch stärker interaktive Formen der Inputspezifizierung sind möglich; dabei handeln bzw. spielen TherapeutIn und Kind gemeinsam, während der/ die TherapeutIn die Handlungen durch das aufbereitete Sprachangebot begleitet (zum Vergleich der beiden Präsentationsformen Siegmüller 2014). Die Zielstrukturen können je nach Therapiegegenstand aus Einheiten unter‐ schiedlicher sprachlicher Ebenen bestehen. Wird auf der Ebene der Phonologie gearbeitet, enthält der Input Häufungen von den Lauten, Lautverbindungen oder Betonungsmustern, die im Fokus der Therapie stehen. Im Rahmen einer Therapie lexikalischer Störungen werden ausgewählte Zielwörter gehäuft prä‐ sentiert. Im Bereich Syntax geht es um die frequente, ggf. kontrastive Präsen‐ tation von Satzstrukturen (z. B. Verbstellung in Hauptvs. Nebensätzen), im Bereich Morphologie um das gehäufte und kontrastive Angebot morphologisch markierter Wörter (z. B. flektierter Verbformen). Da das Sprachangebot vor- und aufbereitet wird, ist es möglich, die Vorkom‐ menshäufigkeit der Zielstruktur zu kontrollieren und zu manipulieren. Zur Operationalisierung der Inputstärke wird das Vorkommen der Zielstruktur in Relation zur Gesamtsequenz berechnet. Enthält beispielsweise die Hälfte aller Sätze eine fokussierte Satzstruktur, beträgt die Inputstärke 0,5. So kann die Inputstärke im Laufe der Therapie allmählich abgesenkt und damit der Alltagssprache angeglichen werden. Tabelle 1 fasst wichtige Merkmale der Inputspezifizierung im PLAN zusammen. 106 Christina Kauschke Vorstrukturierung der Situation • Auswahl eines thematischen Rahmens bzw. semantischen Feldes, geeignet zum Transport der Zielstruktur • ggf. Auswahl dazu passenden Bildmaterials • Auswahl der Präsentationsart ▸ Inputsequenz: vorgelesen oder als Audioaufnahme eingespielt ▸ interaktive Inputspezifizierung Aufbereitung des Sprachangebots • Verschriftlichung einer selbst erstellten Inputsequenz oder Auswahl einer vorge‐ fertigten Sequenz aus den PLAN-Materialien (auch als Audioaufnahmen auf CD verfügbar) • Berechnung der Inputstärke bzw. Auswahl einer vorgefertigten Sequenz mit passender Inputstärke ▸ Grammatik: Anzahl der Sätze mit Zielstruktur geteilt durch Sätze der Sequenz insgesamt ▸ Lexikon: Anzahl der Zielwörter geteilt durch Sätze der Sequenz insgesamt ▸ Phonologie: Anzahl der Vorkommen des Ziellautes geteilt durch die Gesamt‐ anzahl der Wörter der Sequenz Hohes Level: 0,7-1,00 Mittleres Level: 0,4-0,69 Niedriges Level: 0,1-0,39 Kriterien zur Präsentation der Zielstruktur in der Therapiesitzung natürlich prosodisch normale Sprechweise, keine extreme Betonung der Zielstruktur, keine Verlangsamung der Sprechweise frequent häufig wiederkehrendes Angebot der Zielstruktur mit kontrol‐ lierter Inputstärke prägnant sicherstellen, dass das Kind der Geschichte aufmerksam zuhört, dazu Entwicklungsniveau, Aufmerksamkeitsspanne und Inter‐ esse berücksichtigen lexikalisch variabel die Zielstruktur wird mit einem variantenreichen Wortschatz ausgefüllt (betrifft grammatische und phonologische Inputan‐ reicherung) flexibel das sprachliche Angebot wird in flexiblen Satzstrukturen prä‐ sentiert, keine Reduktion der grammatischen Komplexität, keine starren Satzmuster kontrastreich die jeweilige Zielstruktur wird in einen funktional bedeutsamen Kontrast zu anderen Strukturen gesetzt thematisch / funk‐ tional eingebettet die Zielstruktur wird in einen nachvollziehbaren thematischen Kontext gestellt Tab. 1: Inputspezifizierung in der Sprachtherapie (Patholinguistischer Ansatz) 107 Inputspezifizierung und Bewusstmachung Im Kontext vorschulischer Sprachförderung werden inputorientierte Methoden in Form von Hörspielen eingesetzt. Niebuhr-Siebert und Ritterfeld (2012) zeigten, dass Kinder mit und ohne Sprachauffälligkeiten hörspielbezogene Sprachangebote nachhaltig zum Sprachlernen nutzen können. Es wird argu‐ mentiert, dass die mediale Möglichkeit des wiederholten Anhörens und die dadurch entstehende redundante Rezeption dazu beitragen, dass sich die ge‐ hörten sprachlichen Formen und Inhalte zunehmend im Langzeitgedächtnis verankern. Im Gegensatz zur therapeutischen Inputspezifizierung geht es bei den hörspielbasierten Sprachlernangeboten weniger um die gezielte Präsenta‐ tion individuell ausgewählter Zielstrukturen als um das Bereitstellen eines insgesamt hochwertigen, komplexen und unterhaltsamen Inputs, der sich all‐ gemein sprachförderlich auswirkt. 2.2. Metasprachliche Methoden Der implizit wirkenden Inputanreicherung stehen explizite, metasprachliche Lehr- und Lernmethoden gegenüber, die eine bewusste Auseinandersetzung des Kindes mit sprachlichen Strukturen und Regularitäten erfordern. Der Declarative Memory Compensation Hypothesis folgend fällt es gerade Kindern mit SES schwer, durch inzidentelles, prozedurales Lernen genau die Informationen aus der Umgebungs‐ sprache herauszufiltern und zu nutzen, die ihre Sprachentwicklung vorantreiben können. Daher sollten sie besonders von expliziten Vermittlungsformen profitieren, gewissermaßen als Umweg (Hirschmann 2000, Ullman & Pullman 2015), den Kinder mit typischer Entwicklung nicht benötigen. Da sich die Fähigkeit zur bewussten Reflexion über Sprache mit zunehmendem Alter herausbildet, wird angenommen, dass insbesondere ältere Kinder (etwa ab Schulalter) gut mit metasprachlichen Methoden umgehen können (Ebbels 2014). Um metasprachliche Instruktionen für Kinder verschiedener Altersstufen nachvollziehbar zu machen, werden oft visuelle Symbole eingesetzt, die für be‐ stimmte sprachliche Kategorien stehen und Regularitäten illustrieren. So dienen im Ansatz des Shape Codings (Ebbels 2007, Ebbels, van der Lely & Dockrell 2007) Formen, Farben und Pfeile der Veranschaulichung von Wortarten und Konstituenten; im MetaTaal-Konzept (Zwitserlood, van Weerdenburg, Wijnen & Verhoeven 2015) werden Sätze mit Legosteinen verschiedener Größe und Farbe im Wortsinn „gebaut“. Im Methodenrepertoire des PLAN ist metasprachliche Instruktion ebenfalls eine Option, die bei der Arbeit auf allen sprachlichen Ebenen komplementär zu anderen Methoden angewandt werden kann. In der Therapie phonologischer Störungen werden beispielsweise Laute oder Lautmerkmale durch Symbolkarten repräsentiert (z. B. ein knurrender Hund für das Phonem / r/ ), auf lexikalischer 108 Christina Kauschke Ebene werden semantische Merkmale als Bestandteile von Wortbedeutungen erarbeitet, in der Therapie grammatischer Störungen werden morphologische Markierungen oder syntaktische Regeln visualisiert (z. B. Symbole für Suffixe oder Bestimmung der Verbposition im Satz mit Spielzeugen). Insbesondere bei Kindern im Vorschulalter sollte der Einsatz metasprachlicher Methoden vorsichtig, individuell angepasst und kindgerecht erfolgen (siehe Tab. 2). Kriterien zum Einsatz metasprachlicher Instruktion in der Therapiesitzung Symbolverwendung Einsatz von konstanten und transparenten visuellen Symbolen (Symbolkarten), Absicherung des Symbolverständnisses Abstraktheitsgrad Anpassen des metasprachlichen Niveaus, Auswahl und Anzahl der Symbole dem Entwicklungsniveau des Kindes angepasst, kindgerechte Termini für sprachliche Einheiten/ Konstituenten und grammatische Funktionen Anbindung/ Kombination Anbindung der metasprachlichen Einheit an andere Thera‐ pieeinheiten, Kombination mit anderen Methoden, Platzierung als einführende Bewusstmachung oder nachfolgende Erklä‐ rung Dosierung/ Begrenzung Metasprachliche Einheiten in der Länge begrenzen (wenige Minuten), metasprachliches Arbeiten nur bezogen auf den ge‐ rade bearbeiteten Schritt/ Lerngegenstand, Berücksichtigung des Störungsbewusstseins Tab. 2: Metasprachliche Instruktion in der Sprachtherapie (Patholinguistischer Ansatz) 2.3. Offene Fragen Die hier dargestellten methodischen Ansätze stützen sich auf zwei unterschiedliche Mechanismen zum Erwerb sprachlichen Wissens: das unbewusste Aufnehmen auf der einen und das bewusste Aneignen auf der anderen Seite. Für jeden der beiden Ansätze für sich konnten in bisheriger Interventionsforschung Wirksamkeitsnach‐ weise erbracht werden (eine Zusammenfassung relevanter Studien findet sich in Kauschke und Rath 2017, ein Review für den Bereich Grammatik in Ebbels 2014). In der sprachtherapeutischen Praxis ist es üblich, innerhalb des Therapieverlaufs und meist auch innerhalb einer Therapiesitzung verschiedene Methoden und Modalitäten miteinander zu kombinieren, um die Therapie abwechslungsreich und motivierend zu gestalten und die Aufmerksamkeit der Kinder nicht zu überfordern. Angesichts der Tatsache, dass ein kombinierter bzw. komplementärer Einsatz von aufmerksamkeitslenkenden und bewusstmachenden Methoden intuitiv ein‐ leuchtet und dieser häufig empfohlen und praktiziert wird, ist es erstaunlich, dass bislang kaum systematisch untersucht wurde, ob Kombinationen tatsächlich 109 Inputspezifizierung und Bewusstmachung Vorteile gegenüber einem isolierten Methodeneinsatz bieten und welche Art von Kombination für welche Zielgruppen und in welchem Interventionskontext geeignet ist. Um diesen Fragen nachzugehen, werden im Folgenden eigene Inter‐ ventionsstudien präsentiert. 3. Methodenvergleichende Interventionsstudien Zur Vorbereitung der später vorzustellenden vergleichenden Interventionsstu‐ dien fand zunächst eine Pilotuntersuchung statt, mit der geprüft wurde, ob eine kurzfristige und intensive inputorientierte Förderphase zu einer Verbesserung morphologischer Fähigkeiten bei Vorschulkindern führen kann. An dieser Studie (genauer dargestellt in Kauschke & Rath 2017) nahmen 29 bilingual aufwachsende Kinder zwischen fünf und sechs Jahren teil. Die Förderung zielte auf die Pluralmarkierung im Deutschen ab, die sich aufgrund von Vortests bei diesen Lernenden noch als Problembereich erwies. An 10 aufeinander folgenden Werktagen wurden in Kleingruppen pro Tag je drei Hörgeschichten präsentiert, die sich die Kinder aufmerksam anhörten, ohne Hinweise auf den Lerngegenstand Plural zu erhalten. Die Inputsequenzen entstammten den Materialien des PLAN für Grammatikstörungen (Kauschke & Siegmüller 2017b). In jeder Sequenz stand ein Pluralsuffix im Zentrum, das frequent an je vier exemplarischen Nomen erschien (siehe Abb. 1 und 2): Zielstruktur: Items: Pluralsuffix -s, Inputstärke 0,44 Panda(s), Zebra(s), Foto(s), Känguru(s) […] Als Hannes mit seiner Mama im Zoo angekommen ist, laufen beide direkt zu den Pandas. „Aber da ist ja kein einziger Panda zu sehen, ich glaube wir sind falsch! “ sagt Hannes. „Wir sind schon richtig! Auf dem Schild hier steht ganz groß: Hier leben unsere Pandas. Wir müssen einfach Ausschau nach den Pandas halten“, fügt Frau Hansen hinzu. Und tatsächlich, am anderen Ende des Geheges sieht man einen großen Panda und zwei ganz kleine Pandas. Die zwei kleinen Pandas liegen ganz nah bei dem großen Panda. Schnell macht Hannes noch ein paar Fotos von den kleinen Pandas und dem großen Panda. Die schönsten Fotos kann er dann Nele, Mila und Ben zeigen. Hoffentlich kann man die kleinen Pandas auf einem Foto erkennen. Als Hannes genügend Fotos gemacht hat, macht er sich mit seiner Mutter auf die Suche nach den Zebras. Hannes will schließlich auch ein Foto von dem kleinen Zebra schießen. Alle Besucher des Zoos laufen direkt zu den Zebras. […] Abb. 1: Auszug aus der Inputsequenz „Der Zoo bekommt Nachwuchs“ (aus Kauschke & Siegmüller 2017b) 110 Christina Kauschke 2 Hier operationalisiert als Mean Length of Utterance in Wörtern: Anzahl der Wörter in einem Sprachausschnitt geteilt durch die Anzahl der Äußerungen. Zielstruktur: Items: Pluralsuffix -er (mit und ohne Umlaut), Inputstärke 0,40 Schlösser, Kleider, Schwerter, Bilder […] Nach einiger Zeit sehen die Kinder das Schloss Schlottersteig am Horizont. Es erhebt sich, fast wie alle Schlösser, auf einem Berg. In Zweiergruppen geht die Klasse 1b angeführt von Frau Meier in den Schlosshof. Dort beginnt die Führung. Die Kinder erfahren, wie die Menschen früher auf Schlössern gelebt haben. Das Leben der Adeligen und des Volkes ist durch viele Bilder dokumentiert. Das erste Bild gefällt Mila besonders gut. Auf dem Bild sieht man zwei adlige Damen, die beide festliche, wallende Kleider anhaben. Durch die Schlossführerin erfährt das Mädchen, dass es früher sehr anstrengend für Frauen war, solche Kleider zu tragen, da jedes Kleid aus mehreren Stoffschichten bestand. Unter den Kleidern trugen die Frauen ein Korsett, dieses wurde so eng geschnürt, dass die Frauen kaum Luft bekamen. Jedes der Kleider wurde extra vom Schneider angefertigt. Dadurch wurde natürlich jedes Kleid ein Einzelstück. Da die Kleider durch ihre Herstellung sehr teuer waren, hatten selbst die adeligen Frauen nur wenige Kleider. […] Abb. 2: Auszug aus der Inputsequenz „Der Wandertag“ (aus Kauschke & Siegmüller 2017b) Der Vergleich zwischen Vor- und Nachtests zeigte, dass die Kinder nach der Intervention signifikant besser Pluralmarkierungen produzieren konnten als zuvor. Dies galt nicht nur für die Nomen, die in den Geschichten vorkamen, sondern auch für vergleichbare Kontrollitems (Generalisierungseffekt). Auch drei Wochen nach Beendigung der Förderphase waren die Lerneffekte noch nachweisbar. Die durchschnittliche Äußerungslänge (MLU 2 ), die als Kontroll‐ bedingung diente, veränderte sich nicht, sodass von interventionsspezifischen Effekten auszugehen war. Die Pilotstudie gab also erste Hinweise darauf, dass Vorschulkinder von auditiv angebotenen Inputsequenzen ohne bewusst‐ machende Elemente profitieren. Daran schlossen sich die weiterführenden Ziele an, (1) die am Beispiel der Pluralmarkierung erprobte Intervention auf einen weiteren Lerngegenstand zu übertragen, (2) die rein inputorientierte Methodik einer Methodenkombina‐ tion gegenüberzustellen und (3) neben bilingual aufwachsenden Kindern mit typischer Entwicklung auch Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen einzube‐ ziehen. Als Lerngegenstand wurde nun Genus - genauer: die Genusmarkierung am bestimmten Artikel vor Nomen - ausgewählt. Dieser Gegenstand eignet sich 111 Inputspezifizierung und Bewusstmachung zum einen, weil der Genuserwerb sowohl DeutschlernerInnen als auch Kindern mit SES oft schwerfällt und zum anderen, weil das deutsche Genussystem mit seiner „intransparenten Mischung aus Konvention und Willkür“ (Krüger 2017: 104) sowohl Regellernen als auch lexikalisiertes Lernen erfordert. Somit ergaben sich die Fragestellungen: - Durch welche Methoden(-kombination) können sprachliche Lernfort‐ schritte im Bereich Genus erzielt werden? - Lassen sich Fortschritte aufgrund von alleiniger Inputanreicherung beob‐ achten? - Lässt sich durch zusätzliche metasprachliche Instruktion ein weiterer Lern‐ zuwachs erreichen? In beiden Studien waren Material und Methodik identisch: Zu Beginn wurde ein Vortest durchgeführt, bei dem eine Nominalphrase mit definitem Artikel und Nomen zu Bildern produziert werden sollte. Kinder, die in weniger als 80 % der Fälle den definiten Artikel mit korrektem Genus verwendeten, wurden in die Studie eingeschlossen. An den Vortest schloss sich die Interventionsphase an, die wieder aus 10 Sitzungen an 10 Werktagen bestand. An jedem Termin wurden drei Inputgeschichten präsentiert, in denen die Zielstruktur, also Nomi‐ nalphrasen mit definitem Artikel, mit mittlerer bis hoher Inputstärke enthalten war. Jeweils die Hälfte der abgetesteten Nomen diente dabei als Übungsbzw. Kontrollitems. Als Übungsitems fungierten Nominalphrasen (bestimmter Artikel und Nomen), die sowohl in den Vor- und Nachtests abgeprüft als auch in den Geschichten präsentiert wurden. Verbessern sich die Leistungen bei diesen Items im Nachtest, ist davon auszugehen, dass das Kind das Genus dieser spezi‐ fischen Nomen während der Interventionsphase gelernt hat. Die Kontrollitems dagegen wurden nur abgeprüft, ohne in den Geschichten aufzutauchen. Zeigt sich auch hier eine Verbesserung im Nachtest gegenüber dem Vortest, lässt dies (bei regelhafter Genuszuweisung) auf die Fähigkeit zur Erkennung und Generalisierung von Mustern schließen. Die Items und Geschichten (entnommen bzw. angelehnt an die Materialien in Kauschke & Siegmüller 2017b) waren so gestaltet, dass sie Genusmarkierungen am bestimmten Artikel fokussierten und einige bestehende Regelmäßigkeiten der Genusverwendung aufgriffen. Über eine Geschichte mit kontrastiv ver‐ wendeten Homonymen (wie z. B. der Kiefer, die Kiefer, siehe Abb. 3) sollte die Sensibilität für definite Artikel erhöht werden. In weiteren Sequenzen kamen Wortgruppen vor, bei denen die Genuszuweisung über das natürliche Ge‐ schlecht (die Henne, der Hahn, das Küken) oder anhand von Derivationssuffixen (Personen- und Berufsbezeichnungen wie der Lehrer, die Lehrerin, Diminutiva 112 Christina Kauschke wie das Jäckchen, das Bächlein, siehe Abb. 4) vorhersagbar war. Später einge‐ führte Geschichten enthielten Nomen mit einer aufgrund ihrer phonologischen Form probabilistischen Genuszuweisung (die Mütze/ die Vase, der Koffer/ der Reifen) und Items ohne regelgeleite Genuszuweisung. Zur Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit und zur Motivation wurde jede Hörgeschichte durch ein Ausmalbild illustriert. Das Material wird damit den in Madlener-Charpentier (in diesem Band) formulierten Kriterien gerecht, nach denen angereicherter Input hochfrequent und variabel sein, in Form kohärenter Texte präsentiert und an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen angeboten werden sollte. Zielstruktur: Items: Homonyme mit unterschiedlichem Genus zur Sensibilisierung für Genus der/ die Kiefer, der/ das Junge […] Heute sind die Kinder wieder einmal unterwegs zum Reiterhof im Nachbarort. Als sie in die Hofeinfahrt einbiegen, sehen sie den Sohn des Reiterhofbesitzers. Der Junge hat einen großen Hut auf dem Kopf. […] Schnell laufen die vier Freunde zur Box und entdecken ein Reh mit einem Kitz. Das Junge ist noch sehr klein und es bewegt sich noch sehr tollpatschig. Der Junge legt das ganze Heu um die Rehmama und das Junge. Der Junge wird dabei die ganze Zeit beobachtet: Das Junge verfolgt ihn mit seinen großen Augen. Einen Jungen mit Hut hat das Junge bestimmt noch nie gesehen. Der Junge bewegt sich ganz langsam und redet beruhigend auf das Junge und die Rehmama ein. Da das Junge dennoch Angst vor dem Buben hat, rutscht es immer näher zu seiner Mama. Damit das Junge durch sie nicht noch ängstlicher wird, verlassen die vier Freunde leise den Stall und lassen es in Ruhe. […] Abb. 3: Auszug aus der Inputsequenz „Soweit die Füße tragen“ (aus Kauschke & Sieg‐ müller 2017b) 113 Inputspezifizierung und Bewusstmachung Zielstruktur: Items: Genusmarkierung bei Suffixen -er und -in, Inputstärke 0,43 der/ die Lehrer/ in, der/ die Bäcker/ in […] „Zuerst müssen wir den Teig für das Brot vorbereiten“, sagt die Bäckerin, „Wer möchte mir dabei helfen? “ Natürlich finden sich gleich fleißige Helfer, die ihr bei den Vorbereitungen für den Teig helfen. Hannes schaut gespannt zu und auch der Lehrer und die Lehrerin scheinen ganz interessiert zu sein. „Der Lehrer und die Lehrerin haben bestimmt auch noch nie gesehen, wie man ein Brot backt“, denkt sich Hannes. „Zuerst müssen alle Zutaten hinzugefügt und dann gut vermischt werden“, sagt die Bäckerin. „Und dann müsst ihr den Teig gleich gut durchkneten. Danach tun euch bestimmt die Arme weh! “, meint die Lehrerin. „Ja, das stimmt“, antwortet die Bäckerin lachend, „vielleicht kann der Lehrer ja auch helfen“, schlägt sie vor. „Aber natürlich! “, antwortet der Lehrer. Schnell krempelt er sich die Ärmel von seinem Hemd hoch und wäscht sich die Hände. Nun ist der Lehrer einsatzbereit. „Na, ganz schön anstrengend, was? “, lacht der Bäcker. […] „Ja, das kann man wohl sagen“, schnauft der Lehrer. […] Abb. 4: Auszug aus der Inputsequenz „Der Schulausflug“ (aus unveröffentlichten Mate‐ rialien zu Studie 2) Es wurden zwei Experimentalgruppen mit (pseudo)-randomisierter Zuordnung gebildet. In beiden Studien erhielt Gruppe 1 analog zur Pilotstudie eine rein inputbasierte Förderung, während Gruppe 2 zusätzlich zu den Hörgeschichten metasprachliche Lehreinheiten angeboten wurden. Der generelle Ablauf der Sitzungen und die auditive Präsentation der Inputsequenzen war für beide Gruppen gleich, unterschiedlich war nur die Einführung durch die Experiment‐ leiterin. In Gruppe 1 wurde zunächst eine allgemeine Information zum Inhalt der folgenden Geschichte gegeben, ohne dass ein Bezug zum Lerngegenstand Genus hergestellt wurde. Die Kinder wurden instruiert gut zuzuhören und das Bild anzuschauen. In Gruppe 2 dagegen verdeutlichte die Experimentleiterin das Lernziel Genus mit metasprachlichen Erläuterungen unter Verwendung visueller Symbole. In den kurzen Instruktionseinheiten wurden Regeln, Ten‐ denzen und Besonderheiten der Artikelverwendung in kindgerechter Weise thematisiert (siehe Abb. 5), bevor die dazu passende Geschichte abgespielt wurde. Die Kinder wurden angehalten gut zuzuhören und auf die Artikel („Begleiter“) zu achten. Am Ende der zehntägigen Phase führten Personen, die nicht über die Gruppenzugehörigkeit der Kinder informiert waren, die Posttests durch. 114 Christina Kauschke 3 Ein großer Dank geht an das Sprachheilzentrum Meisenheim für die Kooperation und die Möglichkeit mehrere Wochen lang in der Einrichtung mit den Kindern zu arbeiten. Vanessa Walter und Anna Gärtner führten die Testungen bzw. die Interventionsphase durch. • Es geht um die Begleiter der, die und das und diese wollen wir in nächster Zeit üben. Dazu hören wir uns Geschichten an, in denen wir ganz genau auf die Begleiter achten können und wir überlegen uns bei jeder Geschichte, ob es einen Trick gibt, der uns verrät, welcher Begleiter zu einem Wort gehört. • Den Begleiter das nimmt man, wenn etwas klein ist. Deshalb haben wir ja auch das kleine gelbe Viereck, stimmt’s? Wenn etwas ganz klein ist, dann haben die Wörter hinten oft ein -chen oder ein -lein. Zum Beispiel Löffelchen oder Blümlein. Hört mal in der Geschichte genau auf den Begleiter das bei den Wörtern mit -chen oder -lein. • Kennt Ihr den Trick noch, wann man die als Begleiter nehmen muss? Wenn man in einem Wort hinten ein -ung hört, wie in Zeitung, dann muss man als Begleiter immer die nehmen. Abb. 5: Auszüge aus den metasprachlichen Instruktionen (aus unveröffentlichten Mate‐ rialien zu Studie 2) Dem beschriebenen Design folgend wurden unabhängig voneinander zwei Studien mit unterschiedlichen Stichproben durchgeführt. An der ersten Studie (Sprachförderkontext, dargestellt in Kauschke & Rath 2017) nahmen 15 bilingual aufwachsende Kinder mit einem Durchschnittsalter von 5; 7 Jahren teil, deren Deutschkenntnisse mit einem Sprachstanderhebungsverfahren eingeschätzt wurden. Die Intervention fand im Kindergarten statt. Aufgrund krankheitsbe‐ dingter Ausfälle schlossen nur sechs Kinder aus der Input-Gruppe und neun Kinder aus der Gruppe mit metasprachlicher Instruktion die Intervention und den Vor- und Nachtest ab. Die zweite Studie (Sprachtherapiekontext) umfasste eine größere Stichprobe von 28 (ursprünglich 30) mono- und bilingualen Kindern mit SES (Durchschnittsalter 8; 5 Jahre), die zu gleichen Teilen auf die beiden Experimentalbedingungen aufgeteilt wurden. Da es ausgesprochen schwierig ist, Kinder mit diagnostizierten Sprachentwicklungsstörungen für eine Intervention an 10 aufeinander folgenden Werktagen zu rekrutieren, bestand die Stichprobe aus Kindern, die sich aufgrund massiver sprachlicher Beeinträchtigungen stationär in einem Sprachheilzentrum aufhielten 3 . In um‐ fangreichen Vortests wurden die kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten der Kinder erfasst, sodass die beiden Experimentalgruppen in Bezug auf Alter, Ge‐ schlecht, Spracherwerbstyp (mono- oder bilingual), sprachliche Leistungen und 115 Inputspezifizierung und Bewusstmachung 4 Ausführlichere Darstellungen und weitere Ergebnisse finden sich in Kauschke und Rath (2017) und Müller, Rysop und Kauschke (2014) für die Studie mit Kindergartenkindern und in den Masterarbeiten von Gärtner (2018) und Walter (2018) für die Studie mit SES-Kindern. kognitive Fähigkeiten in einer pseudorandomisierten Vorgehensweise einander angeglichen werden konnten, bevor per Münzwurf entschieden wurde, welche Gruppe welche Interventionsform erhielt. Für die Auswertung wurden die Reaktionen aller Kinder im Vor- und Nachtest miteinander verglichen, wobei vier Reaktionstypen erfasst wurden: (1) definiter Artikel korrekt realisiert (2) definiter Artikel falsch realisiert (3) Verwendung des indefiniten Artikels (4) andere Reaktion (Auslassung des Artikels, anderes Wort, keine Antwort) Die vielfältigen Ergebnisse aus beiden Studien können an dieser Stelle nur in relevanten Auszügen wiedergegeben werden 4 , der Fokus liegt hier auf Verände‐ rungen des ersten Reaktionstyps (d. h. der Anzahl der korrekt genusmarkierten bestimmten Artikel) vor und nach der Intervention. 3.1. Ergebnisse aus Studie 1 (Sprachförderkontext) Beide Gruppen von mehrsprachig aufwachsenden Vorschulkindern, die an Studie 1 teilnahmen, profitierten von der Förderung, was sich an signifikanten Unterschieden zwischen den Leistungen vor und nach der Interventionsphase (T1 versus T2) zeigte (siehe linke Hälfte von Abb. 1, Wilcoxon-Tests p < 0.05, genaue statistische Kennwerte in Kauschke & Rath 2017). Mit anderen Worten, sowohl die Inputanreicherung allein als auch die Inputanreicherung in Kom‐ bination mit metasprachlichen Erklärungen führten zu signifikanten Verbesse‐ rungen. Bedeutsame Fortschritte ließen sich dabei nicht nur für die Übungs‐ items, sondern auch für die Kontrollitems feststellen. Die Anzahl korrekter definiter Artikel unterschied sich zwischen den beiden Experimentalgruppen zu keinem Zeitpunkt, weder für das Gesamtset noch für Übungs- oder Kontrollitems separat (Mann-Whitney-U-Tests p < 0.05). Für jedes Kind wurde dann der Lernzuwachs (Differenz zwischen T2 und T1) berechnet, so dass die durchschnittlichen Lernzuwächse pro Gruppe verglichen werden konnten. Weder in Bezug auf die gesamten Items noch auf Übungs- oder Kontrollitems separat ergaben sich signifikante Unterschiede im Lernzuwachs zwischen den Gruppen. Das Ausmaß des Lerneffekts war in beiden Gruppen ähnlich und damit offenbar unabhängig von der Methode. Diesen Ergebnissen zufolge bestätigte sich an einem weiteren Lerngegenstand, dass reine Inputan‐ 116 Christina Kauschke reicherung sprachliche Fortschritte auslösen kann. Der Methodenvergleich wies darauf hin, dass eine zusätzliche metasprachliche Instruktion den über Inputanreicherung erzielbaren Lernerfolg im Bereich Genus nicht zu verstärken scheint. Die Kombination aus expliziten und impliziten Methoden erwies sich im Kontext der Sprachförderung gegenüber dem isolierten Einsatz einer aufmerk‐ samkeitslenkenden Methode somit nicht als überlegen. 33% 29% 48% 48% 67% 69% 56% 67% 0% 20% 40% 60% 80% 100% Gruppe 1: Input Gruppe 2: Input & Metasprache Gruppe 1: Input Gruppe 2: Input & Metasprache T1 T2 Studie 1: Vorschulkinder Sprachförderkontext Studie 2: Grundschulkinder Sprachtherapiekontext * * * * Abb. 6: Prozentuale Korrektheitswerte für definite Artikel für die beiden Experimental‐ gruppen im Prä- und Posttest; linke Seite: Studie 1, rechte Seite: Studie 2. T1 verweist auf den Zeitpunkt 1 (Vortest vor der Intervention), T2 auf den Zeitpunkt 2 (Nachtest nach der Intervention). Der Stern markiert statistisch signifikante Unterschiede. 3.2. Ergebnisse aus Studie 2 (Sprachtherapiekontext) Die Kinder mit SES in Studie 2 starteten mit durchschnittlich 48 % korrekter Artikelformen. Nach der Intervention hatte sich Gruppe 1 (reine Inputspezifizierung) auf 56 % und Gruppe 2 (zusätzliche metasprachliche Instruktion) auf 67 % verbessert (siehe rechte Hälfte der Abb. 6), was für beide Gruppen eine signifikante Verbesse‐ rung bedeutete und ebenfalls für die Übungs- und Kontrollitems separat galt (siehe Tab. 3). Betrachtet man den Lernzuwachs, also die Differenz zwischen korrekten Reaktionen im Prä- und Posttest, so stellte sich nun ein signifikanter Gruppenunter‐ schied heraus (Mann-Whitney Test U = 46,00 p = .016), dem zufolge der Lernzuwachs 117 Inputspezifizierung und Bewusstmachung bei Gruppe 2 größer ausfiel als bei Gruppe 1. Die zusätzliche metasprachliche Instruktion mit Bewusstmachung des Lerngegenstands trug offenbar zu effektiverem Lernen bei. Individuell betrachtet lag die Anzahl korrekter Reaktionen bei allen Kindern bis auf einem im Posttest höher als im Prätest. Durch McNemar-Tests wurde ermittelt, bei welchen Kindern die Veränderung zwischen Prä- und Posttest signifikant wurde. Ein signifikant positiver Lernzuwachs traf auf 10 der 28 Kinder zu, die als erfolgreiche LernerInnen bezeichnet wurden. Drei erfolgreiche LernerInnen stammten aus Gruppe 1 (nur Input), sieben aus Gruppe 2 (Input plus Metasprache). Betrachtetes Itemset Gruppe 1: Input Gruppe 2: Input & Metasprache T1 Prätest: kor‐ rekt produ‐ zierte definite Artikel Wörter gesamt 31,36 (13,85) 48% 31,36 (14,4) 48% Übungswörter 15,64 (6,93) 47% 15,21 (6,99) 46% Kontrollwörter 15,51 (7,02) 48% 16,41 (7,61) 49% T2 Posttest: korrekt produ‐ zierte definite Artikel Wörter gesamt 36,79 (12,08) 56% 44,41 (11,11) 67% Übungswörter 18,00 (5,9) 55% 21,93 (5,24) 66% Kontrollwörter 18,79 (6,53) 57% 22,21 (6,1) 67% T1 vs. T2 (Wil‐ coxon-Test) Wörter gesamt p= .004 p= .001 Übungswörter p= .005 p= .001 Kontrollwörter p= .005 p= .001 Zuwachs kor‐ rekter definiter Artikel Wörter gesamt 5,43 (4,82) 12,79 (9,17) Übungswörter 2,36 (2,62) 6,91 (3,97) Kontrollwörter 3,07 (2,97) 6,07 (5,74) Anzahl Kinder mit sign. Leis‐ tungssteigerung (nach McNemar-Test) Wörter gesamt 3 von 14 21% 7 von 14 50% Tab. 3: Ergebnisse von Studie 2 (Kinder mit SES, n = 14 pro Gruppe) für die Anzahl und den Anteil korrekt produzierter definiter Artikel im Vor- und Nachtest (66 Items). Angabe von Mittelwerten und Standardabweichung (in Klammern). 118 Christina Kauschke In einem nächsten Schritt wurde untersucht, welche individuellen Variablen mit erfolgreichem Lernen verbunden sein könnten. In der Gruppe der erfolgreichen LernerInnen befanden sich etwas mehr Jungen als Mädchen und etwas mehr monolinguale als bilinguale Kinder (jeweils im Verhältnis 60: 40), die Häufig‐ keitsverteilungen waren jedoch nicht signifikant unterschiedlich. Verglich man erfolgreiche und nicht erfolgreiche LernerInnen in Bezug auf ihre Eingangsleis‐ tungen in den sprachlichen und kognitiven Vortests, ergaben sich ebenfalls keine Unterschiede. Auffallend war, dass die erfolgreichen LernerInnen von einem geringeren Ausgangslevel starteten als die nicht erfolgreichen (35 % versus 55 % korrekte Reaktionen zu T1), d. h. die Kinder mit den anfänglich größten Problemen lernten am meisten. Schließlich wurde innerhalb der entstandenen Subgruppe der zehn erfolgrei‐ chen LernerInnen nach Korrelationen zwischen Lernzuwachs und Alter, non‐ verbalem IQ, Spracherwerbstyp und sprachlichen Testleistungen in den Vortests gesucht, wobei die Zugehörigkeit zu Experimentalgruppe 1 oder 2 (Methode Input oder Input plus Metasprache) als Kontrollvariable angesetzt wurde. Hier stellte sich heraus, dass der Zuwachs hoch mit der Überprüfung des Bildbenen‐ nens als Maß für den produktiven Wortschatz (Subtest aus dem SET 5-10, Pe‐ termann 2018) korrelierte (r = .877, p = .002) und ansonsten keine bedeutsamen Korrelationen auftraten. Schließlich bestätigte ein Regressionsmodell, dass die Variablen Bildbenennung und Gruppenzugehörigkeit (zu Gruppe 1 oder 2) 80 % der Varianz im Zuwachs korrekter Reaktionen aufklären konnten (korrigiertes R 2 = 0,806, p< .001), wobei beide Prädiktoren einen gleich starken Einfluss nahmen und beide signifikant waren. Gute lexikalische Ausgangsleistungen und eine Intervention, die Inputanreicherung mit Bewusstmachung kombinierte, führten somit zum bestmöglichen Lernergebnis. 4. Fazit zur Eignung von Methoden in unterschiedlichen Kontexten Aufmerksamkeitslenkende und bewusstmachende Methoden der Sprachver‐ mittlung werden nicht nur in didaktischen Kontexten des Zweit- und Fremd‐ sprachenlernens bzw. der sprachlichen Bildung eingesetzt, sondern auch in der Sprachtherapie und Sprachförderung, wo sie Kindern helfen sollen, die aus unterschiedlichen Gründen Schwierigkeiten mit dem Erwerb ihrer Mutter‐ sprache bzw. ihrer Umgebungssprache haben. Da Sprachlernen unabhängig von den jeweiligen Bedingungen des Erwerbs auf grundsätzlich ähnlichen kogni‐ tiven Mechanismen beruht, ist es naheliegend, von einer prinzipiell ähnlichen Wirkweise von Instruktionsformen auszugehen. Trotzdem müssen besondere Bedingungen berücksichtigt werden. So wurde für Kinder mit Sprachentwick‐ 119 Inputspezifizierung und Bewusstmachung lungsstörungen angenommen, dass implizit-inzidentelle Lernprozesse schwerer zugänglich sind, sodass eine Kompensation über bewusst-explizites Lernen hilfreich sein könnte. Um zu untersuchen, ob und wie gut Kindern unter unterschiedlichen Er‐ werbsbedingungen inputorientiertes Lernen gelingt und in welchem Maß eine zusätzliche Bewusstmachung der Lerngegenstände die Fortschritte steigern kann, wurden in diesem Beitrag zwei methodenvergleichende Inventionsstu‐ dien zum Lernziel Genus präsentiert. Ein bedeutendes Ergebnis der Studien ist, dass Kinder unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen klar von angereichertem Input profitierten. Dies galt nicht nur für bilinguale Vorschulkinder, die Unsicherheiten mit der Genusmarkierung im Deutschen zeigten (Gruppe 1 in Studie 1), sondern auch für Kinder im Grundschulalter, die sich wegen schweren, anhaltenden und gegenüber ambu‐ lanter Therapie resistenten Sprachentwicklungsstörungen stationär in einem Sprachheilzentrum aufhielten (Gruppe 1 in Studie 2). Durch die intensive Inputanreicherung konnten sich auch diese Kinder nach einer nur zweiwö‐ chigen Interventionsphase (10 Einheiten) signifikant verbessern, wenngleich ihr Lernzuwachs nicht so massiv ausfiel wie bei den Vorschulkindern ohne Sprachstörungen (s. Abb. 6). Beide Stichproben konnten offenbar den spezifisch angereicherten Input als Anstoß zum Erwerb neuer Strukturen bzw. zur Kor‐ rektur nicht zielsprachlicher Formen nutzen und morphologische Fähigkeiten verbessern. Diese Befunde unterstreichen die Effektivität von Inputoptimierung in der Sprachförderung und der Sprachtherapie. Die Ergebnisse zum zusätzlichen Einsatz kindgerechter metasprachlicher Instruktion fielen unterschiedlich aus: Für die Vorschulkinder (Gruppe 2 in Studie 1) brachte zusätzliche Bewusstmachung keinerlei weiteren Nutzen. Sie lernten mit und ohne Hinweise auf den Lerngegenstand Genus/ Artikel gleich gut. Die etwas älteren ProbandInnen mit SES hingegen (Gruppe 2 in Studie 2) profitierten von der metasprachlichen Methode: Die Kinder, die zusätzlich zum angereicherten Input Informationen zum Genus und Erklärungen zu den dahinter stehenden Regularitäten erhielten, verzeichneten einen signifikant höheren Lernzuwachs als die Kinder mit reiner Inputanreicherung. Dies lässt zunächst folgern, dass Kombinationen von Inputgabe und expliziter Sprachver‐ mittlung therapeutisch genutzt werden können. Zwei Gründe für die unterschiedliche Effektivität metasprachlicher Instruk‐ tion kommen in Frage: Zum einen kann hier ein Alterseffekt vorliegen. Die Vorschulkinder waren unter Umständen noch zu jung, um metasprachliche Erklärungen gewinnbringend zu verarbeiten. Einer verbreiteten Annahme zufolge ist implizites Lernen insbesondere in jungen Jahren aktiv, während 120 Christina Kauschke die Zugänglichkeit für explizites Lernen mit dem Alter ansteigt. Dies könnte erklären, dass die durchschnittlich acht Jahre alten Kinder mit SES die expliziten Angebote besser aufnehmen und umsetzen konnten als die fünfbis sechs‐ jährigen Vorschulkinder. Jedoch werden auch Einwände gegenüber starken Einflüssen des Alters auf Lernmechanismen erhoben: Vinter und Perruchet (2000) zeigten, dass implizites Lernen altersunabhängig möglich ist und sich zwischen vier und zehn Jahren kaum verändert; Lichtman (2013) argumentiert, dass die oft beschriebene Hinwendung zu explizitem Lernen nicht als altersbe‐ dingter Reifungsprozess, sondern eher als Effekt sich mit dem Alter wandelnder Lernumgebungen und alterstypischer Vermittlungsformen verstanden werden sollte. Insofern ist der - ohnehin nicht allzu erhebliche - Altersunterschied zwischen den Stichproben wahrscheinlich keine hinreichende Erklärung für den differentiellen Nutzen expliziter Methoden. Die zweite Erklärungsmöglichkeit bezieht sich auf die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen. Bei den Vorschul‐ kindern lagen keine Entwicklungsbeeinträchtigungen vor, sie zeigten lediglich Unsicherheiten mit einem Paradigma, das im kindlichen Zweitspracherwerb des Deutschen eine typische Erwerbshürde darstellt (Ruberg 2013). Ihre intakten Lernmechanismen erlaubten ihnen, das optimierte Sprachangebot so gut zu verarbeiten, dass weitere Erklärungen, auch wenn sie in kindgerechter, ver‐ ständlicher Form transportiert wurden, keinen Zugewinn brachten. Aufgrund ihrer eingeschränkten Lernmechanismen konnten die Kinder mit SES dagegen weniger effizient implizit lernen und profitierten daher von der zusätzlichen Bewusstmachung des Lerninhalts. Dieser Befund steht in Einklang mit der Declarative Memory Compensation Hypothesis, auch wenn zu betonen ist, dass explizites Lernen nicht das implizite ersetzt hat, sondern additiv wirkte. Der hier berichtete Befund, dass gutes Wortschatzwissen maßgeblich zum Lernerfolg beitrug, stärkt die Rolle des deklarativen Gedächtnisses für Sprachlernprozesse bei SES. Abschließend kann festgehalten werden, dass gezielte Inputanreicherung ein starkes und wertvolles didaktisches bzw. therapeutisches Mittel in der Sprach‐ intervention darstellt, das in Förder- und Therapiekontexten unbedingt genutzt werden sollte. Kinder in verschiedenen Altersstufen und mit verschiedenen Entwicklungsbedingungen können sprachliche Strukturen erwerben bzw. ihre Kenntnisse und Fähigkeiten verbessern, auch wenn ihnen der Lerngegenstand nicht bewusst ist. Die Frage, wann und wie bewusstmachende Elemente kom‐ plementär eingesetzt werden können, um die Lernprozesse zu lenken und zu optimieren, bedarf weiterer Forschung. 121 Inputspezifizierung und Bewusstmachung Literatur Baumgartner, Stephan (2008). Kindersprachtherapie. München: Ernst Reinhardt. Bishop, Dorothy V.M. (2014). 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Einleitung Im vorliegenden Beitrag werden Überlegungen zusammengetragen, die im Rahmen des Sprachförderprojektes „Deutsch für den Schulstart“ 1 an der Univer‐ sität Heidelberg entwickelt und in einer angeschlossenen Seminarveranstaltung zum Thema „Sprachdidaktik im Elementarbereich“ im Wintersemester 2018/ 19 vertieft wurden. Der Beitrag befasst sich mit Fragen der Sprachvermittlung des Deutschen als Zweitsprache. Er skizziert grundlegende spracherwerbstheoreti‐ sche und sprachdidaktische Überlegungen, auf die bei der Entwicklung von Sprachfördermaterialien (Spielen, Geschichten, Liedern und Reimen) aufgebaut werden kann. Der Kontext, im dem die nachfolgend dargelegte Argumentation relevant wird, ist also ein anwendungsbezogener. Dabei wird mit dem vorliegenden Beitrag nach einem didaktischen Vorgehen gefragt, das dazu geeignet ist, Vorschulkinder in ihrer natürlichen, unbewussten Sprachentwicklung im Deutschen als Zweitsprache gezielt und systematisch zu unterstützen, mit dem Ziel „[…] dem Sprachverarbeiter und den impliziten Lernprozessen zuzuarbeiten“ (Koeppel 2016: 37). Am Beispiel der Pluralbildung des Substantivs im Deutschen unterbreitet Kapitel 6 in diesem Sinne konkrete Vorschläge zu einer Förderdidaktik, die das intakte Erwerbsvermögen von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache unterstützen will. Der Vorschlag be‐ schreibt, wie das Sprachangebot in der Förderung gestaltet werden könnte, sodass die spontansprachliche Fähigkeit der Kinder unterstützt wird, nominale Pluralformen des Deutschen nach abstrakten Mustern regelhaft zu bilden, z. B. Tisch-Tische, Lampe-Lampen, Klo-Klos. Zentrale Aspekte dieses förderdidakti‐ schen Entwurfes betreffen u.a. - den konsequenten Verzicht auf den Versuch, das Bewusstsein des Kindes auf die kritischen Formen im Input (Singular- und Pluralstämme) oder gar auf die den Formen zugrundeliegenden Bildungsmuster zu richten; - die Vorgestaltung des Sprachangebots mit Blick auf die Auftretenshäufigkeit und Auswahl konkreter sprachlicher Formen im Input (Token- und Typ-Fre‐ quenz), mit dem Ziel, die Intake-Generierung zu steuern und anschließende Induktionsprozesse zu unterstützen; - die konsequente Berücksichtigung der natürlichen Entwicklungssequenz, über die sich Kinder mit Deutsch als Zweitsprache diesen Erwerbsgegen‐ stand schrittweise aneignen. In Kapitel 2 wird zunächst dargestellt, welche Vorstellung von Spracherwerb den anschließenden didaktischen Überlegungen zugrunde gelegt wird. Dabei wird auf eine Reihe wesentlicher Merkmale des kindlichen (Erst- und Zweit-)Sprach‐ erwerbs eingegangen und dabei vor allem seine natürliche Eigendynamik hervorgehoben. Damit wird der Rahmen abgesteckt, in dem sich die hier vorgeschlagene elementarpädagogische Sprachdidaktik abspielt: Erst, wenn die Eigendynamik des natürlichen kindlichen Spracherwerbs bekannt ist, kann über Möglichkeiten der gezielten Einflussnahme auf diese natürlichen Erwerbspro‐ zesse nachgedacht werden (etwa im Bereich des Pluralerwerbs). Kapitel 3 setzt sich darauf aufbauend mit der Frage auseinander, warum im Elementarbereich überhaupt die Notwendigkeit besteht, auf den Zweit‐ spracherwerb didaktisch einzuwirken. Grundlegender formuliert: Was ist die Ursache dafür, dass der Erwerb des Deutschen als Zweitsprache trotz frühen Erwerbsbeginns häufig nur verzögert und stockend verläuft, sodass sich erst die Notwendigkeit eines zusätzlichen sprachlichen Unterstützungsangebots ergibt? Die Klärung dieser Frage führt zu einer ersten didaktischen Implikation: Den Kindern ist ein vorgestaltetes Sprachangebot zu unterbreiten, das ihrem natürlichen, intakten Sprachvermögen optimal zuarbeitet. Diese Zielsetzung unterscheidet sich von didaktischen Überlegungen im Kontext des erwachsenen Sprachlernens, wo die Überwindung von Verarbeitungsdefiziten (z. B. alters- 128 Giulio Pagonis 2 Alle in diesem Beitrag angeführten fehlerhaften Lernerbildungen werden mit * ge‐ kennzeichnet und sind entweder aus den in Wegener (2008) dokumentierten spon‐ tansprachlichen Äußerungen von Grundschulkindern mit Deutsch als Zweitsprache übernommen oder aus den in Hinnerichs und Pagonis (2015) elizitierten Daten von Vorschulkindern mit Deutsch als Zweitsprache. Alle hier aufgeführten Pluralformen stellen, ausgehend vom syntaktischen Kontext der elizitierten Lerneräußerung, stets Pluralformen im Nominativ dar, sodass mögliche andere Kasusformen wie *Eimern als (fehlerhafte) Nominativformen interpretiert werden. oder erstsprachenbedingt) im Zentrum der didaktischen Zielsetzung steht, und somit auch andere, z. B. bewusstseinsorientierte, Vermittlungsverfahren zum Einsatz kommen. In Kapitel 4 wird diese Idee elaboriert und eine zweite didaktische Impli‐ kation abgeleitet: Da der kindliche Spracherwerb vom Konkreten zum Abstrakten verläuft, muss ein Ziel der didaktischen Planung darin bestehen, die Zusammensetzung des im Gedächtnis des Kindes abgelegten, konkreten Ausdrucksrepertoires (also der Induktionsbasis für die Abstraktionsleistung) so zu beeinflussen, dass implizite Abstraktionsprozesse gezielt unterstützt werden. Der unaufdringlichste didaktische Weg, auf dem diese Einflussnahme auf die Zusammensetzung der Induktionsbasis erfolgen kann, besteht in der gezielten Manipulation der Vorkommenshäufigkeit ausgewählter Formen im Sprachangebot. Dabei wird angenommen, dass konkrete Form-Bedeutung-Zu‐ ordnungen umso eher aus dem Input übernommen werden, je häufiger sie dem Kind in einer kommunikativ-sinnvollen Interaktion begegnen und dass für Abstraktionsprozesse zusätzlich die Erfahrung systematischer Variation essenziell ist (Bybee 2008). Kapitel 5 ergänzt eine dritte didaktische Implikation zur Frage der Förderpro‐ gression und konkretisiert sie am Beispiel des Lerngegenstands Pluralbildung, der hier aus der Perspektive des Deutschen als Zweitsprache aufgeschlüsselt wird. Es wird gezeigt, dass Kinder im Erwerb der deutschen Pluralmorphologie sukzessiv zwei Erwerbsphasen durchlaufen (zunächst product-orientiert, in der zweiten Phase dann product- und source-orientiert). Die Anreicherung des Sprachangebots sollte infolgedessen so angelegt sein, dass das unbewusste Erwerbsvermögen des Kindes zunächst gezielt darin unterstützt wird, ein pro‐ duct-orientiertes Schema der Pluralbildung abzuleiten, obwohl dieses Schema auch zu falschen Formen führen muss (z. B. ein Tisch vs. zwei *Tischen 2 ). Erst wenn dieser erste Abstraktionsschritt vollzogen wurde, soll das Sprachangebot in der Weise angepasst werden, dass der natürlicherweise darauf aufbauende zweite Erwerbsschritt gezielt unterstützt wird (also die implizite Abstraktion eines product- und source-orientierten Bildungsschemas). 129 Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung Kapitel 6 unterbreitet schließlich konkrete Vorschläge zu einer implizit form‐ fokussierenden Sprachförderung im Bereich der deutschen Pluralmorphologie, die die drei hier skizzierten didaktischen Implikationen berücksichtigen. 2. Erwerb und Förderung: Grundlagen Sprachdidaktik wird in der folgenden Diskussion als theoretische Disziplin betrachtet, die sich mit der Frage nach der Beeinflussbarkeit natürlicher Sprach‐ verarbeitungs- und -lernprozesse befasst. Je mehr über die Natürlichkeit des kindlichen Spracherwerbs bekannt ist, desto zielgenauer kann die didaktische Planung erfolgen. Was aber ist mit „Natürlichkeit“ des Spracherwerbs gemeint? Der Begriff natürlich soll die grundlegende Annahme zum Ausdruck bringen, dass ein Menschenkind schon früh im Leben über das humanspezifische (jedoch nicht notwendigerweise sprachspezifische, Tomasello 2009) Vermögen verfügt, eine oder mehrere Symbolsprachen zu erwerben, und dies - außerhalb gesteuerter Vermittlungskontexte (z. B. Sprachförderung oder Un‐ terricht), d. h. allein über die Teilhabe an sich wiederholenden alltäglichen Episoden sozialer Interaktion (Tomasello 2009); - beiläufig, d. h. ohne bewusste Lernintention, sobald Kontakt zu Sprache als Medium der sozialen Interaktion besteht; - implizit, also ohne Beteiligung des Bewusstseins am regelhaften und krea‐ tiven Auf- und Ausbau formaler Regularitäten (Paradis 2009); - unter Einsatz allgemein-kognitiver Fähigkeiten der Mustererkennung (N. Ellis 2015, Tomasello 2003) sowie der sozio-kognitiven Fähigkeit, verstehen zu können, dass das beobachtbare (auch sprachliche) Handeln der umge‐ benden Menschen von Intentionen geleitet ist (Tomasello 2003) und somit auf den intentionalen Gehalt (die kommunikative Bedeutung) hin „durch‐ sucht“ und verstanden werden kann; - prozesshaft, d. h. über den Auf- und Ausbau von lernersprachlichen Zwi‐ schensystemen (sog. Lernervarietäten oder Lernergrammatiken), die den jeweiligen Stand der „Fahndungsbemühungen“ des Kindes abbilden und sich im Normalfall allmählich der zielsprachlichen Varietät annähern; - über eine schrittweise Zunahme an Komplexität: von anfänglich isoliert gebrauchten, unanalysierten Formen (Holophrasen) über die Kombination mehrerer (konkreter) Einheiten zu einem sprachlichen Ausdruck bis hin zur Bildung syntaktisch organisierter Mehrwortäußerungen; - über eine Zunahme an Abstraktion: von der anfänglichen Verfügbarkeit konkreter, imitativ (aber bereits symbolisch) verwendeter Formen, hin zu (teil-)abstrakten, variabler besetzbaren Strukturen. 130 Giulio Pagonis Im Zuge des natürlichen Erwerbsverlaufes lassen sich mit Blick auf spezi‐ fische Lerngegenstände überindividuelle Entwicklungsmuster erkennen, die Ausdruck systematischer, lernersprachlicher Vereinfachungs- und Übergene‐ ralisierungsstrategien sind. Bei der Beforschung dieser Entwicklungsverläufe wird beispielsweise gefragt, nach welchen Prinzipien Lernende im Laufe des fortschreitenden Spracherwerbs Pluralformen bilden oder indirekte Objekte in ihren lernersprachlichen Äußerungen markieren. Ziel dieser system-orien‐ tierten (im Gegensatz zu fehler-orientierten) Perspektive auf Spracherwerb ist es also zu verstehen, nach welchen Gesetzmäßigkeiten sich Lernergrammatiken, die sich trotz ihrer offensichtlichen „Fehlerhaftigkeiten“ in ihrem eigenen Recht beschreiben lassen, über die Zeit weiterentwickeln. Kennt man für einen belie‐ bigen Lernbereich die natürliche Sequenz, über die sich die lernergrammatische Struktur bis hin zur zielsprachlichen Beherrschung entwickelt, und lassen sich somit Rückschlüsse auf die involvierten Verarbeitungsstrategien ableiten, so könnte dieses Wissen als Informationsbasis unter anderem auch für die Ent‐ wicklung didaktischer Konzepte genutzt werden. Hier wird bewusst „könnte“ gesagt, da dieser Zusammenschluss von Erkenntnissen aus der Spracherwerbs‐ forschung in aller Regel nicht bei der Entwicklung didaktischer Konzepte oder Materialien (wie z. B. von Lehrwerken) berücksichtigt wird. Mit Blick auf eine Sprachdidaktik für den Vorschulbereich aber ist es unverzichtbar, auf Wissen über natürliche Lernprozesse zurückzugreifen. Der Grund dafür liegt, wie oben bereits angedeutet, in der Annahme, dass die kindliche (Erst- oder Zweit-)Sprachentwicklung eigendynamisch und dabei ohne Beteiligung des Bewusstseins erfolgt: „Implicit linguistic competence (i.e., what is inferred to support automatic language comprehension and production) is acquired incidentally, while focusing one’s attention on something other than what is internalized“ (Paradis 2009: 4). Während mit Blick auf erwachsene Lernende und den gesteuerten fremdsprachlichen Vermittlungskontext darauf verwiesen werden kann, dass hier aufgrund der kognitiven Reife prinzipiell die Möglichkeit besteht, eine „Abkürzung“ in der Wissensvermittlung zu nehmen, indem das Bewusstsein der Lernenden an den strukturbezogenen Lernprozessen (Syntax, Formbildung) beteiligt und dem Lerner somit über den expliziten Lernmodus zu einer produktiven Sprachkompetenz verholfen wird, wird diese Möglichkeit mit Blick auf Lerner im Vorschulalter ausgeschlossen: Die mögliche Bedeutung impliziter Lernprozesse beim Erwerb formal-sprachlicher Regeln ist also offenkundig: Die Invarianten im Sprachangebot sind zweifellos kom‐ plex, abstrakt und keinesfalls sehr offensichtlich, die Anzahl möglicher Hypothesen und Generalisierungen ist theoretisch unbegrenzt. Selektive explizite Lernprozesse dürften damit wenig geeignet sein, die induktive Ableitung grammatischer Regeln zu 131 Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung gewährleisten. Plausibler ist die Annahme nicht-selektiver, impliziter Lernprozesse, wobei die komplexen strukturellen Regularitäten im Sprachangebot automatisch und nicht-bewusst abstrahiert werden. Die Anwendung dieses Modells auf die Erklärung des frühen Spracherwerbs erscheint auch deshalb naheliegend, weil implizite Lern‐ prozesse keine Anforderungen an eine bewusst gesteuerte Informationsverarbeitung stellen, die die Kinder vergleichsweise spät entwickeln. Implizites Lernen setzt vielmehr eine globale ganzheitliche Auffassung des Sprachangebots voraus […], die auch bereits sehr jungen Kindern zur Verfügung steht, wie die Befunde der Säuglingsforschung […] demonstrieren (Weinert 1991: 47). Vorerst bleibt festzuhalten: Sprachdidaktische Planung muss sich stets mit der Frage befassen, wie in die Eigendynamik der natürlichen Sprachverarbeitung eingegriffen werden kann, und zwar optimierend (Klein 1992). Erst auf Basis von Erkenntnissen zur „natürlichen Arbeitsweise“ des kindlichen Sprachlern‐ vermögens kann eine didaktische Reflexion ansetzen, die gezielt in diese Erwerbsprozesse interveniert (z. B. Klages & Pagonis 2014). Die sich daraus ableitende Forderung nach einer Sprachdidaktik, die sprach‐ erwerbstheoretisch begründet ist (Koeppel 2016), knüpft an der bislang un‐ erwähnt gebliebenen Annahme an, dass sich natürliche Sprachlernprozesse aufgrund ihrer Eigendynamik didaktisch nicht beliebig überformen lassen. Diese didaktische Leitidee wurde bereits mit der Teachability-Hypothese (Lehr‐ barkeitshypothese, Pienemann 1989) formuliert. Spätere Studien unter realen Unterrichtsbedingungen scheinen den dort erwarteten begrenzten Effekt von didaktischen Interventionen zu belegen, die in ihrer Lehrprogression gegen die natürlichen Entwicklungsabfolgen im Grammatikerwerb „andidaktisieren“. Sie scheinen damit die Pienemann´sche Grundannahme zu bestätigen, dass natürliche Sprachlernprozesse lehrerseitig nicht beliebig manipulierbar seien (Diehl 2000; siehe aber Dimroth 2009, Winkler 2011, Zhang & Lantolf 2015). Die grammatische Architektur von Sprache, so die Annahme, sei also nicht lehrbar, zumindest nicht, wenn mit Lehrbarkeit gemeint ist, dass lehrerseitig bestimmt werden könne, wann welche natürlichen Lernschritte vollzogen werden. Im vor‐ liegenden Beitrag wird vor diesem Hintergrund einem entwicklungsproximalen Ansatz gefolgt. Demnach erlaubt das Verständnis über natürliche Lernprozesse die aktive und systematische Vorgestaltung des Sprachlehrangebots, das somit geeignet ist, den natürlichen, unbewussten Erwerbsweg im Lerner gezielt zu unterstützen. 132 Giulio Pagonis 3 Siehe etwa die kontrovers geführte Diskussion, inwieweit Disparitäten im Lesever‐ mögen erschöpfend durch die Kontrolle sozioökonomischer Differenzen zwischen auto- und allochthonen SuS erklärt werden können, u. a. Stanat (2006). 3. Warum Sprachförderung im Kitaalter? Die mittlerweile verbreitete Akzeptanz gegenüber (additiven oder integrierten) Sprachfördermaßnahmen im Elementarbereich ist aus bildungspolitischer Per‐ spektive gut begründbar. Zumeist wird darauf verwiesen, dass eine Bildungsin‐ vestition seine Wirkung umso ertragreicher und nachhaltiger entfaltet, je früher sie den Menschen im Verlaufe seiner Bildungskarriere erreicht. In zahlreichen Bundesländern gilt die Finanzierung und Umsetzung von Maßnahmen zur vor‐ schulischen Sprachförderung (vor allem, aber nicht nur) für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache deshalb als opportuner Weg, Chancenungerechtigkeit zu ver‐ ringern und den Effekten institutioneller Diskriminierung von (zweit-)sprachli‐ chen Kindern entgegenzuwirken. Die alarmierenden Ergebnisse internationaler Schulleistungsvergleichsstudien lassen die Dringlichkeit früh einsetzender und kontinuierlich aufeinander aufbauender Sprachfördermaßnahmen bereits ab dem Kitaalter unmittelbar sinnvoll und notwendig erscheinen, insofern sie z. B. belegen, dass die Lesekompetenz von Schülerinnen und Schülern (SuS) mit Deutsch als Zweitsprache zum Ende der Grundschulzeit signifikant hinter der Kompetenz gleichaltriger deutscher SuS zurückbleibt (Bos, Lankes, Prenzel, Schwippert, Valtin & Walther 2005). Eine erwerbstheoretische Ursachenfor‐ schung, die nach den Gründen für diese Erwerbsprobleme im frühen Zweit‐ spracherwerb fragt, wird im bildungspolitischen Kontext aber nur am Rande betrieben. 3 Für die didaktische Planung frühkindlicher Sprachförderung ist die Frage nach der Ursache der Förderbedürftigkeit dieser Kinder jedoch von handlungsleitendem Interesse, denn abhängig von der Ursache, die zu den Erwerbsschwierigkeiten der Kinder führen (z. B. hemmender Einfluss durch die Erstsprache, kognitive Einschränkungen, geringer Sprachkontakt etc.), müssen ganz unterschiedliche didaktische Reaktionen in Betracht gezogen werden, um ihren Spracherwerb zu unterstützen (s. Kauschke in diesem Band). Aus erwerbstheoretischer Sicht erscheint die Idee, Kinder im Kitaalter (ab ca. drei Jahren) im Erwerb zentraler Bereiche der Zweitsprache gezielt zu unterstützen, zunächst nicht unmittelbar plausibel. Der Grund hierfür liegt in der Einschätzung, dass ein früher Erwerbsbeginn gemeinhin als Garant für einen zügigen und erfolgreichen Zweitspracherwerb gilt (Kachinske, Osthus. Solovyeva & Long 2015: 405), sodass eine gezielte Sprachvermittlung im Kitaalter aus dieser Perspektive eigentlich überflüssig erscheinen muss. Der generelle Erwerbsvorteil junger Lernender gilt als Kernbefund der psycholinguistischen 133 Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung Altersfaktorforschung: Erwachsene Menschen erwerben eine neue Sprache (sowohl im gesteuerten Kontext als auch im alltäglichen Sprachkontakt) mög‐ licherweise zwar zunächst schneller als Kinder (Czinglar 2018), aber nur letztere weisen Erwerbsverläufe auf, die typischerweise keine Anzeichen von Fossilie‐ rungen oder Plateaubildungen aufweisen und in Erwerbsendzustände münden, die von der Kompetenz monolingualer, kompetenter SprecherInnen nicht mehr (jedenfalls nicht im alltäglichen Sprachgebrauch) zu unterscheiden sind; ein Resultat, das nur in den seltensten Fällen von Lernenden erreicht wird, die erst im Erwachsenenalter mit dem Erwerb einer neuen Sprache beginnen (Czinglar 2018, Moyer 2004). In welchen Ursachen dieser offensichtliche Erwerbsvorteil jüngerer Lerner begründet liegt und bis zu welchem Erwerbsalter noch mit dem Erreichen einer „perfekten“ Sprachkompetenz zu rechnen ist, wird seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts kontrovers diskutiert (u. a. Czinglar 2018, Hyltenstam & Abrahamsson 2003, Pfenninger 2014). Entscheidend für die hier diskutierte Frage zur Sprachförderung ist zunächst nur, dass jüngere Kinder, offenbar anders als erwachsene Lernende, mit den notwendigen (sozialen, kognitiven, emotionalen) Fähigkeiten ausgestattet sind, die es ihnen - unter güns‐ tigen Umständen in Bezug auf die Verfügbarkeit ausreichender Spracherfahrung (s. u.) - erlauben, eine zweite Sprache natürlicherweise erfolgreich zu erwerben, und zwar ohne gezielte Unterweisung: „[…] Research has demonstrated that young starters seem to end up as nativelike speakers of the L2“ (Hyltenstam & Abrahamsson 2000: 546). Dennoch offenbart die Erfassung der Sprachstände von Kindern mit Deutsch als früher Zweitsprache zu Schulbeginn häufig ein Bild, das von persistenten Erwerbsschwierigkeiten, von Erwerbsverzögerungen und Rückständen gegen‐ über monolingual-deutschsprachigen Schulanfängern geprägt ist: Auch wenn es zahlreiche Initiativen im Bereich der sprachlichen Bildung gab, ist der Anteil an sprachförderbedürftigen Kindern seit einigen Jahren in etwa konstant ge‐ blieben. Insbesondere Kinder aus Elternhäusern mit niedrigem Schulabschluss sowie mit nicht deutscher Familiensprache werden vermehrt als sprachförderbedürftig diagnostiziert (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016: 9). Als Hauptgrund für den stockenden Erwerbsverlauf, der breit angelegte För‐ derinitiativen im Kitaalter bildungspolitisch erst notwendig und erwerbstheo‐ retisch plausibel macht, wird oft auf die stark eingeschränkte Inputsituation der Kinder verwiesen: Der frühe Zweitspracherwerb unter Migrationsbedingungen stellt einen spezifischen Erwerbskontext dar. Viele der Kinder sind nur für einige Stunden am Tag, im Kindergarten, in aktivem Kontakt mit der deutschen Sprache. Die Erwerbssituation 134 Giulio Pagonis 4 s. dazu bereits Schmidt (1983): „I concluded by proposing that, at least in the case of adult learning of grammar, wholly unconscious learning of language is not possible. Because adults do seem to have lost the still mysterious ability of children to acquire the grammatical forms of language while apparently not paying attention to them“ (Schmidt 1983: 172). ist für diese Kinder durch ein eingeschränktes Sprachangebot, d. h. einen quantitativ unzulänglichen sprachlichen Input, gekennzeichnet. Auch in qualitativer Hinsicht lässt er oft zu wünschen übrig: In Einrichtungen mit einem hohen Anteil zugewan‐ derter Kinder hören diese nicht nur wenig, sondern vielfach auch fehlerhaftes Deutsch von anderen Kindern (Kaltenbacher & Klages 2006: 81; siehe auch Czinglar, Rüdiger, Korecky-Kröll, Uzunkaya-Sharma & Dressler 2017). Wenn bei Kindern, die Deutsch als Zweitsprache erwerben, also Rückstände ge‐ genüber der Sprachkompetenz gleichaltriger deutschsprachiger Schulanfänger erkennbar sind (Kaltenbacher & Klages 2006, Montanari 2010), dann wird im Weiteren davon ausgegangen, dass hierfür in erster Linie ein Mangel an Zugang zu authentischem Sprachangebot (in der Kita oder im familiären Umfeld) verantwortlich ist. Es ist dieser Mangel an Sprachangebot, der das Kind trotz intakten Lernvermögens davon abhält, den unter besseren Inputbe‐ dingungen erwartbaren Erfolg im Zweitspracherwerb zu erzielen. Daraus folgt für die didaktische Planung von Fördermaßnahmen für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache, dass das Ziel der Sprachförderung nicht im Ausgleich etwaiger (altersbedingter oder pathologisch bedingter) Sprachverarbeitungsschwächen besteht, sondern in der Kompensation eines mangelhaften Sprachangebots. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu didaktischen Zielsetzungen von Lehr- und Unterstützungsangeboten für 1. erwachsene Fremd- und Zweitsprachenlerner, für die angenommen wird, dass sie (z. B. aufgrund L1-bedingter Verarbeitungsbeschränkungen) auch unter günstigen Inputbedingungen persistente Transfer- und Fossilierungs‐ erscheinungen zeigen und infolgedessen durch den Einsatz gezielter di‐ daktischer Formfokussierungen bei der Überwindung ihrer Inputverarbei‐ tungsroutinen unterstützt werden müssen (N. Ellis 2015, Goo, Granena, Yilmaz & Novella 2015, Madlener 2015) 4 ; 2. spracherwerbsgestörte Kinder, die den verfügbaren (qualitativ und quan‐ titativ reichhaltigen erst- oder auch zweitsprachlichen) Input aufgrund von Defiziten in der Informationsverarbeitung nicht „vollständig“ nutzen können, persistente Erwerbsprobleme entwickeln (Leonard 2014, Chilla 2008, Grimm 2012) und infolgedessen einer sprachtherapeutischen Be‐ handlung zugeführt werden, deren Zielsetzung entweder in der Verbesse‐ 135 Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung rung der eingeschränkten Informationsverarbeitungskapazitäten an sich oder in der Abmilderung der sprachlichen Folgen dieser Verarbeitungsde‐ fizite liegen könnte (Kauschke in diesem Band). Es ist nicht anzunehmen, dass mit einem nicht weiter vorstrukturierten Sprachbad das angestrebte Ziel der Inputkompensation zu erreichen ist. Vor diesem Hintergrund wird im nächsten Kapitel auf ein didaktisches Vorgehen hingearbeitet, das auf eine gezielte Vorgestaltung des Sprachangebots durch Verfahren der impliziten Formfokussierung aufbaut. 4. Impliziter Spracherwerb, implizite Formfokussierung In seinem gebrauchsbasierten Modell (Usage-based Grammar, fortan UBG) zum Erstspracherwerb, das den weiteren Überlegungen zugrunde liegt, entwickelt Tomasello (2003), in Abgrenzung zu nativistischen Erwerbstheorien, Annahmen darüber, welche kognitiven Fähigkeiten bereits Kinder im Alter von einem Jahr in die Lage versetzen, Symbolsprachen zu erwerben und sich somit auch die komplexen und abstrakten syntaktischen und morphologischen Struk‐ turen ihrer Umgebungssprache anzueignen, ohne auf angeborenes sprachliches Wissen (etwa im Sinne von Prinzipien und Parametern, Mitchell & Myles 2004) oder auch auf universelle, sprachspezifische Lernmechanismen (Markmann 1993, Slobin 1985) zurückzugreifen. Die UBG nimmt stattdessen an, dass Kinder schon sehr früh in ihrer ontogenetischen Entwicklung über ein Set an nicht sprachspezifischen, allgemein-kognitiven (statistischen und sozio-kognitiven) Fähigkeiten verfügen, die es ihnen ermöglichen, das sprachliche Verhalten der umgebenden Menschen als Ausdruck von Intentionen zu verstehen und es auf dieser Grundlage durch Prozesse der Imitation, Kategorisierung und Analyse für die Aneignung von Sprache zu nutzen (Tomasello 2003). Das Verständnis dieser Lernmechanismen ist für die didaktische Anschlussfrage, wie auf diese Mechanismen optimierend eingewirkt werden kann, von zentralem Interesse. Die ersten sprachlichen Zeichen, die Kinder zu Beginn des Spracherwerbs imitativ (aber bereits symbolhaft) gebrauchen, haben konkreten Charakter. Das bedeutet, dass das Kind aus dem sprachlichen Input konkretes Lautmaterial (Wortteile, Wörter und Wortgruppen) zunächst unanalysiert übernimmt und diesen konkreten Ausdruck in Verbindung mit einer konzeptualisierten, be‐ deutungsvollen (Teil-)Szene in der sozialen Welt (also als Form-Bedeutung-Zu‐ ordnung) abspeichert sowie als sprachliches Symbol zu gebrauchen beginnt (Tomasello 2003). Diese frühen Holophrasen sind also konkret und (teilweise) unanalysiert. Aus Sicht der UBG ist in eine frühe kindliche Äußerung wie gimme also keine zugrunde liegende Kombinatorik oder gar erwachsenensprachliche 136 Giulio Pagonis grammatische Struktur hineinzuinterpretieren, welche aus einem verbalen Element (give), einem Pronomen (me) und einer abstrakten Abfolgeordnung zusammengesetzt wurde. Es sei deshalb auch nicht erwartbar, dass das Kind zum gleichen Erwerbszeitpunkt eine systematische Variation des Ausdrucks produziere (z. B. show me „zeig mir“, give her „gib ihr“), da ein derartig produktiver Gebrauch erfordern würde, dass die kindliche Sprachkompetenz über die Konkretheit des Ausdrucks hinausreicht und mindestens bereits eine formale Analyse (Verb, Pronomen) und die Zuweisung von Teilbedeutungen zu den beiden Einheiten vollzogen worden ist. Allerdings gebraucht das Kind die konkrete Form (gimme) bereits symbolisch: Das Kind drückt mit dem Zeichen also intentionalen Gehalt aus, insofern es die sprachliche Äußerung mit dem Ziel verwendet, den intentionalen Zustand des Hörers zu manipulieren (Tomasello 2003). Eine konkrete, symbolische und kombinierte Äußerung wie gimme ball erfolgt aus Sicht des Kindes also mit der Erwartung, dass der intentionale Zustand der Hörerin in der Art beeinflusst wird, dass diese das Besitzverhältnis bezüglich des Objektes „Ball“ aktiv verändert (und zwar zugunsten des Kindes). Zu Beginn des (kindlichen) Spracherwerbs steht aus Sicht der UBG nicht die Verfügbarkeit über abstrakte grammatische Strukturen (syntaktische Funk‐ tionen, Wortstellungsregularitäten, Wortklassen etc.). Der Erwerb grammati‐ schen Wissens verläuft vielmehr vom Konkreten zum Abstrakten: Am Anfang steht der symbolisch-imitative Gebrauch konkreter sprachlicher Einheiten (wie gimme), die allmählich in den Aufbau abstrakter grammatischer Kompetenz münden: In learning a language children could in principle memorize utterances in the contexts in which adults use them, and then reproduce those utterances in those contexts as needed - without internal analysis. They do this in some cases (Hello, Thank-you, See-ya-later). But most often […] they attempt to analyse the utterances they hear and partition them into constituents both structurally and functionally. That is, they use their already existing skills of categorization and statistical learning on the utterances they experience to begin moving down the road of grammatical development (Tomasello 2003: 41). Mit dem konkret-imitativen Gebrauch des aus dem Input übernommenen sprachlichen Ausdrucks (d. h. der konventionalisierten Form-Funktion/ Bedeu‐ tung-Einheit) gelangt also auch die zugrunde liegende grammatische Struktur in das dem Lernenden langfristig verfügbare Repertoire an konkreten, lerner‐ sprachlichen Äußerungen (im Falle von gimme: Verb + Pronomen, Wortstel‐ lung), selbst wenn (oder: gerade weil) das Kind die zugrunde liegende „abstrakte 137 Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung Grammatik“ zum Zeitpunkt der „holistischen“ Aufnahme der konkreten Kon‐ struktion aus dem Input nicht erkennt. Memorierte, zunächst unanalysierte Einheiten (sog. Chunks; Aguado 2015, Bybee 2008) stellen somit den Ausgangspunkt, das im Gedächtnis des Lerners verankerte „Rohmaterial“ und damit die Induktionsbasis für den sich anschlie‐ ßenden impliziten Aufbau abstrakten Schema-Wissens dar: Under this scenario, rules, if they exist, evolve over time; they are not in the input to be learned. Instead, what learners get from the input and must learn are the specific morpho-phonological forms of meanings and functions. Anything that is rule-like, then, evolves over time as learners internalize surface forms from the input (Van Patten & Rothman 2015: 112, Hervorhebung nicht im Original). Dem so skizzierten Zusammenhang zwischen konkreter Spracherfahrung und dem Aufbau abstrakter, produktiver Sprachkompetenz wird, unabhängig vom Erwerbstyp, eine zentrale Bedeutung für die Beantwortung der Frage beige‐ messen, wie der Lerner im Rahmen natürlicher, unbewusster Erwerbsprozesse, die grammatische Struktur der Zielsprache in Auseinandersetzung mit dem verfügbaren, konkreten Input erwirbt: Language structure emerges ontogenetically from usage in particular contexts. Deve‐ lopment is slow and gradual, moving from an initial reliance on concrete items to more abstract linguistic schemata. This process is dependent on the type and token frequencies with which particular constructions appear in the input (N. Ellis 2014: 399). Das bedeutet auch, dass es von der Beschaffenheit dieser konkreten Indukti‐ onsbasis abhängt, welche Schritte der anschließenden „tieferen Verarbeitung“ erfolgen können, d. h. welche Abstraktionen aus dem im Lernergedächtnis abgelegten Repertoire an konkreten und teilweise unanalysierten Konstruk‐ tionen (Form-Bedeutungs-Paaren) - ohne Beteiligung des Bewusstseins der Lernenden - schrittweise und systematisch hervorgehen. Die zentrale Rolle konkreten Sprachmaterials für die schrittweise Abstraktion der dem Sprachan‐ gebot zugrunde liegenden Regularitäten zählt zu den Kernbefunden der Sprach‐ erwerbsforschung und konnte nicht nur in zahlreichen Studien zum kindlichen Erstspracherwerb, sondern auch im Rahmen von Studien zum Erwerb von Kunstsprachen nachgewiesen werden: Die Untersuchungen zum Erlernen von Miniatursprachen liefern […] Evidenzen dafür, dass das Speichern regelgeleiteten Materials eine grundlegende Bedingung für den Erwerb formaler Invarianten ist. […] Die vorliegende Untersuchung demonstriert, […] dass Probanden, die die Aufgabe haben, Beispielsätze einer Kunstsprache auswendig 138 Giulio Pagonis zu lernen, mehr ‚tun‘ als das: Sie abstrahieren implizit und nicht bewusst wichtige komplexe Regularitäten, die den Sätzen zugrunde liegen (Weinert 1991: 224). Die schrittweise erfolgenden Abstraktionsleistungen finden ihren Ausdruck in überindividuellen Erwerbssequenzen, die zunächst von lernersprachlichen Vereinfachungen und Übergeneralsierungen geprägt sind. Die Beobachtung, dass im Laufe des Spracherwerbs lernersprachliche Strukturen schrittweise aufgebaut, revidiert und ausgebaut werden und dabei lernersprachliche Aus‐ drucksformen regelhaft konstruiert werden, die über die Imitation von im Input existenten Formen hinausgehen (*gegebt, *die Hase, *er willt, *zwei Monsters, *sie hat gereist nach Petersburg), zeugt von dieser lernersprachlichen Eigendynamik, mit der die konkrete Induktionsbasis als Steinbruch für die Ableitung abstrakter grammatischer Konstruktionen genutzt wird (in den genannten Beispielen: der Partizipbildung, der Genuszuweisung, der Verbalflexion, der Pluralbildung, der Verbstellung). Für die didaktische Reflexion ergeben sich aus den hier aufgeführten Argu‐ menten zum natürlichen Spracherwerb zwei handlungsleitende Überlegungen. 4.1. Vorgestaltung des Sprachangebots Mit der Vorgestaltung des Sprachangebotes, das an die Lernenden gerichtet wird, kann gezielt Einfluss auf die Zusammensetzung ihrer Induktionsbasis und somit indirekt auch auf den (impliziten) Muster-/ Regelfindungsprozess genommen werden. Welches konkrete Sprachmaterial die Lernenden also auch immer aus dem verfügbaren Input übernehmen und im Gedächtnis ablegen (Intake), es ist dieses Sprachmaterial, das den Rahmen für die anschließenden lernersprachlichen Abstraktionen vorgibt. Gebrauchsbasierte Modelle (z. B. Bybee 2006, Goldberg 2006, Tomasello 2003) gehen vor diesem Hintergrund davon aus, dass u. a. die Häufigkeit, mit der dem Kind eine konkrete Kon‐ struktion im Input begegnet, mitbedingt, welche Form-Funktionspaare den „Flaschenhals der Aufmerksamkeit“ des Kindes passieren und somit als kon‐ krete Konstruktion in das Gedächtnis und also die Induktionsbasis des Kindes gelangen. Indem der Versuch unternommen wird, die kindliche Induktionsbasis durch die Strukturierung des Inputs zu steuern, kann indirekt (aber gezielt) beeinflusst werden, welche lernergrammatischen Abstraktionen anschließend vom Kind vollzogen werden, ohne dabei direkt auf den Abstraktionsprozess und die dabei implizit ablaufenden Prozesse der Schema- und Analogiebildung sowie der Kategorisierung einzugreifen. Es bleibt bei diesem didaktischen Vorgehen gewissermaßen dem natürlichen Sprachvermögen des Kindes überlassen, die Abstraktions- und Generalisierungsleistungen zu vollziehen. Lediglich das Sprachmaterial in der Induktionsbasis soll gezielt manipuliert werden. 