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Traumschwert – Wunderhelm – Löwenschild

2022
978-3-7720-5774-8
A. Francke Verlag 
Sebastian Winkelsträter
10.24053/9783772057748

Wolfram erzählt im Parzival von teils heillosen, teils komischen und dabei stets konfliktträchtigen Verstrickungen zwischen Dingen und Figuren. Im Panorama der komplexen Strategien der Beschreibung und der Narrativierung von Gegenständen werden insbesondere die Aporien gestörter Figur-Ding-Verhältnisse sichtbar: Gahmuret, Parzival und Gawan begegnen in den von Wolfram imaginierten Waffen und Schmuckstücken, in den Aneignungs- und sakralen Objekten einer vieldeutigen Welt schon gesetzter Bedeutungen und schillernder Oberflächen, der eigenen oder einer fremden Vergangenheit sowie schier unberechenbaren dinglichen Akteuren, deren Mithandeln nicht nur den Weg der Protagonisten ganz wesentlich bestimmt. Die vorliegende Untersuchung sucht Einsichten in Wolframs >Poetik der Dinge<, in seine Modellierung der Verhältnisse zwischen Figuren und Dingen, aber auch in Sinnstiftung, Medialität, Struktur und narrative Faktur des Gralromans.

Sebastian Winkelsträter Traumschwert Wunderhelm Löwenschild Ding und Figur im Parzival Wolframs von Eschenbach Bibliotheca Germanica HANDBÜCHER, TEXTE UND MONOGRAPHIEN AUS DEM GEBIETE DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE HERAUSGEGEBEN VON UDO FRIEDRICH, SUSANNE KÖBELE UND HENRIKE MANUWALD 77 Sebastian Winkelsträter Traumschwert - Wunderhelm - Löwenschild Ding und Figur im Parzival Wolframs von Eschenbach DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783772057748 Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. © 2022 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0067-7477 ISBN 978-3-7720-8774-5 (Print) ISBN 978-3-7720-5774-8 (ePDF) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 9 1 11 1.1 18 1.2 23 1.3 31 37 1.4 43 1.4.1 44 1.4.2 52 1.5 58 2 73 2.1 79 2.1.1 80 2.1.2 87 2.2 99 2.2.1 100 2.2.2 105 2.2.3 133 145 2.3 149 2.3.1 152 2.3.2 164 2.3.2.1 166 2.3.2.2 172 2.3.2.3 175 178 2.4 186 2.4.1 193 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überlegungen zur Ontologie narrativierter Gegenstände . . . . . . . . . . Die Sprache der Dinge: Strukturalistisch-ethnologische Zugriffe . . . Vermittlung I: Dinge, Medien, Spuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annäherung: Zinnspiegel, Blindentraum und Messingring - Medien im Parzival-Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermittlung II: Dinge und Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Beschreibung der Handlungsoberfläche: Akteur-Netzwerk-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Mithandeln der Dinge: Objektbiographie - Agency - Affordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Ding in der mediävistischen Literaturwissenschaft . . . . . . . . . . . Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival . . . . . . . . . . . . . . Gahmuret I: harnasch und wâpen: Dinge, die der Ritter mitnimmt (Buch I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geerbte Dinge: des werden Gahmuretes erbeteil . . . . . . . . . . . Erfundene Dinge: Gahmurets wâpenlîcher last . . . . . . . . . . . Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) . . . . . Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helm und Held . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Held und Hemd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interludium: Zum Fortleben Gahmurets in den Dingen . . . . . . . . . . . Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Auszug des tumben Helden: eine Skizze . . . . . . . . . . . . . Verwandtenkampf I: Parzival vs. Ither: harnasch, koph und gabylôt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ithers rœte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Entgleiten der Dinge: der koph . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ›Schwertleite‹ und Verwandtenkampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs zu Parzivals Angriffswaffen I: gabylôt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wechsel, Tausch, Umbesetzungen: vom Kaufmannszum Minneschild (Buch VII) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2.4.2 221 2.4.3 239 2.4.4 258 2.4.5 273 286 2.5 306 2.6 322 3 343 355 355 357 359 361 393 Exkurs: Das Niesen der Schilde - Ausblick auf Wolframs Titurel-Fragment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reitzeug und Schild: Ding-Bündnisse in der Gawan-Orgeluse-Handlung (Buch X) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Kampf mit den Dingen: Gawan auf Schastel marveile I (Buch XI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herrschaft über die Dinge: Gawan auf Schastel marveile II (Buch XII) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verwandtenkampf II: Parzival und Gawan, harnasch und rîs Exkurs zu Parzivals Angriffswaffen II: abermals zu Parzivals Schwertern . . . Verwandtenkampf III: Parzival und Feirefiz, swert und zimierde . . . . Ausblick: Versuch über den Gral und die Grenzen des Materiellen . . Fazit: Wolframs Poetik der Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgekürzt zitierte Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Primärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ding- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt hin reit der helm, hie lac der man, der werdekeit ein bluome ie was, unz er verdacte alsus daz gras mit valle von der tjoste. sîner zimierde koste ime touwe mit den bluomen striten. Parzival, 598,6-11 Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2020/ 2021 von der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertationsschrift angenommen, im Vorfeld der Drucklegung stellenweise überarbeitet und um Hinweise auf aktuelle Forschungen ergänzt. Prof. Dr. Elke Brüggen gilt mein besonderer Dank für die Betreuung, den so erhellenden, von einer ungebrochenen Begeisterung für Wolfram getragenen Austausch über den Parzival sowie über Anlage, Struktur und Details der Analyse. Prof. Dr. Karina Kellermann danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens, für die bei der Überarbeitung so hilfrei‐ chen Impulse und nicht zuletzt auch für diejenigen, die noch auf nachhaltig anregende Seminargespräche zurückgehen. PD Dr. Peter Glasner danke ich für ein offenes Ohr wäh‐ rend des Schreibprozesses, den stets motivierenden und erkenntnisfördernden Austausch über schwierige Kapitel sowie für die Übernahme des Vorsitzes der Prüfungskommission, zu der auch Prof. Dr. Claudia Wich-Reif zählte, der ebenfalls mein sehr herzlicher Dank gilt. Den Heraugeberinnen und dem Herausgeber der Bibliotheca Germanica, Prof. Dr. Susanne Köbele, Prof. Dr. Henrike Manuwald und Prof. Dr. Udo Friedrich, danke ich für die Aufnahme in die Reihe und besonders auch für das inhaltliche Interesse und die hilfreichen Anregungen zur Überarbeitung, Tilmann Bub von Narr Francke Attempto für die verlagsseitige Betreuung der Drucklegung. Diese wäre ohne den großzügigen Druck‐ kostenzuschuss der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften nicht möglich gewesen. Für hilfreiche Diskussionen, neue Perspektiven und wertvolle Hinweise seien bedankt: Dr. Susanne Flecken-Büttner, Prof. Dr. Franz-Josef Holznagel, Anna Katharina Nachtsheim, Dr. des. Sophie Quander, PD Dr. Irmgard Rüsenberg, Dr. Doris Walch-Paul, Dr. Birgit Zacke, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Diskussionen des NRW-Doktorand*innenkol‐ loquiums sowie die Studierenden der im Sommersemester 2020, im Wintersemester 2020/ 21 und im Sommersemester 2022 an der Universität Bonn durchgeführten Parzival-Seminare. Beim Korrekturlesen und Redigieren haben mich sehr tatkräftig und umsichtig unter‐ stützt: Niclas Deutsch, Matthias Franz, Camilla Görgen, in deren Händen u. a. die Erstellung des Registers lag, Johannes Mies und Jens Müller - merci bien! Ein besonderer Dank gilt zuletzt meiner Familie, zuvorderst meiner Großmutter. Bonn, im August 2022 1 Lévi-Strauss: Tristes Tropiques, S. 357. Übersetzung: »Möge also der Boden sprechen in Ermangelung der Menschen, die sich mir verweigern. Möge er mir, jenseits des Blendwerks, das mich auf diesem Fluß verführt hat, endlich antworten und mir das Geheimnis seiner Jungfräulichkeit verraten. Wo aber ruht diese hinter den verwirrenden Erscheinungen, die alles und nichts sind? Ich hebe Szenen hervor, schneide sie aus; ist es jener Baum, diese Blume? Sie könnten genauso gut anderswo wachsen. Ist auch das eine Lüge, dieses Ganze, das mich entzückt und dessen einzelne Teile sich mir entziehen? Wenn ich es für wirklich halten soll, möchte ich es wenigstens vollständig, bis in seine letzten Elemente erfassen. Ich verwerfe die unendliche Landschaft, umzingele sie, dränge sie zusammen auf jenen lehmigen Strand und jenen Grashalm: nichts beweist, daß mein Auge, wenn es den Blick schweifen läßt, rings um dieses unbedeutende Stück Land, auf dem sich täglich die echtesten Wilden tummeln, auf dem jedoch die Spuren Freitags fehlen, nicht den Wald von Meudon erkennen könnte« (Traurige Tropen, S. 329). 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung Qu’il parle donc, ce sol, à défaut des hommes qui se refusent. Par-delà les prestiges qui m’ont séduit au long de cette rivière, qu’il me réponde enfin et me livre la formule de sa virginité. Où gît-elle, derrière ces confuses apparences qui sont tout et qui ne sont rien? Je prélève des scènes, je les découpe ; est-ce cet arbre, cette fleur? Ils pourraient être ailleurs. Est-ce aussi un mensonge, ce tout qui me transporte et dont chaque partie, prise isolément, se dérobe? Si je dois le confesser pour réel, je veux au moins l’atteindre au complet dans son dernier élément. Je récuse l’immense paysage, je le cerne, je le restreins jusqu’à cette plage d’argile et ce brin d’herbe : rien ne prouve que mon œil, élargissant son spectacle, ne reconnaîtrait pas le bois de Meudon autour de cette insignifiante par‐ celle journellement piétinée par les plus véridiques sauvages, mais où manque pourtant l’empreinte de Vendredi. 1 Ein Ethnologe am Ziel seiner Reise: am äußersten Punkt der Wildnis, umgeben von Indigenen in einem scheinbar unberührten ›Naturzustand‹, Indigenen allerdings, deren Sprache er nicht versteht, deren Fremdheit ihn überfordert. Im Angesicht des allzu Fremden wendet sich der Forscher von den Menschen ab und der Natur, dem Boden, den Bäumen und Blumen zu - wo die Kommunikation mit den ›Eingeborenen‹ unmöglich scheint, soll ihre Umgebung ihm Antworten geben, an die Stelle der Subjekte die überbordende Mannigfaltigkeit an natürlichen Erscheinungen treten. Doch da sich auch die tropische Landschaft, »l’immense paysage«, als wenig redselig erweist, bleiben Claude Lévi-Strauss, 2 »L’étude du concret, qui est du complet, est possible et plus captivante et plus explicative encore en sociologie« (Mauss: Essai sur le don, S. 182). Übersetzung: »Die Untersuchung des Konkreten - und das ist die Untersuchung des Ganzen - ist nicht nur möglich, sie ist vor allem interessanter und aufschlußreicher [als die Untersuchung abstrakter Gegenstände etwa in der Soziologie; S.W.]« (Die Gabe, S. 179). 3 »Que je parvienne seulement à les deviner et ils se dépouilleront de leur étrangeté : j’aurais aussi bien pu rester dans mon village« (Lévi-Strauss: Tristes Tropiques, S. 356f.). Übersetzung: »Wenn es mir nur gelingt, sie zu erahnen und damit ihrer Fremdheit zu entkleiden, hätte ich ebensogut zu Hause bleiben können« (Traurige Tropen, S. 328). 4 Mehlman: The Structural Study of Autobiography, S. 197; allgemein zur Anlage der ›Tristes Tropiques‹ und zu den Bezügen zwischen Lévi-Strauss, Proust, Freud und Sartre vgl. ebd., S. 187-224. 5 Mishima: Der Goldene Pavillion, S. 122. dem Forschungsreisenden und Verfasser der ›Tristes Tropiques‹, nur noch die einzelnen Dinge, die, einmal isoliert und aus der Fülle der sie umgebenden, ihre Signifikanz vielleicht verstellenden Erscheinungen extrahiert, doch endlich eine Bedeutung, die oder zumindest eine Wahrheit, irgendetwas über diesen Ort preisgeben müssten - in der »étude du concret, qui est du complet«, 2 im unmittelbar und auch ohne Sprachkenntnisse Zugänglichen müsste doch ein Fingerzeig auf das Allgemein-Abstrakte zu entdecken sein! Der Versuch, sich dem Fremden anzunähern, kann entweder problemlos verlaufen und damit das exotische Volk seiner Fremdheit berauben - doch dann hätte der Reisende auch in Frankreich bleiben können -, 3 oder aber er misslingt und gerät zu einer Sammlung obskurer Exotismen. Eine Annäherung an die Fremdheit, an die unbewussten Regeln der beobachteten Gesellschaft, scheint nur möglich, wenn der Feldforscher mit seinem Untersuchungsgegenstand eins würde, dies freilich unter der Gefahr, der eigenen Objek‐ tivität und seiner distanzierten Beobachterposition verlustig zu gehen. Dieses Dilemma im Versuch, dem faszinierenden Gegenstand einerseits möglichst nah zu kommen und andererseits eine wissenschaftliche, für den rationalen Zugriff unentbehrliche Distanz zum Objekt zu wahren, ist nun keines, das einzig der Ethnologie (und dies schon seit Bronisław Malinowskis am Stammesleben ›teilnehmenden Beobachtungen‹) zu eigen wäre, sondern das auch Literaten, Liebende und Ästheten unterschiedlichster kultureller Hintergründe immer wieder umgetrieben hat. Man denke etwa, um nur zwei beispielhafte literarische Zeugnisse herauszugreifen, an Prousts Darstellung des obsessiv Liebenden Swann und dessen wahnhafte Bemühungen, sich seiner Liebesobjekte in ihrer Fremdheit zu bemächtigen: »The Proustian passion was to know the unknown woman as unknown«, 4 oder auch an Yukio Mishimas Romanfigur Mizoguchi und dessen verzweifelte Versuche, sich von der so überwältigenden wie bedrohlichen Schönheit des Goldenen Pavillons zu befreien: So erkannte ich, dass es nicht darum ging, die Distanz zwischen mir und einem Objekt zu verringern, sondern darum, sie aufrechtzuerhalten, damit das Objekt ein Objekt blieb. 5 Sei es ein Tupi-Dorf, eine Geliebte oder ein buddhistischer Tempel, sei es ein Forschungs-, ein Liebes- oder ein Anschauungsobjekt: Die Annäherung an den faszinierend-fremden Gegenstand erweist sich in allen Fällen als aporetisches Problem, als nachgerade unlösbar anmutende Herausforderung, die das seinerseits fremde Subjekt in existenzielle Zweifel 12 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 6 Lévi-Strauss: Tristes Tropiques, S. 55. 7 Lévi-Strauss: Tristes Tropiques, S. 85. 8 Lévi-Strauss: Tristes Tropiques, S. 86. 9 Hier berichtet Lévi-Strauss von seinen frühesten ethnologischen Erfahrungen bei einer Wanderung durch die französische Provence, wo der distanzierte Forscherblick die Eigenheiten nicht nur von Flora und Fauna, sondern auch von materiellen Kulturgütern offenlegt: »So als wäre ich aus einem banalen Dorf mit einemmal an eine archäologische Fundstätte versetzt worden, wo die Steine nicht mehr Teile des Hauses, sondern Zeugen sind« (Lévi-Strauss: Traurige Tropen, S. 83; s. Tristes Tropiques, S. 86). stürzt - und es mitunter zur künstlerischen Auseinandersetzung, zur literarischen Produk‐ tion bewegt. Doch noch einmal zurück zu Lévi-Strauss’ ethnologischem Problem: Die einstmals so faszinierende Vorstellung vom Ziel- und Höhepunkt der Reise zerfällt im Gegenüber seiner realen Manifestation, und die Nähe zum Wilden macht nun eine radikalere kognitive Distanzierung seitens des Ethnologen erforderlich. Und auch wenn die Passage durchweg pessimistisch gestimmt bleibt, scheint doch im Perspektivwechsel, in der Hinwendung zu dem »aspect concret des choses« 6 , zur Natur, in deren Atomisierung und Einbettung in ein strukturales Netzwerk eine neue Erkenntnisoption auf, die zwar die einmal verloren geglaubte Referenz zwischen den Erscheinungen und der Realität nicht zu restituieren vermöchte - »Est-ce aussi un mensonge […]? « -, die indes einen gewissermaßen renitenten Willen zur Systematisierung des Sichtbaren bezeugt und diese zur einzig denkbaren, zur letztmöglichen Methode im Angesicht des allzu Opaken erklärt. In der Perspektive des Strukturalisten, dem es nicht gelingen will, die fremden Subjekte zu objektivieren und die Vorstellung, das Bild des Anderen in wissenschaftliche Erkenntnis zu überführen, der die metaphorischen Fußspuren Freitags, »l’empreinte de Vendredi«, Zeichen nicht nur einer sprachlich vermittelten Verbindung zu den Eingeborenen, sondern auch lesbare Indizes und Einschreibungen in den Beobachtungsgegenstand, entbehren muss, können die Pflanzen »comme des spécimens de musée«, 7 als museale Exponate erscheinen, die Lebewesen die »dignité d’objets« 8 erlangen, einfache Steinen ebenso beredte wie bedeutsame ›Zeugen‹ werden. 9 Wo allerdings nicht natürliche Gegenstände, sondern Artefakte, beispielsweise die exo‐ tisch-rituellen Kunstgegenstände Britisch Columbiens, die Lévi-Strauss in der Frühphase seiner Forscherbiographie bei einem prägenden Besuch des American Museum of Natural History entdeckt, wo diese Kunstgegenstände selbst bereits von auf Basis von Ähnlich‐ keiten und Systemen operierenden Künstlern geschaffen wurden, sind von dem seinerseits mit einem ›neolithischen Verstand‹ begabten Forscher nur mehr der Nachvollzug und die ästhetische Hingabe an das Objekt gefordert: Ce don dithyrambique de la synthèse, cette faculté presque monstreuse pour apercevoir comme semblable ce que les autres hommes conçoivent comme différent constituent sans doute la marque exceptionelle et géniale de l’art de la Colombie britannique. […] Regardez de près ces boîtes à provisions, sculptées en bas-relief et rehaussées de noir et de rouge : leur ornementation semble purement décorative. Des canons traditionnels veulent cependant qu’y soient représentés un ours, un requin ou un castor, mais sans aucune des ces contraintes qui, ailleurs, brident l’artise. Car l’animal y paraît à la fois de face, de dos et de profil ; vu en même temps d’en haut et d’en bas, du 13 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 10 Lévi-Strauss: La Voie des masques, S. 873-1050; hier: S. 878f. Übersetzung: »Jene dythrambische Begabung zur Synthese, jene fast monströse Fähigkeit, Dinge als ähnlich wahrzunehmen, die andere Menschen als verschieden wahrnehmen, sind sicherlich das ungewöhnliche und geniale Zeichen der Kunst von Britisch Columbien. […] Man sehe sich die Vorratstruhen aus der Nähe an, ihr mit schwarzer und roter Farbe betontes Relief: ihr Schmuck scheint dekorativ zu sein. Doch nach traditionellen Normen sollen darauf ein Bär, ein Hai oder ein Biber dargestellt sein, freilich ohne irgendeinen jener Formzwänge, die andernorts den Künstler im Zaum halten. Denn das Tier erscheint gleichzeitig von vorn, von hinten und von der Seite; man sieht es sowohl von oben wie von unten, von außen wie von innen. In einer außergewöhnlichen Mischung aus Konvention und Realismus hat ein zeichnender Chirurg das Tier gehäutet und auseinandergenommen, sogar seine Eingeweide entleert, um ein neues Wesen zu rekonstruieren, das in allen anatomischen Punkten mit den rechteckigen Flächen übereinstimmt, und einen Gegenstand zu schaffen, der sowohl eine Truhe als auch ein Tier und sowohl ein oder mehrere Tiere als auch ein Mensch ist. Die Truhe spricht, hütet wirksam die Schätze, die ihr anvertraut wurden, in einem Winkel des Hauses, von dem alles verkündet, daß es selbst das Skelett eines noch größeren Tieres ist, das man durch die Türe betritt, ein weit geöffnetes Maul, und in dessen Innern, in hunderterlei liebenswürdigen oder tragischen Formen, ein Wald von menschlichen und nicht menschlichen Symbolen steht« (Der Weg der Masken, S. 12f.). dehors et du dedans. Par un extraordinaire mélange de convention et de réalisme, un chirurgien dessinateur l’a dépouillé et désarticulé, vidé même de ses entrailles, pour reconstituer un nouvel être coïncidant par tous les points de son anatomie avec les surfaces parallélépipédiques, et créer un objet qui soit à la fois une boîte et un animal, et, à la fois aussi, un ou plusieures animaux et un homme. La boîte parle, elle veille efficacement sur les trésors qui lui sont confiès, dans un coin de la maison dont tout proclame qu’elle-même est la carcasse d’un plus gros animal où l’on pénètre par la porte, gueule béante, et à l’intérieur duquel se dressent, en cent apparences aimables ou tragiques, une forêt de symboles humains et non humains. 10 Wie das New Yorker Naturkundemuseum, die französische Provence oder die Land‐ schaft der Tropen lädt auch die Literatur des Mittelalters, ›Wald der menschlichen und nicht-menschlichen Symbole‹ ganz eigener Art, zu Streifzügen durch die materielle Kultur einer fremdvertrauten Vergangenheit ein: Allenthalben begegnen dem Leser hier Gegenstände, seien es Artefakte oder natürliche Dinge, Schwerter oder Rüstungen, Ringe oder Broschen, Briefe oder Bücher, seien sie schwer oder leicht, bunt oder monochrom, beschrieben oder bemalt. Während der Ethnologe indes die eigene, ganz subjektive empi‐ rische Anschauung zur Grundlage seiner Reflexion auf Phänomene etwa des Dinglichen oder des Artifiziellen macht, sehen sich Literaturwissenschaftler mit anderen, in Teilen noch verschärften Herausforderungen konfrontiert: Ihre Gegenstände sind zwar selten opak wie ein Tupi-Dorf, dem literarischen Medium sind jedoch allenfalls Darstellungen von Dingen, nicht etwa die Dinge selbst und überdies auch bereits Perspektiven und Wahrnehmungsprozesse eingeschrieben, die dem Akt der Rezeption noch vorgelagert sind - wie erzählte Objekte konkret aussehen, wie groß und wie schwer sie sind, wie sie sich anfühlen, all dies wird nur selten zum Thema, es bleibt im Regelfall ohne Explikation und damit der Imagination des Rezipienten überlassen, es wird ihr nicht selten auch entzogen. Die ethnologische und von den Artefakten fremdester Kulturen in ihren Bann ge‐ schlagene Sichtweise sensibilisiert zuvorderst für zweierlei: Zum einen ermöglicht die Betrachtung von und die Vertiefung in die materielle Kultur, die rituellen Objekte und künstlerischen Ausdrucksformen dieser sonst so obskuren und aus westlich-moderner Sicht kaum zu durchdringenden Kulturen eine und gelegentlich die einzige Möglichkeit, 14 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 11 Zit. nach: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. das Andere, das Fremde im ›Blick aus der Ferne‹, um es emphatisch auszudrücken: zu erfahren - die überzeitliche Wirkung von Kunst ermöglicht nicht nur einen Brückenschlag zu den räumlich entferntesten, sondern auch zu den zeitlich entrückten, den scheinbar ›ganz anderen‹ oder auch den halb vertrauten Kulturen wie derjenigen des Mittelalters. Zum anderen lehrt die ethonologische Perspektive, der eigenen, der modern-westlichen Blickweise, ihrer Tendenz zur rationalen Durchdringung und Aneignung sowie zur Ästhe‐ tisierung des Fremden zu misstrauen, sie auf ihre dem alteritären Gegenstand niemals angemessenen Vorannahmen hin zu befragen. Möge also nicht nur der Beobachter, möge auch der Boden, mögen die Truhen, die Masken, die Dinge sprechen! Wolframs von Eschenbach Parzival  11 ist nicht nur eine Erzählung von Sünde und Gnade, vom langen und komplexen Weg des Haupthelden Parzival zum Gralkönig, sondern auch eine Erzählung von Minne und Gewalt, vom Erwachsenwerden und vom Greisentum, von Rittern, Söldnern und Schmarotzern, von Hass und von Versöhnung, von Krieg und Frieden, vom Heidnischen und vom Christlichen, vom Profanen und vom Sakralen, kurzum: Der Parzival ist der vielleicht vermessenste in mittelhochdeutscher Sprache verfasste Versuch, die Welt um 1200 mit all ihren Widersprüchen und Konflikten, mit ihren technischen Innovationen, ihren kulturellen und wissenschaftlichen Errungenschaften aus der Perspektive eines ebenso schrulligen wie anspruchsvollen Erzählers les- und erfahrbar zu machen. Und er ist vor allem auch eines: eine Erzählung von Dingen, die Figuren, Zeiten und Räume, aber auch die diskursiven Zentren des Textes miteinander verknüpfen, diese bisweilen zu Dingsymbolen verdichten, die als Gaben oder Raubgegenstände durch den epischen Kosmos wandern, und die sich nicht nur den agierenden Figuren, sondern auch dem Erzähler allzu oft zu widersetzen, sich ihnen zu entziehen scheinen, die ihnen Phantasmen der Unbesiegbarkeit und des Kampferfolges vor Augen stellen, aber wiederholt gerade der Verdinglichung, dem Tod der Figuren Vorschub leisten. In Wolframs Darstellung von Dingen, in seinen Modellierungen der komplex-wechselhaften Beziehungen zwischen Rittern und ihren Objekten, zuvorderst zwischen den drei Protagonisten und ihren Rüs‐ tungen und Waffen werden sowohl poetische Strategien der Visualisierung, der Suggestion von Materialität und der Sinnstiftung als auch hochmittelalterliche Reflexionen auf das Verhältnis zwischen dem Menschen und seiner materiellen Umwelt, auf die Grenzziehung und die vielfältigen Beziehungsmodi zwischen Subjekt und Objekt, Mensch und Ding, Natur und Kultur greifbar - es sind vor allem Geschichten der konfliktträchtig-agonalen Aneignung, daneben auch des ökonomischen Tausches und des Erbens von Objekten, die Wolfram im Parzival variierend wiederholt, und mit denen er seinem Roman eine eigene Sinnschicht, eine ›Poetik der Dinge‹ unterlegt: An den drei Protagonisten und den ihnen zugeordneten Gegenständen, ihren Aneignungs- und Transformationsgeschichten werden Konflikte offenbar, die das Verhältnis zwischen dem Ritter und seinen Waffen, zwischen Mensch und Ding als so heilloses wie erzählenswertes erscheinen und die Freiheit menschlichen Handelns ebenso wie die Identität der erzählten Figuren zum Problem werden lassen. 15 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 12 Die Übersicht schwerpunktmäßig kulturhistorisch perspektivierter Material Culture Studies kann hier, angesichts der überbordenden Fülle an Publikationen, nur ausschnitthaft bleiben. Es seien dennoch ein paar Schlaglichter auf für das in dieser Arbeit Fokussierte besonders anregende Studien gesetzt. Für politische und ethisch-philosophische Perspektiven vgl. Bennett: Vibrant Matter; einführende archäologisch-ethnologische Überlegungen sind zusammengestellt bei: Hahn: Materielle Kultur; Ethnologisch-Anthroplogisches ist den Arbeiten von Lévi-Strauss (vgl. Kap. 1.2) zu entnehmen sowie: Descola: Jenseits von Natur und Kultur und Kohl: Die Macht der Dinge; geschichtswissenschaftliche Zugriffe finden sich in: Keupp und Schmitz-Esser (Hgg.): Neue alte Sachlichkeit; aus kunsthistorischer Perspektive: Kubler: The Shape of Time; mit Blick auf die religiöse Praxis des Spätmittelalters grundlegend: Bynum: Christian Materiality; zu Latour s. Kap. 1.4 dieser Arbeit. Die vorliegende Arbeit fokussiert einerseits auf die poetisch-narrative Faktur der Erzäh‐ lung, auf Wolframs literarische Strategien der Suggestion von Materialität, der Inszenierung von Dingen und Figur-Ding-Relationen sowie andererseits auf deren kulturhistorische und anthropologische Implikationen: Zeugt die Narrativierung von so schillernden Gegen‐ ständen wie Gahmurets Helm, Parzivals Schwertern oder Gawans Schilden von einem genuin ›vormodernen‹ oder ›mittelalterlichen‹ Weltbezug, werden gar Handlungsprak‐ tiken und Denkformen sichtbar, die einen Einblick in aus ›moderner‹ Perspektive unter Umständen alteritäre Codierungen des Verhältnisses zwischen den Menschen und ihrer materiellen Umwelt gewähren? Wie einschlägige Studien auf dem Feld der Material Culture Studies nachgewiesen haben, ist es keineswegs als menschheitsgeschichtliche Universalie aufzufassen, dass die Dinge vorrangig als Objekte, Instrumente oder technische Erweiterungen menschlicher Handlungsoptionen in den Lebensvollzug eingebunden sind. Vielmehr zeigen die Arbeiten etwa von Jane Bennett, Philippe Descola, Karl-Heinz Kohl, Bruno Latour, Claude Lévi-Strauss oder Caroline Walker Bynum, 12 dass die Grenzziehung zwischen Mensch und Ding, allgemeiner: zwischen Natur und Kultur, allfälligen Neuper‐ spektivierungen und Verschiebungen unterliegt, dass die Dinge, auch und gerade aus moderner Sicht, notorisch unterschätzt werden und dass ihnen - allzu leicht ausgeblendet oder systematisch an den Rand gedrängt - bisweilen magische, anthropomorph-beseelte oder gar eigenmächtige Züge zugeschrieben werden und wurden, dass sie aber auch ganz ohne Zuschreibung menschliches Handeln wesentlich steuern, bedingen und sich oftmals als ›Akteure‹ erst vernehmlich machen, wenn sie ›streiken‹, sich unserer Handhabung entziehen, dass sie überdies Schlüsselfunktionen sowohl für die Sozialisation des Einzelnen als auch für die Konstitution sozialer Gruppen übernehmen. Mit besonderem Nachdruck hat Bruno Latour herausgestellt, dass die strikte Trennung zwischen Subjekt und Objekt, die Abschirmung des Menschen respektive der Gesellschaft von der Natur zum ideologischen Mantra der Moderne geworden ist. Der empirische Blick spätestens auf die ökologisch-po‐ litischen Krisen unserer Zeit offenbare indes, dass ›modern‹ allenfalls die Ideologisierung dieses Mantras sei, dass die ›Modernen‹ wie die ›Vormodernen‹ allenthalben mit ihrer Umwelt, mit den Dingen verstrickt waren und sind, dass sich das Soziale aus menschlichen wie nicht-menschlichen Entitäten zusammensetze, dass wir eben ›nie modern gewesen sind‹. Latour spricht einer Bewegung das Wort, die es schon immer, auch bereits im Mittelalter, gab, einer Bewegung, die auf Hybridisierung, auf die Vermittlung zwischen den Bereichen ›Natur‹ und ›Kultur‹, ›Mensch‹ und ›Ding‹ zielt. In den historischen und gegenwärtigen 16 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung Imaginationen der Konflikte und Lösungen, in den literarischen Modellierungen der so vielfältigen wie lebendigen Beziehungen zwischen Figuren und Dingen werden in Teilen universelle, in Teilen jedoch auch kulturell spezifische Bearbeitungen des bei Latour systematisch beschriebenen Konflikts greibar. Wolfram von Eschenbach kann als einer der prominentesten mittelalterlichen Exponenten einer ›vormodernen Hybridisierungsbe‐ wegung‹ gelten, als Dichter, der die Verstrickungen zwischen Mensch und Ding zum Thema zahlloser Konflikte macht und seine Figuren vor die schier unlösbare Aufgabe stellt, inmitten der Dinge zu agieren, zu kämpfen, zu lieben und zu herrschen. Insbesondere Wolframs Tendenz zur Verlebendigung und Anthropomorphisierung von Objekten, zur Verdinglichung von Figuren, Inversionen von Subjekt- und Objektstatus also, sowie sein Fokus auf der Darstellung ausgewählter Ding-Eigenschaften, etwa der Schwere oder des Glänzens und Schillerns von Gegenständen, von Akteuren mithin, die sich dem Zugriff der Figuren oftmals im entscheidenden Moment enziehen, machen den Parzival zu einem prädestinierten Gegenstand einer an hochmittelalterlichen Dingkulturen, an höfischen Perspektiven auf das Verhältnis zwischen Mensch und Ding interessierten Forschung. In Vorbereitung auf die Analyse werden in den einführenden Kapiteln methodische Herangehensweisen entwickelt, die eine Auseinandersetzung mit Wolframs Erzählen von und seinem Denken in Dingen grundlegen. Dem Folgenden liegt zunächst die Frage zugrunde, was im literarischen Medium als ›Ding‹ anzusprechen und wie methodisch auf den ›wesensmäßigen Unterschied‹ zwischen realen und narrativierten Objekten zu reagieren wäre (Kap. 1.1). Anschließend sollen Instrumente der strukturalen Analyse materieller Kulturen präsentiert, soll ihr literaturwissenschaftliches Anknüpfungspotential ausgelotet werden (Kap. 1.2). Während die Überlegungen zur Ontologie erzählter Dinge darauf zielen, literarische von realen Objekten abzugrenzen und damit deren Eigensinn auszuloten, sollen strukturalistische Methoden helfen, das ›Wie? ‹ ihres Bedeutens zu erhellen. Darauf folgen zwei Kapitel, in denen zunächst die Medialität (Kap. 1.3) und dann die handlungsvermittelnden Funktionen von Gegenständen (Kap. 1.4) in den Blick genommen und Begriffe entwickelt werden, welche Mensch-Ding-Relationen ebenso wie die vielfältigen Transformationen von Dingen - zu Medien oder Akteuren - zu beschreiben erlauben. Am Ende der Einleitung (Kap. 1.5) sollen die insbesondere im letzten Jahrzehnt intensiv betriebenen mediävistischen Material Culture Studies auf ihre Zugriffsweisen hin befragt werden, auch um die hier dargebotenen Analysen und Vorschläge zur Deutung des Parzival im Feld vorgängiger Forschungen besser verorten zu können und aus dem Voraufgehenden Leitfragen zu entwickeln, welche die nachstehenden Wolframlektüren dann strukturieren mögen. 17 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 13 Ogawa: Insel der verlorenen Erinnerung, S. 156. 14 Ingarden: Das literarische Kunstwerk, S. 15. Ingarden fragt an dieser Stelle, in Abgrenzung von der psychologistischen Literaturwissenschaft seiner Zeit, nach der Wesensart, der »›Wesensanatomie‹ des literarischen Werkes« (ebd., § 1, S. 2) und der in ihm dargestellten Gegenstände, die weder zu den »psychischen Individuen« noch den »physisch-materiellen Dinge[n]« (ebd., § 5, S. 15) zählten. 15 Ingarden: Das literarische Kunstwerk, § 42, S. 281. 16 Ingarden: Das literarische Kunstwerk, § 42, S. 287. 17 Hier und im Folgenden werden einschlägige Ausgaben antiker Autoren abgekürzt nachgewiesen; die vollständigen bibliographischen Nachweise sind der Übersicht ›Abgekürzt zitierter Literatur‹ im Literaturverzeichnis zu entnehmen. 1.1 Überlegungen zur Ontologie narrativierter Gegenstände »Die Patina löst sich und der frühere Glanz kommt zum Vorschein. Es ist kein aufdringliches Glänzen, sondern ein dezentes, nostalgisches Schimmern. Wenn man so ein Objekt in die Hand nimmt, ist es, als würde man das Licht einfangen. Ich habe dann das Gefühl, es erzählt mir eine Geschichte. Es in der Hand zu halten ist wie eine Liebkosung.« 13 Die mit den unterschiedlichsten Qualitäten suggerierte Materialität narrativierter Objekte wird, wie schon angedeutet, nur innerhalb der diegetischen ›Wirklichkeit‹ als solche, das heißt: als dreidimensionale und schwere, greif-, sicht- und erfahrbar, sie zeigt sich dem Rezipienten dagegen stets in vermittelter, in literarisch-sprachlich gemachter Form, als Zeichen: Narrativierte sind im Gegensatz zu den physisch-materiellen und realen Gegenständen oberflächlich besehen »im Grunde ein Nichts« 14 . In der Literatur begegnen dem Rezipienten keine Dinge, sondern ausschließlich Zeichen und ›schematisierte An‐ sichten‹, »die bei der Lektüre noch verschiedene, aber nur in vorbestimmten Grenzen variierende aktualisierte Ansichten zulassen«, 15 die mithin »nur durch künstliche Mittel suggeriert [werden] und […] nicht zu wirklich realen, sondern nur zu rein intentionalen, ihrem Gehalte nach quasi-realen Gegenständlichkeiten [gehören]« 16 . Greifbar existent sind sie, die konkret-stofflichen Dinge, nur in der Perspektive der handelnden Figuren, für die Leserinnen und Leser erscheinen sie hingegen in unvollständig bestimmter, in medialisierter und codierter Form, wir bekommen sie nur durch das Medium der Literatur zu ›sehen‹ - und es ist, wie bereits der überforderte Adeodatus im sprachphilosophischen Lehrdialog des Kirchenvaters Augustinus ›De magistro‹ feststellen musste, eine Sache der schieren Unmöglichkeit, nur mit Worten res ipsas, quarum signa sunt verba (Aug., mag. 17 I, 2), zu bezeichnen: Miror te nescire vel potius simulare nescientem responsione mea fieri, quod vis omnino non posse, siquidem sermocinamur, ubi non possumus respondere nisi verbis. Tu autem res quaeris eas, quae, 18 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 18 »Ich bin darüber verwundert, daß du nicht weißt, besser: angeblich nicht weißt, daß ich deinem Wunsch [daß du mir, sollte es dir möglich sein, die Sachen selbst […] aufzeigtest] mit meiner Antwort gar nicht entsprechen kann, da wir ja ein Gespräch führen, in dem wir doch nur mit Wörtern antworten können. Du aber fragst mich nach denjenigen Sachen, die, was auch immer sie sein mögen, jedenfalls keine Wörter sind, nach denen auch du mich gleichwohl mit Wörtern fragst. Stelle du daher zuerst deine Fragen ohne Wörter, damit ich dann unter ebender Bedingung meine Antworten gebe! « (Übersetzung von Burkhard Mojsisch). 19 Vgl. einordnend Borsche: Was etwas ist, S. 148-169. 20 Beide Zitate: Courtine: [Art.] ›Res‹. Einen Überblick zum res- und zu verwandten Begriffen geben Wernli und Kling: Von erzählten und erzählenden Dingen, S. 12-19; s. auch Kap. 2.2.2, Anm. 158. 21 Borsche: Was etwas ist, S. 150. 22 Schulz: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive, S. 8. 23 Schulz: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive, S. 11. 24 Lotman: Die Struktur des künstlerischen Textes, S. 328. quodlibet sint, verba certe non sunt, quas tamen ex me tu quoque verbis quaeris. Prior itaque tu sine verbis quaere, ut ego deinde ista condicione respondeam! (Aug., Mag. III, 5). 18 Augustinus’ Sohn Adeodatus muss im Laufe des Dialogs konzedieren, dass man zwar auf etwas Sichtbares (visibilia) wie eine Hausmauer zeigen, eine Tätigkeit wie das ›Um‐ hergehen‹ (ambulare) nachahmen oder ein Wort durch ein anderes, beispielsweise die Präposition de durch ex, ersetzen kann, dass man sich so indes keineswegs der ›Sache selbst‹ anzunähern, geschweige denn diese zu vermitteln vermöchte, sondern eben allenfalls ein Zeichen dieser Sache. 19 Dieser denkbar allgemeine res-Begriff umfasst, in der »für das ganze Mittelalter klassisch[en]« Abgrenzung von den verba, »die Gesamtheit der Dinge […], ohne jede Unterscheidung der Region, des Status, der Weise des Seins.« 20 Mit Blick auf die Worte wäre im konkreteren Falle, in Relation zu den res corporales festzuhalten, dass sie kein konkretes, kein materiell-körperliches Ding bezeichnen, sondern auf ein ebenso unkörperliches wie unsichtbares Allgemeines, in philosophischen Termini: das stoische λεκτόν, die platonische ἰδέα, in der Diktion Edmund Husserls: die Spezies, oder, mit Roman Ingarden, eine schematisierte Ansicht, referieren: Wenn ich den Baum, den ich hier und jetzt vor meinem Fenster sehe, ›Baum‹ nenne, dann meine ich zwar etwas, das ich sehe, sage aber etwas anderes. Ich verwende ein Wort, das ich auch dann verwenden würde, wenn nicht eine Akazie, sondern eine Linde vor Augen hätte, und das ich auch verwenden werde, wenn die Akazie im nächsten Winter ihre Blätter verloren haben wird. 21 Doch ganz so wie »[l]iterarische Figuren […] selbstverständlich den Anschein [erwecken], echte Menschen zu sein« 22 , wie »uns Texte keine Personen vor[stellen], sondern Ensembles von Zeichen, aus denen unsere Einbildungskraft die Vorstellung von Menschen erzeugt« 23 , so kann auch erzählten Dingen der Anschein eignen, materiell zu sein, ist es allgemeiner gesprochen als Spezifikum menschlicher Weltwahrnehmung anzusprechen, dass »als Denotate der verbalen Zeichen in den meisten Fällen räumliche, sichtbare Objekte er‐ scheinen« 24 . Etwa in der mittelalterlichen Gedächtnistheorie ist der Gedanke fest verankert, dass Bilder zuallererst im Inneren des Menschen entstehen, im Wahrnehmungsapparat, der imaginatio, geformt, in der ›Kammer‹ der memoria mit früheren Eindrücken abgeglichen und in derjenigen der ratio reflektiert werden. Hierbei ist es, freilich bloß vom Effekt her besehen, 19 1.1 Überlegungen zur Ontologie narrativierter Gegenstände 25 Wandhoff: Ekphrasis, S. 27. - Für eine Aufarbeitung der mittelalterlichen Quellen vgl. Bumke: Die Blutstropfen im Schnee, S. 15-27 sowie Wenzel: Hören und Sehen, S. 321-337. 26 Wandhoff: Ekphrasis, S. 25. 27 Vgl. Ingarden: Vom Erkennen des literarischen Kunstwerks, § 11, S. 52. 28 Der Begriff der ›Sprachwirklichkeit‹ (›réel de langage‹) wurde von Barthes geprägt, der sich gerade für die der literarischen Sprache inhärente Potenz interessiert, eine ›eigene‹, genuin künstliche Realität von der äußerlich-wahrnehmbaren abzuschirmen: »Die Sprache hat die Fähigkeit, das Wirkliche zu negieren, zu vergessen und aufzulösen: geschrieben stinkt Scheiße nicht. Sade kann seine Partner damit überschütten, wir bekommen nichts davon ab, nur das abstrakte Zeichen von etwas Unangenehmem. […] Sade setzt von Grund aus die Sprache dem Wirklichen entgegen, oder genauer: er stellt sich einzig unter die Instanz des ›Sprachwirklichen‹. […] Das ›Wirkliche‹ und das Buch sind voneinander abgeschnitten: es verbindet sie keine Verpflichtung: ein Autor kann unendlich von seinem Werk sprechen, er ist niemals dazu angehalten, es auch zu garantieren« (Barthes: Sade. Fourier. Loyola, S. 156f.; s. Sade, Fourier, Loyola, S. 140f.). 29 Lobsien: Bildlichkeit, Imagination, Wissen, S. 89. 30 »Weiter muß sich der Literarhistoriker bewußt halten, daß er es niemals mit Emotionen zu tun hat, sondern immer mit literarischen Emotionsdarstellungen, also mit Konstrukten, die nicht auf ihren emotionalen Gehalt hin befragt werden können, sondern immer nur auf ihre Konstruiertheit« (Bumke: Emotion und Körperzeichen, S. 14f.). unerheblich, ob externe Stimuli (von den Sinnesorganen her) oder interne Stimuli (aus der memoria) den Ausgangspunkt für einen solchen Stimulationsprozess bilden, 25 ob ein Bild literarisch-schriftmedial vermittelt oder mit den ›äußeren‹ Augen wahrge‐ nommen wird: Am Ende stehen in allen Fällen durch die Wahrnehmungskammern prozes‐ sierte, häufig auch von anderen Wahrnehmungsbildern überlagerte, »ebenso dreidimen‐ sionale wie bewegte, lebensechte Bildnisse.« 26 Es ist also der Hörer oder der Leser, der aus einem Text die Vorstellung oder die ›Konkretisierung‹ 27 von etwas Materiellem entwickelt, der eine Verbindung zwischen ›Sprachwirklichkeit‹ und ›Wirklichkeit‹ herzustellen in der Lage ist, 28 und die Erfahrung dieser Gegenständlichkeit ist unstrittig. Sie bekundet sich gleichermaßen in der umgangssprachlichen wie der literaturwissenschaftlich reflektierten Redeweise; so sprechen wir von Situationen und Schauplätzen, von Figuren und deren Schicksalen, von Ereignissen, Handlungen, Befindlichkeiten, ganz so, als handle es sich hierbei um Äquivalente empirischer Anschauung oder lebensweltlicher Erfahrung, und wir können für dieses ontologische quid pro quo offenbar eine überwältigende Evidenz in Anspruch nehmen. 29 Die Frage nach der ›Erzählbarkeit‹ von Materialität, prima vista eine naive Fragestellung, birgt somit bereits einen Widerspruch in sich, da eben ein literarisch vermitteltes, sprachlich codiertes Ding ebenso wenig - und keinesfalls nichts - mit ›realer‹ Materialität gemein hat wie erzählter Zorn mit einem ›echten‹ Gefühlsausbruch 30 oder eine literarische Figur mit 20 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 31 »Schließlich bedeutet die Anthropomorphisierung der Figuren noch nicht ihre Identifizierung mit unserer alltäglichen Vorstellung vom Menschen als einer Person« (Lotman: Die Struktur des künstlerischen Textes, S. 363). Diese Vergleiche verweisen auf die Nahstellung des in Rede stehenden Themas zu zwei in jüngerer Zeit auch in der Germanistischen Mediävistik kontrovers geführten Debatten: um die Figur und, eng damit verbunden, die literarische Darstellung von Emotionen. Auch in der Forschung zu alimentären Objekten werden vergleichbar ontologisch und rezeptionsästhetisch perspektivierte Fragestellungen an die mittelhochdeutsche Erzählliteratur herangetragen; vgl. hierzu zuletzt Bleuler: Prekärer Zeichenstatus. 32 Adorno: Ästhetische Theorie, S. 14. 33 Lobsien: Bildlichkeit, Imagination, Wissen, S. 90. 34 So Lobsien zu den möglichen methodischen Zugriffen auf ›Bildlichkeit‹ in Texten, »einerseits vom objektiven Pol her als Semiotik des ästhetischen Gegenstands, andererseits vom subjektiven Pol her als Phänomenologie der ästhetischen Erfahrung. Beide Analysen stehen in einem konstitutiven Zusammenhang« (Bildlichkeit, Imagination, Wissen, S. 90). 35 Haller wählt in seiner »Apotheose fiktiver Gegenstände als unvollständiger Gegenstände« (S. 89) zur Veranschaulichung solcher Bezüge die Napoleon-Figur aus Tolstois Krieg und Frieden sowie Sherlock Holmes’ London, vgl. Haller: Wirkliche und fiktive Gegenstände. Zur Unterscheidung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Bezügen: »›Napoleon‹ in Tolstojs Krieg und Frieden bezieht sich unmittelbar auf den unvollständigen Gegenstand, der im fiktionalen Kontext konstruiert wird, mittelbar jedoch sowohl auf die Person, die Kaiser der Franzosen war und 1821 auf St. Helena gestorben ist, als auch auf den Charakter einer Person« (ebd., S. 87). 36 Vgl. Haller: Wirkliche und fiktive Gegenstände, S. 80. 37 Haller: Wirkliche und fiktive Gegenstände, S. 75. einer ›wirklichen‹ Person, 31 da nur die Erzählung erzählt werden kann, nicht hingegen die Gegenstände selbst - clipei non enarrabile textum: [M]an malt, nach Schönbergs Wort, ein Bild, nicht, was es darstellt. […] Nur vermöge der Trennung von der empirischen Realität, die der Kunst gestattet, nach ihrem Bedürfnis das Verhältnis von Ganzem und Teilen zu modeln, wird das Kunstwerk zum Sein zweiter Potenz. 32 Nun soll das Augenmerk im Folgenden nicht auf die im ›Akt des Lesens‹ entstehenden Vorstellungen, auf die »individuelle[], höchst kontingente[] ästhetische Wahrnehmung« 33 gerichtet werden, sondern vorrangig auf die Merkmale eines jene Vorstellungen evozier‐ enden und die in ihm dargestellten Dinge ›zur Erscheinung‹ bringenden Textes, sprich: auf die »Semiotik des ästhetischen Gegenstands« 34 selbst. Erzählte Dinge nehmen im Regelfall, wie auch Figuren oder Räume, mittelbar Bezug auf real existierende Facta. Diese Bezugsrichtung ist allerdings für die Literaturwissenschaft weit weniger interessant als die unmittelbaren, im Erzählkontext hergestellten Bezüge. 35 Nach Rudolf Haller, der auf die Arbeiten Alexius Meinongs und Roman Ingardens zurück‐ greift, ist als wesentliches Charakteristikum der ›Ficta‹, als deren Prototypen die Artefakte figurieren, 36 deren Unvollständigkeit festzuhalten: »Ficta sind immer unvollständige Ge‐ genstände, Facta immer vollständige Gegenstände« 37 , genauer: Die Unvollständigkeit fiktiver Gegenstände ist vielmehr ontologischer Natur und eine Folge der Konstitution des fiktiven Gegenstandes selbst, die für sich selbst dicht ist. Unter Dichte der Konstitution oder der Bestimmungen eines Gegenstandes verstehen wir seine Abgeschlossenheit gegenüber Ergänzungen, seine wesensmäßige Unbestimmtheit. »Dichte« also nennen wir eine 21 1.1 Überlegungen zur Ontologie narrativierter Gegenstände 38 Haller: Wirkliche und fiktive Gegenstände, S. 76. 39 Seel: Wie phänomenal ist die Welt? , S. 186. 40 Ingarden: Vom Erkennen des literarischen Kunstwerks, § 12, S. 57. 41 Lobsien: Bildlichkeit, Imagination, Wissen, S. 99. 42 Hierzu Ingarden: »Um dies einzusehen [dass das literarische Kunstwerk ein schematisches Gebilde ist; S.W.], ist es aber nötig, daß man es in seiner schematischen Natur erfaßt und das Werk nicht mit den einzelnen Konkretisationen, die bei den einzelnen Lesungen entstehen, vermengt« (Das literarische Kunstwerk, § 42, S. 282). 43 Mersch: Ereignis und Aura, S. 80. Bestimmung, die nicht auffüllbar, ergänzbar ist. Es ist demnach auch klar, daß hinsichtlich der Dichte keine wahrheitswertigen Aussagen angebracht sind. 38 Erkenntnistheoretisch gewendet, bleibt die Bestimmtheit der Welt dem begrifflichen Bestimmen gegenüber mit Notwendigkeit unbestimmt […]. Die phänomenale Präsenz von Objekten und Ereignissen übersteigt das Vermögen ihrer deskriptiven Erfassung, aber es gibt sie […] nur zusammen mit der Möglichkeit der begrifflichen Musterung, die in ihrem Angesicht an eine Grenze ihres Fassungsvermögens gelangt. 39 Aus diesen Bemerkungen zur Ontologie erzählter Gegenstände ergibt sich die für diese Ar‐ beit zentrale Frage nach den narrativen Strategien der Konstitution fiktiver Dinge, ebenso wie ein Seiteninteresse an den Formen und Funktionen der Relationierung von Realität und Fiktion. Angeregt von Ingardens normativer Forderung, im literarischen Kunstwerk mögen »bestimmte Dinge und Menschen […] sich in entsprechend gewählten Ansichten dem Leser z e i g e n« 40 , wird im textanalytischen Teil dieser Arbeit zu untersuchen sein, inwiefern und wie in Wolframs Parzival Fragen nach der Darstellbarkeit von Materialität reflektiert werden, und welche Strategien, sprachlichen Zeichen einen ›Anschein von Dinglichkeit‹ zu verleihen respektive diesen zu suggerieren oder gerade abzuweisen, Materialität vorstell- und sichtbar zu machen und in einem »vollständig diegetisch[en]« Text »die Wirkung einer mimetischen Präsentation zu erreichen« 41 , sich nachweisen lassen. Die in Hallers Überlegungen genauso wie auch in Ingardens Definition des literarischen Kunstwerkes als ›schematisches Gebilde‹ implizierte Ausblendung der Rezipientenperspektive kann zum Anlass genommen werden, 42 hierbei das Augenmerk unter anderem auf die skalierbare Kategorie der Unvollständigkeit zu legen und den Blick darauf zu richten, welche kon‐ kreten Eigenschaften beispielsweise für die Identifizierung von Gegenständen oder deren Beschreibung und Visualisierung jeweils ausgewählt werden. Dabei werden wiederholt, mit Blick etwa auf den Gral, aber auch auf diverse prachtvolle Ausrüstungsgegenstände, die Grenzen der Darstellbarkeit und insbesondere der Visualisierung im literarischen Medium ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken - und »eine Grenze überschreiten heißt, sie gleichermaßen hervortreten zu lassen wie sie zu verneinen.« 43 Was nun also ist, en bref, ein literarisches Ding? Es ist ein Zeichen oder ein Zeichen‐ komplex, der im Rezipienten eine gegenständliche Vorstellung provoziert und der somit zumindest eine rudimentäre Relationierung von Textwelt und Realität, von Fictum und Factum erlaubt - sei es auch im Sinne der Negation etwa in Darstellungen phantastischer oder ›anderweltlicher‹ Gegenstände. Es ist notwendigerweise unvollständig bestimmt und 22 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 44 Vgl. hierzu Ingarden: Das literarische Kunstwerk, § 40, S. 275f. Diese ›unerfüllten‹ Qualitäten sind auch für die alltägliche Weltwahrnehmung kennzeichnend, sie sind z. B. auf der rückwärtigen und unsichtbaren Seite oder im Inneren eines Wahrnehmungsgegenstandes ›mitgegeben‹, sie sind, so Ingarden weiter, »etwas phänomenal Anwesendes und nicht etwa bloß signitiv Vermeintes« (ebd., § 40, S. 276). 45 Die Husserl’schen Termini sind, cum grano salis, synonym; vgl. in diesem Sinne Ingarden: Das literarische Kunstwerk, § 40, S. 272, Anm. 3. 46 Ingarden: Das literarische Kunstwerk, § 40, S. 272. 47 Seel: Wie phänomenal ist die Welt? , S. 186. 48 Ingarden: Das literarische Kunstwerk, § 40, S. 273. 49 Philipowski: Die Gestalt des Unsichtbaren, S. 341. weist entsprechend eine un(er)zählbare Menge ›mitgegebener unerfüllter Qualitäten‹ auf, 44 zeigt sich im Regelfall also nur in einer oder, die Wahrnehmung der realen Welt mimetisch abbildend, auch in mehreren ausschnitthaften, miteinander mehr oder minder eng ver‐ knüpften Ansichten respektive ›Abschattungen‹ oder ›Aspekten‹ 45 - und diese »Ansicht ist nicht die Kugel selbst, obwohl die letztere in ihr zur Erscheinung gebracht wird.« 46 Während die greifbaren und dreidimensionalen Facta als Objekte der Wahrnehmung »[i]n Zeit und Raum […] immer wieder anders erscheinen oder immer wieder anders angefasst werden [können]« 47 und in einer »kontinuierlichen Mannigfaltigkeit von Ansichten, die ständig ineinander übergehen« 48 , zur Anschauung und so zur ›Gegebenheit‹ kommen, erweisen sich literarische Dinge stets und ausschließlich als literarisch-schriftmedial vermittelt, sie werden einzig in codierter Form ›greifbar‹: Die vollständige, nicht-fiktionale Welt der Figuren ist uns allein durch die Vermittlung des discours zugänglich und im Rahmen dieser Vermittlung teilt sie sich uns immer schon als fiktional, unvollständig und vermittelt [mit]. 49 Heuristisch abzugrenzen sind literarische Dinge etwa von intelligiblen Gegenständen oder vom Gegenstand der Allegorie: Wo das intelligible Ding über die materielle Welt hinaus‐ weist, einer körperlich-materiellen Substanz entbehrt, sind Dinge zuvorderst ästhetische Wahrnehmungsgegenstände; wo Allegorie und Allegorese das Ding verschwinden lassen und es auf die hinter ihm liegende Bedeutung hin transparent zu machen suchen, rückt ein Fokus auf das literarische Ding dessen quasi-sichtbare, quasi-materielle Gegenständlichkeit in den Vordergrund. 1.2 Die Sprache der Dinge: Strukturalistisch-ethnologische Zugriffe Sobald wir einen Gegenstand in Beziehung auf sich selbst und in Verhältnis mit andern betrachten, und denselben nicht unmittelbar entweder be‐ gehren oder verabscheuen: so werden wir mit einer ruhigen Aufmerksamkeit uns bald von ihm, seinen Teilen, seinen Verhältnissen einen ziemlich deutlichen Begriff machen können. Je weiter wir diese Betrachtungen fortsetzen, je mehr wir Ge‐ 23 1.2 Die Sprache der Dinge: Strukturalistisch-ethnologische Zugriffe 50 Goethe: Der Versuch als Vermittler von Objekt und Subjekt, S. 322. 51 Hansen: Vom Ordnen der Dinge in der Archäologie, S. 293. 52 Leach: Claude Lévi-Strauss, S. 92; vgl. einführend das Kapitel ›Wörter und Dinge‹ ebd., S. 91-102. 53 Barthes: Sociologie et socio-logique, S. 238. Übersetzung: Soziologie und Sozio-Logik, S. 174. 54 Lévi-Strauss: La structure et la forme, S. 139. Übersetzung: »Anders als der Formalismus weigert sich der Strukturalismus, das Konkrete dem Abstrakten gegenüberzustellen und dem letzteren einen privilegierten Wert zuzuerkennen. Die Form definiert sich im Gegensatz zu einer Materie, die ihr fremd ist; aber die Struktur hat keinen von ihr unterschiedenen Inhalt: sie ist der Inhalt selbst, erfaßt in einer logischen Organisation, die als eine Eigenschaft des Realen gilt« (Die Struktur und die Form, S. 135). - Zur Genese dieser ›Logik des Konkreten‹ und ihren Anlagen bereits in den ›Tristes Tropiques‹ vgl. Wiseman: Lévi-Strauss, Anthropology and Aesthetics, S. 109-112. genstände unter einander verknüpfen, destomehr üben wir die Beobachtungsgabe die in uns ist. 50 Claude Lévi-Strauss’ Studien etwa zu den ›elementaren Verwandtschaftsstrukturen‹ sind in der Germanistischen Mediävistik ebenso breit rezipiert worden wie seine Untersuchungen zur Struktur der Mythen. Auf dem Forschungsfeld der Material Culture Studies ist der französische Strukturalist bislang hingegen allenfalls in der Archäologie als entscheidender Impulsgeber »für die Frage nach der Semantik der Objekte« 51 wahrgenommen worden. Insbesondere die von Lévi-Strauss entwickelte und eng mit seinen Arbeiten zu den Klassi‐ fikationssystemen filiierte ›Logik des Gegenständlichen‹ stellt indes wichtige Anregungen für eine kulturhistorische Einordnung und die methodische Herangehensweise an die materielle Kultur auch mittelalterlicher Literaturen und Kulturen bereit. Diese Logik nimmt auf Codes Bezug, »die aus Dingen der Außenwelt bestehen - zum Beispiel aus den Merkmalen von Tierarten«. 52 Die Lévi-Strauss’ Kritikern allzu formalistisch anmutende strukturalistische Methode, »c’est, si l’on veut, d’avoir ‹ décroché › résolument les formes des ‹ contenus ›«, sie »besteht sozusagen in einer entschlossenen ›Abkoppelung‹ der Formen von den Inhalten.« 53 Bereits in einer wenige Jahre vor der ›Pensée sauvage‹ publizierten Arbeit zu Vladimir Propps ›Morphologie du conte‹ hatte Lévi-Strauss seine Methode von derjenigen des Formalismus abgegrenzt und dabei insbesondere auf die divergierenden Perspektiven auf das ›Konkrete‹ hingewiesen: A l’inverse du formalisme, le structuralisme refuse d’opposer le concret à l’abstrait, et de reconnaître au second une valeur privilégiée. La forme se définit par opposition à une matière qui lui est étrangère ; mais la structure n’a pas de contenu distinct : elle est le contenu même, appréhendé dans une organisation logique conçue comme propriété du réel. 54 Anstatt also nach der Relation zwischen (symbolischer) Form und Inhalt zu fragen, entwickelt Lévi-Strauss, wesentlich angeregt vom Strukturbegriff der Prager Schule, eine strukturale Analyse der Zeichensysteme, die sich bei der Untersuchung von Mythen ebenso wie von Verwandtschaftssystemen, Bräuchen oder eben auch Artefakten als ausnehmend produktiv erwiesen hat. Einen Startpunkt in der Auseinandersetzung mit der materiellen Kultur markiert der in Lévi-Strauss’ strukturalistischem Manifest ›La Pensée sauvage‹ eingeführte Terminus ›bricolage‹ (›Bastelei‹), mit welchem ein prominentes Reservat wilden Denkens und eine basale Operation des Künstlers im Dialog mit seinem Material bezeichnet wird - ein schillernder Begriff, der »jene Eigenart der intellektuellen Tätigkeit 24 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 55 Kauppert: Claude Lévi-Strauss, S. 14. In den Ausführungen zum Bricolage greife ich zurück auf Winkelsträter: Bricolage, S. 144-148. 56 Loyer: Lévi-Strauss, S. 83. 57 Lévi-Strauss: Tristes Tropiques, S. 44. 58 Wiseman: Lévi-Strauss, Anthropology and Aesthetics, S. 208. 59 Vgl. Lévi-Strauss: Le Regard éloigné, S. 326-330. Übersetzung: Der Blick aus der Ferne, S. 355-360, mit Rekurs auf Max Ernsts Technik der ›Collage‹ sowie auf Lévi-Strauss: L’Homme nu, S. 559-563. Übersetzung: Der nackte Mensch, S. 732-738. 60 Vgl. Genette: Structuralisme et critique littéraire. Übersetzung: Strukturalismus und Literaturwis‐ senschaft. 61 Lévi-Strauss: La pensée sauvage, S. 31. Übersetzung: »[D]ie Welt seiner Mittel ist begrenzt, und die Regel seines Spiels besteht immer darin, jederzeit mit dem, was ihm zur Hand ist, auszukommen, d. h. mit einer stets begrenzten Auswahl an Werkzeugen und Materialien, die überdies noch heterogen sind, weil ihre Zusammensetzung in keinem Zusammenhang zu dem augenblicklichen Projekt steht, wie überhaupt zu keinem besonderen Projekt, sondern das zufällige Ergebnis aller sich bietenden Gelegenheiten ist, den Vorrat zu erneuern oder zu bereichern und ihn mit den Überbleibseln von früheren Konstruktionen oder Destruktionen zu versorgen« (Das wilde Denken, S. 30). 62 Lévi-Strauss: La pensée sauvage, S. 35. 63 Französisch bricoler bezeichnet ursprünglich, etwa im Ballspiel, ein »mouvement incident« (Lévi-Strauss: La pensée sauvage, S. 30). 64 Lévi-Strauss: La pensée sauvage, S. 35. Übersetzung: Das wilde Denken, S. 35. Zur Gegenüberstellung von ›image‹, ›signe‹ und ›concept‹ vgl. ebd. [beschreibt], durch die die Moderne mit der mythischen Welt in Kontakt bleibt« 55 , und der »zu einer reflektiven Metapher vieler Gebiete des zeitgenössischen Denkens werden sollte[]« 56 , mithin Lévi-Strauss’ eigene wissenschaftliche Methode auf den Begriff bringt: »j’ai l’intelligence néolithique«, 57 oder, in den Worten Boris Wisemans: »Lévi-Strauss’s portrait of the bricoleur is a disguised self-portrait.« 58 Sowohl die Arbeitsweise des Künst‐ lers 59 und des Mythopoeten als auch, so Gérard Genette, diejenige des literarischen Kritikers und des Mythosforschers lassen sich mit dem Bricolage auf den Begriff bringen. 60 Lévi-Strauss definiert den Bricoleur als jemanden, der jederzeit mit dem, was ihm zur Hand ist, auskommt: son univers instrumental est clos, et la règle de son jeu est de toujours s’arranger avec les « moyens du bord », c’est-à-dire un ensemble à chaque instant fini d’outils et de matériaux, hétéroclites au surplus, parce que la composition de l’ensemble n’est pas en rapport avec le projet du moment, ni d’ailleurs avec aucun projet particulier, mais est le résultat contingent de toutes les occasions qui se sont présentées de renouveler ou d’enrichir le stock, ou de l’entretenir avec les résidus de constructions et de destructions antérieures. 61 Der Bastler befinde sich im fortwährenden Dialog mit der ihn umgebenden materiellen Umwelt, er spreche nicht nur mit den Dingen, »avec les choses«, sondern auch mittels der Dinge, »au moyen des choses«. 62 Er sammle beständig und ohne konkreten Anlass Materialien und Werkzeuge, um diese, gelöst aus ihren ursprünglichen Funktions- und Bedeutungszusammenhängen, improvisierend-spielerisch in einen neuen einzubinden, 63 sie zu ›recyclen‹. In Opposition zur Herangehensweise des Bastlers sieht Lévi-Strauss diejenige des Ingenieurs: Während sich jener an das geschlossene System seiner arbiträren Sammlungsgegenstände, seiner bereits ›gebrauchten‹ Zeichen wende, befrage der Inge‐ nieur das Universum und operiere »mit Hilfe von Begriffen«, »au moyen de concepts«. 64 25 1.2 Die Sprache der Dinge: Strukturalistisch-ethnologische Zugriffe 65 Lévi-Strauss: La pensée sauvage, S. 36. 66 Wiseman: Lévi-Strauss, Anthropology and Aesthetics, S. 45. 67 Vgl. Derrida: La structure, le signe et le jeu, S. 418. Übersetzung: Die Struktur, das Zeichen und das Spiel, S. 431. - Zu der meistenteils eklektizistischen Rezeption des Lévi-Strauss’schen Strukturalismus bei Derrida, der jenen in die »abendländische Epoche der sogenannten ›Metaphysik der Präsenz‹ einzuschreiben [sucht], deren beherrschende Grundzüge mit den Schlagwörtern des ›Phonozentrismus‹, ›Logozentrismus‹ und ›Ethnozentrismus‹ bezeichnet sind«, vgl., mit Fokus auf der berühmten ›Schreibstunde‹ der Nambikwara, Därmann: Fremde Monde der Vernunft, Zitat auf S. 645. 68 Zum Stellenwert ästhetischer Erwägungen in Lévi-Strauss’ Konzept des ›wilden Denkens‹ s. Wi‐ seman: Lévi-Strauss, Anthropology and Aesthetics. Zusammenfassend zu Lévi-Strauss’ Ästhetik Kauppert und Funcke: »Zu dieser Ästhetik im wörtlichen Sinn gesellt sich bei Lévi-Strauss nun aber auch eine Ästhetik im modernen, nach-kantischen Verständnis des Begriffs […]: Das Kunstwerk vermittelt die Lust an der Erkenntnisfähigkeit als solcher auf der Grundlage der sinnlichen Eigen‐ schaften der Welt, die aber eben darum, weil es unmöglich ist, sie auszuschöpfen, einer bestimmten Technik bedarf - der Intensivierung des Details -, um den Eindruck einer Totalität zu erwecken, auf die sich das ästhetische Gefühl ihrer Betrachter beziehen kann« (Kauppert und Funcke: Zwischen Bild und Begriff, S. 20). Vgl. einführend Breeur: Auch kleine Dinge …, S. 34-38. Der Gegenüberstellung von Bastler und Ingenieur entspricht auf übergeordneter Ebene diejenige zwischen wildem respektive mythischem Denken, »la pensée mythique, cette bricoleuse«, 65 und einem durch die Moderne ›gezähmten‹, aufgeklärten, wissenschaftlichen Denken - sie ist allerdings keinesfalls als Synthese der ›Pensée sauvage‹ aufzufassen, sie fungiert vielmehr als hypothetische, mit der Realität des empirisch Beobachteten oftmals nicht in Einklang zu bringende Abstraktion: »as with many of Lévi-Strauss’s other theories, this theoretical/ methodological act of ›totalization‹ is attempted and provisional.« 66 Jacques Derrida destabilisiert diese Opposition, indem er den Ingenieur als vom Bastler imaginierten Mythos, als nur aus emischer Perspektive existente Entität, anspricht: als Subjekt, das der absolute Ursprung, »l’origine absolue«, seines eigenen Diskurses wäre und das Ganze dieses Diskurses aus einem Stück, »de toutes pièces«, hervorbringe - letztlich sei somit der Ingenieur, der mit jeder Bastelei gebrochen hätte, als theologische Vorstellung anzusprechen. 67 Der Bricolage wird durch Derridas Einwände nicht berührt, sondern vielmehr als Universalie menschlich-mythischen Denkens, vormodernen Forschens und, ganz allgemein, des Kunstschaffens bestätigt. Der Bricolage impliziert, und dieser Aspekt ist in dem vorliegenden Kontext von besonderer Relevanz, ein dialektisches, semiotisch fassbares Verhältnis zwischen dem gesammelten Bastelmaterial und der Struktur des hergestellten Artefakts, ein Verhältnis, das für die Analyse narrativierter Objekte ein anregendes Modell zur Verfügung stellt, sind doch erzählte Gegenstände, isoliert betrachtet, ganz wie das Material des Bastlers im Regelfall bereits präcodiert und zugleich eingelassen in das ›geschlossene Universum‹ Text respektive Kunstwerk. Lévi-Straussʼ Rekurs auf Ästhetik und Kunst ist keinesfalls als manierierte digressio eines kunstliebenden, leidenschaftlich sammelnden und selbst, im metaphorischen ebenso wie im wörtlichen Sinne, bastelnden Ethnologen zu werten, vielmehr wird sie in den folgenden Partien der ›Pensée sauvage‹ durch die Einführung des ›modèle reduit‹, einer Kunsttheorie in nuce, noch vertieft - und auch im weiteren Verlauf der Studie sowie im restlichen Werk des Ethnologen kommen immer wieder Analogien zwischen mythischem Denken und Kunstschaffen zur Sprache. 68 Im ›verkleinerten Modell‹, einem Produkt der Basteltätigkeit, 26 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 69 Lévi-Strauss: La pensée sauvage, S. 36. 70 Ette: Herausforderungen der Nanophilologie, S. 631. 71 »Die Selbstermächtigung des modellierenden wie des erkennenden Subjekts, sich des Objekts in seiner Totalität zu versichern und damit mehr noch zu bemächtigen, geht folglich mit einer (künstlerischen) Modellierung einher, die im Sinne von Jurij M. Lotman zweifellos als ›sekundäres modellbildendes System‹ bezeichnet werden kann« (Ette: Herausforderungen der Nanophilologie, S. 632). 72 Wenn Lévi-Strauss an späterer Stelle ›totemistisch‹ klassifizierende Schemata als Versuche definiert, das natürliche und soziale Universum in der Form einer organisierten Totalität zu ›greifen‹ (saisir), sind Parallelen zur Kunst als Bricolage kaum zu übersehen (vgl. Lévi-Strauss: La pensée sauvage, S. 164. Übersetzung: Das wilde Denken, S. 159); zur ›Totalisierung‹ in Kunst und mythischem Denken vgl. auch Lévi-Strauss: Mythos und Bedeutung, S. 27-37. 73 Lévi-Strauss: La pensée sauvage, S. 41. 74 Lévi-Strauss: La pensée sauvage, S. 38. Übersetzung: »[E]s ist konstruiert, ›man made‹ und, was wichtiger ist, ›Handarbeit‹. Es ist also nicht eine bloße Projektion, eine passive Entsprechung des Objektes: es konstituiert eine wirkliche Erfahrung über das Objekt« (Das wilde Denken, S. 37f.). 75 Lévi-Strauss: La Voie des masques, S. 878. Übersetzung: »Noch heute kostet es Mühe, in ihnen nur den toten Baumstamm zu sehen und für ihre leise Stimme taub zu bleiben« (Der Weg der Masken, S. 12). sieht Lévi-Strauss den Typus des, einschränkend wäre zu anzumerken: mimetischen, Kunstwerks überhaupt, »toujours et partout« 69 - eine Aussage »von großer ästhetischer wie epistemologischer Relevanz und Tragweite« 70 : Sei ein Kunstwerk Miniatur oder überlebensgroß, stets werde auf bestimmte Dimensionen des Abzubildenden verzichtet. Das metaphorische Sprechen von der ›Verkleinerung‹ meint mithin ›Reduktion‹ oder ›Modellbildung‹ 71 und zielt, den ›totemistischen‹ Klassifikationen vergleichbar, darauf, die dargestellte Wirklichkeit ›greif-‹ und ästhetisch erfahrbar, 72 sie im Ganzen wahrnehmbar zu machen. Das gemachte und seine Gemachtheit zum ästhetischen »plaisir« des Betrachters mitzeigende ›modèle reduit‹ hebe, ganz wie die Tätigkeit des Bastelns, darauf ab, aus dem Weltganzen eine neue, in ihrer Totalität erfassbare Struktur, »un objet absolu«, 73 zu erschaffen. Zentrales Merkmal des verkleinerten Modells ist also sowohl seine holistische Erfass- und Wahrnehmbarkeit als auch seine Gemachtheit: il est construit, ‹ man made ›, et, qui plus est, ‹ fait à la main ›. Il n’est donc pas une simple projection, un homologue passif de l’objet : il constitue une véritable expérience sur l’objet. 74 Als eine der prominentesten Klassen solchermaßen ›gebastelter‹ Gegenstände und verklei‐ nerter Modelle dürfen, zumindest auf das Lévi-Strauss’sche Œuvre hin besehen, die Masken gelten. Von den Artefakten der kanadischen Ureinwohner gehe eine solche Faszinations‐ kraft aus, dass es selbst dem modernen westlichen Subjekt schon bei der Betrachtung einfachster Gegenstände, etwa geschnitzter Pfähle, Mühe koste »pour reconnaître en eux le tronc mort et pour rester sourd à leur voix étouffée« 75 . Die nachhaltige Wirkung, die künstlerische Affordanz und scheinbare Lebendigkeit dieser Objekte hat den Ethnologen bereits in der Frühphase seines Schaffens solchermaßen in ihren Bann geschlagen, dass er ihnen nach der Veröffentlichung seiner großen Tetralogie, der ›Mythologiques‹, im Jahr 1975, in einer Zeit also, zu der der klassische Strukturalismus in vielen Kreisen bereits als nachgerade altmodisch gilt, mit der ›Voie des masques‹ eine kleine strukturalistische 27 1.2 Die Sprache der Dinge: Strukturalistisch-ethnologische Zugriffe 76 Loyer: Claude Lévi-Strauss, S. 890. Dieser Einordnung sei einschränkend hinzugefügt, dass Lévi-Strauss auch in früheren Texten immer wieder, wenn auch häufig nur in Andeutungen, auf den Stellenwert plastischer Gegenstände für die strukturale Anthropologie hinweist, man denke etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, an seine inlandsethnologischen Bemerkungen zu den Codes der Hochzeitstrachten, zur ›Sprache der Hauben‹ (›le langage des coiffes‹): »Daß jede Gemeinschaft ihre Tracht haben mußte und daß diese für Männer wie für Frauen im großen und ganzen aus den gleichen Elementen zu bestehen hatte, unterlag keinem Zweifel: man bemühte sich nur, sich von dem Nachbardorf zu unterscheiden und es an Reichtum und Findigkeit zu überflügeln. Alle Frauen tragen eine Haube, doch sind diese von einem Gebiet zum anderen verschieden; übrigens diente, in der Terminologie der Endogamie, die Sprache der Hauben bei uns dazu, die Heiratsregeln zu formulieren […], so wie bei den Australiern - dort jedoch in der Terminologie der Exogamie - die Sprache der Unterabteilungen oder der Totems. Die zweifache Wirkung des allgemeinen Konformismus (der das Ergebnis einer abgeschlossenen Welt ist) und des Kirchturmparikularismus neigt hier wie dort, bei den australischen Wilden wie in unseren bäuerlichen Gesellschaften dazu, die Kultur nach der musikalischen Formel ›Thema mit Variationen‹ zu behandeln« (Das wilde Denken, S. 108f.; vgl. auch Lévi-Strauss’ Beobachtungen zum Ritus der Mokassinfertigung für den Priester bei den Osage ebd., S. 167f.). 77 Exemplarisch sei auf eine Stelle aus einem Zeitungsinterview aus dem Jahre 1971 verwiesen, in dem die Distanz des Ethnologen zu dem von Marcel Mauss vermittelten ungebrochenen ›Glauben an das Objekt‹ (vgl. auch Anm. 2 dieser Arbeit) sichtbar wird: »Als ich meine wichtigsten Missionen in Brasilien vorbereitete, wurde gerade das Musée de l’homme gegründet und Mauss hatte ihm einen regelrechten Mystizismus des Objekts eingeimpft. Nicht ohne Grund, denn er meinte, dass der kleinste Gegenstand, wenn man ihn richtig zu lesen verstehe, wie ein Mikrokosmos die gesamte materielle und moralische Ökonomie der Gesellschaft widerspiegele. Im Gelände habe ich, von diesen Vorschriften eingeschüchtert, viel Zeit auf das Sammeln, die Untersuchung und die Beschreibung der Gegenstände und ihrer Herstellung verwendet, und heute bedaure ich, diese Zeit den Glaubensvorstellungen und Institutionen entzogen zu haben« (Lévi-Strauss: L’express va plus loin avec Lévi-Strauss, zit. nach Loyer: Lévi-Strauss, S. 302f.). - Zu Mauss’ einflussreichster Publikation, seinem ›Essai sur le don‹, als proto-strukturalistischer Studie, in deren Zentrum »die Idee eines vorgängigen Verschmolzenseins von Person und Sache [steht], aus der heraus sich allein erklärt, dass die ausgetauschten Gaben die Funktion einer symbolischen Verkörperung des Zusammenhalts zwischen den Gruppen übernehmen können«, vgl. Quadflieg: Vom Geist der Sache, S. 10. 78 »Auf alle diese Fragen konnte ich erst dann eine Antwort geben, als ich begriffen hatte, daß sich die Masken, ebensowenig wie die Mythen, nicht für sich und durch sich allein, als isolierte Gegenstände deuten lassen« (Lévi-Strauss: Der Weg der Masken, S. 16; s. La Voie des masques, S. 881f.). 79 Lévi-Strauss: La Voie des masques, S. 938. Fingerübung widmet, in welcher die strukturale Analyse nun »zum ersten Mal auf plastische Objekte angewandt wird« 76 . Ausgehend von der simplen Frage unter anderem danach, warum die Organe, Augen und Zungen mancher Masken konkav, anderer konvex gestaltet sind, sucht Lévi-Strauss, stets unter der epistemologisch optimistischen Prämisse, in den Dingen etwas Wahres greifen und eine Brücke zum Früheren und zum Anderen schlagen zu können, 77 die genuin strukturalistische These zu bestätigen, dass sich Masken ebenso wie auch Mythen nicht als isolierte, in sich geschlossene Kunstwerke deuten lassen, 78 sondern erst im Vergleich mit der Gruppe ihrer Transformationen, mit anderen gegensätzlichen oder ähnlichen Masken einen Sinn, genauer: einen Beziehungssinn, »un sens, pourrait-on dire, diacritque«, 79 preisgäben. Zunächst begibt sich Lévi-Strauss daran, Akten über einen indianischen Maskentypus zusammenzustellen, Akten, die Informationen enthalten über 28 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 80 Lévi-Strauss: La Voie des masques, S. 882. Übersetzung: »seine ästhetischen Merkmale, seine Herstellungstechnik, den Gebrauch, für den er bestimmt ist, sowie die Wirkungen, die man von ihm erwartet, schließlich alles, was wir über die Mythen wissen, die etwas über seinen Ursprung, seine Gestalt und seine Verwendungsbedingungen aussagen. Denn erst wenn diese Akte zusammengestellt ist, kann man sie sinnvoll mit anderen Akten konfrontieren« (Der Weg der Masken, S. 18). 81 So Lévi-Strauss zum impressionistischen Programm, zur subjektiven Wahrnehmung (»leur considé‐ ration subjective«) des Gegenstands durch den Künstler (Lévi-Strauss: Le métier perdu, S. 6). 82 Lévi-Strauss: La Voie des masques, S. 911f. Der ›Bereich‹ der Masken vereint also »mythische Tatsachen, soziale und religiöse Funktionen sowie plastische Ausdrucksformen […] - diese drei Phänomene, so heterogen sie sein mögen, [sind] funktional miteinander verbunden« (Der Weg der Masken, S. 56). 83 Die Relevanz des Details für Lévi-Strauss’ Methode, seine fast manische Besessenheit, noch für die kleinsten Nuancen einen Sinn und verdeckte Zusammenhänge und Konnotationen zu entdecken, wird zum Abschluss der Mythologiques, in L’Homme nu, methodisch reflektiert: »Stücke, die zunächst disparat erschienen, zeigen, sobald sie einmal den Platz gefunden haben, der einem jeden zukommt, sowie die Beziehung, die es mit den benachbarten vereint, den Aspekt eines kohärenten Bildes. So willkürlich, bizarr, absurd sie anfangs erscheinen mochten, erhalten darin auch die kleinsten Details eine Bedeutung und eine Funktion« (Lévi-Strauss: Der nackte Mensch, S. 657; s. L’homme nu, S. 503); vgl. schon Anm. 68 dieser Arbeit. 84 Oppitz: Materielle Kultur und Transformationsbegriff, S. 27. 85 Lévi-Strauss: La Voie des masques, S. 911. ses caractères esthétiques, sa technique de fabrication, l’usage auquel il est destiné et les résultats qu’on en attend ; enfin sur les mythes qui rendent compte de son origine, de son apparence et de ses conditions d’emploi. Car c’est seulement une fois constitué ce dossier global qu’on pourra le confronter utilement à d’autres dossiers. 80 Die Informationssammlung beschränkt sich somit nicht auf die Materialität des Unter‐ suchungsgegenstands, in anderem Kontext: »la physiognomie des choses«, 81 darüber hinaus werden auch dessen soziale Funktionen, seine Verwendungsbedingungen sowie die mit ihm in Verbindung stehenden Mythen berücksichtigt. Kurzgefasst, lässt sich der Untersuchungsgegenstand ›Maske‹ als Phänomenbündel definieren, qui conjugue des données mythiques, des fonctions sociales et religieuses et des expressions plastiques - ces trois ordres de phénomènes, si hétérogènes qu’ils paraissent, sont fonctionellement liés. 82 Methodisch relevant ist also in einem ersten Schritt die Versammlung aller zu einem bestimmten Gegenstand verfügbaren Daten, und seien es die unscheinbarsten und obskursten Details. 83 In einem zweiten Schritt können anschließend verschiedene Gegen‐ stände unter Zuhilfenahme der zu ihnen erstellten Akten abgeglichen werden, kann also den materiellen ›Transformationen‹ - vielleicht das ›nachhaltigste‹ »Konzept der strukturalen Anthropologie« 84 - nachgegangen werden, um schließlich das hinter den Masken liegende ›System‹ offenzulegen und damit auch den ›diakritischen Sinn‹ des ein‐ zelnen in ein ›globales semantisches Feld‹, ein »champ sémantique global« 85 , eingelassenen Gegenstands offenzulegen: Nous avons vu qu’[…]un masque n’existe pas en soi; il suppose, toujours présents à ses côtés, d’autres masques réels ou possibles […]. En discutant un problème particulier, nous espérons avoir 29 1.2 Die Sprache der Dinge: Strukturalistisch-ethnologische Zugriffe 86 Lévi-Strauss: La Voie des masques, S. 978. Übersetzung: »Wir sahen […], dass eine Maske nicht für sich alleine existiert; sie setzt andere, reale oder mögliche Masken neben sich voraus […]. Indem wir ein besonderes Problem erörterten, hoffen wir, gezeigt zu haben, daß eine Maske nicht in erster Linie das ist, was sie darstellt, sondern das, was sie transformiert, d. h. absichtlich nicht darstellt« (Der Weg der Masken, S. 130f.). 87 Lévi-Strauss: La Voie des masques, S. 896. Übersetzung: »Alle diese Hinweise deuten auf eine doppelte Affinität der Swaihwé-Masken mit den Fischen hin: eine metaphorische, da die große heraushän‐ gende Zunge, eines ihrer Hauptmerkmale, einem Fisch ähnelt, mit dem man sie verwechseln kann; und eine metonymische, indem man sie fischt und man die Fische an der Zunge fängt« (Der Weg der Masken, S. 35). montré qu’un masque n’est pas d’abord ce qu’il représente mais ce qu’il transforme, c’est-à-dire choisit de ne pas représenter. 86 Die materiellen, der farblichen ebenso wie der plastischen Gestaltung der Masken abzule‐ senden Oppositionsverhältnisse, die Unterschiede im Ähnlichen treten in Entsprechung zu metaphorischen und metonymischen Bezügen zwischen den Dingen und ihren Mythen, ihren Verwendungsweisen sowie etwa auch zu ihrer Funktion im ökonomischen Kreislauf. Im konkreten Fall der Swaihwé-, der Dzonokwa- und der Xwéwé-Masken, die eben auch und vor allem das sind, was sie transformieren und jeweils gerade nicht darstellen, sind diese Bezüge so komplex und so vielfältig, dass an dieser Stelle lediglich auf einen exemplarischen Passus, der die Affinität der Masken und der mit ihnen assoziierten Mythen zu den Fischen aufhellen soll, zur Veranschaulichung des strukturalistischen Erkenntnisinteresses hingewiesen werden soll: Toutes ces indications suggèrent une double affinité des masques swaihwé avec les poisons : métaphorique, puisque la grosse langue pendante, qui est un de leurs attributs caractéristiques, ressemble à un poisson avec quoi on peut la confondre ; et métonymique pour autant qu’on les pêche, et que c’est pas la langue qu’on attrape les poisons […]. 87 Eine literaturwissenschaftlich-strukturale Ding-Analyse wird, angeregt von Lévi-Strauss’ Studie zur ›Voie des masques‹, den zu untersuchenden Gegenstand zunächst und in Vorbereitung auf die Interpretation insbesondere auf seine Materialität, seine ›Objektbio‐ graphie‹ und seine Handlungsfunktionen hin zu befragen, diese Informationen in ›Akten‹ zu übertragen und diese Akten schließlich übereinanderzulegen haben, um Ähnlichkeiten und Differenzen, metonymische und metaphorische Bezüge zwischen einzelnen Dingen sowie den Dingen und den mit ihnen assoziierten Figuren, Räumen usf. zu entdecken. Hierbei wird einerseits nach Korrepondenzen auf unterschiedlichen Ebenen Ausschau zu halten, nach Entsprechungen einzelner Proprietäten wie Farbe, Material oder auch mit Blick auf die Herkunft, die Herstellung oder die Vorbesitzer eines Gegenstandes zu fragen sein, andererseits wird zu untersuchen sein, ob diese textinternen Kontrast- oder Ähnlich‐ keitsbezüge implizite Sinnpotentiale des Textes aufscheinen lassen und dem einzelnen Gegenstand in seinem jeweiligen Kontext einen diakritischen, einen Beziehungssinn un‐ terlegen. Auf Grundlage dieses methodischen Zugriffs lässt sich insbesondere die Funktion der Gegenstände für die Struktur einer Erzählung erhellen, eine Analysedimension, die mit Blick auf ein so hochkomplexes wie paradigmatisch organisiertes literarisches Modell wie Wolframs Parzival in besonderem Maße zielführend anmutet. 30 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 88 Horvitz: A Talk with George Kubler, S. 34. 89 Hickethier: Einführung in die Medienwissenschaft, S. 19. - Vgl. einführend aus mediävistischer Perspektive: Glasner: Medialität mittelalterlicher Gegenstände; Kiening: Medialität; ders.: Fülle und Mangel; ders.: Medialität aus mediävistischer Perspektive. - Im Sinne einer Historisierung des Medienbegriffs betont Kiening die »onto-theologische[] und transzendenzbezogene[] Grundierung von Medialität« (Medialität, S. 374) im Mittelalter. Moderne Medientheorien, in deren Anwendung auf vormoderne Medien Kiening wenig mehr sieht »als nur eine Aufpfropfung« (ebd., S. 373), werden zugunsten eines Fokus auf historische, insbesondere scholastische Reflexionen auf den Begriff des medium ausgeblendet. Als zentrales Kennzeichen mittelalterlicher Medialität ist mit Kiening die Paradoxie von »Fülle und Mangel« (ebd. et passim) festzuhalten: »Das Heilswerk als geschichtliches gründet sich auf Vermittlung, doch diese Vermittlung ist eine, die ihre eigene Medialität sowohl ausstellt wie aufhebt« (ebd., S. 363). Anders gewendet: Der Grund für diese Paradoxalität liege darin, dass das Medium als Vermittelndes stets am Vermittelten teilhabe (Fülle), gleichzeitig jedoch auch wesentlich von »seiner Entfernung vom Ursprung« (ebd., S. 359) gekennzeichnet sei (Mangel). Am Beispiel des Heilsmediums ›Körperreliquie‹ lässt sich dieses Paradox gut nachvollziehen: Diese bezieht als mit dem Heiligen in Berührung gekommenes oder dessen Leib entnommenes Körperteil ihre virtus aus der Eigenschaft, das Ganze des Heiligen in der Immanenz präsent zu machen; die Materialität der Reliquie, das Bezeichnende, ist als Bruchstück von einem ›Mangel‹ gekennzeichnet, während das Bezeichnete die Fülle des transzendenten Heils ist. 1.3 Vermittlung I: Dinge, Medien, Spuren H: But then you have the problem of music, or the energy patterns on the television screen. K: Well, they’re not artifacts. I wouldn’t say that a musical composition is an artifact excepting the paper it’s on, its papery aspect. As writing it is an artifact. Whereas a musical system is not material. I feel that very strongly, that artifacts are material. 88 Im Folgenden sollen zwei eng miteinander verbundene Phänomene der Vermittlung einge‐ führt werden, die mit Blick auf den zu untersuchenden Primärtext, in dessen Sinnzentrum weite Teile der Forschung das Transzendenzmedium ›Gral‹ sehen, besonders produktive theoretisch-methodische Grundlagen zur Verfügung zu stellen versprechen: zum einen die medialen (Vermittlung I), zum anderen die handlungsvermittelnden Funktionen der Dinge (Vermittlung II). Während der zuletzt genannte Schwerpunkt darauf abzielt, die komplexen Interaktions- und Akteursstrukturen erzählter Texte abstrakt beschreibbar zu machen, insbesondere die Orientierung der Analyse am Figurenhandeln zu hinterfragen, diese um einen symmetrischen, einen offenen Handlungsbegriff zu ergänzen, liegt bei der Rede von der Medialität der Dinge der Fokus auf den Formen insbesondere dinglich vermittelter Kommunikation. Als ›mediale Dinge‹ sollen im Folgenden in erster Linie Kommunikationsmedien ange‐ sprochen werden, und zwar keine ›Massenmedien‹ im Luhmann’schen Sinne, sondern allgemeiner: »Mittel […] zur Formulierung von Gedanken, Gefühlen, Inhalten sowie von Erfahrungen über die Welt«. 89 Als Medien eignet den Dingen vorrangig - aber nicht ausschließlich - eine Mittlerfunktion. ›Vorrangig‹ deutet in diesem Kontext auf eine Spannung zwischen Medialität und Materialität, der hier, mit Blick v. a. auf die Materialität des Mediums, weiter nachgegangen werden soll. Mediale Gegenstände gehen, stets an 31 1.3 Vermittlung I: Dinge, Medien, Spuren 90 Serres: Hermes ou La communication, S. 40. Übersetzung: »die Gesamtheit jener Störungserschei‐ nungen, die die Kommunikation behindern« (Hermes I. Kommunikation, S. 49). Erläuternd heißt es hier: »So ist die Kakographie das Rauschen des Schriftzugs oder eher noch: die Schrift enthält eine (wesentliche) Form und ein (wesentliches oder akzidentelles) Rauschen. Wer schlecht schreibt, der taucht die graphisch verschlüsselte Nachricht in ein solches Rauschen; er behindert die Lektüre und macht den Leser zum Epigraphiker. Schreiben heißt, eine Form den Gefahren solcher Störungen auszusetzen. Und mündlich kommunizieren heißt, einen Sinn den Gefahren des Rauschens auszu‐ setzen« (ebd.). Das Rauschen wird von Serres andernorts als eine von drei Erscheinungsformen des Parasiten gekennzeichnet (hier, in Hermes I, liegt der Fokus auf der Störung, dem Rauschen als einer Figur des Dritten, als Dämon), das neben diejenige des schmarotzenden Tieres und die des Gastes tritt, der die Gastfreundschaft seines Wirtes ausnutzt; vgl. Serres: Der Parasit. 91 Mersch: Ereignis und Aura, S. 65f. 92 Derrida: Die Stimme und das Phänomen, S. 48. 93 Groys: Unter Verdacht, S. 21. Formen, an Materie gebunden, realiter - zumindest in der mittelalterlichen Medienpraxis - nie in ihrer Vermittlerfunktion auf, sie werden stets von einem ›Rauschen‹ begleitet, welches das Medium und den Akt der Medialisierung zuallererst sichtbar werden lässt. ›Rauschen‹, bei Michel Serres: ›bruit‹, bezeichnet in diesem Kontext »l’ensemble de ces phénomènes de brouillage qui font obstacle à la communication« 90 , und genauer wörtlich, daß sich die Materialität des Mediums »vernehmlich« macht. Das Rauschen fällt ins Ohr wie das Flimmern ins Auge, oder wie das Gewicht eines Gegenstandes schwer in der Hand wiegt. Es erscheint dann nicht nur als »Spur« im Sinne Derridas, als Zeichnung oder Einschreibung im Medium, sondern es steht »ekstatisch« in die Wahrnehmung hinein, bedrängt Blick, Gehör oder taktilen Sinn und hält sich derart »in Präsenz«, daß daran die Medialität des Mediums »umbricht«. Es erweist sich im Modus von Wahrnehmung gerade als das »Andere« des Mediums, das »Amediale«, das die Weisen medialer Gewahrung invertiert. 91 Da, nach Derrida, der »Körper des Zeichens […] kein Atem ist« 92 , sondern eben materieller ›Körper‹, sind Bedeutungen, Nachrichten oder Sinngehalte unmöglich gänzlich störungs- oder rauschfrei zu übermitteln: Medialität bedarf stets einer Form von Codierung, und dieses Code- oder Trägermedium macht sich in seiner Materialität im Regelfall bemerkbar, ist mithin vom Vermittelten oftmals nur schwerlich zu trennen. Hiermit ist bereits ein wesentliches Signum mittelalterlicher Medienpraxis benannt, das diese abgrenzt von der gegenwärtigen, in der etwa Fernseher oder Computer, scheinbar ausschließlich technische Medien also, die Möglichkeit bieten, den Medienträger zumindest zeitweilig unvernehmlich zu machen: Solche nämlich sind für uns nur dann zugänglich, wenn sie gerade nicht als Medienträger fungieren, sondern sich schlicht als Gegenstände der profanen Außenwelt präsentieren - wobei sich dann die Frage stellt, von welchen Zeichenträgern diese Geräte ihrerseits präsentiert und getragen werden. Der profane und der submediale Raum sind also miteinander inkompatibel. Wir können entweder die Zeichen und die Dinge selbst beobachten - oder nach ihren Trägern fragen. 93 Damit historische Vorannahmen und Setzungen hinsichtlich des medienontologischen Status den Blick auf mittelalterliche Zeichen- und Medienpraktiken nicht verstellen, sollen Materialität und Medialität hier zunächst abstrakt als die Achsen eines Koordinatensystems aufgefasst werden, in welchem auch literarisch imaginierte Medien sich verorten lassen. 32 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 94 Schulte-Sasse: [Art.] ›Medien/ medial‹, S. 1. - Für eine exemplarische Arbeit mit dem ›schwachen‹ Medienbegriff vgl. Kellermann: Ulrichs von Liechtenstein Frauendienst als mediales Labor. 95 Schulte-Sasse: [Art.] ›Medien/ medial‹, S. 1. In den viel zitierten Worten McLuhans: »the medium is the message. This is merely to say that the personal and social consequences of any medium - that is, of any extension of ourselves - result from the new scale that is introduced into our affairs by each extension of ourselves, or by any new technology« (McLuhan: Understanding Media, S. 19). 96 Baecker: Beobachtung mit Medien, S. 14. 97 Vgl. Seitter: Ding und Medium, S. 171, Anm. 39. 98 Vgl. einführend, im Vergleich mit Aristoteles’ Medienbegriff, Seitter: Physik der Medien, S. 33-45. Die von Heider anvisierten Ketten medialer Vermittlung finden u. a. Eingang in das technische Übertragungsmodell von Shannon und Weaver, vgl. einführend Krämer: Medium, Bote, Übertragung, S. 13f. 99 Heider: Ding und Medium, S. 97. 100 Heider: Ding und Medium, S. 35. 101 Schon Aristoteles geht von einer Bewegung des diaphanen Mediums, z. B. der Luft, durch das Wahrnehmungsobjekt, konkret: dessen Farbe, und einer anschließenden Bewegung des Wahrneh‐ mungsorgans durch das Medium aus: ἀλλὰ τὸ μὲν χρῶμα κινεῖ τὸ διαφανές, οἷον τὸν ἀέρα, ὑπὸ τούτου δὲ συνεχοῦς ὄντος κινεῖται τὸ αἰσθητήριον (Aristot., De an., 419a 13-15; Buchheims Übersetzung [s. ebd.] lautet: »[V]ielmehr bewegt die Farbe das Durchsichtige, wie z. B. die Luft, und [erst] von dieser als kontinuierlich vorhandener wird das Wahrnehmungsorgan bewegt«). 102 Am Beispiel: »In einem Anzeigegerät muss etwas Unstarres sein, etwas, das den von außen kommenden Einflüssen folgt, etwas Medienhaftes also« (Heider: Ding und Medium, S. 84). Die mediale Dimension wird mit der in der Medientheorie diskutierten ›schwachen Bedeutungsvariante‹ des Begriffs betont, einer Definition, in welcher das Medium »als ein[] Informations- oder Kommunikationsträger [gesehen wird], der auf das Übertragene nicht zwangsläufig einwirkt« 94 , während mit der - am prominentesten von Marshall McLuhan formulierten - ›starken Bedeutungsvariante‹ die Prägung des Vermittelten durch das Medium hervorgehoben wird. Das Medium wird somit definiert als Träger von Informationen, der diese […] grundsätzlich prägt, sich ihnen medienspezifisch ein‐ schreibt und dadurch dem menschlichen Zugriff auf Wirklichkeit Form verleiht. 95 Mit Fritz Heiders einflussreicher Untersuchung zu ›Ding und Medium‹ soll dem Folgenden die »nach wie vor genaueste operative Fassung des Medienbegriffs« 96 zugrunde gelegt werden. Der Philosoph und Psychologe aus der Grazer Meinong-Schule Fritz Heider, der unter dem Einfluss des ›physical turn‹ der 1920er Jahre steht 97 und als Klassiker der Medi‐ enphysik firmiert, 98 nimmt an, dass phänomenale Wahrnehmung im Allgemeinen nicht »aus dem Psychischen abzuleiten«, sondern »durch die äußere Welt bedingt« 99 sei, eben durch Dinge und Medien, genauer: Ketten der Vermittlung zwischen Dingen und Medien. Als Beispiel für ein »echtes Medium […], durch das man ungehemmt hindurch sieht« 100 , gilt Heider die Luft, ein im Gegensatz zum ›innenbedingten‹, ›eigenschwingenden‹ Ding ›außenbedingtes‹ und die ihm aufgezwungenen Schwingungen vermittelndes Medium. 101 In Heiders Theorie sind nicht nur ›echte Medien‹ als solche zu definieren, sondern gerade auch ›mediale Hybriden‹ und Grenzfälle des Medialen zu berücksichtigen: So gilt als potentiell medial, was sich, sei es auch nur temporär, durch eine ›unstarre‹ Eigenschaft auszeichne, 102 solange es eben in der Lage sei, eine von einem anderen Ding ausgehende ›Schwingung‹ aufzunehmen und zu vermitteln. Als Grenzfall gilt Heider weiterhin das 33 1.3 Vermittlung I: Dinge, Medien, Spuren 103 Heider: Ding und Medium, 85. 104 Heider: Ding und Medium, S. 85-91. 105 Vgl. hierzu einführend Wirth: Zwischen genuiner und degenerierter Indexikalität. - Vgl. Baisch: Zeichen lesen im höfischen Roman; ders.: Seitensprünge und Eisenstäbe. 106 Krämer: Medium, Bote, Übertragung, S. 279. 107 Krämer: Medium, Bote, Übertragung, S. 280. 108 Krämer: Das Medium als Spur und als Apparat, S. 79. 109 Krämer: Medium, Bote, Übertragung, S. 281. 110 Krämer: Was also ist eine Spur? , S. 17. spurtragende erstarrte Medium, ein statisches Objekt, das gleichwohl zur Vermittlung befähigt sei: [D]ie Spur wird umso charakteristischer sein, je mehr Freiheiten das Medium in dem Moment hat, in dem ihm die Spur eingedrückt wird. Desto besser ›folgt‹ es dem Eindrückenden. 103 Beispielsweise durch das Eindrücken einer Spur vollzieht sich ein Wandel vom Ding zum Medium, das, sobald die Spur erstarrt ist, zwar ontologisch wieder als festkörperliches, eigenbedingtes Ding gelte, welches allerdings noch immer als - in diesem Falle fixierter, stillgestellter - Vermittler fungiere oder fungieren könne. 104 Ob nun ein solcher Gegenstand auch als Medium oder, etwa wenn die ihm eingedrückte Spur kaum mehr lesbar ist, ausschließlich als Ding wahrgenommen wird, liegt in vielen Fällen, gerade in den von Heider angesprochenen Grenzfällen des Medialen, in der Perspektive von Zeichen- und Mediennutzer, der einen Gegenstand zuallererst als medialen zu erkennen hat. Medialität wäre somit schwerlich als ausschließlich ontologische, sondern vielmehr als weiche, d. h. kontext- und rezipientenabhängig variable Kategorie, als Zuschreibung zu fassen. Mit der ›Spur‹ fällt ein Begriff, der in der Psychoanalyse, der Philosophie, der Me‐ dien- und Zeichentheorie sowie nicht zuletzt in der Germanistischen Mediävistik immer wieder kontrovers diskutiert wurde. 105 Spuren werden von Krämer als »unabsichtliche Hinterlassenschaften« 106 , als Effekte oder auch als »Phänomene, die verursacht sein müssen, aber nicht intendiert sein können« 107 , definiert. Wie die Materialität des Mediums »die Grundlage abgibt für diesen ›Überschuß‹ an Sinn, für diesen ›Mehrwert‹ an Bedeutung, der von den Zeichenbenutzern keineswegs intendiert ist« 108 , so ist auch die Spur kein arbiträr-konventionelles Zeichen. Um zur Spur zu werden, potentiell eine Botschaft über‐ mitteln und ›gelesen‹ werden zu können, bedarf es eines Spurenlesers, der ›die stummen Dinge zum Sprechen bringt‹ 109 , das heißt »das spurbildende Geschehen als eine Erzählung rekonstruiert« 110 - es liegt somit auch in diesem Falle wesentlich in der Perspektive von Leser oder Nutzer, ein Ding als Spur (oder als Medium) zu identifizieren. Da Spuren ebenso 34 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 111 Vgl. Barthes: Sémantique de l’objet. Übersetzung: Semantik des Objekts. Ausgehend von dem Paradox, dass einerseits die Objekte von dem Menschen als transitiv und seinen Handlungen untergeordnete Instrumente gedacht werden und es andererseits »immer einen Sinn gibt, der die Verwendung des Objekts übersteigt« (ebd., S. 189), gelangt Barthes zu der Feststellung, das Objekt als Zeichen definiere sich vor allem über eine symbolische Koordinate, da es immer auf mindestens ein Signifikat verweise. Zentral für Barthes’ Verständnis des Objekts ist, dass dieses im Gegensatz zur sprachlichen Einheit, deren Bedeutung sich über eine allgemein gültige Syntax definiere, als »polysemisch[es], das heißt, […] mehreren Sinnlektüren zugänglich[es]« (ebd., S. 195) Zeichen firmiere. So komme dem Betrachter und dem ihm zur Verfügung stehenden, kulturell geprägten Code eine wesentliche Rolle in der Bedeutungszuweisung zu. Da Objekte Bedeutungen codieren, können sie wie sprachliche Zeichen der zwischenmenschlichen Kommunikation dienen und beispielsweise auf den gesellschaftlichen Status ihres Besitzers hin gelesen werden. Eine solche Lesart indiziert die relativ offene semantische Struktur der Objekte, welchen neben einer primären, sich etwa aus ihrer Funktion ergebenden, denotativen Bedeutung weitere sekundäre oder konnotative Bedeutungen zugeschrieben werden können. 112 Krämer: Medium, Bote, Übertragung, S. 281f. 113 »Die Spur macht das Abwesende niemals präsent, sondern vergegenwärtigt seine Nichtpräsenz; Spuren zeigen nicht das Abwesende, sondern vielmehr seine Abwesenheit« (Krämer: Was also ist eine Spur? , S. 15). 114 Krämer: Was also ist eine Spur? , S. 13. 115 Krämer: Medium, Bote, Übertragung, S. 295. 116 Krämer: Medium, Bote, Übertragung, S. 295. wie Dinge, wie auch von Roland Barthes in anderem Kontext beobachtet, 111 polysem sind, eignet dem Akt des Spurenlesens ein genuin narrativer Charakter: Beredt - und damit zu Spuren - werden sie [die Dinge; S.W.] erst in der Erzählung des Spurenlesers. Und es gibt stets eine Vielzahl möglicher Erzählungen […]. Wir sehen also: Spuren entstehen durch die im aktualen Kontext des Spurenlesers verwurzelte und mit der erzählenden Herstellung kausaler Abhängigkeiten kompatible Interpretationsarbeit. Was eine Spur ist, kann also vom Sinn, der mit ihr verknüpft wird, gar nicht abgelöst werden. Spuren bilden die Nahtstelle der Entstehung von Sinn aus Nichtsinn. 112 Aus dem Vorangegangenen wird ersichtlich, dass die Spur zu den Dingen zu zählen und damit wie das Medium vom Zeichen abzugrenzen ist. Spuren repräsentieren nicht ein vergangenes Geschehen, sondern sie zeigen respektive präsentieren dies in seiner Abwesenheit, 113 sie deuten über die ›reine‹, auf Arbitrarität ebenso wie auf Konventionalität beruhende Welt der Zeichen hinaus und sind mit der Dinghaftigkeit, Körperlichkeit und Materialität der Welt [verbunden], welche die conditio sine qua non der Genese und der Deutbarkeit von Spuren ist. 114 Mit einer weiteren Differenzierung zwischen semiologisierbarer und authentischer Spur erfährt Krämers Konzept eine relevante und für die nachstehenden Textanalysen anschluss‐ fähige Erweiterung: Als ›semiologisierbar‹ wird die Spur bezeichnet, wenn sie, wie oben dargestellt, als Repräsentantin einer abwesenden Ursache lesbar ist und »Identifizierung und Kennzeichnung« 115 ermöglicht. Als authentische hingegen fungiere die Spur nicht als Repräsentationsmedium, sondern als »Verkörperung einer Präsenz« 116 , als opakes, jegliche 35 1.3 Vermittlung I: Dinge, Medien, Spuren 117 Vgl. Krämer: Medium, Bote, Übertragung, S. 291. 118 Assmann: Die Sprache der Dinge, S. 241. 119 Assmann: Die Sprache der Dinge, S. 242. 120 Assmann: Die Sprache der Dinge, S. 242. 121 Kiening: Medialität, S. 364. 122 Prica und Wirz: Medialität und Zeitlichkeit, S. 11. Lektüre verunmöglichendes, seinen ›Empfänger‹ in die Rolle des Passiven drängendes Medium. 117 Aus anderer Perspektive gelangt Aleida Assmann zu ähnlichen Ergebnissen, indem sie dem referentiellen, transitorischen und transitiven Verfahren des Lesens das Konzept der ›wilden Semiose‹ gegenüberstellt, den Blick auf ein kompaktes Zeichen, »das sich nicht in Signifikant und Signifikat auflösen läßt.« 118 An die Stelle des ›transitiven‹ Leseverfahrens, das von einer unidirektionalen Durchdringung des Gegenstands durch den Betrachter aus‐ geht, tritt mit dem ›Starren‹, der ›wilden Semiose‹, »ein ›medialer‹ Akt. Er schlägt auf den Beobachter zurück, er affiziert das Subjekt und verändert es im Zuge der Kontemplation.« 119 Assmanns Ansatz unterscheidet sich insbesondere in einem wesentlichen Punkt von demje‐ nigen Krämers: Während diese davon ausgeht, dass Authentizität und Semiologisierbarkeit Eigenschaften der Spur seien, betont jene die subjektseitige »Bereitschaft, aus der Welt unmittelbare materiale Botschaften zu empfangen«. 120 Dieses enthusiastische ›Haften des Blicks‹ am Objekt hält Assmann für einen universal-menschlichen und eigenständigen Modus der Kognition, für einen Wahrnehmungsmodus mithin, welcher von der Semiotik zugunsten des ›schlauen‹, die Ebene des materiellen Signifikanten durchdringenden Blicks allzu oft ausgeblendet werde. Assmanns Modell zielt auf eine radikale Aufwertung des Mediums, das nicht mehr nur als Objekt menschlicher Betrachtung oder Rezeption anzusprechen sei, sondern das selbst potentiell - wie die von Lévi-Strauss bestaunten ›lebendigen‹ und ›sprechenden‹ Objekte im American Museum of Natural History - zum aktiven, fesselnden und die ästhetische Erfahrung transzendierenden Element avancieren könne. Diese Umkehrbewegung, mit der auch habitualisierte Zuschreibungen von Subjekt- und Objektstatus unterlaufen werden, ist, wie zu zeigen sein wird, eine, die in Wolframs von Eschenbach Parzival allenthalben begegnet und die sich im Rückgriff auf Krämers Spurkonzept und Assmanns Unterscheidung zwischen kluger und wilder Semiose neuper‐ spektivieren lässt. Mit Blick auf die hier zu untersuchenden literarischen Gegenstände wird man von auf ontologischer Ebene operierenden Unterscheidungen wie derjenigen Krämers Abstand nehmen und die umrissenen Konzepte und Begriffe allenfalls als abstraktes Raster nutzen wollen. Da die in dieser Arbeit verhandelten medialen Gegenstände überdies stets doppelt medialisierte sind - zum einen als innerhalb der dargestellten Kommunikationsakte etwas vermittelnde, zum anderen als literarisch vermittelte -, ist zunächst danach zu fragen, welche Medialisierungsprozesse im Text jeweils zur Darstellung gebracht werden. Dabei soll nicht a priori von einer »Gleichzeitigkeit […] von Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit« 121 ausgegangen, sondern auch die Möglichkeit einer prozesshaften Temporalität von Mediali‐ sierungsakten, wie sie in Heiders Studie theoretisch grundgelegt ist, berücksichtigt werden. Nicht ontologische Fragen nach den ›Was‹ von Medien sollen im Vordergrund stehen, Fragen, die »ihre Gegenstände bereits vorgängig als statische Entitäten« 122 festschreiben, 36 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 123 Strindberg: Schwanenweiß, S. 115. sondern Aspekte der Räumlichkeit sowie der Zeitlichkeit, Fragen nach den Modi der Dar‐ stellung von Medialität im literarisch-schriftlichen Medium und nach dem Medialwerden von Dingen sowie dem Dingwerden von Medien Berücksichtigung finden. Mit Fokus auf der Handlungsebene soll zudem untersucht werden, ob und wie von den Figuren als Medium Gelesenes, Geschautes oder Gehörtes funktionalisiert wird, wie stark das jeweils Vermittelte als durch gegenständliche Medienträger geprägt dargestellt wird und welche Strategien der Darstellung eines solchermaßen ggf. durch die Materialität des Mediums induzierten ›Rauschens‹ verfolgt werden. Zuletzt soll der Frage nachgegangen werden, ob die Eigenschaften des jeweiligen Gegenstandes oder die Affizierbarkeit der handelnden Figuren als Auslöser der beschriebenen ›medialen Akte‹ diskursiv gemacht werden. Annäherung: Zinnspiegel, Blindentraum und Messingring - Medien im Parzival-Prolog Die Gardine, die den Pfau verbirgt, wird zur Seite gezogen, und der Pfau hat sich umgedreht und den Schweif ausgebreitet, so daß alle »Augen« Schwanenweiß und den Prinzen zu betrachten scheinen. Der Prinz. Wer zog die Gardine fort? Wer gebot dem Vogel, uns mit seinen hundert Augen anzu‐ schauen? - Du darfst nicht mehr fragen! 123 Der Prolog des Parzival ist einer der prominentesten Orte für Wolframs Reflexion auf Poetik und Medialität seiner Erzählung. In ebenso unkonventionellen wie stellenweise opaken Bildern thematisiert der Erzähler unter anderem Beständigkeit und Realitätsstatus des Sichtbaren und des Medialen. Die vorliegende Annäherung zielt nicht auf eine Neudeutung des in der Forschung bis ins letzte Detail hochgradig umstrittenen Prologs, aus dem hier lediglich die für das vorliegende Interesse an Wolframs Verhandlung des Themas ›Medialität‹ relevanten Passagen extrahiert und einer Neuperspektivierung unterzogen werden sollen, es erweitert aber die einleitenden Überlegungen zum Status von Dingen und deren Medialität in Wolframs Erzählen um zentrale Anregungen, die bei der Analyse der Dingwelt des Parzival grundlegend sein werden. Im Anschluss an das vliegende Elsterngleichnis, in welchem die schwarz-weiß gescheckte Elster als Symbol für Wolframs ›Menschenbild‹ und als Chiffre einer Figurenpoetik eingeführt wird, die nicht dualistisch verfährt und etwa trennscharf zwischen Pro- und Antagonisten, zwischen ›guten‹ und ›bösen‹ Figuren unterschiede, wendet sich Wolfram, 37 Annäherung: Zinnspiegel, Blindentraum und Messingring - Medien im Parzival-Prolog 124 Zur Poetik und zum kommunikativen Gehalt des mittelhochdeutschen Prologs vgl. die sich an den Beitrag von Brinkmann anschließende Forschungsdiskussion: Brinkmann: Der Prolog im Mittelalter als literarische Erscheinung (zum Parzival s. S. 10-13); Haug: Literaturtheorie im deutschen Mittel‐ alter (zum Parzival s. S. 155-178). 125 Ich folge bei der Wiedergabe dieses Verses nicht Lachmanns hochgradig umstrittener Konjektur geleichet (»täuscht«), sondern der handschriftlich (außer in D) mehrheitlich bezeugten Lesart gelîchet als Partizip Präteritum zu lîchen, »eben, glatt machen, polieren« (s. Lexer I, Sp. 1898); entsprechend ist auch das von Lachmann nach geleichet gesetzte Komma getilgt und der Punkt am Versende durch ein Komma ersetzt. Zu lesen wäre die Stelle somit wie folgt: ›Zinn, auf der anderen Seite eines Glases verstrichen, und der Traum eines Blinden - die zeigen Bilder wie Milchrahm‹. Dagegen, gelîchet hier, wie zuerst Schirok und im Anschluss Haug argumentieren, von gelîchen, swv., ›gefallen‹, abzuleiten, sprechen die amplifizierend-interpretierende Paraphrase in Albrechts von Scharfenberg Jüngerem Titurel (Ein glas mit zin vergozzen und blinden troum, di triegent; 51,1) ebenso wie die von Schnyder nachgewiesenen Parallelen zwischen der sog. Frauenpassage und diesem Teil: verwurket (3,17) weist in dieser Lesart ebenso wie gelîchet auf die Prozessualität eines Fertigungsvorgangs; vgl. Schirok: zin anderhalp ame glase gelîchet; Haug: Literaturtheorie im deutschen Mittelalter, S. 162f.; Schnyder: Frau, Rubin und âventiure, S. 16. 126 Zur Materialität des mittelalterlichen Spiegels Nellmann: »Die Verwendung von (mit einer Zinnfolie belegtem) Glas für den Spiegel scheint z. Zt. Wolframs relativ neu zu sein. Noch im 12. Jh. sind Bronzespiegel üblich« (Stellenkommentar zu 1,20f., S. 448). Hier und im Folgenden werden die einschlägigen Stellenkommentare abgekürzt nachgewiesen; die vollständigen bibliographischen Nachweise sind dem Abkürzungsverzeichnis zu entnehmen. 127 Hier ist eine implizite Öffnung des Sentenzhaft-Prologtypischen in den theologischen, insbesondere den neuplatonischen Diskurs des Mittelalters zu entdecken, wie er auch mit dem Motiv der Sicht‐ barkeit des Grals und der ›Blindheit‹ des ungetauften Feirefiz am Romanschluss wieder aufgegriffen wird, und wie er im ersten Vers des Prologs mit dem zwîvel-Begriff, einem intertextuellen Rekurs in prologtypischer Manier das Gespräch mit der Rezipientenschaft eröffnend, 124 den tumben zu und ruft die viel besprochenen Bilder von Zinnspiegel und Blindentraum auf: zin anderhalp ame glase gelîchet und des blinden troum, 125 die gebent antlützes roum, doch mac mit stæte niht gesîn dirre trüebe lîhte schîn: er machet kurze fröude alwâr. (1,20-25) Mit zin anderhalp ame glase gelîchet und des blinden troum als Medien der Unbeständigkeit und der Flüchtigkeit macht Wolfram die oben beschriebene Spannung zwischen der me‐ dialen und der materiellen Dimension von Medien diskursiv: Traum und zinnbestrichenes Glas, sprich: ein Spiegel, der nur ebenso vage wie unscharfe Bilder zu vermitteln vermag und nicht, wie der moderne Spiegel, unverzerrte Abbilder der Realität, 126 fungieren als den tumben liuten (1,16), den modellhaft imaginierten ›schlechten Rezipienten‹, zugeordnete Medien, deren Materialität im Falle des Zinnspiegels respektive Immaterialität im Falle des Blindentraums der Vermittlung beständiger Bilder im Wege steht: Während im ersten die Gemachtheit des dinglichen Mediums Zinnspiegel als die wirklichkeitsgetreue Wiedergabe verunmöglichender Materialüberschuss, als ›Rauschen‹ in dem von Dieter Mersch bezeich‐ neten Sinne hervorgehoben wird, steht im zweiten Fall mit dem Traum ein immaterielles Medium im Fokus, das ebenfalls keine beständigen Bilder vermittelt, da ihm als Imagination eines Blinden eine Referenz auf die reale Welt fehlt. 127 An der vorliegenden Stelle wird nicht 38 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung auf Hartmanns Gregorius-Prolog, grundgelegt wurde. - Zur Rezeption des Motivs ›Blindentraum‹ in didaktischen Kontexten, konkret im Jüngeren Titurel sowie in hoch- und spätmittelalterlichen Sentenzen, vgl. Eikelmann und Tomasek (Hgg.): Handbuch der Sentenzen und Sprichwörter. Bd. 2, S. 224-227. 128 Zum theologischen Diskurs um 1200, zur Wahrnehmungs-, Visions- und Traumtheorie vgl. Bumke: Die Blutstropfen im Schnee, S. 35-53. 129 Dass die roum-Metapher hier kein »Täuschungsmoment« impliziert, sondern neutral als ›Vorstel‐ lung‹, ›Bild‹, ›undeutlicher/ flüchtiger Schein‹ aufzufassen ist, zeigt Schirok: zin anderhalp ame glase, S. 120. Rippl hält allgemeiner fest, dass die Rahm-Metapher die »Grenze zwischen Traum und Realität« markiert, sie verweist überdies auf das Aufgreifen des Bildes bei der Schilderung von Herzeloydes Drachentraum (vgl. 337,12); s. Rippl: Obskure Träume, S. 234f. 130 So Richter, die antlütze »in seiner ursprünglichen Bedeutung als das ›Entgegenblickende‹« auffasst und so »über die Vorstellung des Angeblickt-Werdens eine weitere Beziehung zwischen Spiegel, blindem Auge und Milchrahm« nachweist (Spiegelungen, S. 278f.). 131 Richter: Spiegelungen, S. 279. 132 Merleau-Ponty: Phénoménologie de la perception, S. 391. Übersetzung: »Im Falle eines Phantasmas geht die Initiative zu seiner Bildung von uns aus, und nichts antwortet ihr von außen. Das halluzinierte Ding ist nicht wie das wahre Ding ein Seiendes mit einer Tiefe, die in sich die Dichte einer Dauer konzentriert, und die Halluzination ist nicht wie die Wahrnehmung ein konkreter Zugang zur Zeit in einer lebendigen Gegenwart. Sie gleitet über die Zeit, über die Welt hin« (Phänomenologie der Wahrnehmung, S. 391). nur die Wirklichkeitsreferenz des Medial-Vermittelten als brüchig ausgewiesen, sondern auch das Problem von Weltwahrnehmung und Erkenntnis diskursiv: Was könnte der Mensch schon erkennen, wie das mit den ›äußeren Augen‹ Wahrgenommene oder das Imaginative, etwa einen Traum, durchdringen und in eine höhere Einsicht in die Wahrheit oder in das Wirken Gottes überführen? Ist der Blindentraum also vielleicht mehr als eine Rezipientenschelte, nämlich eine Zuspitzung ganz universeller Erkenntnisprobleme, sind wir, die Rezipienten, nicht alle ›blind‹ und von schillernden Oberflächen, ›schönem Schein‹, Sprach- und Spiegelbildern, von Medien verführbar? 128 Die Passage mündet in eine mediale Aporie, die wiederum bildlich, im Oxymoron als dirre trüebe lîhte schîn (1,24) bzw. als antlützes roum (1,22), sprich: als Schein 129 (roum) des ›Entgegenblickenden‹ 130 (antlütze) zum Ausdruck kommt - das von solchermaßen unzureichenden Medien überforderte Wahrnehmungssubjekt rückt so kurzzeitig und andeutungsweise in die Position des ›Wahrnehmungsobjekts‹: »Die antlütze schauen auf eine gewisse Weise also zurück, entsprechend entsteht eine Hin- und Herbewegung in der Blickrichtung […].« 131 Die bildhaften Exempla übernehmen die Funktion, das materiell im Zinnspiegel Vermittelte wie das immateriell im Traum Geschaute als gleichermaßen unstet auszuweisen: Diese Medien vermögen keine ›realistischen‹ Bilder, keine Wahrheit zu vermitteln, sondern ausschließlich Kurzweile versprechende, trügerische Oberflächen‐ phänome, eben antlützes roum und lîhten schîn, Phantasmen im Sinne Merleau-Pontys: S’il s’agit d’un fantasme, c’est de nous que vient l’initiative, rien n’y répond au-dehors. La chose hallucinatoire n’est pas comme la chose vraie un être profond qui contracte en lui-même une épaisseur de durée et l’hallunication n’est pas, comme la perception, ma prise concrète sur le temps dans un présent vivant. Elle glisse sur le temps comme sur le monde. 132 39 Annäherung: Zinnspiegel, Blindentraum und Messingring - Medien im Parzival-Prolog 133 Cessari: Der Erwählte, das Licht und der Teufel, S. 2. 134 Ackermann: dirre trüebe lîhte schîn, S. 438. 135 Vgl. so zuletzt Dimpel: Daz safer ime golde. 136 Assmann: Die Sprache der Dinge, S. 241. 137 Vgl. Schnyder: Frau, Rubin und âventiure; Dimpel: Daz safer ime golde. Die überwältigende Bilderflut, der »labyrinthische[] Gleichnisreigen« 133 zu Beginn des Parzival-Prologs kann als ironisierende Spiegelung der inhaltlichen Aussage auf der Aus‐ drucksebene gelesen werden: Ebenso wie der paradoxal-trüebe lîhte schîn (1,24), das durch Traum und Spiegel Vermittelte, entbehren auch die dicht gedrängten und im atemlosen Stakkato aufeinanderfolgenden Bilder an dieser Stelle jeglicher stæte (1,23) - Wolfram weist eben dies, die schanzen seiner Geschichten, beidiu si vliehent unde jagent, / si entwîchent unde kêrent, / si lasternt unde êrent (2,10-12), als deren Qualitätsmerkmal aus. Die unstaete dieser Erzählung scheint mithin gerade kein Negativum zu sein, der Begriff wird vielmehr ambig, ist er doch hier gerade die Voraussetzung dafür, dass der wîse Rezipient seine witze beweisen kann. Die medial induzierte Wahrnehmungsverwirrung wird somit vermittels sprachlich-rhe‐ torischer Mittel (Metaphern, Oxymoron, Enjambement) ins Poetische gespiegelt und Medialität gleich auf zweifacher Ebene zum Thema. Indem Wolfram die Darstellung zu Prologbeginn solchermaßen an die Bewegungen des hakenschlagenden Hasen angleicht, »macht [er] sich den Gegenstand der Rede (i. e. Nicht-Linearität) selbst zu eigen« 134 und produziert so einen Überschuss an Bedeutungsangeboten, der gängige Prologtopoi unterläuft: Während die ersten Verse eine simple Gegenüberstellung von positiver stæte und negativer, in die Hölle führender unstæte suggerieren, werden im Folgenden die Erwar‐ tungen beider Rezipiententypen abgewiesen - weder dem ›Weißen‹ noch dem ›Schwarzen‹ gelingt es, die stiure (2,7) der Erzählung nachzuvollziehen, allein der Gewitzte (vgl. 2,14), der einzige Modellrezipient, der nicht mit den ethisch aufgeladenen Begriffen der stæte oder der unstæte in Verbindung gebracht wird, scheint den unvorhersehbar-ruckartigen Bewegungen des mære noch folgen zu können, 135 nur er, der sich nicht in die dichotomi‐ schen Gegenüberstellungen von ›gut‹ und ›schlecht‹, Hölle und Himmel einordnen lässt, ist dem neuartigen, dem parrierten Figurentypus gewachsen, er hält sich bei der Wertung von Figuren und der Einordnung des medial Vermittelten zurück, und er vertraut sich der stiure des Erzählers und ›Medienexperten‹ Wolfram an. Dieser scheint schließlich kurzweilige Phantasmata und Oberflächenphänomene von einer positiven Form der ›unstæte‹, von hakenschlagenden Erzählbewegungen, die guote[] lêre (2,8) vermitteln, unterscheiden zu können. Angezielt ist mithin ein Lektüremodell, das eine »schnelle Bewegung des Intellekts […] von der Oberfläche zur Tiefe« 136 einfordert, eine Rezeption, die sich den schanzen der Erzählung entsprechend weder versitzet noch vergêt, eine Passung von Medium und Mediennutzer, von Urteil und Beurteiltem. Als unmittelbarer Reflex auf diese Verhandlungen medialer Phänomene kann die lange Zeit unterschätzte, mittlerweile allerdings durch Aufsätze von Mireille Schnyder und Friedrich Maria Dimpel genauestens auf ihren poetologischen Gehalt hin befragte ›Frauenpassage‹ gelesen werden. 137 Wolfram leitet diesen Passus mit der Klarstellung ein, dass seine Ausführungen, seine underbint (2,23), auch für die Frauen gelten, er macht diese Parallelen in der Wiederholung korrespondierender Bilder augenfällig: Wie im ersten Teil 40 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 138 Dimpel: Daz safer ime golde, S. 315f. 139 Brall: Gralsuche und Adelsheil, S. 55. 140 Schröder: Der Prolog von Wolframs Parzival, S. 141. Dass Schröders Deutung dieses Befundes allzu simplifizierend ist - er spricht von einem »rein didaktischen Charakter des Inhalts« (ebd.) -, zeigt Schnyder: Frau, Rubin und âventiure. das Tau in der Sonne (vgl. 2,4) als Exemplum der unstæte und der untriuwe firmiert, wird nun das Ringgleichnis mit einem meteorologischen Paradox eingeleitet: diu valsche erwirbet valschen prîs. wie stæte ist ein dünnez îs, daz ougestheize sunnen hât? ir lop vil balde alsus zergât. (3,7-10) Dimpel hält zu der in Rede stehenden Stelle (3,11-24) fest: Nachdem der Prolog bislang ausschließlich auf innere bzw. abstrakte Gegenstände (Herz, Ge‐ danken, Verstehen) referiert hat, setzt die Metaphorik in der Edelsteinpassage erstmals auf dingliche Gegenstände, die nicht durch das Motiv der Flüchtigkeit affiziert sind. 138 Gleichnishaft werden mit zwei Ringen aus Gold und aus Messing Frauen ebenso wie im übertragenen Sinne literarische Werke einem ästhetisch-ethischen Urteil, oder mit Helmut Brall: »einer - wie man heute sagen würde - ideologiekritischen Prüfung«, 139 unterzogen. Die betreffende Stelle lautet wie folgt: manec wîbes schœne an lobe ist breit: ist dâ daz herze conterfeit, die lob ich als ich solde daz safer ime golde. ich enhân daz niht für lîhtiu dinc, swer in den kranken messinc verwurket edeln rubîn und al die âventiure sîn (dem glîche ich rehten wîbes muot.) diu ir wîpheit rehte tuot, dane sol ich varwe prüeven niht, noch ir herzen dach, daz man siht. ist si inrehalp der brust bewart, so ist werder prîs dâ niht verschart. (3,11-3,24) Kommen die underbint der ersten Prologpassage wie eine ›Bilderflut‹ über den Rezipienten, so wechselt Wolfram mit Beginn dieser Lehren abrupt das Register und unterstellt sie dem Stilideal der perspicuitas, geprägt von einem »einfache[n], klar durchschaubare[n] Bau der Gedanken« 140 sowie von einer distinkten Unterscheidung zwischen guot und valsch, die das zu Beginn des Prologs im Elsternbeispiel Entwickelte unterläuft. Die aus jeweils zwei Materialien bestehenden Ringe werden mit zwei ›Frauentypen‹ verglichen: Während Wolfram die äußerlich Schöne und innerlich Falsche (conterfeit) - eine Anspielung auf 41 Annäherung: Zinnspiegel, Blindentraum und Messingring - Medien im Parzival-Prolog 141 Zu den Implikationen eines solchen impliziten Vergleichs vgl. ausführlich Brall: Gralsuche und Adelsheil, S. 52-61. 142 Vgl. einführend Bumke: Höfische Kultur, S. 419-425 und S. 451-454. 143 Hierauf weist Schnyder hin: »Gleichzeitig wird auf den Vorgang des Herstellens eines solchen Ringes verwiesen« (Frau, Rubin und âventiure, S. 16). 144 Man vgl. den rhetorisch-stilistisch parallelen Bau der Verse 1,20f. und 3,16-18 (s. schon Anm. 125): zin anderhalp ame glase swer in den kranken messinc gelîchet und des blinden troum verwurket edeln rubîn / und al die âventiure sîn 145 Dass âventiure hier nicht oder nicht nur die ›Wunderkraft‹ des Edelsteins bezeichnet, weist Schnyder nach: »[I]n der ›âventiure‹ fallen Wort und Werk ineins. Als Erzählung ist sie das Wagnis, die Begebenheit und als Begebenheit und Wagnis ist sie schon Erzählung« (Frau, Rubin und âventiure, S. 6f.). Tristans Isolde macht insbesondere das Wortspiel in 3,13 (ich solde) wahrscheinlich 141 - wie daz safer ime golde lobt, ihr sein Lob also entzieht, ist rehte[r] wîbes muot einem billigen Messingring zugeordnet, in den ein Rubin und al die âventiure sîn eingelassen sind. Das Äußere, sprich: die varwe, des herzen dach, Schönheit, eben alles Sichtbare (daz man siht), versagt in seiner topischen Funktion als zuverlässiger Vermittler des Inneren - das körperlich-materielle Äußere ist eben kein ›echtes Medium‹, sondern ein mediales Ding, das rehten wîbes muot, das Wahre und tatsächlich Lobenswürdige potentiell zu verdecken, Wahrnehmung, Deutung und Lob mithin zu manipulieren vermag. An die Stelle topischer Kalokagathia-Vorstellungen 142 tritt nun ein radikal autonomi‐ sierter Begriff des Inneren, das sich nur mehr im handelnden Vollzug, im tuon, als prîs-würdig erweist. Entsprechend steht das statische Bild vom safer ime golde in auffal‐ lendem Kontrast zur Beschreibung des Messingrings, der auf den Prozess der Herstellung (swer … verwurket) zentriert ist. 143 Die Vollzugshaftigkeit des wolframschen Ethik-Begriffs tritt in Entsprechung zu dem oben besprochenen zin anderhalp ame glase gelîchet: 144 Wäh‐ rend die Beschreibung beider Artefakte deren jeweilige Gemachtheit in den Vordergrund spielt, ist es im Falle des Zinnspiegels eine Handlung an der Oberfläche des Gegenstands, ein ›Verstreichen‹, durch das der an sich diaphane Gegenstand, das Glas, zum Verschwinden gebracht und mit einer neuen Oberfläche versehen wird, im Falle des Messingrings dagegen ein Eingriff in die Tiefenstruktur des Gegenstands, einer ›chose vraie‹ in der Diktion Merleau-Pontys. Sucht die Suggestion von reiner, immaterieller Medialität von der zweidi‐ mensionalen Flächigkeit des Spiegels über den darunter liegenden materiellen Träger, das Glas, respektive die goldene Einfassung über das wertlose safer-Glas hinwegzutäuschen, so liegt der wahre Wert des Rings eben ›verwürkt‹ in dessen unsichtbarer Tiefe: Rubin und âventiure. 145 Wie schon dem ersten Teil des Prologs ist auch der Frauenpassage eine Betonung der Skepsis gegenüber medial-dinglicher Vermittlung abzulesen - ›weiblicher Werte‹ durch das Äußere oder der ›Realität‹ durch verzerrende Medien wie Spiegel oder Blindentraum. In, wie zu zeigen sein wird, wolframtypischer Manier gehen in Teilen apodiktische theo‐ retische Erwägungen und eine literarische Praxis Hand in Hand, die kaum als einsinnige Umsetzung des programmatisch Entwickelten zu lesen ist. Der abundant anmutende Gebrauch von Metaphern und bildlichen Vergleichen, von medial-bildlicher, literarischer Vermittlung, der rhetorisch-sprachliche Schleier, den Wolfram auf seinen Romaneingang legt, scheint vielmehr von derselben Art zu sein wie die varwe der positiven Modelldame 42 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 146 Leroi-Gourhan: Le geste et la parole, S. 34. Übersetzung: »Das Verhältnis von Gesicht und Hand ist in der Entwicklung des Gehirns ebenso eng wie zuvor: das der Hand zugeordnete Werkzeug und die dem Gesicht zugehörige Sprache bilden nur verschiedene Pole der gleichen Einheit« (Hand und Wort, S. 38). 147 Baecker: Vorwort, S. 19. - Die in der psychologischen Forschung vorrangig mit Heider assoziierte Handlungstheorie, die sog. Attributionstheorie, ist hier nicht von Interesse, da sie ausschließlich auf interpersonale Beziehungen fokussiert ist. Vgl. einführend Rudolph: Soziales Verhalten, S. 449-452. - wie diese sollen auch er und sein Roman, wenn es nach Wolfram geht, aus einer Kritik nur der Oberfläche ausgeschlossen sein: Was zählt, ist das Innere, die Tiefe, die Bedeutung, und zu diesem ›Kern‹ gelangt angeblich nur, wer sich Wolframs literarischem Medium vollends anvertraut. Das hier Umrissene soll im analytischen Teil dieser Arbeit mit medialen Modellen und Gegenständen wie zum Beispiel dem mit einer immateriell-flüchtigen Schrift versehenen Gral, dem mit dem ebenfalls schrifttragenden Adamas und einer Grabplatte aus Rubin versehenen Grabmal Gahmurets und den zahlreichen Wappen in den Gahmuretbüchern oder auch der Wundersäule auf Schastel marveile abgeglichen werden. Der oben umrissene Fragenkatalog kann noch um von der Lektüre des Parzival-Prologs Angeregtes erweitert werden: Wie modelliert Wolfram das Verhältnis zwischen Materialität und Medialität des jeweiligen Gegenstands? Zeitigt die jeweilige Gemachtheit des zur Darstellung gebrachten Mediums Reflexe auf der Darstellungsebene, wie sie im Prolog beobachtet werden konnten? Als wie zuverlässig oder unzuverlässig erweisen sich die im Parzival begegnenden medialen Gegenstände? Zuletzt: Wird die Materialität von Medien einsinnig als Störung oder Täuschung inszeniert oder wird unterschieden zwischen unzuverlässigen Dingmedien (wie Goldring und Zinnspiegel im Prolog) und solchen, die etwas ›Wahres‹ wie den im Messingring eingelassenen Rubin zu vermitteln oder zu bedeuten vermögen? 1.4 Vermittlung II: Dinge und Handlung La relation de la face et de la main reste aussi étroite dans le développement cérébral qu’anté‐ rieurement : outil pour la main et langage pour la face sont deux pôles d’un même dispositif […]. 146 Um die Handlungsoberfläche des Parzival möglichst abstrakt, mit Blick auch auf das Mithandeln ggf. nicht-anthropomorpher Akteure hin untersuchen zu können, soll im Anschluss an einen Impuls von Fritz Heider, dessen Text nicht zuletzt auch als »Grundla‐ gentext einer möglichen Handlungstheorie« 147 gelesen werden kann, mit Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) ein symmetrisches Modell, ein hochgradig ausdifferen‐ ziertes terminologisches Werkzeug zur Beschreibung von Handlung präsentiert werden, das die Vermittlungen zwischen dinglicher und menschlicher Aktivität in den Vordergrund rückt (Kap. 1.4.1). In einem zweiten Schritt werden alternative Vorschläge zur Beschreibung dinglicher Agency zusammengetragen und systematisiert (Kap. 1.4.2). 43 1.4 Vermittlung II: Dinge und Handlung 148 Carlyle: Sartor Resartus and On Heroes, Hero-Worship and the Heroic in History, S. 35. 149 Keupp: Verselbständigter Sinn: Die Wiener Adlerstola, S. 69. - In der Definition der ANT als Methode der Beobachtung und der gleichzeitigen Zurückweisung des Theoriebegriffs (vgl. z. B. Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, S. 244-271) ist einer von zahlreichen verdeckten Bezügen auf einen wichtigen Impulsgeber Latours, Lévi-Strauss, zu erkennen, der in seiner nicht nur für die strukturale Anthropologie methodologisch einflussreichen Inauguralvorlesung am Collège de France festhält: »Gegenüber dem Theoretiker muß der Beobachter immer das letzte Wort behalten; und gegenüber dem Beobachter der Eingeborene« (Das Feld der Anthropologie, S. 14f.). 150 Lobsien: Kunst der Assoziation, S. 7. 151 Heider: Ding und Medium, S. 116. 152 Heider: Ding und Medium, S. 116f. 153 Heider: Ding und Medium, S. 117. 1.4.1 Die Beschreibung der Handlungsoberfläche: Akteur-Netzwerk-Theorie Man is a Tool-using Animal (Handthierendes Thier). […] Nowhere do you find him without Tools; without Tools he is nothing, with Tools he is all. 148 Eine AN-Literaturtheorie zielt nicht darauf ab, die tiefen und unsichtbaren Sinnschichten einer Erzählung auszuloten, sondern deren Handlungsoberfläche möglichst kleinteilig zu beschreiben: »Die ANT versteht sich […] als Beobachtungs- und Beschreibungsmodus.« 149 Als Methode einer phänomenologischen Literaturtheorie vergleichbar setzt [sie] sich im Blick auf ein bestimmtes Thema in Parallele zu den literarischen Texten, ohne diese einholen zu wollen oder sich von ihnen einholen zu lassen. […] Sie setzt darauf, daß sich in der wechselseitigen erhellenden Limitation und limitierenden Illumination, im asyn‐ chronen, nicht-homologen Operieren, im dialogischen Sich-Supplementieren wie Sich-Verfehlen von Theorie und Text das Volumen bestimmter komplexer Probleme zur Entfaltung kommt - und nur so zur Entfaltung kommen kann. 150 Zum Abschluss seiner Abhandlung über ›Ding und Medium‹ zieht Heider Parallelen zwischen Wahrnehmung und Handlung, die hier danach fragen lassen, ob die Dinge nicht nur als Medien der Kommunikation und der Wahrnehmung, sondern auch als Vermittler von Handlungen fungieren können: Neben dem eigenen Körper, zum Beispiel der Hand als »vollkommenste[r] direkte[r] Handlungsvermittlung« 151 , dienen insbesondere Werkzeuge als paradigmatische ›Medien des Handelns‹: Und wie wir durch das Medium das Ding sehen, so handeln wir durch die Werkzeuge hindurch und sind mit dem Bewußtsein nur bei dem Kern des Geschehens der Handlung, ohne uns um die spezielle Art der Vermittlung zu bekümmern. 152 Die teilweisen Ähnlichkeiten zwischen Medium und Werkzeug beruhen somit auf ihrer ›Außenbedingtheit‹: Dem paradigmatisch ›echten‹ Medium ›Luft‹ vergleichbar, wird die Hand als körperliches Werkzeug vom Menschen im Regelfall nicht als an seinen Aktionen beteiligte und, solange sie »ohne Eigengeschehen [ist], außenbedingt funktionier[t]« 153 , als ausschließlich vermittelnde Entität wahrgenommen. Ebenso wie Medien sind indes, wie zu zeigen sein wird, auch ›Instrumente‹ nicht a priori als ›äußerliche Vehikel‹ menschlichen 44 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 154 So Krämer, die sich kritisch zu Analogisierungen von Medien und Instrumenten äußert: »Wenn wir ein technisches Instrument einsetzen, so machen wir mit diesem Instrument etwas; ein Instrument wird gebraucht und zurückgelassen, es bleibt der zu bearbeitenden Sache durchaus äußerlich. Wenn wir hingegen eine Botschaft empfangen, so ist diese ›in‹ einem Medium gegeben. In einem Medium ist etwas eingetaucht und von ihm so durchdrungen, daß es außerhalb des Mediums nicht zu existieren vermag. […] Alle Theorien, welche Medien als äußerliche Vehikel und Träger ihrer Botschaften begreifen, verfehlen gerade diese ihre nicht-instrumentelle Dimension: Sie behandeln Medien so, als ob sie Instrumente seien« (Das Medium als Spur und als Apparat, S. 83f.). 155 Krämer: Das Medium als Spur und als Apparat, S. 90. 156 Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 214. - Die Schriften Latours werden im Folgenden in der deutschen Übersetzung zitiert. 157 Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 214. 158 Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 218. 159 Latour: Der Berliner Schlüssel, S. 48. Agierens anzusprechen, 154 sie bleiben potentiell weder der zu bearbeitenden Sache noch ihrem Verwender äußerlich. Ebenso wie mit der irreduziblen Materialität mindestens vormoderner Medien ein nicht-diskursiver, ein vorprädikativer Überschuß an Bedeutung ins Spiel kommt, der den Zeichenbenutzern eher widerfährt, als daß er von ihnen beherrscht und kontrolliert würde, 155 kann auch den oftmals auf ihre instrumentellen Funktionen reduzierten Dingen eine so unbeherrschbare wie unkontrollierbare Rolle in der Vermittlung von Handlungen eignen. Bruno Latour hinterfragt Marginalität und Äußerlichkeit von handlungsvermittelnden Werkzeugen besonders radikal - in der US-amerikanischen Debatte über Feuerwaffen macht er z. B. zwei Standpunkte aus, einen ›materialistischen‹ und einen ›soziologischen‹: Während Vertreter des letzteren, am prominentesten die ›National Rifle Association‹, in der Waffe nur »ein Werkzeug, ein Medium, ein[en] ganz neutrale[n] Träger für einen dahin‐ terstehenden menschlichen Willen« 156 sähen, schrieben Vertreter des ›materialistischen‹ Standpunktes - wie beispielsweise die Kritiker des Second Amendment zur Verfassung der Vereinigten Staaten - einzig der Waffe handlungsauslösende, potentiell verhängnisvolle Qualitäten zu: »Die Waffe in der Hand macht aus dem unschuldigen Bürger einen Täter.« 157 Für die einen gilt so gesehen die Waffe, für die anderen der Mensch als ›echtes Medium‹ (Heider) oder, in der Diktion Latours, als ›bloßes Zwischenglied‹. Latours Vorschlag besteht nun darin, Handlung als Vermittlung zwischen diversen, einander wechselseitig potentiell transformierenden Akteuren aufzufassen. Am oben wiedergegebenen einfachen Beispiel werden diese Transformationen wie folgt beschrieben: Mit der Waffe in der Hand bist du jemand anderes, und auch die Waffe ist in deiner Hand nicht mehr dieselbe. Du bist ein anderes Subjekt, weil du die Waffe hältst; die Waffe ist ein anderes Objekt, weil sie eine Beziehung zu dir unterhält. 158 In Latours Logik firmieren Waffen und Werkzeuge nicht als eine Handlung mehr oder minder störungsrespektive rauschfrei vermittelnde ›Medien‹ in ausschließlich instrumen‐ teller Funktion, sondern als potentielle Akteure, durch welche Handlungen »teilweise konstituiert, verschoben, neu geschaffen, modifiziert, kurz: übersetzt und verraten« 159 werden können. 45 1.4 Vermittlung II: Dinge und Handlung 160 So weist Schanze nach, dass literarische Texte nicht erst in der Moderne, sondern bereits im Mittelalter das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt, Mensch und Ding diskursiv gemacht haben, vgl. Dinge erzählen im Mittelalter, S. 172; Quast kommt nach einer Untersuchung zentraler dinglicher Akteure in Wolframs Parzival zu dem Schluss, dass die von Latour gegeißelte Subjekt-Objekt-Dicho‐ tomie hier »- zumindest mit Blick auf die zentralen Objekte Rundtafel und Gral - noch nicht zum Zuge [kommt]« (Dingpolitik, S. 183); vgl. Kap. 1.5 dieser Arbeit. 161 Die Auseinandersetzung erfolgt auf der Grundlage folgender Schriften (chronologisch nach Erschei‐ nungsdatum der Originalausgabe sortiert): Latour: Wir sind nie modern gewesen; ders.: Der Berliner Schlüssel; ders.: Das Parlament der Dinge; ders.: Die Hoffnung der Pandora; ders.: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Des Weiteren wurde folgendes Handbuch, das einige ältere Aufsätze von Bruno Latour und Michel Callon versammelt, herangezogen: Belliger und Krieger (Hgg.): ANThology. 162 Borgards: [Art.] ›Tiere und Literatur‹, S. 238. 163 Schulz: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive, S. 164. 164 Hier gilt John Laws Warnung vor Texten im Allgemeinen und über die Akteur-Netzwerk-Theorie im Besonderen: »[W]enn die Welt aus einem Geflecht relationaler Beziehungen besteht, dann gilt dies auch für Texte. Sie kommen von irgendwoher und erzählen spezifische Geschichten über spezifische Beziehungen. […] Seien Sie also vorsichtig im Umgang mit diesem Beitrag, aber hüten Sie sich noch mehr vor jeglichen Texten über die Akteur-Netzwerk-Theorie, welche die Objektivität einer allumfassenden Sichtweise versprechen« (Akteur-Netztwerk-Theorie und materiale Semiotik, S. 22f.). Der französische Wissenschaftssoziologe Latour wird in literaturwissenschaftlichen Material Culture Studies oftmals als Stichwortgeber oder als Legitimationsinstanz für eine Aufwertung der Dinge gegenüber den Figuren herangezogen, was bereits Christoph Schanze und Bruno Quast zu einer eingehenderen kritischen Revision veranlasst hat, 160 an die an dieser Stelle mit der Zielsetzung angeknüpft werden soll, symmetrische Begriffe zur Beschreibung von Handlung zusammenzustellen, die anschließend in exemplarischen Ana‐ lysen insbesondere literarischer Imaginationen ritterlicher wie unritterlicher Zweikämpfe auf ihren literaturwissenschaftlichen Mehrwert hin überprüft werden sollen: 161 Eine ANT-Literaturwissenschaft kann sich dann in einer ›Lektüre gegen den Strich‹ darum bemühen, im Text die Spuren der verdeckten Agency sichtbar zu machen. 162 Hiermit kann nicht zuletzt ein Forschungsdesiderat bearbeitet werden, das Armin Schulz folgendermaßen beschreibt: Die neuesten Philologien haben sich, ihren Gegenständen entsprechend, bei ihren erzähltheoreti‐ schen Überlegungen vor allem der Ebene des discours gewidmet. Völlig brach liegt demgegenüber das systematische Zentrum der histoire-Ebene: die einfache Frage danach, was eine Handlung ist. 163 ›Soziologie der Übersetzung‹, ›materiale Semiotik‹, ›Aktant-Rhizom-Ontologie‹, ›Sozio‐ logie der Innovation‹ - schon die Vielfalt der Vorschläge für alternative Bezeichnungen dessen, was Handbücher als Akteur-Netzwerk-Theorie zu beschreiben suchen und womit sie diese in vielen Fällen auf den Stand um 1990 fixieren, 164 deutet auf die Disparität der versammelten Ansätze. Bei dem Versuch, diese einführend einzuordnen, ließe sich vielleicht zumindest auf einen immer wiederkehrenden Zielpunkt der Studien insbesondere Bruno Latours verweisen: die Überwindung des ›modernen‹ Bruchs zwischen Natur und Gesellschaft, zwischen Ding und Mensch. 46 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 165 Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, S. 96, Anm. 18. 166 Bourdieu umreißt das Programm seiner insbesondere in ›Le sens pratique‹ entfalteten Habitussozi‐ ologie in Abgrenzung vom Strukturalismus: Er wolle »die leibhaftigen Akteure wieder ins Spiel bringen, die durch Lévi-Strauss und die Strukturalisten […] dadurch eskamotiert worden waren, daß man sie zu Epiphänomenen der Struktur erklärt hatte. […] In der Rückschau […] läßt sich der Rückgriff auf den Habitus-Begriff - ein altes aristotelisch-thomistisches Konzept, das von mir aber doch neu überdacht worden ist - als ein Versuch begreifen, jener Dichotomie von subjektlosem Strukturalismus und Subjektphilosophie zu entkommen« (Rede und Antwort, S. 28f.). 167 Cuntz: [Art.] ›Agency‹, S. 29. Der eher als assoziativ anzusprechende Rückgriff auf Greimas und den Strukturalismus irritiert angesichts des Latour’schen Programms, seinem Interesse an der Handlungsoberfläche, richtet sich dessen Kritik an der klassischen Soziologie doch gerade gegen die Apriorisetzung universell wirksamer Tiefenstrukturen. Zur ›unorthodoxen‹ Anverwandlung von Greimas’ Aktantenmodell durch Latour vgl. Høstaker: Latour - Semiotics and Science Studies sowie Cuntz: Aktanten - Shiften - Programme, S. 21-44. 168 Latour: Der Berliner Schlüssel, S. 39. 169 Vgl. Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, S. 95. 170 Latour: Das Parlament der Dinge, S. 285. Angemerkt sei, dass Latours Kritik am Akteurbegriff auch in der klassischen ›Soziologie des Sozialen‹ diskutiert wird: »Die Kritik des genannten Modells, das Handeln als intentionales Verhalten des Menschen begreift, ist (fast) ebenso alt wie das Modell selbst. Konzeptionelle Bemühungen, die auf eine Erweiterung bzw. Aufhebung des klassischen Handlungs‐ modells abzielen, finden sich in der Sozialphänomenologie ebenso wie bei strukturtheoretischen Ansätzen, in der Praxistheorie ebenso wie in der soziologischen Systemtheorie« (Kneer: Hybridizität, zirkulierende Referenz, Amoderne? , S. 279). Die ANT verdankt sich Latour zufolge »halb Garfinkel und halb Greimas« 165 , sie zählt also mit dem Autor der ›Sémantique structurale‹ einen der zentralen Vertreter der strukturalistischen Literaturwissenschaft zu ihren Gründungsvätern, sie greift zudem mit ihrem Fokus auf dem Akteur einen Begriff auf, der weniger mit dem Strukturalismus als mit der Soziologie Bourdieu’scher Prägung assoziert ist. 166 Die Suche nach narrativen ebenso wie nach sozialen Tiefenstrukturen steht indes nicht im Mittelpunkt einer ANT-Li‐ teraturwissenschaft, die auf den französischen Strukturalismus mehr als Anregung denn als Modell rekurriert - entscheidend ist vielmehr, dass Greimas ein Modell der Analyse wie der Konstruktion von Narrationen anbietet, in dem die Aktantenfunktionen sich in doppelter Weise von individuellen menschlichen Personen lösen: Einerseits lässt sich von fiktionalen Texten lernen, dass es nichtmenschliche Akteure […] gibt, die solche Aktantenrollen annehmen können, andererseits übernehmen häufig auch - heterogene - Kollektive von Akteuren gemeinsam eine einzige Aktantenrolle […]. 167 Ganz allgemein gesprochen sind nach Latour Handlungen nicht als transitiv-unidirektio‐ nale Akte, sondern als Transformationen von Akteuren durch andere Akteure innerhalb von »Assoziationsketten […] von Menschen […] und nicht-menschlichen Wesen« 168 auf‐ zufassen. A k t e u r e oder M i t t l e r können die unterschiedlichsten Erscheinungsformen annehmen und Menschen ebenso wie Dinge, Körperschaften oder etwa auch Ideologien sein 169 - als Akteur gilt ganz allgemein alles, was einen anderen im Versuch verändert; von Akteuren läßt sich nur sagen, daß sie handeln; ihre Kompetenz leitet sich aus ihren Performanzen ab; die Handlung ihrerseits wird stets im Verlauf eines Versuchs und in einem Versuchsprotokoll - wie rudimentär auch immer - aufgezeichnet. 170 47 1.4 Vermittlung II: Dinge und Handlung 171 Callon und Latour: Die Demontage des großen Leviathans, S. 85. Ex negativo: »Ein unsichtbarer Handlungsträger, der keinen Unterschied macht, keine Veränderung hervorruft, keine Spur hinter‐ lässt und in keinen Bericht eingeht, ist kein Handlungsträger, Punkt« (Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, S. 92). 172 Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 193 und S. 189. Ein instruktives Beispiel für diese Form nicht dem Wesen einer Entität innewohnender, sondern situativer und in der Interaktion sich manifestierender Aktantialität gibt Iovino: »If we ask, ›do plastic bags have agency? ‹ the answer to this question will be ›yes‹ and ›no‹. If by agency we mean something close to intentionality, or a ›genetic code‹ semiotically inscribed in inord pre-organic matter, then, the answer will be ›no‹: plastic bags do not have agency. […] But if we put this question in other terms, and ask how does plastic, in its materiality, interact with other materialities, other bodies, energy cycles, ecosystems, human life, health, economy, and politics, maybe we will have to admit that there is an agentic dimension in the material existence of this bag« (The Living Diffractions of Matter and Text, S. 79f.). 173 Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, S. 81. 174 Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, S. 70. 175 Vgl. das gleichnamige Kapitel in Serres: Der Parasit, S. 344-360. S. einführend: Roßler: Kleine Galerie der Dingbegriffe, S. 82-90. 176 Serres: Der Parasit, S. 345. Zu den Erscheinungsformen des Parasitären vgl. Anm. 90 dieser Arbeit. Akteuren sind mithin keine starren Seinsqualitäten zu eigen, sie sind vielmehr als tem‐ poräre »Träger, nicht als Inhaber von Handlungspotential« 171 , definiert, sie ›existieren‹ überdies nie isoliert, sondern ausschließlich innerhalb von Akteur-Netzwerken. Latour spricht in diesem Zusammenhang auch von einer ›relativen Existenz‹, die mitnichten als »Alles-oder-nichts-Eigenschaft« anzusprechen sei, sondern darauf deute, daß wir die Entitäten verfolgen können, ohne sie mit den vier Adverbien ›niemals, nirgends, immer, überall‹ zu dehnen, einzurahmen, zusammenzuquetschen oder zu beschneiden. 172 Die Bezeichnung ›Akteur‹ ist somit als dynamische Zuschreibung aufzufassen, die sich auf ein »bewegliche[s] Ziel eines riesigen Aufgebots von Entitäten, die zu ihm hin strömen« 173 , richtet und sämtliche die jeweilige Handlung konstituierenden Akteure erfasst, die ›einen Unterschied machen‹, sprich: das Vermittelte »übersetzen, entstellen, modifizieren und transfomieren.« 174 Handlung wäre in diesem Sinne nicht a priori auf ein Subjekt als Ursprung und anthropomorphes Handlungszentrum zurückzuführen, sondern im Regelfall auf aus menschlichen und nicht-menschlichen Wesen sich zusammensetzende ›Kollektive‹. Anregungen für diese Definition des Akteurs hat Latour den Studien Michel Serres’ entnommen, der im Zuge seiner Überlegungen zum Wesen des Kollektivs und des Parasiten ebenfalls in anti-cartesischer Stoßrichtung die Theorie des Q u a s i - O b j e k t s entwirft, der‐ zufolge Akteursqualitäten durch die Zirkulation von Quasi-Objekten vermittelt werden. 175 Grundsätzlich ist es Serres hierbei um die Beantwortung der Frage danach zu tun, ob das Kollektiv, das Ich, der ›Parasit‹ objektiv-real oder relational existiert, »ein Wesen oder eine Traube von Beziehungen« ist. 176 Am Beispiel von zwei Spielen, dem jeu du furet, einem Pfänderspiel (im Deutschen von dem Lied ›Taler, Taler, du musst wandern‹ begleitet), und dem Ballspiel, untersucht Serres aus Menschen und Dingen zusammengesetzte Kollektive. In beiden Spielen übernehmen scheinbare Objekte, Ball respektive Pfand, die Funktion, ›Subjekte‹ als solche zeitweilig zu markieren und ihnen diese Markierung (üblicherweise prompt) wieder zu entziehen: 48 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 177 Serres: Der Parasit, S. 348f. 178 Serres: Der Parasit, S. 350. Für Latours Rezeption des Serres’schen Quasi-Objekts vgl. Wir sind nie modern gewesen, S. 70-76. 179 Die Wahl des Experimentierfelds ›Spiel‹ deutet implizit auf Lévi-Strauss’ Pensée sauvage: »Der Bau des Kollektivs erfolgt mit Jokern, eine großartige Bastelei [bricolage]. Mit ganz Beliebigem stellt man Beliebiges her. Diese Logik ist geradezu verrückt in ihrer Unbestimmtheit, sie läßt sich noch am schwersten festhalten« (Der Parasit, S. 352). Eine Vorwegnahme des Quasi-Objekt-Modells durch Lévi-Strauss verzeichnet auch Latour: Wir sind nie modern gewesen, S. 70. Zum Bricolage vgl. Kap. 1.2 dieser Arbeit. 180 Serres: Der Parasit, S. 352. 181 Serres: Der Parasit, S. 351. 182 Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, S. 69. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 69-72. 183 Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, S. 70. An späterer Stelle wird die Input-Output-Gleichheit wie folgt umschrieben: »Nichts wird in der Wirkung präsent sein, was nicht schon in der Ursache lag« (ebd., S. 102). Der hin- und herlaufende Ball webt wie das Frettchen das Kollektiv, indem er virtuell jedes Individuum für tot erklärt. […] Der Ball ist dieses Quasi-Objekt, Quasi-Subjekt, durch das ich Subjekt bin, d. h. unterworfen, gefallen, heruntergezogen, niedergetreten, von oben nach unten geworfen, unterworfen, ausgestellt und dann plötzlich durch diese Stellvertretung ersetzt. […] Beim Ballspiel lerne ich mehr über das Subjekt als in der cartesischen Kammer, in der doch gleichwohl einiges Todbringende umging. […] Dieses Quasi-Objekt, das Subjekte markiert, ganz wie man sagt, man markiere ein Lamm für den Altar oder die Schlachterei, ist ein erstaunlicher Bildner von Intersubjektivität. Durch dieses Quasi-Objekt wissen wir, wie und wann wir Subjekte sind, wann und wie wir es nicht mehr sind. 177 Solch kurzzeitige Zuschreibungen destabilisieren Vorstellungen von einer auf Dauer gestellten Handlungsmitte im Subjekt - an deren Stelle tritt das auch für Bruno Latours Denken prägende Bild des Netzes, der Versammlung: »Das Wir ist kein aufsummiertes Ich, sondern etwas Neues […]. Das Wir ist weniger ein Ich-Ensemble als das Ensemble der Ensembles dieser Übertragungen.« 178 Das am Spiel 179 Exemplifizierte findet, Michel Serres zufolge, eine sinnfällige Entsprechung etwa im Verhältnis zwischen Mensch und Geld, das, dem Ball oder Pfand im Spiel vergleichbar, seinerseits in der Gesellschaft zirkuliere: »Es zeichnet das Subjekt, es zeichnet es wirkungsvoll […]: Ich bin reich, also bin ich. Das Geld ist voll und ganz mein Wesen.« 180 Subjekt und Objekt werden somit nicht als Dichotomie gedacht, sondern als ebenso instabile wie spielerische Zuschreibungen, welche die Handlungsautonomie des Subjekts empfindlich einschränken und in ein Verhältnis der Abhängigkeit von Quasi-Objekten/ Quasi-Subjekten setzen (die Terme verwendet Serres sprechenderweise synonym). Wie Latours Akteur ist auch das Quasi-Objekt kein ›Wesen‹ - nur in der Zirkulation, während des Spiels ist der Ball Quasi-Objekt, nicht hingegen, wenn er funktionslos, dem Kreislauf entzogen, auf dem Boden liegt: »Jeder steht am Rande seiner Nichtexistenz.« 181 Mit dem Terminus Z w i s c h e n g li e d und dessen Abgrenzung vom Mittler respektive vom Akteur führt Latour eine Differenzierung ein, die er selbst als »Schibboleth« 182 seines Unterfangens bezeichnet. Zwischenglied ist »etwas, das die Bedeutung oder Kraft ohne Transformation transportiert: Mit seinem Input ist auch sein Output definiert.« 183 Am Beispiel einer funktionierenden Schreibmaschine werden die Probleme, die dieser 49 1.4 Vermittlung II: Dinge und Handlung 184 Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, S. 70. 185 Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 382. 186 Latour: Wir sind nie modern geworden, S. 19. Zwischenglied-Begriff birgt, nachvollziehbar: Einerseits wäre eine solche Schreibmaschine, sofern sie denn intakt ist, als »kompliziertes Zwischenglied« 184 , als B l a c k B o x und nicht als Akteur anzusprechen, da sie und alle in ihr versammelten kleineren Zwischenglieder, Tasten, Hebel, Farbband, Druckfarbe usf., einen Input in einen erwart- und berechenbaren Output transformieren. Andererseits macht selbstredend allein die Zuhandenheit einer Schreibmaschine sehr wohl einen beträchtlichen ›Unterschied‹, und auch das Ergebnis eines getippten Textes ist phänomenal und kommunikativ-funktional zu unterscheiden etwa von einem von Hand geschriebenen, da die Vermittlung zwischen Hand und Papier in beiden Fällen, bei dem Rückgriff auf die Maschine oder auf den Federhalter, gerade auf eine je unterschiedliche Transformation zielt. Es ist also ganz wesentlich von der Perspektive abhängig, ob einer Entität ein Mittler- oder ein Zwischengliedstatus zuzuschreiben ist, und Latours Impuls besteht nun darin, die oftmals unreflektierte Zuschreibung eines Zwi‐ schengliedstatus zu hinterfragen, Handlungen auf gegebenenfalls verdeckte Vermittlungen hin zu untersuchen: Der wirkliche Unterschied besteht […] zwischen denen, die in den vielen Verwicklungen der Praxis bloße Zwischenglieder sehen, und denen, die darin Vermittlungen erkennen. 185 Die ANT verfolgt mithin das Ziel, dem für ›moderne‹ Gesellschaften typischen Blackboxing entgegenzuwirken, d. h. die scheinbaren Blackboxen zu öffnen und die in ihnen als Zwischenglieder verkannten Einzelteile sichtbar zu machen. Obschon unklar bleibt, ob Zwischenglieder und Blackboxes als Teil des Akteur-Netzwerkes überhaupt zu denken sind, ob etwas ›objektiv‹ als Zwischenglied gelten oder in den report des AN-Theoretikers eingehen könnte oder sich schier alles bei genauerer Betrachtung stets als ›Mittler‹ entpuppt - und sonst außerhalb der Akteurnetze zu verorten wäre -, firmieren diese logischen Gegenstücke zu den Akteuren als zentrale Bestandteile des beschreibenden Vokabulars Latours, mit dem sich unter anderem die ›Strategien der Modernen‹ (und vielleicht auch schon der ›Vormodernen‹) beschreiben lassen, die Akteursqualitäten von Maschinen und anderen nicht-menschlichen Wesen zu marginalisieren. Solche Strategien bezeichnet Latour, in Abgrenzung von seiner eigenen Tätigkeit: der ›Übersetzung‹ und ›Vermittlung‹, als R e i n i g u n g s a r b e i t, als Tätigkeit, die darauf ziele, »zwei vollkommen getrennte ontologische Zonen, die der Menschen einerseits, die der nicht-menschlichen Wesen andererseits«, 186 zu etablieren und die Welt in Entsprechung zur modernen Sub‐ jekt-Objekt-Dichotomie zu ordnen. Wie das Zwischenglied ist auch das ›Objekt‹ in der Perspektive Latours in erster Linie Denk- und Abgrenzungsmodell: Sobald jedoch ein Archäologe die armseligen fossilen oder staubigen Objekte in den Händen hält, hören diese Reliquien auf, Objekte zu sein, und kehren zur Welt der Menschen zurück: Schon an der Ausgrabungsstelle wandern sie von Hand zu Hand, dann im Klassenzimmer oder in der wissenschaftlichen Literatur. »Objekt« kann man den etwas widerständigen Teil einer Kette von Praktiken nennen, aber nur solange er noch vergraben, unbekannt, weggeworfen, ausgesetzt, bedeckt, ignoriert, unsichtbar, »für sich« ist. Anders gesagt, es gibt keine sichtbaren Objekte und 50 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 187 Latour: Der Berliner Schlüssel, S. 39. 188 Bruno Latour: Porträt von Gaston Lagaffe als Technikphilosoph, S. 26. 189 Bruno Latour: Das moralische Gewicht eines Schlüsselanhängers, S. 59. 190 Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 375. 191 Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 193. 192 Vgl. Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 36-95. Kritische Anmerkungen hierzu bei Kneer: Hybridizität, zirkulierende Referenz, Amoderne? , S. 286-295. hat niemals welche gegeben. Objekte existieren nur unsichtbar und als Fossilien. Was nicht für unsere moderne Philosophie spricht, denn diese hat sehr oft über unsere Beziehung zu Objekten gesprochen, über die Gefahren der Objektivierung oder über die Selbstsetzung des Subjekts und andere Purzelbäume mehr. 187 An die Stelle der Reinigung und Objektivierung sowie der Trennung zwischen technischer und sozialer Welt treten abstrakter zu fassende Unterscheidungen, besonders zentral: diejenige zwischen A s s o z i a t i o n und S u b s t i t u t i o n. Diese Differenzierung bezieht wesentliche Anregungen aus der linguistischen Basisunterscheidung zwischen Syntagma und Paradigma, sie sieht soziale Handlungen in Analogie zur Struktur der Sprache: »Für Dinge und Menschen gibt es nur eine einzige Syntax und eine einzige Semantik.« 188 Akteure lassen sich, nach der Logik der Assoziation, miteinander verknüpfen oder sich gegeneinander austauschen (Substitution). Um beispielsweise eine Wohnung vor einem Diebstahl zu sichern (dies wäre als A k t i o n s p r o g r a m m zu bezeichnen, der Versuch des Diebstahls hingegen als G e g e n p r o g r a m m - aus der Sicht des Diebes vice versa), können beispielsweise diverse Akteure, etwa ein Sicherheitsschloss, eine Überwachungskamera und Smart Home-Technologien versammelt und damit die horizontale Kette der Akteure potentiell bis ins Unendliche hinein verlängert werden (Assoziation), oder es können einzelne Akteure gegen größere Einbruchssicherheit versprechende ausgetauscht werden, z. B. die abschreckende Kameraattrappe gegen eine tatsächliche Überwachungskamera oder diverse Einzelakteure gegen eine auf Wachsamkeit zielende Ansprache an die Nachbarn (Substitution) - gegen Akteure mithin, deren »Bindung […] an ein Aktionsprogramm« 189 stärker scheint. Eine Verstärkung solchen Bindungsgrades kann beispielsweise dadurch er‐ zielt werden, dass einzelne in einem Akteurnetzwerk versammelte Entitäten transformiert und mit einer I n s k r i p t i o n versehen werden - durch eine solche ›Einschreibung‹ wird diese »Entität in einem Zeichen, einem Archiv, einem Dokument, einem Papier, einer Spur materialisiert«. 190 Mit Blick auf die Akteure Latours ist Existenz somit keine Alles-oder-nichts-Eigenschaft, sondern eine relative Eigenschaft, die begriffen wird als Erkundung eines zweidimensionalen Raums, der aus Assoziationen und Substitutionen, UND und ODER, gebildet wird. 191 Die - keineswegs einzige, hier jedoch besonders relevante - theoretische Grundlage des oben umrissenen Handlungsmodells ist ein semiologisches Konzept, das Latour am Beispiel einer Expedition in den brasilianischen Urwald entwickelt und unter dem Begriff der › z i r k u li e r e n d e n R e f e r e n z ‹ verhandelt. 192 Dieses Modell fungiert als Gegenentwurf zur modernen Übereinkunft, nicht nur Menschen und Dinge, sondern auch Welt und Sprache, Zeichen und Dinge als voneinander getrennte Bereiche zu definieren: 51 1.4 Vermittlung II: Dinge und Handlung 193 Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 84. 194 Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 69. 195 Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 85. 196 Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 85. 197 Jacob: Sage und Siegeszug des Kaffees, S. 5. Die moderne Sprachphilosophie tut so, als gäbe es zwei Ensembles, die nichts miteinander zu tun haben und durch einen einzigen, radikalen Schnitt getrennt sind […]. Sie tut so, als müßte man sich bemühen, ihn zu reduzieren, indem man nach einer Korrespondenz zwischen der Welt und den Worten sucht. 193 An die Stelle eines großen Sprungs, eines Einschnitts zwischen den Dingen der Welt und der Sprache tritt nach Latour eine Kette zahlreicher kleinerer Brüche zwischen Form und Materie. Wenn beispielsweise Bodenstichproben aus dem Urwald in einen sogenannten Pedokomparator, eine Pappschachtel mit quadratischen Fächern, gelegt werden, sei damit ein Transformations- und Abstraktionsprozess initiiert, in dem es nicht den einen Punkt gäbe, an dem sich ein totaler ›Sprung‹ von der materiellen Erde zum Zeichen vollzöge. Vielmehr wäre etwa der Pedokomparator als Zeichen-Ding-Hybrid zu beschreiben: Wie abstrakt der Pedokomparator auch sein mag, er bleibt ein Gegenstand, leichter zwar als der Urwald, aber schwerer als das Papier […]! Wie codiert der Pedokomparator auch sein mag, René kann ihn nicht in den Text seines Berichtes einfügen. 194 Ganz Vergleichbares gilt für die voraufgehenden und die nachfolgenden Schritte des Bodenforschers, z. B. die Übertragung des Beobachteten in ein Diagramm oder den schlussendlichen report: »Die Erde wird zu einer Pappschachtel, die Worte werden zu Papier, die Farben werden zu Chiffren und so weiter.« 195 In diesem heuristischen Modell ist Referenz nicht die direkte Verbindung zwischen Zeichen und Ding, sondern eine Eigen‐ schaft der gesamten Kette von Transformationen, Vermittlungen und Übersetzungen, von Verknüpfungen, die - aus beiden Richtungen betrachtet, vom Leser des wissenschaftlichen Beitrags ebenso wie vom Feldforscher - jeweils Bestandteile einer nachvollziehbaren und ›reversiblen‹ Kette sind: »Die Wahrheit zirkuliert in ihr wie die Elektrizität entlang eines Drahtes, und zwar so lange, wie er nicht zerschnitten wird.