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Konstruktion und Manifestation von ‚Frauenmystik’

2023
978-3-7720-5790-8
A. Francke Verlag 
Linus Ubl
10.24053/9783772057908

Die Arbeit schlägt einen neuen methodischen Ansatz in Bezug auf sogenannte >frauenmystische< Texte des Mittelalters vor. Hierbei rückt die handschriftliche Überlieferung verstärkt in den Fokus, da der einzelne Textträger in seinen jeweiligen kultur- und literaturhistorischen Kontexten verortet wird. Am Beispiel der reichen oberdeutschen Überlieferung des Liber specialis gratiae der Mechthild von Hackeborn können auf diese Weise signifikante Einsichten in spezifische Rezeptionsdynamiken gewonnen werden. Die Arbeit ist daher nicht nur für die germanistische Mediävistik, sondern auch für die Geschichtswissenschaft, die Historischen Hilfswissenschaften, die Theologie und die Gender Studies interessant sowie für alle, die sich mit mittelalterlicher Religions- und Handschriftenkultur beschäftigen.

Die Arbeit schlägt einen neuen methodischen Ansatz in Bezug auf sogenannte ›frauenmystische‹ Texte des Mittelalters vor. Hierbei rückt die handschriftliche Überlieferung verstärkt in den Fokus, da der einzelne Textträger in seinen jeweiligen kultur- und literaturhistorischen Kontexten verortet wird. Am Beispiel der reichen oberdeutschen Überlieferung des Liber specialis gratiae der Mechthild von Hackeborn können auf diese Weise signifikante Einsichten in spezifische Rezeptionsdynamiken gewonnen werden. Die Arbeit ist daher nicht nur für die germanistische Mediävistik, sondern auch für die Geschichtswissenschaft, die Historischen Hilfswissenschaften, die Theologie und die Gender Studies interessant sowie für alle, die sich mit mittelalterlicher Religions- und Handschriftenkultur beschäftigen. ISBN 978-3-7720-8790-5 Ubl Konstruktion und Manifestation von ›Frauenmystik‹ BIBL. GERM. 78 Linus Ubl Konstruktion und Manifestation von ›Frauenmystik‹ Rezeptionsdynamiken in der oberdeutschen Überlieferung des Liber specialis gratiae Bibliotheca Germanica HANDBÜCHER, TEXTE UND MONOGRAPHIEN AUS DEM GEBIETE DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE HERAUSGEGEBEN VON UDO FRIEDRICH, SUSANNE KÖBELE UND HENRIKE MANUWALD 78 Linus Ubl Konstruktion und Manifestation von ›Frauenmystik‹ Rezeptionsdynamiken in der oberdeutschen Überlieferung des Liber specialis gratiae Die Arbeit wurde durch die bischöfliche Studienförderung Cusanuswerk mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sowie des Arts and Humanities Research Council (AHRC) gefördert. DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783772057908 © 2023 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0067-7477 ISBN 978-3-7720-8790-5 (Print) ISBN 978-3-7720-5790-8 (ePDF) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 9 1 11 1.1 14 1.2 20 1.3 27 1.4 33 1.4.1 34 1.4.2 39 1.4.3 47 2 53 2.1 55 2.2 61 2.3 67 3 75 3.1 76 3.2 90 4 97 4.1 97 4.2 112 4.3 118 5 121 5.1 121 5.1.1 121 5.1.2 123 5.1.3 127 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte Mystik als Kommunikation: Die Konstitution mystischer Texte . . . . Mystik als Überlieferung: Die Manifestation mystischer Texte . . . . . Kulturhistorische Annäherungen an die Konstruktion ›frauenmystischer‹ Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild von Hackeborn in der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild-Forschung im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die textgeschichtliche Forschung zum Liber specialis gratiae Methodologische Perspektivierung des Forschungsüberblicks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autorität und Autorschaft im Liber specialis gratiae als konstitutives Merkmal im Wandel der Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Konstruktion von Autorschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Konstruktion von Autorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Konstruktion von Materialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild von Hackeborn im Spannungsfeld zwischen Latein und Volkssprache - die Kartause Basel als Fallstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die lateinischen Textzeugen der Kartause Basel . . . . . . . . . . . . . . . . . Die volkssprachlichen Textzeugen des Liber in der Kartause . . . . . . . Eine Mechthild, zwei Mechthilden, viele ›Mechthilden‹ - die oberdeutsche Überlieferung des Liber specialis gratiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die oberdeutschen Mechthild-Handschriften - ein Überblick . . . . . . Autor(schafts)-Interferenzen in der Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . Methodologische Konsequenzen der Überlieferungslage . . . . . . . . . . Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae . . . . . . . . . . Der Karlsruher Codex Lichtenthal 67 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die (literar-)historische Umgebung der Handschrift . . . . . . Die Textgestalt des Liber im Cod. Lichtenthal 67 . . . . . . . . . . Bernhard ›der Wunderbare‹ - eine zisterziensische Provenienz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.4 129 5.1.5 134 5.2 137 5.2.1 138 5.2.2 140 5.2.3 147 5.3 149 5.3.1 149 5.3.2 151 5.3.3 159 5.4 161 6 163 6.1 164 6.2 166 6.3 177 7 187 7.1 188 7.2 198 8 203 207 207 208 267 267 269 302 303 303 306 306 Der Redaktor am Werk - das Beispiel des vierten Buches . . Mechthild im Kontext - die Kapitel der Katharinen-Vita . . . Der Solothurner Codex S 458 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die (literar-)historische Umgebung der Handschrift . . . . . . Die textuelle Beschaffenheit der Mechthild-Exzerpte . . . . . . Der Kontext - der Liber innerhalb eines Gebetbuches . . . . . Der Augsburger Codex III.1.8° 31 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die (literar-)historische Umgebung der Handschrift . . . . . . Die Spezifika des Liber in der Augsburger Handschrift . . . . Der Kontext des Liber in der Handschrift . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit der Einzelanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild für Laien gedruckt - die Leipziger Ausgabe (1508) . . . . . . . . . . . . . . Der Kontext des Druckes - Ort und Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Gliederung des Druckes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exemplarische Kapitelanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild auf dem Weg in die Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthilds Liber nach 1500 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Außerliterarische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transkriptionsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Liber specialis gratiae (1508) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Primärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internetressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drucke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Orte, Personen und Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt Für S und V Vorwort Die vorliegende Arbeit stellt die leicht überarbeitete Fassung meiner an der University of Oxford angefertigten Dissertation dar, die am 27. September 2019 eingereicht und am 29. November 2019 ohne Beanstandungen (›no corrections‹) erfolgreich verteidigt wurde. Pandemiebedingt erscheint sie nun leicht verzögert - seitdem erschienene Literatur konnte lediglich in Auswahl berücksichtigt werden. Die Anfertigung einer Dissertation ist - entgegen manch romantischer Verklärung - keine Reise, die man alleine unternimmt. Viele