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Inselromane

2022
978-3-7720-5760-1
A. Francke Verlag 
Julia Meier
10.24053/9783772057601
CC BY-SA 4.0https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de

Der dänische Dichter Adam Oehlenschläger gab seinen einzigen Roman Die Inseln im Südmeere (1826) in zwei Sprachen heraus, wobei er zunächst die deutsche Fassung schrieb und erst danach die dänische Version unter dem Titel Øen i Sydhavet verfasste, die 1824/25, also vor der deutschen Ausgabe erschien. Auf der Basis von Johann Gottfried Schnabels Insel Felsenburg gestaltete der Autor ein völlig neues Werk, das in seiner Fülle von Reflexionen, Prätexten, Zitaten, lyrischen Einlagen, Novellen etc. unter Einbezug von Schnabels zentralen Strukturen und Hauptfiguren als vielschichtiger und dynamischer Text erscheint, der aber bisher sowohl beim Lesepublikum wie in der Forschung nur wenig Beachtung gefunden hat. Die vorliegende Untersuchung beleuchtet anhand von Bachtins und Kristevas Polyphonie- und Intertextualitätstheorien die Mehrstimmigkeit und Vielfalt des Romans, wobei die Zweisprachigkeit ebenso einbezogen wird wie die verschiedenen Fassungen, die von der Erstausgabe teilweise stark abweichen. Detaillierte Analysen zeigen, dass der Roman zu seiner Zeit neuartige literarische Verfahren für die Textproduktion fruchtbar machte.

Inselromane Julia Meier Adam Oehlenschlägers Roman Die Inseln im Südmeere / Øen i Sydhavet im Dialog mit J. G. Schnabels Insel Felsenburg Inselromane Beiträge zur Nordischen Philologie Herausgegeben von der Schweizerischen Gesellschaft für Skandinavische Studien Redaktion: Jürg Glauser (Basel/ Zürich), Klaus Müller-Wille (Zürich), Anna Katharina Richter (Zürich), Lena Rohrbach (Basel/ Zürich), Lukas Rösli (Berlin), Thomas Seiler (Bø) Begutachtung: Die Bände der Reihe werden einem (Double blind-)Peer-Review Verfahren unterzogen. Ausführliche Angaben zu den Mitgliedern der Redaktion sowie zu deren Aufgaben und Funktionen und zur Manuskriptbegutachtung finden sich auf der Homepage der Schweizerischen Gesellschaft für Skandinavische Studien (http: / / www.sagw.ch/ sgss). Band 70 · 2022 Julia Meier Inselromane Adam Oehlenschlägers Roman Die Inseln im Südmeere / Øen i Sydhavet im Dialog mit J. G. Schnabels Insel Felsenburg Umschlagabbildung: Detail aus dem Bucheinband der 1911 erschienenen Ausgabe von Adam Oehlenschlägers Roman Die Inseln im Südmeer , Stuttgart: Holbein-Verlag (Fotografie privat). Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Julia Meier Universität Basel Seminar für Nordistik Nadelberg 6 CH -4051 Basel https: / / orcid.org/ 0000-0003-3537-9455 Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel im Sommersemester 2020 auf Antrag der Promotionskommission, Prof. Dr. Jürg Glauser (hauptverantwortlicher Betreuer) und Prof. Dr. Klaus Müller-Wille, als Dissertation angenommen. DOI: https: / / www.doi.org/ 10.24053/ 9783772057601 © 2022 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Satz: pagina GmbH, Tübingen CPI books GmbH, Leck ISSN 1661-2086 ISBN 978-3-7720-8760-8 (Print) ISBN 978-3-7720-5760-1 (e PDF ) ISBN 978-3-7720-0172-7 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Inhalt Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.1 Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.2 Methodisch-theoretische Zugänge und Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1.2.1 Polyphonie, Dialogizität und Intertextualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1.2.2 Übersetzungswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.2.3 Psychoanalyse und Literaturwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.2.4 Gender Studies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1.2.5 Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1.3 Entstehungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1.4 Rezeption und Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1.5 Materialität der Fassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1.6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2 Die wunderlichen Fata und Die Inseln im Südmeere : Grundzüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2.1 Die wunderlichen Fata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2.2 Die Inseln im Südmeere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 3 Polyphone Textgestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.1 Oehlenschläger als „Grenzgänger zwischen zwei Kulturen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.2 Die Inseln im Südmeere und Øen i Sydhavet - ein Roman in zwei Sprachen . . . . . 80 3.2.1 Thematische Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3.2.2 Stilistische Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3.2.3 Fazit zur zweisprachigen Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3.3 Sprachreflexionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3.3.1 Sprachgedanken in den Wunderlichen Fata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3.3.2 Die Situation in den Inseln im Südmeere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3.3.3 Der Text in den anderen Versionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3.3.4 Fazit zu den Sprachreflexionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4 Die Spuren der Prätexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.1 Der Paratext als Reflexion des Prätextes: Titel und Vorreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.1.1 Titel und Autorname . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 4.1.2 Die Vorreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4.2 Textanfänge / Anfangstexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4.3 Zweimal Alberts „Traum“: Die Stimmen der Einsiedler im Dialog . . . . . . . . . . . . . 138 4.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 6 Inhalt 5 Funktionen der Kunst in einer Biographie: Cyrillo de Valaro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 5.1 Die Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 5.2 Begegnung mit Vater und Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 5.3 Erlebte und erzählte Entdeckungsreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 5.4 Ariosts Spinngewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 5.5 Verwandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 5.6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 6 Personenkonstruktionen: Weibliche und männliche Stimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 6.1 Liebe im Roman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 6.2 Walpurgisnacht der Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 6.3 Sublimierung oder Wahn? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 6.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 7 Schauplätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 7.1 „Nordisierung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 7.1.1 Ein „zweiter Luther“ aus Schweden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 7.1.2 Olearius und Fleming im Norden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 7.1.3 Ein dänischer Hoffnungsanker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 7.1.4 Fazit zum Norden im Roman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 7.2 Kirchenbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 7.2.1 Eine Kirche für Schnabels Insel Felsenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 7.2.2 Der Kölner Dom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 7.2.3 Der Kirchenbau auf Oehlenschlägers Insel Felsenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 7.2.4 Fazit zum Kirchenbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 7.3 Heiligenstatue und Nonnenkloster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Exkurs: Eine „Novelle“ als Singspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 8 Schauspiele im Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 8.1 Albert als Schauspieler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 8.2 Karnevaleske Darbietungen in Kopenhagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 8.3 Dramaturgische Diskussionen auf hoher See . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 8.4 Tendenzen zum Gesamtkunstwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 8.5 Dramen auf dem Weg zur Insel Klein-Felsenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 8.6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Inhalt 7 9 Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Abstract & Keywords . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Siglen und Kürzel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Dank Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im Sommer 2020 bei der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel eingereicht habe. Die Arbeit verdankt ihr Zustandekommen in erster Linie Prof. Dr. Jürg Glauser, meinem Erstbetreuer, der sie mit nie erlahmendem Interesse, unerschütterlicher Geduld, steter Ermutigung und vielen hilfreichen Hinweisen inspiriert und begleitet hat. Für dieses intensive Engagement danke ich ihm sehr herzlich. Ein grosser Dank gilt auch meinem Zweitbetreuer, Prof. Dr. Klaus Müller-Wille; sein Interesse an meiner Arbeit war ebenfalls eine wesentliche Unterstützung, wie auch seine mit viel Enthusiasmus und Energie geführten Doktorandenkolloquien. Den lebendigen und spannenden Diskussionen in diesen Kolloquien verdanke ich manche Anregung. Prof. Dr. Miriam A. Locher danke ich herzlich für ihre spontane Hilfsbereitschaft und ihre guten Instruktionen zur Zoom-Sitzung, in der mein Doktorexamen abgehalten wurde. Mein Dank geht ebenfalls an die Professor: innen Pil Dahlerup, Pernille Hermann und Dan Ringgaard für ihre Beschäftigung mit meiner Arbeit im Projektstadium. Den Peer Reviewern danke ich für genaue Lektüre und nützliche Ratschläge im Hinblick auf die Publikation. Dem Leiter des Cotta-Archivs in Marbach, Prof. Dr. Helmut Mojem, und seiner Mitarbeiterin Dr. Sabine Borchert sei für die unbürokratische Hilfe und Zustellung von Briefen aus ihrem Archiv gedankt. Dieser Dank gilt auch den Mitarbeitern der Digitalisierungsabteilung der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen, besonders dem Forschungsbibliothekar Sonny Ankjær Sahl. Den Verlagen Zweitausendeins und eBibliotek 1800 sowie der Klassik Stiftung Weimar und der Universitätsbibliothek Basel danke ich für die freundliche Erlaubnis zur Publikation von Abbildungen. Michael Redmond sei herzlich gedankt für seine uneigennützige Hilfe bei der Übersetzung des Abstracts. Ein grosser Dank geht auch an Dr. Anna Katharina Richter für ihr ausserordentlich sorgfältiges und hilfreiches Lektorat. Der Redaktion der Beiträge zur Nordischen Philologie unter der Leitung von Prof. Dr. Lena Rohrbach danke ich sehr für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe. Auch bedanke ich mich bei der Schweizerischen Gesellschaft für Skandinavische Studien für die grosszügige Übernahme der Druckkosten. Herrn Tillmann Bub vom Narr Francke Attempto Verlag danke ich herzlich für seine freundliche und sehr aufmerksame Manuskriptbetreuung. Meinen Brüdern bin ich äusserst dankbar, dass sie in der Schlussphase bereitwillig für mich eingesprungen sind und meinen Teil der Familienarbeit übernommen haben. Ellen Peters sei herzlich gedankt für viele liebenswürdige und ermutigende Mails. Mein allergrösster Dank gebührt Markus, der mich die ganze Zeit über auf jede erdenkliche Weise unterstützt und in unzähligen anregenden, inspirierenden Gesprächen alles dafür getan hat, meine Motivation immer wieder aufzurichten und wachzuhalten. Auch danke ich ihm sehr für seine Mithilfe beim Korrekturlesen. Ihm möchte ich diese Arbeit widmen. Für Markus In keinem Werke habe ich mehr selbst erfunden, obschon […] einige schöne mit Kreide flüchtig hingeworfene Skizzenzüge des alten Buchs entlehnt sind, weil sie mit Oehlfarbe ausgemahlt zu werden verdienten, und weil sie mir zu eigenen Erfindungen Anlass gaben. Oehlenschläger, Die Inseln im Südmeere I: IX . 1.1 Gegenstand der Untersuchung 13 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 1 Einleitung 1.1 Gegenstand der Untersuchung Das Werk Die Inseln im Südmeere / Øen i Sydhavet stellt im umfangreichen dichterischen Œuvre Adam Oehlenschlägers eine Seltenheit dar: Es ist der einzige Roman dieses Autors. Oehlenschläger als Romancier - eine Vorstellung, die für seine Zeitgenossen 1 etwas Befremdliches haben musste, galt der Dichter doch seit seinen frühen, mit Begeisterung aufgenommenen Werken Digte, St. Hansaften-Spil und Aladdin als begabter, ja begnadeter Lyriker und Dramatiker, dies trotz ebenfalls schon in jungen Jahren verfasster Prosatexte wie der 1805 in einem Band zusammen mit Aladdin herausgegebenen, auf der Vǫlundarkviða der Liederedda basierenden Vaulundurs Saga , dem orientalischen Märchen Aly og Gulhyndy in der Sammlung Digtninger von 1811 oder der Novellensammlung Digtninger II von 1813. Diese Werke erlangten, obwohl teilweise noch in der sogenannten „Blütezeit“ von Oehlenschlägers Schaffen entstanden, nicht den gleichen Status wie seine frühen Gedichte und Dramen. Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass sich Oehlenschlägers oft virtuose Sprachkunst in den Prosawerken nicht in gleicher Weise entfalten konnte wie in seinen Versdichtungen. Einer solchen Ansicht widerspricht jedoch - meines Erachtens zu Recht - die Analyse von Flemming Lundgreen-Nielsen und Mogens Løj, die einige der erwähnten Prosastücke in die zwölfbändige, zum 200-jährigen Jubiläum von Oehlenschlägers Geburtstag veranstaltete Werkausgabe aufnahmen und dem Autor in ihrem Vorwort eine nuancenreiche, gestalterisch bewusste Prosakunst attestieren (Lundgreen-Nielsen / Løj 1987: 7-16). Diese wurde aber offensichtlich von der Mehrheit der zeitgenössischen Leserschaft nicht wahrgenommen, was vielleicht einer traditionellen, aber eigentlich bereits im Laufe des 18. Jahrhunderts veraltenden Auffassung geschuldet ist, wonach Verse in der Dichtkunst ein höheres Ansehen haben als Prosa. Die Literaturwissenschaftlerin Lise Præstgaard Andersen fragt sich angesichts der Tatsache, dass Oehlenschläger nur einen einzigen Roman verfasste, ob der Autor in seinem Innersten nicht selber geglaubt habe, wahre Dichtung müsse in poetischer, d. h. gebundener Form geschaffen sein (vgl. Præstgaard Andersen, o. J.). Betrachtet man die insgesamt recht reichhaltige Prosaproduktion Oehlenschlägers, zu der auch verschiedene Übersetzungen gehören, so scheint diese Frage nicht wirklich berechtigt. Doch trifft es zu, dass der Roman in zeitgenössischen Leserkreisen keine günstige Aufnahme fand, was sicher auch damit zusammenhing, dass er in den 1820iger Jahren entstand, d. h. zu einer Zeit, da Oehlenschläger seit längerem mit der sinkenden Akzeptanz seiner Publikationen zu kämpfen hatte. Zudem entsprach der Roman kaum der Lesererwartung, die der Titel geweckt haben dürfte: Es handelt sich bei dem Werk weder um einen Abenteuerroman noch um eine der damals beliebten Reiseerzählungen aus der Südsee, sondern um ein in Romanform dargebotenes textuelles Konglomerat aus einer Fülle von kunsttheoretischen Reflexionen, Prätexten, Zitaten, Binnenerzählungen, lyrischen Einlagen etc., das 1 Das generische Maskulinum wird in dieser Arbeit für beide Geschlechter verwendet. 14 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Ganze konstruiert auf dem Fundament von Schnabels Wunderlichen Fata und fast gleichzeitig in zwei Sprachen veröffentlicht - kurz, ein aus heutiger Sicht vielschichtiges und im Ablauf seiner mehrfachen Umgestaltung dynamisches Textgebilde, das in der Forschung bisher - wie ich meine, zu Unrecht - nur wenig Beachtung fand. In der Vorrede zu seinem Roman Die Inseln im Südmeere 2 beschreibt Oehlenschläger, wie sich seine Beziehung zu Schnabels Wunderliche Fata einiger Seeleute (besser bekannt als Insel Felsenburg ) 3 entwickelte und veränderte. Mit grosser Wahrscheinlichkeit hatte er den Roman als Kind auf Dänisch gelesen; diese Vermutung legen eigene Aussagen über seine Sprachkenntnisse nahe, z. B.: „Ich war zwölf Jahre alt geworden […]; ich las nur dänisch“ ( Selbstbiographie 1829, 1: 12). 4 Diese Lektüre, die ihn in seiner Kindheit und Jugend begeistert hatte, inspirierte ihn damals zu mancherlei Phantasiebildern, die mit dem Gelesenen verschmolzen und sich zu etwas Neuem formten, weshalb ihn der ursprüngliche Roman bei einer späteren Lektüre enttäuschte. Er fand darin nur noch „einige schöne mit Kreide flüchtig hingeworfene Skizzenzüge“, die „mit Oehlfarbe ausgemahlt (sic) zu werden verdienten“ ( IS I: IX ). 5 In diesen Worten liegt ein Schaffensplan, eine Art Poetik, die darauf abzielt, Schnabels Buch, das nun bloss noch als blasse, flüchtig geschriebene Kreideskizze empfunden wurde, zu einem farbigen Ölgemälde zu gestalten. Das Bild ist nicht neu: Wenige Jahre vor dem Erscheinen des Inselromans hatte Oehlenschläger im Vorwort zu seiner deutschen Holberg-Übersetzung das Verhältnis des Komödiendichters zu dessen Vorbildern (im Hinblick auf Jacob von Tybo ) mit fast denselben Worten umschrieben: „Dann kann man aber auch wohl sagen, dass sich Holberg’s Stück zu jenen Plautischen und Terenzischen Scenen verhält, wie ein vollendetes Oelgemälde zu Skizzen, mit Kreide flüchtig hingezeichnet “ ( Holberg’s Lustspiele 1822-1823, I: XV ; gesperrt im Original, kursive Hervorhebung JM .) Auch für Holberg soll mit der Kontrastierung von Kreide und Ölbild die geringe Abhängigkeit seiner Dichtung vom Prätext betont werden. Eines der Ziele der vorliegenden Arbeit ist es, zu untersuchen, in welcher Weise sich die Umsetzung dieser Poetik in Oehlenschlägers Roman konkretisiert, was für ein „Bild“ diese „Ausmalung der Skizzenzüge“ entstehen lässt. Am Ende seiner Vorrede gibt Oehlenschläger eine weitere Erklärung zur Schaffung seines Romans: 2 Erschienen 1826 in vier Bänden bei Cotta (Stuttgart / Tübingen). Diese Ausgabe wird im Folgenden zitiert als IS I-IV. In Zitaten wird die Orthographie der Vorlage jeweils unverändert übernommen. Die Vorrede hat stellenweise autobiographischen Charakter und wird deshalb der grossen Zahl von Selbstzeugnissen zugerechnet, mit denen der Autor sich und sein Werk darstellt. 3 Schnabels Roman erschien in vier Bänden von 1731-1743. Er wird in dieser Arbeit mit der Sigel WF I-IV zitiert. Als Zitiergrundlage wird die Edition des Verlages Zweitausendeins verwendet: Insel Felsenburg. Wunderliche Fata einiger Seefahrer. Ausgabe in drei Bänden: Bd. 1 = WF Teile I und II, Bd. 2 = WF Teile III und IV, Bd. 3 = Anhang. Mit einem Nachwort von Günter Dammann. Textredaktion von Marcus Czerwionka unter Mitarbeit von Robert Wohlleben. Frankfurt am Main, 1997. Die Orthographie dieser Ausgabe wird in Zitaten beibehalten. 4 Eine dänische Übersetzung der Insel Felsenburg erschien schon 1761-1765. 5 Die orthographische Form „Oe h lfarbe“ (eine schon im 19. Jahrhundert eher seltene Schreibweise) stellt - bewusst oder unbewusst - eine Verbindung zum Autornamen her und positioniert damit den Autor als Schöpferinstanz. Die „Zweistimmigkeit“ des Wortes, die nur im veränderten Schriftbild wahrnehmbar ist, liest sich wie ein frühes Beispiel für die weit über 100 Jahre später von Arno Schmidt entwickelte Etymtheorie, mit der Schmidt bekanntlich versuchte, die von ihm empfundene Ambivalenz im Wort durch eine eigene, originelle Orthographie sichtbar zu machen. Weitere Hinweise zur Etablierung eines Autornamens durch Oehlenschläger folgen in Kap. 4.1.1. 1.1 Gegenstand der Untersuchung 15 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Da die Handlung hier meist in Deutschland spielt, und die Personen meistens Deutsche sind, habe ich auch diese Dichtung, wie den Correggio , zuerst deutsch geschrieben, und es ist keine Uebertragung aus dem Dänischen. […] ich weiss, dass ich auch Gönner und Freunde in Deutschland habe, die ihren dänischen Blutsverwandten, wenn auch mit etwas fremdem Accente, gern sprechen hören. ( IS I: XIII - XIV ; gesperrt im Original) Das Zitat weist in eine Richtung, der ich in meiner Arbeit gern folgen möchte: Es deutet die zweisprachige Produktion des Autors an, welcher den grössten Teil seines voluminösen Gesamtwerkes selber auf Deutsch übersetzte, einige Dichtungen aber, wie im Zitat erwähnt, zuerst in deutscher Sprache verfasste. 6 Nähe und Distanz, die sich im Hinweis auf die Blutsverwandtschaft und den fremden Akzent ausdrücken, zeigen den Autor als einen Grenzgänger „zwischen den Sprachen“ (Blödorn 2004), 7 der sich nicht auf eine einzige Sprache festlegen möchte, sondern die Polyphonie, die Mehrstimmigkeit, den vielfältigen Klang bevorzugt. Tatsächlich liegt ja in der Erwähnung des Sprechens „mit etwas fremdem Accente“ die Andeutung einer von der Normalität, vom Standard leicht abweichenden Sprache, einer Variante also, die dem Zweiklang deutsch - dänisch eine weitere Tonalität hinzufügt. Auf dieser polyphonen Basis des Romans entwickeln sich in der Folge weitere Fassungen, die ihrerseits den Text vervielfältigen, dynamisieren, einem Prozess der fortwährenden Umformung aussetzen, an der nicht nur der Autor, sondern auch spätere Herausgeber beteiligt sind, d. h. auch die Urheberschaft des Textes gestaltet sich im Lauf der Zeit polyphon. Dass neben Schnabels Roman - dem deklarierten Prätext - noch eine Vielzahl weiterer Prätexte, intertextueller Beziehungen, Gattungsmischungen, Erzählerstimmen, etc. die Gestalt von Oehlenschlägers Text bestimmt, lädt dazu ein, diesen insgesamt als polyphones Phänomen zu betrachten und der für den Text zentral erscheinenden Mehrstimmigkeit eine Untersuchung zu widmen, welche die verschiedenen textuellen „Stimmen“ herausarbeiten und aufzeigen soll, ob sich die These bestätigt, wonach dieser Roman eindeutige Zuordnungen auf mehreren Ebenen unterläuft und zudem in seiner Entstehungszeit neuartige literarische Verfahren für die Textproduktion fruchtbar machte. Die Konzepte der Polyphonie und Dialogizität im Sinne Bachtins bilden die theoretische Basis der vorliegenden Untersuchung; sie sollen jedoch gleichzeitig für andere Theorien geöffnet werden, besonders für die eng mit Bachtins Auffassungen verbundene und teilweise von ihnen herstammende Intertextualität. Die Verbindung wird explizit hergestellt in Julia Kristevas Aufsatz „Le mot, le dialogue et le roman“, der ihre vielzitierte Definition der Intertextualität enthält: Chez Bakhtine […] ces deux axes, qu’il appelle respectivement dialogue et ambivalence , ne sont pas clairement distingués. Mais ce manque de rigueur est plutôt une découverte que Bakhtine est le premier à introduire dans la théorie littéraire: tout texte se construit comme mosaïque de citations, tout texte est absorption et transformation d’un autre texte. A la place de la notion d’intersubjecti- 6 Die dänische Version seines Romans erschien, ebenfalls in vier Teilen, 1824-1825 in Kopenhagen unter dem Titel Øen i Sydhavet ; sie wurde also noch vor der zuerst entstandenen deutschen Ausgabe publiziert. Diese dänische Edition wird im Folgenden zitiert als ØS I-IV. Zitate dieser und anderer Vorlagen übernehmen unverändert deren Orthographie. 7 In seiner Dissertation dieses Titels untersucht Andreas Blödorn u. a. die transkulturelle und transnationale Vermittlungsfunktion von Oehlenschlägers literarischer Zweisprachigkeit. 16 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 vité s’installe celle d’ intertextualité , et le langage poétique se lit, au moins, comme double. (Kristeva 1969: 85; kursiv im Original) 8 Bei Bachtin werden […] diese beiden Achsen, die er Dialog respektive Ambivalenz nennt, nicht klar unterschieden. Aber dieser Mangel an Stringenz ist eher eine Entdeckung, die Bachtin als erster in die Literaturtheorie einführt: Jeder Text konstruiert sich als ein Mosaik aus Zitaten, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes. An die Stelle der Idee der Intersubjektivität tritt jene der Intertextualität, und die poetische Sprache liest sich mindestens als eine doppelte . 9 Ergänzend zu Bachtins und Kristevas theoretischen Überlegungen werden für die Textanalyse auch weitere Intertextualitätskonzepte sowie Erkenntnisse der Übersetzungsforschung, der Psychoanalyse und der Gender Studies beigezogen. Die Polyphonie bildet also nicht nur den Gegenstand der Arbeit, sondern ist bis zu einem gewissen Grad auch dem methodischen Zugang eingeschrieben. Im Folgenden sollen die verschiedenen, meiner Arbeit zugrunde gelegten Theoriekonzepte kurz vorgestellt werden. 1.2 Methodisch-theoretische Zugänge und Aufbau der Arbeit 1.2.1 Polyphonie, Dialogizität und Intertextualität Wie erwähnt, sind die beiden Begriffe Polyphonie und Dialogizität in der Literatur- und Kulturwissenschaft eng mit dem Namen Michail M. Bachtins verknüpft. Bekanntlich hat Bachtin sie im Zuge seiner Analyse von Dostoevskijs Romanen zu Konzepten entwickelt und bezieht sie - jedenfalls, was die Polyphonie betrifft - auch mit einer gewissen Ausschliesslichkeit auf dessen Werk: „Unserer Meinung nach kann nur Dostoevskij als Schöpfer echter Polyphonie gelten“ (Bachtin 1971: 42). 10 Zu diesem Schluss gelangt er im Wesentlichen durch die Erkenntnis, dass Dostoevskij seine Welt „vor allem im Raum und nicht in der Zeit“ gesehen habe, da die Hauptkategorie seiner künstlerischen Sehweise „nicht das Werden, sondern Koexistenz und Wechselwirkung “ gewesen sei (Bachtin 1971: 34; kursiv im Original). Es geht also nicht um Entwicklung, um ein zeitliches Nacheinander oder ein kausales Folgeprinzip von Phänomenen, sondern um deren Gleichzeitigkeit, um ein räumlich gesehenes Nebeneinander und Koexistieren aller möglichen, auch divergierenden Themen: „Sich in der Welt zurechtzufinden, bedeutete für ihn [Dostoevskij], alle ihre Inhalte als gleichzeitige zu denken und ihre Beziehungen zueinander in einem einzigen Augenblick zu erraten “ (Bachtin 1971: 35; kursiv im Original). Im Weiteren stellt Bachtin zur genaueren Definition seines Polyphoniebegriffs die Unterschiede zwischen dem aus seiner Sicht monologischen und dem polyphonen Roman dar, wobei er als zentrales Element der Polyphonie die Gleichberechtigung der Bewusstseine des Autors und seiner Figuren betont: 8 Kristeva publizierte ihren Aufsatz zuerst in Critique XXIII (1967: 438-465), unter dem Titel „Bakhtine, le mot, le dialogue et le roman“. Die deutsche Übersetzung übernimmt den Titel der Erstausgabe des Aufsatzes und bewahrt damit den Hinweis auf den Zusammenhang mit Bachtins Werk: „Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman“ (Kristeva 1972: 345-375). 9 Wo nicht anders vermerkt, sind die Übersetzungen von der Verf., JM. 10 Diese Aussage findet sich im gleichen Werk Bachtins ähnlich, aber nicht ganz so pointiert formuliert, vgl. Bachtin (1971: 10, 201, 303). 1.2 Methodisch-theoretische Zugänge und Aufbau der Arbeit 17 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 [D]as Bewusstsein des Autors macht fremde Bewusstseine (d. h. die der Helden) nicht zu Objekten und legt sie nicht in ihrer Abwesenheit endgültig fest. Es fühlt neben und vor sich gleichberechtigte, fremde Bewusstseine, die genauso unendlich und unabschliessbar sind wie es selbst. […] Vom Autor des polyphonen Romans wird nicht der Verzicht auf sich selbst und sein eigenes Bewusstsein verlangt, sondern eine ungewöhnliche Erweiterung, Vertiefung und Umstrukturierung dieses Bewusstseins, […] damit es vollberechtigte fremde Bewusstseine aufnehmen kann. (Bachtin 1971: 77) 11 Der polyphone Roman erscheint in der Fortführung der Argumentation als Textraum, in dem verschiedene Bewusstseine gleichrangig bestehen, eine Stimme erhalten und - ganz wesentlich für Bachtin - miteinander in eine dialogische Beziehung treten (Bachtin 1971: 98). 12 Der gleichberechtigten Vielfalt von Bewusstseinen entspricht die Koexistenz verschiedenster Schattierungen der sie als Medium tragenden Sprache, die in jedem Augenblick ihrer historischen Existenz durchgängig in der Rede differenziert [ist]. Es ist dies die personifizierte Koexistenz sozioideologischer Widersprüche zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit, zwischen verschiedenen Epochen der Vergangenheit, zwischen verschiedenen sozioideologischen Gruppen der Gegenwart, zwischen Richtungen, Schulen, Zirkeln usw. Diese „Sprachen“ der Redevielfalt kreuzen sich auf vielfältige Weise miteinander und bilden dadurch neue sozialtypische „Sprachen“. […] Als solche können sie sehr wohl einander gegenübergestellt werden, können sie sich wechselseitig ergänzen, können sie einander widersprechen, können sie dialogisch aufeinander bezogen sein. (Bachtin 1979: 182-183) Es wird nicht nur durch die Anführungszeichen klar, dass der Terminus „Sprachen“ im Verlauf der Textpassage einen vom herkömmlichen Gebrauch abweichenden, viel umfassenderen Sinn annimmt; wie Bachtin ausführt, meint er damit so viel wie „spezifische Sichten der Welt, eigentümliche Formen der verbalen Sinngebung, besondere Horizonte der Sachbedeutung und Wertung“ (Bachtin 1979: 183), ein Konglomerat, das man vielleicht - im Sinn einer den einzelnen Gruppierungen gemeinsamen Denk- und Argumentationsform - als „Diskurs“ bezeichnen könnte. Diese sich überlagernden oder überschneidenden, miteinander dialogisierenden Diskurse münden insgesamt in eine Dynamisierung des Textbegriffs, der folgerichtig auch keine stabilen Grenzen mehr kennt, woraus sich schliesslich ein Dialog zwischen Texten entwickelt: 11 Bachtins Autorbegriff (zumindest, wie er in Probleme der Poetik Dostoevskijs erkennbar wird) hängt aufs engste mit der Entstehung von Dialogizität zusammen: Die Konkretisierung dialogischer Beziehungen vollzieht sich im Wort oder, allgemeiner, in der Äusserung, von denen jede „ihren Autor [hat], den wir als ihren Schöpfer in der Äusserung selbst hören“ (Bachtin 1971: 205). Damit ist zum Ausdruck gebracht, dass kein hierarchisches Gefälle zwischen Autor- und Figurenrede besteht, da auch die Figuren als Autoren ihrer Äusserungen auftreten. 12 Bachtin bezieht sich hier vor allem auf Dostoevskijs künstlerische Gestaltung der Idee, die nur im Dialog mit anderen Ideen (und Bewusstseinen) überhaupt zum Leben erwachen könne. Als Gegenbild und poetische Realisierung einer solchen Gleichberechtigung zwischen verschiedenen Bewusstseinen sei Strindbergs Erzählung Hjärnornas kamp [ Kampf der Gehirne ] von 1886 erwähnt, in der das erzählende Ich den Dialog zweier Bewusstseine (oder Gehirne) schildert, doch findet hier das genaue Gegenteil der Akzeptanz eines fremden Bewusstseins statt: Es geht um einen erbitterten Kampf, in dem der Ich- Erzähler das Bewusstsein der anderen Figur zum Objekt macht, das es zu beherrschen, zu überwinden, gar dem eigenen Bewusstsein einzuverleiben gilt. 18 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Jedes Wort (jedes Zeichen) eines Textes führt über seine Grenzen hinaus. Es ist unzulässig, die Analyse (von Erkenntnis und Verständnis) allein auf den jeweiligen Text zu beschränken. Jedes Verstehen ist das In-Beziehung-Setzen des jeweiligen Textes mit anderen Texten und die Umdeutung im neuen Kontext (in meinem, im gegenwärtigen, im künftigen). […] Der Text lebt nur, indem er sich mit einem andern Text (dem Kontext) berührt. Nur im Punkt dieses Kontaktes von Texten erstrahlt jenes Licht, das nach vorn und nach hinten leuchtet, das den jeweiligen Text am Dialog teilnehmen lässt. (Bachtin 1979: 352-353) Trotz der metaphorischen Überhöhung, die den Schluss der zitierten Stelle kennzeichnet, tritt doch das Wesentliche, Bachtins dynamisches Textverständnis, klar zutage. Dieses stand auch für Kristeva im Vordergrund, als sie bei ihrer Beschreibung und Analyse zweier Werke Bachtins, dem bereits zitierten Buch über Dostoevskij sowie seiner Untersuchung zu Rabelais’ Werk, den Begriff der Intertextualität prägte (Kristeva 1972: 348) - ein Terminus, der in der Folge selber polyphonen Charakter annehmen sollte, da er sehr unterschiedliche „Stimmen“, Deutungen und Definitionen umfasst. Das Spektrum reicht bekanntlich von der sogenannten „weiten“ Anschauung Kristevas, die, wie erwähnt, jeden Text als „Mosaik von Zitaten“, als „Absorption und Transformation eines andern Textes“ versteht (Kristeva 1972: 348), bis zu „engen“ Auslegungen, die Intertextualität nur bei „markierter“, d. h. expliziter Aufnahme von andern Texten in den jeweiligen Grund- oder Haupttext erkennen (vgl. Broich 1985a: 31-47). Kristevas Lesart wird von der modernen Bachtinforschung oft als „produktives Missverständnis“ bezeichnet, da sie Bachtins Positionen (vor allem in Bezug auf Autorschaft und Autorintention) unzutreffend auf postmoderne Theoreme hin zuspitze (Grübel 2008: 317, Fussnote 3, und 342). Eine Umakzentuierung von Bachtins Konzeption der Dialogizität durch Kristeva stellte auch schon Manfred Pfister in seinem Aufsatz „Konzepte der Intertextualität“ fest (Pfister 1985a: 6-11). Sylvia Sasse hingegen ist der Ansicht, dass Kristeva mit ihrer Auffassung des „Dialogismus […] auf der Ebene des bachtinschen denotativen Wortes als Prinzip jeglichen Aussagens“ (Kristeva 1972: 357) Bachtins Ansatz nicht eigentlich erweitere, sondern bestätige, wobei Kristeva allerdings durch ihren Befund, die poetische Sprache sei als solche dialogisiert, Bachtins Differenzierung „zwischen monologischer und dialogischer Schreibweise gerade im Poetischen“ aufhebe (Sasse 2010: 91). Damit weist Sylvia Sasse auf einen wichtigen Punkt, in dem Kristeva Bachtins Konzept tatsächlich weiterentwickelt: Die von ihr postulierte, der poetischen Sprache als solche inhärente Dialogizität nähert sich postmodernen Betrachtungsweisen an, in denen es z. B. um eine Entgrenzung des Werkbegriffs geht, oder anders gesagt, um die Erweiterung der scheinbar klar feststehenden Werkgrenzen. Nicht diese Abgrenzungen im Sinne von deutlichen Konturen eines Werkes stehen im Vordergrund, sondern dessen Einflechtung in das Netz existierender Texte, die Kristeva zufolge allein schon durch das Medium Sprache gegeben ist. Die Vorstellung des Werkes als herausragender Skulptur wird abgelöst von dem Gedanken an ein Gebilde aus verschiedensten Textfäden, die es vielseitig verknüpfen - was im Übrigen ja schon der Wortsinn des lateinischen textus besagt. Dass dieses Gewebe als dynamische Textur zu verstehen ist, hat Roland Barthes deutlich gemacht, indem er den Text nicht mehr als fertiggestelltes Produkt begreift, sondern die Betonung legt auf „l’idée générative que le texte se fait, se travaille à travers un entrelacs perpétuel; […]“ [die generative Idee, dass der Text sich selbst herstellt, sich erarbeitet durch ein kontinuierliches Flechten; […] (Barthes 1973: 101). 1.2 Methodisch-theoretische Zugänge und Aufbau der Arbeit 19 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 In ähnlicher Weise sind für Foucault die Ränder des Buches unscharf abgegrenzt, da er es in einem System von Verweisen auf andere Bücher, Texte, Sätze sieht: C’est que les marges d’un livre ne sont jamais nettes ni rigoureusement tranchées: par-delà le titre, les premières lignes et le point final, par-delà sa configuration interne et la forme qui l’autonomise, il est pris dans un système de renvois à d’autres livres, d’autres textes, d’autres phrases: nœud dans un réseau. (Foucault 1969: 34) Die Ränder eines Buches sind weder sauber noch scharf geschnitten: Über den Titel, die ersten Linien und den Schlusspunkt hinaus, über seine innere Gestaltung und die Form, die es als Buch konstituieren, hinaus, ist es verhaftet in einem System von Verweisen auf andere Bücher, andere Texte, andere Sätze: ein Knoten in einem Netzgewebe. Diese Betrachtungsweisen bringen in unterschiedlichen Bildern den dynamischen Charakter eines Textes, Werkes oder Buches zum Ausdruck; sie betonen die Verknüpfungen oder Verflechtungen zwischen verschiedenen Texten, stellen scheinbar etablierte Werkgrenzen ebenso wie klar definierte Textränder zur Diskussion. Damit teilen sie die von Kristeva im Rückgriff auf Bachtin entwickelten Perspektiven und positionieren sich im Bereich der ontologischen Intertextualitätstheorien. Da diese jedoch dafür kritisiert wurden, kein konkretes, zur Textanalyse taugliches Instrumentarium aufzuweisen, bildeten sich im Gegenzug deskriptive Intertextualitätskonzepte heraus, die einerseits zwar in vielen Punkten an die alte Einfluss- und Quellenforschung erinnern, 13 andrerseits aber doch für die Untersuchung von Texten hilfreiche Anwendungskategorien bieten und sich von den vor-postmodernen Theorien durch die Beobachtung und Beschreibung der Relationen und Interaktionen zwischen Texten unterscheiden. So entfaltet z. B. Gérard Genette in Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe 14 ein breit gefächertes System für die Beschreibung von Textbeziehungen. Er beruft sich dabei explizit auf Kristevas Bezeichnung „Intertextualität“, definiert den Begriff aber „wahrscheinlich restriktiver“ (Genette 1993: 10), nämlich für die „effektive Präsenz eines Textes in einem andern Text“ (Genette 1993: 10), die er eingrenzt auf die drei Kategorien Zitat, Plagiat oder Anspielung. „Intertextualität“ in diesem engen Sinn ist für ihn nur einer von fünf verschiedenen, aber vielfach miteinander verbundenen Typen seiner Klassifizierung transtextueller Beziehungen. Neben der Intertextualität sind dies die „Paratextualität“, die er später unter dem Titel Seuils in einem eigenen Buch behandeln wird, 15 die „Metatextualität“ als stillschweigende oder explizite Kommentierung eines anderen Textes, die „Architextualität“, womit die auf Gattungszugehörigkeit beruhende Verbindung mit anderen Texten gemeint ist, sowie die „Hypertextualität“, jener Typus, mit dem sich Genette in Palimpseste fast 13 Dies bewog übrigens Kristeva dazu, den von ihr geprägten Terminus aufzugeben und stattdessen „transposition“ zu verwenden, denn: „ce terme [l’intertextualité] a été souvent entendu dans le sens banal de ‚critique des sources‘ d’un texte“ (Kristeva 1974: 59-60) [Dieser Terminus (d.h. die Intertextualität) ist oft in dem banalen Sinn der ‚Quellenkritik‘ eines Textes verstanden worden]. 14 Auf Deutsch publiziert 1993. Die französische Originalausgabe erschien 1982 unter dem Titel Palimpsestes. La littérature au second degré . Es wird aus der deutschen Übersetzung zitiert, da Genettes Terminologie sich auch im deutschen Sprachraum eingebürgert hat und vielfach verwendet wird. 15 Erschienen 1987. Der Titel der deutschen Übersetzung lautet: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Frankfurt am Main, 2001. Genette bezieht sich darin explizit auf die in Palimpseste erwähnte Kategorie (Genette 1987: 9-10). 20 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 ausschliesslich beschäftigt. Er versteht darunter sämtliche Beziehungen zwischen einem Prätext und einem darauf basierenden Folgetext (Genette 1993: 14-15). Seine Bezeichnungen für die entsprechende Textsituation, „Hypotext“ und „Hypertext“, weisen dabei auf die grundlegende Art dieser Beziehung zwischen zwei Texten: Es handelt sich um die „Überlagerung“ des Folgetextes über einen bereits existierenden Text, der dem neuen Werk gewissermassen „unterlagert“ ist, wie das die Vorsilben „hypo-“ und „hyper-“ zum Ausdruck bringen; daraus erklärt sich natürlich auch der Titel Palimpseste , der wiederverwendete Manuskriptseiten bezeichnet, die nach Abschaben oder Abwaschen der Erstbeschriftung neu beschrieben worden waren. Bei diesen schon aus der Antike bekannten und im Mittelalter weitergeführten Praktiken schimmerte manchmal die Erstbeschreibung noch durch, blieb also unter dem überschriebenen Text sichtbar. Auch Genettes Untertitel Die Literatur auf zweiter Stufe bezeichnet die Art der von ihm untersuchten Textbeziehung, die er gesamthaft unterteilt in „Transformation“ und „Nachahmung“; beide Begriffe erfahren zusätzliche Differenzierungen und Gliederungen, je nach Beschaffenheit des Verhältnisses zwischen Hypo- und Hypertext, z. B. aus stilistischer, funktionaler oder gattungsbezogener Perspektive. Einen weiteren wichtigen Beitrag zu einer deskriptiven Intertextualitätstheorie leistet die bereits kurz erwähnte, von Ulrich Broich und Manfred Pfister 1985 herausgegebene Aufsatzsammlung Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien , die sich zum Teil als Reaktion auf Genettes Palimpseste versteht, dessen Gesichtspunkte in verschiedener Hinsicht präzisiert, ergänzt und durch konkrete Analysen von Texten der englischen Literatur, die Genette trotz seiner weitgespannten Untersuchung „nur relativ selten“ berücksichtige, erweitert werden sollen (Broich / Pfister 1985: IX ). In den theoretischen Prämissen etablieren die Herausgeber die Unterscheidung zwischen der Einzeltextreferenz, also dem Bezug eines Textes auf einen Prätext, und der Systemreferenz, d. h. der Beschreibung eines Textes im Verhältnis zu Gattungsnormen oder anderen strukturbildenden Textsystemen. Es wird erwähnt, dass diese Unterscheidung sich in anderer Terminologie schon bei Genette finde (Broich 1985b: 49, Fussnote 3), während gewisse Aspekte der Systemreferenz mit Elementen von Bachtins und Kristevas Intertextualitätskonzeption übereinstimmten (Pfister 1985b: 54). So gesehen, schaffen die beiden Autoren also auch Verbindungen zwischen dem ontologischen und dem deskriptiven Intertextualitätsbegriff, wobei aber die präzisen Beschreibungen und Definitionen der verschiedenen Formen von Intertextualität für ihre Publikation bestimmend sind. In meiner Arbeit stütze ich mich, wie erwähnt, vor allem auf die Konzepte der Polyphonie und der Dialogizität, wie sie von Bachtin entwickelt wurden; ich möchte untersuchen, inwieweit die Präsenz anderer Texte in Oehlenschlägers Roman sich als gleichrangige „Stimmen“ im Sinne Bachtins manifestieren. Auch betrachte ich die verschiedenen, jeweils in zwei Sprachen erschienenen Fassungen dieses Romans als Phänomene, welche die Werkgrenzen durchlässig machen und das Prozesshafte, Dynamische des Textes ins Blickfeld rücken. Dennoch werde ich für die Beschreibung bestimmter formaler Aspekte von intertextuellen Beziehungen auf die Arbeiten von Genette und Broich / Pfister zurückgreifen und überdies andere Erkenntnisse und Beiträge zur Intertextualitätsforschung, wie z. B. von Harold Bloom oder Renate Lachmann, einbeziehen. Auch Bachtins Theorien zur Karnevals- und Lachkultur, wie er sie in seiner umfassenden Untersuchung zu Rabelais und zur Volkskultur von Mittelalter und Renaissance darstellt 1.2 Methodisch-theoretische Zugänge und Aufbau der Arbeit 21 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 (Bachtin 1995), haben sich als hilfreich für die Beschreibung bestimmter Phänomene in Oehlenschlägers Roman erwiesen und sollen darum zur Stützung einzelner Analysen meiner Arbeit ebenfalls berücksichtigt werden. 1.2.2 Übersetzungswissenschaft Dass die Übersetzung als solche ihrem Wesen nach ein intertextuelles Phänomen ist, bedarf keiner weiteren Erklärung und ist in der Intertextualitätsforschung trotz unterschiedlicher Richtungen und Konzepte unbestritten. Sie kann als „Spielform der Intertextualität“ eingestuft werden, wie dies Werner von Koppenfels bezogen auf die literarische Übersetzung tut (Koppenfels 1985: 138), indem er Kristevas Konzept der Intertextualität als „absorption et transformation d’un autre texte“ (Kristeva 1969: 85) auf diesen „generischen Sonderfall“ eingrenzt (Koppenfels 1985: 138). Genette kategorisiert die Übersetzung als „Transformation“ und gliedert sie in die Unterkategorie der „ernsten Transformation“ ein, die er auch als „Transposition“ bezeichnet: „Die augenfälligste und sicherlich verbreitetste Transpositionsform besteht darin, einen Text aus einer Sprache in eine andere zu übertragen: Das ist natürlich die Übersetzung […]“ (Genette 1993: 289). Gleich zu Beginn seiner Ausführungen erwähnt er die zweisprachigen Schriftsteller, die ihr Werk in zwei Versionen verfassen, indem sie es gleichzeitig in zwei Sprachen hervorbringen oder im Nachhinein selbst übersetzen. Der Hinweis steht im Zusammenhang mit der Betonung der Bedeutung des Übersetzens für die Literatur, denn einerseits müssten ja die Meisterwerke [der verschiedenen Literaturen] übersetzt werden, andrerseits würden Übersetzungen oft selbst wieder zu Meisterwerken, wofür er Beispiele von Dichtern anführt, die Werke anderer Dichter übersetzten (Genette 1993: 289). Damit knüpft er im Übrigen an eine der drei Kategorien des Übersetzens an, die Novalis aufgestellt hatte, nämlich an die des „verändernden Übersetzens“, wozu der „höchste poetische Geist“ nötig sei; der wahre Übersetzer müsse „der Dichter des Dichters sein und ihn also nach seiner und des Dichters eigner Idee zugleich reden lassen können“ (Novalis 1962: 353). In der Folge geht Genette jedoch auf diese Thematik nicht weiter ein, sondern widmet seine kurze Darstellung der für die Übersetzungswissenschaft nach wie vor zentralen Frage der Übersetzbarkeit. Die Diskussion der synchronen Transposition von einer Sprache in eine andere ergänzt er dabei um eine diachrone Dimension, womit die Probleme gemeint sind, die sich in der Übersetzung durch die Unterschiede zwischen den historischen Entwicklungsstufen der Sprachen ergeben können. Moderne Übersetzungen antiker oder mittelalterlicher Texte bewirkten, dass der Leser die historische Distanz im sprachlichen Ausdruck nicht nachempfinden könne, was allerdings, wie Genette einräumt, im Fall der Antike z. B. für französische Leser ohnehin nicht möglich wäre (Genette 1993: 292-294). Sein Bedauern darüber weist ihn implizit als Vertreter oder doch als Sympathisant der verfremdenden Übersetzung aus, d. h. jener Richtung, welche die Ausgangssprache gegenüber der Zielsprache favorisiert und ihre Eigenart in der Zielsprache wahrnehmbar machen möchte. Diese Strategie vertritt Schleiermacher in seinem grundlegenden Vortrag „Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens.“ 16 Er bietet darin eine theoretische Systematisierung des Übersetzens vor allem philosophischer und literarischer Texte, das gerade in 16 Gehalten 1813 vor der Königlich-Preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Aufgenommen in die Kritische Gesamtausgabe I / 11 (vgl. Schleiermacher 2002: 67-93). 22 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 seiner Zeit überaus eifrig betrieben wurde und dem deutschen Lesepublikum den Zugang zu einer Vielzahl berühmter Werke anderer Literaturen eröffnen sollte. Schleiermacher unterscheidet bekanntlich zwei Übersetzungsmethoden, die „einbürgernde“ und die „verfremdende“, wie man sie heute nennt, wobei er unbedingt für die zweite eintritt, denn nur durch eine Übersetzung, die als solche erkennbar bleibe, könne der Leser ein Bewusstsein für das Andere, für die fremde Kultur der Ausgangssprache entwickeln und dadurch eine Bereicherung der eigenen Sprache und Kultur erfahren. Schleiermacher sieht eine solche Dynamik auch generell für die deutsche Sprache: „[…] so fühlen wir auch, dass unsere Sprache […] nur durch die vielseitigste Berührung mit dem fremden recht frisch gedeihen und ihre eigne Kraft vollkommen entwickeln kann“ (Schleiermacher 2002: 92). Am Ende seiner Ausführungen würdigt er die zahlreichen Übersetzungsbemühungen seiner Zeit: „Ein guter Anfang ist gemacht, aber das meiste ist noch übrig. […] Wie sehr schon einzelne Künstler die Schwierigkeiten theils besiegt, theils sich glücklich zwischen ihnen durchgewunden haben, liegt in mannigfaltigen Beispielen vor Augen“ (Schleiermacher 2002: 92-93). Damit deutet er die rege Übersetzertätigkeit der zeitgenössischen Schriftsteller an, auf die explizit schon Novalis hingewiesen hatte: „[…] indem es fast keinen deutschen Schriftsteller von Bedeutung gibt - der nicht übersetzt hätte und wahrlich darauf so viel sich einbildet, als auf Originalwerke, […].“ 17 Oehlenschlägers intensive Übersetzungsarbeit, die der Autor während seiner ganzen schriftstellerischen Laufbahn betrieb, steht also in einem literaturgeschichtlichen Kontext, in welchem das Übersetzen fast selbstverständlich zur schriftstellerischen Tätigkeit gehörte. Dies betrifft neben umfassenden Selbstübersetzungen vor allem seine - ebenfalls umfangreichen - Übersetzungen anderer Autoren aus verschiedenen Sprachen ins Dänische. Das Spektrum reicht von Catull, Properz, Ovid über Petrarca, Shakespeare (u. a. Sommernachtstraum ), Goethe (u. a. Götz von Berlichingen, Reineke Fuchs, Hermann und Dorothea ), Schiller (diverse Gedichte) bis zu Tieck (zweibändige Ausgabe von dessen Werken in Auswahl) und dem schwedischen Dichter Bernhard von Beskow (die Tragödien Torkel Knutsson, Kung Birger och hans ätt ). 18 Zu erwähnen ist hier auch die 1816 erschienene zweibändige Märchenanthologie Eventyr af forskiellige Digtere , die Märchen und märchenhafte Legenden von Musäus, Fouqué, Grimm, Tieck, Uhland, Kleist u. a. enthält, sowie die aus dem Altisländischen übersetzte Velents Saga . 19 Ein von der zeitgenössischen Übersetzungstradition abweichendes Unternehmen stellt Oehlenschlägers Übersetzung von Holbergs Komödien ins Deutsche dar, die er 1822 / 23 zum hundertjährigen Jubiläum von Holbergs „ Danske Skueplads“ herausgab. 1844 fügt er diesem Grossprojekt eine deutsche Bearbeitung von Johan Herman Wessels Tragikomödie Kjærlighed uden strømper von 1772 hinzu, eine 17 In einem Brief an August Wilhelm Schlegel vom 30. 11. 1797, in dem Novalis sich auf dessen Shakespeare-Übersetzung bezieht, mit den lobenden Worten, sie sei „unter den Übersetzungen, was ‚Wilhelm Meister‘ unter den Romanen ist“ (Novalis 1962: 632). 18 Für die chronologischen Angaben zu diesen und weiteren Übersetzungen verweise ich auf F. L. Liebenberg 1868, 1. 19 Vgl. dazu Anz 2006. Der Autor beschäftigt sich in seinem Artikel auch mit Oehlenschlägers Übersetzungspraxis, deren Spannweite von - meist kürzender - Bearbeitung bis zu textnaher Übertragung reicht und von Anz insgesamt positiv beurteilt wird: „Gelungen erscheint mir dagegen das Übersetzungsprojekt selbst, in dem Oehlenschläger sich als einfühlsamer Bearbeiter und den Stil genau treffender, textnaher Übersetzer erweist“ (Anz 2006: 81). 1.2 Methodisch-theoretische Zugänge und Aufbau der Arbeit 23 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Parodie der klassizistischen französischen Tragödie, die er dem deutschen Leser mitteilen will. 20 Die Vermittlung zwischen Sprachen, Kulturen, Dichtungs- und Gattungstraditionen erscheint als zentrale, verbindende Funktion dieser äusserst vielfältigen, heterogenen Übersetzertätigkeit, die ausserdem noch, wie erwähnt, den Sonderfall der Selbstübersetzung 21 umfasst: Oehlenschläger hat den weitaus grössten Teil seines Gesamtwerks selber ins Deutsche übertragen. 22 Eine spezielle Form dieser Autotranslation bilden jene Werke, die er, wie z. B. Die Inseln im Südmeere, zuerst auf Deutsch verfasste und anschliessend in seine Muttersprache „übersetzte“. 23 Der Roman lässt sich daher in seiner Zweisprachigkeit nicht ohne weiteres anhand der Kriterien gängiger Übersetzungstheorien erfassen, die mehrheitlich auf der Basis „normaler“ Übersetzungsprozesse entstanden sind, d. h. sich auf Texte beziehen, die von einer anderen Person als dem Autor übersetzt wurden. Eine Forschungsrichtung der neueren Übersetzungswissenschaft stellt allerdings die Unterscheidung zwischen Selbstübersetzern und Übersetzern in Frage, da letztlich beide ein vergleichbares Verfahren benützten; es besteht jedoch auch eine Gegenposition, die dafür plädiert, Selbstübersetzer von der Übersetzungsthematik losgelöst als Autoren zu betrachten, die ihr eigenes Werk um schreiben („rewriting“; vgl. Boyden / De Bleeker 2013: 180). Diese beiden Positionen bilden die Eckpunkte eines Feldes, in dem u. a. Fragen nach der Motivation, der Funktion sowie der Zeitversetztheit resp. Gleichzeitigkeit der Selbstübersetzung eines Autors untersucht werden. 24 Bei Oehlenschläger ist die Sachlage insofern komplizierter, als er die Rollen des Übersetzers und Selbstübersetzers in einer Person vereint, und ausserdem beide Übersetzungs- 20 Oehlenschlägers Abneigung gegen das strenge Regelsystem der französischen Klassik, schon 1807 in seinem Vorwort zu Nordiske Digte formuliert, äussert sich in verschiedener Weise auch in den Inseln im Südmeere (vgl. z. B. Kap. 8.3 dieser Arbeit) und blieb offensichtlich bis in seine letzten Lebensjahre lebendig. 21 Der Status dieses „Sonderfalls“ wird inzwischen stark relativiert, wie z. B. Michael Boyden und Liesbeth De Bleeker feststellen: „[…] self-translation is far more common and perhaps more paradigmatic than sometimes supposed“ (Boyden / De Bleeker 2013: 177). Dies gilt um 1800 auch für Dänemark insofern, als ein politisch und kulturell bedingtes sprachliches „Grenzgängertum“ verbreitet war: eine ganze Reihe von Autoren schrieb sowohl dänisch als auch deutsch und übersetzte eigene Texte von der einen in die andere Sprache, wie z. B. Sander, Baggesen, Schack-Staffeldt, Steffens. Baggesen allerdings schrieb einen grossen Teil seines Werks ausschliesslich auf Deutsch und entwickelte so nicht nur eine zweisprachige, sondern zudem eine biauktoriale, in zwei Sprachen getrennte Verfasserschaft (vgl. Anna Sandbergs umfassende Studie En grænsegænger mellem oplysning og romantik. Jens Baggesens tyske forfatterskab. [Ein Grenzgänger zwischen Aufklärung und Romantik. Jens Baggesens deutsche Verfasserschaft] Sandberg 2015). 22 Es war übrigens, wie der Autor festhält, gerade Schleiermacher, der ihn als erster dazu ermutigte, „ein deutscher Dichter zu werden“; gleichzeitig liess sich Schleiermacher von ihm ins Dänische einführen ( Meine Lebens-Erinnerungen 1850, 2: 22-23, Zitat: 23). 23 Parallelen können in Karl Gjellerup und Karen Blixen gesehen werden, wobei Blixen mit ihrem auf Englisch verfassten Werk das dänisch-deutsche Muster durchbricht. Zu ihrer englisch-dänischen Verfasserschaft vgl. die gründliche und ergiebige Untersuchung von Ute Klünder: „Ich werde ein grosses Kunstwerk schaffen …“ . Eine Untersuchung zum literarischen Grenzgängertum der zweisprachigen Dichterin Isak Dinesen / Karen Blixen . Darin geht die Autorin auch auf Werke Blixens ein, die zuerst auf Dänisch entstanden sind, die aber - in Umkehrung der Verhältnisse bei Oehlenschläger - den weitaus kleineren Teil von Blixens dichterischer Produktion ausmachen (Klünder 2000: 101-103). 24 Einen Überblick über die verschiedenen Forschungsgebiete und relevanten Diskussionen gibt Rainier Grutman (2020: 515-518); dabei geht er besonders auf die prozessuale Differenziertheit von Becketts Verfahren der Selbstübersetzung ein, die er als „crosslinguistic creation“ bezeichnet (ebda.: 517). 24 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 formen in seinem Roman anwendet, indem er ihn nicht nur in zwei Sprachen verfasste, sondern auch Texte, vor allem Gedichte, verschiedener Herkunft darin integrierte, die er je nach Sprache in eine der beiden Versionen oder in beide übersetzte. Man kann diese pluritranslatorischen Phänomene auch als potenzierte Polyphonie betrachten, indem verschiedenste Stimmen im Roman hörbar werden und der Autor selber gewissermassen mit zwei Stimmen spricht, wodurch er einen intensiven kulturellen Transfer nicht nur zwischen zwei Sprachen, sondern aus einer Vielzahl verschiedener Kulturen in die dänische und / oder die deutsche Sprache generiert. Am besten geeignet zur Untersuchung dieser Textsituation erscheint mir der Ansatz der Descriptive Translation Studies, vor allem ihre prozessorientierte Blickrichtung und ihre Tendenz, „den Übersetzungsprozess als ein komplexes Ensemble von intertextuellen und interkulturellen Beziehungen innerhalb einer bestimmten historischen Situation aufzufassen“ (Apel / Kopetzki 2003: 60). Die Einstufung der Selbstübersetzung als „ Fortschreibung eines Werks“ (Lamping 1992: 216), als offene, für gegenseitige Ergänzungen und Veränderungen der Sprachen durchlässige Struktur könnte Hinweise für eine adäquate Beschreibung der Dynamik von Oehlenschlägers Roman im intertextuellen Beziehungsgeflecht zwischen verschiedenen Sprachen, Literaturen, Schauplätzen, etc. liefern. Stellenweise sollen aber auch andere, mehr sprachwissenschaftlich ausgerichtete Konzepte der Übersetzungsforschung beigezogen werden. 1.2.3 Psychoanalyse und Literaturwissenschaft Die oben beschriebenen Methoden der Intertextualität und der Übersetzungswissenschaft, die das Hauptinstrumentarium meiner Analysen von Oehlenschlägers Roman bilden, werden punktuell durch Elemente der psychoanalytischen Literaturwissenschaft ergänzt. Diese Theorie umfasst ein weites Spektrum an Untersuchungsgebieten: Einerseits entwickelt sie Erklärungen für den Ursprung dichterischer Kreativität und versucht dadurch die Frage nach der Entstehung von Dichtung überhaupt zu beantworten, andrerseits widmet sie sich der Untersuchung rezeptionstheoretischer, leserorientierter Prozesse ebenso wie der Interpretation autor-, werk- und figurenbezogener Aspekte. Für meine Arbeit stütze ich mich vorwiegend auf die letztgenannte Richtung, da sie sich für die Analyse bestimmter Figuren, genauer gesagt, ihrer Handlungen, Konstellationen und Beziehungen anzubieten scheint. Freud selbst fand wichtige Erkenntnisse seiner Theorien in der Anwendung auf literarische Figuren bestätigt oder liess sich in vielen Fällen durch Literaturanalysen zur Schaffung bestimmter, auch zentraler Konzepte inspirieren. Gerade ein so fundamentales Modell wie der Ödipuskomplex beruht ja auf literarisch vermittelter Überlieferung des Mythos - ein Tatbestand, der im Übrigen die psychoanalytische Literaturwissenschaft mit Intertextualitätskonzepten verbindet. Freud demonstriert mittels verschiedener Literaturinterpretationen die Übereinstimmung seiner Theorien, wie er sie hauptsächlich in der Traumdeutung darstellte, mit Werken der Dichtkunst. Die Analogien zwischen seinen psychoanalytischen Erkenntnissen, vor allem in Bezug auf die Existenz und Funktion unbewusster Triebkräfte, wie Mechanismen der Verdrängung, der Verschiebung und Verdichtung, und den fiktionalen Darstellungen des seelisch bedingten Agierens literarischer Figuren überzeugten ihn von einer Ursprungsverwandtschaft zwischen Psychoanalyse und Literatur: „Wir schöpfen wahrscheinlich aus der gleichen Quelle, bearbeiten das nämliche Objekt, ein jeder von uns mit einer anderen Methode, und die Übereinstimmung im Ergebnis scheint dafür zu bürgen, 1.2 Methodisch-theoretische Zugänge und Aufbau der Arbeit 25 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 dass beide richtig gearbeitet haben“ (Freud 1995: 122). Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass „[d]ie psychologische Korrektheit etwa der vielen fiktionalen Träume oder vielsagenden Fehlleistungen in der Dichtung […] offenbar auf der grundsätzlichen Übereinstimmung der Mechanismen des Primärprozesses im literarischen Schaffen mit denen im psychischen Funktionieren überhaupt“ beruhe (Schönau 1991: 103). Diese Aussage verbindet die Vorgänge des Entstehungsprozesses von Dichtung aus psychoanalytischer Sicht mit dem hervorgebrachten Produkt, zu dem - je nach literarischer Gattung - ein Kreis handelnder Figuren gehört. Die Analyse dieser Figuren mittels psychoanalytischer Theorien wird oft als unzulässig kritisiert, da fiktive Personen keine Psyche hätten. Es liegt auf der Hand, dass sich die literarische Figurenanalyse von jener realer Personen in wesentlichen Punkten unterscheiden muss und bestimmten Begrenzungen unterworfen ist. Dennoch halte ich den Beitrag, den die psychoanalytische Literaturtheorie für das Verständnis psychischer Prozesse fiktiver Figuren leistet, für relevant, da durch ihr Instrumentarium verdeckte Subtexte ins Bewusstsein der Leser gerückt werden können, die anders kaum wahrgenommen würden, und die der Figurenzeichnung neue Facetten und Aspekte hinzufügen, wodurch natürlich auch der Gesamttext in anderem Licht erscheinen kann. 1.2.4 Gender Studies Angesichts der bemerkenswerten Anzahl neu auftretender Frauenfiguren in Oehlenschlägers Roman - bei einem insgesamt wesentlich kleineren Figurenarsenal als im Prätext - stellt sich die Frage, ob Weiblichkeit in den IS einen anderen Stellenwert habe als in Schnabels WF . In diesem Zusammenhang soll daran erinnert werden, dass neuere theoretische Konzepte wie die Gender Studies auf die Komplexität und Vielschichtigkeit der vermeintlich unproblematischen Begriffe „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ aufmerksam gemacht haben. Die Differenzierung zwischen biologischer und soziokulturell konstruierter Geschlechtsidentität führt, bezogen auf die Literaturwissenschaft, zu einer Reihe von Fragestellungen, die sich mit der Darstellung bzw. Inszenierung von Männer- und Frauenfiguren im Spannungsfeld der Konstruktion von Sex und Gender auseinandersetzen. 25 Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Repräsentation von Weiblichkeit und Männlichkeit in ihrer Historizität zu untersuchen ist, da „der konstruktivistische Blick insgesamt eine historische Perspektive geradezu einfordert“ (Frevert 1995: 14). Die Fülle von Reflexionen über die Zuschreibungen männlicher und weiblicher Wesensart, die besonders in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schon fast überwältigende Dimensionen annahm, zeigt vor allem Versuche, aus bestimmten Interpretationen physiologischer Geschlechterdifferenz psychische und charakterliche Merkmale des Weiblichen zu konstruieren und festzuschreiben. Die so entstandene „Polarisierung der ‚Geschlechtscharaktere‘“ (Hausen 1976) 26 wurzelte in politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnissen, die durch die geschlechtsspezifischen Deutungen anatomischer Befunde nun auch naturwissenschaftlich untermauert wurden; gleichzeitig schuf diese Polarisierung ihrerseits neue, von einer rigorosen Geschlechtertrennung bestimmte Verhältnisse. Die Etablierung 25 Laut Judith Butler beruht beides, „Sex“ als biologisches und „Gender“ als kulturell geprägtes Geschlecht, auf bewusstseinsabhängigen Konstrukten (Butler 1991: 22-24). 26 In ihrem einflussreichen Aufsatz dieses Titels weist Karin Hausen anhand von zeitgenössischen Lexikonartikeln kontrastierende „Gattungsmerkmale“ nach, die dem Mann als Haupteigenschaften Aktivität und Rationalität, der Frau dagegen Passivität und Emotionalität zuordnen (Hausen 1976: 367-368). 26 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 der Geschlechterdichotomie stand im Dienst der Erhaltung der bestehenden patriarchalischen Machtverhältnisse, deren Fundament durch das Streben nach „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ aller Menschen erschüttert zu werden drohte. Dies war der eigentliche Grund, weshalb die „Naturgegebenheit“ der weiblichen Andersartigkeit und, darauf basierend, auch die Notwendigkeit einer bestimmten geschlechtsspezifischen Rollen- und Aufgabenzuweisung bewiesen werden musste, was unter grossem Aufwand theoretischer Schriften aus allen Bereichen der Wissenschaften auch geschah. Wie Claudia Honegger aufgrund eingehender Quellenstudien darlegt, setzte um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Schaffung einer eigentlichen „weiblichen Sonderanthropologie“ ein, mit der physiologisch nachgewiesen werden sollte, dass die geringere physische Stärke der Frau eine grössere nervliche Sensibilität zur Folge hatte, woraus die Notwendigkeit bzw. Berechtigung abgeleitet wurde, der Frau spezifisch „weibliche“ Tätigkeitsbereiche zuzuweisen (Honegger 1996). Der Autorin zufolge lautet die Quintessenz verschiedener moral-physiologischer Schriften aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: „Die Frau ist ein Wesen für sich, mit einer eigenen Körperlichkeit, eigenen Krankheiten, eigenen Sitten, eigener Moral und eigenen kognitiven Fähigkeiten“ (Honegger 1996: 166). 27 Diese historischen Gegebenheiten der Situation von Sex und Gender sollen einbezogen werden, wenn nach dem Stellenwert der vermehrten Neuschaffung von Frauenfiguren in den IS gefragt wird; dabei ist allerdings zu bedenken, dass literarische Figuren nicht zwingend Befunde wissenstheoretischer Schriften widerspiegeln müssen. Zu fragen wäre in diesem Zusammenhang etwa nach Bildern oder Konzepten, welche die binäre Opposition männlich - weiblich allenfalls durchkreuzen, die Geschlechtergrenzen verschieben, die „Ordnung der Geschlechter“ destabilisieren. Eine für die vorliegende Arbeit ebenfalls relevante Frage ist, ob sich Oehlenschlägers Roman auch im Hinblick auf männliche und weibliche Stimmen als polyphon erweist: Wird den Frauenfiguren eine genuin eigene Stimme zugestanden, oder dominiert männliche Monophonie? 28 Für die Behandlung dieser und ähnlicher Fragen liesse sich auch psychoanalytisches Gedankengut einbeziehen, u. a. wenn es darum geht, die für die Konstruktion der Geschlechtsidentität verantwortlichen Mechanismen und Strategien offenzulegen. 27 In früheren Jahrhunderten war die Geschlechterdifferenz weniger als binäre Opposition von Mann und Frau gesehen worden, sondern, basierend auf einem aristotelischen Konzept, als eine Art eingeschlechtliches „Stufenmodell“, dessen höchste Entwicklungsstufe der Mann darstellte, während die Frau wegen ihrer „defizitären“ Eigenschaften auf einer niedrigeren Stufe dieses Modells stand. Vgl. dazu vor allem Laqueur (1996), aber auch Bynum (1996: insbesondere 86-96). Rüdiger Schnell zieht in Zweifel, dass die Geschlechterpolarisierung erst im 18. Jahrhundert stattgefunden habe (Schnell 1997: 19-21), aber auch er räumt ein: „Möglicherweise ist im 18. Jahrhundert ‚Weiblichkeit‘ als Sozialcharakter umfassend zu ‚Weiblichkeit‘ im Sinne eines Geschlechtscharakters umgeschrieben worden“ (Schnell 1997: 20). Dass es sich bei der Herausbildung der Geschlechterpolarisierung um eine Entwicklung handelte, die, von Frankreich und England ausgehend, in der Folge auch im Norden wirksam wurde, belegen Publikationen wie Berg / Frost / Olsen (1984: vor allem 213-216), oder Winge, M. (1981: besonders 12-33). 28 Elisabeth Bronfen zieht aus ihrer Analyse einer Reihe von Texten kanonisierter Autoren zwischen 1795 und 1840 den Schluss, die Funktion der Frau sei es, „den Mann zum Sprechen zu bringen. Während sie als inessentielles Wesen schweigt, reden die Männer von ihr und für sie“ (Bronfen 1996: 380). 1.2 Methodisch-theoretische Zugänge und Aufbau der Arbeit 27 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 1.2.5 Aufbau der Arbeit Die Einleitung widmet sich dem Entwicklungsverlauf von Oehlenschlägers Verhältnis zu seiner Vorlage, sowie der Rezeption seines Romans und dem Stand der Forschung. In einem buchgeschichtlich orientierten Unterkapitel wird das Zustandekommen der deutschen Erstausgabe in den brieflichen Verhandlungen mit dem Verleger Cotta nachgezeichnet, auch mit Blick auf Oehlenschlägers Interesse für die Gestaltung der Erscheinungsform seines Romans. Ausserdem wird über die Entstehung der späteren Fassungen in zwei Sprachen berichtet. Kapitel 2 bringt eine Zusammenfassung der inhaltlichen und strukturellen Hauptzüge der Inseln im Südmeere und der Wunderlichen Fata , die verhältnismässig ausführlich gehalten ist, um gleichsam als Prämisse die wesentlichen Parallelen und Differenzen zwischen den beiden Werken aufzuzeigen und so die Grundlage für bestimmte Einzelanalysen zu schaffen. Diese folgen in ihrer Anordnung nicht der Romanchronologie, weshalb die Zusammenfassung auf einen kohärenten Handlungsüberblick angelegt ist, in den sich die Detailanalysen einordnen lassen. Darauf folgt in Kapitel 3 eine Annäherung an die „Zweisprachigkeit“ von Oehlenschlägers Roman, eingeleitet von allgemeinen Bemerkungen zur deutschen und dänischen Produktion des Autors; anschliessend gehe ich auf die spezifische Ausprägung dieser Produktionsweise in den IS ein, wobei ich hier schwerpunktmässig auf Übersetzungstheorien zurückgreife, die aber auch sonst die Basis weiterer Vergleiche der dänischen und deutschen Fassung bilden, welche die analysierten Passagen in den meisten Fällen abschliessen. Ein Unterkapitel behandelt Fragen der Zwei- und Mehrsprachigkeit auch auf der Figurenebene. Im 4. Kapitel werden exemplarisch polyphone und intertextuelle Beziehungen zwischen den beiden Romanen untersucht, teils basierend auf den vorgestellten Intertextualitätstheorien, aber auch auf Erkenntnissen aus paratextuellen und psychoanalytischen Forschungen. Kapitel 5 und 6 behandeln verschiedene Aspekte der Figurendarstellung in ihrer Beziehung zu literarischen und allgemein künstlerischen Phänomenen, während Kapitel 7 auf die Funktion diverser Schauplätze im Roman fokussiert, die sich im 8. Kapitel zur Hauptsache auf einen Schauplatz, nämlich die Bühne, verdichten - nach oft vertretener Ansicht die eigentliche dichterische Sphäre Oehlenschlägers, die im Roman polyvalent für Aufführungen verschiedenster Art, aber auch als imaginärer Ort für dramentheoretische Reflexionen eingesetzt wird. Diese unterschiedlichen Analysestrategien - gleichsam Annäherungsversuche aus verschiedenen Blickwinkeln - haben zum Ziel, den Roman auf mehreren Ebenen als Produkt und Schnittpunkt vielfältiger Textbeziehungen zu zeigen, die immer wieder bald explizit, bald in verhüllter Form reflektiert werden; dabei ergibt sich, wie die Arbeit zum Ausdruck bringen soll, eine Umakzentuierung des Prätextes, die dazu führt, dass die mehrstimmige Basis von Schnabels Werk für eine zwar ebenfalls polyphone Erzählform funktionalisiert wird, in der jedoch primär andere Textstimmen die Hauptrolle spielen: Es entsteht ein selbstreflexiver Text über Texte. 28 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 1.3 Entstehungsprozess Oehlenschlägers Neuschreibung von Schnabels Wunderlichen Fata einiger Seefahrer fällt in eine Zeit, in der Schnabels Roman auch in den Kreisen gebildeter Leser wieder auf Interesse stiess, nachdem er - trotz ursprünglich grosser Beliebtheit 29 - gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Misskredit geraten war, da er den Anforderungen einer von Lehrsätzen der Aufklärung geprägten Pädagogik nicht entsprach. 30 Die Aufwertung der Insel Felsenburg 31 hatte schon im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts begonnen 32 und lässt sich wohl - mindestens teilweise - mit der Vorliebe der Romantik 33 für historische Romane, Volksbücher, Gespenstergeschichten und Märchen erklären - Gattungen, zu denen Schnabels Roman Bezüge aufweist. Natürlich handelt es sich bei der Insel Felsenburg nicht um einen historischen Roman im eigentlichen Sinn, schon deshalb nicht, weil der Hauptstrang des Geschehens in der Erzählgegenwart spielt, aber durch präzise zeitliche und räumliche Verankerung der erzählten Geschehnisse, die sich überdies zum Teil lange vor der Erzählgegenwart zugetragen haben, entsteht der Anschein der Historizität des Romangeschehens. Der volksbuchähnliche Charakter ergibt sich teils aus der Verbindung von Elementen des Abenteuer- und Schelmenromans mit der Robinsonadenthematik 34 und der damit zusammenhängenden grossen Verbreitung des Buches, 35 teils aus der Tatsache, dass die Identität des Verfassers lange Zeit im Dunkeln geblieben war. 36 Märchenhafte Züge schliesslich bestimmen immer wieder das Romangeschehen, wobei die Steigerung des Märchenhaften ins Phantastische und Gespenstische, die sich vor allem im 3. und 4. Band abspielt, auf die Romantiker eine besondere Anziehungskraft ausgeübt haben dürfte. Die Literatur früherer Zeiten bedeutete den Romantikern aber weit mehr als nur interessante Lektüre: In unterschiedlichster Weise dienten ihnen Volksbücher, Märchen, Sagen, Mythen ebenso wie geschichtliche Überlieferung als Inspirationsquelle und Stoffreservoir für ihre eigene Textproduktion. In besonderem Masse gilt dies für Achim von Arnim, der seine Texte oft aus einer Vielzahl alter 29 Für eine umfassende Analyse der zeitgenössischen Rezeption vgl. Grohnert (1997; Rezeptionsanalyse 28-40). 30 Vgl. dazu Martin (1996; zur Position von Schnabels Roman im 18. und 19. Jahrhundert besonders 10-14). 31 Der populäre Titel wird in dieser Arbeit kontextbedingt stellenweise auch verwendet. 32 Eine markante Abweichung hiervon zeigt sich in den Rezensionen der isländischen Ausgabe des Romans, dessen 1. Band unter dem Titel Felsenborgarsögur, eður æfisögur ýmsra sjófarenda, einkum Alberts Júlíusar […] 1854 in Island erstmals erschienen war und dort u. a. als „the worst and most worthless book ever printed in Iceland“ bezeichnet wurde (Zitat nach Jürg Glauser 1994: 114); diese harsche Kritik basiert noch auf der erwähnten negativen Beurteilung des Romans in der Aufklärung. 33 Der Begriff wird in dieser Arbeit nicht als absolute Grösse gesetzt, sondern im Bewusstsein um den Konstruktcharakter literaturgeschichtlicher Epochenbezeichnungen verwendet. 34 Schnabels fiktiver Herausgeber grenzt sich gegen diese Romansorte ab, die er als „geraspelte Robinsonaden-Späne“ bezeichnet ( WF I: 10; Näheres dazu nachstehend in Kap. 4.1.2). 35 Der Roman wurde zwischen 1731 und 1772 immer wieder neu aufgelegt (vgl. Dammann 1997b, 3: 273-280). 36 Dass Schnabel der Verfasser der Insel Felsenburg war, hatte man zwar anfangs des 19. Jahrhunderts eruieren können (vgl. Brosche 1992-1995: 43-46), aber da über seine Person nichts Konkretes bekannt war, drang sein Name nicht ins Bewusstsein des Lesepublikums. Auch Tieck, dem - fälschlicherweise - eine Bearbeitung der Insel Felsenburg zugeschrieben wird, kannte den Romanautor nicht (vgl. Stern, M. 1966: 111-112). 1.3 Entstehungsprozess 29 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Quellen gewann, die er einem intensiven Gestaltungs- und Umgruppierungsprozess unterzog und anschliessend in einem collageähnlichen Verfahren zu einem neuen literarischen Produkt zusammenfügte. Ähnlich ging er auch bei der Bearbeitung der Insel Felsenburg vor, die er in seinen 1809 unter dem Titel Der Wintergarten erschienenen Novellenkranz integrierte (Arnim 1990, 3). 37 Auf seinen Text, der durch „Quellenkombination“ (Martin 1996) polyphone Aspekte erhält und bei aller Verschiedenheit auch sonst gewisse Parallelen zu Oehlenschlägers Bearbeitung zeigt, soll in Kapitel 4.3 näher eingegangen werden. Auch Oehlenschläger selber trug sich schon in jenen Jahren mit dem Gedanken, die Insel Felsenburg als Stoff für ein eigenes Werk zu verwenden, wie ein Zitat aus einem Brief an Goethe vom 4. 9. 1808 belegt: „Einen Albert Julius oder Felsenburg möchte ich auch machen, wo das Romantische wieder sein Recht behaupten sollte“ ( Breve A / 3: 161). Die Bemerkung steht mitten in einer Aufzählung von Dramen, die Oehlenschläger bereits geschrieben hatte: Aladdin, Hakon Jarl , Palnatoke , Axel und Walborg , und solchen, die er noch zu schreiben beabsichtigte: Correggio , Sokrates, Tordenschild ( Breve A / 3: 160-161), 38 was darauf hinzuweisen scheint, dass er damals im Sinn hatte, Schnabels Roman zu einem Theaterstück umzuformen. Im Anschluss an eine längere panegyrische Passage über Goethes Romane fügt Oehlenschläger jedoch an: Ich hätte auch Lust (sans comparraison) (sic) einen Roman zu schreiben; ich darf es aber nicht; man kriegt immer Lust sein eignes Leben zu schreiben; wenigstens geht es mir so, und da muss man sich hundertmahl in Acht nehmen, und darf es nicht ein mahl (sic) so gut machen wie es wirklich in der That war. ( Breve A / 3: 162; gesperrt im Original) Jahre später überwand er sein Zögern, einen Roman zu schreiben, und wählte als Stoff für sein Vorhaben die Insel Felsenburg , die er - entgegen seinen (vermuteten) ursprünglichen Plänen - schliesslich doch nicht für ein Drama benützt hatte. 39 Seine Stoffwahl verbindet ihn mit mehreren anderen Autoren, die fast zur gleichen Zeit ebenfalls an einer Neuschreibung von Schnabels Roman arbeiteten. Zu erwähnen sind insbesondere Karl Lappes Ausgabe von 1823, eine zusammenfassende und erheblich verkürzende Nacherzählung, die vor allem für die Jugend bestimmt war, 40 und die weit berühmtere, sogenannte „Tieck’sche Ausgabe“, die 1828 unter dem Titel Die Insel Felsenburg oder Wunderliche Fata einiger Seefahrer - Eine Geschichte aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts erschien. Von Tieck stammt in dieser stark überarbeiteten, sechsbändigen Ausgabe allerdings nur das Vorwort, eine dialogisierte „Vorrede“ 41 , die in detaillierter Argumentation die Neuausgabe „diese[r] alte[n] Robinsonade“ (Tieck 1848: 135) rechtfertigt und am Ende feststellt: „Ein berühmter dänischer Dichter, Oehlenschläger, hat mit dem 37 Arnims Bearbeitung der Insel Felsenburg umfasst die Seiten 112-152 und bildet den Hauptteil der Novelle Zweiter Winterabend . 38 Die Titel werden von Oehlenschläger in ihrer deutschen Version angeführt; die bereits geschriebenen Dramen hatte er, wie er Goethe mitteilt, kurz zuvor auf Deutsch übersetzt. 39 Dass ihm die Robinsonaden-Thematik aber doch für eine Dramatisierung geeignet schien, belegen seine Komödie Robinson i England von 1819 und sein „nordisches Heldendrama“ Landet fundet og forsvundet von 1845. 40 Eine eingehende Darstellung dieses Textes haben Uli Wunderlich und Gerd Schubert unternommen (2004-2005: 9-33). 41 Damit knüpfte Tieck an die berühmte Vorrede zu Cervantes’ Don Quijote an, die ebenfalls in der Form eines Dialogs mit einem Freund verfasst ist. 30 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 deutschen Bearbeiter zugleich dieses Buch angekündigt“ (Tieck 1848: 169). Oehlenschlägers Roman wird dabei nicht etwa als lästiges Konkurrenzprodukt angesehen, sondern gilt, ganz im Gegenteil, als „Zeichen, wie sehr man etwas Besseres und Veraltetes in unserer neuen Zeit wieder benötigt“ (Tieck 1848: 170). Das wesentliche Argument für die Neuausgabe, das sich aus Tiecks Vorrede herauskristallisiert, bildet die Einschätzung der Zeitumstände: Die „neue Zeit“, so wird gesagt - gemeint sind die Restaurationsjahre nach der Französischen Revolution -, sei trotz restaurativer Bemühungen von Auflösungstendenzen in Familie und Staat geprägt, sie sei „verwirrt und verstimmt“, während die Insel Felsenburg aus einer „naiven Zeit“ herrühre, in der die Schriftsteller noch ohne Kunst und Bildung, ohne eigentliches Studium, aber auch ohne alle Kränklichkeit und süsse Verweichlichung wie ohne falsches Bewusstsein und literarischen Hochmut nur ihrer Phantasie […] so bescheiden und redlich folgten und eben deshalb so vieles in einem richtigen Verhältnis, ja mit einem grossartigen Verstand, darstellen konnten, was bei anscheinend grösseren Mitteln so vielen ihrer Nachfolger, die so oft das Verzerrte als das Geniale nahmen, nicht gelingen wollte. (Tieck 1848: 168) Deshalb eigne sich die Insel Felsenburg , obwohl ihr Name lange Zeit „etwas ganz Verächtliches“ bezeichnete, als „treuherzige Chronik“ zur Ergötzung, Belehrung und Erbauung einer Zeit, die ihre Naivität verloren habe (Tieck 1848: 168-169). Im Gegensatz zu Tiecks auf allgemeiner Zeitkritik basierender Begründung für die Neuausgabe der Insel Felsenburg gibt Oehlenschläger in seiner Vorrede zu Die Inseln im Südmeere für seine Bearbeitung rein individuelle Gründe an: Wenn es wahr ist, dass unsere Kindheit, mit ihren Gefühlen und Vorstellungen, das Thema aller künftigen Compositionen des Lebens gibt, 42 so ist der Grund auch angegeben, warum der Verfasser dieses Werkes einige Hauptzüge des alten Romans Felsenburg zum Stoffe gegenwärtiger Dichtung nahm. Dieses alte Buch hatte grossen Eindruck auf meine jugendliche Phantasie gemacht. ( IS I: III ; gesperrt im Original) 43 42 Die prägende Wirkung von Kindheitseindrücken war, besonders seit Rousseau, zu einem wichtigen Thema geworden, mit dem sich u. a. auch Herder und Moritz befasst hatten (vgl. z. B. Herder 1985: 786, und Moritz 1783, 1: 65-67). 43 Den wohl frühesten Ausdruck fand Oehlenschlägers Lektüre der Insel Felsenburg in dem 1802 in Rahbeks Zeitschrift Den danske Tilskuer erschienenen Gedicht Min barnlige Dannelse [Meine kindliche Bildung], das er seinem Lehrer Carl Frederik Dichman widmete; darin besingt er in zwei Strophen seine Erinnerung an die Phantasien, welche die Lektüre der Insel Felsenburg damals in ihm weckte (aufgenommen in Poetiske Skrifter 1860, 19: 47-53, die beiden Strophen 48). Mit dem Hinweis auf sein kindliches Leseerlebnis reiht er sich in die beachtliche Zahl von Dichtern ein, die angeben, diesen Roman in ihrer Jugend gelesen zu haben; zu ihnen gehören unter anderen Goethe und Voss, aber auch Moritz, der den jungen Anton Reiser die Insel Felsenburg als Inspirationsquelle für die eigene Lebensgestaltung lesen lässt. Die Tradition der Insel Felsenburg als Kinder- oder Jugendlektüre von Dichtern ist auch im 20. Jahrhundert noch lebendig, wie z. B. Halldór Laxness’ Aussage zu seiner eigenen Lektüre dieses Romans zeigt, den er allerdings als Kind zunächst genauso negativ beurteilte wie die erwähnten isländischen Kritiker des 19. Jahrhunderts, der ihn dann aber dazu gebracht hatte, in derselben Art zu schreiben (vgl. Í túninu heima [Auf der Hauswiese], Reykjavík 1975). Ausserdem wird die Insel Felsenburg für den Protagonisten von Laxness’ Tetralogie Heimsljós [Weltlicht], Reykjavík 1937-1940, zum Trost- und Überlebensbuch (vgl. dazu Krömmelbein 1992-1995: 106-114). 1.4 Rezeption und Forschungsstand 31 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Damit greift er - ohne gleich „sein eignes Leben zu schreiben“ 44 - doch auf autobiographische Elemente zurück. Obwohl sich eine gewisse Parallele zwischen Tiecks Empfehlung eines Romans aus „naiver“, unverdorbener Zeit und Oehlenschlägers Beschäftigung mit einem Text aus seiner Kindheit, seiner persönlichen „naiven“ Zeit also, erkennen lässt, ist doch die jeweilige Ausgangslage der beiden Verfasser grundlegend verschieden: Tieck schrieb seine Vorrede auf die Bitte des Verlegers zu einer von unbekannter Hand redigierten Neuausgabe, hatte also mit der Bearbeitung selbst, wie schon erwähnt, gar nichts zu tun, 45 während Oehlenschläger den Text selber umgeschrieben, oder vielmehr, wie er sich ausdrückt, neu erfunden hat - sein Roman könne nur bedingt eine „Bearbeitung des alten“ heissen ( IS I: IV ), denn: „In keinem Werke habe ich mehr selbst erfunden […]“ ( IS I: IX ; beide Zitate gesperrt im Original). Dies erklärt auch, warum er in seiner Vorrede den Inhalt des alten Romans nur kurz streift - wie schon in der Einleitung (Kap. 1.1 dieser Arbeit) angedeutet, betrachtet er den neuen Text als seine eigene Dichtung, was sich übrigens auch in der Wahl eines eigenen Titels ausdrückt. Näheres zur Titelwahl und zu Oehlenschlägers Vorrede werde ich in Kapitel 4.1 ausführen. 1.4 Rezeption und Forschungsstand Es scheint selbstverständlich, dass die Rezeption, die Oehlenschlägers Roman in Dänemark und in Deutschland erfuhr, für das jeweilige Sprachgebiet gesondert betrachtet werden muss. Doch stellt sich auch die Frage, ob nicht die Rezeptionszeugnisse des einen Landes die Aufnahme im andern Land beeinflussten, und umgekehrt. Zunächst jedoch zur Rezeption in Dänemark: Sie scheint kühl, um nicht zu sagen, ablehnend gewesen zu sein. Oehlenschläger selber schreibt darüber in seiner wenige Jahre später entstandenen Autobiographie: 46 I Danmark ville Øen i Sydhavet ikke smage. Jeg havde ladet den danske Oversættelse udkomme paa Subscription; syntes man maaskee: det var for meget at betale og for meget at læse paa engang? Jeg veed ikke; nok, man var misfornøjet med Bogen, og jeg troer især De, som ikke havde læst den. ( Levnet II : 206) 44 Vgl. die oben zitierte Aussage in seinem Brief an Goethe. 45 Martin Stern (1966: 112) stellt diese in der Forschung lange - zum Teil bis in neueste Zeit - übersehene Tatsache klar. Kindlers Literatur-Lexikon von 2009 nennt noch immer Tieck als Bearbeiter, auch in der online-Aktualisierung von 2018; ebenso Brynhildsvoll (1996: 120). Stern vermutet sogar, Tieck habe die Insel Felsenburg im Zusammenhang mit der Niederschrift seiner Vorrede nicht einmal neu gelesen, da diese sich „nur in der allgemeinsten Form“ mit dem Roman befasse (Stern, M. 1966: 112). 46 Oehlenschläger gab seine Autobiographie über die ersten 30 Jahre seines Lebens zuerst auf Deutsch heraus, als Bd. 1 und 2 seiner ersten deutschen Werkausgabe Schriften , 1829-1830. Im Allgemeinen zitiere ich aus dieser Selbstbiographie des Verfassers bis zu seinem 30. Jahr , welcher die dänische Fassung Levnet I und II, 1830-1831, in weiten Teilen sehr genau folgt. Sowohl in der deutschen wie in der dänischen Ausgabe fügte Oehlenschläger dem zweiten Band ein Überblickskapitel an, das die zwanzig Jahre resümiert, die zwischen dem Zeitrahmen der Biographie (bis 1810) und ihrer Niederschrift bzw. Veröffentlichung liegen. Diese beiden Schlusskapitel unterscheiden sich jedoch stark voneinander: das dänische ist viel umfangreicher und nimmt Bezug auf eine grosse Menge lokaler Details; so wird auch die Rezeption von Øen i Sydhavet - im Gegensatz zur blossen Erwähnung des Titels in der deutschen Edition - ausführlich beschrieben, deshalb zitiere ich das Folgende aus Levnet . 32 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 In Dänemark wollte die Inseln im Südmeer lange Zeit nicht schmecken. Ich hatte die dänische Uebersetzung auf Subscription erscheinen lassen; glaubte man vielleicht, es koste zu viel und sei zu viel auf ein Mal zu lesen? Ich weiss es nicht; genug, man war mit dem Buche unzufrieden, und ich glaube ganz besonders die, welche es nicht gelesen hatten. ( Meine Lebens-Erinnerungen 4: 18) 47 Eine ausführliche Darstellung der zeitgenössischen Rezeption in Dänemark findet sich im Kommentar zur Ausgabe von Oehlenschlägers Briefwechsel; dort werden verschiedene Urteile erwähnt, die zeigen, dass Oehlenschlägers sarkastischer Schlusssatz nicht ganz ohne Berechtigung war ( Breve B / 5: 234-237). Die Kritikpunkte waren sowohl formaler wie inhaltlicher Natur: Dem Roman fehle die Einheit; ausserdem weise die Handlung zu viele Unwahrscheinlichkeiten auf. Blicher fand ihn langweilig ( Breve B / 5: 236). H. C. Andersen gefiel der dritte Teil, vom vierten jedoch schien ihm nur der Anfang gut, der Rest langweilte auch ihn (Andersen 1971, 1: 11 u. 12). Die Aufnahme der Inseln im Südmeere in Deutschland scheint ebenfalls nicht sehr enthusiastisch gewesen zu sein, wie aus dem Kommentar zur Briefausgabe hervorgeht ( Breve B / 5: 150-151), auch wenn Oehlenschläger in der erwähnten Autobiographie nicht ohne Stolz vermerkt: „Tre for mig meget hæderlige Recensioner udkom i Tyskland om dette Værk“ ( Levnet II : 206). 48 Dabei dürfte es sich u. a. um Rezensionen im Literatur-Blatt zum Morgenblatt für gebildete Stände handeln. Darin heisst es am 14. 7. 1826 (221, 1. Spalte): Wir finden historische Charaktergemälde wie bey Walter Scott, didaktische Ausschweifungen wie in Tiecks Novellen, humoristische wie bey Jean Paul, etwas Grauenhaftes wie bey Hoffmann, eine Ruhe, Klarheit und Milde der Darstellung wie in Goethe’s Wilhelm Meister oder Novalis Ofterdingen, und sentimentale Schwärmerey wie in der Insel Felsenburg, die dem ganzen zu Grunde gelegt ist. 49 Diese Worte lassen bestimmte polyphone Aspekte von Oehlenschlägers Roman anklingen, indem sie den Text als Synthese der verschiedenen Strömungen und Richtungen der Romantik beschreiben. Mit der Erwähnung Scotts zieht der Kritiker eine Parallele zum damaligen Hauptvertreter der Gattung des Romans; gleichzeitig stellt er das Werk - und dessen Autor - mit den berühmtesten Namen der deutschen Romantik auf eine Stufe. Damit scheint Oehlenschläger eine Bestätigung seines Anspruchs auf eine bedeutende Position in der deutschen Literatur gefunden zu haben. 50 Allerdings erfährt die lobende Stellungnahme 47 Die Wortwahl „ikke smage“ bzw. „nicht schmecken“ deutet eine Beziehung zwischen Literatur und Speise an, auf die an anderer Stelle näher eingegangen wird (vgl. Kap. 4.1.2 und 5.4 dieser Arbeit). Der Zusatz „lange Zeit“ in Oehlenschlägers Lebens-Erinnerungen scheint anzudeuten, dass der Roman in Dänemark später, z. B. in den gekürzten Versionen, erfolgreicher gewesen sei, wofür es jedoch keine reale Grundlage gibt. 48 [Drei für mich sehr ehrenvolle Rezensionen erschienen in Deutschland über dieses Werk.] 49 Die nicht unterzeichnete Rezension soll von Wolfgang Menzel, damals Chefredakteur des Literatur- Blattes, verfasst worden sein (Fischer, B. 2003, 2: 525). 50 Für ausführliche Darstellungen zu dieser Position sowie zur Selbst- und Fremdwahrnehmung Oehlenschlägers in seiner Funktion als deutscher Dichter verweise ich auf Hultberg (1972: 35-50), Lohmeier (1982: 90-108) sowie die beiden Aufsätze von Heinrich Anz (2000: 19-47 und 2001: 147-156). Eingehend befasst sich auch Andreas Blödorn mit verschiedenen Aspekten dieser Thematik (Blödorn 2004: 180-387). Wolfgang Behschnitt stellt die unterschiedlichen Strategien dar, die Oehlenschläger bei der Abfassung der dänischen und der deutschen Version seines Dramas Aladdin im Hinblick auf dessen Rezeption und Wirkung im jeweiligen Sprachgebiet einsetzte (Behschnitt 2007: 163-181). Mit 1.4 Rezeption und Forschungsstand 33 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 der erwähnten Kritik eine Einschränkung im Schlusssatz: „Bey so vielen Vorzügen ist es mir aber doch zuweilen vorgekommen, als ob der sogenannte deus ex machina, der hilfreiche Zufall, allzuoft vom Himmel herabgefallen wäre“ ( Literatur-Blatt zum Morgenblatt für gebildete Stände 56 / 1826: 223, 2. Sp.). Diese Rezension erschien - bezeichnenderweise ohne die kritische Schlussbemerkung - auf Dänisch übersetzt in Kjøbenhavnsposten vom 7. 4. 1827: Obwohl der Roman, wie erwähnt, in Dänemark mehrheitlich auf Ablehnung stiess, fühlte man sich durch das ausländische Lob offenbar doch geschmeichelt und wollte es möglichst uneingeschränkt zur Geltung kommen lassen. Die zweite Rezension im Literaturblatt zum Morgenblatt für gebildete Stände vom 19. 12. 1826, verfasst von Karl August Böttiger, schliesst mit den Worten: Auch dieser Roman hat seine Unwahrscheinlichkeiten und schwachen Seiten. Möge die Kritik ihr strenges Richteramt noch weiter verwalten. Aber der gebildete Kreis des deutschen Volks ist durch diess Erzeugnis eines Dänen wirklich reicher geworden! (Böttiger 1826: 403, 2. Sp.) Diese insgesamt sehr wohlwollende Besprechung wurde von Christian Wilster in Kjøbenhavnsposten vom 23. 1. 1827 in dänischer Übersetzung integral wiedergegeben. Oehlenschläger verschweigt in seiner Autobiographie jedoch nicht, dass es in Deutschland auch ablehnende Rezensionen seines Werkes gab. Seine Worte „Nogle andre reve det ned“ ( Levnet II : 206) 51 beziehen sich vermutlich u. a. auf die ausführliche, in den Blättern für literarische Unterhaltung Nr. 2 vom 3. 7. 1826: 5-8 und Nr. 3 vom 4. 7. 1826: 9-11 erschienene Besprechung des 1. und 2. Teils, die in der Beilage zu den Blättern für literarische Unterhaltung Nr. 3 vom 30. 3. 1827 mit der Rezension des dritten und vierten Teils fortgesetzt wurde. Diese durchwegs missbilligende Beurteilung wird eingeleitet mit einer Bemerkung betreffend „Hr Oehlenschläger, der längst und mit Ehren in der deutschen Literatur Eingebürgerte“, die zeigt, dass Oehlenschläger zu jener Zeit tatsächlich in gewisser Weise zu den deutschen Dichtern gezählt wurde, dies hauptsächlich aufgrund seiner „so überaus gelungene[n] Behandlung des Märchens von der Wunderlampe“ und als „Dichter des Correggio“, wie der Rezensent in Erinnerung ruft. Umso herber seine Enttäuschung über Oehlenschlägers Roman, den er Punkt für Punkt mit der Insel Felsenburg vergleicht, der aber seines Erachtens in keiner Weise an Schnabels Werk heranreicht. Abgesehen von „tiefem Gefühl in einigen Zügen“ und „treffenden Bemerkungen über Welt und Leben“ findet er kaum Positives in dem „mancherlei Fadaisen und Trivialitäten“ enthaltenden Text. Eine lange Liste von Anachronismen und sonstigen Ungereimtheiten, die Oehlenschläger unterlaufen seien, bildet den Hauptinhalt der Rezension, die im Übrigen explizit auf die Vorrede des Autors verweist: Der „ermattende Leser“ wisse je länger, je weniger, „was der Umschmelzer mit dieser ganzen Operation eigentlich beabsichtet [sic], und wie er die in der Vorrede so hochgestellten Tendenzen derselben zur Erfüllung gebracht habe“ ( Beilage zu den Blättern für literarische Unterhaltung 3 / 1827: ohne Seitenzahlen). Und geradezu karikierend nimmt die Rezension Oehlenschlägers deutscher Version einer grossen Zahl seiner Werke beschäftigt sich auch Christian Gellinek; der Autor verfasste Inhaltsangaben zu allen in Oehlenschlägers zweite deutsche Werkausgabe ( Werke 1839) aufgenommenen Arbeiten - leider werden die Verdienste dieser Publikation durch ein oft allzu eigenwilliges Deutsch ebenso wie durch fehlende Präzision bei den Inhaltsdarstellungen eingeschränkt (Gellinek 2012). 51 [Einige andere verrissen es.] 34 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Oehlenschlägers Vorhaben auf, bestimmte „Skizzenzüge“ aus Schnabels Buch zu übernehmen und auszumalen ( IS I: IX ), wenn es weiter heisst: […] oder fiele es nicht überall in die Augen, dass gerade Das [sic], was aus seiner buntscheckigen Uebertünchung als kräftiger Pinselstrich hervortritt, meist nur die Grundzüge des alten Bildes sind, welche sich mit Gewalt nicht haben vertilgen lassen. ( Beilage zu den Blättern für literarische Unterhaltung 3 / 1827: ohne Seitenzahlen) Obwohl diese Rezension in den dänischen Zeitungen nicht erschien, wurde sie mit grosser Wahrscheinlichkeit dennoch vom Kreis der gebildeten Leser in Kopenhagen rezipiert, da die Kenntnis der deutschen Sprache zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Dänemark - zumindest bei den oberen Ständen - noch immer sehr verbreitet, ja, selbstverständlich war (vgl. Winge, V. 1996: 57). Um auf die anfangs gestellte Frage betreffend mögliche Wechselwirkungen der dänischen bzw. deutschen Rezeption zurückzukommen: Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die lobenden deutschen Rezensionen, die in einer Kopenhagener Zeitung publiziert wurden, die Ansicht über Oehlenschlägers Roman veränderten. Immerhin zeigt die Tatsache ihres Erscheinens in Kopenhagen ein gewisses Bemühen um eine Ehrenrettung Oehlenschlägers; ebenso drückt sich darin wohl auch ein beginnender Nationalstolz aus, der durch positive Signale aus dem Ausland, besonders aus dem so wichtigen deutschen Bruderland, Nahrung erhalten sollte. In Deutschland dagegen ging das Interesse an dem „in die deutsche Literatur eingebürgerten“ dänischen Dichter nicht so weit, dass man die Existenz einer dänischen Version seines Romans und deren Rezeption in Dänemark auch nur zur Kenntnis genommen hätte. In den Literaturgeschichten wird der Roman, sofern er überhaupt Erwähnung findet, ebenfalls eher negativ beurteilt, wie folgende Beispiele zeigen: Vilhelm Andersen sieht ihn als Flucht aus der unbehaglichen Gegenwart in das Paradies der Kindheit und als Abschluss einer romantischen Periode, die Oehlenschläger statt mit Ideen, nur noch mit Stoff aus seinen Erinnerungen habe füllen können (Andersen, V. 1964/ 1924: 109-110). Gustav Albeck kritisiert das Werk als „ulideligt lang og udtværed“ (Albeck u.a. 1967: 111). 52 Billeskov Jansen hält es für ein Zeugnis der Krise, in der sich die romantische Erzählung in den 1820er Jahren in Dänemark befunden habe (1969: 132), während Erik Svendsen, Steffen Auring und Søren Baggesen es als Versuch Oehlenschlägers werten, sich in die beginnende dänische Romantradition der 1820er Jahre einzuschreiben, wobei der Autor aber die Zeichen der Zeit nicht richtig erkannt habe, wie die bereits damals veraltende Form der Subskriptionseinladung für die dänische Ausgabe zeige (1984: 409). Etwas positiver bewertet einzig Fritz Paul den Roman, wenn er schreibt: „Interessanter scheint heute der ‚biedermeierliche‘ Oehlenschläger, u. a. in seinem vielleicht bisweilen unterschätzten Roman Øen i Sydhavet “ (1982: 93-94). Eine vergleichsweise ausführliche Behandlung findet sich in der von Jürg Glauser herausgegebenen Skandinavischen Literaturgeschichte , zu deren Leitprinzipien es nach den Worten des Herausgebers gehört, dass neben den grossen Texten der Klassiker, die es natürlich zu beschreiben gilt, auch andere, weniger bekannte Phänomene wahrgenommen werden, so dass sich die Darstellung nicht ledig- 52 [unerträglich lang und breitgetreten] 1.4 Rezeption und Forschungsstand 35 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 lich als Abfolge kanonisierter Werke liest, sondern möglichst facettenreiche und differenzierte Einblicke in das literarische Geschehen zu unterschiedlichen Epochen und in unterschiedlichen Ländern vermittelt. (Glauser 2016: XV ) Diesen Grundsätzen ist es zu verdanken, dass Oehlenschlägers Roman als ernstzunehmendes Werk eingestuft wird; laut Klaus Müller-Wille gehört er zu den „ersten Beispielen eines selbstbezüglichen Romans in Dänemark“; der Autor unterstreicht dabei „das hohe selbstreferentielle Niveau […], welches den Roman aus heutiger Sicht auszeichnet“ (Müller-Wille 2016: 151). Wie die in der älteren Forschung generell eher ablehnende Rezeption erwarten lässt, gibt es nur sehr wenige Arbeiten, die sich spezifisch mit Oehlenschlägers Roman auseinandersetzen. Eine längere Besprechung widmet ihm Vilhelm Andersen in Et Livs Poesi, seiner dreibändigen Monographie über Oehlenschläger, in der er vor allem biographische Gegebenheiten als Quellen des Werkes eruiert, das für ihn stellenweise zu einem Schlüsselroman wird - im Ganzen eine Betrachtungsweise, die aus heutiger Sicht kaum mehr interessiert (Andersen, V. 1899, 2: 166-167). Sven-Aage Jørgensen verfasste unter dem Titel „Adam Oehlenschlägers ‚Die Inseln im Südmeer‘ und J. G. Schnabels ‚Wunderliche Fata‘. Aufklärung, Romantik - oder Biedermeier? “ eine vergleichende Analyse der beiden Werke, in der er auf alle wichtigen Unterschiede in der Erzählstruktur hinweist, wobei er Oehlenschlägers Text in fast jeder Hinsicht negativ beurteilt. In seiner Untersuchung geht er ganz ähnlich vor wie der erwähnte Rezensent der Blätter für literarische Unterhaltung von 1826, auf dessen Artikel er sich explizit bezieht und dessen Einschätzung er teilt (1969: 142). Seines Erachtens „fehlen seinem [Oehlenschlägers] Werk die kräftigen Farben des alten Buches, und es hat viel an elementarer Spannung eingebüsst, ohne dabei an anderen und höheren Qualitäten zu gewinnen“ (1969: 136). Die Stelle bringt also ein Urteil zum Ausdruck, das sich zu Oehlenschlägers Ansicht, die Kreideskizzen des „alten Buches“ seien mit Oelfarben auszumalen, genau entgegengesetzt verhält. Jørgensen misst das Buch nur an Schnabels Werk und stellt lediglich fest, was Oehlenschlägers Roman im Vergleich zur Insel Felsenburg fehlt; für die besonderen Akzente, die Oehlenschläger setzt, interessiert er sich nicht. Die neuen Gesichtspunkte und die ganz anderen Prämissen, unter denen ein Autor der Romantik im Unterschied zu einem Verfasser der Frühaufklärung schreibt, scheinen Jørgensen offensichtlich keiner ernsthaften Untersuchung wert. Eine völlig andere Auffassung vertritt Knut Brynhildsvoll (1996) in seinem Aufsatz „Kunst und Literatur als Gegenstand der Dichtung - Ästhetische Selbstreflexion in Adam Oehlenschlägers Roman ‚Die Inseln im Südmeer‘ “. Er plädiert für die Erstellung einer Intentionsanalyse, die dem Anspruch des Autors, einen neuen, „eigenen“ Roman verfasst zu haben, gerecht werde. Indem Brynhildsvoll die Absichtserklärung des Autors übernimmt, hebt er den Roman weitgehend aus dem Vergleichsrahmen heraus, in den Jørgensens Untersuchung ihn presste. Brynhildsvoll rückt die von Jørgensen vernachlässigten Aspekte des Werkes ins Zentrum seiner Analyse: Dies sind vor allem die literatur- und kunstgeschichtlichen Reflexionen, welche im Roman einen so breiten Raum einnehmen, dass der Text „in einer wesentlichen Dimension […] den Charakter eines Künstlerromans an[nimmt]“ (1996: 122). In seinen äusserst interessanten Ausführungen arbeitet Brynhildsvoll überzeugend die Modernität von Oehlenschlägers Roman heraus, der durch vielgestaltigen Einbezug anderer Werke und Kunstgattungen auf Entgrenzung des Textes angelegt ist. In dieser 36 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Sicht, die einen markanten Kontrast zu Jørgensens Beurteilung darstellt, manifestieren sich selbstverständlich auch die Veränderungen und Entwicklungen, welche in der Literaturwissenschaft in den fast 30 Jahren stattgefunden haben, die zwischen den Arbeiten Jørgensens und Brynhildsvolls liegen: Im Vordergrund stehen nicht mehr Gattungs- und Epochenzuweisungen oder wertende Hierarchisierungen, die kanonbestimmt sind oder kanonbildend wirken, sondern das autoreflexive Potential eines Textes, sowie seine Möglichkeiten, Grenzen aufzulösen, Gattungen zu mischen, starre Denkschemata aufzubrechen, Hierarchisierungen und Kanonrichtlinien zu problematisieren. 53 Dass sich eine solche Betrachtungsweise jedoch auch anfangs des 21. Jahrhunderts in Dänemark nicht durchgesetzt hatte, zeigen zwei in der Rubrik „Glemte bøger“ [Vergessene Bücher] erschienene Artikel der Kopenhagener Weekendavisen vom 22.6-28. 6. 2001 bzw. 29.6.-5. 7. 2001 über Øen i sydhavet . Verfasst wurden sie von so namhaften dänischen Autoren wie Jens Kistrup, dem einstigen Nestor der dänischen Theaterkritik, und Jurij Moskvitin, Musiker und Philosoph. Sie beurteilen den Roman - ohne jede Berücksichtigung neuerer Literaturtheorien - nach ausgesprochen traditionellen Kriterien, wobei Jens Kistrup sich auf Vilhelm Andersen beruft und dessen oben erwähnte Aussage von 1924 in zustimmendem Sinn wiedergibt. Unter solchen Umständen erstaunt es nicht, dass das Verdikt der beiden Besprechungen über Oehlenschlägers Roman lautet: zu Recht vergessen. Immerhin hat ein Teilaspekt der dänischen Version des Romans in jüngster Zeit wieder Beachtung gefunden: In ihrer umfangreichen Dissertation mit dem Titel „Katholisch im Kopf “ - Die protestantische Romantik in Skandinavien und ihre Prätexte zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit setzt sich Alexandra Bänsch mit Elementen der Idylle und Utopie in Øen i Sydhavet auseinander (Bänsch 2011: 737-752). Dabei würdigt sie - durchaus zu Recht - die Neuerungen in Oehlenschlägers Roman, während sie die religiös-utopischen Verhältnisse auf Schnabels Insel als totalitäres System verdammt (2011: 738) - ein Urteil, das höchstens auf einer an der Textoberfläche angesiedelten Ebene eine gewisse Berechtigung hat, das aber einer differenzierteren Lektüre mit Blick auf die alle disziplinierenden Grenzziehungen und Regeln transgredierenden, im Wortsinne „überbordenden“ Binnenerzählungen nicht standhält. Den Vorwurf der „Lustfeindlichkeit“ (2011: 741, Fussnote 1218) entkräftet allein schon die pure Erzähl- und Beschreibungslust, die Schnabels Text prägt. Bänschs Analyse wird weitgehend von gattungstheoretischen Überlegungen geleitet, was sie mit Sven-Aage Jørgensens Perspektive verbindet, dessen Artikel die Autorin jedoch in bestimmten Punkten kritisiert; allerdings wählt sie selber ein ganz ähnliches Vorgehen: auch sie unternimmt einen wertenden Vergleich von Øen i Sydhavet mit den Wunderlichen Fata, gelangt dabei aber zu einer der Auffassung Jørgensens genau entgegengesetzten Wertung. 53 Auch andere Werke Oehlenschlägers erweisen sich bei einer Untersuchung aus neuer Perspektive als moderne Texte in diesem Sinn, wie z. B. Alvhild Dvergsdal in ihrer Analyse einer ganzen Reihe von Oehlenschlägers berühmtesten Tragödien zeigt, deren Dialogizität und Polyphonie sie aufdeckt und so den Nachweis erbringt, wie wenig herkömmliche Gattungsbegriffe diesen immer wieder in die Komödie hinübergleitenden Stücken gerecht zu werden vermögen (Dvergsdal 1997). Peter Stein Larsen stellt in seinem Aufsatz „Oehlenschläger som polyfon poet“ mit Bezug auf Oehlenschlägers Digte 1803 fest, dass die traditionelle Etikettierung dieses Werkes als universalromantische Programmdichtung dessen breite Auffächerung in ganz unterschiedliche Stilformen und Genres nicht genügend berücksichtigt (Larsen 2008: 212-229). 1.5 Materialität der Fassungen 37 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 1.5 Materialität der Fassungen 54 Insgesamt wurde der Roman achtmal in gedruckter Form herausgegeben, fünfmal in dänischer und dreimal in deutscher Sprache. Dazu kommen ein Teildruck der deutschen Erstausgabe und eine dänische Ausgabe in elektronischer Form. Titel Jahr Verlag Ort Die Inseln im Südmeere 1826 Cotta Tübingen 1839 Max u. Comp. Breslau [1911] Holbein Stuttgart 2018 (nur Bd. 1) Inktank [Bremen] Øen i Sydhavet 1824-25 Verfasser Kopenhagen 1846 Høst Kopenhagen 1852 Høst Kopenhagen 1862 Selskabet til Udgivelse af Oehlenschlägers Skrifter Kopenhagen 1904 Gyldendal Kopenhagen 2013 eBibliotek 1800 Internet Angesichts der mehrheitlich ablehnenden Haltung sowohl der zeitgenössischen wie der späteren Rezeption mag die Anzahl der Ausgaben erstaunen. Dabei unterscheidet sich der Roman in der zweiten Auflage erheblich von der Erstausgabe, da Oehlenschläger als Reaktion auf die abweisende Kritik in beiden Sprachen eine stark gekürzte Fassung erstellte. Bevor ich auf diese gekürzten Ausgaben eingehe, sollen zunächst die beiden Erstfassungen besprochen werden, und zwar mit Blick auf bestimmte Aspekte ihrer Materialität, wie z. B. die Buchgestaltung und die verlagstechnischen Hintergründe des Zustandekommens der gedruckten Bücher. Über den Weg, den die Texte von Oehlenschlägers Projekt bis zur schliesslichen Edition durchliefen, orientieren vor allem briefliche Zeugnisse. Ich greife daher für die deutsche Erstfassung auf Oehlenschlägers Briefwechsel mit Johann Friedrich Cotta zu Druck und Publikation des Inselromans zurück, denn auch in diesem Fall sind Briefe „die zentrale buchhandelsgeschichtliche Quelle für den eigentlichen Produktionsprozess, sie geben über die Genese eines Buchs oder das Scheitern eines Plans Auskunft“ (Estermann 2010: 265). Da noch bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts die von den Druckereien gelieferten Publikationen in den Buchhandlungen lediglich als lose Bögen oder Broschüren ohne Einband verkauft wurden (Hilz 2019: 116), blieb es dem potentiellen Käufer überlassen, ob und allenfalls in welcher Ausstattung er das Buch binden lassen wollte, nachdem das Titelblatt auf 54 Der Begriff „Fassung“ wird in dieser Arbeit im Sinn der Definition von Bodo Plachta verwendet, der Fassungen als „unterschiedliche Ausführungen eines insgesamt als identisch wahrgenommenen Werks“ bezeichnet (Plachta 2007, 1: 567). 38 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 den Druckbogen - das Erste, was ihm als zukünftigem Leser ins Auge fiel - sein Interesse geweckt und ihn in Kurzform über Titel, Autor und Gattung einer Publikation informiert hatte. Oehlenschlägers Inselroman präsentierte sich, was das Titelblatt betrifft, ausgesprochen einfach. Die beiden Titelblätter der deutschen und der dänischen Erstfassung weisen eine frappante Ähnlichkeit auf, wie die nebeneinander gelegten Seiten zeigen: Abb. 1: Die Titelblätter der beiden Erstausgaben (Foto privat) Nicht nur wird für beide Texte - wenn auch in etwas unterschiedlichen Varianten - Frakturschrift verwendet; die Seitengestaltung ist in der Anordnung der einzelnen Elemente ebenfalls weitgehend identisch. Insbesondere, was die Wahl des Schrifttypus betrifft, zeigen sich in der wechselhaften Geschichte der Verwendung von Fraktur und Antiqua deutliche Parallelen im dänischen und deutschen Buchdruck: Während um 1800 für gewisse auf Innovation ausgerichtete Publikationen die Antiqua bevorzugt wurde, da diese Schrift im Einklang mit dem avantgardistischen Anspruch des Inhalts auch formal Neuheit und Bruch mit Traditionen signalisierte, kehrten die Verlage schon bald wieder zur Fraktur zurück, was in beiden Ländern hauptsächlich mit den verbreiteten Lesegewohnheiten zusammenhing. Sehr anschaulich beschreibt dies Johnny Kondrup am Beispiel von Oehlenschlägers Digte und deren Inspirationsquelle, Henrich Steffens Inledning til filosofiske Forelæsninger , beide 1803 erschienen und in Antiqua gedruckt, während schon Oehlenschlägers folgende Publikationen, Poetiske Skrifter von 1805 und Nordiske Digte von 1807, wieder in Fraktur herausgegeben wurden, wie praktisch die ganze „Guldalder“-Literatur (Kondrup 2011: 287-288). 55 Beim damaligen Lesepublikum war die traditionelle Fraktur beliebter als die 55 In seiner äusserst fundierten Studie verweist Kondrup auch auf mögliche deutsche Vorbilder, wie z. B. August Wilhelm Schlegels Gedichte von 1800 oder Tiecks Musen-Almanach für das Jahr 1802 , beides 1.5 Materialität der Fassungen 39 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 ungewohnte Antiqua, die ursprünglich vorwiegend für Fremdwörter und fremdsprachige Texte verwendet wurde und deshalb den Eindruck erwecken konnte, man habe einen lateinischen Text vor sich, was zur Folge hatte, dass manche Leser sich auf die Lektüre gar nicht erst einliessen. 56 Ähnliche Vorgänge schildert Susanne Wehde für dieselbe Zeit in Deutschland; auch sie stellt fest: Der Durchsetzung der Antiqua standen (sic) vor allem die mangelnde typographische Kompetenz breiter Lesekreise entgegen. Die Lesefähigkeit war mehrheitlich an Fraktur-Schriften geschult. Antiqua-Formen waren dementsprechend ungewohnt und erschwerten das Lesen - so wie heute Fraktur-Schriften. (Wehde 2000: 236) 57 Die Gestaltung der Titelblätter von Oehlenschlägers Roman folgt offensichtlich einem aus England und den romanischen Ländern stammenden Muster von bemerkenswerter Einfachheit und Klarheit, das im Gegensatz zur Antiqua auch in den deutschen Sprachraum übernommen wurde (Wehde 2000: 223-224 und 236). Dass Oehlenschläger sich an einem solchen Modell orientierte, scheint aus dem Cotta gegenüber geäusserten Wunsch hervorzugehen, sein Roman solle „wie Goethes Aus meinem Leben gedruckt seyn“ (Brief vom 21. 