« 196 1.4.2 Das Mithandeln der Dinge: Objektbiographie - Agency - Affordanz Nicht die Vita Napoleons oder Cäsars wird hier erzählt, sondern die Biographie eines Stoffes. Eines tausendjährigen, treuen und machtvollen Beglei‐ ters der ganzen Menschheit. Eines Helden. Wie man die Biographie des Kupfers oder des Weizens erzählen könnte, so wird hier das Leben des Kaf‐ fees unter und mit den Menschen erzählt. 197 Zum Begriff der dinglichen Agency, der nach Latour Handlung nicht als einfache Einwir‐ kung eines Akteurs auf ein Zwischenglied bezeichnet, sondern komplexere Ketten von 52 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 198 Burström: Things in the Eye of the Beholder, S. 66. 199 Kopytoff: The culture biography of things. - Auf dem Feld der Literaturtheorie wäre an Tretjakows Essay ›Biographie des Dings‹ zu erinnern. Zu den Formen insbesondere populär- und naturwissen‐ schaftlicher Dingbiographien des 20. Jahrhunderts vgl. Soentgen: Biographien von Stoffen. Für einen detaillierten Nachvollzug dieser Gattungsgeschichte vgl. Joy: Reinvigorating object biography, s. insbes. S. 541-545, für einen Überblick Braun: Objektbiographie, S. 10-14. 200 Kopytoff: The culture biography of things, S. 64. 201 Kopytoff: The culture biography of things, S. 65. 202 Vgl. Kopytoff: The culture biography of things, S. 66f. 203 Kopytoff: The culture biography of things, S. 90. Vermittlungen zu beobachten auffordert, seien an dieser Stelle noch einordnende, über das bei Latour zu Lesende hinausgehende Erläuterungen angefügt. Um die Probleme mit diesem Begriff zu illustrieren, sei zunächst auf eine exemplarische, an der Schnittstelle zwischen Archäologie und Literaturwissenschaft zu verortende Debatte über den Nutzen des epistemischen Modells der O b j e k t b i o g r a p h i e verwiesen. Texte objektbiographischen Zuschnitts gründen auf die Annahme, dass ihre Gegen‐ stände keine statischen, vom Lauf der Zeit unberührten Artefakte sind, sondern [o]bjects [that] cease to be mere objects, and turn into things which interact and interplay with humans: things with agency, i.e. they […] may even impact on the course of events. 198 Dieser auch für Latour prägende Ansatz geht auf einen im Jahr 1986 publizierten und breit rezipierten Aufsatz des Anthropologen Igor Kopytoff zurück. 199 Ausgehend von der konventionellen Trennung zwischen einer Welt der Waren, dem »natural universe of commodities«, und einem »natural universe of individuation and singularization« 200 entwickelt Kopytoff den alternativen Vorschlag einer Ordnung, in welcher auch vormo‐ derne und nicht-westliche Vorstellungen Berücksichtigung finden sollen und Prozesse der Kommodifizierung wie der Singularisierung von Dingen und Menschen in den Blick geraten. Es lasse sich, so Kopytoff, zeigen, dass die Adressierung von Menschen oder Dingen als Waren oder Individuen dem wechselhaften Verlauf einzelner ›Biographien‹ keineswegs gerecht würde. Schließlich hätten zum Beispiel in zahlreichen Gesellschaften Sklaven ihrem Warencharakter zum Trotz in den Familien ihrer Käufer oftmals eine neue soziale Identität angenommen, indes zeitgleich freie Personen unter bestimmten Umständen zu einem »subject to sale« 201 werden konnten. Vergleichbar verhalte es sich mit Objekten, denen häufig nur für kurze Zeit ein Warencharakter zu attestieren wäre und die nach ihrer Herstellung mannigfaltige ›Lebenswege‹ einschlagen könnten. Die zwischen diesen und den menschlichen Biographien von Kopytoff beobachtete Analogie - in beiden Fällen lasse sich etwa nach Ursprung und Herkunft sowie nach segmentierbaren ›Lebens‹abschnitten und dem Ende der Existenz fragen 202 - mündet in die These, Objekte hätten eine soziale, eine kulturelle respektive soziale Biographie: an eventful biography of a thing becomes the story of the various singularizations of it, of classifications and reclassifications in an uncertain world of categories whose importance shifts with every minor change in context. As with persons, the drama here lies in the uncertainties of valuation and of identity. 203 53 1.4 Vermittlung II: Dinge und Handlung 204 Joy: Reinvigorating object biography, S. 544. 205 Dieses Handlungsmodell entspricht überdies der abstrakten Definition des englischen Substantivs ›agent‹ im OED: »A person who or thing which acts upon someone or something; one who or that which exerts power; the doer of an action« (s. www.oed.com/ view/ Entry/ 3859; zuletzt abgerufen am 1. September 2020). - Für eine Darstellung der soziologischen Debatte über das Konzept ›relational agency‹ vgl. Burkitt: Relational agency. 206 Jung: ›Objektbiographie‹ oder ›Verwirklichung objektiver Möglichkeiten‹? , S. 382; vgl. auch ders.: Das Konzept der Objektbiographie, S. 35-65. 207 Jung: ›Objektbiographie‹ oder ›Verwirklichung objektiver Möglichkeiten‹? , S. 380. 208 Jung: ›Objektbiographie‹ oder ›Verwirklichung objektiver Möglichkeiten‹? , S. 380. 209 Jung: Das Konzept der Objektbiographie, S. 46. 210 Vgl. Jung: Das Konzept der Objektbiographie, S. 45-50. Es sei an dieser Stelle vermerkt, dass Kopytoffs ›biographical approach‹ keineswegs impli‐ ziert, die Dinge verfügten über eine eigene, ihre ›Biographie‹ lenkende Intentionalität oder Agency. Zentral für den großen Einfluss dieser Untersuchung ist vielmehr die Aufwertung der den Menschen umgebenden Objekte, deren Bedeutung sich im Zuge ihres Eingangs in soziale Beziehungen mit den jeweiligen Besitzern als hochgradig wandelbar erweise. Im Vorfeld der beispielhaften Objektbiographie eines eisenzeitlichen Spiegels hält Jody Joy fest, Objekte verfügten wie Menschen über einzigartige, ›individuelle‹ Lebenswege, und beiden billigt Joy zu, mindestens über eine Form von › r e l a t i o n a l a g e n c y ‹ zu verfügen: »Just like people, objects can act as ›agents‹ in a relationship or be acted upon as ›patients‹«. 204 Mit dem Begriff der ›relational agency‹ greift Joy auf ein soziologisches Konzept zurück, das Handlungen nicht auf das reflektierte Abwägen eines einzelnen ›Agenten‹ zurückführt, sondern aus einem Netzwerk von Interaktionen zwischen Men‐ schen und eben auch Objekten heraus zu erklären sucht, und das vergleichbar Eingang in die Schriften Latours und Serres’ gefunden hat. 205 Matthias Jung macht dagegen auf die »Fallstricke aufmerksam […], die diesem Konzept inhärent sind« 206 : Ausgehend von der Setzung, Objekten fehle »eine autonome Handlungssmitte« 207 , kritisiert der Soziologe, Kopytoff und besonders seine Nachfolger seien der Suggestivität der von ihnen erdachten Metapher erlegen, indem sie Objekte aus einer ihrem eigentlichen Status unangemessenen anthropomorphisierenden Perspektive heraus betrachteten und sich folglich eines wissens‐ soziologischen Relativismus befleißigten, der die Differenz zwischen dem Verhältnis von Akteuren und Objekten in der Wahrnehmung der Akteure - in dieser Wahrnehmung können die Objekte durchaus wie handelnde Instanzen erscheinen - und der realen Verfasstheit dieses Verhältnisses zum Verschwinden bringt. 208 Jung erkennt also durchaus die menschliche und sich insbesondere in der Umgangsprache abbildende Eigenart, unlebendigen Entitäten Intentionen zuzuschreiben, an, möchte dieser jedoch keine ›objektive‹ Gültigkeit zuerkennen. Stattdessen schlägt er vor, Dinge über ihren »Aufforderungs- und Angebotscharakter« 209 in ein Konzept menschlichen Handelns zu integrieren, in welchem sie als Konstituenten von Handlungsoptionen fungieren, die von den tatsächlich Handelnden selegiert und verwirklicht würden. 210 Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Objekten hätte diese in einem ersten Schritt auf ihre spezifische A f f o r d a n z, sprich: ihren ›Angebotscharakter‹, hin zu untersuchen und anschließend deren Funktionen in Aneignungs- und Verwendungskontexten zu rekonstruieren. Jung 54 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 211 Sartres Beobachtungen zur Appellstruktur der materiellen Umwelt und zum Verflochtensein der menschlichen Praxis in die Forderungsstruktur der Welt der Dinge, deren ›Widrigkeitskoeffizienten‹ lassen den Philosophen letztlich, wie beispielsweise von Adorno kritisiert, nicht an idealistischen Kategorien wie der Freiheit des Subjekts und des Willens zweifeln; vgl. Sartre: Das Sein und das Nichts, S. 79-118 und S. 870-878; s. einordnend Bonnemann: Sartre und die Macht der Dinge. 212 Fox, Panagiotopoulos und Tsouparopoulou: Affordanz, S. 64. 213 Die Zitate stammen aus: Zillien: Affordanz, S. 226. 214 Koschorke: Wahrheit und Erfindung, S. 79. 215 Koschorke: Wahrheit und Erfindung, S. 80. 216 Koschorke: Wahrheit und Erfindung, S. 79. 217 Koschorke: Wahrheit und Erfindung, S. 79. 218 Koschorke: Wahrheit und Erfindung, S. 79. greift hierbei auf das Affordanz-Konzept des US-amerikanischen Psychologen James J. Gibson zurück, ein insbesondere in Soziologie, Ethnologie, Philosophie - am prominen‐ testen bei Sartre 211 - und Technikgeschichte breit rezipierter »ökologischer Ansatz zur visu‐ ellen Wahrnehmung« 212 , der nicht »das Erfassen von konkreten Gegenstandsmerkmalen«, sondern »die direkte Wahrnehmung der Handlungsoptionen, die sich aus der Verfügbarkeit der Gegenstände ergeben«, eben ihre Affordanzen in den Vordergrund spielt und damit »eine wechselseitige Bezugnahme von Subjekt und Objekt« 213 impliziert - das Subjekt wird in diesem Modell als den Objekten und den sich in ihnen materialisierenden Handlungs‐ optionen, -restriktionen und Forderungen ausgesetzt wahrgenommen, der Fokus von der Freiheit menschlicher Handlungen auf die Determinismen der Umwelt verschoben. Eine dezidiert literaturwissenschaftliche Antwort auf die Frage nach einer möglichen Agency erzählter Dinge gibt Albrecht Koschorke, der in seinen Überlegungen zur Motiva‐ tion eines Ereignisses die »Zurechnung von Begebenheiten auf Akteure« als »eines der wichtigsten narrativen Verfahren« 214 anspricht, das sich aus der menschlichen Neigung ableite, »kausale Beziehungen zu unverstandenen Phänomenen herzustellen« 215 (›tentative Kausalität‹). Auch zufällige oder unpersönliche Vorgänge nähmen so »durch erzählerische Bearbeitung den Charakter eines sinnhaft personalisierten Geschehens an«. 216 Die mehr aus den Grundstrukturen eines kohärenz-, motivations- und sinnstiftenden Denkens und Erzählens denn aus der individuellen Perspektive eines Sprechers oder Erzählers heraus zu erklärende Zuschreibung von Agency versteht Koschorke als Ausdruck einer ›sinnhaften Personalisierung‹: Auch wenn solche Akteure fast unvermeidlich anthropomorphe Züge tragen, kann es sich dabei um nichtmenschliche (Tiere, Dinge) oder abstrakt-gestaltlose Wesen (etwa Kollektivsingulare wie ›Volk‹, ›Menschheit‹, ›Geschichte‹) handeln. Das Erzählen steht so im Bund mit einem Animismus, der alle Wesen beseelt und mit Handlungsmacht ausstattet. 217 Dass diese projektive Anthropomorphisierung der Objekte durch den homo narrans keinesfalls intendiert sein muss, lasse sich nicht zuletzt auf die dem Erzählen ebenso wie dem Sprechen zugrunde liegenden »grammatikalische[n] Dispositionen, in diesem Fall: die Subjekt-Prädikat-Struktur indoeuropäischer Sprachen« 218 , zurückführen: »Was immer 55 1.4 Vermittlung II: Dinge und Handlung 219 Koschorke: Wahrheit und Erfindung, S. 79. Solch ein den indoeuropäischen Sprachen inhärenter ›Animismus‹ gewinnt, so Roland Barthes in einem anderem Kontext, vor der Folie etwa des Japanischen Konturen: »Wie viele andere Sprachen auch, unterscheidet das Japanische zwischen Belebtem (Mensch und/ oder Tier) und Unbelebtem, und zwar insbesondere auf der Ebene der verschiedenen Verben für sein. So werden fiktive Personen, die in eine Geschichte (von der Art: Es war einmal ein König) eingeführt werden, mit dem Kennzeichen des Unbelebten versehen. Während unsere Kunst alles daransetzt, den Romangestalten ›Leben‹ und ›Wirklichkeit‹ zu verordnen, führt das Japanische schon aufgrund seiner Struktur diese Gestalten auf Qualitäten von Produkten zurück oder hält sie darin fest; es hält sie in der Qualität von Zeichen, die von ihrem referentiellen Alibi par excellence, dem der lebenden Sache, abgeschnitten sind« (Das Reich der Zeichen, S. 20). 220 Dass ein solcher ›Animismus‹ nicht nur im Erzählen, sondern auch im abendländischen Denken tief verankert ist und in Teilen auf ganz kontingente Ursachen gründet, legen etwa die zeichen‐ theoretisch-philosophiegeschichtlichen Einlassungen Umberto Ecos nahe. Dieser geht dem in der mittelalterlichen Zeichentheorie wuchernden Topos des latratus canis als »significant bark« (La‐ tratus canis, S. 7), allgemeiner: dem theoretischen Problem einer Einordnung tierischer Laute in das Zeichensystem, nach und verortet die in der mittelalterlichen Philosophie lange Zeit verbreitete Zuschreibung von Intentionalität und Signifikanz im Kontext sprachphilosophischer Übersetzungen und Missverständnisse. So seien aufgrund der lateinischen Aristoteles-Übersetzung des Boethius einige im Griechischen noch klar erkennbare Differenzierungen, etwa zwischen Symbol und Zeichen, intentionalem Laut und natürlichem Klang ›verloren‹ gegangen und in der Folge die Frage nach der Intentionalität des tierischen Lautes zu einem philosophisch grundlegendem Problem avanciert, das das mittelalterliche Weltbild nicht unwesentlich mitgeprägt und zu einer verbreiteten Zuschreibungspraxis von Intentionalität an tierische Wesen geführt haben dürfte. Diese erst von Abaelard und Bacon zurechtgerückte Geschichte von Spekulationen und Fehlschlüssen sei auf folgende, allgemeiner gefasste gedankliche Operation zurückzuführen: »When one interpretates a natural event as a sign, it is the human intention that takes it as something signifying something else« (ebd.). 221 Lotman: Die Struktur des künstlerischen Textes, S. 362. Mit Lotmans Definition des ›Ereignisses‹ ist ein Text erst als sujethaltig zu bezeichnen, wenn ein Handlungsträger, sei er anthropomorph oder nicht-anthropomorph, die in ein semantisches Feld eingelassenen Grenzen überschreitet. Vgl. Lotman: Die Struktur des künstlerischen Textes, S. 360; s. einführend Flecken-Büttner: Wiederholung und Variation als poetisches Prinzip, S. 20-23; Richter: Spiegelungen, S. 10-33; Stock: Kombinati‐ onssinn, S. 17-33. 222 Lobsien: Bildlichkeit, Imagination, Wissen, S. 93. in die Position eines grammatikalischen Satzsubjekts rückt, kann in einem narrativen Syntagma die Heldenrolle einnehmen«. 219 Koschorkes Erzähltheorie ist modernen Narrativen gewidmet, Texten mithin, die Subjek‐ tivität, Intentionalität und eine Handlungsmitte in anthropomorphen Figuren als kulturelle Normen voraussetzen, sei es auch, dass sie mit diesen brechen. Ein diesem naturalistischen Identifikationsmodus zuwiderlaufender ›Animismus‹, mit dem Koschorke das Erzählen ganz universell im Bunde sieht, 220 birgt für die ›Modernen‹ ein großes Irritationspotential, welches Jurji M. Lotman darauf zurückführt, dass uns die Identität des Handlungsträgers […] mit anthropomorphen Figuren […] derart natürlich und gewohnt [erscheint], daß wir unsere kulturelle Erfahrung bis zum Rang eines Gesetzes verallge‐ meinern und meinen, jedes Sujet sei die Entwicklung von Relationen zwischen Menschen, einfach kraft der Tatsache, daß Texte von Menschen für Menschen geschaffen werden. 221 Die Anthropomorphisierung des Handlungsträgers erweist sich somit als Projektion, die indes keinesfalls als anthropogene Universalie anzusprechen, »keine Letztgegebenheit [ist], sondern ihrerseits Funktion eines bestimmten Kulturtypus.« 222 Dass eine Zuschreibung von 56 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 223 Wenzel: Hören und Sehen, S. 102. 224 Zum Hintergrund Pietz: »Fatal accidents are a form of historical trauma common to any culture. […] Any culture must establish some procedures of compensation, expiation, or punishment to settle the debt created by unintended human deaths whose direct cause is not a morally accountable person, but a nonhuman material object. This was the issue thematized in public discourse by the debate on the law of deodand« (Death of the deodand, S. 97). Vgl. auch Bennett: Vibrant Matter, S. 9f. 225 Wie der Anthropologe Descola gezeigt hat, ist der die ›Moderne‹ prägende Naturalismus nur einer von insgesamt vier menschlichen Identifikationsmodi (daneben: Analogismus, Animismus, Totemismus), »das heißt Systeme[n] von Eigenschaften der Existierenden, die kontrastierenden Kosmologieformen, Modellen des sozialen Bandes und Theorien der Identität und Andersheit als Ankerpunkt dienen« ( Jenseits von Natur und Kultur, S. 189). Descola entwirft ein umfassendes Panorama der Beziehungen zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Wesen und stellt die in westlichen Gesellschaften zum Allgemeinplatz avancierte strikt-dualistische Trennung zwischen Natur und Kultur infrage, indem er zeigt, dass für uns selbstverständliche Differenzierungen ein keineswegs verallgemeinerbares Prinzip darstellen. Handlungsmacht an Dinge eben auch unabhängig von sprachlich-narrativen Strukturen erfolgen kann, wird einsichtig, sobald Zeugnisse anderer ›Kulturtypen‹ in den Blick geraten, sobald erzählten Gegenständen Agency ganz explizit zugeschrieben wird. Dies ist beispielsweise bei der im katholischen Glaubensverständnis präsenten Wahrnehmung von Reliquien als belebte und wunderkräftige Objekte, als »materielle Knotenstelle[n] in einem Netz von Zeichen, das die ganze Komplexität der Heilsgeschichte in der Fülle ihrer Heilskraft gegenwärtig hält« 223 , oder auch in der britischen Rechtsprechung vom 11. bis ins 19. Jahrhundert, die in nicht-intentionale Tötungen involvierte Objekte als ›schuldige‹ Akteure, als ›deodand‹, identifizieren und der Krone als Buße übereignen konnte, 224 der Fall und in nicht-westlichen Kosmologien eher die Regel als eine befremdliche Ausnahme. 225 Nimmt man nun an, dass nicht-menschliche Wesen entweder aus der emischen Sicht des Individuums oder infolge eines gesellschaftlich habitualisierten Identifikationsmodus üblicherweise als anthropomorph eingeordnete Qualitäten aufweisen können, rechtfertigt dies die Frage nach der Bedeutung der Dinge für eine Erzählwelt, die ohnehin nicht den physikalisch-objektivierbaren Gesetzen der empirisch erfassbaren Realität unterliegen muss. In den Analysen des Parzival wird zwischen explizit-anthropomorphisierenden und impliziten, etwa auf die sprachlich-rhetorischen Strukturen des Mittelhochdeutschen oder die Metaphernpraxis Wolframs zurückzuführende Agency-Zuschreibungen zu diffe‐ renzieren sein. Auch sollen die hier präsentierten Begriffe und Konzepte dazu anregen, beim Nachvollzug erzählter Akteurnetze auf Vorannahmen zu verzichten und den Fokus statt‐ dessen auf die im erzählerischen Vollzug sich manifestierenden Zuschreibungen zu richten: Dieser Zugriff wird sich insbesondere mit Blick auf Wolframs Tendenz zur Inversion von Subjekt- und Objektstatus, zur spielerischen Verzerrung habitualisierter Praktiken der Beschreibung als produktiv erweisen, stellen doch solche Textbewegungen eine Grundlage für den wolframtypischen Wortwitz, aber auch für die zahlreichen Reflexionen auf die sich oftmals als eingeschränkt erweisende Handlungsmacht der Figuren bereit. Die Argumente für und wider die Metapher ›Objektbiographie‹ zeugen von einer tentativen Unterscheidung zwischen intentionsgeleitet-anthropomorphem Handeln und einem abstrakter zu beschreibenden ›Einfluss‹ der Dinge auf Handlungen, sei es durch eine Einschränkung ›absoluter‹ Agency mit dem Konzept der ›relational agency‹, sei es durch eine Objektivierung der Dinge als Handlungsoptionen eröffnende Entitäten mit 57 1.4 Vermittlung II: Dinge und Handlung 226 Vgl. z. B. Brüggen: Die Rüstung des Anderen. Für einen ding- und zugleich gendertheoretisch perspektivierten Zugriff auf narrativierte Kleider und Textilien vgl. zuletzt Bildhauer: Textiles, Gender, and Materiality. 227 Vgl. u. a. Mühlherr: Helden und Schwerter. 228 Vgl. u. a. Gephart: Geben und Nehmen; Oswald: Gabe und Gewalt; Reichlin: Ökonomien des Begehrens, Ökonomien des Erzählens. 229 Bildhauer: Medieval Things. Für Methodologisches zum ›pragmacentric reding‹ vgl. ebd., S. 5 et passim. 230 Vgl. Mühlherr: Einleitung, S. 1-6 sowie insbesondere Anm. 25-37. ›Angebotscharakter‹. Wolframs Parzival wird darauf hin zu befragen sein, auf welche Weise Dinge in die Handlung integriert sind: als Objekte respektive Instrumente menschlicher Handlungen, als eigen- und widerständige Akteure oder gar als den Figuren vergleichbare anthropomorphe Handlungsträger? Lassen die Inszenierungen narrativierter Gegenstände Rückschlüsse auf deren Affordanzen zu? Wenn ja: Wie wird ein solcher Angebotscharakter diskursiv gemacht, als das Handeln der Figuren steuernde und kanalisierende, als die ›Frei‐ heit‹ des Figurenhandelns einschränkende Handlungsoption oder auch als abgewiesene Handlungsalternative? Zuletzt: Inwieweit lassen sich im Erzählen von Dingen ›biographi‐ sche‹ Strukturen nachweisen, in welchem Verhältnis stehen diese zu den Biographien der mit ihnen assoziierten Figuren? 1.5 Das Ding in der mediävistischen Literaturwissenschaft In der germanistisch-mediävistischen Forschung wurden bislang vorrangig bestimmte Dingtypen wie Waffen, Ausrüstungsgegenstände oder Kleidung einer gesonderten Un‐ tersuchung unterzogen, 226 zudem wurden Dinge als Bestandteile von Figur-Ding-Ensem‐ bles 227 sowie in ihrer Funktion als Gabe 228 untersucht. Jüngst ist mit Bettina Bildhauers Monographie ›Medieval Things‹ ein erster umfassender Vorschlag zur Systematisierung mittelhochdeutschen Erzählens von Dingen erschienen, der in ›pragmacentric readings‹ Beobachtungen zur Inszenierung, zur Beschreibung und zur Agency der Dinge in Narra‐ tiven unterschiedlichster gattungsmäßiger Provenienzen und Zeiten zusammenführt. 229 Da der von Anna Mühlherr verfassten Einleitung zu dem Sammelband ›Dingkulturen‹ eine übersichtliche Darstellung des Forschungsstandes im Jahr 2016 zu entnehmen ist, 230 will ich mich hier darauf beschränken, (1.) zunächst zentrale Traditionslinien der germanis‐ tisch-mediävistischen Forschung nachzuzeichnen und (2.) anschließend methodisch-theo‐ retische Impulse zur Analyse und Interpretation literarischer Dinge zusammenzutragen sowie jüngere Monographien zu präsentieren - hierbei sollen drei Forschungsschwer‐ punkte nachvollzogen werden: (2.1) Begriff und Konzept dinglicher Agency, (2.2) die struktur-, kohärenz- und sinnstiftenden Funktionen literarischer Dinge und (2.3) zuletzt die kulturhistorische Verortung mittelalterlichen Erzählens von Dingen. In einem zweiten Schritt soll dann einschlägige ›Dingforschung‹ zu Wolframs von Eschenbach Parzival umrissen und auf ihre zentralen Ergebnisse hin befragt werden (Kap. 2). (1.) Für die Material Culture Studies noch immer produktive Grundlagen stellen zum einen die bedeutungs- und allegoriegeschichtlichen Arbeiten Friedrich Ohlys - zuletzt 58 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 231 Kaske sieht in der Dingallegorese eine mit weiteren Zugriffen auf die Dinge in mittelalterlichen Texten zu kombinierende Methode, die im Zusammenspiel mit einer Untersuchung ihrer Einbindung in den Handlungskontext, ggf. suggerierter oder explizit zugeschriebener Agency und der Objektbiographie neue Perspektiven auf die Faktur mittelalterlicher Erzähltexte ermögliche (vgl. Kreaturen und Artefakte in mittelhochdeutscher Literatur). - Zu den methodologischen Implikationen der Dingallegorese für »eine umfassende Mediävistik« vgl. Meier: Gemma spiritalis, hier: S. 14. 232 »Ohly, we suggest, is a philologist (taking that term extensively, as he intended it) whom medieval art historians should be reading, perhaps now more than ever« (Kumler und Lakey: Res et significatio, S. 2). 233 In Bumkes grundlegender Arbeit zur ›höfischen Kultur‹ geht es nicht, da darüber kaum Verlässliches aus den in erster Linie literarischen Quellen hervorgeht, »um eine Beschreibung der mittelalterli‐ chen Alltagswirklichkeit […], sondern um den Zusammnenhang zwischen höfischer Literatur und höfischer Gesellschaftskultur […]. Gegenstand der Darstellung ist die höfische Festgesellschaft, ihre materielle Kultur, ihre Umgangsformen, ihre Vorstellungen von gesellschaftlicher Vollkommenheit und ihre Literatur« (Höfische Kultur, S. 13f.). 234 Ohly: Einleitung, S. IX. 235 Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 15. Besonders zentral für Ohlys Allegoriefor‐ schung ist die Unterscheidung zwischen Wort- und Dingbedeutung: »Die Wortbedeutung erschöpft sich im Bezug auf das eine Ding. Das Ding aber hat eine Bedeutungs w e l t […]. Sie aktualisiert sich jeweils nur in einer durch den Kontext und die am Dinge herangezogene Eigenschaft bestimmten Richtung. […] Die Bedeutungswelt, die als Summe geistiger Sinnmöglichkeiten in dem Ding von der Schöpfung her angelegt ist, gilt es dem Mittelalter aufzuschließen, um sie im konkreten Textfall durch Findung der passenden Bedeutung anwenden zu können« (ebd., S. 9f.). von Romana Kaske mit Ansätzen aus der jüngeren Dingforschung verknüpft 231 und auch in kunsthistorischen Beiträgen als Impulsgeber für eine neuerliche Hinwendung zur materiellen Dimension mittelalterlicher Kunstwerke rezipiert 232 -, zum anderen die von Joachim Bumke und seinen Schülerinnen und Schülern vorgelegten Studien zur höfischen Kultur bereit. Während Bumke etwa mit seiner Monographie zur ›Höfischen Kultur‹ darauf abzielt, die kulturellen Praktiken der höfischen Festgesellschaft und die Entstehensbedinungen literarischer Zeugnisse des Hochmittelalters als Hintergrund für die Analyse literarischer Texte produktiv zu machen und die komplex-wechselseitigen Bezüge zwischen historischer Realität und fiktionaler Konstruktion zu erhellen, 233 widmet sich Ohly in zahlreichen Beiträgen der Erforschung der im weiten Sinne allegorischen Zeichenhaftigkeit der Welt der Schöpfung und des von Menschen Geschaffenen und Geschehenen im Mittelalter, den Methoden und Formen der Allegorese, welche den geistigen Sinn, den sensus spiritualis, ihrer Gegenstände aufschließt. 234 Die beiden zunächst gegenläufig anmutenden methodischen Zugriffe auf Literatur und Kultur des Mittelalters, der Fokus auf die materielle Kultur einerseits und die »spirituellen Perspektiven der Bedeutungswelt und des Bedeutungsraumes« 235 andererseits, können als sich komplementierende Betrachtungsweisen aufgefasst werden, die den Dingen in ihrer Doppelnatur als physisch-sichtbare Gegenstände und als Träger unsichtbarer Bedeu‐ tungen durchaus entsprechen: Während Frageinteressen und Methoden Bumkes für die konkrete Stoff- und Dinglichkeit literarischer Gegenstände und ihrer Vorbilder in der historischen Sachkultur sensibilisieren, sie überhaupt erst vorstellbar zu machen, in ihre gesellschaftlichen und zeremoniellen Kontexte einzuordnen und somit den Sinn auch für die Sonderwege in ihrer literarisch-fiktionalen Funktionalisierung und Narrativierung 59 1.5 Das Ding in der mediävistischen Literaturwissenschaft 236 Eine methodische Skizze dieses Zugriffs ist bei Brüggen, in einer exemplarischen Studie zur literarisch imaginierten Kleidung, nachzulesen: »Ich kennzeichne die Kleidung zunächst als einen Bestandteil literarisch bezeugter Sachkultur, um dann in einem zweiten Schritt ihre gesellschaft‐ liche Relevanz, speziell im Rahmen des höfischen Empfangs- und Minnezeremoniells, und ihren Stellenwert im poetischen Entwurf einer adligen Festkultur zu betonen. Stets präsent bleibt die Frage nach den poetischen Imaginationsstrategien im Bereich der Kleiderdarstellung. Sie führt auf das methodisch schwierige Terrain des Zusammenhangs mit der historischen Lebenswelt und der spezifischen Differenz der Fiktion zur Realität« (Kleidung und adliges Selbstverständnis, S. 201). 237 »Das Zeichen ist Hinweis auf ein Ziel des Verstehens, das sich verborgen hält, weil die Zeichen noch stumm sind. Die Sprache stummer Zeichen zu hören und zu verstehen ist das Ziel des Umgangs mit Geschaffenem im Mittelalter, der Schöpfung Gottes wie der vom Geiste Gottes inspirierten Kunst. […] Das Erkennen und Verstehen als schöpferischer Nachvollzug des Schaffens liegt in der Entdeckung des Sinnbezugs zwischen significans und significatum, zwischen dem Bezeichnenden und dem Bezeichneten« (Ohly: Probleme der mittelalterlichen Bedeutungsforschung und das Taubenbild des Hugo de Folieto, S. 32). 238 Harms: Significant objects, S. 14. 239 Harms: Significant objects, S. 19. 240 Barthes: L’Effet de Réel, S. 87. Übersetzung: »kleine Gesten, flüchtige Haltungen, […] redundante Worte« (Der Wirklichkeitseffekt, S. 169). 241 Barthes: L’Effet de Réel, S. 88. Übersetzung: »alle Details zu funktionalisieren, starke Strukturen hervorzubringen und anscheinend keine Eintragung nur durch das ›Wirkliche‹ zu verbürgen« (Der Wirklichkeitseffekt, S. 170). Nach Barthes tritt Dingliches als solches erst dann zutage, wenn es, semiotisch besehen, eines Signifikats entbehre und stattdessen auf die Wirklichkeit als ein außerhalb des Textes situiertes Signifikat referiere. Von einem ›Dasein‹ der Dinge wäre dann zu sprechen, wenn sich diese weder in den horizontalen Handlungsverlauf noch in die vertikalen Strukturen einer Erzählung fügten und einer symbolischen Koordinate entbehrten. Selbst wenn laut Barthes zu erhellen helfen, 236 regen Ohlys Beiträge an, erzählte Dinge auf ihren Aussagegehalt hinsichtlich eines spezifisch mittelalterlichen Weltbezugs und insbesondere auch ihrer theologisch-philosophischen Implikationen, das Sichtbare auf seine Zeichenhaftigkeit, seine unsichtbaren Bedeutungsdimensionen, die Dinge auf ihre jeweilige Präcodiertheit hin zu befragen. 237 Im Rückgriff auf die Arbeiten Ohlys schlägt Wolfgang Harms eine tentative Öffnung des Realismusbegriffs vor, die den nachstehenden Überlegungen weitere anregende Impulse gibt. Harms sieht in der mittelalterlichen Literatur zunächst eine Vielzahl von systematisch zu unterscheidenden Typen materieller Dinge versammelt: in the medieval courtly romances not all the material things referred to are either magical or courtly or real. There also exist quotational references to more complex forms of a prestructured significant reality. 238 In der Realität wie in der Literatur sei ein »thinking in significances« 239 solchermaßen universell verbreitet, dass das jeweils in den Blick genommene Ding dem oder einem möglichen Sinn kaum zu entkommen scheint. Ein mittelalterlicher ›Realismus‹ operierte, dies ließe sich Harms’ Überlegungen hinzufügen, nicht mit ›Wirklichkeitseffekten‹ im Roland Barthes’schen Sinne, er würde nicht an einer Häufung von ›überflüssigen‹ Details, von sogenannten Eintragungen, zum Beispiel: »menus gestes, attitudes transitoires, […] paroles redondantes«, 240 sichtbar, da vormoderne Texte im Gegensatz etwa zur realistischen Prosa Flauberts laut Barthes dazu neigen, »à produire des structures fortes et à ne laisser, semble-t-il, aucune notation sous la seule caution du ›réel‹« 241 - Harms’ Rede vom 60 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung mit solchen Wirklichkeitseffekten auch in mittelalterlichen Erzähltexten durchaus zu rechnen ist, sei mit Friedrich festgehalten: »Die Dinglichkeit [im Sinne Barthes’] selbst spielt in den Gesta Romanorum, vermutlich im ganzen Mittelalter noch keine große Rolle, zu sehr sind sie durch rhetorische und poetische Muster geprägt. […] Obgleich die Dinge vor allem Zeichen für etwas anderes sind - Metaphern -, realisieren sie sich nicht nur in verschiedenen dinglichen Medien […], sie enthalten darüber hinaus in vielen Geschichten neben ihrer syntagmatischen Funktion auch komplexe paradigmatische Semantiken, die den spannungsvollen Gehalt der Erzählung noch einmal im Objekt verdichten« (Zur Verdinglichung der Werte in den Gesta Romanorum, S. 266). 242 Harms: Significant objects, S. 19. 243 Harms: Significant objects, S. 19. 244 Harms: Significant objects, S. 22. 245 Mühlherr: Helden und Schwerter, S. 259. 246 Mühlherr: Helden und Schwerter, S. 260. 247 Mühlherr: Helden und Schwerter, S. 261. ›Realismus‹ setzt vielmehr einen anderen Realismusbegriff, v. a. eine von symbolischen Bedeutungen durchdrungene ›Realität‹ voraus, und er legt großen Wert darauf, von einer zweifellos jederzeit gegebenen »predetermined significant reality« 242 nicht darauf zu schließen, dass literarisch funktionalisierte Dinge einsinnig-dogmatisch ausdeutbar seien. Stattdessen bedürfe es einer Semiotik, die offen sei für kontextabhängige und historisch variable Bedeutungssetzungen, die überdies der unauflöslichen »tension of the ›coexistence of allegorical and empirical perceptions‹« 243 Genüge tue und sich nicht der Auflösung selbiger verschreibe. Abschließend schlägt Harms einen ›der‹ mittelalterlichen Weltsicht angepassten Realismusbegriff vor: the interpretative employment of realia in older narrative literature amounts to a realism - whether one defines it aesthetically as the incorporation of reality or stylistically as a quantitative concentration on elements of external reality - which does not need to be defined as an opposition to the ›ideality‹ of certain narrative contents, and certainly not as a realistic withdrawal from the courtly, an approximation to bourgeois narrative forms. 244 (2.) Nun zu jüngeren mediävistischen Studien, die sich den Material Culture Studies zu‐ rechnen lassen, (2.1) zunächst zu solchen, die schwerpunktmäßig B e g r i f f u n d K o n z e p t d i n g li c h e r A g e n c y reflektieren. Anna Mühlherr widmet sich in diversen Aufsätzen dem handlungsfunktionalen Verhältnis zwischen heldenepischen Protagonisten und ihren Waffen, insbesondere ihren Schwertern. Die Dinge sieht sie hierbei im Spannungsfeld »zwi‐ schen dem ›verflixten Ding‹ und der dynamischen Einheit eines Mensch-Tier-Ding-Ge‐ füges« 245 . Ein Rüstungsgegenstand kann laut Mühlherr als »Mitagent, alter ego oder auch Gegenspieler des Helden« 246 fungieren. Zentral für Mühlherrs Zugriff auf die Dinge im Handlungsgeflecht ist ihr Agency-Begriff, dessen Definition hier wiedergegeben sei: Gemeint ist […] das Potential, im weitesten Sinne im Narrativ ›mitzumischen‹: sei es, dass Dinge zufällig in Handlungsbögen hineinwirken; sei es, dass sie ihrer Zweckbestimmung (oft durch ihr Nicht-mehr-Intaktsein) entgleiten; sei es, dass sie - insbesondere auch in ihrer symbolischen Aufgeladenheit - menschliche Akteure in ihrer Wahrnehmung, ihren Emotionen affizieren oder mit ihnen interagieren; auch kann es sein, dass Dinge in bestimmten Konstellationen an Macht oder Ausstrahlungskraft verlieren. 247 61 1.5 Das Ding in der mediävistischen Literaturwissenschaft 248 Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge, S. 15. 249 Vgl. Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge, S. 19-56. 250 Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge, S. 123. 251 Vgl. Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge, S. 84. 252 Vgl. Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge, S. 48. Für eine ausführliche Analyse der Passagen in Roman d’Eneas und Eneasroman vgl. ebd., S. 135-138. 253 Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge, S. 46. 254 Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge, S. 163. 255 Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge, S. 159. 256 Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge, S. 161. Eine umfassende Monographie zum Thema, die u. a. an Mühlherrs Überlegungen zur Agency anknüpft, hat Valentin Christ mit seiner Dissertation ›Bausteine zu einer Narrato‐ logie der Dinge‹ vorgelegt. Im Zentrum dieser Arbeit stehen komparatistische Lektüren von Eneasroman, Roman d’Eneas und Vergils Aeneis, die mit einer Zusammenstellung und Modi‐ fikation aktueller, insbesondere figurenorientierter Erzähltheorien und Handlungsmodelle vorbereitet werden. Im Anschluss an ein kurzes Kapitel zu den kulturwissenschaftlichen Dimensionen seines Themas, in welchem unter anderem vorgeschlagen wird, Dinge als nicht-menschliche Entitäten zu definieren, die weder über Subjekthaftigkeit und Intentionalität noch über mentale Zustände verfügen, wohl hingegen »als eigenständige Aktanten […] erscheinen und […] eine Form von agency besitzen können« 248 , nimmt Christ eine erzähltheoretische Verortung von Dingen vor. 249 Algirdas Greimas’ Aktantenmodell, das zwischen sechs abstrakten Handlungsrollen (Subjekt und Objekt, Adressant und Adressat, Adjuvant und Opponent) unterscheidet, eröffne, so Christ, die Möglichkeit, neben Figuren auch den Dingen eine Funktion für den Handlungsverlauf erzählender Texte zuzuweisen. Zum Beispiel fungiere in Vergils Aeneis Turnus’ im entscheidenden Moment des Zweikampfes mit Aenas zerbrechendes Schwert als »Kollaborateur Juppiters und damit [als] Turnus’ Opponent« 250 , während etwa der ramus aureus als Adjuvant den handelnden Figuren den Zugang zur Unterwelt ermögliche. 251 Zudem beschäftigt sich Christ mit dem ›motivationalen Eigenwert‹ von Dingen, die sowohl in kausalen als auch in finalen und ästhetischen Motivationsmustern eine Rolle spielten und im letztgenannten Fall auch über den jeweiligen Handlungskontext hinausweisende sinnstiftende Funktionen übernehmen könnten; eine ästhetisch motivierte Einbindung von Dingen liege zum Beispiel mit den descriptiones der Grabmäler Camillas und Pallas’ vor, durch deren Äquivalenz paradigma‐ tische Bezüge gestiftet würden, die dem Text eine Bedeutungsschicht unterlegten, welche sich nicht einfach am Erzählkontinuum ablesen lasse. 252 In diesem Kontext ebenso wie in der einleitenden Abgrenzung gegenüber der breit rezipierten Studie von Marion Oswald zur Poetik der Gabe in der frühhöfischen Epik betont Christ, dass es bedeutsam sei, zwischen den drei Kategorien histoire, discours und narration, »d.h. […] das Verhältnis zwischen (Autor-)Erzähler und Publikum« 253 , zu unterscheiden, da Dinge »innerhalb der er‐ zählten Welt unterschiedlich wirksam[] und für die narratio spezifisch funktionalisiert[]« 254 würden. Die auf diese theoretische Einführung folgenden Textlektüren zielen darauf ab nachzuweisen, dass eine auf die Dinge fokussierte Analyse eine »innovative Ergänzung zu herkömmlichen figurenzentrierten Ansätzen dar[stellt]« 255 . Die Auswahl von Dingen, »deren Rolle innerhalb von Handlungsverläufen weniger klar bestimmbar ist, die aber dennoch ›irgendwie mitspielen‹«, 256 verweist auf eine Unterscheidung zwischen solchen 62 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 257 Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge, S. 161. 258 Vgl. Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge, S. 14. 259 So, Malte Völk zufolge, eine der größten Gefahren beim Versuch, »dem Material in einem literari‐ schen Text auf die Spur zu kommen« (Ästhetik der Dingwelt, S. 82). 260 Bildhauer: Medieval Things, S. 5. und magischen Dingen, welchen Christ indes keine Aufmerksamkeit schenkt, da diese »gemäß eines strikt kausalistischen Funktionsschemas inszeniert« 257 würden. Christ präsupponiert im Übrigen, dass erzählte Gegenstände allein aufgrund ihrer Benanntheit, ihrer Denotation bereits als in der erzählten Welt real existierende Dinge aufzufassen seien. Die von ihm in Anschlag gebrachte ›Realitätsmaxime‹ lautet: Das Ding im hier verhandelten Kontext ist kein Erkenntnisproblem im philosophischen Sinne. Ich gehe davon aus, dass es innerhalb fiktionaler Erzählungen eine erzählte Welt gibt, in der erzählte Gegenstände ›real‹ sind. Auch für Dinge, die der Figurenebene enthoben sind und lediglich vom Erzähler […] eingeflochten sind, gilt die Realitätsmaxime in Form des Minimalitätskriteriums der Benanntheit: Real heißt, dass es die Dinge ›gibt‹, dass sie also denotiert sind. 258 Neben diese Eigenschaft dinglicher Denotation trete die weichere Kategorie historisch-kul‐ turell variabler Konnotation. Eine ›essentialistische‹, die »materielle Substanz als unhinter‐ gehbare ontologische Wesenheit dem kontingenten Bereich der zeichenhaften Darstellung gegenüberstell[ende]« 259 Vorannahme wie die Christ’sche ›Realitätsmaxime‹ soll im Fol‐ genden versuchsweise gemieden werden, um mit Rückgriff auf in literaturtheoretischen und philosophischen Debatten vertretene Standpunkte, wie sie in Kap. 1.1 dieser Arbeit entwickelt wurden, gegenständliche ›Facta‹ in fiktionalen Welten genauer verorten zu können. Dies scheint gerade angesichts eines Autors geboten, der die ›Realität‹ erzählter Artefakte wiederholt zum Gegenstand der Reflexion macht und komplexe literarische Strategien der Relationierung von Wirklichkeit und Sprachwirklichkeit, von Fictum und Factum, von ›realem‹ und literarischem Gegenstand entwickelt. Bevor nun den sich schon andeutenden struktur- und sinnstiftenden Funktionen litera‐ rischer Objekte weiter nachgegangen werden soll, sei mit Bettina Bildhauers umfassender Studie u. a. zu den mittelhochdeutschen ›poetics of shine‹, aber auch zu den Grenzfällen materiell-immaterieller Gegenstände und diversen literarischen Modulationen komplexer Figur-Ding-Verhältnisse noch ein letzter, das Voraufgehende um wesentliche Aspekte erweiternder Zugriff auf die literarische Imagination dinglicher Agency angesprochen. Bildhauer greift auf Methoden des ›New Materialism‹ zurück, bezieht aber auch Anre‐ gungen etwa aus posthumanistisch-feministisch perspektivierten Studien und Ecocriticism, die sie in ›pragmacentric readings‹ von insgesamt zehn mittelhochdeutschen Narrativen vom Frühbis zum Spätmittelalter zur Anwendung bringt, in Lektüren also, die auf die Dinge (gr. πράγματα) zentriert sind, »seeing their plots as shaped by things as much as by human characters.« 260 Neben methodischen Hinweisen auf ein ›close reading‹ gegen den Strich konventioneller Zuschreibungen etwa von Intentionalität und Handlungsmacht regt Bildhauer an, auch den Motivationsbegriff zu differenzieren, denn narratives offer an extremely sophisticated way of discerning a multitude of contributing factors without ever arriving at a deterministic cause-effect relationship. Narrative is often assumed to 63 1.5 Das Ding in der mediävistischen Literaturwissenschaft 261 Bildhauer: Medieval Things, S. 195. Aus der angesprochenen Debatte sei ein Beitrag genannt, der auch auf andere Texte als Konrads Trojanerkrieg übertragbare Hinweise zur Komposition und zur Korrelation von Ursache und Wirkung gibt: Monecke: Studien zur epischen Technik Konrads von Würzburg, S. 71-83. 262 Vgl. Bennett: Vibrant Matter, S. 31-34. 263 Bennett: Vibrant Matter, S. 32. 264 Bennett: Vibrant Matter, S. 32. 265 Bennett: Vibrant Matter, S. 32. 266 Bennett: Vibrant Matter, S. 33. 267 Allerdings sind auch diese Methoden nicht frei von den ihrerseits gegeißelten Dichotomiesetzungen, man denke nur an Latours Basisunterscheidung zwischen Programm und Gegenprogramm. Zu dessen unorthodoxer Anverwandlung strukturalistischer Theoriedesigns vgl. bereits Anm. 167 dieser Arbeit. 268 Bildhauer: Medieval Things, S. 197. imply causal thinking in its temporal sequencing, following the logic of post hoc ergo propter hoc (»after this, therefore because of this«). In an intense debate over the past two decades or so […], this has been thoroughly debunked for medieval German narratives, which are now widely accepted to thwart modern expectations of causality. 261 Konkret schlägt Bildhauer vor, die von Jane Bennett in die Diskussion eingebrachte Definition von Agency als einer Assemblage für die Textanalyse produktiv zu machen: Bennetts Theorie der ›distributive agency‹ insinuiert die Vorstellung eines ›agentic swarm‹, in welchem Effekte nicht auf menschliche Intentionen zurückzuführen seien, sondern auf komplexe Prozesse, an denen das ›moralische Subjekt‹ als eine von vielen Entitäten beteiligt sei. Konkret werde Agency in mindestens drei Formen greibar: ›efficacy‹, ›trajectory‹ und ›causality‹. 262 Während ›efficacy‹ die kreative Potenz bezeichne, etwas Neues erscheinen zu lassen, »to make a difference that calls for response«, 263 deute ›trajectory‹ auf »a direc‐ tionality or movement away from somewhere« 264 , und zwar zuvorderst auf ein zeitliches ›somewhere‹, ein Versprechen, eine »fullness that is elsewhere, to a future that, apparently, is on its way« 265 . Unter ›causality‹ will Bennett zuletzt nicht den Zusammenhang zwischen äußeren Anlässen und von diesen abhängigen Effekten (›efficient causality‹), sondern eine Bewegung der Emergenz verstanden wissen (›emergent causality‹): Instead of an effect obedient to a determinant, one finds circuits in which effect and cause alternate position and redound on each other. If efficient causality seeks to rank the actants involved, treating some as external causes and others as dependent effects, emergent causality places the focus on the process as itself an actant, as itself in possession of degrees of agentic capacity. 266 Im Gegensatz etwa zu Greimas’ Aktantenmodell, das auf die denkbar radikalste Abstrak‐ tion und Formalisierung narrativer Strukturen zielt und sämtliche Handlungsstrukturen letztlich auf die grammatische Subjekt-Objekt-Dichotomie zurückführt, suchen Theorien wie diejenigen Bennetts und Latours gerade nach Begriffen und Modellen, die zuallererst der Beschreibung, der exakten Nachzeichnung von Agency jenseits einfacher Dualismen dienen: 267 »The aim must be to find more nuanced ways of describing the kinds of agencies that things can exert«. 268 Mit Blick auf die Wirklichkeit außerhalb des Experimentierlabors ergeben sich zwar Aporien, die es letztlich unmöglich machen, Agency nur beschreibend, nicht abstrahierend und damit interpretierend zu erfassen, Aporien indes, die hier nicht 64 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 269 Vgl. Sahm: Gold im Nibelungenlied; vgl. überdies dies.: Gold und Gebärde. 270 Hierauf liegt der Fokus in einem weiteren Aufsatz von Sahm: Gabe und Gegengabe, Raub und Vergeltung. 271 Sahm: Gold im Nibelungenlied, S. 144. 272 Sahm: Gold im Nibelungenlied, S. 135f. 273 Oehri: Dinge, die die Welt bewegen, S. 25f. weiter irritieren müssen, denn, so stellt es Bildhauer wiederholt heraus: Literatur ist eben schon ein sprachliches Modell der Wirklichkeit, literarische Agency bereits eine vorgängige Zuschreibung, die durchaus in Dichotomien aufgehen kann, aber oftmals auch komplexere Formen etwa ›emergenter Kausalitäten‹ zur Anschauung bringt oder die Verbindungslinien zwischen Ursachen und Wirkungen verschleiert, z. B. durch die Exposition von Kontingenz, die sich eben paradigmatisch, wie Mühlherr herausstellt, im ›Mithandeln der Dinge‹ offenbart - dieses nachzuzeichnen soll Ziel auch der folgenden ›pragmacentric readings‹ von Wolframs Parzival sein. (2.2) Mit Blick auf ihre n a r r a t i v e n F u n k t i o n e n wurden literarisch imaginierte Objekte bislang v. a. als struktur- und kohärenzstiftende Elemente untersucht. So weist Heike Sahm in einem Beitrag zum Goldmotiv im Nibelungenlied  269 nach, dass goldene Dinge hier, auch in ihrer Einbettung in reziproke Gaben- und Raubstrukturen, 270 einerseits als Indikatoren archaisch-heroischer Sagenschichten des Nibelungenstoffs fungieren, anderer‐ seits als den Text auf diversen Ebenen, »in der Personendarstellung, im Regelsystem, im Erzählverfahren und im Stoff«, 271 strukturierende und seiner Kohärenz wesentlich zuspie‐ lende Motive. Überdies deutet Sahm auf die Signifikanz des polysemen Zeichencharakters von Dingen, deren Signifikate sich als im Erzählverlauf transformierbar erweisen - das prominent besprochene Dingensemble aus Ring und Gürtel Brünhilds würde beispielsweise nach seiner Aneignung durch Siegfried zum gleichermaßen metaphorisch-betrügerischen wie zum Herrschaftszeichen. 272 Wie Sahm betont auch Martina Oehri in ihrer Studie zu den Dingen im frühneuzeitlichen, paradigmatisch organisierten Prosaroman (Thürings von Ringoltingen Melusine, Fortu‐ natus, Veit Warbecks Die schöne Magelona und Georg Wickrams Gabriotto und Reinhart) die struktur- und kohärenzstiftenden Funktionen literarischer Gegenstände: Objekte werden durch metonymische Verweise, wiederholte Verhandlung der Objekte oder Wie‐ derholung der Muster ihrer Übergaben, ihrer Gewinnung oder ihres Verlustes, im syntagmatischen Handlungsverlauf paradigmatisch aufgeladen. Alle diese Momente und Bedeutungen verdichten sich in den Objekten und werden mit ihnen transportiert, aufgerufen und verhandelt. Damit ge‐ winnen Objekte eine Bedeutsamkeit, die über ihre reine Präsenz in der Handlungswelt hinausweist - sowohl für Protagonisten wie auch für den Rezipienten. […] Objekte können […] nicht nur Erzählzusammenhänge gliedern, sondern sie markieren Wendepunkte und stellen Verknüpfungen zwischen Episoden her, denen man oft vorwirft, unverbunden nebeneinanderzustehen. 273 Wie die Wiederholung von Dingmotiven Struktur und damit Sinn stiftet, sind auch den materiellen und bedeutungsmäßigen Transformationen erzählter Objekte wesentliche Hinweise auf die poetische Verfasstheit und den Sinn des jeweiligen Textes zu entnehmen - dies hat zuletzt Pia Selmayr in einer den Artusromanen Lanzelet und Wigalois gewidmeten Studie nachgewiesen. Dieser liegt die Prämisse zugrunde, dass Gegenstand, Raum und 65 1.5 Das Ding in der mediävistischen Literaturwissenschaft 274 Selmayr: Der Lauf der Dinge, S. 16. In den Ausführungen zu Selmayrs Monographie greife ich zurück auf: Winkelsträter: Rez. zu Selmayr: Der Lauf der Dinge. 275 Pomian: Der Ursprung des Museums, S. 49f. 276 Pomian: Der Ursprung des Museums, S. 54. 277 Pomian: Der Ursprung des Museums, S. 54. 278 Pomian: Der Ursprung des Museums, S. 39. Figur als konstitutive Elemente mittelalterlicher Erzählwelten nicht isoliert, sondern in ihrem Zusammenspiel und ihren vielfältigen Interrelationen zu betrachten seien. Selmayr interessiert sich vornehmlich für Gegenstände, die Räume verknüpfen oder konstituieren, sowie für die Interdependenzen zwischen den Figuren und ihren Dingen. Besonderes Augenmerk legt die Autorin auf die Dinge, die in der »Trias Raum - Gegenstand - Figur« 274 als Schaltstelle firmieren. Als zentrale theoretische Innovation dieser Arbeit ist die Einführung des von dem Museumswissenschaftler Krzysztof Pomian eingeführten ›Semiophoren‹-Konzepts in die literaturwissenschaftliche Analyse zu benennen. Mit diesem werden die Akte der Bedeu‐ tungszuschreibung und -transformation ebenso wie der materiell-sichtbare Zeichenträger in Bezug zu seiner immateriell-unsichtbaren Bedeutung in den Fokus gerückt. Zum besseren Verständnis sei hier Pomians Definition des Terminus, der auch im Rahmen dieser Arbeit aufgegriffen werden soll, wiedergegeben: [D]as Sichtbare spaltet sich auf: Auf der einen Seite befinden sich die Dinge, nützliche Gegenstände, das heißt solche, die konsumiert werden können oder die dazu dienen, sich Subsistenzmittel zu verschaffen oder auch Rohstoffe umzuwandeln, so daß sie konsumiert werden können, oder schließlich dazu, gegen die Veränderungen der natürlichen Umgebung zu schützen. Mit all diesen Gegenständen hantiert man, durch sie alle werden physische, sichtbare Veränderungen vorgenommen oder sie erleiden sie auch: sie nutzen sich ab. Auf der anderen Seite befinden sich die Semiophoren, Gegenstände ohne Nützlichkeit im eben präzisierten Sinn, sondern Gegenstände, die das Unsichtbare repräsentieren, das heißt die mit einer Bedeutung versehen sind. 275 Zentral für Pomians Typologie ist somit die Gegenüberstellung von Dingen und Semiophoren. Einmal letzterem Pol zugewiesen, könnten museale Exponate Auskunft darüber geben, »wie die entsprechende Gesellschaft […] die Grenze zwischen Unsichtbarem und Sichtbarem zieht.« 276 Semiophoren würden zu Informanten über die kulturhistorisch variierenden Codierungen des Gegenständlichen, da nicht der persönliche Geschmack eines individuellen Sammlers über die Zusammensetzung seiner Sammlung entscheide, sondern so hintergründig wie unterschwellig wirksame Verschiebungen dessen, »was in dieser Gesellschaft als bedeutsam gilt«. 277 Als Sammlung gelten Pomian, und dieser offene Sammlungsbegriff scheint aus literaturwissenschaftlicher Perspektive besonders anregend, auch Dinge-Arrangements wie Grabbeigaben, mithin also nicht nur das unmittelbar und situativ, etwa in einer musealen Ausstellung Betrachtete, sondern auch das, was - z.B. in einem Tempel - partiell der Sichtbarkeit entzogen ist: Denn von unserem Gesichtspunkt aus ist es nicht so wichtig, ob Götter und Tote als […] Adressaten [der Grabbeigaben und Opfergaben; S.W.] gelten, sondern entscheidend ist, daß wir virtuelle Betrachter zulassen, die in einem zeitlichen oder räumlichen Anderswo situiert sind. 278 66 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 279 Überlegungen zur historischen Codiertheit des Raum-Ding-Verhältnisses sind einer Studie von Beck zu entnehmen, der die geistesgeschichtliche Entwicklung vom antiken Raum als etwas objektiv »Dinghaft-Seiendes« zum modernen, subjektzentrierten Raumverständnis nachzeichnet. Abstrakt hält Beck hierzu fest: »Raum soll als das Medium begriffen werden, in dem sich Subjekt und Objekt treffen, dem sie beide unterworfen sind und wo sie sich gegenseitig in ihrem unterschiedlichen Sein verflechten: als strukturierendes Erkenntnisvermögen und als Weise sinnlich da zu sein. Raum ist nicht nur das Nebeneinander der Dinge, sondern die Ordnung dieses Nebeneinander - er ist immer Konstruktion« (Raum und Bewegung, S. 11f.). 280 Selmayr: Der Lauf der Dinge, S. 223. 281 Mühlherr: Zwischen Augenfälligkeit und hermeneutischem Apell, S. 26. In Selmayrs textanalytischen Kapiteln zu Ulrichs Lanzelet und zu Wirnts Wigalois stehen der ›Einfluss‹ der Dinge auf den Raum sowie derjenige des Raumes auf die Dinge im Fokus, 279 zudem werden ›Transformationswege‹, sprich: Verschiebungen der Bedeutung von Dingen durch oder bei Raumwechseln, nachgezeichnet. Die Dichotomie von vom Raum beeinflussten Gegenständen und solchen, die auf den Raum Einfluss nehmen, ist Grundlage für eine Neukonturierung der Struktur des Romans. Im Lanzelet spielten Semiophoren bei der Konstitution von Anderwelten eine grundsätzlich andere Rolle als im Wigalois: Die Anderwelten in Ulrichs Text nämlich würden durch jeweils ein unbewegliches und magisch wirksames Raumelement wie Steine als Baumaterial (die Burg der merfeine), Obst (Behforet) oder swibôgen (Schadil li Mort) als solche gekennzeichnet. Semiophoren wie Minnezelt, Netz oder Mantel seien Gaben, die diese Anderwelten miteinander verknüpfen und selbst als raumerzeugende Gegenstände fungieren - und nicht etwa, wie im Wigalois, der Grenztransgression und Raumerschließung dienen. Im letzten ausführlichen Kapitel ihrer Arbeit zeigt Selmayr, vermittels welcher ›Transformationswege‹ Semiophoren als kohärenzstiftende Elemente der Paradigmatisierung eines oftmals als strukturlos bezeich‐ neten Textes zuspielen. Es ergibt sich eine Differenzierung zwischen bedeutungsstabilen und durch Raumwechsel in ihrer Bedeutung transformierten Gegenständen wie etwa Lanzelets Schwert, welches sich von seiner Funktion als Waffe zum Herrschaftssymbol und Erinnerungssemiophor wandle. Selmayrs Zugriff auf zwei Artusromane über die Semiophoren und semiophorähnliche Gegenstände erweist sich insbesondere als für die vergleichende Strukturanalyse produktiv. Mit der Einführung des Semiophorbegriffs wird das Nebeneinander von sichtbarer Materialität und unsichtbarer Bedeutung akzentuiert, werden überdies »Raumrequisiten und bedeutungstragende[] Gegenstände[]« 280 trenn‐ scharf unterscheidbar. Neben diese Perspektiven auf die poetischen Funktionen der Dinge treten solche, die auch den ›Sitz im Leben‹ mittelalterlicher Literatur ins Kalkül ziehen und z. B. den didak‐ tischen Funktionen erzählter Objekte nachgehen: Im Straßburger Alexander beispielsweise verdichteten sich, so Mühlherr, Dinge und Dingensembles wie Krone, Alexander-Porträt, Pfefferkörner oder Paradiesstein bisweilen zu ›Merkbildern‹, welche didaktische Lehren »befördern und ›sichern‹ helfen können« 281 . Vergleichbares beobachtet Cora Dietl, die neben der didaktischen Funktion der Dinge auch deren Stellenwert im spätmittelalterlichen Wiedererzählen Albrechts von Scharfenberg beleuchtet: Etwa im Jüngeren Titurel binde der Erzähler 67 1.5 Das Ding in der mediävistischen Literaturwissenschaft 282 Dietl: Arthurische ›Dinge‹ wiedererzählt, S. 168. 283 »Er [Albrecht von Scharfenberg] entwirft dazu nur wenige Dinge neu, oft verwendet er ›tote‹ Objekte Wolframs und macht sie zu ›Subjekten‹« (Dietl: Arthurische ›Dinge‹ wiedererzählt, S. 168). 284 Vgl. Gerhardt: Die Karitas webt die Einheit der Kirche. 285 Friedrich: Zur Verdinglichung der Werte in den Gesta Romanorum, S. 266. 286 Geulen: Worthörig wider Willen, S. 41. 287 Drux: [Art.] ›Motiv‹, S. 638. Zu diesem Verständnis vgl. auch das Vorwort zu Frenzel: Motive der Weltliteratur. 288 »Die Frage, was ein Motiv sei, findet u. a. aus dem Grunde keine zufriedenstellende Antwort, daß ein Motiv nicht ist, sondern qua Wiederholung wird« (Geulen: Worthörig wider Willen, S. 40) - mit Blick auf die Dinge gilt analog: »Now, in dynamic poetry, things are not what they are, but what they are becoming« (Bachelard: Water and Dreams, S. 47). Lehren an ausfühlich beschriebene Dinge […], deren Wirkung er sowohl mit ihrer Materialität als auch mit der auf ihnen fixierten oder mit ihnen verbundenen verbalen Lehre und deren Artikulation verbindet, und indem er den Dingen eine Geschichte und eine Wirkmacht auf der Handlungsebene gibt. 282 So würden im Zuge der dilatatio materiae vom Parzival-Erzähler vorenthaltene Informa‐ tionen und narrative Leerstellen aufgefüllt und bisweilen ›tote‹ respektive randständige Objekte zu handelnden Subjekten transformiert. 283 Ähnliche Retextualisierungsstrategien sind auch, darauf weist Christoph Gerhardt in anderem Kontext hin, in der legendarischen Dichtung und der Bibelepik des europäischen Mittelalters nachzuweisen, in welcher insbesondere die in der Passionsgeschichte erwähnten und nicht weiter narrativierten Dinge an Bedeutung gewinnen: 284 So werden beispielsweise die dreißig Silberlinge, die drei Kreuzesnägel, das Kreuzesholz selbst oder auch die Tunika Christi zu Gegenständen, bis‐ weilen auch zu ›Protagonisten‹ von apokryph-objektbiographischen Retextualisierungen, die nicht durch eine in der Bibel vorgebildete historia gedeckt sind. Im Gewebe literarischer Texte erschöpft sich die Bedeutung der Dinge also nicht in ihrer Funktion als Aktanten, sie enthalten darüber hinaus in vielen Geschichten neben ihrer syntagmatischen Funktion auch komplexe paradigmatische Semantiken, die den spannungsvollen Gehalt der Erzählung noch einmal im Objekt verdichten. 285 Sie wurden mithin als Motive, und das Ding gibt »in seiner unbestimmten Bestimmtheit gleichsam das Motiv der Motive ab[]« 286 , in die Wiederholungs- und Variationsstruktur mit‐ telhochdeutscher Narrative eingebettet, als »[k]leinste selbstständige Inhalts-Einheit[en] oder tradierbare[] intertextuelle[] Element[e] eines literarischen Werks« 287 - und wie literarische Dinge ›sind‹ Motive nicht, sondern ›werden‹ erst qua Wiederholung: 288 eine Perspektive, die gerade für die Analyse von Wolframs Roman, dessen komplex-paradig‐ matische Struktur schon vielfach herausgestrichen wurde, produktiv anmutet. Die bis hierhin zusammengestellten Zugriffe auf narrativierte Objekte als struktur- und kohärenzstiftende narrative Elemente einerseits und als Akteure andererseits fordern nicht nur diametrale Methoden der Strukturanalyse und der phänomenologischen Betrachtung, sie verweisen auch auf die sich besonders mediävistischen Material Culture Studies stellende Herausforderung, formalistische Beobachtungen zur Poetik einer Erzählung ebenso wie die spirituell-typologischen Sinnschichten mittelalterlicher Dingkulturen nicht die potentielle 68 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 289 Vgl. Egidi: Blick und Objekt. 290 Egidi: Blick und Objekt, S. 128. Dass Glanzeffekte nicht nur die Wahrnehmung erzählter Figuren zu bannen und diese zu affizieren, sondern überdies eine basale Form dinglicher Agency zum Ausdruck zu bringen vermögen, zeigt Bildhauer: »Medieval texts depict things as acting in various non-humanlike ways, for example, through shining and thereby attracting human attention; through instigating or preventing human attempts to acquire or carry them; or through superhuman powers such as curing disease or making invisible« (Medieval Things, S. 4). 291 Vgl. Schanze: Jorams Gürtel; ders.: Der göttliche Harnisch und sein Gehalt; ders.: Dinge erzählen im Mittelalter. 292 Schanze: Dinge erzählen im Mittelalter, S. 159. Für eine geraffte Darstellung dieses Kategorisierungs‐ versuches vgl. Schanze: Jorams Gürtel, S. 538-541. Widerständigkeit, die ›Partikularität‹ erzählter Objekte überdecken zu lassen. Mit dieser Zielsetzung soll in dieser Arbeit auch danach gefragt werden, wie im literarischen Text Materialität zuallererst vorstellbar gemacht wird, welcher literarischer Strategien sich Wolfram bedient, Dinge ›quasi‹ als solche erscheinen zu lassen, oder, in gegenläufiger Tendenz, gerade ihre literarische Gemachtheit, ihre Zeichenhaftigkeit zu exponieren. Hierbei kann auch auf Anregungen aus der mediävistischen Sichtbarkeitsdebatte zu‐ rückgegriffen werden: Margreth Egidi hat beispielsweise eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Formen der Blickinszenierung vorgeschlagen, in denen jeweils unterschied‐ liche Strategien der Konstitution von Objekten und der Relationierung von Subjekt und Objekt, aber auch: von Wirklichkeit und Sprachwirklichkeit, zur Anschauung kommen: 289 So sei die Symmetrie des Subjekt-Objekt-Verhältnisses beim Blick einer Figur auf ein ästhetisches Objekt von einer dynamisch-asymmetrischen Relation beim begehrenden Blick etwa auf ein kostbares Ding-Objekt zu unterscheiden, eine Aufweichung der Grenzen zwischen Subjekt und Objekt sei beispielsweise im imaginativen Blick, wie er in Wolframs Blutstropfenszene zu besichtigen sei, indiziert, eine Inversion bei der Inszenierung einer ›Erscheinung‹ wie der Ritter um Karnahkarnanz in Soltane - allen Formen der Blickinsze‐ nierung sei gemein, dass sie die performative Dimension des Blicks [inszenieren], der nicht nur vorgängige Realitäten erfasst, sondern in dem sich die Objektkonstitution vollzieht, [sie] inszenieren damit den Blick als basale Möglichkeit der Wirklichkeitskonstruktion. 290 (2.3) Es sei abschließend noch auf einen Forschungsschwerpunkt verwiesen, der auf eine k u l t u r h i s t o r i s c h e V e r o r t u n g m i t t e l a l t e r li c h e r D i n g e - N a r r a t i v e zielt: In diversen Aufsätzen hat sich zuletzt Christoph Schanze mit dem Erzählen von Dingen in der mittelhochdeutschen Dichtung auseinandergesetzt. 291 Als für germanistische Material Culture Studies in besonderem Maße wertvoll erweisen sich die methodisch-theoretischen Überlegungen in seinem Aufsatz ›Zur narratologischen Analyse von Objekten in der höfischen Epik‹. Im Rückgriff auf die Vorarbeiten Hartmut Böhmes und Karl-Heinz Kohls, die Akteur-Netzwerk-Theorie Latour’scher Prägung und neugermanistische Un‐ tersuchungen zum Thema erarbeitet Schanze ein umfangreiches Klassifizierungsraster und schlägt zunächst eine Basisunterscheidung zwischen ›normalen‹ Dingen, auch als ›Requisiten‹, d. i. ›notwendigen Objekten‹ angesprochen, und »besonderen Dingen, die einen Eigensinn tragen und in gewissen Grenzen auch ein Eigenleben führen können« 292 , vor. Der Begriff ›Eigenleben‹ ist hierbei kein Anthropomorphismus, sondern ein Hinweis 69 1.5 Das Ding in der mediävistischen Literaturwissenschaft 293 Schanze: Dinge erzählen im Mittelalter, S. 159. 294 Schanze: Dinge erzählen im Mittelalter, S. 162. Vergleichbar gegen die Unterstellung animistischer Identifikationsmodi argumentiert Bildhauer: »I counter most extensively the notion of the Middle Ages as a simply animist period. Many narratives reject any suggestions of supernatural or pseudo-human fetishistic agency, and instead explore thoroughly thingly forms of agency. In this way, I challenge both the narrative of medieval alterity as well as that of the medieval origins of the present« (Medieval Things, S. 13). 295 Schanze: Dinge erzählen im Mittelalter, S. 160. 296 Vgl. Schanze: Dinge erzählen im Mittelalter, S. 161. 297 Schanze: Dinge erzählen im Mittelalter, S. 171f. 298 Beide Zitate: Schanze: Dinge erzählen im Mittelalter, S. 172. auf die den Dingen eigene Potenz, einer Erzählung qua Präsemantisierung schwerlich zu kontrollierende, »von der Steuerungsfunktion des Erzählers« 293 bisweilen unabhängige und sich erst im Rezeptionsprozess entfaltende Sinndimensionen sowie nachgerade beiläufig entwickelte Ding-Biographien, »die in gewisser Weise quer zur eigentlichen Narration stehen«, 294 zu unterlegen. Mit dem Ziel, eine Art ›Steckbrief‹ für literarische Dinge - den Lévi-Strauss’schen ›actes‹ nicht unähnlich - zu erstellen, unterscheidet Schanze daraufhin zwischen der Wirkweise und der Funktion eines Dings im Text: Auf der ersten Ebene lasse sich differenzieren zwischen (1) übernatürlich-›magisch‹ wirksame[n] Dinge[n], (2) Dinge[n], deren Wirken auf ein ›Wunder‹ im christlichen Sinn zurückzuführen ist, und (3) Dinge[n], deren Wirkweise weder im Horizont der erzählten Welt noch in dem des Rezipienten als außergewöhnlich und ›unrealistisch‹ erscheint. 295 Auf der zweiten Ebene, derjenigen der Funktion von Dingen im Text, unterscheidet Schanze zwischen einer Handlungs-, einer symbolischen und einer poetologischen Funktion. 296 Während sich im Bezug auf die Handlungsfunktion von Dingen zwischen Figurenhandeln ermöglichenden Requisiten und eigenständig handelnden Gegenständen differenzieren lasse, eröffneten symbolische und poetologische Funktionen zusätzliche Sinnpotentiale eines Dings. Neben diese nicht zuletzt terminologisch anschlussfähigen, das Voraufgehende systematisierenden Ausführungen treten die angesprochenen literatur- und kulturhis‐ torischen Überlegungen zum Stellenwert von Dingen im vormodern-mittelalterlichen Erzählen: Dieses eigne sich ganz allgemein als Untersuchungsgegenstand aufgrund der »relativ große[n] Distanz zwischen Beobachterposition und Beobachtetem, die auf die relative Alterität des mittelalterlichen Erzählens zurückzuführen ist.« 297 Allen Diskontinui‐ täten zwischen mittelalterlichem und postmodernem Erzählen zum Trotz könne an der »Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Subjekt-Objekt-Verhältnis« doch abgelesen werden, dass schon im Mittelalter das Konzept einer ›symmetrischen Anthropologie‹ im Sinne Latours mit entworfen [worden ist]. In dieser Hinsicht wäre die Vormoderne dann niemals unmodern gewesen. 298 Diese Feststellungen gehen mit der den ›grand récit‹ der Alterität, des Grabens zwischen Moderne und Vormoderne wieder aufgreifenden Setzung einher, dass mittelalterliche Erzählwelten allgemein 70 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 299 Schanze: Dinge erzählen im Mittelalter, S. 158. 300 Lobsien: Bildlichkeit, Imagination, Wissen, S. 93. 301 Heinzle: Wolfram von Eschenbach, S. 101. auf einer magisch-mythischen Weltsicht beruhen, die objektivistisch ist, mit einer Transzendenz rechnet und dadurch ganz andere Rahmenbedingung setzt als eine transzendental-subjektivisti‐ sche, wie es die ›moderne‹ ist. 299 Im Folgenden soll nun Wolframs von Eschenbach Parzival mit dem in den vorangehenden Kapiteln entwickelten begrifflich-methodischen Instrumentarium begegnet werden, unter der Zielsetzung, einen Beitrag zur Annäherung an die historische Poetik der schillernden Dingwelt Wolframs auch als einer »Funktion eines bestimmten Kulturtypus« 300 , als Medium der Reflexion auf das in weiten Teilen als gestört gekennzeichnete Verhältnis zwischen Figuren und Dingen zu leisten. Hierbei geraten neben den in der Forschung bereits erprobten methodischen Zugriffen auf die handlungskonstituierenden, die struktur- und die kohärenzstiftenden Funktionen der Dinge, deren kulturhistorische Implikationen und allgemeiner auf die mannigfaltigen Kategorien und Erscheinungsformen literarischer Objekte etwa als Requisiten, Akteure, Semiophoren oder als ›besondere Dinge‹ mit ›Eigenleben‹ auch Fragen nach deren ontologischem Status und nach den Strategien der Visualiserung und Beschreibung von Objekten in den Blick. Daneben regen die hochkomplexen Handlungsstrukturen, in denen die Dinge wiederholt etwa als affordante Initiatoren von Handlung oder auch als Counterparts der Protagonisten involviert sind und sich nicht selten dem Zugriff der Figuren entziehen, dazu an, zentrale Szenen einer an der Latour’schen Methode der Handlungsbeschreibung geschulten Relektüre zu unter‐ ziehen und so die vielfältigen Transformationen von und Wechselbeziehungen zwischen Akteuren und Zwischengliedern, Subjekt- und Objektstatus zu erhellen und so die teils ›wolframkomischen‹, teils abgründigen Bewegungen der Hybridisierung und der Inversion nachvollziehbar zu machen. Darüber hinaus lässt schon die multiperspektivische Anlage des Parzival als Roman mit drei Protagonisten danach fragen, ob die Inszenierung von Dingen und insbesondere von Aneignungsprozessen im Zuge etwa agonaler Raub- und ökonomischer Tauschhandlungen unterschiedliche, für einzelne Bücher, Haupt- oder Nebenfiguren, Szenen oder Räume cha‐ rakteristische Formen und Strategien der Narrativierung von Dingen sichtbar werden lässt - in erster Linie sollen hierbei strukturalistische Zugriffsweisen auf die ›Blätterstruktur‹ des Textes und die Funktionen der Gegenstände für das paradigmatische Erzählen Wolframs erprobt werden. Hierbei können auch Prozesse der Symbolisierung und der korrelativen Sinnstiftung beobachtet werden, welche die zentralen Themen des Erzähltextes, etwa die Verknüpfung von Minne und Gewalt, insbesondere also Merkmale der »dunklen Seite des Rittertums […], deren Erkundung Wolfram in seinen Romanen unerbittlich betrieben hat« 301 , zu ikonischen Merkbildern und -dingen verdichten. Fragen nach dem Verhältnis zwischen Medialität und Materialität sowie nach dem ontologischen Status von Objekten lassen zuletzt nach den poetologischen Funktionen von Gegenständen fragen, die als Träger von Zeichen und Spuren oftmals das erzählte Geschehen auf dahinter liegende Handlungshintergründe hin durchsichtig machen und so die ›Totalität‹ eines offenen und dezidiert welthaltigen Narrativs indizieren, das um 1200 verfügbare Erzählstrategien der 71 1.5 Das Ding in der mediävistischen Literaturwissenschaft Darstellung und der Inszenierung von Dingen an ihre Grenzen treibt. Es wird hierbei zu zeigen sein, dass und wie Wolfram im Parzival mit der Narrativierung von Objekten Fragen nach der dinglich vermittelten und in der Aneignung von Dingen gesuchten Identität seiner Protagonisten, nach der Handlungsfreiheit des Subjekts und der Grenzziehung zwischen Kultur und Natur, Subjekt und Objekt thematisiert und hierbei die Möglichkeiten und Grenzen, mithin auch die Aporien des Handelns, Herrschens und Liebens, aber auch des Erzählens von Dingen auslotet. Im Anschluss an eine detaillierte Untersuchung der Gahmuretbücher sollen die hier angestellten Beobachtungen mit Schlaglichtern auf prominente und weniger prominente Gegenstände der folgenden Erzählteile abgeglichen werden, um so abschließend einen Vorschlag zur Konturierung einer ›Poetik der Dinge‹ in Wolframs Parzival unterbreiten zu können. Der Fokus liegt hierbei auf dem Dingensemble harnasch, einem Leitmotiv des Textes, dessen Variation die spannungsreichen Relationen zwischen Figuren und Dingen, zwischen Biographien und Objektbiographien, Subjekten und Objekten wiederholt diskursiv macht. Im Anschluss an die Untersuchung des Parzival-Prologs und der darin verhandelten Dinge und Medien soll auch den medialen Funktionen von Dingen im Spannungsfeld von Medialität und Materialität, Symbolgehalt und Dinghaftigkeit weiter nachgegangen werden. So wird schlussendlich zu zeigen sein, dass sich das Erzählen von Gahmuret, Parzival und Gawan nicht nur thematisch und strukturell unterscheidet, sondern dass die drei Erzählteile je unterschiedliche und, mit Blick auf die jeweiligen Protagonisten: hochgradig charakteristische Formen der Inszenierung und insbesondere der Aneignung von Dingen verhandeln: Während im Falle Gahmurets die Verstrickungen der Hauptfigur in ihren Gegenständen, die Verähnlichung und schrittweise Angleichung von Heldenidentität und Objektbiographie auf ihre verhängnisvollen Konsequenzen hin transparent gemacht werden, die Dinge mithin zu unberechenbaren Akteuren avancieren, deren Aneignung letztlich in den Tod des Protagonisten mündet, ist es Parzival aufgegeben, dieses erbe unter anderem der agonal-ritterlichen und letztlich defizienten Form des Erwerbs von Gegenständen zu überkommen, den Gral nicht auf kämpferische Art zu gewinnen, sondern durch göttliche Gnade zu ihm berufen zu werden. Gawan exemplifiziert schließlich eine dritte Form der Aneignung von Dingen, eine, die der kaufmännischen Logik des Tauschs, des spielerischen wechsels verpflichtet ist, und die im besonderen Maße auch auf Lösungen der in den Parzival- und den Gahmuret-Teilen nach vorne gespielten Aporien deutet, auf gewaltfrei-symmetrische Formen der Interaktion. 72 1 Theoretisch-methodische Grundlegung: Ontologie - Struktur - Medialität - Handlung 1 In Edith und Gerhard Binders Übersetzung: »Denn unversehens kommt vom Äther ein zuckender Blitz mit krachendem Donner: Alles scheint plötzlich zusammenzustürzen und über den Himmel zu schmettern tyrrhenischer Tubaklang. Sie schauen nach oben, wieder und wieder ertönt mächtiges Getöse. Waffen sehen sie zwischen Gewölk in einem heiteren Himmelsbezirk, die im klaren Licht rötlich schimmern und laut dröhnen, wenn sie einander berühren.« 2 Maczewski: Wolframs Erzähltechnik, S. 3. 3 »Wie das Wort dinc an diesen Stellen ein leerer Bedeutungsträger, ein Platzhalter auf sprachlicher Ebene ist, so ist der Gral ein materieller Platzhalter auf ontologischer Ebene« (Bildhauer: Gral, S. 92); s. Kap. 2.6 dieser Arbeit. - Zu diesem »schillernde[n] und schwer zu greifende[n] Wort Ding« vgl. Karg-Gasterstädt: Althochdeutsch Thing - neuhochdeutsch Ding, hier: S. 3. 4 Brüggen: Die Rüstung des Anderen, S. 144. Zum Parzival als ›Dingsammlung‹ und insbesondere zur Gahmuretgeschichte vgl. demnächst dies.: Gesammelte Dinge. 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival namque improuiso uibratus ab aethere fulgor cum sonitu uenit et ruere omnia uisa repente, Tyrrhenusque tubae mugire per aethera clangor. suspiciunt, iterum atque iterum fragor increpat ingens. arma inter nubem caeli in regione serena per sudum rutilare uident et pulsa tonare. Verg., Aen. VIII,524-529 1 Im Zentrum von Wolframs Parzival steht, ausweislich der Meinung zahlreicher Forsche‐ rinnen und Forscher, mit dem rätselhaften dinc, daz hiez der Grâl (Parz., 235,23), der »wichtigste[] Bedeutungsträger im gesamten Epos« 2 . Die mit diesem seltsam undinglichen, auratischen ›dinc‹ 3 assoziierten Gegenstände wie die blutende Lanze oder das Gralschwert reichern den Text ebenso wenig nur als Requisiten an wie die übrigen in das Narrativ des Parzival eingelassenen symbolträchtigen Dinge - sie unterlegen diesem vielmehr eine ›Poetik der Dinge‹, deren Untersuchung Einsichten in die Erzähltechnik Wolframs von Eschenbach und die narrative, die erzählstrukturelle sowie die sprachliche Faktur seines Hauptwerkes verspricht. Ausgehend von ihrer Untersuchung der Itherrüstung und deren Aneignung durch den Protagonisten identifiziert Elke Brüggen ein Desiderat der Forschung nicht nur zu Wolframs Gralroman: Parzival ist der Rote Ritter, derjenige, der die Rüstung des einstigen Roten Ritters übernommen hat, und doch wird er häufig nicht erkannt. Anders als im Willehalm, Wolframs zweitem großen epischen Werk, fungiert die Rüstung freilich nicht als zum Zwecke der Täuschung bewusst ge‐ handhabte Maskierung, mit welcher sich der Held in höchst gefährlichen Situationen schützen will, sondern als Medium von Verwechslungen mit bestürzend ironischen Valeurs. Die entsprechenden Szenen halten reichhaltiges Material für eine Reflexion über die spezifische Signifikanz von Dingen in der hochhöfischen Epik bereit, der eine Narratologie vormodernen Erzählens erst noch auf die Spur kommen muss. 4 5 Petrus W. Tax hält beispielsweise in einem Abgleich von Dingmotiven in Vor- und Hauptgeschichte fest, »[i]ch bedauere, daß ich aus Raumgründen hier Gawan habe aussparen müssen« (Gahmuret zwischen Äneas und Parzial, S. 36). Vgl. auch Cora Dietls Hinweis darauf, dass bislang, im Jahr 2016, »nur eine Magisterarbeit vor[liegt], die die Rolle von Dingen im Roman untersucht« (Arthurische ›Dinge‹ wiedererzählt, S. 170, Anm. 18); gemeint ist folgende Arbeit: Schartz: Bewegte Dinge, bewegende Dinge. 6 Tax: Gahmuret zwischen Äneas und Parzial, S. 33. Tax’ Studie ist von der Parzival-Philologie mehr als kritisch aufgenommen worden, sie bietet jedoch im Detail (neben zweifelsohne vagen typologischen Bezügen zwischen Vor- und Hauptgeschichte) auch zahlreiche Anregungen, denen an späterer Stelle nachgegangen werden soll (zur Diskussion von Tax’ Thesen vgl. Anm. 327 dieser Arbeit). 7 Baisch: Puppenspiele, S. 133. Dieser Impuls soll hier aufgegriffen und weiterverfolgt werden. Da die zahlreichen Studien zu einzelnen Gegenständen, etwa zu den Schwertern und Lanzen Parzivals, zur Itherrüs‐ tung, zum Gral oder auch zu Clinschors Wundersäule, in diesem Kontext kaum angemessen zu würdigen sind und überdies im Zuge der nachfolgenden Analysen noch besprochen werden sollen, beschränke ich mich auf Verweise auf diejenigen Arbeiten, denen ein grundlegenderes Räsonnement über die Strategien der Narrativierung von Dingen in Wolframs Gralroman zu entnehmen ist. Nachdem ausgewählte auratische Dinge des Romans schon früh und anhaltend die Aufmerksamkeit der altgermanistischen Forschung auf sich gezogen haben, bezeugt das Ausbleiben einer systematischen und narratologisch grundierten Untersuchung der im Parzival versammelten Gegenstände ein offensichtliches Forschungsdesiderat. 5 Dies kann als durchaus erstaunlich angesprochen werden, nicht nur eingedenk der zahlreichen von den Material Culture Studies angeregten germanistisch-mediävistischen Publikationen des letzten Jahrzehnts, sondern auch mit Blick auf eine schon in den 1970er Jahren von Petrus W. Tax geäußerte Mutmaßung: Den Liebhabern von Dichtung ist wohlbekannt, daß von alters her Teile der Ausrüstung eines Kriegers, Ritters, oder auch der Ausstattung einer berittenen Dame auf Dichter faszinierend gewirkt haben; ich brauche nur an Achilles’ Schild, Äneas’ Rüstung, Rolands Schwert, Enites Pferd und gereite zu erinnern. Es wäre geradezu erstaunlich, wenn der Ritter-Dichter Wolfram außerhalb der Tradition dieser Faszination stünde. 6 Spezifischer zur Ding-Poetik der wolframschen Erzähltexte hält Martin Baisch, freilich mit Blick in erster Linie auf den Titurel, fest: Mit aller Vorsicht könnte man vielleicht sagen, dass eine ästhetische Strategie in den untersuchten Texten Wolframs darin besteht, Gegenstände und Dinge zu verlebendigen und in der Vielfalt ihrer Bezüge und Bedeutungen zu intensivieren 7 - und, dies sei mit Christoph März hinzugefügt, Gegenstände wie Figuren einzubinden in ihre jeweiligen genealogischen Zusammenhänge und Besitzgeschichten, sie nur in den seltensten Fällen als bloße Requisiten oder als dem Willen und dem Handeln der Figuren sich fügende Instrumente zu funktionalisieren: 74 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 8 März: Anphlise und Wolfram, S. 25. 9 Vgl. Marshall: Körper - Ding - Schrift. 10 Vgl. Strohschneider: Sternenschrift. 11 Beide Zitate: Marshall: Körper - Ding - Schrift, S. 421. 12 Marshall: Körper - Ding - Schrift, S. 423. Von den Dingen so gut wie von den Menschen gilt, so sagt man doch, daß bei Wolfram eigentlich nichts und niemand auf der Strecke bleibt, daß er den Unterschied zwischen Handelnden und Statisten so wenig kennen will […]. 8 Aus der jüngsten mediävistischen Forschung zu den Dingen sei ein Beitrag herausgehoben, der für das Folgende in besonderem Maße attraktive Anknüpfungspunkte bereithält: Die Rede ist von Sophie Marshalls Untersuchung zu den Kategorien Körper, Ding und Schrift in Wolframs Parzival und Titurel. 9 Marshall legt ihrer Studie im Anschluss an Strohschneiders Überlegungen zur Medialität der Schrift bei Wolfram 10 die These zugrunde, in dessen Erzähltexten werde keine »statische[] Distinktion« zwischen Figur, Ding und Schrift greifbar, sondern [d]urch wechselseitige Assimilationen erscheinen diese drei Kategorien metamorph. Gerade dadurch wird aber die Beschaffenheit der Kategorie der Dinge erst profiliert, nämlich […] ihre Unverfügbarkeit, welche katalysierend auf die anderen Kategorien einwirkt. 11 Neben dieser grundlegend-kategorialen Neuperspektivierung der üblichen Distinktion zwischen Ding und Figur schlägt Marshall ein erweitertes Verständnis des Unverfügbar‐ keitsbegriffs vor: Dieser eigne sich nicht nur für die Beschreibung von Akteursstrukturen auf Handlungsebene, als Attribut von widerständigen, sich der instrumentalen Handhabe entziehenden Gegenständen, sondern er sei überdies als ›hermeneutische Kategorie‹ zu fassen: Unverfügbar ist ein Ding, wenn es sich dem Zugriff und dem Wissen der Figur und gegebenen‐ falls auch des Rezipienten entzieht, weil es nicht klar zu fassen, in seiner Funktionsweise zu durchschauen und/ oder zu verorten und damit im umfassenden Sinne nicht nutzbar ist, auch - auf Rezeptionsebene - für die Einordnung in einen Sinnzusammenhang. Damit gebrauche ich den Begriff auch als hermeneutische Kategorie; Unverfügbares entzieht sich der deutenden Lektüre. 12 An verschiedenen dem Parzival sowie dem Titurel entnommenen Textpassagen kann Mar‐ shall nachweisen, dass die Übergängigkeit von Figur, Ding und Schrift als wolframtypische Motivverbindung anzusprechen ist. Die Reisierung des toten oder sterbenden Körpers, zu besichtigen etwa an der Darstellung von Gahmurets Tod und Bestattung oder an der dingeaffinen Sigunefigur, sei mit Blick auf die prominent inszenierten verdinglichten Schriftzeugnisse zu interpretieren, untersucht oder genannt werden hier: Sigunes Psalter, das in Gahmurets Adamas eingravierte Epitaph, der Segen auf Parzivals Gralschwert, der Gral selbst und das schillernde brackenseil, Marshall zufolge eine aussagekräftige poetologische Chiffre für Wolframs Erzählen: Auf der Leine nämlich sei - dinghaft simultan - der gesamte Text zeitlos vorhanden […] und das Materielle der Zeichen [macht] deren zeitliche Linearität sekundär […]. Wolframs Text ist in seiner besonderen Zeit‐ 75 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 13 Marshall: Körper - Ding - Schrift, S. 446. 14 Marshall: Körper - Ding - Schrift, S. 452. 15 Ott: Die höfische Welt der Dinge, S. 165. 16 Ott: Die höfische Welt der Dinge, S. 170. 17 »Durch ausdrücklich in Szene gesetzte Wiederholungsvorgänge wird dabei [bei der Verknüpfung metonymisch mit dem Gral verbundener Gegenstände; S.W.] ein Erzählen im Paradigma betrieben, das eine eigenwillige Ambivalenz zwischen Kontingenzbewältigung und Kontingenzexposition aufweist. Es ist ein Erzähler am Werk, der mit Dingen wie dem Gral oder dem Gralschwert Kohä‐ renzen einerseits stiftet, diese aber andererseits auch destabilisiert« (Stolz: Dingwiederholungen in Wolframs Parzival, S. 269). darstellung selbst ›dinghaft‹, indem er eine Zeit-unabhängige Poetizität der Gleichzeitigkeit performiert, so wie auf dem Seil alle Edelsteinbuchstaben schmuckhaft gleichzeitig präsent sind. 13 Allen herangezogenen Beispielen lasse sich eine Bewegung des sukzessiven Entgleitens der Figuren in die Sphären des Dinglich-Schriftlichen ablesen, ein Unverfügbarwerden, das auch im Zuge dieser Arbeit allenthalben begegnen wird. Lediglich angedeutet bleibt, in welchem Zusammenhang eine Ding-Poetik der Unverfügbarkeit mit bislang in der Forschung angestellten Beobachtungen zu Wolframs Erzähltechnik stünde. Durch eine Ausweitung des Beobachtungsmaterials bei gleichzeitiger Beschränkung auf einen Primär‐ text: den Parzival, können hier weitere Prozesse der Verdinglichung analysiert werden, um Wolframs Verhältnis zur »vormodernen Auffassung von Dingen […] systematisch zu untersuchen.« 14 Weitere Anregungen zur Dingpoetik des Parzival sind einem Kurzbeitrag von Michael R. Ott zu entnehmen. Dieser nimmt insbesondere die mit dem Sozialisationweg des Protagonisten verknüpften Dinge in den Blick und beobachtet dabei, »dass Parzivals Integration in die höfische Ritterkultur mit der Aneignung von Dingen und dem Einüben der zugehörigen Handlungs- und Verhaltensweisen einhergeht.« 15 Überdies schlägt Ott eine Kategorisierung der im Parzival dargestellten Dinge in vorrangig der höfischen Prachtentfaltung Verpflichtetes, Beziehungen zwischen Sachen und Figuren Stiftendes und Magisch-Tranzendentes vor. Ott gelangt zu dem Schluss, dass mit Blick auf anfänglich einzelnen Kategorien zuzuordnende Gegenstände am Ende der Erzählung funktionale Verschiebungen zu beobachten seien, die den Stellenwert der Dinge für die Sinnkonstitution des Textes sichtbar machten: Durch die Handlungen, die auf das Zerbrechen des Schwertes [angesprochen ist das göttlich gefügte Zerbrechen des Itherschwertes im finalen Bruderkampf; S.W.] folgen, werden die drei hier diskutierten Dingdimensionen harmonisiert: Unter dem neuen Gralsherrscher kommt die höfische Freude an den Gralshof zurück; problematische und abgebrochene Personenbeziehungen werden restituiert, und der magisch-transzendente Gral wird in die höfische Welt eingebunden. So ist auch das Ende des Romans in vielerlei Hinsicht um die Dinge herum arrangiert. 16 Dass nicht nur die erzählte Handlung in weiten Teilen ›um die Dinge herum arrangiert‹ ist - erzähltheoretisch fundierte Überlegungen hierzu formulieren Stolz, der Gral und Gralschwert als in ein paradigmatisch organisiertes Narrativ eingelassene, wiederholte und variierte Dingmotive untersucht, 17 und Kaske, die Parzivals Lanzen als materialisierte 76 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 18 Kaske: Materielle Ritterschaft, S. 27. 19 Quast: Dingpolitik, S. 174. 20 Zur tavelrunde vgl. zuletzt auch Flecken-Büttner: Tafelrunde; zu den Bezügen zwischen Artus- und Gralgesellschaft allgemein vgl. Pratelidis: Tafelrunde und Gral. 21 Quast: Dingpolitik, S. 182. Vergleichbare Komplementaritätsverhältnisse kann Quast auch mit Blick auf die komplexen Bezüge zwischen Sakralität und Profanität nachweisen: »Beim Gral handelt es sich auf der einen Seite um ein sakral überdeterminiertes Ding […]. Auf der anderen Seite baut Wolfram Sakralität ab. Nicht zuletzt wird mit dem Tischleindeckdich-Motiv bei Wolfram einer Hybridisierung des Grals zugearbeitet, die doch eher einer Desakralisierung des Dings Vorschub leistet. Umgekehrt wird im Fall der arthurischen Tafelrunde eine durch und durch profane Rundtafel durch den Modus ihrer Zurüstung zu einem sakralen Gegenstand, dem freilich der Schatten der Reproduktion anhaftet. Die Tendenz zur Desakralisierung des Heiligen im Fall des Grals […] und die Tendenz zur Sakralisierung des Profanen im Fall der Rundtafel […] scheinen in einem komplementären Verhältnis zueinander zu stehen« (ebd.). 22 Quast: Dingpolitik, S. 183. 23 Quast: Dingpolitik, S. 184. Zeichen für »verschiedene Konzepte von Ritterschaft« 18 deutet -, sondern auch die von Wolfram imaginierten Gesellschaftsstrukturen, am prominentesten: Artus- und Gralgesell‐ schaft, mit Tafelrunde und Gral ein dingliches Zentrum aufweisen, hat zuletzt Bruno Quast zu einer soziologisch-dingtheoretisch perspektivierten Studie zu den je unterschiedlichen Formen der »Relationierung von Objekt und Gemeinschaft« 19 angeregt, in der er unter anderem auf Bruno Latours akteurnetzwerktheoretische und ökologisch-politische Überle‐ gungen zurückgreift: Während die Tafelrunde als ›sakrales‹ Ding und Kollektivsymbol der Artusgesellschaft fungiere, dessen rituelle Reproduktion den Prozess der Objektheiligung und der Vergesellschaftung vergegenwärtige, 20 sei der Gral als materielle Voraussetzung der sich um ihn versammelnden Gesellschaft sowie als Medium göttlicher Botschaften und damit als deren politischer Mittelpunkt anzusprechen: Ist es im Fall der Tafelrunde die Gesellschaft, die sich ihr dingliches Konnexionsprinzip selber schafft und vor Augen stellt, geht im Fall der Gralsgesellschaft das dinc der Gesellschaft, die ausschließlich dem dinc verpflichtet ist, voraus. 21 Neben diesen Beobachtungen zur symbolisch-strukturellen Verfasstheit des Narrativs und solchen zu den sozialhistorischen Dimensionen der im Parzival verhandelten Ge‐ meinschaften stehen in besonderem Maße zur Überprüfung und Vertiefung anregende Überlegungen zur Akteursstruktur der Erzählung: Seien es die sich in der Tafelrunde materialisierenden Normen oder die vom Gral medialisierten Handlungsskripte - in beiden Fällen werde der Leser mit einem »Ding als Akteur« 22 konfrontiert. Auch der methodologischen Schlussforderung Quasts soll in dieser Arbeit weiter nachgegangen werden: Semiologische Analysen aktantieller Textstrukturen, wie sie bezogen auf die Figuren der Erzählung etwa der Held, der Gegenspieler oder das Böse darstellen, sollten daher stärker, als dies bislang der Fall gewesen ist, das Ding/ die Dinge als gleichberechtigte Aktanten berücksichtigen. 23 Ausgehend von einer Untersuchung der in der Gahmuret-Geschichte begegnenden Gegen‐ stände, mit einem Fokus auf Gahmurets wâpen, seinem Ankerwappen, und dem adamas, einem diamantenen Wunderhelm, soll in den nachstehenden Kapiteln eine Annäherung an 77 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 24 Vgl. Haug: Parzival ohne Illusionen, S. 203. Haug stellt seinen Zugriff auf den Parzival über die Gahmuret-Bücher demjenigen gegenüber, der nur oder vor allem im Gral den zentralen Sinngehalt des Textes chiffriert sieht: »Der Gral […], darin müßte sich doch enthüllen, worum es in diesem Roman geht. Diese gängige Ansicht ist jedoch einer der größten Irrtümer der Wolfram-Philologie« (ebd., S. 203). 25 Pretzel: Gahmuret im Kampf der Pflichten, S. 379. Mit Blick auf die handschriftliche Überlieferung zeigt Pretzel, dass die beiden ersten Bücher schon im Mittelalter als relativ eigenständige Textteile, eigens überschrieben etwa als Gahmuretes buch oder schlicht als Gahmüret, wahrgenommen wurden (vgl. ebd.) - der Forscher spricht gar von einer »dichterischen Selbständigkeit des tragischen ›Gahmuret‹-Epos« (ebd., S. 382). 26 Dimpel: daz safer ime golde, S. 304. - In diesem Kontext wurde diskutiert, ob der in einigen Überlieferungsträgern von Chrétiens Perceval zwischen Prolog und Romanbeginn inserierte Blio‐ cadran-Prolog als Vorlage für die Gahmuret-Vorgeschichte gedient haben könnte. Zuletzt hat Heinzle den Forschungsstand in dieser Frage zusammengefasst und hierbei nicht von einer Vorlage, sondern von einer Anregung gesprochen: »Wir nehmen an, dass ihm [Wolfram; S.W.] eine Perceval-Hand‐ schrift mit dem Bliocadran-Prolog vorlag und dass dieser ihn zur Geschichte von Gachmuret und Herzeloide angeregt hat. Die Zeichnung des Helden muss ihn fasziniert haben. Wie Bliocadran ist Gachmuret von der Lust am ritterlichen Kampf besessen und bringt mit dieser Obsession größtes Leid über seine Nächsten. Das ist ein Verhaltensmuster, das zur dunklen Seite des Rittertums gehört, deren Erkundung Wolfram in seinen Romanen unerbittlich betrieben hat« (Heinzle: Wolfram von Eschenbach, S. 101). 27 Schu: Vom erzählten Abenteuer, S. 64f.; vgl. auch Gephart: Geben und Nehmen, S. 102. - Da Wolfram, sich in der sogenannten Selbstverteidigung spielerisch zum Analphabeten stilisierend (vgl. 114,5-116,4), gleich große Teile seines Textes ohne Vorlage entwickelt hat (angesprochen sind hier die Bücher I und II sowie die Bücher XIII bis XVI), ist kaum von einer - für mittelalterliche Retex‐ tualisierungsprozesse über lange Zeit hinweg als universelles Gestaltungsprinzip betrachteten - dilatatio materiae zu sprechen. Insbesondere mit Blick auf den Parzival ist vielmehr ein die gängigen rhetorischen Normen unterlaufendes Fiktionalitäts- und materia-Konzept anzunehmen. Zur dilatatio materia vgl. im Allgemeinen Worstbrock: Dilatatio materiae und mit Bezug auf den Parzival Dimpel: Daz safer ime golde; Hinweise auf einen historisierten Fiktionalitätsbegriff, der für das Mittelalter keine moderne, ›massive‹ Form der Fiktionalität veranschlagt, gibt Glauch: »Wo man bislang Ansätze zu einem Fiktionalitätsb e w u ß t s e i n ausgemacht hat, handelt es sich immer um das Bewußtsein vom Kunstmittel der fictio im weitesten Sinn, also von ›Oberflächen‹-Fiktionalität« (An der Schwelle zur Literatur, S. 180f.). 28 Als strukturstiftendes Moment wurde der ›Doppelweg‹, mit diesem Modell in ebenso enger wie um‐ strittener Verbindung stehend Veldekes Eneasroman oder allgemein zumindest eine Zweigliedrigkeit deklariert. Kritisch zu solchen Strukturierungsversuchen, für eine relative strukturelle Offenheit argumentiert Karg: »Gahmuret ist kein Artusritter. […] Dem Gahmuret-Rittertum ist kein Zentrum gegeben« (sîn süeze sûrez ungemach, S. 173, s. auch S. 171-175). die für den Parzival und zunächst für die Gahmuret-Bücher charakteristischen Strategien der Narrativierung von Dingen unternommen werden - Walter Haugs Diktum folgend, wer den Parzival ›verstehen‹ wolle, müsse sich zunächst den ›Gahmuretbüchern‹ zuwenden, 24 Büchern »selbstständigen Charakter[s]« 25 , von welchen, »ohne das schützende Kleid einer Vorlage« 26 abgefasst, »anzunehmen [ist], daß gerade hier die Charakteristika des Wolfram‐ schen Erzählens besonders deutlich werden.« 27 In einem paradigmatisch organisierten Roman wie dem Parzival liegt es nahe, insbesondere den strukturstiftenden Funktionen der Dinge nachzugehen - zumal die Gahmuret-Bücher hinsichtlich ihrer Struktur der Forschung mehr Rätsel aufgeben haben, als dass diesen eindeutige Antworten hätten entlockt werden können. 28 78 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 29 García Márquez: Cien años de soledad, S. 9. Übersetzung: »Zwei Metallbarren hinter sich herschlei‐ fend, zog er von Haus zu Haus, und alle erschraken, als sie sahen, wie Kessel, Becken, Zangen und eiserne Tragöfen von ihren Plätzen fielen, wie die Hölzer unter dem verzweifelten Versuch der Nägel und Schrauben, sich ihnen zu entwinden, ächzten, wie sogar langvermißte Gegenstände gerade da auftauchten, wo man sie am heftigsten gesucht hatte, und in lärmender Flucht hinter Melchíades’ Zaubereisen herschleiften. ›Die Dinge haben ihr Eigenleben‹, verkündete der Zigeuner mit kehliger Aussprache, ›es kommt nur darauf an, ihre Seelen zu erwecken‹« (Hundert Jahre Einsamkeit, S. 7). 30 Hahn: Der Eigensinn der Dinge, S. 12. 2.1 Gahmuret I: harnasch und wâpen: Dinge, die der Ritter mitnimmt (Buch I) Fue de casa en casa arrastrando dos lingotes me‐ tálicos, y todo el mundo se espantó al ver que los calderos, las pailas, las tenazas y los anafes se caían de su sitio, y las maderas crujían por la desesperación de los clavos y los tornillos tratando de desenclavarse, y aun los objetos perdidos desde hacía mucho tiempo aparecían por donde más se les había buscado, y se arrastraban en desbandada turbulenta detrás de los fierros mágicos de Melquí‐ ades. »Las cosas, tienen vida propia - pregonaba el gitano con áspero acento -, todo es cuestíon de despertarles el ánima.« 29 Die ersten beiden Bücher des Parzival werden von zwei symbolträchtigen Gegenständen gerahmt: Wappen und Helm des Helden. Während mit dem zu Beginn seiner Ausfahrt neu gewählten und erfundenen ander wâpen (14,13), dem Anker, ein ambiges Symbol in die Erzählung eingeführt wird, das Gahmurets Loslösung von seiner sippe und eine neue Identität visualisiert, in dessen Darstellung das Verhältnis zwischen materiellem Zeichenträger und immateriellem Zeichen spannungsreich perspektiviert wird, gelangt mit dem adamas ein Helm aus dem Erbe des Minnetoten Isenhart an die Erzähloberfläche, der eine Transformation vom natürlichen Gebrauchszum Kunstgegenstand durchläuft, der dem Gahmuret-Leben ein kunstvolles Ende setzt, und dessen Vorgeschichte und erzählte Gegenwart sich zu einer eigenen Objektbiographie zusammensetzen - die wechselhafte ›Karriere‹ des Helms, die Vielzahl sich an diesen anlagernder und diesem bisweilen auch von der Figur aufgepropfter Bedeutungen verwehrt sich wie Gahmurets Ankerwappen einer vereindeutigend-simplifizierenden Interpretation, mit Hans-Peter Hahn zu den Dingen im Allgemeinen: einer »möglichst präzisen Umschreibung der Bedeutung«, sie lässt vielmehr nach »Momente[n] der Veränderung, der Umwertung und Neubewertung« 30 fragen. Die komplexen symbolischen Dimensionen von Wappen und Helm stehen neben der wiederholten Diskursivierung von deren Materialität: Beiden Dingen ist eine Schwere, ein pondus zu eigen, der einen fatalen Konflikt mit Gahmurets wesensbestimmender Eigen‐ schaft, seiner unstæte, seinem herze, das nâch hœhe strebet (9,23), indiziert. Die Verhandlung 79 2.1 Gahmuret I: harnasch und wâpen: Dinge, die der Ritter mitnimmt (Buch I) 31 Das, zumindest mit Blick auf die britische Parzival-Forschung, wirkmächtigste und positivste Bild Gahmurets zeichnet Richey: Gahmuret Anschevin; distanzierter, aber dennoch positiv schätzen die Figur beispielsweise Green und Ortmann ein; vgl. Green: Der Auszug Gahmurets und Ortmann: Ritterschaft. Zu einer negativen Wertung der Figur gelangen etwa Gottzmann, Gephart und (sich insbesondere gegen Richeys »idealized, romantic picture« von Gahmuret wendend) Spahr; vgl. Gottzmann: Deutsche Artusdichtung, S. 202-211; Gephart: Geben und Nehmen, S. 102-126; Spahr: Gahmuret’s Erection, Zitat auf S. 403. Einen instruktiven Überblick über die bisweilen stark divergierenden Wertungen des Parzivalvaters bietet Becker: Parzivals redegewandter Vater, S. 155f. 32 Lotman: Die Struktur des künstlerischen Textes, S. 321. 33 Mersmann: Der Besitzwechsel und seine Bedeutung, S. 123. 34 Zit. aus: Huston: [Film] The Maltese Falcon. 35 Vgl. hierzu zuletzt: Marshall: Unterlaufenes Erzählen, S. 156f. 36 Kritisch zu Georges Dubys sozialhistorischen Thesen zu Rolle und Funktion der ›jeunes‹ Peters: Von der Sozialgeschichte zur Familienhistorie. In der Eingangsszene des Parzival macht Peters einen der wenigen literarischen Belege für Dubys ›jeune‹-Typus in der höfischen Literatur aus: »Erb- und Sukzessionsprobleme als Motivierung des ritterlichen Auszugs - eine in der Chanson de geste häufige, im höfischen Roman jedoch sehr ungewöhnliche Begründung für die Abenteuerfahrt des Helden, die die Gahmuretbücher des ›Parzival‹ […] deutlich der Erzählwelt der Chansons de geste annähert« (ebd., S. 434, Anm. 63); vgl. Kolb: Chanson-de-geste-Stil im Parzival. von Materialität, Medialität und Zeichenhaftigkeit dieser einerseits identitätsstiftenden, andererseits Identität und Leben des Helden gerade als brüchig ausweisenden Gegenstände, die die Gahmurethandlung als Akteure zudem ganz wesentlich steuern, deutet auf die Instabilität der ›Bündnisse‹, die der Ritter mit seinen Dingen eingeht, sowie auf die Aporien dinglich vermittelter Formen der Kommunikation und der Interaktion, etwa zwischen der Figur und seinen Minnedamen. In diesem Kapitel soll nicht der neuerliche Versuch unternommen werden, eine Wertung der Forscherinnen und Forscher seit langem polari‐ sierenden Gahmuret-Figur als Exempel vorbildhafter oder heilsbedürftiger Ritterschaft vorzunehmen, 31 vielmehr treten zwei ebenso strukturstiftende wie schillernde Gegenstände in den Vordergrund, welche der zunächst isoliert zu betrachtenden Teilerzählung ihre spezifische und in einem zweiten Schritt mit den folgenden Erzählteilen abzugleichende ›Form‹ geben - es ist somit der »definierende[n] modellbildende[n] Funktion« 32 des Textanfangs nachzugehen und ein Verständnis für die Codierung des Textes zu entwickeln, denn: »Aus den Bedingungen des Aufbruchs und den Dingen, die der Ritter mitnimmt, darf man Wesentliches über ihn selbst und die ihn erwartende Welt entnehmen.« 33 2.1.1 Geerbte Dinge: des werden Gahmuretes erbeteil Tom Polhaus: It’s heavy. What is this? Sam Spade: The stuff that dreams are made of. 34 Im Anschluss an den Prolog leitet der Erzähler zur Schilderung einer politisch angespannten und potentiell konfliktträchigen Situation am Hof des Fürstentums Anschouwe über: Nach dem ritterlichen Tod des Königs Gandin fällt dessen Erbe - aufgrund der Wolframs Zeitgenossen vom Hörensagen vertrauten und vom Erzähler auffallend widersprüchlich gewerteten Primogenitur: 35 ein fremdiu zeche (5,21) - in Gänze seinem erstgeborenen Sohn Galoes zu, während Gahmuret der wîgant (5,23) sich mit der Herrschaftslosigkeit der jüngeren Söhne, mit der Ortlosigkeit der ›jeunes‹ konfrontiert sieht. 36 An die recht‐ 80 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 37 Der Erzähler betreibt, Mertens zufolge, »mit seinen Anspielungen auf Gegenwärtiges eine historische und anthropologische verificatio […]. Damit holt er die Erzählung aus der mythischen Welt Chrétiens in eine fiktive geschichtliche Welt. […] Er inszeniert sozusagen Schattenspiele der Gegenwart« (Ge‐ schichte und Geschichten um den Gral, S. 245). - Zum Primogeniturbezug an der vorliegenden Stelle Green: »Diese stilisierte Abenteurerlaufbahn leitet Wolfram aber mit einem wirklichkeitsnahen Detail ein […]. Das ist ein merkwürdig faktischer, sogar pedantischer Auftakt zu einem Roman, dem es keineswegs an übernatürlichem Beiwerk gebricht« (Der Auszug Gahmurets, S. 62f.). Schmid hält dagegen fest, in der »Gegenüberstellung von Rechtsfall in der Wirklichkeit der Gegenwart und dessen Lösung in der literarischen Fiktion ist die Erkenntnis der Distanz zwischen ihnen enthalten. […] [D]ie Entrückung in die Romansphäre wird geleistet durch die Zeichnung einer Ritterschaft, welche die Rechtsgrundlage, die ihr als Folie dient, entbehren kann« (Studien zum Problem der epischen Totalität, S. 55); vgl. ähnlich Schu: Vom erzählten Abenteuer, S. 88. 38 Becker deutet Gahmurets Schweigen vor dem Hintergrund zeitgenössischer didaktischer und rhetorischer Literatur als Zeichen seiner Wohlerzogenheit und der Angemessenheit seiner Rede; vgl. Parzivals redegewandter Vater, S. 159. Auffällig ist, dass Gahmuret nicht nur lange schweigt, sondern überdies erst als dritter Sprecher, nach den Lehensnehmern und Galoes, zu Wort kommt. Zum besonderen Stellenwert, der dem ersten Redebeitrag einer Erzählung und einer Figur zukommt (sog. primacy effect), vgl. Jannidis: Figur und Person, S. 179, Anm. 64, S. 220 u.ö. 39 Hahn: Der Eigensinn der Dinge, S. 10. liche Explikation der Situation durch einen Erzähler, der die Expositionsszene nah an die Lebenswirklichkeit seiner Rezipienten heranrückt und damit ein erstes, sich in die zahlreichen Referenzen auf die historische Realität um 1200 einfügendes »Schattenspiel[] der Gegenwart inszeniert« 37 , schließt sich eine öffentliche Auseinandersetzung zwischen den Fürsten und ihrem neuen Herrscher Galoes an, in welcher die künftige Rolle seines aus dem Erbe ausgeschlossenen Bruders zur Disposition steht - zugleich ein erster, indes nicht offen ausgetragener und bisweilen noch gewaltfrei beigelegter Bruderkonflikt, der im Modus des Impliziten bereits zentrale Themen des Romans vorwegnimmt. Die Frage nach der rechtlichen Stellung Gahmurets ist hierbei mit derjenigen nach dessen materieller Aus‐ stattung aufs Engste verknüpft. Deren Verhandlung offenbart eine erste für die Ding-Poetik des Romans insgesamt grundlegende Unterscheidung: zwischen ökonomischen Waren und bedeutungstragenden dinglichen Akteuren. Am Schluss von Gahmurets erster Verbaläußerung im Text, die, wie vom Erzähler eigens betont, auf ein auffällig langes Schweigen folgt - Gahmuret niht langer sweic (7,16) -, 38 kommt er auf sein einziges Besitztum, sein harnasch, zu sprechen: ›[…] niht wan harnasch ich hân: het ich dar inne mêr getân, daz virrec lop mir bræhte, etswâ man mîn gedæhte.‹ (7,27-30) Nachdem die Herrschaftsinsignien, zepter unde krône (5,26), diese »einfachsten ›helden‐ haften‹ Zeichen, die Machtunterschiede ausweisen« 39 , Gahmuret ebenso vorenthalten sind der ganze[] erbeteil (5,5) seines Vaters, wie Lehen und Allodialbesitz, bleibt ihm, nun nicht mehr nach dem französischen Recht der Primogenitur, sondern mutmaßlich 81 2.1 Gahmuret I: harnasch und wâpen: Dinge, die der Ritter mitnimmt (Buch I) 40 Zum rechtlichen Hintergrund, mit Verweis auf eine Stelle aus Eikes von Repgow Sachsenspiegel, Sivertson: »Gahmuret mentioned his harnasch (7,27) to prove a legal point supportable in German law. […] Gahmuret had a legal claim to his own harnasch (7,27) which Galoes could not claim through the French custom of primogeniture. By mixing French and German legal issues here Wolfram creates tension« (Loyalty and Riches, S. 129f.). Für eine kritische Einordnung von Sivertsons Studie vgl. Kap. 2.1.2, Anm. 89 dieser Arbeit, für einen Überblick über die diversen Erbrechtsregelungen im europäi‐ schen Mittelalter Dilger: [Art.] ›Erbrecht, Erbe, Erbschaft‹ sowie Drüppel: [Art.] ›Heergewäte‹. 41 Zit. nach: Wolfram von Eschenbach: Willehalm [Sigle: Wh.]. - Zur Funktion der Parzival-Verweise im Willehalm, die in weiten Teilen (wie hier) auf Nebensächlichkeiten und -figuren bezogen sind und strukturelle Analogien zwischen den Texten gerade abweisen, vgl. Kiening: Reflexion - Narration, S. 100f. 42 Zu Topik und Bedeutung der Paarformel ›Schild und Speer‹ »als Ausdruck einer funktionalen Standardbewaffnung, einer rechtlichen Norm und eines gesellschaftlichen Wertmaßstabes« vgl. Hüpper-Dröge: Schild und Speer, Zitat auf S. 394. 43 Jung: Das Konzept der Objektbiographie, S. 46; vgl. Kap. 1.4 dieser Arbeit. 44 Zur Funktion der zitierten Aussage Gahmurets Ortmann: »Das bedeutet natürlich zweierlei: ich habe nicht oder nicht genug prîs darin [in der ritterlichen Rüstung; S.W.] erworben und: ich habe rein materiell zu wenig, also gebt mir mehr« (Ritterschaft, S. 667f.). 45 Delabar: Erkantiu sippe unt hoch geselleschaft, S. 67. und irritierenderweise nach ursprünglich germanischem Rechtsbrauch, nur eines: sein harnasch. 40 Ein intertextueller Bezug auf diese Stelle in Wolframs Willehalm erhellt die Semantik des hier verwendeten harnasch-Begriffs ebenso wie die Bedeutung des in Wolframs Erzählkosmos topisch gewordenen Gahmuret-Erbes, über dessen konkrete Materialität im Parzival nichts weiter preisgegeben wird. 41 Über Heimrich den Schetis, einen Söldnerführer und jüngsten Bruder Willehalms, und seinen Begleiter Schilbert von Tandarnas heißt es, bei deren Ankunft in Oransche: des werden Gahmuretes erbeteil was die jungen bêd an komen. von ir veteren heten si genomen niht wan schilt und sper, unt stuont nâch rîterschaft ir ger. si heten harnasch und anders niht. ir gezelte man dâ wênic siht. (Wh., 243,10-16) Vor dem Hintergrund dieser Stelle lässt sich darauf schließen, dass die ebenso herausge‐ hobene wie formelhafte Nennung der Komplementärwaffen schilt und sper metonymisch, das harnasch dagegen, von dem auch im Parzival die Rede ist, vermutlich als gesamte ritterliche Ausrüstung aufzufassen ist. 42 Wahrgenommen wird diese noch nicht hinreichend vom ritterlichen Kampf gezeichnete Ausrüstung nicht über ihre materiellen Eigenschaften, sondern ausschließlich über die ihr zugeschriebene Affordanz, ihren »Aufforderungs- und Angebotscharakter« 43 (het ich dar inne mêr getân): Sie stellt ihrem Besitzer eine Handlungspotenz vor Augen und übt so eine imperative Wirkung auf ihn aus, sie provoziert zu Tatendrang und ritterlicher Bewährung unter der Zielsetzung, lop und gedenken zu erwerben, sie inkorporiert somit ein ganz basales Aktionsprogramm der rîterschaft. 44 Dem so als Akteur ausgewiesenen harnasch, »Werkzeug und Medium, in dem und durch das er sich (! ) verwirklichen kann«, 45 ist als Konstituens von Handlungsoptionen ein Programm 82 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 46 Diese Andeutung ist 5,23-28 zu entnehmen: Gahmuret der wîgant / verlôs sus bürge unde lant, / dâ sîn vater schône / truoc zepter unde krône / mit grôzer küneclîcher kraft, / unz er lac tôt an rîterschaft. Die Rede vom ›Verlust‹ Gahmurets ist nur auf Grundlage des Vorangehenden nachvollziehbar: Er verliert, was ihm nach anderen Erbschaftsregelungen zustünde, nicht was er bereits besessen oder worauf er nach der Einerbenregelung einen Anspruch hätte. Die Verweise auf andere rechtliche Ordnungen und deren teilweise Vermischung grenzen die fiktionale von den zeitgenössisch-realen Ordnungen auf paradoxe Weise ab - die Differenz ist indes keine absolute, sondern eine, die zugleich die mannigfaltigen Verquickungen von und die schwierigen Grenzziehungen zwischen Fiktion und Realität indiziert (vgl. bereits Anm. 37 und 40 in diesem Kapitel). 47 Gephart: Geben und Nehmen, S. 10. Weiter zur Tugend der milte respektive Freigebigkeit: »Herr‐ schaftsstrukturen, die in ihrer Personalität […] relativ labil sind, müssen im Akt des Schenkens immer erneut hergestellt werden. Freigebigkeit ist demnach das ›Bindemittel‹ der feudalen Gesellschaft; in ihr wird die alte Vorstellung vom bindenden Geben transportiert« (ebd., S. 12). 48 Brall: Gralsuche und Adelsheil, S. 145; für historische und literarische Quellen für das Verständnis der hantgemâl-Forderung und weiterführende Literaturhinweise vgl. ebd., S. 139-159. 49 Becker: Parzivals redegewandter Vater, S. 159. eingeschrieben, das den mit ihm assoziierten Ritter zum Auszug - und möglicherweise auch zur Kompensation seines ›Verlustes‹ 46 - mitveranlasst. Die ritterliche Rüstung tritt überdies in Kontrast zu der verschwenderischen materiellen Zuwendung seines auf milte, »die oberste Herrschertugend«, 47 bedachten Bruders Galoes: mîn vater hât uns beiden Gelâzen guotes harte vil: des stôze ich dir gelîchiu zil. ich bin dir herzenlîchen holt. lieht gesteine, rôtez golt, liute, wâpen, ors, gewant, des nim sô vil von mîner hant, daz du nâch dînem willen varst unt dîne mildekeit bewarst. (9,2-10) Galoes’ Verausgabung dient, wenn man seiner wörtlichen Rede folgen möchte, dem Zweck, zum einen dem Bruder dieselbe mildekeit zu ermöglichen, die ihn selbst zur Teilung des väterlichen Erbvermögens befähigt, zum anderen ihm dabei doch eben kein hantgemælde (6,19) zukommen lassen zu müssen, wie es die Fürsten seines Landes für Gahmuret erbeten haben. Deren Bitte um ein hantgemælde ergibt nach Helmut Brall nur Sinn, wenn in ihrer Klausel auch - wenn nicht in erster Linie - die Bitte um Überlassung eines adeligen Eigengutes, allodialen Besitzes gemeint ist. Es geht also um »die Neukonstituierung eines Handgemals« […], die ggf. zur Gründung einer Seitenlinie des Geschlechts führen kann, um Erbteilung, denn hohe Abstammung und das Charisma des Blutes verbürgen nicht dauerhaft den gesellschaftlichen Rang der Person. 48 Da Galoes als gerade eingesetzter Lehensherr, »im öffentlichen und hoch offiziellen Rahmen der Szene«, 49 offenbar kein Interesse an einer Teilung auch seines Landes hat und doch die von ihm geforderte bruoderlîche triwe (6,15) unter Beweis stellen will, versteht er die Bitte um ein hantgemælde bewusst in einem symbolisch-übertragenen Sinn, in der Bedeutung also, die der Wahrung und Stabilisierung seiner noch so jungen 83 2.1 Gahmuret I: harnasch und wâpen: Dinge, die der Ritter mitnimmt (Buch I) 50 Kopytoff: The culture biography of things, S. 64. 51 »[D]as Interesse der von einer feudaladligen Verausgabung Profitierenden [kann] nicht zuvörderst im ›Materiellen‹ liegen […], sondern [besteht] etwa darin […], durch die Freigebigkeit des Herrn die Ehre seiner familia mit befördert zu sehen« (Czerwinski: Der Glanz der Abstraktion, S. 458, Anm. 324). Zur Stelle Gephart: »Was Galoes als Großzügigkeit anpreist, trägt den deutlichen Stempel eines Herrschergebarens, das in der Wahrung von ungeteiltem Grundbesitz keine Positionen aufgeben will und sich im Verteilen von Gaben aus eigener Hand zuallererst selbst bestätigt beziehungsweise um das eigene Seelenheil besorgt ist« (Geben und Nehmen, S. 104). 52 »Die Stoffe sind noch nicht zugeschnitten, haben also noch keinen Gebrauchswert als Kleidungs‐ stücke. Die Bemerkung [des Erzählers in 11,18; S.W.] zielt auf den reinen Wertcharakter des Geschenks« (Noltze: Stellenkommentar zu 11,18, S. 63). 53 Brüggen hält zu dieser Identifizierung mit Skepsis fest: »Die Inanspruchnahme der Stelle für die Ampflise-Geschichte läßt sich nicht wirklich sichern, andererseits ist sie auch nicht völlig auszuschließen: Zwar liegt die Referenz aus der Rezipientenperspektive der Kanvoleis-Handlung weit ab, doch könnte sie ein weiteres Beispiel sein für die im ›Parzival‹ häufig zu beobachtende Technik, ein Erzählmoment, das erst zu einem viel späteren Zeitpunkt ausgefaltet wird, mit einer gewissen Beiläufigkeit zu präludieren« (Schattenspiele, S. 180); vgl. ähnlich Schu: Vom erzählten Abenteuer, S. 68. 54 So Peschel-Rentsch, der in einer recht spekulativen Deutung die reichhaltigen ›Gaben‹ in Opposition zur Gahmuret-Figur sieht, dessen ›Wert‹ gerade nicht zu quantifizieren sei (vgl. 12,27). Gahmuret sei vielmehr »frei, sich zu seinem Wert zu verdingen, der nicht in tausend Mark zu wiegen ist, der tautologisch nur sich selbst meint: Sein Wert ist sein Wert. wert bedeutet nichts, es ist Signifikant. Herrschaft am ehesten zuträglich ist. Er will den Bruder zwar den Namen Gahmuret Anschevîn (6,26) tragen lassen, wie es die Fürsten gefordert haben (vgl. 6,21), er will ihn auch nicht verstoßen (vgl. 6,17), sondern: er sol mîn ingesinde sîn (7,3), doch von seinem Land soll Gahmuret nichts in die Hände fallen: Anschouwe ist mîn lant (6,27). Diesem ist ohnehin mehr an ›beweglichen Gütern‹ wie Gold, Edelsteinen oder Textilien gelegen denn an der so unbeweglichen wie unritterlichen Existenz in Galoes’ ingesinde oder an einem hantgemælde. An die Stelle symbolischer Gegenstände, welche die dem Älteren vorbehaltene Herrschaft repräsentierten, treten die Waren. Wenngleich die Materialität von Gahmurets harnasch nicht von derjenigen der wâpen (9,7) aus Galoes’ Schenkung abgegrenzt wird, gehören doch diese in das »universe of commodities« 50 , deren Warencharakter vorderhand quantitativ, im Rahmen einer additiven Dinge-accumulatio (vgl. 9,6f. und 10,1-5) als vil (9,8) oder auch als mêr (9,30) zu bestimmen ist. Dem harnasch als singulärem Besitz, den der Erblose behalten darf, wird hingegen, in Abgrenzung auch von dem ehrenrüchigen gemach, das Gahmuret in seines Bruders ingesinde erwarten würde, eigens eine Bedeutung für die Initiation und die Motivation der ritterlichen âventiure-Ausfahrt zugesprochen. 51 In deren Vorbereitung empfängt Gahmuret noch weitere Zuwendungen, die vom Er‐ zähler mit ähnlichem Nachdruck als Waren ausgewiesen werden: So wie Gahmurets Mutter Schoette ihm keine Kleider schenkt, sondern textiles Material, […] phelle breit, / ganze, die man nie versneit (11,17f.), sprich: ebenfalls Geschenke mit »reine[m] Wertcharakter« 52 , lässt ihm auch sîn friundin (12,11), hier noch namenlos und vermutlich mit seiner erst an späterer Stelle erwähnten und stets im Hintergrund agierenden Minneherrin Amphlise zu identifizieren, 53 kein Liebespfand zukommen, sondern kleinœtes tûsent marke wert (12,7). Es handelt sich mithin um Geschenke, die auf eine »Wert-Ebene [gehören], wo man bis tausend zählt« 54 , und die in einem aktualisierenden Erzählerkommentar, der die Romanhandlung 84 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival Auf dieser Ebene, meine ich, redet der Autor von sich als Ritter« (Wolframs Autor, S. 41, für das Zitat oben s. S. 40). - Zum topischen Gehalt der Sentenz (12,27f.) vgl. Eikelmann und Tomasek (Hgg.): Handbuch der Sentenzen und Sprichwörter. Bd. 2, S. 140-143. 55 Zur Funktion von Pfandvergleichen und -metaphern bei Wolfram, zuerst in 7,8, vgl. Hartmann: Darstellungsmittel und Darstellungsformen, S. 166f. - Dass der Fokus auf dem reinen Wertcharakter der Gaben bereits spätmittelalterliche Illustratoren irritiert haben könnte, legt eine Illustration in Cod. Pal. germ. 339, einer Lauber-Handschrift aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, nahe (s. fol. 12r): Unter der Rubrikatur Also gamiret von der konnigin begobet wart ist hier die Szene einer persönlichen Ringübergabe abgebildet. 56 Zu phant in der Bedeutung ›Liebesgabe‹ vgl. 139,12 oder 341,21. 57 Marshall: Unterlaufenes Erzählen, S. 170. 58 Bonath: Untersuchungen zur Überlieferung. Bd. I, S. 98. 59 Wandhoff: Schwarz auf Weiß, S. 153. 60 Vgl. Wandhoff: Schwarz auf Weiß; Quast: Leben als Form. abermals auf ihre Bezüge zur historischen Realität hin durchsichtig macht, als Pfand beschrieben werden, das noch immer, zu Wolframs Lebzeiten, als Sicherheit in einem Geldgeschäft dienen könnte: swâ noch ein jude pfandes gert, / er möhtz derfür enphâhen: / ez endorft im niht versmâhen (12,8-10). 55 Das ironische Aufgreifen des pfant-Begriffs markiert das Ausbleiben einer erwartbaren Liebesgabe, etwa eines Ärmels oder eines Rings, 56 als abgewiesene Alternative: Wie schon Schoette ihrem Jüngsten kein Kleidungsstück, sondern nicht zugeschnittene Stoffe übereignet hat, tritt auch hier eine ökonomische Großspende an die Stelle eines symbolischen Gegenstands. Der Warencharakter der Gaben von Mutter und Freundin wird weiterhin dadurch unterstrichen, dass die kleinœte von Gahmurets friundin aufgrund des Fehlens einer überleitenden Explikation oder eines markierten Abschlusses des vorgängigen Dialogs in den Versen 10,12-12,2 zunächst der Mutter zuzuordnen zu sein scheinen: Der direkte Anschluss an das Gespräch mit der Mutter wird durch die zeitliche […] Angabe dô (12.4) noch verstärkt. So kann der Eindruck entstehen, bei diesen Geschenken handele es sich um die von der Mutter soeben versprochenen. 57 Wie vergleichbar bei der zweiten, nicht minder assoziativ anmutenden Erwähnung der in der vorliegenden Szene vielleicht bereits verdeckt auftretenden Amphlisefigur lässt sich auch an der vorliegenden Stelle aus textgenetischer Perspektive über einen »nachträg‐ liche[n] Einschub« 58 der Verse 12,3-14 spekulieren. Aus dem Vorangehenden kann indes eine abweichende Erklärung wahrscheinlich gemacht werden, welche die auf rhetorischer ebenso wie auf der Handlungsebene zur Anwendung kommende Strategie respektive das Motiv der Akkumulation ins Kalkül zieht: In dieser Perspektive treten die assoziativen und häufenden Bewegungen des Erzähltextes in Entsprechung zum Erzählten, zur Anhäufung indistinkt-warenförmiger Gegenstände durch den im Aufbruch begriffenen Protagonisten. Mit der ausgestellten Dichotomie von Wertgegenständen und Einzelgegenstand mit Affordanzcharakter wird ein Auszug vorbereitet, dessen literarhistorische Bedeutung kaum zu unterschätzen ist: der Auzug eines Helden, »der gewissermaßen zum Autor seiner ei‐ genen Figur wird«. 59 Mit Rekurs auf Haiko Wandhoffs und Bruno Quasts Überlegungen zur Innovativität insbesondere der von Wolfram wohl in weiten Teilen ›frei erfundenen‹ Gah‐ muret-Bücher lässt sich auch der Stellenwert des Materiellen in der Eingangspassage des I. Buches erhellen: 60 Mit der prononcierten Hervorhebung des ökonomischen Tauschwertes 85 2.1 Gahmuret I: harnasch und wâpen: Dinge, die der Ritter mitnimmt (Buch I) 61 Quast: Leben als Form, S. 329. Zu Fiktionalität, Hybridität und Literarizität des Parzival im Sinne einer »Kunst des Möglichen« vgl. auch Kellner: ein maere wil i’u niuwen, S. 203. 62 Zum Begriff des ›auf Null gesetzten‹ Protagonisten vgl. Brüggen: Die Rüstung des Anderen, S. 144. 63 Dies gegen Ina Karg, die die Gaben Amphlises und Schoettes in eine Linie stellt mit anderen symbolträchtigen Liebesgaben: »Frauen sind über die äußere Erscheinung des Ritters in seine Aktivität miteinbezogen, geben Schutz und Schild faktisch-symbolhaft wie psychisch und physisch. Sie sind präsent durch ihre Symbole wie Hemden, Ärmel, Waffenröcke, sowie den Anruf ihrer Ritter in höchster Gefahr« (sîn süeze sûrez ungemach, S. 158f.). An späterer Stelle, im Zuge der Besprechung von Obilots Ärmelgabe, wird indes auf Kargs Beobachtungen zur physisch-symbolhaften Doppel‐ natur der Minnegabe zurückzukommen sein. 64 Zur ›Doppelmotivierung‹ von Gahmurets Auszug vgl. Noltze: Gahmurets Orientfahrt, S. 226-228. 65 Das ausgestellte Vergessen eines Gegenstands, des Gralschwertes, wird in der Parzivalhandlung zur Strategie eines als Quasi-Akteur auftretenden Erzählers. der Gaben von Bruder, Mutter und friundin ist grundgelegt, was etwa Quast mit Bezug auf die Wappenwahl Gahmurets als Merkmal quasi-romanhaften Erzählens kennzeichnet: »[H]ier öffnet sich eine Perspektive auf den Roman als Möglichkeitsform, Erzählen als Möglichkeitsraum, auf den Entwurf eines Lebens als Möglichkeit.« 61 Mit Gahmuret wird, wie später auch - in freilich ganz anderer Akzentuierung - mit Parzival, ein ›genullter‹ Protagonist präsentiert, 62 der sich, ausgestattet mit besten ›ökonomischen Möglichkeiten‹ und damit auch mit größtem Handlungs- und Bewegungsfreiraum, charakteristisch-sym‐ bolhafte Gegenstände wie Liebesgaben, ein Wappen oder Rüstungsgegenstände noch aneignen muss. 63 Die textilen Gaben Schoettes, tiwer samît und ganze phelle, die man nie versneit, zeigen diese Potenz besonders eindrücklich an: Der Rezipient ahnt schon hier, dass im Textverlauf auch Kleider zugeschnitten und beschrieben, Gaben getauscht und bedeutungsträchtige Gegenstände narrativiert werden sollen. Und auch die schon in der Auszugsszene eingeführten Warenkategorien (wâpen, gewant, kleinœte etc.) deuten bereits verdeckt auf die in den Gahmuretbüchern signifikant werdenden Gegenstände und Themen voraus: Mit dem Ankerwappen, Isenharts harnasch, Herzeloydes hemden sowie Amphlises vingerlîn werden den am brüderlichen Hof eingeführten Waren bedeutungsträchtige Dinge gegenübergestellt, deren sukzessive Aneignung im Folgenden untersucht werden soll. Die wesentliche Präsupposition dieses im Laufe der Erzählung erst zu entwickelnden Lebens liegt in Gahmurets ritterlichem art, der als Motivation für den Auszug aggregativ neben den äußeren rechtlichen Anlass tritt und sich in seinem singulären Besitztum, des werden Gahmuretes erbeteil, im harnasch, materialisiert: 64 Die in den Gesprächen mit Bruder und Mutter geäußerten Wünsche nach virrec lop (7,29), guotes wîbes gruoz (8,11) und ritter‐ schaft (11,7) verdichten sich im Ding, und die Logik der Erzählung will, dass gerade dieser Gegenstand nicht weiter thematisiert wird, dass er als erstes von Wolframs ›vergessenen‹ Objekten gelten kann 65 - ein harnasch, das eine Erzählfunktion übernimmt, indem es das Figurenhandeln punktuell mitmotiviert, ist also noch nichts, an das Gahmuret oder die Rezipienten sich lange erinnern müssten. Vielmehr exponiert es gleich zu Erzählbeginn die Potenz eines Erzählens nicht nur von, sondern auch mit Dingen als Instrumenten eines Erzählers, der seine Figur den Gegenständen aussetzt und sie ihr gleich wieder entzieht, um ihr später mit Isenharts Zelt, Helm und weiteren Rüstungsgegenständen ein anderes, vermutlich weit prächtigeres und begehrteres harnasch zuzuführen. 86 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 66 Ortmann: Ritterschaft, S. 674; gemeint ist das in den Gesprächen mit Galoes und Schoette umrissene »Formalprogramm […]: ritterschaft, objektiv definiert als prîs-Erwerb in Kampf und Minne« (ebd., S. 669). 67 Mit der Primogenitur aufs Engste verknüpft ist das die Generation der Söhne prägende avunkulare Modell, »eine vielleicht archaischere Familienstruktur […], vermittels derer gleichzeitig potentielle Gefährdungen genealogisch bestimmter Herrschaftsnachfolgen offen gelegt wie auch alternative fa‐ miliale Strukturentwürfe gezeigt werden können«, mithin »das strukturbildende Konsoziationsmo‐ dell im ›Parzival‹« (Richter: Spiegelungen, S. 189 und S. 191) respektive das »ohne jeden Zweifel […] bedeutungsmäßig zentrale Verwandtschaftsverhältnis« (Bertau: Versuch über Verhaltenssemantik von Verwandten, S. 223). 68 Sie fungieren überdies als äußerer Rahmen der im Konflikt zwischen den Brüdern und Gahmuret‐ söhnen Parzival und Feirefiz gipfelnden Gesamterzählung: Becker weist in einer skizzenhaften Analyse des Gesprächs zwischen Parzival und Feirefiz nach, dass jener »das Programm höfischen Sprechens verinnerlicht [hat] und […] es angemessen anwenden [kann]. Damit ist ein weiterer Beleg für eine Spiegelstruktur des Parzival gefunden: In Gahmuret ist der Zielpunkt von Parzivals höfischer Sozialisation bereits angelegt. Am Ende der Erzählung angekommen, blickt er auf Gahmuret geradezu wie in einen Spiegel« (Parzivals redegewandter Vater, S. 169). 69 Monecke: Studien zur epischen Technik Konrads von Würzburg, S. 37. Bereits in der Exposition des Parzival werden also zwei Paradigmen eingeführt, die in den Gahmuret-Büchern ebenso wie in der gesamten Erzählung zentrale Bedeutung erlangen und die neben das von Christa Ortmann herausgearbeitete, hier bereits umrissene »wert‐ begriffliche Datengerüst, nach dem die Gahmuret-Geschichte programmiert ist« 66 , treten: Zum einen werden mit Primogenitur, Erb- und Verwandtschaftskonflikt thematische Konstellationen eingeführt, 67 die im weiteren Erzählverlauf Gegenstand zahlreicher Wie‐ deraufnahmen, Variationen und Zuspitzungen werden und die als Ursachen genealogischer, sich in Verwandtenkämpfen entladender, an der vorliegenden Stelle wie auch im weiteren Erzählen von Gahmuret allerdings noch gewaltfrei beigelegter Konflikte angesprochen werden können. 68 Zum anderen kann Gahmurets Auszug als Initialpunkt auch für ein Erzählen von und mit Dingen gelesen werden, das bereits eine basale Unterscheidung zwischen situativem Akteur, dem bedeutungstragenden, mit einer angedeuteten Objekt‐ biographie versehenen und affordanten harnasch-Erbe, und in erster Linie nützlichem, massenhaft-indistinktem Warengegenstand andeutet. 2.1.2 Erfundene Dinge: Gahmurets wâpenlîcher last Nur wenn wir mitfühlen, wie die Melancholie, das innerliche Wiederanheimfallen des Menschen an die Erde, aus der er gemacht ist, vom Menschen des Mittelalters als Sünde empfunden wird, ahnen wir etwas von dem, was swære bedeuten kann. Ihre Überwindung, ihre Umwandlung in hôhen muot ist eine Kardinalaufgabe höfischer Kultur. 69 Mit seinem Eintritt in den Dienst für den bâruc legt Gahmuret das väterliche Pan‐ ther-Wappen ab und gibt sich ein neues, ein erfundenes Zeichen - eine Entscheidung, die im 87 2.1 Gahmuret I: harnasch und wâpen: Dinge, die der Ritter mitnimmt (Buch I) 70 Seitter: Das Wappen als Zweitkörper und Körperzeichen, S. 299. - Einführend zum Prozess der Territorialisierung im 12. Jahrhundert Czerwinski: Das Nibelungenlied, S. 58-65. 71 Zum Gahmuret-Wappen so schon Schultz: Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger, S. 95. 72 »Die zahlreichen Wappen in der ›Krone‹ und in anderen Romanen des 13. Jahrhunderts können somit als Indizien für einen beginnenden Prozess der Individualisierung gedeutet werden« (Hartmann: Grundformen literarischer Heraldik, S. 52). Vgl. hierzu, mit Bezug auf die Gahmuret-Figur, auch Herrmann, die zwar die grundsätzliche Unterscheidung zwischen mittelalterlich-vormoderner Inklusions- und moderner Exklusionsidentität nicht infrage stellt, diese jedoch auch »nicht mit der Behauptung gleichsetz[t], dass dem Mittelalter und seiner Literatur die Vorstellung personaler Identität vollkommen abgehe« (Herrmann: ôwê war jagt mich mîn gelust? , S. 73). Gerade die (im Ankerwappen wie im Adamas, s. u., symbolisch zur Schau getragene) Beweglichkeit im Raum und Gahmurets Grenzgängertum sieht Herrmann als Indizien einer üblicherweise der Moderne zugerechneten Form individualistischer Exklusionsidentität (vgl. hierzu das Fazit ebd., S. 89f.). Aus sozialhistorischer Perspektive kritisch zu einer Grenzziehung zwischen moderner Exklusions- und vormodern-mittelalterlicher Inklusionsidentität äußert sich, mit Nachweisen der einschlägigen soziologischen Forschung zum Thema, von Moos: Vom Inklusionsindividuum zum Exklusionsindi‐ viduum. 73 Belting: Wappen und Porträt, S. 89. 74 Brall: Gralsuche und Adelsheil, S. 181. Zusammenhang mit einer brisanten kulturgeschichtlichen Entwicklung um 1200 zu sehen ist: In den dauernden Auseinandersetzungen, Koalitionen und Kriegen zwischen Landesherren, Vasallen und Dienstmannen bildete sich im unteren Bereich dieser Rangpyramide so etwas wie eine breite »Unterschicht« […]. Im Lehenssystem genießen die Lehensleute eine gewisse Selbstän‐ digkeit von den Lehensherren. Eine Selbständigkeit, die sich gerade darin ausdrückt, daß sie das Lehen vererben können - was für die Erben natürlich die Familienbande wichtig und gewichtig macht. Die Lehensleute führen jetzt ein »eigenes« Wappen. Damit vermehrt sich die Zahl der »selbständigen« Wappenführer, und daraus ergeben sich neue Distinktions-Notwendigkeiten. 70 Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, weshalb der Erzähler den Rezipienten um ›Erlaubnis‹ bitten muss, bevor Gahmuret sein neues Wappen, den Anker, anlegen darf (nu erloubt im daz er müeze hân / ander wâpen denne im Gandîn / dâ vor gap, der vater sîn; 14,12- 14), bezeugt doch die Wahl eines individuellen ›Phantasie-Wappens‹ 71 eine Zuspitzung auch historisch nachweislicher ›Individuierungsprozesse‹ 72 sowie eine Abweichung von der Normalform des Wappens als Körperzeichen in heraldischer Abstraktion […], welches nicht ein Individuum, sondern den Träger einer familialen oder territorialen Genealogie auszeichnete, einen Standeskörper also definierte. 73 Mit Helmut Brall: Als Soldritter des bâruc von Baldac löst er die Bindung zu seinem Geschlecht, macht nach außen rechtsverbindlich sichtbar, daß er einer anderen - interimistischen - Lebens- und Gesellschafts‐ sphäre zugehört, […] wo er nur gilt, was er darstellt. 74 Die im fiktionalen Text etablierte enge Verbindung zwischen dem Wappenzeichen und der Figur als Wappenschöpfer mündet in eine Gleichsetzung von Ritter und Anker auf dem Kampfplatz - ›hie kumt der anker, fîâ fî‹ (80,5) -, die in der Forschung mitunter stark divergierende symbolische Lektüren angeregt hat: Der Anker wurde einerseits 88 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 75 Gephart: Geben und Nehmen, S. 106. 76 »Entsprechend Gregors Darlegung des geistigen Babylon symbolisiert Gahmurets Wappen (14,27f.) die Lebensform des homo carnalis: der Anker seine Weltverhaftetheit, der Strick (gemäß Is 3.24 und 5.18) die Ausschweifung« (Bayer: Gralsburg und Minnegrotte, S. 68f.). 77 Gottzmann: Deutsche Artusdichtung, S. 203. In ähnlicher Zuspitzung wurde der Anker als »symbol of wandering and adventure in search of an undefined goal«, als »Symbol suchender Nichtseßhaf‐ tigkeit« und als »sichtbare[r] Ausdruck seiner Mobilität und Freiheit« gedeutet; s., in der Reihenfolge der Zitate, Blamires: Characterization and Individuality, S. 31; Brunner: Artus der wise höfsche man, S. 63; Hafner: Herzeloydes Hemd, S. 98. 78 Richey: Gahmuret Anschevin, S. 6. 79 Weber: Wolfram von Eschenbach, S. 710. 80 Raudszus: Die Zeichensprache der Kleidung, S. 104. 81 Quast: Leben als Form, S. 329. 82 Vgl. Wandhoff: Schwarz auf Weiß, S. 154. 83 Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. Erster Teil, S. 40. 84 So Bleumer im Vergleich mit Gottfrieds Tristan: Während dieser »in der Frage der Sinnkonstituierung grundsätzlich optimistisch [ist] […][,] stellt der ›Parzival‹ die Bedeutung als ein stets entferntes Ziel dar, dem das dauerhafte Bemühen des Interpreten zu gelten hat« (Wahrnehmung literarisch, S. 139). 85 Belting: Wappen und Porträt, S. 92. 86 Krämer: Das Medium zwischen Zeichen und Spur, S. 157. zum »Symbol des heimatlos fahrenden Ritters« 75 respektive seiner »Weltverhaftetheit« 76 und »zum Identitätssymbol der unstæte« 77 , andererseits, in gegenläufiger Tendenz, zum Emblem »of the ultimate resting-place where at some future time his errant fortune shall at last lie moored« 78 , zum »Sinnbild des Bleibens und stetigen Verweilens« 79 und zum Symbol für Gahmurets »Suche[] nach Ruhe« 80 erklärt, er wurde abstrakter als »ikonisches Zeichen, das sich auf die Lebensform Gahmurets bezieht« 81 , gedeutet, welcher wiederum zum Autor seiner eigenen Identität und so zur Spiegelung des Romautors Wolfram auf der Figurenebene hypostasiert wurde. 82 Die verbreitete Deutung des Ankerwappens als symbolischer Gegenstand, dessen ›Gehalt‹ »rein und vollständig in der Funktion des Bedeutens auf[geht]« 83 , verweist ganz allgemein auf die bislang fokussierte und kontrovers diskutierte Funktion des Wappens als in seiner Vermittlerfunktion aufgehendes Medium. Da allerdings keinesfalls von einer ›symbolischen Prägnanz‹ des Ankers die Rede sein kann, die Bedeutung, wie für den Parzival charakteristisch, »ein stets entferntes Ziel« 84 (der anker ist ein recken zil; 99,15) darstellt und Wolfram überdies die in der Forschung vorrangig fokussierte symbolische Koordinate des Wappens mit einer Betonung von dessen Materialität engführt, soll zunächst nach den Strategien der Relationierung von Wappenzeichen und materiellen Zeichenträgern gefragt werden - dies eingedenk einer Mahnung Hans Beltings, der zum Verhältnis zwischen dinglichem Trägermedium und Vermitteltem aus kunstgeschichtlicher Perspektive kritisch festhält: Wir trennen heute allzu schnell das Zeichen oder das Bild von seinem Trägermedium, ohne zu bedenken, daß erst die Benutzung eines Schilds oder einer Bildnistafel den Rechtscharakter, und mit ihm den Zeichen- und Bildsinn stiftete. 85 Im Nachfolgenden gilt es nachzuweisen, dass im Ankerwappen und den in der Gahmuret‐ geschichte verhandelten Medien das Semiotische »nicht nur konstituiert und befördert, sondern auch überschritten und unterminiert« 86 wird, dass mithin Zeichenträgern und 89 2.1 Gahmuret I: harnasch und wâpen: Dinge, die der Ritter mitnimmt (Buch I) 87 Raudszus: Die Zeichensprache der Kleidung, S. 104. 88 Peirce: Phänomen und Logik der Zeichen, S. 68; zur Unterscheidung zwischen Ikon, Index und Symbol vgl. ebd., S. 64-67. 89 Quast: Leben als Form, S. 331. - Zur Schwere der Ankerzeichen vgl. auch 23,4-6: anker die swæren / von arâbischem golde / wârn drûfe [auf den Kleidergaben der Belakane] alser wolde. Zu Gahmurets ›Beschwernis‹ schreibt Gephart: »Beladen mit seinem ganzen materiellen und symbo‐ lischen Gewicht zieht er in die Fremde« (Geben und Nehmen, S. 107). Sivertson interpretiert die Schwere von Gahmurets Ankerwappen als Indikator charakterlicher Defizienzen des Protagonisten und als Vorausdeutung auf seinen Untergang: »The actual weight, burden, or heaviness of the anchor, as a symbol, is most important for the analysis of Gahmuret’s character. […] And, Gahmuret was burdened with a weight of portable riches. […] The anchor represented the burdensome weight getragenen Zeichen eine materiell-amediale Seite eignet, der im Handlungsverlauf eine ebenso zentrale wie letztlich fatale Bedeutung zuwächst. An der Szene des Wappenwechsels (vgl. 14,12-15,7) fällt zunächst auf, dass im Zuge der Einführung des Ankerwappens auch der Körper des Helden erstmalig konturiert und nachgerade beiläufig sichtbar gemacht wird - in der Kopplung von Erstbeschreibung und Wappeneinführung ist bereits eine Durchdringung von Körper und Wappen indiziert, die auch Gahmurets Einzug in Patelamunt ihr spezifisches Gepräge geben wird. Überdies wird die materielle Dimension von Zeichen und Zeichenträger im Ensemble mit Nach‐ druck unterstrichen: So wird das Wappen zunächst in seiner materiellen Gemachtheit beschrieben, als ûf sîne kovertiure gesniten (14,16) sowie auf wâpenroc und kursît (14,25) genæt (14,27), als auf Veranlassung des Trägers hin (vgl. 14,24) auf Kleidung und Waffen applizierter Gegenstand, in seiner konkreten und farbigen Stofflichkeit also - alle Anker auf Pferdedecke, Schild und Kleidern sind aus leuchtend weißem Hermelinfell gefertigt (vgl. 14,17 sowie 14,27), d. h. daß dieses Emblem als verbindliches Zeichen seine imposante und kostbare Ausstattung dominiert und so die Kohärenz seiner Erscheinung gewährleistet. 87 Die Kleidungs- und Wappenbeschreibung wird daraufhin mit dem konkreten Referenten des Zeichens, dem Anker von Gahmurets Schiff, in Verbindung gebracht und damit als Index desselben, sprich: als »einzige Art von Zeichen, dessen Objekt notwendigerweise existiert« 88 , ausgewiesen: sîn anker heten niht bekort ganzes lands noch landes ort, dane wârn si ninder în geslagen: der hêrre muose fürbaz tragen disen wâpenlîchen last in manegiu lant, der werde gast, Nâch dem anker disiu mâl, wand er deheiner slahte twâl hete ninder noch gebite. (14,29-15,7) Das Ankerwappen wird als last bezeichnet, es partizipiert somit »in einem physischen Sinne an der Schwerkraft des Bezeichneten, die Eigenschaft des Ankers geht auf das Zeichen über.« 89 Mit der den Anker in seiner Zeichenhaftigkeit hervorhebenden Epiphrase Nâch 90 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival of the riches for which Gahmuret served. Heavy anchors adorned his equipment. […] Gahmuret’s wâpenlîchen [sic] last (15,3), the anchor, symbolized his service for riches; and this weight, this burden of riches to which he had attached his loyalty, ruined him: ›hie kumt der anker, fîâ fî‹ (80,5)« (Loyalty and Riches, S. 138f.). Sivertsons einsinnige Aburteilung Gahmurets als Figur, die Loyalität einzig seinen »riches«, nicht hingegen Ländern und Menschen gegenüber beweise (vgl. ebd., S. 146), als Negativexempel eines Menschen, »who hoarded, praised and worshipped those riches« (ebd., S. 149), ist an Wolframs Text, ohne Blick auch auf die Diversität der Loyalitätsbeziehungen und die Entwicklungen derselben kaum zu belegen. 90 Vgl. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil, S. 77f. Einführend aus mediävis‐ tischer Perspektive zu Cassirer vgl. Hammer: Tradierung und Transformation, S. 25-54. - Für die Wahrnehmung und Aufwertung solcher syntaktisch-rhetorischer Mehrdeutigkeiten und Ambi‐ guitäten, wie sie beispielsweise in dem von Wolfram und in der Heldenepik (nicht hingegen im höfischen Roman; vgl. Hartmann: Stellenkommentar zu 60,7, S. 56) vielfach verwendeten Stilmittel der constructio ἀπὸ κοινοῦ begegnen, plädiert jüngst eindringlich Sophie Marshall, die darauf zielt, »[d]en Text in seiner mehrdeutigen Komplexität sprechen zu lassen, die bei reflexhaft-disambigu‐ ierender Lektüre verworfene Lesart in den Blick zu nehmen […]. Damit einher gehen eine Auffassung von Sprache und die Notwendigkeit eines Beschreibungsmodus, die ein Diskurs bietet, der sich der Mehrdeutigkeit der Sprache seit seinen Anfängen, seit dem Postulat eines das Bewusstsein unterlaufenden Unbewussten, verschrieben hat: die Psychoanalyse« (Unterlaufenes Erzählen, S. 5). 91 Karg: Bilder von Fremde in Wolframs von Eschenbach Parzival, S. 29. dem anker disiu mâl, die ebenso wie der ganz materielle wâpenlîche last als Akkusativobjekt dem Verb tragen zugeordnet ist, wird die Kontamination von Bedeutung und Materialität auch rhetorisch augenfällig - im wâpen fallen Zeichen (mâl) und Ding (last) in eins. Mit Ernst Cassirer ließe sich hier von einer für das ›konkrete Denken‹ typischen Konkreszenz respektive Koinzidenz sprechen, die die Grenzen zwischen Zeichen und Bezeichnetem, Materialität und Bedeutungsmoment als übergängig ausweist. 90 Eine metaphorische Rela‐ tion besteht überdies zwischen Gegenständen und Raum: Während die Hermelinanker auf Textil und Schild gesniten und genæt werden, sind die realen Schiffsanker (noch) in kein Festland geslagen. Was sich an Gahmurets Erst- und Zweitkörper bereits als Einschreibung mit verkleinerten Ankermodellen vollzieht, bezeichnet somit vorausdeutend etwas, das für die ersten beiden Bücher des Parzival insgesamt prägend ist und das gleich mehrfach als handlungsauslösendes Movens firmiert: die fortwährende Getriebenheit und Unstetigkeit des âventiure-Ritters - »Gahmurets Vita ist das perpetuum mobile einer Ritterexistenz, die nur den Aufbruch in die Welt der aventiure kennt«. 91 In den selbstironischen Worten des Ritters: ich kan ze lange sitzen: / daz tuon ich niht mit witzen (29,19f.). Mit der Engführung von künstlich gefertigtem, verkleinertem wâpen-Modell und dem Modellierten als Referenzobjekt wird zudem eine Möglichkeit der Relationierung von Kunst und Wirklichkeit vorgeführt, die als zugleich metonymisch und paradoxal-metaphorisch zu bezeichnen ist: Wie das Ding ist das Wappen schwer, doch ungleich den auf Gahmurets Körper fixierten Modellen sind die realen Anker noch ninder în geslagen (15,1), hat Gahmuret eben noch keinen Herrschaftsraum, weder ein ganzes noch ein Stückchen lant (14,30). Es deutet sich eine dialektische Verschränkung von Verheißung und Erfüllung an, die nicht zuletzt auch als verdeckte Aussage über die Funktion der Gahmuret-Geschichte im Kontext des Romans zu lesen ist. Während zu Beginn des Parzival ›Fiktionalität‹ in der Mischung, der literarischen Modellierung divergierender zeitgenössischer Rechtsbräuche indiziert war, wird vergleichbar auch im ›modèle reduit‹ des Ankerwappens das Verhältnis 91 2.1 Gahmuret I: harnasch und wâpen: Dinge, die der Ritter mitnimmt (Buch I) 92 »[S]chließlich scheint als drittes Ordo-Element auch die Pondus-Idee auf, die Sündhaftigkeit mit Bürde und tugendhafte Reinheit mit Schwerelosigkeit konnotiert, wenn der Gral auf mirakulöse Weise sein Gewicht wechselt, ist er doch für eine reine Jungfrau wie Repanse de schoye tragbar, für einen Sünder aber zu schwer« (Ernst: Wolframs Gral und der Schatz der Templer, S. 200). 93 Hellmann: Ordo, S. 119. 94 Aug., Conf. XIII, 9: Corpus pondere suo nititur ad locum suum. pondus non ad ima tantum est, sed ad locum suum. ignis sursum tendit, deorsum lapis. ponderibus suis aguntur, loca sua petunt. Übersetzung: »Den Körper zieht sein Gewicht an seinen Ort. Nicht nach unten nur zieht es ihn, sondern an seinen Ort. Das Feuer strebt empor, der Stein hinab, beide treibt ihr Gewicht, sie suchen ihren Ort.« Max Walther grenzt diesen vorrangig kosmologischen augustinischen pondus-Begriff von demjenigen Gregors des Großen ab: Dieser habe dem pondus-Gedanken als ausschließlich »anthropologische[m] Terminus« eine »antithetische Struktur« unterlegt und ihn so, durchaus gegen die gelehrte Tradition, zum zentralen Wesensmerkmal menschlichen Existierens überhaupt erhoben; genannt sei hier zum Beispiel der Gedanke, »daß der pondus virtutis vor dem Aufstieg zur falschen Höhe bewahrt und in der echten Tiefe zurückhält« (Zitate aus Walther: Pondus Dispensatio Dispositio, S. 69-71). 95 Vgl. Noltze: Stellenkommentar zu 9,22, S. 57. So bereits Grimm: Deutsche Mythologie, S. 826. 96 »Die Höhe, nach der sein Herz strebt, lässt sich genauer bestimmen als Streben nach sozialem Rang, denn es ist ein intelligentes Kalkül, nach dem sich Gahmuret die besten Chancen, reich und berühmt zu werden, ausrechnet« (Schmid: Studien zum Problem der epischen Totalität, S. 58). - Zur schwellenden Brust Gahmurets und später Parzivals (vgl. 118,29-119,4) s. ebd., S. 92: »Das schwellende Herz ist signum des echtgeborenen Ritters, der Parzival als Gahmurets Sohn ist, aber es wird unter dem Aspekt der beobachtenden Herzeloyde zum Signal der endgültigen Trennung.« der Kunst und der Artefakte zur diegetischen Wirklichkeit als eines der Kontamination ebenso wie der Differenz diskursiv. Die Belastung des Helden mit seinem Wappen lässt sich, angeregt von Ulrich Ernsts Ausführungen zum Gral, vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Denkfigur des pondus animi im theologischen Kontext verorten. 92 Auf die aristotelische und die stoische Physik rekurrierend, verhandeln mittelalterliche Theologen, darunter am prägendsten die Kir‐ chenväter Augustinus und Gregor der Große, unter dem Begriff pondus »jene Kraft, die jeden Körper an den ihm zugeteilten Ort im Raum zieht und ihn da festhält.« 93 Körperlich-Materielles wird im Gegensatz zum Geistigen (animum) einerseits mit belas‐ tend-sündhafter Schwere (pondus peccati) konnotiert, andererseits fungiert der pondus auch als ordnungsstiftendes Element, indem er den Dingen ihrer elementaren Zusammensetzung entsprechend den ihnen zukommenden Ort zwischen Zentrum und Peripherie des Univer‐ sums zuweist. 94 Diese philosophische Universalie bildet sich in Wolframs Gahmuretfigur analog ab: So kann dessen Selbstbeschreibung im Dialog mit seinem Bruder zu Beginn des I. Buches nicht nur eine Anspielung auf das Rad der Fortuna, 95 sondern auch ein Reflex auf den oben umrissenen Kontext entnommen werden: welt ir und diu muoter mîn mir teilen iwer varnde habe, so stîge ich ûf und ninder abe. mîn herze iedoch nâch hœhe strebet: ine weiz war umbez alsus lebet, daz mir swillet sus mîn winster brust. (9,20-25) Die Gahmuretfigur steht beim Auszug aus Anschouwe zwischen zwei räumlichen Extrem‐ polen, seinem himmelwärts (ûf) strebenden, schwellenden herze  96 und einem in die Tiefe 92 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 97 Ähnlich Schuler-Lang: »In der Bezeichnung des Ankers als wâpenlîchen last und der Betonung des Fremdheitsaspekts kommt zum Ausdruck, dass sich Gahmurets Drang nâch hœhe (Pz. 9,23) und nâch prîse (Pz. 15,25) als nicht völlig unproblematisch erweist« (Wildes Erzählen, S. 122). Zu einer weiteren metonymischen Dimension des Höhe-Motivs Mersmann: »Sein nach hœhe strebendez herze (9.23) treibt ihn zum höchsten irdischen Ziel, zum Baruk von Baldak, der hœsten hant auf Erden (13.12ff.). Hier sind die Weichen gestellt zu dem die ganze bewohnte Erde umfassenden Geschehen der Dichtung« (Der Besitzwechsel und seine Bedeutung, S. 114). 98 So Ortmann, die in der Beschreibung des Feirefiz an späterer Stelle eine Komik indiziert sieht, »die in den beiden lautstarken, übertrieben aufwändigen und naiv schaustellerischen Prunkzügen Gahmurets in die Städte Patelamunt und Kanvoleis schon vorgebildet ist« (Ritterschaft, S. 680). S. auch Bertau, der Gahmurets Einzug »von ironischem Pomp« gekennzeichnet sieht (Deutsche Literatur im europäischen Mittelalter, S. 871). 99 Schu: Vom erzählten Abenteuer, S. 102. 100 Vielleicht ja in Korrespondenz zu der bei Gottfried zu lesenden Ankunft Tristans und der Jagdgesell‐ schaft am Markehof: In dieser präsentiert die Jagdgesellschaft einen erlegten und unter der Anleitung des höfisch-exzeptionellen Tristan künstlich wieder zusammengesetzten Hirschkörper (sog. Hirsch‐ bast). Zur Inszenierung der Ankunft gehören hier weiterhin die musikalische Untermalung unter der Leitung des ›ersten Horns‹ Tristan (dagegen im Parzival: ein ganzes Orchester aus Fiedlern, Flötenspielern und einem Trommler) sowie die aus der Gruppe herausgehobene Inszenierung der eigenen Erscheinung (auch hier in Begleitung eines gleichrangigen Begleiters, des Jagdmeisters); vgl. Trist., 3148-3222 und Anm. 424 dieser Arbeit. Zit. nach: Gottfried von Straßburg: Tristan und Isold [Sigle: Trist.]. weisenden pondus, dem selbst kreierten wâpenlîchen last. 97 Im Folgenden ist es nicht nur der Anker, sondern auch diu strenge minne, die ganz parallel zu seinen schweren Dingen die hôhe[n] sinne Gahmurets neiget (35,3f.) respektive sein Herz belastet: des herze truoc ir minnen last (34,16). Diese bereits in der Exposition ausgestellte Spannung wird im weiteren Erzählverlauf zum handlungstreibenden, letztlich gar fatalen Movens, was an späterer Stelle mit Blick auf den zweiten Schlüssel-Gegenstand der Gahmuretbücher, den Adamas, nachgewiesen werden soll (s. Kap. 2.2 dieser Arbeit). Das Wappen wird im Anschluss an die Ankunft Gahmurets in Zazamanc sogleich wieder zum Thema. Der ›Anker‹ hat sich im Dienste des Baruc von Bagdad bereits einen Namen als überragender Kämpfer gemacht, er verdingt sich mittlerweile als Söldner. Im Zuge der Schilderung des multisensuell-spektakulären und ins Komische spielenden Einzugs seines Trosses 98 in die vom Kriegselend gezeichnete Stadt Patelamunt sind es zunächst Knappen, Ausrüstung (harnas) und Wappen, die das abschließende und krönende Einreiten Gahmurets, des »perfekte[n] Regisseurs seiner Auftritte« 99 , unter den Augen des Belakaneverbands ankündigen. 100 Von den im Fenster liegenden Damen wird erzählt, si næmen des vil rehte war, sîne knappen und sîn harnas, wie daz gefeitieret was. dô truoc der helt milte ûf einem hermîn schilte ine weiz wie manegen zobelbalc: der küneginne marschalc hetez für einen anker grôz. ze sehen in wênic dar verdrôz. dô muosen sîniu ouge jehen 93 2.1 Gahmuret I: harnasch und wâpen: Dinge, die der Ritter mitnimmt (Buch I) 101 Zu der an dieser Stelle anzusetzenden Bedeutung von hermîn (›mit Hermelin überzogen‹) vgl. Bartsch: Stellenkommentar zu 516 [18,6], S. 24. 102 In der Szene der Wappenwahl Gahmurets werden leuchtend weiße Hermelinanker auf farblich unbestimmtem Grund präsentiert (vgl. 14,15-19), hier nun ist das Feld weiß und der Anker zobelschwarz. Wandhoff sieht an dieser Stelle eine poetologische Aussage impliziert: »Mit schwarzer Figur in weißem Feld wird das Wappen einer Schrift noch ähnlicher, und diesen Eindruck verstärken die vielen kleinen Zobelbälge, aus denen sich der große Anker zusammenfügt: Man mag an einen großen Signifikanten denken, der aus diskreten Einzelbuchstaben gebildet ist. Der Farbenwechsel vollzieht sich außerdem zu einem Zeitpunkt, als Gahmuret, der Weiße, ins Land der Mohren kommt, wo sein Anker zum ersten Mal in festen Grund gehen wird […]. Der schwarze Anker gräbt sich in den weißen Sand von Patelamunt, wo er in Gestalt von Feirefiz wahrhaft bleibende Spuren hinterlassen wird: Spuren, von denen es später heißen wird, sie sähen aus wie beschriebenes Pergament« (Schwarz auf Weiß, S. 154). 103 Hier zeigt sich überdies, dass Gahmuret mit dem Anlegen seines Ankerwappens keinesfalls »seine Herkunft und edle Abstammung verleugnet. Vielmehr gibt er sich als Anschewin zu erkennen oder wird als solcher erkannt […], aber seine Herkunft und Sippenzugehörigkeit sind nicht Kern seiner Identität und seines Selbstverständnisses« (Brall: Gralsuche und Adelsheil, S. 181). 104 Gemeint ist die oben zitierte Textstelle (18,2-16). daz er hêt ê gesehen disen ritter oder sînen schîn. daz muost ze Alexandrîe sîn, dô der bâruc dervor lac: sînen prîs dâ niemen widerwac. (18,2-16) In der visuellen Wahrnehmung des Marschalls und der Damen kommt vor allem dem Schild des Helden und dem auf diesem angebrachten Ankerwappen aus Zobel besondere Aufmerksamkeit zu. Der ausführlich geschilderte Wahrnehmungsprozess verläuft vom Erblicken des mit Hermelinfell überzogenen Schildes 101 über die Identifikation der auf diesem angebrachten zobelbalc als Anker - die Farben von Feld und Bild haben seit der ersten Beschreibung des ander wâpen offenbar gewechselt 102 - hin zum Wiedererkennen des Anführers (disen ritter oder sînen schîn), wie sich wenig später herausstellt: des Anschevîn von hôher art (21,13). 103 Die Wappenlektüre des Marschalls gibt zunächst einen beiläufigen Einblick in eine von Wolfram elliptisch ausgesparte Handlung im Dienste des Baruc (18,11-16): Der Held kämpft und agiert offenbar, auch ohne dass davon erzählt würde, und die Dinge beglaubigen diese Vergangenheit, sie machen sie zuallererst sichtund, zumindest in Andeutungen und Vermutungen (daz muost ze Alexandrîe sîn; 18,14), auch erzählbar. Nachdem der Einzug von Gahmurets Tross hier aus der Perspektive der Damen und Lachfilirosts mit Fokus auf dem Wappenschild beschrieben wurde (17,30-18,16), setzt der Erzähler noch einmal neu an und schildert nun en détail die ganze Opulenz von Gahmurets Auftritt. Auch der Schild wird hierbei ein weiteres Mal Gegenstand der Darstellung: daz niunde [ors] sînen satel truoc: ein schilt, des ich ê gewuoc,  104 den fuorte ein knappe vil gemeit derbî. […] (19,3-6) Der Erzähler legt großen Wert auf die Reihenfolge der Ankömmlinge, er lässt den Schild, eigens von einem Pferd getragen, noch vor den die Fremde beschallenden und diese damit, 94 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 105 »Inszeniert ist hier eine akustische Inbesitznahme: Die Fremde wird beschallt und gerade nicht wahrgenommen« (Baisch: Ästhetisierung und Unverfügbarkeit, S. 238). 106 Zur historischen Dimension solch körperlicher Verdopplung Belting: »Bei großen Lehensherren wurde der dialogische Bezug von Bild und Wappen gleichsam in corpore aufgeführt, wenn der Körper des Wappenbesitzers hinter Herolden oder Knappen einherschritt, welche sein Wappen ihm vorantrugen« (Porträt und Wappen, S. 93). 107 Seitter: Das Wappen als Zweitkörper und Körperzeichen, S. 304. Zum Verhältnis von leiblichem Körper und abstraktem Körperzeichen hält Belting fest: »Wappen erweitern die Präsenz eines Wappenherrn auch dorthin, wo sein Körper nicht hinreichte« (Porträt und Wappen, S. 92). 108 Eine komische(re) Kontrafaktur dieser Einzugsszene, die ebenfalls die Aufspaltung von anthro‐ pomorphem Erst- und dinglichem Zweitkörper thematisiert und die Grenzen zwischen beiden Erscheinungen verwischt, ist in Wolframs Titurel nachzuweisen; vgl. den Exkurs zum ›Niesen der Schilde‹. 109 Czerwinski: Der Glanz der Abstraktion, S. 42. 110 Schulz: Schwieriges Erkennen, S. 193f. wie von Martin Baisch herausgestellt, symbolisch bereits in Besitz nehmenden Musikern 105 und auch vor Gahmuret persönlich einreiten - so wird ex post ersichtlich, dass in der Wahrnehmung des Marschalls nicht der schildtragende Ritter in den Blick geraten ist, sondern einzig der Schild als metonymischer Zweitkörper, dessen Auftreten von dem der Figur indes nicht zu unterscheiden war. Die Formulierung dô truoc der helt milte / ûf einem hermîn schilte … (18,5f.) ist ja zumindest als mehrdeutig anzusprechen, da sie noch im Uneindeutigen belässt, ob nicht Gahmuret bereits im Ensemble mit seinem Schild in Erscheinung tritt, was gleichsam eine im Folgenden weiterzuverfolgende Bewegung der Substitution von Wappen und Wappenträger indiziert. 106 Das Wappen fungiert hier als »Avantgarde« oder vorgeschobene »Parallelaktion« des Erstkörpers […]. Nur im Schutz eines solchen Vor-Körpers, nur im Sich-Stützen auf einen solchen Zweit-Körper kann nämlich der Erstkörper sich halten und in der Distanz seines Hinterhaltes den Spielraum zum Aushalten der anprallenden Dinge bewahren. Und nur einem solchen ebenbürtigen Körper kann zugemutet werden, daß er kundgibt, was für ein Körper dahintersteckt.  107 Das Erblicken des Ankers, indexikalisches Zeichen und Körper (Gahmuret) in einem, lässt den Marschall disen, den zu diesem Zeitpunkt noch körperlosen, aber personaldeik‐ tisch schon eindeutig bezeichneten ritter oder sînen schîn (18,13) wiedererkennen und überdies in der Doppelformel andeutungsweise als zweifach anwesenden, gewissermaßen metonymisch verdoppelten Körper identifizieren. 108 In diese Lektüre fügt sich, dass schîn einerseits topisch als heroischer Glanz, als ›diaphane‹ Aura und »sinnlich unmittelbar gegebene Dinglichkeit, die dennoch auf einen hinter ihr liegenden Bedeutungsraum […] hin durchscheinend gemacht wird« 109 , aufgefasst, andererseits auch als Umschreibung des materialiter glänzenden Hermelinfells auf Gahmurets Schild gelesen werden kann. In der Perspektive des Marschalls verwischen die Grenzen zwischen Figur und Ding, Erst- und Zweitkörper fallen im semiotischen Prozess des Wiedererkennens in eins: Offenbar scheint dem die Vorstellung zugrunde zu liegen, daß sich in solchen metonymischen Zeichen die körperliche Präsenz des Heros dinghaft und sinnlich wahrnehmbar materialisiert. […] Im Blick auf die Identifikation ist das Zeichen somit wichtiger als sein Träger selbst. 110 95 2.1 Gahmuret I: harnasch und wâpen: Dinge, die der Ritter mitnimmt (Buch I) 111 So zur Stelle Emmerling: Geschlechterbeziehungen, S. 249. 