139 Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung 5 Auf das Problem, dass hohe Wiederholungsraten der gleichen konkreten Form/ des Chunks auch zu deren „Isolierung“ beitragen kann, sodass die Abstraktion der inne liegenden Struktur erschwert wird, wird hier nicht weiter eingegangen: „A second effect of token frequency (the CONSERVING EFFECT) relates to the morphosyntactic structure of a string. High-frequency sequences become more entrenched in their morphosyntactic structure and resist restructuring on the basis of productive patterns that might otherwise occur“ (Bybee 2006: 715). 6 Es ist an dieser Stelle wichtig, darauf hinzuweisen, dass der hier postulierte positive Effekt, der mit der erhöhten Vorkommenshäufigkeit sprachlicher Formen im Input verbunden wird (Intake-Generierung), nicht mit der Bewusstwerdung der sprachlichen Form (Noticing, Schmidt 2010: 6-7), ohnehin nicht mit der Bewusstwerdung des inhä‐ renten Reizmusters (Awareness, Schmidt 2010: 5) begründet wird. Stattdessen wird mit Tomlin/ Villa (1994, s. auch Williams 2005) von der Möglichkeit der Aufmerksamkeit (Detection) ohne Bewusstsein (Awareness) ausgegangen. 4.2. Rolle von Wiederholungen Die Vorgestaltung des Sprachangebots kann unaufdringlich über häufige Wie‐ derholung einzelner Formen im Input (hohe Token-Frequenz) erreicht werden. Der unaufdringlichste, „impliziteste“ Weg, über den das hier vorgeschlagene, didaktische Vorgehen erfolgen kann, besteht also darin, konkretes Sprachmate‐ rial in die Induktionsbasis zu „schleusen“, indem die Häufigkeit erhöht wird, mit der die didaktisch fokussierte Form während der Sprachförderung in prototypischen Gebrauchskontexten und kommunikativ sinnvollen Interakti‐ onskontexten auf das Ohr und den Verstehensprozess des Kindes trifft: Je häufiger eine konkrete Form im Input auftritt (also je höher ihre Token-Frequenz, Bybee 2008: 220 5 ), desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Form vom Kind wahrgenommen, mit einer (vorläufigen) Bedeutung(skomponente) versehen und als konkrete Konstruktion in das Gedächtnis des Kindes gelangt, wo sie, wiederum abhängig von der lernersprachlichen Gebrauchsfrequenz, für Sprachproduktion und -rezeption (Zugriff) zur Verfügung steht: The higher the frequency of occurrence of a surface sequence is, […] the higher in turn are both the linguistic and communicative salience of the string and the probability that it will be repeatedly taken up, entrenched as a prefab in the learner´s emerging construction, and thus increasingly routinely and readily available in processing (Madlener 2015: 40) 6 . Die erste didaktische Implikation, die abgleitet wird, betrifft also die Ma‐ nipulation der Häufigkeit, mit der eine konkrete Form im Sprachangebot auftritt, und damit den Grad der Wiederholung einzelner Form-Bedeutung-Zu‐ ordnungen. Die zweite didaktische Implikation betrifft die weitere Auswahl der konkreten Formen bzw. den Grad ihrer systematischen Variation im Sprachför‐ derangebot. Bei der Beantwortung dieses zweiten Teils der Frage nach der 140 Giulio Pagonis 7 Zur wichtigen Frage, wie sich deklarative Wissensbestände oder Verarbeitungsprozesse zum Aufbau prozeduralen Wissens verhalten (Interface), einer Frage, die mit Blick auf explizit-formfokussierende Vermittlungsansätze besondere Bedeutung gewinnt, s. Kohl-Dietrich/ Maiberger in diesem Sammelband. 8 „Implicit learning is […] characterized as a situation-neutral induction process whereby complex information about any stimulus environment may be acquired largely independently of the subjects´ awareness of either the process of acquisition or the knowledge base ultimately acquired“ (Reber 1993: 12). optimalen Zusammensetzung der Induktionsbasis, auf der implizit ablaufende Abstraktionsprozesse operieren, soll weiterhin auf jeden Versuch der Bewusst‐ machung der sprachlichen Formen verzichtet werden. Ausgehend von der kon‐ zeptionellen Unterteilung in didaktische Verfahren, die sich hinsichtlich der Art und des Grades unterscheiden, mit dem der Lehrende in der Sprachvermittlung die bewusste Aufmerksamkeit des Lerners auf konkrete sprachliche Formen oder gar (metasprachlich) auf Informationen über sprachliche Regelsysteme zu richten versucht (FoM, FoFS, FoF; Schifko 2008, Long 1991), handelt es sich bei dem hier vorgeschlagenen Vorgehen deshalb um eine Formfokussierung, die implizit erfolgt. Damit ist gemeint, dass mit der didaktischen Intervention gezielt Lern- und Abstraktionsprozesse beeinflusst werden sollen, die sich unterhalb der Schwelle des Bewusstseins des Kindes vollziehen. Dieser implizite Erwerbsmodus (s. ausführlicher dazu die Einleitung zu diesem Sammelband, Ellis 2005, Paradis 2009) unterscheidet sich vom expliziten, deklarativen Lernmodus 7 , insofern er - dem Kind bereits früh in der Ontogenese verfügbar ist; - ohne lernerseitige Intention, also spontan erfolgt; - induktiv erfolgt, also von konkretem Reizangebot auf allgemeine Muster schließt; - auch komplexe und intransparente strukturelle Relationen identifiziert; - zeit-/ datenintensiv ist; - ohne Beteiligung des Bewusstseins operiert 8 ; - auf implizit operierende Fähigkeiten der Abstraktion (durch Vergleich, Analogiebildung, Kategorisierung) zurückgreift. Über den impliziten Modus der Sprachaneignung bilden die Lernenden allmäh‐ lich eine prozedurale Gebrauchskompetenz aus, die - zu temporär lernersprachlich-fehlerhafter, aber zunehmend zielsprachlich korrekter Sprache führen kann, in jedem Fall aber abstrakter Natur ist und somit einen regelhaften und somit (teil-)produktiven Sprachgebrauch ermöglicht; 141 Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung 9 Zu Effekten sogenannten skewed vs. balanced Inputs bei teil-konkreten (morphologi‐ schen) und abstrakten (syntaktischen) Konstruktionen siehe Cordes (2014). - nur input-gesteuert, nämlich über die datenintensive Erweiterung/ Modifi‐ kation der zugrunde liegenden Induktionsbasis revidiert werden kann; - dem Bewusstsein des Lerners nicht zugänglich ist (selbst wenn später analoges bewusstes Wissen aufgebaut wird, etwa im Rahmen des Deutsch‐ unterrichts in der Grundschule). Der Zugriff auf prozedurales Wissen zum Zwecke der Sprachproduktion und -rezeption erfolgt automatisiert (Paradis 2009), d.h. - ohne Beteiligung des Bewusstseins; - rasch; - unter Einsatz geringer kognitiver Ressourcen, was einen flüssigen, bedeu‐ tungszentrierten Austausch im gesprochensprachlichen Medium erst mög‐ lich macht. Wird davon ausgegangen, dass sich Kinder die grammatischen Strukturen der Zweitsprache in diesem prozeduralen Modus aneignen, so ist mit Blick auf die oben aufgeworfene Frage nach der optimalen Zusammensetzung der Induktionsbasis die Frage zu klären, welche Voraussetzungen die implizite Ableitung abstrakter Schemata (z. B. der Pluralbildung) unterstützen: Empiri‐ sche Studien zum Spracherwerb, die sich mit den Gelingensbedingungen von impliziten Abstraktionsprozessen und dem Aufbau produktiven grammatischen Wissens befassen (Cordes 2014, Goldberg 2006, Madlener 2015, Reber 1993, Weinert 1991), deuten in diesem Zusammenhang darauf hin, dass unbewusste Musterbildungen erleichtert werden, wenn in der Induktionsbasis eine gewisse Menge unterschiedlicher konkreter Formen vorliegt, die das gleiche abstrakte Muster abbilden (Variation): „Storage of wholes depends on token frequency; the development of abstract linguistic schema depends on type frequency“ (Ellis 2014: 399). Die Bedeutung der entsprechenden Typ-Frequenz bei der impliziten Ableitung paradigmatischer Muster und somit für die Abstraktion abstrakter morphologischer Strukturen liegt nahe 9 : The contribution of type frequency to productivity is due to the fact that, when a construction is experienced with different items occupying a position, it enables the parsing of the construction. If happiness is learned by someone who knows no related words, there is no way to infer that it has two morphemes. If happy is also learned, then the learner could hypothesize that -ness is a suffix, but only if it occurs on other 142 Giulio Pagonis adjectives would its status as a suffix become established. Thus, a certain degree of type frequency is needed to uncover the structure of words and phrases (Bybee 2008: 221). Damit ist die zweite didaktische Implikation offensichtlich: Das Sprachan‐ gebot muss im Rahmen einer implizit formfokussierenden Sprachförderung so vorgestaltet sein, dass neben der Entnahme konkreter sprachlicher Formen aus dem Input (basierend auf Wiederholung/ hoher Token-Frequenz) auch die tiefere Verarbeitung der abgespeicherten Formen, d. h. die implizite Abstraktion der fokussierten grammatischen Struktur erleichtert wird, und dies durch eine geeignete Varianz (Typfrequenz): „if a learner is to apply a pattern productively to forms not necessarily encountered before, he/ she must have encountered the pattern with a number of different items in it“ (Bybee 2008: 221). Die dritte didaktische Implikation, die im nächsten Kapitel entwickelt werden soll, betrifft schließlich die Frage nach der Förderprogression: Welche Teilschritte der Abstraktion werden von Kindern im natürlichen Zweitspracherwerb in welcher Reihenfolge vollzogen? Welche Förderprogression ist infolgedessen geeignet, diese natürliche Erwerbsabfolge gezielt zu unterstützen? Die Fragen greifen das Argument auf, dass natürliche Erwerbssequenzen nicht beliebig manipulierbar sind (s. Lehrbarkeits-Hypothese) und deshalb als Orientierung für die Planung des Fördercurriculums dienen sollten (entwicklungsproximale Förderprogression). Für die Ableitung der entsprechenden, dritten didaktischen Implikation wird im nächsten Kapitel auf den Pluralerwerb durch Kinder mit Deutsch als Zweit‐ sprache eingegangen und nach der dort beobachtbaren Entwicklungssequenz gefragt. Stärker als die beiden bisher diskutierten didaktischen Forderungen (Manipulation des Sprachangebots bezüglich Token- und Typ-Frequenz) leitet sich die entwicklungsproximale Förderprogression aus dem natürlichen Er‐ werbsverhalten der Kinder im jeweiligen Erwerbsbereich ab, weshalb für jeden Erwerbsgegenstand neu nach den DaZ-spezifischen Entwicklungsabfolgen ge‐ fragt werden muss. 5. Früher Zweitspracherwerb der deutschen Pluralmarkierung beim Substantiv Die deutsche Pluralbildung ist als Erwerbsgegenstand aus verschiedenen Gründen gut geeignet, um die bisher zusammengetragenen Merkmale eines implizit formfokussierenden Vermittlungsansatzes zu illustrieren: Zum einen handelt es sich bei dem Lerngegenstand Plural um einen regelgeleiteten Bereich, der auf der sprachlichen Oberfläche über ein konkretes Formrepertoire Ausdruck 143 Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung findet: Die Information Plural wird durch eine Reihe funktionsgleicher Vari‐ anten (Allomorphe) eines Pluralmorphems ausgedrückt, (s. Tab. 1). Affix -s -(e)n -e -er -0 - Umlaut Auto-s Bahn-en Fahne-n Fisch-e Kind-er Lehrer-0 + Umlaut -- -- Bänk-e Räd-er Kästen-0 Tab. 1: Pluralisierungsmuster des Deutschen Gleichzeitig liegt der Pluralbildung im Deutschen ein abstraktes Bildungsmuster zugrunde: Der erfolgreiche Erwerb des deutschen Pluralbildungssystems er‐ fordert von Lernenden also nicht nur die Verfügbarkeit über ein konkretes (formenreiches, Suffigierung und Umlautung umfassendes) Inventar an plural‐ bildenden Markern, sondern auch ein abstraktes System der Pluralbildung, insofern für jeden beliebigen Singularstamm das jeweils zielsprachenkonforme Pluralallomorph selegiert werden muss, also z. B. -e, wenn die Pluralform von Schiff gebildet wird, -s bei Lolli, Umlaut/ -er bei Buch etc. Vor diesem Hintergrund soll es, im Gegensatz zu Studien zum (impliziten) semantischen Lernen, in der nachfolgenden Darstellung nicht um die Frage gehen, wie der Lerner zur zielsprachlichen Assoziation zwischen Form und korrespondierender Funktion bzw. Bedeutung gelangt (Paciorek & Williams 2013, Williams 2005), sondern um die Frage, wie Lernende aus dem konkreten Sprachangebot abstrakte Plural-Bildungsmuster ableiten. Die Zuordnung zwischen Singularstamm und Pluralmarker folgt in weiten Teilen formalen Prinzipien (Bittner & Köpcke 2001, Wegener 1995), die u. a. auf der Genuszugehörigkeit des Nomens beruhen (feminin vs. nicht feminin): Feminina bilden den Plural regelmäßig mit -en bzw. -n: Türen, Lampen; nicht Fe‐ minina überwiegend mit -e bzw. -0: Hunde, Flügel. Dieser Zusammenhang kann zu Beginn des Pluralerwerbs von L2-Lernenden jedoch häufig nicht genutzt werden, da noch kein Genusssystem ausgebildet wurde. Gleiches gilt für den Zusammenhang zwischen Pluralbildung und Deklinationsklassenzugehörigkeit (Wegener 2008: 98). Hingegen sind Distributionsmuster, die auf regelmäßigen Zusammenhängen zwischen der lautlichen Form (Silbenanzahl und Auslaut) von Singularstämmen und ihrer Pluralmarkierung beruhen, prinzipiell von Be‐ ginn an nutzbar. Ausgehend von den oben skizzierten Annahmen zur Extraktion und Abspeicherung konkreter sprachlicher Formen aus dem Input (Aufbau der Induktionsbasis) und der anschließenden, impliziten Abstraktion der den konkreten Formen innewohnenden Distributionsmuster könnte die implizite 144 Giulio Pagonis 10 Siehe Behrens (2002) zum Deutschen als Erstsprache. Suche nach Regeln der Pluralzuweisung also potenziell beginnen, sobald eine kritische Menge konkreter Singular- und Pluralformen im Gedächtnis etabliert wurde, selbst wenn Genus als Kategorie noch nicht in der Lernergrammatik etabliert ist. Für einen Großteil des deutschen Grundwortschatzes könnten demnach die folgenden regelmäßigen (aber bezüglich Validität und Skopus erheblich variierenden) Zusammenhänge zwischen der Form des Singularstamms und dessen Pluralisierung beschrieben werden (nach Wegener 2008: 98): i. Stämme mit finaler offener Schwa-Silbe bilden den Plural mit -n: Lampen ii. Stämme mit finalem Vollvokal bilden den Plural mit -s: Omas iii. einsilbige Stämme bilden den Plural zumeist mit -e oder -er: Tische, Lieder iv. Stämme mit finaler geschlossener Schwa-Silbe bilden den Plural zu‐ meist mit -0: Beutel Tatsächlich gehen Lernende bereits im frühen Erwerb des Deutschen als Zweitsprache 10 über die Abspeicherung und einfache Imitation konkreter Pluralformen hinaus und bauen abstrakte, produktive Pluralbildungsmuster auf, wie sich an systematischen Übergeneralisierungen und Fehlermustern zeigen lässt (Hinnerichs & Pagonis 2015, Köpcke & Wecker 2017, Wecker 2016). Die genannten Studien zum Pluralerwerb deuten allerdings übereinstimmend darauf hin, dass der von Kindern geleistete, implizite Abstraktionsprozess durch den schrittweisen Aufbau koexistenter Pluralbildungsschemata eingeleitet wird, und nicht etwa durch die Ausbildung symbolischer Regeln, wie sie in i.-iv. aufgeführt werden. Ohne an dieser Stelle vertieft auf die Gegenüberstellung von in diesem Zusammenhang kontrovers diskutierten Lernmodellen einzugehen (Dual-Route-Modell vs. Netzwerkmodell, Köpcke & Wecker 2017), kann der natürliche, implizite Lernprozess, den Kinder im Erwerb des Deutschen als Zweitsprache durchlaufen, in zwei sukzessiven Schritten beschrieben werden (nach Köpcke & Wecker 2017, Wegener 2008): The acquisition process can be modeled as follows: Learners start by storing nouns holistically in their mental lexicon. These stored nouns are matched with each other by phonological and semantic similarities. In a first step, learners abstract first-order schemas from these stored word forms and map phonological schemas onto a grammatical function. After this first step source-oriented second-order schemas emerge, since they are based on first-order schemas. This means that first, learners 145 Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung acquire typical shapes for singulars and plurals and, in a second step, establish paradigmatic relations between these two functions. In other words, we assume that learners at first follow a product-oriented strategy when marking the plural on a noun, i.e. they compare the concrete form to their stored plural schemas. Later, the source-oriented strategy will become more predominant, i.e. learners will mark the plural according to specific characteristics of the singular form (gender and final sounding) (Köpcke & Wecker 2017: 86). Die Abfolge, in der Kinder im Erwerb des Deutschen als Zweitsprache Abstrak‐ tionen in Bezug auf die Pluralbildung bilden, weist also im Wesentlichen zwei Phasen auf: Eine erste, product-orientierte Phase, bei der das Kind die in der Induktionsbasis abgelegten konkreten Pluralformen untereinander abgleicht und mehrere (unterschiedlich stark gewichtete) prototypische Schemata für „Plural“ ableitet, die das gemeinsame übergeordnete Merkmal „zweisilbig, aus‐ lautende Schwa-Silbe“ vereint; und eine zweite, product- und source-orientierte Phase, die auf den etablierten Pluralschemata aufbaut und die erkannten Muster um den Abgleich mit Singularschemata erweitert. Auf diesem Wege werden abstrakte Zuweisungsprinzipien zwischen segmentierten Pluralallomorphen und Singularformen bzw. -schemata abgeleitet, sodass bei der Pluralbildung fortan neben dem Produkt des Bildungsprozesses (Pluralschemata) auch die singularische Ausgangsform (inhärentes Genusmerkmal bzw. phonologische Form) berücksichtigt wird. Tabelle 2 gibt die Hauptannahmen zu diesem zwei‐ stufigen Erwerbsverlauf im Überblick wieder: Die impliziten Abstraktionsprozesse im Erwerb der Pluralbildung in zwei Phasen: Erwerbsphase 1: product-orientiert Die implizite Ableitung von Pluralmus‐ tern erfolgt zunächst nur auf Grund‐ lage der in der Induktionsbasis abge‐ legten, konkreten Pluralformen. Bei der spontanen Bildung von Pluralen voll‐ zieht der Lernende also noch kein Ab‐ gleich mit den in der Induktionsbasis abgelegten konkreten Singularformen bzw. den daraus abgeleiteten Singular‐ schemata, die Pluralbildung erfolgt also ungeachtet der (phonologischen und morphologischen) Merkmale des Singu‐ larstamms. Erwerbsphase 2: product- und source-ori‐ entiert Die implizite Musterextraktion bezieht nun auch Singularformen/ -schemata ein: Die bisher ohne Bezug zu Singular‐ formen/ -schemata gebildeten Pluralformen können nun analysiert, Pluralallomorphe infolgedessen segmentiert und gleichzeitig mit Merkmalen der als dazugehörig be‐ trachteten Singularformen in Verbindung gebracht werden: Genus bzw. Silbenstruktur der Singularformen (Silbenanzahl, Auslaut) werden für die Pluralbildung funktional. 146 Giulio Pagonis Daraus resultierende Pluralkompetenz: nach Erwerbsphase 1: Etablierung eines übergeordneten, Plu‐ ralschemas: trochäisch, mit finaler Schwa-Silbe. Lernerformen entsprechen diesem Muster und weisen dabei alle im Deutschen vorhandenen Pluralge‐ stalten auf (*Bäumen, *Lampe, *Kugels), mit Präferenz für -en-Bildungen (*Ti‐ schen, Lampen). Diese produktiv gebil‐ deten Pluralformen werden nicht von den dazugehörigen Singularstämmen abgeleitet (insofern also nicht source-orientiert), worauf Lernerformen wie *viele Lampe hinweisen. nach Erwerbsphase 2: Das optimale Pluralschema aus Phase 1 bleibt erhalten, wird aber ausdifferenziert: Ausgehend von der Genuszugehörigkeit bzw. der phonologischen Form des Singu‐ larstamms werden die segmentierten Pluralallomorphe nun systematisch zugewiesen: - Feminina bzw. zweisilbige Singular‐ stämme auf Schwa werden mit -n bzw. -en pluralisiert (Lampen, Türen) - Maskulina bzw. einsilbige Singular‐ stämme werden mit -0 bzw. -e pluralisiert (Tische, Löffel), - Singularstämme, die auf Vollvokal aus‐ lauten, werden mit -s pluralisiert (Autos, Klos). Tab. 2: Zwei Phasen im natürlichen Erwerb der deutschen Pluralbildung beim Substantiv Die beiden in Tabelle 2 aufgeführten Meilensteine im Pluralerwerb sollen in den beiden folgenden Kapiteln 5.1. und 5.2. erläutert werden. Zu einer ausführlichen Darstellung siehe Wegener (2008) und Köpcke und Wecker (2017): 5.1. Erwerbsphase 1: product-orientiert Lernersprachliche Fehler-, Auslassungs- und Übergeneralisierungsmuster der in Wegener (2008) untersuchten DaZ-Kinder weisen darauf hin, dass diese in einem ersten Abstraktionsschritt ein übergeordnetes Pluralbildungsschema ableiten, das die Form „Trochäus mit finaler Schwa-Silbe“ aufweist: auf -en: *Baumen, auf -e: *Elefante, auf -s: *Mädchens, auf -n: *Apfeln, aber auch mit Umlaut, z. B. *Söhner, *Häsen). Die Etablierung koexistenter Pluralschemata auf -en, -e, -s etc., die alle dem Muster „Trochäus mit finaler Schwa-Silbe“ entsprechen, spiegelt das Reizmuster im Sprachangebot der Kinder „inputgetreu“ wider und unterstreicht ein schema- (vs. regel-)geleitetes Erwerbsverhalten, das sich an der Typizität der resultierenden Pluralform orientiert (daher product-orientiert): Die Kinder identifizieren (unbewusst) die in ihrer Induktionsbasis abgelegten konkreten Formen, die mit der Bedeutung PLURAL assoziiert sind, und unterziehen diese Pluralformen, zunächst ohne Berücksichtigung der entsprechenden Sin‐ gularformen, einem formalen Abgleich. Dabei zeigen sich Übereinstimmungen hinsichtlich formaler Merkmale (nicht-einsilbig, trochäisch, auf Schwa-Silbe auslautend), welche somit in die Ableitung der (sich gegenseitig stützenden) Pluralschemata (auf -e, -en, -s etc.) eingehen. 147 Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung Innerhalb dieses übergeordneten Schemas lassen die von den Kindern produ‐ zierten Übergeneralisierungen gleichzeitig auf eine Präferenz für Pluralformen auf -en schließen (*Ballen, *Schranken), die in der sich entwickelnden kindlichen Lernergrammatik die prototypische Pluralbildung abzubilden scheinen. Dies ist nicht erstaunlich, denn „[f]orms ending in -en represent a schema with the highest reliability for plurality“ (Köpcke & Wecker 2017: 92), und zwar nicht nur in Bezug auf ihre hohe (Token- und Typ-)Frequenz: Die höchsten Werte für -en erklären sich nicht nur durch dessen Frequenz, die im [Grundwortschatz] kaum über der von -e liegt, sondern durch seine hohe Ikonizität, hohe Salienz, höhere Signalstärke und Validität. Sie bestätigen die Stärke des prototy‐ pischen Schemas. Die Kinder nutzen das im Input vorgefundene Material zum Aufbau von Pluralschemata in optimaler Weise, indem sie das ‚beste‘ Suffix zur Ausbildung optimaler Pluralformen verwenden (Wegener 2008: 109; s. Tab. 3 in Köpcke & Wecker 2017: 83). Die Tatsache, dass -n und -s in diesem Erwerbsstadium nur im Rahmen zweisilbiger Pluralformen auftreten (*Kugels und *Uhun, nicht aber *Tischs), bestätigt die Strategie der Kinder, gemäß der ausgebildeten Pluralschemata möglichst optimale (nämlich zweisilbige) Formen zu gebrauchen. Gleichzeitig zeigt sich, dass die Kinder bei zweisilbigen Singularstämmen (wie Lampe, Auto), die im Deutschen durch das Anfügen nicht silbischer Pluralallomorphe (-s, -n) pluralisiert werden, am häufigsten Auslassungen auftreten (*zwei Lampe, *viele Auto), - vermutlich, weil hier bereits der Singularstamm hinsichtlich Silbenanzahl und Betonungsmuster ( ̍Au.to) oder darüber hinaus des Auslauts (Reduktionssilbe: ̍Lam.pe) dem vom Kind etablierten Pluralschema entspricht: Diese Singularformen „klingen“ für die Kinder also bereits wie Plurale. Beide Beobachtungen belegen, dass die Kinder zu diesem Zeitpunkt ein Schema für einen optimalen deutschen Plural etabliert haben: „trochäisch mit finaler Schwa-Silbe“. Zudem zeigt die für diese Erwerbsphase charakteristische n-Auslassung und somit die Interpretation des Schemas „trochäischer Zwei‐ silber auf Schwa“ als Plural (*viele Lampe), „dass die Kinder die Aufgabe der Pluralbildung nicht vom Stamm aus lösen, an den Suffixe anzufügen sind, sondern dass sie [product-orientiert] von den Pluralformen ausgehen, für die sie Schemata ausbilden“ (Wegener 2008: 108). Diese erste Erwerbsphase, die Kinder im Erwerb der Pluralmarkierung natür‐ licherweise durchlaufen, geht also auf eine implizit-unbewusste, product-orien‐ tierte Analyse der in der Induktionsbasis abgespeicherten Pluralformen zurück und mündet in eine systematisch-lernersprachliche Fähigkeit zur Pluralbildung, die schemabasiert ist. Dass die Kinder während dieses ersten Erwerbsschrittes 148 Giulio Pagonis noch nicht damit begonnen haben, die in der Induktionsbasis verfügbaren Singular- und Pluralformen in Bezug zueinander zu setzten (Lampe vs. Lampen), sondern nur innerhalb der in der Induktionsbasis abgelegten Pluralformen nach Mustern fahnden, wird durch die Auslassungshäufigkeit des Pluralmarkers -n bei Nomen belegt, die im Singular auf Schwa auslauten (viele *Lampe): Denn wenn Zuweisungsregeln (wie oben dargestellt) ausgebildet worden wären, hätte Regel i. „Stämme mit finaler offener Schwa-Silbe bilden den Plural mit -n.“ aufgrund ihrer hohen Validität zu den frühsten zählen müssen, die Kinder erwerben (s. dazu auch Hinnerichs & Pagonis 2015). Die didaktische Implikation hinsichtlich der Förderprogression, nach der hier gefragt wird, sollte diesen ersten Erwerbsschritt berücksichtigen: Sofern sich Förderkinder im Anfangsstadium des Pluralerwerbs befinden und davon ausgegangen werden muss, dass ihnen ein Inputmangel den Vollzug dieses ersten, natürlichen Erwerbsschrittes erschwert, sollte dieser durch implizite Formfokussierung gezielt unterstützt werden (s. dazu die Hinweise im abschlie‐ ßenden Kapitel). Dass die Kinder nach dem Erreichen einer schema-basierten Pluralkompe‐ tenz noch weitere implizite Analyseprozesse vollziehen müssen, zeigt sich anhand der Tatsache, dass auf Grundlage des ausgebildeten Pluralschemas zwar bereits Plurale nach dem für das Deutsche typischen Muster gebildet werden (zweisilbig, Reduktionssilbe, unter Einsatz aller im Deutschen existenten Ge‐ stalten auf -e, -en, -s, Umlaut etc.), dass die Pluralbildung aber hinsichtlich der Pluralallomorphe noch nicht differenziert genau erfolgt, s. *Schuhen, *Uhun, viele *Lampe etc. Im einem zweiten Erwerbsschritt müssen die Kinder deshalb Bildungsmuster ableiten, die über das etablierte optimale Pluralschema hinaus die differenzierte Selektion der Pluralallomorphe in Abhängigkeit vom Singular‐ stamm (Form und Genus) steuern. 5.2. Erwerbsphase 2: product- und source-orientiert Mit dem zweiten Erwerbsschritt setzt der implizite Abgleich der bereits aus‐ gebildeten Pluralschemata mit Singularstämmen (bzw. mit Singularschemata, Köpcke & Wecker 2017) ein. Die Kinder beginnen, ihre auf der Dominanz eines optimalen Pluralschemas beruhende Pluralbildungskompetenz auszudif‐ ferenzieren, um zu einer Bildungskompetenz zu gelangen, die näher an die zielsprachliche Pluralbildung heranreicht, sodass sie künftig a. das -(e)n-Bildungsmuster (das dem optimalen Schema entspricht) nur noch auf einen Teil der Singularstämme, nämlich die Feminina (Lampen vs. *Schuhen), die -(e)-Bildung hingegen nur auf maskuline Nomen anwenden (Tische vs. viele *Lampe). Dafür müssen die Kinder die Genusinformation 149 Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung bzw. die mit der Genuszugehörigkeit korrelierende phonologische Form des Singularstamms (maskulin: einsilbig vs. feminin: zweisilbig) bei der Pluralisierung berücksichtigen. b. zwischen der Affigierung von -n und -s (beides nicht silbenbildende Pluralmarker) weiter unterscheiden, sodass zweisilbige Singularstämme nunmehr abhängig vom Auslaut differenzierter pluralisiert werden, als dies auf der Grundlage des übergeordneten Schemas „zweisilbig und trochä‐ isch“ möglich ist (wo Übergeneralisierungen nach dem Muster *Kugels und *Uhun auftreten, Wegener 2008: 109). Dafür müssen die Kinder beginnen, die phonologische Form des Singularstamms (auslautender Vollvokal vs. geschlossene Schwa-Silbe) zu berücksichtigen. Um zu dieser differenzierteren Bildungskompetenz zu gelangen, muss das Kind zur Segmentierung der Pluralallomorphe und somit zum impliziten Verständnis gelangen, dass in einer Pluralform wie Lampen das -n den Plural ausdrückt, das -e hingegen zum Auslaut des Singularstammes gehört, während das -e in Tische (anders als bei Lampe) pluralbildend ist. Die Analyse, nach der die beiden formgleichen Wortformen Lampe und Tische unterschiedliche Nume‐ rusfunktionen ausdrücken (Singular vs. Plural), gelingt aber nur, wenn ein Abgleich zwischen den bisher bereits schematisch gebrauchten Pluralformen mit den entsprechenden Singularformen erfolgt (z. B. die Lampe-Lampen, der Tisch-Tische etc.), in dessen Folge die Pluralallomorphe segmentiert (Lampe-n, Tisch-e, Tür-en) und schließlich unter Einbezug der Genusinformation (im Nominativ/ Singular am Artikel markiert: der, die, das) oder aber, als Vorgriff auf Genus, annäherungsweise über die phonologische Form des Singularstamms (Einsilber vs. Zweisilber) Zuordnungsprinzipien abstrahiert werden; dieses Vorgehen wird source-orientiert genannt: - (e)n bei Feminina (Lampen, Türen, *Wanden) und - (e) bei Maskulina, (Tische, Löffel, *Mensche) bzw. - n bei zweisilbigen Singularstämmen (Lampen, *Eimern), - e bei einsilbigen Singularstämmen (Tische, aber weiterhin *Türe) und - s bei Singularstämmen auf Vollvokal (Autos, Klos, Pizzas). Diese fortgeschrittene Stufe im Erwerb der Pluralbildung erweitert und verfei‐ nert die grobe, schemabasierte Pluralbildung der ersten Erwerbsphase. 150 Giulio Pagonis 11 Die Studierenden, die die konzeptionelle Planung der hier angeführten Sprachspiele und ihre materielle Umsetzung geleistet haben, sind: Laura Dieck, Thea Frese, Anna Klip, Anna Kraft, Hannah Schwaller, Nathalie Stummer sowie Tina Vellacher. Ich danke den Studierenden für die Bereitstellung der entwickelten Materialien zum Zwecke der Illustration. Mit Blick auf die dritte Förderimplikation, die die Erwerbsprogression betrifft, kann nun also geschlussfolgert werden, dass eine implizit formfokus‐ sierende Sprachförderung im Elementarbereich berücksichtigen sollte, dass der natürliche Erwerbsweg über zwei Erwerbsphasen verläuft. Nach der (product-orientierten) Etablierung eines optimalen Pluralschemas wird eine angepasste Induktionsbasis erforderlich, auf der die beschriebenen impliziten Abstraktionsprozesse zweiter Ordnung (product- und zusätzlich source-orien‐ tiert) vollzogen werden können. 6. Didaktische Überlegungen zu einer impliziten Formfokussierung Das abschließende Kapitel skizziert nun Vorschläge, wie die hier zusammenge‐ tragenen Erkenntnisse zum natürlichen Spracherwerb im Rahmen einer implizit formfokussierenden Sprachdidaktik Berücksichtigung finden könnten. Auszüge aus konkreten Sprachfördermaterialien (Sprachspielen), die von Studierenden entlang der drei in diesem Beitrag herausgearbeiteten didaktischen Forderungen für den Einsatz im Elementarbereich entwickelt worden sind, werden im Anhang auszugsweise zur Illustration angeführt. 11 6.1. Entwicklungsproximale Förderprogression Prinzipiell geht eine implizit formfokussierende Sprachförderung entwick‐ lungsproximal vor und fördert die beiden Erwerbsschritte (s. o.) in Anlehnung an die natürliche Entwicklungssequenz sequentiell. Das vorgestaltete Sprach‐ angebot, das den Förderkindern unterbreitet wird, weist also eine Progression auf, die sich nicht an der zielsprachlichen Norm, sondern an der Dynamik des kindlichen Spracherwerbs orientiert. Dabei ist es wichtig hervorzuheben, dass in der hier vorgeschlagenen impliziten Formfokussierung produktiv, aber „falsch“ gebildete Pluralformen (wie z. B. *Monsters, *Ballen) willkommen geheißen werden, wenn sie als Ausdruck natürlicher Erwerbszwischenschritte zu inter‐ pretieren sind. Gleichzeitig wird in der hier skizzierten Sprachförderkonzeption aber ausschließlich mit zielsprachenkonformer Sprache gearbeitet. 151 Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung 6.2. Verzicht auf Bewusstmachung Es wird konsequent auf die Bewusstmachung der Pluralbildungsmuster ver‐ zichtet und auch kein Versuch unternommen, die bewusste Aufmerksamkeit der Kinder auf die kritischen Pluralformen im Input zu lenken. Damit steht das Vorgehen im Widerspruch zu gängigen Vermittlungsmethoden des Fremdspra‐ chenunterrichts, die sich an das Bewusstsein der Lernenden richten und somit auch bewusste Musterbildungsprozesse anstoßen wollen, welche ohne konkrete Induktionsbasis im Gedächtnis des Lerners auskommen. 6.3. Förderphase 1: Unterstützung eines product-orientierten, optimalen Pluralschemas Die erste Förderphase, die sich im Sinne des natürlichen, impliziten Spracherwerbs über mehrere Wochen erstreckt, soll Kinder, die zu Förderbeginn noch keine Pluralmarkierung an Nomen vornehmen, bei der product-orientierten Herausbildung von Pluralschemata unterstützen. Dieses Förderziel ist erreicht, wenn das Kind neben konkreten Pluralformen, die es aus dem Input übernimmt und unanalysiert „korrekt“ wiederverwendet, auch schemakonforme Übergene‐ ralisierungen nach den Mustern *Haaren, *Monsters, *Balle oder *Hünde bildet. Diese Lernerformen entsprächen dem optimalen Pluralschema „trochäisch, auf Reduktionssilbe auslautend“, das Kinder im natürlichen Zweitspracherwerb auf‐ bauen (s. Tab. 2, linke Spalte). Außerdem sind in dieser Phase schemakonforme Auslassungen wie *viele Lampe zu erwarten. Abweichungen dieser Art würden also belegen, dass die Umsetzung der ersten Förderphase zum angestrebten Ziel geführt hat. Lernerformen der Art *Tischs oder *Kugelen würden hingegen nicht erwartet, da diese Formen dem übergeordneten, trochäischen Pluralschema widersprächen. Zum Erreichen dieses Förderzieles sollte das Sprachangebot in dieser ersten Förderphase in zwei Stufen angeboten werden (s. auch Tab. 2 oben). Förderstufe 1a: Angebot prototypischer Pluralformen - wenige verschiedene Exemplare im Plural, diese aber häufg wiederholt Das spielerische Sprachangebot (sprachintensive Spiele, Lieder, Reime etc.) wird mit einer hohen Token-Frequenz einzelner Pluralformen bestückt, welche jeweils als konkrete Repräsentanten eines potentiellen Pluralschemas des Deut‐ schen fungieren (also Blumen, Bälle, Autos etc.). Die hohe Wiederholungsrate der gleichen Formen sollte sich dabei kommunikativ sinnvoll in das Spielge‐ schehen einfügen, der wiederholte Ausdruck von Vielzahl sollte also eine zentrale Rolle in den angebotenen Liedern, Spielen, Geschichten etc. haben. Auf diesem Weg soll zunächst nur erreicht werden, dass die implizit fokussierten, konkreten Pluralformen mit ihrer Pluralbedeutung Eingang in das Gedächtnis 152 Giulio Pagonis der Kinder finden (Intake-Generierung). Einen illustrativen Eindruck, wie ein konkreter „Plural“-Input aus dieser Phase, die Teil einer umfassenderen Plural-Fördereinheit ist, aussehen könnte, gibt das Lied „Der Frühling bringt Blumen“ im Anhang. Förderstufe 1b: Mustererkennungsangebot für zentrale product-orientierte Schemata - zunehmend mehr verschiedene Wortformen im Plural, gruppiert zu den zentralen Pluralbildungsmustern Das Sprachangebot wird allmählich um Varianten jedes Pluralschemas (auf -en, -e, -s, Umlaut/ e etc.) angereichert, sodass für jedes Schema eine gegenüber Förderphase 1 erhöhte Type-Frequenz im Input sichergestellt wird. Dieses Vorgehen ist an die Vorgabe geknüpft, dass jeder weitere Typ als „Vertreter“ eines Schemas (also nach Blumen schrittweise z. B. Bienen, Hosen, Puppen; nach Tische schrittweise z. B. Stifte, Hunde, Steine) wiederum mit einer hohen Token-Frequenz angeboten wird, und dies über einen längeren Zeitraum in spielerisch-kommunikativen Kontexten, die neben rezeptiver zunehmend auch produktive Beteiligung der Kinder vorsehen. Die Spiele „Der Hahn hat Ge‐ burtstag“ und „Wie viele Beine? “ (s. Anhang) illustrieren dieses Vorgehen für die beiden Schemata Trochäus auf -e / -en. Mit dieser Item-Auswahl wird das Ziel verfolgt, die Induktionsbasis des Kindes gezielt so zu manipulieren, dass implizite Abstraktionsprozesse (gegen‐ über einer Erwerbssituation mit zufälligem Sprachinput) erleichtert werden, und zwar in Form der erwarteten Schemabildungen (z. B. Tische, Stifte, Hunde, Steine → Pluralschema „zweisilbig, trochäisch auf offene Reduktionssilbe“; Blumen, Bienen, Hosen, Puppen → Pluralschema „zweisilbig, trochäisch auf -en“). In diesem Sinne ist das hier vorgeschlagene Vorgehen als input-kompensatori‐ sche Sprachförderung zu verstehen (siehe auch Kauschke in diesem Band). An keiner Stelle des bisher beschriebenen Vorgehens erfolgt der Versuch, das Bewusstsein des Kindes während der Förderung auf die kritischen Plural‐ formen im Input oder gar die zugrunde liegenden Pluralbildungsmuster zu lenken. Selbst wenn die Kinder in der Sprachförderung abweichende Formen bildeten, die auf eine mangelnde (z. B. *viele Tisch) oder vom natürlichen Erwerbsverlauf abweichende Schemabildung hindeuten (z. B. *viele Tischs), wird auf explizite Korrekturen verzichtet und stattdessen auf unaufdringliche, aber konsequente Modellierungen im Sinne sogenannter Recasts als Feedbackform zurückgegriffen („Ja, genau, das sind drei runde Tische! “), die aus Sicht des Kindes denkbarerweise den Inhalt der Aussage betreffen (Long, Inagaki & Ortega 1998). In diesem Sinne unterscheidet sich das hier vorgestellte Vorgehen von 153 Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung kontexteingebetteten, aber explizit formfokussierenden Ansätzen (N. Ellis 2015, s. auch die Einleitung in diesem Sammelband). Zudem wird nicht davon ausgegangen, dass die Kinder die Ableitung der Plu‐ ralschemata (und ihre relative Gewichtung) „am Input“ vollziehen, sondern dass als Voraussetzung für implizite Analyseprozesse zunächst konkrete Formen im Gedächtnis abgelegt sein müssen. Mit dem hier vorgeschlagenen didaktischen Vorgehen wird deshalb auch nicht die Erwartung geknüpft, dass sich systemati‐ sche Veränderungen in der Lernergrammatik (und damit in der Spontansprache der Kinder) kurzfristig einstellen: Zwar ist damit zu rechnen, dass konkrete Formen bald von den Kindern übernommen und imitativ korrekt verwendet werden (Tische, Lampen). Produktiv gebildete, schema-basierte Lernerformen dürften aber erst nach längerer Förderintervention auftreten. 6.4. Förderphase 2: Analyse-Angebot für product- und source-orientierte Schemata - zentrale Kontrastpaare Singular-Plural Während sich Förderphase 1 an Kinder richtet, die noch keine Pluralformen bilden bzw. keine schema-basierten Pluralformen gebrauchen, wendet sich Förderphase 2 an fortgeschrittene Kinder, die bereits die erste Ebene der Pluralschemata erklommen haben (Wegener 2008). Zielsetzung der zweiten Förderphase ist es nun, den Kindern den impliziten Abgleich zwischen Singular- und Pluralschemata zu erleichtern (bzw. ihn überhaupt in Gang zu setzen) und damit die Voraussetzung für die Segmentierung der Pluralallomorphe und die Ausbildung abstrakter Zuweisungsprinzipien (Pluralallomorph zu Singular‐ stamm) zu schaffen. Das Ziel von Förderphase 2 gilt also als erreicht, wenn die Kinder Substantivstämme auch unter Berücksichtigung ihrer phonologischen Form und/ oder der Genuszugehörigkeit unterschiedlich pluralisieren. Ein implizit formfokussierender Vermittlungsansatz unterstützt diesen Re‐ strukturierungsprozess ebenfalls ausschließlich über die Vorgestaltung des Inputs. Dieser soll in einer Weise angereichert werden, dass der implizite Aufbau einer günstigen Induktionsbasis für die angestrebten Abgleichprozesse zweiter Ordnung (also Singular- und Pluralschemata) unterstützt wird: Weder Genuszugehörigkeit (z. B. durch den verbreiteten Einsatz von Farben, s. Pagonis 2014) noch die phonologische Form des Singularstamms werden als relevante Merkmale für die Zuweisungsmuster ins Bewusstsein oder die bewusste Auf‐ merksamkeit des Kindes gerückt. Stattdessen wird im Rahmen der Spiele, Lieder und Geschichten gezielt die Vorkommenshäufigkeit (Token- und Typ-Frequenz) von konkreten Singularstämmen manipuliert, deren pluralische Gegenstücke bereits in Rahmen von Förderphase 1 vermittelt worden sind (Bienen/ Biene, Hosen/ Hose, Puppen/ Puppe; Tische/ Tisch, Brote/ Brot, Hunde/ Hund, Steine/ Stein). 154 Giulio Pagonis 12 Auch wenn hierfür keine empirischen Belege vorliegen, könnte mit einer gewissen Plausibilität angenommen werden, dass das funktionale Konzept der Vielheit im impliziten Abstraktionsprozess zugänglicher für Grammatikalisierungsprozesse ist, als die funktionslose Genuskategorie, und damit eher für eine formbasierte Klassifikation des Nominalwortschatzes genutzt werden kann (Gruppe von Nomina, die mit -e pluralisieren vs. Gruppe von Nomina, die mit -n pluralisieren). Auf diesem Wege soll die konkrete Induktionsgrundlage geschaffen werden, auf der das implizite Sprachvermögen zur Segmentierung der Pluralmarker und ihrer Zuweisung gelangt. Da die Kinder, abhängig von ihrem Kompetenzstand, entweder Genus oder phonologische Form für diesen Zuweisungsprozess nutzen können sollen, werden die konkreten Vertreter der Pluralmuster so ausgewählt, dass sie dem regelhaften Muster der Genuszuweisung im Deutschen entsprechen: einsilbige Singularstämme als nicht Feminina (Stift, Brot, nicht aber Tür) sowie zweisilbige Singularstämme als Feminina (Lampe, Rose, nicht aber Hase). Zudem sollten zur Segmentierung und Zuweisung des -s-Allomorphs nur zweisilbige Singu‐ larstämme eingesetzt werden, da sie sich in ihrer pluralisierten Form in das in Förderphase 1 ausgebildete, übergeordnete Pluralschema des Deutschen (zwei‐ silbig, trochäisch) einfügen (Auto/ Autos, nicht aber Lok/ Loks). Um für Kinder mit erworbenem Genussystem die Möglichkeit zu eröffnen, das Genusmerkmal des Singularstamms als Indiz für die Zuweisung der Pluralallomorphe zu nutzen, sollten alle Singularstämme mit dem definiten Artikel im Nominativ angeboten werden (die Biene/ die Bienen, der Tisch/ die Tische etc.). So könnte zudem die Möglichkeit geschaffen werden, dass Kinder, die die Pluralbildungsmuster über die phonologische Form der Singularstämme ableiten (Einsilber werden mit -e pluralisiert, Zweisilber mit Reduktionssilbe mit -n), diesen Zusammenhang auch für den Aufbau eines Genussystems nutzen (Nomina, die mit -e plurali‐ sieren sind Maskulina; Nomina, die mit -n pluralisieren, sind Feminina) 12 . Das Spiel „Einkaufen“ (s. Anhang) illustriert das hier vorgeschlagene didaktische Vorgehen (allerdings noch ohne Einbezug der definiten Artikel). 7. Schlusswort Es ist kaum zu erwarten, dass diese komplexe Planungsarbeit (und die an‐ schließende Überführung in konkretes, kindgerechtes Fördermaterial) von jeder Sprachförderkraft geleistet werden kann. Die Verbreitung traditioneller (fremdsprachlicher) Vermittlungsansätze, die auf die Unterrichtung expliziter Wissensbestände setzen, ist möglicherweise gerade mit dem Hinweis auf die wesentlich komplexere Planungsarbeit erklärbar, die nötig wird, wenn 155 Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung didaktische Verfahren entwickelt werden, die gezielt auf natürliche, implizite Sprachlernprozesse einwirken sollen. Es ist deshalb zu befürworten, wenn Sprachfördermaterialien entwickelt werden, die Sprachförderkräften die Vorge‐ staltung des Sprachangebots zum Teil abnehmen und ihnen konkrete Vorschläge zur sprachlichen Ausgestaltung der Sprachförderung unterbreiten. Für eine Vielzahl von Lerngegenständen (Nominalflexion, Satzbau, Präpositionen) ist dieser didaktische Weg, analog zu dem hier geschilderten Vorgehen, im Rahmen des Projektes Deutsch für den Schulstart (www.deutsch-fuer-den-schulstart.de) beschritten und die dabei entwickelten Materialien in der Praxis erfolgreich erprobt worden. Literatur Aguado, Karin (2015). Sprachliche Routinen als Wegbereiter für den Erwerb bildungs‐ sprachlicher Handlungsfähigkeit im schulischen DaZ-Kontext. In: Pagonis, Giulio/ Klages, Hana (Hrsg.), Linguistisch fundierte Sprachförderung und Sprachdidaktik: Grundlagen, Konzepte, Desiderate. Reihe: DaZ-Forschung. Deutsch als Zweitsprache, Mehrsprachigkeit und Migration. Berlin u.a.: Mouton de Gruyter, 1-15. Aguado, Karin (2008). Wie beeinflussbar ist die lernersprachliche Entwicklung? Theo‐ retische Überlegungen, empirische Erkenntnisse, didaktische Implikationen. Fremd‐ sprache Deutsch 38, 53-58. Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2016). 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Frau Frühling bringt Blumen, Frau Sommer isst Eis. Herr Herbst bringt uns Trauben, Frau Winter ist weiß. Im Herbst sind drei Hunde sehr gerne im Haus. Die Hunde sind müde und wollen nicht raus. Frau Frühling bringt Blumen, Frau Sommer isst Eis. Herr Herbst bringt uns Trauben, Frau Winter ist weiß. Drei Ponys stolzieren im Winter im Wald. Die Ponys sind froh, denn der Frühling kommt bald. Frau Frühling bringt Blumen, Frau Sommer isst Eis. Herr Herbst bringt uns Trauben, Frau Winter ist weiß. Das Lied soll strophenweise eingeführt werden und kann als Ritual über alle Phasen hinweg zu Beginn der Förderstunde gesungen werden. Es dient dazu, die verschiedenen Pluralformen nacheinander einzuführen durch regelmäßige Wiederholung im Geist des Kindes zu etablieren. Es enthält alle Pluralformen, jedoch mit dem Fokus auf -en, der durch den Refrain gegeben ist. Zur visuellen Unterstützung können die Bildkarten (x-y) verwendet werden. 161 Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung Anhang B: Phase I Spiel 4 „Der Hahn hat Geburtstag“ PHASE I: PROTOTYPISCHE SILBENSTRUKTUREN VON SINGULAR- UND PLURALFORMEN Spiel 4: Der Hahn hat Geburtstag (1. Postkarte von Mimi) Förderkraft: Guten Morgen, Kinder! Schaut mal, der erste Brief von Mimi ist da! Soll ich euch vorlesen, was Mimi geschrieben hat? Liebe Kinder, heute morgen konnte ich gar nicht ausschlafen. Draußen haben drei kleine Enten ganz laut geschnattert. Und vier Bienen summten wild herum. Neugierig habe ich aus dem Fenster geschaut. Die drei Enten standen mitten im Hof. „Was ist denn hier los? Warum macht ihr so einen Krach? “ habe ich gerufen. „Der Hahn hat heute Geburtstag“, sagten die Enten. „Wir proben gerade ein Lied. Das wollen wir dann zusammen für ihn singen. Komm, mach mit! “ Eigentlich war ich noch schrecklich müde, aber ich wollte trotzdem unbedingt mitsingen. Wir haben dann noch ein bisschen zusammen geübt: Die Enten, die Bienen und ich. Und als der Hahn aus seinem Haus gekommen ist, hat er sich riesig gefreut. Ich glaube, das war das tollste Geburtstagslied, das er jemals gehört hat. Oh, ich muss los. Ich schreibe euch morgen wieder. Liebe Grüße, eure Mimi Fragen zur Geschichte:  Warum konnte Mimi nicht ausschlafen?  Warum waren die Tiere denn so laut? Was haben sie gemacht und warum?  Welche Tiere haben mitgesungen? Spielvorschlag 1: Tierchor (Fokus auf Rezeption) Es werden mindestens zwei Kindern jeweils eine Tierrolle zugeteilt: „Lisa und Ahmed, ihr macht dieselben Geräusche wie die Enten! Ivan und Moni, ihr macht dieselben Geräusche wie die Bienen und ich bin der Hahn.“ Die Förderkraft übernimmt die Rolle des Hahns, der sich krähend über das Geburtstagslied freut. Ziel: Etablierung von „Enten“ und „Bienen“ als Schablonen für auf -en auslautende Plurale. Kontrastierender einsilbiger Singular: Hahn Benötigtes Material: Postkarte 1, Bildkarten (x-y) und Kopien der Bildkarten (Siehe Spielvorschläge) Zur visuellen Unterstützung während des Vorlesens des Briefes können die Bildkarten (x-y) herangezogen werden. 162 Giulio Pagonis PHASE I: PROTOTYPISCHE SILBENSTRUKTUREN VON SINGULAR- UND PLURALFORMEN Die Kinder dürfen nun die verschiedenen Tiergeräusche nacheinander und dann alle zusammen imitieren. Danach werden die Tierrollen getauscht, bis jedes Kind einmal jede Rolle eingenommen hat. Spielvorschlag 2: Geburtstagslied singen (Durchführung idealerweise einen Tag später, Fokus auf Produktion) Vorbereitung: Zwei Kopien der Bildkarte „Enten“, eine Kopie der Bildkarte „Bienen“ und eine Kopie der Bildkarte „Hahn“, sodass es insgesamt 3x Enten, 2x Bienen und 2x Hahn ergibt. Wichtig ist hierbei, dass die Bildkarte “Enten” überproportional oft vorkommt, da Enten den Kindern als holistische Schablone für den -en Plural dienen soll. Zu Beginn des Spiels werden die Bildkarten der Tiere als Stapel durchmischt auf den Tisch bzw. in die Mitte des Sitzkreises gelegt. Die Kinder sollen diese nacheinander aufdecken und zu der gezogenen Karte die entsprechende Frage bilden: „Wie machen die Enten/ die Bienen/ der Hahn? “ Die Förderkraft zieht zu Beginn des Spiels die erste Karte und stellt die Frage an ein Kind um dadurch die Vorlage zu geben. Das Kind beantwortet die Frage und darf nun eine weitere Karte ziehen und (entsprechend der Karte) ein anderes Kind fragen. Die bereits gezogene Karte kann zur Verlängerung des Spiels wieder in den Stapel gelegt werden. Die Hahn-Karte kann auch so eingesetzt werden, dass sich das Kind aussuchen darf wie es in der Rolle des Hahns seine Freude über das Geburtstagslied zum Ausdruck bringt (tanzen, hüpfen, krähen…). Die dazu gestellte Frage lautet: „Wie macht der Hahn, wenn er sich freut? “ Spielvorschlag 3: Freie Nacherzählung Draco kommt dazu und fragt, warum die Kinder so einen Lärm machen als Anlass, die Geschichte von den Kindern nacherzählen zu lassen. Spielvorschlag 4: Erweiterung des Plakats Das Plakat wird um die Enten, die Bienen und einen Hahn erweitert. Die Kinder malen die jeweilige Kopiervorlage dazu aus und dürfen sie anschließend ausschneiden und aufkleben. 163 Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung Anhang C: Phase I Spiel 6 „Wie viele Beine? “ PHASE I: PROTOTYPISCHE SILBENSTRUKTUREN VON SINGULAR- UND PLURALFORMEN Spiel 6: Wie viele Beine? (3. Postkarte von Mimi) Förderkraft: Seht mal, Kinder, was der Postbote mir gerade gegeben hat. Wollen wir mal schauen was uns die Mimi schreibt? Hallo liebe Kinder! Wisst ihr was? Heute Morgen ist mir aufgefallen, dass die verschiedenen Tiere nicht alle gleich viele Beine haben. Ratet mal wie viele Beine die Mimi hat? Genau, Mimi hat vier Beine. Und wie viele Beine habt ihr? Genau, ihr habt zwei Beine! Da wurde ich ganz neugierig, welche Tiere denn auch vier Beine haben, so wie ich. Deshalb habe ich ein paar Tiere besucht. Zuerst habe ich die Schafe getroffen. “Hallo ihr Schafe, könnt ihr mir sagen, wie viele Beine ihr habt? ” “Määh, sagten die Schafe, “das wissen wir nicht, zähl doch mal nach! ” (Bildkarte zeigen). Schaut mal Kinder, wie viele Beine haben die Schafe? Ja genau, vier Beine, so wie Mimi! Da habe ich mich aber gefreut, dass die Schafe auch vier Beine haben! Als nächstes ging ich am Teich vorbei, darin war ein Fisch. “Hallo Mimi, was machst du denn? ”, fragte der Fisch “Ich sehe nach, wie viele Beine die Tiere haben. Wie viele Beine hast denn du? ” “Beine? ”, fragte der Fisch. „Ich habe gar keine Beine. Siehst du? ” “Oh! Stimmt”, sagte ich. “Hm, manche Tiere haben Beine, und manche haben keine”, habe ich gedacht. Da ist mir ein lustiger Reim eingefallen: Die Schafe haben Beine Der Fisch hat aber keine! Da habe ich gemerkt, dass es schon sehr spät war, und bin schnell zum Haus zurück gerannt. Leider konnte ich nicht alle Tiere auf dem Bauernhof fragen, wie viele Beine sie haben. Könnt ihr mir vielleicht helfen herauszufinden wie viele Beine die anderen Tiere haben? Liebe Grüße, Eure Mimi Fragen zur Geschichte:  Wen hat Mimi als erstes besucht? Ziel: Etablierung von „Beine“, „Tiere“ und „Schafe“ als Schablonen für auf -e auslautende Plurale. Kontrastierender einsilbiger Singular: Fisch Benötigtes Material: Brief 3, Bilder (x-y) und davon Kopien zum Ausmalen. 164 Giulio Pagonis PHASE I: PROTOTYPISCHE SILBENSTRUKTUREN VON SINGULAR- UND PLURALFORMEN  Wisst ihr noch wie viele Beine die Schafe haben?  Wen hat sie dann getroffen?  Wisst ihr noch wie der Reim geht, den sich die Mimi ausgedacht hat? Spielvorschlag 1: Beine zählen (Fokus auf Rezeption) „Wisst ihr was Kinder? Das passt ja gut, dass Mimi unsere Hilfe braucht. Schaut mal ich habe heute Bilder dabei. Auf dem einen ist ein Hund und auf dem anderen ein Schwein etc. Kommt wir zählen mal wie viele Beine die Tiere haben? “ Nachdem die Kinder gezählt haben, darf jedes Kind je ein Bild anmalen: „Da wird sich die Mimi aber freuen, dass wir ihr geholfen haben. Wollen wir ihr die Bilder per Post schicken? Kommt, wir denken uns auch einen Reim aus, damit die Mimi sich besser merken kann wie viele Beine die Tiere haben.“ So gehen die Kinder alle Tiere durch und sprechen die Reime mit: Ein Schwein hat vier Beine, der Fisch der hat keine! Ein Hund hat vier Beine, der Fisch der hat keine! Ein Pfau hat zwei Beine, der Fisch der hat keine! Ein Schwan hat zwei Beine, der Fisch der hat keine! Bei einer Gruppe von mehr als vier Kindern können noch folgende Bilder einbezogen werden: Ein Frosch hat vier Beine, der Fisch der hat keine! Ein Huhn hat zwei Beine, der Fisch der hat keine! Spielvorschlag 2: Karten aufdecken (Fokus auf Produktion) Die Bildkarten mit den jeweiligen Tieren (Schwein, Hund, Schaf, Pfau, Schwan, Frosch, Huhn, Fisch) werden als Stapel auf den Tisch/ im Sitzkreis auf den Boden gelegt und die Kinder ziehen reihum eine Karte. Je nachdem welche Bildkarte das Kind zieht, soll es sagen: “Ich bin ein Schaf/ Huhn, Schwein/ ... und hab zwei/ vier Beine.” Die Förderkraft gibt mit der ersten Karte die Vorlage. Wird der Fisch gezogen, muss das Kind einmal um den Tisch/ Sitzkreis herumlaufen und dabei schwimmende Armbewegungen 165 Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung PHASE I: PROTOTYPISCHE SILBENSTRUKTUREN VON SINGULAR- UND PLURALFORMEN machen/ schwimmend auf dem Boden kriechen. Das Spiel kann so lange gespielt werden bis die Kinder jede Karte einmal gezogen haben. Bei Kindern, die fit sind, kann das Spiel auch als Reimversion gespielt werden. Je nachdem welche Karte das Kind aufdeckt, soll es den Reim (siehe oben) aufsagen. Spielvorschlag 3: Freie Nacherzählung Draco schaut vorbei und fragt die Kinder warum sie über die Beine der Tiere reden. So werden die Kinder dazu veranlasst die Geschichte von Mimi wiederzugeben. Spielvorschlag 4: Plakat erweitern Das Plakat wird um die Schafe und die anderen Tiere erweitert. Die Förderkraft kann Kopiervorlagen zum Ausmalen mitbringen und diese dann ausschneiden oder es werden schon fertige Bilder aufgeklebt. 166 Giulio Pagonis Anhang D: Phase II Spiel 2 „Einkaufen“ PHASE II: ANALYSE UND SEGMENTIERUNG DER PLURALFORMEN MIT DEN AUSLAUTEN -EN, -E UND -S Spiel 2: Einkaufen Durchführung: Die Kinder gehen mit einem Einkaufszettel Obst und Gemüse einkaufen. Die Förderkraft gibt jedem der Kinder hierzu einen selbst erstellten Einkaufszettel, auf dem jeweils eine bestimmte Anzahl der vom Kind zu kaufenden Dinge (z. B. drei Möhren und eine Birne) oder eine Zahl und das jeweilige Bild (bei Vorschulkindern) abgebildet sind. Der Wortschatz sollte vorher mit den Kindern besprochen werden, um diesen zu sichern. Mögliche Formen für die Einkaufslisten: 6 Kirschen, 3 Möhren, 1 Birne, 1 Gurke Diese können angepasst werden, wenn nur bestimmte Obst- und Gemüsesorten in Plastik- oder Bildform vorhanden sind. Dabei muss unbedingt darauf geachtet werden, dass wie in den Beispielen nur zweisilbige Feminina mit Schwa-Auslaut im Singular bzw. auf auf -en endende Pluralformen verwendet werden. Die Kinder sollen nun die entsprechenden Dinge einkaufen. Ein Kind ist dabei der Verkäufer, die anderen Kinder kaufen nacheinander ein. Die Förderkraft kann dazu einmal das Modell vorgeben, indem sie die Verkäuferin spielt und Mimi bei ihr einkauft. Modell: „Ich möchte bitte 3 Möhren kaufen.“ Ideal ist es, wenn die jeweiligen Dinge in Holz oder Papier (in der jeweiligen Anzahl) auch vorhanden sind, auch Spielgeld kann die Einkaufssituation unterstützen. Ziel: Durch die Kontrastierung von Singularformen (hier auf Schwa endende Feminina) mit ihren Pluralformen soll die Segmentierung der einzelnen Allomorphe angebahnt werden. Benötigtes Material: Kopiervorlage xy (Einkaufszettel), Spielzeugobst/ -gemüse (oder mehrere Kopien von den betreffenden Gegenständen, je nach Gestaltung der Einkaufszettel), ggf. Spielgeld 167 Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? Katrin Henk Abstract: In diesem Beitrag geht es um die Frage, inwiefern implizit formfokussierende Verfahren auch im gymnasialen Fremdsprachenunter‐ richt eingesetzt werden und wirksam sein können. In einem ersten Schritt wird die theoretische Kompatibilität implizit formfokussierender Ansätze mit dem traditionell stärker explizit ausgerichteten Fremdsprachenunter‐ richt gymnasialer Prägung diskutiert. In einem zweiten Schritt werden mehrere Unterrichtsversuche (8. Klasse, Französisch als 2. Fremdsprache) vorgestellt. Die Ergebnisse liefern Hinweise darauf, dass implizit formfo‐ kussierende Verfahren, insbesondere das Prinzip des Skewing, tatsächlich auch in einem explizit ausgerichteten Lernsetting eine lernförderliche Wirkung beim Erwerb neuer Strukturen haben können. Der Fremdspracherwerb in der Sekundarstufe I des Gymnasiums stellt eine besondere Herausforderung für Lernende dar, insbesondere in den zweiten und dritten Fremdsprachen: In relativ kurzer Zeit (fünf bzw. drei Lernjahre mit jeweils maximal vier Wochenstunden Unterricht) soll in einer - im Vergleich zur ersten Fremdsprache Englisch - morphosyntaktisch deutlich komplexeren Sprache (z. B. Französisch, Spanisch, Italienisch oder Russisch) ein relativ hohes Kompetenzniveau (B1/ B1+) erreicht werden. Als Lehrkraft befindet man sich auf einer ständigen Gratwanderung bei dem Versuch, die Fähigkeit der Schüle‐ rinnen und Schüler zur bedeutungs- und inhaltsorientierten Kommunikation zu fördern und sie gleichzeitig dazu zu bringen, neue lexikalische und gramma‐ tische Strukturen in ihre Lernersprache zu integrieren. Die vielfach bemühte und fachdidaktisch allseits anerkannte Formel von der „dienenden Funktion der Grammatik“ bringt die Idee auf den Punkt, dass grammatische Strukturen nur im Zusammenhang mit kommunikativen Zwecken zu thematisieren und diesen untergeordnet sind. Damit sind zwar die Prioritäten klar gesetzt, im Detail bleiben jedoch viele Fragen offen. Der Beitrag geht deshalb zunächst von der Frage aus, wie Fremdsprachenunterricht gymnasialer Prägung in Bezug 1 Als Fremdsprache (L2) werden im Folgenden alle schulisch vermittelten weiteren Sprachen bezeichnet, egal ob es sich um zweite, dritte oder vierte derart gelernte Sprachen handelt. auf einen Ansatz der didaktischen Formfokussierung, wie er aus der internatio‐ nalen, vor allem anglophonen Spracherwerbsforschung hervorgegangen ist, zu verorten ist (Kap. 1). Dabei stellt sich insbesondere die Frage, wie innerhalb eines eher explizit ausgerichteten Lernsettings noch gezielter implizite (beiläu‐ fige, unterbewusste) Sprachlernvorgänge angestoßen werden können. Mehrere diesbezügliche Hypothesen werden im Folgenden vorgestellt, wobei Aspekte der Frequenz und der Type-Token-Relation und der Begriff des Skewed Input im Mittelpunkt stehen (Kap. 2). Mehrere empirische Unterrichtsversuche zu einer französischen Fragestruktur (Qu’est-ce qui …? vs. Qu’est-ce que …? ) im gymna‐ sialen Fremdsprachenunterricht (8. Klasse, Französisch als 2. Fremdsprache), die abschließend vorgestellt werden, lassen vorsichtige Hinweise darauf zu, dass die Berücksichtigung bestimmter input- und outputanreichernder und damit vor allem implizit formfokussierender Vermittlungsoptionen positive Lerneffekte zeitigen kann (Kap. 3-4). 1. Schulischer Fremdsprachenunterricht und die didaktische Formfokussierung Will man aktuelle didaktische Herangehensweisen an eine Förderung gram‐ matischen Strukturerwerbs im schulischen Fremdspracherwerb 1 theoretisch verorten, liegt das Konzept der Formfokussierung (Focus on Form, FonF) nahe, das in der internationalen Zweitspracherwerbsforschung eine zentrale Rolle spielt. 1.1. Was ist unter Formfokussierung zu verstehen? Long und Robinson (1998) definieren FonF durch die Abgrenzung von zwei anderen didaktischen Ansätzen: Von einer rein inhaltsbzw. kommunikations‐ orientierten Zweitsprachvermittlung (Focus on Meaning, FonM) wie sie z. B. die natürliche Methode vorsieht, grenzt sich FonF demnach dadurch ab, dass das Hauptziel der Interaktion zwar die inhaltsorientierte Kommunikation bleibt, aber die Aufmerksamkeit der Lernenden durchaus gelegentlich auf sprach‐ liche Formen bzw. Form-Bedeutung-Zuordnungen gelenkt wird, wobei der Wechsel auf die Formseite möglichst kurz und beiläufig bleibt und grundsätzlich reaktiv dann stattfindet, wenn ein tatsächliches kommunikatives Bedürfnis oder ein Kommunikationsproblem auftritt (Long 1991: 45-46). Gleichzeitig hebt sich FonF ab von einer weitgehend dekontextualisierten Formenfokussierung 170 Katrin Henk (Focus on Forms, FonFS). Als charakteristisch für FonFS sehen Long und Robinson (1998) einen synthetischen Lehrplan an. „Synthetisch“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Zielsprache im Vorfeld analysiert und auf einzelne Elemente heruntergebrochen wird, die nach und nach verbunden mit expliziten Erläuterungen präsentiert werden, und die die Lernenden durch gezielte Übungen verinnerlichen sollen, um selbst sprachlich aktiv werden zu können. Dabei werden die sprachlichen Strukturen isoliert und losgelöst vom kommunikativen Kontext thematisiert (Doughty & Williams 1998: 3). Sprache ist also vorrangig Lerngegenstand und nicht Kommunikationsinstrument. Die relativ strenge Definition von FonF durch Long und Robinson (1998) wurde verschiedentlich erweitert und relativiert: R. Ellis (2001) etabliert den Begriff der formfokussierten Vermittlung (Form-Focused Instruction, FFI) als eine Art Oberbegriff für jede Art von Unterrichtsaktivität, die die Aufmerksamkeit der Lernenden - implizit oder explizit, geplant oder inzidentell - auf sprachliche Formen lenkt. Loewen (2011, 2018) folgt dieser Auffassung, für ihn sind FonF und FonFS eher als die beiden Enden eines Kontinuums zu verstehen (Loewen 2018: 2751). R. Ellis (2016: 410) schließlich relativiert den Unterschied zwischen FonF und FonFS insofern, als er betont, dass es sich nicht um generelle Vermittlungsansätze handele (Approaches), sondern um Unterrichtsverfahren (Instructional Procedures), die sich vor allem dadurch unterscheiden, wie offen‐ sichtlich bzw. gezielt und wie stark funktional eingebettet vs. dekontextualisiert sie die Aufmerksamkeit der Lernenden auf sprachliche Formen lenken und ob diese eher als Kommunikationsmittel oder als Lernobjekt angesehen werden: […] focus on form entails various techniques designed to attract learners’ attention to form while they are unsing the L2 as a tool for communicating. In contrast, focus on forms entails various devices (such as ‚exercices‘) designed to direct learners’ attention to specific forms that are to be studied and learned as objects (R. Ellis 2016: 5, Hervorhebungen im Original). Die Auffassung, dass FonF und FonFS eher als didaktische Optionen mit unter‐ schiedlicher Schwerpunktsetzung anzusehen sind, wird der Unterrichtspraxis sicher eher gerecht als die Vorstellung, dass es sich um klar abgrenzbare Un‐ terrichtskonzeptionen handelt. Nichtsdestotrotz liegt den meisten Forschungs‐ arbeiten, die sich mit der didaktischen Formfokussierung beschäftigen, die Idee von Focus on Form im engeren Sinne (FonF) zugrunde. Dazu gehört, dass sich Sprachunterricht im Sinne des FonF stark an das Modell des natür‐ lichen Spracherwerbs anlehnt: Zentral ist die inhaltsorientierte Interaktion zwischen dem Lernenden und anderen SprecherInnen und die Aushandlung von Bedeutung, die dabei stattfindet (Interaktions-Hypothese, Long 1996). 171 Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? Auch wenn der Bemühung der Lernenden, eigenen sprachlichen Output zu produzieren, eine lernförderliche Wirkung zuerkannt wird (Output-Hypothese, z. B. Swain 1995), gilt verständlicher Input doch als eigentlicher Motor des Spracherwerbs: „Input is the sine qua non of acquisition“ (Gass & Mackey 2015: 181, Piske & Young-Scholten 2009, Madlener-Charpentier in diesem Band). Gleichzeitig besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass verständlicher Input und inhaltsorientierte Interaktion allein nicht zum erfolgreichen Erwerb einer Zweit- oder Fremdsprache (L2) führen (siehe z. B. Swain 1985, Long 1988, Norris & Ortega 2000). Die möglichen Ursachen hierfür sind vielfältig (Long 2003); aus gebrauchsbasierter Sicht sind vor allem die (stark beschränkte) Menge und die Beschaffenheit des Inputs im Fremdsprachenkontext (N. Ellis 2009) und die durch die Muttersprache bedingte selektive Aufmerksamkeit für bestimmte Strukturen der Zielsprache (MacWhinney 2008, 2012, N. Ellis 2008) zu nennen. Unter didaktischer Formfokussierung (FonF) können nun verschiedene me‐ thodisch-didaktische Techniken subsumiert werden, durch welche die o. g. Defizite potenziell kompensiert werden können. Diese reichen von implizit aufmerksamkeitslenkenden bis zu explizit bewusstmachenden Optionen. Unter den impliziten sind zunächst verschiedene Verfahren zu nennen, die durch Manipulation des Inputs die (bewusste oder unbewusste) Aufmerksamkeit der Lernenden auf eine bestimmte Zielstruktur lenken, so z. B. durch das überproportional häufige Auftreten einer Struktur im Input (Input-Fluten, z. B. Wong 2005), durch die typographische oder intonatorische Hervorhebung der Struktur im Input (Input Enhancement, Sharwood Smith 1993) oder auch indem das lexikalische Material, mit dem eine grammatische Struktur im Input repräsentiert ist, bewusst wiederholt bzw. variiert wird (Typ-Token-Effekte, Madlener 2015). Ein Verfahren, das über die Manipulation des Inputs hinausgeht, sind strukturierte Input-Aktivitäten, die darauf abzielen, muttersprachliche Verarbeitungsmechanismen, die in der L2 inadäquat sind, aufzubrechen (Pro‐ cessing Instruction, VanPatten & Cadierno 1993, Van Patten 2012). Eine eher explizite FonF-Technik sind auch kollaborative Textrekonstruktionsaufgaben (auch als Dictogloss bezeichnet, Swain 1995, Eckert 2008), bei denen die Ler‐ nenden einen Text hören, Notizen dazu anfertigen und anschließend gemeinsam versuchen, den Ausgangstext grammatisch korrekt zu rekonstruieren, wobei die Aufmerksamkeit der Lernenden auf die Verwendung bestimmter grammatischer Zielstrukturen gelenkt wird. Als zentrales Instrument der Formfokussierung zählen außerdem die verschiedenen Möglichkeiten korrektiven Feedbacks, z. B. in (impliziter) Form von Recasts, also grammatisch korrekten Reformulierungen der Lerneräußerung (z. B. Nicholas, Lightbown & Spada 2001), oder expliziter als direkte metasprachliche Korrekturen (R. Ellis, Loewen & Erlam 2006). Auch 172 Katrin Henk 2 Für die zweite Fremdsprache sind an baden-württembergischen Gymnasien über fünf Lernjahre verteilt (6.-10. Klasse) 18 Wochenstunden à 45 Minuten vorgesehen, pro Schuljahr also drei bis vier Stunden pro Woche. Geht man von 35 Schulwochen pro Jahr aus, ergibt sich eine theoretische Unterrichtszeit von 472,5 Zeitstunden. grammatische Erläuterungen gehören zum Repertoire der Formfokussierung, wobei diese jedoch bewusst dosiert und immer dem inhaltlichen Verständnis der grammatischen Zielstruktur nachläufig (Doughty & Williams 1998: 4) sowie von einer substanziellen Menge einschlägiger Beispiele in kommunikativ funk‐ tionalen Kontexten begleitet sein sollten (N. Ellis 2007: 30). Insgesamt heben sich FonF-basierte Steuerungsoptionen von einem dekon‐ textualisierten FonFS durch ihre grundlegende Lernerzentrierung/ Bedürfnisori‐ entierung, durch ihren doppelten Fokus auf Formen und ihre Funktionen/ Be‐ deutungen (statt auf rein formale Paradigmen) und durch ihre Einbettung in bedeutungsvolle kommunikative Aufgabenkontexte (im Sinne eines Task-Based Learning) ab. Auf den ersten Blick entspricht diese Konzeption des gesteuerten L2-Erwerbs dem Idealbild des schulischen Fremdsprachenunterrichts, bei dem die Anbahnung einer sprachlichen und interkulturellen Handlungskompetenz im Vordergrund steht und sprachliche Strukturen nur in dienender Funktion zu thematisieren sind (siehe z. B. Bildungsplan Baden-Württemberg 2016). Den‐ noch gibt es strukturelle Unterschiede, die bedingen, dass sich die o. g. Ansätze der didaktischen Formfokussierung nicht ohne Weiteres auf den schulischen Kontext übertragen bzw. in diesem erproben lassen. 