8. 1821, Breve B / 3: 177) 58 oder, wie er später mit dem Verleger vereinbarte und in den Briefen an ihn mehrfach bekräftigte, „wie Goethes Kunst und Alterthum“ ( BrC vom 16. 2. 1822). 59 in Antiqua gedruckt; der Schrifttypus sei aber auch von den deutschen Frühromantikern keineswegs generell benützt worden (Kondrup 2011: 287). 56 Jens Bjerring-Hansen illustriert dies mit einer Erinnerung Knud Lyne Rahbeks, der 1798 an der Edition einer neuen Zeitschrift beteiligt war, für die Antiqua verwendet wurde; Rahbek berichtet, dass ein potentieller Leser die Zeitschrift nach einem kurzen Blick weglegte, mit der Bemerkung, das sei ja Latein (Bjerring-Hansen 2015: 212). 57 Zur Antiqua-Fraktur-Debatte um 1800 vgl. Wehdes ausführliche, differenzierte Darstellung in derselben Publikation (Wehde 2000: 220-245). 58 In demselben Brief stellt Oehlenschläger dem Verleger sein Romanprojekt vor. Goethes Dichtung und Wahrheit (in der Erstausgabe mit dem Haupttitel Aus meinem Leben ) war von 1811-1814 in drei Bänden bei Cotta erschienen. Auch Oehlenschlägers Roman sollte ursprünglich „höchstens 3 solche Theile ausmachen“, wie er im zitierten Brief an Cotta schrieb. 59 Von diesem Brief existiert ein Teildruck im 1. Band der dreibändigen Ausgabe Briefe an Cotta (1925: 383). Es wurde nur die erste Seite des Briefes gedruckt, die Oehlenschlägers Beileidsbekundung zum Tod von Cottas Frau enthält; die beiden folgenden Seiten, auf denen Oehlenschläger dem Verleger mitteilt, welche Form und Gestaltung er sich für seinen Roman wünscht und wie das Honorar zu berechnen sei, wurden nicht ediert, da die genannte Ausgabe Briefe sehr oft nur in Auszügen wiedergibt, wobei der Fokus auf literarisch-kulturellen Inhalten liegt und praktische, z. B. ökonomische Belange weit weniger einbezogen werden. Goethes Zeitschrift Über Kunst und Alterthum , 1816-1832, von Cotta verlegt, erschien demnach im selben Zeitraum, in dem die Publikation von Oehlenschlägers Roman diskutiert wurde und schliesslich erfolgte. Zu Oehlenschlägers Bekräftigung der erwähnten Vereinbarung vgl. BrC vom 4. 4. 1823, 9. 1. 1824, 24. 8. 1824 und 24. 5. 1825. 40 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Abb. 2: Titelblatt von Goethes Zeitschrift „Über Kunst und Alterthum“, Heft 1, 1816. Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Z 120 (1). © Klassik Stiftung Weimar. Angesichts von Oehlenschlägers Goethe-Verehrung entsteht der Eindruck, dass sich der dänische Dichter, der Goethe immer wieder nachzueifern suchte, sogar die äussere Erscheinungsform von dessen Werken zum Vorbild nahm. Vielleicht empfand er in der inhaltlichen Fülle von Goethes Zeitschrift, in der Gedichte, literarische Übersetzungen aus verschiedensten Sprachen sowie Kunst- und Literaturbetrachtungen über alle Grenzen von Zeit, Raum und Gattungen hinweg publiziert wurden, auch eine Verwandtschaft zum ähnlich weitgefächerten Spektrum seines Romans. Eine äussere Parallele besteht jedenfalls in der Mehrteiligkeit der beiden Werke - Goethes Zeitschrift erschien in umfangreichen, gut 200seitigen Einzelheften, von denen jeweils drei zu einem Band zusammengefasst wurden. 60 Oehlenschläger gab Cotta detaillierte Instruktionen, wie die verschiedenen Teile seines Romans zusammenzufügen seien ( BrC vom 24. 8. 1824) und präzisierte im gleichen Brief mit der Nennung von Goethes Zeitschrift auch, dass das Buch wie diese eingerichtet werden solle, nämlich „jedes neue Kapitel auf seinem eigenen Blatte.“ Oehlenschlägers Wunsch bezieht sich also nicht nur auf die Gestaltung des Titelblattes, sondern auch auf den Druck und die Ausstattung des Buches insgesamt, das er sich „elegant“ und „hübsch“ wünschte, da dies den Absatz fördern würde: „Wäre es vielleicht aber nicht gut, und würde es zur Absetzung des Buches nicht beitragen, wenn es ein wenig elegant gedruckt würde? “ Oder: „[Das Werk] wird gewiss Leser bekommen, nur müssen Sie dafür sorgen, dass es hübsch gedruckt wird […].“ ( BrC vom 3. 8. 1822 resp. 4. 4. 1823). 60 Zur Heftform, die sich Goethe für diese Zeitschrift wünschte, vgl. die informative Darstellung von Spoerhase (2018: 608-610). 1.5 Materialität der Fassungen 41 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Diese Anliegen zeigen Oehlenschlägers Interesse an der Materialität des Buches und sein Verständnis für deren ökonomische Auswirkungen auf dem Buchmarkt; es war ihm offensichtlich bewusst, dass „der verbesserten Ausstattung bei der gestiegenen Konkurrenz am Literaturmarkt eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung zu[kam]; die Ausstattung eines Buches wurde zum verkaufsfördernden Moment“ (Steiner 1998: 71; der Autor stellt die Bedeutung der Ausstattung für die Buchvermarktung im Übrigen schon für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts fest). Oehlenschläger verlangt von Cotta auch, das Buch nach dem Druck „schnell nach allen wichtigen Buchhaltungen [wohl irrtümlich für Buchhandlungen] zu schicken, damit der Augenblick der Neuigkeit benützt werde“ ( BrC vom 4. 4. 1823). Diese praktischen Anweisungen erstaunen nicht, wenn man bedenkt, dass Oehlenschläger sehr oft sein eigener Verleger war, womit auch ein augenfälliger Unterschied zwischen den beiden sonst so ähnlichen Titelblättern der deutschen und der dänischen Erstausgabe von Oehlenschlägers Roman zusammenhängt: Während die deutsche Fassung bei Cotta, dem seit 1803 „führenden Verlag in Deutschland“ (Fischer, B. 2003, 1: 32) erschienen war, hatte der Autor die dänische Version im Eigenverlag herausgegeben. Für diese selbstverlegerische Tätigkeit scheint es verschiedene Gründe zu geben: Sicher bestand zu Beginn die Hoffnung, dadurch grössere Einnahmen zu erzielen als mit dem damals üblichen Verlagshonorar. 61 Die Entscheidung für den Eigenverlag zeugt aber auch vom Selbstbewusstsein des Autors, der es sich zutraute, dank seiner Bekanntheit seine Werke erfolgreich selber zu vermarkten. Freilich scheint dies nur in der Anfangszeit von Oehlenschlägers schriftstellerischer Laufbahn wirklich gelungen zu sein, wie er selber einräumt: „Meine Schriften gingen wohl noch gut; aber nicht so reissend, wie in der ersten Frühlingszeit meines Auftretens […]. Ich verstand mich auch später nicht auf den Buchhandel […]“ ( Meine Lebens- Erinnerungen 1850, 3: 8). 62 Morten Møller erklärt in Dansk litteraturhistorie 4 zu den Bedingungen des dänischen Buchmarktes und des Verlagswesens im 18. und 19. Jahrhundert, der Eigenverlag sei als Publikationsplattform schon Ende des 18. Jahrhunderts kaum mehr benützt worden (1983: 545). Laut Møller begann sich damals das Verlagswesen als professionelle Institution zu etablieren, was dazu geführt habe, dass dem Lesepublikum allein schon das Erscheinen eines Werkes bei einem Verlag als Qualitätsgarantie galt, während den im Selbstverlag eines Autors publizierten Werken eher Misstrauen entgegengebracht wurde (1983: 545). Dies hinderte jedoch Oehlenschläger nicht daran, ab ca. 1811 nahezu sämtliche grösseren Arbeiten im Eigenverlag herauszugeben und sie ausserdem mehrmals zu vermarkten, indem er - ebenfalls im Eigenverlag - immer wieder neue Sammelausgaben seiner Werke veranstaltete, die er jeweils zur Subskription anbot (Liebenberg 1868, 1). Erst 1844 gab er diese verlegerische Tätigkeit auf und verkaufte die Verlagsrechte für einen Zeitraum von zehn Jahren an den Universitätsbuchhändler Andreas Frederik Høst, 61 Oehlenschläger erinnert sich an einen besonders einschneidenden Verlust durch den Verkauf seines Stückes Axel og Valborg (1810) für eine einmalige Honorarzahlung an einen Kopenhagener Verleger, den er nicht namentlich nennt (es handelte sich um Andreas Seidelin). Das Honorar wurde durch die grosse Zahl an verkauften Exemplaren (Oehlenschläger beziffert sie auf 3000 Ex. im ersten Jahr) um ein Vielfaches übertroffen, wovon aber dem Autor nichts zugutekam, auch nicht vom Erlös der folgenden Neuauflagen ( Meine Lebens-Erinnerungen 1850, 3: 7). 62 Zu den Schwierigkeiten, mit denen auch andere Selbstverlage zu kämpfen hatten, vgl. Steiner (1998). Der Autor weist besonders für den Zeitraum des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts nach, dass Selbstverlagsprojekte in aller Regel scheiterten oder jedenfalls die Hoffnung auf bessere Einnahmen nicht erfüllten (s. hierzu vor allem 334-342). 42 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 der in den folgenden Jahren in Zusammenarbeit mit dem Autor eine insgesamt 28 Bände umfassende, sogenannte „Godtkøbsudgave“ [„wohlfeile Ausgabe“] von Oehlenschlägers sämtlichen Werken herausbrachte, in die 10 Bände Tragödien, die der Autor zuvor noch im Eigenverlag ediert hatte, integriert waren ( Dansk biografisk leksikon 2014-2016, online, Eintrag zu A. F. Høst). Dass Oehlenschläger die dänische Fassung seines Inselromans im eigenen Verlag publizierte, entsprach also seiner jahrelangen verlegerischen Praxis, war aber gerade im Zusammenhang mit der Publikation in zwei Sprachen von besonderer Bedeutung: In mehreren Briefen bat er Cotta, das versprochene Manuskript des Romans noch behalten zu dürfen; einerseits wollte er es erst von einem deutschen Freund durchsehen lassen, „um so viel wie möglich der etwannigen Danismen zu entfernen“ ( BrC vom 28. 10. 1822), andrerseits aber beabsichtigte er, den Text gleichzeitig dänisch herauszugeben ( BrC vom 3. 8. 1822, 28. 10. 1822 und 4. 4. 1823). Er plante sogar, den Roman deutsch, dänisch und englisch erscheinen zu lassen, alle drei Versionen zur gleichen Zeit ( BrC vom 28. 10. 1822). Dank dem Bestehen seines eigenen Verlages hätte der Autor eine solche dreisprachige Publikation bis zu einem gewissen Grad koordinieren können, da er in der Lage war, zumindest das Erscheinen der dänischen Fassung zeitlich weitgehend selber zu bestimmen. Doch der Plan scheiterte: Walter Scott, der versprochen hatte, eine englische Übersetzung des deutschen Textes zu veranlassen und diese mit einem eigenen Vorwort herauszugeben, musste seine Zusage aufgrund erfolgloser Verlagsverhandlungen zurücknehmen, so dass eine englische Ausgabe nicht zustande kam ( BrC vom 24. 8. 1824). Als die dänische Version bereit war, liess Cotta Oehlenschlägers Briefe und Bitten um nunmehr rasche Publikation des Romans längere Zeit unbeantwortet. Schliesslich teilt der Autor Cotta mit: „Das Buch erscheint jetzt im Dänischen auch, freilich habe ich in der Vorrede gesagt, dass ich selbst eine deutsche Ausgabe besorge, und Sie haben es ja auch in mehreren Blättern angekündigt, zu lange dürfen wir aber in keinem Falle mit der Herausgabe zaudern“ ( BrC vom 24. 5. 1825). Es liess sich also auch mit dem Selbstverlag nicht einrichten, die deutsche und die dänische Version gleichzeitig erscheinen zu lassen. Die Publikation von Øen i Sydhavet erfolgte vorzeitig, weil Oehlenschläger auf die Einnahmen angewiesen war; zugleich befürchtete er, dass eine deutsche „Raubübersetzung“ diese schmälern könnte. Er erfuhr jedoch gar nicht, wann Cotta nun das deutsche Manuskript zu publizieren gedachte, und entdeckte erst 1826 in einer Kopenhagener Buchhandlung zufällig die Teile I und II der Inseln im Südmeere ( BrC vom 7. Mai 1826.) Diese Vorgänge erklären die merkwürdige Tatsache, dass der Roman, obwohl ursprünglich auf Deutsch verfasst, zuerst in dänischer Sprache erschien. Sie führten aber auch zu einer Verstimmung zwischen dem Autor und seinem Verleger, weshalb Oehlenschläger ihm ebenfalls am 7. Mai 1826 zwar mitteilte, er habe drei Theaterstücke gedichtet: „Meine dramatischen Arbeiten haben Sie ja bis jetzt immer noch haben mögen“, sich aber im selben Brief auf eine Trennung von Cotta einstellte: „Wollen Sie gar nichts mehr mit mir zu thun haben - das sollte mir (sic) sehr schmerzen. Sagen Sie mir es dann auch gleich mit eingehender Post, damit ich mich zu einem andern Verleger wende […].“ Ein knappes Jahr später bietet Oehlenschläger Cotta jedoch sein Stück „Die Vareger (Nordhelden) in Constantinopel“ an, „das in meinem Vaterlande einstimmig für meine vielleicht beste Tragödie gehalten wird“ ( BrC vom 28. 4. 1827). Cotta dankt für das Angebot und äussert seine Bereitschaft, das Stück herauszubringen, teilt dem Autor aber zugleich mit, dass er das Honorar mit dem 1.5 Materialität der Fassungen 43 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 hohen Verlust verrechnen müsse, den er durch die „Insel d. Sudmeers“ (sic) erlitten habe (Brief vom 10. 7. 1827, Breve B / 3: 334). 63 Möglicherweise führte der unerfreuliche Verlauf der Editionsgeschichte des Romans letztlich zum Ende der Verlagsbeziehung zwischen Cotta und Oehlenschläger; 64 jedenfalls gab Oehlenschläger sein Stück nicht bei Cotta, sondern beim Berliner Verleger A. M. Schlesinger heraus und bot Cotta keine weiteren Arbeiten an. Allerdings bleibt nachzutragen, dass Oehlenschläger den Kontakt im Jahr 1836 wieder aufnahm, indem er Cottas Sohn Johann Georg, der nach dem Tod seines Vaters 1832 den Verlag übernommen hatte, ein Buch mit dem Titel Über die schöne Seele, die echte Humanität in Goethes besten Werken in Aussicht stellte, das er als Verteidigung gegen Wolfgang Menzels Angriffe auf Goethe verfassen wolle (Brief vom 26. 7. 1836, Breve C / 2: 17). 65 Es war also vermutlich seine lebenslange Goetheverehrung, die Oehlenschläger bewog, sich in dieser Sache nach dem Kontaktabbruch doch wieder an den Cotta’schen Verlag und damit an Goethes Hauptverlag zu wenden. Eine Antwort J. G. Cottas auf das Anerbieten ist allerdings nicht bekannt, und Oehlenschläger schrieb das geplante Buch nicht. Hingegen schlug ihm J. G. Cotta mit Brief vom 2. 12. 1841 vor, eine von seinem Vater 1817 herausgegebene Gedichtsammlung in schönerer Aufmachung neu zu edieren, denn die Gedichte verkauften sich sehr schlecht, was er, Cotta, einzig der Ausstattung zuschreibe, 66 während „Ihre [d. h. Oehlenschlägers] herrlichen, für immer schöne Dichtungen“ eine bessere Verbreitung verdient hätten ( Breve C / 2: 241). Oehlenschläger willigte sogleich ein, obwohl die Gedichte inzwischen Bestandteil einer von Josef Max verlegten Gesamtausgabe waren - aber der Autor war der Meinung, da das Werk früher dem Cotta’schen Verlag gehört habe, sei gegen eine Neuedition nichts einzuwenden. Er versprach, die Sammlung noch mit neuen Gedichten anzureichern, denn er habe „dänisch gewiss zwölfmal so viel lyrisch gedichtet als diese Sammling (sic) enthält.“ (Brief vom 18. 1. 1842, Breve C/ 2: 242). Die Gedichtsammlung erschien 1844. Ob sie sich in der neuen Ausstattung tatsächlich besser verkaufte, liess sich nicht eruieren. Jedoch scheinen diese letzten Kontakte mit dem Cotta’schen Verlag immerhin darauf hinzuweisen, dass eine gewisse, wenn auch vielleicht nur punktuelle Wertschätzung von Oehlenschlägers Arbeiten sogar in Deutschland noch bestand. Ausserdem wird deutlich, dass J. G. Cotta die Bedeutung der Ausstattung seiner Verlagsprodukte für die Vermarktung erkannt hatte und sich um Verbesserungen bemühte, auch im eigenen Interesse, wobei solche Bemühungen natürlich dem Autor und seinem Werk ebenfalls zugutekamen. Was die Inseln im Südmeere betrifft, so wurde der Roman, wie erwähnt, trotz der mehrheitlich kritischen Rezeption (vgl. Kap. 1.4) in beiden Sprachen ein zweites Mal herausge- 63 Dass der Roman kein Publikumserfolg war, wird im Briefwechsel, soweit vorhanden, nicht direkt thematisiert, lässt sich aber aus den Rezeptionszeugnissen leicht erschliessen (vgl. Kap. 1.4). 64 Jens Keld äussert in seinem abschliessenden Registerband zur Ausgabe von Oehlenschlägers Briefwechsel die Ansicht, Cotta habe mit Oehlenschläger aufgrund des Verlustes durch die Inseln im Südmeere gebrochen (Keld 1996: 350). Das scheint freilich nicht ganz so eindeutig, da der Verleger ja bereit war, die Wäringer herauszugeben, wenn auch vielleicht nur in der Hoffnung, seinen Verlust dadurch zu verringern. 65 Im selben Jahr war Menzels Literaturgeschichte, Die deutsche Literatur, in zweiter Auflage erschienen, mit einer gegenüber der ersten Auflage von 1828 noch stark erweiterten und verschärften Kritik an Goethe (Menzel 1836, III: 322-387). 66 Dies stimmt mit Oehlenschlägers Kritik an Johann Friedrich Cotta als Verleger überein: „Cotta kam mir liberal entgegen, bezahlte gut, that aber nichts, meinen Büchern Absatz zu verschaffen. Er druckte sie […] auf Löschpapier, liess sie am Boden liegen […].“ ( Meine Lebens-Erinnerungen 1850, 4: 55). 44 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 geben, wobei die zweite Auflage als direktes Resultat der negativen zeitgenössischen Kritik zu sehen ist; 67 diese brachte Oehlenschläger dazu, seinen Text in beiden Sprachen stark zu kürzen, was er in seiner Autobiographie Levnet , nach der Feststellung, dass sein Roman in Dänemark keinen Anklang gefunden habe, mit folgenden Worten ankündigt: Forresten vil jeg gerne tilstaae, at Øen i Sydhavet har den almindelige Romanfeil: den er for vidtløftig. En Trediedeel kunde til Fordeel for Værket være udeladt. Dette vil ogsaa skee engang, hvis den skulde opleve et nyt Oplag. ( Levnet II : 206) 68 In Oehlenschlägers Lebens-Erinnerungen von 1850 lautet die Stelle: Übrigens will ich gern gestehen, dass die Inseln im Südmeer einen üblichen Fehler von Romandichtungen hatten, das Werk war zu weitläufig. Ein Drittheil hätte zum Vorteil des Werkes fortgelassen werden können. ( Meine Lebens-Erinnerungen 4: 18) Dabei ist der letzte Satz des dänischen Zitats aus Levnet [deutsch: „Das wird auch einmal geschehen, sollte er (d. h. der Roman) eine neue Auflage erleben“] ersetzt durch die Erklärung: „Dies ist bei den neuen Auflagen sowohl im Dänischen wie im Deutschen geschehen“ ( Meine Lebens-Erinnerungen 1850, 4: 18). Die deutsche gekürzte Version erschien 1839 in Adam Oehlenschlägers Werken, zum zweiten Mal gesammelt, vermehrt und verbessert, Bd. 15-18; die dänische 1846 in Oehlenschlägers samlede Værker Bd. 20-21, resp. Oehlenschlägers Digterværker Bd. 11-12; dabei wurden von den 2’500 Exemplaren des Romans 1000 Exemplare als Sonderausgabe mit eigenem Titelblatt gedruckt (Liebenberg 1868, 1: 209-211). Diese Edition wurde 1852 in der Werkausgabe Oehlenschlägers Digterværker og prosaiske Skrifter , Bd. 15-16, mit geringfügigen Änderungen nachgedruckt. Für die Natur dieser Kürzungen interessierte sich die Forschung bisher nicht, da auch der Umstand, dass der Roman in verschiedenen Fassungen erschien, kaum je Beachtung fand. Eine Ausnahme bildet Frederik Ludvig Liebenberg, Oehlenschlägers treuester und fleissigster Herausgeber; er referiert die Fassungsgeschichte in seiner 32bändigen Gesamtausgabe Oehlenschlägers Poetiske Skrifter (1857-1862), wobei er auch auf die Tatsache der zweisprachigen Versionen eingeht (Bd. 27: 353) und bemerkt, dass die erste deutsche Ausgabe von 1826 für ihn nicht greifbar gewesen sei (Bd. 27: 359). Was die Begründung für die gekürzte Fassung angeht, stimmt er Oehlenschläger weitgehend zu: Forkortningen er i det Hele foretaget med afgjort Held, idet den har afhjulpet Originalens altfor store Ordrighed, og fjernet en Mængde af vel almindelige Reflexioner og af historiske Specialiteter og Anecdoter, der var blevne hængende ved fra Oehl.s Forstudier til Værket. (Oehlenschlägers Poetiske Skrifter 1862, 27: 353) 67 Hier zeigt sich ein Gegensatz zu Blödorns Feststellung bezüglich der Entstehung mehrerer Fassungen von Oehlenschlägers Drama Erich und Abel : diese sei „nicht eingebettet in ein Wechselspiel von Publikation und Rezension; in Oehlenschlägers Dichtungsverständnis stellt der Text ein abgeschlossenes Ganzes dar, in das auch er selbst nur noch eingreift, um primär sprachliche Korrekturen anzubringen. Auf Kritik jedoch hat er ganz offensichtlich nicht mit einer strukturellen Überarbeitung seiner Texte reagiert“ (Blödorn 2004: 355). 68 Im aktualisierenden „Ueberblick meiner letzten zwanzig Jahre“ der beiden Ausgaben der Selbstbiographie von 1829, resp. 1839, wird der Inselroman, wie erwähnt, lediglich in einer Art Sammelkatalog der in diesen Jahren verfassten Dichtungen aufgelistet, ohne Details zu Rezeption, Kritik, etc. ( Selbstbiographie 1829, 2: 176 und Selbstbiographie 1839, 2: 181). 1.5 Materialität der Fassungen 45 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Die Kürzung ist im Ganzen entschieden geglückt, indem sie die übermässige Weitschweifigkeit des Originals straffte und eine Menge recht allgemeine Reflexionen, sowie historische Spezialitäten und Anekdoten beseitigte, die aus Oehlenschlägers Vorstudien zum Werk hängengeblieben waren. Allerdings macht er auch gewisse Einschränkungen: Kun hist og her er Digteren kommen til at bortskære for Meget, saa at ikke blot enkelte Skjønheder (navnlig et Par Digte) ere faldne ud, men endog Sammenhængen undertiden har lidt derved. (Oehlenschlägers Poetiske Skrifter 1862, 27: 353) Nur hie und da hat der Dichter den Text zu sehr beschnitten, so dass nicht nur einzelne schöne Dinge (namentlich einige Gedichte) weggefallen sind, sondern sogar der Zusammenhang manchmal gelitten hat. Deshalb übernimmt er weder die erste noch die zweite Fassung in seine Werkausgabe, sondern kompiliert aus den beiden eine eigene, 69 wobei er allerdings mehrheitlich der gekürzten Ausgabe folgt. Getreu seiner Editionspraxis nimmt er im Anhang die von Oehlenschläger gestrichenen Stellen - also ungefähr einen Drittel des Gesamttextes - integral auf, so dass sich das Lesepublikum, wenn auch auf eher mühsame Weise, immerhin ein Bild von der ungekürzten Version und dem Umfang der Streichungen machen könnte. Ein differenziertes Urteil über Liebenbergs Ausgabepraxis formuliert Johnny Kondrup in seiner Studie zur Editionsphilologie, wonach Liebenbergs Vorgehen den Usanzen seiner Zeit entsprochen habe, so dass die später erhobene Kritik, dieser habe die gesammelten Änderungen eines Autors an den eigenen Werken mehr oder weniger nach Gutdünken zur Herstellung seiner Ausgaben benützt, nicht wirklich berechtigt sei, da sie den historischen Gegebenheiten der damaligen Editionspraxis zu wenig Rechnung trage (Kondrup 2011: 120). Die Kürzung der deutschen Fassung erschien, wie erwähnt, in der zweiten Gesamtedition von Oehlenschlägers Werken, die Josef Max in Breslau 1839 herausgab. Dieser Verleger hatte dem Autor mit Brief vom 25. 5. 1828 angeboten, seine „vortrefflichen Schriften […] vollständig gesammelt in einer neuen Ausgabe“ herauszubringen ( Breve B / 3: 358), zu einer Zeit, als Oehlenschläger „schon die Hoffnung aufgegeben [hatte], als Schriftsteller in Deutschland ferner noch aufzutreten“ ( Meine Lebens-Erinnerungen 1850, 4: 56). Max nannte als ersten Punkt seiner „Verlag-Bedingungen“: „Mit Ausschluss des grössern Romans: Die Inseln der Südsee, erschiene in meinem Verlage eine Gesammt Ausgabe Ihrer Schriften, eingetheilt in dramatische, lyrische und erzählende Schriften“ (Brief vom 25. 5. 1828, Breve B / 3: 359). Der Roman sollte also nicht aufgenommen werden, vermutlich, weil die Verlagsrechte noch bei Cotta waren. So jedenfalls interpretiert Patricia F. Blume die Sachlage in ihrem umfassenden Artikel zu Josef Max’ Verlagstätigkeit, in dem sie hervorhebt, dass „Max das Recht anderer Verlage respektierte“ und sich noch vor der Einführung des Urheberrechtsgesetzes durch Preussen 1837 als Verleger „in einem fortschrittlichen Sinne loyal gegenüber geistigem Eigentum“ verhalten und „eine moderne Urheberrechtsauffassung“ vertreten habe (Blume 2015: 114). Die Autorin referiert ausführlich sowohl das Zustandekommen 69 Blödorn stellt fest, Liebenberg habe in Oehlenschlägers Texte „eigenwillig und verfälschend eingegriffen“ (Blödorn 2004: 29); diese Kritik ist - zumindest bezogen auf Øen i Sydhavet - nur teilweise berechtigt, da Liebenberg in den Anmerkungen seine Editionspraxis weitgehend offenlegt und die von ihm vorgenommenen Änderungen im Variantenapparat angibt, allerdings nicht in jedem Fall, so dass sporadisch tatsächlich von einem eigenmächtigen Vorgehen gesprochen werden kann. 46 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 dieser Gesamtausgabe von Oehlenschlägers Werken, das sie als „Mammut-Projekt“ des Verlegers bezeichnet (Blume 2015: 112), wie auch den enttäuschend schleppenden Absatz der Ausgabe, für die nicht genügend Subskriptionen eingingen, so dass Max zunächst nur 1000 der vereinbarten 2000 Exemplare drucken liess (Blume 2015: 117-122). Die zweite Auflage sollte erst erscheinen, nachdem die erste, die 1829-1830 erschien, vollständig verkauft war. Im Hinblick darauf bietet Oehlenschläger mit Brief vom 30. 5. 1833 dem Verleger eine gekürzte Fassung seines Romans an: „Ich höre, dass mein Roman: Die Inseln im Südmeere doch einiges Aufsehen macht. Was sagen Sie dazu diesen Roman in drei Theilen verkürzt herauszugeben und zu verlegen? “ ( Breve C / 1: 198, gesperrt im Original). Einige Jahre später konkretisiert sich die zweite Auflage, und Oehlenschläger teilt dem Verleger Genaueres zu seinen Kürzungsabsichten in Bezug auf den Roman mit: Was nun die Inseln im Südmeere betrifft, so freut es mich sehr, dass Sie dieses Produkt so sehr lieben, es ist mir auch immer eine meiner liebster (sic) Dichtungen gewesen. […] Was nun aber die Verkürzungen betrifft (ich habe das Werk wieder durchgesehen) so müssen wir uns doch hüten es knippelhaft zu machen, und gar zu viel abzuschneiden. Alle Ausschweifungen, und wo die Räsonnements etwas in ästhetische Abhandlungen hinauslaufen (wie Sie selbst ganz richtig bemerkten) müssen wir wegschneiden. Auch weitschweifige Redensarten; der Styl kann sehr verkürzt oft werden (sic), wodurch wir viel Raum gewinnen. Begebenheiten, Charakterzüge und das lebendige Colorit vieler Nebensachen, müssen wir aber behalten. Kurz: Sie müssen mir freie Hand darüber geben, und ich werde es gewiss gewissensvoll nach besten Kräften, wie mir Kunst und Geschmack biethen, ausführen. Und wohl möglich, dass es dann nicht mehr als zwei Bände (wie die stärksten unserer vorigen Ausgabe) ausmachen werde. (Brief vom 21. 4. 1838, Breve C / 2: 102-103) Offensichtlich wünscht sich der Verleger, im Interesse einer Aufnahme des Romans in die neue Werkausgabe, eine Reduktion der vierbändigen Fassung auf lediglich zwei Bände, was Kürzungen bedingen würde, deren Ausmass die vom Autor selbst vorgeschlagenen Streichungen überschreitet, weshalb er sie argumentativ zu begrenzen versucht. Im gleichen Brief äussert er sich auch über die verlagsrechtliche Bindung an Cotta, dem er sich nicht mehr verpflichtet fühle, da er „gar keinen Accord“ mit ihm gemacht habe; zudem habe Cotta seinen Correggio jahrelang nicht publiziert: „10 Jahre hatte er das Stück vorher liegend im Pulte gehabt - und Palnatoke hatte er weggeschmissen, so dass erst das Manuscript nach mehreren Jahren gefunden und gedruckt ward.“ ( Breve C / 2: 103). 70 Aus all diesen Gründen fühle er sich nun berechtigt, den Roman in einer Gesamtausgabe herauszugeben, umso mehr, als er ihn verändert und verkürzt habe. Die Fassungsvergleiche der vorliegenden Arbeit sollen unter anderem auch zeigen, wie das skizzierte Kürzungsprogramm konkret umgesetzt wurde. Ob dieser gekürzten Fassung mehr Erfolg beschieden war als dem ursprünglichen Text, lässt sich anhand der überlieferten Dokumente nicht eindeutig feststellen. Aus Briefzeugnissen ist ersichtlich, dass auch der Absatz der zweiten deutschen Werkausgabe von 1839 nur langsam vor sich ging, wie u. a. der Brief von Josef Max vom 26. 3. 1840 dokumentiert ( Breve C / 2: 190-191). Dabei hatte Oehlenschläger eigens für diese Ausgabe noch „eine 70 Tatsächlich war die deutsche Übersetzung von Palnatoke bei Cotta jahrelang unauffindbar, so dass sie nicht, wie vom Verleger angekündigt, zur Ostermesse 1812, sondern erst 1819 erscheinen konnte (vgl. Fischer, B. 2003, 1: 956). 1.5 Materialität der Fassungen 47 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 ziemlich grosse Vorrede“ verfasst, in der Absicht, „den Leser auf den richtigen Gesichtspunkt meiner Werke zu bringen“ (Brief vom 3. 7. 1838, Breve C / 2: 118). Er empfiehlt dem Verleger, diese Vorrede in den „litterarischen Unterhaltungsblättern“ drucken zu lassen, denn, wie er aufgrund leidvoller Erfahrungen fortfährt: Das würde uns vielleicht vor diesem oder jenem hassenden und anonymen Feind hüten, der Lust haben könnte, das Werk niederzureissen. Schön und nützlich wäre es, wenn Sie diesen oder jenen Ehrenmann dazu bewegen könnten, ein gutes und bedeutendes Wort über das Werk zu sagen, ehe wieder ein armer Schmierer in seiner Anonymität verschanzt Koth danach wirft. ( Breve C / 2: 118-119) 71 Eine Rezension in den Blättern für literarische Unterhaltung vom 15. Februar 1839 behandelt denn auch die neue Gesamtausgabe sehr respektvoll und äussert, neben kritischen Bemerkungen, viel Lob und Anerkennung, bezieht sich aber fast ausschliesslich auf Oehlenschlägers dramatische Produktion und reiht Die Inseln in der Südsee (sic) in die „übrigen Werke Öhlenschläger’s“ ein, die der Rezensent 72 in seiner Besprechung übergehen möchte, „insofern sie, obgleich an sich werthvoll, nicht zu seinen Hauptdichtungen gehören“ ( Blätter für literarische Unterhaltung 46 / 1839: 187). In seiner gekürzten Form wurde der Roman in der dänischen wie in der deutschen Version anfangs des 20. Jahrhunderts noch einmal herausgegeben. Dies überrascht naturgemäss weniger bei der dänischen Neuausgabe, die 1904 in zwei Bänden vom Verlagshaus Gyldendal - übrigens erstmals in Antiqua - publiziert wurde und laut einer kurzen, dem Text vorangestellten Erklärung des Verlags als Ergebnis einer Abgleichung des 1852 erschienenen Nachdrucks der Kürzung von 1846 mit Liebenbergs Ausgabe von 1862 zustandekam. Trotz aller Fehden, Angriffe und einer zunehmend kritischen Einschätzung seiner Werke war Oehlenschläger im nationalen Gedächtnis als herausragende Dichterpersönlichkeit präsent geblieben. Ausserdem ist die Ausgabe wohl auch im Zusammenhang mit dem Gedenken an Oehlenschlägers Tod zu sehen, der sich 1900 zum 50. Mal jährte, - ein Ereignis, das u. a. Vilhelm Andersen veranlasste, seine bereits erwähnte, umfassende Monographie über Oehlenschlägers Leben und Werk herauszugeben. 71 Diese drastische Aussage wird - etwas verkürzt - auch von Patricia Blume zitiert (2015: 123). 72 Es handelte sich um den Breslauer Gymnasialdirektor Karl Ludwig Kannegiesser, der auch als Autor, Herausgeber und Übersetzer tätig war (Brief von Max an Oehlenschläger vom 13. 4. 1839, als Regest mitgeteilt von Keld (1996: 205)). 48 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Abb. 3: Titelblatt der Ausgabe von 1904 (Foto privat) Eine Neuausgabe hat der Roman - trotz des Verdikts von Jens Kistrup und Jurij Moskvitin in Weekendavisen - in jüngster Zeit wieder erlebt: der online-Verlag eBibliotek 1800 hat Øen i Sydhavet 2013 im epub-Format herausgebracht. Als Grundlage für die Publikation diente nicht etwa Gyldendals verhältnismässig modern anmutende Ausgabe, sondern jene Liebenbergs von 1862, d. h. dessen Version der gekürzten Romanfassung. Der Verlag gibt an, er nehme für seine Publikationen aus der Zeit zwischen 1800 und 1945 jeweils eine „schonende Bearbeitung“ vor, indem er die „typographischen Hindernisse“, wie „altmodische Rechtschreibung und gotische Schrift“ beseitige und „in gewissen Fällen“ auch Teile des Textes sprachlich modernisiere. 73 Die epub-Ausgabe von Øen i Sydhavet wurde mit einem farbenprächtigen Cover geschmückt: Das Gemälde Miranda - The Tempest des präraffaelitischen Malers John William Waterhouse von 1916 prangt nun als virtueller Buchdeckel auf Oehlenschlägers Werk, eine Wahl, die der Autor vielleicht gebilligt hätte, besonders angesichts der wichtigen Rolle, die Shakespeare - und nicht zuletzt The Tempest - in seinem Roman spielt. Es ist zu hoffen, dass das dramatische Coverbild 74 und die veröffentlichte „Leseprobe“ attraktiv genug sind, um das Interesse der Lesenden zu wecken und festzuhalten, auch wenn man es bedauern mag, dass nicht die ungekürzte Fassung 73 Laut Selbstvorstellung des Verlages hat dieser sich zum Ziel gesetzt, „at gøre de gamle bøger tilgængelige for nutidige læsere uden at man behøver at have en doktorgrad for at tyde dem“ [die alten Bücher heutigen Lesern zugänglich zu machen, ohne dass man einen Doktorgrad zu haben braucht, um sie zu entziffern] (! ) Vgl. https: / / ebib1800.dk/ om-ebibliotek-1800. Eine sprachliche Modernisierung wurde jedoch für Øen i Sydhavet nicht vorgenommen: Der Text erweist sich als wortgetreue Wiedergabe der Ausgabe von 1862. Zusätzlich zum Roman hat eBibliotek 1800 bisher vier Novellenbände Oehlenschlägers veröffentlicht, die meisten auf der Grundlage von Liebenbergs Werkausgabe Poetiske Skrifter (1857-1862). 74 Die Darstellung Mirandas, wie sie von der Insel aus über die wilde See auf den fern am Horizont stattfindenden Schiffbruch blickt, liesse sich mit Bezug auf die IS gleichzeitig als Bild für die Metaperspektive des Romans auffassen. 1.5 Materialität der Fassungen 49 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 für diese neue Publikation gewählt wurde; in deren Impressum wird die Erstausgabe von 1824-1825 immerhin noch aufgeführt. Abb. 4: Buchcover der dänischen e-book-Ausgabe. © eBibliotek 1800 Was nun die deutsche Kurzfassung betrifft, so wurde sie im Jahr 1911 nochmals ediert, zu einer Zeit also, da Oehlenschläger im deutschen Sprachgebiet kaum mehr zu den bekannten oder gar berühmten Dichtern zählte. 75 Das literarische Umfeld dieser Publikation scheint darauf hinzuweisen, dass sie mit dem seit einiger Zeit wieder erwachten Interesse an Schnabels Insel Felsenburg zusammenhängen könnte. Ausschlaggebend für diese neue Aufmerksamkeit dürfte einerseits gewesen sein, dass der Literarhistoriker Adolf Stern in einem längeren Artikel Näheres zu Schnabels bis dahin im Dunkeln gebliebener Biographie veröffentlicht hatte (Stern, A. 1880: 317-366), andrerseits wurde die Insel Felsenburg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend als historischer Roman gelesen, eine Gattung, die sich gerade in jener Zeit ausserordentlicher Beliebtheit erfreute. 76 Auch 75 Lohmeier beschreibt Oehlenschläger als einen „Repräsentanten des poetischen Geistes in prosaischer Zeit“ (Lohmeier 1982: 102), der sehr schnell in Vergessenheit geraten sei, als die deutsche Literatur selbst begonnen habe, sich nach der Mitte des 19. Jahrhunderts mit der „prosaischen Wirklichkeit“ ernsthaft auseinanderzusetzen (105). 76 Vgl. Potthast, insbesondere das Überblickskapitel „Der historische Roman: Gattungsgeschichte, Forschung und Position in der Ästhetik“ (Potthast 2007: 29-55). 50 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Stern selbst sah Schnabels Roman teilweise als historiographisches Dokument, was allein schon die Veröffentlichung seines Artikels, der sich mit der Insel Felsenburg ebenso befasst wie mit der Person ihres Verfassers, im Historischen Taschenbuch zeigt, 77 was aber auch in seiner Auffassung deutlich wird, Schnabel habe durch die vielen eingeflochtenen Biographien ein prägnantes Bild der bürgerlichen Welt Deutschlands in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gezeichnet (Stern, A. 1880: 342). Mit Sterns Artikel setzte eine eigentliche Forschungstätigkeit zu Schnabel und seinem Werk ein, die zu einer neuen Edition von Band 1 der Erstausgabe der Insel Felsenburg führte, 78 sowie in den Jahren 1911 / 12, also gleichzeitig mit dem Erscheinen der Neuausgabe von Oehlenschlägers Inselroman, erste Dissertationen hervorbrachte. 79 Zudem erschien, ebenfalls 1911, unter dem Titel Der deutsche Robinson, eine stark gekürzte und sprachlich vereinfachte Lebensgeschichte des Albert Julius, bearbeitet und herausgegeben von Wilhelm Fischer (Stach 1991: 117). In der Einleitung des Berliner Literaturwissenschaftlers Richard Moritz Meyer zur Neuausgabe von Oehlenschlägers Inseln im Südmeer wird die vermutete, vom Interesse für Schnabel und sein Werk ausgehende Motivation für die Neuauflage von Oehlenschlägers Roman greifbar, denn diese Einleitung befasst sich viel ausführlicher mit Schnabel und der Insel Felsenburg als mit dem Roman, dem sie vorangestellt ist. Zunächst jedoch beschreibt Meyer das äussere Erscheinungsbild der verschiedenen Werke, die er in seinem Aufsatz behandelt: Vor mir liegen die „Wunderlichen Fata einiger Seefahrer“ in drei Bearbeitungen. Da ist zunächst die Originalausgabe oder vielmehr eine der Originalausgaben mit dem schön in Rot und Schwarz gedruckten Titel, Band drei mit einer zweiteiligen Abbildung von Sarg und Grabpyramide des Albertus Julius verziert; dann die beiden Erneuerungen, auf schlechtem Papier und in grauem Druck: Tiecks „Insel Felsenburg“ in sechs und Öhlenschlägers „Inseln im Südmeer“ in vier Bänden, jene von 1828, diese von 1826. (Meyer [1911]: VII ) 80 Der Aufsatz offenbart die Hochschätzung Meyers für Schnabels Roman, während er die damals noch allgemein Tieck zugeschriebene Bearbeitung weitgehend negativ beurteilt, vor allem in Bezug auf die sprachlichen Neuerungen, die ein „ziemlich mattes Deutsch zweiter Hand“ ergeben hätten (Meyer [1911]: XIII). Diese Einschätzung Meyers scheint eine Entsprechung in der äusseren Gestaltung der Ausgaben zu finden: Das schön geschmückte und mit einer Abbildung verzierte Buch repräsentiert Schnabels Werk in würdiger Form, der „graue Druck“ auf „schlechtem Papier“ dagegen passt zu „Tiecks unzureichender Modernisierung“ ([1911]: XIV ). Ganz anders verhält es sich bei Oehlenschläger, in dem Meyer den „einzige[n] wirkliche[n] ‚Bearbeiter‘ des Buches“ sieht ([1911]: X), der durch seine Erneuerung Schnabels Werk gewissermassen zu neuem Leben erweckt, ja, eigentlich zu höherer Vollendung geführt habe, indem er „in die planlose Fülle der Erlebnisse des al- 77 Wilhelm Heinrich Riehl, der das Historische Taschenbuch von 1870-1880 herausgab, verweist im Vorwort zur letzten von ihm betreuten Ausgabe auf die Nähe der Geschichte zur Kunst, besonders zur Literatur, und stellt fest: „heute gibt es viele [Leser], welche aus Romanen Geschichte lernen wollen, […]“ (Riehl 1880: IX-X). 78 Johann Gottfried Schnabel: Die Insel Felsenburg. Erster Theil (1731). Hg. von Hermann Ullrich, Berlin 1902 (= Deutsche Litteraturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts No. 108-120). 79 Zu den Anfängen der Schnabelforschung vgl. Dammann (1997b: 286-288). 80 Das Folgende zu dieser Edition basiert auf meinem Kurzbeitrag in: Müller-Wille u.a. (2017: 243-247). 1.5 Materialität der Fassungen 51 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 ten Buches ein ordnendes Prinzip einzufügen“ vermochte ([1911]: XV ). Auch Meyer liest Schnabels Insel Felsenburg stellenweise als historischen Roman, wie schon Adolf Stern, den er explizit erwähnt. Oehlenschläger hat in Meyers Augen die Gattung im Vergleich zu Schnabel weiterentwickelt, da er sich auf Walter Scott, den grossen Lehrmeister auf diesem Gebiet, stützen konnte. Ausserdem hebt Meyer die Fähigkeit Oehlenschlägers hervor, das Kunstgespräch, ein Hauptelement des romantischen Romans, auf natürliche Weise mit den Figuren und der Handlung zu verknüpfen. Was aus Meyers Einleitung implizit hervorzugehen scheint: Das „schlechte Papier“, der „graue Druck“, sind Oehlenschlägers Werk nicht angemessen. Deshalb erscheint dieses jetzt - was Meyer allerdings nicht erwähnt - analog zur schönen Ausgabe der Insel Felsenburg in einer sorgfältig gestalteten, der Erscheinungszeit entsprechend mit Jugendstilelementen verzierten Edition, deren meerblauen Einband goldene Lettern und eine goldfarbene Vignette mit Schiffsmotiv schmücken. Weitere Vignetten zeigen auf den reich ornamentierten Vorsatzblättern neben Titel und Autornamen eine Burg auf felsiger Insel im Meer - eine graphische Umsetzung der Bezeichnung „Insel Felsenburg“ also. Dass dieses Buch aber nicht etwa die vierbändige Erstausgabe von 1826, die Meyer eingangs erwähnte, sondern einen orthographisch modernisierten Neudruck der gekürzten Version von 1839 enthält, darüber wird der Leser nicht informiert. 81 Abb. 5: Buchdeckel der Ausgabe von 1911 (Foto privat) 81 Wie es zu dieser Inkongruenz kam, liess sich nicht ermitteln; in ihrer Dissertation zu Richard Meyers Hauschronik ordnet Myriam Isabell Richter Oehlenschlägers Roman unter Meyers Editionen ein (Richter 2015, II: 154). Meyer figuriert demnach als Herausgeber eines Romans, zu dem er eine Einleitung schrieb, die weder zur Textfassung noch zur Ausstattung des Buches passt. 52 1 Einleitung Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Die Ausgabe von 1911 wurde von Franz Deibel ganz im Sinne von Meyers Einleitung rezensiert; er nennt den „eben den Staubkammern der Weltliteratur entrissene[n] Roman des Dänen Adam O e h l e n s c h l ä g e r“ (gesperrt im Original) ein „verschollenes Werk […], das wohl von einem nordischen Autor stammt, aber von den Quellen deutschen Geistes und deutscher Dichtung gespeist ward“ (Deibel 1911: Sp. 1515-1516). Hier wird also Oehlenschläger weniger als Vermittler zwischen deutscher und dänischer Kultur gesehen, sondern als ein von deutschem Schrifttum abhängiger Dichter. 82 In enger Anlehnung an Meyer, auf den Deibel sich explizit beruft, spricht er von Oehlenschläger als dem „Goethe des Nordens“ (Sp. 1516). (Meyer nannte ihn den „dänischen Goethe“ [1911: XIV ). 83 Auch Deibel befasst sich in aller Ausführlichkeit mit der Insel Felsenburg , und auch er hält, wie Meyer, die Inseln im Südmeer für eine Aktualisierung, teilweise sogar Verbesserung von Schnabels Werk. Nur am Rande sei erwähnt, dass Arno Schmidt seit 1959 ein Exemplar der Ausgabe von 1911 besass, wie aus der Katalogisierung seiner Bibliothek hervorgeht (Gätjens 1991: 295). Einem Vermerk auf dem Vorsatzblatt zufolge hatte er Oehlenschlägers Roman bereits 1945 im Rahmen seiner kriegsbedingten Stationierung in Oslo erstmals gekauft; das Buch ging jedoch noch im selben Jahr auf der Flucht aus Schlesien verloren und wurde von Schmidt 1959 ersetzt. Anlässlich seiner Beschäftigung mit der Insel Felsenburg kommt Schmidt in mehreren Texten auf „ Öyene i sydhavet “ (sic) zu sprechen, u. a. in den Dialog-Essays Herrn Schnabels Spur (1989: 240) und Das Gesetz der Tristaniten (1995: 311); beide Dialoge stellen Schnabels Roman ausführlich dar, wobei Schmidt vor allem in Herrn Schnabels Spur durch z. T. seitenlange Zitatenmontagen eine besonders anschauliche Präsentation anstrebt, die das Leserinteresse auf den Roman lenken und einen Aufruf an die Verleger für eine Neuausgabe untermauern soll (1989: 257-258). 84 Schmidts Einsatz erstreckte sich bedauerlicherweise nicht auf Oehlenschlägers Roman. Dennoch gibt es seit kurzem eine Neuausgabe des ersten Bandes der IS , d. h. der Fassung von 1826. Für die Herstellung wurde ein vor vielen Jahren angefertigtes und im Internet veröffentlichtes Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek München unverändert gedruckt, zu einem Taschenbuch (mit nichtssagendem Buchdeckel) gebunden und 2018 vom Verlag „Inktank Publishing“ herausgebracht. 85 Im Gegensatz zur redigierten dänischen e-book-Ausgabe, die auf einem gedruckten Buch beruht, bietet die deutsche Taschenbuchausgabe ein genaues Abbild des Digitalisats, was aus buchwissenschaftlicher Perspektive und zu Studienzwecken sicher vorzuziehen ist, leider aber auch die Mängel des Digitalisats (unleserliche Stellen, Flecken, etc.) aufweist. Eine Auskunft darüber, ob der Verlag die 82 Diese Sicht verbindet sich mit einer im Anhang der Ausgabe von 1911 abgedruckten Verlagsreklame für Hans Christian Andersens Märchen meines Lebens ; der Reklametext stellt auch Andersen als eigentlich der deutschen Literatur zugehörig dar: „Wir Deutschen können diesen Dänen aber auch zu den Unsern rechnen, denn er sprach das Deutsche wie seine Muttersprache und hat von fast allen seinen Büchern selbst deutsche Ausgaben veranstaltet.“ 83 Auch für Andersen wird eine Goethe-Analogie postuliert: „Mit der Selbstbiographie Goethes hat Andersens ‚Märchen meines Lebens‘ gemein, dass wir darin ein reiz- und wertvolles Literaturwerk erblicken […].“ (Verlagsreklame im Anhang zu Die Inseln im Südmeer [1911]). 84 Über die seither (und bereits vorher) entstandenen Ausgaben von Schnabels Roman orientiert Gerd Schubert (1997-1999: 121-151, sowie 2000-2001: 165-173 und 2003-2005: 123-125). 85 Es handelt sich also um eine Publikation in der Art, wie sie der grosse Online-Verlag Forgotten Books herausbringt, der im Übrigen den grössten Teil von Oehlenschlägers zweiter deutscher Werkausgabe sowie einige Titel aus Schriften anbietet, ausserdem einzelne bekanntere Werke ( Correggio, Aladdin, Axel und Walborg ) auch in englischen Übersetzungen aus dem 19. Jahrhundert. 1.6 Fazit 53 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 weiteren Bände ebenfalls herausgeben werde, war trotz mehrfachen Nachfragens nicht zu erhalten. Es ist natürlich sehr zu begrüssen, dass der Roman neu aufgelegt wird, und zwar in der ungekürzten Fassung von 1826; allerdings bestehen gewisse Zweifel, ob das Buch in dieser nicht sehr ansprechenden Aufmachung die Leser erreichen wird. Nach der insgesamt eher ablehnenden Rezeption der Erstausgabe von Oehlenschlägers Roman, den dadurch bedingten, kaum erfolgreicheren gekürzten Fassungen und deren gestalterisch verbesserten Neuauflagen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bedeuten die elektronischen Publikationsverfahren der neuesten Zeit immerhin eine Möglichkeit, auch weniger erfolgreiche Werke ohne grossen Aufwand und Verlust für Verlage und Buchhandlungen dem Lesepublikum wieder näherzubringen. 1.6 Fazit Die Darstellung hat den Entstehungsverlauf des Romans gezeigt, von der ersten Inspiration, wie der Autor sie in seiner Vorrede schildert, bis zur letzten von ihm hergestellten gekürzten Fassung des deutschen und dänischen Textes. Einbezogen wurden zudem die nach seinem Tod erschienenen Editionen. Es ist deutlich geworden, in welchem Ausmass andere Akteure als der Autor selbst an der Entwicklung des Werkes beteiligt waren: Sowohl das Lesepublikum wie die Rezensenten, aber auch die Verleger wirkten auf die Gestaltung und insbesondere die weiteren Umschreibungen und Neufassungen des Romans ein. Die Tatsache, dass Oehlenschläger umgearbeitete Fassungen des Romans herausgab, ist an sich kein Novum in seiner Produktionsweise: Von den meisten seiner Werke existieren unterschiedliche Versionen, was kaum überrascht, da die Folgeausgaben oft Jahre nach der Erstfassung entstanden - eine zeitliche Distanz, in der sich Anschauungen und Urteile, ja, auch der literarische und kulturelle Horizont des Autors naturgemäss verändert hatten. Natürlich ist schon die Entstehung der beiden Erstausgaben in einem Umfeld bestimmter Ideen, Vorstellungen und Konzepte zu sehen, die zum Teil lange vor dem Erscheinen des Romans wirksam gewesen waren, wie z. B. Werke von Herder, Scott oder Tieck zeigen; andrerseits war auch eine Bearbeitung von Schnabels Insel Felsenburg nichts völlig Aussergewöhnliches, hatte sich doch gerade Tieck nur wenig später ebenfalls mit Schnabels Roman beschäftigt, nachdem schon Achim von Arnim, aber auch Karl Lappe etliche Jahre zuvor den Roman oder doch Teile davon neu gestaltet hatten. In diese verschiedenen teils zeitgenössischen, teils bereits traditionell gewordenen Felder ist Oehlenschlägers Text eingebettet. Dennoch handelt es sich bei dem Roman Die Inseln im Südmeere um eine Neuschreibung, die sich ganz wesentlich von den genannten Bearbeitungen unterscheidet, da der Text weder eine Nacherzählung von Schnabels Roman, noch eine gekürzte Fassung, aber auch keine Bearbeitung im herkömmlichen Sinn präsentiert. Der Autor hat aus den Schnabelschen Grundgegebenheiten ein gänzlich neues Werk geschaffen, das zwar deutlich von der einst in Deutschland so fruchtbaren Ideenfülle der Frühromantik geprägt ist, jedoch durch die Konstruktion auf der Folie des Romans aus dem 18. Jahrhundert ein ganz eigenes Kolorit gewinnt und sich deshalb nicht ohne weiteres einer gängigen Kategorisierung zuordnen lässt. Im nächsten Kapitel wird ein Inhaltsüberblick über die beiden Romane von Schnabel und Oehlenschläger gegeben, der Näheres zur Charakterisierung von Oehlenschlägers Neuschreibung vermitteln soll. Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 2 Die wunderlichen Fata und Die Inseln im Südmeere: Grundzüge Die folgende Übersicht über die inhaltlichen und strukturellen Grundzüge der beiden Inselromane würde sich für Schnabels Text eigentlich erübrigen, da dieser, wie die grosse Zahl von aktuellen Forschungsarbeiten dokumentiert, die sich seit Jahrzehnten bis heute mit den Wunderlichen Fata beschäftigen, 1 zumindest im Gedächtnis der einschlägigen Forschung noch durchaus präsent ist. Wenn hier dennoch die wichtigsten Elemente von Schnabels Roman kurz in Erinnerung gerufen werden, so geschieht dies, um Oehlenschlägers Inseln im Südmeere , die, wie gezeigt wurde, nicht einmal in Fachkreisen eine auch nur annähernd vergleichbare Beachtung gefunden haben, in kontrastiver Beschreibung zu den Wunderlichen Fata soweit darzustellen, dass das Verständnis der in den folgenden Kapiteln vorgenommenen Analysen etwas erleichtert wird. Diese Detailuntersuchungen entsprechen in ihrer Anordnung nicht dem Handlungsablauf der Inseln im Südmeere , deshalb möchte die folgende Darstellung einen kohärenten Überblick über das Romangeschehen bieten. Einzelne Passagen gehen dabei über ein blosses Handlungsreferat hinaus und versuchen, Hinweise auf bestimmte, im Text verhandelte Themen und Anschauungen zu geben, so dass schon an dieser Stelle der besondere Charakter von Oehlenschlägers Roman erkennbar werden könnte. 2.1 Die wunderlichen Fata Jeder der vier Teile von Schnabels WF , entstanden in den Jahren 1731-1743, wird von einer an den Leser gerichteten Vorrede eingeleitet (vgl. dazu Kap. 4.1.2 dieser Arbeit). Über die zentralen Begebenheiten im ersten Teil orientiert schon das zeittypisch ausführliche Titelblatt: 1 Allein die Existenz der 1995 gegründeten und bis heute bestehenden Zeitschrift Schnabeliana ist ein aussagekräftiges Indiz für das nach wie vor rege Interesse an Schnabel und seinem Roman, das in dieser Publikation natürlich auch anderen Werken Schnabels gilt. Ausserdem zeigt ein Blick in die internationale Bibliographie der Modern Language Association of America (MLA) , dass auch in neuester Zeit kontinuierlich zur Insel Felsenburg publiziert wird. 56 2 Die wunderlichen Fata und Die Inseln im Südmeere : Grundzüge Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Abb. 6: Titelblatt der Erstausgabe des 1. Teils der Wunderlichen Fata . Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Lm1059. © Verlag Zweitausendeins Darauf wird als erster Name, hervorgehoben mit grossen roten Antiqua-Lettern, jener von Albert Julius genannt, der sich als einer von vier Schiffbrüchigen auf eine unbewohnte Felseninsel retten konnte und dort zusammen mit der ebenfalls geretteten Concordia eine Familie gründete, die durch mehrere Generationen noch zu Alberts Lebzeiten auf über 300 Mitglieder anwuchs. 2 Sein Urgrossneffe Eberhard Julius, dessen Name auf dem Titel- 2 Vgl. dazu eine frühe Robinsonade, Henry Nevilles The Isle of Pines, in welcher der Buchhalter George Pine nach einem Schiffbruch auf einer unbewohnten Insel strandet und dort zusammen mit den vier Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 blatt ebenfalls in roter Antiqua erscheint, hat die Wunderlichen Fata „entworfen“, während sie von Gisander im Jahr 1731 redigiert und in Druck gegeben wurden. Das Titelblatt bietet also eine Fülle von Informationen und lenkt in seiner variantenreichen Gestaltung (rote und schwarze Fraktur- und Antiqua-Buchstaben in verschiedenen Schriftgrössen und durchkomponierten Absätzen) die Auffassung des Lesers hinsichtlich Gewicht und Bedeutung des Mitgeteilten, 3 verrät aber nichts vom erzählerischen Reichtum, den das Buch vor allem in den turbulenten, dramatischen Lebensläufen der Inselbewohner birgt, und lässt auch nichts von der komplexen Struktur des Romans erahnen, dessen kunstvolles Erzählgeflecht auf mehreren Zeitebenen und in verschiedenen Rahmungen spielt und die ursprünglich leere Insel nicht nur mit Menschen, sondern vor allem mit Erzählungen anfüllt, wobei gewissermassen das „Erzählen des Erzählens“ immer wieder thematisiert wird. Die näheren Umstände der auf dem Titelblatt des ersten Teils angekündigten Rettung nach dem Schiffbruch erfährt der Leser aus Alberts Lebenserinnerungen, die dieser dem engsten Kreis seiner Vertrauten auf der Insel Felsenburg Abend für Abend vorträgt; jedoch ist seine Erzählung eingebettet in die Biographie Eberhards, der seinerseits als Ich-Erzähler das eigene Leben schildert: Dank einem geheimnisvollen Brief seines Urgrossonkels Albert gelangt auch er auf die Insel Felsenburg, zusammen mit anderen, nach ihren beruflichen Funktionen und Fähigkeiten sorgfältig ausgewählten Europäern, unter ihnen ein protestantischer Pfarrer namens Schmeltzer, der alle religiösen Handlungen für die streng lutherische Inselgemeinschaft verrichten soll; ausserdem Litzberg, ein Literat und Mathematiker, ferner Kramer, ein Chirurg, und Lademann, ein Musiker und Tischler, sowie weitere, auf der Insel Felsenburg benötigte Handwerker. Eberhard verkörpert die übergeordnete Erzählstimme, die durch den Gang der Handlung führt. Seine Aufzeichnungen bilden, wie auf dem Titelblatt angegeben, die Grundlage der Wunderlichen Fata und bestehen zur Hauptsache aus den zahlreichen Lebensgeschichten, die auf der Insel Felsenburg, aber auch - wie jene des Kapitäns Wolffgang, der Eberhard zur Insel bringt - schon auf hoher See erzählt werden. Eberhards eigenes Ich tritt dabei zurück und lässt Raum für das Ich des jeweiligen Erzählers, wie z. B. im Fall von Albert Julius, dessen Erzählung sich über gut 300 Seiten des ersten Teils erstreckt und ihrerseits wiederum andere Lebensläufe in sich aufnimmt, wie z. B. jenen des Kapitäns Lemelie, der sich mit Albert zusammen auf die Insel Felsenburg retten konnte; seine kurz vor dem Tod erzählte, verbrecherische Lebensgeschichte ist nun als Ich-Erzählung in Alberts Bericht integriert, wie auch einige Biographien von später auf die Insel gelangten Schiffbrüchigen. Auf diese Weise präsentiert sich der erste Teil der WF weitgehend als dreistufiges Erzählmuster, indem der Ich-Erzähler Eberhard Alberts Ich-Erzählung aufzeichnet, in die wiederum mehrere andere Ich-Erzählungen eingelassen sind. Den Rahmen dieser intensiven polyphonen Erzähltätigkeit bildet die Begehung der Insel: Eberhard und die mit ihm angereisten Europäer werden durch die Besiedlungsräume der Frauen, die mit ihm gerettet wurden, eine schnell wachsende Nachkommenschaft zeugt, die in seinem knapp gehaltenen Bericht von Seite zu Seite rasant zunimmt, so dass sich die fünf gestrandeten Personen gegen Ende seines 80jährigen Lebens zu 1789 Nachkommen vervielfältigt haben (Neville 1999: 187-212). Diese ausserordentliche, polygame Fruchtbarkeit weist Jürg Glauser auch für den Text selber nach, der eine „schon fast immense Produktivität entwickelte“, indem er sich „gleich seinem Titelhelden mit allem paarte, was seinen Weg kreuzte“ und so, durch unzählige Textverbindungen, immer wieder neue Texte generiert habe (Glauser 1999: 287 und 290). 3 Zur Funktion des Titelblattes im 18. Jahrhundert als Buchwerbung und Leserinformation vgl. Hauke (1999: 54-60). 2.1 Die wunderlichen Fata 57 58 2 Die wunderlichen Fata und Die Inseln im Südmeere : Grundzüge Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Insel geführt und erfahren deren Hauptzüge und Merkmale jeweils in den Erzählpausen. Diese werden dabei zu eigentlichen Ruhepausen zwischen den vorgetragenen Lebensgeschichten, denn der idyllische Charakter der Inselräume kontrastiert aufs schärfste mit den erzählten Biographien, die zumeist von allen Formen der Gewalt, von Hunger, Armut, Elend und überhaupt allen erdenklichen Übeln und Gräueltaten geprägt sind, so dass die Erzählenden sich glücklich schätzen, auf der Insel Felsenburg Asyl 4 gefunden zu haben. Im Anhang zum ersten Teil der WF zeigen genealogische Tabellen die Entwicklung von Alberts Nachkommenschaft, die sich, wie genauestens vorgerechnet wird, im Jahr 1725 auf 346 Personen beläuft, jene Europäer mitgezählt, die mit Kapitän Wolffgang auf die Insel gereist sind. Ein weiterer Anhang bringt die Lebensbeschreibung des Don Cyrillo de Valaro. Aus dem lateinischen Manuskript, das Eberhard ins Deutsche übersetzt hat, geht hervor, dass auch Cyrillo als Schiffbrüchiger an die Küste der Insel Felsenburg geworfen wurde, und zwar gut 130 Jahre vor Albert. Dieser Verlängerung der Zeitachse entspricht auch eine geographische: Von den Erzählungen aus dem Raum Deutschland - England - Holland (und ein einziges Mal Frankreich, im Fall von Lemelie) verlagert sich der Schauplatz nun nach Spanien, woher Cyrillo stammt. Im Gegensatz zu den meisten andern Erzählenden bewegte er sich nicht in Bürger- oder Handwerkerkreisen, sondern wuchs als Adliger am kastilischen Königshof auf. Seine Biographie umspannt ein grosses Spektrum verschiedenster Lebensformen: Dem Beginn mit Tournieren, Duellen, Kriegszügen und Intrigen in der Adelswelt folgen nach der Teilnahme an den Eroberungs- und Raubzügen der spanischen Konquistadoren schliesslich Schiffbruch und Strandung an der Insel Felsenburg, wo sich Cyrillo zum frommen Einsiedler wandelt, der im Alter von 105 Jahren seine Biographie für zukünftige Ankömmlinge auf der Insel niederschreibt, und zwar, wie Cyrillo dabei mitteilt, in zwei Sprachen: lateinisch und spanisch ( WF I: 648). 5 Am Schluss des ersten Teils der WF steht folglich ein Manuskript, das den eigentlichen Beginn menschlichen Daseins auf der Insel Felsenburg beschreibt und überdies statt des Erzählens das Schreiben thematisiert. 4 Die Bezeichnung in diesem Kontext stammt von Fritz Brüggemann, der erklärt, die Insel Felsenburg habe für ihre Bewohner kein Exil, sondern ein Asyl dargestellt (1914: 85); diese Einschätzung relativiert Günter Dammann, indem er einige Beispiele von glücklicheren Biographien vor allem aus dem zweiten Teil der WF anführt (1997a: 95-97). 5 Oehlenschlägers zweisprachige Romanproduktion hat also einen Vorläufer in Cyrillos ebenfalls in zwei Sprachen verfasstem Manuskript. Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Abb. 7: Titelblatt der Erstausgabe von Teil 2 der Wunderlichen Fata. Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar 32,3: 59 b . © Verlag Zweitausendeins Der zweite Teil der WF präsentiert sich schon im Titelblatt als Fortsetzung und erwähnt nun auch den Namen „Insel Felsenburg“ - in roten gotischen Buchstaben, was die Hauptperson Albert Julius (in schwarzer Antiqua) optisch etwas zurückdrängt; sonst aber bringt das Titelblatt im Vergleich zu jenem des ersten Teils wesentlich weniger Informationen, wohl, weil der Leser ja schon weiss, worum es sich bei dem neuen Buch handelt, das 1732, 2.1 Die wunderlichen Fata 59 60 2 Die wunderlichen Fata und Die Inseln im Südmeere : Grundzüge Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 also nur ein Jahr nach dem ersten Teil, erschienen und ganz ähnlich wie dieser strukturiert ist: Eberhard führt wiederum als Ich-Erzähler durch die Handlung, welche die Geschehnisse auf der Insel, d. h. in der Erzählgegenwart, mit biographischen Erzählungen kombiniert. Diesmal sind es keine eigentlichen Seefahrer-Geschichten, denn es erzählen die Europäer, die von Kapitän Wolffgang für die Insel rekrutiert und mit Eberhard zusammen auf die Insel Felsenburg gebracht wurden; sie haben zwar eine Seefahrt hinter sich, doch wurde diese von Eberhard schon im ersten Teil geschildert, würde also hier keinen neuen Stoff mehr bieten und verlief zudem ohne Schiffbruch, so dass die Passagiere unbeschadet auf der Insel Felsenburg landen konnten. Nach neun Erzählauftritten schaltet sich der Herausgeber Gisander mit einer Fussnote ein: Eberhard habe die restlichen vier Lebensläufe auch an dieser Stelle eingefügt, jedoch wolle er, Gisander, sie für den unfehlbar bald folgenden dritten Teil sparen, da sonst „dieser andere Theil des Wercks, den Ersten um viele Bogen übertreffen dürffte, […]“ ( WF II : 538-539). Stattdessen folgt doch noch eine Seefahrer-Geschichte: Kapitän Horn, der nach der Landung Eberhards und der anderen Europäer auf der Insel Felsenburg das Schiffskommando von Wolffgang übernommen hatte und nach Ostindien weitergesegelt war, kommt auf die Insel zurück und schildert seine durch furchtbare Stürme und anderes Ungemach immer wieder aufs äusserste gefährdete Seereise, die aber schliesslich doch glücklich endete. Nach Horns Bericht übernimmt Eberhard für den Rest des Buches wieder die Erzählerrolle. Inhaltlich tritt nun ein neuer Schauplatz in den Vordergrund: Die Leute, die Kapitän Horn mitgebracht hat, werden auf der Insel Klein- Felsenburg einquartiert, einer kleineren Nachbarinsel, deren Entdeckung Albert schon im ersten Teil kurz erwähnt hatte ( WF I: 465), und die Eberhard mit seinen Freunden später genauer erkundete, obwohl Albert dies eigentlich nicht wünschte und von Eberhard dazu überredet werden musste. Horns Passagiere erhalten, bis auf wenige Auserwählte, keinen Zutritt zur Insel Felsenburg: Gewisse Abschottungs- und Ausschlusstendenzen, die schon im ersten Teil sichtbar geworden waren, verstärken sich im zweiten Teil deutlich. Eberhard schifft sich mit Kapitän Horn nach Europa ein, um seinen Vater und seine Schwester zu suchen und mit ihnen zur Felsenburg zurückzukehren. Unter grossen Mühen und Anstrengungen - die Schwester muss aus einer erzwungenen Verlobung freigekauft werden - gelingt es Eberhard, alle Verhältnisse soweit zu ordnen, dass er mit Vater und Schwester nach Amsterdam reisen kann, wo ihn Kapitän Horn zur Einschiffung nach der Felsenburg erwartet. Vor der Abreise sorgt Eberhard noch dafür, dass sein Manuskript in Druck gegeben wird, und verspricht eine Fortsetzung. Ein Anhang, bestehend aus einigen Briefen, orientiert andeutungsweise über die Reise nach Amsterdam und letzte Vorbereitungen auf die Abreise von Europa. Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 2.1 Die wunderlichen Fata 61 Abb. 8: Titelblatt und Frontispiz der Erstausgabe des 3. Teils der Wunderlichen Fata. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Lo 6958. © Verlag Zweitausendeins Das Titelblatt des dritten Teils, mit den gleichen graphischen und farblichen Elementen gestaltet wie die vorhergehenden Titelblätter, erwähnt Alberts Tod im Alter von 103 Jahren. Diese in kleiner, unauffälliger Schrift gedruckte Mitteilung erhält besondere Aufmerksamkeit durch das beigefügte Frontispiz, welches in der oberen Hälfte das Grabmonument für Albert Julius mit dessen Lebensdaten zeigt, während die untere Hälfte seinen von neun Kerzen umstandenen Sarg abbildet. 6 Alberts Sterben, das sich über mehrere Seiten hinzieht, ereignet sich ungefähr in der Mitte des dritten Teils, steht also in dessen Zentrum. Nach Alberts Beerdigung wird die Grabpyramide, die der Leser schon vom Frontispiz her kennt, errichtet und mit mehreren Symbolen und lobpreisenden Inschriften in lateinischer, deutscher und englischer Sprache geschmückt. Wenig später begeben sich Eberhard und seine Freunde auf die Insel Klein-Felsenburg, wo ihnen seltsame Phänomene erscheinen, wie Flammen und Feuerkugeln, begleitet von schrecklichen Stimmen, die Unverständliches sprechen. Sie finden zehn steinerne Urnen mit rätselhaften Zeichen und Figuren, später einen Tempel mit zwölf goldenen Götzenbildern sowie eine grosse Zahl von beschriebenen Tafeln aus Stein, Kupfer und Gold. Alles wird auf die grosse Felseninsel gebracht, wo man nach längeren Diskussionen auf den Rat Pfarrer Schmeltzers beschliesst, die Tafeln zur Entzifferung nach Europa zu senden. Erstmals wird nun auf der Insel Klein-Felsenburg erzählt, was auch sie zu einem Erzählraum macht. Kapitän Horn reist mit verschiedenen Aufträgen wieder nach Europa, u. a. soll er eine voll ausgerüstete Druckerei samt allen dafür benötigten Fachleuten auf die Insel bringen, auch soll er die Tafeln der Insel Klein-Felsenburg entziffern lassen und Eberhards Manuskript des dritten Teils der WF an Gisander übergeben. Dieser fährt nun anstelle von Eberhard, dessen Manuskript ja abgeschlossen ist, mit der Erzählung fort; er berichtet, dass Kapitän Horn 6 Michael Dominik Hagel macht darauf aufmerksam, dass die Kerzen auf die neun Stammfamilien mit dem Namen Julius verweisen: Genealogische Tabellen, WF I: 516-525 (Hagel 2011: 184). 62 2 Die wunderlichen Fata und Die Inseln im Südmeere : Grundzüge Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 seine Redaktion der beiden bisherigen Bände gelobt und ihn gebeten habe, ihm den dritten Teil vorzulesen, wobei Horn das Manuskript stellenweise verbessert habe. Es folgt - von Gisander aufgezeichnet - der Bericht Horns, wie er versuchte, jemanden zu finden, der die Klein-Felsenburger Tafeln entziffern konnte; dies gelang ihm jedoch nicht, so dass er sie unentschlüsselt bei einem Gelehrten zurücklassen musste, der versprach, sie an die „vornehmsten Societäten der Künste und Wissenschaften in Europa“ zu senden. Gisanders Schlusswort orientiert den Leser noch über die Einschiffung Horns nach der Felsenburg und über die endgültige Redaktion der „Felsenburgische[n] Geschichtsschreibung“. ( WF III: 485-486) Abb. 9: Titelblatt der Erstausgabe des 4. Teils der Wunderlichen Fata. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 8° Fab.Rom. VI , 2525 b . © Verlag Zweitausendeins Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Der vierte Teil der WF , der im Gegensatz zu den Teilen 2 und 3 von Schnabel nicht angekündigt wurde, bringt im Titelblatt, nach der bereits bekannten Fortsetzungsformel, in roten Antiqua-Grossbuchstaben den Namen der persisch-candaharischen Prinzessin Mirzamanda, deren Lebensgeschichte „fast ein Haupt-Stück der Felsenburgischen Geschichte“ ausmache. Dies unterstreicht das dreigeteilte Frontispiz, dessen grösstes und detailreichstes Bild ein schreckliches Ereignis im Leben der Mirzamanda darstellt, nämlich die Ermordung ihrer Mutter, die sie als ganz kleines Kind miterlebte. Abb. 10: Szene aus dem Frontispiz des 4. Teils der Wunderlichen Fata . Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 8° Fab.Rom. VI , 2525 b . © Verlag Zweitausendeins Möglicherweise sollte das persische Element im Titel dem Leser signalisieren, dass in diesem Roman von Magie, Zauberei, Geisterbeschwörung und Ähnlichem die Rede sein würde, 7 und tatsächlich durchziehen solche Phänomene nicht nur Mirzamandas Lebensgeschichte, sondern breiten sich über grosse Teile des vierten Bandes aus. Als eine Art Gegenkraft zu diesen heidnischen Praktiken mag man die zahlreichen, sich über viele Seiten ausdehnenden frommen Predigten, Kantaten, Gebete etc. des vierten Teils verstehen. Die Zaubereien und Geisterauftritte werden zwar jeweils als real erlebte Ereignisse geschildert, gleichzeitig aber implizit verurteilt, denn sie sind mit dem Fremden, mit Irrglauben und Aberglauben verbunden und gehen von der Insel Klein-Felsenburg aus; dort treibt einer der auf der Insel stationierten Portugiesen schwarze Magie, und dort strandet auch Mirzamanda als Schiffbrüchige - in Begleitung einer Teufelsanbeterin, die später in einer schauerlichen Spukszene vom Satan geholt wird. Auf Klein-Felsenburg werden ausserdem portugiesische Spione entdeckt, die vermutlich etwas mit der späteren Belagerung und Bombardierung der grossen Insel durch portugiesische Kriegsschiffe zu tun haben. Die Felsenburger schlagen die Angreifer in die Flucht, doch das Bewusstsein der Gefährdung ihres Inselparadieses ist geweckt. Das Ende des vierten Teils bildet der Brief eines unbekannten Gelehrten an die Felsenburger über die im dritten Band auf Urnendeckeln gefundenen rätselhaften Zeichen. Der Gelehrte deutet sie als Symbole für die Götzenbilder aus dem klein-felsenburgischen Tem- 7 Die Perser wurden traditionell mit Magiern in Verbindung gebracht. Laut Zedler war „Magus“ die Bezeichnung für einen persischen Weltweisen (1732-54, 19: 234). 2.1 Die wunderlichen Fata 63 64 2 Die wunderlichen Fata und Die Inseln im Südmeere : Grundzüge Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 pel und beschreibt die von den Statuen dargestellten heidnischen Götter ausführlich in ihren Eigenschaften und Funktionen, die in ihrer Gesamtheit das System einer archaischen Naturreligion ergeben. Dieser Anhang, der ohne Kommentar und ohne jede Wertung das vierbändige Romanwerk abschliesst, scheint die engen Klammern der alles beherrschenden evangelisch-lutherischen Orthodoxie etwas zu lockern und den Blick auf eine uralte, gänzlich andere religiöse Auffassung zu erlauben. 2.2 Die Inseln im Südmeere Die folgenden Angaben zu Inhalt und Aufbau von Oehlenschlägers Roman beziehen sich auf die deutsche Ausgabe von 1826, die in dieser Arbeit im Sinne einer Fokussierung auf die prozessuale Entwicklung des Werks generell als Ausgangstext und Basis für die weiteren Fassungen gewählt wurde. Diese Wahl steht im Widerspruch zu früheren Vorgehensweisen, denn bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts pflegten die Literaturwissenschaftler ihren Analysen die „Ausgabe letzter Hand“ eines Textes zugrundezulegen, die als endgültig abgeschlossene Werkfassung, sozusagen als Repräsentation des „letzten Willens“ eines Autors in Bezug auf sein Werk betrachtet wurde, eine Auffassung, die sich mit den neuen Ansätzen, wie sie z. B. von der New Philology, der Diskursanalyse oder den Intertextualitätskonzepten entwickelt wurden, grundlegend änderte: Die Sicht des Autors als „Herr über seinen Text“ wurde ersetzt durch die Idee einer Autorinstanz, die als Instrument der Textgenerierung fungiert und also keinen Willen, keine Intention besitzt, nach der geforscht werden kann; die gängige Vorstellung vom Werk als geschlossene, alle Vorstufen hierarchisch dominierende „Ausgabe letzter Hand“ wurde geöffnet auf einen Textbegriff hin, der die Dynamik, die Polyvalenz, die Instabilität und Unabgeschlossenheit eines textuellen Produktes in den Blick nimmt. 8 Dieser Paradigmenwechsel legt nahe, jeweils den Erstdruck als Textgrundlage zu wählen, da er als Ausgangspunkt für alle späteren Fassungen / Varianten das Prozessuale der Textgenese einleitet und damit deren dynamischen Charakter wahrnehmbar macht. Freilich stellt sich hier die Frage, warum dann nicht auf das Manuskript - soweit noch vorhanden und auffindbar - als allererste, medial fassbare Stufe des Entstehungsprozesses zurückgegriffen wird. In der vorliegenden Arbeit erfolgt die Wahl des Erstdruckes als Grundlage für die durchgeführten Analysen vor allem im Hinblick auf die Möglichkeit der Rezeption, die in den meisten Fällen erst auf die Druckfassung reagieren kann, d. h. es ist die gedruckte Ausgabe, die eine öffentliche und damit erst literaturwissenschaftlich einzuschätzende Wirkung hervorzubringen vermag. 9 Nimmt man Oehlenschlägers Roman in der Ausgabe von 1826 zur Hand, so fallen zwei Neuerungen gegenüber Schnabel sofort ins Auge: Als erstes der kurze Titel (vgl. dazu 8 Herbert Kraft hält im Kapitel „Geschichtlichkeit, nicht Vermächtnis oder Authentizität statt Autorisation“ seiner Publikation Editionsphilologie fest: „ Das Interesse an der Literatur fragt nicht nach Kriterien, die ihr äusserlich sind, darum auch nicht nach dem Willen des Dichters, sondern reflektiert das Werk in seiner eigenen Geschichtlichkeit, in Produktion und Rezeption als dem Prozess seiner Geschichte “ (2001: 28; kursiv im Original). 9 Die Beispiele, in denen das handschriftliche Manuskript zusammen mit der gedruckten Ausgabe veröffentlicht wird und so den Entstehungsprozess umfassend dokumentieren, sind immer noch eher als Ausnahmen anzusehen. Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Kap. 4.1.1), dann aber auch die Einteilung des Textes in Kapitel, eine leserfreundliche Massnahme, die Übersichtlichkeit schafft. Jeder Teil enthält zwischen zwanzig und dreissig, mit kurzen Überschriften versehene Kapitel von variabler Länge. 10 Teil 1 beginnt, wie bei Schnabel, mit dem Auftritt von Eberhard Julius. Bei Oehlenschläger wird Eberhard jedoch in die dritte Person versetzt; ein auktorialer Erzähler führt durch den Text. Dieser Wechsel der Erzählinstanz resultiert in einer wesentlich stärkeren Konturierung der Figur Eberhards; er wird zu einer facettenreichen Person aufgewertet und erhält ein detailliert geschildertes, mit einer grossen Anzahl neuer Episoden und neuer Figuren angereichertes Schicksal, das den ganzen ersten Teil füllt. Auch seine Eltern werden eingehender charakterisiert; über die Mutter heisst es: [S]ie war […] aus dem Geschlechte Luthers, mit seinen Liedern und Gesangsweisen auferzogen, die persönlichen Verhältnisse Luthers, Melanchtons (sic), Bugenhagens u. s. w. kannte sie alle sehr genau und wusste sie in lebhaften Zügen vorzutragen. Eine für ihre Zeit so gebildete Frau hatte auf den Sohn grossen Einfluss gehabt. ( IS I: 3) Schon auf der dritten Seite wird also die Abstammung von Luther erwähnt, eine Verwandtschaftsbeziehung, die für Eberhard und besonders für seinen Urgrossonkel Albert Julius von entscheidender Bedeutung ist, wie im Verlauf des Romans noch deutlich wird. Der Student Eberhard wird gleich zu Beginn vom Tod der Mutter und dem Bankrott des Vaters getroffen. Trotz der Unterstützung durch Hanna Hellkraft, eine aus der Schweiz stammende mütterliche Freundin, die - offenbar aufgrund ihrer schweizerischen Herkunft - ihrem sprechenden Namen zufolge als Inbegriff bodenständiger Vernunft und Tüchtigkeit erscheint, fällt es ihm schwer, sich in seiner neuen Lage zurechtzufinden. In dieser Situation trifft, wie bei Schnabel, ein Brief ein, mit dem ihn ein gewisser Kapitän Wolfgang 11 nach Amsterdam einlädt. Eberhard entschliesst sich zur Reise, auf der ihn Hanna Hellkraft begleitet. Unterwegs besichtigt er den Kölner Dom und lernt dabei zwei Personen kennen, die schon in den WF eine grössere Rolle spielten: Litzberg und Lademann. Eberhard trifft sie bei der Ausübung künstlerischer Tätigkeiten: Litzberg zeichnet das Domportal und Lademann spielt Bach’sche Orgelmusik. Ein „Künstler“ ganz anderer Art ist Obadias Schlenk, der Eberhard aus einer misslichen Lage in der Krypta des Doms befreit und ihn gleichzeitig bestiehlt, dank Eberhards Grossmut aber einer Verhaftung entgeht. Da auch Litzberg und Lademann nach Amsterdam unterwegs sind, schliesst man sich zu einer kleinen Reisegesellschaft zusammen und führt auf der Rheinfahrt nach Holland mit den übrigen Passagieren, zu denen später auch Leibniz stösst, lebhafte Streitgespräche. An dieser Stelle löst sich der auktoriale Erzähler von seinen Figuren: „Wir lassen jetzt unsere Reisende segeln oder fahren, wie es ihnen gefällt“ ( IS I: 121), und wendet sich explizit an den Leser, indem er über die Möglichkeiten der Dichtung reflektiert, Landschaft in Worten wiederzugeben. In einer ironischen Wendung bemitleidet er den Leser, der in Romanen immer wieder dieselben Landschaftsbeschreibungen lesen müsse, und spottet über die romantischen Topoi der Naturschilderung: „wie grün die Wälder, wie majestä- 10 Die Unterteilung von Romanen in Kapitel ist eine Neuerung allerdings nur im Verhältnis zu Schnabel; schon Cervantes’ Don Quijote ist in Kapitel gegliedert (mit kurzen, humoristischen Inhaltsangaben, eine Art der Leserkommunikation, die sich bis ins 18. und 19. Jahrhundert fortsetzte, z. B. bei Fielding oder Dickens). 11 Dies die gegenüber Schnabels „Wolffgang“ leicht vereinfachte Namensform in den IS . 2.2 Die Inseln im Südmeere 65 66 2 Die wunderlichen Fata und Die Inseln im Südmeere : Grundzüge Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 tisch die Berge, wie rauschend die Wasserfälle […]. Wie die Lerchen des Morgens im Felde sangen, und die Nachtigallen am Abend im Haine flöteten“ ( IS I: 122). Er hält nichts von „Wortgemälden“ ( IS I: 123), da dem Dichter ausser der schwarzen keine Farben zur Verfügung stünden, und damit liessen sich nur Begebenheiten erzählen oder „den inwendigen Menschen“ malen. Dann führt er den Leser durch die holländische Landschaft, beschreibt ihm eine ganze Reihe von Szenen holländischen Lebens, die er sich ansehen könnte, doch rät er ihm von solchen Besichtigungen ab, denn all das sehe der Leser weit besser auf den Bildern der „grossen Meister der niederländischen Schule“ ( IS I: 127). 12 Da sich die holländischen Szenen wie Beschreibungen von Genrebildern der flämischen und niederländischen Maler des 17. Jahrhunderts lesen, 13 scheint hier ein Medienwechsel stattzufinden, der mit dem Phänomen der romantischen Ironie spielt, indem gemalte Szenen wiederum mit Worten gemalt werden, wodurch die Kritik gegen die „Wortgemälde“ ironisch subvertiert wird. Der Vorgang lässt sich aber auch als Hinweis auf ein Wechselspiel, eine gegenseitige „Befruchtung“ von Malerei und Dichtung verstehen. Bezeichnenderweise ist es ein prosaischer Einwurf Hanna Hellkrafts, der den Kunstdiskurs des Erzählers beendet, so dass der Leser von der Höhe der kunsttheoretischen Reflexionsebene abrupt auf die „flache seichte Ebene“ stürzt, wie Hanna Hellkraft die holländische Landschaft bezeichnet, welche sie als „Schweizerin, auf dem Rigi geboren“ ( IS I: 128), geradezu verabscheut; ihr Urteil führt bei den Gefährten zu einem Gespräch über die Lebens- und Wesensart der Holländer, wobei die Anhäufung teilweise kruder Holländerklischees wie eine Antithese zu den erwähnten romantischen Topoi wirkt. Auf der Weiterreise werden Eberhard und seine Freunde Zeugen der Hinrichtung ihres Bekannten Obadias Schlenk, der wegen Diebstahls gehängt wird. Wie in einer biblischen Traumvision sieht Eberhard in der folgenden Nacht Obadias auf dem Regenbogen, den der Dieb einst als unnütze „Schnurrpfeiferei der Natur“ bezeichnet hatte ( IS I: 88-99), gegen den Himmel klettern. Des Regenbogens bedienen sich in dieser Vision auch die nordischen und germanischen Götter, genannt werden Thor und Heimdall ( IS I: 200-201). Der Regenbogen verbindet hier also nicht nur Himmel und Erde, sondern auch heidnische und christliche Mythologie. Mit der Integration der ursprünglichen Religion seines Landes in den biblischen Kontext führt der dänische Autor in gewisser Weise Leibniz’ Vorstellung des alles in sich aufnehmenden Weltganzen fort. Synkretistische Tendenzen verschiedener Art lassen sich im Roman immer wieder feststellen, wie noch zu zeigen sein wird. Obadias’ Leiche soll als anatomisches Anschauungsmaterial seziert werden, was Eberhard jedoch verhindert, indem er sie den Medizinern abkauft, obwohl er weiss, dass der Tote der Wissenschaft und damit den Lebenden gedient hätte. „Ich bin aber nun einmal so“, gibt er als Begründung an ( IS I: 211). Eberhards pietätvolle Tat kontrastiert eine Episode aus Kramers Lebensgeschichte im 2. Teil der WF , in der ein armer Medizinstudent aus Not den Leichnam seiner eigenen Mutter an die Anatomie verkauft ( WF II : 225-227). 12 Dass die Kunst einen tieferen Eindruck vermittelt als die Realität, wird später in einer anderen Spielart wiederholt, nämlich beim realen Erlebnis einer Bergbesteigung, das von der Wirkung der blossen Lektüre eines Berichtes zu derselben Unternehmung übertroffen wird. 13 Auch Brynhildsvoll ist der Meinung, es handle sich bei „fast allen Motiven der holländischen Reise […] um Ekphrasen “ und vermutet, dass Oehlenschläger hier eine englische Tradition des 18. Jahrhunderts übernehme, indem er statt Schilderungen der Natur Beschreibungen von Genrebildern gebe (1996: 126 und 131, Anm. 15). Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Die Vorgänge um Obadias’ Tod beeindrucken Lademann so tief, dass er an einem heftigen Fieber erkrankt und ins Delirium gerät. Die Mittel des Arztes bessern seinen Zustand kaum. Was ärztliche Kunst nicht vermag, gelingt jedoch seiner eigenen: Er komponiert eine Seelenmesse für Obadias, spielt sie auf der Orgel der nahen Kirche und ist geheilt. Während Eberhard den Freunden seine Reflexionen zur erdgebundenen Baukunst, der körperlosen, immer entschwindenden Musik und der Dichtkunst als Bindeglied zwischen beiden vorträgt, gelangen sie nach Saardam, wo sie Peter dem Grossen begegnen, der dort als Schiffszimmermann arbeitet; mit ihm werden die Kunstgespräche fortgeführt, teilweise auch in der Form von Umsetzungen zu konkreten Bühnenwerken. Sie reisen weiter nach Amsterdam, der vermeintlich letzten Station ihrer gemeinsamen Reise. Eberhard trifft dort, wie vereinbart, Kapitän Wolfgang, und erhält von ihm einen Brief, in dem Albert Julius seinen jungen Verwandten in Gedichtform zu sich, dem „hundertjähr’ge[n] Greis / Am hohen Felsenstrande“ einlädt ( IS I: 334). Das erste Zeichen Alberts im Roman ist also wie bei Schnabel ein Brief an den Urgrossneffen, doch verleiht die Versform dem Schriftstück ein künstlerisches Gepräge und erhebt so Alberts ersten „Auftritt“ auf die Ebene der Kunst. Die nun folgende Schiffsreise, zu der sich auch Litzberg und Lademann sowie der ebenfalls aus den WF bekannte Pfarrer Schmelzer einfinden, beschreibt Eberhard in seinem Tagebuch; sein „Ich“ tritt damit an die Stelle des auktorialen Erzählers. Das Tagebuch enthält eine Vielfalt von Gattungen: eine Hymne ans Meer, verfasst in freien Rhythmen, allgemeine Betrachtungen über die Seefahrt sowie die Erzählung diverser Episoden der gegenwärtigen Schifffahrt, zu denen auch die Schilderung eines Sturmes auf hoher See gehört, der die Passagiere zu Tode ängstigt; nur Lademann zeigt keinerlei Furcht, im Gegenteil: er nimmt den Sturm als „Concert sonder Gleichen“ wahr ( IS I: 368), hört ihn als grosses musikalisches Kunstwerk und bedauert nur, dass er die ganze Komposition kaum werde zu Papier bringen können. Für ihn überwindet die Kunst den Tod oder zumindest die Todesangst, ähnlich, wie sie sein Delirium nach Obadias’ Hinrichtung heilte. Eine längere Episode spielt auf Teneriffa, wo die Schiffsreisenden nach dem Sturm Halt machen. Auch in den WF landet die Reisegesellschaft nach überstandenem Sturm auf Teneriffa, und wie bei Schnabel will Eberhard den Pic nicht besteigen. Während in den IS Lademann und Litzberg den Pic erklettern, spaziert Eberhard zusammen mit seinem Hund Suchverloren durch die Wälder der Insel; dabei entdeckt der Hund eine Höhle, in die auch Eberhard eintritt und auf eine grosse Zahl mumifizierter Guanchen stösst. Ganz ähnlich wie in der Episode im Kölner Dom, die der Text explizit in Erinnerung ruft ( IS I: 379), läuft Eberhard wieder Gefahr, lebendig begraben zu werden, diesmal in der Gesellschaft von Toten, denn er findet den Weg aus der Höhle nicht mehr. Der Pudel Suchverloren, der seinen Namen nicht umsonst trägt, weist ihm schliesslich den Ausweg und rettet ihm so das Leben. Bis zur Rückkehr seiner Freunde liest Eberhard in alten Reisebeschreibungen Berichte über die Besteigung des Pic. Als die Gefährten erschöpft zurückkehren, gibt Eberhard in einer detaillierten Erzählung seine Lektüre als eigene Gipfelbesteigung aus. Lademann, der Eberhards Schilderung für bare Münze nimmt, kann nicht verstehen, wie jener alles so genau im Gedächtnis behalten konnte, während er, Lademann, der tatsächlich auf dem Pic war, das meiste schon wieder vergessen habe. Die Lektüre vermag also das Erlebnis zu ersetzen; dessen Wirkung ist in der literarischen Gestaltung tiefer als das reale Erleben. Ganz zum Schluss, als letztes Kapitel des ersten Teils, wird mit Kapitän Wolfgangs Erzählung seiner Lebensgeschichte erstmals ein zentrales Strukturelement der WF aufgegriffen, 2.2 Die Inseln im Südmeere 67 68 2 Die wunderlichen Fata und Die Inseln im Südmeere : Grundzüge Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 die Wiedergabe einer Vielzahl autobiographischer Erzählungen. Bevor Wolfgang beginnt, erörtert er eingehend seine Erzählstrategie und entwirft damit eine auf die Rezipienten zielende Poetik des Erzählens: Es gehe ihm darum, seine Zuhörer zu unterhalten, und er wolle sich „so viel möglich vor dem Langweiligen hüten; “ ( IS I: 391). Er stammt aus einer einfachen Handwerkerfamilie und verliert früh seinen Vater, der Leinenweber war. Bemerkenswert ist, dass Wolfgang sich nicht an seinen Vater und dessen Handwerk erinnert, sondern an das Lied, das der Vater über sein Handwerk zu singen pflegte, ja, die Erinnerung an den Vater ist einzig in diesem Lied aufgehoben ( IS I: 393-394), und obwohl es sich dabei um ein recht derbes Spottliedchen 14 handelt, wird doch auch hier Leben zu Kunst transformiert und damit vor dem Vergessen bewahrt. Wolfgang erlebt als Kind den Einfall der Türken in Wien, den unter anderem auch ein „tapferer dänischer Capitain “ (! ) vergeblich aufzuhalten versucht ( IS I: 398). Wolfgang muss fliehen, er wird von dem berühmten Bruder Herz gerettet und erhält vom polnischen König, der Wien befreit, eine goldene Kette, die ihm und seiner Mutter aus aller materiellen Not hilft. Nach dem Tod der Mutter geht er als Student nach Tübingen, gerät dort in schlechte Gesellschaft, verspielt die goldene Kette und tötet einen Falschspieler, der ihn betrogen und dann zum Duell gefordert hat. Wolfgang muss wieder fliehen. Mitten in der Erzählung bricht er ab, da er nicht erleben wolle, wie seine Freunde aus Höflichkeit ihre Schläfrigkeit unterdrücken müssten. Diese Zäsur schliesst zugleich den ersten Teil des Romans. Nach dieser Unterbrechung, die wie ein „Cliffhanger“ wirkt, wird der zweite Teil mit der Fortsetzung von Wolfgangs Biographie eröffnet. Der Protagonist fährt nun zur See, bringt es vom Matrosen bis zum Kapitän und wird Opfer einer Meuterei auf seinem eigenen Schiff; die Mannschaft setzt ihn mitten im Ozean auf einem kleinen Boot aus. Er strandet an einem ungeheuren Felsen und ist gerettet. An diesem Punkt seiner Erzählung hat auch die gegenwärtige Reisegesellschaft die Insel Felsenburg erreicht, weshalb Wolfgang endgültig abbricht, um so dem aktuellen Geschehen gewissermassen das Wort zu überlassen. Explizit meldet sich nun der auktoriale Erzähler, der die Landung nicht beschreiben mag, da er, wie bereits im ersten Teil der IS ausführlich dargelegt, keine „Wortgemälde“ verfassen will ( IS I: 123-124). Stattdessen bringt er ein Fragment aus Eberhards Tagebuch, das die Landung auf der Felsenburg und die erste Begegnung mit Albert Julius in Hexametern besingt. Auf Eberhards poetische Schilderung folgt im Stil einer nüchternen Chronik ein Bericht über das Leben auf der Insel Felsenburg, über die verschiedenen Ämter, welche die Neuankömmlinge übernehmen, und über den geplanten Kirchenbau. Dann beginnt Albert Julius mit der Erzählung seiner Lebensgeschichte; diese füllt, abgesehen von den ersten beiden Kapiteln, den zweiten und dritten Teil der IS , sowie über ein Drittel des vierten Teils. Sie nimmt also noch weitaus mehr Raum ein als in den WF ; allerdings umfasst sie einige weitere Biographien, so z. B. jene von Lemelie, aber auch Cyrillos ausgedehnte Lebensgeschichte, die, anders als bei Schnabel, nicht im Anhang steht, sondern in den Erzählzusammenhang integriert ist. Wie aus der Erzählsituation implizit hervorgeht, ist der Kreis der Zuhörer grösser als in den WF , und das Lesepublikum (samt dem auktorialen Erzähler) wird in die Zuhörerschaft einbezogen ( IS II : 49). Zu Beginn seiner Erzählung macht Albert den Zuhörern bewusst, was für ein Abstand ihn, den fast hundertjährigen Greis, von den Ereignissen seiner Kindheit und Jugendzeit 14 Das Lied ist offensichtlich von diversen Volksliedern über die Leinenweber inspiriert, vgl. z. B. die Sammlung Hoffmanns von Fallersleben (1900: 56). Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 trennt, indem er darauf hinweist, dass er „wohl jetzt nur die Erinnerung der Erinnerungen“ erzähle ( IS II : 50). 15 Er beginnt nicht mit der eigenen Geburt, sondern mit dem gewaltsamen Tod seines calvinistischen Vaters, der im Dreissigjährigen Krieg von den Katholiken an seinem Geburtstag Frau und Kindern entrissen, ins Gefängnis geworfen und hingerichtet wird. Im Unterschied zu Schnabel werden die Umstände dieses Todes, besonders die Trauer der kleinen Familie, mit deutlichen Zügen der religiösen Empfindsamkeit in aller Breite ausgemalt. 16 Nach dem Tod ihres Mannes zieht die mittellos gewordene Witwe mit Albert und dessen älterem Bruder Rudolf nach Eisenach zu ihrer Schwester Ursula; diese ist als komische Figur gezeichnet, die fast nur in Bibelzitaten spricht und beim Kochen und Essen immer einschläft, so dass Albert sich nach der Trauer um den Vater in einer possenhaften Szenerie wieder findet. Mit Rudolf besucht er oft die Wartburg, besonders die Stube, in der Luther das Neue Testament übersetzte; Albert glaubt, „einige Anlage zur Dichtkunst“ in sich zu entdecken, wie Eberhard, an den er sich nun in der Inselgegenwart wendet: „Ich höre, du, mein Eberhard, seyst auch ein Dichter. Das haben wir beide von unserem Luther, dem Verfasser der herrlichen Kirchenlieder, geerbt“ ( IS II : 89-90). Zwischen Albert und seinem Bruder entspinnt sich ein längeres Gespräch über den Sängerwettstreit auf der Wartburg, über die Minnesänger und ihre Lieder, die Rudolf als formelhaft und monoton verspottet; er findet, es sei „eine französische Mode, den Frauen gar zu viele geschnörkelte Artigkeiten zu sagen“ ( IS II : 98) - ein Seitenhieb auf französisches à la mode-Wesen -, während Albert an den Minneliedern auch Schönes entdecken kann, aber die Volkslieder bei weitem mehr schätzt ( IS II : 106), - eine Vorliebe, die sein Urgrossneffe Eberhard teilt ( IS I: 140-141). Bei der Hochzeit seiner Tante Ursula, einem mit allen Ingredienzen des Schwanks ausgestatteten Ereignis, trifft Albert auf einen alten Meistersinger, von dem er sich Erkenntnisse über das Wesen der Dichtkunst erhofft. Doch als dieser ihm erklärt, Dichtkunst sei nichts anderes als „gute Gedanken in guten Reimen vorzutragen“ ( IS II : 132), und ihm die normativen Grundbegriffe des Meistergesangs beibringen will, flieht Albert entsetzt vor diesem „langweiligen Wortkrame“ ( IS II : 135). Nachdem Mutter und Tante gestorben sind und der Bruder Rudolf sich vom protestantischen Herzog für den Kriegsdienst hat anwerben lassen, verlässt Albert Eisenach und 15 Eine durchaus modern anmutende Aussage, die auf ein Bewusstsein von der Modulierbarkeit der Erinnerung zu deuten scheint, ein Phänomen, das durch aktuelle Erkenntnisse der Neurobiologie zur Plastizität des Gehirns und damit auch der Erinnerung bestätigt wird. In der Bemerkung wird zudem die Auffassung greifbar, dass die Erinnerung Schöpfungscharakter hat; dies wiederum stellt den Bezug zu jener spezifischen Reminiszenz her, die (aus der Sicht des autobiographischen Autor-Ichs) nach der Lektüre der Insel Felsenburg im Gemüt des lesenden Kindes entstand und sich plastisch weiterentwickelte, so dass die Relektüre des erwachsenen Dichters Schnabels Roman in dem durch die Erinnerung (neu) geschaffenen Buch nicht mehr erkennen konnte (vgl. IS I: III-IV). Die Einsicht in die Plastizität der Erinnerung existierte schon früher, wie aus einer Bemerkung von Karl Philipp Moritz hervorgeht, der - ebenfalls mit Bezug auf Erinnerungen aus der Kindheit - dieselbe Beobachtung gemacht hatte, wie Albert Julius sie formulierte: „Freilich merke ich es deutlich, dass dieses oft nur Erinnerungen von Erinnerungen sind“ (Moritz 1783, 1: 65). 16 Die Szene enthält unverkennbar Elemente aus Arnims Novellenzyklus Wintergarten von 1809, auf den in der Einleitung bereits hingewiesen wurde. Basierend auf Schnabels Bemerkung zum Tod von Alberts Vater, der im Dreissigjährigen Krieg zwischen die Fronten geriet, fügt Arnim in Alberts Erzählung den Bericht über die Hinrichtung der historischen Figur des Grafen von Schaffgotsch ein (in der Fiktion angeblich Alberts leiblicher Vater), der als Protestant in katholischen Diensten den Verdacht des Hochverrats auf sich zog und deswegen enthauptet wurde (vgl. Moering 1990: 1056 und 1125-1126). 2.2 Die Inseln im Südmeere 69 70 2 Die wunderlichen Fata und Die Inseln im Südmeere : Grundzüge Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 gesellt sich zu Seifert und seinen Freunden, einer Gruppe herumziehender Jenaer Studenten ( IS II : 157-158). Seifert wird in einem ausführlichen Porträt dargestellt, das gleich zu Beginn auf seine Beziehung zur Dichtkunst eingeht: „Obschon er selten Gedichte las, und eigentlich die Poesie wenig liebte […], war doch sein ganzes Wesen sehr poetisch“ ( IS II : 193). In diesem poetischen Geist gründet er mit seinen Kameraden eine wandernde Schauspieltruppe. Nachdem sie dieses Leben eine Zeitlang ausgekostet haben, tritt Seifert mit seinen Getreuen in Gustav Adolfs Dienste, während Albert sich von einem Dorfpfarrer als Vertreter des Küsters anstellen lässt. Im dritten Band lernt Albert dank Seiferts Vermittlung Gustav Adolf persönlich kennen; der König ist von einem Gedicht Alberts angetan und ermöglicht ihm ein Studium in Wittenberg, als Gefährte seines Sohnes. Bald darauf fällt Gustav Adolf in der Schlacht bei Lützen, sein Sohn kehrt nach Stockholm zurück, und auch Albert möchte nach Norden reisen. Er schifft sich nach Kalmar ein, wird jedoch von einem Sturm zu einem Zwischenhalt auf der Insel Öland gezwungen, wo er durch Krankheit längere Zeit festgehalten wird. Ein zweiter Sturm lässt das Schiff der Holsteinisch-Gottorpschen Gesandtschaft, die im Auftrag des Herzogs von Schleswig-Holstein nach Russland und Persien unterwegs ist, an der Insel scheitern. Zur Gesandtschaft, die in dem Wirtshaus unterkommt, wo auch Albert wohnt, gehört neben ihrem Sekretär Adam Olearius auch der Dichter und Arzt Paul Fleming, der Albert kuriert und mit ihm Gespräche über Arzt- und Dichtkunst führt (vgl. Kap. 7.1.2). Nach dem Hochzeitsfest eines armen Mädchens, dem Albert und Fleming zu einer Mitgift und zur gewünschten Heirat verholfen haben, reist die Gesandtschaft weiter. Albert dagegen tritt in die Dienste van Leuvens, eines holländischen Adligen, der in den IS in Kalmar stationiert ist und sich nach Ostindien einschiffen will. Sie reisen zunächst nach Kopenhagen, wo sie den Ankerschmied Mats Hansen kennenlernen, der am Hof Christians IV . in einem Trinkduell auftritt (vgl. Kap. 8.2) und den Anker für van Leuvens Schiff schmiedet. Albert soll sich aus Gründen, die er erst später erfährt, als Frau verkleiden, was zur Begegnung mit Carl van Mandern, einem holländischen Porträt-Maler führt, der gerade daran ist, Christian IV . zu malen, und der für Albert eine holländische Frauentracht besorgt hat. In seinem Atelier hängen Genre- Bilder von flämischen Meistern, an deren Betrachtung sich ein ausgedehntes Gespräch über Malerei knüpft, das teilweise an die Reflexionen über die holländischen Gemälde erinnert, die der auktoriale Erzähler dem Leser während Eberhards Reise durch Holland anstelle des realen Naturerlebnisses empfiehlt. Van Mandern vergleicht die Genre-Bilder der flämischen Maler mit den Heiligen- und Märtyrerdarstellungen der zeitgenössischen Italiener und kommt zum Schluss, nicht der Gegenstand eines Bildes sei das Wesentliche, sondern die Kunst der Darstellung, weshalb die Gemälde der Flamen trotz der einfachen Sujets den neueren Italienern weit überlegen seien, welche „das Grosse und Erhabene auf eine conventionelle kleinliche Art“ behandelten. Ihre Bilder seien bloss „mittelmässige Nachahmungen der Kunst“ statt „schöner Nachahmungen der Natur“ ( IS III: 165). Das Kunstgespräch dehnt sich auch auf die Verdienste König Christians IV . aus, der die Malerei liebe und sie richtig zu beurteilen vermöge. Albert spielt in seiner Verkleidung als junge Holländerin van Leuvens Frau, in einer Intrige, die den WF entstammt, jedoch von London auf ein Landgut bei Kopenhagen transferiert und zu einer detailreichen Szene ausgemalt wird. Dabei verliert van Leuven beinahe seine heimliche Braut Concordia, die sich von ihm hintergangen glaubt, weil sie Alberts Rollenspiel nicht durchschaut und ihn für die Frau ihres Geliebten hält. Doch alles wird aufgeklärt, die Entführung gelingt und das frisch getraute Ehepaar schifft sich zusammen Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 mit Albert und Minga, Concordias schwarzer Dienerin, und dem Hündchen Beautiful nach Ostindien ein. Die Seereise endet wie in den WF mit Sturm, Schiffbruch und Rettung auf der Insel Felsenburg. 17 Die nun folgende Erzählung des Lebens der Schiffbrüchigen auf der Insel gestaltet sich in den wesentlichen Grundzügen wie in den WF , wobei viele der in diesem Kontext von Schnabel geschilderten Ereignisse in charakteristischer Weise ausgemalt und erweitert werden: die Veränderungen machen nämlich fast durchwegs Bezüge zu anderen Texten sichtbar. Als Beispiel sei Robinson Crusoe genannt, auf den mehrmals ironisierend angespielt wird; so erinnert z. B. die Beschreibung, die Albert von sich selber und seiner Kleidung gibt ( IS III : 295), an eine ähnliche Selbstdarstellung Robinsons (Defoe 1719: 176-177). Ebenso spielt Alberts Angst vor Kannibalen, die ihn „greifen, schlachten, braten und verzehren“ könnten ( IS III : 301), auf Robinsons Ängste an, wobei die Ironie nicht nur in der Häufung der Schreckensverben liegt, sondern auch in der Umkehrung der Chronologie, da zu der Zeit, als Albert auf die Insel gelangte, Robinson Crusoe noch gar nicht existierte. Ein anderer Bezugstext könnte, wie schon für Schnabels WF , auch wieder Nevilles Isle of Pines sein, worauf die Anwesenheit Mingas unter den Schiffbrüchigen und Lemelies Thematisierung des Sexualverkehrs mit ihr hinzuweisen scheinen, denn beim Schiffbruch in The Isle of Pines wird ebenfalls eine Schwarze gerettet; aber im Gegensatz zu Lemelie, für den eine Vereinigung mit Minga undenkbar ist ( IS III : 313), schläft Joris Pines, der einzige gerettete Mann, auch mit der Schwarzen, wie mit den drei überlebenden weissen Frauen (Neville 1999: 197-198). Trotz solcher Anspielungen folgt der Verlauf der Erzählung in dieser Phase der Vorgabe Schnabels, wobei öfters nur leicht umgearbeitete Sätze oder wörtlich belassene Satzfragmente aus den WF übernommen wurden. Einige Passagen weisen ein so dichtes Netz wörtlicher Übernahmen auf, dass der Text stellenweise wie ein Mosaik aus Zitaten 18 der WF und Oehlenschlägers eigenen Formulierungen erscheint. 19 Auch die Geschehnisse um die Entdeckung der Höhle von Cyrillo de Valaro, dem spanischen Erstbesiedler der Insel, stimmen in den wesentlichen Zügen mit den entsprechenden Vorgängen in den WF überein. 20 Das Manuskript mit Cyrillos Lebensbeschreibung ist dabei der wertvollste Fund, den die Höhle birgt; Albert übersetzt es aus dem Lateinischen und liest es dann seinen Gefährten vor. In der Inselgegenwart übergibt er Eberhard die wohlverwahrten Papiere, mit der Bitte, sie den Zuhörern vorzulesen ( IS III : 360). Damit erweist sich Cyrillos Manuskript als Schnittpunkt polyphoner Phänomene: Dem Publikum wird 17 Dennoch unterscheidet sich die Seefahrt in den IS erheblich von Schnabels Darstellung, da sie u. a. den Rahmen für ausführliche Literaturgespräche bildet; darauf geht Kap. 8.3 näher ein. 18 Diese Passagen zeigen also in einem ganz spezifischen Sinn, was laut Kristevas bereits erwähnter Definition für jeden Text gilt, nämlich, dass er sich „als Mosaik von Zitaten“ aufbaue und „Absorption und Transformation eines andern Textes“ sei (Kristeva 1972: 348; vgl. Kap. 1.1 und 1.2.1 dieser Arbeit). 19 Genannt seien als Beispiele die Seiten 297-303, IS III, die eine Fülle von wörtlichen Zitaten aus WF I: 181-184 u. 187, aufweisen. Eine ganz ähnliche Montagetechnik in der Übernahme wörtlicher Zitate verwendet übrigens auch Arnim, obwohl die Kurzform der Novelle starke Raffungen erfordert. Martin (1996: 20) kommt durch den Vergleich von Ausschnitten aus Schnabels und Arnims Texten zum Schluss, dass „Arnims Bearbeitung sich hier und an vielen anderen Stellen überwiegend aus Segmenten des Ausgangstextes zusammen[setze].“ 20 Einen Vergleich von Textausschnitten dieser Stelle in beiden Romanen bringt Kap. 4.3. 2.2 Die Inseln im Südmeere 71 72 2 Die wunderlichen Fata und Die Inseln im Südmeere : Grundzüge Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 ein Bericht vorgetragen, dessen lateinische „Originalstimme“ von einer deutschen Version überlagert wurde, wobei Eberhards Stimme jene des eigentlichen Erzählers Albert ablöst. Abgesehen von den Geschehnissen rund um den Manuskriptfund unterscheidet sich Cyrillos Biographie in vieler Hinsicht sehr deutlich von Schnabels entsprechender Erzählung. Ein besonders signifikantes Ereignis ist dabei die Begegnung des Spaniers mit Ariost, die durch Verschiebungen in der Schnabelschen Chronologie ermöglicht wird und zu weitgespannten Diskussionen über Poetik und Dichtkunst führt. 21 Mit der Lesung von Cyrillos Manuskript schliesst der dritte Band. Im vierten Teil berichtet Albert über die einschneidendsten Ereignisse auf der Insel: Wie in den WF ermordet Lemelie van Leuven, um Concordia zu besitzen; dann aber weicht der Text von Schnabels Vorlage ab, denn Minga, die bei Schnabel nicht vorkommt, hat den Mord beobachtet und wird deswegen von Lemelie beinahe erwürgt, worauf sie ihn einige Tage später tödlich verwundet. Während er in den WF sterbend eine Beichte seines lasterhaften Verbrecherdaseins ablegt, hat er in den IS sein Leben niedergeschrieben: „Ich bin auch Schriftsteller geworden“, und fordert die andern auf, seine Geschichte zu lesen ( IS IV : 53). Diese ist im Vergleich zu Schnabels Pendant sehr stark ausgeweitet und vor allem in einem realen geschichtlichen Kontext verortet, denn Lemelie wird in Paris zur Zeit der blutigen Hugenottenkriege geboren. Die Grausamkeit dieser Religionswirren dient ihm als Apologie seiner Freveltaten: „[…] wie ich es getrieben, haben es Viele getrieben, und die meisten meiner Zeitgenossen waren ärger als ich“ ( IS IV : 53). Laut seiner Erzählung war er an der Ermordung Heinrichs IV . beteiligt, denn er stiftete Franz Ravaillac zum Königsmord an. Nach der detailliert geschilderten, äusserst brutalen Hinrichtung des Königsmörders verlässt Lemelie Paris, begeht in Florenz einen bestialischen Mord an seinem eigenen neugeborenen Kind und unterschreibt mit dessen Blut einen Pakt mit dem Teufel. Er bereichert sich durch Geldspiele, geht als Freibeuter zur See, wird bei einer Meuterei gehängt, kommt dennoch mit dem Leben davon, was er dem Teufelspakt zuschreibt, und gelangt schliesslich nach Kopenhagen, wo er das Schiff ausrüstet, mit dem van Leuven und die Seinen nach Ostindien reisen wollen. Hier endet sein Manuskript; den Rest seiner Verbrechen, die Ermordung van Leuvens und den Mordversuch an Minga, beichtet er mündlich; dabei sieht er immer den Teufel im Spiel, von dem er nun auch geholt wird, wie er glaubt, und sich eine Todesszene ausmalt, wie man sie in Anklängen aus dem Faustbuch kennt: „Dann greift er [der Teufel] uns beim Genick, zerschmettert den Gehirnkasten gegen den Fensterpfosten, verschwindet mit der verdammten Seele […]“ ( IS IV : 110), und wie Faust schreit auch er um Hilfe, ehe er den Geist aufgibt ( IS IV : 110). 22 Albert und Concordia trauern um van Leuven, und wagen längere Zeit nicht, einander ihre Liebe zu gestehen. Albert sucht nach einem Zeichen, dass Concordia ihn liebt, und erinnert sich dabei an ein Gedicht, das sie einst geschrieben hatte, als sie ihn tot glaubte, weil er von seinen Inselerkundungen lange nicht zurückkehrte. Sie hatte es damals zerrissen, ohne es ihm zu zeigen. Die Gedichtfetzen sind durch einen „tiefe[n], schmale[n] Riss“ gefallen, aus dem er sie jetzt herausholt, indem er seinen „Stab“ in die Ritze steckt: „Ich klebte ein wenig Wachs an meinen Stab, und so langte ich gemächlich alle Papier- 21 Eine ausführliche Darstellung der Ariost-Episoden findet sich in Kap. 5.4. und 5.5. 22 Vgl. Historia von D. Johann Fausten (1988: 122): „[…] der [Faust] hub an umb Hülff und Mordio zu schreyen […]. Das Hirn klebte an der Wandt / weil ihn der Teuffel von einer Wandt zur andern geschlagen hatte.“ Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 fragmente herauf “ ( IS IV : 132). Die sexuell konnotierte Aktion fördert schliesslich eine Liebeserklärung an Albert zutage, die Concordia - noch zu Lebzeiten van Leuvens - in Gedichtform verfasst hatte, womit sie sich, nebenbei gesagt, auch als Dichterin erweist. Wie die genussvolle Verzögerung eines Sexualaktes wirkt es, wenn Albert sich „nicht übereilen, sondern den schönen Spaziergang durch den Garten zu Paphos Schritt vor Schritt machen [will], wohl wissend, dass eben die Umwege […] am schönsten zum Ziele führen“ ( IS IV : 134). Dieser „Garten zu Paphos“ 23 wird mit Paradiesvorstellungen assoziiert, denn Concordias „dänische Handschuhe“ 24 schmiegen sich „wie feine Häute um die schönsten Schlangen“ ( IS IV: 137). Ihre Unterrichtsstunde im Lautenspiel erscheint mit der Erwähnung des „Fingersatzes“, den sie Albert lehren will, indem sie ihm „gerade auf den Leib [geht]“, und seine Finger „zurecht auf die Saiten“ setzt, als maskiertes Sexualspiel ( IS IV : 138-139). Sie feiern Hochzeit, aber nicht nach dem strengen Ritual aus der biblischen Tobiasgeschichte wie in den WF , 25 sondern mit einem Lied, das Albert für den Anlass dichtete 26 und das er Eberhard nun zu lesen gibt; es bildet den Schlusspunkt von Alberts Erzählung. Der auktoriale Erzähler ergreift wieder das Wort und schildert die Ereignisse nach der Ankunft Eberhards und seiner Gefährten auf der Insel Felsenburg. Dazu gehören der Bau einer Kirche und die Lebensgeschichten von Litzberg und Lademann, Eberhards Liebe zu Cordula, der Urenkelin van Leuvens und Concordias, die Ankunft von Eberhards Vater auf der Insel Felsenburg, und schliesslich Alberts Tod, der ein allmähliches Erlöschen ist, währenddessen Albert sein ganzes Leben mit allen wichtigen Personen in einer Traumvision an sich vorbeiziehen sieht. Nach seinem Tod verändert sich das Zusammenleben auf der Insel: Es bilden sich Parteien, und Streitigkeiten entstehen, da Cordulas Vater, Robert Hulter, auf seine Adelsabstammung als Nachfahre van Leuvens pocht. Der Zwist wird kurzfristig unterbrochen, als sie von portugiesischen Schiffen aus bombardiert werden ( IS IV : 267). Die Felsenburger vermögen sich zu wehren, wissen aber, dass ihre Unabhängigkeit bedroht ist, umso mehr, als ein Erdbeben den schützenden Felsgürtel der Insel teilweise zerstört hat, so dass sie nicht mehr uneinnehmbar ist. Weiteres Ungemach kündigt sich an, als Eberhard einen Nebenbuhler erhält, der ebenfalls Cordula heiraten will und von ihrem Vater favorisiert wird. Der Rivale entführt Cordula nach Europa, und Eberhard reist ihnen nach. Er findet nach verschiedenen Wirren und märchenhaft anmutenden Begebenheiten Cordula, die Shakespeare-Nachfahrin, in Stratford wieder und kehrt mit ihr zurück; statt der Insel Felsenburg erreichen sie Klein-Felsenburg, wohin ihre engsten Freunde, samt 23 In der antiken Mythologie gilt Paphos als der Ort, wo Aphrodite nach ihrer Geburt an Land stieg; belegt ist, dass dort ein im Altertum berühmter, ihr geweihter Tempel stand. 24 An signifikanter Stelle ein versteckt patriotischer Einschub: Beim Schiffbruch war ein „grosses Paket dänischer Handschuhe“ gerettet worden ( IS III: 294); ihrer Feinheit wegen waren diese schon im 19. Jahrhundert ein gefragter dänischer Exportartikel. 25 Bei Schnabel verbringt das Paar in einer dem Buch Tobiae nachgebildeten Zeremonie vor dem Ehevollzug drei Nächte mit Beten, Singen und Bibellesen ( WF I: 297); diese freiwillige Enthaltsamkeit demonstriert, dass die Abwesenheit jeglicher Kontrollinstanz (Kirche, Obrigkeit, Gesellschaft) nicht zu schrankenloser Lusterfüllung führen muss; darin liegt implizit ein Tadel an Nevilles Erzählung The Isle of Pines , in welcher der Held sich unbekümmert mit seinen vier Frauen paart: „[…] custom taking away shame (there being none but us), we did it more openly, as our lusts gave us liberty“ (Neville 1999: 198). 26 Die Kunst tritt hier als Ritualträgerin ein, d. h. der Text wählt einen Mittelweg zwischen der asketischen Zeremonie aus der Bibel und der ungenierten Zelebrierung der sexuellen Vereinigung in Nevilles The Isle of Pines . 2.2 Die Inseln im Südmeere 73 74 2 Die wunderlichen Fata und Die Inseln im Südmeere : Grundzüge Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Hanna Hellkraft, sich zurückgezogen haben, und wo verschiedene Spuren von Wikingern entdeckt werden, welche einst Klein-Felsenburg bewohnt und im Untergrund einer Felsengrotte einen Tempel mit nordischen Götterstatuen errichtet hatten; ausserdem werden Silberplatten gefunden, auf denen die Wikinger ihre eigene Geschichte in isländischen Versen eingraviert hatten. Die verschiedenen Zeitebenen des Textes werden so um eine in Raum und Zeit tiefer liegende Dimension erweitert, was dazu führt, dass das ganze Romangeschehen auf einem nordischen Fundament fusst. Mit einem im Wortsinn vielschichtigen Schlussbild endet der Roman. Wie aus der Inhaltsangabe hervorgeht, ist die augenfälligste Neuerung in Oehlenschlägers Roman die Ausrichtung des gesamten Textes auf eine zentrale Positionierung der Kunst hin. Diese Fokussierung wird in erster Linie dadurch erreicht, dass der Autor die im Prätext angelegte Polyphonie zu einem Geflecht von Stimmen aus verschiedenen Literatur- und Kunstepochen umgeschaffen hat, die mit den Hauptfiguren in einen vielfältigen, alle Kunstgattungen einbeziehenden Dialog treten. Mit dieser von Schnabel gänzlich unabhängigen Thematik überschreitet Oehlenschlägers Roman trotz Einbezug von Strukturen und Figuren des Prätextes den Rahmen einer blossen Bearbeitung. Bedeutungsvolle Neuerungen sind ausserdem bestimmte geographische Verschiebungen, die, wie in der Inhaltszusammenfassung erwähnt, das Geschehen an prominenten Stellen nach Norden verlegen oder Elemente aus der nordischen Geschichte auf eine der Felsenburger Inseln bringen. Den verschiedenen Aspekten von Oehlenschlägers Neuausrichtung widmen sich die Einzelanalysen dieser Arbeit, die zudem, wie gerade im folgenden Kapitel, auch die bilinguale Sprachgestalt des Textes in den Blick nimmt. 