112 Hinzu treten an dieser Stelle noch ›durchstochene Pferde‹ (vgl. 20,2f.): »Dies fällt aus dem Rahmen realistischer Beschreibung: ›Durchstochen‹ könnten die Pferde nicht mehr laufen; das Wort durch‐ stochen wird im ›Parzival‹ (bis auf diese Stelle) nur für Tote oder Sterbende oder für unbelebte Gegenstände (Schilde, Waffenröcke etc.) verwendet, der Begriff verhouwen nur für Schilde und anderes Kampfgerät. […] Das Motiv vom Durchstochenen zieht sich durch die Beobachtungsszene und wird (unpassend und einmalig) auch auf Lebendes übertragen« (Marshall: Unterlaufenes Erzählen, S. 187). Ebenfalls zu berücksichtigen wäre 203,16: Hier ist von einem Pferd die Rede, das zen sîten was durchslagen - wie an späterer Stelle sonst nur Gawans Schild (vgl. S. 186ff. dieser Arbeit), neuerlich also ein unbelebter Gegenstand. 113 Zur »liminalen Stellung von Fenster und Tür« an der vorliegenden Stelle hält Jackson fest: »Einer‐ seits verweist die Stellung zwischen der internen Bequemlichkeit und der externen frischen Luft wohl auf gute medizinische Praxis; andererseits kann man nicht umhin, sie mit dem bevorstehenden Abschied vom Leben zu assoziieren« (Zwischen Innenraum und Außenraum, S. 48f.). Vgl. einführend, mit Blick auf die Grenzfunktionen literarischer Orte Selmayr: [Art.] ›Tor, Tür, Treppe, Fenster‹. Dass es sich hierbei um ein globales Wahrnehmungs- und Signifikationsphänomen handelt, verdeutlicht die im direkten Anschluss geschilderte Darstellung dessen, was Gahmuret vice versa bei seinem Einzug sieht: der hêrre schouwen began manegen schilt zebrochen, mit spern gar durchstochen: der was dâ vil gehangen für, an die wende und an die tür. si heten jâmer unde guft. in diu venster gein dem luft was gebettet mangem wunden man, swenn er den arzât gewan, daz er doch mohte niht genesen. der was bî vînden gewesen. (19,20-30) Eindrücklich schildert Wolfram das Leid der belagerten Bevölkerung Patelamunts und weist damit die gescheiterte Minnebeziehung zwischen Isenhart und Belakane als folgenschweres »gesellschaftliches Problem« 111 aus. Doch der erste Blick Gahmurets fällt nicht auf die an der Luft und sichtbar in den Fenstern lagernden Verletzten, sondern auf die an Wänden und Türen hängenden Schilde. 112 Figuren und Dinge fungieren hier als von Fenstern und Türen, sprich: von gleichermaßen liminalen Orten, 113 gerahmte Symbole der Zerstörung und des Todes - wie die Schilde sind auch die wunden für den Kampf unbrauchbar geworden und im Bild stillgestellt. Eine solch explizite Assoziierung von Figur und Ding im Zeichen des Todes könnte in stärkerem Kontrast zum Einzug des Gahmurettrosses nicht stehen: hier Stillstand und Tod, dort Bewegung und Virilität. Das Schildmotiv wird so zum verdichtet-symbolischen Charakteristikum sich wechselseitig wahrnehmender Parteien stilisiert, und in beiden Fällen sind die Dinge auf das Engste mit den ihnen zugeordneten Figuren verknüpft: Im Falle der wunden als deren Schicksal metaphorisch vorwegnehmende Todessymbole, im Falle Gahmurets als diesen metonymisch ankündigender Zweitkörper. Figuren wie Dinge stehen in einem Verhältnis der reziproken Abbildung zueinander, und aus dem differentiellen Abstand zwischen den als analog imaginierten Beziehungen 96 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 114 Vgl. Lévi-Strauss: Die Struktur der Mythen, S. 232. 115 Wolfram deutet an, die Schilde der Belagerer seien […] ûzen und innen dran / gemâlt als ein durchstochen man, / geworht in Isenhartes lant (42,27-29). Die mit Isenharts Bild auch rückseitig versehenen Schilde werden so, ganz untypisch und ohne realhistorische Entsprechung (vgl. Noltze: Stellenkommentar zu 42,28, S. 160), als dreidimensional-mehransichtige Bilder dem Körper des Verstorbenen angenähert. 116 »Auch wenn die Gefolgsleute des Isenhart im ›Parzival‹ das Bild ihres getöteten Herren im Wappen führen, wird damit vergangenes Geschehen in einem Bild zusammengefaßt und vergegenwärtigt. […] Wie bei der Gegenpartei […] wird die Erinnerung an die Ursache des Konflikts und die Haltung der jeweiligen Partei allen Beteiligten ständig vor Augen gehalten« (Wandhoff: Der epische Blick, S. 190). 117 Schmid: Studien zum Problem der epischen Totalität, S. 69. 118 Hartmann: Heraldische Motive, S. 167. 119 Hartmann: Heraldische Motive, S. 167. 120 Wandhoff: Schwarz auf Weiß, S. 155. (zerstörte Schilde - wunde, Wappenschild - Gahmuret) ergibt sich ein intrikates ›Bezie‐ hungsbündel‹, 114 das die Fragilität des Ritter-Körpers an der Schwelle zwischen Leben und Tod ins Bild setzt und mit der zeitlichen Differenz zwischen schon zerstörten Dingen und noch nicht toten Figuren eine dunkle Vorausdeutung auch auf Gahmurets eigenes Schicksal zeitigt - eine Suggestion mithin der Gleichzeitigkeit von Verheißung und Erfüllung, Gegenwart und Zukunft, wie sie bereits der Einführung von Gahmurets Wappen abzulesen war. Das Gahmurets visuellen Eindruck von der belagerten Burg durchprägende Motiv durch‐ stochener Gegenstände und Figuren wird im Folgenden noch ergänzt um die Abbildung des Isenhart’schen Schicksals auf den Schilden 115 und den Fahnen der Belagerer, »Doku‐ mente[n] optischen Gedenkens«, 116 die dem Protagonisten nach seiner ersten Begegnung mit Belakane auf einem Rundgang durch Patelamunt von ihrem Burggrafen Lachfilirost gezeigt werden: vor ieslîcher porte flouc ob küener schar ein liehter van; ein durchstochen rîter dran, als Isenhart den lîp verlôs: sîn volc diu wâpen dâ nâch kôs. (30,24-28) Vor den Burgtoren wehend, sprich: für die Bewohner der Burg permanent sichtbar, eignet den Fahnen als »vergegenständlichte[r] Form der Feindschaft« 117 ein vorwurfsvoll-kommu‐ nikativer Charakter, den etwa Heiko Hartmann hervorhebt, wenn er das Medium ›Fahne‹ als »Anklage« 118 auffasst und es im Dialog mit der ›Antwort‹ des Belakaneverbands, einer Darstellung der die Hand zum Schwur erhebenden Dame (vgl. 31,1-13), sieht: Fahnenzeichen fungieren hier als Medien von Vorwurf und Widerspruch, zwischen Vorland und Festung findet mit ihrer Hilfe gewissermaßen eine nonverbale Diskussion statt. 119 Wie später beispielsweise in der Gralzeremonie oder bei Ithers Auftritt am Artushof wird schon hier das Misslingen von Kommunikation in divergierenden Zeichensprachen zum Thema: Auf beiden Seiten der Stadtmauern sind zwar »redende[] und […] frei erfundene[] Wappen« 120 in Verwendung, auf der einen ist indes die diegetische Realität, der auch realiter 97 2.1 Gahmuret I: harnasch und wâpen: Dinge, die der Ritter mitnimmt (Buch I) 121 Zu den kommunikativen Defizienzen der vor Patelamunt statthabenden Fahnenkommunikation hält Schmid fest: »Die Ausweglosigkeit der Situation, die weder durch den Sieg der einen noch durch die Niederlage der andern aufzuheben ist, und die Absurdität des Versuchs, das Unrecht durch das ihm inadäquate Mittel der kriegerischen Auseinandersetzung auszugleichen, dokumentieren die Wappenzeichen, stumme Signale, durch welche die beiden feindlichen Heere miteinander kommunizieren« (Studien zum Problem der epischen Totalität, S. 68f.). 122 Marshall: Unterlaufenes Erzählen, S. 215, Anm. 230. aufgebahrte und wundenübersäte Körper des Toten (vgl. 51,13), mimetisch abgebildet - es handelt sich also wie schon bei Gahmurets Ankerwappen um ein indexikalisches und zudem ein spontan erfundenes Zeichen -, auf der anderen eine symbolische Gebärde, deren Inhalt, irn geschæhe nie sô leide / wan sît daz Isenhart lac tôt (31,4f.), im Bildmedium nicht zu übermitteln ist und die folglich einer Erläuterung von Belakanes Marschall Lachfilirost bedarf (vgl. 30,29-31,13). Der einfachen steht gewissermaßen eine doppelte Medialisierung gegenüber, die den Aussageinhalt in Bild und symbolischer Gebärde vermittelt und ent‐ sprechend nicht dazu angetan ist, die angespannte politische Situation zu beschwichtigen. 121 Auf einen Kontrast zwischen beiden Wappen deutet überdies, dass nur das Belakane‐ wappen, diu künegîn gemâl (31,7), auf seine Materialität hin durchsichtig gemacht wird (vgl. 31,9f.) und zudem auch das Motiv des Dargestellten betreffend irritiert: »Zunächst denkt man, nur die Hand wäre das Wappenzeichen […]; erst später erfährt man, dass offenbar doch Belacanes ganzer Körper abgebildet ist«. 122 Auch das Auseinanderklaffen zwischen kommunikativer Absicht, dâ stille wir ir jâmer mite (30,30), und Realität, sine müesen jâmers wunder hân / (ir herzen regen die güsse warp), / sît an der tjost ir hêrre starp (25,28-30), fügt sich in diese Gegenüberstellung divergierender, dem momentan - wie auch und gerade nach Gahmurets Eingreifen noch - unlösbaren Konflikt entsprechend dysfunktionaler Formen der Mediennutzung und der Kommunikation mit Wappen. Im Isenhartwappen wird zuletzt ein Diskurs aufgerufen, der bereits in der Szene von Gahmurets Einzug in Patelamunt prominent verhandelt wurde: Der abgebildete Moment, als Isenhart den lîp verlôs, deutet noch einmal auf das spannungsreiche Verhältnis zwischen ›verlorenem‹ Erst- und diesen ersetzendem repräsentativen Zweitkörper, Fahne und Wappen treten an die Stelle des durchstochenen Isenhart und verschaffen diesem post mortem eine nur mehr mediale, eine raumgreifende und fernkommunikative Präsenz. Und was sich bereits bei Gahmurets Einzug, in der Gegenüberstellung des Ritters mit den in den Fenstern lagernden Todgeweihten angedeutet hat, wird in der variierten Motivwieder‐ holung weiter zugespitzt, indiziert doch die Aufspaltung von Erst- und Zweitkörper die augenscheinlich auch für den fahrenden Ritter, Söldner und Turnierteilnehmer bedrohliche Übergängigkeit von Leben und Tod, lebendigem Menschen und leblosem Ding. Gahmuret, der sich ein Ding zum Vorbild seines Wappens genommen, der sich mit dem Index, dem Modell realer Schiffsanker auch deren pondus angeeignet hat und dessen Körper sich im schweren Wappenschild ankündigt, ist in Patelamunt allenthalben mit spiegelbildlichen Substitutionen und Kontaminationen konfrontiert, welche den verdinglichten Körper, den Leichnam im Wappen, die Verletzung im Schild zur Anschauung bringen. 98 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 123 Polacco und Serres: [Radiointerview] Le sens de l’info. Übersetzung: »MS: ›So ist es. Alles [der Körper, die Erde, das Universum] ist gebastelt. Warum? Wenn es ein harmonisches System wäre, z. B. der Körper, dann wären wir unsterblich […], wenn es keinen Bricolage gäbe, dann gäbe es keinen Tod, keine Krankheit, keine Zeit. Und wenn ich diese Geschichte erzähle, dann ist das eine Erzählung. Die große Erzählung, aus der sich die Erzählung der Welt, des Universums, der Organismen und der Fetische zusammensetzt. […] Diese große Erzählung ist selbst Bricolage, da sie Dinge verknüpft, die nichts miteinander zu tun haben. Folglich ist auch die Erzählung, die literarische Erzählung, die die Dinge miteinander verbindet, von Knalleffekt zu Knalleffekt, unvorhersehbar und kontingent, auch diese Erzählung ist ein Bricolage. Deshalb erzähle ich die Welt wie eine gewöhnliche Erzählung.‹ MP: ›Halten wir also fest: Das Heimwerken ist unser Fetisch! Vielen Dank, Michel Serres.‹« 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) Michel Serres: Et voilà. Donc c’est des bricolages. Et pourquoi ? Parce que si c’était un système harmonieux, par exemple si notre corps l’était, on serait immortel […], s’il n’y a pas de bricolage, il n’y a pas de mort, il n’y a pas de maladie, il n’y a pas de temps. Alors justement, quand je raconte cette histoire, je raconte un récit. Le grand récit qui fait le récit du monde, de l’univers, des organismes et des fétiches. […] Ce grand récit est lui-même un bricolage puisqu’il met ensemble des choses qui n’ont aucun rapport. Et par conséquent, le récit lui-même, le récit littéraire qui associe des choses, enfin de coup de théâtre en coup de théâtre, imprévisibles et contingents, bien ce récit est aussi un bricolage. Et par conséquent, je récite le monde comme un récit ordinaire. Michel Polacco: Et nous retenons que le bricolage est notre fétiche ! Michel Serres, merci. 123 Im Zentrum dieses Kapitels steht der Adamas, ein mythischer Helm aus dem Erbe des Min‐ netoten Isenhart. Es soll im Folgenden nachvollzogen werden, wie seine Bedeutung - auch in Abgrenzung von weiteren in der Gahmuretgeschichte verhandelten Gegenständen - narrativ entfaltet wird, welche Strategien der Sinnstiftung, etwa qua Kontrastierung, qua materieller oder symbolischer Transformation, sich nachvollziehen lassen. Erwies sich in der Analyse des I. Parzival-Buches das fiktive Ankerwappen als Objekt, dessen gegenständliche Schwere mit einer mehrdeutigen symbolischen Dimension in Verbindung gebracht wurde und das, neben seiner Funktion auch als poetologische Chiffre, die Identität des Helden nach außen hin wahrnehmbar medialisiert, das zudem Erfindergeist und Kunstsinn Gahmurets bezeugt, so wird im II. Buch mit dem Adamas ein in die Vorgeschichte des erzählten Geschehens verstrickter, ein gewissermaßen ›vorbelasteter‹ Gegenstand eingeführt, dessen problematische Aneignung in eine fatale Verschränkung von Figuren- und Objektbiographie mündet, der im finalen Kampfgeschehen zum Akteur 99 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 124 Lévi-Strauss: Les bijoux de l’ethnologue, S. 129. So Lévi-Strauss zum ›harten‹ Schmuck ›weicher‹ Körper, zu Juwelen und Edelmetallschmuck indigener Völker sowie zu europäisch-mittelalterlichen Kronen. Übersetzung: »Und daß sie diese Funktion übernehmen können, liegt daran, daß jedes von ihnen dadurch, daß es die stabilsten Materialien, die man in der Natur antrifft, mit Formen verbindet, die gleich den Kronen die Instabilität evozieren, oder aber daß ein jedes seine Härte mit unserer eigenen Fragilität verbindet, en miniature die Allegorie einer idealen Welt verwirklicht, in der es diese Widersprüche nicht zu geben brauchte« (Die Juwelen des Ethnologen, S. 115); allgemeiner: »Indem sich die Menschen mit sowohl harten wie dauerhaften Substanzen schmückten, denen das Alter nichts anzuhaben vermag, übertrugen sie den Gegensatz zwischen dem Stabilen und dem Instabilen auf ihren Körper und versuchten ihn dadurch zu überwinden. In anatomischen Termini ausgedrückt, wird dieser Gegensatz dann zu dem zwischen dem Harte[n] und dem Weichen, der, wie ethnographische Untersuchungen bestätigen, im Vordergrund der Vorstellungen stand, die sich die schriftlosen Völker vom Körper machten« (ebd., S. 110). 125 In von Albrechts Übersetzung: »Da sprach Cygnus: ›Sohn der Göttin - ich habe nämlich durch Fama schon von dir gehört -, was wunderst du dich, daß ich unverwundet bin? ‹ Achilles wunderte sich in der Tat. ›Dieser Helm, den du siehst, mit dem rostroten Pferdeschweif, und der hohle Rundschild in meiner Linken dienen mir nicht als Schutz: Ich trage sie nur als Schmuck. Auch Mars pflegt nur deshalb Waffen anzulegen. Läßt man auch alle Bedeckung beiseite, werde ich doch ohne die kleinste Schürfung davonkommen. Es will etwas heißen, nicht nur von einer Nereide geboren, sondern der Sohn des Gottes zu sein, der Nereus, dessen Töchter und das ganze Meer beherrscht‹«. sowie schließlich mit einem Epitaph beschriftet wird und so Leben und Erzählung von Gahmuret beschließt. Das erbe eines anderen Ritters, Isenharts, konfrontiert den Erblosen mit materiellem Eigensinn ebenso wie mit unkontrollierbarem Sinnüberschuss. Der Adamas steht am Anfang einer Reihe von Rüstungsphantasien, die der Fragilität, der Weichheit und Sterblichkeit des menschlichen Körpers materielle Stabilität, Undurch‐ dringlichkeit und Härte entgegensetzen: Et s’ils peuvent remplir cet office, c’est qu’en alliant les matières les plus stables qu’on rencontre dans la nature à des formes qui, commes celle des couronnes, évoquent l’instabilité, ou bien en associant leur dureté à notre propre fragilité, chacun réalise en miniature l’allégorie d’un monde idéal où ces contradictions n’auraient pas lieu d’exister. 124 2.2.1 Vorgeschichte ›nate dea, nam te fama praenouimus,‹ inquit ille, ›quid a nobis uulnus miraris abesse? ‹ (mirabatur enim) ›non haec, quam cernis, equinis fulua iubis cassis neque onus caua parma sinistrae auxilio mihi sunt; decor est quaesitus ab istis. Mars quoque ob hoc capere arma solet. remouebitur omne tegminis officium, tamen indestrictus abibo. est aliquid non esse satum Nereide, sed qui Nereaque et natas et totum temperat aequor.‹ Ov., Met. XII,86-94 125 Im Anschluss an den Sieg über des getriuwen Îsenhartes man wird Gahmuret von Razalic, dem höchsten und im abschließenden Kampf überwundenen Fürsten (vgl. 41,9-42,6), dem »Medium der Versöhnung« und einer »Figur, die Kraft ihrer lehensrechtlichen Stellung als 100 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 126 Beide Zitate stammen aus Schmid: Studien zum Problem der epischen Totalität, S. 68. 127 Der Reliquienbegriff wird im Folgenden im übertragenen Sinne auf oftmals allenfalls in ausgewählten Aspekten Reliquien ähnelnde Dinge übertragen, er soll auf Sakralisierungstendenzen hinweisen. Zu diesem ›weiten‹ Begriff Habermas: »Die erste Gruppe [von Objekten, die spezifische Andere symbolisieren] eignet sich am besten dazu, den Anderen zu vertreten, im Hier und Jetzt physisch an seine Statt zu treten. Ich möchte sie hier übergreifend als Reliquien bezeichnen. Es sind dem Körper des Anderen besonders nahe Objekte« (Geliebte Objekte, S. 305). 128 So Schmid: »Die Geste mit der Speerspitze dementiert seine Worte, das Ritual, durch das er den Herrschaftsanspruch des Siegers als legitime Nachfolge sanktionieren muss« (Studien zum Problem der epischen Totalität, S. 70). Verhandlungspartner für die Neuregelung der territorialen Verhältnisse vonnöten ist« 126 , zum Substitut und Erbe Isenharts erklärt: Gegenüber Kaylet stellt Razalic zunächst fest, dass Isenhart im Dienste derjenigen erschlagen worden sei, diu nu ist iwers neven wîp (51,1). Er äußert sodann die Bedingung für die dem Sieger gegenüber geforderte Unterwerfung: daz er - Gahmuret - uns wil ergetzen sîn (51,7). Käme er dem nach, so gehöre ihm […] al dâ mite Tankanîs / Isenharten gerbet hât (51,10f.), das ritterlich erworbene träte an die Stelle des dem jüngeren Bruder verweigerten Erbes: eine Kompensation und ein möglicher Kulminationspunkt der Loslösung von der eigenen Sippe. Der seine Rede abschließende deiktische Verweis auf den Toten, der gebalsamet ime her dort stât (51,12), auf das Motiv also, das bereits auf den Fahnen der Belagerer abgebildet war und dessen reales Vorbild nun dort sichtbar zu sein scheint, leitet zu einer Monstranz der tödlichen Speerspitze, diz sper (51,14), über: daz zôch er ûzem buosem sîn an einer snüere sîdîn: hin wider hiengz der degen snel für sîne brust an blôzez fel. (51,15-18) In der Engführung von zweierlei Logiken der Ersetzung ist eine frappierende Diskrepanz zu konstatieren: Während den Worten Razalics zufolge Isenharts Herrscherexistenz endgültig getilgt ist (ich hân hêrren und den mâg verlorn; 51,4) und dessen Funktionsstelle nun von Gahmuret eingenommen wird, verweist das Vorzeigen der Speerspitze auf eine alteritäre Substitionslogik, in der Isenhart eben nicht verlorn ist, sondern in der Quasi-Reliquie sper  127 wie bereits im Wappen seiner Verwandten und früheren Lehensleute präsent gehalten wird, in der der äußerlich befriedete Konflikt mithin fortdauert. 128 Dass die öffentlich behauptete ›Ersetzung‹ Isenharts durch Gahmuret hier unvermittelt neben diejenige Isenharts durch das sper auf Razalics vel tritt, macht ersichtlicht, dass dieser Gegenstand mehr als ein stummes Memorialzeichen ist. Das Ableben des Herrschers, das Enden seiner Macht steht seinem ›Fortleben‹ in den Dingen diametral entgegen. Mit solch konfliktträchtigem Nebeneinander korrespondiert ein Wechsel der Kommunikationssysteme: Die Sprache vermittelt das Offiziell-Rechtliche, die Monstranz des Gegenstandes hingegen das Intime, blôzez fel ›Berührende‹, das Unsichtbare - wie schon die Fahnenkommunikation wird nun dinglich und zugleich sprachlich vermittelte Kommunikation ebenfalls als gestört ausgewiesen. Dass an dieser Stelle die lehnsrechtliche in Kontrast zu einer Religiöses konnotierenden Substitutionslogik tritt, lässt einerseits an der Glaubwürdigkeit von Ra‐ zalics Unterwerfungsrhetorik, allgemeiner an der Möglichkeit einer Ersetzung, in deren 101 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 129 Eine vergleichbare Mehrdeutigkeit ist auch in den vorangehenden Äußerungen Razalics indiziert: Wenn er Kaylet gegenüber klarstellt, er habe Belakane mit seinem - von Gahmuret eingeforderten (vgl. 46,1f.) - Kuss den Tod Isenharts vergeben (umbe ir minne er gap den lîp: / daz hât mîn kus an si verkorn; 51,2f.), fixiert er den als symbolischen Ausdruck des Friedens gedachten Kuss auf eine abweichende Bedeutung, auf eine, die die Rache für Isenharts Tod als gerechtfertigt ausweist und neuerlich Konfliktpotential anzeigt. Wie das Vorzeigen der sper-Reliquie erweist sich auch der Kuss als symbolische Handlung, der Mehrdeutigkeit und Irritationspotential inhärieren. Noltze überlegt, freilich ausgestellt spekulativ, ob nicht bereits Gahmurets Versöhnungsregie dem von Razalic artikulierten Verständnis des Kusses zuspielt: »In der Regel küsst ›bei der Versöhnung der Verzeihende den Schuldigen‹ (Peil S. 207 Anm. 59) - bedeutet Gahmurets Bitte insofern, die Fürsten mögen der ›schuldigen‹ Belakane verzeihen? « (Stellenkommentar zu 46,2, S. 169). 130 Die gesamte Passage (52,23-53,6) ist philologisch stark umstritten. So ist letztlich keine Antwort darauf gefunden worden - und im Anschluss an Schmid soll hier auch »Fragliches fraglich« belassen werden (Studien zum Problem der epischen Totalität, S. 72) -, warum die Sprecher im Singular von mîme hêrren (52,25) sprechen, in welchem Kontext das Zelt mit dem Tod Isenharts steht (vgl. 52,27), wie der Übergang zum helm (53,4) motiviert ist oder an welcher Stelle die Rede der Fürsten endet und von der Erzählerrede abgelöst wird (53,2f. oder 53,6f.). Eine Zusammenschau der verschiedenen Positionen findet sich bei Noltze: Gahmurets Orientfahrt, S. 185-188. 131 Feirefiz erinnert daran, dass seine Länder von Gahmuret erworben worden seien, do der künec Isenhart erstarp (750,18). 132 Zu dieser ›Überblendung‹, insbesondere aus Belakanes Perspektive, vgl. künftig Brüggen: Gesam‐ melte Dinge. 133 »Der Aspekt des Gebens und Nehmens ist in der Regel das tertium comparationis, das die Handels‐ metapher für die Belebung der Darstellung so fruchtbar macht« (Hartmann: Darstellungsmittel und Darstellungsformen, S. 167). Zuge das Ersetzte restlos getilgt würde, zweifeln, 129 es bereitet andererseits auch den Verstehenshorizont für die nachfolgende Szene, in welcher die zentralen Gegenstände aus dem Erbe des durchstochenen, Zelt und Adamas, eingeführt werden. Wie mit Isenhart eine tote Figur so werden nun dessen Dinge, sein harnasch, zu omnipräsenten Akteuren. Im Anschluss an die Rede Razalics werden die Fürsten von Gahmuret belehnt und Isenharts wunderbarer, mit der sper-›Reliquie‹ metonymisch verbundener Helm in die Erzählung eingeführt. Dieser soll auf Bitten der Fürsten hin zusammen mit seinem pracht‐ vollen Herrscherzelt Gahmuret umb âventiure gelt (52,26) übergeben werden. 130 Damit kommt Gahmuret ein Lohn, gelt, für seinen Einsatz zu, welcher Isenhart verwehrt blieb: unvergolten dienst im tet ze wê (53,2). Nicht zuletzt diese semantische Auffälligkeit in der Rede der Fürsten, die Dopplung von Begriffen aus dem Wortfeld gelt(en), verweist wieder auf eine Logik der Ersetzung (Isenharts durch Gahmuret), in der das Isenhart verwehrte gelt, der Lohn für seinen Minnedienst, nun Gahmuret zuteil wird - das Ersatzmotiv markiert, auch noch im XV. Buch, 131 eine prägnante Überblendung von Isenhart- und Gahmuretvita, die sich im harnasch manifestiert und eine abgründige Vorausdeutung auf Gahmurets Zukunft zeitigt. 132 Dieser tritt nun ein doppeltes Erbe an, ein Erbe von Dingen einerseits und von der ihnen eingeschriebenen Vorgeschichte andererseits. Dieser assoziativen Textbewegung entsprechend, verknüpfen die Fürsten in ihrer Rede die Gabenmit der Todesthematik sowie der Pfandmetaphorik: So wird die fatale Weggabe der Rüstung Isenharts, der zierde unsers landes (52,29), mit der Verpfändung seiner Freude verglichen: sîn freude diu stuont phandes (52,30) 133 - ein Gedanke, der im Folgevers vermittels der figura etymologica ›stuont - stêt‹ fortgeführt und mit Isenharts ausgestelltem Leichnam assoziiert wird: er stêt hie selbe 102 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 134 Auf die vielleicht komische Wirkung des »aggressiven Lexems« ouch, das hier die Auflösung einer Syllepse (sîn freude diu stuont phandes—er … ame rê) indiziert, verweist Johnson mit Bezug auf eine vergleichbare Stelle (282,8-10): »Syntax und Semantik erwecken den leisen Verdacht, daß der Dichter ironisch und auf schalkhaft gedämpfte Weise eine aufgelöste Syllepse oder ein aufgelockertes Zeugma benutzt, oder zumindest das schattenhafte Muster davon, das er in vollendeter Form ausspart, aber dem Zuhörer doch suggeriert« (Die Blutstropfenepisode in Wolframs Parzival, beide Zitate: S. 311). 135 Es wäre auch ein analeptischer Bezug auf daz gezelt (52,25) denkbar; dagegen spricht allerdings, dass einerseits von einem Zelt hie (52,26) die Rede ist, andererseits von der zierde als Gabe an Fridebrant, auf die Hiuteger daraufhin mit eindeutigem Bezug auf den Adamas zu sprechen kommt (vgl. Nellmann: Stellenkommentar zu 52,29, S. 481). Erst im Nachhinein, bei der Begegnung mit den schottischen Boten auf hoher See, werden nähere Informationen über die auf Fridebrant übergegangenen Gegenstände nachgereicht: Zu diesen gehören neben dem Adamas noch ein swert, ein[] halsperc und zwuo hosen (58,13). 136 Weiterhin signifikant scheint mir an dieser Stelle die Formulierung von arde, die im Parzival im Regelfall über die genealogische Disposition, den Stand oder die herausragenden Eigenschaften von Figuren Auskunft gibt (vgl. z. B. 48,5; 52,10; 56,11; 152,19; 475,3; 722,3; 746,12). Mit Bezug auf Dinge ist von art nur im Falle der Edelsteine auf Feirefiz’ orientalischer Rüstung die Rede (vgl. 735,18 und 773,19). So eröffnen nicht zuletzt semantische Ähnlichkeiten in der Beschreibung von Rüstungsgegenständen paradigmatische Bezüge zwischen Vater (Gahmuret) und erstgeborenem Sohn (Feirefiz). Solche formelhaften Entsprechungen mögen auch darauf zurückzuführen sein, dass, wovon auszugehen ist, »die Gahmuret-, Gawan- und Feirefiz-Episoden[] zusammenhängend gefertigt« sind (Czerwinski: Der Glanz der Abstraktion, S. 135). 137 Aus den Äußerungen Belakanes wird ersichtlich, dass das Zelt bereits zu Beginn der Belagerung von den Leuten Vridebrants ûf diz velt (27,18) gebracht wurde. Aus 54,11f. ergibt sich, dass das Zelt nach der Räumung des Feldes (es stuont al blôz) als einziger sichtbarer Ausweis der vergangenen Geschehnisse noch am selben Platz wie zu Kampfbeginn steht. ouch ame rê (53,1). 134 Mit dieser assoziativen gedanklichen und sprachlichen Verknüpfung wird die Rüstungsweggabe nicht nur auf der Handlungsebene als fatal ausgewiesen, sondern auch auf sprachlicher Ebene und engstem Raum mit der Präsenz des Toten verbunden und die nun zu untersuchende Einführung des Adamas unter das Vorzeichen der Weg- und Selbstaufgabe gestellt. Der Helm, zentraler Bestandteil der ritterlichen Ausrüstung Isenharts, wird als zierde unsers landes (52,29) eingeführt. 135 Er ist indes noch nicht verfügbar und räumlich weit entfernt, da er sich zur Zeit im Besitz des Herrschers von Schottland, Fridebrant, befindet: ûf erde niht sô guotes was, der helm, von arde ein adamas dicke unde herte, ame strîte ein guot geverte. dô lobte Hiutegêres hant, swenner kœme in sînes hêrren lant, daz erz wolde erwerben gar und senden wider wol gevar. (53,3-10) Der Fokus dieser hyperbolischen Einführung liegt gleichermaßen auf den materiellen wie den immateriellen Eigenschaften des Helms, dem, als guot geverte personifiziert, 136 eine Beweglichkeit zugeschrieben wird, die ihn von dem Zelt, dem zweiten signifikanten Isenhart-Erbe, abhebt. 137 Die Informationen zur Materialität des Helms erschöpfen sich 103 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 138 Ingarden: Vom Erkennen des literarischen Kunstwerks, § 12, S. 61. 139 Blamires bezeichnet den Adamas als »vague and obscure« (Characterization and Individuality, S. 34). Dieser Eindruck bestätigt sich an späterer Stelle, in der Beschreibung von Gahmurets harnasch, in welcher der Helm, ganz im Gegensatz zu den übrigen Rüstungsgegenständen wie Schild oder Waffenrock, erneut auffallend unbestimmt bleibt (vgl. 70,13-71,28). 140 Vgl. Marshall: Unterlaufenes Erzählen, S. 203. 141 So bereits Heinzel über diesen »Gegenstand, der bald als ein Zelt, bald als ein Harnisch oder Helm bezeichnet wird«, der also »alle drei Dinge, ja noch einige mehr umfasst […]. Wenn Belakane I 27,15 von Isenhart, der in ihrem Dienst den Tod gefunden hat, sagt: er gap durch mich […] sîn harnas enwec, so meint sie das ganze hergewæte, das Zelt und jene Schutz- und Trutzwaffen, welche einen dauernden Besitz bezeichneten, Helm, Schwert, Harnisch im engeren Sinne, Eisenhosen […], demnach alles ausser Speer und Schild, Dinge, die keinen besonderen Werth hatten und oft erneuert werden mussten« (Ueber Wolframs von Eschenbach Parzival, S. 99). Zu dieser schwierigen Stelle, an der die Bedeutung des Begriffs harnas ganz wesentlich von der Interpunktion in 27,16 abhängig ist - Komma (so Lachmann) oder Punkt (so Leitzmann) nach enwec -, vgl. mit weiterführender Literatur Noltze: Stellenkommentar zu 27,15, S. 122-126. Jenseits des Irritationspotentials, das dieser Stelle zu eigen ist, lässt sich als inhaltlich unstrittig festhalten, dass Isenhart zweierlei weggibt, »seine Rüstung u n d das Zelt (vgl. Pz. 61,9ff.)« (Noltze: Gahmurets Orientfahrt, S. 122). Ob nun beides mit dem Oberbegriff harnas bezeichnet wird (dies insinuiert die von Lachmann vorgeschlagene Interpunktion: sîn harnas […], daz als ein palas dort stêt) oder die Erwähnung des Zeltes als »assoziative[r] Seitengedanke[]« (so Noltze: Gahmurets Orientfahrt, S. 124f.), daz in 27,16 also nicht als rückbezügliches Relativum, sondern als Demonstrativum aufzufassen ist - zentral ist hier, dass Zelt und Rüstung assoziativ oder gar semantisch aneinanderrücken. Zu der bereits von Heinzel beobachteten Erzähltechnik der assoziativen Abschweifung (Ueber Wolframs von Eschenbach Parzival, S. 99) vgl. auch den ‚Exkurs zu Parzivals Angriffswaffen I‘. 142 Stock: Das Zelt als Zeichen und Handlungsraum, S. 79. Zur symbolischen Funktion des Zeltes Gephart: »Wie bei jedem Kleinod aber, dem mit der Geschichte seiner Besitzer eine eigene Geschichte zugewachsen ist, mischen sich auch bei diesem Zelt […] die heilsträchtigen mit den unheilvollen Elementen« (Geben und Nehmen, S. 116). freilich in der Nennung zweier Qualitätsmerkmale, dicke unde herte, welche keinerlei »lebendige und bunte Ansicht[]« 138 des Gegenstandes ermöglichen, sondern die Bedeutung des Edelsteins als ›guter Gefährte‹ unmittelbar mit seinen Proprietäten verknüpft. Die Beschreibung lässt jegliche wahrnehmbare Eigenschaft missen und den unverfügbaren Helm so auch zu einem fast gänzlich unbestimmten Gegenstand werden, 139 dessen meto‐ nymische Anbindung an seinen toten Vorbesitzer Isenhart, den ›Eisenharten‹, auch durch die Nennung des Attributs herte augenfällig wird. 140 Dunkel bleiben weiterhin die Gründe für die Trennung von Rüstung und Zelt, die ja zuallererst unter einem Sammelbegriff, sîn harnas (27,15), eingeführt wurden: 141 Diese mag einerseits kausallogisch darin begründet sein, dass vor allem der wertvolle Helm, pars pro toto für die gesamte ritterliche Ausrüs‐ tung, deren übrige Bestandteile hier bezeichnenderweise noch keine Erwähnung finden, die Begehrlichkeiten auch der am Vergeltungskrieg gegen Belakane beteiligten Fürsten geweckt haben könnte; andererseits mag sie final auf die spektakuläre Zusammenführung mit Gahmuret am Ende des I. Buches hin, gewissermaßen ›von hinten‹ motiviert sein - in jedem Falle exponiert sie die Unverfügbarkeit des begehrten Objekts. Zelt und Adamas werden einander in diametral entgegengesetzten Funktionen ge‐ genübergestellt, »als mahnendes Zeichen« 142 , als ausschließlicher Bedeutungsträger und unbewegliches Raumrequisit auf der einen und als nicht zur Ruhe kommender Gebrauchs‐ gegenstand auf der anderen Seite, als ›Objekt‹ im Sinne Latours, das als »Pendler zwischen 104 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 143 So Streit zu Gahmuret und Parzival, ohne Bezug auf den Adamas (Von Soltane nach Munsalvaesche, S. 237). 144 Latour: Der Berliner Schlüssel, S. 39. 145 Pomian: Der Ursprung des Museums, S. 49f. 146 Kubler: The Shape of Time, S. 12. 147 In Edith und Gerhard Binders Übersetzung: »[D]ann ergreift er die blank geputzten Beinschienen aus einer Legierung von geläutertem Silber und Gold, die Lanzen und den Schild mit dem unbeschreib‐ lichen Gefüge seiner Bilder. Darauf hatte der Beherrscher des Feuers die Geschichte Italiens und die Triumphe der Römer - wohlvertraut mit den Prophezeiungen und in Kenntnis künftiger Zeiten - dargestellt, darauf auch den ganzen Stamm späterer Nachkommen von Ascanius an und die von ihnen der Reihe nach ausgetragenen Kriege.« den Welten« 143 noch »unsichtbar, ›für sich‹ ist« 144 , dessen Wege durch die Erzählwelt wie diejenigen Gahmurets oder auch Parzivals in Teilen dunkel bleiben und somit die Ausschnitthaftigkeit der Erzählung und zugleich die Totalität der erzählten Welt indizieren. Die Teilung des isenhartschen harnas findet ihre Entsprechung in der von Krzysztof Pomian beschriebenen Aufspaltung des Sichtbaren: Auf der einen Seite befinden sich die Dinge, nützliche Gegenstände […]. Auf der anderen Seite befinden sich die Semiophoren, Gegenstände ohne Nützlichkeit im eben präzisierten Sinn, sondern Gegenstände, die das Unsichtbare repräsentieren, das heißt mit einer Bedeutung versehen sind. 145 Sichtbares und Unsichtbares, Symbolisches und Materielles, Eigenschaften also, die in Gahmurets Ankerwappen als mâl und last zusammenfallen, treten an dieser Stelle ausein‐ ander: Während das Zelt das Unsichtbare, Isenharts Leichnam, repräsentiert und präsent hält, ist der Adamas weit entfernt und einstweilen unverfügbar. Im Nachstehenden wird der Prozess zu beobachten sein, in welchem der zu Beginn unbestimmte und scheinbar vorrangig ›nützliche‹ Helm zu einem in jeglicher Hinsicht überdeterminierten und zudem handlungsfunktional als fatal anzusprechenden, letztlich Gahmurets Tod ermöglichenden Akteur und Semiophor, zum schrifttragenden Artefakt und Medium avanciert - »human products always incorporate both utility and art in varying mixtures, and no object is conceivable without the admixture of both.« 146 2.2.2 Helm und Held tum leuis ocreas electro auroque recocto, hastamque et clipei non enarrabile textum. illic res Italas Romanorumque triumphos haud uatum ignarus uenturique inscius aeui fecerat ignipotens, illic genus omne futurae stirpis ab Ascanio pugnataque in ordine bella. Verg., Aen., VIII,624-629 147 Die Zusammenführung von Held und Wunderhelm ereignet sich im paradigmatischen Grenzraum Meer: Nach seinem heimlichen - daz wart verholne getân (55,12) -, den Helden in ein moralisches Zwielicht tauchenden und dabei keineswegs spurlosen Verschwinden 105 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 148 Gahmuret lässt zweierlei zurück: Einerseits einen Brief, metonymisch mit der Hand des Verfassers verbunden (den schreib ir mannes hant; 55,18), andererseits die schwangere Belakane und mit ihr seinen Sohn Feirefiz, »de[n] in und durch Schrift Gezeugte[n], wie Schrift Aussehende[n]« (Wandhoff: Schwarz auf Weiß, S. 156). 149 In der *D-Fassung ist dagegen zu lesen: als im diu âventiure swuor (1718). Mit der Angabe von Bumkes Verszählung zit. nach: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Auf der Grundlage der Handschrift D hg. von Joachim Bumke [Sigle: Parz. D]. Diese Lesart ernst nehmend, wäre hier eine selbst für Wolframs Erzählen als ungewöhnlich zu adressierende Metalepse indiziert, die die âventiure mit der handelnden Figur kommunizieren ließe und dieser so abermals autorähnliche Züge verliehe. 150 So Harald Haferland mit Bezug auf das zufällige Auftauchen des Schlüssels in Hartmanns Gregorius in: Metonymie und metonymische Handlungskonstruktion, S. 358. Zur Kontingenz im Parzival vgl. Schnyder: Glücksspiel und Vorsehung sowie allgemein: Reichlin: Kontingenzkonzeptionen in der mittelalterlichen Literatur; vgl. auch Anm. 677 dieser Arbeit. Zur Stelle, vor dem Hintergrund nautischer und meereskundlicher Diskurse, betont Fern »die Unwahrscheinlichkeit, auf dem Meer Bekannte zu treffen«, sie beobachtet überdies meteorologische Implikationen: »Wenn außerdem noch mitten auf dem Meer zwischen zwei schwankenden Booten Rüstungen ausgetauscht werden, müssen sich die stürmischen Winde und vor allem die Wellen gerade in diesem Augenblick wundersamerweise gelegt haben, da sonst schon allein das Sich-Annähern der Schiffe gefährlich gewesen wäre« (Seesturm im Mittelalter, S. 181). Zum ausgestellten Zufall der Begegnung vgl. ähnlich Leckie: Mutable Substance, S. 29. 151 Dass der ›bedeutende Zufall‹ der Wirkmacht, der Bedeutsamkeit und Heiligkeit eines Gegenstands zuspielen kann, betont Böhme: »Schwer erträglich war den Europäern ferner die eigenartige Verbindung aus Zufälligkeit und Heiligkeit bei der Fetischbildung. […] [D]er Fetisch [wird] durch etwas generiert, was man den ›bedeutenden Zufall‹ nennen kann« (Fetischismus und Kultur, S. 192f.). Vgl. Anm. 295 dieser Arbeit. 152 Mauss: Die Gabe, S. 45. aus Patelamunt 148 erblickt Gahmuret, von snellen winde[n] (58,4) getrieben, ein rotes Seidensegel. Vridebrants Boten sind damit beauftragt, Isenharts Rüstungsgegenstände Belakane zu überbringen und so ihre Vergebung für die zurückliegende Belagerung zu erwirken. Das Aufeinandertreffen der beiden Schiffe auf offener See wird vom Erzähler expressis verbis als Kontingenzereignis beschrieben: hie mugt ir grôz wunder losen, / daz im der kocke widerfuor, / als mir diu âventiure swuor (58,14-16). 149 Mit der bewussten Verletzung der Wahrscheinlichkeit deutet der Erzähler auf die Konstruiertheit der Handlung, »erweist das Erzählen seine Souveränität.« 150 Dass die Seereise auf die Zusammenführung von Held und Helm hin konstruiert ist, darauf deutet auch die anschließend kurz beschriebene Problemlosigkeit der Weiterfahrt und Ankunft in Sevilla: daz mer in truoc in eine habe: / ze Sibilje kêrter drabe (58,21f.). Mit der ausgestellten Kontingenz des Geschehens auf hoher See wird der Aktionsradius der handelnden Figuren kurzfristig stark eingeschränkt und die übergeordnete Inszenierung des Erzählers sichtbar. Und dieser inszenierte, dieser ›bedeutende Zufall‹ 151 lässt das Geschehen hochgradig signifikant werden: Das Ding muss der Figur augenscheinlich erst zugeführt werden, sein Erwerb ist markiert als ein vom Erzähler gesteuerter. Damit treten der Adamas und die übrigen Rüstungsgegenstände als in besonderer Weise Gahmuret zugedacht in Erscheinung, zugedacht freilich vom Erzähler, von der âventiure, nicht von den handelnden Figuren: Vridebrants Boten nämlich sind ja beauftragt, den Helm als Versöhnungsgeschenk der Königin Belakane auzuhändigen, die Gabe hat also »den Zweck, den Frieden zu erkaufen« 152 und auf Dauer zu stellen, Gahmurets Eingreifen zeitigt entsprechend einen Abbruch der Gabenhandlung, es indiziert 106 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 153 Diese Parallelsetzung von konstruierendem Erzähler und schöpferischer Figur korreliert mit den oben bereits angesprochenen Beobachtungen von Quast und Wandhoff. Dass Gahmuret schon auf seiner ersten Meerfahrt zum »passive[n] Sturmopfer« in einer vom »final ausgerichteten Zufall« geprägten Reiseschilderung stilisiert wurde, zeigt auch Marshall: Unterlaufenes Erzählen, S. 182f. Richey beobachtet, die Szene der harnasch-Übergabe auf hoher See entbehre jeglicher Wertung des Erzählers: »Unsatisfactory is it, that the incident involves Gahmuret in a fresh act of perjury, as though he had not perjured himself sufficiently already. But the perfunctory and hurried way in which the episode is introduced, and the absence of any moral comment on Wolfram’s part, forbid us to look closely into the ethics of the case, and we need not to give it more significance than is its due« (Gahmuret Anschevin, S. 63). Auch wenn sich Wolfram an der oben zitierten späteren Stelle (70,13-17) neuerlich jeglicher Wertung enthält, so ist doch augenfällig und Fingerzeig genug, die Rüstungsaneignung auf ihre Signifikanz und moralische Ambiguität hin zu befragen, dass er gerade die Erinnerung an Gahmurets »act of perjury« als Identifikationsmerkmal des harnasch auswählt. Auf die negativen Implikationen dieser Aneignungsgeschichte weist am nachdrücklichsten Gephart hin: »Die Geschenke der Fürsten von Azagouc galten ihrem neuen Herrscher und dem Heil des Landes. Gahmuret jedoch eignet sich Zelt und Ausrüstung, unter Mißachtung ihrer überpersönlichen Funktion, hinterrücks an, um sie, vom Wohl des Landes losgelöst, Zwecken einer weder familiär noch herrscherlich gebundenen Selbstdarstellung zuzuführen. Der im Sinne feudalen Grundbesitzes bei seinem Auszug besitz- und heimatlos Gewordene ergeht sich in einem nahezu peinlichen Sammeln materieller Güter; Bindung an Menschen scheint er durch die Bindung an Dinge ersetzen zu wollen. […] Eine agonale Ritterideologie trägt hier ordnungsfeindliche und sozial desintegrative Züge« (Geben und Nehmen, S. 206). eine empfindliche Störung des höfischen Interaktionsmodells der Reziprozität: Belakane wird, dies kann der Leser allerdings nur ahnen, den Verwandten Isenharts vielleicht nie vergeben, die auf dem Weg zu ihr ›abgefangene‹ Gabe ihre Funktion, zur Versöhnung beizutragen, ebenso wenig erfüllen können, wie die bisherigen Kommunikationsversuche (mit Wappen, Dingen und Sprache) den heißen Konflikt zwischen den Parteien hätten schlichten können - es sei denn, und dies lässt Wolfram noch offen, Gahmuret beabsichtigte tatsächlich, Belakane die Gabe noch auszuhändigen, swenner kœme zir (58,19). Während im I. Buch mit der Wappen-Wahl des Helden dessen eigenmächtig-schöpfe‐ risches Agieren akzentuiert wurde, wird nun, am Übergang zum II. Buch, einerseits die ›steuernde Hand‹ des Erzählers sichtbar und damit der Held als passives, der Kontin‐ genz der erzählten Welt ausgesetztes Objekt literarischer Ereignishaftigkeit ausgewiesen sowie andererseits auch die situative Handlungsmacht des vielleicht bereits meineidigen Protagonisten hervorgehoben - diese Verschränkung von passivem Ausgesetztsein und situativem Agieren macht es unmöglich, hier eine hinter dem Figurenhandeln liegende Motivationsstruktur, eine ›Sünde‹ zu benennen, einen Unterschied macht ja zunächst vor allem der Erzähler, der manche Dinge, wie die väterliche Ausrüstung, vergisst, um hingegen andere, wie Isenharts harnasch, unvermittelt auf dem Meer erscheinen zu lassen. Wolfram ist sichtlich weniger an einer Klärung denn an einer Verunklärung und moralischen Ambiguisierung des Figurenhandelns im Angesicht so auratischer Dinge wie des Adamas gelegen. 153 Diese spektakuläre Zusammenführung von Ding und Figur wird dem Rezipienten im Turnier von Kanvoleis in Erinnerung gerufen, wohin Gahmuret seinem Cousin Kaylet zu Beginn des II. Buches nachreist und wo als Preis für den Sieger die Hand der Herzeloyde und die Herrschaft über Waleis und Norgals ausgeschrieben ist: 107 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 154 Leckie: Mutable Substance, S. 29. 155 Vgl. Mersmann: Der Besitzwechsel und seine Bedeutung, S. 146. Ähnlich Schmid: »Damit hat Gahmuret eingesackt, worin Isenharts und Belakanes Leid vergegenständlicht ist; die heidnische Prunkausstattung, Zelt und Rüstung, hängt er sich gleichsam als Skalp an den Gürtel« (Studien zum Problem der epischen Totalität, S. 74). 156 Ortmann: Ritterschaft, S. 683. 157 Pretzel: Gahmuret im Kampf der Pflichten, S. 385. Pretzel, der die handlungs- und figurenverknüpf‐ enden Funktionen der an Belakane gemahnenden Gegenstände beleuchtet, sieht hinter der »sehr ausführliche[n] Beschreibung der Waffen […] die Absicht der Retardation« (ebd.) am Werke. Acquired through an apparently serendipitous turn of events, the Diamond Helmet becomes closely associated with Gahmuret, especially during the tournament at Kanvoleis. 154 Bevor Gahmuret an diesem teilnimmt, widmet sich der Erzähler en détail dem Anlegen der Rüstung: nu was och Gahmuretes lîp in harnasche, dâ sîn wîp wart einer suone bî gemant; daz ir von Schotten Vridebrant ze gebe sande für ir schaden: mit strîte heter si verladen. (70,13-18) Zur Identifikation der Rüstung dient das augenscheinlich wortbrüchige Agieren Gahmu‐ rets, der den Boten versprochen hatte - dô lobt ouch er (58,17) -, ihre Sendung Belakane zu übermitteln. Der Adamas wird so, noch bevor er in seiner materiellen Präsenz beschrieben wird, zum Träger der Erinnerung an Belakane und die Sendung durch Vridebrant, 155 zum dinglichen Zeichen mithin, das zunächst (wie zuvor das Zelt) als Repräsentant des Abwesenden und des Unsichtbaren, dann erst in seiner Materialität dargestellt wird und den Glanz der heidnischen Welt [suggeriert], und damit vergegenwärtigt [er] auch inhaltlich ein Stück Gahmuret-Geschichte, die hier im II. Buch weitergehen soll 156 - in den Worten Ulrich Pretzels: »[E]in echter Ritter, der als Ideal hier vor uns steht, sieht in seinen Waffen niemals bloße Gegenstände.« 157 Der Akt dieser zumindest als problematisch anzusprechenden, vom Erzähler freilich nicht eigens so markierten Aneignung des Adamas wird nun mit einer ›Aufpfropfung‹ des selbst gewählten Wappenzeichens fortgeschrieben, durch welche die Bedeutung des Adamas verschoben werden soll: dô schouwet er den adamas: daz was ein helm. dar ûf man bant einen anker, dâ man inne vant verwieret edel gesteine, grôz niht ze kleine: daz was iedoch ein swærer last. gezimieret wart der gast. (70,20-26) 108 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 158 So der Ethnologe und Religionswissenschaftler Meiners zu den »Fetisch-Bündeln« der »Feti‐ schen-verehrenden Völker«: »Man bildet gleichsam Fetischen-Bündel, oder wirft viele Dinge in einen Fetischen zusammen. Der Complexus von Dingen, welche Einen zusammengesetzten Fetischen ausmachen, enthält nicht selten Producte der menschlichen Kunst: weswegen man sie als Mittelart von natürlichen und künstlichen Fetischen, oder als Uebergang von dem einen zu den anderen betrachten kann« (Allgemeine kritische Geschichte der Religionen, alle Zitate auf S. 157f.). - Zur Unterscheidung zwischen res creata und res facta Kaske: »Während die Proprietäten der res creatae an vorgeformte Bedeutungen gebunden sind und sich in Enzyklopädien und anderen Verzeichnissen nachlesen lassen, sind Artefakte Unikate, deren Eigenschaften auf verschiedene Komponenten verteilt sind und auch wechseln können. […] In der jeweiligen Kombination [der in einem Artefakt versammelten Sinnträger; S.W.] entstehen Dynamiken, die die Bedeutungshorizonte der einzelnen Dinge neu konfigurieren« (Kreaturen und Artefakte in mittelhochdeutscher Literatur, S. 59). 159 Assmann: Die Sprache der Dinge, S. 239. 160 Ganz analog stellt Stock mit Blick auf Isenharts Zelt fest, »daß die Erinnerung an Isenhart und sein Schicksal nicht primär an seine Leiche oder ein Grabmal gebunden ist, sondern an sein Zelt: an das bewegliche und Bewegung konnotierende Objekt, das zudem eine enge semantische Bindung zu den wichtigen Themenbereichen der höfischen Literatur und auch des ›Parzival‹ aufweist […] und das zum Innenraum/ Handlungsraum werden kann« (Das Zelt als Zeichen und Handlungsraum, S. 83). Weiterhin darf als analog angesprochen werden, dass Gahmuret, wie ein Ritter seinem Verwandten Kaylet berichtet, vor dem Zelt (vgl. 61,8-12; 64,15-17) Fahnen mit seinen Ankerwappen hat aufstellen lassen: ›[…] ez sint hundert banier / zuo eime schilde ûf grüene velt / gestôzen für sîn hôch gezelt: / die sint ouch alle grüene. / ouch hât der helt küene / Drî härmîn anker lieht gemâl / ûf ieslîchen zindâl‹ (64,24-30). Helm und Zelt werden somit auf vergleichbare Art mit identifizierenden Wappen gekennzeichnet, während der Erzähler fortwährend beider Vorgeschichte und -besitzer in Erinnerung hält. Mit dieser Modellierung geht eine Transformation einher: vom natürlichen, metonymisch als Edelstein bezeichneten und ansonsten bislang auffallend unbestimmt und unanschau‐ lich gebliebenen Objekt, von der res creata zu einem - mit einer Vielzahl an augenscheinlich im Inneren der Helmzier angebrachten, damit dem Blick neuerlich entzogenen Edelsteinen verzierten - Artefakt, zu einer res facta, einem »Complexus von Dingen«. 158 Diesem eignet eine neue, sich im weiteren Handlungsverlauf als fatal erweisende Eigenschaft: daz was iedoch ein swærer last. Die an dieser Stelle statthabenden Signifikationsprozesse lassen sich als Verschiebungen der »Demarkationslinien zwischen zeichenhafter und gegenständlicher Welt« 159 lesen: Auf den signifizierenden Akt des Erzählers, welcher den Helm zum Bedeutungsträger, zu einem Gegenstand der Erinnerung an Belakane und die abgebrochene Versöhnungshandlung, an Gahmurets Wortbruch stilisiert, folgt ein bezeich‐ nend-umdeutender Eingriff auf der Ebene der Figurenhandlung, durch die der Adamas zum Träger eines materiellen und schweren Zeichens, des Anker-Gnorismas transformiert werden soll. So wird auch deutlich, dass Gahmurets Handeln tatsächlich auf Aneignung zielt, die Gabenhandlung zwischen Vridebrant und Belakane also endgültig abgebrochen ist. Während der Erzähler die unsichtbaren und zeitlich vergangenen Handlungshintergründe zum Vorschein bringt, transformiert und manipuliert die Figur das Sichtbar-Materielle: Aus der sich zwischen Orient und Okzident bewegenden Gabe, 160 aus einem ›Ding, das man gibt‹, soll mit dem Eingreifen der Figur ein ›Ding, das man behält‹, werden, ein Zeichen, das nicht die Vergangenheit des Objekts, sondern Gahmurets eigene Präsenz vermittelt - und überdies implizit die Zukunft der Figurenwie der Objektbiographie schon vorwegnimmt, denn 109 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 161 Godelier: Das Rätsel der Gabe, S. 154. - Leichnam, Helm, Kreuz und eine Grabplatte aus Rubin firmieren am Ende der Vorgeschichte (s. u.) als Dingensemble von Gahmurets orientalischem Grabmal, die Heiden beten indes nicht zum Kreuz, sondern ez betent die heiden sunder spot / an in als an ir werden got (107,19f.). An die Stelle der unsichtbaren Bedeutung der Zeichen (ein kriuze nâch der marter site, / als uns Kristes tôt lôste; 107,10f.) tritt die Präsenz von Leichnam, Helm und Epitaph, heiligen Objekten zumindest aus einer, der heidnischen Perspektive. 162 Beide Zitate: Lévi-Strauss: Tristes Tropiques, S. 180. Übersetzung: »Der Gegensatz zwischen diesen Termini ist weder so absolut noch so kontinuierlich, wie man es so oft und so gern versichert hat« (Traurige Tropen, S. 166). 163 Zur Wiederaufnahme des Bildes der Höhe vgl. Green: Der Auszug Gahmurets, S. 69. Zu den armen respektive den armen man und den kurz darauf erwähnten gekriuzte[n] ritter[n] (72,13), einer »Gruppe der Ritterschaft […], deren Gemeinsames ist, daß ihre Angehörigen sich nicht auf Land, Burgen und festen Besitz stützen können, sondern ihr Leben durch ›Rittertum‹ fristen müssen«, vgl. Mohr: Arme Ritter, S. 132 sowie Jackson: Prison et croisié. 164 Zur Einfärbung des Zinnspiegels Richter: »Bedeutend scheint mir allerdings vor allem die Färbung eines derart gefertigten Spiegels, denn im Gegensatz zu den heutigen Silberspiegeln ist die Reflexion des Zinn-Amalgam-Spiegels gelblich und entspricht im Farbton in etwa dem des Rahms, welcher sich auf frisch gemolkener Kuhmilch bildet« (Richter: Spiegelungen, S. 276); vgl. die Analyse des Prologs in der Einführung dieser Arbeit. [d]ie Dinge, die man behält, sind nun aber sehr häufig ›heilig‹ […]. Die Trennwände zwischen den heiligen Objekten und den Wertobjekten, die produziert werden, um gegeben oder verkauft zu werden […], sind übrigens nicht undurchdringlich. 161 Mit Lévi-Strauss zu den Begriffen des Heiligen und des Profanen (»le sacré et le profane«) allgemeiner: »L’opposition entre ces termes n’est ni aussi absolue, ni aussi continuelle, qu’on s’est souvent plu à l’affirmer.« 162 Und so ist der Weg weiterzuverfolgen, den der Adamas vom Gebrauchszum letztlich fast, ausschließlich von den heiden geheiligten Gegenstand durchläuft. Von diesem Punkt an ist Gahmurets Wunderhelm, wie schon der Anker im I. Buch des Parzival, eines pondus teilhaftig, der im Kontrast zu seiner selbstformulierten Wesensart steht: mîn herze iedoch nâch hœhe strebet (9,23). Signifikanterweise greift Wolfram dieses Bild im Vorfeld der Rüstungsbeschreibung und der Transformation des Adamas zum schweren Kunstgegenstand allusiv wieder auf, indem er die anderen Turnierteilnehmer als küene[] armman, / die doch der hœhe gerten niht (70,8f.), bezeichnet. 163 Die materielle Manifestation des selbst gewählten Zeichens rückt somit in einen Kontrast zu dieser neuerlich in Erinnerung gerufenen Eigenschaft Gahmurets, die materielle Schwere des Dingesembles zu der Leichtigkeit seines ›nach Höhe strebenden Herzens‹. Zu den übrigen Ausrüstungsgegenständen Gahmurets: Dass im Anschluss an die Beschrei‐ bung des Adamas der auf den Schild applizierte und diesen beschwerende bukel (vgl. 70,29f.), ein goldener Beschlag in der Mitte des Schildes, als rote Spiegelfläche imaginiert wird, bindet die Stelle an die im Prolog etablierte Spiegelmetaphorik zurück: Ganz wie das zinnbestrichene Glas gelblichen antlützes roum (1,22) produziert, 164 vermag sich das Gegenüber Gahmurets in dessen Schild wohl ebenfalls nur in einer die Wirklichkeit farblich nicht getreu abbildenden und auch sonst verzerrenden Spiegelung wahrzunehmen: diu gap von rœte alsolhez prehen, / daz man sich drinne mohte ersehen (71,1). 110 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 165 ich wæne kein sô guoten sît / ie man ze strîte fuorte; / des lenge den teppich ruorte (71,8-10); dass Gahmuret auf der Leoplane auf einem Teppich Platz nimmt, stellt den Aufschub seines Eingreifens in die Kampfhandlungen demonstrativ zur Schau, es deutet wie schon seine Ankunft in Kanvoleiz auf die Exzentrik seiner Selbstinszenierung. 166 Blamires: Characterization and Individuality, S. 28. 167 Brüggen: Kleidung und Mode, S. 53. 168 Leitzmann bezieht die Einlassung des Erzählers auf 71,10, sprich auf die Länge des Waffenrocks (Komma nach 71,10, Punkt nach 71,11). Da die Verse 71,12-17 Wahrnehmung und Sichtbarkeit zum Thema haben, scheint mir die Interpunktion Lachmanns (Punkt nach 71,10, Komma nach 71,11) an dieser Stelle schlüssiger; 71,11 soll somit im Folgenden als vorangestellter Konditionalsatz aufgefasst werden. Da die Verbindung der Verse 11 und 12 dennoch zu logisch notwendigen Ergänzungen auf Seiten des Lesers auffordert, wäre auch zu erwägen, ob nicht die Aussage in 71,11 als Interjektion aufgefasst werden könnte. So ließe sich lesen: »Ach, wenn ich ihn doch nur beschreiben (oder wahrnehmen) könnte! / Er schien, ganz als brenne hier ein frisches Feuer in der Nacht.« - Grundsätzlich ist, gerade in Wolframs Parzival, mit syntaktischen ›Offenheiten‹ und Mehrdeutigkeiten zu rechnen, die durch eine interpretierend-vereindeutigende Interpunktion bisweilen verdeckt zu werden drohen; vgl. hierzu Brüggen und Lindemann: Unschärfen; zum Begriff der ›Offenheit‹ vgl. ebd., S. 400, Anm. 18. Vgl. weiterhin Brüggen und Lindemann: Zwischen wildekeit und obscuritas s. bereits Kap. 2.1.2, Anm. 90. 169 Hartmann: Stellenkommentar zu 63,14, S. 82. 170 Ohly beschreibt Gahmurets Einritt als »opernhaft[]« und sieht den Helden »fast wie im Damensitz« einreiten (Die Pferde im Parzival, S. 875f.). 171 Brall-Tuchel: Wahrnehmung im Affekt, S. 68. In dieselbe Richtung weist die anschließende Beschreibung von Gahmurets bis auf den Teppich reichenden wâpenroc, 165 in welcher der Fokus auf dem - Parzivals körperlichen glast präludierenden - »splendour of Gahmuret’s physical appearance« 166 , auf dem »inten‐ sive[n] Glanz des Stoffes« 167 liegt: ob i’n geprüeven künne,  168 er schein als ob hie brünne bî der naht ein queckez fiwer. verblichen varwe was im tiwer: sîn glast die blicke niht vermeit: ein bœsez oug sich dran versneit. (71,11-16) Der von Gahmurets Wappnung ausgehende Glanz wird nicht - wie an früherer Stelle, bei der in zahlreichen Aspekten spiegelbildlich angelegten Beschreibung seines Einzugs in Kanvoleiz (vgl. 63,13-26) - mit Schönheit konnotiert, sondern mit einer gewaltvollen Wahrnehmungsüberwältigung, die in Kontrast zu der zuvor inszenierten visuellen Fixie‐ rung Gahmurets auf den Adamas tritt (vgl. 70,20f.). Fungierten Licht- und Glanzmetaphorik in der Einzugsschilderung noch als Topoi höfischer Schönheitsdarstellung, die Gahmuret als »galante[n] Edelmann« 169 mit gegebenenfalls effeminierten Zügen ausweisen, 170 findet nun eine radikale Umcodierung statt, die den glast zum Bestandteil einer martialisch-kämp‐ ferischen Bildsprache macht: hier der Waffenrock, blendend hell wie ein Feuer in der Nacht, dort, bei seinem Einzug, der rote Mund, rubinrot glänzend, als ober brünne (63,17); hier ein das bœse[] ouge nachgerade körperlich verletzender glast, dort von schouwen […] grôz gedranc (63,26) und der ›Fensterblick‹ der Damen um die Burgherrin Herzeloyde. Selbst der Erzähler als »›Herr der Wahrnehmung‹« 171 gibt sich, darauf deutet der einschränkende 111 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 172 Koch: Wilde und verweigerte Bilder, S. 138. 173 Haug: Parzival ohne Illusionen, S. 203; Haug sieht in der Gahmuretwelt eine für die Hauptfigur der Gesamterzählung bestimmende »Gleichzeitigkeit von ritterlichem Glanz und tödlicher Fatalität« (ebd., S. 213) grundgelegt. 174 Richey: Gahmuret Anschevin, S. 35. 175 So die Übertragung des Verses von Kühn (hier und im Folgenden werden die einschlägigen Parzival-Übersetzungen abgekürzt nachgewiesen; die vollständigen bibliographischen Nachweise sind dem Abkürzungsverzeichnis dieser Arbeit zu entnehmen). Sivertson paraphrasiert den Vers, wenig nachvollziehbar, wie folgt: »Gahmuret’s loyalty was attached to gold, not to people« (Loyalty and Riches, S. 140). 176 Glauch: Inszenierungen der Unsagbarkeit, S. 166. Konditionalsatz ob i’n geprüeven künne, von dem Wahrnehmungsspektakel, das sich an Gahmurets Rüstung entzündet, überfordert. Susanne Koch charakterisiert diese descriptio als im besonderen Maße brüchige, als eine, deren ›Bildlichkeit‹ sich zum einen in einer narrativen Passage auflöse (vgl. 71,18-28) sowie zum anderen vom Beschreibungsgegen‐ stand selbst nachgerade verunmöglicht werde: Das glänzende Flackern, das einen längeren Blick verletzen würde, legt sich wie der Edelsteinglanz auf Feirefiz’ Waffenrock zwischen Betrachter und Gegenstand, Hinweise für eine konkrete Visualisierung fehlen gänzlich. 172 Der Beschreibung von Gahmurets Waffenrock ist eine Flüchtigkeit, eine dem bœsen, dem ›schwachen‹ oder ›kranken‹ Auge sich entziehende Apräsenz zu eigen, die ihre Entsprechung in den Prologbildern von Blindentraum und Zinnspiegel findet: Wie die von diesen Medien vermittelten Bilder nur als dirre trüebe lîhte schîn (1,24) erscheinen, ist auch Gahmurets Waffenrock gleichzeitig brennend lîht und trüebe, sprich: für das Auge der Figuren wie des Erzählers weder gegenstandsadäquat wahrnehmnoch beschreibbar. Die descriptio von Gahmurets Ausrüstung rückt zweierlei in den Vordergrund: zum einen die materielle Schwere insbesondere der Verteidigungsgegenstände Helm und Schild, zum anderen den splendor der gerüsteten Gestalt, »den Glanz ihrer Ritterlichkeit«, 173 die dem Betrachter als leuchtend-mediales Ereignis entgegentritt. Den Spiegeleffekt des Schildes, »the mirror-like translucency of the gold-embossed shield«, 174 flankieren goldene Bilder auf dem Waffenrock: mit golde er gebildet was (71,17), »[e]r war bebildert, dies mit Gold«. 175 Zuletzt genannter Schwerpunkt auf dem Glanz von Gahmurets Rüstung weist der descriptio einen ganz eigenen Platz in der literarischen Tradition zu: Umspielte schon Vergil in seiner stilprägenden Beschreibung von Aeneas’ Schild, dem locus classicus mittelalterlicher Rüstungsdescriptio, das spannungsreiche Verhältnis zwischen Dinglichkeit und Bildlichkeit, zwischen Glanz und Bedeutung des beschriebenen Artefakts, ironisch als enarrabile bezeichnet und dann doch beschrieben (vgl. Verg., Aen. VIII,625ff.), so realisiert Wolfram dieses enarrabile konsequent, indem er sich einstweilen ganz der Oberfläche widmet und etwaige Bilder nur en passant, die »metapoetische Kraft der descriptio« quasi bewusst indizierend, sie aber nicht ausführend streift. 176 Wie Vergil gerät indes auch Wolfram im Zuge einer Beschreibung ins Erzählen, doch erzählt er gerade nicht eine von ›Bildern‹ vermittelte Geschichte, sondern die Objektbiographie des Goldes, mit dem Gahmurets Gestalt gebildet was, 112 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 177 Zu Arabi(e) als topischem Herkunftsort von Seide und Gold vgl. Kunitzsch: Erneut: Der Orient. 178 Wolfram kennt eine schon bei Ktesias und Aelianus überlieferte Sonderversion der Herkunftsge‐ schichte orientalischen Goldes, in welcher nicht Ameisen, sondern Greifen das Edelmetall zutage fördern (vgl. Kunitzsch: Erneut: Der Orient, S. 89, Anm. 39). 179 Vgl. z. B. Haubrichs: Memoria und Transfiguration, S. 144-146; s. auch Anm. 263 und 311 dieser Arbeit. 180 So Kopytoff: The cutural biography of things, S. 90, mit Rekurs auf die Ähnlichkeiten zwischen menschlichen und dinglichen ›Lebensläufen‹ und ›Identitäten‹. 181 Vgl. Brüggen: Kleidung und Mode, S. 268. daz zer muntâne an Kaukasas ab einem velsen zarten grîfen klâ, diez dâ bewarten und ez noch hiute aldâ bewarent. von Arâbî liute varent: die erwerbent ez mit listen dâ (sô tiwerz ist ninder anderswâ) und bringentz wider zArâbî, dâ man diu grüenen achmardî wurket und die phellel rîch. ander wât ist der vil ungelîch. (71,18-28) Nach splendor und Schwere rücken hier Exzeptionalität, Pracht und Exotik der Ausrüstung ins Zentrum der Aufmerksamkeit: In der narrativen Unterbrechung der descriptio wird dem stereotypen Motiv ›Gold aus Arabien‹ 177 ein ausführlicher und - wie auch immer vermittelt - antikes Wissen bezeugender Mythos 178 beigegeben, in welchem die Bewegung und Verarbeitung des Goldes die indische (Kaukasas) mit der arabischen und der westlichen Welt verknüpft. Nachgerade nebenbei wird in diesem Zuge mit dem grüenen achmardî ein Stoff erwähnt, der schon beim Einzug Gahmurets in Patelamunt als pars pro toto des Waffen‐ rocks Erwähnung fand (sîn wâpenroc, sîn kursît / was ouch ein grüenez achmardî: / daz was geworht dâ zArâbî; 36,28-30). Die neuerliche Nennung von Gahmurets ›Lieblingsfarbe‹ 179 und Stoff sowie von dessen arabischem Ursprung weist das Textil als ein und dasselbe Ding aus und stiftet somit, »as with persons«, 180 eine spezifische Form gegenständlicher Identität. Des Weiteren lässt sich, auch ohne die Waffenrockmit der Gralbeschreibung interpretativ zusammenzuzwingen, zumindest eine Relevanzmarkierung darin erblicken, dass im Parzival nur diese beiden Gegenstände mit dem wertvollen achmardî in Verbindung gebracht werden 181 - die Verhandlung textiler Gegenstände und des Würkens selbiger macht den Text auf seine eigene Textilität, seine Gemachtheit hin durchsichtig. Neben solch vage Assoziationen von in der Erzählung weit auseinanderliegenden Motiven tritt eine mit Blick auf die Gahmuret-Bücher augenfälligere, wenn die Geschichte des Goldes gleich zweifach als gewaltsamer Akt ausgewiesen wird - die Greifen ent‐ reißen es den Bergen, die Araber wiederum mit listen den Greifen: Dem Gold auf dem Waffenrock Gahmurets ist also eine Objektbiographie der gewaltsam-listigen Aneignung eingeschrieben, die in sinnfällige Entsprechung zum Figurenhandeln tritt, die Aneignung auch des Adamas noch einmal implizit als ›listig‹ respektive meineidig ausweist und dem aus arabischem Gold gefertigten Gegenstand einen dunklen Mythos einschreibt. 113 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 182 Hartmann: Stellenkommentar zu 68,9, S. 114. 183 Gegen die lachmannsche Lesart: »Lachmann kann sich für seine Form grif (›Klaue‹, ›Griff‹) nur auf zwei Handschriften (gg) berufen. Als gefährliches - die heidnischen Gegner Gahmurets repräsentierendes? - Fabeltier fügt sich der Greif gut zu den bedrohlich-fantastischen Bildern des Alptraums« (Hartmann: Stellenkommentar zu 104,8, S. 298). 184 Eder: Macht- und Ohnmachtstrukturen, S. 196. Ähnlich Lewis: »Von dieser früheren Erwähnung des Greifen im Text lässt sich eine Verbindung zu Herzeloydes Traum herstellen: da der Greif als Hüter des Goldes in Verbindung mit Gahmuret erwähnt wird, ist es von Herzeloydes Sicht aus ein leichtes, Gahmuret, ihren eigenen Behüter, als Greifen zu sehen. Dieses Tier reisst ihr die rechte Hand ab, löst also symbolisch das Ehebündnis, wie es tatsächlich durch Gahmurets Tod geschieht« (Das Tier und seine dichterische Funktion, S. 133). 185 Rippl: Obskure Träume, S. 244. Diese Objektbiographie des Trägermediums ›Gold‹ wird zum ›Bild‹, das die descriptio des Sichtbaren auf seine unsichtbare Vergangenheit, das noch den mythischen Ursprung prachtvoller Rüstungsgegenstände auf Motive der agonalen Aneignung hin durchsichtig macht. Mit dem Motiv des Greifen wird überdies eines aufgenommen, das auch andernorts Semantiken der Gewalt transportiert: So ist die wâpenroc-Beschreibung mit Erwähnungen des sonderbaren Wappens von Kaylets Antagonisten Hardiz umgeben. Dieses ist in zwei Hälften geteilt, deren eine, daz vorder teil des grîfen (72,24; vgl. 68,9), Hardiz selbst und deren andere, eins grîfen zagel (72,21), seine Leute tragen - durch diese Verdopplung und Aufspaltung des Wappens »wird Hardiz’ Truppe als Funktionseinheit gekennzeichnet, die mit der vereinten Kraft von Adler und Löwe vorzustoßen vermag.« 182 Die Beraubung der mythischen Goldwächtergreifen spiegelt also nicht nur die ferne, sondern auch die rezente Vergangenheit in die Waffenrockdescriptio, sie mag daneben auch als verdeckte Vorausdeutung auf den (im Text narrativ nicht weiter entfalteten) Sieg Gahmurets über den halben grîfen Hardiz gelesen werden (vgl. 73,2-4). Einen weiteren Reflex zeitigt das Greifenmotiv in Herzeloydes späterem Drachentraum, der neben wurm und Gewitter neuerlich auch einen Greifen zum Thema hat: dô zuct ein grîf  183 ir zeswen hant: / daz wart ir verkêrt hie mite (104,8f.). Noch einmal wird hier eine Verbindung zwischen Greif und Aggression, je nach Verständnis des Verbs zucen gar körperlicher Zerstückelung, hergestellt, sodass sich für den Traum folgende Assoziationskette entwickeln [ließe]: Blitz - Gahmuret = Gold - Greif - Klaue - dem Fels das Gold entreißen - dem Greif das Gold entreißen - Herzeloyde das Gold = Gahmuret entreißen. 184 Was Coralie Rippl zum Drachen als Traum- und Wappenbild festhält, gilt auch an dieser Stelle, mit Bezug auf den Greifen als Wappen und als Akteur in der Objektbiographie des Waffenrockgoldes, denn Traum- und Wappenbild werden nicht einfach nur kurzgeschlossen, sie werden Teil einer neuen Bildsprache, die mittels metonymischer und metaphorischer Strategien eine »ambivalente Verdichtung von Zeichenprozessen« erreicht. Die Grenzen zwischen Imagination und Realität werden verwischt und - das ist das Entscheidende im Vergleich zu anderen Autoren -, nicht wieder in ihr Recht gesetzt. 185 114 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 186 Bonath: Untersuchungen zur Überlieferung. Bd. 1, S. 65. Die Autorin schlägt eine Verschiebung der Passage vor 76,1ff., sprich: vor die Schilderung der Ankunft von Amphlises Boten, vor - »[d]ie einzige Stelle, wo sich der Abschnitt einfügen lässt, ohne daß dadurch ein Zusammenhang gestört wird« (ebd.). Diesen Vorschlag unterbreitet auch Pretzel, der die Verse freilich für beinahe ›unrettbar‹ erklärt: »Wollen wir die acht Zeilen für den Text retten, so müssen wir sie jedenfalls an neuer Stelle, also hinter 75,30, einrücken« (Gahmuret im Kampf der Pflichten, S. 385). Einen vergleichbar radikalen Eingriff erwägt bereits Hagen, der zwar zunächst konzediert, »daß nach der Überlieferung die Beschreibung der Rüstung Gahmurets in auffallender Weise auseinandergerissen wird«, dann jedoch argumentiert, »der geeignetste Platz [wäre] eben nach 76,6 anzusetzen« (Parzivalstudien, beide Zitate auf den S. 89f.). 187 Heinzle: Rez. zu Bonath: Untersuchungen zur Überlieferung, S. 148. 188 Hartmann: Stellenkommentar zu 69,29-70,6, S. 123. Vgl. ebd., S. 121-123, für einen ausführlichen Überblick über die Forschung zur Stelle. Die Beschreibung von Gahmurets harnasch ist nicht ohne Berücksichtigung des hand‐ schriftlich überlieferten Textbestands zu interpretieren - es folgt ein kurzer t e x t k r i ‐ t i s c h e r E x k u r s: Zwischen die Beschreibung von Schild und Waffenrock treten in ausnahmslos allen überlieferten Textzeugen einige ausschweifende und inhaltlich zunächst irritierend unvermittelt anmutende Verse. Diese lassen auf den kurzen Erzählerkommentar zum Wert der gesamten Ausrüstung - mir selben ich wol gunde / des er het an den lîp gegert: / wand ez was maneger marke wert (71,4-6) - einen Einschub folgen, der Hinter‐ gründe zur Amphlise-Figur, zur Geschichte ihrer Beziehung zu Gahmuret sowie zum Tod des französischen Königs und Amphlises Botensendung dekuvriert. Dieser rasante Perspektivwechsel, der den Nahblick auf Gahmurets Ausrüstungsgegenstände mit einer analeptisch in die erzählte Zeit zurückgreifenden Erzählpassage unterbricht, veranlasste Karl Lachmann zu einem bis heute hochgradig umstrittenen Eingriff in den Text, konkret zur Verschiebung der Verse an eine etwas frühere Stelle (vgl. 69,29-70,6). Beispielhaft für die hier zu besichtigen textkritischen Aporien sei Bonaths apodiktische Kritik an Lachmanns Konjektur herausgegriffen, die Verse fügten sich nach 69,29 ebenso schlecht ein wie an der Stelle, wo sie überliefert sind: die Nachricht vom Tod des rois de Franze stört nicht nur den Zusammenhang, sondern ist nach 69,28 einfach unverständlich. 186 Um der Gefahr zu entgehen, moderne Erwartungen an Textkohärenz und Narrationslogik an den mittelalterlichen Text heranzutragen, soll auch nicht Bonaths Gegenvorschlag einer auf die inhaltliche Glättung des Textes zielenden Neuplatzierung der Verse gefolgt werden, sondern der einheitlich überlieferte Textbestand Gegenstand der Interpretation sein. Denn zum einen, dies stellt Joachim Heinzle in seiner Rezension zu Bonaths Monographie verwundert fest, kann kein Zweifel daran bestehen, daß die überlieferte Einordnung der Verse offensichtlich keinem der vielen mittelalterlichen Schreiber (und Hörer bzw. Leser) des ›Parzival‹ zum Problem geworden ist. 187 Zum anderen, dies betont Heiko Hartmann, fügt sich die auf den ersten Blick befremdlich unvermittelt ausschweifende Unterbrechung durchaus in Wolframs Erzählstil, sie kann als »bewusst eingesetztes Mittel zur Durchbrechung linearen Erzählens gedeutet werden«. 188 Vor dem Hintergrund des oben untersuchten Beschreibungseingangs lässt sich diese Einschätzung stützen, wiederholt sich doch hier in abgewandelter Form die Semantisierung 115 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 189 Bock hält fest, »dass auch 12,4ff. […] einzig auf Anpflîse bezogen werden können […]. Ich lege gewicht auf den ausdruck kleinœtes tûsent marke wert. Denn ebenso wird 71,4 […] die rüstung Gahmurets abgeschätzt. Und es ist mir wahrscheinlich, dass gerade die ähnlichkeit des ausdrucks, eines offenbaren notbehelfs, zu dem man noch P. 513,22 vergleichen möge, den dichter vermöge einer eigentümlichen gedankenverbindung an Anpflîse erinnert und den einschub der in rede stehenden acht zeilen hervorgerufen hat« (Zu Wolfram von Eschenbach, S. 187). Man wird sich angesichts der Vielfalt der Deutungsangebote an dieser Stelle und der relativen Sicherheit über die Textgenese (vgl. Kap. 2.2.1, Anm. 136) nicht Bocks autorbiographischer Deutung anschließen wollen, es habe Wolfram am Anfang der Erzählung noch »an übung und gewantheit gebr[ochen]« (ebd.). 190 Von einer ganz konkreten Assoziation geht Etzler aus, der Schildbeschreibung und Abschweifung über eine hintergründige Minnegabengeschichte verbunden sieht (vgl. auch 81,24-26, s. u.): »Ich möchte meinen, dass dieser Schild, den Gahmuret von Amphlise erhalten haben muss, Wolfram nun an sie erinnert, denn die Ausstattung eines Ritters mit einem Schild durch eine Dame wiederholt Wolfram später im Willehalm, wo das Minneverhältnis zwischen Vivianz und Gyburc eine Parallele bildet zu der Minnehandlung Amphlise - Gahmuret« (Etzler: Die Komposition des Gahmuret-Teiles, S. 56). Es sei darauf verwiesen, dass nicht nur der Schild, sondern der Wert all dessen, des er het an den lîp gegert (71,5), die ›Erinnerung‹ an den Tod des französischen Königs, dann an Amphlise auslöst, dass überdies ein anderer Gegenstand, der nach dem Einschub beschriebene Waffenrock, an späterer Stelle von Herzeloyde als Minnegabe (möglicherweise der Amphlise) identifiziert wird (vgl. 81,25f., s. u.). eines Ausrüstungsgegenstands: Nachdem die Beschreibung des Adamas vom Erzähler mit der Erinnerung an Belakane assoziert wurde, begegnet nun eine wesentlich freiere und ungestümere Assoziation von Ding und Dame. Deren Anlass ist zweifelsohne weit diffuser, aber keineswegs obskur, eröffnen sich doch gleich mehrere Deutungsoptionen: Die Erwähnung des Spiegeleffekts auf Gahmurets Schild wäre als Anlass für die Erinne‐ rung an Amphlise, einer metaphorischen Spiegelung Belakanes, ebenso denkbar wie die Formulierung wand ez was maneger marke wert (71,6), die - wie bereits von Carl Bock beobachtet 189 - an die vermutliche Ersterwähnung der französischen Minneherrin des Helden anklingt, in der von den Gaben von Gahmurets vriundîn, kleinœtes tûsent marke wert (12,7), die Rede war: Wie mit dem Adamas die Erinnerung an Belakane und Isenhart geweckt wird, ist es nun analog der exorbitante Wert von Gahmurets Ausrüstung, der die ökonomisch mächtigste seiner Minnedamen assoziiert und zum Auftreten ihrer Boten überleitet. 190 Zuletzt kann der überraschende Wechsel von Raum und Zeit auch als Element einer sprunghaften Erzählstrategie gelesen werden, die der sukzessiven ›Auflösung‹ der Beschreibung von Gahmurets Ausrüstung weiter zuspielt: An deren Ende steht nicht das Bild eines ›dicht‹ bestimmten Gegenstandes, sondern ein immaterieller glast, hinter dem keinerlei vorstellbare Materialität mehr hervorscheint. Zurück zu Helm und Kampfschilderung: Im Turnier vor Kanvoleiz fungiert ›der Anker‹ als metonymische Bezeichnung des Helden (vgl. 72,8; 73,1; 80,5). Damit gleicht der Erzähler die Beschreibungssprache dem Wahrnehmungs- und Wissenshorizont der Figuren an, die über die Identität des Ankerträgers weitestgehend nicht informiert sind und entsprechend para‐ phrastisch von ›demjenigen, der den anker treit‹ (so Lähelin in 79,15) sprechen. Da Wolfram die auf der Leoplane kämpfenden Figuren allerdings nicht konsequent metonymisch mit ihren Wappensymbolen bezeichnet, sondern alternierend auch mit ihren Eigennamen und 116 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 191 So Bumke, der im Vergleich mit Hartmanns Erec von einem »geradezu chaotischen Ablauf des Turniers vor Kanvoleiz« spricht (Wolfram von Eschenbach, S. 49) und damit vor allem auf den so unkonventionellen wie nahtlosen Übergang von ritterlichem Turnier zu einem »allgemeine[n] Kampf, in den alle Anführer mit ihren Mannschaften eingreifen und der von allen Seiten mit solcher Erbitterung geführt wird, daß die Gesetze höfischer Ritterschaft außer Kraft gesetzt zu sein scheinen« (ebd.). Dagegen argumentiert Hartmann, es handle sich hier »um geordnete Massenkämpfe […], deren Dynamik Wolfram durch wechselnde Momentaufnahmen, die herausragende Einzelleistungen festhalten, kunstvoll wiedergibt« (Stellenkommentar zu 72,9-75,30, S. 144). 192 Hartmann sieht hierin lediglich einen literarischen Reflex auf die mittelalterliche Lebensrealität: »Unter den schweren Topfhelmen bekam man nur schlecht Luft […]. Es ist belegt, dass ihre Träger im Kampfgetümmel darunter zuweilen ohnmächtig geworden oder sogar erstickt sind« (Stellenkommentar zu 75,27, S. 159). 193 Sprich: Das kleine vingerlîn wird als ›echter Führer‹, nicht als ›Wahrzeichen‹ (so die Wörterbücher zum hier einmalig belegten wârgeleite) ausgewiesen - eine Lesart, die die Beweglichkeit des Rings ebenso betont wie dessen symbolische Bedeutung als nicht nur die Echtheit der Amphlise-Sen‐ dung beglaubigendes Artefakt, sondern vielmehr als Gahmurets Minnebegehr kanalisierender und lenkender Gegenstand mit intentionaler Wirkungszuschreibung durch seine Besitzerin. Wie in der (Parzival-)Überlieferung allgemein erweist sich hier die »Abschrift des vorgängigen Textes […] als komplexe Umschrift«, Textvarianz als Folge umdeutender und spezifische Sinnschichten aktualisierender Akte der Rezeption (Baisch: Gahmuret und Belakane, S. 118). 194 »Der Ring, den er ihr einst schenkte, ist dabei lediglich das beweisende materielle Zeichen ihres Anspruchs. Ihre Gegengabe hat das explizite Ziel der Erneuerung seiner Gabe« (Seelbach: L’Esprit du don, S. 337). Nach Seelbachs Deutung der im Parzival erzählten Gabenhandlungen werden in den Gahmuret-Büchern die Aporien höfischen Gebens ausgestellt; Gahmurets interesselose Verausgabung, sein Minnedienst, werde von Amphlise und Herzeloyde nicht zugelassen, sondern ihrerseits zur Verpflichtung pervertiert: »Die deszendierende Linie verläuft also von der (reinen) so fortwährend Distanz und Perspektive wechselt, stellt sich der Eindruck einer bisweilen chaotischen Darstellung, eines ›Turnier-Wimmelbildes‹ ein. 191 ›Der Anker‹ hat im weiteren Verlauf an dem pondus, mit dem er seinen Helm belastet hat, ›schwer zu tragen‹. Dies wird erstmalig daran ersichtlich, dass Gahmuret den Turnierkampf niwan durch des windes luft (75,27), um sich also Kühlung zu verschaffen, 192 unterbrechen und Helm samt härsenier ablegen muss (vgl. 75,23-29). Infolge der Beschwerung durch das Ankerwappen büßt der Helm seine Eigenschaft als guot geverte (53,6) ein und wird zur Belastung, ein Proprium, das dem Gegenstand auch nach dem späteren Wappenwechsel eingeschrieben bleiben und das sich letztlich als mitursächlich für den Tod seines Trägers erweisen wird. In die von An- und Ablegen des Helms (vgl. 75,26 und 77,23) gerahmte Kampfpause ist eine Begegnung mit dem Kaplan der Amphlise inseriert. Auffällig an dieser Passage ist zunächst die Betonung des problemlosen Erkennens und Identifizierens: ir kappelân was wîse, / vil schiere bekanter disen man (76,8f.) - während der Helm als Gnorisma des ›Ankers‹ fungiert, also in der Perspektive der anderen Turnierteilnehmer nichts als sich selbst signifiziert, ist der Helmlose schier unmittelbar als der von Anschouwe (76,20) zu erkennen. Somit bindet die Geste des Helmablegens die Gahmuretfigur zurück sowohl an seine dynastische als auch an seine persönliche Vergangenheit, die sich zusätzlich in einem vingerlîn (76,17) materialisiert, welches Gahmuret seinerzeit seiner vriundîn als Minnegabe hatte zukommen lassen und das nun als wârgeleite (76,18) respektive als anthropomorpher wârer geleite in der *D-Fassung (Parz. D, 2260) 193 im Zuge einer reziproken Gabenhandlung zurück zu ihm gelangt 194 - nach dem Ablegen des Adamas, des Trägers der Erinnerung an 117 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) Gabe über die reziproke Verpflichtung hin zum zwingenden Recht. […] Seine [Gahmurets; S.W.] Fähigkeit, interesselos zu geben und zu nehmen, wird ihm letztlich zum Verhängnis. Sein Agieren im Bereich der symbolischen Formen führt zur Verwirrung im Bereich realer Ordnungsbeziehungen: Der Ordo schlägt zurück« (ebd., S. 339). 195 Hartmann: Stellenkommentar zu 76,15, S. 165. 196 »In unterschiedlicher Form ragt Gawans Präsenz also räumlich in den Bereich der Königin; Ginover erhält durch den Brief die Möglichkeit, an dieser Präsenz zu partizipieren« (Chabr: Botenkommuni‐ kation und metonymisches Erzählen, S. 131). 197 Vom zweiten an dieser heimlichen Szene teilhabenden Medium, dem Boten Gawans, wird dessen Botschaft verbalisiert; von diesem darauf hingewiesen, dass der Brief Gawans Mitteilung besser übermitteln könne als er (ir mugt wol an dem brieve sehen / mêre denne i’us künne jehn; 645,19f.), weist Ginover weiterhin eine Lektüre des Geschriebenen ab: si sprach ›ich hân für wâr erkant / durch waz du zuo mir bist gesant […]‹ (645,21f.) - der Bote solle den Brief Artus und seinen Rittern übermitteln, wo er dann, endlich, gelesen wird (vgl. 647,13-16; 649,5-9), um anschließend wieder Ginover geschickt und nun auch von dieser öffentlich verlesen zu werden (vgl. 650,21-30). Ob der Brief als Ding oder als Medium wahrgenommen wird, ist somit in erster Linie vom Empfänger, nicht von der Art des Gegenstands abhängig. Zu Gawan als Botensender vgl. Chabr: Botenkommunikation und metonymisches Erzählen, S. 126-135. Belakane und Isenhart, gelangt unmittelbar eine weitere Vergangenheit dinglich vermittelt an die Textoberfläche. Die beiläufige Erwähnung des Wahrgeleits reiht die Minnebeziehung Gahmurets mit der französischen Königin mithin ein in die beiden weiteren, ebenfalls durch das Zirkulieren von Gegenständen konstituierten Verbindungen mit Belakane und Herzeloyde. Der durch das vingerlîn als authentisch ausgewiesene Brief wird zunächst als unmittel‐ bares und differenzloses Sprechen Amphlises imaginiert (welt ir nu hœren wie diu sprach? ; 76,22), als auratische schrift (vgl. 76,21), deren Urheberin als Sprecherin auftritt. Erst im Anschluss an deren ›wörtliche Rede‹ respektive an die Wiedergabe des Geschriebenen wird die Medialität der Rede als Brief wieder in Erinnerung gebracht (an disem brieve er niht mêr vant; 77,19). Hierbei handelt es sich im Übrigen um einen von nur »drei direkt mitgeteilten Briefen im Parzival« 195 , um einen Schriftträger also, der sowohl mit Gramoflanz’ Liebesbrief und -gabe in Bezug steht, über deren Medialität der Erzähler expressis verbis reflektiert, indem er die Differenz zwischen Geschrieben-Materiellem und Gesprochenem thematisiert (dar an er [Artus] geschriben vant / von dem der minnen kunde, / waz ûz sîn selbes munde / Gramoflanz der stæte sprach; 714,22-25), als auch mit Gawans Brief an den Artushof, von Ginover zunächst mehr als auratisches Ding denn als Medium wahrgenommen, als Schriftmedium mithin, dessen Inhalt weit weniger relevant scheint als die Gawans Präsenz metonymisch vermittelnde Hand, 196 die ihn geschrieben hat (›ôwol der hant diu dich schreip! / âne sorge ich nie beleip / sît des tages daz ich sach / die hant von der diu schrift geschach‹; 645,3-6) - sowie zuletzt, an dieser Stelle des Textes weit offensichtlicher, mit Gahmurets Brief an Belakane. Aus medialer Perspektive deutet sich in der hier angedeuteten Reihe literarisch imaginierter Briefe eine Unterscheidung zwischen ›starken Medien‹ wie dem Brief Gawans, dessen auratische Dinglichkeit seine medialen Funktionen überdeckt, 197 und ›schwachen Medien‹ wie dem Amphlisebrief an, der die Botschaft seiner Absenderin offenbar rausch- und störungsfrei zu vermitteln vermag. Brief, Ring und Gesandtschaft verschaffen der Amphlise wie schon ihre Gabensendung in der Auszugsszene (wenn man diese denn mit der Figur in Verbindung bringen möchte) eine 118 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 198 Brüggen: Schattenspiele, S. 171. 199 Pretzel: Gahmuret im Kampf der Pflichten, S. 386; Amphlises Dingpolitik zielt auf die »Verquickung von geistigen Bindungen […] zwischen den Dingen, die in gewissem Grad Seele sind, und den Individuen und Gruppen, die einander in gewissem Grad als Dinge behandeln« (Mauss: Die Gabe, S. 39). 200 Richey: Gahmuret Anschevin, S. 38. 201 Mersmann verweist darauf, dass dieses Motiv ahistorisch sei. Dass die Königswitwe lant und lîp verschenken könne, diese »›fruchtbare Situation‹ unterliegt den Bedürfnissen der Dichtung, juristischer Fragestellung entzieht sie sich im Grunde« (Der Besitzwechsel und seine Bedeutung, S. 47). 202 »Gahmureten trûren flôch (77,22), beteuert der Erzähler und zeigt damit die inspirierende Kraft von Ampflises Worten an […]. Was Gahmuret insgesamt von den Avancen Ampflises hält, bleibt im un‐ klaren; deutlich ist allein, daß ihre Worte seinen Kampfwillen stimulieren« (Brüggen: Schattenspiele, S. 178). 203 Richey: Gahmuret Anschevin, S. 38. vermittelte, eine »medialisierte Präsenz«, 198 die das Feld der auf der Leoplane handelnden Akteure um dingliche Medien wie um Figuren mit medialer Funktion erweitert: Ihre Boten führen reiche Gaben mit sich, und diese Schätze, die die vier Schreine enthalten, sind nicht nur Gegenstände, sondern zugleich Besitzsymbole - nicht nur dona, sondern vor allem donationes, die jetzt ihre werbende Kraft entfalten […]. 199 Amphlises Gaben stehen in besonders augenfälligem Bezug zu der bereits angesprochenen, an späterer Stelle verhandelten und ebenfalls hauptsächlich über einen Ring und Briefe vermittelten Fernminne zwischen Gramoflanz und Itonje, einem überaus unwahrscheinli‐ chen Paar, das sich seine Zuneigung einzig über Briefe, einen hin und her zirkulierenden Ring und weitere Minnegaben versichert (vgl. Kap. 2.4.5 dieser Arbeit). Dinglich vermittelte Fernminne scheint gleichermaßen, am Textanfang, potentiell tragische wie, am Schluss, glückliche Folgen zeitigen zu können: Während Amphlises Anspruch auf Gahmuret demjenigen Herzeloydes unterliegen wird, wird Itonje zu guter Letzt Gramoflanz ehelichen, Brief und Ring werden eine Bindung stiften, die in der Gahmurethandlung noch als unwahrscheinlich, ja aussichtslos markiert ist und die letztlich, auch den ihrerseits im Hintergrund agierenden Figuren Bene, Gawan, Artus und Brandelidelin sei Dank, dem Zweikampf und den auf Joflanze ausgehandelten heillosen Konflikten ein Ende setzen wird. Für das vorliegende Frageinteresse ist insbesondere die Verknüpfung von Briefinhalt und Reaktion des textinternen Rezipienten Gahmuret von Relevanz. Der Brief beinhaltet eine Aufforderung an den Ritter, zum einen das Minnedienstverhältnis mit der französischen Königin wiederaufzunehmen und zum anderen von dieser krône, zepter unde ein lant (77,2) entgegenzunehmen, »she invites his acceptance of her crown and her royal love.« 200 Ersteres wird durch eine penetrante Accumulatio des Begriffs minne akzentuiert, Letzteres durch die Wiederholung ihrer Aufforderung, Gahmuret möge die Krone ihres Landes, mîne krône (77,17, vgl. 77,1f.), als Minnelohn annehmen. 201 Gahmuret reagiert wie von der Leine gelassen (vgl. 78,21) und stürzt sich, von Amphlise inspiriert und von seiner Traurigkeit einstweilen befreit (Gahmureten trûren flôch, 77,22), 202 nach Anlegen von härsenier und adamas als Amphlises Ritter mit neuer Frische in das kriegsähnliche Turniergeschehen, »a fight à l ’ o u t r a n c e«. 203 119 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 204 In diese Richtung deutet Christoph: »it is the prospect of action which quickly stifles contemplation […]. […] The importance of knightly activity as a release from dysphoria« (Gahmuret, Herzeloyde, and Parzival’s erbe, S. 203). 205 daz er ir [Amphlises] ritter wære: / ein brief sagt im daz mære. / âvoy nu wart er lâzen an. / op minne und ellen in des man? / grôz liebe und starkiu triuwe / sîne kraft im frumt al niuwe (78,19-24). Diese nachträgliche Information ist kaum auf Gahmurets Trauer, sondern vielmehr auf seine Erschöpfung zu beziehen, die ihn vor dem Eintreffen der Boten Amphlises zum Ablegen des Helmes gezwungen hatte. 206 Hierzu Koch: »Ein weiteres Element der Darstellung von Trauer ist der Umgang mit Kleidung. […] Gahmurets Rückzug [im Anschluss an die Nachricht von Galoes’ Tod; S.W.] geht einher mit dem Ablegen von Helm und Rüstung« (Inszenierungen von Trauer, Körper und Geschlecht, S. 150). Signifikant ist an dieser Stelle u. a. zweierlei: Erstens ist eine Kopplung von Handlung (das Anlegen des Adamas) und Emotion (das personifizierte ›Fliehen‹ der Trauer) indiziert, umso augenfälliger, als man keinerlei Einblick in die Hintergründe von Gahmurets trûren erhält: Ist es etwa der folgende Kampf, der seine Traurigkeit, ausgelöst vom Brief der Amphlise, vertreibt? 204 Oder ist es umgekehrt, wie eine etwas spätere Textstelle es nahelegt, der Brief, der Gahmuret zu neuer kraft verhilft und seinem trûren ein Ende setzt? 205 Indem Wolfram die Hintergründe von Gahmurets Emotion offenlässt, wird auch die Verknüpfung mit der Geste des Helmanlegens weniger kausallogisch denn aus dem später Folgenden erklärbar: Wie das Einsetzen der Trauer um seinen Bruder mit dem Abbinden des Helms verbunden ist (vgl. 80,19), 206 ist es hier spiegelbildlich bereits das Enden einer nicht weiter bestimmbaren Trauer, das mit dem Anlegen des Helms enggeführt wird. Das Ding und die an dieses gekoppelte Geste wird somit zum Index für die Gefühlslage des Helden. Zweitens legt die Sukzession der am Briefende prononciert vorgebrachten Aufforderung, Gahmuret möge die Herrschaft über Frankreich übernehmen und dort die Krone tragen (sô hab dir mîne krône / nâch minne ze lône; 77,17f.), und dessen Reaktion einen Kontrastbezug zwischen Krone und Adamas nahe: Steht die Krone für Herrschaft und Sesshaftigkeit, so symbolisiert der Adamas samt Anker Aufbruch, Kampf und unstæte - ein Kontrast, der denjenigen zwischen Zelt und Adamas am Ende des ersten Buches wieder aufgreift und den Adamas als Symbol eines Gegenentwurfes zur unbeweglichen Existenz des Herrschers kenntlich macht: Wie schon in der Auszugsszene und in Zazamanc steht Gahmurets Weg auch vor Kanvoleiz im Zeichen nicht der Krone, sondern des harnasch, nun ganz konkret: im Zeichen des Adamas als ›Krone‹ des fahrenden Ritters. Das Anlegen des Helms als Träger der Erinnerung an die Belakane-Figur stiftet einen weiteren Kontrastbezug zum Ring der Amphlise: Dieser steht, da er in seiner Funktion als wârgeleite des Amphlise-Briefes aufgeht, da ihm also keinerlei affektive oder für die Handlung relevante Bedeutung zugeschrieben wird, dem hypersignifikanten und mit der Trauer des Protagonisten verknüpften Adamas entgegen, den anzulegen die vom Erzähler vermerkte Absicht Gahmurets, nun in Amphlises Diensten zu kämpfen, wenn nicht konter‐ kariert, so doch als doppelbödig ausweist: daz er ir, Amphlises, ritter wære (78,19), erscheint als formelhafte Behauptung, die den sichtbaren Zeichen (dem Adamas als Signifikant des Geschehens um Belakane und Isenhart und Ankerträger) widerspricht, als Ausweis sich im Widerstreit befindlicher Ansprüche zweier Damen und eines Ritters. Während Belakane im II. Buch eine durch die Dinge supplementierte Präsenz zukommt, entziehen sich die der körperlosen Schattengestalt Amphlise zuzuordnenden Gegenstände, Brief samt Wahrgeleit 120 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 207 Derrida: De la grammatologie, S. 102. Übersetzung: »Die Brisur markiert, daß es für ein Zeichen, für die Einheit eines Signifikanten und eines Signifikats unmöglich ist, in der Fülle einer Gegenwart und einer absoluten Präsenz zu entstehen« (Grammatologie, S. 122). 208 Die Gefahr einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Verwandten deutet sich bereits in 78,7f. an (heinlîch gevaterschaft / wart dâ zefuort mit zornes kraft). Ausführlich zu dieser Szene, zum Verwandtschaftsverhältnis zwischen Gahmuret und Kaylet und zu den potentiell konfliktträchtigen Besitzansprüchen der Cousins vgl. Delabar: Erkantiu sippe unt hoch geselleschaft, S. 142-153; zu 39,13, zur Parallelsetzung von textinternen und vom Leser geforderten Erkenntnis- und Verknüpfungsleis‐ tungen vgl. Schu: Vom erzählten Abenteuer, S. 69. 209 Delabar: Erkantiu sippe unt hoch geselleschaft, S. 153. 210 So, vereindeutigend, die *D-Fassung, die an dieser Stelle die Variante mit ûf kêrter schildes spitze (Parz. D, 2371) aufweist. 211 So der Servius-Kommentar zu Verg., Aen. XI,93 (uersis Arcades armis; hier geben die um Pallas Trauernden ihrem luctus nicht nur mit Tränen Ausdruck, sondern auch indem sie ihre Waffen umdrehen): Serviani in Vergili Aeneidos libros IX-XII commentarii, S. 274, Z. 12 f. - Zur Verkehrung von Gegenständen im Trauerfall als anthropologischer Konstante Lévi-Strauss: »In Hawaii wurde der Tod eines Häuptlings durch heftige Trauerkundgebungen unterstrichen. Die Teilnehmenden trugen den Schurz um den Hals geknotet und nicht, wie gewöhnlich, um die Hüfte. […] Die Wichtigkeit des Gegensatzes zwischen oben und unten drückte sich in einer großen Anzahl von Verboten aus« (Das wilde Denken, S. 169). wie auch die in der Auszugsszene erwähnten Waren, solcher Gegenwärtigkeit, sie weisen dagegen auf eine alteritäre Logik der Schriftlichkeit: die Differenz, die Spur oder brisure: La brisure marque l’impossibilité pour un signe, pour l’unité d’un signifiant et d’un signifié, de se produire dans la plénitude d’un présent et d’une présence absolue. 207 Das Abbinden des Helmes fungiert auch im weiteren Textverlauf als Index der Trauer: Im Anschluss an weitere, die bisherigen überschattende Kampfschilderungen trifft Gahmuret auf einen Fürsten aus Anschouwe, als solcher am väterlichen Wappen problemlos zu erkennen: diu wâpen er rekande (80,11). Wie bereits an früherer Stelle das Erkennen der Wappen Kaylets einen potentiell verhängnisvollen Verwandtenkampf verhindert hatte (vgl. 39,11-19), 208 ist es hier neuerlich die einseitige Wahrnehmung Gahmurets, die eine korrekte Identifikation seines Gegenübers bewerkstelligt. Dieser hingegen setzt unvermittelt zur hurt (vgl. 80,6) an, da ihm seinerseits kein erkennbares Gnorisma zur Verfügung steht: Fehlt es oder läßt es sich in keinen den Figuren bekannten Kontext einordnen […], dann kann es seine Funktion, Identität zuzuweisen, nicht erfüllen. Der Träger wird automatisch aus dem Kontext der Sippe ausgegrenzt und bekämpft. Das Verkennen des Verwandten wird damit begründet, wahrscheinlich und nachvollziehbar. 209 Der Begegnung ist ein weiteres folgenschweres Detail beigegeben: Der fürste ûz Anschouwe (80,7) trägt sein Wappenschild 210 mit ûf kêrter spitze (80,9) - eine schon in der Antike bekannte Trauergeste: quoniam antiqui nostri omnia contraria in funere faciebant  211 -, er gibt so dem kollektiven jâmer Ausdruck, dessen Hintergründe Gahmuret freilich noch verschlossen sind: daz enwesser leider, wie / er [sein Bruder Galoes] starp vor Muntôrî (80,28f.), ganz in Analogie zum Rezipienten, der erst im dritten Buch Näheres erfährt, dass nämlich Orilus für die Tötung von Parzivals Vaterbruder verantwortlich zeichnet (vgl. 134,23-26). Das Ablegen des Adamas markiert somit an dieser Stelle nicht nur das vorläufige 121 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 212 Müller: Feirefiz, S. 137. 213 Haferland: Höfische Interaktion, S. 97. Vergleichbares hält Koch fest: »Gahmuret kann sich nicht länger als Ritter im Turnier bewähren, da die Trauer nun sein Handeln beansprucht, doch steht der abgelegte Waffenrock als pars pro toto für Gahmurets ritterliche Identität« (Inszenierungen von Trauer, Körper und Geschlecht, S. 150). 214 Diese Verknüpfung liegt insbesondere für den Leser der handschriftlichen Überlieferung der Lachmann’schen Verse 69,29-70,6 nahe. Die Verse knüpfen nicht nur an die Erwähnung maneger marke (71,6) an und assozieren so die Ersterwähnung von Gahmurets vriundîn (vgl. Kap. 2.2.2, Anm. 189 und 190), auch die auf diese folgende Beschreibung des Waffenrocks (vgl. 71,6-28) deutet bereits verdeckt auf die Vorgeschichte mindestens dieses Gegenstands als einer Minnegabe Amphlises. 215 Gephart: Geben und Nehmen, S. 121. Enden des Kampfes, sondern überdies erneut eine noch diffus bleibende, sich jedoch vom Schild unmittelbar auf Gahmuret übertragende Trauer. Um den »vollständige[n] Rückzug aus dem Kampfgeschehen« 212 zu markieren, lässt dieser seinen wâpenroc, durchstochen unde verhouwen (81,19), Herzeloyde zukommen. Die nähere Bestimmung des Waffenrocks erfolgt knapp, aber rhetorisch eindrucksvoll vermittels Alliteration und Polyptoton - er gleste als ein glüendic gluot (81,22) -, der Fokus liegt also abermals auf dem Glanz des Artefakts als seinen Besitzer identifizierendes Merkmal, das die Stelle an die oben analysierte descriptio des Rocks (vgl. 71,7-28) zu‐ rückbindet. Die zahlreichen von Gahmuret durchstandenen Kämpfe haben sich zwar als sicht- und lesbare Spuren in die Gabe eingeschrieben, sie sind im durchstochenen Gegenstand, der »Metonymie einer einzigartigen Verausgabung« 213 , dokumentiert, aber dennoch scheint dieser kaum etwas von seinem Glanz eingebüßt zu haben, er was von golde dennoch guot (81,21). Das semantisch solchermaßen angereicherte und persistent leuchtende Zeugnis von Gahmurets ritterlichen Taten wird durch seine Botensendung zum fernkommunikativen Medium, und als solches wird es auch von Herzeloyde unmittelbar wahrgenommen: dô sprach diu künegîn gemeit / ›dich hât ein werdez wîp gesant / bî disem ritter in diz lant […]‹ (81,24-26). Die antropomorphisierende Apostrophe des Rocks verweist auf einen metonymischen Bezug zwischen Held und Gegenstand, der sich besser als in Herzeloydes eigenen Worten nicht beschreiben ließe: Diese deklariert den Waffenrock als Sendung bî disem ritter und identifiziert so Ding und Figur gleichermaßen als ›Sendungen‹ und kommunikative Medien. Mit der Verdopplung des Sendungsmotivs ergibt sich eine metonymische Verweiskette, in der Gahmuret sowohl die Rolle des Empfängers als auch diejenige des Senders übernimmt, in der der Rock als Minnegabe, als Sendung und Botschaft einer namentlich nicht erwähnten Dame - der Leser ahnt: Amphlises 214 - sowie als an Her‐ zeloyde adressierte Gabe ausgewiesen wird. Ohne dass über etwaiges Hintergrundwissen Herzeloydes aufgeklärt würde oder auf verlässliche Informationen über den Rock als Gabe etwa Amphlises zurückgegriffen werden könnte, bleibt doch festzuhalten, dass Herzeloyde in diesem »die nicht unbeschriebene Vergangenheit des Helden« 215 symbolisiert sieht, dass er, in ihrer Perspektive, zum Zeichen einer früheren Minne-Bindung avanciert. Somit wird der Rock wie schon das Ankerwappen in Lachfilirosts Blick zu einem Medium, das eine obskure Vergangenheit mit der erzählten Gegenwart verknüpft und, seiner schillernd-spiegelnden Materialität entsprechend, dem Betrachter divergierende Deutungsangebote als Minnegabe und als zerstochenes Zeichen ritterlichen Kampfes 122 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 216 Hierauf deutet die topische Betonung seiner Gezeichnetheit vom Turnierkampf (durchstochen unde verhouwen) ebenso wie Herzeloydes Schluss, Gahmurets tât müsse den hœhsten prîs erworben haben (82,4). Es ist m. E. nicht nötig, hier über eine tât zu mutmaßen, »um die allein Herzeloyde weiß«, bzw. diese mit dem »Abbruch des strît im Namen der minne, eine[r] Kampfabsage aufgrund der Möglichkeit, sich im strît an der Sippe zu vergehen«, zu identifizieren (Müller: Feirefiz, S. 137). Das Substantivum tât ist im Parzival zumeist in der attributiven Verbindung ritters respektive ritterlîche tât (vgl. 66,21; 68,27; 280,29 et passim) anzutreffen und bezeichnet ›Rittertaten‹ auch in der verkürzten Form des Ausdrucks (vgl. 15,26; 78,1; 222,27 et passim), weshalb hier der lectio simplicior der Vorzug gegeben sei. 217 Für einen detailgenauen Nachvollzug der vier Phasen, in denen sich das reht der Herzeloyde letztlich als »Gesetz des ritterlichen Programms, das zugleich das objektive Gesetz der Gahmuret-Geschichte ist«, durchsetzt, vgl. Ortmann: Ritterschaft, S. 685-694; hier: S. 687. 218 Koch: Inszenierungen von Trauer, Körper und Geschlecht, S. 154. 219 Lévi-Strauss: La pensée sauvage, S. 35. nahelegt - und so strît  216 und minne im kompakt-dinglichen Symbol verdichtet. Gahmurets Agieren zielt, wie schon in der Transformation des Adamas, auf eine Umcodierung, die die Vorgeschichte seiner Objekte indes nicht zum Verschwinden zu bringen vermag, die vielmehr das Nebeneinander konfligierender Bindungen im mehrdeutigen Objekt konvergieren lässt. Und dieser Konflikt spitzt sich zu, ist er doch nun nicht mehr nur in Erzähler-, sondern auch in Figurenperspektive präsent. Zum Abschluss der folgenden dialoglastigen Passagen wird Gahmuret - im Gerichts‐ spruch über seinen Helm identifiziert: swelch ritter helm hie ûf gebant (96,2) - der Herzeloyde zugesprochen, die damit ihr reht gegenüber den Ansprüchen Belakanes und Amphlises durchsetzt. 217 Dieser komplexe juristische Prozess ist eingelassen in eine Trau‐ erhandlung, die der bereits beobachteten Verknüpfung von Emotion und Handlung sowie der Semiotisierung des Ankerwappens weiter zuspielt: Nachdem Gahmuret vom Tod seines Bruders Galoes erfahren hat und so zum Herrscher über Anschouwe geworden ist, legt er sein Ankerwappen ab (vgl. 92,14; 99,15f.), um das väterliche Wappen, den Panther, anzulegen. Fungierte schon im Voraufgehenden das Ab- und Anlegen des wappentragenden Helms als Code für die Gefühlslage des Helden, so findet »nun, in der Trauer, […] der Anker seinen Grund« 218 : ›wie hât nu mîns ankers ort / in riwe ergriffen landes habe! ‹ / der wâppen teter sich dô abe (92,12-14). Das bereits in der Schilderung von Gahmurets Auszug thematisierte Verhältnis zwischen Kunstmodell und materiell-schwerem Ding (vgl. 14,29-15,7) wird an dieser Stelle erneut, in ähnlichen Worten, aufgegriffen: Hatten seine Schiffsanker einst noch niht bekort / ganzes lands noch landes ort (14,29f.), so hat er nun, noch bevor er nach Anschouwe zurückgekehrt ist, bereits im ›Land der riwe‹ geankert. Insbesondere die Verschiebung der Bezüge des Substantivums ort erweist sich hierbei als rhetorisch hochgradig signifikant: In einer chiastischen Inversion wird des landes ort zu des ankers ort, wird überdies die Doppelbedeutung des Ankers als symbolisches und materielles Ding auf den metaphorischen Gebrauch des Begriffes lant hin verschoben, das nun, in Gahmurets Zelt, mit der Emotion riuwe in Verbindung gebracht wird. Durch diese Verschiebungen und Inversionen gerät der Anker in Nahstellung zu dem von Gahmuret im Turnier erblickten Schild: ›[…] ich sach mîns bruoder wâpen tragen / mit ûf kêrtem orte‹ (91,10f.). Die bereits angesprochene ›Übertragung‹ der Trauer vom Zeichen ›Schild‹ auf Gahmuret setzt sich also in der Kontamination von Traueremotion und Ankersymbolik fort: »les signifiés se changent en signifiants, et inversement«. 219 123 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 220 Brall: Gralsuche und Adelsheil, S. 107. Der Perspektivwechsel des Erzählers hat, wie Brall weiter ausführt, erzählstrukturelle Implikationen: »Hier prallt die Darstellung von Glanz und Leid unver‐ mittelt aufeinander; die kontrafaktische Anlage der Erzählung bewirkt, daß Herzeloydentragödie und Gahmuretritterschaft einander wechselseitig deuten« (ebd., S. 112). 221 Diese Erzählung ist bereits oftmals Gegenstand gelehrter Auseinandersetzung geworden, vgl. Hartmann: Gahmurets Epitaph; Haubrichs: Memoria und Transfiguration; Lieb: Was man aus einigen Metadiegesen in Wolframs von Eschenbach Parzival lernen kann, S. 117f.; Lieb und Wagner: Dead Writing Matters? , S. 19-21. 222 Kellner: Wahrnehmung und Deutung des Heidnischen, S. 33. Somit ist die in der Auszugsszene ausgestellte Verheißung (im Anker, der noch kein Land bekort hat) erfüllt: Gahmurets ›Verlust‹ ist jetzt, da sein Schiffsanker landes habe im Königreich Anschouwe findet, kompensiert, und Wappen sowie verkleinerte Wappenmo‐ delle, die bereits zu Erzählbeginn die schlussendliche Erfüllung vorweggenommen hatten, werden nun gegen das Familienwappen, den Panther, eingetauscht (vgl. auch 101,7f.): ich sol mîns vater wâpen tragn; sîn lant mîn anker hât beslagn. der anker ist ein recken zil: den trage und nem nu swer der wil. (99,13-16) Der Anker, den Gahmuret zu seinem Zeichen gemacht hat, wird, sobald er seine Verheißung eingelöst hat, wieder zum Ding, an dem nun ein anderer Ritter schwer zu tragen haben wird. Doch die Aufgabe des Wappens geht nicht auch mit einer Entlastung des Helden einher, die einmal indizierte Koinzidenz von mâl und last, die Vermischung von Kunst und Realität ist ohne weiteres augenscheinlich nicht rückgängig zu machen: Der einst vom realen Anker auf das indexikalische Modell übergegangene pondus hat sich bereits, dies soll im Folgenden gezeigt werden, auf ein anderes Ding, den Adamas, übertragen - wie Isenhart nach seinem Tod in Zeichen und Dingen eine bedrohliche Omnipräsenz zu eigen war, so wird auch der Anker, die materielle Dimension seiner Schwere nicht spurlos aus Gahmurets Geschichte verschwinden. An die Schilderung einer weiteren Meerfahrt Gahmurets, der den Baruc im Kampf gegen die Herren von Babylon, Ipomidon und Pompeius, unterstützen will, schließt sich ein »allmähliche[r] Wechsel der handlungsführenden Figuren« 220 an, und der Erzähler verfolgt von nun an das Schicksal der schwangeren Herzeloyde als Wissensfilter: Waz tâ geschehe, wiez dort ergê, / gewin und flust, wie daz gestê, / desn weiz frou Herzeloyde nieht (102,23- 25) - Gahmuret gerät somit schlagartig aus dem Fokus der Erzählung. Ein halbes Jahr nach seinem Auszug gelangt Tampanis, Gahmurets meisterknappe, an Herzeloydes Hof und erzählt dort vom Tod seines Herrn. 221 In dieser Binnenerzählung wird der Adamas gleich zweifach diskursiv, zum einen als verwundbare Schwachstelle des Ritters, als Akteur, zum anderen als Schriftträger und Bestandteil seines Grabes in Bagdad, einer »hybride[n] Konstruktion, die heidnische und christliche Elemente und Ansprüche im Zeichen höfischen Prunks zu vereinen sucht.« 222 Tampanis’ Bericht ist als Reaktion auf die verwunderte Frage der umstehenden Ritter angelegt: […] ›wiest gewunnen / mîn hêrre in sîme harnas, / sô wol gewâpent sô er was? ‹ 124 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 223 Ohly: Diamant und Bocksblut, S. 58. 224 Für eine Strukturierung der Binnenerzählung vgl. Haubrichs: Memoria und Transfiguration, S. 127- 130. 225 Weiter: »[I]ndem er die Rüstung auszieht, entblösst er auch den ritterlichen Heldenbegriff von seiner glanzvollen Hülle und erweist rîterschaft als das, was sie potentiell für jeden ist, der sich auf sie einlässt: Selbstmord« (Schmid: Studien zum Problem der epischen Totalität, S. 63). 226 Marshall: Unterlaufenes Erzählen, S. 203. 227 Philipowski hält zur Körpererziehung im höfischen Roman allgemein fest: »Der ideale Körper ist der, der friedfertig und beherrscht, aber auch grausam und brutal sein kann. […] Den höfischen Figuren stehen die unhöfischen gegenüber, die sich durch ihre Unreflektiertheit und Unbeherrschtheit in den Untergang stürzen« (Der geformte und der ungeformte Körper, S. 84). 228 Leckie: Mutable Substance, S. 30. (105,8-10) - eine Frage nach der »Besiegung des Unbesiegbaren« (gr. αδάμας). 223 Die folgende Antwort greift im ersten Teil 224 ein zuvor bereits etabliertes Motiv wieder auf: Gahmuret habe sein härsenier, auch den Helm also, aufgrund der Hitze ausgezogen (vgl. 105,14f.). Damit wird einerseits das Motiv des belastenden und zur Kampfpause zwingenden Helms wiederholt (vgl. 75,23-30) und so implizit auf das in den früheren Szenen etablierte Trauermotiv gedeutet, andererseits das fatale Schicksal Isenharts in Erinnerung gerufen: Dieser hatte sich durch das Ablegen seines harnasch vor dem Kampf als unbeherrschte und im Umgang mit den Dingen unsouveräne Figur erwiesen, »als Subjekt, das diese Belastung [ritterlichen Bewährungszwangs] nicht aushält«, 225 und so sein namengebendes Proprium, die ›Härte‹, eingebüßt: Der Ritter mit dem sprechenden Namen Isenhart, der ›Eisenharte‹, gibt mit seiner Rüstung nicht nur das Symbol von Rittertum und Wehrhaftigkeit auf, sondern demontiert das Programm seines Namens - und damit offenbar seiner Identität -, indem er vom ›Eisenharten‹ zum ›weichen‹, verletzlichen Mann wird. Das unbedingte Begehren und die Hingabe an die Frau werden in dieser Erzählung mit dem Verlust der ›harten‹ Ritterrüstung in Verbindung gebracht. 226 Indem nun die Erzählung auch Gahmuret, ordnungsgemäßer Wappnung zum Trotz, sterben lässt, unterläuft sie eine simplifizierend-didaktische Gegenüberstellung etwa von höfisch-reflektierender Idealfigur und unhöfischer Negativfigur 227 - das fatale Mitwirken des Dings verunmöglicht eine solche Dichotomiesetzung diametral entgegengesetzten Figurenhandelns. Infolge einer klugen List der Heiden, gunêrtiu heidensch witze (105,16), wird nämlich das zentrale Proprium des Helms, die Härte, in sein Gegenteil verkehrt: dô wart er weicher danne ein swamp (105,21) - »Babylon’s traditional association with various types of scientific knowledge doubtless dictated the choice of strategem.« 228 Solchermaßen durchlässig gemacht, ist es für die Gegner ein Leichtes, Gahmuret mit einem Speerstoß in Helm und Kopf zu töten: sînen helm versneit des spers ort / durch sîn houbet wart gebort, / daz man 125 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 229 Die Art der Tötung wird nicht zuletzt dadurch signifikant, dass Wolfram an dieser Stelle von der chrétienschen Vorlage abweicht (vgl. Perceval, 435-437). Hierzu Neudeck: »Während bei Chrétien der namenlose Vater des Titelhelden durch eine Wunde zwischen den Beinen verletzt wird, trifft der tödliche Lanzenstoß des Impomidon eben nicht an dieser Stelle (106,7-17). Eine Verwundung am Geschlecht hätte in Wolframs Parzival konsequenterweise zu einem Vergleich mit Anfortas und Clinschor führen müssen; damit wäre aber in Hinblick auf den Tod des Minneritters Gahmuret eine zeichenhaft-negative Deutungsperspektive eröffnet gewesen, die vom deutschen Dichter offenbar nicht beabsichtigt war« (Das Stigma des Anfortas, S. 63f.). - Chrétiens Perceval wird hier und im Folgenden zit. nach: Chrétien de Troyes: Le Roman de Perceval ou Le Conte du Graal [Sigle: Perc.]. 230 Die Konstruktion fällt durch die ungewöhnliche Stellung des κοινόν (des spers ort) vor der Versgrenze ins Auge; vgl. Gärtner: Die Constructio ἀπὸ κοινοῦ, S. 147-152. Das wolframtypische Stilmittel mag (nicht nur an dieser Stelle) auf einen gattungsmäßigen Rekurs auf die Heldenepik deuten oder schlicht Mündlichkeit suggerieren: »Das Stilmittel begegnet häufig in der Heldenepik, die höfischen Autoren verwenden es mit Ausnahme Wolframs nicht« (Hartmann: Stellenkommentar zu 60,7f., S. 56); vgl. bereits Kap. 2.1.2, Anm. 90. 231 Ebenbauer: Achillesferse - Drachenblut - Kryptonit, S. 85. 232 Ohly: Diamant und Bocksblut, S. 56. 233 Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil, S. 78. den trunzûn drinne vant (106,15-17). 229 Diese ungewöhnliche ἀπὸ κοινοῦ-Konstruktion 230 verortet helm und houbet rhetorisch augenfällig auf einer Ebene: Abhängig von dem κοινόν und Subjekt des spers ort werden Helm und Haupt als Akkusativ- und Präpositionalobjekt auch zu syntaktisch gleichrangigen Objekten. Das Zerschlagen des Bocksblutglases auf dem Adamas ruft eine mythische Handlungslogik auf, in welcher der Unverwundbare besiegt wird, wenn es gelingt, die Unverwundbarkeit (und ihre magische Ursache) als Ganzes [zu] beseitigen, sozusagen den Schalter um[zu]leg[en], mit dem man das Sicherheitssystem zum Zusammenbruch bringt. 231 Anders gewendet: Freilich, wenn Bocksblut seinen Helm benetzt, dann ist es wie beim Diamant um Gahmuret geschehen. Seine Teilhabe an den Qualitäten des Adamas, an der Unbezwingbarkeit wie an der Zerstörbarkeit durch Bocksblut, ist unteilbar. 232 Gahmurets Tod zeugt neuerlich von einer für das mythische Denken bezeichnenden Koinzidenz, die »das, was sie [die mythische Anschauung] verknüpft, zusammenfallen [läßt]« 233 und Ding und Figur sukzessive in eins setzt: Nachdem der Helm mithilfe von Bocksblut zum Akteur transformiert wurde, der erst mit dem Verlust seiner Schutzfunktion einen ›Unterschied‹ und die Figur somit zum Zwischenglied eines tödlich-hinterhältigen Kampfgeschehens macht, sind Gahmuret und sein Helm schlussendlich gleichermaßen ›weich‹. Die schon auf syntaktischer Ebene sich vollziehende Analogisierung von Helm und Figur setzt sich in der Beschriftung des Adamas mit Gahmurets Biographie fort: Durch das Erweichen des Helmes wird dieser nicht nur durchlässig für feindliche Speere, sondern - aufgrund seiner temporären ›Unstarrheit‹, die ihn zum Medium macht - auch beschreibbar. Schrift und Tod haben mithin gleichermaßen die Transformation des Harten zum Weichen zur Voraussetzung, in deren Zuge der in der gelehrten Literatur aufgrund seiner Härte als 126 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 234 Aug., Civ. XXI, 4: adamantem lapidem multi apud nos habent et maxime aurifices insignitoresque gemmarum, qui lapis nec ferro nec igni nec alia ui ulla perhibetur praeter hircino sanguine uinci. - Eine Zusammenstellung und Auswertung antiker und mittelalterlicher Quellen findet sich bei Ohly: Diamant und Bocksblut sowie bei Schneider: Diamanten im Mittelalter; vgl. auch Marshall: Körper - Ding - Schrift, S. 427, Anm. 46. 235 Die Kommentare von Hartmann und Nellmann votieren für einen Bezug auf den Adamas, Martin liest: »mit dem Helm war auch die Grabschrift am Kreuz festgemacht« (Martin: Stellenkommentar zu 108,1, S. 106). Marshall schließt sich dieser Auffassung an und sieht überdies Poetologisches impliziert: »versigeln bedeutet ›versiegeln, mit einem Siegel versehen‹, dann auch ›verschließen‹ - als handele es sich hier um einen Brief oder ein Buch« (Körper - Ding - Schrift, S. 425). 236 So Trevrizent zum Gral: zende an des steines drum / von karacten ein epitafum / s a g t sînen namen und sînen art, / swer dar tuon sol die sælden vart (470,23-26); sowie Cundrie: daz epitafjum ist g e l e s e n (781,15). - Für eine umfassende Sammlung von Literatur zum Thema ›Materialität der Schrift‹ und eine schrifttheoretisch grundierte Untersuchung u. a. der Gralinschrift im Jüngeren Titurel vgl. Philipowski: We, daz ie man die strangen sach geschribene! ; s. auch Kap. 2.6 dieser Arbeit. 237 »Der Leichnam ist einbalsamiert - dies unterscheidet seine Unverweslichkeit von derjenigen der durch Gotteswunder erhaltenen Heiligen, sodass auch eine Qualifizierung des Helms als ›Reliquie‹ zu modifizieren wäre« (Marshall: Körper - Ding - Schrift, S. 425f.). Vgl. bereits Kap. 2.2.2, Anm. 161. 238 Zur Unterscheidung zwischen referentieller, emotiver, konativer, phatischer, metasprachlicher und poetischer Funktion der Sprache vgl. Jakobson: Linguistik und Poetik, S. 88-93. Gravurwerkzeug bekannte, insbesondere von aurifices insignitoresque gemmarum genutzte Edelstein zum Schriftträger, das Instrument zum Gegenstand der Bearbeitung und zum Medium wird: 234 In sînen helm, den adamas, ein epitafum ergraben was, versigelt ûfz kriuze obeme grabe. sus sagent die buochstabe. (107,29-108,2) Wie schon bei der Beschreibung von Gahmurets Wappenwahl steht hier zunächst erneut die Eigenkörperlichkeit des nur mehr schriftlichen Zeichens im Vordergrund: Dass der Fokus auf dessen Herstellung als Gravur (ergraben) gerichtet wird, verweist wie das postponierte Partizip versigelt  235 auf die Materialität der Schrift und eröffnet somit einen Diskurs, der mit der Hervorhebung der Herstellungsprozesse medialer Gegenstände im Prolog bereits grundgelegt und mit der körperlosen Gralinschrift an späterer Stelle kontrastierend wieder aufgegriffen wird. 236 Dass die Epitaphwiedergabe auf die deiktische Redeeinleitung sus sagent die buochstabe folgt, bildet das angesprochene Nebeneinander von Körperlosigkeit und Eigenkörperlichkeit der Schrift, von Mündlichkeit (in der imaginierten Redeszene, narration) und Schriftlichkeit (auf dem Helm in der histoire) an dieser Stelle auf engstem Raum ab. Die schriftliche Medialisierung des Gahmuretlebens auf der Helm-›Reliquie‹ wird im Grabensemble ergänzt um eine ›authentische Spur‹ des einbalsamierten Leichnams 237 in einem diaphanen Edelstein: ein tiwer rubîn ist der stein / ob sîme grabe, dâ durch er schein (107,7f.). Wie der Rubin als ebenfalls medialer Gegenstand einen unmittelbaren, die Anwe‐ senheit Gahmurets beglaubigenden Präsenzeffekt zeitigt, so sucht auch das Schrift-, das Differenzmedium in dem emphatischen letzten Satz des Epitaphs, in konativer wie emotiver Sprachfunktion einen Bezug zur Gegenwart des Lesenden herzustellen: nu wünscht im heiles, der hie ligt (108,28). 238 Und während der Vortrag des in den Adamas geritzten 127 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 239 Lieb und Wagner: Dead Writing Matters? , S. 21. 240 Zu den verschiedenen Möglichkeiten der Interpunktion und Interpretation dieser Stelle vgl. Brüggen und Lindemann: Unschärfen, S. 419-430. - derdurch ist, ausweislich der Wörterbücher, kausal (›deswegen‹) oder auch räumlich (›hindurch‹) aufzufassen; vgl. die Einträge zu durch in Lexer (I, Sp. 477) und BMZ (I, Sp. 404a). In beiden Fällen ist eine Medialisierung des schwarzen Hauptes durch die Rubinkrone indiziert: »Gleich, ob man durch dieses hellrote ›Fenster‹ den Kopf der Königin oder ob man ihn vom roten Licht erleuchtet sieht, muss dessen Farbe hell-rötlich erscheinen. Der Blick durch diese ›rosarote Brille‹ schiebt die Darstellung des Erzählers, die Dame sähe einer Rose nicht ähnlich (24.10), beiseite« (Marshall: Unterlaufenes Erzählen, S. 191). 241 Zu den Bechern Engelen: »Sie entwarf Wolfram wohl in Analogie zu den Rubinkronen, zu Gahmurets Diamanthelm und in Anlehnung an wirklich existierende Exemplare« (Die Edelsteine in der deutschen Dichtung, S. 170). 242 »Durch Pokale, die ursprünglich ein Geschenk von Isenhart an Belakane waren, wird für den extradiegetischen Adressaten außerdem die Erinnerung an Belakane präsent gehalten« (Eming: ›Trauern Helfen‹, S. 112f.); vgl. Schmid: Studien zum Problem der epischen Totalität, S. 77. 243 Gephart: Geben und Nehmen, S. 121. Textes eine unmittelbare emotionale Reaktion seitens der textinternen Rezipienten auslöst - diz waz alsô der knappe jach. / Wâleise man vil weinen sach (108,29f.) -, so erfolgt die Schilderung des Traueraffekts der Heiden in der Erzählung des Meisterknappen im Kontext der Beschreibung des diaphanen Rubins (vgl. 107,6). Diese Engführung von medialer Ver‐ mittlung und emotionaler Reaktion legt eine funktionale Äquivalenz zwischen dinglichem und schriftlichem Medium nahe: Rubin und Leichnam im Bericht des Binnenerzählers, die Schrift in der Erzählerrede von der Reaktion der Christen, beide Medien tragen zur Affordanz des Ding- und Medienensembles bei, zur »affordance of Gahmuret’s tomb, which is not a passive object, but has the power to move its onlookers to perform actions« 239 . Aus Sicht des Rezipienten eignet dem Rubin noch eine zusätzliche symbolische Dimen‐ sion, ruft doch die Beschreibung des Edelsteins eine Formulierung aus der descriptio Belakanes in Erinnerung: nâch swarzer varwe was ir schîn, / ir krône ein liehter rubîn: / ir houbet man derdurch wol sach (24,11-13). 240 Vermittels variierender Wiederholung wird der diaphane Rubin zu einem Motiv, das ein letztes Mal Gahmurets Bindung an die zurück‐ gelassene Belakanefigur betont, seinen Leichnam durch einen Rubin schînen lässt wie Belakanes houbet und das dem Diamanthelm abermals eine Krone zuordnet, eine assoziative Textbewegung, die schon vergleichbar in der Reaktion Gahmurets auf Amphlises Brief zu beobachten war - und es treten weitere ›in Analogie entworfene‹ 241 Gegenstände zu dieser Filiation hinzu: Schon an früherer Stelle wurde mit unter anderem aus rubîn gefertigten näphen »die Erinnerung an Belakane präsent gehalten« 242 (vgl. 84,20-85,4) und auch die Isenhartfigur als Ausgangspunkt der in Gahmurets Besitz endenden Gabenhandlung in Erinnerung gerufen: Erinnerungen an das unglückselige Schicksal Isenharts sind dem Hörer Vorboten von Gahmurets künftigem unheilvollem Geschick. Der Schatten des Todes, der Isenhart ereilte, fällt bereits auf ihn. 243 Die näphe nehmen somit einen dem Adamas vergleichbaren Weg und spielen der bereits be‐ obachteten metonymisch-doppelbödigen Verknüpfung Isenharts und Gahmurets weiter zu, einer Verknüpfung, in welcher der Erbe den Beerbten ebenso wenig zu ersetzen vermöchte, wie die vormalige Bedeutung der Dinge durch eine neue restlos zu überschreiben wäre. 128 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 244 Hartmann: Stellenkommentar zu 84,29, S. 201. 245 Mit der zweifachen Medialisierung der Inschrift potenziert Wolfram die poetologischen Implika‐ tionen des Epitaphs in Veldekes viel besprochener descriptio des Camillengrabmals; hierzu Greulich: »Der genaue Wortlaut der Inschrift wird erst über das Medium des Erzählers vermittelt. Das starke Hervortreten der Erzählinstanz innerhalb dieser Passagen markiert in ihrer Merkmalskombination mit der Verhandlung von intradiegetischer Schrift die Abhängigkeit der Rezipienten vom Erzähler. Es ist erst die Erzählinstanz, durch die der Blick in die hermetisch abgeschlossene Grabkammer der Camilla ebenso erfolgt wie die Wiedergabe der Grabinschrift« (Ein Brief mit Folgen, S. 106). Wolfram ›übersetzt‹ gewissermaßen das von Veldeke durch Raum und Requisiten (die Lampe) Implizierte in eine Metaisierung, eine Verdreifachung der Diegese. 246 Haubrichs: Memoria und Transfiguration, S. 129. Etwas unklar bleibt in Haubrichs Darstellung, aus welchen Gründen von einer Spiegelung der Autorfigur in dem Meisterknappen Tampanis gesprochen werden kann; im Gegenteil: Die zu solchen Überlegungen Anlass gebende Stelle (108,15-17) wird mit einer Übersetzung versehen, die einen Bezug auf Parzival, ein verhülltes Sprechen des wolframschen Erzählers geradezu verdeckt: »Keiner, der Schildes Amt versieht, kann sich seiner Kraft vergleichen« (ebd.). Die Erwähnung der Trinkgefäße im Zuge der Erstbegegnung des Helden mit Herzeloyde kann als »geradezu sinnbildliche Vorausdeutung auf den bevorstehenden Konflikt« 244 gelesen werden. So wird an der in Rede stehenden Stelle die authentische Spur um eine semiologisierbare ergänzt: Während der transparente Rubin als ›echtes‹ Medium den bestatteten Leichnam des Helden in seiner gegenwärtigen Anwesenheit für die in der Diegese der Tampanis-Erzählung handelnden Figuren sichtbar macht, deutet er als variiert wiederholtes Motiv für den Rezipienten des Parzival auf die Abwesenheit der orientali‐ schen Herrscherin. Die Objekte erweisen sich sowohl aufgrund ihrer komplexen, für die handelnde Figur undurchsichtigen und unmöglich zu antizipierenden Aktionsprogramme als auch hinsichtlich ihrer Referenzen auf das Vergangene und das Zurückgelassene als hochgradig eigensinnig. Die Überlegungen zu Gahmurets Grabmal abschließend sei noch auf einen wesentlichen Unterschied zwischen dinglicher und schriftlicher Medialisierung verwiesen: Die Wieder‐ gabe der in den Helm geritzten Buchstaben - sus sagent die buochstabe (108,2) - weist Gahmurets Geschichte als ›Erzählung in der Erzählung (des Knappen) in der Erzählung (Wolframs)‹ aus und spielt letztlich einer radikalen Entmaterialisierung der in Tampanis’ Diegese materiell fixierten und in Wolframs Diegese gleich zweifach medialisierten Schrift zu. Solch starke Kontrastierung verweist auf die Mittelbarkeit des Erzählens überhaupt, eines Erzählens, das sich gerade in programmatischer Opposition gegen die Materialität seiner Erzählgegenstände manifestiert. 245 Die Verschränkung der Ebenen ist darin ange‐ zeigt, dass sich der Sprecher des Epitaphs, für den Leser des Romans unverkennbar, als »Double« 246 Wolframs zu erkennen gibt: So sind in die Adamasinschrift drei Verse eingebettet, die auf die Geburt des Helden Parzival ebenso wie auf die Selbstverteidigung der Autorfigur Wolfram vorausdeuten: er ist von muoter ungeborn, / zuo dem sîn ellen habe gesworn: / ich mein der schildes ambet hât (108,15-17). Die in der symmetrischen Mitte des Epitaphtextes inserierten Verse greifen einerseits anaphorisch eine Formulierung aus dem Prologschluss wieder auf - er ist mæreshalp noch ungeborn, / dem man dirre âventiure giht (4,24f.) -, sie werden andererseits vom Erzähler kurz darauf mit Bezug auf die eigene ritterliche Existenz variiert: 129 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 247 Krämer: Das Medium als Spur und als Apparat, S. 74. 248 Mersch: Ereignis und Aura, S. 66. 249 Mersch: Ereignis und Aura, S. 66. 250 Auch hier mischt der Erzähler der Inschriftwiedergabe eigene Kommentare und Publikumsan‐ sprachen unter, vermittels derer Aussage- und Erzählebene fortwährend verwirrt werden; vgl. Fuchs-Jolie: Eine Einführung, S. 18. Wolframs Titurel wird im Folgenden zit. nach: Wolfram von Eschenbach: Titurel [Sigle: Tit.]. - Zu Hundeleine und Dinglichkeit der Schrift im Titurel vgl. Marshall: Körper - Ding - Schrift. 251 Bal: Telling objects, S. 282. 252 »Die Nichtnegierbarkeit des Bildes hängt an der Unvernichtbarkeit der Materialität. An ihr bekundet sich die Andersartigkeit des Ästhetischen gegenüber dem Digitalen. Sie geht nicht allein im Dargestellten auf, weil zu ihr stets das Materielle gehört, das sich mitzeigt« (Mersch: Ereignis und Aura, S. 78). schildes ambet ist mîn art: swâ mîn ellen sî gespart, swelhiu mich minnet umbe sanc, sô dunket mich ir witze kranc. (115,11-14) Die sich inhaltlich und formal, aufgrund des Sprecherwechsels in die erste Person, weder in Tampanis’ Rede noch in die Adamasinschrift fügenden Verse lassen die übergeordnete Vermittlung von intradiegetisch Gesprochenem wie Geschriebenem durch das Medium der wolframschen Erzählung sichtbar werden, denn: Nur im Rauschen, das aber ist in der Störung oder gar im Zusammenbruch ihres reibungslosen Dienstes, bringt das Medium sich selbst in Erinnerung. Die unverzerrte Botschaft hingegen macht das Medium nahezu unsichtbar. 247 Somit schürzt sich im Zentrum der Adamasaufschrift das in multiple Richtungen weisende Bezugsgeflecht des Textes, gerinnt der Gegenstand selbst zum schillernden Symbol der paradigmatisch organisierten symbolischen Ordnung der Erzählung als eines Geflechts der Verweise auf Vergangenes wie Künftiges. Im Inschriftträger Adamas wird das »Paradox der Materialität« 248 von Medien augenfällig: »Mit der Materialität kommt ein Nichtmediatisier‐ bares ins Spiel.« 249 Indem Wolfram die Inschrift, zudem in Umfang und Form sowohl die Größe ihres materiellen Trägers als auch die Konventionen der Epitaphgattung sprengend, als metaleptischen Erzählerkommentar ausweist, wird dem Helm mit der in ihn ergrabenen Schrift kurz vor seinem Ausscheiden aus der Erzählung jegliche Dinglichkeitssuggestion genommen und erzählte Materialität als fiktionale sowie literarisch medialisierte markiert - und damit der Adamas zum ersten Zeugnis einer Reihe von literarisch vermittelten Schriftmedien, die die Poetizität und Gemachtheit von Wolframs Erzählen, die Semiotizität der Zeichen vieldeutig und verrätselt indizieren, einer Reihe, die in der Hundeleine, um die das zweite Titurel-Fragment kreist, ihr Ende findet. 250 Es vollzieht sich zugleich ein »change in the nature of the object«: »The object is turned away, abducted, from itself, its inherent value, and denuded of its defining function so as to be available for us as a sign.« 251 Mit der doppelten und verschränkt-paradoxalen Metaisierung der Diegesen geht eine zunehmende Marginalisierung der Materialität des Medienträgers einher, der sich, in Annäherung an ein ›digitales‹ Medium wie den Gral, in Tampanis’ Erzählung schließlich nur mehr als Spur ›mitzeigt‹ 252 , als Grenzmedium mithin, das zu überschreiten 130 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 253 Mersch: Ereignis und Aura, S. 80. 254 Ortmann: Ritterschaft, S. 697. 255 Entsprechend hält Schmid zu Gahmurets Grabmal im Orient fest: »Gründlicher kann Isenharts Andenken nicht zerstört werden, als durch das Denkmal, das Gahmuret im a d a m a s gesetzt wird. An Gahmuret erscheint das Denkmal als Inbegriff der Beute« (Studien zum Problem der epischen Totalität, S. 78). Marshall weist auf eine weitere Wucherung des Beutemotivs hin: »Das ›Beutestück‹ macht dann aber das Leben der Gahmuret-Figur selbst zu seiner Trophäe, in Form der Inschrift« (Körper - Ding - Schrift, S. 427, Anm. 47). 256 Gephart: Geben und Nehmen, S. 206. 257 »Das Ding […] wird damit zum dinghaften Text durch den Tod und über den Tod der Figur und eignet sich dabei ihre Lebensgeschichte an« (Marshall: Körper - Ding - Schrift, S. 425). zuallererst seine fragile Materialität ermöglicht: »weil eine Grenze überschreiten heißt, sie gleichermaßen hervortreten zu lassen wie sie zu verneinen.« 253 Der vom Adamas durchlaufene Transformationsweg lässt sich zusammenfassen als einer vom natürlichen Ding zum wappenzeichen- und schrifttragenden Artefakt und Medium, als einer, der die »›Transfiguration‹ der Gahmuret-Figur« 254 begleitend kommentiert, und dessen Vorgeschichte ebenso sukzessiv wie konsequent ›überschrieben‹, 255 jedoch nicht getilgt werden kann. Was zu Beginn, am Ende des I. Buches, nur als unsichtbare Bedeutungsschicht präsent ist, die Geschichte des rüstungslos, auch ohne den Adamas kämpfenden Minnetoten Isenhart, wird in der Geschichte Gahmurets variiert, nicht wie‐ derholt: Als fatal erweist sich gerade nicht das Kämpfen ohne Rüstung, sondern ein ›Zuviel‹ der Gegenstände, konkret: das Aufpfropfen des mit zahlreichen Edelsteinen dekorierten Ankers auf den Adamas, der im Zuge dieses Signifikationsaktes wie schon sein Wappen an einem pondus partizipiert; dieser lässt den Gegenstand zum Akteur werden: daz was iedoch ein swærer last, und er motiviert im weiteren Verlauf das fatale Ablegen des Helms in der Kampfeshitze - »[d]ie Güter Isenharts […], die er sich mehr oder weniger betrügerisch angeeignet hatte, scheinen sich mit der Zeit gegen ihn zu stellen.« 256 Am Übergang vom I. zum II. Buch führt der Erzähler dem Protagonisten einen Ge‐ genstand zu, dessen Geschichte sich zu einer Objektbiographie zusammensetzt, die in ihrer Bewegung zwischen Orient und Okzident diejenige Gahmurets spiegelt, sich im Verlauf des II. Buches mit dessen Biographie sicht- und zuletzt auch lesbar verflicht 257 und der schließlich, auf Gahmurets Grabmal, als von den Heiden euhemeristisch verehrte Quasi-Reliquie stillgestellt wird. Nachdem der Erzähler in der Einführung des Gegenstands jegliche konkrete Ansicht von diesem verwehrt hat, haben in der Folge zwei sichtbare Signifikationsakte statt, einer, derjenige Gahmurets, der das Sichtbare manipuliert und es zum Zeichen seiner selbst zu transformieren sucht, und einer, der den Helm, ebenfalls im Zuge einer materiellen Transformation: seiner Beschriftung, zum poetischen Symbol macht, das im Wortsinne das Unsichtbare, die Zukunft, den noch ungeborenen Protago‐ nisten, bereits an die Erzähloberfläche treten lässt - vom Gegenstand selbst bekommen wir bis zuletzt kaum etwas zu sehen. Auf der Ebene der histoire spielt Wolfram die Materialität der Zeichen nach vorne, die im Zuge ihrer Modellierung und Transformation zum Artefakt dauerhaft am pondus der modellierten Dinge teilhaben - auch nach dem Wappenwechsel wird zunächst kein anderer Ritter mit dem Anker belastet (den trage und nem nu swer der wil; 99,16), sondern es ist weiterhin Gahmuret, der nun unter der Schwere seines Helms zu 131 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 258 Vgl. Kap. 2.2, Anm. 124. leiden hat. Auf der Ebene der erzählerischen Vermittlung werden hingegen wiederholt die immateriellen Bedeutungen der Zeichen, wird der Abstand zwischen dem von Gahmuret Modellierten und der sich aus den (Vor-)Geschichten der Dinge und ihrer Materialien ergebenden Signifikationen hervorgehoben. Die Objektbiographie des Helms verbindet Gahmuret mit Isenhart, sie stellt zugleich die Differenz zwischen den Rittern aus, die ohne (Isenhart) sowie mit den und aufgrund der Dinge (Gahmuret) gefallen sind, Rubine in unterschiedlichen Formen (Krone, näphe, Grabplatte) assoziieren den Ritter mit Belakane, die Exorbitanz der Grabstätte mit dem bâruc, und im hemde (s. u.) materialisiert sich die Bindung an Herzeloyde - die in Baldac und in Wâleis erinnerten Identitäten sind komplexe Dinge-Ensembles, die zentrale Bindungen des Helden in den Vordergrund treten und andere (zu seiner sippe, zu Amphlise) zum Verschwinden bringen lassen. Die beiden Ensembles stiften im Modell eine Ordnung wie Wolframs Erzählung, sie markieren die Konstruiertheit und Artifizialität von Dingen und Ding-Assoziationen wie von Erzählung und erzählter Identität. Und so firmiert der ›Weg des Helms‹ auch als Extrembeispiel eines Erzählens von Dingen, das deren Wahrnehmung und Deutung so ostentativ wie merklich steuert und kanalisiert, das die Zeichenhaftigkeit und Immaterialität des narrativierten Objekts fortwährend mit‐ reflektiert und nicht nur in dessen narrativem Ausscheiden, sondern in einer konsequenten Fortführung der Objektals einer Entzugsgeschichte gipfelt. Eigensinn und Agency des Dings lassen Gahmurets Versuche scheitern, den eigenen Körper, seine Fragilität im Rückgriff auf eine harte Substanz, seine mythische Quasi-Krone zu überwinden: 258 Der Ritter, der seinen Körper zum undurchdringlich-stabilen und unvergänglichen Ding zu transformieren sucht, läuft vielmehr Gefahr, wie die in Patelamunt neben ihren zerstörten Schilden sterbenden Kämpfer selbst zum leblosen Ding zu werden und dem Phantasma einer in der Waffe begründeten Unbesiegbarkeit zu erliegen - hier deuten sich schon Themen und Probleme an, die mit Blick auf Parzivals Gralschwert oder Feirefiz’ Asbest‐ schild wieder aufgegriffen werden sollen. Wie Wahrgeleit und Waffenrock, Rubine und näphe Gahmurets Vergangenheit, seine Verbindungen mit Amphlise und Belakane präsent halten und sich einer Neusemantisie‐ rung etwa als Minnegabe an Herzeloyde mindestens partiell entziehen, konfrontiert auch der Adamas den Protagonisten mit seiner eigenen wie mit einer weiter zurückreichenden Vergangenheit, mit einer Widerständigkeit gegenüber den Umwidmungsversuchen und dem Aktionsprogramm der Figur: Der Ritter, der die Loslösung von der Identität seiner sippe im Anker zur Schau gestellt hat, verstrickt sich im Zuge der Erzählung zunehmend heillos in die Welt der Dinge, in die Kontingenz ihres Mithandelns auf dem Schlachtfeld wie in ihre mehrdeutig-obskure Zeichenhaftigkeit, in die aus ihrer Vergangenheit sich ergebenden und nicht einfach zu überschreibenden Bedeutungen - eine künstliche Identität, die sich nur in erfundenen Wappen oder angeeigneten Dingen manifestierte, bleibt dem Ritter letztlich äußerlich, ein Problem, das Wolfram besonders pointiert auch mit Herzeloydes hemden verhandelt. 132 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 259 Faulkner: Light in August, S. 745f. 260 »Gahmuret als Besitz- und Sexualobjekt ist teuer eingekauft, um den Preis ihrer völligen Unterwer‐ fung unter Gahmurets Bedürfnisse. Die Beziehung Gahmuret - Herzeloyde ist ein verdinglichtes Verhältnis. Aber Gahmuret, Objekt von Herzeloydes Begierde, kann, weil er eines der Begierde ist, Bedingungen stellen, sich Herzeloydes Besitzergreifung entziehen, während Herzeloyde ausgezehrt wird vom Objekt, das sie um jeden Preis begehrt« (Schmid: Studien zum Problem der epischen Totalität, S. 87). 2.2.3 Held und Hemd Then the garment, the neat folds. He did not know what it was, because at first he was almost overpowered by the evocation of his dead mother’s hands which lingered among the folds. […] To him, the child, it seemed unbelievably huge, as though made for a giant; as though merely from having been worn by one of them, the cloth itself had assumed the properties of those phantoms who loomed heroic and tremendous against a background of thunder and smoke and torn flags which now filled his waking and sleeping life. 259 Einer der prominentesten und meistbeforschten Gegenstände der Gahmuret-Bücher lädt zur Analyse der narrativen Funktion dieses in der Erzählung nur auffallend beiläufig, an gerade einmal zwei Stellen knapp bemessenen Umfangs verhandelten und sich einer vertiefenden Auseinandersetzung nachgerade entziehenden Textils ein: Es ist die Rede von dem weißseidenen hemde der Herzeloyde, genauer: von ihren insgesamt neunzehn hemden. Nachdem sich das Ehepaar auf eine Taktung von Gahmurets Turnierbesuchen geeinigt hat, fungiert dieses Kleidungsstück als zirkulierende und identitätsstiftende Minnegabe, die mit Herzeloydes Körper in einer Metonymiebeziehung steht und bei der Rückgabe nach einem jeden Turnier als durchstochene Trophäe und Zeichen des Kampfes zu seiner ursprünglichen Trägerin zurückgelangt, die nach Gahmurets Tod im Dienste des heidnischen bâruc ein letztes Mal nach Wales verbracht und dort im Münster bestattet wird - ein schillerndes Symbol für das »verdinglichte[] Verhältnis« zwischen Gahmuret und Herzeloyde. 260 Im Anschluss an den Gerichtsspruch und vor Gahmurets letzter Hilfsunternehmung für den bâruc kommt der Erzähler erstmalig auf dieses hemde zu sprechen: dez pantel, daz sîn vater truoc, von zoble ûf sînen schilt man sluoc. al kleine wîz sîdîn ein hemde der künegîn, als ez ruorte ir blôzen lîp, diu nu worden was sîn wîp, daz was sîns halsperges dach. ahzehniu manr durchstochen sach 133 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 261 Nellmann: Stellenkommentar zu 101,13, S. 507. 262 Nachdem bereits im Zuge der Verhandlung des Ankerwappens ein Spiel mit den Farben Schwarz und Weiß zu beobachten war, genauer: eine Invertierung der ursprünglichen Farbgebung (Weiß auf Schwarz zu Schwarz auf Weiß), durch die das indexikalische Wappen »einer Schrift noch ähnlicher« wurde (Wandhoff: Schwarz auf Weiß, S. 154, vgl. Kap. 2.1.2, Anm. 102), und nachdem in der Konfrontation zwischen Belakanes und Isenharts Verband ›redende‹ und eine erfolglose Kommunikation substituierende Wappenbilder Verwendung fanden, begegnet dem Leser an dieser Stelle ein Wappen, in welchem das schwarze Wappentier durch schwarzes Zobelfell zur Darstellung gelangt, das den Gegenstand des Abgebildeten in der Metapher, in der farblichen Ähnlichkeit mit dem Tier zur Anschauung bringt. 263 »Ein Gahmuret […] durch alle Abschnitte begleitendes Motiv ist die immer wieder von Wolfram an der Ausrüstung des Helden hervorgehobene Farbe ›grün‹« (Etzler: Die Komposition des Gah‐ muret-Teiles, S. 37). 264 Selten verwendet Wolfram slahen in der Bedeutung »schlagend befestigen« (s. Lexer II, Sp. 959, vgl. 375,22f.), es überwiegen bei weitem Belege in der Bedeutung ›(er)schlagen‹ und ›züchtigend schlagen‹ (vgl. die Einträge zu slahen und sluoc in der MhdBdb). und mit swerten gar zerhouwen, ê er schiede von der frouwen. daz leit ouch si an blôze hût, sô kom von rîterschaft ir trût, der manegen schilt vil dürkel stach. ir zweier minne triwen jach. (101,7-20) Wie mit der Anbringung des Pantherwappens für den heraldischen Zweitkörper, den Schild, ist zeitgleich auch für den ritterlichen Erstkörper eine Transformation indiziert: Auf der Oberfläche seines Kettenhemdes trägt Gahmuret nun das weiße Seidenhemd seiner Gattin: eine »besonders intime Gabe« 261 . Diese Intimität steigert sich noch darin, dass Herzeloyde das hemde vor und nach jedem Ausreiten ihres Ritters auf nackter Haut trägt (vgl. 101,11 und 101,17). Das Herzeloydehemd wird indes zunächst als farbliches Gegenstück zum väterlichen Wappen eingeführt, durch die Kontrastierung von Schwarz (Zobel) und Weiß (Hemd) 262 - ein Farbkontrast, wie er ganz parallel bereits in der descriptio Gahmurets beim Einzug in Kanvoleis begegnet ist: ein zobel dâ vor [über Gahmurets grünem Mantel] gap swarzen schîn, / ob einem hemde daz was planc (63,24f.). In dieser Folge deutet sich ein Farbspiel an, das - wie das »stete[] Begleitmotiv« 263 seiner Lieblingsfarbe ›Grün‹ - die wechselnden Wappen und Kleidern zum Trotz einheitliche äußere Erscheinung Gahmurets hervorhebt und an dessen Detailverliebtheit in der Dekoration seiner Ausrüstung mit verkleinerten Ankermodellen zurückdenken lässt. Während Zeichen und Dinge sich ändern, bleiben dominante Farben und Material gleich, die anfänglich erworbenen Waren scheinen mithin die Identität des Helden mindestens ebenso treffend zu charakterisieren wie die Transformationen ihrer wechselnden Konkretisierungen. Wappen und Hemd werden überdies dadurch enggeführt, dass beide Semantiken der Gewalt transportieren: So wird der Panther auf den Schild ›geschlagen‹ (sluoc), 264 werden die Hemden durchstochen und zerhouwen wie andernorts typischerweise der ritterliche Schild. Im farblich kontrastierten Nebeneinander von Hemd und Schild wird so die für die Gahmuret-Bücher wie für den Parzival insgesamt wesentliche »Einheit von Minne 134 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 265 Wappen und Hemd »symbolisieren noch einmal die Einheit von Minne und Kampf, die hier als Zielsituation ritterlicher Existenz verwirklicht worden ist« (Ortmann: Ritterschaft, S. 697); vgl. auch das Kapitel ›strît und minne. Zum Sinn von Gahmurets Heldentum‹ in Brall: Gralsuche und Adelsheil, S. 159-196. 266 Brall: Gralsuche und Adelsheil, S. 189. Zur Vielfalt der Bindungen und Verpflichtungen Gahmurets vgl. Haferland: Höfische Interaktion, S. 161, der etwa den Gerichtsprozess in Kanvoleiz als »verwi‐ ckelte[s] Beispiel einander widerstreitender Verpflichtungen« bezeichnet. 267 Marshall: Unterlaufenes Erzählen, S. 175; dass der bâruc »der Einzige« (ebd.) wäre, dem Gahmuret diese triuwe hält, wäre indes zu hinterfragen - auch zu Herzeloyde kehrt er ja mehrfach, insgesamt achtzehn Mal, zurück. Während mir Marshalls Überlegungen zur (Über-)Vaterfunktion des bâruc bedenkenswert erscheinen, geht doch die Annahme eines libidinös besetzten Bezugs hier sehr weit. Da, wie Marshall festhält, die Verwendung von lehensrechtlicher Terminologie im »Kontext des Minnedienstes« (ebd., S. 175) als Universalie in mittelhochdeutscher Epik und Lyrik anzuspre‐ chen ist, lassen sich terminologische Interferenzen wie die von Marshall beobachteten m. E. nur schwerlich in solch weitreichender Form belasten. Es bliebe der vielleicht doppelbödige Teil der Epitaphinschrift, Gahmuret habe den lîp durch den bâruc (108,11) verloren, Marshall zufolge analog zu dem beispielhaften Minnetoten Galoes, der durch Annore zu Tode gekommen sei (vgl. ebd.): »Die Setzung des Baruc in die Position der (von Gahmuret zunächst scheinbar anvisierten) Minnedame erhält so die Tönung einer vom Minnedamen-Erzählstrang übertragenen libidinösen Besetztheit« (ebd.) - die Formulierung begegnet indes genauso auch in Kontexten, die eindeutig frei von diesem Anspielungspotential sind. Bei der Nennung von Gawans Knappen und im Zuge der tränenreichen Zusammenführung mit ihrem Ritter am Ende des VIII. Buches ist etwa u. a. die Rede vom Sohn Gurzgris, dem Bruder Schionatulanders Gandiluz, der durch Schoydelakurt - und dass nun diese legendäre âventiure zum Objekt erotischen Begehrens würde, scheint mir unwahrscheinlich - den lîp verlôs (429,21). Zu dem letztlich dunkel bleibenden Verhältnis zwischen dem ›Söldner‹ Gahmuret und dem bâruc Leckie: »To Gahmuret’s way of thinking, the responsibilities incurred on the previous expedition have at least quasi-legal force; certainly he behaves in a manner consistent with feudal expectations« (Mutable Substance, S. 34). 268 Nellmann: Stellenkommentar zu 101,13, S. 508. 269 Brüggen: Kleidung und adliges Selbstverständnis, S. 209. Vgl. Hartmann: Stellenkommentar zu 101,11, S. 274, mit Hinweisen auf ältere Literatur. und Kampf« 265 symbolisch an Erst- und Zweitkörper des Ritters sichtbar, die bislang handlungssteuernde, mit einer Vervielfachung von Bindungen und Verpflichtungen ein‐ hergehende »Bindungslosigkeit des Recken« 266 gleich zweifach überschrieben und damit augenscheinlich symbolisch verabschiedet - bezeichnend, dass unmittelbar auf die Dar‐ stellung von Wappen und Hemden die Rückkehr zum bâruc folgt, er diesem die »von ihm einer potentiellen Minnedienstherrin versprochene triwe[] […] auch wirklich hält« 267 und so auf engstem Raum den Nachweis einer dritten Bindung erbringt - »[w]ie sich das mit seinem Verhältnis zu Ampflise (s. 98,4) verträgt, läßt Wolfram offen.« 268 In der Forschung wurde vielfach auf die »erotische Dimension« 269 verwiesen, die dem Hemd, in besonderer Zuspitzung Susanne Hafner: dem ›Dessous obenauf‹, gerade im Vergleich mit klassischen Minnegaben wie einem Ärmel zu eigen sei und die unter anderem an einer unverhohlen-expliziten Titurel-Stelle festgemacht wird. Hier heißt es bei der Schilderung des Abschieds Gahmurets von Herzeloyde: 135 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 270 Hafner: Herzeloydes Hemd, S. 100. 271 Hafner: Herzeloydes Hemd, S. 101. 272 Zu den (in Teilen nur zu vermutenden) handlungsfunktionalen Aspekten des hemdes vgl. Witthöft: Kleidergaben im Liebes- und Freundschaftsdiskurs, S. 124; zu Aspekten der metonymisch-magischen Teilhabe vgl. Quast: Diu bluotes mâl, S. 48-51; zum Gabencharakter des Hemds vgl. Feichtenschlager: Entblößung und Verhüllung, S. 34-50; zu einer (im Text indes nicht ausgeführten) Schutzfunktion des »Talismans« vgl. Raudszus: Die Zeichensprache der Kleidung, S. 107. Dass das Hemd Gahmuret z. B. »vor dem Kampf hôhen muot und Kraft verleihen [soll]« (Witthöft: Kleidergaben, S. 124) oder die Schutzkraft des Schildes ihn gar »ganze achtzehn Auseinandersetzungen überstehen lässt« (Feichtenschlager: Entblößung und Verhüllung, S. 34), ist m. E. der vorliegenden Textpassage ebenso wenig zu entnehmen wie allgemeiner eine gesteigerte ›narrative Wirksamkeit‹ noch zu Gahmurets Lebzeiten. 273 Zu Peirces Definition der ›Konnotation‹ vgl.: Phänomen und Logik der Zeichen, Zitat auf S. 81. Zum Begriff vgl. grundlegend Hjelmslev: Prolegomena zu einer Sprachtheorie, S. 111-120; s. auch Anm. 614 dieser Arbeit. 274 So die erste Bedingung für die Zuschreibung des Fetischstatus nach Böhme: Fetischismus und Kultur, S. 187; die zweite lautet: »2. das materielle Objekt, in dem die Macht wohnt« (ebd.). Sîn herzenlîche liebe unt ir minne niht frömde was noch worden nie durch gewonheit. im gap dar diu küngin ir hemde blanc sîdîn, als ez ir blenke ruorte. ez ruorte ouch etwaz brûnes an ir huf. den poneiz vor Baldac erz fuorte. (Tit., 85,1-4) Hafner deutet das hemde vor dem Hintergrund dieser Textstelle sowie bereits im Turnier von Kanvoleiz statthabender Inversionen traditioneller Geschlechter- und Machtverhält‐ nisse als Fetisch und als »symbolischen Platzhalter« 270 Herzeloydes: Sie habe sich Gahmu‐ rets nachgerade gewaltsam bemächtigt, wogegen dieser nun aufbegehre, indem er ihren Fetisch einem rituellen Gewaltakt aussetzt - einer Vergewaltigung, wenn man das Hemd als Symbol für Herzeloydes weiblichen Körper ansieht, und einer Kastration, wenn man den Haupt‐ akzent auf die Beschneidung ihrer maskulinen Rolle setzt. 271 In dieser Sicht würde das hemde der Herzeloyde zum ›Ersatzobjekt‹, zu einem Ventil für das unterdrückte männliche Gebaren eines effeminierten Helden - eine solch einsinnige, dem Text bisweilen auch ganz äußerliche Deutungsperspektive ruht auf der Annahme einer (einzigen) symbolischen Dimension des Hemdes auf, und es ist fraglich, ob die Erzählung diese Deutung lizensiert und den Gegenstand auf eine entsprechende Bedeutung hin transparent macht. 272 Die naheliegende Funktion des Pantherschildes als Gnorisma Gahmurets wird in der Erzählung genauso wenig thematisiert wie eine vielleicht erwartbare Handlungsfunktion des Hemdes im Kampf - es mag zwar Semantiken apotropäischen Schutzes oder einer quasi-magischen Präsenz der Minnedame auf dem Kampffeld mittransportieren und kon‐ notieren, sie also »auf eine sekundäre Weise […] denotieren« 273 , diese werden im Text allerdings nicht auserzählt. Da nun auch eine »geistige Potenz, d. i. die Wirkmacht, die […] dynamistisch, magisch, dämonistisch, spirituell, manistisch interpretiert werden kann« 274 , 136 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 275 So zum Beispiel Feichtenschlager, derzufolge das Hemd »über den ständigen Tausch zum Fetisch geworden ist« (Entblößung und Verhüllung, S. 48); die Autorin spricht auch, im Anschluss an Böhme, von einem »›projektiven Akt‹, der auf die Fetischisierung eines Dings, in diesem Fall des Hemdes, abzielt« (ebd.). Ebenfalls in Anschluss an Susanne Hafner formuliert vergleichbar, aus psychoanalytischer Perspektive, Sassenhausen: »Herzeloyde erweist sich durch die Fetischisierung des Hemdes nicht nur als regressiv, sondern auch im wahrsten Sinne des Wortes als ›ver-rückt‹, als aus der Realität herausgerückt« (Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman, S. 98). - Kritisch zur inflationären Fetischisierung literarischer, insbesondere glänzender Objekte in der germanistischen Mediävistik hat sich zuletzt Bildhauer geäußert: »A closer look at contemporary analyses of how glossy fetish objects function will reveal why the category of a fetish is ultimately not helpful for understanding luminous things in medieval texts« (Medieval Things, S. 50; vgl. S. 50-57). 276 In Gahmurets erster Formulierung seiner Forderung (96,24-97,4) sieht Ortmann sein ritterliches Pro‐ gramm auf den Punkt gebracht: »die ideale Verbindung von Minne und Kampf unter dem Oberbegriff der ritterschaft und damit […] die Konkretion des ritterlichen Programms der Gahmuret-Geschichte im Reinformat« (Ritterschaft, S. 694), in der nachfolgenden konkreten Bedingung, monatlich ein Turnier besuchen zu dürfen, hingegen eine »naiv komische[] Turnierbesessenheit«, der »nichts von einer idealen Zielbestimmung der ritterschaft anzusehen [ist]« (ebd.). 277 Lewis: Die unheilige Herzeloyde, S. 470. Ähnlich Greenfield: »[V]on ihrem Leben als Ehepaar wissen wir eigentlich nur von den Turnieren Gahmurets. Die Zeitspanne der Ehe kann man sogar durch die monatlichen Turnierbesuche Gahmurets ausrechnen: 18 Mal verläßt Gahmuret Herzeloyde, um auf einem Turnier zu kämpfen. Dabei trägt er jedesmal über seinem Panzer eines ihrer Hemden« (wande ich wil Gahmureten klagn, S. 297); vgl. auch Schu: Vom erzählten Abenteuer, S. 102. 278 Für Präterita in iterativer/ durativer Funktion vgl. 101,7 (truoc); 101,14 (sach); 101,16-20 (schiede, leit, kom, stach, jach), für solche in punktueller Funktion vgl. 101,6 (gap); 101,8 (sluoc); 101,11 (ruorte). 279 Unnötig im Übrigen, hier wie Susanne Hafner eine im Parzival nicht belegte Nebenbedeutung des Begriffs zerhouwen im Sinne von ›zuschneiden‹, ›zurechtstutzen‹ anzunehmen, da die Dop‐ pelformel durchstochen unde zerhouwen im Parzival hinreichend und vergleichsweise eindeutig belegt ist. Hafner bezieht sich auf Trist., 675, zersniten und zerhouwen, und schließt, indem sie die Schwertschläge mit Textilverarbeitung kurzschließt, auf eine »visuelle Rückeroberung seiner mas‐ kulinen Autonomie«: »Der Fetisch wird nicht nur einer gewaltigen Strafaktion ausgesetzt, sondern gleichzeitig auch auf den Mann zugeschnitten, der ihn nun trägt. Gachmuret verläßt Herzeloydes Machtbereich in jenem Hemd, das seine Bewegungsfreiheit einengt. Bei seiner Rückkehr jedoch ist es ihm nicht mehr zu lang und zu eng […]« (Herzeloydes Hemd, beide Zitate auf S. 102). Nicht nur an dieser Stelle ist Hartmanns Verdikt beizupflichten, Hafners Interpretation habe »mit Wolframs vom Erzähler nicht narrativ entfaltet wird, soll hier von der verbreiteten Rede von dem Hemd als einem Fetisch abgesehen werden. 275 Das erzähltechnisch Bemerkenswerte an der Verhandlung von Herzeloydes weißsei‐ denem Hemd ist zunächst seine Füllfunktion für die narrative Ellipse, vermittels derer der Erzähler in wenigen Versen einen Zeitsprung von vermutlich - wenn man Gahmurets Forderung, aller mânedglîch (97,8) an einem Turnier teilzunehmen, zugrunde legt - mehr als einem Jahr vollzieht: 276 Von der Zweisamkeit Herzeloydes und Gahmurets in ihrer Ehe bekommt der Leser nur einen kurzen Einblick durch das Dingsymbol ihrer Minne, das weißseidene Hemd der Königin. 277 Die zeitliche Raffung ist an dieser Stelle durch ein Changieren zwischen Präteritalformen mit iterativer und punktueller Funktion indiziert. 278 Der Erzähler gibt hierbei keinerlei Handlungsdetails über die Turnierbesuche Gahmurets oder sein Eheleben mit Herzeloyde preis, stattdessen bündelt er die erzählte Zeit, wohl bewusst im Ungefähren belassen und konkret einzig dem mitrechnenden Rezipienten nachvollziehbar, im Bild ›zerhauener‹ und ›durchstochener‹ Hemden. 279 Im Rückblick auf die Gahmuret-Bücher lassen sich für 137 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) Roman nichts zu tun« (Stellenkommentar zu 101,10, S. 274). Dass Hafners Beitrag noch immer, selbst in neueren dingtheoretisch versierten Beiträgen (vgl. Ott: Die höfische Welt der Dinge, S. 167), als Referenztext für das Verständnis der Stelle herangezogen wird, scheint mir wenig nachvollziehbar. 280 Brall: Gralsuche und Adelsheil, S. 124. 281 Marshall: Unterlaufenes Erzählen, S. 187f. 282 Für diese Form der Darstellung von Sexualität darf, mit Blick auf den deutschsprachigen literarischen Kontext, Heinrich von Veldeke Pate stehen, der über die Vereinigung zwischen Dido und Eneas mit den lakonischen Worten ir wizzet wol, was des gewielt (Eneasroman, 63,28) hinweggeht und die Dinge, genauer: Didos nasses Jagdgewand und ihr Bettzeug, zu Platzhaltern stilisiert, anhand derer Sexualität im Modus des Impliziten zur Darstellung gelangen kann (vgl. auch 52,32-38 und 63,29-33). Zit. nach: Heinrich von Veldeke: Eneasroman [Sigle: En.]. Während Veldeke die Ellipse markiert und die Darstellung von Sexualität auf dingliche Substitute des (noch) anwesenden Eneas verlagert, treten bei Wolfram mit den 18 hemden Dinge an die Stelle des in der Erzählung bereits abwesenden Gahmuret. 283 »Die Sippe hat damit ihre eigenen Vorgaben eingelöst. Sie hat zwar intern die Position, die Gahmuret angemessen ist, nicht sichern können und deshalb muß dieser ins ›Exil‹, jedoch ist sie ebenso wie ihr Exponent an einer Bestandssicherung interessiert. Sie betreibt die Reintegration ebenso wie dieser selbst« (Delabar: erkantiu sippe, S. 246). 284 Quast: Diu bluotes mâl, S. 49. beide Begriffe mehrere Belege anführen und für die Interpretation der vorliegenden Stelle produktiv machen: Wie schon bei Gahmurets Einzug in Patelamunt, bei dem der erste Blick des Ankömmlings auf durchstochene Schilde sowie auf Pferde, durchstochen und verhouwen (20,3), fiel, und wie bei der Schilderung der Fahnenkommunikation zwischen Belakanes und Isenharts Verband - auf deren Fahne: ein durchstochen rîter dran (30,26; vgl. 42,28) - sind auch die ›versehrten‹ Hemden als lesbare und eine Alternative zum Erzählerbericht anzeigende Zeichen anzusprechen, als Dinge, die ebenso bezeugen wie erzählen und im Wahrnehmungsbild verdichten, was Wolfram elliptisch gerade ausspart, und die somit dem »summarischen Eindruck« 280 dieser Passage ganz wesentlich zuspielen. Während Amphlises Ring eine nicht erzählte und obskure Vergangenheit bezeugt hat, sind es nun die Minnegaben der Herzeloyde, deren Anhäufung an die Stelle einer Darstellung der Erzählgegenwart treten und die Zukunft, den Tod des ›durchstochenen‹ Gahmuret, bereits symbolisch vorwegnehmen: Die in der Auszugsszene exponierte Anhäufung von Waren, darunter textiles, unbearbeitetes Material, das die Mutter ihrem Sohn mitgibt, mündet am Schluss der Vorgeschichte im ›Kleiderhaufen‹, in der accumulatio von Zeichen, die an die Stelle eines Erzählens von Gahmurets âventiuren treten. Und nachdem bereits im Falle der verletzten Pferde die Doppelformel, durchstochen unde zerhouwen, auch auf die orien‐ talischen Frauen zu beziehen war, die Stelle mithin ein »aggressiv sexuelles Interesse« 281 an diesen mittransportierte, lassen sich auch an dieser Stelle sexuelle Allusionen indiziert sehen. 