1.2. Form(en)fokussierung im schulischen Fremdsprachenunterricht Der schulische Fremdsprachenunterricht unterliegt, zumal beim Erwerb der zweiten und dritten Fremdsprache, hohen zeitökonomischen Zwängen. In Baden-Württemberg beispielsweise soll in nicht einmal 500 Stunden Sprachkon‐ taktzeit 2 in der zweiten Fremdsprache das Niveau B1+ erreicht werden. Dafür sieht der Bildungsplan eine beträchtliche Anzahl lexikalischer und grammati‐ scher Strukturen vor, die möglichst rezeptiv und produktiv zur Realisierung be‐ stimmter Kommunikationsabsichten beherrscht werden sollen. Diese Vorgaben bedingen, dass den im gymnasialen Fremdsprachenunterricht benutzten Lehr‐ werken eine klare und relativ steile sprachliche Progression zugrunde liegt. Die Vermittlung neuer fremdsprachlicher Zielstrukturen wird also systematisch, plan- und absichtsvoll in den Unterricht integriert. Dabei werden die neuen Strukturen in den Lehrwerken stets mit kommunikativen Zwecken verknüpft bzw. in einem inhaltsorientierten Rahmen thematisiert. Der Anspruch an eine systematische Erarbeitung der Strukturen bedingt jedoch, dass kommunika‐ tiver Rahmen und zu thematisierende Strukturen eng aufeinander abgestimmt 173 Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? werden müssen, bisweilen also die zielsprachliche Struktur die Auswahl der Inhalte und kommunikativen Aufgaben ganz offensichtlich (mit-) bestimmt. Die sprachliche Progression des schulischen Fremdsprachenunterrichts wäre also mit Long und Robinson (1998) zumindest teilweise als synthetischer Lehrplan zu bezeichnen und ist insofern zumindest von seiner Grundstruktur her relativ nahe an dem, was in der anglophonen Forschungsliteratur als Formenfokussie‐ rung (FonFs) bezeichnet wird. Daraus folgt, dass nicht alle didaktischen und methodischen Verfahren der Formfokussierung (FonF) problemlos bzw. sinnvoll im schulischen Fremdsprachenunterricht eingesetzt werden können. Curriculare Vorgaben bedingen auch, dass sich der gymnasiale Fremdspra‐ chenunterricht nicht auf das Beherrschen der Fremdsprache im Sinne einer interkulturellen Handlungskompetenz reduzieren lässt. Die Entwicklung eines (mehr-)sprachigen Bewusstseins sowie die Förderung der Sprachlernkompetenz (siehe z. B. Bildungsplan Baden-Württemberg 2004: 129 und 2016: 4) setzen voraus, dass die Fremdsprache nicht nur als Kommunikationsmittel verstanden, sondern auch zum Gegenstand der Reflexion gemacht wird. Das Erkennen und Beschreiben von Regelhaftigkeiten sowie der Sprachvergleich und die hierfür erforderlichen metasprachlichen Mittel sind also fester Bestandteil gymnasialen Fremdsprachenunterrichts. Grundsätzlich entspricht dies auch den kognitiven Bedürfnissen jugendlicher Lernender (Muñoz 2007). Schließlich trägt auch die Notwendigkeit der schulischen Leistungsmessung dazu bei, dass im Fremdsprachenunterricht explizite Erläuterungen ihren festen Platz haben. Denn im Interesse aller Beteiligten (Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Eltern) muss Transparenz über die Leistungsanforderungen hergestellt werden. Abgeprüft werden kann nur, was auch Gegenstand des Unterrichts war, d. h. was erklärt und geübt wurde. Selbst wenn man darauf verzichten sollte, gezielt bzw. isoliert die Beherrschung bestimmter sprachlicher Strukturen zu überprüfen, muss auch bei kompetenzorientierten Testformaten (Lese- oder Hörverstehen, Schreiben, Sprechen) transparent gemacht werden, welche sprachlichen Struk‐ turen beherrscht werden müssen, um die Aufgabe gut zu bewältigen. Die Frage, die im Rahmen von Studien zur didaktischen Formfokussierung immer wieder aufgeworfen wird (z. B. im Zusammenhang mit der Processing Instruction: VanPatten & Cadierno 1993, VanPatten & Oikkenon 1996, Wong 2004, Culman, Henry & VanPatten 2009), ob nämlich die explizite Bewusstmachung sprachli‐ cher Strukturen für den L2-Erwerb überhaupt notwendig ist, stellt sich deshalb in der Logik der schulischen Vermittlungspraxis betrachtet nicht; eher stellt sich die Frage, inwiefern der Fremdsprachenunterricht durch eine sinnvolle Balance von expliziter und impliziter Vermittlung ein sinnvolles Maß an sprachlichem Wissen und sprachlichem Können vermitteln kann. 174 Katrin Henk Schulischer L2-Unterricht ist gekennzeichnet von der Bemühung um ein möglichst ausgeglichenes Training aller rezeptiven und produktiven Kompe‐ tenzbereiche und den Einsatz vielfältiger Methoden und Arbeitsformen, welche die Lernenden möglichst stark aktivieren und motivieren sollen. Das leitende Prinzip der Handlungsorientierung führt außerdem dazu, dass didaktisch die Sprachproduktion gegenüber der Sprachrezeption tendenziell präferiert wird (Nieweler 2006: 44). Eine ausschließliche oder überwiegende Anwendung von Methoden der didaktischen Formfokussierung, die auf den Input konzen‐ triert sind (z. B. Inputfluten) steht unterrichtspraktisch im Widerspruch zu diesen Bemühungen, da derartige Methoden stark auf das Training rezeptiver Kompetenzen angelegt sind, was auch methodisch nicht unbedingt dem Be‐ dürfnis jugendlicher Lernender nach Abwechslung sowie eigener Aktivität entspricht. Hinzu kommt, dass die Trennung zwischen Input und Output im schulpraktischen Kontext weniger eindeutig ist als in der Theorie plausibel: Greifen Lernende beispielsweise bei der eigenen (mündlichen oder schriftlichen) Sprachproduktion auf Redemittel zurück, die ihnen als Formulierungshilfen schriftlich zur Verfügung gestellt werden, verarbeiten sie diese sowohl rezeptiv als auch produktiv. Dies gilt auch, wenn Lernende bei einer Partner/ innenübung ähnliche Strukturen abwechslungsweise selbst verwenden und von dem/ der Partner/ in hören. Schließlich stellt jede eigene Sprachäußerung einerseits eine Art Auto-Input dar, andererseits eine Gelegenheit zu positivem oder negativem Feedback seitens des Kommunikationspartners, wobei Output und Input auf‐ einander bezogen sind und äußerst zeitnah verarbeitet werden. Wenn man also den Einfluss von Typ- und Tokenrelationen (siehe Madlener-Charpentier in diesem Band) unter realen schulischen Unterrichtsbedingungen untersuchen möchte, gestaltet sich eine Beschränkung auf die Inputseite als schwierig. Im Gegensatz zu Ansätzen des FonF, denen zufolge grammatische Strukturen möglichst nur reaktiv thematisiert werden, wenn sie zur Realisierung eines Kommunikationsbedürfnisses benötigt werden, erfolgt die Einführung neuer grammatischer Strukturen im gymnasialen Fremdsprachenunterricht in aller Regel gezielt geplant, und zwar nach einem groben Muster, das auch als P-P-P-Modell bezeichnet wird (aus dem Englischen Presentation - Practice - Production; Ur 2018): In einer ersten Phase werden die Lernenden mit einer neuen Struktur konfrontiert, die sie in einem kommunikativen Kontext inhaltsorientiert verwenden, rezeptiv oder auch produktiv. Sind die Lernenden mit der Bedeutung der Struktur vertraut, wird ihre Aufmerksamkeit explizit, meist induktiv auf die Struktur gelenkt; die Struktur wird untersucht und eine grammatische Regel formuliert. In einer zweiten Phase werden die Struk‐ turen in kommunikativen Minimalsituationen geübt, bevor die Lernenden in 175 Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? einer dritten Phase die neuen Strukturen in umfassenderen kommunikativen Aufgaben verwenden sollen (Criado 2013: 99-100). Auch wenn das P-P-P-Modell verschiedentlich kritisch bewertet wird, findet es in der Unterrichtspraxis als Instrument einer klaren und effizienten Strukturierung des Lernprozesses nach wie vor breite Anwendung und entsprechend auch Befürworter/ innen (siehe den Überblick über die Diskussion bei Anderson 2016, Criado 2013, Ur 2018). Das P-P-P-Modell basiert auf kognitionspsychologischen Annahmen zum Fertigkeitserwerb (Skill Acquisition), wie sie z. B. die ACT-R-Theorie darstellt, die sich nicht völlig problemlos mit inputorientierten Ansätzen des Spracher‐ werbs vereinbaren lässt. Die ACT-R-Theorie geht von einer Unterscheidung zwischen deklarativem Wissen (knowing that) und prozeduralem Wissen (kno‐ wing how, Ryle 1946) aus und erklärt, wie Letzteres auf der Grundlage von Ersterem entsteht (Anderson & Fincham 1994, Anderson 1995, Anderson, Fin‐ cham & Douglass 1997, DeKeyser 2015): Zu Beginn steht eine kognitive Phase, in der ein/ e Lernende/ r ein Problem löst oder eine komplexe Handlung ausführt, indem er/ sie versucht, bestimmte Regeln anzuwenden oder die Aufgabe über einen Analogieschluss zu meistern. Die Regeln oder das dem Analogieschluss zugrunde liegende Beispiel stellen das bewusst abrufbare deklarative Wissen dar. Durch die wiederholte Konfrontation mit dem gleichen Problem bzw. der gleichen Aufgabe entstehen Muster zu dessen bzw. deren Bewältigung (Proze‐ duralisierung). Je öfter eine ähnlich geartete Herausforderung zu meistern ist, d. h. je häufiger geübt wird, desto leichter kann das Lösungsmuster angewandt werden. Dementsprechend schneller und fehlerfreier erfolgt die Lösung bzw. Ausführung, bis schließlich ein immer höherer Grad an Automatisierung er‐ reicht wird, was bedeutet, dass die Handlung ohne Rückgriff auf bewusstes, deklaratives Wissen in aller Regel schnell und fehlerfrei ausgeführt werden kann (DeKeyser 2015). Die Formulierung einer möglichst verständlichen und korrekten fremdsprachlichen Äußerung kann als eine solche Art Aufgabe betrachtet werden: Eine bestimmte Bedeutung kann bzw. muss mit Hilfe be‐ stimmter Strukturen realisiert werden. Verfügt der/ die Lernende über ein mental abgespeichertes Verwendungsbeispiel und/ oder über eine Verwendungsregel, kann er/ sie ähnliche Aussageabsichten in Analogie zum Beispiel und/ oder im bewussten Rückgriff auf die Regeln realisieren. Je häufiger er/ sie ähnliche Aussageabsichten realisiert, desto schneller und leichter wird er/ sie auf entspre‐ chende Problemlösestrategien (bzw. vorgefertigte Teiläußerungen, Wray 2002) zurückgreifen können. DeKeyser (2015: 102) betont, dass die Anwendbarkeit von Theorien zum Fertigkeitserwerb stark vom Lernkontext abhängt und sich insbesondere dort anbietet, wo „(a) high-aptitude adult learners [are] engaged in (b) the learning of simple structures at (c) fairly early stages of learning in 176 Katrin Henk (d) instructional contexts“ (DeKeyser 2015: 101). Damit beschreibt er ziemlich genau den Lernkontext des gymnasialen Fremdsprachenunterrichts. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Grundfragen des L2-Erwerbs, nämlich wie Inputmangel einerseits und durch die L1 geprägte selektive Aufmerksamkeit andererseits zu kompensieren sind, im gymnasialen Fremd‐ sprachenunterricht aktuell tendenziell anders beantwortet werden als in den o. g. Ansätzen zur didaktischen Formfokussierung, auch wenn in beiden die Entwicklung der kommunikativen Kompetenz im Vordergrund steht. Der gym‐ nasiale Fremdsprachenunterricht setzt beim Strukturerwerb aus den genannten Gründen nach wie vor verhältnismäßig stark auf explizite Lehrverfahren und explizites Wissen über sprachliche Strukturen: Grammatische Erläute‐ rungen sind so selbstverständlich wie gezielte Übungen, mit denen bestimmte Strukturen fokussiert und in minimalen kommunikativen Kontexten eingeübt werden, um sie für die Verwendung in weiter gefassten inhaltsorientierten Bedeutungszusammenhängen verfügbar zu machen. Allerdings sind auch die Nachteile bzw. Gefahren eines auf explizite Strukturvermittlung angelegten Unterrichtsmodells nicht zu übersehen: Zum einen sind Übungen in den Lehr‐ werken oft so konzipiert, dass sie vor allem auf die formale Seite sprachlicher Strukturen abheben, dass die Bedeutungsseite aber vernachlässigt wird und so keine zuverlässigen Form-Bedeutungs-Verbindungen entstehen. Zum anderen bleibt das Problem des Inputmangels nach wie vor bestehen. Aus schulpraktischer Sicht stellt sich deshalb die Frage, wie Übungen und Übungsmaterial im Rahmen eines gesteuerten und grundlegend explizit aus‐ gerichteten Strukturerwerbs im schulischen Fremdspracherwerb beschaffen sein könnten, um diese Schwächen auszugleichen. Im Folgenden werden Er‐ kenntnisse aus der Spracherwerbsforschung (Kap. 2) und aus einer Reihe von empirischen Studien (Kap. 3) referiert, die hierfür wichtige Anhaltspunkte liefern. In Kapitel 4 werden die Ergebnisse im Hinblick auf die Frage nach der Möglichkeit impliziter Lehr- und Lernoptionen im grundlegend expliziten Fremdsprachenunterrichtskontext abschließend diskutiert. 2. Erkenntnisse zum Strukturerwerb aus der Erst- und Zweitspracherwerbsforschung Erst- und Zweitspracherwerbsforschung liefern wichtige Erkenntnisse darüber, wie der Erwerb von Strukturen verläuft und welche Bedingungen erwerbsför‐ derlich wirken. Wie im Folgenden zu sehen sein wird, spielen hierbei insbeson‐ dere Fragen der Inputquantität und -qualität eine wichtige Rolle. 177 Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? 2.1. Die Rolle der Frequenz Aus der aktuellen Erst- und Zweitspracherwerbsforschung gibt es verlässliche Hinweise darauf, dass Spracherwerbsprozesse hochgradig frequenzsensibel verlaufen: So gehen gebrauchsbasierte Theorien zum Erstspracherwerb davon aus, dass besonders häufig gehörte sprachliche Äußerungen als Ganzes abge‐ speichert werden und so die Grundlage für eine spätere allmähliche Katego‐ risierung und Generalisierung von Strukturen bilden (siehe z. B. Tomasello 2003, N. Ellis 2003, Lieven & Tomasello 2008, Behrens 2009). Dabei konnte nachgewiesen werden, dass Kinder Strukturen, mit denen sie selbst häufig konfrontiert werden, besonders früh und oft auch selbst verwenden (siehe z. B. Cameron-Faulkner, Lieven & Tomasello 2003, Goldberg, Casenhiser & Sethu‐ raman 2004, Ambridge, Pine, Rowland & Young 2008). Auch konnektionistische Modelle, mit Hilfe derer neuronale Netzwerke am Computer simuliert werden, betonen die Rolle der Inputfrequenz, denn die Langzeitspeicherung in selbst organisierenden Karten, welche die Funktionsweise des Gehirns nachahmen, funktioniert nur, wenn die Karte wiederholten und konsistenten Input erhält (MacWhinney 2008, 2012). Ebenso erfolgen Automatisierungsprozesse in den bereits erwähnten lernpsychologischen Modellen zum Fertigkeitserwerb nur bei einer häufigen Wiederholung der gleichen mentalen Operation (Power Law of Learning/ Practice, siehe z. B. Anderson & Fincham 1994, Anderson 1995, Anderson et al. 1997). All diese Studien zeigen also, dass die Häufigkeit, mit der eine Struktur anzutreffen ist bzw. von SprecherInnen verarbeitet wird, zwar nicht der einzige, aber ein wichtiger Schlüsselfaktor für den Erwerb sprachlicher Strukturen ist (s. u., s. auch N. Ellis 2002a, b). Für den schulischen Fremdsprachenunterricht ist also davon auszugehen, dass ein/ e Lernende/ r eine neue zielsprachliche Struktur leichter verinnerlichen kann, wenn er/ sie diese Struktur möglichst häufig verarbeitet. Lern- und Übungsmaterialien sollten demzufolge so konzipiert sein, dass eine zielsprach‐ liche Struktur mit einer gewissen Häufigkeit bedeutungshaltig (rezeptiv oder produktiv) verarbeitet wird. Denn nur, wenn Form und Bedeutung parallel verarbeitet werden, kann ein mentales Form-Bedeutungs-Mapping stattfinden und damit die Speicherung, Weiterverarbeitung und interne Analyse, also letztlich die Integration der Struktur in die Lernersprache (siehe z. B. N. Ellis & Wulff 2015). Einschränkend muss erwähnt werden, dass die Aussage „möglichst häufig“ insofern vage ist, als es keinen Schwellenwert, keine bestimmte Anzahl an Verarbeitungsdurchgängen gibt, die einen Lernerfolg garantieren würde. Denn Häufigkeit ist zwar ein wichtiger, aber nicht der einzige relevante Faktor, der mit anderen Faktoren wie der Beschaffenheit der sprachlichen Struktur (phonetisch, lexikalisch, morphosyntaktisch), ihrer Komplexität, Salienz, Trans‐ 178 Katrin Henk parenz und Prototypizität genauso interagiert wie mit Persönlichkeitsmerk‐ malen der Lernenden (Arbeitsgedächtnis, Motivation, Sprachlerneignung etc.; siehe z. B. N. Ellis 2008, Kempe, Brooks & Kharkhurin 2001, Brooks, Kempe & Sionov 2005, McDonough & Trofimovich 2016, Tagarelli, Ruiz, Moreno Vega & Rebuschat 2016). Doch selbst wenn kein absoluter Wert bezüglich der notwendigen Verarbeitungsfrequenz angegeben werden kann, legt doch der prüfende Blick in gängige Lehrwerke nahe, dass manche L2-Strukturen in den Lernmaterialien vermutlich zu wenig häufig vertreten sind, um nachhaltig konsolidiert zu werden (Henk 2021). 2.2. Typ-Token-Verhältnisse Mit Token-Frequenz wird die absolute Häufigkeit bezeichnet, mit der ein be‐ stimmtes sprachliches Zeichen z. B. innerhalb eines Textes auftritt (N. Ellis 2002a: 166). Unter Typ-Frequenz ist dagegen die Bandbreite der verschiedenen lexikalischen Füllungen zu verstehen, die innerhalb eines bestimmten Musters auftreten können (ebd.). Eine hohe Token-Frequenz liegt damit in Kontexten mit starker Wiederholung vor, eine hohe Typ-Frequenz in Kontexten mit hoher Variation. Im Deutschen hat demnach die für alle regelmäßigen Verben geltende Bildung des Präteritums „VERBSTAMM-te“ (z. B. tanzen → tanzte) eine größere Typ-Frequenz als die Bildung des Präteritums durch den Vokalwechsel von -e- zu -a-, die nur bei wenigen starken Verben auftritt (z. B. lesen → las; Bybee 2006). Die Erkenntnis, dass das Zusammenspiel von Typ und Token bei der Genera‐ lisierung von Strukturen eine gewisse Rolle spielt, geht auf eine Reihe allgemein kognitionspsychologischer Untersuchungen zurück (Elio & Anderson 1984), die viele Studien im Bereich des Spracherwerbs inspiriert und beeinflusst haben: Elio und Anderson (1984) kamen in ihren Experimenten zu dem Ergebnis, dass ProbandInnen, die auf der Basis einer Reihe von konkreten Beispielen abstrakte Kategorien bilden sollten, dann im Vorteil waren, wenn sie mit weniger stark variierenden Trainingssamples (und mit entsprechend hoher Wiederholungs‐ rate pro Trainingsitem) trainiert wurden. Dieser Effekt ließ sich weiter steigern, wenn das Trainingsteilset mit der niedrigsten Varianz, d. h. mit der höchsten Wiederholungsrate eines prototypischen Beispiels, zu Beginn des Trainings von den ProbandInnen zur Kenntnis genommen wurde (Elio & Anderson 1984). Derartiger Input, der ein kleines Set von (semantisch zentralen) überhäufigen Prototypen eines Musters nebst einer Anzahl von weniger zentralen Vertretern in geringerer Häufigkeit enthält, wird schiefverteilt genannt (Skewed Input, Casenhiser & Goldberg 2005). 179 Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? Goldberg und KollegInnen (Goldberg et al. 2004, Casenhiser & Goldberg 2005, Goldberg & Casenhiser 2008) haben in mehreren Laborexperimenten un‐ tersucht, ob sich derartige Effekte schiefverteilten Inputs auf den Spracherwerb übertragen lassen, wenn SprecherInnen (Kinder und Erwachsene) eine neue, künstlich geschaffene syntaktische Struktur (hier: Subjekt-Objekt-Verb-Wort‐ stellung, z. B. Der Hut die Nase moopoes) in ihrer Erstsprache lernen sollen, die ihnen zusammen mit einer visuellen Verdeutlichung der Bedeutung (hier: Der Hut erscheint plötzlich an/ auf der Nase) präsentiert wird. Goldberg und Casenhiser (2008) berichten, dass ProbandInnen die neue Form-Bedeutung-Zu‐ ordnung tatsächlich besser erwerben, wenn sie diese zu Beginn mehrfach mit demselben erfundenen Verb, d. h. insgesamt relativ häufiger mit einem zentralen Verb (und nicht mit vielen verschiedenen Verben gleichmäßig häufig) wahrnehmen. Dieser Befund deutet darauf hin, dass Generalisierung und Analogiebildung, zentrale Vorgänge beim Sprachlernen, erleichtert werden, wenn Lernende eine bestimmte prototypische Realisierung des Musters, d. h. beispielsweise eine mit einem prototypischen Verb gefüllte Argumentstruktur, zu Beginn des Lernprozesses mehrfach verarbeiten. Auch aus der Erstspracherwerbsforschung gibt es Hinweise darauf, dass das Lernen mit anfänglicher Typen-Armut bzw. hoher Token-Frequenz, d. h. weniger Variation und dafür mehr Wiederholung, von Vorteil ist (Casasola 2005, Maguire, Hirsh-Pasek, Michnick Golinkoff & Brandone 2008). Verschiedene ForscherInnen haben die lernförderlichen Effekte von Skewed Input empirisch überprüft. Dabei ließ sich der positive Effekt von Skewed Input nicht durchgängig bestätigen, da sich im Rahmen verschiedener Unter‐ suchungsdesigns herausgestellt hat, dass offensichtlich verschiedene Faktoren den Effekt schiefverteilten Inputs beeinträchtigen können: So konterkarieren möglicherweise ein paralleles Training mehrerer verschiedener Strukturen (Goldberg & Casenhiser 2008, Year & Gordon 2009, Révész, Sachs & Hama 2014) sowie bestimmte, eine explizite Herangehensweise bevorzugende Lernstile und Lernkontexte (siehe hierzu Year & Gordon 2009, Nakamura 2012) und ein expli‐ zites Nachdenken über Kategorisierungsregeln (z. B. Elio & Anderson 1984, Year & Gordon 2009, Nakamura 2012) den positiven Effekt des Skewed Input. Dagegen stellt Madlener (2015: 304-307) fest, dass in Abhängigkeit vom Vorwissen bzgl. der Zielstruktur inzidentelles Lernen durch geskewte Trainingsbedingungen durchaus sehr erfolgreich sein kann. Weitere Faktoren, die offenbar eine Rolle dabei spielen, ob und in welchem Maße Skewed Input den impliziten Erwerb neuer Strukturen fördert, sind die individuelle Disposition der Lernenden, wie z. B. die Fähigkeit auditorische Muster zu erkennen (McDonough & DeVlee‐ schauwer 2012); die Frage, ob es sich um eine syntaktische oder morphologi‐ 180 Katrin Henk 3 Das Design der Studie und im Klassenzimmer notwendigerweise fehlende Optionen des Online-Testens von Erwerbsprozessen (z. B. über Reaktionszeiten oder Eyetracking) be‐ dingen, dass in den im Folgenden präsentierten Studien lediglich global ein erwerbsför‐ dernder Effekt von Skewed Input und Output auch im expliziten Klassenzimmerkontext gezeigt werden kann; auf welche konkreten Komponenten - wie z. B. Prozeduralisie‐ rung, Analogie-Bildung, Entrenchment - diese Erwerbseffekte zurückzuführen sind, müsste mit weiteren Studien und anderen Testverfahren vertiefend überprüft werden. sche Struktur handelt, wobei der erwerbsförderliche Effekt des Skewed Input offenbar bei ersteren eher greift (siehe Cordes 2014, McDonough & Trofimovich 2013, Nakamura 2012); die Frage, ob eine Konstruktion überhaupt über eine prototypische lexikalische Realisierung verfügt (Révész et al. 2014) und die gesamthafte Typ-Frequenz der Zielstruktur in Abhängigkeit vom Vorwissen der Lernenden (Madlener 2015: 300-307). Auch wenn die positive Wirkung einer prototypischen Struktur mit hoher Token-Häufigkeit von verschiedenen Faktoren abhängt (Year & Gordon 2009, Madlener 2015), so birgt das Training mit Skewed Input doch mehr Chancen als Risiken, sofern die zunächst durch schiefe Typ-Token-Verhältnisse eingeschränkte Varianz im weiteren Training durch eine relativ hohe Typvariation ergänzt wird. Ein gewichtiger Einwand könnte der Befund sein, dass eine analytische Herangehensweise, d. h. ein explizites Nachdenken über Regeln, die bestimmten Kategorien zugrunde liegen, die Wirkung von Skewed Input scheinbar konter‐ kariert (s. z. B. Elio & Anderson 1984, Year & Gordon 2009, Nakamura 2012). Allerdings ging der Effekt des Skewed Input in den erwähnten Studien dann verloren, wenn die Lernenden dazu aufgefordert wurden, anhand der präsen‐ tierten Beispiele die unterliegende Struktur bzw. Regel induktiv zu erfassen. Doch darum geht es im schulischen Fremdsprachenunterricht, wie er hier verstanden wird, nicht. Es geht viel eher darum, wie Lernende sich eine Struktur, deren Funktionsweise bereits explizit metasprachlich geklärt wurde, im eigenen Sprachgebrauch verfügbar machen können. Die Versuche von Anderson et al. (1994, 1997) zeigen, dass auch die aktive Lösung einer Aufgabe durch den Rückgriff auf ein analoges Beispiel von einem anfänglichen Training mit hoher Token-Frequenz profitieren kann. Wird im Fremdsprachenunterricht ein bestimmtes Token mit hoher Häufigkeit verwendet, erhöht sich die Chance, dass die in diesem prototypischen Token verwirklichte Struktur als Ganzes abgespeichert wird, sei es bewusst oder unbewusst. Als Chunk steht sie so einerseits gebrauchsfertig zur zukünftigen Verwendung zur Verfügung und dient andererseits als Beispiel, das - ebenfalls bewusst oder unbewusst - der Analogiebildung zugrunde liegen kann (N. Ellis 2009). 3 181 Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? 2.3. Inputkonsistenz Mit Konsistenz des Inputs ist die Tatsache gemeint, dass eine zielsprachliche Struktur eher als wiederkehrend wahrgenommen werden kann, wenn die entsprechenden Verwendungsbeispiele ähnlich genug realisiert sind. Das kann zum einen bedeuten, dass eine oder mehrere Stellen, die innerhalb einer gleichen Konstruktion variabel besetzt werden können, konstant gehalten sind (siehe Childers & Tomasello 2001, Mac Whinney 2008, 2012) oder dass die Variation durch Variablen wie Tempus, Negation, Pronomina gering gehalten wird. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass kognitive Ressourcen bei der Informationsverarbeitung begrenzt sind (siehe z. B. Tomlin & Villa 1994). Dementsprechend ist anzunehmen, dass ein/ e Lernende/ r beim verstehenden Verarbeiten von Sätzen mit hoher lexikalischer Variation deutlich mehr kogni‐ tive Ressourcen aufwenden muss, um alle darin enthaltenen Informationen zu entschlüsseln. Damit stehen umso weniger kognitive Ressourcen zur Verfü‐ gung, um die eigentliche Zielstruktur und deren Eigenschaften (bewusst oder unbewusst) zu verarbeiten. Weist dagegen der Kontext, in den eine Struktur eingebettet ist, für eine/ n Lernende/ n erkennbare Ähnlichkeiten auf, muss er/ sie weniger kognitive Ressourcen aufwenden, um andere semantische oder formale Informationen zu dekodieren. Damit dürfte die Wahrscheinlichkeit steigen, dass genügend kognitive Ressourcen vorhanden sind, um Muster erfolgreich zu verarbeiten und zu erfassen. 2.4. Gebrauchsfertige Verwendung Häufigkeitsverteilungen sind ebenfalls zentral für erwerbstheoretische Annahmen bezüglich der Rolle formelhafter Sprache, also teilweise oder komplett vorgefertigter Mehrworteinheiten, für Erst- und Zweitspracherwerb (Wray 2000). Stark vereinfacht gesagt verläuft der Erstspracherwerb aus gebrauchsbasierter Sicht folgendermaßen (Madlener-Charpentier & Behrens in diesem Band): Ein Kind nimmt eine sprachliche Struktur wahr und assoziiert sie mit einer Bedeutung; irgendwann beginnt es, diese sprachliche Struktur selbst zu verwenden, und zwar zunächst invariabel in der Form, wie es sie selbst gehört hat; nach und nach werden solche vorgefertigten Einheiten aufgebrochen und es wird damit auch anderes lexikalisches Materialin die entdeckten variablen Stellen der Struktur eingefügt; erst nach einer gewissen Zeit bzw. Menge an Input wird das ganze generative Potential einer Struktur ausgeschöpft und diese in komplexere syntaktische Zusammenhänge eingebaut (siehe z. B. Tomasello 2003, N. Ellis 2003, Lieven & Tomasello 2008, Pine, Lieven & Rowland 1998). Wenn man nun davon ausgeht, dass trotz manifester Unterschiede zwischen L1- und L2-Erwerb (z. B. bzgl. der zeitlichen Dimensionen und der kognitiven Voraussetzungen der Lernenden) grundsätzlich ähnliche mentale Operationen stattfinden (siehe z. B. 182 Katrin Henk MacWhinney 2008, 2012), dann ist anzunehmen, dass auch ein/ e L2-Lernende/ r davon profitiert, wenn er/ sie eine neue Struktur zunächst in einem bedeutungs‐ haltigen Kontext zu verstehen lernt, sie dann als vorgefertigte größere Einheit (sog. Chunk) bzw. nur mit minimaler Variation der variablen Stellen verwendet und erst in einem weiteren Schritt aktiv bildet, um sie in größeren kommuni‐ kativen Zusammenhängen zu gebrauchen (siehe auch Koenig 2005: 154). Was in modernen Fremdsprachenmaterialien oft zu kurz kommt, ist der Zwischen‐ schritt zwischen der rezeptiven Erschließung der neuen Struktur und ihrem möglichst selbstständigen, produktiven Gebrauch, nämlich die bedeutungshal‐ tige, quasi gebrauchsfertige Verwendung der Struktur bei nur geringer lexika‐ lischer Variation. Im Grunde genommen geht es auch hier um eine Entlastung des Arbeitsgedächtnisses: Die Lernenden sollten, wenn sie beginnen, eine neue Struktur selbst zu verwenden, genug kognitive Ressourcen für die Verknüpfung von Form und Bedeutung zur Verfügung haben (Doughty 2001). Geht man im Sinne gebrauchsbasierter und konnektionistischer Theorien davon aus, dass im‐ pliziter Grammatikerwerb auf im Langzeitgedächtnis gespeicherten Instanzen bestimmter morphosyntaktischer Strukturen beruht, müssen diese Instanzen erst einmal den Weg ins Langzeitgedächtnis finden (Williams & Lovatt 2005), beispielsweise durch die wiederholte rezeptive oder auch produktive Verarbei‐ tung dieser Instanzen. Ist ein/ e Lernende/ r jedoch beim Gebrauch einer neuen Struktur gleich zu Beginn gefordert, inhaltlich passendes lexikalische Material zu aktivieren, ein ggf. unregelmäßiges Verb in einem bestimmten Tempus zu konjugieren, sich über die Satzstellung Gedanken zu machen (z. B. Negation) oder zwischen zwei konkurrierenden Formen zu entscheiden, so findet dadurch eine kognitive Überlastung statt, die vermutlich die nachhaltige Verarbeitung und Verinnerlichung der neu gelernten Form-Funktions-Korrespondenz stört. Deshalb wird angenommen, dass das Lernen durch den bewussten Einsatz von Übungsformen erleichtert werden kann, welche es den Lernenden ermöglichen, die neue Struktur zuerst mehr oder weniger gebrauchsfertig in einem bedeu‐ tungshaltigen Kontext wiederholt zu verwenden. 3. Die Unterrichtsversuche Aus den oben referierten Erkenntnissen aus der Erst- und Zweitsprachenfor‐ schung lassen sich mehrere Hypothesen darüber ableiten, welche Bedingungen den Erwerb neuer Strukturen begünstigen. Demnach müsste es das Lernen einer neuen grammatischen Struktur erleichtern, … (1) … wenn der/ die Lernende eine neue Struktur mit stark erhöhter Frequenz antrifft. 183 Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? (2) … wenn der/ die Lernende die neue Struktur in möglichst konsistenter Form verarbeitet. (3) … wenn der/ die Lernende die neue Struktur zunächst mehr oder weniger gebrauchsfertig verwenden kann, bevor er/ sie sie selbst bilden muss. (4) … wenn der/ die Lernende eine bestimmte Struktur anfänglich mit hoher Token-Frequenz, dann mit erhöhter Type-Frequenz verarbeitet (Skewed Input/ Output). Ziel der im Folgenden vorgestellten quasi-experimentellen Unterrichtsver‐ suche, die im Rahmen einer größer angelegten Versuchsreihe durchgeführt wurden, war es, die Wirksamkeit dieser Annahmen im gelenkten und ex‐ plizit ausgerichteten Fremdsprachenunterricht Französisch zu überprüfen. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf Annahme (4), also auf der Frage, ob die Häufigkeitsverteilung von Typen und Tokens einen beobachtbaren Effekt auf das Lernergebnis hat. Die Versuchsanordnung im Experimental-/ Kontrollgruppendesign sollte es dementsprechend ermöglichen, auf folgende Fragen eine Antwort zu geben: A) Erzielen Lernende, die eine neue grammatische Struktur in einem Unter‐ richtssetting erarbeiten, das die Hypothesen (1) - (4) berücksichtigt, in einem Test bessere Ergebnisse als Lernende, die diese Struktur in einem Setting erarbeiten und üben, das zwar die Hypothesen (1) - (3) berücksich‐ tigt, im Sprachmaterial aber keine besondere Häufigkeitsverteilung von Typen und Tokens (Skewing) aufweist? B) Erzielen Lernende, die eine neue grammatische Struktur in einem Unter‐ richtssetting erarbeiten und üben, das die o. g. Hypothesen (1) - (4) befolgt, in einem Test bessere Ergebnisse als Lernende, die diese Struktur in einem herkömmlichen Unterrichtssetting erarbeiten und üben? 3.1. Zielstruktur Die Zielstruktur, die innerhalb der Unterrichtsversuche eingeführt und geübt werden sollte, war die Fragestruktur Qu’est-ce qui …? . Im Gegensatz zur bereits seit dem Anfangsunterricht (6. Klasse) bekannten Fragestruktur Qu’est-ce que …? , die mit „(wen oder) was? “ zu übersetzen ist und nach dem direkten Objekt eines Satzes fragt, wird Qu’est-ce qui …? benutzt, um die Frage nach dem Subjekt zu stellen, also „(wer oder) was? “. Im Deutschen wird die Frage nach einem Gegenstand unterschiedslos mit „was? “ realisiert, egal ob es sich bei dem erfragten Satzglied um ein Subjekt oder ein Akkusativobjekt handelt; nur bei der Frage nach Personen wird durch die kasusmarkierten Fragewörter „wer? “ bzw. „wen? “ zwischen den syntaktischen Funktionen des erfragten Satzglieds (Subjekt vs. Akkusativobjekt) unterschieden. 184 Katrin Henk Die Schwierigkeit für Französischlernende mit deutscher Erstsprache besteht also darin, dass sie - im Gegensatz zum Deutschen - bei der Fragestellung mit „was? “ die Satzgliedfunktion des erfragten Gegenstandes berücksichtigen müssen, um eine korrekte Frage zu formulieren. 3.2. Versuchsgruppen Alle im Folgenden dargestellten Versuche fanden in verschiedenen Klassen der Jahrgangsstufe 8 des allgemeinbildenden Gymnasiums (Baden-Württemberg) in drei aufeinanderfolgenden Schuljahren statt und waren in den normalen Französischunterricht integriert. Alle teilnehmenden Schülerinnen und Schüler befanden sich zum Zeitpunkt der Versuche im dritten Lernjahr Französisch (2. Fremdsprache nach Englisch); die meisten von ihnen hatten als Profilfach in Klasse 8 Naturwissenschaft und Technik (NwT) gewählt, es handelte sich also hauptsächlich um Lernende mit einem naturwissenschaftlichen bzw. nicht sprachlichen Interessenschwerpunkt. Nur eine als Kontrollgruppe fungierende Klasse setzte sich aus Schülerinnen und Schülern zusammen, die nicht NwT, sondern eine dritte Fremdsprache (Latein oder Russisch) belegt hatten und damit eher sprachlich interessiert waren. Um die z.T. von vornherein erwartbaren Leistungsunterschiede zwischen den verschiedenen Klassen berücksichtigen zu können, wurden in drei von vier Versuchen zusätzliche Werte zu Selbstein‐ schätzung und Motivation der Lernenden erhoben. Die folgenden Tabellen zeigt überblicksartig die Anlage der Versuchsreihen A (Unterrichtssetting mit Skewing vs. ohne Skewing; Tab. 1) und B (Unterrichtssetting mit Skewing vs. alternative Methode; Tab. 2): Experimentalgruppe EG-Skewing Experimentalgruppe EG-Gleichverteilung Verfahren gemäß der o.g. Annahmen (1) - (4) gemäß der o.g. Annahmen (1) - (3) 1. Versuch (V1) NwT-Profil N = 13 (8 m, 5 w) NwT-Profil N = 14 (8 m, 6 w) 2. Versuch (V2) NwT-Profil N = 22 (14 m, 8 w) NwT-Profil N = 16 (9 m, 7 w) Tab. 1: ProbandInnen der Versuchsreihe A, Vergleich Unterrichtssetting mit Skewing vs. ohne Skewing In Versuchsreihe A wurde die Experimentalgruppe EG-Skewing in beiden Versuchen (V1, V2) jeweils mit einem Unterrichtsarrangement unterrichtet, das die oben genannten Annahmen (1) - (4) berücksichtigte, also stark erhöhte Frequenz, konsistente Form, gebrauchsfertige Verwendung und eine hohe 185 Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? Frequenz eines prototypischen Tokens (Skewed Input); die Experimentalgruppe EG-Gleichverteilung wurde grundsätzlich nach den gleichen Prinzipien und mit den gleichen Unterrichtsmaterialien unterrichtet, allerdings bei ausgeglichener Token-Häufigkeit. Experimentalgruppe EG-Skewing Kontrollgruppe KG Verfahren gemäß der o.g. Annahmen (1) - (4) alternative Unterrichtsmethode 1. Versuch (V3) NWT-Profil N = 22 (14 m, 8 w) sprachliches Profil N = 26 (8 m, 18 w) 2. Versuch (V4) NWT-Profil N = 20 (11 m, 9 w) NWT-Profil N = 19 (13 m, 6 w) Tab. 2: ProbandInnen der Versuchsreihe B, Vergleich Skewed Input vs. alternative Unter‐ richtsmethode In Versuchsreihe B wurde die Experimentalgruppe EG-Skewing in beiden Ver‐ suchen (V3, V4) mit dem gleichen Unterrichtsarrangement wie in Versuchsreihe A unterrichtet. Die Kontrollgruppe (KG) wurde jeweils nach alternativen, für den „normalen“ Grammatikunterricht möglichst repräsentativen Konzepten unterrichtet: Im 1. Versuch orientierte sich der Unterricht an den Materialien und Vorschlägen des allgemein genutzten Lehrwerks (Cornelsen: À plus! 3); im 2. Versuch wurde eine noch selbständigere, stärker induktive Erarbeitung der Struktur durch die Schülerinnen und Schüler gewählt, anschließend wurde jedoch ebenfalls mit Materialien des Lehrwerks geübt. Der Versuchsverlauf und die Ergebnisse werden im Folgenden gegliedert nach den beiden Forschungsfragen (s. o.) dargestellt: A) Vergleich Unterrichtssetting mit Skewing vs. Gleichverteilung (Versuchs‐ reihe A, Abschnitt 3.3) und B) Vergleich Unterrichtssetting mit Skewing vs. alternativer Unterrichtsme‐ thode (Versuchsreihe B, Abschnitt 3.4). 3.3. Versuchsreihe A): Vergleich Unterrichtssetting mit Skewing vs. ohne Skewing 3.3.1. VersuchsteilnehmerInnen In Versuch 1 (V1) bestanden die beiden Versuchsgruppen EG-Skewing (n = 13) und EG-Gleichverteilung (n = 14) aus Schülerinnen und Schülern derselben Klasse, die zum Zweck des Unterrichtsversuchs von der Versuchsleiterin in zwei möglichst gleich starke Gruppen eingeteilt worden waren (durch den Notenschnitt kontrollierte Einschätzung der Fachlehrerin). 186 Katrin Henk In Versuch 2 (V2) bestanden die Versuchsgruppen EG-Skewing (n = 22) und EG-Gleichverteilung (n = 16) aus zwei verschiedenen Klassen mit naturwissenschaft‐ lich-technischem Profil. Um eventuelle Leistungsunterschiede zwischen den Klassen bei der Auswertung berücksichtigen zu können, wurde in Versuch 2 zusätzlich eine kurze Befragung zu Motivation und Selbsteinschätzung durchgeführt. 3.3.2. Trainingsphase Die Trainingsphase erstreckte sich bei beiden Versuchen (V1 und V2) und in jeweils beiden Gruppen (EG-Skewing und EG-Gleichverteilung) über eine Schulstunde. Beide Gruppen bekamen nach einer kurzen Einstiegsphase von der Lehrperson eine lernergerecht formulierte und durch ein Tafelbild gestützte Erklärung der Zielstruktur und bearbeiteten dann mündliche und schriftliche Aufgaben in Partner- und Einzelarbeit (siehe Anhang 1: Unterrichtsverlauf). Der Unterschied zwischen EG-Skewing und EG-Gleichverteilung bestand darin, dass das Arbeitsmaterial der EG-Skewing nach dem Prinzip des Ske‐ wing aufgebaut war. Als prototypische Realisierung der Fragestruktur wurde Qu’est-ce qui t’intéresse? gewählt, die im Erarbeitungs- und Übungsmaterial der EG-Skewing überproportional oft auftaucht (s. Anhang 2). Die nachfolgende Übersicht zeigt, welche Verben wie häufig im Kontext der neuen Struktur Qu’est-ce qui …? verwendet wurden. Da die Struktur mehrfach in Partner‐ übungen und im Unterrichtsgespräch zum Einsatz kam, ist die tatsächliche Verwendungshäufigkeit geschätzt (unter der Annahme, dass alle Lernenden die Aufgabe wie angegeben ausgeführt haben). Unterrichtsphase Verwendungshäufigkeit EG-Skewing Verwendungshäufigkeit EG-Gleichverteilung Einstieg: Mini-Umfrage intéresser 14 x intéresser plaire 7 x 7 x Partnerinterview intéresser plaire déranger être important 10 x 2 x 2 x 2 x intéresser plaire être (le plus) important déranger amuser 4 x 4 x 2 x 2 x 2 x Schriftliche Übungen zur Unterscheidung von Qu’est-ce qui…? / que? intéresser plaire déranger 3 x 2 x 1 x intéresser plaire déranger amuser 2 x 2 x 1 x 1 x Tab. 3: Verwendungshäufigkeit (Skewing vs. EG-Gleichverteilung) 187 Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? Während der Präsentation, Erarbeitung und Übung wurde also in EG-Skewing die prototypische Realisierung der Fragestruktur Qu’est-ce qui t’intéresse? ca. 27 Mal verwendet, in EG-Gleichverteilung hingegen nur ca. 13 Mal. In der EG-Gleichverteilung lag dafür eine stärker ausbalancierte Token-Frequenz und mit fünf verschiedenen Verben eine etwas höhere Type-Frequenz vor als in der Experimentalgruppe. Erwartet wurde, dass in der EG-Skewing die Verfüg‐ barkeit des zentralen und überhäufigen Typen Qu’est-ce qui t’intéresse? zu einer besseren mentalen Verankerung der neuen Form-Bedeutung-Zuordnung führen würde; dies sollte die Produktion der Zielstruktur mit bekannten Verben, aber auch die (analogiebasierte) Generalisierung auf neue Verben vereinfachen (N. Ellis 2009). 3.3.3. Testung In allen Versuchsgruppen wurde in der jeweils darauffolgenden Unterrichts‐ stunde ein unangesagter Test mit insgesamt 20 Items durchgeführt, bei dem die Schülerinnen und Schüler zehn Fragesätze durch das richtige Fragewort (Qu’est-ce qui …? oder Qu’est-ce que …? ) ergänzen und zehn Sätze mit dem Fragewort „Was? “ aus dem Deutschen übersetzen mussten; dabei wurde die Ver‐ wendung der neuen Fragekonstruktion mit bereits für die Konstruktion geübten Verben wie intéresser ‚interessieren‘ und mit bekannten, in der Konstruktion aber noch nicht geübten Verben wie commencer ‚anfangen‘ gefordert (s. Anhang 3). In Versuch 1 wurde zusätzlich 15 Tage später ein verzögerter Nachtest mit den identischen Testfragen durchgeführt, der in V2 aus schulorganisatorischen Gründen entfallen musste. Um in Versuch 2 etwaige Leistungsunterschiede zwischen den Klassen bei der Auswertung berücksichtigen zu können, wurde eine kleine Befragung zu Motivation und Selbsteinschätzung durchgeführt: Die Schülerinnen und Schüler mussten nach dem Test einen kurzen Fragebogen ausfüllen, auf dem sie in einer vierstufigen Skala (richtig - eher richtig - eher falsch - falsch) Angaben machten über ihre grundsätzliche Affinität zum Französischen, ihre Einschätzung, wie leicht ihnen Französisch im allgemeinen und Grammatik insbesondere fallen, und ihren Eindruck, das getestete Grammatikthema gut verstanden zu haben. Die Angaben der Lernenden wurden mit Werten zwischen +2 und -2 kodiert und aufaddiert, wodurch sich für jeden VersuchsteilnehmerInnen ein Wert zwischen -8 und +8 ergab. Dieser Wert erwies sich, obwohl 188 Katrin Henk 4 Die Versuchsreihe, im Rahmen derer der hier vorgestellte Versuch stattfand (s. Henk 2019), bezog sich neben der Fragestruktur Qu’est-ce que …? / Qu’est-ce qui …? auf drei weitere Zielstrukturen. Jedes Mal waren drei Versuchsklassen involviert. In den insgesamt zwölf Tests, in denen der oben dargestellte Motivationswert erhoben wurde, lag in elf Fällen ein mittlerer oder starker Zusammenhang (zwischen r=0,39 und r=0,77) vor. sehr einfach erhoben, insofern als erstaunlich aussagekräftig, als er fast aus‐ nahmslos hohe Korrelation mit den Testergebnissen aufwies (Henk 2019). 4 In keiner der Versuchsklassen wurde ein Prätest durchgeführt, da durch die klare Progression des Lehrwerks sichergestellt war, dass die Schülerinnen und Schüler noch nicht mit der neu zu erwerbenden Struktur in Berührung gekommen waren, und es im schulischen Rahmen aus psychologischer (von den Schülerinnen und Schülern empfundener Leistungsdruck) und lernpsychologi‐ scher Sicht (Gefahr, Falsches einzuschleifen) nicht sinnvoll erscheint, Wissen abzuprüfen, das nicht vorhanden sein kann. 3.3.4. Ergebnisse In beiden Versuchsdurchgängen schnitt die Experimentalgruppe, in deren Trainingsmaterial das Prinzip des Skewed Input berücksichtigt worden war (EG-Skewing), im Test besser ab als die Experimentalgruppe, in deren Trainings‐ material die verwendeten Verben zahlenmäßig stärker ausbalanciert waren (EG-Gleichverteilung). Während in V1 die SchülerInnen der EG-Skewing (n = 13) im Mittel 14,38 von 20 Items richtig lösen konnten (SD = 3,43), erreichten die SchülerInnen der Vergleichsgruppe EG-Gleichverteilung (n = 14) nur durch‐ schnittlich 12,43 richtige Items (SD = 4,72) (s. Abb. 1). In V2 konnten die SchülerInnen der EG-Skewing (n = 22) im Mittel 14,73 Items richtig lösen (SD = 3,06), die SchülerInnen der EG-Gleichverteilung (n = 16) 12,44 Items (SD = 4,19) (s. Abb. 2). Auch wenn diese Ergebnisse aufgrund der Stichprobengröße und der relativ großen Varianz nicht statistisch signifikant sind, zeigt sich, dass die EG-Skewing in beiden Versuchen im Mittel etwa zwei Items mehr lösen konnte (V1: 1,95 Items, V2: 2,29). Außerdem ist auffällig, dass bei beiden Versuchen in der EG-Gleichverteilung die individuelle Variation höher ist als in der EG-Skewing, wo die Leistungen etwas homogener sind. Möglicherweise hängt also der Lernerfolg bei Gleichverteilung eher von individuellen Faktoren ab (McDonough & De Vleeschauwer 2012) bzw. scheinen individuelle Unterschiede durch schief verteiltes Trainingsmaterial eher ausgeglichen zu werden. 189 Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? 14,38 12,43 02468 10 12 14 16 18 20 EG-Skewing EG-Gleichverteilung (richtig gelöste Items von 20) A) Ergebnisse - 1. Versuch 14,73 12,44 02468 10 12 14 16 18 20 EG-Skewing EG-Gleichverteilung (richtige Items von 20) A) Ergebnisse - 2. Versuch Abb. 1: Vergleich der Ergebnisse im Abb. 2: Vergleich der Ergebnisse im Nachtest, V1. Nachtest, V2 Während es sich bei V1 um zwei gleich starke LernerInnengruppen handelte, be‐ standen die beiden Experimentalgruppen bei V2 aus unterschiedlichen Klassen. Die Befragung zur Selbsteinschätzung in V2 ergab für die EG-Skewing einen Wert von -0,77 und für EG-Gleichverteilung einen Wert von -1,63. Diese Werte zeigen, dass die EG-Skewing über ein positiveres Selbstverständnis bezüglich ihrer Affinität und ihrer Leistungen zum Französischen verfügte. Dieser Be‐ fund ist kohärent mit den besseren Testergebnissen. Leider lassen die Daten keine Rückschlüsse darauf zu, in welchem Maße das bessere Abschneiden von EG-Skewing im Test auf das etwas höhere Leistungsvermögen bzw. auf das Unterrichtssetting zurückzuführen ist. Der verzögerte Nachtest (2. Messzeitpunkt/ MZP), der bei V1 15 Tage später erfolgte, zeigt, dass sich die Leistungen der beiden Gruppen etwas angeglichen haben, wenngleich die EG-Skewing nach wie vor das bessere Ergebnis erzielt (13,62 Items vs. 13,07 Items in der EG-Gleichverteilung): Während die EG-Ske‐ wing bei der Testwiederholung im Schnitt etwas weniger Items lösen konnte (0,76 weniger als beim unmittelbaren Nachtest), erzielte die EG-Gleichvertei‐ lung ein etwas besseres Ergebnis (0,64 mehr als beim unmittelbaren Nachtest). Die folgenden Diagramme (s. Abb. 3) geben Aufschluss über die qualitativen Veränderungen zwischen unmittelbarem Nachtest (1. MZP) und verzögertem Nachtest (2. MZP) im Hinblick auf Fragetypen (Qu’est-ce qui …? vs. Qu’est-ce que …? ) und Aufgabentypen (Einsetzen vs. Übersetzen). 190 Katrin Henk 7,62 7 6,29 7,29 6,77 6,62 6,14 5,79 02468 10 12 14 16 1. MZP 2. MZP 1. MZP 2. MZP EG-Skewing EG-Gleichverteilung Unterschied 1. MZP vs. 2. MZP Aufgabentyp Einsetzen Übersetzen 8,46 8 7,21 7,29 5,92 5,62 5,21 5,79 02468 10 12 14 16 1. MZP 2. MZP 1. MZP 2. MZP EG-Skewing EG-Gleichverteilung Unterschied 1. MZP vs. 2. MZP Fragetyp …qui? …que? Abb. 3: Unterschiede zwischen direktem und verzögertem Nachtest (V1) Während die Leistungen in der EG-Gleichverteilung beim verzögerten Nach‐ test (2. MZP) vor allem bei der Lösung von Qu’est-ce que …? -Items besser ausfielen (um einen Zuwachs von durchschnittlich 0,58 Items von 5,21 auf 5,79), stagnierten sie beim Umgang mit Qu’est-ce qui …? -Fragen (mit einer Differenz von nur 0,08 Items zwischen 7,21 Items beim 1. MZP und 7,29 beim 2. MZP). Wie lässt sich dieser Befund erklären? Offenbar übt die Mischung einer neu zu erwerbenden Struktur mit einer alternativen bekannten Struktur gewisse Störeffekte aus (siehe Goldberg & Casenhiser 2008 und Year & Gordon 2009). Zwar wurde im vorliegenden Fall auch die EG-Gleichverteilung zunächst nur mit Qu’est-ce qui …? -Fragen trainiert, doch könnte es sein, dass das stärker ausbalancierte Sprachmaterial bzw. die höhere Typen-Varianz bei der neuen Struktur Qu’est-ce qui …? zu einer größeren Verunsicherung beim Gebrauch der bekannten, aber eben sehr ähnlichen Struktur Qu’est-ce que …? geführt hat. Es kann vermutet werden, dass die Lernenden der EG-Skewing durch das Training mit einem Prototyp der neuen Struktur bei der Verwendung der bereits bekannten Struktur Qu’est-ce que …? weniger stark verunsichert wurden. Interessant ist auch die Betrachtung der Ergebnisse nach Aufgabentypen. Die Aufgabe, einen Fragesatz ins Französische zu übersetzen, kommt der freien Produktion deutlich näher als die Aufgabe, in einem vorgegebenen Satz das Fra‐ gewort zu ergänzen; insofern geben die Ergebnisse der Übersetzungsaufgaben eher Aufschluss über die Fähigkeit der Lernenden, Fragesätze selbständig zu produzieren. In diesem Aufgabenbereich dominiert bei beiden Testzeitpunkten klar die EG-Skewing. Während die durchschnittlichen Leistungen der EG-Ske‐ wing beim Übersetzen beim 2. MZP nur leicht nachgelassen haben (um -0,15 Items von 6,77 auf 6,62), ist die ohnehin schwächere Leistung der EG-Gleich‐ 191 Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? verteilung hier beim 2. MZP deutlicher zurückgegangen (um -0,36 Items von 6,14 auf 5,79 Items im Mittel). 3.4. Versuchsreihe B: Vergleich Unterrichtssetting mit Skewing vs. alternative Unterrichtsmethode 3.4.1. VersuchsteilnehmerInnen In Versuch 3 (V3) bestand die Versuchsgruppe EG-Skewing (n = 22) aus einer Klasse mit naturwissenschaftlich-technischem Profil und die Kontrollgruppe KG (n = 26) aus Schülerinnen und Schülern einer Klasse, die als Profilfach eine dritte Fremdsprache gewählt hatten (Russisch oder Latein). In Versuch 4 (V4) standen wieder zwei Versuchsgruppen EG-Skewing (n = 20) und KG (n = 19) mit naturwissenschaftlich-technischem Interessens- und Begabungsschwerpunkt zur Verfügung. Sowohl bei V3 als auch bei V4 wurde eine kurze Befragung zu Motivation und Selbsteinschätzung durchgeführt, um grundsätzliche Leis‐ tungsunterschiede der Versuchsgruppen besser einschätzen zu können. 3.4.2. Trainingsphase In V3 umfasste die Trainingsphase eine Schulstunde. Die Experimentalgruppe (EG-Skewing) wurde von der Versuchsleiterin mit dem bereits beschriebenen Trainingsmaterial (s. Anhang) unterrichtet; in der Kontrollgruppe (KG) erfolgte die Erarbeitung und Übung der neuen Struktur nach den Vorschlägen des Lehrwerks À plus! 3 (Cornelsen) durch eine Fachkollegin. Die nachfolgende Tabelle (Tab. 4) zeigt die Verwendungshäufigkeiten ein‐ zelner Verben in den beiden Versuchsgruppen. In der KG sind nur die im schriftlichen Unterrichtsmaterial vorhandenen Elemente gezählt. Es ist davon auszugehen, dass die Zielstruktur auch mündlich im Unterrichtsgespräch mehr‐ fach verwendet wurde. Dennoch fällt die Verwendungshäufigkeit der Struktur insgesamt und insbesondere die Verwendung des prototypischen Vertreters Qu’est-ce qui t’intéresse? in der EG-Skewing deutlich höher aus. 192 Katrin Henk Verwendungshäufigkeit - Versuch 3 EG-Skewing - Hypothesen (1-4) KG - Lehrwerk intéresser plaire déranger être important 27 x 4 x 3 x 2 x intéresser plaire être important déranger 4 x 6 x 1 x 3 x Tab. 4: Versuchsreihe B, Verwendungshäufigkeit der Zielstruktur (V3) Bei V4, bei dem wieder beide Versuchsgruppen von der Versuchsleiterin selbst unterrichtet wurden, lag der Schwerpunkt auf dem Vergleich des experimen‐ tellen Unterrichtsarrangements (inkl. Skewing) mit einem Unterrichtssetting, in dem die Erarbeitung der neuen Struktur möglichst selbstständig durch die Schü‐ lerinnen und Schüler erfolgte (siehe Anhang 4) und anschließend mit Materia‐ lien aus dem Lehrwerk À plus! 3 geübt wurde. Da sich in den vorangegangenen Versuchen herausgestellt hatte, dass die Beschäftigung mit der neuen Struktur in nur 45 Minuten sehr knapp ist, wurde zwischen Einführungsstunde und Test in beiden Versuchsgruppen eine zusätzliche Übungsstunde abgehalten. Da diese in beiden Vergleichsgruppen mit den gleichen Materialien und Arbeitsaufträgen durchgeführt wurde, spielt sie für die Frage nach der Verarbeitungshäufigkeit bestimmter lexikalischer Realisierungen keine Rolle. Innerhalb der ersten, entscheidenden Stunde stellt sich die Häufigkeitsverteilung im Erarbeitungs- und Übungsmaterial folgendermaßen dar: Verwendungshäufigkeit - Versuch 4 EG-Skewing - Hypothesen (1-4) KG - autonome Erarbeitung + Lehrwerksübungen intéresser plaire être important/ prévu déranger 27 x 5 x 5 x 2 x intéresser plaire être important/ prévu déranger 6 x 6 x 2 x 1 x Tab. 5: Versuchsreihe B, Verwendungshäufigkeit der Zielstruktur (V4) 3.4.3. Testung In allen Versuchsgruppen wurde aus den bereits genannten Gründen auf einen Prätest verzichtet. Der Posttest fand in allen Klassen in der nächsten auf das Training folgenden Schulstunde unangekündigt statt. In V3 wurde das bereits beschriebene Testformat mit 20 Items (siehe Anhang 3) verwendet, in V4 wurde 193 Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? 5 Diese Modifikation war notwendig, um die Testergebnisse mit Unterrichtsversuchen zu anderen grammatischen Strukturen (s. Henk 2019) vergleichbar zu machen. das Testformat modifiziert 5 (siehe Anhang 5): Statt Sätze zu übersetzen, mussten die Schülerinnen und Schüler bei sechs Sätzen ein Grammatikalitätsurteil fällen, in zehn Sätzen das richtige Fragepronomen einsetzen und fünf Sätze frei formu‐ lieren, in denen sie die neuen Fragepronomen eigenständig verwenden. Insgesamt konnten in diesem Test 26 Punkte erreicht werden. Alle Versuchsgruppen wurden außerdem zu ihrer Motivation und Selbsteinschätzung befragt, wobei auch das Befragungsinstrument in V4 modifiziert wurde, sodass die diesbezüglichen Werte in V3 zwischen -8 und +8 liegen können, in V4 zwischen -6 und +6. 3.4.4. Ergebnisse Wiederum schnitten bei beiden Versuchen die EG-Skewing im Test besser ab als die Kontrollgruppen. In V3 ist dieser Vorteil allerdings äußerst knapp (siehe Abb. 4): Während die SchülerInnen der EG-Skewing (n = 22) im Mittel 14,73 von 20 Items richtig lösen konnten (SD = 3,06), erreichten die SchülerInnen der KG (n = 26) durchschnittlich 14,46 richtige Items (SD = 3,93). Nimmt man jedoch die Selbsteinschätzungswerte hinzu, so zeigt sich, dass es sich bei der KG um eine Klasse handelt, die bei der Befragung zu Motivation und Selbsteinschätzung einen deutlich höheren Wert erreicht als EG-Skewing. Da sich die Korrelation zwischen diesem Wert und den Leistungen der Versuchsteilnehmer insgesamt als relativ stabil erwiesen hat (Henk 2019), liegt hier die Vermutung nahe, dass das vergleichsweise gute Abschneiden der - leistungsmäßig an sich schwächeren - EG-Skewing auf das Unterrichtssetting zurückgeführt werden kann. In V4, wo das experimentelle Unterrichtssetting mit einem Unterrichtskonzept verglichen wurde, das bei der Erarbeitung der neuen Struktur die Lernerautonomie besonders fordern und fördern sollte, schnitt im Test ebenfalls die Experimental‐ gruppe besser ab. Während die EG-Skewing durchschnittlich 19,85 von 26 Punkten erzielte (SD = 3,05), waren es in der KG nur 17,58 (SD = 5,33) (siehe Abb. 5). Auch hier zeigt sich, dass die EG-Skewing trotz schwächerer Motivationswerte (0,32 vs. 0,67) im Test erfolgreicher war als die KG. Sowohl in V3 als auch in V4 bestätigt sich außerdem die Beobachtung, dass die individuelle Variation innerhalb der EG-Skewing jeweils geringer ist als in der Kontrollgruppe. 194 Katrin Henk 14,73 14,46 02468 10 12 14 16 18 20 EG-Skewing KG (richtige Items von 20) B) Ergebnisse - 3. Versuch -0,77 0,58 -2 -1,5 -1 -0,5 0 0,5 1 1,5 EG-Skewing KG (mögl. Werte zwischen -8 und +8) B) Selbsteinschätzung - 3. Versuch Abb. 4: Testergebnisse vs. Selbsteinschätzung in V3 19,85 17,58 0 5 10 15 20 25 EG-Skewing KG (richtige Items von 26) B) Ergebnisse - 4. Versuch 0,32 0,67 -0,5 -0,3 -0,1 0,1 0,3 0,5 0,7 0,9 EG-Skewing KG (mögl. Werte zwischen -6 und +6) B) Selbsteinschätzung - 4. Versuch Abb. 5: Testergebnisse vs. Selbsteinschätzung in V4 Als besonders interessant erweist sich in V4 der dritte Aufgabenteil des Tests, bei dem die Lernenden fünf Fragen an ihre/ n AustauschpartnerIn stellen sollten, wobei sowohl Fragen mit Qu’est-ce qui …? als auch mit Qu’est-ce que …? formuliert werden sollten. Das heißt, die Schülerinnen und Schüler konnten selbst entscheiden, wie viele Fragen jeden Typs sie formulieren wollten, solange sie mindestens einen Fragesatz des anderen Typs bildeten. Keine der Fragen sollte exakt einer der Fragen aus den vorangegangenen Aufgabenteilen gleichen, 195 Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? 6 „Richtig“ bzw. „korrekt“ bedeutet hier, dass das richtige Fragepronomen, also qui vs. que, verwendet und ein sinnvoller Fragesatz formuliert wurde. damit die Lernenden diese nicht einfach übernehmen konnten. Die tabellarische Übersicht zeigt, dass die EG-Skewing nicht nur absolut mehr richtige Fragen produzieren konnte 6 , sondern dass sie deutlich häufiger die neue Zielstruktur Qu’est-ce qui …? verwenden konnte (s. Tab. 6). durchschnittliche An‐ zahl richtig formu‐ lierter Fragen durchschnittliche Anzahl korrekter Fragen mit Qu’est-ce qui …? durchschnittliche Anzahl korrekter Fragen mit Qu’est-ce que …? EG 3,80 1,55 2,25 KG 3,42 0,58 2,84 Tab. 6: B) Testergebnis, Anzahl der frei produzierten Sätze (V4) Insgesamt ließ sich in beiden Gruppen die Tendenz erkennen, die Mehrheit der fünf geforderten Fragen mit der bekannten Struktur Qu’est-ce que …? zu formu‐ lieren - das kann zum einen daran liegen, dass sich die Lernenden hier sicherer fühlten, zum anderen aber auch, dass es sowohl im natürlichen Sprachgebrauch als auch im Sprachschatz der Lernenden deutlich mehr Verwendungskontexte für die Fragestruktur Qu’est-ce que …? gibt. Während in der EG-Skewing dennoch mehr als die Hälfte der ProbandInnen (12 von 20) zwei korrekte Fragen mit Qu’est-ce qui …? bilden konnten, sieben ProbandInnen immerhin einen und nur ein/ e Lernende/ r keine einzige, konnten von 21 ProbandInnen der KG fast die Hälfte (10 von 21) keinen einzigen richtigen Satz mit Qu’est-ce qui …? bilden, sieben Lernende konnten einen und nur zwei Lernende zwei korrekte Sätze mit der neuen Struktur formulieren. Hier zeigt sich deutlich eine höhere Sicherheit der EG-Skewing im produktiven Umgang mit der neuen Struktur. Auch die Verwendungshäufigkeit der verschiedenen Verben ist aufschlussreich: intéresser être plaire déranger passer amuser commencer EG-Ske‐ wing 12 12 4 0 1 1 1 KG 6 2 1 1 0 1 0 Tab. 7: Testergebnis, bei der freien Produktion verwendete Verben (V4) 196 Katrin Henk In der EG-Skewing wurden die im Übungsmaterial vertretenen intéresser, être und plaire deutlich häufiger verwendet als in der KG, einzig das im Übungsma‐ terial selten vertretene Verb déranger wurde in der EG nie, in der KG dagegen einmalig aufgegriffen. Die im Übungsmaterial nicht verwendeten Verben passer, amuser und commencer wurden immerhin von drei Lernenden der EG-Skewing genutzt, in der KG hingegen nur ein einziges Mal. Die Tatsache, dass die Lernenden der EG-Skewing im Output sicherer mit der neuen Struktur umgehen, lässt die Vermutung zu, dass das experimentelle Unterrichtssetting den Intake und die Integration der neuen Struktur in die Lernersprache begünstigt hat. 4. Fazit Insgesamt hat sich gezeigt, dass inputanreichernde, implizit formfokussierende Verfahren auch innerhalb eines stark gelenkten, explizit ausgerichteten Fremd‐ sprachenunterrichts positive Effekte zeitigen können. Versuchsreihe B (V3, V4) zeigte, dass die Klassen, die im experimentellen Unterrichtssetting trainiert wurden und damit die neue Struktur häufig, in konsistenter Form und zunächst quasi gebrauchsfertig verwenden konnten, in den Tests bessere Ergebnisse erzielten als die Klassen, in denen andere gängige Verfahren angewendet wurden (selbstständigere und damit längere Induktionsphase, Übungsmaterial aus dem Lehrwerk). Auch wenn der jeweilige Leistungsunterschied nur knapp bzw. statistisch nicht signifikant ist, ist doch bemerkenswert, dass es sich bei den Experimentalgruppen um die jeweils weniger leistungsstarke bzw. -bereite Gruppe handelte. Die Ergebnisse aus Versuchsreihe A (V1, V2) geben Hinweise darauf, dass die zusätzliche Verfügbarkeit eines zentralen „Anker“-Exemplars der neuen Kon‐ struktion in schiefverteiltem Input bzw. Output (d. h. eine erwerbstheoretisch begründete Berücksichtigung der Effekte von Typ- und Token-Frequenzen) im Sprachmaterial weitere positive Effekte haben kann. Allerdings ist der Zeitraum von nur einer Unterrichtsstunde sehr kurz bzw. das Sprachmaterial, das in dieser Zeit verarbeitet werden kann, relativ gering. Madlener (2015: 317) verweist darauf, dass der Erfolg von Skewing gerade bei Lernenden ohne Vorwissen zur Zielstruktur auch davon abhängt, dass der/ die Lernende eine substanzielle Gesamtmenge an Tokens und eine substanzielle Menge verschiedener Typen verarbeitet. Dementsprechend müssten längere Trainingsphasen mit mehr Sprachmaterial und einer noch klarer kontrollierten Typ- und Token-Verteilung unternommen werden, was sich jedoch im Schulalltag als eher schwierig darstellt. 197 Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? In allen vier Teilversuchen waren die Leistungen in den Gruppen, die im experimentellen Untersuchungsdesign (mit Skewing) unterrichtet wurden, homogener als die der jeweiligen Vergleichsgruppe, d. h. dass die individuellen Leistungen der TeilnehmerInnen in diesen Gruppen weniger stark voneinander abwichen. Individuelle Leistungsunterschiede scheinen also durch das experi‐ mentelle Unterrichtsdesign mit schiefverteiltem Trainingsmaterial eher ausge‐ glichen zu werden. Dass sich die Forschungshypothesen in den hier dargestellten Versuchen weitgehend bestätigt haben, kann auch daran liegen, dass es sich um eine syntaktische Struktur gehandelt hat, bei der die Form-Funktions-Korrespondenz besonders deutlich und transparent ist (eine Form, eine Funktion). In ähnlichen Unterrichtsversuchen zu verbmorphologischen Strukturen (Henk 2019) haben sich Prinzipien des experimentellen Settings als weniger erfolgreich erwiesen. Dies deckt sich u. a. mit den Befunden von Cordes (2014). Welcher der Parameter des experimentellen Settings (hohe Frequenz, Typ-Token-Relation, Inputkonsistenz, gebrauchsfertige Verwendung) nun genau welchen Effekt hat, ist aus theoretischer Sicht eine hochinteressante Frage, die es mit einem präzisierten Untersuchungsdesign zu untersuchen gälte. Allerdings lassen sich derartige Effekte in realen schulischen Unterrichts‐ situationen nur schwer so feinkörnig und verlässlich untersuchen, wie es for‐ schungsmethodisch nötig und angemessen wäre. Dafür sind viele verschiedene Rahmenbedingungen, die den Schulalltag vom Forschungslabor unterscheiden, verantwortlich: die Vorgaben des Lehrplans; die Notwendigkeit und grundsätz‐ lich andere Rolle der Leistungsmessung, die gängige forschungsmethodische Instrumente wie Prätests oder verzögerte Nachtests problematisch machen; der stets gegebene Klassenverband, der dazu führt, dass Versuchsgruppen z.T. ein unterschiedliches Neigungsprofil oder verschiedene Voraussetzungen mitbringen, was Leistungsbereitschaft und -vermögen betrifft; die sehr be‐ grenzte Stichprobengröße von Klassen, die selten zu statistisch signifikanten Ergebnissen führt; der Stundenplan, der bedingt, dass verschiedene Gruppen unter sehr unterschiedlichen äußeren Bedingungen lernen (z. B. Vormittagsvs. Nachmittagsunterricht, Einzelstunden vs. Doppelstunden, Verteilung der Stunden über die Woche) u.ä.m. Dessen ungeachtet sollten die hier dargelegten Befunde den/ die Unterrichts‐ praktiker/ in in der Annahme bestärken, dass der Erwerb einer neuen Struktur der Fremdsprache offenbar erleichtert wird, wenn die Lernenden diese Struktur möglichst häufig, in möglichst konsistenter Form und inhaltsorientiert (d. h. im Sinne der didaktischen Formfokussierung mit einem gleichzeitigen Fokus auf Form und Bedeutung) verarbeiten. Schiefverteilte Typ-Token-Verhältnisse, 198 Katrin Henk die sich wie aufgezeigt in rezeptive und produktive Aufgabenanteile imple‐ mentieren lassen, können zudem durchaus auch im expliziten Unterrichtskon‐ text zusätzlich erwerbsfördernd sein, zumindest wenn es sich wie im hier untersuchten Fall beim Erwerbsgegenstand um eine syntaktische Struktur mit eindeutiger Form-Funktions-Korrespondenz handelt. 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Einstieg: Mini-Umfrage Die SchülerInnen füllen einen kleinen Fragebogen aus, auf dem sie vier Multiple-Choice-Fragen zu ihren Vorlieben im Medienbereich beantworten, sie stellen sich die Fragen in Partnerarbeit, schließend fragt die Lehrkraft die Lernenden nach ihren Vorlieben, dabei intuitiv-situative Verwendung der Fragestrukturen Qu’est-ce qui …? und Qu’est-ce que …? 1.2. Explizite Erarbeitung der neuen Struktur Die Lernenden übersetzen die Fragen, Klärung der unterschiedlichen Funktion von Qu’est-ce qui …? bzw. Qu’est-ce que …? im gelenkten Unterrichtsgespräch (Frage nach dem Subjekt bzw. Objekt, Wortstellung im Fragesatz), dabei sukzes‐ sive Erstellung eines Tafelbildes, das die Lernenden in ihr Heft übernehmen 1.3. Tafelbild Qu’est-ce que Qu’est-ce qui tu Subjekt Qu’est-ce qui m’intéresse. Je prends Qu’est-ce que…? / Qu’est-ce qui…? 1. 2. MERKE: Satzstellung: Übungen: (1) Partnerinterview: Die Lernenden stellen sich gegenseitig Fragen zu ihren Vorlieben und Interessen, wobei sie nur die Struktur Qu’est-ce qui …? verwenden (2) Schriftliche Übung: Die Lernenden erfragen unterstrichende Satzteile und müssen dabei entscheiden, ob Qu’est-ce qui …? oder Qu’est-ce que …? zu verwenden ist (3) Schriftliche Übung: Die Lernenden formulieren Fragen mit Qu’est-ce qui …? / Qu’est-ce que …? , zunächst als Übersetzung, dann selbstständig, mit Hilfe von angebotenem Verbmaterial. un roman. Le film d’horreur prends? t’intéresse? (Wen oder) was? (Wer oder) was? direktes Objekt Subjekt + Verb Qu’est-ce que + + (Objektpronomen) + Verb 205 Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? Anhang 2: Partnerübung Qu’est-ce qui t’intéresse? - II. Interview du partenaire (EG-Skewing) 1. Pliez la feuille au milieu. 2. Posez les questions à tour de rôle (= abwechslungsweise). Utilisez Qu’est-ce qui…? 3. Quand vous avez terminé, changez de rôle et recommencez. A B __________ t’intéresse à l’école?  les maths  l’anglais  la géographie  le sport  ___________  les séries policières  les émissions musicales  les téléfilms  les matchs de foot  ______________ ___________ t’intéresse à la télé ? ____________ t’intéresse comme musique ?  le pop  le hip-hop  le hardrock  la musique classique  ________________  le foot  le handball  la gymnastique  la boxe  ______________ ____________ t’intéresse comme sport ? ______________ t’intéresse sur internet ?  Facebook  You tube  Wikipedia  des jeux  ____________  la piscine Soleo  la galerie marchande « Stadtgalerie »  le Neckar  l’église St. Kilian  ______________ ____________ te plaît à Heilbronn ? _____________ te dérange dans ton école ?  les profs  les toilettes  la cour  les interros  __________  ma famille  mes amis  mon animal  mon ordinateur  _______________ ___________ est le plus important pour toi ? 206 Katrin Henk Qu’est-ce qui t’intéresse? - II. Interview du partenaire (EG-Gleichverteilung) 1. Pliez la feuille au milieu. 2. Posez les questions à tour de rôle (= abwechslungsweise). Utilisez Qu’est-ce qui…? 3. Quand vous avez terminé, changez de rôle et recommencez. A B __________ t’intéresse à l’école?  les maths  l’anglais  la géographie  le sport  ___________  le foot  le handball  la gymnastique  la boxe  ______________ ____________ t’intéresse comme sport? ____________ te plaît comme musique?  le pop  le hip-hop  le hardrock  la musique classique  ________________  les séries policières  les émissions musicales  les téléfilms  les matchs de foot  ______________ ___________ te plaît à la télé? ______________ t’amuse sur internet?  Facebook  Youtube  Wikipedia  des jeux  ____________  la piscine Soleo  la galerie marchande «Stadtgalerie»  le Neckar  l’église St. Kilian  ______________ ____________ important pour toi à Heilbronn? _____________ te dérange dans ton école ?  les profs  les toilettes  la cour  les interros  __________  ma famille  mes amis  mon animal  mon ordinateur  _______________ ___________ est le plus important pour toi? 207 Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? Anhang 3: Test (20 Items) in den Versuchen 1-3 I. Complète par Qu’est-ce qui ou Qu’est-ce que. 1. ____________________________________ t’intéresse ? 2. ____________________________________ tu prends au petit-déjeuner? 3. ____________________________________ te plaît à l’école? 4. ____________________________________ tu regardes à la télé? 5. ____________________________________ t’amuse ? 6. ____________________________________ passe à la télé aujourd’hui? 7. ____________________________________ commence à neuf heures? 8. ____________________________________ joue un rôle pour toi? 9. ____________________________________ te dérange? 10. ____________________________________ tu veux? II. Traduis en français. 1. Was interessiert euch? ____________________________________________________ 2. Was gefällt euch? ________________________________________________________ 3. Was magst du? ________________________________________________________ 4. Was stört euch? _________________________________________________________ 5. Was ist wichtig für euch? __________________________________________________ 6. Was kaufst du? __________________________________________________________ 7. Was sagt sie? ___________________________________________________________ 8. Was macht er? __________________________________________________________ 9. Was ist richtig? __________________________________________________________ 10. Was kommt im Radio? ____________________________________________________ III. Kreuze jeweils an, ob die folgenden Aussagen für Dich richtig oder falsch sind. (Setze dabei das Kreuz bitte in ein Kästchen, nicht auf die Linie.) Bitte antworte ehrlich, diese Fragen haben keinerlei Einfluss auf die Bewertung des Tests! richtig eher richtig eher falsch falsch Ich lerne gerne Französisch. Französisch fällt mir ziemlich leicht. Grammatik finde ich schwierig. Wann man „qu’est-ce qui“ und wann man „qu’est-ce que“ verwenden muss, habe ich gut verstanden. 208 Katrin Henk Anhang 4: Versuchsreihe B, KG - 1. Stunde - Arbeitsblatt qui/ que Qu’est-ce qui te plaît? Qu’est-ce que tu prends? 1. Übersetze die Fragen! 1. _______________________________________________________________________ 2. _______________________________________________________________________ 3. _______________________________________________________________________ 4. _______________________________________________________________________ 2. Was stellst du fest? Wie wird qu’est-ce qui bzw. qu’est-ce que übersetzt ? __________ 3. Worin besteht nun aber der Unterschied zwischen qu’est-ce qui und qu’est-ce que? Finde es heraus, indem du in den übersetzten Sätzen prüfst, welcher Kasus jeweils erfragt wird. a) erfragter Kasus in Satz 1 und 2: ______________________ b) erfragter Kasus in Satz 3 und 4: ______________________ Welche Satzgliedfunktion nehmen im Deutschen Nomen ein, die in diesen Fällen stehen? a) _________________________ b) _________________________ 4. Daraus kannst du schließen: 1. Qu’est-ce que… ist das ______________________________ des Fragesatzes. Qu’est-ce que tu prends? MERKE: Qu’est-ce que + ___________________ + ______________________ 2. Qu’est-ce qui … ist das ______________________ des Fragesatzes. Qu’est-ce qui te plaît? MERKE: Qu’est-ce qui + _____________________ + _____________________ Illustration: Kinder in der Schülerbücherei im Gespräch mit einer Lehrerin Illustration: Lehrer vor der Klasse 1. Qu’est-ce que tu prends? 2. Qu’est-ce que vous me proposez? 3. Eh ben … qu’est-ce qui t’intéresse? 4. Alors, qu’est-ce qui te plaît dans ce livre? 209 Skewing - ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? Anhang 5: Test (26 Punkte) in Versuchsreihe B, Versuch 4 Anhang 5: Test (26 Punkte) in Versuchsreihe B, Versuch 4 A) Einige der folgenden Fragen enthalten einen Fehler. Beurteile, ob die Frage richtig oder falsch ist. Korrigiere den Satz, wenn Du der Ansicht bist, dass etwas falsch ist (durchstreichen, darüber schreiben). 1. Qu’est-ce que t’intéresse? richtig  falsch  2. Qu’est-ce qui te plaît dans ce livre? richtig  falsch  3. Qu’est-ce qui tu amuse? richtig  falsch  4. Qu’est-ce que t’achètes? richtig  falsch  5. Qu’est-ce qui passe à la télé aujourd’hui? richtig  falsch  6. Qu’est-ce que commence à neuf heures? richtig  falsch  B) Vervollständige mit Qu’est-ce qui oder Qu’est-ce que/ qu’. 1. ____________________________________ vous voulez? 2. ____________________________________ est important pour vous? 3. ____________________________________ elle prend au petit-déjeuner? 4. ____________________________________ l’intéresse? 5. ____________________________________ ils regardent à la télé? 6. ____________________________________ t’amuse? 7. ____________________________________ te dérange? 8. ____________________________________ joue un rôle pour toi? 9. ____________________________________ il choisit? 10. ____________________________________ nous mangeons aujourd’hui? C) Dein/ e französische/ r Austauschpartner/ in ist bei Dir zu Besuch, du möchtest eine Menge über ihn/ sie wissen. Stelle fünf Fragen, benutze dabei qu’est-ce que/ qu’ und qu’est-ce qui. (Es dürfen nicht exakt dieselben Fragen sein wie in Aufgabe A) und B)! ) 210 Katrin Henk Teil 2: Output und Bewusstmachung Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann & Torsten Andreas Abstract: Dieser Beitrag analysiert sprachliche Mittel sowie Lern- und Kommunikationsstrategien von erwachsenen Lernenden des Deutschen als Fremdsprache bei der Bearbeitung fokussierter Aufgaben vor dem Hin‐ tergrund der Frage, inwiefern eine durch die Aufgabe anvisierte Aufmerk‐ samkeitslenkung zu einem erwerbsförderlichen Sprachgebrauch führt. In der Peer-Interaktion von Lernenden auf frühen (A1-Niveau) und mittleren Erwerbsstufen (B1-Niveau) werden Selbstkorrekturen, Fremdkorrekturen und Metasprache im Rahmen von Language Related Episodes (LREs) in kollaborativen Dialogen als Indikatoren für Aufmerksamkeit analysiert. Zudem wird gezeigt, dass die lernerseitige Fokussierung auf sprachliche Phänomene in Abhängigkeit von bestimmten Aufgabenmerkmalen (wie z. B. der Verfügbarkeit zentraler lexikogrammatischer Muster in der Auf‐ gabenstellung) erfolgt. Hiermit werden Brücken zwischen der Diskussion zum gesteuerten Fremdsprachenerwerb und der konkreten Vermittlungs‐ praxis geschlagen und Impulse dafür gesetzt, schon auf A1-Niveau sowie auch auf B1-Niveau kommunikative Aufgaben in Partnerarbeiten einzu‐ setzen, die spontane Fokussierungen auf Formen im Kontext anregen. 1. Einleitung Im Rahmen der Diskussion um Möglichkeiten didaktischer Formfokussie‐ rung (Focus on Form, FoF) im Fremdsprachenunterricht ist der Einsatz soge‐ nannter „fokussierter Aufgaben“ (Focused Tasks) vorgeschlagen worden (R. Ellis 2003: 141-173). Wie sämtliche Formfokussierungsaktivitäten sind sie prinzipiell kontextualisiert und bedeutungszentriert, auch wenn sie im Grad der Explizit‐ heit, mit dem sie Verfahren der Aufmerksamkeitslenkung einsetzen, bzw. im Grad der Aufdringlichkeit, mit dem sie die inhaltsbezogene Kommunikation im Unterricht unterbrechen, variieren (Doughty & Williams 1998: 258). Fokus‐ sierte Aufgaben, wie sie im Folgenden verstanden werden, sind output-basierte FoF-Optionen im Sinne des Pushed Output (Swain 1995) und zielen auf ein inhaltliches Resultat ab, das Lernende kommunikativ miteinander erarbeiten und für das die Verwendung bestimmter sprachlicher Strukturen natürlich oder nützlich, seltener hingegen notwendig ist. Die Frage, welche sprachlichen Mittel sowie welche Lern- und Kommunikationsstrategien Lernende des Deutschen als Fremdsprache bei der Bearbeitung fokussierter Aufgaben verwenden und inwiefern eine durch die Aufgabe anvisierte Aufmerksamkeitslenkung zu einem erwerbsförderlichen Sprachgebrauch von Lernenden führt, bildet den Ansatz‐ punkt unseres Beitrags. Im Zentrum stehen die folgenden Fragen: 1) Welche Indikatoren für Aufmerksamkeit lassen sich in der Peer-Interaktion bei erwachsenen Lernenden des Deutschen als Fremdsprache auf frühen Er‐ werbsstufen (A1-Niveau), welche auf mittleren Erwerbstufen (B1-Niveau) beobachten? 