3.1 Oehlenschläger als „Grenzgänger zwischen zwei Kulturen“ 75 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 3 Polyphone Textgestalt 3.1 Oehlenschläger als „Grenzgänger zwischen zwei Kulturen“ 1 Die beiden Sprachversionen von Oehlenschlägers Roman bilden gewissermassen zwei gleichwertige „Stimmen“. Der Hinweis des Verfassers am Ende seiner Vorrede zur dänischen Ausgabe lässt offen, welche Version das Original und welche die Übersetzung ist: „Til Efterretning for Oversættere tiener, at jeg selv har besørget en tydsk Udgave af min Roman, som alerede er unter Pressen“ ( ØS I: X). 2 Diese verschleiernde Ausdrucksweise ist kein Zufall, denn die beiden Fassungen sollen nicht etwa auf Original und Übersetzung festgelegt werden, sondern vielmehr als zwei eigenständige Dichtungen gelten. Dies ergibt sich auch aus Oehlenschlägers vielzitierter Weigerung, die deutschen Ausgaben seiner Werke als Übersetzungen zu bezeichnen: Man kann sie keine Uebertragungen nennen […]; es sind freie Bearbeitungen und oft verbesserte Umarbeitungen von des Dichters eigener Hand. […] Es ist also gewissermassen eine verbesserte Ausgabe, und diese deutschen Umdichtungen sind eben so original wie die dänischen Dichtungen. ( Selbstbiographie 1829, 2: 177; gesperrt im Original) 3 Ebenso insistiert er in der „Vorrede“ zu seiner zweiten deutschen Werkausgabe auf dem Charakter der deutschen Fassungen als Originalschöpfungen: Allein man beurteilt sie ganz schief, wenn man sie als blosse Uebersetzungen betrachtet. Es sind freie Umdichtungen, die bei dieser Wiedergeburt nichts verloren, vielleicht sogar gewonnen haben. ( Selbstbiographie 1839, 1: XVII - XVIII ) Auch in diesem Zusammenhang vollzieht der Dichter wieder den Gattungswechsel zur Malkunst, um auf andere Weise nochmals seinen Schaffensprozess zu illustrieren und das Faktum der Originaldichtungen zu betonen: Wie oft hat nicht ein Maler auch ein Bild zwei Mal gemalt - das zweite ist keine Kopie: hier und da hat er Veränderungen gemacht, hier etwas ausgelassen, dort etwas Neues hinzugefügt; er hat die Aehnlichkeit des ersten Bildes nicht ängstlich in kleinen Zügen nachgepinselt; die Idee hat ihn neu durchdrungen und sich neu gestaltet. So bitte ich diese Schriften zu betrachten. ( Selbstbiographie 1839, 1: XVIII ) 1 Mit diesem Thema haben sich Anz (2000: 19-47 sowie 2001: 147-156) und Blödorn (2004: 180-387) besonders eingehend auseinandergesetzt. Für eine generelle Sicht der Grenzgängerthematik zwischen Skandinavien und Deutschland vgl. die Reihe Grenzgänge. Studien zur skandinavisch-deutschen Literaturgeschichte, hg. von Heinrich Detering und Dieter Lohmeier, in der skandinavisch-deutsche Grenzgänger-Phänomene und -Figuren dargestellt werden, wobei z. B. Karin Hoff im 4. Band dieser Reihe den Grenzgänger-Begriff mit ihrem Konzept der „Zwischenräume“ differenziert und erweitert (Hoff 2003). 2 [Zur Information für Übersetzer dient, dass ich selbst eine deutsche Ausgabe meines Romans besorgt habe, die schon im Druck ist.] 3 Vgl. dazu z. B. Anz (2000: 37) und Blödorn (2004: 365). 76 3 Polyphone Textgestalt Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Die zitierte Vorstellung der Umdichtungen als Wiedergeburt lässt den seine eigenen Schöpfungen in einer anderen Sprache neu „gebärenden“ Dichter geradezu als Verkörperung der intertextuellen Produktionsweise von Texten erscheinen. Oehlenschlägers Schaffen in zwei Sprachen soll deshalb im Folgenden unter Beiziehung von Zeugnissen zur Selbsteinschätzung und Rezeption kurz beleuchtet werden, bevor im Vergleich einiger Textstellen und -elemente auf die Intertextualität zwischen der deutschen und der dänischen Fassung seines Inselromans eingegangen wird. Zu Beginn der erwähnten Vorrede stellt Oehlenschläger fest: Zwei und dreissig Sommer sind verschwunden, seit Göthe, Jean Paul, Steffens, Schleiermacher, Voss mich aufmunterten, ein deutscher Dichter zu werden. Zwei und dreissig Jahre hindurch habe ich deutsch gedichtet. Wenige der jetzt lebenden namhaften Autoren Deutschlands können sich eines längern Schriftstellerlebens rühmen; und so kann ich mich wohl auch einen deutschen Dichter nennen, obschon ich als geborner Däne bis zu meinem vier und zwanzigsten Jahr keine Sylbe deutsch schrieb, und die meisten meiner Werke erst in dänischer Sprache gedichtet wurden. ( Selbstbiographie 1839, 1: XVII ; gesperrt im Original) Dass er auch ein deutscher Dichter werden konnte, scheint ihm durch seine deutsch-dänische Abstammung schicksalshaft vorausbestimmt: „So stamme ich von Deutschen wie von Dänen, und es scheint als ob das Schicksal bestimmt hätte, dass ich beiden Nationen angehören sollte“ ( Selbstbiographie 1829, 1: 4). Gleichzeitig betont er aber auch immer wieder - wie in der zitierten Passage der Vorrede -, dass er erst spät angefangen habe, deutsch zu lesen oder gar zu schreiben, obwohl beide Eltern väterlicherseits deutscher Herkunft waren; auf diese Weise gelingt es ihm, neben der Fügung des Schicksals auch seine eigene Leistung darzustellen: offensichtlich soll nicht der Eindruck entstehen, er verdanke seine Ausdrucksfähigkeit im Deutschen weniger der eigenen Arbeit und Begabung, als vielmehr einem zweisprachigen Elternhaus. Zudem kann er so auch mehr Verständnis für Fehler oder Danismen in der deutschen Fassung seiner Werke erwarten. Noch wichtiger sind allerdings die berühmten Namen im erwähnten Zitat: den Anspruch, auch ein deutscher Dichter zu sein, mit der Ermutigung solcher Persönlichkeiten, angeführt vom Dichterfürsten Goethe selbst, begründen zu können - dies kommt einer Legitimation gleich, die wohl nicht einmal von der Dichterkrönung durch Tegnér im Dom zu Lund übertroffen wurde. Mehrmals berichtet Oehlenschläger, wie Goethe sich zu den Danismen in seinem Deutsch äusserte: Dieser habe ihn oft davon abgehalten, sie zu streichen, weil sie hübsch seien ( Selbstbiographie 1829, 2: 24). 4 „[…] er meinte, die beiden verwandten Sprachen, aus einer Wurzel entsprungen, könnten einander mitunter mit guten Worten schwesterliche Geschenke machen“ ( Selbstbiographie 1829, 2: 24). Auch habe es Goethe Vergnügen bereitet, „die deutsche Sprache […] in einem poetischen Gemüthe entstehen [zu] sehen“ ( Selbstbiographie 1829, 2: 25). Die Vorstellung eines schwesterlichen Austausches zwischen den beiden Sprachen birgt den Gedanken einer Gleichwertigkeit der beiden in ihren Dimensionen so ungleichen Kulturkreise - eine Idee, die Oehlenschläger sehr anziehend erscheinen musste, obwohl er 4 Ebenso in Oehlenschlägers Vorrede zum vierten Theile seiner Übersetzung von Holbergs Komödien (1823, 4: XII-XIII). 3.1 Oehlenschläger als „Grenzgänger zwischen zwei Kulturen“ 77 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 natürlich nicht zu jenen dänischen Schichten gehörte, die sich im Zuge des wachsenden Nationalismus gegen den Einfluss Deutschlands, der auch in der Sprache seine Spuren hinterliess, zu wehren begannen und sich für eine „Reinigung“ des Dänischen von den zahlreichen deutschen Ausdrücken, Redewendungen und Lehnwörtern einsetzten (Winge, V. 2000: 143-153). Von Oehlenschlägers dichterischem Standpunkt aus existierte Deutschland - jedenfalls vor 1848 - vor allem als Stätte bewunderter Dichtkunst, ein Parnass, auf dem auch er sich einen würdigen Platz zu erringen hoffte. 5 Zu diesem Zweck übertrug er, wie in Kap.1.2.2 erwähnt, die meisten seiner Dichtungen ins Deutsche (oder, wie er selbst sagen würde, schaffte sie in dieser Sprache neu) und verfasste überdies mehrere Werke zuerst auf Deutsch, darunter - neben den IS - auch das Künstlerdrama Correggio , 6 das im deutschen Sprachgebiet immerhin so berühmt wurde, dass es nach der Premiere im Jahr 1815 am Wiener Burgtheater in der Zeit bis 1850 an über 30 deutschsprachigen Bühnen (inkl. Prag, Königsberg und Danzig) aufgeführt wurde ( Breve B / 4: 152-154). 7 Das ungewöhnliche Unternehmen seiner deutschen Übersetzung von 25 Komödien Holbergs zum hundertjährigen Jubiläum von dessen Danske Skueplads 1822 rechtfertigt er mit folgenden Worten: Hätte ich geglaubt, es lebe gegenwärtig ein guter deutscher Komiker, der Dänisch verstände, und der diese Arbeit übernehmen wollte, ich wäre mit Vergnügen zurückgetreten. Dies war aber nicht der Fall, und von einem Dichter musste die Uebersetzung sein, wenn sie nicht das todte Wort, sondern Leben und Farbe wiedergeben sollte. ( Holberg ’ s Lustspiele 1823, 4: VIII - IX ; gesperrt im Original) 8 Aber Oehlenschläger übersetzte nicht nur vom Dänischen ins Deutsche, sondern vermittelte als echter „Grenzgänger zwischen den Kulturen“ durch Übersetzungen ins Dänische auch verschiedene Werke deutscher Dichter - in erster Linie handelt es sich um Goethe und Tieck - nach Dänemark (vgl. Kap. 1.2.2 dieser Arbeit). Dass er in dieser Übersetzungsrichtung jedoch weit weniger produktiv war, obwohl sie eigentlich die üblichere gewesen wäre - von der „Fremdsprache“ in die Muttersprache -, hängt neben den erwähnten Bestrebungen, sich als deutscher Dichter im deutschen Sprachraum zu etablieren, auch mit 5 Über seine Stellung in der deutschen Literatur vgl. die in Kap. 1.4 bereits erwähnten Aufsätze von Hultberg (1972: 35-50) und Lohmeier (1982: 90-108). In beiden Aufsätzen werden auch die ökonomischen Vorteile erörtert, die eine Präsenz auf dem viel grösseren deutschen Markt brachte, besonders angesichts der ganz anderen urheberrechtlichen Situation jener Zeit - ein Urheberrecht im heutigen Sinn existierte noch nicht. 6 Es entstand 1809 auf Deutsch, wurde aber zuerst auf Dänisch herausgegeben (1811) und erschien erst 1816 bei Cotta auch auf Deutsch (Billeskov Jansen 1969, 3: 103). 7 Goethe allerdings verhielt sich Correggio gegenüber ablehnend, was Oehlenschläger die Grenzen der Wertschätzung, die er bei Goethe zu geniessen glaubte, schmerzlich zum Bewusstsein brachte ( Selbstbiographie 1829, 2: 166). 8 Auch hier klingt wieder die in Kap.1.2.2 dieser Arbeit erwähnte Forderung von Novalis an, „[d]er wahre Übersetzer“ müsse „der Dichter des Dichters sein und ihn also nach seiner und des Dichters eigner Idee zugleich reden lassen können.“ (Novalis 1962: 353). Die zeitgenössischen Rezensionen von Oehlenschlägers Holberg-Übersetzung sind sehr unterschiedlich (vgl. den Kommentar in Breve B / 5, 176-178). Spätere Urteile sind mehrheitlich negativ: Vilhelm Andersen hält die Übersetzung für missglückt und teilt mit, auch Tieck, dem sie gewidmet war, habe sie kritisiert (1899, 2: 161); Otto Oberholzer stellt fest, dass sie keinen spürbaren Erfolg hatte (1974: 180). Diese Ansicht teilt Dieter Lohmeier (1982: 99); einzig Hermann Engster findet, dass sie an künstlerischem Rang alle vorherigen weit übertreffe (1980: 71). 78 3 Polyphone Textgestalt Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 der politisch-kulturellen Situation der beiden Länder zusammen: Während in Deutschland dänische Sprachkenntnisse wenig verbreitet waren, bestand in Dänemark noch bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts „eine selbstverständliche Vertrautheit mit deutscher Sprache und Kultur. […] Deutsche Literatur bedurfte zunächst gar keiner Übersetzung, man las sie in der Originalsprache und weitgehend ohne Verständnisschwierigkeiten“ (Winge, V. 1996: 57). Mit seiner Ansicht, die deutschen Fassungen seiner Werke hätten gegenüber den dänischen Originalen nichts verloren, sondern vielleicht sogar gewonnen, stand Oehlenschläger allein. Er erlangte in Deutschland nie die Position eines Poeta laureatus, die er in Dänemark innehatte, 9 eine Tatsache, die in erster Linie der Diskrepanz zwischen seinen dänischen Originalwerken und den deutschen Selbstübersetzungen zugeschrieben wird. Dieses Erklärungsmuster wird aus naheliegenden Gründen vor allem in Dänemark bevorzugt - in Deutschland kannte man die Werke Oehlenschlägers ja kaum in ihrer dänischen Fassung. Auf diese Weise entstand eine Dichotomie zwischen dem nur den Dänen bekannten und zugänglichen Dichter und einem ganz andern, einem „deutschen“ Oehlenschläger, den man von dem einheimischen abspalten und ins Ausland verweisen konnte, wodurch sich dann selbst ein so hartes Urteil, wie jenes, das Goethe über Oehlenschläger äusserte, 10 leichter ertragen liess, da es ja nicht dem in Dänemark verehrten Dichter galt. 11 Die „Spaltung“ Oehlenschlägers auf sprachlicher Ebene stellt Brandes in seinem Vergleich der dänischen und der deutschen Fassung des Aladdin folgendermassen dar: I det Øjeblik, da Oehlenschläger skrider til Oversættelsen og Omarbejdelsen af sin Aladdin paa Tysk, skifter hans Sprogtone paa den forunderligste Maade Karakter. Ikke blot at hvad han paa Dansk besad af Sikkerhed og Ynde forlader ham, men han mister al Stil, alt ejendommeligt og selvstændigt Herredømme over Sproget. (Brandes 1899: 245) In dem Moment, da Oehlenschläger mit der Übersetzung und Umarbeitung seines Aladdin auf Deutsch beginnt, ändert sein Sprachton auf die merkwürdigste Weise den Charakter. Nicht nur 9 Oehlenschlägers Ansehen in Dänemark hatte nach der Heimkehr von seiner ersten Auslandsreise einen nicht mehr zu übertreffenden Höhepunkt erreicht, wie folgendes Zitat aus Nyeste Skilderie af København vom 2. 12. 1809 zeigt: „Paa det nærværende Tidspunkt er den højere Poesi stegen saa højt i Norden, at vi, naar Goethe gør det sidste Skridt af den Vej, der fører ud af Jordelivet, dristig tør spørge, om det ikke er vort Fædreland, der ejer den største Digter i Europa“ (zitiert nach Andersen 1899, 2: 1). [Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die höhere Dichtung im Norden so hoch gestiegen, dass wir, wenn Goethe den letzten Schritt auf dem Weg tut, der aus dem Erdenleben führt, dreist zu fragen wagen, ob es nicht unser Vaterland ist, das den grössten Dichter in Europa besitzt.] 10 Wie schon Goethes distanzierte Haltung zu Oehlenschlägers Correggio erkennen liess, war sein anfängliches Wohlwollen dem Dänen gegenüber nicht von Dauer. Dies unterstreichen die folgenden Worte in einem Brief an Zelter: „Er [Oehlenschläger] ist einer von den Halben, die sich für ganz halten und für etwas drüber. Diese Nordsöhne gehen nach Italien und bringen’s doch nicht weiter, als ihren Bären auf die Hinterfüsse zu stellen; und wenn er einigermassen tanzen lernt, dann meinen sie, das sei das Rechte.“ (Goethe 1948-1971, 21: 821). 11 Auch Vilhelm Andersen unterscheidet zwischen einem dänischen und einem deutschen Oehlenschläger: „Men Geniet i ham var dansk, kun i Modersmaalet er han ret sig selv; den Oehlenschläger, som Tykserne kender og regner mellem Romantikerne af anden eller tredje Rang, er en meget ringere Mand end den danske Oehlenschläger, der som Digter overstraaler alle tyske Romantikere“ (1964/ 1924: 34). [Aber sein Genie war dänisch, nur in der Muttersprache ist er wirklich er selbst; der Oehlenschläger, den die Deutschen kennen und zu den Romantikern zweiten oder dritten Ranges rechnen, ist weit weniger bedeutend als der dänische Oehlenschläger, der als Dichter alle deutschen Romantiker überstrahlt.] 3.1 Oehlenschläger als „Grenzgänger zwischen zwei Kulturen“ 79 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 verlässt ihn, was er im Dänischen an Sicherheit und Anmut besass, sondern er verliert jeden Stil, jede eigentümliche und selbständige Herrschaft über die Sprache. Brandes sieht in der deutschen Version des Aladdin eine Verbindung der Gedanken- und Ideenwelt der deutschen Romantik mit bürgerlich-christlicher Moral, eine Mischung, die ihm so sehr missfällt, dass er sich nicht darüber wundert, „at man i Tyskland aldrig har begrebet det Værd, de Danske tillægger Oehlenschlägers Aladdin og hans Digterevne i Almindelighed“ (Brandes 1899: 264). 12 Fast identisch äussert sich Horst Nägele, der Oehlenschlägers deutsche Übersetzung des weitaus grössten Teils seiner Dichtung lediglich als Versuch, „mitunter […] eigene auf Dänisch geschriebene Werke in die deutsche Sprache umzusetzen“ wertet und dabei erwähnt: „Unter einer solchen Prozedur hat sein Märchendrama ‚Aladdin‘ ganz besonders gelitten“ (Nägele 1971: 596). Auch Hultberg stellt in seiner Untersuchung zur Stellung Oehlenschlägers in der deutschen Literatur fest, dass der dänische Dichter durch den Versuch, sich auf sein deutsches Publikum auszurichten, das Beste seiner Kunst weitgehend zerstört habe (Hultberg 1972: 44). Er sieht einen der wichtigsten Gründe für Oehlenschlägers geringe Durchschlagskraft in Deutschland darin, dass dessen poetische Sprache im Deutschen nicht die gleiche dichterische Qualität erlangt habe wie im Dänischen, weshalb es vielleicht besser gewesen wäre, wenn er die Übersetzung seiner Werke andern überlassen hätte (1972: 46). Hultberg geht sogar so weit, aus Oehlenschlägers Versuch, seine Dichtungen einem deutschen Publikum zugänglich zu machen, negative Folgen für sein dänisches Werk abzuleiten, da sich in seine poetische Welt nicht nur sprachliche, sondern auch gedankliche und ideelle Germanismen eingeschlichen hätten (1972: 48-49). 13 Lohmeier, der bei ähnlicher Thematik in seiner Untersuchung zu wesentlich positiveren Ergebnissen kommt, was Oehlenschlägers Position in Deutschland betrifft, betont zunächst - in Übereinstimmung mit Oehlenschlägers Aussage -, dass man in Deutschland seine Werke nicht in Übersetzungen kennengelernt habe, sondern in „authentischen deutschen Textfassungen, für die der Autor selbst verantwortlich war“ (Lohmeier 1982: 91). Auch erwähnt er, dass Oehlenschläger für die Abfassung seiner deutschen Manuskripte auf die Hilfe namhafter zeitgenössischer Schriftsteller, wie z. B. Heinrich Voss, August Wilhelm Schlegel, Zacharias Werner und Friedrich Hebbel, zählen konnte (1982: 95). Dennoch vermutet er schliesslich als Grund für die ephemere Natur von Oehlenschlägers Erfolg in Deutschland das Fehlen eines kongenialen Übersetzers, denn „er [Oehlenschläger] selbst war es jedenfalls mit Sicherheit nicht“ (1982: 105). Das Schwanken in der Kategorisierung von Oehlenschlägers deutschen Werkausgaben, die einmal als „authentische Textfassungen“, dann wieder als „Übersetzungen“ eingestuft werden, entspricht der Situation dieses Dichters zwischen zwei Kulturen, der sich im Grunde nicht auf eine Nationalität festlegen lassen wollte, sondern durch sein zweisprachiges Werk nationale Grenzen und Einschränkungen zu überwinden versuchte, was wie ein 12 [dass man in Deutschland nie den Wert begriffen hat, den die Dänen Oehlenschlägers Aladdin und seiner Dichtergabe allgemein beimessen.] 13 Genau die gleiche Kritik richtete sich schon gegen Baggesen, dessen deutsche Autorschaft zu Germanismen in seiner dänischen Muttersprache geführt habe; ja, es wird ihm sogar vorgeworfen, er habe vergessen, auf Dänisch zu denken (Sandberg 2015: 19-20). 80 3 Polyphone Textgestalt Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 spezieller Aspekt des Konzepts romantischer Universalpoesie wirkt, 14 vielleicht aber auch den heimlichen Wunsch, zur „Weltliteratur“ zu gehören, offenbart. Die erwähnten Untersuchungen, in denen Oehlenschlägers deutsche Textfassungen gesamthaft negativ beurteilt werden, lassen sich nur bedingt auch auf die IS beziehen, da sie die spezielle Situation der auf Deutsch entstandenen Dichtungen nicht berücksichtigen. Diese Werke, die nicht in der Muttersprache geschrieben wurden und dennoch keine Übersetzungen sind, geben in sprachlicher Hinsicht zu einigen Fragen Anlass: Stehen sie sprachlich mit Oehlenschlägers deutschen Übersetzungen oder Umarbeitungen auf gleicher Stufe oder ergeben sich hier Unterschiede? Weisen diese ohne dänische Vorlage auf Deutsch entstandenen Dichtungen mehr „poetische Substanz“ auf (Lohmeier 1982: 96) als die Übersetzungen? Dieselbe Frage liesse sich auch in umgekehrter Richtung stellen, d. h. in Bezug auf das „Übersetzungsdänisch“ der ursprünglich deutsch geschriebenen Texte, das man mit der Sprache der dänisch verfassten Werke vergleichen könnte. Albertsen, der sich in seiner Einführung zu Correggio mit dieser Thematik befasst, gelangt zur überraschenden Feststellung, dass sich an Oehlenschlägers dänischer Version dieses Dramas erkennen lasse, „wie sehr sogar ein Dichter, der eigene Werke in seine Muttersprache übersetzt, in der Situation als Übersetzer weniger kreativ und dafür schablonenhafter denkt, als wenn er dichtet“ (Albertsen 1989: 32). Seiner Meinung nach übertrifft der deutsche Correggio aus diesem Grund die dänische Fassung, der die „klassisch-naive[] Frische“ des deutschen Originals fehle (1989: 33). In eine ähnliche Richtung geht die Bemerkung Billeskov Jansens betreffend ØS : Er findet, die deutsche Version des Romans sei frischer und humorvoller als die dänische (Billeskov Jansen 1969: 132). 3.2 Die Inseln im Südmeere und Øen i Sydhavet - ein Roman in zwei Sprachen Anders als die oben erwähnten Urteile hat der folgende Vergleich von Textelementen der deutschen und der dänischen Ausgabe der IS nicht die Feststellung qualitativer Unterschiede zwischen den beiden Versionen zum Ziel, sondern soll zeigen, ob Oehlenschläger seinen Text für ein dänisches Publikum anders gestaltete als für ein deutsches. 15 Dabei interessiert auch, ob er bei der Wiedergabe eines deutschen Originals im Dänischen dasselbe Verfahren anwendete, wie er es für seine deutsche Werkausgabe beschreibt: Der Zwang, die Forderung, in einer anderen Sprache genau das schon Gesagte wieder zu geben, hat mir nie Fesseln angelegt, weil ich selbst der Dichter war. Oft hab’ ich ein anderes Bild gewählt, manchen neuen Gedanken zugefügt, vieles verkürzt und zusammengedrängt, auch manches verändert. ( Selbstbiographie 1829, 2: 177) Zwar wurden Titel und Vorwort der IS für die dänische Ausgabe umgestaltet (vgl. Kap. 4.1), hingegen erfuhren Konzeption und Organisation des Textes, jene Bereiche, die man als 14 Nicht zufällig wurde gerade in der Romantik eine überwältigende Zahl von Übersetzungen geschaffen (vgl. dazu Zybura 1994: besonders 32-34). 15 Diese Betrachtungsweise übernimmt Gesichtspunkte der Descriptive Translation Studies, deren Fokus nicht auf wertende Vergleiche, sondern auf das Verhältnis der Übersetzung zu ihrem historischen und kulturellen Kontext gerichtet ist. Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 „Makroebene“ bezeichnen könnte, praktisch keine Änderungen. Die „Umarbeitung“ oder „Umdichtung“, von der Oehlenschläger im Zusammenhang mit der Schaffung der deutschen Version seiner dänischen Werke spricht, hat im umgekehrten Fall - bei der dänischen Fassung eines deutschen Textes - also nicht zu tiefgreifenden Neuerungen geführt. Doch ist zu fragen, in welcher Weise die von ihm selbst genannten Veränderungen, wie die Wahl anderer Bilder, die Integration neuer Gedanken sowie Verkürzungen oder Verdichtungen etc. sich auf der textuellen Ebene auswirken, ob sie z. B. Akzentverschiebungen oder neue Aspekte und andere Innovationen sichtbar machen. Ein Vergleich ausgewählter Textstellen soll paradigmatisch zeigen, ob - und allenfalls auf welche Weise - sich die beiden Fassungen auf der „Mikroebene“ unterscheiden. Dabei steht, wie erwähnt, die Frage im Vordergrund, ob die deutsche und die dänische Version im Hinblick auf das jeweilige Zielpublikum unterschiedlich gestaltet wurden. Dem Fassungsvergleich wurden die auf Öland und in Kopenhagen spielenden Kapitel 6-14 von IS III , resp. 7-15 (unnumeriert) von ØS III zugrunde gelegt, da die Ausarbeitung einer dänischen Fassung einerseits zu der in die IS eingeführten Thematik des Nordens gehört, andrerseits Oehlenschlägers grenzgängerisches Schreiben zwischen den Kulturen weiterführt: Wurde die Handlung der IS , die „meist in Deutschland spielt und [deren] Personen meistens Deutsche sind“ ( IS I: XII - XIII ), in den erwähnten Kapiteln an skandinavische Schauplätze versetzt, so bringt die dänische Version den Roman als materielles Produkt „Buch“ in den Norden. Die Untersuchung des ausgewählten Textkorpus gilt sowohl dem Informationsgehalt des Textes als auch dessen stilistischen Merkmalen; aus praktischen Gründen werden die besprochenen Stellen - je nach deren vorherrschendem Aspekt - der thematisch oder der stilistisch orientierten Kategorie zugeordnet, im Bewusstsein, dass eine solche Aufteilung künstlich ist, da sich ja Inhalt und Form nicht einfach voneinander ablösen lassen. Die relevanten Textstellen erscheinen jeweils in kursiver Schrift. 3.2.1 Thematische Unterschiede ØS III: 94 Im dänischen Text fehlt jene Fussnote, welche die Figur des Olearius in IS III : 93 mit Adam Oehlenschläger in Verbindung bringt. 16 Was den Autor zu dieser Streichung veranlasste, ist ungewiss. Vielleicht hielt er die Angabe für redundant, da er möglicherweise davon ausgehen konnte, dass seinem dänischen Publikum die Namensverwandtschaft bekannt war. Denkbar wäre aber auch, dass seine Berühmtheit in Dänemark ihm erlaubte, auf diese Art der Selbstdarstellung zu verzichten. ØS III: 99-100 und 161 An diesen Stellen finden sich zwei längere Zusätze, die beide im deutschen Text ( IS III : 99 und 169) fehlen; sie sollen hier nicht in voller Länge zitiert, sondern nur zusammenfassend wiedergegeben werden: In beiden Fällen handelt es sich um eine Weiterführung und Verstärkung der Lobpreisung Christians IV., die an der ersten Stelle in Form eines Kommentars zu Olearius’ Ausführungen Albert in den Mund gelegt wird; an der zweiten Stelle spricht sie der holländische Maler van Mandern aus. Es scheint, als sollten die Verdienste Chris- 16 Oehlenschläger hebt in dieser Fussnote hervor, dass die deutsche Version von Adam Olearius’ Namen „Adam Oehlenschläger“ laute ( IS III: 93). 3.2 Die Inseln im Südmeere und Øen i Sydhavet - ein Roman in zwei Sprachen 81 82 3 Polyphone Textgestalt Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 tians IV . der dänischen Leserschaft gegenüber noch stärker betont werden, was wie eine (indirekte) Huldigung an das dänische Königshaus wirkt, wodurch dieser Gestus gleichzeitig für die Barockzeit - die Epoche des Erzählgeschehens - und das 19. Jahrhundert gilt und dadurch gewissermassen doppeldeutig wird. Der Gedanke der Huldigung liegt auch deshalb nahe, weil Frederik VI . den Roman subskribiert hatte. 17 ØS III: 111 Paul Flemings Rede über die schwierigen Bedingungen des Dichterberufes wird in der dänischen Fassung durch den folgenden Zusatz ergänzt: Ja selv at han er Digter og har Smag, maa han uafladelig bevise om igien, fordi der altid er den største Tilbøielighed hos Folk til at troe, at nu er det forbi med ham, nu er han i Aftagende og paa Afveie. Ja, sogar dass er Dichter ist und Geschmack hat, muss er unablässig von neuem beweisen, denn die Leute neigen immer stark zum Glauben, jetzt sei es aus mit ihm, jetzt sei er im Abbau und auf Abwegen. Dieser Passus, der an der entsprechenden Stelle in IS III : 111-112 fehlt, bedeutet wie die beiden eben erwähnten Zusätze eine Weiterführung von bereits Gesagtem, das durch die Ergänzung verstärkt und verdeutlicht wird, was sich wohl aus der Thematik erklärt: Auf die problematische Position des Dichters in der Gesellschaft sollte mit noch grösserem Nachdruck hingewiesen werden; offenbar war der deutsche Text in dieser Hinsicht beim Transfer in die dänische Version als zu schwach erkannt worden; ausserdem richtete er sich in Dänemark auch an die Instanzen, die - im realen Leben des Autors - über dessen ökonomische Situation mitzuentscheiden hatten (z. B. Anstellung als Universitätsprofessor, Subskription seiner Bücher, etc.). IS III: 141 Nachdem Albert von seiner Krankheit auf der Insel Öland genesen ist, erfährt er, dass ein vornehmer holländischer Edelmann, der „ über England nach Ostindien “ reisen wolle, seinen Kammerdiener verloren habe. Albert zögert, in die Dienste des Edelmanns zu treten, weil er als Nachfahre Luthers nicht dem Dienerstand angehören möchte. Er versucht jedoch, sich selber zu überreden und seine Bedenken zu zerstreuen, unter anderem damit, dass ihn kein Mensch, „ weder in Holland, England noch Ostindien “ kenne. Beide Stellen sind in der dänischen Fassung geändert; hier heisst es: „en fornem hollandsk Adelsmand, som har isinde at seile til Kiøbenhavn først, for derfra at drage til Ostindien , har mistet sin Kammertiener“ ( ØS III : 136), und auf der folgenden Seite: „Intet Menneske kiender dig i Holland, Danmark eller Ostindien “. In der deutschen Fassung schimmert hier offensichtlich eine Reminiszenz an den Prätext durch: Bei Schnabel schiffen sich Albert, van Leuven und Concordia von London aus nach Ostindien ein, während in den IS die Abfahrt nach Kopenhagen verlegt ist, was aber an dieser Stelle durch den Prätext verdrängt wurde. Die daraus entstehende Unstimmigkeit wird in ØS III: 136-137 korrigiert; die dänische Fassung nimmt also hier den Charakter einer Überarbeitung des deutschen Textes an. 17 Dies geht aus der in der Ausgabe von 1824 enthaltenen Liste der Subskribenten hervor. Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 IS III: 145 Das erste der in Kopenhagen spielenden Kapitel beginnt in der deutschen Fassung mit den Worten: „Als wir nach Kopenhagen gekommen waren“; im dänischen Text ( ØS III : 139) lautet die Stelle: „Da vi vare komne her til Byen “. Dieser Ausdruck, der offenbar beim dänischen Publikum keinen Zweifel darüber aufkommen liess, welche Stadt gemeint war (natürlich auch, weil die Worte unmittelbar auf die Kapitelüberschrift „Kiøbenhavn“ folgen), bedeutet im Erzählzusammenhang eigentlich einen Illusionsbruch, denn Albert, der Erzähler, und seine Zuhörer befinden sich ja auf der Insel Felsenburg, fern von Kopenhagen. Der doppelte Schauplatz, 18 der sich für den Leser aufgrund seiner Identifikation mit den Zuhörern auf der Insel Felsenburg ergab, wird an dieser Stelle auf einen einzigen reduziert, d. h. der dänische Leser wird unmittelbar, nicht über den Umweg der Insel Felsenburg, nach Kopenhagen versetzt. Dadurch entsteht eine besondere Nähe zwischen Text und Publikum: der Text ist hier gewissermassen „nach Hause“ zurückgekehrt. Auch wenn die besprochenen Unterschiede, auf ein Textkorpus von ca. 150 Seiten bezogen, insgesamt als recht geringfügige Änderungen anzusehen sind, was auf eine grosse Treue des Autors zu der von ihm geschaffenen Vorlage hinweist, zeigen sie doch ein gewisses Bestreben, den deutschen Text den Bedürfnissen und Gegebenheiten des dänischen Publikums anzupassen. 3.2.2 Stilistische Unterschiede Hier begeben wir uns auf ein viel grösseres Feld von Abweichungen und Änderungen; dies liegt in der Natur der Sache, denn stilistische und formale Aspekte eines Textes sind ja besonders stark an einzelsprachliche Gegebenheiten gebunden. Es sollen im Folgenden jene Ausdrucksformen untersucht werden, bei denen der formal-ästhetische Aspekt im Vordergrund steht, also idiomatische Wendungen, sprichwörtliche Redensarten, Sprichwörter, Metaphern - kurz, der Bereich der sprachlichen Gestaltung, den man gemeinhin als „uneigentlich“ bezeichnet, und den ich unter dem Begriff „metaphorische Ausdrucksweise“ zusammenfasse. In die Untersuchung sollen ferner die Gedichte und Wortspiele des gewählten Textkorpus einbezogen werden. a) Metaphorische Ausdrucksweise (Redewendungen, Metaphern, Sprichwörter) Die folgende Übersicht enthält eine Zusammenstellung von Ausdrücken, die entweder nur im deutschen oder nur im dänischen Text metaphorische Elemente enthalten, oder deren Metaphorik in den beiden Fassungen sich nicht deckt. Textstellen mit „paralleler“ Metaphorik im Deutschen und im Dänischen sind nicht berücksichtigt, wobei jeweils überprüft wurde, ob die wörtliche Übereinstimmung dieser Ausdrücke tatsächlich auch denselben oder mindestens einen ähnlichen metaphorischen Wert in beiden Sprachen hat (metaphorische Elemente sind fettgedruckt). 18 Vgl. Lönnroth (1978); der Autor prägte den Begriff des „doppelten Schauplatzes“ bei seiner Untersuchung der Beziehungen zwischen dem Erzählschauplatz und dem erzählten Schauplatz (z. B. 1978: 9). 3.2 Die Inseln im Südmeere und Øen i Sydhavet - ein Roman in zwei Sprachen 83 84 3 Polyphone Textgestalt Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 IS III ØS III Nr. Seite Text Seite Text 1 95 grössere Herren 96 Folk, som ere høiere paa Straa 2 115 in solchem Wirrwar (sic) lässt sich nicht über alles gebieten 113 i sligt et Virvar kan ikke alting gaae efter en snor 3 115 wir haben noch Gott zu danken, dass wir so ziemlich trocken, mit heiler Haut davon gekommen sind 113 Vi maae takke Gud, at vi dog, efter Omstændighederne, slap saa heel-ørede derfra og fik alting paa det Tørre 4 117 Kein Mensch kann aus seiner Haut heraus 115 Gammel vane bider bedst 5 138 Ich schlief bald ein 133 Jeg sov som en Steen 6 138 Der Alte war genöthigt sich zufrieden anzustellen 133 Gubben var nu nødt til at bide i det sure æble 7 138 wagte der Alte es nicht mehr, von der Sache zu reden 133 vovede Faderen ikke meer at slaae paa den Streng 8 155 Irren ist menschlich 145 Man kan let fare vild 9 166 (fehlt) 157 Nu vil enhver Høne være Ørn 10 175 sie haben aber alle den Kürzeren gezogen 166 men alle have de maattet strække Gevær, paa Naade og Unaade 11 175 hat es ihm das Herz gefressen 166 har det ret inderligt krænket ham 12 179 Unverhofft, sagt man aber, kömmt oft 169 Men lykken kommer ofte, nar man mindst venter det, siger Ordsproget 13 185 die Segel streichen 174 bukke under 14 187 mit schläfrigen Augen 176 hans Øjne vare fortinnede med Kiærnemælk 15 216 Setzt Euch und frühstückt 200 Sæt Jer ned, og tag Eder en Taar for Giøgen, det er tidlig paa Morgenen, og Søluften tærer 16 219 mit grossen Herren ist’s nicht gut Kirschen essen 203 store Herrer ere ikke at spase med Die Übersicht zeigt eine signifikant höhere Zahl metaphorischer Elemente in der dänischen Fassung: 14 der 16 aufgelisteten Stellen enthalten metaphorische Ausdrücke, gegenüber 8 im deutschen Text. Damit ist natürlich noch nichts gesagt über den Grad und die Kongruenz der Metaphorisierung in den beiden Fassungen, die sich in dieser Beziehung stark unterscheiden können, wie z. B. die Wiedergabe einer sprichwörtlichen Redewendung im deutschen Text durch ein Sprichwort in der dänischen Fassung zeigt (Nr. 4), oder die Wiedergabe eines deutschen Sprichwortes durch einen dänischen Ausdruck, dessen metaphorisches Element so sehr konventionalisiert ist, dass es kaum mehr als solches Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 wahrgenommen wird (Nr. 8). Gerade das letztere Beispiel macht aber auch deutlich, dass die zeitliche Dimension bei der Beurteilung des Metaphorisierungsgrades mitberücksichtigt werden müsste, denn eine heute verblasste Metapher kann im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts noch wesentlich lebendiger gewesen sein. Ausserdem ist zu bedenken, dass ein solcher Vergleich den Text durch Herausgreifen einzelner Elemente, wobei auch syntaktische Gefüge aufgelöst werden können, sehr stark segmentiert, was gegen die Forderung, den Text als Ganzes zu betrachten, verstösst, denn die Wahl eines bestimmten Ausdrucks, einer idiomatischen Wendung, etc., ist ja nicht nur durch die Vorgabe der Ausgangssprache und die Möglichkeiten der Zielsprache gegeben, sondern auch durch die Beziehung dieser Elemente zum Textganzen. 19 Bei aller Vorsicht, mit der die angeführten Stellen beurteilt werden müssen, ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass eine starke Tendenz zu metaphorisierender Ausdrucksweise besteht, 20 die im dänischen Text noch deutlich zunimmt. Es sieht so aus, als habe der Autor mit allen Mitteln versucht, seine dänische Fassung durch eine bildhafte Sprache zu beleben, wo immer sich die Gelegenheit dazu bot. Dies zeigt sich vor allem in der Metaphorisierung ganz einfacher, um nicht zu sagen, banaler deutscher Ausdrücke, wie in Nr. 1, 5, 6, 7, 14 und 15. In Nr. 3 wird eine deutsche Redewendung durch deren zwei im dänischen wiedergegeben; die sprichwörtliche Redewendung in Nr. 9 ist ein illustrierender Zusatz der dänischen Fassung; in Nr. 12 erscheint das deutsche Sprichwort zwar als unmarkierter dänischer Satz, aber dieser wird dennoch als „Ordsprog“ bezeichnet. Soweit die Begrenztheit des Textkorpus eine generelle Aussage zulässt, könnte man in den Bemühungen des Autors, seine dänische Fassung gegenüber der deutschen stärker durch bildliche Ausdrücke anzureichern, tatsächlich ein von der „eigentlichen Übersetzung“ (Koller 2011: 82) abweichendes Verfahren sehen, das die dänische Version zwar nicht gerade zu einer „Umdichtung“ macht, aber doch in die Nähe einer „Bearbeitung“ rückt. b) Gedichte Bei den fünf Gedichten Paul Flemings, die in IS III : 105-144, ganz oder ausschnittweise zitiert werden, handelt es sich um wörtlich wiedergegebene, markierte Zitate. Die Wiedergabe ausgewiesener Zitate - im konkreten Fall sind es kanonisierte Gedichte oder Strophen eines berühmten Dichters - erfordert möglicherweise ein anderes Verfahren als die Umdichtung oder freie Bearbeitung, die Oehlenschläger - zumindest für die Übertragung seiner dänischen Werke ins Deutsche - nach eigener Aussage anwendet. Es fragt sich, ob er in diesem Fall eher den Richtlinien folgt, die er für seine Holberg- Übersetzung zum Prinzip erklärte: „Denn hier ist nicht die Frage von einer geistreichen Umarbeitung […]; wir sprechen von treuer Uebertragung des dänischen Holberg“ ( Holberg ’ s Lustspiele 1823, 4: XV - XVI ; gesperrt im Original). 21 Andrerseits ist die Äquivalenz- 19 Vgl. Reiss / Vermeer (1991: 30): „Die primäre Translationseinheit ist der Text.“ 20 Wie erwähnt, sind längst nicht alle metaphorischen Bildungen des ausgewählten Textkorpus in die Liste aufgenommen worden. 21 Im Zitat aus der „Vorrede“ geht es allerdings über die „treue Uebertragung“ hinaus um das „dänische Wesen“ Holbergs, das eben ein dänischer Dichter besser zum Ausdruck bringen könne als ein deutscher Übersetzer; die „Vorrede“ ist vor allem als Verteidigung gegen die Kritik einer Rezension im Literarischen Conversations-Blatt (Nr. 215, 18. Sept. 1822) entstanden. 3.2 Die Inseln im Südmeere und Øen i Sydhavet - ein Roman in zwei Sprachen 85 86 3 Polyphone Textgestalt Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 forderung 22 gerade bei Gedichten besonders schwer zu erfüllen; ihre Übertragung in eine andere Sprache erweist sich meistens eher als Um- oder Nachdichtung denn als „eigentliche Übersetzung“. 23 Aus intertextueller Sicht stellt sich hier auch die Frage nach der Beziehung zwischen den ausgewählten Gedichten und dem textuellen Umfeld, in das sie eingebettet sind. Auf den ersten Blick scheint ihre Wahl durch den Kontext bedingt, aber man könnte sich ebensogut vorstellen, dass der Kontext gleichsam um die Gedichtzeilen herumgeschrieben, durch sie hervorgerufen wurde. Dabei wäre auch nach den Kriterien für die Auswahl der Verse oder Strophen aus den einzelnen Gedichten zu fragen, denn nur in einem Fall wurde ein Gedicht ganz übernommen. Im vorliegenden Zusammenhang interessiert aber in erster Linie die Frage nach der dänischen Wiedergabe von Flemings Gedichten. 24 Es zeigt sich, dass sie eine unterschiedliche Behandlung erfahren haben: Während die Strophenresp. Zeilenzitate der Oden Aus dem Italiänischen (Fleming 1865, I: 396; IS III : 105), Elsgens treues Herz (1865, I: 426) und Auff die italiänische Weise: O fronte serena (1865, I: 397; beide IS III : 124) ins Dänische übersetzt wurden, fehlt die Wiedergabe der beiden zitierten Strophen des Sonettes Er beklagt die Aenderung und Furchtsamkeit itziger Deutschen (1865, I: 452; IS III : 113). Die Ode Lass dich nur Nichts nicht tauren (1865, I: 244; IS III : 144) ist dagegen ganz übersetzt. Über die Gründe für die Aufnahme bzw. Streichung der genannten Verse lässt sich nur spekulieren. Dass die beiden Sonettstrophen gestrichen wurden, könnte vielleicht - abgesehen von den übersetzerischen Schwierigkeiten, bedingt durch die kunstvolle Reimstruktur und den reichen Wortschatz - mit inhaltlichen Gegebenheiten zusammenhängen: die Strophen enthalten in ihrer Reflexion einer Phase des dreissigjährigen Krieges stark zeitgebundene Elemente, die auch in der Übersetzung ohne ergänzende Erklärungen für das dänische Lesepublikum wohl nicht ohne weiteres verständlich gewesen wären. Eine andere Hypothese zielt auf das negative Bild „itziger Deutschen“ in Flemings Gedicht, das der dänische Autor seinen Landsleuten vermutlich kaum vermitteln wollte. Die Übersetzung der übrigen zitierten Verse soll im Folgenden kurz besprochen werden: IS III: 105 ØS III: 104 Lasst uns tanzen, lasst uns springen, Lad os springe, lad os dandse Lasst uns laufen, für und für; Lystigunge, glade, frie! Denn durch Tanzen lernen wir Thi ved Dandsen lære vi Eine Kunst von schönen Dingen. Noget, som er værd at sandse. 22 Dieser Terminus führt zu einer anderen Perspektive als jener der Descriptive Translation Studies ; er ist aber hier nicht im Sinn einer präskriptiven Norm zu verstehen, sondern lediglich als Hinweis auf das Instrumentarium von Vergleichsparametern, mit denen die Übersetzung von Gedichten beschrieben werden kann. Vgl. zur Problematik und Vielschichtigkeit des Äquivalenzbegriffs Reiss / Vermeer (1991: v. a. 124-170), aber auch Koller (2011: 218-230). 23 Leif Ludwig Albertsen zeigt in seiner Analyse einiger von Baggesens deutschen Gedichten und deren dänischer Version, wie sogar der sich selbst übersetzende Dichter bei aller von ihm als dem Autor selbstverständlich beanspruchten Freiheit an seine Grenzen stösst, wenn es um die Übersetzung von Gedichten mit ihren vielfältig zu erfüllenden Parametern geht (Albertsen 2005: 68-91, Beispiele 77-84). 24 Alle enthalten in: Fleming (1865, I). Sie werden in der dort verwendeten Orthographie wiedergegeben. Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Wie die Wiedergabe der Schlussstrophe von Aus dem Italiänischen zeigt, sind Metrum und Reimschema genau eingehalten (das Endungs-e in dän. „frie“ in der zweiten Zeile wird - jedenfalls heutzutage - sehr abgeschwächt ausgesprochen und kann daher mit „vi“ ein Reimpaar bilden). Der Rhythmus ist jedoch in der dänischen Fassung etwas schneller, was durch die kürzeren, „leichteren“ Silben in den dänischen Versen bewirkt wird. In der ersten und dritten Zeile vereinigt die Übersetzung inhaltliche Treue mit gelungener Klangwiedergabe; in der zweiten Zeile wurde auf Inhaltstreue zugunsten des Klangs verzichtet, ebenso in der vierten Zeile, die vom Inhalt jedoch so viel opfert, dass sie im Vergleich zu Flemings letztem Vers eher blass wirkt. Die volle Prägnanz von Flemings Schlussvers erschliesst sich freilich nur bei der Lektüre des ganzen, sechsstrophigen Gedichtes, in dem lauter Naturerscheinungen beschrieben werden, die in der „Kunst von schönen Dingen“ zum Schluss Kontrast und Steigerung zugleich finden. IS III: 124 ØS III: 121 Mir ist wohl beim höchsten Schmerz Mig ei træffer Sorg og Smerte Denn ich weiss ein treues Herze! Thi jeg eier hendes Hierte. Die beiden Verse bilden den Refrain des sechsstrophigen Gedichtes Elsgens treues Herz . Die dänische Übersetzung ist zu einer kleinen Klangsymphonie geworden, welche nicht nur den Endreim, sondern zusätzlich mehrere Stab- und Binnenreime aufweist. Inhaltlich ist aber eine gewisse Banalisierung von Flemings Raffinement unverkennbar: Die Dichotomie und gleichzeitige Verschmelzung von Glück und Schmerz, die dessen erster Vers ausdrückt, wird bei Oehlenschläger zu einer simplen Abwesenheit von Leid und Schmerz; auch haftet seiner Aussage im zweiten Vers im Gegensatz zu Flemings Worten etwas Klischeehaftes an. IS III: 124 ØS III: 121 O Sonne der Wonne, O Solens Glæde, O Wonne der Sonne! O Glædens Sol! Diese Zeilen umrahmen in Verdoppelung die mittlere Strophe des Liebesgedichtes Auf die italiänische Weise: O fronte serena, das ganz auf einem Spiel von Assonanzen und Binnenreimen basiert, wie auch das Zitat zeigt. Die fast kindlich einfachen Verse adäquat (Reiss / Vermeer 1991: 133-140) wiederzugeben, war offenbar sehr schwierig, musste doch die syntaktische Relation der Substantive umkehrbar sein. Dennoch ist das Resultat - trotz des fehlenden Binnenreims - auch in klanglicher Hinsicht, möglicherweise dank der Wiederholung des Liquiden -l-, recht überzeugend. Vom Gedicht Lass dich nur Nichts nicht tauren , das als Ganzes aufgenommen und übersetzt ist, soll nur die erste Strophe als Paradigma für den Vergleich dienen: IS III: 144 ØS III: 138 Lass dich nur Nichts nicht dauern Hvi om din Skiæbne spørge? Mit Trauern. Hvi sørge? Sey stille! Vær stille! Wie Gott es fügt Guds Villie skeer. 3.2 Die Inseln im Südmeere und Øen i Sydhavet - ein Roman in zwei Sprachen 87 88 3 Polyphone Textgestalt Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 IS III: 144 ØS III: 138 So sey vergnügt Lad Taaren meer Dein Wille. Ei trille! Das komplizierte Reimschema und das Metrum sind genau wiedergegeben, bei recht guter Wahrung der inhaltlichen Aussage, wobei die Umwandlung des ersten Imperativs in eine Frage und die syntaktische Zäsur in der vierten Zeile, die Flemings Gefüge zerschneidet, wohl unvermeidlich waren. Als eine Art Kompensation erscheint dafür in der zweiten Strophe, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, in der dänischen Fassung ein Imperativ anstelle von Flemings Frage. Allerdings bewirkt die Tendenz zur Metaphorisierung (vgl. vor allem die erste Zeile und die beiden Schlussverse) im dänischen Text eine Veränderung des Tonfalls: Flemings ernster, verhaltener Ton erscheint durch die Wahl der Bilder im Dänischen leichter und heiterer. Im Ganzen lassen die Gedichtübertragungen grosse Sorgfalt und das Bemühen um adäquate Wiedergabe erkennen. Da die Übergänge fliessend sind, ist es nicht einfach zu entscheiden, ob hier nun eine Bearbeitung oder eine Übersetzung vorliegt - dass es sich um Nachdichtungen handelt, kann bei der angestrebten Nähe zur Vorlage wohl ausgeschlossen werden. Vielleicht wären diese Übertragungen als kleine Proben einer Übersetzung von Gedichten Paul Flemings auch für deren Herausgeber Lappenberg von Interesse gewesen, wenn er sie gekannt hätte, bemerkt er doch in der Bibliographie zu seiner Ausgabe von Flemings Gedichten: „Ob Übertragungen einzelner Gedichte Flemings in fremde Sprachen […] vorhanden sind, habe ich nicht ermitteln können“ (Fleming 1865, II : 850). c) Wortspiele Das ausgewählte Textkorpus enthält in der dänischen Fassung zwei Wortspiele ( ØS III : 151-152 und 198), in der deutschen dagegen nur eines ( IS III : 158). Dies scheint die bei der Besprechung der metaphorischen Ausdrücke auf Seite 46 geäusserte Vermutung zu stützen, dass der dänische Text gegenüber dem deutschen lebendiger, bildhafter gestaltet werden sollte. Im Folgenden soll jenes Wortspiel behandelt werden, das sich in beiden Versionen findet: In IS III : 158 wird eine kurze Komödienszene erwähnt, in der zwei Bauern auftreten, die plattdeutsch miteinander sprechen; ihr Dialog dreht sich um die Dänen, um ihre Sprache, ihr Aussehen und ihre Essgewohnheiten: Angeblich essen sie „Köt“ und trinken „Oelie“ dazu, was aber nicht so schlimm ist, wie es klingt, denn „Köt“ schmeckt wie Fleisch und „Oelie“ wie Bier. Es handelt sich um eines jener interlingualen Wortspiele, das auf Wörtern beruht, die trotz ihrer Herkunft aus verschiedenen Sprachen gleich oder ähnlich klingen oder im Schriftbild übereinstimmen, 25 die semantisch jedoch völlig voneinander abweichen und deshalb eine Art „faux amis“ bilden. 25 In Anlehnung an den Begriff „Homonymie“ werden solche Wortspiele auch als „interlinguale Paronymie“ bezeichnet, da sie im Unterschied zur Homonymie keine Formidentität, sondern nur eine Formähnlichkeit aufweisen. Nach Tȩcza (1997: 68-69 u. Fussnote 98) ist interlinguale Homonymie ein äusserst seltenes Phänomen, denn auch scheinbar identische Lexeme aus verschiedenen Sprachen Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Die kleine Szene spielt in Kopenhagen, vor einem dänischen Publikum, wobei sich der deutsche Leser unwillkürlich fragt, ob denn der Wortwitz des Dialogs von einem nichtdeutschsprachigen Publikum überhaupt verstanden werden konnte. Die Frage ist sicher berechtigt, denn Zuschauern ohne Deutschkenntnisse musste das Wortspiel unverständlich bleiben. Man ist versucht, das Einfügen dieser Szene in die IS als Indiz dafür zu halten, dass der Roman eben für ein deutsches Lesepublikum geschrieben wurde, wobei die Situation des fiktiven dänischen Publikums in den Hintergrund trat. Bedenkt man jedoch die sprachlichen Gegebenheiten Kopenhagens in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts - also jener Epoche, in der dieser Teil der Romanhandlung spielt - so wird klar, dass das Verständnis einer Szene wie der geschilderten für weite Kreise der Bevölkerung überhaupt kein Problem darstellte: Kopenhagen konnte zu jener Zeit als dreisprachige Stadt betrachtet werden (Winge, V. 1992: 184). Offenbar existierten - soweit sich dies aufgrund schriftlicher Zeugnisse eruieren lässt - Dänisch, Hochdeutsch und Niederdeutsch als gesprochene Sprachen nebeneinander, ja, es hatte sich, besonders in Handwerkskreisen, sogar eine Mischsprache aus allen dreien gebildet, die auch geschrieben wurde (Winge, V. 1992: 153). Die Szene von IS III : 158 wird als wichtiges Indiz dafür betrachtet, dass man am dänischen Hof, an dem traditionell Hochdeutsch gesprochen und geschrieben wurde, auch Plattdeutsch zumindest verstand, denn sie wurde nicht etwa von Oehlenschläger erfunden, sondern stammt aus einer authentischen Komödie, die zur Hochzeit des Sohnes von Christian IV . verfasst und 1634 am Hof aufgeführt wurde. 26 Da nun deutlich geworden ist, dass das Publikum des 17. Jahrhunderts - das reale ebenso wie das fiktive des Romans - die plattdeutsche Szene bestens verstanden haben dürfte, bleibt die Frage, wie sie für die dänische Leserschaft der 1820er Jahre wiedergegeben wurde. Angesichts der auch zu jener Zeit noch immer sehr verbreiteten, ja, fast selbstverständlichen Deutschkenntnisse in Kopenhagen erstaunt es nicht, dass die Szene unverändert in der Originalversion - also auf Plattdeutsch - in ØS erscheint. 27 Lediglich minimale orthographische Angleichungen ans Dänische (statt Oelie heisst es nun Ølie , statt Flesch wird Flesck geschrieben, vgl. ØS III: 151-152) unterscheiden den Dialog in der dänischen Fassung von der deutschen Version. Die geschilderte sprachliche Situation ersparte Oehlenschläger also auf elegante Weise die Übersetzung eines Wortspiels, ein Unterfangen, das in der Übersetzungswissenschaft mit gutem Grund allgemein als äusserst schwierig, wenn nicht gar unmöglich gilt (Koller 2011: 261). unterscheiden sich meistens doch in der Aussprache, aufgrund der einzelsprachlichen Artikulationsspezifik. 26 Der Verfasser, Johannes Lauremberg, war Professor für Mathematik an der Akademie in Sorø, stammte aber aus Rostock und schrieb u. a. Scherzgedichte auf die dänisch-hochdeutsch-niederdeutsche Mischsprache. Die Komödie, in der die beiden Bauern sich über dänische Ausdrücke lustig machen, heisst: „Wie die Harpyiä von zweyen Septentrionalischen Helden verjaget und König Phineus entlediget wird.“ (Alle Angaben nach Winge, V. 1992: 168-172; in ihrem Buch findet sich der in IS III: 158 zitierte Dialog der beiden Bauern ebenfalls abgedruckt: 171-172). 27 Es ist anzunehmen, dass auch das Verständnis des Plattdeutschen Anfang des 19. Jahrhunderts noch weiterlebte; dafür spricht zum Beispiel, dass dänische Handwerker ihre Wanderjahre immer noch in Deutschland zu verbringen pflegten, vgl. Winge, V. (1992: 328). 3.2 Die Inseln im Südmeere und Øen i Sydhavet - ein Roman in zwei Sprachen 89 90 3 Polyphone Textgestalt Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 3.2.3 Fazit zur zweisprachigen Gestaltung Auf der Basis des untersuchten Textkorpus ergibt sich der Eindruck, dass Oehlenschläger sich in der dänischen Version seines Romans im Allgemeinen mit grosser Treue an die deutsche Vorlage gehalten hat. Dennoch ist deutlich geworden, dass er seinen Text an einigen Stellen im Hinblick auf das dänische Zielpublikum veränderte, und dass er stilistisch um stärkere Bildhaftigkeit bemüht war, wobei anzunehmen ist, dass er in der Muttersprache auch über eine grössere Vielfalt an metaphorischen Ausdrücken verfügte. In diesem Sinn urteilt auch Horst Nägele (im Gegensatz zu seiner erwähnten Kritik an Oehlenschlägers deutschen Werkfassungen), wenn er dem Dichter attestiert: „Seine Werke in dänischer Sprache […] zeichnen sich durch Wohlklang und lebendigen Bilderreichtum aus“ (Nägele 1971: 596). Trotzdem fand der Roman beim dänischen Lesepublikum wenig Anklang, wie in Kap. 1.4 dargestellt wurde. Ob die ablehnende Haltung auch durch sprachliche Aspekte mitbeeinflusst war, wie Billeskov Jansen, der die deutsche Version bevorzugt, anzudeuten scheint (vgl. Kap. 3.1 dieser Arbeit), lässt sich angesichts der spärlichen Stellungnahmen zu Oehlenschlägers Roman kaum eruieren. 3.3 Sprachreflexionen Nachdem in den vorhergehenden Abschnitten die textuelle Vielfalt und die prinzipielle „Zweisprachigkeit“ des Romantextes besprochen wurden, soll nun untersucht werden, ob auf der Ebene der Figuren ähnliche Phänomene zu beobachten sind, d. h. ob sich auch die Romanpersonen in einem Feld der sprachlichen Mehrstimmigkeit bewegen, ob sie ihre sprachliche Situation reflektieren und allenfalls Schlüsse für ihre Handlungsweise daraus ziehen. 3.3.1 Sprachgedanken in den Wunderlichen Fata Als Ausgangspunkt soll eine kurze Beschreibung der Verhältnisse bei der Inselbesiedlung in Schnabels Roman dienen: Die Schiffbrüchigen, die in den WF mit Albert zusammen auf die Insel Felsenburg verschlagen werden, bilden sprachlich gesehen eine heterogene Gemeinschaft, denn jedes Mitglied spricht eine andere Sprache: Van Leuvens Muttersprache ist holländisch, Concordia spricht Englisch, Albert Deutsch; Lemelie schert als Franzose aus diesem Verbund germanischer Sprachen aus, was ihn, den einzigen Katholiken der Gemeinschaft, zusätzlich zum Aussenseiter stempelt, der sich denn auch als moralisch zutiefst verworfen entpuppt. Offenbar verursachen die verschiedenen Sprachen keine Verständigungsprobleme, denn, wie Albert erzählt: Die beyden Eheleute [van Leuven und Concordia] und ich konten uns im beten und singen gantz schön vereinigen, indem sie beyde ziemlich gut teutsch verstunden und redeten; Lemelie aber, der doch fast alle Sprachen, ausser den Gelehrten Hauptsprachen, verstehen und ziemlich wol reden konnte, hielt seinen Gottesdienst von uns abgesondert […]. ( WF I: 198) 3.3 Sprachreflexionen 91 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Es ist bezeichnend, dass die sprachliche Situation erst im Zusammenhang mit der Ausübung religiöser Rituale geschildert wird, während unerwähnt bleibt, wie sich die Gestrandeten zuvor bei den vielen überlebenssichernden Unternehmungen auf der unbewohnten Insel verständigt hatten. Der erste auf der Insel erlebte Sonntag bedeutet einen Einschnitt in diesen Tätigkeiten, einen Ruhepunkt, der nach biblischem Gebot für den Gottesdienst genutzt wird, aber auch die Möglichkeit zur Reflexion bietet. Albert und Concordia haben je eine Bibel und ein Gesangs- und Gebetsbuch gerettet, beides in deutscher und englischer Sprache. Der ganze Sonntag wird mit Bibellesen, Beten und Singen zugebracht, vermutlich in beiden Sprachen, denn Albert hatte für seinen Dienst bei van Leuven „binnen 6. Monaten recht gut Engell- und Holländisch reden und schreiben gelernet“ ( WF I: 144). Ausdrücklich erwähnt wird aber nur das Singen und Beten auf Deutsch, was implizit auf eine Privilegierung des lutherischen Kultes weist; dies erscheint umso bedeutungsvoller, als Albert der einzige Lutheraner ist und man hätte erwarten können, dass die reformierte Konfession 28 der beiden höhergestellten Personen, van Leuven und Concordia, dominieren würde. Das gerettete Gesangs- und Gebetsbuch bringt also viel mehr als nur deutsche Lieder und Gebete zur frommen Erbauung der Inselgemeinschaft: es bedeutet den ersten Keim zur Etablierung des Luthertums auf der Insel, und dieses ist bekanntlich, gemäss Luthers Reformprogramm, eng an das Deutsche als Sprache seiner Verbreitung geknüpft. 29 So ist es auch zu erklären, dass Eberhard, als er bei seiner Ankunft auf der Insel von einer Schar Verwandter empfangen wird, feststellt: „[sie] redeten so feines Hoch-Teutsch, als ob sie gebohrne Sachsen wären“ ( WF I: 121): Damit wird angedeutet, dass Albert, der dem Leser ja schon auf dem Titelblatt des ersten Teils der Wunderlichen Fata als „gebohrne[r] Sachse[-]“ vorgestellt wurde, auf der Insel seine Sprache tradiert hat, die zugleich jene Luthers und der Reformation ist; 30 das feine Hochdeutsch weist auf das hohe Ansehen hin, das Luther der deutschen Sprache mit der Übersetzung der Bibel und seinem gesamten energischen Eintreten für den Status des Deutschen schuf. Einbezogen in diese sprachliche Würdigung sind aber auch die Wunderlichen Fata selber, da Schnabel ebenfalls aus dem sächsischen Raum stammt. In Eberhards Bewunderung könnte zudem eine Spur der gängigen Ansicht mitschwingen, wonach ältere Sprachformen besser, schöner und vollständiger seien als die 28 Auch im 17. Jahrhundert waren die einzelnen reformatorischen Bewegungen noch soweit getrennt, dass Schnabel Reformierte, Lutheraner und Katholiken als Angehörige der „3 Hauptsecten“ des christlichen Glaubens bezeichnen konnte ( WF I: 198). Zu den gesellschaftspolitischen Auswirkungen der Differenzen zwischen Lutheranern und Reformierten vgl. Nenoff (2016: 152-153). Die Autorin vermutet, die auffällige Verbindung von Albert und Concordia über die „Konfessionsgrenzen“ hinweg weise darauf hin, dass diese Differenzen auch zur Entstehungszeit von Schnabels Roman im frühen 18. Jahrhundert noch bestanden hätten, vgl. Nenoff (2016: 153). 29 Diese Verbindung der deutschen Sprache mit dem Luthertum wurde besonders von den Sprachtheoretikern des 17. Jahrhunderts so häufig in ihre Überlegungen einbezogen, dass aus dem Zusammenhang zwischen Muttersprache und Religion ein eigentlicher „Korrelationskomplex“ entstand; vgl. Stukenbrock (2005: 435). 30 Albert und Luther stammen aus dem Kurfürstentum Sachsen, das neben Sachsen-Anhalt auch Teile von Thüringen und Brandenburg umfasste. In diesem grossen Gebiet wurden natürlich zahlreiche unterschiedliche Dialekte gesprochen, doch war es bekanntlich Luthers Leistung, mit seiner Bibelübersetzung eine übergreifende Standardsprache geschaffen zu haben, die auch in andere Regionen Deutschlands ausstrahlte. Dies wird auch von Werner Besch nicht grundsätzlich bestritten, obwohl er in seinem Buch Luther und die deutsche Sprache. 500 Jahre deutsche Sprachgeschichte im Lichte der neueren Forschung die sprachliche Wirkung Luthers in den Kontext verschiedener begünstigender Faktoren einbindet, vgl. Besch (2014: z. B. 135-136). 92 3 Polyphone Textgestalt Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 modernen Varianten: 31 Immerhin lebt Albert zum Zeitpunkt von Eberhards Ankunft bereits seit 80 Jahren auf der Insel, weshalb anzunehmen ist, dass sein Deutsch, das zum Inselstandard wurde, weitgehend unberührt geblieben ist von den Sprachveränderungen, die sich im Fortgang der Zeit durch vielfache Kontakte der Sprecher mit der Aussenwelt immer bilden. Alberts Nachkommen sprechen aber nicht nur Deutsch; mindestens das erste Kind auf der Insel, Alberts Stieftochter, wächst zweisprachig auf: „Die kleine Concordia fing nunmehro an, da sie vollkommen deutlich, und zwar so wohl Teutsch als Englisch reden gelernet, das angenehmste und schmeichelhaffteste Kind […] zu werden“ ( WF I: 311-312). Albert lehrt seine Kinder deutsch und englisch buchstabieren und lesen, während Concordia die religiöse Unterweisung übernimmt, so dass die Eltern ihre Kinder „mit grösten Vergnügen bald Teutsch, bald Englisch, die Morgen- Abend- und Tisch-Gebeter, vor dem Tische, konten beten hören und sehen“ ( WF I: 314). Die selbstverständliche Verwendung beider Sprachen scheint auf einer elterlichen Gleichberechtigung zu beruhen, die sich auch in der Aufteilung des Unterrichts spiegelt, denn Concordias Bibelunterweisung darf in der Mitte des 17. Jahrhunderts, also lange vor der Säkularisierung, wohl als gleichwertig mit Alberts Schulunterricht in den elementaren Kulturtechniken des Buchstabierens und Lesens gelten. 32 Dass jedoch die englische Sprache zugunsten des Deutschen aufgegeben werden kann, zeigt die Geschichte von David Rawkin, der als Sohn verarmter Adliger in England zur Welt kam und nach einer von Schrecken und Gräueln erfüllten Jugend im Erwachsenenalter einen deutschen Freund trifft, mit dem er über ein Jahr gemeinsam in Deutschland verbringt und in dieser Zeit, wie er berichtet, „dermassen gut Teutsch lernete, dass fast meine Mutter-Sprache darüber vergass, wie ich mich denn auch in solcher Zeit zur Evangelisch-Lutherischen Religion wandte, und den verwirrten Englischen Secten gäntzlich absagte“ ( WF I: 397). Auch in seinem Fall sind also Sprache und Religion gekoppelt, Deutschlernen und Bekehrung zum Luthertum erfolgen fast gleichzeitig und bewirken Rawkins Verwandlung in einen deutschsprachigen Lutheraner. Seine Abkehr von den „verwirrten Englischen Secten“ stellt die lutherische Religion in ein besonders günstiges Licht, zeigt sie im Gegensatz zu englischen religiösen Strömungen als klar und vernünftig. Im Zeichen dieser Vernunft lässt er sich, nachdem er als Schiffbrüchiger mit seinem Freund und ihren beiden jungen Verlobten die Insel Felsenburg erreicht hat, dazu überreden, seine Geliebte einem Sohn Alberts zu überlassen und selber eine von dessen Töchtern zu heiraten, wodurch sich die Inselbewohner dank Zuzug von Auswärtigen fortpflanzen können. Rawkins Transformation in einen deutschen Lutheraner erreicht auf der Insel eine weitere Stufe, indem er seinen eigenen Geschlechtsnamen mit dem seiner Frau ersetzt, d. h. seine ehemals englische Identität wird nun noch vollends durch die neue als David Julius verdrängt und ausgelöscht ( WF I: 336). 31 Stellvertretend für viele Untersuchungen, die sich mit solchen Spracheinschätzungen befassen, sei Martin Durrells Artikel „Mit der Sprache ging es immer schon bergab. Dynamik, Wandel und Variation aus sprachhistorischer Perspektive“ erwähnt, in dem er nachweist, dass die Meinung, Sprachveränderungen seien Verschlechterungen der Sprache, seit Jahrhunderten verbreitet ist und mit dem „Mythos einer althergebrachten ‚reinen Sprache‘“ zusammenhängt, vgl. Durrell (2014: 13). 32 Obwohl sich im 17. Jahrhundert, vor allem dank Comenius’ Neuerungen, der Schulunterricht in verschiedener Hinsicht zu reformieren begann, blieb der konfessionelle Unterricht immer noch zentral. 3.3 Sprachreflexionen 93 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 3.3.2 Die Situation in den Inseln im Südmeere Wenn wir uns nun Oehlenschlägers Roman zuwenden, so zeigt sich, dass die Figuren in den IS schon auf dem Schiff, das sie nach Ostindien bringen soll, über ihre Sprachen zu reden anfangen. Concordia betont gleich zu Beginn der Seereise das Verbindende der sprachlichen Situation, wenn sie zu Albert sagt: „Wir dürfen einander nicht fremd bleiben […]. Mein Carl Franz und ich sprechen Holländisch, Ihr Deutsch, so verstehen wir uns ohne Schwierigkeit“ ( IS III : 220). Dieser aus heutiger Sicht überraschenden Feststellung 33 war eine Auseinandersetzung zwischen dem französischen Schiffskapitän Lemelie und dem dänischen Ankerschmied Mats Hansen vorausgegangen, die ebenfalls - zumindest seitens des Kapitäns - auf Holländisch geführt wurde, denn: „Der Kapitain sprach holländisch, was der Ankerschmied verstand“ ( IS III : 216). Die holländische Koine vermag aber die Differenzen zwischen dem als verschlagen, hämisch und falsch beschriebenen Franzosen und dem aufrechten, ehrlichen Dänen nicht zu überbrücken, im Gegenteil: die Unvereinbarkeit der - in bezeichnender Weise zugeteilten - Nationalcharaktere wird gerade dadurch unterstrichen, dass nicht einmal eine gemeinsame Sprache Verständigung schaffen kann. Auf der Seereise unterrichtet Concordia Albert im Englischen, worin er so gute Fortschritte macht, dass sie mit ihm Dramen ihres Urgrossvaters Shakespeare lesen kann. 34 Kapitän Lemelie bietet ihr einerseits Spanischunterricht an, andrerseits möchte er mit ihr Corneilles Cid lesen, aber sie lehnt beides ab; damit bleibt, wie in den WF , das romanische Element aus der germanischen Sprachenfamilie der für die Insel Felsenburg prädestinierten Personengruppe ausgeschlossen. 35 Die erste explizite Erwähnung des Sprachgebrauchs auf der Insel hängt wie bei Schnabel mit dem Singen geistlicher Lieder zusammen, wird aber nicht mit sonntäglichen Gottesdienstritualen verknüpft, sondern mit Alberts Entdeckung der insularen Paradieslandschaft: Aus Freude darüber stimmt er mit seinen Gefährten ein Lied von Paul Gerhardt an, das von Errettung aus Not und Bedrohung handelt, und dessen erste Strophe im Text wiedergegeben wird. 36 Wie Albert an dieser Stelle berichtet, hatten Concordia und van Leuven schon öfters deutsche geistliche Lieder mit ihm gesungen, „und die fremde Aussprache machte ihre Andacht noch rührender“ ( IS III : 324). Die Dominanz des Deutschen, die sich aus dem Singen deutscher Lieder ablesen liesse, wird wenig später aufgehoben durch Alberts Wunsch, wieder Shakespeare zu lesen, jedoch sind die vom Wrack geretteten Bände verschwunden, was Albert Lemelies Bosheit zuschreibt. Auf diese Weise erscheint als Gegenzug zur abgelehnten Lektüre des Cid auch der englische Dichter eliminiert. Stattdessen 33 Die Bemerkung erstaunt auch aus historischer Perspektive, angesichts von Luthers Einsatz für eine hochdeutsche Standardsprache, die sich allmählich bis auf die nahe den Niederlanden gelegenen niederdeutschen Gebiete ausdehnte und dazu beitrug, das Niederländische stärker gegen das Deutsche abzugrenzen. Dennoch könnte sie auf einer realen Grundlage basieren, denn offenbar existierten noch bis ins 17. Jahrhundert Zeugnisse, dass das Niederländische, „ursprünglich vom Hochdeutschen sprachlich nicht weiter entfernt als das Nd. (= das Niederdeutsche)“, tendenziell als Bestandteil des Deutschen empfunden wurde, vgl. König (2011: 103). 34 Diese Lektüre und die an Bord geführten Diskussionen darüber werden in Kap. 8.3. besprochen. 35 Dass dieses System jedoch nicht in letzter Konsequenz durchgeführt ist, zeigt die Figur des Spaniers Cyrillo, der als Erstbesiedler schon in den WF der Insel gewissermassen ein spanisches Besiedlungsfundament schafft und in Oehlenschlägers Roman ausserdem noch Ariost begegnet (vgl. Kap. 5.4 und 5.5). 36 Allerdings wird der Name Paul Gerhardt nicht genannt, vielleicht, weil das Lied als bekannt vorausgesetzt wurde. 94 3 Polyphone Textgestalt Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 liest Albert nun täglich mit Concordia die englische Bibel, was ihm keine Mühe macht, da er die deutsche Bibel beinahe auswendig kennt. Obwohl diese Lektüre also inhaltlich nichts Neues bietet, freut es ihn, „die wohlbekannten Sachen in einer fremden Sprache erzählt und ausgesprochen zu hören, wodurch sie den Reiz der Neuheit gewannen“ ( IS III : 334). Die deutsche Sprache erscheint so in zweierlei Hinsicht verfremdet: einmal durch den Akzent des holländisch-englischen Ehepaares, und dann durch die „Verkleidung“ des deutschen Bibeltextes in die englische Sprache. Damit zeigt sich das „feine Hoch-Teutsch des gebohrnen Sachsen“, das in Schnabels Text über Jahrzehnte unverändert bewahrt geblieben war, von Anfang an umgeformt, vermehrt und angereichert durch Einflüsse des Fremden, in diesem Fall vor allem des Englischen, dem als der Sprache Shakespeares ein ebenso hoher Status wie Luthers Deutsch zugesprochen wird. Unerwähnt bleibt, welche Sprache Concordias schwarze Dienerin Minga spricht. Nachdem Albert sie und den kleinen Hund Beautiful vom Wrack gerettet hat, erweist sie sich als unschätzbare Hilfe auf der Insel; trotzdem erscheint sie in seiner Erzählung nicht als der menschlichen Gattung selbstverständlich zugehörig, sondern gewissermassen als Grenzwesen in einem Zwischenbereich: „[…] neigte die stumpfe Negernatur in ihr sich zum Thierischen, so liess der gefühlvolle Blick des Hundes etwas Menschliches ahnen. Diese Verwandtschaft fühlend, waren sie unzertrennlich“ ( IS III : 296). 37 Auch van Leuven, der sie „treu“ und „gutherzig“ nennt, vergleicht sie im nächsten Satz mit einem Tier: wie ein Jagdhund würde sie Lemelie an der Kehle fassen, falls er sich ungebührlich gegen Concordia benähme ( IS III : 308). Dieser verabscheut und fürchtet sie denn auch, nennt sie bald „das hässliche schwarze Thiermensch“ oder gar „das schwarze Thier“ ( IS III : 313 resp. IV : 51), 38 bald sieht er in ihr den leibhaftigen Satan. Er ist es auch, der sie ihrer Sprache beraubt, indem er ihr die Kehle zudrückt, um zu verhindern, dass sie ihn als Mörder van Leuvens verrät; durch die ihr zugefügte zeitweilige Sprachlosigkeit stösst er sie noch mehr in Tiernähe. 39 Ihre Sprachfähigkeit wird in dieser Episode zwar thematisiert, die Sprache, die sie spricht, jedoch nicht benannt, d. h. sie bleibt aus dem Kreis der „Kulturnationen“ ausgeschlossen, zu denen selbst Lemelie diskussionslos gehört, obwohl ihm sogar die „Thiermenschen“ in 37 Die Beschreibung illustriert die liminale Zone zwischen einer „Animalisierung des Menschen“ und einer „Humanisierung des Tieres“, vgl. Agamben (2003: 46). Schon Mingas allererster Auftritt im Roman zeigt ihre Figur in verschiedenen Schattierungen einer tier-menschlichen Mischzone: „Kurz vorher hatte sie ihm [van Leuven] wie ein knurrender Hund die Zähne gezeigt, nun blickte sie ihm wie ein treuer Pudel ruhig ins Auge, und schnell wie ein Windspiel eilte sie mit dem Zettel fort“ ( IS III: 199). 38 Zum Gebrauch des Wortes „Tiermensch“ bringt das Grimm’sche Wörterbuch Belege vor allem aus dem 18. Jahrhundert, von Pestalozzi, Herder und Schiller, und gibt als Bedeutung an: „der mensch in seinem thierischen zustande“; nach Pestalozzi sei „der erste [von drei Zuständen] […] der zustand des thiermenschen“ ( Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm 1935, 11/ 1,1: 384). In ähnlicher Weise sieht Albert auch Shakespeares Caliban, „der Thiermensch (wie es der Mensch wahrscheinlich in seinem ersten Zustande wirklich gewesen)“ ( IS IV: 4; gesperrt im Original). Lemelie betrachtet Minga als eine Art weiblichen Caliban: „Er […] fand, dass Caliban mit unserer schwarzen Minga eine ausserordentliche Aehnlichkeit hätte“ ( IS IV: 5). Sein Abscheu weist auf die Calibans Figur eingeschriebene Natur als monströse Hybridform zwischen Mensch und Tier mit dämonischen Zügen (vgl. dazu die vielschichtige Darstellung von Helduser 2016: 109-182). 39 Die Sprache als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal zwischen Mensch und Tier war bis ins 18. Jahrhundert eine allgemein akzeptierte Auffassung, die z. B. auch von Herder in seiner berühmten Abhandlung „Über den Ursprung der Sprache“ vertreten wurde, vgl. Herder (1985: 711). 3.3 Sprachreflexionen 95 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Gambia und Senegal an sittlichem Empfinden überlegen seien, wie van Leuven andeutet ( IS III : 315). 40 Ein paar Jahre später hat sich die kleine Inselpopulation verändert: van Leuven und Lemelie sind tot, dafür ist das Kind des ersteren geboren, wird von seiner Mutter sowie von Albert und Minga betreut und beginnt erste Worte zu sprechen. Zu Alberts Überraschung spricht Concordia mit ihrer kleinen Tochter Deutsch, nicht Englisch. Ihre Erklärung für diese Sprachverwendung stützt sich auf zwei Konzepte, die man mit den Begriffen „Muttersprache“ und „Vaterland“ 41 fassen kann. In ihrer Argumentation verknüpft sie die beiden Termini: Die Muttersprache berührt das Herz: „Wie der Schweizer beim blossen Klang der Kuhglocken weint, 42 so rühren die Töne der Muttersprache jedes gefühlvolle Menschenherz“ ( IS IV : 124), und zwar, weil es sich um die von frühester Kindheit an vertrauten Töne der unmittelbaren Umgebung handelt; daraus entsteht der „Sinn für das Heimathliche“ und zugleich das Gefühl für die Zugehörigkeit zu einer Nation, zu einem Vaterland. „Was macht das Vaterland? Nur die Sprache“, erklärt Concordia ( IS IV : 123). Ihrer Meinung nach lassen sich die Nationen überhaupt nur durch die verschiedenen Sprachen unterscheiden, denn es sei die Sprache, die das Wesen und die Denkweise bildet. 43 Deshalb sei es so wichtig, dass die Kinder zuerst ihre Muttersprache vollkommen lernten, denn wenn sie „erst alle leicht zwei, drei fremde Sprachen plappern, wird es bald um die Nationalität der Männer und Frauen gethan seyn“ ( IS IV : 124). 44 Albert stimmt ihr zu, doch sieht er sich in seiner Verwunderung darüber, dass sie mit ihrem Kind Deutsch spricht, nun erst recht bestätigt: Schliesslich ist Concordias Mutter- 40 Dass der Begriff, wie erwähnt, im 18. Jahrhundert geläufig war, zeigt auch Linnés Abhandlung „Antropomorpha“, auf die Agamben verweist, und die 1776 auf Deutsch unter dem Titel „Vom Thiermenschen“ herausgegeben wurde (Agamben 2003: 33). Darin beschreibt Linné vier verschiedene Typen von menschen- oder affenähnlichen Wesen, deren Gattungszuordnung zwischen Mensch und Tier er immer wieder diskutiert und zum Schluss kommt, dass sie „eigentlich Menschenthiere (anthropomorpha) heissen“ (Linné 1776: 69). 41 Beide Begriffe sind bekanntlich Lehnübersetzungen der entsprechenden lateinischen Wörter; wichtiger ist aber ihre Verwendung, die bestimmte kulturgeschichtliche Zuschreibungen spiegelt: Die Mutter ist traditionell zuständig für das engste Umfeld der Kinder, für die kleine, häusliche Welt, weshalb in erster Linie sie es ist, die den Kindern Sprache vermittelt, während der Vater die Aussenwelt, die grossen Zusammenhänge des Landes repräsentiert. 42 Dies spielt auf die sprichwörtliche Schweizer Heimatliebe an, die sich schon im 18. Jahrhundert und dann vor allem in der Romantik zum Topos des freien Schweizers in der Alpenwelt verdichtet hatte, der im Flachland heimwehkrank wurde, sobald er die Klänge des Kuhreigens hörte. Die Erwähnung der Kuhglocken (statt des Kuhreigens) als Auslöser des Heimwehs wirkt wie die ironische Überhöhung eines ohnehin mythisierten Zustandes; ob die Stelle tatsächlich ein ironisches Licht auf Concordias engagierte Argumentation werfen soll, muss offen bleiben. 43 Mit dieser Aussage vertritt Concordia in der vieldiskutierten Frage, inwieweit die Sprache das Denken forme, eine Position, wie sie in Ansätzen schon Leibniz, aber auch Herder formulierte, jedoch erst durch Wilhelm von Humboldt präzise gefasst und zu einer eigentlichen Sprachtheorie entwickelt wurde: für ihn existiert kein von der Sprache unabhängiges Denken, was unter anderem, wegen der Verschiedenheit der einzelnen Sprachen, in unterschiedlichen Denkweisen und damit der Schaffung verschiedener nationaler Identitäten resultieren könne (für eine ausführliche und differenzierte Darstellung dieses Gedankenkomplexes vgl. Gardt 1999: 230-245). 44 Auch Herder korreliert Muttersprache und Vaterland, wenn er die Muttersprache als „Leitfaden“ in einem „Labyrinth von Sprachen“ bezeichnet, denn „wie einen jeden die Liebe zu seinem Vaterlande mit einigen Banden der Anhänglichkeit fesselt: so hat auch die Sprache unserer Vorfahren Reize vor uns, die in unserm Auge die fremden übertreffen“ (Herder 1985: 26). 96 3 Polyphone Textgestalt Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 sprache englisch, nicht deutsch. Daraufhin muss sie sich noch deutlicher erklären: „Wir sind jetzt eine kleine Nation aus vier Menschen bestehend auf dieser Insel. Ihr seyd der Mann, ein Deutscher, und die Weiber müssen sich nach den Männern richten“ ( IS IV : 125). Diese Feststellung betont zweierlei: Einmal die nationenbildende Kraft der Sprache, denn was die heterogene Gruppe, in die Minga stillschweigend einbezogen ist, zu einer Nation fügen soll, ist eben die einheitliche Sprache; zweitens wird diese Nation implizit dem Mann unterstellt und damit zum Land des Vaters gemacht, zur Patria, d. h. Albert wird die Position eines Patriarchen auf der Insel zugesprochen. 45 Die sichtliche Verlegenheit, die Concordia bei diesen Worten überwinden muss („Sie erröthete ein wenig, schlug die Augen nieder,“ IS IV : 125), entspringt nicht eigentlich dem Eingeständnis ihrer Akzeptanz männlicher Vorherrschaft; 46 vielmehr verrät ihr Konzept einen Hinweis auf künftiges familiäres Zusammenleben, was Albert hoffnungsvoll als Zeichen keimender Liebe deutet. Eine weitere Begründung für Concordias Absicht, ihr Kind deutschsprachig zu erziehen, liegt zudem in ihrer Überzeugung, dass der Ursprung nicht nur des Niederländischen, sondern auch des Englischen die deutsche Sprache sei: „Wir Engländer waren vormals Sachsen. Normannische Gewalt hat unsere Sprache zerbrochen, Geist, Kraft, Gefühl und Laune haben sie aber tüchtig wieder zusammen geleimt, und mehr als eine andere über die Welt verbreitet“ ( IS IV : 125). 47 Ihr Plädoyer für eine einsprachige Erziehung weist auch auf einen Gegensatz zur Situation in Schnabels Roman, wo die Kinder, wie erwähnt, in fröhlicher und völlig selbstverständlicher Zweisprachigkeit aufwachsen. Die Problematisierung dieses Umstandes im Roman des 19. Jahrhunderts hängt offensichtlich mit dem Nachdenken über Sprache zusammen, das zwar schon lange vor dem 18. Jahrhundert begonnen hatte, aber mit der Aufklärung in eine entscheidende Phase trat und sich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts immer mehr zu einem facettenreichen Diskurs entfaltete, der sich, verknüpft mit Überlegungen zu Parallelen zwischen Sprache und nationalem Charakter, intensiv mit der Bildung einer kollektiven, d. h. nationalen Identität als Grundlage für die Entstehung des Nationalstaates auseinandersetzte. Genau dieselbe Thematik bewegt die Gemüter auch auf Eberhards Rheinfahrt nach Amsterdam, die dieser zusammen mit Hanna auf die geheimnisvolle Einladung des Kapitäns Wolfgang hin unternimmt. Mit dieser Episode, die in der Romanchronologie Jahrzehnte 45 Entsprechend beschreibt Albert im Rückblick seine Position: „In süsser, idyllischer Ruhe habe ich hier, als Patriarch, mein langes Leben genossen“ ( IS IV: 140). 46 Diese traditionell festgeschriebene Dominanz wird von Concordia nicht bestritten, im Gegenteil: auch an anderer Stelle erweist sie sich als Verfechterin weiblicher Selbstbescheidung und Sittsamkeit, wenn sie z. B. bei der Lektüre von Shakespeares Sturm gewisse „Derbheiten“ nicht mit Albert zusammen lesen will, denn „[a]lles in der Poesie ist nicht für Weiber geschrieben […]. Wieviel Grosses, Merkwürdiges, Lustiges geschieht nicht in der Welt ohne Weiber. So muss auch Vieles in der Poesie seyn, das schön und genialisch zu nennen ist, ohne dass es eben für unsere Sittlichkeit passe. […]. Gott bewahre mich vor jener albernen Sprödigkeit mancher Frauen, die ein derbes Wort nicht hören können, ohne den Dichter einen Grobian zu schelten“ ( IS IV: 2-4, gesperrt im Original). Diese Aussage scheint genau auf jene „Damen“ gemünzt zu sein, die im 18. Jahrhundert Holberg aus Gründen des „guten Geschmacks“ ablehnen (vgl. Kap. 8.2). 47 Dieser hohe Stellenwert wird der deutschen Sprache auch in verschiedenen sprachpatriotischen Konzepten des 17. Jahrhunderts zugeschrieben, wobei oft die europäischen Nachbarsprachen als „Nebensprachen“ abgewertet werden, als vom Deutschen bloss „abgeleitet, ohne hohes Alter“, im Fall des Englischen wegen seines Mischwortschatzes als „zusammengesetzte und verstümpelte Sprache“ (Zitate aus Gardt 1999: 112). 3.3 Sprachreflexionen 97 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 nach den oben geschilderten Felsenburger Ereignissen spielt, im Ablauf des Romans aber vorher erzählt wird, kehren wir zum ersten Teil der IS zurück. Eberhard hat, von Leipzig kommend, unterwegs den Kölner Dom besucht und dabei die beiden Künstler Litzberg und Lademann kennengelernt, die nun mit ihm reisen. Die ungefähre Ortsangabe ergänzt ein zeitlicher Hinweis: Wir befinden uns in der Zeit kurz nach dem Utrechter und dem Rastatter Frieden, und diese endlich geglückten Friedensschliessungen sorgen für die heitere Grundstimmung der deutschen, holländischen und französischen Schiffspassagiere. Dennoch flammt plötzlich ein Konflikt auf: In übersteigertem Patriotismus rühmt ein Franzose seinen König Ludwig XIV ., dessen Hofstaat und insbesondere Kardinal Richelieu so sehr, dass er Litzbergs Spott auf sich zieht, worauf der Franzose augenblicklich zum Degen greift; ein Duell unterbleibt nur, weil sich herausstellt, dass der patriotische Franzose einem untergeordneten Stand angehört: als Koch ist er nicht satisfaktionsfähig. Lademann singt darauf zur Versöhnung ein von Eberhard gedichtetes Lied, das die verbindenden Elemente zwischen Deutschen und Franzosen preist, die eigentlich Brüder seien, besonders, da die „Frankenschaar“ zuerst Deutsch gesprochen habe und Karl der Grosse ein Deutscher gewesen sei ( IS I: 114). Dass der fränkische Kaiser im Zusammenhang mit der deutschen Sprache genannt wird, ist natürlich kein Zufall, denn sein Name steht nicht nur für Macht und Herrschertum, sondern auch für Sprachpflege und Sprachförderung des Deutschen als Volkssprache; schon für die Sprachpatrioten des 17. Jahrhunderts war seine Tätigkeit in dieser Hinsicht so wichtig, dass die Verknüpfung seiner Figur mit diesen Bestrebungen zu einem Topos wurde. 48 Die Erklärung, Karl der Grosse sei ein Deutscher gewesen, entfacht neue Diskussionen, weil die Franzosen, nachdem sie das Lied dank französischer Übersetzung verstanden hatten, diese Aussage nicht hinnehmen wollen und Charlemagne für sich beanspruchen, wobei sich der Koch, der natürlich die französische Seite unterstützt, in einem komischen deutsch-französischen Kauderwelsch ausdrückt, das beide Sprachen - wenn auch parodistisch - vereint. Mit dem Auftritt eines jungen Adligen namens Herr von Sock akzentuiert sich das Element des Standesunterschiedes, das bei der Auseinandersetzung mit dem patriotischen Koch ebenfalls eine Rolle spielte: Der Adlige mit „sechzehn unverfälschten Ahnen“ ( IS I: 131) stellt seinen Rang über alles; dies wiederum macht ihn zur komischen Figur, worauf schon sein Name hinweist. Die Komik, evoziert durch die Nobilitierung des trivialen Namens, verstärkt sich noch in der Herleitung durch dessen Träger, der voller Stolz erklärt, sein Name sei eine Verkürzung von „Schock Schwerenoth“ - ein Ahnherr habe sich so genannt, weil er mit einem Schock von Reisigen einst eine Stadt besiegte. In der unbeholfenen Aussprache eines weiteren Ahnen sei „Schock“ zu „Sock“ geworden ( IS I: 155-156). 49 Obwohl selbst Deutscher, allerdings mit französischer Muttersprache, äussert er sich anlässlich eines von Eberhard in volksliedhaftem Stil verfassten Gedichtes vernichtend zur deutschen Sprache: „das Lied ist erbärmlich. Erstens hat es den Fehler, dass es in deutscher Sprache 48 Rosenberger (2015: 356-362) listet eine Vielzahl von Zitaten aus den Schriften von Harsdörffer, Schottelius, Klaj, Zesen und anderen als Belege für diese Sicht Karls des Grossen auf. 49 Was Herr von Sock in seiner abenteuerlichen Namenserklärung ausser Acht lässt, ist die metaphorische Ebene: Der volle Name wird als Ausdruck einer Verwünschung, wenn nicht gar eines Fluchs gebraucht, eine Bedeutung, die auf den Namensträger zurückschlägt, denn es wird ihm später von zwei Knaben ein so böser Streich gespielt, dass er seinen Adelsstolz vollkommen einbüsst ( IS I: 179-182). 98 3 Polyphone Textgestalt Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 geschrieben ist; […] diese Sprache ist ganz unmusikalisch und unpoetisch und kann zu höheren, schöneren Dingen gar nicht gebraucht werden“ ( IS I: 144). Dieses Urteil spiegelt das besonders seit dem 17. Jahrhundert zutage tretende mangelnde Ansehen der deutschen Sprache: vor allem in Frankreich, Italien und auch Spanien galt sie als rückständig und ungehobelt; auch an deutschen Höfen wurde bekanntlich vorwiegend französisch gesprochen, während die Gelehrtensprache nach wie vor lateinisch war. Dieses negative Bild trug im 17. Jahrhundert zur Entstehung intensiver sprachtheoretischer Auseinandersetzungen mit der eigenen Sprache und zu grossen Bemühungen um deren Aufwertung bei, wie zahlreiche Schriften von Opitz, Harsdörffer, Schottelius, Zesen und anderen bis hin zu Leibniz zeigen. Bei dem vom Adligen von Sock geschmähten Lied handelt es sich um einen scherzhaften Sängerwettstreit, vorgetragen von zwei Knaben, einem Schweizer und einem Holländer, welche die kontrastierenden Vorzüge ihrer beider Länder besingen und diese Gegensätze in den Schlussstrophen zu einem harmonischen Ganzen vereinen. Eberhard wehrt sich für seine Sprache: der Adel als „abgesonderte Nation“ möge immerhin eine fremde Sprache sprechen; „wir Bürgerliche sind aber noch Deutsche, und sprechen deutsch“ ( IS I: 145). Statt einer Antwort beginnt Herr von Sock das Lied im Einzelnen zu kritisieren, das wohl eine Ode sein solle, aber als solche überhaupt nicht bestehen könne. Ausserdem reime es „Schweizer“ mit „Kaiser“, was weder ein Reim fürs Auge noch fürs Ohr sei. Da wirft Litzberg ein, das eben sei der Witz der Sache, denn „der Kaiser und die Schweizer haben sich ja auch nie recht zusammen gereimt“ ( IS I: 145). 50 Der Adlige führt nun als Beispiel für eine vorbildliche Ode Jean Baptiste Rousseaus Gedicht „Aux Suisses“ an, das Litzberg nicht kennt und auch nicht zu kennen wünscht, da es wohl, wie die meisten französischen Oden, sehr hochtrabend sei. 51 Inhaltlich unterstreicht die Ode die Botschaft der beiden auf Einigkeit und Versöhnung ausgerichteten Lieder Eberhards, denn sie verurteilt einen kriegerischen Konflikt zwischen katholischen und reformierten Orten der Alten Eidgenossenschaft. Vordergründig dienen so die drei Gedichte - im Kontrast zu ihrem versöhnungsorientierten Inhalt - als Waffen in einem Rededuell, das zur Verteidigung der jeweiligen (sprach)patriotischen Position ausgefochten wird. Auf der poetologischen Ebene jedoch geht es bei den letzten beiden Gedichten um zwei ganz unterschiedliche Ausprägungen eines Verfahrens, das man mit „Nachahmung“ oder „Nachdichtung“ umschreiben könnte: Während Eberhard den Stil eines Volksliedes nachahmt und damit in einer von Herder ausgehenden Tradition der Wiedererweckung ursprünglicher, „natürlicher“ Volksdichtung steht, schafft Rousseau mit der Adaptation einer Ode des Horaz die Nachbildung eines der kunstvollsten Gebilde der römischen Literatur. Volkslied und Ode, entstanden aus den hier angedeuteten Traditionen, 50 Das Schweizer Motiv war schon tags zuvor eingeführt worden, und zwar durch den Kuhreigen, den der unvermittelt erschienene Schweizer Knabe gesungen hatte, „worüber zwar die tüchtige Hanna Hellkraft nicht in Ohnmacht gefallen war“, der sie als Schweizerin aber doch tief beeindruckt und in ihrem Unwillen gegen das flache Holland bestärkt hatte ( IS I: 139): Sogar diese betont rationale Figur entspricht also bis zu einem gewissen Grad dem Topos des Schweizers oder vielmehr der Schweizerin, die im Flachland beim Anhören des alpenländischen Kuhreigens heimwehkrank wird; diese „Anwendung“ auf eine der Romanfiguren konkretisiert die Ausführungen Concordias zu Heimatliebe und Muttersprache, verleiht ihnen aber im Gefälle zwischen Emotion (Heimweh) und Nüchternheit (Hanna Hellkraft) auch in diesem Fall eine leicht ironische Färbung. 51 Es handelt sich um die Nachdichtung einer Horaz’schen Ode von Jean Baptiste Rousseau, der als französischer Lyriker und Satiriker in der Nachfolge Boileaus bei seinen Zeitgenossen berühmt war für seine elaborierte Verskunst, vgl. Rousseau (1820, I: 196-198). 3.3 Sprachreflexionen 99 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 bezeichnen in schematischem Umriss die Gegensätze zwischen den beiden Kontrahenten, indem sie Eberhard dem Bürgertum, der Natürlichkeit und der deutschen Romantik zuordnen, Herrn von Sock dagegen dem Adel, der Künstlichkeit und der französischen Klassik. Dieses Schema wird nun aufgebrochen, als ein „alter reicher Baron“ ( IS I: 149) in die Diskussion eingreift; wie später klar wird, ist es der inkognito reisende Leibniz, der Eberhards „Volkslied“ auch gehört hat und daraus den Schluss zieht, „es lasse sich mit der deutschen Sprache noch vieles machen. Auch lieblich und leicht kann sie sich bewegen, nicht blos leer dichterisch gravitätisch.“ ( IS I: 152). Damit stellt er sich als Adliger auf Eberhards Seite und verteidigt die deutsche Sprache gegen weitere Einwände des Herrn von Sock, dem Eberhards Gedicht nicht nur als „Ode“ missfallen hat, sondern auch, „weil die deutsche Sprache mit ihren vielen Sch’s und Z’s dem Ohre unerträglich wird; 52 weil sie sich schwerfällig und langweilig bewegt, weil kein grosser Mann in dieser Sprache geschrieben hat“ ( IS I: 153). Leibniz macht den Lutheraner von Sock darauf aufmerksam, dass er mit Luther immerhin einen grossen Mann kennen müsse, der deutsch geschrieben habe. Als Eberhard darauf stolz seine Verwandtschaft mit dem Reformator bekanntgibt, fügt Leibniz mit Blick auf von Socks Ahnenreihe an: „Da haben Sie einen Ahnherrn, der wohl sechzehn andere Ahnen aufwiegen kann“ ( IS I: 154). Und dass Eberhard Lieder dichte, „steckt im Blute“, denn „Luther war auch ein Dichter“ ( IS I: 154). Nach dem Rededuell kommt es zu einem physischen, spielerisch mit stumpfen Waffen ausgetragenen Duell zwischen Eberhard und Herrn von Sock, in dem der Adlige gleichsam mit seiner eigenen Kunst ausser Gefecht gesetzt wird, während umgekehrt der alte Baron Litzberg im Schachspiel besiegt, so dass letztlich weder Adel noch Bürgertum den Sieg über den jeweils anderen Stand davonträgt. Dies passt zum Harmoniegedanken der Leibniz’schen Monadenlehre, die Eberhard nun zu diskutieren beginnt, ohne zu ahnen, dass sein Gesprächspartner deren Urheber ist. Ein anekdotisches Beispiel für konfessionelle Harmonie liefert Leibniz zudem, als ihm ein Rosenkranz aus der Tasche fällt, was von den anwesenden Lutheranern mit Befremden wahrgenommen wird. Doch, wie Leibniz erzählt, war dies einst das Abschiedsgeschenk einer ehemaligen venezianischen Geliebten, die ihn - seiner Toleranz zum Trotz - mit Vehemenz zum katholischen Glauben bekehren wollte, worauf er die Liaison, wie er sagt, schonend beendete; den Rosenkranz, den ihm die Freundin zu seinem Schutz verehrte, nahm er ihr zuliebe entgegen. Kurz darauf erlebte er auf einer Seereise ein Unwetter und drohenden Schiffbruch, an dem die katholische Besatzung ihm als einem Ketzer die Schuld gab und ihn über Bord werfen wollte, um so Schiff 52 Gegen eine ähnliche, allerdings implizite Kritik an der lautlichen Gestalt des Deutschen setzt sich Eberhard auch an anderer Stelle zur Wehr: Er hört Spielleute, die Blas- und Saiteninstrumente spielen, und vergleicht deren Klang mit Sprache: Reine Blasmusik ohne Saiteninstrumente gefällt ihm nicht, ebenso wenig, wie eine Sprache ohne Konsonanten, denn auch Konsonanten seien musikalisch. Die landläufige Meinung, nur vokalreiche, „weiche“ Sprachen seien schön, beruhe auf einem Irrtum. Eine Sprache müsse sowohl Konsonanten wie Vokale enthalten, denn „eine Sprache ohne Konsonanten würde eben so fade klingen, wie eine mit zu vielen belastet, gar zu hart.“ Die Tiere hätten in ihren Lauten fast nur Vokale, die wildesten Nationen sprächen „ausserordentlich weich“ ( IS IV: 335). Die Argumente, besonders zur Musikalität, entsprechen jenen in Friedrich Schlegels Aufsatz „Über die unmusikalische Beschaffenheit der deutschen Sprache“ aus dem zweiten Band des Deutschen Museums von 1812, in dem Schlegel der Meinung entgegentritt, nur „weiche“ Sprachen seien musikalisch (1975: 276-282). 100 3 Polyphone Textgestalt Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 und Leben zu retten. Leibniz jedoch zog den Rosenkranz hervor und betete das Paternoster, so dass die Seeleute von ihm abliessen und nun sogar glaubten, er sei ein Heiliger ( IS I: 175). Die schelmische, aber dennoch auf Einigkeit und Harmonie ausgerichtete Anekdote, gleichsam ein Kontrapunkt zur konflikthaften Situation zwischen französischem Adel und deutschem Bürgertum, macht grossen Eindruck auf die Zuhörer. Auf Eberhards Bitte schreibt sich Leibniz in dessen Stammbuch ein, wodurch sein Inkognito enthüllt wird, denn bei dem Eintrag handelt es sich um ein lateinisches Zitat aus der Theodizee, das Leibniz’ Überzeugung von der Güte Gottes in knappe Worte fasst und damit die immer wieder im Text zum Ausdruck gebrachte Harmonisierungstendenz unterstreicht. Später wird der patriotisch gesinnte französische Koch neben Leibniz’ Eintrag zwei Verse aus Boileaus Art poétique in Eberhards Stammbuch schreiben: „Quelque sujet qu’on traite, ou plaisant ou sublime, / Que toujours le bons sens s’accorde avec le rime“ ( IS I: 220). So elegant dies auch ausgedrückt ist, dominiert in diesen Versen gegenüber Leibniz’ Dictum von Gott, der uneingeschränkt das Universum und die Menschen liebe, doch die regelbetonte normative Strenge und wird durch die Umstände auch ironisiert: Der Koch, in seinem hitzigen Patriotismus zum vornherein lächerlich, schreibt sich quasi mit einem „Kochrezept für Dichtung“ ein. Dadurch erscheint auch hier - selbst in der würdigen Gestalt Boileaus - das Französische gegenüber dem Deutschen abgewertet, umso mehr, als Letzteres durch den bewunderten Leibniz vertreten wird. Der Gelehrte wird von Eberhard enthusiastisch gefeiert, worauf Leibniz ihm ans Herz legt, „mehr solche liebliche deutsche Lieder [zu dichten]“ und „diese gute Sprache zu schreiben und sie zu bilden“ ( IS I: 178). Darin klingen Leibniz’ eigene Programmschriften an, mit denen er die deutsche Sprache verteidigte und sie als tauglich für alle Bereiche des Lebens einstufte, auch wenn sie vor allem durch die Schaffung von Wörterbüchern, die den Gebrauch von Bezeichnungen für Abstracta fördern könnten, unterstützt werden sollte. 53 Er selber gibt allerdings zu „sich schwer an ihr versündigt“ zu haben, denn er habe „nur französisch und lateinisch geschrieben“ - so werde ihn das Volk nie recht kennen lernen und ihn nie sein nennen ( IS I: 178). Implizit wird hier auf einen Gegensatz zu Boileau aufmerksam gemacht: Trotz der ironischen Färbung des Stammbucheintrages sind dessen Verse doch - in der Fiktion - bis zum Koch gedrungen, d. h. sie können vom Volk wahrgenommen werden, gerade weil sie in seiner eigenen Sprache verfasst sind, dank der völlig unbestrittenen „Literaturfähigkeit“ der französischen Sprache. Eberhard, der Herrn von Sock gegenüber für die deutsche Sprache eingetreten war, sieht nun doch die Genialität von Leibniz’ Gedanken als eine jeder Nationalsprache übergeordnete Kraft: „Hätten Sie auch in kalmuckischer oder chinesischer Sprache geschrieben, […] dennoch wären Sie der Stolz Deutschlands. Nicht die Sprache, der Geist, der die Sprache durchleuchtet, macht den Mann“ ( IS I: 178). 54 53 Diese Vorschläge macht Leibniz u. a. in § 36 und § 40 seiner auf Deutsch verfassten Schrift Unvorgreiffliche Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache (1697). Schon 1679 hatte er sich in seinem Aufsatz Ermahnung an die Teutsche, ihren Verstand und Sprache besser zu üben mit den Möglichkeiten zur Förderung der deutschen Sprache befasst. Seine beiden Schriften folgten auf die grosse Zahl der Publikationen barocker Autoren, besonders der Gründer der „Fruchtbringenden Gesellschaft“, zur Unterstützung und Entwicklung der deutschen Sprache. 54 Dies lässt sich als Antithese zu Concordias Meinung lesen, dass die Sprache das Denken bilde ( IS IV: 123-124). 3.3 Sprachreflexionen 101 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Eberhards Aussage offenbart zum Schluss dieser von Debatten über Sprache, Nationalität, Ständewesen und Konfession geprägten Episode eine Mentalität, die sich nicht durch nationale, standesbedingte oder konfessionelle Grenzen einengen lässt, sondern diese in ihrer gedanklichen Offenheit gerade überwindet. 3.3.3 Der Text in den anderen Versionen a) Vergleich mit Øen i Sydhavet Die dänische Fassung von 1824 / 25 folgt dem deutschen Text in allen Einzelheiten; Änderungen finden sich nur in gewissen sprachlichen Details; so wird in der besprochenen, von Albert erzählten Textpassage der Ausdruck „Thiermensch“ resp. „Thiermenschen“ ( IS III : 313 und 315) im Dänischen mit „Menneskedyr“ wiedergegeben ( ØS III : 285 und 286), d. h. die oben erwähnte Unentschiedenheit in der Übersetzung von Linnés „Anthropomorpha“ spiegelt sich auch in dieser Differenz zwischen der deutschen und der dänischen Version. 55 Eine weitere Abweichung findet sich in Herrn von Socks Kritik an Eberhards Lied; die Stelle sei hier der Einfachheit halber auch auf Deutsch nochmals zitiert: „Das Lied ist erbärmlich. Erstens hat es den Fehler, dass es in deutscher Sprache geschrieben ist; […] diese Sprache ist ganz unmusikalisch und unpoetisch, und kann zu höheren, schöneren Dingen gar nicht gebraucht werden“ ( IS I: 144); auf Dänisch lautet die Stelle „Visen er elendig. For det første har den den Feil, at den er digtet i Modersmaalet, [in der Muttersprache] og dette Sprog […] er aldeles umusikalsk og upoetisk og kan slet ikke bruges til at udtrykke høje skønne Følelser [hohe schöne Gefühle] med“ ( ØS I: 123). Überraschend ist die Bezeichnung „Modersmaal“, da Herr von Sock darauf insistiert, seine Muttersprache sei Französisch, und sich damit explizit von den deutschsprachigen Mitreisenden abgrenzt. Die dänische Version verbindet ihn aber mit den andern, so, als ob sie eine gemeinsame Muttersprache hätten. Auch ist es für einen dänischen Leser naheliegend, diese Muttersprache mit seiner eigenen, d. h. mit dem Dänischen zu assoziieren; nur durch den weiteren Textzusammenhang wird klar, dass die deutsche Sprache gemeint ist. Ausserdem ist die Ausdrucksfähigkeit oder vielmehr deren Mangel im dänischen Text eingegrenzt: Statt der höheren, schöneren Dinge “ im Deutschen, womit generell ein bestimmtes Feld von Abstrakta assoziiert wird, sind es nun die „hohen, schönen Gefühle “, die sich auf Dänisch nicht ausdrücken lassen. Die Erwähnung der „Muttersprache“ scheint eine Emotionalisierung auszulösen, die sich auf die Fortsetzung des Satzes auswirkt und zur Begriffsauswechslung führt, was auch auf den Topos-Charakter der Korrelation von „Muttersprache“ und „Gefühlen“ verweist. Die Positivform der Adjektive „hoch“ und „schön“ steigert den Stellenwert der „Gefühle“ zusätzlich, da sie mehr Gewicht trägt als die entsprechenden absoluten Komparative der Aussage im deutschen Text. In einem anderen Fall wirft die dänische Version erhellendes Licht auf eine Stelle in Leibniz’ Befund über die deutsche Sprache, sie könne sich „lieblich und leicht […] bewegen, nicht blos leer dichterisch, gravitätisch “ ( IS I: 152); dänisch lautet der Satz: „Ogsaa yndigt og let kan det bevæge sig, ikke blot læredigterisk, gravitetisk “ ( ØS I: 129). In der Formulierung 55 Die beiden Termini bilden auch den Titel von Udo Friedrichs umfassender Studie zum Phänomen der Vermischungen und Hybridisierungen zwischen Mensch und Tier aus diskursanalytischer Perspektive: Menschentier und Tiermensch. Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter (Friedrich, U. 2009). 102 3 Polyphone Textgestalt Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 „leer dichterisch, gravitätisch“ verbirgt sich also ein leiser Spott über das Lehrgedicht, indem „leer“, wie die dänische Fassung zeigt, als Homophon zu „lehr-“ aufzufassen ist; 56 die Ironie wird unterstrichen durch das folgende „gravitätisch“. Freilich steht eine solche Lektüre ohne den unmissverständlichen Hinweis der dänischen Version auf schwankendem Grund, da die Assoziation zum Lehrgedicht durch die Trennung in zwei Wörter zusätzlich erschwert wird. Auch ist es kaum vorstellbar, dass sich Leibniz in der historischen Realität über die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts sehr angesehene Gattung des Lehrgedichts lustig machte, vielmehr lässt dieser verhüllte Spott die Einschätzung einer späteren Epoche durchscheinen. 57 Doch der Hauptpunkt in Leibniz’ Aussage ist klar: Die deutsche Sprache, die sich „lieblich und leicht“ bewegen kann, meistert auch andere poetische Gattungen, wie z. B. das Gedicht im Volksliedton, auf das sich Leibniz’ Einschätzung bezieht. b) Die Textausschnitte in den späteren Ausgaben Der Vergleich der besprochenen Passagen aus IS IV und IS I mit den entsprechenden Stellen in den gekürzten deutschen Ausgaben von 1839 und 1911 zeigt eine recht grosse Zahl von Streichungen; so fallen die meisten Argumente in Concordias Plädoyer für die einsprachige Erziehung weg, insbesondere ihre Überlegungen zu „Muttersprache“ und „Vatersprache“, zu den schweizerischen Kuhglocken, zur Sprache, die „Wesen und Denkweise“ bilde. Dieselben Kürzungen finden sich auch in den späteren dänischen Ausgaben von 1846, 1852, 1862 und 1904. Die Gründe für die Streichungen dürften wohl, wie so oft, in der Vermeidung von handlungsretardierenden Momenten zu suchen sein. Eine genderbetonte Perspektive mag es angesichts der zahllosen, unter Männern verhandelten Debatten bedauerlich finden, dass mit der Kürzung von Concordias Äusserungen eine der durchaus seltenen, von einer Frau geführten Argumentationen eliminiert wurde. Auch in der zweiten Textpassage, die von Eberhards Rheinfahrt handelt, finden sich in den deutschen Ausgaben von 1839 und 1911 zahlreiche Kürzungen, von denen jedoch die beiden Gedichte Eberhards verschont blieben. Unter anderem entfällt Leibniz’ Aussage, dass auch Luther ein Dichter gewesen sei; ebenso Herr von Socks Geschichte zu seinem Familiennamen, sowie Leibniz’ Ermahnung an Eberhard, die deutsche Sprache weiter fleissig zu brauchen, und seine eigene Reue darüber, dies in seinen Schriften vernachlässigt zu haben. Auch Eberhards Feststellung, dass es keine Rolle spiele, in welcher Sprache Leibniz seine Werke verfasst habe, da das Denken über der Nationalsprache stehe, ist gestrichen. Die dänischen gekürzten Ausgaben weisen dieselben Streichungen auf, mit einer Ausnahme: Leibniz’ Bemerkung betreffend Luthers Dichtertum ist erhalten geblieben. Offensichtlich sollte die Wertschätzung Luthers in den dänischen Fassungen uneingeschränkt bewahrt bleiben. Die Streichungen betreffen, wie in der ersten Textpassage, vor allem ver- 56 Dass Oehlenschläger das Adjektiv „lehrdichterisch“ auch im Deutschen und in ebenfalls leicht abwertender Nuance verwendete, belegt das Vorwort „An den Leser“ zu seiner Übersetzung von Holbergs Dramen: „In diesen Darstellungen ist Holberg unerschöpflich und sich selbst mehr gleich, als Molière, der mitunter zu possenhaft, mitunter zu lehrdichterisch ward“ ( Holberg’s Lustspiele 1822, 1: XXII). 57 Wie Olav Krämer feststellt, wurde das Lehrgedicht in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts immer mehr kritisiert, da „Dichter und Literaturkritiker den poetischen Wert der Gattung in Frage [stellten]“ (Krämer 2019: 445). Diese veränderte Einstellung wird ja auch in der ironischen Behandlung der Verse aus Boileaus Art poétique sichtbar. 3.3 Sprachreflexionen 103 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 schiedene Erörterungen und Diskussionen, die zwar für den Handlungsablauf entbehrlich sind, den Roman aber natürlich von einer reinen Abenteuererzählung abheben. 3.3.4 Fazit zu den Sprachreflexionen Die Sprachreflexionen der Figuren zeigen entscheidende Unterschiede besonders zwischen den WF und den IS : Während die Kinder von Albert und Concordia in Schnabels Roman noch ganz unproblematisch zweisprachig aufwachsen, wird dies in den IS durch eingehende Überlegungen Concordias verhindert oder zumindest in Frage gestellt. Besonders bemerkenswert ist, dass diese reflektierte Haltung der Frau zugeschrieben wird; dadurch werden dem gängigen „Oehlenschlägerschen Frauenbild“ 58 neue Facetten hinzugefügt. Dass Concordia die kleine Inselgemeinschaft als „Nation“ bezeichnet und zudem in einer gemeinsamen Sprache das wichtigste Kennzeichen einer Nation sieht, weist auf Debatten voraus, wie sie Anfangs des 19. Jahrhunderts im Zug der beginnenden Nationenbildung intensiv geführt werden sollten. Die Szenen zwischen Eberhard, dem französischen Koch, von Sock und Leibniz sind ebenfalls stark von nationalem Denken geprägt, wobei Sprache hier ausserdem mit Standesthematik verknüpft wird. Die Sprachendiskussion erhält also in den IS sowohl in der ersten Besiedlungsgeneration wie bei den Nachfahren grosses Gewicht; dabei geht es auf beiden zeitlichen Ebenen auch um das Ansehen der verschiedenen Sprachen, um ihre Position, um ihren emotionalen und funktionalen Stellenwert. Eine grosse Rolle spielt besonders in der Eberhard-Sequenz die Frage, in welchem Mass die Sprachen zur Dichtkunst taugen. Der Grad dieser Eignung begründet ganz wesentlich das Prestige einer Sprache, wie aus den Gesprächen der Gesellschaft um Eberhard hervorgeht. Die Sprache als Medium der Dichtung bildet sich in der Diskussion dieser Frage selber ab, wodurch in der Sprachenreflexion die Selbstreflexivität des Romans greifbar wird. 58 Lt. Auffassung eines Teils der Forschung ist dieses Bild vornehmlich auf Sinnlichkeit und Verführung angelegt (Præstgaard Andersen: o. J). Siehe auch Kap. 6.5. 4.1 Der Paratext als Reflexion des Prätextes: Titel und Vorreden 105 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 4 Die Spuren der Prätexte Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, eines der Grundelemente von Bachtins Polyphoniekonzeption, seine Idee der Gleichrangigkeit von Autor- und Figurenstimmen, auf die textuelle, genauer gesagt, intertextuelle Ebene zu übertragen, indem die Vielzahl der in Oehlenschlägers Roman angesiedelten Texte als Stimmen gesehen werden, deren Volumen, Position sowie gegenseitige Relation untersucht werden sollen. Dabei ist auch zu fragen, ob es sich bei den verschiedenen Verfahren des „Weiter-, Wider- und Umschreiben[s]“ von Prätexten (Lachmann 1990: 65 und 67) überhaupt um Herstellung von Dialogizität im Bachtinschen Sinn handelt, und mit welchen Funktionen solche Textbeziehungen verbunden sein könnten. Diesen Fragestellungen ist die Analyse einiger Textausschnitte im Sinn von Fallstudien gewidmet; das gewählte methodische Vorgehen ist dabei in erster Linie deskriptiver Natur und orientiert sich terminologisch am gängigen Intertextualitätsvokabular, wie es z. B. von Ulrich Broich und Manfred Pfister (1985), aber auch von Gérard Genette (1993) entwickelt wurde. Die Wahl der einzelnen Textpassagen geschah im Hinblick auf einen gewissen exemplarischen Status der Ausschnitte; dazu gehören Elemente des Paratextes ebenso wie beispielsweise der Romananfang - was paradox anmuten mag, denn die Vorstellung eines „Anfangs“ läuft eigentlich der intertextuellen Idee einer Textwelt als eines Gewebes, in dem alle Texte vernetzt sind, zuwider. Doch gerade in dieser paradoxen Konstellation kann die Untersuchung der Anfangsgestaltung von Interesse sein. Ferner soll ein kurzer Textausschnitt aus einer scheinbar identischen Situation bei Schnabel und Oehlenschläger in synoptischer Gegenüberstellung verglichen werden. 4.1 Der Paratext als Reflexion des Prätextes: Titel und Vorreden Dass eine Zeitspanne von fast hundert Jahren zwischen der ersten Erscheinung der Romane von Schnabel und Oehlenschläger liegt, zeigt sich dem Leser vor allem beim Blick auf die Titelgestaltung der beiden Werke. Während sich die Buchkörper trotz der grossen Zeitdifferenz nicht wesentlich voneinander unterscheiden - so ist z. B. das kleine Oktavformat dasselbe geblieben - erscheinen die Titel, wie in Kapitel 2 erwähnt, sehr unterschiedlich: Bei Schnabel bieten sie zu jedem der vier Bände seines Romans nichts weniger als drucktechnisch ambitiös gestaltete Inhaltsangaben; Oehlenschläger dagegen präsentiert sein Werk unter einem alle vier Teile umfassenden kurzen, prägnanten Titel, gefolgt von der Gattungszuschreibung, also eine Form, wie sie auch heute noch verbreitet ist, allerdings mit der Besonderheit, dass die Gattungsnennung mit dem Autornamen verknüpft ist. Was die beiden Texte jedoch über das trennende Jahrhundert hinweg verbindet und gleichzeitig von sehr vielen modernen Publikationen unterscheidet, ist das ausführliche Vorwort, das beide Autoren als Kommentar ihren Romanen voranstellen und damit, wie wir noch sehen werden, die Leserrezeption explizit steuern. Die erwähnten Elemente, Autorname, Titel und Vorwort, gehören nach der 106 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Terminologie von Genette zu den „Schwellen“ 1 , die, vor dem Text positioniert, als Übergang und Verbindung zwischen Aussenwelt und Textwelt oder, wie Genette es ausdrückt, zwischen „Nicht-Text und Text“ fungieren (Genette 2001: 10), als eine Art Wegmarken, die den Leser in den Text hinein geleiten sollen. Um eine Analyse dieser Schwellen oder Paratexte von Schnabels und Oehlenschlägers Romanen soll es im Folgenden gehen. 