282 Mit dem Anlegen von Pantherwappen und Hemd vollzieht sich eine neue, eine gleich zweifache Markierung des Subjekts, eine, die Gahmuret, der noch immer den Adamas trägt, einerseits in seine Sippe reintegriert - die Rede ist explizit vom pantel, daz sîn vater truoc  283 - und die ihn andererseits sichtbar als Teil des minne-Kollektivs mit Herzeloyde ausweist: Die Übergabe des Hemdes bringt die Gegenseitigkeit der Beziehung zwischen Gahmuret und Herzeloyde zur Sprache. […] Er [Wolfram] führt Gegenseitigkeit zeichenhaft der Sichtbarkeit zu. 284 138 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 285 Serres: Der Parasit, S. 349. 286 Serres: Der Parasit, S. 352. 287 Serres: Der Parasit, S. 350. 288 Bennett: Vibrant Matter, S. 113. 289 »[T]here is much that is elusive and difficult to follow in Wolfram’s art. All is clearly imagined, but not all is fully explained. And this reticence, so far from being a flaw, is really one of the finest qualities in Wolfram’s technique« (Richey: Gahmuret Anschevin, S. 31). 290 Der Terminus ›Verdinglichung‹ wird hier und im Folgenden gewählt, ohne dessen sozialphiloso‐ phisch-marxistische Bedeutung zu implizieren (vgl. hierzu Honneth: Verdinglichung). Zur Philoso‐ phiegeschichte des Verdinglichungsbegriffs, seinen meistenteils negativen und, etwa bei Adorno, zum Teil auch positiven Konnotationen vgl. Quadflieg: Vom Geist der Sache. Mit Michel Serres lässt sich die Funktion des Hemdes mit derjenigen eines Quasi-Objekts vergleichen: Wir sind nichts anderes als dieser fließende Wechsel des Ich. Das Ich ist eine Spielmarke im Spiel, die man austauscht. Und dieses Wandern, dieses Netz von Übergängen, diese Stellvertretungen des Subjekts weben das Kollektiv. 285 Das Quasi-Objekt Hemd verbindet den blôzen Körper der Frau mit der Rüstung des Mannes, und in seiner Zirkulation »zeichnet [es] das Subjekt, es zeichnet es wirkungsvoll«. 286 Nachdem der Held zu Beginn der Erzählung seine Identität im fiktiven Ankerwappen als ›Exklusionsidentität‹ und damit die Abgrenzung von seiner Familie zum Ausdruck gebracht, nachdem er sich in der Mitte der Erzählung mit dem Adamas einen ausgestell‐ terweise prekären Gegenstand angeeignet hat, dessen Vorgeschichte sich allen Überschrei‐ bungs- und Aneignungsversuchen zum Trotz in abgewandelt-variierter Form wiederholt, steht nun, am Ende seiner Geschichte, eine letzte, eine gleich mehrfache, sich wieder in den Dingen und insbesondere dem weißseidenen hemde der Herzeloyde, dessen Zirkulation und reziproker Weitergabe manifestierende Identität - »[u]nd diese Weitergabe bedeutet die Aufgabe des Ich.« 287 Gahmurets ›verdinglichte‹ Identität deutet mithin auf »the oxymoronic truism that the human is not exclusively human, that we are made up of its.« 288 In dem Bild der achtzehn durchstochenen Hemden kommt die Aufgabe der eigenen Identität zum Ausdruck, eine Aufgabe, die im bereits besprochenen Tod Gahmurets gipfelt. Die erzählerische Raffinesse liegt gerade in der Kargheit der vorliegenden Passage, in der von Margaret Richey als wolframtypisch bezeichneten Erzählkunst der »reticence« 289 , die an die Stelle von Handlung die Schein-Evidenz des Dinglichen und des Symbolischen treten lässt, die Evidenz eines sich im flüchtigen Bild bereits dem erzählten Geschehen entziehenden Dingensembles, welches die Abwesenheit, die ›Verdinglichung‹ Gahmurets 290 eindrucksvoll veranschaulicht und dessen Verabschiedung aus der Erzählung präludierend vorwegnimmt. Im oben besprochenen Bericht des Meisterknappen Tampanis kommen neben dem Adamas auch das schillernd-weißseidene Hemd der Herzeloyde ebenso wie die tödliche Speerspitze als letzte Gaben Gahmurets noch einmal zur Sprache: er sprach mit kurzen worten sân sîne bîhte und sande her diz hemde unt daz selbe sper 139 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 291 Ortmann: Ritterschaft, S. 697. 292 Eine Strategie der ›andeutungsweisen Raumdarstellung‹, die schon in Razalics deiktischen Hin‐ weisen auf den aufgebahrten Leichnam Isenharts beobachtet werden konnte. Solch verknappte Strategien der Imaginationsanregung sind integral für die Raumdarstellung Wolframs von Eschen‐ bach, am Beispiel einer späteren Stelle (161,23-162,19): »In narrating Parzival’s approach to ›this castle‹, then, Wolfram may in part be engaging his audience in constructing an image out of memories stored in their imaginations […], and this engagement may often be lurking behind references behind references to this, that, there, now, or us in longer narrative episodes« (Groos: Ekphrasis, Landscape, and Power, S. 45). Allgemeiner zur Funktion von Deiktika Bleumer: »Gegenwärtigkeit ist als Zeiteffekt auch notwendig ein Raumeffekt: Die Präsenz setzt die räumliche Distanz voraus, die sie tilgt und in unmittelbare Nähe verwandelt. Folglich spielen in der mediävistischen Präsenzdebatte Deiktika eine große Rolle, weil sie Distanz überbrücken, ja es scheint auf den ersten Blick sogar folgerichtig zu sein, sich der existentialphilosophischen Annahme zu bemächtigen, wonach der Kontakt mit den Dingen im Raum einen Aspekt der Möglichkeit darstellt, einen unmittelbaren Zugang zu deren Bedeutung zu erlangen. Aber in diesem Vorgehen steckt jedesmal eine frühe hermeneutische Wunschvorstellung, die den Sinn, den Zeichen konstituieren, mit der Bedeutung, auf die das Zeichen verweist, kurzschließt« (Gottfrieds Tristan und die generische Paradoxie, S. 32) - Zur imaginationsanregenden Funktion von sprachlichen und Zeigegesten (nicht nur auf der Theaterbühne, sondern auch im literarischen Text) vgl. einführend, mit Hinweisen auf weitere Literatur, Beck: Raum und Bewegung, S. 9-22; für Weiterführendes zum Thema s. auch Velten: Sprache und Raum, S. 23-32. daz in von uns gescheiden hât. er starp ân alle missetât. (106,22-26) Das zerfetzte Hemd, zugleich sichtbares und zirkulierendes Zeichen der Minneidentität Gahmurets und nun seines Todes, steht am Ende der Apotheose eines Ritters, der respek‐ tive dessen Hemdfetzen an dieser Stelle »zum Repräsentanten eines heilsgeschichtlich propädeutischen Rittertums geworden [ist]« 291 . Die deiktischen Demonstrativa in der Wendung diz hemde unt daz selbe sper (106,24) deuten, ohne dass der Erzähler diese Information eigens bereitstellen müsste, auf die räumliche Anwesenheit der von Gahmuret ausgesandten Gegenstände, sie regen die Imagination des Lesers an 292 und beglaubigen zugleich die Wahrheit der Tampanis-Erzählung. Auf die Präsenz von hemde und dem als zentraler Akteur wahrgenommenen sper (vgl. 106,25 und 111,21), abermals ein symboli‐ sches minne-strît-Ensemble, verweisen auch die folgenden Handlungen Herzeloydes, die ja während der Tampanisrede noch bewusstlos war: diu frouwe hiez dar nâher tragn ein hemde nâch bluote var, dar inne ans bâruckes schar Gahmuret den lîp verlôs, der werlîchen ende kôs mit rehter manlîcher ger. diu vrouwe vrâgte ouch nâch dem sper, daz Gahmurete gap den rê. Ipomidôn von Ninnivê gap alsus werlîchen lôn, der stolze werde Babylôn: daz hemde ein hader was von slegn. 140 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 293 Hartmann stellt klar: »Lanzenspitze und Hemd sind keine Reliquien. Sie werden von dem Sterbenden selbst als letzte Botschaft in die Heimat gesandt […] und zeigen Herzeloyde und seinen Getreuen die Todesart (Lanzenstich) an. Für die Angehörigen sind beide Gegenstände nur insofern von Bedeutung, als sie mit dem Blut Gahmurets in Berührung gekommen sind, d. h. ihm in der Todesstunde ganz nah waren und immer noch etwas von ihm in sich tragen. Keineswegs aber eignet Gahmurets Leichnam eine ›sakrale Qualität‹« (Gahmurets sper und bluot, S. 122f.). Vgl. zuletzt Marshall: Körper - Ding - Schrift, S. 430f.; s. bereits Kap. 2.2.2, Anm. 161 und 237. 294 Witthöft: Kleidergaben im Liebes- und Freundschaftsdiskurs, S. 128. 295 Kohl: Die Macht der Dinge, S. 158-164, illustriert tatsächliche Akte der Sakralisierung am biblischen Beispiel des Steinheiligtums von Beth-El. An diesem lasse sich zeigen, wie aus einem beliebigen Gegenstand durch die Kontingenz eines außergewöhnlichen Ereignisses ein Sakralgegenstand werde, in dem das Göttliche sich für die Glaubensgemeinschaft manifestiere, der mithin »zum Vermittler zwischen Erde und Himmel, zwischen Mensch und Gott« werde (ebd., S. 161). Weiterhin lasse sich an diesem Beispiel die Offenheit dinglich-religiöser Zeichen »gegenüber semantischen Transformationen« (ebd., S. 157) nachweisen - eine Offenheit, durch welche sakrale Objekte sich von anderen Objekten mit »restringierte[m] Code« (ebd., S. 157), also einer mehr oder weniger festen, nicht-arbiträren Kopplung von Signifikant und Signifikat, unterscheiden ließen und die sie mit sprachlich-arbiträren Zeichen teilten. Zum Begriff des biographischen Objekts s. ebd., S. 93. 296 Für dieses Verständnis plädiert Hartmann, der für die Verse 11,30-112,2 folgende Übersetzung vor‐ schlägt: »Die Vornehmsten des Landes brachten sowohl die Lanzenspitze als auch das blutgetränkte Hemd in der Hauptkirche unter, wie man es für Verstorbene macht« (Gahmurets sper und bluot, S. 122). Vgl. auch Anm. 306 dieser Arbeit. diu frouwe woldez an sich legn, als si dâ vor hete getân, sô kom von ritterschaft ir man: dô nâmen siz ir ûzer hant. die besten über al daz lant bestatten sper und ouch daz bluot ze münster, sô man tôten tuot. in Gahmuretes lande man jâmer dô bekande. (111,14-112,4) Nicht nur im heidnischen, sondern auch im christlichen Grabmal befindet sich also ein an der Tötung des Helden maßgeblich beteiligter Akteur: Dem Isenhart’schen Adamas vergleichbar, der am Ende des I. Buches Belakane als Versöhnungsgabe Fridebrants zugeführt werden sollte, sind es nun die ›Berührungsreliquien‹ des toten Gahmuret, 293 die abermals seine Dame nicht erreichen - »mit dem Tod endet auch die Reziprozität«. 294 Weiter in Analogie zum Adamas wird an dieser Stelle neuerlich ein Akt der Transformation und der Verwandlung eines biographischen in ein potentiell, ein fast sakrales Objekt dargestellt, das allerdings der Heiligung gerade entrissen (Herzeloyde) oder einer ›blinden‹ Heiligung (in Bagdad, vgl. 107,9-24 sowie Kap. 2.2.2, Anm. 161) zugeführt, das in beiden Fällen nicht oder nicht richtig sakralisiert wird. 295 Und wie im Orient wird auch im Okzident die Vervielfachung von Perspektiven auf die Dinge zum Thema, auf Adamas, Epitaph und Rubin als ›echten Medien‹ Gahmurets, in dem die Heiden sunder spot (107,19), ohne einen Blick auf das Kreuz ihren Gott erkennen, auf bluot und sper als an Leichnams Statt bestattete Zeichen des Herrschers (vgl. 111,30-112,2) 296 oder als Metonymien des Geliebten. Allgemeine Aussagen über die ›Art‹ der Dinge lassen sich kaum treffen, sind doch beiden Grabmalschilderungen divergierende - christliche wie heidnische, männliche wie 141 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 297 Marshall hat eine »fatale Identifizierung Gahmurets mit Isenhart und seinem Schicksal« (Unter‐ laufenes Erzählen, S. 208) nachgewiesen und Gahmuret als ›neuen Isenhart‹ gedeutet (vgl. ebd., S. 202-238); gegen eine Indentifizierung oder Analogisierung argumentiert Brüggen: Gesammelte Dinge. 298 Nicht nur hier ist Herzeloyde »als Figur gekennzeichnet durch Gesten erotischer Berührung, sowohl bei Gahmuret (84,2-7) als auch bei Parzival (112,21f.)« (Miklautsch: Studien zur Mutterrolle, S. 55, Anm. 87). 299 Quast: Diu bluotes mâl, S. 51. So auch Brüggen: »Wenn es heißt, es sei ›nâch bluot var‹ (3303/ 111,15), ist indes nicht lediglich blutfarben gemeint, sondern mit Blut getränkt; wenn es, gemeinsam mit der Lanzenspitze, die Gahmuret getötet hat, und stellvertretend für den im Orient gebliebenen Leichnam im Münster bestattet werden soll, figuriert es gar als ›daz bluot‹ (3319/ 112,1), und diese metonymische Relation macht präsent, was absent (und verloren) ist: das Leben des geliebten Mannes« (Die Farben der Frauen, S. 216). weibliche - Perspektiven auf diese eingeschrieben, das Ausbleiben echter Sakralisierung deutet vielmehr auf eine Potenz, eine systematische Leerstelle, die erst im Erzählen von Parzival (im Gral, aber auch in den Erzählungen von Trevrizent und Sigune) besetzt werden soll. Die teilweisen Analogien zwischen den Grabmälern deuten auch auf signifikante Abwei‐ chungen, die Wolfram zur Konturierung dieser Szene vornimmt: Herzeloydes Wunsch nach der Speerspitze lässt etwa an die Monstranz der Speerspitze durch Razalic zurückdenken, an eine ihr selbst verwehrt bleibende intime Berührung mit Speerfragment und hemde - ein weiterer Beleg für eine allenfalls partielle ›Analogisierung‹ Gahmurets mit Isenhart, 297 werden doch u. a. am Beispiel der Speerspitze im Gegensatz zu Analogem gerade auch Differenz und Abweichung ins Bild gesetzt. Indem Herzeloydes Wunsch nach körperlicher Berührung mit Hemd und wohl auch Speerspitze weiterhin abgewiesen wird, 298 die Beinahe-›Berührungsreliquien‹ mit der Bestattung im Münster überdies der Sichtbarkeit entzogen werden, tritt diese zweite Grablegung in augenfälligen Kontrast sowohl zur Ausstellung von Isenharts Leichnam als auch zum orientalischen Grabmal Gahmurets. Auffällig an dieser abweichenden Gestaltung ist, dass Präsenz respektive Berührung, im heidnischen Grabmal Gahmurets durch den transparenten Rubin, in Isenharts Fall durch das sper auf Razalics blôzem vel betont, hier zugunsten einer sprachlichen Metonymie verschoben werden: Indem Wolfram das Herzeloydehemd als hader von slegn bezeichnet und, auffälliger noch, von einer Bestattung von sper und bluot, sprich: nicht vom Hemd, sondern von den dieses ersetzenden, mit ihm metonymisch verbundenen Blutspuren, spricht, befleißigt er sich einer metonymischen Schreibweise, um die über Berührung hergestellte substantielle Teilhabe‐ qualität der Zeichen am Bezeichneten herauszustellen. Man könnte die Beziehung zwischen Gahmuret und Herzeloyde in semiotischer Hinsicht in einer paradoxen Formulierung auf den Punkt bringen: Im Zeichen, das an den anderen gemahnt, herrscht Anwesenheit. 299 Zu den augenfälligen Bezügen zwischen Adamas und Seidenhemd gesellt sich eine weitere paradigmatische Verknüpfung mit dem Wahrgeleit der Amphlise: Ist es im Turnier von Kanvoleiz deren Ring, dessen Bedeutung als Liebesgabe zwar konnotiert, aber handlungs‐ logisch und sprachlich zugunsten einer Betonung der ausschließlichen Funktion als authentifizierende Briefbeigabe verdrängt wird, so gelangt mit dem vice versa zur Dame 142 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 300 Die hervorgehobene Rolle der Fürsten betont Schu: »Die Umstehenden also sind es, die damit Gahmurets Reliquien einer christlichen Verehrung zuführen, seine Frau hatte anderes damit im Sinn« (Vom erzählten Abenteuer, S. 105) - es wird indes nicht erzählt, dass sper und bluot christlich verehrt würden. 301 Zu den ausgesprochenen und den latenten Bedeutungsschichten dieser Geste Peschel-Rentsch: »Herzeloyde versieht die aus den Brüsten hervorgedrückte Milch […] selber mit einer religiösen Bedeutung. […] Es wird nicht erzählt, ob wir uns das [den Vergleich der Milch mit Taufwasser; S.W.] als einen selbstreferentiellen, quasi-inzestuösen Akt vorzustellen haben (die Milch, mit der sie getauft würde, hat sie selber produziert), oder ob sie ihre Milch als eine Himmelsgabe versteht. Ohnehin geht ihre Phantasie, mit der sie nur in dem Wort Speise kurz an ihr Kind gedacht hatte, gleich wieder auf den verlorenen Gahmuret über« (ich solte vil gevrâgen niht, S. 103f.). - Zu den religiösen ›Überblendungen‹, die die Rezeption und Einschätzung der Herzeloydefigur wesentlich steuern vgl. Heckel: die wîbes missewende vlôch; Wenzel: Herzeloyde und Sigune, S. 216-225. 302 »[D]ie Darstellung der weißen Brüste, die sie an ihren roten Mund drückt, wird farblich aufge‐ nommen, wenn sie das blutrote Leichenhemd ihres Mannes über ihre weißen Brüste ziehen will« (Schu: Vom erzählten Abenteuer, S. 105). 303 Wittgenstein: Bemerkungen über die Farben, S. 50. 304 Peschel-Rentsch: ich solte vil gevrâgen niht, S. 103. Gahmurets ›Reliquiengrabmal‹ vergleichbar sind, Peschel-Rentsch zufolge, auch dieser Stelle religiöse Allusionen unterlegt: »Die durch den Bildbruch erzeugte Distanz paßt jedoch sehr wohl, wenn man bei diesem Kasten an einen Tabernakel, oder genauer: ein Ciborium (zu cibus ›Speise‹, hier Aufbewahrungsort für die Hostie) denkt. Die Weisheit der Herzeloyde […] bestünde gerade darin, für ihre Brüste eine religiöse Metapher zu verwenden, oder genauer: zu erfinden« (ebd.). zurückkehrenden hemde ein Gegenstand an die Handlungsoberfläche, dessen Zirkulation als Minnegabe durch das Eingreifen der Fürsten - nicht zuletzt ein Zeichen für die Brü‐ chigkeit von Herzeloydes Machtposition - abgebrochen wird, 300 der somit ebenfalls nicht in seiner Bedeutung als Liebespfand wahrgenommen, sondern letztlich zum metonymischen Zeichen des verlorenen Herrschers - und, mindestens im Okzident, nicht des Heiligen oder gar Gottes - wird. Vereinen sich im Maria lactans-Ikon noch erotischer und religiöser Code sowie in der körperlichen Berührung roter Mund und weiße Brust respektive Milch als Taufwasser (vgl. 110,25-111,13), 301 so werden Farben und Codes in der hier untersuchten Szene separiert, wird mit dem bluot das nur mehr rote, nicht mehr als Minnegabe wahrgenommene Hemd bestattet - zu einer Berührung mit Herzeloydes »weißen Brüste[n]« kommt es nicht mehr: 302 »In den Farben: Verwandtschaft, und Gegensatz.« 303 Die ›Reinigungsarbeit‹, wie sie die Fürsten vornehmen, lässt keine Vermischung von Figuren und Dingen mehr zu, solche Umbesetzungen indizieren eine Verabschiedung Gahmurets und seiner Dinge aus der epischen Präsenz in die Latenz, eine Latenz, die seinem noch ungeborenen Sohn Parzival ebenfalls noch zu eigen ist: Gahmurets letzte Gaben werden in die Unsichtbarkeit des Münsters überführt, wie Parzival seinerseits noch im Mutterleib und seine künftige Nahrung noch im »Speise-Vorratskasten« 304 von Herzeloydes bereits laktierenden Brüsten verborgen ist. Die Übergangs- und Schwellenposition der Passage wird in Herzeloydes Brust-Apostrophe weiterhin dadurch markiert, dass diese zunächst als kaste eins kindes spîse (110,30) adressiert und abschließend ihre Milch mit den um Gahmuret vergossenen Tränen verglichen (vgl. 111,10-13), der Nährung und dem Leben des Kindes der Tod des Vaters zur Seite gestellt wird. Diese Gleichzeitigkeit von Entzug und Präsenz, Tod und Geburt 143 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 305 Zur »Überblendung von Geburt und Tod« zuletzt Quast: »Herzeloyde trauert um ihren toten Mann in ihr Kind hinein […]. In ihrem Kind nimmt sie Gahmuret wahr, nunmehr den toten Gahmuret« (Quast: Die Vögel, beide Zitate auf S. 232). Zu Herzeloydes mütterlichem Verhältnis zu Gahmuret und ihrer erotisch besetzten Beziehung zu Parzival - man denke nur an ihren faszinierten Blick auf Virilität und Geschlecht des Neugeborenen (vgl. 112,21-30) - zuletzt Marshall: Unterlaufenes Erzählen, S. 219-221. 306 Zum Verständnis des Komparativsatzes und zur Überlieferungsvarianz hält Hartmann fest, dass tôten auch als Dat. Pl. gelesen werden könne, somit also nicht von einer ›Bestattung‹ der Gegenstände an der Stelle der Figur auszugehen sei. Der Satz könne auch wie folgt aufzufassen sein: »wie man es bei/ für Verstorbene(n) macht« (Gahmurets sper und bluot, S. 122). Hartmanns Vorschlag beruft sich auf eine Lesart (sô man den tôten tuot g; dagegen lässt D keinen Zweifel am Akkusativ: sô man die tôten tuot [3320]), die m. E. ihrerseits mehrdeutig ist: Auf Grundlage dieser Lesart in g ließe sich den tôten auch als Akkusativ lesen, wenn man, wie beispielsweise Stapel oder Spiewok es in ihren Übersetzungen tun, das Wurzelverb tuon als »vertretung eines vorhergehenden vb. [in unserem Fall: bestatten in 112,1], in dessen construction [hier: trans., mit Akk.] es dann in der regel eintritt« (Lexer II, Sp. 1577a), auffasst - es ergäbe sich sprachlich eine parallele Konstruktion zu 112,1f. Das Argument, »dem bestimmten Artikel fehlte […] ein konkreter Bezug« (Gahmurets sper und bluot, S. 122), erschließt sich mir nicht, da der Artikel, den Akkusativ annehmend, grammatisch kongruent mit dem folgenden Substantiv tôten wäre. Die sprachliche Verkürzung ist womöglich Teil eines Programms der so beiläufigen wie komischen Ambiguisierung, welche den metonymischen Bezug zwischen Ding und Körper entweder nur im Vergleich oder auch im Parallelismus (sper/ bluot-tôten) betont. Dieser Parallelismus gibt indes, wie es Hartmann auch betont, keinen Anlass zu behaupten, die Gegenstände seien ›Reliquien‹ oder Gahmuret ein ›Märtyrer‹ - seien die Dinge nun begraben oder im Münster aufgehängt und für alle sichtbar, nur für Herzeloye nicht greifbar. zeitigt auch in Herzeloydes Reden, wie schon beobachtet wurde, eine Parallelsetzung von Geliebtem und Kind. 305 Zurück zu den Seidenhemden: Nachdem bereits deren zirkuläre Wanderungsbewe‐ gungen als Stellvertretungen Gahmurets sowie Herzeloydes firmierten, sie selbst als ›Quasi-Objekte/ Subjekte‹ in Michel Serres’ Sinne, macht der Erzähler solche Substitution nun explizit, wenn er erläutert, man bestatte Speer und Blut sô man tôten tuot (112,2) 306 - die Dinge rücken an die Stelle des Leichnams, eines Toten, der in Parzivals wie Isenhart in Gahmurets Geschichte allgegenwärtig sein wird, selbst nachdem Herzeloyde die Dinge, die noch an Gahmuret gemahnt haben, entrissen sind. Die Stillstellung des Gahmuretlebens vollzieht sich im Okzident also nicht in der materiell-lesbaren Schrift oder in der Ausstel‐ lung des Leichnams, sondern in der Grablegung der Dinge. Die Gegenstände sind allesamt einer memorialen Funktion zugeführt, ihre Konnotationen und Vorgeschichten entweder überschrieben wie im Falle des Adamas oder negiert und der persönlichen Erinnerung entrissen wie im Falle von sper und bluot. 144 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 307 Nabokov: Transparent Things, S. 10. 308 »Ungeachtet der behaupteten Berühmtheit dieser Grabstätte weiß nicht einmal Gahmurets Sohn Feirefiz von ihr […]; er macht sich auf die Suche nach seinem Vater, von dem er meint, er lebe noch […]. Diese Suche bringt ihn zu seinem Halbbruder Parzival; erst durch diesen, der seinerseits lange Zeit fast nichts von seinem Vater wusste, bis er von Cundrie Notdürftiges erfuhr, wird ihm von Gahmurets Tod berichtet, allerdings nicht von der Grabstätte […]. Künstlich konserviert und versiegelt geht die Geschichte Gahmurets unter« (Marshall: Körper - Ding - Schrift, S. 429). 309 »Die Gehaltlosigkeit des verselbständigten Nachruhms, welcher der vollendeten Figur zu Teil wird, wendet sich gegen diese; sie darf, gerade weil die Nachwelt sie als das feiert, was sie werden wollte, nichts weiter sein als ihr Ruf« (Schmid: Studien zum Problem der epischen Totalität, S. 79f.; Zitate oben ebd., S. 81). 310 »[W]ie im Osten verschwinden auch diese Dinge [Speerspitze und Hemd] später sang- und klanglos aus dem Roman, die Figuren erfahren nichts von ihnen, obwohl sie vermeintlich von Gahmuret, seiner Geschichte mit seiner Frau, seinem Ende und Ruhm ›erzählen‹ sollten« (Marshall: Körper - Ding - Schrift, S. 430f.). Interludium: Zum Fortleben Gahmurets in den Dingen When we concentrate on a material object, whatever its situation, the very act of attention may lead to our involuntarily sinking into the history of that object. Novices must learn to skim over matter if they want matter to stay at the exact level of the moment. Transparent things, through which the past shines! 307 Gahmuret hinterlässt vielfältige Spuren in Wolframs Erzählwelt: Während Grabmäler und Leichnam im weiteren Handlungsverlauf nicht weiter erwähnt werden, ja sowohl vom Erzähler als auch von den Figuren in ein beredtes Schweigen gehüllt scheinen, 308 stellt sein immaterielles erbe, die genealogische Disposition zu Minne und Kampf, die beiden Söhne Parzival und Feirefiz vor schicksalhafte Aufgaben, deren Bewältigung weiten Teilen des Romans ihr spezifisches Gepräge gibt. Wolfram unterlässt es, die vielen in der Gahmuret-Geschichte prominent inszenierten und in der Chrétien’schen Vorlage nicht vorgebildeten Gegenstände in die Erzählung von Parzival hereinzuholen. Herzeloydes radikale Isolation ihres Sohnes geht mit der Separation von möglichen materiellen Erbge‐ genständen einher, sie ist als ebenso konsequente wie unfrei- und widerwillige Reinigung des materiellen Arsenals des bis hierhin Erzählten anzusprechen - was von Gahmuret bleibt, ist in erster Linie das auffallend ›gehaltlose‹ Ideal eines legendär-vorzeitlichen Ritters, in dessen »Ruhmesepitheta und […] Nachruhm nichts mehr von seiner Geschichte aufbewahrt ist«. 309 Anders gewendet: Die Konstellation vom Beginn des Textes ist nach Gahmurets Ableben invertiert, die Herrschafts- und Machtansprüche der Brüder geraten einstweilen gerade nicht in einen Konflikt, und Dinge, in denen sich das väterliche erbe materialisieren und präsent halten könnte, scheinen dem Vergessen - mindestens der Figuren - anheimgegeben. 310 Wie um diese markante Leerstelle eigens als solche zu markieren, tritt im IX. Buch des Parzival, in der Klause Trevrizents, der sich vor den Geschehnissen der Haupthandlung mit dem Ablegen des Schwertes von der Ritterschaft abgewandt und in ein einsames 145 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 311 Vgl. zur Stelle und zum Stellenwert der grünen und der roten Farbe als Codes für das in der Gahmuret-Geschichte Verhandelte Schindler: ein ritter allenthalben rôt, S. 471f. Mertens sieht in der grünen Farbe hier und andernorts einen Verweis auf den Islam und entsprechend auch in dem auf grünem Tuch getragenen Gral ein »interreligiöse[s] Symbol« (Geschichte und Geschichten um den Gral, S. 256). 312 Auf die Nachfrage Parzivals, wie viel Zeit verstrichen sei, seit er den bunten Speer mitgenommen und mit diesem die beiden Kämpfe in der Blutstropfenszene bestritten habe (vgl. 460,2-18), antwortet Trevrizent: ›des vergaz mîn friunt Taurîân / hie: er kom mirs sît in klage. / fünfthalp jâr unt drî tage / ist daz irs im nâmet hie. / welt irz hœrn, ich prüeve iu wie‹ (460,20-23). Zu dem an dieser Stelle besonders offen exponierten Prinzip der ›Geschichtsakkumulation‹ und zur handlungsstrukturierenden Funk‐ tion der Lanze Sablotny: »So werden zunächst die Jeschute-Episode und jenes außergewöhnliche Erlebnis am Plimizoel zusammengesehen. Das Verbindungsglied, die Lanze, wiederum hat selbst [wie Parzival, der hier seine eigene Geschichte erinnernd rekonstruiert; S.W.] eine Geschichte […]. Das Reliquiar, auf dem Parzival den Eid für Jeschute geschworen hat, ist aus dem Edelstein gearbeitet worden, den Gahmuret seinem Schwager einst in Sevilla geschenkt hat […]. Es ist daher nicht nur ein Bindeglied zur Elternvorgeschichte, sondern Ausdruck eines entscheidenden Wendepunkts im Leben, und das heißt der eigenen Geschichte Trevrizents - des Übergangs vom (Minne-)Rittertum zum Eremitendasein« (Zeit und âventiure in Wolframs von Eschenbach Parzival, S. 268; vgl. auch ebd., S. 56). 313 Hirschberg: Untersuchungen zur Erzählstruktur, S. 37. Zum Raum, Trevrizents Höhle, Czerwinski: »Vorbereitet, präfiguriert gleichsam ist der Ort, an dem der große Zusammenhang sich herstellt […]: Figuratives allerorten« (Der Glanz der Abstraktion, S. 116). 314 »Auffällige Rückverweise (Parzival erkennt den Ort (455,25ff.), erkennt die ›kefse‹, auf der er den Eid ablegte, erinnert sich an den ›sper‹ (459,24-460,13)) stellen die Beziehung zu unserer Szene ausdrücklich her« (Hirschberg: Untersuchungen zur Erzählstruktur, S. 36); vgl. auch Green: The Art of Recognition, S. 185. 315 Richey: Gahmuret Anschevin, S. 78. Einsiedlerleben jenseits der Gralritterschaft geschickt hatte, dann doch ein Gegenstand aus Gahmurets Geschichte in Erscheinung: ein Reliquiar, eine auf einem alterstein (459,23) ausgestellte kefse[] […] noch grüener denne der klê (498,9f.), in Gahmurets Lieblingsfarbe also. 311 Dieser Gegenstand ist dem Leser wie Parzival noch aus dem V. Buch erinnerlich: Nach der Wiederbegegnung mit Orilus und Jeschute hatte der Protagonist auf die vor der Klause seines Onkels Trevrizent neben einem ebenfalls signifikanten und im Nachhinein von Trevrizent mit einer kurzen Objektbiographie versehenen sper von Troys  312 platzierte kefse einen Schwur und Abbitte für seinen Diebstahl von Jeschutes Kleinodien geleistet (vgl. 268,25-269,3) - hier verweist das unvermittelte Auftauchen eines sich in die Handlung, Parzivals Eid, fügenden Gegenstandes auf die Konstruiertheit eines Raumes, der das Agieren der Figuren prädeterminiert und wesentlich steuert: »Zunächst ist sie [die kefse] einfach da, wenn sie gebraucht wird, um dem Eid Nachdruck zu geben.« 313 In Trevrizents gruft nun, in welcher das Gespräch zwischen den Verwandten stattfindet, fungieren kefse und sper als Erinnerungsgegenstände, vermittels derer der Erzähler die frühere Begegnung mit der aktuellen verknüpft, zum Wiedererkennen Trevrizents überleitet und ein zeitlich-räumliches Kontinuum stiftet (vgl. 459,24-460,24): 314 The casket which Trevrezent keeps as a sacred relic is carved from a precious stone which Gahmuret gave him, ›noch grüener denne der klê‹. This remains with the hermit long after the brilliance of his knight-errant days has faded, enshrining a memory more precious than any jewel, and greener than the sunlit verdure of a meadow in spring. 315 146 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 316 Barthes: L’Effet de Réel, S. 84-89. Zu Barthes’ Überlegungen zum literarischen Realismus vgl. Kap. 1.5, Anm. 241. - Mit Trevrizents Nennung von historisch-konkreten Orts- (Rôhas, gemeint: der Rohatscher Berg, Zilje, gemeint: Cilli) und Flussnamen (Greian, gemeint: die Grajena, Trâ, gemeint: die Drau), die an dieser Stelle von Wolframs Vertrautheit mit der Topographie der Steiermark zeugen, öffnen sich, wie vergleichbar durch die Bezugnahmen auf Orte in Thüringen und Bayern, »Fenster zur ›Mikro-Realität‹« des zeitgenössischen Publikums (Mertens: Geschichte und Geschichten um den Gral, S. 237, vgl. schon Kap. 2.1.1, Anm. 37). Auch hierbei handelt es sich nicht um ›Eintragungen durch das Wirkliche‹ in Barthes’ Sinne, sondern um hochgradig funktionalisierte Bestandteile von Wolframs Beglaubigungsstrategie: »Die Funktion des ›steirischen Rätsels‹ kann […] nicht eine kryptokommunikativ vermittelte werk- oder autorgeschichtliche Information sein, sondern wiederum eine Beglaubigung durch Details, durch inszenierte Intimität zwischen Figur und Erzähler: Trevrizent ist ein Mann aus der konkreten Welt, das ließe sich sogar in diversen Einzelheiten nachprüfen, er ist kein mythischer Traumgänger, seine Reisen fanden in Gegenden statt, die es heute gibt« (ebd., 242). Den Ausführungen von Parzivals Onkel ist zu entnehmen, dass sein Reliquiar aus einem Edelstein gefertigt wurde, den Gahmuret ihm seinerzeit, nach der Entdeckung von Trevri‐ zents Verwandtschaftsverhältnis zu Herzeloyde, geschenkt habe: er gap sîn kleinœte mir: swaz ich im gap daz was sîn gir. mîne kefsen, die du sæhe ê, (diu ist noch grüener denne der klê) hiez ich wurken ûz eim steine den mir gap der reine. sînen neven er mir ze knehte liez, Ithêrn, den sîn herze hiez daz aller valsch an im verswant, den künec von Kucûmerlant. wir mohten vart niht lenger sparn, wir muosen von ein ander varn. er kêrte dâ der bâruc was, und ich fuor für den Rôhas. (498,7-20) Die Auflösung objektbiographischer Hintergründe transformiert die zuvor bereits promi‐ nent inszenierte und dabei in erster Linie als Raumrequisit und Instrument einer rituellen Handlung narrativierte kefse zum symbolischen Gegenstand - einmal mehr scheint im Parzival kaum ein Ding dem Sinn zu entkommen, wird die Tendenz sichtbar, selbst im Rückblick auf weit zurückliegende Erzählgegenstände, »à produire des structures fortes et à ne laisser, semble-t-il, aucune notation sous la seule caution du ›réel‹«. 316 In Entsprechung zu diesem Bedeutungszuwachs tritt eine materielle Transformation in Trevrizents Bericht, das Einlassen von Gahmurets Edelstein in ein Reliquiar, eine Handlung, durch welche die Gabe zum sakralen Objekt wird: Nachdem der reiche bâruc Gahmuret ein pompöses orientalisches Grabmal errichtet hat, das die Heiden indes weder durch des kriuzes êre / noch durch des toufes lêre (107,21f.) euhemeristisch verehren, nachdem Hemd und sper im Okzident ›bestattet‹ und der Sichtbarkeit ebenso wie der persönlichen Andacht Herzeloydes entzogen wurden, ist dem bettelarmen Trevrizent schließlich eine wahre 147 2.2 Gahmuret II: Der Adamas, ame strîte ein guot geverte (Buch II) 317 Wie man sich diese kefse nun konkret vorzustellen hat, als »Behälter in Büchsenform (Pyxis)« oder als »ein Becher- oder Kästchenreliquiar«, bleibt unklar (Nellmann: Stellenkommentar zu 498,9-12, S. 699). 318 Dass die beiläufige Erwähnung Ithers überdies natürlich auch der Vernetzung der epischen Welt und der Figuren zuspielt, betont Blamires: »This little twist in the story again serves the purpose of integrating the relationships of all the characters in the poem into one complex whole, though here there is no more emphasis on the sippe as such« (Characterization and Individuality, S. 330). Zur Bedeutung des überraschenden ›Auftretens‹ Ithers für die Darstellung der Trevrizentfigur Schu: »Die Begegnung mit Gahmuret gibt ebenfalls Aufschluss darüber, daß Trevrizent auch in enger Verbindung mit Ither stand, der ihm von Gahmuret anvertraut wurde […]. Trevrizent ist also von beiden ›großen Sünden‹ Parzivals insofern unmittelbar betroffen, als die ›Opfer‹ Herzeloyde und Ither jeweils in engem Verhältnis zu ihm standen. Daß diese Tatsache auch seine Wertung beeinflußt, kann damit aber nicht mehr ausgeschlossen werden (das gleiche gilt natürlich auch für Parzivals dritte Sünde)« (Vom erzählten Abenteuer, S. 314). 319 Möglich auch, dass in 498,8 (swaz ich im gap daz was sîn gir) die immaterielle Gegengabe der Offenlegung des verwandtschaftlichen Verhältnisses angesprochen ist, um die Gahmuret Trevrizent so nachdrücklich gebeten haben soll. Zu dieser Gabenhandlung Haferland: »In den Gaben, die er [Trevrizent] sorgfältig hütet, hat beider Beziehung zueinander sich bleibenden Ausdruck geschaffen. So sind Gaben ein Fokus höfischer Bindung« (Höfische Interaktion, S. 159). Reliquie seines Verwandten zu eigen. 317 Die Abwendung von der auf Reichtümer, auratische Waffen und deren agonale Aneignung, auf lop, prîs und gedenken fixierten Ritterschaft geht mit der gläubigen Hinwendung zu einem singulären, sakralen Objekt (und daneben auch mit der Lektüre von Büchern, vgl. 459,19-22) einher, das an Karfreitag, nâch des tages site (459,23), enthüllt und verehrt wird. Dass Gahmuret Trevrizent auch seinen Knappen Ither überlässt, indiziert eine sinnträch‐ tige Überschneidung von Figuren- und Objektbiographie: Beide avancieren gleichermaßen zu ›Hinterlassenschaften‹ Gahmurets, denn beide haben, so wird nun im Rückblick erst klar, Parzival mit seinem väterlichen Erbe konfrontiert. 318 Die Aussagen Trevrizents geben einen ausschnitthaften und szenisch nur flüchtig skizzierten Einblick in die oben bereits ange‐ sprochene narrative Ellipse zwischen Eheschließung und Tod Gahmurets. Nachdem diese bereits in der Vorgeschichte durch einen Fokus auf das Dingsymbol der Herzeloydeminne, ihre weißseidenen hemden, partiell gefüllt und im gleichen Zuge als Leerstelle markiert wurde, ist es nun erneut eine Gabenhandlung, welche die Geschehnisse vor Gahmurets Tod im Dienste des baruc weiter erhellt und ihrerseits neue Leerstellen produziert: Es bleibt schließlich nicht nur dunkel, welche Gegengabe Trevrizent seinem Schwager überreicht, sondern auch, welche konkrete Bewandtnis es mit dem stein Gahmurets hat. 319 Die Erinnerung an Gahmuret ist in den Dingen konserviert: Und während manche dieser Dinge, das zerfetzte und blutige Hemd seiner Dame, die tödliche Speerspitze und der Adamas, scheinbar ›vergessen‹ und aus der Erzählwelt verabschiedet werden, gelangen andere, bislang noch unbekannte Dinge ganz unerwartet an die Oberfläche, werden nachträglich mit einer ausschnitthaften Objektbiographie und mit einer Bedeutung versehen - ein Ding, die Gegengabe Trevrizents, mit der Gahmuret vielleicht seinen letzten Solddienst beim Baruc angetreten hat, bleibt gar gänzlich unbestimmt. In all diesen Fällen avancieren die Dinge zu schillernden Markern der Konstruiertheit, der Ausschnitt- und Modellhaftigkeit des Erzählten wie der Kunst eines dezidiert romanhaften Erzählens, das seine Lücken, seine Unbestimmtheitsstellen und Brüche wiederholt prominent exponiert und im gleichen Zuge gerade die Wahrheit des Erzählten behauptet: So wäre der Nachtrag 148 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 320 Lévi-Strauss: Avant-propos, S. 6. Übersetzung: »Die Erinnerung an Isaac Strauss [Lévi-Strauss’ Urgroßvater, ein Sammler jüdischer Kultgegenstände; S.W.] fügt sich für mich zusammen wie die Glieder einer Kette. Durch diejenigen, die ich gekannt und die ihn gekannt haben, dessen Mutter - so scheint es zumindest, aber ich weiß nicht warum - nur knapp der Guillotine hatte entkommen können, durch diese fühle ich mich anderen Jahrhunderten zugehörig, weniger aufgrund meines zweifelhaften Chromosomenerbes, das für die familialen Leidenschaften verantwortlich wäre, als aufgrund der auf meine Kindheit zurückgehenden Vertrautheit mit den greifbaren Objekten, seien sie musikalisch, plastisch oder dekorativ, darunter diejenigen, die für diese Ausstellung wieder zusammengetragen wurden und die man früher einmal mit in den Saal genommen hat, den das Museum von Cluny ihnen nun auf Dauer gewidmet hat, und in dem der Name von Isaac Strauss, auf dem Giebel der Tür eingraviert, mich mit dem Gefühl durchdrang, dass sie [diese Objekte] - nicht zu Ithers Biographie so glaub- oder zweifelhaft wie Trevrizents Erzählung vom Gral, die sich an späterer Stelle mindestens in Teilen als ›Lüge‹ entpuppen wird (vgl. Kap. 2.6 dieser Arbeit), wäre da nicht die grüne kefse, deren materielle Präsenz, Farbe und Vorgeschichte sich in die dem Leser bekannte Gahmuretgeschichte sinnvoll einfügt. Wie Gahmurets Jugend einzig in Amphlises Ring wird auch die Vorgeschichte seines Todes nur in den Dingen, Herzeloydes hemden, dem sper und nun überdies noch in einem stein greifbar - und während die Leser ebenso wie Parzival Trevrizents Ausführungen über den fernen Gral Glauben schenken müssen, authentifiziert die Anwesenheit der kefse und des in diese eingelassenen Edelsteins zumindest diese Worte des Einsiedlers sowie, man denke an den Rubin im Messingring zurück, al die âventiure sîn (3,18). 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) Le souvenir d’Isaac Strauss ressoude ainsi pour moi les maillons d’une chaîne. A travers ceux que j’ai connus et qui le connurent lui, dont la mère échappa de peu, paraît-il, mais je ne sais pourquoi, à la guillotine, je me sens appartenir à d’autres siècles, moins par le legs de douteux chro‐ mosomes responsables des passions communes, que par l’intimité maintenue dès l’enfance avec des objets sensibles de nature musicale, plastique ou decorative, au nombre desquels figurant ceux, à nouveau réunis par cette exposition, que jadis on m’emmenait voir dans la salle que le musée de Cluny leur consacrait de façon permanente, et où le nom d’Isaac Strauss, inscrit au fronton de la porte, m’imprégnait du sentiment que non seulement par leur origine première, mais par leur association à tout mon passé familial, ils étaient un peu une partie de moi-même, qu’en plus d’un sens, je faisais partie d’eux. 320 149 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) nur durch ihren Ursprung, sondern durch ihre Verbindung mit meiner Familiengeschichte - ein Teil meiner selbst waren, dass ich, in mehr als einem Sinne, ein Teil von ihnen war.« 321 Zur Bedeutung des Begriffs underscheit, der darauf aufmerksam macht, dass Parzivals Rede im Gegensatz zu der hier gerafft dargebotenen indirekten Rede als ausführlichere Binnenerzählung vorzustellen ist, Gilmour: »›exact detail(s)‹, ›genauer Bericht‹ (Pretzel 1982, 72), ›in all detail‹ (Hatto), cf. the earlier meaning of ›trennender Gegenstand‹« (Stellenkommentar zu 169,29, S. 149). 322 Das Verständnis der Stelle hängt an Bedeutung und Tempus des Prädikats erkante. Gilmour vermutet: »Gurnemanz [did] not necessarily have to know Ither from a previous meeting, but there is a strong possibility from the usage of the verb in Parzival that he did know him personally« (Stellenkommentar zu 170,3, S. 151). Im Folgenden werden einige Schlaglichter auf die Erzählung von Parzival gesetzt, zunächst auf das von der Parzival-Forschung bereits bis ins kleinste Detail ausgeleuchtete III. Buch. In erster Linie sollen Kontinuitäten und Differenzen zum bislang Untersuchten im Vorder‐ grund stehen: Lassen sich an der Inszenierung von Gegenständen im III. Buch sinnstiftende Ähnlichkeiten und Unterschiede zum bislang Erzählten ablesen? Welche Rolle spielen die Dinge für die Darstellung und den ›Sozialisationsweg‹ der Parzivalfigur, die im Gegensatz zu Gahmuret die epische Welt nicht als ›Profiritter‹ und höfischer Charmeur, sondern als kindlicher Paria betritt? Das III. Buch ist in weiten Teilen auch eine Erzählung von Dingen, deren Aneignung als strukturstiftendes Leitmotiv fungiert. Welchen Gegenständen aus der Sicht des Protago‐ nisten eine herausgehobene Rolle zukommt, dies lässt sich einer Nacherzählung Parzivals entnehmen, in der er im Zwiegespräch mit Gurnemanz die bisherigen Ereignisse en bref Revue passieren lässt, und die den im Folgenden skizzierten Erzählteil inhaltlich konturiert (vgl. 169,29-170,2). Diese vom Erzähler in indirekter Rede wiedergegebene Erzählung ist auf drei Dinge, vingerl, fürspan und harnasch, zentriert - die Aneignung etwa von Wissen, Begegnungen mit Figuren scheinen Parzival hingegen nicht nacherzählenswert: er saget im gar die underscheit, wier von sîner muoter reit, umbez vingerl unde umbz fürspan, und wie erz harnasch gewan. (169,29-170,2) Parzivals eigene, vom Erzähler wohl gekürzt wiedergegebene underscheit  321 lassen evident werden, welche Objekte in Figurenperspektive als klar avisierte Handlungsziele gelten, allesamt Objekte, die die Wahrnehmung des Helden zu bannen und ihn nachgerade magnetisch an sich heranzuziehen, seine Bewegungen im Raum und sein Handeln zu determinieren vermochten. Diese Dinge sind in erster Linie als Objekte der gewaltsamen Aneignung und der Gier des Helden in das Narrativ eingebettet, darüber hinaus teilweise auch als ökonomische Tauschgegenstände. Im report, im Versuch, die mannigfaltigen Erlebnisse zu strukturieren und sie in eine sinnhafte, in eine erzählte Form zu überführen, zeigt sich neuerlich die strukturstiftende Funktion der Gegenstände nicht nur für das Erzählen Wolframs, sondern auch für das Binnenerzählen und das Denken seiner Figur, fernerhin für die Identität des Helden, dem Gurnemanz, nachdem er das harnasch und mit ihm offenbar auch den ritter rôt (170,3), also dessen Vorbesitzer: Ither, wiedererkannt hat, 322 im unmittelbaren Anschluss an seine kleine Dinge-Erzählung einen Namen gibt: 150 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 323 Tax: Gahmuret zwischen Äneas und Parzival, S. 35. 324 Tax: Gahmuret zwischen Äneas und Parzival, S. 36. Vgl. die Studie zum paradigmatischen Erzählen im Parzival von Richter: Spiegelungen, sowie, in ähnlicher Stoßrichtung, Warning: Erzählen im Paradigma, passim und Kellner: ein mære wil i’u niuwen, S. 192f. 325 Ohly: Synagoge und Ecclesia, S. 332. 326 »Die Funktion der Vorgeschichte besteht damit aber in der thematischen wie diskursiven Einführung in diesen Erzählkosmos und geht weit über die Funktion hinaus, lediglich die Soltane-Episode besser zu motivieren« (Schu: Vom erzählten Abenteuer, S. 122). der wirt erkante den ritter rôt: er dersiufte, in derbarmt sîn nôt. sînen gast des namn er niht erliez, den rôten ritter er in hiez. (170,3-6) Insbesondere mit der Narrativierung der Itherrüstung, in deren gewaltsamer Aneignung der hier zu untersuchende Erzählteil seinen Höhepunkt findet und auf deren Untersuchung im Folgenden der Fokus liegen soll, werden Handlungsmuster diskursiv, die bereits in den Gahmuretbüchern Verhandeltes weiter zuspitzen und besonders die Aporien und Paradoxa höfischer Ritterschaft hervortreten lassen. Mit Petrus W. Tax, der bislang meistenteils nicht weiter untersuchte und in der Forschung als suggestiv wahrgenommene Parallelen etwa zwischen Adamas und Gral angedeutet hat, ist hierbei in erster Linie den »verschlungenen Assoziationspfaden« 323 und zahlreichen »Spiegelungen« 324 von Ding-Motiven in Vor- und Hauptgeschichte nachzugehen. Dabei soll - auch wenn der »präfigurative Charakter der Geschichte von Parzivals Vater […] vielfach auf der Hand [liegt]« 325 - ebenso wenig von einem einsinnig-typologischen Verhältnis zwischen Gahmuret- und Parzivalerzählung ausgegangen werden wie davon, dass die Vorgeschichte ausschließlich darauf zielte, »die Soltane-Episode besser zu motivieren«. 326 Wenngleich zwar z. B. kaum die Rede davon sein kann, dass die Abwesenheit des Adamas nach Gahmurets Sieg über Isenharts Verband die »Gottesferne, unter der nicht nur die Gralgemeinde litt, sondern auch Parzival«, vorwegnähme, so sind doch zahlreiche Kontinuitäten und Diskontinuitäten etwa in der Darstellung quasi-heiliger und tatsächlich heiliger Objekte und ihrer Beziehungen zu den Menschen, in der Inszenierung von Figuren und ihren Waffen, in den Prozessen der Wahrnehmung und der Transformation von 151 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) 327 Beide Zitate: Tax: Gahmuret zwischen Äneas und Parzival, S. 36. S. auch Hartmann: »Die For‐ schung sollte m. E. viel mehr auf die Kontinuität zahlreicher Motive in Vor- und Hauptgeschichte achten und die beiden Romanteile weniger unter dem Gesichtspunkt eines polaren als vielmehr eines komplementären Verhältnisses untersuchen« (Gahmuret und Herzeloyde. Bd. 2, S. 402). Hartmanns Kritik an der Apriorisetzung einer typologischen Struktur - und an einer blinden Suche nach und Überinterpretation von entfernten Spiegelungen - richtet sich u. a. gegen Tax und dessen oben angesprochene Deutung des Adamas als Präfiguration des Grals: »Hier werden zwei Sachverhalte aufgrund einer bloßen Wortwiederholung (epitafum […]) zusammengezwungen, die so wesensverschieden sind, dass sie gar nicht miteinander verglichen werden können« (ebd., vgl. ebd., S. 398). Ähnlich kritisch zu Tax’ »Präfigurationenkabinett« äußert sich Schmid, die insbesondere die Analogisierung von Adamas-Weg und ritterlichem Doppelweg als haltlos anspricht (Studien zum Problem der epischen Totalität, S. 161, Anm. 230). Ein differenzierterer Vorschlag zur Übertragung des typologischen Modells stammt von Christa Ortmann, deren Argumentation ebenfalls auf (heils-)geschichtlichen Strukturmodellen aufruht. Ortmann zufolge ist sowohl mit einer genealogisch begründeten »thematischen Kontinuität« als auch mit einer »thematische[n] Gradation« zu rechnen, die »aus der Dynamik des Kontrastes hervorgeht, d. h. aus der Opposition, in die der Antiritter Parzival zu seinem präfigurativen Vorbild, dem Ritter Gahmuret, gestellt ist« (Ritterschaft, S. 698). Kritisch auch hierzu Schmid, die die von Ortmann verfolgte eschatologische Perspektive für unzureichend hält und auf die »Prekarität der Lösungen« verweist, die für Wolframs Text auf vielerlei Ebenen so kennzeichnend sei und einsinnig-typologische ebenso wie allein auf die Erlösung hin perspektivierte Denkmodelle kritisch betrachten lasse (Studien zum Problem der epischen Totalität, S. 80, Anm. 127). 328 Nabokov: Transparent Things, S. 121. 329 Quast: Die Vögel, S. 234. Gegenständen indiziert, denen es sich nachzugehen lohnt, denn, so noch einmal Tax, »man darf […] Personen und Dinge in Wolframs dichterischem Kosmos nie isoliert sehen.« 327 2.3.1 Der Auszug des tumben Helden: eine Skizze »Tools are, well - tools. They may, in fact, be an integral part of the worker, as, say, the carpenter’s square is indeed part of the carpenter. Or the tools may be of flesh and bones like these« (taking Hugh’s hands, patting each in turn, placing them on his palms for display or as if to begin some children’s game). 328 Nach dem Tod Gahmurets begibt sich Herzeloyde gemeinsam mit ihrem Sohn in die Waldeinsamkeit, eine Flucht vor der Ritterwelt, vor den Kämpfen und dem zuvor durch‐ lebten Leid: si brâhte dar durch flühtesal / des werden Gahmuretes kint (117,14f.) - und eine endgültige Trennung auch von den Dingen, die Herzeloyde bereits entrissen wurden und die das so fatale wie, zumindest in Teilen, lebensfeindliche Konzept der rîterschaft repräsentierten und vermittelten, sei es symbolisch, sei es ganz physisch, indem sie es greif- und sichtbar oder zum affordanten Akteur machten. Doch allzu schnell, gleich im ersten szenisch dargebotenen Handlungsteil des III. Buches offenbart sich, dass zum einen »der abwesende Gahmuret omnipräsent« 329 ist und sich zum anderen die Dingkultur auch in der entlegensten waste, in der Natur Bahn zu brechen vermag: Der junge Parzival, an küneclîcher fuore betrogn (118,2), bedarf anscheinend 152 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 330 Kaske: Materielle Ritterschaft, S. 27. Ähnlich Schuler-Lang: »Bereits in diesem Szenario zeigt sich die für Parzival konstitutive Ambivalenz, das Changieren zwischen höfischer und unhöfischer Sphäre: So übt er gleichsam intuitiv die höfische Beschäftigung der Jagd aus, greift dabei aber auf eine Waffe zurück, die im höfischen Roman genuin wilde Figuren wie Riesen kennzeichnet« (Wildes Erzählen, S. 135). 331 Schauch: Parzivals Weg zum Artusritter, S. 27; zum Stellenwert der Soltaneepisode für Parzivals ›Sozialisation‹ s. ebd., S. 25-49. 332 »In a subtle way Parzival’s kingly heritage manifests itself by this spontaneous display of hunting skill« (Yeandle: Stellenkommentar zu 118,4, S. 51). 333 Schauch: Parzivals Weg zum Artusritter, S. 27. - Zu den an dieser Stelle u. U. indizierten intertex‐ tuellen Kontrastbezügen zwischen Parzival und dem höfisch-exzeptionellen Tristan vgl. Anm. 424 dieser Arbeit. 334 Möglich ist vielleicht auch, wie Heinig fragt, »daß Parzival eigentlich mit einer Armbrust auf die Vogeljagd geht« (Stellenkommentar zu 18,4, S. 19). 335 »Wesentlich bleibt dennoch, daß allein der Mensch Werkzeuge planmäßig herzustellen vermag. Werkzeuge vermitteln zwischen Mensch und Natur. Nur mit ihrer Hilfe können die natürlichen Ressourcen genutzt werden« (Kohl: Die Macht der Dinge, S. 125). Zur anthropologischen Bedeutung von Technik und Werkzeugen vgl. grundlegend Leroi-Gourhan: Le geste et la parole. 336 Zum überragenden Stellenwert und zur Ambiguisierung von Exzeptionalität im Tristan vgl. Fle‐ cken-Büttner: Exzeptionalität. weder eines Lehrers noch eines anderen unterweisend-sozialisierenden Einflusses, um sich den spielerischen Umgang mit bogen unde bölzelîn (118,4) sowie wenig später mit dem gabilôt[] (120,2), dem »unhöfische[n] Verwandten der Lanze« 330 , »offensichtlich autodidaktisch« 331 anzueignen. Die abseits von der höfischen Welt erlernten, vielleicht auch ganz intuitiv verfügbaren Formen des Jagens und damit auch des Kämpfens verweisen bereits auf Parzivals Disposition zum Höfisch-Ritterlichen, 332 die jedoch noch nicht als ausdifferenzierte Kulturtechnik zum Vorschein kommt: »Allerdings - und darin äußert sich die Unzulänglichkeit seiner Kompetenz - lernt er die Jagd nicht in höfisch angemessener Weise.« 333 Während die Jagdtechniken Parzivals, etwa sein ungeschlachter Umgang mit dem erlegten Wild (vgl. 120,2-10), eher Unhöfisches denn Höfisches und sein Hantieren mit dem gabylôt nachgerade atavistisch-unritterliche Verhaltensmuster aufscheinen lassen, kommt in der Herstellung von Objekten, in der Transformation von Naturzu Gebrauchsgegen‐ ständen zumindest partiell auch Gegenläufiges zum Ausdruck: Parzival vermag, wie der Erzähler eigens betont, Bogen und kleine Pfeile mit sîn selbes hant (118,5) zu schnitzen, 334 er hat somit gar nicht so simple Formen einer fast-höfischen Dingkultur und deren handwerklicher Reproduktion augenscheinlich bereits inkorporiert. Parzival ist also mit einer Handvoll Kulturtechniken sowie mit der Herstellung und der instrumentalen Hand‐ habung einfacher zwischen Mensch und Umwelt vermittelnder Werkzeuge vertraut, 335 die komplex-ausdifferenzierten höfischen Codes und Verhaltensregeln bleiben ihm indes noch vorenthalten. Er wird mithin weder als Kind ›im Naturzustand‹ respektive als ›Wilder‹ noch als bereits oder schon immer höfische Figur imaginiert, wie sie in Gottfrieds Ausbund an Curtoisie, dem höfisch-exzeptionellen Tristan, ihren berühmtesten Exponenten findet, 336 sondern als hochbegabter Bastler, dem in Soltane nur ein geschlossener und eng umgrenzter Fundus an Materialien und Verhaltensregeln zur Verfügung steht, und der sich im Dialog 153 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) 337 Lévi-Strauss: La pensée sauvage, S. 579. Übersetzung im Satzkontext: »Man könnte versucht sein zu sagen, der Ingenieur befrage das Universum, während der Bastler sich an eine Sammlung von Überbleibseln menschlicher Produkte richte, d. h. an eine Untergruppe der Kultur« (Das wilde Denken, S. 32). 338 Quast: Die Vögel, S. 240. 339 »Ein und dasselbe Phänomen, das Licht, symbolisiert das göttliche Prinzip, dessen Gegenwart im Auserwählten, die physische Schönheit von Menschen und den Ruhm von ritterlichen Heldentaten. Die symbolische Valenz des Lichtes beinhaltet eine ständige Selbstüberschreitung des Phänomens, das seine Oberfläche transzendiert. […] Es ist fernerhin zu beachten, daß diese ›eigentliche‹ Lichtmetaphorik nicht als Profanisierung des Gottesbildes zu betrachten ist: Das Unaussprechliche, nicht unmittelbar induktiv Erschließbare wird zwar dem Bereich des orthodoxen ›Jenseits‹ entzogen, jedoch nicht qua solches abgelehnt, sondern als von der sinnlich wahrnehmbaren Erscheinung untrennbar aufgefaßt« (Cessari: Der Erwählte, das Licht und der Teufel, S. 85f.). mit der Natur und den in der waste überdauernden kulturellen Resten, einem »sous-en‐ semble de la culture« 337 , zu arrangieren hat. Nucleushaft deutet sich hier bereits die nicht nur für diese Passage so prägende Verflüssigung der Grenzen zwischen Natur und Kultur an: Adlige, so die höfische Anthropologie dieser Szene, sind qua Abstammung zur Jagd disponiert, das Jagen - in anderen Texten ist es das Reiten - muss nicht erst erlernt werden. Die moderne Trennung von Natur und Kultur geht mit Blick auf die höfischen Texte also nicht auf. Die angeborene adlige Natur steht dem Glück Parzivals jedoch im Weg. Er tötet, was in ihm Begehren auslöst. Das Paradox einer adligen Natur, die sich gegen sich selbst richtet, bannt Wolfram in das Bild des jagenden Knaben, der in Weinen ausbricht, nachdem er einen Vogel erlegt hat, der zuvor mit lautem Schall gesungen hat. Nur in der Öffnung zur Welt hin, einer väterlich konnotierten Welt, kann männliches Adelsglück realisiert werden, wendet es sich nicht gegen sich selbst. Parzival fehlt allerdings das kognitive Rüstzeug, die Welt zu erfassen, es wird ihm mit voller Absicht vorenthalten. 338 Höfisch-ritterliche Eigenschaften erweisen sich in Soltane zunächst als natürliche Anlage, als väterliches Erbe von Gahmuretes kint (117,15), das in seinem Verhalten tendenziell zwar verdeckt, in der Herstellung und Handhabung von Waffen hingegen schon in der (fast) leeren Ödnis zum Vorschein kommt, bevor dann ebenso unvermittelt wie kontingent das kultiviert-hochgerüstete Rittertum in den Wald eindringt und den kindlichen Protago‐ nisten mit höfischer Vervollkommnung und materiellem Prunk konfrontiert: nu seht, dort kom geschûftet her / drî ritter nâch wunsche var, / von fuoze ûf gewâpent gar (120,24-26). Der zunächst von den Hufschlägen aufmerksam gewordene (vgl. 120,15-17) und nun unmittelbar auch visuell überwältigte Parzival, soeben von seiner Mutter in eine einfache und dabei keineswegs profane Vorstellung von Gott als Licht, vom Teufel als Schwärze eingewiesen (vgl. 119,18-28), 339 erkennt im Rüstungsglanz der fremden Ankömmlinge eine Manifestation des Göttlichen, in den drei Rittern jeweils einen Gott: Das anschauungsleere, situationsabstrakte Wort, das seine Mutter ihm vermittelt hat, füllt er mit dem Bild der fremden Lichtgestalten, das ihm überwältigend vor Augen steht. Schon in dieser Szene zeigt sich die Struktur, nach der im weiteren Verlauf des »Parzival« das Verhältnis von Sprache und Anschauung verdeutlicht wird: Anschauung ohne Begriffe ist ebenso asozial wie Begriffe ohne Anschauung. Erst durch Teilhabe und Nachahmung, durch die wechselseitige Spiegelung 154 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 340 Wenzel: Hören und Sehen, S. 129. 341 S. auch den Erzählerkommentar in 121,7-12, in dem Wolfram die unwahrscheinlich-steile Karriere Parzivals mit der eigenen, den Wâleis mit dem Beier vergleicht: ein prîs den wir Beier tragn, / muoz ich von Wâleisen sagn: / die sint tœrscher denne beiersch her, / unt doch bî manlîcher wer. / swer in den zwein landen wirt, / gefuoge ein wunder an im birt. 342 In diesem Sinne übersetzt die Stelle Hatto: »If you had eyes in your head you would see four knights before you« (Wolfram von Eschenbach: Parzival. Translated by A. T. Hatto, S. 73). 343 Stock: Anerkennen und Identifizieren, S. 249. der Akteure in einem für beide verbindlichen Rahmen, wird die Sprache anschaulich und die Anschauung begreifbar. 340 Für den Leser, der vom Erzähler bereits mit einem entscheidenden Wissensvorsprung über die Identität der Ankömmlinge als Ritter ausgestattet wurde, fungiert dieses komische Verkennen als Ausweis einerseits der Torheit des Protagonisten, 341 andererseits aber auch der Bedeutungsoffenheit dinglicher Zeichen, deren Entschlüsselung ganz wesentlich auf Wissen und kulturell vermittelte Zuschreibungspraktiken gründet: Die Dinge, die das Rittertum sichtbar machen - zuvorderst: die Rüstung, das Pferd, der zerschlagene Schild und der Waffenschmuck -, sind, so wird hier deutlich, komplexe Zeichen, deren Bedeutung gerade nicht evident wäre und deren Decodierung nur ein kompetenter, ein höfisch sozialisierter und mit dem Code der Dingbedeutungen und -funktionen vertrauter ›Leser‹ zu leisten vermöchte. Sobald sich Karnahkarnanz auf Parzival zubewegt, differenziert sich das kompakte Zei‐ chen der gleißenden Gestalt, und einzelne Elemente der ritterlichen Ausrüstung, zunächst das Pferd und der zerhauene Schild (sîns schildes was vil wênic ganz; 121,25), gelangen in die Wahrnehmbarkeit - die sinnliche Überforderung durch die hochgerüstete Gestalt wird weiterhin dadurch betont, dass sie den jungen Protagonisten nicht nur einer visuellen Erfahrung, sondern auch einem wahren Klangspektakel aussetzt: So sind Beine und Arme des Fremden mit Schellen verziert, wie sie bereits im gedœne der auf dem Kampffeld vor Patelamunt eintreffenden Kayletfigur als Signum eines in besonderem Maße modisch herausgeputzten Rittertums eingeführt wurden (vgl. 39,20f.). Eine erste Unterweisung Par‐ zivals erfolgt mit Karnahkarnanz’ Belehrung, dass er nicht Gottes ansichtig werde, sondern: du maht hie vier ritter sehn, / ob du ze rehte kundest spehn (123,1f.). In der Perspektive des Ritters verweist also dessen Identifikation mit Gott schon auf eine Störung im Akt der Wahrnehmung selbst (sehn, spehn), nicht erst in deren Deutung oder Verbalisierung: 342 Der knappe vermag zwar zu sehen, zu jagen und zu sprechen, aber offenkundig nicht auf die rehte Art und Weise. Parzivals Reaktion wiederum deutet auf ein weiteres, ein, wie sich noch herausstellen soll, hochgefährliches Fehlverständnis: Wenn sein Gegenüber schon nicht über gotlîche[] kraft (123,5) verfüge, so solle er ihm doch verraten, wer gît ritterschaft? (123,6). Parzival versteht Ritterschaft also »als etwas, das gegeben wird«, 343 eine Wendung, die zwar ober‐ flächlich besehen nicht unzutreffend ist - und die vielleicht deswegen von Karnahkarnanz auch nicht zurechtgerückt wird -, die neben einer symbolischen Lesart jedoch auch eine wortwörtliche lizensiert, in der ritterliche Identität wie das im Initiationsritus der Schwert‐ leite überreichte Zeichen der Ritterschaft oder die vom jungen Parzival anschließend so fasziniert betastete Rüstung ein Aneignungsobjekt wäre. Parzivals naive Wendung 155 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) 344 »The emphasis on the hand is indicative of the intrigued exploration by the young and inexperienced Parzival […]. Reaching out and touching unknown objects is, of course, a typical aspect of a child’s inquisitive behaviour« (Yeandle: Stellenkommentar zu 123,25, S. 179). Den entwicklungspsychologi‐ schen Stellenwert des Berührens von persönlichen und Übergangsobjekten in der Adoleszenz und die mit dem Altern zunehmend relevanten Fernsinne untersucht Habermas: Geliebte Objekte, S. 415. 345 »Die memoria vergleicht das Bild mit den anderen Bildern, die sie bewahrt, und identifiziert das Bild mit einem ihr schon bekannten. So begreift der Mensch, wen oder was er gesehen hat. Dieses Begreifen setzt eine Tätigkeit der ratio in Gang: ein Nachdenken über das Gesehene« (Bumke: Die Blutstropfen im Schnee, S. 37). 346 Nellmann: Stellenkommentar zu 123,29, S. 522. dekuvriert also neben seiner eigenen tumpheit auch die den Ritualen der Ritterschaft schon zugrunde liegenden Ambiguitäten, die überdies für den Rezipienten auch darin sichtbar werden, dass sich die Ritter um Karnahkarnanz auf der Verfolgungsjagd nach zwei anderen Rittern befinden, die eine höfische Dame entführt haben: Das erste, was Parzival von der ritterschaft zu Gesicht bekommt und was doch nur für den Leser eingeordnet wird, ist somit ein handfester Konflikt - und es stellt sich die dunkle Ahnung ein, dass der höfische Kosmos auch in den Parzivalbüchern mehr als schöner und quasi-göttlicher Rüstungsschein sein wird, dass Parzival sich bald vielmehr auch den vielfältigen Störungen einer im Zerfall begriffenen Welt der so verlockenden wie täuschend-schönen Oberflächen ausgesetzt sehen wird, einer Welt mithin, die für den Jungen zuallererst in den Dingen ›greifbar‹ und, viel später erst, zu ›begreifen‹ sein wird. Schon der Eingang des III. Buches demonstriert, dass diese Welt nicht in den von Herzeloydes Gotteslehre vermittelten Dichotomien aufgeht, dass von einzelnen Proprietäten wie leuchtendem Glanz nicht auf Dingbedeutungen (wie womöglich von Parzivals Schönheit nicht auf innere Tugend) zu schließen ist, dass überdies Ritterschaft gerade kein ungebrochenes Ideal repräsentiert, sondern eben ihrerseits ambig ist. Vom Sichtbaren nachhaltig gebannt, verringert Parzival nun schrittweise die Distanz zwischen sich und seinem Wahrnehmungsobjekt und beginnt schließlich, Karnahkar‐ nanz’ Rüstung, ganz kindlich, 344 auch haptisch wahrzunehmen: aldâ begreif des knappen hant / swaz er îsers ame fürsten vant: / dez harnasch begunder schouwen (123,25-27). Grei‐ fend und schauend spekuliert der Held nun über die Rüstungsringe und gleicht das Wahrgenommene mit seinem noch unzureichenden Erfahrungsschatz ab: ›mîner muoter juncfrouwen / ir vingerlîn an snüeren tragnt, / diu niht sus an einander ragnt‹ (123,28-30). Im Erkunden der Dinge sucht Parzival nach Ähnlichkeiten und Differenzen, er gleicht so das Wahrgenommene, erfolglos freilich, mit den in seiner memoria gespeicherten Eindrücken ab: 345 Die Materialität der einzelnen Rüstungsringe lässt ihn an Fingerringe, vingerlîn, denken, doch stellt sich aufgrund der Menge (sus manec vingerlîn; 123,22) und der Verarbeitung der Gegenstände gleich eine Irritation ein, da sich diese weder an einer snüere tragn[], »Parzival denkt wohl an Halsketten«, 346 noch ab gezwicken (124,4), auf den Finger setzen und damit in Besitz nehmen lassen - im Griff an und im Blick auf Karnahkarnanz’ Rüstung ist bereits das auf Aneignung zielende Handlungsprogramm Parzivals eingeführt, mit Roland Barthes: 156 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 347 Barthes: Mythologies, S. 178. Übersetzung: »Es ist die große Phase der tastenden Entdeckung, der Augenblick, da das wunderbare Visuelle den prüfenden Ansturm des Tastsinns erleidet (denn der Tastsinn ist unter allen Sinnen der am stärksten entmystifizierende, im Gegensatz zum Gesichtssinn, der der magischste ist) […]. Das Objekt wird vollkommen prostituiert und in Besitz genommen« (Mythen des Alltags, S. 78). 348 Kaske: Materielle Ritterschaft, S. 31. 349 Kaske: Materielle Ritterschaft, S. 32. 350 Zum Chrétien-Bezug an dieser Stelle und zur Relationierung von Haut und Rüstung Kaske: »Perveval fragt den Ritter, ob er mit Rüstung geboren sei (CdG, V. 281). Der Harnisch erscheint auch aus der Perspektive Parzivals als zweite Haut, die nicht künstlich, sondern in natürlicher Weise entsteht. Er nimmt die materielle Ausstattung also als Qualität der Hautoberfläche wahr« (Materielle Ritterschaft, S. 31). 351 Nellmann: Stellenkommentar zu 127,14, S. 523f. c’est la grande phase tactile de la découverte, le moment où le merveilleux visuel va subir l’assaut raisonnant du toucher (car le toucher est le plus démystificateur de tous les sens, au contraire de la vue, qui est le plus magique) […]. L’objet est ici totalement prostitué, approprié […]. 347 Beiläufig wird klar, dass Parzival der Einfachheit seines Daseins in Soltane zum Trotz nicht nur bereits mit unritterlichen Waffen, sondern auch mit Schmuck und Artefakten, Gegenständen höfischer Repräsentation also, in Kontakt gekommen ist. Und indem so implizit die Grenzen seines Miniaturuniversums und seines Erfahrungsschatzes sichtbar gemacht werden, zeigt sich auch: »Parzivals Be-Greifen des Harnischs führt mitnichten zu einem Verständnis des Objekts«. 348 Während also materielle Ähnlichkeiten Parzival an Fingerringe denken lassen, motiviert die Differenzwahrnehmung eine Nachfrage zur Funktion dieser so merkwürdig angeord‐ neten Gegenstände: war zuo ist diz guot, / daz dich sô wol kan schicken? (124,2f.). Mit Karnahkarnanz’ Antwort auf Parzivals Frage nach der Funktion dieser Dinge erfolgt eine erste Einweisung in die materielle Kultur des Rittertums und damit auch in die basalen Handlungslogiken des Zweikampfs: der fürste im zeigete sâ sîn swert (124,5). Die Waffe diene im Kampf dem Angriff, die Rüstung dem Schutz vor den Schlägen eines Gegners - eine Erläuterung, die jeglicher Belehrung über die »moralischen Anforderungen, de[n] sozialen Stand des Ritters oder d[ie] ritterliche[] Erziehung« 349 entbehrt. Der knappe, von seinem neuen Wissen offenbar ganz überwältigt, denkt zuletzt noch ebenso laut wie snel (124,11) darüber nach, dass er mit einem solchen vel ›gerüstete‹ Hirsche nicht verwunden könnte (vgl. 124,11-14), in seiner Perspektive erscheint also die Rüstung als Körperteil, als ›zweite‹, von der ›ersten‹ allerdings nicht unterschiedene Haut, 350 und eine klare Grenzziehung zwischen ritterlicher Figur und Ausrüstung, zwischen lebendigem Körper und Artefakt, zwischen Tier und Mensch, allgemeiner: zwischen Natur und Kultur bleibt einstweilen aus. Nachdem die Ritter im Zorn über die tumpheit (124,16) des Jungen fortgeritten sind, eilt dieser zu seiner Mutter, deren Plan, den Sohn in der Isolation vor dem Leid der Ritterschaft zu bewahren, als endgültig gescheitert angesehen werden darf, und von welcher nun eine rasche, offenbar bereits wohlüberlegte und im Voraus geplante Reaktion gefordert ist: Parzival soll sich, ausgestattet mit »teils komische […], teils erfreuliche […], teils verhängnisvolle Konsequenzen« 351 zeitigenden Handlungsanweisungen und einer möglichst unritterlichen Verkleidung als Narr in die Welt hinausbegeben - wie der Leser des Parzival wiederholt hinter der Modellhaftigkeit des literarisch Gemachten eine 157 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) 352 Die Minnelehre Herzeloydes ist nicht nur »verkürzt« (Nellmann: Stellenkommentar zu 127,25-128,2, S. 524), sondern überdies auch sprachlich mehrdeutig und missverständlich. So hält Urscheler etwa zu dem Zeugma in 127,26-28 (swa du guotes wîbes vingerlîn / mügest erwerben unt ir gruoz, / daz nim […].) fest: »Der Ausdruck mit dem Verb erwerben, dem sowohl vingerlîn wie auch gruoz zugeordnet sind, ist ein Zeugma, bei dem die zwei Nomina nicht der gleichen Sinnsphäre angehören. Die Art und Weise, wie Herzeloyde die Bedingung formuliert, ist somit gleich zweifach missverständlich: zum einen durch die Mehrdeutigkeit der einzelnen Wörter, zum anderen durch die elliptische Ausdrucksweise des Zeugmas« (Kommunikation in Wolframs Parzival, S. 192). 353 Im Gegensatz zu Chrétiens Perceval wird Parzival nicht zum Augenzeugen des Todes seiner Mutter, und auch »die Kindheitsbilder, die zuvor gezeichnet worden sind, erschweren eine Verurteilung des Knaben. […] Parzival [ist] nie als roh oder gefühllos gezeigt worden, sein Mitleid mit den Vögeln und auch die instinktive Reue über das Resultat seiner Jagd auf die Vögel zeigen ihn als durchaus feinfühligen Charakter« (Schu: Vom erzählten Abenteuer, S. 250). Zur literarischen Tradition der gesamten Episode vgl. Abel: Wolfram’s Soltâne and ist Literary Traditions. kontingente und erzählerisch kaum fassbare Welt zu sehen bekommt, soll nun auch der Bricoleur Parzival in ein größeres Universum entlassen und den scheinbaren Zufällen, der überwältigend-welthaltigen Fülle menschlicher und nicht-menschlicher Symbole, deren unzähligen unsichtbaren Bedeutungen und Vorgeschichten ausgesetzt werden. Und dass diese bedrohliche, vom Einzelnen kaum zu durchdringende, geschweige denn zu struktu‐ rierende Erzählwelt zuallererst in den Dingen sicht- und erfassbar wird, dies scheinen zumindest die besorgten bûliute der Herzeloyde bereits dunkel zu ahnen: hât unser junchêrre ersehen / ûf disen rittern helme schart, / sone hân wir uns niht wol bewart (125,20-22). Zu den mütterlichen Anweisungen zählt unter anderem, Parzival möge, wo immer er guotes wîbes vingerlîn / […] unt ir gruoz (127,26f.) erwerben könne, sich Ringe und Küsse verschaffen, denn: daz tuot dir kumbers buoz (127,28), und ir lîp vast umbevâhen (127,30). 352 Deutlich zeigt sich hier, dass Herzeloyde zwar mit dem Leid und den im Parzival wie ihrer eigenen Biographie allgegenwärtigen Aporien der ritterschaft vertraut ist, diese allerdings nicht mit dem in ihren Reden durchweg positiv besetzten Minnedienst in Verbindung bringt. Mit der variierten Wiederholung des bereits in der Begegnung mit Karnahkarnanz grundgelegten Ring-Motivs in der mütterlichen Minnelehre wird überdies der Impuls des jungen Parzival, sich die Ringe von der Ritterrüstung abzuzwicken, didaktisch ex post auf doppelbödige Weise legitimiert: Rüstung und Fingerring werden so in eine Äquivalenzbe‐ ziehung überführt, welche die für den Parzival so zentrale Kontamination von Minne und ritterlichem Kampf indiziert sowie zugleich die gewaltsame Aneignung von Objekten als für die Parzivalfigur kennzeichnendes Movens benennt. In Parzivals Verwechslung von Rüstungsmit Fingerringen deutet sich an, dass Herzeloydes ›Reinigungsarbeit‹, die Differenzierung zwischen tabuisierten Ritter- und positiv konnotierten Minnedingen nicht aufgeht, dass vielmehr das eine mit dem anderen untrennlich verbunden ist. In der auf Parzivals Aufbruch und Herzeloydes Zusammenbrechen 353 folgenden Begeg‐ nung mit Jeschute, der Gattin des Orilus de Lalander, wird die mütterliche ›Minnelehre‹ sodann in die Tat umgesetzt. Während der Erzähler den erotischen Körper der allein und schutzlos in einem Zelt schlafenden Schönheit fokussiert und diesen so zum Objekt männlich-voyeuristischen Schauens macht, scheint Parzival gerade 158 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 354 Brüggen: swie ez ie kom, ir munt was rôt, S. 400. 355 Peil: Die Gebärde bei Chrétien, Hartmann und Wolfram, S. 171, Anm. 52. Das Prädikat twanc indiziert also noch nicht Parzivals Gewalt (wie 131,13) - so Green: The Art of Recognition, S. 78 -, sondern gerade die Agency des Rings. 356 Brüggen: swie ez ie kom, ir munt was rôt, S. 395. 357 »The idea present in these two verbal adjj. (geschicket, gesniten) is doubtless that of the artist or craftsman« (Yeandle: Stellenkommentar zu 130,21, S. 307). 358 »Der Zeichenwert hängt also nicht an der Materialität der Gabe, sondern er wird durch die Praxis des Gebens definiert« (Lieb: Kann denn Schenken Sünde sein? , beide Zitate: S. 201). 359 »[M]an fragt sich, ob er hier den Ring-Rat einfach pars pro toto begriffen hat« (Kragl: Paradoxon und Pointe, S. 179) - zur Aneignung des fürspan und dessen weiterer Geschichte s. u., vgl. auch den ›Exkurs zu Parzivals Angriffswaffen I: gabylôt‹. keinen Blick für ihre aufreizende Schönheit zu haben […] und von der Chance eines unverhohlenen Taxierens eines weiblichen Körpers keinen Gebrauch [zu] mach[en]. 354 Im Gegenteil, das Interesse des Jungen gilt einzig einem Gegenstand, dem Fingerring der Dame: der knappe ein vingerlîn dâ vant, / daz in gein dem bette twanc, / da er mit der herzoginne ranc (130,26-28) - »[d]er Jüngling wird vom Ring zu seinem Tun veranlaßt, nicht vom schönen Mund Jeschutes, der viel stärker zur Minne reizen müßte«. 355 Kurz bevor sein Handeln mit einer Reflexion auf die mütterliche Rede in Verbindung gebracht wird (dô dâhter an die muoter sîn: / diu riet an wîbes vingerlîn; 130,29f.), ist es der Akteur und das Nebensatzsubjekt Ring, daz in gein dem bette twanc, welches also das Objekt Parzival quasi-magnetisch zum Bett treibt und seine Aufmerksamkeit augenscheinlich vollständig zu bannen vermag. Die Fokussierung Parzivals auf den Ring steht im starken Kontrast zu der umfangreichen Schönheitsdescriptio, der »längsten Beschreibung einer schönen Frau […] im Parzival« 356 , und auch das ausgestellte Fehlen intradiegetischer Wahrnehmung des vom Erzähler ausschweifend Beschriebenen spielt der Objektifizierung der Schlafenden wesentlich zu - es handelt sich weniger um ein lebendiges Subjekt als vielmehr um ein ästhetisches und für Parzival unsichtbares Kunstwerk: si was geschicket unt gesniten, / an ir was künste niht vermiten: / got selbe worht ir süezen lîp (130,21-23). 357 Wie schon in Soltane wird auch im Wald von Brizljan erneut die ›Defizenz‹ von Parzivals Wahrnehmung exponiert: Wenn er ze rehte kunde[] spehn (123,2), so hätte er einen Blick für die gesamte erotisch-ästhetische Erscheinung Jeschutes, so würde er sein Begehren nicht auf einen - nicht weiter beschriebenen - Schmuckgegenstand, sondern wie der Erzähler auf die Dame selbst richten (vgl. 130,14-16), dann wäre zwar Orilus’ spätere Bestrafung Jeschutes nicht legitimiert und doch seine Interpretation des Vorgefallenen zutreffend. Doch die Fixierung auf Aneignungsobjekte scheint ein körperliches Verlangen aufseiten Parzivals zu blockieren, es korreliert mit einer Entsymbolisierung des in Herzeloydes rât angesprochenen guotes wîbes vingerlîn (127,26). Dieser hat in der mütterlichen Perspektive nicht nur als Ding, sondern auch als Zeichen einer Minnebindung gelten können, in derjenigen Parzivals hingegen verliert er seinen »symbolischen und metonymischen Zeichenwert« 358 . Im Zuge einer gewaltsamen Überwältigung, die die Gefahr indiziert, die der unwissende Junge für seine Umgebung bedeutet, ringt der Held Jeschute einen Kuss ab, eignet sich den Ring ebenso wie eine unvermittelt in seinen Blick geratende Brosche, ein fürspan (131,17), an 359 und verleibt sich anschließend, in einer symbolischen Textbewegung, 159 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) 360 Fritsch-Rößler: Ritardando, S. 301. - Zu den symbolischen Dimensionen der vorliegenden Stelle Bleuler: »An dieser Stelle wird der Text symbolisch: Parzivals Völlerei ist einerseits konkretes Element der Handlung, das seine mangelnde höfische Erziehung zum Ausdruck bringt, durch den erzähltechnischen Aufbau rückt sie jedoch in die Position der (ausbleibenden) Sexualhandlung. Die gustative Erfüllung tritt an die Stelle der sexuellen Erfüllung und wird so zu ihrem Zeichen« (Essen - Trinken - Lieben, S. 126). Zu der »tiefreichenden Analogie, die das menschliche Denken überall in der Welt zwischen dem Akt der Kopulation und dem des Essens gesehen zu haben scheint«, vgl. Lévi-Strauss: Das wilde Denken, S. 92-129; hier: S. 125. - Ridder sieht Parzivals Völlerei hingegen ganz »im Zeichen der Unschuld«, sie bezeichne »den Grad seiner Menschwerdung im sozialen Sinne« und stehe in Verbindung mit der sich auch im Nicht-Vollzug der Ehe mit Condwiramurs abzeichnenden »Entsexualisierung des Körpers«: »Sie erscheint einerseits als belustigende Torheit, als ein Noch-Nicht des jugendlichen Helden. Andererseits ist Parzival jemand, der nicht der Begierde ausgeliefert, der von der eigentümlichen Sexualisierung der ganzen höfischen Erzählwelt ausgenommen ist. Parzivals tumpheit ist offenbar auch als Teilhabe an einem ursprünglichen Status des Menschen gedacht, in dem das Sexuell-Triebhafte noch nicht existent oder unproblematisch war« (Narrheit und Heiligkeit, alle Zitate: S. 142). 361 Stock: Das Zelt als Zeichen und Handlungsraum, S. 73. 362 Krämer: Medium, Bote, Spur, S. 281. - Zu Orilus’ ›Inferioritätskomplex‹ (vgl. 133,29-134,4) Brackert: »Die Überwindung seines Gegners und d. h. die Erfahrung der eigenen ritterlichen Potenz hilft ihm über die Tatsache hinweg, daß er sich als Herzog der Jeschute unterlegen fühlt […]. Das Selbstgefühl der Unterle‐ genheit hat ihn zu einem gewalttätigen Mann gemacht, der seine eigenen Minderwertigkeitsphantasien durch die ritterlichen Erfolge im Kampf zu kompensieren sucht. Auch hier ist deutlich, mit welcher Genauigkeit und Schärfe Wolfram den Zusammenhang zwischen der Aggressivität solcher ›ritterschaft‹ und der Leiderfahrung der Frau herausgearbeitet hat« (der lac an riterschefte tôt, S. 149f.). anstelle Jeschutes (ir solt mîn ezzen nieht; 131,24) Brot, Wein und Rebhühner ein: »In markant kindlicher Manier fällt er übergangslos aus der ›Spiel‹in die Ess-Phase«. 360 Eine Pointe liegt nun gerade darin, dass es zunächst keinen Unterschied macht, was in Orilus’ Zelt tatsächlich vorgefallen ist: In der Perspektive ihres Ehemanns vermitteln weder Jeschutes Worte noch ihre Tränen (vgl. 133,11-13) die groteske Wahrheit über das Vorgefallene und ihre Unschuld, Orilus’ Blick fokussiert einzig die Fußspuren im Tau und die Zeichen der Zerstörung an seinem Zelt. Er deutet diese »richtig und falsch zugleich: richtig als Zeichen eines Eindringen[s] in seinen Raum, falsch als Zeichen des Ehebruchs.« 361 Während Jeschute den Eindringling zunächst für einen schwachsinnigen garzûn (132,6) hält, ihn an ribbalîn und gabilôt (133,24) als tôr (133,16) identifiziert, so ist auch die Wahrnehmung des von ›Minderwertigkeitskomplexen‹ getriebenen Herzogs Orilus auf Raumfragmente und ambige Spuren fokussiert, deren Interpretation in die Rekonstruktion einer ihrerseits eindeutigen Geschichte mündet: Und welche Erzählung dann als angemessene Deutung, mithin als ›Semantik‹ der Spur gilt, ist abhängig von den Orientierungsinteressen der Spurenleser, die mit Hilfe der Spuren eine Unsicherheit oder eine Unkenntnis in ihrem praktischen oder theoretischen Handeln zu bewältigen suchen. 362 Die Fatalität des Geschehens ist in der Vervielfachung divergierender Perspektiven auf das Sichtbare, auf die Dinge sowie in deren Mithandeln begründet: auf Jeschute als Objekt des Begehrens von Wolframs Erzähler, auf Parzivals Schuhe und seine Waffe sowie auf das Zelt als interpretable Zeichen, auf den Ring als Minnesymbol und Aneignungsobjekt in Herzeloydes, als unsymbolischer Akteur und schieres Ding in Parzivals Perspektive - im komplexen Gefüge anthropomorpher und materieller Akteure sowie mehrdeutiger Zeichen und Spuren führt gerade kein direkter Weg vom Agieren der Parzivalfigur zu 160 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 363 Bennett: Vibrant Matter, S. 37. einer zweifelsfrei feststellbaren ›Schuld‹, Wolfram scheint vielmehr wie schon in der Gah‐ muretgeschichte vorrangig an der Ambiguisierung und Hybridisierung des Geschehens, an der Imagination einer komplexen Kette der Handlungsvermittlungen, am Nebeneinander divergierender Perspektiven auf das Sichtbare interessiert zu sein, und [t]o affirm a vitality distributed along a continuum of ontological types and to identify the human-nonhuman assemblage as a locus of agency is to unsettle this belief. […] Autonomy and strong responsibility seem to me to be empirically false, and thus their invocation seems tinged with injustice. In emphasizing the ensemble nature of action and the interconnections between persons and things, a theory of vibrant matter presents individuals as simply incapable of bearing full responsibility for their effects. 363 Orilus hat für solche Feinheiten keinen Blick, er wird nicht nur aufgrund seiner Gewalt‐ taten als exemplarisch negativer Typus, auch seine ebenso vorschnelle wie einseitige Spurenlektüre wird als hochgradig defizient ausgewiesen, seine Fehldeutung als implizite Warnung an den Leser: Wenn er nun Parzivals Handeln verdammte und die fatale Agency des Rings übersähe, machte er sich seinerseits keines geringeren Vergehens schuldig als Orilus, der von der Zerstörung seines Zeltes so unmittelbar wie blind auf Jeschutes Schuld schließt. Wie der Erzähler Jeschute als Kunstwerk, als ästhetisches Objekt männlichen Minnebegehrens einführt, so zielt Orilus’ Strafaktion auf die Zerstörung dieser Erscheinung, ihres ästhetischen Schauwerts, aber auch ihres sich im Materiellen manifestierenden Adels: Ihr Zaumzeug etwa tauscht er gegen ein bästîn seil (137,1) aus, ihr Sattel wird zerschlagen und dann notdürftig repariert. Die Erzähler- und die Orilus-Perspektive konvergieren in der Wahrnehmung und der Bestrafung Jeschutes als Objekt, in der Selbstwahrnehmung als in der Minne (Wolfram) oder im Stand (Orilus) unterlegen. Indem Wolfram die Erzählerfigur partiell mit Orilus’ und gerade nicht mit Parzivals Perspektive assoziiert, stiftet er Misstrauen gegenüber einem in besonderem Maße ambivalenten Standpunkt, gegenüber der vermittelnden Erzählinstanz. Es ist mithin nicht oder nicht nur Parzivals ausschnitthaft-begrenzter Blick auf die Welt, seine Fixierung auf die Ritter- und Minneobjekte, die Herzeloyde wie Jeschute ins Unglück stürzt, die Probleme liegen vielmehr tiefer, sie sind schon der Perspektive des Erzählers eingeschrieben, der sich erst im ebenso späten wie kleinlauten Mitleid mit der zu Unrecht Bestraften noch von Orilus distanziert: wær mir aller wîbe haz bereit, / mich müet doch froun Jeschûten leit (137,29f.). Jeschutes Ring ist sowohl Zeichen der Minne in Herzeloydes Worten als auch Akteur in Parzivals Blick - und dann wieder Zeichen von Jeschutes Minne und Orilus’ ungezügelter Gewalt in dessen wörtlicher Rede: durch sînen [Erecs] schilt mîn lanze iwer kleinœte brâhte. vil wênc ich dô gedâhte iwerr minne eim anderm trûte, mîn frouwe Jeschûte. (134,18-22) 161 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) 364 Marshall hat Sigunes Schrift-Dinge (Leine und Psalter), ihr Wissen über die Dinge (das Gralschwert), die Verdinglichung ihrer Tränen (im Ring) und des Körpers (in Schionatulanders Leichnam und Sigunes Lippen) untersucht und sinnfällige Parallelen zur Gahmuretfigur herausgearbeitet, vgl. Körper - Ding - Schrift, S. 432-452. Jeschutes Schmuckstücke - vielleicht sind es ja sogar dieselben kleinœte, die erst den Weg durch ihres Bruders Schild gefunden haben und unterdessen zu ihr zurückgekehrt sind - firmieren nicht nur als Zeichen ihrer Minnebindung zu Orilus, sie konnotieren auch dessen kämpferische Gewalt gegen namhafte Repräsentanten der Artuswie der Gralgesellschaft, darunter auch gegen Parzivals Onkel väterlicherseits, Galoes (vgl. 134,23- 135,2). Herzeloydes ›Reinigungsarbeit‹, ihre Unterscheidung zwischen zu erwerbenden Minne- und zu meidenden Ritterdingen erweist sich als so wenig trennscharf wie fatal, denn mit dem vingerlîn nimmt Parzival unwissend nun auch das Transgressionspotential ritterlicher Gewalt mit an den Artushof. Gesättigt und des roubes […] gemeit (132,25), bricht Parzival, ohne um das Leid zu wissen, das sein tumber Überfall auf Jeschute mitverursacht hat, auf, um kurz darauf, im Zuge der weiterhin atemlos-episodischen Reihung, die für das III. Buch so kennzeichnend ist, seiner Cousine Sigune zu begegnen: In dieser an bedeutungstragenden Gegenständen sonst armen Szene geraten die beiden der Jeschute entrissenen Liebespfänder wieder an die Handlungsoberfläche. 364 Als der Held nämlich sieht, dass im Schoß der Dame ein toter Ritter liegt, Schionatulander, der von Orilus, vielleicht zeitgleich mit Parzivals Eindringen in dessen Zelt, erschlagen wurde (vgl. 439,30), zögert er nicht lange und greift, so reflexhaft wie angriffslustig, in seinen Köcher: vil scharphiu gabylôt er vant. er fuort ouch dannoch beidiu phant, diu er von Jeschûten brach unde ein tumpheit dâ geschach. (139,11-14) Ring und Brosche werden im Zuge dieser ›freien Assoziation‹ des Erzählers durch die Nahstellung zum gabylôt erneut mit kämpferischer Gewalt und kindlich-instinktiver Jagd assoziiert, das im Köcher Aufbewahrte so in eine Beziehung des räumlichen Nebeneinan‐ ders gerückt. Diese bereits im Voraufgehenden - etwa in Parzivals spontaner Identifikation von Karnahkarnanz Rüstungsringen mit vingerlîn, dann in Herzeloydes Rede von guotes wîbes vingerlîn - sukzessiv etablierte metonymische Verknüpfung von Minne und Jagd respektive Gewalt materialisiert sich somit aufs Einprägsamste im Bild des Köchers, im räumlichen ›Syntagma‹ der Dinge (vgl. ausführlicher zu dieser Stelle den Exkurs zu Parzivals gabylôt). Neben die Motive von Raub und Aneignung tritt die Einführung eines weiteren Modus der Interaktion, des Tausches: Aufgebrochen von Sigune, begegnet Parzival einem zwielichtigen Fischer, einem arge[n] wirt (142,15), der den von Müdigkeit überwältigten Jungen nur gegen Geld oder ein Pfand bei sich aufnehmen möchte: het ir phenninge oder phant, / ich behielt iuch al zehant (142,29f.). Parzival überreicht ihm das von Jeschute entwendete fürspan, diesen Gegenstand, dessen unvermittelter Raub einer mütterlichen Handlungsanweisung entbehrt und den Helden so in ein ganz und gar zweifelhaftes Licht gerückt hatte. Die Weggabe der goldenen Spange im Austausch gegen eine Übernachtung 162 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 365 Groos: Ekphrasis, Landscape, and Power, S. 49. 366 »Die Liebesgabe […] ist endgültig zu einem rein materiellen Tauschobjekt geworden. Liebesgaben lassen sich in Kapital ummünzen. Der materielle Tauschwert kann den symbolischen und metony‐ mischen Zeichenwert der Gabe pervertieren« (Lieb: Kann denn Schenken Sünde sein? , S. 201). - zunächst als Pfand, dann als Bezahlung (vgl. 143,7-10) - ruft ein ökonomisches Muster des Tausches auf, das den Gabentausch konterkariert und das ursprüngliche Minnepfand zur Ware transformiert: The nasty inkeeper’s insistence on receiving money for his hospitality rather than practicing milte explicitly contrasts the nascent urban money economy with the - for him - useless gift economy of the nobility. 365 Dass Jeschutes Ring dem Tausch entzogen bleibt, lässt eine basale Unterscheidung zwi‐ schen (aus der Sicht Parzivals) geldwertem Tauschobjekt und vielleicht aufgrund seines symbolischen Überschusses, vielleicht aus Zufall dem ökomischen Kreislauf entzogenem Gegenstand erkennen. Und wenn der Protagonist beim zweiten Aufeinandertreffen mit Orilus und Jeschute gerade in der Weggabe der Brosche eine leichtfertige Verfehlung, mîn tôrheit, erkennt und nur noch den Ring zurückzuerstatten vermag (sêt, gebt ir widr ir vingerlîn. / ir fürspan wart sô vertân / daz es mîn tôrheit danc sol hân; 270,2-4), so zeigt sich erneut, dass der Wert der Dinge eben in erster Linie auf Zuschreibungen gründet. 366 Diese Wertzuschreibungen unterliegen allfälligen Wechseln und Neuperspektivierungen, welche jedoch weiterhin, auch in der Welt jenseits der Waldeinsamkeit, keineswegs als kontingent anzusprechen sind, sind es doch auch hier objektiv zu erfassende, für den Leser meistenteils offen exponierte Bedeutungen, die an die narrativierten Gegenstände von Rüstung und Waffen bis hin zu Jeschutes Schmuckstücken fest gekoppelt, die indes ihrer sichtbar-polysemen Außenseite nicht abzulesen sind und von Parzival erst nach ihrer Aneignung entdeckt werden müssen. Die Dinge übernehmen eine für die Identitätskon‐ struktion Parzivals zentrale Funktion, indem sie seine Handlungen auf Dauer stellen und sie im Rückblick interpretabel machen. Während den wortspielerischen Verschiebungen, der Kontamination und den Neubewertungen von Dingen und Dingbedeutungen eine Differenz zwischen gesellschaftlich-konventionellen, in der höfischen Welt geltenden Zuschreibungen und Parzivals Verkennen selbiger eingeschrieben ist, wird Wolframs Dingpoetik in den Gawanbüchern zu einem wesentlich freieren Spiel avancieren, in dem die Bedeutungssetzungen rasanten, kaum mehr zu kontrollierenden Umdeutungen unterliegen, in denen also auf die Spitze getrieben wird, was im III. Buch als narratives Muster bereits grundgelegt wurde. Ein Blick auf die Struktur des gesamten Textes lässt insbesondere die Parallelen zum Beginn der Gahmuret-Geschichte sichtbar werden: Wie im Falle Gahmurets spielt auch zu Beginn der Parzival-Handlung eine Rüstung, sei sie das einzige Besitztum oder die auffälligste Leerstelle, eine wesentliche, die Handlung in Gang setzende und den Auszug der Helden motivierende Rolle. Das Ausgangssetting könnte allerdings unterschiedlicher nicht sein: Auf der einen Seite der fast erblose Zweitgeborene, Gahmuret, in dem nach dem väterlichen Tod von seinem Bruder regierten Königreich Anschouwe, auf der anderen Seite der von seiner Mutter in den Wald verschleppte und von seinem erstgeborenen orientalischen Bruder in maximaler Entfernung aufgezogene Parzival. Auf der einen Seite 163 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) 367 So Bumke, der die schon von Karnahkarnanz wahrgenommene »innere[] Bestimmtheit zu dem von ihm erstrebten Ziel«, eben: Ritter zu werden, als zentrales Charakteristikum des jungen Helden herausstellt. Entsprechend erscheine das Verlangen nicht nach einer, sondern ausgerechnet nach Ithers Rüstung als »unmotiviert« - zumal »da ihm nach Wolframs Darstellung schon andere Ritter begegnet sind (142,7), und da Ither ihn mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt hat (145,7ff.)« (Parzivals ›Schwertleite‹, S. 237f.). 368 Sartre: La nausée, S. 175. Übersetzung: »Die Gegenstände sind nicht dazu da, damit man sie anfaßt. Es ist viel besser, zwischen ihnen hindurchzugleiten und ihnen möglichst auszuweichen« (Der Ekel, S. 193). 369 Das konkrete verwandtschaftliche Verhältnis zwischen Parzival und Ither bleibt indes dunkel; vgl. Brüggen und Bumke: Figuren-Lexikon, S. 888f.; s. auch Seiffert: The terms of kindred. Zum Ver‐ wandtschaftsverhältnis zwischen Artus und Ither und konkret zur verhaltenssemantisch typischen »neve/ sun-Rivalität« vgl. Bertau: Versuch über Verhaltenssemantik von Verwandten, Zitat auf S. 222. das zu ritterlichen Taten in der Nachfolge des Vaters anstiftende harnasch, auf der anderen die so fremde wie faszinierende Rüstung, deren Aneignung zum ersten Handlungsziel des Gahmuretsohns wird - Dinge, fremde ebenso wie eigene, haben Vater und Sohn augenscheinlich fest im Griff. Und so ist die Aneignung von Ithers harnasch, in die dieser erste Erzählteil von Parzival mündet, nur in Teilen als ›unmotiviert‹ anzusprechen, 367 sondern vielmehr als konsequente Variation und Zuspitzung des zugrunde liegenden Themas einer heillosen Suche nach minne und Ritteridentität in den Dingen. 2.3.2 Verwandtenkampf I: Parzival vs. Ither: harnasch, koph und gabylôt Les objets ne sont pas faits pour qu’on les touches. Il vaut bien mieux se glisser entre eux, en les évitant le plus possible. 368 Auf dem Grabmal Ithers, des von Parzival in einem brutal-unritterlichen Akt getöteten Blutsverwandten, 369 wird das gabylôt, Parzivals Jagdspieß, zu einem Kreuz umfunktio‐ nalisiert, wird die Mordwaffe aus ihrer instrumentalen Gebrauchsfunktion gelöst, als Memorialzeichen stillgestellt und aus der Erzählung verabschiedet: Iwânet ûf in dô brach der liehten bluomen zeime dach. er stiez den gabylôtes stil zuo zim nâch der marter zil. der knappe kiusche unde stolz dructe en kriuzes wîs ein holz durch des gabylôtes snîden. (159,13-19) Mit dieser Grabmalsdarstellung werden Motive des oben bereits besprochenen Gah‐ muret-Grabes variierend wieder aufgegriffen, wird eine ikonische Relation zwischen beiden Memorialstätten gestiftet: Hier der auf dem Kreuz drapierte Helm, von Bocksblut und Kampfspuren sowie dem Epitaph gezeichnet, dort der noch mit frischem Blut benetzte Spieß, hier die klagenden Heiden, dort die jæmerlîche[n] worte (160,2) Ginovers und ein kol‐ lektiver Emotionsausbruch (vgl. 161,3). Augenfällige Parallelen und Wiederholungsstruk‐ 164 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 370 Zu den Implikationen der Verlagerung der Handlung in die Bretagne Groos: »In Chrétien’s first Arthurian romance, then, the resplendent city of Nantes provides an originary site for the reflection of Arthurian regal power. Somewhat surprisingly, Hartmann von Aue’s Erec deletes this episode entirely. Wolfram’s relocation of Arthur’s court to Nantes may thus represent first and foremost a retrospective correction or rehtification of Hartmann, constituting […] as a part of a pervasive intertextual strategy instantiating his narrative as the ›correct‹ Arthurian history of events left unresolved or - as in this case - unrepresented in Hartmann’s romance« (Ekphrasis, Landscape, and Power, S. 48). Mit dem Bezug auf den französischen Erec werde überdies bereits die Instabilität von Artus’ Herrschaft herausgestellt: »a drastic devaluation of the king’s power and stature, destabilizing and even carnivalizing the king as a ruler isolated within his own capital city and not even in control of his own court« (ebd.); zur ›Karnevalisierung‹ der Artusfigur trage weiterhin der mehrfache Hinweis darauf bei, dass Parzival den König und Gastgeber im Gedränge des Hofes nicht ausmachen könne, »a devastating comment in an aristocratic society that conventionally stages the centrality of the king’s presence to emphasize his power« (ebd., S. 50; vgl. Anm. 409 dieser Arbeit). 371 Ob mit der erbeschaft ze Bertâne die ganze Bretagne und somit Artus’ gesamtes Reich gemeint ist oder, wie Wittmann nachzuweisen sucht, nur ein Bereich »in der Bretagne« (Das Ende des Kampfes, S. 34), lässt Wolfram ebenso wie die Frage nach der Rechtmäßigkeit des von Ither formulierten Anspruchs - im Übrigen gegen die chrétiensche Vorlage, in welcher Ither explizit Artus’ terre fordert (vgl. Perceval, 941-951) - offen, aus Ginovers Perspektive scheint er gar berechtigt: sîns erbeteils er gerte, / dâ man in sterbens werte (160,9). Zum Fehlen einer klaren rechtlichen Einordnung vgl. auch Brall, der betont, dass im Parzival für den Artusroman typische Konfliktrelationen insofern zugespitzt werden, als Gewalt und Bedrohung nicht von Außen in die Artusgesellschaft eindringen, sondern »aus ihrer Mitte hervor[gehen]«: »Wolfram ordnet hier also nur die Fäden der menschlichen Beziehungen der handelnden Personen in einem anderen, nicht von vornherein wertenden, parteilichen Sinne, er objektiviert gegenüber Chrestien die Konfliktsituationen unter Wahrung der Integrität beider Parteien, nicht anders als bei den Besitz- und Erbschaftsverhandlungen, die das Geschehen der ersten beiden Bücher auslöste« (beide Zitate: Brall: Gralsuche und Adelsheil, S. 215; für weitere sinnträchtige Unterschiede zu Chrétiens Szene vgl. ebd., S. 214, Anm. 23). turen wie die hier in Kürze umrissenen regen an, die Szene der Ither-Tötung im Folgenden mit Fokus auf den am Geschehen beteiligten Dingen einer Neulektüre zu unterziehen. Für die gesamte in der Tötung Ithers kulminierende Szene spielen die Gegenstände harnasch, koph und gabylôt eine die Handlung ganz wesentlich steuernde Rolle, sie lassen überdies auf engstem Raum divergierende Ding-Zeichen- und Akteur-Zwischenglied-Konstellationen sichtbar werden. Die Begegnung mit dem Roten Ritter dekuvriert einen ebenso obskuren wie potentiell gewaltträchtigen Konflikt am Artushof: Vor Nantes, also nicht vor dem walisischen Carlisle wie in Chrétiens Vorlage, 370 wartet der kampfbereite Ritter, einen Trinkpokal in der Hand haltend, darauf, dass sich einer von Artus’ Rittern ihm im Zweikampf um den von der Tafel entwendeten Pokal stellt, um so seine erbeschaft ze Bertâne ûfez lant (145,14) rechtskräftig durchzusetzen. 371 165 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) 372 Godard: [Film] Le mépris. 373 Vgl. einführend zum Evidenzbegriff Hübner: evidentia sowie zur descriptio Brüggen: Die Farben der Frauen, S. 204-211. 374 Brüggen: Die Rüstung des Anderen, S. 137, Anm. 31. 2.3.2.1 Ithers rœte »Schöne gelbe Farbe! « 372 Bei der Ankunft am Artushof begegnet Parzival dieser bedrohlichen Gestalt, deren Rüstung den ougen rœte bôt (145,18) und deren literarische Beschreibung sich dem blendenden, einer geordneten Wahrnehmung sich entziehenden Gegenstand anpasst: ez was Ithêr von Gahaviez: den rôten rîter man in hiez. Sîn harnasch was gar sô rôt daz ez den ougen rœte bôt: sîn ors was rôt unde snel, al rôt was sîn gügerel, rôt samît was sîn covertiur, sîn schilt noch rœter danne ein fiur, al rôt was sîn kursît und wol an in gesniten wît, rôt was sîn schaft, rôt was sîn sper, al rôt nâch des heldes ger was im sîn swert gerœtet, nâch der scherpfe iedoch gelœtet. der künec von Kukûmerlant, al rôt von golde ûf sîner hant stuont ein kopf vil wol ergrabn, ob tavelrunder ûf erhabn. blanc was sîn vel, rôt was sîn hâr. (145,15-146,3) Die asyndetisch-atemlose Beschreibung des ritterlichen harnasch ist von einer Überwälti‐ gungsrhetorik geprägt, die sich oberflächlich besehen klassischer Verfahren der Evidenz‐ erzeugung und der descriptio zu bedienen scheint. 373 Sie zielt allerdings, wie von Elke Brüggen nachgewiesen wurde, nicht darauf, »die genannten Gegenstände anschaulich« 374 zu machen, sondern vielmehr darauf, den Eindruck von (fast) ungebrochener Monochromie 166 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 375 Schausten: Vom Fall in die Farbe, S. 476. Gegen Schaustens These einer invertierten descriptio, welche »auf das Irritierende der Figur hinweis[t]« (ebd., S. 476), Brüggen: »bei genauerem Hinsehen zeigt sich freilich, dass sie [die Passage in 145,17-28] kaum als descriptio einzustufen ist, es sich vielmehr um eine schlichte Aufzählung von einzelnen Teilen der Ausrüstung handelt« (Die Rüstung des Anderen, S. 137). An die Stelle des klassisch-rhetorischen Verfahrens, den Körper des Beschriebenen von oben bis unten, de capite ad calces, zu beschreiben, tritt, wie Schindler zeigt, eine Strukturierung der Passage, die den Blick »von den großen Flächen zu den kleineren« lenkt, die also die hochgerüstete Gestalt nicht nach rhetorischem Muster zerlegt, sondern deren visuellen Eindruck und die intradiegetische Wahrnehmungsüberwältigung nachahmt (ein ritter allenthalben rôt, S. 463). 376 Delabar: Erkantiu sippe, S. 80. Ähnlich auch Wittmann: »Das Rot seiner Ausstattung nimmt alle Sinne gefangen - und das wird sogar auf der Textebene deutlich, wenn innert 17 Versen 14 mal die Farbe Rot erwähnt wird, verlebendigt in Bildern (noch roeter danne ein fiur), bedrohlich in der Konnotation der Schärfe seines Schwertes (sîn swert geroetet), herrscherlich als Farbe des goldenen Bechers - al rôt von golde« (Das Ende des Kampfes, S. 31). Der bereits en détail begründete Eindruck, hier stünden weniger die beschriebenen Gegenstände als ihre Farbgebung im Vordergrund, verstärkt sich noch dadurch, dass der Erzähler am Übergang von der Pferdezur Figurenbeschreibung die Referenzen der Possessivpronomina im Uneindeutigen belässt: rôt samît was sîn [bezogen auf das unmittelbar zuvor, in 145,19f., thematisierte ors oder Ither] covertiur, / sîn [nun wieder eindeutig auf Ither referierend] schilt noch rœter danne ein fiur (145,21f.). 377 Peirce: Phänomen und Logik der Zeichen, S. 57. Die Röte dient Peirce als Exempel für das Phänomen der Erstheit: »Diese Röte ist eindeutig, was sie ist. Ein Kontrast mag unser Bewußtsein von ihr verstärken, aber die Röte ist nicht relativ zu etwas anderem, sie ist absolut und eindeutig« (ebd., S. 56; vgl. auch Anm. 396). - Zur »Variationsbreite der Deutungsmöglichkeiten für die Farbe Rot« vgl. Schindler: ein ritter allenthalben rôt, S. 464-466, die zur Stelle resümierend festhält: »Als Zeichen hält die Farbe Rot - v. a. in der roten Rüstung - die enge Verbindung von Minne und Kampf präsent, die in beiden Figuren [Ither und Parzival] thematisiert wird« (ebd., S. 469). 378 »Das Quali-Zeichen […] besitzt keine Identität. Es ist die reine Qualität einer Erscheinung und ist nicht genau dasselbe in einer zweiten« (Peirce: Über Zeichen, S. 151). Zur Unterscheidung zwischen dynamischem und unmittelbarem Objekt: »[E]s ist notwendig, das unmittelbare Objekt oder das Objekt, wie das Zeichen es repräsentiert, vom dynamischen Objekt oder real wirksamen, aber nicht unmittelbar gegenwärtigen Objekt zu unterscheiden« (ebd., S. 155). respektive, so Monika Schausten, von »schreiende[r] Röte« 375 zu erzeugen. Walter Delabar hat entsprechend festgestellt: Die Augen nehmen nicht mehr den Gegenstand wahr, sondern nur noch die Farbe: Der ›harnasch‹ ist so rot, daß er den Augen als Röte erscheint, nicht als rotgefärbter Gegenstand. 376 In der Ither-›descriptio‹ stehen, in der Terminologie von Charles S. Peirce, Elemente der Erstheit, die abstrakt-ungegenständliche rœte, neben Elementen der Zweitheit, den roten Ausrüstungsgegenständen, die Farbe als »bloße Möglichkeit« 377 neben dem Rot als den Dingen zugeschriebener proprietas. Die Vielzahl, die Wahrnehmungsqualität und -intensität roter Objekte (Sîn harnasch was gar sô rôt …) transformiert das Dingensemble ›Rüstung‹ zum ›unmittelbaren Objekt‹, zum Quali-Zeichen, das die Röte ohne Distanz zwischen Betrachter und Gegenstand der Betrachtung gegenwärtig werden lässt (… daz ez den ougen rœte bôt; 145,17f.): 378 Dieses Nebeneinander von rœte und roten Dingen, diese farbsemiotische Operation auf zweierlei Ebenen spielt einerseits dem bereits vielfach beobachteten Überwältigungseffekt der Passage zu, es umspielt andererseits neuerlich die Übergängigkeit von Materialität (roten Gegenständen) und Immaterialität (rœte). Ein Großteil der beschriebenen Gegenstände wird kaum weiter denn als rot bestimmt, und nur wenige Bestandteile von Ithers harnasch werden in ihrer spezifischen Materialität 167 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) 379 Eine zusätzliche Relevanzmarkierung, die Wendung meint vermutlich: ›mit einer Gravur versehen‹ - hiermit wird der koph als spurtragender Gegenstand definiert und in zurücksowie weit voraus‐ deutender Weise mit anderen hypersignifikanten Artefakten in Wolframs Parzival in Bezug gesetzt: So ist das Epitaph in Gahmurets Adamas ebenso ergraben (107,30) wie der Name des Grals wohl in den vergifteten sper, mit welchem Anfortas verletzt wurde (vgl. 479,20), der venster siule auf Schastel marveile (vgl. 565,15) oder das Gralschwert (vgl. 643,19). 380 Der Terminus gelœtet meint wohl »›welded under the hammer,‹ and thence, pars pro toto, like geslagen […] the whole process: ›forged, geschmiedet, geworht.‹ Since the key to the success of the art of sword-making was the lœten, and not many knew this art, the use of gelœtet, rather than geschmiedet or geworht, to name the process, would tend to give it greater prestige« (Heffner: gelœtet, S. 108). 381 Über Parzivals Wahrnehmung Ithers wird erst im Nachgang, in seiner Ansprache an die Tafelrunde, eine Information nachgereicht: den [den roten Ritter Ither] sah ich allenthalben roten (148,10); auch über sein Motiv, des tumben Parzivâles ger (161,6), wird erst später berichtet. Mit der nachgereichten Erläuterung wird allerdings das Irritationspotential der angesprochenen Szene keineswegs getilgt, die eben nicht nur als »Schlüsselszene für die Habgier-Thematik« (Ridder: Parzivals Gier, S. 438), sondern auch für die Verhandlung des Auratisch-Dinglichen gelten darf. 382 Czerwinski: Der Glanz der Abstraktion, S. 96. zur Darstellung gebracht: Während kursît und Schwert als für ihren Besitzer hergestellte Artefakte gekennzeichnet sind und so die Einheit der Figur mit seinen Dingen hervorheben (vgl. 145,24, 145,26f.), bleibt eine eingehendere Beschreibung als über die Eigenschaft des bloßen Farbträgers hinausweisendes Ding dem koph, einem von der höfischen Tafel mitgenommenen Trinkpokal, vorbehalten. Dieses Gefäß wird nicht nur über seine Farbe (al rôt), sondern auch über sein Material (von golde), seine Qualität und die ihm einge‐ schriebenen, indes nur vage angedeuteten Spuren (vil wol ergrabn  379 ) ebenso wie seine Herkunft respektive seine Einbettung in den Handlungskontext (ob tavelrunder ûf erhabn) im Vergleich zu den übrigen Gegenständen auffallend genau bestimmt - daneben legt der Erzähler Nachdruck auf das im Fortgang prominent in Szene gesetzte Schwert, über dessen Herstellung und Prestige das Partizip gelœtet  380 gedrängt Aufschluss gibt. Die Nahaufnahme des Trinkgefäßes markiert die Relevanz eines Gegenstands, der Ither erst seit kurzem gehört und kein Bestandteil seines harnasch ist, die Fokussierung des Schwertes dagegen lenkt die Aufmerksamkeit auf eine Waffe, die zwar im Itherkampf keine Rolle spielt, in den Händen Parzivals jedoch zum zentralen Akteuer und hypersignifikanten Zeichen avancieren wird. Dass Wolfram die Beschreibung Ithers nicht an die Wahrnehmung seines Protagonisten koppelt und überdies eine unmittelbare Reaktion Parzivals auf sein rotes Gegenüber unerwähnt lässt, 381 erzeugt einen sinnfälligen Kontrast zu der in Ithers Rede prominent ausgestellten Körper-Lektüre: Wie zuvor Karnahkarnanz und Sigune lässt sich auch der ›rote Ritter‹ nicht über den Adel des - und dies wird im Vorfeld der Szene neuerlich in Erinnerung gerufen (vgl. 144,20-145,6) - im Narrenkleid Auftretenden hinwegtäuschen: Der Gegensatz ist schreiend: am tumben Heroen entzündet sich eine Orgie von Unmittelbarkeit und Sichtbarkeit, jeder seiner Standesgenossen und Verwandten liest ihm seine Ebenbürtigkeit emphatisch am strahlenden Körper ab […], nur er selbst ist zu solcher Art sozialen Handelns völlig unfähig, vermag sich seiner adligen Identität allein über Abstraktion, in einer - sekundären - Erzählung zu versichern. 382 168 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 383 Et voit issir parmi la porte / Un chevalier armé qui porte / Une colpe d’or en sa main; / […] Li vallés vit les armes beles / Qui totes estoient noveles, / Si li pleurent et dist: »Par foi, / Ces demanderai je le roi; / S’il les mes done, bel m’en iert, / Et dehais ait qui autres quiert.« (Perceval, 865-878). Olef-Krafft übersetzt: »Durch das Tor sieht er einen bewaffneten Ritter herausreiten mit einer goldenen Trinkschale in der Hand. […] Der Junge betrachtete sie [die Rüstung], schön und neu wie sie war, mit Wohlgefallen und sprach: ›In der Tat, um diese (Rüstung) werde ich den König bitten. Wenn er sie mir gewährt, wird mir das sehr willkommen sein. Gottes Fluch treffe den, der eine andere begehrt! ‹«. 384 Brüggen: Die Rüstung des Anderen, S. 139. 385 Der Begriff des ›Greifmenschen‹ geht auf Warburg zurück, der ihn in seiner Darstellung der Pueblo-Indianer einführt und dem Begriffs- oder dem Denkmenschen gegenüberstellt: »Sie sind keine wirklich primitiven Greifmenschen mehr, für die eine auf die weitere Zukunft bezogene Tätigkeit nicht existiert, aber sie sind auch noch keine wirklich technologisch beruhigten Europäer, die das zukünftige Ergebnis […] abwarten. Sie stehen in der Mitte zwischen Magie und Logos und ihr Instrument, mit dem sie sich zurechtfinden, ist das Symbol. Zwischen zupackenden Greifmenschen und verharrenden Begriffsmenschen steht der symbolisch verknüpfende« (Bilder aus dem Gebiet der Pueblo-Indianer in Nord-Amerika, S. 538). Vgl. auch: ders.: Symbolismus als Umfangsbestimmung, S. 625f.; sowie, mit begrifflichen Erläuterungen, Villhauer: Aby Warburgs Theorie der Kultur, S. 127-130. Indem der Erzähler Parzivals Wahrnehmung an dieser Stelle als Leerstelle markiert, verschleiert er dessen Motivation für die Aneignung der Rüstung und markiert Parzivals Verhalten im Angesicht des Auratisch-Dinglichen so abermals als besonders irrational. Mit der Dispensierung jeglicher kausalen Motivation profiliert Wolfram sein Erzählen nicht zuletzt gegenüber der altfranzösischen Vorlage, welche die Betrachtung der Rüstung (vgl. Perceval, 873) mit der unmittelbar nachfolgenden Verbalisierung des Wunsches nach Inbesitznahme (vgl. Perceval, 876) explizit kurzschließt 383 - an die Stelle schlüssiger figurenpsychologischer Motivation tritt im Parzival die Aura eines ›unmittelbaren Objekts‹ oder, wie im Falle von Jeschutes vingerlîn, die Agency eines Schmuckstücks. Bei Elke Brüggen ist der Hinweis zu lesen, dass die vorliegende Stelle die Begegnung mit den Rittern um Karnahkarnanz in Soltane zur Voraussetzung habe und die kindliche Faszination an Farbe, Klang und Haptik der Ritterrüstung in Erinnerung rufe: Ein solches Erzählen scheint darauf zu rechnen, dass die ältere Information über das in der Begegnung mit den Rittern im Wald geweckte Begehren des Helden nach einem funkelnden Kettenpanzer aktiviert wird. 384 Bereits in dieser Szene löste eine Wahrnehmungsüberwältigung Parzivals Begehren aus, das sich im haptischen Reflex des kindlichen ›Greifmenschen‹ artikuliert, 385 dessen Scheitern beim Versuch, einen Ring aus der Karnahkarnanzrüstung ›abzuzwicken‹ (vgl. 124,4), sich im rêroup wiederholt: helmes snüer noch sîniu schinnelier, mit sînen blanken handen fier kund ers niht ûf gestricken noch sus her ab gezwicken. (155,23-26) Weit auffälliger als die Parallelen zwischen beiden Szenen sind allerdings die bereits angesprochenen Differenzen: So bezeugt die Aussparung einer Reaktion Parzivals auf die überwältigend monochrome Gestalt die wolframtypische Erzählstrategie ›elliptischen 169 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) 386 Vgl. Neudeck: Der verwehrte Blick auf die Oberfläche, S. 283f. Auch auf der Ebene der Rüstungsbe‐ schreibung ist das hier angesprochene ›elliptische Zeigen‹ und Erzählen nachzuweisen: So werden, wie Brüggen nachweist, die roten Bestandteile der Rüstung in den Vordergrund gespielt, während der weiße Kettenpanzer als zentraler Rüstungsgegenstand in den Hintergrund tritt: »Möglich […], dass hier - wieder einmal - das ›elliptische Erzählen‹ Wolframs greifbar wird, ein Verfahren, das mit Verkürzungen und Andeutungen auskommt und darauf setzt, dass die Lücken vom Rezipienten mit Informationssplittern aufgefüllt werden, die in einem früheren Stadium der Erzählung bereits gegeben wurden« (Die Rüstung des Anderen, S. 138). 387 Dass Präsenz »nicht nur in ihrer Inszenierung, sondern zu gleichem Teil auch in den Sinnen und durch die Teilhabe ihres Publikums [entsteht]«, zeigt Lechtermann: Berührt werden, S. 14. 388 Diese Grenzüberschreitung ist auch in Keies Rede am Artushof und in der Darstellung des Verwand‐ tenkampfes indiziert: »Die ritterliche Tjost nähert sich subtil einer Jagdszene an, was bereits von Keie am Hof vorausgedeutet wurde. […] Der Jagdhund Parzival solle den Eber Ither reißen; die Grenzen zwischen Tier und Mensch verschwimmen. Bestimmend für das Changieren des Kampfes zwischen Tjost und Jagd ist der gabilôt, der die überlegene Waffe bzw. Kampftechnik ist« (Kaske: Materielle Ritterschaft, S. 32). 389 Dies indizieren auch die verschiedenen Strukturierungen der Passage, die den beschreibenden Part auf die Verse 145,17-146,2 (so Schausten: Vom Fall in die Farbe, S. 475f.) respektive 145,17-145,28 (so Brüggen: Die Rüstung des Anderen, S. 137, Anm. 31) eingrenzen. Die divergierenden Struk‐ turierungsvorschläge sind darauf zurückzuführen, dass die handlungslastige koph-Beschreibung (vgl. 145,30-146,2) sprachlich-stilistisch an die harnasch-›descriptio‹ herangerückt und von der abschließenden, wiederum deskriptiven Äußerung über Haut und Haar Ithers gefolgt wird (vgl. 146,3). 390 »Gerade vor dem Hintergrund der in der Erzählung sehr kalkuliert eingesetzten blumigen Wiesen, die in Bezug auf den Artushof eben weniger Ausdruck einer ungebrochenen ›Natur‹, als vielmehr in ihrer Farbigkeit Zeichen des Höfischen sind, lässt sich der ausdrückliche Hinweis auf das rote Haar Ithers womöglich als Hinweis auf eine hinter dem aufwendigen Putz der Rüstung verborgene bedrohliche Affektstruktur lesen: Vom Rot des Haares zur roten Rüstung - das Rot steht hier wohl für einen Prozess der Kulturation, der nicht ganz gelingt« (Schausten: Vom Fall in die Farbe, S. 476f.). Zeigens‹. 386 Während der kindliche Protagonist in Soltane vom Glanz der ritterlichen Rüstung geblendet war - ern hete sô liehtes niht erkant (122,1) -, evoziert die Beschrei‐ bung Ithers einen Visualitätsrespektive Präsenzeffekt, der den ougen, unabhängig von Parzivals Wahrnehmung, rœte bôt, sie mit literarischen Mitteln einer Blendung aussetzt wie vergleichbar zuvor, in der Waldeinsamkeit, den Protagonisten. 387 Wichtig erscheint, dass dieser Effekt nicht auf die Herstellung von Evidenz, sondern auf eine bewusste Überforderung der Imagination des Lesers zielt, vor dessen Augen die Grenzen zwischen Mensch und Tier, 388 Beschreibung und Handlung, 389 Körper (rôt ist auch Ithers hâr; 146,3) und Ding, 390 proprietas und Ding respektive Erst- und Zweitheit verschwimmen. Die Rüstungsbeschreibung ausschließlich auf ihre farbsemiotische Bedeutung und ihre Einbettung in das Bezugsnetz des Textes hin zu befragen, sie zu ›lesen‹, blendete diesen literarisch kunstvoll inszenierten Präsenzeffekt, einem ›medialen Akt‹ im Sinne Aleida Assmanns nicht unähnlich, zugunsten einer ausschließlich hermeneutischen Lektüre aus. Es deutet sich vielmehr eine das emotional grundierte und psychologisch nachvollziehbare Figurenhandeln suspendierende Logik an, in welcher der dingliche Akteur ›Rüstung‹ wie zuvor Jeschutes Ring das Zwischenglied ›Parzival‹ auf einen Schlag zu verändern und eine Reaktionskette auszulösen vermag, an deren Ende die gewaltsame Tötung des Verwandten und die Aneignung des begehrten Objekts steht - beide Szenen, die Begegnungen mit Karnahkarnanz und Ither, können, in der Diktion Aby Warburgs, als 170 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 391 Die ›angleichende‹ firmiert als eine von drei Formen der Umfangsbestimmung, daneben werden die »ausgleichende Umfangsbestimmung« etwa des Künstlers und die »vergleichende Umfangsbe‐ stimmung« als abstrakteste Form der Weltaneignung angeführt (vgl. Warburg: Symbolismus als Umfangsbestimmung, S. 623). 392 Dies bezeugen Wendungen wie der knappe wânde sunder spot (120,27), den dûhter als ein got getân: / ern hete sô liehtes niht erkant (121,30f.), der knappe wânde (122,21). 393 Zu Fokalisierungstechniken im höfischen Roman vgl. Hübner: Erzählform im höfischen Roman; zum Begriff des ›leeren Zentrums‹ s. ebd., S. 45. 394 Zu Wolframs auf den Eindruck von Augenzeugenschaft (des Erzählers wie des Rezipienten) zielender Erzähltechnik vgl. die Ausführungen von Young: Narrativische Perspektiven in Wolframs Willehalm, S. 128-133; s. auch die kritischen Anmerkungen zu Young bei Hübner: Erzählform im höfischen Roman, S. 103. 395 So Schirok mit Bezug auf die Gralprozession (Die Inszenierung von Munsalvaesche, S. 41). 396 »Der Typus einer Secondness-Idee ist die Erfahrung der Anstrengung (the experience of effort) […]. Die Erfahrung der Anstrengung kann nicht ohne die Erfahrung des Widerstandes (without the experience of resistence) bestehen. Anstrengung ist nur Anstrengung kraft ihres Entgegengesetzt‐ seins« (Peirce: Über Zeichen, S. 145; englische Zitate aus ders.: Letter to Lady Welby, Oct. 12, 1904, S. 8). schrittweise Aufhebung der Entfernung zwischen Subjekt und Objekt gelesen werden, als »körperlich assimilirend[e]« »angleichende Umfangsbestimmung« 391 des Protagonisten. Auf die jeweiligen Erzählverfahren hin besehen unterscheiden sich also die Szenen insbesondere hinsichtlich ihrer Fokalisierung: Während die Wahrnehmung der Ritter in Soltane an die Reflektor- und Filterfigur Parzival gekoppelt ist, 392 der Rezipient somit in die Rolle eines Beobachters zweiter Ordnung rückt, fungiert vor Nantes ein ›leeres Zentrum‹ als Instanz der visuellen Wahrnehmung, 393 avanciert der Leser selbst zum Beobachter erster Ordnung respektive zum ›Augenzeugen‹ 394 - und wie so oft wird der Rezipient im Unklaren darüber gelassen, was und in welcher Intensität Parzival wahrnimmt: »Was er weiß, was er sieht, was er wahrnimmt, ist manchmal klar, häufig aber unsicher.« 395 Der Wechsel der Fokalisierungstechnik indiziert eine schrittweise Aufhebung der Distanz zwischen dem Rezipienten als Beobachter und dargestelltem Gegenstand, eine Distanzaufhebung, die in sinnfällige Entsprechung zum erzählten Prozess der Objektaneignung durch den Protagonisten tritt - an deren Anfang: die Erfahrung schierer Röte, und an deren Ende: nicht der Griff nach dem ›unmittelbaren Objekt‹, sondern nach dem Ding, der realen, vom Körper ihres Trägers nicht ohne weiteres zu lösenden Rüstung. Die ungegenständliche Röte ist mithin nichts, was Parzival sich aneignen könnte - Wolfram betont stattdessen im Anschluss an den Kampf die Dimension der Zweitheit, die Widerständigkeit des materiellen Farbträgers, der Parzival mit einer »experience of resistence« 396 konfrontiert und sich ohne die Unterstützung eines Dritten weder ûf gestricken noch ab gezwicken ließe. Wie Parzival erfahren muss, dass die Rüstung kein immaterielles Quali-Zeichen ist, sondern ein widerständiges Ding, so wurde auch Ither kurz zuvor bereits mit dem Eigensinn des Materiellen konfrontiert - es ist nun auf den aus der descriptio herausgehobenen Trinkpokal näher einzugehen. 171 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) 397 Faulkner: If I Forget Thee, Jerusalem [Wild Palms], S. 521f. 2.3.2.2 Das Entgleiten der Dinge: der koph »That’s what I make: something you can touch, pick up, something with weight in your hand that you can look at the behind side of, that displaces air and displaces water when you drop it, it’s your foot that breaks and not the shape. Not poking at a piece of cloth with a knife or a brush like you were trying to put together a jig saw puzzle with a rotten switch through the bars of a cage. That’s why I said I could beat that,« she said. She didn’t move, she didn’t even indicate by a motion of her hand the room behind them. »Not just something to tickle your taste buds for a second and then swallowed and maybe not even sticking to your entrails but just evacuated whole and flushed away into the damned old sewer, the Might-just-as-well-not-have-been. Will you come to supper tomorrow night? « 397 Über die Motive Ithers und die der erzählten Handlung vorgelagerten Ereignisse am Artushof erfahren Rezipient und Parzival in der nachfolgend wiedergegebenen Binnener‐ zählung des Roten Ritters Näheres: ›[…] lieber friunt, wilt du dâ hin în, sô sage mir duch den dienest mîn Artûse und den sînen, ine süle niht flühtic schînen: ich wil hie gerne beiten swer zer tjost sich sol bereiten. Ir neheiner habz für wunder. ich reit für tavelrunder, mîns landes ich mich underwant: disen koph mîn ungefüegiu hant ûf zucte, daz der wîn vergôz froun Ginovêrn in ir schôz. underwinden mich daz lêrte. ob ich schoube umbe kêrte, sô wurde ruozec mir mîn vel. daz meit ich,‹ sprach der degen snel. ›ine hânz ouch niht durch roup getân: des hât mîn krône mich erlân. […]‹ (146,13-30) 172 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 398 Vgl. zu Parzivals einmaligem Auftreten als Bote am Artushof Chabr: Botenkommunikation und metonymisches Erzählen, S. 102-111. 399 Dass intrikaterweise das Anzünden eines Strohbundes gerade nicht als historisch verbürgter Rechtsakt zu gelten scheint, ist dem Stellenkommentar von Eichholz (zu 146,26f., S. 125f.) zu entnehmen. Es liegt die Vermutung nahe, dass eine fehlende Referenz auf die hochmittelalterliche Rechtssymbolik als Hinweis auf die Geschlossenheit des gegenüber der Realität abgeschirmten literarischen Zeichensystems zu lesen ist (vgl. bereits Kap. 2.1.1, Anm. 37). 400 Schulz: Der Schoß der Königin, S. 122. 401 Ott: Die höfische Welt der Dinge, S. 164. So auch Werner Schröder, der die Wegnahme des Bechers als »rechtssymbolische Ersatzhandlung zum Zeichen der Besitzergreifung« bezeichnet (Parzivals Schwerter, S. 114). 402 Vgl. zu diesem Motiv Schulz: Der Schoß der Königin, S. 121f. 403 Fritsch-Rößler: Ritardando, S. 302. Ithers Rede ist durchsetzt von apologetischen Formeln, die eine grundlegende Verunsi‐ cherung über die Bedeutungsdimension symbolischer Handlungen offenbaren: Dass der Sprecher die Deutung seines Agierens gleich zweimalig in unterschiedlichem Sinne, sei es als Flucht (146,16) oder roup (146,29), als deutungsbedürftig ausweist, dass er Parzival seine Botschaft abermals verbal übermitteln, sie auf eine bestimmte, tatsächlich intendierte Bedeutung fixieren lässt, 398 deutet darauf, dass in dieser Passage die Grenzen eindeutiger Signifikation diskursiv werden. In dieser Deutungsperspektive gewinnt auch das koph-Motiv an Konturen: Im Zuge komisch anmutender Eitelkeitsanwandlungen, die auch die überwältigende Pracht und die Exorbitanz der Rüstung ex post auf ihren Träger beziehen lassen und so noch einmal die Einheit von Figur und Ding herausstellen, verzichtet Ither darauf, sich einer (zumindest im literarischen Kontext 399 ) konventionellen Rechtssymbolik zu bedienen. Er ersetzt stattdessen das metonymische Zeichen, den schoup als das eingeforderte Land repräsentierendes pars pro toto, welches dessen »agrarische Fruchtbarkeit zur Anschauung bringt« 400 , durch ein metaphorisches: den koph al rôt von golde (145,30). Der Erbschaftsstreit wird somit »symbolisch - und das heißt in diesem Fall: dinglich - verhandelt.« 401 Der rabiat-improvisierte, da allzu ungefüege Versuch, dieses Gefäß vor den Augen der Artus‐ gesellschaft aus seiner Funktion als Gebrauchsgegenstand zu lösen und als Semiophor zu instrumentalisieren, misslingt, und in zeichenhafter Weise werden die Ansprüche auf Macht und Herrschaft mit dem Anspruch auf den Körper der Königin kurzgeschlossen: 402 Der Ehe-Bruch, dessen der junge Parzival vom zurückkehrenden, erzürnten Ehemann verdächtigt wird, verschiebt sich in der nachfolgenden Szene zum Stil-Bruch: Ither besudelt nicht des Königs Bett, sondern Ginovers Kleid. Es ist Ithers Bewusstsein davon, dass Tischzucht und Entehrung einer Dame in einem wenn nicht ursächlichen, so doch korrelierenden Verhältnis stehen, welches ihn von Parzival abhebt. 403 Der koph erweist sich hierbei als Ding, welches nicht in der ihm kurzfristig zugeschriebenen Bedeutung aufgeht und das sich den kommunikativen Absichten Ithers nicht ohne weiteres unterordnen lässt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich zum einen seine vorherige (Gebrauchs-)Funktion als Gefäß nicht von einer neuen, einer ausschließlich symbolischen ablösen lässt, sowie zum anderen darauf, dass er als goldener Gegenstand artushöfischer Repräsentation bereits mit einer Bedeutung aufgeladen, schon präcodiert ist. Aus diesem 173 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) 404 Heidegger: Das Ding, S. 170; man vergleiche auch Heideggers Überlegungen zum Wesen des Zeugs, das sich einzig im ›Umgang‹ »in seinem Sein zeigen kann, z. B. das Hämmern mit dem Hammer« (Sein und Zeit, S. 69). - Zu einem praxeologischen Zugriff auf die materielle Kultur halten Keupp und Schmitz-Esser mit Rekurs auf Heideggers Schriften fest: »Erst wenn sich der Blick auf konkrete Praktiken und Interaktionen von Mensch und Objekt richtet, gelangt man in die von Heidegger angemahne ›Nähe‹ zu den Dingen und vermag ihre historische Dimension zu enthüllen. Statt sie nur als ›objektivierte‹ Relikte vergangener Verdichtungsprozesse anzusehen, gilt es Realien auf ihre ›Effektivität‹ in menschlichen Handlungs- und Deutungszusammenhängen zu untersuchen« (Einführung in die ›Neue alte Sachlichkeit‹, S. 33). 405 Dass die Nicht-Idealität des Artushofes geradezu als integrales Merkmal von dessen »intertextu‐ elle[r] Konzeption« firmiert, zeigt Knaeble: Höfisches Erzählen von Gott, S. 250, Anm. 201. 406 Warburg: Symbolismus als Umfangsbestimmung, S. 626. Grund kann die Artusgesellschaft seine Entwendung als roup eines Wertgegenstandes und Ithers Handeln als so unerklärliche wie ihrerseits unverschuldete Aggression auffassen (vgl. 150,6-10), ohne sich etwa einer rechtlichen Prüfung oder einer öffentlichen Aushandlung der Ansprüche Ithers stellen, ohne den koph also als symbolischen Ausdruck eines ggf. berechtigten Anspruchs auf Artus’ Land wahrnehmen zu müssen - ein Herrschergebaren, das ähnlich bereits in der Eröffnungsszene des Romans begegnet ist, in der Galoes einen Begriff, das hantgemælde, in einem anderen als dem intendierten Sinne aufgefasst hat, ganz wie die Artusgesellschaft über die spontane Bedeutungszuschreibung Ithers hinweggeht. Während indes Galoes die vergleichsweise eindeutige Forderung seiner Lehensleute in durchschaubarer Absicht misszuverstehen oder zu überhören schien, erweisen sich die Umstände am Artushof im Detail als anders gelagert, steht doch hier kein Wort, sondern ein Ding im Zentrum konfligierender Bedeutungszuschreibungen. Mit dem koph wird die Doppelnatur dinglicher Zeichen exponiert: Zuschreibungen bleiben ihnen äußerlich, sie können bewusst ignoriert, absichtlich oder unabsichtlich fehlinterpretiert werden - ganz im Gegensatz zu ihrer materiellen Dimension. Der koph bleibt ein Weingefäß, ganz gleich, was Ither sagt. Anders gewendet: Wie der Heidegger’sche Krug erweist sich der koph in der Handlungs- und Gebrauchspraxis als paradigmatisch-widerständiges Ding, das sich dem Versuch Ithers, es zum Zeichen zu transformieren, entzieht: »Das Dinghafte des Kruges beruht darin, daß er als Gefäß ist.« 404 Ithers ungefüeger Umgang mit Dingen und Zeichen lässt einen Kollaps des höfisch-kom‐ munikativen Systems als Zeichensystem erahnen, welcher den krisenhaften Zustand des gerade als nicht ideal eingeführten Artushofes indiziert. 405 Wie schon in der Beschreibung der roten Rüstung eignet dem koph auch in der Binnenerzählung des Roten Ritters eine Widerständigkeit, die ihn der Integration sowohl in die beschreibende Passage als auch in die symbolische Kommunikation am Hof entzieht und die Ithers Handeln zugrundeliegende Vorstellung einer einsinnigen Semiologisierbarkeit von Dingen abweist. Ein sinnstiftender Bezug lässt sich zuletzt zum zweiten Akt der Aneignung in der vorliegenden Passage her‐ stellen, zum rêroup an Ither: Während Parzival in dieser Szene neuerlich als ›Greifmensch‹ agiert, indem er die Entfernung zwischen sich und dem Objekt seiner Begierde mit Gewalt überbrückt, repräsentiert die von Ither gewählte Form der Aneignung eine andere, eine abstraktere Logik, die das anzueignende Objekt, das für sich in Anspruch genommene lant, auf Distanz hält und es »vergleichend bezeichne[t]« 406 , freilich ohne die abstrakteste Form solchen ›Vergleichs‹ zu wählen, das sprachliche Zeichen, sondern zunächst unter Rückgriff 174 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 407 In Williges Übersetzung: »Räuber und Wanderer, beide umgürten sich wohl mit dem Schwerte, / jener zum schlimmen Gebrauch, dieser zu Schutz und Trutz.« 408 Während am Beispiel des Pokals die Brüchigkeit einer durch Dingsymbole vermittelten Kommuni‐ kation offenbar wird, deutet die Züchtigung Cunnewares durch Keie darauf, dass ganz parallel auch Code und Bedeutung von Emotionen, hier des nicht sicher als prophetisch oder prosaisch zu bestimmenden Lachens, den agierenden Figuren nicht zugänglich ist; vgl. hierzu (mit weiterer Literatur) Philipowski: Das Gelächter der Cunnewâre. 409 Zur paradoxen Anlage der Königsfigur im Artusroman zwischen vermeintlich ungebrochener Idealität und Schwäche Schmitz: »Die tatsächliche erzählerische Strategie, die das Genre der arthurischen Versromane erkennen lässt, besteht jedoch darin, unter dem schönen Schein der idealen Königsfigur bereits den Sprengstoff zu verbergen, der durch irgendeine fast beliebige Provokation gezündet werden und zum Handlungsanstoß genutzt [werden] kann. Für ein solches ›Doppelspiel‹ von behaupteter Idealität und faktischer Bedenklichkeit eignet sich die Königsfigur schon deshalb, weil gerade an der Verkörperung eines Ideals das entsprechende Gefährdungspotential besonders wirksam inszeniert werden kann. […] Soweit präsentiert die Initialkrise eine von internen Defizi‐ enzen angenagte Gesellschaft, die sich in der utopischen Festsituation selbst feiert. Die schwache Königsfigur ist Exponent und Verkörperung dieses Tanzes auf dem Vulkan« (Gauvain, Gawein, Walewein, S. 31). - Zu den komischen Zügen der Artusfigur bei Wolfram vgl. Groos: Ekphrasis, Landscape, and Power, S. 47-50 sowie Anm. 370 dieser Arbeit. 410 Bumke: Parzivals ›Schwertleite‹, S. 239. In Wolframs an dieser Stelle besonders radikaler Neu- und Umakzentuierung von Chrétiens Vorlage sieht Bumke einen Schlüssel zum Sinnkern des Romans: »Die Verfallenheit des Ritters an die Sünde und ihre Überwindung durch die Demuts-Religion auf ein Ersatzobjekt, das Ding-Symbol koph, ebenso greifend-ungestüm angeeignet wie wenig später die eigene Rüstung durch Parzival, dann in dessen Aussendung als Bote, der Ithers Nachricht jedoch ebenso verzerrt übermittelt wie zuvor der Trinkpokal. Beide Formen der Weltaneignung, die angleichend-agonale wie die tentativ als symbolisch-ver‐ gleichend zu bezeichnende und dabei noch immer dinglich vermittelte (und ebenfalls als agonal-angleichend wahrgenommene) ›Umfangsbestimmung‹, werden gleichermaßen als problematisch markiert. 2.3.2.3 ›Schwertleite‹ und Verwandtenkampf et latro et cautus praecingitur ense viator; ille sed invidias, hic sibi portat opem. Ov., Trist. II,271f. 407 Im Verlauf der Verhandlung über Ithers Rüstung am Artushof gelangt noch mehr Krisen‐ haftes zum Vorschein - viel besprochen ist beispielsweise die gewaltsame Züchtigung Cunnewares und Antanors durch Keie. 408 Dass die Königin sich bei Parzivals Ankunft gerade aus dem palas, / dâ si dâ vor begozzen was (149,3f.), wegbewegt, verknüpft die sich am Artushof augenscheinlich nahtlos aneinander anschließenden Szenen zeitlich wie räumlich miteinander und lässt die jüngste Vergangenheit noch einmal am Körper der mit Wein begossenen Königin sichtbar werden. Im folgenden Dialog zwischen Parzival und Artus respektive Artus und Keie wird weiterhin die prekäre Passivität, anders gewendet: die artusromantypische Schwäche des Königs in der Initialszene, 409 diskursiv, eines Königs mithin, der zwar ûz triwen kraft (150,26) spricht und dementsprechend der von Parzival vehement ausgesprochenen Forderung nach einer Übergabe des Ither’schen harnasch - »Waffen […], die ihm nicht gehören« 410 - nicht expressis verbis nachzukommen wagt, 175 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) Trevrizents wird bei Wolfram zum eigentlichen Thema der Dichtung; und Parzivals merkwürdige ›Schwertleite‹ erscheint darin als ein Symbol des erbsündigen, unerlösten Rittertums« (ebd., S. 240). - Die hier implizierte ›Herrscherkritik‹ ist übrigens, wie Schröder im Abgleich mit der chrétienschen Vorlage nachweist, Wolframs eigene Zuspitzung: »Bei Wolfram ist sein [Artus’] Verhalten etwas zwielichtig« (Parzivals Schwerter, S. 115). 411 Stock: Anerkennen und Identifizieren, S. 253. Weiter zur Funktion der Ironie in der vorliegenden Szene: »Keie spricht ironisch, doch Ironie ist ein kultureller Modus, den Parzival nicht beherrscht. Zwar überspielt Artus die sozialen Mängel Parzivals und auch die Asymmetrie zwischen Parzival und dem Hof, aber letztlich führt dieses Überspielen, Artus’ Freundlichkeit und seine kaum ernstgemeinte Gabe von etwas, das er nicht besitzt, nämlich Ithers Rüstung, zu größeren Problemen, da Artus Parzival auf dessen Bitten hin Waffen ›gibt‹, die zu geben dem König gar nicht zusteht. Dies ist die Travestie einer Schwertgabe« (ebd., S. 252). 412 Bumke: Parzivals ›Schwertleite‹, S. 239. 413 S. für beide Zitate Bourdieu: L’économie des biens symboliques, S. 180f. Übersetzung: Die Ökonomie der symbolischen Güter, S. 190f. 414 Neudeck: Der verwehrte Blick auf die Oberfläche, S. 281f. ihr jedoch schließlich, auf das maliziöse Anraten Keies hin, im Zuge eines »ambige[n], dialogische[n] und ironische[n] Geplänkel[s]« 411 zwielichtigerweise zustimmt: der knappe iedoch die gâbe enphienc (150,27). »Dieser allen Regeln des höfischen Anstands spottende Vorgang gewinnt bei Wolfram die Bedeutung einer ritterlichen Schwertleite! « 412 Indem sich Artus Keies Aufforderung wortlos fügt, bestätigt er eine gâbe, die jedweder Gabenlogik zuwiderläuft, konkret: »le tabou de l’explication«, »das Tabu der expliziten Formulierung« bricht und einer von Keie explizit-berechnend formulierten donnant-don‐ nant-Logik, von Pierre Bourdieu als »l’anéantissement de l’échange de dons«, als »Vernich‐ tung des Gabentausches« bezeichnet, 413 unterliegt: ›gebtz im dar,‹ sprach Keye sân, ›und lât im zuo zim ûf den plân. sol iemen bringen uns den kopf, hie helt diu geisel, dort der topf […].‹ (150,13-16) Schließlich kommt es zum Zweikampf zwischen den Verwandten Parzival und Ither, dessen Tötung, wie oben bereits angedeutet, in augenfälliger Weise an diejenige Gahmurets herangerückt wird. Zu dieser Parallele hält Otto Neudeck fest: In analoger, ja beinahe identischer Weise wie bei Ither wird hier das prekäre Verhältnis von ritterlichem Schutz und Wahrnehmung zum Bild verdichtet. Denn wie bei Ither dringt das Lanzeneisen - beim diesmal ritterlichen Zweikampf - von vorne durch den Helm und wohl auch durch das Auge in den Kopf des Helden ein, durchbohrt ihn und bleibt stecken. 414 Gegen Neudecks Vergleich ist einzuwenden, dass mit der ausgesprochen technisch ge‐ schilderten Beschreibung der Ither-Tötung, neuerlich in einem keinesfalls als ›ritterlich‹ anzusprechenden Kampf, andere, eher im Begriff der Komplementarität denn der Identität zu fassende Aspekte akzentuiert werden als in der Elternvorgeschichte. Im Falle Ithers dringt der Speer eben gerade nicht durch einen weichen Helm in den Kopf, sondern: dâ der helm unt diu barbier sich locheten ob dem härsenier, 176 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 415 So Nellmanns Kommentar zur Stelle, mit weiteren Informationen zur Materialität der Rüstung und den entsprechenden Fachtermini (Stellenkommentar zu 155,7, S. 540). 416 Auch die weiter oben besprochene rhetorische Verähnlichung von Ding und Körper (vgl. die ἀπὸ κοινοῦ-Konstruktion in 106,15-17) wird in der Ither-Szene mit dem Parallelismus von der helm unt diu barbier (155,7) und durchz ouge […] unt durch den nac (155,9f.) variierend wiederholt. 417 Hierauf macht, neuerlich Analoges betonend, Neudeck aufmerksam: »Daß hier tatsächlich von einer Analogie gesprochen werden kann, zeigt schließlich der Bericht darüber, was mit den Leichen der beiden Musterritter geschieht: Bevor sie allseits betrauert werden […], werden ihnen würdige Grabstätten bereitet. Über diesen wird jeweils ein Memorialzeichen in Kreuzesform errichtet, wobei mit dem Wurfspieß und dem Diamanthelm Waffenbzw. Rüstungsteile integriert werden, denen bei der Tötung der beiden Ritter eine entscheidende Rolle zugefallen ist« (Der verwehrte Blick auf die Oberfläche, S. 282). 418 So schon Ortmann: »Allerdings wird Ithers Ende im Gegensatz zu seinem Leben als unrühmlich bezeichnet; er starb nicht durch eine mit dem Speer ausgeführte tjoste, er wurde mit einem gemeinen Wurfspieß umgebracht, und das ist kein ritterliches Ende« (Ritterschaft, S. 705). Die Ähnlichkeiten der beiden Grabmäler und Tötungsszenen deutet Ortmann heilsgeschichtlich: »Diese Geschichte, in der es um das Thema der ritterschaft geht, um das ritterliche Selbstverständnis also, steht selbst unter dem Zeichen des Kreuzes, das ein Zeichen der Schuld, des Leidens und der Erlösung zugleich ist. Die Existenz des Ritters in ihrer Idealität ist erlösungsbedürftig. Sie ist erlösungsfähig […], […] indem sie, orientiert am heilsgeschtlichen Urbild des Kreuzes, strukturell und inhaltlich ihren durchz ouge in sneit dez gabylôt, unt durch den nac […]. (155,7-10) Die Sehschlitze in der barbiere, der »Gesichtsplatte vorn am Helm« 415 , fungieren hier als ›Lücke im System‹ des hochmodernen und mit aus Fremdsprachen importierten Fachter‐ mini beschriebenen Dingensembles ›Ritterrüstung‹. Im Gegensatz zu dem unbesiegbar machenden Adamas, der nach mythischer Handlungslogik mit einer einzigen, alchemisches Wissen voraussetzenden Handlung aufzuweichen ist, weist der Kopfschutz Ithers eine Öffnung auf, welche die dingliche Hülle auf den menschlichen Körper hin durchlässig macht. Ebenso wie der mythische, an der Kraft der Edelsteine teilhabende Adamas geht auch der in einen technischen Akt der Tötung eingebundene Gegenstand nicht in seiner Funktion als Zwischenglied auf; wie der in den Adamas ›eingebaute Schalter‹ macht die Lücke im Rüstungssystem Ithers den Helm zum handlungsvermittelnden Akteur, der den von der Außenwelt nur scheinbar komplett abgeschirmten zum angreif- und durchdringbaren Körper transformiert. Dass der Versuch, den menschlichen Körper vermittels Rüstungs‐ gegenständen zum unorganisch-unsterblichen Ding zu machen, letztlich aporetisch ist, wird weiterhin dadurch herausgestellt, dass gunêrtiu heidensch witze (105,16) ebenso wie die tumpheit des heroisch-affektgesteuerten Protagonisten zum Zusammenbruch des mythischen wie des technisch hochgerüsteten Verteidigungssystems führen können. Hier wie dort wird das Phantasma der Verdinglichung des Körpers durchgestrichen, durchdringt die Angriffswaffe unterschiedslos Schutzgegenstände wie Kopf der Angegriffenen. 416 Dass die beiden Tötungsszenen vornehmlich komplementäre und nicht etwa identische Darstellungsschwerpunkte setzen, wird auch an den Grabmälern Ithers und Gahmurets sichtbar. 417 Während mit dem Tod der Gahmuretfigur auch die Objektbiographie des Helms, pars pro toto des isenhartschen harnasch, versigelt ûfz kriuze obeme grabe (108,1) endet, wird mit Parzivals gabylôt eine unritterliche Angriffswaffe auf Ithers Grabmal zum Memorialzeichen und Bestandteil des Dinge-Arrangements ›Kreuz‹; 418 während der Speer 177 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) eigenen ritterlichen Heilsweg geht durch Schaffung einer ausdrücklich heilsgeschichtlich analogen Ideologie« (ebd., S. 706). 419 Bumke: Parzivals ›Schwertleite‹, S. 240; vgl. ebd. zu den diversen Abweichungen Wolframs gegen‐ über Chrétien bei der Gestaltung der Schwertleite. 420 In von Albrechts Übersetzung: »Oft sollen die Schwestern zu ihr gesagt haben: ›Salmacis, nimm einen Wurfspieß oder einen bunten Köcher und bringe durch die rauhe Jagd etwas Abwechslung in deine Muße.‹« 421 Brüggen: Die Rüstung des Anderen, S. 140. 422 Harms: Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten, S. 149. zusammen mit dem blutigen Hemd als Quasi-Reliquien Gahmurets fast zu Herzeloyde zurückgelangen und im Okzident bestattet werden, folgt auf Ithers Tod mit Parzivals Investitur eine »merkwürdige ›Schwertleite‹« 419 , die Initiation seines ritterlichen Daseins, das unter das Zeichen einer neuen Waffe, des Itherschwertes, gestellt ist. Mit Inversionen wie den hier angedeuteten wird ein paradigmatisches Bezugsnetz gestiftet, das an ding‐ lichen Knotenpunkten wie der ›Rüstung des Anderen‹, dem Adamas oder dem gabylôt zusammenläuft, das mithin den Protagonisten an das Ende einer Reihe allesamt zu Opfern ihrer Waffen gewordener Ritter wie Isenhart, Gahmuret oder Ither stellt, deren marter nun auch Parzival, nicht ungerüstet, nicht unter einem aufgeweichten oder einem mit Sehschlitzen versehenen Helm, sondern im Zeichen des im Leichenraub angeeigneten Schwertes zu erleiden droht - Spannung ergibt sich nicht nur aus dem art und der Bestim‐ mung des Protagonisten, sie wird auch mit der Verschiebung des Fokus auf die ritterliche Angriffswaffe noch weiter intensiviert. Im besonders augenfälligen Gegensatz zu Gawan, der an seinen Schlüsselkämpfen eher passiv teilhaben, sie hinter der Verteidigungswaffe ›Schild‹ erleiden wird (vgl. Kap. 2.4.3), greift nun Parzival wie schon mit seinen Spießen weiter affektgesteuert und ungezügelt an. Exkurs zu Parzivals Angriffswaffen I: gabylôt saepe suas illi fama est dixisse sorores: »Salmaci, uel iaculum uel pictas sume pharetras, et tua cum duris uenantibus otia misce.« Ov., Met. IV,305-307 420 Zum Abschluss der angesprochenen ›Schwertleite‹ des Protagonisten wird das gabylôt von Iwanet als unritterlich gebrandmarkt (vgl. 157,17-21) und gegen ein scharpfez swert (157,22) ausgetauscht. Zum Zeitpunkt des Verwandtenkampfes fungiert dieser Jagdspieß als Leitmotiv, das die zurückliegenden Szenen (die kindliche Existenz in Soltane und die Begegnungen mit Jeschute und Sigune) miteinander verknüpft und dem Skandalon der Tat eine zusätzliche, über die »besondere[] Brutalität« 421 der Tötung mit einer für die Jagd vorgesehenen Waffe hinausweisende Bedeutungsschicht unterlegt: »An der Geschichte dieser Waffe wird […] das Eindringen des unhöfischen, zum Gralkönig bestimmten Parzival in die höfische Artuswelt deutlich.« 422 Erstmals erwähnt wird das gabylôt im Anschluss an Herzeloydes lichttheologische Got‐ teslehre (vgl. 119,18-28): er lernte den gabilôtes swanc, / dâ mit er mangen hirz erschôz, / des sîn muoter und ir volc genôz (120,2-4). Nachdem Parzivals Vogeljagd mit selbstgeschnitzten 178 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 423 Brall: Gralsuche und Adelsheil, S. 130. 424 Kaske: Materielle Ritterschaft, S. 29. Wie u. a. von Kaske angedeutet, ließe sich darüber spekulieren, ob hier ein (wie auch immer gerichteter) intertextueller Bezug zu Gottfrieds Tristan, konkret zur Hirschbastszene, vorliegt, in welcher die Vierteilung (vier quartiere, Trist., 2804; auch von zewürken ist an dieser Stelle abwertend die Rede, vgl. Trist., 2795) des Tierleibes durch Markes Jagdgesellschaft vom Protagonisten getadelt und zugunsten einer höfisch-ritualisierten Zerlegung und Neuzusammenzusetzung nach französischem Brauch korrigiert wird (vgl. Trist., 2843-3037). Im Gegensatz zu Parzival, der in Soltane seine überkindliche Leibeskraft demonstriert, ist Tristan der Hirsch zu schwer: er greif den hirz mit handen an / und wolte in ûf den rucke legen. / done kunde er in nie dar gewegen, / wan er was ime ze swære (Trist., 2862-2865). Bezeichnenderweise lehnt Tristan es weiterhin, am Markehof angelangt, explizit ab, die Fährte des Hirsches aufzunehmen, stattdessen beginnt die Demonstration seiner jagelist erst mit dem bast, nach der Erlegung des Hirsches also (vgl. Trist., 3408-3485). Zu den möglichen Parallelen zwischen der Soltane-Partie im Parzival und Tristans Ankunft in Cornwall vgl. Yeandle: Stellenkommentar zu 120,10, S. 106f.; Heinig: Stellenkommentar zu 120,10, S. 22; s. außerdem Bleumer, der Parzivals Jagd von derjenigen Tristans im divergierenden Umgang mit Zeichen unterschieden sieht: »Der Protagonist [des Parzival] überschreitet die Symbolisierungsleistung der Jagd nicht auf die Möglichkeiten des Zeichens hin, sondern er agiert auf einer Ebene noch vor der Verwandlung der Jagd ins Symbol« (Wahrnehmung literarisch, S. 144). 425 Schauch hält zu dem Reflexgriff zum Jagdspieß fest: »Parzivals augenblickliche Kampfbereitschaft […] unterstreicht einerseits die Fremdartigkeit des Geräuschs, signalisiert aber andererseits, dass seine in der Jagd erworbenenen kämpferischen Fähigkeiten untrennbar zu seiner Selbstwahrneh‐ mung gehören« (Parzivals Weg zum Artusritter, S. 32). bogen unde bölzelîn (118,4) bereits an früherer Stelle zum väterlich ererbten Verhalten, zum Zeichen seiner »Affinität zu weltlichen Freuden, seine[r] Disposition für jene weltliche Lebensform, der seine Mutter entflohen ist« 423 , aus seinem art und […] gelust (118,28) heraus erklärt wurde, steht mit dem Jagdspieß eine weitere Waffe im Fokus, deren Verwendung der junge knappe sich, augenscheinlich ohne fremde Unterweisung, anzueignen versteht. Dass die Jagd mit dem Spieß literarisch vermitteltes Wissen über höfische Jagdpraktiken konterkariert, ist insbesondere Parzivals so komischer wie grobschlächtiger Gewohnheit (fremdiu mære; 120,7) abzulesen, die erschossenen Hirsche im Ganzen, unzerworht (120,10), nach Hause zu tragen. Das Töten erscheint als intuitiv verfügbares und durch unritterliche Gegenstände vermitteltes Verhalten, während die Kulturtechnik des zerwürkens der höfi‐ schen Unterweisung bedürfte: Er besitzt keine höfische Bildung, was sich etwa daran zeigt, dass er seine Jagd nicht höfisch überhöht, sondern rein funktional abhandelt - weder das zeremonielle Zerlegen des Tieres wie bei Tristans Bast[] noch die Abgrenzung von Jagd und Turnier spielen für Parzival eine Rolle. 424 Dieses als komisch und gleichermaßen problembehaftet akzentuierte Verhalten wird von einem gleich mehrfach begegnenden Gewaltimpuls flankiert, der zum ersten Mal bei der Begegnung mit den Rittern um Karnahkarnanz zum Ausdruck kommt. Sobald Parzival ihrer Hufschläge gewahr wird und noch bevor er über die Identität der Herannahenden reflektiert (›waz hân ich vernomn? […]‹; 120,17), beginnt er sîn gabylôt […] wegen (120,16) - ein affektiver ›Heroenreflex‹, 425 der sich ganz ähnlich auch am Artushof wiederholt: dô muose der junge Parzivâl disen kumber schouwen Antanors unt der frouwen. 179 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) 426 Bleumer: Wahrnehmung literarisch, S. 144. 427 Fuchs-Jolie: Eine Einführung, S. 7. 428 Kaske: Materielle Ritterschaft, S. 28. Kaske deutet Parzivals Wurfspieß als »primäres Attribut […], das seinem Unvermögen Ausdruck verleiht, zwischen sich und der ritterlich-höfischen Welt zu differenzieren« (ebd.); vgl. ähnlich Schuler-Lang: Wildes Erzählen, S. 132-137. 429 Beide Zitate stammen aus Bertau: Innere Erfahrung, S. 118f. Bertau führt weiterhin aus: »Die Gedankenassoziation hat sich aus der Schilderung der epischen Szene entfernt, der Gedanke ist abgeschweift […]. Wir können sagen: Abschweifend ist der Vorstellungsverlauf der Symbolik von Köcher und Pfeil gefolgt« (ebd., S. 115). Zu vergleichbaren Abschweifungen vgl. bereits Heinzel: Ueber Wolframs von Eschenbach Parzival, S. 99f. (mit Bezug u. a. auf die hier besprochene Stelle, Isenharts harnasch [27,15-18], Sigunes Erläuterungen zu Parzivals Schwert [vgl. für die assoziative Erwähnung der Quelle bei Karnant 253,30]). Vgl. aus psychoanalytischer Perspektive: Kerscher: [Art.] ›Assoziation‹. Auf den Stellenwert der Dinge in Freuds Denken allgemein sowie in seinen Darlegungen zur ›freien Assoziation‹ im Besonderen verweist zuletzt Müller: »Ohne sie [die Dinge] bliebe ihr Lexikon leer, geriete das Spiel der freien Assoziation ins Stocken« (Freuds Dinge, S. 17). 430 »Wolfram läßt hier, wie in vielen anderen Fällen, die Grenze zwischen Erzähler und erzählter Gestalt durchlässig sein. Er hat sich Sigune offenbar vorgestellt, als habe er sie selbst getroffen - oder er hat sich eine Person, die er selbst getroffen hat, vorgestellt, als sei dies Sigune. D. h. er hat im was von herzen leit ir nôt: vil dicker greif zem gabilôt. (153,14-18) Der Griff zum Jagdspieß wird enggeführt mit der Thematisierung von Affekten (Angst in Soltane, Zorn im Itherkampf) ebenso wie mit der für den Parzival so bedeutungsträchtigen Emotion des Mitleids: »Parzival kann auf seine Welt und auf die Folgen seiner Jagd […] nur mit Affektäußerungen antworten«. 426 Mit dieser Emotion verbunden ist auch ein weiterer Griff zum gabylôt bei der Erstbe‐ gegnung mit der trauernden Sigune, des »sichtbare[n] und markante[n] Kontrapunkt[s] zu Parzival« 427 . Im Angesicht der Leiche in Sigunes schôz fragt Parzival, ob der Ritter mit eime gabylôt (139,3) erschossen worden sei, woraufhin seine Cousine ihn belehrt, dass es einen Unterschied zwischen Jagd und Kampf respektive tjost gebe - disen ritter meit dez gabylôt: / er lac ze tjostieren tôt (139,29f.): Der Ritter und der Jagdspieß gehören nicht zusammen. Parzivals Fragen drehen sich immer wieder um die ihm vertraute Waffe, die er jederzeit unbedarft anwenden möchte und die ihm jede Wissenslücke füllt. 428 Noch bevor Sigune ihn allerdings belehren kann, bietet Parzival dieser noch seinen Vergeltungsdienst an und greift sogleich in seinen Köcher: Dô greif der knappe mære zuo sîme kochære: vil scharphiu gabylôt er vant. er fuort ouch dannoch beidiu phant, diu er von Jeschûten brach unde ein tumpheit dâ geschach. (139,9-14) Der Griff in den Köcher leitet zu einer »freien Assoziation« des Erzählers - »nicht des Helden« 429 - über, die einerseits die Übergängigkeit von »Erzähler und erzählter Gestalt« 430 indiziert sowie andererseits den Jagdspieß mit Ring und Brosche Jeschutes in 180 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival die Möglichkeit gehabt, ihm begegnende Wirklichkeit in die Fiktionalität seiner Dichtung, und umgekehrt: Fiktionalität der ihm vorgegebenen Erzählung in die ihm begegnende Wirklichkeit zu übertragen« (Bertau: Innere Erfahrung, S. 119). 431 Beide Zitate: Brüggen: swie ez ie kom, ir munt was rôt, S. 409. 432 Bertau: Innere Erfahrung, S. 115. 433 »Selbst über den Zusammenhang dieser Szene [der Jeschute-Szene] hinaus setzt sich die Nebenhand‐ lung im Sigune-Zyklus fort (P. 139,12ff.); noch in der Gurnemanz-Episode wird sie berichtsweise weitergeführt« (Mergell: Wolfram von Eschenbach und seine französischen Quellen, S. 46). 434 Ebenfalls möglich wäre es, dannoch hier, wie u. a. Bartsch/ Marti (s. Stellenkommentar zu 139,12, Bd. 1, S. 164) es anregen, als proleptischen Verweis auf die spätere Weggabe der Pfänder zu beziehen (vgl. 143,1f. und 270,2-5) und folglich im Sinne von »damals noch« zu übersetzen; vgl. ähnlich Martin: Stellenkommentar zu 139,12, S. 140. 435 Beck: Raum und Bewegung, S. 215. Verbindung bringt und so das Minne-Gewalt-Paradigma im Dingensemble zur Anschauung bringt, in Dingen, die als phant sowohl die »Praxis der Liebesgabe« aufrufen als auch daran gemahnen, »dass die Schmuckstücke der Herzogin gegen ihren Willen und unter Anwendung körperlicher Gewalt genommen wurden.« 431 Besonders auffällig ist, dass diese ›Abschweifung‹ durch die adverbiale Doppelung ouch dannoch nachgerade als unmotivierte markiert wird. Karl Bertaus spekulative und am Text schwerlich zu belegende Vermutung, daß die vom Dichter gemachte Vorstellung einer verliebten Regung Parzivals gegenüber der rotmundigen Sigune diesen Vorstellungsverlauf ausgelöst hat, 432 deutet erneut auf die Aporien der Annahme eines psychologisch ›glatt‹ motivierten Erzäh‐ lens und Figurenhandelns. Im Anschluss an Bodo Mergell, der mit Blick auf die Textkompo‐ sition auf die enge Verflechtung von Neben- und Haupthandlungen aufmerksam gemacht hat, 433 sei vielmehr darauf verwiesen, dass diese Verdichtung mit einer Neusemantisierung der im Köcher mitgeführten Gegenstände einhergeht: 434 Die Liebespfänder, bereits durch die Geschichte ihres Erwerbs - und vielleicht auch ihre Vorgeschichte in Orilus’ Besitz (vgl. 134,18f. sowie Kap. 2.3.1 dieser Arbeit) - mit gewalttätiger Übergriffigkeit konnotiert, werden durch die Nahstellung zum gabylôt zusätzlich mit Jagd und kämpferischer Gewalt assoziiert, der Spieß vice versa mit einer durch die Pfänder als Erinnerungsgegenstände symbolisierten dysfunktionalen Minneauffassung. Darüber hinaus, hierauf hat Hartmut Beck mit Nachdruck hingewiesen, bietet die ›Abschweifung‹ dem Erzähler die Gelegenheit, den Raub der Gegenstände als tumpheit einzuordnen (vgl. 139,13f.), die Dinge mithin als konkrete Zeichen des unreflektiert-affektgesteuerten Handelns Parzivals auszuweisen: Bestimmte Gegenstände gehören zur Persönlichkeit wie bestimmte Eigenschaften oder physische Vermögen, und diese haften ebenso greifbar und material am Körper wie Gegenstände. Sünde und Laster kann angefasst und mitgenommen werden wie ein goldener Ring, aber dieser ist nicht beliebig, er gehört zu Jeschute so, daß sie ohne ihn auch ihre Ehre verloren hat und Parzival mit ihm eben tôrheit an sich trägt. Eine Person ist, was sie am lîbe trägt ( Jeschute dann also fast nichts mehr) und was nach außen sichtbar ist. 435 Während implizite Wertzuschreibungen, wie sie etwa im Falle von Jeschutes fürspan beobachtet werden konnten, die Singularisierung des Objekts zur Voraussetzung haben, 181 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) 436 Barthes: Sémantique de l’objet, S. 256. 437 Zu dem hier verbildlichten ›dominanten‹ Paradigma des Parzival Richter: »[D]ass Minne und Gewalt in der kulturellen Semantik des Frauendienstes in einer Gedankenfigur zusammengeschlossen sind, ist in der literarischen Tradition des Artusromans […] durchaus verankert. Im ›Parzival‹ wird nun diese Problematik in Form eines Paradigmas, das sich in den variierenden Geschichten der Minnepaare konstituiert und sich wie ein Netz über den gesamten Roman legt, auserzählt« (Spiegelungen, S. 165). 438 Barthes: Sémantique de l’objet, S. 257. Übersetzung: »Diese Zusammenstellung von Objekten sind Syntagmen, das heißt ausgedehnte Fragmente von Zeichen. Die Syntax der Objekte ist natürlich eine äußerst elementare Syntax. Wenn man Objekte zusammenstellt, kann man ihnen nicht so komplizierte Koordinationen wie in der menschlichen Sprache zuweisen. In Wirklichkeit sind Objekte […] immer nur durch eine einzige Verknüpfungsform verbunden, durch die Parataxe, das heißt durch die bloße und einfache Nebeneinanderstellung von Elementen« (Semantik des Objekts, S. 194f.; vgl. bereits Kap. 1.3, Anm. 111). 439 »Man wird aber ohne weiteres annehmen dürfen, daß ein solcher Behälter für einen Ritter, der wie gerade Parzival stets unterwegs war, höchst bequem und nützlich war, so daß er wohl nicht allzu lange leer blieb. […] Da ein gabylôt, ein kurzer Wurfspieß, dennoch recht lang ist und größer als ein Pfeil, gab es in diesem kochaere Platz genug für die Schwertstücke oder auch für die Scheide, die als lederner (? ) balc zur Not zusammengefaltet werden konnte« (Tax: Nochmals zu Parzivals zwei Schwertern, S. 295, Anm. 42). lässt sich am Beispiel von Parzivals Ding-Behältnis, seinem kochære, eine gegenläufige Stra‐ tegie der Bedeutungsstiftung nachvollziehen: Waffen und Schmuckstücke konfrontieren den Leser eben erst im Ensemble, in der »assemblage intelligible d’objets«, 436 mit einer komplexen Bedeutung, welche über diejenige der Einzelgegenstände hinausweist und auf die für den Parzival so zentrale Verknüpfung von Minne und Gewalt deutet: 437 Ces assemblages d’objets ce sont des syntagmes, c’est-à-dire des fragments étendus de signes. La syntaxe des objets est évidemment une syntaxe extrêmement élémentaire. Quand on met des objets ensemble, on ne peut pas leur attribuer les coordinations aussi compliquées que dans le langage humain. En réalité les objets […] ne sont liés que par une seule forme de connexion, qui est la parataxe, c’est-à-dire la juxtaposition pure et simple d’éléments. 