Menschen haben mich auf meinem Weg begleitet, von denen ich im Folgenden nur wenige nennen kann. Der größte und wichtigste Dank gebührt meiner Doktormutter Almut Suerbaum (Ox‐ ford), die mich seit meinen ersten Schritten in Oxford sowohl in akademischer Hinsicht wie auch auf persönlicher Ebene unterstützte. Ohne ihre Begeisterung und Motivation hätte ich das Projekt wohl nicht in der vorliegenden Form abgeschlossen. Henrike Lähnemann, Annette Volfing und Nigel Palmer (†) (alle Oxford) haben mit ihren Hinweisen und Kommentaren in einer großartigen Umgebung zu dem Ergebnis beigetragen - allzu gern hätte ich Nigel, der bereitwillig seine Notizen zu den von ihm zusammengetragenen Mechthild-Handschriften teilte, ein Exemplar des gedruckten Buches überreicht. Henrike Lähnemann und Freimut Löser (Augsburg) übernahmen bereitwillig die Prüfung der Dissertation und gaben konstruktives Feedback auf dem Weg zur Veröffentlichung. Monika Studer (Basel) und Balázs J. Nemes (Freiburg i. Br.) lasen eine erste Version des Kapitels über die Basler Kartause. Gerd Dicke und Rudolf K. Weigand (beide Eichstätt) weckten meine Begeisterung für das Mittelalter sowie seine Literatur und unterstützten mich mein gesamtes Eichstätter Studium hindurch. Ferner möchte ich den zahlreichen Bibliotheken und Archiven danken, die ich während der letzten Jahre besuchen konnte. Ohne ihre Kooperation hätte ich meine Forschungen nicht durchführen können. Für die Aufnahme in die Bibliotheca Germanica danke ich den HerausgeberInnen Susanne Köbele (Zürich), Henrike Manuwald (Göttingen) und Udo Friedrich (Köln), die wichtige Hilfestellung leisteten. Vom Narr-Verlag hat Tillmann Bub den Prozess der Publikation kompetent und hilfsbereit begleitet. Für ihre Beiträge zum Druckkostenzu‐ schuss danke ich dem John Fell Fund in Oxford (im Rahmen des Covid-19 Research Rebuilding Momentum Fund) sowie dem Somerville College. Dies ermöglichte auch die Beschäftigung einer Hilfskraft - Josephine Bewerunge gebührt herzlicher Dank für ihre versierte Assistenz. Die großzügigen Stipendien des Arts and Humanities Research Council (AHRC) und des Cusanuswerkes verschafften mir den finanziellen Rückhalt, um mein Projekt zu realisieren. Ein beträchtlicher Teil der Dissertation entstand hierbei im Cusanushaus in Bonn-Mehlem. Für die Unterstützung und Freundschaften in diesem Kontext bin ich besonders Siegfried Kleymann dankbar. Ohne Freunde hätte ich dieses Buch niemals geschrieben. Zum Glück war ich auf meinem Weg nicht alleine. Meine Kollegin und gute Freundin Tiziana Imstepf (Oxford) begleitete mich bei allen Schritten, vom ersten geschriebenen Buchstaben bis zur gemeinsamen Abgabe. Zusammen litten wir, feierten aber auch jeden erfolgreich gemeisterten Abschnitt, der alleine eine wesentlich schwerere Hürde gewesen wäre. Seit meinen ersten Tagen in Oxford im Herbst 2014 war Christina Ostermann (Berlin) eine wichtige Stütze, die in wissenschaftlichen und persönlichen Angelegenheiten immer für ein Gespräch verfügbar war. Anna Wilmore und Ed Wareham Wanitzek halfen bereitwillig, wenn es einen ›native speaker‹ brauchte. Die alljährlichen OFFG-Kolloquien mit KollegInnen aus Freiburg, Fri‐ bourg und Genf offerierten Gelegenheiten zur Vorstellung unterschiedlicher Teile meiner Arbeit. Für das dort erhaltene Feedback und die entstandenen Freundschaften bin ich dankbar und entschuldige mich gleichzeitig für die zahlreichen Vorträge über ›meine‹ Mechthild. Einige Freunde begleiten mich seit meinen ersten Wochen an meiner Alma Mater in Eichstätt. Für ihre Freundschaft danke ich besonders Felix Lempp, Christiane Hoth de Olano, Eva-Maria Ritter sowie Familie Konnert. Michael Schieder stellte mir jederzeit ein Bett in Eichstätt zur Verfügung, wenn ich für ein paar Tage zurückkehrte. Die