4.1.1 Titel und Autorname A) Schnabel Die besondere Gestaltung des Titelblattes des ersten Teils von Schnabels Roman, die in Kapitel 2.1 beschrieben wurde, lenkt den Blick des Lesers auf die grossen roten Frakturbuchstaben, die ihm zentrale Elemente aus dem Inhalt des Buches anzeigen; sie sind dazu angetan, den Leser neugierig zu machen, wodurch er Teil des Zielpublikums wird, denn die „Fata“ seien „Curieusen Lesern zum […] Gemüts-Vergnügen ausgefertigt“, wie es am Schluss des Titels heisst, nachdem der Leser aus einem einzigen, mit Informationen vollbepackten Satz die wichtigsten Ereignisse im Leben des inzwischen hundertjährigen Albert Julius erfahren hat. Aus heutiger Sicht mag es erstaunen, dass der Titel dies und noch einiges mehr vom Inhalt preisgibt, wodurch die Neugier der „Curieusen Leser“, kaum aufgebaut, im Grunde schon vor der Lektüre des Romans befriedigt sein könnte. 2 Doch Schnabels langer Titel, der durchaus zeittypischem Usus entspricht, 3 macht die von den heutigen Gegebenheiten stark abweichenden Publikations- und Rezeptionsverhältnisse des frühen 18. Jahrhunderts sichtbar: Zum einen waren damals die Bücher bekanntlich ungebunden, weshalb der Titel statt des heute üblichen Buchumschlags zur Leserinformation und Verkaufswerbung dienen musste (Hauke 1999: 54-60); der ausführliche Titel und das oftmals zugehörige Frontispiz priesen das Buch an und verschafften zugleich dem Leser informative Einblicke in den Inhalt, was sein Kaufinteresse wecken sollte. Dazu kam, dass beim Romangenre die Authentizitätsbeglaubigung noch immer eine grosse Rolle spielte: es war daher in vielen Fällen wichtig, den Text als Augenzeugenbericht auszugeben, als Darstellung selbsterlebter Geschehnisse; 4 daraus ergab 1 Seuils , Genette (1987); die Publikation (auf Deutsch, wie bereits erwähnt, unter dem Titel Paratexte erschienen) gilt bis heute als Standardwerk für die Analyse all jener Elemente, die in ihrer Gesamtheit das im deutschen Untertitel erwähnte „Beiwerk des Buches“ bilden. 2 Laut Niels Werber weist diese Absenz an Überraschung und Spannung voraus auf einen statischen Narrationsduktus, der lediglich typisierte Figuren darstelle, die weder Individualität noch Entwicklungsfähigkeit besässen, eine Meinung, die er in zahlreichen Textpassagen von Schnabels Roman bestätigt sieht (Werber 2003: 284-285; 288). 3 So enthält der Titel des Robinson Crusoe , des Urtypus der Robinsonaden, ganz ähnliche Elemente und „verrät“ ebenfalls Ablauf und Ausgang der Geschichte: The Life and Strange Surprizing Adventures of Robinson Crusoe, of York, Mariner: Who lived Eight and Twenty Years, all alone in an un-inhabited Island on the Coast of America, near the Mouth of the Great River of Oroonoque; Having been cast on Shore by Shipwreck, wherein all the Men perished but himself. With an Account how he was at last as strangely deliver’d by Pyrates. Written by Himself (Defoe 1719). Hans Ehrenzeller jedoch kritisiert mit Bezug auf die Barockromane diese Titelgestaltung, die Schnabel weiterführt: „In langen Unter- und Nebentiteln, die mit ihrem rotschwarzen Geschnörkel die ganze Stirnseite des Buchs und oft mehr einnehmen […], wird das Thema nun breit ausgewalzt“ (Ehrenzeller 1955: 112). 4 Gerade bei Schnabel sind die Verhältnisse keineswegs so eindeutig, denn er verhandelt in seinem Vorwort zum 1. Teil die Frage der Authentizität auf einer komplexen, zwischen Fiktion und Faktizität 4.1 Der Paratext als Reflexion des Prätextes: Titel und Vorreden 107 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 sich ganz natürlich ein Résumé des Buchinhalts im Titel. Die folgenden drei Teile von Schnabels Roman tragen jedoch weniger wortreiche Titel, da der Autor nun an die Bekanntheit seines ersten Teils anknüpfen kann und den Leser nur noch auf dessen Fortsetzung aufmerksam machen muss. Allerdings wurde schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts, im Zuge der aufklärerischen Bemühungen um Klarheit und Einfachheit des Stils, verschiedentlich Kritik geäussert an der „lächerliche[n] Gewohnheit, dass wir unsern Büchern unsäglich lange Titel geben. […] man findet auch gleich auf dem Titel Blatte einen Auszug des gantzen Buchs“ (Zedler 1732-54, 44: 472; zu den Kritikern gehörten auch Gottsched und Lessing). Dennoch ist kaum anzunehmen, dass solcher Tadel Schnabels Titelgebung beeinflusst hätte, was sich daran ablesen lässt, dass trotz kürzerer Formulierung die Folgetitel graphisch genau nach dem Muster des ersten Titelblattes strukturiert sind und jeweils immer noch eine ganze Seite einnehmen. Zudem hatten sich die erwähnten Umstände der Buchgestaltung und -werbung noch nicht grundlegend geändert, so dass die Funktion des Titels im Wesentlichen bestehen blieb. Kurze, prägnante Buchtitel setzten sich erst richtig durch, als mit der Entwicklung des Verlagswesens und dem Aufkommen literarischer Zeitschriften neue Medien entstanden waren, in denen Bücher ausführlich angekündigt und besprochen wurden, was die Information des Lesers über den Inhalt eines Werkes anhand des Titels überflüssig machte. 5 Die heute gängige Bezeichnung „Insel Felsenburg“ für Schnabels Roman, die im Titel des zweiten und dritten Teils erscheint, zirkulierte schon im Laufe des 18. Jahrhunderts 6 und setzte sich mit der Ausgabe von 1828, zu der Tieck sein berühmtes Vorwort schrieb, endgültig durch. B) Oehlenschläger Die Kürze von Oehlenschlägers Titel Die Inseln im Südmeere / Øen i Sydhavet entspricht sowohl in der deutschen wie in der dänischen Version formal der kurzen Benennung von Schnabels Roman. Auf den langen Titel, den übrigens die dänische Übersetzung aus den Jahren 1761-65 wörtlich übernimmt, bezieht sich Oehlenschläger nirgends, weder in seinen Briefen noch in seinen autobiographischen Schriften; vielmehr spricht er von der „alte[n] Erzählung Albertus Julius oder Felsenburg“ (Brief an Cotta v. 21. 8. 1821, Breve B / 3: 177) 7 oder erwähnt Schnabels Roman als „mein altes Lieblingsbuch Albertus Julius“ resp. „min gamle Yndlingsbog Albertus Julius “ ( Meine Lebens-Erinnerungen 4: 18, gesperrt im Original, schwankenden Ebene, was in der Forschung seit langem intensiv diskutiert wird, in neuester Zeit u. a. von Wirth (2008: 196-197) und Nenoff (2016: 51-66). 5 Herbert Volkmann sieht vor allem die „literarischen Zeitungen“ als Wegbereiter der kürzeren Titel, und zwar „[…] indem sie durch ihre Buchrezensionen den Leser über den Inhalt der Werke informierten und es dem Autor dadurch ermöglichten, das Titelblatt zu entlasten und statt einer […] Inhaltsangabe einen knappen Titel, einen Buchnamen, zu geben. Und […] durch eine Kritik der weitschweifigen Büchertitel, die sie den neuen ästhetischen Forderungen gemäss als Ausdrucksmittel einer alten überholten Literaturepoche ablehnten“ (Volkmann 1967: 1161). 6 Volkmann korrigiert zwar die verbreitete Meinung, diese Benennung sei von Tieck eingeführt worden (Volkmann 1967: 1159, Anm. 378), doch ist seine Auffassung, Karl Lappe habe als erster den Titel „Die Insel Felsenburg“ verwendet (für seine 1823 erschienene Bearbeitung), ebenfalls unrichtig, da Schnabels Roman schon in Karl Philipp Moritz’ Anton Reiser unter diesem Titel erwähnt wird (1785, 1: 44). Dass der Kurztitel mindestens seit den 80iger Jahren des 18. Jahrhunderts geläufig war, erwähnt auch Gerd Schubert (2006-2008: 237). 7 Wie erwähnt, informiert Oehlenschläger in diesem Brief Cotta erstmals über sein Romanprojekt (vgl. Kap. 1.5). 108 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 sowie Levnet II : 206 und Erindringer 4: 24, kursiv im Original). Sein eigenes Werk nennt er in der Entstehungsphase längere Zeit ebenfalls: „Albert Julius“ (Brief an Cotta v. 21. 8. 1821, Breve B / 3: 177), 8 ab und zu auch „Felsenburg / Felsenborg“ (Brief vom 5. 5. 1823 an Louise Hegermann-Lindencrone: „Jeg tager noget Felsenborg med“ [Ich nehme etwas Felsenburg mit], Breve B / 3: 225), manchmal „Klippenborg“ (Brief vor dem 6. 3. 1824 an Louise Hegermann-Lindencrone: „og bringer noget Klippenborg med“ [und bringe etwas Klippenburg mit], Breve B / 3: 255), oder einfach „mein Roman“ (Brief ca. 12. 7. 1825 an Bernh. v. Beskow, Breve B / 3: 274). In einem Brief an Walter Scott, mit dem er in Verhandlungen über eine englische Ausgabe seines noch unvollendeten Romans steht, dankt er dem englischen Autor dafür, „dass Sie meinen Roman ‚Die Insel Felsenburg‘ (nach dem Manuscripte englisch übersetzt) herausgeben wollen […]“ (Brief v. 13. 10. 1823, gesperrt im Original, Breve B / 3: 243). Dann aber teilt er Walter Scott mit: „Hiermit schicke ich Ihnen die zwei folgenden Theile der Insel Felsenburg, die ich zu der Insel im Südmeere umgetauft habe“ (Brief vom 16. 3. 1824, gesperrt im Original, Breve B / 3: 256). 9 Nachdem also Oehlenschläger lange teils an Schnabels Roman angelehnte Bezeichnungen, teils sogar denselben Kurztitel verwendet hatte, entschliesst er sich nach Vollendung seines Romans zu einem eigenen Titel, der sich formal zwar immer noch am gängigen Kurztitel von Schnabels Roman orientiert, aber dennoch einige wesentliche Unterschiede sichtbar macht: Die dreifache Isolierung und Abgrenzung, die im Namen „Insel Felsenburg“ zum Ausdruck kommt - enthalten in den Konnotationen zu „Insel“, 10 „Felsen“ und „Burg“ - ist bei Oehlenschlägers Titel auf eine einzige, jene der Insel, reduziert, wobei aber die topographische Positionierung der Insel „im Südmeer“ eine dem Gedanken der Abschottung völlig entgegengesetzte Semantik ergibt: Die grenzenlose Weite und Offenheit des Ozeans steht in denkbar grösstem Gegensatz zum abweisenden Festungscharakter einer auf felsiger Inselhöhe platzierten Burg. Dazu kommen die Assoziationen an die berühmten Entdeckungsfahrten, welche die Nennung der Südsee besonders im damaligen, von Reiseberichten gerade über jene Weltgegend faszinierten Lesepublikum hervorrufen musste. Das Interesse war vor allem durch Georg Forsters vielbeachtete Schilderung seiner dreijährigen Südsee-Expedition mit James Cook geweckt worden. Südseeinseln galten seit Cooks Entdeckungsreisen und Forsters Reisebericht als Chiffren für Utopie und Paradies (Brunner 1967: 131-134; Küchler Williams 2004: 81-137 u. 165-182). Im Übrigen wird auch in Schnabels Roman die Insel immer wieder mit dem Paradies in Verbindung gebracht, ja, öfters explizit als „irdisches Paradies“ bezeichnet. Oehlenschlägers Titel legt also die paradiesische Natur der Insel offen, während sie, zumindest in Schnabels Kurztitel, gleichsam hinter Felsen verborgen bleibt, wie es auch im langen Titel des ersten Teils zum Ausdruck kommt: „[…] Welcher [gemeint ist Albertus Julius] […] durch Schiff-Bruch […] an eine grausame Klippe geworffen worden, nach deren Übersteigung das schönste Land entdeckt […]“ ( WF I: Titelblatt). Möglicherweise sollte die Abkehr im neuen Titel vom Bild der Felsenburg auf die Unabhängigkeit des Autors von seiner Vorlage hinweisen, wozu die Evozierung der Freiheit 8 Auch in Cottas Druckauftragsbuch läuft der Text noch unter dem Titel „Albert Julius od. d. Insel Felsenburg“ (Fischer, B. 2003, 2: 525). 9 Eine englische Ausgabe des Romans kam, wie erwähnt, nicht zustande (vgl. Kap. 1.5). 10 Dies ist allerdings lediglich ein Aspekt der reichen Inselthematik, bei der in vielen Zusammenhängen die Abgeschiedenheit als Zustand des Glücks und der Zufriedenheit aufgefasst wird. Exemplarisch für den Reichtum und die Vielfalt von Inselphantasien und -projektionen sei hier nur die umfassende kulturgeschichtliche Darstellung von Volkmar Billig erwähnt: Inseln. Geschichte einer Faszination (2010). 4.1 Der Paratext als Reflexion des Prätextes: Titel und Vorreden 109 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 und Ungebundenheit des Lebens auf Südseeinseln, wie es damals in Europa gesehen wurde, wohl besonders geeignet schien. Dass diese Deutung nicht gänzlich aus der Luft gegriffen ist, kommt in Oehlenschlägers Vorrede zum Ausdruck, in der er die Eigenständigkeit seines Romans vehement verteidigt, wie im nächsten Unterkapitel gezeigt wird. Es gibt aber auch zwischen den beiden Sprachversionen von Oehlenschlägers Titel eine Differenz: Die dänische Version spricht nur von einer Insel, während der deutsche Titel die Inseln im Plural nennt, wobei sich diese Pluralform erst mit der gedruckten Ausgabe etabliert; zuvor (und manchmal sogar danach! ) 11 ist die Nennung im Singular viel häufiger und war offenbar die ursprüngliche, wie die erste Erwähnung in Oehlenschlägers Brief an Walter Scott zeigt. Inhaltlich lässt sich beides, Einzahl wie Mehrzahl der Inseln, recht einfach erklären: Neben der grossen, der eigentlichen „Hauptinsel“, Felsenburg / Klippeborg genannt, existiert noch eine weitere, Klein-Felsenburg / Lille-Klippeborg, von der zwar erst gegen den Schluss des Romans die Rede ist, die aber dennoch eine wichtige Rolle spielt (vgl. Kap. 8.5). Darauf weist die Pluralform des deutschen Titels hin, der dänische hingegen fokussiert auf die eigentliche Hauptinsel, wobei hier allerdings auch an klangliche Gegebenheiten zu denken wäre: Die Nachstellung des dänischen bestimmten Artikels lässt den Plural „Øerne“ umständlicher und schwerfälliger klingen als die eingängigere Singularform „Øen“. Oehlenschlägers Titel wirkt gewissermassen auf den Kurztitel von Schnabels Roman zurück und zeigt auch dessen Insel als vielfach semantisierten Ort, der weit über die Konnotation der Isoliertheit hinausgeht und, wie erwähnt, Züge eines „irdischen Paradieses“ trägt, die im Text immer wieder, zutage treten. In diesem Zusammenhang ist auf den Stellenwert hinzuweisen, den die Insel als vielschichtiger Raum gerade in der Literatur einnehmen kann: Dies zeigt im Besonderen für die skandinavische Literatur der Romantik die eindrückliche Studie Lyksalighedens Øer [Inseln der Glückseligkeit] von Gunilla Hermansson, in der sie darstellt, wie in Werken schwedischer und dänischer Romantiker die Insel als Text oder allenfalls Textbestandteil „ein Raum für Reflexionen über das Verhältnis zwischen Dichtung, Liebe / Erotik und Religion und / oder Philosophie“ 12 werden kann (Hermansson 2010: 13), wobei diese idealisierte Insel im Lichte romantischer Ironie auch problematisiert wird. Die imaginierten „Inseln der Poesie“, ein Raum zwischen Realität und Ideal, in dem Poesie nicht nur herrscht, sondern zugleich Reflexionsthema wird, erweisen sich als variantenreiche Umsetzungen romantischer Programme und Visionen. Der Titel von Oehlenschlägers Inselroman deutet ebenfalls einen Sehnsuchtsort an, der in der realen Textgestalt zum Raum verschiedenster Projektionen, vor allem aber zum Schauplatz unaufhörlicher poetologischer Reflexionen und Kunstdiskussionen wird. 13 Auf den Titel folgt die Gattungsbezeichnung, in der deutschen Version: „Ein Roman“, dänisch: „Roman“, jeweils ergänzt durch den Autornamen: „von / af Oehlenschläger“. Die Gattungsbezeichnung verweist auf die fiktive Natur des Textes; 14 über hundert Jahre nach Schna- 11 Dies belegen z. B. Briefe aus dem Jahr 1838 an Josef Max betr. die Aufnahme einer gekürzten Version des Inselromans in seine zweite Gesamtausgabe von Oehlenschlägers deutschen Werken: Brief vom 24. 3. 1838, Breve C / 2: 101 und Brief vom 3. 7. 1838, Breve C / 2: 118. 12 [et rum for refleksioner over forholdet mellem poesi, kærlighed / erotik og religion og / eller filosofi]. 13 Hermanssons Lesart von Oehlenschlägers Roman als „bidrag til sydhavsutopierne“ [Beitrag zu den Südseeutopien] greift daher zu kurz (2010: 320, Anm. 2). 14 Diese Aussage wird allerdings von Roman Kuhn problematisiert, da „auch den paratextuellen Fiktionsmarkern […] nicht blind zu vertrauen [sei]“ (Kuhn, R. 2018: 3). 110 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 bels Roman hatte sich die Gattung soweit durchgesetzt, dass Wahrheitsbeteuerungen hinfällig wurden. Allerdings war, wie aus Oehlenschlägers dänischem Vorwort hervorgeht, der Roman trotz allem noch immer eine wenig angesehene Literaturform, die der Verteidigung bedurfte ( ØS I: V- VIII ). Auffällig ist die Verknüpfung der Gattungsbezeichnung mit dem Namen des Autors, der hier ohne Vornamen steht, ganz so, als erübrige sich dank der Berühmtheit des Autors jede weitere Spezifizierung. Natürlich könnte eine Anlehnung an den Prätext mitgespielt haben, denn auch bei Schnabel lautet die Nennung des Autors am Ende der vier langen Titel seines Romans jeweils lediglich „von Gisandern“ 15 . Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass Oehlenschläger sich an Goethes Romanausgaben orientierte: 16 So lautet z. B. die Angabe auf dem Titelblatt der Erstausgabe der Wahlverwandtschaften von 1809 „Ein Roman von Goethe“. Genauso verhält es sich mit Wilhelm Meisters Wanderjahre ; auch in diesem Fall folgen auf den Titel die Gattungsbezeichnung und der Vermerk „von Goethe“. Die Erstausgabe von 1821 erschien nur wenige Jahre vor Oehlenschlägers Inselroman, dem sie, wie sich an der Gestaltung der Titelblätter ablesen lässt, durchaus als Vorbild gedient haben kann. 17 Abb. 11: Titelblätter der beiden Erstausgaben von Die Inseln im Südmeere (Foto privat) und von Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden (© Universitätsbibliothek Basel, LesG E 181: 1) 15 Diese Anlehnung wäre natürlich rein formaler Natur und hätte nichts mit der Rolle des fiktiven Herausgebers zu tun, in die Schnabel Gisander einsetzt. 16 Vgl. die in Kap. 1.5 referierten Stellen aus Oehlenschlägers Briefwechsel mit Cotta zur gestalterischen Ausstattung seines Romans. 17 Weitere Gesichtspunkte zur Gestaltung des Titelblattes wurden in Kap. 1.5 erwähnt. 4.1 Der Paratext als Reflexion des Prätextes: Titel und Vorreden 111 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Da beide Romane bei Cotta verlegt wurden, ist es allerdings auch denkbar, dass der Verleger die Gestaltung mitbestimmte, wobei fraglich bleibt, inwieweit sich seine Mitsprache auf die Darstellung des Autornamens auswirkte. 18 Im Übrigen veröffentlichte Oehlenschläger schon viel früher - auch hierin dem Beispiel Goethes folgend - die Erstausgaben seiner Werke häufig bloss unter seinem Nachnamen. Vor allem, wenn sie in seinem Eigenverlag erschienen oder eben - in deutscher Version - von Cotta verlegt wurden, trugen sie lediglich den knappen Vermerk „von Oehlenschläger“. Die einem Markenzeichen ähnliche Autorsignatur war hauptsächlich für seine Werke reserviert und wurde in anderen Bereichen, z. B. bei der Abfassung von Briefen offizieller Natur, kaum verwendet; diese sind fast durchwegs mit „A. Oehlenschläger“ unterzeichnet (vgl. Breve A, B und C). Der Gedanke liegt nahe, dass durch die enge Verbindung der Gattungszuschreibung mit seinem Namen „Ein Roman von Oehlenschläger“ / „Roman af Oehlenschläger“, in der sich Text und Autor gegenseitig bedingen, der Autor seine Autorschaft inszeniert (Meier / Wagner-Egelhaaf 2011: 19) und sich in der genannten Signatur die Etablierung einer Autorfigur 19 andeutet. Einen frühen Hinweis darauf mag man in der Änderung der ursprünglichen Namensform „Øhlenslæger“ sehen: Schon für sein zweites, 1805 erschienenes Werk Poetiske Skrifter wählte der Autor die Schreibweise „Oehlenschläger“; mit dieser Eindeutschung des eigenen Namens macht er die Affinität seiner Autorschaft zur deutschen Kultur sichtbar, denn „Deutschland war für ihn die Quelle der Kultur und damit der Literatur und Philosophie“. 20 4.1.2 Die Vorreden A) Schnabel Die Bezeichnung „Vorrede“ 21 für die Einleitung, die beide Autoren ihren Romanen voranstellen, war noch bis ins frühe 19. Jahrhundert gebräuchlich und benennt das Wesen dieser Vorbemerkungen genauer als der spätere Ausdruck „Vorwort“, handelt es sich doch - zumindest im Fall der Wunderlichen Fata und der Inseln im Südmeere - um eigentliche Reden, die auf den Leser einwirken sollen, wie schon die ersten Worte von Schnabels Herausgeberfigur Gisander deutlich machen, denn seine Anrede „Geneigter Leser! “ ( WF I: 9) dient 18 Ein Beispiel, das viel eher auf die Selbstbestimmung der Autoren in dieser Hinsicht weist, bringt Helmut Schanze, der die beiden Titelblätter zum Athenäum der Brüder Schlegel von 1798 und Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre von 1795 vergleicht, wobei Goethe hier eine Herausgeberfiktion etabliert, während die beiden Schlegel als Autoren firmieren, obwohl sie eigentlich die Herausgeber sind. Schanze sieht darin einen „subtilen Bezug“ der Romantiker zu Goethes „Vexierspiel […] mit der Autorschaft und der Herausgeberschaft“, das von den Brüdern Schlegel bewusst konterkariert werde, indem sie ihre Autorschaft dezidiert öffentlich machten (Schanze 2018: 99). 19 Terminus von Behschnitt, der den Autor als textuelles Konstrukt versteht (Behschnitt 1999). 20 Thorkild Borup Jensen sieht dies als Grund für die veränderte Schreibweise (Borup Jensen 2006: 12). Das Zitat lautet im Original: „Tyskland var for ham kulturens - og dermed litteraturens og filosofiens - kilde.“ Für Marie-Louise Svane zeigt sich in der Namensänderung viel eher Oehlenschlägers „internationale Ambition“ (Svane 2008, 2: 105). 21 In der deutschen Übersetzung von Genettes Seuils wird der Begriff „Vorrede“ (im französischen Text „avant-dire“, Genette 1987: 151) jenen Termini zugeordnet, die „gesuchter, schulmeisterlicher oder preziöser“ wirkten (Genette 2001: 158), wobei jedoch trotz der scheinbar wörtlichen Übereinstimmung die konnotative Äquivalenz zwischen der selten verwendeten Bezeichnung „avant-dire“ und dem während Jahrhunderten geläufigen Ausdruck „Vorrede“ zumindest fraglich ist. 112 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 als Formel für die captatio benevolentiae des Lesepublikums. In der Sprechaktforschung ist der Status der illokutionären Funktion von Vorreden allerdings umstritten: Er hängt mit der Frage zusammen, ob das Vorwort als vor dem Werk stehend oder als dessen integrativer Bestandteil zu betrachten sei: im letzteren Fall würde es sich nicht um „ernsthafte illokutionäre Anweisung[en]“, sondern nur um „prätendierte Sprechakte“ handeln (Wirth 2004: 609). Die Frage nach dem Grad der Ernsthaftigkeit der Illokution kann man sich angesichts von Schnabels raffiniertem Spiel mit den Leseanweisungen in seiner Vorrede durchaus stellen: Sein Herausgeber Gisander lässt es explizit offen, ob die Geschichte, die er herausgibt, und in deren Besitz er auf abenteuerliche Weise gelangt ist, als wahr oder fiktiv aufzufassen ist. Andrerseits verbergen sich hinter den Befürchtungen des imaginierten Lesers, die „Geschichte“ 22 könnte weiter nichts sein als „blosse[-] Gedichte, lucianische Spaas-Streiche, zusammen geraspelte Robinsonaden-Späne und dergleichen“, offensichtlich ernstgemeinte implizite Leseanweisungen. Als Beispiele für solchermassen charakterisierte Romane werden u. a. „des Herrn von Lydio trenchierte Insul“ 23 oder die „Geschicht von Joris oder Georg Pines“ 24 erwähnt. Das Buch des letzteren, Joris Pines, sei in der deutschen Übersetzung aufgewärmt worden „als ein Gerichte Sauer-Kraut mit Stachelbeeren vermischt“, weshalb eine „solche Ollebutterie“ entstanden sei, „dass man kaum die gantz zu Matsche gekochten Brocken der Wahrheit, noch auf dem Grunde der langen Titsche finden kan“. Die drastischen Speisemetaphern bedeuten eine ins Negative verkehrte Auffassung von Dichtung als geistiger Nahrung - ein Topos, der vor allem in der geistlichen Literatur des Mittelalters verbreitet war und seinen Ursprung sowohl in der antiken Dichtung wie in biblischen Schriften hat (Curtius 1954: 144-146). Die Umkehrung der Metapher wird bis ins vollkommene Gegenteil des Einverleibens von Lesestoff gesteigert: man möchte „Herr Ulrichen, als den Vertreiber eckelhaffter Sachen, ruffen“ ( WF I: 11), d. h. das Gelesene („lahme Satyren, elender Wind, zerkauete Moralia, überzuckerte Laster-Morsellen“, WF I: 11) bekommt einem so schlecht, dass man es am liebsten erbrechen würde. 25 Diese buchstäbliche „Subversion“ der Speisemetaphern, in denen traditionell die fromme Aneignung heiliger Schriften mit Nahrungsaufnahme analogisiert wurde, knüpft an ähnlich anarchische Verwendungen von bibliophagen Metaphern bei Rabelais und Montaigne an (Ott 2011: 36-43), funktionalisiert sie jedoch für poetologische Überlegungen. 26 Diese zielen auf eine scheinbare Verteidigung der Fiktion im Gegensatz zur „pur lautere[n] Wahrheit“ ( WF I: 12), wobei sogar „in der Heil. Bibel dergleichen Exempel [für eine ‚geschickte Fiction‘, ein ‚lusus Ingenii‘] anzutreffen [seien]“ ( WF I: 12). Doch nicht einmal dieses stärkste Zeugnis für die Akzeptanz fiktiver Geschichten bedeutet ein Bekenntnis, dass der eigene Text „pur lautere Fiktiones“ sei ( WF I: 12); er ist also weder pure Wahrheit noch reine Fik- 22 Dieses und die folgenden Zitate aus den WF finden sich, wenn nicht anders angegeben, in WF I: 10. 23 Die wunderbahre und erstaunens-würdige Begebenheiten des Herrn von Lydio (etc.), erschienen 1730 unter dem Pseudonym „Selimenes“ für Johann Michael Fleischer (Ullrich 1898: 123). 24 Wahrhaffte und merckwürdige Lebens-Beschreibung Joris Pines (etc.), die 1726 erschienene deutsche Bearbeitung der Isle of Pines von Henry Neville, London 1668. 25 Das Grimm’sche Wörterbuch führt unter dem Eintrag „Ulrich“ an: „in gewissen verbalen verbindungen mit der bedeutung ‚sich erbrechen‘ wird der eigenname schallmalend verwendet“. Als Beleg wird u. a. die zitierte Stelle aus den WF I angeführt ( Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm 1936, 11 / 2: 759). 26 Christine Ott zeigt für die französische Literatur, wie sich eine solche Funktion der Vergleiche zwischen Mahlzeiten und Lesestoff im 18. Jahrhundert zu etablieren begann (Ott 2011: 49 und 53). 4.1 Der Paratext als Reflexion des Prätextes: Titel und Vorreden 113 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 tion - jedoch folgt unmittelbar auf die Darstellung und Rechtfertigung dieser ambivalenten Position die Erzählung, wie Gisander über einen mehrstufigen Prozess zu seinem Manuskript gekommen sei, dessen Quellen die mündlichen, von Eberhard Julius aufgezeichneten Berichte des Felsenburger Stammvaters Albert Julius bilden. Nicht nur der Ursprung des Manuskripts, auch der Umstand, dass die Übergabe an Gisander dem Vermächtnis eines Sterbenden gleichkommt, scheinen dem Text Autorität und Glaubwürdigkeit zu verleihen. Daran ändert auch die Kritik des Herausgebers am ungeordneten Zustand von Eberhards Papieren nichts, im Gegenteil, sie verstärkt den Anschein der Authentizität. 27 Dennoch distanziert sich der Herausgeber vom Wahrheitsanspruch, der durch die Überlieferungsgeschichte der Papiere entstanden sein könnte, denn jeder kann „darvon glauben […], wie viel ihm beliebt“ ( WF I: 16). Dieses ironische Spiel mit der Glaubwürdigkeit des Textes, der Verzicht auf Wahrheitsbeteuerungen und das Eintreten für die Berechtigung der Fiktion haben Schnabels Vorrede berühmt gemacht: Offensichtlich geht es nicht mehr darum, das Ansehen der Romangattung durch die Behauptung der Wahrhaftigkeit der von ihr vermittelten Inhalte zu heben, vielmehr soll der Gattung das Recht auf Fiktion zugestanden werden, ohne deswegen diskreditiert zu werden. 28 Was folgt, sind verschiedene Vorredentopoi, die der Herausgeber in ironischer Selbstreflexion benennt: „Von dem übrigen, was sonsten in Vorreden pflegt angeführet zu werden, noch etwas weniges zu melden“ ( WF I: 16) - er bittet um Nachsicht für seinen Umgang mit der „Hertz-allerliebsten Deutschen Frau Mutter-Sprache“, für das Erstlingswerk eines jungen Anfängers 29 , für Mängel seines Stils, die durch Zeitdruck verursacht worden seien, für allfällige Druckfehler oder unterlaufene Scherzworte. Zu dieser „Captatio“ gehören ausserdem Erläuterungen der Mühen des Schreibprozesses, verursacht vor allem durch „Eberhard Julii kunterbunde Schreiberey“ ( WF I: 17), sowie der Dank an den geneigten Leser, falls dieser das Werk gut aufnehmen werde, und das Versprechen einer Fortsetzung. Diese folgt laut Datum der Vorrede des zweiten Teils nur ein Jahr später; die deutlich kürzere zweite Vorrede setzt sich vor allem mit - fingierten oder tatsächlichen - Urteilen über den ersten Teil auseinander und verteidigt im Wesentlichen wieder die Romangattung, diesmal gegen den Vorwurf, die geschilderten Gräueltaten könnten zur Nachahmung anreizen. Auch betont der Herausgeber, wie in der ersten Vorrede, die Freiheit des Lesers, „viel, wenig oder gar nichts von der Wahrheit dieser Geschichte [zu] glauben“ ( WF II : 10), wobei er gleichzeitig die reale Existenz der „Seefahrer und Felsenburgischen Einwohner“ insinuiert, denn „sie befinden sich im Stande ihre eigenen Vertheydiger zu seyn“ ( WF II : 7). Das Spiel der „performativen Überblendung von Authentizitätssuggestion und entblössendem Fiktionseingeständnis“ (Wirth 2008: 196) setzt sich also in der zweiten Vorrede fort, die zudem explizit an die Fiktionsverteidigung der ersten anknüpft, indem die Kritiker der Aussage, 27 Hans Ehrenzeller hebt die illusionsfördernde Wirkung der „dichterische[n] Quellenkritik“ hervor (1955: 125). 28 Wilhelm Vosskamp sieht Schnabels Vorrede als Dokument eines „neuen erzählerischen Selbstbewusstseins“ (1968: 138). Für Steinecke / Wahrenburg markiert Schnabels Verteidigung der Fiktion „eine neue Phase in der Geschichte der deutschen Fiktionskritik“ (1999: 107, Fussnote 12). Eine differenzierte Analyse der verschiedenen Forschungspositionen zu Schnabels Ambivalenz in Bezug auf den fiktiven oder faktischen Status seines Textes liefert Kuhn, R. (2018: 154-156). 29 Laut Ehrenzeller handelt es sich um einen besonders an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert vielbenützten Jugendlichkeitstopos, der oft als reine Koketterie wirke, wie z. B. bei Schnabel, der bei der Publikation der WF immerhin 38 Jahre alt gewesen sei (1955: 164). 114 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 dass auch die Bibel Exempel für „geschickte Fiktion“, ja, „gantze Bücher davon“ enthalte ( WF I: 12), auf Luthers Vorreden zu den Apokryphen Judith und Tobias verwiesen werden ( WF II : 11). Darin betont Luther den Wert der beiden Bücher, deren historische Wahrheit zwar nicht gesichert sei, die aber als „fein / gut / heilig / nützlich Buch“ (Luther 1974, 2: 1675), und „recht / schön / heilsam / nützlich / Geticht und Spiel eines geistreichen Poeten“ (1974, 2: 1731) dennoch als lehrreich und bedeutsam gelten könnten und zudem als Vorläufer der griechischen Tragödie ( Judith) und Komödie (Tobias) aufzufassen seien (1974, 2: 1731). Die Erwähnung des Buches Tobiae in Schnabels / Gisanders Vorrede verweist auf eine zentrale Stelle im ersten Teil der WF : Albert und Concordia zelebrieren nicht nur ihre Hochzeit mit Gebeten aus dem Buch Tobiae, sondern schieben auch ihre sexuelle Vereinigung drei Tage lang auf ( WF I: 296-297). Sie handeln nach dem Vorbild des Tobias, der durch seine Enthaltsamkeit in der Hochzeitsnacht das Böse besiegte und so dafür sorgte, dass sich danach - wie in einer Komödie - alles zum Guten wendete. Der Hinweis auf Luther in der Vorrede zum zweiten Teil der WF hat verschiedene Konsequenzen: Einerseits fungiert der Reformator als Kronzeuge für den Wert der Fiktion; anderseits legitimiert seine Autorität auf der inhaltlichen Ebene indirekt die Hochzeitsszene im ersten Teil der WF , womit in Analogie zum Buch Tobiae eine Glücksverheissung verbunden ist, die für Albert und Concordia auch eintrifft, da sich ihr Inselleben nach anfänglicher Härte zu einem in jeder Hinsicht fruchtbaren, harmonischen Dasein entwickelt. Ausserdem lässt sich Luthers Lob des Buches Tobiae als poetische Dichtung implizit auf die entsprechende Textpassage in den WF I übertragen, d. h. der Autor würde gewissermassen ein besonderes Qualitätssignum für den eigenen Text beanspruchen, dies freilich, wie es dem satirischen Gepräge der ganzen Vorrede entspricht, mit ironischem Unterton. 30 Die Vorreden zum dritten und vierten Teil der WF enthalten hauptsächlich Entschuldigungen für das verspätete Erscheinen der Fortsetzungen - sie folgen im Gegensatz zur raschen Publikation des zweiten Teils beide erst nach mehreren Jahren, wobei der dritte Teil in der zugehörigen Vorrede als endgültig letzter proklamiert wird. Die Diskussion des fiktiven oder realen Status des Textes tritt in den Hintergrund; stattdessen wird implizit der grosse Erfolg des Romans hervorgehoben, von dem auch andere hätten profitieren wollen, da in der Zwischenzeit Gisanders Tod verkündet worden sei und jemand anders versucht habe, an seiner Stelle einen dritten Teil herauszugeben ( WF III : 10). Die Manuskriptfiktion der ersten Vorrede wird insbesondere in der vierten fortgesetzt und weiter ausgebaut, indem die Verzögerung der Publikation dem Bruder des Kapitäns Horn, also einer der Romanfiguren, angelastet wird. Diese Verspätung habe auch dazu geführt, dass ungeduldige Leser den Herausgeber mit zahllosen Briefen bombardiert hätten - in der vierten Vorrede übernimmt so das Lesepublikum eine Rolle, die über die blosse Lektüre hinausgeht, wie auch die Romanfiguren den Rahmen ihres Textes gleichsam überschreiten und mit dem Herausgeber interagieren, was sogar körperliche Folgen hat: Die vom Bruder des Kapitäns Horn verschuldete Publikationsverzögerung habe ihm, dem Herausgeber, „zum öfftern selbst die Galle […] in den Magen getrieben“ ( WF IV : 6) - auch hier eine Anknüpfung an 30 Diesen letzten Punkt betont auch Heidi Nenoff in ihrer Analyse von Schnabels Vorreden, indem sie erwähnt, dass Gisander sich „augenzwinkernd […] mit den Dichtern der apokryphen Bücher auf eine Stufe“ stelle (Nenoff 2016: 73). 4.1 Der Paratext als Reflexion des Prätextes: Titel und Vorreden 115 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 die erste Vorrede, in der geschildert wurde, wie andere Romane Übelkeit bis zum Erbrechen hervorrufen könnten. Es entsteht also in der vierten und letzten Vorrede eine „Rahmenkonfusion“ 31 , indem sowohl die Leser wie die Romanfiguren aus ihren angestammten Rollen heraustreten und die Ordnung, welche die Vorrede als Vermittlungsinstanz zwischen Leser und Text schafft, von beiden Seiten her subvertieren. 32 Dies hat zur Folge, dass die Vorrede ihre paratextuelle Position teilweise einbüsst und durch das Eindringen der Romanfiguren zu einem Bestandteil der Fiktion wird; demnach würde die Vorrede, wie eingangs erwähnt, zumindest nach Auffassung einer gewissen Richtung der Sprechaktforschung ihre illokutionäre Funktion verlieren. Es ist bezeichnend, dass der Herausgeber im ironischen Spiel zwischen Fiktion und Authentizitätsanspruch diese Funktion durch einen Ordnungsruf scheinbar zurückgewinnen will, indem er die Leser ermahnt, in Zukunft ihre Briefe frankiert einzusenden, um ihm und dem Verleger Kosten zu sparen ( WF IV : 7-8). Dieser Hinweis, der die vierte und letzte Vorrede schliesst, öffnet gleichzeitig den Blick des Lesepublikums für den realen Produktionsprozess, den ein Text, ob „wahr“ oder fiktiv, durchlaufen muss, bis er in die Hände des Lesers gelangt. B) Oehlenschläger Wenden wir uns nun den Vorreden von Oehlenschlägers Inseln im Südmeere zu, so fällt auf, dass der Autor im Gegensatz zu Schnabel für die vier Teile seines Romans nur eine einzige Vorrede verfasste. Dennoch ist der Plural gerechtfertigt, da Oehlenschläger diese eine Vorrede gleichsam vervielfachte, indem er sie erstens auf Dänisch übersetzte und zweitens in beiden Sprachen für neue Ausgaben jeweils umformulierte und vor allem kürzte. Auf diese spezifischen Änderungen werde ich noch zurückkommen. Vorrede zu Die Inseln im Südmeere Im Unterschied zu Schnabel delegiert Oehlenschläger seine Vorrede nicht an eine Herausgeberfigur, sondern lässt sein autobiographisches Ich sprechen. Wie erwähnt, führt er die Beweggründe für seine Beschäftigung mit dem „alte[n] Buch“ ( IS I: III ) auf seine Kindheitslektüre zurück (vgl. zur Entstehung der IS Kap. 1.1 und 1.3). Die Grundlage seines eigenen Romans ist also, wie er explizit darlegt, das Werk eines anderen Autors. Mit dieser freimütigen Offenlegung der intertextuellen Basis seines Textes verweist er auf dessen Gemachtheit und damit zugleich auf die Tatsache der Fiktionalität, die er, ganz anders als sein Vorgänger, nicht mehr verteidigen muss, worin sich nicht zuletzt der Entwicklungsschritt der Gattung in den knapp hundert Jahren seit Schnabel zeigt. Aber nicht nur die Thematik der Fiktionalität spielt hier eine Rolle, sondern ebenso das Bekenntnis zur Intertextualität, das zu gewissen Aspekten der romantischen Poetik im Widerspruch zu stehen scheint. Laurence Lerner weist in diesem Zusammenhang auf zwei Elemente der Romantik hin, die „dem Konzept der Intertextualität zuwiderlaufen“, nämlich einerseits die Dichtung als Ausdruck des wahren Gefühls, des „Innersten des Dichters“, 31 Terminus von Uwe Wirth, in Anlehnung an Luhmann (Wirth 2004: 627). 32 Genette beschreibt solche Vorgänge ausführlich unter dem Begriff „Métalepse“, besonders mit Verweisen auf die Illusionsbrüche und Einladungen zu Leserinterventionen in Tristram Shandy (Genette 1972: 243-246). 116 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 das deshalb „keine äusserlich sichtbaren Stützen“ benötigen sollte, andererseits aber geht es um den „Ersatz des Geschliffenen und Kultivierten durch das Volkstümliche, der literarischen Sprache durch die Sprache des Volkes“ (Lerner 1985: 283). 33 Gemeint ist also der Rückgriff auf eine vortextuelle, mündliche Tradition. Oehlenschlägers Inspiration durch ein „Volksbuch“ (als solches wurde die Insel Felsenburg damals noch allgemein verstanden) scheint seinen Roman mit dem letztgenannten Element der Negation von Intertextualität zu verbinden. Dies trifft jedoch nicht zu, weist er doch selber offen auf die Grundlage seines Werkes hin; ausserdem befleissigt er sich keineswegs einer volkstümlichen Sprache, obwohl er seinen Roman durchaus als „Unterhaltung für die Allgemeinheit“ einstuft und jedenfalls hofft, dass sein Werk in diesem Sinn bei einem möglichst breitgefächerten Lesepublikum Anklang finden würde. 34 Was der Autor hingegen nachdrücklich betont, ist die Neuheit, die eigene Erfindung seiner Romanschöpfung, die nur „einige Hauptzüge“ ( IS I: III ) oder „einige schöne Züge“ ( IS I: IV ) aus dem Vorgängerbuch entliehen habe, denn „durch wiederholtes Lesen [habe] sich so viel Eigenes entwickelt und angeknüpft“, dass er später bei erneuter Lektüre mit Erstaunen feststellte, „bei weitem nicht mehr das darin zu finden, was ich zu finden gehofft hatte“ ( IS I: III - IV ). Diese Bemerkung, welche auf die Hervorhebung des eigenen Anteils an der Neuschöpfung abzielt, erinnert auch an Novalis’ Aussage, der wahre Leser müsse der erweiterte Autor sein (Novalis 1962: 369), und wirkt wie eine Vorwegnahme moderner Lesekonzepte, wie sie der Dekonstruktion nahestehen, 35 aber teilweise auch schon von Bachtin skizziert wurden. 36 Ausserdem kann die zitierte Stelle als Reflexion zur Intertextualität verstanden werden, da hier die Zwischenstufe der Textgenerierung in der durch eine bestimmte Lektüre inspirierten Phantasie des Lesers und Autors eindrücklich beschrieben wird. Die von der Lektüre hervorgerufenen Ideen sind es - neben den bei späterer Wiederbegegnung mit dem Text als Mangel, als Leerstellen empfundenen Differenzen zu Schnabels Roman -, die den Leser zum Autor werden liessen und ihn dazu bewogen, „zu diesen lieben Jugendbildern zurück zu kehren, um selbst auszumalen und darzustellen, was ich früher dabei geahnet und geträumt hatte, ehe ich im Stande war, es mir selber klar zu machen und Andern in Form und Kunst mitzutheilen“ ( IS I: IV). Er verwirklicht damit in gewisser Weise eine Schaffensidee, die eine der Rahmenfiguren in Tiecks Phantasus ins Spiel bringt: Wollte man […] genau erzählen, aus welchen Erinnerungen der Kindheit, aus welchen Bildern, die man im Lesen, oder oft aus ganz unbedeutenden mündlichen Erzählungen aufgreift, dergleichen sogenannte Erfindungen zusammengesetzt werden, so könnte man daraus wieder ein Art von seltsamer, mährchenartiger Geschichte bilden. (Tieck 1985: 146-147) Diese eigenen, fast noch vorbewussten Phantasiebilder kann Oehlenschläger sich nun, als erwachsener Autor, bewusst machen und als eigenständige Schöpfung dem Lesepublikum 33 Allerdings schränkt Lerner seine Ausführungen gattungsmässig ein, indem er sie vorrangig auf die Lyrik bezieht. 34 Dazu nachstehend mehr im Zusammenhang mit Oehlenschlägers dänischer Subskriptionseinladung zum Roman. 35 Vgl. z. B. Anschauungen von Geoffrey Hartmann oder - bezogen auf den Dichter als Leser - von Harold Bloom; bei beiden Theoretikern weist übrigens Peter V. Zima die romantische Provenienz ihrer Konzepte nach (Zima 1994: 157-162, resp. 175-176). 36 Bachtin betont die aktive, eigentlich schöpferische Rolle des Rezipienten, vgl. z. B. Bachtin (1979: 141-142). 4.1 Der Paratext als Reflexion des Prätextes: Titel und Vorreden 117 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 vorstellen. Man beachte die insistierende Wiederholung von „selbst“ bzw. „selber“ im zitierten Passus, wodurch auch hier die Unabhängigkeit des eigenen Werkes vom Prätext besonders unterstrichen wird. Als Vorläufer und gewissermassen Kronzeuge für das Verfahren, bereits existierende literarische Werke umzuschaffen, wird - keineswegs zufällig - Shakespeare genannt, der bekanntlich für die deutschen Romantiker, nicht zuletzt seit Herders berühmtem Aufsatz (1993: 498-521), als Inbegriff von Genie und Originalität die zentralen Eigenschaften des romantischen Künstlerideals verkörperte. Wie Oehlenschläger betont, habe gerade Shakespeare, „der originellste“ ( IS I: V), beinahe immer nicht allein historische Anekdoten, sondern auch ältere Novellen und Schauspiele [benutzt], um einzelne Schönheiten derselben, die im Wuste versunken und von Weitläufigkeiten und Plattheiten unterdrückt waren, ans Licht zu ziehen. ( IS I: V) Diese Parallelisierung mit Oehlenschlägers eigenem Vorgehen bürgt gleichsam für die Originalität seiner Neuschreibung; zudem manifestiert sich darin, wenn auch verhüllt, eine recht scharfe Kritik an Schnabels Roman, welche die neue Fassung beinahe schon zu einem Desiderat werden lässt und sie deutlich über den Prätext erhebt. In diesem Punkt weist die Vorrede Ähnlichkeit mit Schnabels Kritik an seinen eigenen Vorläufern auf, wobei Schnabel sich noch weit deutlicher von ihnen abgrenzt, ja, sie gar nicht als Prätexte anerkennt. Das Verfahren, „das eben nicht Mode ist“, wird von Oehlenschläger sogar als besonders originell und innovativ eingestuft, denn es sei „eher etwas Keckes, Ungewohntes, als etwas Abgenüztes“ ( IS I: V). Auf den ersten Blick macht es tatsächlich den Anschein, als ob ein „Rewriting“ dem romantischen Grundgedanken der künstlerischen Autonomie, verkörpert im schöpferischen Genie, zuwiderlaufe und deshalb in der Epoche etwas Neuartiges darstelle (Rummel 2010: 319). Aber wie bereits in der Einleitung (Kap. 1.3) erwähnt, war es, zumindest in der deutschen Romantik, nach der Oehlenschläger sich in erster Linie ausrichtete, durchaus nichts Ungewöhnliches, eigene Texte aus dem Traditionsraum der Literatur, auf der Basis von literarischen Vorlagen, zu schaffen. 37 Ganz im Gegenteil: Diese Praxis, mit der naturgemäss immer eine Reflexion des gewählten Stoffes verbunden war, bedeutete eine Umsetzung wichtiger Elemente romantischer Dichtungskonzepte wie der progressiven Universalpoesie oder der Transzendentalpoesie, in denen die prinzipielle Unabschliessbarkeit der „romantischen Dichtart“ betont wird, die „ewig nur werden, nie vollendet sein kann“ (Schlegel, F. 1967: 182-183) und „zugleich Poesie und Poesie der Poesie“ sein soll (Schlegel, F. 1967: 204), ein Ausdruck, mit dem Friedrich Schlegel die Selbstreferenzialität des Schreibens auf eine knappe Formel bringt. Ausserdem trifft sich der Gedanke des „ewigen Werdens“ mit Novalis’ Idee von der Progression des Werks in der Re-Lektüre durch den „wahren Leser“, der eine Läuterung des Buches herbeiführen könnte, indem er vermittelst seines Gefühls, wie schon der Autor vor ihm, „das Rohe und das Gebildete des Buchs“ scheidet, ein Prozess, an dem auch der Autor selber mitwirken könnte: „Durch unparteiisches Wiederlesen seines Buches kann der Autor es selbst läutern“ (Novalis 1962: 370). Ebenfalls in der Einleitung (Kap. 1.3) wurde Achim von Arnims Neuschreibung eines Ausschnitts der Wunderlichen Fata erwähnt, sowie andere Bearbeitungen von Schnabels 37 Detlef Kremer spricht mit Bezug auf die Sammlung Des Knaben Wunderhorn und auf Tiecks Übersetzung der Minnelieder davon, dass diese im „Volkston“ geschaffene Lyrik „die deutsche Literatur als Traditionsraum eröffnen“ solle (Kremer / Kilcher 2015: 278). 118 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Roman gerade in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, d. h. ungefähr zeitgleich mit den Inseln im Südmeere. Mindestens die Tatsache der Neuschreibung entspricht also - entgegen Oehlenschlägers Auffassung - einem jedenfalls für die deutsche Romantik epochentypischen Verfahren. Damit ist natürlich noch nichts über die konkrete Ausarbeitung und Gestaltung des neuen Romans gesagt, der in dieser Hinsicht gleichwohl etwas „Keckes, Ungewohntes“ darstellen kann. Inwieweit dies zutrifft, ist eine der Fragen, welche die vorliegende Arbeit untersuchen möchte. Ein Blick auf die skandinavische Romantik zeigt, dass Oehlenschlägers Text in jenem literarischen Umfeld tatsächlich innovativen Charakter hatte, denn er gehört immerhin, wie erwähnt, zu den „ersten Beispielen eines selbstbezüglichen Romans in Dänemark“ (Müller-Wille 2016: 151). Oehlenschläger nennt in seiner Vorrede eine ganze Reihe von Autoren, die für sein Romanschreiben zentrale Vorbildfunktion haben. An erster Stelle erwähnt er Walter Scott, dessen ausserordentlich einflussreiche historische Romane damals viel gelesen und bewundert wurden; den imaginierten Verdacht, sein Buch, in das viele historische Episoden eingeflochten sind, könnte eine Nachahmung von Scotts Romanen sein, weist er jedoch entschieden von sich. Trotz der persönlichen Interessenlage - wie oben ausgeführt, wandte Oehlenschläger sich für eine englische Ausgabe seines Inselromans an Scott - erscheint seine Beurteilung des schottischen Romanciers keineswegs als reine Panegyrik; zwar bezeichnet er ihn als den „herrlichen Walter Scott“ und lobt seine „Deutlichkeit und Festigkeit“, distanziert sich aber ausdrücklich von seiner „politischen Kälte“ und „aristokratischen Gesinnung“ ( IS I: VII) ebenso wie von dem „Mangel[] an Liebe und eigentlicher idealischer Begeisterung“ seiner Charaktergemälde ( IS I: VIII , gesperrt im Original). Dagegen preist er „Cervantes grossartig-romantische Ironie, Jean Pauls Herz, Begeisterung und Zartgefühl, Goethe’s naiv lebendige Genialität, Geschmack und Gedankenfülle“ ( IS I: VII ). Dass dennoch Scotts Position als Romanschriftsteller die der andern Autoren zu überragen scheint, ergibt sich aus der Struktur der kurzen Passage, die mit dem Urteil über Scott beginnt und endet; die andern drei Autoren sind darin gleichsam „eingebettet“ und so dem Romanautor-Idol Scott gewissermassen untergeordnet, wobei immerhin die Sorgfalt, mit der Oehlenschläger für Goethes Charakterisierung einen dreifachen Stabreim mit dessen Initiale wählt, bemerkenswert bleibt. Bevor er dazu übergeht, seinen eigenen Roman konkret vorzustellen, gibt Oehlenschläger eine kurze Gattungsbeschreibung, in der verschiedene, von Friedrich Schlegel formulierte Grundsätze einer Romanpoetik anklingen, wie z. B. die Aussage, der Roman sei „das Epos unserer Zeit“ ( IS I: VIII ), die an einen von Schlegel in seinem „Brief über den Roman“ geäusserten Gedanken erinnert, der im Rückgriff auf die Antike als Gegensatz und gleichzeitig Ideal der romantischen Poesie ebenfalls den Roman mit dem Epos der Griechen parallelisiert (Schlegel, F. 1967: 335). 38 Oehlenschlägers Auffassung vom Roman als Summe alles dessen, was ein Dichter „erlebt, geschaut und gedacht“ habe, als Gefäss für „einen grossen Theil von des Verfassers Weltansichten und Meinungen“ ( IS I: VIII ) liegt nahe bei Schlegels Lyceumsfragment Nr. 78: „Mancher der vortrefflichsten Romane ist ein Kompendium, eine Enzyclopädie des ganzen geistigen Lebens eines genialischen Individuums; […]“ (Schlegel, F. 1967: 156). Mit einer neuerlichen Referenz an Goethe schliesst Oehlenschläger seine Reflexion über die Romangattung: Er wählt die drei Verse „Was ich irrte, was ich 38 Der Roman wurde allerdings schon vor Schlegel mit dem Epos der Antike verglichen. 4.1 Der Paratext als Reflexion des Prätextes: Titel und Vorreden 119 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 strebte, / Was ich litt und was ich lebte, / Sind hier Blumen nur im Strauss! “ ( IS I: VIII ) aus Goethes Gedicht „An die Günstigen“ (Goethe 1948-1971, 1: 15); dieselben Zeilen stehen als Motto auf dem Titelblatt zu Oehlenschlägers Digte 1803 , mit denen ihm damals der Durchbruch als Dichter gelang. Eine weitere Parallele scheint sich anzudeuten, wenn er im Rückblick auf sein literarisches Œuvre feststellt, er habe in keinem seiner Werke „mehr selbst erfunden“, und „einige schöne mit Kreide flüchtig hingeworfene Skizzenzüge des alten Buchs“ als Inspirationsquelle zu „eigenen Erfindungen“ bezeichnet ( IS I: IX , gesperrt im Original). Ganz ähnlich betont er nämlich in seiner „Forerindring“ [Vorerinnerung] zu Digte (1803), es handle sich - bis auf einige wenige - um neue Gedichte: „Det er et Bind nye Digte , som alle, paa de faa anförte nær, have deres Udspring af senere Forsög, og som her see Lyset förste Gang“ ( Digte 1803 / 1979: o. Seitenzahl; kursiv im Original), 39 dies in Abgrenzung zu bereits früher herausgegebenen Gedichten. Abgesehen davon, dass es in beiden Fällen, für die Gedichtsammlung wie für den Roman, aus verkaufstechnischen Gründen zentral war, das Lesepublikum von der Neuheit der Werke zu überzeugen, geht es auch hier wieder darum, das romantische Postulat der schöpferischen Originalität zu erfüllen. Zudem wird in der subtilen Rückwendung hin zur frühen Gedichtausgabe der Versuch spürbar, an den einstigen grossen Erfolg anzuknüpfen. Bei der Beschreibung seines Romans tritt die illokutive Funktion der Vorrede besonders deutlich zutage. In dialogähnlicher Form diskutiert der Autor mögliche Einwände seitens der Leser gegen die Integration von Novellen in den Roman, aber auch gegen das Auftreten zweier Hauptfiguren, statt, wie üblich, nur einer einzigen. Das polyphone Element der eingefügten Novellen verdankt sich einerseits dem Prätext, dessen zahlreiche, vorwiegend autobiographische Binnenerzählungen Schnabels Roman zu einem vielstimmigen Konglomerat machen; andrerseits gehört die Integration von Novellen, Märchen, Gedichten etc. bekanntlich zur romantischen Auffassung der Romangattung. Ein Zitat aus Tiecks Literatursatire Prinz Zerbino oder die Reise nach dem guten Geschmack korreliert potentielle Kritiker mit der Figur des als platten Rationalisten karikierten Nestor, der den Dichter Cervantes im Garten der Poesie fragt, was die Novellen in seinem Don Quijote sollten, worauf Cervantes die Gegenfrage stellt, was das ganze Buch solle ( IS I: IX -X). Dass sein Roman zwei „Helden“ hat, nämlich Albert und Eberhard, d. h. die aus dem Prätext bekannten Figuren Albert Julius und dessen Urgrossneffen Eberhard Julius, relativiert Oehlenschläger mit der Feststellung, beide seien sich so ähnlich, dass sie „für denselben Geist, dasselbe Herz“ gelten könnten, „worin sich zwei aufeinander folgende Jahrhunderte abspiegeln“ ( IS I: XII , gesperrt im Original). Oehlenschläger bezeichnet das Phänomen als Seelenwanderung; in dieser Sicht werden die beiden Figuren fast zu einer einzigen verschmolzen und so noch stärker verbunden, als sie es durch die schon bei Schnabel angelegte Deszendenz ohnehin sind. Mit der Erwähnung von „denselben Geist, dasselbe Herz“ stellt Oehlenschläger eine Verbindung zweier ganz unterschiedlicher Aspekte der Seelenwanderungsidee her, wie sie um 1800 von Interesse waren: einerseits ging es um die Zirkulation von Ideen, Gedanken, also von geistigen Konzepten, andererseits um psychologische Vorgänge, die es erlaubten, sich in die seelische Innenwelt eines anderen Menschen zu versetzen, mit dem Ziel, „ein Verstehen des Gegenübers zu erreichen“ (Hense 2014: 125). 39 [Es ist ein Band neuer Gedichte , die alle, ausser den wenigen angegebenen, ihren Ursprung in späteren Versuchen haben, und die hier zum ersten Mal erscheinen.] 120 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Ausgehend vom Titel Die Inseln im Südmeere skizziert der Autor den Inhalt seines Romans und beschreibt seine Figuren als „merkwürdige Menschen verschiedener Zeitalter“, die „nach vielen Abentheuern und Widerwärtigkeiten Ruhe auf einer schönen Insel“ fänden ( IS I: X), diese aber wegen zu starker Besiedlung wieder verlassen, sich „in einen engeren Kreis und von der Welt zurückziehen, und freiwillige Robinsone werden [müssten], um des Glückes der Ersten wieder teilhaftig zu werden“ ( IS I: XI ; gesperrt im Original). Darin sieht er - der Verdoppelung seiner Helden zum Trotz - „die Einheit […] dieser Dichtung“ ( IS I: XI). Das Glück dieser „freiwilligen Robinsone“ gründet sich dem Autor zufolge auf den Rückzug aus der Welt und die Distanzierung von allem weltlichem Treiben, eine Sicht, die schon in einem seiner frühesten Gedichte mit Bezug auf Robinson erkennbar wird 40 und vor allem in der Komödie Robinson i England (1819) den Charakter des dort auftretenden Selkirk, Defoes „Ur-Robinson“, klar konturiert: In die Grossstadt London zurückgekehrt, verzehrt sich der Matrose nach dem kargen, weltabgeschiedenen Leben auf seiner Insel. Wie in Gedicht und Drama sowie an verschiedenen anderen Stellen seines Werks ersichtlich, 41 ist für Oehlenschläger die Figur des Robinson zu einer Chiffre geworden, die bildhaft wesentliche Aspekte der spezifisch Robinson’schen Lebensform evoziert, wie einfaches Leben, Naturliebe, Unabhängigkeit, aber auch Einsamkeit. Doch gerade in diesem letzten Punkt brechen die Romanfiguren, die „freiwilligen Robinsone“, diese Chiffre auf, denn sie leben keineswegs einsam, sondern in enger Verbundenheit mit einem auserwählten Kreis von Freunden und Verwandten, der durch verschiedene Einschluss- und Ausschlussmechanismen entstanden ist und zentrale Elemente des Romans wie beispielsweise die unaufhörlichen Kunstgespräche erst ermöglicht. Diesen Unterschied thematisiert Oehlenschläger in seiner Vorrede jedoch nicht; vielmehr endet er, wie es auch Schnabel getan hat, mit einer Captatio benevolentiae in Bezug auf seinen Gebrauch der deutschen Sprache, wovon in der Einleitung zu dieser Arbeit (Kap. 1.1) bereits die Rede war; ferner betont er nochmals, dass sein Roman keine Übertragung aus dem Dänischen sei, sondern ein eigenständiges Werk, ein Original. Diese Vorrede, die weit ausgreifend vom frühen Eindruck der Kindheitslektüre über die Erläuterung der Romangattung und die Beschreibung ihrer wichtigsten Vertreter den Leser ganz allmählich an die Umstände des eigenen Buches heranführt, wirkt trotz der Ablehnung einiger imaginierter Einwände in ihrem ganzen Duktus ruhig und gelassen, dies im Gegensatz zur satirisch-polemischen Grundhaltung von Schnabels Vorreden. Auch entstehen bei Oehlenschläger keinerlei Zweifel bezüglich der Rahmenfunktion seines Vorwortes, das klar gegen den „Haupttext“ abgegrenzt ist und nicht von Elementen des Romans infiltriert wird, wie beispielsweise im Fall von Schnabels Romanfiguren. 40 Es handelt sich um das schon in Kap. 1.3 erwähnte Gedicht Min barnlige Dannelse [Meine kindliche Bildung] von 1802, in Poetiske Skrifter (1857-1862, 19: 47-53, die Strophe zu Robinson: 48). 41 Z. B. Des Dichters Heimat , in : Schriften (1829-1830, 18: 84, die Strophe betr. Robinson ist nur in der deutschen Fassung dieses Gedichtes vorhanden); Den italienske Digter blandt de Vilde [Der italienische Dichter unter den Wilden] , in: Prometheus (1833, 3: 355); Digterbesøget [Der Dichterbesuch], in: Prometheus (1833, 4: 10). 4.1 Der Paratext als Reflexion des Prätextes: Titel und Vorreden 121 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Vorrede zu Øen i Sydhavet Die dänische Vorrede zu Øen i Sydhavet von 1824 beginnt, wie jene Schnabels, mit einer direkten Leseranrede, die auf den ersten Blick schon die illokutionäre Tendenz dieses Textes anzeigt. Dem Leser wird unterstellt, kein Freund von Vorreden zu sein; dennoch müsse - in aller Eile und so kurz wie möglich - drei Einwänden begegnet werden, die zwar nicht der angesprochene Leser, aber ein anderer gegen das Buch vorbringen könnte ( ØS I: III ). Diese Aufspaltung der Leserinstanz maskiert nur notdürftig den Anspruch, den Leser in der rechten Auffassung des Romans anzuleiten. Das ganze Vorwort ist rhetorisch stringent auf den drei Einwänden und deren - trotz versprochener Kürze - vergleichsweise ausführlicher Entkräftung konstruiert. Der erste mögliche Kritikpunkt betrifft, wie in der deutschen Vorrede, die Originalität des Romans, die angeblich in Zweifel gezogen wird, da es sich auch bloss um eine Umarbeitung einer alten Vorlage handeln könnte. Der zweite Punkt gilt dem Prestige der Romangattung als solcher: Ein Kritiker könnte sie als untergeordnet bzw. zweitrangig einstufen und fragen, ob ein Autor, der zu Besserem fähig wäre, darauf so viel Zeit verschwenden solle. Drittens könnte, ebenfalls wie in der deutschen Version, die Geschlossenheit von Øen i Sydhavet angezweifelt werden, mit dem Bedenken, ob dieser Roman nicht eher eine lose Kette von Erzählungen sei. Als Erwiderung auf den ersten Einwand zitiert Oehlenschläger aus seiner Einladung zur Subskription, 42 in der er klargestellt hatte, dass der angebotene Roman zwar auf einer älteren Vorlage basiere, aber dennoch ein neues Werk sei; zur Untermauerung dieser Feststellung fasst er die schon in der deutschen Vorrede zu diesem Thema angeführten Erklärungen kurz zusammen. Im Subskriptionsplan argumentiert er für den Kauf des Romans mit der Erwähnung einer kürzlich von ihm herausgegebenen Gedichtsammlung, die trotz Bekanntheit der meisten Gedichte viele Subskribenten gefunden habe; umso mehr hoffe er nun auf zahlreiche Subskribenten auch für den Roman, der neu sei und zur Unterhaltungslektüre für die Allgemeinheit („almindelig Morskabslæsning“) werden könne ( Dagen 123: 24. 5. 1824 [3]). Damit spielt er auf Rasmus Nyerups 1816 unter dem Titel Almindelig Morskabslæsning i Danmark og Norge igjennem Aarhundreder [Unterhaltungslektüre für die Allgemeinheit in Dänemark und Norwegen durch Jahrhunderte] erschienene Abhandlung zur Volksliteratur an, in welcher Nyerup unter der Rubrik „Robinsonaden“ auch Schnabels Wunderliche Fata bespricht und vor allem in seiner Einleitung das Ansehen der vielgelesenen, aber nicht sehr geachteten Volksliteratur verteidigt (Nyerup 1816: XIV - XIX ). 43 Oehlenschlägers Eintreten für die Romangattung weist verschiedene Parallelen zu Nyerups Gesichtspunkten auf. Implizit wird hier auch einer der Gründe sichtbar, weshalb er Schnabels Roman als Basis für seinen eigenen wählt: Offensichtlich soll Øen i Sydhavet ein Volksbuch werden, das quer 42 Erschienen in der Zeitung Dagen , Nr. 123 vom 24. Mai 1824. Liebenberg druckt die Subskriptionseinladung in Poetiske Skrifter ab (1857-1862, 27: 356), stützt sich dabei aber auf Oehlenschlägers Selbstzitat, das an einigen Stellen etwas vom Wortlaut der Veröffentlichung in Dagen abweicht. 43 Ein Beispiel für die grosse Verbreitung der Wunderlichen Fata gibt übrigens Oehlenschläger selber in seinem „Idyl“ Den lille Hyrdedreng [Der kleine Hirtenknabe], in dem eine einfache Hirtin in den Schweizer Bergen zum Erstaunen eines gebildeten Städters mit Schnabels Roman bestens vertraut ist (1818: 15). Zugleich ist die Stelle ein Indiz für Intertextualität auch in Texten Oehlenschlägers, die an entlegenen, scheinbar literaturfernen Orten spielen. 122 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 durch alle Schichten von der ganzen Nation rezipiert wird. 44 Die Funktion von Schnabels Roman wäre so gesehen die eines Vehikels zur Vermittlung von literarischem und künstlerischem Kulturgut, das sonst vom „einfachen Volk“ kaum zur Kenntnis genommen würde. Der bei weitem längste Passus der dänischen Vorrede gilt der Verteidigung der Romangattung, wofür Oehlenschläger ein beträchtliches Arsenal an rhetorischen Wirkungsmitteln aufwendet; in dialektischer Manier spannt er seine Argumentation zwischen den Polen „alles“ und „nichts“ auf: der Dichter kann alles in den Roman legen, was in ihm lebt, was er an Weltwissen besitzt - es gibt nichts in Zeit und Raum, im Leben und in der Wissenschaft, was nicht im Roman Platz fände ( ØS I: VI ). Das Verteidigungsvokabular rückt den Roman gar in biblische Sphären, denn er sei „Fleisch von unserem Fleisch, Geist von unserem Geist“ („Kjød af vort Kjød, Aand af vor Aand“, ØS I: VI ). Durch die Verwendung von Prosa, der natürlichen Sprache des Menschen, werde die Sprache entwickelt, und zwar nicht nur für die Kunst, sondern auch für das Leben, wobei aber auch Verse durchaus in den Roman eingefügt werden könnten. Die Verteidigung steigert sich zur Aufzählung einer grossen Bandbreite von Fähigkeiten des Dichters, die der Roman in sich aufnehmen könne: Phantasie, Gefühl, Humor, Feuer, Verstand, Witz, Laune, etc. ( ØS I: VII ). Diesem Katalog entspricht die Aufzählung von Dichtern, die als grösste Genies gepriesen werden, von Boccaccio über Cervantes und Rousseau bis zu Fielding, Sterne, Scott, und zu Goethe und Jean Paul: sie alle, zusammen mit mehreren Ungenannten, hätten sich dem Roman gewidmet und dadurch unvergänglichen Lorbeer erworben ( ØS I: VIII ). Es überrascht nicht, dass in dieser europäischen „Tour d’horizon“ kein einziger Autor aus dem Norden genannt wird, denn Oehlenschlägers Vorrede zielt ja gerade darauf ab, den Roman in Dänemark als ernstzunehmende Literaturgattung zu etablieren. Dennoch wäre zumindest die Erwähnung Holbergs denkbar gewesen, dessen utopischer Roman Niels Klims unterirdische Reise, obwohl 1741 ursprünglich in lateinischer Sprache erschienen, rasch europäische Berühmtheit erlangt hatte. Aber nicht zuletzt Holbergs scharfe Kritik, die er trotz der Schaffung eines eigenen Romans an dieser Gattung übte, dürfte die Nennung seines Namens verhindert haben. Für ihn handelte es sich um eine minderwertige, unnütze, ja sogar schädliche Gattung, die hauptsächlich vom Pöbel geschätzt werde ( Epistler 1: Ep. 63). 45 Holberg vertrat dem Roman gegenüber also genau die Auffassung, die Oehlenschläger in seiner Verteidigung bekämpft. Die intensiven Gattungsdiskussionen der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts lassen darauf schliessen, dass der Roman auch in Dänemark eine viel beachtete und in allen Kreisen der Gesellschaft gelesene Literaturform war, die - anfangs vorwiegend in Übersetzungen rezipiert - zunehmend eigene Werke 44 Der Autor schreibt denn auch über die Idee zu seinem Roman an Cotta: „[…] die alte Erzählung von Albertus Julius oder Felsenburg […] würde ein Buch für alle Leute werden“ (Brief vom 21. 8. 1821, Breve B / 3: 177). Die Schilderung einer solch „flächendeckenden“ Verbreitung von Lektüre findet sich in seiner wenige Jahre zuvor entstandenen Komödie Robinson i England (1819, deutsch 1821), in der Defoe sich in einer längeren Passage ausmalt, dass sein Buch „in jedem Hause“, von jedem Alter, Geschlecht, Beruf und Stand, ja, von der ganzen Nation gelesen werde, vom Königshaus „gebunden im rothen Marokin mit goldnem Schnitt“, bis zum Bettler, der es sich als „zerrissne[n] Lumpenband […] geliehen“ ( Robinson in England 1821: 50-51). 45 Eine ausführliche Darstellung von Holbergs Verdammung, die nicht nur den Barockroman, sondern auch die Romantypen der Aufklärung bis hin zum bürgerlichen Roman umfasste, gibt Hakon Stangerup in seiner informativen und gründlichen Abhandlung über den Roman in Dänemark im 18. Jahrhundert (1936: 40-46). 4.1 Der Paratext als Reflexion des Prätextes: Titel und Vorreden 123 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 hervorbrachte und sich schliesslich, wie Stangerup feststellt, um etwa 1770 als ästhetisches Genre endgültig durchsetzte (1936: 168). Es war also Anfang des 19. Jahrhunderts strenggenommen nicht mehr notwendig, sich für das Ansehen des Romans einzusetzen. Doch wie aus Oehlenschlägers Vorrede implizit hervorgeht, tritt der Autor weniger für den Roman als generelle Gattung ein, als vielmehr für einen speziellen Typus, nämlich den romantischen Roman, der in Dänemark damals tatsächlich ein Novum war, 46 es aber nicht lange bleiben sollte, denn Autoren wie H. C. Andersen, B. S. Ingemann und Carsten Hauch, um nur die bekanntesten zu nennen, publizierten fast gleichzeitig ebenfalls Romane, in denen sie Elemente dieses Typus in verschiedener Ausprägung gestalteten. 47 Den dritten antizipierten Kritikpunkt, der die fehlende Einheit des Romans und das Auftreten zweier Helden statt eines einzigen betrifft, kontert der Autor im Wesentlichen mit ähnlichen Argumenten wie in der deutschen Version seiner Vorrede, allerdings nun mit einem gewissen Trotz, indem er fragt, wo denn geschrieben stehe, dass es nur einen einzigen Helden geben dürfe, und wo, dass es überhaupt einen Helden geben müsse ( ØS I: IX , gesperrt im Original). Diese letzte Frage eröffnet scheinbar einen weiten Raum für Diskussionen des Heldenbegriffs, hinter dem sich verschiedene Konzeptionen und Anschauungen verbergen können: Ist der „Held“ lediglich als Protagonist, d. h. als handelnde Person ohne positive oder negative Vorzeichen zu verstehen, oder doch im Sinne althergebrachter literarischer Tradition als Vorbildfigur? Wäre bei der ersten Definition an einen Text ohne Protagonisten zu denken, und damit an einen Vorgriff auf Romanformen, wie sie erst im 20. Jahrhundert entstehen sollten? Oehlenschläger übergeht diese möglichen Diskussionen ohne weitere Erklärung und gibt stattdessen eine Inhaltsangabe seines Romans, die im Vergleich zum deutschen Text um einige wesentliche Punkte gekürzt ist, indem weder von „freiwilligen Robinsonen“ noch von Seelenwanderung die Rede ist. Der naheliegendste Grund für diese Kürzung scheint die anfangs supponierte Abneigung des Lesers gegen Vorreden zu sein; denkbar ist aber auch, dass Oehlenschläger die Aufmerksamkeit des Lesers nicht auf ein Stück wie Robinson i England lenken wollte, dem nur wenig Erfolg beschieden war. Dazu würde auch sein vielsagendes Eingeständnis an die Adresse des Lesers passen, er freue sich, wieder einmal, nach recht langem Schweigen, gelesen und wenn möglich geschätzt zu werden. Diese sehr direkte Form der Captatio wurzelt offensichtlich in der jahrelangen Literaturfehde zwischen dem Autor und Baggesen, die besonders dank Baggesens witzig-parodistischer Polemik dazu beitrug, dass verschiedene Stücke Oehlenschlägers vom Publikum kritisch, wenn nicht gar ablehnend aufgenommen wurden. 46 Allerdings war Øen i Sydhavet nicht der erste romantische Roman in Skandinavien; dieses Primat gebührt einem zwischen 1810 und 1822 in der literarischen Zeitschrift Poetisk Kalender erschienenen Textkonglomerat des schwedischen Autors Vilhelm Fredrik Palmblad, dessen aus mehreren Kurzromanen bestehenden, durch strukturelle und selbstreferentielle Merkmale zusammenhängenden Text Klaus Müller-Wille als ersten romantischen Roman Skandinaviens bezeichnet (Müller-Wille 2016: 151-152). 47 Diese Fülle von Prosapublikationen veranlasst Erik Svendsen, Steffen Auring und Søren Baggesen, die Anerkennung der Prosa als literarisches Genre auf diese Zeit, also die Mitte der 1820er Jahre zu legen; der Gegensatz zu Stangerups Datierung ist nur scheinbar, da die drei Autoren offensichtlich die genuine dänische Prosa meinen. Sie heben denn auch hervor, dass sich der Durchbruch des Prosagenres dank intensiver Rezeption von Übersetzungsliteratur schon seit längerer Zeit vorbereitet habe (Svendsen u.a. 1984, 5: 397-398). Diesen Befund belegt neben Stangerup auch Munch-Petersen (1991: v. a. 1-61, sowie Statistiken 303-307). 124 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Die Vorrede endet mit der Information an potentielle Übersetzer, der Autor selber habe eine deutsche Übersetzung besorgt, die bereits im Druck sei. Wie erinnerlich, hatte Oehlenschläger im deutschen Vorwort betont, dass er „diese Dichtung […] zuerst deutsch geschrieben“ habe ( IS I: XIII ; gesperrt im Original). Begreiflicherweise stellt er nun in der dänischen Version die Situation anders dar, denn nicht nur geht es ihm darum, den Roman gegen den Vorläufer von Schnabel abzugrenzen, sondern ihn auch als dänisches Original auszugeben. Wie die im 2. Band der dänischen Erstausgabe von 1824-25 eingeheftete Subskribentenliste zeigt, hatte er mit dieser Taktik immerhin eine gewisse Resonanz, denn neben dem Königshaus unter Frederik VI., das für gut 30 Exemplare zeichnete, subskribierten noch gegen 200 weitere Interessenten. 48 Dänische und deutsche Vorreden im Vergleich Die Unterschiede zwischen dem dänischen und dem deutschen Vorwort zeigen sich neben den erwähnten Differenzen auch im Tonfall: im Gegensatz zum gemächlich und vertrauensvoll dahinfliessenden Duktus des deutschen Textes scheint die dänische Fassung in einem fast hektisch wirkenden Staccato geschrieben, in deutlicher Abwehrhaltung, an gewissen Stellen gekränkt, auch kämpferisch, um nicht zusagen trotzig: Darin zeigen sich wohl Reflexe der erwähnten Literaturfehde, die über Jahre Oehlenschlägers Haltung prägte, aber auch Spuren des Kampfes um die Anerkennung seiner Werke als Originaldichtungen 49 und seines Einsatzes für die Akzeptanz des Romans als valable literarische Gattung. Die Vorreden sämtlicher späterer Fassungen weisen gegenüber den Erstausgaben in beiden Sprachen drastische Kürzungen auf: Alle literarischen und gattungstheoretischen Reflexionen sind getilgt; in den beiden gekürzten deutschen Ausgaben von 1839 resp. 1911 fehlt auch die Erklärung zur Abfassung in deutscher Sprache und die Bitte um Nachsicht für einen fremdsprachigen Dichter. Von den zehn Seiten des Vorwortes der dänischen Erstausgabe ist in den beiden späteren nun in „Forord“ [Vorwort] umbenannten Vorreden der Ausgaben von 1846 und 1852 nur noch eine einzige Seite übriggeblieben; diese enthält allerdings den neuen Zusatz, Geist und Herz der beiden Hauptfiguren seien jene des Autors (ohne Seitenzahl), was den Schluss zulässt, dass die Hauptfiguren als Sprachrohr des Autors aufzufassen sind. Die Edition von1846 ist die letzte noch von Oehlenschläger redigierte Ausgabe. Liebenberg bringt 1862 den Roman als Band 27 und 28 von Poetiske Skrifter (1857-1862) ohne jedes Vorwort heraus, druckt aber in den Anmerkungen die ganze Vorrede der dänischen Erstausgabe ab, mit erläuternden Informationen zu seiner Vorgehensweise als Herausgeber. In der Gyldendalschen Ausgabe von 1904 fehlt das Vorwort des Verfassers ganz, dafür wird die Entstehungsgeschichte des Romans resümiert, dann folgen Zitate aus Liebensbergs Erläuterungen und Oehlenschlägers „Erindringer“ [Erinnerungen] zum Roman. 48 Zu den Subskriptionslisten im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Dänemark vgl. Mai (2010: 128-130). Ihre Untersuchung zeigt, dass die Zahl von ca. 230 Subskribenten im Rahmen des Üblichen lag. 49 In der Betonung des Originalitätsanspruchs zeigt sich wohl noch immer ein Reflex auf Baggesens Kritik, insbesondere auf dessen heftige Angriffe in Dramaturgisk Kritik, die sich nicht zuletzt gegen Oehlenschlägers Verteidigung seiner Umschaffung bereits existierender Stoffe richten: Baggesen stuft seinen Kontrahenten als blossen Nachahmer und keineswegs als Schöpfer ein, z. B. in seiner vernichtenden Besprechung von Oehlenschlägers Stück Røverborgen [Die Räuberburg] (Baggesen 1847, 12: 1-3). 4.2 Textanfänge / Anfangstexte 125 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 4.2 Textanfänge / Anfangstexte Nach der Besprechung der Vorreden als paratextuelle, d. h. vom „Haupttext“ gesonderte Elemente bezieht sich die folgende Untersuchung auf die Anfänge der beiden „Haupttexte“ und wird fortgeführt bis zur entscheidenden Wende im Schicksal des beide Romane einleitenden Protagonisten Eberhard Julius. Die Romanhandlung der IS beginnt mit einer Kette von Negativsätzen: Die Beschreibung des Studentenlebens von Eberhard Julius in Leipzig konstruiert sich aus einer Negation aller herkömmlichen studentischen Verhaltensweisen, denen sich Eberhard durchwegs verweigert. Dieses resignativ wirkende Hineingleiten in Eberhards Geschichte bildet einen auffälligen Kontrast zum Paukenschlag, mit dem Schnabel sein erstes Kapitel eröffnet: Die Geburt des Ich-Erzählers Eberhard Julius ereignet sich gerade in der Stunde, „da die bekandte grosse Sonnen-Finsterniß ihren höchsten und fürchterlichsten grad erreicht hatte“ ( WF I: 21). Erzähltechnisch gesehen, wählt Schnabel mit dem Bericht von Eberhards Geburt einen Anfang „ab ovo“; dieser bekanntlich von Horaz geprägte Begriff steht für einen weitschweifigen, umständlichen Texteinstieg, den Horaz zugunsten eines sofort zur Sache kommenden, den Hörer „in medias res“ hineinreissenden Beginns verwirft (Horaz 2018: 622, V. 146-149). Doch das effektvoll eingesetzte Ereignis der Sonnenfinsternis zieht den Leser ebenfalls energisch in die Romanhandlung hinein, genau wie von Horaz für die Dichtung seiner Zeit gefordert. Gleichzeitig positioniert Schnabel mit der Erwähnung der Sonnenfinsternis das Geschehen in einen überindividuellen zeitlichen Raum, wobei er eine Anfangstradition, den Topos des „Sonneneingangs“ 50 durch das Bild der verdunkelten Sonne zwar andeutet, jedoch scheinbar zugleich ausblendet. Dabei weist aber das machtvolle Zeichen der totalen Sonnenfinsternis gerade auf den Anfang aller Anfänge, denn die „Finsternis“, das Fehlen des (Sonnen-)Lichts verbindet den Text mit dem Anfang der Genesis, als das Licht noch nicht erschaffen, die Erde noch „wüst und leer“ war ( Genesis I, 2) - eine Textbeziehung, die den Charakter des Romans als Schöpfung, als Welterschaffung signalisiert. Die Geburt zum Zeitpunkt der Sonnenfinsternis ist im Roman mit der Frage verknüpft, „[o]b denenjenigen Kindern, welche um die Zeit gebohren werden, da sich Sonnen- oder Mond-Finsternissen am Firmamente præsentieren, mit Recht besondere Fatalitäten zu prognosticiren seyn“ ( WF I: 21), eine Frage, die umso mehr Gewicht erhält, als sie den allerersten Satz von Schnabels Romanhandlung bildet. Ihre Beantwortung erscheint im Textzusammenhang durchaus ambivalent: Zunächst wird sie im weiteren Gang der Handlung bejaht, denn Eberhard erleidet als Student kurz nacheinander zwei Schicksalsschläge, die ihn in tiefe Verzweiflung stürzen und seiner Existenz auch in materieller Hinsicht die Basis zu entziehen drohen. Durch erneutes Eingreifen des Schicksals wendet sich dann jedoch alles zum Guten, so dass die Frage - auf den Lebenslauf der Ich-Figur Eberhard bezogen - letztlich verneint werden kann. 51 50 Laut Volker Klotz handelt es sich um einen im 17. Jahrhundert verbreiteten Anfangstopos, der als Romanbeginn auch in späteren Jahrhunderten gebräuchlich blieb (Klotz 1965: 31). Auch Goethes Dichtung und Wahrheit beginnt bekanntlich mit der Schilderung der Konstellation der Gestirne, wie sie zum Zeitpunkt der Geburt des Autors bestand, wobei an erster Stelle die Position der Sonne beschrieben wird (Goethe 1948-1971, 10: 15). 51 Zur realen Sonnenfinsternis, die an dem von Schnabel angegebenen Datum tatsächlich stattfand und einer zeitgenössischen astrologischen Voraussage zufolge eine Reihe schlimmster Katastrophen an- 126 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Während also die WF syntaktisch mit einer Frage beginnen, bildet in den IS , wie erwähnt, eine Reihe von Negativsätzen den Anfang des Textes. Dies erweckt in der Gegenüberstellung der beiden Anfänge den Eindruck einer Frage-Antwort-Beziehung zwischen Folge- und Prätext, mit anderen Worten: Es entsteht ein dialogisches Verhältnis zwischen den Texten, denn die negativ konnotierten Anfangssätze des Folgetextes lesen sich wie eine indirekte Antwort auf die Frage des Prätextes nach den besonders ungünstigen Lebensaussichten für ein während einer Sonnenfinsternis geborenes Kind, und zwar, so lässt die in den Negationen zum Ausdruck gebrachte Schwermut des Protagonisten vermuten, eine Antwort, welche die Sonnenfinsternis als böses Omen bewertet. Die Häufung der Negationen verleiht denn auch dem an sich neutralen und doch vielsagend an Schnabels Frage anknüpfenden Titel des ersten Kapitels: „Die Ahndung“ ( IS I: 1) eine düstere Färbung. Inhaltlich greift das Anfangskapitel eine Szene des Prätextes auf, die den jungen Eberhard Julius als Student in Leipzig zeigt, wo er, obwohl von seinem Vater reichlich mit Geldmitteln ausgestattet, die vielfältigen Möglichkeiten zum „vergnügten Zeit-Vertreibe“ ( WF I: 24) nicht nutzen kann, da ihn die Trauer über den Tod seiner Mutter in einem Zustand der Schwermut festhält. Diese Situation bildet den Ausgangspunkt des Folgetextes, ein Anfang also, der dem Horaz’schen „in medias res“ entspricht, aber dennoch den Leser aufgrund der negativ getönten Atmosphäre des Textes weit weniger energisch in das Romangeschehen hineinzieht als Schnabels „ab ovo“-Beginn. Im Folgetext zeigen sich ganz bestimmte Modifizierungen des Prätextes, deren erste und augenfälligste das Auftreten eines auktorialen Erzählers ist, welcher Eberhard in den IS zu einer erzählten Figur werden lässt - ein Wechsel von der ersten zur dritten Person, den Genette in der intertextuellen Beziehung zwischen Prätext und Folgetext als „Transvokalisierung“ resp. „Transvokalisation“ bezeichnet (Genette 1993: 288 und 398-401). Ausserdem legt der Text von Anfang an seine Durchlässigkeit gegenüber anderen Texten durch den Einbezug von Zitaten offen; schon im zweiten Satz wird „Auerbachs Keller“ erwähnt, samt den auch optisch aus der Textumgebung herausgehobenen Versen des berühmten Trinkliedes „Uns ist ganz kannibalisch wohl […]“ aus Goethes Faust, Verse 2293-2294 (Goethe 1948-1971, 5: 212), womit nicht nur ein weiterer Prätext ins Spiel kommt, sondern auch die Andeutung einer Parallele zur Faust-Figur sichtbar wird, denn wie Faust lehnt Eberhard das Treiben in Auerbachs Keller ab. Die Negationen setzen sich über zwei Seiten hin fort, bis sie im Satz „Eben unter Menschen möchte ich ein Mensch zu seyn verlernen“ kulminieren ( IS I: 3. Sinngemäss zitiert aus Nathan der Weise , I, 3; Lessing 1971, 2: 223). Nicht anders als beim Faustzitat bleibt auch hier die Quelle ungenannt; allerdings wird darauf hingewiesen, dass es sich um die Worte „eines späteren grossen Schriftstellers“ handle ( IS I: 3). Ein weiteres Zitat, das diese Negativperspektive schliesslich bis zur Imagination des Todes führt, diesen aber gleichzeitig transzendiert, stellt die Erwähnung des Kirchenliedes „Jesus meine Zuversicht“ dar. 52 In einer gegenläufigen Bewegung zu dieser Öffnung nach aussen, zu anderen Prätexten hin, fokussiert der Text jedoch gleichzeitig ein Inneres, genauer, einen geschlossenen Innenraum: das Zimmer des Protagonisten; es ist mit einem kündigte, vgl. Brosche (2000-2001: 9-18). 52 Dieses Lied, das erstmals im Jahr 1653 im Gesangbuch „D. M. Luthers und anderer vornehmen geistreichen und gelehrten Männer geistliche Lieder und Psalmen“ in Berlin erschien (Fischer, A. F. W. 1878-1886, 1: 390), wurde als Auferstehungslied verstanden und als Osterlied rubriziert (wie übrigens auch noch in heutigen Kirchengesangbüchern). 4.2 Textanfänge / Anfangstexte 127 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 „gelben plüschenen Canapee“ möbliert, über dem „das wohlgetroffene Bild seiner Mutter“ hängt ( IS I: 4). Mit den Attributen „niedlich und sauber“ weist das Zimmer auf weiblich konnotierte Stereotypien, 53 und tatsächlich ist es die Mutter, die Eberhards Charakter und Neigungen geformt hat, da sie als Nachfahrin von Luther Bildung besitzt und ihrem Sohn die Liebe zur Musik, besonders zu Kirchenliedern und geistlichen Gesängen, vermittelte. Auf diese bedeutsame Rolle verweist auch ihr dominierendes Bild im Zimmer des Sohnes. In den IS findet insofern eine Verschiebung gegenüber dem Prätext statt, als Eberhards Schwermut nicht durch den Tod der Mutter, sondern durch die Trennung von ihr verursacht wurde. Dabei steigert sich der Trennungsschmerz in Eberhard zu einer schrecklichen Ahnung und wird schliesslich, als er beim Mondschein traurig und allein in seinem Zimmer sitzt, zu einem deutlichen Vorzeichen, da ihm eine Träne das Kerzenlicht vor dem Bild der Mutter auslöscht und gleich darauf ein „blasser Mondstrahl“ auf das Bild fällt ( IS I: 5). Das Zusammenspiel von erloschenem Licht, Mond, Ahnung und Omen kann als sachter Reflex von Schnabels Sonnenfinsternis gelesen werden. Die Sequenz der nun folgenden Ereignisse des Prätextes erscheint auch in den IS , jedoch wieder, wie schon in der eben geschilderten Szene, um eine Stufe verschoben oder versetzt. In den WF wird Eberhards Schwermut zwar kuriert, doch plagt ihn bald darauf die Vorahnung eines neuen bevorstehenden Unglücks, das auch tatsächlich eintritt: Es ist der finanzielle Ruin seines Vaters. Dessen Brief mit der entsprechenden Nachricht paralysiert Eberhard zunächst vollkommen: „Ich fiel nach Lesung dieses Briefes, als ein vom Blitz gerührter, rückwarts auf mein Bette, und habe länger als 2. Stunden ohne Empfindung gelegen“ ( WF I: 27). Aus der tiefen Verzweiflung, die auf die Paralyse folgt, rettet er sich endlich mit dem Gesang des frommen Trostliedes „Gott der wird’s wohl machen“ und der Lektüre von Bibelstellen; zudem fasst er den Entschluss, zum Zeichen besonderer Demut und Gottesfurcht sein Jurastudium aufzugeben und stattdessen Theologie zu studieren ( WF I: 27). Eine ähnlich heftige Reaktion zeigt Eberhard auch in den IS , jedoch ist sie gegenüber den WF verschoben, denn sie erfolgt nicht auf den Bankrott des Vaters, sondern wird durch den ersten Schicksalsschlag, den Tod der Mutter, ausgelöst. Auf diese Weise werden die beiden Ereignisse - der Untergang des materiellen Reichtums ( WF ) und der Verlust der Mutter ( IS ) - parallelisiert, jedoch zugleich im Licht der auf sie bezogenen Reaktionen kontrapunktisch gegeneinander gesetzt; dies führt dazu, dass sie als Dichotomie zwischen Materialismus einerseits und Gefühl, Kunstsinn, Liebe andrerseits erkennbar werden, eine Polarisierung, die sich in den Elternfiguren der IS fortsetzt: Der idealistisch gesinnten Mutter steht der als Materialist gezeichnete Vater gegenüber: „[e]in Mann von beschränktem Geiste, der dem Glücke sein grosses Vermögen verdankte“ ( IS I: 3). Eberhard erscheint durch sein Verhalten beim Empfang der Todesnachricht der Liebe zugeordnet: „[er] schrie, weinte und warf sich wie ein Wahnsinniger zur Erde. Eine ganze Stunde lag er so, verlassen und allein, seinen stürmischen Gefühlen hingegeben […]“ ( IS I: 7). Die leidenschaftliche Reaktion offenbart ödipale Züge: er wirft sich auf die „Mutter“ Erde. Die Figur des Vaters wird dabei gleichsam ausgeblendet, obwohl sein Brief mit der Mitteilung vom Tod der Mutter im Unterschied zu den WF nicht nur referiert, sondern im Wortlaut wiedergegeben wird - in Formulierungen, die den philiströsen Charakter des Briefautors grell beleuchten. Doch 53 Die Beschreibung lässt auch an Gretchens „kleines, reinliches Zimmer“ denken, womit wiederum auf Goethes Faust verwiesen würde (Goethe 1948-1971, 5: 225). 128 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Eberhard nimmt keinerlei Notiz von der Unangemessenheit der Ausdrucksweise, auch davon nicht, dass der Vater dem Schreiben, um dem Sohn „den Verlust einigermassen zu erleichtern […], einen Wechsel von 500 fl. beigefügt [habe], bei dem Hause Gumprecht et Comp. in Leipzig nach Sicht zahlbar“ ( IS I: 7). Eberhard „las nur seiner Mutter Tod aus den schwarzen Buchstaben heraus“ ( IS I: 7). Die Negationen des Romanbeginns sammeln sich wie zu einem Konzentrat im Brief mit der Todesnachricht, der zugleich die erste Lektüre im Roman darstellt. Aber diese schriftliche Nachricht bringt nur die Bestätigung der schon aus dem Bild der Mutter und dem Mondstrahl gelesenen Botschaft. Lektüre bezieht sich folglich nicht nur auf Schrift, sondern auch auf andere Zeichen, d. h. die Schriftzeichen („schwarze Buchstaben“) reihen sich als Zeichen unter anderen in das aus Natur (Mond) und Kunst (Bild) gefügte Zeichenarsenal ein. Allerdings sind es die Schriftzeichen, die Ahnungen und Ängste „schwarz auf weiss“ zu Tatsachen festschreiben. Damit deutet die erste explizite Erscheinung von Schrift im Roman auf Gewissheit, Erstarrung, Tod. Wie in den WF schöpft Eberhard auch in den IS schliesslich Trost aus einem Kirchenlied, das er allerdings nicht selber auswählt, sondern gewissermassen „von oben“ zugesendet erhält: Vom nahen Kirchturm herab hört er die Melodie von „Jesus meine Zuversicht“, das die Mutter schon früh zu ihrem Begräbnislied bestimmt hatte ( IS I: 4), 54 und dessen Klänge nun ihr Bild zum Leben zu erwecken scheinen, denn es betrachtet ihn „voll Wonne, mit innigem Mutterblick, wie zum Abschiede“ ( IS I: 8). Darauf glaubt Eberhard „der Mutter Geist von den reinen Klängen wie auf Engelschwingen zum Himmel hinaufgetragen zu sehen“ ( IS I: 8). Die erste Erwähnung von Schriftlichkeit im Roman ist also mit dem Tod verknüpft, während sich im gehörten Lied die Auferstehung vollzieht, die den Tod transzendiert: Der Klang überwindet die „schwarzen Buchstaben“. Damit zeigt sich im Text ein generell in der romantischen Literatur vielfach thematisierter „Konflikt von Stimme und Schrift, Oralität und Literalität“ (Kremer 1997: 14), in welchem sie sich „zumeist für die lebendige Stimme entschieden hat, genauer gesagt: für den Nachhall oder die Simulation der lebendigen Stimme in der Schrift […]“ (Kremer 1997: 14). Die metaphysische Privilegierung der Stimme vor der Schrift, die seit Plato die europäische Philosophie massgeblich bestimmt hat und im 18. Jahrhundert besonders von Rousseau festgeschrieben wurde, lässt sich an dieser Darstellung ablesen. Und doch ist es, wie wir gesehen haben, nicht die Stimme, sondern die Schrift, die in Eberhard die stärkste Reaktion (schreien, weinen, sich wie ein Wahnsinniger zur Erde werfen) evoziert. 55 Seine Gemütsverfassung wird noch weiter ausgemalt; er schliesst sich tagelang in seinem Zimmer ein, will nicht getröstet sein, sondern hängt Erinnerungen nach, „um seine Trauer 54 Dasselbe Lied spielt auch in der Geschichte des Albert Julius eine wichtige Rolle: Seine Mutter lehrte es ihre Kinder als Trostgesang, nachdem der Vater ins Gefängnis verschleppt worden war, und es wird beim Abschied vom Vater am Vorabend seines Todes im Gefängnis von allen gemeinsam gesungen ( IS II: 65-66). Es hatte also auch in Alberts Geschichte die Funktion eines Begräbnisliedes und schafft so eine Verbindung und Parallele zwischen Alberts und Eberhards Schicksal, einer von vielen Hinweisen auf deren enge Beziehung - Oehlenschläger spricht ja von Seelenwanderung ( IS I: XII). 55 Die Diskussion der Privilegierung von Stimme vs. Schrift ist bekanntlich eines der wichtigen Themen in Derridas Grammatologie , in der er die phono- und logozentristische Position dekonstruiert. Bei ihm ist aber die Schrift nicht Zeichen, sondern Spur, die weiterverweist innerhalb eines Gefüges von Verweisungen, also nicht statisch, sondern dynamisch gesehen wird, während es sich bei der Schrift in Eberhards Fall um Zeichen handelt, die gerade nicht dynamisch, sondern unerbittlich starr sind. 4.2 Textanfänge / Anfangstexte 129 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 zu nähren“ ( IS I: 11-12), bis diese - wiederum in einem Zitat - ihren konzentrierten und abschliessenden Ausdruck findet: zwei Verszeilen, deren Autor nicht genannt wird, „passten ganz auf ihn“; sie stammen aus Goethes Gedicht Trost in Tränen , sind aber insofern abgeändert, als Goethes Zeile „Und hab ich einsam auch geweint“ (Goethe 1948-1971, 1: 62) nun in den IS lautet: „Und hab’ ich einsam mich gequält“, zudem sind in der nächsten zitierten Zeile „So ist’s mein eigner Schmerz“ die drei letzten Worte gesperrt gedruckt ( IS I: 12): Die Änderungen drücken eine leichte Akzentverschiebung, eine härtere Tonart im Vergleich zu Goethes Gedicht aus: Die Isolation, und damit ein gewisser Stolz, der in der einsamen Beschäftigung mit dem Schmerz liegt, werden betont, das Weinen dagegen (die süss fliessenden Tränen, die das Herz erleichtern, wie es bei Goethe in der Fortsetzung des Gedichts heisst), ist ersetzt durch Selbstqual. Auch im weiteren Verlauf des Romangeschehens sind es Schriftstücke, die Eberhards Schicksal bestimmen: Wie sein Pendant in den WF erhält er einen Brief von seinem Vater mit der Mitteilung vom finanziellen Ruin, den dieser durch den Betrug seines Geschäftspartners erlitten hat. Der Bankrott ist für den Vater das schlimmere Unglück als der Tod der Ehefrau: „[…] einen ungeheuren Verlust, der […] noch schmerzlicher als der Tod deiner Mutter ist“ ( IS I: 21). Auch in diesem Brief zeichnen seine eigenen Worte ihn als vollkommenen Materialisten, was in dem immer deutlicher zutage tretenden Wertesystem der IS als Synonym für eine lächerliche Figur zu lesen ist. Er kritisiert Eberhards Studienrichtung (der Sohn wäre besser Kaufmann statt Gelehrter geworden), empfiehlt ihm eine reiche Heirat und verabschiedet sich, wie der Vater in Schnabels Text, um nach Westindien zu reisen, wo er wieder zu Geld zu kommen hofft. Ein Detail verweist auf das Schreibverfahren des Briefautors: Er unterschreibt den Brief wie in alten Zeiten trotz der neuen Geschäftssituation mit „Martin Julius et Comp.“ und erklärt in einem Postscriptum diese Fehlleistung mit seiner „Gewohnheit“ und der selbstauferlegten Regel, „nichts mit der Feder auszustreichen“ ( IS I: 25). Dies deutet auf Automatismus und schematisches Handeln; er signiert hier geradezu die eigene Sturheit und mangelnde Flexibilität, die der Schreibprozess abbildet, und damit gewissermassen seine defizitäre Menschlichkeit, die zur Folge hat, dass er dem Sohn nicht als Vater begegnen kann. Inhaltlich deckt sich dieser Brief mit dem entsprechenden Schriftstück in den WF , das jedoch viel kürzer und in Bezug auf den Charakter des Vaters völlig neutral gehalten ist. Der Hauptunterschied aber liegt in den Reaktionen der beiden Söhne: Es wurde schon erwähnt, dass Eberhard in den WF durch die Bankrott-Mitteilung seines Vaters in Verzweiflung geriet; in den IS dagegen ruft dieser zweite Brief keinerlei Reaktion bei Eberhard hervor. Damit wird die bereits thematisierte Spaltung zwischen Materialismus und Idealismus von neuem akzentuiert. Immerhin informiert Eberhard, so darf der Leser aus dem Kontext vermuten, seine ehemalige, nun auch in Leipzig wohnende Amme Hanna Hellkraft über seine desolate finanzielle Situation. Diese in den IS neugeschaffene Figur, eine Schweizerin, wie mehrmals betont wird, überbrückt in ihrer Person die Spaltung, da sie einerseits, wie ihr sprechender Name unterstreicht, Vernunft und praktische Tätigkeit verkörpert, anderseits aber auch Bildung und Kunstsinn besitzt; dies zeigt sich, als sie und Eberhard die mit Gebeinen, Totenschädeln und den Figuren eines Totentanzes bemalten Wände einer Halle vor dem Friedhof in der Nähe ihres Hauses betrachten: Sie weiss die Todesdarstellungen mit Begebenheiten aus dem Dreissigjährigen Krieg zu verknüpfen - bezeichnenderweise handelt es sich um den Sieg Gustav Adolfs über Tilly in der Schlacht bei Breitenfeld, d. h. ein schwedischer König 130 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 verhilft dem lutherischen Glauben zum Sieg, 56 und sie singt auf Eberhards Wunsch Totentanzverse zu den Bildern der Friedhofshalle. Ihr Gesang vor den Bildtafeln vereint die drei Sparten Musik, Dichtung und Malerei zu einem Ganzen, einem Gesamtkunstwerk; als solches verstärkt es eindrücklich die dem Genre des Totentanzes inhärente Transzendierung des Todes durch die Kunst; zwar triumphiert ja der Tod über alles und alle, auch über den ihn darstellenden Maler, 57 und doch ist es am Ende die Kunst, die den Tod besiegt, da sie ihn auf das Bild bannen kann. Inhaltlich wird die Überwindung des Todes in den mittelalterlichen Realisierungen allerdings selten greifbar, wie z. B. der exemplarischen Textsammlung von Gert Kaiser zu entnehmen ist (Kaiser 1983). Dies hat seinen Grund in der Funktion des Totentanzes als memento mori, dessen zentrales Motiv, der plötzliche, jähe Tod, den Menschen keine Zeit für Reue und Busse lässt, so dass sie „im Zustand der Sünde“ der gewissen Verdammnis entgegengehen (Hammerstein 1980: 23-24). Anders in den IS : hier gibt der Tod in den Schlussversen zu, dass er den Geist nicht „vertilge“, und dass Gott den Menschen das ewige Leben schenke ( IS I: 19). Sogar der Totentanz wird also zu einem Trostlied für Eberhard. Im Lauf des Romans wird das Totentanzmotiv zweimal wieder aufgenommen ( IS II : 459-460 und IS IV: 256-257); sowohl die Schlusswie die Anfangsverse werden an signifikanten Stellen wiederholt und verknüpfen als intratextuelle Verweise verschiedene Erzählsequenzen miteinander, 58 d. h. die Wiederholung hat kohärenzbildende Funktion. 59 Die Kunst dominiert jedoch die geschilderte Szene nicht allein, denn Hanna dreht das Spinnrad zu ihrem Gesang: Der Einbezug des Handwerks verweist einerseits auf die stofflich-handwerkliche Grundierung der Kunst, andrerseits wirkt aber auch das Spinnrad selbst an der Kunstproduktion mit, da sein Schnurren eine Art Begleitmusik liefert. Metaphorisch wird es der Kunst sogar übergeordnet, denn das Rad dreht sich „wie mit dem Lebensfaden“, und Hanna wird mit einer „starken, ruhigen Parce“ verglichen ( IS I: 16). Und wie eine solche greift sie auch in Eberhards Leben ein, indem sie nun, da er mittellos ist, den Fächerka- 56 Wie sie erzählt, hätten die durch Fackeln plötzlich hell erleuchteten Todesdarstellungen Tilly und seinen Kriegsrat als böses Omen so erschreckt, dass sie in der Schlacht bei Breitenfeld besiegt worden seien, weshalb sie [Hanna] „diesen Todtenköpfen und Beingerippen nicht unhold seyn“ könne, denn durch diesen Sieg sei „der lutherische Glaube in Norddeutschland gesichert“ worden ( IS I: 20). In ihrer umfangreichen Publikation Litterær reformation [Literarische Reformation] erwähnt Pil Dahlerup im Zusammenhang mit der Darstellung des Totentanzgenres die Szene im Sinne eines Beitrags des Totentanzes zur Ausbreitung des Luthertums in Norddeutschland (Dahlerup 2016: 547). 57 So z. B. im Berner Totentanz von Niklaus Manuel, Strophen 88 und 89 (vgl. Kettler 2009: 81 und 189-191). 58 Zu den Schlussversen: Die letzte Totentanzstrophe erscheint in einer Episode der Geschichte von Eberhards Urgrossonkel Albert Julius noch einmal - als Inschrift eines Grabsteins. Dieses „Selbstzitat“ im Text ist Erinnerung, für den Leser wie für Eberhard als Zuhörer, und verschränkt intratextuell die zeitlich früher liegende, aber im Roman später erzählte Lebensgeschichte Alberts mit jener seines Nachfahren Eberhard ( IS II: 459-460). Zu den Anfangsversen: Albert Julius singt die erste Strophe im vierten Teil der IS , als ihm während seines detailreich geschilderten, langen Sterbens der Tod mit Sense und Stundenglas im Traum entgegentritt ( IS IV: 256-257). Der Anfang des Totentanzreigens bildet für den träumenden Albert die Einleitung zu einer ganzen Kette von Erscheinungen toter Verwandter und Freunde, eine Art personalisierter Totentanz, der Albert nochmals durch die Stationen seines Lebens geleitet und damit eine Kurzzusammenfassung seiner Lebensgeschichte liefert, die er während ungefähr zwei Jahren den Felsenburgern und den Lesern erzählt hatte. 59 Dass aber die Wiederholung zugleich mit Differenz einhergeht, zeigt der jeweils ganz unterschiedliche Kontext, in den die wieder aufgenommenen Strophen eingebettet sind und durch den sie neu beleuchtet werden (vgl. zur Diskussion dieser Thematik Zima 1997: 11-16). 4.2 Textanfänge / Anfangstexte 131 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 talog seines Studiums durchgeht und jedes einzelne Fach (Sprachen, Poesie, Philosophie, Geschichte, Musik) zur Bestreitung des Lebensunterhalts untauglich findet ( IS I: 28); in dieser negativen „Aufzählung“ wird eine weitere Faust -Parallele deutlich. Der „väterliche“ Brief wirft Eberhard aus seiner „mütterlich“ ausgerichteten Laufbahn und bringt in Hanna Elemente zum Vorschein, die sie zur Vaterfigur konstituieren, nachdem sie ursprünglich als Amme die Rolle einer Ersatzmutter hatte; damit hebt sie in ihrer Figur die Dichotomie von Eberhards Eltern auf. In den WF gibt es diesen Gegensatz zwischen den Eltern nicht: zwar ist es auch dort die Mutter, die Eberhards Studienrichtung bestimmt, denn ihr zuliebe studiert er Jurisprudenz; vom Vater gibt es aber keine Einwände dagegen. Die Divergenz der Eltern in den IS ruft einen anderen Text auf, der zu dieser Thematik die Folie bilden könnte: In Wilhelm Meisters Lehrjahre tadelt bekanntlich der Vater Wilhelms Theaterleidenschaft, während die Mutter zu dieser einst den Anstoss gab, indem sie ihren Kindern ein Puppentheater schenkte (Goethe 1948-1971, 7: 11-12). Sie übertrug damit ihr eigenes Theaterinteresse auf den Sohn, während der Vater an dieser Welt nicht teilhat. Es zeichnet sich also dieselbe Anordnung wie in den IS ab: die Mutter ist der Kunst zugeneigt, während der Vater auf der Seite des praktischen Lebens steht. Der Gegensatz zwischen den Eltern wird im 2. Kapitel dargestellt, d. h. wie in den IS in einem der Anfangskapitel des Romans. Parallel zur schärferen Konturierung der Elternfiguren wird die auch in Schnabels Roman wichtige Rolle der Schriftstücke in den IS noch stärker akzentuiert als in den WF . Wie erwähnt, gibt der Folgetext beide Briefe des Vaters in voller Länge wieder (nicht nur einen, wie in den WF ), wobei der zweite wesentlich länger und detaillierter ist als bei Schnabel; wiederum im Gegensatz zu diesem ergibt sich aus den beiden väterlichen Briefen in den IS eine (unbeabsichtigte) Selbstcharakterisierung des Vaters, die eigentlich der Karikatur eines Erzmaterialisten gleichkommt. Eberhard antwortet dem Vater auf dessen zweiten Brief (eine weitere Verschiebung gegenüber den WF , wo eine Antwort auf den ersten Brief erwähnt wird), um ihm Lebewohl zu sagen und den letzten erhaltenen Wechsel zurückzuschicken; dabei fliegt ein Ball von spielenden Kindern zum Fenster hinein und leert beinahe das Tintenfass über den Brief aus ( IS I: 33). Die Kinder, die sich auf diese Weise manifestieren, sind jene des Kaufmanns Nierenstein, der sie ohne Schulbesuch und ohne Hauslehrer aufwachsen lässt - es ist also die unkultivierte Natur, die mit dem Brief beinahe ein Produkt kultureller Praktik vernichtet. Zugleich verweisen sie indirekt Eberhard auf eine Verdienstmöglichkeit: er könnte die Kinder als Hauslehrer unterrichten. In diesem Zusammenhang kommt ein weiteres Schriftstück ins Spiel: ein Empfehlungsschreiben seines Vaters für den Kaufmann Nierenstein, das Eberhard diesem jedoch nie übergeben hat, da er, getreu seiner idealistischen Lebenseinstellung, der Meinung ist, dass „Bekanntschaften […] sich selber machen [müssten]“ ( IS I: 32). Auch diese beiden im Text nur erwähnten Schriftstücke sind also Instrumente zur Einleitung einer neuen Phase in Eberhards Leben: Er bewirbt sich nun beim Kaufmann Nierenstein um die Hauslehrerstelle. Dessen sprechender Name zeichnet ihn einerseits als komische Figur, sagt andrerseits aber auch einiges über sein Naturell aus, denn Nierensteine werden - nach medizinischen Erkenntnissen des 18. Jahrhunderts - nicht zuletzt durch „Missbrauch der Venus-Lust und des Weines“ verursacht (Zedler 1732-1754, 24: 801); auf die „Venus-Lust“ scheint die Erwähnung der schönen jungen Blondine anzuspielen, die sich seit dem Tod von Nierensteins Frau um Haus und Kinder kümmert, und mit der Nierenstein trotz ihrer Jugend sehr zufrieden ist, wie er sagt ( IS I: 38 -39); seine Neigung zum Weinge- 132 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 nuss wird aus seinen Reden ebenfalls deutlich und durch den Umstand unterstrichen, dass eine Weinsorte seinen Namen trägt, was seinen Freund, den Professor Schwefelkies, zu einem Vierzeiler inspirierte, den Nierenstein stolz zitiert ( IS I: 42) und damit implizit offenlegt, dass Poesie sogar in diesem materialistisch geprägten Umfeld zirkuliert. Nierensteins Name deutet aber auch auf Härte, und die bekommt Eberhard zu spüren, sobald der Kaufmann von seiner Mittellosigkeit erfährt. Studenten hält er im Allgemeinen für unbrauchbar, und zwar vor allem, weil sie seiner Ansicht nach zum Schreiben nicht taugen: „Studenten sind Genies! Können nicht rechnen, sind distrait, machen Dintenkleckse auf ’s Papier, und schreiben in der Regel eine schlechte Hand“ ( IS I: 40). Zudem nimmt er es Eberhard im Besonderen übel, dass dieser sich nie bei ihm gemeldet und ihm auch das Empfehlungsschreiben seines Vaters nicht überbracht hatte. Immerhin weist er ihn nicht rundweg ab, sondern schickt ihn zur „Prüfung“ zu Professor Schwefelkies. Diese ebenfalls mit einem lächerlich wirkenden Namen ausgestattete Figur ist nun vollends als Karikatur gezeichnet, in der laut Brynhildsvoll eine Gottschedparodie zu sehen ist (Brynhildsvoll 1996: 122). Allerdings könnte das Erscheinen des Professors mit Nachtmütze und Schlafrock auch den ersten Auftritt Wagners in Goethes Faust aufrufen, doch die zu Beginn der Szene genannten Werke haben durchaus Affinität zu Gottsched: Es sind die Acta eruditorum 60 und die opera omnia des Aristoteles, dessen Regelpoetik bekanntlich Vorbild für Gottsched war. Diese ehrwürdigen Werke erscheinen nun in komischem Licht, denn auf den Acta eruditorum steht ein Butterfass, während auf Aristoteles’ opera omnia eine Bratwurst liegt: die hochgelehrten Schriften in burlesker Manier verspottet durch die Bedürfnisse des Leibes. Die Komik dieser Fallhöhe wiederholt sich in den akademischen Belehrungen über den Namen und die Hausgötter der Stadt Leipzig, 61 die Schwefelkies an seinen Diener richtet, der jedoch keinerlei Interesse an diesen gelehrten Ausführungen zeigt, worüber Schwefelkies in grossen Zorn gerät. Möglicherweise bietet sein Name, ein anderer Ausdruck für Pyrit, d. h. Feuerstein, einen Hinweis auf die rasche „Entflammbarkeit“, aber natürlich auch auf die Härte seines Trägers, wie Eberhard bald erfahren wird. Schwefelkies streut in seine Rede immer wieder lateinische Floskeln ein und zitiert öfters ganze Sätze aus Ciceros Werken, wobei er die Zitate teilweise mit eigenen lateinischen Worten kombiniert. Lateinisch und Deutsch gehen oft nahtlos ineinander über, und diese Mischsprache bringt ihrerseits eine Mischung, ein Konglomerat aus Wissensbruchstücken verschiedenster Gebiete hervor, wie Etymologie, Mythologie, Geschichte, Philosophie und Literatur - Schwefelkies wirkt also stellenweise selber wie die leibliche Verkörperung der Acta eruditorum . Die Literatur nimmt dabei eine besondere Stellung ein, da es zwischen Eberhard und Schwefelkies zu einem Disput über antike Autoren kommt. In dieser Szene fällt erstmals der Name Shakespeares: Schwefelkies nennt den Dichter einen „armen Layen“, dem er zwar „Kopf und Anlagen“ attestiert ( IS I: 48), 60 Gemeint ist wohl die berühmte Leipziger Zeitschrift dieses Namens, die von 1682-1731 erschien und das Wissen der Zeit aus allen Bereichen der damaligen Welt sammelte. 61 Mögliche Quellen für diese Kenntnisse könnten u. a. sein: Zedler (1732-1754, 16: 1652 und 38: 32); auch Dolz (1818: 51-55 und 62-63). Im Zusammenhang mit der Aufzählung und Erklärung der Hausgötter steht auch ein - allerdings versteckter - Hinweis auf den Namen „Schwefelkies“: Wie die beiden genannten Quellen angeben, trug einer der alten Leipziger Götzen, bezeichnenderweise der Totengott, den Namen „Flint“, angeblich nach dem Steinsockel, auf dem seine Statue stand; „Flint“ ist eine aus dem Skandinavischen und Englischen stammende Bezeichnung für harten Kiesel- oder Feuerstein, auch unter dem Namen „Schwefelkies“ bekannt. Der Einbezug der Benennungsgeschichte bleibt freilich fragwürdig, da gerade dieser Götze in der Aufzählung der IS fehlt. 4.2 Textanfänge / Anfangstexte 133 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 den er aber auch beklagt, „weil er nicht so viel Latein verstanden habe, um den unsterblichen Seneca lesen zu können und sich nach ihm zu bilden“ ( IS I: 48). Seine Skepsis gegenüber Shakespeare spiegelt selbstverständlich Gottscheds an Aristoteles’ Poetik und dem französischen Klassizismus orientierte Position, die keinen Raum für Shakespeares bewegliche, Regeln und Dogmen sprengende Kunst lässt. Auch Aristophanes findet bei Schwefelkies keine Gnade; er bezeichnet ihn als „athenische[n] Possenreisser“, welcher „der Mann nicht [sei], der einen jungen Menschen bilden sollte“ ( IS I: 50). Als Eberhard sich von Aristophanes begeistert zeigt, beendet der von neuem erzürnte Schwefelkies das Gespräch abrupt. Nach dieser Demonstration von Unverständnis und Hartherzigkeit seitens des hedonistischen Materialisten und des trockenen Gelehrten begibt sich Eberhard in bedrückter Stimmung vor das Tor hinaus, um sich zu erholen, da gerade Ostermesse ist: Eine deutliche Parallele zu Fausts Osterspaziergang Vor dem Tor, der auf die Nacht folgt. Und ähnlich wie Faust, der als Zuschauer am festlichen Treiben der Dorfleute teilnimmt, hört Eberhard dem Lied der Handwerksburschen zu; der Gesang dieser einfachen Schneidergesellen befreit ihn schliesslich aus seiner Trübsal. Kurz darauf rettet er seine Widersacher Nierenstein und Schwefelkies vor dem sicheren Tod: Die Pferde sind mit der Kutsche der beiden Herren durchgegangen und galoppieren dem Fluss zu, als es Eberhard gelingt, eine nahestehende Buche, die gerade gefällt wird, im Fallen so umzulenken, dass ihr mächtiger Stamm zwischen Fluss und Pferde zu liegen kommt, was den Lauf des Pferdegespanns zum Stillstand zwingt. Die beiden Geretteten überschütten Eberhard daraufhin mit Lobpreisungen; ihre Ablehnung verwandelt sich in pures Wohlwollen. Wesentlich später, im vierten Teil der IS , wird diese Episode nochmals erwähnt, dabei jedoch in ihr Gegenteil verkehrt: Eberhards Vater berichtet dem Sohn, Schwefelkies und Nierenstein hätten ihm unterdessen vergeben, dass er sie einst beinahe mit einem Baum erschlagen habe, als ihre Pferde ein wenig scheu geworden seien ( IS IV : 242-243). Diese Verdrehung kennzeichnet die beiden lächerlichen Figuren selbst als Verdrehte; darauf scheint auch die Überbringung der Nachricht durch Eberhards philiströsen Vater zu deuten. In der intratextuellen Wiederaufnahme wird ihre „Bekehrung“ in einer ironischen Volte zurückverkehrt. Der Auftritt der Schneidergesellen und Eberhards übermenschliche Tat fügen sich zu einer intertextuellen Referenz an das Märchen: wie das tapfere Schneiderlein 62 besiegt Eberhard sein Schicksal, das ihn mit Riesenkraft niederdrückt. Das Geschehene erscheint ihm als Sieg des Wahren und Grossen über das Erbärmliche, eine unschuldige Rache, wie er findet: „So können sich auch die Engel rächen“ ( IS I: 62). Gleich darauf trifft er auf ein Knäblein, das „wie ein kleiner Engel die Hände gegen ihn ausstreckte“ ( IS I: 63). Es ist der Dichter Christian Fürchtegott Gellert als einjähriges Kind; ein Einwurf des Erzählers an dieser Stelle weist darauf hin, dass der Dichter „ein halbes Jahrhundert nach der jetzt erzählten Begebenheit“ eben jenen Platz zu seinem Lieblingsaufenthalt machen und immer seine Spaziergänge dahin richten werde ( IS I: 63). Die Erscheinung des „engelhaften“ Kindes wirkt wie ein Hoffnungszeichen, eine Vorschau auf einen poetologischen Wandel, denn Gellert wird in seiner Dichtkunst Aufklärungsdenken und Empfindsamkeit vereinen (und so die Gottschedsche Poetik neu akzentuieren). Die Bemerkung des Erzählers bricht nicht nur die 62 Dass Oehlenschläger dieses Märchen besonders schätzte, zeigt dessen Aufnahme in die Auswahl von 22 deutschen „Märchen“ (der Genrebegriff ist sehr weit gefasst), die Oehlenschläger ins Dänische übersetzte: Eventyr af forskiellige Digtere [Märchen verschiedener Dichter] (1816, 1 und 2). 