438 Der nach der Rückgabe des Rings bei der zweiten Begegnung mit Orilus und Jeschute wohl zunächst leere und im weiteren Erzählverlauf nicht weiter thematisierte Köcher indiziert die faszinierende narrative Potenz eines Erzählens von Dingen, die - auch wenn sie in den Hintergrund des epischen Geschehens rücken - latent weiter existieren, die gelegentlich ›vergessen‹, oft aber eben auch vom Erzähler abschweifend erinnert oder überraschend wieder in die Handlung integriert werden, die im Falle des Köchers gegebenenfalls noch andere Dinge aufbewahren, von denen der Leser keinerlei Kenntnis erlangt. Diese unerzählten Geschichten, aus denen wir bei Wolfram fortwährend Fragmente oder gar gehäufte Fragmente wie im Falle von Herzeloydes hemden zu greifen bekommen, die wir manchmal auch nur erahnen können und die wiederholt die Gemachtheit wie die Welthaltigkeit der Erzählung indizieren, regen zur Imagination, zur Auffüllung der notwendig im Erzählprozess entstehenden, in einem Behältnis wie Parzivals kochære exponierten Leerstellen seitens des Rezipienten an. 439 Das Waffen- und Schmuck-Ensemble Parzivals bietet dem Erzähler wie schon im Falle Gahmurets die Möglichkeit, Momente aus der erzählten oder auch aus einer nicht erzählten Vergangenheit gegenwärtig werden zu lassen, Kontinuitäten und Differenzen zu markieren und einen Beziehungssinn zu 182 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 440 Vgl. Bertau: Versuch über tote Witze bei Wolfram, zur Stelle s. S. 88. 441 Lienert: Zur Diskursivität der Gewalt, S. 232. In Abgrenzung von Lienerts kritischer Einordnung des wolframschen Erzählers stellt Dimpel »die Autorität von Erzählerwertungen grundsätzlich in Frage« (er solts et hân gediuhet nider, S. 276; vgl. ausführlicher hierzu Anm. 778 dieser Arbeit). 442 Auf die Verdächtigung Orilus’ hin antwortet Jeschute: sîniu ribbalîn, sîn gabilôt / wârn mir doch ze nâhen (133,24f.), und deutet so den Spieß - wie auch seine bäuerlichen Schuhe - als pars pro toto für den vestimentären Code des närrischen Äußeren Parzivals (vgl. hierzu auch die Einlassung des Erzählers in 144,17-145,6, in welcher der Jagdspieß in Kontrast zu der höfischen Kleidung seines Vaters gesetzt wird). Zudem impliziert der Kontext, durch Orilus eindeutig als sexueller markiert (›hey sîn lîp iu wol gevellet. / ir habt iuch zim gesellet‹; 133,21f.), eine phallische Nebenbedeutung des Spießes. In dieser Lesart würde die Szene nach Parzivals Geburt in Erinnerung gerufen, in welcher der Erzähler das von den Damen eingehend beschaute visellîn (112,25) Parzivals mit einer Angriffswaffe, den swerten (112,28), in Bezug setzt. Vgl. zu dieser Stelle Kraß: Geschriebene Kleider, S. 182f. stiften, der über die szenisch dargebotene Handlung hinausweist und der Ambiguisierung und Hybridisierung des Erzählten wesentlich zuspielt. Abermals zeigt sich, dass die von Herzeloyde vorgenommene Differenzierung zwischen verbotenen Ritter- und positiv be‐ setzten Minnedingen nicht tragfähig ist, dass vielmehr Waffen wie Schmuck gleichermaßen Semantiken der Gewalt transportieren - eine Bewegung, die sich in dem unmittelbar auf die Dinge-Assoziation folgenden wolframtypisch-»toten Witz« 440 wiederholt: het er gelernt sîns vater site, die werdeclîche im wonte mite, diu bukel wære gehurtet baz, da diu herzoginne al eine saz, diu sît vil kumbers durch in leit. mêr denne ein ganzez jâr si meit gruoz von ir mannes lîbe. unrehte geschach dem wîbe. (139,15-22) Auf irritierend-misogyne Weise setzt sich in »militärische[r] Bildlichkeit […] die Gewalt gegen Jeschute fort[]« 441 : Das hurten der Schildbuckel (vgl. 139,17) greift die durch die Dinge gestiftete Assoziation von Minne und Kampfgewalt auf der Ebene einer irritierend-spiele‐ rischen Erzählerreflexion metaphorisch wieder auf und erweitert das durch das gabylôt codierte Bedeutungsspektrum um eine sexuelle Konnotation, die sich bereits in Jeschutes Dialog mit Orilus angedeutet hat. 442 Bevor Wolfram die Züchtigung Jeschutes durch Orilus im Nachhinein noch einmal als unreht ausweist, übersetzt sich zunächst der ausbleibende Übergriff in die ungezügelte Gewaltphantasie eines Witzes auf Gahmurets wie Jeschutes Kosten - oder sympathisiert der Erzähler gar mit der Vaterfigur, deren site werdeclîche im wonte mite? Ein Parzival, der wie Gahmuret seine Minnewaffen gezielt eingesetzt, der wie der Erzähler einen voyeuristischen Blick für die Ästhetik des schlafenden Körpers hätte, schiene zu einer noch größeren tumpheit, zu einer weit ungezügelteren Gewalttat als selbst Orilus fähig: Das schließt, denke ich, an den Gewaltregulierungsdiskurs der Zeit an: Verzicht auf Gewalt ist vielleicht wünschenswert, aber nicht eigentlich vorgesehen; es geht darum, Gewaltexzesse zu limitieren, Gewalteskalation zu verhindern. Wolfram zeigt keine Alternative zu seiner müh- und gelegentlich gewaltsam erzwungenen Harmonie auf, macht aber deutlicher als jeder andere Autor, 183 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) 443 Lienert: Zur Diskursivität der Gewalt, S. 244. 444 Beide Zitate: Haferland und Schulz: Metonymisches Erzählen, S. 22 und S. 16. 445 So Bleumer gegen Bumkes Diagnose einer ›habituellen Wahrnehmungsschwäche‹ Parzivals: »Aus Parzivals permanentem Scheitern angesichts der Welt lässt sich also keine ›habituelle Wahrneh‐ daß die Ansätze zur Harmonisierung ihren Preis haben - und daß den vor allem die Frauen zahlen. 443 Parzivals gabylôt wird als Gebrauchsgegenstand in instrumenteller Funktion eingeführt, vermittels dessen der Protagonist seinen ererbten art intuitiv, in der Jagd, zum Ausdruck bringt. Mit Verlassen der Waldeinsamkeit in Soltane wird der Spieß zu einem sich in sein Narrenkleid fügenden Requisit, das freilich die ihm begegnenden Verwandten nicht über seine adlige Identität hinwegzutäuschen vermag. Auf der Handlungsebene wird der Griff zum Spieß wiederholt mit der Schilderung von Emotionen wie Zorn, Angst oder auch Mitleid kurzgeschlossen - so etabliert der Erzähler ein Handlungsmuster, das seine Hauptfigur als in besonderem Maße impulshaft charakterisiert und die Ithertötung als konsequenten vorläufigen Höhepunkt der Erzählung kennzeichnet. Mit der Fixierung des gabylôt auf Ithers Grabmal scheidet ein Ding aus der Erzählung aus, das als Motiv in seiner variierten Wiederholung der Kohärenz des Erzählten wesentlich zuspielt und das zudem über seine Denotation als Jagdwerkzeug hinausweisende Konnotationen aufweist, welche das den gesamten Text strukturierende Minne-Gewalt-Thema im Gegenstand zusammenlaufen lassen. Zusammenfassend kann das gabylôt als gegenständlicher Knotenpunkt eines Erzählens gelesen werden, das vermittels Kontiguiäten erster wie zweiter Ordnung - sprich: »As‐ soziationen zweier Vorstellungen […], die durch eine Erzählung herbeigeführt wird« - »ein assoziatives Netz« 444 über die Erzählung legt. Die kohärenzstiftende Funktion des Gegenstands bleibt nicht beschränkt auf das III. Buch des Parzival, sie ist darüber hinaus in einen weiteren Kontext eingebunden: So steht, wie bereits angedeutet, neben der fortlaufenden Semantisierung des Spießes ein paradigmatischer Bezug zum Adamas auf Gahmurets Grabmal, der Parzivals Verhalten an den ererbten väterlichen art zurückbindet und gleichzeitig auf dessen Überwindung im Tod respektive im Enden der Objektbiographie vorausdeutet - diese Differenz bildet sich analog auch in Wolframs Witz ab: Parzival hat eben sîns vater site (139,15) nicht gelernt, er hat zwar mit der Fixierung auf schillernde Dinge eine wesentliche Eigenschaft des Vaters geerbt, seiner Geschichte ist indes ein anderes Ziel gesteckt, das in der Sünde, im fatalen Mithandeln der Waffen unterlaufen und verfehlt zu werden droht. Indem Wolfram den unritterlichen Jagdspieß ebenso wie die ritterliche Rüstung in ihrer auch außerliterarisch bezeugten Materialität zu mithandelnden Akteuren erhebt und die offensichtlichste Schwachstelle letzterer, die Sehschlitze, als fatale Lücken im System aus‐ weist, deutet er nicht nur auf die den technischen (und den in der Erzählung von Gahmuret in den Vordergrund gespielten mythischen) Figur-Ding-Bündnissen inhärenten Gefahren, sondern implizit auch auf eine folgenschwere materielle Einschränkung des menschlichen Blicks durch einen Helm, der nur einen ausschnitthaften Blick auf die Welt und das jeweilige Gegenüber ermöglicht. In der zweiten zentralen Verwandtenkampfszene des Parzival, einer »narrative[n] Entfaltung der temporären Bedingungen des Wahrnehmungsaktes« 445 wird 184 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival mungsschwäche‹ oder prinzipielle Unfähigkeit zur angemessenen Wahrnehmung ableiten. Bei dem, was man als ›charakteristische Blindheit‹ dieses Helden anzusprechen versucht sein mag, scheint es sich eher um die narrative Entfaltung der temporären Bedingungen des Wahrnehmungsaktes zu handeln« (Wahrnehmung literarisch, S. 145). 446 Lévi-Strauss: Introduction à l’œuvre de Marcel Mauss, S. XXXII. Übersetzung: »[D]ie Symbole sind realer als das, was sie symbolisieren, der Signifikant geht dem Signifikat voraus und bestimmt es« (Einleitung in das Werk von Marcel Mauss, S. 26). sich zeigen, dass nicht nur Parzivals unverstellter Blick auf die Ritter und deren materielle Zeichen in Soltane Fehlwahrnehmungen und -deutungen zeitigt, sondern dass selbst ein Wahrnehmungsprofi wie Gawan nicht vor den Gefahren ausschnitthaften Schauens gefeit ist. Daneben ließen sich im III. Buch auch die erzählerischen Strategien der Modellierung literarischer Dinge zu komplexen Zeichen weiterverfolgen: Der mit der Transformation des materiellen Ankers zum Symbol grundgelegte Diskurs wird insbesondere mit Ithers koph variierend wiederaufgegriffen. Wie sich der Anker aufgrund seiner Materialität, seines pondus im Ensemble mit dem Adamas als Akteur und als widerständiges Ding erweist, scheitern auch Ithers Versuche, den Pokal als Zeichen seines Besitzanspruchs auf Artus’ Land umzudeuten aufgrund seiner konkreten Dinglichkeit. Hier steht nun allerdings nicht die Schwere des Gegenstands im Vordergrund, sondern dessen vormalige Funktion als Gebrauchsgegenstand, seine Präcodiertheit und die Ungeschicktheit eines ebenso eitlen wie rabiaten Ritters: Da das Gefäß mit Wein gefüllt ist und auch bereits eine Bedeutung hat, die sich nicht kurzerhand durch neue Zuschreibungen überschreiben lässt, ist auch Ithers Auftritt vor der Tafelrunde zum Scheitern verurteilt - »les symboles sont plus réels que ce qu’ils symbolisent, le signifiant précède et détermine le signifié.« 446 Auch sonst ist den im III. Buch narrativierten Gegenständen meistenteils bereits eine Bedeutung eingeschrieben, die zu verkennen Parzivals leitmotivische Verfehlung darstellt - die Ringe in Karnahkarnanz Rüstung sind eben keine Fingerringe, der Wurfspieß ist keine ritterliche Angriffswaffe, und auch Jeschutes Brosche erweist sich gerade nicht als bedeutungsloser Tauschgegenstand. Diese Gegenstände sind zwar insoweit als polysem an‐ zusprechen, als ihre Materialität nur diffuse und in Teilen irreführende Auskünfte über ihre Signifikate zu geben vermag, es wird indes mehrfach offensichtlich, dass sie gerade keine arbiträren Zeichen sind und ihre Bedeutung in der ritterlichen Welt selbst nicht oder nur im Ausnahmefall (koph) zur Disposition steht. Während Gahmuret, als Profiritter souverän im Umgang mit dem Code der Artefakte, letztlich, am Schluss einer aufwendig erzählten und von der Figur selbst virtuos inszenierten Aneignungs- und Transformationsgeschichte, an deren Dinglichkeit und Widerständigkeit zugrunde geht, sieht sich Parzival mit einer zunehmend komplexen und sich im Erzählverlauf ausdifferenzierenden Bedeutungswelt konfrontiert, deren Codes er sich erst nach und nach anzueignen beginnt. Der Aneignung abstrakten Wissens geht hierbei diejenige von auratischen Dingen voraus, allen voran: der schillernd-roten Ither-Rüstung. Wie der Adamas ist auch dieser rot gleißende, exzeptionelle harnasch in eine gestörte Gabenhandlung eingebunden, doch während die Aneignung des Isenharterbes, der eigentlich Belakane zugedachten Versöhnungsgabe, kontingenter nicht ablaufen könnte, Motivation und Handlungsziele Gahmurets fortwährend verschleiert werden, wird mit der Itherrüstung eine Form der unverkennbar ritterlich-agonalen, 185 2.3 Schlaglichter: Parzival und die Dinge (Buch III) 447 De Saussure: Cours de linguistique générale, S. 125. Übersetzung: »Eine Partie Schach ist gleichsam die künstliche Verwirklichung dessen, was Sprache in ihrer natürlichen Form darstellt« (Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 104f.). 448 »Den anfangs auf Vergulaht gehäuften Glanz verdunkelt Wolfram in einer durch ihre Konkretheit geradezu parodistischen Art sofort wieder […]. Die Gestalt Vergulahts steht in einem Zwielicht vor uns: einerseits wird er verherrlicht, andrerseits entlarvt ihn sein Handeln als einen unhöfischen Ritter« (Schnell: Vogeljagd und Liebe, S. 249f.). angleichenden Umfangsbestimmung eingeführt, bei der die Distanz zwischen Figur und Begierdeobjekt Schritt für Schritt verringert und schließlich aufgelöst wird. Die Itherfigur exemplifiziert zuletzt eine dritte Form der symbolisch-vergleichenden Aneignung, eine, die vielleicht potentiell gewaltfrei ablaufen oder zumindest weniger rasant eskalieren könnte, wenn sie denn sprachlich und nicht durch Dingsymbole oder eigensinnige Boten vermittelt würde. Wie dargestellt, ist jedoch auch der koph kein Zeichen, kommt mit der Materialität und der Präcodiertheit des Pokals abermals ein Kontingenzfaktor ins Spiel, der letztlich auch diese Form dinglich vermittelter Interaktion als störungsanfällig ausweist. 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher Une partie d’échecs est comme une réalisation artificielle de ce que la langue nous présente sous une forme naturelle. 447 Gerade erst auf Schampfanzun angelangt, gerät Gawan in eine hochnotpeinliche und kompromittierende Situation: Als er sich auf rabiat-unhöfische Weise der so verführerisch wie überzeichnet schönen Antikonie annähert (vgl. 405,15-407,10), der Schwester des vom Pech verfolgten Königs Vergulaht, glanzvoll als der ander Parzivâl (400,15) eingeführt und anschließend rasch ins Zwielicht eines erfolglosen und seine Gastgeberpflichten Gawan gegenüber vernachlässigenden Vogeljägers gerückt, 448 in diesem Moment nun, da Gawan seine Hand unter Antikonies Mantel führt, betritt ein altersgrauer Mann die Szene. Der Ritter identifiziert den Fremden augenblicklich als Gawan und legt ihm, überraschenderund, wie sich später herausstellen wird, fälschlicherweise, die Ermordung von Vergulahts Vater zur Last - wie in seinen späteren Begegnungen mit Urjans und Gramoflanz holen den inkognito reisenden Ritter wiederholt kaum je auf ihre Authentizität hin durchschaubare Gerüchte und Vorgeschichten ein. Die Bewohner der Stadt werden zu ihren Waffen gerufen, und es kommt zu einer grotesken Kampfszene, in der sich Gawan, ohne Schwert und ohne Rüstung, zum Rückzug auf einen Turm und anschließend zur Improvisation gezwungen sieht: Um sich schnell mit etwas Waffenähnlichem auszurüsten, reißt er einen rigel dern turn besparte (408,12) aus der Mauer und hält die wütende Menge mit diesem auf Abstand, indes sich Antikonie, von Gawan wie vom Erzähler noch während der Kampfhandlungen 186 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 449 »Gawan betrachtet Antikonie während des Gefechts mit erotisch gefärbter Bewunderung, und der Erzähler leistet sich den obszönen Vergleich mit dem Hasen am Bratspieß (409,26ff.). Antikonie ist - neben Jeschute - das Ziel männlichen Begehrens seitens des Erzählers […]. Antikonie wird also nicht nur vom Helden Gawan begehrt, sondern auch vom Erzähler und sogar vom fiktiven Hörer/ Leser. Deutlicher kann man es kaum machen, daß sie eine Frau von Fleisch und Blut und kein Traumgeschöpf sein soll. […] Gerade auf eine Figur mit einem derart literarisch geprägten Namen konnte der Verdacht fallen, sie sei nur eine Gestalt aus und auf Pergament, der Erzähler aber inszeniert mit selbstgefälligem Gusto, es sei gerade nicht so und kann sich dabei auch noch selbst als sexuell ansprechbaren Mann darstellen« (Mertens: Geschichte und Geschichten um den Gral, S. 245). 450 Lévi-Strauss: La pensée sauvage, S. 31. Übersetzung: »d. h. mit einer stets begrenzten Auswahl an Werkzeugen und Materialien, die überdies noch heterogen sind« (Das wilde Denken, S. 30). 451 Lévi-Strauss: La pensée sauvage, S. 31. Zur Umfunktionalisierung von Schachbrett und -figuren in Chrétiens Perceval hält Kinoshita auf den Parzival Übertragbares fest: »Si Gauvain et son amie se körperlich so aufdringlich begehrt, 449 auf die Suche nach weiteren Gegenständen begibt, die dem Artusritter als Waffe dienen könnten: diu künegin lief her unt dar, ob ûf dem turn iht wær ze wer gein disem ungetriwen her. dô vant diu magt reine ein schâchzabelgesteine unt ein bret, wol erleit, wît: daz brâht si Gâwâne in den strît. an eim îsenînem ringez hienc, dâ mit ez Gâwân enpfienc. ûf disen vierecken schilt was schâchzabels vil gespilt: der wart im sêr zerhouwen. nu hœrt och von der frouwen. ez wære künec oder roch, daz warf si gein den vînden doch: ez was grôz und swære. man sagt von ir diu mære, Swen dâ erreichte ir wurfes swanc, der strûchte âne sînen danc. (408,16-409,4) In der vorliegenden Szene treten zwei paradigmatische Bricoleure in Aktion: Antikonie und Gawan sehen sich auf einen begrenzten Materialfundus zurückgeworfen, »c’est-à-dire un ensemble à chaque instant fini d’outils et de matériaux, hétéroclites au surplus«, 450 sie müssen sich eilig improvisierend der zufällig zuhandenen Dinge bedienen, sie aus ihrer bisherigen Funktion lösen und in den neuen Funktionszusammenhang des Kampfes einbinden. So werden das kostbare und große Schachbrett zum Schild, seine Aufhängung, ein Eisenring, zum Griff und die massiven Schachfiguren zu wirksamen Wurfgeschossen. Der Rückzugsraum Turm kann hierbei als Exempel eines abgeschlossenen Terrains (»clô‐ ture«) angesprochen werden, auf dem sich die Bedrohten mit den vorhandenen Dingen, »avec les ›moyens du bord‹«, 451 arrangieren müssen. Und dass den beiden nun gerade ein 187 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher servent de l’échiquier et des échecs en tant qu’objets matériels, et non plus en tant qu’éléments d’un jeu, c’est que l’aristocractie chevaleresque est désormais impuissante à faire usage de ses propres fictions. En fait, Gauvain joue, pour ainsi dire, aux échecs, mais l’enjeu en est l’utopie arthurienne elle-même« (Les échecs de Gauvain ou l’utopie manquée, S. 119). Übersetzung: »Wenn Gawan und seine Freundin das Schachbrett und die Schachfiguren als materielle Objekte nutzen, nicht mehr als Elemente eines Spieles, bedeutet dies, dass die ritterliche Aristokratie nicht mehr fähig ist, von ihren eigenen Fiktionen Gebrauch zu machen. In Wahrheit spielt Gawan, wenn man so will, Schach, doch auf dem Spiel steht die arthurisches Utopie selbst«. 452 Scheuer: Schach auf Schanpfanzûn, S. 38. Schachspiel in die Hände fällt, könnte signifikanter nicht sein, fungiert dieses doch als Sinnbild eines ebenfalls geschlossenen, der Welt gegenüber abgeschirmten Raums, eines gesellschaftlichen ›modèle reduit‹ - der Kampf auf Schampfanzun tritt so in Entsprechung zum spielerisch ausgetragenen Kampf auf dem Schachbrett, das, in den Händen Gawans, als schillernde mise en abyme, als Chiffre des Erzählten in der Erzählwelt firmiert. Auf engstem Raum wird hier eine Symbolisierungsleistung sichtbar, in deren Zuge das Ding ›Schachspiel‹ zum zweckentfremdeten Verteidigungsgegenstand und zugleich zum Signifikanten der Ordnung des Erzählten avanciert, es wird als Gegenstand im Erzählverlauf unsachgemäß verwendet, kann aber durchaus als paradigmati‐ sche Markierung eines latent operierenden syntagmatischen Ordnungsprinzips gelesen werden. 452 Die kämpferische Auseinandersetzung auf Schampfanzun wird durch das Eingreifen des Burggrafen Kingrimursel, eines Verwandten des etwa zeitgleich eintreffenden glücklosen Königs Vergulaht, gerade noch rechtzeitig beendet, ein größerer Konflikt vorerst verhütet. Die Burgbewohner schlagen sich unmittelbar auf die Seite des Grafen, unter dessen Schutz Gawan mit Blick auf den anstehenden Gerichtskampf steht, sie verwehren damit Vergulaht, ihrem König, die Gefolgschaft. Zu Beginn des nun folgenden hochkomplexen Prozesses der Konfliktlösung ergreift die Königsschwester Antikonie das Wort - Wolfram ist erkennbar weniger an dem von Kingrimursel eingelösten Sicherheitsversprechen als am Motiv der kämpfenden Dame und an deren Schutz- und Schildfunktion als Minneherrin interessiert: dô sprach diu juncfrouwe wert ›hêr Vergulaht, trüege ichz swert und wære von gotes gebot ein man, daz ich schildes ambet solde hân, iwer strîten wær hie gar verzagt. dô was ich âne wer ein magt, wan daz ich truoc doch einen schilt, ûf den ist werdekeit gezilt: des wâpen sol ich nennen, ob ir ruochet diu bekennen. guot gebærde und kiuscher site. den zwein wont vil stæte mite. den bôt ich für den ritter mîn, den ir mir sandet dâ her în: anders schermes het ich niht. […]‹ (414,13-414,27) 188 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 453 Zum Begriff des ›deep play‹ und demjenigen des ›shallow play‹ vgl. die grundlegende Studie und be‐ rühmteste Anwendung der kulturwissenschaftlich-ethnologischen Methode der ›thick description‹ von Geertz: Deep Play: Notes on the Balinese Cockfight. Übersetzung: »Deep Play«: Bemerkungen zum balinesischen Hahnenkampf. 454 »Insbesondere das achte Buch […] bereitet den Interpreten Schwierigkeiten« (Schnell: Vogeljagd und Liebe, S. 246). - Zur Funktion der meistenteils verunklärenden Erzählerkommentare vgl. Mohr: Landgraf Kingrimursel, S. 125-127. 455 Vgl. Eikelmann: Schanpfanzun. Zur Funktion der Fremdtextreferenzen im VIII. Buch hält Draesner fest, sie zielten nicht (wie noch im VII. Buch) auf eine Charakterisierung der Figuren, sondern vorrangig darauf, »das Problem des Erzählers, wie er seine Geschichte erzählen solle, zu beleuchten. Sie beziehen sich in einem selbstreferentiellen Akt auf die Tätigkeit des Erzählers zurück, werden also zu einem Kommentar im Erzählen über das Erzählen und bestätigen somit die These Curschmanns unter einem neuen Gesichtspunkt: Der Erzähler stellt sich hier in der ihm zukommenden Funktion selbst dar« (Wege durch erzählte Welten, S. 312f.). 456 Ziegeler: der herzoge Liddamus, S. 108. Im Paradox der wehrlosen Jungfrau mit immateriellem Schild als Zeichen ihrer schützenden Hand wird ein Thema diskursiv, das für den gesamten Roman von zentraler Bedeutung ist: In den in Teilen parodistisch überzeichneten Minnebeziehungen Obilot - Gawan, Obie - Meljanz, Antikonie - Gawan, Orgeluse - Gawan und Itonje - Gramoflanz werden aporetisch-fatale Minnebindungen solchen entgegengestellt, in denen die Dame ihrem Ritter wie der Ritter seiner Dame Schutz und Sicherheit bietet - es deutet sich bereits eine Darstellungstendenz, eine Kippfigur an, die für Wolframs Perspektive auf Ritterschaft, Minnedienst und Herrschaft insgesamt kennzeichnend ist: Alles Figurenhandeln, sei es auch noch so spielerisch oder komisch überzeichnet, läuft Gefahr, in Ernst, in lebensbedroh‐ liche Situationen, in Gewalt umzuschlagen, aus scheinbar oberflächlich-unterhaltsamem und inszeniert anmutendem Spielen wird im Handumdrehen ein »deep play«, ein ›tiefes Spiel‹, 453 in welchem gesellschaftliche Mechanismen und deren ubiquitäre Dysfunktiona‐ litäten sichtbar werden. Dies gilt für Schaukämpfe ebenso wie für den Minnedienst oder die den epischen Kosmos des Parzival und auch des Titurel bevölkernden Kinder. Die Jugendrespektive Kindlichkeit eines Großteils der hier angesprochenen Figuren trägt zum Spielcharakter der zu untersuchenden Bücher gleichermaßen bei wie deren experimentell-episodische Anlage. In der Verteidigungswaffe Schild, die im Zuge der Gawan-Bücher vom austauschbaren Ding mit symbolischem Nullwert zum hochgradig überdeterminierten Leitmotiv avanciert, kreuzen sich unter anderem ritterlich-männliches schildes ambet und weiblicher Schutz, sie fungiert in den Kämpfen Gawans als Akteur mit vielfältigen Handlungsfunktionen und wird in den Figuren- und Erzählerreden zur schillernden Metapher. Das schwierige VIII. Buch des Parzival, 454 aus dem die hier umrissene Szene auf Schamp‐ fanzun entnommen ist, konfrontiert den Leser mit einer schwer zugänglichen, einer mit Manfred Eikelmann als auffallend ›atektonisch‹-offen zu bezeichnenden Darstellungs‐ form, ebenso ausgestellter wie in Teilen brüchiger, ins Leere laufender und ironisch anmutender Intertextualität 455 und einer so komischen wie anspruchsvollen »Literarizität aller Figuren« 456 . Explizite wie implizite Bezugnahmen auf Veldekes Eneasroman schreiben beispielsweise die Königsschwester Antikonie, metonymisch eingeführt über die Burg 189 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 457 Zunächst in Vergulahts Rede räumlich mit der Burg in Verbindung gebracht (hêrre, ir seht wol Schamfanzûn. / dâ ist mîn swester ûf, ein magt; 402,20f.), werden daraufhin Lob und Beschreibung der Stadt (vgl. auch 399,11-24) explizit mit der Einführung Antikonies verflochten: der bürge lop sul wir hie lân, / wande ich iu vil ze sagen hân / von des küneges swester, einer magt. / hie ist von bûwe vil gesagt: / die prüeve ich rehte als ich sol (403,21-25). Groos verweist darauf, dass in den Beschreibungen Schampfanzuns der umso schwächer anmutende König Vergulaht keinerlei Erwähnung findet: »Indeed, the narrator’s fitful descriptions of the city have been preparing to suggest its connection not to Vergulaht but to Antikonie instead« (Ekphrasis, Landscape, and Power, S. 56). - Zum metonymischen Bezug zwischen Dido und ihrer Stadt Karthago und (später) dem Zelt des Eneas vgl. Benz: Kartâgô in Heinrichs von Veldeke Eneasroman. 458 »Es scheint ein ›tragisches‹ Liebesabenteuer bevorzustehen« (Draesner: Wege durch erzählte Welten, S. 315). 459 Weiter: »Also hängt das Erblicken eines Wesens des Dings von der Art ab, wie wir uns diesem Ding öffnen. Mit anderen Worten: Wir finden im Ding zwar nicht, was wir suchen, aber wie wir suchen. Die Entdeckungen, die wir am Ding machen können, überraschen das Ding, auf eine Weise, welche aus uns kommt. Also sind es Entdeckungen sowohl am Ding wie an uns selber« (Flusser: Dinge und Undinge, S. 57f.). 460 Tax: Nochmals zu Parzivals zwei Schwertern, S. 297. Schampfanzun, 457 an die Didofigur heran und damit den Ort des Geschehens an Karthago und den Protagonisten an Eneas: Von Vergulaht, noch der Jagd nachgehend, auf sie verwiesen, stellt sich aufseiten des literarisch vorgebildeten Rezipienten unweigerlich die im folgenden unterlaufene Erwartung einer Minne mit ›tragischem‹ Ausgang ein. 458 Diese kurze Skizze lässt bereits offenbar werden, dass die eingangs angestellten Überlegungen zum semantischen Gehalt des Schachspiels zu erweitern wären, ist dieses doch nicht nur als verdinglichtes Sinnbild der Figurenkonstellation auf Schampfanzun anzusprechen, sondern überdies als Chiffre für den Spielcharakter, den intertextuellen Bricolage des Erzählten. Anstatt nun die symbolischen Tiefen verdinglichter Schachmetaphorik auszuloten, soll im Folgenden der an dieser Stelle keineswegs zufällig gewählte Verteidigungsgenstand ›Schild‹, dieser paradigmatische Ausweis der Ritterlichkeit, ins Aufmerksamkeitszentrum rücken und den vielfältigen materiellen und symbolischen Transformationen in den Gawan-Büchern nachgegangen werden. Es soll also keine ›Wesensschau‹ unternommen werden, die in die Bedeutungstiefe etwa des im VIII. Buch so prominent inszenierten Schachspiels hinabführte, sondern neuerlich das Ding in den Vordergrund treten - als Leitspruch mag hierbei eine Passage aus Vilém Flussers phänomenologischer Skizze zum Schachspiel dienen: »Und wenn sich diese Schau anders ausrichtet, dann erblickt sie vielleicht das hölzerne Wesen des Schachs, etwa die Maserung eines Baums, aus dem die Steine geschnitten wurden.« 459 Die Gawan-Bücher können nicht nur hinsichtlich ihrer Episodizität, ihrer didaktisch und bisweilen besonders überzeichnet-spielerisch anmutenden Anlage als dem Haupthelden, dem rehten stam der Erzählung komplementierendes Gegenstück gelten, auch an der Narrativierung von Dingen lassen sich Tendenzen ablesen, die mit dem bislang Beobach‐ teten produktiv in Abgleich zu bringen sind. Petrus W. Tax regt zu einem solchermaßen vergleichenden und auf die Struktur des Gesamtromans perspektivierten Zugriff an, wenn er ganz allgemein festhält, es sei »wohlbekannt, daß Dinge wie auch Personen in den Gawan-Büchern solche im Leben Parzivals spiegeln […].« 460 Der hier und mit Blick auf den Parzival insgesamt nachgerade inflationär bemühte Begriff der Spiegelung kann unter 190 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 461 Blamires: Characterization and Individuality, S. 378. 462 So stellt Bumke in einer Untersuchung zu Wolframs eigenwilliger Darstellung der Schwertleite fest: »An keiner Stelle entsteht ein klares Bild von den Vorgängen, und der wichtigste Akt, die Umgürtung mit dem Schwert, wird nirgends erwähnt. […] Dafür treten Umschreibungen mit ›Schild‹ auffallend hervor […]. Meines Wissens ist schilt gewinnen zur Bezeichnung der Schwertleite vor Wolfram nicht belegt und hat auch in der lateinischen Ritterterminologie keine Parallele. Ebenso scheint Wolframs Hauptbegriff des Rittertums, schildes ambet, von ihm geprägt zu sein. In den Beschreibungen von Schwertleiten, die wir aus Deutschland und Frankreich besitzen, spielt der Schild nur eine untergeordnete Rolle« (Parzivals ›Schwertleite‹, S. 243). 463 Mohr: Obie und Meljanz, S. 107f. In einem späteren Aufsatz führt Mohr zur Bezeichnung der Gawan-Bücher als geschlossene Novellen aus, Wolframs Tendenzen in der Bearbeitung seiner Vorlage - angesprochen sind insbesondere die vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Figuren und das schöpferische »persönliche Engagement des Dichters« - resultierten darin, dass »epische Teileinheiten um eigene Mittelpunkte entstehen, die mitunter fast die Gestalt geschlossener ›No‐ vellen‹ gewinnen« (Landgraf Kingrimursel, S. 120). Berücksichtigung der mannigfaltigen Funktionen des Materiellen in den Gawan-Büchern eine Konkretisierung erfahren - ebenso wie eine Beobachtung von David Blamires, der in den Gegenständen Gawans zwar Ansätze zu einer Konturierung der Figur sieht, aber dennoch im Vergleich mit dem ›Haupthelden‹ der Erzählung, Parzival, festhält: All in all, however, the descriptions of Gawan’s personal appearance tell us little specific about him, though the descriptions of his clothing, possessions and the story of Gringuljete go a little, but certainly not very far, towards creating a slightly more individual picture. In no respect does Gawan become a serious rival to Parzival as the hero of the poem, as in all episodes and descriptions in his story his character, in all its idealization, remains generalized and lacking the passion and depth of feeling that is characteristic of Parzival. 461 Es wird, unter anderem, zu zeigen sein, dass insbesondere die Gegenstände, allen voran: der zum schillernden Leitmotiv stilisierte Schild, ein auch in den übrigen Erzählteilen her‐ ausgehobener Gegenstand der ritterlichen Ausrüstung, der in der wiederholten Rede vom schildes ambet zu »Wolframs Hauptbegriff des Rittertums« 462 avanciert, der individuellen Konturierung der Gawan-Figur ganz wesentlich zuspielen. Dem Blick auf die Struktur des gesamten Textes ist der Versuch vorgelagert, die Gawan-Bücher zunächst in ihrer je eigenen und sich nicht allein im Vergleich mit den auf die Parzivalfigur zentrierten Büchern zu erschließenden Faktur zu würdigen - ganz im Sinne Wolfgang Mohrs, der das VII. Buch, dessen Untersuchung hier zunächst folgt, in einem ersten Schritt als »in sich vollkommenes und notwendiges Gebilde, das seine eigene Mitte hat«, als »Novelle von Obie und Meljanz« beschreibt, um diese in einem zweiten Schritt als »sinnvolles Glied im großen epischen Kosmos von Parzival und Gawan« zu betrachten. 463 Wie Helmut Brall weiterhin herausgestellt hat, teilen die ersten beiden Gawan-Bücher VII und VIII über die angesprochene ›novellistische‹ Geschlossenheit hinaus eine auffallend »didaktische[] Anlage«: So authentisch die Ereignisse und Auseinandersetzungen der Könige, Fürsten, Hofleute und Verwandtengruppen auch geschildert werden, gerade hier nähert sich die Dichtung den didakti‐ schen und theoretischen Standards der Fürstenspiegelliteratur an, die um die Deduktion von Maximen und die Beurteilung von rechtem und unrechtem Verhalten bemüht ist. Aufgrund dieser 191 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 464 Brall: Familie und Hofgesellschaft, S. 572. 465 Heinzle: Wolfram von Eschenbach, S. 136. Abzugrenzen sei der hier diskursivierte arthurische Gesellschaftsentwurf von der Gralgemeinschaft: »Die Lebensordnung der Gralgemeinschaft ist kein Gesellschaftsentwurf. Sie hat keine Vorbildfunktion, sondern steht im Dienst der Erfüllung eines göttlichen Auftrags« (ebd., S. 137). 466 Mühlherr: Zwischen Augenfälligkeit und hermeneutischem Appell, S. 13. 467 Vgl. zum Stellenwert des Didaktischen aus der Perspektive des Prologs Brall: diz vliegende bîspel, S. 24 et passim. 468 Wehrli: Wolfram von Eschenbach, S. 209. 469 Kuhn in: Annalen der deutschen Literatur, zit. nach Wehrli: Wolfram von Eschenbach, S. 209. 470 Warning: Narrative Hybriden, S. 25. 471 Warning: Narrative Hybriden, S. 28. 472 Schulz: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive, S. 280. Vgl. hierzu zuletzt detailliert Sablotny: Zeit und âventiure in Wolframs von Eschenbach Parzival, S. 249-260. didaktischen Anlage spielen die Helden Parzival und Gawan - zwar nicht als Akteure, aber doch mit ihrem eigenen poetischen Profil - hier nur eine Gastrolle. 464 Da ganz vergleichbar auch die zentrale âventiure der Gawan-Bücher, die Befreiung der auf Schastel marveile von der Artusgesellschaft isolierten und gefangenen Damen und ihre Reintegration in die höfische Interaktion, als »ein Lehrstück über den höfischen Gesellschaftsentwurf« 465 gelesen wurde, ist im Folgenden auch nach den Funktionen der Dinge für die ›didaktische Anlage‹ des zunächst exemplarisch untersuchten VII. Parzival-Buches zu fragen. Insbesondere die zahlreichen narrativierten Schilde fungieren nicht nur als strukturstiftende Elemente der Erzählung, sondern sie sind darüber hinaus »als ›Merkgegenstände‹ für Handlungssequenzen« 466 eingebunden in ein tentativ als didaktisch zu beschreibendes und dabei über die Grenzen etwa konventioneller Minnekasuistik doch weit ausgreifendes, dieses permanent infrage stellendes Programm - Didaktisches ist bei Wolfram schließlich in der Regel, auch in den Gawanbüchern, nicht das Ziel, sondern das Mittel der Darstellung und als solches Gegenstand beständiger Reflexion und Revision. 467 Neben diesen Anregungen zu Bau und Funktion der Gawan-Bücher sei zuletzt noch auf einen Impuls verwiesen, wie ihn bereits Max Wehrli formuliert hat, der die Gawan-Bücher erzählstrukturell vom restlichen Roman mit Verweis auf ihre Episodizität abgrenzt und in ihnen ein »rein[] ornamentale[s] Erzählen« 468 realisiert sieht respektive, mit Hugo Kuhn, »eine gewisse Ziellosigkeit im Episodischen« beobachtet. 469 Rainer Warning hat diese makrostrukturellen Überlegungen weiterverfolgt und für die Gawan-Bücher »ein ganz dem keltisch-paganen Substrat geschuldetes Erzählen im Paradigma« 470 nachgewiesen, eine »narrative Proliferation« 471 , die der teleologischen Struktur des Erzählens von Parzival entgegenstehe und der Hybridität des Gesamtromans wesentlich zuspiele - zur Komple‐ mentarität der Protagonisten lässt sich auch mit Blick auf die Erzählstruktur festhalten: [D]er Artusritter-Aktant [spaltet] sich in zwei Figuren auf - Parzival und Gawan. Die enge Verflechtung beider Schicksale wird dadurch deutlich, daß Parzival an allen Stationen von Gawans Weg als Hintergrundfigur erscheint. Das Erzählen von Gawans Taten ersetzt offenbar etwas, was sich der Beschreibung entzieht - den Zustand der Gottlosigkeit Parzivals, die auch mit der Zeitlosigkeit einhergeht: erst bei Trevrizent tritt Parzival wieder in ein geordnetes Zeitgefüge ein. 472 192 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 473 Lévi-Strauss: Introduction à l’œuvre de Marcel Mauss, S. L. Die Rede ist zu Deutsch von einem Zeichen mit symbolischem Nullwert (»valeur symbolique zéro«), »das die Notwendigkeit eines supplementären symbolischen Inhalts markiert, der zu dem bereits auf dem Signifikant liegenden Inhalt hinzutritt« (Einleitung in das Werk von Marcel Mauss, S. 40). Zum Begriff des ›flottierenden Signifikanten‹ vgl. weiter Anm. 936 dieser Arbeit. 474 Lévi-Strauss: Tristes tropiques, S. 322. Übersetzung: »[A]n die Stelle des Konflikts tritt der Handel« (Traurige Tropen, S. 298). 475 Hasebrink: Gawans Mantel, S. 238. - Die kontroverse Forschungsgeschichte zur Stelle kann hier nicht angemessen nachvollzogen werden, es geht mir v. a. um Einführung und Konturierung der Gawanfigur sowie um die in die Szene integrierten Gegenstände; für weiterführende Literatur vgl. die in Anm. 969 dieser Arbeit nachgewiesenen Beiträge. In den Gawan-Büchern avanciert Wolframs Erzählen zu einem dezentrierten Spiel der Übersetzungen zwischen Zeichen (signes) und Begriffen (concepts), dessen Grundregeln sich an einem isolierten Gegenstand, dem Schild, nachzeichnen lassen: Dieses Zeichen, »c’est-à-dire un signe marquant la nécessité d’un contenu symbolique supplémentaire à celui qui charge déjà le signifié«, 473 wird als Symbol im Reinzustand eingeführt, als Dingsymbol, dessen ausgestellter symbolischer Nullwert im Laufe des VII. Parzival-Buches, im Zuge eines Spiels im Zeichen des Schildes supplementiert wird und das in der bildlich verdichteten Verdinglichung des (Schach-)Spiels als Schild auf Vergulahts Burg Schamp‐ fanzun vorläufig gipfelt: ûf disen vierecken schilt / was schâchzabels vil gespilt (408,25f.). 2.4.1 Wechsel, Tausch, Umbesetzungen: vom Kaufmannszum Minneschild (Buch VII) Le conflit fait place au marché. 474 Im VII. Buch wendet sich der Erzähler von seinem Haupthelden Parzival und der Handlung am Plimizoel ab und den Erlebnissen des ›Musterritters‹ Gawan auf seinem Weg zum Gerichtskampf gegen Kingrimursel zu. Dem VI. Buch sind zwei wichtige Voraussetzungen für die folgende Gawanhandlung zu entnehmen: 1. Mit der Einführung Gawans in der Blutstropfenepisode nimmt Wolfram eine »mar‐ kante Umschrift« 475 seiner französischen Vorlage vor: Nachdem Ither/ Li Vermax Chevaliers (Perc., 950) die Ritter der Tafelrunde zum Kampf gefordert und sie damit nachgerade para‐ lysiert hatte, erblicken sie nun einen Fremden, gegen den man den Zweikampf aufnehmen zu können glaubt - schließlich erkennen die Ritter, bei Chrétien, seine Minneversunkenheit nicht und halten dessen ›Schlaf‹ für eine günstige Gelegenheit zum Angriff (vgl. Perc., 4211-4236), oder sie deuten, wie Cunnewares Knappe bei Wolfram, die Zeichen falsch und sehen in dem aufgerichteten Speer eine Kampfaufforderung: dâ hielt gezimiert ein degn, / als er tjostierns wolde pflegn / gevart, mit ûf gerihtem sper (284,1-3). Der Fremde, im Bann der das Bild seiner Geliebten evozierenden Blutstropfen im Schnee, ist durch Kämpfe nicht aus seiner Trance zu befreien, erst mit Gawans/ Gauvains Eintreffen wird ein Wandel initiiert: Während sich Gauvain dem rätselhaften Ritter just in dem Moment umsichtig annähert, als der Schnee bereits zu schmelzen (vgl. Perc., 4426-4431), das Bild damit aufzulösen und den Träumenden langsam erwachen zu lassen beginnt, ist es bei Wolfram Gawan, der Parzivals Zustand erkennt (der tavelrunder hôhster prîs / Gâwân was solher nœte al wîs; 301,7f.), der zu 193 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 476 Haug: Die Symbolstruktur des höfischen Epos, S. 690. 477 Johnson: Die Blutstropfenepisode in Wolframs Parzival, S. 314. Vgl. ebd. für eine Analyse der Abweichungen Wolframs von seiner Vorlage. wissen scheint, was der Erzähler zuvor über die Minne berichtet hat, dass gegen sie nämlich weder schilt noch swert (292,29) hilft, und der schließlich »einen Kunstgriff an[wendet], um Parzival aus seiner Träumerei zu befreien« 476 : Mit einem kostbaren Textil verdeckt er die Blutspuren und befreit Parzival somit schlagartig aus seiner Fixierung auf das Bild. Während Gauvain spekuliert, der Fremde könnte vielleicht einen Verlust oder den Raub seiner Geliebten betrauern (vgl. Perc., 4360-4363), führt Wolfram Gawan als Figur mit einer bewegten Vorgeschichte ein: Parzivals Verhalten erinnert ihn an seine eigene Vergangenheit, daran, dass er sich einst, von der Minne bezwungen, mit dem mezzer durh die hant (301,10) gestochen hatte, weiterhin daran, dass seine Geliebte Inguse ihn vor dem Totschlag durch Lähelin beschützt hatte (vgl. 301,9-20). Gawan ist mithin im Gegensatz zu Parzival ein Ritter mit einem großen Erfahrungsschatz, einer weitläufig bekannten und dennoch oftmals obskuren Vorgeschichte: mîn nam ist ouch vil unverholn, / an allen steten unverstoln (303,25f.) - eine Prominenz, die ihn im Folgenden mit zahlreichen Konflikten und gefährlichen Verwicklungen konfrontieren wird, die ein erzähltechnisches Spezifikum der Gawanhandlung, eine sich aus seiner Vergangenheit, aber auch aus Gerüchten und Verwechslungen ergebende Kontingenz bereits impliziert. Ein solcher Held versucht, sich aus fremden Konflikten mit potentiell ihm bekannten oder ihm anverwandten Akteuren entweder herauszuhalten oder sie anders als in blinden Zweikämpfen zu lösen, z. B. im Rollenspiel oder auf ›geheimdiplomatischem‹ Wege, was ihm wiederum den Ruf der Verweichlichung und der Feigheit einbringt: kêrt muoterhalp, hêr Gâwân: / so wert ir swertes blicke bleich / und manlîcher herte weich (299,10-12). Ein Ritter wie Gauvain legt sich, zumindest in seiner Einführung, die Rüstung nur auf Bitten seines Königs, nur zur Sicherheit an (vgl. Perc., 4413-4417), oder er reitet, so bei Wolfram, sunder swert und âne sporn (vgl. 299,29), mit seinem Mantel als »einzige[r] Waffe« 477 aus, er lässt sich von konventionellen Zeichen wie einem scheinbar zum Kampf erhobenen Speer nicht blenden, sondern blickt zuallererst auf den Schild des Fremden, auf die ihm eingeschriebenen Kampfspuren (vgl. 300,1-5), fokussiert kurz darauf auf dessen Blick, er marcte des Wâleises sehen, / war stüenden im diu ougen sîn (301,26f.), er rahmt überdies seine Handlungen mit formvollendeter höfischer Etikette, mit gruoz und freundlicher Ansprache. Zu guter Letzt gelingt es Gawan, den Wâleis nicht nur von seiner Minnetrance zu befreien, er stellt auch dessen Verbindung zur Realität wieder her, indem er Parzivals Blick von den nun verdeckten Blutstropfen auf die materiellen Spuren des Kampfes hin verschiebt: ›[…] rît her, schouw ors und ouch den stein. / hie ligent ouch trunzûne ûf dem snê / dîns spers, nâch dem du vrâgest ê‹ (304,22-24). Auch wenn der Protagonist in den im Schnee liegenden Spuren und materiellen Resten des Kampfes der wârheit (304,25) über das Geschehene unmittelbar ansichtig wird, bleibt doch eine Verunsicherung darüber, ob er tatsächlich gegen Keie gekämpft hat, ob also die Züchtigung Cunnewares mit seinem Sieg gerächt ist, bedarf es noch der Beteuerung Gawans, ›ine wil gein dir niht liegens pflegn‹ (305,1), bevor Parzivals ›Draht zur Welt‹, sein Glaube an die Echtheit der dinglichen Zeichen und ihrer behaupteten Bedeutung wiederhergestellt ist. Wolfram spielt 194 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 478 Vgl. Anm. 385 und 391 dieser Arbeit. 479 Curschmann: Dichter alter mære, S. 60. So auch Bumke: »Der Schluß des sechsten Buchs von Wolframs ›Parzival‹ hat ganz den Charakter eines Epilogs; Wolfram deutet dort an, daß eine einflußreiche Dame oder eine Gruppe von Damen ihm die Erlaubnis zum Weiterdichten verweigere. Daß an dieser Stelle tatsächlich ein Einschnitt liegt, ist durch zahlreiche Beobachtungen bekräftigt worden« (Mäzene im Mittelalter, S. 19f.). 480 Zu den orientalischen (Kunst-)Begriffen im Parzival vgl. Kunitzsch: Erneut: Der Orient; zu ›Angram‹ vgl. ebd., S. 88. - Zur Zahlensymbolik hält Blamires fest, diese wecke zwar bestimmte Assoziationen - am Beispiel der drei Schilde: »The three shields […] would naturally be connected in the medieval mind with the Trinity, faith in Whom would be defensive against the devil as the shields would be against a knightly opponent« (Characterization and Individuality, S. 374) -, aber: »What is important about the actual numbers used, however, is not any definite association the purpose of which is immediately apparent and meaningful throughout the poem, but the suitability and the evocativeness of the numbers, which then enhances the description of Gawan’s appearance« (ebd., S. 374). 481 Übersetzung Olef-Krafft: »Fremdes aber wollte er nicht mitnehmen«. hier Gewaltverzicht, höfische Courtoisie und eine Zeichenexpertise, die nicht auf einzelne konventionelle Zeichen fokussiert ist, sondern eine aufwendigere Wahrnehmungs- und Interpretationsleistung sichtbar werden lässt, als zentrale Charakteristika der Gawanfigur in den Vordergrund. Mit Gawan tritt ein ›Musterritter‹ auf, der als Kontrafaktur Parzivals angelegt ist, der seine Handlungen reflektiert, seine Umwelt, Figuren wie Dinge und Spuren, aufmerksam und geduldig beobachtet und mit seinen Waffen klug haushaltet: Die vielen Brüche mit diesem in Aussicht gestellten Ideal werden Wolframs Gawan wenn nicht Parzivals tumpheit, so doch dem Bild einer runderen Figur annähern, die unter anderen Umständen als in der Blutstropfenepisode an ihre Grenzen kommen, die ebenfalls dem Eigensinn, der Agency, der Bedeutungsoffenheit und der Ambiguität der Arrangements von Spuren und Dingen ausgesetzt sein wird - kein oder nicht in erster Linie ein ›Greifmensch‹, sondern ein ›verharrender Begriffs-‹, ein ›Denkmensch‹, der sich Dinge im Zuge von Tauschhandlungen, oder: ›vergleichenden Umfangsbestimmungen‹, aneignen wird. 478 2. Eine weitere Voraussetzung des erzählerischen und wohl auch »die Jahresringe wechselnder Patronatsverhältnisse« 479 indizierenden Neueinsatzes im VII. Buch ist den Versen 335,10-23 zu entnehmen, in denen eine sich in ihrer Bedeutsamkeit erst an späterer Stelle erhellende Information zu Gawans Ausrüstung gegeben wird: Hier heißt es, er könne den Kaufleuten am Plimizoel vor seinem Aufbruch drei eigentlich unverkäufliche (niht veile; 335,15) Schilde abgewinnen, genauer: alt herte schilde wol gedign / (ern ruochte wie si wârn gevar) (335,12f.). Hinzu kommen sieben Pferde, deren Herkunft einstweilen ungeklärt bleibt, und zwölf Speere aus dem orientalisch-phantastischen Angram (335,20), 480 die Gawan von seinen Freunden erhält. Während Chrétiens Gauvain weder Pferde noch Waffen von den umstehenden Artusrittern anzunehmen gewillt ist - […] mais lui ne plot / Qu’il em portast rien de l’autrui (4802f. 481 ) -, stattet sich Wolframs Gawan mit zahlreichen Kauf‐ mannswaren aus, darunter mit Schilden, deren Aussehen ausgestellterweise nicht weiter von Belang ist und deren zu vermutende Wappenlosigkeit das für die Gawanhandlung integrale Inkognitomotiv bereits grundlegt: »Vermutlich beginnt mit Gawans Wahl der (wohl wappenlosen) Schilde bereits das Inkognitomotiv, das die Gawanhandlung auf weite 195 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 482 Nellmann: Stellenkommentar zu 353,13, S. 624f.; ähnlich bereits Mergell: Wolfram von Eschenbach und seine französischen Quellen, S. 248. Sacker dagegen sieht in der Auswahl der Schilde »for their toughness rather than for their ornament« lediglich Gawans voraublickende Klugheit indiziert (An Introduction to Wolfram’s Parzival, S. 73). 483 Schmid: Obilot als Frauengeber, S. 58. 484 So Mergell im Abgleich mit Chrétien, der das »Motiv später episodisch ein[führt]« (Wolfram von Eschenbach und seine französischen Quellen, S. 248); vergleichbar Blamires: »The gifts of the Arthurian court serve later as a pretext for Obie’s attempts to calumniate Gawan, and she refers to the richness of his worldly possessions, his horses, silver and clothing, as the property of a deceiver (362.25ff.)« (Characterization and Individuality, S. 374); vgl. auch Zimmermann: Kommentar zum VII. Buch, S. 162f. 485 Auch das Inkognitomotiv ist bekanntermaßen Wolframs eigene Zutat, die sich eindeutig von den bei Chrétien zu lesenden Inszenierungen problemlosen Erkennens sowohl Gawans als Artusritter (vgl. 4933-4935) als auch anderer Figuren durch Gawan (vgl. 4830 f., 4838-4840) absetzt. Bei Chrétien indizieren die zwei Schilde die Anwesenheit von zwei Trägern, eine Verbindung dieses Motivs mit dem Kaufmannsmotiv wird nicht hergestellt. Wolfram wird Gawans Heimlichtuerei besonders auf Joflanze exponieren und zum handlungstreibenden Thema ausweiten, er wird sich gar in 636,6-11 oder in 665,25-666,1 gegen das bisweilen komisch überzeichnete Verhalten seines Protagonisten aussprechen: »Der Erzähler distanziert sich von Gawans Heimlichtuerei, die er - wie der Vergleich mit dem ›Conte du Graal‹ zeigt - selbst inszeniert hat, ohne erkennen zu lassen, welchen höheren Zweck diese Heimlichkeiten haben« (Bumke: Wolfram von Eschenbach, S. 107). Gawan selbst gibt einen Hinweis auf die Funktion seines Inkognito und der (auch z. B. seinen Boten auferlegten) Heimlichtuerei, wenn er Orgeluse bittet, lât mînen namen unrekant, / als mich der rîter hât genant, / der mir entreit Gringuljeten (620,3-5). Es geht Gawan also womöglich, auch in seinen oftmals handlungslogisch kaum zielführenden Heimlichkeiten, in erster Linie darum, Begegnungen wie diejenige mit Urjans am Anfang des X. Buches (s. Kap. 2.4.2 dieser Arbeit) zu vermeiden, kämpferischen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, später auch darum, die heimliche Verbindung zwischen Gramoflanz und Bene nicht öffentlich werden zu lassen, bevor nicht sein eigener Konflikt mit Gramoflanz und, damit eng zusammenhängend, derjenige zwischen Bene und Orgeluse geschlichtet ist (vgl. Benes eindringliche Bitte, ihr Fernminneverhältnis geheim zu halten in 634,5f.). 486 »Warum wird Gâwân mit einmal zum ›unbekannten Ritter‹? Weil dieses Unbekanntsein Gâwân mit Parzivâl verbindet. […] Scheinbar gegensätzliche Gestalten werden zu Echoreflexen. Mit diesem Stilzug erweitert sich der epische Raum des ›Parzival‹« (Bertau: Deutsche Literatur im europäischen Mittelalter, S. 982). Strecken bestimmt.« 482 Dass »Gawan seine entzifferbare Außenseite mit dem schmucklosen Kennzeichen des fahrenden Händlers versieht« 483 , belegt schon vor dessen Ausfahrt eine bedeutungs- und für den weiteren Handlungsverlauf folgenschwere Transformation des chrétienschen Prätextes: Der hier von den missgünstigen Damen auf Tintaguel (Wolframs Bearosche) vorgebrachte und vom Erzähler als ebenso haltlos wie boshaft ausgewiesene Vorwurf, der vor den Burgmauern lagernde Ritter sei ein changieres, ein Wechsler, der monoie et vaisselemente (vgl. 5063-5069), Geld und Silber, mit sich führe, wird bei Wolfram als keineswegs unbegründet dargestellt und zu einem Thema ausgeweitet, das bereits am Ende des VI. Buches präludiert respektive »leitmotivartig vorbereitet« 484 wird - zu einem Thema, dem sich auch das Motiv des mit mehreren Schilden reisenden Ritters unterordnet (vgl. 4956-4980). 485 Des Weiteren kann, bei allen Divergenzen hinsichtlich der Motivati‐ onsstruktur, Gawans Inkognito als Spiegelung von Parzivals »Unbekanntsein« 486 gelesen werden: Während Gawan die Dinge, allen voran Schilde, als Mittel der Verschleierung seiner augenscheinlich weithin bekannten Identität zu instrumentalisieren und sich so Bewegungs- und Handlungsfreiraum zu verschaffen sucht, ist Parzivals ›Unbekanntsein‹ 196 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 487 Schmid: Obilot als Frauengeber, S. 59. 488 Schmid: Obilot als Frauengeber, S. 59. Zum sozialen Prestige des Kaufmanns respektive des ›Wechslers‹ um 1200 und zur Semantik der von Obie verwendeten Termini vgl. Zimmermann: Stellenkommentar zu 353,26, S. 111f. kaum rational motiviert, sondern vielmehr ein Kommentar auf seine schwierige Suche nach Identität. Der Kaufmannsschild, als Motiv am Ende des VI. Buches solchermaßen beiläufig einge‐ führt, avanciert im VII. und den übrigen Gawan-Büchern zu einem rekurrenten Leitmotiv, das sowohl als Ding als auch als Metapher von solcher Prägnanz ist, dass im Folgenden den narrativen Funktionen und Bedeutungstransformationen dieses zentralen Gegenstands nachgegangen werden soll. Hierbei kann auf eine Anmerkung von Elisabeth Schmid zurückgegriffen werden, die in der Kaufmannsidentität Gawans den »methodologischen Wink« impliziert sieht, »unseren Blick auf die im Laufe des VII. Buches getätigten Inversionen, Umwidmungen und Umdeutungen zu lenken« 487 - allesamt Prozesse der Transformation, die für die Tätigkeit des Kaufmanns charakteristisch sind und die im augenfälligen Gegensatz zum Agon ritterlich-kämpferischer Aneignung von Gegenständen stehen: Er [der Kaufmann; S.W.] hat Geld und ritterliches Gerät […] in seinen Koffern, d. h. er ist in der Lage, ihnen ihre Beutestücke in Geld zu konvertieren oder umgekehrt eben dieses Geld in Ware umzutauschen. Ritter erben oder erbeuten, sie schenken oder verlieren. Der Kaufmann hat die Möglichkeit, sich auf einem anderen als agonalen Wege Eigentum zu erwerben oder sich dessen zu entäußern. 488 Eine Relektüre des ersten Gawanbuches mit besonderem Fokus auf dieser Verteidigungs‐ waffe legt die facettenreichen Spielarten der für Wolframs gesamtes Œuvre so charakte‐ ristischen Form der assoziierend-paradigmatischen Reihung von Erzählteilen frei, die in Entsprechung zu den Bedeutungstransformationen des Verteidigungsgegenstands ›Schild‹ tritt. An diesem Ding wird überdies, insbesondere in den ausführlicher zu besprechenden Reden der höfischen Miniaturdame Obilot, neuerlich die auch mit poetologischem Aussa‐ gewert aufgeladene Spannung zwischen dinglicher und metaphorischer Wortbedeutung diskursiv. Wie bereits beim Weggang Gahmurets aus Anschouwe wird auch im Falle von Gawans Auszug den Dingen, die der Ritter mitnimmt, ein bezeichnender Warencharakter, eine ausgestellte Bedeutungsleere attribuiert. Eine erste Zuschreibung von Bedeutung nimmt der Erzähler nachträglich vor, indem er eines der sieben Pferde Gawans als Gabe ausweist: Als der Held einen großen Tross mit zahlreichen Fahnen und, seinem eigenen Auftreten spiegelbildlich entsprechend, mit grôzer fuore (339,23) entdeckt, dô hiez er gürten balde einem orse daz im Orilus gap: daz was genennet sus, mit den rôten ôren Gringuljete: er enpfiengz ân aller slahte bete. Ez was von Muntsalvâsche komn, 197 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 489 Schu: Vom erzählten Abenteuer, S. 313. 490 Stock: Lähelin, S. 31. 491 So spekuliert beispielsweise Stock, die unmotiviert anmutende Übergabe des Gralpferdes von Orilus an Gawan solle anzeigen, »dass die Gralsgesellschaft auf eine Zeit geordneter Zustände zuläuft und dass die Bedrohung abnimmt. Eine Welt, in der Verwandte Lähelins nicht mehr auf Gralspferden umherreiten, ist eine bessere Welt. Wenn schon ein Gralspferd von einem geritten wird, der selbst kein Gralsritter ist, dann ist der arthurische Edelritter Gawan ein guter Kandidat, so könnte man aus diesem Pferdewechsel, die ja eine hohe Bedeutsamkeit im ›Parzival‹ haben, schließen« (Lähelin, S. 34). - Auch möglich, dass das bei Chrétien vorgebildete Motiv der von Gawan ausgeschlagenen und nicht erbetenen Gaben hier anklingt (vgl. Perc., 4800-4803). 492 Beck: Raum und Bewegung, S. 213. 493 Am prominentesten Cundrie: »Similar to many precious objects mentioned in Wolfram’s Parzival romance, Kundrie is conceived of as a ›gift‹ transferred from this exotic region« (Stolz: A thing called the Grail, S. 198). 494 Mit Parzivals Agieren auf der Seite der Maljanz-Partei ist, wie zuletzt von Rippl betont, keinesfalls eine - in der Forschung oftmals behauptete - Beliebigkeit in der Wahl der Kampfpartei indiziert, die den Gralsuchenden in ein negatives Licht rückte, sondern vielmehr die Kontingenz des erzählten Geschehens exponiert: »Die ›Wahllosigkeit‹ scheint mir das Motiv des Zufalls, die Kontingenz der Kampfangelegenheiten als Figurenintention misszuverstehen. Allein der Dualismus ›richtig - falsch‹ ist angesichts der Komplexität der Konfliktsituation, die Wolfram bekanntermaßen gegen Chrétien noch steigert, völlig unzureichend […] - in all diesen Verschlingungen eines Minnekasus lässt sich Recht oder Unrecht nicht mehr differenzieren, insofern auch keine Wertung Parzivals oder unt hetz Lehelîn genomen ze Brumbâne bîme sê: eime rîter tet sîn tjost wê, den er tôt derhinder stach; des sider Trevrizent verjach. (339,26-340,6) Mit dem Pferd gelangen auch seine Vorbesitzer an die Erzähloberfläche: Dass Wolfram aus der langen Reihe der Vorbesitzer Gringuljetes gerade das Brüderpaar Orilus und Lähelin auswählt, sprich: das Hassobjekt der Tafelrunde (Si hazzent mich besunder, / die von der tavelrunder; 135,7f.), die »›Kampfmaschine‹« 489 Orilus und denjenigen, der Par‐ zivals Erbländer erobert hat und damit für einen wesentlichen handlungsauslösenden ›Mangel‹ verantwortlich zeichnet (vgl. 128,3-10), lässt das Ross, mit Markus Stock gespro‐ chen, zum »Zeichen für das Bedrohungspotential der beiden männlichen Vertreter der Familie« 490 werden, es exemplifiziert, in diesem Aspekt beispielsweise mit der Itherrüstung vergleichbar, eine agonale Form der kämpferischen Aneignung fremden Eigentums. Dem Tier ist eine Geschichte gewaltsamen, später von Trevizent als rêroup (473,30) bezeich‐ neten, Nehmens und rätselhaften Gebens eingeschrieben 491 - ebenso wie ein am Bug eingebranntes Zeichen, des grâles wâpen […], / ein turteltûbe, von dem allderdings erst an späterer Stelle die Rede sein wird (vgl. 540,26f.): »Wolframs Pferde sind nicht nur sensible Geschöpfe, sie sind auch sensibler Besitz: wer ein Pferd dannen zieht, nimmt das Unrecht mit.« 492 Die Stute reiht sich somit in die sich zwischen Gral- und Artussphäre bewegenden Figuren und Dinge ein, 493 sie stiftet überdies einen paradigmatischen Bezug zum zweiten namentragenden Pferd Gawans, Ingliart, sîn ors mit kurzen ôren (398,15), das während des Kampfes gegen Meljanz seinem Besitzer Gawan entläuft und von dem zufällig für die gegnerische Kampfpartei streitenden Parzival erworben wird (vgl. 389,25-30). 494 Hier 198 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival Gawans entsprechend ihrer Parteinahmen ableiten, die, und das wird mehrfach deutlich, rein zufällig zustande kommen« ([V]Erkennen und Anerkennen in Wolframs Parzival, S. 225, Anm. 81). 495 Für eine eingehende Untersuchung der Pferde im Parzival vgl., mit Fokus auf den »Beziehungen zwischen Pferden und Personen«, Ohly: Die Pferde im Parzival, hier: S. 862, für eine geraffte Übersicht der relevanten Stellen Mersmann: Der Besitzwechsel und seine Bedeutung, S. 138-143. 496 Weiter zu den ›handwerklichen Kunsmitteln‹, die das VII. Buch mit dem weiteren Romankosmos verknüpfen: »Die Bindeglieder, welche die Novelle des 7. Buches mit dem Epos verknüpfen, machen hingegen den Eindruck, als ob sie dem wachen, bewußten Kunstverstande Wolframs zu verdanken sind. Sie zeugen von seiner dichterischen Technik. Gerade weil die Geschichte von Obie und Meljanz sich so sehr verselbständigt hatte, mußte er sie um so dichter in das Motivengewebe des gesamten Epos einfangen. […] Mit der Gestalt Gawans zieht sich durch die Geschichte das hindurch, was ihn begleitet« (Mohr: Obie und Meljanz, S. 109f.). 497 Chrétiens szenische Darstellung beginnt vergleichsweise unvermittelt mit der Begegnung mit dem Knappen - dessen Schild wird zwar beiläufig erwähnt (un escu a son col; 4822), er bleibt allerdings ein einfaches Requisit. Auch Chrétien lässt seinen Protagonisten inkognito durch den epischen Kosmos deutet sich eine an dieser Stelle nicht weiter zu verfolgende Zirkulationsbewegung an, in welcher Pferdewechsel Räume, Figuren und Handlungen miteinander verweben und Semantiken von Gewalt und Gegengewalt, Geben und Nehmen durch die erzählten Zeiten hindurch präsent halten. 495 Die mit dem Pferd assoziierten Bedeutungen weisen zudem auf die Unabgeschlossenheit reziproker Gewalthandlungen hin und auf Gawans Bereitschaft, sowohl vom direkten Weg zum Gerichtskampf, der rehte[n] strâze (339,16), abzuweichen, als auch sich an dem vor Bearosche schwelenden Konflikt zu beteiligen, voraus - solch assoziative Bedeutungszuschreibung macht der Erzähler wenig später explizit, wenn er daran erinnert, das Pferd werde nun neuerlich gegurt (340,29), wie es bereits in mangen angestlîchen furt / gein strîte was zer tjoste brâht: / des wart och dâ hin zim gedâht (340,30- 341,2). Den Dingen in dieser Hinsicht vergleichbar erweist sich auch das Pferd Gringuljete als bereits präcodiertes Zeichen, dessen Bedeutung abzurufen dem Erzähler die Möglichkeit bietet, die ›Totalität‹ und Welthaltigkeit des Erzählten zu indizieren und zugleich jeweils bestimmte, für den aktuellen Kontext relevante Bedeutungsdimensionen herauszuheben: Im Falle Gringuljetes sind es die Hintergründe gewaltsamen Raubens und rätselhaften Ge‐ bens, die die vorgetäuschte Kaufmannsidentität des Ritters vorausdeutend konterkarieren und in augenfälligen Kontrast zu seinen sonstigen, ausgestellterweise bedeutungsleeren und einer Objektbiographie entbehrenden Ausrüstungsgegenständen treten. Wie Gawans Bewaffnung und sein Gefolge fungiert auch das Pferd Gringuljete als ›Bindeglied‹, das die vergleichsweise geschlossene Erzählung im VII. Buch in das »Motivengewebe des ganzen Epos« 496 einfügt. Im Zentrum der Folgehandlung stehen diverse Schilde: Nach dem Entschluss, sich dem vorbeiziehenden Tross anzunähern (340,7-13), steigt Gawan vom Pferd und sieht zunächst […] vil kleider wol gesniten und mangen schilt sô gevar daz err niht bekande gar, noch keine baniere under in. (340,18-21) Das Inkognito-Thema wird hiermit, abermals eine markante Abweichung von der altfran‐ zösischen Vorlage, 497 variiert und ausgeweitet: Auf der einen Seite Gawan mit seinen 199 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher reiten. Im Gegensatz zu Wolframs Bearbeitung ist das Problem des Erkanntwerdens hier indes keines, das auch Gawans Erkennen affizieren würde: Gauvain kennt die Hintergründe etwa des Konflikts vor Tintaguel bereits, »er kennt die Welt mit ihren Zufällen, und er weiß, daß es nicht seine Art ist, ihnen auszuweichen. Was er von dem Schildknappen erfährt, kann er in Zusammenhänge einordnen. […] Er selbst aber bleibt unerkannt« (Mohr: Obie und Meljanz, S. 95). 498 Seelbach: Vrouwe Obilôt, S. 256. 499 So die Übersetzung von Stapel, S. 200. Ähnlich Zimmermann: Stellenkommentar zu 341,10, S. 42. 500 Gärtner weist ein Asyndeton in 341,9 nach (gegen die lectio difficilior Böttichers, der wârn als κοινόν, sowohl gemâlt als auch gegeben zuzuordnen, auffasst) und mit erkant ein nachgestelltes isoliertes Partizip (Die Constructio ἀπὸ κοινοῦ, S. 247f.). 501 Dieses Nicht-Erkennen wird sowohl im Monolog (disem her ein gast ich pin, / […] / sît ich ir keine künde hân; 340,22-24) als auch zu Beginn des Dialogs mit dem Knappen ausgestellt (Gawan fragt diesen, wes diu massenîe wære; 342,20). 502 Dass Semiotisches auch sonst zu Beginn des VII. Buches diskursiv wird, zeigt Morsch: »Sein [Ga‐ wans] erfolgreiches als-ob-Gebaren, das ihn tatsächlich als Teil des fremden Heeres erscheinen lässt, macht deutlich, dass er nicht nur Subjekt, sondern zugleich Objekt der Fokalisierung (der Beobach‐ tung durch andere) ist. Schon hier wird also thematisch, was für die gesamte Bêârosche-Episode (bzw. für höfische Visualität insgesamt) kennzeichnend bleibt: die Tatsache nämlich, dass der Beobachter immer zugleich in der Gefahr steht, selbst beobachtet zu werden. Der Rezipient, der in dieser Passage in kleinteiligen Beschreibungen den Landschaftsraum […] sowie den Körperraum eines - allerdings recht ungeordneten - Heeraufzugs durch die Augen Gawans (er sah) vorgestellt bekommt, erfährt auf diese Weise die zentrale Differenz zwischen Gawans und der eigenen Beobachterposition« (Blickwendungen, S. 142). drei wappenlosen Kaufmannsschilden, auf der anderen Seite Schilde, deren für den Prot‐ agonisten nicht lesbare Wappen auch für den Rezipienten unbestimmt bleiben: »eine Situation der doppelten Kontingenz«. 498 Diese Entsprechung wird dadurch hervorgehoben, dass zusätzlich von Speeren die Rede ist, diu gemâlt wârn besunder / junchêrrn gegeben in die hant, / ir hêrren wâpen dran erkant (341,8-10) - »an den Fähnlein erkannte man, welchem Herrn sie gehörten.« 499 Offen lässt der Erzähler an dieser asyndetisch-verkürzt formulierten Stelle, 500 von wem die Wappen erkant würden; der Kontext lässt einzig evident werden, dass Gawan, das Wahrnehmungszentrum, hier zwar vieles sieht (vgl. 341,3: Gâwân sach … und 341,11f.: Gâwân fil li roy Lôt / sach von gedrenge …), aber nichts erkennt. 501 Die Zeichenlosigkeit der eigenen Ausrüstung und die unlesbar-arbiträre Bezeichnetheit der fremden Wappen zeitigen auf beiden Seiten vergleichbare Konsequenzen: Gawan wähnt sich dem Heer ein gast (340,22), eine Annahme, die sich im Übrigen als falsch herausstellen wird, die Vorbeiziehenden nämlich halten ihn für einen Ritter aus ihren eigenen Reihen (vgl. 342,3-5) - und vice versa hat auch er ir keine künde (340,24). Semiose wird somit gleich zu Beginn der Gawanbücher als Prozess des wechselseitigen Wahrnehmens und Nicht-Erkennens dinglicher Zeichen thematisiert und als ebenso irreführend wie potentiell erfolglos ausgewiesen. 502 Ein weiterer Schild findet kurz darauf in der Begegnung Gawans mit dem Knappen des kampfeslustigen und übermütigen Lisavander Erwähnung, dessen prominente Insze‐ nierung ihn als Synekdoche des übermütigen ›Kinderheers‹ um Meljanz ausweist. Wie schon bei Gawans Sichtung des Trosses spielt auch hier der Schild als einer der ersten Wahrnehmungsgegenstände eine hervorgehobene Rolle: ein ledec ors gieng im bî: / einen niwen schilt er fuorte (342,12f.). Die an dieser Stelle indizierten Assoziationen mit Gawans eigenem Auftreten - der Ritter ist ebenfalls mit ›neuen‹ Kaufmannsschilden ausgestattet - 200 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 503 Bertau: Deutsche Literatur im europäischen Mittelalter, S. 982. 504 Lugowski: Die Form der Individualität im Roman, S. 26. 505 Auch die so komische wie negative Darstellung des Trosses weist vergleichbare Spiegelungen auf: So tragen etwa die ironisch als frouwen (341,19) bezeichneten Prostituierten bis zu zwölf Gürtel ze pfande nâch ir minne (341,21). Den Gaben der Amphlise vergleichbar, wird auch an dieser Stelle das Motiv des Liebespfandes allusiv aufgerufen und im gleichen Zuge ironisiert. 506 »Der Knappe hat zweifellos gegen die für den Marsch gegebenen Anweisungen verstoßen, als er den Schild heimlich entwendete und mit diesem und dem ledigen Pferd dem großen Heer vorausgeeilt ist« (Zimmermann: Stellenkommentar zu 342,18-343,18, S. 50). 507 »Beinahe wie in der filmischen Technik von Schnitt und Gegenschnitt wechselt hier die Wahrneh‐ mungsreferenz der Darstellung« (Morsch: Blickwendungen, S. 145). 508 »[…] Gâwân ist incognito mit drei unbezeichneten Kramschilden unterwegs, die ihn in den Augen von Obilôts Schwester wie einen ambulanten Waffenhändler aussehen lassen. Genau diese heraldi‐ sche Leerstelle wird im Folgenden zum Schauplatz der Selbstermächtigung einer Urteil fällenden Instanz« (Scheuer: Wahrnehmen - Blasonieren - Dichten, S. 63). werden am Ende der Passage noch augenfälliger: Zum Abschluss seiner Binnenerzählung, von Wolfram zu einem »kleine[n] Epos im Epos« 503 ausgebaut, kommt der Knappe auf den niuwen schilt zu sprechen, den er den anderen Knappen heimlich gestohlen habe, ob mîn hêrre möhte vinden / ein tjost durch sînen êrsten schilt, / mit hurtes poynder dar gezilt (349,14- 16). Dass der Diebstahl des ›neuen‹, mit einem fremden Wappen versehenen Schildes den Knappen dazu zwingt, seine reise zu verheln (vgl. 349,11), stiftet ebenso eine Analogie zu Ga‐ wans Inkognito wie die in der Folge geschilderte Ausrüstung des ze vorvlüge heranreitenden Lisavander: driu ors unt zwelf wîziu sper / gâhten mit im balde her (349,19f.). Hier drei Pferde, zwölf weiße, sprich: unbemalte, Speere und zwei Schilde, dort sieben Pferde, zwölf Speere und drei wappenlose Schilde - Parallelen, die eine ›thematische Überfremdung‹ anzeigen 504 und das Inkognitomotiv weiter zum Thema ausweiten, dem sich sowohl Gawans als auch die Ausrüstungsgegenstände des Knappen zuordnen lassen. 505 Dass überdies der Erwerb des Schildes als agonaler Akt der Aneignung fremden Eigentums gekennzeichnet ist, 506 zeigt neuerlich eine Kontamination, eine Überlagerung von Raub- und Inkognitothema an, die in Entsprechung zu Gawans eigenem Auftreten als unritterlicher Kaufmann auf einem vormals gewaltsam-ritterlich angeeigneten Ross tritt. Dem Schild-Motiv kommt somit in dieser Szene zum einen eine charakterisierend-attributive Funktion zu, vermittels derer Gawan an das ungestüme Kinderheer des Meljanz herangerückt wird, sowie zum anderen eine, auf die Struktur des Passage hin besehen, kohärenzstiftende Funktion, da Erwähnungen des Schildes als erster Wahrnehmungsgegenstand (vgl. 342,13) und letzter Gegenstand der Binnenerzählung (vgl. 349,11-16) die Szene rahmen. Dingsemiotische Aspekte werden wie schon bei Gawans Aufeinandertreffen mit dem Melianz’schen Heer auch im weiteren Erzählverlauf vor Bearosche, in einer hochgradig artifiziell ausgestalteten Szene der raschen Perspektivwechsel und der wechselseitigen insbesondere auditiven Wahrnehmung 507 ein weiteres Mal diskursiv: Den Ankömmling beobachtend, geraten die Schwestern Obie und Obilot in einen länger andauernder Kon‐ flikt - einen Konflikt, der sich an der ›Lektüre‹ der »heraldische[n] Leerstelle« 508 , dem ›symbolischen Nullwert‹ seines Schildes entfacht. Beide Schwestern wenden hierbei ein referentielles Verfahren an und schließen vom materiellen Signifikanten ›Schild‹ auf divergierende Signifikate. Die partielle, aufs Hören beschränkte Wahrnehmung Gawans mimetisch abbildend, wird die den Dialog einleitende Frage ›wer mac uns hie komn? ‹ 201 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 509 Bumke setzt hier einen Doppelpunkt, der die Zuweisung von Redeinhalten an distinkte Spreche‐ rinnen vereindeutigt. 510 Vgl. Schöller: Die Fassung *T des Parzival, S. 236f. 511 »In der Handschrift T ist der Dialog eindeutig stichomythisch gegliedert. Die jeweils Sprechende wird durch Versal oder Majuskel angezeigt, zudem wird jede Aussage mit einem Interpunktionszeichen (Punkt oder Fragezeichen) abgeschlossen. Der kindlich-verärgerte Ausruft we (352,18), der in T wie in einigen *G-Handschriften enthalten ist, zeigt den Sprecherwechsel auch in der Textformulierung eindeutig an. Lachmanns Auffassung der Redeaufteilung dürfte von den *G-Handschriften ausge‐ gangen sein. Sie wird durch die Handschrift T - die er nicht benutzte - gestützt« (Schöller: Die Fassung *T des Parzival, S. 237). 512 Schöller: Die Fassung *T des Parzival, S. 237. irritierenderweise zunächst den drei Sprecherinnen, Mutter und Töchtern (si sprâchen), dann, vermittels einer weiteren nachgestellten Sprecherinnennennung zunächst scheinbar der alten herzogîn zugewiesen, bevor sich mit der Wiedergabe eines weiteren Dialoganteils herausstellt, dass die Fürstin, vermutlich, nur in 352,14 als Einzelsprecherin in Erscheinung tritt: schier het er von in vernomn, si sprâchen ›wer mac uns hie komn? ‹ sus sprach diu alte herzogîn. 509 ›waz gezoges mac diz sîn? ‹ (352,11-14) Anschließend äußert Obie die Mutmaßung, vor der Burg befinde sich ein Kaufmann - und neuerlich stellt sich der Eindruck einer vielleicht strategisch diffus gehaltenen Dialoggestaltung ein: dô sprach ir elter tohter sân Dô sprach ir elter tohter sân: ›muoter, ez ist ein koufman.‹ ›muoter, ez ist ein koufman. ›nu füert man im doch schilde mite.‹ nû füeret man im doch schilde mite. ›daz ist vil koufliute site.‹ daz ist vil koufliute site‹. (352,15-18) (Parz. D, 10503-10506) Wenn man der Lachmann’schen Interpunktion zur Linken folgt, stehen sich schon an dieser Stelle zwei gegensätzliche und schwerlich zu vereinbarende Positionen gegenüber: diejenige Obies, in der die Schilde als Beleg für die kaufmännische Identität des Unbe‐ kannten firmieren, und diejenige Obilots oder, wahrscheinlicher, der Mutter, die ja in 352,16 adressiert wird und in 352,17 neuerlich als Sprecherin auftreten dürfte, in welcher die dinglichen Zeichen eine solche Identität gerade widerlegen. Die graphische Gestaltung in Handschrift D legt indes, wie aus der Interpunktion Bumkes ersichtlich wird und Robert Schöller zuletzt nachgewiesen hat, 510 eine andere Verständnismöglichkeit nahe, dass nämlich das oben Zitierte (352,16-18) in Gänze als Rede der älteren Tochter, Obies, zu lesen und entsprechend der Satz nu füert man im doch schilde mite nicht als adversativer Anschluss an das Vorangehende, sondern als kausaler aufzufassen wäre - man könnte die Verse also abweichend von der Lachmann’schen Interpunktion und Deutung, die sich auf die *G-Handschriften ebenso wie auf die graphische Darstellung des Dialogs in *T stützen kann, 511 auch wie folgt übersetzen: »›Er ist ein Kaufmann, da er viele Schilde mit sich führt, wie es der Art der Kaufleute entspricht‹«. 512 Bedenkenswert scheint mir, 202 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 513 Zimmermann: Kommentar zum VII. Buch, S. 50. Eine Übersicht über die von Wolfram teils neu eingeführten, teils verschärften Konflikte findet sich bei Emmerling: Geschlechterbeziehungen, S. 7-32. 514 So Seelbach: »Gawan erscheint schon zu Beginn der Szene als Chamäleon. Zwei lesbare Außenseiten der Person konkurrieren um die Deutungshoheit: die wohlfeil-dingliche Außenseite des Kaufmanns […] und die artbetont-körperliche Seite des Ritters […]. Ökonomische und höfische Semantik werden in dieser Exposition deutlich gegeneinander in Anschlag gebracht, quasi in zwei Gestalten auseinandertretend: in Obie und Obilot (Polarisierung), die aber bezeichnenderweise Schwestern sind (Engführung)« (L’Esprit du don, S. 342). Es sei hervorgehoben, dass die angesprochene Spaltung an dieser Stelle (noch) nicht in der Unterscheidung zwischen ritterlichem Körper und seiner dinglichen Außenseite nachvollziehbar wird - so dann etwas später in Scherules’ Körperlektüre (s. u.) -, sondern schon letzterer, namentlich dem Schild als deutungsoffen-dinglichem Zeichen, inhäriert. 515 Scheuer: Schach auf Schanpfanzûn, S. 34. Man denke in diesem Zusammenhang auch an Gawans Selbstbezeichnung als kipper (sol ich kipper wesn …) in 351,17-22; kipper meint, Zimmermann zufolge, nicht ›Münzfälscher‹ (in dieser Bedeutung erst im 17. Jahrhundert nachgewiesen), sondern eine »Person[], die nicht fähig [ist], in ritterlicher Rüstung am Lanzen- oder Schwertkampf teilzunehmen. […] Sie wirken am Kampfgeschehen mit, indem sie mit Keulen u.ä. auf Pferde und Ritter einhauen, und sie scheinen daran interessiert zu sein, dabei Pferde, Waffen u.ä. zu erbeuten« (Stellenkommentar zu 351,17, S. 97). Die unritterliche Selbstbezeichnung wirft ein interessantes Licht auf die Gawanfigur, die ihren Auftritt wohlkalkuliert inszeniert und nicht davor scheut, die Rolle eines Parasits und Schmarotzers des ritterlichen Kampfes anzunehmen, einer Person mithin, die in ökonomischer Abhängigkeit von Turnier und Kampf lebt, wie sie später in Gestalt des Plippalinot auftreten wird (vgl. Anm. 638 dieser Arbeit). dass die den wichtigsten Überlieferungszeugen abzulesende Fassungsdivergenz hier und im Umfeld der Stelle mit einer erzählerisch vielleicht bewusst kalkulierten Verunklärung eindeutiger Zuweisungen von Redeinhalten an distinkte Sprecherinnen korreliert. Wie bereits in Gawans Begegnung mit Lisavanders Knappen, in welcher die Gesprächspartner erst 28 Verse lang versuchen [müssen], das für ein fruchtbares Gespräch nötige Einverständnis zu finden, ehe Gawan von dem Knappen die gewünschte Information erhalten kann, 513 würden auch an dieser Stelle kommunikative Defizienzen sichtbar, die sich auch auf der Ebene einer mehrdeutigen Dialoggestaltung abbilden mögen, welche ihrerseits in Überlieferungs- und Editionsgeschichte - so ließe sich zumindest spekulieren - die hier an‐ gedeutete Varianz bedingt haben mag. Zentral scheint im vorliegenden Kontext, dass diese Mehrdeutigkeiten und Irritationen, die ja auch im weiteren Dialog- und Handlungsverlauf, im Konflikt zwischen den Schwestern greifbar werden, mit der Bedeutungsoffenheit und Ambiguität des Zeichens ›Schild‹ und dem ›chamäleonhaften‹ Auftreten Gawans korrelieren. 514 Es zeigt sich, nicht nur an dieser Stelle, »dass die spezifische Bewegungsart und Vorgehensweise Gâwâns einen Raum der Unbestimmtheit und Ambivalenz öffnet.« 515 Dem anfänglichen ›Streit‹ über die Deutung von Gawans Schilden schließt sich eine Kette von Intrigen und Verleumdungsversuchen an, mit denen Obie erfolglos versucht, Gawan ins Zwielicht zu rücken. Bei dem zweiten ihrer insgesamt drei Verleumdungsver‐ suche schickt die maliziöse Fürstin beispielsweise den Burggrafen Scherules zu dem vermeintlich betrügerischen Kaufmann: Er solle seine Pferde und sonstigen Besitztümer beschlagnahmen (vgl. 361,4-14). Der kleinen Obilot vergleichbar, die die Schilde wohl entweder, in der *G- und *T-Fassung wie der Lachmann’schen Edition, als Ausweis von 203 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 516 Der Terminus ist im Parzival als Substantiv nur dreimal nachzuweisen, zweimal im Kontext von Parzivals Aufenthalt bei Gurnemanz (vgl. 168,8 und 170,21) und einmal an der hier besprochenen Stelle; vgl. auch Schöller: Die Fassung *T des Parzival, S. 173. 517 Seelbach: Vrouwe Obilôt, S. 258. Auf eine knappe Formel bringt diese Form der Semiose Obilot: er ist sô minneclîch getân, / ich wil in zeime ritter hân (352,23f.). Zur Unmittelbarkeit solcher Körperlektüre insbesondere im Falle Parzivals vgl. Czerwinski: Der Glanz der Abstraktion, S. 95f. et passim. 518 Seelbach: Vrouwe Obilôt, S. 257. 519 Schu: Vom erzählten Abenteuer, S. 358. 520 Seelbach: Vrouwe Obilôt, S. 259. 521 Emmerling: Geschlechterbeziehungen, S. 13, Anm. 16. Ritterlichkeit deutet oder sie, in der *D-Fassung, zunächst gänzlich ignoriert sowie, in allen Fassungen, anschließend seine minneclîch-ritterliche Gestalt fokussiert (352,23), kommt auch Scherules’ ausschließliche Körperlektüre zu dem Schluss, bei dem Fremden könne es sich nicht um einen Kaufmann, sondern nur um einen Ritter handeln: an dem er vant krancheite flust, lieht antlütze und hôhe brust, und einen ritter wol gevar. Scherules in pruovte gar, sîn arme unde ieweder hant unt swaz geschickede er dâ vant. (361,21-26) Richtet sich der Blick auf Gawans geschickede, seine körperliche Gestalt also, so stellt sich die an seinen gegenständlichen Accessoires sich entzündende Deutungsdiffusion gar nicht erst ein - an deren Stelle tritt wie schon bei Parzival, dessen Körperschönheit an früherer Stelle von Gurnemanz als geschickede unde schîn (170,21) bezeichnet worden war, 516 eine Art körperlich-undinglicher Ritter-Evidenz: »Einmal mehr vollzieht sich allein durch Körperzeichen jene Distinktion: ›Achtung: Elite! ‹ […], die schon für sich allein die Vertrauensbasis schafft.« 517 Während Obie ausschließlich Dingliches für die Identifikation Gawans heranzieht und einen für ihr Handeln - schon bei Chrétien (vgl. Perc., 4861- 4863) - insgesamt bezeichnenden »Tunnelblick auf das Mess- und Sichtbare beweist« 518 , schließen Scherules und Obilot vom Körper auf die ritterliche Identität ihres Gegenübers und bezeugen damit einen »tieferen Blick« 519 . Wie Seelbach zeigt, lassen sich die vorliegenden Szenen als Lehrstücke höfischer Rezi‐ prozität lesen. Erst sobald nämlich »der kaufmännische Blick auf die materiale Seite solcher Bindungen verlassen« 520 und hinter die Kaufmannsoberfläche geblickt wird, eröffnen sich Handlungsmöglichkeiten reziproker Interaktion - entsprechend lässt sich, einem Erzählerkommentar zufolge, zweifelsfrei benennen, wer bzw. was die ›Schuld‹ an dem fehlgeleiteten Kaufmannsvorwurf trägt: unschuldec was hêr Gâwân: / ezen hete niht wan d’ors getân, / und ander daz er fuorte (363,17-19). Ein Blick auf die am Geschehen vor Bearosche beteiligten Gegenstände und Pferde, die an der zitierten Stelle ausdrücklich als ›schuldfähige‹ Akteure markiert werden, lässt Interpretationen wie diejenige Emmerlings, Obie sei »durch ihre Liebe zu Meljanz so verblendet, dass sie den Artus-Neffen nicht sofort richtig einschätzen kann« 521 , als zumindest erweiterungsbedürftig erscheinen, ist es doch, wie bereits Schmid herausgestellt hat, gerade Gawans Intention, die Umwelt von seiner 204 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 522 »Daß Obie ihn für einen Kaufmann hält, ist überhaupt keine unplausible Unterstellung, denn dem Einwand der Mutter: nu füert man im doch schilde mite, begegnet sie mit: daz ist vil koufliute site (352,17ff), ein Argument, das Wolfram, wie sich jetzt zeigt, von vornherein abgesichert hat« (Schmid: Obilot als Frauengeber, S. 58). Zu den textkritischen Imponderabilien an dieser Stelle s.o. 523 Huizinga: Homo ludens, S. 30. - Zur Tjost bei Wolfram allgemein hält Hable fest, sie laufe »am schmalen Grat zwischen Feindlichkeit und Courtoisie, zwischen heftigem Konkurrenzkampf, der über Leichen geht, und streng geregelter Choreographie ab, und vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, wenn Kriege zu Turnieren und Turniere zu Kriegen werden bzw. beide hybride Formen annehmen« (Die Choreographie von Sieg und Niederlage, S. 158). 524 Clifton-Everest: Knights-Servitor and Rapist Knights, S. 298. ritterlichen Identität abzulenken und sich als Kaufmann auszugeben. 522 Als ›verblendet‹ (vgl. 365,20-366,2) ist also nicht die Fehleinschätzung an sich, sondern allenfalls die einsinnige Interpretation des Sichtbaren - nicht nur als Kaufmanns-, sondern auch als Fälscher- und Betrügeridentität - und deren Instrumentalisierung in Meljanz’ Sinne anzusprechen, eine Interpretation, die indes zuallererst durch die Deutungsoffenheit all dessen, daz er fuorte, der vor Bearosche präsentierten materiellen Zeichen ermöglicht wird. Den Schilden ist somit bereits nucleushaft inhärent, worauf (nicht nur) der Bearosche-Konflikt im VII. Buch des Parzival thematisch zentriert ist: die Kontingenz der Wahrnehmung, des Ver- und Erkennens (der Schild als Wappenträger und Zeichen), der Agon ritterlicher Aneignung, die Logik kaufmännischen Erwerbs (der Schild als Aneignungsobjekt und Ware) ebenso wie die Übergängigkeit von spielerischer Inszenierung und ernstem Konflikt. Gawans Spiel, dies zeigt sich schon zu Beginn der Bearosche-Handlung, wird nicht immer aufgehen: Entweder durchschauen die Figuren, namentlich Obilot und Scherules, seine materielle Maskerade und blicken hinter die Dinge auf den ritterlichen Körper, oder sie lassen sich, wie Obie, auf sein Spiel ein und begegnen dem scheinbaren Kaufmann und seinen mehrdeutigen Requisiten mit offenem Hass. In beiden Fällen droht das gefährliche Spiel Gawans in einen ernsten Konflikt zu kippen, wie sonst im VII. Buch allenthalben auch der kindliche Konflikt vom Turnier zum Krieg sich zu wandeln droht: »Die Spielstimmung ist ihrer Art nach eine labile.« 523 Einmal in Bearosche angelangt, kommt es zu einem ersten Zwiegespräch zwischen Gawan und der höfischen Miniaturdame Obilot. Nachdem der Fürst Lyppaut den Ritter nicht davon hat überzeugen können, für seine Seite Partei zu nehmen und in die Kämpfe vor Bearosche einzugreifen, besucht ihn die kleine Obilot und setzt sogleich zu einer ›Werberede‹ an, in der sie Gawan unmittelbar, ân alle vâre (369,2) und in komischer Überzeichnung ihre Minne anträgt: ir sît mit der wârheit ich, swie die namen teilen sich. mîns lîbes namen sult ir hân: nu sît maget unde man. (369,17-20) In Gedanken an Parzivals Vertrauen in die Frauen (vgl. 370,18-23) gelobt Gawan schließlich, er wolde durch si wâpen tragen (370,23): Gawan is simply acting out the part given him by Parzival; it is the latter’s own substituted service of ladies which here appears capable of reconciling him with the God he so scorns. 524 205 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 525 Huizinga: Homo ludens, S. 13. - Zu dieser nicht nur für das Spiel, sondern für jede modellierende Ausdrucksform so kennzeichnenden Bewegung der Ebenenwechsel und der Umbesetzung von Be‐ deungen und Bedeutungsträgern vgl. auch Geertz: Deep Play: Notes on the Balinese Cockfight, S. 27f.; die zentrale Stelle in Übersetzung: »Jede Ausdrucksform wirkt (wenn sie wirkt) dadurch, daß sie semantische Zusammenhänge in Unordnung bringt, indem sie Eigenschaften, die man üblicherweise gewissen Dingen zuschreibt, in unüblicher Weise anderen zuordnet, als deren Eigenschaften sie dann auch angesehen werden. […] Die überkommene Verknüpfung von Gegenständen und ihren Qualitäten wird verändert, und bestimmte Phänomene […] werden in Signifikanten gehüllt, die normalerweise auf andere Referenten verweisen« (»Deep Play«: Bemerkungen zum balinesischen Hahnenkampf, S. 251f.). 526 »Diese Reden haben für den modernen Deuter den Nachteil, daß sie ›unkindlich‹ wirken« (Zimmer‐ mann: Kommentar zum VII. Buch, S. 209). 527 Ein Thema, das überdies gleich zu Beginn der Erzählung am Beispiel von Gahmurets mâze und der Aussage des Erzählers, Lob möge nur von den umbesæzen (12,29) und, im besten Falle, von den Augenzeugen lobenswürdiger Taten ausgesprochen werden, an prominenter Stelle auf anderer Ebene diskursiviert wird; vgl. zu dieser Stelle Ortmann: Ritterschaft, S. 670f. Auch in der Selbstverteidigung wird dieser Gedanke, mit Blick nicht auf das Lob von Rittern, sondern von Damen, aufgegriffen: Sîn lop hinket ame spat, / swer allen frouwen sprichet mat / durch sîn eines frouwen (115,5-7). Die drei exemplarischen Textstellen verbindet der Gedanke, dass das Lob eines oder einer Einzelnen ein Zerrbild der Realität erzeugte, wie es, implizit gesprochen, der klassische Artusroman, alle auf einzelne Figuren zentrierte Lobreden und Erzählungen vermitteln. Die gesamte nun folgende Passage ist durchzogen von spielerischen Ebenenwechseln zwischen metaphorischer und literal-dinglicher Bedeutung: Spielend springt der sprachschöpfende Geist immer wieder vom Stofflichen zum Gedachten hinüber. Hinter einem jeden Ausdruck für etwas Abstraktes steht eine Metapher, und in jeder Metapher steckt ein Wortspiel. So schafft sich die Menschheit immer wieder ihren Ausdruck für das Dasein, eine zweite erdichtete Welt neben der Welt der Natur. 525 Dass Obilot zu Beginn des Dialogs auf die rhetorische Lehre ihrer Meisterin verweist, diu rede wære des sinnes dach (369,10), verortet ihr in weiten Teilen »unkindlich« 526 anmutendes Sprechen nicht nur im Bereich (pseudo)gelehrter Oratorik, sondern überdies im Diskurs der poetologischen Aussagen Wolframs von Eschenbach, der etwa im Prolog zum VII. Buch für die Verteilung dichterischen Lobs und erzählerischer Aufmerksamkeit auf mehr als eine einzige Figur, einen einzigen Protagonisten plädiert: 527 im wære der liute volge guot, swer dicke lop mit wârheit tuot. wan, swaz er sprichet oder sprach, diu rede belîbet âne dach. wer sol sinnes wort behalten, es enwelln die wîsen walten? valsch lügelîch ein mære, daz wæn ich baz noch wære âne wirt ûf eime snê […]. (338,11-19) 206 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 528 So z. B. Zimmermann: Kommentar zum VII. Buch, S. 14; Schu: Vom erzählten Abenteuer, S. 162 (beide mit weiterführender Literatur zur Stelle); Haug: Ein Dichter wehrt sich, S. 218; vgl. auch Ohlenroth: Konkurrierende Erzählangebote im ›Parzival‹, S. 271. 529 So z. B. auch die Bedeutungsangabe im BMZ: »das vollendende, wodurch etwas zu einem fest bestehenden ganzen wird« (I, Sp. 293b). 530 Dass auch die Formulierung âne wirt ûf eime snê als mehrdeutig gelesen werden kann, nämlich als Anspielung auf die Erzählung von Parzival, zeigt Bumke: »Âne wirt ûf eime snê hat Parzival die Nacht verbracht, die die Blutstropfenszene einleitet. Und auch ihm ist bildlich der Mund zugefroren: am nächsten Morgen hat die Liebesversunkenheit ihn stumm gemacht. Zufällig werden sich solche Anklänge nicht eingestellt haben« (Die Blutstropfen im Schnee, S. 63). 531 Martin: Stellenkommentar zu 338,14, S. 283. - Die der Forschung zu dieser Stelle abzulesenden »Bewältigungsversuch[e] von Unbestimmtheit« (Marshall: Unterlaufenes Erzählen, S. 5) neigen gelegentlich dazu, die insbesondere für Wolframs poetologisches Sprechen charakteristische Am‐ biguität und Komplexität, die gerade in der Herstellung semantischer Viel- und Mehrdeutigkeit ein zentrales Charakteristikum findet und die im Folgenden auf der Handlungsebene produktiv gemacht wird, zu verdecken. Für einen solchen ›Bewältigungsversuch‹ vgl. die Stellenkommentare von Zimmermann zu den hier diskutierten Stellen. 532 Paul: Zum Parzival, S. 87. Zur Ambiguität dieser Stelle und den beiden Deutungsmöglichkeiten vgl. Zimmermann: Stellenkommentar zu 369,10, S. 186-188. Resigniert hält der Erzähler fest, eine rede, in der das Lob mit wârheit verteilt sei, belîbet âne dach, sie erhalte kein Obdach 528 respektive, wie zuerst von Ernst Martin vorgeschlagen, sie sei unvollendet. 529 Es bleibt offen, ob der Erzähler hier kritisiert, dass der im rechten Maße Lobende weder auf der liute volge noch auf gastliche Aufnahme hoffen darf, oder ob seine rede ohne Lob nicht vollständig wäre - ein Gedanke, der an den strophischen Prolog zu Gottfrieds Tristan gemahnte, in welchem das lop im Rahmen einer mit ethischen Maßstäben aufgeladenen insinuatio zur Voraussetzung von Kunst erklärt, die Existenz des Guten von der Anerkennung, vom gedenken abhängig gemacht wird (Êre unde lop diu schepfent list, / dâ list ze lobe geschaffen ist …; Trist., 21): Wie die Kunst könne auch das Gute nur gedeihen und sich überhaupt erst entfalten, wenn es auch im intendierten Sinne wahrgenommen würde. Der Vers 338,14 ist weiterhin darin ambig, dass er sich sowohl auf das Vorangehende beziehen lässt, auf die Absage an eine Zentrierung des dichterischen Lobes auf des mæres hêrren Parzivâl (338,7), somit die zu Unrecht obdachlose respektive unvollendete rede mit dem Lob mehrerer Protagonisten parallelisierend und den ›mit wârheit Lobenden‹ gleichsam mit Wolfram identifizierend, als auch auf das Nachfolgende, das im Schnee am besten aufgehobene Negativexempel einer Erzählung. 530 Diese semantischen und referentiellen Offenheiten unterlegen dem Terminus dach zweierlei Bedeutung: Die erstere Bedeutung [âne dach, ›ohne Vollendung, Abschluss‹] passte besser zum Vorherge‐ henden, die zweite [›ohne Obdach, Schutz‹] zum Folgenden: Wolfram schiebt die eine der andern unter, um so leichter als sie im Grund zusammenhängen. 531 Im Vergleich zwischen Erzähler- und Obilot-Rede ist zunächst eine Inversion festzustellen: Während der Erzähler von einer ›Rede ohne Dach‹ spricht und dabei wie angedeutet sowohl ein wortwörtliches Verständnis von dach als ›(Haus-)Dach‹ als auch ein metaphorisches als ›Krönung‹ lizensiert, wird in Obilots Wiedergabe der Meisterinnenlehre die Rede selbst als Dach imaginiert, nun sowohl als sichtbare Bedeckung, als integumentum respektive, wie Hermann Paul vorgeschlagen hat, »als ›hülle‹« 532 des Sinns als auch als prîs desselben aufzufassen. Nimmt man die erste Bedeutung an und liest die Stelle vor dem Hintergrund 207 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 533 Mit den Begriffen μίμησις und διήγησις lassen sich die elementaren Formen der Darstellung, weiter gefasst: der Repräsentation, unterscheiden, die erzählend vermittelnde (διήγησις) und die nachahmende (μίμησις). Die Obilotrede weist wie nachgewiesen eine auffallende Geschichtetheit mimetischer und diegetischer Züge auf, vergleichbar der von Platons Dialogpartner und Bruder Adeimantos als erstrebenswert ausgewiesenen Form der Rede: Der μέτριος ἀνήρ, der ›gemessene Mann‹, werde nicht im überzogenen Maße nachahmen, καὶ ἔσται αὐτοῦ ἡ λέξις μετέχουσα μὲν ἀμφοτέρων, μιμήσεώς τε καὶ τῆς ἁλλῆς διηγήσεως, ομικρὸν δε τι μένος ἐν πολλῷ λόγῳ τῆς μιμέσεως (Plat., Rep., 396e). Übersetzung Rüdiger Rufener: »und seine Vortragsweise wird an beidem teilhaben, an der Nachahmung und an der einfachen Darstellung, doch so, daß in einem langen Gedicht die Nachahmung nur einen kleinen Teil ausmacht«. 534 Schnell: Literarische Beziehungen, S. 330. 535 Man denke, um nur ein besonders prominentes Beispiel herauszugreifen, an Karnahkarnanz’ ungeduldige Zurechtweisung des tumben knappen zurück: du maht hie vier ritter sehn, / ob du ze rehte kundest spehn (123,1f.; vgl. Kap. 2.3.1 dieser Arbeit). der ›Frauenpassage‹ in Wolframs Prolog, wird man das sichtbare dach des unsichtbaren Sinns nicht als einfaches, als ›echtes‹ Medium auffassen, sondern als potentielle und für ein rechtes Verständnis von Frau oder Rede zu beseitigende Täuschung (ein Thema, das ja hier, in Gawans Maskerade und Obies verleumderischen Unterstellungen, explizit verhandelt wird): diu ir wîpheit rehte tuot, / dane sol ich varwe prüeven niht, / noch ir herzen dach, daz man siht (3,20-22). Die ausgestellte Naivität Obilots wird so durch die Übercodierung ihrer Rede, deren Einbettung in ein Feld poetologischer Referenzstellen, die wiederum selbst Ambiguitäten und ein Changieren zwischen wortwörtlicher und metaphorischer Bedeutung aufweisen, auf komische Art und Weise konterkariert. Die Obilot-Rede erweist sich als gleichsam doppelt codierte, als eine, welche, die platonische Unterscheidung zwischen μίμησις und διήγησις aufgreifend, textintern als μίμησις, als Nachahmung der Meisterinnenrede, kenntlich wird, und die daneben vom textexternen Rezipienten als διήγησις, als vom Erzähler vermittelte und damit seine Vermitteltheit gleichsam anzeigende, gelesen werden kann. 533 Zur weiteren Übercodierung der Obilotrede, zur Literarizität der gesamten Figur trägt zuletzt bei, dass, wie von Rüdiger Schnell beobachtet, auffallende Ähnlichkeiten mit dem Reden und Verhalten Parzivals indiziert sind, die dem Gralsuchenden bereits an dieser Stelle eine verdeckt-gebrochene Präsenz verschaffen: Obilot und Parzival können die höfischen Umgangsformen und Regeln noch nicht adäquat ausfüllen, beide wollen das Angelernte praktizieren, nehmen es aber zu wörtlich. Denn beide sind sie noch zu jung und unerfahren. 534 Doch, wie für Wolfram typisch, stifteten solche Parallelen als einsinnige Wiederholungen wenig Sinn, wenn sie nicht abermals mit bedeutungsträchtigen Differenzen einhergingen: Während Parzival zum ze rehte spehn, zur korrekten Identitifikation von Dingen und Figuren bis zum Romanschluss hin nicht befähigt scheint, 535 demonstriert Obilot hier als kluge Zeichenleserin mit ›tieferem Blick‹ eine Expertise, die mit dem an der Parzivalfigur Verhandelten in augenfälligerem Kontrast nicht stehen könnte - und die darauf rechnen lässt, dass im unscheinbaren VII. Buch des Parzival vielleicht ›Lösungen‹ präsentiert werden, die sich auch auf andere Konflikte des Romans übertragen ließen. Der vom Rezipienten geforderte memorative Nachvollzug von Assoziationsketten rea‐ lisiert sich in abgewandelter Form in der nachfolgenden Romanhandlung, in einem von 208 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 536 »Diese ›verzogenen Formen‹ machen aufmerksam, daß hier etwas nicht ›stimmt‹ und daß hier also etwas ›Besonderes‹ vorgehen wird. Daß es etwas ›Besonderes‹ und nicht nur eine leichte Spielerei ist, ergibt sich aus dem Inhalt des Gesprächs. Die Konventionen der höfischen Minne in der Begegnung zwischen Herrn Gawan und Fräulein Obilot haben die Funktion eines Rahmens, der etwas einfaßt, was in ihm sichtbar gemacht werden soll, und der zugleich auch hinter dem, was er sichtbar machen soll, zurücktritt« (von Ertzdorff: Fräulein Obilot, S. 132). 537 Von Ertzdorff: Fräulein Obilot, S. 139. Weiter im Modus der Spekulation: »Vielleicht kann man sogar sagen, daß es Obilots reine Unbedingtheit war, die in ihm diese Erinnerung wachrief« (ebd.). 538 Zur Spiegelbildlichkeit der Minnebeziehungen hält Emmerling fest: »Wolfram schafft mit der Beziehung zwischen Obilot und Gawan einen spiegelbildlichen Kontrast zu dem Verhältnis zwischen Obie und Meljanz. Dieser Kontrast manifestiert sich zum einen darin, dass Gawans Verhalten unter dem Aspekt des dienst-lôn-Konnexes eine exakte Umkehrung von Meljanz’ Verhalten darstellt. […] Diese Spiegelbildlichkeit wird sich im Rahmen der Gawan-Erzählung wiederholen: Bei Antikonie wird Gawan lôn erhalten, ohne ihr zu dienen, bei Orgeluse wiederum wird er lange Zeit dienen, ohne Aussicht auf lôn zu haben« (Geschlechterbeziehungen, S. 22). 539 »Gawan kann nicht als ›Gawan, Obilots Ritter‹ in den Kampf gehen […]. Aber er kann von sich selbst frei werden, indem er Obilots abstraktes Spiel mitmacht und sich durch die Verwandlung in ›Obilot‹ der Minne schlechthin anheimgibt. […] Der Rollentausch bewirkt, daß Gawan auch jetzt nicht als er selbst in Aktion tritt« (Mohr: Obie und Meljanz, S. 104). »verzogenen Formen« 536 und Inversionen konventioneller Minnekasuistik durchzogenen Gespräch auf Ebene der Figuren, wenn Gawan, wie bereits angedeutet, seine Einstellung der kleinen Obilot gegenüber plötzlich eingedenk der Abschiedsworte Parzivals ändert: nu dâhter des, wie Parzivâl / wîben baz getrûwt dan gote (370,18f.). Über den Auslöser dieser Erinnerung lässt der Erzähler den Rezipienten im Dunkeln: Ist es eine - in der Gawan-Geschichte freilich allenfalls allusiv thematisierte - oppugnatio gegen Gott respek‐ tive ein Zweifel an Gottes Hilfsbereitschaft oder ausschließlich »die Größe des Vertrauens in eine Frau« 537 , die hier die memoria ins Bewusstsein der Figur treten lässt? Dass die Erinnerung unvermittelt als unverfügbar-externer Akteur in daz herze sîn (370,21) drängt, lässt nach einer ästhetischen Motivation, nach Parallelen zwischen der Erzählung von Parzival und der Gawan-Obilot-Episode fragen: Definierte Parzival sein Verhältnis zu Gott als vasallitisches dienst-Verhältnis (vgl. 332,1-8), als gestörtes mithin, da Gott weder Macht noch Gnade bewiesen habe, und folglich durch eine Minnebeziehung (ir minn dich dâ behüete; 332,14) zu ersetzendes, so steht auch im VII. Buch die Schutzfunktion der Minnedame in den kontrastiv angelegten minne-Kasus Obie-Meljanz und Obilot-Gawan gleichermaßen zur Disposition. 538 Auch das »Rollentausch«-Motiv, 539 das im Folgenden untersucht werden soll und das Gawan vielleicht an den Ratschlag seines Freundes zurückdenken lässt, ist bereits im VI. Buch grundgelegt: friunt, an dînes kampfes zît / dâ nem ein wîp für dich den strît: / diu müeze ziehen dîne hant (332,9-11). In der nachfolgenden Dialogpassage wird der in Obilots Rede nachdrücklich von Gawan eingeforderte ›Rollentausch‹ zunächst, beginnend mit der verbal-konjunktivischen Übergabe des Schwertes an Obilot, scheinbar bestätigt: ›in iwerre hende sî mîn swert. ob iemen tjoste gein mir gert, den poynder müezt ir rîten, ir sult dâ vür mich strîten. 209 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 540 »Gemeint ist, daß sie [Obilot] über die Kontaktbahn ihres Ärmels höchstpersönlich und nicht etwa nur symbolisch an dem Kampf teilnehmen wird« (Haferland: Kontiguität, S. 97). Auch ist an der Bezugsstelle Haferlands (370,27-28) noch nicht die Rede von dem Ärmel als dinglichem Präsenzmittler. 541 Mergell: Wolfram von Eschenbach und seine französischen Quellen, S. 257; weiter: »Minne wird hier - von Gawan aus gesehen - zu höfischer Konvention und zu höfischem Spiel, das fern von der Möglichkeit echter Liebeserfüllung dennoch im tiefsten Grunde ernst genommen wird« (ebd., S. 257f.). Dies wird, wie Emmerling festhält, bereits »an seinen ersten Worten deutlich« (Geschlechterbeziehungen, S. 20), an Worten, die ein Minneverhältnis mit dem sus wênec frouwelîn (368,29) ebenfalls im Konditionalsatz als nicht realisierbar markieren. 542 Vgl. Ps. 118,114: adiutor meus et susceptor meus es / tu in verbum tuum supersperavi (Biblia Sacra iuxta Vulgatam versionem). Mohr sieht überdies einen die Literarizität von Obilots Sprechen weiter unterstreichenden intertextuellen Verweis auf Walthers von der Vogelweide Frouwe, enlât iuch niht verdriezen mîner rede indiziert: »Der Witz des heiter-tiefsinnigen Liedes beruht darin, daß das Redensartliche der Sprache wörtlich genommen wird, so wie es Wolfram, freilich auf andere, seiner Erzählung dienliche Weise in der Obilot-Geschichte macht« (Obie und Meljanz, S. 117). man mac mich dâ in strîte sehn: der muoz mînhalp von iu geschehn.‹ (370,25-30) In Gawans Rede ist die Anwesenheit Obilots im und ihre Teilnahme am ritterlichen Kampf gerade nicht eine ungebrochen »höchstpersönlich[e]« 540 . Vielmehr differenziert der Artusritter zwischen demjenigen, den man in strîte sehen kann (den Ritter, sich selbst), und dem, was sich der Sichtbarkeit entzieht und als Handlungszentrum im Hintergrund agiert (die Dame) - »[d]eutlicher als bei Chrestien ist Gawan sich des fingierten Charakters des Minnegespräches bewußt«: 541 Die Verwendung von Konjunktiv, Konditionalgefüge und Modalverben macht auf eine Bedingt- und Imaginiertheit solcher Präsenz aufmerksam, die in Kontrast zur Replik Obilots steht, in welcher sich die Anwesenheit der Dame im Kampf nun als unsymbolische und unmetaphorische darstellt und in welcher sich die Figur mithin im Zuge eines performativen Aktes selbst verdinglicht: Si sprach ›vil wênc mich des bevilt. ich pin iur scherm und iwer schilt und iwer herze und iwer trôst, sît ir mich zwîvels hât erlôst. ich pîn für ungevelle iwer geleite und iwer geselle, für ungelückes schûr ein dach bin ich iu senfteclîch gemach. […] ich pin wirt und wirtîn und wil in strîte bî iu sîn. […]‹ (371,1-16) Neben die biblische Allusion in Vers 371,2, 542 die wie oben angedeutet auf Parzivals oppugnatio deuten könnte und die Schutzfunktion der Minneherrin mit derjenigen Gottes implizit gleichsetzt und überdies ein weiteres Mal die Übercodiertheit und Literarizität der Obilot-Rede anzeigt, treten in den vorliegenden Metaphern in praesentia neuerlich 210 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 543 Emmerling: Geschlechterbeziehungen, S. 23. 544 Vergleichbares hält Schmid zu Obilots Verwendung des Begriffs wirt/ wirtîn in 371,13 fest: »Wenn es im vorausgehenden Vers [371,12] heißt, Gawan solle sich im Kampf unz an den wirt wehren, so ist das allem Anschein nach im übertragenen Sinn gemeint und soll heißen, er soll sich bis zum Äußersten verausgaben. Unvermittelt schlägt aber in unserer Formel die Metapher in den konkreten Wortsinn um: Indem sich Obilot in der männlichen Form als wirt definiert, identifiziert sie sich mit ihrem Vater […]. In der weiblichen Form hingegen, als Burgherrin, wirtîn, definiert sich Obilot als Gawans aktiver Helfer, als Schutzgeist, der über seinem Kampfglück wacht« (Obilot als Frauengeber, S. 56). - Es sei ergänzend daran erinnert, dass auch mit das wirt-Motiv auf den Prolog zum VII. Buch zurückweist, konkret auf Wolframs Forderung, valsch lügelîch ein mære / […] baz noch wære / âne wirt ûf eime snê (338,17-19). 545 Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 85. textinterne Verweise zum einen auf das Schild-, zum anderen auf das ebenfalls bereits etablierte Dachmotiv. Mit der Wiederaufnahme dieser zwischen Metapher und Gegenstand oszillierenden Begriffe ist abermals die Übergängigkeit von poetologischer und Figurenrede indiziert: Wenn Obilot Gawan für ungelückes schûr ein dach zu sein verspricht, setzt sie dies einerseits in einen spiegelbildlichen Kontrast zu ihrer Schwester und deren minne-Ver‐ hältnis zu Meljanz, in welchem die Minnedame das Leben ihres Geliebten gerade aufs Spiel setzt. Andererseits deutet die Rekurrenz der aus dem Prolog bekannten Bildlichkeit abermals auf eine Analogisierung des minne-Themas mit dem literarischen Meta-Diskurs, auf eine ›Fortsetzung‹ der captatio benevolentiae im Prolog zum VII. Buch auf der Ebene der Figurenkommunikation: Wie die Erzählung, wie die Gawan-Bücher des Parzival bedarf auch der Geliebte in Obilots Diktion eines daches. Die Betonung »ihre[r] Schutzfunktion gegenüber ihrem Ritter« 543 nimmt somit in der evaluativen Struktur des Erzählten einen Ort ein, der demjenigen der rechten Rezeption der Erzählung entspricht. Die unmetaphorische Wortwörtlichkeit der hier verwendeten Bilder und Begriffe setzt sich sowohl von Gawans konjunktivischem Sprechen (in iwerre hende sî mîn swert - ich pin iur scherm und iwer schilt) als auch von Obilots früherer Rede ab: Wurde der Begriff dach von ihr zuvor im metaphorisch-ambigen Sinne verwendet (vgl. 369,10: die rede als dach, i.e. Hülle oder prîs, des sinnes), erscheint es nun als real-unmetaphorisches Raumelement zum Schutz in einem Schauer, abhängig freilich von der übergeordneten Metapher ungelückes schûr. 544 Auf engstem Raum rücken so in Obilots Rede gegenständliche und ungegenständ‐ lich-figurative Verwendungsweisen derselben Begrifflichkeit aneinander heran und fügen sich in ein Referenznetz poetologischer Aussagen, die den Schutz der allegorischen rede durch den Rezipienten mit demjenigen Gawans durch Obilot in eine Äquivalenzbeziehung setzen. Sowohl im Nahblick auf die hier analysierten Textstellen und deren semantische Offenheiten und Ambiguitäten als auch im geweiteten Blick auf die Verhandlung des Schildmotivs oder auch die Bedeutungswechsel etwa des dach-Begriffs erweisen sich, ganz im Gegensatz zu den Parzival-Büchern, Wort- und Dingbedeutungen nicht als einsinnig, sondern als in komplexen Prozessen transformierbare, als bewegliche Elemente eines kaum je arretierten Sprachspiels, das in einen sinnfälligen Analogiebezug zu den mannigfaltigen Spielmotiven des VII. Buches tritt: Die Referenz ist eine Eigenschaft der Kette in ihrer Gesamtheit und nicht der adaequatio rei et intellectus. Die Wahrheit zirkuliert in ihr wie die Elektrizität entlang eines Drahtes, und zwar so lange, wie er nicht zerschnitten wird. 545 211 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 546 Karg: sîn süeze sûrez ungemach, S. 158f. 547 Zum code-switching als der hochmittelalterlichen Bildtheorie und Dinghermeneutik - zumindest dem Vordenker Boncompagno da Signa - anders als moderne Konzepte wie ›Bedeutungssymbiose‹ oder ›Bedeutungsoffenheit‹ vertrauter Metaphernpraxis vgl. Hübner: Überlegungen zur Historizität von Metapherntheorien, S. 138-153. 548 Zimmermann: Stellenkommentar zu 369,10, S. 187. 549 Zimmermann: Stellenkommentar zu 369,10, S. 188. Zum Motiv der Kindheit im VII. Buch hält Baisch fest, es werde »als ein defizienter Zustand im Sinne eines Nicht-Erwachsenseins« inszeniert (Puppenspiele, S. 131). Vgl. auch Schultz: The Knowledge of Childhood, S. 244-268; Young: Obie und Obilot. 550 Lévi-Strauss: Le Totémisme aujourd’hui, S. 545. Übersetzung: »Die Metapher […] ist keine nachträg‐ liche Verschönerung der Sprache, sondern eine ihrer grundlegenden Ausdrucksweisen« (Das Ende des Totemismus, S. 132). In das Umfeld solcher Übersetzungen zwischen Bild und Ding, Metapher und Gegenstand, Symbol und Zeichen fügt sich, dass im weiteren Erzählverlauf auch die Aussage ich pin […] iwer schilt sich verdinglichen, im Verzieren eines von Gawans Schilden mit Obilots Ärmelgabe realisieren, in Handlung transponieren und das kleine Fräulein somit ›tatsächlich‹, nun vermittels dinglicher Metonymie, zum Schild ihres Minneritters wird: Frauen sind über die äußere Erscheinung des Ritters in seine Aktivität miteinbezogen, geben Schutz und Schild faktisch-symbolhaft wie psychisch und physisch. Sie sind präsent durch ihre Symbole wie Hemden, Ärmel, Waffenröcke, sowie den Anruf ihrer Ritter in höchster Gefahr. 546 Die metonymische Anwesenheit der kleinen Prinzessin auf Gawans Schild weist ihre unter Metaphernverdacht stehende Rede ex post auch als unmetaphorisch-vorausdeutende aus, ganz wie sich zuvor bereits, in der Retrospektive, Parzivals Ratschlag am Ende des VI. Buches als Vorwegnahme des und Vorausdeutung auf das Rollentausch-Motiv erwiesen hat. Die zum Begriff transformierte Metapher kann als paradigmatisches Beispiel für ein code-switching zwischen Metaphorischem und Metonymischem gelten, das die semantische Fülle bildlichen Sprechens ebenso wie den Spielcharakter auch der vorliegenden Episode indiziert. 547 Obilots Rede zeugt nicht nur an diesen Stellen von einem ›Sowohl als auch‹, von einem Nebeneinander »ernsthafte[r] und […] komische[r] Nuance[n]« 548 , das einerseits auf ihren »kindliche[n] Unverstand« 549 deuten und komische Effekte zeitigen mag, dem jedoch andererseits auch eine Metaphorizität und Übercodiertheit zu eigen ist, die ihre rede - analog zu derjenigen des Erzählers - als ausgestellt poetisch-literarische markiert: »La métaphore […] n’est pas un tardif embellissement du langage, mais un de ses modes fondamentaux.« 550 Die folgende, abermals pikareske Szene demonstriert zunächst die Kluft zwischen verbal vermitteltem Anspruch und Realität des letztlich besitzlosen Kindes. Nachdem Obilot am Dialogschluss ganz die höfische Dame zu mimen in der Lage war und Gawan einen solt respektive ihr kleinœte in Aussicht gestellt hat (vgl. 371,23-30), schließen sich in den anschließenden Gesprächen mit ihrer Spielgefährtin Clauditte und ihrem Vater eine hektische Suche nach einem angemessenen Liebespfand und die Einsicht darein an, daz wir niht wan tocken hân (372,18). Der Witz der Szene liegt darin begründet, dass ungewöhnlich detailliert auf einen normalerweise nicht weiter verhandelten Hintergrund der Handlung, 212 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 551 »Die amüsante Erzählung, wie Fräulein Obilot nach einem passenden Geschenk Ausschau hält und man schließlich Herrn Gawan einen Ärmel ihres extra zu diesem Zweck neu angefertigten Kleides schickt, gehört wieder in den Bereich der ›verzogenen‹ Formen der höfischen Konventionen« (von Ertzdorff: Fräulein Obilot, S. 132). 552 Baisch: Puppenspiele, S. 130. Zum »kulturelle[n] Konstrukt ›Puppe‹« als poetologischer Chiffre im Werk Wolframs hält Baisch fest: »In ihr verdichtet sich die Reflexion über die Handlungsmächtigkeit von Figuren, die den gesellschaftlichen Anforderungen der höfischen Kultur, Minne wie Kampf, nicht gewachsen sind und nicht sein können. In ihr spiegelt sich aber auch die Handlungsmächtigkeit (und Subjektivität) des Autor/ Erzählers Wolfram, der das Material seines retardierenden wie rekurrenten Erzählens virtuos einzusetzen weiß« (ebd., S. 133). 553 Emmerling: Geschlechterbeziehungen, S. 19. 554 Dass sich Thiebault zur Herstellung eines neuen Ärmels angehalten sieht, begründet sich aus dem Argument der Pucele, […] mes mances sont si petites / Qu’envoier ne li oseroie (5422 f.; in der Übersetzung Olef-Kraffts: »Meine Ärmel sind freilich so winzig, daß ich ihm keinen zu schicken wagte«). 555 »[E]inen Ärmel jedoch legt sie nur kurz an, er wird am Oberkleid nicht befestigt, sondern vielmehr Gawan als Minnepfand überbracht« (Raudszus: Die Zeichensprache der Kleidung, S. 130). Genauer zur Materialität solcher Minnepfänder Brüggen: »Sämtliche Belege scheinen mir dafür zu sprechen, daß die Ärmel nicht am Kleid festgenäht, sondern nur mit Bändern befestigt und demzufolge abnehmbar sind« (Kleidung und Mode, S. 88); zum Obilot-Ärmel vgl. ebd., S. 132-134. die Beschaffung einer Minnegabe, eingegangen wird. 551 Während besagte Clauditte, der hier unzweideutig eine rein »kindliche Perspektive zugeschrieben wird« 552 , offensichtlich (noch) keine Anmutung davon hat, welcher Gegenstand sich zu einer geeigneten Minne‐ gabe umwidmen ließe - sie bietet Obilot tatsächlich eine ihrer Puppen an -, wendet sich Obilot, ohne auf das Angebot ihrer Spielgefährtin einzugehen, an ihren Vater Lyppaut. Im Folgenden werden die aufwendige Beschaffung und Herstellung des Pfands beschrieben. Die Mutter stellt unverarbeitete Stoffe, samît von Ethnîse (374,26) und pfelle von Tabronite (374,28), bereit, und der Vater lässt das Gewand für Obilot schneidern, die so, ganz beiläufig, »offiziell vom Kind zur Dame erhoben wird«: 553 ein pfell mit golde vesten den sneit man an daz freuwelîn. ir muose ein arm geblœzet sîn: dâ was ein ermel von genomen, der solte Gâwâne komn. daz was ir prîsente, pfell von Neurîente, verre ûz heidenschaft gefuort. der het ir zeswen arm geruort, doch an den roc niht genæt: dane wart nie vadem zuo gedræt. (375,8-18) Abweichend vom chrétienschen Prätext, in welchem ausschließlich ein Ärmel für das Kind geschneidert wird, Une mance molt longue et lee (5453), also einer, der der Pucele as Petites Mances weder passt noch von ihr getragen wird, 554 imaginiert Wolfram das Verhältnis zwischen Obilot und ermel als eines der gleich zweifachen Teilhabe: So wird der Ärmel zum einen als Teil des an daz vröuwelîn geschnittenen Textils, an welchem er freilich nicht befestigt wird, 555 ausgewiesen (vgl. 375,10f.), zum anderen die körperliche Berührung 213 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 556 Metonymisch eng mit Ärmel und Arm verbunden ist das an späterer Stelle, in der Versöhnungsszene u. a. in Anspielung auf die rechtssymbolische Geste des homagium produktiv gemachte Handmotiv, zu welchem Schmid festhält: »Die Gawan untertane Hand des Meljanz wird in die von Obilot weitergehandelt, doch die hat, indem sie ihre Arme um Gawan schlingt, offensichtlich keine Hand frei, so daß man sich vielleicht doch vorstellen darf, daß auch Meljanz sich zu einem Kniefall bequemen muß, wenn der Akt der Unterwerfung sich so vollziehen soll, daß es manc werder ritter sach. Schließlich ist von sicherheit verjehen die Rede, der gesprochenen Formel, durch die der Mund des Meljanz erklären muß, daß er seine Person der Hand Obies ausliefert. Zugleich stellen beide Schwestern die rechtssymbolische Geste durch eine private Gebärde der Zärtlichkeit in Abrede. Obilot widmet ihre Hände Gawan, um ihn an sich zu drücken. Obie wendet ihre Hand zu einer Liebkosung von Meljanzes verletztem Arm« (Obilot als Frauengeber, S. 51). Zum Motiv des homagium im VII. Buch vgl. zuerst von Ertzdorff: Fräulein Obilot, S. 132 und S. 136f., sowie kritisch Zimmermann: Stellenkommentar zu 371,21f., S. 198f.; für eine Überblicksdarstellung s. Diestelkamp: [Art.] ›Homagium‹. - Zur Gewaltregulierung qua Gewährung von sicherheit als literarischem Motiv vgl. Green: Homicide and Parzival, S. 19-30, zur Unterscheidung zwischen Artus- und Gralrittern, die gerade keine sicherheit akzeptieren, sondern ihre Gegner im Kampf töten, s. Knaeble: Höfisches Erzählen von Gott, S. 219-229. 557 Mauss: Essai sur le don, S. 49. Übersetzung der gesamten Passage: »Doch schon jetzt ist deutlich, daß im Maori-Recht die durch die Sache geschaffene Bindung eine Seelen-Bindung ist, denn die Sache selbst hat eine Seele, ist Seele. Woraus folgt, daß jemand etwas geben soviel heißt, wie jemand etwas von sich selbst geben. […] Es ist vollkommen logisch, daß man in einem solchen Ideensystem dem anderen zurückgeben muß, was in Wirklichkeit ein Teil seiner Natur und Substanz ist; denn etwas von jemand annehmen heißt, etwas von seinem geistigen Wesen annehmen, von seiner Seele« (Die Gabe, S. 35). 558 Baisch: man sol hunde umbe ebers houbet gebn, S. 276. 559 Scheuer: Wahrnehmen - Blasonieren - Dichten, S. 64. von ermel und arm, von pfell und Haut, mittelhochdeutsch homonym: vel, herausgestellt (vgl. 375,16). 556 Solche Betonung stofflicher und metonymischer Teilhabe stiftet einen paradigmatischen Bezug etwa zum Hemd der Herzloyde, sie kann als Übersetzung des zuvor minnekasuistisch-theoretisch entfalteten Minneidentitäts- und Präsenzthemas in die Romanhandlung gelesen werden: Indem Obilot Gawan ihren Ärmel überreicht, gibt sie, dies hebt Wolfram eigens gegenüber Chrétien hervor, auch »quelque chose de soi« - und »accepter quelque chose de quelqu’un, c’est accepter quelque chose de son essence spirituelle, de son âme« 557 . Auch die Betonung der Einmaligkeit und Kostbarkeit dieser textilen Minnegabe spielt der Exemplarizität der vorliegenden Szene zu, muss doch, wie Martin Baisch mit Rekurs auf Thomasins mittelalterliche Gabentheorie festhält, nicht nur der Akt der Gabe von der Berechnung oder der Erwartung einer Gegengabe abgeschirmt werden, sondern: Der Aspekt der Einmaligkeit der höfischen Gabe ist auch auf der dinglichen Ebene anzufinden. Einzigartige und mit Sorgfalt gefertigte Artefakte sollen dem Beschenkten in der höfischen Öffentlichkeit überreicht werden und ihn so ehren. 558 Indem Gawan den Ärmel der Obilot auf einen seiner drei Schilde, die bis hierhin seine Identität verschleiert haben, schlägt (sîner schilde wâren drî: / ûf einen sluogern al zehant; 375,22f.), »entsteht ein Minnewappen, das im selben Zug Gâwâns heraldisches Inkognito wahrt und ihn in den Augen aller - durch Berührungsassoziation mit dem Körper der Dame - zum Minneritter erhebt«, 559 mehr noch: 214 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 560 Meyer: Undercutting the Fabric of Courtly Love, S. 19f. 561 Schmid: Obilot als Frauengeber, S. 55. 562 Martin Baisch: man sol hunde umbe ebers houbet gebn, S. 268. 563 Mohr: Obie und Meljanz, S. 104. Mohrs suggestive Deutung der Verse 390,20-22, Gawan löse den Ärmel »wie etwas Lebendiges, das Schmerz empfinden könnte« (ebd.), vom Schild, gründet allein auf der Erzählerbemerkung âne zerren (390,21). Einen Grund für die Umsicht des Ritters gibt Wolfram nicht an, denkbar ist allerdings neben der recht weitgehenden anthropomorphisierenden Deutung he becomes a man-woman, and crosses gender and status lines. He recedes, if not disappears, behind the memorable icon of the lady’s sleeve, and by extension, he withdraws from the love service which he professes to perform publicly. Her sleeve thus represents his service to her as well as his refusal to truly be her knight servitor. Their hybrid, merged bodies allow Gawan a way out of his conflicting responsibilities: he can defend a woman in need by allowing her the use of his body in battle and he does not violate the stipulated terms of his battle with Kingrimursal [sic]. 560 In dem mit dem Minnepfand beschlagenen Schild realisiert und verdinglicht sich das zwischen Metapher und Begriff oszillierende Versprechen Obilots, sie sei scherm, schilt und dach (vgl. 371,2, 371,7) ihres Ritters, sowie ihre Aufforderung, dieser möge maget unde man (369,20) werden. Die Unfestigkeit und Eingeschränktheit des nach der Befriedung der kriegsähnlichen Situation vor Bearosche abrupt endenden Minneverhältnisses zwischen Gawan und Obilot mag nicht zuletzt bereits darin impliziert sein, dass, wie der Erzähler eigens betont, nur einer von Gawans ingesamt drei Schilden mit ihrem kleinœte versehen wird, dass der Held sich somit ausgestellterweise dem Absolutheitsanspruch der Obilotminne versagt und den »Tausch der Identitäten« 561 als allenfalls teilweisen ausweist. Das Enden dieser kurzen Minnebindung wird durch die Rückgabe des durchstochenen und zerschnittenen Ärmels markiert. Hierzu wird Obie »von Gawan eingebunden in die auf Reziprozität angelegte Interaktion zwischen dem Artusritter und Obilot« 562 : Gâwân den ermel lôste âne zerren vonme schilte (sînen prîs er hôher zilte): den gap er Clauditten: an dem orte und ouch dâ mitten was er durchstochen und durchslagn: er hiez in Obilôte tragn. dô wart der magede freude grôz. ir arm was blanc unde blôz: dar über hefte sin dô sân. si sprach ›wer hât mir dâ getân? ‹ Immer swenn si für ir swester gienc, diu disen schimpf mit zorn enpfienc. (390,20-391,2) Umsichtig löst Gawan den Ärmel vom Schild und nimmt so »seinen Abschied schon vorweg: er gibt mit dem Ärmel ›Obilot‹, um seinen eignen pris vermehrt, an Obilot zurück.« 563 Die Stelle ist zunächst abermals mit Blick auf ihre sprachlichen Ambiguitäten 215 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher Mohrs und der hier (s. u.) vorgeschlagenen Deutungsmöglichkeit auch ein Bezug zum folgenden Vers sînen prîs er hôher zilte (390,22); vgl. in diesem Sinne die Übersetzung von Knecht. 564 Der oben (vgl. Anm. 563) angesprochene und von Lachmann in Klammern gesetzte Vers sînen prîs er hôher zilte kann als ebenso ambig wie obskur angesprochen werden; Stapel: »eine befriedigende Erklärung dieses eingeschalteten Satzes habe ich nicht gefunden. Es wird wohl angedeutet, daß Gawan um die Minne einer höheren Dame, nicht nur des kleinen Mädchens kämpfen will« (S. 226, Anm. 4). 565 In Rede stehen: den (390,23), er (390,25), in (390,26). 566 Als durchstochen werden im Parzival in erster Linie Schilde (vgl. 19,22; 105,30; 199,2; 560,30; 679,13), dann auch Figuren (vgl. 30,26; 42,28; 505,22) bezeichnet; vgl. auch Kap. 2.1.2, Anm. 112. 567 Mauss: Essai sur le don, S. 63. Übersetzung: »Eben diese Vermischung von Personen und Dingen ist das Merkmal von Vertrag und Tausch« (Die Gabe, S. 52). signifikant. 564 So lässt sich im Anschluss an die Nennung der beiden Maskulina ermel und schilte (390,20f.) grammatisch nicht zweifelsfrei feststellen, auf welches der beiden die fol‐ genden deiktischen Demonstrativ- und Personalpronomina Bezug nehmen. 565 Wenn etwa die Rede davon ist, er sei durchstochen und durchslagen, liegt zunächst ein kataphorischer Bezug zu dem zuletztgenannten Nomen schilte nahe; 566 da allerdings im Folgevers von Ga‐ wans Aufforderung an Clauditte die Rede ist, in Obilot zu bringen, kann handlungslogisch nur der vom Schild gelöste und von der Dame sogleich an ihr Kleid geheftete Ärmel gemeint sein. Solche Verunklärung respektive Verdopplung grammatischer Referenzen steht im Einklang mit der bisherigen Semantisierung der Gegenstände Schild und Ärmel, die beide gleichermaßen zu Metonymien Obilots stilisiert wurden. Gut möglich auch, dass gerade die Verquickung von Ding und Figur - »ce qui est précisément le contrat et l’échange« 567 - ein besonderes Fingerspitzengefühl aufseiten Gawans beim Versuch, den Obilot-Ärmel vom Obilot-Schild âne zerren zu lösen, erforderlich macht. Den Gegenständen eignet augenscheinlich eine Bindungskraft, die sie als kohärente und zugleich fragile Einheit auf materieller wie auf semiotischer Ebene ausweist. Mit der Rückgabe des Ärmels an Obilot erfährt der Rezipient, dass diese ihr Kleid bis hierhin ärmellos getragen hat - ir arm was blanc unde blôz. Damit wird ein Teil-Ganzes-Verhältnis augenfällig, das überdeutlich auf die dingsemiotischen Dimen‐ sionen der Gawan-Obilot-minne deutet. Mit dem ›Anheften‹ des Ärmels wird eine Einheit von metonymisch aufeinander verweisenden Gegenständen (wieder-)hergestellt, von Ge‐ genständen, die bis hierhin indexikalisch auf den jeweils anderen verwiesen, ihn in seiner Abwesenheit angezeigt und so gleichsam eine virtuelle textile Totalität präsent gehalten haben. Damit wird zugleich, im Peirce’schen Sinne, die ikonische und metaphorische Relation zwischen Schild und Ärmel, jeweils Zeichen des Schutzes durch Obilot, überführt in eine neue Bedeutungstotalität, die nicht mehr die Gegenwart des Anderen präsentifiziert, sondern eine vergangene Detotalisierung im Bild des wieder zusammengesetzten, Gawans Kampf und prîs vergegenständlichenden Kleids verdichtet. Das Schildmotiv spielt der Kohärenz des VII. Parzival-Buches wesentlich zu: Wie schon die von Gahmuret mitgenommenen Stoffe, Waffen, Pagen und Schmuckstücke sind auch Gawans Dinge zu Beginn von einem ausgestellten Warencharakter und von einer Bedeu‐ tungsleere gekennzeichnet, Eigenschaften mithin, die funktional dem Inkognito des Ritters untergeordnet sind und bereits die Potenz ihrer künftigen Narrativierung anzeigen. Bei der Begegnung mit Meljanz’ ›Kinderheer‹ wird dieses Thema auf den epischen Kosmos 216 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 568 So Schmid: Obilot als Frauengeber, s. v. a. S. 56-59. 569 So, auf Basis statistischer Untersuchungen, Dimpel: Dilemmata, S. 51f. (für eine Auswertung der Häufung des Schildbegriffs in den Büchern X bis XII vgl. ebd., S. 52, Anm. 41). ausgeweitet, werden die wappenlosen Kaufmannsschilde mit dem niuwen Schild des kampfeslustigen Lisavander ebenso wie mit anderen zwar wappentragenden, sich in ihrer Bedeutung jedoch weder dem Rezipienten noch dem Protagonisten erschließenden Wappenzeichen in Bezug gesetzt. Zeichenhafte Unbestimmtheit und Polysemie der Kauf‐ mannsschilde stehen auch im folgenden Gespräch zwischen Obie, Obilot und deren Mutter im Zentrum, einem Dialog, dessen sprachlich ambivalente Gestaltung in Entsprechung zu dem polysemen Zeichen Schild tritt. Einen wesentlichen Bedeutungszuwachs erfährt der Schild in Obilots mit Anspielungen auf poetologische Aussagen Wolframs durchsetzten Minnereden, die Schild und Dach als metaphorische wie dingliche Schutzgegenstände einer Minnebeziehung diskursivieren und eine Alternative zu dem gewaltsam-aporetischen, am Verhältnis von Obie zu Meljanz exemplifizierten Minne-Modell aufscheinen lassen. Die schon in Obilots Rede indizierte Übergängigkeit zwischen Metapher und Ding setzt sich in der Romanhandlung insofern fort und in dieselbe um, als die Figur in Form ihres Ärmels tatsächlich und ganz dinglich zu schilt und dach ihres Geliebten avanciert. Im Laufe des VII. Parzival-Buches werden so spielerisch-komplexe Verweisketten von Haut und Textil, Körper und Ding, An- und Abwesenheit gestiftet. Die Gegenstände und deren Bezeichnungen sind in ein aufwendiges Spiel der Inversionen und Umbesetzungen eingebettet, in dem auf anderer Ebene Obilot zum ›Frauengeber‹, Meljanz zum ›Frauenemp‐ fänger‹ und Gawan zu Obilots Ritter, zum Mann-Frau-Hybrid werden muss, um schließlich der Versöhnung den Weg zu bahnen. 568 Obilots Kleid, das nach der Rückgabe ihres Ärmels durch den Artusritter wieder vollständig ist, kann als Bild dieser zuletzt hergestellten Totalität gelten. Gawans Verausgabung für die kleine Obilot deutet darüber hinaus auf eine Logik der ›reinen Gabe‹, der Gabe ohne Aussicht auf lôn, die den im VII. Buch ubiquitär be‐ gegnenden Klein- und Kleinsterzählungen von Pferde- und Frauenraub konterkariert. Der schilt wird hierbei zu einem Leitmotiv, welches auch die weiteren Teile der Gawanhandlung, insbesondere die Gawan-Orgeluse-Teile, durchzieht - beispielsweise auf dem Zauberbett Lit marveile, auf das an späterer Stelle einzugehen sein wird, hilft Gawan gegen Steine und Pfeile gerade der Schild, der wie kein anderer Teil der Ausrüstung das schildes ambet an sich symbolisiert […]: In keinem Buch ist die Häufigkeit des Wortes schilt so groß wie im XI. Buch; in den anderen Büchern der Gawan-Orgeluse-Handlung, Buch X und XII, ist die Häufigkeit immer noch deutlich erhöht. 569 217 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 570 Vgl. Bertau: Über Literaturgeschichte, S. 78f. 571 Marshall: Körper - Ding - Schrift, S. 447. 572 Peschel: Wolframs Puppentheater, S. 164. Exkurs: Das Niesen der Schilde - Ausblick auf Wolframs Titurel-Fragment Der êren rîche und lasters arm lag al sanfte unt im was warm. etswenne in doch in slâfe vrôs, daz er heschte unde nôs, allez von der salben kraft. Parz., 581,1-5 Die im VII. Buch untersuchte Ordnung des Erzählens, in der ein Ding, beiläufig einge‐ führt, zu einem sowohl gegenständlich als auch metaphorisch in der Romanhandlung wuchernden Motiv avanciert, kommt nucleushaft und auf engstem Raum in zwei Ti‐ turel-Strophen, bezeichnenderweise ebenfalls bei der Verhandlung des Schildmotivs, zur Anschauung, in diesem ebenso düsteren wie hermetischen Fragment Wolframs von Eschen‐ bach, das Karl Bertau als ›Epos der Requisiten‹ 570 bezeichnet hat - nicht zufällig lässt Wolfram gerade Gahmuret einen zentralen Part im Titurel-Fragment spielen […] (die Handlung um Sigune und Schionatulander, wie sie im Parzival angedeutet wird, hätte das nicht erfordert, Schionatulander hätte auch eines anderen Knappen sein können). Mit Gahmuret, im vergessenen Grab mit der versiegelt unzugänglichen Ding-Geschichte des adamas durch Balsamierung der Zeitlichkeit enthoben, tritt eine Figur an die Seite der beiden Titurel-Protagonisten, die deren Ding-Affinität teilt. 571 Im Anschluss an die Abschiede Schionatulanders von Sigune und Gahmurets von Herze‐ loyde wird dessen heimlicher und in seinen Tod mündender Aufbruch et mit sîn eines schilde (Tit., 74,2) in den Diensten des Baruc geschildert: Von Kingrivâls der künec Gahmuret sich verholne von mâgen unt von mannen schiet, daz sîn vart den gar was diu verstolne. wan zweinzec kint von hôher art kurtoyse unt ahtzec knappen ze yser âne schilt het er erwelt ûf die reise. Fünf schœniu ors unt goldes vil, von Azagouc gesteine im volget ûf die vart sîn schilt andere schilte gar eine. durch daz solte ein schilt gesellen kiesen, daz im ein ander schilt heiles wunschte, obe dirre schilt kunde niesen. (Tit., Str. 79 f.) Die ebenso bemerkenswerten wie »wolframwitzigen« 572 zwei Strophen führen eine vage, gedanklich vagabundierende Form der Verknüpfung vor, in welcher, wie Stephan Fuchs-Jolie vermerkt, das in Strophe 79 beiläufig eingeführte Schildmotiv (die Knappen tragen keine Schilde) die Folgestrophe (Schilde sollten nicht allein reisen) »quasi gene‐ 218 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 573 Brackert/ Fuchs-Jolie: Stellenkommentar zu 79,3-4, S. 202; vgl. zur Stelle auch Peschel: Wolframs Puppentheater, S. 163f. 574 Vgl. BMZ I, Sp. 650a, mit Verweisen auf Parz., 108,28; 224,7; 293,25. 575 Wyss: Selbstkritik des Erzählers, S. 278. Resümierend schließt Wyss: »Das Requisit bekommt hier die Möglichkeit des Kommunizierens, die ihm in seiner metonymischen Verwendung vorenthalten bleibt. Die erzählte Welt erweist sich auf dieser Stufe der Reflexion als sprachlicher Prozeß, in welchem die Intention auf eine Wirklichkeit, die nicht nur in der Sprache ist, Gefahr läuft, den Zwangsgesetzen erzählender Fiktion zu erliegen« (ebd.). 576 Rüsenberg: Leine, S. 150. 577 Marshall: Körper - Ding - Schrift, S. 448; weiter, ebd., zu den Parallelen zwischen beiden Werken, insbesondere zwischen der Gahmuret- und der Schionatulanderfigur: »Auf diese Weise wird im Ti‐ turel die Gahmuret-Figur inszeniert, die man aus dem Parzival in einem Körper-Ding-Schrift-Verbund endend weiß, was gemäß der simultanen Logik der beiden Wolfram’schen Texte […] als überzeitlich präsent gedacht werden kann. Denn nicht nur vom Tod des balsamierten Schionatulander, sondern auch vom Tod des balsamierten Gahmuret her ist der Titurel zu lesen. Beide männlichen Protago‐ nisten des Titurel stehen dem Rezipienten als dinghafte Körper vor Augen.« 578 Wyss: Selbstkritik des Erzählers, S. 278. 579 »Der Witz wird am Ende aufs Plumpste erklärt und zerstört, und dadurch gesteigert, daß die Niesefähigkeit eines Schildes bestätigt wird, indem die Behauptung gleich ihre Widerlegung enthält: Für den Fall daß der Schild niesen könnte (nicht müßte)« (Peschel: Wolframs Puppentheater, S. 164). riert.« 573 Nachdem im letzten Abvers der ersten Strophe schilt als Verteidigungswaffe aufzufassen ist und auf die Ungeschütztheit der Ausreitenden deutet, schillert der Begriff in der Folgestrophe zwischen metonymischer und wortwörtlicher Verwendung: So ist zunächst der Gahmuret folgende Schild (80,2) noch als pars pro toto der Figur, als wie schon in der Einzugsszene in Kanvoleiz vom ritterlichen Erstkörper abgekapselter Zweitkörper, lesbar. Wenn dann jedoch der Erzähler in sentenziöser Rede dem Schild seine Gesellen aus‐ zuwählen anrät, auf dass ihm ein anderer Schild heil - im Sinne von ›Gesundheit‹ oder, wie in 76,4, von ›Glück‹ respektive ›alles Gute von Gott‹ 574 - wünsche, »gewinnen die Dinge, in denen sich der soziale Status manifestiert, ein fast gespenstisches Eigenleben«. 575 Die Schildlosigkeit der Knappen firmiert hierbei als Ausgangspunkt für eine ›Abschweifung‹, welche die Vereinzelung Gahmurets in der Vereinzelung seines Schildes zur Darstellung bringt: »Entborgenheit und Mangel« 576 nicht nur aufseiten der Halbwaisen Sigune und Schionatulander, sondern auch aufseiten Gahmurets wie seines Schildes: »Nur Dinge, nicht Figuren, gelten hier als Gesellen, sind damit kategoriegleich« 577 . Während die insgesamt einhundert menschlichen Begleiter Gahmurets »eine quantité négligeable« 578 bleiben, erfahren die Schilde hier eine doppelbödige Anthropomorphisierung, wird diesen eine eigenständige Handlungsfähigkeit zugeschrieben - sie können gesellen kiesen und einander heiles wunschen -, die indes in der Pointe des Witzes wieder zurückgenommen wird, indem die Verlebendigung der Schilde unter die groteske und ausgestellt unrealistische Bedingung gestellt wird, Schilde könnten niesen. 579 Das von ihren Besitzern losgelöste und im Witz sich entfaltende Leben der Dinge begegnet auch im Parzival, in der schon angesprochenen Szene von Gahmurets ebenso pompösem wie lässigem Einzug in Patelamunt. Wie in Kap. 2.1.2 dieser Arbeit dargestellt, inszeniert der Ritter seinen Einritt in die umkämpfte Burg so, dass unter anderem sein Schild samt Ankerwappen ihm vorausgetragen wird und die Aufmerksamkeit der Burgbewohner auf sich zieht, den Marschall Lachfilirost gar zu einer Identifizierung des Gegenstands mit der Figur anleitet - er nimmt den Schild nicht nur als Gnorisma der Figur, sondern mit ihm 219 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 580 Für den Zusammenhang zwischen niesen und Todesgefahr vgl., mit Verweisen auf weitere Literatur, Brackert/ Fuchs-Jolie: Stellenkommentar zu 80,3-4, S. 203. 581 Bennett: Vibrant Matter, S. 120. 582 Bennett: Vibrant Matter, S. 119. die Figur höchstselbst, disen ritter oder sînen schîn (18,13), wahr. Gerade auch im Abgleich mit der wechselseitigen Wahrnehmung Patelamunts durch Gahmuret - schilt zebrochen neben wunden man und ors, durchstochen und verhouwen (vgl. 19,20-20,3) - verflüssigen sich hier die Grenzen zwischen Figur und Ding, fallen Erst- und heraldischer Zweitkörper im semiotischen Prozess des Erkennens in eins. Wie in der Schilderung von Gahmurets letztem Auszug im Titurel vollzieht sich auch im Parzival eine Bedeutungstransformation, in deren Zuge der Schild, sei er nun zebrochen oder ›erkältet‹, zum Signifikanten von Gewalt, Versehrung und drohendem Tod wird. 580 Was sich im Parzival im narrativen Prozess, in der wechselseitigen Wahrnehmung entfaltet, findet im Titurel im Witz seine verknappte Kontrafaktur. Indem Wolfram die Szenen durch die gleichermaßen prominente Inszenierung des vom Ritter losgelösten und ein Eigenleben zu führen scheinenden Schildes als auf Tod und Leid vorausdeutendes Dingsymbol vergleichbar macht, ergibt sich ein intertextueller Spiegeleffekt, der im Parzival produzierte Semantiken neuerlich aktiviert und für das Erzählen im Titurel produktiv macht. Wolframs Tendenz zur Anthropomorphisierung der Dinge »works against anthropo‐ centrism: a chord is struck between person and thing, and I am no longer above or outside a nonhuman ›environment‹.« 581 Bennett empfiehlt die Anthropomorphisierung von Dingen als »everyday tactic[] for cultivating an ability to discern the vitality of matter« 582 , als Übung, sich das allzu leicht ausgeblendete nicht-menschliche Leben der Dinge präsent zu halten, Wolfram hingegen zielt gerade darauf, die Übergängigkeit von Leben und Tod auszustellen, im gespenstischen Bild des vereinzelten Schildes die Verdinglichung der Figur im Tod bereits vorwegzunehmen. Das untersuchte Gawan-Buch führt dieses in der Elternvorgeschichte eingeführte und im späteren Titurel verdichtete Thema dilatierend aus. Gawans Schilde sind hierbei nicht selbst als Strukturmotiv aufzufassen, vielmehr tritt das Wuchern des Motivs in Entsprechung zur narrativen Proliferation paradigmatischer Bezüge - eine Variation, die allerdings gerade (noch) keine dunkle Vorausschau auf eine Kontamination von Schild- und Todesmotiv zeitigt, sondern mit der Hybridisierung anthropomorpher wie dinglicher Akteure auch einen Ausweg aus Gewalt und Konflikt bahnt: Der Ritter, der allein, nur mit seinem Vorrat an unbeschriebenen Gegenständen die Erzählwelt durchmisst, ist, mindestens partiell, als Gegenteil Gahmurets gezeichnet - die Erzählung von Gahmuret mündet in soziale Desintegration, Gawans Agieren hingegen in Integration und Befriedung. Während Gahmuret auf die Aneignung auratischer Dinge und Minnebindungen zielt, bleibt Gawans Ziel einstweilen unbestimmt, seine Identität in besonderem Maße unfest respektive offen für zeitweilige Rollenspiele, bleiben seine Schilde bis auf Weiteres ohne Zeichen. Das Schildmotiv fungiert hierbei als Chiffre eines Erzählens, das Sinn erst aus den im Erzähl‐ verlauf sukzessive gestifteten Bezügen herstellt: Sein anfänglich ausgestellter symbolischer Nullwert zeigt ebenso narrative Potenz wie einen Mangel an, dessen Behebung unter anderem Ziel und Programm von Wolframs Erzählen ist: »La surabondance du signifiant, 220 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 583 Derrida: La structure, le signe et le jeu, S. 425. Übersetzung: »Der Überschuss des Signifikanten, sein supplementärer Charakter, ist also die Folge einer Endlichkeit, das heißt eines Mangels, der supplementiert werden muß« (Die Struktur, das Zeichen und das Spiel, S. 438). 584 Barthes: Das Reich der Zeichen, S. 76. Übersetzung: »Das Zeichen ist ein Riß, / der sich stets nur auf dem Gesicht / eines anderen Zeichens öffnet« (ebd.). 585 Mohr: Parzival und Gawan, S. 68. - Zu den Strategien der Synchronisation der Parzivalmit der Gawanhandlung (die Gawan-Orgeluse-Handlung spielt nicht - wie bei Chrétien - vor Parzivals Aufenthalt bei Trevrizent, sondern danach) vgl. Sablotny: Zeit und âventiure in Wolframs von Eschenbach Parzival, S. 67-74; s. zur Stelle ebd., S. 71f. 586 »Gawan […], der bisher jeden Minnedienst, der ihm angetragen wurde, gleichsam nebenbei erledigte, erlebt die Krise seiner Routine, als Orgeluse ihn nicht haben will. Hier muß er Farbe bekennen« (Haferland: Höfische Interaktion, S. 189). son caractère supplémentaire, tient donc à une finitude, c’est-à-dire à un manque qui doit être suppléé.« 583 2.4.2 Reitzeug und Schild: Ding-Bündnisse in der Gawan-Orgeluse-Handlung (Buch X) Le Signe est une fracture qui ne s’ouvre jamais que sur le visage d’un autre Signe. 584 Das X. Buch schließt sich an Parzivals Aufbruch von Trevrizent an: Wie sich jener wieder auf die Gralsuche begibt, erwartet der Leser nun, dass parallel auch Gawan der von König Vergulaht auf ihn übertragenen Aufgabe, dem vorschen nâch dem grâle (503,24, vgl. auch 428,21f.), nachgeht - zumal das ursprüngliche Handlungsziel des VII. und des VIII. Buches, Gawans Gerichtskampf gegen Kingrimursel, nicht weiterverfolgt wird. Lakonisch hält der Erzähler fest, der Kampf sei nach Verstreichen der Einjahresfrist aufgehoben worden, nachdem zwischenzeitlich die Verwandtschaft zwischen Gawan und Vergulaht sowie Ehcunahts Schuld am Tod Kingrisins offenbar geworden, Gawan also exkulpiert worden war (vgl. 503,5-20): »Wolfram nimmt den Abschluß der ersten Gawanhandlung so wenig wichtig, daß er sie nicht mehr szenisch darstellt und sie nur kurz nachträglich refe‐ riert.« 585 Auch wenn beiden Protagonisten mit der Gralsuche nun das gleiche Handlungsziel vorgegeben ist, bleiben Gawans Bewegungen durch die epische Welt zunächst weiterhin irrlichternd und voller Umwege, sie entbehren ausgestelltermaßen eines Zentrums. In den nun folgenden Büchern ändert sich dies: Zwar stehen sie nicht im Zeichen des Grals, mit dem Minnedienst für Orgeluse 586 und der Befreiung respektive der Erlösung der auf Schastel marveile gefangenen Damen ist ihnen aber, endlich, ein nicht mehr nur episodisches Zwischenziel gesteckt. Die angesprochenen Umwege geben indes auch diesem Erzählteil zunächst noch weiter ihr spezifisches Gepräge, sie kündigen sich in den vom Erzähler versprochenen wilden mæren (503,1) an, genauer: in solchen, diu freuden kunnen læren / und diu hôchgemüete bringent: / mit den bêden si ringent (503,2-4). Die hier erneut als wechselhaft ausgewiesenen mæren verhandeln das in vielerlei Hinsicht als exzeptionell zu bezeichnende und die vorangehenden Episoden klimaktisch übersteigernde 221 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 587 Dies wird mit Blick nicht nur auf den beträchtlich größeren Umfang der Orgeluse-Episode ersichtlich, sondern beispielsweise auch darauf, dass allein quantitativ »[i]n keinem der übrigen Minneverhält‐ nisse, die Wolfram im Parzival schildert, […] die Dialoge zwischen den Partnern einen vergleichbar großen Raum ein[nehmen]« (Zimmermann: Untersuchungen zur Orgeluseepisode, S. 135). Zim‐ mermann verweist überdies auf die gesteigerte Involviertheit aufseiten Gawans: »Gegenüber den Obilot- und Antikonie-Episoden erreicht sein Engagement im Verhältnis zu Orgeluse einen hohen Steigerungsgrad« (ebd., S. 139). - Zur Orgelusefigur vgl. Baisch: Orgeluse; Dieterich: Das venushafte Erscheinungsbild; Dimpel: Dilemmata; Emmerling: Geschlechterbeziehungen, S. 129-156; Kerth: Traumaerzählungen im Parzival, S. 276-283; Michailowitsch: »[S]o frech dürfen schöne Frauen sonst kaum irgendwo sein«; Wynn: Orgeluse; Zimmermann: Untersuchungen zur Orgeluseepisode. 588 Brüggen und Bumke: Figuren-Lexikon, S. 838. 589 Zu Cundrie hält Stolz entsprechend fest: »Similar to many other precious objects mentioned in Wolfram’s Parzival romance, Kundrie is conceived of as a ›gift‹ transferred from this exotic region« (A thing called the Grail, S. 198). Minnedienstverhältnis zwischen Gawan und Orgeluse, der Herzogin von Logroys, 587 einer den wilden mæren entsprechenden Hybridgestalt, deren aggressives Auftreten den Erzähler, ähnlich wie schon bei der »Gratwanderung zwischen Sympathie und Antipathie« 588 im Falle Obies, dazu nötigt, auch diese Figur, vielleicht die polarisierendste des gesamten Romans, vor einer vorschnellen negativen Wertung präventiv in Schutz zu nehmen (516,3-20), bevor er dann, wesentlich später erst, einen Durchblick auf die Motive ihres Handelns und ihre tragische, mit der ›Traumatisierung‹ der Gralgesellschaft aufs engste verwobene Vorgeschichte gewährt (vgl. 612,21-619,19). In der Orgelusehandlung wird nicht nur das dem höfischen Minnedienst inhärente Konfliktpotential und das ebenfalls die gesamte Gawanhandlung durchziehende Thema des ›Geschlechterverhältnisses‹ in denkbar zugespitzter Form beleuchtet, auch das Ding-Motiv ›Schild‹ wird vom Erzähler variierend wiederaufgegriffen: So wird zunächst mit dem Schild des zwielichtigen Urjans, um den es in einem ersten Schritt gehen soll, ein ambiges Zeichen in die Erzählung eingeführt, das zwar eindeutig Männlich-Ritterliches denotiert, das indes in der Assemblage mit anderen Zeichen mehrdeutig wird und bereits zentrale Themen des folgenden Erzählteils ankündigt. Im Zuge metonymischer Wahrnehmungs- und Darstellungsoperationen rückt dieser Schild an einen weiteren Gegenstand heran, an das Damen-gereite, wiederum kunstvoll verknüpft mit dem hier nur zu streifenden Motiv des Pferdewechsels. An den Pferden selbst, zu berücksichtigen sind etwa Malcreatiures unbeweglicher Klepper ebenso wie die Quasi-Figur Gringuljete, werden unter anderem die Funktionen der Dinge auch für die Entfaltung komischer Effekte nachvollziehbar. Die den Roman leitmotivisch durchziehenden Besitzwechsel lassen sich mit der Verdinglichung von Figuren wie Lischoys Gwelljus, Cundrie und Malcreatiure vergleichen, die ihrerseits wie Waren den Besitzer wechseln und so eine distinkte Grenzziehung zwischen Subjekt- und Objektstatus destabilisieren 589 - solche Strategien der Verähnlichung von Dingen und Figuren als Waren bezeugen eine Hybridisierung, die die Grenzen zwischen Mensch und Nicht-Mensch zwar sichtbar hervortreten lässt, diese jedoch wiederholt überschreitet und auf ihre Gültigkeit im jeweiligen Erzählkontext hin befragen lässt, die mithin die moderne Übereinkunft, 222 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 590 Kopytoff: The cultural biography of things, S. 84. Weiter: »The separation, though intellectually rooted in classical antiquity and Christianity, becomes culturally salient with the onset of European modernity« (ebd.). 591 Zum modernen Primat der ›Reinigungspraxis‹ und zur Praxis der Übersetzung und Hybridisierung vgl. Latour: Wir sind nie modern gewesen, S. 18-21 et passim (s. auch Kap. 1.4 dieser Arbeit). Zur Gegenüberstellung von ›image‹, ›signe‹ und ›concept‹ s. Lévi-Strauss: La Pensée sauvage, S. 578; vgl. Kap. 1.2 dieser Arbeit. 592 So, unter Rückgriff auf Bachtins Begriff der Dialogizität, Baisch, der Widersprüchlichkeiten und einander entgegengesetzte Perspektiven auf die Orgelusefigur als Belege für die »Offenheit des Werkes« anspricht (Orgeluse, S. 17). 593 Und er verweist daneben exemplarisch auf die Motivation von Orgeluses Sinneswandel gegenüber Gawan: »Besonders schwach motiviert scheint Orgeluses plötzlicher Wandel von Haß zu Liebe, als Gawan nach der Begegnung mit Gramoflanz zu ihr zurückkehrt« (Bumke: Geschlechterbeziehungen in den Gawanbüchern, S. 110, s. auch ebd., Anm. 12). 594 »Es folgt daraufhin [im Anschluss an die Aufhebung des Gerichtskampfs am Ende des IX. Buches] nicht ein zeitlich kontinuierliches Weitererzählen, vielmehr wird durch die Formulierung eins morgens (504,7) eine Unterbrechung im Ablauf der erzählten Zeit markiert, die die Erzählung von Gawan gleichsam zeitenthoben neu beginnen läßt« (Streit: Von Soltane nach Munsalvaesche, S. 260). 595 »Die Arbeit an dem […] eigenen Erbe […] [setzt] für Gawan […] bezeichnenderweise mit der Rückkehr in seine angestammte, in die poetische Welt des höfischen Aventiureromans ein. Zu Beginn des X. Buches […] wird der Held in eine märchenhafte Ortlosigkeit versetzt (505,8): Das Pferd mit dem Frauensattel, das ihn an die Gestalt Kamilles in Veldekes Eneit und den Hörer an den Sattel Enites in Hartmanns Erec erinnert, aber auch das Szenarium von Burg und Baumgarten, Brunnen und Minneherrin führen geradewegs in Chrestiens und Hartmanns poetischen Kosmos hinein« (Brall: Familie und Hofgesellschaft, S. 573). that of conceptually seperating people from things, and of seeing people as the natural preserve for individuation (that is singularization) and things as the natural preserve for commoditization, 590 noch nicht zum leitendem kulturellen Ideologem, zum Zielpunkt einer für die ›Strategien der Modernen‹ bezeichnenden ›Reinigungsarbeit‹ (Latour) erhoben hat. Wolframs poeti‐ sche Strategie ist vielmehr als Praxis der Übersetzung und Hybridisierung zu beschreiben, der Vermischung von Natur und Kultur, Figuren und Dingen, Bildern, Zeichen und Begriffen, aber auch: von Männlichem und Weiblichem. 591 Die bereits vielfach beobachtete Hybridität und Dialogizität, 592 die Widersprüchlichkeiten und das bisweilen schwach motiviert anmutende Verhalten der Orgelusefigur - Joachim Bumke spricht in diesem Kontext von »Schwachpunkten in seiner [Wolframs; S.W.] Darstellung« 593 - deuten sich bereits gleich zu Beginn des X. Buches an: Wenn nämlich Gawan sich eins morgens, sprich: mit einem narrativen Neueinsatz, der die »Unterbrechung im Ablauf der erzählten Zeit« 594 , die »märchenhafte[] Ortlosigkeit« 595 der Handlung und zugleich die Episodizität des Erzählten indiziert, einer Dame anzunähern wähnt, die er mithilfe ihrem Erscheinen scheinbar vorgelagerter, weithin sichtbarer Gegenstände identifiziert: eins morgens kom hêr Gâwân geriten ûf einen grüenen plân. dâ sach er blicken einen schilt: dâ was ein tjoste durch gezilt; und ein pfert daz frowen gereite truoc: 223 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 596 Man denke etwa an die mit ebendiesem Bedeutungsangebot spielenden ›blickenden‹ Bäume auf dem Kampfplatz zu Joflanze, auf die an späterer Stelle einzugehen sein wird (s. Kap. 2.4.5 dieser Arbeit). 597 Bachelard: L’Eau et les Rêves, S. 41. Übersetzung: »Everything which shows, sees« (Water and Dreams, S. 30). 598 Auch fragt Gawan sich nicht, ob ihm dieser Schild, der indes wohl kein erkennbares Wappen mehr tragen wird, schon einmal begegnet wäre: »[H]e is puzzled more by the anomalous conjunction of a lady’s horse with a shield […] than by the identity of the shield« (Green: The Art of Recognition, S. 148). 599 Bumke: Die Blutstropfen im Schnee, S. 159; zu Gawans Wahrnehmungsstärken vgl. Reich: Zur Psycho-Logik bei Wolfram, S. 79-83. Zu der gelegentlich auffallend hervorgehobenen Desorientiert‐ heit des Musterritters, zu dessen »Unruhe und Ortlosigkeit« und den in den Gawan-Büchern ausgestellten Wahrnehmungsstörungen vgl. Morsch: Blickwendungen, S. 141-156, Zitat auf S. 145. 600 Barthes: Sémantique de l’objet, S. 256. des zoum unt satel was tiur genuoc. ez was gebunden vaste zuome schilte an einem aste. (504,7-14) Aus der nachgerade absichtsvoll arrangiert anmutenden Ansammlung von Dingen sticht zuallererst ein Schild hervor, dessen blic die Aufmerksamkeit des Betrachters in seinen Bann schlägt: ein ›leuchtender Glanz‹ oder, zumindest assoziativ, wie auch sonst im Parzival gut belegt, ein ›Blick‹, der Anthropomorphes alludiert und Gawans Wahrnehmung reziprok zu erwidern scheint 596 - »[t]out ce qui fait voir voit.« 597 Der kluge Blick des Spurenlesers Gawan wandert seinerseits rasch vom Sichtbaren zur unsichtbaren Bedeu‐ tung, deren Rekonstruktion bereits die Wahrnehmung durchdringt - so wird hier nicht, dies erst an späterer Stelle (vgl. 505,1), von einem Loch im Schild berichtet, sondern unvermittelt auf die dahinter liegende Handlung, ein tjoste, geschlossen. Den zweiten Wahrnehmungsgegenstand identifiziert der Ritter an Zaum und Sattel unmittelbar als frowen gereite, als Damenreitzeug, welches wiederum als Interpretament des Schildes fungiert: Alles deutet auf eine weibliche Reiterin, eine Schildträgerin und wehrhafte Dame. Dieses Dinge-Arrangement lässt die Gawanfigur nicht die Frage aufwerfen, wie das zusammengehören kann: ein Damen-Pferd mit (Ritter-)Schild, sondern: […] ›wer mac sîn diz wîp / diu alsus werlîchen lîp / hât, daz si schildes pfligt? (504,15-17). 598 Die fokalisierte Passage präsentiert auf engstem Raum die rasche Auffassungsgabe Gawans, sie scheint sich prima vista in die von Joachim Bumke vorgeschlagene Konturierung der Figur zu fügen: Im Gegensatz zu Parzival ist die Gawan-Figur so konstruiert, daß er alles, was er hört und sieht, sogleich in rational begründete Erkenntnis umzusetzen vermag. Mit Unbekanntem konfrontiert, findet er sich meistens sofort zurecht, erkennt die Zusammenhänge und bleibt fast immer Herr der Situation. 599 Gawan nimmt also das Dingensemble als Objekt-Parataxe, als »assemblage intelligible d’objets« 600 wahr und unterzieht es sogleich einer in Gedankenrede vorgebrachten Deu‐ tung, die auf der Prämisse aufruht, Schild und gereite seien ein und derselben Person zuzuordnen - ein Fehler, denn der Schild gehört in Wahrheit, wie sich schnell zeigen soll, dem versehrten Urjans, das Pferd seiner Dame (vgl. 506,26-507,9). Dass Gawan auch an späterer Stelle, im direkten Gegenüber der ihm eigentlich bekannten Figur, nicht in der Lage ist, den verletzten Besitzer des Schildes korrekt als Urjans zu identifizieren, lässt Dennis 224 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 601 Green: The Art of Recognition, S. 148. 602 Diese werde, Dieterich zufolge, »nicht eingelöst, denn die ganze Szenerie […], die sich eröffnet, ruft vielmehr die Sigune-Szene in Erinnerung« (Das venushafte Erscheinungsbild, S. 23). 603 Vielleicht, so ließe sich zunächst vermuten, zeugt Gawans Nicht-Erkennen auch von Erinnerungs‐ defiziten, wie sie auch auf Schastel marveile zu begegnen scheinen, »erkennt er doch unter den gefangenen Frauen […] seine Großmutter, Mutter und Schwester nicht wieder. Erinnerung ist nicht seine Stärke« (Reich: Zur Psycho-Logik bei Wolfram, S. 81). Das Problem der korrekten Identifizie‐ rung von Verwandten ist indes ein universales: Auch Artus bedarf an späterer Stelle Gawans Hilfe, um seine Mutter, seine Schwester und seine beiden Nichten wiederzuerkennen (vgl. 672,1-14). Der Text ist an dieser Stelle sehr verworren, denn Gawan scheint ja weniger von ›Erinnerungsdefiziten‹ geplagt als vielmehr einen heimlichen Plan zu verfolgen, der ihm die Preisgabe seiner Identität untersagt - welches Ziel er damit verfolgt, bleibt gelegentlich undurchsichtig, selbst für den Erzähler (vgl. hierzu Anm. 485 dieser Arbeit). Ob Artus sein Spiel mitspielt oder die Damen etwa nach der langen Zeit der Trennung nicht mehr wiedererkennt, ist kaum zu entscheiden. 604 So Marshall: Unterlaufenes Erzählen, S. 186, Anm. 135. 605 Draesner: Wege durch erzählte Welten, S. 340. Vergleichbar Baisch: Orgeluse, S. 26 sowie Emmerling: Geschlechterbeziehungen, S. 133-135. H. Green fragen, »whether this scene has not yet received its final working.« 601 Zumindest Gawans Unfähig- oder Unwilligkeit, Schild und Pferd als voneinander abgeschirmte und je eigene Bedeutungen vermittelnde Zeichen wahrzunehmen, scheint im Text tatsächlich kausallogisch kaum begründet zu sein. Möglicherweise determiniert, wie von Barbara S. Dieterich vermutet, eine im Text nicht weiter explizierte »Erwartungshaltung im Hinblick auf ein erotisches Abenteuer« 602 Gawans Wahrnehmung. 603 Die Annahme eines Konstruktionsfehlers kann zumindest, auch unter der Zielsetzung, die Interpretation vor einer vorschnell-logisierenden und dem Erzählten kaum gemäßen psychologisierenden Glättung zu bewahren, zugunsten einer abweichenden Deutung suspendiert werden: So lässt sich eine Beobachtung Ulrike Draesners aufgreifen, dass der aus der Deutung des Dingensembles resultierende Vergleich der von Gawan imaginierten wehrhaften Dame mit Veldekes Camilla (vgl. 504,25-30) nur oberflächlich besehen als ›Fehlschluss‹ 604 erscheine, auf den weiteren Kontext des X. Parzival-Buches hin besehen jedoch als »Vorabspiegelung und vorwegnehmende Kommentierung der Begegnung mit Orgeluse« 605 zu lesen sei. Ein Hinweis auf die Konstruiertheit des Erzählten wäre in dieser Lesart in metaleptischer Verzerrung von der Erzählerrede in die erzählte Wahrnehmung der Figur verschoben. In Gawans Perspektive wäre somit thematisch bereits verdichtet und proleptisch angedeutet, was für die Gestaltung der Orgelusefigur ebenso wie für das X. Buch im Allgemeinen als prägend anzusprechen ist: eine die Geschlechtergrenzen transgredierende Hybridität, in der sich männlich codierte Wehrhaftigkeit, symbolisiert durch den schilt, mit weiblicher Attraktion, sich ankündigend im frowen gereite, minne mit strît bereits vermengte. Dass Gawans Blick auf die Dingzusammenstellung als kompaktes Zeichen einen in der Fehldeutung verhüllten Vorausblick auf die Erzählung zeitigt, markiert weiterhin ebenso deutlich wie die intertextuelle, der Erotisierung des Blicks auf die Schild‐ besitzerin weiter zuspielende Referenz auf die literarisch vermittelte Figur der Camilla (vgl. 225 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 606 »Die Beschreibung des ritterlichen Kampfes, den Gawan sich wünscht, hat auch eine erotische Be‐ deutungsschicht« (Baisch: Orgeluse, S. 26, Anm. 26); als Vorbild solchermaßen agressiv-erotisierter Wahrnehmung des weiblichen Körpers kann Tarcuns Schmährede auf die amazonenhafte Camilla in Veldekes Eneasroman gelten, vgl. 241,2-40. 607 Strohschneider: Faszinationskraft der Dinge, S. 19. »Nach dem, was Forschung an den Dingen (und vermittels ihrer an der betreffenden Herkunftswelt) jeweils manifest werden lässt, bleibt immer an‐ deres latent: eine mit den Dingen zwar verbundene, jedoch verborgene, womöglich unvordenkliche Erkenntnisoption oder Erkenntnisrichtung; ein schon gegebenes und doch im epistemischen Prozess noch nicht antizipierbares Potenzial. Dies bewahren die Dinge als Latenz: als Möglichkeit einer späteren Befassung mit anderen Erkenntnisinteressen, anderem Aufmerksamkeitsfokus, anderen Methoden, anderen Theorien« (ebd., S. 18). - Zur Sammlung als Assemblage vgl., im Rekurs u. a. auf Baudrillards ›System der Dinge‹, Hahn: Dinge sind Fragmente und Assemblagen, S. 23-25. 