2) Auf welche sprachlichen Phänomene richten erwachsene Lernende in Abhängigkeit von welchen Aufgabenmerkmalen ihre Aufmerksamkeit in der Peer-Interaktion? Analysiert werden aus der Bearbeitung fokussierter Aufgaben unterschiedli‐ chen Explizitheitsgrades entstandene Peer-Interaktionen von Lernenden, die Deutsch nach Englisch in universitären Sprachkursen auf A1- und B1-Niveau lernen. Didaktisch fokussiert wurden die Verbstellung (A1) und der Gebrauch von Präpositionen (A1, B1) als frequente sprachliche Strukturen, denen abstrakte und komplexe, wenig saliente Regelhaftigkeiten des Gebrauchs zu‐ grunde liegen. Vor dem Hintergrund soziokultureller (van Compernolle 2015) und soziokog‐ nitiver, gebrauchsbasierter Ansätze der Zweitspracherwerbsforschung (N. Ellis 2015) analysieren wir die lernersprachlichen Interaktionsdaten als Beispiele für einen kollaborativen Dialog, also einen „dialogue in which speakers are engaged in problem solving and knowledge building“ (Swain 2000: 102). Insbesondere im Rahmen von Ko-Konstruktionen bauen Lernende gemeinsam Wissen auf, das das Potenzial trägt, jeweils individuell verarbeitet zu werden. Ausgehend von der gemeinsamen Bearbeitung eines Problems im Rahmen einer Aufgabe unter‐ stützen sie einander dabei, ihre Aufmerksamkeit auch auf die Form zu lenken, und zwar in den Momenten, in denen sie ein Verstehens- oder Ausdrucksbe‐ dürfnis haben. Entsprechende Ad-hoc-Wechsel von der Bedeutungszur Form‐ ebene gelten in der Focus-on-Form-Debatte als erwerbsfördernd (Doughty 2001, N. Ellis 2015). Sie variieren im Umfang der Äußerungen oder Äußerungsteile 214 Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann & Torsten Andreas sowie im Grad der Elaboration, mit der Lernende spontan fokussierte Formen im weiteren Dialog bearbeiten. Unter Formfokussierung verstehen wir also im Folgenden didaktische Hand‐ lungen mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit der Lernenden auf ausgewählte kom‐ plexe Lerngegenstände zu richten, die sich der Aufmerksamkeit der Lernenden sonst typischerweise entziehen. So sollen Verarbeitungsund/ oder Lernprozesse angestoßen werden - und zwar im Kontext von bedeutungsvollen Aufgaben (sog. fokussierten Aufgaben, s. o.), in denen diese Zielstrukturen nützlich (ggf. sogar notwendig) für die Lösung der Aufgabe sind. Die L2-Strukturen in diesen Aufgaben bedienen ein Verstehens- oder Ausdrucksbedürfnis und können somit lernerinitiiert fokussiert werden. Formfokussierung ist innerhalb eines grundlegend aufgaben- und handlungsbasierten, kommunikativen Ansatzes zu verorten, in Abgrenzung zu einem dekontextualisierten Ansatz der FormEN‐ fokussierung, in dem (lexikogrammatische) Lerngegenstände isoliert vom Ge‐ brauchskontext behandelt werden: „Central to […] focus on form is that learners’ attention is attracted to form-meaning mapping while they are engaged in an activity where the primary focus is on meaning“ (R. Ellis 2016: 410). Anders als etwa im Ansatz der Form Focused Instruction von Collins und Ruvivar (2020: 1) definiert, gehen wir dabei nicht davon aus, dass Formfokussierung zwingend von einer Lehrperson initiiert werden muss, sondern dass auch Lernende selbst untereinander Techniken der Formfokussierung oder Aufmerksamkeitslenkung anwenden können, um eine Aufgabe zu bearbeiten. Unter (selektiver) Aufmerksamkeit verstehen wir im Folgenden im Sinne der Noticing-Hypothese (Schmidt 1990, s. u.) eine aktive Hinwendung zu einer spezifischen (sprachlichen) Aufgabe oder einem ihrer Teilaspekte, während andere Anteile der (sprachlichen) Umgebung oder Aufgabe vorübergehend ausgeblendet werden: „Selective attention refers to the act of purposely focusing conscious attention on some particular object or goal while ignoring extraneous information that may be present in the situational context“ (R. Ellis 2016: 411). VertreterInnen der didaktischen Formfokussierung gehen davon aus, dass eine solche selektive Aufmerksamkeit für ausgewählte Form-Bedeutungs-Zu‐ ordnungen im Kontext - ob bewusst oder unbewusst - eine grundlegende Voraussetzung für den Erwerb darstellt: „Um Lernprozesse zu generieren, müssen (neue) Sprachelemente in mehr oder weniger expliziter Form in den Aufmerksamkeitsfokus gelangen“ (Schifko 2008: 37, s. auch R. Ellis 2016: 412 und s. u.). Als Indikatoren für Aufmerksamkeit lassen sich in unseren Interaktionsdaten - wie in vielen Studien zu kollaborativen Dialogen - Selbst- und Fremdkorrek‐ turen sowie der Gebrauch von Metasprache als Instanzen sogenannter Language 215 Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog 1 Die Materialien und Aufgabenstellungen sind in Anhang B dokumentiert. Eine ausführ‐ lichere Dokumentation der A1-Aufgaben befindet sich in Fehrmann, Schumacher und Andreas (2018). 2 Bei einer Information-Gap-Aufgabe liegen den Lernenden unterschiedliche Informa‐ tionen vor, die zusammengeführt werden müssen, um die Aufgabe zu lösen (R. Ellis 2003: 86-89, 343). Related Episodes (LREs) finden (Swain & Lapkin 2001: 104, de la Colina & García Mayo 2007: 93). Hierbei lässt sich Code-Switching zur L1 oder zur L2 Englisch beobachten, bei dem erkennbar ist, dass Lernende zur Aufgabenbewältigung und gerade bei erhöhter Aufmerksamkeit auf die Form ihre mehrsprachigen Repertoires aktivieren. In Anlehnung an Studien zur Rolle der L1 beim kollabo‐ rativen Dialog (Antón & DiCamilla 1998) und zu mehrsprachiger Metasprache ( Jessner 2005) werden wir die Funktionen dieser Sprachwechsel beleuchten. Nach der Vorstellung der für die Elizitierung der Interaktionsdaten ent‐ wickelten fokussierten Aufgaben vor dem Hintergrund der Diskussion um (selektive) Aufmerksamkeit in gebrauchsbasierten, kognitiv und soziokulturell ausgerichteten Theorien zum Spracherwerb (Abschnitt 2) dokumentieren wir in Abschnitt 3 im Rahmen qualitativer Analysen exemplarische Aufmerksam‐ keitsindikatoren wie Korrekturen und Metasprache unter Berücksichtigung von Mehrsprachigkeit in unseren Daten. In Abschnitt 4 resümieren wir unsere Beobachtungen in ihrer Relevanz für die konkrete Sprachvermittlung. 2. Fokussierte Aufgaben und Aufmerksamkeit Die im vorliegenden Beitrag analysierten Interaktionsdaten wurden durch vier verschiedene Typen fokussierter Produktionsaufgaben erhoben, videografisch und audiografisch dokumentiert und transkribiert. Drei von ihnen wurden in A1-Intensivkursen für Studierende mit L1 Japanisch und L2 Englisch eingesetzt, eine in einem semesterbegleitenden B1-Kurs für Studierende mit unterschiedli‐ chen Herkunftssprachen und der gemeinsamen L2 (oder in einigen Fällen L1) Englisch 1 . 1) A1-Skype-Termin (siehe Anhang B sowie Fehrmann et al. 2018: 5-7) In dieser Information-Gap-Aufgabe 2 sollen jeweils zwei Lernende mit vorgege‐ benen unterschiedlichen Terminkalendern per Videokonferenz einen gemein‐ samen Termin finden. Da eine solche Aktivität auch außerhalb des Klassen‐ zimmers vorkommen kann, lässt sie sich als sogenannte Real-World Task mit situationeller Authentizität klassifizieren (R. Ellis 2017: 508). Lerngegenstand ist das Wortstellungsphänomen der Vorfeldbesetzung durch temporale Adverbiale 216 Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann & Torsten Andreas 3 s. Andreas, Fehrmann und Schumacher (Hrsg.) (in Vorbereitung) für eine detaillierte Veröffentlichung unserer Daten, die auch eine L1-Vergleichsgruppe für die Aufgabe „Skype-Termin“ beinhalten. und die Verbzweitstellung. Die Formfokussierung oder intendierte Aufmerk‐ samkeitssteuerung erfolgt dabei äußerst implizit: Es gibt keinerlei sprachliche Unterstützung und dem durch die Aufgabe anvisierten Sprachgebrauch liegt lediglich die Annahme zugrunde, dass bei Terminvereinbarungen im Deutschen das Vorfeld im Sinne einer Native-like Selection (Pawley & Syder 1983) häufig durch temporale Adverbiale besetzt wird. L1-Sprechende tun dies tatsächlich, jedenfalls wenn sie syntaktisch vollständige Sätze äußern 3 . 2) A1-To-do-Liste (siehe Anhang B sowie Fehrmann et al. 2018: 8-11) Auch dies ist eine Information-Gap-Aufgabe, die sich als Real-World Task mit situationeller Authentizität klassifizieren lässt. Jeweils zwei Lernende müssen gemeinsam einen Weg planen und ihn anschließend in einen Stadtplan einzeichnen, wobei ihnen unterschiedliche, sich ergänzende Informationen vorliegen. Die Formfokussierung erfolgt hier ebenfalls implizit. Das Material enthält den relevanten Wortschatz sowie syntaktische Muster, zu denen auch der sprachliche Fokus - wiederum die Vorfeldbesetzung durch Adverbiale und die Verbzweitstellung - gehört. 3) A1-Bildbeschreibung (siehe Anhang B sowie Fehrmann et al. 2018: 16-23) In dieser Spot-the-Difference-Aufgabe müssen zwei Lernende den Unterschied zwischen zwei Bildern finden, von denen sie aber jeweils nur eines selbst sehen können, sodass sie sich die Bilder gegenseitig genau beschreiben müssen. Es handelt sich um eine Aufgabe, die nicht auf situationelle, wohl aber auf interaktionale Authentizität zielt, da die durch sie anvisierte Sprachverarbeitung und Interaktion - beispielsweise in Bezug auf Muster von Turn-Taking oder Verständnissicherungen - auch für die außerunterrichtliche Alltagskommuni‐ kation typisch ist. Mit R. Ellis (2017: 508) lässt sie sich als Pedagogical Task bezeichnen. Die Materialien enthalten Wortschatzhilfen und Redemittel ohne die fokussierten sprachlichen Strukturen (lokale Präpositionen). Es handelt sich somit wiederum um eine Aufgabe mit einem impliziten Fokus auf die Form. 4) B1-Dictogloss Bei einer Dictogloss-Aufgabe rekonstruieren Lernende gemeinsam einen zuvor gehörten Text, und zwar in Inhalt und Form so originalgetreu wie möglich (Wajnryb 1990). Die Aufgabe beinhaltet eine explizite Aufmerksamkeitssteue‐ rung auf die sprachliche Form, da Sprache beim Lösen der Aufgabe nicht nur 217 Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog Werkzeug, sondern zudem Gegenstand der Peer-Interaktion ist (Swain & Lapkin 2001: 100). Der hier konkret verwendete narrative Text (siehe Anhang C) ist mit der fokussierten sprachlichen Struktur - den sogenannten Wechselpräpo‐ sitionen - geflutet, die vorher allerdings nicht im selben Kurs thematisiert wurde. Wiederum wird keine situationelle, aber interaktionale Authentizität angestrebt, da die Lernenden zum Gebrauch von auch außerhalb des Unterrichts typischen Interaktionsmustern angeregt werden. In der folgenden Tabelle 1 sind die Aufgaben zur Übersicht zusammengestellt. Aufgabe Fokussierter Gegenstand Explizitheits‐ grad der Form‐ fokussierung Fokus‐ sierter Ge‐ genstand im Material enthalten Authentizi‐ täts-Typ A1-Skype- Termin Vorfeldbesetzung, Verbzweitstellung implizit nein situationell A1-To-do- Liste Vorfeldbesetzung, Verbzweitstellung eher implizit ja situationell A1-Bildbe‐ schreibung lokale Präposi‐ tionen eher implizit nein interaktional B1-Dicto‐ gloss Wechselpräpositionen eher explizit ja interaktional Tab. 1: Zur Elizitierung verwendete Aufgaben Im Rahmen gebrauchsbasierter spracherwerbstheoretischer Ansätze (Behrens 2009, Madlener 2015) lässt sich der Einsatz dieser Aufgaben folgendermaßen motivieren: Ein im Rahmen kontextualisierter, bedeutungsvoller sozialer Inter‐ aktion verstärkter Gebrauch einer fokussierten sprachlichen Struktur sollte zu einem Übungseffekt führen (Verspoor & Nguyen 2015, DeKeyser 2007: 97- 99), also zu einer iterativen Bestätigung von Form-Bedeutungs-Zusammen‐ hängen und somit zu einem höheren Grad an Verankerung im Gedächtnis, von Langacker (2000: 3) als Entrenchment bezeichnet. Unter der Annahme, dass Spracherwerbsprozesse vorrangig implizit ablaufen, kann von fokussierten Aufgaben ein prinzipiell erwerbsförderliches Potenzial erwartet werden, wenn sie wiederholt eingesetzt werden, denn sie schaffen Situationen, „die geeignet sind, den Lerner die Verbindung von Form und Bedeutung authentisch erfahren und so zugrundeliegende Schemata […] implizit abstrahieren zu lassen“ (Pagonis 2014: 151). 218 Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann & Torsten Andreas 4 Der Begriff stammt aus dem von Nick Ellis verantworteten Abschnitt „Cognitive and Social Language Usage“ in dem Gemeinschaftsbeitrag mit Hulstijn et al. (2014: 400). Da Aufgaben im fremdsprachlichen Unterricht aber - selbst wenn sie fre‐ quent eingesetzt werden - nicht den Bedingungen von Input und Interaktion außerhalb des Klassenzimmers entsprechen, kommt an dieser Stelle die Frage nach der Aufmerksamkeit, der Interaktion und der durch Unterricht gesteu‐ erten Aufmerksamkeitslenkung ins Spiel. L2-Lernende haben im Unterricht typischerweise nur Zugang zu Input, der sowohl quantitativ als auch qualitativ deutlich vom zielsprachlichen Input im L1-Erwerb abweicht (Madlener 2015), sodass die Möglichkeit eines inzidentellen Erwerbs erschwert ist und zusätz‐ liche Verfahren der Bewusstmachung nötig erscheinen, um - im Sinne der Noticing-Hypothese (s. u.) - intentionale Lernprozesse anzuregen (Boers, De Knop & Rycker 2010: 4-5). Boers et al. (2010: 14-15) schlagen demzufolge aus gebrauchsbasierter Perspektive u. a. die Nutzung fokussierter Aufgaben vor, um die Wahrscheinlichkeit einer tieferen Verarbeitung und stärkeren Vernetzung im Gedächtnis zu erhöhen. In gebrauchsbasierten Ansätzen ist die in der sozialen Interaktion entstehende geteilte Aufmerksamkeit (Shared Attention, Hulstijn, Young, Ortega, Bigelow, DeKeyser, N. Ellis, Lantolf, Mackey & Talmy 2014: 400 4 ) als Schlüsselkonzept für bedeutungsvollen Sprachgebrauch und Spracherwerb etabliert. Die lernerseitige Nutzung von Strategien, eine solche geteilte Auf‐ merksamkeit ausgehend von der Bedeutung auch auf die Form zu richten, ist eines der zentralen Ziele der zur Elizitierung eingesetzten fokussierten Aufgaben. Diese zielen somit auf ein „[s]ocially scaffolded noticing“ (N. Ellis 2015: 61). Das Konzept des Noticing stammt ursprünglich aus der kognitiv ausge‐ richteten Debatte der Zweitspracherwerbsforschung. Laut Schmidt (1990: 132) ist Noticing als Focal Awareness, also als bewusstes Wahrnehmen von Infor‐ mationen im Input, eine notwendige Bedingung dafür, dass Lernprozesse überhaupt stattfinden (Schmidt 1990: 139). Diese aus der Analyse mehrerer psychologischer Gedächtnismodelle gespeiste Annahme liegt vielen Studien zur Effektivität von Formfokussierung zugrunde (R. Ellis 2016: 411-413). Sie ist insbesondere auch zentral in Studien zur Rolle der L2-Sprachproduktion im Rahmen von didaktischer Formfokussierung: „One role for output in second language learning is that it may promote ‚noticing‘“ (Swain 2000: 99). Ohne an dieser Stelle zu entscheiden, ob eine lernerseitige Aufmerksamkeitslenkung auf die Form notwendigerweise bewusst sein muss, um Lernprozesse auszulösen (s. hierfür Rotter 2015: 58-67), gehen wir von dem Lernpotenzial von Noticing im Sinne von selektiver, gezielter Aufmerksamkeit (Selective Attention) und 219 Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog kognitiven Vergleichen (Cognitive Comparison) aus (Dougthy 2001, R. Ellis 2016: 411-413): Lernende können in dem Moment, in dem sie versuchen, eine L2-Äußerung zu produzieren, eine „Lücke“ in ihrer eigenen Lernersprache bemerken und ihre Aufmerksamkeit punktuell gezielt hierauf lenken (Noticing the Hole, Swain 1998) oder auch eine Diskrepanz zwischen der Form ihrer eigenen Äußerung und dem zielsprachlichen Input bemerken (Noticing the Gap, Schmidt & Frota 1986, Swain 1998). Wir werden zeigen, inwiefern sich gerade in der Peer-Interaktion während der gemeinsamen Bearbeitung fokussierter Aufgaben Indizien für diese Arten von Noticing beobachten lassen. Auch aus der Perspektive soziokultureller Ansätze, die sich auf Vygotskijs (1992, 2002 [1934]) Theorie des Unterrichtens berufen, ist Aufmerksamkeit zentral. Ohne einen gewissen, wenn auch nicht näher bestimmten, Grad an (bewusster) Aufmerksamkeit sind Vygotskij zufolge kulturelle Lernprozesse wie das Sprachenlernen nicht möglich (van Compernolle 2015: 6-21). In diesem Zu‐ sammenhang hat sich das Konzept von Languaging als „process of making mea‐ ning and shaping knowledge and experience through language“ (Swain 2006: 98, Swain & Watanabe 2013: 1) etabliert. Es wird in Studien zum kollaborativen Dialog in Form von Language Related Episodes (LREs) operationalisiert. Diese werden definiert als „any part of dialogue where the students talk about the language they are producing, question their language use, or correct themselves or others” (Swain & Lapkin 1998: 326). Lernende lenken ihre Aufmerksamkeit hierdurch gemeinsam auch auf die Form, formulieren und testen Hypothesen über die Zielsprache und reflektieren ihren eigenen Sprachgebrauch. In Studien zur Peer-Interaktion werden Aktivitäten des Languaging, insbesondere in Form von LREs, als sprachliche Lernprozesse selbst operationalisiert, da sie die Basis für die jeweils individuelle Verarbeitung sind: [T]he talk which surfaces when students collaborate in solving linguistic problems encountered in communicative tasks performance represents second language lear‐ ning in progress (Swain & Lapkin 2001: 99). In unserem Beitrag stellen wir qualitative Analysen der in unseren Interaktionsdaten vorkommenden LREs vor. In Anlehnung an die genannte Definition behandeln wir einerseits Korrekturen und andererseits Metasprache als Indika‐ toren für LREs. Korrekturen sind ein Indiz dafür, dass die Sprechenden die Aufmerksamkeit für einen Moment auf die Frage richten, ob die verwendete sprachliche Form tatsächlich der intendierten Bedeutung oder den zielsprachlichen Konventionen entspricht. Dabei ist es u. E. unerheblich, ob die Korrektur aus zielsprachlicher Sicht berechtigt ist, denn maßgeblich ist die subjektive Einschätzung der 220 Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann & Torsten Andreas Sprechenden, die zu einer Korrektur führt. Wir differenzieren begrifflich also nicht zwischen Korrekturen und Reparaturen, weil die Frage, ob Lernende das ursprünglich geäußerte Material als fehlerhaft bewerten, in unseren Daten oftmals nicht mit Sicherheit bestimmt werden kann (s. für einen Überblick zu dieser Diskussion Lütke 2016: 107-108). Wir werten sowohl Selbstals auch Fremdkorrekturen als Indikatoren für Aufmerksamkeit. Selbstinitiierte Selbstkorrekturen als Häsitationsphänomene im Rahmen von Nicht-Flüssigkeit (Disfluencies) gelten als „Indikatoren für intern ablau‐ fende kognitive Prozesse während der Sprachverarbeitung“ (Lütke 2016: 111; s. auch Belz, Sauer, Lüdeling & Mooshammer 2017). Ausgehend von den die Selbstkorrekturen begleitenden Phänomenen wie dem propositionalen Gehalt der gefüllten Pausen und Code-Switching zur L1 lässt sich eine Variation im Explizitheitsgrad der lernerseitigen Formfokussierung identifizieren, die von Häsitationselementen mit Turnhaltefunktion bis zu metasprachlichen Termini reicht. Im Falle von Fremdkorrekturen - die in der Peer-Interaktion oft im Rahmen von Aushandlungsprozessen entstehen und seltener die lehrerseitig verbreitete korrektive Funktion im engeren Sinne erfüllen - lässt sich eine solche Variation an der auf die Korrektur folgenden gemeinsamen Elaboration des lernerseitig fokussierten Gegenstandes erkennen. Die Verwendung von Metasprache ist ein Indiz für Noticing mit einem hohen Grad an Bewusstheit für Formen und Form-Bedeutungs-Zusammenhänge. Neben der Ausführlichkeit, mit der Lernende in der Peer-Interaktion die von ihnen fokussierten Gegenstände elaborieren, lässt sich die Intensität, mit der sie ihre Aufmerksamkeit auf Formen richten, insbesondere an den ad hoc verwen‐ deten metasprachlichen, vor allem grammatischen, Termini zur Aushandlung ihrer Hypothesen erkennen. Dass LREs aber nicht notwendigerweise gramma‐ tische Fachbegriffe enthalten, wird seit dem Beginn der Diskussion um LREs festgehalten (Swain 1998). Im Rahmen der in unseren Interaktionsdaten entste‐ henden LREs zu verschiedenen lexikalischen und grammatischen Gegenständen werden wir zeigen, dass insbesondere beim Gebrauch von grammatischen Termini der Rückgriff auf die L1 oder eine frühere L2 eine zentrale Rolle spielt. Im folgenden Abschnitt präsentieren wir exemplarische Beobachtungen zu Korrekturen und Metasprache in Peer-Interaktionen während der Bearbeitung fokussierter Aufgaben, die auf lernerseitige Aufmerksamkeit schließen lassen. Wir diskutieren diese Befunde vor dem Hintergrund der in den Aufgaben angelegten Aufmerksamkeitslenkung. 221 Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog 5 Unsere Daten enthalten während der Bearbeitung der Aufgaben entstandene mündliche Dialoge sowie schriftliche, ebenfalls während der Intensivkurse erhobene Lernertexte. Im Folgenden beziehen wir uns auf jeweils vier Dialoge von Lernenden aus jeder Aufgabe, aus deren Transkripten wir exemplarisch zitieren. S. Fehrmann (in diesem Band) und Ulmer (2017) für Analysen der schriftlichen Daten derselben Kohorte von Lernenden. 6 Unsere Daten beinhalten zudem die individuell erstellten Notizen der acht Lernenden sowie die jeweils zu zweit rekonstruierten Texte in Schriftform, auf die wir im Rahmen unserer Analysen punktuell verweisen. Wir danken Karin Madlener-Charpentier für die Kooperation in der initialen Phase der Datenerhebung und -auswertung. 3. Korrekturen und Metasprache in der Peer-Interaktion Die hier ausgewerteten mündlichen Interaktionsdaten aus Partnerarbeiten von insgesamt 24 Lernenden auf A1-Niveau entstanden während der Bearbeitung der drei Aufgaben mit eher implizitem Grad der Formfokussierung während einer Stationsarbeit im Unterricht. Deren erfolgreiche Bearbeitung erforderte die Nutzung bestimmter spontansprachlicher mündlicher Kompetenzen, die nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden konnten (s. z.B. R. Ellis 2017: 519 für Skepsis gegenüber dem Einsatz kommunikativer Aufgaben in Partnerarbeit in den Anfangsstadien). Tatsächlich gelangten alle Lernenden 5 durch gemeinsame Erarbeitung zu adäquaten Lösungen, d. h. sie gelangten zu den in den Aufgaben anvisierten Resultaten. Wir werden zeigen, dass sie dabei die in den Aufgaben fokussierten sprachlichen Strukturen u. a. in Abhän‐ gigkeit von Übernahmemöglichkeiten durch den in den Aufgabenstellungen enthaltenen Input sowie in Bezug auf den Grad an Nützlichkeit ihres Gebrauchs für das Resultat produzierten, was in der Forschung zu Task-Based Language Teaching (TBLT) seit Loschky und Bley-Vroman (1993) im Zusammenhang mit Task-Utility diskutiert wird. Beispielsweise ist die Übernahme lexikalischer und syntaktischer Strukturen, vor allem der variablen Vorfeldbesetzungen und der Distanzstellung der Verben, nur aus dem Input der Aufgabe „A1-To-do-Liste“, nicht jedoch aus dem der Aufgabe „A1-Skype-Termin“ möglich. In der „A1-Bild‐ beschreibung“ ist die Übernahme von Präpositionen als fokussierte Elemente ebenfalls ausgeschlossen, gleichwohl sind sie für die erfolgreiche Bearbeitung der Aufgabe nützlich. Die Daten der B1-Gruppe stammen aus der oben beschriebenen Dicto‐ gloss-Aufgabe (s. auch Anhang C) mit einem eher expliziten Grad der Formfokussierung. Ausgewertet wurden die mündlichen Dialoge von acht Lernenden, die während der Textrekonstruktionsphase in Partnerarbeit ent‐ standen 6 . Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass diese Interaktionsdaten zwar viele lokale und direktionale Präpositionalphrasen enthalten, was durch die 222 Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann & Torsten Andreas 7 Die Kürzel für die Lernenden, deren Interaktionsdaten wir dokumentieren, folgen dem Prinzip Jahr der Datenerhebung - Nummer des Teilnehmers/ der Teilnehmerin (TN). Die Erhebung der Daten aus Sequenz (1) erfolgte demnach 2016. Die Transkription hier und im Weiteren erfolgte in Anlehnung an GAT 2 (Selting, Azer, Barth-Weingarten et al. 2009). Die für unsere Transkripte relevanten Transkriptionskonventionen befinden sich in Anhang A. Flutung des Textes mit Wechselpräpositionen auch erwartbar war, und dass die Lernenden ihre Aufmerksamkeit bei der Rekonstruktion dieser Präpositional‐ phrasen auch auf Kasus (in 7 Fällen), Genus (in 6 Fällen) und die Bedeutung der Präpositionen (in 4 Fällen) richten. Die gewünschte lernerseitige Fokussierung auf die Gebrauchsbedingungen von Wechselpräpositionen findet jedoch nur im Rahmen einer LRE statt. Die Lernenden richten ihre Aufmerksamkeit auf verschiedene Phänomene, die in den Aushandlungen ad hoc relevant werden. Somit ergibt sich Lernpotenzial in Bezug auf mehrere - lexikalische, grammati‐ sche und, bedingt durch die Aufgabenstellung, orthographische - Gegenstände, wovon in Dictogloss-Studien immer wieder berichtet wird (s. z. B. Eckerth 2008). In unseren Daten lassen sich insgesamt 62 LREs finden, in 35 Fällen zu Grammatik, in 14 Fällen zu Orthographie und in 13 Fällen zu Lexik. 3.1. Korrekturen Bei den in den A1-Daten beobachteten Korrekturen handelt es sich primär um selbstinitiierte Selbstkorrekturen, die sich häufig als Häsitationsphänomene in Verbindung mit Pausen und Wiederholungen beobachten lassen und die typisch für den langsamen Äußerungsaufbau dieses Lernniveaus sind. An der folgenden Sequenz (1), einem Dialog zur gemeinsamen Terminfindung im Rahmen der Aufgabe „A1-Skype-Termin“, sind vor allem Selbstkorrekturen im Bereich Wortschatz erkennbar 7 . 223 Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog 8 Die den Lernenden vorliegenden Terminkalender enthalten mehrere Slots für Sprach‐ kurse (s. Anhang B sowie Fehrmann et al. 2018: 5-7). (1) 33 TN1605 ich habe sprache: , (-) sprechenkurs, (--) aber, 34 (2.0) 35 aBER, [(--) hm: : : ] ich (--) ich habe zeit 36 TN1604 [mh=hm=hm=hm=hm] 37 [ja.a: h (--) ja. ] 38 TN1605 [=<<p>hm? >ich habe hm: : : fri: zeit.] 39 TN1604 am donnerstag ich habe (.) sprechekurs (auch) 40 ah ich (auch) mh habe sprechkurs (.) ah (--) neuen, 41 (---) vo‘ (.) neuen bis (-) ah zwei. 42 (--) a: h (.---) e: h (--) donnerstag, (-) donnerstag 43 (3.0) 44 TN1604 nachmtag? nachmtag 45 TN1605 ja: . 46 TN1604 a: h (.) habe‘ (.) ich (.) zeit. 47 TN1605 ja: nachmittag (--) ich habe zeit; (---) a: : : hm TN1605 korrigiert sich zweimal auf lexikalischer Ebene: Die durch eine kurze Pause begleitete Korrektur von sprache zu sprechenkurs in Zeile 33 verweist auf einen kurzen Moment selektiver Aufmerksamkeit auf das für die gemein‐ same Lösung der Aufgabe relevante Kompositum Sprachkurs  8 , d. h. auf eine - offenbar für beide Lernenden problematische (s. Zeilen 39-40 für TN1604) - Wortform, welche die intendierte Bedeutung präzise transportiert. Auch die durch ungefüllte und gefüllte Pausen begleitete Korrektur von ich habe zeit (Zeile 35) zu ich habe fri: zeit (Zeile 38) zeigt das Bemühen der Lernerin TN1605, sich - im Sinne des Pushed Output (Swain 1995) - inhaltlich und formal angemessen und für die Mitlernerin und damit für die gemeinsame Lösung der Aufgabe hinreichend verständlich auszudrücken. Selbstkorrekturen, die erhöhte kognitive Aktivität sichtbar werden lassen, zeigen sich neben lernerseitigen Aufmerksamkeitsschwerpunkten auf dem relevanten nominalen Wortschatz auch bei Numeralia und Präpositionen: Das Ziel einer gemeinsamen Terminfin‐ dung führt dazu, dass die Lernenden ihre Aufmerksamkeit gerade auch auf temporale Präpositionen richten, um Zeiträume sprachlich zu realisieren. Dies wird exemplarisch an der durch Pausen begleiteten Selbstkorrektur von TN1604 in Zeile 40-41 von neuen zu vo‘ neuen bis zwei deutlich, in der die Lernerin aus‐ gehend von ihrer bedeutungszentrierten Sprechintention ad hoc auf die Form fokussiert und das Zahlwort um die Präpositionen erweitert: Um der Gesprächs‐ partnerin zu vermitteln, welche Zeiträume ihr selbst zur Verfügung stehen, ist es inhaltlich nicht ausreichend, einen Zeitpunkt zu benennen, sondern es muss ein Zeitraum mit markiertem Anfangs- und Endpunkt versprachlicht werden. 224 Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann & Torsten Andreas 9 Die Lernerinnen erstellen eine gemeinsame To-do-Liste ausgehend von unterschiedli‐ chen Terminen, die zunächst miteinander verglichen werden müssen (s. hierfür Anhang B sowie Fehrmann et al. 2018: 8-11). Die Frage ist zudem in bemerkenswerter Weise flüssig und zielsprachlich formuliert und so ein Beispiel dafür, dass Lernenden die Verbzweitstellung bei Ergänzungsfragen leichter fällt als bei Deklarativsätzen, was in der Diskussion um Erwerbssequenzen seit Diehl, Christen und Leuenberger (2000) häufig beobachtet wird. Die Realisierung temporaler Präpositionen zur Markierung von Zeiträumen ist für eine erfolgreiche Aufgabenbearbeitung von „A1-Skype-Termin“ notwendig bzw. task-essential (Loschky & Bley-Vroman 1993, R. Ellis 2003: 152). Der in der Aufgabenstellung implizit fokussierte Gegenstand hingegen, die Vorfeldbeset‐ zung durch temporale Adverbiale und die damit verbundene Verbzweitstellung, ist weniger Gegenstand von Selbstkorrekturen der Lernenden. Wie an der syntaktischen Variation von am donnerstag ich habe sprechekurs in Zeile 39 und nachmtag habe ich zeit, von TN1604 von Zeile 44-46 geäußert, erkennbar ist, werden Vorfelder zwar durch Adverbiale besetzt. Die Lernenden rücken die Varianten der Vorfeldbesetzung und die sich daran anschließende Wortstellung jedoch nicht in ihren Aufmerksamkeitsfokus, weil hiermit keine kommunikative Relevanz für das gemeinsame Resultat verbunden ist. In der Aufgabe „A1-To-do-Liste“ hingegen wird dieser syntaktische Ge‐ genstand lernerseitig fokussiert, wie Sequenz (2) exemplarisch zeigt; Gegen‐ stand mehrfacher Selbstkorrekturen, verbunden mit gefüllten und ungefüllten Pausen, ist die Verbstellung. (2) 1 TN1401 was machst du‘du: (-) danach 2 TN1407 danach‘ 3 TN1401 <<jap>tsugi wa nani suru (=was machst du als nächstes)> 4 TN1407 hm=hm.(-) 5 danach ah <<jap>n: to (=also)> (--) ich: : (3.0) 6 <<jap> danach de iku no ka(=mit danach anfangen)> 7 =danach (-) muss ich ma' ICH mache=mache (.) ich (--) 8 <<jap>watashi tachi tsugi nani suru no (=was machen wir als nächstes)> 9 wir (.) MACHEN wir (-) <<jap>n: to: (=also: )> (-) ei: n (-) <<jap>cho'(=((unverständlich)))> 10 ei: : n geschenk für (-) rebekka kaufen. Der Dialog beginnt mit einer Verständnissicherung. TN1401 startet mit einer situativ angemessenen Frage 9 , woraufhin TN1407 in Zeile 2 im Rahmen eines Clarification Request, einer Bitte um Klarstellung, auf das Adverb danach refokussiert (s. zur refokussierenden Funktion von Nachfragen Rost-Roth 2006), was auf punktuelles Noticing the Hole in der eigenen Lernersprache verweist. 225 Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog Ihre Gesprächspartnerin antwortet mit einer Paraphrase auf Japanisch, die zugleich die Aufgabenstellung klärt, worauf TN1401 mit dem bestätigenden Rezeptionssignal hm=hm reagiert und somit ihr Verstehen signalisiert. Das Code-Switching zur L1 wird hier als Strategie eingesetzt, um die Aufgabe für beide Lernerinnen bewältigbar zu machen und wichtige Elemente in den Vordergrund zu rücken. Der kurze Wechsel auf die metasprachliche Ebene ermöglicht ein gemeinsames Verständnis auch zum Aufgabenmanagement, das für die weitere Bearbeitung der Aufgabe notwendig ist. Dies wird in Studien zur Rolle der L1 im kollaborativen Dialog als Scaffolded Help zwischen Peers gefasst (Antón & DiCamilla 1998, Van Compernolle 2015: 89-111). TN1407 gelingt es durch diese Unterstützung, ihre Äußerung im Anschluss an das Adverb danach aufzubauen. Die Häsitationselemente in Form von gefüllten Pausen als Turnhaltesignale - auch in der L1 (n: to (=also)) -, Dehnungen und ungefüllten Pausen in Zeile 5 sowie insbesondere dann die kurze LRE in Form eines metasprachlichen Kommentars auf Japanisch in Zeile 6, der sich auf die Position des Adverbs bezieht, verweisen auf eine erhöhte Aufmerksamkeit hinsichtlich der Wortstellung. Diese lässt sich auch in der folgenden Zeile 7 erkennen, und zwar an den Selbstkorrekturen von der Abfolge Verb-Subjekt (VS ) (muss ich ma‘) zu Subjekt-Verb (SV) (ICH mache) und wieder zurück zu VS (mache ich). Dass die inhaltliche und formbezogene Auseinandersetzung mit der L2 im Äußerungsaufbau eng zusammenhängen, zeigt die wiederum auf Japanisch geäußerte, situativ angemessene Frage an die Gesprächspartnerin in Zeile 8, was als nächstes zu tun sei. Über diesen Rückgriff auf die L1 erfolgt dann ein Wechsel von ich zu wir, wobei die Wortstellung noch im Aufmerksamkeitsfokus zu stehen scheint, denn die Lernerin korrigiert sich sogleich von wir zu MACHEN wir (VS). Die Lernerin beendet ihre Äußerung - nach kurzen Häsitationen in Form des Turnhaltesignals n: to (=also) und der Wiederholung von ein - mit der flüssigen Produktion von ein Geschenk für Rebekka kaufen und gelangt so zu einer in Bezug auf die Verbstellung zielsprachlichen Äußerung. Die lernerseitige Aufmerksamkeitslenkung entspricht hier - anders als in der Interaktion zum „A1-Skype-Termin“ - der in der Aufgabe anvisierten, was sich auf die im Material verfügbaren sprachlichen Mittel zurückführen lässt: Der für die Formulierung der verschiedenen Erledigungen notwendige Wortschatz war in Form von Mustern des Typs Objekt-Verb (OV-Strukturen) vorgegeben, so dass er direkt übernommen und auch die Distanzstellung zielsprachlich realisiert werden konnte. Zudem war die fokussierte Struktur mit Adverbialen im Vorfeld (AdvVS-Struktur) als Muster in der Fragestellung enthalten: Morgen Nachmittag müsst ihr …, ebenso wie Muster mit Subjekten im Vorfeld (SVX-Muster, s. hierzu Anhang B sowie Fehrmann et al. 2018: 8-11). 226 Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann & Torsten Andreas Die im Material enthaltenen lexikalischen und syntaktischen Muster führen of‐ fenbar dazu, dass die Lernenden ihre Aufmerksamkeit während der Bearbeitung der Aufgabe auf die Anordnung von Subjekt und Verb bei einer adverbialen Vorfeldbesetzung richten können. Sie tun dies in mehreren Fällen, wobei sie die Slots der Verben und der Subjekte variieren, wie exemplarisch in Sequenz 2 zu erkennen ist. Entsprechende lexikalische und syntaktische Hilfestellungen entfallen in der Aufgabe „A1-Skype-Termin“. Dass die Lernenden in der Aufgabe „A1-To-do-Liste“ auch zu höheren Korrektheitsraten in der Realisierung von Verbzweitstrukturen als in der Aufgabe „A1-Skype-Termin“ gelangen, zeigt Hauenstein (2019: 34-39). Keine syntaktischen Phänomene, sondern Präpositionen zur Bestimmung lokaler Relationen sind als fokussierter Gegenstand in der Aufgabe „A1-Bildbe‐ schreibung“ angelegt. Die TN erhielten für die Aufgabenbearbeitung jeweils eines von zwei Bildern mit Objekten, die im Raum und zueinander auf bestimmte Weise positioniert waren, und mussten sich telefonisch über die Unterschiede verständigen. Die Person, der ein Objekt fehlte, das im Bild des anderen enthalten war, musste dieses in ihr Bild einzeichnen. In Sequenz (3) vergleichen zwei Lernende Bilder mit Küchengegenständen (s. hierzu Anhang B sowie Fehrmann et al. 2018: 22) und richten ihre Aufmerksamkeit im Rahmen eines Abgleichs darüber, ob sich in beiden Bildern ein Deckel auf einem Topf befindet, auf die Position des Deckels zu seinem Relatum. Während der ko-konstruierten Präpositionalphrase lassen sich Selbstkorrekturen in Bezug auf die Präposition sowie auf Genus und Kasus des Nomens der Präpositionalphrase finden. (3) 60 TN1407 <<jap>n: to(=also)> 61 (3.0) 62 de: : r DEckel 63 TN1405 deck: el, 64 TN1407 (-) ä: h ist=ä: h. 65 (3.0) 66 jü: ber 67 TN1405 [jü' ü: ber? ] 68 TN1407 [<<jap>da kara; (=deshalb)>] 69 (-) jü: ber, (--) so AUF=auf, 70 TN1405 a' aufu? 71 TN1407 auf di: : e; (-) die der. der. (--) de: r des dem=dem 72 TN1405 [dem] 73 TN1407 [toffe] Als TN1407 in Zeile 66 die Präposition über wählt, stellt TN1405 eine Rück‐ frage zur für die Aufgabenstellung zentralen Raumrelation (jü’ü: ber? ). Dies veranlasst TN1407 dazu, den Ausdruck der Raumrelation innerhalb dieses 227 Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog ersten Teils der in diesem Ausschnitt verfolgbaren sukzessiven Bedeutungs‐ aushandlungen von über zu auf zu korrigieren (Zeile 69). Ob der Auslöser dieser fremdinitiierten Selbstkorrektur, die Nachfrage von TN1405, als Confir‐ mation Check zur Vergewisserung des eigenen Verstehens im Rahmen einer Verständnissicherung zu interpretieren oder aber möglicherweise korrektiv intendiert ist, lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen. Die korrektive Funktion ist aber unwahrscheinlicher, da die Differenzierung zwischen über und auf gerade für japanische Lernende, deren L1 hier nicht lexikalisch differenziert, herausfordernd ist (Andreas 2016). Entscheidend ist, dass die Lernenden ihre Aufmerksamkeit gemeinsam auf den in der Aufgabe fokussierten und hier offensichtlich problematischen Lerngegenstand Raumrelationen bzw. seinen sprachlichen Ausdruck durch lokale Präpositionen richten, was exemplarisch für die Dialoge dieser Aufgabe ist. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Gebrauch von lokalen Präpositionen für die Lösung der Aufgabe nützlich ist. Es liegt also zwar keine Task Essentialness vor wie im Falle der temporalen Präpositionen aus der Aufgabe „A1-Skype-Termin“, da die Versprachlichung eines fehlenden Objekts auch ohne den Gebrauch von Präpositionen möglich ist. Jedoch kann hier von Task-Utility gesprochen werden, da lokale Präpositionen dafür nützlich sind, die Positionierung von Objekten genau zu benennen (R. Ellis 2003: 152). Notwendig wäre deren Verwendung lediglich bei der Beschreibung von Lokalisierungsunterschieden identischer Gegenstände. Da der Gebrauch von Präpositionen als Phänomen der Wortschatz-Grammatik-Schnittstelle beim Phrasenaufbau immer auch mit Kasus sowie mit Genus und Numerus des Relatums zusammenhängt, wird im Folgenden auch die Nominalflexion von den Lernenden fokussiert. Dies ist an den selbstinitiierten Selbstkorrekturen in Zeile 71 erkennbar: Nach dem Confirmation Check von TN1405 zur Wahl von auf in Zeile 70 korrigiert sich TN1407 mehrmals in Bezug auf Genus und Kasus des Artikels. Dass TN1405 diese Aufmerksamkeit auf die Form des Artikels teilt, zeigt sich in ihrer Bestätigung von dem in Zeile 72, was überlappend mit der Realisierung von toffe erfolgt. Im Rahmen geteilter Aufmerksamkeit ko-konstruieren die Lernenden hier insgesamt erfolgreich eine Präpositional‐ phrase mit einer lokalen Präposition. Innerhalb der kollaborativen Aushandlungen auf B1-Niveau sind selbstiniti‐ ierte Selbstkorrekturen deutlich weniger häufig als dialogische Aushandlungs‐ prozesse mit Fremdkorrekturen; in unseren Daten lassen sich drei Selbstkor‐ rekturen und 62 Aushandlungsprozesse mit Fremdkorrekturen im Rahmen von LREs finden. Vereinzelte Fälle betreffen Genus, wie Beispiel (4) zeigt. Hier korrigiert TN1505 (L1 Norwegisch) seine Wahl des Artikels die zu das und entscheidet sich am Ende korrekterweise für das Hotel. Die kurze LRE 228 Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann & Torsten Andreas 10 Als Uptake fassen wir jegliche beobachtbare Art von - verbaler oder nonverbaler - Reaktion auf eine Korrektur auf, die entweder weiterhin der Korrektur bedarf oder eine zielsprachenadäquate Modifizierung der ursprünglichen Äußerung darstellt, s. Sheen (2006), Schoormann & Schlak (2012: 17). mit dem Ad-hoc-Wechsel zur metasprachlichen Ebene, mit dem der Lerner seine Hypothese zum Genus von Hotel verbalisiert, ist hier - im Gegensatz zu dem metasprachlichen Kommentar in den A1-Daten aus Sequenz (2) - in der Zielsprache formuliert. (4) 66 TN1505 ja neben: die o=oder DAS: ho' <<p>es ist,> [DAS hotel,] Die Dominanz von Fremdkorrekturen in den B1-Daten demonstrieren exem‐ plarisch drei Sequenzen, in denen Lernende lexikalische Phänomene (Sequenz 5) und Wortbildungsphänomene an der Wortschatz-Grammatik-Schnittstelle fokussieren (Sequenzen 6, 7). In Sequenz (5) handeln zwei Lernerinnen die Frage aus, ob der zu rekonstru‐ ierende Satz Sie fährt mit dem Lift auf die Dachterrasse, aber auch dort ist niemand eher mit niemand ist da oder niemand ist dort beendet werden soll. (5) 198 TN1501 niemand 199 TN1502 niemand [is DA] 200 TN1501 [is da ] is DORT 201 TN1502 aha 202 (0.21)<<wahrscheinlich schreibend>> 203 aber niemand 204 TN1501 is dort 205 TN1502 IST 206 (0.55)<<wahrscheinlich schreibend>> 207 DORT In der eigenen Mitschrift fehlt TN1502 (L1 Serbisch) das entscheidende Wort (dort) und sie ergänzt den Satz ausgehend von ihren eigenen Ressourcen in Zeile 199 mit da. TN1501 (L1 Englisch) interveniert mittels einer Fremdkorrektur in Zeile 200 und wiederholt diese in Zeile 204. TN1502 reagiert in Zeile 201 mit aha und übernimmt die Korrektur, während sie den gemeinsam erarbeiteten Satz schriftlich vervollständigt. Ob dieser Uptake  10 auf ein Noticing the Gap schließen lassen könnte, d. h., ob TN1502 bewusst eine Diskrepanz zwischen ihrer eigenen Äußerung und der ihrer Interaktionspartnerin wahrnimmt, ist ohne weitere retrospektive Erhebungsverfahren nicht mit Bestimmtheit ermittelbar. Entscheidend ist hier, dass durch die Fremdkorrektur punktuell eine geteilte 229 Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog Aufmerksamkeit auf die Form entsteht. Sie führt zu der Ko-Konstruktion einer zielsprachlich adäquaten Lösung in der schriftlichen Rekonstruktion (Sie fährt mit dem Lift auf die Dachterrasse, aber niemand ist dort). Die Fremdkorrektur einer grammatischen Form lässt sich exemplarisch an Dialog (6) zwischen dem Lerner mit L1 Norwegisch (TN1505) und einer Lernerin mit L1 Kantonesisch (TN1506) zeigen, die den Satz Paula und Tom sind an die Ostsee gefahren rekonstruieren. TN1505 sind, TN1506 (--) in die OUSsi: . i don't know- <<p>((unverständlich))> gefahrt; TN1505 ja. gefahren, TN1506 si: e wo‘=äh wär, (2.5) in ((lacht)) TN1505 [sie sind IN] (6) 20 21 22 23 24 25 26 27 28 TN1506 [in die ] An dem metakognitiven Kommentar in der L2 Englisch von TN1506 in Zeile 22 (i don’t know) lässt sich ein Noticing the Hole in Bezug auf die Form des Partizips erkennen, das dann auch nicht zielsprachlich als gefahrt realisiert wird. In Zeile 23 führt TN1505 eine Fremdkorrektur in Form eines Recasts, einer zielsprachli‐ chen Umformulierung unter Beibehaltung der ursprünglichen Sprechintention, durch. Vorangestellt ist der Ersetzung von gefahrt durch das zielsprachliche gefahren die Partikel ja als Backchannel mit bestätigender Funktion, was die konversationelle Einbettung dieses Recasts verdeutlicht. Diese Fremdkorrektur führt nicht zu einer entsprechenden zielsprachlichen Verschriftlichung in der Textrekonstruktion, vielmehr lautet der während dieses Dialogs gemeinsam schriftlich rekonstruierte Satz Paula und Tom sind in die Ostsee gefahrt. Es ist zu vermuten, dass TN1506 nicht die korrektive, sondern die konversationelle Funktion des Recasts - die Bestätigung zur Aufrechterhaltung der Kommunika‐ tion - wahrnimmt, worauf der Wechsel ihres Aufmerksamkeitsfokus in Zeile 24 weg vom Partizip hin zu weiteren Elementen des Satzes schließen lässt. Wie in der Feedbackforschung diskutiert wird, sind Recasts grammatischer Fehler für Lernende gerade in kommunikativen Kontexten potenziell ambig und werden oftmals nicht als genuine Korrekturen wahrgenommen, sondern als „identical or alternative ways of saying the same thing in order to confirm message comprehensiblity“ (Lyster & Saito 2010: 289). Ohne die Recast-Debatte an dieser Stelle aufzugreifen (s. für einen Überblick Mackey 2012: 14-15), ist für diese Sequenz festzuhalten, dass ein Lerner (TN1505) seine Aufmerksamkeit punktuell auf die Form des Partizips richtet und dass sein Recast gleichzeitig 230 Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann & Torsten Andreas 11 Es handelt sich um dieselben Lernerinnen aus Sequenz (5) mit den Erstsprachen Serbisch und Englisch. dem Aufrechterhalten der inhaltsbezogenen Kommunikation dient, womit sie ein Indiz für die interaktionale Authentizität der Aufgabe ist. Inwiefern Fremd‐ korrekturen zu grammatischen Phänomenen in den B1-Daten auch zu einem gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus auf die Form führen, lässt sich an der folgenden Sequenz (7) erkennen. Sie zeigt die kollaborative Beschäftigung mit dem Präfixverb entdecken, bei der die Lernerinnen ihre Aufmerksamkeit ausgehend von zwei Fremdkorrek‐ turen auf die Wortbildung richten. (7) 215 TN1502 what [is this] 216 TN1501 [paula] entdeckt kleines häuschen that‘s the next thing I got I think 217 TN1502 deckt 218 TN1501 (0.4) ENTdeckt 219 TN1502 (0.43) aha vielleicht paula schaut neben das hotel? 220 TN1501 (0.55) okay 221 TN1502 und deckt kleines (0.41) ja 222 TN1501 ENTdeckt klein[es häuschen] 223 TN1502 [aha ] 224 (4.18) 225 TN1501 is it UNdeckt or [.] ENTdeckt 226 TN1502 (1.04) entdeckt <<lachend>I don‘t know I‘m just guessing> Nachdem TN1501 bereits in Zeile 216 das Präfixverb entdeckt äußert, was ihre Partnerin in Zeile 217 als Simplexverb deckt wiederholt, reagiert sie mit einer Fremdkorrektur unter Betonung des Präfixes (ENTdeckt in Zeile 218). Dass Uptakes in Form von aha, wie im Zusammenhang mit Sequenz (5) angesprochen, nicht notwendigerweise auf Noticing the Gap zwischen der eigenen und der korrigierten Form schließen lassen, lässt sich hier deutlich erkennen: TN1502 bleibt bei ihrer ursprünglichen Hypothese, dass die zu rekonstruierende Form deckt sei (Zeile 221), woraufhin ihre Interaktionspartnerin erneut korrigiert (ENTdeckt, Zeile 222). Dies führt wiederum zu einem Uptake durch aha. Der fokussierte Gegenstand wird daraufhin weiter elaboriert. TN1501 stellt durch die metasprachliche Frage is it UNdeckt or ENTdeckt in Zeile 225 die eigene Korrektur infrage und lenkt die gemeinsame Aufmerksamkeit so noch expli‐ ziter auf die Form des Präfixes. Dass bei dieser metasprachlichen Äußerung Englisch als Aushandlungssprache gewählt wird, ist ein Charakteristikum der ausgewerteten B1-Dialoge. Der Gebrauch der Lingua franca ermöglicht es den Lernerinnen 11 generell, spontan metasprachlich miteinander zu kommunizieren 231 Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog und so die Aufgabe erfolgreich zu lösen. Im nächsten Abschnitt lässt sich erkennen, dass diese LRE sodann zu einer weiteren Elaboration des fokussierten Gegenstands führt, der auch grammatische Termini enthält (Sequenz 12). An dieser Stelle ist festzuhalten, dass in den kollaborativen Dialogen sowohl auf A1als auch auf B1-Niveau Instanzen geteilter Aufmerksamkeit auf die Form von Äußerungen zu beobachten sind, die sich ad hoc aus der bedeutungs‐ zentrierten Interaktion während der gemeinsamen Problemlösungsprozesse ergeben. In den A1-Daten lassen sie sich an selbstinitiierten Selbstkorrekturen im Rahmen eines insgesamt durch viele Häsitationen und einen hohen Moni‐ toreinsatz geprägten Äußerungsaufbaus sowie an fremdinitiierten Selbstkor‐ rekturen im Rahmen von Verständnissicherungen erkennen. In den B1-Daten dominieren dialogische Aushandlungsprozesse mit Fremdkorrekturen deutlich. Vermutlich ermöglicht erst der auf diesem Niveau höhere Grad an Automati‐ sierung und Flüssigkeit der Lernersprache, die eigenen Hypothesen mit denen des Gesprächspartners zu vergleichen. Im folgenden Abschnitt zeigen wir, inwiefern das Lernpotenzial dieser Dialoge im Sinne eines Socially Scaffolded Noticing durch den Gebrauch von metasprachlichen Fachtermini insbesondere auf B1-Niveau noch erhöht wird. 3.2. Metasprache In den A1-Daten erfolgen metasprachliche Kommentare nur vereinzelt und ausschließlich im Rahmen von Selbstkorrekturen in der L1. Dies zeigte bereits Zeile 6 in Sequenz (2) exemplarisch: Im Rahmen der aufzubauenden Äußerung kommentiert die Lernerin metasprachlich die Wortstellung: <<jap> danach de iku no ka(=mit danach anfangen)>. Weitere Beispiele lassen sich in Sequenzen (8) und (9) aus der Aufgabe „Skype-Termin“ finden, in denen Lernende im Rahmen von Selbstkorrekturen ihre eigenen Äußerungen kommentieren. (8) 10 TN1405 fünf uhr=fünf uhr=<<jap>e: to(=also)> 11 zwölf=<<jap>a chigau(=falsch)> von zwölf bis ä: h 12 TN1406 fünfs 13 TN1405 fünfze: hn (---) siebzehn uhr, (9) 1 TN1406 ah (.) ehm MONtag <<jap>a chigau(=falsch)>=am montag, Im Gegensatz zu den gefüllten Pausen ohne propositionalen Gehalt wie ah, ehm und e: to (also), die als Turnhaltesignale dem Gegenüber anzeigen, dass mehr Zeit für den Aufbau der Äußerung benötigt wird, und folglich Hinweise auf kognitive Prozesse generell geben (Belz et al. 2017: 122, Lütke 2016: 107), verweisen die me‐ tasprachlichen Kommentare a chigau (=falsch) in (8) und (9) auf eine besondere 232 Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann & Torsten Andreas Aufmerksamkeit der Lernerinnen hinsichtlich des zielsprachlichen Gebrauchs von Präpositionen. In beiden Fällen beginnen die Lernerinnen ihre Äußerungen mit der reinen Zahl (zwölf) bzw. dem reinen Nomen (Montag), kommentieren diese metasprachlich auf Japanisch als falsch und fügen Präpositionen hinzu. In (8) ist hierbei wiederum Aufmerksamkeit für die Notwendigkeit zu erkennen, Zeiträume durch Präpositionen zeitlich zu begrenzen, um das Ziel der Aufgabe zu erreichen. In (9) besteht keine kommunikative Notwendigkeit dafür, die Präposition am hinzuzufügen. Durch die Aufgabe ist die Aufmerksamkeit der Lernerin auf die Form jedoch offensichtlich schon so stark gelenkt, dass sie auch in diesem Fall eine Selbstkorrektur vornimmt. Diese metasprachlichen Kommentare in der L1 zeigen die in der Forschung zu Code-Switching oftmals identifizierte Monitorfunktion des Sprachwechsels ( Jessner 2005). Grammati‐ sche Termini lassen sich in diesen metasprachlichen Kommentaren der A1-Ler‐ nenden nicht finden. Metasprache auch unter Verwendung von grammatischen Termini lässt sich in den B1-Daten wesentlich häufiger beobachten: In den 35 LREs mit grammatischem Fokus lassen sich in 13 Fällen metasprachliche Begriffe finden. Diese werden in den meisten Fällen auf Englisch geäußert (s. (10) und (11)), der primären Aushandlungssprache der Dialoge: (10) 235 TN 1501 äh: should we put DEFinite article here? (11) 114 TN 1506 <<p>oh; > (--) capitalized? 115 TN 1505 (2.0) ä: : hm ja? ja; Dass die Verwendung von Metasprache in den B1-Daten eine größere Rolle spielt, ließ sich schon an der Frage von TN1501 in Sequenz (7) zur Form des zu rekonstruierenden Präfixverbs entdecken erkennen. Im weiteren Verlauf dieses Dialogs fokussieren die Lernerinnen nach den morphologischen Eigenschaften des Verbs auch seine syntaktischen Eigenschaften, wofür sie grammatische Termini verwenden: (12) 227 TN1501 un: d (0.75) entdeckt kleines 228 TN1502 entdeckt is not äh äh trennbar no? (0.68) 229 it’s like entdeckt 230 ja ja it’s not it’s not it’s not ja 231 TN1501 oh yeah it doesn’t [split ] 232 TN1502 [und ent]deckt kleines 233 TN1501 häuschen TN1502 übernimmt nicht nur die zielsprachliche Form entdeckt, die durch die beiden Fremdkorrekturen ihrer Interaktionspartnerin in den kollaborativen 233 Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog Dialog eingebracht wurden, sondern sie initiiert in Zeile 228 eine LRE zur Syntax, indem sie die Hypothese aufstellt, dass entdeckt nicht trennbar sei. Diese Hypothese wird von TN1501 in Zeile 231 bestätigt, und die Sequenz endet mit der Ko-Konstruktion des Satzteils entdeckt kleines Häuschen. Bei dieser LRE verwenden die Lernerinnen Fachtermini in der Zielsprache Deutsch (trennbar) und auf Englisch (it doesn’t split). Der deutsche Begriff, geäußert im Rahmen eines satz-internen Code-Switching vom Englischen ins Deutsche, verweist hier auf das explizite Regelwissen der Lernerinnen, das sie in dem Moment heranziehen, in dem sie es für die gemeinsame Erarbeitung ihres Resultats benötigen. Dass sie ihre Hypothese mit Fachtermini aus beiden ihnen zur Verfügung stehenden Sprachen bekräftigen, lässt auf eine vertiefte geteilte Aufmerksamkeit für das Phänomen und wiederum auf die für Code-Switching charakteristische Monitorfunktion schließen. In Ergänzung zu Dictogloss-Stu‐ dien zur Rolle der L1 beim kollaborativen Dialog (Antón & DiCamilla 1998) zeigt die Nutzung des Englischen als Lingua franca, das für eine Lernerin L1 und für die andere L2 ist, das Potenzial des gesamtsprachlichen Repertoires von Lernenden (s. für didaktische Implikationen zur Nutzung dieses mehrsprachigen Repertoires als Ressource gerade bei der Durchführung eines Dictogloss im Unterricht Schumacher 2020). Auch in der folgenden Sequenz (13) greifen zwei Lernerinnen auf das Engli‐ sche und das Deutsche für eine LRE mit grammatischem Gehalt zurück. TN1507 (L1 Englisch) und TN1508 (L1 Spanisch) rekonstruieren den zielsprachlichen Satz Sie verbringen ein langes Wochenende in einem kleinen Hotel direkt an der Küste und fokussieren dabei eine der beiden vorkommenden lokalen Angaben mit Wechselpräposition. (13) 232 TN1508 neben dem hote: : l 233 (2.27) 234 TN1507 kleines hotel ((unverständlich)) 235 (1.97) 236 dativ 237 (4.19) 238 is that dativ? 239 in eiNEM kleiNEN hotel ich bin nicht sicher ist das da[tiv? ] 240 TN1508 [wo ] (.) wo is äh dativ ja 241 TN1507 ja? okay so [im einem] 242 TN1508 [im einem] 243 TN1507 eiNEM kleiNEN 244 (1.23) 245 TN1508 im einem kl[einen ] 246 TN1507 [kleinen] ja ((lacht)) ja: ich bin nicht sicher aber ja okay 234 Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann & Torsten Andreas Die Äußerung von TN1507 in Zeile 234-239 zeigt bereits durch die Häsitationen eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Frage, welcher Kasus in der zu produ‐ zierenden Präpositionalphrase realisiert werden sollte. Ausgehend von der Nominalphrase kleines hotel verwendet TN1507 dann den deutschen Fachbegriff dativ (Zeile 236), fragt auf Englisch, ob sie einen Dativ realisieren solle (Zeile 238), und formuliert die zielsprachliche Phrase in eiNEM kleiNEN hotel, wobei sie ihre Unsicherheiten in Bezug auf ihre Hypothese - auf Deutsch - deutlich macht (Zeile 239). TN1508 nimmt in ihrer Antwort in Zeile 240 direkt Bezug auf die für Wechselpräpositionen typische Regelherleitung (wo is äh dativ ja). Diese Formulierung der expliziten Regel führt zu einer starken Aufmerksamkeit auf die Form des Dativs, die sich in der Betonung der Kasusendungen am Artikel und am Adjektiv sowie insbesondere auch an einer Generalisierung der Dativmarkierung bei beiden Lernerinnen zeigt: In den Zeilen 241-242 und 245 realisieren sie den Dativ sowohl an einem mit der Präposition verschmolzenen definiten Artikel (im) als auch am indefiniten Artikel (einem). Auch in ihrer ko-konstruierten Verschriftlichung bleibt diese doppelte Markierung erhalten (Sie verbringen eines langes Wochenende im einem kleinen Hotel direkt an die Küste). Auch wenn die Unterstützung durch die Regelherleitung für die Kasusrektion von in in lokaler Lesart durch TN1508 nicht zu einer gemeinsamen zielsprach‐ lichen Lösung führt und auch die zweite lokale Angabe mit Wechselpräposition (an der Küste) nicht zielsprachlich realisiert, sondern ohne LRE direkt aus der Mitschrift von TN1507 übernommen wird, ist hier ein Lernpotenzial zu erkennen. Die Lernerinnen richten ihre Aufmerksamkeit während der Rekon‐ struktion eines narrativen Textes, dessen Inhalt es ja auch zu erfassen gilt, gemeinsam auf die Formebene von Sprache und markieren ausgehend von einer LRE mehrere mögliche Kandidaten für die im Fokus stehende Kasusmar‐ kierung innerhalb der Präpositionalphrase. Gerade ein solcher spontan aus einer bedeutungszentrierten und interaktional authentischen Kommunikationssitua‐ tion entstehender, von Lernenden selbstinitiierter Wechsel zur Formebene von Sprache gilt in der Diskussion um didaktische Formfokussierung - im Gegensatz zu dekontextualisierten Focus-on-FormS-Verfahren mit Grammatikparadigmen als Lerngegenstand (R. Ellis 2016: 407-408) - als erwerbsfördernd, richten die Lernerinnen in Sequenz 13 doch ihre Aufmerksamkeit in genau dem Moment auf die Form, in dem sie ein Ausdrucksbedürfnis haben (s. Einleitung und Abschnitt 2). Die dritte Phase des Dictogloss, der Vergleich mit dem Originaltext im Anschluss an die Rekonstruktionsphase, bietet die Möglichkeit, an das hier schon entstandene Noticing anzuknüpfen (s. hierfür auch den Tafelanschrieb zur Ergebnissicherung in Anhang C). Insgesamt führt hier also die eher explizite 235 Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog Formfokussierung im Dictogloss auch tatsächlich zu einer expliziten lernersei‐ tigen Aufmerksamkeitslenkung. 4. Fazit: Formfokussierung durch Lernende Unser Beitrag analysiert kollaborative Dialoge von erwachsenen Lernenden des Deutschen als Fremdsprache auf A1- und B1-Niveau, die ihre Aufmerksamkeit ausgehend von einer kontextualisierten und bedeutungsvollen Interaktion ge‐ meinsam auch auf Formen und Zusammenhänge von Formen und Bedeutungen in der Zielsprache richten. Sie produzieren im Rahmen von Ko-Konstruktionen ad hoc Language Related Episodes (LREs) und gelangen so zu einem erwerbs‐ förderlichen Sprachgebrauch, wobei sie den Rückgriff auf die L1 oder die L2 als Lernstrategie und Clarification Requests, Confirmation Checks, Selbstsowie Fremdkorrekturen als Kommunikationsstrategien einsetzen. Im Zentrum stehen zwei Fragen: Welche Indikatoren für Aufmerksamkeit lassen sich in der Peer-Interaktion auf den verschiedenen Niveaustufen beobachten? Auf welche sprachlichen Phänomene richten die Lernenden ihre Aufmerksamkeit in Abhängigkeit von welchen Aufgabenmerkmalen? In den Interaktionen auf A1-Niveau lässt sich eine erhöhte Aufmerksamkeit vor allem an selbstinitiierten Selbstkorrekturen, die als Häsitationsphänomene für dieses Niveau charakteristisch sind, sowie an fremdinitiierten Selbstkor‐ rekturen im Rahmen von Verständnissicherungen erkennen. Metasprachliche Äußerungen treten vereinzelt und ausschließlich in der L1 ohne den Gebrauch grammatischer Fachtermini auf. Da Wortschatz und Grammatik der Zielsprache noch restringiert sind und der eigene Äußerungsaufbau entsprechend langsam und mit einem hohen Monitoreinsatz erfolgt, sind Fremdkorrekturen aufgrund ihres hohen kognitiven Anspruchs an den Vergleich zweier Äußerungen of‐ fenbar noch nicht möglich. Lernpotenzial lässt sich an der punktuellen Aufmerksamkeitslenkung auf lexikalische und grammatische Phänomene während der authentischen Inter‐ aktion erkennen, für die ein Verstehens- oder Ausdrucksbedürfnis vorliegt. Die Lernenden fokussieren bestimmte Gegenstände einerseits in Abhängig‐ keit davon, ob sie für die Erarbeitung des Resultats der Aufgabe notwendig, nützlich oder natürlich sind: Sie lenken ihre Aufmerksamkeit in der Aufgabe „A1-Skype-Termin“ auf temporale Präpositionen, die notwendig sind, um Zeit‐ räume zu versprachlichen, nicht jedoch auf die Vorfeldbesetzungen durch Adverbiale, da diese im Sprachgebrauch zwar natürlich, jedoch nicht kommuni‐ kativ relevant sind. In der Aufgabe „A1-Bildbeschreibung“ fokussieren sie lokale Präpositionen, da diese für die Bearbeitung der Aufgabe nützlich sind. Anderer‐ 236 Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann & Torsten Andreas seits erfolgt die lernerseitige Formfokussierung in Abhängigkeit von dem in der Aufgabe enthaltenen sprachlichen Material: Die Aufmerksamkeit der Ler‐ nenden auf die Verbstellung in der Bearbeitung der Aufgabe „A1-To-do-Liste“ ist darauf zurückzuführen, dass das Material nicht nur den zentralen Wortschatz, sondern vor allem auch sowohl SVX-Strukturen als auch XVS-Strukturen mit Temporaladverbien im Vorfeld musterhaft anbietet. Insgesamt zeigt sich für den A1-Bereich, dass die in den kommunikativen Aufgaben angelegte implizite Formfokussierung es ermöglicht, dass die Ler‐ nenden sowohl authentisch miteinander interagieren (Sprache als Kommunika‐ tionsinstrument) und die Aufgaben erfolgreich lösen als auch im Rahmen von ko-konstruierten Äußerungen ihre Aufmerksamkeit gemeinsam auf den Wort‐ schatz, die Wortschatz-Grammatik-Schnittstelle und Syntax als Hilfsmittel für die inhaltliche Bearbeitung der Aufgabe richten und so bezüglich verschiedener Lerngegenstände zu einem Socially Scaffolded Noticing gelangen (Sprache als Lerngegenstand). Bereits im Unterricht auf A1-Niveau ist es somit empfehlens‐ wert, fokussierte Aufgaben für Partnerarbeiten anzubieten. In den Dialogen der B1-Lernenden zeugen vor allem Fremdkorrekturen und der Gebrauch von Metasprache von einer erhöhten Aufmerksamkeit auf Formen. Die bereits vorhandenen Kompetenzen auf B1-Niveau ermöglichen es den Lernenden, ihre Aufmerksamkeit neben ihrer eigenen Sprachproduk‐ tion auch auf die des Gesprächspartners zu lenken und Fremdkorrekturen vorzunehmen oder formbezogene Aushandlungen zu initiieren. Hierbei werden auch grammatische Termini verwendet und sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch formuliert, meist im Rahmen einer verstärkten Elaboration der spontan während der Rekonstruktion des narrativen Textes fokussierten Formen. Dass der Rückgriff auf explizite Wissensbestände ad hoc in den Momenten erfolgt, wenn das Ausdrucksbedürfnis für die spezifische zielsprachliche Form oder Struktur vorliegt, lässt sich als erwerbsfördernd bewerten. Lernerseitig fokussiert werden verschiedene lexikalische, orthographische und grammatische Gegenstände, zu denen auch der in der Aufgabe lehrerseitig durch die entsprechende Inputflut fokussierte Gegenstand der Wechselpräpo‐ sitionen gehört. Dieser bildet allerdings für die Lernenden keinen besonderen Aufmerksamkeitsschwerpunkt. Ein Grund dafür könnte die Tatsache sein, dass die Dativ-/ Akkusativrealisierung von Wechselpräpositionen bei der zunächst inhaltlich motivierten Rekonstruktion des Textes - im Vergleich zu anderen Lerngegenständen wie z. B. der Trennbarkeit von Verben - weniger salient ist (s. Eckerth 2008 zum Lernpotenzial von individuell durch Lernende fokussierten Gegenständen u. a. in Textrekonstruktionsaufgaben). 237 Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog Durch die Aufgabenstellung, die vorsieht, dass ein Hörtext in Inhalt und Form möglichst originalgetreu rekonstruiert werden soll, wird insgesamt durchaus erfolgreich sowohl die inhaltliche Auseinandersetzung mit einem - in diesem Fall narrativen - Text stimuliert als auch die metasprachliche Aushandlung verschiedener problematischer Form-Bedeutungs-Zuordnungen sowie generell eine authentische Interaktion während eines kollaborativen Problemlösungs‐ prozesses. Insgesamt lässt sich folglich auch für den Unterricht auf B1-Niveau dafür plädieren, Aufgabentypen wie das Dictogloss einzusetzen, um potenzielle Lerngelegenheiten zu generieren, bei denen Lernende spontan ausgehend von einer bedeutungszentrierten Interaktion auf im Kontext relevante Formen bzw. Form-Bedeutungs-Zuordnungen fokussieren. Die kollaborativen Dialoge der Lernenden beider Niveaus zeigen für die Unterrichtspraxis, dass es für erwachsene Lernende durchaus möglich ist, durch den Einsatz fokussierter Aufgaben Noticing, kurzfristig intentionale Reflexions- und damit potenziell auch längerfristige Lernprozesse anzuregen (s. Swain 1995 zur Reflexionsfunktion von Pushed Output). Hierbei sollte die in den Interaktionsdaten beobachtete Aktivierung der mehrsprachigen Repertoires berücksichtigt werden: Dass die L1 oder die L2 Englisch bei der Aufgaben‐ bearbeitung genutzt wird, sollte nicht als erwerbshemmend, sondern ganz im Gegenteil als erwerbsfördernd bewertet werden, da es den Lernenden so überhaupt - im Falle der A1-Lernenden - oder in vertiefter Weise - im Falle der B1-Lernenden - möglich wird, die Aufgaben erfolgreich gemeinsam zu lösen. Literatur Andreas, Torsten (2016). Kontakt anzeigen - zum Erwerb lokaler Relationen durch japanische Lernende. 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Dauer (-) kurze geschätzte Pause von ca. 0.2-0.5 Sek. Dauer (--) mittlere geschätzte Pause von ca. 0.5-0.8 Sek. Dauer (---) längere geschätzte Pause von ca. 0.8-1.0 Sek. Dauer (2.0) gemessene Pause Tonhöhenbewegung am Ende von Intonationsphrasen ? hoch steigend ‘ mittel steigend ; mittel fallend . tief fallend Sonstige Konventionen <<lachend>> sprachbegleitende para- und außersprachliche Handlungen und Ereignisse <<jap>eto(=also)> fremdsprachliche Äußerungsteile inkl. Übersetzung äh ah, eto, n: to Verzögerungssignal, gefüllte Pause hm Rezeptionssignal : Dehnung um ca. 0.2-0.5 Sek : : Dehnung um ca. 0.5-0.8 Sek : : : Dehnung um ca. 0.8-1.0 Sek akZENT Fokusakzent (solche) vermuteter Wortlaut ((unverständlich)) unverständliche Äußerung 243 Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog Anhang B: Aufgabe „A1-Skype-Termin“ 244 Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann & Torsten Andreas 245 Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog Anhang B: Aufgabe „A1-To-do-Liste” 246 Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann & Torsten Andreas 247 Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog Anhang C: Aufgabe „A1-Bildbeschreibung“ 248 Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann & Torsten Andreas 249 Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog Anhang C: Aufgabe „B1-Dictogloss“ Text: Tom in Gefahr Paula und Tom sind an die Ostsee gefahren. Sie verbringen ein langes Wochen‐ ende in einem kleinen Hotel direkt an der Küste. Neben dem Hotel steht ein kleines Häuschen. Die Tür ist offen und Tom ist neugierig. Er geht in das Häuschen und merkt nicht, dass die Tür ins Schloss fällt. Es ist jetzt ganz dunkel und Tom hat Angst. Paula sucht Tom überall. Sie sucht ihn in der Hotelbar, aber Tom ist nicht da. Sie fährt mit dem Lift auf die Dachterrasse, aber auch dort ist niemand. Als Paula auf dem Dach steht und neben das Hotel schaut, entdeckt sie das kleine Häuschen. Schnell läuft sie auf die Straße. Sie hört schon Toms Schreie und mit ihrer ganzen Kraft öffnet sie die Tür. Tom sitzt auf dem Boden und zittert, aber jetzt ist Paula da und alles wird gut. Aufgabenstellung 1. Sie hören den Text einmal. 2. Sie hören den Text ein zweites Mal und machen sich beim Hören Notizen. 3. Sie rekonstruieren in Partnerarbeit den Text auf Grundlage Ihrer Notizen. Der entstehende Text soll so nah wie möglich am Ursprungstext sein. 4. Sie vergleichen Ihren rekonstruierten Text mit dem Ursprungstext. Tafelanschrieb zur Ergebnissicherung Wohin? Akk Wo? Dat an die Ostsee in einem kleinen Hotel in das Häuschen an der Küste ins Schloss neben dem Hotel auf die Dachterrasse in der Hotelbar neben das Hotel auf dem Dach auf die Straße auf dem Boden 250 Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann & Torsten Andreas Integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz durch gezielte Bewusstmachung Ingo Fehrmann Abstract: Auf Basis eines gebrauchsbasierten Ansatzes argumentiert der Beitrag erstens für eine Integration von Syntax und Textebene für die Zwecke der grammatischen Beschreibung von Vorfeldelementen in deutschen Deklarativsätzen. Da für L2-Lernende die Form-Funktions-Be‐ ziehungen von Vorfeldelementen offenbar nicht sehr salient sind, wird zweitens für eine Strategie der expliziten Bewusstmachung innerhalb des Feldes der didaktischen Formfokussierung plädiert. Aus der Situierung von Formfokussierung innerhalb von aufgabenbasierten Unterrichtsmodellen folgt drittens eine integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkom‐ petenz. Der Beitrag präsentiert empirische Ergebnisse aus einem entspre‐ chend konzipierten Unterrichtsarrangement mit japanischen Lernenden im A1-DaF-Unterricht. 1. Einleitung: Linguistischer und spracherwerbstheoretischer Hintergrund Gebrauchsbasierten Spracherwerbstheorien zufolge werden im Spracherwerb nicht formale Regularitäten, sondern Form-Funktions-Beziehungen - Kon‐ struktionen - gelernt (für einen Überblick siehe Behrens 2009: 431-432). Ausgangspunkt dieser Lernprozesse ist aus der Perspektive der Lernenden in der Regel die Funktion, für die eine adäquate Form gesucht wird (Toma‐ sello 2003: 325). Den gleichen, die Funktion priorisierenden Ansatz verfolgen auch handlungsorientierte Unterrichtsmodelle (Europarat 2001: 21-24). Daher stellen gebrauchsbasierte Spracherwerbstheorien eine sinnvolle Basis für ent‐ sprechende didaktische Überlegungen dar. Gebrauchsbasierte Spracherwerbstheorien sind Theorien des impliziten Spracherwerbs (ausführlich für den Erstspracherwerb (L1-Erwerb) siehe To‐ masello 2003, für den Zweitspracherwerb (L2-Erwerb) siehe N. Ellis 2013). 1 In beiden Sätzen fehlt aus normativer Perspektive jeweils ein Artikel innerhalb einer Nominalphrase, daher sind die entsprechenden Stellen der Vollständigkeit halber mit einem Asterisk (*) markiert. Satz 1 ist aber ansonsten in Bezug auf die Syntax grammatisch, im Gegensatz zu Satz 2, in dem neben einem Adverbial (dann) auch das Subjekt (wir) im Vorfeld steht - diese Abweichung von der zielsprachlichen Struktur auf der Ebene der Satzglieder wird daher hier stärker markiert (***). 2 Beziehungen zwischen einer sehr abstrakten syntaktischen Form und einer gleichfalls abstrakten pragmatischen oder informationsstrukturellen Funktion sind auch für andere Sprachen bereits beschrieben worden - so weist beispielsweise Goldberg (2006: 168-178) der Subjekt-Verb-Inversion im Englischen (die allerdings nicht nur formal anderen syntaktischen Regularitäten folgt als die Positionierung des Subjekts im Deutschen, sondern auch mit anderen Funktionen verbunden ist) ebenfalls einen abstrakten und generalisierten Funktionsbereich in Bezug auf die Informationsstruktur zu. Sie erlauben jedoch Voraussagen darüber, in welchen Fällen von expliziten Verfahren der Bewusstmachung eine Beeinflussung des Erwerbsprozesses zu erwarten ist. Wie u. a. Boers, De Knop und De Rycker (2010: 4-7) argumentieren, weicht der zielsprachliche Input im Fremdsprachenunterricht sowohl qualitativ als auch quantitativ vom Input im L1-Erwerb ab, sodass L2-Lernende von einer expliziten Unterstützung insbesondere dann profitieren, wenn die zu lernenden Strukturen im verfügbaren Input entweder wenig frequent oder wenig salient sind (siehe auch N. Ellis 1996: 114). Ein gutes Beispiel für die vermeintlich schwere Lernbarkeit formaler Regularitäten in der L2 Deutsch stellt die Verbzweitstellung (V2) in deutschen Deklarativsätzen dar: Wenn das erste Satzglied ein anderes als das Subjekt ist, produzieren viele Lernende nicht zielsprachliche V3-Strukturen, und zwar nicht nur zu Beginn des L2-Erwerbs, sondern oft auch später, trotz deutlich fortgeschrittener Kompetenzen in an‐ deren sprachlichen Bereichen (für eine Übersicht siehe Lee 2012: 76-79). Der folgende Satz (1) stellt ein Beispiel für V2-Strukturen, Satz (2) ein Beispiel für ungrammatische V3-Strukturen dar. Beide Sätze stammen aus demselben in Abschnitt 3.2 analysierten Text der DaF-Lernenden TN1604 1 . (1) Dann haben wir *Tierkinderzoo besucht. (2) Dann ***wir haben das Fossil *von Dinosaurier gesehen. Wie Fehrmann (2016: 158) aus gebrauchsbasierter Perspektive argumentiert, kann jedoch nicht die formale Regularität der Verbzweitstellung der eigentliche Lerngegenstand sein, sondern die Verbindung einer Form mit der dazugehörigen Funktion. Die Form, nämlich das Vorfeld als satzinitiale syntaktische Konstitu‐ ente, der eine finite Verbform folgt, ist hier maximal abstrakt und komplett unabhängig von konkreten lexikalischen Elementen. 2 252 Ingo Fehrmann Fandrych (2003: 176-183) untersucht die informationsstrukturellen und text‐ grammatischen Funktionen von Vorfeldelementen und weist dem Vorfeld zusammenfassend eine „Anschluss- und Einbettungsfunktion“ in Bezug auf den umgebenden Text zu (ebd.: 194; für eine ähnliche Funktionsbeschreibung siehe auch Bohnacker & Rosén 2008: 513). Dabei spielt es keine Rolle, welche formale Satzgliedfunktion das Vorfeldelement erfüllt. Allerdings gibt es laut Fandrych (2003: 185-190) typische, Kohäsion und Kohärenz erzeugende „Stan‐ dardanschlüsse“, zu denen neben Subjekten auch viele deiktische Elemente sowie lokale und temporale Adverbiale und Satzadverbien zählen. Der abstrakten Form des Vorfeldelements (formal begrenzt durch den Satzanfang einerseits und eine zwingend dem Vorfeld folgende finite Verbform) kann also eine ebenfalls abstrakte pragmatische oder textgrammatische Funktion zugewiesen werden, und zwar entweder die Etablierung eines neuen Themas (Fandrych 2003: 176-183) oder die Sicherstellung lokaler Kohärenz zwischen Sätzen durch Wiederaufnahme eines thematischen (d. h. bekannten, vorher im Diskurs bereits eingeführten) Elements (Bassola & Schwinn 2016: 231) - und zwar genau eines solchen Elements, entsprechend der strikten Verbzweitstellung im Deutschen - wie z. B. in (3): (3) Es war einmal ein König. Der hatte eine Tochter. Die liebte er über alles. […] Ausgehend von dieser (abstrakten textgrammatischen) Form-Funktions-Bezie‐ hung kann man konsequenterweise von der Vorfeldkonstruktion als Lernge‐ genstand sprechen. V2-Strukturen ergeben sich demnach aus der formalen Abgrenzung des Vorfeld-Elements im Satz durch eine finite Verbform. Dies gilt, wie gesagt, unabhängig von der syntaktischen Satzgliedfunktion des Vor‐ feldelements. Im Deutschen sind Subjekte zwar die häufigsten Vorfeldelemente (mit einem Anteil von jeweils knapp über 50 % in verschiedenen Textsorten; siehe die Auswertung verschiedener Korpusstudien durch Bohnacker und Rosén 2008: 515-517), Subjekte haben davon abgesehen aber im Deutschen gerade keine Sonderstellung in Bezug auf das Vorfeld, anders als z. B. im Englischen oder Französischen, wo das Subjekt in Deklarativsätzen nur in sehr spezifischen Fällen nicht direkt vor dem finiten Verb stehen kann (daher ist es bei der Beschreibung des Deutschen auch nicht sinnvoll, wie im Englischen von „Inversion“ zu sprechen; siehe Fandrych 2003: 174, Fußnote 4). Im obigen Beispiel (1) ist das Vorfeld beispielsweise durch das von Fandrych (2003: 188) als temporaldeiktisch eingeordnete Element dann besetzt, das den Satz mit dem vorangegangenen Text verknüpft. 253 Integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz Da nun Vorfeld-Elemente zwar in jedem deutschen V2-Deklarativsatz vor‐ kommen, also per definitionem extrem häufig sind, die zielsprachlichen text‐ grammatischen Funktionen und Gebrauchstendenzen für L2-Deutsch-Lernende aber offensichtlich nicht besonders transparent sind (Bohnacker & Rosén 2008: 534), bietet sich im Unterricht eine Strategie der expliziten Bewusstma‐ chung an (Fehrmann 2016: 159). Eine solche explizite Bewusstmachung kann entsprechend den oben vorgestellten Überlegungen gerade nicht auf die Form beschränkt sein, sondern muss auf die Verbindung der textgrammatischen Funktion von Vorfeldelementen mit der zielsprachlichen Form zielen, und zwar ausgehend von ihrer Funktion - sie muss also den Prinzipien der didaktischen Formfokussierung (R. Ellis 2016: 408-411) folgen. Dabei ergibt sich die Notwendigkeit, die sprachlichen Ebenen des Satzes und des Textes gemeinsam zu betrachten, und zwar nicht nur für didaktische Zwecke im Unterricht, sondern mit Blick auf die eben vorgestellte, über die Syntax hinausweisende Funktion von typischerweise lokal kohäsions- oder ko‐ härenzstiftenden Vorfeldelementen auch im Hinblick auf eine gebrauchsbasierte Theorie der Textgrammatik. Im Rahmen der Konstruktionsgrammatik ist diese Integration von Syntax und Textebene (oder allgemeiner „discourse“) schon früh angenommen worden (Fillmore 1988: 54, Endnote 3), sie wurde bisher aber selten konkret untersucht (siehe aber beispielsweise Couper-Kuhlen & Thompson 2006 sowie für einen formalisierten Ansatz Östman 2015). Aus der Perspektive der linguistischen Theorie formuliert Östman (2015: 16) einen generell über die Syntax hinausgehenden Ansatz: In a constructional way of thinking, it is not feasible nor possible to restrict the domain of the object of analysis to, say, single sentences, since […] structural realizations in an expression are triggered by text, by discourse and by other semiotic modes seemingly outside the single sentence (Östman 2015: 16). Aus dieser Perspektive ist die Annahme einer Vorfeldkonstruktion mit einer zwar satzintern bestimmbaren Form, aber einer über den Satz hinausgehenden Funktion plausibel und folgerichtig. Für Unterrichtszwecke legt die Integration von Satz- und Textebene schließ‐ lich eine integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz nahe. Unter Schreibkompetenz und insbesondere unter der im Folgenden im Mittel‐ punkt stehenden Komponente textgrammatischer Kompetenz (s. u.) wird hier die Fähigkeit verstanden, im Medium der Schrift selbstständig verständliche, kohärente und kohäsive Texte zu verfassen (Porsch 2010: 56). Mit grammatischer Kompetenz wird hingegen auf die Fähigkeit verwiesen, im engeren Sinne syntaktisch korrekte Sätze bzw. Texte zu produzieren (Europarat 2001: 113). 