134 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Fiktion, sondern auch die zeitliche Geschlossenheit des Textes auf, indem sie einen Augenblick lang dessen Historizität beleuchtet. Hier wird zudem erstmals deutlich, dass die bereits erwähnte Transvokalisation Eberhards, die narratologische Versetzung der bei Schnabel noch als Ich-Erzähler auftretenden Figur in die dritte Person, Raum für eine Erzählerstimme schafft, deren Kommentare den Horizont der Figurenperspektive überschreiten. Auf dem Markt, wo Kaufleute aller Nationen ihre Ware feilbieten, bekommt Eberhard Lust, in die Welt hinauszuziehen. Die Schifffahrt, die ihn in die Ferne führen soll, wird von ihm zum Topos der Lebensfahrt metaphorisiert: „Das mächtige Anker sey mein Hoffnungssymbol, die Magnetnadel mein Rathgeber, die Winde meine Gefährten“ ( IS I: 66). Dieser imaginierte Anker wird im dritten Teil des Romans als intratextuelle Verbindung zur Geschichte des jungen Albert erkennbar werden, da der von einem Kopenhagener Schmied verfertigte Anker als Hoffnungszeichen den Schiffbruch übersteht, den Albert mit seinen Reisegefährten erleidet ( IS III : 279). Eberhard will es seinem Vater, der nach Westindien unterwegs ist, gleichtun, ja, diesen übertrumpfen: „Was mein Vater wagen konnte, kann auch ich, und vielleicht finde ich eher als er, was ich suche“ ( IS I: 66). Damit vollzieht er eine Hinwendung zur Sphäre des Vaters, zu der man wohl auch die Figur eines künstlichen Trommelschlägers zählen kann, ein Automat, den Eberhard in diesem Moment wahrnimmt ( IS I: 66), und der mit seinem „Uhrwerk im Leibe“ und seinen stereotypen Bewegungen an die Vaterfigur erinnert, an dessen sonderbar empfindungslose Briefe und starren Materialismus; auf dem Automaten sind komisch wirkende, in gebrochenem Deutsch verfasste Verse zu lesen, eine Art Zerrbild der unpassenden Ausdrucksweise der väterlichen Briefe. Eberhards Abkehr von der Mutterwelt und der in ihr wurzelnden Betrübnis zeigt sich auch darin, dass er nun doch noch in Auerbachs Keller hinabsteigt, wo er das Wandgemälde mit der Darstellung des Doktor Faustus betrachtet, der auf dem Weinfass zum Keller hinausreitet; er liest auch die zugehörigen Verse, die den Ritt beschreiben und die im Wortlaut zitiert werden ( IS I: 67). Wieder unterbricht der Erzähler seine Fiktion, diesmal mit einem Verweis auf Goethes Faustdichtung: „Wie sehr würde sich erst Eberhard ergözt haben, wenn er das Meisterwerk unseres unsterblichen Dichters hätte lesen können! “ ( IS I: 67-68). Eberhard erscheint so als Doppelung des imaginierten Lesers, wodurch der indirekte Leserappell eine zweifache Richtung erhält. Zugleich werden hier die beiden „Stimmen“, die in den IS erzählte Geschichte Eberhards und die Folie des Faust, explizit vereint, was vielleicht die Aussage erlaubt, dass der geheimnisvolle Brief, der Eberhard wenig später nach Amsterdam ruft, für ihn das „Fass“ ist, auf dem er in die Welt hinaus reitet. Die ersten sieben Kapitel des Romans lehnen sich in mehrfacher Hinsicht an Fausts Geschichte an; sie beginnen in Auerbachs Keller und kehren dorthin zurück; dazwischen liegt Eberhards Befreiung aus der Studierstube und aus der seelischen Bedrückung, er reitet wie Faust auf Abenteuer aus. Eberhards Weg in den IS ist also nicht nur um ein Vielfaches länger und facettenreicher als der seines Pendants in den WF , er geht auch in die entgegengesetzte Richtung: Während in den WF der Entschluss des Protagonisten zum Theologiestudium Weltabkehr und Verinnerlichung anzeigt, führt Eberhards Weg in den IS hinaus, „ins Freie“ ( IS I: 65), auf die Welt zu. Den Schlusspunkt und zugleich Auftakt für einen neuen Anfang bildet auch in den WF das Eintreffen eines Briefes, der den Protagonisten nach Amsterdam ruft. In den IS trägt dieser Brief ein rotes Siegel, d. h. die Wahrnehmung ist nicht mehr auf das Schwarz der Buchstaben fixiert. 4.2 Textanfänge / Anfangstexte 135 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Auf der Figurenebene zeigt der Vergleich der Anfangskapitel von IS und WF eine erhebliche Aufwertung Eberhards in den IS ; es ist offensichtlich, dass die knappe, auf das Wesentliche beschränkte Figurenzeichnung bei Schnabel von Oehlenschläger als Lücke, als Leerstelle im Prätext gesehen wurde, in die hinein nun der Folgetext eine neue Individualität mit detailliert ausgearbeitetem Schicksal konstruiert. Die beträchtliche Ausdehnung der Anfangssequenz in den IS verdankt sich nicht zuletzt dem Einbezug einer grossen Zahl von Texten, die in Form von Zitaten oder als undeklarierter Subtext (z. B. Faust -Parallelen) den Bezugsrahmen von Schnabels Roman nach verschiedenen Seiten - zeitlich, gattungsmässig, kulturell - aufbrechen und Feststellungen wie „Der Text ist ein Gewebe von Zitaten aus unzähligen Stätten der Kultur“ (Barthes 2000: 190) oder „[ J]eder Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf […]“ (Kristeva 1972: 348) über ihre allgemeine, textkonstitutive Bedeutung hinaus in konkreter Weise bestätigen. Daraus ergibt sich zum einen, dass der Anfang in den IS gerade nicht den Charakter einer Schöpfung „ex nihilo“ aufweist, sondern demonstrativ die Herstellung des Textes aus der dialogischen Interaktion mit anderen Texten in den Vordergrund rückt, worauf das schon auf der ersten Seite erscheinende und graphisch hervorgehobene Faustzitat sogleich aufmerksam macht. Zum anderen - und damit zusammenhängend - erhalten die mit Schreiben und Schrift verbundenen Prozesse mehr Raum als in den WF ; sie sind anfänglich vorwiegend negativ konnotiert (kulminierend in den „schwarzen Buchstaben“, die den Tod verkünden), was sich bis auf das konkrete Herstellungsverfahren erstreckt (z. B. Erwähnung der Tintenkleckse und der schlechten Schrift der Studenten), mit dem zuletzt eintreffenden Brief jedoch ins Positive gewendet wird, d. h. das Verhältnis zur Schrift gestaltet sich ambivalent. Die Vielfalt von Prätexten, die sich „einmischen“ und sich häufig in deklarierten und undeklarierten Zitaten manifestieren, lässt sie im Bachtinschen Sinn als „Stimmen“ einer textuellen Polyphonie erscheinen. Dass die Zitate oft abgewandelt und nicht im Sinn einer eigentlichen Deklaration nachgewiesen sind, könnte allerdings als Versuch angesehen werden, den „Stimmen“ der Prätexte ihre Selbstständigkeit und Gleichberechtigung zu nehmen und die Spur ihrer Herkunft im neuen Text zu tilgen. Bedenkt man aber, dass die legitimitätssichernde, angemessene Bezeichnung der Quellen […] den Blick auf die Bewegung des Textes [verunmöglicht], der lebendig erst wird innerhalb jeder Selbsterzeugung einer Fiktion, die sich nicht mehr um den Nachweis von Anleihen bemüht (Reck 2012: 35), so erhält das „schwebende“ Verfahren, in dem die Zitate zwar nicht formell deklariert, aber doch explizit einem anderen Dichter zugewiesen werden, den Charakter eines Prozesses der Enthierarchisierung, in dem alle Texte in vielfach variierter Form, Dimension und Verarbeitungsweise an dem neuen Produkt beteiligt werden und dieses miterzeugen. 63 Die Anfangskapitel in weiteren Ausgaben des Romans Eine Durchsicht der übrigen Versionen der IS soll zeigen, ob sich deren Textcharakter analog der Erstveröffentlichung verhält. 63 Eine ähnliche Auffassung vertritt auch Stephan Leopold, wenn er schreibt: „Intertextualität, als Verwendung eines fremden Textes im eigenen, bedeutet immer eine Rekontextualisierung und Umsemantisierung, also eine Verschiebung von Bedeutung“ (Leopold 2003: 15). 136 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Zunächst sollen die untersuchten Anfangskapitel der IS mit den entsprechenden Textstellen der dänischen Version von 1824 ( ØS ), verglichen werden. Dies geschieht allerdings vorwiegend auf inhaltlicher Basis: Ein semantisch ausgerichteter Wort-für-Wort-Vergleich, der in der Detailanalyse zahlreiche Unterschiede in den Nuancen der Wortwahl aufzeigen würde, soll an dieser Stelle nicht vorgenommen werden. Ein solcher findet sich - bezogen auf eine andere Textpassage - im nächsten Unterkapitel; für weitere detaillierte Stellenvergleiche verweise ich auf Kapitel 3.2. Die Lektüre der genannten Anfangssequenz von ØS ergibt eine weitgehende Übereinstimmung mit den IS . Es finden die gleichen inhaltlichen Verschiebungen gegenüber den WF statt, Handlung und Personendarstellungen sind ebenfalls grösstenteils analog zu den IS . Auffällig ist, dass die sprechenden Namen Hellkraft, Nierenstein und Schwefelkies unverändert in ØS übernommen wurden, obwohl sie im dänischen Text naturgemäss nicht das gleiche Ausdruckspotential entfalten können wie in den IS . Ebenso sind die oben erwähnten Verse auf dem Trommelautomaten in ihrem komischen, fehlerhaften Deutsch ( IS I: 66) im Wortlaut, also unübersetzt, in ØS wiedergegeben (I, 56). Dagegen sind in der Szene mit Professor Schwefelkies sämtliche lateinischen Floskeln, zusätzlich zu den längeren Zitaten, in den Fussnoten auf Dänisch übersetzt, während in den IS diese kurzen lateinischen Einwürfe ohne Übersetzung erscheinen. Eine Begründung für die Beibehaltung deutscher Elemente bei gleichzeitiger sorgsamer Übersetzung der lateinischen Einschübe ist nicht einfach zu finden, könnte jedoch zum Teil in der Heterogenität des potentiellen Publikums liegen, das in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts bereits nicht mehr nur aus den gebildeten Kreisen der Gesellschaft bestand. 64 In ØS finden sich auch die meisten Zitate der besprochenen Anfangskapitel des Romans, ebenso die Faust - und Wilhelm Meister -Parallelen. Doch gibt es, gerade was die Zitate betrifft, zwei Ausnahmen: Auf der ersten Seite von ØS fehlt das in den IS prominent gesetzte Zitat aus der Szene in Auerbachs Keller , und die beiden Verse aus dem Goethe-Gedicht Trost in Tränen sind substituiert, und zwar durch vier Zeilen aus einem der berühmtesten Gedichte der dänischen Literatur, aus Johannes Ewalds Haab og Erindring [Hoffnung und Erinnerung] (1772). So wenig wie bei Goethes Versen in den IS werden der Name des Dichters oder der Titel des Gedichts genannt, was sich wohl beim Bekanntheitsgrad von Haab og Erindring ohnehin erübrigte. In der gewählten Stelle spricht das lyrische Ich von den Schätzen der Erinnerung, die immer wieder hervorgeholt, gezählt und sorgfältig gewogen werden ( ØS I: 10). Da sich das Ich dabei mit Harpax vergleicht, einer Figur aus einer Plautus-Komödie, zitiert das Zitat also ein weiteres Zitat und weist so auf die potentielle Unabschliessbarkeit von Textbeziehungen. Ewalds Gedicht kreist um das Motiv des flüchtigen Augenblicks, den es zu bewahren gilt; es setzt ein mit einem Anruf an die Seele, das Jetzt, den Augenblick, festzuhalten und bei ihm zu verweilen, ein Topos, in dem sich eine - allerdings verborgene - Faust -Parallele andeutet, die erst dadurch erkennbar wird, dass „der Rezipient im Leseakt 64 Dass die Lektüre deutschsprachiger Literatur für die gebildeten Schichten damals noch selbstverständlich war, worauf in der vorliegenden Arbeit schon mehrfach hingewiesen wurde, geht auch aus einer Bemerkung Oehlenschlägers im Vorwort zu seiner 1838 erschienenen Übersetzung ausgewählter Dichtungen Ludwig Tiecks hervor: Hier imaginiert er Einwände seitens potentieller Leser, die lauten könnten: „Hvad skulle vi med Oversættelser af en tydsk Digter? Hvilket dannet Menneske læser ikke Tydsk? “ [Was sollen wir mit Übersetzungen eines deutschen Dichters? Welcher gebildete Mensch liest kein Deutsch? ] (Zitiert nach Liebenberg 1868, 1: 167). 4.2 Textanfänge / Anfangstexte 137 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 den abwesenden Prätext-Kontext des Zitats mitvergegenwärtigt“ (Plett 1985: 82), und die zudem natürlich nur im Nachhinein, in Kenntnis von Goethes Faustdrama, 65 zu erfassen ist. Der Austausch des Zitats geht nicht ohne bestimmte Veränderungen vor sich: einmal im Zitat selber, indem die Anfangsworte „Og stum af Lyst“ [Und stumm vor Lust] (Ewald 1850, 2: 35) des ersten zitierten Verses weggelassen sind: Die Erwähnung von „Lust“ schien wohl im von Schmerz und Trauer geprägten Kontext nicht ganz schicklich; vielleicht hingen die genannten Worte dem Autor aber auch zu sehr an den vorangehenden Gedichtzeilen und hätten das Zitat stärker als etwas aus dem Zusammenhang Gerissenes erscheinen lassen. Ferner ist die Position des Zitats etwas verschoben im Vergleich zu den IS : Im dänischen Text ist es eingebettet in die Sätze, die Eberhards Trauerprozess beschreiben ( ØS I: 10), während in den IS die beiden Goethe-Verse den Abschluss dieser Phase bilden ( IS I: 12). Zweifellos ist einer der Gründe für die Wahl des Zitats Oehlenschlägers Hochachtung für Johannes Ewalds Lyrik, die nicht nur in den Aesthetik-Vorlesungen, sondern auch in der autobiographischen Schrift Levnet zum Ausdruck kommt. Es ist jedoch zu betonen, dass das Zitat aus Haab og Erindring keineswegs als aufgepfropfter Fremdkörper wirkt, im Gegenteil: Es fügt sich inhaltlich so genau in den Kontext, als wäre es eigens dafür geschrieben worden. Ein weiterer bemerkenswerter Unterschied zwischen der deutschen und der dänischen Version zeigt sich in der Szene mit Professor Schwefelkies, die in den IS , wie erwähnt, mit einem Gespräch über Aristophanes schliesst. Dieses fehlt in ØS ; die literaturgeschichtliche Diskussion bricht mit der Bemerkung des Professors über Shakespeare ab. Im deutschen Text dagegen führt die Erwähnung von Aristophanes die Szene in den Bereich des Schwanks und der Groteske und weist damit auf den Anfang zurück, dessen derb-komische Elemente Schwefelkies selber als Komödienfigur kennzeichnen. Die Streichung dieser Schlusssequenz raubt der Szene auf der Inhaltsebene eine gewisse Zuspitzung, der Zorn des Professors erscheint milder, Eberhards Verabschiedung gerät weniger abrupt. Für den literarischen Raum jedoch, den die Nennung von Aristophanes öffnet, bedeutet die Eliminierung einen Verlust an historischer Tiefe und eine Reduktion der poetologischen Vielfalt. So sehr diese Streichung in ØS überraschen mag, so wenig erstaunt die Tatsache, dass die genannte Sequenz in sämtlichen späteren Ausgaben, sowohl in deutscher wie in dänischer Sprache, fehlt. Vergleicht man die beiden deutschen Texte von 1826 und von 1839, so entdeckt man, dass etliche der oben besprochenen Stellen gestrichen sind, so eine längere Passage, die mit dem eingangs erwähnten Lessingzitat endet ( IS I: 2-3), desgleichen die Stelle, die Eberhards Trauer beschreibt, mitsamt den zitierten Versen aus Goethes Gedicht Trost der Tränen ( IS I: 12). Ebenso fehlt Hannas Aufzählung des Katalogs von Eberhards Studienfächern ( IS I: 28), sowie der Erzählerkommentar betreffend Eberhards vermutete Freude am „Meisterwerk unseres unsterblichen Dichters“ ( IS I: 67-68). Dies sind die augenfälligsten, weil auch umfangreichsten Streichungen. Daneben finden sich noch unzählige kleinere Kürzungen; auch die meisten lateinischen Zitate in der Rede von Professor Schwefelkies sind gestrichen. Die Kürzungen der deutschen Ausgabe von 1839 gestalten sich in der zweiten dänischen Ausgabe von 1846 zum grössten Teil analog: Alle genannten Stellen sind in der dänischen 65 Fausts Pakt mit Mephisto, in dem es darum geht, den „schönen Augenblick“ zum Verweilen zu zwingen, findet sich noch nicht in Goethes frühen Faustdichtungen (z. B. Urfaust , 1772-1775), sondern erst in der Faust-Tragödie (gedruckt 1808). 138 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 gekürzten Edition ebenfalls gestrichen, so auch das in ØS neu eingefügte Zitat aus Ewalds Gedicht ( ØS I: 10). In allen weiteren Editionen, in der deutschen von 1911 und den drei dänischen von 1852, 1862 und 1904, sind dieselben Kürzungen festzustellen. Zumindest in einem Fall ist jedoch nicht von einer Kürzung, sondern von einer Änderung zu sprechen, die sich in den dänischen Ausgaben ab 1846 zeigt (nicht aber in den deutschen Texten von 1839 und 1911): Es handelt sich um die Szene, in der Eberhard die beiden Herren Nierenstein und Schwefelkies vor dem Ertrinkungstod rettet ( IS I: 59 und ØS I: 49-50). In der dänischen Kürzung lenkt nicht etwa Eberhard mit Riesenkräften den Baum in die rettende Richtung, sondern er treibt lediglich die Holzfäller dazu an, dies zu tun (1846 I: 34). Seine Aktion verlagert sich also vom buchstäblich hand festen Ein greif en zur blossen Aufforderung, Hand anzulegen, die notwendige Hand lung zu vollziehen. Diese Veränderung in der Performanz, von der ausgeführten Aktion zum rein sprachlichen Handeln (ob es sich dabei um verbale oder gestische Sprache handelt, bleibt offen), verschiebt den Text auf eine realistischere Ebene und schwächt so die intertextuelle Referenz an die Märchengattung. Was sagen nun die erwähnten Kürzungen / Veränderungen über die Gestalt des Textes in den späteren deutschen und dänischen Editionen des Romans aus? Gewiss lassen sich nicht alle Differenzen auf einen Nenner bringen, doch scheint eine generelle Tendenz hervorzutreten: Durch die Streichung von Zitaten, Subtexten, Gattungsreferenzen nimmt der Text einen geschlosseneren Charakter an, da er sich nicht mehr im gleichen Mass wie die beiden Erstfassungen anderen Prätexten öffnet. Die verschiedenen Stimmen, die im Text aufeinandertrafen und einen polyphonen Dialog ergaben, sind teilweise eliminiert oder mindestens zugunsten einer zügiger fortschreitenden Handlung reguliert und eingedämmt. 4.3 Zweimal Alberts „Traum“: Die Stimmen der Einsiedler im Dialog Nachdem im vorangehenden Kapitel schon gewisse Feststellungen zur Präsenz, aber auch zur Umschreibung, Verdrängung etc. von Schnabels Text in den IS gemacht wurden, sollen diese Verhältnisse nun in einem noch direkteren Textvergleich untersucht werden. In welcher Weise, auf welchen Ebenen vollzieht sich die Auseinandersetzung zwischen den beiden Texten? Wie gestaltet sich ihre intertextuelle Beziehung? Inwieweit wird die Stimme des Schnabelschen Prätextes zugelassen, transformiert, umfunktioniert, verdrängt? Die Beantwortung dieser Fragen wird auch darüber entscheiden, ob überhaupt von einer polyphonen oder - in Bezug auf das Verhältnis zu Schnabel - dialogischen Textstruktur gesprochen werden kann. Betrachtet man Rahmen, Aufbau und narratives Gerüst der beiden Romane, wird sofort deutlich, dass Schnabels Vorgaben im Folgetext weiterwirken und diesen auf der inhaltlichen Ebene entscheidend strukturieren, denn Oehlenschläger übernimmt, wie in Kap. 2.2 gezeigt, die grundlegende Disposition sowie das Kernpersonal von Schnabels Robinsonade, insbesondere auch das Erzählen von Biographien, wodurch die Insel zu einem dichten, polyphonen Textkonglomerat wird - eine grundsätzlich polyphone Anlage, die schon Schnabels Text charakterisiert und formt. Im Einzelnen erfährt Schnabels Grundmuster zwar etliche, auch tiefgreifende Modifikationen, denn Oehlenschläger reduziert z. B. die Anzahl der Lebensbeschreibungen drastisch, reichert dafür den Text um eine Vielzahl neuer Frauenfiguren an und dehnt Alberts Erzählung über mehr als die Hälfte des Gesamttextes aus. Dennoch lässt sich sagen, dass sich der Folgetext, bezogen auf die strukturelle Ebene des Textganzen, seinem 4.3 Zweimal Alberts „Traum“: Die Stimmen der Einsiedler im Dialog 139 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Vorläufer öffnet und ihm in dieser Hinsicht eine dominante Rolle zugesteht. Was dies aber für die Hypertextualität (Genette 1993: 14) zwischen den beiden Romanen im Einzelnen, auf der konkreten Textebene, bedeutet, wie sie sich im Detail ausformt und gestaltet, ist damit noch nicht geklärt und soll im Folgenden an einem Beispiel untersucht werden. Die dafür gewählte Stelle beschreibt Alberts Entdeckung der Höhle von Cyrillo de Valaro, dem 40 Jahre zuvor verstorbenen Erstbesiedler der Insel Felsenburg. Beide Romane widmen dieser Passage besondere Aufmerksamkeit, was sich daran ablesen lässt, dass die Entdeckung den abschliessenden Höhepunkt einer ganzen Reihe wichtiger Fundszenen bildet. In beiden Texten geht es darum, die Insel mit einem historischen Fundament auszustatten, was auch wörtlich zu verstehen ist, da sich die Geschichtszeugnisse in einer Höhle, also im Untergrund, finden. Zunächst soll nun die Szene im Prätext genauer betrachtet werden; danach folgt eine Gegenüberstellung mit Oehlenschlägers Version, und mit Teilen von Arnims Bearbeitung. Schliesslich sollen die verschiedenen Fassungen in deutscher und dänischer Sprache, in denen Oehlenschlägers Text erschienen ist, auf Differenzen zu seiner deutschen Erstausgabe hin untersucht werden. Bei Schnabel findet Albert Julius die Höhle des Einsiedlers am ersten Sonntag, den die Schiffbrüchigen auf der Insel Felsenburg verbringen, und der von morgens bis abends der Ausübung frommer Tätigkeiten, wie Beten, Psalmengesang und Bibellektüre, gewidmet ist. Diese religiöse Szenerie verleiht Alberts scheinbar zufälliger Entdeckung der Höhle - er stürzt „von ohngefähr“ ( WF I: 199) in ein überwachsenes Erdloch - eine besondere Bedeutung, die an seiner Reaktion abzulesen ist, denn er erschrickt beinahe, als hätte sich die Hölle vor ihm aufgetan: […] da aber nichts als eine dicke Finsterniß zu sehen war, über dieses eine übelriechende Dunst mir einen besondern Eckel verursachte, fieng meine Haut an zu schauern, und die Haare begonten Berg auf zu stehen, weßwegen ich eiligst umwandte, und mit fliegenden Schritten den Rückweg suchte […]. ( WF I: 199) Damit erscheint diese Entdeckungsszene als Kontrapunkt zu einer andern, welche in mancher Hinsicht spiegelbildlich zur Höhlenszene angelegt ist: Albert fällt dabei nicht in die Tiefe, sondern klettert immer höher, bis auf den „allerhöchsten Gipffel“ ( WF I: 181), allwo alle meine Sinnen auf einmahl mit dem allergrösten Vergnügen der Welt erfüllet wurden […]. ( WF I: 181) Ich erstaunete, so bald ich mich mitten in diesem Paradiese befand […]. ( WF I: 182) 66 Von dieser Stelle an dehnt sich die Paradiesthematik in Schnabels Text immer weiter aus, greift sogar auf die in Alberts Lebenserzählung eingeschobene Schilderung der Inselgegenwart über, in der die Gruppe um Eberhard mit grosser Freude den Beginn eines Kirchenbaus besichtigt, und gipfelt schliesslich - wieder in Alberts Erzählung - in dem erwähnten, ganz 66 Die Analogie zwischen der Insel Felsenburg und der biblischen Paradiesvorstellung ist in der Forschung immer wieder hervorgehoben und untersucht worden; vgl. vor allem Haas (1961 / 62: 63-84; über die Insel Felsenburg als Paradies besonders 66 und 80-83). Ebenso auch spätere Arbeiten wie z. B. Vosskamp (1983: 95-104) sowie Wimmer (1989: 333-349). Eine originelle Deutung von Alberts Entdeckung des „Paradieses“ gibt Lynne Tatlock, die in der Lustbetontheit der Szene eine kaum verschlüsselte Darstellung von Alberts erwachender Sexualität und damit der Entdeckung seiner sexuellen Identität sieht (1996: 267-268). 140 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 von Frömmigkeit erfüllten Sonntag. Alberts Sturz bricht abrupt in diese paradiesische Harmonie ein und macht schlagartig die dunkle Seite des Paradiesmythos sichtbar, denn zumindest van Leuven scheint Alberts Erlebnis beinahe als Sündenfall aufzufassen, wenn er seinem Gefährten vorwirft, dass er „zuweilen ein wenig allzu neugierig sei“ ( WF I: 199). In diesem Tadel schwingt noch die Auffassung der mittelalterlichen Scholastik mit, welche die curiositas, den ungezügelten Erkenntnisdrang - im biblischen Mythos die Ursache für die Vertreibung aus dem Paradies - als menschliche Verfehlung betrachtete und als Laster einstufte. 67 Van Leuvens Zurechtweisung zeigt ihn jedoch auch in der Position eines mahnenden Vaters, während Concordia, die Albert mit Speise und Trank stärkt, in der Rolle der tröstenden Mutter erscheint. Albert verspricht, gleichsam als Sühne, die Höhle zuzuschütten, ein Vorhaben, das jedoch den Geist des Einsiedlers Cyrillo, der Albert in der folgenden Nacht im Traum erscheint, aufs Höchste erzürnt. Auf die Rede dieser Traumerscheinung wird später im Vergleich mit der entsprechenden Stelle in den IS noch näher eingegangen. Oehlenschläger, dessen Text, wie erwähnt, im Gegensatz zu den WF Kapiteleinteilungen aufweist, widmet der Entdeckung der Einsiedlerhöhle ein eigenes Kapitel - ein struktureller Einschnitt, der Abgrenzung und Szenenwechsel anzeigt; tatsächlich erscheint das Geschehen von Schnabels prägendem religiösem Kontext abgelöst und die fromme Demutshaltung des Prätextes radikal verdrängt, denn Albert tritt hier als souveräner Entdecker auf, der die Schönheit der Landschaft geniesst („Ueberall sah ich fruchtbare Thäler, schöne Wälder.“ IS III : 335), 68 aber auch die topographischen Gegebenheiten der Insel erkennt und versteht: Ein größerer und kleinerer Fluss bildeten niedliche Seen und durchflossen das Eiland. Der große Fluss verlor sich in die Bergklüfte, woher wir gekommen waren, und ich entdeckte später, dass er drunten den Wasserfall bilde, der uns in den ersten Tagen das Leben gerettet hatte. ( IS III : 335) In diesem ordnenden Blick (Pratt 2008: 197-209) künden sich Eroberung und Inbesitznahme an, beides, wie die Kolonialgeschichte zeigt, oft genug die scheinbar natürlichen Folgen von 67 Vgl. z. B. Thomas von Aquin (1993, 22: 318-328). Einen nach wie vor interessanten Überblick über die Thematik gibt Hans Blumenbergs ursprünglich 1966 erschienene Publikation: Der Prozess der theoretischen Neugierde (1996); vgl. darin besonders die Ausführungen zur Auffassung der Neugier als Laster (358-376). Mit der Curiositas in den WF und der für Schnabel relevanten zeitgenössischen Moraltheologie setzt sich insbesondere Günter Dammann auseinander (Dammann 1997a: 189-195). Der Autor arbeitet dabei auch die der Position der Curiositas in der Moraltheologie um 1700 genau entsprechende widersprüchliche Beurteilung der Neugierde in den WF heraus: Einerseits stellt sich van Leuvens Kritik an Albert Julius’ neugierigem Verhalten in der Folge als unbegründet heraus, andrerseits verurteilt Albert Jahrzehnte später im hohen Alter die von Neugierde getriebene Entdeckerlust der jungen Generation um seinen Urgrossneffen Eberhard Julius ( WF II: 489). Der Sturz in die Höhle lässt sich natürlich auch lesen als Bestrafung für eine Neugier im engeren Sinn, nämlich jene, die zur Entdeckung der Sexualität führt - dies als Fortführung von Lynne Tatlocks erwähnter Interpretation. 68 In den WF dagegen nimmt Albert die Landschaft nicht als solche wahr; es ist lediglich von einzelnen Bestandteilen wie Hügel, Gras, Sträuchern, etc. die Rede. Rosemarie Haas weist die vorwiegend utilitaristisch ausgerichtete Funktion der Insellandschaft in Schnabels Roman nach (Haas 1961 / 62: 77-79). Diese Sicht ergänzt und präzisiert Misia Sophia Doms (2009: 399-426). Sie hebt anhand zahlreicher Beispiele den Subjektcharakter der Natur in Schnabels Roman hervor, die „nicht als gestaltbares Material, sondern als Akteurin“ auftrete (Doms 2009: 409). Wie die zitierte Stelle ( IS III: 335) zeigt, wird diese Rolle der Natur in den IS nicht bestritten; der Unterschied zu den WF liegt aber darin, dass Albert über ein Bewusstsein hinsichtlich dieser Funktion verfügt, was ihn dazu befähigt, die handelnde Kraft der Natur zu erkennen und einzuordnen. 4.3 Zweimal Alberts „Traum“: Die Stimmen der Einsiedler im Dialog 141 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 geographischen Entdeckungen (Bitterli 2004: 72-73). Es wirkt denn auch wie ein handgreiflicher Eroberungsversuch, wenn Albert eine Anhöhe durch Erklettern ihrer Steilseite bezwingen will; bei diesem Unternehmen wird der Entdecker und Eroberer jedoch von seiner im zweifachen Sinn erhöhten Position jäh in die Tiefe befördert. Es kommt also nicht zum Blick vom Gipfel, der „die Insel in Besitz [nimmt]“ (Moser 2005: 417), 69 im Gegenteil: Der Text betont den Sturz durch eine Verdoppelung: „fiel ich, stürzte […] hinunter“ ( IS III : 336); der Fall in die Tiefe, besonders markiert als Gegenpol zur erstrebten Höhe, wird also wie im Prätext mit Bedeutung aufgeladen, nur werden hier statt religiöser Bezüge räumliche und rhetorische Elemente eingesetzt. Anders als bei Schnabel erschrickt Albert in diesem Text nicht nur über seinen Sturz und die verpestete Höhlenluft, sondern auch, weil er glaubt, im Innern der Höhle einen alten Mann mit langem Bart bemerkt zu haben. Albert verweist diesen Sinneseindruck jedoch ins Reich der Phantasie, rationalisiert ihn gar als Erinnerungsrest alter Geschichten, die in seinem Kopf herumspuken, wie z. B. jene von Barthel im Weinkeller, die mit einer Episode seiner Jugendzeit zusammenhängt. 70 Es handelt sich hier um ein im ganzen Roman häufig auftretendes Phänomen der Andeutung oder Wiederaufnahme früherer Textpassagen, ein Verfahren, das ein dichtes Netz von Selbstzitaten schafft, eine ständige Rückkoppelung des weitverzweigten Romangeschehens an bereits Erzähltes, wodurch offensichtlich der Zusammenhalt des Ganzen - in fast obsessiver Weise - gesichert werden soll. Gleichzeitig dient die aufgerufene Erinnerung - gerade angesichts des Unerklärlichen, Übernatürlichen - der Selbstvergewisserung, der Stabilisierung des eigenen Ichs. Nach dem Schrecken muss Albert nicht von seinen Gefährten getröstet und gestärkt werden; Erquickung kommt nun bezeichnenderweise aus der Natur: „Im Freien schöpfte ich wieder Atem, trank Wasser aus der Quelle, die aus dem Steine herausfloss“ ( IS III : 336); auch wird er nicht wegen übermässiger Neugier getadelt, im Gegenteil: Bei Oehlenschläger wird van Leuven, Schnabels Kritiker der Neugier, gar mit einem Fernrohr ausgerüstet ( IS III: 328), jenem Instrument also, das seit Galileis Entdeckungen gleichsam als Symbol für die von der Kirche bekämpfte Neugier und für den Bruch mit der scholastischen Tradition gelten kann. Allerdings nutzt Lemelie gerade van Leuvens Konzentration auf die Betrachtung des Sternenhimmels mit dem Fernrohr für seinen Mordanschlag aus, worin ein Hinweis auf die Gefährlichkeit der Neugierde liegen könnte. Aber da der Mord vom Bösewicht der Geschichte verübt wird, scheint sich eine solche Betrachtungsweise auszuschliessen. Auch in den WF ist von einem Fernrohr die Rede; es spielt jedoch erst in der Erzählgegenwart des Romans eine Rolle - in der Chronologie der Insel also rund 80 Jahre später -, als Eberhard und seine Reisegefährten aus Europa auf die Insel Klein Felsenburg fahren und von dort aus mit einem sehr grossen Fernrohr weiteres Land erblicken ( WF II : 485-486), das sie gerne erkunden möchten. Doch Albert Julius, der offensichtlich van Leuvens einstigen Tadel seiner Neugier interiorisiert hat, spricht sich nun entschieden gegen eine solche Expedition aus ( WF II: 489). Trotz dieser Tendenz zu Rationalität und Modernisierung und der Ausblendung des Religiös-Wunderbaren, das bei Schnabel die Atmosphäre bestimmt, wird Albert auch in Oehlenschlägers Text im Schlaf von Cyrillos Erscheinung heimgesucht, was seine rationale Einstellung ins Wanken bringt, wie folgende Reflexion zeigt: 69 Der Autor stellt mit Bezug auf Robinson Crusoe fest: „In der neuzeitlichen Inselliteratur markiert der Blick vom Berg einen Akt der Bemächtigung“ (Moser 2005: 416). 70 Zu dieser Episode und der Figur Barthels vgl. Kap. 8.1. 142 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Freilich etwas Wunderbares mischte sich in diesen Traum: doch nicht etwas ganz Unmögliches. Die Seele macht mitunter Combinationen nach der Wahrscheinlichkeit, die mit der Wirklichkeit seltsam zusammentreffen. ( IS III : 337) Hier zeigt sich ein markanter Gegensatz zum Traumerlebnis bei Schnabel: Während Albert und van Leuven in Schnabels Text die Traumerscheinung sogleich als Manifestation göttlichen Willens 71 erkennen, deren gebieterischer Anweisung sie unbedingten Gehorsam schulden ( WF I: 203), reflektiert Oehlenschlägers Albert das Traumgeschehen. Dabei gewährt er dem Wunderbaren - ganz im Sinne der Aufklärung und im Anklang an die poetologische Diskussion zwischen Bodmer / Breitinger und Gottsched - nur so viel Raum, wie es die Grenzen des Möglichen zulassen. Auch die Begriffe „Wahrscheinlichkeit“ und „Wirklichkeit“ des folgenden Satzes zielen auf eine Eindämmung der Dominanz des Wunderbaren. 72 Die zitierten Worte lassen bei aller Kürze doch auch eine gegenüber Schnabel gänzlich veränderte Einstellung zum Traum erkennen, der nicht mehr als gottgesandt verstanden wird, sondern als ein Phänomen, das in der eigenen Seele entsteht 73 - eine Auffassung, die sich mit der oben angedeuteten Tendenz zur Individualisierung, zur Wahrnehmung des eigenen Ich verbindet und einhergeht mit der „Erweiterung des Blickes ins Innere des Menschen“. 74 Bei der Beschreibung von Cyrillos Auftritt scheint es fast, als vollziehe der Text nun eine Gegenbewegung zu Reflexion und Nachdenklichkeit: Während Schnabels Cyrillo ohne lange Einleitung erscheint und zu sprechen beginnt, formt Oehlenschläger diese vergleichsweise konzise Darstellung, ausgehend von den wenigen Hinweisen, mit denen Schnabel das Gespenstische der Erscheinung charakterisiert („langer Mann“ / „weisser Bart“ / „mit einem langen Kleide von rauchen Thier-Häuten“ / „in der Hand aber eine grosse Lampe mit 4. Dachten“, WF I: 200), zu einer mit Elementen des Schauerromans ausgeschmückten, von 71 Peter-André Alt sieht hierin generell die Hauptfunktion des Traumes in der Literatur des 17. und frühen 18. Jahrhunderts und bemerkt mit Blick auf die Traumszenen der Insel Felsenburg : „Der Traum ist hier, noch im Sinne der Metaphysik des 17. Jahrhunderts, das Zeichen jener providentiellen Regie, die das Leben des Menschen beherrscht“ (Alt 2011: 147). 72 Gleich zwei Untersuchungen haben sich in neuerer Zeit mit Oehlenschlägers Auffassung des Wunderbaren auseinandergesetzt; beide behandeln die 1816 erschienene Märchenanthologie des Autors und stellen dabei auch in nichtfiktionalen Texten Oehlenschlägers eine ähnlich reservierte Haltung wie in IS III: 337 mit Bezug auf das Wunderbare fest - dies ausgerechnet bei Oehlenschlägers Kommentierung seiner Auswahl von Märchen, der Gattung des Wunderbaren und der Phantasie schlechthin! (Vgl. Anz 2006: 61 und 62, Anm. 38, sowie 68; ferner De Mylius 2010: 142). 73 Dabei erinnert der Satz „Die Seele macht mitunter Combinationen nach der Wahrscheinlichkeit …“ an fast wörtlich gleichlautende Formulierungen, wie sie G. H. Schubert in seiner 1814 erschienenen Symbolik des Traumes , bekanntlich eine der einflussreichsten Traumtheorien der Romantik, öfters verwendete, vgl. Schubert (1814: 3, 11, 15, usw.). Schuberts Werk kann als Zeugnis für die intensive Beschäftigung der Zeit um 1800 mit dem Wesen des Traumes gelesen werden. Ob Oehlenschläger das Buch kannte, lässt sich m. E. nicht feststellen - für seine Bibliothek ( Bibliotheca Oehlenschlägeriana ) ist es nicht nachgewiesen; dennoch ist angesichts des engen Kontakts des Autors mit den deutschen Romantikern davon auszugehen, dass er mit dem Traumdiskurs seiner Zeit vertraut war und ihn mindestens teilweise für sein Werk fruchtbar machte. So verteidigt er in den Anmerkungen zu seiner Tragödie Væringerne i Miklagard (1827) die Erscheinung Olafs des Heiligen in Haralds Traum: Kürzlich sei ihm in einer ästhetischen Schrift (der nicht genannte Verfasser ist Heiberg) der Einbezug von Übernatürlichem in seine Tragödien vorgeworfen worden; es handle sich hier [in Væringerne ] aber nicht um die Offenbarung des heiligen Olaf, sondern lediglich um Haralds Traum ( Skuespil 1827: 296). 74 Formulierung von Schulz, G. (1996: 35) im Zusammenhang mit seiner Definition der „Erweiterung des Blickes“ in allen Sphären des menschlichen Lebens als eines der Grundelemente der Romantik. 4.3 Zweimal Alberts „Traum“: Die Stimmen der Einsiedler im Dialog 143 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Ton- und Lichteffekten begleiteten Spukszene um, in der Cyrillo, bei Schnabel eine Gestalt von respektgebietender Autorität, poltert und seufzt, vom „langen Mann“ zum „langen hageren Greis“ wird, dessen Hand nun als „alte runzlichte Knochenhand“ beschrieben wird - kurz, Oehlenschlägers Text zeigt ein trauriges Gespenst mit parodistischen Zügen. Eine Gegenüberstellung der Reden der beiden Einsiedlerfiguren ergibt folgendes Bild (Übereinstimmungen sind kursiv dargestellt): WF I: 201-202 IS III: 339 Verwegner Jüngling! Was wilstu dich unterstehen diejenige Wohnung zu verschütten, woran ich viele Jahre gearbeitet, ehe sie zu meiner Bequemlichkeit gut genug war. Meinestu etwa das Verhängniß habe dich von ohngefähr in den Graben gestossen , und vor die Thür meiner Höle geführet? Nein keines wegs! Denn weil ich mit meinen Händen 8. Personen auf dieser Insul aus christlicher Liebe begraben habe , so bistu auserkohren meinem vermoderten Cörper eben dergleichen Liebes-Dienst zu erweisen . Schreite derowegen ohne alle Bekümmerniß gleich morgenden Tages zur Sache, und durchsuche diejenige Höle ohne Scheu, welche du gestern mit Grausen verlassen hast, woferne dir anders deine zeitliche Glückseligkeit lieb ist. Wisse auch, dass der Himmel etwas besonderes mit dir vor hat. Deine Glückseeligkeit aber wird sich nicht eher anheben, biß du zwey besondere Unglücks-Fälle erlitten, und diesem deinen Schlaf-Gesellen, zur bestimmten Zeit den Lohn seiner Sünden gegeben hast. Mercke wohl was ich dir gesagt habe, erfülle mein Begehren, und empfange dieses Zeichen, um zu wissen, dass du nicht geträumet hast. Mit Endigung dieser letzten Worte, drückte er mich, der ich im grösten Schweisse lag, dermassen mit einem seiner Finger oben auf meine rechte Hand, daß ich laut an zu schreyen fieng, worbey auch zugleich Licht und alles verschwand, so, daß ich nun weiter nichts mehr als den ziemlich hellen Himmel durch die Laub- Hütte blicken sah. Leichtsinniger Knabe! Diese Höhle willst Du wieder verlassen, woran ich so viele Jahre hindurch fleissig arbeitete, bis sie zu meiner Bequemlichkeit taugte? Meinst Du etwa das Verhängniß habe Dich zufällig in jenen Graben hinunter gestossen ? Nein, keinesweges! Weil ich aber mit eigenen Händen mehrere Christenbrüder hier auf der Insel begraben habe , ziemt es Dir auch mir diesen Liebesdienst zu erweisen. Fürchte Dich nicht! Oeffne meine Wohnung. Hüte Dich aber hinein zu gehen, ehe Du mit Schießpulver und Rauchwerk die Luft gereinigt hast. Deine Mühe wird Dir reichlich belohnt werden; und ein in Gott verstorbener Christ dankt Dir, daß Du ihm die Grabesruhe gönnst. Mit diesen Worten verschwand die Erscheinung, oder ich erwachte vollends aus meinem Traume; in welchem Zustande, könnt ihr selber denken. Es ist augenfällig, dass der Text der IS mit zahlreichen wörtlichen Übernahmen 75 aus dem Prätext beginnt, darauf teils inhaltlich, teils formal eine neue Wendung nimmt und schliess- 75 Dies lässt den Schluss zu, dass Oehlenschläger bei seiner Neuschreibung Schnabels Text vor Augen hatte. In ihren Anmerkungen zu Levnet I: 161 erwähnen die Herausgeber, Poul Linneballe und Povl Ingerslev-Jensen, dass Oehlenschläger die Ausgabe von 1751 besessen habe. Die Überprüfung der hier 144 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 lich ganz verstummt. Es ergibt sich also eine Bewegung, die von der vollen Bejahung (wörtliche Zitate) über Neuschöpfungen bis zur gänzlichen Negierung der Vorlage führt. Mit dieser kurzen Charakterisierung ist das Verhältnis zwischen den beiden Texten erst grob umrissen: Damit das auf den gewählten Textausschnitt angewendete Verfahren noch klarere Konturen gewinnt, soll nachstehend auch Arnims Bearbeitung derselben Stelle mit Schnabels Text verglichen werden: WF I: 201-202 Der Wintergarten (Arnim 1990, 3: 135) Verwegner Jüngling! Was wilstu dich unterstehen diejenige Wohnung zu verschütten , woran ich viele Jahre gearbeitet, ehe sie zu meiner Bequemlichkeit gut genug war. Meinestu etwa das Verhängniß habe dich von ohngefähr in den Graben gestossen, und vor die Thür meiner Höle geführet ? Nein keines wegs! Denn weil ich mit meinen Händen 8. Personen auf dieser Insul aus christlicher Liebe begraben habe , so bistu auserkohren meinem vermoderten Cörper eben dergleichen Liebes-Dienst zu erweisen. Schreite derowegen ohne alle Bekümmerniß gleich morgenden Tages zur Sache, und durchsuche diejenige Höle ohne Scheu, welche du gestern mit Grausen verlassen hast, woferne dir anders deine zeitliche Glückseligkeit lieb ist. Wisse auch, dass der Himmel etwas besonderes mit dir vor hat. Deine Glückseeligkeit aber wird sich nicht eher anheben , biß du zwey besondere Unglücks-Fälle erlitten, und diesem deinen Schlaf-Gesellen , zur bestimmten Zeit den Lohn seiner Sünden gegeben hast. Mercke wohl was ich dir gesagt habe, erfülle mein Begehren, und empfange dieses Zeichen, um zu wissen, dass du nicht geträumet hast. Mit Endigung dieser letzten Worte, drückte er mich, der ich im grösten Schweisse lag, dermassen mit einem seiner Finger oben auf meine rechte Hand, daß ich laut an zu schreyen fieng , worbey auch zugleich Licht und alles verschwand, so, daß ich nun weiter nichts mehr als den ziemlich hellen Himmel durch die Laub-Hütte blicken sah. Verwegner , du willst verschütten , was ich in vielen Jahren ausgearbeitet; kein Ungefähr hat dich in diese Höhle geführt , denn wie ich acht Menschen auf diese Insel begraben habe , so bist du auserkoren mir diesen letzten Liebesdienst zu erweisen . Wisse, dass der Himmel etwas Besonderes mit dir vorhat , doch wird dein Glück erst nach zwei Unglücksfällen anheben ; du aber wirst deinem Schlafgesellen den Lohn seiner Sünden geben . Bei Endigung dieser Worte drückte er mit einem seiner langen trocknen Finger auf meine Hand , dass ich an zu schreien fing, alles verschwand , und die hellen Sterne blinkten durch die Laubhütte . Arnim behält, trotz Kürzung von Schnabels Text um über die Hälfte, viel von dessen Wortmaterial bei und belässt die wesentlichen Inhaltsaussagen unverändert, erreicht jedoch behandelten Stelle anhand des als Digitalisat zugänglichen ersten Teils jener Ausgabe ergibt keine Abweichungen vom entsprechenden Passus in der Erstausgabe (ausgenommen sind einzig gewisse orthographische Neuerungen; vgl. Die wunderlichen Fata einiger Seefahrer […] 1751, 1: 175-176). 4.3 Zweimal Alberts „Traum“: Die Stimmen der Einsiedler im Dialog 145 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 durch verkürzte Verbalformen (z. B. Reduktion von zusammengesetzten Zeiten auf das Partizip) oder syntaktische Umstellungen und Zusammenzüge eine schlanke, klare Form, die einen grossen Gegensatz zu Schnabels überbordenden Wortkaskaden bildet. Auf diese Weise meistert Arnim die Kunst, die Weitschweifigkeit des älteren Textes zu zügeln, ohne dessen stilistisches Kolorit preiszugeben. Natürlich ist die durchgängige Kürzung auch gattungsbedingt: Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei Arnims Bearbeitung um eine Novelle seines Zyklus Der Wintergarten (vgl. Kap. 1.3). Trotz der ausserordentlichen Straffung enthält auch Arnims Text an einer Stelle eine Erweiterung: Bei Schnabel drückt der Greis „mit einem seiner Finger“ auf Alberts Hand, was Arnim zu „mit einem seiner langen trocknen Finger“ ausschmückt - auch er, wie Oehlenschläger, betont also das Gespenstische der Erscheinung. 76 Eine weitere, auf den ersten Blick unscheinbare Veränderung findet sich im letzten Satz: Bei Schnabel sieht Albert „weiter nichts mehr als den ziemlich hellen Himmel durch die Laubhütte blicken“ ( WF I, 202), was Arnim ersetzt mit „die hellen Sterne blinkten durch die Laubhütte“ - die Sterne treten also an die Stelle des Nichts; sie lösen den Einsiedler als Subjekt ab und bekräftigen, ja, verkörpern durch ihre traditionelle Funktion als Schicksalsträger, Schutz und Wegweiser dessen Botschaft. 77 76 Diese Tendenz zur Evozierung des Gespensterhaften, Grauenerregenden scheint eine gängige Ansicht über die Bearbeitungen des frühen 19. Jahrhunderts zu relativieren, wie sie z. B. Uli Wunderlich äussert: „Jedes einzelne dieser Werke glättet Schnabels spätbarocke Sprache. Die Texte der Romantiker verzichten auf Kraftausdrücke […]“ (2000-2001: 161). Zwar lässt sich, bezogen auf unseren Beispieltext, insofern tatsächlich von einer „Sprachglättung“ sprechen, als z. B. Schnabels drastischer Ausdruck vom „vermoderten Cörper“ sowohl bei Oehlenschläger wie bei Arnim durch das neutrale Pronomen „mir“ ersetzt wird; andrerseits wurde in der von Tieck eingeleiteten Ausgabe von 1828 Schnabels Terminus unverändert beibehalten (1828,1: 187). Eine so stark generalisierende Aussage wie die oben zitierte wird offensichtlich der Vielfalt der erwähnten Bearbeitungen der Insel Felsenburg nicht gerecht. 77 Die Sterne erscheinen auch in anderen Bearbeitungen der Insel Felsenburg des 19. Jahrhunderts an dieser Stelle, allerdings zum blossen Topos verblasst, ohne die durch Arnims syntaktische Verschiebung gewonnene Symbolkraft. Vgl. z. B. die von Tieck eingeleitete Ausgabe (1828), in der es heisst: „… so dass ich nun weiter nichts mehr als den sternhellen Himmel durch die Laubhütte blicken sah“ (1828,1: 188). In der ebenfalls 1828 erschienenen dänischen Übersetzung und Bearbeitung unter dem Titel Öen Klippeborg eller flere Söefarendes forunderlige Hændelser von Andreas Rasmussen lautet die Stelle: „saae at jeg nu ei saae andet end den stiernefulde Himmel, jeg kunde skimte igiennem Løvhytten“ [so dass ich nun nichts anderes sah als den sternenbesetzten Himmel, den ich durch die Laubhütte erahnen konnte] (1828,1: 154). Auch in der isländischen Übersetzung Felsenborgarsögur eður æfisögur ýmsra sjófarenda von 1854 heisst es: „svo jeg sá ekkert nema heiðan himininn, og stjörnuljósið að skína inn um laufskálann“ [so dass ich nichts als den hellen Himmel und das Sternenlicht zur Laubhütte herein scheinen sah] (143). Im Übrigen deuten neben dieser Stelle noch weitere Parallelen darauf hin, dass der dänische Text - trotz desselben Erscheinungsjahres - eine Übersetzung der von Tieck eingeleiteten Ausgabe sein könnte. Auch die isländischen Herausgeber könnten neben der ersten dänischen Übersetzung von 1761 diese zweite dänische Version in ihre Bearbeitung einbezogen haben; ihre Angabe in Titel und Nachwort, dass der isländische Text aus dem Dänischen übersetzt sei, lässt völlig offen, um welche dänische Ausgabe es sich handelt. Thomas Krömmelbein setzt zwar voraus, dass die dänische Übersetzung von 1761 gemeint sei, wenn er schreibt: „Die Übersetzung folgt der dänischen Ausgabe von 1761, was die Herausgeber von 1854 auch freimütig in ihrem Nachwort bekennen“ (1992-1995: 97). Doch ist diese Auffassung vielleicht darauf zurückzuführen, dass die zweite dänische Übersetzung weitgehend unbekannt blieb; auch in Hermann Ullrichs Standardbibliographie Robinson und Robinsonaden von 1898 ist sie nicht verzeichnet. 146 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Arnims stilistische Virtuosität bleibt für Oehlenschläger, der bei aller Sprachkunst doch in einer Fremdsprache schreibt, naturgemäss unerreichbar; seine eigenen, von prosaischer Nüchternheit geprägten Sätze bilden nicht nur einen starken Kontrast zu Arnims poetisierender Sprache, sondern legen auch eine inhaltliche und stilistische Bruchstelle zum wörtlichen Zitat aus Schnabels Text offen: Die Feierlichkeit der Prophezeiung von Unglück und Glück ist ersetzt durch praktische Instruktionen, wie die Luft der Höhle zu reinigen sei. 78 Jedoch soll es bei diesem Textvergleich ja nicht um die Analyse ästhetischer Qualitäten gehen, sondern vielmehr um die Untersuchung des Verhältnisses zwischen dem Prätext und seinen Nachfolgern. Arnims Bearbeitung hat trotz der erwähnten Veränderungen im Ganzen den Charakter einer weitgehenden Bejahung des Prätextes und kommt deshalb - allerdings nur bezogen auf das ausgewählte, sehr kurze Textbeispiel 79 - einer „blossen Versetzung von einem Zeichensystem in ein anderes“ nahe (Pfister 1985: 29), auch wenn hier kein Medienwechsel, sondern lediglich ein Gattungswechsel vom Roman zur Novelle vorliegt. Demgegenüber tritt Oehlenschlägers Neuschreibung mit dem Prätext in einen dialogischen Prozess: Ein Spiel von Nähe und Distanz wird etabliert, das ein spannungsvolles Verhältnis zwischen Prä- und Folgetext sichtbar macht; es entsteht eine Ambivalenz, in der sich der Folgetext seinem Vorgänger weder unterordnet noch diesen verdrängt, sondern mit ihm dialogisiert, entsprechend dem dualen Charakter von Bachtins vielzitierter Forderung : „[…] es gilt, gegen oder für alte literarische Formen zu kämpfen, sie sind zu benutzen und zu kombinieren, ihr Widerstand ist zu überwinden oder in ihnen ist Unterstützung zu suchen“ (Bachtin 1979: 120). 80 Bachtins Aussage deutet in ihrer doppelten Bewegung natürlich auch auf das dekonstruktive Element bestimmter Ausprägungen der Intertextualität. Stellt man den besprochenen Ausschnitt aus den IS in seinen grösseren Textzusammenhang, lassen sich in den bereits erwähnten Differenzen zu den WF auch auf der Inhaltsebene dekonstruktive Züge feststellen: Die würdige Figur des Einsiedlers wird zur Spukerscheinung degradiert, zum pitoyablen Gespenst, das sich nicht einmal mehr durch den Druck seines Fingers auf Alberts 78 Dieser unvermittelte Einschub scheint in seiner Rationalität aus der Aufklärung zu stammen; tatsächlich bemüht sich Oehlenschläger, wie der Fortgang des Textes zeigt, nicht um Zeitkolorit, sondern lässt „Mehrstimmigkeit“ zu, indem er Aufklärungsthematik mit barocken und romantischen Elementen mischt, was je nach Rezipient und literaturwissenschaftlicher Position als Unvermögen kritisiert (z. B. Jørgensen 1969: 142), oder als Schaffung eines Raumes für „ästhetische Dialogizität“ verstanden wird (Brynhildsvoll 1996: 123). Alvhild Dvergsdal weist ein ähnliches Verfahren für das Sanct Hansaften- Spil nach, das sie in Anlehnung an Bachtins Polyphoniebegriff beschreibt als „en korisk komposisjon der ulike røster […] lyder. Moderne individualisme, teknologisering og rasjonalisme reflekteres i stemmegruppene, samtidig som ekko fra og minner om en livsverden med fortidens preg kommer til uttrykk“ (Dvergsdal 1997: 63). [eine chorische Komposition, in der unterschiedliche Stimmen […] erklingen. Moderner Individualismus, Technologisierung und Rationalismus reflektieren sich in den Gruppen von Stimmen, während gleichzeitig Nachhall und Erinnerungen einer Lebenswelt mit dem Gepräge der Vorzeit zum Ausdruck kommen]. 79 Es sei hier nochmals darauf hingewiesen, dass Arnims Novellenzyklus Wintergarten in seiner Gesamtheit ein eminent polyphoner Text ist, dessen „montageartige[r] Kombination“ Dieter Martin am Beispiel von Arnims Bearbeitung eines Teils der Insel Felsenburg eine eingehende Untersuchung widmet (Martin 1996: 25). 80 Bernd Schulte-Middelich plädiert dafür, gerade diese Dualität von Bachtins Aussage zu respektieren, denn diese verenge sich „in der späteren Theorie- und offenbar erst recht in der Wertungsdiskussion nur zu oft auf den Aspekt des Innovatorischen, auf die Überwindung des Widerstands der Prätexte“ (Schulte-Middelich 1985: 200). 4.3 Zweimal Alberts „Traum“: Die Stimmen der Einsiedler im Dialog 147 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Hand im wörtlichen Sinn „einprägen“ kann; dieser Destruierung von Cyrillos Autorität steht die Aufwertung von Alberts Status im Vergleich zu jenem seines Pendants in den WF gegenüber: Er erscheint selbständiger und autonomer. Zwar redet ihn Cyrillo mit „Leichtsinniger Knabe“ an, was im Vergleich zu Schnabels „Verwegener Jüngling“ eine Rückstufung in ein kindlicheres Stadium und damit eine Verharmlosung bedeutet, 81 und der Sturz in die Tiefe vereitelt den Eroberergestus auf der Anhöhe, doch findet Albert sich danach ohne die Hilfe seiner Gefährten durch den Rückgriff auf Ressourcen seiner eigenen Vergangenheit und seines Innern zurecht; der Fingerdruck des Einsiedlers wird ihm nicht etwa verwehrt, sondern er bedarf dessen gar nicht: Bei Schnabel beglaubigt der Fingerdruck die Wahrheit von Alberts Erzählung, weshalb van Leuven, der das Zeichen als Fingerzeig Gottes versteht, Albert als ihm gleichgestellten Freund und Bruder annimmt ( WF I: 202). In den IS ist eine solche Legitimierung nicht nötig: Albert ist als Nachkomme Luthers von vornherein dem Adligen van Leuven ebenbürtig; die Tatsache der Nobilitierung durch die Abstammung vom Kirchenfürsten durchzieht Alberts autobiographische Erzählung wie ein Refrain; nebenbei gesagt, erzeugt dies - in einer wiederum dekonstruktiven Wendung - nicht nur Ehrfurcht, sondern, gerade durch die ständige Wiederholung, auch Spott (z. B. IS II : 229). Die Erzählung der Entdeckung von Cyrillos Höhle ist in den IS also geprägt von Destabilisierung und Unterminierung der im Prätext noch fest gefügten Hierarchien, was sich im Übrigen schon zu Beginn mit der Loslösung der Szene aus dem religiösen Kontext des Prätextes und damit aus dem Bereich der allem übergeordneten göttlichen Autorität ankündigt. Die geschilderten Textbeziehungen scheinen darauf hinzuweisen, dass sich der Folgetext nicht dem Prätext als dem „Übervater“ unterordnet, ihn aber auch nicht zu verdrängen versucht, um sich an seine Stelle zu setzen, sondern sich im Kampf der Texte mittels eines dialogischen Prozesses als gleichrangig neben seinem Vorgänger behauptet. Es bleibt noch zu fragen, wie der besprochene Textausschnitt in den übrigen Ausgaben von Oehlenschlägers Roman erscheint. Zunächst soll die Rede des Einsiedlers Cyrillo in der dänischen Version von 1824 / 25 mit ihrem Gegenstück in der deutschen Erstausgabe verglichen werden: 81 Man könnte die Differenz - mit Klaus Müller-Wille - auch als „Infantilisierungsstrategie“ bezeichnen (2016: 140). 148 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 IS III: 339 ØS III: 306 1 5 10 15 20 Leichtsinniger Knabe! Diese Höhle willst Du wieder verlassen, woran ich so viele Jahre hindurch fleissig arbeitete, bis sie zu meiner Bequemlichkeit taugte? Meinst Du etwa das Verhängniss habe Dich zufällig in jenen Graben hinunter gestossen? Nein, keinesweges! Weil ich aber mit eigenen Händen mehrere Christenbrüder hier auf der Insel begraben habe, ziemt es Dir auch mir diesen Liebesdienst zu erweisen. Fürchte Dich nicht! Oeffne meine Wohnung. Hüte Dich aber hinein zu gehen, ehe Du mit Schiesspulver und Rauchwerk die Luft gereinigt hast. Deine Mühe wird Dir reichlich belohnt werden, und ein in Gott verstorbener Christ dankt Dir, dass Du ihm die Grabesruhe gönnst. Mit diesen Worten verschwand die Erscheinung, oder ich erwachte vollends aus meinem Traume; in welchem Zustande, könnt ihr selber denken. Letsindige Knøs! Denne Hule vil du atter forlade, som jeg har arbeidet paa i saamange Aar, indtil den blev mig nyttig og magelig? Troer du at Forsynet blot tilfældigt lod dig styrte ned til mig igaar? Nei, ingenlunde. Men da jeg, med egne Hænder, har begravet flere Christenbrødre paa denne Øe, sømmer det sig ogsaa dig, at giøre mig samme Skiel. Vær uden Frygt! Aabne min Bolig, men vogt dig for at gaae ind, før du har rendset Luften med Krudt og Røgelse. Du vil finde din Umage rigelig lønnet; og en i Gud hensovet Christen takker dig, naar du skaffer ham Ro i sin Grav. Med disse Ord forsvandt Synet, eller vaagnede jeg af Drømmen; i hvilken Tilstand, kunne I let begribe. Die Gegenüberstellung der beiden Versionen zeigt, dass inhaltlich eine weitgehende Übereinstimmung angestrebt wurde. Jedoch wird an gewissen syntaktischen und semantischen Unterschieden deutlich, dass der dänische Text vom deutschen unabhängiger ist, als es bei einer herkömmlichen, auf möglichst grosse Äquivalenz bedachten Übersetzung der Fall wäre. Ein Vergleich mit der 1761-1765 erschienenen dänischen Erstübersetzung der WF lässt ausserdem den Schluss zu, dass Oehlenschläger sie für seine dänische Version nicht zu Rate zog. 82 Im Folgenden werden die auffälligsten Unterschiede zwischen dem deutschen und dem dänischen Text besprochen: Zeile 3 / 4 (dän. 3): Die deutsche Formulierung „bis sie (die Höhle) zu meiner Bequemlichkeit taugte“ wirkt im Dänischen durch die Aufteilung von Substantiv und Verb auf die zwei parallelgeschalteten Adjektive „nyttig og magelig“ eleganter und sogar konziser, obwohl der Satz in Wirklichkeit um ein Wort verlängert ist. Zeile 5 / 6 (dän. 5): Statt „in jenen Graben hinunter“ steht dänisch „ned til mig“: Damit wird die Situation persönlicher und menschlicher, denn nicht mehr der Graben ist zentral, sondern Cyrillo selbst, der sich mit der Zeitangabe „igaar“ auf Alberts zeitliche Ebene einlässt. Das gewaltsame „Hinunterstossen“ erscheint gemildert; „lod styrte ned“ verweist eher auf die Befehlsgewalt als auf die aktive Handlung der höheren Macht. 82 Dies, obwohl er Schnabels Roman vermutlich in dieser Ausgabe kennengelernt hatte (vgl. Kap. 1.1 dieser Arbeit). 4.3 Zweimal Alberts „Traum“: Die Stimmen der Einsiedler im Dialog 149 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Zeile 9 / 10 (dän. 8): Während das deutsche Wort „Liebesdienst“ die christliche Nächstenliebe als Handlungsmovens betont, weist die Wahl des dänischen „samme skiel“ auf ein juristisches Verhältnis, in dem ein Gleichgewicht von Geben und Nehmen angestrebt wird. 83 Natürlich ist die Wortwahl auch mitbedingt durch das offensichtliche Fehlen eines dem deutschen „Liebesdienst“ äquivalenten Ausdrucks. 84 Der Kontext schliesst die verwandt scheinenden dänischen Termini „Vennetjeneste“ oder „Vennestykke“ aus, da sie auf die Beziehung zwischen Cyrillo und Albert - auch im persönlicher wirkenden dänischen Text - nicht zutreffen und zudem oft ironisch konnotiert sind ( ODS 26: 1137-1138). Zeile 13 / 14 (dän. 11 / 12): „Deine Mühe wird dir reichlich belohnt werden“: Der dänische Text wendet den passiven in den aktiven Modus und setzt Albert als Subjekt ein; er wird so zum Handlungsträger der im deutschen Satz unpersönlich formulierten Aussage. Zeile 14 / 15 (dän. 12 / 13): Wirkt schon Oehlenschlägers deutscher Ausdruck „ein in Gott verstorbener Christ“ im Verhältnis zu Schnabels drastischer Formulierung dieser Stelle („meinen vermoderten Cörper“, WF I: 201) euphemistisch, 85 so scheint diese Tendenz zur Beschönigung noch verstärkt in der dänischen Version: „en i Gud hensoven Christen.“ Doch darf bei dieser Einschätzung nicht übersehen werden, dass hier - weit dezidierter als im deutschen Text - auf die Sprache der Bibel zurückgegriffen wird. 86 Zeile 15 / 16 (dän. 13 / 14): „[…] dass Du ihm die Grabesruhe gönnst“ erscheint im Dänischen mit „naar du skaffer ham ro i sin grav“ aus dem emotional-spirituellen Bereich auf eine pragmatische, handlungsbetonte Ebene verschoben, was wiederum Albert in die Rolle des tatkräftig Handelnden versetzt. Die genannten Unterschiede erscheinen insgesamt geringfügig, bewirken aber doch, dass Cyrillo auf Dänisch natürlicher, direkter und persönlicher spricht. Seine Autorität tritt durch diese in vielen Fällen auf Alltäglichkeit hin tendierende Ausdrucksweise noch mehr zurück, während Alberts Position auf subtile Weise weiter gestärkt wird. Die deutlicher ausgeprägte Unabhängigkeit des Autors von Schnabels Vorlage, die sich an der freieren 83 In ODS 19: 346, wird „gøre samme skel“ als Synonym zu dem im Danske Lov verwendeten „gøre en lige“ erwähnt. 84 Die dänische Übersetzung der Insel Felsenburg von 1761-1765, die unverkennbar vom Prinzip der grösstmöglichen Treue zum Quellentext geleitet wird, behilft sich mit der Aufspaltung des Begriffs in seine Bestandteile und gibt diese mit „Kierlighed og Tieneste“ wieder. 85 Ganz im Gegensatz dazu folgt die zeitgenössische dänische Übersetzung von 1761-1765 Schnabels ungeschminkter Ausdrucksweise wörtlich mit der Bezeichnung: „mit forraadnede Legeme“ (Bd. 1: 170). 86 Vgl. die beiden Bibelzitate, die Otto Kalkar in seinem Ordbog over det ældre danske Sprog 1300-1700 als Belegstellen angibt (Bd. II: 191). 150 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 sprachlichen Gestaltung ablesen lässt, führt also auch zu einer noch grösseren Autonomie seiner Hauptfigur. Nun soll noch untersucht werden, wie der gewählte Textausschnitt in den späteren Ausgaben von Oehlenschlägers Roman gestaltet wurde. Zunächst werden die beiden späteren deutschen Ausgaben mit IS verglichen, 87 dann sollen die vier dänischen Folgeausgaben auf Unterschiede zu ØS überprüft werden. Angesichts der zum Teil einschneidenden Kürzungen, welche die Fassung von 1839 erfahren hat, fällt auf, dass unser Textbeispiel ungekürzt und wörtlich übernommen wurde. Einige wenige Unterschiede existieren lediglich in Interpunktion und Orthographie. Dasselbe gilt prinzipiell für die Ausgabe von 1911, wobei diese allerdings von orthographischen, teils auch morphologischen Modernisierungen geprägt ist, wie z. B. „keineswegs“ statt des älteren „keinesweges“; auch werden Umlaute am Wortanfang nun mit einem einzigen Zeichen geschrieben („Öffne“ statt „Oeffne“); die Personalpronomen erscheinen durchwegs klein geschrieben; es werden bei direkter Rede Anführungs- und Schlusszeichen verwendet. Die erste dänische Neuausgabe von 1846 zeigt folgende Änderungen: • die Aufforderung „Aabne min Bolig“ [Öffne meine Wohnung] lautet nun: „Luk op min Bolig“, d. h. es wurde eine alltäglichere, 88 möglicherweise auch energischere Formulierung gewählt; • statt „Ro i sin Grav“ [Ruhe in seinem Grab] steht „Ro i Graven“ [Ruhe im Grab], also ein formelhafter Ausdruck, näher beim Wort „Grabesruhe“ des deutschen Textes; • die Schlussworte „i hvilken Tilstand, kunne I let begribe“ [in welchem Zustand, könnt ihr leicht verstehen] wurden gestrichen. Damit entfällt der Appell an die Zuhörer, der zugleich an die Leser gerichtet war und bei diesen kurz das Bewusstsein für die Erzählgegenwart weckte, in der Albert als alter Mann Rückschau auf seine Vergangenheit hält. Es lässt sich kaum entscheiden, ob diese Anrede als Illusionsbruch gesehen wurde, der an dieser Stelle vermieden werden sollte, oder ob die Worte redundant schienen, nachdem schon vor Cyrillos Auftritt an die Zuhörer und Leser appelliert worden war („Hvad der hændte mig, vil jeg fortælle Eder“ [Was mir geschah, will ich euch erzählen], Øen i sydhavet 1846, II : 125). Die erwähnten Unterschiede zu ØS finden sich auch in den drei weiteren Ausgaben des Romans von 1852, 1862 und 1904. 89 Abgesehen davon erfuhr der Textausschnitt keine Änderungen; jede dieser Ausgaben gibt also die Fassung von 1846 wort- und buchstabengetreu wieder. Die bis auf wenige Einzelheiten unveränderte Übernahme des untersuchten Textausschnittes in den deutschen und dänischen Folgeausgaben weist wohl darauf hin, dass der Autor dieser Stelle besonderes Gewicht beimass; in der Tat wurde sie, wie aus der Bespre- 87 Die Edition des Inktank-Verlages von 2018 wird nicht einbezogen, da sie, wie in Kap. 1.5 erwähnt, ein Digitalisat der Erstausgabe von 1826 ist. 88 Das ODS stuft insbesondere für den Imperativ die semantische Variante „lukke op“ als gebräuchlicher ein (vgl. ODS 13: 63). 89 Die epub-Ausgabe von 2013 (vgl. Kap. 1.5) stellt eine unveränderte Wiedergabe der Liebenbergschen Edition von 1862 dar (lediglich Schrift und Orthographie wurden dem heutigen Standard angepasst); sie wird deshalb in die Vergleiche nicht einbezogen. 4.4 Fazit 151 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 chung der ersten Fassung ersichtlich, auf der Grundlage von Schnabels Vorlage besonders sorgfältig in den gegenüber Schnabel veränderten Kontext eingepasst. Auch die Herausgeber der dänischen Fassungen von 1862 und 1904, die teilweise verändernd in den Romantext eingriffen, sahen offensichtlich an dieser Stelle keinen Grund für Änderungen. Dasselbe gilt für die eingangs kurz referierte Schilderung von Alberts Höhlenentdeckung, die in allen Fassungen weitgehend unverändert bleibt, bis auf eine markante Kürzung in den deutschen Folgeausgaben: Gestrichen wurde der Passus, der das Auftreten des Wunderbaren, aber doch nicht Unmöglichen im Traum, hervorgerufen durch bestimmte seelische „Combinationen“ ( IS III : 337), reflektiert. Durch die Streichung entfällt einerseits die Anspielung auf die besonders in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vieldiskutierte poetologische Frage, ob sich die Darstellung des Wunderbaren in der Dichtung mit der Wahrscheinlichkeitsforderung in Einklang bringen lasse; andrerseits zieht die Einstufung der Szene als blosses Traumerlebnis auch eine klare Grenze zwischen den Bereichen der Wirklichkeit und der Imagination, die sich in der ungekürzten Fassung noch teilweise überschnitten, so dass eine Zone der Ungewissheit entstand, in der das Wunderbare in Erscheinung treten konnte. Ob nun diese Reflexion als eines jener „Räsonnements“ betrachtet wurde, die „etwas ins Ästhetische hinauslaufen“ 90 und aus diesem Grund wegfallen musste, oder ob die Streichung signalisiert, dass die Diskussion des Wunderbaren in der Literatur allmählich als überholt angesehen wurde, lässt sich nicht eindeutig beantworten; für die zweite Vermutung spricht, dass der bewusste Passus in der dänischen gekürzten Fassung von 1846 (und in allen folgenden) beibehalten wurde, möglicherweise gerade, weil in der dänischen Poetikdiskussion, die in mancher Hinsicht der deutschen mit zeitlicher Verschiebung nachfolgte, die Debatte um das Wunderbare noch fortlebte. 4.4 Fazit In den besprochenen Passagen ging es darum, die Textbeziehungen zwischen den IS und den WF genauer zu betrachten. Die Frage war, in welcher Weise sich die Stimme von Schnabels Roman in den verschiedenen textuellen Realisierungen der IS manifestiert; es sollte insbesondere herausgearbeitet werden, ob dabei von einer polyphonen Anlage im Bachtinschen Sinn gesprochen werden kann, d. h. ob sich zwischen Prä- und Folgetext ein Verhältnis dialogischen Charakters erkennen lässt. Die Analyse der ausgewählten Textpassagen hat ergeben, dass in den IS tatsächlich ein Dialog mit den WF etabliert wird, in welchem der Prätext bald wörtlich übernommen, bald durch variantenreiche Verfahren der Verschiebung und Erweiterung umgeformt wird, so dass in der Rekontextualisierung und Umkodierung des verwendeten Textmaterials neue semantische Räume entstehen können. Während dies, wie in Kap. 4.3 gezeigt, durch minutiöse Änderungen und subtile Verschiebungen kleinster Satzsegmente erreicht wird, macht der Vergleich der beiden Eingangssequenzen deutlich, wie die Figur Eberhards bei gleicher Schicksalslage in beiden Romanen durch Hinzufügen, Ausmalen oder Umkodieren zahlreicher Details in den IS ganz neue Konturen gewinnt. Als wichtigstes Mittel bei diesem Verfahren der Neugestaltung hat sich der Einbezug einer Fülle von Texten erwiesen, die den 90 Vgl. Oehlenschlägers „Kürzungsprogramm“ (Briefzitat in Kap. 1.5). 152 4 Die Spuren der Prätexte Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 klar umrissenen Rahmen des Dialogs zwischen den WF als dem deklarierten Haupt-Prätext und dem Folgetext sprengen und stattdessen ein veritables Stimmenuniversum schaffen, wodurch Bachtins Vorstellung einer Dynamisierung des Textbegriffs in besonders vielfältiger Weise umgesetzt und akzentuiert wird. Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 5 Funktionen der Kunst in einer Biographie: Cyrillo de Valaro Cyrillos Traumerscheinung führt sowohl bei Schnabel wie in den IS zur Exhumierung seines Leichnams; dabei wird auch das Manuskript entdeckt, das seine auf der Insel im Rückblick niedergeschriebene Lebensgeschichte enthält. Cyrillos Figur und seine Schriften geben der Insel eine Geschichte: Sie ist keine terra incognita mehr, sondern war bereits vor ihrer Entdeckung durch die Felsenburger besiedelt und beschrieben. Der dadurch erkennbar gewordenen älteren Zeitschicht entspricht die räumliche Tiefe: Cyrillos Leichnam und sein Manuskript finden sich in einer Höhle, wobei der unterirdische Raum die zeitliche Tiefe spiegelt, in die der Leser bei der Lektüre von Cyrillos Bericht blickt; dasselbe gilt auch für das Felsenburger Publikum, dem Eberhard Cyrillos Lebensgeschichte vorliest, nachdem er sie aus dem Lateinischen übersetzt hatte. Diese Beziehung zwischen Raum und Zeit weist Elemente eines Bachtinschen Chronotopos auf, welcher dem Roman sowohl zeitlich wie räumlich neue Strukturen gibt. 1 Eine wesentliche strukturelle Neuerung der IS bedeutet die Eingliederung von Cyrillos Manuskript in den Erzählzusammenhang des Textes: Es befindet sich nicht mehr in einem Anhang an den Roman wie in den WF , sondern ist von dieser marginalen Position ins Innere der Erzählung gerückt worden, an den Ort, den es im Erzählablauf eigentlich besetzen sollte. In den WF wird die Verschiebung von Cyrillos Geschichte vom Haupttext in den Anhang damit begründet, dass dem „geneigten Leser in den Geschichten keine allzu grosse Verwirrung“ verursacht werden soll ( WF I: 208). Da in Alberts Erzählung seiner eigenen Lebensgeschichte immer wieder Berichte über Besuche in den verschiedenen Inselbezirken sowie mehrere Erzählungen oder Manuskripte von Lebensläufen anderer Felsenburger eingeflochten sind, kann man sich fragen, weshalb auf ähnliche Weise nicht auch Cyrillos Geschichte eingefügt wurde. Bedenkt man allerdings die Dimension dieser Geschichte - sie ist, abgesehen von Alberts eigenem Lebenslauf, bei weitem die längste der Vitae im ersten Band der WF -, so scheint es nicht unwahrscheinlich, dass Schnabel befürchtete, der Spannungsbogen von Alberts Erzählung würde durch den Umfang und die zeitliche Distanz dieses Einschubes zerstört. 2 Andrerseits war der Anhang - gerade im additiv gebauten Barockroman - ein beliebtes Formelement, das vielleicht auch im Roman der Frühaufklärung noch seinen Platz hatte; ein Appendix folgt ja ebenfalls auf den Schluss des vierten und letzten Bandes der WF . Die Integration von Cyrillos Vita in den Haupttext der IS zeigt eine Tendenz zum erzähltechnischen Realismus. Die neue Position liesse sich aber auch als Aufwertung von Cyrillos 1 In seiner Studie Chronotopos erläutert Bachtin Wesen und Funktion der sich wechselseitig bedingenden und ineinander verschmelzenden Raum-Zeit-Merkmale und illustriert sein Konzept mittels verschiedener romantheoretischer Analysen (Bachtin 2008). 2 Rolf Allerdissen kritisiert den Anhang als „ungeschickte Hilfskonstruktion“, die notwendig sei, „damit der epische Fluss der Erzählung, der durch die verschiedenen Einzelberichte schon beständig unterbrochen [werde], nicht gänzlich abreiss[e]“, denn Schnabel zeige sich dem „Arbeiten mit verschiedenen Zeitebenen […] nicht immer gewachsen“ (Allerdissen 1975: 69). 154 5 Funktionen der Kunst in einer Biographie: Cyrillo de Valaro Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Manuskript verstehen: Dem Leser soll dadurch möglicherweise signalisiert werden, dass es entscheidende Aussagen enthält, die nicht an den Rand geschoben werden sollen. In beiden Romanen werden Cyrillos Schriften „ausgegraben“, d. h. seinem steinernen Stuhl entnommen, nachdem sein Leichnam von Albert Julius und dessen Gefährten begraben worden war. Man könnte also sagen, dass die äussere Hülle, Cyrillos Körper, zuerst beseitigt werden musste, ehe seine Lebensbeschreibung als Ausdruck seines Inneren - gleichsam sein Kern - zum Vorschein kommen konnte. Aber in der Form des Manuskripts erscheint diese Dichotomie zwischen Innen und Aussen aufgelöst; Cyrillos „Kern“, die Verschriftlichung seines Lebens, hat mit dem Manuskript gleichsam einen neuen Körper erhalten, in dem Äusseres und Inneres nicht mehr zu trennen sind. In den IS erfährt Cyrillos Schreibtätigkeit eine Akzentuierung durch die Erwähnung, dass in der rechten Hand seines Skeletts „noch ein eiserner Griffel steckte“ ( IS III : 347-348). Cyrillos Schriften werden in den WF implizit mit materiellen Schätzen wie Kleinodien und Gold in nahe Beziehung gebracht ( WF I: 215), 3 in den IS jedoch sind „italienische, spanische und lateinische Bücher“, die in Cyrillos Hinterlassenschaft gefunden werden, „mehr […] als Gold, Silber, Juwelen und Perlen“ ( IS IV : 1); zwei gefundene Shakespeare-Dramen 4 werden als „Diamanten“ metaphorisiert ( IS IV : 2), worin sich die in den IS immer wieder betonte Verehrung für diesen Dichter ausdrückt, der zu den Leitfiguren des Romans gehört. Die schon bei Schnabel angelegte, selbstreflexive Wertschätzung des Buches und der Dichtkunst erscheint also in den IS noch wesentlich verstärkt, was im Einklang mit den Dichtungstheorien der Romantik steht, die poetische Selbstreflexion als wichtiges Charakteristikum der romantischen Poesie und damit des Romans formulieren. 5 Betrachtet man die Lebensgeschichten des Cyrillo de Valaro in den WF und den IS genauer, so erkennt man rasch, dass Oehlenschlägers Cyrillo-Figur mit ihrem Vorbild in den WF , abgesehen vom Einsiedlerleben auf der Insel Felsenburg, nicht viel mehr als den Namen und die spanische Herkunft gemein hat. Der Einfachheit halber sei hier nochmals kurz erwähnt, dass Schnabels Cyrillo 1475 in eine Adelsfamilie hinein geboren wird und nach dem Tod seines Vaters, der im Kampf gegen die Mauren fällt, am Hof des Königs Ferdinand II . als Gefährte des Kronprinzen aufwächst. Dort führt er das Leben eines spanischen Adligen, samt Turnieren, galanten Abenteuern und Heirat einer Hofdame von zwielichtigem, schliesslich sogar verbrecherischem Lebenswandel. Nachdem er sich ihrer durch Einkerkerung entledigt hat, muss er fliehen und schliesst sich den spanischen Conquistadores an, 3 Eine ähnliche Verbindung von Manuskript und Gold findet sich schon in der Vorrede zu den WF, da der fiktive Herausgeber Gisander zuerst glaubt, er habe mit dem vom verunfallten Literaten übernommenen Manuskript „das güldene Fell ererbet“ und meint, „ein Besitzer der allersichersten alchemistischen Processe zu seyn“ ( WF I: 14); die selbstironisch wirkende Enttäuschung darüber, dass „sich sonst nichts darinnen [fand], als Albert Julii Geschichtsschreibung“, verhüllt nur leicht die implizite Aussage, dass dieses Buch Gold wert sei. 4 Es sind Der Kaufmann von Venedig und Der Sturm ; letzterer ist aus naheliegenden Gründen für die Inselgesellschaft besonders wichtig und wird von ihr eifrig gelesen. Zur anachronistischen Ankunft dieser Dramen auf der Insel schon vor ihrer Niederschrift stellt Brynhildsvoll fest: „[…] auf diese und ähnliche Anachronismen kommt es im Rahmen miteinander korrespondierender Interartdiskurse nicht entscheidend an“ (1996: 123). 5 Vgl. Schlegels Athenäums-Fragment Nr. 116: „Und doch kann auch sie (= die romantische Poesie) am meisten zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, frei von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte schweben, diese Reflexion immer wieder potenzieren und wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen“ (Schlegel, F. 1967: 182-183). 5.1 Die Einleitung 155 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 nimmt an ihren kolonisatorischen Eroberungszügen in Mittel- und Südamerika teil, erleidet dabei Schiffbruch und rettet sich zusammen mit einigen Gefährten auf die Insel Felsenburg, wo er viele Jahrzehnte verbringt, zuletzt, nach dem Tod aller seiner Kameraden, fast 50 Jahre als Einsiedler ohne jede menschliche Gesellschaft. 5.1 Die Einleitung Im Gegensatz zur Version der WF ist der Biographie in den IS eine Einleitung vorangestellt, in der Cyrillo über sich selbst als Schreibenden und über einen möglichen späteren Leser seines Manuskripts nachdenkt. Er macht Angaben über Sinn und Zweck seiner Schreibtätigkeit - sie soll ihn selbst und seinen Leser unterhalten -, auch äussert er sich zu seiner Erzählweise: Er will „suchen, das an sich Traurige mit einer gewissen Heiterkeit vorzutragen,“ und „nicht gar zu weitläufig zu seyn“ ( IS III : 364); schliesslich organisiert er sein Material, indem er in der Art eines Inhaltsverzeichnisses „die Überschriften [seiner] Lebens-Kapitel voraussag[t]“ ( IS III : 364-365), womit er eine vorredenähnliche Einleitung schafft. Es entsteht so eine gewisse Parallele zwischen Cyrillos Vita und den beiden Haupttexten mit ihren Vorreden. Wie bereits gezeigt wurde, thematisieren jene Vorreden - wenn auch in unterschiedlicher Weise - die Fiktionalität des Erzählgeschehens. 6 Bei Cyrillo kommt diese Thematik nicht explizit zur Sprache, was nicht überrascht, da er ja, im Unterschied zu den Verfassern der beiden andern Vorreden, seine eigene Geschichte erzählt, deren „Wahrheit“ er selber nicht zur Diskussion stellt. Dennoch gerät die Sicherheit des Lesers in Bezug auf den Realitätsgehalt dieser Geschichte ins Wanken, denn Cyrillo bezeichnet sein „längst verschwundene[s] Leben“ als „halbvergessene[n] Traum mit seinen Schatten und Irrlichtern“( IS III : 363) und lässt durch eine „Verrätselung“ der Geschehnisse in seiner Inhaltsangabe die angeblich realen Ereignisse ungeheuerlicher und unglaublicher erscheinen als alle Fiktion, wie z. B. dass sein Vater „nach seinem Tode schändlich hingerichtet“ worden sei, dass seine Frau „alles aufgeopfert und gewagt [habe] aus Liebe zu ihrem nicht geliebten Gatten“, dass er „einen Poeten mit einigen Reimen eine Räuberhorde habe bändigen sehen, die ein mächtiger Fürst mit seinen Kriegerhaufen nicht bändigen konnte“, und dass ihn „das wunderbare Schicksal aus einem künstlich gezwungenen in ein natürliches freiwilliges Kloster“ geführt habe ( IS III : 365). Trotz der scheinbaren Fiktionalisierung der (fiktiven) Realität steht auch in den IS Cyrillos Vita in einem geschichtlichen Rahmen, darin vergleichbar der stark historisch untermauerten Darstellung in den WF , 7 wenn auch der geschichtliche Kontext um fast ein Vierteljahrhundert verschoben ist, da Cyrillo in den IS erst 1498 geboren wird - mit gutem Grund, wie sogleich klar wird, wenn man sich vor Augen hält, dass seine Lebensgeschichte in ihrem Zentrum auf die Begegnung mit Ariost angelegt ist, den Cyrillo in jungen Jahren als älteren Dichter kennenlernt, was im Einklang mit Ariosts Lebensdaten (1474-1533) eine zeitliche Verschiebung von Cyrillos Geburt bedingt. 6 Vgl. besonders WF I: 12-13 und IS I: V-VI sowie Kap.4.1.2 dieser Arbeit. 7 Franz Karl Becker zufolge ist die Figur des Cyrillo in einem dichten Netz von geschichtlichen Bezügen verankert und steht auf „sicherem historischem Boden“ (1911: 64). 156 5 Funktionen der Kunst in einer Biographie: Cyrillo de Valaro Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 5.2 Begegnung mit Vater und Mutter Wie wir sehen werden, stellt Ariosts Auftritt den Höhepunkt einer ganzen Reihe von Ereignissen in Cyrillos Leben dar, in denen unterschiedliche Formen der Kunst eine prägende Wirkung hatten. So lernt Cyrillo das Aussehen seiner frühverstorbenen Mutter erst durch ein Gemälde kennen, das er als Kind zufällig in einem Raum des weitläufigen Palastes entdeckt, den er mit seinem Hauslehrer nach dem Tod seiner Eltern allein bewohnt. Dass das kleine Kind auf den Armen der Mutter ihn selber darstellt, verbildlicht im doppelten Sinn die Reflexion des eigenen Selbst, wie sie für das Genre der Autobiographie kennzeichnend ist. Das Bild berührt Cyrillo tief. Er imaginiert im Ausdruck der beiden Gesichter eine Hinwendung zur eigenen Person, ein stummes Zwiegespräch zwischen ihm und den Porträtierten, welche die Kunst aus ihrer Vergangenheit ins Leben zurückbringt, was schliesslich dazu führt, dass Cyrillo sein tägliches Morgengebet vor dem Gemälde verrichtet. Als er aber einmal im Mondschein vor das Bildnis treten will, flieht er zu Tode erschreckt, denn er sieht vor dem Gemälde eine gespensterhafte, weiss verhüllte Gestalt stehen, die er für seinen toten Vater hält. In dem Gesicht der Erscheinung glaubt er die Züge von dessen Alabasterbüste zu erkennen, die er bei einem Besuch in der Domkirche auf dem Sarkophag seines dort aufgebahrten Vaters gesehen hatte. Über die Geschichte des Vaters erfährt der Leser in den IS lediglich, dass er als Feldoberst im königlichen Heer schon in der frühesten Kindheit des Sohnes gestorben war. In den WF dagegen wird erzählt, wie er gegen Portugiesen und Mauren ins Feld zog und nach jeder Schlacht siegreich wieder zu seiner Familie zurückkehrte, bis er endlich doch im Kampf umkam ( WF I: 528-532). Diese mehrmals stattfindende und schliesslich ausbleibende Rückkehr ist in den IS als Spur im Wunsch des Knaben Cyrillo erkennbar, der angesichts von Sarkophag und Büste des Vaters diesen selber sehen möchte und ausruft: „Vater, komm zurück! “ ( IS III : 370). In der grausamen Tat eines Beamten der spanischen Inquisition, der den Wunsch des Kindes erfüllt, indem er das Denkmal des Vaters zertrümmern und den einbalsamierten Leichnam aus dem Sarkophag werfen lässt, wird der historische Kontext von Schnabels Cyrillo-Geschichte in die IS einbezogen und fortgesetzt, allerdings auch - buchstäblich - dekonstruiert. Darüber hinaus aber manifestiert sich in diesem Ereignis ein besonders für die Romantik als zentral geltendes Verlangen nach Erkenntnis von Ursprung und Identität. 8 Die Enthüllung des väterlichen Leichnams macht Ursprung und Ende zugleich sichtbar, wobei die Rückkehr des Vaters als Gespenst das Ende in einer für Cyrillos Geschichte bedeutsamen Weise transzendiert: Der Vater tritt als Statue, als Kunstfigur auf, in Cyrillos Worten „weiss wie die Alabasterbüste auf seinem Sarcophage“ ( IS III : 376), und zwar, wie erwähnt, vor dem Gemälde der Mutter; beide Eltern transzendierten also den Tod, indem sie in die Sphäre der Kunst versetzt wurden. Auf diese Weise werden sie wieder zusammengeführt, während Cyrillo flieht: Das Vatergespenst verdrängt ihn von seinem Platz vor dem Bild der Mutter und löst die ödipale Konstellation auf. In der Kunst jedoch, die sich im Gemälde von Mutter und Kind sowie in der Statue des Vaters manifestiert, ist die Familie vereint, und auch der 8 Gerhard Neumann bringt die Tätigkeit von Wissenschaft, Philosophie, Literatur und bildender Kunst vor allem der beginnenden Romantik auf den gemeinsamen Nenner einer „Archäologie des Anfangs“ (1995: 7). 5.3 Erlebte und erzählte Entdeckungsreisen 157 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 erwachsene Cyrillo wird später durch die Transformation seines Lebens zum Manuskript in die Kunst eingehen. Die Szene von Cyrillos Erschrecken vor dem Bildnis der Mutter im Mondschein erinnert an Eberhards Reaktion, als ein Mondstrahl auf das Gemälde seiner Mutter fällt und ihre Züge gespenstisch erhellt: Eberhard flieht entsetzt, weil ihm in angstvoller Vorahnung bewusst wird, dass er das Bild einer Toten betrachtet ( IS I: 5). In beiden Fällen weist der Mond über das Irdische hinaus in einen metaphysischen Bereich, in dem der Tod aufgehoben erscheint durch die Transformation der toten Mütter zu Kunstwerken, in Eberhards Fall unterstrichen durch das Erklingen des Liedes „Jesus meine Zuversicht“, das den Geist der Mutter für den Sohn zu einer Engelsvision verklärt, gewissermassen als Kontrapunkt zu Cyrillos Begegnung mit der Gestalt des Vaters als Gespenst. 5.3 Erlebte und erzählte Entdeckungsreisen Den zweiten wichtigen Erzählstrang in der Cyrillo-Geschichte der WF bilden neben den Ereignissen am kastilischen Hof die Expeditionen der spanischen Conquistadores nach Mittelamerika, 9 in deren Verlauf das „Mittägliche Meer“ (der Pazifik südlich von Panama) entdeckt wird ( WF I: 609); an diesen Expeditionen nimmt Cyrillo während mehrerer Jahre teil, bis er dabei schliesslich auf die Insel Felsenburg verschlagen wird. Breiten Raum nimmt in seiner Erzählung die Grausamkeit der Spanier gegen die Völker der Neuen Welt ein, 10 wobei die Fiktion, dass diese Schilderungen aus der Feder eines Spaniers stammen, ihnen besonderes Gewicht verleiht. Ebenso ausführlich wie die Kämpfe zwischen Spaniern und Indianern werden aber auch die Streitigkeiten unter den Spaniern selber dargestellt, bei denen es, nicht anders als gegenüber den Indianern, um Durchsetzung von Autoritätsansprüchen geht, und zwar nicht nur im Dienst der spanischen Krone, sondern auch im persönlichen Interesse, 11 das vorwiegend auf die Aneignung möglichst grosser Goldschätze abzielt, wofür die gewaltsame Christianisierung der Indianer inzwischen kaum noch als Vorwand dient. 12 9 Auch dieser Erzählteil basiert nach Beckers Forschungen auf historischer Grundlage; er weist hier sogar die Quellenwerke nach, aus denen Schnabel „sowohl die wichtigen Tatsachen als auch nebensächliche Kleinigkeiten“ übernommen habe (Becker 1911: 65); als wichtigstes Quellenwerk nennt er Hieronymus Benzoni, Novae novi orbis historiae , 1581. Auf welche Weise und von welchen Quellen der Historiker aus dem 16. Jahrhundert seinerseits abhängig war, ob es sich dabei z. B. um Reiseberichte von Entdeckern handelte, wird vom Literaturwissenschaftler des frühen 20. Jahrhunderts nicht reflektiert. 10 Brüggemann weist in Utopie und Robinsonade darauf hin, dass „eine gewisse Animosität gegen die Spanier […] in der ganzen Robinsonadenliteratur traditionell“ sei, was er auf das Konkurrenzverhältnis zwischen England und Spanien als Kolonialmächte und die Überlieferung von Grausamkeiten spanischer Eroberer in Mexiko zurückführt, eine Überlieferungstradition, die sich, ausgehend von Robinson Crusoes Angst vor den Spaniern, bis zur Insel Felsenburg erhalten habe (Brüggemann 1914: 35). 11 Auf diese doppelte Interessenswahrnehmung verweist Greenblatt auch für Kolumbus’ Besitzproklamationen im Namen der spanischen Krone gegenüber den von ihm „entdeckten“ Indianern und für seine Verhandlungen mit dem Königshaus um seine eigene Stellung als Admiral sowie Vizekönig und Generalgouverneur der überseeischen Gebiete (Greenblatt 1998: 93-94). 12 Greenblatt spricht in ähnlichem Zusammenhang von Kolumbus’ „diskursiver Ökonomie“; er ist der Meinung, Kolumbus sei davon überzeugt gewesen, die Indianer müssten alles (= Gold) verlieren, um 158 5 Funktionen der Kunst in einer Biographie: Cyrillo de Valaro Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 In den IS unternimmt Cyrillo keine Seefahrerexpeditionen. Zwar sind diese nicht gänzlich ausgespart, aber sie werden nun nicht mehr erlebt, sondern erzählt. Der Erzähler ist Kolumbus, dessen Figur hier als Schnittstelle zwischen erlebten und erzählten Abenteuern fungiert, und der auf diese Weise vom Entdecker von Weltgegenden zum Schöpfer von Textwelten wird. 13 Der Inhalt von Kolumbus’ Erzählungen bleibt jedoch unerwähnt: Erzählt wird lediglich das Erzählen selber - der Text verhält sich ent-sagend, indem er sich die eigentlichen Erzählungen ver-sagt. Entsagung ist auch die Haltung, die Kolumbus einnimmt oder zumindest anstrebt: so ist er „einmal nahe daran gewesen […], auf der Insel Jamaica Einsiedler zu werden“ ( IS III : 382). In dieser Tendenz zur Weltflucht glaubt der alte Cyrillo rückblickend eine Parallele zu seinem eigenen Schicksal zu erkennen; bedenkt man, dass Kolumbus gerade auf Jamaica einen seiner berühmtesten Texte verfasste, 14 dass also das Schreiben auf dieser Insel eine besondere Bedeutung erhielt, so wird hier ein selbstreflexiver Zug sichtbar, indem die Manuskripte der „Einsiedler“ Kolumbus und Cyrillo spiegelbildlich aufeinander verweisen. Eingeführt wird Kolumbus von Cyrillos Lehrer als Reisender und als Erzähler: „ein sehr gereister Mann, der […] mir [Cyrillo] viele unterhaltende Geschichten erzählen könne […].“ ( IS III : 377). Der alternde Seefahrer sitzt, völlig verarmt, einsam und desillusioniert, in einem kärglichen Zimmer, umgeben von einigen Relikten seiner Entdeckerfahrten: bunte, exotische Vögel in Käfigen, eine farbige Bastmatte, ein kleiner Erdglobus. Die Welt, deren Horizonte Kolumbus durch kühne Pionierfahrten um einen ganzen Erdteil erweitert hatte, ist auf diese wenige Habe reduziert und auf den Massstab des Tischglobus verkleinert. Diesen engen Rahmen sprengen die Erzählungen, denen das Kind Cyrillo bei seinen täglichen Besuchen lauscht. Den Abschluss der Kolumbus-Episode bildet ein Gedicht, in dem der Entdecker kurz vor dem Tod seine Seefahrten zu einer Reise ins Jenseits metaphorisiert; einzig in dieser poetisierten Form finden also die konkreten Reisen einen Ausdruck im Text. Dieses Verfahren, geographische Reisen entweder auszusparen oder zu Textreisen umzugestalten, findet sich auch an anderen Stellen in den IS . Das Gedicht zeigt Kolumbus nicht nur als Erzähler, sondern auch als Dichter, der aber seine Verse nicht selber vorträgt: Cyrillo soll ihm sein „Schwanenlied“ 15 vorlesen ( IS III : 383). Dem Gedicht geht eine Beschreibung des Himmels voraus, der durch das offene Fenster von Kolumbus’ Kammer zu sehen ist und auf dem die Wolken „fern im Horizonte als Inseln“ schweben ( IS III : 383). Dieses Bild erscheint auch in Kolumbus’ Gedicht: Die Reise zum Himmel wird zur Segelfahrt durch das Aethermeer, dafür alles (= das christliche Seelenheil) zu gewinnen (1998: 110-111). 13 So sieht ihn z. B. auch Yrjö Hirn in Ön i världshavet (1928: 23); er wendet gegen spätere Relativierungen von Kolumbus’ Leistung ein: „Men allt detta betyder rakt intet i bredd med den fantasins eggelse Columbus bjöd åt sin samtid med sina reseanteckningar och med de berättelser han meddelade sina blivande biografer. Ty denne omtvistade man […] var dock i dröm och gärning en av sjölivets stora poeter“ [Aber all das bedeutet überhaupt nichts neben jener Anregung der Phantasie, die Kolumbus seiner Mitwelt bot, mit seinen Reiseaufzeichnungen und mit den Berichten, die er seinen zukünftigen Biographen mitteilte. Denn diese umstrittene Persönlichkeit […] war doch in Traum und Tat einer der grossen Poeten der Seefahrt]. Gleichzeitig ist Kolumbus selber zu einer von Texten geschaffenen Figur geworden; zu den vielen Kolumbus-Dichtungen und deren Höhepunkt im 19. Jahrhundert vgl. Frenzel (2005: 516-521). 14 Es handelt sich um die „Lettera rarissima“ von 1503; vgl. Bitterli (2006: 79). 15 Ein anderes Wort für „Schwanengesang“, im 19. Jahrhundert gebräuchlich, vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm (1899, 9: 2217-2218). 5.3 Erlebte und erzählte Entdeckungsreisen 159 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 sie führt in ein unentdecktes Land, von dem kein Schiffer je Kunde brachte. Die Analogie zwischen Meer und Himmel, zwischen Inseln und Wolken endet in der Verheissung des San Salvador, jener Insel, auf der Kolumbus zum ersten Mal die neu entdeckte Welt betreten haben soll - für ihn die Rettung auf der Suche nach Land, weshalb er sie nach dem Erlöser benannte; 16 im Gedicht verschmelzen die rettende Insel und der Heiland als ursprünglicher Namensgeber zum Ziel der Seelenreise, ausdrücklich betont durch Sperrschrift des Namens San Salvador ( IS III : 385). Als Cyrillo seine Lektüre beendet hat, sitzt Kolumbus tot im Sessel. Die Verse haben ihn also in den Tod geleitet, d. h. das Vorlesen ist in gewisser Weise vergleichbar mit dem Singen eines Schlafliedes. Formal besteht das Gedicht aus acht Strophen zu je vier Versen mit vierhebigen, reimlosen Trochäen. Dieses Versmass wurde in der deutschen Lyrik um 1800 besonders beliebt, und zwar durch einen Umstand, der für unseren Zusammenhang wichtig ist: Herder wählte vierfüssige Trochäen für seine Übertragung mehrerer spanischer Romanzen (1990: z. B. 91-100, 108-110, 153-160, 186-192) und verwendete dasselbe Metrum später auch für seine berühmte Übersetzung des Cid (1990: 545-693): Vierfüssige, reimlose Trochäen, in der Folge oft als „spanische Trochäen“ bezeichnet, galten seit Herder als Metrum der spanischen Romanze. 17 Diese wurde, fussend auf Herders Übersetzungen, von vielen Romantikern als Modell für eigene Dichtungen fruchtbar gemacht. Ebenso verfährt Kolumbus, der als Genuese 18 im Dienst des kastilischen Hofes stand, indem er ein von spanischer Dichtungstradition inspiriertes Metrum verwendet, worauf vor allem auch das Phänomen der Assonanz hinweist: Alle geraden Zeilen des ganzen Gedichtes, d. h. die Verse b und d jeder einzelnen Strophe, enden mit demselben Vokal in der Hauptsilbe des letzten Wortes. Die Endsilben-Assonanz gilt als ein Charakteristikum der spanischen Romanze; zwar verwendet Herder sie weder für die Übertragung der Romanzen seiner Volksliedsammlung noch in seiner Cid -Übersetzung, weil ihm die deutsche Sprache dafür ungeeignet schien, 19 doch Oehlenschläger konnte das Kunstmittel der Assonanz in den Romanzen deutscher Romantiker kennenlernen. 20 In Kolumbus’ Gedicht lauten die insgesamt 16 tontragenden Endsilben der geraden Zeilen alle auf i, was keineswegs zufällig gewählt erscheint: Sowohl der hohe, spitze Klang des Vokals wie die Form des Buchstabens unterstreichen in ihrer nach oben gerichteten Vertikalität den himmelwärts strebenden Aufbruch der Seele. 16 Eine eindrückliche Beschreibung dieser Landsuche und -entdeckung gibt Urs Bitterli in Die Entdeckung Amerikas (2006: 58-59). 17 Wie in der Forschung vielfach präzisiert wird, handelt es sich bei den „spanischen Trochäen“ allerdings nicht um eine genaue Entsprechung des Versmasses der aus mittelalterlicher Volkstradition überlieferten spanischen Romanze, die aus sechzehnsilbigen Zeilen ohne regelmässige Hebungen und ohne Strophengliederung besteht (vgl. u. a. Kayser 2019: 33, oder ausführlicher: Rodiek 1990: 214). 18 Kolumbus’ Herkunft war lange Zeit umstritten, doch darf seine genuesische Abstammung heute als gesichert gelten (vgl. Bitterli 2006: 45). 19 Vgl. Herders Vorrede zur Volksliedsammlung (1990: 244), und - weit schärfer noch - sein Urteil in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Adrastea (2000: 799). 20 Z. B. im Schlegel-Tieck’schen Musenalmanach von 1802, in dem Tieck und die Brüder Schlegel mehrere Romanzen veröffentlichten, wobei die weitaus längste mit dem Titel „Die Zeichen im Walde“ von Tieck stammt; sie füllt über 20 Seiten mit durchgehender -u-Assonanz. Als weiteres Beispiel sei die personifizierte Romanze in Tiecks Prolog („Aufzug der Romanze“) zu seinem 1804 erschienenen Kaiser Octavian erwähnt. 160 5 Funktionen der Kunst in einer Biographie: Cyrillo de Valaro Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Die dänische Version von Kolumbus’ Gedicht widerlegt allerdings diese Deutung teilweise durch eine Abwandlung des Assonanzenschemas: Der Buchstabe i tritt als Hauptsilbenvokal am Versende der geraden Zeilen nur in den Strophen 1-4 und 8 auf, während er in den Strophen 5 und 7 durch o und in Strophe 6 durch a ersetzt wird. Eine noch grössere Veränderung zeigt sich aber darin, dass von Assonanz gar nicht mehr gesprochen werden kann, denn die geraden Zeilen jeder Strophe sind jeweils gereimt, nach dem Schema ab / cb, de / fe, gh / ih, usw. Die Virtuosität und Dynamik der deutschen i-Assonanz ist also im dänischen Gedicht stark gemindert, zugunsten seit jeher eingebürgerter Endreime. Eine etwas spekulative Erklärung dafür könnte sein, dass Oehlenschläger in seiner Muttersprache die Reime fast automatisch in die Feder flossen, wobei sich allerdings die Frage stellt, warum er dann nicht jeweils die ganze Strophe mit Kreuz- oder Paarreimen ausstattete. 21 Doch vielleicht wollte er durch den Verzicht auf diese überaus gängigen Reimschemata auch in der dänischen Version immerhin einen Anflug der fremdländischen spanischen Tradition bewahren. 22 Inhaltlich entsprechen sich die deutsche und die dänische Fassung des Gedichts sehr genau, die Analogie zwischen Seefahrt und Flug der Seele zum Himmel ist im dänischen Text selbst auf der Ebene der einzelnen Metaphern bewahrt. Auch das Metrum der vierfüssigen Trochäen ist in beiden Sprachversionen identisch, was eine grosse Übereinstimmung in Rhythmus und Tonfall bewirkt. Zudem wurde das Gedicht in alle späteren Ausgaben in beiden Sprachen wortgetreu übernommen. 5.4 Ariosts Spinngewebe Während die in die IS neu eingeführte Figur des Kolumbus in einer Art metonymischer Verschiebung mit den spanischen Seefahrerexpeditionen der WF in Zusammenhang zu stehen scheint, lässt sich für Cyrillos Begegnung mit Ariost in den IS keine Verbindung zu den WF erkennen, es sei denn, man fasse die Figur der Eleonora, die aus den WF übernommen wird und in den IS Cyrillo mit Ariost zusammenbringt, als Bindeglied auf. Cyrillo war auf abenteuerliche Weise durch die reiche junge Witwe Eleonora, in die er sich verliebt hatte, vor der drohenden Todesstrafe der Inquisition gerettet worden ( IS III : 400-402). Eleonora flieht mit ihm von Valladolid nach Ferrara, wo Ariost am Hof des Herzogs lebt, mit dessen Frau, der berühmten Lucrezia Borgia, Eleonora befreundet ist und von der sie Schutz vor der Inquisition erhofft. Auf der Reise empfiehlt sie Cyrillo, den Orlando furioso zu lesen, da sie Ariost in Ferrara kennenlernen würden und auch seinen Einfluss auf den Herzog nutzen könnten, wenn sie es geschickt anstellten. „Die Dichter werden aber böse, wenn man ihre Werke nicht kennt“, argumentiert sie, fährt dann jedoch immerhin fort: „und wenn es nun so vorzügliche Sachen wie die Ariostschen sind, haben sie auch ein Recht dazu. Nichts in der Welt geht über diesen süssen rasenden Roland“ ( IS III : 406-407). Sie gibt ihm überdies 21 Es soll nicht unterschlagen werden, dass auch im deutschen Text ein Reimpaar vorkommt: In der letzten Strophe sind die assonierenden Zeilen b und d ebenfalls gereimt, was jedoch in diesem Fall eher wie ein besonders prägnanter Abschluss wirkt und kein durchgehendes Schema bildet. 22 Eine positive Wertung erfährt dieses Reimschema durch Christoph Rodiek; er sieht es als „originellen Versuch […], zur Assonanz des spanischen Romanzenverses ein neuartiges klangliches Äquivalent zu entwickeln“. Gemeint ist die Cid -Übersetzung von Gottlob Regis (1841), der die Romanzen in dieser Reimordnung übertrug (Rodiek 1990: 220). 5.4 Ariosts Spinngewebe 161 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 „ohne zu erröthen“ den Decamerone zu lesen, denn: „Ein solches klassisches Werk müsse ein junger Mensch kennen, der auf Bildung Anspruch mache“ ( IS III : 408). Cyrillo versteht, dass sie gebildeter ist als er und lässt sich „gern von ihr unterrichten“ ( IS III : 409). 23 Die Begegnung mit Ariost und seiner Dichtung ist das längste Erzählelement von Cyrillos Biographie in den IS ; sie füllt mehr als die Hälfte der 115 Seiten langen Lebensbeschreibung, wodurch die Ariost-Episode, wie erwähnt, zum eigentlichen Schwerpunkt in Cyrillos Bericht wird. Der Auftritt Ariosts verbindet die IS mit einer ganzen Reihe von Dichtungen, die einen Künstler ins Zentrum stellen, angefangen von Goethes Tasso über Tiecks Sternbald bis zu Oehlenschlägers Correggio ; besonders interessant sind in diesem Zusammenhang Tiecks praktisch zeitgleich mit den IS entstandene Novellen Dichterleben, 24 in denen Shakespeare als zentrale Figur auftritt, der Dichter, der auch in den IS am höchsten steht. Ariosts Orlando furioso - wie die IS ein in hohem Grad intertextuelles Werk - wurde in der Romantik sehr geschätzt: Phänomene wie das Schwanken zwischen Feierlichkeit und Groteske in der Darstellung des Rittertums sowie die autoreflexive Distanz zum gestalteten Stoff wurden als „romantische Ironie“ verstanden und bewundert (Binni 1996: 79). Es ist sicher kein Zufall, dass gerade im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts Johann Diederich Gries’ massgebliche Neuübersetzung des Orlando entstand, 25 aus der übrigens die in den IS verwendeten Zitate stammen, worauf der Autor in einer Fussnote hinweist ( IS III : 405). 26 Mit den IS verbindet das Werk neben seiner Eigenschaft als Hypertext 27 auch die Reflexion des dichterischen Gestaltungsprozesses, die in den IS als Teil der generellen Kunstdiskussion das eigentliche Hauptthema bildet, während sie im Orlando an unzähligen Aussagen des Erzählers über seine Verfahrensweise erkennbar wird. 28 Das Interesse für diese Reflexion spiegelt sich auch darin, dass Ariost in den IS eine Charakteristik seines eigenen Werkes gibt und dessen Bauplan folgendermassen beschreibt: 23 Ganz ähnlich wurde auch die Bildung von Eberhards Mutter und deren Einfluss auf den Sohn hervorgehoben ( IS I: 21); es scheint sich eine weibliche Überlegenheit in Bezug auf literarisch-kulturelle Kenntnisse und Belesenheit abzuzeichnen, die den Horizont der Männer in dieser Hinsicht formt oder zumindest erweitert. Dass Eleonora auch den Decamerone „unbefangen“ liest und Cyrillo instruiert, wie Boccaccios Werk zu lesen sei, unterläuft zugleich die allgemeine Tabuisierung freizügiger Werke als weibliche Lektüre. Diese Feststellung erfährt jedoch eine Nuancierung, wie aus der Beschreibung von Concordias Shakespeare-Lektüre ersichtlich wird (vgl. Kap. 3.3.2). 24 Vgl. zu Tiecks reichhaltiger Produktion in dieser Gattung die Studie von Achim Hölter: Ludwig Tieck - Literaturgeschichte als Poesie (1989). 25 Zu Gries’ Übersetzung vgl. die 45 Seiten umfassende, 1810 erschienene Rezension von August Wilhelm Schlegel, der zu Beginn die Geschichte der Übersetzung des Orlando furioso ins Deutsche darstellt und Gries dabei weit über die früheren Übersetzer erhebt, indem er ihm als einzigem „grosse Gewandtheit“ und „Meisterschaft“ attestiert, obwohl er dann doch dem „so lobenswerten Ganzen […] hier und da weniger Glätte und mehr Keckheit“ wünscht (Schlegel, A. W. 1847: 256-257). 26 Oehlenschläger verwendete die erste Ausgabe dieser Übersetzung, die 1804-1808 erschienen war; die zweite, von Gries gründlich überarbeitete und als massgeblich geltende Edition wurde erst 1827-1828 publiziert, zu spät für Oehlenschlägers Roman. 27 Genette ist allerdings der Meinung, Ariosts Orlando furioso habe seinen Status als Hypertext eingebüsst, nachdem das Werk durch „mörderische oder vatermörderische Weiterführung“ seinen Hypotext, Boiardos Orlando innamorato , aus dem literarischen Gedächtnis der Leserschaft getilgt habe (Genette 1993: 271). Mit dieser Auffassung gerät Genette offensichtlich in die Nähe zu Harold Blooms Sicht der Intertextualität als Kampf zwischen den Dichtergenerationen (vgl. Bloom 1995, engl. Erstausgabe 1973) - hier scheint es sich also um Intertextualität zwischen ihren Theoretikern zu handeln! 28 Als Beispiele seien genannt: Ariosto (1982), Canto II, 30, 5-6; C. XIII, 81, 1-2; C. XXXVI, 84, 5-8; C. XXXIX, 86, 5-8. 162 5 Funktionen der Kunst in einer Biographie: Cyrillo de Valaro Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 [ich habe] den Plan so locker und lose angelegt, dass eigentlich gar kein rechter Faden darin ist, und dass man überall anfangen kann. Wenigstens geht der Faden nur in die kreuz und quer, wie der Zwirn der Arachne im Labyrinth. ( IS III : 422) 29 Ob sich in diesen Worten, wie Brynhildsvoll meint (1996: 123), eine indirekte Charakterisierung der IS selbst ausdrückt, ist zweifelhaft: Oehlenschlägers Roman weist trotz des Spiels mit mehreren Zeitebenen und zwei Hauptfiguren in verschiedenen Generationen eine im Wesentlichen kontinuierliche, dem Bildungsroman nahestehende Erzählstruktur auf, weshalb auf die IS nicht zutrifft, „dass kein rechter Faden darin ist, und dass man überall anfangen kann“. Der Einbezug von Figur und Werk des Ariost erweitert den germanisch-englisch orientierten Kanon der IS in Richtung auf romanische Dichtkunst, was umso deutlicher wird, als im Vorfeld der Begegnung mit Ariost auch von Cyrillos Dante- und Petrarca-Lektüre die Rede ist ( IS III : 407). Dabei macht Cyrillo in seinem literarischen Urteil eine bemerkenswerte Entwicklung durch: Anfangs bleibt ihm Eleonoras Begeisterung unverständlich, denn er vermisst genau den „rechten Faden“ in Ariosts Dichtung: „es schien mir in dem Gedichte kein ordentlicher Zusammenhang, keine eigentliche Handlung zu seyn“ ( IS III: 407), ebenso fehlen ihm wirkliche Charaktere, Ernst und tiefes Gefühl. Er schätzt Dante und Petrarca weit mehr, am meisten aber den Cid , in dem „ein schöner Character in grossen Umrissen“ dargestellt sei ( IS III : 407-408). Allmählich findet er jedoch Gefallen an Ariosts Werk, besonders dank der Musikalität der Verse und der Anmut der Bilder; beides bestätigt seinen Eindruck, dass „die Italiener bessere Mahler und Musiker [seien] als Dichter“ ( IS III : 408). Schliesslich rückt Cyrillos Urteil die Bedeutung Ariosts in die Nähe von Luther und Shakespeare: „Er hat doch die italienische Sprache zuerst recht ausgebildet, […] er hat die neuere europäische Schaubühne gegründet“ ( IS III : 476). Diese europäische Kanon-Universalität entspricht einem Postulat der Romantiker, wonach die romantische Universalpoesie allumfassend sein solle, auch in Bezug auf die verschiedenen Nationalliteraturen. Ariosts Epos wird in den IS in mehrfacher Hinsicht zum Prätext: Einmal durch explizite Zitate ( IS III: 405 und 440), dann aber auch durch die Techniken des Pastiche ( IS III: 442-445) und der Persiflage ( IS III : 453-455). Sicher ist es auch dem Einfluss dieses Prätextes zuzuschreiben, dass Cyrillos Bericht mit dem Erscheinen Ariosts komische Züge anzunehmen beginnt. Dies zeigt sich schon in der ersten Begegnung Cyrillos mit Ariost: Der Dichter lässt sich während einer Mahlzeit Cyrillos Lebensgeschichte erzählen, die er sehr aufmerksam anhört, bei gewissen tragischen Ereignissen sogar weint, gleichzeitig jedoch mit grossem Appetit alles, mitsamt Cyrillos Portion, allein aufisst ( IS III : 417-419). Abgesehen 29 Das Bild des vom Spinnenfaden gesponnenen Textes liegt erstaunlich nahe bei der Beschreibung, die Barthes, wie in Kap.1.2.1 dieser Arbeit angedeutet, von Text und Texttheorie gibt: „nous accentuons maintenant, dans le tissu, l’idée générative que le texte se fait, se travaille à travers un entrelacs perpétuel; […] nous pourrions définir la théorie du texte comme une hyphologie ( hyphos , c’est le tissu et la toile d’araignée)“ [Wir betonen jetzt, in dem Gewebe, die generative Idee, dass der Text sich selbst herstellt, sich erarbeitet durch ein kontinuierliches Flechten; […] wir könnten die Texttheorie definieren als Hyphologie ( hyphos ist das Gewebe und das Spinnennetz)], Barthes 1973: 101; kursiv im Original). Allerdings ist es - im Unterschied zu diesem modernen generativen Textbegriff - im Orlando furioso doch immer der auktoriale Erzähler, der die „Spinnenfäden“ in der Hand hält, wie z. B. Klaus W. Hempfer an vielen Stellen belegt (Hempfer 1982), und wie auch Ariost selber in den IS zu erkennen gibt, wenn er von dem Plan spricht, den er angelegt habe. 5.4 Ariosts Spinngewebe 163 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 von der humoristischen Nuance dieser Episode entsteht der Eindruck, es finde eine Einverleibung nicht nur der Nahrung, sondern auch der Erzählung statt, was wiederum an die Verbindung von Nahrung und Literatur erinnert, von der in Schnabels Vorwort die Rede war (vgl. dazu Kap. 4.1.2). Cyrillo ist gewissermassen der Nährende, er führt dem Dichter mit seiner Erzählung einen „Rohstoff“ zu, der das Potential hat, sich durch Ariosts Einverleibung in Literatur zu verwandeln, weshalb es Cyrillo nichts ausmacht, dass er beim Essen zu kurz kommt, denn „es freute mich mehr, den Dichter Ariost mit meinen Erzählungen zu unterhalten, als zu essen“ ( IS III : 418). Im dänischen Text wird die Speisemetaphorik durch die Verwendung von „vederqvæge“ [erquicken] ( ØS III : 375) als Wiedergabe von deutsch „freuen“ noch deutlicher hervorgehoben: Das Erzählen erquickt also auch den Erzähler selber sogar mehr als leibliche Nahrung. Die Komik der Ariost-Episode steigert sich zur Groteske, als Eleonora von Räubern entführt wird, die vorgetäuscht hatten, Nachtigallen zu sein ( IS III : 428-429). Diese „Verkleidung“ lässt einerseits an eine witzige Umsetzung der metaphorischen Bezeichnung von Räubern als „lose Vögel“ denken; 30 andrerseits ist in der Faszination, welche die Nachtigallen - die „Vögel der Liebe“ 31 - auf Eleonora ausüben, die Anziehungskraft des Räubers Domenico Morotto vorgezeichnet, dem Eleonora später verfallen wird. Die Sinnestäuschung - Eleonora und Cyrillo glauben wirklich, Nachtigallen zu hören - erinnert an die vielen Verkleidungen und magischen Verwandlungen im Orlando furioso , die zu ständig wechselnden Trugbildern führen. Eleonora und Cyrillo werden in der Szene der Räuber- Nachtigallen gewissermassen in ein Ariostsches Abenteuer hineingezogen, über das Ariost selber lacht ( IS III: 430). Auf Nachahmung des Orlando furioso wird explizit verwiesen, wenn Cyrillo über sein Leben mit Eleonora sagt: „unser ganzes Abentheuer würde sich als eine Episode im Orlando furioso nicht übel ausgenommen haben“ ( IS III : 470). Komik entsteht auch aus der Diskrepanz zwischen Cyrillos hochgestimmter Bereitschaft, sogleich all sein Hab und Gut für Eleonoras Rettung zu opfern, und Ariosts nüchternen Überlegungen zum Lebensunterhalt des jungen Paares, die zum Teil mit seiner eigenen Situation des allzu knapp entlöhnten Dichters zusammenhängen ( IS III : 435). Der Tauschwert der Dichtung, der von den Mächtigen nicht hoch genug veranschlagt wird, erfährt bezeichnenderweise in der Höhle der Räuber eine ganz andere Einschätzung: Nicht nur lauschen die Räuber mit grosser Aufmerksamkeit und Begeisterung der Lesung des Orlando furioso , sie geben auch als Dank - und Bezahlung - für Ariosts (fiktives) Stehgreif-Gedicht, das in vielfacher Weise die gegenwärtige Situation mit dem Orlando furioso verknüpft, Eleonora sofort frei und verzichten auf das Lösegeld, denn, wie Ariost von ihnen sagt: „Sie schätzen noch das Lieben und das Dichten“ ( IS III : 444). 32 Der Literatur wird also - allerdings im Rahmen einer humoristisch gestalteten Szene - die Macht zuerkannt, Geld und 30 Oehlenschläger verwendet die Metapher z. B. in seinem Drama Correggio mit Bezug auf die Räuber, die Correggio bedrohen: „Antonio geht frey durch Wald und Busch, / Und soll nicht andre losen Vögel treffen, / Als die da freundlich in den Zweigen singen.“ ( Correggio 1989: 174). 31 Ein romantischer Topos, der auf antiken und mittelalterlichen Vorstellungen basiert (vgl. Lurker 1991: 513). 32 Die besondere Affinität zwischen Räubern und Künstlern wird auch im Correggio betont: Was sie verbindet, ist ihr Aussenseitertum und ihre Opposition gegen die übrige Welt: „Beyde meiden / Den breiten staubigen Weg des Alltagslebens / und bahnen sich anmuth’ge Schattenpfade / Durch Blüthendunkel“, wie der Räuber Valentino romantisch verklärend formuliert ( Correggio 1989: 173). 164 5 Funktionen der Kunst in einer Biographie: Cyrillo de Valaro Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Leben zu retten. 33 Das Gedicht, das Ariost den Räubern vorträgt, umfasst acht Stanzen mit dem bekannten, kunstvollen Reimschema, d. h. die ersten sechs Verse sind durch denselben Kreuzreim gebunden, die letzten zwei durch Paarreim. Oehlenschläger meistert diese komplexe Form in einer Fremdsprache virtuos 34 - vielleicht unterstützt durch den Gedanken an die altnordische Skaldik, die historisch mit seiner eigenen Kultur verbunden war und die Tradition der „hǫfuðlausn“ 35 kannte, welche formal zwar ganz anders gestaltet ist als die romanischen Stanzen, doch inhaltlich verwandt mit Oehlenschlägers Gedicht, denn eine „Haupteslösung“ stellen ja auch Ariosts bzw. Oehlenschlägers Verse dar, die Eleonoras Leben (und das Lösegeld) retten sollen. 