ideelle Förderung durch das Cusanuswerk bereicherte meine Promotion um ein Vielfaches. Vor allem entstanden dabei wichtige Freundschaften: Stellvertretend für viele weitere Personen danke ich Nicola Trenz, Julia Urban, Lorena Hellmann und besonders Marie-Therese Krein. Wichtige Gespräche in nicht immer leichten Zeiten verbinde ich mit Lena Pfeifer und Angela Calderón Villarino. Ebenso unterstützten meine Eltern und mein Bruder Cornelius mich auf alle erdenkli‐ chen Arten. Nur sie konnten meine gelegentliche Mürrischkeit ertragen, erlaubten mir aber jederzeit eine Fokussierung auf meine Arbeit, wenn ich in der Heimat weilte. Gewidmet ist die Arbeit den beiden Menschen, die mir in meinem bisherigen Leben am nächsten standen. Ohne euch hätte ich die Arbeit nie begonnen, wäre nie drangeblieben und hätte sie vermutlich nie beendet. Ich hoffe, es geht euch beiden gut. Oxford, im Juli 2023 Linus B E Ubl 10 Vorwort 1 Leppin (2021), S.-15. 2 Vgl. Keller (2000), bes. S. 219: »Sie [die mittelalterliche visionäre Dichtung; L. U.] enthüllt verschlei‐ ernd und vice versa und immer wieder da capo.« 3 ›Autor‹ oder ›Rezipient‹ bezeichnet im Folgenden in der Mehrheit der Fälle eine geschlechtsneutrale Deskription. Besteht Annahme von spezifisch männlicher oder weiblicher Leserschaft, so wird dies, gerade bei den Fallbeispielen, kenntlich gemacht. Gleiches gilt für Begriffe wie ›Redaktor‹, ›Schreiber‹, ›Leser‹ etc. 4 Zum Begriff ›Frauenmystik‹ vgl. Peters (1988b), zur Kritik am Begriff und einem Überblick über die Forschung vgl. Bürkle (1994), S. 116f. Eine gänzliche Verabschiedung vom Terminus fordert Zimmermann (1993), S. 14. Trotz dieser berechtigten Kritik hält die Forschung am Ausdruck fest, wendet sich allerdings gegen frühere psychologische Definitionen, etwa bei Beutin (1999), S. 98, oder abwertende Meinungen, wie sie etwa von Josef Quint oder Otto Pfister vertreten wurden, vgl. hierfür Tinsley (2010), S. 4f. Selbst bei Kurt Ruh lassen sich noch, ausgehend von Rahners Verständnis der Texte als ›Privatoffenbarungen‹, solche Tendenzen nachweisen, vgl. Ruh (1993), S. 303, zur Kritik daran Beutin (1997), S. 65. Die angelsächsische Forschung besitzt weniger Vorprägungen und spricht zumeist von ›women’s spirituality‹, vgl. Hollywood (1994) und McGinn (1998), S. 153- 158. Vgl. außerdem Borries (2008), S. 451-454, für eine deutliche Abgrenzung zur Gattung der Schwesternbücher. 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte Wie nähert man sich einem Text, der zu einem der weitverbreitetsten rezipierten Werke des späten Mittelalters gehört, der sich aber aufgrund seiner Spezifizität als ›mystischer‹ Text bestimmten modernen Ordnungskategorien ›entzieht‹? Die Fokussierung auf Texte, die um die Vorstellung einer exzeptionellen Nähe zu Gott kreisen, die durch ihre Unmittel‐ barkeit die üblichen Frömmigkeitsformen überschreitet und im Individuum realisiert wird 1 , erfordert daher nicht nur aus religionshistorischer, sondern auch aus literaturtheoretischer Perspektive methodische Präzisierung und Reflexion. Dies gilt umso mehr, wenn moderne Rezipierende mit einem produktionsästhetischen Analyseraster an einen Text herantreten, dem bereits gattungsinhärent ein literarisch inszeniertes Oszillieren zwischen Geheimnis und Enthüllung desselbigen zugrundeliegt. 2 Ein mit einer binären Autor-Werk-Beziehung operierender Versuch erscheint für den Liber specialis gratiae der Mechthild von Hackeborn, bei dem bereits der Titel die angesprochene Thematik verdeutlicht, wie bei vielen anderen mittelalterlichen, insbesondere geistlichen, Texten von vornherein mit einigen Problemen behaftet zu sein. Im Falle des Liber betrifft dies einerseits den methodischen Zugriff, wenn Fragen um Autorschaftskonstruktion und das Verhältnis von Werk und Autor(in) 3 diskutiert werden, zugleich aber auch die Beschaffenheit des Text-Objekts, welche nicht a priori gegeben ist, sondern definiert werden muss: Fragen nach Materialität, Ordnungsstrukturen, Gattungszugehörigkeit sowie kontextueller Konstitution im Verhältnis zwischen Objekt und Rezipient müssen ins Blickfeld genommen werden. Sie erfordern zudem bei den zur ›Frauenmystik‹ gehörenden Schriften aufgrund retrospektiver Deutungsmuster besondere Betrachtungsweisen. 