254 Ingo Fehrmann 3 Die Anschlussfrage, ob die explizite, bewusstmachende Vermittlung kurz-, mittel- und langfristig implizite bzw. explizite Komponenten der lernerseitigen Kompetenzen fördert, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden, da die für die Datenerhebung genutzten Aufgabenformate keine Rückschlüsse auf die jeweiligen von den individu‐ Sowohl grammatische Kompetenz als auch Schreibkompetenz werden in diesem Beitrag im Sinne von Weinert (2001: 27-28) verstanden als Bündel der bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motiva‐ tionalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problem‐ lösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (ebd.). Wie Becker-Mrotzek und Böttcher (2018: 47) mit Verweis auf Hymes’ Modell der kommunikativen Kompetenz (Hymes 1972) betonen, sind sprachliche Kompe‐ tenzen damit notwendigerweise pragmatisch situiert. Schreibkompetenz defi‐ nieren Becker-Mrotzek und Böttcher (2018: 47-49) darüber hinaus als spezifisch auf den schriftlichen Sprachgebrauch - und damit auf Texte und die dazuge‐ hörige Textgrammatik - bezogen sowie als an einen Entwicklungsprozess gebunden, den es im Unterricht zu fördern gilt. Modelle des aufgabenbasierten Unterrichts (Task-Based Language Teaching; R. Ellis 2003) gehen davon aus, dass das Erarbeiten von sprachlichen Mitteln im Unterricht im Hinblick auf das Erreichen eines bedeutungszentrierten Resultats erfolgen sollte - diese Überlegung liegt letztlich allen Varianten der didaktischen Formfokussierung zu Grunde (R. Ellis 2016: 410). Auch konkrete Schreibkom‐ petenzmodelle, und zwar sowohl für den L1als auch für den L2-Unterricht, beinhalten das Wissen um sprachliche Mittel, inkl. grammatischer Regulari‐ täten, und um ihre Anwendung als Teil der „Ausdruckskompetenz“ (Baurmann & Pohl 2009: 96) bzw. weisen der Grammatik eine dem Schreiben „dienende Funktion“ zu (Porsch 2010: 56). Im Rahmen solcher Schreibkompetenzmodelle erfolgt ein Fokus auf die sprachliche Form also immer nur in Abhängigkeit von der im Rahmen einer Zielaufgabe zu erfüllenden kommunikativen Funktion, entsprechend den Prinzipien der didaktischen Formfokussierung. Als zentrale Leitfrage ergibt sich aus diesen Ausführungen zur Integration von Satz- und Textebene sowie zur Integration der Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz die Frage, inwieweit die Lernenden sowohl in Bezug auf ihre generelle grammatische Kompetenz als auch in Bezug auf ihre Schreib‐ kompetenz von dem gewählten Unterrichtsarrangement profitieren. Kurz: Fördert die im Folgenden beschriebene integrierte Grammatik- und Schreib‐ kompetenzförderung tatsächlich beides? 3 Verändert sich also die Kompetenz 255 Integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz ellen LernerInnen benutzten impliziten oder expliziten Wissensbestände erlauben; dies müsste in spezifischeren Folgestudien untersucht werden. der hier untersuchten Lernenden dahingehend, dass sich in ihren elizitierten schriftsprachlichen Textprodukten einerseits weniger fehlerhafte V3-Stellungen (*dann er hat …) sowie andererseits eine größere informationsstrukturell ange‐ messene Varianz in der Besetzung des Vorfeldes (neben nominalen Subjekten z. B. pronominale Anaphern wie er, es etc. oder temporale Adverbiale wie deshalb, dann, mittwochs um 9 Uhr etc.) nachweisen lässt? Der vorliegende Beitrag analysiert in Bezug auf die textgrammatische Kompetenz (als Teilbereich der Schreibkompetenz) Schreibprodukte von er‐ wachsenen DaF-Lernenden in einem vierwöchigen A1-Intensivkurs, denen im Rahmen der Pre-Task-Phase (R. Ellis 2003: 243-278) einer vorangegangenen Schreibaufgabe die Form-Funktions-Beziehung von Vorfeldelementen explizit vermittelt wurde. Die Vermittlung folgte dabei dem Ansatz der Concept-Based Instruction (kurz CBI; Lantolf 2011: 38-41), einem Verfahren der sehr expliziten Bewusstmachung von Form-Funktions-Beziehungen. Die schriftliche und mündliche Sprachproduktion dieser Lernenden in wei‐ teren Unterrichtssituationen wurde bereits in anderen Studien in Bezug auf die syntaktische Zielsprachigkeit und die Wahl der jeweiligen Vorfeldelemente untersucht: Fehrmann (2016) wertet die Ergebnisse der Kursabschlusstests aus, Ulmer (2017) untersucht die in Partnerarbeit über die Zeit des Intensivkurses entstandenen kollaborativen Schreibprodukte, Fehrmann (2018) zeichnet ex‐ emplarisch die Entwicklung der Schreibprodukte einer Lernenden über den gesamten Kurszeitraum nach, und Hauenstein (2019) analysiert die mündliche Sprachproduktion derselben Lernenden im Unterricht im Hinblick auf syntak‐ tische Strukturen. Der Beitrag knüpft an diese bisherigen Studien zur syntakti‐ schen Kompetenz an, führt die Einzelergebnisse systematisch zusammen und stellt diesen eine Analyse der Schreibprodukte am Ende des Intensivkurses gegenüber. Nachdem in dem folgenden Abschnitt 2 zunächst das Setting des Sprach‐ kurses, die Art der Grammatikvermittlung sowie die Datenerhebung vorgestellt werden, erfolgt in Abschnitt 3 ein Überblick über die Ergebnisse der eben ge‐ nannten bisherigen Studien sowie anschließend eine linguistische Analyse der von zwei Lernenden produzierten Texte, und zwar mit einem Fokus sowohl auf die Syntax als auch auf die textgrammatische Angemessenheit der gewählten Vorfeldelemente. Die Analyse wird durch Beurteilungen der Schreibprodukte durch erfahrene DaF-Lehrpersonen in Bezug auf die Ebenen Wortschatz, Syntax und Textzusammenhang mit den linguistischen Analysen ergänzt und die 256 Ingo Fehrmann Texte werden mit den Leistungen der Lernenden in den Kurseingangstests in Beziehung gesetzt. In Abschnitt 4 schließlich folgen einige Überlegungen zur Übertragbarkeit des didaktischen Vorgehens auf Situationen, in denen sich Lernende zwar in ihren persönlichen Merkmalen deutlich von den hier betrachteten Erwachsenen unterscheiden, aber vor derselben Aufgabe stehen, nämlich erste Texte in der Zielsprache Deutsch zu verfassen. 2. Didaktisches und empirisches Design Die Daten wurden in einem vierwöchigen DaF-Intensivkurs in Deutschland (an der Humboldt-Universität zu Berlin) erhoben. Die Lernenden waren zwischen 19 und 21 Jahren alt, Studierende der Tôkai-Universität Tokio ( Japan), ihre L1 war jeweils Japanisch und alle hatten als erste L2 Englisch gelernt. In einem Fragebogen zur Sprachbiographie gaben alle Lernenden geringe Vorkenntnisse in der L2 Deutsch an und wurden durch einen C-Test in das GER-Niveau A1 eingestuft. In einem zusätzlichen Syntax-Test zeigte sich, dass die Lernenden weder die Verbzweitstellung noch die Trennung von finiten und infiniten Verbteilen im Satz sicher beherrschten (siehe ausführlich Fehrmann 2016: 164- 165). Die integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz erfolgte im Rahmen einer Reihe von fünf Schreibaufgaben über die vier Wochen des Sprachkurses. Vor der ersten Textproduktion hatten die Lernenden einen Mus‐ tertext (s. u. Abb. 2) gelesen und diesen inhaltlich bearbeitet. Daran schloss sich eine explizite Grammatikvermittlung (unter Verwendung der in Abb. 1 und 2 dokumentierten Materialien) nach dem Ansatz der Concept-Based Instruction (CBI) an, der ausführlich von Lantolf (2011: 38-41) vorgestellt und unter der Bezeichnung Systemic-Theoretical Instruction auch von R. Ellis (2012: 281-282) kommentiert wird. Zentrales Element ist dabei - zusätzlich zu einer verbalen expliziten Erklärung - die Nutzung einer Visualisierung als nonverbale Struktu‐ rierungshilfe für explizites grammatisches Wissen, analog zu einer nonverbalen Semantisierung von Wortschatz. Diese Visualisierung nennt Lantolf (2011: 38) ein „schema for the complete orienting basis of action (SCOBA)“. Der Einsatz eines solchen SCOBA ist unter Rückgriff auf die konstruktivisti‐ sche Unterrichtstheorie von Vygotskij (1992, 2002[1934]) folgendermaßen moti‐ viert: Wissensbestände, die nicht ausschließlich durch direkte eigene Erfahrung begründet, sondern „vermittelt“ erworben sind, also auch alle als Lerngegen‐ stände benannten Phänomene im Unterricht, sind Lernenden wie Lehrenden grundsätzlich zunächst so zugänglich, dass sie in der Interaktion explizit gemacht werden können. Wertsch (2007: 180-182) spricht in diesen Fällen von 257 Integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz „explicit mediation“, also „expliziter Vermittlung“. Vygotskij (2002[1934]: 261- 277) nahm an, dass solche „vermittelten“ Wissensbestände zunächst mit einem höheren, allerdings von ihm nicht näher bestimmten, Grad an Bewusstheit individuell verarbeitet werden. Tatsächlich schreiben beispielsweise aktuelle Studien zum L2-Erwerb im Unterricht einer expliziten Sprachreflexion in der Interaktion (Languaging) jeweils ein lernförderliches Potential für die betei‐ ligten Individuen zu (Swain 2006, Swain & Watanabe 2019). Diese Befunde scheinen Vygotskijs Theorie zu bestätigen, und auch der CBI-Ansatz beinhaltet eine explizite Sprachreflexion in einer abschließenden Unterrichtsphase. Eine Vermittlung kann nun nicht nur durch Bezugs- oder Lehrpersonen stattfinden, sondern auch durch geeignete Materialien - Lantolf (2011: 25) spricht von Werkzeugen („tools“), Leisen (2017: 83) von der „materialen Steuerung“ von Lehr-Lern-Prozessen. Insbesondere im Fremdsprachenunterricht können ziel‐ sprachliche Phänomene durch eine ausschließlich verbale Erklärung oft nur unzureichend dargestellt werden, daher ist eine zusätzliche, nicht sprachliche Form der expliziten Erklärung sinnvoll (Lantolf 2011: 38). Abb. 1: SCOBA „Texteisenbahn“; Lokomotiven-Zeichnung: CC-BY K. Hatasa (www.schulbilder.org/ malvorlage-eisenbahn-i12288.html; 08.11.2019) Das hier verwendete SCOBA ist - als Abbildung der von den Lernenden selbst genutzten laminierten Karten - in Abbildung 1 dokumentiert. Anhand der visu‐ ellen Metapher der „Texteisenbahn“ (Fehrmann 2018) wird die Aufmerksamkeit der Lernenden auf Aspekte der Form gelenkt, die aber funktional motiviert sind: Das Vorfeld verbindet jeweils die Sätze eines Textes, so wie einzelne Eisenbahnwagen jeweils durch die Kupplung zu einem Zug verbunden werden (Fehrmann 2018: 151). Die im SCOBA fokussierten Formaspekte sind also das Vorfeld in seiner Beschränkung auf eine einzige Konstituente sowie die in Deklarativsätzen möglichen syntaktischen Positionen für verbale Elemente. Die verbalen Posi‐ tionen waren notwendigerweise Teil des SCOBA, da sie erstens das Vorfeld 258 Ingo Fehrmann formal begrenzen und zweitens nur ungefähr die Hälfte der Lernenden in einem Test zu Kursbeginn die Distanzstellung in Perfektsätzen beachtete - diesen Lernenden diente das SCOBA demnach zur gleichzeitigen Vermittlung von Vorfeld- und Deklarativsatzkonstruktion; aus didaktischer Perspektive bietet das Material also eine entsprechende Differenzierungsmöglichkeit. Mit diesem SCOBA analysierten die Lernenden den zuvor inhaltlich bearbeiteten Mustertext (Abb. 2) sprachlich. Liebe Klara, viele Grüße aus München. Mein Hotel liegt im Zentrum. Das Hotelzimmer ist sehr groß. Es hat einen Fernseher und zum Glück einen Internetanschluss. Heute Abend um 20.00 Uhr gibt das Universitätsorchester ein Konzert und ich spiele, wie immer, Klavier. Aber bis 20.00 Uhr habe ich noch etwas Zeit. Ich möchte gerne das Deutsche Museum besuchen und die vielen interessanten Erfindungen bewundern. Vielleicht mache ich auch noch einen Spaziergang und trinke ein Bier. Aber nur ein Bier, ich möchte heute Abend natürlich gut spielen. Liebe Grüße Dein Peter Abb. 2: Mustertext zur inhaltlichen und sprachlichen Analyse im Rahmen der Gramma‐ tikvermittlung und als Vorlage für die erste eigene Textproduktion (Material A27 aus dem Lehrwerk Begegnungen A1+; Buscha & Szita 2007: 71; E-Mail von Peter an Klara; Hervorhebung im Original) Die textgrammatischen Funktionen von Vorfeldelementen können anhand der folgenden Beispielsätze aus dem obigen Mustertext verdeutlicht werden: Mein Hotel liegt im Zentrum. … (4) Das Hotelzimmer ist sehr groß. (5) Es hat einen Fernseher und zum Glück einen Internetanschluss. (6) Heute Abend um 20.00 Uhr gibt das Universitätsorchester ein Konzert […]. (7) Aber bis 20.00 Uhr habe ich noch etwas Zeit. Diese Beispielsätze (4) bis (7) folgen im Mustertext direkt aufeinander. Das Vorfeld des ersten Satzes ist mit einem Subjekt (das Hotelzimmer) besetzt, das nach Fandrych (2003: 178) eine „Anschlussfunktion“ erfüllt, da es ein nicht nur semantisch, sondern auch morphologisch verwandtes Element aus dem Vortext (hier: mein Hotel) wieder aufgreift. Ebenfalls einen Anschluss stellt das pronominale Subjekt es im Satz (5) her, ein per se Kohäsion erzeugendes ana‐ 259 Integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz 4 Die im Rahmen des Unterrichts verwendeten Materialien sind auch auf dem Poster zu Fehrmann (2018) dokumentiert, dieses ist online verfügbar unter: tinyurl.com/ yd9og3zo (08.11.2019). phorisches Element, das hier auf das Hotelzimmer aus Satz (4) zurückverweist. Das temporale Adverbial heute Abend um 20.00 Uhr im Satz (6) dagegen liefert eine „Vororientierung“ im Sinne einer „zeitliche[n …] Situierung“ (Fandrych 2003: 180), die einen Rahmen für die im Satz selbst und im nachfolgenden Text folgenden Informationen setzt. Das im Vorfeld von Satz (7) positionierte tem‐ porale Adverbial bis 20.00 Uhr greift genau diesen Rahmen wieder auf. Sowohl thematische nominale und pronominale Subjekte als auch temporale Adverbiale gehören nach Fandrych (2003: 185-190) zu den „Standardanschlüssen“, insofern kann der Mustertext nicht nur als zielsprachlich in Bezug auf die Vorfeldbeset‐ zung, sondern auch als für den Unterricht geeignet gelten. Direkt im Anschluss an die inhaltliche und sprachliche Analyse des Mustertextes verfassten die Lernenden einen an den Mustertext angelehnten ersten eigenen Text (siehe Anhang A). Dabei war ihr Schreibfeld durch eine identische Textei‐ senbahn grafisch strukturiert, so dass Sie gezwungen waren, auch ihre eigene Sprachproduktion mit demselben sprachlichen Fokus zu analysieren 4 . Lernende, die die Felderzuordnung beim Schreiben nicht beachteten, wurden von der Lehrperson darauf hingewiesen, bis sie sich entsprechend selbst korrigierten. Im weiteren Verlauf des vierwöchigen Sprachintensivkurses produzierten die Lernenden vier weitere Texte im Rahmen von Schreibaufgaben. Dabei wurde die grafische Unterstützung durch die Texteisenbahn - entsprechend dem Konzept des Scaffolding (Hammond & Gibbons 2001) - sukzessive zurückgenommen: Während auch der zweite Text auf einem identisch strukturierten Arbeitsblatt geschrieben wurde, enthielt das Material zum dritten Text nur eine grafische Erinnerung an die Texteisenbahn, die Materialien zur vierten und fünften Schreibaufgabe dagegen keine entsprechenden Hinweise mehr. Die laminierten Texteisenbahn-Karten aus der Grammatikvermittlung waren aber konstant im Kursraum verfügbar und wurden von der Lehrperson in anderen Situationen für Erklärungen oder Korrekturen genutzt. Für den vorliegenden Beitrag wurden die handschriftlichen ersten Versionen der Texte aus der fünften Schreibaufgabe digitalisiert und ausgewertet. 3. Ergebnisse Wie bereits in Abschnitt 1 berichtet, liegen zusätzlich zu den hier analysierten Daten weitere Untersuchungen der Sprachproduktion derselben Lernenden im Hinblick auf deren syntaktische Korrektheit vor. Dazu gibt es jeweils 260 Ingo Fehrmann Daten aus einer Vergleichsgruppe, die sowohl im Abschlusstest als auch im Kursverlauf identische Aufgaben mit identischen Materialien bearbeitet hat - mit Ausnahme der im Abschnitt 2 beschriebenen integrierten Grammatik- und Schreibkompetenzförderung nach dem Modell der Concept-Based Instruction (CBI). 3.1. Ergebnisse bisheriger Untersuchungen In den Syntaxtests zum Kursabschluss erreichen die Lernenden der CBI-Unter‐ suchungsgruppe dieselbe Korrektheitsrate wie eine Vergleichsgruppe - die Lernenden der Vergleichsgruppe produzieren allerdings fast ausschließlich subjektinitiale Sätze, sodass keine Aussage darüber möglich ist, inwieweit sie bei Verwendung eines anderen initialen Satzglieds V2- oder V3-Strukturen produziert hätten (Fehrmann 2016: 167). Ulmer (2017) untersucht für beide Gruppen (CBI- und Vergleichsgruppe) die im Kursverlauf im Rahmen zweier kollaborativer Aufgaben in Partnerarbeit pro‐ duzierten Texte, Hauenstein (2019) den mündlichen Sprachgebrauch derselben Lernenden. Die Ergebnisse von Ulmer (2017) und Hauenstein (2019) sind in der folgenden Tabelle 1 zusammenfassend dargestellt. Angegeben sind sowohl für die CBI-Gruppe als auch für die Vergleichsgruppe jeweils die absoluten und relativen Häufigkeiten für die beiden zielsprachlichen V2-Varianten SVX (mit Subjekt im Vorfeld) und XVS (mit einem anderen Satzglied als dem Subjekt im Vorfeld) sowie für nicht zielsprachliche V3-Strukturen nach dem Muster *XSV, also mit einer doppelten Vorfeldbesetzung durch z. B. ein Adverbial und ein Subjekt wie in Satz (2) oben. Dabei zeigt sich das folgende Bild: Insgesamt produzieren die Lernenden der CBI-Gruppe mit 37 Sätzen zwar mehr nicht zielsprachliche V3-Strukturen als die Vergleichsgruppe mit 22 Sätzen, gleichzeitig produzieren sie insgesamt aber deutlich mehr Strukturen mit anderen Satzgliedern im Vorfeld als nur dem Subjekt (nämlich 120 gegenüber 46 in der Vergleichsgruppe - in der Tab. 1 werden die Werte für XVS und XSV zusammengenommen; siehe Ulmer 2017: 51). Betrachtet man also nur diese nicht subjektinitialen Strukturen, liegt die Kor‐ rektheitsrate bei den Lernenden der CBI-Gruppe mit 83/ 120 deutlich höher als bei der Vergleichsgruppe mit 24/ 46 (Ulmer 2017: 52). Dieser Unterschied zwi‐ schen CBI- und Vergleichsgruppe ist auch signifikant (χ 2 -Test; p<0,001) bei einer mittleren Effektstärke (Φ' = 0,37), allerdings muss einschränkend angemerkt werden, dass es sich um Unterrichtsbeobachtungen handelt, die Bedingungen also keinesfalls in einem experimentellen Sinne kontrolliert waren, sodass diese Angaben zu Signifikanz und Effektstärke mit Vorsicht zu interpretieren sind. Dennoch ist der Unterschied sehr deutlich. 261 Integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz Struktur schriftliche Daten (Ulmer 2017: 51) mündliche Daten (Hauenstein 2019: 34) CBI Vergleich CBI Vergleich SVX abs. 70 123 15 58 rel. 35,9 % 70,3 % 29,4 % 61,7 % XVS abs. 83 24 15 3 rel. 42,6 % 13,7 % 29,4 % 3,2 % XSV (V3) abs. 37 22 16 27 rel. 19,0 % 12,6 % 31,4 % 28,7 % sonstige abs. 5 6 5 6 rel. 2,6 % 3,4 % 9,8 % 6,4 % Gesamt abs. 195 175 51 94 rel. 100,0 % 100,0 % 100,0 % 100,0 % Tab. 1: Absolute und relative Häufigkeiten der von den Lernenden in CBI- und Ver‐ gleichsgruppe produzierten syntaktische Strukturen in den von Ulmer (2017) ausgewer‐ teten schriftlichen Daten und den von Hauenstein (2019) ausgewerteten mündlichen Daten. Aus der Studie von Hauenstein (2019) wurden nur die Deklarativsätze berücksich‐ tigt und die relativen Häufigkeiten neu berechnet, da Hauenstein (2019) auch Fragesätze und Imperativsätze auswertet. Auch in der von Hauenstein (2019) analysierten mündlichen Sprachproduktion derselben Lernenden zeigen sich Unterschiede zwischen der CBI-Gruppe und der Vergleichsgruppe. Zwar ist in beiden Gruppen mit jeweils ca. 30 % ein ähnlicher Anteil nicht zielsprachlicher V3-Strukturen zu beobachten, aber auch hier produzieren die Lernenden der CBI-Gruppe im Gruppenvergleich weit häufiger zielsprachliche V2-Strukturen mit anderen Satzgliedern im Vorfeld als dem Subjekt (nämlich ebenfalls knapp 30 % gegenüber nur rund 3 % in der Vergleichsgruppe; Hauenstein 2019: 34-35). Interessanterweise zeigen sich innerhalb der CBI-Gruppe deutliche Unter‐ schiede in Abhängigkeit von der Aufgabe: In einem mündlichen Bericht vom Wochenende im Plenum verwenden die Lernenden bei insgesamt 16 nicht sub‐ jektinitialen Sätzen 15 zielsprachliche V2-Strukturen, während sie im Rahmen einer Terminvereinbarung (siehe A1-Skype-Termin in Schumacher, Möller, Fehrmann & Andreas in diesem Band) in Partnerarbeit bei insgesamt ebenfalls 262 Ingo Fehrmann 16 nicht subjektinitialen Strukturen 15 ungrammatische V3-Strukturen pro‐ duzieren (Hauenstein 2019: 38-39). Alle beobachteten Vorfeldelemente waren vorher Teil des Inputs, Unterschiede bestehen jedoch im Grad der syntaktischen Komplexität: Es handelt sich in den Terminvereinbarungen ausschließlich um Angaben von Wochentagen, Uhrzeiten oder Kombinationen aus beidem, die jeweils syntaktisch komplex sind (z. B. am Donnerstag oder Mittwoch um acht Uhr; Hauenstein 2019: 40), in den Berichten vom Wochenende kommen dagegen überwiegend simple temporale (z. B. zuerst, dann oder danach) und lokale Ad‐ verbien vor (ausschließlich dort und da; Hauenstein 2019: 40). Eine Möglichkeit zur Erklärung des starken Aufgabenunterschiedes mit fast ausschließlich ziel‐ sprachlichen V2-Strukturen in den Wochenendberichten und fast ausschließlich nicht zielsprachlichen V3-Strukturen in den Terminvereinbarungen liegt also in der syntaktischen Komplexität der Vorfeldelemente: Simple Adverbiale, die nur aus einem Lexem bestehen, scheinen eher in V2-Strukturen verwendet zu werden, syntaktisch komplexe dagegen häufig in V3-Strukturen (für eine ähnliche Beobachtung des Einflusses der syntaktischen Komplexität von Vor‐ feldelementen auf die Korrektheitsrate bei fortgeschrittenen Lernenden siehe Hoshii 2010: 60-61). Mögliche zusätzliche Erklärungsansätze für diesen Befund sind einerseits die visuelle Verfügbarkeit des SCOBA sowie passender Redemittel während des Be‐ richtens, nicht jedoch während der Terminvereinbarung (Hauenstein 2019: 53), sowie andererseits die starke Nähe der Textsorte mündlicher Bericht zu den in den Schreibaufgaben erstellten schriftlichen Berichten. Ob diese Erklärungen zutreffen, kann anhand der vorliegenden Beobachtungen nicht zweifelsfrei ent‐ schieden werden, zumal sich die Ansätze auch nicht gegenseitig ausschließen. Sollte aber die Verfügbarkeit von SCOBA und Redemitteln eine Rolle spielen, wäre dies ein deutliches Indiz für einen bewussten Aufmerksamkeitsfokus der Lernenden auf die Form-Funktionsbeziehung von Vorfeldelementen auch in der durch Materialien gestützten mündlichen Produktion sowie ein Beispiel für erfolgreiches materiales Scaffolding. Betrachtet man nicht nur die reine syntaktische - formale - Korrektheit, son‐ dern im Einklang mit der Annahme einer Vorfeldkonstruktion als Form-Funk‐ tions-Beziehung auch die diskurs- oder textabhängige - also funktionale - Angemessenheit der Vorfeldbesetzungen, stellen sowohl Fehrmann (2016: 167) als auch Ulmer (2017: 71) fest, dass die Lernenden tatsächlich textgrammatisch angemessene Vorfeldelemente verwenden. Sowohl die beobachteten Subjekte als auch die verwendeten Adverbiale zählen zu den Standardanschlüssen nach Fandrych (2003). In jedem Fall kann also die Frage, ob die in die Schreibauf‐ gaben eingebettete Grammatikvermittlung auch zu einer Verbesserung der 263 Integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz Sprachproduktion auch in anderen Aufgaben führt, mit Blick auf die in der CBI-Gruppe zielsprachlicheren Ergebnisse der Syntaxtests und die höheren Korrektheitsraten in den anderen Aufgaben klar bejaht werden. Bisher wurde die Sprachproduktion der Lernenden nur in Bezug auf die be‐ obachtete syntaktische Kompetenz ausgewertet. Entsprechend der in Abschnitt 1 formulierten Leitfrage ist aber zusätzlich von Interesse, ob das vorgestellte Unterrichtsarrangement zusätzlich auch die Schreibkompetenz der Lernenden beobachtbar fördert. Obwohl auch das Überarbeiten der eigenen Texte einen zusätzlichen Fokus im Unterricht darstellte, wird in diesem Beitrag ausschließ‐ lich die textgrammatische Kompetenz als Teilbereich der Schreibkompetenz (Becker-Mrotzek & Böttcher 2018: 51) untersucht, weil sich diese in der Fremd‐ sprache typischerweise von der textgrammatischen Kompetenz in der L1 unter‐ scheidet. Fremdsprachliche Schreibkompetenz umfasst nach Porsch (2010: 56) die „Fertigkeit, selbstständig zusammenhängende Texte […] in der Zielsprache zu verfassen […]“ - interessant ist also die Frage, inwieweit die Lernenden in‐ nerhalb ihrer Texte mit den zielsprachlichen Mitteln einen Textzusammenhang herstellen. Daher werden im Folgenden die finalen Schreibprodukte zweier Lernender ausführlich analysiert. 3.2. Analyse der Schreibprodukte zweier Lernender Die letzte der insgesamt fünf Schreibaufgaben während des Intensivkurses stellt gewissermaßen eine Zielaufgabe dar, die durch die vorangehenden Aufgaben vorbereitet wurde: Die Lernenden sollten auf der Basis ihrer Erfahrungen wäh‐ rend der Zeit des Sprachkurses einen Beitrag für eine Kurszeitung verfassen, das inhaltliche Thema konnten sie frei wählen. Nachfolgend werden exemplarisch die Schreibprodukte zweier Lernender, TN1603 und TN1604, in Bezug auf die Textgestaltung analysiert. Die beiden Lernenden wurden ausgewählt, weil sich ihre sprachlichen Leistungen im Kurseingangstest erheblich unterschieden und sie daher exemplarisch für die Heterogenität innerhalb der Lerngruppe stehen. Ziel ist dabei sowohl die Analyse von Gemeinsamkeiten als auch die differen‐ zierte Betrachtung individueller Unterschiede. Die Analyse wird jeweils durch eine Beurteilung der Texte durch zwei erfahrene DaF-Lehrpersonen, LP1 und LP2, ergänzt. Die Lehrpersonen waren dabei aufgefordert, sowohl Wortschatz, Satzbau und Textzusammenhang einzeln zu beurteilen als auch - den von Ziehr (2018: 79) zusammengetragenen Empfehlungen folgend - eine generelle Einschätzung des GER-Niveaus der Texte zu geben, um die Einzelbeurteilungen in einem vergleichbaren Kontext zu situieren. Die beiden Lernenden sind bereits zu Kursbeginn unterschiedlich weit fort‐ geschritten. Dies zeigt sich deutlich anhand der Kurseingangstests. Im Rahmen 264 Ingo Fehrmann dieser Tests mussten die Lernenden vorgegebene Satzglieder jeweils in eine plausible Reihenfolge bringen und dadurch komplette Sätze erstellen. Diese Sätze zusammen bildeten einen zusammenhängenden Text; der Anfang war vorgegeben durch den Eingangssatz Tamaki hat in Tokyo Geschichte studiert (für die aggregierten Ergebnisse der kompletten Lerngruppe siehe Fehrmann 2016: 164; Tamaki ist der Name einer fiktiven Person). Item Nr. Lösung der Lernenden 1 Sie hat außerdem Deutsch gelernt. 2 Sie hat besucht zuerst einen Intensivkurs in Tokyo. 3 Sie hat viel Grammatik in diesem Kurs gelernt. 4 Tamaki hat gelesen auch viele deutsche Texte. 5 Sie kennen lernen Deutschland dann wollte. 6 Sie kennen lernen Berlin am liebsten wollte. 7 Sie hat deshalb gelesen viele Bücher über Berlin. 8 Tamaki ist im Frühling nach Berlin gereist. 9 Sie hat besucht dort einen zweiten Intensivkurs. 10 Sie hat viel gesprochen in diesem Kurs. Tab. 2: Kurseingangstest von TN1603 (transkribiert, Original handschriftlich) Alle zehn von TN1603 gebildeten Sätze beginnen jeweils mit dem Subjekt. Falls der Lernenden bekannt war, dass Deklarativsätze im Deutschen auch mit anderen Satzgliedern beginnen können, setzt sie dieses Wissen jedenfalls nicht textgrammatisch adäquat im Sinne der lokalen Kohärenzbildung ein. Das zweite Element im Satz ist jeweils eine Verbform, allerdings nicht zwingend eine finite. Bei den Perfektsätzen wird die Distanzstellung von finiten und infiniten Elementen nicht durchgehend beachtet, die Modalverben in den Items 5 und 6 sind satzfinal positioniert und stattdessen die dazugehörigen Infinitive in der zweiten Position realisiert. Dies lässt vorläufig darauf schließen, dass Per‐ fektstrukturen der Lernenden durchaus bekannt waren, Modalverbstrukturen jedoch weniger vertraut. Insgesamt kann die Satzgliedabfolge in vier der zehn Sätze (den Items 1, 3, 8 und 10) eindeutig als zielsprachlich angemessen gelten, die Abfolge in den anderen Items ist entweder ungrammatisch oder in Bezug auf die Textgrammatik markiert. 265 Integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz 5 Die Transkriptionskonventionen aus der DiGS-Studie sind online verfügbar unter: https: / / www.unige.ch/ lettres/ alman/ fr/ recherche/ projets-termines/ digs/ digs-ko rpus/ (25.01.2022). Item Nr. Lösung der Lernenden 1 Sie hat außerdem Deutsch gelernt. 2 Sie hat zuerst besucht einen Intensivkurs in Tokyo. 3 Sie hat viel Grammatik in diesem Kurs. 4 Tamaki hat gelesen auch viele deutsche Texte. 5 Sie wollte kennen lernen dann Deutschland. 6 Sie wollte 7 8 9 10 Tab. 3: Kurseingangstest von TN1604 (transkribiert, Original handschriftlich) TN1604 hat nicht alle Items des Tests bearbeitet. Auch TN1604 beginnt Sätze jeweils mit dem Subjekt und lässt darauf eine Verbform folgen, in allen sechs Fällen auch zielsprachlich die finite. Nur ein Partizip wird satzfinal positioniert, in Item 3 fehlt es völlig (obwohl im Material vorgegeben). In den Items 4 und 5 werden die finiten und infiniten Elemente in Kontaktstellung statt in Distanzstellung realisiert. Insgesamt ist nur die Lösung zu Item 1 sowohl syntaktisch als auch in Bezug auf die Textgrammatik, d. h. die kohärenzstiftende Funktion der Vorfeldelemente, eindeutig zielsprachlich. Vergleicht man nun die zu Beginn der vierten Intensivkurswoche im Rahmen der fünften Schreibaufgabe verfassten Texte, zeigen sich sowohl Gemeinsam‐ keiten als auch Unterschiede zwischen den Lernenden. Die Texte wurden von den Lernenden handschriftlich verfasst und für die Auswertung nach den Kon‐ ventionen der DiGS-Studie (Diehl, Christen & Leuenberger 2000) transkribiert 5 : Hochgestellte Zeichenfolgen markieren nachträglich eingefügten Text, [xxx] markiert unleserliche Passagen. Die analysierten Texte sind die ersten Entwürfe der Lernenden vor zwei Korrekturphasen. 266 Ingo Fehrmann Satz Nr. Sprachproduktion der Lernenden 0 (Titel) Ein Ausflug nach Prag und Ein Besuch im Bauhaus 1 Am Freitag Nachmittag bin ich mit dem Bus nach Prag gefahren. 2 Dort ich habe Bier getrunken und tschechisches Essen gegessen. 3 Das hat mir am besten gefallen. 4 Am Samstag bin ich [xxx] zu der Prager alten Brücke gegangen und dort habe ich Musik gehört. 5 Das fand ich interessant denn ich mag viele freundliche Musik. 6 Ich habe auch die Astronomie-Uhr gesehen. 7 Das ist eine herrliche Uhr. 8 Ich glaube die Reise hat mir sehr gut gefallen. 9 Am Mittwoch Mittag habe ich im Bauhaus besucht. 10 Ich war sehr glücklich denn ich möchte das Bauhaus besuchen. 11 Das ist für mich gut Platz aber die Zeit hat mir gefahlt. 12 Also ich konnte nicht alles Werk sehen. 13 Ich will wieder im Bauhaus besuchen. 14 Das war zu mein Liebllings Platz. Tab. 4: Text 5 von TN1603 (transkribiert nach den DiGS-Konventionen, Original hand‐ schriftlich) Der Text von TN1603 ist zunächst gekennzeichnet durch - bezogen auf das Kursniveau A1 - relativ variantenreichen Wortschatz (herrlich), eigene lexikali‐ sche Kreativität (Astronomie-Uhr), komplexe Nominalphrasen (viele freundliche Musik) sowie teilweise bereits zielsprachliche Adjektivflexion (der […] alten Brücke). In Bezug auf den Satzbau fallen parataktische Satzverbindungen sowohl mit angemessenen Konnektoren (und, denn, aber) als auch ohne Konnektor auf (wenn auch ohne das in der Zielsprache obligatorische Komma: ich glaube die Reise hat mir sehr gut gefallen). Die Vorfelder sind unterschiedlich und mit jeweils Kohärenz erzeugenden Verknüpfungselementen besetzt, die nach Fandrych (2003: 176-183) entweder die Funktion der Themasetzung (Satz 1, 4, 267 Integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz 6, 8, 9, 10, 13) oder des Anschlusses (2, 3, 5, 7, 11, 14) erfüllen, meist mit prono‐ minalen Subjekten (3, 6, 7, 8, 10, 11, 13, 14), mit einigen lokalen und temporalen Adverbialen (1, 2, 4, 9), aber auch mit einem pronominalen Objekt (Das fand ich interessant in Satz 5). In den Sätzen 2 und 12 lassen sich V3-Strukturen be‐ obachten, allerdings ist das Adverb also (das hier im Sinne von deshalb und daher als ein vom Subjekt unabhängiges Vorfeldelement interpretiert wird) in Satz 12 ein Element, das anderen Studien zufolge von Lernenden häufig als Konjunktion (analog zu denn oder aber) fehlkategorisiert wird (siehe hierzu Lipsky 2010: 73) - eine V3-Struktur wie in Satz 12 kann also durchaus auch trotz Beachtung der V2-Syntax durch Lernende entstehen. Diesen wenigen ungrammatischen Struk‐ turen stehen fünf nicht subjektinitiale und zwölf subjektinitiale V2-Strukturen gegenüber. Alle Vorfeldelemente werden zielsprachlich angemessen verwendet und sorgen für einen zielsprachlichen Textzusammenhang. Bemerkenswert sind auch die komplexen Sätze 5, 10 und 11, in denen jeweils zwei Hauptsätze mit einem Konnektor (denn oder aber) zielsprachlich verbunden sind. Diese Art der Formulierung komplexer Sätze mit unterschiedlichen Subjekten (Satz 11) oder unterschiedlichen Satzgliedern (Satz 5) in den Vorfeldern der beiden verknüpften Teilsätze scheint der Lernenden keine Probleme zu bereiten. Ähnlich beurteilen auch die beiden befragten DaF-Lehrkräfte diesen Text: LP1 benennt einen „weitgehend korrekte[n] Satzbau“ und „korrekt eingesetzt[e] Konnektoren“ und schreibt zum Textzusammenhang: „Der erste Teil ist schön temporal gegliedert“. LP2 erkennt einen „sehr gute[n], sichere[n] Satzbau für dieses Niveau“ und einen „hohe[n] Textzusammenhang durch viel Inversion und Proformen“ sowie durch „parataktische Satzverknüpfungen“. Das GER-Ni‐ veau der Texte schätzt LP1 als „solide Basis, A2“ ein, LP2 als „ca. A1.2“. LP1 hebt als „sehr gute Elemente“ zudem die Dativstrukturen hat mir am besten gefallen (Satz 3) und hat mir gefahlt (Satz 11) hervor, LP2 die „auffällig gute Adjektivdeklination“. Der Text von TN1604 weist einen ähnlich abwechslungsreichen Wortschatz auf, der sowohl anhand des Inhalts erwartbaren Fachwortschatz umfasst (Fossil, Ausstopfen) als auch Alltagswortschatz, der vermutlich eher selten in universi‐ tären Sprachintensivkursen thematisiert wird wie z. B. flauschig. 268 Ingo Fehrmann Satz Nr. Sprachproduktion der Lernenden 0 (Titel) Tier von Berlin 1 Ich bin jetzt zum erstern Mal im Deutschland. 2 In Berlin habe ich viele Kirchen und Museum besucht. 3 Wir waren im Naturkunde Museum. 4 Dort wir haben schön das Erzen und das Ausstopfen gesehen. 5 Dann wir haben das Fossil von Dinosaurier gesehen. 6 Es ist sehr groß! 7 Ich mag dem Naturkunde Museum gern. 8 Ich bin zum Zoo mit meiner Freunden gegangen. 9 Dort haben wir der Elefanten, die Giraffen und der Löwen gesehen. 10 Dann haben wir Tierkinderzoo besucht. 11 Wir haben das Schafen und die Ziegen berührt. 12 Sie waren flauschig und weich. 13 Wir waren auf zum Aquarium gegangen. 14 Das hat viele schöner Fischen und das Reptilien. 15 Ich war sehr lustig! Tab. 5: Text 5 von TN1604 (transkribiert nach den DiGS-Konventionen, Original hand‐ schriftlich) Unterschiede zum Text von TN1603 zeigen sich zum einen auf der Ebene der Flexion: das einzige attributive Adjektiv (schöner in Satz 14) ist nicht zielsprachlich flektiert, ebenso wie die Kasusform in Satz 7 (Ich mag dem Natur‐ kunde Museum). Auffällig ist aber vor allem die deutlich geringere syntaktische Komplexität. Es gibt nur eine einzige komplexe Nominalphrase, die mehr als Nomen und Artikel umfasst (Satz 14). Auch viele Artikel fehlen oder sind nachträglich eingefügt, wenn auch nicht immer in obligatorischen Kontexten (Satz 11 wäre beispielsweise ohne die eingefügten Artikel in den pluralischen Nominalphrasen grammatisch) und nicht immer formal korrekt (*das Reptilien). Im Gegensatz zum Text von TN1603 gibt es auch keine Satzverbindungen, 269 Integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz sondern nur simple Deklarativsätze. Auch TN1604 produziert zwei V3-Struk‐ turen (hier in den Sätzen 4 und 5), bei drei nicht subjektinitialen und zehn subjektinitialen V2-Strukturen. Interessanterweise werden die V3-Strukturen (Sätze 4, 5) mit lexikalisch identischen Vorfeldelementen wie in den Sätzen 9 und 10 produziert, die aber zielsprachliche V2-Strukturen aufweisen, so dass - anders als im Fall der in Abschnitt 3.1 vorgestellten, von Hauenstein (2019) ausgewerteten mündlichen Produktion - die syntaktische Komplexität der Vorfeldelemente hier als Erklärungsmöglichkeit ausscheidet. Auf der Ebene der syntaktischen Korrektheit scheinen die beiden Texte also sehr ähnlich zu sein. Dennoch lässt sich in Bezug auf den Textzusammenhang ein deutlicher Unterschied feststellen: Während TN1603 variable Vorfeldele‐ mente relativ frei und entsprechend den Anforderungen der Textkohärenz einsetzt, scheint TN1604 einer eher starren Strategie aus Themensetzung und Anschluss zu folgen. Auf einen Satz mit neu eingeführtem personaldeiktischem Subjekt (ich oder wir) folgt ein mit Lokalangabe eingeleiteter Satz sowie teilweise ein weiterer, der mit der Temporalangabe dann angeschlossen wird. Daraus ergibt sich ein Dreischritt ich/ wir - dort - dann, dem die Sätze 1 bis 2, 3 bis 5 sowie 8 bis 10 folgen. Alternativ (oder auch zusätzlich) wird in einem Folgesatz ein Objekt aus dem vorangegangenen Satz pronominal als neues Subjekt aufgegriffen, diesem Muster folgen die Sätze 6, 12 und 14. Diese Strategie führt zwar zu grammatischen Einzelsätzen und textgrammatisch sinnvollen Folgen aus zwei bis drei Sätzen, global aber zu dem Eindruck eines nicht ganz so gut zusammenhängenden Textes. Dies bestätigen die Beurteilungen der beiden DaF-Lehrkräfte. So schreibt LP1 zum Textzusammenhang: „Wenig hilfreiche Überschrift. Ansonsten ein relativ klar gegliederter Text. Einige weitere Adverbiale würden den Text noch besser gliedern“. LP2 bemerkt, dass der Textzusammenhang „sich hauptsächlich über den Wortschatz und Proformen her[stellt]“ und stellt außerdem fest: „Da es keine Satzverbindungen gibt und die Mehrheit der Sätze mit dem Subjekt beginnt, wirkt der Text weniger zusammenhängend als die vorherigen, obwohl er inhaltlich kohärent ist.“ Zur GER-Niveau-Einschätzung schreibt LP1: „Solide im A-Bereich, aber noch nicht alles sitzt“, LP2 beurteilt das Niveau „zwischen A1.1 und A1.2“. Setzt man diese Analysen in Beziehung zu den durch die Tests dokumen‐ tierten jeweils unterschiedlichen Ausgangsniveaus der beiden Lernenden, lässt sich in beiden Fällen eine deutliche Progression beobachten. Sowohl TN1603 als auch TN1604 verfassen gegen Ende des vierwöchigen Intensivkurses eigen‐ ständig Texte, deren allgemeiner Niveaueindruck deutlich über den Leistungen der TN im Eingangstest liegt. Die Textproduktionen wirken außerdem deutlich 270 Ingo Fehrmann fortgeschrittener als die mündlichen Äußerungen derselben Lernenden - siehe dazu ausführlich Hauenstein (2019), auch das Beispiel (1) im Beitrag von Schu‐ macher et al. (in diesem Band) beinhaltet mündliche Äußerungen von TN1604, die weniger komplex sind als der hier in Tabelle 5 dokumentierte Text. Die schriftsprachliche Kompetenz der Lernenden hat sich also im Vergleich zu den spontansprachlich mündlichen Kompetenzen derselben Lernenden tendenziell weiter entwickelt (siehe auch Fehrmann 2016). Schaut man sich die anderen Texte derselben beiden Lernenden an, gibt es eine weitere Parallele, und zwar in Bezug auf die Entwicklungsdimension: Der für den Text 5 von TN1604 beschriebene Dreischritt aus Themensetzung und zweimaligem Anschluss (ich/ wir - dort - dann) findet sich in ähnlicher Form auch im Text 2 von TN1603 (siehe Anhang B), der noch anhand der Vorgabe des SCOBA erstellt wurde. TN1603 wiederholt innerhalb des sechs Sätze umfas‐ senden kurzen Texts die Vorfeldfolge am Samstag/ Danach - dort - das, die gerade durch die visuelle Unterstützung des Materials deutlich auffällt. Möglicherweise nutzen die Lernenden ein solches Muster zum Einstieg in die freiere Nutzung der möglichen textgrammatischen Funktionen von Vorfeldelementen. Wie bereits Fehrmann (2016: 165) feststellt, bildet TN1604 im Kursabschluss‐ test (dessen Format identisch mit dem oben beschriebenen Kurseingangstest war) ausschließlich subjektinitiale Sätze aus den vorgegebenen Satzgliedern, variiert jedoch - wie im oben analysierten Text 5 beobachtbar - in den Textproduktionen während des Sprachkurses durchaus die Art der Vorfeldele‐ mente. Dies kann als Indiz für eine task-spezifische Aufmerksamkeit auf die Form gedeutet werden: In der Schreibaufgabe richtet TN1604 offenbar gezielt ihre Aufmerksamkeit auf die Verknüpfungsfunktion der Vorfeldelemente, die dementsprechend bewusst ausgewählt und variiert werden. Im Kontext der Testaufgabe im Satzpuzzle-Format dagegen kann es sein, dass der Lernenden gar nicht bewusst war, dass sie aus den sich aus den Puzzleteilen ergebenden Einzelsätzen einen gesamthaft kohärenten Text bilden sollte, und dass sie demnach gar nicht versucht hat, die Sätze sinnvoll zu verknüpfen (siehe für diese Überlegung auch Fehrmann 2016: 168). Die integrierte Grammatik- und Schreibkompetenzförderung hätte demzufolge im Fall von TN1604 die Aufmerk‐ samkeit auf die textgrammatische Funktion von Vorfeldelementen im Rahmen von Schreibaufgaben (dem aus der CBI-Intervention bekannten Aufgabentyp) deutlicher beeinflusst als in anderen Aufgabentypen. Der Vergleich der Texte mit den Kurseingangstests zeigt noch einen weiteren didaktisch relevanten Aspekt: Beide Lernende werden durch das Unterrichts‐ arrangement jeweils innerhalb ihrer eigenen individuellen Zone der nächsten Entwicklung (Vygotskij 2002[1934]: 330-331) unterstützt. TN1603 beherrscht 271 Integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz die Syntax deutscher Deklarativsätze zu Beginn bereits relativ gut und kann die SCOBA-gestützte Concept-Based Instruction demzufolge zum Erwerb ziel‐ sprachlicher textgrammatischer Kompetenzen nutzen. TN1604 dagegen benö‐ tigt noch eine stärkere Unterstützung beim Erwerb der basalen syntaktischen Regularitäten, beginnt zwar ebenfalls, die textgrammatische Funktion von Vorfeldelementen in eigenen Texten zu beachten, tut dies jedoch offenbar nicht zwingend auch in anderen Aufgabenformaten. Diese intraindividuelle Varianz zeigt aber, dass der Erwerb der Vorfeldkonstruktion eindeutig innerhalb der Zone der nächsten Entwicklung von TN1604 liegt - und zwar obwohl auch die Distanzstellung von finiten und infiniten verbalen Elementen zu Kursbeginn ebenfalls noch nicht beachtet wird, die sonst in vielen empirischen Studien zum Spracherwerb des Deutschen als Fremd- oder Zweitsprache (siehe z. B. Diehl et al. 2000) der zielsprachlichen Produktion von V2-Strukturen vorangeht (Lee 2012: 76-79). 4. Erste Texte in der Zielsprache Deutsch Dass die Lernenden der CBI-Gruppe in Bezug auf syntaktische Korrektheit und zielsprachliche Wahl von Vorfeldelementen deutlich bessere Leistungen zeigen als Lernende in einer Vergleichsgruppe, haben die in Abschnitt 3.1 zusammen‐ gefassten Studien gezeigt. Die in Abschnitt 3.2 analysierten exemplarischen Texte zeigen zudem, dass die Lernenden am Ende des Erhebungszeitraumes so‐ wohl überwiegend zielsprachliche V2-Strukturen verwenden als auch teilweise Texte mit einer zielsprachlich angemessenen Textstruktur produzieren. Die Beurteilungen der in der letzten Schreibaufgabe entstandenen Texte durch Lehr‐ personen stützen die Einschätzung, dass die entstandenen Texte zwar in Bezug auf den Wortschatz und die sehr begrenzte Bandbreite der von den Lernenden gewählten Inhalte und Themen deutlich einem elementaren Kompetenzniveau zugeordnet werden können, in Bezug auf die Textgrammatik aber durchaus als zielsprachlich gelten können. Die integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz durch gezielte Bewusstmachung der Form-Funktions-Bezie‐ hung von Vorfeldelementen im Rahmen einer Concept-Based Instruction führt also tatsächlich zu positiven Effekten sowohl im Bereich Syntax als auch im Bereich Textgrammatik. Gleichzeitig können die Lernenden die angebotene Un‐ terstützung jeweils in Abhängigkeit von ihrer individuellen Zone der nächsten Entwicklung nutzen. Das gewählte SCOBA eignet sich offenbar also nicht nur zu einer generellen, sondern auch zu einer differenzierten Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz. 272 Ingo Fehrmann Dies gilt zunächst für die hier betrachtete Gruppe der japanischen Studie‐ renden, also junge Erwachsene mit stark ausgeprägten methodischen Kompe‐ tenzen in Bezug auf die Steuerung der eigenen Lernprozesse. Herauszufinden, inwieweit die Ergebnisse auf andere Zielgruppen übertragbar sind, ist ein empirisches Desiderat. Da das verwendete SCOBA jedoch insbesondere keine konkreten sprachlichen Kompetenzen voraussetzt, ist es plausibel anzunehmen, dass auch andere Lernende damit erfolgreich arbeiten können, die vor der Aufgabe stehen, ihre ersten Texte in der Zielsprache Deutsch zu verfassen. Dies trifft beispielsweise auf Erwachsene in DaZ-Integrationskursen zu, aber auch auf Kinder in der Grundschule, und zwar unabhängig davon, ob Deutsch für sie eine Zweit- oder Erstsprache ist. So wenden sich auch Baurmann und Pohl (2009: 86-87) in Bezug auf die Förderung der L1-Schreibkompetenz in der Grundschule gegen die bloße Aufforderung zur Variation von Vorfeldelementen ohne Bezug zu deren Funktion und fordern stattdessen eine systematische Be‐ gleitung der Schreibenden über „verkettende“ hin zu funktional „gegliederten“ eigenen Texten. Auch dabei können Lernende durch das hier vorgestellte SCOBA unterstützt werden. Interessanterweise verwendet auch ein aktuelles Lehrwerk zum Orthografie‐ erwerb in der Grundschule (Röber, Häusle & Berchtold 2019) eine vergleichbare visuelle Metapher: Hier werden Schreibsilben durch Zirkuswagen dargestellt und zu Wörtern verbunden. Vermutlich werden Kinder, die schon beim Ortho‐ grafieerwerb ab der 1. Klasse an die Arbeit mit einer unterstützenden visuellen Metapher gewöhnt sind, ebenfalls gut mit dem hier vorgestellten SCOBA beim Schreiben ihrer ersten bewusst strukturierten Texte zurechtkommen. Insofern reiht sich der hier vorgestellte Ansatz ein in eine Reihe von konzeptionell ähnlichen Vorschlägen. Der Ausblick auf den Einsatz in der Grundschule ist auch deswegen interes‐ sant, weil das SCOBA potenziell sowohl für Lernende des Deutschen als L2 als auch für solche des Deutschen als L1 nutzbar ist. Der oben angestellte Vergleich zwischen den Ergebnissen der beiden Lernenden zeigt das differenzierende Scaffolding-Potential des Materials. Gerade in Kontexten, in denen die Grenzen zwischen L1- und L2-Erwerb verschwimmen, erscheint demnach ein entspre‐ chendes Vorgehen plausibel. 273 Integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz Literatur Bassola, Péter/ Schwinn, Horst (2016). Markierte Vorfeldbesetzungen im Deutschen. In: Dalmas, M./ Fabricius-Hansen, C./ Schwinn, H. 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Die Abbildung des E-Mail-Programms ist aus Buscha und Szita (2007: 71) übernommen. 279 Integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz Zu den Effekten eines explizit bewusstmachenden Aussprachetrainings zum deutschen Wortakzent bei erwachsenen, frankophonen Lernenden des Deutschen als Fremdsprache Franziska Baumeister Abstract: Selektive Aufmerksamkeit kann im Fremdspracherwerb dazu führen, dass bestimmte Erwerbsgegenstände (wie der deutsche Wort‐ akzent morphologisch komplexer Wörter) nur sehr schwer erworben werden, weil sie (1) wenig frequent und ggf. in ihrer Struktur intransparent sind und/ oder weil sie (2) durch den Aufmerksamkeitsfilter fallen, der in der Erstsprache auf andere Kategorien und relevante Reize „trainiert“ wurde. Um diese Effekte zu vermindern und auch notorisch schwierige und häufig übersehene Strukturen für Lernende besser zugänglich zu machen, bestehen aus lehrerseitiger Perspektive Möglichkeiten der di‐ daktischen Aufmerksamkeitslenkung, darunter explizit bewusstmachende Verfahren. In der nachfolgenden Studie wird geprüft, inwieweit explizit gelerntes Wissen (zum deutschen Wortakzent) das Potenzial aufweist, von Lernenden tatsächlich kurzfristig während der Online-Sprachverar‐ beitung als Wissensressource für einen bewusstseinsgesteuerten Monitor genutzt zu werden, um Aufmerksamkeit auf Merkmale der eigenen Sprachproduktion zu richten. Dazu wurde ein explizit bewusstmachendes Aussprachetraining zum deutschen Wortakzent konzipiert, das im Früh‐ jahr 2018 bei erwachsenen, frankophonen Lernenden des Deutschen als Fremdsprache durchgeführt wurde. Die kurzfristigen Effekte dieser be‐ wussten Aufmerksamkeitslenkung wurden in einer quasi-experimentellen Pilotuntersuchung erfasst und werden in diesem Beitrag diskutiert. Die gemessenen Effekte legitimieren weitergehende Fragen nach den Effekten expliziten Wissens in Bereichen, die die unbewusste Informationsverar‐ beitung und die längerfristige Entwicklung impliziten Wissens betreffen. 1. Spracherwerbstheoretische Annahmen Grundlage des Fremdspracherwerbs bildet, wie im Erstspracherwerb auch, der Input, also das bedeutungstragende sprachliche Material inklusive der kontextuellen Informationen, denen Lernende ausgesetzt sind und die sie potenziell rezipieren (Mackey 2012: 9). In der ersten Phase des Erwerbs verar‐ beiten Lernende vorrangig häufige, wiederkehrende sprachliche Strukturen im verfügbaren Input (Behrens 2009: 434). Beiläufig und unbewusst werden sie dabei auf bestimmte Strukturen im Input aufmerksam. Mit „unbewusster Auf‐ merksamkeit“ ist hier gemeint, dass Lernende bestimmte sprachliche Formen wahrnehmen und diese verarbeiten, ohne dass sie als Objekte des Lernens ins Bewusstsein treten oder gar Gegenstand einer metasprachlichen Reflexion werden (R. Ellis 2014: 12, Kröger 2018: 129, Paradis 2009: 5); „beiläufig“ hebt darüber hinaus hervor, dass das Bewusstsein dabei ausschließlich auf die Bedeutungsseite sprachlicher Konstruktionen gerichtet ist (Paradis 2009: 1-4). Das Resultat dieser beiläufigen Aufmerksamkeit ist der sogenannte Intake (Paradis 2009: 4). Darunter versteht man denjenigen reduzierten Ausschnitt des Inputs, der tatsächlich verarbeitet wird und damit Eingang in den impliziten Erwerbsprozess finden kann (Matthews & Brown 2004: 6). Im Fremdspracherwerb scheint dieser Prozess der Generierung von Intake aus dem fremdsprachlichen Input häufig nicht so effektiv zu gelingen, wie dies im unauffälligen Erstspracherwerb der Fall ist. Als ein Grund hierfür wird angenommen, dass u. a. aufgrund erstsprachlicher Aufmerksamkeitsroutinen die Aufmerksamkeit der Lernenden auch langfristig nur selektiv auf bestimmte sprachliche Formen bzw. Form-Bedeutung-Zuordnungen gelenkt wird, wäh‐ rend sich andere, durchaus auch häufige sprachliche Reize der Wahrnehmung entziehen und dadurch nicht Teil des Intakes werden (N. Ellis 2006: 165-171). Vor allem intransparente, komplexe, non-saliente und von der Erstsprache abweichende Konstruktionen scheinen durch den Wahrnehmungsfilter der Lernenden zu fallen, also nur selten, teilweise oder nicht verarbeitet zu werden (N. Ellis & Sagarra 2011); diese Hemmnis bestimmter Strukturen und Form-Be‐ deutung-Zuordnungen durch diverse Faktoren wird in Abbildung 1 durch das Kreuz (X) dargestellt. Die durch den Wahrnehmungsfilter fallenden Konstruktionen stehen damit folglich auch nicht für weitere erwerbsrelevante Prozesse zur Verfügung, die zu einer Weiterentwicklung der Lernersprache führen würden (Gass & Selinker 2001: 197); daher mündet der Fremdspracherwerb besonders bei erwachsenen Lernenden typischerweise in ein limitiertes Kompetenzniveau, zumindest wenn keine gezielte didaktische Steuerung erfolgt (Gass & Mackey 2012: 1). Ob die 282 Franziska Baumeister durch eine solche Steuerung erreichte Aufmerksamkeit zu allen Zeitpunkten notwendigerweise bewusst sein muss (im Sinne des Noticing, siehe Schmidt 1990) oder auch unterbewusst sein kann (im Sinne einer perzeptiven Wahrneh‐ mung, siehe N. Ellis 2005; bei Gass 1997 als Detection), wird dabei kontrovers diskutiert (Robinson, Mackey, Gass & Schmidt 2012). ! "#$% ! "#$$%&'"()'*+ ! "%&'( )(*"(*+#*&,-( .$%#$% Abb. 1: Mögliche Hemmnis (X) des Spracherwerbsprozesses durch mangelnde selektive Aufmerksamkeit (eigene Darstellung, angelehnt an R. Ellis 1997: 119, R. Ellis 1999: 349) Bei Lernenden des Deutschen als Fremdsprache (L2) mit Französisch als Erst‐ sprache (L1) stellt unter anderem der Erwerb des Wortakzents eine Erwerbsherausforderung dar (Zimmerer, Bonneau & Andreeva 2016, Peperkamp & Dupoux 2002). Die beiden wesentlichen Faktoren, die bei der Verarbeitung des Inputs und der darin befindlichen sprachlichen Informationen zum deutschen Wortakzent zu einer Erwerbserschwernis führen können, werden im folgenden Abschnitt 2 dieses Beitrags vorgestellt. Gleichzeitig soll aufgezeigt werden, wel‐ cher Aspekt des deutschen Wortakzents konkret Schwierigkeiten für Lernende des Deutschen als Fremdsprache mit Französisch als Erstsprache verursacht. Dies führt in Abschnitt 3 zu der generellen Überlegung, welche didaktischen Optionen aus lehrerseitiger Perspektive bestehen, um die aufgezeigten Folgen (erlernter) selektiver Aufmerksamkeit in Bezug auf den deutschen Wortakzent zu mindern, und welchen langfristigen Nutzen eine explizite Bewusstmachung dabei haben kann. Diese Vorbereitungen dienen schließlich dazu, in Abschnitt 4 ein explizit bewusstmachendes Training zum deutschen Wortakzent vorzu‐ stellen, das im Frühjahr 2018 erstellt und mit Lernenden des Deutschen als Fremdsprache an einer französischsprachigen Universität in Montreal durch‐ geführt wurde. Dieses wurde im Rahmen einer quasi-experimentellen Pilotun‐ tersuchung getestet; die Ergebnisse der Untersuchung werden in Abschnitt 5 vorgestellt und vor dem Hintergrund der grundlegenden Frage des Nutzens eines solchen explizit bewusstmachenden Aussprachetrainings diskutiert. 2. Erwerbsprobleme beim deutschen Wortakzent Der Erwerb des deutschen Wortakzents durch frankophone Lernende wird zum einen aufgrund der Struktur des deutschen Wortakzents (s. Abschnitt 2.1), zum anderen aufgrund der durch die Erstsprache bedingten Verarbeitungsmecha‐ nismen (s. Abschnitt 2.2) erschwert (N. Ellis & Sagarra 2011: 590). 283 Effekte eines explizit bewusstmachenden Aussprachetrainings zum deutschen Wortakzent 1 Die Grundeinheit zur Berechnung des Silbengewichts ist die More. Eine „offene Silbe mit Kurzvokal [hat] eine More“ (Eisenberg 2013: 115) und ist daher leicht; eine „offene Silbe mit Kurzvokal und nachfolgendem Konsonanten oder mit Langvokal [hat] dagegen zwei Moren“ (Eisenberg 2013: 115) und ist daher schwer. Schwere Silben wiederum ziehen in vielen Sprachen den Akzent auf sich. Anhand dieser Tatsache zeigt sich also, dass die Zuhilfenahme des Morebegriffs und der damit verbundenen Definition des Silbengewichts es ermöglicht, Aussagen über den Wortakzent zu treffen (Auer 1991: 6). Vertreter eines sogenannten gewichtssensitiven Ansatzes sind unter anderem Féry (1998), Giegerich (1998) und Vennemann (1991), während z. B. Eisenberg (1991) und Wiese (1996) ihre Ausführungen bis auf Ausnahmen nicht auf die Definition des Silbengewichts stützen. 2.1. Struktur des deutschen Wortakzents In der Phonologie wird der Wortakzent allgemein als sprachliches Phänomen bezeichnet, bei dem innerhalb eines mehrsilbigen Wortes eine Silbe existiert, die gegenüber den anderen Silben desselben Wortes besonders hervorgehoben wird (Cutler & Clifton 1984: 184, Eisenberg 1991: 39). Die Prominenz einer Silbe innerhalb eines Wortes wird artikulatorisch durch eine Kombination verschiedener Mittel hervorgerufen, die sich aus der Sicht der akustischen sowie auditiven Phonetik in folgender Weise äußern: durch eine Veränderung der Tonhöhe, wodurch die Silbe höher wahrgenommen wird; durch eine Zunahme der Dauer, die zu einer Längung der Silbe führt; durch eine Steigerung der Intensität, wodurch die Silbe lauter erscheint; sowie durch eine Steigerung der Qualität beziehungsweise der Vokalspannung (Hirschfeld & Reinke 2016: 62, Meisenburg & Selig 1998: 149, Pustka 2011: 130). Im Deutschen werden alle vier Hervorhebungsmittel genutzt; vor allem aber wird die Tonhöhe gesteigert (Altmann & Ziegenhain 2010: 50, Eisenberg 2013: 123). Hinsichtlich der Lokalisierung des deutschen Wortakzents gibt es verschie‐ dene Herangehensweisen bei der Beschreibung der zugrunde liegenden Ge‐ setzmäßigkeiten. Sie unterscheiden sich dahingehend, ob das Silbengewicht die Grundlage der Beschreibung bildet oder nicht. 1 Der vorliegende Beitrag bezieht sich im Wesentlichen auf die Ausführungen Eisenbergs (1991, 2013). Die Lokalisierung des deutschen Wortakzents lässt sich nach Eisenberg vom Wortende her charakterisieren (Eisenberg 2013: 125). Die Regelzuweisungen für den deutschen Wortakzent basieren auf einer Einteilung von Wortformen in Füße. Während eine Silbe eine „übergeordnete artikulatorisch-auditive Einheit“ (Eisenberg 2013: 97) ist, die aus Onset, Nukleus und Koda besteht, ist ein Fuß eine „rhythmische Einheit“, die die rhythmische Struktur eines Wortes angibt (z. B. Daktylus, Jambus, Trochäus, Anapäst; siehe Eisenberg 2013: 97). Bei der Beschreibung der Lokalisierung des Akzents unterscheidet Eisenberg zwischen 284 Franziska Baumeister 2 Akzentuierte Silben werden im Folgenden durch Kursivsetzung gekennzeichnet. 3 Zum zu betonenden Wortstamm „lauf-“ tritt das Flexionsmorphem „-en“ hinzu. Auf‐ grund des Silbenschnitts nach dem Maximum-Onset-Prinzip ergeben sich die Silben „lau-fen“, in Abweichung von den Morphemgrenzen {lauf}{en}. 4 Von dieser Grundregel gibt es einzelne Ausnahmen (Eisenberg 2013: 136-137). Diese be‐ ziehen sich auf die flexionsbedingte Verschiebung von trochäischen hin zu daktylischen Akzentmustern, z. B. in der Pluralbildung (z. B. Ju-gend Ju-gen-den) oder Komparation (z. B. hei-ter hei-te-rer, Eisenberg 2013: 135-136). morphologisch einfachen nativen und nichtnativen Wörtern (Abschnitt 2.1.1) sowie morphologisch komplexen Wörtern (Wortbildungen, Abschnitt 2.1.2). 2.1.1. Morphologisch einfache Wörter Unter „morphologisch einfachen“ Wörtern werden hier Wörter verstanden, die nicht Produkt eines Wortbildungsprozesses wie Komposition oder Ableitung sind; Flexionsmorpheme werden an der Stelle nicht berücksichtigt. Bei nativen, morphologisch einfachen Wörtern benennt Eisenberg den Wortstamm als die zu betonende Silbe 2 , zu dem nicht betonbare Flexionssuffixe hinzutreten (z. B. lau-fen) 3 ; betont wird also typischerweise die vorletzte Silbe. Damit liegt für diese morphologisch einfachen, nativen Wörter eine Pänultimabetonung als zugrundeliegendes Akzentmuster vor, also ein trochäischer Fuß. Dieser kann zweisilbig, bestehend aus einer betonten und einer unbetonten Silbe sein (z. B. Spra-che), oder dreisilbig, bestehend aus einem Auftakt mit anschließender betonter und unbetonter Silbe (z. B. zu-sam-men) (Eisenberg 2013: 135-136). 4 Wie beim nativen, morphologisch einfachen Wortschatz existiert auch für den nicht nativen morphologisch einfachen Wortschatz das trochäische Muster als Betonungsstruktur (z. B. Me-lo-ne), jedoch gibt es hier vor allem eine große Zahl an Wörtern, die auf der letzten Silbe betont werden (z. B. Ma-ga-zin, Eisen‐ berg 2013: 139). Als Erklärung der Letztbetonung kann die Schwere dieser letzten Silben herangezogen werden (Kaltenbacher 1994: 102, Eisenberg 2013: 138). 2.1.2. Morphologisch komplexe Wörter Als morphologisch komplexe Wörter gelten hier solche, die sich in mehrere freie und/ oder Ableitungsmorpheme zerlegen lassen, darunter Komposita (Eisenberg 2013: 135), auf denen im Folgenden der Fokus liegt. In Bezug auf die Wortakzent‐ struktur unterscheidet Eisenberg zwischen einfachen und mehrgliedrigen, d. h. komplexen Komposita (Eisenberg 2013: 140-142). Für einfache Komposita, die sich aus zwei freien Morphemen zusammen‐ setzen, gilt: Unabhängig davon, ob Bestimmungs- und Grundwort aus dem nativen oder nicht nativen Wortschatz stammen, trägt stets der erste Bestandteil des Kompositums, d. h. das Bestimmungswort, den Akzent (z. B. Haus-tür, 285 Effekte eines explizit bewusstmachenden Aussprachetrainings zum deutschen Wortakzent Eisenberg 2013: 140). Ist das Erstglied mehrsilbig, trägt die entsprechende Silbe des Bestimmungswortes den Akzent (z. B. Schlüs-sel-bund). Ein komplexes Kompositum entsteht dadurch, dass eine sogenannte Rechts- oder Linksverzweigung vorgenommen wird: Dabei wird in die Position einer der beiden Bestandteile eines einfachen Kompositums wiederum ein Kompositum eingesetzt. Bei einer Linksverzweigung wird der erste Bestandteil bzw. die ent‐ sprechende Silbe des Erstglieds, d. h. des Bestimmungswortes, akzentuiert (z. B. Schrank-schlüs-sel Klei-der-schrank-schlüs-sel). Bei einer Rechtsverzweigung kann der Akzent auf dem Erst- oder Zweitglied liegen: Ist das Bestimmungs‐ wort hinreichend lexikalisiert, so kann der Akzent auf dem ersten Bestandteil beibehalten werden (z. B. Stu-den-ten-wohn-heim). Ist dies nicht der Fall, so ist der zweite Bestandteil, also das Grundwort, Träger des Akzents (z. B. Gar-ten-schau vs. Bun-des-gar-ten-schau, Eisenberg 2013: 143). Werden beide Bestandteile eines einfachen Kompositums verzweigt, so ist wiederum das Zweitglied Akzentträger (Eisenberg 2013: 142-143). Unter den Ableitungen stellen Partikelverben eine relevante Gruppe mor‐ phologisch komplexer Wörter dar, d. h. Verben mit abtrennbarer Partikel (z. B. ein-kau-fen) - im Gegensatz zu nicht abtrennbaren Präfixen (z. B. ver-kau-fen) - sowie die daraus abgeleiteten Nomen (z. B. Ein-kauf). Sie verhalten sich wie linksverzweigende Komposita, d. h. Partikeln ziehen den Akzent auf sich (Eisenberg 2013: 243, Kaltenbacher 1994: 102). Bei anderen Ableitungen hängt die Akzentverschiebung gegenüber dem morphologisch einfachen Wort vom jeweiligen Derivationsmorphem ab. Man unterscheidet dabei zwischen akzentneutralen, d. h. unbetonten Derivations‐ suffixen wie z. B. -bar, -heit und solchen, häufig entliehenen Suffixen, die den Akzent auf sich ziehen wie z. B. -abel, -ei (Eisenberg 2013: 137, 139). Derivationen außer Partikelverben werden im Folgenden angesichts der Erwerbsstufe der Zielgruppe (s. Abschnitt 4.2) nicht berücksichtigt. Im folgenden Entscheidungsbaum (Abb. 2) sind die jeweiligen grundlegenden Regelhaftigkeiten nach Eisenberg zusammengefasst dargestellt (grau hinterlegt die Wortakzenttypen, die in der Studie berücksichtigt wurden): 286 Franziska Baumeister Das Wort ist morphologisch... einfach komplex nativ (ohne/ mit Auftakt) z.B. Ta-sche Pänultima- Betonung nicht-nativ z.B. Me-di-zin Ultima- Betonung Kompositum Partikelverb z.B. an-fang-en Partikel- Betonung Derivationen einfach z.B. Ta-schen-uhr, Me-di-zin-schrank Betonung der entsprechenden Silbe des Erstglieds komplex z.B. Stu-den-tenwohn-heim, Bun-des-gar-tenschau Betonung der entsprechenden Silbe des Erst-/ Zweitglieds Abb. 2: Entscheidungsbaum zur Wortakzentbestimmung im Deutschen Insgesamt zeigt sich, dass das dominante Muster die Stammbetonung mit einem zwei- oder dreisilbigen trochäischen Fuß ist, der aus einer betonten und einer unbetonten Silbe mit oder ohne Auftakt besteht. Abweichungen davon betreffen vor allem nicht native morphologisch einfache Wörter sowie verschiedene Klassen morphologisch komplexer Wörter, deren Akzentuierung teilweise nicht offensichtlich anhand einer einfachen Regel vorhersagbar ist. Um den Zusammenhang zwischen den hier skizzierten Schemata des Wort‐ akzents und der selektiven Aufmerksamkeit bei ihrem Erwerb durch Lernende einer Fremdsprache herzustellen, ist es notwendig, auf die Begriffe Frequenz und Transparenz einzugehen: Mit Frequenz ist die Häufigkeitsrate gemeint, mit der Lernende bestimmten sprachlichen Formen im Input ausgesetzt sind (N. Ellis 2002: 148-149, N. Ellis 2006: 172-173, Loewen & Reinders 2011: 73); Transpa‐ renz bezeichnet die Regelhaftigkeit bestimmter Form-Bedeutung-Zuordnungen, die es Lernenden ermöglicht, die darin enthaltenen abstrakten Strukturen zu erkennen (DeKeyser 2005: 3). Allgemein wird angenommen, dass Regelhaftigkeiten sprachlicher Struk‐ turen und Form-Bedeutung-Zuordnungen umso leichter erworben werden, je häufiger, salienter und transparenter sie sind (N. Ellis 2007: 30); ebenso wird davon ausgegangen, dass für einfache, transparente Regelhaftigkeiten der Einsatz expliziten Wissens nutzbringender ist als für sehr komplexe Zusam‐ menhänge (N. Ellis 2007: 22). Seltener auftretende Wortformen und weniger transparente Strukturen werden demzufolge typischerweise schwerer erworben (N. Ellis 2007: 30). 287 Effekte eines explizit bewusstmachenden Aussprachetrainings zum deutschen Wortakzent 5 Im Lehrwerk „Studio 21 A1.1“ von Cornelsen, das von den frankophonen Lernenden in der durchgeführten Interventionsstudie benutzt wurde, besteht der bis zum Unter‐ suchungszeitraum erlernte Wortschatz z. B. aus 78 morphologisch einfachen nativen Wörtern, 9 morphologisch einfachen nicht nativen Wörtern, 25 Komposita und 8 Partikelverben. Im Falle des deutschen Wortakzents kann das trochäische Muster morpho‐ logisch einfacher Wörter als frequente und transparente Regelhaftigkeit ange‐ nommen werden, da zumindest im frühen deutschen Grundwortschatz die Mehrzahl der Wörter morphologisch einfach ist. 5 Ausnahmen davon bilden aus anderen Sprachen entlehnte Wörter, die teilweise nach einem jambischen Betonungsmuster akzentuiert werden, d. h. den Akzent auf der letzten Silbe tragen. Morphologisch komplexe Wörter treten dahingegen seltener auf, sind also weniger frequent und ihre verschiedenen Muster (z. B. Komposita, Partikelverben) sind darüber hinaus in ihrer Akzentuierung teilweise intransparenter. Die Struktur des deutschen Wortakzentsystems legt die Hypothese nahe, dass insbesondere die Betonung morphologisch komplexer Wörter (siehe rechter Pfad in Abb. 2) eine potenzielle Erwerbsherausforderung für Lernende des Deutschen als Fremdsprache mit Französisch als Erstsprache darstellt. 2.2. Erlernte selektive Aufmerksamkeit aufgrund von Verarbeitungsroutinen in der Erstsprache Ein zweiter Faktor, der beeinflusst, auf welche Formen Lernende einer Fremd‐ sprache ihre unbewusste Aufmerksamkeit im Sprachangebot richten (oder nicht), sind erstsprachliche Routinen der Aufmerksamkeit und Verarbeitung, die Lernende in den Fremdspracherwerbsprozess mit einbringen (N. Ellis 2006: 165, N. Ellis & Sagarra 2011: 590). Dies bedeutet, dass Lernende aufgrund stark eingeschliffener und auf die L1 geeichter und automatisierter Aufmerksamkeits- und Verarbeitungsroutinen abweichende oder inkompatible Merkmale der L2 (Kategorien, Marker, Muster etc.) im L2-Input nicht wahrnehmen, weil ihre Fähigkeit zur Aufmerksamkeit für bzw. Wahrnehmung von Informationen (etwa Betonungsmustern), die in der L1 nicht vorhanden sind, im Verlaufe ihres L1-Erwerbsverlaufes geschwunden ist: Dies wird als erlernte Aufmerksamkeit (Learned Attention) bezeichnet (N. Ellis 2006). Diese führt unter Umständen dazu, dass auch für häufige Strukturen und Form-Bedeutung-Zuordnungen kein erwerbsrelevanter Intake generiert werden kann. So zeigen beispielsweise N. Ellis und Sagarra (2011) in einem Miniatursprachenexperiment für die Domäne der Morphologie, dass Lernende einer stark flektierenden Sprache (hier: Latein), deren L1 keine Flexion kennt (wie etwa das Chinesische), weniger Aufmerksamkeit für Flexionsendungen zeigen (gemessen durch Eye-Tracking) 288 Franziska Baumeister 6 Als nicht betonbare Silben gelten Silben, die einen Schwa-Laut tragen (Eisenberg 1991: 40). und diese auch weniger gut erwerben als SprecherInnen flektierender Sprachen (wie etwa des Russischen). Für den Erwerb der Wortakzentstruktur des Deutschen als Fremdsprache durch frankophone SprecherInnen bedeutet dies, dass das unbewusste phono‐ logische Wissen zum Akzentsystem im Französischen die Lernenden darin be‐ einflusst, wie sie den Wortakzent des Deutschen wahrnehmen. Studien zeigen, dass eine erschwerte Wahrnehmung des Wortakzents gerade bei Lernenden mit solchen Erstsprachen festzustellen ist, die, anders als das Deutsche, über einen nicht distinktiven Wortakzent verfügen, wie dies unter anderem bei SprecherInnen des Französischen der Fall ist (Caspers 2009: 33, Chrabaszcz, Winn, Lin & Isardi 2014: 1469, Peperkamp & Dupoux 2002: 203). Im Französischen tragen Wörter ihren Wortakzent auf der letzten betonbaren Silbe, was in einem jambischen Betonungsmuster resultiert (z. B. é-tu-dier ‚studieren‘, hand-ball ‚Handball‘, ache-ter ‚kaufen‘); im Sprechfluss ist im Französischen im Vergleich zum Deutschen jedoch nicht das Wort, sondern die sogenannte Phrase die wichtigste Einheit, die aus mehreren Wörtern besteht. Akzentuiert wird dabei jeweils die letzte betonbare 6 Silbe einer Phrase (Paradis & Deshaies 1990: 136, Walker 1984: 27). Das Phänomen, dass Lernende mit Erstsprachen wie dem Französischen, das über ein festes Akzentmuster und damit nicht über Mustervarianz verfügt, Unterschiede im Betonungsmuster eines Minimalpaars, wie sie im Deutschen vorliegen, nicht oder nur sehr schwer wahrnehmen, wird auch als Deafness bezeichnet (Peperkamp & Dupoux 2002: 203). Diese „Taubheit“ für unterschied‐ liche Akzentuierungsmuster könnte im Folgenden also dafür verantwortlich sein, dass bestimmte Akzentmuster des Deutschen als Fremdsprache nicht wahrgenommen werden (s. dazu den Begriff der Blockierung (Blocking) bei N. Ellis 2006). Für Lernende des Deutschen als Fremdsprache mit Französisch als Erst‐ sprache kann also angenommen werden, dass das gesamte Betonungssystem des Deutschen Schwierigkeiten hervorrufen kann. Bereits das trochäische Muster morphologisch einfacher Wörter erfordert für die Lernenden eine Umstellung (gegenüber ihrer L1-Routine der Endbetonung). Noch schwieriger könnten die unterschiedlichen Betonungsmuster morphologisch komplexer Wörter sein. Dies könnte gerade bei Komposita zusätzlich erschwert werden, da diese im Französischen auch aus morphologischer Perspektive nicht in derselben Weise gebildet werden wie im Deutschen. 289 Effekte eines explizit bewusstmachenden Aussprachetrainings zum deutschen Wortakzent 7 Ausführlich dazu Kohl-Dietrich & Maiberger in diesem Band. 3. Didaktische Optionen gesteuerter Aufmerksamkeitslenkung Das oben skizzierte Phänomen der (erlernten) selektiven Aufmerksamkeit scheint wegen der komplexen Wortakzentstruktur des Deutschen und wegen der potenziellen Einflussnahme des französischsprachigen L1-Wissens den Erwerb des deutschen Wortakzents zu erschweren. Es stellt sich daher die Frage, wie der Erwerbsprozess bei frankophonen Lernenden didaktisch unterstützt werden kann, wie also die potenziell erwerbshindernden Effekte (erlernter) selektiver Aufmerksamkeit vermindert und möglicherweise sogar überwunden werden können. Ziel eines didaktischen Vorgehens ist es, die Lernenden durch geeignete Maßnahmen darin zu unterstützen, ihre Aufmerksamkeit neu auszu‐ richten und sie insbesondere auf jene Strukturen im Input (und ggf. in ihrem eigenen Output, Swain 1995) zu richten, die ansonsten unberücksichtigt bleiben würden (Zimmerer, Bonneau & Andreeva 2016, Peperkamp & Dupoux 2002). Konkret geht es hier darum, das Sprachangebot didaktisch so aufzubereiten, dass die Lernenden ihre Aufmerksamkeit mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auf die für den Erwerb der Wortakzentstruktur relevanten Informationen im Input richten (ggf. auch durch die Feststellung systematischer Divergenzen zwischen dem Input und dem eigenen Output, siehe z. B. Swain 1995 zu Noticing the Gap) und diese damit besser in den Verarbeitungsprozess aufnehmen (N. Ellis 2006: 180). 