36 Aber nicht nur die Literatur tritt - in Werk und Gestalt des Ariost - in die Räuberhöhle ein; die kunstvolle Gruppierung der Räuber in der reich ausgestatteten Höhle lässt die Szenerie wie ein Gemälde erscheinen: „Kein Bild von Caravaggio könnte besser seyn“ ( IS III : 439); 37 die Funktion dieses Anachronismus scheint in der besonderen Ausdruckskraft und Farbgebung von Caravaggios Stil zu liegen; zudem verbindet sich der Medienwechsel mit Cyrillos Urteil über Ariost, dessen Dichtkunst im Leser Bilder lebendig werden lasse ( IS III : 408). 38 33 Eine ähnliche Macht hat die Malerei im Correggio : Dort vermag der Anblick eines von Correggio geschaffenen Bildes rachedurstige Räuber im letzten Augenblick von einem Mord abzuhalten ( Correggio 1989: 171). 34 Im Dänischen hatte er die Stanze sogar als erster verwendet, wie er in Levnet I: 131 schreibt: „Jeg indførte Ottaverimet, ligesom siden Terzinen, de græskdramatiske Versarter, de nordiske Riimbogstaver, og Versene af Heldenbuch og Niebelungenlied (sic), i den danske Poesie.“ [Ich führte die ottave rime, wie später die Terzine, die griechischen Dramenverse, die nordischen Stabreime und das Versmass aus dem Heldenbuch und dem Nibelungenlied in die dänische Dichtung ein]. Schon in seiner Sammlung Digte (1803), mit der ihm der Durchbruch gelang - woran er an derselben Stelle in Levnet I erinnert -, finden sich einige in ottave rime verfasste Romanzen. Seine vor Levnet auf Deutsch publizierte Selbstbiographie enthält dagegen nur eine knappe Bemerkung, dass er sich „in grösseren Romanzen […] mitunter der Ottaverime bedient[ ]“ habe ( Selbstbiographie 1829, 1: 141) - ein signifikanter Unterschied also zu seiner Selbstdarstellung für das dänische Publikum; er empfand wohl zurecht, dass seine Leistungen in der dänischen Literatur für deutsche Leser von geringerem Interesse waren. 35 Ein Preisgedicht auf einen Fürsten oder König, mit welchem der vom Tod bedrohte Skalde sein Leben zu retten versuchte. Das berühmteste Gedicht dieses Typus ist zweifellos Egils Drápa auf seinen Feind, den König Erik Blutaxt, der ihn töten wollte, ihm dann aber zum Dank für seine Drápa das Leben schenkte (vgl. Egils Saga Skalla-Grímssonar, z. B. in der Ausgabe Fornrit 1933, II: 185-192: „Hǫfuðlausn“. Weitere Beispiele bei Uecker (2004: 256-257). 36 Eine gewisse Parallele zu dieser „Mischform“ aus romanischen und altnordischen Elementen lässt sich aus einer Bemerkung Oehlenschlägers im abschliessenden Überblickskapitel von Levnet (II: 177) lesen: er habe das Gedicht Sigrid med Sløret in ottave rime verfasst, weil der Stoff romantisch sei und den Ariostschen Abenteuern gleiche, worauf gewisse Kreise ihn als „nicht mehr länger nordisch“ kritisiert hätten. Um dieses Urteil zu widerlegen, habe er zur selben Zeit Harald Hyldetand gedichtet, dessen Form in einem schwierigen altisländischen Versmass, mit Reim und Stabreim, prononciert nordisch sei (beide Gedichte in Digtninger von 1811 erstmals erschienen; in dem viel kürzeren Überblick am Ende der deutschen Selbstbiographien , 1829, 2: 169-178 resp. 1839, 2: 174-182, fehlt dieser Passus). Die komplizierte nordische Versform scheint also die kunstvollen romanischen Stanzenverse zu übertrumpfen! 37 Brynhildsvoll (1996: 127) vergleicht die malerische Räuberszene mit einem „tableau vivant“, worin er ein Beispiel für Oehlenschlägers Tendenz zur Überschreitung der Grenzen zwischen den Kunstformen und zu deren Vereinigung im Gesamtkunstwerk sieht. 38 Die enge Beziehung zwischen Dichtung und bildender Kunst im Orlando furioso scheint sich schon früh zu einem Topos der Ariostlektüre entwickelt zu haben: „Nei suoi poemi non si legge ma si vede“ [in seinen Dichtungen liest man nicht, man sieht], urteilte der italienische Autor und Übersetzer Orazio Toscanella schon 1574 in seiner Schrift über Ariosts Epos (zitiert nach Preti 2012: 21.) 5.4 Ariosts Spinngewebe 165 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Auch findet Cyrillo, die prächtige Gestalt des Räuberhauptmanns könnte einem Bildhauer als Modell dienen; die Räuber sind also nicht nur für Literatur empfänglich, sondern verkörpern selber Kunst. Ihre Stilisierung zu Kunstfiguren 39 verweist auf den Konstruktcharakter der Wirklichkeit und setzt so ein Spiel zwischen den Sphären von Wirklichkeit und Kunst fort, das schon vor dem Eintritt von Cyrillo und Ariost in die Räuberhöhle durch die Evozierung der Zauberwelt des Berggeistes Rübezahl begonnen hatte ( IS III : 437), und das dem Leser die Instabilität der Grenzen zwischen den beiden Sphären bewusst macht. „Ariost“ in der dänischen Fassung von 1825 Die dänische Version von 1825 entspricht weitgehend dem deutschen Text; kleinere Abweichungen kommen hie und da in einigen Details vor: Der dänische Text bringt gewisse Streichungen einzelner Satzteile, andrerseits aber auch verschiedene Zusätze, manchmal Verdeutlichungen; aus diesen insgesamt geringfügigen Differenzen lässt sich jedoch keine generell verändernde Tendenz gegenüber dem deutschen Text ablesen: Sie bleiben ohne wirkliche Relevanz für das Textganze. Beachtenswert ist Oehlenschlägers Wiedergabe von Versen aus Ariosts Orlando furioso ; genau genommen handelt es sich um eine halbe und an anderer Stelle um eine ganze Strophe. Im deutschen Text übernimmt er, wie erwähnt, die Übersetzung von Gries aus den Jahren 1804-1808. Für die dänische Fassung dürfte er die entsprechenden Stanzen selber übersetzt haben, da es zu seiner Zeit noch keine dänische Übersetzung gab. Eine umfangreichere Textauswahl ist erst 2014 auf Dänisch erschienen ( Ariosto 2014); zwar gab es schon 1827 und 1881 zwei Versuche, die jedoch nur die Übersetzung weniger Gesänge hervorbrachten (Petersen 2014: 335). Dem Textzusammenhang entsprechend, in dem von Lucrezia Borgia die Rede ist, wählt Oehlenschläger aus dem dreizehnten Gesang von Ariosts Orlando furioso die zweite Hälfte der 69. Strophe; in diesen vier Versen wird Lucrezia Borgia als schön und tugendhaft, ruhmreich und glücklich besungen. Oehlenschläger komprimiert in seiner dänischen Version die vier Verse auf drei, wobei sein erster Vers nur vier Hebungen statt der üblichen fünf hat; 40 trotz dieser metrischen Freiheiten bleibt er inhaltlich näher beim italienischen Original als Gries, was den Schluss nahelegt, er habe sich für seine dänische Übersetzung nicht nur auf Gries gestützt, sondern auch den italienischen Text beigezogen. Die zweite Probe einer von Oehlenschläger ins Dänische übersetzten Strophe des Orlando furioso findet sich bei der Lesung in der Räuberhöhle: Der Räuberhauptmann Domenico Morotto liest gerade die 78. Strophe aus dem zwölften Gesang, als Ariost und Cyrillo die Höhle betreten. Die Strophe beschreibt, wie Orlando allein und furchtlos gegen eine Übermacht von Sarazenen kämpft, eine Episode, die bei den Räubern grossen Beifall hervorruft. Oehlenschläger überträgt die acht Verse in das komplexe Reimschema der Stanzen. Dabei lässt sich nicht leicht entscheiden, ob er nur die Gries’sche Strophe übersetzt oder auch die italienischen Verse beizieht, da Gries hier fast wörtlich überträgt. Jedenfalls ist eine recht 39 So präsentiert sich Eleonora z. B. als „idealische Bäuerin“, sie erscheint aber auch als „Penelope bei den Freiern“ ( IS III: 439); durch diese Anspielung wird die Odyssee als weiterer Intertext aufgerufen. 40 Der italienische Endecasillabo, in dem Ariost seine Stanzen dichtet, wird im Deutschen allgemein mit fünfhebigen Jamben wiedergegeben; im Grunde zeigt sich aber hier die gleiche Schwierigkeit wie bei der Übertragung der spanischen Romanzen, denn die syllabische Metrik der romanischen Sprachen findet im Deutschen mit seinen akzentuierenden Versrhythmen keine genaue Entsprechung. 166 5 Funktionen der Kunst in einer Biographie: Cyrillo de Valaro Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 natürlich klingende dänische Strophe entstanden, allerdings nicht ohne den Einschub eines kurzen, von den Vorlagen abweichenden Zusatzes, der das Reimschema erfüllen muss. 41 Die dänische Version der Verse, die Oehlenschläger Ariost zur Rettung Eleonoras sprechen lässt, gibt die deutsche Fassung inhaltlich getreu wieder und erfüllt formal die Anforderungen der Stanzenform, auch wenn die grössere Schwierigkeit, welche die Nachbildung der deutschen Verse statt freier Dichtung bedeutet, an einigen Stellen durch eine etwas gezwungene Ausdrucksweise zu spüren ist. Die Einengung durch die Erfordernisse der „Nachdichtung“ mag erklären, weshalb die überzeugenden deutschen Verse geschmeidiger wirken als ihr in der dänischen Muttersprache verfasstes Pendant. 42 Die Ariostepisode in den späteren Fassungen Der oben besprochene Text erscheint in der zweiten deutschen Ausgabe von 1839 und der dritten von 1911 bis auf orthographische Veränderungen identisch. Verglichen mit der Erstausgabe zeigen sich jedoch über diesen ganzen Textausschnitt verteilt sehr viele Streichungen geringeren Ausmasses, die zumeist gewisse Ausschmückungen, allenfalls auch Redundanzen eliminieren, in einem Fall jedoch eine lange Passage betreffen, die aus heutiger Sicht besonders interessant scheint: Es handelt sich um die kleine Einführung in die frühe italienische Literaturgeschichte ( IS III: 406-411), die Erörterung von Cyrillos Beziehung zur italienischen Literatur, sein Verhältnis zu Dante, Petrarca und Boccaccio, seine Einschätzung dieser Dichter im Vergleich zu Ariost, und die Schilderung seiner Ariost-Rezeption, die sich, wie erwähnt, von anfänglicher Skepsis und Ablehnung zu begeisterter Akzeptanz entwickelt; auch fehlt die all dem vorausgehende Lektüre-Empfehlung von Eleonora, die Cyrillo zu Ariost hinführt und sich überhaupt als Literaturkennerin erweist, die anderes und mehr gelesen hat, als sonst gemeinhin für Frauen der damaligen Zeit üblich war. Die Streichung dieser ganzen Thematik bewirkt, dass die humoristischen Episoden um Ariost weit mehr Gewicht erhalten, wodurch die schwankhafte Tendenz der Ariost-Geschichte in der zweiten (und dritten) Ausgabe von Oehlenschlägers Roman deutlicher hervortritt. Ausserdem wird das Frauenbild, das durch Eleonoras Rolle als Mentorin Cyrillos auf dem Feld der Literatur entscheidende neue Akzente gewonnen hatte, auf ein eher klischeehaftes Modell reduziert. Zur Beschneidung der literarischen Elemente gehört auch, dass die zweite der beiden zitierten Strophen aus dem Orlando furioso wegfällt, obwohl sie für den Sinnzusammenhang sehr gut gewählt war und die Begeisterung der Räuber für Ariosts Epos fassbar gemacht hatte. Ein Blick in die späteren dänischen Ausgaben zeigt, dass diese Strophe, die Oehlenschläger selber übersetzt haben muss, in allen vier Folgeausgaben erhalten geblieben ist, während die Halbstrophe über Lucrezia Borgia, die der deutsche gekürzte Text bringt, im Dänischen ebenso fehlt, wie die erwähnte, schon aus dem deutschen Text gestrichene Literaturreflexion. Dies bewirkt in der Ariost-Episode der späteren dänischen Editionen dieselbe Tendenz, wie sie schon für die deutsche Zweit- und Drittausgabe festgestellt wurde. Immerhin zeigt eine Durchsicht der dänischen Texte, dass doch mehrere kleinere Stellen, die in der deutschen Version gestrichen wurden, in der dänischen stehen 41 Die von Oehlenschläger übersetzten Strophen finden sich nicht in der erwähnten Auswahl von 2014, der bisher umfassendsten dänischen Übersetzung des Orlando furioso . 42 Auch hier scheint Leif Ludwig Albertsens Bemerkung zuzutreffen, dass der Dichter weniger kreativ sei, wenn er übersetze - und sei es in die eigene Muttersprache -, als wenn er dichte (Albertsen 1989: 32. Vgl. Kap. 3.1 dieser Arbeit). 5.5 Verwandlungen 167 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 blieben, d. h. die Streichungen wurden für die dänischen Ausgaben - mindestens, was den hier besprochenen Textausschnitt betrifft -, mit etwas mehr Vorsicht und Zurückhaltung vorgenommen. Zum Schluss sei noch angemerkt, dass die Oehlenschlägerschen „Ariost- Verse“ in sämtliche Ausgaben beider Sprachen integral aufgenommen wurden. 5.5 Verwandlungen Ariosts Begegnung mit den Räubern wird in der Episode um die lächerliche Figur des Alfonso Trotto, der Ariost imitieren will, 43 in persiflierender Weise nachgespielt. Auch Trottos Gedicht, so jämmerlich es ist, bewirkt die Rückgabe einer Frau, aber die verschleierte Gestalt ist nicht, wie Trotto glaubt, die schöne Eleonora, sondern seine böse alte Haushälterin; diese beiden Frauen als „Tauschgegenstände“ für Gedichte - darin drückt sich ein Qualitätsurteil aus, das sowohl den Frauen wie Ariosts und Trottos Gedichten gilt. Die Aufdeckung des alten Weibes unter dem Schleier der vermeintlichen Eleonora scheint über den Schwank hinaus auf die Figur der Eleonora zu verweisen und sie in Beziehung zur Alcina im Orlando furioso zu setzen, der schönen Zauberin, die durch einen Gegenzauber als hässliche alte Hexe entlarvt wird (Ariosto 1982, Canto VII : 72-73). Eleonoras Doppelcharakter zeigt sich ausserdem in Cyrillos schwankender Beurteilung: auch er sieht in ihr bald die Hexe Alcina, bald scheint sie ihm der tugendhaften Angelica ähnlich ( IS III : 409-411). Verbindungen zwischen den beiden Eleonora-Figuren in den WF und den IS bestehen in ihrer ehelichen Untreue und in den Täuschungsmanövern, die beide anwenden, wenn auch in sehr unterschiedlicher Weise. Allerdings scheint eine grosse Distanz die nymphomane Giftmörderin der WF von der erfahrenen, gebildeten und emanzipierten Frau der IS zu trennen, aber man kann sich fragen, ob nicht auch die Eleonora der WF Ansätze zu emanzipiertem Wesen in sich trägt. In der Tatsache, dass sie weder das lange kriegsbedingte Warten auf Cyrillo noch dessen sexuelle Trägheit ( WF I: 561) in tugendhafter Passivität erduldet, sondern sich anderen Sexualpartnern zuwendet, könnte der Ansatz zu einer emanzipierten Haltung liegen, die aber so unerwünscht, ja, verabscheuungswürdig ist, dass sie zu monströsen Verbrechen pervertiert werden muss. Umgekehrt scheint in den IS die emanzipierte Eleonora, die sich in der Beschreibung ihrer sexuellen Freiheit zu einer weiblichen Don Juan-Figur stilisiert ( IS III : 462), dem Räuberhauptmann bis zur Hörigkeit zu verfallen („ich glaube, er könnte mich aus Liebe prügeln, und ich glaube, ich würde es ihm aus Liebe nicht übel nehmen“, IS III : 466), womit ihre Freiheit in totale Abhängigkeit verkehrt wird, die schliesslich in der gemeinsamen Hinrichtung beider ihren extremsten Ausdruck findet. Wechselhaft in ihren Neigungen wie Don Juan ist aber nicht nur Eleonora, sondern auch Alcina, welche verstossene Liebhaber jeweils in Tiere, Pflanzen oder Quellen verzaubert, wobei die Dimensionen ihres Männerverbrauchs ebenfalls an Don Juan erinnern: 44 „Wohl 43 Der historische Alfonso Trotto wird erwähnt in: Ariosto 1982 (Canto XL, 4, 1 und Anmerkung) als „scalco e fattore di Alfonso I.“ [Seneschall und Verwalter in der Administration des Herzogs Alfonso I.]. Ariost verspottet ihn in zwei Sonetten (Ariosto 1924: 46 und 47). Dieser Spott wird in IS III: 426-427 weitergeführt, indem Trotto als „verunglückter Poet“ karikiert wird, der Ariost nacheifert. 44 Im Allgemeinen wird das erste Erscheinen Don Juans in der Literatur mit Tirso de Molinas 1613 entstandenem Drama gleichgesetzt, aber seine Figur und sein Schicksal waren schon früher Stoff volkstümlicher Überlieferung (vgl. Frenzel 2005: 193-200). 168 5 Funktionen der Kunst in einer Biographie: Cyrillo de Valaro Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 tausend schon [haben] dasselbe Los erduldet“, heisst es im VI . Gesang (Str. 50, 8). Auch in Alcinas schliesslicher Entzauberung und ihrer Verwandlung in ein hässliches altes Weib scheint Strafe für die emanzipatorische Aneignung eines Sexualverhaltens zu liegen, das sonst Männern vorbehalten ist. Die Abwehr weiblicher Emanzipation - jedenfalls, soweit sie sich auf sexuelle Freiheit erstreckt -, ist in den Figuren der beiden Eleonoren und der Alcina in allen drei Texten greifbar und verbindet über die Schnittstelle der Eleonorafigur der IS die beiden Prätexte WF und Orlando furioso mit dem Folgetext. Das Scheitern von Cyrillos Beziehung zu Eleonora sowohl in den IS wie in den WF nimmt gewissermassen seinen späteren Schiffbruch in beiden Texten vorweg, bildet gleichzeitig aber auch - direkt oder indirekt - den Anlass zur Seereise, in deren Verlauf er schliesslich auf die Insel Felsenburg verschlagen wird. Der Cyrillo der WF versucht, Eleonoras verbrecherische Machenschaften zu bestrafen, was jedoch zu Aufruhr, Mord, Selbstmord und Totschlag auf seinem Schloss führt, so dass er schliesslich, vom König und der Inquisition verfolgt, fliehen muss und sich auf eine Mittelamerika-Expedition begibt, die für ihn auf der Insel Felsenburg endet. In den IS trennt sich Eleonora von Cyrillo, kaum ist sie aus der Hand der Räuber befreit, um mit dem Räuberhauptmann zusammenzuleben. Ihrem Abschiedsbrief zufolge erwartet sie von dieser unkonventionellen Verbindung, in eine poetische Welt wie die des Orlando furioso , auf den sie in ihrem Brief ständig Bezug nimmt, versetzt zu werden. Sie entschwindet so Cyrillo gleichsam in die Poesie hinein. Er reagiert darauf mit dem Rückzug in ein Kloster - eine Handlung, die als Reaktion auf Eleonoras Schilderung ihres Don Juan-Charakters wie eine Umkehrung des geschlechtsspezifischen Verhaltensmusters wirkt, wenn man bedenkt, dass das Kloster traditionsgemäss als Schutz und Versorgungsstätte alleinstehender Frauen fungiert. Dass Eleonora ihn als „frommes, weiches, gelassenes Kind“ bezeichnet ( IS III : 465), scheint ihm eine sexuelle Identität überhaupt abzusprechen. Im Kloster sehnt sich Cyrillo danach, als Eremit in noch grösserer Einsamkeit zu leben; diese Sehnsucht steigert sich, nachdem er Eleonoras geköpftes Haupt mit dem flatternden Haar erblickt hatte, ein Medusenhaupt, dessen Anblick seine Sexualität gleichsam versteinern lässt, denn er hat seither „vor Frauenzimmern […] ordentlich einen panischen Schrecken“ ( IS III : 474). Er ergreift daher dankbar die Gelegenheit zu einer Missionsreise nach Peru und Mexico. Die Reise endet mit Schiffbruch und Rettung auf der Insel Felsenburg; auf diese Weise erfüllt sich Cyrillos Wunsch, ein Eremitenleben führen zu können. Das über achtzig Jahre währende Leben auf der Insel wird in wenige Sätze zusammengefasst; es bietet mangels literarischer Begegnungen keinen Stoff für Erzählungen - stattdessen wird nun das Manuskript selbst geschrieben. In den WF dagegen erlebt Cyrillo eine eigentliche, in allen Einzelheiten geschilderte Robinsonade, aus der aber, im Unterschied zu Robinson Crusoe , die Sexualität nicht ausgespart ist - dies, obwohl Cyrillo „den allergrösten Eckel an der Vermischung mit dem Weiblichen Geschlechte“ ( WF I: 644) empfindet. Er versucht, seine Gefährten „dahin [zu] bereden, dass wir insgesamt als Heilige Einsiedler unser Leben in dieser angenehmen und fruchtbarn Gegend […] zubringen wolten“ ( WF I: 637), aber es gelingt ihm nicht, die Sexualität aus dem Leben auf der Insel zu verbannen, im Gegenteil, sie manifestiert sich in einer Form, welche Eleonoras Exzesse noch übertrifft: Cyrillos christliche Gefährten verfallen mangels Frauen 5.6 Fazit 169 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 auf sodomitische Praktiken mit Affenweibchen, um derentwillen sie einander schliesslich gegenseitig umbringen. Cyrillo tötet die Affenweibchen, wird aber der Affen dennoch nicht Herr; sie zerreissen sein erstes Manuskript, ein Tagebuch, an dem er über siebzig Jahre geschrieben hatte ( WF I: 647-648): Die Kreatur, die er vernichten wollte, zerstört seine Kultur, oder, mit anderen Worten: der Versuch, die animalisch-triebhafte Dimension durch Schreiben zu sublimieren, misslingt. Der Aspekt der Sexualität auf der Insel polarisiert die beiden Texte WF und IS innerhalb der Cyrillo-Geschichte: Während die „manifeste“ Sexualität auf der Handlungsebene in diesem Teil der IS abwesend ist, erscheint sie in den WF in einer besonders kruden Form. Es ist jedoch fraglich, ob diese Feststellung tatsächlich so absolut gilt, oder ob nicht die Regeltreue und die strenge religiöse Pflichterfüllung der Mönche in den IS („nach katholischem Ritus und strengen Observanz unseres Ordens“, IS III : 477) als Versuch zur Triebverdrängung zu lesen wären; ausserdem ist Sexualität ja auch im Schreiben des Manuskripts vorhanden, was bewirkt, dass diese Dimension nicht mehr als „Handeln“ präsent ist, sich jedoch über die „Ersatzhandlung“ des Schreibens als Textkomponente in „sublimierter“ Form doch einschleicht. 5.6 Fazit Der Vergleich der Cyrillo-Biographien der WF und der IS hat gezeigt, dass, ausgehend von einer relativ starken Anlehnung an den Prätext bei der Auffindung von Cyrillos Manuskript, die Gestaltung der eigentlichen Vita sich in verschiedener Hinsicht weit von der Vorlage entfernt, wobei als treibendes Element die Ausrichtung aller Handlungskomponenten auf eine Beziehung zu Literatur und Kunst erscheint. Die Ausdehnung des Zeithorizontes der Julius-Geschichte, welche der Einbezug von Cyrillos Vita in beiden Romanen bewirkt, wird in den IS unter Anwendung mannigfacher intertextueller Techniken zur Erweiterung des literarischen, kunst- und kulturgeschichtlichen Kanons benützt, der sich im Verlauf des Romans bisher ausgebildet hatte. In Cyrillos Begegnung mit Ariost illustriert der Einsatz von dessen Dichtung zur Rettung Eleonoras über die poetologischen Diskussionen des Orlando furioso hinaus das Ineinandergreifen von Dichtung und konstruierter Realität: Es entsteht auch hier ein Dialog von Texten, in diesem Fall zwischen zwei interagierenden Textebenen, als „Dichtung in der Dichtung“. Ausserdem erscheint gerade diese Vita, in der schon bei Schnabel die Thematik der textuellen Überlieferung durch Auffindung, Übersetzung und Bekanntmachung von Cyrillos Manuskript eine wichtige Rolle spielt, besonders geeignet, durch ständige Selbstreflexion des Schreibprozesses die Mechanismen von Textproduktion und -überlieferung ins Zentrum zu stellen, wodurch die Cyrillo-Episode innerhalb des Makrotextes IS gewissermassen einen Mikrotext bildet, der, eingekleidet in die Schiffbruchsgeschichte, die „Text-Robinsonade“ IS eigentlich begründet. Diese Kernfunktion von Cyrillos Manuskript ist vielleicht auch der Grund für die Verschiebung der Vita vom Anhang in den Haupttext des Romans. Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 6 Personenkonstruktionen: Weibliche und männliche Stimmen Nachdem in dieser Arbeit verschiedentlich die Mehrstimmigkeit auf der Ebene der Textgestalt dargestellt wurde, ist nun zu fragen, ob sich auch in der Figurenkonzeption polyphone Elemente nachweisen lassen. Dabei stellt sich u. a. die Frage, ob die vielen, von Oehlenschläger neu in den Roman eingeführten Frauenfiguren eine eigene Stimme besitzen, d. h. ob sich eine Differenz zu den Männern erkennen lässt. Die Frage mag banal, ja überflüssig scheinen, angesichts der in der abendländischen Literatur praktizierten Zelebrierung des „Weiblichen“, die auch Oehlenschläger in seinen immer wieder zum Klischee stilisierten Frauenbeschreibungen übernimmt. Als Beispiele seien die zahlreichen aus der Pflanzen- und Tierwelt stammenden Vergleiche erwähnt: Insbesondere Rosen, Veilchen und Rehe sollen den bevorzugten zarten, ätherischen Charakter der weiblichen Natur anschaulich machen. Gerade diese Schematisierung muss aber auch zu einer an unzähligen Stellen greifbaren Verunsicherung in Bezug auf das Wesen des Weiblichen bzw. Männlichen führen. Betrachtet man nämlich den Geschlechterdiskurs im Roman genauer, so fällt auf, wie oft sich männliche und weibliche Eigenschaften überkreuzen, mischen und vertauschen, so dass die Klischees eher desavouiert als bestätigt werden. Die folgende Fallstudie bezieht sich auf einen Textausschnitt, der im Unterschied zu den bereits untersuchten Passagen keine offensichtlichen Parallelen zu Schnabels Roman aufweist, sondern von Oehlenschläger neu in Alberts Lebensgeschichte eingefügt wurde, als eine jener „Novellen“, die „der grossen Erzählung einverleibt werden konnten“, wie er in seiner Vorrede erwähnt ( IS I: IX ). 1 In bestimmten Bereichen zeigt die „Novelle“ jedoch Anklänge an die im vierten Teil der WF vorgetragene „Lebensgeschichte der persischen Prinzessin Mirzamanda aus Candahar“, Textbezüge, von denen im Folgenden noch die Rede sein wird, die aber nicht so augenfällig sind, dass in dieser Hinsicht von einem „Dialog mit Schnabels Text“ gesprochen werden könnte. Doch soll die Analyse der ausgewählten Sequenz klären, ob auch in einem vom deklarierten Prätext unabhängigen Ausschnitt textuelle Mehrstimmigkeit und Dialogizität als produktive Strukturen zu erkennen sind. Es wurde schon erwähnt, dass in Oehlenschlägers im Vergleich zu den WF wesentlich figurenärmerem Roman etliche neugeschaffene Frauengestalten auftreten, wie z. B. Eberhards treue Dienerin Hanna Hellkraft oder Concordias Begleiterin Minga, um nur zwei aus einer ganzen Reihe anderer zu nennen, von denen bisher in dieser Arbeit noch nicht die Rede war. Doch diese Frauenfiguren treten nicht als Erzählerinnen ihrer eigenen Geschichte auf, sie fungieren also nicht wie in Schnabels polyphon strukturiertem Erzählsystem als eigene „Textstimmen“; vielmehr werden sie selber als handelnde oder erlebende Figuren erzählt - mit einer Ausnahme: Die „schöne Bäckerin“ erzählt ihre Lebensgeschichte selbst; allerdings wird ihre Ich-Erzählung von Albert wiedergegeben, der sie in die Erzählung seiner eigenen Biographie einmontiert, so dass sich die beiden Erzählerstimmen überlagern, 1 Laut Genette handelt es sich bei einem solchen Verfahren um eine „Ausgestaltung durch massive Hinzufügung“, d. h. um eine „Erweiterung“ (1993: 353). 172 6 Personenkonstruktionen: Weibliche und männliche Stimmen Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 verdoppeln, miteinander verschmelzen, weshalb der Bäckerin eine eigene Stimme doch nicht wirklich zugestanden wird. 6.1 Liebe im Roman Die Erzählung ist Teil von Alberts Lebenserinnerungen, welche er, wie erwähnt, auf der Insel Felsenburg Abend für Abend zwei Jahre lang seinem Urgrossneffen Eberhard und einigen anderen Zuhörern vorträgt. Sie wird in mehrfacher Weise eingeleitet: Zunächst stellt Albert im Verlauf der Schilderung seiner Jugend in Aussicht, von einem Liebesabenteuer zu berichten ( IS II : 249). Dann meldet sich der auktoriale Erzähler mit einem Kommentar zu Alberts Erzählweise und zum gesamten Roman zu Wort: Alberts Versprechen lasse ihn [den Erzähler] hoffen, dass die jungen Leser und Leserinnen diesen Roman nicht bei Seite legen werden, weil sie bereits fast zwei Theile gelesen haben, und noch nichts von eigentlicher Liebe darin vorkömmt. ( IS II : 249; Hervorhebung im Original) Diese Bemerkung, insbesondere die Bezeichnung des Textes als „Roman“, weist auf die traditionellen Gattungskriterien, denen zufolge ein Roman „Liebe und Abenteuer“ zum Inhalt haben muss. Die den Liebesgeschichten unmittelbar vorangehenden Kapitel handeln denn auch von „Abenteuern“, wie schon die gleichlautende Überschrift des ersten dieser Kapitel ankündigt ( IS II : 190). Dabei handelt es sich um inhaltliche Gattungskriterien, die mindestens für die Zeit, in der Albert erzählt (Anfang des 18. Jahrhunderts), noch Gültigkeit hatten (Steinecke / Wahrenburg 1999: 16), die aber in der Weise, wie der Erzähler ihre Erfüllung an seine Figur delegiert, auch ironisiert werden, was besonders deutlich wird in der Fortsetzung des Erzählerkommentars: Es wird auf die Erzählung einer grotesken Liebes- und Ehegeschichte aus Alberts Jugendzeit angespielt, die „freilich nicht zu den reizendsten der erotischen Gemälde gerechnet werden [könne]“ ( IS II : 249). Das werde aber noch kommen: „Wir werden mit Albert Julius lieben und seufzen […]“ ( IS II : 250). Schliesslich wird ein weiteres Mal auf die Liebesthematik verwiesen, als Albert seine Erzählung wieder aufnimmt und sich selber an sein Versprechen erinnert, von einem Liebesabenteuer zu erzählen ( IS II : 251). Sein eigenes Erlebnis bildet dabei gleichsam den Auftakt zu einer Reihe von Liebesgeschichten, die alle - mit Ausnahme jener der Bäckerin - tragisch enden, wobei aber diese Tragik immer wieder aufgelöst wird durch ein spukhaftes Spiel mit Geisterwesen - Phänomene, die sich aus der Geschichte der Bäckerin in die anderen Liebesgeschichten hinein fortpflanzen, sie miteinander verbinden und sie in eine Atmosphäre von karnevalesker Wehmut tauchen. Die Geschichte erscheint im Zusammenhang mit den Theaterspielen, die Seifert mit seiner Truppe aufführt; auf einer Ritterburg in Thüringen spielen sie eine nicht näher bezeichnete Komödie, in der Albert als „verlorener Sohn“ auftritt (vgl. Kap. 8.1). In dieser Rolle gefällt Albert, wie er erzählt, besonders den Frauen. Dabei ist es vor allem seine Erscheinung als zerlumpter Bettelknabe, welche die Frauen bewegt; die Selbstverständlichkeit, mit welcher hier Mitleid als „Frauentugend“ festgeschrieben wird, weist voraus auf die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beginnende Konstruktion spezifisch „weiblicher“ Tugenden wie Sanftmut, Anteilnahme und Mitleid auf der Basis der 6.1 Liebe im Roman 173 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 „organischen Schwäche“ des weiblichen Körpers: „Selbst schwach und im Gefühl ihres Unvermögens wird sich die Frau mit allen Unglücklichen identifizieren […]“ (Honegger 1996: 148). 2 Als „verlorener Sohn“ gewinnt Albert auch die Liebe eines schönen Mädchens, Tochter eines herumziehenden Krämers, die selber als „Tabuletkrämerin“ arbeitet. In seiner Verliebtheit will Albert ihren Namen in einen Baum ritzen und wird von Seifert beauftragt, auch gleich den Namen einer schönen Bäckerin, die dieser begehrt, miteinzuschneiden, wobei Albert darauf achten solle, „einen tüchtigen stämmigen Baum [zu] erwählen, mit üppigem Laube und glatter Rinde, wie sie selber ist“ ( IS II : 266). Diese Parallelisierung der Geliebten mit dem Baumkörper weist in der Geste des Einritzens auf die sexuelle Natur von Seiferts Begehren. Da der Baum aber auch als Phallussymbol gedeutet werden kann, wird das Objekt des Begehrens zur phallischen Frau, und als solche zugleich anziehend und unheimlich. Der weitere Verlauf der Erzählung wird zeigen, inwiefern die Bäckerin Züge dieses sexuellen Konstrukts trägt. Indem Seifert das Eingravieren des Namens seiner Geliebten an einen andern delegiert, verspottet er gleichzeitig dieses Ritual der Verliebten. Seine an Albert gerichtete Warnung unterstreicht den Spott: Hüte dich auch, dass du, bei allen den krummen C’s, E’s und B’s, die schwer zu machen sind, besonders im Mondschein, dich nicht in die Finger schneidest oder das Messer zerbrichst. ( IS II : 266) Die Worte bilden nicht nur einen ironischen Bruch in Alberts schwärmerischer Verliebtheit, sie verweisen gleichzeitig auf die Materialität der Schrift, die in ihrer spezifischen Form - in den IS ist es die Fraktur mit ihren vielfach gebrochenen und gebogenen Grossbuchstaben (auch „E“ ist im Gegensatz zur Antiqua in der Fraktur „gekrümmt“) - die Schwierigkeit der „Einkerbung“ bedingt; Seiferts Belehrung zu den „krummen“ Buchstaben, „die schwer zu machen sind“ in der Führung des einritzenden Messers, hebt diesen Umstand besonders hervor und weist damit symbolisch auf Alberts sexuelle Unerfahrenheit. Die Ironisierung wird noch weiter getrieben, da Albert, dem erst jetzt bewusst wird, dass er den Namen der Tabuletkrämerin gar nicht kennt, in die Baumrinde nur das Wort „Geliebte“ einschneiden kann, das Seifert später scherzhaft für seine eigene Liebe annektiert, indem er es mit den drei Vornamen und dem Nachnamen der schönen Bäckerin ergänzt und mit dieser Namenshäufung das Einschneiden ad absurdum führt. Die Vornamen „Catharine, Benedicte, Elisabeth“ deuten übrigens alle auf weibliche Heiligkeit und Frömmigkeit, was durch den Familiennamen „Messerschmidt“ mit einem ebenso männlichen wie körperlich-sinnlichen Element komplementiert wird: das „Messer“ ist als Penissymbol im doppelten Sinn Werkzeug des Eingravierens. Albert will diese Ergänzung indessen nicht hinnehmen und erwägt, die Namen zu tilgen. 3 Dass er den Namen der Tabuletkrämerin 2 Das Zitat entstammt Claudia Honeggers Referat von Pierre Roussels einflussreicher Schrift Système physique et moral de la femme von 1775 und bezieht sich wohl auf Roussels Feststellung: „c’est du sentiment de son impuissance qu’elle tire cette disposition à s’identifier avec les malheureux, cette pitié naturelle qui est la base des vertus sociales.“ [Aus dem Gefühl ihrer Ohnmacht entspringt diese Neigung zur Identifikation mit den Unglücklichen, dieses natürliche Mitgefühl, welches das Fundament der sozialen Tugenden ist] (Roussel 1775: 32). 3 Darin kann man einen intertextuellen Anklang an Ariosts Orlando furioso sehen: Orlando will die Namensverbindung Angelica-Medoro, die er auf Bäumen rings umher eingeschnitten erblickt, zuerst nicht wahrhaben und versucht zu glauben, dass die Inschriften andere Personen bezeichnen als die, 174 6 Personenkonstruktionen: Weibliche und männliche Stimmen Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 nicht kennt, könnte auf die typisierte Natur seiner Gefühle deuten: Er liebt auf romantische Weise ein namenloses Geschöpf und findet selber, der Zauber dieser Liebe wohne „in der Phantasie, und ist eigentlich nur der gesteigerte Sinn für die Schönheit oder Anmuth beider Geschlechter“ ( IS II : 257). Wie sich nach dem Tod der Tabuletkrämerin herausstellt, wurde er von ihr auf ebenso poetisch überhöhte Art wiedergeliebt, denn ihre Liebe galt dem „verlorenen Sohn“, d. h. sie setzte Albert mit seiner Rolle im Theaterstück gleich ( IS II : 451). Allerdings ist diese Gleichsetzung nicht ganz ohne Berechtigung, da Albert selber sich in seiner Eltern- und Heimatlosigkeit in gewissem Sinn als „verlorener Sohn“ vorkommt: „indem ich Albert Julius war, stellte sich zugleich Vieles vom Wesen des verlorenen Sohnes selbst dar“ ( IS II : 253). Dadurch wird eine klare Trennung zwischen Rolle und Persönlichkeit in Frage gestellt. 6.2 Walpurgisnacht der Texte Noch weit ausgeprägter und von grösserer Tragweite ist die Identifizierung Seiferts mit seiner Rolle als „Faust“ durch die schöne Bäckerin, die ihm ihre Geschichte erzählen will, weil sie von Fausts magischen Künsten Hilfe erwartet. Seifert fühlt sich von ihrer Tendenz, Bühnenfiguren mit realen Personen zu vermischen, 4 verunsichert; die Bäckerin ist ihm unheimlich, weil er befürchtet, sie sei ein wenig verrückt und wähne sich mit Hexen und Teufeln im Bund. Albert begleitet ihn zur Zusammenkunft mit der Bäckerin, erlebt dort aber zu Beginn statt des erwarteten Unheimlichen gerade das Gegenteil: Der Bäckerladen versetzt ihn in seine Kindheit zurück, erweckt ihn ihm also Gefühle des Vertrauten, Heimischen. Auch ihre Stube hat nichts Unheimliches, es ist dort alles „niedlich und ordentlich“ ( IS II : 285) - eine Beschreibung, die an Gretchens „kleines reinliches Zimmer“ denken lässt (Goethe 1948-1971, 5: 225). 5 Aber gerade die Gretchen-Reminiszenz führt auch wieder an das Unheimliche heran, das sich besonders in Gretchens geisterhafter Erscheinung an der Walpurgisnacht manifestiert: Unheimlich ist der starre Blick der Gretchenfigur, und ebenso das rote Schnürchen um ihren Hals, das, „nicht breiter als ein Messerrücken“ ( Faust I: 4205), 6 in der Andeutung der Enthauptung als Hinweis auf die Kastration verstanden werden könnte: Kastrationsangst ist welche diese Namen tragen. Als er schliesslich der Wahrheit nicht mehr ausweichen kann, entzündet sich an den Inschriften seine Raserei (Ariosto 1982: Canto XXIII, 103-136). 4 Auch in Holbergs Stück Hexerie eller blind Allarm (1731) identifizieren Dorfbewohner einen Schauspieler, den sie beim Einstudieren seines Bühnentextes beobachten, mit seiner Rolle, in der er - ähnlich wie Faust - Teufelsbeschwörungen ausführt; diese Vermischung von Theater und Realität führt im Dorf zu Hexenwahn und Hexenverfolgung. Holbergs Komödie dürfte Oehlenschläger zur Zeit der Entstehung der IS besonders gegenwärtig gewesen sein, da sie zu jenen 25 Stücken gehörte, die er, wie verschiedentlich erwähnt, 1822 (also kurze Zeit vor der Publikation seines Romans) auf Deutsch übersetzt hatte. 5 Auf die ganz ähnliche Beschreibung von Eberhards Stube im ersten Teil der IS wurde bereits hingewiesen (vgl. Kap. 4.2), da jedoch die Figur der Mutter - anwesend in ihrem Bild - jenes Zimmer beherrscht, tritt dort der Gretchenbezug in den Hintergrund, indem er zwar nicht gelöscht, aber durch die starke Position der Mutter gewissermassen überdeckt wird. 6 Albrecht Schöne deutet den roten Blutstreif als „Teufelszeichen“; er argumentiert damit für die Ambivalenz der Gretchenfigur, die nicht nur als Rettende zu sehen sei, wie die Textoberfläche suggeriere, sondern auch als teilhaftig „an der dem Satan verfallenen Welt“ (Schöne 1982: 177-178). 6.2 Walpurgisnacht der Texte 175 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 nach Freud der Kern des Unheimlichen (Freud 1999, 12: 243-245). Laut Mephisto erinnert Gretchens starrer Blick an die Meduse ( Faust I: 4192-4194), und mit diesem Schreckensbild bringt Seifert die Bäckerin indirekt in Verbindung, wenn er sie wegen ihrer „langen fliegenden Goldhaare[ ]“ einen Kometen nennt, der „Schauer und Grauen erregen“ kann ( IS II : 279). Kometen wurden allgemein gefürchtet; sie galten als Verkünder kommenden Unheils ( Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens 1927-1942, V: 92-95). Auch der Faust des Volksbuches deutet die Erscheinung eines Kometen in diesem Sinn und zählt eine lange Reihe von Katastrophen auf, die der Komet mit sich bringen werde ( Historia von D. Fausten 1988: 73). Die gedankliche Verbindung der Bäckerin mit dem Bild des Kometen (und damit indirekt mit der Meduse) 7 weist auch auf die Andeutung ihres Wesens als phallische Frau zurück ( IS II: 266): Die Meduse symbolisiert mit ihrem Schlangenhaar die „phallische Vulva“ (Devereux 1981: 175), die faszinierend und beängstigend zugleich ist, weil das phallische Element zwar die Kastrationsangst mildert (Freud 1999, 17: 47), durch die Assoziierung der „phallischen Frau“ aber auch eine bedrohliche Übermacht des Weiblichen signalisiert. 8 Der Text schwankt zwischen impliziten Bezügen zu Goethes Faust und expliziten Hinweisen auf den Faust der Volksbücher und der deutschen Adaptationen von Marlowes Faustdrama, die im 17. Jahrhundert häufig von Wandertruppen gespielt wurden (Friedrich, Th. 1963: 166). Aber auch Spuren aus den Puppenspielen finden sich, wie die Anspielung der Bäckerin auf Fausts Geliebte, „die Herzogin von Parma“, zeigt ( IS II : 286). Die Bäckerin beginnt ihre Erzählung mit einer ausführlichen Schilderung der Grausamkeit ihres Vaters, der ihren Geliebten, den Bäckergesellen Josef, vertrieb und sie selber in ein unterirdisches Gewölbe sperrte. Darin zeigt sich eine intratextuelle Verwandtschaft mit dem „Fräulein im gläsernen Sarg“ ( IS II : 425), einer der in den folgenden Kapiteln des Romans erzählten tragischen Liebesgeschichten: Eine mittelalterliche Ballade besingt das Schicksal eines Mädchens aus adligem Geschlecht, das vom Vater zur Strafe für seine Liebe zu einem Müllerssohn eingekerkert wurde, was zum Selbstmord des Müllerssohnes und zum Liebestod der Tochter führte. Dass die Väter die Liebesbeziehungen ihrer Töchter zerstören - auch Alberts beginnende Liebe zur Tabuletkrämerin endet durch das Eingreifen des Vaters - deutet in verhüllter Weise auf inzestuöse Wünsche, 9 die beim Vater der Bäckerin überdies sadistische Züge annehmen: Er droht ihr mit der Rute und geisselt sie schliesslich bis aufs Blut. 10 Diesen inzestuös gefärbten Vater-Tochter-Beziehungen ist gemeinsam, dass die Mütter fehlen; von ihnen ist nie die Rede. 11 Eine mögliche intertextuelle Parallele hierzu findet sich in 7 Die Verbindung Komet - Meduse - Kopf einer geliebten Frau (mit Verweis auf Cyrillos Eleonora) begegnet auch in IS IV: 27. 8 Auf den Zusammenhang zwischen Cyrillos Sexualangst und dem medusenähnlichen Anblick von Eleonoras geköpftem Haupt ( IS III: 473-474) wurde in Kap. 6.1 hingewiesen. 9 Vgl. dazu Ranks Darstellung, wie in Mythen, Sagen und Märchen Väter die Freier der Töchter vertreiben oder bekämpfen (Rank 1974: 354-359). Dabei weist er das Einsperren der Tochter durch den eifersüchtigen Vater als häufig verwendetes Motiv nach (1974: 358-359). 10 Ein sadistisches Element ist nach Rank nicht selten Bestandteil des inzestuösen Vater-Tochter-Verhältnisses, da der Inzest mit der Tochter oft deren Verführung oder Vergewaltigung voraussetzt (1974: 339). 11 Vgl. Rank (1974: 349-353). In Märchen und Sagen trifft häufig der Tod der Mutter mit dem Erwachsenwerden der Tochter zusammen, was den Wunsch des Vaters andeutet, die Tochter gegen die altgewordene Mutter auszutauschen. 176 6 Personenkonstruktionen: Weibliche und männliche Stimmen Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 den WF in der Geschichte der Mirzamanda: Zwar fehlt in diesem Fall die Mutter nicht, sie wird als zauberkundige Fürstin (was sie mit der Hexenwelt in der Geschichte der Bäckerin verbindet) sogar in aller Ausführlichkeit dargestellt, aber nicht einmal zwei Jahre nach Mirzamandas Geburt wird sie umgebracht, so dass sich auch hier eine frauen- und mutterlose Vater-Tochter-Beziehung ergibt. Der Vater verfolgt die erwachsen gewordene Mirzamanda ganz unverhüllt mit seinen sexuellen Wünschen ( WF IV : 475-482), wobei sie väterlichem inzestuösem Begehren gleichsam doppelt ausgesetzt ist, da eine zweite Vaterfigur, ein alter Verehrer ihrer verstorbenen Mutter, sie mit allen Mitteln, auch mit physischer Gewalt, dazu zwingen will, ihn zu heiraten ( WF IV : 489-495). In der Erzählung der Bäckerin entfaltet sich eine detailreiche Darstellung des Hexensabbats und der Walpurgisnacht auf dem Blocksberg. Die Beschreibung in IS II : 307-308 enthält Anklänge an die Walpurgisnacht in Goethes Faust I, vor allem an deren Beginn ( Faust I: 3835-3955); so wählt die Bäckerin aus den vorhandenen Transportmitteln für die Reise auf den Blocksberg den Bock, da er ihr am geeignetsten schien, „eine solche Reise auszuhalten“ ( IS II : 307). Dieselbe Wahl trifft auch Mephisto, der sich, ebenfalls im Hinblick auf die weite Reise, „den allerbesten Bock“ wünscht ( Faust I: 3835-3837). Auf den Blocksberg verlegt die Bäckerin - mit Hilfe ihrer alten, im Umgang mit Hexen und Teufeln erfahrenen Wärterin Mariane 12 - ihre Zusammenkünfte mit Josef, von dem ihr Vater sie nach der Entdeckung ihrer Schwangerschaft gewaltsam getrennt hatte. Mehrere Motive in ihrer Geschichte - das unehelich geborene Kind, die Verzweiflung in der Gefangenschaft, die Entstehung des Wahns, das Hochgericht am Rabenstein - wecken wieder Reminiszenzen an die Gretchen-Tragödie in Goethes Faust , aber die tiefe Tragik von Gretchens Schicksal erscheint durch die völlig anders gearteten Wahnvorstellungen der Bäckerin transformiert und aufgehoben, so dass schliesslich sogar die düstere Richtstätte am Rabenstein, welche die Hexen im Faust für Gretchens Hinrichtung vorzubereiten scheinen ( Faust I: 4399-4404), zu einer romantischen Kulisse für die Liebesbegegnung zwischen Joseph und der Bäckerin werden kann, auf der selbst der Galgen, „verfallen und zerrissen mit Moos und Blumen durchwachsen […] wie die Trümmer einer alten Burg“ ( IS II : 309), seinen Schrecken verloren hat. Die Hexenwelt, von der Bäckerin mit grossem Realismus geschildert, wird durch mehrere Hinweise in der Erzählung als Phantasieprodukt kenntlich gemacht, scheinbar, ohne dass der Bäckerin selber dies zum Bewusstsein käme. So finden verschiedene Zeichen, welche die Realität des Hexenspuks belegen sollen, rationale Erklärungen, die sie als trivial und alltäglich enthüllen (z. B. entpuppen sich Cupidos Flügelfederchen als gewöhnliche Hühnerfedern, IS II : 313). An anderen Stellen bilden sich in der Erzählung der Bäckerin Risse, durch die ein Bewusstsein ihres Wahns zu schimmern scheint: Es ist aber alles doch nur dünn und luftig, und einem Traume so ähnlich, dass ich die sämmtlichen Erscheinungen für lauter Einbildungen erklären möchte, wäre ich nicht vom Gegentheile überzeugt. ( IS II : 326) Eine Relativierung des Wahns bedeutet auch die Ironie, die immer wieder aufblitzt und Löcher in das Gewebe der Wahnbildung reisst, so zum Beispiel, wenn die alte Mariane es 12 Auch Mirzamanda hat eine Dienerin, die hexenhafte Züge trägt und mit dem Satan im Bund steht ( WF IV: 405-409). 6.2 Walpurgisnacht der Texte 177 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 völlig überflüssig findet, Frauen zu verbrennen, bloss, weil sie sich auf dem Blocksberg amüsierten, besonders zu einer Zeit, da das Brennholz so teuer werde ( IS II : 306). Dabei erinnert Marianes Beschreibung dessen, was die Frauen auf dem Blocksberg tun: „Essen, trinken, tanzen, liebkosen und faulenzen“ ( IS II : 306), an Mephistos Aufzählung in Goethes Walpurgisnacht : „Man tanzt, man schwatzt, man kocht, man trinkt, man liebt“ ( Faust I: 4058). Marianes Verlächerlichung der Hexenverbrennungen beruht auf einer scharfen Kritik an den Männern, die auch ohne Teufelsbund viel ärgere Sünden begingen als die Frauen, indem sie „stehlen, morden, rauben, verläumden, betrügen, andere unglücklich machen“ ( IS II : 306). Ihre Aussage: „Die neidischen Mannsbilder können nicht einmal einem armen Weibe einen solchen Spas im Lande der Träume gönnen“ ( IS II : 305), verweist das Hexenwesen ebenfalls ins Reich der Phantasie und verurteilt gleichzeitig den Machtanspruch der Männer, auch noch über die Träume der Frauen herrschen zu wollen. Mit dem „Spas“ der Frauen „im Lande der Träume“, gegen den sich der Neid der Männer richtet, ist, wie aus der Geschichte der Bäckerin klar wird, sexuelle Befriedigung gemeint, welche die beiden Frauen - Mariane hat ebenfalls in jungen Jahren ihren Geliebten verloren - auf die Ebene der Phantasie verschieben, indem sie sich selber und die erträumte Gestalt des Geliebten in die Walpurgisnacht am Blocksberg versetzen. Die Wahl der Hexenwelt als Kulisse für ihre sexuellen Phantasien ist nicht zufällig, sondern ergibt sich aus einem Diskurs, der weibliche Sexualität als unheimliche, mit Hexen und schwarzer Magie im Bund stehende Kraft auffasst, eine Sicht, wie sie folgendes Zitat aus dem Hexenhammer deutlich zum Ausdruck bringt: „Alles geschieht durch fleischliche Begierde, die bei ihnen [den Frauen] unersättlich ist. […] Darum haben sie auch mit den Dämonen zu schaffen, um ihre Lust zu stillen“ (Kramer 2015: 238). Hexenbräuche wie Fliegen und Reiten gelten als Chiffren für den Koitus; verschiedene Attribute der Hexen, z. B. Besenstiele, Stöcke, Heugabeln, etc. haben phallischen Charakter: Die Hexe ist also auch eine „phallische Frau“ 13 , d. h. sie verfügt selbs therr lich (! ) über ihre Sexualität, ohne sich vom Mann darin dominieren zu lassen. So führte z. B. die Bäckerin ihr genussreiches Sexualleben mit Josef trotz des Verbotes ihres Vaters so lange wie möglich ungehindert fort und entzog sich später der väterlichen Repression durch Schaffung einer sexuellen Phantasiewelt. Die Vorstellung von der weiblichen Sexualität als einer Macht, die den Mann „verhexen“ kann, äussert sich auch in Seiferts Worten über die schöne Bäckerin: „Allein, schöne Weiber sind Hexen, wenn sie uns verliebt machen“ ( IS II : 338). Die Konstruktion des Zusammenhangs zwischen Frau, Sexualität und Hexe wird von der alten Mariane zwar kritisiert und verlacht, dient andrerseits jedoch den beiden Frauen als Grundlage, fast könnte man sagen, als Prätext, für die Schaffung ihrer erotischen Traumwelt. Aber die gestalterische Phantasie der Bäckerin erschöpft sich nicht in der Ausmalung des Hexenspuks am Blocksberg, vielmehr verfeinert und erweitert sie ihr Phantasiegebilde, indem sie Gestalten aus der mittelalterlichen Sagenwelt, wie jene des getreuen Eckhart, der vor dem Venusberg Wache hält ( IS II : 310-311), 14 damit verwebt und den Venusberg 13 Géza Róheim weist in Die Panik der Götter zahlreiche weitere Erscheinungsformen dieser Phantasie in antiken und biblischen Mythen ebenso wie in mittelalterlichem und modernem Hexenglauben und in Träumen nach (1975: 228-264). 14 Ein Motiv, das sich in der Romantik grosser Beliebtheit erfreute; vgl. Tiecks Märchen Der getreue Eckart und der Tannenhäuser (1799 entstanden und 1812 in den Phantasus aufgenommen. Schon 1816 178 6 Personenkonstruktionen: Weibliche und männliche Stimmen Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 zu einer antiken Szenerie ausbaut, die sie mit Bacchus und Amor, mit Faunen, Satyrn und Wassernixen bevölkert. Der Szenenwechsel vom Blocksberg zum Venusberg, d. h. von der romantischen zur klassischen Walpurgisnacht, verbindet den Text mit Goethes Faustdrama und erinnert an den Ausspruch des Homunculus: „Romantische Gespenster kennt ihr nur allein; / Ein echt Gespenst, auch klassisch hats zu sein“ ( Faust II : 6946-6947). Es besteht auch eine zeitliche Nähe zwischen Oehlenschlägers Text und Goethes Konzeption der klassischen Walpurgisnacht, die Goethe bereits 1826, also mehrere Jahre vor der (posthumen) Veröffentlichung von Faust II, ausführlich schilderte: im Zweite[n] Entwurf. Helena, Zwischenspiel zu Faust. Ankündigung (Goethe 1948-1971, 5: 567-573). Doch selbst wenn dieser Entwurf damals schon publiziert worden wäre, käme er nicht als Prätext in Frage, da Oehlenschlägers Roman schon zwei Jahre früher erstmals erschienen war (1824 in der dänischen Version). Es mag erstaunen, dass sich die Bäckerin, die „nicht ordentlich lesen“ kann, wie zweimal betont wird ( IS II : 297 und 299), in der antiken Mythologie auskennt. Der Hinweis der Venus auf den frühverstorbenen Bruder der Bäckerin, der in die Lateinschule ging und ihr „damals oft von dem heidnischen Gotte Bachus, von dessen Faunen, Satyrn und Bachantinnen erzählt“ habe ( IS II : 312), scheint diese Phantasien auf Kryptomnesien zurückzuführen, d. h. auf vergessene, aber im Unbewussten aufbewahrte, daher „kryptische“ Erinnerungen. In der Erzählung der Bäckerin werden der romantisch-deutsche Blocksberg und der klassisch-antike Venusberg aufeinander bezogen; sie treten gleichsam in einen Dialog miteinander, welcher als eine ins Groteske gewendete Spielart der Anfang des 19. Jahrhunderts geführten Diskussion über den Stellenwert der germanisch-nordischen gegenüber der griechisch-römischen Kultur erscheint. 15 Marianes Verteidigung der „biederen deutschen Teufel“, die in ihrer Hässlichkeit ehrlicher seien als die nur äusserlich schönen „Griechenteufel“ ( IS II : 318), wirkt dabei wie eine Demontage des Winckelmannschen Ideals klassischer griechischer Schönheit, denn der blühende, weisse Körper des Bachus sei nur „Trug und Larve“, die Venus eine „alte Vettel“. Diese Bezeichnung bringt die Venus in Zusammenhang mit der Vorstellung der „vetula“ (wovon das deutsche Lehnwort abgeleitet ist), die seit der Antike als Inbegriff ekelerregender Hässlichkeit gilt (Menninghaus 1999: 16 und 132-159). Dadurch wird die Venus praktisch mit ihrem Gegenpol, der hässlichen alten Hexe, gleichgesetzt; wie Mariane sagt, müsste man sie einmal sehen, ehe sie ihre Toilette gemacht, ehe sie die falschen Zähne in die hölzernen Gaumen geschraubt, sich geschminkt, geschnürt und sich alle die blühenden Gliedmaassen angeschnallt hat, die das Auge entzücken, die aber nur aus lauter samtenen Kissen mit Springfedern bestehen. ( IS II : 318-319) wurde der erste Teil auf Dänisch übersetzt: Den troe Eckart, efter Ludvig Tieck ved Johan Krag; dabei handelt es sich nicht um eine Nachdichtung, wie die Angaben anzudeuten scheinen, sondern um eine texttreue Übersetzung). Auch Oehlenschlägers späte Romanze Tanhuser i Venusbierget (entstanden 1846) nimmt die Sage nochmals auf. 15 Vgl. die im Jahr 1800 von der Universität Kopenhagen gestellte Preisaufgabe: „Var det gavnligt for Nordens skiønne Litteratur, om den gamle nordiske Mythologie blev indført og almindelig antaget, istedet for den Grædske? “ [„Würde es unserer schönen Litteratur zum Nutzen gereichen, wenn die nordische Mythologie statt der griechischen von den Dichtern gebraucht und eingeführt würde? “] = Oehlenschlägers eigene Formulierung ( Selbstbiographie 1829,1: 94). Oehlenschlägers positive Beantwortung dieser Preisfrage zeigt sein unbedingtes Eintreten, schon ganz zu Beginn seiner dichterischen Laufbahn, für den Einbezug der nordischen Mythologie in die Dichtkunst ( Æstetiske Skrifter 1800-1812 : 5-22). 6.2 Walpurgisnacht der Texte 179 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Diese Künstlichkeit des Körpers verbindet die Venus mit den in Kunstwerken der Romantik häufig auftretenden Automaten, Puppen und Marionetten. 16 Ausserdem erinnert die „Montage“ der Venus an Kunigunde im Käthchen von Heilbronn , deren Körper eine mosaische Arbeit, aus allen drei Reichen der Natur zusammengesetzt [ist]. Ihre Zähne gehören einem Mädchen aus München, ihre Haare sind aus Frankreich verschrieben, ihrer Wangen Gesundheit kommt aus den Bergwerken in Ungarn, und den Wuchs […] hat sie einem Hemde zu danken, das ihr der Schmied, aus schwedischem Eisen, verfertigt hat. (Kleist 1965: 520) Auch sonst zeigen sich in der Geschichte der Bäckerin gewisse Anklänge an das Käthchen von Heilbronn , das ja ebenfalls ein Stück über Traum, Wahn und Halluzinationen ist. Die Erwähnung des „Mährchen[s] […] von einem guten Nordengötzen Baldur“, das fast ohne Übergang in den Mythos von Orpheus und Eurydike hineingleitet ( IS II : 321), fügt der antiken Mythologie ein Element aus der nordischen hinzu, 17 so dass im Ganzen eine Synthese aus deutschen, griechisch-römischen und nordischen Stoffen entsteht, die auf den Schluss des Romans vorauszuweisen scheint, wo die deutschen Bewohner der Insel Klein-Felsenburg einen Tempel entdecken, in welchem „zwölf Asen, in lichter Herrlichkeit; / Recht wie die Marmorbilder in Circus dort in Rom / Und die Riesengötter von Erz in Hyppodrom“ dargestellt sind ( IS IV : 391; vgl. auch Kap. 8.5 dieser Arbeit). Dieses Verfahren, das Verknüpfen, Weiterdichten und Ausweiten von bestehendem Textmaterial, 18 hat vieles gemeinsam mit einer intertextuellen Umarbeitung: Es entsteht eine Neuschöpfung auf der Grundlage von Texten. Der Wahn erscheint unter diesem Gesichtspunkt als kreative Bewältigung sexueller Unerfülltheit, wobei in der intertextuellen Gestaltung der Phantasiewelt auch ein Hinweis darauf zu liegen scheint, dass jegliche Identität sich aus Texten konstituiert, oder, in den Worten Kristevas (im Zusammenhang mit der polyphonen Struktur des Romans): „Celui qui écrit est le même que celui qui lit. Son interlocuteur étant un texte, il n’est lui-même qu’un texte qui se relit en se réécrivant“ [Derjenige, der schreibt, ist derselbe wie jener, der liest. Da sein Gesprächspartner ein Text ist, ist auch er selber nichts als ein Text, der sich selbst wieder liest, indem er sich neu schreibt] (Kristeva 1969: 109). Das Lesen wäre dann - insbesondere bezogen auf die Bäckerin als „Nicht-Leserin“ - in einem erweiterten Sinn zu verstehen, den Kristeva, teilweise analog zur Bedeutung von „Sammeln, Zusammenlesen“, die „lesen“ auch im Deutschen haben kann, so definiert: „‚Lire‘ était aussi ‚ramasser‘, ‚cueillir‘, ‚épier‘, ‚reconnaître les traces‘, ‚prendre‘, ‚voler‘ “ [‚Lesen‘ bedeutete [in der Antike] auch ‚sammeln‘, ‚pflücken‘, ‚erspähen‘, ‚aufspüren‘, ‚nehmen‘, ‚stehlen‘] (Kristeva 1969: 120). 16 Ein Beispiel in den IS ist der russische Trommelautomat, der das automatenhafte Wesen von Eberhards Vater spiegelt ( IS I: 66), vgl. Kap. 4.2. 17 Eine Verbindung nordischer und antiker Kultur auf der Basis des Baldur-Mythos schuf Oehlenschläger schon in seinem Trauerspiel Baldur hin Gode (1806), das formal nach dem Muster einer griechischen Tragödie gestaltet ist. In gewisser Weise wird auch das Christentum in diese Synthese einbezogen, denn in Baldurs Figur und Schicksal - er stirbt als unschuldiges Opfer des Bösen -, sind Züge einer Christus-Gestalt angelegt. 18 Nicht nur die Erzählungen der antiken und nordischen Mythologie, auch die Hexenwelt als textuelle Ausformung eines bestimmten Diskurses kann ja als Text gesehen werden. 180 6 Personenkonstruktionen: Weibliche und männliche Stimmen Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 6.3 Sublimierung oder Wahn? Die Tatsache, dass die Bäckerin ihr unerfüllbares sexuelles Begehren in der Schaffung einer bunten, lebendigen Phantasiewelt sublimieren kann, scheint Ranks Theorie zu widerlegen, nur der Mann sei zur Sublimierung fähig, er könne tabuisierte sexuelle Wünsche durch „phantastische Ersatzbildungen“ zu Kunst gestalten, während die Frau, der Rank in Analogie zur angeblich fehlenden Zeugungskraft auch künstlerische Schöpferkraft abspricht, auf erzwungene Unterdrückung ihrer Sexualität mit Neurosenbildung reagiere (Rank 1974: 337-338). Die männliche Umwelt versteht die Phantasien der Bäckerin nicht etwa als schöpferischkünstlerisches Gebilde, sondern hält sie - je nach dem Grad männlicher Aufgeklärtheit - für ein Indiz, dass die Bäckerin als Hexe oder als Verrückte anzusehen sei; sie wird also entweder dämonisiert oder pathologisiert. Der Burgkaplan, den Albert und seine Freunde auf der Ritterburg in Thüringen treffen, ist überzeugt, dass sie „auf dem Blocksberge mit den Höllenfratzen den Kehraus tanze“, dies, obwohl er sie mit eigenen Augen schlafend vor sich liegen sieht ( IS II : 343). Der Geistliche wird denn auch beschrieben als „sehr unwissender Mensch, der vorher Mönch gewesen und zum Luthertume übergegangen war“ ( IS II : 230-231); an seine Figur knüpft sich eine längere Anklage gegen die „Bigotterie unter den damaligen lutherischen Geistlichen“, die „gegen solche Vergnügungen [gemeint sind die Aufführungen des Faustspieles] bei weitem nicht so nachsichtig waren, als die Katholiken“, eine Denkungsart, aus der die Bilderstürmerei und die allgemeine Kunstfeindlichkeit der Reformation entstanden sei ( IS II: 274-275). Die Beschränktheit des Geistlichen reizt Albert zu einer Beschimpfung, für die er später einen Denkzettel erhalten wird ( IS II : 343-344). Während also der Kaplan von der Hexennatur der Bäckerin überzeugt ist, hält Seifert sie aufgrund ihrer Phantasien für verrückt und bezeichnet ihr unerfülltes Sexualleben als Ursache für diese Verrücktheit: „Wenn ein sanguinisches Weib, wie sie, nach der Trennung von ihrem Joseph, ihre Liebe nicht auf natürliche Weise befriedigen konnte, musste sie überschnappen“ ( IS II : 339). Diese medizinisch-psychologische Erklärung gleicht den Ansichten, die sich seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts über die Entstehung hysterischer Phänomene in der Medizin zu verbreiten begannen, 19 die aber eigentlich bis auf die Spätantike zurückgehen, denn schon Galen machte den Abbruch sexueller Beziehungen für einen „Stau der Säfte“ bei der Frau verantwortlich, aus dem sich dann Hysterie entwickle (Foucault 1997: 152). Zwar begann man im 17. Jahrhundert Hysterie als eine Nervenkrankheit zu sehen, die nicht vom Uterus ausging, sondern ihren Sitz im Kopf hatte und deshalb auch bei Männern auftreten konnte, 20 aber gleichzeitig herrschte noch immer mittelalterlicher Teufels- und Dämonenglauben, der 19 Vgl. Schaps, Hysterie und Weiblichkeit, insbesondere das Kapitel „Zum Topos der ‚grande hystérie‘ im 19. Jahrhundert“ (1992: 42-54). 20 Die erste psychoanalytische Deutung eines literarischen Werks, die Freud vornimmt, gilt denn auch dem Fall eines „männlichen Hysterikers“: In Gradiva. Ein pompejanisches Phantasiestück (verfasst von Wilhelm Jensen, 1903) verfällt der Archäologe Norbert Hanold einem Wahn, der, ähnlich wie bei der Bäckerin, durch Sexualabstinenz hervorgerufen wird; der Sublimierungscharakter dieses männlichen Wahns oder Tagtraums ist aber unbestritten: Der Wahn entzündet sich an einem griechischen Relief, entsteht also durch Kunst und hat auch selber Kunstcharakter, denn der Archäologe wird mit einer - positiv konnotierten - „überaus lebhafte[n] Phantasie“ ausgestattet (Freud 1995: 142), was seinen 6.3 Sublimierung oder Wahn? 181 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 in Verbindung mit der sexualfeindlichen Haltung der Kirche in weiblicher Sinnlichkeit eine Bedrohung sah, welche die Basis von Hexenglauben und Hexenverfolgung bildete. Seiferts These wird jedenfalls vom Text nicht bestätigt; sie bewirkt nur so viel, dass die Bäckerin nicht auf der Stelle als Hexe hingerichtet wird, sondern sich wenigstens noch der - äusserst grausamen - Wasserprobe unterziehen darf. Die künstlerische Seite ihres Wahns, ihre Fähigkeit zur Sublimierung hatte sich immer mehr abgeschwächt: die Entzückungen sind aber nicht so gross als ehedem. Joseph ist, wie mich deucht, weniger verliebt; die Gestalten treten alle mehr abgebleicht im Nebel zurück, und ich befürchte, sie möchten zuletzt ganz verschwinden. ( IS II : 325) Deshalb hatte sie sich an „Faust“ gewandt: er sollte ihr dazu verhelfen, ihren Joseph „in der wirklichen Welt anzutreffen“ ( IS II : 326). Darin gleicht sie nun ganz jenem Mädchen in Holbergs Stück Hexerie eller Blind Allarm , das keinerlei Sublimierungstendenz erkennen lässt, wenn es den vermeintlichen Teufelsbeschwörer um Hilfe bittet, denn: Jeg er saa forskrækkelig plaget af Syn om Natten, nu kommer mig eet Mandfolk for, nu et andet, som forhindrer mig at sove; tilmed brænder mit Legeme altiid, ligesom jeg havde en hidsig Feber. (Holberg 1870, 2: 369) Ich bin des Nachts so erstaunlich von Erscheinungen geplagt, bald schwebt mir dieses, bald jenes Mannsbild vor Augen, so dass ich gar nicht einschlafen kann, und dann wallt mir zugleich das Blut, als ob ich das hitzige Fieber hätte. ( Holberg ’ s Lustspiele 1822, 3: 222-223; übersetzt von Oehlenschläger) Mit Josephs Erscheinen in der „wirklichen Welt“ wird die Bäckerin von ihrem Wahn mit einem Schlag geheilt. Anders als in Goethes 1777 entstandenem Singspiel Lila muss man bei der Bäckerin also nicht behutsam „Phantasie durch Phantasie kurieren“ (Goethe 1948-1971, 6: 870). Lilas Wahn, verursacht durch den vermeintlichen Tod des Gatten, löst sich auch dann nicht auf, als dieser ihr lebendig gegenübertritt - sie wird erst geheilt, als ihre Verwandten in ihren Wahn eintreten und als Schauspieler an ihrer Phantasiewelt teilnehmen. Im Gegensatz zur schönen Bäckerin wird sie also durch Kunst und nicht durch „Wirklichkeit“ geheilt. 21 Mit der leiblichen Anwesenheit des Sexualpartners verschwinden die Wahnphantasien, entstanden aus erzwungener Sexualabstinenz, vollständig aus der Geschichte der Bäckerin, und doch - etwas vom Hexenspuk bleibt, gerät auf das Papier eines anwesenden Malers, dessen offensichtlich „verhexte“ Hand statt der schönen Bäckerin eine „hässliche Fratze“ hervorbringt ( IS II : 352); der Wahn ist so doch noch - wenn auch in spöttisch verzerrter Form - zu Kunst geworden und greift als vielfältiger Geisterspuk in die Liebesgeschichten der folgenden Kapitel des Romans hinein. Vorher aber wird die Hochzeit der Bäckerin mit Josef gefeiert, die Albert nicht schildern kann, weil er zur Strafe für seine Beschimpfung des Kaplans ins Burgverlies gesperrt wurde; dabei entpuppt sich die Strafe als spukhafter Streich: Statt Wasser und Brot werden zwei Totenköpfe ins Verlies herabgelassen, die Albert nach dem ersten Schrecken als Behälter Wahn deutlich höher stellt als die Phantasien der Bäckerin, von der Seifert befürchtet, sie sei „toll und wahnsinnig“ ( IS II: 282). 21 In ähnlich subtiler Weise befördert auch Zoë Bertgang, die vermeintliche „Gradiva“, durch Eingehen auf Hanolds Wahn die Heilung des Archäologen (Freud 1995). 182 6 Personenkonstruktionen: Weibliche und männliche Stimmen Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 für Hähnchen und Wein erkennt; er darf später doch noch am Hochzeitsfest teilnehmen und trifft dort auf den Kaplan, der in dieser Szene nochmals ausgiebig karikiert wird, da er sich an der Hochzeitstafel sinnlos betrinkt ( IS II : 353-364). Diese Verspottung nimmt sich wie eine Rache am Schicksal der Bäckerin aus, deren Verfolgung als Hexe die Kirche mit ihrer unaufgeklärten Haltung angestiftet hatte. Es zeigt sich, dass eine Frau, die von der für sie vorgesehenen Konvention abweicht, mit dem Tod bedroht, ja, beinahe umgebracht wird; erst ihr Wiedereintritt in die Konvention durch Heirat rettet ihr das Leben. Darüber hinaus ist deutlich geworden, dass auch diese Geschichte, die nur spurenweise Verbindungen zu den WF aufweist, als Hypertext fungiert, indem sie durch implizite und explizite Verweise auf andere Texte diese in sich aufnimmt und zu einer neuen Einheit verwebt. Besonders interessant ist, dass die Bäckerin selber ihre Erzählung zum Teil aus Textwelten konstruiert, obwohl sie kaum lesen kann, und dass immer wieder dargestellt wird, auf welchem Weg diese vielfältigen Textsplitter in ihren „Phantasietext“ gelangen. Wie die vielen Bezüge zu Goethes Faustdrama gezeigt haben, steht dabei durchaus nicht chronologische Plausibilität im Vordergrund; wichtiger scheint die Idee der Universalität von Texten, die sich - unabhängig von Zeit und Ort - nach allen Richtungen ausdehnen, zu neuen Textkombinationen zusammenschliessen, Neues mit Altem verbinden können. Der untersuchte Textausschnitt in den weiteren Romanausgaben Im Folgenden soll überblicksmässig dargestellt werden, wie sich der untersuchte Text in den anderen Versionen des Romans gestaltet. Dabei zeigt sich, dass ØS mit den IS weitgehend übereinstimmt, was den inhaltlichen Verlauf der Episode betrifft. Auffällig ist jedoch, dass die Erzählerstimme, die sich in den IS mit romantheoretischen Reflexionen über gattungskonstituierende Themen wie Abenteuer und Liebe zu Wort meldet ( IS II : 249-250), in ØS kaum hörbar wird. Der ganze Erzählereinschub beschränkt sich auf einen einzigen Satz: „Saavidt var gamle Bedstefader kommen i sin Fortælling, da han sagde: […]“ ( ØS II : 216). [„Als er aber so weit gekommen war, sprach er: […]“ ( IS II : 248)]. Warum diese Gattungsreflexion im dänischen Text fehlt, wird nicht ohne weiteres klar; einen Hinweis könnte die Vorrede zu ØS liefern, die - anders als das deutsche Gegenstück - eine Romantheorie enthält, weshalb die Wiederaufnahme poetologischer Reflexionen möglicherweise redundant schien (vgl. zu den Vorreden Kap. 4.1.2). Jedenfalls bildet diese Weglassung den markantesten Unterschied zwischen IS und ØS in Bezug auf die besprochene Textpassage. Im Detail ergeben sich noch weitere, weniger augenfällige Abweichungen, die zusammengenommen eine gewisse Tendenz der dänischen Version zu grösserer Zurückhaltung in sinnlichen Beschreibungen erkennen lassen. So hofft Seifert in den IS , durch seine Besuche bei der Bäckerin „in ihren Armen den süssesten Lohn [seiner] Liebe zu erreichen“ ( IS II : 280); in ØS fehlt diese Stelle. Ebenso fehlt im dänischen Text die eingehende Schilderung des Küssens, welches dazu führte, dass der Vater die Zusammenkünfte seiner Tochter mit dem Bäckergesellen in der „Jasminlaube“ entdeckte: Ich hatte es ihm mehr als hundertmal verboten und befohlen, dass er leise küssen solle; ich winkte, wenn er es doch nicht liess, mit der Hand, weil ich in dem Augenblicke nicht sprechen konnte; […]. Ein Kuss ohne Schmatz, sagte der leichtfertige Bursch, ist, als ob man die Lippen mit Wein feuchtete ohne zu trinken. ( IS II : 292) 6.3 Sublimierung oder Wahn? 183 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 In eine ähnliche Richtung geht die Verschiebung der weiblichen Körperstelle, auf die der Teufel sein Blutzeichen drückt: Während das Zeichen in den IS auf dem Hals oder der Brust erscheint ( IS II : 300 und 304), wird es in ØS - wesentlich distanzierter - jeweils auf den Arm geprägt ( ØS II : 259 und 262). Zwar liegt die Bäckerin auch im dänischen Text „I lyst Maaneskin […] nøgen som Eva“ [Im hellen Mondschein […] nackt wie Eva] ( ØS II: 296-297), doch während in den IS der Kaplan lediglich befiehlt, „dass man sie mit einem daliegenden lichtblauen Gewande bedecken solle“ ( IS II : 342), wird in ØS der Vorgang des Bedeckens ausgemalt und auch die Bibelreferenz ausgeweitet; „Eva“ wird nun mit „Noah“ verknüpft - die Parallelisierung der beiden Figuren lässt die Nacktheit als etwas Verbotenes erscheinen, das man nicht anschauen darf: „Endelig befalede Præsten at man skulde gaae baglænds, lige som Noæ Sønner, og bedække hende med det lyseblaa Klædebond, der laa ved Siden af og var gleden af “ ( ØS II : 297). [Endlich befahl der Pastor, dass man, wie Noahs Söhne, rückwärts gehen und sie mit dem hellblauen Gewand bedecken solle, das neben ihr lag und herabgeglitten war.]. Auch kann der Geistliche im dänischen Text die Nacktheit nicht beim Namen nennen, sondern muss sie umschreiben, und zwar mit einem lateinischen Ausdruck: Die Bäckerin liege hier „in puris naturalibus“ ( ØS II : 298), wobei in diesem Fall keine dänische Übersetzung folgt, im Gegensatz zum sonst üblichen Verfahren, lateinische Wendungen oder Zitate besonders im dänischen Text sorgfältig zu übersetzen. Durch die Darstellung übertriebener Prüderie wird hier die schon vorher im Text wenig schmeichelhaft gezeichnete Figur des Burgkaplans noch stärker karikiert; doch zeigen sich darüber hinaus in der dänischen Version, wie erwähnt, generell Anzeichen einer Vermeidung oder zumindest Verharmlosung sexueller Anspielungen. Die Gründe für Veränderungen dieser Art sind nicht ganz einfach zu erklären. Es könnte sein, dass Oehlenschläger darauf bedacht war, in seiner Heimatstadt möglichst wenig Anstoss zu erregen, besonders natürlich in den gehobenen Kopenhagener Kreisen, mit denen er engen Umgang pflegte und auf deren Akzeptanz er in einem nicht geringen Grad auch finanziell angewiesen war. Für eine solche Annahme spricht, dass selbst die „züchtigere“ dänische Version beim Lesepublikum der besseren Gesellschaft zum Teil empfindliche Reaktionen hervorrief. Doch müssen derartige Erwägungen reine Vermutungen bleiben, denn der analysierte Textausschnitt ist für eine gültige Aussage nicht umfangreich genug; eine solche müsste auf der Untersuchung weit grösserer Teile des Romans im deutsch-dänischen Textvergleich basieren. 22 Sicherlich im Bestreben, dem Text ein gewisses dänisches Kolorit zu verleihen, wurde die Bezeichnung „Walpurgisnacht“ ersetzt mit „St. Hansdag“ ( ØS II : 295), „St. Hansaften“ oder „St. Hans Nat“ (beide ØS II : 296), denn der „Johannistag“ oder vielmehr die „Johannisnacht“ als das Fest der Sonnenwende war (und ist) in Dänemark viel bekannter als die Walpurgisnacht, 23 und überdies mit ähnlichem Hexen- und Feuerzauber ausgestattet wie das deutsche 22 Als weiterer Hinweis auf eine gewisse Diskrepanz zwischen dänischem und deutschem Lesepublikum, was die Rezeption freizügigerer Elemente betrifft, sei erwähnt, dass Johan Krag, der Übersetzer des ersten Teils von Tiecks Märchen Der getreue Eckart und der Tannhäuser , sich bei seiner Aristophanes- Übersetzung gezwungen sah, vom dem deklarierten Prinzip des möglichst wortgetreuen Übersetzens abzuweichen: „Obscoeniteterne kunne ikke alle beholdes, endskjøndt Voss i sine tydske Oversættelser næsten aldrig bruger noget mildere Udtryk“ [Die Obszönitäten konnten nicht alle behalten werden, obwohl Voss in seinen deutschen Übersetzungen fast nie etwas mildere Ausdrücke benützt] (Krag 1825: V). 23 Dass dieser Begriff aber doch auch im Dänischen existierte, zeigt nicht zuletzt Oehlenschlägers Übersetzung von Goethes Ballade „Die erste Walpurgisnacht“ (1799); Oehlenschläger veröffentlichte seine 184 6 Personenkonstruktionen: Weibliche und männliche Stimmen Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Gegenstück. Nicht zufällig zelebriert auch Oehlenschlägers berühmtes Sanct Hansaften-Spil diesen besonderen Tag und die folgende Nacht; allerdings spielen Hexenrituale darin keine Rolle, doch Verzauberung und Magie prägen auf andere Weise auch diese Dichtung. In den späteren Ausgaben des Romans zeigen sich in der „Geschichte der schönen Bäckerin“ zahlreiche Kürzungen, die einzelne Sätze oder auch nur Wörter betreffen; es wurden aber auch verschiedene der oben zitierten und besprochenen Stellen gestrichen. Wie bereits erwähnt, fehlt schon im dänischen Text von 1824 / 25 die Reflexion über Abenteuer und Liebe als Ingredienzen des Romangenres; diese Überlegungen fehlen auch in allen folgenden deutschen und dänischen Ausgaben. Ebenso wurde jener Passus gestrichen, in dem Albert das Wesen der Liebe, besonders der Verliebtheit, romantisiert und sie in einem längeren, mit Blumen- und Blütenvergleichen geschmückten Gedankengang gegen die „gröber[e] Sinnlichkeit“ abgrenzt ( IS II: 257-258). Diese Passage fehlt in den deutschen Ausgaben von 1839 und 1911, wie auch in den dänischen von 1846 und 1852; sie wurde jedoch von Liebenberg in seine Edition von 1862 wieder aufgenommen. Liebenberg verwendet generell den gekürzten Text von 1846, fügt aber, wie er in den Anmerkungen erklärt, gewisse Stellen aus der Erstausgabe wieder ein. Er begründet seine Entscheidungen, wie in Kap. 1.5 dieser Arbeit erwähnt, lediglich damit, dass es sich um „enkelte Skjønheder“ [einzelne Schönheiten] handle, die der Dichter zuviel weggeschnitten habe (Oehlenschlägers Poetiske Skrifter 1862, 27: 353). Da er es bei dieser allgemeinen Bemerkung bewenden lässt und im Apparat solche neu eingefügten „alten“ Stellen nicht kennzeichnet, erhält der Leser keine Möglichkeit, das Vorgehen nachzuvollziehen. 24 Dieses generiert stellenweise einen neuen Text, eine Version, in der nun auch Liebenbergs „Stimme“ mitredet; im vorliegenden Fall - der betreffende Abschnitt preist, wie erwähnt, die „keusche“ Liebe - rekonstruiert diese Stimme eine verharmlosende Note im Text, welche die bereits vermerkten Tendenzen zur Abschwächung oder Elimination sexuell konnotierter Phänomene in der dänischen Erstversion unterstreicht. Die Wiederaufnahme findet sich auch in der Ausgabe von 1904. Im Weiteren wurden in den gekürzten Editionen sowohl der deutschen wie der dänischen Version die erwähnten kritischen Ausführungen betreffend die Bigotterie gewisser lutherischer Geistlicher gestrichen, und ebenso das ganze Kapitel, in dem Albert während der Hochzeit der Bäckerin für seine Ausfälligkeit gegen den Kaplan „bestraft“ wird - womit auch die anschliessende Verspottung dieses Kirchenmannes entfällt. Allerdings macht Liebenberg die Streichung rückgängig; in seiner Version ist dieses Kapitel wieder eingesetzt; es wird in die Ausgabe von 1904 ebenfalls übernommen. Auch in diesem Fall unterlässt es Liebenberg, den Leser darüber zu informieren, dass er an dieser Stelle nicht Oehlenschlägers gekürzte Version vor Augen hat, sondern eine vom Herausgeber erstellte neue Textkombination. Der dänische Romantext erfährt also durch Liebenbergs Eingreifen eine Weiterentwicklung, die in der deutschen Version nicht festzustellen ist, obwohl diese 1911, d. h. nach der erwähnten dänischen Ausgabe, noch einmal aufgelegt wurde, dabei aber wortgetreu die dänische Version erstmals 1803 in Rahbeks Zeitschrift Den danske Tilskuer , Nr. 57, unter dem Titel „Den første Valpurgis-Nat“ (Oehlenschlägers Poetiske Skrifter 1861, 24: 107-110; dazu Anmerkungen: 372). 24 In diesem Sinn kann Liebenbergs Verfahren tatsächlich, wie Andreas Blödorn feststellt, als „eigenwillig“ angesehen werden (Blödorn 2004: 29); ob es auch noch als „verfälschend“ zu bezeichnen ist (Blödorn 2004: 29), hängt nicht zuletzt von der Definition der Begriffe „Werk“ und „Autorschaft“ ab. 6.4 Fazit 185 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 gekürzte Form von 1838 wiedergibt. 25 Der deutsche Text zeigt damit grössere Stabilität, doch zugleich geringere Dynamik als der dänische. 6.4 Fazit Es dürfte klar geworden sein, wie sehr die „weibliche Stimme“ immer wieder Unterdrückungs- und Verdrängungsversuchen seitens einer selbstverständlich dominierenden Männerwelt ausgesetzt ist - dies trotz vordergründiger Verehrung betont weiblicher Tugenden, die in den Rahmen männlicher Anforderungskategorien kanonähnlich eingeschrieben wurden. Eine Frau, die sich, wie die Bäckerin, diesem Schema nicht unterwirft, wird von verschiedenen männlichen „Instanzen“ (Macht des Vaters, kirchliche Gewalt) verfolgt, so dass sie schliesslich nur knapp ihrer Vernichtung entgeht. Doch wird dieses Szenario männlicher Vorherrschaft relativiert und umgefärbt, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es Frauen sind, die den männlichen Hauptfiguren des Romans den Zugang zu neuen literarisch-kulturellen Horizonten eröffnen; jedem der drei Protagonisten steht auf den drei Zeitebenen in diesem Sinn eine weibliche „Leitfigur“ zur Seite: in der ältesten Zeitschicht ist dies Eleonora, die Cyrillo zur Lektüre des Ariost anregt, auf der mittleren Zeitebene sorgt Concordia dafür, dass Albert Shakespeare kennenlernt (Näheres dazu in Kap. 8.3), und in der Romangegenwart ist es Eberhards Mutter, die nicht nur von Luther abstammte, sondern ihren Sohn auch mit dessen Liedern, Lebensumständen, Freundeskreis etc. bekanntmachte; die Stelle der verstorbenen Mutter wird in der Folge von Hanna Hellkraft eingenommen, die zwar als Verkörperung nüchterner Vernunft erscheint, jedoch eine diese Zuschreibung überschreitende, komplexere Dimension ihrer Persönlichkeit erkennen lässt, wenn sie Eberhard mit den Bildern und Versen des Totentanzes vertraut macht (vgl. Kap. 4.2) - auch sie gehört also in die Reihe der kunstvermittelnden weiblichen Leitfiguren. Bedenkt man den herausragenden Stellenwert von Dichtung und Kunst in den IS , wird offensichtlich, dass diese weiblichen Vermittlerinnen den gängigen Frauenbildern, die von patriarchaler Überlegenheit geformt wurden, wichtige neue Aspekte hinzufügen, die umso mehr betont werden, als die männlichen „Initiationen“ auf allen drei Zeitebenen stattfinden, sich also durch das ganze Romangeschehen ziehen. So gesehen, kann die anfangs gestellte Frage, ob den Frauen eine eigene Stimme zugestanden werde, durchaus bejaht werden. 26 Gleichzeitig wird deutlich, dass diese Frauenfiguren ganz andere Züge aufweisen als die bloss sinnlich-verführerischen, welche einem Teil der Forschung 25 Zwar prägen auch orthographische und syntaktische Reformen, wie sie zwischen 1838 und 1911 stattgefunden haben, ein anderes Bild des Textes, doch erreichen diese Neuerungen nicht die Tragweite der von Liebenberg vorgenommenen Textveränderungen. 26 Allerdings mit der Einschränkung, dass sich die erwähnten neuen Aspekte in den gekürzten Versionen nicht immer erhalten haben (vgl. z. B. die Kürzung betr. Eleonora, erwähnt in Kap. 5.4). Eine gewisse Relativierung, aber auch Nuancierung erfährt die Betonung der Position der Frauenfiguren als weibliche Literatur- und Kultur-Mentorinnen auch darin, dass sich Eleonora und Concordia, wie erwähnt, in ihrer Haltung zu sexuell freizügiger Lektüre unterscheiden: Eleonoras Freiheit und Unbefangenheit kontrastiert mit Concordias sittsamer Zurückhaltung - die Wesensart beider wird also in ihrer Einstellung zur Lektüre fassbar. Entsprechend entwickelt sich auch ihr Schicksal: Eleonoras freie Haltung wird mit dem Tod bestraft, während Concordia zur Stammmutter der Insel Felsenburg aufsteigt. 186 6 Personenkonstruktionen: Weibliche und männliche Stimmen Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 zufolge die Oehlenschlägerschen Protagonistinnen fast ausschliesslich kennzeichnen (vgl. Præstgaard Andersen, o. J.). Diese pauschale Sicht wird durch Oehlenschlägers Roman, der offensichtlich für die Beurteilung des Frauenbildes ausser Acht gelassen wurde, in weiten Teilen revidiert. Im Übrigen zeigt sich an den untersuchten Textsequenzen von Kap. 6, dass sie weniger auf den WF basieren, als vielmehr ganz wesentlich durch die Einbeziehung anderer Prätexte generiert werden; so ist die Geschichte der schönen Bäckerin, die nur wenige Verbindungen zu Schnabels Text aufweist, trotzdem stark von intertextuellen Verflechtungen geprägt. Insbesondere dem Faust -Stoff kommt in den besprochenen Textausschnitten eine oft bedeutungskonstituierende Rolle zu, teilweise in Verbindung mit den aus Volksbüchern und Puppentheatern bekannten Motivkreisen, zum Teil aber auch in Form von wörtlichen Zitaten oder deutlichen Anspielungen auf Goethes Faustdrama. Sowohl die beiden Sprachversionen wie die Kürzungen lassen sich als Phänomene von Dialogizität und Polyphonie einstufen, da sie, wie ersichtlich wurde, in einem Prozess des ständigen Abwägens zwischen den einzelnen Versionen entstanden sind; im Verlauf der Textgeschichte der dänischen Edition hat sich durch Liebenbergs Entscheidungen eine weitere Differenzierung dieses dialogischen Verfahrens ergeben. 7.1 „Nordisierung“ 187 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 7 Schauplätze 7.1 „Nordisierung“ […] ein wahrer Enkel Odins, […] Ein herrlicher Gothe mit offener Stirne, mildem Auge, kräftiger Gesichtsbildung, herkulisch von Leibesgestalt, ein treuer Freund, ein frommer Christ, […] ein Held frei von Eigennutz, von hochmüthigem Dünkel, von Grausamkeit; […] wahrer Enkel der alten Jomsbürger. ( IS II : 409) Mit solch enthusiastischer Panegyrik, in der sich - wie an vielen andern Stellen im Roman - Christentum und nordisches Heidentum zu einer Synthese verbinden, wird im zweiten Teil der IS der schwedische König Gustav Adolf beschrieben; diese Beschreibung bildet gleichsam den Auftakt zu einer nordischen Szenerie im Roman, die sich über fast die Hälfte des dritten Teils ausbreitet und von Gestalten, Schauplätzen und Begebenheiten Skandinaviens geprägt ist. Die zweite Hälfte dieses dritten Teils enthält das Kernstück des Romans: die Entdeckung der Insel Felsenburg. Im Hafen von Kopenhagen nimmt die Seefahrt, die zu dieser Entdeckung führt, ihren Anfang und verbindet so die nordische Thematik mit der Robinsonade, eine Verbindung, die durch einen in Kopenhagen geschmiedeten Schiffsanker noch gefestigt wird, so dass die Robinsonade gleichsam im Norden verankert erscheint. Die Thematik des Nordens erhält in den IS also eine besondere Bedeutung, was im Werk eines dänischen Autors nicht allzu sehr überrascht. Die an privilegierter Position im Roman platzierten nordischen Kapitel könnten darauf hinweisen, dass hier - im Gewand einer Neuschreibung von Schnabels populärem Werk - Skandinavisches nach Deutschland vermittelt werden soll. Dabei wirkt die ausführliche Darstellung des Nordens in den IS wie der Versuch, die traditionelle Richtung der Vermittlung von deutschem Kultur- und Geistesleben nach Skandinavien umzukehren. In den WF findet sich zwar kein Vorbild für einen solchen nordischen Schwerpunkt, aber Skandinavien ist auch in Schnabels Roman in vielfältiger Weise präsent und spielt in einer Reihe von Lebensgeschichten, einschliesslich Eberhards eigener Geschichte, eine nicht unwesentliche Rolle. So wird z. B. gleich zu Beginn des ersten Teils der WF erwähnt, dass Eberhards Vater seine Tochter nach dem Bankrott zu einer Verwandten nach Stockholm schickt ( WF I: 26), woraus sich am Schluss des zweiten Teils der Anlass zu einem Besuch Eberhards in Schweden entwickeln wird. Obwohl die Einführung nordischer Elemente also keine absolute Neuerung der IS ist, könnte man doch auch hier im Sinn von Genettes Taxonomie von einer „Erweiterung“ (Genette 1993: 353) sprechen, da nicht eigentlich die nordischen Spuren der WF weitergeführt, sondern Aspekte des Nordens anders eingesetzt und völlig umgestaltet werden. Im Folgenden sollen jene Kapitel in den IS , die dem Norden gewidmet sind, genauer untersucht werden, um so Aufschluss über das Bild von Skandinavien zu erhalten, das möglicherweise nach Deutschland vermittelt werden sollte; dabei sollen auch die Erwähnungen des Nordens in den WF berücksichtigt werden, aus denen sich vielleicht Kontraste oder Analogien zur Darstellung in den IS ergeben. 188 7 Schauplätze Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 7.1.1 Ein „zweiter Luther“ aus Schweden Der erste Hinweis auf den Norden, der sich in den IS findet, ist verknüpft mit Bildern des Totentanzes, eines im Roman immer wieder auftretenden Leitmotivs (z. B. IS II : 459-460, IS IV : 256, IS IV : 399). Wie in Kap. 4.2 erwähnt, verbindet Hanna Hellkraft die Bilder mit dem Sieg des schwedisch-sächsischen Heeres unter Gustav Adolf über die Katholiken, wodurch „der lutherische Glaube in Norddeutschland gesichert“ wurde ( IS I: 20). Von der Darstellung dieses Ereignisses spannt sich ein Bogen zum dritten Teil des Romans, in dem Albert als Zeitgenosse Szenen des Dreissigjährigen Krieges schildert, die den Untergang der Protestanten vorzuzeichnen schienen, bis Gustav Adolf mit seinem schwedischen Heer in den Krieg eingriff und die Protestanten rettete ( IS III : 1-7). Die eingangs zitierte, idealisierende Beschreibung Gustav Adolfs findet eine Fortsetzung in Seiferts Aufzählung der Vorzüge und Fähigkeiten, der kriegstechnischen Neuerungen, der weitgespannten Interessen des Königs. Seifert, der Rittmeister im schwedischen Heer geworden ist und sich mit einem andern Heeresangehörigen duellieren will, ist von einer dieser Neuerungen direkt betroffen, denn Gustav Adolf hat das Duell verboten. Er geht aber scheinbar dennoch auf den Duellwunsch der beiden Kontrahenten ein und nutzt ihn zur Gestaltung einer grandiosen Inszenierung seiner Macht, Weisheit und protestantischen Frömmigkeit. Wie bei einem Schauspiel treten dabei nacheinander auch die Getreuen des Königs auf, der General Horn, der Reichskanzler Oxenstjerna, der finnische Oberst Stahlhandsch, die sich alle ebenfalls durch Klugheit, Menschlichkeit und Tapferkeit auszeichnen und mit Adjektiven wie „edeldenkend, wacker, stattlich, ehrlich“ etc. beschrieben werden ( IS III : 26-29). Für Gustav Adolf sind Katholizismus und Duell gleichermassen „alte morsche Formen, woraus lange der Geist gewichen ist […], drückende Überbleibsel einer dunkeln Zeit“ ( IS III : 35-36). Es wird also eine Einheit und Übereinstimmung von Luthertum und fortschrittlichem Denken demonstriert; beides findet in der Gestalt des schwedischen Königs einen idealen Ausdruck. Gustav Adolf erscheint gleichsam als „politischer Fürst der Moderne“, der den Ideen Luthers, des „Geistesfürsten der Moderne“, zum Durchbruch verhilft: Es bedarf der Schlagkraft und Entschlossenheit des Skandinaviers, damit die geistigen Neuerungen des Reformators in Deutschland wirklich Fuss fassen können. Deshalb wird er vom Volk auch als „zweiter Luther“, als „der Lutheraner Vater, Beschützer und Erretter“ ( IS III : 71) gepriesen. Diese Rolle Gustav Adolfs in den IS ist umso bedeutsamer, als der Roman gewissermassen im Zeichen Luthers steht: Wie erinnerlich, ist der Reformator Alberts und Eberhards Ahnherr (letzterer stammt sogar in doppelter Weise, nämlich mütterlicher- und väterlicherseits, von ihm ab) und gilt beiden als Leitstern; ihm verdanken sie, wie Albert sagt, ihre Anlage zur Dichtkunst: „ich höre, du, mein Eberhard, seist auch ein Dichter. Das haben wir beide von unserem Luther, dem Verfasser der herrlichen Kirchenlieder, geerbt“ ( IS II : 89-90). In einer für den Roman typischen Verbindung sind es denn auch diese beiden Elemente, die Kunst - Albert hat ein Gedicht auf die Duellanten verfasst - und die Verwandtschaft mit Luther, die den König auf Albert aufmerksam machen: er schickt ihn zusammen mit seinem Sohn zum Studium nach Wittenberg. Dort besucht Albert Luthers Grab, und dort trifft ihn auch die Nachricht von Gustav Adolfs Tod in der Schlacht bei Lützen. 7.1 „Nordisierung“ 189 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 In der Todesvision, die Albert kurz vor dem Schiffbruch an der Insel Felsenburg hat, erscheinen ihm neben seinen Eltern und der heiligen Dreifaltigkeit auch Gustav Adolf und Luther; der Reformator trägt Engelsflügel, die „wie Nordlichter sich weit in die Finsterniss erstreckten“ ( IS III : 254) - ein Vergleich, welcher Luther der nordischen Sphäre annähert, während Gustav Adolf in seinem Kampf für die Reformation zu einer nordischen Version Luthers stilisiert wird. In den WF ereignen sich die Auftritte von Skandinaviern lange nach Gustav Adolfs Zeit; die erste Erwähnung eines Schweden gilt Jacob Larson, der zusammen mit einer Gruppe von Schiffbrüchigen etwa 20 Jahre nach Albert auf die Insel Felsenburg gelangt. Er spielt in der Geschichte der von ihrem schurkischen Bruder auf einem Schiff entführten Judith van Manders eine äusserst ehrenwerte Rolle und wird von Albert einige Jahre nach seinem Tod als „gebohrner Schwede, und also […] lutherischer Religion“ beschrieben ( WF I: 400), der als tüchtiger Schlosser für das Leben auf der Insel Felsenburg von unschätzbarem Nutzen gewesen sei. Eine Art Gegenbild zu diesem rechtschaffenen Schweden ist Lorentz Wellingson, ein schwedischer Matrose, der auf der Reise zur Insel Felsenburg zusammen mit einem anderen Matrosen eine junge Indianersklavin gekauft hat, die er als Mann verkleidet und vorgibt, „einen rechten Kerl aus ihm zu machen“, bis der Kapitän merkt, dass es sich dabei um ein Mädchen handelt, welches die beiden Matrosen „vor sich zur gemeinschafftlichen Unzucht halten wollen“ ( WF II : 567). Die beiden geraten über den Besitz des Mädchens in Streit, der Schwede tötet seinen Kameraden und wird darauf vom Kapitän hinter Schloss und Riegel gebracht. Dieser Schwede präsentiert also das Bild eines zügellosen, verbrecherischen Weissen, während die junge Indianerin im Kontrast dazu die Vorstellung der „Edlen Wilden“ verkörpert. Ihre Tugendhaftigkeit veranlasst den Kapitän, sie auf die Insel Felsenburg mitzunehmen, wo sie auf eigenen Wunsch christlich getauft wird ( WF II : 590). Dass nicht alle Schweden von vornherein Lutheraner waren, wie Albert in seinem Bericht über Jacob Larson anzunehmen scheint, zeigt sich in der Lebensgeschichte Schmelzers, der schon mit elf Jahren seinen Vater verlor, weil dieser, ein evangelisch-lutherischer Pfarrer, von einem tödlich verwundeten, schwedischen Offizier, der Atheist war und dessen Seele der Pfarrer retten wollte, umgebracht wurde, denn der „verzweiffelte Höllen-Brand“ war unvermutet „vom Satan gestärckt“ worden ( WF II : 23). Immerhin wird Schmelzer aber einige Jahre später gerade durch schwedische Soldaten - diesmal sind es Lutheraner - aus der Hand der Jesuiten gerettet, die ihn entführt und brutal misshandelt hatten. Eine gewisse Parallele hat Schmelzers Geschichte in der Lebensbeschreibung Litzbergs, dessen Vater - bei der Eroberung von Narva im Nordischen Krieg - ebenfalls von den Schweden getötet wurde, als Litzberg noch ein Kind war. In der Folge erlebte jedoch auch er Wohltaten seitens der Schweden, denn er wurde von einem schwedischen Obristen aufgenommen, der ihn sehr gut behandelte und ihn mit aller Sorgfalt erziehen liess. Litzberg vergass den Schweden aber nie, dass sie seinen Vater getötet hatten, und fiel schliesslich deswegen beim Obristen in Ungnade, der ihn grausam bestrafte. Diese Auftritte der Schweden in den WF ergeben ein gänzlich anderes Bild als in den IS . Es scheint über sie keine feststehende Meinung vorzuherrschen: Im Schwanken zwischen positiver und negativer Zeichnung zeigt sich eine ihnen gegenüber neutrale Einstellung. Es wird keineswegs der Versuch gemacht, sie zu idealisieren, sie werden auch kaum individualisiert. 190 7 Schauplätze Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 7.1.2 Olearius und Fleming im Norden Mit der Verbindung von Luther und Gustav Adolf hängt auch Alberts Ortswechsel zusammen: Nach seinem Aufenthalt in Wittenberg, wo er hin und wieder Luthers Katheder bestiegen und sich selbst begeisterte Reden gehalten hatte ( IS III: 76), reist er in den Norden, angeregt durch die Bekanntschaft mit Gustav Adolf und dessen Sohn. Auf der schwedischen Insel Öland kreuzen sich seine Wege mit der durch Adam Olearius’ Reisebeschreibung 1 berühmt gewordenen Gesandtschaft, die Herzog Friedrich III . von Holstein-Gottorf zur Aufnahme von Handelsbeziehungen nach Isfahan geschickt hatte. Albert erfährt vom bisherigen Verlauf dieser Reise durch die Erzählung eines Bootsmannes, der ihm die Ausreise der Gesandten von Travemünde, den Schiffbruch auf stürmischer See in der Nähe von Öland und die glückliche Rettung schildert. Der Bootsmann schliesst seine Erzählung mit einem Hinweis auf den Gesandtschaftssekretär Adam Olearius, „der Euch das alles besser sagen kann“ ( IS III : 92). Der „gute“ Erzähler ist also Olearius; seine Namensverwandtschaft mit „Oehlenschläger“ zeigt an, dass hier der Autor auf sich selber verweist. 2 In der Gestalt des Olearius verbirgt und enthüllt sich die Autorfigur; 3 sein Name ist eine Spur, die auf weitere Verwandtschaften deutet: So wird zwischen der Reisebeschreibung des Olearius und den IS eine ganze Reihe von Parallelen sichtbar, denn nicht nur die Thematik des Reisens - verbunden mit mehreren Schiffbrüchen - ist beiden Werken gemeinsam, es befinden sich auch beide in einer fortwährenden Auseinandersetzung mit Texten anderer Autoren. Davon zeugt der eindrückliche „Catalogus Autorum“ des Olearius ebenso wie seine Bemerkung in der „Vorrede an den Leser“: „Ich habe […] offt von andern newen Scribenten abgehen / sie auch theils widerlegen müssen“ (Olearius 1656: XIV ). Wie schon mehrfach erwähnt, ist in den IS , neben den als Prätext deklarierten WF , eine Fülle von anderen Texten präsent, die teils 1 Olearius nahm an zwei Expeditionen nach Moskau und Persien teil, über die er eine umfangreiche, sehr bekannt gewordene Reisebeschreibung verfasste. In der vorliegenden Arbeit wird zitiert aus der 1971 erschienenen Faksimile-Ausgabe der zweiten, erweiterten Fassung: Vermehrte Newe Beschreibung Der Muscowitischen vnd Persischen Reyse, Schleswig 1656 (mit einem Nachwort herausgegeben von Dieter Lohmeier). Wie berühmt die Reisebeschreibung des Olearius gleich bei ihrem Erscheinen wurde, bezeugen die verschiedenen, nur kurze Zeit später herausgegebenen Übersetzungen: Lappenberg nennt in seiner „Biographie Paul Flemings“ im Anhang zu seiner Ausgabe von Flemings Gedichten (Fleming 1865, II: 871) eine holländische (schon 1651 erschienen, also nach der ersten Ausgabe des Olearius, 1647), eine französische (1656), eine englische (1666), sowie eine italienische (nur der ersten drei Bücher, 1656). Der Ruhm dieser Reisebeschreibung war auch im 19. Jahrhundert noch nicht erloschen, wie Goethes Würdigung zeigt, der über Olearius schreibt: „Er gibt uns höchst erfreuliche und belehrende Reiseberichte“ (Goethe 1948-1971, 3: 542). 2 Oehlenschläger zufolge lautet die deutsche Version von Olearius’ Namen „Adam Oehlenschläger“ ( IS III: 93, Fussnote). 3 Als Tendenz zur Konstruktion einer Autorfigur, welche durch die postulierte Abstammung von einem berühmten Vorgänger gewissermassen geadelt werden soll, kann in diesem Zusammenhang auch das folgende Zitat aus Oehlenschlägers Selbstbiographie gelesen werden: „weil nun der berühmte Adam Olearius oder Oehlenschläger ohngefähr zur selben Zeit und aus selbiger Gegend [Schleswig und Holstein] gebürtig war, so ist es mehr als wahrscheinlich, dass er mit uns verwandt gewesen ist“ ( Selbstbiographie 1829, 1: 3; gesperrt im Original). 7.1 „Nordisierung“ 191 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 implizit als Subtexte erscheinen, teils explizit in den immer wieder aufgenommenen Kunstdiskussionen behandelt werden. Aber nicht nur in den IS , auch in Olearius’ Werk wird die Dichtkunst zum Objekt, wenn er im fünften Buch der Persianischen Reisebeschreibung im Kapitel „Von den Poeten und dero Versen“ einerseits Stellung, Kleidung und Lebensweise der persischen Dichter schildert, andrerseits aber auch, unter Einbezug von Beispielen, detaillierte Angaben zu ihrer Verskunst macht, die er mit der deutschen Versdichtung vergleicht (Olearius 1656 / 1971: 623-635). Ausserdem übersetzte Olearius das Rosenthal des persischen Dichters Saadi ins Deutsche (Lohmeier 1971: 34) und führte so diese Dichtung, die später zu einer der Quellen des West-östlichen Divans wurde, in Europa ein. Goethe erwähnt die Übersetzung lobend in seinen Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des west-östlichen Divans : Olearius habe „die Deutschen mit Saadi, dem Trefflichen, durch eine tüchtige und erfreuliche Übersetzung bekannt [gemacht]“ (Goethe 1948-1971, 3: 542). Eine weitere, auffällige Parallele zu den IS ist die Einarbeitung von Gedichten in die Reisebeschreibung des Olearius: Er übernimmt mehrere Gedichte seines Reisegefährten Paul Fleming, welche dieser zu bestimmten markanten Reiseerlebnissen verfasst hat, z. B. „Auff Oleariens Rede über deroselben erlittenen Schiffbruche auf Hochland / im November des 1635. Jahres“ (Olearius 1656 / 1971: 82-85). Daneben finden sich auch Gedichte anderer Reiseteilnehmer, deren Verfasser Olearius jeweils mit „einer unter uns“ bezeichnet (Olearius 1656 / 1971: z. B. 69, 749). Dieses Vorgehen ist in gewisser Weise vergleichbar mit den in die IS eingeflochtenen Gedichten und Versen von Albert und Eberhard, aber auch von historischen Dichtern, wie z. B. Ariost und Paul Fleming. Zwischen Fleming und Albert entsteht in den IS eine freundschaftliche Beziehung; auch der Barockdichter ist, wie Albert, ein Bewunderer Gustav Adolfs ( IS III : 113), was wohl aus der Tatsache abgeleitet wird, dass er mehrere Gedichte auf den schwedischen König verfasst hat (Fleming 1865, I: 44, 230, 233, 455; II : 674). Die Verse Flemings, die in den IS zitiert werden, stammen aus einigen seiner berühmtesten Oden und Sonette. Dass ein kanonisierter Teil 4 von Flemings Werk in den Roman aufgenommen wird, stimmt mit der Konzeption der IS als Raum für einen literarischen Kanon überein. Fleming begutachtet und anerkennt Alberts Verse, macht ihn mit Opitz’ Verskunst vertraut ( IS III : 126) und trinkt schliesslich sogar Brüderschaft mit ihm ( IS III : 139); zum Abschied schreibt er ihm seine Ode „Lass dir nur Nichts nicht tauren“ 5 ins Stammbuch, die er - in der Fiktion der IS - eigens für Albert verfasst hat ( IS III : 144). Die imaginierte Wertschätzung der erfundenen Figur durch den angesehenen Barockdichter kann auch als Wunsch gelesen werden, das eigene Werk möge bei kanonisierten Dichtergrössen Anerkennung finden, worin sich wiederum ein Hinweis auf die Konstruktion der Autorfigur erkennen liesse. Die dargestellten Parallelen rücken die Reisebeschreibung des Olearius nicht nur in die Nähe eines Modells für die IS ; sie wird ansatzweise auch zu einem Prätext, was besonders 4 Zu den Gedichten, aus denen einzelne Verse oder Strophen zitiert werden, vgl. Kap. 3.2.2 dieser Arbeit. Dass es sich dabei um kanonisierte Gedichte handelt, geht aus ihrer Aufnahme in Anthologien hervor: So finden sie sich in Gustav Schwabs Sammlung Paul Flemings erlesene Gedichte von 1820, aber auch noch (mit Ausnahme des ersten) in dem von Volker Meid 1986 herausgegebenen Reclambändchen Paul Fleming: Deutsche Gedichte . 5 Die besondere Hochschätzung dieser Ode in der Romantik zeigt sich u. a. darin, dass sie von Mendelssohn vertont wurde (unter dem Titel Pilgerspruch , = Nr. 5 der 12 Gesänge op. 8, 1828). 192 7 Schauplätze Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 die wörtlichen Zitate in der Erzählung des Bootsmannes deutlich machen (im folgenden Beispiel durch kursive Schrift gekennzeichnet): Olearius (1656: 60-61) IS III: 89-90 Als wir erst das Schiff vom Lande stiessen und aus den Hafen (sic) bringen wolten / ergosse sich aus der See in die Trave ein sehr starcker und ungewöhnlicher Strohm / ungeachtet der Wind vom Lande zur See stund / darob sich auch etliche Schiffer verwunderten / […] Als wir die Anker lichteten, ergoss sich aus der See in die Trave ein ungewöhnlicher Strom, obschon der Wind vom Lande kam; darob sich etliche Schiffer verwunderten. […] Den folgenden Tag / als den 28. Octob. frühe umb 5. Uhr giengen wir nach gehaltener Betstunde in Gottes Namen zu Segel mit West Südwest Wind / welcher gegen dem Mittag sich ziemlich starck erhub / und endlich in einen Sturm auslieff / […] Am folgenden Tage gingen wir, nach gehaltener Betstunde , unter Segel, mit West-Südwestwind, der sich gegen Mittag ziemlich stark erhub und in einen Sturm übergieng. Was ist nun aber der Grund für diesen besonderen Stellenwert der Reisebeschreibung des Olearius in den IS ? Soll durch ihre Einbeziehung eine Leerstelle im Text gefüllt werden? Entgegen der Erwartung, die der Titel Die Inseln im Südmeere weckt, bringt der Roman ja keine Schilderung exotischer Länder oder Erdteile; wie schon gezeigt wurde, fehlen solche Beschreibungen sogar in der Kolumbusgeschichte. Einzig Eberhards Erlebnis auf der Insel Teneriffa macht etwas von der Fremdartigkeit ferner Länder spürbar, aber bezeichnenderweise ist dabei der Kontakt mit dem Fremden eingeschränkt auf eine Begegnung mit Toten ( IS I: 375-381). Das eigentliche Reiseerlebnis auf Teneriffa, die Besteigung des Pic, erfährt Eberhard aus einer der Reisebeschreibungen, von denen er eine ganze Sammlung bei sich hat ( IS I: 381); ihre Lektüre wird höher veranschlagt als die konkrete Erfahrung, an deren Stelle der Text tritt und sie überflüssig, ja sogar lächerlich macht ( IS I: 386). Gerade diese Episode zeigt deutlich, dass es in den IS nicht um Reisen in einem konkreten geographischen Raum geht, sondern um Navigationen in Text-Räumen. Die Bedeutung des Olearius konkretisiert sich nicht in seinen Reisen, sondern in deren Beschreibung, in der Schaffung einer Textwelt, die sich aber, wie gerade sein Werk exemplarisch zeigt, selber wieder aus Texten verschiedener Provenienz konstituiert. Olearius’ Reiseziel Persien, in Europa damals weitgehend unbekannt, erscheint als „weisser Fleck auf der Landkarte“ oder, in Anlehnung an de Certeau, als „leere Seite“, als der Ort, wo „ein Text gebaut [wird] […], das Artefakt einer anderen ‚Welt‘. Einer Welt, die nicht mehr gegeben, sondern künstlich hergestellt ist“ (de Certeau 1988: 246; kursiv im Original). Die Produktionspraktiken, die de Certeau für den Schreibprozess (in Analogie zum kapitalistischen Produktionsprozess) angibt, lassen sich auch auf die Entstehungsmechanismen einer Textwelt, und damit der Intertextualität, beziehen: „Die Insel der Seite“ (de Certeau 1988: 247) wird zu einem Ort, der es erlaubt, Übernommenes, aus dem Vergangenen Akkumuliertes, anzueignen, zu adaptieren und zu etwas Neuem zu transformieren. Während die unbekannten Gebiete, die Olearius bereist, nur metaphorisch als „Insel“ bezeichnet werden können, lässt sich die Felsenburg auch im buchstäblichen Sinn mit Robinsons Insel vergleichen, die das Fundament für den modernen Mythos bildet, zu dem nach 7.1 „Nordisierung“ 193 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 de Certeau Robinson Crusoe als „Roman über die Schrift“ (de Certeau 1988: 249) 6 geworden ist. So scheint auch Wolfgang in den IS die Insel Felsenburg in diesem Sinn als leeres Blatt aufzufassen, wenn er sie als Ort bezeichnet, wo Eberhard und seine Gefährten „Bücher, Naturbeschreibungen und Romane aushecken“ könnten ( IS I: 389). Allerdings entgeht ihm dabei, dass die Insel, wie wir wissen, durch Cyrillos Manuskript bereits „beschrieben“ ist. Dass Olearius für die IS nicht in erster Linie als Erforscher ferner Länder wichtig ist, sondern als Verfasser von Berichten darüber, und dass die Verschriftlichung, die Literarisierung seiner Erfahrungen im Zentrum steht, verleiht seiner Reisebeschreibung Vorläufercharakter für Oehlenschlägers Roman, in dem es um das Navigieren in einem europäischen Kanon von Texten, gewissermassen um „vertextete“ Geographie und Geschichte geht, vor allem aber auch um Literatur- und Kulturgeschichte. Bedeutsam ist in den IS aber noch ein anderer Aspekt des Olearius: Er preist die Fähigkeiten und Leistungen des dänischen Königs Christian IV . und stellt ihn mit Gustav Adolf auf eine Stufe, indem er betont: „einen König wie Christian den Vierten giebt es jetzt in Europa nicht mehr, seitdem Gustav Adolf bei Lützen seinen Geist aufgegeben hat. Und selbst mit ihm konnte er sich messen“ ( IS III : 95). Von der überschwänglichen, bis zur Verklärung gehenden Panegyrik Gustav Adolfs ist in den sachlich wirkenden Ausführungen des Olearius zwar nichts zu spüren, dafür wiegen seine Worte aber umso schwerer, als sie nicht schwärmerischen Jünglingen wie Seifert und Albert in den Mund gelegt werden, sondern der Autorgestalt selber, die sich, wie wir gesehen haben, auf nur leicht verhüllte Weise in der Figur des Olearius konkretisiert. Diese als Spiegelbild der eigenen Identität konstruierte Gestalt des Olearius bietet der Autorfigur die Möglichkeit, sich selber mit ihrem Werk dem Kultur- und Literaturkanon einzuschreiben, der in den IS von Geistesgrössen wie Luther und Gustav Adolf, Shakespeare und Ariost, Leibniz und Fleming dominiert wird. Damit wird dieser auf den deutschen, englischen und romanischen Sprachraum bezogene Kanon um eine Stimme aus dem Norden erweitert, wobei es Oehlenschläger durch das raffinierte Spiel mit Namen und Figur des Olearius gelungen ist, diese Stimme zu seiner eigenen zu machen. Es bleibt zu fragen, ob das Werk des Olearius in dem auf Öland spielenden Teil der IS den ursprünglichen Prätext gänzlich verdrängt und ersetzt hat, oder ob doch noch Beziehungen zu den WF erkennbar sind. Am Anfang von Kapitel 7 dieser Arbeit wurde erwähnt, dass auch in den WF bestimmte Sequenzen in Schweden spielen; dazu gehört Eberhards Europareise am Ende des zweiten Teils, die ihn nach Schweden führt, von wo er seinen Vater und seine Schwester, die sich dort aufhalten, zur Insel Felsenburg bringen möchte ( WF II : 615-644). Es stellt sich heraus, dass der Vater die Schwester einem reichen schwedischen Kaufmann, den sie verabscheut, gleichsam verkauft hat, um sich nach seinem Bankrott finanziell zu sanieren. Nach vielen Schwierigkeiten gelingt es Eberhard, seine Schwester freizukaufen und mit ihr und seinem Vater auf Felsenburg zurückzureisen, wo seine Schwester Schmelzers jüngeren Bruder, den sie liebt, heiraten darf ( WF III : 18). Zu dieser Geschichte, in der ein Vater das Liebes- und Lebensglück seiner Tochter für Geld zu verschachern bereit ist, gibt es in den IS eine Parallele im Schicksal von Sara und Erik auf Öland. Eriks Eltern wollen ihn mit einer reichen Witwe verkuppeln, obwohl er 6 Vgl. dazu ausserdem Glauser (1999: 291). Der Autor weist darauf hin, dass auch „der Text des Joris Pines ‚eine leere Seite‘ [beschreibt].“ 194 7 Schauplätze Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Sara, ein armes Dienstmädchen, liebt. Alberts rasch entschlossenes Eingreifen rettet in letzter Minute unter dramatischen Umständen Saras und Eriks Verbindung. Der Schauplatz Schweden und die Rettung bedrohter Liebe vor elterlicher Geldgier durch einen der beiden Protagonisten sind die verbindenden Motive dieser beiden Geschichten in den WF und den IS . Freilich ist der Kontext der beiden Episoden, in den die gemeinsamen Strukturelemente eingebettet sind, völlig verschieden: In den WF handelt es sich um das Milieu reicher Kaufleute in einem Umfeld, das kaum spezifisch schwedisches Gepräge trägt, sondern - wie die Handelsbeziehungen selbst - übernationalen Charakter hat. In den IS dagegen wird mehr Wert auf Lokalkolorit gelegt, was in der Beschreibung der Landschaft, aber auch der Lebensweise und des Brauchtums der Einwohner zum Ausdruck kommt. Der im Roman angedeutete Intertext der Volkssage und Ballade vom toten Ritter, welcher seine Braut ins Grab nachholen will ( IS III : 134), 7 dient dazu, auch diese Insel über einen Text - der in diesem Fall als Bestandteil lebendiger Volkskultur dargestellt wird - zu definieren, und so die öländische Inselszenerie zu einer romantischen Kulisse mit märchenhaften Zügen umzuschaffen, denn wie im Märchen trägt es sich ja auch zu, dass Sara von den holsteinischen Gesandten mit Gold beschenkt wird, so dass sie Erik heiraten kann ( IS III : 137-139). 7.1.3 Ein dänischer Hoffnungsanker Es wurde schon erwähnt, dass Albert von Leuven nicht in Bremen, wie in den WF , sondern in Kalmar kennenlernt, wodurch die Ausgangslage, wie bereits angedeutet, nach Skandinavien verschoben ist: Der Abfahrtshafen für die entscheidende Seereise ist Kopenhagen. Das Bild, das Olearius auf Öland vom dänischen König Christian IV . und von dessen Verdiensten um die Hauptstadt gezeichnet hatte ( IS III : 95-100), wird in den Kapiteln 10-14 von IS III (145-223) weiter ausgeführt, wobei es komödienähnliche Züge annimmt, denn die in diesem Teil der IS dominierende Figur des Ankerschmiedes Mats Hansen, der Albert auf Stadtbesichtigung führt, ruft als Trinker von Rabelaisschem Ausmass Assoziationen an einen anderen dänischen Säufer wach: an Holbergs Komödienfigur Jeppe , dessen berühmter Satz „Folk siger vel […], at Jeppe drikker, men de siger ikke, hvorfor Jeppe drikker“ (Holberg 1870, 1: 195) 8 in den Worten des Ankerschmiedes mitzuschwingen scheint, wenn er erklärt: „Wir Dänen […] müssen mehr als andere Menschen trinken, weil wir hier mitten im Meere wohnen, um uns gegen die feuchten Dünste des Oceans zu wahren“ ( IS III : 153). Während aber Jeppe als armer, geschundener Bauer, der von seiner Frau betrogen und geprügelt, von der adeligen Obrigkeit unterdrückt und ausgebeutet wird, sich aus Verzweiflung dem Trunk ergibt, hat das Trinken für den tüchtigen, wohlhabenden Schmied eine ganz andere Bedeutung: Es versetze ihn, sagt er, nicht etwa in einen sinnlosen Rausch, sondern über verschiedene Gefühlsstadien schliesslich in einen Zustand der „Erhabenheit“, 7 Dieses Sagenmotiv findet sich in verschiedener Ausgestaltung in sehr vielen europäischen Literaturen (vgl. Kommentare in Danmarks gamle folkeviser 1966-1967, II: 492-497 und III: 870-874). Als bekannteste Version gilt Bürgers Ballade Lenore , aus der die in IS III: 134 zitierten Verse stammen dürften, die zwar auch in der Volkssage enthalten sind, aber dort eine etwas andere Form aufweisen (vgl. Petzoldt 1970: 75). 