504,25-30) 606 die literarische Überformt- und Gemachtheit nur scheinbar intradiegetischer Weltwahrnehmung. Mit Blick auf die Gegenstände ist an dieser Stelle neuerlich deren Polysemie, insbe‐ sondere in der Assemblage, sowie ein offenes Anspielungs- und Bedeutungspotential indiziert, das als »Potenzial der Latenz« 607 begrifflich fassbar wird, als Potential, das an dieser Stelle angezeigt und wenig später, mit dem tatsächlichen Auftreten Orgeluses (vgl. 508,17ff.), wiederaufgegriffen und zum Thema ausgeweitet wird: Im Verkennen des Schild-gereite-Arrangements erkennt Gawan bereits die erzählte Zukunft. Nebenbei deutet sich in dieser Szene überdies an, dass nicht nur tumpheit für die Wahrnehmungs- und Deutungs›schwächen‹ der handelnden Figuren verantwortlich zeichnet, sondern dass auch der ›kluge Blick‹ eines Spurenlesers und Zeichen-Experten wie Gawan im Angesicht ambiger Zeichenkomplexe Fehldeutungen zu zeitigen vermag. Das Sichtbar-Materielle wird einmal mehr auf sein Potential hin durchsichtig gemacht, schlechthin alles und jeden zu ›täuschen‹. Gawans zweiter Blick auf dieses hybrid-rätselhafte Dingensemble gilt vor allem dem Zustand des Schildes, der mit seiner Schadhaftigkeit seinerseits die Spur von Ereignishaftem trägt. So macht Gawan bei genauerer Betrachtung diese Feststellung: Der schilt was ouch verhouwen: Gâwân begunde in schouwen, dô er derzuo kom geriten. der tjoste venster was gesniten mit der glâvîne wît. alsus mâlet si der strît: wer gults den schiltæren, ob ir varwe alsus wæren? (505,1-8) Wie schon im Zuge der Erstwahrnehmung des ›blickenden‹ Schildes wird auch bei der räumlichen Annäherung an die Dinge Gawans Gebannt- und visuelle Fixiertheit auf den Schild (vgl. 505,2) abermals betont. Hierbei wird die Erstinformation über den Gegenstand (dâ was ein tjoste durch gezilt; 504,10) nicht nur konkretisiert (der tjoste venster was gesniten / mit der glâvîne wît; 505,4f.), vielmehr wird nun das spurtragende Ding durch die metaphorische Rede vom ›Loch im Schild‹ als der tjoste venster, vom Fenster also in 226 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 608 So zur vorliegenden Stelle Jackson: Zwischen Innenraum und Außenraum, S. 46. Dass es sich hierbei um eine sprachliche »Erfindung Wolframs« handelt, die bereits im Zuge der Blutstropfenszene inseriert wird (vgl. 295,13-15), zeigt Bonath: Untersuchungen zur Überlieferung. Bd. II, S. 24; für eine Zusammenstellung von korrespondierenden Stellen vgl. ebd., S. 24f. - Zur Funktion von Fenstern allgemein Selmayr: »Zum einen kann das Licht, das durch das Fenster von außen in das Innere dringt, als Motiv fruchtbar gemacht werden […], zum anderen kommt es zu einem gerahmten bzw. fokussierten Blick. Dieser dient als Mittel der Steigerung der Intensität des Sehens. Sehen und Sichtbarkeit werden in Bezug auf Fenster in den mhd. Texten auf kunstvolle Art und Weise miteinander verschränkt« ([Art.] Tor, Tür, Treppe, Fenster, S. 522f.). 609 »Also, the pierced shield was a kind of symbol of sexual union-cf. Wolfram’s comment (139,17) with regard to Parzival’s treatment of Jeschute« (Kratz: Wolfram von Eschenbach’s Parzival, S. 335). 610 Vgl. Schulz (San-Marte): Schildmaler und Malerwappen, S. 465. 611 So bereits Schulz (San-Marte), der für den wolframschen Gebrauch des Begriffs schiltære die Übersetzung ›Maler‹ vorschlägt, denn: »In allen diesen Stellen Wolfram’s [gemeint sind: Parz., 158,15-17; 505,7-11; 756,5-9; Wh., 241,27-30] ist im Entferntesten nicht von Schildmalerei, sondern von Malerei überhaupt die Rede, und schiltaere kann nur mit Maler übersetzt werden« (Schildmaler und Malerwappen, S. 466). »assoziative[r] und übertragene[r] Bedeutung« 608 , zum Medium. 609 Und auch ›objektseitig‹ wird nun erneut das Thema der Wahrnehmung, der Fokussierung und Rahmung diskursiv: Der folgende so abrupt wie ›ritterlich-humorig‹ 610 anmutende Wechsel des Bildbereichs, in dessen Zuge die architektonische Metaphorik (der tjoste venster) gegen einen Vergleich mit der Schild- und Wappenkunst oder allgemeiner der Malerei 611 ausgetauscht wird, das Loch im Schild also nicht mehr als Rahmen (venster), sondern als Bild anstelle eines Wappens, sprich: als Gerahmtes, imaginiert wird, spiegelt Schillern und Attraktion des Gegenstands innerhalb der erzählten Welt ins literarische Medium der Darstellung, transformiert das Wahrnehmungsobjekt zu einem Kunstgegenstand und rückt so den ritterlichen strît selbst an die Position des Künstlers. Der Kampf ist somit nicht nur Gegenstand ästhetisch-litera‐ rischer Darstellung, sondern vielmehr selbst bereits, in metaleptischer Verzerrung freilich, vorgängig-poetisches Prinzip (vgl. in ähnlicher Tendenz schon 158,13-16 sowie 756,4-6). Aufschluss über das von Schild und Pferd tatsächlich Indizierte, über das, was derhinder (505,11), durch das ›Fenster‹ im Schild zu sehen ist, gibt die folgende Szene: eine Dame, in deren Schoß ein verletzter Mann - eine Aufstellung von Figuren, die, zumindest aus der Perspektive des spurenlesenden Rezipienten, in Analogie zu dem besprochenen Dingensemble angelegt ist, die auffallend an Sigunes Pietà-Geste gemahnt und damit abermals eine ebenso irreführende Erwartungshaltung begründet wie die zuvor von Gawan fehlgedeuteten Gegenstände. Zu dem verhouwenen Schild tritt, diese reflexhaft-erwartbare Verbindung ist dem Leser mittlerweile wohlvertraut, Urjans, durchstochen ein man (505,22) und doch noch lebendig ([…] er lebet noch: / ich wæn daz ist unlenge doch; 505,27f.). War in Gawans Anschauung der Schild zunächst Teil einer Dinge-Assemblage, welche in ihrer Gesamtheit metaphorisch auf eine amazonenhafte Besitzerin und ein erotisches Abenteuer zu deuten schien, so wird er sodann aus dem Zeichenkomplex gelöst und als so topisches wie metonymisches Zeichen der Versehrung und der Todesnähe männlicher Ritterschaft ausgewiesen: Urjans selbst bringt diese metonymische Relation zwischen durchlöchertem Schild und versehrtem Leib wenig später rhetorisch augenfällig in dem Parallelismus schilt - lîp zum Ausdruck: diu [tjoste] ergienc sô hurteclîche / durch mînen schilt und durch den lîp (507,6f.). Metonymie und Metapher vermitteln zwei gegensätzliche Bedeutungen, eine, 227 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 612 Wandhoff: Der Schild als Bild-Schirm, S. 86. 613 Han: Undinge, S. 73. 614 »Qu’est-ce donc qu’une connotation? Définitionnellement, c’est une détermination, une relation, une anaphore, un trait qui a le pouvoir de se rapporter à des mentions antérieures, ultérieures ou extérieures, à d’autres lieux du texte (ou d’un autre texte) […]. Structuralement, l’existence de deux systèmes réputés différents, la dénotation et la connotation, permet au texte de fonctionner comme un jeu, chaque système renvoyant à l’autre selon les besoins d’une certaine illusion« (Barthes: S/ Z, S. 13f.). Übersetzung: »Was ist nun eine Konnotation? Von der Definition her ist es eine Bestimmung, eine Beziehung, eine Anapher, eine Linie, die sich auf vorhergegangene, spätere oder von außen kommende Hinweise, auf andere Orte des Textes (oder eines anderen Textes) zu beziehen vermag […]. Struktural erlaubt die Existenz zweier als verschieden angesehener Systeme - die Denotation und die Konnotation - dem Text, als Spiel zu funktionieren, bei dem jedes System, den Bedürfnissen einer gewissen Illusion gehorchend, auf das andere verweist« (S/ Z, S. 12f.; vgl. auch Kap. 2.2.3, Anm. 273). die Leser und Figur sogleich entdeckt, und eine, die metaphorische, mit weit größerer Tragweite, die sich erst später, mit dem Erscheinen Orgeluses, als sinnträchtig erweisen wird. Die in der Szene von Gawans ›Schildbetrachtungen‹ ausgestellte Funktion der Schutz‐ waffe entspricht derjenigen literarischer Schildoberflächen auf paradigmatische Weise: Die literarischen Schildoberflächen fungieren […] wie Bildschirme im modernen Sinn: Sie ziehen die Blicke der Betrachter an, führen ins Medium hinein und öffnen ihnen dort Fenster, durch die sie Zugänge zu anderen Text-Welten finden. 612 Indem Wolfram die Löcher erst metaphorisch als Fenster, dann als vom strît gemalte Kunstwerke ausweist, deutet er auf Medialität und Artifizialität des erzählten Gegenstands, eines Dings, das auf engstem Raum divergierende Lektüren anregt, das einerseits als Symbol (männlicher) Ritterschaft firmiert und andererseits, in der Assemblage, zum Teil eines Zeichenkomplexes wird, dessen Gestalt und Funktion mit seiner letztlich enthüllten tatsächlichen Bedeutung zunächst nicht in Deckung zu bringen ist: »Das Ding als blinder Fleck stellt eine Gegenfigur der Information und Transparenz dar. Es ist das Intransparente schlechthin.« 613 Im Differenzmodell ist angelegt, was Wolfram nun unter anderem am Beispiel der Orgelusefigur dilatierend ausführt und was bereits mit den Ringgleichnissen im Prolog grundgelegt wurde: eine Ambiguität, die vom Äußeren nicht zuverlässig auf das Innere, auf Darunter- oder Dahinterliegendes schließen lässt - genauer: nicht unmittelbar, denn in dem geschilderten Wahrnehmungsprozess Gawans deutet sich überdies symbolisch bereits an, was letztlich, in einer weit später erzählten Zukunft, nach dem Bestehen der Schastel marveile-aventiure kulminieren wird: die gesellschaftliche Zusammenführung der weiblichen und der männlichen Vertreter des Artushofes. In der schilt-gereite-Assemblage werden, wie vergleichbar im Kleid Obilots, Nähe und Distanz ebenso wie Separation und Vereinigung bereits dingsymbolisch enggeführt. Nachdem der Schild in der Obilothandlung bereits sowohl auf materieller als auch auf symbolischer Ebene allfälligen Transformationen und komplex-vielstimmigen Bedeu‐ tungszuschreibungen ausgesetzt war, setzt sich nun in der Orgelusehandlung dieses Spiel, dieses vielsinnige Wuchern der Signifikationen, der miteinander in Bezug zu setzenden De- und Konnotationen fort. 614 Die hier angesprochene Verkettung von Dingbedeutungen und -funktionen findet als wolframtypische Form metonymisch-assoziativen Erzählens ihre 228 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 615 Zu den Bezügen zwischen Urjans’ Blutspur, den Blutstropfen am Plimizoel, Parzivals Ithertötung und der blutenden Lanze vgl. Clifton-Everest: Knights-Servitor and Rapist Knights, S. 302f. 616 Zu dieser Gleichzeitigkeit von Anziehung und Abstoßung Haferland: »Aber Orgeluse hat ihn nicht nur auflaufen lassen und abgewiesen, sie hat ihn auch angezogen. Tatsächlich hat sie ihn in einer Doppelbindung gefangen, und er kann nicht vor und nicht zurück. Denn daß das Überwinden von Widerständen eine Sache schon der Institution des Minnedienstes, ja schon jeder Werbung selbst ist, liegt zutage« (Höfische Interaktion, S. 188). 617 Man denke beispielsweise an Ovids Ars amatoria: fac primus rapias illius tacta labellis / pocula, quaque bibet parte puella, bibas; / et quemcumque cibum digitis libauerit illa, / tu pete, dumque petis, sit tibi bildliche Widerspiegelung im zweiten Wahrnehmungsgegenstand Gawans, einer variierten Wiederholung des gereite-Motivs. Nach der Begegnung mit dem verschlagenen Urjans und seiner Dame, in welcher der Artusritter seine medizinischen Fähigkeiten und seinen sicher-improvisierenden Umgang mit den Dingen, in diesem Falle einem houbtgewant (507,22), das von ihm kurzerhand zum Wundverband umfunktionalisiert wird, unter Beweis hat stellen können, begibt er sich, der Blutspur des Urjans folgend (vgl. 507,25-29), auf den Weg nach Logroys. 615 Wie schon Schild und gereite das Erscheinen der Herzogin spannungsvoll präludiert hatten, ist es nun ihre wehrhaft-uneinnehmbare Burg, die von der verlockenden rîcheit (508,13) eines amoenen Naturraums umgeben ist und ihr spektaktuläres Auftreten neuerlich verdeckt ankündigt (vgl. 508,1-16). Vor den Stadtmauern trifft er auf die Orgelusefigur, die bereits im ersten Dialog mit Gawan (vgl. 509,1-512,24) ihre Exzeptionalität als verführerische Dame einerseits und als strategisch agierender, sich offen so abweisend wie spröde gebärender reizel minnen gir (508,28), mithin die für die Gawan-Orgeluse-Handlung so zentrale Polarität von freude und pîn (508,16) unter Beweis stellt. 616 In Vorbereitung auf seine erste Bewährungsprobe in Orgeluses Diensten soll diese die Zügel seines Pferdes halten: dô nam mîn hêr Gâwân den zügel von dem orse dan: er sprach ›nu habt mirz, frouwe.‹ ›bî tumpheit ich iuch schouwe,‹ sprach si: ›wan dâ lac iwer hant, der grif sol mir sîn unbekant.‹ dô sprach der minne gernde man ›frouwe, in greif nie vorn dran.‹ ›nu, dâ wil ichz enpfâhen,‹ sprach si. […] (512,13-22) In dem zügel sieht Orgeluse einen metonymischen Mittler von Gawans Berührung, von selbigem, so ihr Vorwurf, instrumentalisiert, um eine dinglich vermittelte Minnekommu‐ nikation zu etablieren. Aus dessen vorangehender unentschlossener Gedankenrede (vgl. 512,1-8) geht für den Rezipienten solcherlei nicht hervor, vielmehr sind es Fragen des Anstands, die Gawan augenscheinlich umtreiben: Er fragt sich, ob im diu bete gezæme (512,8), ob es ihm töhte (512,6), die Herzogin sein Pferd halten zu lassen. Da nun aber die Berührung und das Weiterreichen eines Gegenstands an die Geliebte schon seit der Antike zu den typischen Verhaltensweisen des Werbenden zählen, 617 und nachdem im 229 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher tacta manus (Ov., Ars am. I, 575-578); für das antike Motiv des ›cup-kissing‹ vgl. ebenfalls Ov., Am. I.4, 31 f. oder auch, in komischer Kontrafaktur, da hier nicht ein Becher, sondern ein moechus, ein kleinwüchsiger Narr (morio), als Medium der Liebenden fungiert, Mart., Epigr. XII, 93. 618 Lechtermann weist auf diesen Bezug hin: »Als allerdings ambivalente Figur lehnt sie [Orgeluse] ab - und übertreibt damit ihren Verzicht -, was Obilot, Gawans kindliche Minneherrin, zulässt: die Stellvertreterberührung. Während Obilot Gawan (nach üblichem Schema) ihren Ärmel zukommen lässt und ihn, nachdem er im Kampf an Stelle der Haut Gawans getroffen wurde, wieder über den eigenen Arm zieht, weigert sich Orgeluse, auch nur den Zügel dort anzufassen, wo Gawans Hand ihn womöglich gehalten haben könnte« (Berührt werden, S. 160). An späterer Stelle wird das Motiv in Reinform und »kontrastierende[r] Entsprechung« zur vorliegenden Stelle (Zimmermann: Untersuchungen zur Orgeluseepisode, S. 138) wieder aufgegriffen, wenn es von Gawan und Orgeluse heißt: swenn siz parel im gebôt, / daz gerüeret het ir munt, / sô wart im niwe freude kunt / daz er dâ nâch solt trinken (622,22-25). 619 Zimmermann: Untersuchungen zur Orgeluseepisode, S. 138. 620 So Scheuer zur Bearosche-Handlung und den Verleumdungen Obies (Schach auf Schanpfanzûn, S. 34). Übrigen die Stellvertreterberührung im Minnekontext bereits im siebten Buch verhandelt wurde, 618 lassen sich Geste und Gegenstand von Orgeluse, in vielleicht »übertriebener Prüderie« 619 , ganz unabhängig von Gawans unausgesprochenen Intentionen lesen und zum ungeschickten Werbungsversuch erklären. Einmal mehr erweisen sich die Gegenstände als im Handeln der Figuren ebenso unerwartete wie im vorliegenden Fall auch so komische wie (für Gawan) bittere Wirkungen zeitigende Akteure - und gerade vor dem Hintergrund der trügerischen Dinge-Assemblage am Beginn des X. Buches drängt sich abermals ein Eindruck der Unverfügbarkeit materieller Zeichen auf: Wieder steht die von der Figur erschlossene Bedeutung der scheinbaren oder behaupteten Bedeutungslosigkeit der mit‐ handelnden Dinge, ihrer nicht-intentionalen Zusammenstellung respektive ihrer angeblich hintersinnfreien Handhabung diametral entgegen. Die materiellen Zeichen, dies wird in beiden Szenen deutlich, sind nicht mit ihren Signifikaten in eins zu setzen, sondern sie zeichnet eine beträchtliche Wider- und Eigenständigkeit, ein kaum zu kontrollierender und konfliktträchtiger Bedeutungsüberschuss aus - und der Leser muss sich fragen: Ist Orgeluses Verdacht, Gawan instrumentalisiere den Zügel als Medium der Minne, tatsächlich ›prüde‹ und unbegründet? Gibt Gawans auf Anstand bedachte Gedankenrede Aufschluss über seine tatsächlichen Intentionen? Einmal mehr eröffnet nicht nur das Agieren Gawans, sondern eben auch das ›Mithandeln‹ der Dinge »einen Raum der Unbestimmtheit und Ambivalenz«, 620 ist es die nur oberflächlich besehen ›falsche‹ Deutung, welche eine ›tiefere‹ Wahrheit dekuvriert, eine Wahrheit, in der der minne gernde Gawan selbstverständlich, wie schon im Blick auf den Schild, blind nach Minne trachtet. Dass er sich überhaupt vor das Problem gestellt sieht, nichts zum Anbinden seines Pferdes vorzufinden (vgl. 512,4f.), trägt ebenso zur Komik der Szene bei wie die Tatsache, dass der Ritter Orgeluses Anwurf ernst nimmt und ihr die Stelle bezeichnet, an der er den Zügel nie berühre, an der also mit einer metonymischen Anwesenheit seines Griffs nicht zu rechnen ist (vgl. 512,20). Mit der Erwähnung weniger Details lässt Wolfram so in aller Beiläufigkeit zum einen die Topographie des Handlungsraums anschaulich werden, gewissermaßen ex negativo, durch die Erwähnung, dass es, den Ort, an dem Orgeluses Pferd angebunden ist, ausnehmend, in der näheren Umgebung keinerlei Bäume oder Ähnliches 230 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 621 Neben solch impliziter Raumdarstellung fungiert die vorliegende Stelle als paradigmatisches Beispiel für Wolframs Reiserespektive Wanderlandschaften; hierzu Hahn: »Auf kleinstem Raum gibt Wolfram hier eine Wanderlandschaft. Ihre Stationen: Quelle, Pfad, Pforte, Baumgarten, werden vom Helden auf Hin- und Rückweg ›abgewandert‹« (Raum und Landschaft in Gottfrieds Tristan, S. 48); allgemeiner: »Wolfram ist kein Landschaftsmaler. Er breitet die Handlung im Raum aus, bildet bestimmte aufeinander bezogene Zentren, identifiziert Einzelheiten durch erinnernde Wie‐ derholung und schafft so seine reichen, in sich logischen, dennoch nicht optischen, da rein aus dem Bewegungsspiel der Person lebenden Topographien« (ebd., S. 49). 622 Blamires: Characterization and Individuality, S. 378. Zuspitzend Scheuer: »Der Pferdewechsel von Gringuljete auf den Klepper Malcreatiures, des Knappen der Orgeluse, markiert Gâwân selbst als gebe. 621 Zum anderen erzeugt er eine gegenständlich-räumliche Vorstellung auch von dem Zügel, indem er die Reden Gawans und Orgeluses mit deiktischen Hinweisen auf das Ding respektive auf bestimmte Teile desselben durchsetzt (vgl. 512,15; 512,17; 512,20f.), diesen somit als dreidimensionalen Gegenstand mit verschiedenen berührbaren Segmenten vorstellbar macht (vgl. Kap. 2.2.3, Anm. 292). Wolfram verdeutlicht in diesem kurzen Dialog überdies, dass sich Orgeluse, ganz oder mindestens partiell im Gegensatz zu Obilot, Obie, Antikonie oder an späterer Stelle Bene, der Spielregeln des Minnedienstes bewusst ist, dass diese Minnedienstbeziehung eine auch auf Figurenebene sich selbst und die ihr kulturell-literarisch zugrunde liegenden Ordnungen bespiegelnde sein wird, und dass diese Selbstreflexivität auch die Semiotik des Gegenständlichen miteinschließt. Im Anschluss an die Begegnung mit Gawans alter Nemesis, dem Vergewaltiger Urjans, und einen neuerlichen Pferdewechsel, in dessen Folge Gawan seines Gralrosses Gringuljete verlustig geht und das schwächliche Pferd von Orgeluses Diener und Cundries missgestal‐ tetem Bruder Malcreatiure übernimmt, werden das gereite- und das schilt-Motiv noch einmal zum Thema: al stênde bî der frouwen daz marc begunder schouwen. daz was ze dræter tjoste ein harte krankiu koste, diu stîcledr von baste. dem edeln werden gaste was etswenne gesatelt baz. ûf sitzen meit er umbe daz, er forht daz er zetræte des sateles gewæte. Dem pfärde was der rücke junc: wær drûf ergangen dâ sîn sprunc, im wære der rücke gar zevarn. daz muoser allez dô bewarn. (530,21-531,4) In augenfälligem Kontrast sowohl zu dem schillernden frowen gereite der Urjansdame als auch zu Orgeluses prächtigem Pferd (ouch was maneger marke wert / der zoum unt sîn gereite; 513,22f.) materialisiert sich an dieser Stelle Gawans Demütigung sichtbar in Zustand und Ausstattung seines Reittiers: »the appearance and weakness of Malcreatiure’s little runzît […] shows the extent to which Gawan is degraded« 622 - eine Form der 231 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher mala creatura, als verworfenes Geschöpf, und es dürfte kein Zufall sein, dass Wolfram beiden eine Schwester namens Kundrie an die Seite stellt (die eine von größter Schönheit, die andere von wildem, animalischem Äußeren)« (Schach auf Schanpfanzûn, S. 34). 623 Die Bezeichnung stîcleder wurde »schon früh auch von steigbügelträgern aus anderem materiale als leder gebraucht« (DWb 18, Sp. 1922). Das Grimm’sche Wörterbuch kann für diese Verwendung des Begriffs neben der hier untersuchten Parzival-Stelle allerdings nur zwei spätere Belege, u. a. aus Heinrichs von dem Türlin Crône (19918), anführen. 624 »Der Artusritter als Fußgänger, das ist so schlimm wie Lancelot auf dem Karren, das äußerste Sicherniedrigen des Manns unter der Gewalt oder im Dienst der Minne« (Ohly: Die Pferde im Parzival, S. 888). 625 Anregungen zur Poetik des wolframschen Zweikampfes - indes nicht zu dem hier untersuchten - sind einem jüngst erschienen Beitrag zur Rolle des Erzählers als ›Figur des Dritten‹ zu entnehmen, vgl. Cornelia Selent: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte? Vgl. überdies, ebenfalls ohne Zurücksetzung, die auf die paradigmatische Züchtigung der Jeschute durch Orilus (vgl. 136,24-137,11) sowie auf Parzivals phärdelîn und dessen jämmerliche Ausstattung (vgl. 144,23-27) zurückverweist: In allen Fällen signifiziert das Material bast (vgl. 137,1; 144,23; 530,25) nicht nur Unangemessenheit und Ärmlichkeit, sondern geradezu die Dysfunktio‐ nalität des Reitzeugs, im Falle Gawans noch hervorgehoben vermittels der tentativ als paradoxal zu beschreibenden Wendung stîcledr von baste, mit der das Leder als dem Ritter angemessenes Steigbügel-Material in Erinnerung gehalten wird, als Material, auf das im vorliegenden Kontext allerdings allenfalls angespielt wird, da die Bezeichnung -ledr im Kompositum keine Auskunft mehr über die Materialität des Gegenstands gibt, sondern sprachhistorisch besehen vermutlich bereits einen Bedeutungswandel vollzogen hat und nunmehr metonymisch den (nicht zwingend ledernen) Bügel bezeichnet.  623 Dieser Klepper kann ebenso wenig geritten werden, ohne zusammenzubrechen, wie sein Zaumzeug aus Bast bei Gebrauch zerrisse. Anstatt das schwache Pferd selbst zu besteigen, nimmt Gawan es, unritterlich »als Fußgänger« 624 , am Zügel und bindet ihm wenig später, von Orgeluse verlacht, seinen Schild auf. Diese Aktion rückt den wappenlosen Schild wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit und spielt so die Akteursqualität eines Gegenstands nach vorne, der innerhalb der Diegese durchgängig sichtbar ist und im Text erst aus der Latenz an die Handlungsoberfläche geholt werden muss, der mithin Orgeluse, wie an früherer Stelle bereits vergleichbar Obie, dazu veranlasst, Gawan als Krämer zu verspotten (vgl. 531,12-18). Dass der Ritter sein Pferd am Zügel hält und zunächst auch Schild und Lanze trägt, stellt weiterhin einen paradig‐ matischen Kontrastbezug zur ersten Einzugsszene des Romans, derjenigen Gahmurets in Patelamunt, her: Während in dieser die ritterliche Identität als raumgreifende und dem Erstkörper im von einem Knappen getragenen Schild vorausgeschickte (vgl. 18,5-19,16 und Kap. 2.1.2 dieser Arbeit), daneben der satel (19,3) als Index des nachfolgenden Einreitens Gahmurets imaginiert wurde, rückt nun Gawan an die Position des identitätslosen Knappen und sein wappenloser Schild an diejenige des Gahmuret’schen Ankerschildes - contrastes significatifs, die Gawans Degradierung umso augenfälliger machen. Im Anschluss an den Minneexkurs des Erzählers (vgl. 532,1-534,8) legt Gawan den Schild an, steigt auf seinen Klepper, und es kommt zu einem ersten von zwei letztlich sinnlosen Zweikämpfen in den Diensten Orgeluses (vgl. 538,1-8; 542,16f.). Im Kampf gegen Lischoys Gwelljus, 625 der zuvor bereits Urjans im Zweikampf überwunden und ihm die 232 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival Besprechung des Kampfes zwischen Gawan und Lischoys, Wittmann: Das Ende des Kampfes sowie Hable: Die Choreographie von Sieg und Niederlage. 626 Die Verhandlung des Pferdemotivs kann als weiteres Brennglas wolframscher Invertierungs- und Ironisierungsstrategien angesprochen werden - man denke, um nur ein Beispiel herauszugreifen, an die Reise Parzivals auf seinem Klepper von Pelrapeire nach Terre salvaesche: mit gewalt den zoum daz ros / truog über ronen und durchez mos: / wandez wîste niemens hant. / uns tuot diu âventiure bekant / daz er bî dem tage reit, / ein vogel hetes arbeit, / solt erz allez hân erflogen (224,19-25); man vergleiche in diesem Kontext auch die Verse 452,1-12, in denen sich Parzival aktiv von der Bewegung seines Pferdes abhängig macht und diese mit dem Willen Gottes in eins setzt. Zur Aktivität von Wolframs Wegen und Pferden, zur Passivität seiner Figuren vgl. Beck: Raum und Bewegung, S. 182-185, S. 225-227 et passim. 627 Zum Witz der abgewiesenen Flugmetapher (vgl. 536,11-15) Johnson: »eine witzelnde zweistufige Berichtigung der - für den Dichter nur vage denkbaren und (behüte! ) nicht ausgesprochenen Metapher: Lischoys flog nicht, sondern sprengte schnell heran; Lischoys sprengte nicht schnell heran, sondern das Roß« (Die Blutstropfenepisode in Wolframs Parzival, S. 319). dann von Gawan geheilten Wunden zugefügt hat (vgl. 507,2-9), erweist sich Gawans runzît als unbeweglicher Gegenstand, der sich mit dem gegnerischen Ross zwar nicht auf konventionelle Weise messen, dieses jedoch nach einer Logik der ›Tücke des Objekts‹ ins Straucheln zu bringen vermag: In einem dem Kampf vorgelagerten Monolog erwägt Gawan seine Chancen und, ob er den Kampf ze fuoz ode ûf dem pfärdelîn (536,20) bestreiten soll. Seine einzige Chance sieht der Artusritter darin, ez enstrûche ouch über daz runzît (536,25), darin also, dass sein eigenes Pferd nicht als bewegliches Streitross fungiert, sondern als un‐ beweglicher Gegenstand das gegnerische Pferd aus dem Tritt bringt. 626 Dass sich eben diese komische, die typische Funktion eines Streitrosses abweisende Überlegung im Folgenden realisiert - dô strûchte der baz geriten man (537,11) -, indiziert den Slapstickcharakter dieses ohnehin merkwürdigen, da auffallend unmotivierten Kampfes: sine heten niht ze teilen, / ân nôt ir leben ze veilen (538,5f.). Was üblicherweise die Kampfhandlung rahmt und als Bestandteil eines ritualisierten und vorhersehbaren Ablaufs firmiert, der Kampf zu Pferde, wird somit selbst zum Handlungsbestandteil und das üblicherweise nicht weiter in Erscheinung tretende, keinen Unterschied im Latour’schen Sinne bewirkende Tier gerade aufgrund seiner Verdinglichung zum mithandelnden Akteur. Komik entsteht in dieser Kampfdarstellung weiterhin durch eine Inversion der einander kontrastreich gegenüber‐ gestellten Parteien, durch die Hervorhebung ihres jeweiligen Bewegungsspielraums: Wird im Falle des Lischoys Gwelljus dessen Schnelligkeit und Mobilität hervorgehoben (sein Pferd erzeigte snelheit, 536,15, der Ritter scheint fast zu fliegen), 627 so kommt Gawan auf seinem Pferde kûme fürbaz (534,18), und erst in der zweiten Kampfphase schlägt das Kräfteverhältnis zwischen den Kombattanten um. Mit Karlheinz Stierle zur ›Tücke des Objekts‹ kann ein solches Mithandeln der Gegen‐ stände, können Inversionen wie die hier statthabenden ganz allgemein als Signa des Komischen angesprochen werden: Ein Subjekt verfügt über ein Objekt, in dem als Handlungsmedium die Handlung sich materiali‐ sieren soll. Die Handlung kann nun komisch daran scheitern, daß das Objekt unvorhergesehen und plötzlich sich als widerständig erweist und genau so reagiert, daß der Handlungsplan nicht nur scheitert, sondern sich in einer Unhandlung fortsetzt, die den Schein einer zur intendierten Handlung konträren Handlung trägt. Durch das Arrangement des Zufalls wird das Objekt zu 233 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 628 Stierle: Text als Handlung, S. 304. Zur Verortung von Stierles Beitrag in dingtheoretischen Diskursen vgl. Kling: Aus dem Rahmen fallen, S. 325f. Zur Rolle der Gegenstände im Slapstick: »Mit dem Slapstick rücken die Dinge ins Zentrum komischer Phänomene sowie der Komiktheorie - und zwar selbst dort, wo Komik und Lachen eigentlich auf den Menschen begrenzt werden« (ebd., S. 311). 629 Stierle: Text als Handlung, S. 300. 630 So Emmerling zu Gawans Kampf auf Schastel marveile (Geschlechterbeziehungen, S. 121). Kritisch sei angemerkt, dass sich die moralischen Einlassungen Wolframs zum ritterlichen Zweikampf polyphon und in Teilen irritierend widersprüchlich ausnehmen - man denke nur an die Aussage zu Beginn des X. Buches, dass Kampf der sicherste Weg nicht nur zum Ruhm, sondern auch zum Gral sei: wan swers grâles gerte, / der muose mit dem swerte / sich dem prîse nâhen (503,27-29). 631 Schmid: Studien zum Problem der epischen Totalität, S. 75. einem Quasi-Subjekt, das über das handelnde Subjekt zu verfügen scheint und dieses selbst zu einem Quasi-Objekt macht. Dieses plötzliche Umschlagen einer Subjekt-Objekt-Relation in eine Objekt-Subjekt-Relation ist eine der wirkungsvollsten Formen des Komischen. 628 Im Mithandeln der Dinge offenbare sich die »Fremdbestimmtheit des Handelns« als »Quelle[] des Komischen« 629 . Von Fremdbestimmtheit und Unverfügbarkeit ist an dieser Stelle gleich zweifach zu sprechen: Einerseits mit Blick auf die Konstruiertheit einer Situation, in der sich der offensichtlich unterlegene Gawan einem hochgerüsteten und kampfgierigen Ritter gegenübergestellt sieht; andererseits mit Blick auf Lischoys, der nicht an kämpferischer Unterlegenheit, sondern an der von Gawan listig instrumentalisierten Unbeweglichkeit des eigenen Reittiers scheitert - der Artusritter erweist sich als souverän in der Zuweisung von Akteursrespektive Zwischengliedqualitäten an die am Kampf beteiligten Entitäten. Wie später auf Schastel marveile dient der Zweikampf mit seinen formalisierten Abläufen auch hier als Gegenstand satirisch-humorvoller Motivvariation sowie dazu, herkömmliche ritterliche Kämpfe zu problematisieren. […] Wolfram [möchte] zeigen, dass der ritterliche Kampf, so heldenhaft er auch sei, vielen Situationen nicht gerecht wird. 630 Die Nivellierung von Oppositionen ist in der folgenden Kampfphase, dem Schwertkampf, erneut nicht den Körpern der Figuren, sondern ihren Gegenständen, in diesem Falle: ihren Schilden, abzulesen: die schilde wâren unvermiten: die wurden alsô hin gesniten, ir bleip in lützel vor der hant: wan der schilt ist immer strîtes pfant. (537,17-20) Wie zuvor betontermaßen beide Kämpfer, bêde, Subjekt der Handlung waren (vgl. 537,14; 537,16), und wenig später beide vom Erzähler für ihr Kampfverhalten gescholten werden (vgl. 538,1-8), sind es nun deren Schilde, die gleichermaßen der Zerstörung anheimgegeben sind - noch in der nebensächlichsten Teilhandlung des Zweikampfs zeigt sich Wolframs »moment obsessionel, Einheit zu stiften.« 631 Und nachdem das Partizip gesniten bereits an früherer Stelle auf die Künstlichkeit des Dargestellten verwiesen hat - so wurden der tjoste venster […] gesniten (505,4) und ›vom Kampf gemalt‹ (vgl. 505,6) -, ist es auch hier weniger die Schilderung eines Handlungsablaufs als die eindrückliche Bildlichkeit 234 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 632 »Hinzu kommt, dass Gawan - für jeden sichtbar - nicht angemessen beritten ist, sich in einem Lanzenkampf also unmöglich effektiv verteidigen kann. Ein Kampf mit einem derart benachteiligten Gegner verböte sich im Prinzip von selbst. Dennoch sprengt Lischoys wie wild auf Gawan zu« (Emmerling: Geschlechterbeziehungen, S. 76). 633 Nellmann: Stellenkommentar zu 538,9f., S. 714. 634 »Aber auch Lischoys hat Eigenheiten, die kein gutes Licht auf ihn werfen. Er weigert sich, Sicherheit zu leisten, als er besiegt ist, und greift plötzlich wieder zum Schwert, was gegen den ritterlichen Kodex verstößt« (Bumke: Wolfram von Eschenbach, S. 98). 635 Ohly: Die Pferde im Parzival, S. 881. 636 Emmerling: Geschlechterbeziehungen, S. 77. Die Autorin betont weiterhin, dass Wolfram in 538,1-8 »nicht nur Lischoys tadelt, sondern Gawan in seine Kritik einschließt. Er erwähnt den Artus-Neffen in einem Atemzug mit einem Ritter, der erbarmungslos auf jeden einschlägt, der ihm begegnet, dessen Kampfethik sich zwischen den beiden Polen Sieg und Tod bewegt und der, um den prîs zu gewinnen, nicht einmal davor zurückschreckt, einen beendeten Kampf hinter dem Rücken des Gegners wieder aufzunehmen« (ebd., S. 77). und ein Räsonnement über die Regeln ritterlich-blinden Kämpfens, woran der Erzähler interessiert ist. Die Suspendierung syntagmatischer Handlungsmotivation deutet auf die Verlagerung des Erzählinteresses vom ›Was? ‹ auf das ›Wie? ‹ und das ›Wozu? ‹, sprich: auf die Inszenierung und die doppelbödige Moralisierung des Kampfgeschehens. Hierbei spielen Gegenstände und Tiere eine prominente Rolle: das Pferd zu Beginn als Indikator ungleicher, ja unfairer Kampfbedingungen 632 und die zerstörten Schilde als Marker der Nivellierung solcher Differenz. In einer dritten Kampfphase vollzieht sich die endgültige Umkehrung anfänglich ausge‐ stellter Gegensätzlichkeit: Gawan gelingt es infolge eines kampftaktischen Räsonnements (vgl. 538,11-13), dem Schwert des Lischoys auszuweichen und ihn im Ringkampf - »ein typisches Motiv der Heldendichtung, selten im höfischen Roman« 633 - zu besiegen; und dies gleich noch ein zweites Mal, nachdem der Kampf bereits entschieden scheint, Lischoys abermals, »gegen den ritterlichen Kodex« 634 verstoßend, zum Schwert greift und, noch einmal und nun endgültig, im Ringkampf unterliegt (vgl. 541,10-542,22). Erst im direkten körperlichen Kräftemessen, nachdem also alle Kampfphasen überwunden sind, in denen Lischoys seinen Ausrüstungsvorteil hätte ausspielen können, und Gawan den letzten Distanzwahrer zwischen Körper und Rüstung, das Schwert, undergienc / unt in mit armen zim gevienc (538,11f.), ist er in der Lage, den Kampf für sich zu entscheiden. Im nahtlosen Übergang vom Schwertzum Ringkampf deutet sich bereits an, was im Bruderkampf zwischen Parzival und Feirefiz seinen spannungsreichen Höhepunkt finden wird (vgl. Kap. 2.5 dieser Arbeit): dass selbst in aller Unterhaltsamkeit geschilderte kämpferische Auseinandersetzungen stets in tragischen Ernst zu kippen drohen. Im Zuge des ausführlich geschilderten Zweikampfs zwischen den Orgeluserittern, »[z]wischen Gawan, dem Stärkeren auf schwachem Pferd, und Lischoys Gwellius, dem Schwächeren auf starkem Pferd«, 635 führt Wolfram vor Augen, wie sinnlos und lebensfeindlich ein Rittertum ist, das auf einem veräu‐ ßerlichten Ritterbegriff beruht und den Gewinn von prîs und êre als alleinige Kampflegitimation anerkennt. 636 Diese vom Erzähler expressis verbis vorgebrachte Kritik (vgl. 538,1-8; 542,16f.) korreliert mit der Gegenüberstellung von dinglich und körperlich vermitteltem Handeln: Die äußeren, 235 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 637 So Coxon, der Gawans folgenden Aufenthalt bei dem »materialistischen« Fährmann und seiner Tochter Bene auf seine schwankhaften Züge hin untersucht (Der Ritter und die Fährmannstochter, S. 126). 638 Der von dem zum Parasiten ritterlichen Kämpfens stilisierten Fährmann eingeforderte zins macht auf die ökonomischen Abhängigkeiten der Nicht-Ritter aufmerksam (man vergleiche die beim Turnier von Kanvoleiz kurz skizzierte Lebensgrundlage der sog. krîgierre in 81,12-14, denen im Anschluss an den Kampf die baniere der Ritter zuteilwerden); vgl. auch Anm. 515 dieser Arbeit. den dinglichen Ausrüstungsgegenständen und -tieren ablesbaren Kampfbedingungen stehen in Opposition zum körperlichen Kraftverhältnis. Die Dinge treten hier in ihrer Funktion als die Offenlegung der wahren Kämpferqualitäten verzögernde, ja diese poten‐ tiell verschleiernde und manipulierende Akteure in Erscheinung - die Dimension der zeitlichen Verzögerung wird nach Lischoys’ hinterhältigem Angriff und im Anschluss an die Identifizierung seines Pferdes als Gringuljete noch einmal relevant, wenn es heißt: die schilde wâren sô gedigen, / ieweder lie den sînen ligen / und gâhten sus ze strîte (541,15-17), wenn also die Kampfhandlungen durch den Verweis auf den unzureichenden Zustand der Schilde abgekürzt und unmittelbar zum Schwertkampf übergegangen wird. In diesem Kontext ist neuerlich auf eine metaphorische Verschiebung des Schildbegriffs einzugehen. Inmitten der Kampfschilderungen schaltet der Erzähler die Bemerkung ein, helm unt ir swert liten nôt: diu wârn ir schilde für den tôt: swer dâ der helde strîten sach, ich wæne ers in für kumber jach. (541,27-30) Die Anthropomorphisierung von Helm und Schwert als notleidende und am Kampfge‐ schehen beteiligte Akteure steht der unbedingten Aggressivität der Figuren, der helde strîten, entgegen und indiziert ein weiteres Mal die Differenz zwischen heroischer sowie potentiell tödlicher Gewalt und den Dingen, nun als ebenso distanzwahrendem wie lebenserhaltendem Regulativ. Dass Helm und Schwert metaphorisch als Schilde bezeichnet werden, deren Schutzfunktion sie an der vorliegenden Stelle übernehmen, zeigt - wie schon im Falle der Obilotrede: ich pin iur scherm und iwer schilt (371,2) - auch auf sprachlicher Ebene, auf welcher Helm und Schwert nicht ›wie‹ Schilde sind oder ›als‹ Schilde fungieren, sondern ir schilde wârn, die Substituierbarkeit von Schutzgegenständen und -funkionen an, es indiziert damit die Fragilität eines gegenständlichen Verteidigungssystems, das zwar kampffunktionale Verschiebungen zulässt, dabei jedoch den Bedingungen des Materiellen unterliegt, mithin zerstörbar und endlich ist. Der Verweis auf die Zerstörung der Schilde im ersten Kampfteil ruft die in diesem Kontext verwendete metaphorische Bezeichnung derselben als strîtes pfant (537,20) in Erinnerung - eine Metapher, die, der kurz darauf begegnenden Marktmetaphorik vergleichbar (sine heten niht ze teilen, / ân nôt ir leben ze veilen; 538,5f.), den Boden für die sich an den endgültigen Sieg Gawans anschließende Szene bereitet, in welcher der zwielichtige Fähr‐ mann Plippalinot im unbedingten »Beharren […] auf materiellem Lohn« 637 seinen zins vom Sieger der Tjost einfordert: ze rehter tjost hât iwer hant / Mir diz ors erworben (544,30f.). 638 So spitzfindig wie hintersinnig argumentiert Gawan, die tjost, das Lanzenstechen zu Kampfbeginn, habe Lischoys, nicht er gewonnen, um seines Gralrosses nicht gleich nach 236 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 639 So Gephart zum Ausschluss Lischoys’ aus der gesellschaftlichen Interaktion nach dessen Gefangen‐ nahme durch Plippalinot: »Daß bei der folgenden gastlichen Aufnahme Gawans in dessen Haus Lischoys keine Erwähnung mehr findet, wie es höfischer Etikette entsprechen würde […], macht ihn gleichsam zur Unperson. […] Vom Subjekt eines gescheiterten Austauschs im gegenseitigen Geben und Nehmen wird der höfische Ritter vorübergehend selbst zum Objekt, zur Ware« (Geben und Nehmen, S. 183). 640 Ohly: Die Pferde im Parzival, S. 889. 641 Zu dieser narrativ-basalen Strategie der Identifikation von Figuren, Dingen und eben auch Pferden vgl. Anm. 774 dieser Arbeit. 642 Einer Konvention, die im Übrigen paradigmatisch in Hartmanns Erec vorgebildet ist (vgl. Er., 2614- 20): Êrec li fil de roi Lac, / wande er den mântac / maneges ros erledegete dâ. / diu liez er von der hant sâ, / daz er ir deheinez nam, / wan er dar niene kam / ûf guotes gewin (zit. nach: Hartmann von Aue: Erec [Sigle: Er.]), die auch in den Gahmuretbüchern bereits beiläufig Erwähnung findet (vgl. 72,15f.) und die sich, so stellt sich an späterer Stelle heraus, am selben Tag bereits beim Aufeinandertreffen des Fährmanns mit Parzival vollzogen hat (vgl. 559,11-13). Mit Verweis auf eine Beobachtung Kurt Ruhs hält Nellmann fest, dass die Zeitangaben hier nicht ganz stimmig sein können, denn: »Parzivals Erlebnisse, an denen Orgeluse beteiligt war (618,21ff.), lassen sich kaum in Orgeluses gedrängten Tagesablauf von gestern unterbringen« (Stellenkommentar zu 559,10, S. 719). Zur Parallelisierung der Raum-Zeit-Strukturen vgl. zuletzt Streit: Von Soltane nach Munsalvaesche, S. 257-262. 643 Cundrie und Malcreatiure werden explizit als kleinœte bezeichnet und neben weiteren Gaben zum Herrn des Grals Anfortas gesandt: si sant ir kleinœte dar, / zwei mennesch wunderlîch gevar, / Cundrîen unde ir bruoder clâr. / si sante im mêr dennoch für wâr, / daz niemen möhte vergelten: / man fündez dessen Rückgewinnung wieder verlustig zu gehen. Sein Angebot lautet: sît er iuch dunket alsô wert, / für daz ors des ir hie gert / habt iu den man derz gein mir reit (546,5-7). Pferd und Figur erweisen sich im Gespräch mit dem Fährmann gleichermaßen als Ware, und wie zuvor bereits mit Malcreatiure eine Figur als Gabe ausgewiesen wurde, ist es nun Lischoys, der die Position des Pferdes besetzt und so gleichsam zur »Unperson« wird, 639 während Gringuljete in Gawans Rede sowohl qua Ansprache (bistuz Gringuljete? ; 540,17) als auch qua Identitätszuschreibung anthropomorphisiert wird: Gringuljete ist ein Individuum von eigener Art. Nicht seine Kennzeichen […], allein seine Springart offenbart für Gawan seine Identität, die das Wappen nachträglich bestätigt. 640 In diese Anthropomorphisierungstendenzen fügt sich, dass an ebendieser Stelle abermals in vergleichsweise gedrängter Form die Biographie des Gralrosses in Erinnerung gerufen wird (540,28-541,2), genauer: der rêroup Lähelins und die nachfolgenden Besitzer Orilus und Gawan. Die hiermit anzitierte und bereits an früherer Stelle ausführlicher dargelegte Pferdebiographie (vgl. 339,27-340,6 und 473,22-30) dient nicht nur der ohnehin bereits erfolgten Identifizierung des Tieres, 641 sondern auch der Ankündigung des für die Folge‐ szene zentralen Themas: So steht Gawans entschiedener und nachgerade rüde formulierter Besitzanspruch auf ›sein‹ Ross (vgl. 545,9-546,9) im augenfälligen Gegensatz zu der auch in seiner Rede neuerlich angedeuteten wechselhaften Geschichte der vielen Vorbesitzer (vgl. 545,28-546,1), und indem Gawan mit der in Plippalinots zins-Forderung alludierten und zugleich zum Handel pervertierten Konvention, im Kampf erbeutete Pferde zu verschenken, bricht, 642 arretiert er die Bewegung unheilvoller Besitz- und Pferdewechsel und setzt der Reihe von Gaben- und Raubhandlungen ein vorläufiges Ende. In Entsprechung zu den orientalischen Gaben der Secundille, darunter sowohl dingliche als auch anthropomorphe kleinœte, 643 insbesondere zu dem Mensch-Tier-Hybrid Malcreatiure, das, »nicht mehr wild, 237 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher veile selten (519,21-26). Zur Funktion der Geschwister als Gaben für die Raumdarstellung Wolframs hält Richter fest: »Bedeutend sind dabei gleichermaßen die Zirkulation der Waren aus Thrabonit, der Diebstahl der Wundersäule wie auch die Versetzung der Figuren Malcreatiure und Cundrie aus ihrem angestammten Heimatland Indien in die Räume Terre marveile und Terre de salvæsche, denn gerade sie scheinen diejenigen Räume, in denen sie letztendlich lokalisiert werden können, regelrecht zu dynamisieren« (Spiegelungen, S. 61). - Zum »totalitären Charakter, der dem völlig Durchstrukturierten, insofern Homogenen, anhaftet« s. allgemein Schmid: Studien zum Problem der epischen Totalität, S. 75 et passim. 644 Friedrich: Menschtier und Tiermensch, S. 142. sondern nur mehr Repräsentant[] einer lang zurückliegenden Spaltung des Menschen«, 644 als Gabe der reichen Orientalin an Anfortas und anschließend des Anfortas an Orgeluse fungiert, treten hier Pferd und Figur, neuerlich die Übergängigkeit zwischen handelnder Figur und objektförmiger Ware indizierend. Dem X. Buch des Parzival ist eine Bewegung von Pferden, Menschen und Gegenständen als Waren unterlegt, die die Handlungsmatrix und die raumzeitliche Koinzidenz ihres Zu‐ sammentreffens wesentlich determiniert. Diese Umbesetzungen und Inversionen können allgemein als Charakteristika der Gawan-Bücher angesprochen werden: So deutet der Urjansschild, dessen Wahrnehmung und Deutung entweder im Ensemble mit einem Damenreitzeug oder als isoliertes Zeichen auf die semiotische Offenheit, die Polysemie dinglicher Zeichen, insbesondere der Dinge-Assemblage - in Gawans Perspektive auf die Gegenstände ist hierbei bereits eine Vorausschau zum einen auf das Auftreten Orgeluses, zum anderen auf die feierliche Reintegration der von Clinschor auf Schastel marveile gefangen gehaltenen Damen in die Artusgesellschaft impliziert, eine Vorausschau, die das schilt-gereite-Ensemble als Exposition, als Symbol auch für das thematische Zentrum des zweiten Gawanteils ausweist. Wie der Schild wird auch ein Bestandteil des gereite, der Zügel, im Folgenden varrierend wieder aufgegriffen, ebenfalls als polysemer Gegen‐ stand, der aus den Perspektiven der handelnden Figuren unterschiedliche Bedeutungen transportiert und von Orgeluse gezielt zum Nachteil Gawans, als metonymischer Mittler seiner Berührung ausgelegt wird. Solch strategisch-absichtsvolle Vereinnahmung von Dingbedeutungen und -funktionen für das Aktionsprogramm der handelnden Figuren gipfelt in Gawans Zweikampf mit Lischoys Gwelljus, in welchem das mit Zügel und Reitzeug metonymisch verknüpfte Pferd zum Ding umfunktionalisiert und damit zum Akteur in einer komisch-verzerrten Kampfhandlung transformiert wird. Wie Raub- und Tauschhandlungen die Grenzziehung zwischen Mensch und Ding, die Zweikampfhand‐ lungen diejenige zwischen Akteur und Zwischenglied, Subjekt und Objekt labilisieren, so setzt der Dinge-Komplex eine Konkreszenz und Hybridisierung der Geschlechtergrenzen ins Bild. Neben den Gefahren und Aporien, die sich etwa in der fehlerhaften ›Lektüre‹ von kom‐ plex-mehrdeutigen materiellen Zeichenensembles oder in den Auseinandersetzungen zwi‐ schen reflektierten Zeichennutzern mit zumindest partiell undurchsichtigen Intentionen andeuten, sind damit auch bereits die Chancen eines gelingenden Miteinanders von anthropomorphen und dinglichen Akteuren indiziert: Mit Gawan begegnet ein Figurentypus, der zwar den Kontingenzen der Handlungs- und Dingwelt in gleichem Maße ausgesetzt ist wie die übrigen Figuren auch, der indes einen eigenen, einen spielerischen Umgang mit den Gegenständen demonstriert, der den sich ihm eröffnenden Konflikten flexibel und spontan, 238 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 645 Schultz: Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger, S. 99. 646 Brall: Familie und Hofgesellschaft, S. 573. nach der Logik eines erfahrenen, besonders innovativen Bricoleurs begegnet. Auch in den folgenden Büchern werden nicht nur das konfliktreiche Verhältnis zwischen dem Ritter und den Dingen, die Aporien ritterlichen Handelns diskursiv sowie Subjekt- und Objektstatus wiederholt invertiert, sondern es deuten sich verstärkt auch mögliche Lösungen, ein mit den Dingen, aber auch: dem anderen Geschlecht und den ethisch-moralischen Ansprüchen der Welt versöhntes Dasein an, die Chancen eines Handelns mithin, das sich der Dinge nicht nur als Instrumente bediente, sondern sie in ihrer Eigen- und Widerständigkeit, ihrer symbolischen Überschüssigkeit wahrnähme, eines ›symmetrischen‹ Herrschens, Handelns und Liebens. Zuletzt ließ sich in der assoziativen Verknüpfung von Szenen, die zuvor eingeführte Motive wie das frowen gereite, symbolisch-vorausdeutende Dinge-Ensembles oder so allgegenwärtige Waffen wie den Schild in metaphorischer oder metonymischer Form wieder aufgreifen und in neuen Handlungskontexten und -funktionen inszenieren, eine poetische Strategie des Erzählens von Dingen offenlegen, die bereits nucleushaft in Wolframs Titurel-Fragment zu beobachten war: Wie Gawan auf dem Weg nach Logroys den materiellen Blutspuren des Urjans folgt, firmieren auch die genannten Gegenstände als kohärenzstiftend-metonymische Bindeglieder des Narrativs. Darüber hinaus lassen sie den Blick auch auf zeitlich Entrücktes richten, nicht nur, indem sie paradigmatisch-metaphori‐ sche Ähnlichkeitsbezüge stiften, sondern auch indem sie in der tiefsinnigen Fehldeutung noch einzuführende Figuren und zentrale thematische Konstellationen vorwegnehmen. 2.4.3 Der Kampf mit den Dingen: Gawan auf Schastel marveile I (Buch XI) Der Schild ist der Hauptschutz des Ritters im Kampfe; so lange er ihn noch hat, ist seine Lage keine verzweifelte. 645 Auf Schastel marveile, an jenem »allegorische[n] Ort, auf den alles Geschehen hinläuft« 646 , sieht sich Gawan mit einer Vielzahl feindlicher, einer Auseinandersetzung im ritterlichen Zweikampf sich neuerlich entziehender Dinge konfrontiert: Die Begegnungen mit zwei ausgewiesenen Ding-Experten, dem Fährmann Plippalinot und einem vor dem Schloss lagernden mysteriösen Krämer, leiten zu jenem Erzählteil über, in welchem der Schild des Helden, eine eigens für diese âventiure bereitgestellte Leihgabe, als zentraler Akteur in die Handlung hineinwirkt, als Schlüssel für Gawans Sieg über diverse magisch-tech‐ nische Apparaturen und andere von dem Zauberer Clinschor instrumentalisierte Kampf‐ gegner. Deren Überwindung macht Gawan nicht nur zum Befreier der auf dem Schloss eingesperrten Damen, er avanciert überdies zum Herrn über die auf Schastel marveile versammelte Dingwelt, in deren Zentrum: eine mediale Überwachungsapparatur, die Wun‐ dersäule. Das für die Gawan-Teile des Parzival so zentrale Erzählen von eigenmächtig-wi‐ derständigen Dingen und technischen Instrumenten des Handelns steuert hier auf seinen Höhepunkt zu: Der Sieg über das Wunderschloss geht mit einer Bewegung der Aneignung 239 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 647 »Die Spannung löst sich aber auf, und die auf das Schwankschema gegründeten Erwartungen werden enttäuscht, als sich kurz danach herausstellt, daß Gawan sich die Ergebenheit Benes eben nicht zunutze machen wird […]. Hiermit entpuppt sich diese Szene als Falle für diejenigen unter Wolframs Zuhörern, die die Neuzeichnung der Gawan-Figur, welche sich gerade in der zweiten Gawan-Partie anbahnt, unterschätzen« (Coxon: Der Ritter und die Fährmannstochter, S. 123). Mit Schnyder bliebe zu fragen, ob nicht das eindringliche Fragen Gawans als »verbale[r] Übergriff« zu werten ist, der sein kommunikatives Verhalten als gewalttätig ausweist, ob »sich die Gewalt der Sprache im körperlichen Geschehen« verdeutlicht und das Fragen als »ein sich im Körper vollziehendes Anklopfen und Aufbrechen, ein Gewaltakt« fungiert (Topographie des Schweigens, S. 373). Zu weiteren Positionen s. Anm. 649 dieser Arbeit. 648 Czerwinski: Der Glanz der Abstraktion, S. 143. 649 »Soll Parzival fragen und tut es nicht, so ist es bei Gawan umgekehrt: gerne wüßte er, als er sich Schastel Marveile nähert, mehr über die Burg, doch die Antwort wird ihm erst einmal verweigert, und nur nach hartnäckigem Insistieren bekommt er Kenntnis von der not [sic] der Frauen in der Burg« (Karg: Bilder von Fremde in Wolframs von Eschenbach Parzival, S. 34). Ähnlich Morsch: »Als kontrastiver Reflex auf Parzivals Versäumnis, sich nach dem Grund für die beklemmende Situation auf der Gralsburg zu erkundigen, ist offensichtlich auch Gawans beständiges Fragen angelegt« (Blickwendungen, S. 242); vgl. bereits Hirschberg: Untersuchungen zur Erzählstruktur, S. 196 sowie Jaeger: Wunder und Staunen bei Wolfram und Gottfried, S. 130f. Baisch sieht in Gawans mehrfachem Fragen und den ausweichenden Antworten Benes und Plippalinots eine »Steigerung der erzählerischen Spannung«, eine »Inszenierung des Geheimnisses« indiziert (Ästhetisierung und Unverfügbarkeit, S. 240). Zu den Differenzen zwischen den Protagonisten im kommunikativen Ver‐ halten vgl. Urscheler: Kommunikation in Wolframs Parzival, S. 155-159. - Offensichtliche Kontraste ebenso wie die vielen Parallelen zwischen den beiden Schlüsselszenen haben die Auseinandersetzung mit der Schastel marveile-âventiure lange Zeit bestimmt; zur älteren Forschung hält Kratz kritisch fest: »Scholars have been at such pains to picture Gawan as a foil to Parzival, and his adventures in the Schastel marveile as a counterpart to Parzival’s visit to the Grail Castle, that they tend to neglect many of the aspects of the Schastel marveile adventure. We shall attempt to obviate this danger by viewing it in detail as an independent narrative« (Wolfram von Eschenbach’s Parzival, S. 355). 650 Boigs: Gawans Abenteuer auf Schastel Marveile, S. 368. einher, er macht dem Ritter das vormals Widerständige gefügig und ihn selbst zum neuen Herrn über Clinschors Besitztümer. Im Anschluss an einen schwankhaft anmutenden Erzählteil über Gawans Nachtlager im Hause Plippalinots und die erotischen Avancen von dessen naiv-kindlicher Tochter Bene, vom Artusritter auf höfisch-umsichtige Weise ignoriert, 647 ist ein Dialog zwischen Gast und Gastgeber inseriert, in welchem jener dem Fährmann Näheres über Schastel marveile zu entlocken sucht. Dass Gawan gleich mehrfach aufgefordert wird, sein Fragen zu unterlassen (vgl. 555,3; 555,8; 556,15; 556,21; 557,3), dass »das Wort [vrâgen; S.W.] im entscheidenden Zusammenhang gleich neun Mal verwendet« 648 wird und er vom Fährmann letztlich doch eine Antwort erhält, aus der Einzelheiten über die âventiure und über Lit marveile hervorgehen, stellt die schon oftmals beobachteten kontrapunktischen Bezüge zur Parzivalhandlung, zu dessen erstem Aufenthalt auf der Gralburg überdeutlich aus. 649 Unmittelbar bevor der Fährmann zur Offenlegung von Details über die Burg anhebt, über‐ gibt er seinem Gast einen Schild, der im nachfolgenden Abenteuer als strukturstiftendes »Leitelement« 650 fungieren wird: ich wil iu lîhen einen schilt: / nu wâpent iuch ûf einen strît (557,4f.) - die inhaltliche Antwort auf Gawans Frage nach den Damen auf dem Schloss wird so durch eine symbolische ›Leihgabenhandlung‹ vorbereitet, in welcher das Ding als kommunikatives Zeichen eingeführt und das Abenteuer implizit bereits als ein solches 240 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 651 Gephart: Geben und Nehmen, S. 183. So auch Mersmann: »Weil er weiß, daß Lit Marveile eine im wesentlichen passiv, in der Verteidigung zu bestehende âventiure ist, rüstet Plipalinot seinen Gast mit dem eigenen, von seltenem Gebrauch altersharten Schild aus […]. Vorausdeutend wird dem Schild die Rettung Gawans zugeschrieben (560,20ff.)« (Der Besitzwechsel und seine Bedeutung, S. 138). 652 Gephart: Geben und Nehmen, S. 184. Gephart charakterisiert den Fährmann als jemanden, »der sich […] durch Eigenschaften des Sammelns, der Eintreibung von Gewinn und eine sparsame Lebensführung auszeichnet« (ebd., S. 183f.). 653 Zum bürgerlichen Typus des Sammlers notiert Benjamin: »Der Sammler ist der wahre Insasse des Interieurs. Er macht die Verklärung der Dinge zu seiner Sache. Ihm fällt die Sisyphosaufgabe zu, durch seinen Besitz an den Dingen ihren Warencharakter von ihnen abzustreifen. Aber er verleiht ihnen nur den Liebhaberwert statt des Gebrauchswerts. Der Sammler träumt sich nicht nur in eine ferne oder vergangene Welt sondern zugleich in eine bessere, in der zwar die Menschen ebensowenig mit dem versehen sind, was sie brauchen, wie in der alltäglichen, aber die Dinge von der Fron frei sind, nützlich zu sein« (Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts, S. 53). gekennzeichnet wird, »welches zuallererst in der Verteidigung zu bestehen sein wird.« 651 Oder in den an späterer Stelle zu lesenden Worten Gramoflanz’: Es folgt eine âventiure, die dem Ritter nicht aktives Kämpfen abverlangt, sondern eine, die unter dem schützenden Zeichen der Verteidigungswaffe Schild steht, die erliten werden muss (vgl. auch 617,19; 620,17; 659,9): Lît marveile ist worden iu ze teile. ir habt die âventiure erliten, diu mîn solte hân erbiten […]. (605,25-28) Dass der Leihgabe des Fährmanns auch eine explizit-berechnende, ja eine eigennützige Dimension eignet, dass sie unter anderem mit der Hoffnung verknüpft ist, unter Gawan als Herrscher hätte seine persönliche armuot ein Ende (vgl. 560,7), bindet Plippalinots Handeln an das übergeorndete Kaufmannsmotiv zurück - und erklärt überdies, weshalb sein Schild eben keine Gabe, sondern eine Leihgabe ist: Wie stets ist Plippalinot zuallererst auf seinen Vorteil bedacht, und in diesem Sinne gerät auch das Wort ›armuot‹ aus seinem Munde in den Verdacht einer gewinnbringenden Attitüde. Wiederum tritt eine gänzlich unhöfische Attitüde zu Tage. Plippalinot gibt nicht höfisch, sondern kaufmännisch. 652 Wie sein kaufmännisches Gebaren mit dem höfischen Ideal der Gabe nichts gemein hat, erscheint auch Plippalinots Horten als pervertierte Form eines Sammelns, das auf die ›Verklärung und Rettung der Dinge‹, auf deren Befreiung »von der Fron […], nützlich zu sein« 653 , zielte - die ›Sammlung‹ des Fährmanns ist vielmehr ein Fundus potentiell einmal nützlicher Objekte. Über die Materialität seiner Leihgabe ist an etwas späterer Stelle weiter in Erfahrung zu bringen, ein schilt an sîner wende hienc, der dicke unt alsô herte was, dâ von doch Gâwân sît genas. […] 241 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 654 Schild und adamas sind die einzigen Gegenstände in Wolframs Parzival, die mit dieser Verbindung attribuiert werden. Vgl. schon Kap. 2.2.1, Anm. 136. 655 Schnyder: Topographie des Schweigens, S. 374. 656 Die ›freie Assoziation‹ führt über einen Vergleich des von Gawan besiegten Lischoys Gwelljus mit Ither (vgl. 558,30-559,8) hin zu Parzivals Bluttat vor Nantes (vgl. 559,9f.) und schließlich zu dessen ›gestrigem‹ Erscheinen in Terre marveile (vgl. 559,11-18). Zur Erzähltechnik, die Wege der beiden Protagonisten zeitlich und räumlich wiederholt aneinander anzunähern, Richter: »Alle Stationen, die Gawan auf seinem Weg aufsucht, werden von Parzival entweder vorweggenommen oder nachvollzogen. Dies zieht sich so lange durch den Verlauf der Narration, bis beide Protagonisten letztlich im Kampf wieder aufeinander treffen« (Spiegelungen, S. 133); zur ›freien Assoziation‹ vgl. bereits Anm. 429, zur Synchronistation von Parzival- und Gawan-Handlung Anm. 585 dieser Arbeit. dô sprach er [Plippalinot] ›hêrre, ich tuon iu kuont wie ir sult gebâren gein iwers verhes vâren. mînen schilt sult ir tragn. dern ist durchstochen noch zerslagn: Wande ich strîte selten: wes möht er danne enkelten? […].‹ (560,20-561,2) Indem der Erzähler dem Schild des Fährmanns die Attribute dicke unt alsô herte zuordnet, assoziiert er diesen, durchaus ironisch, mit dem in der Gahmuret-Geschichte prominent inszenierten, mit demselben Epitheton eingeführten […] adamas, / der dicke unde herte was (77,23f.; vgl. 53,5). Er deutet so auf die narrative und symbolische Prägnanz einer Verteidi‐ gungswaffe voraus, die gerade nicht als mythisches Rüstungsphantasma firmiert, sondern nur unversehrt ist, weil Plippalinot sie nicht benutzt. 654 Auch die strukturstiftend-rahmende Funktion des Schildmotivs ist hier erneut anzusprechen: Nachdem sich Gawan bereits am Ende des VI. Buches in Vorbereitung seines Auszugs mit den unritterlich-wappenlosen Schilden eines Kaufmanns versorgt hatte (vgl. 335,12-16), ist es nun ganz analog der unversehrte Schild des ebenfalls mit kaufmännischen Zügen ausgestatteten Fährmanns, mit dem Gawan seine letzte âventiure bestreiten soll - daneben wird so auch das Motiv wiederholt, dass sich in und an Gawan, ganz im Gegensatz zu Parzival, ritterliches Gebaren mit ›unritterlicher‹ Ausrüstung, dem Schild als unbenutzter Altware, vereint. Die Gegenüberstellung der beiden Protagonisten wird nicht zuletzt darin augenfällig, dass Plippalinot nur wenige Verse vor der zitierten Stelle, im Zuge einer gedanklich frei assoziierenden Rede, darauf zu sprechen kommt, dass ihm gerade gestern Parzival auf seiner Suche nach dem Gral begegnet sei, und dass er, im Kontrast zu Gawan, die Frage nach der âventiure auf Schastel marveile unterlassen habe (vgl. 559,9-30): »Es ist die Frage, die die âventiure öffnet.« 655 Auch auf Parzivals Schild kommt der Fährmann in dieser rückblickenden Erzählung zu sprechen: sîn schilt treit maneger tjoste mâl. / er reit hie vorschen umben grâl (559,17f.). 656 Im Bild des zerschlagenen Schildes ohne erzählte Objektbiographie wird nicht nur der Kontrast zu dem Gawan geliehenen Schild sichtbar, dern ist durchstochen noch zerslagn, werden nicht nur wesentliche Merkmale der Figuren, Parzivals unbedingte Kampfeslust und Gawans zugleich kaufmännisches und ritterliches Agieren, in die ›Sprache der Schilde‹ übersetzt, sondern es wird überdies neuerlich angedeutet, dass sich Parzival parallel zur erzählten Handlung weiterhin kämpfend auf 242 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 657 Schu: Vom erzählten Abenteuer, S. 120. 658 »Wolfram muß die Geschichte in französischer Sprache gehört, aber nicht immer voll verstanden haben. […] Aus dem ›Mann mit Stelzfuß‹ (G. 7651), der vor der Burg sitzt, macht er einen Krämer« (Boigs: Gawans Abenteuer auf Schastel Marveile, S. 365). Zur Neukonturierung der Krämerfigur gegenüber Chrétien erläutert Mergell: »Statt einer Beschreibung der kostbaren Stelze erhöht Wolfram den Eindruck des fabelhaften Reichtums des Krämers […]. Auch die humorvolle persönliche Betrachtung spricht für Wolframs Umgestaltung des Überkommenen« (Wolfram von Eschenbach und seine französischen Quellen, S. 285). 659 Brall: Familie und Hofgesellschaft, S. 578. Einschränkend ergänzt Brall: »Man braucht aus diesen wenigen Indizien keineswegs gleich auf eine kirchenkritische oder papstfeindliche Tendenz der Episode schließen […]; das Interesse richtet sich hier vielmehr auf eine Kehrseite aristokratischer Existenz, die sich am Geschick der Frauen und an den freudlosen Verhältnissen des Verbannungsortes ablesen läßt« (ebd., S. 579). Vielleicht weist auch die behauptete armuot Plippalinots auf diesen Diskurs, indem sie den ausgestellten und sich als gänzlich profan entpuppenden Reichtümern des phaffe[n] (66,4) die vorgebliche ›Bettelarmut‹ des - keineswegs in Christus- oder Apostelnachfolge - auf Gewinn zielenden Fährmanns gegenüberstellt, ein Figurentypus, wie er im Übrigen bereits in Gurnemanz’ Lehren gegeißelt wurde: wan swâ der hêrre gar vertuot, / daz ist niht hêrlîcher muot: / sament er ab schaz ze sêre, / daz sint och unêre (171,9-12). 660 Dieser partielle Ausschluss der Krämerwaren aus der Sichtbarkeit wird am Romanschluss, auf einem Fest der höfisch-öffentlichen Sichtbarkeit wiederaufgegriffen, wenn Gawan die Reichtümer Clinschors am Artushof für alle sichtbar ausstellt: diu Clinschores rîcheit / wart dâ ze schouwen vür getragen (760,18f.). der Suche nach dem Gral befindet, dass das Erzählte also bewusst ausgewählt, konstruiert und, in Entsprechung zu den erzählten Artefakten, ›gemacht‹ ist. Dass Vergangenes als nicht erzählt und dennoch geschehen markiert wird, dass solche Handlungshintergründe nur mehr als materielle Spur auf dem Schild Parzivals an die Erzähloberfläche gelangen, zeigt überdeutlich, dass die Diegesis mit der Diegese, hier in ihrer Welthaltigkeit erneut in Erinnerung gebracht, nicht in Deckung zu bringen ist, »daß die Perspektive, mit der auf diese Welten geblickt wird, immer ausschnitthaft ist« 657 : Die Bedeutungsoffenheit des spurtragenden Objekts ›Schild‹ wird so zu einem programmatischen Sinnbild romanhaften Erzählens und einer offenen Erzählwelt. Während die Spuren auf Parzivals Schild die Leerstellen einer nicht erzählten Vergangenheit präsent machen, indiziert Gawans neuer Schild die Potenz des noch zu Erzählenden. Mit der Leihgabe des Schildes geht eine Einweisung darein einher, wie sich Gawan dem vor Schastel marveile lagernden krâmer gegenüber zu verhalten habe: Ihm solle er, so der Fährmann, sein Pferd versetzen (vgl. 561,9) und dabei im Gegenzug eine beliebige Ware erstehen, auf dass er nach bestandener âventiure sein Reittier wieder zurückerhalte. Die im Folgenden erzählte Begegnung mit besagtem Krämer, bei Chrétien noch ein Einbeiniger mit Stelzfuß (vgl. Perc., 7648-7675), mit dem Gauvain, noch immer in Begleitung des Fährmanns, kein Wort wechselt, 658 könnte dunkler nicht sein: Dessen unermessliche Kostbarkeiten - vielleicht, wie Brall annimmt, eine kritisch eingefärbte Anspielung »auf den Einfluß, die Politik und die Machtmittel der Kirche« 659 - werden von ihm zwar als verkäuflich ausgewiesen (swaz ich veiles han; 564,1), sie wurden allerdings weder jemals, abgesehen von werde[n] frouwen (563,22), betrachtet (vgl. 563,21-23), 660 noch wären hier einzelne Waren, Gawan bittet etwa um gürtelen ode fürspan (563,18), käuflich zu erwerben. Mit Blick auf die klare Handlungsanweisung des Fährmanns und die widersprüchlichen Äußerungen des Krämers werden die Erwartungen des Rezipienten 243 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 661 So Ott zu Gawan, Plippalinot und dem Krämer: »All diese Dingexperten jenseits der höfischen Gaben- und Verausgabungslogik haben es mit Gegenständen zu tun, die keine symbolischen und affektiven Funktionen erfüllen müssen und deshalb nicht zu gebrauchen sind, um längerfristige Beziehungen zu stiften« (Die höfische Welt der Dinge, S. 169). 662 Lexer I, Sp. 1705. 663 Lexer I, Sp. 1704, mit Bezug auf die vorliegende Stelle. 664 Nellmann hält zur Stelle eine weitere Uneindeutigkeit fest: »Gemeint ist vermutlich das Kaufmanns‐ zelt […]. Doch wäre auch ein Verkaufsstand möglich, der mit kostbarem Seidenbrokat (samît) ausgeschlagen ist« (Stellenkommentar zu 563,1, S. 720). 665 So Bourdieu zum Unterschied zwischen Gabentausch und ökonomisch-berechnendem Tausch (L’économie des biens symboliques, S. 184. Übersetzung: Die Ökonomie der symbolischen Güter, S. 194). einer auf einfache Reziprozität und einen neuerlichen Handel hin angelegten Interaktion zunächst unterlaufen. Der Schatz kann nur gemeinsam mit dem »Dingexperten« 661 durch das Bestehen des Erlösungsabenteuers auf Schastel marveile erworben werden - an die Stelle eines abermaligen ökonomischen Tausch- und Pfandhandels tritt somit eine andere, eine archaischere Logik, in welcher dem Sieger und Erlöser (vgl. 564,8) von Schastel marveile die Reichtümer des Krämers respektive Clinschors übereignet werden. Solche Verschiebungen sind bereits in der Einführung des Kaufmannszelts indiziert, von dem es heißt: der krâm was ein sâmît, / vierecke, hôch unde wît (563,1f.). Die Synekdoche in 563,1 lässt zunächst offen, ob der sâmît als Ware des Krämers aufzufassen ist, krâm als »das im krâme gekaufte« 662 , oder ob hier von der »bedachung eines kramstandes« 663 die Rede ist. 664 Die produktive Verunklärung von Teil-Ganzes-Beziehungen und räumlich-materiellen Begebenheiten wird so zur Funktion einer Logik heroischer Aneignung, in der die Dinge zwar als Handelsware verfügbar zu sein scheinen, sich indes als lôn für das Bestehen der âventiure erweisen, der nur in toto zu ›erwerben‹ ist. Vergleichbar wird der Erwerb des krâm-Schatzes in den Worten des Krämers ausdrücklich nicht als Handel oder Gabe ausge‐ wiesen, sondern in ›politischen‹ Termini beschrieben: Gawan könne hêrre (563,25) werden über all seine Waren, sie würden ihm gar dan undertân (564,2). Mit der Krämerfigur und seinem krâm findet das üblicherweise Verschleierte, der materielle lôn für das erfolgreiche Bestehen einer âventiure, vor den Mauern Schastel marveiles seine räumlich-sichtbare Repräsentation, in ihrer Rede wird überdies ein Automatismus höfischer Reziprozität offenbar, der dem berechnenden »donnant-donnant de l’économie économique«, dem »do ut des der ökonomischen Okönomie« 665 entspricht und die ritterliche âventiure auf ihre Bedingungen und Funktionsweisen hin durchsichtig macht - eine âventiure mit ›Preisschild‹, die Gawan beides vor Augen stellt: âventiure wie Lohn. So zumindest stellt sich die Situation an dieser Stelle dar. An späterer eröffnet Orgeluse dem siegreichen Gawan die komplexe Vorgeschichte der Kramwaren (vgl. 615,27-619,24): Diese seien ebenso wie das Geschwisterpaar Cundrie und Malcreatiure (vgl. 519,21-30) von Secundille zu Anfortas geschickt worden, der seinerseits bis auf Cundrie alles im für ihn als Gralkönig fatalen minne-Werben als Liebesgabe an Orgeluse weitergegeben habe, die wiederum Anfortas als Rächer des Cidegast auserkoren hätte. Sie habe die Gaben, nach der Versehrung des Anfortas, für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert und an Clinschor gegeben - vielleicht aber ist hier auch dessen nigrômanzî (617,12) am Werke, der Vertrag 244 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 666 Nellmann: Stellenkommentar zu 617,17-30, S. 734. 667 Zur zeitlichen Einordnung des Vertragsschlusses Dimpel: »Diesen Vertrag muss Orgeluse nach Cidegasts Tod und nach Anfortas Verwundung abgeschlossen haben, denn zuvor stand Anfortas nicht in ihrem Dienst und hätte so auch keinen Grund gehabt, ihr den Schatz zu schenken, während Anfortas in ihrem Dienst stand, dürfte sie dessen Geschenk kaum verpfändet haben« (Dilemmata, S. 45f.). 668 »Von Secundille wandert der Schatz zu Anfortas - von Anfortas zu Orgeluse - von Orgeluse nach Schastel marveile. Wolfram verknüpft und verknüpft und verknüpft. Man könnte fast von einer Manie sprechen. Aber Wolfram erreicht damit Wesentliches: die Integration disparater Handlungs‐ teile. Durch ein einziges fruchtbares Motiv vermag er zentrale Romanpartien (Gralwelt - Orientwelt - Orgeluse - Schastel marveile) aufeinander zu beziehen« (Nellmann: Produktive Mißverständnisse, S. 139). 669 »Secundilles Freigebigkeit, und eben dies ist an dieser Stelle von zentraler Bedeutung, beruht aber auf einem Missverständnis. Sie nimmt die Formulierung, daz ûf erde niht sô rîches was (WvE, Pz. 519,11) denn der Gral, wortwörtlich und hält vermittels ihrer milte ihre eigenen Reichtümer dagegen« (Richter: Spiegelungen, S. 62). ist schließlich »vor allem für Clinschor vorteilhaft« 666 -, zum einen um Frieden mit dem Zauberer zu schließen, zum anderen um Cidegast endlich zu rächen und Gramoflanz zu dem, wie sie hofft: tödlichen, Abenteuer auf Schastel marveile zu locken. Der Vertrag mit Clinschor regelt weiterhin, dass Orgeluse dem siegreichen Erlöser der Zauberburg ihre minne zuteilwerden lassen muss; sollte er sie zurückweisen, falle der Schatz zurück an sie. 667 Neben der weit auseinanderliegende Handlungsräume, Zeiten und Figuren verknüpfenden Funktion der sich durch die epische Welt des Parzival bewegenden Kramwaren 668 sind an dieser Stelle zahlreiche Bedeutungstransformationen indiziert: Der krâm wird zunächst in seiner erwartbaren Funktion und im Literalsinn als Handelsware eingeführt, um sodann zum gerade nicht im Tausch zu erwerbenden lôn für das Bestehen der âventiure umgedeutet und, später, in Orgeluses Rückblick, zu Secundilles Gabe und Anfortas’ Minnegabe erklärt sowie schließlich von Orgeluse einer abweichenden Bedeutung als Falle für Gramoflanz zugeführt zu werden. Wo sich Secundille mit Anfortas den Gral undertân (519,20) zu machen hofft, 669 zielt Anfortas auf Orgeluses Minne, Orgeluse auf Rache und Clinschor, womöglich, auf Besitzmaximierung. Der Schatz wird zum machtvollen Instrument, das die Figuren so blind wie erfolglos in ihre individuellen Aktionsprogramme zu integrieren suchen - erfolglos, weil sie allesamt mindestens ein bedeutungsträchtiges Detail oder die Motive der jeweiligen Empfänger ihrer Gabe verkennen, dass nämlich der Gral niemandem undertân zu machen, Anfortas auf Orgeluse fixiert ist, Orgeluse für eine konventionelle Minnebindung nicht bereitsteht, Gramoflanz nicht oder zumindest nicht rechtzeitig in die Falle gehen wird. Im Zuge wolframtypisch analytischen Erzählens wird literarisch imaginierte Materia‐ lität neuerlich als disponibel für nachträgliche Bedeutungsverschiebungen ausgewiesen - und so fügt sich der keinerlei konkrete Vorstellung über die Materialität einzelner Waren gewährende krâm in eine Dingpoetik der Gawan-Orgeluse-Bücher ein, die mit der verdeckt-vorausdeutenden Einführung Orgeluses über Schild und gereite ihren Ausgang genommen hat und Mehrdeutigkeit und Eigensinn der Dinge nun auch in die Vorgeschichte des Parzival spiegelt, ja als in diese fest integriertes Movens, als nachgerade integrale Voraussetzung der erzählten Konflikte kennzeichnet. Der krâm ist gerade kein einfaches 245 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 670 Latour: Der Berliner Schlüssel, S. 48. Instrument des Handelns, das die Absichten seines jeweiligen Benutzers störungsfrei übermittelte, sondern vielmehr ein Mittler im Latour’schen Sinne: Alles ändert sich, wenn das Wort Vermittlung ein wenig mehr Substanz gewinnt und die Aktion der Mittler bezeichnet. Dann wird der Sinn nicht mehr bloß vom Medium transportiert, sondern teilweise konstituiert, verschoben, neu geschaffen, modifiziert, kurz: übersetzt und verraten. 670 Was als krâm abstrakt-amorph und wenig vorstellbar eingeführt wurde, erfährt zum Ende der Gawanhandlung hin eine sinnfällige Konkretisierung, zunächst in einer Rede Plippalinots, der mit Orgeluse über die Freilassung seiner Gefangenen verhandelt und dabei noch einmal seine kalkulative Dinge-Expertise unter Beweis stellt: Orgeluses Herzog wolle er nur freilassen, wenn er im Gegenzug ein kostbares Musikinstrument aus dem Schatz der Secundille erhalte - ›frouwe, ich sah in hiute lebn. er wart mir für ein ors gegebn: welt ir ledegen den man, dar umbe sol ich swalwen hân, diu der künegîn Secundillen was, und die iu sante Anfortas. mac diu härpfe wesen mîn, ledec ist duc de Gôwerzîn.‹ (623,17-24) Gawan geht auf diese Forderung nicht ein, er entzieht stattdessen den krâm dem ökono‐ mischen Kreislauf: Anstatt Lischoys und den Turkoyten weiter als Kalkulations- und Tauschobjekte zu taxieren, lässt er beide zu sich kommen und neu einkleiden. Plippalinot hat sich unterdessen eingedenk der Verheißungen Gawans, sich für dessen Gastfreund‐ schaft erkenntlich zu zeigen (vgl. 562,11-14), dazu durchgerungen, die Gefangenen ohne unmittelbare Gegenleistung freizulassen. Indem Gawan die Orgeluseritter ebenso wie sich selbst mit Kleidern aus Secundilles Ländern ausstattet, mit Stoffen mithin, die mutmaßlich aus dem krâm stammen, über den der Artusritter nun frei verfügen kann (vgl. 623,25-624,6), bindet er sie, für alle sichtbar, wieder in die höfische Gesellschaft ein und erstattet so den zu warenförmigen Objekten Degradierten ihre Würde als Figuren zurück. Die swalwe, das von Plippalinot so begehrte Instrument, wird an späterer Stelle zur êrsten gâbe ûz sîme rîchen krâm (663,16), er schenkt sie allerdings nicht dem Fährmann, sondern seiner Tochter Bene, und dies nicht im Tausch, sondern im Zuge einer Gabenhandlung, die von Berechnung, Eigennutz und Gewinnorientierung gänzlich frei ist, die umso nachhaltiger verpflichten dürfte - in Benes Händen kann die swalwe nun Musik- oder Racheinstrument, Minnegabe oder Kalkulationsobjekt werden. Aus der undifferenzierten Masse an Wert- und Tauschgegenständen wird unter Gawans Herrschaft somit ein Schatz, der unzählige, die Imagination und Phantasie des Rezipienten anregende Dinge mit den erstaunlichsten Objektbiographien umfassen dürfte, als deren metonymische Stellvertre‐ terin die ›Schwalbe‹ firmiert, und der wie die vormals zur Handelsware Degradierten oder die auf Schastel marveile gefangenen Damen in eine höfische Interaktion integriert 246 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 671 Zur Quasi-Lebendigkeit der Sammlung noch einmal Benjamin: »Denn in seinem Inneren haben ja Geister, mindestens Geisterchen, sich angesiedelt, die es bewirken, daß für den Sammler […] der Besitz das allertiefste Verhältnis ist, das man zu Dingen überhaupt haben kann: nicht daß sie in ihm lebendig wären, er selber ist es, der in ihnen wohnt« (Ich packe meine Bibliothek aus, S. 117; vgl. bereits Anm. 653 dieser Arbeit). 672 »In ästhetischer Perspektive fasziniert die dynamische Verschränkung des Habgier-Syndroms und der Identitäts-Problematik des Ausgeschlossenseins und des Dazugehörenwollens« (Ridder: Parzivals Gier, S. 285). 673 Zu Gawans Herrscherhandeln, über das auch die hier angesprochene Gabenhandlung Auskunft gibt, resümiert Haferland, am Beispiel des Umgangs mit Lischoys und Florant: »So stellt er die Vorbedingungen von Reziprozität her, indem er ihnen nichts aufdrängt, nicht seinem Rang Ausdruck verleiht, sondern hinter seiner Aufgabe zurücktritt, sie einmal in Szene zu setzen, dann aber ihren Neigungen und Vorlieben zu überlassen. So mag es ihnen leicht werden, sich ihrer Verpflichtungen ihm gegenüber von selbst zu erinnern« (Höfische Interaktion, S. 127). wird, die in deutlicherem Kontrast zur Herrschaft des Clinschor oder zur ökonomistischen Existenz des gewinnsüchtigen Plippalinot nicht stehen könnte - in den Händen Gawans wird der scheinbar verfluchte krâm zur beseelten Gaben-Sammlung, 671 wird das Instrument der Gier Secundilles nach wertvollen und mächtigen Dingen, des Minnewerbens Anfortas’ und der Rache Orgeluses zum gemeinschaftsstiftenden Gabenhort, werden Figuren wie Dinge gleichermaßen in die Gesellschaft zurückgeholt. Diese Warenbiographie kann zum einen als fatale Verkettung von Gabenhandlungen angesprochen werden, in deren Zuge der krâm zum Handlungsventil allesamt sündhafter Motive, vitia capitalia (Avaritia, Luxuria und Ira), zum Instrument in Teilen des »Dazugehörenwollens« (ausgenommen: Orgeluse und Clinschor), in jedem Falle der Bemächtigung von Figuren und Dingen durch die ›Ausgeschlossenen‹ wird. 672 In Gawans Handeln zeigt sich indes, dass dieser Schatz kein übermächtiger Akteur ist, dass er vielmehr ebenso wirkungsvoll auch zum Mittler gemeinschaftsstiftender Freigebigkeit avancieren kann. Immer deutlicher wird, dass die Kaufmanns- und die ›parasitäre‹ Praxis zwar neue Handlungsoptionen eröffnen und auch zu Gawans ritterlichem Erfolg einen wesentlichen Beitrag leisten, dass jedoch erst andere Formen der Interaktion, hier: die der ›reinen Gabe‹ und der herrscherlichen Verausgabung, sowohl den Gefangenen als auch den gehorteten Waren ihre Dignität als Figuren und Dinge zurückzuerstatten vermögen. 673 Zurück zur Schastel marveile-Episode: Einmal in Clinschors Burg angelangt, bietet sich Gawan der gespenstische Anblick zahlreicher Betten, dâ wârn die frowen gesezzen (565,21), ein Bild, das sich in die mannigfaltigen Verweise auf Parzivals Ankunft auf der Gralburg Munsalvaesche einreiht und der dortigen Belebtheit - der Ankömmling findet einhundert Betten vor, auf denen jeweils vier gesellen Platz genommen haben (229,28-230,2) - eine rätselhafte Menschenleere entgegensetzt. Der paradigmatischen Verknüpfung der beiden Schlüsselszenen spielt weiterhin zu, dass auf die Sichtung der Betten jeweils die Begegnung 247 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 674 Auf einen zusätzlichen paradigmatischen Bezug zur Munsalvaesche-Handlung, eine narrative Spie‐ gelung, die sich möglicherweise im Raum, im spiegelglatten und glasähnlichen Estrich auf Schastel marveile verbildliche (vgl. 566,11-13), verweist Richter, die zur Darstellung von Parzivals Traum auf der Gralburg (vgl. 245,1-16 sowie den ›Exkurs zu Parzivals Angriffswaffen II‹) festhält: »Parzival erduldet offenbar einen prophetischen Traum, der einerseits auf sein Versagen verweist, andererseits die Imagination des verzauberten Bettes vorwegnimmt, in dem sich später Gawan wiederfinden soll« (Spiegelungen, S. 144). - Zu den Bezügen zwischen Anfortas’ spanbette und Clinschors Lit marveile vgl. Hirschberg: Untersuchungen zur Erzählstruktur, S. 193f., zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Raumdarstellung Glaser: Der Held und sein Raum, S. 240-242 und S. 252f.; vgl. auch Anm. 846 dieser Arbeit. 675 Knaeble: Höfisches Erzählen von Gott, S. 287. - Zu der (nicht unproblematischen, da oftmals kaum trennscharfen) Unterscheidung zwischen ›schwarzer‹ und ›weißer‹ Magie vgl. Kieckhefer: Magie im Mittelalter, S. 96-102. 676 Eine Zusammenstellung ähnlicher Betten findet sich bei Blank: Der Zauberer Clinschor, S. 328f. 677 Zu Kontingenz und âventiure vgl. Haug: Kontingenz als Spiel mit der Kontingenz; zentral: »Im Bereich der erzählerischen Fiktion, wiewohl er an sich kontingent ist, gibt es selbst keine echte Kontingenz. Der Dichter kann zwar mit Zufällen arbeiten, aber diese Zufälle sind als fiktionale geplant. […] Den Rittern, die vom arthurischen Hof ausziehen, stoßen auf ihrem Weg Aventüren zu, d. h. wörtlich: ›Zufälliges‹. Und dieses Zufällige erscheint als solches auch als Sinnwidriges, konkret: als all das, was Sinn im Prinzip in Frage stellt […]. Wenn der Held seine Aventüren besteht, überwindet er mit dem Zufälligen die sinnlose anti-arthurische Welt, durch die er hindurchzugehen hat« (ebd., S. 164). Vgl. auch Kap. 2.2.2, Anm. 150. 678 Die Detailliertheit der Bettbeschreibung spielt zudem, wie Glaser hervorhebt, der räumlichen Kontinuität der Innenraumdarstellung zu: »Bei der Beschreibung des Bettes entwirft Wolfram gleichsam eine räumliche Kette, die am Boden beginnt und über die Räder und Füße des Bettgestells bis hin zum Bett selbst reicht. Während Wolfram von der Kemenate selbst kein kontinuierliches Bild zeichnet, kreiert er bei der Beschreibung des Bettes ein Stück räumliche Kontinuität« (Der Held und sein Raum, S. 242); vgl. schon Anm. 621 dieser Arbeit. mit einer singulären, aus der Menge heraustretenden Bettstatt folgt: im Falle Parzivals das Krankenbett des Anfortas, im Falle Gawans daz bette von dem wunder, Lit marveile: 674 dâ Lît marveile was, daz bette von dem wunder. vier schîben liefen drunder, von rubbîn lieht sinewel, daz der wint wart nie sô snel: dâ wârn die stollen ûf geklobn. (566,14-19) Dieses eigenbewegliche, »schwarzmagisch konnotierte[] wunder-Bett«, 675 das sich mit Blick auf den europäischen Artusroman in eine Traditionslinie zahlreicher Vorbilder und Nachbildungen einreiht, 676 kann als gegenständliches Sinnbild des Kontingenten und sich dem Zugriff der handelnden Figur Entziehenden, der âventiure identifiziert werden. 677 Indem Wolfram der fremdsprachigen Bezeichnung des Bettes eine Übersetzung, daz bette von dem wunder, beigibt, legt er den Fokus zunächst auf die Übernatürlichkeit des Gegenstands, um anschließend in gegenläufiger Tendenz vergleichsweise detailliert auf dessen Fahrgestell zu sprechen zu kommen und dieses in seiner technischen Gemachtheit zu dekonstruieren: 678 vier Räder, schîben, aus Rubin, darüber die Bettpfosten, die stollen. Abweichend von der chrétienschen Vorlage, in der das Bett keineswegs eigenbeweglich ist, sondern eines äußeren Anstoßes bedarf, um in Bewegung zu geraten (vgl. Perc., 248 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 679 Zu der komischen Überzeichnung des Kampfes auf Schastel marveile Neugart: »Dabei erscheint es nicht ohne Hintersinn, daß Wolfram den galanten Ritter Gawan, Liebling der Damen und Herzensbrecher, gerade gegen ein Bett antreten und es besiegen läßt, indem er es quasi reitet […]. Situationskomik im Rekurs auf die literarhistorische Tradition der Gawan-Figur, im Rekurs auf Gawans ›Vergangenheit‹, eindeutig zweideutig« (Wolfram, Chrétien und das Märchen, S. 141f.). - Zum angesprochenen Nebeneinander technischer und magischer Elemente auf Schastel marveile: »Die magische Qualität derartiger Dinge ist nicht leicht zu bewerten, immerhin handelt es sich in gewissem Sinne zuallererst um technische Imaginationen jenseits der Möglichkeit der Verwirkli‐ chung. Genau deshalb befinden sich diese Dinge in einem Zwischenraum zwischen Zauberei und höfischem Leben« (Ott: Die höfische Welt der Dinge, S. 169). 680 Jaeger: Wunder und Staunen bei Wolfram und Gottfried, S. 133. 681 Bertau: Deutsche Literatur im europäischen Mittelalter, S. 1001. 682 Beide Zitate: Czerwinski: Der Glanz der Abstraktion, S. 142. Czerwinski macht in der Aufeinander‐ folge dinglicher und animalischer Handlungsvermittler, in der »unpersönliche[n] Vermitteltheit eines Kampfes durch Maschinen und d[er] unmittelbare[n] Begegnung mit der archaisch unge‐ zähmten, unhöfischen Natur« eine »leere Mitte« aus: »die des höfischen, zwar beherrschten, aber immer noch körperlichen Kämpfens« (ebd.). 683 Hirschberg: Untersuchungen zur Erzählstruktur, S. 196f. 7706-7712), und magische Eigenschaften (merveilles) ausdrücklich nur den selbsttätigen Pfeilschussanlagen zugeschrieben werden (vgl. Perc., 7833-7836), laufen in Wolframs Gegenstand magische und technische Zuschreibungen zusammen - eine der Komik der Szene zuspielende, durchaus prekäre Verbindung, 679 in der eine Betonung technischer Hintergründe die magischen konterkariert und vice versa, und die an späterer Stelle, mit der Wundersäule, wiederaufgegriffen wird, ganz im Sinne der wolframtypischen Bestrebung, »eine Atmosphäre des Mysteriösen heraufzubeschwören, um sie dann zu ›entzaubern‹«, 680 oder, mit Karl Bertau: »Wunderbares und Wirklichkeit sind die Extremwerte, die sich gegenseitig relativieren. Auch das Wunderbare ist Mittel, nicht Ziel der der Darstellung.« 681 Lit marveile steht am Anfang einer Reihe »unpersönlicher Vermittlungen«, derer sich der zur Passivität verdammte Zauberer bedient, und die Gawans »Fähigkeit zu Schutz und Leiden auf die Probe stellen.« 682 Die widerständig-unverfügbare Dinglichkeit des Wunderbetts fügt sich, wie bereits Dagmar Hirschberg herausgestellt hat, in die zahlreichen an der Szene beteiligten Dinge ein. Wie schon auf Munsalvaesche spielen Gegenstände in dem Ablauf eine bedeutende Rolle. Sie sind in der Gralszene eingebunden in einen Vorgang, der von Menschen, den edlen Repräsentanten einer auserwählten Gemeinschaft, getragen wird. In Schastel Marveile dokumentiert sich die Andersartigkeit des unpersönlichen Zauberwerks in den selbsttätig agierenden Objekten, denen Gawan ganz allein gegenübersteht […]. 683 In einem von Clinschor erdachten Zusammenspiel verbinden sich die Glätte des Bodens und die Schnelligkeit des Bettes - sowohl der Boden als auch die Räder des Wunderbetts sind aus Edelsteinen gefertigt - gegen einen Ritter, der sich kaum auf den Beinen zu halten weiß und sich überaus ungewöhnlichen dinglichen Akteuren, zunächst dem Boden, ausgeliefert sieht: der estrîch was gar sô sleif, daz Gâwân kûme aldâ begreif mit den fuozen stiure. er gienc nâch âventiure. (566,27-30) 249 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 684 Glaser: Der Held und sein Raum, S. 243. 685 »Das Bett schlägt Haken (wenken) und erinnert so an das vligende bîspel und die maere im Prolog, die auch wenken können« (Morsch: Blickwendungen, S. 243). - Reich deutet die Bewegungen des Bettes im Kontext des auf Schastel marveile prominent verhandelten Wahrnehmungsthemas: »[D]ie Kammer, in der das Bett Lit marveille steht, ist eben eine Wahrnehmungskammer, die Schnelligkeit des Bettes verweist auf die Schnelligkeit der Wahrnehmungsbilder, der imagines agentes, die wie Geschosse oder […] Pfeile durch die Augen in das Innere der imaginatio dringen. Was Gawan hier erlebt, spielt sich im Inneren des Wahrnehmungsapparates ab« (Zur Psycho-Logik bei Wolfram, S. 80). 686 So Neugart, die an dieser Stelle vor allem Gawans Klugheit herausgestellt sieht: »Gawan ›erobert‹ Lit Marveile mit Hilfe einer List, indem er mit einem Satz aus dem Stand heraus oben drauf springt, bevor das Bett noch reagieren kann. Er versteht es bei aller Erregung, seine Chancen nüchtern und klug […] einzuschätzen: Zu einer Verfolgungsjagd, zu Fuß dem rollenden Lit Marveile hinterher, auf einem Estrich, der so glatt ist, daß man darauf ausrutscht und kaum stehen kann, am Balancieren durch einen schweren Schild zusätzlich behindert - dazu läßt sich ein Gawan nicht hinreißen! « (Wolfram, Chrétien und das Märchen, S. 136). Zu Neugarts Interpretation sei angemerkt, dass im Text weder von einer ›Erregung‹ Gawans die Rede ist noch dessen ›Listigkeit‹ herausgestrichen würde - von snelheit ist an der gegebenen Stelle allenfalls mit Bezug auf das Wunderbett die Rede (vgl. 567,14). 687 Zur Komik dieser Stelle vgl. auch Neugart: Wolfram, Chrétien und das Märchen, S. 142. »Der Raum selbst wird durch die Glätte des Bodens zum Gegner Gawans«: 684 In paradoxal-iro‐ nischer Brechung wird der Verlust von Kontrolle (stiure) über den Bewegungsapparat mit einem Gang, nicht also dem üblichen Ritt, in Richtung âventiure in eins gesetzt und damit zugleich die Reflexivität des Folgenden indiziert, in dem eben auch die Voraussetzungen und Abläufe ritterlichen Kämpfens mit den und gegen die Dinge reflektiert werden. Ver‐ gleichbares hat man darin indiziert gesehen, dass in Gawans nachfolgender Gedankenrede die Bewegungen des Bettes als wenken adressiert werden und damit an die hakenschla‐ genden Bewegungen der wolframschen Erzählung heranrücken. 685 Nachdem im Kampf gegen Lischoys Gwelljus erst das Überstehen der Tjost, des Kampfes zu Pferde, ›faire‹ Bedingungen für das Kräftemessen der Kombattanten hergestellt hat, lässt der Erzähler den Kampf nun ganz ohne Pferde stattfinden und stellt den Artusritter dennoch einmal mehr als unterlegen, den Bewegungen des Bettes ausgesetzt dar. Dies zeigt sich exemplarisch daran, dass Gawans Sprung auf das Bett nicht durch seine Tüchtigkeit oder »seinen Witz« 686 ermöglicht wird, sondern durch ein kurzzeitiges Innehalten des Gegenstands in 567,11-13. Situatives Ausgesetztsein und Ohnmacht Gawans werden auch darin diskursiv, dass er wart enblanden / daz er den swæren schilt getruoc (567,4f.), dass er also unter der Schwere seines Schildes, dessen konkrete Funktion im Kampfgeschehen sich ihm zu diesem Zeitpunkt noch nicht erschließen kann, zu leiden hat - in Analogie zu Gahmuret, der unter der Schwere des schützenden Adamas letztlich seine eigenen Akteursqualitäten einbüßen musste, wird nun auch Gawan zum Objekt gegen ihn verbündeter gegenständlicher Handlungsträger. Die Belastung durch den schweren Schild setzt hier Gawans Situation vor dem Wun‐ derbett augenfällig ins Bild eines den Dingen ausgesetzten und - wie schon auf dem Klepper im Kampf gegen Lischoys - unbeweglich-passiven Spielballs eines gänzlich unritterlichen Kampfgeschehens. Analogien sind weiterhin darin indiziert, dass der nun folgende Kampfpart metaphorisch als poynder grôz (567,19) bezeichnet wird, 687 mit einem Terminus also, mit dem »das Bett dem Streitroß gegenübergestellt wird, mit dem der 250 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 688 Lerchner: Lectulus floridus, S. 477; zur gesamten Episode vgl. ebd., S. 474-481. 689 Chrétiens Wunderbett unterscheidet sich allerdings in vielen Punkten von demjenigen Wolframs: So markiert beispielsweise bei Chrétien das den Raum klanglich anfüllende Läuten von an dem nicht selbstbeweglichen Bett angebrachten Glöckchen den Kampfbeginn (vgl. Perc., 7821-7824). Für eine detaillierte Untersuchung der Abweichungen Wolframs gegenüber Chrétien an dieser Stelle vgl. Mahler: The Representation of Visual Reality. 690 Haug: Parzival ohne Illusionen, S. 212. 691 Zur Stelle und zur Gegenüberstellung von Gawans Gottvertrauen und Parzivals desperatio/ oppug‐ natio vgl. Hirschberg: Untersuchungen zur Erzählstruktur, S. 195; Morsch: Blickwendungen, S. 241f.; Schu: Vom erzählten Abenteuer, S. 351-355; Knaeble: Höfisches Erzählen von Gott, S. 288-293. Ritter gewöhnlich seine Attacken reitet« 688 , der somit Ähnlichkeiten und Differenzen zum Turnierkampf noch einmal hervorhebt und zu beobachten drängt. Mit dem ›Ritt‹ auf dem Wunderbett werden habitualisierte Kampfabläufe invertiert, wird das Zwischenglied ›Pferd‹ zum magisch/ technisch-eigenbeweglichen Akteur und der Ritter zum passiven Zwischenglied, dessen einzige Reaktion zunächst darin besteht, sich mithilfe seines Schildes des ohrenbetäubenden Kraches in der kemenâte zu erwehren: Nach dem Sprung auf das Bett wird der bis hierhin funktionslose und Gawan in seiner Schwere nachgerade hinderliche Schild sogleich dieser untypischen, im Parzival ganz einmaligen Funktion zugeführt: des galmes het in sô bevilt / daz er zucte über sich den schilt (567,29f.). Der bereits bei Chrétien vorgebildete Krach des gegen die Wände schlagenden Wunderbettes 689 lässt Gawan nicht zur Ruhe kommen - geschweige denn, so der ironische Erzählerkommentar, Schlaf finden (vgl. 567,26f.) -, und so greift der Held zum Schutz vor dem galm in der kemenâte zu seinem Schild. Diese Umfunktionalisierung des Schildes führt die Begrenztheit von Gawans Aktionspotential besonders deutlich vor Augen, sie deutet überdies auf die Komik der vorliegenden Kampfdarstellung, mit Walter Haug wird hier »der Durchgang durch Eros und Tod als Burleske« 690 inszeniert. Wie schon im Turm auf Schampfanzun erweist sich Gawan abermals als Bricoleur, der die wenigen ihm zur Verfügung stehenden Dinge ebenso rasch wie improvisiert einer neuen Funktion zuzuführen vermag und das Schachbrett spontan zum Schild, den Schild zum Schalldämpfer transformiert. Im Anschluss an eine kurze Passage, die Gawans unbedingtes und ungebrochenes Ver‐ trauen auf Gottes helfe thematisiert (586,1-14), 691 und an das unvermittelte Enden der ersten Kampfphase kommt das Wunderbett inmitten des Raumes zum Stehen, augenscheinlich der unmittelbare Beweis göttlichen Beistands. Dort sieht sich Gawan unter seinem Schild der Attacke von fünf hundert stabeslingen (568,21), ganz unritterlichen Waffen also, ausgesetzt. In diesen Nöten wird Plippalinots Schild wieder einer erwartbareren Funktion zugeführt: der schilt alsolher herte pflac, daz ers enpfant vil kleine. ez wâren wazzersteine sinewel unde hart: etswâ der schilt doch dürkel wart. (568,26-30) Indem der Erzähler die Referenz des Personalpronomens er in 568,27 im Ambigen belässt und damit sowohl das von einer Mehrzahl der Parzival-Übersetzer präferierte Verständnis lizensiert, Gawan nehme, vom Schild geschützt, von der Attacke kaum etwas wahr - in 251 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 692 Wie angedeutet, neigen die Übersetzer auch an dieser Stelle zur Vereindeutigung. So fügt beispiels‐ weise Stapel den Eigennamen des Ritters ein: »Aber der Schild war so hart, daß Gawan es nicht allzusehr empfand« (S. 328); Kühn führt, in einem vergleichbaren Versuch der Klärung der Referenzen, in 568,26 ein Possesivpronomen ein: »Sein Schild war aber derart stark, daß er das kaum zu spüren kriegte«. 693 Die in dieser Szene begegnenden Geschosse und Waffen (der kolbn des riesenhaften vilân) deutet Kratz als Phallussymbole (vgl. Wolfram von Eschenbach’s Parzival, S. 357f.). diesem Falle wäre er anaphorisch nicht auf den schilt im Vorvers (568,26) zu beziehen, sondern auf 568,25: ûf daz bette aldâ er [Gawan] lac -, 692 als auch die mit der adversativen Wendung in 568,30 (doch als Adversativum zu vil kleine) nahegelegte Lesart, dass nun der Schild angesprochen ist, streicht er auch auf sprachlicher Ebene die Leidenseinheit von Ritter und Schutzwaffe heraus. Wie auf Handlungsebene der Ritt auf dem als Gegner im Zweikampf imaginierten Bett eine Bewegungseinheit der Kampfparteien herstellt, ist auch hier abermals eine synkretistische Vermischung von Figur und Ding zum Leidenshybrid zu beobachten, eine Vermischung, die Gawans Zweikampf nachdrücklich als Kampf inmitten eines Netzwerks aus dinglichen Akteuren ausweist, die ihrerseits miteinander verknüpft sind (Boden - Bett - Pfeile) und so komplexe Aktionsprogramme aufweisen wie der Schild: zunächst eine Belastung auf dem glatten Boden, anschließend ein ›Schalldämpfer‹ auf dem Bett und dann ein Schutz vor Kieseln. Auch die folgende Attacke, ein auf Ritter und Schild niedergehender Pfeilhagel, hin‐ terlässt ihre Spuren gleichermaßen auf dem Körper Gawans (zequaschiert und ouch ver‐ sniten / was er durch die ringe; 569,22f.) wie auf seinem bereits von Steinen durchdrungenen Schild 693 - so hält der Erzähler nach der Begegnung mit dem vilân (vgl. 569,28-570,25), dem bei Chrétien noch weitgehend funktionslosen vilainz (Perc., 7851), und im Vorfeld der letzten Kampfphase fest: Gâwân mit dem swerte sîn vome schilde sluoc die zeine. die pfîle algemeine wârn hin durch gedrungen, daz se in den ringen klungen. (570,26-30) Wie schon zu Beginn der Szene, mit dem ohrenbetäubenden poynder des Bettes, liegt zunächst wieder der Fokus auf dem Klang des Kampfes - ein spannungserzeugender Indikator für den Beginn einer neuen Kampfphase, die Gawan nun nicht mehr unter seinem Schild verharrend überstehen kann, sondern in der er, endlich, mit sîner hende (569,26) kämpfen muss. Dieser Höhepunkt des Kampfes kündigt sich, im metonymischen Anschluss an die Erwähnung des Klangs der Pfeile in Gawans harnasch, zunächst über ein vom Erzähler onomatopoetisch vermitteltes auditives Signal an: Dô hôrter ein gebrummen (571,1), anschließend folgt der Blick auf die Tür (nu sah er; 571,11) und den starke[n] lewe[n] (571,12), der - ganz wie Gawan - auf den Estrichboden springt (vgl. 571,12 und 571,17): Die Parallelität der Bewegungen lässt noch einmal darauf rechnen, dass Gawan jetzt in eine Kampfphase eintritt, in der er selbst zum Akteur wird. Auch in dieser Kampfphase steht indes zunächst die Schutzfunktion des Schildes im Vordergrund (vgl. 571,14-17): Attackiert von dem wilden Löwen, der den bereits löchrigen und vom Kampf gezeichneten Schild 252 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 694 »Im Kampf gegen den Löwen ist er mehr Reagierender als Agierender« (Mersmann: Der Besitz‐ wechsel und seine Bedeutung, S. 121, Anm. 26). 695 Bei Chrétien ist, ähnlich dunkel, die Rede davon, […] li uns par fu dedans / Et li autres defors pendans (Perc., 7869 f.), dass also eine Tatze »drinnen, die andere draußen« (Übersetzung Olef-Krafft) am Schild hängen bleibe. »Hängt die eine auf der Vorderseite, die andere auf der Rückseite […] oder befindet sich die eine mitten auf der Schildfläche, während die andere defors, d. h. außerhalb des Schildes herabhängt […]? « (dies.: Stellenkommentar zu 7869 f., S. 634). Während Olef-Krafft die obskure Materialität des nun tatzenbewährten Schildes auf den »märchenhaft-geheimnisvollen Kontext« (ebd.) zurückführt, wäre mit Rekurs auf eine Beobachtung Mahlers zur Visualität der gesamten Szene zu überlegen, ob nicht die merkwürdige Beschreibung des Schildes im weiteren Kontext der Verwehrung von konkret vorstellbarer Bildlichkeit steht: »Clearly, Chrestien does not try to make the reader visualize the precise action« (The Representation of Visual Reality, S. 545). 696 Lewis: Das Tier und seine dichterische Funktion, S. 136f. 697 Schon im I. Buch wurde der Löwe mit der Emotion ›Zorn‹ in Verbindung gebracht: sîn [Lachfilirosts] zorn begunde limmen, / und als ein lewe brimmen (42,13f.). Zu »Kühnheit und Zorndisposition des Löwen« vgl. Friedrich: Menschtier und Tiermensch, S. 77. 698 So bereits Mohr: »Und doch ist er [Gawan; S.W.] nicht eigentlich der Mann zielstrebiger Taten, und auch auf Schastel marveile t u t er im Grunde herzlich wenig. […] Er hat zwar unter anderm mit einem Untier, einem Löwen, zu kämpfen; aber dieser Löwe hat, so weit wir wissen, in all den 20 Jahren keine von den vierhundert Damen auf Schastel marveile belästigt« (Parzival und Gawan, S. 13). Kritisch zu Mohrs Schlussfolgerung, Gawan mache im Gegensatz zu Parzival die ihn umgebende Welt nur durch sein ›Dabeisein‹ menschlicher, Emmerling: Geschlechterbeziehungen, S. 83, Anm. 37. - Zum seiner Härte zum Trotz (vgl. 571,27) mit einer Tatze durchdringen kann, und erstmalig zur aktiven kämpferischen Reaktion genötigt, 694 schlägt Gawan dem Tier einen fuoz ab, der in seinem Schild stecken bleibt und so an die Position eines Wappens rückt: der lewe ûf drîen füezen spranc: / Ime schilde beleip der vierde fuoz (571,30f.). Wie schon vergleichbar bei Chrétien bleibt auch bei Wolfram dunkel, wie die Tatze ime respektive anme - so die abweichende Lesart der Münchner Handschrift G - Schild haften bleibt. 695 Festzuhalten ist, dieser Anschaulichkeit nachgerade ausgestellterweise verwehrenden Information über eine in besonderem Maße unrealistische materielle Transformation des Schildes zum Trotz, eine neuerliche symbolische Aufladung des Gegenstands, zu welcher Lewis schreibt: Diese Identifizierung Gawans mit dem Löwen muss […] als der Triumph von Gawans ritterlichem Streben interpretiert werden. Da Gawan gleichzeitig mit dieser Heldentat einen Erlösungsakt für die Bewohner von Schastel marveile vollbringt, wird die symbolische Bedeutung des Löwen als Erlöserfigur […] in diesem Textzusammenhang zweifellos angedeutet. Als Zeichen der im Sieg errungenen Identifizierung mit dem Löwen führt Gawan von nun an die Löwenklaue im Schild […]. 696 Während der Erzähler Gawans Hieb und die nachfolgende Tötung des Löwen (vgl. 572,18-21) mehr registriert denn erzählerisch ausschmückt, wird das Agieren des Löwen wiederholt anthropomorphisierend beschrieben und, ohne Vorbild in der chrétienschen Vorlage, mit der zorn-Emotion in Verbindung gebracht (vgl. 571,21; 572,16), sein Tod fällt gar mit dem Enden seines Zorns zusammen: […] des lewen zorn verswant: / wander strûchte nider tôt (572,20f.). 697 Dem affektgetrieben-animalischen Agieren des Löwen wird mit Gawan ein Ritter entgegengesetzt, dessen Kampfverhalten abermals beinahe ausschließlich von Verteidigung und Reaktion gekennzeichnet ist. 698 Indem der Erzähler etwa erwähnt, dass 253 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher Löwen hält Friedrich Ohly abweichend von der oben vorgeschlagenenen Deutung fest, es handele sich hierbei weder um ein »freies Steppentier« noch um einen Zirkuslöwen, sondern um einen Kombattanten, der sich in die Unbelebtheit sonstiger Automatismen auf Schastel marveile bestens einfügt: »Der in dieser Innenraumszene auftretende Löwe ist kein echtes Tier. Er erfüllt die Funktion einer konkretisierten Metapher, ist die ins Leben gesprungene Metapher Löwenmut« (beide Zitate: Die Pferde im Parzival, S. 856). 699 mit bluote gaber [der Löwe] solhen guoz / daz Gâwân mohte vaste stên: / her unt dar begundez gên (572,2-4). Mit Martin, der für sein Verständnis der Stelle freilich einzig auf eine Stelle aus Schillers Wilhelm Tell verweisen kann, wäre zu verstehen: »der Leim im Blute giebt Halt« (Stellenkommentar zu 572,2, S. 414), mit Bartsch/ Marti dagegen, dass Gawan »Grund hatte, sich festzustellen. Denn durch das Blut wurde der Boden schlüpfrig« (Stellenkommentar zu 572,3, Bd. 2, S. 251). Neugart schlägt vor, an dieser Stelle aus logischen Gründen, weil »man in frischem Blut rutscht« (nur: mehr als auf dem spiegelglatten Boden? ), mit einer Konjektur in den Text einzugreifen und in 572,3 eine Negation einzufügen (Wolfram, Chrétien und das Märchen, S. 138). Aus textstilistischen Gründen wäre, die antithetische Anlage der beiden Verse (stên - gên) berücksichtigend, ein Verständnis zu präferieren, das die Schlüpfrigkeit des blutbenetzten Bodens herausstellt (und entsprechend den Kontrast zwischen dem sich in Bewegung befindlichen Blut und dem die Kontrolle über seinen Bewegungsapparat weiter einbüßenden Gawan verschärfte); eine abschließende Deutung der Stelle hätte das Verständnis indes mit Rückgriff auf vergleichbare Stellen in der zeitgenössischen Dichtung abzusichern (hier sei einzig auf eine Stelle aus Herborts von Fritzlar Liet von Troye verwiesen, an der Achill im Zweikampf mit Paris in einer solchen Blutmenge steht, dass er sich kaum auf den Beinen zu halten vermag, vgl. Herbort’s von Fritslâr liet von Troye, 13651-13655). 700 »Der Raum aber ist die notwendige Form der Dinglichkeit und nicht Form der Erlebnisse, und näher der ›sinnlichen Erlebnisse‹« (Husserl: Ding und Raum, S. 43). 701 Draesner: Wege durch erzählte Welten, S. 354. sich Gawan erst auf seinen Beinen halten kann, sobald der spiegelglatte Boden mit haltge‐ bendem Löwenblut benetzt ist, respektive, hier ist die Parzival-Philologie noch zu keiner eindeutigen Lesart gekommen, dass das Blut seinen Stand noch weiter destabilisiert (vgl. 572,2f.), 699 indem in beiden Fällen also noch das Blut des Löwen als sich im Kampfverlauf erst materialisierender dinglicher Akteur imaginiert wird, der sich mit dem bedrängten Ritter oder dem gegnerischen Raum verbündet, wird neuerlich das in der kemenâte versammelte komplexe Akteur-Netzwerk sichtbar und damit Gawans fortwährende Abhängigkeit von der räumlich-materiellen Umgebung aufs martialischste ins Bild gesetzt. Wie bereits beim Zweikampf mit Lischoys Gwelljus entwirft der Erzähler auch auf Schastel marveile eine Situation, in welcher die habitualisierten Erwartungen auf einen ritterlichen Zweikampf bewusst unterlaufen und dem Kampf zwischen waffengleichen Rittern der ungleiche Kampf zwischen Figur und Raum respektive den Dingen - als deren »notwendige Form« der Raum gelten darf 700 - gegenüberstellt werden. Im Anschluss an den Sieg über den Löwen fällt Gawan, vom Kampf entkräftet, in Ohnmacht und kommt auf einer improvisierten Bettstatt zu liegen: Als Kopfkissen dient ihm der Löwe, als Liege sein Schild (daz houbt im ûf dem lewen lac, / der schilt viel nider under in; 573,8f.). Wenn wenig später die Rede davon ist, dass der schilt mit bluote swebete (575,15), so wird der Schlaf auf dem Schild nicht nur als Todesdurchgang markiert, sondern überdies erneut auf das prekäre Analogieverhältnis zwischen menschlich-lebendigem Erstkörper und dinglichem Zweitkörper angespielt. Wie an dieser Stelle abermals sichtbar wird und bereits von Ulrike Draesner beobachtet, »schläft [Gawan] auffällig viel«, 701 steht das hier Erzählte am Ende einer Reihe von drei allesamt ironisch imaginierten Betten: So verbringt Gawan im Hause des Fährmanns Plippalinot die Nacht auf einem ärmlichen, 254 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 702 Zum Bettmotiv an dieser Stelle Blamires: »The particular description obviously leads up to the episode of Lit marveile and is just one of many instances of the importance of gradation in the development of the story and in the relative significance of the various episodes« (Characterization and Individuality, S. 376). 703 Während es bei Chrétien hier bereits »zu ersten Liebesbeweisen, Umarmungen und Küssen« kommt, vermeidet Wolfram »jedes Anzeichen erotischer Annäherung […]. Auch in der Darstellung von Parzivals und Condwiramurs’ Beilager fällt die Zurückhaltung der beiden Liebenden auf (201,19ff.)« (Schnell: Literarische Beziehungen, S. 312). Diese Zurückhaltung lasse, so Schnell weiter, »vermuten, daß Wolfram den ›Erec‹ ›im Visier‹ hat« (ebd.). 704 nû sô er heim komen ist, / dô kêrte er allen sînen list / an vrouwen Ênîten minne. / sich vlizzen sîne sinne, / wie er alle sîne sache / wante zuo gemache (Er., 2928-2933). 705 Eggers: Literarische Beziehungen des Parzival zum Tristrant, S. 42. Zur ironischen Verwendung des gemach-Begriffs vgl. auch Boigs: Gawans Abenteuer auf Schastel marveile, S. 373. 706 Zum folkloristischen Motiv des Zauberkissens in verschiedenen Bearbeitungen des Tristan-Stoffes vgl. Buschinger: Emotionen in den Tristan-Romanen. Zur Stelle vgl. überdies Neugart, die insbeson‐ dere die Komik der merkwürdigen intertextuellen Referenz betont: »Daß aber der Erzähler, indem er seine literarische Bildung zeigt, für den Ritter par excellence in seiner Situation ausgerechnet einen Vergleich aus dem Minnebereich wählt und so indirekt auf Gawans Reputation als Liebling der Damen anspielt, läßt, Gawans ernsten Gesundheitszustandes ungeachtet, schmunzeln« (Wolfram, Chrétien und das Märchen, S. 143). ausgestellterweise höfischen Standards nicht gerecht werdenden Bett (vgl. 552,11; 552,15), vor welchem in den frühen Morgenstunden die Fährmannstochter Bene Platz nimmt, in deren zur Decke umfunktionalisierten Mantel Gawan gehüllt ist (vgl. 552,21f.; 553,22f.). 702 Während dieses Bett niht wan durch Gâwâns gemach (552,14) hergerichtet ist, kann im Lit marveile-Abenteuer von gemach keine Rede sein: es möhte jugent werden grâ, / des gemaches alsô dâ / Gâwân an dem bette vant (569,15-17) - und in beiden Fällen wird, wie ganz vergleichbar bei der Schilderung von Parzivals erster Nacht auf Pelrapeire (vgl. 192,21-196,15), 703 das intertextuell assoziierte gemach eines hartmannschen Erec, 704 die von herrscherlichen wie ritterlichen Pflichten ablenkende minne-Fixierung, explizit, sei es durch Gawans Abweisung von Benes Annäherungsversuchen, sei es durch die Tötungs‐ mechanismen auf Clinschors Schloss, abgewiesen. Im dritten Bett schließlich kulminiert in den vorangehenden Szenen bereits Thematisiertes, werden sowohl Rekreation und Erholung als auch Tod und Versehrung thematisch und im Arrangement von Schild und Löwe versinnbildlicht - minne ist auch hier nicht zu finden. Dass Gawan selbst die seinen Weg säumenden Betten als Reihe wahrnimmt, bezeugt folgende Gegenüberstellung der auf ihre differenziellen symbolischen Abstände hin betrachteten Bettstätten (vgl. bereits, in ähnlicher Verdichtung, Parzivals kleine ›Dingeerzählung‹ nach seiner Einkehr bei Gurnemanz, s. Kap. 2.3 dieser Arbeit): er sprach ›ôwê daz ich ie’rkôs disiu bette ruowelôs. einz hât mich versêret, untz ander mir gemêret gedanke nâch minne. […]‹ (587,15-22) Auch die mit der rekurrenten Erwähnung des gemach-Begriffs angedeuteten intertextuellen Bezüge werden, in einer gedanklich kühnen Bewegung, einer »keineswegs naheliegende[n] Assoziation« 705 , um eine explizite Referenz auf Eilharts von Oberg Tristrant erweitert: 706 255 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 707 Zit. nach: Eilhart von Oberg: Tristrant und Isalde [Sigle: Tristr.]. 708 So Isaldes Erläuterung zum Kissen, an die sich die oben zitierte Textstelle unmittelbar anschließt: »du solt niemen daß kússin min, / daß ich under min houpt lege, / wann ich mich navch Trÿstanden sene, / daß mich der schlavff undergaut. […]« (Tristr., 6982-6992). 709 Draesner: Wege durch erzählte Welten, S. 355. 710 Draesner: Wege durch erzählte Welten, S. 356. Diese Analogie wird freilich im weiteren Gang der Erzählung zum Kontrast, da Gawan im Gegensatz zu Kahenis durch seinen Kampferfolg gerade auch »im Hinblick auf seine Minnebeziehung Erfolg gehabt [hat] und […], wiederum im Gegensatz zu Kahenis, auf lange Sicht sein Ziel erreichen [wird]« (ebd.). 711 Draesner: Wege durch erzählte Welten, S. 357. sîn wanküssen ungelîch was dem daz Gymêle von Monte Rybêle, diu süeze und diu wîse, legete Kahenîse, dar ûffe er sînen prîs verslief. der prîs gein disem manne lief: wande ir habt daz wol vernomn, wâ mit er was von witzen komn, daz er lac unversunnen, wie dez wart begunnen. (573,14-24) Im Tristrant erfüllt Isaldes Zauberkissen die Funktion, den um die Gymele von der Schitriele werbenden Kahenis, Tristrants Begleiter, auf dessen zweitem Wiederkehrabenteuer in Cornwall besinnungslos zu machen (daß leg im under sin houpt: / so wirt er betovbt, / daß er schlaufft die gantze nacht; Tristr., 6987-6989 707 ) und so den unehrenhaften Beischlaf abzu‐ wenden. Wie der Bracke Utant - oder bei Gottfried in vergleichbarer Handlungsfunktion: Petitcreiu - dient das Kissen Isalde als Tristrant-Substitut, als die Sehnsucht nach dem Geliebten vertreibendes Narkotikum, 708 in den Händen Gymeles hingegen als mit listen (7007) eingesetztes Instrument gegen die Zudringlichkeit des so fremden wie übergriffigen Mannes. Ulrike Drasner sieht in dem intertextuellen Verweis Wolframs dreielei indiziert: Auf der Ebene der Rezeptionssteuerung werde anstelle Gawans der Tristan-Begleiter Kahenis der Lächerlichkeit preisgegeben, werde das möglicherweise dem Rezipienten aus der Schilderung der âventiure auf lit marveile noch auf den Lippen liegende Lachen […] auf eine andere Figur aus einem fremden Text, die durch ein Zauberkissen um die Liebeserfüllung gebracht werde, abgelenkt. 709 Daneben werde auf inhaltlicher Ebene das Schastel marveile-Abenteuer in den Minne‐ kontext eingebettet und der »Mißerfolg in einer Liebesbeziehung und Kampfeserfolg aufeinander bezogen.« 710 Drittens ergänze der Verweis den impliziten Vergleich Parzivals mit Tristrant im III. Buch (vgl. 144,20-22): Gawan wird mit dem Freund des Protagonisten des Tristrant verglichen - und somit seinerseits als Freund des Protagonisten des von Wolfram erzählten mære ausgewiesen. 711 256 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 712 Es gilt also cum grano salis mit Blick auf die Tristrant-Referenz, was Eikelmann zu den Bezügen Wolframs auf den Erec im VIII. Buch festgehalten hat: »Die Bezugnahme auf den Erecroman […] dient Wolfram als Kontrastfolie für seine gegenläufig orientierte Erzählung: Als literarisches Muster steht Hartmanns Roman für einen Traditionsrahmen, den das achte Buch in Richtung auf eine andersartige Erzählwelt überschreitet« (Schanpfanzun, S. 258). Mit Blick auf die am Geschehen beteiligten Dinge lässt sich dem Verweis auf das Zauber‐ kissen noch eine weitere Bedeteutungsebene abgewinnen: Wie im Tristrant wird auch auf Schastel marveile das Verhältnis zwischen den Geschlechtern auf seine Dysfunktiona‐ litäten hin transparent gemacht, in beiden Fällen fungieren magische respektive tierische Akteure als gegen den Ritter instrumentalisierte ›Waffen‹, als Waffen der bedrängten Frau Gymele einerseits sowie des entmannten Zauberers Clinschor andererseits. Die teilweisen Analogien deuten bereits wesentliche Differenzen an, die schon in der auffälligen Anlage des Vergleichs ex negativo impliziert sind (sîn wanküssen ungelîch): Befinden sich auf Schastel marveile zur Handlungsunfähigkeit verdammte und erlösungsbedürftige Damen in der Gewalt eines impotenten, vielleicht wie Orilus von Minderwertigkeitskomplexen getriebenen Zauberers, so sind es im Tristrant gerade die weiblichen Figuren, die sich unter Rückgriff auf ein magisches Objekt der Übergriffigkeit eines männlichen Aggressors erwehren. Mit beiden ›Kissen‹ gelangen neuerlich intertextuelle Transformationsprozesse zur Anschauung, die ebenso Nähe wie Distanz, Ähnlichkeit wie Differenz indizieren: Wie im Falle des Zauberkissens aus einem sehnsuchtstillenden Narkotikum ein zum Schutz eingesetztes Instrument weiblicher Wehrhaftigkeit wird, wandelt sich der Löwe von einer instrumentalisierten und potentiell todbringenden Waffe Clinschors zum Bestandteil des improvisierten Krankenbetts eines schwerverwundeten Artusritters. Der für den Tristrant an dieser Stelle so zentrale Aspekt des Schutzes vor männlich-sexueller Aggression findet seine Widerspiegelung im zweiten Bettbestandteil Gawans, dem Schild als paradigmati‐ schem Symbol der Verteidigung und der Schutzfunktion der Minnedame. Die anschließende Heilung durch die Artusmutter Arnive kann zuletzt als weiterer Reflex auf die Tristrant-Er‐ zählung gelesen werden, tritt doch die aufwendig inszenierte Erweckung des Helden (vgl. 575,17-576,19) ebenso wie die Verabreichung einer schlafbringenden Heilwurzel (eine wurz i’u geben wil, / dâ von ir slâfet: deist iu guot; 580,20f.) in offensichtlichen Kontrast zur Narkotisierung des Kahenis. Ausgehend von der ironisch-metaphorischen Kontrastierung des besiegten Löwen mit dem wanküssen der Gymele eröffnet sich ein ganzes Bezugsnetz implizit-intertextueller Ähnlichkeiten und Unterschiede, welche die auch intertextuelle Dialogizität und Poly‐ phonie von Wolframs Dingpoetik anzeigen. Indem er die Bedeutungen beider Gegenstände gerade als unähnlich, ungelîch (573,14), ausweist, markiert er den intertextuellen Bezug als nicht oder allenfalls ex negativo sinnstiftenden, den Sinn als sich so schnell wie das eigenbewegliche Wunderbett entziehende und zuallererst vom Leser herzustellende Größe. So wird Gawans wanküssen zur poetologischen Chiffre einer spezifisch wolframschen Stra‐ tegie der Abgrenzung von der literarischen Tradition einerseits, 712 der Sinn-Suggestion und der Öffnung von Dingbedeutungen ins Intertextuelle andererseits, und der Löwenschild zu deren mobil-verdinglichter Manifestation. 257 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 713 Faulkner: The Sound and the Fury, S. 134f. 714 Bertau: Deutsche Literatur im europäischen Mittelalter, S. 1003; vgl. auch Blank: Der Zauberer Clinschor, S. 324-328. - Aus der überbordenden Fülle an Forschungsliteratur seien folgende Beiträge, die Einblicke in narrative Funktion sowie in motiv- und kulturgeschichtliche Hintergründe der Säule erlauben, herausgehoben: Ernst: Mirabilia mechanica, S. 56-59; Glaser: Der Held und sein Raum, S. 275-290; Knaeble: Höfisches Erzählen von Gott, S. 280-285; Mersmann: Der Besitzwechsel und seine Bedeutung, S. 152-156; Richter: Spiegelungen, S. 145f.; Tuchel: Macht ohne Minne, S. 250f.; Wolf: Die Wundersäule in Wolframs Schastel marveile; Wolter-von dem Knesebeck: Wundersäule. 715 Auf den Zusammenhang zwischen der Unsichtbarkeit der Figur und technisch erzeugter Wahrneh‐ mungserweiterung hat zuletzt Clason in einer vergleichenden Analyse der Isoldemutter im Tristan und Clinschors hingewiesen: »One must emphasize that in both stories, the attempts the two magicians make to wield their power in absentia is doomed to failure, and in both works this results in their disappearance into obscurity« (The Magic of Love, S. 313). - Das für die gesamte Episode zentrale Motiv des Sehens und der Sichtbarkeit sieht Coxon bereits in 553,11-20, im Zuge der Schilderung von Gawans Blick auf das Wunderschloss und auf die ihn dort unablässig, selbst in der Nacht beobachtenden Damen, markiert: »In der Tat stellt dieser Akt kontinuierlicher, wenn nicht sogar erzwungener Wahrnehmung eine Pervertierung höfischer Praxis dar, die eine wichtige Signalfunktion ausübt, indem sie auf die Existenz und die Eigenart der hier zu bestehenden âventiure hinweist« (Zur Problematisierung öffentlicher Wahrnehmung im Parzival, S. 163). 2.4.4 Herrschaft über die Dinge: Gawan auf Schastel marveile II (Buch XII) Caddy do you love him now I dont know outside the grey light the shadows of things like dead things in stagnant water I wish you were dead 713 Im Anschluss an eine neue Einkleidung, dem Leitmotiv entsprechend als wehsel bezeichnet (588,16), dringt der noch immer schwer verwundete Gawan weiter in das Innere von Schastel marveile vor. Im palas entdeckt er einen Wendeltreppenturm, auf welchem sich einer der auratischsten Gegenstände des gesamten Romans befindet: die Wundersäule, »eine Art Fernsehempfänger«, 714 geworht mit liste (589,17) und mit der unsichtbaren Schattengestalt Clinschor aufs Engste verwoben. 715 Es handelt sich bei dieser sûl wie schon bei dem vor Schastel marveile aufgestellten krâm um ein Objekt, das sich einstmals im Besitz der sagenhaft reichen orientalischen Königin befunden hat, im Gegensatz zum krâm jedoch scheint die Säule, so vermutet die über deren Objektbiographie in groben Zügen informierte Arnive, ân ir willen (592,20) an einen anderen Ort verbracht, ûz Feirefîzes landen (589,10) gestohlen worden zu sein. Ihr Besitzer steht also nicht am Ende einer komplexen Kette von Gaben und Bedeutungstransformationen, die in Secundilles Wunsch nach dem Gral ihren Ausgang genommen hätte, die Säule hat vielmehr einen anderen Weg, den der unmittelbar-agonalen Aneigung, genommen. Auf und vor Schastel marveile sind zur spekulativen Handelsware verkommene Gaben und Raubobjekte in einer Sammlung vereint, die berechnendes Geben und agonales Nehmen in ein sinnfälliges Konvergenzverhältnis treten lässt. Zur Raumstruktur ist zunächst als signifikant festzuhalten, dass der Turm deutlich von den vorigen Handlungsräumen auf Schastel marveile unterschieden wird. So treten die an dieser Stelle gehäuften Präpositionen und Lokaladverbiale - Uf (589,1), über den palas 258 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 716 Dies als Beispiel für einen einfachen Bewegungsraum: »Die Bewegung der handelnden Personen kann, auch wenn sie nicht nach der Tiefe führt, sondern im Vordergrund verharrt, Raum schaffen. Der Eindruck einer horizonalen Aktionsebene entsteht z. B. in den Kampfschilderungen durch jenes drängende und verdrängende Gegeneinander« (Hahn: Raum und Landschaft, S. 71). 717 Lotman: Die Struktur des künstlerischen Textes, S. 344. 718 Lotman: Die Struktur des künstlerischen Textes, S. 330. 719 Die Forschung hat die beiden Gegenstände bislang insbesondere auf das ihnen innewohnende Potential hin befragt, Erkenntnis zu vermitteln und sichtbar zu machen, und die optisch-technische Apparatur entsprechend von der sakralen Überdetermination der vom Gral medialisierten Gottes‐ botschaften abgesetzt: »Während in den Gralaufschriften Gott seinen Willen offenbart, verdankt die Säule ihre Kräfte der Physik« (Bumke: Wolfram von Eschenbach, S. 103). Des Weiteren ist die Funktion der Gegenstände für die beiden parallelen, jeweils auf ein Ding zentrierten Raum- und Gesellschaftsentwürfe betrachtet worden (vgl. z. B. Richter: Spiegelungen, S. 87f.). Zur Kon‐ trastierung der Gegenstände trägt weiterhin bei, dass die Wundersäule mit dem Gral zwar eine »Nähe zur orientalischen Magie gemeinsam [hat]« (Bumke: Wolfram von Eschenbach, S. 103), sich die Objektbiographien allerdings dahingehend unterscheiden, dass, wo der Gral nicht erstriten werden kann, die Wundersäule als Diebesgut von Clinschor in einem Akt der ebenso agonalen wie profanen Aneignung sowie von Gawan als Aventiure-Lohn zu erwerben ist. Sowohl ihre Objektbiographie als auch ihre Handhabung weist die Wundersäule letztlich als paradigmatisches Objekt der Herrschaftssicherung und als dem klugen Blick des kompetenten und in die Nutzung eingewiesenen Betrachters zugängliches Medium aus. Zum Gral vgl. den Ausblick in Kap. 2.6 dieser Arbeit. hôch (589,3), dar ûffe (589,5) - in Kontrast etwa zur Blickführung in der Kemenate, in der zunächst der Boden und die Unterseite des Betts ebenso wie die Füße des Helden in den Blick gerieten (vgl. 566,11-567,3), zum Krankenlager des am Boden liegenden Gawan sowie zu seiner Bewegung durch die Zauberburg, wider unde für (588,26), ebenfalls auf »einer horizontalen Aktionsebene« 716 also. Die Unterscheidung zwischen ›Oben‹ und ›Unten‹ lässt, als »wesentliches, die Raumstruktur des Textes organisierendes Merkmal« 717 , auf eine Unterscheidung auch in der Semantisierung der Räume rechnen, etwa in der von Jurji M. Lotman beschriebenen Art: »In einer Reihe von Fällen wird […] ›Unten‹ mit ›Materialität‹ und ›Oben‹ mit ›Geistigkeit‹ [gleichgesetzt]«. 718 Im Folgenden wird sich indes zeigen, dass die Wundersäule zwar wie schon Lit marveile zunächst ein wunder zu sein scheint, sich aber tatsächlich als physikalische Apparatur erweist und im Gegensatz zum Gral gerade keinen Aufblick in himmlische Sphären gewährt, sondern lediglich einen Ausblick aus relativer Höhe herab auf die Welt 719 - die Höhe von Clinschors Turm verweist nur wieder zurück auf die Tiefe und die Materialität des irdischen Daseins. Im Anschluss an die räumliche Situierung der Szene ist eine erste deskriptive Passage inseriert, die jedoch nicht darauf zielt, Anschaulichkeit herzustellen, sondern Form, Dimen‐ sionen und Material der Säule, wie bereits von Andrea Glaser festgestellt, nachgerade zu verunklären: dar ûffe [auf dem gewelbe] stuont ein clâriu sûl: diu was niht von holze fûl, si was lieht unde starc, sô grôz, froun Camillen sarc wær drûffe wol gestanden. ûz Feirefîzes landen brâht ez der wîse Clinschor, 259 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 720 Glaser hält zu 589,6 fest, es handle sich um »eine negative Charakterisierung […], die zunächst jedoch nicht durch eine postive Charakterisierung (das tatsächliche Material) ersetzt wird. Insofern kann dieser Vers trotz aller Anschaulichkeit (faules Holz kann sich wohl jeder gut vorstellen) als Verweigerung einer Visualisierung betrachtet werden« (Der Held und sein Raum, S. 276). werc daz hie stuont enbor. sinwel als ein gezelt ez was. der meister Jêometras, solt ez geworht hân des hant, diu kunst wære im unbekant. ez was geworht mit liste. adamas und amatiste (diu âventiure uns wizzen lât), thôpazje und grânât, crisolte, rubbîne, smârâde, sardîne, sus wârn diu venster rîche. wît und hôch gelîche als man der venster siule sach, der art was obene al daz dach. (589,5-26) So wird das Material zunächst mit der ironischen Bemerkung, die Säule sei nicht aus faulem Holz, ex negativo bestimmt, 720 ihre Form anschließend solchermaßen allgemein als lieht unde starc beschrieben, dass Dimensionen und konkrete Materialität weiterhin unklar bleiben. Im Dienste einer solchen Veruneindeutigungsstrategie steht ebenfalls, dass gleich zweifach die Erwartung geweckt wird, es folge eine Information entweder über den Konstrukteur der Säule - meister Jêometras (589,14), dessen Hand dieses Kunstwerk jedoch, wie sich in den Folgeversen herausstellt, gerade nicht hätte herstellen können (vgl. 589,15-17) - oder über ihr Material: Die umfangreiche Edelsteinliste wird indes, im nachgestellten Hauptsatz, nicht auf die Säule, sondern, die Erwartungshaltung des Lesers neuerlich unterlaufend, auf diu venster rîche (589,23) bezogen; auch im Folgesatz wird, ganz parallel, die Aufmerksamkeit von den Säulen der Fenster auf das Dach der Kuppel gelenkt, das wundersam-mediale Zentrum des Gewölbes bleibt somit weiterhin unbestimmt. Nachdem der Fokus auf die Fenster des Gewölbes das für das Folgende zentrale Thema der Wahrnehmung bereits diskursiv macht, wird nun zunächst abermals die Exzeptionalität der Wundersäule betont (589,27-29; vgl. bereits 588,28-30) und anschließend der Blick erst auf, dann in die grôze[] sûl (589,29), geschildert: durch schouwen gienc hêr Gâwân ûf daz warthûs eine zuo manegem tiwerem steine. dâ vander solch wunder grôz, des in ze sehen niht verdrôz. in dûhte daz im al diu lant in der grôzen siule wærn bekant, unt daz diu lant umb giengen, 260 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 721 Lexer II, Sp. 303. 722 Beck: Raum und Bewegung, S. 137. 723 Knaeble sieht die »Wahrnehmung des wunders durch Gegensätzlichkeit bestimmt […]: Gawan sieht mit diesem stein die Menschen reiten und gehen, laufen und stehen - was gesehen werden kann mit dieser gewöhnliche Wahrnehmung übersteigernden Möglichkeit des Sehens, entfaltet sich sprachlich symptomatisch in einem Oxymoron« (Höfisches Erzählen von Gott, S. 281). 724 »Dass man die Leuchtkraft dieses Steins einerseits so genau bemessen kann und dass diese Leuchtkraft andererseits so stark ist, verwundert; diese Genauigkeit ist aber auch ein Indiz für den ausgeklügelten Mechanismus der Säule« (Glaser: Der Held und sein Raum, S. 283). 725 »Eine einmalige Erwähnung dieses ›Fernglas-Radius‹ hätte Staunen erzeugen können, ihre Wie‐ derholung markiert dagegen eher die Begrenztheit von Sehen- und Erkennen-Können« (Knaeble: Höfisches Erzählen von Gott, S. 284). unt daz mit hurte enpfiengen die grôzen berge ein ander. in der siule vander liute rîten unde gên, disen loufen, jenen stên. in ein venster er gesaz, er wolt daz wunder prüeven baz. (590,2-16) Die Passage ist von Verba sentiendi, schouwen, aufzufassen als ungerichtet-visuelles Er‐ fassen des wunders, und prüeven, als gerichtete und einordnende Schau und »nachdenke[s] erwägen[]« 721 , gerahmt, von Verben, die eine sukzessive Ordnung und Fokussierung der Gawan zunächst überwältigenden Wahrnehmung indizieren (vgl. Anm. 729 dieser Arbeit): Sind es auf den ersten Blick ganze Länder, die sich zu bewegen scheinen, dann große Berge, deren Bewegung als hurt beschrieben wird, wird also zunächst »selbst Natur in der Säule in Bewegung umgewandelt« 722 , so sind es im zweiten Teil der Passage die Bewegungen der Menschen, ihr Reiten und Gehen, ihr Laufen und Stehen - man lese: sämtliche Formen menschlicher Fortbewegung -, 723 die in den Blick des Betrachters geraten. Wie die Bewegung des sich für die eingehendere Betrachtung der Säule in eines der Fenster setzenden Helden (vgl. 590,15) werden auch die Wahrnehmungsbilder stillgestellt und zunehmend ›realitätsförmig‹. Dieser sukzessive Prozess, der von der ungeordneten Wahrnehmung zu deren Prüfung und Ordnung führt, wird im nachfolgenden Gespräch mit der Artusmutter Arnive, in dem der Mechanismus der Säule, nach dem Medialisierten somit das mediale Ding selbst zum Thema wird, fortgeführt: In diesem erweisen sich die zuerst wahrgenommenen Bilder als Phantasmen, als perspektivenabhängiger Schein - angedeutet bereits in der relativierenden Wendung in dûhte in 590,7 -, sind es doch, wie von Arnive gleich zweifach expliziert, lediglich sechs Meilen, ein exakt abmessbarer und in seiner Genauigkeit »den ausgeklügelten Mechanismus der Säule« 724 bezeugender Radius, der von dieser beschienen und in ihr sichtbar wird (vgl. 592,4; 592,13). 725 In Arnives Rede wird die magische Anmutung auch dieses Wunders also zugunsten einer optisch-technischen Explikation suspendiert: All das, was der stein mit seinem Glanz bestrahle, swaz in dem zil geschiht (592,5), werde in der Säule sichtbar, sie offenbart also gerade keine göttlichen Botschaften, sondern erweitert 261 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 726 Knaeble: Höfisches Erzählen von Gott, S. 284. 727 Jaeger: Wunder und Staunen bei Wolfram und Gottfried, S. 133. Vgl. ähnlich Ott: Die höfische Welt der Dinge, S. 169. 728 Wolter-von dem Knesebeck: Wundersäule, S. 270. 729 Gärtner: Die Constructio ἀπὸ κοινοῦ, S. 208. 730 Gärtner weist nach, dass rîten hier nicht als substantivierter Infinitiv und Akkusativobjekt zu sach zu lesen ist (dies legt etwa die Interpunktion von Leitzmann nahe, der nach 592,22 ein Semikolon setzt und zwei Sätze, keine ἀπὸ κοινοῦ-Konstrukion also, annimmt); vgl. Die Constructio ἀπὸ κοινοῦ, S. 207f. Die Parallele zu der gedrängten Darstellung in 590,13 irritiert, auch wenn nun hier nicht rîten, sondern liute Akkusativobjekt ist, zusätzlich auf syntaktischer Ebene, da der Satz zunächst geschlossen scheint und sich anschließend noch einmal erweitert, sich die syntaktischen Bezüge also verschieben - eine nachträgliche Enthüllung satzbaulicher Bezüge, die sich in 592,24 mit dem letzten Wort des Satzes, dem Prädikat schouwen, noch einmal wiederholt. lediglich das Sichtfeld auf das Diesseitige: »Ihr ›Sehen‹ bleibt der Immanenz verhaftet.« 726 Die Darstellung der Säule ist somit einzuordnen vor dem Hintergrund der wolframschen Tendenz, das Wunderbare und Mirakelhafte als das noch nicht verstandene Natürliche zu offenbaren. […] Die Wundersäule in Klinschors Schloss scheint zauberisch, ist aber ein Produkt der fortgeschrittenen Technologie des Ostens; Klinschor hat sie aus dem Land der Königin Secundille, Tribalibot, mit natürlichen Transportmitteln geholt. 727 Ganz in diese Tendenz fügt sich der zweite Blick Gawans in die Säule, der nun kaum mehr Züge einer »überwältigende[n] Weltsicht« 728 trägt, sondern sich im Wahrnehmbaren rasch orientiert: Gâwân an den zîten sach in der siule rîten ein rîter und ein frouwen moht er dâ beidiu schouwen. dô dûht in diu frouwe clâr, man und ors gewâpent gar, und der helm gezimieret. si kômen geheistieret durch die passâschen ûf den plân. nâch im diu reise wart getân. (592,21-30) Wie Gärtner zum ἀπὸ κοινοῦ in 592,21-24 zeigen kann, wird an dieser Stelle erneut, nachdem Analoges schon bei Gawans erstem Blick in die Säule narrativ entfaltet wurde, rhetorisch und semantisch gedrängt nachvollziehbar, wie Gawans Aufmerksamkeit zunächst auf einen bestimmten Punkt in der Wundersäule gelenkt wird und sich dann auf diesen konzentriert. Aus dem zufälligen Gewahren (sehen) wird ein absichtliches Hinschauen (schouwen). 729 Auch die Verwendung der figura etymologica ›rîten / ein rîter‹ macht die Prozessualität der sich unter Gawans Blick schärfenden Wahrnehmung nachvollziehbar, wird doch zunächst, wie vergleichbar bereits in 590,13, ein nicht näher bestimmtes rîten im Folgevers als Bewe‐ gung eines konkreten Reiters ausgewiesen. 730 Diese syntaktischen Dissimulationen und 262 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 731 Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S. 82. 732 Zu Letzterem Beck: »Gawan sieht das Bild klar, weil er weiß, daß die Bewegung ihn zum Ziele hat. Sein vergewissernder Blick aus dem Fenster zeigt ihm von allem nur das, was ihn angeht. […] Von erhöhten Standorten wird nur wahrgenommen, was einen angeht« (Raum und Bewegung, S. 138f.). referentiellen Verschiebungen spiegeln die Wahrnehmung des Ritters, der Aufmerksamkeit und Fokuspunkt dieses Mal auf ein bestimmtes Geschehen hin verschiebt und fixiert. Auf die Betrachtung von Erscheinen und Ausstattung der erblickten Figuren - erneut mit dem Eingang dô dûht in versehen, der die Perspektivenabhängigkeit des Wahrgenommenen wieder in Erinnerung ruft -, folgen einige Verse, in denen das Gesehene ohne Markierung des wahrnehmenden Subjekts dargeboten wird (vgl. 592,28-593,6): Die zunächst, wohl auch aufgrund der Überwältigung durch das Wimmel-Bewegtbild, distanzierte Haltung wird an dieser Stelle zugunsten einer nullfokalisierten Passage aufgegeben, einer Passage, welche die Immersion Gawans in das Medium anzeigt und die erzählte Wahrnehmung in demselben Modus darbietet wie die vom Erzähler verbürgte und übermittelte Handlung. Anders gewendet: Wo kein Parergon mehr sichtbar ist, sprich: wo ein materieller Rahmen, eine Einfassung des in der Wundersäule Medialisierten fehlt und jegliche Vorstellung von der Säule, dem materiellen Medienträger verwehrt wird, ist es in einem ersten Schritt der Wahrnehmungsakt der Figur, der die Grenze zwischen den Bildern, zwischen den Erga und ihrem Umfeld anzeigt, das Medium zuallererst als solches ausweist und damit die Funktion des Parergon übernimmt. Und sobald dann auch dieser Rahmen unsichtbar wird, erfüllt er seine traditionelle Bestimmung […], sich nicht abzuheben, sondern zu verschwinden, zu versinken, zu verblassen, in dem Augenblick zu zerfließen, wo e[r] seine größte Energie entfaltet. Der Rahmen ist auf keinen Fall ein Hintergrund, wie es das Umfeld oder das Werk sein können, aber seine Randstärke stellt auch keine Gestalt dar. Zumindest ist es eine Gestalt, die von selbst abhebt. 731 Die Prozessualität von Wolframs Darstellung macht den schrittweisen Wandel eines Mediums beobachtbar, das sich zunächst im Rauschen, in der Verzerrung des Medialisierten vernehmlich macht, um schließlich Bilder zu übermitteln, die kaum mehr als solche zu erkennen sind, die vielmehr die Realität ungebrochen abzubilden scheinen. Dieser Wandel hin zum ›echten Medium‹ deutet sich bereits in der vom Erzähler abgewiesenen Visuali‐ sierung der Säule zu Beginn der Passage an, die zwar deren materielle Umgebung, nicht hingegen die Säule selbst deskripitv erfasst - das Medium entzieht sich einer erzählerischen Vermittlung, Unsichtbarkeit und Immaterialität nehmen bereits seine Marginalisierung im Zuge von Gawans Wahrnehmungsprozess vorweg. Es werden gleich zwei Deutungsangebote dafür gemacht, aus welchem Grund sich der Ritter gerade auf einen bestimmten Realitätsausschnitt des in der Säule zu Sehenden, einen Ritter in Begleitung einer Frau, fokussiert: Die glänzende Schönheit der Frau und die Aggressivität verheißende Waffnung ihres Begleiters kommen als die Aufmerksamkeit Gawans kanalisierende Elemente ebenso infrage wie die Bewegungsrichtung der beiden nâch im. 732 Mit dieser Bemerkung, nâch im diu reise wart getân (vergleichbar mit der lokaldeiktischen Richtungsangabe her in 593,5), wird das mediale Geschehen mit der Realität des Betrachters in eins gesetzt, werden die Grenzziehungen zwischen Medialem und Realem endgültig als übergängig ausgewiesen: Wie in einem ersten Schritt der Rahmen 263 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 733 »Wolfram schildert Gawans Wahrnehmungen in der Säule so anschaulich und ›realistisch‹, dass man fast vergisst, dass Gawan dies alles nicht beim Blick von der Burg herab wahrnimmt, sondern ›nur‹ in der Säule« (Glaser: Der Held und sein Raum, S. 287). 734 Vgl. Green: The Art of Recognition, S. 4. 735 Neben Wolframs Quellenfiktionen und seine zahlreichen Reflexionen über die Fiktionalität seiner Geschichte haben insbesondere die widersprüchlichen Aussagen der Trevrizentfigur - am schil‐ lerndsten sein Eingeständnis einer früheren Lüge in 798,6f.: ich louc durch ableitens list / vome grâl, wiez umb in stüende - der Forschung Anlass gegeben, den Stellenwert auch anderer Aussagen der Figur in Zweifel zu ziehen: »Mit den […] falschen Aussagen Trevrizents wird die Wahrheit von erfundenem mære […], die Notwendigkeit seiner individuellen Auslegung auf der Handlungsebene löst sich nun auch das Bild auf - in der textimmanenten Realität. 733 Einen ähnlichen Effekt zeitigt, dass der Erzähler, wie bereits angedeutet, die Verse 592,28-593,6 nicht mehr aus der Perspektive Gawans, sondern ohne Markierung eines fokalen Zentrums darbietet. Der Einblick in die Handlungsmotivation des heranreitenden Ritters, tjostieren was sîn ger (593,6), unterstreicht, wie Green beobachtet hat, insoweit noch einmal diesen Wechsel des Darbietungsmodus, als Gawan dies zu diesem Zeitpunkt, zumindest dem Wissensstand des Rezipienten nach zu urteilen, gar nicht wissen kann - erst etwas später wird in direkter Rede Gawans die Information nachgereicht, dass sich der Ankömmling ihm mit ûf gerihtem sper (593,24) nähere, wird also ex post auf die Anwesenheit eines sichtbar-evidenten Zeichens verwisen: Gawan scheint dem Leser bei der Wahrnehmung, der Lektüre und der Interpretation der Zeichen wieder einen Schritt voraus zu sein, die Wundersäule einen unmittelbareren Zugriff auf den erzählten Weltausschnitt zu bieten als die - nun ihrerseits erneut als ›starkes Medium‹ markierte - Erzählung. 734 Dass das medialisierte Geschehen objektiv-nullfokalisiert übermittelt wird, lässt die Reaktion Gawans besonders herausstechen, da dieser nun, nach seiner Abwendung von der Säule, die Authentizität des Gesehenen expressis verbis in Zweifel zieht: Gâwân sich umbe kêrte, sînen kumber er gemêrte. in dûht diu sûl het in betrogn: dô sach er für ungelogn Orgelûsen de Lôgroys und einen rîter kurtoys gein dem urvar ûf den wasn. ist diu nieswurz in der nasn dræte unde strenge, durch sîn herze enge kom alsus diu herzogîn, durch sîniu ougen oben în. (593,7-18) Die Abwendung von der Säule beendet mit einem Schlag die immersiv-mediale Erfahrung, und neuerlich rückt Gawans Skepsis gegenüber dem Medium ›Wundersäule‹, der Glaub‐ würdigkeit und Realitätsförmigkeit des Gesehenen in den Vordergrund: Sein Misstrauen tritt in Entsprechung zu der Haltung eines Rezipienten, dessen Zweifel an der Wahrheit des Erzählten wiederholt explizit wie implizit diskursiv werden. 735 Neben dem medialen 264 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival thematisch« (Herberichs: Erzählen von den Engeln, S. 70; vgl. auch Schu: Vom erzählten Abenteuer, S. 307-321). 736 Zum eigentümlichen Vergleich Orgeluses mit einer nieswurz Bumke: »Bei Wolfram sind die Bilder eher befremdlich und dunkel, manchmal auch bedrohlich, voller Überraschungen und Spannungen, mitunter ins Fratzenhafte verzerrt. […] Es war eine traditionelle Vorstellung, daß die Liebe beim Anblick der Frau durch die Augen in das Herz dringt. Damit vergleicht der Erzähler den Schnupfreiz, den der Nieswurz in der Nase erzeugt und der dann - das ist wohl mitgedacht - den umgekehrten Weg nimmt und in die Augen steigt« (Wolfram von Eschenbach, S. 223). 737 Richter: Spiegelungen, S. 146. 738 Dieses Misstrauen ist womöglich auch in der an Arnive gerichteten Frage indiziert: wer mac diu frouwe sîn? (593,29); zur Erklärung des merkwürdigen Verses mag allerdings auch gereichen, dass Gawan, nachdem er Orgeluse bereits erkannt zu haben scheint (vgl. 593,10-18), sein Unwissen simuliert, um weitere Informationen über die Herzogin in Erfahrung zu bringen; vgl. Green: The Art of Recognition, S. 150f. 739 Green: The Art of Recognition, S. 35. Ding, in dem Gawan einen potentiellen Verräter (593,9), einen Akteur mithin und nicht ein mediales Zwischenglied, ein ›echtes Medium‹ vermutet, fungiert auch die Nennung des Schlüsselbegriffs der Lüge, des Betrugs als Interpretament, das die Stelle auf ihr poetologisches Aussagepotential hin befragen lässt - zumal sich an die Richtigstellung von Gawans Mutmaßungen über die trügerische Natur der Säule, die eben doch, für ungelogn, die Realität, sei es auch auf den ersten Blick verzerrt und modelliert, wiederzugeben scheint, auf anderer Ebene ein erneuter Wechsel ins Metaphorisch-Bildliche anschließt (vgl. 593,14-18), ein Wechsel, der die sprachliche Überformtheit des Erzählten indiziert und dessen Realitätsförmigkeit gleich wieder hinterfragen lässt. 736 Zentrale Parallelen zwischen der Organisation des Textes und dem Wahrnehmungswunder der Spiegelsäule hat zuletzt Richter herausgestellt: Die Spiegelsäule löst mithin die Differenz zwischen räumlicher Nähe und räumlicher Ferne auf. Gleichzeitig wird über die Verknüpfung von Zeit und Raum auch die zeitliche Differenz zwischen den Ereignissen aufgehoben, da ein Beobachter, der die Ereignisse in der Wundersäule sehen kann, keine Distanz überbrücken muss, die nur innerhalb fortschreitender Zeit zu bewältigen wäre. […] Darüber hinaus verweist die Aufhebung der Differenz von Nähe und Ferne, welche durch die Spiegelsäule zeichenhaft repräsentiert wird, im Sinne einer poetischen Chiffre auf die Funktionsmechanismen paradigmatischen Erzählens. 737 Dass die Spiegelsäule tatsächlich, den Zweifeln und dem Misstrauen des Artusritters zum Trotz, 738 eine Präsenz des räumlich Entfernten und unter normalen Bedingungen Unsichtbaren herzustellen vermag und das Medialisierte mit der Realität des diegetischen Geschehens in Deckung zu bringen ist, deutet zunächst auf die Leistungsfähigkeit eines Mediums, das zu Beginn der Passage gerade nicht als »echtes Medium [fungiert], durch das man ungehemmt hindurch sieht« 739 , sondern als hochgradig ›innenbedingtes‹ und ›eigenschwingendes‹, das Abgebildete eigentümlich verzerrendes Ding imaginiert wird. Wie bereits das in der ›Wahrnehmungskammer‹ der Burg überwundene Lit marveile erscheint letztlich auch die Wundersäule auf Clinschors warthûs als nur auf den ersten Blick überwältigend-unerklärliches Wunder, das sich jedoch nach eigehender Prüfung durch die Figur (590,16) oder nach einer technischen Dekonstruktion durch Arnive (vgl. 592,1-20) als besieg-, beherrsch- und intellektuell durchdringbar erweist. Im Gegensatz zu den medialen 265 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 740 Jaeger: Wunder und Staunen bei Wolfram und Gottfried, S. 133. 741 Insbesondere die für die Gawanbücher prägende Dichte an intertextuellen Verweisen deutet ver‐ gleichbar darauf, dass auch die Parzival-Lektüre einen kompetenten, literarisch vorgebildeten und nicht nur mit den höfischen, sondern auch mit den literarästhetischen Codes der Zeit vertrauten Leser voraussetzt (vgl. Eikelmann: Schanpfanzun) - wie auch ›wilde Metaphern‹, die Zurückhaltung von zentralen Informationen oder syntaktische Dissimulationen können intertextuelle Referenzen wie diejenige auf das Zauberkissen im Tristrant die Funktion übernehmen, die Lektüre vor einer - in Analogie zu Gawans Blick in die Wundersäule gesprochen - ›Immersion‹ des Rezipienten zu bewahren, ihn auf Distanz zum literarischen Medium zu bringen. 742 Mit Blick auf die Analogien zwischen Wundersäule und Prolog interpretiert Knaeble, »die Erkennt‐ nismöglichkeiten der Säule [seien] auch mit denen des ›Spiegels‹ im Prolog verknüpft, worin deutlich wird, dass bloße ›Abbilder‹ eben nicht erkenntnisstiftend sind« (Höfisches Erzählen von Gott, S. 284). Modellen des Prologs, zu Zinnspiegel, Milchrahm, Blindentraum und Ringen, exemplifiziert die Wundersäule einen komplexeren Gegenstand, der zunächst trügerisch-überwältigende Bilder ohne Realitätsbezug zu vermitteln scheint und die Kompetenz des ›Mediennutzers‹ in besonderem Maße herausfordert - wer sie im Sinne seiner ehemaligen Besitzer, Clinschor und Secundille, als Instrument der Wahrnehmungserweiterung verwenden will, muss augenscheinlich zuerst das Medium nutzen lernen, der kann es offenbar zu einem ›echten Medium‹ transformieren. Damit markiert Gawans Aneignungsobjekt ›Wundersäule‹ auch die Differenz zwischen Gawans und Gahmurets oder Parzivals ›Wunderwaffen‹, Adamas und Gralschwert: Während der Adamas und seine naturkundlichen Hintergründe für die Figur und etwa das Gralschwert gar für den Rezipienten ausgestellt opak bleiben, erweist sich Wolframs Tendenz, »das Wunderbare und Mirakelhafte als das noch nicht verstan‐ dene Natürliche zu offenbaren«, 740 als zentrales Charakteristikum eben insbesondere von Gawans Schastel marveile-âventiure. Die Analogien und Differenzen zwischen intradiegetischem Mediennutzer und dem Rezipienten sind schlagend: Wie es im Falle der grôzen siule eines Betrachters bedarf, der sich auf einen bestimmten Punkt des Dargestellten fokussiert und seine Wahrnehmung an das Medium anpasst, fordert auch der Erzähler von seinen Rezipienten, der Kurzweile versprechenden Oberfläche trügerischer Medien mit Misstrauen zu begegnen und den hakenschlagenden schanzen des Erzählers zu folgen, sich also ausschließlich der ›starken Medialität‹ von Wolframs Erzählung anzuvertrauen, anderen Medien dagegen mit Skepsis zu begegnen. 741 Dass es nun im Falle der Wundersäule gerade darauf ankommt, die Bewe‐ gungen der Natur und das Wimmeln der gehenden und reitenden Menschen stillzustellen und sich auf einen ausgewählten Punkt des Wahrgenommenen zu fokussieren, deutet ins‐ besondere auf die Divergenzen zwischen den Modellen und auf die potentiellen Gefahren, die von einem Medium für den ungeschulten und unangeleiteten Nutzer ausgehen. 742 Somit sensibilisiert die Inszenierung der Wundersäule nicht zuletzt für die Leistungen eines Erzählers und Mediators, der die Wahrnehmung und Aufmerksamkeit seiner Rezi‐ pienten im literarischen Medium zu steuern und zielgerichtet zu kanalisieren vermag, eines Erzählers, der einerseits den Rezipienten stellenweise zur Immersion ins literarische Medium anleitet (vgl. auch Kap. 2.3.2.1 dieser Arbeit) sowie sich seinerseits als emotional involviert erweist (vgl. z. B. Anm. 770 dieser Arbeit), und der andererseits die Vermitteltheit des Erzählten in den Vordergrund spielt - das ›Unding‹ Wundersäule macht dieses Span‐ nungsverhältnis auf der Ebene des Erzählten diskursiv, Gawans zunächst kritisch-distan‐ 266 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 743 Merleau-Ponty: Phénoménologie de la perception, S. 82. Übersetzung: »Wenn ich hingegen […] meinen Blick auf eine Einzelheit der Umgebung richte, so belebt und entfaltet sich dieses Detail, und die anderen Dinge rücken an den Rand oder verwischen sich völlig, doch bleiben sie beständig mit da« (Phänomenologie der Wahrnehmung, S. 92). 744 Zur Bedeutung des Adjektivs, das im folgenden Dialog zwischen Gawan und Orgeluse auch metaphorisch verwendet wird (mîn dürkel freude; 601,16), vgl. Gilmour: Stellenkommentar zu 178,4, S. 314-316. zierter, dann offenbar faszinierter und an der schließlichen Dekonstruktion interessierter Umgang mit dem Medium deutet auf ein mögliches Modell auch für die Parzival-Lektüre, nicht hingegen auf eine Methode, die zu tieferer Erkenntnis führte: Der Blick in die Säule ist zwar fordernd, aber letztlich nur eine Zuspitzung der Herausforderungen, die die Weltwahrnehmung im Allgemeinen mit sich bringt: »j’appuie mon regard sur un fragment du paysage, il s’anime et se déploie, les autres objets reculent en marge et entrent en sommeil, mais ils ne cessent pas d’être là.« 743 Im Anschluss an die Episode auf Schastel marveile reitet Gawan zum Kampf gegen den in der Wundersäule erblickten Turkoyten Florant von Itoljac aus, geplagt sowohl von seinen Wunden als auch, stärker noch, von der Minne und dem Kummer der Damen (vgl. 595,5-7): Sie fürchten, Gawan könnte in seinem noch immer geschwächten Zustand einen weiteren Kampf nicht überstehen, schon das Anlegen der schweren Rüstung ihm tödlich zusetzen: sult ab ir vor im genesn, / welt ir in harnasche wesn, / iu nement iur êrsten wundenz lebn (594,27-29). Und tatsächlich: Nicht nur sein harnasch macht dem verwundeten Ritter zu schaffen, auch der vom Kampf auf dem Schloss gezeichnete Schild erweist sich abermals als Belastung: Gâwân begunde slîchen aldâ Gringuljete stuont. doch was er sô sêre wuont, den schilt er kûme dar getruoc: der was dürkel ouch genuoc. (595,24-28) Das Gewicht der Verteidigungswaffe wird nicht, wie im Falle des Adamas (vgl. u. a. 70,20- 26), zur Eigenschaft des Gegenstands erklärt, sondern auf die Schwächung des verwundeten Helden zurückgeführt. Wie bereits im Kampf gegen Lit marveile, in welchem sich der Schild insbesondere aufgrund der Glätte des Bodens als hinderlich erwiesen hat, ist Gawan auch hier der Widrigkeit äußerer Einflüsse und Bedingungen ausgesetzt, konkreter seiner körperlichen Versehrtheit, die abermals in sinnfällige Entsprechung zu seinem von Pfeilen durchlöcherten Schild tritt: Wie die Figur wuont ist der Schild ouch dürkel, also von Pfeilen durchlöchert. 744 Damit avanciert der alte Schild Plippalinots zum äußerlich sichtbaren Indikator von Gawans körperlicher Verfasstheit, zur zweitkörperlichen Abbildung des verletzten Erstkörpers sowie zum Dingsymbol des auf Clinschors Burg bestandenen Kampfes. Das mit der Leihgabe des Schildes im Vorfeld der âventiure etablierte Handlungsmuster wird nun, bei Gawans Ausritt, wieder aufgegriffen: Hatte auf Schastel marveile der Schild auf den Charakter der zu erwartenden Kämpfe vorausgewiesen, so ist es nun ganz analog 267 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 745 BMZ II/ 2, Sp. 60a. 746 Vgl. Gephart: Vom Geben und Nehmen, S. 184 (s. bereits Anm. 515 und 638 dieser Arbeit). 747 Mersmann: Der Besitzwechsel und seine Bedeutung, S. 138. 748 Zur helmsnuor Nellmann: »Das Treffen der Helmschnur galt als einer der besten Stiche […]. Die Helmschnur am Hals war nur unvollkommen vom Schild geschützt« (Stellenkommentar zu 440,20, S. 660). ein Speer, starc und unbeschabn (596,5), sprich: »nicht glatt geschabt«, 745 der Gawan von Plippalinot gewert[] (596,4) wird, und der seinerseits ebenfalls auf die Eigenart des nachfolgenden Kampfes gegen den Turkoyten vorausweist - dieser nämlich kämpft, wie der Erzähler wenig später erwähnt, mit spern sunder swert (596,24). Zum wiederholten Male offenbart Plippalinot somit sein weitläufiges Wissen von den Gawan erwartenden Kämpfen und den für diese notwendigen Dingen - mit der Vergabe der jeweils angemessenen Waffen trägt er wesentlich zu Kampferfolg und Handlungsfortschritt bei, er macht so zugleich die eingeschränkte Handlungsmacht des nicht nur dem Raum und den Dingen ausgesetzten, sondern auch von fremder Unterstützung abhängigen und körperlich eingeschränkten Artusritters augenfällig. An der vorliegenden Stelle wird die Souveränität des Fährmanns im Verfügen über die Dinge noch eigens dadurch hervorgehoben, dass in zwei Versen gedrängt über die Vorgeschichte des überreichten Speers Auskunft gegeben wird: er het ir manegez ûf erhabn / dort anderhalp ûf sînem plân (596,6f.), in Versen mithin, die den Fährmann noch einmal als Parasit der ritterlich-höfischen Gesellschaft, als ›Sammler‹ in Erinnerung rufen (vgl. bereits 543,30-546,29) 746 und überdies implizit über die Qualität des Speers informieren: d. h. der Speer hatte seine Festigkeit schon in einem Kampf bewiesen, und es wird so glaubwürdig, daß er den bevorstehenden Belastungen im Kampf gegen Florand und bei der Rettung Gringuljetes standhält. Durch den Besitzwechsel gewinnt Wolfram eine zusätzliche Motivierung für die Stärke des Speers über die reinen Angaben seiner Eigenschaften hinaus […]. 747 Ungleich dem mittlerweile durchlöcherten Schild Plippalinots erweist sich sein Speer nach dem Sieg über den Turkoyten als unverwüstliche und auch diesen Kampf unbeschadet überstehende Waffe (vgl. 600,1-5) - somit sind die ursprünglich vom Plimizoel mitge‐ nommenen, ausgestelltermaßen bedeutungsleeren Verbrauchsgegenstände allesamt durch bedeutungsträchtige und mit zentralen Handlungsfunktionen versehene Semiophoren ersetzt. Nachdem Gawan die Waffen Plippalinots, schilt unde sper (597,15), vor Kampfbeginn aus dessen Hand erhalten und sein Pferd Gringuljete bestiegen hat, beginnt ein Kampf, der sich wie schon diejenigen gegen Lit marveile und Lischoys Gwelljus als Kampf zwischen Figur-Ding-Hybriden darstellt. Die Handlungen der Kämpfenden werden nun jedoch nicht an ihren Bewegungen durch den Raum nachvollziehbar, im Fokus der tjost-Darstellung stehen vielmehr zunächst die Helme der Helden: wâ hât diu helmsnuor ir stric? (597,28), fragt der Erzähler, um im Folgevers die Antwort zu geben, dass Gawan eben dort, am Knoten der unter dem Helm am Hals befestigten Helmschnur, 748 vom Turkoyten getroffen worden sei (vgl. 597,29). Auch die Schilderung der Reaktion Gawans ist darauf beschränkt, das räumliche Ziel seines Speerstoßes zu bezeichnen: Gâwân ruort in anderswâ - nicht an der Helmschnur also -, / Durch die barbiere (597,30f.). An die Stelle einer kontinuierli‐ chen Bewegung der Figuren durch den Raum tritt hiermit der Gegenstand ›Helm‹ als 268 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 749 Bartsch/ Marti: Stellenkommentar zu 598,6, Bd. 2, S. 278. 750 »Wieder macht Wolfram die Bewegung seines Helden nicht mit, er bleibt am Ort, aber wohl kaum identifizierend, und obwohl er bald darauf wieder Gawan aus gewohnter Perspektive heransprengen läßt, widmet er zunächst einige Verse dem unglücklichen Turkoyten. Es ist, als ob sich Wolfram nicht damit zufrieden gibt, auf einer Seite zu stehen, wenn die Welt sich bewegt: er versucht immer auch das andere zu würdigen, indem er dessen Position ›probeweise‹ einnimmt. (Wie sich später herausstellen wird, ist dies ein Merkmal seiner Bewegungsvorstellung schlechthin; Wolframs Bewegungen sind häufig ›bilokal‹.)« (Beck: Raum und Bewegung, S. 41; z. St. vgl. auch ebd., S. 106). 751 Die Periphrase, wie Blamires vorschlägt, auf Gawan zu beziehen, ist m. E., sowohl einen anaphori‐ schen Bezug der Stelle (auf das Subjekt man im vorangehenden Vers) als auch einen kataphorischen Bezug (auf das Pronomen er im Folgevers) zugrunde legend, nicht möglich; in beiden Fällen ist ja unzweideutig vom geschlagenen und auf dem Boden liegenden Turkoyten die Rede (vgl. Blamires: Characterization and Individuality, S. 366). 752 Gegen die verbreitete Auffassung von zimierde als »Kostbarkeiten, die ihn geschmückt hatten« (so die Übersetzung von Knecht), schlägt Mohr folgende Übersetzung der Verse 598,10f. vor: »Es blühte seine große / Helmzierde bei den Blumen mit«. Die Annahme dieser Wortbedeutung setzte das unerzählte Detail voraus, dass der Helm des Turkoyten oder dessen Helmfigur von Gawans Speer auf den Boden fällt. komplexes Raumelement, auf und an dem sich der Kampf kurzzeitig abspielt, und der so, wie vergleichbar bereits Gawans Zügel, im Zuge einer kunstvollen Variation klassischer Zweikampfdarstellung zum vorstellbaren und dreidimensional-raumgreifenden, ja: den Handlungsraum substituierenden Gegenstand wird. Nach dem lakonisch erzählten Sieg Gawans wird diese Form der Raumdarstellung noch einmal invertiert, wird der Helm als sich nun im Handlungsraum bewegender Akteur dem geschlagenen und unbeweglichen Turkoyten »scherzhaft […] entgegengesetzt« 749 : hin reit der helm, hie lac der man, der werdekeit ein bluome ie was, unz er verdacte alsus daz gras mit valle von der tjoste. sîner zimierde koste ime touwe mit den bluomen striten. (598,6-11) Der Szene ist zum einen eine wolframtypische Form der Bewegungs- und Raumdarstellung abzulesen, die mit Beck als ›bilokal‹ zu beschreiben ist, 750 zum anderen eine sprachliche Tendenz, die dem Rezipienten bereits wohlbekannt ist: der unvermittelte Wechsel zwischen figurativer und literaler Wortbedeutung. Nachdem der Turkoyte zunächst metaphorisch als der werdekeit ein bluome beschrieben wird, 751 folgt ein Vergleich seiner zimierde mit den auf der Wiese befindlichen unmetaphorischen Blumen - ob nun mit der zimierde die bereits fortgerittene Helmzier des Besiegten gemeint ist oder, dieses Verständnis wird von einer Mehrheit der Übersetzer favorisiert, die prächtige Ausrüstung, die der Ritter am Körper trägt, ist hierbei kaum zweifelsfrei zu entscheiden. 