3.1. Angenommene Schnittstelle zwischen expliziter Bewusstmachung und implizitem Spracherwerb Grundlegend ist hier die Annahme, dass zwei disparate Erwerbsmodi (implizit und explizit) und zwei disparate Wissensmodi (prozedural und deklarativ) existieren. Die explizite Sprachaneignung zeichnet sich dadurch aus, dass bewusst gelernt wird. Konkret kann dies beispielsweise das bewusste Lernen von Wörtern oder einer grammatischen Regel sein, z. B. über die Lokalisierung des Wortakzents bei morphologisch einfachen und komplexen Wörtern (N. Ellis 2007: 22, Kröger 2018: 128, Paradis 2009: 7). Der Zugriff auf dieses Wissen erfolgt wiederum unter Mitwirkung des Bewusstseins (R. Ellis 2014: 11-12). Prozeduraler und deklarativer Wissensspeicher sind neuronal getrennt im menschlichen Gehirn verortet (Yang & Li 2012: 1). Über einen möglichen Zu‐ sammenhang zwischen den deklarativen Wissensbeständen der Lernenden und unbewusst ablaufenden Verarbeitungsprozessen im prozeduralen Modus gibt es unterschiedliche Auffassungen, über die kontrovers diskutiert wird. 7 N. Ellis 290 Franziska Baumeister 8 Ausführlich werden diese Möglichkeiten von Henk in diesem Band behandelt. (2005) vertritt die Auffassung einer schwachen Schnittstelle (Weak Interface) zwischen deklarativem, ggf. metasprachlichem Wissen und dem Aufbau proze‐ duraler sprachlicher Kompetenz. Nach dieser Weak-Interface-Hypothese kann die Einflussnahme von deklarativem Wissen auf den Aufbau prozeduralen Wissens als dynamischer Prozess angesehen werden (N. Ellis 2005: 305). Dem‐ nach wird nicht davon ausgegangen, dass explizites Wissen direkt in implizites Wissen („Können“) transformiert werden kann, sondern dass Lernende ihr explizites Wissen dazu nutzen können, um Input bewusster zu verarbeiten, d. h. dass explizites, ggf. metasprachliches Wissen den impliziten Erwerbsprozess indirekt beeinflussen kann (N. Ellis 2005: 312, nächster Abschnitt). 3.2. Didaktische Möglichkeit der expliziten Bewusstmachung Aus Sicht der Lehrenden stellt sich die Frage, wie der Erwerb sprachlicher Formen, die aufgrund von (erlernter) selektiver Aufmerksamkeit nicht oder nur schwer Eingang in den Erwerbsprozess finden, mithilfe von explizitem Wissen optimal unterstützt werden kann. Bemühungen um bewusste oder unbewusste Aufmerksamkeitslenkung beziehen sich in bisherigen Studien vorrangig auf morphosyntaktische Form-Bedeutung-Zuordnungen (N. Ellis & Cadierno 2009: 113, N. Ellis & Sagarra 2011). Die dabei angewendeten didakti‐ schen Unterrichtsaktivitäten und Aufgabentypen, die die Aufmerksamkeit der Lernenden mehr oder weniger bewusst auf notorisch schwierige sprachliche Formen lenken sollen, werden als sogenannte formfokussierte Vermittlung (form-focused Instruction, FFI) beschrieben (R. Ellis 2001). 8 Dass explizit bewusstmachende Instruktionsformen, d. h. explizite Aufmerk‐ samkeitslenkung und Bewusstmachung von strukturellen Regelhaftigkeiten, gerade für non-saliente Zielstrukturen erwerbsfördernd wirken können (R. Ellis 2016: 412), zeigen u. a. Kasprovicz und Marsden (2018) für den Lerngegenstand Kasus im Deutschen (morphologische Markierung maskuliner Nomen im No‐ minativ vs. Akkusativ). Daneben bietet sich eine explizite Bewusstmachung bestimmter sprachlicher Strukturen nach der sogenannten Instructional-Coun‐ terbalance-Hypothese (Lyster & Mori 2006) insbesondere für grundlegend kom‐ munikativ ausgerichtete Unterrichtssettings an. In Anlehnung an Erkenntnisse zur Wirksamkeit impliziter vs. expliziter Feedbacktypen (Li 2010) wird demnach angenommen, dass ein deutlicher Kontrast zwischen grundlegender Kommu‐ nikationsorientierung und Bedeutungsaushandlung einerseits und punktueller expliziter Bewusstmachung bestimmter sprachlicher Strukturen andererseits 291 Effekte eines explizit bewusstmachenden Aussprachetrainings zum deutschen Wortakzent erwerbsförderlich sein kann (Lyster & Mori 2006: 294); dies trifft auf die hier fokussierte Zielgruppe (siehe Abschnitt 4.2) zu. 3.3. Nutzen explizit bewusstmachender Verfahren Bei der Überlegung, auf welche Weise explizites Wissen den impliziten Erwerbs‐ prozess insbesondere derjenigen sprachlichen Strukturen und Form-Bedeu‐ tung-Zuordnungen positiv beeinflussen kann, deren Wahrnehmung aufgrund (erlernter) selektiver Aufmerksamkeit erschwert wird, wird zwischen kurzfris‐ tigen und langfristigen Effekten unterschieden (Abb. 3). / 01&'%0+,-( ! 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Noticing, d. h. die Wahrnehmung sprachlicher Formen kraft bewusster Aufmerksamkeit, muss nach Schmidt bei jedem Kontakt von Lernenden mit einer sprachlichen Form stattfinden, wenn Spracherwerbsprozesse ausgelöst und vorangetrieben werden sollen (Schmidt 1990). N. Ellis (2007: 30) hingegen argumentiert, dass bewusste Aufmerksamkeit auf eine sprachliche Struktur vor allem beim ersten Kontakt mit einer neuen Struktur essenziell sei, damit eine initiale Form-Bedeutung-Zu‐ 292 Franziska Baumeister 9 Sprache wird hier als Inventar von Konstruktionen angesehen, die als Form-Bedeu‐ tung-Zuordnungen definiert sind. In diesem Sinne wird der Spracherwerb generell als Erwerbsprozess von sprachlichen Formen mit ihren dazugehörigen Bedeutungen angesehen (N. Ellis & Cadierno 2009: 111-114). ordnung angelegt werden könne. Wurde die Struktur einmal bewusst wahrge‐ nommen, sei es möglich, dass sich die Aufmerksamkeit der Lernenden fortan unbewusst auf die Form richte, wenn diese in einem Bedeutungszusammenhang auftauche (ebd.). Entsprechend sei also kein Noticing bei jeder weiteren Begeg‐ nung mit der Zielstruktur mehr nötig, sondern es sei ausreichend, wenn die Lernenden ihre unbewusste Aufmerksamkeit auf die relevanten Strukturen im Input richten und ausreichend Exemplare der Zielstruktur im Input regis‐ trieren (im Sinne perzeptiver Wahrnehmung), um potenziell erwerbsrelevanten Intake zu generieren (ebd.). Notwendige Voraussetzung dafür sei aber ein lang‐ fristiges, reiches Inputangebot, das entsprechende, situativ kontextualisierte und kommunikativ funktionale Begegnungs- und Verarbeitungsmöglichkeiten bereitstelle: Instruction is thus targeted at increasing the salience of commonly ignored features by firstly pointing them out and explaining their structure, and secondly by pro‐ viding meaningful input that contains many instances of the same grammatical meaning-form relationship (Terrell 1991). Once consolidated into the construction, it is this new cue to interpretation of the input whose strengths are incremented on each subsequent processing episode. The cue does not have to be repeatedly noticed thereafter; once consolidated, mere use in processing for meaning is enough for implicit tallying. A natural corollary is that if explicit knowledge is to be effective, it must be provided before relevant input that exemplifies it (Reber et al. 1980) if it is to affect the processing of the cue in question and become sufficiently associated with its relevant interpretation to become entrenched enough to influence implicit processing thereafter (as with the ‚Rule-and-Instances‘ learners of N. Ellis 1993) (N. Ellis 2007: 30; siehe auch R. Ellis 2016: 407-408, N. Ellis 2007: 30f.). Initiale Bewusstmachung kann also zu (deklarativem) Wissen um eine Form-Be‐ deutung-Zuordnung 9 führen, d. h. zu Bewusstheit dafür, dass es diese Struktur bzw. Form-Bedeutung-Zuordnung gibt und sie gelernt werden muss. Im wei‐ teren Verlauf kann explizites Wissen schließlich langfristig dazu beitragen, dass Lernende diese Struktur im Input besser oder öfter wahrnehmen und verarbeiten (N. Ellis 2005: 307, N. Ellis 2007: 20). So kann explizites Wissen po‐ tenziell im Kontext eines langfristigen kumulativen Prozesses zur Entwicklung impliziter Sprachkompetenz beitragen (N. Ellis 2007: 25). 293 Effekte eines explizit bewusstmachenden Aussprachetrainings zum deutschen Wortakzent Diese (didaktisch höchst reizvolle) Vorstellung, dass explizites Wissen einer sprachlichen Konstruktion deren anschließenden Input-Verarbeitungsprozess langfristig positiv beeinflusst, indem der Prozess der Aufmerksamkeitsfokus‐ sierung auf kritische Vorkommen im Input optimiert wird (Noticing, Noti‐ cing the Gap), bedarf jedoch einer empirischen Überprüfung (zur Interface-De‐ batte s. Kohl-Dietrich & Maiberger in diesem Band). Erst in longitudinalen Lehr-Lern-Studien zu den langfristigen Auswirkungen von expliziter Unterwei‐ sung auf das spontane Sprachverhalten von L2-Lernenden können Hinweise auf diesen langfristigen Effekt untersucht werden. Dabei steht nicht etwa die grundsätzliche Vermittelbarkeit von explizitem Wissen über die Existenz, Form und Funktion von (auch abstrakten und komplexen) Konstruktionen zur De‐ batte, zumindest nicht mit Blick auf jugendliche und erwachsene L2-Lernende, sondern der langfristige positive Effekt, den dieses explizite Wissen auf die zukünftige implizite Inputverarbeitung haben kann. Hinweise auf die Plausibilität der zugrunde liegenden Annahme - dass näm‐ lich explizites Wissen prinzipiell eine bessere Aufmerksamkeitsallokation auf (ansonsten unbemerkt bleibende) kritische Formen während der Online-Sprach‐ verarbeitung ermöglicht - können bereits über die Erforschung kurzfristiger Effekte expliziter Wissensvermittlung erbracht werden. Ein möglicher kurzfris‐ tiger Effekt expliziten Wissens ist der sogenannte Monitor-Effekt (Krashen 1982). Dieser beschreibt die Fähigkeit von Lernenden, ihren eigenen Output - ebenso wie den Input - durch Aufmerksamkeit auf bestimmte sprachliche Strukturen zu „überwachen“. Effekte dieses Monitors können sich z. B. in einer nachträglichen Selbstkorrektur oder durch zeitliche Verzögerungen der Outputproduktion äußern (Krashen 1982). 4. Studie zur expliziten Bewusstmachung der deutschen Wortakzentstruktur In der vorliegenden Studie wird die Plausibilität der bereits vorgestellten An‐ nahme, dass explizites Wissen eine bessere Aufmerksamkeitsallokation auf an‐ sonsten unbemerkt bleibende Formen im Input ermöglicht, für einen komplexen phonologischen Lerngegenstand, das deutsche Wortakzentsystem, überprüft. Hierbei steht nicht das Ziel im Fokus, langfristige Effekte von explizitem Wissen auf das implizite Lernverhalten (also Analyse und Verwertung des Inputs) zu untersuchen. Vielmehr wird geprüft, inwieweit rasch vermitteltes und explizit gelerntes Wissen (hier: zum Wortakzent im Deutschen) das Potential aufweist, von Lernenden kurzfristig während der Online-Sprachverarbeitung als Wissensressource und damit als Monitor genutzt zu werden. 294 Franziska Baumeister Können in der nachfolgenden Studie kurzfristige Monitor-Effekte aufgezeigt werden, d. h. kommt es bei diesem Monitorprozess zu einer Kollision zwischen der (impliziten) lernergrammatischen (ggf. auch vom L1-Wissen beeinflussten) Produktionsweise (z. B. Betonung von Zweisilbern auf der finalen, reduzierten Silbe: Lam-pe) und dem (expliziten) Inhalt der bewusst erworbenen Wissensres‐ source (Betonung bei Zweisilbern auf der Pänultima: Lam-pe), so wird erwartet, dass es zu einer Revision der ursprünglichen Sprachplanung kommt, die sowohl in eine zeitverzögerte als auch in eine korrektere Äußerung mündet. Auch wenn diese neu etablierte Fähigkeit der Wahrnehmungsfokussierung, sofern sie nachweisbar sein wird, im Rahmen des hier vorgestellten Experiments (1) „nur“ mit Blick auf die eigene Sprachproduktion und (2) „nur“ in ihrer nachge‐ ordnet-korrektiven (und deshalb zeitverzögerten) Funktion (N. Ellis 2007: 19) untersucht wird, können derartige Monitor-Effekte (im Sinne der Zunahme der Korrektheitswerte bei verzögerter Reaktionszeit) belegen, dass ein Wirkungszu‐ sammenhang zwischen der Verfügbarkeit von explizitem Wissen einerseits und seiner Nutzung für Online-Prozesse der Aufmerksamkeitslenkung andererseits prinzipiell besteht. In diesem Fall kann in Folgestudien die Anschlussfrage aufgerufen werden, ob der nachgewiesene Effekt des expliziten Wissens über den bewussten (und damit zeitverzögerten) Zugriffsmodus hinaus langfristig auch auf den Bereich der unbewussten Aufmerksamkeitslenkung wirksam ist. 4.1. Ablauf des Wortakzenttrainings Auf Grundlage dieser Annahmen wurde im März 2018 ein explizit bewusstma‐ chendes Training zum deutschen Wortakzent konzipiert. Dieses wurde bei frankophonen Lernenden des Deutschen als Fremdsprache an einer französisch‐ sprachigen Universität in Montreal durchgeführt; die Effekte wurden in einer quasi-experimentellen Untersuchung getestet. Ziel des Wortakzenttrainings war es, die Lernenden (siehe Abschnitt 4.2) darin zu unterstützen, ein explizites Verständnis des deutschen Wortakzent‐ systems zu erlangen. Inhaltlich und zeitlich wurde das Training in zwei Unterrichtssequenzen von jeweils 25 Minuten aufgeteilt. Während im ersten Teil des Trainings die Akzentuierungsmittel im Vordergrund standen, lag der Schwerpunkt im zweiten Teil auf der Lokalisierung des deutschen Wortakzents. Im Folgenden wird ausschließlich der zweite Teil des Trainings thematisiert, d. h. derjenige, in dem die Regelhaftigkeiten des deutschen Wortakzents im Vordergrund standen. Das übergeordnete Ziel der Sequenz zur Lokalisierung des deutschen Wortakzents war es, durch das Training (s. u.) bei den Lernenden explizite Wissensbestände über die folgenden zentralen Regelhaftigkeiten in Bezug auf den deutschen Wortakzent aufzubauen: 295 Effekte eines explizit bewusstmachenden Aussprachetrainings zum deutschen Wortakzent 10 Was Partikelverben, also trennbare Verben, sind, ist den Lernenden zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt. 1. Silben mit Schwa-Lauten können generell nicht akzentuiert werden. 2. Die meisten einfachen Wörter tragen ihren Akzent auf der Pänultima, d. h. der vorletzten Silbe (die häufig gleichzeitig die erste Silbe ist). 3. Bei zusammengesetzten Wörtern, d. h. Komposita, wird meist das Erstglied (Bestimmungswort) betont. 4. Wenn das Bestimmungswort mehrere Silben hat, wird Regel 2 angewandt, um die zu akzentuierende Silbe des Erstglieds zu identifizieren. 5. Partikelverben 10 tragen ihren Akzent auf der Partikel. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden drei Aufgaben konzipiert (siehe Anhang). In der ersten Aufgabe wurde den Lernenden eine Tabelle mit elf verschiedenen, bereits bekannten Wörtern, in vier Spalten gruppiert, präsentiert. Während die Lehrende die Wörter zunächst laut vorlas, sollten die Lernenden bei jedem der elf Wörter diejenige Silbe markieren, bei der sie den Wortakzent hörten. Dabei sollten sie feststellen, dass in der ersten und zweiten Spalte Wörter aufgelistet waren, deren Wortakzent auf der Pänultima liegt, die also nach dem trochäischen Muster akzentuiert werden (Regeln 1-2). In der dritten Spalte waren zweigliedrige Komposita, die auf der zu akzentuierenden Silbe des ersten Kompositionsglieds betont werden (in der hier berichteten Studie bestand das erste Kompositionsglied immer aus einem Morphem, jedoch ggf. aus mehreren Silben, sodass die Regeln 3-4, s. o., zur Anwendung kommen), und in der vierten Spalte Partikelverben, die auf der Partikel akzentuiert werden (Regel 5). Dieses Wissen über die Lokalisierung des Wortakzents dieser Wörter sollten sich die Lernenden durch eine bewusste, induktive Regelfindung erarbeiten (R. Ellis 2014: 11). In der zweiten Aufgabe präsentierte die Lehrende akustisch und visuell sechs weitere bekannte Wörter, die von den Lernenden den drei zuvor eta‐ blierten Kategorien (morphologisch einfache Wörter mit Pänultimaakzentuie‐ rung, Komposita, Partikelverben) zugeordnet werden sollten. Die Korrektheit der induzierten Regelhaftigkeiten aus den ersten beiden Aufgaben wurde im Plenum überprüft. Dabei wurden Fehler in der vorgenommenen Lokalisierung der Wortakzente besprochen und offene Fragen von Seiten der Lernenden geklärt. Die im Fokus stehenden Regelhaftigkeiten wurden auf Grundlage der von den Lernenden vorformulierten Beobachtungen jeweils gemeinsam im Plenum präzise formuliert und die Ergebnissicherung zur Erleichterung in einer Power-Point-Präsentation bereitgestellt. 296 Franziska Baumeister In der dritten Aufgabe wurden den Lernenden drei gesummte Wortakzent‐ muster und die dazugehörigen visuellen Akzentbilder präsentiert (s. Anhang), zu denen sie jeweils Wörter mit dem passenden Akzentmuster finden sollten. Die Korrektheit der gefundenen Wörter mit den entsprechenden Mustern wurde mündlich besprochen. 4.2. Datenerhebung Zur Erfassung der Effekte dieses explizit bewusstmachenden Trainings zum deutschen Wortakzent wurden im Rahmen einer quasi-experimentellen Unter‐ suchung (R. Ellis 2012: 36) in zwei parallel geführten Deutschkursen Daten erhoben. Die Lernenden beider Kurse waren nach dem europäischen Referenz‐ rahmen auf dem Sprachniveau A1.1 und wurden von derselben Deutschlehrerin unterrichtet, deren eigene Erstsprache Deutsch ist. Zum Zeitpunkt der Durch‐ führung des Wortakzenttrainings nahmen die Lernenden bereits seit neun Wochen an einem Deutschkurs teil. Einer der beiden Kurse (bestehend aus 12 Lernenden) bildete die Experimentgruppe (EG), die das Wortakzenttraining erhielt, der andere Kurs (bestehend aus 10 Lernenden) fungierte als Kontroll‐ gruppe (KG), die das Training nicht erhielt. Eine Woche vor dem Start des Trainings in der Experimentgruppe wurde sowohl in der EG als auch in der KG ein Vortest durchgeführt; eine Woche nach Beendigung des Trainings in der EG nahmen beide Gruppen zudem an einem Nachtest teil. Beide Tests bestanden jeweils aus einer kontrollierten sowie einer freieren mündlichen Produktionsaufgabe, die die Lernenden am PC mit Mikrophonen ausgestattet über die Lernplattform „Moodle“ bearbeiteten. Bei der kontrollierten Produktionsaufgabe wurden den Lernenden sieben Wörter in einer Reihe präsentiert. Die Lernenden wurden aufgefordert, diese laut vorzulesen. Die Auswahl der sieben Testitems entsprach den im Training explizit vermittelten Regeln zur Lokalisierung des deutschen Wortakzents; alle Wörter waren zudem bereits im regulären Wortschatz der Lernenden aufge‐ taucht: Zwei Items (z. B. trinken, Süden) hatten eine Pänultimaakzentuierung im trochäischen Akzentmuster; drei weitere Items (z. B. studieren, Adresse) wiesen eine Pänultimaakzentuierung mit Auftakt auf (Regel 1, 2). Daneben wurden ein Partikelverb (z. B. anfangen, Regel 5) und ein einfaches Kompositum (z. B. Orangensaft, Regel 3, 4) präsentiert. Die Reaktionen der Lernenden beider Gruppen wurden in zweierlei Hinsicht analysiert: Zum einen wurde geprüft, ob der Wortakzent richtig platziert wurde oder nicht. Zum anderen wurde die Reaktionszeit gemessen, die zwischen dem Ende der Artikulation eines Wortes und dem Einsatz der Artikulation des darauffolgenden Wortes verging; Reaktionszeiten wurden gemessen, um zu prüfen, ob das angeeignete 297 Effekte eines explizit bewusstmachenden Aussprachetrainings zum deutschen Wortakzent explizite Wissen auch zum Einsatz kommt (s. Monitor), was sich in längeren Reaktionszeiten niederschlagen sollte (s. u.). Bei der freieren Satzproduktionsaufgabe wurden den Lernenden vier Bilder dargeboten. Ihre Aufgabe bestand darin, spontan einen Satz zu jedem Bild zu produzieren. Berücksichtigt wurden in der Auswertung lediglich die Pro‐ duktionen der vier Ziel-Items, auf welche die explizit erarbeiteten Regeln anwendbar waren (z. B. Norden, Orchester (Regel 2); Wörterbuch (Regel 3, 4)). Keines der Items aus den Tests wurde während des Trainings verwendet und beide Testversionen (Vor- und Nachtest) enthielten unterschiedliche, aber äquivalente Items. 4.3. Arbeitshypothesen Im Vortest wurden aufgrund der in Abschnitt 1 dargestellten Faktoren der (er‐ lernten) selektiven Aufmerksamkeit (Stichworte: Frequenz, Transparenz, aus der Erstsprache übernommene Verarbeitungsmechanismen) folgende Ergebnisse erwartet: 1. Die Lernenden beider Gruppen akzentuieren morphologisch einfache (be‐ kannte) Wörter sowohl in der kontrollierten als auch der freien Produktion vereinzelt falsch, weil sie das jambische Akzentmuster der L1 Französisch (für isolierte Wörter, die nicht in einer Phrase auftauchen) ins Deutsche übertragen. 2. Die Lernenden beider Gruppen akzentuieren morphologisch komplexe (bekannte) Wörter sowohl in der kontrollierten als auch in der freien Produktion überwiegend falsch, weil diese erstens weniger frequent und deren Akzentmuster intransparenter sind und weil sie zweitens auch hier das jambische Akzentmuster anwenden. In Bezug auf die Interventionseffekte wurden aufgrund des in Abschnitt 3 dargestellten potenziellen Nutzens von expliziten Bewusstmachungen folgende Ergebnisse erwartet (potenzielle Interventionseffekte zeigen sich dabei im Unterschied zwischen den Vortest-Nachtest-Differenzen in der Experiment- und der Kontrollgruppe): 3. Die Lernenden der EG akzentuieren im Nachtest morphologisch einfache Wörter sowohl in der kontrollierten als auch in der freien Produktionsauf‐ gabe häufiger richtig als im Vortest, da sie explizit die Pänultima-Regel erarbeitet haben und Aufmerksamkeit für das entsprechende Betonungs‐ muster entwickelt haben sollten; in der KG zeigen sich keine Vortest-Nach‐ test-Differenzen. 298 Franziska Baumeister 4. In der kontrollierten Produktionsaufgabe akzentuieren die Lernenden der EG morphologisch komplexe Wörter (hier: zweigliedrige Komposita) im Nachtest häufiger richtig als im Vortest, weil sie beim Artikulieren der entsprechenden Wörter auf explizites Wissen zur Betonung von Komposita zurückgreifen können; dieser Monitor-Effekt verlangsamt ggf. die Sprach‐ produktion; in der KG zeigen sich keine Vortest-Nachtest-Differenzen. In der freieren Produktionsaufgabe sollten sich in der EG geringere Interventi‐ onseffekte zeigen als in der kontrollierten Produktion, weil die Lernenden bei der Artikulation der Zielwörter jeweils in einem vollständigen Satz weniger freie Kapazitäten haben, die explizit erarbeiteten Akzentmuster der Zielwörter bewusst zu monitoren, während durch die Aufgabenstellung ihr Hauptaugen‐ merk auf dem Formulieren der inhaltlichen Seite der Bildbeschreibung liegen sollte (Bongaerts, van Summeren, Planken & Schils 1997). Da die Daten der freien Produktion aufgrund ihres geringen Umfangs für die meisten Lernenden allerdings keine eindeutigen Schlüsse über mögliche Veränderungen zulassen, werden in der folgenden Ergebnisdarstellung die Daten aus der kontrollierten Produktionsaufgabe priorisiert und die Daten aus der freieren Produktionsauf‐ gabe nur bei denjenigen Lernenden, bei denen ausreichend Daten vorliegen, in die individuelle Analyse miteinbezogen. 5. Ergebnisse der Untersuchung Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse der Studie in den verschiedenen Kategorien (morphologisch einfache Wörter (ohne und mit Auftakt), morphologisch kom‐ plexe Wörter (Komposita, Partikelverben)) bei der EG (Lernende E01-E12), die das Wortakzenttraining erhielt, und bei der KG (Lernende K01-K10), die das Training nicht erhielt, jeweils im Vor- und im Nachtest für die kontrollierte Produktion. Die Fehlerzahlen werden deskriptiv absolut und für alle Lernenden individuell aufgelistet. Dabei wird angegeben, wie viele der produzierten Wörter falsch akzentuiert wurden (Anzahl der Stimuli pro Testzeitpunkt: 2 morpholo‐ gisch einfache Wörter ohne Auftakt, 3 morphologisch einfache Wörter mit Auftakt, 1 Kompositum, 1 Partikelverb). 299 Effekte eines explizit bewusstmachenden Aussprachetrainings zum deutschen Wortakzent Wortakzent‐ struktur Morphologisch einfache Wörter (ohne Auftakt) (2x) z.B. trinken Morphologisch einfache Wörter (mit Auftakt) (3x) z.B. bekommen Morphologisch komplexe Wörter: Kompositum (1x) z.B. Landkarte Morphologisch komplexe Wörter: Partikelverb (1x) z.B. anfangen Anzahl Fehler im Vortest im Nach‐ test im Vortest im Nach‐ test im Vortest im Nachtest im Vortest im Nachtest E01 0 0 0 0 1 0 1 0 E02 0 0 0 0 1 0 1 1 E03 0 0 0 0 1 0 1 1 E04 0 0 2 0 1 0 1 1 E05 0 0 1 0 0 0 1 0 E06 0 0 1 0 0 0 1 0 E07 0 0 1 0 0 0 1 0 E08 0 0 0 0 0 0 0 0 E09 0 0 0 0 0 0 1 1 E10 0 0 0 0 0 1 1 1 E11 0 0 0 0 0 0 1 1 E12 0 0 0 0 1 1 1 1 Durchschnitt‐ liche Fehler‐ quote in der Ex‐ perimentgruppe 0% 0% 14% 0% 42% 17% 92% 58% 300 Franziska Baumeister Wortakzent‐ struktur Morphologisch einfache Wörter (ohne Auftakt) (2x) z.B. trinken Morphologisch einfache Wörter (mit Auftakt) (3x) z.B. bekommen Morphologisch komplexe Wörter: Kompositum (1x) z.B. Landkarte Morphologisch komplexe Wörter: Partikelverb (1x) z.B. anfangen K01 0 1 2 0 0 0 1 1 K02 0 0 0 0 0 0 1 1 K03 0 0 1 0 0 0 0 0 K04 0 0 2 0 1 0 1 1 K05 0 0 1 0 1 1 1 1 K06 0 0 1 0 1 1 1 1 K07 0 0 0 0 1 1 1 1 K08 0 0 0 0 0 1 1 1 K09 0 0 1 1 0 0 0 0 K10 0 0 0 0 0 0 1 1 Durchschnitt‐ liche Fehler‐ quote in der Kontrollgruppe 0% 5% 27% 3% 40% 40% 80% 80% Tab. 1: Testergebnisse kontrollierte Produktion: Fehlerzahlen absolut (individuell) und prozentual (Gruppe) 301 Effekte eines explizit bewusstmachenden Aussprachetrainings zum deutschen Wortakzent 5.1. Akzentuierung morphologisch einfacher Wörter Für morphologisch einfache Wörter wurde erwartet, dass diese im Vortest von den Lernenden beider Gruppen teilweise falsch akzentuiert werden, weil sie das im Französischen vorherrschende jambische Akzentmuster ins Deutsche übertragen (Hypothese 1). Für die Experimentalgruppe wurde die Hypothese aufgestellt, dass sich die Fehlerzahlen vom Vortest zum Nachtest verbessern; dies sollte im Kontrast zu gleichbleibenden Fehlerzahlen in der Kontrollgruppe stehen (Hypothese 3). Die Ergebnisübersicht in Tabelle 1 zeigt, dass sich im Vortest bei der Akzen‐ tuierung morphologisch einfacher Wörter keine Unterschiede zwischen der EG und der KG feststellen lassen. Beide Gruppen akzentuierten morphologisch einfache Wörter ohne Auftakt bei beiden Tests (ausgenommen K01 im Nachtest) richtig. Bei morphologisch einfachen Wörtern mit Auftakt hingegen akzentu‐ ierten die Lernenden E04, E05, E06 und E07 in der EG sowie K01, K03, K04, K05, K06 und K09 in der KG im Vortest noch falsch, während sie (ausgenommen K09) alle Wörter dieses Typs im Nachtest richtig betonten. Somit bestätigen sich die Hypothesen in Bezug auf morphologisch einfache Wörter nur teilweise. Es fällt auf, dass die Akzentuierung morphologisch einfacher Wörter ohne Auftakt den Lernenden auch ohne Intervention keine bzw. nur sehr geringe Schwierigkeiten bereitete; die Lernenden hatten dieses häufige und transparente Akzentmuster also auch ohne Intervention bereits erworben. Hinsichtlich der Wörter mit Auftakt, für die sich sowohl Lernende der EG als auch der KG vom Vortest zum Nachtest hin verbesserten, könnten innerhalb der vier Wochen zwischen Vor- und Nachtest implizite (oder explizite) Erwerbsprozesse abgelaufen sein (z. B. durch Feedback oder Einschleifung). Diese Vermutung wird durch die Beobachtung gestützt, dass die Fehlerrate bei der Akzentuierung morphologisch einfacher Wörter mit Auftakt auch in der KG deutlich sinkt (von 27 % auf 3 %). Bei Betrachtung der Art der falsch akzentuierten Wörter zeigt sich, dass in beiden Gruppen bei zwei Dritteln der fehlerhaften Betonungen ein jambisches Akzentmuster ins Deutsche „über‐ tragen“ wurde; hier liegt also eine Letztbetonung vor. So wurde beispielsweise von E06 im Vortest die Ultima anstelle der Pänultima in „stu-die-ren“ betont (entgegen Regel 1, 2). 5.2. Akzentuierung morphologisch komplexer Wörter Für morphologisch komplexe Wörter wurde erwartet, dass diese von den Lernenden beider Gruppen im Vortest teilweise falsch akzentuiert werden, weil sie erstens weniger frequent sind und das Akzentmuster intransparenter ist und weil die Lernenden zweitens auch hier das jambische L1-Akzentmuster 302 Franziska Baumeister 11 Auf einen mittelfristigen Effekt der expliziten Bewusstmachung (Wissen) auf die implizite Sprachkompetenz (Können) würde z. B. eine starke Verbesserung der EG in der freieren Produktionsaufgabe (Satzproduktion) hinweisen; aufgrund der Datenlage können dazu leider keine verlässlichen Aussagen gemacht werden. anwenden (Hypothese 2). Für den Nachtest wurde angenommen, dass die EG mithilfe des explizit erworbenen Wissens Aufmerksamkeit für das Akzent‐ muster morphologisch komplexer Wörter entwickeln kann und ihnen dieses kurzfristig vor allem in der kontrollierten Produktion hilft, diese Wörter richtig zu akzentuieren. 11 Für die KG wurden keine Veränderungen angenommen (Hypothese 4). Die Ergebnisübersicht in Tabelle 1 zeigt für den Vortest wiederum vergleich‐ bare Fehlerzahlen bei EG und KG in Bezug auf die Akzentuierung morpholo‐ gisch komplexer Wörter. So akzentuierten im Vortest in beiden Gruppen jeweils rund 40 % aller Lernenden das Kompositum und 92 % in der EG und 80 % in der KG das Partikelverb falsch. Während die Fehlerrate bei morphologisch komplexen Wörtern in der KG im Nachtest unverändert blieb (hier verbesserte sich lediglich K04 beim Kompositum, K08 verschlechterte sich), verbesserte sich die EG deutlich. Das Kompositum wurde im Nachtest von den Lernenden E01, E02, E03 und E04 nun richtig akzentuiert; beim Partikelverb betraf dies die Lernenden E01, E05, E06 und E07. Die Hypothesen bestätigen sich hier also. Eine Analyse der Art der Fehler zeigt auch für morphologisch komplexe Wörter, dass falsche Akzentuierungen in allen Fehlern die Ultima betreffen, also eine Übertragung des Musters aus dem Französischen angenommen werden kann: Entgegen der Regeln 1 und 5 wurde hier beispielsweise das Wort „an-fang-en“ auf der Ultima, d. h. auf „-en“ betont; entgegen der Regel 3 wurde beispielsweise das Wort „Haupt-stadt“ auf der Ultima, d. h. auf „-stadt“ betont. 5.3. Reaktionszeiten und Entwicklung der Akzentuierungskorrektheit Neben der Lokalisierung des Akzents wurde bei der kontrollierten Produktionsaufgabe gleichzeitig die Reaktionszeit der Lernenden gemessen, die vom Lesen bis zur Produktion des jeweiligen Wortes verging. Dies beruht auf der Annahme, dass erhöhte Reaktionszeiten, ebenso wie beispielsweise bewusste Übungsanstrengungen oder Selbstkorrekturen, kurzfristig „messbare“ Indika‐ toren für bewusste Aufmerksamkeit sind (Krashen 1982). In Tabelle 2 ist exemplarisch die Veränderung der Reaktionszeit beim Kom‐ positum von Vortest zu Nachtest aller Lernenden beider Gruppen dargestellt: Während die Zeit vom Lesen bis zur Produktion der Komposita vom Vortest zum Nachtest bei fünf Lernenden der EG (E03, E04, E05, E06, E07) deutlich länger 303 Effekte eines explizit bewusstmachenden Aussprachetrainings zum deutschen Wortakzent 12 Dieser Lernende las die Liste der Wörter im Nachtest insgesamt sehr schnell vor. wurde (Zunahme um mehr als eine Sekunde), ist dies in der KG lediglich bei einem der Lernenden (K05) der Fall. Reaktionszeit in Sekunden Reaktionszeit in Sekunden Vortest Nachtest Verände‐ rung Vortest Nachtest Verände‐ rung E01 2,3 2,3 0 K01 1,2 1,9 0,7 E02 2,3 2,3 0 K02 1,0 1,4 0,4 E03 1,2 2,9 1,7 K03 2,0 1,8 -0,2 E04 2,1 3,4 1,3 K04 1,2 1,9 0,7 E05 1,9 3,5 1,6 K05 0,9 2,8 1,9 E06 2,6 4,9 2,3 K06 0,9 1,6 0,7 E07 1,0 2,0 1,0 K07 1,8 0,7 -1,1 12 E08 1,6 1,9 0,3 K08 1,1 1,7 0,6 E09 1,6 1,5 -0,1 K09 1,7 1,1 -0,6 E10 2,1 1,9 -0,2 K10 1,7 1,3 -0,4 E11 1,2 1,6 0,4 E12 1,9 2,0 0,1 Tab. 2: Reaktionszeiten in Sekunden bis zur Produktion des Kompositums Es sollen nun Überlegungen angestellt werden, wie bei der EG die Verbesserung der Akzentuierung morphologisch komplexer Wörter (hier: der Komposita) in der kontrollierten Produktion bei teilweise gleichzeitiger Erhöhung der Reaktionszeiten zustande gekommen sein könnte. In der folgenden Tabelle 3 ist abzulesen, ob bei der Akzentuierung der Komposita in der kontrollierten Produktionsaufgabe eine Verbesserung ( ✓ ), Verschlechterung (x) oder ein gleichbleibendes Ergebnis (~) festgestellt wurde (rechte Box) und ob sich gleichzeitig eine Veränderung der Reaktionszeiten nachweisen lässt (linke Box). 304 Franziska Baumeister Reaktionszeiten in Sekunden Fehlerzahlen Vortest Nachtest Verände‐ rung Vortest Nachtest Verände‐ rung E01 2,3 2,3 0 1 0 ✓ E02 2,3 2,3 0 1 0 ✓ E03 1,2 2,9 1,7 1 0 ✓ E04 2,1 3,4 1,3 1 0 ✓ E05 1,9 3,5 1,6 0 0 ~ E06 2,6 4,9 2,3 0 0 ~ E07 1,0 2,0 1,0 0 0 ~ E08 1,6 1,9 0,3 0 0 ~ E09 1,6 1,5 -0,1 0 0 ~ E10 2,1 1,9 -0,2 0 0 ~ E11 1,2 1,6 0,4 0 1 x E12 1,9 2,0 0,1 1 1 ~ Tab. 3: Veränderung der Performanz der EG beim Kompositum; ✓ Verbesserung vom Vortest zum Nachtest; ~ keine Veränderung vom Vortest zum Nachtest; x Verschlechte‐ rung vom Vortest zum Nachtest Bei den Lernenden E08 bis E12 zeigte sich nur eine sehr geringe Zunahme der Reaktionszeit bis zur Produktion des Kompositums (maximal +/ - 0.5s). Gleichzeitig veränderte sich auch nicht die Akzentuierung des Kompositums (ausgenommen E11); die Lernenden E08 bis E10 akzentuierten das Kompositum sowohl bereits im Vortest als auch im Nachtest richtig, E11 akzentuierte dieses im Vortest richtig, im Nachtest falsch, E12 akzentuierte das Kompositum in beiden Tests falsch. Die ausbleibenden Veränderungen im Testverhalten (Korrektheit der Akzentuierung des Kompositums) deuten darauf hin, dass diese Lernenden durch die kurze Intervention kein weiteres explizites Wissen über die Akzentmuster im Deutschen erworben haben und folglich keine Aufmerksamkeit auf entsprechende Muster beim Nachtest richten konnten, was das Ausbleiben eines potenziellen Monitor-Effekts (Erhöhung der Reak‐ tionszeit) erklären könnte. Für E12 war die Intervention eventuell zu kurz oder zu kompliziert, sodass weder eine Verbesserung der Betonung noch eine 305 Effekte eines explizit bewusstmachenden Aussprachetrainings zum deutschen Wortakzent verstärkte Aufmerksamkeit erreicht werden konnte. E08, E09 und E10 hatten die Muster hingegen eventuell bereits implizit erworben. Diese Vermutung könnte zumindest bei E08 durch die Tatsache gestützt werden, dass dieser Lernende angab, vor Beginn des Deutschkurses an der Universität bereits ein halbes Jahr mithilfe der Sprachlernapplikation „Duolingo“ Deutsch gelernt zu haben und in der freien Produktion sowohl im Vortest als auch im Nachtest keine Fehler bei der Akzentuierung von Komposita machte. Bei den Lernenden E03 und E04 zeigt sich im Nachtest eine verlangsamte Reaktionszeit bis zur Produktion des Kompositums (+ 1.7s bzw. + 1.3s) bei einer gleichzeitigen Verbesserung der Akzentuierung des Kompositums. Bei diesen beiden Lernenden zeigt sich also der angestrebte kurzfristige Effekt der Intervention: Durch den Erwerb expliziten Wissens über die deutschen Wort‐ akzentmuster wurde potenziell Aufmerksamkeit für diese Muster geschaffen, was kurzfristig im Sinne eines Monitors dazu genutzt werden konnte, den Output in der kontrollierten Produktionsaufgabe zu überwachen und ggf. zu korrigieren. Bei der Nutzung dieses Monitors muss auf das erlernte explizite Wissen zurückgegriffen werden, was Zeit braucht (R. Ellis 2009: 12). Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass die verbesserte Performanz in Folge eines Rückgriffs auf explizit erworbenes metasprachliches Wissen erfolgte (Robinson, Mackey & Schmidt 2012: 252). Die Lernenden E01 und E02 verbesserten sich vom Vortest zum Nachtest hin ebenfalls bei der Akzentuierung des Kompositums; dabei trat jedoch im Vergleich zu E03 und E04 keine Verlangsamung der Produktion ein (+/ - 0s). Dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund der oben skizzierten Annahmen erstaunlich. Eine mögliche Erklärung dieses Umstandes könnte sein, dass die Reaktionszeiten beider Lernenden bereits im Vortest (mit jeweils 2.3s) relativ hoch war. Dies könnte bedeuten, dass in diesen beiden Fällen bereits ein Monitor (bezogen auf Wortakzent) aktiv war, der den Output überwachte, der jedoch erst im Nachtest mithilfe des neu erworbenen richtigen Wissens über das Akzentmuster von Komposita dazu verhalf, das Kompositum richtig zu akzentuieren. Die Lernenden E05, E06 und E07 akzentuierten Komposita sowohl im Vortest als auch im Nachtest richtig. Gleichzeitig erhöhte sich ihre Reaktionszeit zum Nachtest hin jedoch deutlich (um 1s bis 2.3s). Offenbar haben diese Lernenden explizites Wissen erworben und Aufmerksamkeit für unterschiedliche Akzen‐ tuierungsmuster entwickelt. Während die Komposita im Vor- und Nachtest korrekt akzentuiert werden, ist anzunehmen, dass die Sicherheit der Akzentu‐ ierung zum Nachtest hin zunahm, da sie durch das erlernte Wissen gestützt werden konnte. 306 Franziska Baumeister 6. Zusammenfassung und weiterer Untersuchungsbedarf Spezifische Muster selektiver Aufmerksamkeit behindern potenziell den Fremd‐ spracherwerb insofern, als bestimmte Erwerbsgegenstände, die aufgrund ihrer Struktur und aus der Erstsprache übernommener Verarbeitungsmechanismen durch den Aufmerksamkeitsfilter der Lernenden fallen, ohne didaktische Steue‐ rung nur schwer erworben werden (siehe Abschnitt 2). Für die vorliegende Pi‐ lotuntersuchung wurde daher für den Wortakzent im Deutschen angenommen, dass sowohl der Erwerb der Akzentuierungsmuster morphologisch einfacher Wörter als auch insbesondere morphologisch komplexer Wörter wie Komposita oder Partikelverben Lernenden des Deutschen als Fremdsprache mit Franzö‐ sisch als Erstsprache Schwierigkeiten bereitet. Aus lehrerseitiger Perspektive stellte sich aus diesem Grund die Frage, wie der Erwerbsprozess bei frankophonen Lernenden gezielt didaktisch unterstützt werden kann, um diese angenommenen (und anhand der Ergebnisse des Vor‐ tests teilweise auch gezeigten) Effekte (erlernter) selektiver Aufmerksamkeit zu vermindern (siehe Abschnitt 3). Explizites Wissen kann Aufmerksamkeit für bestimmte Strukturen schaffen. Kurzfristig kann Aufmerksamkeit nach Krashens Monitor-Hypothese (Krashen 1982) die Outputproduktion insofern beein‐ flussen, als der eingeschaltete Monitor auf bewusstes Wissen zurückgreifen und den Output damit überwachen und unter Umständen anpassen kann. Kurzfristig messbare Indikatoren für Aufmerksamkeit sind beispielsweise eine erhöhte Reaktionszeit, ggf. bewusste Übungsanstrengungen oder Selbstkorrektur. Langfristig kann explizites Wissen nach der Weak-Interface-Hypothese (N. Ellis 2005) den impliziten Spracherwerb insofern unterstützen, als folgende Prozesse in Gang gesetzt werden: Bewusstmachung einer intransparenten und wenig frequenten sprachlichen Form ermöglicht Noticing (bzw. Noticing the Gap). Noticing (the Gap) führt potenziell im Folgenden zu erhöhter (un-) bewusster Aufmerksamkeit auf diese Form, was längerfristig eine effektivere Konversion von Input zu Intake ermöglicht. Umfangreicherer und besserer Intake führt potenziell zum Aufbau impliziter Sprachkompetenz (N. Ellis 2005). Anhand der vorliegenden Daten der hier beschriebenen Pilotstudie ließen sich, trotz aller Einschränkungen in Bezug auf die Größe der Gruppen und der einzelnen Datensets, folgende Feststellungen treffen: Nahezu alle Lernenden der Experiment- und der Kontrollgruppe akzentuierten bereits im Vortest, also nach 9 Wochen (d. h. 27 Stunden) Unterricht, morphologisch einfache Wörter mit Pänultimaakzent richtig (s. Abschnitt 5.1). Darüber hinaus wurde bei Lernenden der Kontrollgruppe, bei denen im Vortest noch Fehler bei der Akzentuierung morphologisch einfacher Wörter mit Auftakt auftraten, im Nachtest eine deut‐ 307 Effekte eines explizit bewusstmachenden Aussprachetrainings zum deutschen Wortakzent liche Verbesserung sichtbar, obwohl sie keine explizite Instruktion erhalten hatten. Diese die Akzentuierung morphologisch einfacher Wörter betreffenden Beobachtungen zeigen, dass die Lernenden dieses häufige Betonungsmuster oder die konkreten Wortformen, die in den Tests verwendet wurden und die bereits sehr früh im Wortschatz der Lernenden eingeführt wurden, bereits erworben hatten (s. Abschnitt 5.1). Bei morphologisch komplexen Wörtern wie Komposita oder Partikelverben hingegen war die Fehlerrate im Vortest im Vergleich zu morphologisch einfa‐ chen Wörtern erhöht, was durch einen möglichen Einfluss des jambischen Wortakzentmusters im Französischen und die Intransparenz der Regelhaftigkeit in der Zielsprache erklärt werden kann (s. Abschnitt 5.2). Interpretationen, wie die Verbesserungen der Experimentgruppe in den entsprechenden Kategorien zustande gekommen sein könnten, können sehr individuell sein (s. Abschnitt 5.3). Die deutlich gesunkene Fehlerzahl bei der Experimentgruppe und die gleichzeitige Erhöhung der Reaktionszeit, die bei einem Teil der Lernenden in der kontrollierten Produktionsaufgabe bei morphologisch komplexen Wörtern festgestellt wurde, wurden dahingehend interpretiert, dass diese Lernenden explizites Wissen zum deutschen Wortakzent aufgebaut hatten und auf dieses bewusste Wissen zurückgriffen. Der dabei aktivierte Monitor ermöglichte es, den Output in der kontrollierten Produktionsaufgabe zu überwachen und eine richtige Akzentuierung vorzunehmen, was allerdings Verarbeitungszeit in Anspruch nimmt und somit die beobachtete Verzögerung der Reaktionszeiten erklären kann (s. Abschnitt 5.3). Der Eintritt dieses kurzfristigen Effekts bei einigen der Lernenden kann zum Anlass genommen werden, die Möglichkeit zu reflektieren, dass das vermittelte explizite Wissen zum deutschen Wortakzent zudem auch Potenzial für die Ausbildung einer impliziten Betonungskompetenz haben könnte (s. Abschnitt 3). In diesem Fall würde die Bewusstmachung der sprachlichen Struktur nach N. Ellis (2007) zu (wiederholtem) Noticing (the Gap) führen, wodurch die Folgen (erlernter) selektiver Aufmerksamkeit reduziert und somit im zukünftigen Sprachangebot andernfalls unregistriert gebliebene Formen bemerkt werden und als Intake Eingang in die tiefere Verarbeitung und Weiterentwicklung der Lernervarietät finden können. Für die Überprüfung eines derartigen lang‐ fristigen Erfolgs des explizit bewusstmachenden Wortakzenttrainings und für eine Bestätigung des Nutzens von explizitem Wissen für den impliziten Spracherwerb im oben skizzierten Sinne bedarf es allerdings zusätzlicher Daten aus Longitudinalstudien, die explizites und implizites Wissen zu verschiedenen Zeitpunkten messen. Solche Daten könnten zeigen, ob bzw. unter welchen Bedingungen der implizite Erwerb der Akzentuierungsmuster morphologisch 308 Franziska Baumeister komplexer Wörter tatsächlich durch bewusstmachende didaktische Interven‐ tionen in Gang gesetzt werden kann. Die vorliegende Studie zeigt in diesem Kontext jedenfalls auf, dass es möglich ist, auch durch relativ kurze bewusstmachende Interventionen die Aufmerksam‐ keit von Lernenden, wenn auch nicht aller Lernenden, für die deutschen Beto‐ nungsmuster zielführend zu erhöhen (siehe u. a. die Befunde von Kasprowicz & Marsden 2018 in Bezug auf einen morphologischen Lerngegenstand). Dies erlaubt es, z. B. in longitudinalen Interventionsstudien, die (didaktisch eigentlich zentrale) Anschlussfrage zu untersuchen, ob der hier nachgewiesene kurzfris‐ tige Effekt des expliziten Wissens über den korrektiven, bewussten Zugriffs‐ modus hinaus auch auf den Bereich der unbewussten Aufmerksamkeitslenkung wirksam ist und welche längerfristigen Effekte bewusster Formfokussierung unter welchen Bedingungen auf den Aufbau impliziter Sprachkompetenz nach‐ weisbar sind (siehe Henk in diesem Band, Fehrmann in diesem Band). Literatur Altmann, Hans/ Ziegenhain, Ute (2010). Prüfungswissen Phonetik, Phonologie und Gra‐ phemik. 3. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Auer, Peter (1991). Zur More in der Phonologie. Zeitschrift für Sprachwissenschaft 10, 3-36. Behrens, Heike (2009). Konstruktionen im Spracherwerb. Zeitschrift für Germanistische Linguistik 37, 427-444. Bongaerts, Theo/ van Summeren, Chantal/ Planken, Brigitte/ Schils, Erik (1997). 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Wortkategorie Beispielwörter Ta-sche zu-sam-men Fuß-ball ein-kau-fen Spra-che trai-nie-ren Deutsch-land ein-pa-cken es-sen O-ran-gen-saft tan-zen Lokalisierung des Wortak‐ zents ● Lehrender liest die 11 Wörter laut vor. ● Lernende markieren dabei diejenige Silbe der Wörter, bei der sie den Wortakzent hören. ● Lernende klären, um welche „Wortkategorien“ es sich handelt. ● Lernende benennen die Lokalisierung des Wortakzents in den entspre‐ chenden Kategorien. ● Ergebnissicherung (im Plenum): Wortkategorie morphologisch einfaches Wort (ohne Auftakt) morpholo‐ gisch einfa‐ ches Wort (mit Auftakt) Komposita Partikelverben Beispielwörter Ta-sche zu-sam-men Fuß-ball ein-kau-fen Spra-che trai-nie-ren Deutsch-land ein-pa-cken es-sen O-ran-gen-saft tan-zen Lokalisierung des Wortakzents Vorletzte Silbe trägt Akzent Vorletzte Silbe trägt Akzent Bestimmungs‐ wort trägt Ak‐ zent auf regu‐ lärer Silbe Partikel trägt Akzent 313 Effekte eines explizit bewusstmachenden Aussprachetrainings zum deutschen Wortakzent ● Mit den Lernenden gemeinsam etablierte Regeln: ○ Silben mit Schwa-Lauten können generell nicht akzentuiert werden. ○ Die meisten Wörter im Deutschen tragen ihren Akzent auf der vorletzten Silbe. ○ Komposita tragen ihren Akzent auf der zu akzentuierenden Silbe des ersten Kompositionsglieds. ○ Partikelverben tragen ihren Akzent auf der Partikel. ○ Es gibt weitere Wörter, die auf der Ultima betont werden. Übung 2 Ablauf: ● Lehrender präsentiert akustisch und visuell sechs weitere Wörter, die von den Lernenden den jeweiligen Kategorien aus Übung 1 zugeordnet werden. ● Ergebnissicherung (im Plenum): Wortkategorie Pänultima (ohne Auftakt) Pänultima (mit Auf‐ takt) Komposita Partikelverben Beispielwörter Na-me Ap-fel-saft mit-kom-men spre-chen Frei-tag ab-ho-len Lokalisierung des Wortak‐ zents Vorletzte Silbe trägt Akzent Vorletzte Silbe trägt Akzent Bestimmungs‐ wort trägt Ak‐ zent auf regu‐ lärer Silbe Partikel trägt Akzent Übung 3 Ablauf: ● Lernenden werden drei „gebrummte“ Wortakzentmuster und die dazugehö‐ rigen, visuellen Akzentbilder präsentiert: ● Lernende sollen passende Wörter mit dem jeweiligen Akzentmuster finden. ● Auflösung und Diskussion im Plenum. 314 Franziska Baumeister Die Interface-Hypothese: Annahmen zum Zusammenspiel von implizitem und explizitem Wissen im Spracherwerb Dorothee Kohl-Dietrich & Eva-Larissa Maiberger Abstract: Der Beitrag widmet sich den Fragen, (1) wie eine Schnittstelle (Interface) zwischen impliziten (unbewussten) und expliziten (bewusst‐ seinsfähigen) Wissensbeständen modelliert und empirisch untersucht werden kann und (2) welche Bedeutung explizitem Wissen im gesteuerten (Fremdbzw. Zweit-)Spracherwerb (L2-Erwerb) beizumessen ist. Ausge‐ hend von den drei grundlegenden Positionen zur Schnittstellen-Frage wird gezeigt, dass nach bisherigem Forschungsstand u. a. aufgrund terminolo‐ gischer Unschärfen zwar noch kein Konsens besteht, wie genau sich ex‐ plizites Wissen auf die Ausbildung impliziter Sprachkompetenz auswirkt. Dass der Einsatz expliziter formfokussierender Verfahren lerneffizient sein kann, wird jedoch von den VertreterInnen aller dargestellten Positionen angenommen. Am Beispiel einer Laborstudie von Cintrón-Valentín und N. Ellis (2015) wird aufgezeigt, wie die Wirksamkeit unterschiedlicher Verfahren der Aufmerksamkeitslenkung empirisch untersucht werden kann (und zwar mithilfe von Rezeptions- und Produktionstests sowie Eyetracking), welche forschungsmethodischen Schwierigkeiten bestehen und welche Schlüsse aus den Ergebnissen für Sprachaneignungsprozesse (und ihre Förderung) im Kontext des gesteuerten L2-Erwerbs gezogen werden können. 1. Einleitung Die Frage, wie der Spracherwerb bei Lernenden einer Fremd- oder Zweitsprache effizient unterstützt werden kann, wird aus einer sprachdidaktischen Perspek‐ tive nach wie vor kontrovers diskutiert. Eine hervorgehobene Rolle spielt in diesem Zusammenhang u. a. die didaktische Teilfrage, inwiefern explizit erworbenes Wissen über sprachliche Form-Funktions-Zuordnungen zu der Ausbildung einer impliziten, spontansprachlichen Kompetenz beitragen kann (z. B. N. Ellis 2005). Eine solche implizite Kompetenz wird als (Teil-)Ziel der Fremd- und Zweitsprachvermittlung angestrebt, da sie einen automatisierten, also schnellen, unbewussten und somit kognitiv ressourcenarmen Zugriff auf die erworbenen sprachlichen Wissensbestände erlaubt (Pagonis 2014). Traditio‐ nell wird auf drei konkurrierende Positionen verwiesen (s. u.), die divergierende Einschätzungen zum Zusammenspiel von impliziten und expliziten Wissensres‐ sourcen vornehmen und damit auch die Frage nach der Schnittstelle (Interface) zwischen explizitem Wissen und impliziter Sprachkompetenz unterschiedlich darstellen und bewerten. Entsprechend werden Stellenwert und Bedeutung expliziter Wissensbestände in der Sprachvermittlung in verschiedenen erwerbs‐ theoretischen und didaktischen Ansätzen unterschiedlich gewichtet. Im vorliegenden Artikel wird in den Kapiteln 2 und 3 zunächst knapp auf die Gedächtnissysteme (prozedural und deklarativ) beziehungsweise auf die invol‐ vierten Wissensbestände (explizit und implizit) eingegangen. Ebenso werden grundlegende Begriffe und Konstrukte (Bewusstsein, Aufmerksamkeit) einge‐ führt, die für das Verständnis der Interface-Debatte maßgeblich sind. Auf dieser Grundlage werden im vierten Kapitel die drei erwähnten Positionen zum Inter‐ face näher beleuchtet: die Strong-Interface-Hypothese (z. B. DeKeyser 1997, 2009, 2015, 2020), die Weak-Interface-Hypothese (z. B. N. Ellis 2005) und die Non-In‐ terface-Hypothese (z. B. Paradis 2009). Die in der Fachliteratur postulierten Un‐ terschiede zwischen den Positionen werden kritisch reflektiert. Gründe hierfür sind terminologische Unschärfen bezogen auf das Konstrukt der Schnittstelle und in diesem Zusammenhang verwendete Begrifflichkeiten. Kapitel 5 greift den Konsens dieser Positionen auf, dass explizites Wissen für den Spracher‐ werb nützlich sein kann, da es im Sprachverarbeitungsprozess die Aufmerk‐ samkeit auf schwer zu erlernende sprachliche Strukturen lenken kann. Exemplarisch wird die Studie von Cintrón-Valentín und N. Ellis (2015) dargestellt, die die Wirksamkeit verschiedener Verfahren der Formfokussierung für den Spracherwerb in einem Laborexperiment untersuchen und Eyetracking-Daten auswerten, um Effekte der Aufmerksamkeitssteuerung sichtbar zu machen. In Kapitel 6 erfolgt eine Zusammenschau der aus der Studie gewonnenen Erkenntnisse im Hinblick auf Potenziale expliziter und impliziter Verfahren der Aufmerksamkeitslenkung. Weiterhin werden Forschungsdesiderate formuliert. 2. Gedächtnissysteme und Wissensbestände Im Zusammenhang mit der Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung sprach‐ licher Informationen beim Zweitspracherwerb können prinzipiell zwei Modi 316 Dorothee Kohl-Dietrich & Eva-Larissa Maiberger unterschieden werden, welche sich unterschiedlichen neuronalen Subsystemen zuordnen lassen (Poldrack, Clark, Paré-Bagoev, Shohamy, Creso Moyano, Myers & Gluck 2001). Sie sind Teil des Langzeitgedächtnisses und lassen sich u. a. mit Blick auf die Beschaffenheit des jeweils aufgebauten Wissens, den Prozess, der zur Aneignung dieses Wissens führt, und auch hinsichtlich des Abrufs angeeigneten Wissens voneinander abgrenzen. 2.1. Deklaratives Gedächtnis und explizites Wissen Gemeinhin wird angenommen, dass im deklarativen Gedächtnis explizites und dem Bewusstsein zugängliches Wissen gespeichert wird. Die Teilsysteme des deklarativen Gedächtnisses bestehen aus dem semantischen Gedächtnis (Faktenwissen) sowie dem episodischen Gedächtnis, das bewusst abrufbare Erinnerungen beinhaltet ( Jäncke 2017: 443). Der Wissensaufbau im deklarativen Gedächtnis nimmt wenig Zeit in Anspruch und erfolgt vorwiegend bewusst. Inhalte des deklarativen Gedächtnisses werden kontrolliert abgerufen (Pagonis 2014: 148), allerdings werden „kontrollierte Prozesse [in der Regel] sequenziell abgearbeitet und verlaufen im Vergleich zu automatisierten Prozessen lang‐ samer“ ( Jäncke 2017: 299). 2.2. Prozedurales Gedächtnis und implizites Wissen Das prozedurale Gedächtnis hingegen ist an der Verarbeitung und Speicherung von impliziten Wissensbeständen beteiligt ( Jäncke 2017). In diesem Modus wird eine unbewusste Form des Lernens angenommen, die der Übung über einen längeren Zeitraum bedarf, bis eine „feste Gedächtnisrepräsentation“ ( Jäncke 2017: 479) im Sinne einer erworbenen Fertigkeit verankert wird (ebd.). Nach Pagonis (2014: 148) erfolge der Abruf entsprechender Fertigkeiten automatisiert, also schnell, und beansprucht dabei wenig kognitive Ressourcen. Die Interface-Debatte beschäftigt sich vor dem Hintergrund der beiden hier skizzierten Verarbeitungsbzw. Speicherungsmodi mit der Frage, inwiefern explizite Wissensressourcen, die im deklarativen Gedächtnis abgelegt sind, für den Aufbau einer prozeduralen Sprachkompetenz nützlich, und ggf. auch notwendig, sein können (siehe Kapitel 4). 3. Die Rolle des Bewusstseins Im Hinblick auf die Frage, wie nachhaltige Sprachaneignungsprozesse initiiert werden können, bedarf es der Klärung, welche Bedeutung dem Bewusstsein und damit verbunden der Lenkung von Aufmerksamkeitsprozessen nun bei der Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung eines sprachlichen Stimulus bei‐ 317 Die Interface-Hypothese zumessen ist. Auch für das Zusammenspiel zwischen expliziten und impliziten Wissensbeständen und deren Unterscheidung ist die Frage des Bewusstseins von Bedeutung (s. Suzuki & DeKeyser 2017). Ausgehend von Schmidt (1990) soll im Folgenden zunächst der eher vage und uneindeutige Terminus des Bewusst‐ seins als Consciousness (Schmidt 1990: 131, Schmidt 1995: 4-5) präzisiert werden. Dem schließt sich eine Darstellung unterschiedlicher Ebenen („Levels“, Schmidt 1990: 132) des Bewusstseins an, zudem wird zwischen Attention (Perceptual und Focal) und Awareness (im Sinne des Noticing und des Understanding) diffe‐ renziert und auf ihre Bedeutung, Sprachaneignungsprozesse zu unterstützen, eingegangen (s. Schmidt 1990, 1995, Robinson 2003, 2008). 3.1. Consciousness Schmidt (1990, 1995) zeigt konzeptionelle und methodologische Herausforde‐ rungen bezüglich des Bewusstseinsbegriffs im Sinne der Consciousness auf, betont jedoch die Notwendigkeit seiner wissenschaftlichen Klärung aufgrund der Bedeutung, die er dem Bewusstsein im Sprachlernprozess beimisst (1995: 5, 1990: 131). So differenziert er den Begriff in drei unterschiedliche Dimensionen aus: „consciousness as awareness, consciousness as intention, and conscious‐ ness as knowledge“ (Schmidt 1990: 131). Im Kontext dieses Artikels wird der Fokus auf Consciousness as Awareness gelegt. Nach Schmidt (1990) beinhaltet diese Dimension wiederum drei verschiedene Ebenen (Levels). Die erste Ebene, Perception (Wahrnehmen, ebd.: 132), bezieht sich auf die Fähigkeit, eine men‐ tale Repräsentation eines externen Einflusses oder Reizes zu erzeugen (ebd.), obgleich dies nicht bewusst erfolgen muss: „subliminal [perception] means that this happens below the level of subjective awareness“ (Schmidt 1995: 23, s. auch Schmidt 1990: 142). Noticing (Focal Awareness; Schmidt 1990: 132) stellt die zweite Ebene dar, die Schmidt deutlich von Perception abgrenzt in dem Sinne, dass Bemerken (Noticing) die Fähigkeit einschließt, z. B. über ein „bemerktes“ sprachliches Phänomen berichten zu können (ebd.). Schmidt (1990) geht in seiner Noticing-Hypothese davon aus, dass das Bemerken (Noticing) Vorausset‐ zung dafür ist, dass aus einem sprachlichen Input oder Stimulus Intake werden kann (Schmidt 1990: 139), also ein sprachlicher Reiz überhaupt verarbeitet wird. Understanding stellt die dritte und höchste Ebene des Bewusstseins dar und beinhaltet z. B. das Wissen um Grammatikregeln einer Sprache oder metasprachliche Bewusstheit (Schmidt 2012: 32). Für den Spracherwerb sei vor allem Bewusstsein im Sinne des Noticing notwendig, wobei Bewusstsein im Sinne von Understanding unterstützend und förderlich sein könne, jedoch keine Voraussetzung für den Spracherwerb darstelle (Schmidt 2012: 32). 318 Dorothee Kohl-Dietrich & Eva-Larissa Maiberger 3.2. Attention und Noticing Robinson (2008: 133) unterscheidet im Hinblick auf Aufmerksamkeit als At‐ tention zwischen perzeptueller Aufmerksamkeit (Perceptual Attention) und sogenannter Focal Attention (Robinson 2017: 125, 2008: 133). Ein wesentliches Unterscheidungskriterium ist, dass Perceptual Attention im Gegensatz zu Focal Attention nicht selektiv ist, d. h., ein Stimulus wird „entdeckt“ (Detection, s. Tomlin & Villa 1994) und ohne eine Form bewusster Wahrnehmung (Awareness) weiterverarbeitet (Robinson 2008: 133). Für Schmidt (2001) besteht die Bedeutung von Aufmerksamkeit (und zwar als Focal Attention) darin, dem Bewusstsein Zugang zu einem sprachlichen Input zu verschaffen („controlling access to awareness“, ebd.: 5). Detection (resp. Perception, also unbewusste Wahrnehmung) sei hingegen laut Schmidt nicht ausreichend für eine Art der Intake-Generierung, die anschließende Lernpro‐ zesse ermöglicht (Robinson 2003: 637). Vielmehr werde erst durch Focal Attention aus dem „entdeckten“ (detected) Input die spezifische Information aufgenommen und tatsächlich weiterverarbeitet. Genau auf diesem Level der Aufmerksamkeit ist Noticing möglich und Input kann zu Intake werden (ebd.). Damit wird die grundsätzliche Bedeutung von Aufmerksamkeit (im Sinne von Focal Attention) für den Zweitspracherwerb betont: „There is no doubt that attended learning is far superior, and for all practical purposes, attention is necessary for all aspects of L2 learning“ (Schmidt 2001: 3). Didaktische Ansätze der expliziten Formfokussierung (z. B. Doughty & Williams 1998) zielen daher darauf ab, die Aufmerksamkeit (als Focal Attention) der Lernenden auf sprach‐ liche Formen zu lenken, die ansonsten möglicherweise unbemerkt (unnoticed) bleiben würden (s. z. B. Robinson 2003: 641). 4. Unterschiedliche Positionen zum Interface Im Folgenden werden die drei zentralen und immer noch häufig zitierten Hypothesen zur Interface-Debatte vorgestellt und vor dem Hintergrund ihrer entsprechenden allgemeinen lerntheoretischen Annahmen beleuchtet. Dabei werden teilweise bestehende Fehlinterpretationen herausgearbeitet. 4.1. Die Strong-Interface-Position DeKeyser (1997, 2009, 2015, 2020) gilt als wichtiger Vertreter der Strong-In‐ terface-Position. Er beschreibt seine Position nicht nur selbst entsprechend (DeKeyser 2009), sondern knüpft auch im Rahmen der Skill Acquisition Theory (DeKeyser 2015, 2020) inhaltlich und terminologisch an entsprechende Theorien der kognitiven Psychologie an (z. B. Anderson, Bothell, Byrne, Douglass, Lebiere 319 Die Interface-Hypothese & Qin 2004). Es wird dabei davon ausgegangen, dass der Erwerb sprachlicher Fähigkeiten den gleichen Mechanismen folgt wie die Aneignung anderer kogni‐ tiver und auch motorischer Fähigkeiten. DeKeyser (1997: 215) betrachtet daher für den Zweitspracherwerb, in Ana‐ logie zum Erlernen anderer (z. B. motorischer) Fertigkeiten (Skills), eine anfäng‐ liche Bewusstmachung sprachlicher Muster als zielführend. Aus dem wieder‐ holten Abruf (d. h. durch wiederholte Übung) solle sich dann auf der Grundlage der ursprünglich expliziten Wissensressource (im deklarativen Gedächtnis) pro‐ zedurales Wissen entwickeln, welches dann allmählich automatisiert werden kann (214): the model of skill acquisition […] posits that during initial practice declarative knowledge is turned into qualitatively different procedural knowledge and that subsequently a much slower process of gradual automatization takes place (DeKeyser 1997: 214). In späteren Beiträgen konkretisiert DeKeyser (2015, 2020) den hier skizzierten Zusammenhang zwischen deklarativem Wissen und dem Aufbau automati‐ sierten Wissens und teilt in seiner Skill Acquisition Theory (SAT) den Erwerb von Fertigkeiten in drei Phasen ein: in eine deklarative Phase (in der die Informationsverarbeitung auf Basis deklarativen Wissens erfolgt), eine Proze‐ duralisierungsphase (in der die Informationsverarbeitung teilweise auf Basis von deklarativem, teilweise auf Basis von prozeduralem Wissen erfolgt) und schließlich eine Automatisierungsphase (in der die Informationsverarbeitung vollständig auf Basis prozeduralen Wissens erfolgt; s. DeKeyser 2015: 95-96). Das Hauptargument der SAT ist dabei, dass sich die Phasen, die beim Erlernen verschiedener Fertigkeiten durchlaufen werden, auf bemerkenswerte Weise ähneln. Die deklarative Phase beinhaltet eine Präsentation des Wissens ÜBER die Fertigkeit, die zur expliziten Aneignung des Wissens führt. In der zweiten Phase, der Prozeduralisierungsphase, wird auf Basis dieses Wissens eine Fertig‐ keit (Verhaltensmuster) ausgebildet, bis es letztendlich in der Automatisierungs‐ phase zu einem flüssigen, spontanen und mühelosen Beherrschen der Fertigkeit kommt (ebd.). Prozeduralisierung kann nach DeKeyser relativ schnell erfolgen, doch um eine graduelle Automatisierung zu erreichen, bedarf es Übung und Zeit. Jedoch kann angenommen werden, dass eine solche intensive und lange Übungsphase nur dann sinnvoll ist, wenn sie tatsächlich dazu beiträgt, dass die Automatisierung erreicht wird. Das bedeutet, dass die Informationsverarbeitung dann vollständig prozedural erfolgt: It should be stressed that this intensive practice (sometimes called overlearning) after mastery over the task has been achieved is only useful if it takes learners from the 320 Dorothee Kohl-Dietrich & Eva-Larissa Maiberger proceduralization stage (where declarative and procedural knowledge are used) to the automatization stage (where knowledge is completely procedural already) (DeKeyser 2015: 96). Dabei spiegelt die Lernkurve einer Potenzfunktion („power function learning curve“, ebd.: 196) genau diese drei Phasen wider, die bei der Entwicklung einer Fertigkeit durch Übung durchlaufen werden. Zu Beginn der Übungsphase kommt es zu einem steilen Abfall der Funktion (Prozeduralisierungsphase: Reaktionszeit und Fehlerquote reduzieren sich rapide), anschließend wird die Lernkurve flacher (sich langsam vollziehende Automatisierungsphase; ebd.). Kritisch können an dieser Stelle die von DeKeyser gewählten Begrifflich‐ keiten gesehen werden: Die Prozeduralisierungsphase beschreibt einen Kom‐ petenzstand, auf dem Lernende sowohl auf erworbene deklarative als auch auf sich entwickelnde prozedurale Wissensressourcen zugreifen. Zu Missverständ‐ nissen kann es hier kommen, wenn davon ausgegangen wird, dass es sich um zwei voneinander getrennte Gedächtnissysteme handelt. DeKeyser spricht diesbezüglich inkonsistent teilweise von einem Wechsel von deklarativem Wissen zu prozeduralem Wissen („a shift from declarative to procedural know‐ ledge“, DeKeyser 2015: 96) und teilweise von einer Überführung von deklara‐ tivem in prozedurales Wissen („turning declarative knowledge into procedural knowledge“, DeKeyser 2015: 95). Er weist an dieser Stelle jedoch selbst darauf hin, dass die Formulierung „turning into“ eventuell zu missverständlichen Interpretationen führen könne. Es dürfe darunter nicht verstanden werden, dass deklaratives Wissen auf unerklärliche Weise in prozedurale Kompetenz umgewandelt oder dadurch ersetzt würde: The phrase “turning into” is a bit misleading on that point; all that is claimed is that existing declarative knowledge, via practice, plays a causal role in the development of procedural knowledge (see, e.g., DeKeyser 2009) (DeKeyser 2015: 103). Es wird vielmehr ein Kontinuum zwischen kontrollierter und automatisierter Verarbeitung angenommen, was den allmählichen Übergang von einer dekla‐ rativen Verarbeitung hin zur gänzlichen Automatisierung erkläre (DeKeyser 2020: 96). Explizites Wissen werde jedoch auch durch Übung, Prozeduralisierung und Automatisierung nicht zu implizitem Wissen. Das Ergebnis sei vielmehr au‐ tomatisiertes explizites Wissen, das in seiner Funktionalität implizitem Wissen gleiche: „explicit learning […] can, via proceduralization and automatization of explicitly learned knowledge, lead to knowledge that is functionally equivalent to implicit knowledge“ (ebd.), und zwar insofern als sein Abruf schnell, akkurat und relativ wenig störungsanfällig sei (ebd.). 321 Die Interface-Hypothese Deklarativem Wissen wird in der Strong-Interface-Hypothese also eine zentrale Rolle zuteil. Damit es überhaupt zu einer Prozeduralisierung und Automatisierung von Wissen kommen kann, bedarf es nach DeKeyser der richtigen Ausgangsvoraussetzungen: einerseits des für eine Aufgabe benötigten deklarativen Wissens und andererseits eines Aufgabenformats, das es erlaubt, deklaratives Wissen anzuwenden (DeKeyser 2015: 98). Dies soll an einem konkreten Beispiel demonstriert werden, das im Folgenden zur Exemplifizierung der anderen Positionen dienen soll: Nach DeKeyser wäre es für die Zweitsprachvermittlung beispielsweise nützlich (wenn nicht sogar notwendig, DeKeyser 2015: 104), wenn Lernenden die Regel zur Verbstellung im Deklarativsatz explizit präsentiert würde, nach der im Deutschen das kon‐ jugierte Verb in einem Hauptsatz an zweiter Stelle steht (sog. V2-Stellung mit lediglich einer Konstituente im Vorfeld, siehe Fehrmann in diesem Band). Diese Regel würde den Lernenden idealerweise anhand eines Beispiels (oder mehrerer Beispiele) veranschaulicht, von ihnen explizit gelernt und als dekla‐ rative Information gespeichert werden (wie z. B. in der Phase Present in einem Present-Practice-Produce-Ansatz, R. Ellis & Shintani 2014: 120-121). Durch ein Übungsformat, das es den Lernenden erlaubt, die Regel in eng geführten, jedoch gut überlegten Sprachproduktions- und ggf. -rezeptionsaufgaben („judicious use of rules and examples“, DeKeyser 2020: 94) zur Anwendung zu bringen und damit einzuüben, soll dieses deklarative Wissen prozeduralisiert werden (Practice-Phase). Die Sprachverarbeitung unterliegt zu diesem Zeitpunkt bereits teilweise dem prozeduralen Gedächtnis. Messbar sollte diese Entwicklung durch eine Verringerung von Reaktionszeiten und Fehlerquoten sein. Über einen längeren Übungszeitraum mit zunehmend auch freieren Aufgaben hinweg (Pro‐ duce-Phase) würde das Wissen dann so weit automatisiert, bis die Verarbeitung vollständig dem prozeduralen Gedächtnis unterliegt. Auch Suzuki und DeKeyser (2017) legen nahe, dass nicht davon ausgegangen wird, dass hoch automatisiertes explizites Wissen mit implizitem Wissen gleich‐ zusetzen sei. So spiele auch bei hoch automatisiertem explizitem Wissen das Bewusstsein eine Rolle, da dieses Wissen nicht ohne Bewusstsein abgerufen werden könne. Hoch automatisiertes explizites Wissen sei also (maximal) funktional äquivalent zu implizitem Wissen, nicht jedoch identisch (Maie & DeKeyser 2020: 362). 4.2. Die Weak-Interface-Position N. Ellis (2005) vertritt ebenfalls die Annahme, dass eine Schnittstelle zwischen explizitem Wissen und prozeduraler Sprachkompetenz existiert, allerdings in einem anderen Sinne. Die Weak-Interface-Hypothese ist in eine Spracherwerbs‐ 322 Dorothee Kohl-Dietrich & Eva-Larissa Maiberger 1 Bei Chunks handelt es sich „um rekurrente Sequenzen, die den Status von Wahrneh‐ mungs- und Gedächtniseinheiten haben. D.h. sie werden nicht bei jedem Gebrauch von Neuem gebildet, sondern - nachdem sie als Ganzes memorisiert worden sind - wie ein einzelnes Element aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen“ (Aguado 2015: 6). theorie eingebettet, die den Spracherwerb als einen größtenteils impliziten Lernprozess versteht (Spracherwerb durch Sprachgebrauch): „A large part of acquisition involves the implicit learning of language from usage“ (N. Ellis 2007: 25). Diese Grundannahme bezieht sich auf ein gebrauchsbasiertes Verständnis von Sprache, Sprachgebrauch und Spracherwerb, in dem davon ausgegangen wird, dass konkrete und teilweise abstrakte Form-Funktionspaare aus dem konkreten Sprachgebrauch abgeleitet und gespeichert werden (Tomasello 2003, Madlener-Charpentier/ Behrens in diesem Band). Auf dieser Basis wird im weiteren Erwerbsverlauf abstrakteres grammatisches Wissen aufgebaut, wenn - durch frequenten Gebrauch in unterschiedlichen Gebrauchssituationen - Gemeinsamkeiten zwischen den Form-Funktionspaaren abstrahiert und ent‐ sprechende Muster und Regelhaftigkeiten abgeleitet werden (N. Ellis 2007: 24). N. Ellis geht nun davon aus, dass bei Lernenden von Fremd- und Zweit‐ sprache(n) implizite Lernprozesse typischerweise im geringeren Maße zu einem erfolgreichen Spracherwerb führen als im Erstspracherwerb (L1-Erwerb). Gründe hierfür sind beispielsweise Inputmangel oder L1-basierte selektive Auf‐ merksamkeit der Lernenden für bestimmte Aspekte der L2 (s. N. Ellis 2007: 25). Nach Ellis’ Weak-Interface-Hypothese kann es deshalb sinnvoll sein, dass bei der initialen Erfassung von neuen sprachlichen Mustern bzw. Konstruktionen auch explizites Lernen (z. B. Regelerklärung und anschließendes Memorieren von Form-Funktionspaaren) involviert ist. Die Muster werden während der darauf‐ folgenden Inputverarbeitung durch implizites Lernen zunehmend routinisiert (tuned) und in das lernersprachliche System integriert, sofern ausreichend reichhaltiger Input zur Verfügung steht (N. Ellis 2005: 305). Lernenden würde also beispielsweise die Konstruktion Gestern habe ich … im Unterricht präsentiert und es würde seitens der Lehrkraft Wert auf die korrekte Produktion dieser Konstruktion gelegt. Diese Konstruktion würde nun von Lernenden potenziell als Chunk  1 memoriert und im deklarativen Gedächtnis gespeichert. Lernende speichern im Laufe der Zeit weitere Chunks (Wortgruppen, Satzfragmente, Sätze …) deklarativ ab, die dem gleichen Muster folgen; dabei muss das V2-Merkmal den Lernenden aber nicht bewusst sein. Nach N. Ellis (2005) wäre es nun möglich, dass diese Chunks nach und nach verglichen, analysiert und in ihre Komponenten zerlegt werden (siehe auch Handwerker 2002). Wenn sie für Sprachverstehen (also die weitere Inputver‐ 323 Die Interface-Hypothese arbeitung) oder -produktion mehrfach aus dem Arbeitsgedächtnis abgerufen werden, liefern sie potenziell Daten, die in zunehmendem Maß auch implizite Lernprozesse (z. B. Kategorisierungsprozesse) anstoßen (N. Ellis 2005: 320-321). Angenommen wird dabei also keine direkte Umwandlung expliziten Wissens in implizites Wissen, sondern eine indirekte (schwache) Schnittstelle zwischen den Wissensrepräsentationen. Explizites Wissen kann in dieser Perspektive also indirekt zur Entwicklung sprachlichen Könnens (d. h. impliziter Kompetenzen) beitragen, und zwar einer‐ seits durch sogenannte Output Practice (N. Ellis 2007: 32) und andererseits durch verbessertes Noticing (ebd.: 30) und entsprechende Aufmerksamkeitslenkung (Cintrón-Valentín & N. Ellis 2015: 201). Im Hinblick auf Output Practice wird Folgendes angenommen: Formulas, slot-and-frame patterns, drills and declarative pedagogical grammar rules all contribute to the conscious creation of utterances whose subsequent usage promotes implicit learning and proceduralization (N. Ellis 2005: 305). Bezogen auf die Rolle von Noticing soll eine entsprechend erhöhte Aufmerksam‐ keit für Form-Bedeutung-Zuordnungen, aber auch für Abweichungen zwischen dem Stand der eigenen Lernendensprache und der Umgebungssprache (sog. Noticing the Gap) oder für Schwierigkeiten im eigenen Sprachgebrauch oder Lernprozess (z. B. Noticing the Hole), zu verbesserter Inputverarbeitung, verbes‐ sertem Intake und damit langfristig zur Entwicklung der Lernendensprache führen (Ellis 2007, auch Swain 1995). Entscheidend ist also, dass explizites de‐ klaratives Wissen dann zum Aufbau einer impliziten prozeduralen Kompetenz beitragen kann, wenn sprachliche Formen unter Aufmerksamkeit (im Sinne von Focal Attention) gebraucht, d. h. aktiv verarbeitet, werden. 4.3. Die Non-Interface-Position Paradis (2009) geht nicht davon aus, dass eine Schnittstelle zwischen explizitem Wissen und impliziter Kompetenz existiert, obgleich auch er annimmt, dass explizites Wissen indirekt einen positiven Einfluss auf den Erwerb impliziter Kompetenzen haben kann. Explizites Wissen, das bewusst zugänglich ist, sei im deklarativen Gedächtnis gespeichert. Hierzu zählt z. B. explizites metalinguis‐ tisches Wissen (z. B. Wissen über eine Grammatikregel) sowie Wissen über die Bedeutungsseite von Wörtern. Implizite sprachliche Kompetenz gilt hingegen als im prozeduralen Gedächtnis gespeichert. Unter implizite sprachliche Kom‐ petenz fällt dabei z. B. das Wissen über die grammatischen Eigenschaften von Wörtern und Konstruktionen sowie die Fähigkeit zu ihrem Gebrauch, wie es im Erstspracherwerb unbewusst erworben wird (Paradis 2009: 16-22). 