8 [Die Leute sagen wohl […], dass Jeppe trinkt, aber sie sagen nicht, warum Jeppe trinkt]. 7.1 „Nordisierung“ 195 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 in dem er sich der Betrachtung und Bewunderung des Firmaments hingebe ( IS III : 154) 9 Diese euphorische Darstellung erweist sich jedoch als schönfärberische Verschleierung der vermutlichen Ursache des Trinkens, denn auch der angesehene Schmied wird, genau wie der erbarmenswürdige Jeppe, von seiner Frau betrogen, mit dem Unterschied allerdings, dass Mats Hansen die Untreue seiner Frau im Tausch gegen materiellen Wohlstand stillschweigend duldet, wenigstens, solange sie sich im Verborgenen abspielt. Die Gefühle, die er sich hat abkaufen lassen, kann er nur noch im Rausch, in den Stadien der Zanksucht und der rührseligen Wehmut, ausleben. Auch bei Mats Hansen führt indessen, wie bei Jeppe, die Trunksucht dazu, dass er für kurze Zeit aus seinem Stand herausgehoben wird. Im Gegensatz zu Jeppes Fall handelt es sich dabei aber nicht um ein grausames Spiel der Obrigkeit mit einem Angehörigen der unteren Stände; vielmehr gerät Mats Hansen in die Lage, dem Adel, ja, dem König selbst, einen Dienst zu erweisen, indem er den „alten Ruhm [der Dänen], die besten Trinker zu seyn“ ( IS III : 175), in einem „Trinkduell“ gegen einen russischen Fürsten erfolgreich verteidigt. Dieses „Duell“, von Christian IV. organisiert, bildet einen witzigen Kontrapunkt zur Inszenierung des Duellverbots von Gustav Adolf. Es wird in Kap. 8.2 dieser Arbeit näher beschrieben. Die Komik der Duellszene und der ganzen Trinkerthematik ist jedoch nicht allein bestimmend für die Art, wie Dänemark und die Dänen charakterisiert werden. Es gibt zumindest eine Stelle, an der Dänemarks Schönheit in homerischem Tonfall fast hymnisch besungen wird: […] aber auch immer ist Dänemark mit seinem Meere und seinen Seen, mit seinen Wiesen, Äckern, Hügeln und herrlichen Wäldern weit schöner als das nördliche Deutschland mit seinen sandigen Tannen-Halden, und als ein Theil Frankreichs mit seinen kreidigen Weinbergen. Nur in Dänemark und England wachsen die Buchen so mächtig und schön, grünt das Gras bis in den Winter hinein mit solcher Frische […]. ( IS III : 178) Die Aussage ist umso auffälliger und erhält umso grösseres Gewicht, als hier offensichtlich Alberts Stimme durch jene des auktorialen Erzählers abgelöst wird, obwohl entgegen der sonstigen Erzählerführung in den IS nicht explizit auf diesen Wechsel der Erzählerstimme hingewiesen wird. Da aber Albert zum ersten (und letzten) Mal in Dänemark ist und weder England noch Frankreich kennt, noch diese Länder kennenlernen wird, können die zitierten Vergleiche nicht aus seiner Perspektive stammen. Dass dänischer Nationalstolz aber nicht bloss auf Trinkfestigkeit beruht, macht Mats Hansen durch seinen Hinweis auf Dänemark als älteste Seefahrernation Europas klar ( IS III : 213). Sichtbares Zeichen dieser Vorrangstellung ist dem Ankerschmied zufolge die dä- 9 Möglicherweise wird in diesen Erhabenheitsgefühlen eines Säufers das auf Kant zurückgehende Konzept des Erhabenen, welches in der Klassik eine wichtige Rolle spielte, parodiert; zumindest erinnert sein durch die Betrachtung der Sterne gewecktes Gefühl des Erhabenen an mehrere berühmte Stellen bei Kant, z. B: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, […] der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir“ (Kant 1964: 243), oder: „Gemütsarten, die ein Gefühl für das Erhabene besitzen, werden durch die ruhige Stille eines Sommerabends, wenn das zitternde Licht der Sterne durch die braunen Schatten der Nacht hindurchbricht und der einsame Mond im Gesichtskreise steht, allmählich in hohe Empfindungen gezogen, von Freundschaft, von Verachtung der Welt, von Ewigkeit“ (Kant 1964: 50). 196 7 Schauplätze Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 nische Flagge: „Deshalb führen wir auch die schönste Flagge; wer zuerst kömmt, wählt das Beste“ ( IS III : 213). In Mats Hansens Figur vereinigen sich also, durch die Anklänge an die dänische Nationalfigur Jeppe einerseits und den Stolz auf Dänemark als Seefahrernation andrerseits, ganz unterschiedliche dänische Charakteristiken, die in ihrer Widersprüchlichkeit, aber auch in ihrer teils komischen, teils hymnischen Vermittlung im Text, ein recht vielschichtiges Bild ergeben. Der Abschied von Mats Hansen bedeutet die endgültige Trennung vom Schauplatz Dänemark und von Skandinavien als geographische Realität in den IS , aber mit seinem Anker hat der Schmied der weiteren Romanhandlung gleichsam ein Stück Dänemark mit auf den Weg gegeben. Dieser Anker, in den er seinen eigenen Namen und den der Stadt Kopenhagen eingraviert hat, verbindet nicht nur das vertraute Dänemark mit der unbekannten neuen Welt, sondern schlägt in Mats Hansens Vision durch seine zeitüberdauernde Beschaffenheit auch eine Brücke zwischen verschiedenen Zeitaltern. Die Schriftzeichen seines Namens würden, wie Mats Hansen ironisch prophezeit, einst so rätselhaft sein, wie die Schriftspuren vergangener Kulturen; man werde sich den Kopf darüber zerbrechen, „ob es Chaldäisch, Egyptisch oder Syrisch sey“ ( IS III : 215). 10 Der Anker taucht als „Bild der Hoffnung“ ( IS III : 215) nach dem Schiffbruch an der Insel Felsenburg wieder auf, als das einzige, was vom Schiff übrigbleibt ( IS III : 279). Zu einem Wahrzeichen Dänemarks stilisiert, soll er den Schiffbrüchigen Trost und Hoffnung spenden. Die religiöse Bedeutung, die dem Anker als Hoffnungssymbol eingeschrieben ist, wird noch vertieft durch sein Erscheinen in Alberts grosser Todesvision: dort ist er ein Bild der Unvergänglichkeit, des ewigen Lebens geworden ( IS IV : 260). 11 Wie ein Heiligtum wird er denn auch von den Felsenburgern gepflegt und bewahrt. Dennoch geben sie ihn später einem dänischen Schiff, das den eigenen Anker verloren hat, auf die Rückreise in die Heimat mit ( IS IV : 279-280): Notleidenden Hilfe zu gewähren, erscheint wichtiger als die museale Bewahrung eines Gegenstandes, sei dieser auch noch so ehrwürdig - es ist offensichtlich, dass der Sinn von altem, übernommenem Kulturgut nicht bloss in der Repräsentation der Vergangenheit liegen kann, sondern sich darin konstituiert, dass es der Gegenwart, dem Leben, dient. 12 Die fast mythische Bedeutung Dänemarks in den IS findet in den WF , wie zu erwarten ist, keine Entsprechung. In Schnabels Roman wird Dänemark lediglich an drei Stellen kurz erwähnt, und zwar in den Vitae von Litzberg, Kramer und Plager, die im zweiten Teil nacheinander erzählt werden. Die drei Männer haben eine lange Reihe von tragischen Ereignissen erlebt, sind in Mordfälle verwickelt, betrogen, gefangen, beraubt worden, ehe 10 Die Stelle klingt wie ein ironisches Zitat von WF III: 325, wo es in Bezug auf die Zeichen der auf Klein- Felsenburg gefundenen Urnen heisst: „Die Characteres wuste auch kein Mensch auszulegen, ohngeacht unsere Herren Geistlichen im Arabischen, Syrischen, Chaldäischen Schrifften und Signaturen nicht unerfahren waren.“ 11 Dies entspricht spätmittelalterlicher Symbolik, in welcher der Anker einerseits ein Attribut der Spes ist, andrerseits auch als Zeichen für ein Weiterleben im Jenseits gilt (Lurker 1991: 38 und 318). 12 Das bekannte, dem Mystiker Johannes Tauler zugeschriebene Kirchenlied „Es kommt ein Schiff, geladen / bis an sein höchstes Bord […]“ lautet in der dritten Strophe: „Der Anker haft’ auf Erden, da ist das Schiff am Land“. In der allegorischen Bildersprache des Liedes wird der Anker als Symbol für Barmherzigkeit gesehen, was mit seiner Funktion in den IS übereinstimmt (vgl. die Deutung von Alpers / Jenny 1965: 149). 7.1 „Nordisierung“ 197 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 sie sich entschliessen, Deutschland zu verlassen und in den Norden zu reisen, um dort ihr Glück zu suchen, oder, wie Litzberg sagt, „die beyden Nordischen Cronen, nehmlich Dännemarck und Schweden zu sehen, und zu versuchen, ob ich unter deren Schatten etwa eine Kühlung, meiner annoch beständigen Schmertzen finden könte“ ( WF II : 177). Litzberg lebt etwa drei Jahre in Kopenhagen, fasst jedoch seinen Aufenthalt in wenige Sätze zusammen und widmet einzig dem Runden Turm eine eingehendere Beschreibung, da er in der dort untergebrachten Bibliothek Tycho Brahes Schriften studieren kann. In Kopenhagen lernt er Plager kennen, mit dem er nach Amsterdam reisen will, denn Plager hofft, dort an einer modernen technischen Erfindung mitarbeiten zu können; die Reise endet jedoch schon in Lübeck, wo die beiden als tüchtige Berufsleute von Kapitän Wolffgang für die Insel Felsenburg angeworben werden. Kramer gelangt gar nicht erst in den Norden; er wird auf der Reise dorthin ebenfalls in Lübeck von Wolffgang für die Felsenburg gewonnen. Die Position Dänemarks in den WF ist also marginal. Immerhin kann man aber aus den drei ähnlich gelagerten Fällen doch schliessen, dass das Land so etwas wie ein Asyl für arme, verfolgte Bürger darstellt, die in Deutschland nicht mehr leben wollen oder können. Grohnerts Aussage, Holland stehe in den WF für „Freiheit und durchgesetzte Menschenrechte“ (Grohnert 1997: 76), wäre also um den Hinweis zu ergänzen, dass dies, wenn auch in geringerem Masse, für Dänemark ebenfalls gelten könnte. 7.1.4 Fazit zum Norden im Roman Was an der Darstellung der Thematik des Nordens in den IS besonders auffällt, ist die starke Tendenz zur Verbindung und Vermischung von nordischen und deutschen Figuren und Schauplätzen: die Parallelisierung Gustav Adolfs mit Luther, die Wahl der schwedischen Insel Öland als Ort der Begegnung mit Olearius und Fleming, die Verknüpfung Kopenhagens mit der Robinsonade. Dies alles zeigt deutlich das intensive Bestreben, den Norden als europäische Kulturregion zu etablieren und seine geographische Randposition zu überwinden. Dabei handelt es sich keineswegs um marginale Figuren oder Orte; es wurden im Gegenteil für die „Nordisierung“ hervorragende historische Persönlichkeiten gewählt und zentrale Ereignisse des Romans wie der Ausgangspunkt der Robinsonade an nordische Schauplätze verlegt. Wie gesehen, befindet sich auch dieser Teil des Werkes immer wieder im Dialog mit dem Prätext WF , obwohl der Norden in Schnabels Roman einen völlig anderen Stellenwert hat. Ausserdem entsteht durch impliziten und expliziten Einbezug einer Vielzahl verschiedenster Texte und Gattungen ein dichtes intertextuelles Gewebe, das auf der Textebene die Eingliederung nordischer Kultur und Literatur in Europa vollzieht und verkörpert. Ausgespart wurden in dieser Zusammenstellung die erst im Schlussbild des Romans sichtbar werdenden Spuren der Wikingerkultur, die eine zusätzliche Erweiterung des europäischen Kulturkanons und der religiösen Tradition bewirken. Davon wird in Kap. 8.5 die Rede sein. 198 7 Schauplätze Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 7.2 Kirchenbau Auch bei diesem Thema geht es um Schauplätze, jedoch in etwas anderer Weise als in den eben besprochenen Textausschnitten. In beiden Romanen, sowohl in den WF wie in den IS , spielen Religionsdiskurse eine zentrale Rolle. Dabei bildet das Luthertum Fundament und ausschlaggebendes Kriterium für die Gründung der Inselgesellschaft. In Oehlenschlägers Roman erhält diese Grundierung eine konkrete, gewissermassen körperhafte Dimension durch die speziellen Verwandtschaftsbeziehungen eines Teils der Hauptfiguren zu Luther. Vornehmlich Alberts Leben wird in einem solchen Grad durch diese Verwandtschaft bestimmt, dass sie ihm zu Maßstab und Richtschnur wird, die er an alle seine Entscheidungen anlegt. Zudem wird seine Nähe zu Luther durch eine biographische Parallele unterstrichen: Er verbringt den grössten Teil seiner Kindheit und Jugend bei einer Verwandten seiner Mutter in Eisenach, wo auch Luther, ebenfalls bei Verwandten mütterlicherseits untergebracht, einige Jahre zur Schule ging (Schilling 2017: 69). Ausserdem steigt Albert oft auf die Wartburg: Ihm und seinem Bruder als „Luthers Enkel“ wird erlaubt, sich in jener Stube aufzuhalten, in welcher Luther das Neue Testament übersetzte ( IS II : 91-92). Später wird er nach Wittenberg ziehen, unterstützt und ermuntert von König Gustav Adolf, der ihn mit den Worten „[…] musst Prediger werden wie Luther“ als Gefährten seines Sohnes in die Lutherstadt schickt ( IS III : 53). Luther ist aber nicht nur die prägende Religionsgestalt in den IS , fast ebenso wichtig ist seine Wortgewalt: „Luther war auch ein Dichter“ ( IS I: 154). 13 Eberhards Verbindung zum Reformator ist scheinbar aufgrund des viel grösseren Deszendenzabstandes - er steht ja im Verhältnis zu Albert auf der Stufe der vierten Nachfolgegeneration - und der fehlenden geographischen Bezüge weniger eng, doch stammt er, wie erinnerlich, sowohl väterlicherwie mütterlicherseits von Luther ab, und auch sein Leben ist von lutherischer Religiosität geprägt. Die Religionsdiskurse manifestieren sich aber nicht nur in der immer wieder beschworenen und imaginierten Präsenz der Figur Luthers, sondern auch im Interesse an kirchlichen Bauten. Im folgenden Abschnitt sollen jene Texte aus Oehlenschlägers Inselroman, in denen es um Kirchengebäude geht, aus verschiedenen Teilen des Romans in einen Zusammenhang gebracht und als thematische Einheit besprochen werden. Dabei wird jeweils auch untersucht, wie sich die hier behandelten Texte in späteren Ausgaben von Oehlenschlägers Inselroman gestalten. Zunächst aber soll der Kirchenbau in Schnabels WF als dem wichtigsten Prätext für die IS zur Sprache kommen. 7.2.1 Eine Kirche für Schnabels Insel Felsenburg Als Eberhard, mit seinen Gefährten von Europa kommend, in Schnabels Roman erstmals die Insel Felsenburg betritt, gelangen sie gleich nach ihrer Ankunft zu einem von Baumkronen gebildeten „rechte[n] Europäische[n] Kirchen-Gewölbe“; darunter sitzt der „Altvater“ 13 Vgl. dazu Pil Dahlerups Frage: „Var Luther digter? “ die sie gleichsam zur Eröffnung von Litterær reformation stellt (2016: 15). Nach der Darstellung von Luthers Schriften gelangt sie zwar zu einer negativen Konklusion (ebda.: 89), gesteht seinem Reformationswerk aber „en litterær sprogkraft af usædvanlige dimensioner“ zu [eine literarische Sprachkraft von ungewöhnlichen Dimensionen] (ebda.: 613). 7.2 Kirchenbau 199 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Albertus Julius ( WF I: 124). Dieser würdige Rahmen unterstreicht in mehrfacher Hinsicht die patriarchale Position Alberts als Stammvater der Inselbevölkerung. Aber auch auf die Frömmigkeit und Gottesfurcht, auf die zentrale Stellung der Religion in Alberts Leben, weist der kirchenähnliche Rahmen hin. Zugleich bildet die Erwähnung dieser „Naturkirche“ den Auftakt zum Kirchenbau, der wenige Tage nach der Ankunft der „Europäer“ in Angriff genommen wird. Sie soll unterhalb von Alberts Burg - denn auf einer solchen residiert er - zu stehen kommen; nachdem der Bauplatz abgesteckt ist, gräbt Albert sofort mit eigenen Händen ein Loch in die Erde und legt den Grundstein an die Stelle, über welcher der Altar geplant ist ( WF I: 131). Im Text wird nun immer wieder - wenn auch in grossen Abständen, bedingt durch die biographischen Erzählungen Alberts und anderer Felsenburger -, über den Fortgang des Kirchenbaus berichtet. 14 Es zeigt sich, dass viele Leute freiwillig ihren Feierabend opfern, um an den Bauarbeiten teilzunehmen, besonders die, „welche etwas weniges von den Europäischen Kirch-Gebäuden erzehlen hören, waren […] begierig, ihr Gottes-Haus in behörigen Stande zu sehen“ ( WF II : 89). Erzählungen der Europäer haben unter den Felsenburgern also den Ehrgeiz entfacht, ihre Kirche möglichst schön, den europäischen Kirchen ähnlich zu bauen. Dennoch ist der fertige Bau eine „gegen andere, gantz einfältig aussehende[-] Kirche“, wie Eberhard findet ( WF II : 189), und er „will nicht leugnen, dass an Zierathen und einigen andern, zu besserer Bequemlichkeit gereichenden Stücken noch verschiedenes auszubessern übrig geblieben“ ( WF II : 182). Und doch kommt es ihm vor, als ob er erst jetzt, gerade in dieser einfachen Kirche, zu begreifen anfange, was ein „rechtschaffener Gottes-Dienst“ sei ( WF II : 189). Der Einweihungsgottesdienst in der neu erbauten Kirche, der von der Aufzählung der gesungenen Kirchenlieder bis zur Beschreibung der Predigt in allen Einzelheiten geschildert wird ( WF II : 189-192), dauert den ganzen Sonntag, denn mit der Einweihung erfolgt zugleich die Trauung von nicht weniger als 22 Paaren; dabei werden alle Europäer, die Eberhard ein Jahr zuvor auf die Insel begleitet hatten, mit Nachkommen der Stammeseltern Albert und Concordia verheiratet und so in den felsenburgischen Familienverbund integriert ( WF II : 191-192). 15 Wie sich an den breit beschriebenen Vorgängen rund um die Einweihung und der ungewöhnlich grossen Zahl der getrauten Paare ablesen lässt, dient die Kirche zwar in erster Linie der Zelebrierung des religiösen Kultes, funktioniert aber zugleich als Instrument zur Intensivierung des Bevölkerungswachstums: Dies unterstreicht auch die im Text fast unmittelbar anschliessende Geburtentabelle, mit deren Hilfe Eberhard die Zahl der Inselbevölkerung berechnet und dokumentiert ( WF II : 194-195). 16 14 Heidi Nenoff bemerkt dazu, der Kirchenbau ziehe sich „leitmotivisch“ durch die ersten beiden Bände (Nenoff 2016: 93). 15 In einer Fussnote weist der Erzähler Eberhard darauf hin, dass in den genealogischen Tabellen alle Bräute der „mitgebrachten Europäer“ genau vermerkt seien, und erwähnt präzise jeden einzelnen Tabelleneintrag ( WF II: 191). Einige Schiffbrüchige, die Jahrzehnte früher auf die Insel gelangt waren und Alberts Töchter geheiratet hatten, gaben damals sogar ihren angestammten Geschlechtsnamen auf und nahmen den Familiennamen Julius an, wie aus den genealogischen Tabellen ( WF I: 522-525) ersichtlich wird. Vgl. zu dieser Integrationspraxis Hagel (2009: 7). Entgegen der Aussage Hagels wird allerdings die Namensaufgabe nicht erzwungen, sondern geschieht „aus eigenem Antrieb und herzlicher Liebe“, vgl. WF I: 329-330 für den einzigen im Text geschilderten, d. h. nicht nur tabellarisch dokumentierten Fall. 16 Zur Thematik des Bevölkerungswachstums auf Schnabels Insel vgl. auch Tatlock (1996: 262-284). 200 7 Schauplätze Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 An der Kirche wird auch nach der Einweihung noch weiter gearbeitet; dabei geht es vor allem um ihre Ausstattung: Es wird mit dem Bau einer Orgel begonnen ( WF II : 490-491), Glasfenster werden eingesetzt, und der Innenraum mit Kirchenschnitzereien, Vergoldungen, Malereien der Bibelgeschichte verschönert ( WF III : 286-287). Im vierten Band vervielfältigt sich der Kirchenbau sogar: Da die Siedlungen der einzelnen Inselräume immer mehr wachsen und sich allmählich zu Städten entwickeln, wird für jeden der neun Räume eine eigene kleine Kirche gebaut ( WF IV : 530). Die Kirche ist also nicht nur Steuerungsinstrument des Wachstums, sondern gleichzeitig auch Zeugnis dafür. 7.2.2 Der Kölner Dom In Oehlenschlägers Roman besucht Eberhard auf seiner Reise nach Amsterdam die Stadt Köln und besichtigt bei dieser Gelegenheit die Domkirche. Die Episode liegt also erzählchronologisch vor dem Kirchenbau in den WF und gehört zu Eberhards Reiseerlebnissen, die ihm in Europa begegnen, bevor er sich in Amsterdam einschifft, um auf die Insel Felsenburg zu gelangen - ein Reiseabschnitt, der in den IS grossen Raum einnimmt, im Gegensatz zu dessen Komprimierung auf wenige Sätze in Schnabels Roman. 17 Für Eberhards Besuch des Kölner Doms gibt es daher keinen Prätext bei Schnabel; es handelt sich um eine der zahlreichen Neuschöpfungen Oehlenschlägers. Eberhard ist vom Anblick des monumentalen Gebäudes überwältigt und meint, dass er erst jetzt eine christliche Kirche gesehen habe ( IS I: 72). 18 Diese Worte bilden den Auftakt zu einem Gespräch über Religionsfragen mit einem Fremden, der damit beschäftigt ist, den Haupteingang der Kirche zu zeichnen. Seine Tätigkeit erinnert an die grossen Bemühungen des frühen 19. Jahrhunderts, den Dom zu vollenden 19 und verweist gleichzeitig auf den Kunstcharakter des Gebäudes. Eberhard bewundert die entstehende Zeichnung und beneidet den Zeichner, denn „obschon die Einbildungskraft ein guter Maler ist, gleicht doch das Gedächtnis einer so leicht zu vertilgenden Pastellfarbe, dass der Finger der Zeit sie bald wieder verlöscht“ ( IS I: 73). Wir haben schon aus der Einleitung der IS erfahren, dass es die Einbildungskraft war, die das autobiographische Ich dazu brachte, „einige schöne Kreidezüge des alten Buches mit kräftigen Oehlfarben“ auszumalen; hier wird nun die Zwischenstufe des Gedächtnisses genauer beschrieben, wo das in der Phantasie Entstandene erst in flüchtiger „Pastellfarbe“ niedergelegt ist und ohne Fixierung durch ein Medium (im vorliegenden Fall das Zeichenpapier) wieder zu entschwinden droht, ehe es die potentielle Stufe der Materialisierung als Kunstwerk erreichen konnte. Das Kirchengebäude wird Eberhard also doppelt vermittelt, da er nicht nur den steinernen Bau, sondern zugleich dessen gezeichnetes Abbild erblickt. In anderer Weise erscheint diese Doppelheit im Gespräch, als sich herausstellt, dass der Zeichner die Kirche zwar bewundert, aber gleichzeitig für überflüssig hält, denn „[d]ie wahre Kirche ist unsichtbar“ ( IS I: 77), was er durch das Zitat von Matthäus 6,6 unterstreicht, wonach man „im Käm- 17 Vgl. WF I: 32: „Auf dieser Reise begegnete mir nichts ausserordentliches, ausser dem dass ich mich resolvirte, […] die berühmten Seltenheiten in und bey der […] Residentz-Stadt Cassel zu betrachten, einen Post-Tag zu verpassen. Nachdem ich aber ziemlich ausgeruhet, […] verfolgte ich meine vorhabende Reise, und gelangete, noch vor dem mir angesetzten Termine, glücklich in Amsterdam an.“ 18 Seine Reaktion ist also jener Eberhards in den WF ganz entgegengesetzt: Für Schnabels Eberhard ist, wie erwähnt, gerade das schlichte Gebäude auf der Felsenburg die wahre christliche Kirche. 19 Zeichnerische Entwürfe spielten für die Frage der Vollendung des Kölner Doms während Jahrzehnten eine wichtige Rolle; auch Goethe liess sich anhand von Zeichnungen und später daraus entstandenen Kupferstichen davon überzeugen, dass der Dom fertigzubauen sei (vgl. Boisserée 1862). 7.2 Kirchenbau 201 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 merlein - im Verborgenen“ beten solle, also nicht im öffentlichen Raum einer Kirche. Auch sieht er die Kirche einerseits als Zeugnis frommer Erhabenheit, andererseits aber als Ausdruck menschlicher Eitelkeit; dies gelte auch für Erwin von Steinbach, einen der namentlich bekannten Erbauer des Strassburger Münsters. Die Erwähnung dieses berühmten Gebäudes ruft eine der bekanntesten Kirchenbesichtigungen im deutschsprachigen Raum auf: Goethes Besuch des Strassburger Münsters, der ihm Anlass zu seinem vielbeachteten, Erwin von Steinbach gewidmeten Aufsatz „Von deutscher Baukunst“ gab (Goethe 1948-1971, 13: 16-26). 20 Der dänische Leser denkt wohl zudem an Baggesens Reiseerzählung Labyrinten, deutsch Das Labyrinth, in der dieses Münster samt Turmbesteigung eingehend geschildert wird (Baggesen 1985: 351-365). Davon wird später noch die Rede sein. Der Fremde, ein „hölzerner, unreligiöser Kerl“, wie er sich selber bezeichnet ( IS I: 76), führt nun Eberhard durch den Kölner Dom und erweist sich dabei als überzeugter Aufklärer und Lutheraner, der sich vor der Kapelle der Heiligen Drei Könige gegen die Reliquienverehrung ausspricht, 21 während Eberhard zwar weiss, dass entgegen dem Glauben der Massen die Körper der Könige nicht in den ausgestellten Särgen liegen können, aber dennoch die Wirkung dieser Täuschung auf die Phantasie preist, da sie in der Seele eine „ehrfurchtsvolle Liebe“ hervorbringen könne ( IS I: 81). Für Litzberg hingegen - denn kein anderer ist der Fremde - ist es fundamental, „das Bild der Phantasie immer von der Wirklichkeit, mit klarem Bewusstsein [zu] trennen“ ( IS I: 81) und sich nicht vom Wahn einer vorgetäuschten Realität einlullen zu lassen. Ein Bild mit der Darstellung der Heiligen Drei Könige würde er als ideale Wirklichkeit akzeptieren - eine Aussage, welche implizit auf die Möglichkeit einer Transformation der Figuren zum Kunstwerk zielt -, doch die plumpe, als physische Realität drapierte Erscheinungsform der Reliquien lehnt er ab. 22 Ebenso sind für ihn die vielen Edelsteine, welche die Figuren der Heiligen Drei Könige zieren, Ausdruck von Eitelkeit und Verschwendung. Seine rationale Argumentation wird von der Orgelmusik übertönt, die plötzlich in der Kirche erklingt: Litzbergs Freund Lademann spielt eine Bach’sche Fuge, die Eberhard, der Bach noch nicht kennt, überirdisch schön und harmonisch erscheint. Diese besonders kunstvolle musikalische Form - die hier, verglichen mit der realen Chronologie, etwas zu früh gespielt wird 23 - könnte als Analogie zur architektonischen Komplexität des gotischen Dombauwerks mit seinen reichen und vielfältigen Verzierungen aufgefasst werden. 24 Ausserdem lässt sich im mehrstimmigen Kompositionsprinzip der Fuge auch ein 20 Jens Bisky zeigt, wie auch Goethes Aufsatz den „Prozess einer ästhetischen Erfahrung“ in kontrastierenden Auffassungen darstellt (Bisky: 2000: 38). 21 Vgl. Luther: „Denn ob wir gleich aller heiligen gebeine […] auff einem hauffen hetten, so were uns doch nichts damit geholffen, Denn es ist alles tod ding, das niemand heiligen kan“ (Zitat aus dem Grossen Katechismus zum dritten Gebot von 1529; vgl. Luther 1910, 30, I: 145). 22 Auch die Auffassung Litzbergs, was religiöse Darstellungen auf Bildern betrifft, stimmt mit jener Luthers überein, der bekanntlich kein Bilderstürmer war, sondern nur dem Wahn entgegentrat, die Anbetung von Bildern bringe das Heil Gottes: „das die Bilder weder sonst noch so, weder gut noch boese sind sondern man lasse es frey sein, sie zu haben oder nicht zu haben, allein das der glaub oder wahn davon sey, das wir mit unserem Bildestifften Gotte keinen dienst noch wolgefallen thun“ (Zitat aus seiner vierten Invocavit-Predigt von 1522; vgl. Luther 1905, 10, III: 35). 23 Bach begann mit der Komposition seiner Fugen erst einige Jahre später, was der Rezensent der Blätter für literarische Unterhaltung vom 4. 7. 1826 kritisch vermerkt. 24 „Musik als erstarrte Architektur“, dieses berühmte Dictum Schellings, scheint in dieselbe Richtung zu weisen, jedoch ist es genau entgegengesetzt zu verstehen, da Schelling es gerade nicht auf die Gotik bezieht, sondern auf die griechische Baukunst; für ihn geht es dabei nicht um die Komplexität als ver- 202 7 Schauplätze Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 autoreferentieller Bezug zur polyphonen Beschaffenheit von Oehlenschlägers Roman erkennen. Im Ganzen unterstreicht das Zusammenspiel von Architektur, Zeichenkunst und Musik den Charakter des Doms als Schauplatz der Kunst. Bei seinem zweiten Besuch im Dom trifft Eberhard wieder einen Fremden, der in ihm aber durch Äusserung allerhand törichter Ansichten einiges Misstrauen weckt, das sich verstärkt, als der Fremde auch noch andeutet, dass er am liebsten die Edelsteine der Heiligen Drei Könige an sich nähme; dennoch lässt Eberhard sich von ihm in ein dunkles, unter der Kirche gelegenes Gewölbe zur Kapelle Reichmuth von Adochts führen, für die der Jüngling sich interessiert, weil er den Ort gern sehen möchte, „wo die arme Frau nahe daran war, lebendig begraben zu werden“ ( IS I: 90). 25 Kaum sind sie eingetreten, als Eberhard plötzlich selbst in Gefahr gerät, dieses Schicksal zu erleiden, da er versehentlich die Tür der Gruft hinter sich geschlossen hat, worauf sie sich nicht mehr öffnen lässt. Eingehend wird nun Eberhards Verzweiflung geschildert - dies trotz der Worte: „Wir wollen des Jünglings Verzweiflung nicht schildern“! ( IS I: 91). In einem an Sturm und Drang-Dramatik erinnernden Ausbruch wirft er die goldene Uhr, die ihn an das Schwinden seiner Lebenszeit erinnert, von sich: „Verhasstes Räderwerk, mir aus den Augen! “ Er betet und singt die zwei letzten Strophen des Passionschorals „O Haupt voll Blut und Wunden“. Seine Todesangst gleicht nicht nur jener der Reichmuth, als sie sich, nach schwerer Krankheit für tot gehalten und in der Kathedrale zu Grabe getragen, lebend im Sarg wiederfindet, in die unterirdische Gruft gesperrt; Eberhards beängstigende Situation erinnert ebenso an die Gefühle des Ich- Erzählers in Baggesens Labyrinth bei der Besteigung der obersten Spitze des Strassburger Münsterturms. Auch dieser schwebt in Todesangst, obwohl er erst im Nachhinein erschauert, „zu sehr von Entsetzen erfüllt, um bange zu sein“ (Baggesen 1985: 360-361). Doch seine Verfassung, „glühend heiss, machtlos, atemlos, mit so heftig klopfendem Herzen, als wäre der letzte Seufzer nicht mehr fern“ (Baggesen 1985: 360) 26 gleicht durchaus Eberhards Empfindung, besonders, wenn Baggesens Ich-Erzähler sich vergegenwärtigt, wie gefährlich seine Situation hoch oben auf der Turmspitze ist: „[…] ein einziger Fehltritt meines kletternden Fusses, ein plötzliches Erschlaffen meiner nach der Stange greifenden Hand - und ich wäre abgestürzt, dreimal tot, bevor ich die Erde erreichte“ (Baggesen 1985: 360). Die Wahl des Kölner Doms als Gegenstück zum Strassburger Münster, aber auch die Episode tief unter dem Dom, beides lässt sich in gewisser Weise als - möglicherweise ironischer - Kontrapunkt zum Erlebnis auf der Turmspitze des Strassburger Münsters in bindendes Moment, sondern um Beziehungen der Symmetrie zwischen der antiken Tonkunst und der griechischen, insbesondere dorischen Säulenanordnung (vgl. Schelling 1859, 1 / 5: 586 und 593-597); für eine gründliche Auseinandersetzung mit Schellings Gedanken über Musik und Architektur vgl. Bisky (2000: 299-301). 25 Über diese Begebenheit vgl. Oehlenschlägers erstmals 1813 im zweiten Band von Digtninger erschienene Erzählung Reichmuth von Adocht (ebda.: 1-27), zu der, wie der Autor im Anschluss an das Inhaltsverzeichnis des Bandes mitteilt, einige reale Züge Anlass gegeben hätten. In dieser Geschichte findet sich - im Gegensatz zu Eberhards Dombesuch - eine Beschreibung des Innenraumes des Kölner Doms. Nicht nur der Schauplatz bildet eine intertextuelle Verknüpfung mit den IS , sondern auch die Edelsteine, die in Reichmuth von Adocht ebenfalls ohne Nutzen eine (vermeintlich) Tote schmücken, während sie einem lebenden Menschen aus bitterer Not helfen könnten (ebda.: 8 und 13-14). 26 Die Dramatik von Eberhards Erlebnis in der Domgruft prägt auch die Turmbesteigung des Ich-Erzählers bei Baggesen, was Karin Hoff mit Bezug auf die Szene im Labyrinth hervorhebt: „Der Erzähler erlebt den Anblick, den Aufstieg zum Turm und schliesslich die Aussicht von dessen oberster Spitze buchstäblich als ein Drama“ […] (Hoff 2003: 302). 7.2 Kirchenbau 203 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Baggesens Labyrinth lesen. Für die ironische Färbung spricht die leise Komik, die sich in die Schilderung von Eberhards Abenteuer mischt, da sein zwielichtiger Begleiter, obwohl er ebenfalls eingesperrt ist, sich im Stillen über Eberhard, insbesondere über dessen frommes Beten und Singen, lustig macht. Dies könnte eine - wiederum ironische - Anspielung auf die religiösen Implikationen in der Turmbesteigung sein. 27 Eine komische Nuance färbt auch die Szene, in der Eberhard wenig später, nach der glücklichen Befreiung 28 dank des etwas verdächtigen Geschicks seines Begleiters im Umgang mit Türschlössern, als Lutheraner an der katholischen Messe teilnimmt und niederkniet, um Gott dafür zu danken, dass er ihn gerettet habe, während sein Gefährte bei sich selber denkt: er, nicht Gott, habe dies eigentlich getan ( IS I: 97). Die Kölner Domepisode hat sich so, nach den ernsten, teilweise aber auch sarkastischen Kunst- und Religionsgesprächen mit Litzberg, zu einer Szene zwischen Schwank und Drama gewandelt, die das Turmerlebnis aus Baggesens Labyrinth in komischer Spiegelung und Verkehrung von der obersten Spitze in die unterste Gruft herabzieht. Der Text in den weiteren Ausgaben Die dänische Erstausgabe von 1824 stimmt mit dem besprochenen Text, abgesehen von kleineren Detailabweichungen, zum grössten Teil überein. Eine Ausnahme bildet die Streichung der beiden Strophen des Liedes „O Haupt voll Blut und Wunden“. Ein möglicher Grund dafür könnte sein, dass die beiden genannten Passionsstrophen in einem späteren Kapitel, das chronologisch allerdings früher liegt, eingesetzt werden: Alberts Vater singt sie zusammen mit seiner jungen Familie im Gefängnis, am Tag vor seiner Hinrichtung. Die Strophen sind dabei nicht in der seit Anfang des 18. Jahrhunderts existierenden dänischen Übersetzung 29 wiedergegeben, sondern in einer vermutlich von Oehlenschläger selbst geschaffenen Version ( ØS II : 58-59), wobei möglicherweise in diesem Fall die Beachtung der chronologischen Plausibilität eine Rolle spielte, denn die Hinrichtung von Alberts Vater fand hundert Jahre vor der dänischen Übersetzung statt, eine Inkongruenz, die dänische Leser vielleicht hätten bemerken können. 30 In der deutschen Textfassung wird übrigens bei derselben Begebenheit das im ganzen Roman immer wieder genannte Kirchenlied „Jesus meine Zuversicht“ gesungen; an dieser einen Stelle sind statt der blossen Nennung der ersten Zeile vier Strophen des Liedes eingefügt ( IS II : 65-66). Die erwähnten Unterschiede 27 Vgl. dazu Anna Sandbergs Artikel „Jens Baggesen und das Strassburger Münster“, in dem die Verfasserin u. a. biblische und allgemein religiöse Motive in Baggesens Text herausarbeitet (Sandberg 2005: 121-123; 128-129). 28 Auch hier zeigt sich eine intertextuelle Relation zwischen Eberhards Abenteuer und der Geschichte Reichmuth von Adochts: Sie erlebt ebenfalls eine Befreiung aus derselben Gruft, und zwar gerade aufgrund ihres reichen Grabschmuckes, der einen materielle Not leidenden Menschen veranlasste, ihren Sarg zu öffnen, wodurch die lebendig Begrabene gerettet wurde. In ähnlicher Weise hat auch Eberhard seine Befreiung letztlich dem Umstand zu verdanken, dass sein bettelarmer Begleiter am Besitz der goldenen Uhr des Jünglings interessiert war und ihm deshalb die Grufttür aufschloss ( IS I: 92 und 98). 29 Der dänische Philologe und Archivar Frederik Rostgaard übersetzte das Lied in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Angabe aus Brandt / Helweg 1847, 2: 42-43 und 357-359). Dabei diente ihm nicht der lateinische Originaltext des Zisterziensers Arnulf von Löwen (1. Hälfte 13. Jh.) als Vorlage, sondern die berühmte deutsche Nachdichtung von Paul Gerhardt. 30 Natürlich wären auch ganz andere Gründe denkbar, z. B. Oehlenschlägers ästhetische Einschätzung von Rostgaards Strophen, doch muss auch dies Vermutung bleiben. 204 7 Schauplätze Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 zeigen m. E. eine sorgfältige Abwägung der Auswahl für die in den jeweiligen Szenen der dänischen bzw. deutschen Version eingesetzten Liedtexte. Was die gekürzten Fassungen betrifft, so geben auch sie in beiden Sprachen weitgehend den Text der jeweiligen Erstausgabe wieder. Nur das erwähnte Zitat aus der Bergpredigt (Matthäus 6,6) fehlt in den späteren dänischen Fassungen, während es in die deutschen gekürzten Ausgaben von 1839 und 1911 übernommen wurde. Auch hier lässt sich der Grund für die Streichung in den dänischen Ausgaben nicht leicht eruieren. Jedenfalls versetzen die Eliminierung der Bibelstelle und der Passionsstrophen den dänischen Text in eine weltlichere Sphäre, was möglicherweise die ironische Nuance der ganzen Episode stärker hervortreten lässt. 7.2.3 Der Kirchenbau auf Oehlenschlägers Insel Felsenburg Wie geschildert, hat Eberhard in Oehlenschlägers Roman seine Gefährten Litzberg und Lademann im Kölner Dom kennengelernt, bevor er mit ihnen auf die Insel Felsenburg gelangt. Es fragt sich nun, welche Folgen die Erfahrung dieser europäischen Monumentalkirche für einen möglichen Kirchenbau auf der Insel hat. Die Thematik beginnt mit einer unverkennbaren Übernahme aus Schnabels Text: Oehlenschläger integriert dessen Bild des aus Bäumen gefügten Kirchengewölbes in seinen Roman, allerdings formal abgewandelt als Teil der nach homerischem Vorbild gestalteten Hexameterverse, 31 mit denen Eberhard die Ankunft auf der Insel Felsenburg besingt. Die Stelle lautet: Siehe, da öffnete sich der sittsam grüssende Haufen, Mit den heitern Gesichtern, und lud uns ein, nach dem Haine Gleich zu eilen, wo Bäum’ als Pilaster der gothischen Kirche Schlank sich wölbten, und wo uns der Greis erwartet’ im Lehnstuhl. ( IS II : 43) Nachdem Eberhard auch seine Begegnung mit Albert in Hexametern geschildert hat, übernimmt die auktoriale Erzählerstimme den Bericht und kommentiert betont prosaisch in lapidarer Kürze das Inselleben der neu angekommenen Europäer, was nach den kunstvoll gestalteten, die Szenerie in aller Breite ausmalenden Hexametern wie ein ironischer Stilbruch wirkt. Bevor jeder einzelne Europäer ein bestimmtes Tätigkeitsfeld zugewiesen erhält, besuchen sie gemeinsam einen Gottesdienst unter dem kirchlichen Baumgewölbe, darauf folgt wie bei Schnabel der Beschluss, auf der Insel eine Kirche zu bauen ( IS II: 46-47). Die Umsetzung dieses Vorhabens findet jedoch erst im vierten Teil des Romans statt, denn ab jetzt füllt die Erzählerstimme von Albert Julius den grössten Teil des zweiten und dritten Bandes mit der Schilderung seiner Lebensgeschichte; dieses erzählerische Kontinuum soll nicht dadurch unterbrochen werden, „dass wir die Tagesarbeit der Zuhörer dazwischen 31 Das unmittelbare Vorbild ist Goethes Hermann und Dorothea , wie das sinngemäss wiedergegebene Zitat „Auch Homeride zu seyn selbst noch als letzter ist schön“ deutlich macht ( IS II: 33). Es steht am Ende einer längeren Rechtfertigung von Eberhards bereits vor Voss entstandenen Hexametern, die vielleicht auch „später geschrieben und untergeschoben seyn“ könnten ( IS II: 32-33). Im Übrigen hat Oehlenschläger dieses Zitat bereits im Vorwort zu seinen 1807 erschienenen Nordiske Digte angeführt und mit Verweis auf Voss und Goethe erklärt, wie wichtig es sei, die homerische Dichtkunst auf neue Stoffe anzuwenden, um sie so vor dem Untergang zu retten. Auch ruft er an derselben Stelle in Erinnerung, dass er die homerische Form schon in dem Gedicht „Toget til Thorsing“ des Zyklus Langelands- Reise i Sommeren 1804 ( Poetiske Skrifter 1805, I) verwendet habe, weshalb sie ihm nicht unbekannt sei (Vorwort zu Nordiske Digte : VI). 7.2 Kirchenbau 205 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 schieben“ ( IS II : 47) - eine indirekte Kritik an Schnabels Erzählsystem mit seinen regelmässigen Unterbrüchen in der Wiedergabe von Alberts Lebenslauf. Selbst die lebensrettenden Unterbrechungen in den Erzählungen von Tausendundeine Nacht werden kritisiert ( IS II : 47-48). Allerdings scheint der erwähnte parodistische Kontext dieser erzähltechnischen Überlegung anzudeuten, dass sie nicht ganz ernst gemeint sein kann; der Autor entschuldigt sich denn auch sofort beim Leser, dass er ihn gleich wieder nach Europa entführe, ohne ihm die Musse zu gewähren, sich auf der eben erst betretenen Insel gehörig umzusehen, was ja die Unterbrechungen in Schnabels Text gerade leisten ( IS II : 48). Im vierten Band beendet Albert seine Erzählung mit dem glücklichen Ausgang seiner Liebe zu Concordia; diesen Abschluss fasst er in einen vielstrophigen Hymnus, dessen daktylischer, tänzerischer Rhythmus das überströmende Glücksgefühl des Jünglings ausdrücken soll ( IS IV : 141-143). Es folgt nun ein „Sprung in der Geschichte“ ( IS IV : 144): Der weitaus längste Teil von Alberts Leben, seine 76 Jahre auf der Insel, wird „übersprungen“, d. h. bis auf spärliche Andeutungen und eine knappe Zusammenfassung der Ereignisse, die zu Eberhards Einladung geführt haben, aus der Erzählung ausgeklammert. Die Schilderung der Inselgegenwart knüpft nun thematisch an das Ende von Alberts Geschichte an, denn es folgt eine Aufzählung der Verbindungen, welche die Europäer inzwischen mit Felsenburgerinnen eingegangen sind. Einzig Litzberg und Lademann „dachten an keine Liebe“, da sie „vermutlich […] den Kopf zu voll von ihren Kunstwerken [hatten], um das Herz mit zärtlichen Gefühlen zu füllen“ ( IS IV : 155). Dies ist die Überleitung zum Thema des Kirchenbaus, der inzwischen mit Lademanns Orgelbau fast abgeschlossen ist. Lademann ist der Meinung, die Reformation sei eigentlich von der Erfindung der grossen Orgel in Deutschland ausgegangen, da dieses Instrument den Gottesdienst demokratisiert habe, denn das Singen der Gemeinde (statt Priestergesang) sei nur mit Hilfe der mächtigen Orgel möglich geworden: Sie habe „das Mangelhafte der ungeübten Stimmen […] bezwungen und in Einklang gebracht“ ( IS IV : 156). 32 Wie im Rückblick erzählt wird, gab der Kirchenbau zu grossen Diskussionen Anlass, da Albert und Eberhard sich eine gotische Kirche wünschten, während der Zeichner und Architekt Litzberg einen Tempel im griechischen Stil bauen wollte. Er teilt die Baukunst in zwei Hauptformen: Mathematik und Vegetation. Zur ersteren, die mit dem menschlichen Verstand verbunden sei, zählt er die griechische Baukunst, zur zweiten die gotische Architektur, die er als „bizarre Nachahmung der Natur“ betrachtet. In der Naturnachahmung durch Stein sieht er einen Betrug, denn der Stein müsse seine eigene Natur verleugnen, um mit dem Wald zu wetteifern. 33 Die abstrakten mathematischen Figuren hingegen trügen die klaren Formen des griechischen Tempels schon in sich ( IS IV : 157). Litzbergs Argumentation verweist auf das sinkende Ansehen des gotischen Baustils während der Zeit von Renaissance und Humanismus, das sich erst gegen Mitte des 18. Jahrhunderts allmählich 32 Diese überspitzte Aussage spiegelt Lademanns Begeisterung für sein Instrument wider. Zwar ist unbestritten, dass der Gemeindegesang im reformierten Gottesdienst eine völlig andere, neue Relevanz bekam. Für die Orgel lässt sich dies jedoch nicht unbedingt behaupten; sie setzte sich als Begleitinstrument des Gemeindegesangs erst allmählich durch und wurde von gewissen Reformatoren, u. a. von Zwingli, anfänglich sogar eher abgelehnt (vgl. dazu Bredenbach 2014: 89-94). 33 Hier klingt das schon bei Schnabel erwähnte, aus Bäumen gebildete Kirchengewölbe an; der Vergleich von hohen, waldigen Bäumen mit gotischen Kathedralen sollte Ende des 18. Jahrhunderts zu einem Topos werden (so z. B. Sulzer 1780: 353-354, aber auch Forster 1989: 64 und 65 oder Schlegel, F. 1959: 178). 206 7 Schauplätze Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 wieder verbesserte (Günther 2012: 137-150). Eberhard als Verfechter der Gotik 34 etabliert einen anderen Gegensatz zwischen gotischer und griechischer Baukunst: Für ihn steht die griechische in ihrer „beschränkte[n] Vollendung“ für die Schönheit, die sich auf irdische Wirkung beziehe, während die gotische Architektur Erhabenheit ausdrücke, das „unendliche Streben nach dem himmlischen Ursprunge, das keine Grenzen kennt“ und darum dem Christentum gemäss sei ( IS IV : 159). Obwohl Litzberg diese Ansichten nicht teilt, sondern wie schon in der Kölner Kathedrale betont, dass die wahre Kirche unsichtbar sei, räumt er doch ein, dass Kirchen wie das Strassburger Münster oder der Kölner Dom durchaus Gefühle der Erhabenheit wecken könnten. Schliesslich bricht er die Diskussion mit der pragmatischen Feststellung ab: „Jetzt ist […] nicht die Frage: Ist eine grosse gotische Kirche erhabener, ein Griechentempel schöner? Sondern: was passt sich für uns! Was können wir machen? “ ( IS IV : 163). Es sei ganz unmöglich, ein solches Riesenwerk wie eine der grossen gotischen Kirchen auf die kleine Insel Felsenburg zu stellen, wo kaum 350 Menschen lebten. Und eine gotische Kirche könne man nicht verkleinern, da sie sonst höchstens wie ein Modell oder Spielzeug wirken würde. Seine Lösung: Er habe lange daran gedacht, „die verschiedenen Charactere beider Bauarten best möglich zu verbinden“ ( IS IV : 163). 35 Seine Zeichnung einer achteckigen Kirche, verwandt mit einem griechischen Rundtempel, aber mit Glockenturm und Spitze, findet allgemein Beifall, und zwei Jahre später ist die Kirche fertig gebaut. In der Verschmelzung der verschiedenen Baustile weist das Gebäude auf ein Charakteristikum vieler Dichtungen Oehlenschlägers hin; 36 darüber hinaus könnte es als synthetisierende Schöpfung eine selbstreflexive Repräsentation von Oehlenschlägers polyphonem, vielgestaltigem Roman darstellen. Schnabels ausgedehnte Einweihungszeremonie findet in den IS nicht statt; die Schilderung der Einweihung wird auf die blosse Erwähnung der drei Rituale Taufe, Trauung und Beerdigung beschränkt und schliesslich gar auf die beiden ersten reduziert, denn die jüngere Generation lehnt das von Albert vorgeschlagene Beerdigungsritual als unpassend für einen Freudentag ab - eine schon modern anmutende Tabuisierung des Todes, die Albert, der seinem eigenen Tod gelassen entgegen sieht, nicht kennt ( IS IV : 165). Die Diskussion über den Kirchenbau führt Eberhards und Litzbergs Gespräche beim Besuch des Kölner Doms fort und zeigt mit etwas anderen Facetten nochmals dieselben Positionen, die - sehr summarisch gesprochen - Litzberg als Vertreter der Aufklärung und Eberhard als Romantiker avant la lettre charakterisieren. Der Text in den anderen Ausgaben Die untersuchte Textpassage ist in die dänische Ausgabe von 1824 / 25 integral, mit lediglich kleineren Abweichungen übernommen worden. In sämtlichen gekürzten Fassungen - dänisch und deutsch - fehlt die kritische erzähltechnische Überlegung zu den Unterbre- 34 Er vertritt die romantische Begeisterung für die Gotik, die sich, ausgelöst durch Goethes frühen Aufsatz über das Strassburger Münster von 1773, im 19. Jahrhundert immer stärker manifestierte. 35 Eine solche Verbindung, der sogenannte „graeco-gotische“ Stil, wurde gemäss Hubertus Günther wesentlich für die französische Architektur (Günther 2012: 143-144). 36 Das bekannteste Beispiel ist sicher sein Trauerspiel Baldur hin Gode , das den Stoff der nordischen Mythologie in die Form einer griechischen Tragödie kleidet. Aber auch die Verwendung prononciert romanischer Gedichtformen (wie z. B. die ottave rime ) für nordische Stoffe zeigt diese Neigung zur Synthese. 7.2 Kirchenbau 207 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 chungen im Erzählfluss von Tausendundeiner Nacht ebenso wie die daran anschliessende Entschuldigung, dass der Leser nicht auf der Insel Felsenburg verweilen könne. In den gekürzten deutschen Ausgaben von 1839 und 1911 zeigt sich eine weitere, allerdings einschneidende Veränderung: Die ganze Diskussion über das Für und Wider des griechischen und des gotischen Baustils samt Litzbergs Idee einer baulichen Synthese ist ersatzlos gestrichen worden, was dem Text einen völlig anderen Charakter gibt; ausserdem findet durch diese drastische Streichung das Gespräch von Eberhard und Litzberg im Kölner Dom keine anknüpfende Fortführung. In den vier dänischen Ausgaben von 1846, 1852, 1862 und 1904 dagegen ist der Text von 1824 / 25 - bis auf die erwähnte Ausnahme - ohne Abstriche bewahrt. 7.2.4 Fazit zum Kirchenbau Die Besprechung der erwähnten Texte stellt den Versuch dar, die unterschiedlichen Funktionen des Kirchenbaus in den beiden Romanen von Schnabel und Oehlenschläger erkennbar zu machen: Bei Schnabel steht die sakrale Bestimmung im Zentrum, was sich aus der detailreichen Beschreibung des überaus lange dauernden Gottesdienstes ablesen lässt, der am Ende der „leitmotivisch“ (Nenoff 2016: 93) immer wieder eingeflochtenen Berichte über die Bauphasen der Kirche stattfindet. Die persistente Schilderung der baulichen Fortschritte zeigt, dass die Kirche neben der sakralen Funktion auch der Förderung des Wachstums der Inselpopulation dient, was sich in gewisser Weise im Voranschreiten des Kirchenbaus selbst spiegelt, bis sich das vollendete Gebäude schliesslich - im Takt mit der Zunahme der Bevölkerung - auch seinerseits vervielfältigt, indem auf der Insel weitere Kirchen gebaut werden. Diese potenzierte Präsenz der Kirchen betont die zentrale Rolle, welche Religion, Gottesfurcht und Frömmigkeit auf Schnabels Insel spielen, und die - wie sich aus der gesamten Konzeption des Insellebens ablesen lässt - darauf abzielt, den Menschen das Paradies, das sie auf der Insel vorgefunden haben, durch ausgedehnt zelebrierte Gottesdienste zu erhalten; 37 ihre Frömmigkeit soll das biblische Pendant vervollkommnen, aus welchem der Mensch nun nicht mehr verjagt werden sollte, da er kein störendes Element mehr ist, sondern im Gegenteil durch fromme Unterwerfung und strenge Beachtung von Gottes Geboten 38 eine Steigerung des Paradiescharakters bewirkt. Es geht beim Kirchenbau also nicht so sehr um das Gebäude selber, sondern vielmehr um das spirituelle Ziel, in dessen Dienst das Bauwerk steht. 39 Einen Hinweis auf das Erscheinungsbild der Kirche gibt immerhin Eberhards gedanklicher Vergleich zwischen der Felsenburger Kirche und anderen Kirchenbauten, die er in Europa gesehen haben muss ( WF II : 189). Seine inneren Kirchenbilder werden aber weder benannt noch dargestellt, d. h. es erscheint hier eine Leer- 37 Vgl. verschiedene Gottesdienste, über deren Liturgie, oft samt Wiedergabe von Psalmen und Chorälen, im Stil einer präzisen Chronik berichtet wird (z. B. WF III: 89-96 oder WF IV: 40-45). 38 Daher u. a. die Abwehr gegen „Curiositas“. 39 Günter Dammann (1997a: 184-186) sieht in der Kirche und dem Ensemble der Gebäude, das die Felsenburger als Einfassung um sie herum bauen wollen, eine nach dem Vorbild des Salomonischen Tempels geplante Anlage, von der man sich im 17. und frühen 18. Jahrhundert bestimmte Vorstellungen machte, wie diverse Modelle und Rekonstruktionsversuche zeigen. Dammann stützt seine Ausführungen u. a. auf die Abbildung des Grundrisses zum Gebäudekomplex ( WF III: 289). 208 7 Schauplätze Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 stelle in Schnabels Roman, die Oehlenschläger mit seinem Text über Eberhards Besuch des Kölner Doms füllt - ein Erlebnis, das zur Prägung des Kirchenbildes beiträgt, welches die „Europäer“ auf die Insel Felsenburg mitbringen, wo sie dann - wenn auch in einer architektonisch vielschichtigen Form - einen katholischen Dom in eine protestantische Kirche transformieren. Die engagierten architektur- und religionstheoretischen Diskussionen um den Kirchenbau geben teils andeutungsweise, teils explizit viele der Kontroversen wieder, wie sie vor allem in den Jahren vor und nach 1800, also in Oehlenschlägers eigener Zeit, geführt wurden. Der Kirchenbau erweist sich so als Brennpunkt kultureller Transmission von Europa auf die Insel Felsenburg, in erster Linie, was kirchenarchitektonische Fragen betrifft, aber auch hinsichtlich der intertextuellen Bezüge zu Hermann und Dorothea und zu Oehlenschlägers eigener Erzählung Reichmuth von Adocht , ausserdem in Bezug auf die - allerdings supponierten - Anklänge an Baggesens Labyrinth . Wie das Beispiel des Kirchenbaus zeigt, resultiert der kulturelle Transfer der „Europäer“ im Versuch, die besten architektonischen Errungenschaften zu etwas Neuem zusammenzuführen und so auf der Insel europäisches Kulturgut gleichsam zu veredeln; darin lässt sich eine gewisse Parallele zum Bestreben in Schnabels Roman erkennen, das biblische Paradies durch eine verbesserte, d. h. frömmere Variante der menschlichen Bewohner zu perfektionieren. Es scheint nun auch plausibel, warum in den späteren dänischen Fassungen, im Gegensatz zu den entsprechenden deutschen, die Gespräche zwischen Eberhard und Litzberg über die Architektur der neuen Kirche erhalten geblieben sind: Die kulturelle Transmission findet nicht nur innerhalb der Romanfiktion statt; in der dänischen Fassung fungiert auch der Roman selber als Transmitter der beschriebenen kulturellen Inhalte zum Zielland Dänemark, wo das Wissen um die erörterten Fragen vielleicht weniger verbreitet war (oder sich dem Autor so darstellte) als im deutschen Herkunftsland. 7.3 Heiligenstatue und Nonnenkloster Unmittelbar im Anschluss an den Kirchenbau in den IS erzählen Litzberg und Lademann ihre Lebensgeschichten; diese enge Anbindung weist auf eine Fortführung der Religionsthematik hin. Die Erzählungen der „unglücklichen Liebensgeschichten“ ( IS IV : 165) bilden aber auch einen Kontrapunkt zur Schilderung der zahlreichen glücklichen Eheschliessungen zu Beginn des Kirchenbau-Kapitels. Lademanns Erzählung basiert auf dem entsprechenden Text in den WF ( II : 345-388): In Schnabels Roman wird er als Kind von seinem Vater dazu angehalten, bei Hochzeiten und anderen Festlichkeiten leichte Musik und Lieder zur Unterhaltung zu spielen, was ihn immer wieder in Konflikt zum strengen protestantischen Dorfpfarrer bringt, weshalb er in der Kindheit harte Zeiten durchlebt. Er macht eine Lehre als Tischler und findet bei Restaurierungsarbeiten in der holzgeschnitzten Statue des heiligen Bonifatius eine Menge Goldmünzen, die er dem Besitzer, einem reichen Katholiken, übergibt und dabei sein Erstaunen über die Wohltaten des Heiligen ausdrückt. Als Lutheraner gerät er in dem katholischen Gebiet jedoch sogleich unter Diebesverdacht und wird eingekerkert, da er nicht alles Geld, das in dem hölzernen Heiligen steckte, abgeliefert und zudem über diesen gelästert habe. Ein katholischer Bischof untersucht die Sache, wobei sich herausstellt, dass in der Statue gar kein Platz für mehr Geld war, weshalb der Bischof, 7.3 Heiligenstatue und Nonnenkloster 209 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 in der Überzeugung, man müsse „die Treue und Redlichkeit […] auch in den Feinden [d. h. den Ketzern] belohnen“, Lademann einen Teil des gefundenen Geldes zuspricht ( WF II : 364). Dieser arbeitet später zusammen mit einem anderen Gesellen am Bau einer Orgel in einem Nonnenkloster; dort verlieben sich die beiden Handwerker in zwei Nonnen, die sie gemeinsam aus dem Kloster befreien, indem sie die Mädchen als Offiziere und sich selber als Lakaien verkleiden, 40 eine Disposition, die den Standesunterschied zwischen ihnen und den sozial höher gestellten Nonnen widerspiegelt. Die Geschichte spielt auf die zahlreichen, durch Jahrhunderte beliebten Klostersatiren an, in denen junge Mädchen gegen ihren Willen ins Kloster gesperrt werden und sich, um der erzwungenen sexuellen Askese zu entkommen, daraus entführen lassen 41 - in Schnabels Text angedeutet durch eine krude Bemerkung von Lademanns Freund: […] die Liebe zur Freyheit, und anderthalb Centnern Manns-Fleische, kan ein Frauenzimmer leicht dahin bringen, die Eitelkeiten eines etwas höhern Standes hindan zu setzen, und einen ansehnlichen rechtschaffenen Kerl, der seine Profession aus dem Grunde verstehet, zu heyrathen. ( WF II : 372) Während der befreundete Geselle die Geliebte heiratet, wird Lademann von seiner Braut wegen eines angehenden protestantischen Pfarrers verlassen, wobei eben doch der Standesunterschied eine Rolle spielte, wie Lademann vermutet ( WF II : 384-385). Beide Episoden hat Oehlenschläger übernommen, jedoch so umgestaltet, dass Litzberg und Lademann, die Eberhard ja zusammen kennengelernt hatte, auch hier gemeinsam auftreten. Ihre Verbindung, betont durch die Alliteration ihrer Namen, zeigt sich ausserdem darin, dass Litzbergs Erzählung formal eine Art Rahmen um Lademanns Geschichte bildet; da aber jeder im Bericht des anderen auftritt, ist die Erzählstruktur komplexer und enger geflochten als die einer blossen Rahmung. In Oehlenschlägers Roman wird Lademanns Erzählung mit Elementen der Empfindsamkeit ausgestattet: Die Härte von dessen Kindheit in den WF ist nun verschärft durch die Trunksucht des Vaters, eines armen Dorfmusikanten, der seinen Sohn im Rausch immer wieder verprügelt. Dieser findet Trost in der Lektüre des Neuen Testaments und im Glauben an den Schutz von „geflügelten Engelein“ ( IS IV : 177); dank seiner tiefen Religiosität verzeiht er seinem Vater sogar, als der ihn fast zu Tode prügelt. Nachdem der Vater in Scham und Reue über seine Untaten gestorben ist, wird Lademann auch in den IS Tischler. Im Traum erscheint ihm einmal der heilige Bonifatius, dessen Vita Lademann gelesen hatte, und verspricht ihm eine christliche Erziehung sowie gründlichen Musikunterricht. Beides scheint sich zu bewahrheiten, als Lademann auch in Oehlenschlägers Text auf eine hölzerne Bonifatius-Statue trifft, die so wurmstichig ist, dass sie ihm in den Händen auseinanderbricht und ihren inneren Schatz über ihn ausschüttet. Die Szene wird mit vielen Details ausgeschmückt: So betrachtet Lademann an der restaurationsbedürftigen Wand verschiedene Bilder, die den Untergang Trojas darstellen; 40 Eine der unzähligen Verkleidungsszenen in Schnabels Roman; dass sich beide Geschlechter verkleiden, gehört dabei zu den selteneren Fällen, denn im Allgemeinen überwiegt die Verkleidung von Frauen als Männer, nur schon, weil der im 18. Jahrhundert noch sehr beschränkte weibliche Aktionsspielraum erweitert werden musste, damit Frauen in gewissen abenteuerlichen Begebenheiten überhaupt auftreten konnten. Zu einem generellen Überblick über diese Verkleidungsstrategien bei Schnabel, u. a. auch in den Wunderlichen Fata, vgl. Leschke (2002-2003: 33-69). 41 Beispiele dafür bringt Frenzel unter dem Stichwort „Keuschheitsgelübde“ (Frenzel 2008: z. B. 414-418). 210 7 Schauplätze Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 sie scheinen mit der Geschichte Lademanns und seines Vaters in Beziehung zu stehen: Da liegt ein „verwundeter blasser König auf dem Sterbelager“, dort trägt „ein[-] Sohn seinen alten Vater auf dem Rücken“ aus dem brennenden Troja ( IS IV : 182). Auch widmet er den Werkzeugen einen längeren Bericht, indem er sie als lebende Personen, als seine Freunde beschreibt und ihnen „zum Spass“ vornehme Namen gibt, z. B. der Säge, die er „Herr von Scharfeneck“ nennt, oder der Feile, die „Frau von Raspelmaul“ heisst ( IS IV : 182-183). 42 Durch die adelige Namensgebung werden die Werkzeuge nicht nur vermenschlicht, sondern auch aus dem bescheidenen Handwerkerstand in einen noblen Rang erhoben, was parodistische Effekte erzeugt. Die Namen scheinen eine Steigerung der Vermenschlichung zu bewirken, indem sie den Dingcharakter verhüllen, aber da es „sprechende“ Namen sind, verweisen sie gerade auf das Wesen der Werkzeuge als Dinge, die jedoch - im Unterschied zu Hoffmanns oder Andersens belebten Gegenständen - keine eigene Geschichte 43 haben und ausserdem, wie die Namensgebung zeigt, von einem Menschen als Schöpfer abhängig sind. Als Lademann das Gold aus der Heiligenstatue dem reichen und frommen Eigentümer abliefert, wird er, wie bei Schnabel, ins Gefängnis geworfen, erhält aber Hilfe von Litzberg, der (anstelle des Bischofs in den WF ) die Statue untersucht und dafür sorgt, dass Lademann befreit wird und einen Teil des Geldes erhält, womit er sich eine gute Schule sowie Unterricht im Orgelspiel leisten kann - das Versprechen der Traumerscheinung des Bonifatius hat sich also erfüllt. Ausserdem erhält Lademann durch Litzbergs Vermittlung zwei Jahre lang Musikunterricht bei Johann Sebastian Bach in Köthen. Litzberg nimmt Lademann daraufhin auf Reisen mit: Unterwegs könnten sie Orgeln reparieren und so Geld verdienen; auf diese Weise erwerben sie sich einen Ruf als geschickte Mechaniker und werden schliesslich von Kapitän Wolfgang zur Reise auf die Insel Felsenburg nach Amsterdam eingeladen. Damit schliesst Lademann. Litzberg ergänzt das von seinem Freund unterschlagene Erlebnis im Nonnenkloster, welches Lademann bei Schnabel noch selbst berichtet hatte. Die beiden Gefährten werden auf ihrer Reise für eine Orgelreparatur in ein Kloster bestellt. Auf dem Friedhof begegnen sie zwei jungen Männern, die um ihre beiden verstorbenen Geliebten trauern, welche als Nonnen im Kloster gelebt hatten. Die beiden Männer bitten Litzberg und Lademann, da sie dank ihrer Arbeit Zutritt zum Kloster hätten, ihnen als Andenken an ihre einstigen Geliebten Haarlocken zu verschaffen, die im Besitz der beiden noch im Kloster lebenden Schwestern der Verstorbenen seien. Dieser durchsichtigen Konstruktion misstraut nicht einmal der sonst so scharfsinnige Litzberg. Er und Lademann verlieben sich beim Überbringen der Bitte in die beiden jungen Nonnen, die als Musikerinnen das Resultat der Orgelrestauration überprüfen müssen. Da sie sich wiedergeliebt glauben, arrangieren Litzberg und Lademann die Befreiung dieser Nonnen mit Hilfe der beiden jungen Männer, die für die nötigen Verkleidungen, Wagen und Postpferde sorgen und so leichtes Spiel haben, zusammen mit den beiden Nonnen nach deren Befreiung zu fliehen. Jetzt erst durchschauen Litzberg und Lademann den Betrug; aber während Litzberg rasch getröstet 42 Diese Vermenschlichung der Werkzeuge scheint ein Verfahren vorwegzunehmen, das besonders aus H. C. Andersens Märchen bekannt ist, jedoch schon im späten 18. Jahrhundert und in der Romantik Anwendung fand, z. B. bei Barthélemy Imbert oder E. T. A. Hoffmann, wie Klaus Müller-Wille mit Verweis auf Paul Rubows Studie zu Andersens Märchendichtung von 1967 erklärt (Müller-Wille 2014: 49). 43 Eine Besonderheit von Andersens „Dingmärchen“ ist gerade die Existenz der Dinge als Hauptpersonen und handelnde Figuren (vgl. Müller-Wille 2014: 49). 7.3 Heiligenstatue und Nonnenkloster 211 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 ist, trauert Lademann auch auf der Insel Felsenburg noch immer um seine Geliebte; dies nicht ohne Grund: Wie er Eberhard anvertraut, hatte er damals von ihr einen Abschiedsbrief erhalten, in dem sie ihm, Lademann, ihre Liebe gestand, und ihn gleichzeitig wissen liess, dass sie durch ein früheres Versprechen an den - ungeliebten - Liebhaber gebunden sei. Da sie Cäcilia heisst (als einzige der vier jungen Leute ist sie mit einem Namen ausgestattet), verschmilzt sie für Lademann mit dem Gemälde der gleichnamigen Heiligen, die als Patronin der Musik von Raffael oder Guido Reni - Lademann weiss es nicht genau 44 - an der Orgel sitzend, mit Rosen im Haar dargestellt wurde. Für ihn blühe aber in diesem Leben keine Rose mehr, sagt Lademann ( IS IV : 216). Die Verbindung der beiden Cäcilien besteht auch in der Askese, die sie leisten: Beide wurden gegen ihren Willen verheiratet; während die Heilige der Legende zufolge mit ihrem Ehemann sexuell enthaltsam lebt, verzichtet die weltliche Cäcilia durch ihre Heirat auf die Erfüllung ihrer Liebe. Lademanns Trauer und seine bedrückende Kindheitsgeschichte verleihen den schwankhaften Erzählungen Züge der Empfindsamkeit. Doch die Komik überwiegt; sie prägt die Erlebnisse der redlichen Lutheraner in einem katholischen Kontext, in dem nichts so ist, wie es scheint: Der Besitzer der Bonifatius-Statue gibt Frömmigkeit vor, erweist sich aber als verlogener Geizhals; die jungen Klosterfrauen werden von einer alten Nonne überwacht, die im Verborgenen ein weltliches Buch liest und darüber heimlich kichert; das Kloster ist kein Ort frommer Spiritualität, sondern erscheint in einer stark satirischen Schilderung als Karikatur einer religiösen Institution und als Gefängnis, in dem die beiden jungen Frauen gegen ihren Willen eingesperrt sind; diese spielen Litzberg und Lademann Verliebtheit vor und entfliehen als Männer verkleidet mit ihren Liebhabern. Die Kritik am Katholizismus hat sich gegenüber der Schnabelschen Fassung verschärft, indem eine positive Gestalt wie der gerechte katholische Bischof eliminiert wurde: dessen Aufgabe übernimmt in den IS der Lutheraner Litzberg. Der protestantische Geistliche, der bei Schnabel Lademanns Geliebte entführt und durch diese Handlung auch negative Aspekte der protestantischen Seite offenbart, kommt ebenfalls nicht mehr vor. Die ausgleichende Toleranz, die in den WF - zumindest an dieser Stelle - zutage tritt, findet in den IS kein Gegenstück, vielmehr macht der Text durch gewisse Streichungen und Verschiebungen eine prononcierte Aufwertung des Protestantismus sichtbar. Nicht zufällig betont im übrigen Litzberg am Anfang seiner eigenen Geschichte, dass er sich geweigert habe, dem evangelisch-lutherischen Glauben abzuschwören, als ein Wiener Verwandter, der ihn nach dem Tod seiner Eltern bei sich aufnahm, dies als Gegenleistung von ihm verlangte. Litzbergs Festhalten am Luthertum erhält umso mehr Gewicht, als er die zweite Forderung, seinen Adelsbrief zu verbrennen, ohne Zögern erfüllte ( IS IV : 166). Diese Akzentuierung der protestantischen Position in den IS erfährt eine komische Wendung durch die Strategie einer mehrfachen Verdoppelung, indem zwei Liebhaber auftreten, die angeblich in zwei verstorbene Schwestern von zwei jungen Nonnen verliebt sind, wobei hier der Spott selbstironisch auf den Erzähler Litzberg zielt, der sich in seiner lutherischen Treuherzigkeit von der katholischen Camouflage zum Narren halten liess. 44 Es verschmelzen also nicht nur Person und Gemälde in Lademanns Erinnerung, sondern auch die Bilder selber überlagern einander, was vor dem realen Hintergrund der grossen Zahl von Cäciliendarstellungen nicht überrascht, umso mehr, als Guido Reni, neben der Schaffung eigener Gemälde dieser Heiligen, auch ein Cäcilienbild von Raffael kopiert hat. 212 7 Schauplätze Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Exkurs: Eine „Novelle“ als Singspiel Möglicherweise war es gerade dieses Phänomen der gesteigerten Verdoppelung, das Oehlenschläger dazu veranlasste, die Episode um die Flucht aus dem Nonnenkloster für eine weitere Produktion zu verwenden: Kurze Zeit nach dem Erscheinen der dänischen Ausgabe seines Romans publizierte er ein Singspiel unter dem Titel Flugten af Klosteret [Die Flucht aus dem Kloster] (uraufgeführt 1826, im Druck erschienen 1827). Litzbergs Erzählung der Begebenheit, die sich schon verglichen mit Schnabels Text zu einer gewissen Breite dehnt, wird nun zu einem abendfüllenden Bühnenstück in vier Akten ausgebaut. Denkt man zurück an das in der Einleitung angekündigte Vorhaben, einige von Schnabel flüchtig hingeworfene Kreideskizzen mit Ölfarbe auszumalen ( IS I: IX ), so könnte man hier von einem zweistufigen Verfahren sprechen, wobei jeweils der Prätext als Skizze erscheint, die es im nächsten Werk zum Ölgemälde auszumalen gilt. Das Besondere dieses Stückes ist, dass es nicht, wie andere Singspiele Oehlenschlägers, als Text und Libretto im Hinblick auf eine musikalische Umsetzung konzipiert war, sondern zu bestehender Musik geschrieben wurde, und zwar - wofür sich wohl das Spiel mit den mehrfachen Verdoppelungen anbot - zu Mozarts Così fan tutte. Bekanntlich hatte Da Pontes Libretto dieser Oper vor allem im 19. Jahrhundert keinen ungeteilten Beifall gefunden; es wurde vielfach als frivol oder allzu unwahrscheinlich kritisiert und deshalb immer wieder verändert, umgedichtet oder durch ein ganz anderes Stück ersetzt; noch bis ins 20. Jahrhundert gab es Versuche, Mozarts bewunderter Musik einen „würdigeren“ Text zu unterlegen. 45 Oehlenschläger reihte sich also mit seiner Neuschreibung des Librettos von Da Ponte in eine bestehende Tradition ein. Sein Singspiel liegt inhaltlich nahe bei der in den IS erzählten Begebenheit, allerdings mit „ausmalenden“ Zusätzen und Erweiterungen, auch was die auftretenden Personen betrifft. Die Konstellation der beiden Liebhaber und ihren Geliebten aus dem Nonnenkloster sowie Litzberg und Lademann als vermeintlich Erwählte der beiden Nonnen ist jedoch dieselbe geblieben; im Verlauf des Stückes findet allerdings eine Änderung in der Zusammenstellung der Paare statt, da Cäcilia es im Unterschied zur Erzählung in den IS wagt, ihren früheren Liebhaber zugunsten von Lademann zu verlassen. Diese Auswechslung ist aus zwei Gründen bemerkenswert: zunächst aufgrund des Standesunterschiedes, denn der Husarenoffizier Wiedenhof aus altem Adelsgeschlecht muss dem armen Handwerker und Künstler Lademann weichen. Als Zweites zeigt die Figur der Cäcilia eine Entwicklung und unterscheidet sich dadurch von ihrem Pendant in Oehlenschlägers Roman, aber auch von den Frauenfiguren in Mozarts Così fan tutte. Ursprünglich scheu und fügsam, findet sie allmählich die Kraft zum Widerstand und lässt sich nicht länger manipulieren, weder von Wiedenhof noch von ihrer Freundin Rosaura. Selbständig beschliesst sie, ihr Gefühl über das Kalkül der anderen zu stellen, obwohl die Verbindung mit Wiedenhof für sie standesmässige Vorteile bedeutet hätte. Diese Entwicklung hin zu 45 Solche neuen Libretti reichen von der frühen Umgestaltung zu einer Zauberoper durch Georg Friedrich Treitschke: Zauberprobe oder so sind sie alle (1814), über Shakespeares Love’s Labour’s Lost , umgearbeitet von Paul-Jules Barbier und Michel Carré zu Les peines d’amour perdues (1863), bis hin zu Calderóns La Dama duende , übersetzt und bearbeitet von Carl Scheidemantel zu Die Dame Kobold von 1909 (vgl. dazu Noske 1977: 93). Exkurs: Eine „Novelle“ als Singspiel 213 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 mehr Eigenständigkeit und zu einem moderneren Frauencharakter wird von den anderen Figuren im Singspiel durchaus beachtet; so kommentiert die Freundin Rosaura: „Din Elsker maa beundre Dig, Cæcilia! / Thi Kærlighed til ham betvang Din Frygt, / Forvandlet Duen til en dristig Ørn, […]“ ( Flugten: 132). 46 Auch Cäcilias vielschichtige Figur dokumentiert also, was schon für die IS gezeigt wurde (Kap. 5.6), dass längst nicht alle Frauengestalten in Oehlenschlägers Dichtung - wie in der Forschung mehrheitlich behauptet - ausschliesslich durch erotisch-triebhafte Züge charakterisiert sind. 47 Eine weitere Tendenz zur Modernisierung zeigt sich an den veralteten Lebensanschauungen der Figur Wiedenhofs: Er verachtet den Musiker Lademann, denn, wie er sagt, „i gamle dage vare Lakeier og Domestiker de Virtuoser, som forlystede Herskabet“ ( Flugten: 18), [„in alten Tagen waren es Lakaien und Domestiken, die die Herrschaft amüsirten“, Flucht: 19] worauf sein Freund Bergdorf erwidert: Den Skik har man altfor længe fortsat, at foragte dem, man har Nytte og lærer noget af. Vi leve ikke længer i Middelalderen, Wiedenhof! Dine Forfædres Borg er en Ruin, hvor Vinden piber gennem Hullerne […]. ( Flugten: 18) Die Sitte, den zu verachten, von dem wir Nutzen ziehen und unterrichtet werden, hat gar zu lange gedauert. Wir leben nicht mehr im Mittelalter, Wiedenhof! Deiner Ahnen Burg ist in Trümmer zerfallen, und der Wind pfeift schon lange durch die leeren Löcher […]. ( Flucht: 19) Im dritten Akt ist es Litzberg, der den Offizier ärgert, indem er die neuen Dampfmaschinen preist, die dieser hasst, umso mehr, als die Maschinen, wie Litzberg erwähnt, Pferde schon bald überflüssig machen würden, eine Bemerkung, die den Ritter Wiedenhof fast zur Weissglut treibt ( Flugten : 89-90). 48 In seinem mangelnden Sinn für Musik und Literatur liegt auch einer der Gründe, warum seine Beziehung zu Cäcilia scheitert. Er muss den Freund Bergdorf um Dichtung bitten, die Cäcilia gefallen könnte, denn: Hun er saa poetisk. Jeg maa læse nogen Poesi. Kan du ikke laane mig noget i en Hast? Blumauers travesterte Aeneis lider hun ikke, og det er det eneste episke Digt, jeg kiender. De Vers, jeg har reciteret hende af Musenalmanakerne, have heller ikke behaget hende synderligt. ( Flugten: 19) Sie ist zu poetisch. Ich werde etwas Poetisches lesen müssen. Blumauers travestirte Aeneis mag sie nicht leiden, und andere epische Gedichte kenne ich noch nicht. Die Lieder, die ich ihr mitunter aus den Taschenbüchern vorgelesen, scheinen ihr auch nicht recht zu schmecken. ( Flucht: 20) 46 Zitat aus: Flugten af Klosteret. Et Syngespil. Digtet til Mozarts Musik i „Così fan tutte“ ( Skuespil. København, 1827: V-XIV und 2-136; zitiert als Flugten ). Die Stelle lautet in der deutschen Fassung: „Dein Freund, Cäcilie, muss Dich bewundern, / Denn Deine Lieb’ hat Deine Furcht bezwungen, / Zum dreisten Adler eine sanfte Taube / Verwandelt […]“ ( Die Flucht aus dem Kloster . Ein Singspiel. Meistens zu Mozarts Oper „Così fan tutte“ gedichtet. In: Schriften 1830, 13: 5-130, im Folgenden zitiert als Flucht ; hier: 125). Der Zusatz sanft zu Taube (dänisch nur: „Due“) ist eines der vielen Beispiele, in denen der deutsche Text verdeutlichend, oft verschärfend formuliert. 47 Immerhin erwähnt auch Vilhelm Andersen Cäcilias Persönlichkeitsentwicklung, allerdings ohne auf die emanzipatorische Komponente einzugehen (Andersen 1899, 2: 180). 48 Im chronologischen Kontext spielt das Stück ungefähr hundert Jahre nach den IS und den WF , was sich auch daran ablesen lässt, dass eine der neu eingeführten Figuren, Cäcilias Vater, in den Napoleonischen Kriegen gekämpft hat. Es ist also zeitlich praktisch in Oehlenschlägers Gegenwart versetzt. 214 7 Schauplätze Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Diese Worte skizzieren zwei unterschiedliche Wesensarten (wie Berndorf sagt: „I Grunden ere I to høist forskiellige Mennesker“, Flugten: 19 [Im Grunde seid Ihr zwei höchst verschiedene Wesen] Flucht : 20), und ordnen sie, wie die Wertung der erwähnten Texte seitens der Figuren anzudeuten scheint, den dichterischen Strömungen von Aufklärung und Romantik zu. 49 Wiedenhof gehört also - im Kontext des Singspiels - auch in dieser Hinsicht zu einer älteren, um nicht zu sagen, veralteten Richtung; ausserdem wird klar, dass er nicht nur der Musik, sondern auch der Dichtkunst fern steht. Als unzeitgemässe, der Kunst abgeneigte Figur verschwindet er aus dem Singspiel; im vierten und letzten Akt erscheint er nicht mehr. Mit ihm wird der Philister des Stückes eliminiert; in seinem Standesdünkel hatte er geglaubt, Konflikte mit Gewalt lösen und Liebe durch Erpressung und Drohung erzwingen zu können. Sein Verschwinden signalisiert den Triumph der Kunst und des Gefühls über den Machtanspruch einer erstarrten Adelsschicht. Dieser „hohen“ Ebene des Stückes stehen immer wieder komische und satirische Szenen gegenüber, von denen eine auf die Geschichte Lademanns als Tischler in den IS zurückgreift: Habakuk, der Lehrling von Litzberg und Lademann, erwähnt im Gespräch mit der Pförtnerin des Klosters, dass er bei der Arbeit nicht allein gewesen sei, sondern „i fornemt Compagnie: mine Venner General Skarpentand, Geheimeraad Hammer, Magister Glatjern, Grevinde Raspenmund og Mundkokken Herr Klæbekage vare altid nærværende“ ( Flugten: 63). [„in vornehmer Gesellschaft: meine Freunde, der Herr General von Scharfenzahn, der Geheimerath von Hammer, die Frau Gräfin von Raspelmaul, Herr Magister Glatteisen, und der Garkoch Meister Klebkuchen waren auch dabei“] ( Flucht: 61). Wie erwähnt, beschreibt Lademann seine Werkzeuge mit genau den gleichen Worten und Namen ( IS IV : 182-183). Der Pförtnerin erklärt Habakuk in allen Einzelheiten die Bewandtnis, die es mit diesen „Freunden“ auf sich hat, und schmückt die aus Lademanns Erzählung übernommene Idee mit vielen Details aus, so dass die Werkzeuge teilweise eine Art Eigenleben erhalten: 50 Ein komisches Element, welches das Singspiel nicht nur mit der ersten der beiden Episoden in Lademanns Leben verbindet, sondern in die realistische Handwerkerwelt auch eine Andeutung spukhafter Phänomene einfliessen lässt, die gleich darauf zu einer schaurigen Gespenstergeschichte ausgebaut werden, mit welcher die Pförtnerin in Angst versetzt und dadurch zur Herausgabe des Klosterschlüssels verleitet wird - eine indirekte Verspottung des bei den Lutheranern als „typisch katholisch“ verpönten Aberglaubens. Der Konflikt zwischen den Konfessionen, der noch im entsprechenden Prätext in Oehlenschlägers Roman immer wieder, oft auch implizit, thematisiert wurde, ist aus dem Singspiel weitgehend verdrängt, und wo er noch erscheint, spielt er auf der „niederen“ Ebene des Komischen, der auch die Äbtissin angehört: Ihre Figur ist zur reinen Karikatur geraten, deren Hauptsorge es ist, Männer in jeglicher Form vom Kloster fernzuhalten. Selbst die Kanarienvögel der Nonnen sollen aus dem Kloster gejagt werden, 49 Blumauers einst sehr populäre und überaus respektlose Aeneis -Travestie von 1784-1788 wird der Aufklärung zugerechnet; zur selben Zeit wirkte Blumauer auch am „Wiener Musen-Almanach“ mit. Die implizit negative Beurteilung der Aeneis -Travestie hängt möglicherweise mit Schillers Ablehnung zusammen, z. B. in Über naive und sentimentalische Dichtung (1993, 5: 739). Schiller wird an anderer Stelle im Singspiel als moralische Autorität zitiert, allerdings nur in der deutschen Version ( Flucht : 27). 50 Diese Eigenständigkeit scheint sie nun doch in die Nähe von Gegenständen zu rücken, wie sie in Andersens „Dingmärchen“ auftreten (vgl. Kap. 7.3). Exkurs: Eine „Novelle“ als Singspiel 215 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 weil es Männchen seien; ausserdem verträgt sie den Vogelgesang nicht, da sie Musik als Tortur empfindet: Mig er den [musikken] nu engang af Naturen utaalelig, og jeg anseer det for et Kors mere i Verden, at maatte høre den hver Dag. Jeg betragter det som en Revselse, som en Hudflettelse i Øret, hvorved jeg tildeels afbøder mine Synder. ( Flugten: 35) Mir ist sie [die Musik] nun einmal im Herzen zuwider, und ich rechne es als ein Kreuz dasmehr, ich tragen muss, Musik hier alle Tage hören zu müssen. Ich betrachte es als eine Strafe, eine Geisselung des Ohres, die ich meiner Sünden wegen ertragen muss. ( Flucht: 35) Nicht nur von Natur aus („af Naturen“), sondern im Herzen, also im Innersten, ist ihr die Musik unerträglich; auch an dieser Stelle verstärkt der deutsche Text die Aussage. Die Erklärung weist selbstreferentiell auf das Singspiel als Musikstück und wirkt darum in ihrer Drastik besonders karikierend. Die Äbtissin zieht zwischen den beiden Männern Litzberg und Lademann, die sie nur äusserst widerstrebend zur Orgelreparatur einlässt, und ihrer Klosterwelt eine scharfe Grenze: „I ere Borgerlige; mine Nonner / (et Par Majorog et Par Oberst-Døttre / undtagne) ere Adelige. I / er Kiættere; vi fromme Catholiker“ ( Flugten: 39). [„Ihr seid nur Bürger! Meine Nonnen Fräulein / Zwei Obersttöchter ausgenommen, alle / von altem Adel; Ihr seid arge Ketzer / Wir sind Rechtgläubige“] ( Flucht: 39; auch hier fallen die im Deutschen zugespitzten Formulierungen auf: nur Bürger, von altem Adel, arge Ketzer). Katholizismus und Adel stehen also auf einer Stufe, was im Kontext des Stückes eine Kritik am katholischen Glauben impliziert. Der Adelsstolz der Äbtissin wird denn auch gehörig bestraft, denn es sind bürgerliche Ketzer, die - ironischerweise dank der Musik - zwei ihrer Nonnen aus dem Kloster befreien, und, mehr noch, dafür sorgen, dass zwei katholische Ordensschwestern in protestantische Ehefrauen transformiert werden. In der Klosterszene gewinnt die Rolle der Musik für das ganze Singspiel ein besonders scharf konturiertes Profil, indem sie bewirkt, dass die Äbtissin als Musikhasserin die Prüfung der Orgel den beiden jungen Nonnen überlässt; ausserdem führt die Musik die beiden Frauen mit Litzberg und Lademann zusammen und setzt so die Handlung des Stückes in Gang. In der Folge werden weitere Personen an ihrem Verhältnis zur Musik gemessen: Wiedenhof, der den Musiker Lademann geringschätzt, verliert seine Braut und wird aus dem Stück ausgeschlossen. Cäcilias Vater hingegen liebt die Musik und akzeptiert deshalb Lademann trotz dessen Armut als Schwiegersohn. 51 Das Singspiel ist also nicht nur in Musik gekleidete Bühnenkunst, sondern macht die Musik selbst in autoreferentieller Form zum Fundament und zur Triebkraft des Stückes. Immer wieder eingestreute Verweise auf andere literarische Werke 52 zeigen aber auch das Bestreben, neben der Musik die Dichtung als Wortschöpfung zur Geltung zu bringen und mit dem grossen Gewebe der Literatur intertextuell zu verknüpfen. Darüber hinaus 51 Ein in der Literatur des 19. Jahrhunderts äusserst seltenes Phänomen, da die Väter fast immer auf die Gewährleistung der Versorgung ihrer Töchter und damit auf die gesicherte finanzielle Position eines potentiellen Schwiegersohnes pochen. 52 Sie haben jeweils die Funktion, bestimmte Aussagen durch Vergleiche mit literarischen Gestalten zu verdeutlichen, oft durch Übertreibung zu ironisieren; dabei umspannen sie den weiten Zeitraum von der Antike (Venus, Mars und Vulkan, Flugten : 70; Ödipus, Krösus und Antigone, Flugten: 123; Bellerophon und Pegasus, Flugten : 135-136) und der Welt der Märchen und Balladen (Elfen, Elfenköniginnen und Venusberg, Flugten : 121) bis zur Gegenwart oder nahen Vergangenheit (Blumauers Aeneis -Tra- 216 7 Schauplätze Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 findet sich so etwas wie ein versteckter Hinweis auf das eigene Werk, denn Berndorfs Worte über die Treue, das Hauptthema in Singspiel und Oper, lassen sich als Andeutung einer literarischen Selbstreflexion lesen: „I den store Verden er Troskaben vanskelig at træffe; skal den findes, maa det være, som et sieldent Exemplar af en ældgammel Autor, i et afsides Kloster“ ( Flugten : 21). [„In der grossen Welt ist wahre Treue nicht leicht anzutreffen; soll sie gefunden werden, muss es, wie ein seltenes Exemplar eines alten Autors, in einem entlegenen Kloster sein“] ( Flucht : 22; Dänisch Troskaben wird zu „wahre Treue“ verstärkt - wie schon mehrmals gezeigt, sind die Aussagen im deutschen Text oft nachdrücklicher formuliert). Damit scheint sich die Dichtkunst auf die Stufe der Musik zu heben. Umgekehrt ist es aber gerade die Musik, welche die grössten Schwächen des Stückes offenbart: Oehlenschläger musste den Zusammenhang von Mozarts Oper vollständig auflösen und die einzelnen Musikstücke ganz neu anordnen, um sie für seinen Text einsetzen zu können. Dieses Verfahren beschreibt er selber in seinem Vorwort zum Stück, in dem er auch feststellt, es gebe im bestehenden Libretto zu Mozarts Oper nicht ein einziges wahres Gefühl, während doch die musikalische Komposition sowohl die zarte Klage der Trauer und der Wehmut, als auch die munter scherzende Grazie ausdrücke. Diese beiden musikalischen Hauptzüge mit der Dichtkunst zu verbinden, sei sein Bestreben bei der Schaffung des Singspiels gewesen. Oehlenschläger glaubte also, wie so manch anderer Bearbeiter des Librettos von Così fan tutte, eine der Musik ebenbürtige Dichtung hervorbringen zu können ( Flugten : X- XI ). Dass ihm dies - zumindest nach Ansicht seines Theaterpublikums - nicht gelungen ist, zeigt allein schon die Zahl der Aufführungen: das Singspiel wurde insgesamt nur gerade viermal aufgeführt (Liebenberg 1868, 2: 325). Henrik Lundgren weist in seinem detailreichen Artikel zu Flugten af Klosteret mit genauen Analysen nach, wie wenig Oehlenschlägers Gesangstexte in ihrer Aussage zum musikalischen Charakter der einzelnen Musiknummern passen (Lundgren 1971: 26-29). Abgesehen davon gab es offenbar aufführungstechnische Probleme, da das Stück wegen Oehlenschlägers langen Sprechpartien von den Darstellern neben höchster Gesangskunst auch hervorragende schauspielerische Fähigkeiten verlangte, womit die meisten Ensemble-Mitglieder des Königlichen Theaters überfordert gewesen seien (Lundgren 1971: 32-33). Lundgren kritisiert ausserdem das Bauprinzip des Stückes, die Mischung aus Groteske, Komik und Pathos, die zu Form- und Stillosigkeit geführt habe (Lundgren 1971: 22-23). Dieser Vorwurf ruft Baggesens und Heibergs Kritik an verschiedenen Werken Oehlenschlägers wegen mangelnder Gattungstreue in Erinnerung. Rein formal bietet ein Singspiel allgemein, und Flugten fra Klosteret im Besonderen, nur wenige Anhaltspunkte für eine stilistische Zuordnung, da es Blankverse mit Prosa und gereimten Versen in verschiedenen Metren zu einem polyphonen Gebilde mischt, wie ja auch der stete Wechsel zwischen Gesangspartien und Sprechszenen in einer theatralen Hybridform resultiert, die zwar im Grundton heiter ist, aber eben auch ernste Züge enthalten kann, oder, wie bei Flugten af Klosteret , zuweilen gar den Charakter eines Rührstückes annimmt. Gerade die letztere Eigenschaft weist allerdings darauf hin, dass Oehlenschlägers Neudichtung unmöglich zu Mozarts Musik passen konnte. Der Dichter gibt in seinen Erinnerungen übrigens selber das Misslingen zu: „Ein Stück, welches mir wirklich missglückte, war Die Flucht aus dem Klosvestie, Flugten: 19); wie oben erwähnt, wird auch Schiller genannt, allerdings nur in der deutschen Fassung ( Flucht : 27). Exkurs: Eine „Novelle“ als Singspiel 217 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 ter “ ( Meine Lebens-Erinnerungen 1850, 4: 43). Er liess denn auch die deutsche Version seines Stückes nicht in die zweite Werkausgabe von 1839 aufnehmen, weshalb auf Deutsch nur die Fassung von 1830 vorliegt. 53 Auch das dänische Original wurde von ihm kein zweites Mal herausgegeben; es erschien nur noch posthum 1854 als Nachdruck der Erstausgabe in Digterværker og Prosaiske Skrifter und 1860 als Band 15 in Liebenbergs Werkausgabe Poetiske Skrifter . Die Unterschiede zwischen den Ausgaben beschränken sich laut Liebenbergs Anmerkungen auf die Korrektur einiger Druckfehler. Die deutsche Ausgabe folgt, was Personen, Aufbau und Inhalt betrifft, genau der dänischen Vorlage. Auf der Ebene der konkreten Textgestaltung gibt es jedoch zahlreiche Detailunterschiede, zu einem grossen Teil bedingt durch die Anforderungen der musikalischen Form, die sich auf Metrum und Reime auswirkte. Aber auch in den gesprochenen Szenen bestehen signifikante Abweichungen von der dänischen Vorlage: Der deutsche Sprechtext ist häufig nachdrücklicher und kraftvoller formuliert, wie die Beispiele der übersetzten Zitate zeigen. Ausserdem finden sich in der deutschen Fassung viel mehr Regieanweisungen. Beide Veränderungen lassen vermuten, dass die Bühnenpräsenz expressiver und dynamischer gestaltet werden sollte, vielleicht ausgehend von der Erfahrung mit den unbefriedigenden Kopenhagener Aufführungen. 54 Dass aber das Stück - trotz origineller, auch witziger Details - in irgendeiner Form für ein heutiges Publikum zu retten wäre, wie es Hans Kuhn für Oehlenschlägers Singspiel Ludlams Hule vorschlägt (Kuhn 1976: 153), 55 ist kaum vorstellbar, aus dem einfachen Grund, weil heute Da Pontes Libretto zu Così fan tutte längst kanonisiert und aus Mozarts Komposition nicht mehr wegzudenken ist. Als reines Schauspiel wiederum wäre Oehlenschlägers Stück ebenfalls ungeeignet, da sich die vielen Gesangspartien nicht ohne weiteres in sprechdramatische Texte verwandeln lassen. So ist kaum anzunehmen, dass die mehrfachen Transmissionsvorgänge, von der Umformung der Schnabelschen Textvorlage zu zwei Erzählungen in den IS bis zur Überschreibung des Librettos von Da Ponte mit einem dänischen Singspiel samt der Herstellung einer deutschen Fassung, eine Fortsetzung finden würden, z. B. in der Form von Bühnenaufführungen oder Neuausgaben. 53 Jedenfalls verzeichnet die deutsche Nationalbibliographie keine andere Ausgabe. 54 Ein Nachweis, dass das Stück jemals auf einer deutschsprachigen Bühne gespielt wurde, war allerdings nicht zu finden. 55 Dem Autor schwebt eine Aufführung als „Period Piece“ vor; dabei stünde für ihn allerdings die Rettung von Weyses Musik im Vordergrund, weshalb er als ersten Schritt eine Tonaufnahme empfiehlt, die dann vielleicht Anreiz für eine Bühnenaufführung bieten könnte. 8.1 Albert als Schauspieler 219 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 8 Schauspiele im Text Ein wesentlicher Unterschied zu den WF ist die Rolle des Theaters, die in Schnabels Vorlage kaum zum Tragen kommt, in den IS jedoch das ganze Romangeflecht in einem Strang von karnevalesken Darbietungen und dramaturgischen Diskussionen als Elemente der Handlung durchzieht und so einen Kunstdiskurs von fast einem Jahrhundert spiegelt. Dabei werden die verschiedenen Formen des Theaters nicht in ihrer historischen Abfolge gezeigt; vielmehr wird in den ersten Kapiteln im Zusammenhang mit Eberhards Reise von Leipzig bis zur Insel Felsenburg Theatralisches aus dem frühen 18. Jahrhundert berichtet, unterbrochen durch Alberts Erzählung von Theatererlebnissen bis zum Schiffbruch vor der Insel Felsenburg aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, um im letzten Teil des Romans zu einem theatralischen Abenteuer Eberhards erneut auf den Kontinent im 18. Jahrhundert zurückzukehren, gefolgt von seiner Rückreise nach Klein-Felsenburg in eine überraschende Installation verschiedenster Kernelemente des ganzen Romans. Damit schreiben sich die IS ein in eine Tradition früherer Romane über Schauspieltruppen, 1 aber auch dramaturgischer Fragen in Dramenform. 2 Im Gegensatz zu theoretischen Abhandlungen über Dramaturgie, wie z. B. in der Poetik des Aristoteles, oder bei deutschen Autoren wie Opitz’ Buch von der deutschen Poeterey, Gottscheds Beyträge zur Critischen Historie der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit oder Lessings Hamburgische Dramaturgie hat die theatrale Thematik in Roman- oder Dramenform das Potential, ein allgemeines Leseresp. Theaterpublikum anzusprechen. 8.1 Albert als Schauspieler Nachdem sich Albert einer Gruppe „freier“ junger Männer angeschlossen hat, beraten diese mit ihrem Anführer Seifert, was sie nun auf ihrer Wanderschaft anfangen sollen ( IS II : 200-201). Seifert erklärt ihnen, dass sie nicht mehr zur Generation der „irrenden Ritter“ gehörten, auch will er keine Räuberbande gründen, 3 obschon dieses „romanhafte Herumstreifen im frischen grünen Walde, für ein junges Gemüth etwas sehr Reizendes hat“ ( IS II : 201-202). Er entfaltet vor seinen Zuhörern ein Geschichts- und Sagenbild vom Altertum bis zur Gegenwart, wobei er eine beachtliche Bildung offenbart; die meisten Akteure seiner 1 Ein frühes Beispiel stellt Scarrons burlesker Theaterroman Le roman comique dar (deutsch: Der Komödiantenroman ), Paris 1655 / 57. Die Gattung wurde in der deutschen Literatur vor allem durch Goethes Wilhelm Meisters theatralische Sendung (1777-1785) und Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795 / 96) berühmt; alle drei Texte handeln von Wandertruppen. 2 Schon in einer der ersten Komödien der europäischen Literatur, in den Fröschen des Aristophanes (405 v. Chr.), findet ein burlesker Wettstreit zwischen den beiden Tragikern Aischylos und Euripides in der Unterwelt statt, geleitet vom Theatergott Dionysos. Ein viel späteres Zeugnis für Dramaturgie im Drama ist Tiecks Literaturkomödie Der gestiefelte Kater (1797). 3 Obwohl diese Geschichte in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts spielt, ist Seiferts Erklärung vielleicht doch ein Hinweis auf Schillers Räuber , die bekanntlich erst 1782 in Mannheim uraufgeführt wurden und einen grossen Erfolg verbuchten. 220 8 Schauspiele im Text Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Darstellung verurteilt er als offene oder verkappte Philister; ausgenommen sind nur „die wahren Bursche […]. Der Odin mit seinem Gefolge nach Norden! Die Cimbren, Teutonen, Langobarden nach Süden. Das waren mir grossherzige Abenteurer […]“ ( IS II : 198). Da sie aber der Vergangenheit angehören, und er sich in der gegenwärtigen, philiströsen Welt dennoch ein ungebundenes, abenteuerliches Dasein wünscht, schlägt er seinen Freunden ein Leben als wandernde Schauspieltruppe vor, die „alte Fastnachtspiele, Schwänke, Tragödien, sogar moralische Lehrstücke aufführen“ und so Figuren aus allen Zeiten und Bereichen des Lebens verkörpern könnten ( IS II : 203). Von dieser Idee sind sofort alle begeistert, nur Albert hat gewisse Vorbehalte, so mag er beispielsweise nicht ins „Pfaffenland“ mitziehen, denn dies würde seinem „Vorfahren, dem grossen Luther nicht gefallen“ ( IS II : 205). Darauf verspottet ihn Seifert wegen dieses Stolzes und der häufig wiederholten Berufung auf seine Verwandtschaft mit Luther. Er verspricht seinen Schauspielern, seiner „Bande“, deren „Direktor“ er sein wolle, ein auch erotisch lockeres Leben, ja, eine Art Dasein wie im Schlaraffenland, und singt ihnen ein deutsches Lied über den ausgiebigen Alkoholgenuss vor, das er frei nach dem „alten Liede bibit ille, bibit illa “ dichtete ( IS II : 204-205). 4 Das Lied hat sowohl im lateinischen Original wie in Seiferts Nachdichtung stark karnevalesken Charakter, denn es handelt sich um ein Spottgedicht über die zügellose Sauferei im katholischen Klerus von den Nonnen bis zum Papst. Die Truppe gelangt im Thüringischen zur Burg des alten Ritters Curt von Knaufdegen, der sie einlädt, Schauspiele auf seiner Ritterburg aufzuführen ( IS II : 251-252). Dieser Ritter, so ein Informant, habe unter seiner Burg einen riesigen Weinkeller und verkleide sich oft als schlichter Bürger, um im Wirtshaus des Dorfes mit Fremden einen Spass zu haben ( IS II : 209). Zu den Mitgliedern von Seiferts Schauspieltruppe gehört auch ein Bauer, Barthel Schmolz, der „einen dicken Bauch, ein grosses Maul und ein sehr albernes Gesicht“ hat; auch ist er eine „komische Fratze, die […] in den Possenspielen zum grössten Nutzen“ sein kann ( IS II : 210). 5 Dieser Barthel ist die Hauptfigur in einem Scherz, den Seifert mit dem Ritter Curt von Knaufdegen treibt, um an die grosse Menge alten Rheinweines in dessen Burgkeller heranzukommen. 6 Das Repertoire von Dramen, das Seifert aufzählt ( IS II : 203), enthält auch Fasnachtsspiele und Schwänke, und das Setting, das er plant, braucht nicht immer „auf den Brettern“ zu sein, denn „die ganze Welt ist eine Schaubühne, und das Narrenschneiden wird überall aufgeführt“ ( IS II : 208). Überhaupt „arbeiteten“ sie nur, wenn das Geld den „Zugvögeln“ ausgehe, d. h. sie müssten dann „Komödie spielen, damit [ihre] Wanderung keine Tragödie“ werde ( IS II : 208). Nach der Einladung der Truppe auf die Ritterburg wird sehr schnell „im Saale eine Schaubühne“ errichtet ( IS II : 252). 7 4 Gemeint ist der bekannte Ausschnitt aus dem Lied „In taberna quando sumus“ des mittelalterlichen Zyklus der Carmina Burana . 5 Der dicke Bauch, das grosse Maul, das alberne Gesicht sind Charakteristika in Bachtins Definition des grotesken Leibes (Bachtin 1995: 358-361). Darauf und auf Barthels Rolle als „Lustige Person“ mit seiner „komische[n] Fratze“ wird später noch eingegangen. 6 Barthels Trinkfreudigkeit weist ähnliche Züge auf, wie sie der Kopenhagener Ankerschmied zeigt, von dem schon die Rede war (Kap. 7.1.3), und der am Ende seines Trinkduells mit dem russischen Knees ebenfalls „alten Rheinwein“ verlangt, und nicht etwa französische Weine wie Burgunder oder Bordeaux ( IS III: 187). 7 Die Konstituierung einer Truppe, deren Repertoire und karnevaleske Elemente, sowie der Bühnenbau sind in den IS für die Zeit des 17. Jahrhunderts sehr genau beschrieben; vgl. dazu Knudsen (1970: 8.1 Albert als Schauspieler 221 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Albert berichtet über sein Debut in der Rolle des Verlorenen Sohnes 8 in einem gleichlautenden Stück, dessen Verfasser nicht genannt wird ( IS II : 252). 9 Da er auch im Leben in dieser Situation gesteckt habe, sei ihm diese Rolle sehr gelegen, und er habe „ausserordentlichen Beifall erfahren“ ( IS II : 252-253). Die Wirkung auf das Publikum sei sehr stark gewesen: „Frauen und Mädchen hatten ein rechtes Mitleid mit meinen nackten Armen und Beinen und weinten herzlich, als der grausame Vater den verlaufenen Herrn Sohn nicht sogleich wieder zu Gnaden annehmen wollte“ ( IS II: 253-254). Auch habe er unter den Zuschauern ein schönes Mädchen entdeckt, „deren blaue schmachtende Augen immer auf mich gerichtet waren“ ( IS II : 255). Bei dem nachfolgenden gemeinsamen Essen von Spielern und Publikum entwickelte sich daraus eine Liebesgeschichte zwischen den beiden, die jedoch in ihrer Übertragungswirkung Bühne - Publikum in der nachfolgenden „alte[n] Tragödie Doktor Faust “ ( IS II : 261) zwischen Seifert in der Titelrolle und einer Bäckerin noch weit übertroffen wurde (vgl. Kap. 6 dieser Arbeit). Albert berichtet noch weiter von seinem Erfolg im Stück: Ich ward allgemein bewundert, die lustige Person aber, der Schweinehirt, der im Stück eigentlich als Zuckerwerk vorkam, um die Leute zu vermögen, die ernstmoralischen Reden des Vaters und des verlorenen Sohnes zu verschlucken, ward gar nicht beachtet. Nur einige alte Männer lachten über seine Spässe, unter diesen der Ritter selbst, der seine Vorliebe für Barthel, der den Schweinehirten spielte, nicht verläugnen konnte. ( IS II : 254) 155), der als erstes Beispiel eines solchen „Direktors“ Johannes Velten (1640-1692) nennt, den er als sehr gebildet bezeichnet und erwähnt, dass öfters „Studenten von der Universität weg und dann zur Bühne [gingen]“. Laut Knudsen sei „[D]iese frühe Berufsschauspielkunst noch sehr undifferenziert“ gewesen (Knudsen 1970: 154), und in den fürstlichen Palästen habe man bei aufkommendem Interesse an der Bühnenkunst nur so vorgehen können, „dass man an der Schmalseite eines Saales eine Spielfläche schuf “ (Knudsen 1970: 156). Gertrud Schubart-Fikentscher stellt fest, dass sich „ein Berufsschauspielertum im engeren Sinne […] im deutschen Sprachgebiet offenbar erst verhältnismässig spät entwickelt“ habe (Schubart-Fikentscher 1963: 11). Vorbild für diese Entwicklung waren gegen Ende des 16. Jahrhunderts englische Schauspieltruppen, die mit Stücken vor allem von Marlowe und Shakespeare aufs Festland kamen (Schubart-Fikentscher 1963: 11). 8 Dieser biblische Stoff erfreute sich grosser Beliebtheit, denn es sind gleich mehrere Vorbilder überliefert, so z. B. von Burkard Waldis: De parabell vam vorlorn Szohn, niederdt. 1527, oder auch als lateinisches Schuldrama von Gnaphäus unter dem Titel Acolastus, 1529 (vgl. Schröder 2012: 102-103). Neben der Geschichte vom „Verlorenen Sohn“ gehörte die Josephsgeschichte zu den Lieblingsthemen des Schuldramas (vgl. Metz 2013: 23). Dass auch Luther der Dramatisierung biblischer Stoffe positiv gegenüberstand, lässt sich u. a. aus seinen Vorreden zu den Büchern Judith und Tobiae schliessen (vgl. Kap. 4.1.2 dieser Arbeit), und wird von Metz’ Untersuchungen, die sich z. T. ebenfalls auf die genannten Vorreden stützen, bis auf Luthers Ablehnung von Passionsspielen weitgehend bestätigt (Metz 2013: 123-126 und 131-151). 9 Dass kein Verfasser angegeben wurde, war oft der Fall bei diesen Truppen, denn nicht selten basierten die Stücke auf eigenen dramaturgischen Zusammenstellungen, die, zugeschnitten auf das vorhandene Personal und die Erwartungen des Publikums, fast aus dem Stehgreif geschaffen wurden. Diese neuen Zusammensetzungen resp. Übersetzungen und sprachlichen Umarbeitungen grenzen an den heutigen postmodernen Trend, z. B. Klassiker zu „überschreiben“ und sie im Spielplan als Uraufführungen zu bezeichnen, was dann u. a. wie folgt angekündigt wird: Die Räuber , Schauspiel von XY (= Bearbeiter) „nach Schiller“, um nur eines von vielen Beispielen dieser Art zu nennen. 222 8 Schauspiele im Text Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Die sogenannte „lustige Person“, die in Seiferts Truppe vom Bauernjungen Barthel übernommen wird, 10 ist in dieser Epoche praktisch in jedem Stück präsent: Einer allerdings redet „natürlich“, so wie ihm der Schnabel gewachsen ist, der Pickelhäring als der freieste und frechste Beherrscher des Theaters. Er darf sich alles erlauben. Er darf in jede Szene hineinplatzen, sie unterbrechen und mit seinem Treiben beginnen, das man einfach zotig und knotig nennen darf. Es ist für uns schwer vorstellbar, ist aber bis in Einzelheiten zu belegen, was er sich auf der Bühne an gröbsten Unanständigkeiten […] leisten konnte. Dass er mindestens einmal am Abend die Hosen fallen liess, war selbstverständlich und wurde erwartet […]. (Knudsen 1970: 154) Dieser Darstellungstypus wird je nach Stück „Kourtisan, Hanswurst, Pickelhäring, Stockfisch, Jean Potage“ genannt (Schubart-Fikentscher 1963: 24), also hauptsächlich nach seiner Lieblingsspeise. „[…] wenn der Salzburger Hanswurst seine Notdurft verrichten will, dann erscheint ihm kein Ort dafür geeigneter als die offene Bühne“ (Alewyn 1989: 64). Damit wird eine Person konstruiert, die auf die Stufe der frühkindlichen Bedürfnisse, auf Nahrungsaufnahme und -entleerung reduziert ist, wodurch für diese Figur Merkmale von Körperöffnungen erfüllt sind, die nach Bachtin zur grotesken Gestalt des Leibes gehören: „Nach dem Bauch und den Geschlechtsorganen kommt, in der Reihenfolge der ‚grotesken‘ Körperteile, der Mund, in den die zu verschlingende Welt eingeführt wird, und danach der After“ (Bachtin 1969: 17). Ergänzend lässt sich festhalten, dass Goethe in seinem „Vorspiel auf dem Theater“ zu Faust I (Druck 1808) die Umstände einer solchen Aufführung, wie sie hier in den IS beschrieben wurde, im „Vorspiel auf dem Theater“ sehr genau wiedergibt: Direktor: Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen Und jedermann erwartet sich ein Fest. / […] Gebt ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken! Solch ein Ragout, es muss Euch glücken; / […] Lustige Person: In bunten Bildern wenig Klarheit, Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit, So wird der beste Trank gebraut, Der alle Welt erquickt und auferbaut. / […] Direktor: Ihr wisst auf unseren deutschen Bühnen Probiert ein jeder, was er mag […]. (Goethe 1948-1971, 5: 143-148) 10 Barthel wird später diese Rolle nicht nur auf der Bühne verkörpern, sondern sie wird ihm regelrecht „auf den Leib geschneidert“, denn als Seiferts Truppe weiterzieht, bleibt er beim Burgritter, der ihm einen Anzug „mit buntfleckigen Aufschlägen und Kragen […], ein Mittelding von Harlekinsrock und Livree“ anfertigen lässt ( IS II: 366). 8.2 Karnevaleske Darbietungen in Kopenhagen 223 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 8.2 Karnevaleske Darbietungen in Kopenhagen Bis zu Alberts Ankunft in Kopenhagen wurde nur das „Theaterleben“ in „deutschen Landen“ geschildert, doch bei einem Zwischenhalt in der dänischen Residenz ergreift der dänische Autor Oehlenschläger die Gelegenheit zur Darstellung von zwei karnevalesken Schauspielepisoden in seiner Hauptstadt. Die eine Episode hat mit der geplanten Teilnahme Van Leuvens als Hochzeiter an einem Maskenball zu tun, an den Albert ihn als seine holländische Braut begleiten soll. Die Vorbereitungen dazu werden im „Holländerdorf “ im Haus des Malers von Mandern getroffen. Als Albert nach seiner Verkleidung in ein junges Mädchen das Maleratelier betritt, sitzt dort ein stattlicher Mann Modell, in dem Albert König Christian IV. erkennt. Dieser verliebt sich sofort in das „Mädchen“, das aber eilig verschwindet ( IS III : 170-172). Eine solche „Umkehr des Geschlechts“ ist ein typisch karnevaleskes Merkmal, das auch in den WF häufig vorkommt, als eine der wenigen karnevalesken und damit theaterähnlichen Manifestationen in Schnabels Roman. Die Szene um Alberts Verkleidung und sein Rollenspiel als van Leuvens „junges Ehe-Weib“ ( WF I: 145) dauert bei Schnabel sogar deutlich länger (Albert muss die Rolle mehrere Wochen üben) und weist einen wesentlich stärker akzentuierten Bühnencharakter auf als in den IS . 11 In der zweiten Episode in Kopenhagen, in welcher der dänische König ebenfalls eine Rolle spielt, begegnen wir wieder dem Ankerschmied Mats Hansen, dessen äussere Erscheinung viele Charakteristika zeigt, wie sie für Bachtins Auffassung der „grotesken Gestalt des Leibes“ zentral sind: Sein Gesicht war […] kupferroth, und die Nase hatte etwas traubenähnliches, die kleinen Augen blitzten aber hell und kräftig unter den ungeheuren Augenbrauen hervor, die aussahen, als ob sie mit Stiefelwichse geschwärzt wären. Er war vierschrötig und von einer erstaunlichen Leibesstärke. ( IS III : 154-155) Beachtenswert in dieser Beschreibung sind die „traubenähnliche“ Nase, die „ungeheuren Augenbrauen“ und die „erstaunliche Leibesstärke“. Bachtin nennt als Merkmal im Kapitel „Die groteske Gestalt des Leibes“ die Nase als eines der verbreitetsten Motive in der Schilderung grotesker Gestalten, das sich in fast allen Sprachen finde (Bachtin 1995: 357-358). Speziell ist bei der Nase des Ankerschmieds, dass sie die Form des „Rohmaterials“ für den Wein repräsentiert, die der Figur etwas Bacchantisches gibt; andrerseits lässt die Wucht, mit der er später einen Anker schmiedet, eine Assoziation zum Gott Vulkanus oder Thor mit dem Hammer zu - als Vulkanus bezeichnen ihn denn auch die Leute, wie er selber erzählt; dies hat jedoch einen ganz andern Grund: Wie in der antiken Sage wird er mit Venus und Mars in Beziehung gesetzt, weil seine Frau ihn mit einem Offizier, dem im selben Haus lebenden gemeinsamen Freund, betrügt ( IS III : 156). Der Ankerschmied behauptet, 11 Gabriele Leschke liest die Episode in den Wunderlichen Fata als veritable Komödie in der Tradition des elisabethanischen und jakobinischen Theaters, samt Bühne und Publikum, mit van Leuven als Autor, Regisseur und Schauspieler sowie Albert als „Knabenschauspieler“ in einer Frauenrolle, wobei sie im Maskenspiel zwischen den beiden auch homoerotische Züge feststellt (Leschke 2002-2003: 60-63). 224 8 Schauspiele im Text Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 die Anspielung der Leute nicht zu verstehen, ihm genüge es zu wissen, dass „Bachus der Gott der Reben“ sei ( IS III : 156). 12 Die eigentlich karnevaleske Episode dieser grotesken Gestalt findet im Kapitel „Der Ankerschmied in seiner Glorie“ statt ( IS III : 174-188). Im Unterschied zu Seiferts „Schauspielern“ übt der Hauptdarsteller in diesem „höfischen Trinkwettbewerb zwischen zwei Nationen“ einen durchaus seriösen und geachteten Beruf aus, nicht wie jene „Komödianten, Gaukler, Spielleute, Kämpfer, Fechter und Seiltänzer“, die zu den „untersten besitzlosen Klassen“ gehören (Schubart-Fikentscher 1963: 23). Der Offizier - der „Mars“ aus der Dreieckskonstellation - bietet dem Ankerschmied an, ihm „eine Einladung zur Königs-Tafel“ zu verschaffen, wo er nicht nur trinken könne, so viel er Lust habe, „sondern noch weit mehr“ ( IS III : 174-175). Eine vornehme fürstliche Person, „ein Knees aus Russland“, sei angekommen, der sich einbilde, der erste Trinker der Welt zu sein. König Christian IV . habe es schon „mit allen seinen tafelfähigen Unterthanen versucht, ihn zu überwinden; sie haben aber alle den Kürzeren gezogen“ ( IS III : 175). Der König wolle es nun gerne noch mit einem Nichtadeligen versuchen, den ihm der Offizier empfohlen habe; man solle diesen nur zuerst baden, in reine Wäsche und in die Kleidung eines Ritters stecken, und dafür sorgen, „dass er sich übermorgen puncto 11 Uhr im grossen Lusthause des Rosenburgergartens“ einfinde ( IS III : 176). Ein hoher Hofbeamter, von dem sich später herausstellt, dass er der Reichshofmeister Corfitz Ulfeldt ist, verschafft Albert die Möglichkeit, den Trinkwettbewerb von aussen durch ein Fenster des Lusthauses zu beobachten ( IS III : 180-182). 13 Der König führt den vornehmen Russen in den Gartensaal, wo sich bereits Mats Hansen befindet; dieser „strotzte steif im goldgestickten Rocke“, und auf dem Kopf sitzt ihm „eine grosse gepuderte Perücke, mit weit hinunterhängenden Locken“ ( IS III : 183). Nun folgt die Beschreibung einer üppigen Tafel, dazu wird Tafelmusik gespielt, und „die grossen silbernen Pokale“ stehen bereit ( IS III : 184). Nach einer Weile des gemeinsamen Trinkens beginnt Mats Hansen zu ermatten; er schiebt das auf den „Wulst“ der Allongeperücke und die „goldgestickten Schnürbrüste“; so eingewickelt, könne man nicht „als freier Mann trinken“ ( IS III : 185). Durch einen Zuruf von Corfitz Ulfeldt erhält er die Erlaubnis, diese Einengungen von sich zu werfen, wobei eine grosse Staubwolke entsteht, aus der er „wieder ganz als Schmied […] mit kahlem Scheitel, in blossen Hemdsärmeln“ zum Vorschein kommt ( IS III : 12 Die Verbindung von Bacchus und dem Schmied geht auf eine antike Sage zurück: Vulkanus schmiedete für seine Mutter Juno, die ihn verstossen hatte, einen goldenen Sessel, in dem sie feststeckte; darauf wollten ihn die Götter auf den Olymp holen, damit er sie befreie. Auf seine Weigerung machte Bacchus ihn mit Wein gefügig (Schwab 1958: 688). 13 In der Begegnung mit Ulfeldt klingt nochmals die Antike an, die schon mit der Sage um den Gott Vulkanus ins Blickfeld gerückt war: Ulfeldt stösst im „Rosenburgergarten“ auf Albert, der sich dort in seiner freien Zeit mit dem Verständnis einer Horaz’schen Ode abmüht, und hilft ihm bei deren Übersetzung ( IS III: 179). Die Episode wirft auch ein Streiflicht auf Ulfeldts bevorstehendes Schicksal, denn die Aussage einer zufällig aufgeschlagenen Ode - „er blätterte ein wenig herum und zeigte gleichgültig auf eine Stelle mit dem Finger“ - könnte er als Warnung vor seinem drohenden Sturz lesen ( IS III: 180-182), doch beachtet er sie nicht. Er verweigert sich also der „mantischen Lektüre“, einem Verfahren der Orakelbefragung, das aus der Antike stammt und sich seit dem frühen Christentum in der Form des „Bibelstechens“ erhalten hat: Dabei wird eine willkürlich aufgeschlagene Bibelstelle als Orakel gelesen, da man die zufällig oder „blind“ getroffene Wahl als von Gott geleitet versteht (vgl. zu Praktiken dieser Art: Schulz, Ch. B. 2015: 62-83). 