4 Diese beinhalten, vor allem in der älteren Forschung aus produzen‐ 5 Ringler (1985), S.-178. 6 Vgl. Bürkle / Eder (2021). 7 Vgl. zu Mechthild von Magdeburg Poor (2004), Nemes (2010), zu Gertrud Kirakosian (2021), zu Elisabeth von Schönau Senne (2003), zu Birgitta von Schweden Andersen (2014). Daneben ist vor allem auch die überlieferungsgeschichtliche Forschung zu Meister Eckhart zu nennen, auf die im weiteren Verlauf der Arbeit eingegangen wird. 8 Vgl. Nemes (2008a, 2010, 2012b, 2014, 2019b) und Emmelius (2004) sowie Emmelius / Nemes (2019). tenzentrierter Perspektive, Diskussionen um die zur Gattung zugehörigen Werke, die Bezeichnung der Gattung selbst, deren text-philologische Konstitution sowie schließlich die Bewertung der einzelnen Texte aus theologischer und literarisch-ästhetischer Sicht. Die vorliegende Arbeit versucht, eine Perspektive einzunehmen, die von rezeptionso‐ rientierten Faktoren ausgeht, was einerseits auf die Überlieferung zutrifft, andererseits aber auch den die Überlieferung umgebenden Kontext. Durch eine solche Annäherung verspricht sich die Untersuchung gattungsgeschichtliche Erkenntnisse, da die Rezeption den erforderlichen Stellenwert erhält. Bereits Siegfried Ringler hatte für die Nonnenviten des 14.-Jahrhunderts konstatiert: Diese Nonnenliteratur ist zu einem wesentlichen Teil Rezeption. Sie entsteht bereits auf der Grundlage von Rezeption, wird geschrieben im Hinblick auf Rezeption, ist meist nur in Form von Rezeption überliefert, und selbst die moderne wissenschaftliche Erforschung hat häufig eine den wissenschaftlichen Bereich weit übersteigende ›lebendige Rezeption‹ dieser Literatur zum Ziel. 5 Das mag überspitzt wirken, identifiziert aber ein wesentliches Charakteristikum dieser Texte. In jüngster Zeit haben Susanne Bürkle und Daniel Eder im Blick auf Nonnenviten- und Offenbarungsliteratur, statt strikt gattungstypologisch zu abstrahieren, beobachtet, wie Mystik und Legendarik jeweils als interferierende Diskurse eingespielt werden können. 6 Mystik wird hier weiterführend auch als soziopoetisches Register verstanden, was die Notwendigkeit der jeweiligen Kontextanalysen unterstreicht. Die Bedeutung der Rezeption auf verschiedenen Ebenen für die Lektüre eines ›frauenmystischen‹ Textes herauszuarbeiten, ist ein zentraler Bestandteil dieser Arbeit, die damit an wichtige For‐ schungsarbeiten der letzten Jahre anschließt. 7 Insbesondere Balázs J. Nemes und Caroline Emmelius haben hierfür bedeutende methodische Grundlagenarbeit geleistet. 8 Bevor dabei einzelne Analysen der differierenden Ebenen vollzogen werden, ist eine Profilierung des zu analysierenden Gegenstandes der Untersuchung notwendig. Diese geht dabei auf gattungsspezifische Besonderheiten ein sowie auf die Frage nach der kontextuellen Einbettung des jeweiligen Überlieferungszusammenhanges. Die Fragen, die in den folgenden Kapiteln aufgeworfen werden, widmen sich daher der Überlieferung aus verschiedenen Perspektiven. Hierbei ist im ersten Kapitel zu klären, welchen Beitrag der Ansatz einer kulturhistorischen Überlieferungsgeschichte bei der Be‐ trachtung mystischer Texte und insbesondere im Fall Mechthilds von Hackeborn zu leisten vermag. Sowohl aus kommunikationstheoretischer als auch aus überlieferungsgeschicht‐ licher Hinsicht soll geklärt werden, wie die Gattung ›Mystik‹ beide Beobachtungsebenen miteinander in Beziehung setzt. Im zweiten Kapitel steht das für ›mystische‹ Texte - gerade die mit Frauen assoziierten - spannungsreiche Verhältnis von Autorschaft und Autorität im Zentrum. Dank der 12 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 9 Vor allem Poor (2004) und Nemes (2010) beschäftigen sich mit diesem Phänomen. 