752 In beiden Fällen ist ein Perspektivwechsel indiziert, der bereits in der Gegenüberstellung von anthropo‐ morph-wegreitendem Helm und am Boden liegender Figur thematisch wird und nun in dem einst dem Ritter zugekommenen Preis seiner Ausrüstungsgegenstände mündet. Während die Figur nach ihrem Sturz und der Trennung von ihrem Helm nur mehr das Gras verdeckt, sind es die Gegenstände, denen das Lob des Erzählers zukommt, die im Ensemble 269 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 753 Friedrich: Menschtier und Tiermensch, S. 263. 754 Schirok: Der Aufbau von Wolframs Parzival, S. 527. 755 Emmerling: Geschlechterbeziehungen, S. 116. mit den Naturelementen zum ästhetisch ansprechenden Stillleben avancieren, und deren ästhetischer Wettstreit mit den bluomen an die Stelle des Kampfes zwischen den Figuren rückt. Auf Gawans Sieg über den Turkoyten folgt ein Dialog mit Orgeluse, die als Erstes auf sein plastisches Schildwappen, den Fuß des auf Schastel marveile überwundenen Löwen, des »heraldische[n] Tieres par excellence« 753 , zu sprechen kommt und »beim Anblick von Gawans Schild auf diese Szene [den Kampf Gawans mit dem Löwen; S.W.] an[spielt]« 754 : ›ir vröut iuch gerne, west ir wes,‹ sprach Orgelûs diu clâre Gâwâne aber ze vâre, ›durch taz des starken lewen fuoz in iwerem schilde iu volgen muoz. nu wænt ir iu sî prîs geschehn, sît dise frouwen hânt gesehn iwer tjost alsô getân. wir müezen iuch bî fröuden lân, sît ir des der geile, ob Lît marveile sô klein sich hât gerochen. iu ist doch der schilt zerbrochen, als ob iu strît sül wesen kunt. ir sît ouch lîht ze sêre wunt Uf strîtes gedense: daz tæte iu wê zer gense. iu mac durch rüemen wesen liep der schilt dürkel als ein siep, den iu sô manec pfîl zebrach. […]‹ (598,16-599,5) Orgeluses provokant-»gesalzene Spottrede« 755 nimmt ihren Ausgang von einer Betrach‐ tung des Gawan’schen Schildes: Dieser wird auf engstem Raum gleich dreimal aus unterschiedlicher Perspektive zum Thema, zunächst mit Blick auf den Löwenfuß als metonymisches Zeichen der tjost auf Clinschors Schloss, dann auf die Materialität des Schildes selbst als Symbol der körperlichen Verfasstheit seines Besitzers und abschließend mit Blick auf die dem Schild eingeschriebenen Kampfspuren. Die anthropomorphisierend angesprochene Löwentatze (vgl. 598,19f.) wird zum dinglichen Index, der von Orgeluse kurzerhand als Grund für Gawans vröude über seinen Sieg auf Schastel marveile gelesen wird (vgl. 598,16; 598,24f.). Die spöttelnde Aussage, der Löwenfuß müsse seinem Besitzer volgen, ruft in Erinnerung, dass sich auf Gawans Schild gerade kein konventionelles Wappenzeichen befindet, sondern ein tatsächlicher, dreidimensional-plastischer Fuß, pars pro toto des besiegten Tieres und, ausweislich der Wortwahl Orgeluses, quasi-lebendiges 270 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 756 Beim Sprung über die gefährliche Furt (s. u.) stürzt Gringuljete ins Wasser; Gawan, abermals eingeschränkt unter der Last seiner schweren Rüstung (vgl. 603,3), kann Plippalinots Waffen, Speer und Schild, gerade noch aus den Fluten bergen (vgl. 602,26-603,19). 757 Schirok: Der Aufbau von Wolframs Parzival, S. 527. Symbol der Bewegung. Der Zustand des Gegenstands (zerbrochen) gibt anschließend Aus‐ kunft über das zurückliegende Geschehen (den strît), er wird abermals mit der Versehrtheit seines Trägers in Verbindung gebracht (zerbrochen - wunt). Die Spuren des Kampfes, die von den Pfeilschüssen herrührenden Löcher (vgl. 599,4f.), werden abschließend auf die mutmaßliche kommunikative Intention Gawans hin durchsichtig gemacht: Er wolle sich mit einem solchermaßen ramponierten Verteidigungsgegenstand rühmen. Die Zeichen der von Gawan noch im Kampf entfernten Pfeile fungieren in Orgeluses Sicht also als ›semiologisierbare Spuren‹, anhand derer sich sowohl das Geschehen auf Schastel marveile noch konkreter rekonstruieren als auch die Intentionen Gawans deuten lassen. Der Schild erweist sich als vielschichtiger Zeichenkomplex, der sichtbare Indizes und auf Vergangenes deutende Spuren versammelt. Nachdem bereits Gawans Zügel von Orgeluse als Zeichen gelesen und als solches für die eigenen Absichten instrumentalisiert wurde, ist es nun sein Schild, der in seiner komplexen Materialität ein breites Deutungsangebot macht, welches Orgeluse im Sinne ihrer Handlungsziele zu interpretieren weiß. Ein weiteres und letztes Mal wird dieser Schild in der anschließenden Begegnung mit Gramoflanz erwähnt - seine Anwesenheit war vom Erzähler bereits kurz zuvor, bei der Überquerung von Li gweiz prelljûs in Erinnerung gerufen worden. 756 Ganz im Gegensatz zu Orgeluse fokussiert sich dieser auf einen einzigen Aspekt des Schildes, auf seine Ramponiertheit, die gleichermaßen über die Vergangenheit wie das Ziel Gawans (strît) Auskunft gibt und im Kontrast zur eigenen Erscheinung steht: der künec reit ân alle wer: wander fuorte swertes niht. ›iwer schilt iu strîtes giht,‹ sprach der künec Gramoflanz. ›iwers schildes ist sô wênec ganz: Lît marveile ist worden iu ze teile. ir habt die âventiure erliten, diu mîn solte hân erbiten. […]‹ (605,20-28) Abermals macht der Schild die vergangene Aventiure auf Schastel marveile sichtbar, die Schild-Lektüren Orgeluses und anschließend Gramoflanz’ divergieren indes und weisen den Gegenstand als polysemen aus: Während von Orgeluse insbesondere die Löwentatze als auffälligstes Zeichen verhandelt wird, »erwähnt [dagegen] Gramoflanz nur die Spuren, die Lit marveile, das Wunderbett hinterlassen hat, also die Beschädigungen von den Steinen und Pfeilen.« 757 In dessen Ausführungen werden Materialität und Ramponiertheit des Schildes zu Zeichen für den bestandenen Kampf, für den Gramoflanz vorenthaltenen prîs, wie für eine künftige Auseinandersetzung, die der König sich hier allerdings noch versagt, da Gawan ihm, dem Bestehen des Schastel marveile-Abenteuers zum Trotz, kein würdiger Gegner zu sein scheint, er nur gegen mehrere Ritter und auch erst 271 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher vor einem würdigen Publikum auftreten möchte. Wie Orgeluse instrumentalisiert also auch Gramoflanz das Ding und dessen Auslegung, um Gawan zu erniedrigen. Mit den divergierenden Schildlektüren ist zudem ein Motiv aufgegriffen, das in Gawans Deutung des schilt-gereite-Ensembles grundgelegt, im Medium ›Wundersäule‹ auf Poetologisches hin transparent gemacht wurde und das im späteren Zweikampf zwischen Gawan und Parzival kulminieren wird: der ausschnitthafte Blick auf ein überdeterminiert-schillerndes Dingsymbol. Einerseits wird die Fokussierung der Wahrnehmung somit neuerlich als Bedingung geordnet-sinnstiftender Wahrnehmung kenntlich, andererseits eben bereits als perspektivengebundene Interpretation, als potentiell anfällig für ein fatales Verkennen oder eine Auslegung der Wirklichkeit im Sinne der jeweiligen Betrachterin oder des Betrachters ausgewiesen. Im Rückblick auf die hier besprochenen Gegenstände in den Gawan-Büchern kann zunächst eine konsequent-schrittweise Bewegung der Supplementierung festgehalten werden: Ga‐ wans Weg durch die epische Welt geht einher mit der Aneignung von bedeutungsträchtigen Gegenständen - seien es Waffen und Ausrüstungsbestandteile wie Schild, Speer und Pferd, durch welche die vormaligen, allesamt bedeutungslosen Besitztümer des Ritters ersetzt werden, und deren Erwerb und weitere Narrativierung gewissermaßen prozessual, nach der Logik der Addition Sinn stiftet und die Außenseite des Ritters schrittweise zu einem vieldeutigen Symbolkomplex transformiert; oder seien es poetologisch so aussagekräftige Gegenstände wie die Wundersäule und die mit ihr verbundenen Reichtümer der Secundille, deren Erwerb in augenfälligen Kontrast tritt zum einen zur agonalen Form der Aneignung - wie sie auch der Objektbiographie der Säule eingeschrieben ist -, zum anderen zur designativen Übereignung, wie sie im Falle Parzivals und des Grals zur Anschauung kommen wird. Insbesondere die Verteigigungswaffe Schild avanciert im Verlauf der Gawan-Bücher zum Schlüsselgegenstand des Ritters: Bereits im VII. und VIII. prominent inszeniert, lassen sich im zweiten Gawan-Teil neuerlich materielle und symbolische Transformationen dieser Waffe nachvollziehen. Schlussendlich visualisiert der durchlöcherte und in Entsprechung zum Erstkörper des Helden geschundene, mit einem Löwenfuß als Quasi-Wappen und Tro‐ phäe versehene Schild die Geschehnisse auf Schastel marveile, er leitet zu divergierenden Lektüren der ihm eingeschriebenen Spuren, Symbole und Indizes an und wird so zur materialisierten âventiure, zum Objekt, das aufs Engste mit Gawans ritterlicher Bewährung verknüpft ist, das jedoch im Gegensatz zum Ritter nicht von Arnives Heilkünsten gesunden kann und somit einen spezifischen Moment der Gawan-Vita, seinen ›Durchgang durch den Tod‹ auf Schastel marveile, dauerhaft präsent hält. In diesem Ding wird Vergangenheit gegenwärtig und interpretabel, die vielfältigen materiellen Transformationen des Schildes überführen das sukzessiv Erzählte ins mehrdeutige Spuren und Zeichen auf einen Blick präsentierende Bild. Wie die übrige Ausrüstung Gawans ist damit auch Plippalinots Leih‐ gabe zum beredt-verdichteten Symbol des Erzählten geworden, zum Zeichenkomplex, der zugleich als materiell-schwerer Gegenstand, als ebenso eigensinniger wie widerständiger Akteur firmiert. 272 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 758 Merleau-Ponty: Le visible et l’invisible, S. 181. Übersetzung: »[E]s gibt einen grundlegenden Narzißmus für jedes Sehen; und aus demselben Grunde erleidet das Sehen, das er [der Sehende, der vom Gesehenen eingenommen ist] praktiziert, auch vonseiten der Dinge, und - wie man von Malern oft sagt - fühle ich mich von den Dingen beobachtet, und meine Aktivität ist gleichermaßen eine Passivität - was der zweite und tiefere Sinn des Narzißmus ist: nicht wie die Anderen den Umriß eines Leibes sehen, den man bewohnt, sondern vor allem gesehen werden von ihm, existieren in ihm, auswandern in ihn, verführt, gefesselt und entfremdet werden durch das Phantom, sodaß Sehender und Sichtbares sich wechselseitig vertauschen und man nicht mehr weiß, wer sieht und wer gesehen wird« (Das Sichtbare und das Unsichtbare, S. 183). 759 Selent: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte? , S. 109. 2.4.5 Verwandtenkampf II: Parzival und Gawan, harnasch und rîs [I]l y a un narcissme fondamental de toute vision ; et que, pour la même raison, la vision qu’il exerce, il la subit aussi de la part des choses, que, comme l’ont dit beaucoup de peintres, je me sens regardé par les choses, que mon activité est identiquement passivité - ce qui est le sens second et plus profond du narcissme : non pas voir dans le dehors, comme les autres le voient, le contour d’un corps qu’on habite, mais surtout être vu par lui, exister en lui, émigrer en lui, être seduit, capté, aliené par le fan‐ tôme, de sorte que voyant et visible se réciproquent et qu’on ne sait plus qui voit et qui est vu. 758 Im Schlussteil des Romans, der in Wolframs fragmentarischer Vorlage, Chrétiens Perceval, wie auch die ersten beiden Bücher nicht überliefert ist, kommt es zu einer kämpferischen Auseinandersetzung zwischen den beiden Protagonisten, zwischen Parzival und seinem Freund und Verwandten Gawan. Sowohl Parzival, dessen rotes harnasch mittlerweile Signum seines neuen Trägers ist, als auch Gawan tragen als Helmzier einen kranz, der eine korrekte Identifizierung der Verwandten schier verunmöglicht. Insbesondere dieser Gegenstand, das zu einem kranz geflochtene rîs auf den Helmen der sich verkennenden Protagonisten, soll an dieser Stelle einer eingehenderen Betrachtung unterzogen werden. Als ›Gnorisma eines Anderen‹, nämlich des Gramoflanz, ist diesem Gegenstand im Gegen‐ satz zu den anderen Ausrüstungs- und Identifikationsmerkmalen der Verwandten eine Aura zu eigen, die den klugen Blick, der das Gegenüber in seiner Gesamtheit wahrzunehmen vermöchte, ausschaltet und ein ebenso blindes wie potentiell verhängnisvolles Kämpfen initiiert. Für den aufwendig erzählten Verwandtenkampf hat Wolfram, wie zuletzt von Cornelia Selent beobachtet, eine Laborsituation geschaffen […], da die Verkennung keine wirkliche situative Notwendigkeit besitzt, dafür jedoch die Gelegenheit bietet, das Problem der Darstellung eines brisanten Freundes- und Verwandtenkampfes dichterisch zu bewältigen 759 - und überdies die Funktionen der ritterlichen Ausrüstung, die Beteiligung der Dinge am Zweikampfgeschehen insbesondere auf ihr fatales Potential hin transparent zu machen. 273 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 760 Dass Gawan in Meljanz’ Partei Ritter mit Artûss herzeichen (382,13) an ihren Wappen erkennt (vgl. 383,11) und dem Kampf mit ihnen aus dem Weg geht (vgl. 383,15), demonstriert einen konfliktfreien Ablauf des Erkennens und kann als verdeckte Andeutung des späteren Verwandtenkampfes gelesen werden - zumal vor Bearosche eben auch ein ritter allenthalben rôt: / der hiez der ungenante, / wande in niemen - mithin auch Gawan nicht - dâ bekante (383,24-26), auftritt. Dass in dieser beiläufig erzählten Passage das Leitmotiv ›Verwandtenkampf‹ bereits angedeutet wird, betont Wolfgang Mohr: »Es gehört zum Verhängnis des Rittertums, daß man, ohne es zu wissen, im Gegner seinem Freunde und Menschenbruder begegnen kann. Hier wirkt das Motiv als ›epischer Doppelpunkt‹, es weist voraus auf das alsbaldige Erscheinen Parzivals auf der Gegenseite und alles, was damit zusammenhängt« (Obie und Meljanz, S. 111, s. auch ebd., S. 112); vgl. auch Schmitz: Gauvain, Gawein, Walewein, S. 195f. Zur Stelle vgl. auch Anm. 494 dieser Arbeit. 761 Zu dieser merkwürdigen als Fremdtextreferenz getarnten Vorausdeutung auf die eigene Erzählung am Anfang des XII. Buches Draesner: »Hierfür [für das Abenteuer an der Gefährlichen Schlucht; S.W.] liegt kein Prätext eines anderen Autors vor. Es handelt sich vielmehr um einen intratextuellen Verweis innerhalb des Parzival, der sich allerdings auf etwas bezieht, wovon erst noch erzählt werden muß. Der Text Wolframs integriert sich hier selbst in die Kette der von ihm eingesetzten intertextuellen Referenzen […] und reflektiert sich somit in seiner eigenen Literarizität« (Wege durch erzählte Welten, S. 361). 762 Eine deutliche Grenzziehung zwischen profanem und sakralem Raum, eine trennscharfe Untertei‐ lung der objektiven Welt »in bestimmte Bezirke des Daseins« bei gleichzeitiger Wahrung einer »mythisch-organischen Einheit« ist nach Cassirer zentral für die mythische Raumordnung; vgl. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil, S. 106. - Die Handlungsfolge von Kranzbrechen und Erscheinen des Baumwächters Gramoflanz impliziert überdies eine mythostypi‐ sche Form der Kausalität. Dass Wolfram die bei Chrétien an dieser Stelle vorgebildete mythische Raumstruktur neubesetzt und die Grenze zu einer auch »politischen Institution« transformiert, zeigt Wolf: Ein Kranz aus dem Garten des Gramoflanz, S. 31. In den vorangehenden Büchern zehn bis dreizehn wird Parzivals Weg zugunsten des Raum- und Zeitfilters Gawan ausgeblendet. Es kommt jedoch, wie bereits an früherer Stelle beobachtet, zu zufällig anmutenden Überlappungen beider Handlungsstränge, etwa wenn Parzival noch vor Gawan bereits Orgeluse begegnet ist oder im Kampfgetümmel vor Bearosche erscheint. 760 Und auch die Begegnung der Verwandten auf Joflanze steht, in einer Welt der ›epischen Totalität‹ (Elisabeth Schmid), im Zeichen des Zufalls. Nachdem Orgeluse, die Herzogin von Logroys, den ihr verfallenen Gawan bereits mehrfach gegen andere Ritter in den Kampf geschickt hat, stellt sie ihn auf die härteste aller Proben: Er soll die Gefährliche Schlucht, Li gweiz prelljus, überqueren, auf die Wolfram schon in 583,25 vorausgedeutet hatte, 761 und ein rîs von einem Baum aus Clinschors Wald brechen - eine symbolische Handlung, die den Wächter des Baumes, Gramoflanz, zum Kampf auffordert, motivlich vergleichbar etwa mit dem Begießen der Schale in Hartmanns Iwein oder dem dreimaligen Schlagen der Glocke in der Brunnenaventiure des Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven, überdies eine eigene Zutat Wolframs: Chrétien kennt nur das Schluchtmotiv, keinen Kranz (vgl. Perc., 8498-8614). Besonders augenfällig ist an dieser Stelle die Verdichtung mythischer Motive auf Raumwie auf Handlungsebene: So ist der Wald durch eine Schlucht und einen reißenden Fluss, tief, ungeverteclîche (602,11), von der profan-blumigen Umgebung (vgl. 601,1-3) deutlich separiert. Die Grenztransgression erweist sich, selbst für den ›Musterritter‹ Gawan, als beinahe unmöglich. 762 Nachdem Gawan daz rîs gebrach (604,7) und es an seinem Helm angebracht hat, erscheint Gramoflanz, hochmütig und ohne Kampfausrüstung (unwerlîche; 605,2), stattdessen in prachtvoll-exotische Textilien gekleidet und mit einem mûzersperwære (605,4) auf der Hand: 274 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 763 Zu dem komplexen, schon früher einsetzenden und hier noch nicht abgeschlossenen Wandlungs‐ prozess der noch immer auf Rache sinnenden Orgeluse vgl. Emmerling: Geschlechterbeziehungen, S. 150-152. 764 Auch »[d]aß Artus Gramoflanz zu diesem Kuß auffordert (724,14-18), sollen wir gewiß als Hinweis darauf lesen, daß die öffentliche Liebesgeste als wichtiger Baustein im Versöhnungswerk des Königs fungiert. Ihren strategischen Wert muß man erschließen. Er dürfte zum einen darin liegen, daß das Öffentlichmachen der Liebe zwischen Itonje und Gramoflanz die Voraussetzung dafür schafft, daß alle begreifen, wie widersinnig und grausam der geplante Kampf ist […]. Zum anderen wäre zu überlegen, ob man auf diese Weise Gramoflanz’ Friedensbereitschaft zu stimulieren sucht« (Brüggen: Inszenierte Körperlichkeit, S. 217). Itonjê het in im gesant, / Gâwâns süeziu swester (605,6f.). Itonje und Gramoflanz verbindet ein denkbar radikales Fernminneverhältnis, das ausschließlich über die Zirkulation von Gaben, einem Ring, Briefen, diesem Sperber und mutmaßlich weiteren Objekten, geknüpft ist: Die Fährmannstochter Bene geht heimlich in Schastel marveile ein und aus, um den Liebenden dies- und jenseits der Burg ihre Gaben auszuhändigen. Gawan rückt nun auf Gramoflanz’ Bitte hin in diese Botenfunktion ein: wil iwer trôst mir helfe jehn, / sô bringt diz kleine vingerlîn / der clâren süezen frouwen mîn (607,14-16). Damit befinden sich nun zwei neue Gegenstände in Gawans Besitz: ein Ring, der Itonje der Minne des Ritters versichern soll, und der symbolische Ausdruck von Gramoflanz’ ›ver‐ äußerlichter Ritterethik‹ (vgl. Anm. 781), das den noch zu erzählenden Zweikampf bereits ankündigende rîs. Wie Ring, Brosche und gabylôt in Parzivals kochære symbolisieren auch die von Gawan auf- und eingesteckten Dinge das Nebeneinander von Kampf und Minne, sie indizieren überdies abermals die fatale Kontamination des Minnedienstes mit einem im Falle von Gramoflanz besonders überzeichneten, blinden Kämpfen, dies umso augenfälliger, wenn Gawan nach seiner Rückkehr zu Orgeluse dieser den Kranz als Minnegabe überreicht: nemt hin den kranz (612,15), diese zu Tränen rühren und so, auch aufgrund des nun endlich nahenden und aus ihrer Perspektive wohl aussichtsreichen Rachekampfes, ihrer ›Wand‐ lung‹ noch einmal Ausdruck zu verleihen motivieren wird (vgl. 612,21-614,17). 763 Der kranz ist somit doppelt codiert, als Symbol von Gramoflanz’ Ehre und als Minnegabe Gawans, im Ensemble mit dem vingerlîn zeigt er die für die nun folgenden Handlungsteile zentralen Verwicklungen an, den Konflikt zwischen Minne (Gawan-Orgeluse, Gramoflanz-Itonje), Verwandtschaft (Gawan-Itonje), Rache (Orgeluse-Gramoflanz, Gramoflanz-Gawan) und Kampf (Gawan-Parzival, Gawan-Gramoflanz). Die ausschließlich virtuell, über die Dinge vermittelte Minne zwischen Gramoflanz und Gawans Schwester, die in ihrem Leben noch keines anderen Ritters ansichtig geworden ist als Gawans (vgl. 632,14-22 sowie 712,22), materialisiert sich, diejenige zwischen Gahmuret und Amphlise spiegelnd, in einem Ring - und es ist gerade diese naive und unwahrscheinliche Minne, die letztlich zur Erfüllung kommen wird, nicht die über ein materielles Großsponsoring vermittelte Amphlise-Minne. Überdies wird sich die Itonje-Minne als Bedingung für eine Schlichtung des Konflikts auf Joflanze erweisen: Artus’ Einschätzung nach wird der Zweikampf zwischen Gawan und Gramoflanz stattfinden, ezn understê diu minne dîn (712,17), auch für Brandelidelin, Gramoflanz’ Onkel, ist diese Auseinandersetzung nur von Itonje zu schlichten (vgl. 727,1- 8) 764 - die Dinge in Gawans Besitz symbolisieren also nicht nur die aporetische Verbindung von Kampf und Minne, von minne und unminne (719,23), sie deuten auch auf eine Lösung voraus, in der Gewalt und Leid, symbolisiert durch das rîs, gerade durch die Minne, im 275 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 765 Lienert deutet einen Bezug zum Minneverhältnis zwischen Parzival und Condwiramurs an: »Diese Beziehung - und nur sie (auf der Handlungsebene vielleicht noch die von Gramoflanz und Itonje) - wird sprachlich pointiert außerhalb des Gewaltdiskurses gestellt« (Begehren und Gewalt, S. 206). 766 Mohr: König Artus und die Tafelrunde, S. 200. 767 Vgl. Nellmann: Stellenkommentar zu 690,20, S. 750. Zeichen des Rings, überwunden werden könnte, in der Gramoflanz seinen kranz letztlich verkiesen muss (vgl. 728,11f.). 765 Wie bei Wolfram von Eschenbach üblich wird erst im Anschluss an den Kranzraub die komplexe Motivationsstruktur hinter dem Verhalten der handelnden Figuren offengelegt: So trachtet Orgeluse nach Rache an Gramoflanz, da dieser einst ihren Ehemann Cidegast erschlagen hat, und Gramoflanz wiederum will, nachdem er herausgefunden hat, wer ihn durch den Kranzraub zum Kampf gefordert hat, seinen Vater Irot rächen, indem er den Sohn seines Mörders, eben Gawan, zum Zweikampf fordert - ein Motiv, das indes schnell überlagert wird von Gramoflanz’ Fixierung die Rückgewinnung seines Kranzes (vgl. 610,21-24; 664,14; 683,3f.). Gerade in dem Moment, in dem Gawans Inkognito einen sinnlosen Zweikampf verhüten könnte, gibt er es preis: Der Kampf soll auf dem plân ze Jôflanze vor den Augen von König Artus, unter dem Blick der höfischen Öffentlichkeit ausgefochten werden. Über diesen Raum berichtet Wolfram signifikanterweise erst im Anschluss an die Kampfschilderung, ganz als habe die zuvor erzählte Handlung die gesamte Konzentration des emotional hochgradig involvierten Erzählers auf sich gezogen und von Raum und Raumrequisiten abgelenkt: ûz beiden hern geselleschaft mit storje kômen hie unt dort, ieweder her an sînen ort, dâ ir zil wârn gestôzen mit gespieglten ronen grôzen. Gramoflanz die koste gap durch sîns kampfes urhap. der boume hundert wâren mit liehten blicken clâren. dane solte niemen zwischen komn. si stuonden (sus hân ichz vernomn) vierzec poynder von ein ander, mit gevärweten blicken glander, fünfzec iewedersît. (690,16-29) Der außergewöhnlich große Kampfplatz wird begrenzt von insgesamt einhundert Baum‐ stämmen, deren Glänzen vom Erzähler eindrücklich in Szene gesetzt wird. Es ist wohl darauf zurückzuführen, dass sie von dem prunkliebenden, »fast wie ein orientalischer Pascha« 766 auftretenden Gramoflanz gespiegelt, also - dem Kommentar Eberhard Nellmanns zufolge - entrindet, geglättet und so zu spiegelndem Glanz gebracht worden sind. 767 An diesen im Raum befindlichen Requisiten wird ersichtlich, dass der Kampfplatz von Joflanze ein Ort der visuellen Wahrnehmung ist, ein Ort mithin des Ver- und des späten 276 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 768 Hierzu am Rande Richter: »Er [Parzival] stiehlt sich auf dem Feld von Joflanze heimlich davon, um an Gawans Stelle mit Gramoflanz zu kämpfen. Signifikanterweise ist diese Begebenheit verknüpft mit dem Motiv des Spiegels, da Gramoflanz und Parzival auf einem Platz kämpfen, der von großen, spiegelglatt polierten Baumstämmen begrenzt wird« (Spiegelungen, S. 135). 769 Schu: Vom erzählten Abenteuer, S. 18. 770 Zur Emotionalität des Erzählers und der in seinen Mitleidsbekundungen ausgestellten »doppelte[n] Zeitlichkeit« vgl. Zudrell: Was fühlen Erzähler? , S. 52. Vgl. überdies die von Selent angestellten Überlegungen zur emotionalen Involviertheit Wolframs: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte? , S. 109-118 sowie Nellmanns Skizze der Erzählerfigur, insbesondere seine Interpretation von Wolframs ›affektiven Eingriffen‹ (Wolframs Erzähltechnik, S. 149-158). Erkennens. 768 Mit der Personifizierung der spiegelnden Bäume (mit gevärweten blicken glander) vervielfacht der Erzähler die in dieser Szene ausgetauschten ›Blicke‹ und variiert so ein bereits u. a. aus dem Prolog vertrautes Motiv: Ganz wie dort Spiegel und Blindentraum nur antlützes roum (1,22) zu erzeugen vermochten, also eine undifferenzierbare Masse von im Milchrahm erscheinenden und den Betrachter spiegelnden Gesichtern und Blicken, wie zu Beginn des X. Buches das blicken eines Schildes Gawans Aufmerksamkeit auf ein komplexes Dingeensemble hatte richten lassen, so sind es hier die den Kampfplatz umgebenden und die Kämpfenden scheinbar anblickenden Bäume, die diese Szene des fatalen Verkennnens räumlich rahmen, erweist sich der Parzival neuerlich als Roman, der im humoristisch-ironischen Verweis auf die eigene Textualität und das Angeschaut-Werden von Welt die Bedingungen der Möglichkeit von Wahrnehmung überhaupt reflektiert. 769 Zur Geschehensdarstellung: Dass Wolfram zu Beginn der Szene in einem kurzen Erzähler‐ kommentar zunächst seine compassio inszeniert und so auf die Fatalität einer durch ihn vorgeblich nicht beeinflussbaren Handlung verweist (mir wart sîn reise nie sô leit; 678,14) sowie im direkten Anschluss einen offenen Ausgang der Situation suggeriert (gelücke müeze es walden! ; 678,17), deutet auf die paradoxale zeitliche Struktur des Erzählten, die insbeson‐ dere für die vorliegende Passage charakteristisch ist 770 - überdies korrespondiert Wolframs Mitleiden mit seiner Selbststilisierung als von der âventiure abhängige Erzählinstanz (vgl. 433,1-434,10), deren eigener Vermittlung an Stellen wie der vorliegenden eine besonders augenfällige Unmittelbarkeit eignet: Wolfram, traduttore traditore. Gleichzeitig impliziert das Nacheinander von einem um die Handlung bereits wissenden und einem situativ involvierten Erzähler die Divergenz zweier Modi der Darstellung von Wissensständen, welche im Folgenden weiter verschränkt und in ein narratives Nebeneinander überführt werden: er sah ein rîter halden bî dem wazzer Sabîns, den wir wol möhten heizen flins der manlîchen krefte. er schûr der rîterschefte, sîn herze valsch nie underswanc. er was des lîbes wol sô kranc, swaz man heizet unprîs, daz entruoger nie decheinen wîs 277 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 771 Die Rede vom wahrnehmenden Erzähler spricht Hübner als »Ursünde der point of view-Theorien« an: »Nur Figuren haben in Relation zur erzählten Welt ein ›vollständiges‹ Bewußtsein in dem Sinn, daß sie über alle kognitiven Fähigkeiten verfügen, mit denen Menschen in Relation zur Welt treten. Erzähler haben kein solches vollständiges Bewußtsein in Relation zur erzählten Welt; abgesehen davon, daß sie von ihr erzählen, können sie sie nur bewerten« (Erzählform im höfischen Roman, S. 42 mit Anm. 116). 772 Green: The Art of Recognition, S. 240. 773 Richter: Spiegelungen, S. 100. 774 Damit gelangt hier eine basale Erzählstrategie zur Anschauung, die auch bei der Konstitution von Figuren eine zentrale Rolle spielt: die identitätsstiftende Wiederholung etwa von Eigenschaften, sprachlichen Manierismen oder charakteristischen Kleidungsmerkmalen, vgl. Jannidis: Figur und Person, S. 208f. halbes vingers lanc noch spanne. von dem selben werden manne mugt ir wol ê hân vernomn: an den rehten stam diz mære ist komn. (678,18-30) Die an die Reflektorfigur Gawan gekoppelte Wahrnehmung in den ersten beiden Versen (er sah) geht sogleich in einen einordnenden Erzählerkommentar über, der Modus der internen, an das Wahrnehmungssubjekt Gawan gebundenen Fokalisierung wird somit übergangslos abgelöst von einem nicht fokalisierten Modus, dem erkennenden - und dabei freilich nichts oder allenfalls in metaleptischer Verzerrung etwas sehenden 771 - Erzähler: we see what he sees and for us, as for him, this other knight is anonymous. But then the narrator and his listener draw closer together […] as he takes them into his confidence and draws them away from Gawan’s point of view by means of a long anonymous circumlocution for this other knight (678,20ff.) which finishes with the narrator telling us that we have returned an den rehten stam (678,30). 772 Die von Wolfram vermittelte Erkenntnis bezieht sich auf die Ebene der Ordnung des Erzählten: Das mære ist nun zu seinem rehten stam, zu seinem »syntagmatische[n] Herzstück« 773 zurückgekehrt. Dem Rezipienten wird die Identität des Ankömmlings also nicht vermittels einer Namensnennung offengelegt, sondern durch einen Hinweis auf die Erzählstruktur. Dieser Identifizierungsstrategie wird im Folgenden mit der Beschreibung der roten Rüstung eine zweite zur Seite gestellt: ûz heidenschaft verr über mer was brâht diu zimierde sîn. noch rœter denn ein rubbîn was sîn kursît unt sîns orses kleit. (679,8-11) Durch die Fokussierung der proprietas Röte wird auf eine bestimmte res, eben die Ither-Rüstung, verwiesen und ihre aufwendige descriptio im III. Parzival-Buch anzitiert (vgl. 145,17-146,3) - die variierende Wiederholung weist den Gegenstand als geschlossenes Zeichenensemble aus, sie stiftet eine Form ›gegenständlicher Identität‹. 774 Es folgt eine weitere Information über den zerhauenen Schild des Roten Ritters, der schon an früherer Stelle als signum einer Vielzahl unerzählter âventiuren sowie allgemeiner der Welthaltigkeit 278 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 775 Armin Schulz zufolge verweist der zerhauene Schild Parzivals auf dessen Unkenntlichkeit (vgl. Schwieriges Erkennen, S. 271). Parzivals Schild wird an keiner Stelle als dessen Gnorisma funktio‐ nalisiert, der Protagonist bleibt überdies bis zu seiner Einsetzung als Gralkönig ohne Wappen und wurde bislang - auch von Gawan - allenfalls an der Farbe seiner Rüstung erkannt. des Erzählten in Szene gesetzt wurde (vgl. 679,13), 775 und anschließend verweist der Erzähler auf ein letztes Detail des Dingensembles: er hêt ouch gebrochen von dem boum, des Gramoflanz huote, ein sô liehten kranz daz Gâwânz rîs erkande. (679,14-17) Gawans Blick auf sein Gegenüber wird an dieser Stelle, vergleichbar mit demjenigen Parzivals beim Aufeinandertreffen mit den Rittern im Wald von Soltane (vgl. 122,1-124,21), von einem einzigen leuchtenden Gegenstand gebannt, er steht somit im Kontrast zu der Lenkung des ›klugen Blicks‹ durch den Erzähler, der das gesamte Dingesemble zu erfassen erlaubt so den Rezipienten zu einer korrekten Identifizierung der Figur anleitet. Gawans ausschnitthaftes Schauen fungiert hingegen als Symptom einer prekären Störung des Wahrnehmungsapparates, welcher sich von einem einzigen Ding über die übrigen, dem Rezipienten und mutmaßlich auch Gawan vertrauten Gnorismata hinwegtäuschen lässt, eines Verkennens mithin, das im übrigen Romanverlauf gerade zu einem zentralen Charakteristikum Parzivals avanciert ist - man denke etwa an die Gegenüberstellung der Wahrnehmungsleistung der Verwandten in der Blutstropfenszene zurück, in der Gawan als Figur eingeführt wurde, deren Blick sich gerade nicht von einem einzelnen Ding wie Parzivals Speer in seinen Bann hat schlagen lassen. Das Objekt von Gawans Erkennen ist in der vorliegenden Szene nicht die rüstungsverhüllte und kranztragende Figur, sondern das - wie zu zeigen sein wird - hypersignifikante und auratische, die Wahrnehmung des Artusritters dominierende und kanalisierende rîs. Sinnfällig ist überdies die Spiegelung der dargestellten Wahrnehmungsprozesse an der Achse des Übergangs vom XIII. zum XIV. Buch: Ging in einem ersten Schritt, am Ende des XIII. Buches der Modus vom wahrnehmenden Gawan (er sah; 678,18) auf den korrekt ›erkennenden‹ und verschlüsselt benennenden Erzähler (den wir wol möhten heizen; 678,20; er was; 678,24) über, so folgt im Anschluss an die Blickführung des Erzählers das ›falsche‹, da auf ein Fragment fokussierte Erkennen Gawans (Gâwânz rîs erkande; 679,17). Dieser Wechsel zwischen dem zur korrekten Identifikation anleitenden Blick auf die Gesamtgestalt und ihre diversen signifikanten Ausstattungmerkmale einerseits und dem ausschnitthaften Blick Gawans auf das rîs andererseits macht neuerlich auf die Komplexität des Zeichenensembles ›Rüstung‹ aufmerksam, er stiftet überdies einen Kontrastbezug zu Gawans Fehlinterpretation des gereite-Schild-Ensembles zu Beginn des X. Buches: Erwies sich Gawan im Gegenüber dieses Dinge-Hybrids als unfähig, die einzelnen Bestandteile des Arrangements als unterschiedliche Bedeutungen vermittelnde, voneinander abgeschirmte Zeichen wahrzunehmen, so zeitigt hier in gegenläufiger Tendenz die Verengung des Blicks, die Fokussierung auf einen einzelnen aus dem Rüstungsensemble herausgehobenen Gegenstand das fatale, in den Verwandtenkampf mündende Verkennen - in diesem wie in jenem Fall gelangt der Musterriter zu keiner situationsangemessenen Deutung der ihm 279 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 776 Parzivals Wahrnehmung wird in der Zweikampfszene nicht explizit thematisiert; die exuberante Spiegelmetaphorik gibt allerdings ebenso wie die Betonung der »Einheit der Edelsten im Bilde des dynastischen Körpers« (Czerwinski: Der Glanz der Abstraktion, S. 151; vgl. 689,5f. und 689,29-690,2) und Parzivals spätere Erläuterung seines blinden und fortwährenden Strebens nach Kampf und prîs (vgl. 700,30-701,10) Anlass, das von Gawans visueller Wahrnehmung Berichtete auch auf sein Gegenüber zu übertragen. 777 Der Begriff des Dilemmas ist hier im Anschluss an Dimpel gewählt, der u. a. die Urjans-Episode einem close reading unterzieht; vgl. Dilemmata, S. 47-51. begegnenden Dinge, und es misslingt ihm, entweder die tatsächlich bedeutungsträchtigen materiellen Einheiten zu isolieren oder sie in ihrer jeweils signifikanten Zusammenstellung zu deuten. Nicht erst im Blick auf die medialen Verzerrungen einer Wundersäule, sondern schon auf die Wirklichkeit selbst scheint die sinnhafte Ordnung und Sequenzierung des Wahrgenommenen als nachgerade überwältigende Herausforderung, für Parzival ohnehin, aber selbst und wiederholt eben auch für Gawan. Es offenbaren sich somit erneut die Aporien der Dingsemiose im Gegenüber komplexer Zeichenensembles. Die Dinge spielen in der vorliegenden Szene als Substitute der mit ihnen in Verbindung gebrachten Figuren eine zentrale Rolle: Es ist nun auf den Kranz beziehungsweise das rîs einzugehen, auf das Gawan - sowie vice versa wohl auch Parzival 776 - hier seine gesamte Aufmerksamkeit richtet: Das rîs ist ein insbesondere in den Gawan-Büchern mal prominent, mal in Andeutungen variiertes Ding-Motiv, das zum Zeitpunkt des Verwandtenkampfes mit Parzival ein breites Bedeutungsspektrum codiert. So verweist es erstens auf einen zentralen Zwiespalt für die in der Forschung oftmals schlichtweg als positives Exemplum gedeutete Gawan-Figur zwischen ritterlichem Kodex und den moralischen Ansprüchen der Welt - man denke an das ›Dilemma‹, vor dem der Artusritter steht, nachdem er den Gewalttäter Urjans gefangen hat und dieser von Artus zum Tode am Strick, an einem gewundenen rîs, verurteilt wurde. 777 Gawan berichtet Orgeluse dies wie folgt: man verteilte imz leben unt sînen prîs, unt daz man winden solt ein rîs, dar an im sterben wurd erkant âne bluotige hant. er rief mich an (des twang in nôt) unt mant mich des daz er mir bôt sicherheit durch genesn. ich vorhte ân al mîn êre wesn, ob er verlür dâ sînen lîp. (527,19-27) Artus’ Todesurteil legt das zum Strick gewundene rîs nicht nur um den Hals des Verbrechers Urjans, sondern im metaphorischen Sinne auch um denjenigen Gawans, dem ritterlicher Verhaltenskodex und êre gebieten, dem Unterlegenen die von ihm angebotene sicherheit zu gewähren. Wie Urjans seines Lebens ginge Gawan durch die ›angemessene‹ Bestrafung des Gefangenen seiner sozialen Reputation verlustig. Um seine Ritterehre zu wahren, erwirkt er eine Aufhebung der Todesstrafe und flüchtet sich in eine Art moralischen Eskapismus (›victim blaming‹), wenn er andeutet, eine Frau und ihr clârer lîp seien an der Vergewaltigung durch einen Mann mitschuldig (vgl. 528,3-5). Auch vor der Szene 280 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 778 So Nellmann: Stellenkommentar zu 601,15-19, S. 730. Dass mit der Deutung dieser Bemerkung als ›derber Witz‹ ihre Tragweite und ihr problematischer Gehalt bagatellisiert wird, zeigt mit besonderem Nachdruck Lienert, die u. a. an dieser Stelle »Gewalt gegen Frauen als wünschenswert imaginiert« sieht (Begehren und Gewalt, S. 209; vgl. ähnlich: dies.: Zur Diskursivität der Gewalt). Einwände gegen Lienerts Lektüre äußert Dimpel: er solts et hân gediuhet nider. Dimpel deutet die gediuhet-Passage gerade nicht als »ein i-Tüpfelchen auf einer frauenverachtenden Textstruktur« (ebd., S. 265), sondern verfolgt die These, dass der Gewaltdiskurs im Parzival keinesfalls affirmativ verhandelt werde, sondern im Gegenteil durchweg an Negativfiguren gekoppelt sei; zudem sei an dieser Stelle die Unzuverlässigkeit eines Erzählers, der bewusst-irritierend mit den Erwartungen und Reaktionen des Rezipienten spiele, mit einzuberechnen. Ähnlich Baisch: »Im Falle dieser Erzäh‐ lerbemerkung wird deutlich, daß der Begriff der Dialogizität sowohl das Angebot verschiedener, miteinander zu vermittelnder Sinnansprüche als auch die Integration verschiedener Sprachregister in einem Werk umfaßt« (Orgeluse, S. 22). 779 Es kann zudem vermutet werden, dass die prominente Inszenierung des rîs an dieser Stelle Erinne‐ rungen an die eindrücklich geschilderte Gralprozession wachruft, in der von dem Gral als wunsch von paradîs, / bêde wurzeln unde rîs (235,21f.) die Rede ist. Mit dieser paradoxalen Gleichzeitigkeit wird, wie Knaeble nachweist, auf »die Ankunft des Erlösung bringenden Herrschers« (Höfisches Erzählen von Gott, S. 172) verwiesen, mithin eine Analogie zwischen Christus und Parzival hergestellt. Diese Deutung ist mit Emings Betonung der bewussten Verrätselungsstrategie in der Gralzeremonie zu relativieren; vgl. Eming: Aus den swarzen buochen, S. 90; vgl. auch Anm. 927 dieser Arbeit. 780 von Munsalvæsche wâren sie, / beidiu ors, diu alsus hie / liezen nâher strîchen / ûfen poinder hurteclî‐ chen (679,23-26). Zu Wolframs »Sprechen durch die Pferde und ihre Geschichte« an dieser Stelle hält Ohly fest: »Hier allein führen die Helden zwei Gralpferde gegeneinander. Indem Wolfram es vermerkt […], bekundet er sein Vorausleiden an dem kommenden Kampf syntaktisch so, daß es zunächst den beiden Gralpferden, dann doch auch den beiden Helden gilt […]. Es verdeutlicht die Vorausdeutung darauf, daß hier zwei Freunde und Verwandte gegeneinander kämpfen sollen durch Bewußtmachung dessen, daß ihre Kampfrösser als Gralpferde auch Verwandte sind« (Die Pferde im Parzival, S. 893). Ähnlich Johnson: »Once again […] a leitmotif and dramatic irony are used to place special emphasis on a conflict, this time to bring home the enormity of an encounter between the two related heroes by mounting them on horses from the same stable« (Lähelin and the Grail Horses, S. 616). des Kranzerwerbs in Clinschors Wald hält der Erzähler diese prekäre Bedeutungsschicht präsent, indem er einen mehr als nur ›derben‹ 778 und hochgradig irritierenden Witz zum Besten gibt, dessen Pointe die Nebenbedeutung des Kranzbrechens als Defloration ist: er solts et hân gediuhet nider, / als dicke ist geschehen sider / maneger clâren frouwen (601,17- 19), und der damit nicht zuletzt auch das rîs aus der Vergewaltigungshandlung um Urjans wieder in Erinnerung ruft. Auch die topische Bedeutungsvariante ist beim Kranzerwerb präsent: Als Reimwort zu prîs ist das rîs ein in der Gabenökonomie von Minneverhältnissen gattungsübergreifend topischer Gegenstand. Und so ist es nicht weiter verwunderlich, wenn Orgeluse ihren Minnelohn an den Erwerb und die Überbringung des rîs bindet. 779 Gawan steht folglich mit Parzival nicht nur einem Ritter gegenüber, dessen Helmzier der seinen gleicht und der überdies ebenfalls ein Gralpferd reitet. 780 In dem auf seines Verwandten Helm befestigten rîs kulminieren zudem sein altes ›Dilemma‹, das aporetische Konfligieren ritterlicher und moralischer Normen (sicherheit und Strafe), und zentrale Themen auch seiner erzählten Geschichte, Minnedienst und blindes Kämpfen. Nachdem bereits bei Parzivals Ankunft am Artushof die Itherrüstung als handlungs- und gierauslö‐ sender Akteur firmierte, der die gesamte Aufmerksamkeit der Figur zu bündeln vermochte, liegt es auch im Falle Gawans nahe, das rîs auf dem Helm seines Gegenübers als ebensolchen ›trigger‹ zu deuten. Der Fokus liegt indes, die Doppelbedeutung des rîs einerseits als 281 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 781 Emmerling: Geschlechterbeziehungen, S. 86. 782 Reich: Zur Psycho-Logik bei Wolfram, S. 79. 783 Zur ›Brüchigkeit‹ der Gawan-Figur im Allgemeinen Scheuer: »Wenn daher die Gâwân-Figur die Epiker der 13. Jahrhunderts unwiderstehlich anzieht, dann nicht wegen ihrer vermeintlichen Idea‐ lität, sondern im Gegenteil wegen jenes Glanzes, der von ihrer unterschwelligen Widersprüchlichkeit und ihrer chimärischen Zusammengesetztheit unter makelloser Oberfläche ausgeht: In der Haut des musterhaften, exemplarischen Ritters steckt ein Mörder, ein Verräter, ein Vergewaltiger« (Schach auf Schanpfanzûn, S. 35). 784 Tax’ einziger, wenig überzeugender Beleg für diese Identifizierung lautet, man verstehe, »warum der Kampf [im Gegenüber des ›Erzfeindes‹ Lähelin; S.W.] so hurteclîch ist und ohne Ansage beginnt« (Nochmals zu Parzivals zwei Schwertern, S. 303). 785 »Im Roman wird mit den über 200 Bogenversen entgegen aller Dringlichkeit allerdings schnell klar, dass die Trennungshilfe lange ausbleiben wird. Stürzt sich der Erzähler in jene glanzvolle höfische Luxuswelt des Gramoflanzhofes, um das Elend des Freundeskampfes zu vergessen bzw. vergessen zu machen? […] Aus dieser Perspektive stellt sich die blendende Hofwelt als verdächtig kompensatorische Ablenkung dar. Der Erzähler braucht sich nicht mehr mit der Schilderung des Kampfes abzumühen, er kann den problematischen Kampfheroismus gegen die Sorgenfreiheit einer exorbitanten höfischen Opulenz austauschen. […] Das Aufsprengen des Kampfnarrativs spiegelt auf der Textebene den Wunsch des Erzählers wider, die Gegner zu trennen, die narrative (Zer)Störung intendiert die Kampf(zer)störung« (Selent: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte? , S. 117). topischer Ritterpreis und als Strick aus der Urjans-Vorgeschichte annehmend, auf der Darstellung der Aporien ritterlicher Wahrnehmung und einer veräußerlichten Ritterethik, in der es nicht mehr um die Durchsetzung universaler gesell‐ schaftlicher Werte geht, sondern allein um den Zugewinn an prîs im Kampf gegen einen Gegner, dessen Identität bei der Bestimmung des Kampfgrundes keine Rolle mehr spielt. 781 Während der Erzähler den Blick des Rezipienten auf lesbare Zeichen lenkt und diesen so zu einer gelingenden Figurenidentifikation anleitet, demonstriert er am Beispiel Gawans den Blick auf ein blendendes Medium, ein kompaktes Zeichen, das nicht auf seine Bedeutung hin gelesen wird, sondern nur mehr auf sich selbst zurückverweist: ein sô liehten kranz / daz Gâwânz rîs erkande (679,16f.). Gawans folgende Reaktion zeugt nicht vom Einsetzen eines Verstehensprozesses, sondern von Angst (dô vorht er die schande; 679,18) und Unsicherheit (vgl. die mit Konjunktivformen durchsetzten Verse 679,19-22). Im Gegenüber des aurati‐ schen rîs und des komplexen Ding-Arrangements von Parzivals Ausrüstung erweist sich das aufwendig entwickelte Figurenprofil Gawans als ›Imaginationsprofi‹, als dessen Stärke - ganz im Gegensatz zu Parzival - der »Umgang mit Wahrnehmungen und v. a. die flexible Reaktion auf das unmittelbar Wahrgenommene« 782 herausgestellt wurde, neuerlich als brüchig. 783 Auf der anderen Seite des Kampfplatzes: Parzival, über dessen Wahrnehmung, dessen Intentionen der Erzähler den Rezipienten signifikanterweise abermals im Dunkeln lässt (vgl. bereits Anm. 395 dieser Arbeit) - Vermutungen wie diejenige Petrus W. Tax’, Parzival identifiziere hier sein Gegenüber am Gralpferd als Lähelin, weisen die Tendenz auf, diese ausgestellten Motivationslücken mit logisierenden, dem enigmatischen Erzählen Wolframs nicht gemäßen Vermutungen aufzufüllen. 784 Der Hauptheld rückt erst nach Beendigung des Kampfes in den Fokus, nachdem also der Erzähler, vielleicht im Zuge einer »kompen‐ satorische[n] Ablenkung« 785 von dem dramatischen Kampfgeschehen auf Joflanze, die Zweikampfschilderung zugunsten eines Perspektivwechsels hin zum höfisch-prachtvollen 282 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 786 Green kann zeigen, dass der Erzähler erst hier die Gawanfigur wieder beim Namen nennt (Vergleich‐ bares gilt für die namentliche Bezeichnung Parzivals und Feirefiz’ im letzten Verwandtenkampf; vgl. The Art of Recognition, S. 235-240) - diese Annäherung an den Wissenshorizont der Figuren steht im Kontrast zu der ›klugen‹ Blicklenkung und eindeutigen Figurenidentifikation zu Beginn der Kampfszene. 787 Man denke etwa an die prominente Inszenierung der Stimme als Identifikationsmerkmal in den Sigune-Szenen, vgl. 138,11; 249,11f.; 437,3. Vgl. Schmid: Stimme(n) des Klagens, S. 292ff. 788 Czerwinski: Der Glanz der Abstraktion, S. 151. 789 So die hier exemplarisch wiedergebene Übersetzung der Stelle bei Haug: Parzival ohne Illusionen, S. 211. 790 Gegen die einsinnig-metaphorische Deutung der wâpen als ›Zeichen‹ Mersmann: »Das Itherschwert taucht erst in den letzten Büchern wieder auf, verhüllend und zweideutig im Zweikampf mit Gawan […], klar und eindeutig im Bruderkampf mit Feirefiz« (Der Besitzwechsel und seine Bedeutung, S. 136). Ebenfalls im konkreten Sinne versteht diese Stelle Tax: »Die Mehrzahl schließt auch seine zwei Schwerter mit ein. […] Das Wort wâpen […] meint hier wohl vor allem das Schwert als die Waffe« (Nochmals zu Parzivals zwei Schwertern, S. 304); vgl. in diesem Sinne ebenfalls Groos: Parzival’s swertleite, S. 259. 791 Schröder: Parzivals Schwerter, S. 117. 792 Zu der kontroversen Frage nach Parzivals Entwicklung - und damit auch zu der »alte[n] Vorstellung, Wolframs großes Epos sei ein Entwicklungsroman« (so, sicher mit der schärfsten Kritik an der Entwicklungsthese, Czerwinski: Der Glanz der Abstraktion, S. 83) -, hat sich zuletzt Schauch mit dem Vorschlag geäußert, auf den problematischen Entwicklungsbegriff zu verzichten und stattdessen allgemeiner von ›Sozialisation‹ zu sprechen: »Auch wenn die Frage nach einer Entwicklung des Protagonisten offenbleiben muss, so kann doch festgehalten werden, dass Parzival einen stetigen Wissenszuwachs erlebt und einen zusehends höheren Sozialisationsstand erreicht« (Parzivals Weg zum Artusritter, S. 10); genauer: »Parzivals Sozialisationsprozess lässt sich damit als fortlaufende räumliche, zeitliche, soziale und identitätsbildende Transgression begreifen« (ebd., S. 11f.). Geschehen um Gramoflanz unterbrochen hat, und nach der Ankunft von Artus’ Boten am Kampfplatz, die die Fatalität der Situation gleich durchschauen und Gawans Namen rufen (wan daz in klagende nanten / kint diu in bekanten; 688,17f.). 786 Parzival bedarf - nicht zum ersten Mal 787 - dieser »symbolisch-abstrakten Vermittlung«, 788 und er reagiert prompt: verre ûz der hant er warf daz swert (688,21). Seine folgende Klage stellt den Kampf in eine Reihe mit den früheren Situationen des Versagens: Sus sint diu alten wâpen mîn / ê dicke und aber worden schîn (689,1f.). Die Über‐ setzer und Interpreten dieser Stelle verstehen fast einheitlich: »So ist das Schicksal, das mich prägte, erneut und verstärkt durchgebrochen.« 789 Stellt man jedoch Parzivals Äußerung in den Kontext seiner Geste, das Wegwerfen seines Schwertes, so kommt man schwerlich umhin, in den wâpen zumindest eine Anspielung auf die konkret-unmetaphorischen Waffen aus dem rêroup an Ither zu sehen. 790 In diesem Verständnis der Stelle verfluchte der Protagonist seine Waffen, deren Einfluss auf sein Handeln - in der Figurenperspektive - beinahe erneut dazu geführt hätte, dass er sein eigen verch, sein eigenes Blut, erschlägt: ich hân mich selben überstriten / und ungelückes hie erbiten (689,5f.) - »das alte Verhängnis, die dem ritterlichen Dasein inhärente, potentiell immer gegenwärtige Schuld! Ihr Vehikel ist Ithers Schwert.« 791 Eine Entwicklung Parzivals offenbarte sich weder in seinem Verhalten, das sich aufgrund des Fehlens jedweder Angabe seiner Motive im Kampf mit Gawan als in besonderem Maße blind erweist, noch in seinem Verhältnis zu den Dingen, das noch immer von mangelnder Affektkontrolle geprägt ist. 792 Er scheint schlichtweg nicht imstande zu sein, der suggestiven Wirkung seiner Waffen, dem blinden Kampf und prîs-Erwerb etwas 283 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 793 Haug: Parzival ohne Illusionen, S. 210. Dies gegen die alte These, beim Parzival handle es sich um ein »große[s] höfisch-christliche[s] Erlösungsmysterium« - eine These, die man mithin »getrost in der romantischen Mittelaltermottenkiste verschwinden lassen [kann]« (ebd., S. 216). 794 Hahn: Raum und Landschaft, S. 9. Die Abhängigkeit der Raumdarstellung von Figurenperspektive und -bewegung stellt auch Störmer-Caysa heraus: »Raum und Landschaft sind im mittelalterlichen Roman nicht ontologisch früher als der Held, nicht schon als vorhanden gedacht, ehe der Protagonist überhaupt auftaucht, sondern gleichrangig mit ihm und mit seiner Bewegung verwandlungsfähig« (Grundstrukturen mittelalterlicher Erzählungen, S. 238). Rationales entgegenzusetzen, und so scheitert er, nicht zum letzten Mal, daran, an seinen Verwandten die triuwe der Sippenbindung zu bewähren. Parzival erweist sich nicht als ›entwickelter‹ oder gar durch das Gespräch mit Trevrizent geläuterter Held, sondern er bleibt bis auf weiteres der »Aventüreritter, der nichts anderes im Sinn hat, als auf jeden loszuschlagen, dem er begegnet.« 793 Nach Parzivals Klage kann Gawan sein Gegenüber noch immer nicht erkennen. Auch er ist auf die Nennung eines Namens angewiesen: ôwî hêrre, wer sît ir? […] ich hete iur gerne künde, wâ ich her nâch fünde mînen prîs, ob ich den suochte. (689,11-19) Erneut wird die fortwährende Blindheit Gawans, der sich auf die vor ihm befindlichen Zeichen (wie auch auf die Stimme seines Freundes) noch immer keinen Reim zu machen versteht, zum Thema und mit dem vom Erzähler gelenkten klugen Blick eines Rezipienten, der keiner abstrakten Vermittlung der Figurenidentität durch Namensnennung bedarf, in einen fast komischen Kontrastbezug gesetzt - vielleicht überzeichnet Wolfram auch Ga‐ wans leitmotivisches Inkognito, seine ›Heimlichtuerei‹, die wie Parzivals Kampffixierung potentiell eine Verwandtentötung zur Folge haben könnte. Dass Raum und Raumrequisiten (der plân und die anthropomorph blickenden Bäume) erst verzögert, mit dem Eintreffen der Zuschauerscharen nach dem Kampfgeschehen, beschrieben werden (vgl. 690,16-30; s. o.), ist nicht nur aus der emotionalen Involviertheit des Erzählers heraus zu begründen, sondern deutet überdies ex post auf die eingeschränkte Wahrnehmung der beiden Protagonisten - der äußere Raum existiert eben allgemein gesprochen, mit Ingrid Hahn, »nicht objektiv […], sondern [entsteht erst] als Funktion der Person«. 794 Hier ist gerade die Verzögerung der Raumwahrnehmung als ›Funktion der Figuren‹ signifikant, da sich diese weder als zum orientierenden Weitblick noch als zum kombinierenden Spurenlesen befähigt erweisen. Anders gewendet: Solange die beiden Artusritter allein auf dem plân agieren, fungieren sie gewissermaßen als absolute Raumfilter, die jenseits des auratischen rîs auf dem Helm des Anderen nichts zu sehen vermögen. Diese Fixierung auf ein Ding lässt die eigentlich sichtbaren Zeichen, die Identität des Gegenübers ebenso wie die Vergangenheit verschwinden, dies wird von Wolfram, wieder im Anschluss an den Zweikampf, noch einmal unterstrichen: Denn auch der wirt ûz Rosche Sabbîns (693,13), gegen den beide (mindestens Gawan) zu kämpfen glauben, zielt nicht vorrangig auf Rache, »[d]as Thema des Gerichtskampfs tritt auffällig in den 284 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 795 Nellmann: Stellenkommentar zu 693,15, S. 750. 796 Selent: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte? , S. 114f. Hintergrund«, 795 sondern darauf, den Diebstahl aus seinem Garten zu sühnen, den prîs seines Kranzes wiederherzustellen: […] ›hêrre, er gît mir morgen zins: der stêt ze gelt für mînen kranz, des sîn prîs wirt hôch unde ganz, oder daz er jaget mich an die stat aldâ ich trit ûf lasters pfat. […]‹ (693,14-18) In die angesprochene Tendenz der nachgereichten Raumdarstellung fügt sich, dass das Einzige, was der Leser vom Raum während des Zweikampfes zu sehen bekommt, der sich im Kampf materialisierende Boden ist. Wie Gawan nach Parzivals Erwachen aus seiner Minnetrance erst dessen Blick auf die Spuren des Kampfes im Schnee, auf die materielle wârheit über das Geschehene lenken musste, wie die zimierde des Turkoyten nach Kampfende mit den Blumen weiterstritt, so sind es nun Fragmente von Waffen, die sich mit dem Gras vermischen, ja das strîten der Protagonisten scheint ihre Bühne zuallererst zu erzeugen - ganz wie zuvor der tjoste venster vom strît auf dem Urjansschild gemalt waren. So heißt es beim Übergang von der tjost zum Schwertkampf: schildes schirben und daz grüene gras / ein glîchiu temperîe was, / sît si begunden strîten (680,25-27). Der Raum und dessen Transformation (vgl. bereits 679,28f.), die Vermischung des natürlich-grünen Grases mit den Schildscherben der Kämpfenden wird so zum Index der Kampfintensität, und erst diese materielle Transformation motiviert eine ausschnitthafte Raumdarstellung, die mit den fatalen ›Wahrnehmungsstörungen‹ der Figuren im Angesicht auratisch-vieldeutiger Gegenstände korrespondiert und die Kampfdarstellung zugunsten eines lakonischen Blicks auf die Folgen des Kampfes, die zu Raumelementen transformierten Schildfragmente - darunter vielleicht auch, aber hier ist die Phantasie des Lesers gefragt, Reste des Löwenfußes in Gawans Schild - stillstellt: Die verübte Gewalt an Waffen- und Naturtrümmern vor Augen zu führen, wird von nun an immer notwendiger, da der Kampf nicht mehr aus der Erzählung verdrängt werden kann, die Sogkraft des realen physischen Phänomens wird zu einer narrativen Notwendigkeit […]. Weiterhin im pluralischen Kräftegleichgewicht potenziert sich die vorläufige Sicherheit in der Ausgeglichenheit von Schildsplittern und grünem Gras. Der vom Erzähler auf den Boden gelenkte Blick schiebt nicht nur die Zeit der Intaktheit und damit Konfliktfreiheit vor dem Kampf (Natur) und den kontrastierenden gegenwärtigen Augenblick (Schildtrümmer) ineinander, er ist auch ein einprägsames gestisches Synonym für die Trauer des Erzählers selbst, ein Zeichen für die bevorstehende endgültige narrative Abwendung vom Schauplatz. 796 Die Szene spiegelt die beiden Protagonisten dieses Romans und variiert im anaphorischen Rückgriff auf Rüstung und rîs des Anderen das Motiv des Verwandtenkampfes. Beim Zweikampf im ›Spiegelkabinett‹ ze Joflanze vermischen sich im Nachhinein über ihre Ohnmacht klagende Figuren mit strahlkräftigen und fatal-wirksamen Dingen. Das rîs ist ein polymorphes Ding, das die Ehre Gramoflanz’ versinnbildlicht und dessen Rückgewinnung 285 2.4 Im Zeichen des Schildes: die Gawan-Bücher 797 Cervantes: Don Quijote de la Mancha, S. 51f. Übersetzung: »Ich erinnere mich, von einem spanischen Ritter namens Diego Pérez de Vargas gelesen zu haben, dem in einer Schlacht das Schwert geborsten war, und da riss er sich einen schweren Ast ab oder den Stamm einer Steineiche und vollbrachte am selben Tag derlei Taten damit, zerschlug so viele Mauren zu Matsch, dass er den Beinamen Machuca erhiehlt, und so nannten er und seine Nachkommen sich von Stund an Vargas y Machuca« (Der geistvolle Hidalgo Don Quijote von der Mancha, S. 78). 798 Dietl: Arthurische ›Dinge‹ wiedererzählt, S. 182. 799 Schröder: Parzivals Schwerter, S. 116. - Dass mindestens die Schlüsselkämpfe »mit Ithers Schwert ausgefochten werden, ist im letzten Falle [dem Zweikampf mit Feirefiz] ausdrücklich gesagt […], aber für die übrigen ebenfalls anzunehmen« (ebd.); vgl. Anm. 790 dieser Arbeit. abweichende Kampfmotivationen verdrängt, das zu einem kranz geflochten Zeichen einer erfolgreich bestandenen Minneprobe und Symbol des ungehiuren Minneverhältnisses zwischen Gawan und Orgeluse wird, das als Schmuck des helmes dach und als Gnorisma ihren Träger nur uneindeutig identifiziert und gewunden zu einem Strick als Emblem drohenden Todes firmiert. Der Kampf zwischen Parzival und Gawan gründet nicht auf einer simplen Verwechslung des Gegenübers mit Gramoflanz, vielmehr wird aus doppelter Perspektive eine Irrationalität sichtbar, die im Falle Parzivals auf dessen noch immer tumbes Verlangen nach dinglichem prîs verweist und im Falle Gawans auf die bereits an früherer Stelle ausgestellten Aporien einer aller Zeichenexpertise zum Trotz scheiternden Dinge-Lektüre sowie auf dessen Blindheit im Gegenüber seines alten, sich im Gegenstand materialisierenden ›Dilemmas‹. Exkurs zu Parzivals Angriffswaffen II: abermals zu Parzivals Schwertern Yo me acuerdo haber leído que un caballero es‐ pañol llamado Diego Pérez de Vargas, habiéndo‐ sele en una batalla roto la espada, desgajó de una encina un pesado ramo o tronco, y con él hizo tales cosas aquel día, y machacó tantos moros, que le quedó por sobrenombre Machuca, y así él como sus descendientes se llamaron desde aquel día en adelante Vargas y Machuca. 797 Parzival, angekündigt als mit swerten sît ein smit (112,28), erhält im Handlungsverlauf zwei Schwerter, Gaben des Artus und des Anfortas. Beide fungieren, wenngleich sie nur an einer Handvoll Stellen Erwähnung finden, als symbolträchtige und zugleich die Handlung an zentralen Stellen wesentlich steuernde Gegenstände - so, ohne Bezug zum Itherschwert, Cora Dietl, die eine »Verschränkung von Symbol- und agency-Funktion des Gralsschwerts« nachweist. 798 Während das Itherschwert vom Gebrauchsgegenstand, vom Instrument ritterlichen Kämpfens zum Symbol, zum Zeichen von Parzivals ›Kainstat‹ und zum ›Vehikel‹ für »die dem ritterlichen Dasein inhärente, potentiell immer gegenwärtige Schuld« 799 wird - Sus sint diu alten wâpen mîn / ê dicke und aber worden schîn (689,1f.) -, nimmt das Gralschwert den umgekehrten Weg vom überdeterminierten Dingsymbol zur 286 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 800 Schröder: Parzivals Schwerter, S. 111. So hält auch Nellmann fest: »Dass Wolfram es [das Motiv vom Zerbrechen des Schwertes] aufgreift, obwohl er Parzival zusätzlich mit dem (unzerbrechlichen? ) Gralschwert ausgestattet hatte (vgl. 246,26), überrascht zunächst. Darf man annehmen, daß Parzival dieses zweite Schwert, das Trevrizent mit der sünde des Nichtfragens in Zusammenhang brachte (501,11ff.), seit dem Karfreitagsgespräch nicht mehr benutzt? « (Stellenkommentar zu 744,10f., S. 760). - Zur strukturstiftenden Funktion, am Beispiel des Ither-Schwertes, Wand: »Die Idee des zerbrechenden Schwertes kann Wolfram also auch aus dem Bemühen entwickelt haben, Buch III (Itherkampf) mit Buch XV (Feirefizkampf) zu verklammern« (Wolfram von Eschenbach und Hartmann von Aue, S. 165); allgemein zu den beiden Schwertern vgl. Schröder: Parzivals Schwerter sowie Tax: Nochmals zu Parzivals zwei Schwertern. 801 Brüggen: Die Rüstung des Anderen, S. 142. schieren Waffe, deuten sich überdies in dessen Objektbiographie und Handlungsskript auf den Erzählschluss vorausweisende, indes hochgradig gebrochene Motive von Erlösung und Heilung an. Wie schon gesehen, will die Ironie der Erzählung, dass »nicht das Gralsschwert, von dem es verheißen war, sondern dasjenige Ithers [zerbricht]« 800 - indem Wolfram die Erwartungen seiner Rezipienten solchermaßen ausgestellt unterläuft, arretiert er eine fast den gesamten Roman umspannende Bewegung der Inversion, die im folgenden Exkurs mit einem vergleichenden Blick auf die beiden Objektbiographien näher untersucht werden soll. Von I t h e r s S c h w e r t, dieser in wohl fast allen Kämpfen von Parzival geführten Angriffs‐ waffe, erfahren wir zum ersten Mal im Zuge der Beschreibung des Roten Ritters (vgl. hierzu Kap. 2.3.2.1 dieser Arbeit): al rôt nâch des heldes ger / was im sîn swert gerœtet, / nâch der scherpfe iedoch gelœtet (145,26-28). Wie schon im Falle des an die Körperform des Ritters angepassten kursît (vgl. 145,23f.) steht auch an dieser Stelle die enge Verbindung zwischen Gegenstand und Besitzer im Vordergrund, wie bei Parzivals erfolglosen Versuchen, dem Toten die Rüstung abzunehmen, betont der Erzähler schon hier die »Einheit von Mensch und Ding«. 801 Dem gleich zweifach als rot beschriebenen Schwert wird in der gesamten Beschreibung von Ithers harnasch die größte Aufmerksamkeit zuteil, es ist der einzige Gegenstand aus der ritterlichen Ausrüstung, über dessen Materialität sich der Erzähler eingehender äußert und dem er eine ganz rudimentäre Herkunftsgeschichte beigibt. Mit den auf den hohen Wert des Gegenstands deutenden Partizipien gerœtet und gelœtet tritt - wie vergleichbar später beim Gralschwert - implizit ein Schmied auf, wird der Fokus kurz und nachgerade beiläufig von der Präsenz der sichtbaren Erscheinungen auf die Hintergründe der Herstellung, der Farbgebung und der Schärfung der Angriffswaffe hin verschoben, auf eine sich in der verkürzten Andeutung jedoch sogleich entziehende Vergangenheit (vgl. zur Stelle auch Anm. 380 dieser Arbeit). Im Anschluss an die Tötung Ithers stattet Iwanet Parzival mit der Rüstung des Toten aus. Auf die Bitte nach seinem Köcher hin stellt jener klar: ›ich enreiche dir kein gabylôt: diu ritterschaft dir daz verbot‹ sprach Iwânet der knappe wert. der gurte im umbe ein scharpfez swert: daz lêrt ern ûz ziehen und widerriet im fliehen. (157,19-24) 287 Exkurs zu Parzivals Angriffswaffen II: abermals zu Parzivals Schwertern 802 BMZ II/ I, Sp. 679a. 803 Einführend zum Übergangsritus vgl. Schulz: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive, S. 253- 256, mit Hinweisen u. a. auf die ethnologisch-anthropologischen Studien von Turner und van Gennep. Vgl. bereits die in Kap. 2.3.2.3 verzeichneten Literaturhinweise. 804 »Immer wieder wälzt Parzival den Toten herum und macht sich an seiner Rüstung zu schaffen, ohne dass es ihm gelänge, sie vom Körper des Erschlagenen zu trennen: Das Ding scheint den Menschen, dem es zu eigen war, nicht freizugeben« (Brüggen: Die Rüstung des Anderen, S. 142). 805 Kaske: Materielle Ritterschaft, S. 33. Auch wenn sich in Parzivals hybrider Bekleidung bereits ritterliche mit unritterlichen An‐ teilen mischen - unter den Eisenhosen etwa trägt er seine ribbalîn (157,8) als ausnehmend »unadelige tracht« 802 -, verwehrt ihm doch der Knappe die Aushändigung seiner unritter‐ lichen Tötungswaffen. Das Schwert substituiert und überschreibt die vorherigen Waffen, es fragt sich indes, ob Parzival nun schlicht ein noch effektiveres Tötungsinstrument in Händen hält, oder ob er sich mit dem Itherschwert auch ein dezidiert ritterliches Kampf‐ verhalten aneignet. Eine Kontrastierung der Waffen würde auch dadurch hervorgehoben, dass dem intuitiv-kindlichen Umgang mit dem Wurfspieß hier die Unterweisung in die Handhabung des ritterlichen Schwertes durch Iwanet gegenübergestellt wird. Diese Unter‐ weisung ist indes auf das ûz ziehen und eine einfache Norm: die unbedingte Konfrontation (und widerriet im fliehen) beschränkt - Ithers Sorge, ine süle niht flühtic schînen (146,16), wiederholt sich in Iwanets Rat, sie verdinglicht sich mithin im Handlungsskript seiner Waffe. Während Chrétiens Perceval erst bei Gornemans feierlich in den ordre de chevalerie (Perc., 1637) aufgenommen wird, die Kleider seiner Mutter ablegt und die symbolischen Ausweise der Ritterschaft, den rechten Sporn und das Schwert, erhält (vgl. Perc., 1622- 1638), zielt Wolfram auf Hybridisierung: Er vermischt Elemente des Initiationsritus (An‐ legen der sporen, Umgürtung des Schwertes) mit der technischen Beschreibung eines Leichenraubs, lässt Parzival auf den Schuhen seiner Mutter bestehen und ihm Iwanet, einen ebenfalls noch nicht zum Ritter Geschlagenen, das Schwert umgürten. 803 Dieser pervertierten Inititiation in den Ritterstand geht somit sichtlich keine abgeschlossene ›Ablösungsphase‹ voraus, die Bindung der Rüstung an Ithers Körper 804 indiziert dies ebenso deutlich wie Parzivals Beharren auf seinen ribbalîn. Mit dem Austausch der Angriffswaffen und der Itherrüstung eignet sich der ›Unritter‹ Parzival ebenso blinde ritterliche Normen (vgl. auch 158,11f.) wie ihre tödlichsten Instrumente an: »Iwânet und Parzival setzen Kriegsgeräte und Ritterschaft in eins«. 805 Parzivals Umgang mit dem geröteten Itherschwert wird sich erst nach der Ausbildung bei Gurnemanz vom gabylôtes swanc unterscheiden. Der Vater dreier im Minnedienst gefallener Söhne, der houbetman der wâren zuht (162,23) fordert Parzival auf: lât derbärme bî der vrävel sîn. sus tuot mir râtes volge schîn. an swem ir strîtes sicherheit bezalt, ern hab iu sölhiu leit getân diu herzen kumber wesn, die nemt, und lâzet in genesn. (171,25-30) 288 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 806 Weiter, mit Bezug u. a. auf Feirefiz’ unstillbaren Wunsch nach dem Klang der Tjost (vgl. 814,28-30): »Das Rittertum […] ist im Parzival mit ganz bestimmten - für das höfische Publikum positiv bewer‐ teten - Schallereignissen verbunden; und es ist anzunehmen, daß diese als Teil eines allgemeinen, höfischen freuden schals aufgefaßt werden« (beide Zitate: Greenfield: Akustische Überlegungen zum Willehalm, S. 257). 807 Zu der von allen drei Protagonisten geteilten »sensitive repugnance for needless bloodshed« vgl. Green: Homicide and Parzival, Zitat auf S. 30. Nachdem er das ziehen des Schwertes technisch schnell gemeistert und damit die ›Lehre‹ Iwanets erfolgreich in seine Kampfpraxis integriert hat (vgl. 197,9-13), bleibt sein Griff zur Waffe zwar bis auf Weiteres noch immer ›unreflektiert‹, und doch ist der Effekt des Kampfes, ein Indiz für den Erfolg auch der Ausbildung bei Gurnemanz, ein anderer: Wo das gabylôt Sehschlitze, Auge und Kopf Ithers unterschiedslos durchdringt, endet der erste swertes strît vor dem belagerten Pelrapeire (vgl. 197,3-27) gerade nicht mit dem Tod des Gegners, zunächst Kingruns: ein swert im durch den helm erklanc. Parzivâl in nider swanc: er sazt im an die brust ein knie. er bôt daz wart geboten nie deheinem man, sîn sicherheit. (197,27-198,1) Das Schwert lässt das Schlachtfeld also vom Schlag auf den Helm erklingen, es durchdringt diesen jedoch nicht: An die Stelle einer brutalen Tötung tritt das Schallereignis »ideali‐ sierten ritterlichen Lebens«. 806 Mehr noch: Parzival bewahrt den Unterlegenen gar vor den swerten (198,19), die Kingrun in Patelamunt oder in Graharz erwarteten, er schickt ihn stattdessen an den Artushof und weist überdies seine Kämpfer an, das Leben der Belagerer zu schonen und sie nicht durch die Schwachstellen ihrer Rüstungen, die slitze, hindurch abzustechen: die burgær tâten râche schîn, / si erstâchen si zen slitzen în. / Parzivâl in werte daz (207,21-23). Mit dem Schwertkampf und den Normen Gurnemanz’ geht folglich eine merkliche Zivilisierung, eine Regulierung zwar nicht des Kampfimpulses, aber des Ausgangs und seiner Folgen einher. Akteur ist hierbei Grunemanz und ausgestelltermaßen nicht ist das Schwert, mit diesem ließe sich ja auch weiter unritterlich töten, es müssten nur andere Rüstungsschwachstellen als mit dem Spieß durchdrungen werden. Parzival ist jedoch keine ›Tötungsmaschine‹ wie Orilus oder Lähelin, und die Vertrautheit mit dem von Gurnemanz vermittelten Ritterethos, wie ihm auch Gahmuret und Gawan verpflichtet sind, 807 schafft zwar nicht die Gefahr der Verwandtentötung aus der Welt, sie zügelt aber ein ausschließlich gewaltförmiges und mörderisches Kampfverhalten. Das Regime der Waffen und ihrer tödlichen Affordanzen scheint nicht mehr übermächtig, ein Ritter, der sich sklavisch an die ihm vermittelten, sich stetig ausdifferenzierenden Lehren hielte, der sich der Waffen als Instrumente rehten Kämpfens bediente, in dessen Hand sie keine Akteure wären, dieser Ritter könnte nicht nur zum Gralkönig werden, er könnte sich und der Gesellschaft auch die Dinge undertân machen. Diese optimistische Perspektive ist indes nicht von Dauer: Dass Parzival weiter ebenso blind wie zornig auf seine Umwelt reagiert, zeigt sich besonders eindrücklich bei seinem 289 Exkurs zu Parzivals Angriffswaffen II: abermals zu Parzivals Schwertern 808 So Mertens: Parzivals doppelte Probe, S. 324, mit Rekurs auf Bumke: Die Wolfram von Eschen‐ bach-Forschung seit 1945, S. 292f. Anders zuvor Weigand, der die Apostrophierung der Figur als ›Hofnarr‹ als Notlüge auffasst: »One of them [gemeint sind die am Gralhof versammelten Ritter] has the presence of mind to resort to a fib: ›Pray, don’t take offense. This man is a privileged jester.‹ But he cannot refrain from hinting at the true situation, by adding: this man insists on his follery for all that we are bowed down by grief« (A Jester at the Grail Castle in Wolfram’s Parzival? , S. 503). Ausführlich zu dieser Stelle, mit einer Übersicht zur Forschungslage, Steppich: Erzählstrategie oder Figurenperspektive? 809 »Man muß auch beachten, daß es bei Parzivals Empfang in Munsalvaesche offenbar weniger um die Gestalt des Narren geht als um Parzivals Reaktion: vor Wut preßt er seine Fäuste derart zusammen, daß ihm das Blut aus den Nägeln schießt und die Ärmel von Repanses Mantel beschmutzt. Um diese Maßlosigkeit zu zeigen, in der sich die stolze Selbstbefangenheit des Helden spiegelt und sein Versagen vor dem leidenden Anfortas sich bereits ankündigt, hat Wolfram wahrscheinlich diese merkwürdige kleine Szene erfunden« (Bumke: Die Wolfram von Eschenbach-Forschung, S. 293). 810 Kratz: Wolfram von Eschenbach’s Parzival, S. 251. 811 »Die Szene verdient […] Beachtung, weil der Autor auf der Ebene der Erzählung die Bedeutsamkeit der Inszenierung zu erkennen gibt. In der Passage deutet sich die Vorstellung an, ›daß [Affekte] grundsätzlich ›herstellbar‹, daß sie ›theatralisierbar‹ sind‹« (Ridder: Kampfzorn, S. 49). ersten Aufenthalt auf der Gralburg, kurz nach der Entwaffnung des Helden und mit dem Auftreten eines redespæhen mannes, eines »echte[n] Hofnarr[en]« 808 : Sîn harnasch was von im getragen: daz begunder sider klagen, dâ er sich schimpfes niht versan. ze hove ein redespæher man bat komn ze vrävellîche den gast ellens rîche zem wirte, als ob im wære zorn. des het er nâch den lîp verlorn von dem jungen Parzivâl. dô er sîn swert wol gemâl ninder bî im ligen vant, zer fiuste twanger sus die hant daz dez pluot ûzen nagelen schôz und im den ermel gar begôz. (229,1-14) Parzivals Verhalten an dieser Stelle deutet nicht nur auf sein »Versagen vor dem leidenden Anfortas« voraus, 809 es entspricht überdies, wie Henry Kratz nachweist, demjenigen am Artushof: it is a parallel to the incident in Book III, where Parzival was so incensed by Keye’s behavior toward Cunneware that he would have slain him if the path had been clear. This episode with the jester shows that Parzival has not progressed so very far. 810 Hatte er am Artushof aus kumber über die brutale Züchtigung Cunnewares und Antanors beinahe Keie mit seinem Wurfspieß erschlagen und sich nur durch das Menschengedränge davon abhalten lassen (vgl. 153,14-18), so zeigt er sich hier ein weiteres Mal zu einer dem vorgeblichen Zorn des Gastgebers entsprechenden Affekttat bereit, 811 und als solche wird 290 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 812 Ridder: Kampfzorn, S. 48. Ähnlich Baisch: Ästhetisierung und Unverfügbarkeit, S. 225. 813 Beide Zitate: Ridder: Emotion und Reflexion, S. 219. 814 Maczewski: Wolframs Erzähltechnik, S. 17. - Zur blutenden Lanze Kaske: »Die Objektbiografie der Lanze, die Trevrizent ausfaltet, setzt eine heidnische, ritterliche Waffe ins Zentrum der Gralsgesellschaft. Sie erinnert an die sündhafte Verwundung im Minnedienst und ist gleichzeitig schmerzlinderndes Mittel. Damit grenzt sich die Gralsgesellschaft von der des Artushofes auch im Verständnis von Ritterschaft ab - während am Artushof Minnedienst nicht negativ konnotiert ist, stellt er für die Gralsritter höchste Verfehlung dar. Durch die religiöse Dimension wird neu perspektiviert, was Ritterschaft sein kann« (Materielle Ritterschaft, S. 38). 815 Hierbei ist übrigens nicht von Repanses Mantel die Rede, den man sich als »ärmellosen Umhang« (Brüggen: Kleidung und Mode, S. 83) vorstellen muss (vgl. Kordt: Stellenkommentar zu 229,14, S. 56). 816 Hierzu Green: »Even though he [Gurnemanz; S.W.] adds a qualification to his recommendation which weakens it considerably (171,28 […]), the force of this condition is implicitly weakened by the narrative, for Wolfram pointedly keeps Parzival away from situations in which Gurnemanz’ condition could justify his killing an opponent« (Homicide and Parzival, S. 30). sie im Folgenden auch von den umstehenden Rittern identifiziert: […] und schütet ab iu zornes last (229,22). Die Äquivalenzsetzung beider Szenen deutet darauf, dass ein Austausch der Waffen letztlich keinen Einfluss auf das ungehemmt (auto)aggressive Verhalten des »kommunikativ zurückgeblieben[en]« 812 Protagonisten zeitigt - er ist und bleibt bis auf Weiteres eine »Verkörperung von Kampfzorn«, und »sein Reflexionsvermögen entwickelt sich (wenn überhaupt) nur zögerlich.« 813 Neben diesem zurückweisenden analeptischen Verweis steht zudem ein proleptischer, »ein Assoziierungsprozeß […], der Parzivals Bluttat mit der blutenden Lanze in Verbindung setzt«, 814 von der es heißt: an der snîden huop sich pluot / und lief den schaft unz ûf die hant, / deiz in dem ermel wider want (231,20-22). Blut im Ärmel des Entwaffneten 815 wie des Lanzenträgers - indes die Lanze und das aus deren Spitze fließende Blut Anfortas’ schuldige Vergangenheit präsent hält und die Gralgemeinschaft zum jâmer ermant (vgl. 232,1-4), fungiert Parzivals Schwert gerade als abwesendes Zeichen seines gegenwärtigen Zorns. Auf der einen Seite die Gegenwart zorniger Ritterschaft und sîn swert wol gemâl als deren potentielles, aber nicht zuhandenes Instrument, auf der anderen die Lanze als Semiophor, der eine vergangene Verfehlung sichtbar auf Dauer stellt: Die Blutspuren verflüssigen die Grenzen zwischen Gegenwart und Vergangenheit, sie deuten überdies implizit auf eine Zukunft, in der Parzival das rote Schwert wieder zuhanden ist, auf die Gefahr künftiger Sünden und Bluttaten sowie auf die Übergängigkeit von ritterlichem Zweikampf und zorniger Affekttat - den Hofnarren hätte Parzival, so der Erzähler, eben nicht verschont, er hätte nâch den lîp verlorn / von dem jungen Parzivâl (229,8f.). 816 Wie passt nun dieses Verhalten zu Gurnemanz’ Lehren, wie der Parzival auf der Gralburg zu dem vor Patelamunt? Hier ist auf die Einschränkung zu Gurnemanz’ Mitleidsregel hinzuweisen: Das Versprechen der sicherheit soll Parzival nämlich nur annehmen, […] ern hab iu sölhiu leit / getân diu herzen kumber wesn (171,28f.), eine doppelbödige Ausnahme, die eine Tötung des redespæhen mannes legitimierte, wenn dieser denn - doch diese Differenzierung nimmt Gurnemanz nicht vor - ein Ritter wäre und von Parzival im Zweikampf überwunden würde. Wie Gahmurets Anlegen des Adamas vor Kanvoleiz eng an die Traueremotion gekoppelt war, sind es nun leit und herzen kumber sowie zorn, die Parzival zum Schwert greifen lassen, Emotionen mithin, die die gewaltregulierende Handlungsnorm außer Kraft setzen und den Helden wieder dem Handlungsskript der Waffe überantworten. 291 Exkurs zu Parzivals Angriffswaffen II: abermals zu Parzivals Schwertern 817 Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 218. Vgl. für den Kontext der Stelle Kap. 1.4.1, Anm. 158 dieser Arbeit. 818 Nach Haug »begegnet [Parzival] auf der Gralsburg Munsalvæsche der elterlichen Minneritterwelt, er begegnet ihrer Doppelgesichtigkeit, ihrem unerhörten Glanz im festlichen Gralsaufzug und ihrer erschreckenden Fatalität in der Gestalt des gequälten Gralskönigs. Es erscheint hier der Zwiespalt der Gahmuretwelt in höchster Steigerung: als atemberaubende Schönheit gegenüber Blut und Qual und Jammergeschrei« (Parzival ohne Illusionen, S. 206). 819 So Schröder in einem kurzen Abriss der Forschungspositionen: Parzivals Schwerter, S. 113; s. zuletzt ähnlich Stolz: Wolfram von Eschenbach’s Parzival: Searching for the Grail, S. 453. 820 »Das siegverleihende Schwert, das Anfortas seinem Gaste Parzival schenkt […][,] ist ein Reststück eines größeren Sagenblocks und nur ein literarisches Ausstattungsmittel, das für Parzivals ferneres Schicksal keine Bedeutung hat; wohingegen sein erstes Schwert, das er Ither beim Leichenraub abgenommen, zu einem ethischen Symbol wird« (Ehrismann: Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters, S. 253; mit älterer Literatur ebd., Anm. 4). 821 Richter: Spiegelungen, S. 85, Anm. 193. Es ist somit bis hin zum finalen Bruderkampf und auch noch darüber hinaus (vgl. 793,3- 8) eine Verhaltenskontinuität Parzivals indiziert, die weder von den hinzugewonnenen Waffen noch von den sprachlich vermittelten Einweisungen in deren Handhabung gänzlich gebrochen würde - Gurnemanz’ Lehre trägt allenfalls zur teilweisen ›Zivilisierung‹ ungezügelten Gewalthandelns bei, den Impuls zum blinden und zornigen Kämpfen reguliert sie hingegen gerade nicht. Auch die Inszenierung des Schwertes in Parzivals weiteren Verwandtenkämpfen zeugt von der angesprochenen Konstante im Verhalten Parzivals, einem Verhalten mithin, das weniger durch eine seiner Waffe inhärente Kampflogik vermittelt zu sein als das Waffen-Skript vielmehr selbst schon inkorporiert zu haben scheint. Anders gewendet: Das Itherschwert macht aus Parzival noch keinen Ritter, es übersetzt zunächst sein Kampfverhalten in ein normatives Handlungsskript, das ihrem Träger einzig die Flucht verbietet (so Iwanet) und dringend der Ergänzung (durch Gurnemanz) bedarf; erst ihr Fehlen zeigt, dass die Einschränkung dieser zweiten an das Ding gebundenen Lehre ein Verhalten legitimierte, das in deren wörtlicher Auslegung, im Verkennen der Situation oder im schieren Zorn das Schwert zum Instrument der Tötung machte, ein Verhalten, das sich indes einstweilen erst in einer autoaggressiven Handlung Bahn bricht. Im Gegenüber des unverschämten Hofnarren wäre das Itherschwert, wie jede Angriffswaffe, sei es ein gabylôt oder eine Lanze, selbstredend ein mächtiger Akteur - in schier unvorhersehbaren Situationen der gesteigerten emotionalen Involviertheit würde also Parzival »mit der Waffe in der Hand […] jemand anderes«. 817 Die Agency des Schwertes ist mithin skalierbar, es kann, in wohlgeordneten Szenen ritterlichen Zweikampfes, auch zum Zwischenglied werden, oder, in kontingenteren Situationen, zum unheilvollen Akteur. Unmittelbar an die Hofnarr-Begegnung, an das exponierte Fehlen des Itherschwertes schließt sich die Gralzeremonie, eine Begegnung mit »der elterlichen Minneritterwelt« 818 , an, beschlossen nicht durch die Monstranz des Grals, sondern durch die Überreichung des in der Forschung als »blindes Motiv« 819 , als »bloße[s] ›literarisches Ausstattungsmittel‹« 820 oder, in ganz gegenläufiger Schwerpunktsetzung, als paradigmatischer »Knotenpunkt« 821 des Romans bezeichneten G r a l s c h w e r t e s, jenes »rätselhafte[n] Gegenstand[s] […], 292 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 822 Stolz: Dingwiederholungen, S. 277. 823 Groos: Ekphrasis, Landscape, and Power, S. 46. 824 Ernst: Wolframs Gral und der Schatz der Templer, S. 194. 825 So Kaske zur Lanze: »Dass die Stummheit Parzivals auf der Gralsburg die ›Schlüssel-Frage der Parzival-Interpretation‹ darstellt, liegt zu einem hohen Grad an der schwierigen Lesbarkeit der Lanze. Dass die Lanze ebenso wie der Gral zeichenhaft auf Anfortas’ Leiden hinweist bzw. metonymisch dafür steht, wird in der erzählerischen Darstellung nicht klar« (Materielle Ritterschaft, S. 36). 826 Auf die Präsemantisierung des Gralschwertes als Herrschaftssymbol weist Mersmann hin: »Das Schwert erscheint als Kampf- und Zeremonienschwert; das zur Frage Reizende der Schwertschen‐ kung liegt vor allem in seiner Bedeutung als Standes- oder Amtsszeichen. Die Weggabe des Standes‐ zeichens ist gleichbedeutend mit der Aufgabe des Standes. Der Vorgang ähnelt einer Abdankung, während Parzivals Beschenkung Züge einer Designation trägt« (Der Besitzwechsel und seine Be‐ deutung, S. 135f.; vgl. affirmativ Schröder: Parzivals Schwerter, S. 122, der allerdings den »Charakter des Schwertes als Waffe« hervorgehoben sieht). Die enge Verknüpfung von Schwert und Mantel stützt Mersmanns Sicht; in diesem Sinne Czerwinski: »Krönungsmantel und Zeremonialschwert sind Herrschaftszeichen, ihre Darreichung ist (nicht: bedeutet! ) die Installation des neuen Herren […]. Die Verleihung des weiblichen Herrschaftszeichens wäre dann eine notwendige Vorstufe, über die nur er zum Schwert, dem Zeichen der männlichen Herrschaftsfolge gelangen kann« (Der Glanz der Abstraktion, S. 130f.). Dagegen argumentiert etwa Mertens-Fleury, die die Ausschließlichkeit der Bedeutungszuschreibung als dynastisches Zeichen infrage stellt und ausgehend von den Versen 239,25-27 vorrangig eine »direkte[] Relation zum Leiden des Anfortas« gestiftet sieht (Leiden lesen, S. 145). 827 Nellmann: Stellenkommentar zu 293,24-30, S. 584. Vgl. ders.: Stellenkommentar zu 231,15-240,30, S. 574 für eine tabellarisch-vergleichende Übersicht der Abläufe bei Chrétien und bei Wolfram. Zu den dessen änigmatischer Charakter an den Gralgeheimnissen teilhat, ohne je ganz aufgelöst zu werden« 822 . Die Inszenierung des Gralschwertes ist eingebettet in eine eindrucksvolle Prachtenfal‐ tung höfischer Kultur: A preponderance of substantives referring to the material culture of the high aristocracy around 1200 enables audience imagination to feast on the extraordinary richness of the clothing and surroundings, that is, to supply a vision of the experience from the images stored in their own memories. 823 Nach Anfortas’ und der auf seine Erläuterungen folgenden Erzählerklage (vgl. 240,3ff.) ist die Übergabe des Schwertes als letzter erfolgloser Versuch zu werten, Parzival dazu zu animieren, die erlösende, »quasi magische bzw. charismatische« 824 Mitleidsfrage zu stellen - nach der blutenden Lanze also eine zweite Waffe, deren Zeichenhaftigkeit sich aufgrund ihrer »schwierigen Lesbarkeit« 825 dem Protagonisten entzieht. Über das von einem Knappen hereingetragene Schwert, Waffe, Herrschaftsinsignie und Zeichen für die Leiden des Anfortas in einem, 826 heißt es: des palc was tûsent marke wert, sîn gehilze was ein rubîn, ouch möhte wol diu klinge sîn grôzer wunder urhap. der wirt ez sîme gaste gap. (239,20-24) In signifikanter Abweichung vom chrétienschen Prätext verschiebt Wolfram die Einfüh‐ rung des Schwertes »als krönende[n] Abschluß gewissermaßen« 827 an das Ende der 293 Exkurs zu Parzivals Angriffswaffen II: abermals zu Parzivals Schwertern Abweichungen Wolframs gegenüber Chrétien an dieser Stelle vgl. auch Stolz: Dingwiederholungen, S. 277f. 828 »Es geht vor allem darum, […] ob das Schwert des Anfortas nicht doch auch zu militärischer Verwendung bestimmt war und von Parzival genutzt worden ist. Anfortas versichert ja ausdrücklich, daß er es ›in nôt / in maneger stat‹ (239,25f.) gebraucht habe« (Schröder: Parzivals Schwerter, S. 127). 829 Zum Verständnis von geprüevet (240,1) vgl. Nellmann: Stellenkommentar zu 240,1, S. 584. 830 »Die Freigiebigkeit des Herrschers, der einem Gast dadurch die Ehre erweist, dass er ihm sein kostbares Schwert zum Geschenk macht […], evoziert nach den Prinzipien höfischer Reziprozität den Ausdruck von Freude oder Wertschätzung. Die Verschränkung mit einem Appell an das Mitgefühl des Gastes wirkt vor dem Hintergrund dieser Tradition höfischer Interaktion hingegen befremdlich« (Eming: Aus den swarzen buochen, S. 93). 831 Schirok: Die Inszenierung von Munsalvaesche, S. 61. 832 Marshall: Körper - Ding - Schrift, S. 450. Ähnlich Jaeger, der Parzivals Blindheit für die in der Gralzeremonie, an den Gegenständen zu besichtigenden wunder betont: »Nicht nur fehlendes Mitleid, sondern auch die Unfähigkeit, sich durch Wunder zum Fragen provozieren zu lassen, konstituieren sein moralisches Versagen« (Wunder und Staunen bei Wolfram und Gottfried, S. 130). ›Prozession‹ und lagert überdies diverse Informationen über das Schwert an spätere Stellen aus. Während in Chrétiens Perceval bereits eine über die Herkunft der Waffe aufklärende Inskription auf der Klinge Erwähnung findet (vgl. Perc., 3135-3137) sowie zudem un tot seul peril (Perc., 3141) angedeutet wird, dessen Hintergründe einzig dem Schmied des Schwertes bekannt seien (vgl. Perc., 3142 f.), verfolgt der Parzival-Erzähler eine noch restriktivere Informationspolitik: Knapp gehaltene Andeutungen über Wert und Materialität des Schwertes werden von Anfortas’ rückblickhaften Ausführungen über seine eigene Geschichte als Träger der Waffe flankiert. Er habe es so lange getragen und in »militärischer Verwendung« 828 gehabt, […] ê daz mich got / ame lîbe hât geletzet (239,26f.), und er übergebe es nun als Entschädigung für etwaige Unannehmlichkeiten bei Parzivals Aufenthalt auf der Gralburg: nu sît dermit ergetzet, / ob man iwer hie niht wol enpflege (239,28f.). Wann auch immer er sînen art (240,1) kennenlerne, 829 wäre er von da an im Kampf, gein strîte, bewart (240,2). Dass Parzivals Mitleidsfrage noch immer ausbleibt, wie der Erzähler es sogleich emo‐ tional - ôwê daz er niht vrâgte dô! (240,3) - beklagt, nimmt kaum Wunder, ist doch die gewünschte Reaktion nach höfischen Verhaltensmaßgaben ebenso wenig erwartbar, 830 wie die Frageimpulse eindeutig wären: So ermöglichte die kryptisch-verrätselte Rede des Anfortas Nachfragen nicht nur nach seinem Leiden als Strafe Gottes - freilich eine Frage, die Anfortas, vielleicht in Sorge, diese allzu offensichtlich provoziert zu haben, »im Grunde selbst beantwortet« 831 -, sondern auch nach dem art des Schwertes, dem Parzival ja explizit nachzugehen (prüeven) aufgegeben wird (vgl. 240,1f.). Auch mit Blick auf die späteren Klagen Sigunes, Cundries und Trevrizents über das Ausbleiben einer Frage auf Munsalvaesche hält Sophie Marshall fest: Die undurchsichtige Verquickung der Gralsfrage mit der Frage nach weiteren Dingen (sollte Parzival auch nach der blutenden Lanze, den Silbermessern und dem Schwert fragen? […]) bestärkt den Eindruck einer undurchschaubaren Gesetzlichkeit der Dingwelt. 832 294 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 833 In der Forschung konnten im Falle dieser Äußerung des Anfortas indes nur Mutmaßungen angestellt werden: Bumke zum Beispiel vermutet eine »Anspielung darauf […], daß der König sich wegen seines körperlichen Zustands nicht persönlich um den Gast kümmern kann« (Die Blutstropfen im Schnee, S. 69, Anm. 134), wohingegen Schirok den Versuch indiziert sieht, »das tatsächliche Motiv zu kaschieren« (Die Inszenierung von Munsalvaesche, S. 61, Anm. 71). 834 Zumal nachdem dieser in Soltane, in seiner ersten Verbaläußerung bereits die Fähigkeit zur compassio unter Beweis gestellt hat. Zu Parzivals Mitleid mit den von seiner Mutter verfolgten Vögeln vgl. Stein: wort unde werc, S. 79. 835 Barthes: Sémantique de l’objet, S. 249. Übersetzung: »[W]ie verleihen die Menschen den Dingen Sinn, die keine Laute sind? « (Semantik des Objekts, S. 187). 836 »Indem die Frage explizit an die als Höhepunkt der Gralsszene angelegte Schwertgeste gebunden wird, verweist sie auf den für Wolfram wichtigen Doppelaspekt von Anfortas’ Erlösung und Parzivals Herrschaftsnachfolge […]: Anfortas’ Erlösung und die Herrschaftsübergabe gehören - anders als wohl bei Chrétien - genuin zusammen« (Dörrich: Poetik des Rituals, S. 46; zur Gralzemonie vgl. ebd., S. 28-33 und S. 43-48). 837 Dimpel: Wertungsübertragung und Kontiguität, S. 360. Einen ähnlichen Effekt zeitigt die Paralleli‐ sierung von Gawans (angeblichen) Vergehen, z. B. dem ihm zur Last gelegten Mord an Kingrimursels Lehnsherrn, mit Parzivals Versäumnis auf der Gralburg: »Indem die Vorwürfe gegenüber Gawan als unzutreffend bewertet werden [….][,] werden qua retrospektive Wertungsübertragung auch die Vorwürfe von Cundrie an Parzival als womöglich unberechtigt perspektiviert: Da keine kausale Erklärung dafür angeboten wird, warum Parzival später eine zweite Chance erhält, Anfortas zu Auch Anfortas’ merkwürdige Auslegung der Übergabe des Schwertes als ›Entschädi‐ gung‹ 833 und seine abschließende Bemerkung, Parzival sei mit diesem Schwert unter der mysteriösen Bedingung, er hätte dessen art kennengelernt, im Kampf unverwundbar, sind dazu angetan, weitere Fragen und damit Zweifel an einer schuldhaften Verfehlung Parzivals aufzuwerfen 834 - der Abschluss der Rede lenkt den Fokus ja vielmehr auf die Gebrauchsfunktion des Schwertes als Waffe. Da mithin die ›Mitleidsfrage‹, wie von Trevrizent vereindeutigt, nicht explizit angespro‐ chen, der potentielle Erlöser nicht ›gewarnt‹ werden darf (vgl. 483,24-484,2), muss die so eingeschränkte und dysfunktionale sprachliche Kommunikation um andere, um dingliche Zeichen ergänzt (Assoziation) respektive durch diese ersetzt werden (Substitution), um Zeichen, die sich für diesen Zweck als defizienter nicht erweisen könnten. Der Szene ist die Frage unterlegt, »comment les hommes donnent-ils du sens aux choses qui ne sont pas des sons«. 835 Zur Intention der Übergabe als versuchsweisen symbolisch-kommunikativen Akt kommentiert der Erzähler: wan do erz [das Schwert] enpfienc in sîne hant, / dô was er vrâgens mit ermant (240,5f.). Diese Vereindeutigung der symbolisch-kommunikativen Bedeutung des Schwertes und seiner Übergabe steht in starkem Kontrast zur Mehrdeutigkeit vorgän‐ giger imwie expliziter Bedeutungszuschreibungen als Zeichen etwa für das Leiden des Anfortas, das erst an späterer Stelle mit der von Sigune angesprochenen Zerbrechlichkeit des Schwertes in Verbindung gebracht wird, oder als dynastische Herrschaftsinsignie. 836 Weiterhin korreliert die hier statthabende Bedeutungsdiffusion mit späteren Bewegungen der moralischen Relativierung von Parzivals Frageversäumnis, erweisen sich doch Anfortas und auch Trevrizent selbst als Figuren, die sich ihrerseits - anders als Parzival - der wohl wissentlichen Übertretung göttlicher Gebote schuldig gemacht haben: »Damit [wird] auf Darstellungsebene Parzivals unwissentliches Versäumnis angesichts dieser vorsätzlichen Regelverstöße relativiert«. 837 295 Exkurs zu Parzivals Angriffswaffen II: abermals zu Parzivals Schwertern erlösen, erscheint auf kompositorischer Ebene die Neubewertung von Gawans vermeintlicher Schuld für die Parzivalhandlung von nicht zu unterschätzender Relevanz« (ebd., S. 363). 838 Dies mit Bezug auf die der Gralprozession vorgelagerte Begegnung mit dem redespæhen man: »Was diesen ›Narren‹ auszeichnet, ist […] seine besondere Fähigkeit, Sprache wirkungsvoll […] einzu‐ setzen. Parzivals Reaktion ordnet sich der Sprache als Hauptmotiv der Episode unter« (Maczewski: Wolframs Erzähltechnik, S. 15). Ähnlich Mertens, der in der Hofnarrszene indiziert sieht, »[w]ie wenig Parzival gelernt hat, Sprache situationsgerecht zu gebrauchen« (Parzivals doppelte Probe, S. 330). 839 Barthes: Sémantique de l’objet, S. 259. Übersetzung: »Die Objekte geben uns diesen Sinn, den sie besitzen, nicht auf offene, deklarierte Weise« (Semantik des Objekts, S. 197). 840 So Bumke mit Bezug auf 239,10 (durch zuht in vrâgens doch verdrôz): »Parzival denkt an Gurnemanz’ Warnung und unterläßt die Frage durch zuht (239,10). Er macht also denselben Fehler wie bei seinen ersten Schritten in die Welt: er ist nicht imstande, einen empfangenen Lehrsatz in einer konkreten Situation richtig anzuwenden« (Wolfram von Eschenbach, S. 68); so auch Mertens-Fleury: »Bei Wolfram stehen höfische zuht und affektive Leidenspartizipation miteinander in Spannung« (Leiden lesen, S. 147). 841 »Parzival wäre demnach in doppelter Weise zum Schweigen verpflichtet: Schon im Rahmen des rituellen Empfangs darf er getreu der Lehre von Gurnemanz nicht fragen, und angesichts des Gralrituals ist eine Frage an den rituellen Ablauf gleichfalls nicht möglich, ohne das gesehene Ritual zu zerstören. Dennoch wird aber eine solche Störung von Parzival verlangt« (Bleumer: Wahrnehmung literarisch, S. 148). 842 Ähnlich Wenzel, der festhält, Parzival könne »die Zeichen nicht als integrierende Symbole lesen, und so bleibt er vor den Leiden des Gralskönig stumm […]. Parzivals Deutung mißlingt, weil ihm die situativ vermittelte Einschulung in die profane und religiöse Dimension der höfischen Zeichen fehlt und er sich deshalb zu mechanisch auf die Regeln verläßt, die Gurnemanz ihm mitgegeben hat« (Hören und Sehen, S. 50). - Zu den sprachlichen Funktionen nach Jakobson vgl. Kap. 2.2.2, Anm. 238. Dass sprachlich-kommunikative Diskurse als »Hauptmotiv der Episode« fungieren, ist bereits von Johannes Maczewski beobachtet worden 838 - aus der abschließenden Erzähler‐ klage wird ersichtlich, dass auch die Dinge, hier: das Gralschwert, an diesen Diskursen partizipieren, dass sie zwar in ihrer rîcheit (239,9) als wahrnehmbare, jedoch eben nicht als einsinnige Signifikanten und mit Aufforderungscharakter lesbare Zeichen figurieren: »En effet les objets ne nous donnent pas ce sens qu’ils ont, d’une façon franche, declarée.« 839 Und so ist das Frageversäumnis nicht nur als Ausweis einer den Gralhof affizierenden Sprach- und Kommunikationskrise, als Indikator einer der Situation nicht angemessenen zuht Parzivals 840 oder als aus dem Nebeneinander zweier Rituale, des Empfangsbzw. Angleichungsrituals und des Gralrituals, resultierendes Dilemma 841 zu lesen, sondern auch als Zeugnis eines dysfunktionalen Verhältnisses zwischen den ihre Bedeutungszuschrei‐ bungen nicht von selbst preisgebenden Dingen respektive diese als evident-sprechende Zeichen missverstehenden ›Sendern‹ und ihre intendierte konativ-kommunikative Funk‐ tion verkennendem ›Empfänger‹. 842 Dabei hatte die Gralzeremonie bis hierhin auch demonstriert, wie eine Mensch-Ding-In‐ teraktion und -Kommunikation unter anderen Umständen gelingen kann: So evoziert die Monstranz der blutenden und wie auch das Schwert als ›mahnendes Zeichen‹ beschrie‐ benen Lanze (vgl. 232,3 und 240,6) zu Beginn des Ritus starke emotionale Reaktionen, Weinen, Schreien, jâmer (232,2; vgl. 231,23-26) - und ebenso abrupt wie sie ausgebrochen ist, endet diese geräuschvoll zur Schau gestellte Kollektiv-Trauer mit dem Verschwinden der Lanze wieder: 296 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 843 Bleumer: Wahrnehmung literarisch, S. 148. 844 Knaeble: Höfisches Erzählen von Gott, S. 271. 845 »Auch hier wiederum wird eine Verbindung zwischen Herzeloydes und Parzivals Leiderfahrung wie auch den âventiuren Parzivals und Gawans hergestellt« (Richter: Spiegelungen, S. 144). Zur Gestillet was des volkes nôt, als in der jâmer ê gebôt, des si diu glævîn het ermant, die der knappe brâhte in sîner hant. (232,1-4) Während das emotionale ›Schauspiel‹ im geschlossenen Kreis der in den Code des Ritus und der Dingbedeutungen Eingeweihten gelingt, das Vorzeigen der so zeichenhaft wie anthropomorph blutenden Lanze den erwarteten Effekt zeitigt und die Gralgesellschaft zur Trauer ermant, wird die Übergabe des Schwertes an Parzival zum kontrastiven Gegenstück erfolgloser Kommunikation stilisiert: Parzival ist nun nicht nur der Gast einer externen und Betrachter einer internen rituellen Handlung, er wird offenbar auch Teilnehmer des Gralrituals. Nur gibt es für den Teilnehmer eines Rituals die Beobachterposition nicht mehr, will er die Bedeutung der Symbole vollständig erfassen. […] Was hier von Parzival verlangt wird, das ist eine das Ritual übersteigernde hermeneutische Bewegung, die in der Reflexion auf ein vorgängig wirksames Schema dieses Schema aufhebt. 843 Nachdem sich bereits am Artushof mit dem koph ein Ding als unzureichendes Kommunika‐ tionsmedium erwiesen hat, das den rabiaten Instrumentalisierungs- und Umdeutungsver‐ suchen des roten Ritters Ithers widerstand, ist es an dieser Stelle besonders das Gralschwert, an dem die Störungen und Aporien gralhöfischer, in den Ritus zeremonieller Handlungen eingebetteter Kommunikation offenbar werden. »Die Störungen der Höfe haben spiegel‐ bildlichen Charakter«, 844 sie werden an zentralen, einander in ihren Handlungs- und kommunikativen Funktionen ähnelnden Gegenständen sichtbar. Die Agency der Dinge ist, in Wolframs Imagination des Gralaufzuges, gerade nicht objektiv messbar, sondern wesentlich abhängig von der Figurenperspektive: Wo der Gralgesellschaft die Dinge, Lanze und Schwert, als Akteure und schier eindeutige Zeichen gelten, kann Parzival sowohl die Bedeutung der Dinge als auch deren Agency verkennen, wird die Zeremonie in seiner Perspektive zur Black-Box. Es ist mithin nicht nur eine von Gurnemanz vermittelte und von Parzival im Litteralsinn verstandene Norm der mâze - irn sult niht vil gevrâgen (171,17) -, dessen Einweisung in höfisch angemessene Formen der Kommunikation, der Interaktion (auch im Zweikampf) und des Mitleids - lât derbärme bî der vrävel sîn (171,25) -, die Parzival hier noch nicht inkorporiert hätte, es ist im gleichen Maße auch das rätselhafte, kommunikativ defiziente Mithandeln der Dinge, es sind die der Figur-Ding-Interaktion inhärenten Störungen, die Wolfram als ebenfalls zentrales Problem in den Vordergrund spielt. Im Anschluss an die Übergabe des Gralschwertes stehen das Bogengleichnis und die Schilderung der Nacht Parzivals auf der Gralburg, in deren Zentrum ein folgenreicher Traum, der der paradigmatischen Verdichtung des textuellen Bezugsgeflechts weiter zuspielt und expressis verbis auf Herzeloydes Drachentraum zurück- (vgl. den Hinweis auf sîner muoter troum in 245,6-8) sowie auf Gawans Lit marveile-Abenteuer vorausweist, 845 297 Exkurs zu Parzivals Angriffswaffen II: abermals zu Parzivals Schwertern Referenz auf Herzeloydes Angsttraum Brackert: »Wenn nun dieses Erschrecken - und Träume sind im Mittelalter in der Regel prophetische, zukunftsweisende Träume - mit dem Angsttraum der Herzeloyde in Verbindung gebracht wird, dann überträgt sich die Angst der Herzeloyde vor dem Rittertum hier offenbar auf den Sohn. […] Nehmen wir diese Identifizierung mit der Angst der Mutter ernst, so heißt dies, daß Wolfram auf der Ebene der Traumerfahrung seiner Figur eine ihr unbewußte, an dieser Stelle noch gar nicht mögliche Einsicht mitteilt: mit der Schuld am Tod der Mutter und an der Erschlagung seines Verwandten Ither, wird Parzival weiterhin in den unlösbaren Aporien der Vaterwelt zu leben haben, wird ihren Gefährdungen ausgesetzt sein« (der lac an riterschefte tôt, S. 157f.). 846 Die Eigenschaft gesteppet wird im Folgenden mit orientalischen Betttextilien in Verbindung gebracht. Ein späterer Reflex auf die oben besprochene Stelle findet sich in dem schwankhaften Erzählteil von Gawans Übernachtung beim Fährmann Plippalinot am Ende des X. Buches, hier heißt es: ein kulter wart des bettes dach, / niht wan durch Gâwâns gemach, / mit einem pfellel, sunder golt / verre in heidenschaft geholt, / gesteppet ûf palmât. / […] / man leit ein wanküssen dar, / unt der meide mantel einen, / härmîn niwe reinen (552,13-22). Der allusive Rückgriff auf Motive aus Parzivals Nachtlager auf der Gralburg (gesteppet, Mantel) lässt einen paradigmatischen Bezug offenbar werden, der auf strukturelle Unterschiede zwischen den Helden deutet: So steht Gawan hier kurz vor seinem Abenteuer auf Schastel marveile, das er am nächsten Morgen, nach einer traumlosen Nacht, als erstes in Augenschein nimmt; vgl. auch die ausführliche Beschreibung von Anfortas’ Bett bei Parzivals Rückkehr an den Gralhof in 790,9-792,5 (gesteppet ist hier ein pfell von Nourîente). 847 So Rippl zu Herzeloydes Drachentraum: »Die Illusion ist gesetzt und markiert, aber nur, um ihre Grenzen in der Folge spielerisch zu verwischen, um sie sprachlich zu verflüssigen« (Obskure Träume, S. 245). 848 Vgl. Czerwinski: Allegorealität. Czerwinski definiert die Allegorie in mittelalterlicher Wahrnehmung wie folgt: »[M]ittelalterliche Allegorien waren eine (unmittelbare) Wahrnehmungsform und kein (höchst vermitteltes) ›Mittel der Wirkung der Aussage‹; sie waren nicht Schmuck und Accessoire, sondern eine Form des Begreifens der Welt« (ebd., S. 10). und in dessen Folge die Akteursqualitäten der beiden Schwerter Parzivals zum Thema werden. Unerhörtes, strenge sachen (vgl. 245,17) suchen den Protagonisten in seinen nächtlichen Träumen auf: sus wart gesteppet im sîn troum mit swertslegen umbe den soum, dervor mit maneger tjoste rîch. von rabbîne hurteclîch er leit in slâfe etslîche nôt. möhter drîzecstunt sîn tôt, daz heter wachende ê gedolt: sus teilt im ungemach den solt. (245,9-16) Als materielles Artefakt und Kleidungsstück imaginiert, gesteppet  846 und mit Saum ver‐ sehen, diskursiviert der Traum, ebenso wie Parzivals nachfolgender Umgang mit dem Geträumten, das Verhältnis zwischen Real-Dinglichem und Imaginärem. Ein erster Hinweis auf das Verwischen klarer Demarkationslinien zwischen diesen Ebenen 847 ist schon zu Beginn der Traumsequenz gegeben, wenn es heißt, der gesellschaftlich isolierte Parzivâl niht eine lac: / geselleclîche unz an den tac / was bî im strengiu arbeit (245,1-3), wenn also die arbeit ganz unsymbolisch als Bettgesellin und anthropomorph-›allegoreale‹ Akteurin den Handlungsraum betritt. 848 Eine weitere »Verflüssigung der Grenzen von Illusion 298 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 849 Rippl: Obskure Träume, S. 249. 850 Siehe für beide Zitate Rippl: Obskure Träume, S. 249. 851 Brüggen: Kleidung und Mode, S. 86. und ›Realität‹« 849 indiziert auch die Bemerkung, Parzival habe wachende weit mehr, paradoxal-hyperbolisch: dreißigmaliges Totsein, als die in slâfe geträumte Not ertragen. Schwerthiebe (swertslege) auf dem Saum des Traum-Kleids, dazu ritterliche Zweikämpfe (tjoste) und Attacken zu Pferde (rabbîne) - im Gegensatz zu Herzeloydes Drachentraum (vgl. 103,25-104,30) kommen auf der Gralburg »merkwürdig ›realistisch[e]‹, besser: unwild[e]« und »erkennbar kuturförmig[e]« 850 Trauminhalte zur Sprache, Inhalte, die überdies Reflexe auf der übergeordneten Realitäts-, der Handlungsebene zeitigen: So nimmt der Erwachende den Traum und den darin erlittenen pîn zum Anlass, sich unmittelbar wachende[r] arbeit (246,9) zuzuwenden und für seine Gastgeber, darunter die eigens hervorgehobene Repanse, diu disen mantel niuwen / mir lêch durch ir güete (246,14f.), in den Kampf zu ziehen. Neben die Assoziation des Traummantels mit der hier erwähnten Mantelgabe Repanses - und der Mantel ist »Standesabzeichen und Herrschaftssymbol in besonderem Maße« 851 - treten metonymische Bezüge zwischen der materiellen Traumfiguration und den Parzival umgebenden, nun in dessen Wahrnehmung dringenden dinglichen Requisiten: Während den imaginären Mantel Kampf- und Traumbilder zieren, liegen neben der Schlafstatt seine Waffen auf dem Teppich: Ufem teppech sach der degen wert ligen sîn harnasch und zwei swert: daz eine der wirt im geben hiez, daz ander was von Gahaviez. dô sprach er zim selben sân ›ouwê durch waz ist diz getân? deiswâr ich sol mich wâpen drîn. […]‹ (246,1-7) Die Spiegelung imaginärer Wahrnehmungsgegenstände (swertslege, tjoste, rabbîne) in den realen (harnasch, Schwerter) setzt den geträumten Kampf in Entsprechung zu seinen symbolisch-verdichteten Materialisierungen. Zudem konkretisiert sich das Motiv des Kleides als medialer Traumbildträger nicht nur in Repanses Mantel, es wird daneben auch mit dem ebenfalls textilen Teppich, der schon im Vorfeld der Traumszene erwähnt wird (vgl. 244,27f.), allusiv wiederaufgerufen. Diese symbolischen Ähnlichkeiten - der in den Mantel eingearbeitete Kampf, die auf dem Teppich platzierten Waffen und Rüstungsgegenstände - lassen Traum und Realität in ein Verhältnis der Konvergenz treten, in ein Verhältnis mithin, das mit Parzivals direkter Reaktion auf das Gesehene, auf das den Traum im ›realen‹ Raum Abbildende um handlungslogische Interferenzen zwischen beiden Bildebenen ergänzt wird. Funktion und Rolle der Dinge lassen sich für weiterführende poetologische Überle‐ gungen zu dieser Stelle fruchtbar machen: Im Traum sowie im Blick auf das Real-Sichtbare fungieren textile Materialien als Medien, die jeweils ähnliche Bilder vermitteln respektive Gegenstände ›präsentieren‹. Dass gerade die Stofflichkeit, die Textilität der beiden me‐ dialen Gegenstände Mantel und Teppich zu metonymischen Verwandten macht, erlaubt, die Stelle auch als Reflexion auf die Medialität der Erzählung zu lesen, insbesondere nachdem 299 Exkurs zu Parzivals Angriffswaffen II: abermals zu Parzivals Schwertern 852 Ingarden: Das literarische Kunstwerk, § 33, S. 234. diese bereits im Prolog mit Traumbildern und deren Vermittlung in Verbindung gebracht wurde. Gleichzeitig werden die Schwerter durch ihre albtraumhaften Entsprechungen mit entfesselter Gewalt, nôt, pîn, tôt und urliuge, konnotiert, sie akkumulieren somit eine ebenso düstere wie auf Parzivals Versuche, den Gral im Kampf zu erstreiten, und insbesondere seine Verwandtenkämpfe vorausdeutende Symbolkraft: Der Weg Parzivals steht weiter im Zeichen des Kampfes, der hier unterschiedslos als affordante Waffen imaginierten Schwerter, des Itherwie des Gralschwertes. Wie sich im Traum bereits die Realität ankündigt und in der Realität dann das Geträumte gespiegelt findet, so werden auch Parzivals Schwerter, die paradigmatische Waffe ›Itherschwert‹ wie im gleichen Zuge das vieldeutig-mysteriöse Zeichen ›Gralschwert‹, daz eine wie daz ander (246,4f.), angelegt, um nun weiterzukämpfen und seinem Gastgeber etwa in urliuges nôt (246,11) beizustehen - Traum und Realität, Zeichen und Ding, in Parzivals Perspektive fordert alles zum Kampf, und jetzt, endlich, gibt er eine ›Antwort‹ auf das von den Dingen augenscheinlich Geforderte: von fuoz ûf wâpent er sich wol / durch strîtes antwurte, / zwei swert er umbe gurte (246,24-26). Die Relationierung von ›realen‹ mit ›geträumten‹ Dingen deutet fernerhin auf eine Verhandlung des Realitätsgehalts literarisch imaginierter Gegenstände, auf die, mit Roman Ingarden gesprochen, Quasi-Realität beider ›Seinsmodi‹: Das Merkwürdige ist dabei, daß ihr [der im literarischen Kunstwerk vorliegenden Modifikation des Seinscharakters] nicht bloß der Realitätscharakter, sondern gegebenenfalls auch die Charaktere sämtlicher anderer Seinsmodi unterliegen können. Dies zeigt sich z. B. ganz deutlich dann, wenn es innerhalb der dargestellten Welt zu einer Kontrastierung der »realen« Gegenständlichkeiten mit den von einer dargestellten Person nur »geträumten« Gegenständen kommt. An diesem Falle sehen wir nicht nur, daß die Seinscharaktere in der dargestellten Welt spürbar vorhanden sind, sondern auch, daß die hier »geträumte« Welt nicht eine im echten Sinne geträumte, sondern nur eine quasi-geträumte ist. Damit unterliegt auch das, was hier geträumt wird, was der quasi-realen Welt als »Traum« gegenübergestellt wird, der eigentümlichen Modifikation des »Quasi« […]. 852 Eines der beiden Schwerter, gerade das Gralschwert, wird in der Folge noch einmal als Ansporn des Helden hervorgehoben, der nach dem Verlassen der Gralburg seinem Wunsch Nachdruck verleiht, ›[…] daz ich gediende mîn brôt und ouch diz wünneclîche swert, daz mir gap ir hêrre wert. ungedient ich daz trage. si wænent lîhte, ich sî ein zage‹ (248,26-30), ganz dem art seines Vaters Gahmuret entsprechend, dessen unbedingte Absicht, in seinem harnasch lobenswerte Taten zu vollbringen (vgl. 7,27-30 und Kap. 2.1.1 dieser Arbeit), an dieser Stelle mit Parzivals Verhalten korreliert: Im Falle des Vaters wie des Sohnes werden Ausrüstungsgegenstände zu Akteuren, denen einzig das Handlungsskript ›Kampf‹ und ›ritterliche Bewährung‹ eingeschrieben ist, denen jeweils ganz parallel ein auffordernd-im‐ 300 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 853 Seelbach sieht in Parzivals Wunsch, die Schwertgabe zu vergelten, überdies bereits eine »basale[] Reziprozität« am Werke: »Einem Lohn hat eine Leistung voranzugehen oder zumindest zu folgen. Von den Denkkategorien des Grals, die diejenigen der Freiheit der Gabe sind, trennen ihn jedoch Welten. Deutliches Signum dessen ist die unterlassene Frage - sie wäre ein Zeichen selbstloser Zuwendung und damit der reinen Gabe gewesen. Nur diese ist des Grals würdig« (L’Esprit du don, S. 341, Anm. 33). 854 »In jeder Begegnung mit dem Helden wird ihm bekanntermaßen von ihr Neues mitgeteilt. Sie besitzt einen Wissensvorsprung, über den Spannungseffekte im Erzählen aufgebaut werden« (Baisch: Ästhetisierung und Unverfügbarkeit, S. 227). Zu den Übereinstimmungen mit und Abweichungen von Chrétiens germainne cosine, die ebenfalls über ein »überraschend detailliertes Wissen von den spezifischen, ebenso wunderbaren wie bedenklichen Eigenschaften des Gralsschwertes« verfügt, s. Schröder: Parzivals Schwerter, S. 119f., Zitat auf S. 124. 855 Richter: Spiegelungen, S. 43. 856 Dietl: Die Frage nach der Frage, S. 288. perativer Charakter eignet und deren dingliche Agency wesentliche Impulse für das Voran‐ schreiten der Handlung bereithält. 853 An die Stelle der von Parzival nicht wahrgenommenen Agency von Lanze und Schwert in der Gralzeremonie, dô was er vrâgens mit ermant (240,6), tritt nun diz wünneclîche swert als Akteur, mit einem simpleren, sich dem Protagonisten ohne weiteres erschließenden Handlungsskript: Auszug und ritterlich-unverzagter Kampf. Die Transformation des Schwertes vom vieldeutigen Zeichen im Ritual, das nur eines nicht signifizieren soll: blindes Kämpfen um Ruhm und Minne, zum eindeutig-affordanten Akteur in Parzivals Blick vollzieht sich somit nur im Wechsel diametral entgegengesetzter Perspektiven auf ein Ding, das sich impliziten Bedeutungszuweisungen gegenüber als widerständig erweist, das als Schwert eben Waffe und dessen symbolische Dimension Parzival einstweilen verschlossen bleibt. Wie etwa Ither die symbolische Funktion eines Weingefäßes über- und dessen materielle Widerständigkeit unterschätzt hat, so ist es nun Anfortas, der die Dinge als ›echte Medien‹, als ›Zwischenglieder‹ zu instrumentalisieren sucht, ohne ihr fatales Mithandeln, ihre Agency mitzubedenken. Das Gralschwert rückt kurz darauf, bei Parzivals zweiter Begegnung mit Sigune, wieder ins Zentrum der Erzählung: Nachdem seine Cousine ihn bei der ersten Begegnung (vgl. 138,9-142,2) über seinen Namen und seine Genealogie aufgeklärt hat, steht nun die Geschichte des Gralschwertes im Vordergrund. Diese Parallelsetzung von Figuren- und Objektbiographie zeugt unter anderem von der die Erzählung strukturierenden Funktion der insgesamt vier Begegnungen mit der zur »Figur des Wissens« 854 ausgestalteten Sigune: Die Zusammentreffen mit Sigune sequenzieren das Syntagma der Parzival-Geschichte am deut‐ lichsten. Gerade sie lassen sich daher als Schlüsselstellen betrachten, an denen sich syntagmatische und paradigmatische Strukturen verdichten. 855 Die ihrem Liebenden Schionatulander bis in den Tod treue Sigune, Kontrastfigur nicht nur der hartmannschen Lunete (vgl. den intertextuellen Verweis in 253,10-17), sondern auch der auf ›Ersatz‹ ihrer verstorbenen Liebhaber zielenden Figuren im Parzival, nimmt das Gralschwert nicht gleich zu Beginn ihrer Begegnung mit dem Verwandten wahr, sondern erst, nachdem sie diesen bî der stimme (251,28), also gerade nicht an seinen Ausrüstungsgegenständen erkannt hat, gewissermaßen als die Fortsetzung des Dialogs anregenden »optische[n] Eindruck« 856 . Parzivals Behauptung, er habe die letzte Nacht auf der Gralburg verbracht, stellt ihn in den Augen Sigunes explizit unter Lügenverdacht, 301 Exkurs zu Parzivals Angriffswaffen II: abermals zu Parzivals Schwertern 857 Green: The Art of Recognition, S. 115. 858 Zu diesem Motiv vgl. Cordes: Das Motiv des Wiedererkennens an der Stimme. 859 Zur Varianz in der handschriftlichen Überlieferung, insbesondere der Lesart in *T (daz swert stât ganz einen tac) Stolz: »Auffällig ist, dass das Schwert gemäß Fassung *T immerhin einen tac standhält (so die zugehörigen Textzeugen TUW, Hs. V verbessert zu slac). Es könnte sich um den redaktionellen Versuch handeln, den ›einen Schlag‹ zu erweitern, nämlich auf den Zeitraum eines ›ganzen Tages‹. Oder repräsentiert Fassung *T eine ältere Textstufe, in welcher der Autor die Interpolation noch nicht kannte und deshalb den Zeitraum des ›einen Tages‹ wählte? « (Von der Überlieferungsgeschichte zur Textgenese, S. 45). denn: ir traget doch einen gastes schilt (250,19) - man ergänze: »he does not bear the Grail coat of arms and therefore cannot come from Munsalvæsche«. 857 Dass die Cousine zwar einen Blick für die identifizierenden Gnorismata ihres Gegenübers respektive deren sinnfällig-verdächtiges Fehlen unter Beweis stellt und ihn in für den Parzival überdies singulärer Art und Weise an der Stimme identifiziert, 858 verweist noch einmal verdeckt auf die Dysfunktionalität des Gralschwertes im Rahmen symbolischer Kommunikation. Wie beispielsweise bereits im Falle der gerade noch glückenden, einen Verwandtenkampf abwendenden Identifikationen Gahmurets vor Patelamunt und auf dem Turnier von Kan‐ voleiz oder auch später im Verwandtenkampf zwischen Parzival und Gawan, wird auch hier, jenseits des Kampfplatzes, das Erkennen des Gegenübers an seinen dinglichen Gnorismata als potentielles Problem ausgewiesen: Das Schwert wird gerade nicht als Zeichen der Beglaubigung von Parzivals Aufenthalt auf Munsalvaesche wahrgenommen, sondern erst an späterer Stelle, im Zusammenhang mit Sigunes Ausführungen über Anfortas von ihr zum Thema gemacht: du füerst och umbe dich sîn swert: bekennestu des swertes segen, du maht ân angest strîtes pflegen. Sîn ecke ligent im rehte: von edelem geslehte worhtez Trebuchetes hant. ein brunne stêt pî Karnant, dar nâch der künec heizet Lac. daz swert gestêt ganz einen slac,  859 am andern ez zevellet gar: wilt duz dan wider bringen dar, ez wirt ganz von des wazzers trân. du muost des urspringes hân, underm velse, ê in beschin der tac. der selbe brunne heizet Lac. sint diu stücke niht verrêrt, der si reht zein ander kêrt, sô se der brunne machet naz, ganz unde sterker baz wirt im valz und ecke sîn und vliesent niht diu mâl ir schîn. 302 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 860 Die enge Anbindung des Schwertes an seinen Schmied drückt sich sprachlich in dem sowohl anaphorisch auf sîn swert - so etwa die Übersetzung von Knecht: »Seine Schneiden liegen ganz gerade, seine Herkunft ist edel: Es ist ein Werk von Trebuchets Hand« - als auch kataphorisch auf Trebuchet zu beziehenden Vers von edelem geslehte (253,28) aus; beide Bezüge lassen die Geschichte des Schwertes als genealogische Kette imaginiert erscheinen. So etwa Martin: »von edelem geslehte gehört zu Trebuchet: die Schmiedekunst ist eine Heldenkunst und mit dem Adel vereinbar« (Stellenkommentar zu 253,28, S. 231). 861 So Stolz: Von der Überlieferungsgeschichte zur Textgenese, S. 45 (»wohl vom Dichter in witziger Absicht«). 862 Dietl: Arthurische ›Dinge‹ wiedererzählt, S. 174. 863 Zur Herrschaft des Anfortas und dessen disability vgl. Kerth: sîme volke er jâmers gap genuoc. daz swert bedarf wol segens wort: ich fürht diu habestu lâzen dort: hâts aber dîn munt gelernet, sô wehset unde kernet immer sælden kraft bî dir […].‹ (253,24-254,19) Auf eine erste verrätselte Andeutung zu dem bereits von Anfortas angesprochenen art des Schwertes - swenne ir geprüevet sînen art, / ir sît gein strîte dermite bewart (240,1f.) - folgen nun Hintergrundinformationen über dessen Herkunft und Geschichte: Wie die silbernen Messer auf der Gralburg oder der Helm des Orilus stammt auch das Gralschwert aus der prestigeträchtigen Schmiede Trebuchets. 860 Vermittels der Erwähnung eines Ur‐ sprungsortes, der dem Schwert bei Chrétien noch eingraviert ist (vgl. Perc., 3135-3137), der Quelle Lac im Königreich Karnant, wird das Gralschwert - durch die Namenskoinzidenz des Erecvaters mit der Quelle vermutlich als ironisch eingefärbter intertextueller Verweis zu lesen 861 - mit der »arthurische[n] Seite Parzivals« 862 in Verbindung gebracht und, wie sein neuer Träger, als Bindeglied zwischen Gral- und Artussphäre ausgewiesen. Dass dem Schwert eine vergleichsweise detaillierte Geschichte zugeschrieben wird, deutet eine Objektbiographie samt ›biographischem Raum‹ an, die, sich derjenigen der arthurischen Romanhelden annähernd, von einer zyklischen Bewegung von ›Auszug‹ und ›Rückkehr‹, derjenigen des Gralkönigs vergleichbar von ›Versehrung‹ und ›Heilung‹ geprägt ist. Letzteres rückt das Schwert motivlich eng an seinen Vorbesitzer Anfortas heran, dessen disability zunächst metonymisch-körperlich ([…] ich prâhtz in nôt / in maneger stat, ê daz mich got / ame lîbe hât geletzet; 239,25-27) und hier nun auch metaphorisch in Entsprechung zum art seiner zerbrechlich-erlösungsbedürftigen Gabe tritt. 863 Anfortas’ biographische Hintergründe werden wie die objektbiographischen des Schwertes nur verzögert enthüllt, und auch seine Heilung ist zwar nicht vom Wissen, so doch von der Artikulation der rechten segens wort abhängig - mit dem Schwert erlangt Anfortas somit eine dauerhaft-gegenständliche Präsenz, die zentrale Themen der Dichtung, Erlösung und Heilung, Zerstörung und Reparatur, dinglich im ›Skript‹, in der Gravur des Gralschwertes 303 Exkurs zu Parzivals Angriffswaffen II: abermals zu Parzivals Schwertern 864 »Das unterscheidet […] Sigunes Darstellung des Schwertsegens von der Trevrizents: Jener berichtet von einem auf dem Königsschwert festgehaltenen segen, der dem Schmied Trebruchent erfolgreich die Anfertigung der medizinischen Silbermesser lehrte (P 490,23f.). Hier ist der Schwertsegen als les- und anwendbar präsentiert, er und sein materieller Träger sind den menschlichen Zwecken verfügbar […]. Die Dinge in Sigunes Umfeld sind durch unfeste Berührungspunkte mit anderen Kategorien (hier: Schrift) charakterisiert und zeichnen sich durch eine Unverfügbarkeit aus, die in diesem kategorialen Zusammenspiel auf beiden Seiten potenziert wird« (Marshall: Körper - Ding - Schrift, S. 443). 865 Eliade: Das Heilige und das Profane, S. 114; vgl. Anm. 977 dieser Arbeit mit weiteren Literaturhin‐ weisen. 866 Die mannigfaltigen Vermutungen, die angesichts der restriktiven und oftmals uneindeutigen Infor‐ mationvergabe seitens des Erzählers an den Gegenstand heranzutragen sind (beispielsweise, die Inschrift entspreche dem Segen und der Mitleidsfrage), deuten, wie Schröder herausarbeitet, ihrer‐ seits darauf hin, dass »es Wolfram von Anfang an nicht um magische Wirkungen, sondern um den Symbolwert von Anfortas’ Schwert in Parzivals Hand zu tun war« (Schröder: Parzivals Schwerter, S. 131). Marshall sieht insbesondere in Sigunes dunklen Andeutungen über die Segensworte eine Aussage über die Unverfügbarkeit des Gegenstands impliziert: Der Segenstext sei »möglicherweise nicht zufällig nur von Sigune als bedeutend und doch als für die Figuren unverfügbar ausgestellt, was in ihrer Darstellung letzten Endes auch das Schwert der Verfügbarkeit entzieht« (Körper - Ding - Schrift, S. 443). vergegenwärtigt. 864 Damit bezeugt, nebenbei erwähnt, auch das Gralschwert Wolframs manische Tendenz, Einheit zu stiften. Symbolisch bedeutsam ist hierbei weiterhin das Motiv des Wassers, von dessen trân das Schwert wieder ganz unde sterker baz wird, und zu welchem der Religionsphänomenologe Mircea Eliade festhält, es stehe für die Summe der Möglichkeiten, es ist fons et origo, das Reservoir aller Möglichkeiten der Existenz; es geht jeder Form voraus und trägt jede Schöpfung. […] Umgekehrt symbolisiert das Eintauchen in das Wasser die Rückkehr ins Ungeformte, die Wiedereinfügung in den undifferenzierten Zustand der Präexistenz. Das Auftauchen wiederholt den kosmogonischen Akt der Formwerdung; das Eintauchen kommt der Auflösung der Formen gleich. Deshalb umfaßt der Symbolismus des Wassers sowohl den Tod als auch die Wiedergeburt. Die Berührung mit dem Wasser bedeutet immer auch Regeneration […]. 865 Das in Belakanes ›Tränentaufe‹ angelegte und in der Taufe des Feirefiz gipfelnde Motiv assoziierend, rückt der von Sigune wiedergegebene Mythos das Schwert in die Nähe einer kreatürlichen Gestalt: wazzer früht al die geschaft, / der man für crêatiure giht (817,26f.). Mehr noch: Während das Taufwasser der Seele ihren engelsgleichen schîn gibt (vgl. 817,29f.), bewahren auch die geheimnisvollen mâl auf dem Gralschwert beim Kontakt mit dem Wasser aus der Ursprungsquelle ihren schîn. Diese mythische Objektbiographie des Schwertes fungiert nun signifikanterweise nicht als Andeutung einer später auszuerzählenden âventiure, sie zeigt vielmehr eine narrative Potenz an, die gerade nicht weiter produktiv gemacht wird: So bleiben die dem Schwert ver‐ mutlich eingravierten und der auf Munsalvaesche unterlassen vrâge wohl entsprechenden Segensworte, die man offenbar nur zu kennen und auszusprechen hat, um ohne Sorgen um ein Zerbrechen des Schwertes kämpfen zu können, 866 dem Leser ebenso vorenthalten wie ein am Brunnen Lac im Königreich Karnant situierter Handlungsteil. Zu Beginn des IX. Buches ist lediglich die etwas lakonische, auf das Nicht-Erzählte zurückblickende 304 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 867 »Erst die Erklärung Trevrizents im neunten Buch schlüsselt die Geschehnisse auf und bewirkt eine Verdopplung der Szene. Zuerst ›sieht‹ der Rezipient die Lanze und die Gralsprozession als ungedeutete und nicht deutbare Abfolge von Ereignissen, bis sie in Trevrizents Bericht erneut erzählt und simultan gedeutet werden« (Kaske: Materielle Ritterschaft, S. 37). 868 Schröder: Parzivals Schwerter, S. 127. Anmerkung zu lesen, das Schwert sei einmal zerborsten und an benanntem Brunnen wieder ganz (434,28) gemacht worden. Damit wird das Schwert auch als Gegenstück der zahllosen zerhauenen Schilde und schartigen Helme ausgewiesen, deren Kampfspuren eine nicht erzählte Vergangenheit vergegenwärtigen, es deutet auf die narrative Gemachtheit aller und im Extremfall eben auch einer nicht durch Spuren beglaubigter Vergangenheit. Die übrigen Erwähnungen des Gralschwertes in Cundries Anklage (vgl. 316,21-23) sowie in Trevrizents Belehrung und deutender Wiedererzählung der Geschehnisse auf der Gralburg 867 (vgl. 501,1-4) rekurrieren gleichermaßen auf die unterlassene Frage und fixieren den Gegenstand so, wie schon Schröder festgestellt hat, auf eine »bloße - wiewohl hochbedeutsame - Symbolfunktion«. 868 Dass die symbolische Funktion des Gralschwertes sich keinesfalls als einsinnige darstellt, ist mithin deutlich geworden: Vielmehr dient die Verlagerung objektbiographischer Anteile in die Vorgeschichte des Textes - hier seien nur seine Herstellung durch Trebuchet und die Versehrung des Anfortas als herausgehoben-hypersignifikante Ereignisse genannt - sowie in die nicht auserzählten Abenteuer Parzivals der Suggestion hintergründiger, in Teilen obskurer Sinnschichten der Erzählung, firmiert das Schwert dagegen in Parzivals Wahrnehmung, aber in Teilen auch schon in Anfortas’ Rede (ir sît gein strîte dermite bewart; 240,2) als Waffe und als Akteur. Das zum Ding transformierte Symbol nimmt einen dem Itherschwert entgegengesetzten Weg: Während das Itherschwert, die paradigmatische Waffe Parzivals, mal als Akteur, mal als Zwischenglied firmiert und erst nach dem finalen Zweikampf mit Feirefiz endlich zum Symbol sündiger Verwandtentötung avanciert, wird das Gralschwert zunächst als opakes Symbol eingeführt, anschließend als Waffe wahrgenommen und wohl auch verwendet sowie schlussendlich ›vergessen‹. Somit wird Parzival ein Gegenstand entzogen, dessen Agency schlechthin unvorstellbar wäre, eine nach der Einsicht in und der verbalen Artikulation der segens wort wohl unzerstörbare (und zuvor lebensgefährliche - außer man hätte, wie Parzival, eine zweite) Angriffswaffe, die im Kampf überdies eine Schutzfunktion übernähme, sodass man ân angest strîtes pflegen (253,26) könnte. Schon die Geschichte des Vaters war um ein solches Phantasma der Unbesiegbarkeit, den Adamas, gekreist, sie hatte in ihm ihr Ende gefunden. Im ›Vergessen‹ des Gralschwertes, dessen Träger am Ende vermutlich, ob nun mit oder ohne Kenntnis des Schwertsegens, Gahmurets Schicksal erlitte, ist die Differenz zwischen Parzival- und Elternvorgeschichte angezeigt. Und dieses ›Vergessen‹ wird als Quasi-Handlung eines Erzählers ausgewiesen, der das Zerbersten eines Objekts ankündigt und dann erzählt, wie ein anderes, das Itherschwert, mit slage ûfs heidens helme brast (744,11). Es ist mithin nicht nur Gott, der das Schwert aus Parzivals rêroup zerbrechen lässt, es ist zuvor schon der Akteur Wolfram, der seinen Helden ›nur‹ das Itherschwert, nicht das Gralschwert tragen lässt - ein ›Sieg‹ also von Gottes wie von Wolframs Gnaden. Und diese Spiegelung der Schwerter und ihrer Transformationsgeschichten gipfelt am Schluss eines Kampfes, an dem nicht nur Gott und 305 Exkurs zu Parzivals Angriffswaffen II: abermals zu Parzivals Schwertern 869 Foucault: Theatrum philosophicum, S. 81. Übersetzung: »Die Waffen, die Körper zerreißen, formieren sich immer wieder zum zeitlosen Kampf« (Theatrum Philosophicum, S. 29). 870 Vgl. hierzu Brüggen: Inszenierte Körperlichkeit. 871 Mertens: Parzivals doppelte Probe, S. 335f. 872 Czerwinski: Der Glanz der Abstraktion, S. 151. Wolfram aktiv teilhaben, sondern überdies eine überwältigende Menge an materiellen und immateriellen Akteuren, deren Mithandeln und -kämpfen im Folgenden analysiert werden soll. 2.5 Verwandtenkampf III: Parzival und Feirefiz, swert und zimierde Les armes qui déchirent les corps forment sans cesse le combat incorporel. 869 Im Anschluss an die Kämpfe Parzivals mit Gawan und mit Gramoflanz sowie die nachfol‐ genden Darstellungen komplexer zeremoniell-politischer Handlungen, die - besonders infolge der klugen, gewaltvermeidenden Vermittlung des Königs Artus - in eine Lösung der hochkomplexen, den Artushof bedrohenden Konflikte münden, 870 folgt der Bruderkampf zwischen Parzival und Feirefiz. Und wie bereits der Verwandtenkampf mit Gawan besetzt auch derjenige mit Feirefiz auf das Handlungssyntagma des Parzival hin besehen ganz parallel eine ›Schwellenposition‹: Verwandtenmord - er macht die Angewiesenheit auch des Erfahrenen auf die Gnade sinnfällig. In diesem Sinne erfüllt der Feirefizkampf die ›Schwellenfunktion‹ für das Erreichen des Grals, den der Gawankampf hier und im ›Iwein‹ für die abschließende Integration in den Artuskreis hat. 871 Vor der Einsicht in »die Einheit der Edelsten im Bilde des dynastischen Körpers« 872 - in den Worten des älteren Bruders: mit dir selben hâstu hie gestritn (752,15) -, vor Parzivals und Feirefiz’ Entdeckung ihrer patrilinearen Verwandtschaft steht das göttlich gefügte Zerbre‐ chen des Ither-Schwertes. Eine Analyse des finalen Bruderkampfes kann, im Abgleich mit den bereits analysierten Kampfschilderungen, die komplexen Strategien der Integration von Dingen in das Kampfgeschehen neu perspektivieren: Während etwa im Gawankampf ein rîs dem Verkennen der Verwandten den Weg bereitet, werden im Zweikampf mit Feirefiz verstärkt die Akteursqualitäten von diversen Rüstungsbestandteilen und Waffen diskursiv, wird darüber hinaus der Kampf nicht nur auf das Mithandeln der Dinge, sondern auch auf die sich in den Dingen manifestierenden und von diesen medialisierten Minnedamen als auf dem Kampfplatz präsenten Akteurinnen hin durchsichtig gemacht. Das Aufeinandertreffen der Helden lässt ein komplexes Akteurnetz sichtbar werden, in dem Figuren und Dinge so unauflöslich wie fatal verstrickt sind - ganz wie in der Realität ist auch in dieser Szene a swarm of vitalities at play. The task becomes to identify the contours of the swarm and the kind of relations that obtain between its bits. To figure the generative source of effects as a swarm is 306 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 873 Bennett: Vibrant Matter, S. 32. 874 Die Motivverbindung ist auch bereits kurz zuvor begegnet: In der Nacht bereitet sich Parzival heimlich auf den Zweikampf mit Gramoflanz vor, den er gegen den Willen Gawans an dessen Statt bestreiten will. Im Gegensatz zur oben besprochenen Szene, in der die Anwesenheit des harnasch zuvor unerwähnt blieb und entsprechend kontingent anmutet, wird an dieser Stelle ausführlich geschildert, wie der Protagonist seinen harnasch präpariert (vgl. 702,11-30) und neben seiner Schlafstatt platziert: dô was ez naht unt slâfes zît. / Parzivâl ouch slâfes pflac: / sîn harnasch gar vor im dâ lac (702,28-30). Vgl. zur Stelle Green: The Art of Recognition, S. 244f. 875 Die Erwähnung des harnasch kann zudem als Reflex auf den vorangehenden Wunschsatz Parzivals, gelücke mich berihte, / waz mirz wægest drumbe sî (732,28f.), gelesen werden - die Vor- und Zuhandenheit der Dinge avancierte auch in dieser Lesart zum Impulsgeber und Verstärker des Figurenhandelns. to see human intentions as always in competition and confederation with many other strivings […]. 873 Beim Aufbruch Parzivals von Joflanze, dem Ort der Hochzeiten und der höfischen Freuden, quält den Freudenflüchtigen die Sehnsucht nach seiner Minnedame Condwiramurs. In‐ mitten eines umfangreichen Monologs, der die Zerrissenheit des Protagonisten und seine bittere Vereinzelung augenfällig macht, inseriert der Erzähler eine Bemerkung, die den Gedankenfluss der Figur unterbricht und sie neu ansetzen lässt: im lac sîn harnasch nâhe bî (732,30). Dass die Gedankenrede so in zwei Teile zerfällt, die jeweils parallel einsetzen (vgl. 732,15 und 733,1), lässt an ein Handlungsschema zurückdenken, das dem Leser noch aus der soeben besprochenen Szene auf der Gralburg bekannt ist, in der Präsenz und Zuhandenheit der Waffen als Impulse für die Progression der Handlung eine ganz vergleichbare Funktion innehatten. Dieses Schema wird hier wieder aufgegriffen, ohne dass der Erzähler den motivationalen Zusammenhang zwischen der Affordanz der Rüstung, der Reflexion und dem Auszug Parzivals noch einmal explizit machen müsste. 874 An der vorliegenden Stelle wird überdies ein Kontrastbezug zwischen der in der Gedan‐ kenrede Parzivals so zentralen minne und dem vom Erzähler inserierten harnasch-Motiv hergestellt - während Condwiramurs fern ist und die minne […] verlorn (732,18) scheint, liegt das harnasch nâhe bî, und wie schon das einzige Besitztum Gahmurets ist es nun das harnasch Parzivals, dessen schierer Präsenz eine handlungsauslösende Affordanz zu eignen scheint, die mit dem mangel (733,1) des Helden enggeführt wird und dessen Beseitigung zuspielen soll. Die Wege und Handlungen des Protagonisten sind abermals in ein dialogisches Verhältnis zwischen dem Räsonnement der Figur und der Beschreibung räumlich-materieller Gegebenheiten eingelassen. 875 Das harnasch-Motiv wird im Anschluss an den Monolog wieder aufgegriffen, es folgt die Schilderung, wie Parzival sich eigenhändig und routiniert die Rüstung anlegt: er greif dâ sîn harnasch lac, des er dicke al eine pflac, daz er sich palde wâpnde drîn. nu wil er werben niwen pîn. dô der freudenflühtec man het al sîn harnasch an, 307 2.5 Verwandtenkampf III: Parzival und Feirefiz, swert und zimierde 876 Wittmann: Das Ende des Kampfes, S. 179. Besonders auffällig ist, dass hier, in Parzivals Gedanken‐ rede, nicht, wie etwa Schu dies darstellt, das ringen (732,19) um den Gral als Motivation zum letztmaligen Auszug im Vordergrund steht, sondern in erster Linie die minne respektive der Verlust derselben den Ritter antreibt (vgl. Schu: Vom erzählten Abenteuer, S. 403f.). 877 In der angesprochenen Engführung der Präsenz und Zuhandenheit der Rüstung mit der Absenz der Minnedame, dem zur Motivation von Parzivals Freudenflucht stilisierten mangel, wird überdies ein Motiv in den Vordergrund gespielt, das bereits in dem zuvor erzählten Fernminneverhältnis zwischen Gramoflanz und Itonje und besonders prominent in der Blutstropfenszene diskursiv wurde und das im nachfolgenden Zweikampf zum zentralen Thema ausgeweitet wird. 878 Harms: Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten, S. 148. 879 Delabar: Erkantiu sippe, S. 170. 880 Zur ausgestellten Anonymität Feirefiz’ - und nicht Parzivals, der im Kampfverlauf mehrfach namentlich bezeichnet wird - hält Green fest: »Parzival’s next opponent is introduced to us anonymously at the start of Book XV […]. As we draw closer to the start of the combat, these anonymous references include both contestants […] and the same technique is continued into the er sateltz ors mit sîner hant: schilt unt sper bereit er vant. (733,21-28) Im aufwendig beschriebenen Anlegen des harnasch wird gleich zweifach markiert, dass hier ein gesellschaftlich Isolierter al eine, also ohne die höfisch angemessene helfende Hand einer Dame handelt, einer mithin, dessen Verhalten klar abzugrenzen ist beispielsweise von demjenigen Gawans bei Plippalinot (vgl. 560,13-23) oder auch vom eigenen bei der früheren Wappnung durch Cunneware (vgl. 332,19-333,2): Der ausgegrenzte, in seiner Minneverfaßtheit inkongruente Parzival zieht sich, indem er sich selber und ohne Hilfe rüstet, aus der höfischen Gemeinschaft zurück und ist somit schlagartig reduziert auf die Identität des Kämpfenden, 876 die Identität des Figur-harnasch-Hybrids. 877 Im Anschluss an diesen heimlichen Aufbruch gipfelt die den gesamten Roman durch‐ prägende Zweikampfreihe in einem letzten Verwandtenkampf, der »Gegenszene zum Mord an Ither« 878 , spannungsvoll angekündigt als Kampf, der alles Bisherige in den Schatten stellt: swaz sîn hant ie gestreit, / daz was mit kinden her getân (734,18f.) - und der zugleich, dies wird bereits zu Beginn des XV. Buches deutlich markiert, aus der Perspektive der Erlösung heraus erzählt ist: So ist bereits vor dem Kampf klar, dass Anfortas gesunden und dass Condwiramurs schlussendlich in den Genuss hôhe[r] sælde kommen wird (vgl. 734,4-16). Dass der Erzähler dem Leser die Identität des unvermittelt auftretenden Ankömmlings, Feirefiz, nur sukzessive, ja in (gerade im Vergleich mit dem Kampf zwischen Parzival und Gawan) nachgerade enigmatischen Andeutungen offenlegt und »Zeichen, an denen sie [die Brüder] sich hätten erkennen können, die ihre verwandtschaftliche Beziehung vor dem Kampf hätten aufdecken können« 879 , unerwähnt lässt, radikalisiert das schon den früheren Kämpfen zugrunde liegende Motiv des gegenseitigen Verkennens. Über weite Strecken hinweg verharrt der Blick auf der Oberfläche der sowohl Parzival als auch dem Rezipienten unbekannten Rüstungsgegenstände des fremden und anonymen Heiden - immerhin als solcher ist er zu erkennen -, und so wird der Kampf zwischen den Bluts‐ verwandten zu einem zwischen Getauftem und Ungetauftem, zwischen Orientalem und Okzidentalem, 880 zwischen zwei Figuren, deren Zusammenführung letztlich nicht nur die 308 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival description of the combat itself […]. During the combat anonymity is maintained by circumlocutions, impersonal passive constructions, nameless epithets and the liberal employment of terms such as weder, dise zwêne, ein ander and bêde. These references serve as the double purpose of showing how closely involved both combatants are in this encounter and also of keeping Feirefiz in anonymity« (The Art of Recognition, S. 237). Dadurch dass, wie Green im weiteren Argumentationsverlauf festhält, Parzival, ganz im Gegensatz zu Feirefiz, über die Existenz eines heidnischen Bruders informiert ist (man denke zurück an Cundries Ausführungen, in denen Feirefiz namentlich genannt wird, vgl. 317,4), wird ersichtlich, »that it is Parzival who must come to recognise the man he now confronts« (ebd., S. 238). Vgl. auch Green: The Art of Namedropping, S. 143f. Zur Verzögerung der Namensnennung in den Kämpfen mit Gawan und Feirefiz vgl. auch Müller: Höfische Kompromisse, S. 204 sowie Green: The Art of Recognition, S. 237-239 und S. 246-250. 881 »Man könnte die Behandlung der Feirefizfigur als Versuch betrachten, die von Gahmuret verlassene Mutter wieder in die epische Welt hereinzuholen, als Versuch, Orient und Occident, die Gahmurets Weggang irreparabel disparat gelassen hatte, nachträglich zu vermitteln. Aber es handelt sich nicht um die Vermittlung von zwei Bereichen, sondern die Verbindung des Feirefiz sowohl mit Artus als auch Anfortas als auch der Gawanhandlung bezeichnet die Durchlässigkeit der separaten Bezirke der Erzählung, sie ist Ausdruck von Wolframs moment obsessionel, Einheit zu stiften« (Schmid: Studien zum Problem der epischen Totalität, S. 75). 882 Zum Unfähigkeitsrespektive ›Fachleutetopos‹ bei Wolfram vgl. Nellmann: Wolframs Erzähltechnik, S. 161f. 883 Wie Gahmuret verkörpert auch sein erstgeborener Sohn »ritterschaft unter dem Zeichen der rîcheit in derart gesteigerter Form […], daß dieses Ritterbild - im Gegenüber zu Parzival - ins Komische überschlägt« (Ortmann: Ritterschaft, S. 680). 884 Solche Parallelen zwischen Vater und Sohn werden an späterer Stelle noch offensichtlicher, wenn es etwa heißt, dass Feirefiz ein Minneverhältnis nicht nur zu einer Dame, der Secundille, unterhält, Verwandten, sondern auch ganze Erzählteile und Handlungsräume als Einheit ausweist. 881 Die detailreichen Schilderungen der exotisch-schillernden Pracht von Feirefiz’ Rüstung geben dem mittlerweile in Wolframs ›elliptisches‹ Erzählen eingeübten Rezipienten indes zugleich wesentliche Hinweise nicht nur auf die Identität des Fremden, sondern auch auf die Ding-Poetik des Parzival, insbesondere auf die fatalen Wechselbeziehungen zwischen streckenweise ohnmächtigen Figuren und ihren Rüstungen und Waffen als zentralen Akteuren dieses Kampfes. Die Annäherung Parzivals an den bis zur Anagnorisis mit kreativen Antonomasien bezeichneten rîchen gast[] (735,8), ob allem strîte ein vogt (734,30), ist zunächst eine Annäherung an dessen Ausrüstung: Deren Exorbitanz wird eingangs durch den ironischen Kommentar eines Erzählers markiert, der, neuerlich als armer man (735,9) auftretend, unfähig scheint, die kostbare zimierde seiner Figur angemessen zu beschreiben. 882 Indem Feirefiz hier wie bereits sein Vater Gahmuret in einer Rüstung auftritt, die nicht nur von exzeptioneller rîcheit (735,10) ist, sondern auch ein mehrfach betontes Glanzspektakel bezeugt, werden die Beschreibungen der Waffenröcke beider Figuren auffallend nah aneinander herangerückt, 883 und nachdem überdies das Motiv der Armut bereits auf Kanvoleiz mit der Beschreibung des Gahmuret’schen Prachtgegenstands enggeführt wurde (vgl. die Erzählerbemerkung zu den küenen armman in 70,7-12 sowie Kap. 2.2.2, Anm. 163), ist es nun entsprechend die ins Poetologische spielende Unzulänglichkeit eines nicht nur materiell, sondern eben auch seine Ausdrucksmöglichkeiten betreffend ›armen‹ Erzählers, der sich als dem Reichtum und der Fülle der zu beschreibenden materiellen Phänomene nicht gewachsen ausgibt. 884 Der Erzähler lässt also nur die Figuren über die Identität des 309 2.5 Verwandtenkampf III: Parzival und Feirefiz, swert und zimierde sondern - in Analogie zu seinem Vater Gahmuret - zu gleich drei Damen: dâ werten mich ir minne / zwuo rîche küneginne, / Olimpîe und Clauditte. / Secundille ist nu diu dritte (771,15-18). 885 Zum Zusammenhang zwischen Raum und Figur hält Richter fest: »Wie so oft, verweist der Vertreter des Raumes auf den Raum selbst […]. In der Rüstung des Feirefiz werden darüber hinaus noch weitere, für die Darstellung des Orients typische Motive verwendet: das Wunderbare in Gestalt der im Feuer webenden Salamander, die Exotik in Form der unbekannten Edelsteine. Signifikant ist allerdings, dass diese typischen Motive im Zusammenhang mit einem Figurenentwurf gebracht werden, der allein durch seine schwarz-weiße Hautfarbe schon als Hybridfigur gekennzeichnet ist. […] Auch wenn er nahezu durchgehend […] als der heide bezeichnet und damit als Angehöriger eines anderen, exotischen Raums ausgewiesen wird, ist er diesem primär durch seine kulturell-religiöse Prägung zuzurechnen. Ebenso wie Feirefiz zeigt sich auch der literarische Entwurf des Orients als Hybridkonstruktion« (Spiegelungen, S. 56f.). 886 Zur Verbindung erzählender und deskriptiver Anteile Koch: »Zwischen diesen Binnenerzählungen sind jedoch immer wieder - kurze - Beschreibungen zu finden, die den Ausgangspunkt der jeweils nächsten Erzählung bilden, so dass in der Darstellung von Feirefiz’ Ausrüstung eine Kette aus Bild- und Erzählelementen entsteht« (Wilde und verweigerte Bilder, S. 214). 887 Friedrich: Menschtier und Tiermensch, S. 212. jeweils anderen im Dunkeln, den Rezipienten hingegen gibt er einige Hinweise an die Hand, die einen engen Bezug des Fremden zu Gahmuret wahrscheinlich machen. Neben diese Tendenz zur poetologischen Überdeterminierung bereits bekannter Motiv‐ verbindungen tritt eine formale Entsprechung der beschreibenden Passus: So ließ sich bereits im II. Buch eine Brüchigkeit, eine Verweigerung der descriptio darin erblicken, dass diese mit einer erzählenden Passage unterbrochen wurde, die den Blick vom glänzenden Gegenstand auf dessen objektbiographische Hintergründe, auf die mythische Herkunft des Goldes aus dem Kaukasus hin verschiebt 885 - eine Bewegung, die sich hier ganz parallel abbildet: 886 Auf den Versuch, Reichtum und Glanz des Waffenrocks ex negativo zu umreißen (vgl. 735,15-19, 735,21f.), und einen Hinweis auf dessen Glanz (vgl. 735,23) folgt eine kompakte Herkunftsgeschichte des Waffenrocks, die der Objektbiographie des väterlichen Waffenrocks vergleichbar auf tierisch-mythische Motive zentriert ist und eine quasi-heraldische, »eine intensive metonymische Verbindung von Waffe und Tier« 887 anzeigt: der was tiure ân al getroc: rubbîne, calcidône, wârn dâ ze swachem lône. der wâpenroc gap planken schîn. ime berge zAgremuntîn die würme salamander in worhten zein ander in dem heizen fiure. die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht: ir art mac ich benennen nieht. (735,20-30) Von dem wertvollen Waffenrock bekommt der Leser an dieser Stelle kaum etwas zu sehen, und indem der dem Gegenstand nicht gewachsene Erzähler die Andeutungen einer näheren Bestimmung, die Nennung erwartbarer Edelsteinarten ins Leere laufen lässt (vgl. 310 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 888 Koch: Wilde und verweigerte Bilder, S. 212. Ergänzend sei hier angemerkt, dass der Beschreibung als einzig explizite Angabe zu Feirefiz’ phänomenaler Erscheinung zu entnehmen ist, dass die teuren Edelsteine tunkel unde lieht anmuten, ein Hell-Dunkel-Kontrastspiel, das den Körper der Figur in der Darstellung seines Waffenrocks sichtbar macht. 889 Zu Motiv und realienhistorischen Hintergründen vgl. Schmitz: Stellenkommentar zu 790,22, S. 53f. 890 Lévi-Strauss: La voie des masques, S. 144. Übersetzung: »Wir sahen im Gegenteil, daß eine Maske nicht für sich allein existiert; sie setzt andere, reale oder mögliche Masken neben sich voraus« (Der Weg der Masken, S. 130f.; vgl. Kap. 1.2, Anm. 86 dieser Arbeit). 891 Barthes: Sade, Fourier, Loyola, S. 140. Übersetzung: »Die Sprache hat die Fähigkeit, das Wirkliche zu negieren, zu vergessen und aufzulösen« (Sade. Fourier. Loyola, S. 156; vgl. Kap. 1.1, Anm. 28 dieser Arbeit). 892 Vgl. hierzu mit Hinweisen auf weiterführende Literatur Nellmann: Stellenkommentar zu 736,10, S. 756f. Blamires weist darauf hin, es könne sich auch um eine erfundene Bezeichnung für die - im Gegensatz zum Hermelin - im Okzident nicht heimische Manguste handeln; in beiden Fällen sei festzuhalten: »the originality of the decoration is striking and is a further mark of the individuality of Feirefiz« (Characterization and Individuality, S. 447). 735,30), wird die Erwartungshaltung des Lesers erneut frustriert - man denke vergleichend zurück an die wiederholt angedeutete und letztlich doch abgewiesene Beschreibung der Wundersäule -, drängt sich das seltsam unscharfe, mithin kaum vorstellbare Bild eines blendenden Leuchtens, nicht das eines konkreten Gegenstands auf: Visualisieren lässt sich der Waffenrock Feirefiz’ hier nicht, es findet vielmehr eine Bildauflösung statt, da durch die Darstellung lediglich ein bunter, glänzender Schleier über dem Waffenrock deutlich wird. Eine genauere bildliche Realisation an sich wird durch Glanz und Farbe vollständig verstellt. 888 Nachdem bereits ein prominent inszenierter Ausrüstungsgegenstand seines Vaters Gah‐ muret, dessen rotgoldener, ebenfalls leuchtender und darüber hinaus spiegelnder Schild‐ buckel (vgl. 37,6f. und 70,28-71,2), im Feuer geliutert wurde und dessen wâpenroc wie bî der naht ein queckez fiwer (71,13) leuchtete, fungiert das Feuer hier, gemeint ist wohl: das Magma im Vulkan zAgremuntîn, 889 als ›Herkunftsort‹ eines Verteidigungsgegenstands. Dessen mythisch-exotischer wie tierischer Ursprung spielt der Exorbitanz von Feirefiz’ Rüstung wesentlich zu und reiht sich in die motivlichen Parallelen zwischen den Ausrüs‐ tungsgegenständen des Vaters und seines Erstgeborenen ein - Gahmurets spiegelnde Schildoberfläche wird so zum Zeichen für die poetische Technik der motivlichen Spiege‐ lung, die indiziert, dass auch dieser literarische Gegenstand »n’existe pas en soi« 890 , dass er andere Schilde und verwandte Objekte neben sich voraussetzt. Der abermals ausgestellte Beziehungssinn lässt nicht nur nach sinnstiftenden Bezügen zwischen den Dingen von Vater und Sohn fragen, er deutet auch, wie schon die verweigerte Visualisierung des Waf‐ fenrocks, auf die Literarizität, die sprachkünstlerische Gemachtheit und Zeichenhaftigkeit im Parzival narrativierter Objekte: »Le langage a cette faculté de dénier, d’oublier, de dissocier le réel«. 891 Im weiteren Verlauf der Beschreibung kommen bereits bekannte Erzähl- und Beschrei‐ bungsmuster neuerlich zur Anwendung: So beschränkt sich der Erzähler darauf, die ungewöhnliche Helmzier des Heiden, ein ecidemôn (736,10), in der Forschung unter Berufung auf Isidor von Sevilla meistenteils als Hermelin oder alternativ als eine Art Schleichkatze aufgefasst, 892 wie zuvor bereits vergleichbar im Falle des Waffenrocks zu 311 2.5 Verwandtenkampf III: Parzival und Feirefiz, swert und zimierde 893 Selent: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte? , S. 121. 894 Nellmann: Wolframs Erzähltechnik, S. 155. benennen und sie anschließend auf ihre naturkundlich-mythischen Hintergründe hin transparent zu machen (vgl. 736,11-14). Auch die Verknüpfung von Andeutungen und anschließender Verweigerung von Informationen über die Art von Feirefiz’ Ausstattung (vgl. bereits 735,21f.) begegnet in der Einführung von Feirefiz’ Pferdedecke wieder: Mit Tho‐ pedissimonte / unt Assigarzîonte, / Thasmê und Arâbî (736,15-17) werden zunächst konkrete Orte genannt, die auf eine nähere Bestimmung eines noch zu nennenden Gegenstandes rechnen lassen und die doch anschließend gerade als Orte ausgewiesen werden, die vor solhem pfelle vrî (736,18) seien. All diese Einlassungen des Erzählers, die auch den weiteren Verlauf der Kampfschilderung durchprägen, machen evident, dass das Dargestellte mit der erzählerischen Darbietung nicht in Deckung zu bringen ist, dass weder die Exorbitanz des Verwandtenkampfes noch Reichtum und Fülle des Gegenständlichen angemessen erzähl- oder beschreibbar wären: Mîn kunst mir des niht witze gît, / daz ich gesage disen strît / bescheidenlîch als er regienc (738,1-3). In einer assoziativen Textbewegung nähern sich so die poetische Faktur und die poetologischen Einlassungen des Erzählers der Motivation der Hauptfigur, ihrem zuallererst zum Auszug veranlassenden mangel (733,1), an. Anders gewendet: Nirgends sonst in den ersten mittelhochdeutschen und altfranzösischen Ritterromanen wird ein heroischer Zweikampf von Anfang an derart unter seine poetische Verfasstheit subsummiert[] wie die Begegnung zwischen Parzivâl und Feirefîz. 893 Und deutlicher noch als in anderen ›beschreibenden‹ Passagen wird hier, in der Unfähig‐ keitstopik des Autors, dass das literarische Ding eben mit einem realen Ding nicht in Deckung zu bringen ist. Vielmehr handelt es sich bei den Ausrüstungsgegenständen des Feirefiz um Marker der literarischen Gemachtheit narrativierter Objekte, um Marker, die die literarische Vermittlung des Dargestellten nachgerade penetrant ins Bewusstsein des Rezipienten rücken. Vergleichbar mit dem an früherer Stelle sich vor dem Kampf aufwärmenden Gawan (er wolde sich môvieren, / daz er untz ors wærn bereit; 678,12f.) sowie überdies mit seinem Gegenüber, Parzival, begibt sich auch Feirefiz allein, eine, durch paneken (737,8f.), aus seinem Verbund in den Wald und setzt sich der vom mit-leidenden Erzähler angeblich weder steuernoch bewältigbaren Kontingenz einer offenen diegetischen Erzählwelt aus: ôwê, sît d’erde was sô breit, / daz si ein ander niht vermiten, / die dâ umb unschulde striten! (737,22-24) - ein weiteres Zeichen der absoluten Abhängigkeit der Erzählung von den diegetisch-kontingenten Geschehnissen, deren Darstellung indes den hier besonders augenfällig als einschränkend gedachten Bedingungen des literarischen Mediums und der erzählerischen Vermittlung unterworfen ist. In ähnlicher Tendenz ist sowohl die spätere Apostrophe Parzivals zu lesen (vgl. 742,27-30), die eine Situation suggeriert, in der der Erzähler nur vermittels intradiegetischer Ansprache an seine Figuren auf den Fortgang des Kampfes Einfluss zu nehmen vermöchte, und die »die Gefahr, in der Parzival schwebt, dem Publikum lebhaft vor Augen führen« 894 soll, als auch die Aussagen Feirefiz’, Jupiter 312 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 895 Feirefîz zArtûse sprach / ›al mîn ungelücke brach, / dô diu gotinne Jûnô / mîn segelweter fuogte sô / in disiu westerrîche. / […]‹ (767,1-5); vgl. auch 763,14-17. 896 Green: The Art of Recognition, S. 238. 897 »Die Erzählung verhält sich so, als wäre sie ihren erzählten Gestalten vernehmbar: sie wahrt Feirefiz’ Anonymität, denn die Nennung seines Namens müßte das Erkennen vonseiten Parzivals einleiten; die Nennung von Parzivals Namen dagegen kann Feirefiz nicht zum Erkennen führen, da er von keinem Halbbruder weiß« (Harms: Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten, S. 164). Vergleichbares hält auch Selent, mit Blick auf die prominente Suggestion einer Anwesenheit des Erzählers auf dem Kampffeld, fest: »Auch die kurzen, zuweilen minimalen Einschübe wie ein stein, des namn tuon ich iu kuont (741,12), ich waene (743,22; 744,7) und andere mehr erwecken den Eindruck, der Erzähler stecke mitten im Kampfgetümmel und mische kräftig mit, da dichterisches Erzählen nun einmal (Mit)Kämpfen bedeutet« (Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte? , S. 124). 898 Zu den Gründen für die gesteigerte erzählerische Aufmerksamkeit für den Schwertkampf hält Müller fest: »Der pferdelose Kampf eröffnet zusammen mit der ausführlicheren Schilderung noch eine weitere Ebene der Darstellung und damit der Deutung bzw. Lesbarkeit. Indem sich jetzt beide Ritter quasi bloß gegenüberstehen, kann der Kampf erst zum Bruderkampf werden und erst jetzt kann Feirefiz in seiner Funktion für Parzival erkennbar und wirksam werden« (Feirefiz, S. 187f.). und Juno hätten ihn zum rechten Zeitpunkt in den Westen getrieben 895 - auch diese Signale exponieren die Kontingenz der Begegnung. Der sich so zur registrierenden und die Handlung zugleich ausschmückenden Untätigkeit spannungssteigernd verdammende Erzähler, »acting as if he were a commentator present at the encounter on which he is reporting«, 896 muss seine Figuren, ganz auf sich gestellt, reiten und sich in einer wahren ›Materialschlacht‹ messen lassen. Auch die sich an den Wissenshorizont der Figuren anschmiegende Verzögerung einer Namensnenung ist im Kontext einer solchen Strategie zu sehen, die eine Unmittelbarkeit der Darstellung suggeriert und zugleich, mit Blick auf die verweigerte Visualisierung der Gegenstände, in einen spannungsreichen Bezug zu den beobachteten Entzugsbewegungen tritt. Die Exorbitanz und Schönheit der Dinge ist, so scheint es, durch den ›armen Augenzeugen‹ Wolfram ebenso wenig zur Anschauung zu bringen, wie der Gang der Handlung von ihm zu beeinflussen wäre. 897 Dass sowohl Parzival als auch sein Halbbruder Feirefiz dabei nicht, wie zunächst betont (vgl. 737,8; 737,12), ganz auf sich gestellt sind, sich nicht »quasi bloß gegenüberstehen« 898 , darf als den Kampf durchziehendes Leitmotiv angesprochen werden, denn: Beide sind in Begleitung gegenständlicher sowie ungegenständlicher Akteure, deren Mithandeln den Ablauf dieses Kampfes wesentlich steuert. Die Kampfhandlungen beginnen wie gewohnt mit dem Lanzenstechen, gefolgt von einem Schwertkampf zu Pferde und dem anschließenden, besonders ausführlich geschil‐ derten Zweikampf ohne Pferd. Die beiden Figuren sind in weit ausgespannte und komplexe Akteurnetze verstrickt: Zunächst wird, noch in der Einführung der Feirefizgestalt, darauf verwiesen, dass dessen Rüstungsgegenstände allesamt Liebesgaben seien (daz gâbn ouch allez meistec wîp, / dâ mite der heiden sînen lîp / kostlîche zimierte; 736,3-5), die in Entspre‐ chung zur Figurenmotivation treten: der ungetoufte gehiure / ranc nâch wîbe lône: / des zimiert er sich sus schône (736,20-22). In diesem reziproken Handlungsmuster fungiert die minne als Mitte, sie ist den Ausrüstungsgegenständen Feirefiz’ einerseits bereits eingeschrieben und determiniert andererseits sein Handlungsprogramm, sie ist gleichsam Voraussetzung und Ziel seiner so sorgsam inszenierten Erscheinung. Als Medium der Minne wird insbesondere der Schild aus der Ausrüstung herausgehoben: Ebenso wie das 313 2.5 Verwandtenkampf III: Parzival und Feirefiz, swert und zimierde 899 Diese metaphorische Bezeichnung der Minnedame als Schild ruft eine Zuschreibungspraxis in Erinnerung, die bereits im VII. Buch, im Zuge von Gawans Minnedienst für Obilot, besonders exzessiv zur Anwendung gekommen war. 900 Sivertson: Loyalty and Riches, S. 204. 901 Diese Material-Eigenschaft ist dem Leser bereits aus Trevrizents medizinisch-therapeutischen Ausführungen bekannt (aspindê dez holz enbrinne niht; 490,26). 902 Man denke zurück an den Kampf zwischen Gawan und Lischoys Gwelljus, der mit der Zerstörung der Schilde und dem Übergang vom bewaffneten zum Ringkampf bereits die Gefahren eines vorrangig den Bedingungen des Materiellen unterliegenden Kampfes indizierte. Land Tribalibot und das ecidemôn-Wappen wurde ihm dieser von Secundille geschenkt, diu was sîn schilt in nôt (740,12). 