8.2 Karnevaleske Darbietungen in Kopenhagen 225 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 186). 14 Nun will er auf Tycho Brahe trinken, der auch, wie er selber, „eine kupferne Nase“ getragen habe, 15 „und sich so gut auf den Himmel verstand, ohne ein Narr auf Erden zu seyn“ ( IS III : 186). 16 Er verlangt noch eine kurze Pause, um „die neue Statue da hinter den Bäumen in der Nähe zu besehen“ - was trotz der verhüllenden Formulierung bedenkliche Mienen unter den Hofleuten hervorruft, den König aber laut auflachen lässt; danach befiehlt Mats Hansen, statt der Pokale einen mächtigen Eisbehälter mit altem Rheinwein zu füllen, von dem er die Hälfte hinunterstürzt. Bei der zweiten Hälfte, die dem Russen zugedacht ist, kann dieser nicht mehr mithalten: „[…] kaum hatte er aber angefangen, so verdrehte er die Augen, wie ein Stück Vieh, das mit dem Beile vor die Stirn geschlagen wird, und sank wie leblos unter den Tisch“ ( IS III : 186). Darauf wird Mats Hansen mit einer Weinrebe bekränzt und so, nach antiker Art als Sieger geehrt, „im Triumphe vom Volke nach Hause gefahren“ ( IS III : 188). Dieser Wettkampf vor adeligem Publikum mit anschliessender Huldigung des trinkfesten Handwerkers durch das Volk erscheint wie eine Parodie auf ein Turnier zwischen zwei Nationen. Doch hatte im 17. Jahrhundert nach Alewyn bereits das „richtige Turnier“ zweier Ritter zu Pferd und mit Lanzen längst seinen ernsthaften Gehalt verloren, da es z. B. als Teil des höfischen Festes so eingerichtet wurde - etwa mit hölzernen Lanzen und Schwertern, die im Kampf leicht zersplitterten -, dass ernsthafte Unfälle nicht mehr vorkamen (Alewyn 1989: 18-21). Diese Gefahrlosigkeit wird nun in den IS noch stärker parodiert, indem die ganze Vorstellung zu einem karnevalistischen Duell der Trinkfestigkeit verkommt, mit der Frage: Wessen Leib kann mehr Alkohol aufnehmen? Dies gelingt dem „grotesken Leib“ (Bachtin 1969: 18) des aus seiner höfischen Maskerade befreiten Dänen nach einer Zwischenentleerung „da unter den Bäumen“ besser als dem Russen. Aber gerade diese diskrete Formulierung der Ausscheidung in den IS zeigt, dass der Roman nicht mehr in der unzimperlichen Zeit der Renaissance oder des Barock mit den unanständigen Aktionen eines Pickelherings oder Hanswursts entstanden ist, sondern von der viel prüderen Leserschaft des 19. Jahrhunderts akzeptiert werden muss. 17 14 Die einengenden Kleider und die staubige französische Perücke machen Adelsstand und französisches Wesen gleichermassen lächerlich. Die Abwehr des Französischen verbindet die Szene z. B. mit Holbergs Komödie Jean de France , aber auch mit der in den IS vertretenen Literaturauffassung, wie sie z. B. im Streitgespräch zwischen Concordia und Lemelie über Corneille und Shakespeare zum Ausdruck kommt ( IS III: 232; siehe unten, Kap. 8.3); auf diese literarische Ebene übertragen, erscheinen Mats Hansens steife, beengende Kleider und die verstaubte Perücke geradezu als Sinnbilder für das Korsett der „drei Einheiten“ des klassizistischen französischen Theaters. 15 Das Nasenmotiv weist auf karnevalistisch verzerrte Parallelen zu Tycho Brahe hin: Dieser soll als junger Mann bei einem Duell einen Teil seiner Nase eingebüsst haben, weshalb er eine kupferne Prothese trug; die Nase des Ankerschmieds erscheint als groteske Parallele dazu, wie auch der Trinkwettbewerb als karnevalistisch geprägte Parodie eines Duells gesehen werden kann (vgl. Kap. 7.1.3). 16 Wie in Kap. 7.1.3 erwähnt, betrachtet der Ankerschmied im Rausch gerne die Himmelskörper; auch dies verbindet ihn mit Tycho Brahe, jedoch wieder auf einer äusserst grotesken Ebene, da er diese Himmels- und Sternebewunderung nur im dritten, d. h. höchsten Stadium seiner Betrunkenheit erlebt und also Gefahr läuft, als „Narr auf Erden“ zu gelten. 17 In Oehlenschlägers Stück Holbergs Jubelfest, Forspil, den 27de September 1822 [Holbergs Jubelfest, Vorspiel, am 27. September 1822] zum 100. Jubiläum von Holbergs erstem Drama Den politiske Kandestøber [Der politische Kannengiesser] findet eine vornehme Dame, man solle Holberg nicht aufführen, da er nicht mehr dem Geschmack der Zeit entspreche, er sei plump, unanständig und grob, so dass junge Mädchen bei seinen Spässen erröteten, und selbst verheiratete Frauen die Augen niederschlagen müssten (vgl. Oehlenschlägers Poetiske Skrifter 1860, 18: 200). Oehlenschläger schreibt dazu in seinen 226 8 Schauspiele im Text Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 8.3 Dramaturgische Diskussionen auf hoher See Nach der burlesken Szene mit dem Ankerschmied am Hof Christians IV . nehmen Albert und Van Leuven Abschied von Kopenhagen und schiffen sich zusammen mit Van Leuvens Frau Concordia nach Ostindien ein. Hier wird Albert nun mit einer Art von Dramatik konfrontiert, die sich ganz wesentlich vom oft kruden Improvisationstheater der Seifertschen Truppe unterscheidet, in der die Aufführungen ohne grosse theoretische Grundlagen, nur der augenblicklichen Nützlichkeit gehorchend, auf die Bühne gebracht wurden. An Bord des Ostindienfahrers finden zwar keine Theaterspiele statt, aber im gebildeten Zirkel der kleinen Gesellschaft, ergänzt durch den Kapitän Lemelie, vertreibt man sich die Zeit mit gemeinsamem Lesen und Diskutieren, hauptsächlich über Shakespeare und in minderem Umfang auch über Corneille. Die Grundlage dafür bildet der Englischunterricht, den Concordia Albert erteilt. Der Unterricht verbindet die beiden, und zwar zunächst auf einer rein körperlichen Ebene, denn Albert sitzt der jungen Frau so nahe, dass, wie er berichtet, „meine Wange beinahe die ihrige berührte, und ihr Athem die meinige bethaute“ ( IS III : 222). 18 An dieser Stelle klingt die Funktion des Atems als Lebenshauch und mythisches Schöpfungsmedium an: Concordia schafft sich - in Umkehrung des Pygmalion-Mythos - Albert zu einem Gefährten, mit dem sie sich auf der intellektuellen Ebene vereinigen kann, denn schon bald beginnt sie ihn „mit des trefflichen Poeten Shakespeares Werken bekanntzumachen“ ( IS III : 224). 19 Die Shakespeare-Lektüre impliziert eine Profilierung Concordias als Erbin des Dichters, ja, sogar als dessen Urenkelin, die Handschriften von ihm besitzt, in denen „nur Weniges ausgestrichen und umgeschrieben ist“ ( IS III : 225-226), womit sie wohl andeutet, es handle sich schon fast um Druckfassungen, d. h. gewissermassen von Shakespeare persönlich autorisierte Ausgaben letzter Hand; 20 zudem kann sie die Ohrringe vorweisen, mit denen der Dichter auf einem Porträt abgebildet ist, das sie ebenfalls bei sich hat und Albert zeigen kann. Die solchermassen dokumentierte Verwandtschaft mit Shakespeare legitimiert sie für ihre künftige Rolle als Stammmutter auf der Insel Felsenburg und stellt sie ebenbürtig an die Seite des Luther-Nachfahren Albert. Concordia steckt sich Shakespeares Ohrringe an und kommt Albert nun vor „als eine wahre Julia, als eine reizende Viola“ ( IS III : 226). Er möchte Romeo und Julia mit ihr lesen, doch sie wählt Macbeth - offensichtlich will sie mit dieser Wahl eine kompromittierende Situation ihrem Gatten van Leuven gegenüber verhindern. Albert ist sofort vom psychologischen Tiefblick begeistert, mit dem Shakespeare seine Figuren auch sprachlich gestaltet. Erinnerungen: „Wollten doch unsere Modedamen, die sich sonst soviel nach den Pariserinnen richten, von ihnen unsern Holberg so achten lernen, wie jene ihren Molière schätzen; und wo die Dame, die Molière’s muntern Witz und gesunde Satyre nicht zu schätzen weiss, für eine Gans gehalten wird“ ( Meine Lebens-Erinnerungen 1850, 4: 14). 18 Mit fast denselben Worten wird die später auf der Insel Felsenburg stattfindende Vereinigung von Albert und Concordia eingeleitet: „Ihr Gesicht war dem meinigen ganz nahe, ihr Athem bethaute meine Wange“ ( IS IV: 137). 19 Dies verbindet Concordia mit zwei weiteren Frauenfiguren im Roman, Eberhards Mutter und Eleonora, die ihrerseits junge Männer mit literarisch-kulturellem Bildungsgut bekanntmachten (wie in Kap. 6.4 erwähnt). 20 Bekanntlich galten bis vor wenigen Jahrzehnten die Ausgaben letzter Hand als besonders wertvoll, da sie den „letzten Willen“ eines Autors resp. einer Autorin repräsentierten - eine Einschätzung, die sich erst mit dem Interesse an Prozessen der Textgenese ändern sollte. 8.3 Dramaturgische Diskussionen auf hoher See 227 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Zu seinem Missvergnügen gesellt sich in den Lektürestunden der Kapitän Lemelie zu ihnen, der es Albert nicht gönnt, mit Concordia allein zu sein, und der die Gestaltung des Dramas ständig kritisiert. Er ist der Meinung, einen solchen „Bösewicht“, der „alle Augenblicke das Hasenfieber [hat] und sich unaufhörlich von Hexen und alten Vetteln eine Nase drehen [lässt]“, sollte „ein Dichter nicht schildern“ ( IS III : 226-227). Als Albert die Psychologie der Figuren Macbeth und Lady Macbeth als meisterhaft angelegt verteidigt, findet Lemelie es lächerlich, „von Menschenkenntnis und Natur in einem Stücke zu reden, das von lauter Unnatürlichkeiten und Albernheiten zusammengesetzt ist“ ( IS III : 229). Albert interpretiert die Hexen als Projektionen von Macbeths eigenen Leidenschaften und Grausamkeiten, „mit dem alten Volksglauben und dem Zufalle poetisch verbunden […]“ ( IS III : 229), worauf Lemelie entgegnet: „Viel Geschrei und wenig Wolle“ 21 , es sei nicht „der Mühe werth, eines solchen einzelnen Todschlages wegen so viel Aufhebens zu machen“ ( IS III: 230). Concordia stellt fest, dass sich Lemelie widerspreche, da er erst Macbeth „zu grässlich“, dann wieder „nicht grässlich genug“ für ein Drama finde ( IS III : 231). Lemelie schlägt daraufhin vor, ihr das französische Trauerspiel Le Cid von Corneille, das er letztes Jahr in Paris gesehen habe, vorzulesen ( IS III : 232), aber Concordia hat es schon gelesen und sich über vieles darin gefreut, doch der Charakter der Cimène scheint ihr affektiert und „widerlicher als die Hexen in Macbeth, weil man merkt, dass der Dichter in spitzfindigen Kleinlichkeiten und Vorurteilen befangen ist“ ( IS III : 232). In Frankreich habe „die vornehme Welt von jeher mehr Werth auf die Politur als auf den Diamant gelegt; man beurtheilt den Mann nach dem Rocke, statt den Rock nach dem Manne […]“ ( IS III : 233). Shakespeare, „dieser schlichte volkstümliche Genius“, sei nicht mehr Mode; „Reimereien, Sentenzen, und wie der hochtrabende Luxus weiter heissen mag“, würden „das natürliche Menschenspiel in das alte abgedroschene Puppenspiel verwandeln und den gesunden Geschmack vertreiben“ ( IS III : 234). Die Diskussion wird jäh durch die Meldung eines Matrosen unterbrochen, dass das Schiff von marokkanischen Seeräubern verfolgt werde ( IS III : 236). Während van Leuven und Albert sich mit dem Schwert verteidigen wollen, bricht Lemelie in Hohn aus: Nun, Madame, wird es bald hier ärger als in Macbeth zugehen. Die Hexen nahen sich schon. Wollt Ihr nicht Euren grossen Poeten bitten, dass er uns zu Hülfe komme, sonst ist es um unser Leben und Eure Tugend geschehen. Die Corsaren haben nicht Romeo und Julie gelesen, sie werden Euch als Sklavin verkaufen […]. ( IS III: 230) Dann aber lässt er zwei Kanonen gut versteckt auf Deck in einem ganz bestimmten Winkel aufstellen, misst den Winkel immer wieder sehr sorgfältig, lässt den Kaperer so nahe herankommen, dass sich die Piraten siegessicher bereits auf ihrem Bugspriet zum Entern versammeln, misst noch immer den Winkel genau und feuert plötzlich beide Kanonen so präzise auf das Bugspriet, dass es mit zwei gleichzeitigen Volltreffern zerschmettert wird und der „ganze wimmelnde Haufe […] krachend und heulend, wie vom Blitze getroffen, in [den] Wellen“ versinkt ( IS III : 239). 21 Dieses Sprichwort lässt sich als Anspielung auf Holberg lesen, denn Oehlenschläger hat es auch als Titel für seine 1822 verfasste Übersetzung von Holbergs Komödie Den Stundesløse verwendet (wörtl. „Der Rastlose“), wozu ihn wohl die Hauptfigur namens „Vielgeschrey“ inspiriert haben dürfte. Die Doppeldeutigkeit des Sprichwortes insinuiert mit der versteckten Allusion gleichsam den Einbezug von Holbergs Komödien in die poetologische Diskussion. 228 8 Schauspiele im Text Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Diese abenteuerliche Episode, welche die dramaturgische Diskussion zu unterbrechen scheint, wirkt mit den lebensrettenden, genauen Winkelmessungen wie eine antithetische Antwort auf Shakespeares vielgestaltige, facettenreiche Dramen oder wie eine Metapher der sich im frühen 17. Jahrhundert von Frankreich aus verbreitenden strengen Regeln für eine klassizistische Tragödie: Alles muss genau nach einem dem „esprit de géometrie“ gehorchenden Regelwerk gebaut sein, womit die bekannten „trois unités“ gemeint sind. Dabei sind auch die Regeln der „vraisemblance“, d. h. Realitätsnähe (also keine übernatürlichen Figuren wie Hexen oder Götter) und der „bienséance“, d. h. etwa Sittsamkeit (keine groben Ausdrücke, Kämpfe oder Tote auf der Bühne) einzuhalten. Diese Regeln werden von französischen Dichtern der neuen Epoche gegen die Literatur des 16. Jahrhunderts mit ihrer wortreichen Sprache und den phantasievollen, ausufernden Handlungen in verschiedenen theoretischen Abhandlungen und Vorworten zu ihren Tragödien eingeführt. Shakespeares Tragödien sind bekanntlich in praktisch allen Belangen das Gegenteil dieses Regelwerks und gehören ja auch zeitlich einer früheren Epoche an: Macbeth soll um 1606 entstanden sein, während der Cid , der in vieler Hinsicht ein Übergangswerk darstellt, 1636 uraufgeführt wurde. 22 Pierre Corneille schrieb zu jener Zeit selbst noch Stücke mit phantastischen Phänomenen und verschiedenen Handlungsebenen, wie z. B. die ebenfalls 1636 publizierte Illusion comique. 23 An Bord des Ostindienfahrers wird der Kapitän Lemelie nun von allen als Retter gefeiert. Van Leuven ruft aus: „Die Mathematik ist doch eine herrliche Wissenschaft […]. Ein einziger, richtig gemessener Winkel hat uns Leben und Freiheit gerettet“ ( IS III: 241). Darauf lädt Lemelie Albert und van Leuven in seine Kajüte zu einem Glas Punsch ein, während Concordia, vom Schrecken erschöpft, schlafen geht. Nachdem Lemelie den Punsch gemischt hat, tritt Concordia schlafwandelnd zu den Männern und hält ihren Gatten davon ab, aus seinem Glas zu trinken. Lemelie konstatiert, dass sie die Rolle der schlafwandelnden Lady Macbeth spiele, „mit einigen kleinen Veränderungen“ ( IS III: 245). Concordia rettet van Leuven das Leben, denn es war Gift in seinem Pokal, den der ebenfalls anwesende Konstabler nun zu Boden wirft ( IS III : 246). Was mit dem Triumph einer Analogie zum klassizistischen Regelwerk französischer Prägung begonnen hatte, endet dank dem Auftritt der schlafwandelnden Concordia mit einer Szene, in der zwar ebenfalls Leben gerettet wird, die aber - in Antithese zum französischen Klassizismus - Züge einer Shakespeare-Nachahmung trägt. Nach diesem Ereignis verläuft die Fahrt einige Tage ruhig, und bald sollte ein Zwischenhalt an Land möglich sein, als sich plötzlich ein furchtbarer Sturm erhebt ( IS III: 250). Lemelie legt angesichts dieser Gefahr ein gänzlich verändertes Verhalten an den Tag, das seltsam von seiner Besonnenheit beim drohenden Seeräuberüberfall absticht: „er zitterte, ging in seine Kajüte […], und wir hörten ihn wie ein Kind Paternoster plappern, und mit heiserer Kehle lateinische Hymnen singen“ ( IS III : 250). 24 Als sich Albert über diese ganz andere Reaktion wundert, antwortet ihm Lemelie: „Vor Menschen habe ich mich nie gefürchtet; wenn 22 Die „reine Lehre“ der drei Einheiten findet sich strikt durchgeführt erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, vor allem bei Jean Racine, z. B. in Britannicus (1669) oder Phèdre (1677). 23 Genau in dieser Phase des Übergangs, nämlich 1634, wurde auch die Académie Française mit ihrem sprachpolitischen Profil gegründet, während 1637 der „Discours de la Méthode“ von Descartes erschien. 24 Im Gegensatz zum feigen Katholiken, der lateinische Hymnen singt, drückt der Lutheraner Albert die Bibel ans Herz ( IS III: 253) - deutlich wertende Zuordnungen. 8.4 Tendenzen zum Gesamtkunstwerk 229 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 man aber mit Gott oder dem Teufel zu thun hat, so weiss man nie recht, wie man dran ist“ ( IS III : 251). Auch darin zeigt sich seine Affinität zur Transparenz des französischen klassizistischen Dramas, aus dem alles Übernatürliche vertrieben ist. In Todesnähe benimmt er sich „wie ein gemeiner Missetäter, der hingerichtet werden soll“ ( IS III: 251). Als schliesslich das Schiff an einer Sandbank zerschellt, will er nur Concordia ins Rettungsboot mitnehmen, doch es gelingt van Leuven und Albert, ebenfalls ins Boot zu springen, das bald darauf in den Wellen untergeht; die Passagiere werden an Land geschleudert ( IS III : 255). Der Sturm lässt nach den vorausgegangenen Theaterdiskussionen an Shakespeares gleichnamiges Drama denken; Lemelie ist einer solchen „Dramaturgie der Natur“ keineswegs gewachsen, sondern benimmt sich als feiger und völlig verantwortungsloser Kapitän, dem hier weder Winkelmessungen noch Mathematik helfen können. So ist dieser Teil des Romans nicht bloss eine dramatische Episode, vielmehr ist ihr gleichsam ein dramaturgischer Wettstreit zwischen zwei verschiedenen Kulturen und dramentheoretischen Grundlagen eingeschrieben. 25 8.4 Tendenzen zum Gesamtkunstwerk Eberhard wird auf dem Weg nach Amsterdam mit Theatererlebnissen konfrontiert, die zu jenen Alberts mit Seiferts Truppe gewisse Parallelen aufweisen, trotz augenfälliger Unterschiede, die sich vor allem aus dem zeitlichen Unterschied von fast achtzig Jahren und aus der veränderten Situation des Umfeldes ergeben: Im Gegensatz zu Albert, der mit Seiferts kunterbunter Wandertruppe herumzog, reist Eberhard gesittet in der Gesellschaft zweier Künstler, die, ohne es von einander zu wissen, wie Eberhard selber für die Überfahrt zur Insel Felsenburg berufen sind. Auf ihrer Reise durch Holland beschliessen sie, Herrn Kalf van Mandern aufzusuchen, einen angesehenen Zimmermeister, dem Litzberg seine Zeichnungen zum Schiffsbau zeigen will. Van Mandern empfängt sie in seinem geräumigen Speisezimmer zu einer grossen Mittagsgesellschaft, an welcher er ihnen Peter Michaelow vorstellt, der zwar wie ein Zimmermann gekleidet ist, sich aber in Gestalt und Wesen stark von den anderen Gästen unterscheidet. Van Mandern orientiert die Neuankömmlinge in einer längeren Rede über die Geschichte dieses Zimmermanns, worauf Eberhard und Litzberg begreifen, dass es sich hier um den inkognito anwesenden russischen Zaren Peter den Grossen handeln müsse ( IS I: 277). 26 Der Zar, von dem historisch belegt ist, dass er sich in Saardam aufhielt und dort den Schiffsbau erlernte (Wittram 1964, 1: 152-153), 27 wird in den IS als verkleideter Zimmermann porträtiert: Diese Verkleidung eines Monarchen in einen Handwerker ruft 25 Oehlenschläger übernimmt zwar die Schifffahrt samt Sturm, Schiffsuntergang und Rettung aus den WF , nutzt jedoch die „huis clos“-Situation an Bord, auf die Schnabel kaum eingeht, für die Darstellung der zwei die Theater- und Dramenwelt lange Zeit prägenden dramaturgischen Prinzipien, die Volker Klotz auf die griffige Formel des „offenen und geschlossenen Dramas“ gebracht hat. 26 Über Peter den Grossen, den „Reformzaren“ und in den Augen führender Aufklärer exemplarische Herrscherfigur, wurde 1785 eine ganze Anekdotensammlung herausgegeben ( Jacob von Staehlin, Originalanekdoten von Peter dem Grossen ), auf der u. a. Herders Aufsatz über den Zaren basiert (2000: 408-413). 27 In den IS wird der historische Aufenthalt allerdings um ca. zwei Jahrzehnte verschoben, vom Ende des 17. auf den Anfang des 18. Jahrhunderts. 230 8 Schauspiele im Text Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 in der Umkehrung die Kostümierung des Ankerschmieds als französischen Adeligen beim Trinkwettbewerb am Hof Christians IV . in Kopenhagen in Erinnerung und schafft so eine Parallele zur jener Episode in Alberts Geschichte ( IS III : 183, vgl. Kap. 8.2). In einem längeren Gespräch mit Eberhard gibt der Zar eine gewisse Geringschätzung der Dichter und ihrer Kunst zu erkennen; eigentlich lässt er nur die Gelegenheitsdichtung gelten: „[…] die Poesie mag wohl auch ihren Nutzen haben, bei wichtigen Gelegenheiten und Festen; zu Geburtstagen, Hochzeiten und Begräbnissen […]; wenn man den Lebendigen oder Todten eine Ehre anthun will“ ( IS I: 279). Er ziehe aber die Geschichte vor, für die er allen Respekt habe. Darauf setzt Eberhard zu einer fulminanten Verteidigung der Dichtkunst an, ohne die auch die Geschichte nichts tauge, da sie nur Begebenheiten erzähle, die oft ganz entstellt und unwahr überliefert sind. Die Poesie […] trägt den Beweis der Wahrheit in sich. […] Nur die Dichtkunst kann uns ein Bild des innern Menschen geben; sie kann das Herz wie eine Uhr aufschliessen, und sogar selber solche Uhren verfertigen. Die Geschichte aber geht nur wie der Nachtwächter herum, und ruft, was die Glocke geschlagen habe. ( IS I: 280) 28 Eberhards engagierte Rhetorik vermag tatsächlich die Position des Dichters in der Meinung des Zaren aufzuwerten; allerdings kann er sich für Lademanns Fähigkeit, die Sackpfeife zu spielen, deutlich mehr erwärmen, und Litzbergs Zeichnungen zu Neuerungen im Schiffsbau begeistern ihn sogar. Er gibt sich den drei Gefährten als Zar von Russland zu erkennen und will sie an seinen Hof engagieren, denn er suche Menschen, die ihm zu einem kulturell grossen Kaisertum verhelfen sollen. Alle drei lehnen jedoch höflich ab, was den Zaren zu einem so gewaltigen Zornesausbruch reizt, dass er sie mit seinem Stock eigenhändig verprügeln will. Eberhard gelingt es, mit einer langen, rhetorisch reich geschmückten Huldigungsrede die Prügelstrafe abzuwenden und den erzürnten Monarchen nicht nur zu besänftigen, sondern sogar zu erheitern, so dass er die Freunde als Zeichen der Versöhnung zu den Lustbarkeiten des Abends einlädt ( IS I: 289-292). Der Text demonstriert in Eberhards Reden implizit die Macht des Wortes, die der Zar gewissermassen am eigenen Leib erlebt, wie sein zweifach verändertes Verhalten zeigt: Intellektuell lässt er sich davon überzeugen, dass auch die Dichter brauchbare Menschen sind, während sich auf der emotionalen Ebene sein Zorn in Heiterkeit wandelt. Zwar sind Eberhards Reden nicht mit Dichtkunst gleichzusetzen, doch gewinnt seine Rhetorik durch dichterischen Schmuck, wie die reichlich eingestreuten Metaphern, Vergleiche und Allegorien, entscheidend an Wirkung. Die Abendunterhaltung, zu welcher der Zar Eberhard und seine Freunde eingeladen hatte, wird als „ein Schwank oder ein Schauspiel“ angekündigt, unter dem Titel „Die Versuchungen des heiligen Antonius in der Wüste“ ( IS I: 296). Beschrieben wird die Darbietung 28 Dieser Begriff der Dichtkunst ist durchaus noch dem Nützlichkeitsdenken verpflichtet und erscheint damit, wie auch die Uhr als Sinnbild für das menschliche Herz zeigt, im Denken der Aufklärung verankert. Dass die Dichtkunst als eine Art „Beseelung“ der Geschichte verstanden wird, entspricht offensichtlich der Überzeugung Oehlenschlägers selber, der öfter das Recht des Dichters verteidigt hat, geschichtliche Ereignisse aus poetischer Perspektive darzustellen, wodurch ein wahreres Bild entstehen könne, als wenn nur die äusseren Fakten aufgelistet würden. Vgl. seine Argumentation gegen Kritik an Væringerne. (abgedruckt in Poetiske Skrifter 1858, 8: 283-304): Er habe keinesfalls ein historisches Zeitbild geben wollen; Geschichtskenntnisse seien notwendig für die Schaffung eines historischen Dramas, aber die Dichtung sei ebenso wenig die Kammerzofe der Geschichte wie der Philosophie ( Poetiske Skrifter 1858, 8: 284-286). 8.4 Tendenzen zum Gesamtkunstwerk 231 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 nicht eigentlich als Theaterstück, sondern als „scenische Darstellung des Gemäldes Teniers und anderer Bilder der Art, mit Reden in Knittelversen verbunden, so wie in den Hans Sachsischen Komödien“, jedoch lange nicht so „moralisch und ehrbar“ wie jene, „dagegen auch nicht so langweilig, und die breiten Possen nahmen sich im breiten Holländischen gut aus“ ( IS I: 296-297). 29 Es wird weder berichtet, von wem diese holländische Fassung stammt, noch wer die Schauspieler sind; der Text in den IS beschreibt ohne Umschweife die Aufführung, für die das grosse Speisezimmer als Bühne und Zuschauerraum dient, ähnlich den Schauplätzen, die Seifert für seine improvisierten Spiele benützte. Das Bühnenbild besteht einzig in einer aus frischen Zweigen gebauten Laube, in welcher der heilige Antonius mit langem weissem Bart und aufgemalten Runzeln sitzt, gespielt von einem neunzehnjährigen Burschen, dessen „geschmeidige helle Stimme […] und nachherige naseweise Sucht, dem Czar zu gefallen, […] sonderbar genug gegen die Reden von Entsagung der Welt und aller irdischen Eitelkeit“ abstechen ( IS I: 297). Damit ist der Rahmen des Schwanks und der Parodie schon umrissen; nach einem langen bunten Aufmarsch skurriler Gestalten und allegorischer Figuren, die alle den Eremiten nicht von der Lektüre seines Folianten ablenken können, tritt endlich die Wollust in Gestalt eines schönen blonden Mädchens auf, bei dessen Anblick die Standhaftigkeit des heiligen Antonius ins Wanken gerät. Als Bacchus mit einem grossen Becher Wein erscheint, „war’s um den guten Einsiedler gethan; (ein grosser Verstoss gegen die Wahrheit der Geschichte) er leerte freudig den Becher, sank dem Mädchen wonnetrunken in die Aermelein“, und das Spiel ist aus ( IS I: 299). Dieses Finale entspricht in keiner Weise der eigentlichen Heiligenlegende, sondern ist, wie im Zitat in Klammern angemerkt, ein „grosser Verstoss“ gegen die Überlieferung; das „Schauspiel“ erweist sich damit als „parodia sacra“ (Bachtin 1995: 127) und als Nachfahre der mittelalterlichen Karnevalisierung und Lachkultur. Es passt auch in die Opposition gegen die katholische Konfession, von der sich die meisten Provinzen der Niederlande mit dem Übertritt zum Calvinismus getrennt hatten. Die Kombination des rezitierenden Eremiten mit einem vielgestaltigen karnevalsähnlichen Umzug zeugt von einer gewissen Universalität, worin man Elemente einer polyphonen Kunstform sehen kann, die durch einen anschliessenden Tanz ergänzt und von Eberhard und seinen Gefährten durch ein eigenes improvisiertes Spiel erweitert werden. Litzberg will aus Dankbarkeit für die Milde Peters des Grossen ein Kunstwerk zu dessen Huldigung schaffen und beginnt schon während der Aufführung des Antonius-Spiels an einem Bild zu arbeiten, das er mit dem Ende des Schauspiels vollendet hat; es stellt einen „von Hercules entfesselten Prometheus“ dar, den Litzberg „sehr schön gezeichnet, und, zwar sehr rasch, doch mit gutem Effecte für die Erleuchtung gemalt hatte“ ( IS I: 300), denn es soll zu Ehren des Zaren später illuminiert werden. Zu diesem Bild bittet er Eberhard, ein Lied zu dichten, das Lademann vertonen soll. Zwar ist die Zeit knapp, doch, wie Litzberg 29 Es ist natürlich kein Zufall, dass ein Gemälde die Vorlage für das Spiel bietet, denn die bildlichen Darstellungen des heiligen Antonius und seiner Versuchungen in Gestalt von Dämonen, Hexen und Teufeln sind Legion; am bekanntesten ist wohl neben zahlreichen Bildern Teniers das Triptychon von Hieronymus Bosch. Der Stoff wurde aber auch für verschiedene Theaterstücke und Marionettenspiele benützt und bildete beispielsweise in dieser Form, neben einem Bild Pieter Breughels des Jüngeren, eine sehr frühe Inspirationsquelle für Flauberts dialogisierten Roman La Tentation de saint Antoine : Wie Foucault in seinem ausführlichen Nachwort zu Flauberts Text bemerkt, hatte der Autor als Kind im Puppentheater eines Paters oft das Spiel Mystère de Saint Antoine gesehen (Foucault 2003: 127). 232 8 Schauspiele im Text Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 sagt: „Ein Mensch von Geist muss, wo es nöthig ist, etwas schnell vollbringen können“ ( IS I: 301). Text und Melodie sind bald fertiggestellt, worauf beides durch Gesang und begleitendes Spiel auf einem Positiv eingeübt wird. Dann stellen sie das Bild in der Laube des Eremiten auf und enthüllen es in Anwesenheit Peters des Grossen: „Das Bild stand in vollem Lichte kräftig, schön und in den frischen Farben erglänzend da; und mit deutlicher Frakturschrift stand unter demselben: ,Prometheus von Hercules entfesseltְ‘. Nun sangen die Jünglinge mit schönen Stimmen hinter dem Bilde […]“. ( IS I: 303) In dieser Darbietung vereinigen sich Bild, Illumination, Lyrik und Gesang zu einem in kürzester Zeit vollbrachten Gesamtkunstwerk, das von drei verschiedenen Künstlern produziert und aufgeführt wird. 30 Die in Bild und Gedicht wiedergegebene Befreiung des Prometheus durch Herakles steht in schroffem Kontrast zum vorherigen Schwank des durch „Wein und Weib“ schwach gewordenen Eremiten. Der Schöpfungsmythos des Prometheus, der den Menschen geschaffen und ihn gegen den Willen von Zeus mit dem olympischen Feuer zum Leben erweckt hatte, wofür er aufs härteste bestraft wurde, gehört zu den ältesten und am meisten bearbeiteten Stoffen in der Literatur (Frenzel 2005: 761-767); 31 zahlreich sind auch die Gestaltungen der Prometheus-Figur in bildender Kunst und Musik. Die Symbolkraft dieses Mythos brachte immer wieder neue Deutungen und künstlerische Umsetzungen hervor, zu denen auch das gemeinsame Kunstwerk der drei Freunde gehört, das alle drei genannten Kunstsparten in sich vereinigt und auch unter diesem Aspekt als Gesamtkunstwerk gelten kann. Eberhards Huldigungsgedicht vergleicht Peter den Grossen mit dem Erlöser Herakles, der „keulenbewaffnet“ von Alkmene geboren wurde ( IS I: 304) und den gefesselten Prometheus, d. h. die Aufklärung in Russland, befreit, wodurch er diesem Riesenreich, ja sogar der „Menschheit“ als neuer Herakles „die Erleuchtung“ bringt ( IS I: 304). Der Zar ist von dieser „polyphonen“ Huldigung so beeindruckt und gerührt, dass er sich bei den drei Künstlern für seinen früheren „keulenbewaffneten“ Angriff entschuldigt und ihnen in einer längeren Ansprache die biographischen Hintergründe seines Jähzorns erklärt; mit Blick auf die schwierigen Bedingungen seiner Kindheit und Jugend bemerkt er, dass er „ein geborner Barbar sey, der nicht zu Leipzig studiert“ habe, sondern sich selbst „aus freien Stücken aus dem Schlamm herausarbeiten musste“ ( IS I: 306). Im Gegensatz zu seiner Darstellung als Herakles im Huldigungsgedicht stilisiert er sich so zu einer Prometheus-Figur, welche ohne die Hilfe eines Herakles die Freiheit aus den misslichen Bedingungen selber erkämpfte. Zum Abschied steckt er jedem der drei Künstler einen kostbaren Ring an den Finger - offensichtlich ein Zeichen seiner Wertschätzung nicht nur des dargebotenen Kunstwerks, sondern jeder einzelnen der drei Kunstformen, auch der Dichtkunst, die er mit seiner Geste nun als den anderen Künsten gleichrangig anerkennt. Nach dieser Episode erreichen Eberhard und seine Gefährten Amsterdam, wo sie sich trennen müssen; es zeigt sich, dass die Theaterthematik des vorangegangenen Kapitels 30 Zur Idee eines solchen Gesamtkunstwerkes, das gerade in der Ästhetik der Frühromantik eine bedeutende Rolle spielte, vgl. Udo Bermbach, der u. a. Schlegel, Novalis, Tieck, Wackenroder und den Maler Philipp Otto Runge als Befürworter eines Programms der „Vereinigung aller Künste unter dem Primat der Musik“ nennt, wobei es darum ging, „dass solches Zusammenwirken der bislang getrennten Künste eine gegenseitige Steigerung nach sich ziehen werde, eine Potenzierung der Kraft der Kunst insgesamt.“ Sie hätten damit ein „ästhetisches Konzept […] entwickelt, das sich geradewegs von der klassischen Regel-Ästhetik absetzte“ (Bermbach 1994: 228). 31 Oehlenschläger nennt auch seine eigene Literaturzeitschrift Prometheus ( Maanedskrift for Poesie, Æsthetik og Kritik, 1832-1834) [Monatsschrift für Poesie, Ästhetik und Kritik]. 8.4 Tendenzen zum Gesamtkunstwerk 233 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 auch auf die Abschiedsszene übergreift, denn in Eberhards Worten klingt das gemeinsam geschaffene Kunstwerk an, wenn er über die zusammen verbrachte Zeit bemerkt: „als vollendetes Bild stellt sich das ganze schöne Perspectiv verschwundner Freuden dar“ ( IS I: 314), und Litzberg spricht davon, dass der Vorhang nun falle, das Schauspiel sich vielleicht aber einmal erneuere ( IS I: 315). Ausserdem geht Eberhard am Abend ins Theater und ist von der Architektur des Gebäudes beeindruckt: „Das Schauspielhaus war übrigens ziemlich gross, gut gebaut und im Innern kühl und luftig wie in einer Kirche. Eberhard hatte vorher noch kein solches regelmässiges Theater gesehen“ ( IS I: 318). 32 Die Neuheit des Gebäudes für Eberhard und der Vergleich mit einer Kirche rufen den Besuch des Kölner Doms in Erinnerung, der eine so grosse Wirkung auf Eberhard ausübte, dass es ihm schien, er habe jetzt zum ersten Mal eine christliche Kirche gesehen ( IS I: 72). Wie erwähnt, trug der beim Anblick des Doms empfangene Eindruck zur späteren Gestaltung des Kirchengebäudes auf der Insel Felsenburg bei (vgl. Kap. 7.2.3). Die Betonung von Eberhards Aufmerksamkeit, der „sich alles sehr genau [merkt]“, sich mit der „Architectur des Amphitheaters, mit dem Leuchter, dem Vorhange, dem Orchester“ 33 bekannt macht ( IS I: 318), liesse sich mit Blick auf die Parallelinspiration zum Kirchenbau als leise Andeutung eines in ferner Zukunft vielleicht auch auf der Felsenburg einmal entstehenden Theatergebäudes lesen. Eberhards Nachbar, ein Seeoffizier, ist theatererfahren und unterhält sich mit Eberhard über seine Theatervorlieben: „Die französischen Tragödien sind mir zu einförmig. Man schreit, weint, wüthet […], und doch ist alles sehr vornehm auf Schrauben gestellt; […] Die Ausdrücke aber sind gut gewählt; und so ungereimt das auch oft ist […], so gut reimt sich alles drin“. In England und Spanien habe er jedoch bessere Tragödien gesehen ( IS I: 320-321). Eine französische Tragödie wird nun gegeben, und die erwähnte „Einförmigkeit“ scheint zu bewirken, dass der Nachbar bald einschläft, während Eberhard gähnt ( IS I: 321-322). Im folgenden Ballett jedoch, mit Schiffbruch, Rettung und einem tropfnassen Hanswurst, lacht der Seeoffizier auch bei seichten Spässen, was Eberhard wundert, aber jenem, der „wohl über zwanzig Reisen nach Ost- und Westindien gemacht […] und zweimal Schiffbruch gelitten“ hat, kommen nun diese „hölzernen Wellen und hölzernen Spässe ganz ungemein drollig“ vor. 34 Eberhards Theatererlebnisse enden also mit einem kritischen Blick auf die französische Tragödie, wie er sich schon im Gespräch zwischen Albert, Concordia und Lemelie bei deren Shakespeare-Lektüre manifestiert hatte ( IS III : 232-233). Auch Eberhard wird später das englische Theater noch kennenlernen, ja sogar selber in eine Rolle schlüpfen. Einstweilen aber verabschiedet er sich von seinem Theaternachbarn, den er als Reisegefährten, zusammen mit Litzberg und Lademann, bald wieder treffen wird. 32 Ein „regelmässiges“ Theater, d. h. ein im Gegensatz zu den improvisierten Schauplätzen der Wandertruppen eigens für den Theaterbetrieb errichtetes Gebäude, liessen sich seit der Renaissance zuerst die italienischen Fürstenhöfe bauen; erst im 17. Jahrhundert verbreiteten sich solche „festen“ Theater allmählich auch in anderen Ländern. 33 Das „Amphitheater“ gleicht der in Amsterdam bereits 1638 erbauten „Schouwburg an der Kaizersgracht“ mit einem „etwa hufeisenförmige[n] Raum […]. Die Bühne […] hatte dann schon ein ausgebautes Kulissensystem mit Versenkungen, Flugmaschinen und Soffitten“ (Baur-Heinhold 1966: 177). 34 Diese Reaktionen, das Einschlafen und das Lachen, illustrieren Horaz’ Verse in seiner Ars Poetica : „Wenn du nur dir töricht Zugewiesenes hersagst, dann werde ich entweder lachen oder einschlafen“ (Horaz 2018: 618, V. 102-105: deutsch 619). 234 8 Schauspiele im Text Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 8.5 Dramen auf dem Weg zur Insel Klein-Felsenburg Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf einen Zeitabschnitt, der lange nach der Ankunft Eberhards und seiner Gefährten auf der Insel Felsenburg spielt. Eberhard möchte Cordula, die Urenkelin Concordias und van Leuvens, heiraten; seine Braut wird jedoch am Tag der geplanten Hochzeit von einem Nebenbuhler nach Europa entführt. Eberhard gerät in eine tiefe Schwermut, von der ihn erst der Anblick des Schiffes heilt, mit dem er der entführten Braut nacheilen kann; das Schiff wird für ihn zum „Hippogryphen“ ( IS IV : 288), jenem geflügelten Fabeltier, das im Orlando furioso einen der Helden bis zum Mond trägt. Die Anspielung auf Ariosts epische Dichtung weist auf Handlungsparallelen, welche durch die ständig sich wiederholenden Entführungs- und Verfolgungsszenen im Orlando furioso gegeben sind; zugleich werden die Ereignisse in den IS durch die Assoziation an dieses komisch-parodistische Werk in ein ironisches Licht getaucht. Vor allem aber deutet die Nennung des Hippogryphen, der als ein Geschöpf zwischen Flügelwesen und Pferd an den Pegasus erinnert, 35 auf eine Poetisierung der Handlung, auf Imagination und poetische Schöpferkraft. Die so im Zeichen der Poesie begonnene Reise kommt denn auch zu einem ersten Abschluss in der Welt des verehrten Shakespeare: Eberhard findet Cordula schliesslich in Stratford. Bezüge zu Shakespeare werden aber schon vorher deutlich, da Eberhard auf der Suche nach Cordula ein an Romeo und Julia anklingendes Drama durchlebt: Er tötet im Duell seinen Rivalen, dem Cordulas Vater das Mädchen versprochen hatte - eine Parallele zur Duellszene zwischen Romeo und Paris -, und wird durch die vorgetäuschte Beerdigung Cordulas, die an Julias Scheintod erinnert, zur Überzeugung gebracht, seine Braut sei gestorben. Von hier an nimmt die Geschichte jedoch eine andere Wendung: Die Tragödie wird gleichsam angehalten, der Tod des Liebhabers in eine milde Ohnmacht umgewandelt ( IS IV: 318), der Schmerz in Gedichten zu Kunst geformt und verklärt ( IS IV: 320). Die „kleine[n] Blumen […], blau und hell“, deren Schönheit und Vergänglichkeit Eberhard als Sinnbild seiner Freundin besingt ( IS IV: 321), und der „Kranz von blauen Blumen“, den er auf Cordulas Grab legt ( IS IV : 322), evozieren dabei die berühmte „blaue Blume“ in Novalis’ Romanfragment Heinrich von Ofterdingen . Diese Anspielung deutet auf Poetisierung und Idealisierung des Textes, sowie auf Züge des Märchenhaften, wobei in der Pluralform der IS allerdings auch eine gewisse ironische Distanz zur tiefen Symbolbedeutung der blauen Blume in Novalis’ Dichtung zu liegen scheint. Die intertextuell eingearbeitete Tragödie öffnet sich zu einem Stationendrama in Romanform, 36 in dessen Verlauf Eberhard an Orte seines Herkommens, seiner Abstammung geführt wird, als erstes auf die Wartburg. Diese ist nicht mehr frei zugänglich, wie noch für Albert und dessen Bruder, sondern hat inzwischen die Stellung eines unantastbaren Heiligtums erlangt, worüber sich jedoch Luther selber lustig zu machen scheint, denn, symbolisiert durch sein Bildnis, das im richtigen Augenblick zu Boden fällt, enthüllt er Eberhard das heimliche Lebenszeichen, das Cordula verbotenerweise an die Wand geschrieben hatte ( IS 35 Marianne Shapiro hat die Parallelen in ihrer Publikation The Poetics of Ariosto herausgearbeitet (1988: 113-118). Auch Schiller nennt in seinem Gedicht Pegasus im Joche das Flügelpferd „Hippogryph“ (1987: 209). 36 Der Begriff wird hier auf den Roman übertragen, da die Stationen, die Eberhard auf seinem Weg zu Cordula durchschreiten muss, wie eine Abfolge einzelner Szenen gestaltet sind. 8.5 Dramen auf dem Weg zur Insel Klein-Felsenburg 235 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 IV : 325). 37 Das Herausbrechen einer Butzenscheibe, in die Cordula ebenfalls eine Botschaft ritzte, macht noch deutlicher, dass die ehrwürdige Burg nicht zu einem unveränderlichen Museumsgut versteinern soll, sondern ins Leben der jungen Generation einbezogen wird, ihren Platz in den Geschicken der Lebenden hat. 38 Die nächste Station zeigt Eberhard als Bergmann kostümiert - eine Verkleidung, die seinen Weg in die Tiefe der Vergangenheit, dargestellt durch den romantischen Topos des Bergbaus, 39 augenfällig macht. In der Maskerade wird jedoch die romantische Glorifizierung dieses Handwerks 40 ironisiert; Eberhards Rührung über das harte Leben der Bergleute erscheint lächerlich, da diese sich als verkleidete Spielleute entpuppen ( IS IV : 338-339). 41 Eberhard schliesst sich der Gruppe an und nimmt in der Bergmannstracht an einem Fest im Hause seines Vaters Martin Julius in Leipzig teil, ohne von ihm erkannt zu werden. Die Maskerade findet hier eine Fortsetzung, denn auch der Vater gibt sich als Angehöriger eines anderen Standes aus: Sein Bestreben, in den Adelsstand einzutreten, macht ihn zu einem „bourgeois gentilhomme“. Die Gäste des Festes sind Adelige, und Eberhard hört, wie sie seinen Vater, der sich jetzt „Baron von Löwenmähne“ nennt, spöttisch als „Monsieur Jourdain“ bezeichnen, denn, wie ein Gast mit Witz bemerkt: „Aus der gepuderten Löwenmähne seiner Perücke stecken die bürgerlichen Eselsohren noch weit heraus; er mag so vornehm tun, wie er will“ ( IS I: 343). Die Anspielungen auf Molières Komödie betreffen auch den Eberhard wohlbekannten, ebenfalls anwesenden Professor Schwefelkies, in welchem die Gäste den „maître de philosophie“ des Barons sehen ( IS IV : 343). 42 Das Fest beginnt mit Spiel und Gesang der Bergleute; auch Eberhard singt ein Lied, in welchem er die Oberflächlichkeit und Genusssucht der anwesenden Gesellschaft verspottet, was die Gäste in ihrer Trinkfreude jedoch gar nicht wahrnehmen. Mit der „Ouvertüre“ der Bergleute zeigt das Fest weitere Parallelen zu Molières Stück 43 sowie zur Darbietung eines barocken Hoffestes, denn es erreicht mit einem grossen Feuerwerk seinen Höhepunkt und Abschluss: „In diesem Augen- 37 Die Szene ironisiert ein aus dem Märchen bekanntes Motiv und Strukturelement: Die Schrift hinter dem Bild erscheint als „Gabe“, die dem Helden auf seiner Suche nach der Braut weiterhilft - gespendet von Luther als Helferfigur, die im richtigen Moment das Bild fallen lässt. Vgl. zur Funktion der Gabe im Märchen: Lüthi (1985: 53-55); der Autor versteht seine „Stilanalyse“ (121) explizit als Ergänzung zu Vladimir Propps bahnbrechender Strukturanalyse Morphologie des Märchens (1928, deutsch erstmals 1972). 38 Eine ähnliche Sicht ergab sich schon für Mats Hansens Anker (vgl. Kap. 7.1.3). 39 In Novalis’ Roman Heinrich von Ofterdingen stellt die Begegnung mit einem Bergmann bekanntlich eine zentrale Episode im Leben des Jünglings dar. 40 Vgl. die Erzählung des Bergmannes in Heinrich von Ofterdingen, für den es keine Kunst gibt, „die ihre Teilhaber glücklicher und edler machte, die mehr den Glauben an eine himmlische Weisheit und Fügung erweckte, und die Unschuld und Kindlichkeit des Herzens reiner erhielte, als der Bergbau“ (Novalis 1962: 197-198). 41 Dass die Bergleute eigentlich Musikanten sind, ist eine ironische Variation der Aussage in Heinrich von Ofterdingen : „Gesang und Zitherspiel gehört zum Leben des Bergmanns, und kein Stand kann mit mehr Vergnügen die Reize derselben geniessen“ (Novalis 1962: 200); möglicherweise klingt hier eine Stelle aus Wilhelm Meisters Lehrjahre an: „Es waren Bergleute, die zu Zither und Triangel mit lebhaften und grellen Stimmen verschiedene artige Lieder vortrugen“ (Goethe 1948-1971, 7: 101). 42 Schwefelkies war im Gespräch mit Eberhard als pedantischer Verfechter der aristotelischen Regelpoetik aufgetreten, der die Dramen von Aristophanes und Shakespeare ablehnt ( IS I: 48 und 50; vgl. Kap. 4.2 dieser Arbeit). 43 Molières Komödie wurde 1670 als „Comédie-Ballet“ am Hof von Louis XIV erstmals aufgeführt, eingerahmt von einer Ouvertüre und einem „Ballet des Nations“, mit Balletttänzen in den Zwischenakten; die Musik dazu stammte von J. P. Lully, dem Hofkomponisten von Louis XIV (vgl. Molière 1971, 2: 236 8 Schauspiele im Text Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 blick fingen die Musikanten […] an, ein Siegeslied zu blasen; ein schönes Feuerwerk […] fing an zu knallen, und hohe Raketen, mit römischen Lichtern, bildeten einen Triumphbogen über dem Mond“ ( IS IV : 356). 44 Zwar wird Molières Stück nicht aufgeführt, doch deutet das parodistisch als Farce geschilderte Festessen darauf hin, dass hier Martin Julius und seine Gäste das Stück selber spielen: Sie sind Darsteller einer Komödie mit Anklängen an den Bürger als Edelmann , wobei Professor Schwefelkies kriecherisch und unterwürfig als Hofnarr des Adels auftritt, dem er in einem feierlich-pathetischen Lied huldigt ( IS IV : 346). Die Wörter ‚Maske‘, ‚Larve‘ oder ‚Puppe‘ ( IS IV: 342 und 346), mit denen er bezeichnet wird, verweisen ihn und seine pedantische Regelpoetik in die Welt der Maskerade. Die Freundschaft zwischen Eberhards Vater und dem ‚Poeten‘ Schwefelkies als Verkörperung komischer Figuren sowie der Rahmen des Festes wirken stellenweise wie ein Zerrbild des zu idealer Schönheit und höchster Bedeutung gesteigerten Festes in Heinrich von Ofterdingen , an welchem Heinrich in seinem Grossvater und dessen Freund, dem Dichter Klingsohr, Leitfiguren findet, die ihn seiner Bestimmung zum Dichter entgegenführen, und wo er in der Liebe zu Klingsohrs Tochter die Erfüllung seiner im Traum erfahrenen Sehnsucht nach der ‚blauen Blume‘ erlebt (Novalis 1962: 225-234). Während das Fest also für Heinrich Höhepunkt und Initiation seines Weges in die Poesie bedeutet, ist es für Eberhard eine Inszenierung der Lächerlichkeit seines Vaters und eine Herabwürdigung der Dichtkunst, die Schwefelkies dazu missbraucht, um sich beim Adel einzuschmeicheln. In diesem Teil des Romans werden mit den Anklängen an Heinrich von Ofterdingen zentrale Elemente der Romantik implizit, d. h. gewissermassen ‚maskiert‘, in den Text eingeführt und dienen zur Entfaltung eines parodistischen Maskenspiels. Ohne sich seinem Vater zu erkennen zu geben, verlässt Eberhard das Fest und reist auf der Suche nach Cordula weiter nach London. Den Hinweis zu dieser Reise hatte ihm Heinrich Schlenk gegeben, der ihm zu sagen wusste, dass Cordula sich in London aufhalte. 45 Eberhard findet zu seinem Missfallen, dass dort „alles französisch gebildet seyn“ sollte ( IS IV : 370), während von Shakespeare kaum die Rede ist; auch seine Stücke werden nur selten aufgeführt. Als doch einmal Romeo und Julia gegeben werden soll, wird das Stück wegen Erkrankung eines Schauspielers mit Addisons Cato ersetzt. Wie Eberhard feststellt, sind die Zuschauer „mit diesem Tausche wohl zufrieden“, denn es wäre doch besser, ein regelmässiges Stück in fliessenden Versen, voll trefflicher Gesinnungen zu sehen, als einen nachlässig dialogisierten Roman aus der barbarischen Zeit, worin so viele Zoten 703-787 und 1421). Das Ganze fügte sich zu einem eigentlichen Festspiel mit Tendenzen zum Gesamtkunstwerk. 44 Richard Alewyn beschreibt in seinem „Versuch einer Morphologie des weltlichen Festes“ die Bestandteile eines höfischen Festes der Barockzeit, zu denen auch der „Trionfo“ gehört, der Einzug des Fürsten in die Stadt, oft als römischer Triumphzug gestaltet, sowie ein Feuerwerk als krönender Abschluss des Festes (Alewyn 1989: 23-27). Mit den „römischen Lichtern“ und der Feuerwerksfigur des „Triumphbogen[s] über dem Mond“ vereint das Fest von Martin Julius beide Elemente. 45 Heinrich, der plötzlich wie aus dem Nichts erschienen war, ist der Sohn von Obadias Schlenk, den Eberhard einst vor dem Gefängnis und, nach seinem Tod am Galgen, vor der Anatomie gerettet hatte; seit dem Beginn von Eberhards Suche nach Cordula tritt Heinrich immer genau rechtzeitig auf, um den Jüngling vor Ungemach zu bewahren oder ihm wichtige Informationen zu geben. Dadurch gleicht Heinrich dem „Helfer“, d. h. dem Typus der Märchenfigur, die dem Helden bei seinen Prüfungen entscheidende Hilfe leistet; häufig handelt es sich um eine Figur, welcher der Held einst Wohltaten erwiesen hatte (vgl. Lüthi 1985: 30-32). 8.5 Dramen auf dem Weg zur Insel Klein-Felsenburg 237 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 vorkämen, und worin die Liebe so sinnlich locker behandelt würde, dass kein ehrbares Mädchen beinahe der Aufführung beiwohnen könne. ( IS IV : 371) 46 In diesem Votum der Zuschauer sind die Gegensätze zwischen aristotelisch-französischer Regelpoetik und Shakespeare’scher Dramenkunst klar umrissen und entsprechen den in den IS vertretenen Ansichten, z. B. von Professor Schwefelkies, der sich mit Eberhard über genau diesen Kontrast entzweite (vgl. Kap. 4.2); aber auch die Diskussionen über Macbeth und den Cid mit Kapitän Lemelie, sowie Concordias Bedenken in Bezug auf Shakespeares Sturm klingen hier an (vgl. Kap. 8.3). Während der Aufführung von Addisons Cato schläft Eberhard ein, wie einst Wolfgang bei der französischen Tragödie in Amsterdam, weshalb seine Nachbarn ihn, der „einen solchen herrlichen Genuss verschlafen kann,“ für „sehr roh und ungebildet“ halten ( IS IV : 372). Schliesslich erlebt Eberhard doch noch eine Aufführung von Romeo und Julia , die aber, wie er bemerkt, „mehr von den schlichten Bürgersleuten als vom Adel und Gentry“ besucht wird ( IS IV: 372). Das Stück ruft bei den Zuschauern starke Emotionen hervor, weil es „nicht in einem vornehmen hochtrabenden Ton einförmig tragisch zu Ende geleiert […], sondern selbst vom Komischen und Burlesken charakteristisch unterstützt“ wird ( IS IV : 372-373). Hervorgehoben wird also der polyphone Charakter des Stückes, der die Monotonie der einschläfernden, formal geschlossenen Tragödie überwindet; im Gegensatz zum Adel ist es das kulturell aufstrebende Bürgertum, das die offene Form der Dramatik schätzt, während die Vorliebe für die strenge Regelmässigkeit des Dramas den Adel als erstarrten, rückwärtsgewandten Stand kennzeichnet. Eberhard bemerkt Cordula unter den Zuschauern, verliert sie aber wieder aus den Augen. Dennoch dient die Tragödie nun nicht mehr bloss, wie zu Beginn von Eberhards Reise, als undeklariertes, lediglich angedeutetes Handlungsmuster, sondern wird durch die konkrete Theateraufführung zum Schauplatz, an dem Eberhard die totgeglaubte Cordula wiedersieht, wenn auch nur von ferne. Die eigentliche Wiederbegegnung der Liebenden findet in Stratford statt, wohin sich Cordula nach dem Tod ihres Vaters begeben hatte. Am Geburtsort Shakespeares, ihres Stammvaters, konnte sie verhindern, dass ein angeblich vom Dichter selber gepflanzter Maulbeerbaum gefällt wurde. 47 Die Rettung dieses Baumes deutet auf Erhaltung des ‚Stammbaumes‘, die von der Insel Felsenburg aus geleistet wird: Cordula selber führt Shakespeares Geschlecht durch ihre leibliche Abstammung weiter; 48 46 Addisons Cato wurde von Gottsched, der in den IS vermutlich als Prof. Schwefelkies karikiert erscheint, teilweise übersetzt; zudem verfasste Gottsched selber ein streng regelgetreues Drama zu diesem Stoff, unter dem Titel: Sterbender Cato. Ein Trauerspiel, nebst einer Critischen Vorrede, darinnen von der Einrichtung desselben Rechenschaft gegeben wird. Das Stück fand grossen Beifall beim zeitgenössischen Publikum, analog zu der hier zitierten Zuschauermeinung über Addisons Cato in den IS. 47 Zu dem Baum heisst es: „Man hat ja alte Fabeln, wie Menschen in den ältesten Zeiten zu Bäumen verwandelt sind, und in den Kindermärchen kommt auch viel von Druidenbäumen vor, worin freundliche Geister hausen“ ( IS IV: 362); diese beseelten Bäume sind möglicherweise eine Anspielung auf Holbergs Baummenschen in Niels Klims unterirdische Reise ; der staatskritisch-utopische Charakter dieses Romans scheint auf den ersten Blick zwar kaum Widerhall in den IS gefunden zu haben, doch könnte die von Europa getrennte, ihre eigene Lebensweise erprobende und gegen gewisse gesellschaftliche Phänomene durchaus kritische Gemeinschaft auf der Insel Felsenburg eine Beziehung zu Holbergs Roman haben. 48 Sie trägt zudem auch schon vor der Vereinigung mit der „Luther-Seite“ dessen Namen verborgen in ihrem eigenen, da ihr Geschlechtsname „Hulter“ als Anagramm für Luther gelesen werden kann. 238 8 Schauspiele im Text Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 sie ehrt sein Andenken aber auch in spiritueller Hinsicht mit der Bekränzung seines Bildes für die kirchlichen Hochzeitszeremonien ( IS III: 378). Eberhard inszeniert sein Wiedersehen mit ihr auf der Folie von Romeo und Julia ( IS IV : 379-382), wodurch Shakespeares Drama explizit zum Text-Raum für Cordulas und Eberhards Geschichte wird, die sich stellenweise zu einer Neuschreibung von Romeo und Julia entwickelt. Auf dem Höhepunkt dieser Handlung schlüpft Eberhard auch buchstäblich in die Maske einer Figur dieses Dramas, was das Maskenspiel mit Texten zusätzlich auf einer expliziten Ebene transparent macht. Der „Familienroman“ der leiblichen Nachkommen Shakespeares und Luthers, die eine Neufassung des Textes „erleben“, erscheint als wertende Metapher für Text-Fusion und Deszendenz, die darauf hindeutet, dass auch ein verehrter und kanonisierter Text - darin vergleichbar der Wartburg und dem dänischen Anker - kein unantastbares Heiligtum darstellt. So gesehen, wird intertextuelle Textproduktion zu einem Instrument, das einem bestehenden Text durch Einbezug in eine neugeschaffene Dichtung neue Lebensmöglichkeiten eröffnet. Die Reise, die Eberhard und Cordula nach Überwindung vieler Hindernisse schliesslich zusammenführt, trägt, wie mehrfach erwähnt, märchenhafte Züge; beide hatten Prüfungen zu bestehen wie im Märchen, und erhielten dabei auf märchenhafte Weise Hilfe von ihren Ahnherren Luther und Shakespeare, aber auch von einer Figur wie Heinrich Schlenk. Darüber hinaus ist ihr Aufenthalt in Europa als Suche nach dem eigenen Ursprung gestaltet und erinnert ausserdem durch die Begegnung mit dem Andenken der Stammväter an eine Bildungsreise. Das letzte Kapitel des Romans, das mit „Ende gut, alles gut“ überschrieben ist, 49 spielt selbstironisch mit der (imaginierten) Ungeduld des Lesers: „[…] wir eilen, eben so schnell wie sie [Eberhard und Cordula], diese Geschichte zu endigen, die ohnedem schon der Leser zu lang finden mag“ ( IS IV : 383). Doch steht vor dem „guten Ende“ dem jungen Paar noch eine letzte Prüfung bevor: Sie glaubten, die Insel schon fast erreicht zu haben, als an Bord eine ansteckende Krankheit entdeckt wird, was sie zu sofortiger Ausschiffung zwingt ( IS IV : 384-385); sie lassen sich zur „nächsten hohen Klippe rudern […], in der Hoffnung, dass diese Steinmasse zu den Felsenburgischen gehöre. […] der Weg dahin war ziemlich lang, die See ging hoch und der Abend graute ( IS IV : 384).“ Nachdem Eberhard auf seiner ersten Reise mit Kapitän Wolfgang die Insel Felsenburg ohne Schwierigkeiten erreicht hatte, müssen also er und Cordula diesmal, wie vor ihnen Albert und Concordia, aber auch Wolfgang selber und noch früher Cyrillo, ebenfalls eine harte Prüfung auf dem Wasser bestehen, ehe sie zur Insel gelangen. Es ist bereits Nacht, als die Landung gelingt, und so bemerken sie nicht, dass sie auf die Insel Klein-Felsenburg geraten sind, und zwar nicht an irgendeine beliebige Stelle, sondern, wie sie erst anderntags feststellen, mitten in ein Heiligtum hinein. 50 Dieses wird ihren von Luther und Shakespeare dominierten Bildungskanon um ein wichtiges Element erweitern: Nachdem Eberhard wegen der Fremdheit des Schauplat- 49 Ein weiterer Shakespeare-Anklang, denn das Sprichwort ruft im Textzusammenhang dessen Komödie All’s Well That Ends Well auf. 50 Die Stelle erinnert an Mozarts Zauberflöte , in der ja Pamina und Tamino ebenfalls Prüfungen zu Wasser und zu Land bestehen müssen, ehe sie in Sarastros Tempel einziehen dürfen: „Sogleich öffnet sich eine Tür; man sieht einen Eingang in einen Tempel […]“. Der Chor empfängt sie: „Triumph! Triumph! Du edles Paar! / Besieget hast du die Gefahr! / Der Isis Weihe ist nun dein! Kommt, tretet in den Tempel ein! “ (Schikaneder 1994: 67). Das szenisch imaginierte „antike Ägypten“ der Oper bildet einen Kontrast zu den ganz anderen kulturellen Elementen, aus denen sich das Schlussbild von Oehlenschlägers Roman zusammensetzt. 8.5 Dramen auf dem Weg zur Insel Klein-Felsenburg 239 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 zes das Heiligtum zunächst für ein Traumbild gehalten hatte, wird sein Bewusstsein - im doppelten Sinn - durch ein Lied geweckt, aus dem er erfährt, dass die zwölf Statuen, in deren Mitte er und Cordula geschlafen hatten, nordische Götter darstellen und von Wikingern geschaffen wurden, die einst auf der Heimfahrt von Konstantinopel auf die Insel Klein-Felsenburg geraten waren. Der Liedtext stammt von silbernen Platten, die im Tempel gefunden wurden; auch diese Insel erweist sich also, genau wie Gross-Felsenburg, auf der Cyrillo de Valaros Manuskript entdeckt worden war, als bereits beschriebener Raum, nur hat in diesem Fall die Verschriftlichung wesentlich früher stattgefunden, denn die Wikinger, die das Lied schrieben, waren Gefolgsleute von Harald Haarderaade, mit dem sie im 11. Jahrhundert nach „Miklagard“ zogen. 51 Die tiefste Besiedlungsschicht der Insel stammt also von Nordleuten; auf die Bedeutung ihrer Dichtkunst weist die im Heidentempel neben anderen Asen aufgestellte Statue des Dichtergottes Bragi hin, der in der nordischen Mythologie als Urheber der Dichtkunst gilt. Die Nachkommen Shakespeares und Luthers stehen so gewissermassen auf altnordischem Grund! Dass die Statuen mit griechisch-römischer Formkunst gestaltet sind, zeigt den kulturvermittelnden Aspekt der Wikingerfahrten, die aus diesem Blickwinkel auch als „Bildungsreisen“ erscheinen. Die Dialogizität zwischen nordischem Inhalt und antiker Form ist nicht nur auf die Gestaltung der Statuen beschränkt, sondern besteht auch zwischen den Religionen: Die Wikinger sind Christen, wie es im Lied heisst; trotzdem schaffen sie heidnische Götterstatuen. Auch in Schnabels Roman wird auf Klein-Felsenburg ein heidnischer Tempel mit 12 Götzenbildern entdeckt ( WF III : 335-338), ausserdem werden Schrifttafeln aus Stein, Kupfer und Gold gefunden ( WF III: 345-346) und Urnen mit geheimnisvollen Zeichen ausgegraben ( WF III: 312-317 und WF IV: 380-381). Diese Entdeckungen, die teilweise von unheimlichen Geistererscheinungen und magischen Phänomenen begleitet sind, führen zu vielen Fragen über die ehemaligen Besiedler der Insel. Da jedoch die Schrifttafeln nicht entziffert werden können, bleibt die frühe Besiedlung ein Geheimnis, das auch durch die im Anhang mitgeteilte medizinisch-alchemistische Auslegung der Urnensymbole ( WF IV : 561-584) nicht entschlüsselt wird. In den IS dagegen hilft ein isländischer Matrose bei der Übersetzung der von den Wikingern auf Silberplatten hinterlassenen Texte, die Aufschluss geben über den Tempel und die 51 Die Geschichte von Harald Haarderaade ist Snorris Heimskringla und einigen anderen Quellen entnommen, wie Oehlenschläger im Vorwort zu Væringerne i Miklagard [ Die Wäringer in Konstantinopel ] mitteilt, einem Drama, das ebenfalls auf diesem Stoff basiert und das er 1827, also relativ kurze Zeit nach den IS , publizierte; er gab es in einem Band mit dem Titel Skuespil heraus, der ausserdem noch das Libretto Flugten af Klosteret [Die Flucht aus dem Kloster] enthielt und so gleichsam zwei „Seitentriebe“ des Romans vereinigte. Der lapidare Titel des Bandes wirkt dabei wie das Signal für eine Flucht aus dem Experiment der Romangattung und Rückkehr in die Oehlenschläger weit vertrautere Gattung des Bühnenstückes. Im Unterschied zu Væringerne i Miklagard spielen in Flugten af Klosteret zwei Figuren aus den IS tragende Rollen und knüpfen so dieses Singspiel eng an den Roman (vgl. Kap. 7, Exkurs). Das Stück Væringerne i Miklagard dagegen löst sich vom Romanstoff bzw. bildet Ereignisse ab, die lange vor den Zeitebenen der IS liegen. Es war wesentlich erfolgreicher als Flugten af Klosteret , rief aber auch Kritik hervor, insbesondere bei Heiberg, der seine kritische Rezension zu einer eigentlichen, historisch gesehen modernen Dramentheorie ausbaute und diese in seiner Zeitschrift Kjøbenhavns flyvende Post [Kopenhagens Fliegende Post] Anfang 1828 über neun Nummern verteilt abschnittweise veröffentlichte. 240 8 Schauspiele im Text Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 erste Besiedlung. 52 Die Leerstelle, die das unaufgelöste Geheimnis in den WF bildet, 53 wird in den IS ausgefüllt, und zwar bezeichnenderweise durch ein Denkmal des Nordens, das ausserdem ins Schlusskapitel, also an eine prominente Stelle im Romanganzen, eingefügt wird. Dieses Denkmal hat aber nichts Museales, sondern wird auf verschiedene Weise in die Gegenwart des Insellebens einbezogen, einmal ganz prosaisch, indem die praktisch veranlagte Schweizerin Hanna Hellkraft dort Wäsche zum Trocknen aufhängt, dann aber auch durch eine künstlerische Umgestaltung, eine „Transmetrisierung“ (Genette 1993: 306-309), denn das Lied der Wikinger wurde von den Klein-Felsenburgern „in deutsche Reime“ gebracht ( IS III : 398). Die Umdichtung im Hildebrandston, der „modernisierten“ Form der Nibelungenstrophe, rückt es in die Nähe des Nibelungenliedes, das Anfang des 19. Jahrhunderts den Rang eines Nationalepos erhielt. 54 Damit wird implizit auch die nordische Dichtkunst Teil des von Shakespeare und Luther bestimmten literarischen Kanons. Die künstlerische Weiterentwicklung der Hinterlassenschaft der Wikinger setzt sich fort durch den Einbezug der Musik: Das in eine deutsche Strophenform umgeschaffene Lied wird zu einer „alten nordischen Melodie“ vorgetragen ( IS III: 398). Dieses Arrangement verbindet die Kunstgattungen Dichtung, Musik und bildende Kunst - das Lied wird vor der Kulisse der Statuen gesungen - zu einem Gesamtkunstwerk, wobei durch die ausdrückliche Nennung des Dichtergottes Bragi und seiner Frau Idun die Kunst des Nordens mit der Idee der Unsterblichkeit verknüpft wird. Die Synthese der Künste wird noch dadurch verstärkt, dass in jeder einzelnen Kunstgattung wiederum zentrale Elemente des europäischen Kanons vereinigt sind, denn auch die altnordische Melodie wird durch die „schöne Tenorstimme“ des Bach-Schülers Lademann ( IS III : 392) veredelt. Ein wesentlicher Punkt bei diesem Gemisch aus Gattungen, Epochen und Stilen ist die minuziöse Darlegung der Überlieferung und Zusammenführung jedes dieser Elemente 55 als Resultat von Reisen, Besiedlungen, zufälligen Funden und Übersetzungen, die den ganzen Roman durchziehen und ihn so zu einer Odyssee durch den europäischen Kanon werden lassen. Dieses eklektische Gesamtkunstwerk steht nun auf dem U-topos „Klein-Felsenburg“ in einem von der Küste her fast unzugänglichen, zeitlosen „Jetzt“ für die leiblichen 52 Diese alten Silberplatten mit dem eingeritzten Text aus einer vergangenen Zeit bilden ein Gegenstück zu den verlorenen „Goldhörnern“, die Oehlenschläger in seinem wohl berühmtesten Gedicht Guldhornene besungen hat: „Da klinger i Muld / det gamle Guld. Tvende Glimt fra Oldtidsdage / funkler i de nye Tider. […] Mystisk Helligdom omsvæver / deres gamle Tegn og Mærker“ [Da klingt in der Erde / das alte Gold. Zwei Schimmer aus uralten Tagen funkeln in den neuen Zeiten. […] Mystische Heiligkeit umschwebt ihre alten Zeichen und Kerben.] ( Digte 1803 / 1979: 82). 53 Günter Dammann spricht in seinem Nachwort zu den WF von der „Setzung einer (bestimmten) Lücke mit dem gezielten Verzicht auf Ausfüllung“ (Dammann 1997a: 124). 54 Klaus von See zeichnet in seinem Artikel „Das Nibelungenlied - ein Nationalepos? “ die wechselvolle, über 100jährige Rezeptionsgeschichte des Nibelungenliedes nach; demnach war dessen Status als Nationalepos nur bis in die 1820iger Jahre einigermassen unangefochten und musste in der Folge unter anderen Prämissen immer wieder neu aufgebaut werden (von See 2003: 309-343). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Nibelungenstoff in Kombination mit altisländischen Quellen einen Baustein für die Gestaltung von Wagners „Ring“-Tetralogie darstellt, mit der in Form eines Gesamtkunstwerkes ein nationales Musiktheater für das neue Reich begründet werden sollte (Uraufführung des Zyklus 1876 in Bayreuth). 55 Diese Kombination von Bestandteilen des europäischen Kanons liest sich wie ein Werbetext für des Autors eigene dramatische Produktion, die in Inhalt und Form ähnlich eklektisch gestaltet ist. 8.5 Dramen auf dem Weg zur Insel Klein-Felsenburg 241 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Nachkommen Shakespeares und Luthers sowie für eine auserwählte „Elite“ bereit. Die innovativ wirkende Zusammenführung der Künste deutet durch den Einbezug des Nordens als wichtige Quelle für künstlerisches Schaffen auf eine Kanonerweiterung. Bei näherem Hinsehen zeigen sich jedoch auch Aspekte von Verengung und Ausgrenzung: Auf Klein- Felsenburg erscheint der Kanon - mit Ausnahme der die Antike einbeziehenden bildenden Kunst - noch stärker auf germanische, allenfalls germanisch-englische Kultur zentriert, als schon zuvor auf Gross-Felsenburg, wo in Cyrillos Manuskript und dessen Glorifizierung des Ariost immerhin noch ein romanisches Element vorhanden war. Diese Reduktion entspricht dem Rückzug von Eberhards engsten Freunden auf Klein-Felsenburg; in einer solchen Abkapselung und Isolation, die andere Menschen ausschliesst, haben auch fremde Kulturen keinen Platz: Es ist wohl kein Zufall, dass gerade Minga spurlos aus dem Text verschwunden ist; sie hat zwar durch ihre mutige Ermordung Lemelies die Fortpflanzung der Hauptfiguren und damit den weiteren Gang der Geschichte erst ermöglicht, aber ihr eigenes Geschlecht ist offenbar mit ihr erloschen - sie hat also noch weniger Spuren hinterlassen als Lemelie, der immerhin durch sein Manuskript noch präsent ist. Der Kanon der Klein-Felsenburger weist weder französisch-romanische noch aussereuropäische Elemente auf, denn auch die geographisch am nächsten liegende Kultur der Südsee-Inseln wird nicht einbezogen. Diese ausgrenzende Haltung findet ihren Ausdruck darin, dass der Romanschluss gleichsam in einen Innenraum gesperrt ist, und zwar nicht in einen beliebigen Raum, sondern in Eberhards Wohnstube, die ein besonders biederes Gepräge erhält, weil das „gelbe plüschene Canapee“ aus Eberhards „niedlichem und sauberem“ Zimmer in Leipzig ( IS I: 4) wieder darin steht. Damit kehrt dieser „literaturgeschichtliche Familienroman“ gleichsam an seinen Anfang zurück und lässt es fragwürdig erscheinen, ob der Zuwachs an personeller und literarischer Deszendenz, welcher in diesem Familienmuseum entstehen wird, der im Roman geforderten kulturellen Dynamik genügen wird. Doch erscheint diese Skepsis gemildert durch eine ironische Schlussnote, in der Eberhards kleiner Hund die Hauptrolle spielt: Nachdem er schon die Guanchenhöhle auf Teneriffa entdeckt hatte, war er es auch, so erzählen die Freunde, der den Tempel auf Klein-Felsenburg fand. Zu diesen archäologischen Entdeckungen, die der Erzählung jeweils neue Dimensionen und Einblicke in frühere Kulturschichten hinzufügten, kommt nun eine Episode, die einen poetologischen Zug freilegt: Als Eberhard und Cordula aus dem Tempel treten, sehen sie Litzberg mit der Tuschzeichnung eines alten Runensteins 56 beschäftigt. Der Hund entdeckt seinen endlich zurückgekehrten Herrn, rennt auf Eberhard zu und wirft dabei die Tuschschale über die Zeichnung, so dass die „Kreideskizze“ überdeckt und unsichtbar, oder vielmehr „unlesbar“ wird. In Eberhards und Cordulas Wohnung hängen hingegen Luthers, Shakespeares und Alberts Ölgemälde an der Wand, die - wiederum leicht ironisch gefärbt - den Kreis zum Vorwort schliessen, denn gerade im Einbezug von Luther und Shakespeare zeigt sich eine wesentliche kulturgeschichtliche Erweiterung 57 gegenüber dem „alten Runenstein“ der WF . 56 Bei dem „Ruinenstein“ des Textes ( IS IV: 394) handelt es sich um einen Druckfehler für „Runenstein“, der schon in der dänischen Ausgabe von 1824 / 25 und auch in den gekürzten Fassungen in beiden Sprachen korrigiert wurde. 57 Bekanntlich ist das Luthertum auch in Schnabels Roman ein zentrales, um nicht zu sagen, entscheidendes Element, jedoch kreist der Text der WF um die Lehre Luthers, nicht um seine Figur, wie in den 242 8 Schauspiele im Text Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 8.6 Fazit Theater und Schauspiel nehmen, wie gezeigt wurde, in den IS einen breiten Raum ein. Die grosse Vielfalt der Darbietungsformen und -möglichkeiten dieser Kunstgattung wird auf zwei zeitlichen Ebenen entfaltet, wobei die Protagonisten Albert und Eberhard auf je verschiedene Weise in Dramen unterschiedlichster Art involviert werden. Sie sind sowohl Zuschauer als Mitwirkende, und erleben in beiden Funktionen dramentheoretische Modelle am eigenen Leib. Das Spektrum reicht von karnevalesken, schwankhaften Szenen über biblische Stücke auf volkstümlichem Improvisationstheater bis zu Shakespeare als Lektüre und Theaterspiel und zu einem von Molières Stücken inspirierten Fest; einbezogen werden zudem Stücke nach französischer Regelpoetik. Alles, was Albert und Eberhard erleben, sei es im Theatersaal oder auf der Bühne, wird in einem unaufhörlichen Strom von Reflexionen, Dialogen, Diskussionen, Streitgesprächen etc. kommentiert. Dies freilich auf so lebendige Weise, dass kein Bruch zwischen Reflexions- und Handlungsebene entsteht, da beide Ebenen ineinander übergehen, miteinander dialogisieren, sich wechselseitig durchdringen. Stellenweise wird die Dramenpoetik selber inszeniert, indem sie so genau ins Romangeschehen eingefügt wird, dass sie, wie in Kap. 8.3 gezeigt, Teil eines (erzählten) Dramas wird. Insgesamt manifestiert sich in allen möglichen Zusammenhängen die Vorliebe der Romantiker für Shakespeare und sein Theater, während die Stücke der französischen Klassik als unnatürlich, langweilig, steif und künstlich verdammt werden. Diese Präferenz wird aber nicht einfach nur behauptet, sondern durch die Verwandtschaft der Stammmutter Concordia mit Shakespeare zu einem der fundamentalen Züge des ganzen Romans gestaltet. Die französische Klassik dagegen wird von Lemelie vertreten, der als Verkörperung des Bösen zugrunde geht. Diese freilich krass anmutende Zuordnung erscheint öfters auch in ironischem Licht, etwa, wenn Mats Hansen sich aus seiner betont französisch arrangierten, einengenden Hofkleidung erst befreien muss, um im Trinkwettbewerb zu siegen. Die im Text immer wieder spürbare Theateraffinität steuert das Geschehen so, dass sich die Dramenthematik durch den ganzen Roman zieht und in unterschiedlicher Weise sowohl Concordia und Albert wie auch deren Nachkommen Eberhard und Cordula zusammenführt. Ein weiteres Indiz für die prominente Position des Theaters im Roman sind die beiden Bühnenwerke Die Flucht aus dem Kloster und Die Wäringer in Konstantinopel, die aus bestimmten Romansequenzen hervorgegangen oder doch mit ihnen verknüpft sind (vgl. den Exkurs zu Kap. 7 und das in Kap. 8.5 besprochene Schlussbild). IS, wo Luther vor allem als Dichter hervortritt, wie mehrfach betont wird (z. B. von Geistesgrössen wie Leibniz und Gustav Adolf). 8.6 Fazit 243 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 9 Schlussbemerkungen Ende gut, alles gut! Ist das Schlusskapitel überschrieben, und in der That […] begegnen sich Anfang und Ende in dieser gelungensten aller Robinsonaden so rührend, so befriedigend, dass wie in einem grossen Musikstück keine Dissonanz unaufgelöst geblieben ist. Dieser Ausschnitt aus Karl August Böttigers Kritik der Inseln im Südmeere (Böttiger 1826: 403. Sp. 2) betont die Kreisbewegung des Textes, der ins Schlussbild Elemente des Romananfangs integriert, was man mit Böttiger als beglückendes Ende auffassen oder als eine statisch wirkende Geschlossenheit sehen kann, die nur durch die ironische Färbung vor der gänzlichen Erstarrung gerettet wird. Der Vergleich des Romans mit einem „grossen Musikstück“ weist auf die polyphone Anlage des Textes hin, deutet aber auch ein anderes wichtiges Charakteristikum des Werkes an: Wie die Analysen dieser Arbeit zeigen, reflektiert der Roman fast unablässig über Kunst in jeglicher Form. Dichtung, Musik, Malerei, zum Teil auch Architektur, werden aus immer neuen Perspektiven beleuchtet und von unterschiedlich kombinierten Personengruppen in verschiedensten Situationen diskutiert. Stellt man sich nun die Frage, warum dies auf der Basis von Schnabels Roman, oder manchmal geradezu in dessen „Romankörper“ eingenistet geschehe, mit anderen Worten, weshalb gerade Schnabels Roman als geeignetes Gefäss für Kunstreflexionen betrachtet wurde, so scheint mir eine mögliche Antwort in der eminent polyphonen Struktur der Wunderlichen Fata zu liegen. Das vielstimmige Erzählkonstrukt des Prätextes bot sich als Inspirationsquelle für die Etablierung eines polyphonen Kunstdiskurses 1 an, der in einem vielschichtigen Zeit-Raum-System, d. h. auf verschiedenen Zeitebenen in einer weitverzweigten Topographie, geführt wird. Die zahllosen Erzählerstimmen Schnabels lassen sich potentiell ins Unendliche erweitern; das Erzählen selbst generiert immer neue Erzählungen, wobei der serielle Charakter dieser Erzählform bei Schnabel weit stärker zum Tragen kommt als in Oehlenschlägers Roman. In den IS verwahrt sich der auktoriale Erzähler ja gerade gegen stetige Erzählunterbrüche wie z. B. in Tausendundeine Nacht. Dennoch nutzt der Autor gar nicht so selten die Technik des Cliffhangers, die das Wesen des seriellen Erzählens ausmacht. Dies kommt besonders in der Aufteilung in Kapitel mit oft geheimnisvollen Titeln zum Ausdruck, aber z. T. auch in der Organisation der vier Bände des Romans. In der additiven Struktur, der thematischen Fokussierung auf alle Kunstarten und der Gattungsmischung im gesamten Text zeigen sich Parallelen zu Tiecks Phantasus, der seiner Anlage nach in der Tradition von Boccaccios Decamerone steht - die Anlehnung an dieses Muster wird im Phantasus als „gefährlich“ bezeichnet (Tieck 1985: 91), was sich sowohl auf die sexuell betonte Motivik des Decamerone, als auch auf die Traditionalität der Struktur bezieht. Demgegenüber erweist sich Oehlenschlägers Roman gerade durch den Rückgriff auf Schnabels Handlungs- und Figurengeflecht als innovativ, denn dieses bildet die Grundstruktur für eine lebendige „Dramaturgie“ der Kunstdiskussionen, die in vielen Fällen so geschickt in die oft vom Prätext stammende Handlung eingewoben werden, dass 1 Brynhildsvoll hat dafür den glücklichen Ausdruck „Interartdiskurse“ gefunden (1996: 123). 244 9 Schlussbemerkungen Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 sie selten in abstrakter Gelehrsamkeit erscheinen, sondern integrierenden Bestandteil einer häufig dramatischen Handlung bilden und die Figuren selber charakterisieren - man denke z. B. an den Versuch, in Eberhards und Litzbergs Streitgesprächen die beiden Personen so mit den jeweiligen Argumenten und Überzeugungen auszustatten, dass eine plausibel wirkende Personenzeichnung entsteht. Schnabels „Stimme“, ihre erzählerische Kraft, die strukturelle Anlage seines Romans, die dem Erzählen eine zentrale Position einräumt, all das dürfte dazu beigetragen haben, dass Oehlenschläger dieses Werk als Fundament für sein Projekt wählte; er nutzte Schnabels als volksnahe Abenteuergeschichte inszenierte Utopie zur Leserwerbung; das Publikum sollte durch die Lektüre dazu „verführt“ werden, sich auf das literarische, künstlerische, kulturelle Themenspektrum einzulassen, das der Autor auf diese Weise im Wortsinn „divulgieren“, im Volk verbreiten wollte, worauf auch seine Hoffnung deutet, der Roman würde als „Morskabslæsning“ [Unterhaltungslektüre] aufgenommen und ebenso eifrig gelesen wie die alten Volksbücher. Als ein solches betrachtete er ja auch die einst viel gelesene und beliebte Insel Felsenburg , die er mit seinem eigenen Roman zum Vehikel für eine grossangelegte Verbreitung von kulturellem Wissen umfunktionierte, wobei er natürlich die Reichweite des Textes durch die Publikation in zwei Sprachen beträchtlich ausdehnte und wohl gerade auch im deutschen Sprachraum, dem Herkunftsgebiet von Schnabels Roman, auf besonderes Interesse hoffte, was bei der Entscheidung, den Roman zuerst auf Deutsch zu schreiben, ebenfalls eine Rolle gespielt haben dürfte. Die Darstellung der kulturellen Inhalte ist das eigentliche „Ö(h)lgemälde“, das auf der Grundlage von Schnabels „Skizzenzügen“ geschaffen wurde, womit der Autor implizit auch einräumt, dass ohne diese Skizze sein Gemälde nicht zustande gekommen wäre. Die Themen, die in den IS verhandelt werden, greifen jedoch weit über den Kunstdiskurs hinaus, auch wenn diesem über das ganze Romanwerk gesehen mit Abstand am meisten Raum zugestanden wird. Die Gespräche und Handlungen der Figuren erstrecken sich über ein grosses Spektrum verschiedenster Gegenstände, seien dies Praktiken wie das schon zu Alberts Zeiten umstrittene Duell oder die problematischen Verfahren der frühen Anatomie, die Kluft zwischen Adel und Bürgertum oder verschiedenen Nationalsprachen, geschichtliche Ereignisse wie der Dreissigjährige Krieg oder die spanische Inquisition, und vor allem immer wieder die Religion - all dies sind wichtige Themenkreise, letztere insbesondere geht eine enge Beziehung mit der Dichtung ein, personifiziert durch Luther, der in diesem Roman fraglos als Dichter gilt. Der grossen thematischen Vielfalt entspricht der Reichtum der Gattungen im Roman: Lieder und Gedichte verschiedenster Art, Briefe, Tagebuchausschnitte, bald in Prosa, bald in homerischen Hexametern, Schauspiele aller Gattungen, von der Tragödie bis zum Schwank, unterschiedliche Erzählformen wie Autobiographien, Novellen, Märchen, Anekdoten, Bildbeschreibungen, etc. prägen das dichte Konglomerat literarischer Ausdrucksformen in diesem Text, der sich darüber hinaus mit zahllosen weiteren Dichtungen intertextuell vernetzt. Gerade in dieser Hinsicht bleibt die Grundstruktur der WF insofern bestimmend, als sie ein reiches Metaphernfeld zu Wesen und Dynamik der Intertextualität bietet: Land- und vor allem Seereisen sind Chiffren für das Pendeln und Navigieren zwischen Texten, wobei der literarische Kanon durch Handlungsetappen an geistesgeschichtlich oder literarisch be- Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 9 Schlussbemerkungen 245 deutsamen Stätten wie Ferrara, der Wartburg oder Stratford gewissermassen geographisch „verortet“ wird. In dieser geographischen Komponente liefert der Familienroman die ideale diachrone Achse, indem die leiblichen Nachkommen Luthers und Shakespeares, verbunden in der überaus langlebigen Familie Julius, auch das „Deszendieren“ der Texte auf der zeitlichen Ebene darstellen. Durch die Funde von Cyrillos Manuskript und von Relikten der Wikingerkultur wird die historische Achse noch verlängert. Die Gründung eines utopischen Staates hingegen, in dem Relikte und Reisende unterschiedlichster europäischer Provenienz ihr Ziel finden, handelt von der Neuschöpfung durch Synthese verschiedener Komponenten dieses Kanons, wobei vor allem dieser Prozess der Mischung und nicht ein überzeugendes ästhetisches Resultat im Vordergrund steht. Dass dem Schritt von der Felsenburg des Spaniers Cyrillo zur ehemals wikingerbesiedelten Klein-Felsenburg auch kulturpolitische Relevanz in Bezug auf Kanonkonstruktion und -selektion zukommt, hat sich in Kapitel 8.5 gezeigt. Die Schnabelsche Folie lieferte dem Folgetext, der in unterschiedlichen Thematiken sehr oft um die Überlieferung und Neukomposition von Texten kreist, die nötige Grundstruktur, um Intertextualität in kohärenten Abläufen und Bildern, oft auch ironisiert, zu einem Verfahren und zu einer Romanhandlung werden zu lassen. Bemerkenswert ist natürlich auch, dass dieser Roman in seiner ganzen Formenvielfalt in zwei Sprachen erschienen ist; das Phänomen dieser zweisprachigen Produktion bildete in der vorliegenden Arbeit Gegenstand einiger vergleichender Analysen bestimmter Textausschnitte in beiden Sprachen, ebenso wie die dänisch und deutsch erschienenen gekürzten Romanfassungen, wobei diese Kürzungen je nach sprachlichem Zielpublikum ein differenziertes Bild ergeben, da nicht einfach in jeder Version dasselbe gestrichen wurde. Für eine schlüssige Interpretation der Differenzen, die das Potenzial hätte, über blosse Hypothesen hinauszugehen, müsste allerdings ein wesentlich grösseres Textvolumen untersucht werden, als es hier geschehen ist. Weitere Untersuchungsfelder könnten die Text-Kontext-Beziehungen dieses Romans aus kulturgeschichtlicher Perspektive darstellen, sowie vertiefte chronotopische Analysen, die dem Zusammenspiel und Wechsel der unterschiedlichen Zeitebenen und Räume gewidmet wären. Als weiteres Thema würde sich eine Studie über die Ironie im Roman anbieten; Ironie, oft auch Selbstironie der Figuren, erscheint als ein zentrales Gestaltungselement, dessen Charakter aber längst nicht immer eindeutig zutage tritt, sondern oft in verschiedenen Schattierungen, Nuancen und Abstufungen mehr geahnt als erkannt werden kann. Abschliessend kehrt auch diese Arbeit, wie der Roman, an ihren Anfang zurück: Das als Ausgangspunkt für die Untersuchung zitierte Vorhaben des Autor-Ichs, unter Verwendung einiger schöner, „mit Kreide flüchtig hingeworfene[r] Skizzenzüge des alten Buchs“ ( IS I: IX) etwas Neues, Eigenes zu schaffen, halte ich besonders als innovative Variante einer Darstellung vielfältiger Gattungsmischungen und kunsttheoretischer Reflexionen in Romanform für gelungen: Aus dieser Perspektive handelt es sich bei Oehlenschlägers Werk tatsächlich um etwas „Keckes, Ungewohntes“, wie der Autor in der Vorrede ankündigt ( IS I: V). Es bleibt zu hoffen, dass sein Roman, auch dank moderner elektronischer Produktionsmöglichkeiten, zukünftig wieder vermehrt Leser findet. 8.6 Fazit 247 Meier, Inselromane, BNPh 70 (2022) DOI 10.24053/ 9783772057601 Abstract & Keywords Die Inseln im Südmeere , the only novel by Danish poet Adam Oehlenschläger, was forgotten soon after publication and has remained largely unknown. It was written between 1824 and 1826, at a time when the fame of the writer once crowned poet laureate was gradually beginning to wane. However, this did not stop him from continuing to write poetry and to publish large numbers of mainly dramas and poems year after year. A considerable part of his extensive work is based on existing material which he used to create his plays, verse epic, poems and prose. The sources of this material were extremely diverse, e. g. Saxo’s Gesta Danorum or Suhm’s historical works, as well as the vast reservoir of Old Norse literature or collections of ballads and fairy tales. The process of creating new works of literature from existing texts is almost as old as literature itself and was - at least until Romanticism - one of the most common literary production methods. Only in the course of early Romanticism did the idea of the author as the creator of an original literary work begin to gain acceptance, entailing a shift from the traditional rewriting of existing material towards the creation of (seemingly) new content. Yet in Romanticism in particular, enthusiasm also arose for tracking down and disseminating older texts, thanks to a newly awakened interest in the Middle Ages, and in text genres such as folk tales, chapbooks, fairy tales, myths and legends - in short, interest in anything that people considered original and unaltered. Oehlenschläger, who was soon labelled the leading exponent and communicator of Romanticism in the North, made a concerted effort in his works to breathe new life into traditional material and motifs, very often choosing texts from the Nordic culture and repopularising them with his rewriting not just in his own country but even translating his works himself and passing them on mainly to Germany. This meant that, in addition to the flow of literary movements and cultural achievements from South to North, much quoted in literary history, a flow in the opposite direction became established as well. The novel Die Inseln im Südmeere is also based on existing material, in this case Schnabel’s Wunderliche Fata einiger Seefahrer , better known by the title Insel Felsenburg , which was widely read in the 18 th and 19 th centuries. Nevertheless, Oehlenschläger’s novel is to be considered an exception in more than one respect. Firstly, it is, as already mentioned, the only work of this genre in Oehlenschläger’s œuvre. Secondly, it does not involve the passing of Nordic material to the South, but rather the traditional direction of transfer of a text from Germany to the North. Thirdly, the novel was originally written in German, and only subsequently “translated” by the author into his native Danish under the title Øen i Sydhavet . All three points are intensively discussed in Oehlenschläger’s highly informative foreword. In it, he develops an actual poetics of the novel by describing the creative process that resulted in his transforming Schnabel’s book which had been part of his early reading, into a work of his own. The disclosure of the relationship to his hypotext speaks of a high degree of self-reflection and therefore contradicts the traditional understanding of this author as just a “natural talent”, as “naturens muntre søn” [“nature’s lively son”]. The present work essentially focuses on two areas of investigation. Firstly, it shows the type of work Schnabel’s novel became under Oehlenschläger’s pen, i. e. what the text from 248 Abstract & Keywords the 18 th century inspired in the Romantic author. Secondly, this work investigates both the German and Danish versions, their relationship to each other, the possible reasons for differences as well as their presumed effects on German or Danish readers. This is followed by an examination of the different versions as an additional theme, because the lack of enthusiasm with which both the German and the Danish editions of the novel were received resulted in the author making extensive revisions to the text in both languages. In the case of the Danish edition, these modifications were even continued after Oehlenschläger’s death by his editor F. L. Liebenberg, followed by further changes in the 20 th century in an edition by the publisher Gyldendal, which in turn resulted in a new version of the Danish text. This investigation takes on not only the creative process of redesigning Schnabel’s work, but also material aspects of the first version of Oehlenschläger’s novel. The so far largely unedited exchange of letters about the novel with his major German publisher, Johann Friedrich Cotta, shows how the Danish author wanted the publisher to design his work, what kind of typographical examples he gave the publisher and lastly how the novel’s lack of success led to a lasting discord, if not even to the breakdown of this long-term author-publisher relationship. What are the features that characterise Oehlenschläger’s rewriting of Schnabel’s Insel Felsenburg ? The Danish author adopted Schnabel’s basic narrative structure that, with the themes of shipwreck and rescue on a remote island, includes the topoi which make up the Robinsonade genre. Schnabel’s novel takes place in three different periods and is enriched by a number of stories of new castaways, resulting in a multi-layered, polyphonic narrative structure. Schnabel’s main characters, in particular Albert Julius and his great-grandnephew Eberhard Julius, also appear in Oehlenschläger’s work; similarly, the Danish author integrates the three time periods into his novel and even expands it by a fourth. Implicitly, there also exists a fifth, since Oehlenschläger - in contrast to Schnabel - can look back on the events of the early 18 th century from a distance of almost a hundred years. While Schnabel presents the images of time from different centuries as a pandemonium of the most terrible crimes and intrigues that make the existence on the remote island seem like a paradisiacal idyll by comparison, Oehlenschläger uses the inclusion of several eras to create a journey through a literary cosmos that begins on the first page of the novel with a quote from Goethe’s Faust and is concluded - in the last chapter of the fourth part - with the discovery of a former Viking settlement on “Klein-Felsenburg”, the neighbouring island to “Insel Felsenburg”, in the “deepest” layer of time, i. e. in the earliest time period. There, the offspring of the first generation of castaways and their friends come across a temple with statues of Nordic gods that were erected by the Vikings - the former companions of Harald Haarderaade - on their return from Constantinople whose story is found by the residents of Felsenburg engraved on silver platters. It is composed in Icelandic verses whose metres recall the stanza form of the Nibelungenlied and translated for the Felsenburg inhabitants, depending on the version of Oehlenschläger’s text, into German or Danish rhymes by an Icelandic sailor who had also been stranded. Between these framework principles, the novel not only contains countless conversations about literature, painting, music and theatre, etc. Several poets also appear in person - made possible by the elaborate intertwining of the different time periods -, for example Italian Renaissance poet Ariosto whom Cyrillo de Valaro, the first settler of the island of Felsenburg, got to know in his youth and from whom he learned how to read his epic poem Abstract & Keywords 249 Orlando Furioso , a work that was greatly treasured in the Romantic era, Oehlenschläger’s own period, not least because of the ironic self-reflective distance to the subject matter that also characterises Oehlenschläger’s novel, in which the reflection of the poetic design process forms the predominant theme as part of the general discussions on art and literature. By establishing the main characters in his novel as the offspring of Luther and Shakespeare, the author makes them actors in a virtual historico-cultural universe that is based on a Nordic element with the traces of the Vikings discovered on the island of Klein-Felsenburg. The literally fundamental position of Nordic culture does form the conclusion of the novel but, when looking back on the text as a whole, it also constitutes the basis for the unfolding of a European canon of art and literature in which not only the bilingual version of the novel itself, but above all the tightly woven net of metaphors of land and sea journeys, refer to the dynamism of intertextuality and the literary transmission in their oscillation and navigation between different texts, artistic genres and cultures. The present work regards the single components of this textual diversity as voices engaged in dialogue, which is why the examination is based on Bakhtin’s theoretical concepts of polyphony and dialogism complemented by the Bakhtin-inspired intertextuality theories, as developed e. g. by Kristeva, and involving other findings, e. g. by Genette or Broich and Pfister that are committed to the “narrower” intertextuality concepts. Descriptive translation theories and concepts relating to the history of books suggest themselves for the analysis of the differing versions existing in two languages. Using these theoretical tools, the study works out in which way Oehlenschläger’s novel enters into dialogue with its hypotext, redesigns it, rewrites it and - as the author asserts - reinvents it. The result is a multi-layered text that combines traits of the coming-of-age novel with features of the Romantic novel, whose fragmentary, open-ended nature can be seen e. g. in the unending nature of the numerous conversations on art and literature. The danger that this kind of topic could simply result in a collection of art theory essays is banished by recourse to parts of Schnabel’s plot, because this forms the basic structure for a lively “dramaturgy” of discussions on literature, art and music that in many cases are so skillfully woven into the narrative drawn from the hypotext that they hardly ever appear in abstract scholarliness, but form an integral component of quite often dramatic events. Schnabel’s polyphonic text structure therefore gave the Danish author the opportunity to develop a versatile novel that is open to other texts and whose tendency to excessive debates can be checked and shaped into exciting scenes on the basis of Schnabel’s structured and shape-giving background. This investigation concludes that Oehlenschläger’s novel has the potential to revise the image of its author as a gifted but not very reflective writer and, thanks to the fascinating textual complexity, is deserving of considerably more attention and circulation than it has been accorded so far. Keywords Rewriting, polyphony, dialogism, intertextuality, biculturality, bilinguality, translation, romanticism, romantic novel. Rewriting, Polyphonie, Dialogizität, Intertextualität, Bikulturalität, Zweisprachigkeit, Übersetzung, Romantik, romantischer Roman. Abbildungsverzeichnis 251 Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Titelblätter der beiden Erstfassungen von Die Inseln im Südmeere und Øen i Sydhavet (Foto privat). Abb. 2: Titelblatt von Goethes Zeitschrift „Über Kunst und Alterthum“, Heft 1, 1816, Digitalisat aus dem Exemplar der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Z 120 (1). Mit freundlicher Genehmigung der Klassik Stiftung Weimar. Abb. 3: Titelblatt von Øen i Sydhavet , erschienen 1904 bei Gyldendal (Foto privat). Abb. 4: Buchcover der dänischen e-book-Ausgabe von Øen i Sydhavet von 2013, mit freundlicher Genehmigung des Verlages ebibliotek 1800. Abb. 5: Bucheinband von Die Inseln im Südmeer , Holbein-Verlag [1911] (Foto privat). Abb. 6: Titelblatt des ersten Teils der Wunderlichen Fata; Reproduktion aus dem Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Lm 1059, publiziert in J. G. Schnabel: Insel Felsenburg. Wunderliche Fata einiger Seefahrer , Teil I. Frankfurt am Main: Zweitausendeins, 1997. Digitalisat mit freundlicher Genehmigung des Verlages Zweitausendeins. Abb. 7: Titelblatt des zweiten Teils der Wunderlichen Fata; Reproduktion aus dem Exemplar der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar 32,3: 59 b , publiziert in J. G. Schnabel: Insel Felsenburg. Wunderliche Fata einiger Seefahrer , Teil II . Frankfurt am Main: Zweitausendeins, 1997. Digitalisat mit freundlicher Genehmigung des Verlages Zweitausendeins. Abb. 8: Titelblatt und Frontispiz des dritten Teils der Wunderlichen Fata; Reproduktion aus dem Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Lo 6958, publiziert in J. G. Schnabel: Insel Felsenburg. Wunderliche Fata einiger Seefahrer , Teil III . Frankfurt am Main: Zweitausendeins, 1997. Digitalisat mit freundlicher Genehmigung des Verlages Zweitausendeins. Abb. 9: Titelblatt des vierten Teils der Wunderlichen Fata; Reproduktion aus dem Exemplar der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 8° Fab. Rom. VI , 2525 b , publiziert in J. G. Schnabel: Insel Felsenburg. Wunderliche Fata einiger Seefahrer , Teil IV . Frankfurt am Main: Zweitausendeins, 1997. Digitalisat mit freundlicher Genehmigung des Verlages Zweitausendeins. Abb. 10: Ausschnitt aus dem Frontispiz des vierten Teils der Wunderlichen Fata , wie Abb. 9. Digitalisat mit freundlicher Genehmigung des Verlages Zweitausendeins. Abb. 11: Titelblätter der Erstausgaben von Die Inseln im Südmeere (Foto privat) und von Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden . Digitalisat aus dem Exemplar der Universitätsbibliothek Basel LesG E 181: 1. Mit freundlicher Genehmigung der Universitätsbibliothek Basel. Siglen und Kürzel 253 Siglen und Kürzel IS = Die Inseln im Südmeere. Tübingen und Stuttgart: Cotta, 1826. ØS = Øen i Sydhavet. København: Forfatterens Forlag, 1824-1825. WF = Insel Felsenburg. Wunderliche Fata einiger Seefahrer. Frankfurt am Main: Zweitausendeins, 1997. BrC = Briefe von Adam Oehlenschläger an Johann Friedrich Cotta, unpubliziert. Handschriftensammlung, Cotta-Archiv, Deutsches Literaturarchiv Marbach am Neckar [Mediennr. HS 012 227 527]. Breve A = Breve fra og til Adam Oehlenschläger Januar 1798-November 1809 . Hg. von H. A. Paludan, Daniel Preisz und Morten Borup, Bd. 1-5. København: Gyldendal, 1945-1950. Breve B = Breve fra og til Adam Oehlenschläger November 1809-Oktober 1829. Hg. von Daniel Preisz, Bd. 1-6. København: Gyldendal, 1953-1980. Breve C = Breve fra og til Adam Oehlenschläger Oktober 1829-Januar 1850. Hg. von Daniel Preisz, Bd. 1-3. København: Gyldendal, 1984-1990. DVjs = Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. KFSA = Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hg. von Ernst Behler, unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. Paderborn: Ferdinand Schöningh, 1958- ODS = Ordbog over det danske Sprog: Historisk ordbog over det danske sprog 1700-1950. Online-Ausgabe: ordnet.dk / ods. Schnabeliana = Jahrbuch der Johann-Gottfried-Schnabel-Gesellschaft. St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag. Literaturverzeichnis 255 Literaturverzeichnis Primärliteratur A) Adam Oehlenschläger Æstetiske Skrifter 1800-1812 (1980). Hg. von F. J. Billeskov Jansen. København: Oehlenschläger Selskabet. Bibliotheca Oehlenschlägeriana (1967). Hg. von Povl Ingerslev-Jensen. København: Oehlenschläger Selskabet. Breve fra og til Adam Oehlenschläger 1798-1850 (1945-1990). 14 Bände in 3 Reihen. Hg. von H. A. Paludan, Daniel Preisz und Morten Borup. Ab 1953 hg. von Daniel Preisz. København: Gyldendal. Værkog personregistre 1809-1850 , tidstavle 1809-1850 , brevfortegnelse og regester 1829-1850 (1996). Hg. von Jens Keld. København: C. A. Reitzel. Briefe von Adam Oehlenschläger an Johann Friedrich Cotta, unpubliziert. Handschriftensammlung, Cotta-Archiv, Deutsches Literaturarchiv Marbach am Neckar [Mediennr. HS 012 227 527]. Correggio (1989) . In: Axel und Walburg. Correggio. Tragödien. Faksimiledruck nach den Ausgaben von 1810 und 1816. Hg. und mit einer Einführung von Leif Ludwig Albertsen. Bern usw.: Peter Lang. Den lille Hyrdedreng. En Idyl (1818). København: Forfatterens Forlag. Die Flucht aus dem Kloster. Ein Singspiel. ( Meistens zu Mozarts Oper ‚Così fan tutte‘ gedichtet) . In: Schriften (1829-1830). Zum erstenmale gesammelt als Ausgabe letzter Hand, Bd. 13. Breslau: Josef Max und Komp. Die Inseln im Südmeere (1826). 4 Bde. Stuttgart und Tübingen: Cotta. Die Inseln im Südmeere (1839) = Bd. 15-18 von Werke. Zum zweitenmal gesammelt, vermehrt und verbessert. 21 Bände. Breslau: Josef Max und Komp. Die Inseln im Südmeer [1911]. Mit einer Einleitung von Richard M. Meyer. Stuttgart: Holbein Verlag. Die Inseln im Südmeere (2018). Bd 1. Inktank publishing (= Druck eines Digitalisats in Taschenbuchform). Digte (1803) (1979). Hg. von Povl Ingerslev-Jensen. København: Oehlenschläger Selskabet. Digtninger (1813). Bd. 2: Fortællinger. København: Forfatterens Forlag. Erindringer (1850-1851). 4 Bde. København: A. F. 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Genette, Gérard 19 ff., 105 f., 111, 115, 126, 139, 161, 171, 187, 240, 249 Goethe, Johann Wolfgang von 22, 29-32, 39 f., 43, 52, 76 ff., 110 f., 118 f., 122, 125 ff., 129, 131 f., 134, 136 f., 161, 174-178, 181 ff., 186, 190 f., 200 f., 204, 206, 219, 222, 235, 248 Herder, Johann Gottfried 30, 53, 94 f., 98, 117, 159, 229 Holberg, Ludvig 14, 22, 76 f., 85, 96, 102, 122, 174, 181, 194, 225 ff., 237 Horaz (Quintus Horatius Flaccus) 98, 125 f., 224, 233 Kleist, Heinrich von 22, 179 Kristeva, Julia 15 f., 18-21, 71, 135, 179, 249 Laxness, Halldór 30 Leibniz, Gottfried Wilhelm 65 f., 95, 98-103, 193, 242 Lessing, Gotthold Ephraim 107, 126, 219 Luther, Martin 65, 69, 82, 91, 93 f., 99, 102, 114, 126 f., 147, 162, 185, 188 ff., 193, 197 f., 201, 220 f., 226, 234 f., 237-242, 244 f., 249 Molière, Jean Baptiste 102, 226, 235 f., 242 Moritz, Karl Philipp 30, 69, 107 Mozart, Wolfgang Amadeus 212 f., 216 f., 238 Neville, Henry 56 f., 71, 73, 112 Novalis (Friedrich von Hardenberg) 21 f., 32, 77, 116 f., 232, 234 ff. Olearius, Adam 70, 81, 190-194, 197 Schiller, Friedrich von 22, 94, 214 ff., 219, 221, 234 Schlegel, August Wilhelm 22, 38, 79, 111, 159, 161 Schlegel, Friedrich 99, 111, 117 f., 154, 159, 205, 232 Schleiermacher, Friedrich 21 ff., 76 Schmidt, Arno 14, 52 Scott, Walter 32, 42, 51, 53, 108 f., 118, 122 Shakespeare, William 22, 48, 73, 93 f., 96, 117, 132, 137, 154, 161 f., 185, 193, 212, 220 f., 225-229, 233-242, 245, 249 Tieck, Ludwig 22, 28-32, 38, 50, 53, 77, 107, 116 f., 119, 136, 145, 159, 161, 177 f., 183, 219, 232, 243 Beiträge zur Nordischen Philologie Herausgegeben von der Schweizerischen Gesellschaft für Skandinavische Studien Die Schweizerische Gesellschaft für Skandinavische Studien (SGSS) gibt die Schriftenreihe „Beiträge zur Nordischen Philologie“ (BNPh) heraus. Es sind wissenschaftliche Untersuchungen aus dem gesamten Fachbereich Nordische Philologie/ Skandinavistik. Die Untersuchungen befassen sich mit Studien zur Literatur-, Sprach- und Kulturwissenschaft der skandinavischen Länder Dänemark, Finnland, Färöer, Island, Norwegen und Schweden. Sie sind nicht nur auf die schweizerische Nordistik begrenzt. Es sind die Ergebnisse skandinavistischer Forschungsprojekte in Form von Tagungsbänden, Dissertationen, Habilitationsschriften und anderen Monographien, die dadurch allen Interessierten zugänglich gemacht werden sollen. Bisher sind erschienen: Frühere Bände finden Sie unter: http: / / narr.de 36 Barbara Sabel Der kontingente Text Zur schwedischen Poetik in der Frühen Neuzeit 2003, 171 Seiten €[D] 32,90 ISBN 978-3-7720-3099-4 37 Oskar Bandle, Jürg Glauser, Stefanie Würth (Hrsg.) Verschränkung der Kulturen Der Sprach- und Literaturaustausch zwischen Skandinavien und den deutschsprachigen Ländern 2004, 600 Seiten €[D] 129,- ISBN 978-3-7720-8030-2 38 Silvia Müller Schwedische Privatprosa 1650-1710 Sprach- und Textmuster von Frauen und Männern im Vergleich 2005, 320 Seiten €[D] 44,- ISBN 978-3-7720-8035-7 39 Klaus Müller-Wille Schrift, Schreiben und Wissen Zu einer Theorie des Archivs in Texten von C.J.L. Almqvist 2005, 522 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8086-9 40 Jürg Glauser (Hrsg.) Balladen-Stimmen Vokalität als theoretisches und historisches Phänomen 2011, 195 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-8173-6 41 Anna Katharina Richter Transmissionsgeschichten Untersuchungen zur dänischen und schwedischen Erzählprosa in der frühen Neuzeit 2009, 337 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8292-4 42 Jürg Glauser, Anna Katharina Richter (Hrsg.) Text - Reihe - Transmission Unfestigkeit als Phänomen skandinavischer Erzählprosa 1500-1800 2011, 320 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8293-1 43 Lena Rohrbach Der tierische Blick Mensch-Tier-Relationen in der Sagaliteratur 2009, 394 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8307-5 44 Andrea Hesse Zur Grammatikalisierung der Pseudokoordination im Norwegischen und in den anderen skandinavischen Sprachen 2009, 264 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-8328-0 45 Jürg Glauser, Susanne Kramarz-Bein (Hrsg.) Rittersagas Übersetzung, Überlieferung, Transmission 2013, 288 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-8357-0 46 Klaus Müller-Wille (Hrsg.) Hans Christian Andersen und die Heterogenität der Moderne 2009, 246 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-8351-8 47 Oskar Bandle Die Gliederung des Nordgermanischen Reprint der Erstauflage mit einer Einführung von Kurt Braunmüller 2011, 168 Seiten €[D] 100,- ISBN 48 Simone Ochsner Goldschmidt Wissensspuren Generierung, Ordnung und Inszenierung von Wissen in Erik Pontoppidans Norges naturlige Historie 1752/ 53 2011, 295 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-8439-3 49 Frederike Felcht Grenzüberschreitende Geschichten H. C. Andersens Texte aus globaler Perspektive 2013, 312 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8487-4 50 Thomas Seiler (Hrsg.) Skandinavisch-iberoamerikanische Kulturbeziehungen 2013, 240 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-8480-5 51 Klaus Müller-Wille, Joachim Schiedermair (Hrsg.) Wechselkurse des Vertrauens Zur Konzeptualisierung von Ökonomie und Vertrauen im nordischen Idealismus (1800-1870) 2013, 213 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8478-2 52 Hendrik Lambertus Von monströsen Helden und heldenhaften Monstern Zur Darstellung und Funktion des Fremden in den originalen Riddarasögur 2013, 260 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8486-7 53 Alois Wolf Die Saga von der Njálsbrenna und die Frage nach dem Epos im europäischen Mittelalter 2014, 128 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-8496-6 54 Walter Baumgartner Gibt es den Elch? - Fins elgen? Aufsätze 1969-2011 zur neueren skandinavischen Lyrik - Essays 1969-2011 om nyere skandinavisk lyrikk 2014, 338 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-8540-6 55 Lukas Rösli Topographien der eddischen Mythen Eine Untersuchung zu den Raumnarrativen und den narrativen Räumen in der Lieder-Edda und der Prosa-Edda 2015, 235 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8552-9 56 Katharina Seidel Textvarianz und Textstabilität Studien zur Transmission der Ívens saga, Erex saga und Parcevals saga 2014, 248 Seiten €[D] 59,- ISBN 978-3-7720-8558-1 57 Laura Sonja Wamhoff Isländische Erinnerungskultur 1100-1300 Altnordische Historiographie und kulturelles Gedächtnis 2016, 260 Seiten €[D] 59,- ISBN 978-3-7720-8585-7 58 Klaus Müller-Wille, Sophie Wennerscheid (Hrsg.) Kierkegaard und das Theater in Vorb., ca. 220 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-8621-2 59 Klaus Müller-Wille, Kate Heslop, Anna Katharina Richter, Lukas Rösli (Hrsg.) Skandinavische Schriftlandschaften Vänbok till Jürg Glauser 2017, 345 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-8628-1 60 Hans-Peter Naumann Metrische Runeninschriften in Skandinavien Einführung, Edition und Kommentare 2018, 488 Seiten €[D] 69,- ISBN 978-3-7720-8652-6 61 Petra Bäni Rigler Bilderbuch - Lesebuch - Künstlerbuch Elsa Beskows Ästhetik des Materiellen 2019, 304 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-8661-8 62 Kathrin Hubli Kunstprojekt (Mumin-)Buch Tove Janssons prozessuale Ästhetik und materielle Transmission 2019, 184 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-8655-7 63 Sandra Schneeberger Handeln mit Dichtung Literarische Performativität in der altisländischen Prosa-Edda 2020, 206 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-8672-4 64 Jürg Glauser (Hrsg.) 50 Jahre Skandinavistik in der Schweiz Eine kurze Geschichte der Abteilungen für Nordische Philologie an der Universität Basel und der Universität Zürich 1968-2018 2019, 296 Seiten €[D] 59,99 ISBN 978-3-7720-8679-3 65 Elena Brandenburg Karl der Große im Norden Rezeption französischer Heldenepik in den altostnordischen Handschriften 2019, 237 Seiten €[D] 59,- ISBN 978-3-7720-8680-9 66 Kevin Müller Schreiben und Lesen im Altisländischen Lexeme, syntagmatische Relationen und Konzepte in der Jóns saga helga, Sturlunga saga und Laurentius saga biskups 2020, 310 Seiten €[D] 59,- ISBN 978-3-7720-8694-6 67 Katharina Bock Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19.-Jahrhunderts 2021, 264 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8747-9 68 Massimiliano Bampi, Anna Katharina Richter (Hrsg.) Die dänischen Eufemiaviser und die Rezeption höfischer Kultur im spätmittelalterlichen Dänemark - The Eufemiaviser and the Reception of Courtly Culture in Late Medieval Denmark 2021, 216 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-8750-9 69 Nathalie Christen Zeiten schreiben Skandinavische Provinzdarstellungen nach der Jahrtausendwende 2022, ca. 240 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-8761-5 70 Julia Meier Inselromane Adam Oehlenschlägers Roman Die Inseln im Südmeere / Øen i Sydhavet im Dialog mit J. G. Schnabels Insel Felsenburg 2022, 274 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8760-8 ISBN 978-3-7720-8760-8 Der dänische Dichter Adam Oehlenschläger gab seinen einzigen Roman Die Inseln im Südmeere (1826) in zwei Sprachen heraus, wobei er zuerst die deutsche Fassung schrieb und erst danach die dänische Version unter dem Titel Øen i Sydhavet verfasste, die 1824/ 25, also vor der deutschen Ausgabe, erschien. Auf der Basis von Johann Gottfried Schnabels Insel Felsenburg gestaltete der Autor ein völlig neues Werk, das in seiner Fülle von Reflexionen, Prätexten, Zitaten, lyrischen Einlagen, Novellen etc. unter Einbezug von Schnabels zentralen Strukturen und Hauptfiguren als vielschichtiger und dynamischer Text erscheint, der aber bisher sowohl beim Lesepublikum wie in der Forschung nur wenig Beachtung gefunden hat. Die vorliegende Untersuchung beleuchtet anhand von Bachtins und Kristevas Polyphonie- und Intertextualitätstheorien die Mehrstimmigkeit und Vielfalt des Romans, wobei die Zweisprachigkeit ebenso einbezogen wird wie die verschiedenen Fassungen, die von der Erstausgabe teilweise stark abweichen. Detaillierte Analysen zeigen, dass der Roman zu seiner Zeit neuartige literarische Verfahren für die Textproduktion fruchtbar machte. Julia Meier hat in Zürich, Kopenhagen und Basel Skandinavistik und Germanistik studiert. Sie promovierte an der Universität Basel.