10 Vgl. vor allem Löser (1999) sowie ders. (2016). 11 Vgl. zum Begriff der ›Fassung‹ Bumke (1996a) und vor allem Schiewer (2005). Einen kurzen Überblick über die Forschung bietet Kirakosian (2021), S.-34f. 12 Für Meister Eckhart wurden bereits einige Studien zur Überlieferung und Wirkung an einzelnen Orten vorgelegt, vgl. für Köln Löser (2021a), für Paris Vinzent (2017b), für Straßburg Nemes (2012), für Melk Löser (1999), für die Niederlande Scheepsma (2008), für Nürnberg Gottschall (2009), für Erfurt Steer (2005). breiten Überlieferung kann untersucht werden, inwieweit sich ein solches Changieren zwischen Positionen in der Überlieferung am konkreten Beispiel manifestiert. Wie die seit der Edition von Neumann einsetzende Forschung zum Fließenden Licht Mechthilds von Magdeburg demonstriert, sind Autorzuschreibungen bei mystischen Texten je nach Über‐ lieferungsstadium unfest. 9 Anders als beim Fließenden Licht, dessen Autorzuschreibung allein auf paratextuellen Elementen bzw. der lateinischen Übersetzung beruht, wird der Name ›Mechthild‹ in der Überlieferung des Liber regelmäßig verwendet. Die Konstruktion Mechthilds als Autorin ›ihres‹ Textes wird im Blick auf die Rezep‐ tion Unterschiede zu anderen mystischen Offenbarungen zeigen. Dieser Umstand trifft gerade auf die Doppelrolle Mechthilds zu, nämlich einerseits als Autorin, andererseits als erlebendes Subjekt ihrer eigenen Narration. An diesem Beispiel wird auch die Problematik späterer Editionen deutlich. Anhand eines einzelnen Überlieferungskollektivs, der Kartause Basel, wird anschließend die Rezeption an einem bestimmten Ort untersucht. Während textkritische Editionen allein den vom Autor verantworteten Text in den Vordergrund rücken, haben die von der Würzburger Forschergruppe entwickelten überlieferungsgeschichtlichen Editionen den Blick dafür geschärft, an welchen Orten bestimmte Texte rezipiert und abgeschrieben wurden. Unter Bezug auf Freimut Lösers Modell einer Überlieferungsgeschichte an einem signifikanten Ort soll hier die Basler Kartause und ihre Funktion als Überlieferungskollektiv untersucht werden. 10 Das verspricht besonders reiche Ergebnisse, da sich anhand der zeitgenössischen Bibliothekskataloge nachweisen lässt, dass mehrere jetzt in Basel lagernde lateinische und deutsche Handschriften des Liber bereits im 15. Jahrhundert ihren Standort in der Bibliothek der Kartause hatten. Anders als bei vielen unikal oder nur in wenigen Handschriften überlieferten mystischen Texten erlaubt es die sehr breite Überlieferung des Liber, die Handschriften und die in ihnen enthaltenen Textfassungen unterschiedlichen Kategorien zuzuordnen - und zwar sowohl anhand der Mitüberlieferung wie auch anhand des Textbestandes. 11 Somit können an ihnen exemplarisch unterschiedliche Rezeptions- und Lektüreweisen innerhalb eines bestimmten Kollektivs verfolgt werden - eine Mög‐ lichkeit, welche sich bei den meisten mystischen Texten aufgrund der Überlieferungslage verschließt. 