899 Auf die metaphorische Verbindung von Schild und Dame folgt, dem bekannten Muster entsprechend, eine Verdinglichung der Metapher, konkret: eine detaillierte Beschreibung des Gegenstands, eine Beschreibung mithin, die im Gegensatz zu den bislang unterlaufenen Ansätzen, den Waffenrock zu imaginieren, nun eine konkrete Vorstellung von dem Schild, »this heathen representation of service for riches«, 900 vermittelt und vor allem durch die Nennung diverser Edelsteinnamen auffällt. Die verzögerte und aufgeschobene Nennung von Edelsteinnamen, die Annäherung an und das Erkennen der Gegenstände, deren art der Erzähler zunächst nicht zu benennen vermochte (vgl. 735,28-30), präfiguriert bereits verdeckt die schlussendliche Offenbarung der brüderlichen Identität über den jeweiligen Namen, die Anagnorisis der Kämpfenden: des schilt was holz, hiez aspindê: daz fûlet noch enbrinnet. er was von ir geminnet, diun im gap, des sît gewis. turkoyse, crisoprassis, smârâde und rubbîne, vil stein mit sunderschîne wârn verwiert durch kostlîchen prîs alumbe ûf diu buckelrîs. ûf dem buckelhûse stuont ein stein, des namn tuon ich iu kuont; antrax dort genennet, karfunkel hie bekennet. (741,2-14) Wie bereits dem von Salamandern im Feuer gefertigten Waffenrock ist auch dem As‐ best-Schild eine hervorgehobene Affinität zum Element Feuer zu eigen. 901 Dass das Holz, aus dem der Feirefiz-Schild gefertigt ist, nicht nur feuerfest, sondern überdies fäulnisresistent ist, unterstreicht zusätzlich die Unvergänglichkeit (gr. ἄσβεστος) eines Stoffes, der dem Verfall und damit der Zeit zumindest partiell entzogen zu sein scheint. Die angesprochenen Materialeigenschaften, die Resistenz gegen äußere Einflüsse und sonstigen Verfall, mar‐ kieren den Gegenstand somit einerseits als im Gegensatz zur Massen- und Verbrauchsware Schild persistenten, als Phantasma eines den Bedingungen des Materiellen entzogenen Schutzgegenstandes, einer ›Wunderwaffe‹, die noch einmal den engen Bezug zu Gahmuret und dessen Adamas ausstellt und dem Leser einen weiteren Hinweis auf die Identität des Fremden gibt. 902 Sie lassen sich andererseits als Interpretamente der Minnebindung 314 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 903 »Auf seinem Helm trägt er das Tier Ecidemôn, eine Art Feuersalamander, aus Gold und Edelsteinen gewirkt, die mehr wert sind als alle Königreiche des Artûs. Es ist ein Totemtier, das wie lebendig vorgestellt wird« (Bertau: Deutsche Literatur im europäischen Mittelalter, S. 1013). 904 Dieses erzählerische Mittel wird bereits bei Schulz (San-Marte) beschrieben: »Besonders beliebt ist es, einer Person ihre Eigenschaften des Karakter, Leidenschaften und Gemüthsstimmungen als davon getrennte Persönlichkeiten beizuordnen und demgemäß neben ihr handeln und wirken zu lassen« (Die Gegensätze des heiligen Grales und von Ritters Orden, S. 216). zwischen Feirefiz und Secundille werten. Dies wird durch die beiden Folgeverse (er was von ir geminnet, / diun im gap, des sît gewis) nahegelegt, durch Verse, die die grammati‐ schen Referenzen der Personalpronomina offenlassen und damit eine bedeutungsträchtige Ambiguität erzeugen: So ist nicht zweifelsfrei zu klären, wer als Objekt von Secundilles minne gelten darf, der Schild oder Feirefiz, wer der Adressat ihrer Gabe, wer oder was ihre Gabe ist. Solche sprachlichen Offenheiten stiften abermals signifikante Parallelen zum Schild Gawans, zu der Ärmelgabe Obilots oder dem Waffenrock Gahmurets und den dort indizierten Tendenzen zur ›Vermischung von Personen und Dingen‹, sie machen überdies auch auf Kontrastverhältnisse zwischen den jeweils inszenierten Schilden und Figuren, z. B. Secundille und Obilot, aufmerksam: Während der Kaufmannschsschild Gawans mit dem Ärmel eines besitzlosen Kindes versehen ist, sind es an dieser Stelle die unermessli‐ chen Reichtümer der orientalischen Secundille, namentlich zahlreiche Edelsteine, die auf Feirefiz’ exzeptionellem Schild Platz finden - der Schild vermag also nicht nur die Präsenz der Dame, der nahen (Obilot) wie der fernen (Secundille), zu vermitteln, er transportiert auch kontrastierende Konnotationen der Armut und des Reichtums. In der variierten Motivwiederholung werden so Bezüge zwischen weit entfernten Textpassagen und Figuren hergestellt, deren Ähnlichkeiten und Unterschiede im Dingmotiv Schild gedrängt zur Anschauung gelangen. Die Darstellung des Zweikampfs ist weniger auf das Verhalten der Kämpfenden, deren emotionale oder körperliche Verfasstheit fokussiert als vielmehr auf die übrigen Akteure, deren Interaktionen sich in assoziativen Ketten verbinden: So ist, um nur eine kurze Passage herauszugreifen (vgl. 739,11-22), von den Schwertern der Brüder die Rede, diu wâren dâ scharph unde al breit (739,13), dann von Feirefiz’ Wappenrespektive ›Totemtier‹, dem ecidemôn, das von vorgenanntem Schwert getroffen wird, und anschließend von dem Helm unter besagtem Helmschmuck: ecidemôn dem tiere / wart etslîch wunde geslagen, / ez moht der helm dar under klagen (739,16-18). Nach der Nennung von Wappentier und Helm richtet sich der Fokus auf die ermüdeten Pferde, um dann nahtlos auf den nächsten Kampfpart gerichtet zu werden, den unberittenen Schwertkampf. Mit dieser Tendenz zur assoziativen Reihung geht eine auffällige Abschirmung von Handlungen gegenüber einem anthropomorphen Handlungszentrum einher - und entsprechend ist es auch weder die Figur noch das ecidemôn, das klagt oder verletzt wird, sondern der anthropomorphe Helm, der unter den Wunden des auf ihm befestigten und ebenfalls quasi-lebendigen Wappentiers zu ›leiden‹ hat. 903 Wie die Materialeigenschaften des Schildes verdeckt über die Minnebindung zwischen Feirefiz und Secundille und zugleich über die Robustheit des Kämpfers Auskunft geben, laden auch die Aussagen über dessen Wappen ein, diese auf die Figur, konkret: dessen kiusche, zu übertragen. 904 Zu dem ecidemôn-Wappen, nach Blamires »the most important 315 2.5 Verwandtenkampf III: Parzival und Feirefiz, swert und zimierde 905 Blamires: Characterization and Individuality, S. 447. 906 Zu den aporetischen Kampfbedingungen Brackert: »Beide Gegner suchen Kraft in dem Gedanken an die Frau, in deren Dienst sie kämpfen. Doch angesichts der drohenden Tötung des einen, erweist sich die Vorstellung, diese Gedanken könnten etwas Entscheidendes ausrichten, als bloß rhetorisch. Sie sind Teil eines semantischen Systems höfischer ›minne‹, dessen Sinnfunktion nur solange gewährleistet ist, als zum einen nur der überlebende Sieger zählt und zum anderen die Frauen mit diesem Leistungssystem voll identifiziert sind. Wenn aber, wie hier, beide Gegner vom Erzähler mit gleicher Anteilnahme bedacht werden und darüber hinaus […] die Frauen, die sie anrufen, selbst im wörtlichen Sinne als die Leidtragenden dieses Systems erkannt werden, dann erweist sich die Konstruktion als nur allzu brüchig« (der lac an riterschefte tôt, S. 152f.). part of Feirefiz’ attire and […] a feature which he shares only with Gahmuret, Kaylet and Orilus« 905 , heißt es: durch der minne condwier ecidemôn daz reine tier het im ze wâpen gegebn in der genâde er wolde lebn, diu küngîn Secundille: diz wâpen was ir wille. (741,15-20) Die Minnebindung zu Secundille manifestiert sich nicht nur in Schild und Helmschmuck des Helden, sondern auch in immateriellen Akteuren wie seinem Kampfruf Thabronit, durch den Feirefiz niwen hôhen muot (742,5) erlangt - und überdies in den auf seiner Ausrüstung angebrachten Edelsteinen. Der Erzähler erläutert diese Versammlung diverser Akteure in einer dem Kampfgeschehen zwischengeschalteten resümierenden Passage: Der heiden truoc zwuo geselleschaft, dar an doch lac sîn meistiu kraft; einiu daz er minne pflac, diu mit stæte in sîme herzen lac: daz ander wâren steine, die mit edelem arde reine in hôchgemüete lêrten und sîne kraft gemêrten. (743,1-8) Mit bemerkenswerter Explizität analysiert der Erzähler an dieser Stelle die Logik eines Kampfes, in welchem Feirefiz - wie analog auch Parzival - zwei ganz unterschiedliche und dennoch auf derselben Ebene, als Akteure nämlich, in die Handlung integrierte Kraftquellen zur Verfügung stehen, im Falle Feirefiz’: der Gedanke an die Minnedame einerseits und die konkret-dinglichen steine auf seinem harnasch andererseits. Auch Parzivals Akteursverbund setzt sich aus einem zunächst ebenfalls ungegenständ‐ lich imaginierten Gedanken an seine Frau und einer dem Gral inhärenten Kraft zusammen (vgl. 740,19-22; 743,12f.). Solche Parallelen lassen die Aporien eines nicht zu entscheidenden Kampfes zwischen fast waffengleichen Brüdern offensichtlich werden, 906 sie bringen jedoch keineswegs ein Verhältnis der absoluten Identität zum Ausdruck. Neben das Ähnliche treten vielmehr zahlreiche kleinere Differenzen: So vergegenwärtigt sich Feirefiz, wie schon 316 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 907 Sivertson: Loyalty and Riches, S. 203. 908 »In enger Verbindung mit der Minne erfahren beide Gegner die Wunderkraft von Steinen; was dabei für Feirefiz die Edelsteine sind (741,6ff.), ist für Parzival der Gral (737,27; 740,19; 743,13)« (Harms: Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten, S. 165). 909 Mersmann: Der Besitzwechsel und seine Bedeutung, S. 151. 910 »So ist es Condwiramurs bzw. ihre treue Liebe, die Parzival im Kampf mit seinem Bruder Feirefiz, der ihm als Gegner ebenbürtig ist, auch ohne die direkte körperliche Anwesenheit seiner Frau anspornt und beschützt« (Braunagel: Die Frau in der höfischen Epik des Hochmittelalters, S. 62). 911 Im Eneasroman fällt der Blick des Helden auf die den Kampf am Fenster beobachtende Lavinia: do gesach der helt balt, / Eneas der troian, / Lauinen zuo dem venster stan. / des gewan der helt guot / grimmigen hohen muot, / wan im div maget liep was (En., 327,20-25). 912 Die Entfernungsangabe, vier künecrîche, ist nicht wörtlich zu nehmen, »die Zahl bezeichnet die große Entfernung« (Martin: Stellenkommentar zu 744,5, S. 492). - In *G wird die unmetaphorisch-körper‐ liche Anwesenheit Condwiramurs noch stärker betont, dort heißt es Kondwiramurs chom bezite. erwähnt, seine Dame mithilfe des Schlachtrufs Thabronit, während der widerruoft (744,1) Parzivals Pelrapeire lautet: In opposition to Feirefiz’s shouts of Thabronit and Thasme, the two richest cities of Secundille’s kingdom, Parzival advanced shouting out the name of Condwiramur’s city, Pelrapeire, the city in starvation for which he had fought. 907 Das Gegenüber von Reichtum und Armut entspricht der Relation Secundille - Condwira‐ murs ebenso wie dem eingangs vom ›armen‹ Erzähler akzentuierten Verhältnis zu der für seinen eigenen Erfahrungs- und Wahrnehmungshorizont nicht fassbaren materiellen Fülle der fremden Erscheinung - signifikanterweise suggeriert diese Gegenüberstellung somit eine Nahstellung, eine Parteinahme, mindestens eine partielle Similarität zwischen Erzählerfigur und Parzival. Auch der Kontrast zwischen auf dem Kampfplatz präsenten Edelsteinen und dem fernen Gral, zwischen Präsenz und Absenz der Steine, reiht sich in diese Motivverbindung ein. 908 Differenz wird weiterhin darin diskursiv, dass Parzi‐ vals widerruoft nicht folgenlos verhallt, sondern eine tatsächliche Verbindung zu seiner Minnedame herstellt: Condwîr âmûrs bezîte / durch vier künecrîche aldar / sîn nam mit minnen kreften wâr (744,4-6). Wie Parzival einer Minnegabe Condwiramurs’ entbehrt - »[v]ollkommene triuwe bedarf des Zeichens nicht« 909 - und auf die Unterstützung des Grals aus der Ferne angewiesen ist, so ist die von Feirefiz zur Schau getragene materielle Fülle für den seinerseits ›armen‹ Erzähler allenfalls virtuell anwesend. Feirefiz und Parzival exemplifizieren mithin zwei Extremwerte literarisch imaginierter Materialität: die unbeschreibliche und der Wahrnehmung entzogene Fülle von Feirefiz’ Reichtümern auf der einen und die Präsenz des Abwesenden, Condwiramurs’ und des Grals, auf der anderen Seite. Die auch an anderen Stellen vom Erzähler in Erinnerung gehaltene »›virtuelle‹ Anwesenheit« 910 Condwiramurs’ wird, Lavinias Einwirken auf den Finalkampf zwischen Eneas und Turnus im Eneasroman gewissermaßen überbietend, 911 als tatsächliche, unermesslichen Raum körperlich überwindende Erscheinung imaginiert. 912 Wie Parzival schon an früherer Stelle im Angesicht Condwiramurs’ die reale Präsenz der weit entfernten Liaze ganz unmittelbar wahrgenommen hat - Lîâze ist dort, Lîâze ist hie. / mir wil got sorge mâzen: / nu sihe ich Lîâzen (188,2-4) -, so wird nun die raumgreifende, sich auf das Kampfgeschehen unmittelbar auswirkende (vgl. 744,7-9) Anwesenheit der Minnedame zum Thema: 317 2.5 Verwandtenkampf III: Parzival und Feirefiz, swert und zimierde 913 So Philipowski zu Tr., 18994-19005; weiter zur vorliegenden Stelle: »Dabei ist die herbeigeschworene Präsenz der doch tatsächlich abwesenden Liaze gar nicht wortwörtlich genug zu nehmen. In der konkret gegenwärtigen Schönheit der Condwiramurs gewinnt die Erinnerung an Liaze einen r e a l e n Körper« (Mittelbare und unmittelbare Gegenwärtigkeit, S. 34, Anm. 5). 914 Haug: Kontingenz als Spiel mit der Kontingenz, S. 166. Hier geht es um einen abstrakten Diskurs o h n e Abstraktion, um einen Antagonismus zwischen dem Realitätsstatus einer Abstraktion und dem einer realen Präsenz. 913 Die sich direkt im Anschluss an diese kurze Passage fortsetzende Kampfschilderung lässt keinen Zweifel daran, dass das Eingreifen Condwiramurs’ als ganz unmittelbares und unmetaphorisches imaginiert ist: dô sprungen (des ich wæne) / von des heidens schilde spæne (744,7f.), heißt es gleich nach der Erwähnung ihrer minnen krefte, und indem an dieser Stelle eine Aussage über die Ursache für die Zerstörung des Schildes ausgespart, der handelnde Akteur also unerwähnt bleibt, suggeriert der Erzähler einen unmittelbaren Einfluss der Minnedame auf das Geschehen, einen, der nicht über eine sich erinnernde Figur vermittelt wäre, die in Gedanken an seine Dame erstarkte, sondern der direkt auf die Materialität des Feirefiz’schen Schildes einwirkt. Dass der Erzähler es bei einer Suggestion solch unmetaphorischer und unmittelbarer Akteursqualitäten und die kausalen Zusammenhänge im Unausgesprochenen belässt, ist nun vor dem Hintergrund der folgenden Handlung einzuordnen, präludiert doch das Zerspringen des Schildes bereits das göttlich gefügte Zerbersten des Ither-Schwertes: von Gaheviez daz starke swert mit slage ûfs heidens helme brast, sô daz der küene rîche gast mit strûche venje suochte. got des niht langer ruochte, daz Parzivâl daz rê nemen in sîner hende solde zemen: daz swert er Ithêre nam, als sîner tumpheit dô wol zam. (744,10-18) Die schon angesprochenen Aporien eines unentscheidbaren Kampfes korrelieren mit der Kontingenz der Begegnung ebenso wie mit den an dieser Stelle inserierten Hinweisen des Erzählers auf ein göttliches Urteil und Eingreifen (vgl. auch 744,22-24). Gerade vor dem Hintergrund des vorangehenden Verwandtenkampfes, in welchem das gegenseitige Erkennen der Kombattanten Parzival und Gawan auf einen Zufall gründete, fällt an dieser Stelle eine bedeutungsträchtige Variation ins Auge, welche auf die Konstruiertheit literarisch-fiktiver Kontingenz deutet: Hier ist nun nicht von Zufall, sondern ausdrücklich von göttlicher Gnade die Rede, und dies als Zeichen dafür, daß dem Helden seine Schuld vergeben ist […]. Hier wird also das Bewußtsein der Zufälligkeit des Gelingens in ein Bewußtsein vom göttlich geschenkten Gelingen verwandelt. Das heißt: der Dichter bindet den von ihm gesetzten Zufall in eine (fiktive) Providenz zurück. 914 318 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 915 Bumke: Wolfram von Eschenbach, S. 74. 916 »daz rê nemen = daz nemen daz rê, ist so viel wie rêroup […]. Der Inf. mit dem von ihm regierten Acc. des Objekts vertritt ein Substantiv mit Gen.« (Martin: Stellenkommentar zu 744,15, S. 492). Zur metonymischen Bezeichnung des Itherschwertes Bartsch/ Marti: »Hier tritt der abstrakte Begriff für den konkreten, das geraubte Schwert, ein« (Stellenkommentar zu 744,15, Bd. 3, S. 119). 917 »Erst die hövescheit macht die Anagnorisis, das Erkennen von Verwandtschaft, möglich. Neben der Figurencharakterisierung hat die dialogische Darstellung die Funktion, hövescheit und Mensch‐ lichkeit als vorbildliche ritterliche Werte vorzuführen. Wolfram belässt es nicht bei der Bewertung der vorbildlichen Figur durch den Erzähler […], sondern er stellt Feirefiz’ vorbildliches Verhalten auch im Dialog dar« (Urscheler: Kommunikation in Wolframs Parzival, S. 236); vgl. auch Kellner: Wahrnehmung und Deutung des Heidnischen, S. 41. Während im Falle von Feirefiz’ Schild die Ursache für dessen Zerbersten unausgesprochen blieb, wird nun zunächst ein schlüssiger Zusammenhang mit Parzivals Schlag auf seines Bruders Helm hergestellt - ein Kausalnexus, den Parzival auch in seiner später folgenden Rekapitulation des Geschehenen hervorhebt: von slage mîn starkez swert zebrast (759,12) -, das Zerbrechen des Schwertes sodann allerdings auf göttliches Eingreifen zurückgeführt: In beiden Fällen wird somit die Zerstörung des Materiellen jeglicher dem Kampf imma‐ nenten Logik enthoben, werden die Akteursketten um die unvermittelt eingeführten und transzendenten Akteure Condwiramurs und Gott erweitert, um Akteure also, die dem in der Blutstropfenszene offenbarten »Doppelziel seines Lebens« 915 , Gral und minne (vgl. 296,5-12; 389,3-14), entsprechen, dessen Erreichen bereits verdeckt andeuten und die symbolischen Zentren der Parzivalhandlung auch im Akteurnetz sichtbar werden lassen. Die abstrakt-metonymische Bezeichnung des Ither-Schwertes als daz rê nemen (744,15) ist als dem rêroup äquivalente Bezeichnung aufzufassen, 916 sie indiziert das nur äußerlich respektive göttlich aufzulösende Dilemma der kämpferischen Begegnung: Das Schwert in den Händen Parzivals ist eben nicht irgendein Schwert, das der Held situationsabhängig zu verwenden und seinem Willen gefügig zu machen vermöchte, sondern ihm ist und bleibt, so legt es diese Bezeichnung nahe, das Handlungsskript von Verwandtentötung und Leichenraub eingeschrieben. Das Ding verweist somit auf die unauflöslich mit ihm verknüpfte Objektbiographie sowie auf das mit ihm assoziierte und auch Parzivals Agieren längst eingeschriebene Handlungsprogramm und damit auf einen potentiell fatalen, von dem Gurnemanz’schen Kampfethos nicht mehr zu regulierenden Ausgang des Gesche‐ hens, es ist gerade kein Zwischenglied, das gegen ein gabylôt oder gar das Gralschwert austauschbar wäre - nur göttliches Eingreifen kann offenbar als Gegenprogramm fun‐ gieren, das in allen bislang narrativierten Zweikämpfen dominante, in den jeweiligen Handlungsskripten der Dinge wurzelnde Aktionsschema zumindest kurzzeitig außer Kraft setzen und einer anderen, einer sprachlich vermittelten und höfisch-zivilisierten Form der Auseinandersetzung den Weg bereiten. 917 Dass eine solche Auflösung nicht aus der Immanenz eines Figurenhandelns, das bis auf Weiteres unverändert der Handlungslogik der Kampfgegenstände verhaftet bleibt, zu leisten ist, lässt den religiösen Gehalt des Textes überdeutlich aufscheinen - und es steht dem oftmals an den Parzival herangetragenen Gedanken einer Entwicklung des Haupthelden ebenso diametral entgegen wie dem darin implizierten Seitengedanken einer Transformation des Figur-Ding-Verhältnisses: 319 2.5 Verwandtenkampf III: Parzival und Feirefiz, swert und zimierde 918 Czerwinski: Der Glanz der Abstraktion, S. 154f. Ähnlich Schröder: »Der mittels des Schwertes, das er dem toten Ither samt Rüstung abgenommen hatte, zwischen dem dritten und fünfzehnten ›Par‐ zival‹-Buch kühn geschwungene Bogen zeigt den reifen Mann, den Trevrizent mit Gott ausgesöhnt hat, noch immer in der gleichen Gefahr der Verstrickung, welcher der unerfahrene Knappe gleich zu Beginn seiner ritterlichen Laufbahn erlegen war« (Parzivals Schwerter, S. 113). 919 Die »Andeutung des Feirefiz auf einen eventuellen Ringkampf ohne Schwerter […] [dient] wahr‐ scheinlich dazu […], den Kampf nicht zum bloßen Totschlag werden zu lassen, wenn das Schwert des Gegners zerbrochen ist […]. Dem entspricht Feirefiz’ Wegwerfen der Waffe, was ebenfalls auf diesen allgemeinen ritterlichen Kodex zurückzuführen sein dürfte« (Wand: Wolfram von Eschenbach und Hartmann von Aue, S. 166). 920 »Die fundamentale Störung in der Gesellschaft, deren Begründung letztlich in der aporetischen Struktur des Frauendienstes und den daraus resultierenden Verwandtenkämpfen zu suchen ist, lässt sich auch durch die Erlösungstat Parzivals nicht aufheben. Sie kann durch einen Moment göttlicher Gnade kurz arretiert werden, wie sich sehr schön im Eingreifen Gottes während des Bruderkampfes zwischen Parzival und Feirefiz zeigt, aber beendet werden kann sie nicht, denn: Die endgültige Erlösung des Menschengeschlechts ist, wie gesagt, Aufgabe des Sohn Gottes, nicht die Parzivals« (Richter: Spiegelungen, S. 122). 921 Mit Blick auf den weiteren Erzählverlauf hält Kellner eine vergleichbare Fragilität solch situativer - und selbst in der Situation erst weiter auszuhandelnder - Befriedung fest: »Es wäre allerdings eine vorschnelle Lektüre des Textes, glaubte man, dass diese friedliche Beilegung des Bruderkampfes grundsätzlich für ein Ende des Kämpfens stehe. Es ist vielmehr eine Momentaufnahme aus der Geschichte des Helden und damit jener der Mazadan- und Gralssippe, durch welche das Ethos des Kampfes nicht aus der Welt geschafft wird. Die Kampflust des Feirefiz scheint ungebrochen zu sein, wie gerade sein Verhalten bei der Taufe zeigt (814,24-30), und auch die der Erlösung des Grals angehängte Geschichte von Parzivals Sohn Loherangrin zeigt, dass es weitere Kämpfe geben wird (826,7f.)« (Wahrnehmung und Deutung des Heidnischen, S. 41). Und selbst wenn es damals seine tumpheit war, die ihn einem Toten das Schwert rauben ließ, bedeutet das nicht, es sei ihm hier nicht zuzutrauen, ebendieses Schwert des ersten Gesippe, dem er begegnet war, zur Tötung des letzten zu verwenden. 918 Feirefiz’ erste Verbaläußerung stützt diese Vermutung: ›ich sihe wol, werlîcher man, / dîn strît wurde ân swert getân: / Waz prîss bejagete ich danne an dir? […]‹ (744,29-745,1) - es bedarf also offensichtlich höfisch-dialogischer Vermittlung auch und gerade noch nach dem Zerbersten des Schwertes, dessen Programm, so die an dieser Stelle ausgespro‐ chene Befürchtung, sich auch in einen Ringkampf übersetzen ließe. 919 Die Zerstörung der Waffe gibt in dieser Perspektive lediglich den Impuls zur Befriedung der Situation, sie kann die »fundamentale Störung in der Gesellschaft« nur kurz »arretier[en]«, 920 entscheidend sind nun allerdings Reaktion und Verhalten der Figuren. Anders gewendet: Das Aktionsprogramm des Schwertes ist mit dessen Zerbersten mitnichten durchgestri‐ chen, es scheint zumindest potentiell gleichermaßen der mit ihren Dingen aufs Engste assoziierten Figur eingeschreiben bleiben zu können - diese fatale Handlungsalternative, in welcher die Figuren zu vollkommen ohnmächtigen Zwischengliedern, die Waffen, selbst nach ihrer materiellen Zerstörung, zu den eigentlichen Akteuren und einzig wirksamen Handlungsskripten würden, bleibt hier nur angedeutet, sie wirft indes einen finsteren Schatten auf die nachfolgende Versöhnung und weist den Verzicht auf ungehemmte Gewalt als Momentaufnahme, als allenfalls situative Lösung eines größeren, zumindest bislang noch nicht bewältigten Konflikts aus. 921 In diesem Konflikt firmiert selbst göttliches Eingreifen nicht als »billiard-ball causality«, als »efficient causality, with its chain of 320 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 922 Beide Zitate: Bennett: Vibrant Matter, S. 32f. 923 »Dessen [Feirefiz’] Überlegenheit auf höfischem Gebiet steigert sich noch, als er sein Schwert fortwirft und damit auch seine moralische Überlegenheit beweist« (Harms: Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten, S. 166). 924 »[G]erade diese vollständige Unterscheidbarkeit ist notwendig, um in ihrer Zeichenhaftigkeit kommunikativ wirksam werden zu können. Dafür ist die Entledigung der verbliebenen Rüstungsteile die Voraussetzung schlechthin« (Wittmann: Das Ende des Kampfes, S. 188). simple bodies acting as the sole impetus for the next effect« 922 , es fügt sich vielmehr ein in die komplex-kontingenten Vermittlungen zwischen dinglichen und anthropomorphen Akteuren, in die ›emergente Kausalität‹ eines ritterlichen Zweikampfes, dessen Effekt bis zum Schluss so unberechenwie unvorhersehbar bleibt. Ehe es nämlich zu einer Beilegung des auch in der verbalen Interaktion sich zunächst fortsetzenden Kampfes und zur Annäherung der Brüder kommen kann, bedarf es noch eines weiteren, in diesem Falle nicht mehr göttlich gefügten Schrittes: Feirefiz legt seinem Bruder zunächst offen, dass es ihm ein Leichtes wäre, den Unbewaffneten nun mit dem Schwert zu besiegen, um sodann mit ›männlicher‹, moralisch überlegener Geste - der heiden starc unde snel / tet manlîche site schîn (747,12f.) - sein eigenes Schwert von sich zu werfen: ez warf der küene degen balt / verre von im in den walt (747,15f.). 923 Erst jetzt, da die distanzwahrenden Vermittler gewältförmiger Interaktion, die Schwerter, beseitigt sind, kommt es zu Personenerkenntnis und Versöhnung. Die solchermaßen gestufte Annäherung wird enggeführt mit dem Ablegen einzelner Ausrüstungsgegenstände: So folgt auf das Zer‐ bersten von Feirefiz’ Schild - abermals Zeichen der Dekonstruktion einer ›Wunderwaffe‹ - und Parzivals Schwert eine erste Kampfpause, in der sich auch Feirefiz seines Schwertes entledigt, und anwie abschließend die körperliche Entblößung, die in die finale Erkenntnis des Gegenübers mündet: Ieweder sîn houbet schier / von helme unt von hersenier / enblôzte an der selben stunt (748,1-3). Erst sobald die Figuren die Ausrüstungsgegenstände, die ihre Identität nur in verschlüsselter Form zur Anschauung bringen und als Akteure einen so fatalen Einfluss auf ihre Interaktion ausüben, abgelegt haben, sobald ihre Körper »deutlich voneinander unterscheidbar« 924 sind, kommt es zum versöhnenden Kuss (vgl. 748,8f.), zur freundschaftlichen Begegnung und zum friedlichen Austausch. Wie bereits in den vorangehenden Schlüsselkämpfen werden somit auch hier die fatalen Funktionen der Waffen und Schutzgegenstände in den Vordergrund gespielt: Schwerter, deren Handlungsskripte dem Helden weder Raum zur Reflexion noch einen Handlungsspielraum jenseits blinden Kämpfens lassen, ja von ihnen bereits längst inkor‐ poriert zu sein scheinen, und dingliche Erkennungszeichen, deren kommunikativer Gehalt aus der Perspektive der handelnden Figuren nicht zu durchdringen ist. Beide Figuren erweisen sich in diesem finalen Kampf über weite Strecken hinweg als nachgerade ohnmächtige Zwischenglieder eines zwischen kaum zu überschauenden, komplementären Akteurnetzen ausgetragenen Kampfgeschehens. Das Wegwerfen der Schwerter kann als Rebellion gegen dieses ›äußerliche Regime‹ gewertet werden, als situativer Versuch, sich von dem unheimlich-fatalen Mitwirken der Dinge, auch der bereits scheinbar unschädlich gemachten, zu entledigen. Vielleicht lässt sich ja Wolframs Abweisung einer vorstellbaren Visualisierung von Feirefiz’ Ausrüstungsensemble nicht nur auf die Bildmüdigkeit und eine spielerisch behauptete Armut des Ausdrucks zurückführen, vielleicht wird so nicht nur 321 2.5 Verwandtenkampf III: Parzival und Feirefiz, swert und zimierde 925 Zit. aus: Bresson: [Film] Lancelot du Lac. 926 »Die Alterität der Gralsburg zeigt sich schon darin, dass sie nur unwizzende (250,29) gefunden werden kann, gezielter Queste sich aber verweigert und entzieht. Wolframs Gralsbereich erscheint als abge‐ schottete Parallelwelt, die sich gleichwohl durch Strukturen auszeichnet, die mit ihren teils analogen, teils inversen Spiegelungen der Artuswelt der mittelalterlichen Ordo-Theorie entsprechen« (Ernst: Wolframs Gral und der Schatz der Templer, S. 199). die Abgrenzung des literarischen Zeichens von der Exorbitanz der diegetisch-materiellen Realität greifbar, sondern auch eine mit Blick auf das bis hierhin Erzählte gut begründete Angst vor den Gefahren, denen die in dieser Szene mithandelnden Dinge seine Figuren aussetzen - oder aussetzten, wenn sie nicht vorsorglich, wie das Gralschwert, vergessen worden wären. Die Dinge und ihre Aktionsprogramme scheinen nicht nur die Figuren beinahe zu unfasslichen Sündentaten, sie scheinen mithin auch Wolfram an die Grenzen des Darstell- und Erzählbaren zu treiben und, zumindest potentiell, noch göttliches Eingreifen unerlaufen zu können. 2.6 Ausblick: Versuch über den Gral und die Grenzen des Materiellen Ce n’est pas le Graal, c’est Dieu que vous vouliez. Mais Dieu n’est pas un objet qu’on rapporte. 925 Inmitten der Wildnis, an einem See: ein rätselhafter Fischer, als König gekleidet, ein trauriger Mann. Parzivals Begegnung mit diesem Fischer steht am Anfang einer bildreichen Ereigniskette, die den Protagonisten in das Zentrum einer obskuren ›Geheimgesellschaft‹, der Gralgesellschaft, führt. Einmal auf der Gralburg Munsalvaesche, diesem paradigma‐ tischen Heterotopos, 926 angelangt, erhält der junge Ritter einen Mantel aus arabischen Seidenstoffen, nach den Worten des Kämmerers: den Mantel der Königin Repanse de schoye. Entwaffnet, gewaschen und neu eingekleidet, bietet sich dem Helden im Palas der Burg ein beeindruckendes Schauspiel: In einem von zahlreichen Kerzen beleuchteten und mit einhundert gepolsterten Betten ausgestatten Saal begegnet er dem Fischer wieder, nun im Mittelpunkt des riesigen Raumes auf einem kostbaren Bett gelagert, gleich neben einer exotisch duftenden Feuerstelle. Der tieftraurige Mann ist in warme, zobelbesetzte Kleider gehüllt, auch seine Haube ist aus kostbarem Zobelbalg gefertigt, mit einer arabischen Borte versehen und überdies mit einem durchsichtigen Rubin besetzt. Vor den Augen der Versammelten, es müssen etwa 400 auf den Betten Platz genommen haben, wird nun ein Gegenstand präsentiert, eine Lanze, aus deren Schneide Blut quillt. Es folgt der Auftritt zweier junger und wunderschöner Frauen in scharlachbraunen, körperbetonten Kleidern. Sie tragen Kerzen in den Saal und werden von zwei weiteren Damen gefolgt, die ein Tischgestell vor dem Bett des Königs platzieren. Andere Damen legen einen wertvollen Edelstein auf dieses Gestell, der als Tafel für das anschließende Mahl dient. Eine Gruppe von sechs Jungfrauen trägt silberne, von Kerzenschein beleuchtete Messer herein und deponiert diese auf dem zuvor aufgestellten Tisch. Anschließend betritt die Königin, Repanse de Schoye, die Szene, in den Händen ein wertvolles grünes Seidentuch - und darauf der Gral: 322 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 927 Ich beschränke mich an dieser Stelle auf die Wiedergabe von Kordts Stellenkommentar: »Der wunsch von paradîse (auch Parz. 470,14), ›das herrlichste Paradis‹ steht hier als metaphorischer Ausdruck für den Inbegriff des Schönsten, Vollkommensten […], also etwa für ›das Herrlichste, was man sich vorstellen kann‹, der ›Inbegriff paradiesischer Vollkommenheit‹ (Spiewok, S. 198)« (Stellenkomentar zu 235,21, S. 110); zur zweiten Metapher, wurzeln unde rîs: »Das botanische Bild steht ebenfalls metaphorisch für allumfassende Vollkommenheit, indem es verschiedene Reifestadien vereinigt. Gleichzeitig ist die Idee des Wachsens und Fruchtbringens ausgedrückt« (ebd.); zu erden wunsches überwal: »›Überauswahl an irdischer Herrlichkeit‹; durch den doppelten Superlativ fast nicht zu übersetzen« (ebd.); vgl. Anm. 779 dieser Arbeit. 928 Kaske: Kreaturen und Artefakte in mittelhochdeutscher Literatur, S. 75. 929 »Eine descriptio, so scheint es, taugt nicht dazu, den Gral begreif- und erfahrbar zu machen« (Richter: Spiegelungen, S. 245); ähnlich Kratz: »Beyond the fact that it is a (precious) stone, and large enough nâch den kom diu künegîn. ir antlütze gap den schîn, si wânden alle ez wolde tagen. man sach die maget an ir tragen pfellel von Arâbî. ûf einem grüenen achmardî truoc si den wunsch von paradîs, bêde wurzeln unde rîs daz was ein dinc, daz hiez der Grâl, erden wunsches überwal. Repanse de schoy si hiez, die sich der grâl tragen liez. der grâl was von sölher art: wol muoser kiusche sîn bewart, die sîn ze rehte solde pflegn: die muose valsches sich bewegn. (235,15-30) Im Zuge der hier umrissenen rituellen Handlungen gelangt nun neben zahllosen Damen zum ersten Mal ein dinc an die Erzähloberfläche, das ungegenständlicher nicht beschrieben werden könnte: Anstatt über Form und Farbe, Ausmaße und Material des Grals Aufschluss zu geben, weicht der Erzähler auf ein metaphorisches Sprechen vom wunsch von paradîs, von wurzeln unde rîs und, doppelt hyperbolisch, von erden wunsches überwal aus, auf Metaphern, die, je einzeln, aber auch mit Blick auf die aufgerufenen Bildbereiche von Paradies bis Erde, eine nachgerade kosmische Vollkommenheit und überbordende Fülle andeuten, den Gegenstand selbst indes nicht zur Anschauung bringen - und dabei dessen transzendenten Ursprung (paradîs) und seine Funktion als Speisespender (wurzel unde rîs) bereits verdeckt andeuten: 927 Damit stehen sich die erzählerische Benennung des Grals als »dinc«, ein konkretes, materiell greifbares Etwas, und seine ausgesparten Eigenschaften gegenüber, die die Imagination anregen. Er vermag es, gleichzeitig tangibles Ding und unwirklich-unfassbarer »wunsch« (Pz. 235, 24) zu sein. 928 Durch die erzählerische Tendenz zur Metaphorisierung wird das dinc selbst der Sichtbarkeit entzogen, 929 sie korrespondiert überdies mit einer analogen Verschiebung, Parzivals Blick 323 2.6 Ausblick: Versuch über den Gral und die Grenzen des Materiellen to bear inscriptions, there is no hint in Parzival of the physical appearance of the grail« (Wolfram von Eschenbach’s Parzival, S. 574). 930 Tax: Felix culpa und Lapsit exillis, S. 466. Zum Gral als Akteur Bildhauer: »Der Gral wird hier nicht passiv getragen, sondern er lässt sich tragen, das heißt, er lässt das Tragen zu oder veranlasst es sogar« (Gral, S. 92); genauer: »The verb to let (lân, lâzen) in both Middle High German and modern English is a common way of expressing thingly agency, similar to a middle voice between the active (›Repanse carried the grail‹) and the passive (›the grail was carried by Repanse‹). It does not presume that the grail can move like a human or an animal, but neither that it is being moved entirely passively. ›Letting‹ instead suggests a range of agency between ›making‹ Repanse carry it and ›allowing‹ Repanse to carry it. This impression is heightened by the fact that the sentence is ungrammatical, literally saying not ›by whom the grail let itself be carried,‹ but ›who the grail let itself be carried‹« (Medieval Things, S. 180). 931 Selmayr: Der Lauf der Dinge, S. 76. Vergleichbar hält Maczewski fest: Der Gral wird »das für den mittelalterlichen Ritter Erstrebenswerte an sich und löst eine Bewegung auf sich selbst hin aus, die Wolfram episch umsetzt in die Wege und Irrwege und den schließlichen Erfolg seines Helden« (Wolframs Erzählstil, S. 4). - Ernst verweist bei der Besprechung dieses Motivs auf die mittelalterliche »Pondus-Idee […], die Sündhaftigkeit mit Bürde und tugendhafte Reinheit mit Schwerelosigkeit konnotiert« (Wolframs Gral und der Schatz der Templer, S. 200; vgl. Kap. 2.1.2 und Anm. 94 dieser Arbeit). 932 So Quast im Vergleich des Grals mit dem zweiten gesellschaftsstiftenden Gegenstand des Romans, der arthurischen Tafelrunde (Dingpolitik, S. 182). 933 Ott: Die höfische Welt der Dinge, S. 166. nicht auf den Gral, sondern auf dessen Trägerin: dez mære giht daz Parzivâl / dicke an si sach unt dâhte, / diu den grâl dâ brâhte (236,12-14). Der ontologische Status des Grals als Ding wird weiterhin dadurch ambig, dass er sich nur von dieser Ausgewählten, von einer kiuschen Person ›tragen lässt‹ (vgl. 235,25f. und 809,10-13): »Als Stein ist der Gral etwas Konkretes, ein dinc. Aber er wird auffälligerweise auch als ›persönlich‹ gedacht«. 930 Für andere ist er, dies deutet sich hier an und wird später von Trevrizent näher erläutert, zu schwer, sô swære […] / daz in diu falschlîch menscheit / nimmer von der stat getreit (477,16-18): Der Gral ist nur für sie materiell fassbar, für die restliche Gralsgesellschaft ist das dinc nur sichtbar. Der Gral ist aber auch durch Repanse nicht vollkommen transportabel, die Grenzen Munsalvæsches verlässt er nie. Er bleibt räumlich begrenzt: Nicht der Gral wandert, sondern die Figuren wandern zum Gral. 931 Er bleibt mithin der sonstigen Bewegtheit der Dinge, den ubiquitären Raub- und Tausch‐ handlungen entzogen. Bevor das gemeinschaftliche Mahl beginnt, werden den Anwesenden noch wertvolle goldene Waschbecken und Handtücher gereicht und weiße Tischdecken auf den Tafeln drapiert. Schließlich erscheinen vor dem Gral Speisen, ganz nach Wunsch: spîse warm, spîse kalt, / spîse niwe unt dar zuo alt, / daz zam unt daz wilde (238,15-17) - »mit dem Tischleindeckdich-Motiv bei Wolfram [wird] einer Hybridisierung zugearbeitet, die doch eher einer Desakralisierung des Dings Vorschub leistet.« 932 Neben Speisen erscheinen auch Getränke vor dem Gral: Man muss dem Wunderding nur sein Trinkgefäß reichen und den Namen des gewünschten Getränks nennen oder diesen kennen, und schon erscheint es wie von Zauberhand, allez von des grâles kraft (239,5), die »alimentäre[] Potenz des Grals« 933 bezeugend - die beiläufige Erwähnung, dass sich vor dem Gral nur dasjenige Getränk 324 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 934 Zum beschriebenen Ritual, zur Mischung christlicher mit muslimischen und besonders auch höfi‐ schen Bestandteilen Mertens: »Wolfram […] macht den Gral zu einem interreligiösen Symbol: Einen heiligen Stein verehren die Muslime, die grüne Farbe des Tuches verweist ebenfalls auf den Islam, es ist die Farbe des Propheten Mohammed. […] Andererseits wird bei Wolfram, wie bei Chrétien, der Gral durch eine Hostie rituell christlich geheiligt […]. Die Gralsprozession ist hinwiederum ganz höfisch, die herausragende Rolle der Frauen und ihre sehr weltliche Lieblichkeit läßt sich weder mit muslimischen noch mit christlichen Bräuchen verbinden« (Geschichte und Geschichten um den Gral, S. 256). 935 si sâhen beide ein ander an, / dâ generten si sich van; / der wuocher, den daz ouge bar, / daz was ir zweier lîpnar; / si’n âzen niht dar inne / wan muot unde minne (Trist., 16815-20). Zu Metaphorizität und Literarizität an dieser Stelle vgl. Köbele: Mythos und Metapher, S. 223-229. - Zur Komik Ridder: »Versteht man die hier geschilderte Verfügbarkeitsphantasie aber als Zeichen der Heiligkeit und als materialisiert, das die Figuren auch benennen können (vgl. 239,3), deutet, wie auch später die Gralinschrift (s. u.), sowohl auf die Subjektivität der Wundererfahrung als auch auf das Leitmotiv der unter anderem durch die Gegenstände vermittelten kommunikativen Interaktion auf der Gralburg. Abschließend wird dem Gast eine Gabe überreicht: ein wertvolles Schwert in einem Heft aus Rubin, das Gralschwert - und schlagartig endet das Zeremoniell. Parzival erblickt noch einen mysteriösen alten Mann, wunderschön und doch grâwer dan der tuft (240,30), und wird schließlich von seinem Wirt zu Bett geschickt. Dinge über Dinge: Während die gesamte durch und durch höfische Gralprozession 934 weitgehend frei von Dialog und sonstiger Interaktion auf Figurenebene ist, kommt den hier in Szene gesetzten Gegenständen eine hervorgehobene Rolle zu. Sie dienen allesamt der Repräsentation und Prachtentfaltung, sind teilweise als Akteure assoziiert, unter der Zielsetzung, den kranken König zu wärmen und sein Leiden etwa olfaktorisch zu mindern, sie stiften Gemeinschaft (diu werde geselleschaft / hete wirtschaft vome grâl; 239,6f.) und substituieren Kommunikation: So dient, ausweislich des expliziten Erzählerkommentars, die Gabe des Gralschwertes sowie implizit die gesamte Inszenierung dazu, den jungen Heilsbringer Parzival zur Frage nach der Krankheit des Königs zu veranlassen: wan do erz enpfienc in sîne hant, / dô was er vrâgens mit ermant (240,5f.). Die Dinge stiften überdies Bezüge ebenso zwischen den Figuren - man denke an Repanses Mantelgabe -, zwischen Figuren und Dingen - es sei auf den Bezug zwischen Repanses pfell von Ninnivê (235,11), den prächtigen grünen, aus orientalischem Samt gefertigten Kleidern der übrigen juncfrouwen (vgl. 234,4-6) und dem grüenen achmardî (235,20), auf dem der Gral sich tragen lässt, verwiesen - sowie zwischen Szenen: So weist das aus der Lanzenschneide quillende und dem Träger in den Ärmel fließende Blut überdeutlich auf die kurz vor der Zeremonie geschilderte Begegnung Parzivals mit dem redespæhen man zurück, bei welcher jener in einem autoagressiven Akt aus Zorn die Faust ballt und das eigene Blut im den ermel gar begôz (229,14). Ein solcher Bedeutungsüberschuss auf diversen Ebenen der Erzählung markiert allfäl‐ ligen Interpretationsbedarf, er korreliert überdies mit dem vom Gral gestifteten und in die Sphäre des Wunderbar-Komischen entrückten Überfluss: Ganz im Gegensatz etwa zum ›Speisewunder‹ in Gottfrieds von Straßburg Minnegrottenepisode ist das Wunder hier keines, das mit metaphorischen Sinngehalten spielte, sondern es wird - vorausgesetzt, die Leser ließen sich auf die Realität der Fiktion ein (vgl. 238,11f.) - als ebenso irdisch-reales wie nahrhaftes imaginiert. 935 Die hyperbolische Überbietung auch der biblischen Speise- und 325 2.6 Ausblick: Versuch über den Gral und die Grenzen des Materiellen Manifestation des Gottesbezugs, dann irritiert die aufs Irdische fixierte Ausrichtung. Die Möglichkeit der uneingeschränkten Befriedigung des Nahrungstriebes und der ritualisierte Genuß einer sich hö‐ fisch gerierenden Ordensgesellschaft kontrastieren allzu deutlich mit dem offenbarenden Charakter etwa eines biblischen Speisewunders. Genau auf dieser Opposition beruht die komische Wirkung der Passage« (Narrheit und Heiligkeit, S. 147f.). 936 Weiter: »Indeed, these initial definitions evoke not only the inclusiveness implied by the metaphor ›root and branch,‹ but also transcendence« (Groos: Romancing the Grail, S. 120); ähnlich Kaske: »Dass der Gral ein Symbol ist, scheint klar - Wolfram gestaltet ihn aber so uneindeutig, dass der Platz für interpretatorischen Freiraum groß ist« (Kreaturen und Artefakte in mittelhochdeutscher Literatur, S. 76). - Ein ›flottierender Signifikant‹ oder floating signifier ist »ein symbolischer Nullwert, das heißt ein Zeichen, das die Notwendigkeit eines supplementären symbolischen Inhalts markiert, der zu dem bereits auf dem Signifikant liegenden Inhalt hinzutritt und der ein beliebiger Wert sein kann, vorausgesetzt, daß er noch zu dem verfügbaren Vorrat gehört und nicht schon, wie die Phonologen sagen, ein Gruppenterm ist« (Lévi-Strauss: Einleitung in das Werk von Marcel Mauss, S. 40). Weinwunder lässt insbesondere nach der Materialität des von Wolfram Erzählten fragen: Während Christus fünf Gerstenbrote wundersam vermehrt, damit die Fünfrespektive die Viertausend speist und auf der Hochzeit zu Kana seine Herrlichkeit beweist, indem er Wasser in eine Überfülle Wein verwandelt, entstehen Speisen und Getränke vor dem Gral augenscheinlich ex nihilo, und erst Trevrizents Erläuterungen werden ein wenig Licht in diese Vorgänge bringen (vgl. 470,1-20; s. u.). Das oben angesprochene ›moralische Gewicht‹ weist den Gral zum einen als dinglichen Quasi-Akteur aus, der insoweit einen Unterschied macht, als er Handlung modifiziert, sich eben nur von ausgewählten Figuren ‚tragen lässt‘, es verweist zum anderen auf die sich im Erzählverlauf entfaltenden Hintergründe dieser zunächst in weiten Teilen - zumindest aus der Perspektive Parzivals - dunklen Szene und damit auf Akteursqualitäten von weit größerer Tragweite: Anfortas war von Gott für seinen Verstoß gegen die Gesetze des Grals, für seinen sündigen Bruch des Keuschheitsgebots bestraft worden, und Parzival ist, ausweislich einer flüchtigen Inschrift auf dem Gral, von Gott ausersehen, seinen Onkel und die Gralgesellschaft zu erlösen. Indem Wolfram den Lesern jegliche Information über Form und Materialität dieses mal leichten, mal schweren Gegenstands vorenthält und diesen Mangel noch mit der Fülle vor dem Gral sich materialisierender Speisen und Getränke kontrastiert und ausstellt, lenkt er deren Aufmerksamkeit auf einen poetologisch und auch ontologisch prekären Sachverhalt: die Dinglichkeit des (geschriebenen) Zeichens und seines Referenten, die Materialität des Beschriebenen. Der Gral erweist sich als widerständig gegenüber habitualisierten Zuschreibungen an Gegenstände, er ist gleichermaßen Akteur und Objekt, er steht für kurze Zeit im Zentrum der höfischen Interaktion, avanciert (wenig später) zum zentralen Ziel von Parzivals âventiuren und bleibt doch als Gegenstand über weite Teile des Textes hinweg räumlich an der Peripherie der erzählten Welt, er ist der Sichtbarkeit entzogen und wird, um hier eine Überlegung von Arthur Groos aufzugreifen, in seiner Unrespektive Unterbestimmtheit zum paradigmatisch-›flottierenden Signifikanten‹: »The most mysterious object in this narrative, ›it‹ is introduced as a floating signifier, one that will attract a large number of later significations.« 936 Insbesondere durch Trevrizent wird der flottierende Signifikant ›Gral‹ durch symbolische Inhalte supplementiert, werden Parzival diu verholnen mære 326 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 937 Haferland: Die Geheimnisse des Grals, S. 26. 938 Strohschneider: Sternenschrift, S. 52. 939 So Strohschneider, der dirre âventiure gestifte als »›Ursprungs‹-Version« der Erzählung auffasst (Sternenschrift, S. 51); dagegen etwa Nellmann, der liest: »›die Grundlage (nicht: Erstfassung! ) dieser Erzählung‹. Mit der ›Grundlage‹ dürfte die (Gral-)Vorgeschichte gemeint sein. Wolfram hat darüber bei Chrétien nichts finden können« (Stellenkommentar zu 453,14, S. 665). 940 Nellmann: Stellenkommentar zu 453,15, S. 666. 941 So Kellner: »Flegetanis kommt die Rolle des Tradenten zu, der die Zeichen der Sternenkonstellation in Schrift übersetzt hat, Kyot ist der eigentliche Hermeneut. Insofern ist der Blick des Flegetanis in die Sternenkonstellation kein ›Einblick‹ in die Heilsgeschichte im eigentlichen Sinn. Insofern werden heidnische Astronomie und Gelehrsamkeit gegenüber christlicher Hermeneutik ausgespielt. Somit werden heidnische und christliche Aspekte in der Inszenierung der Herkunft der Gralsgeschichte vereint, um doch wieder gegeneinander abgesetzt zu werden« (Wahrnehmung und Deutung des Heidnischen, S. 46). 942 Sablotny kann in einem close reading des Kyot-Exkurses (Zeit und âventiure in Wolframs von Eschenbach Parzival, S. 200-214) nachweisen, dass dieser ganz wesentlich von dem für genealogi‐ sches Denken so zentralen »Spannungsverhältnis von Sukzession und Simultaneität« (ebd., S. 205) geprägt ist: Die für die Identität des Textes integrale Figur der Kontinuität nämlich werde in einer Kreisbewegung zur Anschauung gebracht, die schrittweise vom aktuellen Geschehen in Trevrizents Klause zunächst in Kyots, dann in Flegetanis’ vorchristliche und in die Schöpfungszeit führe, um anschließend über Kyots Suche nach lateinischen Familienchroniken der Graldynastie zurück ins ›Jetzt‹ der Erzählgegenwart zu gelangen. Auch im Detail, etwa wenn Wolfram Kyot als Zeitgenossen imaginiert und beide gleichermaßen Zugriff auf die âventiure zu haben scheinen, oder wenn die Metadiegese von Flegetanis’ Niederschrift den Bogen zur christlichen Gegenwart von Erzählung und Rezipienten schlägt, seien Strategien der Suggestion von Simultaneität zu beobachten, umben grâl (452,30) offenbart - wenngleich nicht ganz klar wird, konkret »auf welchen geheimnisvollen Aspekt des Grals sich diese Formulierung Wolframs bezieht.« 937 Zu Beginn der Begegnung Parzivals mit dem Einsiedler reflektiert der Erzähler auf die solchermaßen verzögerte Informationsvergabe und weist dem Gral einen prominenten Platz in der Genese seines Erzählstoffs zu: Kyot habe ihm, seinerseits den Geboten der âven‐ tiure selbst folgend, aufgetragen, die Geheimnisse des Grals einstweilen zu verschweigen (helen; 453,5) und erst dann von ihnen zu sprechen, ê ez d’âventiure bræhte / mit worten an der mære gruoz (453,8f.). Eben dieser Zeitpunkt, zu dem der ›Pfeil‹ auf den Rezipienten abzuschießen ist, scheint nun, da Parzival von Trevrizent Näheres über den Gral erfahren soll, gekommen, und so hebt der Erzähler an, in dem »philologisch heftig umkämpften, Wort für Wort immer wieder umgewendeten« 938 Kyot-Exkurs den art des Grals als Ursprung der Geschichte zu ergründen: Der getaufte Christ Kyot habe dirre âventiure gestifte (453,14) in Toledo ausfindig gemacht und diesen Ur-Parzival - ohne Zuhilfenahme schwarzer Magie - aus dem Heidnischen übertragen. 939 Dieser Archetypus der Erzählung gehe seinerseits auf einen Abkömmling Salomons zurück, ein heiden Flegetânîs (453,23), der mit eigenen Augen am Himmel eine geheimnisvolle Botschaft entdeckt habe: er jach, ez hiez ein dinc der grâl: / des namen las er sunder twâl / inme gestirne, wie der hiez (454,21- 23). Die ›Textgenealogie‹ ist also eine der Übersetzung von am Himmel erscheinender Schrift ins Heidnische, in der karakter â b c (453,15), sprich: in »magische[] Zeichen«, »Zauberzeichen« 940 (durch Flegetanis), vom Heidnischen und unter Zuhilfenahme weiterer Quellen ins Französische (durch den christlichen Hermeneuten Kyot 941 ) und zuletzt vom Französischen ins Deutsche (durch Wolfram). 942 Während Himmelsschrift und Flegetanis’ 327 2.6 Ausblick: Versuch über den Gral und die Grenzen des Materiellen narrative Überblendungen von Zeitebenen mithin, die »die Teilhabe der Dichtung an der (göttlichen) Transzendenz erfahrbar« (ebd., S. 214) werden ließen. 943 Mertens: Geschichte und Geschichten um den Gral, S. 252. 944 »Der Inhalt der Flegetanisschrift ist umstritten […]. Nach 416,26f. enthält sie Parzivals Geschichte, nach 454,17-30 nur Andeutungen über den Namen des Grals und seine Hüter« (Nellmann: Stellen‐ kommentar zu 453,30, S. 667). 945 In diesen Fassungen bezeugt Flegetanis also nicht (nur) den Namen, sondern die (durch den Namen glaubwürdig gemachte; vgl. 454,22f.) Existenz des Grals; zur handschriftlichen Varianz und der je unterschiedlichen wiederholenden Variation des Verses daz was ein dinc, daz hiez der Grâl (235,23) vgl. Stolz: Dingwiederholungen. 946 »Wolframs Lichtschönheit ist nicht nur die invisibilis, sondern auch die visibilis pulchritudo. Das ›Licht‹ strahlt von dem ›schönen Leib‹ aus. Und es strahlt besonders und in höchstem Maße vom schönen Leib des ›tumben Sünders‹ Parzival aus« (Cessari: Der Erwählte, das Licht und der Teufel, S. 82). 947 Selmayr: Der Lauf der Dinge, S. 79. - Zur phasierten, in die Figurenerzählung Trevrizents ausge‐ lagerten Enthüllung von Informationen über den Gral Herberichs: »Eine wichtige Umbesetzung der Erzählinstanzen ist zu verzeichnen: Die Informationen über den Gral, die dem Publikum vom Erzähler versprochen wurden (241,4f.), werden stattdessen nun an Trevrizent delegiert. Die Abschrift angeblich die Spitze des Gralhüter›stammbaums‹, die pflege des Grals durch die sog. ›Neutralen Engel‹ verbürgen (vgl. 454,24-30), stammen die Informationen über die menschlichen Gralhüter, die die Nachfolge der Engel antreten, aus von Kyot konsul‐ tierten latînschen buochen (455,4) - Transzendenz und Immanenz der Quelle treten in Entsprechung zu dem jeweils verbürgten Gegenstand. Die Chiffre ›Kyot‹ indiziert hierbei die Differenz gegenüber Chrétien, dessen Erzählung den Gral in mythischer Ursprungslosigkeit [belässt], von den Verwandtschaftsverhältnissen erfährt der Hörer/ Leser so gut wie nichts: Es gibt einen alten Gralskönig, dann den untauglichen Hüter, der wahrscheinlich von seinem Vetter Perceval abgelöst werden wird. Gerade die Historisierung sowohl des Gefäßes wie der Personen, die laut Wolfram angeblich Kyot bot, findet man bei Chrétien nicht. ›Kyot‹ benennt also eben die Differenz zu Chrétien, die man als Demythisierung und Historisierung bezeichnen kann. 943 Für das vorliegende Frageinteresse ist an dieser Stelle relevant, dass der Gral selbst als immer schon schriftlich vermitteltes Zeichen imaginiert wird, als name, der zunächst - neben weiteren, Umfang und Inhalt betreffend ebenfalls umstrittenen und, den ersten Kyot-Exkurs besehend, teils widersprüchlichen Informationen 944 - ohne tieferes Ver‐ ständnis von dessen Bedeutung in das Medium der heidnischen Schrift übertragen wurde: Der Gral selbst, greifbar allenfalls als immer schon bezeichnetes Ding, bleibt in dieser Quellenfiktion, auch in der abweichenden Lesart der *G- und *T-Fassungen (er jach, ez wære ein dinc, der Grâl), 945 verborgen, latent und unbestimmt. Von Trevrizent wird dieser mysteriöse, der Sichtbarkeit entzogene Signifikant, der name ›Gral‹ indes auch mit diversen Informationen, darunter in erster Linie solchen objektbiographischen Zuschnitts und solchen über die Materialität und den Inhalt des vom Gral Medialisierten, in Verbindung gebracht, werden dem namenlosen Sichtbarkeits- und Lichtspektakel Parzival 946 einige Geheimnisse des so obskuren Grals offenbart: Das dinc, das auf der Gralsburg noch als immanenter, materieller Gegenstand erscheint, erfährt im IX. Buch durch Trevrizents Schilderung eine Transzendierung. 947 328 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival Nachfragen der Lesenden, die sich eigentlich an den Erzähler Wolfram richten […], werden, so kündigt der Erzähler an, auf einer intradiegetischen Ebene ihre Antwort von Trevrizent erhalten (an dem [Trevrizent] ervert nu Parzivâl […], 452,29f.); darin scheint mir eine wesentliche und programmatische Figurenkonzeption Trevrizents erkennbar zu sein« (Erzählen von den Engeln, S. 46). Zur Gestaltung der Trevrizentfigur vgl. ähnlich Schu: Vom erzählten Abenteuer, S. 307-321. 948 Auch die Logik des Gebens und Nehmens wird von Trevrizent angesprochen, allerdings im gleichen Atemzug als Spiel, ein tschanze, der Gralgesellschaft ausgewiesen: ein tschanze dicke stêt vor in, / si gebent und nement gewin (494,4); vgl. Gephart: Geben und Nehmen, S. 157; Knaeble: Höfisches Erzählen von Gott, S. 231; Quast: Dingpolitik, S. 182. - Die Konstitution der Gralgesellschaft ist in die Logik feudaler Herrschaftspraxis eingelassen, man hat ein komplexes System der Rekrutierung neuer Graldiener entwickelt (vgl. 493,15-495,6), das allerdings wie ein institutionell-profanes Schauspiel anmutet und den designativen Inschriften des Grals entgegensteht: daz kan si got wol lêren (495,6). Das In- und Gegeneinander göttlicher lêre respektive sakraler Designation und menschlich-profaner Herrschaftssicherung ist besprochen bei Pratelidis: Tafelrunde und Gral, S. 97-100. 949 Weiter: »So rekrutiert der Gral den Nachwuchs des in kiusche lebenden Kollektivs. […] Es handelt sich bei der Gralsgesellschaft um einen sich in einem Ding manifestierenden theokratischen Herrschaftstyp. Der Gralskönig ist der oberste Gralshüter. Er steht im Dienst des Grals. Alle Macht geht in dieser Gesellschaft vom Ding aus« (Quast: Dingpolitik, S. 181f.). Zunächst setzt sich die auch bereits im Ritual selbst zu beobachtende Abschirmung des Grals von dem universe of commodities fort, wenn Trevrizent dem sich nach Condwiramurs und dem Gral verzehrenden Parzival gegenüber erläutert, der Gral sei gerade nicht zu ›erjagen‹, sprich: durch ritterlich-kämpferisches Handeln anzueignen: jane mac den grâl nieman bejagn, / wan der ze himel ist sô bekant / daz er zem grâle sî benant (468,12-14) - Trevrizent selbst verbürgt diese Information als Augenzeuge, er selbst habe es, nur was: das später angesprochene Epitaph? , für wâr gesehn (468,16). Von der zu ihm berufenen Gralgesellschaft beschützt (vgl. 470,21-471,14), entzieht sich dieser Gegenstand der Logik agonal-ritterlicher Aneignung, 948 er ist mithin gerade kein Objekt wie die von Parzival sündhaft angeeignete Ritterrüstung, Jeschutes Ring und Brosche oder die Wundersäule auf Schastel marveile, sondern ein Akteur, der das Geschehen um sich herum steuert und vermittels designativer Inschriften mit oder ›zu‹ der Gralgesellschaft kommuniziert und so »die Politik der Gralgesellschaft […] vermittelt« 949 : die aber zem grâle sint benant, hœrt wie die werdent bekant. zende an des steines drum von karacten ein epitafum sagt sînen namen und sînen art, swer dar tuon sol die sælden vart. ez sî von meiden ode von knaben, die schrift darf niemen danne schaben: sô man den namen gelesen hât, vor ir ougen si zergât. (470,21-30) Wie schon der Name Grâl am Firmament erschien und in der karakter â b c übertragen wurde, sind es nun name und art der zum Gral Berufenen, die in einer flüchtigen Inschrift, von karacten ein epitafum, auf dem Gegenstand selbst erscheinen: Selbst als hermetisch-deutungsbedürftiges Schriftzeichen imaginiert, sind es also neuerlich Zeichen, 329 2.6 Ausblick: Versuch über den Gral und die Grenzen des Materiellen 950 Vielleicht »darf [man] aus dieser Mitteilung [in 470,23-27; S.W.] schließen, daß Wolfram sich den Gralstein nicht gerade klein vorgestellt hat (vgl. auch 483,20-484,8)« (Nellmann: Stellenkommentar zu 470,23-27, S. 682); einschränkend sei darauf zurückverwiesen, dass bereits die Adamasinschrift hinsichtlich ihres Umfangs und ihres Inhalts irritierte und die materiell-medialen Beschränkungen ihres Trägers, Gahmurets Helm, in vielerlei Hinsicht sprengte - nicht die Dinge selbst würden übrigens durch solche Similaritäten vergleichbar, sondern die jeweilige Diskursivierung ihrer ›Materialität‹ als literarisch-schriftliche Zeichen stiftet hier signifikante Parallelen. 951 So Derrida zur abendlädischen Priorisierung des gesprochenen Worts gegenüber der menschlichen Schrift - mit einer Ausnahme, der göttlich-natürlichen Schrift: »Die Schrift im geläufigen Sinn ist toter Buchstabe, sie trägt den Tod in sich. Sie benimmt dem Leben den Atem. Auf der anderen Seite aber wird die Schrift im metaphorischen Sinn, die natürliche, göttliche und lebendige Schrift verehrt […]. Die natürliche Schrift ist unmittelbar an die Stimme und den Atem gebunden. Ihr Wesen ist nicht grammatologisch, es ist pneumatologisch. Sie ist hieratisch, ganz nahe an der heiligen, inneren Stimme der Profession de foi, der Stimme, die man, in sich kehrend, vernimmt: die erfüllte und wahrhafte Präsenz des göttlichen Wortes in der Innerlichkeit unseres Gefühls« (Grammatologie, S. 33). 952 »Ein schriftliches Zeichen tritt hervor in Abwesenheit des Empfängers. […] Meine ›schriftliche Kommunikation‹ muß, trotz des völligen Verschwindens eines jeden bestimmten Empfängers überhaupt, lesbar bleiben, damit sie als Schrift funktioniert, das heißt lesbar ist. Sie muß in völliger Abwesenheit des Empfängers oder der empirisch feststellbaren Gesamtheit von Empfängern wiederholbar - ›iterierbar‹ - sein. Diese Iterierbarkeit […] strukturiert das Zeichen der Schrift selbst, welcher Typ von Schrift es im übrigen auch immer sein mag […]. Eine Schrift, die nicht über den Tod des Empfängers hinaus aus strukturell lesbar - iterierbar - ist, wäre keine Schrift« (Derrida: Signatur Ereignis Kontext, S. 332f.). die zende an des steines drum erscheinen - eine Wendung, die erstmalig auch eine räumliche Vorstellung von dem Gralstein vermittelt und in aller Abstraktheit ein Segment, das drum des Steines, gesondert heraushebt. Der Leser bekommt den äußersten Rand des Gegenstands kurz zu Gesicht, der Blick wird vom Binnenerzähler Trevrizent jedoch gleich vom Graldrum auf die Inschrift gelenkt und das ›Endstück‹ somit zum Index eines sonst weiterhin unbestimmten Edelsteins. 950 Der Gral wird so zum Medium, zum Träger einer Schriftspur, die zwar - wie Tinte vom Pergament - ›abgeschabt‹ werden könnte und damit ihrerseits zunächst als materiell ausgewiesen wird, die jedoch nach der Lektüre wieder verschwindet, zergât (470,30), wodurch sogleich wieder jede Materialitätssuggestion durchgestrichen wird. Diese In‐ schrift ist gerade kein »toter Buchstabe« 951 , sondern ein auratisches Präsenzphänomen, das Merkmale des Gesprochenen, insbesondere dessen Vergänglichkeit, mit solchen des Geschriebenen, die Materialität, in sich vereint. Zugleich wird mit dem Gralepitafum ein wesentliches Merkmal des Gesprochenen, die Anwesenheit eines Sprechers und die Materialität der Stimme, sowie eines der Schrift, ihre Iterierbarkeit, abgewiesen 952 - das zergân der Gralschrift scheint unmittelbar auf die Lektüre des jeweiligen Rezipienten zu folgen, nicht ihr Inhalt ist folglich abhängig vom Leser, sondern die Dauer ihres Erscheinens. So wird nicht nur, im historischen Kontext des Übergangs von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit, ein Lektüremodell entworfen, das den Akt des Lesens als ebenso individuell wie auratisch ausweist, sondern im selben Atemzug auch die Materialität, der ontologische Status einer Schrift infrage gestellt, deren Existenz und Dauer gerade nicht als objektiv gelten darf, sondern als subjektiv und perspektivenabhängig. Funktionen, die im Falle von Gahmurets Grabmal an zwei Gegenstände delegiert wurden, an den Adamas als Träger einer Inschrift sowie als Index der Abwesenheit des Helden und an einen Rubin als 330 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 953 Barthes: Sade, Fourier, Loyola, S. 141. Übersetzung: »Das ›Wirkliche‹ und das Buch sind voneinander abgeschnitten: es verbindet sie keine Verpflichtung« (Sade. Fourier. Loyola, S. 157); s. auch Kap. 1.1, Anm. 28 dieser Arbeit. 954 Selmayr: Der Lauf der Dinge, S. 81. 955 »Als ein wesentlicher Bestandteil der Sukzessionsordnung in der Gralswelt darf sie [die Wahl durch die Gralsgemeinde; S.W.] jedoch nicht fehlen. Ausschlaggebend ist freilich die göttliche Bestimmung des Kronanwärters, die konform geht mit der Thronfolgeregelung in der Erbmonarchie ›Gralswelt‹« (Pratelidis: Tafelrunde und Gral, S. 50). Medium der Präsentifikation des Leichnams, als diaphaner Gegenstand mithin, dâ durch er schein (107,8), werden im Schriftwunder des Grals abermals aufgerufen und im - qua Figurenrede vermittelten - Präsenzerereignis der Gralschrift vereint: Die Abwesenheit des Bezeichneten, sei es Gahmuret oder Parzival respektive der name des zum Gral Berufenen, korreliert mit der Abwesenheit und Entzogenheit des Mediums, des Grals als bis zum Romanschluss obskur bleibendes dinc oder der medialen Gegenstände auf Gahmurets orientalischem Grabmal, die allesamt allenfalls über die Rede des Meisterknappen Tampanis ›greifbar‹ werden. Präsenz scheint im Parzival zwar etwas, das von der Figur erfahren werden kann, dem Leser hingegen notwendigerweise entzogen bleiben muss - es sei denn, er läse die Schriftspuren auf dem Gral, er sähe Condwiramurs im Schnee, Gahmurets Leichnam hinter dem Rubin, oder er starrte auf die Rüstung Ithers vor Nantes. Im Falle des Grals bleibt ihm eine solche Präsenz-, eine mediale Erfahrung verwehrt, gerade das oft als Sinnzentrum des Textes angesprochene dinc könnte deutlicher nicht von der phänomenalen Erfahrung des Lesers abgeschirmt werden: »Le ›réel‹ et le livre sont coupés: aucune obligation ne les lie«. 953 Die auf dem Gral erscheinende imperative Botschaft deutet, mit Pia Selmayr, überdies neuerlich auf eine Quasi-Agency des Gegenstands: Die Worte, die auf dem Gral verschriftlicht sind, sind keine statischen Gesetze, sondern reagieren auf das Geschehen in der Erzählwelt. Die Gralsinschrift ist sujetauslösend, sie wird in Figuren‐ handlung umgesetzt. Gottes Kommunikationsmedium ist nicht kontrollier- und handhabbar, auch der Gralskönig ist an die Gebote gebunden. Die Ordnungsfunktion der Gralsgesellschaft obliegt demnach Gott und nicht dem König. Durch die Chriffrenschrift wohnt dem Gral eine quasi-agency inne. 954 Die Rede von einer Quasi-Agency ist übrigens auch darin begründet, dass die durch die Inschrift medialisierte göttliche Berufung etwa zum Gralkönigtum neben anderen, ganz weltlich-profanen Formen der Herrschaftssicherung und -legitimation steht: So tritt die Berufung Parzivals zum Gral zum einen neben den Akt einer - freilich nur akklamatorisch-symbolischen - Wahl, 955 zum anderen ist sie ja gerade kein Zufall, kein unvorhersehbarer Akt göttlicher Designation, sondern sie deckt sich mit der Erbfolge der Graldynastie, in der nach Trevrizents Absage an das Rittertum Parzival der einzig legitime - wenn auch nicht patrilinear mit der Gralsippe verwandte - männliche Nachfolger des Anfortas sein kann: Die Legitimität von Parzivals Nachfolge wird zudem dadurch unterstrichen, daß Parzival […] durch die Gralsinschrift als des grâles hêrre zum Gral berufen wird (781,15). Parzivals Herrschafts‐ 331 2.6 Ausblick: Versuch über den Gral und die Grenzen des Materiellen 956 Pratelidis: Tafelrunde und Gral, S. 50. Zu den diversen historisch nachweislichen Strategien der Legitimation von Herrschaft (Erbfolge, Wahl, Idoneität, Besitz herrschaftlicher Insignien usf.), die wie im literarischen Medium oftmals aggregativ nebeneinanderstanden und nicht selten miteinander in Konflikt geraten sind, vgl. zuletzt Becher (Hg.): Die mittelalterliche Thronfolge im europäischen Vergleich. 957 Zu Trevrizents laientheologischer Engelskonzeption vgl. Knaeble: Höfisches Erzählen von Gott, S. 217f. 958 »Dazu kommt, daß der Widerruf der heilsgeschichtlichen Aussage über das Schicksal der soge‐ nannten Neutralen Engel den Verdacht weckt, daß vielleicht auch andere Aussagen Trevrizents revisionsbedürftig sind. Durch den Vorwurf der Lüge setzt sich Trevrizent als religiöser Lehrer und Verkünder von Glaubenswahrheiten selbst in ein Zwielicht« (Bumke: Parzival und Feirefiz - Priester Johannes - Loherangrin, S. 240). Bumke deutet weiterhin an, dass insbesondere die beiden Gespräche zwischen Parzival und Trevrizent zu einer Beobachtung von Ähnlichkeiten und Differenzen anrege, mithin als eine ›Leseanweisung‹ fungieren, die übrigens mit Blick auch auf den gesamten Roman Gültigkeit für sich beanspruchen kann: »Die Szene ist offenbar darauf angelegt, daß die Zuhörer das, was Trevrizent im neunten Buch gesagt hatte, mit dem vergleichen sollen, was er jetzt sagt, daß sie die Widersprüche bemerken und sich ihre Gedanken über Trevrizents Autorität machen sollten« (ebd., Anm. 6). nachfolge gemäß der Erbregelung im Gralsbereich steht also im Einklang mit dem durch die Gralsinschrift bekundeten Willen Gottes. 956 Neben Trevrizents Erläuterungen des Gralepitaphs stehen solche objektbiographischen Zuschnitts: In die Wiedergabe (eines Teils? ) der heidnischen Urschrift des Flegetanis ist über den ›Stammbaum‹ der Gralhüter zu erfahren, der Gral sei von einer schar […] ûf der erden (454,24) zurückgelasen worden, einer Schar, die den Gegenstand nach einer Fahrt ûf über die sterne hôch (454,25) der Bewachung, der pflege (vgl. 454,27) der Menschen überlassen habe. Wenig später präzisiert Trevrizent, dass es sich bei dieser, zumindest ausweislich der Flegetanis-Schrift, augenscheinlich aus der Immanenz in die himmlische Transzendenz aufgenommenen schar um Engel handele, die bei Luzifers Auflehnung gegen die Trinität keine Partei ergriffen hätten, die in der mittelalterlichen Laientheologie verbreitete Figur der ›Neutralen Engel‹. 957 Während der Einsiedler einerseits selbst als Fürsprecher der Engel auftritt (vgl. 471,19 und 471,25), belässt er es andererseits im Ungewissen, ob Gott diesen Engeln verziehen oder sie verdammt habe (vgl. 471,23-25), es scheint vielmehr, als seien an ihnen beidiu teil, / des himels und der helle (1,8f.). Das Schicksal der Engel, zu dem sich Trevrizent am Romanschluss mit einem berühmten ›Widerruf‹ noch ein weiteres Mal äußert (got ist stæt mit sölhen siten, / er strîtet immer wider sie, / die ich iu ze hulden nante hie; 798,16-18), bleibt demnach ungewiss, zweifellos ist oder, wenn man die Glaubwürdigkeit des Einsiedlers radikaler infrage stellen und auch andere Aussagen als die über die Neutralen Engel getroffenen als »revisionsbedürftig« 958 hinterfragen wollte: scheint einzig die dem art seiner ersten Hüter und noch Anfortas’ entgegengesetzte Reinheit des Grals: der stein ist immer reine (471,22). Während die ›Reinheit‹ des Steins der Zeit enthoben ist, bleibt eine solche Zuschreibung den Menschen und Engeln vorenthalten, der Gral verkörpert somit einen wunsch, ein Ideal, das zu erreichen seinen weltlichen Hütern verwehrt bleibt - der der Zeit ebenso wie dem Raum und dem ritterlichen Streben nach Aneignung enthobene Gegenstand könnte in stärkerem Kontrast zur höfisch-ritterlichen Realität der rastlosen Bewegung und der Sünde nicht stehen. 332 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 959 »Der Besitzerstammbaum, der sich für Länder, Waffen, Pferde und das krâmgewant im ›Parzival‹ erstellen läßt, bedeutet, auch auf zwei oder drei Vorbesitzer abgekürzt, ein ›immer schon‹ […]. Besitz, Besitzer und die Art des Erwerbs stehen in einer inneren Korrelation« (Mersmann: Der Besitzwechsel und seine Bedeutung, S. 200f.). 960 Mersmann: Der Besitzwechsel und seine Bedeutung, S. 201. 961 »Der Gral bleibt im ›Parzival‹ nicht nur für den Protagonisten bei seiner ersten Einkehr in Munsalvaesche rätselhaft […], sondern auch nach den Erläuterungen Trevrizents im 9. Buch […]. Er bleibt ebenso rätselhaft wie seine Benennung, er heizet lapsit exillîs (469,7)« (Kellner: Wahrnehmung und Deutung des Heidnischen, S. 47). Wie vergleichbar Waffen, Pferden, der Wundersäule oder auch dem krâm vor Schastel marveile ein »Besitzerstammbaum« beigegeben wird, 959 werden also auch mit Bezug auf den Gral und die Erzählung selbst genealogische Zusammenhänge imaginiert: Wie die genannten Erzählgegenstände Räume, Figuren und Handlungen miteinander verknüpfen und meistenteils Semantiken der gewaltsamen Aneignung transportieren, wie solche beweglichen Signifikanten mithin zugleich die Welthaltigkeit der Diegese und die Aus‐ schnitthaftigkeit der Diegesis indizieren, so stiftet auch der Gral ein - freilich ganz anders geartetes - raumzeitliches Kontinuum: An die Stelle der Aneignung treten pflege und De‐ signation, anstatt den Handlungsraum mit anderen epischen Räumen zu verknüpfen, einen Einblick in die ›horizontal-räumliche Weite‹ der erzählten Welt zu gewähren, suggeriert die Gralgeschichte eine - auch in der Szene von Gawans Entdeckung der Wundersäule angedeutete, dann jedoch beim Blick auf den medialen und zwar faszinierenden, aber letztlich doch instrumentalen Gegenstand wieder abgewiesene - vertikale Weite. Durch die Herkunft des Grals und der Oblate, die eine Taube vom Himmel herabbringt, wird der ganze Kosmos zum Hintergrund des Geschehens. 960 Und zuletzt transzendiert die Vorgeschichte des Grals auch zeitliche Zusammenhänge: Eine zentrale bedeutungsstiftende Differenz ist schließlich darin auszumachen, dass zwar das Erzählen vom Gral auf einen Ursprung, eben auf den Gral selbst und die seinen Namen und seine Geschichte ausschnitthaft verkündende transzendente Sternenschrift zurückgeführt wird, dass hingegen der Ursprung des erzählten Gegenstands, ebenso übrigens wie die Bedeutung seines Namens, 961 dunkel bleibt. Nichts ist in Erfahrung zu bringen über dessen Herkunft und Geschichte vor der Verstoßung der Neutralen Engel, der Stein ist eben, in Entsprechung zu der von seinen Hütern geforderten kiusche, immer reine und damit offenbar der Zeit genauso wie dem objektbiographischen Muster zumindest teilweise enthoben, das Erzählen vom Gral damit selbst eine unabschließbare Bewegung der Suche nach dem Gral und den an dieses dinc geknüpften Heils- und Erlösungsperspektiven. Die auf ihre Authentizität hin besehen fragwürdige Akkumulation von Hintergründen und Details geht somit paradoxerweise mit einer Bewegung des Entzugs einher, Fülle indiziert abermals zugleich einen Mangel, der im weiteren Verlauf des Textes gerade nicht supplementiert, sondern penetrant ins Bewusstsein der Rezipienten gehoben wird. Am Schluss des Romans gelangt der Gral noch ein zweites Mal an die Handlungsober‐ fläche: Im Anschluss an den Zweikampf zwischen Parzival und Feirefiz betritt Cundrie die Szene und verkündet die Botschaft, dass Parzival, zusammen mit seiner Gattin Condwira‐ murs und seinem Sohn Loherangrin, zum Gral berufen sei: daz epitafjum ist gelesen: / du solt des grâles hêrre wesen (781,15f.); »eine Inschrift auf dem Gral rechtfertigt die eigenmächtige 333 2.6 Ausblick: Versuch über den Gral und die Grenzen des Materiellen 962 Kerth: sîme volke er jâmers gap genuoc, S. 205. 963 »Wichtiger als die immanent-magischen Kräfte des Grals […] ist dessen Fähigkeit, Aktivität auszu‐ lösen. Indem sein Besitz des ›lîbes prîs‹ und gleichzeitig ›der sêle pardîs‹ (472.1-2) verspricht, wird er das für den mittelalterlichen Ritter Erstrebenswerte an sich und löst eine Bewegung auf sich selbst hin aus, die Wolfram episch umsetzt in die Wege und Irrwege und den schließlichen Erfolg seines Helden« (Maczewski: Wolframs Erzähltechnik, S. 3f.). Secundilles Agieren demonstriert zudem, dass dies nicht nur für Ritter, sondern auch für ferne Potentatinnen gilt; es deutet sich eine weitere Form der Agency an, die Affordanz eines unsichtbaren Objekts, mit Bennett zu bezeichnen als ›trajectory‹ (»agency is also bound up with the idea of a trajectory, a directionality or movement away from somewhere even if the toward-which it moves is obscure or even absent«) respektive ›messianicity‹ (»the open-ended promissory quality of a claim, image, or entity«), s. Bennett: Vibrant Matter, S. 32. Zur ›trajectory‹ des Grals vgl. Bildhauer: Medieval Things, S. 185-191, zur Unterscheidung zwischen ›efficacy‹, ›trajectory‹ und ›causality‹ ebd., S. 194-197 sowie bereits Kap. 1.5 dieser Arbeit. 964 Die templeisen beziehen ihren Trost laut Erzähler aus der Botschaft, von der Trevrizent im IX. Buch berichtet hat und die er am grâle geschriben sach (788,16), also gerade aus dem Epitaph, das die ›Macht der Frage‹ auf die erste Nacht, die der Erlöser auf der Gralburg verbringt, begrenzt: Frâgt er niht bî der êrsten naht, sô zergêt sîner frâge maht (484,1f.) - ob die Ritter auch die von Cundrie gelesene Botschaft kennen, »bleibt unklar«, und »[w]arum die Gralritter dann allerdings Anfortas nichts von jener Gralinschrift und der nahenden Rettung gesagt hätten, bleibt ebenfalls offen« (Schmitz: Stellenkommentar zu 788,13-20, beide Zitate auf S. 39). Die triuwe der templeisen ist nur für den Rezipienten, der die Ankunft Parzivals und Feirefiz’ bereits erwartet, nachvollziehbar, nicht hingegen aus der Perspektive des Anfortas, der gute Gründe hat, an der nahenden Erlösung zu zweifeln, das Agieren seiner Ritter als verblendet und grausam wahrzunehmen. Die zahlreichen Irritationen über die Einsicht der Figuren in das am Gral so widersprüchlich Erscheinende lassen bis zur Verjüngung des Anfortas Zweifel daran hegen, ob einem solch rätselhaften dinc zu trauen ist, ob es tatsächlich eine Erlösungsperspektive gibt. Wahl Parzivals im Nachhinein, als sei sie die Idee des Grals gewesen«. 962 Bevor die Brüder von Joflanze aufbrechen - Parzival darf einen Begleiter mit zum Gral nehmen -, richtet sich der jüngere noch an die Festgesellschaft und verkündet die Botschaft, dass den Gral niemen möht erstrîten, / wan der von gote ist dar benant (786,6f.). Die eigene Benennung scheint also endlich Trevrizents Worte zu substantiieren, sie soll überdies die die gesamte Erzählwelt umspannende Bewegung auf den Gral hin als Zentrum ritterlichen Strebens arretieren (vgl. 786,10-12). 963 In Begleitung seines Bruders Feirefiz gelangt Parzival nun ein zweites Mal auf die Gralburg. Hier haben sich das Leiden und die Verzweiflung des schwerkranken Anfortas noch intensiviert, er ist gar bereit zu sterben und fleht die templeisen an, ihre triuwe zu beweisen und ihn endlich sterben zu lassen (vgl. 787,9-788,12), doch ir triwe liez in in der nôt. dick er warb umb si den tôt: der wære och schiere an im geschehn, wan daz sin dicke liezen sehn den grâl und des grâles kraft. (787,3-7) Jetzt erst offenbart sich die ganze Macht des Grals, der eben nicht nur die gralhöfische Festgesellschaft mit Speisen im Überfluss versorgt, sondern Anfortas gegen seinen Willen (âne sînen danc; 788,28) im Leben hält. Wo die Figur um ihren Tod bettelt, die Augen ganze vier Tage verschlossen hält (vgl. 788,21-23), um endlich von ihren Schmerzen erlöst zu werden, ist es ein komplexes Gefüge aus drei Akteuren, das ihn am Leben erhält: Da ist die triuwe seiner Ritter, die ihn im so ungebrochenen wie irritierend schlecht begründeten Glauben an die Ankunft des Erlösers zuome grâle tragen, 964 ez wære im lieb ode leit (788,24), da ist Anfortas’ siechheit (788,26), 334 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 965 »Anfortas wird von den Gralrittern zwar als König respektiert, aber als Patient behandelt: man kümmert sich nicht um seine Wünsche und geht mit ihm um wie mit einer Marionette« (Bumke: Parzival und Feirefiz - Priester Johannes - Loherangrin, S. 239). 966 Zu dem von Parzivals Tränen codierten Bedeutungsspektrum im rituellen Kontext der Erlösungs‐ szene vgl. Schmitz: Stellenkommentar zu 795,20, S. 78f. die ihn zwingt, vor dem Gral die Augen zu öffnen, und schließlich ist da der Gral selbst, der den Patienten lebn und niht ersterben lässt (788,29). Während Waffen wie durchstochene Schilde und schartige Helme den Text hindurch gerade die bedrohliche Todesnähe der kämpfenden Ritterschaft präsent gehalten und das Sterben zahlloser Figuren gar erst ermöglicht hatten, ist es nun ein dinc, das seinerseits als Akteur eine Figur am Leben erhält, die nur mehr im Schließen der Augen vergeblich zu handeln, und das heißt: zu sterben, versuchen kann - eine letzte Invertierung von Akteur- und Zwischengliedstatus, die dem Ding das Leben und der Figur als einer »Marionette« 965 eines undurchsichtigen und in weiten Teilen ausgestellt unglaubwürdigen Erlösungswerks den Tod zuordnet. Zu dieser Unglaubwürdigkeit trägt maßgeblich bei, dass mit der Ankunft Cundries, Parzivals und Feirefiz’ in der Gralsphäre die Brüder noch immer auf ritterliche Bewährung in blinden Kämpfen zielen: So erkennen zwar die templeisen Cundrie am Wappen der Turteltaube, die Brüder hingegen lesen die Zeichen nicht, sie bleiben auf die Mahnung ihrer Führerin angewiesen: ›schilde und baniere möht ir rekennen schiere. dort habt niht wans grâles schar: die sint vil diensthaft iu gar.‹ (793,11-14) Die Stelle reiht sich in die mannigfaltigen Irritationen eines positiven Ausgangs der Erzählung ein, sie zeigt überdeutlich, dass mit der Erlösung des Anfortas, mit der Gral‐ herrschaft Parzivals, Feirefiz’ Taufe, der Christianisierung Indiens und der Aussendung Kardeiz’ und Loherangrins kein neues Verhältnis der Figuren zu den Dingen grundgelegt ist, dass vielmehr insbesondere Feirefiz weiter kämpfend um prîs werben, sich gierig Objekte aneignen und minne heln (814,9) wird - sein erstes Opfer wird Secundille sein (vgl. 822,19-22). Doch es folgt zunächst die pompöse Erlösungsszene: An Anfortas Bett stehend, spricht Parzival, dem rituellen Kontext entsprechend, alweinde, 966 ›saget mir wâ der grâl hie lige. op diu gotes güete an mir gesige, des wirt wol innen disiu schar.‹ sîn venje er viel des endes dar drîstunt zêrn der Trinitât: er warp daz müese werden rât des trûrgen mannes herzesêr. er riht sich ûf und sprach sô mêr ›œheiem, waz wirret dier? ‹ (795,21-30). 335 2.6 Ausblick: Versuch über den Gral und die Grenzen des Materiellen 967 Nellmann: Stellenkommentar zu 795,24, S. 774. 968 Im Zentrum der Visualisierungsbemühungen des Erzählers steht an dieser Stelle die gewissermaßen ins Leere laufende Resititution von Anfortas’ körperlicher Schönheit (vgl. 795,30-796,16): »Damit ist die negative Semantisierung von Anfortas’ Körper aufgehoben, doch für den geheilten Gralskönig kommt dies zu spät: Statt ihm nun doch noch eine Königin zu bestimmen und damit die göttliche Gnade einer zweiten Chance zu gewähren, wird Anfortas abgesetzt zugunsten eines Nachfolgers, der nach früheren Verfehlungen eine zweite Chance erhält. Anfortas rückt in die zweite Reihe der amorphen, kaum als Einzelpersonen greifbaren Gralsritterschaft zurück« (Kerth: sîme volke er jâmers gap genuoc, S. 206). 969 Der Zeichenstatus der Blutstropfen war und ist Gegenstand einer kontroversen Debatte, die hier nur im Vorübergehen umrissen werden kann: Während Bumke die Blutstropfenszene vor dem Hin‐ tergrund zeitgenössischer Philosophie und Psychologie auf die in ihr dargestellten Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozesse hin befragt und hier Parzivals durch die Schau des Bilds respektive Zeichens motivierte »Wendung nach innen« indiziert sieht (Bumke: Die Blutstropfen im Schnee, S. 5), dient die Szene Czerwinski als Beleg für eine spezifisch vormoderne Form der Präsenz, für eine (mythische) Logik mithin, die nicht zwischen Zeichen und Bezeichnetem, Bild und Abgebildetem unterscheide, sondern gerade auf einer so ungeschiedenen wie unmetaphorischen Aura des Gegenwärtigen gründe (vgl. Czerwinski: Allegorealität sowie allgememeiner ders.: Gegenwärtigkeit). Zur Präsenz als Epochensignatur des Mittelalters respektive als Signum der Vormoderne und ihrer Verdrängung in der Moderne vgl. Gumbrecht: Diesseits der Hermeneutik sowie Friedrich und Quast: Mediävistische Mythosforschung, S. XV-XVII; zum Mittelalter als Epochenschwelle der Moderne vgl. Descola: Jenseits von Natur und Kultur, S. 115. - Hier sei nur festgehalten, dass die vorliegende Szene am Romanschluss durchaus auf eine Differenz zwischen auratischer Spur und realer Präsenz der Minnedame aufmerksam macht: Während Parzivals ›Minneversunkenheit‹ mit dem Verdecken der Blutstropfen schlagartig endet (vgl. 302,1-5), macht Condwiramurs’ Auftritt am selben Ort die Dame endlich verfügbar: dâ solte Parzivâl si holn: / die reise er gerne mohte doln (797,11f.). Vielleicht deutet sich, die beiden Szenen nebeneinanderlegend, weniger eine zeichentheoretisch konzis zu fassende Differenz als vielmehr ein komplexes und für das Phänomen der ›Spur‹ bezeichnend widersprüchlich anmutendes Verhältnis von Verheißung und Erfüllung, An- und Abwesenheit an Bei aller Kontrastierung, durch die die vorliegende Szene von Parzivals erstem Aufenthalt auf der Gralburg abgesetzt wird, setzt sich unter anderem die Tendenz fort, den Gral der Sichtbarkeit zu entziehen, bleibt doch - zumindest für den Rezipienten - dunkel, wâ der grâl hie lige, und ob sich Parzival dorthin begibt oder am Bett des Anfortas bleibt und sich »in Richtung auf den grâl« 967 (des endes dar) zum Gebet niederkniet. 968 In solcher Raumlosigkeit stehen die Handlungen Parzivals, sein kniefälliges Gebet zêrn der Trinitât, isoliert im Fokus, der Gral bleibt weiterhin unbestimmt. Nicht nur beendet Parzivals Rede auf Joflanze das ritterliche Streben nach dem Gral, dâ von er noch verborgen ist (786,12), auch der Erzähler verfolgt ganz parallel weiter die Strategie, dem Leser diesen wunsch von paradîs zu entziehen, ihn nachgerade ostentativ zu verbergen, ihn unvorstellbar, eben wunsch bleiben zu lassen. Diese Bewegung des Entzugs ist umso augenfälliger, als in der folgenden Szene Condwi‐ ramurs’ Nachtlager im Wald am Plimizoel situiert ist, dort also, dâ der snê / mit bluote sich ir glîcht ê (797,9f.). Vermittelten an früherer Stelle die drei Blutstropfen im Schnee varwe, schîn und bêâ curs (vgl. 282,23-283,22) der Condwiramurs, so tritt nun das Medialisierte selbst, die Figur, an die Stelle der Spur, wird die vermittelte und auf einer Identität von Zeichen und Bezeichnetem (dirre varwe truoc gelîchen lîp / von Pelrapeir diu künegin; 283,20f., vgl. 283,5-8) gründende Präsenz der Minnedame durch deren tatsächliches Auftreten ersetzt - ganz als ließe sich Präsenz noch steigern. 969 Condwiramurs’ körperlich-dauerhafte Präsenz 336 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival - radikale Thesen, etwa zur Präsenz als Epochensignatur des Mittelalters, werden sich auf solch gebrochene Imaginationen m. E. kaum stützen können. 970 ir habt gehôrt ê des genuoc, / wie mann für Anfortasen truoc: / dem siht man nu gelîche tuon / für des werden Gahmuretes suon / und och für Tampenteires kint (808,23-27); vgl. auch 809,15-24. 971 Zum ›Andeutungsstil‹ an vorliegender Stelle vgl. Hirschberg: Untersuchungen zur Erzählstruktur, S. 162. 972 dez mære giht daz Parzivâl / dicke an si sach unt dâhte, / diu den grâl dâ brâhte: / er het och ir mantel an (236,12-15). 973 »Im Bild des hâmît (813,22), des Gestrüpps, Verhaus, welches dem Heiden gleichsam die Sicht auf den Gral versperrt, wird die Grenze zwischen dem Heiden und den Christen noch einmal deutlich markiert« (Kellner: Wahrnehmung und Deutung des Heidnischen, S. 36). tritt also an die Stelle ihrer auratischen Spur in den Blutstropfen, und während damit das eine Ziel Parzivals, Condwiramurs, zur hypostasierten Präsenzerscheinung avanciert, bleibt das andere, der Gral, der Sichtbarkeit weiter entzogen - eine Gegenüberstellung, die sich parallel bereits im Kampf mit Feirefiz beobachten ließ. Die zweite Gralzeremonie auf Munsalvaesche zielt nun nicht mehr darauf, Parzival die erlösende Frage zu entlocken, man trägt den Gral, wie der Erzähler das Folgende ironisierend festhält, der diet niht durch schouwen für, / niht wan ze hôchgezîte kür (807,17f.). Brevitas-Formeln kürzen das nun folgende zeremonielle Geschehen ab, 970 der Gral lässt sich wie an früherer Stelle von Repanse hereintragen, und erst als die rituelle Handlung im Schnellvorlauf bereits zum ›Speisewunder‹ vorgerückt ist, 971 schaltet sich Feirefiz mit der Frage ein, welches Wunder es bewirke, dass die leeren Gefäße vor der tafeln wurden vol. / daz wundr im tet ze sehen wol (810,5f.). Nachdem schon bei der ersten Gralzeremonie Parzival nur Augen für Repanse hatte - und dabei den Gral doch zumindest zu sehen bekam -, 972 stellt sich nun heraus, dass Feirefiz niht wan ein achmardî (810,11) und dessen Trägerin wahrzunehmen vermag, der Blick auf den Gral hingegen ist ihm verwehrt, in den Worten Titurels: da ist hâmît für gehouwen (813,22). 973 Die Sichtbarkeit des Grals wird an dieser Stelle neuerlich als gestufte und nicht objektivierbare ausgewiesen: War bereits die göttliche Inschrift flüchtig und die Dauer ihres Erscheinens von der individuellen Perspektive des Lesenden abhängig, so ist es nun das dinc selbst, das für Feirefiz ebenso wie für die Rezipienten gänzlich unsichtbar bleibt - in der Anschauung des gescheckten Heiden existieren einzig die Bedeutungsträger, die Gralträgerin ebenso wie die wundersam gespendeten Speisen und Getränke, die Bedeutung, das in der Gralburg allenthalben Bezeichnete bleibt ihm hingegen entzogen, ein potentieller Kontakt mit der göttlichen Schrift versagt. Damit rückt der noch ungetaufte Heide (vgl. 813,17-30) in Nahstellung zum Leser: Beiden bleibt der Blick auf den Gegenstand, ins Paradies, die Lektüre der Schrift vorenthalten. Der Gral erweist sich, hier noch deutlicher und expliziter als in der ersten Zeremonialhandlung, insoweit als Grenzphänomen des Heiligen, als seine materielle Existenz gerade nicht in einem sichtbaren Gegenstand der profanen Welt aufgehoben ist, sondern als von der gläubigen Perspektive abhänige, immer schon heilige und nur für den Gläubigen wahrnehmbare ausgewiesen wird - ein poetischer Versuch, das ›Paradox des Heiligen‹, wie es Mircea Eliade nennt, aufzulösen und das Heilige 337 2.6 Ausblick: Versuch über den Gral und die Grenzen des Materiellen 974 »Der heilige Stein, der heilige Baum werden nicht als Stein oder als Baum verehrt; sie werden verehrt, weil sie Hierophanien sind, weil sie etwas ›zeigen‹, was nicht mehr Stein oder Baum ist, sondern das Heilige, das Ganz andere. Man kann nie genug hervorheben, daß jede Hierophanie - auch die elementarste - ein Paradoxon darstellt. Indem ein beliebiger Gegenstand das Heilige offenbart, wird er zu etwas anderem und hört doch nicht auf er selbst zu sein, denn er hat weiterhin teil an der kosmischen Umwelt« (Eliade: Das Heilige und das Profane, S. 15; vgl. auch S. 137f.). 975 So hält Schmitz etwa zu Feirefiz ›Taufbekenntnis‹ fest: »In Feirefiz’ Worten zeigt sich deutlich sein fehlendes Verständnis für die Bedeutung der Taufe und seine ungestüme sexuelle Minneleidenschaft. Wenn Repanse ihm ihre Liebe schenkt, will er ihrem Gott folgen (818,4-5); an ihn glaubt er und an seine Minnedame. Das Burleske der Taufszene ist in den Worten des Täuflings deutlich greifbar […], auch wenn Feirefiz zum Abschluss seiner Rede explizit um die Taufe bittet und man hierin Anklänge an die im Taufritus übliche Erfragung des Taufwillens sehen mag« (Stellenkommentar zu 818,1-12, S. 164). Kritisch zur Taufszene als reiner Burleske äußert sich Brunner, der u. a. an die im Anschluss an den Bruderkampf statthabende, auf die Belakanegeschichte zurückweisende ›Tränentaufe‹ (vgl. 752,23-30) des Orientalen erinnert: »Aufgrund der ihm innewohnenden triuwe ist Feirefiz […] zu einer Art Selbsttaufe durch Tränen fähig […], die die eigentliche Taufzeremonie schon vorwegnimmt« (Von Munsalvaesche wart gesant / der den der swane brahte, S. 379); ebenfalls kritisch Ridder: »Auch hier geht es aber nicht darum, das Sakrament der Lächerlichkeit zu überantworten - auch nicht darum, den liebesbegierigen Orientalen als Leichtfuß zu zeigen […]. Mir scheint vielmehr, Wolfram nutzt die Figur [des Feirefiz], um über die komische Inszenierung sakramentalen Ernst und menschliche Unzulänglichkeit als ein sich ausschließend Zusammengehöriges, als eine menschliche Haltung dem Heiligen gegenüber zu vermitteln« (Narrheit und Heiligkeit, S. 149f.). 976 »Trotz der Kostbarkeit der Materialien ist hier an ein Badebecken als Taufbecken zu denken, das die nötige Größe und Tiefe für eine Immersionstaufe […] besitzt. Mit dem Übergang der Immersionstaufe zur Aspersionstaufe (zur Besprengung mit Wasser) wurde das Badebecken durch ein kleines Wassergefäß aus Stein oder Metall ausgetauscht« (Schmitz: Stellenkommentar zu 816,20-22, S. 159). dem Diesseitig-Profanen zu entziehen, es nur mehr als Heiliges im Heiligen zur Darstellung zu bringen. 974 Nachdem das Heraustragen des Grals die Zeremonie auf der Gralburg beendet hat (vgl. 815,26-30), folgt am nächsten Tag die Schilderung einer burlesken Taufszene im Graltempel, in der Feirefiz seinen Göttern und seiner Minnedame Secundille entsagt, nicht um den Gral sehen, sondern um - und dieses komisch-instrumentelle Verständnis der Konversion seitens Feirefiz’ und auch Parzivals wird wiederholt herausgestrichen 975 - Repanse gewinnen zu können. Im Zentrum dieses Tempels steht, ein letztes Mal, der Gral, vor den man Feirefiz bestellt (si bâten den von Zazamanc / komen, den diu minne twanc, / in den tempel für den grâl; 816,13-15) und ›gegen den‹ der kostbare toufnapf nun geneigt wird. Wie vergleichbar beim Speisewunder in der Gralzeremonie fungiert der Gral nun in Feirefiz’ Taufzeremonie als Spender wohltemperierten Wassers (vgl. 817,1-7), und abermals wird den mit dem Gral assoziierten Dingen und Figuren - wie seiner Trägerin oder seiner kostbaren Unterlage - eine Beschreibung zuteil, die die unbestimmbare Materialität des räumlichen Zentrums, des Grals, im Kontrast noch einmal herausstreicht: der toufnapf was ein rubbîn, von jaspes ein grêde sinwel, dar ûf er stuont: Titurel het in mit kost erziuget sô. (816,20-23) Wolfram inseriert in der Taufszene einen Gegenstand, ein sog. Immersionstaufbecken 976 aus Rubin, das neben den allegorischen Dingbedeutungen des Rubins vor allem zweierlei 338 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 977 »Gewiß liegt dieser Aussage vorerst einmal die mittelalterliche Naturkunde und Anatomie zugrunde, wonach die Glasfeuchtigkeit im Auge das Sehvermögen bewirkt und garantiert. […] Daß Wolframs Satz mit dem wazzer man gesiht (817,28) im liturgisch-sakralen Zusammenhang der Taufszene nebst der Implikation des naturkundlich-elementaren Sinnes in den spirituellen Bereich tendiert und dahin überstiegen wird, bezeugt das geradezu wunderbare Augenaufgehen des Täuflings« (Gnädinger: Wasser - Taufe - Tränen, S. 63-65). Zur Stelle und allgemein zur mittelalterlichen Wassersymbolik vgl. Reinitzer: Wasser des Todes und Wasser des Lebens, S. 111-113. 978 Bumke erläutert, dass »das Neue der neuen Gralinschrift lediglich darin [liegt], daß die Gralritter jetzt ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht werden sollen, daß sie nicht nach Namen und Herkunft gefragt werden dürfen (818,28f.). Außerdem ist neu, daß die Übertretung des Frageverbots mit einer Strafandrohung belegt wird und daß der Ritter das Land wieder verlaßen muß, wenn er gefragt wird« (Parzival und Feirefiz - Priester Johannes - Loherangrin, S. 243); zum irritierenden Potential der handlungslogisch wenig nachvollziehbar begründeten Verschärfung des Frageverbots vgl. auch Kerth: sîme volke er jâmers gap genuoc, S. 203. Semantiken transportiert: Einerseits steht der Rubin in Verbindung mit der interreligiösen Hybridfigur der Belakane sowie mit der ebenfalls heidnisch-christlichen Assemblage von Gahmurets orientalischem Grabmal, er ruft also Figuren und Räume auf, die allesamt die auch für den Gral so bezeichnenden Hybridkonstellationen von Christlichem und Heidnischem, Orientalem und Okzidentalem in Erinnerung rufen, andererseits lässt die Ei‐ genschaft der Transparenz danach fragen, was der rote Edelstein jeweils sichtbar macht: das Haupt Belakanes, den Leichnam Gahmurets - und: den Gral? Das räumliche Arrangement der Taufszene legt zumindest nahe, das Rubinbecken nicht nur als Behältnis des vom Gral gespendeten Taufwassers, sondern auch als optisch-diaphanes Medium wahrzunehmen, das Feirefiz durch das Taufwasser zum Sehen befähigt (mit dem wazzer man gesiht; 817,28) 977 und das eben überdies einen Blick auf den wohl hinter dem Becken platzierten Gral eröffnet: an den grâl was er ze sehen blint, ê der touf het in bedecket: sît wart im vor enblecket der grâl mit gesihte. (818,20-23) Einmal vor den Augen Feirefiz’ entblößt, erscheint nun, in einer mise en abyme-Verkettung medialer Vermittlung, abermals eine Schrift auf dem Gral, der so vom (durch den Rubin) Medialisierten selbst wieder zum Medienträger wird und wiederum auf eine andere Erzählung, auf diejenige von Parzivals Sohn Loherangrin, verweist: Die Templeisen sollen, als Herrscher in fernen Ländern, Fragen nach ihrem Namen und ihrer Identität aus dem Weg gehen, schließlich hätte Anfortas in Erwartung auf Parzivals Frage solches Leid erlebt, dass den Rittern immer mêr nu vrâgen leit (819,6) sei. Dass das Frageverbot des Grals mit einer Begründung, dem Überdruss der Gralgemeinschaft nach dem unerträglichen Warten auf die erlösende Frage, enggeführt wird und überdies kein neues Motiv ist - schon in 494,13-495,6 ist die Rede davon, dass die männlichen Vertreter der Gralgesellschaft verholne in die Welt jenseits Munsalvaesches ausgesandt werden -, 978 irritiert neuerlich hinsichtlich des kommunikativen Gehalts der vom Gral medialisierten Gottesworte: Wie bereits die Benennung Parzivals als Gralkönig mit anderen Legitimationsstrategien kurzgeschlossen wurde, ist auch das Frageverbot mehrfach motiviert respektive bereits in der Verfasstheit der Gralgesellschaft selbst begründet. Die Gralinschrift fungiert also mitnichten als Medium unvermittelter Ge- oder Verbote, sondern allenfalls als das ohnehin im Figurenhandeln 339 2.6 Ausblick: Versuch über den Gral und die Grenzen des Materiellen 979 »Zu einem befriedigenden Verständnis der neuen Gralinschrift wird man nur dann gelangen, wenn man die neue Bestimmung nicht nur im Hinblick auf das Vorangegangene, sondern auch im Hinblick auf das Kommende sieht. Es ist ganz offenkundig, daß die ausdrückliche Warnung des entsandten Ritters vor der Frage nach seinem Namen und seiner Herkunft und die damit verbundene Strafandrohung aus der Schwanrittersage stammen. Die neue Bestimmung wird offensichtlich im Hinblick auf Loherangrin getroffen und wird nur an ihm erprobt. Damit sind die Weichen für sein Scheitern in Brabant gestellt« (Bumke: Parzival und Feirefiz - Priester Johannes - Loherangrin, S. 244). 980 Zum Stellenwert des Grals für das Textende des Parzival hält Rüther fest: »Mit diesem Generations‐ wechsel [nach Parzivals Inthronisation, dem Handlungsende in 794,27-796,27, werden dessen Söhne zu den Protagonisten der nachfolgenden ›Sprosserzählung‹; S.W.] ist deutlich markiert, dass die Geschichte von Parzival zu Ende ist; das bedeutet allerdings nicht, dass damit auch die Geschichte des Grals oder die Geschichte von Artus an ihrem Ende angelangt ist« (Rüther: Grundzüge einer Poetologie des Textendes, S. 97) - die Rede von der Offenheit des Textschlusses wäre also allenfalls mit Blick auf das Erzählen vom Gral, nicht auf das Leben des Protagonisten Parzival berechtigt (vgl. ebd., S. 93-98). 981 Kellner: Wahrnehmung und Deutung des Heidnischen, S. 47. 982 Fuxjäger: Der MacGuffin: Nichts oder doch nicht? , S. 132. bereits Angelegte legitimierender Verstärker, der hier letztlich nur insoweit einen ›Un‐ terschied‹ macht und entsprechend als Akteur anzusprechen ist, als er den Unmut der Gralgesellschaft in eine Handlungsanweisung und einen Witz übersetzt und sie damit auf Dauer stellt, mithin ein Handlungsskript sichtbar werden lässt, das dann als zentrale Voraussetzung der Schwanrittersage firmiert. 979 Der Gral kann nicht nur als Grenzphänomen des Heiligen, sondern auch eines Erzählens von Dingen, das seine eigene Verfasstheit immer wieder aufs Neue reflektiert und die Grenzen des Darstellbaren auslotet, angesprochen werden: Seine Materialität, Form, Di‐ mensionen usf. bleiben bis zum Ende der Erzählung unbestimmt, 980 der Leser bekommt ihn nur in den dunkelsten Abschattungen zu sehen, die seine Entzogenheit ihrerseits eindrück‐ lich anzeigen - sei es seine metaphorische Einführung, der Blick auf das äußerste drum des Steins, die Beschreibung des medialen Rubins, durch den der Gral nur für die handelnden Figuren sichtbar werden dürfte, oder die in die Figurenrede verlegten Wiedergaben der auf dem Gralstein erscheinenden Epitaphien. Die Unsichtbarkeit des Grals korrespondiert mit seiner Unverfügbarkeit als Ding - und man ist versucht, diesen obskuren Gegenstand, diesen Initiatior weltweiter Bewegung und Transmissionsriemen des Imaginären, »welcher letztendlich als Ermöglichungsgrund der erzählten Welt erscheint«, 981 als eine Art Mac‐ Guffin in Hitchcocks Sinne, also als diegetische[s] Element, das zwar der unmittelbare Anlaß für die im Vordergrund stehenden Handlungen ist, jedoch wenig bis keinen Einfluß auf deren konkreten Verlauf hat, 982 zu identifizieren: Wo ein Großteil der ritterlichen, der christlichen wie der heidnischen Welt auf die Aneignung des Gegenstands, oder vielmehr: dessen, was man sich unter diesem vorstellt, zielt, ihn z. B. als profanes Herrschaftsinstrument zu gewinnen trachtet, ohne seiner jemals auch nur ansichtig geworden zu sein, bleibt der Gral der agonal-ritter‐ lichen Aneignung entzogen - die Spuren auf den Waffen und Rüstungen der templeisen visualisieren am Textende noch einmal die Verluste, die die Verteidigung des Grals, seine Abschirmung von der Welt zeitigt und potentiell weiter zeitigen wird: 340 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 983 So Hitchcock im Gespräch mit Truffaut: »Aber das wichtigste, was ich im Lauf der Jahre gelernt habe, ist, daß der MacGuffin überhaupt nichts ist. […] Mein bester MacGuffin - darunter verstehe ich: der leerste, nichtigste, lächerlichste - ist der von North by Northwest [USA 1959]. […] Sehen Sie, da haben wir den MacGuffin, reduziert auf seinen reinsten Ausdruck: nichts« (zit. nach: Fuxjäger: Der MacGuffin: Nichts oder doch nicht? , S. 130). 984 Zu diesen Hybridisierungstendenzen Kellner: »In seinen Immanenz- und Transzendenzbezügen, der aggregativen Spannung von christlichen, heidnischen, mythischen, magischen und höfischen Momenten ist er die Hybride par excellence« (Wahrnehmung und Deutung des Heidnischen, S. 47). Zur Komik als amalgamierendem Medium solcher Hybridisierung Ridder: »In dieser Perspektive erscheint das Heilige des Grals und der Gemeinschaft in seiner Nähe profaniert und zugleich das Höfisch-Weltliche der Gralwelt geheiligt. Um das Unvereinbare zu verbinden, bedurfte es der vermittelnden Komik. Komik ist hier nicht nur Ausdruck eines subjektiven Erzählstils, sondern Medium eines die Gegensätze überwindenden Trotzdems« (Narrheit und Heiligkeit, S. 150). die wâren gezimieret unt wol zerhurtieret ir schilt mit tjosten sêr durchriten, dar zuo mit swerten och versniten. ieslicher truog ein kursît von pfelle oder von samît. îserkolzen heten se dennoch an: dez ander harnasch was von in getân. (802,13-20) Der Blick auf den Gral als letztlich leeres, nichtiges, ja der Lächerlichkeit preisgegebenes Zentrum der ritterlichen Welt, 983 als Trick des Erzählers erweist sich allerdings allenfalls als gegenstandsadäquat, wenn man die Perspektive der (jenseits der Gralgesellschaft) han‐ delnden Figuren, der zahllosen die epische Welt bevölkernden Gralsuchenden zum Maßstab macht. Bei näherer Betrachtung, die fast ausschließlich der Gralgesellschaft vorbehalten ist, erweist sich der Gegenstand hingegen als mit wirksamem Handlungsprogramm ausgestat‐ teter Akteur, der die Handlungen in seinem direkten Umfeld steuert oder mindestens mit normativen Skripten versieht, der zentrale Herrscher- und gemeinschaftsstiftende Funk‐ tionen ausübt, Anfortas am Leben hält und durch sein objektiv nicht fassbares ›moralisches Gewicht‹ auch die unmittelbarsten Handlungen an sich als Objekt zu regulieren vermag - als heiliger Gegenstand mithin, der sich gerade nicht nach der Art eines MacGuffins austauschen ließe, sondern zentrale Handlungs- und Herrscherfunktionen übernimmt und insbesondere durch die Reden Trevrizents zum symbolisch überdeterminierten Gegenstand avanciert. Die Janusnatur der Hybridkonstruktion ›Gral‹ ist auch auf anderen Ebenen zu beob‐ achten: Einer Figur vergleichbar, kann der Gral als mediales Ding mit dem Verschwinden und dem Erscheinen göttlicher Einschreibungen sein Handlungsprogramm abändern und zu seinen Hütern kommunizieren, seine Qualitäten bleiben indes stabil und der Zeit entzogen: der stein ist immer reine. Der Gral erweist sich als widerständig gegenüber eindeutigen Zuschreibungen und Klassifizierungen als Ding oder Figur, er fungiert überdies als Hybrid, als dialektische Denkfigur zwischen Christlichem und Heidnischem, zwischen Immanenz und Transzendenz, Heiligung und Desakralisierung. 984 Diese Strategie der Abschirmung gegenüber einsinnigen Zuschreibungen wird auch mit Blick auf den Status der Gralinschrift evident, die ihrerseits Eigenschaften der Schrift mit solchen des Gespro‐ 341 2.6 Ausblick: Versuch über den Gral und die Grenzen des Materiellen 985 Hier kann auf Herberichs Überlegungen zu der intrikaten Stelle und zur Semantik des Begriffs ableite zurückgegriffen werden: »Die Bedeutung von ableite geht über den Aspekt des schieren Abhaltens […] hinaus; im Devianten, das sich in dieser Vokabel ebenso ausdrückt, ist, angesichts des poetologischen Kontextes von Trevrizents Engelslüge, sowohl die Richtungsweisung zum Gral als auch der - womöglich unendliche - Umweg zu ihm mit enthalten« (Erzählen von den Engeln, S. 70). 986 Ingarden: Das literarische Kunstwerk, S. 15. chenen vereint und doch jede eindeutige ontologische Bestimmung abweist - vielmehr scheint mit dem Epitaph ein radikal individualisiertes, ein auratisches Lektüremodell auf, das der Erfahrung des Rezipienten, der Feirefiz-Perspektive auf den Gral vergleichbar, notwendigerweise entzogen bleibt, das jedoch auf eine poetologische Bedeutung des Gegenstands deutet, in der die Schrift als unverfügbarer Akteur und der menschliche Leser als dem kontingenten Willen Gottes und dem medialen Akt seiner Übertragung ausgesetztes Zwischenglied erscheint. Auch die andernorts beobachteten Strategien der Bedeutungsstiftung bleiben dem Gral partiell äußerlich: Während sich der Gegenstand in ein Netz kontrastierender und komple‐ mentärer Gegenstände, am prominentesten: Wundersäule und Gahmurets orientalisches Grabmal, einbetten lässt, in die symbolische Ordnung des Romans also fest integriert ist, erweist er sich materiellen Transformationen gegenüber, sprich: potentiellen Eingriffen der Figuren in seine Funktion und Bedeutung, als widerständig - nicht einmal Trevrizents Eingeständnis, gelogen zu haben, scheint den Gral selbst, sondern allenfalls seine Aussagen zu den ›neutralen Engeln‹, ein mit der Objektbiographie des Steins verknüpftes, heilsge‐ schichtlich bedeutungsträchtiges Detail zu betreffen, seine Lügen zielten anscheinend darauf, Parzival durch ableitens list (798,6) auf hochgradig widersprüchliche Weise von seinen bisherigen Versuchen, zum Gral zu gelangen, abzubringen und ihn von diesem doch nicht ›fernzuhalten‹ oder ›abzubringen‹. 985 Das Ziel dieses Weges, der Stein selbst, bleibt indes von Lüge und Widerruf unberührt - es wird mithin deutlich: Auch Trevrizents Aussagen bieten lediglich eine, nicht die objektiv gültige Perspektive, weder auf Parzivals ›Sünden‹ noch auf den Gral. Vielleicht ist auch Trevrizents ableitens list als Reflex auf die für Wolframs Gralkonzeption so konstitutiven Entzugsbewegungen zu werten. Der flottierende Signifikant ›Gral‹ nimmt auf diversen Ebenen eine Zwischenrespek‐ tive Schwellenposition ein, die ihn als disponibel für die unterschiedlichsten Zuschrei‐ bungen ausweist, ein Quasi-Subjekt, das die Grenze zwischen Subjekt und Objekt, Symbol und Gegenstand, Medium und Medialisiertem sichtbar werden lässt und deren Durchläs‐ sigkeit indiziert, das fernerhin Wolframs Erzählen von Dingen insoweit an seine Grenzen treibt, als die sich dem hermeneutischen Zugriff entziehende Bedeutungsfülle, die Über‐ reizung des imaginären Gehalts der Erzählung mit der radikalen Entmaterialisierung des Gegenstands einhergeht - und so ist der Gral tatsächlich als eines der mannigfaltigen ›Sinnzentren‹ dieser Erzählung anzusprechen, als eines jedoch, das gerade in seiner Ent‐ zogenheit und Widerständigkeit, in seiner abwesenden Allanwesenheit als poetologische Chiffre der Aporien, der Paradoxa wolframscher Strategien der Narrativierung von Dingen firmiert: »Im Grunde ein Nichts« 986 , ein MacGuffin, ein flottierender Signifikant und doch zugleich fast alles, was sich über literarische Gegenstände wird sagen lassen. 342 2 Erzählen von Dingen in Wolframs von Eschenbach Parzival 1 In von Albrechts Übersetzung: »Darauf preßt er ihm den Rundschild und die Knie hart auf die Brust und zieht an den Helmriemen, die von unten sein Kinn drücken, ihm die Kehle zuschnüren und dem Lebensodem den Weg versperren. Eben wollte er den Besiegten entwaffnen, da sieht er, daß nur noch die Waffen übrig sind. Den Leib hat der Gott des Meeres in den weißen Vogel verwandelt, dessen Namen Cygnus bisher getragen hatte.« 3 Fazit: Wolframs Poetik der Dinge tum clipeo genibusque premens praecordia duris uincla trahit galeae, quae presso subdita mento elidunt fauces et respiramen iterque eripiunt animae. uictum spoliare parabat: arma relicta uidet. corpus deus aequoris albam contulit in uolucrem, cuius modo nomen habebat. Ov., Met. XII,140-145 1 Mit dem im letzten Kapitel zum Gral Besprochenen sind bereits Darstellungsbereiche und Themen angesprochen, die im einleitenden Kapitel theoretisch grundgelegt wurden: die Frage nach der O n t o l o g i e n a r r a t i v i e r t e r O b j e k t e, allgemeiner nach der Erzählbar‐ keit von Materialität. Wolfram erprobt im Parzival einerseits diverse Strategien, erzählten Gegenständen einen Anschein von Materialität zu geben, andererseits werden eben diese Strategien wiederholt auf ihre vom literarischen Medium vorgegebenen Grenzen hin durchsichtig gemacht. Zunächst zu den narrativen Strategien der Suggestion von Materialität: Dass es sich bei den von Wolfram narrativierten Gegenständen um dreidimensionale, in der diegeti‐ schen Realität greifbare Dinge handelt, wird kaum je in schulbuchmäßig beschreibenden oder ekphrastischen Passagen explizit zum Thema, sondern im Regelfall im Zuge der Darstellung von Handlung oder Dialogen vorstellbar. Gawans Zügel zum Beispiel erweist sich erst im Verlauf seines Gesprächs mit Orgeluse als räumliches Objekt mit so unterscheidwie berührbaren und mit lokaldeiktischen Hinweisen bezeichneten Segmenten. Solche deiktischen Hinweise erzeugen im Parzival oftmals nicht nur bei‐ läufig eine Vorstellung von den räumlichen Gegebenheiten einer Szene, sie klären auch über die Anwesenheit einzelner Gegenstände auf und geben einen Eindruck von deren Ausmaßen und Formen sowie von ihrem konkreten Ort im Raum und den Abständen zwischen Akteuren und Raumelementen. Man denke an die nach Kanvoleiz verbrachten ›Überbleibsel‹ Gahmurets, sper und bluot, zurück, an Isenharts aufgebahrten Leichnam vor Patelamunt oder auch an Parzivals kniefälliges Gebet ›in Richtung Gral‹ am Schluss des Romans. Daneben sei an den Helm des Turkoyten Florant von Itoljac erinnert, der im Zuge einer spielerischen Zweikampfdarstellung zum komplexen Raumelement wird, an dessen sukzessiver Zerstörung sich der Verlauf des Zweikampfes ablesen lässt - statt zu beschreiben, wie sich die Figuren durch den Handlungsraum bewegen, werden hier un‐ terschiedliche Bestandteile des Materialensembles Helm kurzzeitig zum ›Raum‹, in dem sich die Kampfhandlung abspielt. Darüber hinaus kann auch die Erwähnung einzelner Dingbestandteile oder -fragmente, metonymischer Repräsentanten eines Gegenstands (wie des Graldrum), die Vorstellung von einem physisch in den Raum hereinragenden materiellen Ding suggerieren. Insbesondere die Schwere von Verteidigungswaffen und Rüstungsbestandteilen, aber auch neuerlich des Grals, zeichnet die schwerelosen Schriftzeichen als Mittler quasi-echter Materialität aus und lässt die bezeichneten Gegenstände überdies an zentralen Gelenk‐ stellen der Handlung zu Akteuren werden - wie um den Nachweis darüber zu führen, dass sich die Dinge tatsächlich-physisch in der Erzählwelt befinden, und zwar nicht nur als austauschbare Requisiten, Zwischenglieder oder Objekte des Figurenhandelns und -wahrnehmens, sondern als wesentliche Handlungskonstituenten. Man rufe sich, um nur ein Beispiel herauszugreifen, Gawans Schild in Erinnerung, dessen Gewicht ihn im Kampf gegen Lit marveile als widerständigen Akteur ausweist, der kurzzeitig ›die Seiten wechselt‹ und sich in das gegen seinen Träger gerichtete Handlungsprogramm von Clinschors Automaten- und Akteursensemble einfügt. Die besonders prominent auch mit dem materiellen pondus von Gahmurets Ankerwappen, Schild und Adamas beobachteten Inversionen von Ding und Figur, Schild- und Handlungsträger bezeugen nicht zuletzt auch einen genuin wolframschen Slapstickhumor, der indes immer wieder in Ernst zu kippen und fatale Folgen zu zeitigen droht. Darüber hinaus trägt auch die meistenteils variierte Wiederholung von bestimmten Dingeigenschaften sowie die Verwendung von Epitheta dazu bei, dass einzelne Gegen‐ stände als geschlossene Zeichenensembles, komplexe Gegenstände als stabile Dingver‐ bindungen wahrgenommen werden können. Wie vergleichbar bei der Konstitution von Figuren wäre auch mit Blick auf die Dinge - man denke zurück an die Erwähnungen etwa des Gahmuret’schen Waffenrocks oder auch des Adamas - von einer Form der ›Identitätsstiftung‹ zu sprechen, in deren Zuge zudem Ansätze der deskriptiven Visuali‐ sierung von Gegenständen wie der Itherrüstung an weit entfernten Textstellen wieder aufgegriffen werden und so den einmal dargestellten Gegenstand aus der Latenz an die Handlungsoberfläche zu holen vermögen. Diese basalen narrativen Operationen stehen neben komplexeren Diskursivierungen des ontologischen Status erzählter Objekte: Nachdem schon im Prolog Prozesse der Medialisierung als grundsätzlich störungsanfällig, Medien, gegenständliche wie un‐ gegenständliche, als potentielle Instrumente der Täuschung gekennzeichnet wurden, wird im Verlauf des Romans auch das Medium der Erzählung selbst als unzuver‐ lässig respektive ›stark‹ ausgewiesen und die Unverfügbarkeit mit Worten nicht ohne weiteres zu vermittelnder Gegenstände in den Vordergrund gespielt - so ver‐ stellen etwa Leucht- und Glanzphänomene oftmals die visuelle Wahrnehmung der konkret-physischen Erscheinung insbesondere des Phänomenkomplexes ›Rüstung‹. Diese Entzugsbewegungen gehen, etwa im Falle von Gahmurets Schild und Waffenrock oder auch von Feirefiz’ Ausrüstung, mit vom beschreibenden Erzähler ausgestellten Unfähigkeitstopoi einher, sie markieren die Differenz zwischen dem dargestellten Gegenstand und dem Medium der Darstellung. An die Stelle einer dichten Bestimmung der Dinge treten Metaphern oder Metonymien sowie die angesprochenen, sich den handelnden Figuren ebenso wie dem Rezipienten nachgerade aggressiv aufdrängenden 344 3 Fazit: Wolframs Poetik der Dinge 2 Lotman: Die Struktur des künstlerischen Textes, S. 327. Oberflächenphänomene des Glänzens und Scheinens, die jegliche visuell-geordnete Wahrnehmung verunmöglichen - existent sind solche Dinge allenfalls in der erzählten und auch für den Erzähler augenscheinlich nicht immer zugänglichen Welt. Als Schlüsselstelle für das Verständnis des ontologischen Status der von Wolfram nar‐ rativierten Objekte konnte Parzivals Traum bei seinem ersten Aufenthalt auf der Gralburg Munsalvaesche identifiziert werden: Hier werden textile Gegenstände, Mantel und Teppich, als Medien inszeniert, die neben abstrakten auch konkrete Gegenstände vermitteln und die geträumten Inhalte mit den vor Parzivals Bett platzierten Schwertern in Bezug setzen. Der Äquivalenzbezug zwischen Traum und Realität weist beide Seinsbereiche als quasi-real aus und verweist auf die Übergängigkeit, die beweglichen Grenzen zwischen erzählter Realität und Materialität auf der einen und der ›Immaterialität‹ des Erzählten wie des Geträumten auf der anderen Seite - eine Konkreszenz, wie sie vergleichbar schon in der Kontamination von Zeichen und Ding in Gahmurets realen und modellierten Ankern nachgewiesen werden konnte. Wolfram macht also die Limitationen und zugleich die suggestiven Potenzen des literarischen Mediums, das Differenzverhältnis zwischen Kunst und Realität, Zeichen und Ding, Medium und Medialisiertem zum Gegenstand wiederholt-variierter Reflexion - und wenn er etwa die Armut der eigenen persona behauptet, deutet sich an, dass dieses Verhältnis allenfalls spielerisch als eines echten Mangels aufzufassen wäre. Solche Eingeständnisse exponieren die Eigengesetzlichkeit wolframschen Erzählens, die Abgeschirmtheit des symbolischen Kosmos Parzival, als dessen poetologische Chiffre das wertvollste dinc der Erzählung, der Gral, fungiert. Auch die ›tatächlich‹ armen Figuren, die asketischen Büßer (Sigune und Trevrizent) nennen ja einige wenige aufgrund ihrer symbolischen und persönlichen Bedeutung für ihre Besitzer wertvollste Gegenstände ihr Eigen: Leichnam und Psalter, Gahmuretreliquie und eine kleine ›Bibliothek‹. Vorgeblich arme Figuren wie Plippalinot verfügen gar über ein ganzes Materiallager höfischer Waffen. In Wolframs Kosmos stehen Entzugsbewegungen, der Wahrnehmung und der Vorstel‐ lung des Rezipienten sich verwehrende Gegenstände unvermittelt neben den hochkom‐ plexen Strategien der Suggestion von Materialität und Visualität, neben Suggestionen mithin, die die Imagination nicht nur des Lesers anzuregen, sondern auch die Wahrneh‐ mung der Figuren zu bannen vermögen und so den faszinierten intradiegetischen Blick auf die vieldeutigen Dinge und Zeichen mit der Kunsterfahrung im Zuge der Romanlektüre konvergieren lassen. Nun zu den S t r a t e g i e n d e r B e d e u t u n g s s t i f t u n g: An der Gahmuret-Geschichte ließ sich zunächst ein Einblick darein gewinnen, wie der Erzähler den Rezipienten in die »spezifischen künstlerischen Codes [einführt], die er in seinem Bewußtsein für die Rezeption des Textes zu aktivieren hat.« 2 Als Minimalform solcher Bedeutungsstiftung kann die Kontrastierung von Gegenständen angesprochen werden, gleich in Gahmurets Auszugsszene zu besichtigen an der Gegenüberstellung des affordanten, zum Aufbruch des Helden mit motivierenden Akteurs harnasch mit den von Verwandten und Freundin zur Verfügung gestellten warenförmigen Großspenden. Damit ist auch eine Dichotomie eingeführt, eine basal-kategoriale Matrix, die im weiteren Textverlauf, insbesondere in den 345 3 Fazit: Wolframs Poetik der Dinge Gawan-Büchern, die unter anderem den schrittweisen Austausch von bedeutungsleeren Verbrauchsgegen signifikante Ausrüstungsgegenstände verhandeln, thematisch wird. Diese einfache Strategie der Bedeutungsstiftung qua Kontrastierung - eine Strategie, ver‐ mittels derer im paradigmatisch organisierten Roman fortwährend auch weit auseinander liegende Ding-Motive und mit ihnen assoziierte Themen und Figuren miteinander in Bezug gesetzt werden - steht neben komplexeren Formen der Transformation und der Manipulation, durch die die handelnden Figuren ihre Gegenstände um- und neu zu deuten suchen. Zu beobachten ist dies beispielsweise an Gahmurets Umgang mit dem Adamas und dessen Modellierung zum Wappenträger oder auch an der Narrativierung von Gawans Schild in den Büchern XI und XII, in denen eine unscheinbare Leihgabe zahlreiche Spuren und Zeichen auf sich versammelt und schlussendlich zum komplexen Zeichenensemble und ebenfalls zum ›Wappen‹träger wird, der seine Betrachterinnen und Betrachter mit diversen Deutungsangeboten konfrontiert. Der lesbare, mit semiologisierbaren Spuren wie Pfeillöchern und einer Löwenklaue als plastischem Wappen versehene Schild tritt hier in Kontrast zu den allgegenwärtigen Erwähnungen beschädigter und zerhauener Schilde, die eine Ahnung von den nicht erzählten Hintergründen des epischen Geschehens vermitteln und die Perspektive auf die ›Totalität‹ des wolframschen Erzählkosmos hin öffnen, fernerhin zum Gralschwert, dessen nur beiläufig und im Rückblick erwähnte Reparatur alle Spuren vorgängigen Kämpfens getilgt haben soll, das somit gerade in seiner Spurlosigkeit ein vergangenes und obskur-mysteriöses Geschehen behauptet - die nicht erzählten, aber allerorten angedeuteten Handlungshintergründe sind mithin wie die zahllosen unglaubwürdigen Gerüchte (man denke an die gegen Gawan gerichteten Falschanschuldigungen), die Schattenfiguren und -dinge literarisch gemacht, sie verweisen auf die Totalität einer erzählten Welt, eines Modells, das sich nicht über die Schließung, sondern, paradoxerweise, über die Öffnung zu definieren sucht. Ebenfalls auf der Ebene der Figurenhandlung ist die Erfindung und die Konstruktion von Gegenständen wie dem Ankerwappen oder den weiteren in der Gahmuretgeschichte in Szene gesetzten Wappen ebenso wie das Arrangement von Dingen, deren parataktische und bisweilen die semiotischen Fähigkeiten der Protagonisten übersteigernde Zusammen‐ stellung zu verorten - man denke beispielsweise an Parzivals kochære zurück, der Objekte bündelt und in eine metonymisch-bedeutungsstiftende Nahstellung zueinander rückt, sowie an Gawans Begegnung mit Urjans und seiner Dame, bei welcher der Ritter eine un‐ verbundene Reihe von Gegenständen als intentional zusammengestellte Bedeutungseinheit ›fehl‹interpretiert. Die beiden zuletzt genannten Exempla rücken die wolframtypische Er‐ zählstrategie der Assoziation in den Blick, erweisen sich doch die zufällig zusammengestellt anmutenden Dingkomplexe nicht selten als Einladung für ›Abschweifungen‹ seitens des Erzählers oder für Interpretationsversuche seitens der Figuren - im Nebeneinander von Waffen und Minneobjekten wird so eine Symbolisierungsleistung des Erzähltextes offenbar, der seine zentralen Themen, insbesondere eben die Verbindung von Minne und Gewalt, in einprägsamen ›Merkbildern‹ stillstellt und in ikonischen Dingsymbolen verdichtet zur Anschauung bringt. Diese Strategeme werden zunächst isoliert eingeführt und im Erzählverlauf wiederholt sukzessive miteinander verschränkt: Als erster vorläufiger Höhepunkt wäre Gahmurets orientalisches Grabmal zu nennen, auf welchem Dinge arrangiert werden, die zum Teil 346 3 Fazit: Wolframs Poetik der Dinge 3 Gephart: Geben und Nehmen, S. 189. komplexe Transformationsprozesse durchlaufen haben - so der Adamas, der vom simplen, wenig anschaulich beschriebenen Edelstein zum schweren Ankerträger und letztlich zum poetologisch ausdeutbaren Medium und Schriftträger avanciert. Im Dingeensemble ›Grabmal‹ kulminiert überdies eine nicht nur die ersten beiden Bücher prägende Tendenz zur Verschränkung und Verähnlichung von Objekt- und Figurenbiographie, eine Tendenz, die hier in der Beschriftung des Helms mit Gahmurets Epitaph gipfelt und in der Verding‐ lichung des Körpers ihre sinnfällige Entsprechung findet. Dieses Motiv deutet sich bereits bei der Ankunft des Protagonisten in Patelamunt an, in der Verdopplung des Einzugs von Erst- und Zweitkörper und den anschließenden Schilderungen von Dinge-Figuren-Ar‐ rangements in den Fenstern und Türen der Stadt, mit denen die Motivverbindungen ›zerstörtes Ding - Tod‹ respektive allgemeiner ›Ding - Körper‹ grundgelegt werden: Der destruierte, von Kampfspuren gezeichnete Gegenstand wird so zum - gelegentlich auch unzuverlässigen - Kommentar auf die körperliche Verfasstheit seines Besitzers, zu einem auf die drohende Verdinglichung des noch lebendigen Körpers vorausdeutenden Todesemblem. Zuletzt wird in der Vorgeschichte des Parzival ein Handlungsmuster eingeführt, das als zentrales Paradigma der gesamten Romanhandlung angesprochen werden kann: die diversen Formen der Aneignung von Objekten. Während die Gahmuretgeschichte den Fall eines erblosen Zweitgeborenen zum Thema hat, der sich Gegenstände und Länder erst aneignen muss, und dessen Identität sich letztlich auf fatale Art und Weise mit dem Isenharterbe, zuvorderst dem Adamas, verflicht, folgt mit Parzival ein Protagonist, der schon qua Geburt diverse Erbländer, allerdings keine bedeutungs- und identitätsstiftenden Erbgegenstände für sich beanspruchen kann. In diesem Teil der Erzählung liegt mit dem rêroup an Ither oder dem Überfall auf Jeschute der Fokus auf der so agonal-gewaltsamen wie blinden Aneignung von Gierobjekten, aber auch, wie schon im Falle Gahmurets, auf der Suche nach minne- und Ritteridentität in den Dingen, der angleichenden Umfangsbestimmung durch den ›Greifmenschen‹ Parzival - eine Form der Aneignung, die auch in weiteren Rauberzählungen etwa von Clinschor oder von Lähelin überdeutlich als so problematisch wie ›erlösungsbedürftig‹ ausgewiesen wird. Besonders prononciert wird dagegen in den Gawanbüchern eine Perspektive auf das Thema eröffnet, in der »höfische[] und kaufmännische[] Denk- und Verhaltensmuster« ineinandergreifen 3 und der Besitzwechsel zuvorderst im Zuge von ihrerseits nicht unproblematischen, der rekurrenten Verdinglichung von Figuren Vorschub leistenden ökonomischen Tauschhandlungen erfolgt, ein Motiv, das sich in Gahmurets Auszug, Parzivals Übernachtung vor Nantes, bei seinem argen wirt, dem ersten Tauschexperten des Textes, sowie auch in der den Text durchprägenden Pfandmetaphorik schon andeutet. Eine dem ökomischen Handel verhaftete Logik der Interaktion scheint von unmittelbar auf Aneignung zielenden Gewalthandlungen zwar frei, sie hat indes einen kulturellen Verlust so integraler höfischer Tugenden wie der milte und der Gastfreundschaft, die Perversion des Ritus, man denke an Parzivals Schwertleite, sowie die Verdinglichung des Menschen zur Ware im Besitz berechnender Fährmänner zur Folge, und mehr noch: Die dinglichen Waren, die hier im Tausch 347 3 Fazit: Wolframs Poetik der Dinge 4 So, im Anschluss an Latour und mit Blick auf die fiktionalen Gesellschaftsentwürfe im Parzival, Quast: »Wolfram entwirft mit der Tafelrunde und dem Gralsvolk Gesellschaften, die sich um ein Ding versammeln. […] Der mittelalterliche Autor entwickelt somit eine politische Ökologie, die sich auf den Nenner bringen lässt: Ohne Ding keine Gesellschaft. Es sind Dinge, denen sich Gesellschaften verdanken, die das Funktionieren der Gesellschaft garantieren. Für die Rekonstruktion einer höfi‐ schen Anthropologie - vielleicht müsste man in diesem Zusammenhang präziser formulieren: einer höfischen Ökologie - spielt das im Rahmen fiktionaler Erprobungsräume imaginierte Verhältnis zu den Dingen jedenfalls eine eminent wichtige Rolle« (Dingpolitik, S. 183). erworben werden, bleiben nicht nur der Identität des Ritters zumeist äußerlich, sie entbehren zudem selbst charakteristischer Eigenschaften, müssen erst, wie Gawans Lö‐ wenschild, vom Kampf gezeichnet werden, um die Dignität eines bedeutungstragenden Gegenstands zu erlangen. Diese Trias - Erben, räuberisch-agonale Aneignung, ökonomischer Tausch - wird in Wolframs Gralkonzeption gesprengt: Dieses dinc ist, wie Parzival, aber auch andere Figuren erst schmerzhaft erfahren müssen, nicht durch ritterlichen Kampf, Raub oder Tausch zu gewinnen. Und wie im Falle der erzählten Erbfälle sind auch Zeitpunkt und Form der ›Übereignung‹ der Gralherrschaft kontingent, sie entziehen sich dem Handeln und dem Einfluss der über weite Strecken des Textes hinweg ohnmächtig anmutenden Figuren. Nicht nur in den Speisewundern des Grals, sondern auch in Gawans Herrscherhandeln deutet sich ein Modell der Interaktion an, in welchem Dinge und Figuren, wenn nicht konfliktfrei, so doch friedlich, in die Gemeinschaft, in eine »höfische[] Ökologie« 4 einzubinden wären. Vor dem Hintergrund solcher fiktionalen Reflexionen auf mögliche Gesellschaftsordnungen lässt sich auch Gahmurets Auszugsszene zu Beginn des Romans noch einmal neu perspek‐ tivieren: Schon in dieser wurden nämlich Strategien sichtbar, unter anderem vermittels materieller Verausgabung, aber auch im Zuge von hintersinnig-klugem Dialogverhalten die bereits in den ersten Versen der Expositionsszene drohende Gefahr eines brüderlichen Kon‐ flikts zu verhüten - ein vielleicht nur vorläufiger, aber im Abgleich insbesondere mit den am Artus- und am Gralhof zu greifenden Konflikten bereits hochgradig ausdifferenzierter Ausblick auf friedliche Formen der Beilegung von Erb- und Verwandtschaftskonflikten, ein Ausblick indes, der in der vorläufigen sozialen Vereinzelung, positiv gewendet: in der zuallererst erzählenswerten Existenz des auf das Handlungsskript seiner ritterlichen Rüstung zurückgeworfenen ›Aventiureritters‹ mündet und so neben der Problemstellung auch schon literarisch besonders attraktive Lösungen bereithält - im Anfang das Ende und im ›offenen‹ Erzählschluss des Parzival: ein Anfang. Wie sich das Handeln und die Aussagen von Figuren oder die Bedeutung von Gegenständen bei Wolfram häufig in der Retrospektive neu und anders bewerten lassen, so verschieben sich auch die Bedeutungen ganzer Szenen oftmals erst im Nachgang, und sie lassen sich zumeist ebenso wenig auf eine endgültige oder gar eindeutige Bedeutung fixieren - was für die Lévi-Strauss’schen Masken gilt, dass sie ›reale oder mögliche Masken‹ neben sich voraussetzen, trifft auch auf Wolframs Dinge und Figuren, seine Szenen und Räume zu. In diese Bewegungen der Um- und Neubewertungen fügt sich auch die Gahmuretfigur selbst insoweit bestens ein, als mit ihr einerseits zentrale Problemstellungen entwickelt und andererseits ebenfalls auch deren Lösungen bereits angedeutet werden: In der Ge‐ schichte von Gahmuret und Adamas wird ja nicht nur von einer habgierigen, den Frieden 348 3 Fazit: Wolframs Poetik der Dinge zwischen Belakane und dem ehemaligen Isenhartverband potentiell gefährdenden Stö‐ rung einer Gabenhandlung erzählt, sondern auch vom ästhetischen Feinsinn eines Ritters, der seine Dinge nicht vorrangig als Instrumente im Zweikampf einsetzt, sondern sich selbst in und mit seinen Gegenständen kunstfertig darzustellen versteht, von einem Sammler, einem ›Verklärer der Dinge‹. Dieses in Teilen als kreativ und kunstfertig, in Teilen auch als hochproblematisch inszenierte, der Vereinzelung eines mit Dingen belasteten Ritters Vorschub leistende Figur-Ding-Verhältnis wird in der Erzählung von Parzival erst wieder ›auf Null‹ gesetzt, um auch in den Gawan-Büchern unter anderen Vorzeichen weiterverfolgt zu werden: Hier rücken verstärkt die vielfältigen Modulationen der meistenteils spielerischen Interaktion zwischen dem Handeln der Figuren und dem ›Agieren‹ der Dinge in den Fokus. Auch an den Strategien der Bedeutungsstiftung lassen sich ihrerseits signifikante Differenzen zwischen den hier analysierten Erzählteilen festmachen: Während Gahmu‐ rets erfinderisch-kreatives Handeln auf die Herstellung eindeutiger Referenzen zwischen dinglichen Zeichen und Bezeichnetem, zwischen seinen Objekten und sich als Figur zielt und in diesem Zuge eine sukzessive Verähnlichung von Figur und Helm, die Koinzidenz von Zeichen und Ding zeitigt, tritt mit Parzival ein Held auf, der in der erzählten Welt einen nachgerade undurchdringlichen ›Wald der menschlichen und nicht-menschlichen Symbole‹ vorfindet und die schon gesetzten, meistenteils eindeutigen oder zumindest von den anderen Figuren als eindeutig wahrgenommenen Bedeutungen der Dinge erst zu durchdringen lernen muss - und der dabei gerade die ubiquitären Dysfunktionalitäten und Mehrdeutigkeiten der höfischen Zeichenwelt, der Didaxe, der Kommunikation und der Interaktion dekuvriert. Gawan hingegen exemplifiziert einen reflektierten, sich seiner belasteten Vorgeschichte wie der Polysemie und der Präcodiertheit der Dinge, insbesondere der lesbaren Verteidigungswaffe ›Schild‹ schon bewussten, einen spielerischen - und das heißt auch: mal souveränen, mal unsouveränen - Umgang mit den materiellen Kulturen, den komplexen Zeichen und Spuren der von ihm durchzogenen Textwelten, einen indes, der letztlich, im Angesicht eines so auratischen Gegenstands wie Gramoflanz’ kranz ebenfalls als defizitär gekennzeichnet ist. Keine der dargestellten Perspektiven, nicht die des ›Künstlers‹ (Gahmuret), nicht die des ›Kindes‹ (Parzival) und auch nicht die des ›Profis‹ (Gawan), scheint der Kontingenz und der unberechenbaren Agency der Dinge vollends gewachsen, die Fixierung auf einzelne auratische Waffen, Schmuckgegenstände oder Spuren ebenso wie deren umsichtig-kluge Wahrnehmung und Interpretation potentiell gleichermaßen blind zu sein. Auf der Ebene der A k t e u r s s t r u k t u r des Gralromans ließen sich diverse Formen der Handlungsfügung und der Einbindung von Dingen insbesondere in Kampf-, daneben auch in rituelle Handlungen, allgemeiner in die höfische Interaktion und Kommunikation beobachten: Zunächst ist die hervorgehobene Funktion der Gegenstände für die Initia‐ tion von Handlung anzusprechen. Insbesondere Waffen und Rüstungen konfrontieren Wolframs Protagonisten wiederholt mit einem ›Mangel‹ und einem sichtbar-appellativen Handlungsprogramm, das zum Aufbruch motiviert und damit eine zentrale Funktion für den Fortgang der Handlung übernimmt - es sei an Gahmurets einziges Besitztum erinnert, an seinen harnasch, in dem der Held prîs und lop erwerben will, an Jeschutes Ring und dessen ›magnetische‹ Anziehungskraft, die den jungen Helden zu einer seiner zentralen 349 3 Fazit: Wolframs Poetik der Dinge 5 Bennett: Vibrant Matter, S. 32. ›Sünden‹ motiviert, und an Parzivals ungedient getragenes Gralschwert, das zum Aufbruch von Munsalvaesche motiviert und überdies das Handlungsmuster der Reziprozität in der Parzivalhandlung grundlegt. Gawans Auftrag, für Vergulaht den - gerade nie räumlich präsenten, sondern fernen - Gral zu suchen, lässt sichtbar werden, dass es sich bei diesem Handlungsmuster um ein weltumspannendes handelt, um eines mithin, das in der epischen Welt des Parzival zahllose unerzählte âventiuren und potentielle Erzählungen initiieren und initiiert haben mag. Der Gral vermittelt, steuert oder bestätigt nicht nur die Handlungen der Gralritter, er spendet nicht nur Anfortas Leben, sondern er firmiert noch als Ziel und Motivation für die entferntesten Handlungen: »agency is also bound up with the idea of a trajectory, a directionality or movement away from somewhere even if the toward-which it moves is obscure or even absent.« 5 Diese Handlungsfunktion wird erzählerisch oftmals durch einen Fokus auf der Affordanz des räumlich nahen oder eben auch des fernen und imaginierten Gegenstands betont. Dem umrissenen Muster steht eines entgegen, in welchem das Ding zum Gegenspieler der handelnden und regelmäßig situativ zum Zwischenglied degradierten Figur wird: Man denke zurück an Adamas und Itherrüstung, Verteidigungsgegenstände, die die mit ihnen assoziierten, scheinbar unbesiegbaren Ritter-Rüstungs-Hybriden aufgrund von ›Lücken‹ im Rüstungssystem zu fragilen, weichen Körpern werden lassen, und deren Handhabung in Kontrast etwa zu Gawans listiger Verwendung von Plippalinots Schild auf Schastel marveile oder zu dem Kampf mit Schachbrett und -figuren auf Schampfanzun steht: In diesen Szenen demonstriert ein Ritter seine Expertise als Bricoleur, der sich der Dinge einerseits improvisierend zu bedienen und diese spontan in sein Aktionsprogramm einzugliedern vermag, der jedoch andererseits auch nicht vor den Gefahren kontingenter Assoziationen von dinglichen Akteuren gewappnet ist und sich bisweilen nicht minder hilflos der Schwere seines Verteidungsgegenstands oder sonstigen dinglich-räumlichen Widrigkeiten ausgesetzt sieht. Gawan ist der einzige Protagonist, dem Wolfram keine ›Wunderwaffe‹ zuordnet, der nicht auf einen Adamas, eine bunte Rüstung oder ein Gralschwert, sondern auf schlichte, allenfalls solide Gebrauchsgegenstände zurückgreift, diese zu Zeichen der erzählten Geschichte transformiert und zudem die ihm begegnenden wunder, seien es fahrende Betten oder rauschende Medien wie die Wundersäule, allesamt dekonstruiert - gerade in Gawans konsequent-aberwitziger Heimlichtuerei, seinem Inkognito und seiner pragmatischen Handhabung der Dinge, in den spielerisch-spontanen Wechseln von Akteur- und Zwischengliedstatus scheint eine Alternative zu den unvorhersehbaren wie zu den vorhersehbar-fatalen Bündnissen zwischen Rittern und den von ihnen begehrten (Adamas) oder ihnen vom Erzähler vorsorglich vorenthaltenenen Unbesiegbarkeitsphan‐ tasmen (Gralschwert) auf. Dass sich die prominentesten ›Profi-Ritter‹ des Romans, Gahmuret, Ither, Feirefiz, aber eben auch Gawan, allesamt aufgrund ihrer jeweils unterschiedlichen Dinge-Bündnisse mit dem Tod konfrontiert sehen, deutet auf die Gefahren kaum zu kontrollierender Assoziationen anthropomorpher und dinglicher Akteure. Gegenstände wie der von Ither der Tafelrunde entwendete Trinkpokal oder der von Gawan seiner Minnedame Orgeluse überreichte Zügel entziehen sich entweder aufgrund ihrer Dinglichkeit den symbolischen 350 3 Fazit: Wolframs Poetik der Dinge Zuschreibungen und der versuchsweisen Instrumentalisierung seitens der Figuren, oder sie werden aufgrund ihrer Präsemantisierung etwa als metonymische Mittler der Minne im hellsichtigen Durchblick auf die kommunikativen Funktionen dinglicher Zeichen als einsinnig-symbolische Gegenstände interpretiert. Vergleichbares war auch im Falle des mehrdeutigen und im Nachhinein auf seine Bedeutung als Appell zur Erlösungsfrage sowie zum Symbol für die Gralgeheimnisse vereindeutigten Gralschwertes zu beobachten: Mate‐ rialität und symbolische Präsemantisierung fungieren in erster Linie als potentielle Ursa‐ chen für das Misslingen der Integration von Gegenständen in das Figurenhandeln - deutlich wird in allen Fällen, dass dieses auch und gerade im Rückgriff auf die eindrucksvollsten Rüstungen und Angriffswaffen nicht abzuschirmen ist von der Wirklichkeit jenseits der Rüstung, vom unberechenbaren Mithandeln nicht-anthropomorpher oder nicht-höfischer Akteure. In besonderer Deutlichkeit zeigen die Gawanbücher und exemplarisch bereits die Blutstropfenepisode aber auch, dass Agency, nach Wolfram, gerade keine objektive, keine ›Alles-oder-nichts-Eigenschaft‹, sondern eine so perspektivenabhängige wie labile Kategorie ist: Scheinbar verfluchte Gegenstände wie der krâm können in den richtigen Händen Gemeinschaft stiften, Brettspiele zu Waffen, Blutstropfen zur Geliebten oder ein rîs zum ›trigger‹ werden. Als dritte Spielart solchermaßen durch die Dinge vermittelten oder gestörten Interagie‐ rens ist die absichtsvolle Transformation von Zwischengliedern zu Akteuren mit eigenem Handlungsprogramm anzusprechen, zu besichtigen beispielsweise bei Gawans Zweikampf mit Lischoys Gwelljus, in dem Malcreatiures Klepper zu einem Ding transformiert wird, das nach einer Logik der ›Tücke des Objekts‹ habitualisierte Kampfabläufe invertiert und neuerlich auf die potentiell komischen Effekte wolframschen Erzählens von Dingen aufmerksam macht. Eine ähnliche Transformation hat im Bruderkampf zwischen Parzival und Feirefiz statt, in dem es der unvermittelten Einführung eines göttlichen Akteurs bedarf, um das Enden des Kampfes einzuleiten und das fatale Aktionsprogramm des Schwertes schließlich, jedoch nicht endgültig aufzuheben. Der Feirefizkampf kann auch als Anschauungsgegenstand für die komplexen Verkettungen von anthropomorphen und gegenständlichen Akteuren gelten: Während sich in Gawans Schastel marveile-âventiure die vereinzelte, nur mit wenigen Waffen ausgestattete Figur einer ganzen Reihe von komplexen, mechanisch-magischen Opponenten entgegengesellt sieht, sind es im finalen Bruderkampf gleich zwei Parteien oder ›Gefüge‹, die die unterschiedlichsten gegenständ‐ lichen und ungegenständlichen, in weiten Teilen spiegelbildlichen Akteure auf sich ver‐ sammeln - dieser Kampf ist, und dramatischer könnte das zugrunde liegende Thema nicht zugespitzt werden, keiner, der zwischen einzelnen Akteuren ausgetragen würde, sondern einer zwischen weit ausgespannten Akteurnetzen, in welchen die Figuren so heilwie aussichtslos verstrickt sind. Solch kontingenten Gefahren scheint nur noch die providentielle Fügung göttlichen Eingreifens und die Steuerung durch einen um seine Figuren besorgten Erzähler entgegengesetzt werden zu können. Zu Beginn dieser Arbeit habe ich einen Blick auf den Ethnologen bei seiner Annähe‐ rung an einen ausnehmend ›wilden‹ indigenen Stamm geworfen und die Gründe für seine Abwendung von den Menschen und die Hinwendung zur Natur, zu den Dingen nachzuvollziehen gesucht. Die ethnologische Perspektive auf die Dinge natürlichen oder künstlichen Ursprungs lässt zum einen nach der Verfasstheit der beobachteten 351 3 Fazit: Wolframs Poetik der Dinge 6 Quadflieg: Vom Geist der Sache, S. 13. Gesellschaften, ihrer Ökonomien, Religionen, Künste usf. fragen, sie legt zum anderen - wenn denn der Beobachtungsgegenstand nicht ausschließlich fremd, sondern so fremdvertraut wie das europäische Mittelalter ist - die sich dem ›modernen‹ Betrachter aufdrängenden kulturellen Kontinuitäten und Diskontinuitäten frei, Differenzen und Ähnlichkeiten mithin, die sich an den mannigfaltigen Verquickungen von Natur und Kultur ablesen lassen, an den lebendigen Beziehungen, die die Menschen zu ihrer natür‐ lichen Umgebung, zu den Tieren, Pflanzen und Dingen, den nichtmenschlichen Wesen unterhalten haben - wie etwa Philippe Descola im Anschluss an Claude Lévi-Strauss oder in ähnlicher Stoßrichtung auch Bruno Latour eindrucksvoll nachgewiesen haben, steht in historischer, nicht eurozentrischer Sicht die ›moderne‹ Übereinkunft einer Ab‐ schirmung des Menschlichen gegenüber dem Nicht-Menschlichen nicht über, sondern neben anderen, animistischen, totemistischen oder analogistischen Beziehungs- und Identifikationsmodi, deutet das spielerische Moment, das ›wilden‹ Denkmodi ebenso wie der alltäglichen Praxis inhäriert, auch auf neue, auf ökologische Perspektiven für das häufig und schon immer in kulturpessimistischer Perspektive als zerrüttet beschriebene Verhältnis zwischen dem Menschen und seiner räumlich-materiellen Umwelt. Die tiefen Gräben und strikten Grenzziehungen zwischen Natur und Kultur, Mensch und Ding erweisen sich einerseits im bipolar-irrationalen Umgang mit dem Materiellen, in der tiefen Zerrissenheit nicht nur der ›Modernen‹ als brüchig - nicht erst in der heutigen Zeit stehen, nach Bruno Latour, die expandierenden, sich auf gehortete oder technisch angeeignete Dinge ausweitenden Identitäten und wuchernden Hybriden unvermittelt neben einer mantrahaften Abgrenzungsrhetorik der ›Reinigung‹ und tief verankerten Vorstellungen von der Autarkie und der Handlungsfreiheit des Ich. Strikte Grenzzie‐ hungen werden, gerade mit Blick auf die Dinge, überall und schon immer irritiert, ist es doch der menschliche Körper selbst, der sich allen Vergeistigungstendenzen des Subjekts zum Trotz weder ausblenden noch aus der Welt der Dinge ablösen ließe, der die Materialität des Daseins und auch des Ich schon immer sicht- und spürbar indiziert: »[A]uch lebendige, geistige Wesen ragen mit ihrem Körper in den Bereich des Dinglichen.« 6 Der Ritterdichter Wolfram von Eschenbach gibt Einblicke in mittelalterliche Bezie‐ hungsmodi und Konflikte zwischen Mensch und Ding, er konfrontiert seine Leser einerseits mit technisch hochgerüsteten Figur-Ding-Hybriden, die wiederholt an der Instrumentalisierung von Waffen- und Rüstungsgegenständen scheitern und dem Eigensinn sich ihrem Zugriff entziehender, unverfügbar werdender Dinge erliegen, andererseits mit sakralen Objekten, etwa dem Gral, die die Präsenz des Göttlichen zu vermitteln scheinen und den Blick auf ein anderes Verhältnis der Menschen zu den Dingen eröffnen. Doch auch wenn sich hier und insbesondere auch in Gawans Agieren und Kampfverhalten Perspektiven auf ein kluges, ein reflektiertes oder ein religiöses Verhältnis der Figuren zu den Dingen eröffnen, ist keineswegs davon zu sprechen, dass dieses ungebrochen zur Anschauung gelangte: Wie die agonal-ritterliche Aneignung von Waffen und Rüstungsgegenständen birgt auch der ökonomische wehsel Gefahren, in erster Linie die Verdinglichung von Figuren zum ›subject to sale‹. In Gawans 352 3 Fazit: Wolframs Poetik der Dinge Gabenpraxis und konkret der Transformation des orientalischen krâm-Schatzes von der Handelsware, vom Kalkulationsobjekt und Instrument der Ausgeschlossenen zum Gabenhort wird allerdings offenbar, dass auch diese Interaktionsform zu überkommen wäre, wenn an die Stelle des ökonomischen der Gabentausch träte, wenn gelänge, was Parzival bis zum Schluss nicht gelingt: Bedeutung und Funktion der Dinge zu verschieben - es deutet sich eine ›Dingpolitik‹ nicht einfach der milte an, wie sie bereits zu Romanbeginn mit dem Handeln des jungen Herrschers Galoes exemplifiziert wurde, sondern eine, die Figuren wie Dinge in die höfische Gemeinschaft reintegrierte und vermittels der Schenkung signifikanter Objekte Bindungen schaffte, Bindungen, die so stark werden können wie diejenige Trevrizents an seine Gahmuretreliquie. Daneben wird mit der Gralgesellschaft ein Modell etabliert, in dem sich die Figuren dem heiligen Objekt radikal unterordnen, in dem die Machtstrukturen invertiert erscheinen und die templeisen in gnadenlosen Kämpfen ihr Leben einem lebenspendenden wunsch widmen - ob nun solche Inversionsbewegungen eine Versöhnung des allenthalben zerrütteten Figur-Ding-Verhältnisses implizieren, darf wiederum als fraglich gelten, sind es doch auch auf der Gralburg Defizienzen und Dysfunktionalitäten, die Wolfram auf unterschiedlichsten Ebenen nach vorne spielt. Es ist mithin nicht die gesellschaft‐ liche Utopie einer Versöhnung von Mensch und Ding, eines Sieges der Figuren über die vormals widerständige Dingwelt oder einer Unterordnung der Menschen unter die Dinge, an der Wolfram vorrangig interessiert zu sein scheint, sondern es sind gerade die Spannungen eines letztlich nicht zu lösenden, eines heillosen Konflikts, die zum Motor seines Erzählens werden - in der Reflexion von Konflikten, Aporien, literarisch-gesell‐ schaftlichen Modellen einerseits und der Präsenzerfahrung in der Kunst andererseits, einer Erfahrung, die den Leser im Zuge der Parzival-Lektüre als eines medialen Aktes zum Objekt des literarischen Subjekts werden lässt, läge vielleicht eine genuin litera‐ risch-ästhetische Lösung oder zumindest eine produktive Bearbeitung dieses Konflikts. Damit wäre in den im Erzähltext fortwährend statthabenden, oftmals kontingenten Wechseln zwischen Objekt- und Subjektstatus auch ein poetologischer Fingerzeig auf die Verfasstheit eines literarischen Gegenstands indiziert, der mal zur Reflexion und mal zur emotionalen Involvierung des Erzählers wie des Rezipienten anleitet, diesen mal zum Objekt literarischer Präsenzerfahrung und mal zum reflektierenden Subjekt einer distanzierten Lektüre macht. Im Panorama der narrativen Strategien, derer sich Wolfram bei der Narrativierung von Dingen im Parzival bedient, scheinen die komplex-dialektischen Muster der Interak‐ tion zwischen Figuren und Dingen, Subjekten und Objekten auf, werden insbesondere die Aporien gestörter Figur-Ding-Verhältnisse und durch die Agency der Dinge ihrer eigenen Handlungsfreiheit beraubter Helden sichtbar, dies vor allem in den zahlreichen Erzählungen von gewaltsamer Aneignung. Zentral für Wolframs Ding-Poetik sind weniger klare Hierarchisierungen als vielmehr die Prozesse der Ambiguisierung, die Imaginationen unkalkulierbarer Handlungsmacht von Waffen und die spielerischen Assoziationen, die Wechsel und Inversionen, die sich auch sprachlich-rhetorisch, im ›code-switching‹ etwa zwischen literal-dinglichen und metaphorischen Dingbedeutungen oder in den Koinzi‐ denzen von Zeichen und Dingen abbilden und so der Artifizialität des Textes als Sprach‐ kunstwerk wesentlich zuspielen. 353 3 Fazit: Wolframs Poetik der Dinge Das letzte Wort soll der Bricoleur Wolfram haben und Gawan die Spuren, Zeichen und Dinge mit seinem Mantel bedecken lassen: er marcte des Wâleises sehen, war stüenden im diu ougen sîn. ein failen tuoches von Sûrîn, gefurriert mit gelwem zindâl, die swanger über diu bluotes mâl. (301,26-30) 354 3 Fazit: Wolframs Poetik der Dinge Literaturverzeichnis Abgekürzt zitierte Literatur Aristot., De an. = Aristoteles: De anima - Über die Seele. 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Gabe 106 f., 117, 122 f., 147 f., 176, 212, 237 f., 240 f., 316 gabylôt 153, 162, 178-186 gereite 223-228 Gewicht 90-93, 108 ff., 117, 124 f. Grabmal 124-132, 164 f., 177 f. Gral 127, 221, 281, 322-342, 348 Gralschwert 266 harnasch 81-87, 154-158, 163 f., 166-171, 267, 278 Heiliges Objekt 109 f., 145 Helm 158, 268 ff., 273, 280 ff., 315, 318 f., 343 hemde 133-144 Intertextualität 67, 82, 190, 220, 225, 255 ff., 303 kleinœte 84 f., 116, 147 ff., 159, 161 ff., 180 f., 212- 216, 237 f. koph 172-175 krâm 243-247 Lanze 101, 140 f., 153, 193, 264, 291, 296 f. Mantel 297-301, 345 Medialität 18, 31-37, 118 f., 122 f., 126-131, 226 ff., 301 f., 339, 344 f. Memorialobjekt 108, 124-132, 145 Objektbiographie 52-55, 69 f., 112 ff., 244-247, 258, 287, 301-306, 310, 332 f. Pferd 138, 197 ff., 224, 231 ff., 235-238, 250 f., 281 Quasi-Objekt 48 f., 139 Raub 155 f., 172-175 Ring 117-121, 142 f., 159-163, 180 f. Ringgleichnis 40-43, 149, 207 f., 228, 265 f. rîs 273 f., 280 ff., 285 f. Rubin 42, 127 ff. Sammlung 25, 66, 226, 241, 247, 258 Schild 93-97, 110, 123 f., 155, 186-189, 193-197, 199-203, 210 f., 214-228, 232, 234 ff., 240-243, 250-255, 267, 270 ff., 285, 301 f., 311, 313 ff., 318, 344, 346 Schwert 157, 168, 209, 235 f., 283 f., 286-306, 318- 322, 345 Schwertleite 155 f., 175 f., 178, 191 Semiophor 66 f., 105 sper 101 f., 139-142, 146, 267 f. Spiegel 37-40, 110, 112, 258-267, 276 f., 311 Spur 34 ff., 127, 160, 252, 305 Tausch 162 f., 347 f. Teppich 111, 299 f., 345 Traum 37-40, 112, 114, 277, 297-300 Waffenrock 111-116, 122 f., 310 wanküssen 256 f. Wappen 87-98, 121-124, 134, 252 f., 270 ff., 280 ff., 301 f., 315 Ware 53, 82-87, 138, 163, 195, 216, 222 f., 236 ff., 243-247 Wundersäule 258-267, Zelt 102-105, 109, 160 f., 244 Zufall 106 ff., 248, 274, 312 f., 318 Zügel 228-231 Zwischenglied 49 ff., 292, 320 Bibliotheca Germanica Handbücher, Texte und Monographien aus dem Gebiete der germanischen Philologie herausgegeben von Udo Friedrich, Susanne Köbele und Henrike Manuwald Die Buchreihe Bibliotheca Germanica wurde im Jahre 1951 von Friedrich Maurer, Heinz Rupp und Max Wehrli im Francke-Verlag Bern (jetzt: Tübingen) begründet. Seither versammelt die Bibliotheca Germanica Arbeiten der germanistisch-mediävistischen Grundlagenforschung in Texteditionen, materialerschließenden Monographien und textanalytisch-kulturhistorischen Studien. In enger Verbindung von Überlieferungsgeschichte, Textphilologie, kulturwissenschaftlicher Theoriebildung und komparatistischen Interessen vermitteln die in der Bibliotheca Germanica erscheinenden Arbeiten innovative Einsichten in die Textentstehungsprozesse, die Typenspezifik und die poetologischen Besonderheiten der deutschen Literatur der Vormoderne. Aktuelle Bände: Frühere Bände finden Sie unter: http: / / www.narr-shop.de/ reihen/ b/ bibliothecagermanica.html 45 André Schnyder Das geistliche Tagelied des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit Textsammlung, Kommentar und Umrisse einer Gattungsgeschichte 2004, XIV, 832 Seiten €[D] 124,- ISBN 978-3-7720-2036-0 46 Jörg Seelhorst Autoreferentialität und Transformation Zur Funktion mystischen Sprechens bei Mechthild von Magdeburg, Meister Eckhart und Heinrich Seuse 2003, 410 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-2037-7 47 Michael Stolz Artes-liberales-Zyklen Formationen des Wissens im Mittelalter (2 Bände) 2003, XX, 992 Seiten €[D] 248,- ISBN 978-3-7720-2038-4 48 Bruno Quast Vom Kult zur Kunst Öffnungen des rituellen Textes in Mittelalter und Früher Neuzeit 2003, 237 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8019-7 49 Sandra Linden Kundschafter der Kommunikation Modelle höfischer Kommunikation im ‹Frauendienst› Ulrichs von Lichtenstein 2004, X, 451 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8045-6 50 Andreas Kraß Geschriebene Kleider Höfisches Identität als literarisches Spiel 2006, X, 421 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8129-3 51 Annette Gerok-Reiter Individualität Studien zu einem umstrittenen Phänomen mittelhochdeutscher Epik 2006, X, 350 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8169-9 52 Henrike Manuwald Medialer Dialog Die «Große Bilderhandschrift» des Willehalm Wolframs von Eschenbach und ihre Kontexte 2008, X, 638 Seiten €[D] 148,- ISBN 978-3-7720-8260-3 53 Justin Vollmann Das Ideal des irrenden Lesers Ein Wegweiser durch die ‹Krone› Heinrichs von dem Türlin 2008, X, 272 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8311-2 54 Bernd Bastert Helden als Heilige Chanson de geste-Rezeption im deutschsprachigen Raum 2010, X, 492 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8356-3 55 Balázs J. Nemes Von der Schrift zum Buch - vom Ich zum Autor Zur Text- und Autorkonstitution in Überlieferung und Rezeption des ‹Fließenden Lichts der Gottheit› Mechthilds von Magdeburg 2010, X, 555 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8362-4 56 Tanja Mattern Literatur der Zisterzienserinnen Edition und Untersuchung einer Wienhäuser Legendenhandschrift 2011, X, 446 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8375-4 57 Rachel Raumann Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue und im «Prosa-Lancelot» 2010, X, 330 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8376-1 58 Christiane Krusenbaum-Verheugen Figuren der Referenz Untersuchungen zu Überlieferung und Komposition der ‹Gottesfreundliteratur› in der Straßburger Johanniterkomturei zum ‹Grünen Wörth› 2013, X, 685 Seiten €[D] 128,- ISBN 978-3-7720-8476-8 59 Stefan Matter Reden von der Minne Untersuchungen zu Spielformen literarischer Bildung zwischen verbaler und visueller Vergegenwärtigung anhand von Minnereden und Minnebildern des deutschsprachigen Spätmittelalters 2013, XII, 569 Seiten, 48 Farbtafeln €[D] 128,- ISBN 978-3-7720-8477-5 60 Astrid Lembke Dämonische Allianzen Jüdische Mahrtenehenerzählungen der europäischen Vormoderne 2013, 400 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8498-0 61 Coralie Rippl Erzählen als Argumentationsspiel Heinrich Kaufringers Fallkonstruktionen zwischen Rhetorik, Recht und literarischer Stofftradition 2014, XII, 390 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8528-4 62 Anna Kathrin Bleuler Essen - Trinken - Liebe Kultursemiotische Untersuchung zur Poetik des Alimentären in Wolframs ‹Parzival› 2016, X, 351 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8541-3 63 Hans Rudolf Velten Scurrilitas Das Lachen, die Komik und der Körper in Literatur und Kultur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit 2017, 538 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8541-3 64 Susanne Bernhardt Figur im Vollzug Narrative Strukturen im religiösen Selbstentwurf der ‹Vita› Heinrich Seuses 2016, 330 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8543-7 65 Cordula Kropik Gemachte Welten Form und Sinn im höfischen Roman 2018, 380 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8559-8 66 Daniel Eder Der Natureingang im Minnesang Studien zur Register- und Kulturpoetik der höfischen Liebeskanzone 2016, 458 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8592-5 67 Henrike Manuwald Jesus und das Landrecht Zur Realitätsreferenz bibelepischen Erzählens in Hoch- und Spätmittelalter 2018, 469 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8593-2 68 Margit Dahm-Kruse Versnovellen im Kontext Formen der Retextualisierung in kleinepischen Sammelhandschriften 2018, 392 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8646-5 69 Ramona Raab Transformationen des dû im Text Predigten Meister Eckharts und ihr impliziter Adressat 2018, 182 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8633-5 70 Thomas Poser Raum in Bewegung Mythische Logik und räumliche Ordnung im ›Erec‹ und im ›Lanzelet‹ 2018, 238 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8645-8 71 Bent Gebert Wettkampfkulturen Erzählformen der Pluralisierung in der deutschen Literatur des Mittelalters 2019, 510 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8653-3 72 Linus Möllenbrink Person und Artefakt Zur Figurenkonzeption im ›Tristan‹ Gottfrieds von Straßburg 2020, 514 Seiten €[D] 108,- ISBN 978-3-7720-8707-3 73 Verena Spohn Vom Du erzählen Die Du-Anrede als narrative Strategie in volkssprachlichen religiösen Texten des späten Mittelalters noch nicht erschienen, ca. 440 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8704-2 74 Hannah Rieger Die Kunst der ›schönen Worte‹ Füchsische Rede- und Erzählstrategien im Reynke de Vos (1498) 2021 ca. 282 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8736-3 75 Eva Locher Kohärenz und Mehrdeutigkeit Vergleichende Fallstudien zur Poetik der Sangspruchdichtung Rumelants von Sachsen 2021, 278 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8752-3 76 Laura Velte Sepulkralsemiotik Grabmal und Grabinschrift in der europäischen Literatur des Mittelalters 2021, 264 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8753-0 77 Sebastian Winkelsträter Traumschwert - Wunderhelm - Löwenschild Ding und Figur im Parzival Wolframs von Eschenbach 2022, 396 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8774-5 Wolfram erzählt im Parzival von teils heillosen, teils komischen und dabei stets konfliktträchtigen Verstrickungen zwischen Dingen und Figuren. Im Panorama der komplexen Strategien der Beschreibung und der Narrativierung von Gegenständen werden insbesondere die Aporien gestörter Figur-Ding-Verhältnisse sichtbar: Gahmuret, Parzival und Gawan begegnen in den von Wolfram imaginierten Waffen und Schmuckstücken, in den Aneignungs- und sakralen Objekten einer vieldeutigen Welt schon gesetzter Bedeutungen und schillernder Oberflächen, der eigenen oder einer fremden Vergangenheit sowie schier unberechenbaren dinglichen Akteuren, deren Mithandeln nicht nur den Weg der Protagonisten ganz wesentlich bestimmt. Die vorliegende Untersuchung sucht Einsichten in Wolframs ›Poetik der Dinge‹, in seine Modellierung der Verhältnisse zwischen Figuren und Dingen, aber auch in Sinnstiftung, Medialität, Struktur und narrative Faktur des Gralromans. ISBN 978-3-7720-8774-5