324 Dorothee Kohl-Dietrich & Eva-Larissa Maiberger Ältere Lernende von Zweit- oder Fremdsprachen (etwa ab 6 Jahren) büßen nach Paradis nun jedoch die Fähigkeit ein, sich bei der Sprachverarbeitung (voll‐ kommen) auf ihr prozedurales Gedächtnis zu stützen. Dies könne einerseits bio‐ logische, andererseits kognitive Ursachen haben (Paradis 2009: 113). Beispiels‐ weise kann L1-Transfer den Zweitspracherwerb erschweren (Paradis 2009: 96). Daher könne eine unterrichtlich gesteuerte explizite Aufmerksamkeitslenkung auf bzw. Bewusstmachung gerade von weniger salienten L2-Formen hilfreich und nützlich sein: In such cases, noticing the non-salient L2 feature through instruction or any other type of explicit evidence is necessary to provide learners with the opportunity to produce exemplars of such features in their utterance and to perceive them when they are heard. Whereas perception of a feature is a requisite for providing a target, it is the repetition of this target, not its knowledge, that indirectly establishes implicit competence (Paradis 2009: 96). Eine durch explizit formfokussierende Instruktion den (späten) Zweitsprachen‐ lernenden zugänglich gemachte Grammatikregel könne diesen also dazu dienen, Äußerungen der Regel entsprechend kontrolliert und bewusst zu konstruieren, was im Sinne der oben bereits diskutierten Output Practice indirekt den Aufbau der impliziten Sprachkompetenz unterstützen kann. Zentral ist hier Paradis’ Unterscheidung zwischen Lernen (Aneignung mit Bewusstsein) und Erwerb (Aneignung ohne Bewusstsein, s. auch Krashen 1982). Lernen mit Bewusstsein (Consciousness) erfolge dabei unter Aufmerksamkeit (Attention; Paradis 2009: 50). Im Sinne der Noticing-Hypothese (siehe oben) gilt Aufmerksamkeit als Voraussetzung für Bemerken (Noticing) und damit für Lernen. Aufmerksamkeit und Noticing seien hingegen für den unbewussten Erwerb irrelevant (Paradis 2009: 50-51), denn nichts Implizites, wie beispiels‐ weise die tieferliegende grammatische Struktur einer Äußerung, könne von Lernenden bemerkt werden (im Sinne des Noticing). Lernende bemerkten lediglich die Oberflächenstruktur des Inputs. Von diesem Input, der während bedeutungsvoller Kommunikation von Lernenden wahrgenommen und dann wiederholt selbst gebraucht wird, könne Intake abstrahiert werden (Paradis 2009: 60). Dieser trage dann zum Aufbau impliziter Kompetenz bei. Aus diesem Grund könne es hilfreich sein, die Aufmerksamkeit von Lernenden auf ein grammatisches Phänomen zu lenken, damit dieses (bewusst) bemerkt, explizit abgerufen und gebraucht werden kann. Dieser bewusste Gebrauch unterstütze dann indirekt den Aufbau impliziter sprachlicher Kompetenz: Neither the various steps toward learning by different methods nor the resulting explicit knowledge directly serves as intake to the acquisition mechanism, which is 325 Die Interface-Hypothese based not on knowledge, nor on noticing, nor on any conscious operation, but on statistical tallying of the use of constructions (whether or not the learner is aware of their explicit grammatical structure) (Paradis 2009: 60). Würde Lernenden also beispielsweise die Regel präsentiert, dass im Deutschen das konjugierte Verb in einem Hauptsatz an zweiter Stelle stehen muss, könnten die Lernenden der Regel entsprechend Hauptsätze mit V2-Stellung (z. B. Gestern habe ich …) bewusst bilden. Durch den häufigen Gebrauch dieser Struktur würde parallel zur Verarbeitung im deklarativen Gedächtnis graduell implizite linguistische Kompetenz im prozeduralen Gedächtnis aufgebaut, indem Intake vom Auto-Input der Lernenden abstrahiert würde (Paradis 2009: 97). Sobald die Struktur verinnerlicht wäre und vollständig der impliziten linguistischen Kompetenz unterläge, erfolgte der Abruf von Hauptsätzen mit V2-Stellung aus dem prozeduralen Gedächtnis. Der Zugriff verschöbe sich also von einer deklarativen hin zu einer prozeduralen Verarbeitung (Paradis 2009: 68). Somit fände ein Wechsel von einem zum anderen Verarbeitungsmodus statt. Der Einfluss expliziten Wissens auf implizite Kompetenz sei daher indirekt. Von einem Interface sei nicht auszugehen (Paradis 2009: 97). Auf dem hier dargestellten Wege trägt explizites Wissen (über Sprache) nach Paradis (2009) auch vor dem Hintergrund der Non-Interface-Hypothese indirekt zur Entstehung impliziter Sprachkompetenz bei und kann zudem weiterhin als Monitor für den Sprachgebrauch dienen: Metalinguistic knowledge also allows learners to monitor the output of linguistic competence and thus increase their production of correct forms, the frequency of which may eventually (though indirectly) establish the implicit procedures that will sustain their automatic use (Paradis 2009: 97). Neben der expliziten Regelvermittlung als Ausgangspunkt des Lernens, wie im Beispiel aufgezeigt, könne auch das Bereitstellen von negativer Evidenz (z. B. durch Fehlerkorrektur) oder von Aufgabenstellungen, die das Üben der Zielstruktur erlauben, einen indirekten positiven Einfluss auf den Aufbau impliziter Kompetenz haben (Paradis 2009: 98). Paradis (2009) geht jedoch davon aus, dass dieser indirekte Einfluss und die damit verbundene Verschiebung im Zugriff einen Idealfall darstellen. Zweitsprachnutzende können die Fremdsprache auch dauerhaft kontrolliert verarbeiten und nie in eine prozedurale Sprachverwendung finden. Es handelt sich dann um eine beschleunigte kontrollierte Sprachverarbeitung, nicht um eine automatisierte nach der hier angelegten Definition (Paradis 2009: 28). Darüber hinaus kann es auch sein, dass nur bestimmte sprachliche Elemente im prozeduralen Gedächtnis verarbeitet werden und andere nicht: „Some aspects 326 Dorothee Kohl-Dietrich & Eva-Larissa Maiberger (e.g., morphology or syntax) may be automatized while others (e.g., phonology) continue to be controlled“ (Paradis 2009: 101). Beim Zugriff auf diese würde dann immer ein Wechsel zwischen deklarativer und prozeduraler Verarbeitung stattfinden. 4.4. Unterschiede und Gemeinsamkeiten der drei Interface-Positionen Die Ausführungen haben gezeigt, dass sich bereits auf der Konstruktebene Probleme beim Vergleich der drei Positionen ergeben. So fassen die verschie‐ denen Positionen das Verhältnis zwischen deklarativ und prozedural, explizit und implizit sowie automatisiert und kontrolliert unterschiedlich. Es kann daher also schon auf der terminologischen Ebene zu Schwierigkeiten in der Vergleichbarkeit und Abgrenzung der drei Positionen untereinander kommen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen DeKeyser (2015) sowie N. Ellis (2005) und Paradis (2009) ist, dass bei DeKeyser der Fokus in erster Linie auf der Rolle expliziten Wissens für den Aufbau automatisierten expliziten Wissens (und nicht etwa impliziten Wissens) liegt. Trotz dieser Herausforderungen lässt sich festhalten, dass die drei referierten Positionen zur Schnittstelle zwischen deklarativem Wissen und prozeduraler Kompetenz, bei allen Unterschieden und Vergleichsproblemen, in einem wichtigen, anwendungsbezogenen Aspekt übereinstimmen, nämlich in der (wenn auch unterschiedlich begründeten) Annahme, dass explizites Wissen - unter bestimmten Bedingungen - dazu beitragen kann, Spracherwerb bzw. -aneignung zu unterstützen. Die Konzepte der Aufmerksamkeit, des Noticing (das bewusste Bemerken), des Monitors (das Überwachen des eigenen Outputs) und der Output Practice (das bewusste Üben) spielen in unterschiedlicher begrifflicher Akzentuierung dabei in allen Positionen eine zentrale Rolle. Daher scheint es gewinnbringend, sich nicht auf die postulierten Unter‐ schiede und Vergleichsprobleme zu konzentrieren, sondern auf die genannte, übergeordnete Übereinstimmung in Bezug auf den potenziellen Beitrag expli‐ ziten Wissens und der Rolle des Lernens unter Aufmerksamkeit. Das Konzept der Aufmerksamkeit sowie die empirische Beforschung der Effekte von impli‐ ziteren und expliziteren Techniken der Aufmerksamkeitslenkung gewinnen dabei zunehmend an Bedeutung, u. a. im Kontext des Ansatzes der didaktischen Formfokussierung. Dabei werden klassische Messmethoden wie rezeptive und produktive Sprachtests (z. B. Übersetzung) und Grammatikalitätsurteile durch den Einsatz von Eyetracking-Verfahren ergänzt. 327 Die Interface-Hypothese 2 Da Aufmerksamkeit eine begrenzte Ressource ist, neigen Lernende im Sprachverarbei‐ tungsprozess dazu, ihre Aufmerksamkeit eher auf Content Words/ bedeutungstragende Begriffe zu richten als auf beispielsweise Verbmorphologie (Robinson 2003: 650). 5. Empirische Überprüfung der Effekte von aufmerksamkeitslenkenden und bewusstmachenden Verfahren Um Aussagen über den Nutzen von formfokussierenden Verfahren für den gesteuerten Spracherwerb treffen zu können, wird in Studien u. a. untersucht, wie unterschiedliche formfokussierende Verfahren die Aufmerksamkeitsallo‐ kation und das resultierende Lernen beeinflussen. Unter Formfokussierung (FonF) versteht man dabei allgemein die didaktisch gesteuerte Lenkung der Aufmerksamkeit der Lernenden auf bestimmte Form-Bedeutung-Zuordnungen (Madlener-Charpentier & Pagonis in diesem Band). In diesem Zusammenhang spielt neben der Häufigkeit sprachlicher Reize (Cues) ihre Salienz eine wichtige Rolle. Salienz verweist dabei auf die (rela‐ tive) Auffälligkeit sprachlicher Stimuli (s. z. B. Tschirner 2010: 276); saliente Strukturen werden der Annahme nach mit höherer Wahrscheinlichkeit von Lernenden wahrgenommen und verarbeitet - umgekehrt kann die niedrige Salienz einer Form dazu führen, dass sie bzw. die entsprechende Form-Bedeu‐ tung-Zuordnung trotz häufigen Vorkommens im Sprachangebot nicht wahrge‐ nommen und verarbeitet wird, so dass kein erwerbsrelevanter Intake generiert wird (Cintrón-Valentín & N. Ellis 2015: 198, N. Ellis 2006, s. Baumeister in diesem Band). So kann es während der Sprachverarbeitung zur sogenannten Überschattung (Overshadowing, N. Ellis 2006: 176-177) eines weniger salienten Reizes kommen (z. B. Verbflexion für Tempus, z. B. werde gehen), wenn dieselbe Information (hier: zeitliche Referenz) durch einen konkurrierenden, salienteren Cue (z. B. temporales Adverb, z. B. morgen) ausgedrückt wird (Cue Competi‐ tion, ebd: 168-170). 2 Von Blockierungseffekten wird hingegen ausgegangen, wenn Lernende L2-Cues oder L2-Konstruktionen nicht verarbeiten, die von eingeschliffenen L1-Konstruktionen, L1-Kategorien und damit von L1-Verar‐ beitungsroutinen abweichen (Blocking durch sog. Learned Attention, N. Ellis 2006: 176). Der Ansatz der didaktischen Formfokussierung gilt vor diesem Hintergrund (einer angenommenen Blockierung der Inputverarbeitung aufgrund von L1-Ver‐ arbeitungsroutinen und/ oder aufgrund geringer relativer Salienz des Cues) als Möglichkeit, die Aufmerksamkeit der Lernenden auf wenig saliente bzw. L2-spezifische Form-Bedeutung-Zuordnungen zu lenken und dadurch Blockie‐ rungs- und Überschattungseffekte zu überwinden (Cintrón-Valentín & N. Ellis 2015: 197). Durch formfokussierende Aufgabenformate soll dementsprechend 328 Dorothee Kohl-Dietrich & Eva-Larissa Maiberger die Aufmerksamkeit der Lernenden gezielt auf Elemente im Sprachangebot gelenkt werden, die sonst unbemerkt bleiben würden - mit dem Ziel, Intake zu generieren, der im Weiteren für den (impliziten) Sprachaneignungsprozess genutzt werden kann. In neueren Laborstudien wird bei der Untersuchung der Effekte von Ver‐ fahren der Aufmerksamkeitslenkung neben Untersuchungsverfahren, die Out‐ come-orientiert sind (z. B. rezeptive und produktive Sprachtests), verstärkt auf Eyetracking (Registrierung und Analyse von Blickbewegungen) rekurriert. Eyetracking-Daten werden genutzt, um Aussagen über Prozesse der Aufmerk‐ samkeitsallokation abzuleiten. Die Aufzeichnung von Blickbewegungsdaten erfolgt also unter der Annahme, dass Aufmerksamkeitsprozesse direkt, ob‐ jektiv und unmittelbar im Verarbeitungsprozess abgebildet werden können (Cintrón-Valentín und N. Ellis 2015: 205). Im Folgenden wird am Beispiel einer experimentellen Studie (Cintrón-Va‐ lentín & N. Ellis 2015) detailliert dargestellt, welche formfokussierenden Verfahren eingesetzt werden können und inwiefern diese Verfahren die Aufmerksamkeit der ProbandInnen auf weniger saliente und/ oder durch ge‐ lernte Aufmerksamkeit blockierte Sprachmerkmale lenken können. Die entspre‐ chenden Effekte der formfokussierenden Verfahren auf die Aufmerksamkeit der Lernenden werden im Rahmen der Studie durch Rezeptions- und Produk‐ tionstests sowie Blickbewegungsdaten gemessen (ebd.: 205). Die Studie kann zeigen, dass bereits eine zeitlich sehr begrenzte Intervention von 60 Minuten mit FonF-Verfahren lernwirksam sein kann („causes learning to occur“, ebd.: 231), insofern durch Aufmerksamkeitslenkung die Aufmerksamkeit der Lernenden neu justiert wird und Blocking-Effekte überwunden werden können. Dabei sei vorab darauf hingewiesen, dass die Studie nicht intendiert, eine Antwort darauf zu geben, ob durch die Aufmerksamkeitslenkung der Aufbau impliziter Sprachkompetenz angeregt werden kann. Cintrón-Valentín und N. Ellis (2015) weisen selbst darauf hin, dass diese Frage auf Grundlage ihrer Studie unbeant‐ wortet bleiben muss (231). Die Grundfrage ist stattdessen: Welche Verfahren der Aufmerksamkeitslenkung und/ oder Bewusstmachung eignen sich, um die Auf‐ merksamkeit von L2-Lernenden auf wenig saliente und von der L1 abweichende Cues und Konstruktionen zu lenken und Lernprozesse anzustoßen? Cintrón-Valentín und N. Ellis (2015) untersuchen dazu in einem Laborkontext den Effekt von drei verschiedenen Typen der Aufmerksamkeitslenkung. Als Zielkonstruktionen für dieses Miniatursprachenexperiment wurde ein kleiner Ausschnitt aus dem Tempussystem des Lateinischen ausgewählt (Präsens, Perfekt, Futur; 1., 2. und 3. Person Singular; das Verb cogitare => denken). Tempus kann dabei in temporalen Adverbien (heute, gestern, morgen) ebenso wie 329 Die Interface-Hypothese morphologisch enkodiert werden (denke, habe gedacht, werde denken), wobei der morphologische Cue als weniger salient gilt. Daher wird angenommen, dass Lernende ihre Aufmerksamkeit eher auf das (salientere) Adverb richten, um das Tempus einer Zweiwortphrase (aus Verb und Adverb) zu interpretieren, als auf das (weniger saliente) gebundene Morphem (overshadowing; ebd.: 210). Dieser Effekt sollte für chinesische Lernende noch stärker sein als für englischspra‐ chige, da das Chinesische keine Verbflexion kennt (so dass Überschattung und Blockierung kumulieren). Sollte sich nun durch formfokussierende Verfahren die Aufmerksamkeit der Lernenden tatsächlich auf den weniger salienten Cue lenken lassen, so sollte sich dies sowohl in den Blickbewegungen als auch in Tests zur Messung der rezeptiven und produktiven Sprachverwendung nachweisen lassen. Es wurden drei unterschiedliche FonF-Verfahren in jeweils einer Lernen‐ dengruppe eingesetzt (Tab. 1: 1. explizit-deduktiv (VG: Grammatikerklärung), 2. explizit-induktiv (VH: Hervorhebung der relevanten Verbendungen), 3. ex‐ plizit-induktiv, wenig aufdringlich (VV: Verb-Vorübung)). Von diesen Verfahren könnte angenommen werden, dass sie unterschiedliche Grade der Bewusst‐ machung anstreben, und zwar zwischen metasprachlicher Bewusstmachung (durch explizit-deduktive Grammatikinstruktion) bis hin zu relativ unaufdring‐ licher Aufmerksamkeitslenkung durch Inputstrukturierung; die Kontrollgruppe (KG) absolviert nur die Testaufgaben. Grammatik-Gruppe (VG) FonF: explizit-deduktive Bewusstmachung kurze Grammatikerklä‐ rung zur Verbmorpho‐ logie vor den Übungen Hervorhebungsgruppe (VH) FonF: explizit-induktive Aufmerksamkeitslenkung Hervorhebung (rot) der relevanten Verbendungen bei der 1. Übung Verbtrainingsgruppe (VV) FonF: explizit-induktive (wenig aufdringliche) Aufmerksamkeitslenkung Vorübung mit tempusflektierten Verben; der salientere Adverb-Cue wird anfangs vorent‐ halten Kontrollgruppe (KG) --lösen lediglich die Aufgaben Tab. 1: Verfahren der Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung 330 Dorothee Kohl-Dietrich & Eva-Larissa Maiberger Die Studie beinhaltet 3 Experimente. Experiment 1 und 2 wurde mit 360 Studierenden (L1: Englisch) durchgeführt und dauerte insgesamt ca. 60 Minuten. Es beinhaltete vier Phasen (Tab. 2). Grammatik- Gruppe (VG) Hervorhebungs‐ gruppe (VH) Verbtrainings‐ gruppe (VV) Kontroll‐ gruppe (KG) Phase 1 Grammatikerklärung --- Interpretations‐ aufgabe (36 Verben im Prä‐ sens, Perfekt und Futur) --- Phase 2*** Interpretationsaufgabe: 18 Zweiwortsätze (Adverb + Verb) → Präsens, Perfekt oder Futur? Korrekt-Inkorrekt-Feedback --- Hervorhebung (rot) der Verbendungen --- --- Phase 3*** Interpretationsaufgabe: kongruente und inkongruente Zweiwortsätze (kongruent: gestern habe ich gegessen - inkongruent: gestern werde ich essen) auf einer fünfstufigen Skala einordnen: (1) Vergangenheit - (2) Vergangenheit und Präsens - (3) Präsens - (4) Präsens und Zukunft - (5) Zukunft Phase 4 Übersetzung von Zweiwortsätzen (aus Phase 2) aus dem Englischen ins Lateinische Tab. 2: Ablauf der Studie (Experiment 1); *** In Experiment 2 werden in diesen Phasen die Blickbewegungsdaten erhoben Die der Studie zugrundeliegende Hypothese ist, dass die ProbandInnen in den Phasen 3 und 4 Unterschiede im Hinblick auf den präferierten Cue zeigen sollten: Die FonF-Gruppen (also VG, VH, VV) sollten aufgrund der in den Phasen zuvor (unterschiedlich aufdringlich) erfolgten Aufmerksamkeitssteue‐ rung den eigentlich weniger salienten Verb-Cue in Phase 3 und 4 stärker gewichten, die Kontrollgruppe im Gegensatz dazu den generell salienteren Adverb-Cue. Diese Präferenzen sollten sich in Phase 3 durch die Auswahl der Antwortoption in der Interpretation der inkongruenten Sätze abbilden, insofern im Falle widersprüchlicher Kombinationen der Verb-Cue stärker gewichtet werden sollte (z. B. „gestern werde ich essen“, bei Adverb-Cue-Präferenz für „gestern“/ Vergangenheit, bei Verb-Cue-Präferenz für „werde essen“/ Futur). Die Eyetracking-Daten sollten entsprechende gruppenspezifische Unterschiede 331 Die Interface-Hypothese zeigen: Die FonF-Gruppen sollten höhere Fixationszeiten für den Verb-Cue aufweisen als die KG. Die Ergebnisse für Experiment 1 bestätigen im Wesentlichen, dass die expe‐ rimentellen Bedingungen einen Einfluss auf die Berücksichtigung des weniger salienten Cues durch die ProbandInnen haben: In Phase 3 zeigt sich, dass sich die KG bei der Interpretation der inkongruenten Beispiele (z. B. Heri cogitabo => gestern werde ich denken) stärker auf den salienteren Adverb-Cue verlässt als auf den weniger salienten Verb-Cue. In den FonF-Gruppen zeigt sich generell eine stärkere Verb-Cue-Sensitivität als in der KG und in VG und VH auch eine stark reduzierte Adverb-Sensitivität; lediglich die VV-Gruppe zeigt gleichzeitig eine hohe Verb- und Adverbsensitivität. Dies konnte auch für Phase 4 - die Übersetzungsübung aus dem Englischen ins Lateinische - bestätigt werden: ProbandInnen der Kontrollgruppe produzieren das passende Adverb häufiger korrekt als die entsprechenden konjugierten Verbformen (ebd.: 216). Die VG-und VH-Gruppe verwendeten die korrekte Verbform marginal verläss‐ licher als das Adverb. Die VV-Gruppe produzierte Verbformen und Adverbien ähnlich korrekt. Die Ergebnisse zeigen nach Ansicht der AutorInnen, dass unterschiedliche FonF-Verfahren die Aufmerksamkeit der Verb-Cues für die ProbandInnen erhöhen konnten und somit Blockierungseffekte - zumindest in der Laborsituation - schon durch sehr kurze Interventionen gemindert werden konnten. Weiterhin wurden in Experiment 2 für eine kleinere Gruppe von Proban‐ dInnen (n = 66) Eyetracking-Daten für die Phasen 2 und 3 des Experiments generiert, um Blocking-Effekte und Effekte erlernter Aufmerksamkeit (Learned Attention) durch Messung der Overt Attention abzubilden. Overt Attention wird im Rahmen der experimentellen Studie über die Messung von Fixationszeiten (Blicken) auf einen entsprechenden Cue gemessen. Durch diese Methode sollen objektive und direkt beobachtbare Daten zur Darstellung von Aufmerksam‐ keitslenkung im unmittelbaren Sprachverarbeitungsprozess gewonnen werden (s. Rebuschat 2013). Es bestätigt sich, dass alle drei FonF-Gruppen im Verar‐ beitungsprozess der Zwei-Wort-Sätze signifikant länger auf die Verbendung blicken. Die proportionalen Fixationszeiten auf den Verbvs. Adverb-Cue in Phase 2 korrelieren jeweils signifikant mit der oben beschriebenen Verbvs. Adverb-Präferenz in den Phasen 3 und 4. Somit lässt sich auch mittels der Eyetracking-Daten bestätigen, dass die FonF-Verfahren helfen, die Aufmerksamkeit für den weniger salienten Verb-Cue über die Phasen des Experiments hinweg aufrechtzuerhalten, was aus Sicht der AutorInnen als Voraussetzung für einen gelingenden längerfristigen Lernprozess (im Sinne der Weak-Interface-Hypo‐ these, s. o.) gelten könne. 332 Dorothee Kohl-Dietrich & Eva-Larissa Maiberger Auch für ProbandInnen mit L1 Chinesisch (n = 76), das keine Tempus‐ morphologie kennt (Experiment 3), zeigt sich, dass eine explizit-deduktive Bewusstmachung (Regelerklärung, Bedingung VG) es den ProbandInnen - unter den spezifischen Bedingungen einer Laborstudie - ermöglicht, ein sehr einfaches System der Verbflexion zu lernen, allerdings etwas schlechter als die entsprechende englischsprachige VG-Gruppe (Experiment 1). Hier zeigt sich die additive Wirkung von Blocking-Effekten durch das Fehlen einer Tempus‐ morphologie in der Erstsprache und von Overshadowing, bedingt durch den stärkeren (da salienteren) Adverb-Cue. Zusammenfassend legt die Studie nahe, dass in diesem Kontext und für einen stark vereinfachten Lerngegenstand kurzfristig unterschiedlich aufdringliche FonF-Verfahren lernwirksam waren (Cintrón-Valentín & N. Ellis 2015: 231): Durch alle drei FonF-Optionen konnten nicht-saliente Cues im Input leichter wahrgenommen und verarbeitet werden. Die Eyetracking-Daten liefern dabei genauere Einblicke in den Prozess der Aufmerksamkeitsallokation: So korreliert die Fixationszeit (Overt Attention) auf den Verb-Cue in Phase 2 signifikant mit der Verb-Cue-Präferenz in Phase 3 und 4 (Covert Attention). Ob diese durch FonF erhöhte und auf den weniger salienten Verb-Cue gerichtete Overt Attention jedoch mit Bewusstsein im Sinne des Noticing oder aber mit (metasprachlichem) Bewusstsein im Sinne des Understanding (s. Schmidt 1990) gleichgesetzt werden können, ist durch diese Studie noch nicht beantwortbar (Cintrón-Valentín & N. Ellis 2015: 231). Die Interpretations- und Produktionsleistungen in Kombination mit den Eyetracking-Daten zeigen aber nach Ansicht der AutorInnen, dass durch ver‐ schiedene FonF-Verfahren ein Grad an Aufmerksamkeit erreicht werden kann, der Overshadowing- und Blocking-Effekten zumindest kurzfristig entgegen‐ wirken kann. Die Frage hingegen, ob diese Art der erreichten Aufmerksamkeit und/ oder Bewusstmachung langfristig zur Entwicklung impliziten/ prozedu‐ ralen Wissens beiträgt, wird, wie oben bereits angemerkt, von den AutorInnen nicht direkt beantwortet. Im Sinne der Weak-Interface-Hypothese (s. o.) würde allerdings angenommen, dass durch die veränderte Aufmerksamkeit länger‐ fristig weiterer Input zu Intake werden kann, was allmählich zum Aufbau einer impliziten Kompetenz beitragen könnte (Cintrón-Valentín & N. Ellis 2015: 205). 6. Implikationen für den gesteuerten Fremdsprachenerwerb Es ist hinreichend bekannt, dass sich Ergebnisse aus Labor- und Kunstsprachenexperimenten nicht direkt auf den natürlichen oder gesteuerten Zweit- und Fremdspracherwerbskontext übertragen lassen bzw. im Feld repliziert werden 333 Die Interface-Hypothese müssten (Gass, Mackey & Ross-Feldmann 2011, Ettlinger, Morgan-Short, Fa‐ retta-Stutenberg & Wong 2016, Madlener 2018). Dennoch kann die hier refe‐ rierte Studie Hinweise auf Möglichkeiten liefern, wie die Aufmerksamkeit von Lernenden auch im gesteuerten Zweit- und Fremdsprachenerwerb zielfüh‐ rend und erwerbsfördernd auf L2-Cues, L2-Kategorien und L2-Konstruktionen gelenkt werden kann, die von anderen Cues überschattet sind oder deren Verarbeitung durch L1-Routinen blockiert ist und die daher als schwierig zu erwerben gelten. Cintrón-Valentín und N. Ellis (2015) konnten zeigen, dass bereits eine zeitlich sehr begrenzte Intervention mit verschiedenen (mehr oder weniger aufdringlich) formfokussierenden Verfahren einen positiven (kurzfristigen) Einfluss auf die Entwicklung der Aufmerksamkeitsallokation und auf die Ergebnisse der produktiven und rezeptiven schriftlichen Sprachtests hatte. Die explizit-deduktive Regelvermittlung in der VG-Gruppe fand mithilfe von vier Folien mit Erläuterungen zur Verbflexion im Lateinischen statt. Obgleich sich die ProbandInnen im Durchschnitt weniger als 2 Minuten mit den Folien beschäftigten und das gesamte Experiment nicht länger als eine Stunde dauerte, wies die VG-Gruppe bessere Ergebnisse beim Verstehen sowie Produzieren eines sehr stark reduzierten Ausschnitts aus der Verbmorphologie im Lateini‐ schen auf als die Kontroll- und die VP-Gruppe (Cintrón-Valentín & N. Ellis 2015: 218). Die explizit instruierten Lernenden sind also offenbar in der Lage, das präsentierte metasprachliche Wissen auf die konkrete Anwendung in den folgenden (schriftlichen) Aufgaben zu übertragen. Zieht man die geringe Zeit in Betracht, die Lehrkräften im Kontext der schulischen Fremdsprachvermittlung zur Unterstützung des Sprachlernens ihrer SchülerInnen zur Verfügung steht, scheint vor dem Hintergrund der dargestellten Studie auch eine zeitlich sehr begrenzte Intervention in Form bewusster Regelvermittlung einer Zielstruktur - zumindest für wie hier stark vereinfachte Lerngegenstände - nicht nur kurzfristig lernunterstützend, sondern im Kontext des schulischen Fremdspra‐ chenunterrichts auch umsetzbar. Auch die explizit-induktive Variante auf Basis einer visuellen Hervorhebung (sog. Visual Text Enhancement, Wong 2005) der relevanten Cues zu Beginn des Experiments ohne Erklärung der zugrundeliegenden Regelhaftigkeiten erweist sich als durchaus wirkungsvoll in Bezug auf die Aufmerksamkeitsallo‐ kation und den rezeptiven und produktiven Lernzuwachs im Vergleich mit der Kontrollgruppe. Darüber hinaus resultierte auch ein unaufdringlich aufmerk‐ samkeitslenkendes Vortraining mit häufigem Anbieten des weniger salienten Verb-Cues (Phase 1), bevor in Phase 2 auch der salientere Adverb-Cue eingeführt wurde (VV-Gruppe), in einer erhöhten Aufmerksamkeit auf dem Verb-Cue 334 Dorothee Kohl-Dietrich & Eva-Larissa Maiberger 3 So weist beispielsweise auch DeKeyser (2015) in Bezug auf die SAT darauf hin, dass „children will not be able to conceptualize most grammar rules, which are of course inherently abstract“ (ebd.: 101). (Eyetracking-Daten: Overt Attention) und einem Lernzuwachs (rezeptive und produktive Sprachverwendung: Covert Attention). Genauer gesagt resultierte die unaufdringlichere Aufmerksamkeitslenkung in der VV-Gruppe „in more balanced acquisition of both verbal and adverbal cues“ (Cintrón-Valentín & N. Ellis 2015: 218). Es eröffnet sich aus Sicht der AutorInnen also potenziell durch die verschie‐ denen hier erprobten Varianten der Aufmerksamkeitslenkung bzw. Bewusst‐ machung eine Möglichkeit für längerfristiges Lernen in der weiteren Input‐ verarbeitung, insofern die notwendige Aufmerksamkeit für die sonst häufig übersehene Tempusmorphologie generiert werden kann. Diese kann durch mehr oder weniger explizite Vermittlungstechniken erreicht werden. Welche längerfristig, außerhalb des Laborkontextes und auch für komplexere Lernge‐ genstände am erwerbsförderlichsten ist, ist letztlich eine empirische Frage. Die Hinweise auf „balanced learning“ in der weitgehend implizit gesteuerten VV-Gruppe könnten dahingehend interpretiert werden, dass gerade in dieser Bedingung gute längerfristige Erwerbsvoraussetzungen angebahnt werden, da sowohl der salientere als auch der weniger saliente Cue berücksichtigt und verarbeitet wurden. Auch hierfür bedürfte es weiterer empirischer Evidenz. Die Ergebnisse können Lehrkräfte dazu ermutigen, verschiedene formfokus‐ sierende Verfahren in ihrem Unterricht anzuwenden und somit nicht nur Ab‐ wechslung in den Grammatikunterricht zu bringen, sondern auch SchülerInnen mit unterschiedlichen kognitiven Voraussetzungen und/ oder kognitivem Rei‐ fegrad anzusprechen. 3 Die zentrale Frage, welches Verfahren für welchen Lerngegenstand zu welcher Zeit für welche Lernenden am besten wirkt, ist weiterhin ein grundlegendes Desiderat der didaktischen Forschung (siehe auch Rotter in diesem Band). Weiterhin soll erneut darauf hingewiesen werden, dass die hier referierte Studie nicht zu zeigen intendiert, inwiefern durch formfokussierende Verfahren implizite Sprachkompetenz aufgebaut werden kann. Aus Sicht der oben beschriebenen Interface-Positionen scheint eine Über‐ windung von Blocking-Effekten durch explizit formfokussierende Verfahren einen ersten, bewussten Ausgangspunkt darstellen zu können. Anzunehmen ist, dass nicht die Verfügbarkeit expliziten Wissens über den Lerngegenstand per se erwerbsförderlich wirkt, sondern die - ob durch explizite Instruktion oder andere aufmerksamkeitslenkende Varianten - erreichte Aufmerksamkeit für die Zielkonstruktion. Ein weiterer Gebrauch dieser Strukturen in bedeutungsvollen, kommunikativen Interaktionssituationen wäre jedenfalls erforderlich, um eine, 335 Die Interface-Hypothese wie auch immer geartete, Schnittstelle zum impliziten Spracherwerb anzuspre‐ chen (s. Paradis 2009: 60, N. Ellis 2005: 305, 325). Weitere Feldstudien im Kontext des gesteuerten Zweit- und Fremdspracherwerbs müssen die Wirksamkeit expliziter und impliziter Formfokussierung im Klassenzimmer im Hinblick auf ihre ökologische Validität prüfen. Die Bandbreite an FonF-Verfahren (Doughty & Williams 1998), die auch in diesem Sammelband diskutiert werden, reicht dabei von implizit-formfokussierenden Inputfluten (Kauschke in diesem Band; Madlener-Charpentier in diesem Band; Pagonis in diesem Band) bis zur Vermittlung metasprachlichen Wissens in Kombination mit lerneffizientem Üben (Fehrmann in diesem Band; Baumeister in diesem Band). Literatur Aguado, Karin (2015). Sprachliche Routinen als Wegbereiter für den Erwerb bildungs‐ sprachlicher Handlungsfähigkeit im schulischen DaZ-Kontext. In: Pagonis, Giulio/ Klages, Hana (Hrsg.), Linguistisch fundierte Sprachförderung und Sprachdidaktik: Grundlagen, Konzepte, Desiderate. Reihe: DaZ-Forschung. Deutsch als Zweitsprache, Mehrsprachigkeit und Migration. Berlin u.a.: Mouton de Gruyter, 1-15. Anderson, John R./ Bothell, Daniel/ Byrne, Michael D./ Douglass, Scott/ Lebiere, Chris‐ tian/ Qin, Yulin (2004). An integrated theory of the mind. Psychological Review 111: 4, 1036-1060. 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In der praktischen Umsetzung und für die Fortbildung von Lehrpersonen spielt darüber hinaus aber v. a. die diskursive Dimension der Formfokussie‐ rung im Rahmen des laufenden Unterrichtsgesprächs eine entscheidende Rolle: Wie entwickeln Lehrpersonen die Fähigkeit, formfokussierende Techniken in den Unterrichtsverlauf einzubauen und somit formfokussie‐ rende Lerngelegenheiten zu schaffen? Und wie kann diese Fähigkeit zum spontanen Einsatz formfokussierender Unterrichtstechniken im Rahmen von Fortbildungsmaßnahmen vermittelt werden? Im vorliegenden Beitrag wird argumentiert, dass die Interaktionskompetenz (Classroom Interaction Competence) einer Lehrperson ein sinnvolles theoretisches Konstrukt darstellt, um sowohl das Wissen als auch die Handlungskompetenzen für die Umsetzung didaktischer Formfokussierungsoptionen vermitteln zu können. Es wird dargelegt, dass die für den FoF-Ansatz relevanten Konzepte in Verbindung mit der Entwicklung einer übergeordneten Inter‐ aktionskompetenz von Lehrpersonen erarbeitet und entwickelt werden müssen, damit der FoF-Ansatz als Teil einer spracherwerbsunterstütz‐ enden Unterrichtsinteraktion Eingang in die schulische Praxis finden kann. 1. Einleitung Die Frage, ob und wie im Unterricht mit Zweitsprachlernenden Lernerauf‐ merksamkeit auf sprachliche Formen gelenkt werden soll, wird in der Zweit‐ spracherwerbsforschung intensiv diskutiert (R. Ellis 2016, Long 2015, Nassaji 2016). Die entwickelten didaktischen Ansätze unterscheiden sich dabei z. T. stark hinsichtlich der zugrunde gelegten theoretischen Modelle und der pädago‐ gischen Herangehensweisen. Grundsätzlich gelten aufmerksamkeitslenkende bzw. bewusstmachende didaktische Optionen als sinnvoll und v. a. bei älteren Fremd- und Zweitsprachlernenden als notwendig, um ein hohes Niveau in der Zielsprache zu erreichen und Erwerbsstufen schneller zu durchlaufen (R. Ellis 2016, Long 2015). Focus on Form wird hier als spezifische Variante form‐ fokussierenden Unterrichts verstanden, bei der die Aufmerksamkeitslenkung auf die sprachliche Ausdrucksseite sprachdidaktisch begründet und durch den inhaltsbezogenen Diskurs motiviert ist. Damit stellt sie keinen Selbstzweck dar, sondern eine Ergänzung zur kommunikativen Inhaltsorientierung. Im Fokus der unterrichtlichen Vermittlung stehen somit sowohl die kommunikative Funktion von Sprache als Symbolsystem als auch die formale Seite der sprachlichen Äußerungen. Im Kontext von Deutsch als Zweitsprache (DaZ) hat die Frage, wie Schüle‐ rInnen in der Ausbildung formaler und kommunikativer Kompetenzen in der Zweitsprache Deutsch unterstützt werden können, eine hohe bildungspolitische und pädagogische Brisanz, da Sprachkompetenzen als Schlüssel zum fachli‐ chen Lernen gelten (Ahrenholz, Hövelbrinks & Schmellentin 2017: 7, Tajmel & Hägi-Mead 2017: 16). Letztlich trifft diese Forderung jedoch nicht nur für SchülerInnen mit DaZ zu, denn es müssen für alle SchülerInnen Wege gefunden werden, sprachliche - und gerade bildungssprachliche - Kompetenzen auch durch bzw. für das fachliche Lernen auszubauen. Im europäischen Kerncurri‐ culum für inklusive Förderung der Bildungssprache (Roth & Duarte 2011: 25) wird betont, dass es dabei um eine Perspektive geht, die sprachliches und fachliches Lernen als „gemeinsamen Prozess“ auffasst und dass Lehrpersonen Methoden kennen sollten, um diese Forderung - des Auf- und Ausbaus sowohl formalsprachlicher als auch kommunikativer Kompetenzen durch sprachsen‐ siblen Fachunterricht - umzusetzen. Gerade für den grundlegend kommunika‐ tiven Kontext des schulischen Fachunterrichts, in dem der Inhalt naturgemäß im Vordergrund steht, stellt sich die Frage, wie Lehrpersonen sprachbezogene Aspekte einbeziehen können, sodass das sprachliche Lernen mit dem fachlichen verzahnt wird (Fürstenau 2012, Gibbons 2015, Lengyel 2012). FoF stellt hier eine konzeptuelle Basis dar, weil eine sogenannte didaktische Formfokussierung 344 Daniela Rotter (Long 1996) grundsätzlich im Rahmen eines inhaltsorientierten Kontextes - also auch eines fachlich-inhaltsorientierten Kontextes - erfolgen soll (Long & Robinson 1998, Pica 2007). Welche Kompetenzen auf Seiten der Lehrpersonen notwendig sind, um eine sinnvolle und kompetente Umsetzung von Formfokussierung im Sinne des FoF-Ansatzes zu gewährleisten, also z. B. im Rahmen eines fachinhaltlichen Unterrichts bewusst sprachliche Lerngelegenheiten zu gestalten, stand bislang wenig im Zentrum des Forschungsinteresses. Meist stehen die unterschiedli‐ chen Feedbackstrategien und deren Wirkung auf die Lernenden im Vordergrund (R. Ellis 2012). Dass FoF jedoch ein anspruchsvoller Ansatz ist, der nicht nur ein solides Wissen über (Zweit-)Spracherwerbsprozesse voraussetzt, sondern der Lehrkraft auch eine hohe Sprachbewusstheit und mentale Agilität abverlangt, wird häufig unterschätzt. Vor allem die erforderlichen Kompetenzen auf der handlungspraktischen Ebene sind in Hinblick auf die Umsetzung von FoF zentral: Lehrpersonen müssen im Rahmen des Unterrichtsgeschehens entscheiden, ob, wann und welche sprachlichen Formen didaktisch hervorgehoben, wie explizit diese Formen fokussiert und somit in den Aufmerksamkeitsfokus oder das Bewusst‐ sein der Lerner gehoben werden sollen und wie lange bzw. wie häufig dies not‐ wendig ist, um sprachliches Lernen nachhaltig zu unterstützen. Studien belegen, dass die kompetente Umsetzung von Ad-hoc-Techniken der Formfokussierung mitbedingen, inwieweit Zweitspracherwerbsprozesse von Lernenden gezielt unterstützt werden (Mackey, Polio & McDonough 2004, Nassaji 2016). Die Lehrperson hat demnach eine Schlüsselrolle inne (Pica 2007, Roth & Duarte 2011). Im vorliegenden Beitrag wird der FoF-Ansatz zunächst von anderen in der Literatur diskutierten didaktischen Ansätzen abgegrenzt und charakterisiert (Abschnitt 2). Davon ausgehend werden die für den FoF-Ansatz relevanten theoretischen Konzepte detailliert erläutert (Abschnitt 3). Anschließend wird die Interaktionskompetenz der Lehrperson als zentrales Konstrukt in Verbindung mit FoF diskutiert, um zu zeigen, warum dieses umfassendere Konstrukt eine wichtige Voraussetzung für die Implementierung des FoF-Ansatzes darstellt (Abschnitt 4). Das Ziel des Beitrags ist es, Hinweise darauf zu liefern, wie im Rahmen von Fortbildungsmaßnahmen für Lehrpersonen der Grundschule das für den FoF-Ansatz relevante Wissen vermittelt und Handlungskompetenzen in diese Richtung erweitert werden können (Kapitel 5). Als Zielgruppen werden dabei sowohl Sprachlehrpersonen als auch Fachlehrpersonen adressiert. 345 Focus-on-Form in der Lehrkräftefortbildung 2. Das Formfokussierungsparadigma: Focus on Meaning, on Form oder on FormS? In der angloamerikanischen Forschung zum Zweitspracherwerb besteht reges Interesse an der Konzeptualisierung von Formfokussierung und an den Effekten formfokussierender Vermittlungsansätze auf die lernersprachliche Entwicklung (R. Ellis 2016, Nassaji 2016). Die in der Literatur diskutierten Varianten von formfokussierendem Unterricht unterscheiden sich darin, in welcher Weise und wie stark die Lehrpersonen das Bewusstsein der Lernenden auf die Formseite der Sprache lenken und welche Rolle der metasprachlichen Bewusstheit dabei beigemessen wird (Long 2015, Nassaji 2016). Dabei werden drei didaktische Optionen diskutiert, von denen nur die beiden letztgenannten zu den formfo‐ kussierenden Ansätzen zählen (R. Ellis 2016): a) Focus on Meaning (FoM), d. h. ausschließlicher Bedeutungsfokus b) Focus on Form (FoF), d. h. kontextuell eingebettete didaktische Formfokus‐ sierung c) Focus on FormS (FoFS), d. h. kontextloser Fokus auf Formen und formale Paradigmen Während strikt bedeutungszentrierte Ansätze (FoM) die (vorgeplante oder spontane, implizite oder explizite) Fokussierung formaler Aspekte der Fremd- oder Zweitsprache in jeglicher Form ausklammern und Sprachkompetenz in Anlehnung an Krashen (1985) allein durch verständlichen (comprehensible) Input und kommunikativen Sprachgebrauch zu entwickeln versuchen, stellen FoFS-Ansätze das Sprachsystem mit seinen Regeln, Paradigmen und Aus‐ nahmen ins Zentrum der unterrichtlichen Wissensvermittlung. Diese sollen kontextlos, also ohne Bezug auf die kommunikative und gebrauchsbasierte Funktion von Sprache, verstanden und bewusst gelernt werden, um schließ‐ lich durch Übungen automatisiert zu werden (s. die Diskussion in R. Ellis 2016: 406-411, Long 2015: 21-29). Der FoF-Ansatz stellt eine Gegenposition sowohl zu FoM als auch zu FoFS dar, insofern vorrangig kommunikative, aber als Mittel zum Zweck auch formal-strukturelle Fähigkeiten entwickelt werden sollen. Diese doppelte Zielsetzung sowie die Breite an Umsetzungsoptionen (implizit/ explizit, inputliefernd/ outputfordernd, proaktiv/ reaktiv) machen den Ansatz für unterschiedliche Kontexte interessant (Long 1991, 2015, Long & Robinson 1998, Pica 2007). Auch im deutschsprachigen Raum werden Optionen von Formfokussierung vermehrt diskutiert (Madlener 2015, Pagonis & Klages 2014, Rotter 2015, Schifko 2011, Schumacher 2015). 346 Daniela Rotter FoF beschreibt somit eine Gruppe von Vermittlungsansätzen, die die Eigen‐ schaft teilen, dass die primäre Orientierung der Sprachvermittlung auf dem kommunikativen Nutzen der Fremd- oder Zweitsprache liegt, wobei gleichzeitig (und häufig kurzfristig) der systematische Versuch erfolgt, auch die kommuni‐ kative Bedeutung tragenden sprachlichen Formen in den Fokus der Lernerauf‐ merksamkeit zu bringen (R. Ellis 2016). Im Fokus stehen dann also sprachliche Mittel, die im Kontext spezifische Bedeutungen transportieren. Dahinter steht die Annahme, dass Lernende einer Zweit- oder Fremdsprache zumindest zeit‐ weise einer (bewussten oder beiläufigen) Aufmerksamkeitslenkung auf die Ausdrucksseite (also einer Formfokussierung) bedürfen, um Lernprozesse in Gang zu setzen oder zu beschleunigen (N. Ellis 2005, Kohl-Dietrich & Maiberger in diesem Band, Long 2015). BefürworterInnen des FoF-Ansatzes betonen, dass diese Vorgehensweise geeignet ist, um natürliche Spracherwerbsprozesse durch unterrichtlich gesteu‐ erte Prozesse zu ergänzen und dabei die individuellen Entwicklungsstufen und Verarbeitungsmöglichkeiten der Lernenden zu berücksichtigen (R. Ellis 2016, Long 2015). Dabei ist zu beachten, dass sich das hinter dem FoF-Ansatz stehende gebrauchsbasierte Modell von Sprache, Spracherwerb und der Rolle von Aufmerksamkeitslenkung grundsätzlich von jenem unterscheidet, das der traditionellen, grammatikorientierten Vorgehensweise bei FoFS zugrunde liegt (Madlener-Charpentier & Behrens in diesem Band). Im Weiteren sollen die zentralen Merkmale des FoF-Ansatzes beschrieben werden. Neben dem Wissen über diesen didaktischen Ansatz, so die These dieses Beitrags, benötigt die Lehrperson v. a. auch Handlungskompetenzen, um FoF im Rahmen des Unterrichtsgeschehens sinnvoll einzusetzen. 3. Zentrale Konzepte des Focus-on-Form-Ansatzes Die Charakterisierung von FoF als kurzfristige Aufmerksamkeitslenkung auf die Formseite von Sprache im Rahmen eines primär inhaltsorientierten Kontextes (Long & Robinson 1998) bedarf eines vertieften Verständnisses des aktuell vielfach diskutierten gebrauchsbasierten Modells des (Zweit-) Spracherwerbs, das dem Nutzen von Bewusstmachung im Unterricht eine andere Rolle beimisst als traditionelle(re) Ansätze der Grammatikvermittlung. Deshalb wird in den folgenden Abschnitten auf zentrale Konzepte im Detail eingegangen und auf die in der Vermittlung relevanten Aspekte hingewiesen. 347 Focus-on-Form in der Lehrkräftefortbildung 3.1. Ein gebrauchsbasiertes Verständnis von Sprache und Spracherwerb Der FoF-Ansatz baut auf einem gebrauchsbasierten Modell des Spracherwerbs auf (Wulff & N. Ellis 2018). Gebrauchsbasierte Modelle gehen davon aus, dass sich Sprachkompetenzen - in der Erst- oder Zweitsprache - durch die Verarbei‐ tung bzw. Verwendung von Redemitteln in konkreten, sinnhaften Kommunika‐ tionssituationen entwickeln (Eskildsen & Cadierno 2015, Wulff & N. Ellis 2018). Sinnhaft meint hier jene Dimension von Sprachverwendung, die für die Sprach‐ benutzerInnen als wichtig und relevant, d. h. als Medium der gegenseitigen Verständigung und des Informationsaustausches erlebt wird. Dem sprachlichen Input kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Über diesen erhalten Lernende das konkrete Sprachmaterial, aus dem sie unbewusst durch Musterabstraktions‐ prozesse sog. Form-Bedeutungsverbindungen (Konstruktionen) herausfiltern (Wulff & N. Ellis 2018). Unter Form-Bedeutungsverbindungen werden sym‐ bolische und konventionalisierte Einheiten aus sprachlichem Ausdruck und damit verbundener Bedeutung verstanden (N. Ellis 2014, Madlener-Charpentier & Behrens in diesem Band). Die mentalen Repräsentationen von Form-Bedeu‐ tungsverbindungen können konkrete und ganzheitlich gespeicherte sprachliche Einheiten aufrufen oder abstrakter Natur sein. Entscheidend ist die Vorstellung eines graduellen, über den sinnhaften Sprachgebrauch angeregten Entwick‐ lungsprozesses (im Sinne eines allmählichen Musterabstraktionsprozesses vom konkreten Sprachbaustein hin zu zunehmend abstrakten schematischen Reprä‐ sentationen), der von Merkmalen des Inputs wie z. B. der kommunikativen Funktion oder der perzeptuellen Salienz des sprachlichen Ausdrucks abhängt. N. Ellis (2014) beschreibt den Sprachaneignungsprozess aus gebrauchsbasierter Perspektive folgendermaßen: Language structure emerges ontogenetically from usage in particular contexts. Deve‐ lopment is slow and gradual, moving from an initial reliance on concrete items to more abstract linguistic schemata. This process is dependent on the type and token frequencies with which particular constructions appear in the input. Storage of wholes depends on token frequency; the development of abstract linguistic schema depends on type frequency (N. Ellis 2014: 399). In Hinblick auf die Vermittlungsperspektive ist also wichtig, dass gebrauchsba‐ sierte Modelle des Spracherwerbs Grammatik als eine emergente, d. h. aus dem Gebrauch entstehende Struktur sehen (Bickes & Pauli 2009, N. Ellis 2014). Die konkrete Erfahrung (Konfrontation des Lernenden) mit Form-Bedeutungs‐ verbindungen im Rahmen kommunikativ sinnhafter Situationen ist bei diesen Modellen der Ausgangspunkt für den Erwerb bzw. die Ausbildung lexikogram‐ matischer Strukturen. Korpusbasierte Studien belegen, dass konkrete Form-Be‐ 348 Daniela Rotter deutungsverbindungen in das lernersprachliche System eingehen, wenn diese frequent im kommunikativen Kontext verarbeitet werden können (N. Ellis 2014, Wulff & N. Ellis 2018). Nassaji und Fotos (2011: 130) weisen in diesem Zusam‐ menhang darauf hin, dass dies v. a. auf der diskursiven Ebene zielführend ist, d. h. Lernende benötigen in erster Linie Gelegenheiten, die Form-Bedeutungsverbin‐ dungen eingebettet in satzübergreifenden Zusammenhängen zu verarbeiten und sie dann auch produktiv zu verwenden. Eine Aufmerksamkeitslenkung, wie sie bei FoF vorgesehen ist, hat dann die Funktion, die - naturgemäß begrenzten - Aufmerksamkeitsressourcen der Lernenden auf jene Aspekte der Zielsprache zu lenken, die andernfalls unbemerkt blieben (Doughty 2001, Long & Robinson 1998). Aufmerksamkeitsallokation stellt damit einen Schlüsselmechanismus dar und wird im folgenden Abschnitt deshalb näher ausgeführt. 3.2. Selektive Aufmerksamkeit und Sprachverarbeitung FoF liegt ein komplexes Verständnis über die Funktionsweise von selektiver Aufmerksamkeit im Sprachverarbeitungsprozess zugrunde. Selektive Aufmerk‐ samkeit stellt dabei jenen Mechanismus dar, bei dem ein Aspekt der sprachlichen Interaktion gezielt fokussiert und andere Informationen ausgeblendet (d. h. nur beiläufig verarbeitet) werden (R. Ellis 2016: 412). In Bezug auf Sprache und die Umsetzung von FoF wird lehrerseitig der Versuch unternommen, die selektive Aufmerksamkeit der Lernenden nur gelegentlich und meist kurzfristig auf die Ausdrucksseite von Form-Bedeutungsverbindungen zu richten (also z. B. auf Aspekte der Formbildung oder der Wortstellung), primär soll der Aufmerksamkeitsfokus der Lernenden aber auf dem Inhalt und dem Verstehen der vermittelten Informationen liegen (Doughty 2001, Long & Robinson 1998). Als zentrale Momente bei FoF werden der kognitive Vergleich (Cognitive Comparison) und das gemeinsame Verarbeiten von Form, Bedeutung und Gebrauchskontext (Joint Processing) diskutiert (Doughty 2001, R. Ellis 2016): Wenn Lernende Unterschiede zwischen den eigenen lernersprachlichen Formu‐ lierungen, dem Input oder dem darauffolgenden Feedback erkennen, hat dies u. U. eine Umstrukturierung der Lernersprache zur Folge (Doughty 2001, R. Ellis 2016). Bei diesem Prozess wird allerdings eine bewusste(re) Auseinandersetzung mit der Form-Bedeutungsverbindung angenommen (R. Ellis 2016: 413). Doughty (2001: 224) argumentiert, dass das gemeinsame Verarbeiten von Form, Bedeu‐ tung und Gebrauchskontext für den Spracherwerb von zentraler Bedeutung sei, denn der Moment des Joint Processing stellt auf kognitiver Ebene die Verbindung zwischen Ausdrucksform und Bedeutung(santeilen) her. Auch Basturkmen, Loewen und R. Ellis (2002) beziehen sich in ihren Ausführungen zur praktischen Umsetzung einer (expliziten) Aufmerksamkeitslenkung im Sinne von FoF auf 349 Focus-on-Form in der Lehrkräftefortbildung die Gelingensbedingungen. Demnach sei das Ziel „to make learners aware of specific forms at the time they need to use them“ (R. Ellis et al. 2002: 430). In der Forschung wird dabei intensiv diskutiert, ob wirklich jede zielsprach‐ liche Form-Bedeutungsverbindung bewusst bemerkt werden muss (i.S.v. No‐ ticing, Schmidt 2010) oder ob ein Aufmerksam-Werden auch unterhalb der Bewusstseinsschwelle ausreicht, um diese aus dem Input zu entnehmen (R. Ellis 2016). N. Ellis (2005) zufolge braucht es für das erstmalige Memorieren einer neuen, konkreten Form-Bedeutungsverbindung im Langzeitgedächtnis ein bewusstes Bemerken im Sinne von Noticing, die weitere Verarbeitung kann dann auch unbewusst über zahlreiche Vorkommnisse im Input erfolgen. Bei FoF sind daher sowohl implizite als auch explizite Varianten der Aufmerk‐ samkeitslenkung möglich, je nachdem, ob Lernende mehr oder weniger auffällig auf die Formseite aufmerksam gemacht werden und ob die inhaltsbezogene Sprachverarbeitung mehr oder weniger offensichtlich unterbrochen wird, um die Form zu fokussieren, oder nicht. Doughty und Williams (1998: 258) sprechen hier von Graden der Aufdringlichkeit (Obtrusiveness), mit der die Aufmerksam‐ keit auf die Form gelenkt bzw. von dieser erregt wird. Soll eine Lehrperson FoF im Unterricht anwenden, so ist es für sie notwendig, ein Verständnis für die grundlegenden Annahmen zu impliziten, gebrauchsba‐ sierten Erwerbsprozessen, wie oben umrissen, und das Konzept der Form-Be‐ deutungsverbindung zu entwickeln. Die Aufmerksamkeitslenkung dient als Technik, um den Spracherwerbsprozess, genauer den Prozess der Intake-Gene‐ rierung, zu beschleunigen und dabei auch das Erreichen höherer Stufen von sprachlicher Korrektheit und Komplexität zu erlauben (Long 2015). Dabei muss die Lehrperson wissen, wie sie die Aufmerksamkeit der Lernenden zunächst auf Inhalte fokussiert, um dann auch ausgewählte Form-Bedeutungsverbindungen herauszuheben und den Fokus der Lerneraufmerksamkeit mehr oder weniger direkt darauf zu lenken. Außerdem ist sie gefordert, die Zielstruktur häufig und kontextuell eingebettet anzubieten, sodass die Lernenden diese mit unter‐ schiedlichen kontextuellen Bezügen verarbeiten können. 3.3. Typen und Techniken von Focus on Form In Erweiterung der ursprünglichen Definition Longs (1991), können Formen nicht nur reaktiv, sondern auch proaktiv in den Fokus gehoben werden. Damit in Zusammenhang steht die Unterscheidung zwischen geplanter und spontaner Formfokussierung. Bei spontanem FoF wird auf ein sich ergebendes sprachliches Problem reagiert, ohne dass dessen Fokussierung vor Unterrichtsbeginn geplant worden wäre (R. Ellis 2016: 409-411, Long 2015: 27-28). Bei geplantem FoF werden hingegen vorab sprachliche Aspekte festgelegt, die z. B. häufiger und 350 Daniela Rotter potenziell auch „aufdringlicher“ in den Aufmerksamkeitsfokus des Lernenden gelangen sollen (R. Ellis 2016, Long 2015). Während sich Long (1991, 2015) ausschließlich für eine spontane, also ungeplante Umsetzung von FoF als Reak‐ tion auf Missverständliches oder Unverstandenes ausspricht, betonen andere Forschende, dass sich durch eine gezielte Planung ein spezifischer Formfokus in ausgewählte Aufgabentypen integrieren lässt (R. Ellis 2016, Erlam 2016, Wong 2005). Um einen solchen Fokus auf die Formseite von Form-Bedeutung-Zuord‐ nungen anzuregen, wurden unterschiedliche Techniken und Strategien entwi‐ ckelt. Als effektiv haben sich dabei folgende erwiesen: die Häufung relevanter Formen in Fachtexten sowie mündlichem Input (Inputflut und Input Enhance‐ ment, Wong 2005), die durch Bedeutungsaushandlung hervorgerufene Form‐ fokussierung z. B. durch implizite Feedbacktypen wie Recasts oder Prompts (Doughty & Varela 1998, Lyster & Ranta 1997), korrektives Feedback (R. Ellis 2012), fokussierte Output-Aufgaben (sog. Pushed Output, Swain 1995) sowie das Zusammenarbeiten von Lernenden (Collaboration, Ellis R. et al. 2001, Pica 2007). Für die Effektivität der Strategien spielen Eigenschaften der Form (z. B. ihre Salienz), Merkmale der Lernenden (z. B. ihr Alter oder ihre Sprachlernerfahrungen) sowie der Situation eine wichtige Rolle (z. B. Fremd- oder Zweitspracherwerbskontext, R. Ellis 2016). An dieser Stelle wird deutlich, dass für die Integration von FoF ein differenziertes Wissen der Lehrperson über sprachliche Formen, deren Eigenschaften und die damit verbundene Bedeutung wichtig ist. Im Folgenden sollen interaktive Realisierungsvarianten von FoF im Mittel‐ punkt stehen, die in kommunikative Aufgabenkontexte eingebettet sind und typischerweise Aushandlungen von Formen und Bedeutungen beinhalten (R. Ellis 2016: 411). Werden diese durch ein Verständnisproblem ausgelöst, spricht man von Bedeutungsaushandlungen (Negotiation of Meaning, Lyster & Ranta 1997). Ist das Verstehen grundsätzlich nicht gefährdet, sondern lediglich die Ausdrucksform unklar, unsicher, inkorrekt bzw. unangemessen, handelt es sich um Formaushandlungen (Negotiation of Form) (R. Ellis 2016: 411; Nassaij 2016). In allen Fällen geht es darum, dass konkrete Exemplare ausgewählter Zielstrukturen (verstanden als Form-Bedeutungsverbindungen) häufig in den Aufmerksamkeitsfokus der Lernenden gelangen sollen; der Explizitheitsgrad ist dabei nicht festgelegt, in jedem Falle ist aber eine situativ angemessene, kontextbezogene und auf den individuellen Lernstand abgestimmte Vorgehens‐ weise erforderlich. Aus der Literatur lässt sich demnach keine eindeutige und generalisierende Vorgehensweise in Bezug auf die Umsetzung der interaktiven Formfokussierung ableiten. 351 Focus-on-Form in der Lehrkräftefortbildung Für die Lehrperson (und die Fortbildnerin/ den Fortbildner) ergibt sich dadurch die Herausforderung, dass FoF ein komplexes Konstrukt mit einer recht großen und vielfältigen Bandbreite von praxisbezogenen Anhaltspunkten bleibt: FoF kann beispielsweise ein kurzes, implizites Fokussieren einer ziel‐ sprachlichen Form im Rahmen einer Bedeutungsaushandlungssequenz bein‐ halten oder aber auch eine kurze Unterrichtsphase, in der eine Konstruktion als sprachliches Muster zum Gegenstand der bewussten Reflexion gemacht wird. Worauf also soll die Lehrperson konkret achten oder hinarbeiten? Wie kann sie lernen, FoF zielführend, dabei individualisiert und kontextangemessen umzusetzen, und dabei eine gewisse Sicherheit in ihrem didaktischen Handeln erlangen? Um diese Fragen zu beantworten, erscheint es sinnvoll, FoF mit dem Konstrukt der Interaktionskompetenz der Lehrperson in Verbindung zu bringen. Vor diesem Hintergrund, so die These des nachfolgenden Kapitels, kann FoF als Teil des Unterrichtsdiskurses und einer übergeordneten, interaktiven didaktischen Strategie gesehen werden. Im folgenden Abschnitt soll daher das Konstrukt Interaktionskompetenz näher ausgeführt und zu FoF in Bezug gesetzt werden. 4. Interaktionskompetenz und ko-konstruktiver Wissensaufbau als Basis für Focus-on-Form Unterrichtsbezogene Interaktionskompetenz (Classroom Interaction Compe‐ tence, CIC) ist nach Walsh (2011, 2013) die Fähigkeit von Lehrpersonen und Lernenden, Interaktion als Werkzeug für das Lernen zu begreifen und zu nutzen. Er definiert Interaktionskompetenz als „teachers’ and learners’ ability to use interaction as a tool for mediating and assisting learning“ (Walsh 2011: 132). Hinter dem Konstrukt der Interaktionskompetenz steht ein Lernbegriff, der sich über aktive Teilhabe, Involvierung und Engagement definiert, also die gemein‐ schaftliche, ko-konstruktive Wissenskonstruktion betont und Interaktion als Herzstück des Lernens begreift. Diese soziokulturelle Perspektive existiert auch in der Diskussion um Formfokussierung aus der Perspektive interaktionaler An‐ sätze der Sprachlehrforschung und ergänzt die oft stark kognitive Perspektive auf Aushandlungsprozesse (Batstone 2010, Philp & Mackey 2010, Schumacher, Möller, Fehrmann & Andreas in diesem Band). Interaktionskompetenz geht auf das Konzept der kommunikativen Kompe‐ tenz (Hymes 1972) zurück, erweitert dieses allerdings, da die Zusammenarbeit der an einem Gespräch beteiligten Personen betont wird: Nicht die individuelle korrekte und flüssige Sprachverwendung steht im Vordergrund, sondern das gemeinsame Herstellen von Bedeutung (Collective Meaning Making) und das 352 Daniela Rotter 2 Kramsch (1986) forderte bereits ein Ablassen vom Diktat der Korrektheit und erklärte die Fähigkeit, mit anderen SprecherInnen erfolgreich zu kommunizieren, zum eigent‐ lichen Ziel des Sprachunterrichts. gemeinsame Verstehen (Joint Understanding, N. Ellis 2015). Eine solche den Lernenden ermächtigende Konzeption von Interaktionskompetenz misst der Angemessenheit und dem Erfolg sprachlicher Äußerungen mehr Gewicht bei als der Korrektheit. 2 In realen Gesprächen geht es dieser Auffassung nach darum, den situativen Kontext einbeziehen zu können, aktiv zuzuhören und zu zeigen, ob und was man verstanden hat, nachzufragen, um Bedeutungen zu klären, Missverständnisse auszuräumen usw. (Walsh 2013). Neben der (zielsprachen‐ konformen) Verwendung von beispielsweise unterschiedlichen Verbformen, der Intonation oder verschiedenen Satzstrukturen geht es in der Interaktion/ im Unterrichtsprozess darum zu sehen, wie Lernende das Rederecht erhalten und weitergeben, wie sie sich gegenseitiges Verstehen signalisieren oder aber auch angemessen unterbrechen. Dieses Zusammenspiel aus sprachlichen und interaktionalen Strategien schafft in dem hier dargestellten Sinne Kontexte, die das Lernen insgesamt, aber auch das Lernen einer Zweitsprache, fördern (Walsh 2013, Lengyel 2012). Um im Unterricht solche Lerngelegenheiten zu schaffen, so Walsh (2013: 52), müssen Lehrpersonen lernen zu verstehen, wie sie durch ihr Gesprächs- und Interaktionsverhalten eine aktive Teilhabe der SchülerInnen ermöglichen bzw. diese auch bewusst in das Unterrichtsgespräch involvieren. Walsh (2013: 52-61) nennt drei Aspekte, die übergreifend für eine hohe Interaktionskompetenz einer Lehrperson sprechen und damit Zielperspektiven für eine Fortbildung darstellen können: a) die Abstimmung zwischen Lernziel und Sprachverwendung Die Fähigkeit, die eigene Sprachverwendung und die Ziele von Unterrichts‐ aktivitäten aufeinander abzustimmen, ist ein zentrales Merkmal von Inter‐ aktionskompetenz. Sie stellt die Voraussetzung dafür dar, dass erwerbsför‐ derlich auf Redebeiträge der Lernenden eingegangen und eine zielführende Entscheidung getroffen werden kann, worauf in einer Unterrichtsphase der Fokus liegen soll, beispielsweise dem kommunikativen Austausch von Erfahrungen oder Meinungen, der Diskussion strittiger Sachverhalte, dem Erklären und Nachvollziehen abstrakter Prozesse, oder ob der korrekten Verwendung bestimmter Formen Priorität eingeräumt werden soll (Walsh 2013, Gibbons 2015). 353 Focus-on-Form in der Lehrkräftefortbildung b) das Schaffen eines Lernraumes (Space for Learning) Den Lernraum schafft die interaktionskompetente Lehrperson, indem sie die aktive Teilhabe der Lernenden - sowohl individuell als auch in der Gruppe (Walsh 2013: 55) - nicht nur ermöglicht, sondern diese durch bestimmte Strategien gezielt ins Gespräch involviert. Konkret kann die Lehrperson diesen Raum für Lernen schaffen, indem sie erhöhte Warte‐ zeiten für Antworten zulässt (s. Effekte von Pre-Task Planning, R. Ellis 2016), die Taktung der Interaktion verlangsamt, die Lernenden zu Äußerungen motiviert und nachhakt, um das gegenseitige Verstehen abzusichern, und nicht selbst vorschnell Antworten vorgibt (Pushed Output, Swain 1995). Dadurch haben die Lernenden eher die Möglichkeit, sich ins Gespräch einzubringen, längere Redebeiträge zu formulieren, das Gemeinte auszufor‐ mulieren, sich selbst zu korrigieren (modifizierter Output, R. Ellis 2015: 145- 146) und den interaktiven Prozess damit optimal als Lernmoment zu nutzen. c) das Formen von Redebeiträgen der Lernenden (Shaping) Shaping ist definiert als „a teachers’ ability to accept a learner’s contribution and improve it in some way by scaffolding, paraphrasing, reformulating or extending it“ (Walsh 2013: 58). Im Vordergrund steht dabei, dass der oder die Lernende im Rahmen des interaktiven Austauschs Unterstützung u. a. durch Modellierungen, Nachfragen oder Rückmeldungen erfährt, um - präziser, angemessener, verständlicher, umfänglicher … - ausdrücken zu können, was er oder sie meint. Gibbons (2015) spricht in diesem Zusammenhang von Microscaffolding; gemeint ist damit die konkrete Unterrichtsinteraktion, die dazu genutzt wird, um sprachliche Formen auszuhandeln und so Wissen ko-konstruktiv aufzubauen. In Hinblick auf die Implementierung von FoF sind alle genannten Aspekte von Interaktionskompetenz relevant. Wenn sich die Lehrperson klarmacht, welches Ziel sie mit einer bestimmten Aktivität verfolgt, kann sie entscheiden, ob (und wann und wie) sie formalen Aspekten Aufmerksamkeit widmet oder nicht. Auch der Explizitheitsgrad, mit dem FoF während einer bestimmten Unterrichtsphase oder -aktivität umgesetzt wird, kann durch die bewusste Zielsetzung einer Unterrichtsaktivität besser begründet werden als durch normative Vorgaben. So kann die Lehrperson für sich festlegen, ob beim Austausch über ein bestimmtes Thema auch explizit z. B. auf Verbformen eingegangen wird oder diese spe‐ 354 Daniela Rotter 3 Diese Entscheidung muss jeweils in Abhängigkeit u. a. vom Alter der Lernenden, von ihrem Vorwissen, vom konkreten Lerngegenstand etc. getroffen werden; forschungs‐ seitig besteht in Bezug auf die entsprechenden impliziteren oder expliziteren Optionen und Effekte in verschiedenen Kontexten weiterhin essenzieller Forschungsbedarf, siehe u. a. N. Ellis (2007), Koeppel (2016) und die anderen Beiträge in diesem Band. zifische Unterrichtsphase zunächst ausschließlich implizit formfokussierend realisiert werden soll. 3 Die Teilhabe der Lernenden bewusst zu fördern, um sie zu bedeutungszent‐ rierten Äußerungen zu bewegen (sog. Pushed Output, Swain 1995), kann als Basis für interaktive FoF-Sequenzen gedeutet werden, denn FoF ist aufgrund seiner Entstehungsgeschichte stark mit der Interaktionshypothese (Long 1996) und dem Konzept der Bedeutungsaushandlung verwoben. Erst im gemeinsamen Aushandeln von „echter“ Bedeutung entstehen Momente für eine begründete Formfokussierung im Sinne von FoF. Damit wird auch die in der Definition angelegte primäre Inhaltsorientierung auf den Gesprächsgegenstand - das Topik - greifbar. Genau aus diesem Grund erscheint FoF als Ansatz für den Fach‐ unterricht geeignet, wenn eben Fachunterricht auch immer Sprachunterricht sein soll (Röhner & Hövelbrinks 2013). Die gegebene inhaltliche Orientierung schafft, sofern die Lernenden aktiv einbezogen werden, zahlreiche Gelegen‐ heiten, die für den fachlichen Zusammenhang relevanten sprachlichen Mittel in den Aufmerksamkeitsfokus zu bringen und zwar zu Zeitpunkten, wo sie für die Lernenden tatsächlich relevant sind (R. Ellis 2016, Gibbons 2015). Die von Walsh genannten Strategien zum Shaping sind demnach als FoF-Techniken zu deuten. Indem die Lehrperson u. a. reformuliert und modelliert, schafft sie Auf‐ merksamkeit für die Form-Bedeutungsverbindungen im konkreten situativen Gebrauchskontext. Ähnlich argumentieren Luk und Wong (2010). Sie sprechen sich für ein soziokulturelles Verständnis von (sprachlichem) Lernen aus und fordern, dass die Intersubjektivität, also das gegenseitige Verstehen, sowie das aktive Herstellen von Bedeutung während der Interaktion ins Zentrum gerückt werden (Batstone 2010). Die FoF-relevante Kompetenz der Lehrpersonen be‐ steht für sie darin, auf Äußerungen der SchülerInnen aufbauen zu können und echte Bedeutungsaushandlungen anzustreben, anstatt Pseudo-Fragen zu stellen oder ausschließlich die korrekten Formen zu fokussieren. Für die Fortbildung von Lehrpersonen stellt sich die Frage, wie diese Kompe‐ tenzen aufgebaut und in das bestehende Handlungsrepertoire der Lehrpersonen integriert werden können. Bevor hierzu Vorschläge gemacht werden, sollen ausgewählte, für die Vermittlung von FoF relevante Aspekte zur Fortbildung von Lehrpersonen näher ausgeführt werden. Dabei wird eine konkrete Fortbil‐ 355 Focus-on-Form in der Lehrkräftefortbildung dungssequenz vorgestellt, die 2020 in Österreich durchgeführt wurde (siehe Abschnitt 5.2). 5. Fortbildung zu Focus-on-Form Die Aufgabe von Fortbildungsmaßnahmen für Lehrpersonen ist es, Wissen zu aktualisieren und Handlungskompetenzen zu verfeinern (Aldorf 2016, Göb 2016). Im Weiteren soll gezeigt werden, wie diese beiden Aspekte im Rahmen von Fortbildungsmaßnahmen zu FoF verbunden werden könnten. 5.1. Allgemeine Überlegungen Das Lernen von bereits im Beruf stehenden Lehrpersonen stellt einen hochkom‐ plexen Prozess dar, der von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird. R. Ellis (2010) weist darauf hin, dass es sinnvoll ist, theoretische und abstrakte Konzepte mit konkreten Problemen zu verknüpfen, wie sie in der Praxis erlebt werden und den Lehrpersonen bekannt sind. Diese müssen an die schulische Realität und die dort gemachten Erfahrungen für PraktikerInnen anschließen, wenn die bestehenden Kompetenzen von Lehrpersonen erweitert werden sollen. Auch Bartels (2009) weist darauf hin, dass Lehrpersonen konkretes, spezifisches Wissen benötigen, damit sie neues Wissen in der Unterrichtssituation anwenden können. Forschung zur Fortbildung von Lehrpersonen zeigt, dass v. a. die Überzeu‐ gungen (Beliefs) einbezogen werden müssen, damit die Fortbildungsinhalte das praktische Tun im Unterricht nachhaltig verändern oder beeinflussen können (Borg 2011). Mit Beliefs sind hier Annahmen und Überzeugungen gemeint, die die Basis für das Planen von und Handeln im Unterricht von Lehrpersonen be‐ stimmen. Beliefs stellen aber nicht nur den Ausgangspunkt für das Unterrichten dar, sondern auch für das Lernen von Lehrpersonen selbst (Borg 2011: 370-371). Beliefs sind bewusst oder unbewusst vorhanden, haben evaluativen Charakter und werden vom Individuum als wahr und handlungsleitend interpretiert (Borg 2003, Li 2017). In der Forschung geht man mittlerweile nicht mehr davon aus, dass Überzeugungen unveränderlich und stabile Persönlichkeitsmerkmale sind, sondern vielmehr dynamische und aus einer Situation heraus konstruierte Reaktionen darstellen (Li 2017). Überzeugungen und Annahmen existieren zudem nicht losgelöst von Wissen, sondern bilden gemeinsam Netzwerke von „interrelated propositions“ (Woods 1996: 196, zit. n. Li 2017: 7). Borg (2011) liefert Empfehlungen, wie in der Fortbildung an den Beliefs gearbeitet werden kann. So ist es wichtig, den Lehrpersonen zu verdeutlichen, was unter Beliefs im Unterschied zu Handlungen oder theoretischem Wissen zu verstehen ist, dass die Auseinandersetzung mit den eigenen Überzeugungen 356 Daniela Rotter etwas Neues sein kann und warum eine solche Auseinandersetzung sinnvoll für die Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen ist (Borg 2011: 379). Au‐ ßerdem empfiehlt Borg, dass Lehrpersonen sich in Gruppen über ihre Beliefs austauschen und konkrete Beispiele dazu reflektieren, wie man sich mit den eigenen Überzeugungen kritisch auseinandersetzen kann (ebd.). Besonders wichtig erscheint der Hinweis, dass Beliefs biographisch reflektiert werden sollten, damit Lehrpersonen der Einfluss der eignen, selbst gemachten Unter‐ richtserfahrungen sowie der professionellen Erfahrungen aus dem Berufsfeld auf die aktuellen Beliefs bewusst werden kann (ebd.). Interessant ist zudem, dass praktizierende Lehrpersonen - anders als angehende Lehrpersonen - ihre Überzeugungen eher ändern, weil sich die Reflexion auf das tatsächliche eigene Unterrichtsgeschehen beziehen kann (Opfer & Pedder 2011: 391). 5.2. Hinweise für die Fortbildung zu Focus-on-Form Das im Folgenden beschriebene Fortbildungskonzept wurde erstmals 2020 im Rahmen einer mehrteiligen österreichweiten Fortbildung von Lehrpersonen im Grundschulbereich erprobt. Die Fortbildung wurde von der Pädagogischen Hochschule Steiermark in Kooperation mit dem Österreichischen Sprachen‐ kompetenzzentrum durchgeführt. Das Konzept der Fortbildung sah einen ein‐ tägigen Workshop vor, dem eine Blended-Learning-Phase von sechs Wochen folgte, um schließlich an einem halbtägigen Workshop einen Abschluss zu finden. Das übergeordnete Ziel des hier beschriebenen Fortbildungskonzepts war es, die bei Lehrpersonen bestehenden Überzeugungen zum Nutzen verschiedener Optionen didaktischer Formfokussierung beim Lernen von Sprache(n) zum Gegenstand der Reflexion zu machen und FoF-Typen als „powerful alternative conceptions“ (Woolfolk Hoy et al. 2006: 728, zit. n. Borg 2011: 379) darzustellen. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass es nicht ausreicht, theoretische Konzepte und Techniken in ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit zu vermitteln, um den Lehrpersonen zu verdeutlichen, (1) warum FoF eine alternative Vorgehensweise zu FoFS und eine Option für den Fachunterricht sein kann und (2) wie man lernen kann, FoF in den eigenen Unterricht zu integrieren. 5.2.1. Sprache-in-Interaktion und Interaktionskompetenz der Lehrperson analysieren Als ein sehr fruchtbarer Zugang kristallisierte sich die Auseinandersetzung mit der Unterrichtskommunikation heraus, spezifischer der Sprache-in-Inter‐ aktion und der Interaktionskompetenz der Lehrperson. Darüber konnten nicht nur unterschiedliche Realisierungsmöglichkeiten von FoF verdeutlicht werden, 357 Focus-on-Form in der Lehrkräftefortbildung 4 An dieser Stelle sei auf den Arbeitskreis Gesprächsforschung in der LehrerInnenbildung hingewiesen, der den konversationsanalytischen Zugang für die Professionalisierung von AkteurInnen im Schulkontext besonders forciert, s. https: / / blogs.urz.uni-halle.de/ gelb/ files/ 2018/ 07/ Kupetz-Sacher-et-al-2018_Positionspapier-AK-GeLb.pdf. sondern es konnte auch daran gearbeitet werden, Interaktionen an sich sprach‐ förderlicher zu gestalten. 4 In einem ersten Schritt wurden den Teilnehmenden allgemeine Merkmale von Unterrichtskommunikation und sog. Teacher Talk präsentiert. Anschließend sollten sich die Teilnehmenden mit Transkripten realer Unterrichtssituationen auseinandersetzen. Dabei wurde den Lehrpersonen vor Augen geführt, wie im Unterrichtsgespräch gemeinsam Bedeutung erschaffen bzw. ausgehandelt wird, wie Fehler entstehen und repariert werden und wie durch eine sensible und aufmerksame Gesprächsführung Kontexte geschaffen werden können, die Lernende aktiv teilhaben lassen. Durch einen solchen mikroanalytischen Zugang konnte die Aufmerksamkeit der Lehrpersonen auf die Gestalt von Ge‐ sprächen, also das Aufeinanderfolgen der Redebeiträge von Lehrpersonen und SchülerInnen, und auf die dabei eingesetzten interaktionalen und sprachlichen Ressourcen gelenkt werden (Walsh 2011, 2013). 5.2.2. Strategien zur interaktiven Schaffung von Lerngelegenheiten kennenlernen Darauf aufbauend konnten die Lehrpersonen an Strategien zur Gesprächsfüh‐ rung herangeführt werden. Diese tragen dazu bei, Gespräche mit SchülerInnen insgesamt gehaltvoller und kommunikativer zu gestalten und dadurch die oben dargestellten Lerngelegenheiten interaktiv herzustellen. Konkrete Strategien, um ein gegenseitiges Verstehen abzusichern, sind beispielsweise das Nach‐ fragen oder auch das Elaborieren (Cullen 2002, Long 2015, Walsh 2002). Dabei werden unbekannte, komplexe oder unverständliche Formulierungen durch Paraphrasen, Wiederholungen, Betonung und andere Strategien verständlich gemacht, um so den Lernenden mehr Input und Interaktionsmöglichkeit zu eröffnen (Walsh 2013). Auch das Elizitieren, Kommentieren und Ausschmücken sind wichtige Strategien, die die Lehrpersonen kennenlernen und schrittweise in das eigene Repertoire übernehmen können sollen (Cullen 2002, Walsh 2013, s. auch Szagun 2013: 241-258 zur Funktion von Erweiterungen, Reformulierungen etc. im frühen Erstspracherwerb). In Hinblick auf die Implementierung von FoF ging es darum, den Lehrper‐ sonen zu verdeutlichen, worin sich implizite und explizite Strategien zur Form‐ fokussierung unterscheiden und wie sich diese auf das jeweilige Unterrichtsge‐ spräch bzw. das Ziel der Unterrichtsaktivität auswirken (Walsh 2013: 36). Gerade 358 Daniela Rotter 5 Der geplante Beitrag wird von dem Österreichischen Sprachen-Kompetenz-Zentrum in Graz herausgegeben. Dieses Zentrum wird von dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung beauftragt, wissenschaftliche Ergebnisse für die Praxis aufzubereiten. im fachlichen Zusammenhang plädiert Walsh (2013) beispielsweise dafür, nicht jeden formalen Fehler zu fokussieren. Wenn jedoch die Formseite in den Fokus gelangen soll, dann explizit und direkt, um den inhaltsbezogenen Austausch und das Verstehen des Sachverhalts nicht (zu) lange zu unterbrechen. Insgesamt geht es darum, dass die Lernenden aktiv in Gespräche involviert werden und ein Raum geschaffen wird, in dem Bedeutungsaushandlungssequenzen überhaupt erst entstehen können (Rotter, Solstreif & Naphegyi in Vorb. 5 ). 5.2.3. Erprobung und Analyse eigener Unterrichtssequenzen Im nächsten Schritt sollten sich die Lehrpersonen mit ihrem eigenen Sprach‐ gebrauch und ihrem Interaktionsverhalten in ihrem spezifischen Unterrichts‐ kontext auseinandersetzen. Die Lehrpersonen konnten dazu eigenständig Un‐ terrichtssequenzen planen, in denen sie bewusst auf die vermittelten Strategien zurückgreifen wollten. Im Anschluss daran konnten sie sich bei der Umsetzung der geplanten Unterrichtssequenzen im eigenen Unterricht aufnehmen und die Video- oder Audiosequenzen transkribieren. Die anschließende gemein‐ same Analyse in der Fortbildung diente dazu, die tatsächlich eingesetzten Strategien bewusst zu reflektieren und in ihrem Zusammenwirken im indivi‐ duellen Gesprächskontext zu sehen. Genau diese realen Unterrichtssituationen wurden als Anlass genommen, um über FoF-Gelegenheiten, die genutzt oder verpasst wurden, zu diskutieren. An dieser Stelle der Fortbildung konnte das Theoriegerüst zu FoF anhand der erlebten Situationen diskutiert und in seiner Anwendungsrelevanz reflektiert werden. Im Rahmen der hier dargestellten Fortbildung wurden insbesondere kurze, direkte Korrekturen sowie Reformulierungen als FoF-Strategien vermittelt und diskutiert. Dabei lag der Fokus stets auf der Einbettung der Formfokussierungs‐ sequenz in das Gespräch, d. h. die Formfokussierung sollte direkt auf den Lernerbeitrag folgen, um zu illustrieren, wie sich diese auf das Gespräch an sich und die Lernenden auswirkt. Der folgende Transkriptauszug (Abb. 1) einer Sachunterrichtsstunde einer Teilnehmerin der Fortbildung soll dies illustrieren. Sie plante eine Unterrichtssequenz zum Thema „Die Rotation der Erde“, in der die Bestimmung von Himmelsrichtungen besprochen und v. a. das bildungs‐ sprachlich relevante Verb „rotieren“ eingeführt werden sollte. Die in Beispiel 1 (Abb. 1) dargestellte Sequenz entstand in einer dritten Grundschulklasse. Vor 359 Focus-on-Form in der Lehrkräftefortbildung 6 Fettdruck kennzeichnet hier die relevanten Interaktionsstellen, nicht die Betonung. dem Gespräch wurde ein Text über das Phänomen gelesen und es wurde über diesen gesprochen. Nr. Spre‐ chende Person Äußerung/ (Handlungen) 6 1 L: Also, wir können jetzt zusammenfassen (…) Die Erde dreht sich. (…) Sie dreht sich um die Sonne. (…) Sie dreht sich um sich selbst. Wer möchte dazu etwas sagen? 