12 Diese Untersuchungen werden schließlich im vierten Abschnitt auf die gesamte ober‐ deutsche Rezeption übertragen, wobei die Überlieferung in quantitativer Hinsicht aufge‐ schlüsselt wird, was es ermöglicht, Überlieferungstypen voneinander zu unterscheiden. Hierbei wird die im ersten Kapitel angeführte textkritische Untersuchung Manfred Zie‐ gers um neuere Methoden und Perspektiven ergänzt. Beobachtungen zum Kontext der 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 13 Überlieferung anhand von Einzelbetrachtungen individueller Handschriften sollen dies veranschaulichen. Die auf der quantitativen Analyse aufbauenden Kategorien werden schließlich im fünften Kapitel in qualitativer Hinsicht auf ihren vermuteten Funktionswandel hin un‐ tersucht. Dabei soll gerade die Polyphonie der Überlieferung gewürdigt werden, da diese Vielstimmigkeit dem Liber im Gegensatz zu der Edition von 1877, die ein festes Textkonzept vermittelt, gerechter wird. Exemplarisch werden ein ›Volltext‹ aus dem Zisterzienserinnenkonvent Lichtenthal, ein Gebetbuch aus dem Berner Inselkloster sowie eine Exzerpthandschrift aus Maria Medingen untersucht. Der Übergang von Handschrift zum Druck wird innerhalb des sechsten Kapitels behan‐ delt. Im Vordergrund steht der Leipziger Druck von 1508, da er als eine stark redigierte Fassung Einblick in den Funktionswandel des Textes erlaubt und so die Stellung Mechthilds im beginnenden 16. Jahrhundert unter veränderten sozialen und medialen Bedingungen aufzeigt. Das letzte Kapitel schlägt schließlich den Bogen zur Gegenwart. Die Rezeption des Liber setzte sich auch in den folgenden Jahrhunderten fort, wie sich an der Druckhistorie verfolgen lässt. Ebenso wird die akademische Beschäftigung mit Mechthilds Text im Kontext dieser Studie als eine Ausprägung der Rezeption verstanden, die von je eigenen Vorstellungen über Mechthild und ihrem Text geprägt wird. Somit lassen sich in der Moderne zwar divergierende Schwerpunkte ausmachen, dennoch lassen sich auch diese Rezeptionsformen in das oben genannte Modell integrieren. Eine solche bis in die Gegen‐ wart reichende Perspektive kann ihren Beitrag zur Beantwortung der Frage leisten, warum sich die mittelalterliche Rezeption von der neuzeitlichen radikal unterscheidet. Anders als reine Editionsprojekte versucht die vorliegende Studie, nicht nur die differierenden Textfassungen zu untersuchen, sondern vielmehr auch deren kulturelle Kontexte zu berück‐ sichtigen. Anliegen dieser Untersuchung ist es, die Dynamiken innerhalb der letzten beiden Jahrhunderte, sowohl auf populärkultureller Ebene als auch im wissenschaftlichen Diskurs, nicht nur als reine Kontinuität der mittelalterlichen Rezeption zu verstehen, sondern als konstitutiven Bestandteil für die Stellung Mechthilds im kollektiven Gedächtnis. Während die ältere Forschung versuchte, eine Geschichte Mechthilds zu schreiben, zeigt sich im Rahmen der vorgestellten Beobachtungen, dass gerade der Konstruktcharakter offengelegt werden muss, mit dem die einzelnen Textzeugen ihre Geschichte(n) Mechthilds konstru‐ ieren. Eine solche Berücksichtigung der Meta-Ebene leistet hierzu einen methodologischen Beitrag für die Forschungs- und Editionsgeschichte. Somit kann die vorliegende Studie vor allem als Geschichte über die Geschichten Mechthilds verstanden werden. 1.1 Mystik als Kommunikation: Die Konstitution mystischer Texte Die Bezeichnung ›mystischer Text‹ ist bereits mit einigen Annäherungsschwierigkeiten behaftet, die im Kontext germanistischer und angelsächsischer Forschung der Klärung bedürfen. Als Diskursivierung einer direkten Beziehung (cognitio Dei experimentalis nach Thomas von Aquin) zwischen einer Person und Gott erscheint das verschriftete Resultat als Zeugnis einer eigentlich unerklärbaren und daher auch nicht in Worte zu fassenden 14 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 13 Vgl. Kiening (2011), S.-7. Vgl. auch Haug (1984) und Köbele (1993). 14 Vgl. hierzu Emmelius (2004) für die Beispiele Angela da Foligno und Margery Kempe. 15 Vgl. Sells (1994). 16 Haas (1986), S. 320. Vgl. grundsätzlich dazu bereits Seyppel (1974). Vgl. auch prägnant formuliert von Sells (1994), S. 2: »The transcendent must be beyond names, ineffable. In order to claim that the transcendent is beyond names, however, I must give it a name, ›the transcendent‹.