2 S1: Die Erde dreht, weil wenn sie nur die Sonne umkreist, würden nicht alle Länder die Sonne kriegen (…) andere Länder hätten es dann stockfinster. 3 L: Ja stimmt, dann würde nie die Sonne hinkommen. 4 S2: Und dann wär’s ur kalt dort. (…) Dann wär all die Erde Nordpol. 5 L: Ja richtig, jetzt ist es nur an den Polen der Erde so kalt … also am Nordpol und am Südpol (…) da wo die Sonne nicht so stark hinscheint. 6 S1: Wäre das, dann wäre Österreich nicht mal … dann wär’s so kalt, weil die Sonne wärmt ja auf. 7 S3: Ich weiß auch, warum wir nicht alle gleichzeitig die Sonne haben können. 8 L: Ja? 9 S3: Weil wenn wir Tag haben, haben die anderen auf der anderen Seite Nacht. 10 L: Ja genau, wenn hier die Sonne ist (…) (L zeigt auf Afrika am Globus) 11 L: dann ist in Afrika Tag und auf der anderen Seite ist gerade Nacht. … Ja, (Name des Kindes)? 12 S4: Zum Beispiel jetzt in Österreich ist es jetzt sonnig und jetzt wäre in Schweiz Nacht. 13 L: Mmm, naja die Schweiz ist gleich neben uns, die ist gleich neben Österreich … da ist kein wirklicher Zeitunterschied. 14 S1: Die S. ist in die Schweiz gezogen. 15 L: Aber was wolltest du sagen? 360 Daniela Rotter Nr. Spre‐ chende Person Äußerung/ (Handlungen) 16 S4: Ja, ich meine ja auch zum Beispiel bei eine andere Welt… 17 L: Auf der anderen Seite? 18 S4: Ja (…) zum Beispiel bei Afghanistan (…) das ist jetzt Sonne und bei uns Nacht. Das heißt, es dreht sich das Welt (…) bei uns kommt Nacht, bei die kommt Sonne. 19 L: Genau! … Abb. 1: Transkriptauszug Sachunterrichtsstunde (L = Lehrperson, S = SchülerIn, (…) = Sprechpause) Anhand solcher Transkripte können einige Merkmale von Gesprächen im Unterricht und die darin enthaltenen Gelegenheiten für FoF diskutiert werden. Zunächst lässt sich beobachten, dass die Lehrperson das Gespräch durch eine offene Frage eröffnet, woraufhin sich einige SchülerInnen melden und längere eigenständige Redebeiträge einbringen. Im Aushandlungsprozess fragt die Lehrperson immer wieder nach, um sicherzustellen, ob sie richtig verstanden hat und sie elaboriert an mehreren Stellen, um den Lernenden Modelle für zielsprachenkonforme Realisierungen des gemeinten Inhalts zu liefern. Im Sinne eines zusätzlichen Scaffolding nutzt die Lehrperson einen realen Gegenstand (Globus), um das Verstehen abzusichern. In Bezug auf FoF besonders relevant ist das Gespräch ab Zeile 15. Die Lehrperson fragt bei einer/ m Lernenden gezielt nach (Zeile 17), um ihn/ sie zu einer Äußerung zu bewegen. Der Äußerung „bei eine andere Welt“ folgt also die verstehensabsichernde Rückfrage der Lehrperson, die das Kind wiederum dazu bewegt, den Gedanken noch präziser ausdrücken zu wollen (Zeile 18). Im Anschluss gibt die Lehrperson ausschließlich ein inhaltlich bestätigendes Feedback und verpasst damit die Gelegenheit, die formalen Aspekte im Rahmen des primär inhaltsorientierten Gesprächs aufzugreifen und zu fokussieren (Zeile 19). In der Diskussion mit den Lehrpersonen lassen sich hier konkrete Fragen und Überlegungen anschließen. So kann beispielsweisen die Frage an die Lehrperson gerichtet werden, ob sie sich bewusst dafür entschieden hat, die formalen Aspekte wie z. B. den Gebrauch der Präposition bei (Zeile 16, 18) oder die Artikelformen (bei *eine … Welt, Zeile 16; *das Welt, Zeile 18) nicht 361 Focus-on-Form in der Lehrkräftefortbildung 7 Deutschförderklassen werden in Österreich seit dem Schuljahr 2018/ 19 geführt. Sie dienen als Vorbereitungsklassen dem intensiven Deutschlernen, um die SchülerInnen auf die Teilnahme am sog. Regelunterricht vorzubereiten (für eine Auseinandersetzung mit dem Modell der Deutschförderklassen, siehe Füllekruss & Dirim 2019). aufzugreifen und gegebenenfalls, warum sie sich so entschieden hat. Es können unterschiedliche FoF-Strategien gemeinsam durchgespielt und mögliche Fort‐ setzungen des Gesprächs (alternativ zu Zeile 19) simuliert werden, um über den Aufdringlichkeitsgrad verschiedener Feedbacktypen und ihren (möglichen) Einfluss auf die Redebereitschaft der Kinder zu diskutieren. Im folgenden Beispiel (Abb. 2) nutzt die Lehrperson eine andere Vorgehens‐ weise, um während des Gesprächs formale Aspekte aufzugreifen. Sie plante eine Unterrichtseinheit für Kinder einer sog. Deutschförderklasse 7 , die nur gelegentlich am Regelunterricht teilnehmen. Das Thema der Unterrichtseinheit war „Der Igel“. Das Ziel war es, dessen Körperteile benennen zu können. Nr. Spre‐ chende Person Äußerung/ (Handlungen) 1 L: Darf ich vorstellen. Das ist der Igel Igor. Schau einmal. Der Igel hat zwei Augen und zwei Ohren. (LP schreibt mit blauer Kreide „zwei Augen“ und „zwei Ohren“ an die Tafel.) Was hat er denn noch? 2 S1: Vier Fuß. 3 L: Ja, du meinst vier Füße. (LP schreibt „vier Füße“ an die Tafel.) 4 L: Weißt du, wie man zu Füßen bei Tieren noch sagen kann? 5 (keine Wortmeldung) 6 L: Es beginnt mit „Ppppfffff “ (…) Man sagt bei Tieren „die Pfoten“. (LP schreibt neben „vier Füße“ mit roter Kreide an die Tafel.) Die Füße nennt man beim Igel Pfoten. (weitere Sammlung von Körperteilen) 7 L: Und: Was glaubst du? Kann der Igel mit den Augen gut sehen? Was glaubst du, (Name des Kindes)? Ja (…) 8 S2: Na. Is finster, die Igel sieht nicht gut. 9 L: Ja, so ist es: Der Igel sieht nicht gut. Er hat Tasthaare. Die helfen dem Igel. (LP zeigt an der Handpuppe ganz feine, dünne Tasthaare. LP schreibt mit roter Kreide „Tasthaare“ an die Tafel.) Abb. 2: Transkriptauszug Sachunterrichtsstunde (L = Lehrperson, S = SchülerIn, (…) = Sprechpause) 362 Daniela Rotter 8 Darunter wird der bewusst gestaltete und durch die Lehrperson modellierte Übergang von alltagssprachlichen zu bildungssprachlichen Formulierungen verstanden (Gibbons 2015: 45-46). In Zeile 3 lenkt die Lehrperson die Aufmerksamkeit direkt auf die zielspra‐ chenkonforme Realisierung der Pluralform (Füße) und unterstützt diese Form‐ fokussierung durch das Schriftbild. Interessant ist, dass die Lehrperson die alltagssprachliche Form Füße an der Tafel notiert, um dann bewusst weiter auszuhandeln, wie die bildungssprachliche Form dazu lauten muss (Zeilen 4-6). Diese Art des Mode Shiftings  8 (Gibbons 2015: 45-46) wurde in der Fortbildung intensiv behandelt und hier von der Lehrperson genutzt, um explizit auf die intendierte Form (Pfoten) aufmerksam zu machen. Die kurze, vorangehende Formfokussierung in Zeile 3 stellt damit eine explizite und direkte Möglichkeit dar, um die Ausdrucksseite in den Fokus der Lernenden zu bringen. Kurz darauf zeigt die Lehrperson eine andere FoF-Variante. Nach der direkten Vergabe des Rederechts und dem auslösenden formalen Fehler in Zeile 8 (*die Igel), reformuliert die Lehrperson die Äußerung des Kindes (Zeile 9). Zuvor signalisiert sie durch eine Bestätigung, dass der Beitrag inhaltlich passend ist. Diese unaufdringliche FoF-Strategie wurde sehr häufig eingesetzt und ent‐ spricht damit den Forschungserkenntnissen in Bezug auf das Feedbackverhalten von Lehrpersonen (R. Ellis et al. 2002, Lyster & Ranta 1997, Seedhouse 1997). In Verbindung mit der folgenden Modellierung (Zeile 9) des Personalpronomens (Er) und des bestimmten Artikels (der Igel, dem Igel) stellt das Beispiel eine interessante Variante angereicherten Inputs dar, das mit den anderen Lehrper‐ sonen besprochen und hinsichtlich seiner Angemessenheit diskutiert werden konnte. Insgesamt, so hat sich gezeigt, kann die Analyse realer, im besten Falle eigener Unterrichtssequenzen so zu einer erhöhten Bewusstheit für den gemeinschaft‐ lichen sprachlich-interaktionalen Wissensaufbau führen und das Verstehen des FoF-Ansatzes konkretisiert werden. Ausgehend von den obigen Ausfüh‐ rungen können nun folgende Kompetenzbeschreibungen für die Umsetzung des FoF-Ansatzes im Unterricht formuliert werden: 1. Durch die gebrauchsbasierte Perspektive ergeben sich für die Lehrperson Konsequenzen für die Gestaltung des sprachlichen Inputs, den sie den SchülerInnen zur Verfügung stellt: Sie kann relevante Form-Bedeutungs‐ verbindungen häufig und salient anbieten (s. Beispiel 2, Zeile 9). Dazu nutzt sie einerseits Materialien, v. a. aber ihre eigene Sprachverwendung. Dabei achtet sie darauf, dass die Häufung der Zielstrukturen im Input natürlich 363 Focus-on-Form in der Lehrkräftefortbildung und authentisch wirkt, und nutzt dafür unterschiedliche spracherwerbs‐ unterstützende Gesprächsstrategien. 2. Durch ihr Interaktionsverhalten und ihre Gesprächsführung sorgt die Lehrperson dafür, dass sich die SchülerInnen aktiv einbringen und die Sprache primär inhaltsbezogen benutzen. Sie erhalten also neben einem Angebot an optimiertem Input auch gezielt die Möglichkeit zur bedeu‐ tungszentrierten Interaktion und eigenen Sprachproduktion. Dadurch er‐ geben sich diskursiv Momente für FoF, die das Lernen der sprachlichen Formen im konkreten Äußerungszusammenhang unterstützen (können) (s. Bsp. 1 und 2). 3. Die Lehrperson weiß um das Zusammenspiel aus expliziten und impliziten Aspekten der Sprachverarbeitung und nutzt unterschiedliche Techniken, um für ausgewählte Lerngegenstände die lernerseitige Aufmerksamkeit unterschiedlich stark auf die Formseite zu lenken. Der Lehrperson ist bewusst, dass auch explizite Formfokussierung in sinnhafte Gebrauchssi‐ tuationen eingebettet sein sollte (oder dass ihr solche folgen sollten), damit neben der Aneignung von Wissen über die Sprache auch der implizite Erwerb dieser Formen angeregt wird und die Lernenden diese Form-Be‐ deutungsverbindung in ihr lernersprachliches System aufnehmen können. 4. Die Lehrperson kennt unterschiedliche Feedbacktechniken, um auf Formu‐ lierungen der SchülerInnen zu reagieren und kann online, d. h. während des Unterrichtsgeschehens - in Abhängigkeit von situativen Faktoren - entscheiden, ob und wann sie durch Feedback Formaspekte fokussiert (s. Bsp. 2). Dabei stimmt sie die Formfokussierung zeitlich mit der inhaltsbezo‐ genen Kommunikation bzw. den inhaltlichen Zielen ab, d. h. sie fokussiert nicht jede Form, sondern wählt jene aus, die sich besonders eignen bzw. deren Fokussierung notwendig erscheint (nach dem Prinzip „eine Form zu einer Zeit“, s. Doughty & Varela 1998, Wong 2005, s. o. Abb. 2, Zeile 9). Dabei berücksichtigt sie so gut wie möglich den Entwicklungsstand der unterschiedlichen SchülerInnen. 6. Zusammenfassung und Fazit Die didaktische Formfokussierung stellt einen anspruchsvollen Ansatz zur Förderung der Zweit-, ggf. auch der Erstsprachenkompetenzen dar, dessen Implementierung Wissen über Sprachverarbeitungsmechanismen voraussetzt. In einer Fortbildung zu FoF ist es unumgänglich, sich mit Konzepten von Sprache(n), Annahmen zu Spracherwerbsprozessen sowie dem Nutzen von Formfokussierung beim Lernen von (Fremd- oder Zweit-)Sprachen auseinan‐ 364 Daniela Rotter derzusetzen. Dabei ist eine angeleitete Reflexion der eigenen Überzeugungen (Beliefs) über diese grundlegenden Aspekte hilfreich, um die Basis für ein Verständnis der z.T. herausfordernden Konzepte zu FoF zu legen. Nicht nur die Vermittlung von theoretischem Wissen oder Techniken und Strategien steht bei der Fortbildung von Lehrpersonen im Bereich FoF im Vordergrund, sondern auch die Interaktionskompetenz der Lehrperson, denn diese schafft erst die Möglichkeit, FoF bewusst in der Praxis anzuwenden (Batstone 2010, Huth, Betz & Taleghani-Nikazm 2019, Glaser Maxi & Hie-Jung. 2019, Walsh 2011, 2013). Durch die Einbeziehung des Unterrichtsdiskurses und der Interaktionskompetenz der Lehrpersonen, so sollte deutlich geworden sein, kann in einer Fortbildung vermittelt werden, was den FoF-Ansatz auszeichnet und wie dieser in den Unterricht integriert werden kann. Ein gebrauchsbasiertes Verständnis von Sprache und Spracherwerb führt bei den Lehrpersonen dabei zu einer veränderten Perspektive auf die Rolle des sprachlichen Inputs, den sie ihren SchülerInnen zur Verfügung stellen, sowie auf das eigene Sprachverhalten und sein Modellierungspotenzial. Damit in direktem Zusammenhang steht die Gestaltung von Interaktionen und Lerngelegenheiten, die über Pushed Output und gemeinsame Aufgabenbearbeitungen geschaffen werden. Lehrpersonen sollten diese bewusster zur aktiven und ko-konstruktiven Bedeutungsherstel‐ lung nutzen und darüber Gelegenheiten für FoF schaffen. Das Ziel der Fortbildung sollte es sein, ein vertieftes Verständnis von Spracherwerbsprozessen und der Rolle von Unterrichtskommunikation an sich zu schaffen. Die reine Vermittlung von Feedback- und Korrekturstrategien ist nicht ausreichend, um Lehrpersonen das Potential eines FoF-Ansatzes zu verdeutlichen und ihren Nutzen erkennen zu lassen. Die Analyse des eigenen, realen Sprachverhaltens ist ein wichtiger Ansatzpunkt, um die Dynamiken von Unterricht besser verständlich zu machen und Einblick in das Funktionieren von FoF zu schaffen. Die hier genannten Vorschläge können als Rahmen dienen, um eine Verbesserung der lehrerInnenseitigen Interaktionskompetenz zu erreichen. Literatur Ahrenholz, Bernt/ Hövelbrinks, Britta/ Schmellentin, Claudia (2017). Sprache im fachli‐ chen Lernen - Eine Einleitung. In: Ahrenholz, B./ Hövelbrinks, B./ Schmellentin, C. (Hrsg.), Fachunterricht und Sprache in schulischen Lehr-/ Lernprozessen. Narr Francke Attempto, 7-11. Aldorf, Anna-Maria (2016). 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Fachsprachliche Kompetenzentwicklung bei Grundschullehramtsstudierenden - metasprachliches Wissen und Registerflexibilität Milena Kuehnast & Beate Lütke Abstract: Der Beitrag diskutiert theoretische und methodische Zugänge zum Registererwerb, die in einem Projekt zur Erforschung von Registerflexibilität bei Grundschullehramtsstudierenden des Faches Deutsch zum Einsatz kommen. Die Aneignung der linguistischen Fachsprache und ihrer situationsangemessenen Verwendung wird in einer Längsschnittstudie anhand von Erklärungen zu grammatischen Fragestellungen in vier kom‐ munikativen Settings untersucht. Aus erwerbstheoretischer Perspektive erfolgt der Ausbau des Registerrepertoires durch das Zusammenspiel von Schriftspracherwerb und metasprachlichen Fähigkeiten. In rekursiven Feedbackschleifen erhöht sich zunehmend auch die Bewusstheit für die soziokulturellen Bedingungen des sprachlichen Handelns. Die fachspezifi‐ sche Erweiterung des sprachlichen Repertoires baut - so unsere Annahme - nicht nur implizites Sprach- und Registerwissen auf, sondern ermöglicht auch einen kontrollierten Zugriff auf Fach- und Registerkenntnisse, um Kommunikationsabläufe zu optimieren. 1. Einleitung Sprachliche Flexibilität oder die Fähigkeit von Sprechern 1 , Sprache situations‐ angemessen zu verwenden, ist ein zentraler Aspekt zielgerichteter - und in Bezug auf die im Zentrum der Untersuchung stehenden Probanden - auch berufsrelevanter Kommunikation. Registerflexibilität ist in diesem Sinne Aus‐ druck sozialer Kompetenz, da sie nicht nur einen adressatengerechten Infor‐ mationsaustausch ermöglicht, sondern auch kooperatives Handeln begünstigt 2 Registerflexibilität (Qin & Uccelli 2020), sprachliche Flexibilität (Deák 2003, Kaplan & Berman 2015, Preußer & Sennewald 2012) oder rhetorische Flexibilität (Phillips Galloway, McClain & Uccelli 2020, Ravid & Tolchinsky 2002). (Tomasello 2008). Um Sprache effizient und zweckdienlich im Rahmen von kulturellen Konventionen zu verwenden, müssen Sprecher die Umstände von Kommunikationssituationen in Bezug auf die Kommunikationsziele bewerten; sie müssen über entsprechende sprachliche Ressourcen und Einstellungen sowie die Fähigkeit verfügen, den eigenen und fremden Wissensstand einzuschätzen und darauf sprachlich angemessen Bezug zu nehmen (Beckner, Blythe, Bybee, Christiansen, Croft, William, N. Ellis, Holland, Ke, Larsen-Freeman & Schoe‐ nemann 2009). Somit handelt es sich bei Registerflexibilität um eine individu‐ elle, domänenspezifische Fähigkeit, die der zielorientierten Optimierung von Kommunikationsabläufen dient. Sie bildet die Voraussetzung dafür, dass eine situationsangemessene Varietät, z. B. ein informelles Register im Gespräch unter Freunden oder ein formelles Register in einer Prüfungssituation, zur Anwendung kommt. Sprachwissenschaftlich gesehen zeigt sich Registerwissen in funktionalen bzw. situationsbedingten sprachlichen Variationen innerhalb eines Sprachsystems (Biber & Conrad 2009). Registerwissen ist somit eine soziolinguistische Dimension der menschlichen Sprachkompetenz. Es tritt auf allen sprachlichen Ebenen in Erscheinung, z. B. in Aussprache und Prosodie, Wortwahl und -differenzierung, in der Wahl spezifischer grammatischer Struk‐ turen, Diskursorganisation und Textsorten. Anhand von situationstypischen Merkmalen können Mitglieder einer Sprachgemeinschaft die Formalität einer Kommunikationssituation einschätzen und sich innerhalb kommunikativer Konventionen angemessen verhalten. Registerflexibilität 2 als spezifischer Teil des Registerwissens kommt in der Sprachproduktion zum Tragen. Sprecher mit einer gut ausgebildeten Registerflexibilität können schnell das passende Register abrufen bzw. unter veränderten kommunikativen Umständen das Register effizient wechseln (Kaplan & Berman 2015, Qin & Uccelli 2020). Wie andere zielorientierte Verhaltensänderungen setzen Registerwechsel eine bewusste Einschätzung der kommunikativen An‐ forderungen voraus. Im Kontext schulischer und universitärer curricularer Vorgaben spielt sie als integriertes Bildungsziel im Auf- und Ausbau bildungs- und fachsprachli‐ cher Registerkompetenz eine Rolle (Becker-Mrotzek, Schramm, Thürmann & Vollmer 2013, Lütke, Petersen & Tajmel 2017). So soll laut des Qualifikations‐ rahmens für deutsche Hochschulabschlüsse (Kultusministerkonferenz 2017) ein Bachelor-Studium die Absolventen dazu befähigen, mit anderen Fachvertretern sowie Fachfremden zu kommunizieren und zu kooperieren. Somit wird nicht 372 Milena Kuehnast & Beate Lütke nur der berufsrelevante Ausbau spezialisierter sprachlicher Ressourcen gefor‐ dert, sondern auch die Fähigkeit zum bewussten Registerwechsel in den Fokus gerückt. Der vorliegende Beitrag bietet eine erwerbstheoretische Perspektive auf die Mechanismen des Registererwerbs und auf die ausbildungsbedingten Ver‐ änderungen der Registerflexibilität im jungen Erwachsenenalter. In unserem Forschungsprojekt zum Erwerb fachsprachlicher Kenntnisse im Bereich der Linguistik durch Grundschullehramtsstudierende mit dem Fach Deutsch erör‐ tern wir die Rolle von metasprachlichem Wissen und sprachlicher Bewusstheit bei der Herausbildung professioneller Registerkompetenzen. Die Längsschnitt‐ studie erstreckt sich über das Fachstudium. Die zentrale Methode besteht in der Elizitation von Erklärungen zu grammatischen Fragestellungen in vier verschie‐ denen kommunikativen Kontexten. Die Situationen erfordern in Abhängigkeit von den kommunikativen Zielen und von dem sozialen Status des Adressaten in unterschiedlichem Grade die Anwendung eines formellen Registers und - damit einhergehend - fachsprachlichen und metasprachlichen Wissens. Das erwartete Spektrum reicht von einem eher informellen bzw. alltagssprachlichen Register (in einer E-Mail an einen Schüler) bis hin zu einem akademisch fachsprachlichen Register (in einer Prüfungssituation mit einem Universitäts‐ dozenten). Die elizitierten Erklärungen werden in einem strukturierten Korpus zusammengefasst. Ergänzend werden demographische Angaben und Testdaten zum deklarativen grammatischen Wissen und zu persönlichkeitsbezogenen Eigenschaften einbezogen. Diese Datenbasis soll Rückschlüsse auf die Entwick‐ lung des fachsprachlichen Registers und der Registerflexibilität ermöglichen, d. h. auf die Fähigkeit der Studierenden, sich sprachlich an veränderte Adressa‐ teneigenschaften und kommunikative Ziele anzupassen. Über Beobachtungen zur Anwendung linguistischer Fachsprache erhoffen wir zudem, Hinweise auf ein Zusammenwirken von automatisiertem und kontrolliertem Registerwissen zu gewinnen. Anhand der Längsschnittdaten sollen darüber hinaus individuelle Registererwerbspfade beschrieben und Annahmen zu ausbildungsbedingten Veränderungen abgeleitet werden. Der theoretische Rahmen der Studie wird in den Kapiteln 2 bis 4 beschrieben, wobei der sozialisationsbedingte Registererwerb den Schwerpunkt von Kapitel 3 bildet, während in Kapitel 4 die Rolle metasprachlichen Wissens und sprach‐ licher Bewusstheit für Registerflexibilität erörtert wird. Hypothesen, Fragestel‐ lungen und das Untersuchungsdesign stehen im Zentrum von Kapitel 5. Der Beitrag schließt mit einem forschungsbezogenen Ausblick in Kapitel 6. 373 Fachsprachliche Kompetenzentwicklung bei Grundschullehramtsstudierenden 2. Das Registererwerbsmodell von Ravid und Tolchinsky (2002) Nach Ravid und Tolchinsky (2002) steht die Aneignung von Registerkompetenz in einem engen Zusammenhang mit der Bildungsbiographie von Sprechern in literaten (schriftorientierten) Gesellschaften. Der Erwerb von Registerkom‐ petenz - insbesondere von literaten Registern - wird als langfristiger Prozess verstanden, der bis in das Erwachsenenalter andauert. Der Grundstock des Registerwissens entsteht durch den kontinuierlichen Ausbau funktional diffe‐ renzierter sprachlicher Ressourcen. Schriftspracherwerb und der Aufbau von Sprachbewusstheit gelten als wesentliche Voraussetzungen für die Entwicklung der Registerflexibilität als Kerneigenschaft der Registerkompetenz. Sprecher mit hoher Registerflexibilität verfügen über ein breit gefächertes sprachliches Repertoire und können ihren Sprachgebrauch dynamisch und effektiv an wechselnde kommunikative Ziele und Umstände anpassen (Kaplan & Berman 2015, Ravid & Berman 2009, Ravid & Tolchinsky 2002). Der Schriftspracherwerb in allen seinen Facetten - von der Aneignung des Schriftsystems bis zur Beherrschung komplexer Lese- und Textproduktionsstrategien - wird als eine wichtige Triebfeder des Registerausbaus gesehen. Damit einher geht die Aneignung metasprachlicher Fähigkeiten, die es den Sprechern zunehmend ermöglichen, sprachliche Elemente und Strukturen auf unterschiedlichen Repräsentationsebenen zu analysieren und zu handhaben (Bialystok & Ryan 1985, Tunmer 1997). Diese Fähigkeit wird beispielsweise benötigt, wenn in einer linguistischen Lehrveranstaltung grammatische Ana‐ lysen durchgeführt und sprachliche Strukturen metasprachlich reflektiert und beschrieben werden. Das Medium der Schrift ermöglicht eine langsamere Informationsverarbei‐ tung, wobei neben nahezu automatisiertem Schreiben Sprachreflexion und -re‐ vision (z. B. bei der Überarbeitung und Korrektur der eigenen Schreibprodukte) zum Einsatz kommen. Im Laufe der Schulausbildung und darüber hinaus werden außerdem Kenntnisse über wissenschaftliche und literarische Genres etabliert und allmählich im eigenen Sprachgebrauch eingesetzt, z. B. beim Erkennen und Produzieren von Erzählformen oder von mathematischen Begründungen (Alamillo, Coletta & Guidetti 2013, Ehret 2017). Mit zunehmendem Alter, fort‐ schreitender kognitiver Entwicklung und Erfahrung mit Schriftsprache kann der eigene Sprachgebrauch zunehmend kontrolliert und analysiert werden, z. B. wenn erkannt wird, dass die Wortwahl, der Gebrauch von Aktiv- und Passivkonstruktionen oder von Konjunktivformen Sprechereinstellungen über den Inhalt und Geltungsbereich einer Aussage oder über den Adressaten transportieren sowie spezifische Effekte beim Hörer auslösen. Diese Kenntnisse 374 Milena Kuehnast & Beate Lütke fließen auch in eigene Textproduktionsstrategien ein (Becker-Mrotzek et al. 2013). Im Modell von Ravid und Tolchinsky (2002) werden die Entwicklung von Sprachbewusstheit (Metalinguistic Awareness) und der Schriftspracherwerb in einem iterativen Prozess miteinander verbunden. Die Autorinnen unterscheiden zwischen dem Erwerb der Schrift als Notationssystem und dem Erwerb schrift‐ licher und konzeptuell schriftsprachlicher Diskursformen. Der Erwerb des Notationssystems (basaler Lese- und Schreiberwerb) ist dabei eng mit dem Aufbau von metasprachlichen Fähigkeiten (Skills) wie phonologischer, morpho‐ logischer, lexikalischer und syntaktischer Bewusstheit verbunden (Beers & Nagy 2011, Bialystok & Ryan 1985, Tunmer 1997). Der Erwerb konzeptuell schriftsprachlicher Kommunikationsformen erweitert nicht nur das sprach‐ liche Repertoire, sondern geht auch mit der Entwicklung metasprachlicher Bewusstheit einher. Darunter wird die Fähigkeit der Sprecher verstanden, über die kommunikativen Funktionen des Sprachsystems sowie über Mittel und Bedingungen des eigenen sprachlichen Handelns reflektieren und sprechen zu können. Metasprachliche Bewusstheit schließt daher die Möglichkeit zur expliziten Bezugnahme auf in der prozeduralen Sprachverwendung zum Tragen kommendes implizites Sprachwissen (das Erkennen von sprachlichen Ausdrü‐ cken, deren angemessene Verwendung und letztendlich die Abstraktion und Verbalisierung von Regularitäten des Sprachgebrauchs) ein (Eichler & Nold 2007). Das Wissen über das Sprachsystem entwickelt sich in enger Verbindung mit dem Wissen über die soziokulturellen Funktionen von Sprache, das sich in konventionalisierten Formen sprachlichen Handelns bis hin zu sprachlichen Markern sozialer Identitäten niederschlägt (Agha 2006: 155-156). Die Sensiti‐ vität für die situative und funktionale Angemessenheit des Sprachgebrauchs ist somit ein zentraler Aspekt der metasprachlichen Bewusstheit. Im Registererwerbsmodell von Ravid & Tolchinsky (2002) werden die Entwicklung der metasprachlichen Fähigkeiten, der Sprachbewusstheit und des Schriftspracherwerbs nicht als modulare und lineare Prozesse verstanden, sondern als ein rekursiver Vorgang. 3. Aufbau von registerspezifischen Ressourcen Spracherwerbsprozesse erfolgen von Anfang an situativ eingebettet und be‐ dingen neben der Aneignung lexikalischen und grammatischen Wissens auch Kenntnisse über Verwendungsbedingungen und Diskursorganisation (Behrens 2009). 375 Fachsprachliche Kompetenzentwicklung bei Grundschullehramtsstudierenden Die Integration von sprachlichen und nichtsprachlichen Informationen im Registerwissen wird in zwei Schwerpunkten der Registererwerbsforschung abgebildet. Der erste Schwerpunkt betrifft die Mechanismen der Situationsein‐ schätzung und der Beurteilung der situativen Angemessenheit des Sprachge‐ brauchs: Nach welchen Kriterien beurteilen Sprecher die kommunikativen Umstände? Verändert sich die Relevanz von diesen Kriterien im Laufe des Registererwerbs? Welche Merkmale einer kommunikativen Situation können einen Registerwechsel auslösen? Der zweite Schwerpunkt betrifft den Aufbau von registerspezifischen sprachlichen Ressourcen. Welche kognitiven Prozesse ermöglichen die Verzahnung von sprachlichen und soziokulturellen Informa‐ tionen in den sprachlichen Repräsentationen? Welche Erwerbsbedingungen begünstigen die Aneignung von registerspezifischen sprachlichen Mitteln und Kommunikationsformen? 3.1. Kriterien der Kategorisierung von kommunikativen Situationen Wiederholte Erfahrungen mit ähnlichen Situationen tragen dazu bei, dass mul‐ tiple Informationen über die einzelnen Ereignisse im Gedächtnis systematisiert und generalisiert zu einer Kategorie (auch Schema oder Skript) zusammengefasst werden (Barsalou 2008, Rumelhart 1980). Situationelle Kategorien enthalten u. a. Informationen über Orte, Zeiten und Szenerien; Teilereignisse mit temporalen und kausalen Relationen; prototypische Teilnehmer und deren Charakteristika. Neben Einstellungen und affektiven Merkmalen werden auch sprachliche Verhaltensmuster gespeichert. Eine bereits existierende Kategorie erlaubt es, weitere Exemplare dieser Kategorie zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten oder durch Analogie neuartige Situationen zu bewältigen (Barsalou 2016). Eine zentrale Aufgabe der Registererwerbsforschung ist es, aus der Fülle an si‐ tuationellen Informationen diejenigen zu identifizieren und zu systematisieren, die für die Einschätzung und Klassifizierung von kommunikativen Situationen registerrelevante Trennschärfe und eine hohe Reliabilität aufweisen. Des Wei‐ teren gilt es, ihre Rolle im fortschreitenden Registererwerb zu untersuchen und ins Verhältnis zu anderen Faktoren wie Sprachbewusstheit, individuellen Eigenschaften und gruppenspezifischen Merkmalen (z. B. sozioökonomischer Status, Mehrsprachigkeit) zu setzen. In der Registerforschung werden kommunikative Situationen im Wesentli‐ chen anhand von drei Dimensionen beschrieben (Halliday & Hasan 1976): dem thematischen Feld (Inhalt und Ziele), dem kommunikativen Setting/ der Kontextbeschaffenheit (Eigenschaften, Einstellungen und soziale Relationen der Teilnehmer, Ort und Zeit) und der Modalität (mündlich, schriftlich, Gebärden). 376 Milena Kuehnast & Beate Lütke Die textlinguistische und die kognitiv ausgerichtete Registerforschung (z. B. Systemic Functional Grammar) verwenden differenzierte Kriterien zur Katego‐ risierung von Situationen, stimmen jedoch hinsichtlich der primären Bedeutung dieser drei Dimensionen überein (Biber & Conrad 2009, Halliday & Hasan 1989). Diese Dimensionen und insbesondere die verschiedenen Konfigurationen ihrer konstitutiven Elemente finden Niederschlag auch in der Begriffsbildung der konzeptuell mündlichen und konzeptuell schriftlichen Kommunikationsformen im Kontinuum der Registervariation nach Koch und Österreicher (1985). Die gebrauchsbasierte Erwerbsforschung untersucht die Effekte der Erwerbs‐ kontexte mit besonderem Augenmerk auf die Relevanz von spezifischen Situationseigenschaften in den frühen und späten Phasen der sprachlichen Entwicklung (u. a. Berman 2018, Wagner, Vega-Mendoza & Van Horn 2014). Kinder entwickeln Sensitivität für die soziokulturellen Umstände und Anfor‐ derungen der Kommunikation bereits in den frühesten Spracherwerbsphasen (Abbot-Smith, Nurmsoo, Croll, Ferguson & Forrester 2016, Kinzler, Shutts, Dejesus & Spelke 2009). Der grundlegend mündliche, kindgerichtete und kon‐ textgebundene Charakter der vorwiegend dialogischen Interaktion ermöglicht dabei durch spezifische Formen der Aufmerksamkeitslenkung den Aufbau des lexikalischen und syntaktischen Grundstocks in der Erstsprache. Gemeint sind die kognitiven Prozesse Joint Attention und Joint Intentionality, die sich auf die bewusste und rekursive Wahrnehmung des referenziellen Bezugs bzw. der Handlungsintention des kommunikativen Partners beziehen (O’Madagain & Tomasello 2021). Damit entsteht auch ein basales Verständnis für Sprache als Form des kooperativen Handelns, was die Aufmerksamkeit des Kindes auf die kommunikativen Partner und deren Eigenschaften und Ziele lenkt. Perzeptions‐ studien über die Anfangsphasen des Spracherwerbs zeigen, dass Kinder schon früh Assoziationen zwischen Sprachverwendung und Sprechereigenschaften wie physischer Erscheinung, Alter, Geschlecht und sozialem Status entwickeln (Wagner et al. 2014). Die Bewertung des sozialen Status der kommunikativen Partner insbesondere in Relation zum eigenen Status (z. B. Kind vs. Erwachsener, Lernende vs. Lehrende) behält ihre Relevanz für das sprachliche Handeln von Kindern und Jugendlichen, da individuelle, dialektale und funktionale Merkmale der Sprach‐ verwendung in die Konstruktion der eigenen sozialen Identität einbezogen werden. Sozial bedingte Variation im Input wird als kulturell etablierte Strategie wahrgenommen und entsprechend genutzt, um Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen und den eigenen Status (Peer Relations) darin zu markieren (Wiese 2011). 377 Fachsprachliche Kompetenzentwicklung bei Grundschullehramtsstudierenden Die Forschung zur Sprachaneignung nach Schuleintritt belegt, wie Kinder und Jugendliche im Zusammenhang mit curricularen Lernzielen und schuli‐ schen Erziehungsroutinen neue Situationskategorien erwerben, z. B. wie Haus‐ aufgaben machen, Tests schreiben oder Informationen finden, wiedergeben und zusammenfassen (Pohl & Steinhoff 2010). Diese Situationen sind primär mit der Erschließung neuer Wissensdomänen und mit dem Erwerb literaler Fähigkeiten verbunden. Mit der Aneignung schriftsprachlicher Fähigkeiten in schulischen, berufsvorbereitenden und akademischen Kontexten bilden die Sprecher neue Kategorien von kommunikativen Situationen aus. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass die Dimensionen des thematischen Feldes und der schrift‐ lichen Modalität die Dimension des kommunikativen Settings und somit den unmittelbaren Adressatenbezug als zentrales registerbestimmendes Merkmal ablösen (Berman 2008, Cutillas & Tolchinsky 2017). So möchten Sprecher in mündlichen Argumentationsformen wie Rechtfertigungen und Erklärungen primär kooperative Reaktionen hervorrufen. Neben der Darstellung des eigenen Standpunkts haben sie auch den Wissenstand, die Einstellungen und Bedürf‐ nisse der Adressaten zu berücksichtigen, um die kommunikativen Ziele (beider Seiten) zu erreichen (Clark 1996). In schriftlichen Argumentationsformen da‐ gegen spielen der Adressaten- und auch der Sprecherbezug eine nachgeordnete Rolle, da die Darstellung des Inhalts im Vordergrund steht. Die Präsentation von Sachverhalten und kausalen Zusammenhängen folgt zum Teil festgelegten und erlernten Routinen wie Begriffsklärung, Hypothesenaufstellung, Anführen von Pro- und Kontraargumenten oder Erläuterungen auf der Basis fachinterner Logik. Die Priorisierung des Inhalts und somit des thematischen Feldes in sol‐ chen schriftsprachlich geprägten kommunikativen Formen spiegelt sich nicht nur in der spezifischen Diskursorganisation, sondern auch in der protypischen Verwendung von Fachtermini, Nominalisierungen und Passivkonstruktionen. Hierbei wird nicht nur über den Inhalt, sondern auch über die sprachliche Gestaltung des Inhalts nachgedacht, was sich in Überarbeitungs- und Korrek‐ turprozessen zeigen kann (Pohl & Steinhoff 2010). Veränderungen des Sprachgebrauchs hängen mit Bewertungsprozessen zu‐ sammen, in denen neue kommunikative Situationen mit bereits erlebten abge‐ glichen werden. Die Registerflexibilität, mit der sich ein Sprecher im Kontinuum zwischen konzeptueller Mündlichkeit und konzeptueller Schriftlichkeit bewegt, hängt entscheidend von seiner Sensitivität für Umstandsänderungen und für deren potenziellen Wichtigkeit bei der Verfolgung des kommunikativen Zwecks ab. 378 Milena Kuehnast & Beate Lütke 3 Entrenchment bedeutet Eingraben. Der Begriff ist eine kognitive Metapher, die einen bildlichen Vergleich zu Radspuren zieht, die sich auf unbefestigten Wegen durch häufiges Befahren bilden. 3.2. Pragmatisches Entrenchment als Mechanismus des Registererwerbs Die Rolle des sprachlichen Inputs und insbesondere der Inputfrequenz ist ein zentrales Thema der Erwerbsforschung. Im Spracherwerb relevant sind vor allem die Effekte von Wiederholung und Variation (Token- und Typefrequenz). Da Wiederholung die Repräsentation von Stimuli im Gedächtnis stärkt, sind Frequenzeffekte in allen kognitiven Domänen zu finden, wie z. B. der Gesichts‐ erkennung (Ambridge, Kidd, Rowland & Theakston 2015). Der kognitive Mechanismus, der die Verfestigung von symbolischen (z. B. Phonem-Graphem-Zuordnung), paradigmatischen, syntagmatischen und prag‐ matischen Assoziationen in der Repräsentation der sprachlichen Einheiten durch wiederholten situierten Sprachgebrauch beschreibt, wird Entrenchment  3 genannt (Divjak 2019, Schmid 2018, 2020). Von pragmatischem Entrenchment sprechen wir spezifisch, wenn häufige Erfahrungen mit ähnlichen kommuni‐ kativen Situationen die pragmatischen Assoziationen zwischen sprachlichen Einheiten und deren Gebrauchsumständen durch wiederholte gemeinsame Ak‐ tivierung stärken. Die pragmatischen Assoziationsmuster werden im Langzeit‐ gedächtnis repräsentiert und durch den Sprachgebrauch ständig aktualisiert und gestärkt. So werden Informationen über die Gebrauchskontexte zum Bestandteil der sprachlichen Repräsentation (Schmid 2020). Beim Registererwerb geht es um die Verzahnung von sprachlichem und soziokulturellem Wissen, die das kommunikative Handeln der Individuen als Mitglieder von Sprachgemeinschaften unterschiedlicher Granularität und Zu‐ sammensetzung begünstigt (Beckner et al. 2009). Das Entrenchment von prag‐ matischen Assoziationsmustern fungiert als Bindeglied zwischen der intraindi‐ viduellen Verarbeitung und Repräsentation situierten sprachlichen Wissens und dem konventionalisierten Sprachgebrauch in sozialen Interaktionen (Schmid 2020: 269). Pragmatisches Entrenchment kann die kommunikative Effizienz steigern, weil es einen schnellen Zugriff auf konventionalisierte sprachliche Verhaltensmuster unter Berücksichtigung der kommunikativen Bedingungen und Erwartungen ermöglicht (Agha 2006, Schmid 2020). Somit bilden verfestigte Assoziationen zwischen sprachlichen Einheiten und deren Gebrauchsbedingen die Grundlage für den Erwerb von registerspezifischen Ressourcen. Die Uniformität und Spezifizität von Gebrauchskontexten und sprachlichen Formen begünstigen das Entrenchment von pragmatischen Assoziationsmus‐ tern im Gedächtnis (Geeraerts 2016). Fachsprachen und deren situative Einbet‐ tung entsprechen in einem hohen Maß diesen Voraussetzungen. Sie erfordern 379 Fachsprachliche Kompetenzentwicklung bei Grundschullehramtsstudierenden den Erwerb abstrakter semiotischer Systeme und spezifischer Strukturen der Diskursorganisation (Roelcke 2010). Fachsprachliche Kommunikation erfordert Eindeutigkeit, die in der fachspezifischen Terminologie zum Ausdruck kommt. Fachsprachen sind intrinsisch mit formalen wissenschaftlichen oder beruf‐ lichen Kommunikationsformen und somit mit klar umrissenen Situationska‐ tegorien assoziiert. Eine funktionale Verwendung linguistischer Fachbegriffe setzt also Kontrolle und Bewusstheit voraus. Die relativ hohe Uniformität der kommunikativen Bedingungen und der kommunikativen Ziele spielt eine wichtige Rolle für den Erwerb der Terminologie als distinktiver Eigenschaft fachsprachlicher Register. Abstrakte wissenschaftliche Begriffe entwickeln sich primär durch die Rezeption (und Produktion) von Fachtexten. Fachtexte ge‐ hören spezifischen Genres an wie Handbücher, Fallberichte, Forschungsartikel oder Dissertationsschriften, die jeweils eine festgelegte, uniforme Diskursorga‐ nisation und einen disziplinspezifischen Duktus aufweisen. Auch mündliche, dialogische und monologische Formen der wissenschaftlichen Kommunikation zeichnen sich durch einen hohen Grad an formeller und disziplinspezifischer Festlegung aus. 4. Registerflexibilität und metasprachliche Bewusstheit im späten Spracherwerb Registerflexibilität ist eine domänenspezifische Fähigkeit, die in einigen Hin‐ sichten der kognitiven Flexibilität ähnelt. Kognitive Flexibilität ist die Fähigkeit, Aufgabenstellungen und ihre spezifischen Anforderungen zu erfassen, die Handlungsstrategie flexibel an Anforderungsveränderungen anzupassen und somit schnell und erfolgreich zwischen Aufgaben und Lösungsstrategien zu wechseln (Deák 2003). Dies schließt ein, dass eine Person die unterschiedli‐ chen Umstände in einer Situation erkennt und Lösungsalternativen simultan abwägen kann, wobei sie sich auf zielrelevante Informationen konzentriert, während sie irrelevante Informationen unterdrückt. Registerflexibilität bezieht sich auf die Fähigkeit von Sprechern, den Sprach‐ gebrauch dynamisch und effektiv an wechselnde kommunikative Ziele und Umstände anzupassen (Kaplan & Berman 2015, Qin & Uccelli 2020). Die situative Variation des Sprachgebrauchs erfordert die Verarbeitung multipler Informa‐ tionen über die konkrete kommunikative Situation und den Abgleich dieser Informationen mit Parametern von bereits durch vergangene Erfahrungen ausgebildeten und im Gedächtnis gespeicherten Situationskategorien (Barsalou 2016). 380 Milena Kuehnast & Beate Lütke Veränderungen der sprachlichen Flexibilität im Allgemeinen und der Regis‐ terflexibilität im Besonderen sowie die Ausbildung des eigenen Sprachstils werden als charakteristische Merkmale der Sprachaneignung im jungen Er‐ wachsenenalter betrachtet (Berman & Slobin 1994, Steinhoff 2010). Einerseits wird der Anteil konzeptuell schriftsprachlicher Sprache ausgebaut, wobei in manchen Genres Mündlichkeit- und Schriftlichkeitsaspekte verschwimmen können (Berman & Nir 2010, Durrant 2013). Andererseits erhöht die Vielfalt der Kontexte sozialer Interaktion in dieser Phase die Sensibilität für funktional und sozial bedingte Varianz und fördert die sprachliche Flexibilität junger Erwachsener. Dabei ist Registerflexibilität eine kommunikative Fähigkeit, die in gewisser Hinsicht dem pragmatischen Entrenchment als Mechanismus des Registererwerbs entgegensteht: Sie setzt eine Form von Sprachbewusstheit voraus, die auch Aufmerksamkeitsressourcen für die Feindiagnostik der kommuni‐ kativen Kontexte benötigt. Wird eine Abweichung in der Parameterausprä‐ gung einer etablierten kommunikativen Situationskategorie als relevant für das Ziel des sprachlichen Handelns erachtet, z. B. aufgrund eines Wechsels des prototypischen Interaktionspartners, wird der Sprecher seinen Sprachge‐ brauch entsprechend verändern. Ein Beispiel dafür wäre eine Situation, in der Grundschullehramtsstudierende ein grammatisches Prinzip der deutschen Rechtschreibung nicht in einem sprachwissenschaftlichen Seminar mit einer Lehrperson oder untereinander diskutieren, sondern wenn sie darüber mit einem Grundschulkind sprechen sollen. Das thematische Feld (Linguistik, Erör‐ terung eines systemischen Zusammenhangs) ist ein wichtiges Kriterium, das eine Verortung der Situation in der akademischen Wissenskommunikation mit Fachsprachgebrauch plausibel macht. Der Kommunikationspartner (Schulkind) weist jedoch Merkmale auf, die für informelle Situationen charakteristisch sind. Die Sensitivität der Grundschullehramtsstudierenden für die Veränderungen der Adressateneigenschaften und die darin begründete Annahme einer unter‐ schiedlich großen gemeinsamen Wissensbasis sollte sich in einer reflektierten Veränderung des Sprachgebrauchs niederschlagen. Wir nehmen an, dass es sich dabei um eine bewusste Anpassung handelt, weil die Kommunikationspartner in Bezug auf das thematische Feld (Darstellung eines sprachwissenschaftlichen Sachverhalts) einen unterschiedlichen Wissenstand haben. Forschung zum Sprachverhalten in Situationen mit ähnlichem Ungleichgewicht zeigt, dass Experten ihre sprachlichen Äußerungen dem Wissen, sozialen Staus und dem sprachlichen Register ihrer Novizen-Partner stärker anpassen, bis die für die Zielerreichung notwendige sprachliche und referenzielle Passung erreicht wird (Clark & Murphy 1982, Isaacs & Clark 1987). Der zielorientierte Registerwechsel 381 Fachsprachliche Kompetenzentwicklung bei Grundschullehramtsstudierenden 4 Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - SFB 1412, 416591334. in der Anfangsphase der Kommunikation zwischen Experten und Novizen unterscheidet sich dabei klar von den stark automatisierten Formen der inter‐ aktiven Sprachanpassung in Dialogen, die auf gegenseitigem Priming und Imitation beruhen (Menenti, Garrod & Pickering 2012). Wir nehmen an, dass ausbildungsbedingte Inputformen (Vorlesungen, Se‐ minare, Tutorien, Rezeption von Fachliteratur) und Output-Anforderungen wie Referate, Portfolios, Semesterarbeiten, Take-Home-Examen die internen sprachlichen Repräsentationen durch Erweiterung der inhaltlichen (konzeptu‐ ellen) und formbasierten (paradigmatischen und syntagmatischen) Relationen innerhalb des Sprachsystems modifizieren. Die Prozesse der Akkumulation und Konsolidierung von neuen Informationen führen zu einer Umstrukturierung der sprachlichen Repräsentationen, die aufgrund der dabei beanspruchten kognitiven Kapazitäten mit einer temporären Minderung der sprachlichen Flexibilität einhergehen kann (Karmiloff-Smith 1997). Die Entwicklung der sprachlichen Flexibilität ist daher eng mit dem quantitativen und qualitativen Ausbau der sprachlichen Ressourcen verbunden und erfolgt auch im frühen Erwachsenenalter in iterativen Zyklen. 5. Die ReFlex-Studie Die ReFlex-Studie ist als experimentelle Längsschnittstudie mit dem Ziel kon‐ zipiert, die gegenseitigen Einflüsse von Repertoireerweiterung, metasprach‐ lichem Wissen und Sprachbewusstheit im Registererwerbsprozess junger Erwachsener zu erforschen. Als Teil des Sonderforschungsbereiches 1412 ‚Re‐ gister‘ 4 wird dabei die Frage untersucht, wie sich die Registerflexibilität von Grundschullehramtsstudierenden des Faches Deutsch im Zusammenhang mit linguistischem Fachwissens- und Fachspracherwerb entwickelt. Die Erschließung einer wissenschaftlichen Disziplin und die damit ver‐ bundene Aneignung fachsprachlicher Kenntnisse während der universitären Ausbildung stellt einen geeigneten Untersuchungsgegenstand dar, weil Fach‐ sprachen den Erwerb eines spezifischen Registers durch pragmatisches Entrenchment gut abbilden. Fachsprachen sind intrinsisch mit formalen wissen‐ schaftlichen oder beruflichen Kommunikationsformen verbunden, die sich durch einheitliche und stabile Situationsparameter auszeichnen. Die Fachsprache der Linguistik stellt eine klar umrissene Erweiterung des Registerrepertoires dar und erfordert eine explizite Auseinandersetzung mit den dahinterstehenden Fachkonzepten. Die linguistische Ausbildung erweitert die 382 Milena Kuehnast & Beate Lütke metasprachlichen Kenntnisse der Studierenden über das Sprachsystem und über die Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Ebenen der sprachlichen Repräsentation (z. B. zwischen Wort, Satz und Text). Begriffsbildung und Wis‐ senszunahme zeigen sich im Erwerb der sprachwissenschaftlichen Terminologie und deren angemessenem Gebrauch in akademischen Diskursen. Die Studie‐ renden erwerben deklaratives Wissen über die Klassifikation und Organisation von sprachlichen Einheiten sowie über die funktionalen Relationen zwischen den sprachlichen Subsystemen. 5.1. Fragestellungen und Hypothesen Unter Berücksichtigung von Forschungsergebnissen zum Registererwerb stellen wir in Bezug auf die Effekte des linguistischen Fachspracherwerbs auf die Registerflexibilität von Grundschullehramtsstudierenden folgende Arbeits‐ hypothesen auf: H1 Die Aneignung fachlicher und fachsprachlicher Kenntnisse der Linguistik führt in den ersten Phasen des Studiums zu einem fachsprachlichen Entrenchment, das die Fähigkeit zum funktional bedingten Registerwechsel temporär mindert. H2 Der Erwerb fachlicher und fachsprachlicher Kenntnisse in Linguistik för‐ dert das deklarative metasprachliche Wissen und die Sprachbewusstheit der Studierenden und erhöht die Registerflexibilität im späteren Verlauf des Fachstudiums. Da diese Hypothesen Annahmen über die Registeraneignung enthalten, wird das Registerwissen von Grundschullehramtsstudierenden durch eine das Fach‐ studium umspannende Langzeitstudie untersucht. Dabei werden experimentell schriftliche Erklärungen zu grammatischen Fragen in akademischen und all‐ tagsprachlichen Kontexten elizitiert. Das Erklären wird in der Lehrforschung als berufsrelevante didaktische Teilkompetenz verstanden (Schilcher, Krauss, Rincke & Hilbert 2017). Erklärungen stellen aus der Perspektive des Registererwerbs einen guten Forschungsgegenstand dar, weil sie textsortenspezifisch eine gute Sensitivität für die Variation, Kategorisierung und Gewichtung situa‐ tiver Eigenschaften bieten, die in der Anwendung alltagsbzw. fachsprachlicher Register zum Ausdruck kommen. Zur Erfassung des deklarativen grammati‐ schen Wissens wird der TEDS-LT-Test angewandt, der für Lehramtsstudierende im Fach Deutsch entwickelt wurde (Bremerich-Vos, Dämmer, Willenberg & Schwippert 2011). Die ReFlex-Studie ist als explorative Untersuchung konzipiert. Die Datenana‐ lyse ist daher auf die folgenden Forschungsfragen ausgerichtet: 383 Fachsprachliche Kompetenzentwicklung bei Grundschullehramtsstudierenden 1. Lässt sich anhand der Produktionsdaten ein Entrenchment in die linguis‐ tische Fachsprache belegen? 2. Wie wirkt sich diese fachsprachliche Repertoireerweiterung auf die Regis‐ terflexibilität der Studierenden aus? a. Weisen die sprachlichen Merkmale der Erklärungen darauf hin, dass sich die Gewichtung der Kriterien der Situationseinschätzung im Studienverlauf verändern oder dass sich neue, hochschulspezifische Situationskategorien herausgebildet haben? b. Gibt es empirische Evidenz dafür, dass das akkumulierte metasprach‐ liche Wissen (konzeptuelle und systemische Klarheit) die Sprachbe‐ wusstheit der Studierenden in der Weise erhöht, dass sich die sprach‐ liche Angemessenheit der Erklärungen in der Kommunikation mit Fachvertretern und Laien sukzessiv verbessert? 5.2. Methode Die ReFlex-Studie sieht Datenerhebungen zu drei Zeitpunkten vor: zu Beginn des Bachelorstudiums, nach dem Abschluss der sprachwissenschaftlichen Mo‐ dule und zu Beginn des Masterstudiums. Das gewählte Messwiederholungsde‐ sign erlaubt es, sowohl intraindividuelle als auch gruppenspezifische Verände‐ rungen der linguistischen Fachsprachkenntnisse und der Registerflexibilität während der universitären Ausbildung zu untersuchen. Bekannte von Ihnen haben einen 11-jährigen Sohn. Er geht auf ein Berliner Gymna‐ sium in die 6. Klasse. Sie bekommen von ihm die folgende E-Mail: Hi, ich habe meine letzte Deutscharbeit ganz schön verhauen. Grammatische Regeln in der Rechtschreibung und so … Meine Eltern flippen schon voll aus. Jetzt habe ich diese Aufgabe aufbekommen: Begründe die Rechtschreibunterschiede zwischen den Sätzen: 1. 1. Tim sieht, dass das Pferd einen neuen Sattel trägt. 2. 2. Tim sieht das Pferd, das einen neuen Sattel trägt. Ich blicke da nicht durch. Kannst du es mir bitte erklären? Heiko Bitte verfassen Sie eine hilfreiche Antwort an Heiko. Tab. 1: Stimulusbeispiel aus der Elizitationsstudie 384 Milena Kuehnast & Beate Lütke Den Kern der ReFlex-Studie bildet die experimentelle Elizitation von schriftli‐ chen Erklärungen zu grammatischen Fragestellungen (s. Abb. 1). Sie beziehen sich auf das syntaktische Prinzip der Wortartbestimmung und die darin begrün‐ deten orthographischen Effekte (Augst 1974, Nerius & Baudusch 2007). Um kommunikative Situationen mit spezifischen registerrelevanten Eigen‐ schaften zu simulieren, werden die grammatischen Fragestellungen in vier Kontexte eingebettet. Die Studierenden verfassen ihre Erklärungen als: 1. E-Mail des Probanden an einen Sechstklässler 2. Lösung einer Aufgabe in einer universitären Modulabschlussprüfung (MAP) 3. E-Mail an einen ausländischen Kommilitonen, der Deutsch als Fremd‐ sprache (DaF) studiert 4. Musterlösung einer Aufgabe in einem linguistischen Tutorium (Teamar‐ beit) Die vier Kontexte lassen sich in formelle (Prüfung und Tutorium) und informelle (E-Mail-Austausch) kommunikative Situationen unterteilen. In den Mail-Kon‐ texten werden die Probanden gebeten, die Rechtschreibunterschiede bzw. die orthographischen Unterschiede zwischen den Beispielsätzen zu begründen (s. Abb. 1). In den Prüfungsbzw. Tutoriumskontexten hingegen sollen die Probanden die Unterschiede zwischen den Beispielsätzen auf der Wort- und Satzebene begründen. Unabhängig von der konkreten Formulierung wird eine inhaltliche Erklärung des Sachverhalts erwartet, die eine Darstellung der syn‐ taktischen Eigenschaften der Beispielsätze und eine korrekte Wortartbestim‐ mung der relevanten Formen (z. B. Relativpronomen das/ Subjunktion dass) beinhaltet. Prüfung und Tutorium instanziieren prototypische Gebrauchskon‐ texte der linguistischen Fachsprache, während E-Mail-Kommunikation mit Bekannten eher dem alltagssprachlichen Register zuzuordnen ist. Alle Kontexte erfordern schriftliche Kommunikation zur inhaltlichen Klä‐ rung von Sachverhalten im thematischen Feld der Linguistik. Das kommunika‐ tive Setting weist jedoch jeweils andere Ausprägungen auf. Wie in Tabelle 1 abgebildet, variiert der soziale Status der Adressaten dahingehend, dass der Textproduzent mit einem Schüler (niedrigerer Status), Kommilitonen (gleicher Status) und einem Dozenten (höherer Status) kommuniziert. 385 Fachsprachliche Kompetenzentwicklung bei Grundschullehramtsstudierenden Situation Textsorte Adressat Sozialer Status kommunikatives Ziel 1 E-Mail Schüler niedrig Wissensvermittlung 2 MAP-Lösung Universitätsdozent hoch Wissenspräsenta‐ tion 3 E-Mail L2-Student gleich Wissensvermittlung 4 Musterlösung (Teamarbeit) L1-Student gleich Wissenspräsenta‐ tion Tab. 2: Ausprägungen der situationellen Parameter in den kommunikativen Kontexten der Elizitationsstudie Wenn die Studierenden die Adressatenunterschiede beachten und als zielre‐ levant einschätzen, werden sie ihre Erklärungen im Rahmen ihres Register‐ repertoires adressatenspezifisch anpassen. Das kommunikative Ziel variiert zwischen Wissensvermittlung (in Bezug auf den Schüler oder DaF-Studenten) und Wissenspräsentation (in Bezug auf die Darbietung im Tutorium und in der Modulabschlussprüfung). Die Situationen wurden ausgewählt, um Erklärungen in natürlichen und sinnstiftenden kommunikativen Umständen zu elizitieren. Sie bilden kein voll‐ ständiges faktorielles Design ab, erlauben jedoch durch paarweise Vergleiche Inferenzen über den Einfluss der untersuchten Parameterausprägungen auf die sprachliche Variation. Des Weiteren bieten diese Kontexte die Möglichkeit, die Herausbildung neuer Kategorien von akademischen kommunikativen Si‐ tuationen, wie z. B. der eines Tutoriums, im Studienverlauf zu untersuchen. Anhand der sprachlichen Merkmale der Erklärungen in den vier Kontexten lassen sich Prozesse und Phasen der Registeraneignung explorativ nachvoll‐ ziehen. Würden z. B. die Erklärungen beim zweiten (und dritten) Messzeitpunkt kontextübergreifend terminologisch präziser und somit dem Sprachgebrauch im Prüfungskontext ähnlicher, spräche dieser Befund für ein fortschreitendes fachsprachliches Entrenchment und eine (vorübergehend) reduzierte Sensitivität für situationelle Unterschiede. 5.3. Theoretische und methodische Zugänge zur Datenanalyse Die produzierten Erklärungen werden in ein Korpus zusammengefasst und mit Metadaten aus den eingesetzten demographischen und grammatischen Fragebögen versehen. Um den Erwerbsverslauf der linguistischen Fachsprache sowie seine Auswirkung auf die Registerflexibilität der Grundschullehramtsstudierenden zu erfassen, werden die formalen und die inhaltlichen Aspekte 386 Milena Kuehnast & Beate Lütke der Erklärungen in Relation zu deren situationellen Parametern im Querschnitt und Längsschnitt untersucht. Für die qualitative Analyse werden inhaltliche und diskursstrukturelle Merkmale von Erklärungen theoriebasiert und induktiv ermittelt und in einem Kodierleitfaden festgelegt. In ihrer spezifischen sprachlichen Gestaltung können mündliche Erklä‐ rungen die Anpassung des Sprechers an früh erworbene Parameter der Si‐ tuationskategorisierung widerspiegeln. Dazu gehören die kommunikativen Ziele und die sozialen Eigenschaften des Adressaten (Alter, Geschlecht, so‐ ziale Relation zum Sprecher) sowie die gemeinsame Wissensbasis (Isaacs & Clark 1987, Mundy & Newell 2007). Adressatenbezug und Sprechereinstellung werden durch lexikalische (z. B. Pronomen in der ersten und zweiten Person, Modaladverbien) und morpho-syntaktische Mittel (z. B. Imperative, Fragen, Konjunktiv) transportiert (Berman & Nir 2009, Biber 2009). Die frequenzbasierte Analyse wird durch eine qualitative Bewertung der konzeptuell mündlichen Erklärungen ergänzt, die nicht nur Kriterien wie inhaltliche Richtigkeit und Strukturiertheit der Aussagen einschließt, sondern auch die kooperative Zweck‐ mäßigkeit des sprachlichen Handelns (Schilcher et al. 2017). Diskursstrukturell äußert sich die kooperative Zweckmäßigkeit z. B. im Aufgreifen des konkreten Anliegens (Rechtschreibunterschiede) und in dem Vorschlag einer Problemlö‐ sungsstrategie. Schriftsprachliche Erklärungen werden in schulischen und akademischen Kontexten als wissenschaftliche Argumentationsformen erworben. Sie dienen der Explikation von Fachwissen und setzten Kennnisse der Begrifflichkeiten und deren Verortung in den semiotischen Systemen der entsprechenden Diszi‐ plin voraus (Paus & Jucks 2012). Sie zeichnen sich durch prototypisch schrift‐ sprachliche Ausdruckformen aus, die ein hohes Maß an Genauigkeit, Explizit‐ heit und persönlicher Neutralität gewährleisten (Czicza, Hennig, Emmrich & Niemann 2012). Aus der Fülle an sprachlichen Mitteln, die die Registerforschung als charakteristisch für akademische Register identifiziert hat, werden in unserer Untersuchung solche ausgewählt, die den antizipierten Eigenschaften der eli‐ zitierten grammatischen Erklärungen entsprechen (Hennig & Niemann 2013, Nagy & Townsend 2012). Dazu gehören lexikalische Mittel wie Fachtermini, Nominalisierungen und komplexe Konnektoren sowie syntaktische Mittel wie unpersönliche Konstruktionen, komplexe Nominalphrasen und Satzgefüge mit kausalen und weiteren adverbialen Nebensätzen. Es wird erwartet, dass sich der fortschreitende Fachspracherwerb zum zweiten und dritten Messzeitpunkt in einer häufigeren Verwendung unpersönlicher und fachsprachlicher Konstruk‐ tionen niederschlägt. 387 Fachsprachliche Kompetenzentwicklung bei Grundschullehramtsstudierenden In der qualitativen Analyse wird ermittelt, was die Studierenden über die Zusammenhänge zwischen Grammatik und Orthographie wissen und wie gut sie dieses Wissen verbalisieren können. Das Konzept der Registerflexibilität lässt sich anhand von Unähnlichkeits‐ maßen zwischen den Erklärungen auf der Formebene operationalisieren. Diese schließen neben lexikalischen und syntaktischen Komplexitätsmaßen auch Unterschiede in der Frequenz von ausgewählten sprachlichen Merkmalen ein, die in der Literatur als registerdifferenzierend beschrieben werden (Biber & Conrad 2009, Csomay 2013, Gilquin & Paquot 2008). Aus den explorativen und theoriegeleiteten Analysen sollen Hinweise darauf abgeleitet werden, welche der untersuchten Parameterausprägungen sprachliche Anpassungen hervorrufen und wie sich diese Anpassungen im Längsschnitt entwickeln. Wir nehmen an, dass die Registerflexibilität zu Beginn des Fachstudiums, zum ersten Messzeitpunkt, schwach ausgeprägt ist, da das linguistische Register noch nicht erworben ist und die Studierenden in akademischer Kommunikation eher unerfahren sind. Dieser Ausgangszustand wird sich in einer fehlenden Differenzierung der Texte auf der lexikalischen, syntaktischen und diskursstrukturellen Ebene äußern. Zudem erwarten wir, dass die Erklärungen eher Eigenschaften informeller, mündlicher Kommunikation aufweisen. Mit dem Abschluss der linguistischen Module, zum zweiten Messzeitpunkt, sollten die Studierenden mit spezifischen Formen akademischer Kommunikation wie Prü‐ fungen oder Tutorien insofern vertraut sein, dass sie eine Assoziation zwischen solchen Situationen und der Verwendung fachsprachlicher Ausdrucksformen etabliert haben. Evidenz für maximale Registerflexibilität im Rahmen der Studie läge vor, wenn die Studierenden nicht nur zwischen dem fachsprachlichen und dem alltagssprachlichen Register in den prototypischen Situationen (Prüfung vs. E-Mail an Grundschüler) wechseln könnten, sondern auch eine unterschiedliche sprachliche Gestaltung in den ‚Mischkontexten‘ (Tutorium und E-Mail an DaF-Studenten) erreichten. 6. Zusammenfassung und Ausblick Der Übergang von der Schule in ein Fachstudium konfrontiert Studierende mit neuen Kommunikationssituationen, die in unterschiedlichem Grad die Verwendung formeller Register erfordern. Durch die Erfahrungen mit den spezifischen Anforderungen wissenschaftlicher und beruflicher Kommunika‐ tion sollten junge Erwachsene den Stellenwert der Registerkompetenz für ihre professionelle Entwicklung immer deutlicher erkennen. Der Ausbau der 388 Milena Kuehnast & Beate Lütke sprachlichen Ressourcen und der Registerflexibilität im Fachkontext setzt ein hohes Niveau an Sprachbewusstheit voraus. Als erwerbstheoretische Untersuchung beleuchtet die ReFlex-Studie mit dem Thema des Registererwerbs einen bisher in der deutschen Forschungslandschaft wenig untersuchten Aspekt der Hochschulausbildung von Grundschullehramtsstudierenden. Als Längsschnittuntersuchung bietet sie einen empirischen Zugang zu individuellen Entwicklungspfaden des linguistischen Fachspracherwerbs im Verlauf des Fachstudiums. Damit leistet die ReFlex-Studie einen ersten Beitrag zur Modellierung domänenspezifischen Registerwissens. 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Sie forscht und lehrt im Bereich der linguistischen Theoriebildung, der Morphosyntax des Deutschen, der Erst- und Zweitspracherwerbsforschung, der Linguistischen Relativität und der Sprach‐ verarbeitung. heike.behrens@unibas.ch Ingo Fehrmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professional School of Education der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsschwer‐ punkte liegen in der Konstruktionsgrammatik, der Erst- und Zweitspracherwerbsforschung sowie der Didaktik des Deutschen als Zweit- und Fremd‐ sprache. ingo.fehrmann@hu-berlin.de Katrin Henk ist Lehrerin für Französisch und Deutsch an Gymnasien, Lehrbe‐ auftragte für das Fach Französisch am Staatlichen Seminar für die Ausbildung und Fortbildung der Lehrkräfte Heilbronn sowie Lehrbeauftragte für Fachdi‐ daktik Französisch am Romanischen Seminar der Universität Mannheim. henk.katrin@semgym.hn.schule-bw.de Christina Kauschke ist Professorin für Germanistische Sprachwissenschaft mit dem Schwerpunkt Klinische Linguistik an der Philipps-Universität Mar‐ burg. Ihre Forschungsinteressen umfassen den normalen und gestörten Spracherwerb, die Entwicklung von Diagnostik- und Therapieverfahren bei Sprachentwicklungsstörungen, die Wortverarbeitung sowie Sprache und Emotion. kauschke@uni-marburg.de Dorothee Kohl-Dietrich ist akademische Mitarbeiterin am Fachbereich 5: Erziehungswissenschaften, Institut für Bildung im Kindes- und Jugendalter, der Universität Koblenz-Landau. Ihre Forschungsinteressen umfassen die Sprach‐ erwerbsforschung und Sprachdidaktik, insbesondere die sprachsensible Unter‐ richtsgestaltung und den Umgang mit heterogenen Lernvoraussetzungen. kohldietrich@uni-landau.de Milena Kuehnast ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für deutsche Sprache und Linguistik der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Forschungs‐ schwerpunkte liegen in der Kognitionswissenschaft, Psycholinguistik und Spracherwerbsforschung, insbesondere im Hinblick auf Lexikon und Register‐ wissen. milena.kuehnast@hu-berlin.de Beate Lütke ist Professorin für Didaktik der deutschen Sprache und Deutsch als Zweitsprache am Institut für deutsche Sprache und Linguistik sowie an der Professional School of Education der Humboldt-Universität zu Berlin. Zu ihren Lehr- und Forschungsschwerpunkten gehören Sprachbildung und -förderung, sprachsensibler Fachunterricht, Registererwerb und die Professonalisierung von Lehrkräften in diesem Feld. beate.luetke@staff.hu-berlin.de Karin Madlener-Charpentier ist Lehrbeauftragte für deutsche Sprachwis‐ senschaft an der Universität Basel und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institute of Language Competence an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Ihre Forschungsinteressen liegen an der Schnittstelle von Sprachbeschreibung, Spracherwerbsforschung und Sprachvermittlung. madl@zhaw.ch Eva Larissa Maiberger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Tübingen School of Education der Universität Tübingen sowie im Studiengang Deutsch als Zweitsprache - Sprachdiagnostik und Sprachförderung am Deutschen Seminar. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Sprachlehr- und -lernforschung und des sprachsensiblen Unterrichts. eva-larissa.maiberger@uni-tuebingen.de Max Möller ist Lehrkraft für besondere Aufgaben im Bereich Deutsch als Fremdsprache am Sprachenzentrum der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine 396 AutorInnenverzeichnis Interessensschwerpunkte liegen in der Korpuslinguistik, der Sprachlehr- und -lernforschung sowie der Vermittlung des Deutschen als Zweit- und Fremd‐ sprache. max.moeller@hu-berlin.de Giulio Pagonis ist Professor für Deutsch als Zweitsprache am Institut für Deutsch als Fremdsprachenphilologie der Universität Heidelberg. Er forscht und lehrt unter anderem im Bereich des Zweitspracherwerbs, der Sprachlehr- und -lernforschung sowie der Sprachdiagnostik. pagonis@idf.uni-heidelberg.de Daniela Rotter ist Professorin für Sprachliche Bildung mit Fokus Primar‐ stufe am Institut für Diversität und Internationales der Pädagogischen Hoch‐ schule Steiermark. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich des Zweitspracherwerbs des Deutschen, der Sprachlehr- und -lernforschung und der Sprachförderung in sprachlich heterogenen Klassen. daniela1.rotter@phst.at Nicole Schumacher ist Lehrkraft für besondere Aufgaben im Bereich der Didaktik der deutschen Sprache und des Deutschen als Zweitsprache am Institut für deutsche Sprache und Linguistik der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie forscht und lehrt in den Bereichen Linguistik, Sprachlehr- und -lernforschung, Zweit- und Fremdspracherwerb, Zweit- und Fremdsprachdidaktik und Mehr‐ sprachigkeit. nicole.schumacher@hu-berlin.de 397 AutorInnenverzeichnis Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur herausgegeben von Heike Behrens, Nicola Gess, Alexander Honold, Martin Luginbühl und Ralf Simon Bisher sind erschienen: Frühere Bände finden Sie unter: http: / / narr-starter.de/ magento/ index.php/ reihen/ basler-studien-zur-deutschen-spracheund-literatur.html? limit=36 72 Lorenz Hofer Sprachwandel im städtischen Dialektrepertoire Eine variationslinguistische Untersuchung am Beispiel des Baseldeutschen 1997, XIV, 306 Seiten €[D] 34,- ISBN 978-3-7720-2671-3 73 Beatrice Bürkli Sprachvariation in einem Großbetrieb Eine individuenzentrierte Analyse anhand sprachlicher Tagesläufe 1999, XII, 444 Seiten €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2672-0 74 Petra Leuenberger Ortsloyalität als verhaltens- und sprachsteuernder Faktor Eine empirische Untersuchung 1999, XII, 308 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-2673-7 75 René Schumacher ‚Metapher‘ Erfassen und Verstehen frischer Metaphern 1997, 271 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-2674-4 76 Angelo Garovi Rechtssprachlandschaften der Schweiz und ihr europäischer Bezug 1999, 201 Seiten €[D] 34,- ISBN 978-3-7720-2675-1 77 Domenica Cameron Kognitive Aspekte der Sinndominanz in innerer Sprache und Lyrik Grundlage und Entwicklung des Denkens jenseits der Worte 1998, VIII, 220 Seiten €[D] 34,- ISBN 978-3-7720-2676-8 78 Maurizio Pinarello Die italodeutsche Literatur Geschichte - Analysen - Autoren 2002, 339 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-2677-5 79 Regula Schmidlin Wie Deutschschweizer Kinder schreiben und erzählen lernen Textstruktur und Lexik von Kindertexten aus der Deutschschweiz und Deutschland 1999, X, 427 Seiten €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2678-2 80 Annelies Häcki Buhofer (Hrsg.) Vom Umgang mit sprachlicher Variation Soziolinguistik, Dialektologie, Methoden und Wissenschaftsgeschichte Festschrift für Heinrich Löffler zum 60. Geburtstag 1999, 390 Seiten €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2679-9 81 Antonella Nicoletti Übersetzung als Auslegung in Goethes West-östlichem Divan im Kontext frühromantischer Übersetzungstheorie und Hermeneutik 2002, X, 430 Seiten €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2680-5 82 Thomas Lehmann Augen zeugen Zur Artikulation von Blickbezügen in der Fiktion 2002, 630 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-2681-2 83 Annelies Häcki Buhofer (Hrsg.) Spracherwerb und Lebensalter 2002, VIII, 358 Seiten €[D] 44,- ISBN 978-3-7720-2682-9 84 Gisela Bürki Wenn Kinderbuch-Väter sprechen ... Eine gesprächslinguistische Analyse zum Vaterbild im Kinderroman (1945-2000) 2004, 326 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8050-0 85 Brigit Eriksson Bildungsstandards im Bereich der geprochenen Sprache Eine Untersuchung in der 3., der 6. und der 9. Klasse 2006, 260 Seiten €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-8164-4 86 Alexander G. Höhne Spiegelmetaphorik in Rudolf Steiners „Vier Mysteriendramen“ Textsemantische Untersuchungen 2006, 692 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8165-1 87 Hans-Peter Hodel Sprachaufenthalte Perspektiven und Unterschiede im außerschulischen Sprachlernen 2006, 343 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8171-2 88 Andreas Georg Müller Mit Fritz Kocher in der Schule der Moderne Studien zu Robert Walsers Frühwerk 2007, 187 Seiten €[D] 54,- ISBN 978-3-7720-8172-9 89 Barbara Indlekofer Friedrich Hölderlin Das Geschick des dichterischen Wortes Vom poetologischen Wandel in den Oden „Blödigkeit“, „Chiron“ und „Ganymed“ 2007, 236 Seiten €[D] 58,- ISBN 978-3-7720-8197-2 90 Christine Beckert Schreibend und lesend Textkompetenz entwickeln Eine sozialisationstheoretisch orientierte Untersuchung des Erwerbs von Schriftlichkeit bei Jugendlichen 2011, 302 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8402-7 91 Sonja Böni Reflexionen des Ikonischen Jean Pauls narrative Bildlogik in seinen Satiren und seinem Romanerstling 2012, 249 Seiten €[D] 39,90 ISBN 978-3-7720-8458-4 92 Annina Fischer Motivationen im frühen Zweitspracherwerb 2013, 220 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8492-8 93 Christina Cuonz Sprachliche Werturteile von Laien Eine sozio-kognitive Analyse 2014, XVI, 509 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8521-5 94 Tobias Roth Wortverbindungen und Verbindungen von Wörtern Lexikografische und distributionelle Aspekte kombinatorischer Begriffsbildung zwischen Syntax und Morphologie 2014, 240 Seiten €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-8529-2 95 Mirjam Weder Orthographische Varianten in der literalen Praxis Empirische Untersuchung des Usus, der individuellen Repräsentationen und der Wirkung auf den Schreibprozess 2016, X, 345 Seiten €[D] 58,- ISBN 978-3-7720-8532-1 96 Jacqueline Reber Strukturen und Muster in der Namenwelt Quantitative und qualitative Untersuchungen zum Toponymenbestand der beiden Solothurner Amteien Dorneck-Thierstein und Oltgen-Gösgen 2014, XII, 282 Seiten €[D] 58,- ISBN 978-3-7720-8533-8 97 Fabian Grossenbacher Dialektik des Bildlichen Zum Sprachdenkens Walter Benjamins 2016, 398 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8542-0 98 Vera Mundwiler Beurteilungsgespräche in der Schule Eine gesprächsanalytische Studie zur Interaktion zwischen Lehrpersonen, Eltern sowie Schülerinnen und Schülern 2017, 436 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8610-6 99 Winifred V. Davies / Annelies Häcki Buhofer / Regula Schmidlin / Melanie Wagner / Eva Lia Wyss (Hrsg.) Standardsprache zwischen Norm und Praxis Theoretische Betrachtungen, empirische Studien und sprachdidaktische Ausblicke 2017, 422 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8623-6 100 Karolin Freund Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels 2018, 322 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8665-6 101 Ladina Fessler Primitivistische Künstlerfiguren im Expressionismus 2022, ca. 310 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8762-2 102 Karin Madlener-Charpentier, Giulio Pagonis (Hrsg.) Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung in der Sprachvermittlung 2022, 400 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8687-8 ISBN 978-3-7720-8687-8 www.narr.de Der Mensch kann sich neues Wissen prinzipiell auf zwei Arten aneignen: mithilfe des Bewusstseins (explizit, intentional) oder beiläufig, also durch Lernmechanismen, die unterhalb der Schwelle des Bewusstseins operieren (implizit). Wie aber werden neue Sprachen erworben? Und welche Optionen eröffnet dies für eine erfolgreiche Sprachvermittlung? Der Sammelband skizziert für ausgewählte Erwerbsbereiche (z.B. Morphologie, Syntax) zentrale Aspekte impliziten und expliziten Wissens und Lernens und diskutiert Effekte und Nutzen impliziter und expliziter Vermittlungs- und Förderansätze im Kontext des Deutschen als Erst-, Zweit- und Fremdsprache. N° 102