« 17 Vgl. etwa für eine neuere psychologische Perspektive, in diesem Fall eine Analyse der Anthropologie Meister Eckharts, Morgan (2013), S. 85-100. Zur Mystikgeschichte aus theologischer Perspektive vgl. vor allem McGinn (1991ff.). 18 Vgl. hierzu besonders Haas (2004), S. 18, der im Anschluss an Jauß auf die verschiedenen Dimensionen hinweist, in denen eine Sinnentfaltung stattfindet, »die sowohl auf der Ebene der Poiesis (die Herstellung) als der Aisthesis (die Rezeption) wie der Katharsis (die Kommunikation) wirksam wird.« 19 Vgl. hierzu die unterschiedlichen Ansichten von Dinzelbacher (1988) und ders. (1995a) auf der einen Seite, der das mystische Erlebnis als faktisch betrachtet und dabei den literarischen Charakter von Visionsschriften weitestgehend vernachlässigt. Selbst in dessen neuester Einführung (2012), S. 7, werden die Thesen von neuem vertreten und die mystischen Erfahrungen sowohl mit physischen als auch psychischen Ansätzen erklärt. Auf der anderen Seite der Debatte stehen vor allem Ursula Peters (1988a), dies. (1999), S. 186f., und Siegfried Ringler (1980), die die Literarizität mystischer Berichte betonten, dabei aber zum Teil ebenfalls sehr extreme Positionen beziehen. Für eine Zusammenfassung der Debatte vgl. Tobin (1995), S. 110-133, mit weiterer Literatur. Vgl. auch Haas (2004), S.-18f., der sich explizit gegen eine Reduktion auf das Erfahrungssubstrat ausspricht. Verbindung zwischen den beiden Instanzen. 13 Somit muss das Kommunikationsdilemma im ›Mystik‹-Begriff mitgedacht werden. 14 Auf die mystische Sprache bzw. die mystische Schau folgt das Phänomen der Kommunikation an andere. 15 Somit wird bereits grundsätzlich ein Plädoyer für eine interdisziplinäre Mystikforschung vorangestellt: Sofort stellt sich dabei die Frage: Ist ›Mystik‹ nur die Erfahrung selbst oder auch das Kommuni‐ kationsgeschehen, das sich an sie heftet, d. h. deren narrative oder reflektierende Wiedergabe? Faktisch wird meist beides - da die Erfahrung ohne Vermittlung stumm bliebe - dem Begriff von Mystik eingeborgen. Dadurch differenziert sich das Materialobjekt ›Mystik‹ schon in Richtung zweier grundsätzlich differenter formaler Gesichtspunkte, so daß von allem Anfang an mehrere Wissenschaften sich anheischig machen können und müssen, das Phänomen als ihren Gegenstand in den Blick zu fassen. 16 Dass dabei die Literaturwissenschaft den Blick eher auf die Materialisierung der Erfahrung richtet, während die Erfahrung selbst eher zum Gegenstand theologischer bzw. psycholo‐ gischer Betrachtungen wird, ist dabei Folge unterschiedlicher Wissenschaftsdiskurse und nationaler Traditionen. 17 Von anderen Formen des Berichtens oder Erzählens unterscheiden sich mystische Texte zudem durch die mehrfach besetzte und theologisch komplizierte Au‐ torfunktion: Es handelt sich in aller Regel um Texte, die sich selbst als Niederschriften oder Verschriftlichungen einer Vision oder Audition präsentieren. Zugleich aber beanspruchen sie, dass Gott sich selbst in diesen Visionen bzw. Auditionen mitteilt. Der Akt des Schreibens ist daher nie allein als descriptio konzeptualisiert, sondern besitzt eine legitimatorische Funktion. 18 Weitestgehend ausgeblendet wird dabei in dieser Untersuchung die in der Vergangenheit besonders an den Disziplinengrenzen herrschende Debatte um den Erleb‐ nischarakter mystischer Erfahrungen und deren literarische Ausgestaltung. 19 Es gilt somit zwischen der Erfahrung und dem Niederschlag in verschrifteter Form einerseits und den Verschriftlichungsprozessen zwischen Oralität und Buch andererseits zu differenzieren. 1.1 Mystik als Kommunikation: Die Konstitution mystischer Texte 15 20 Vgl. hierfür Grubmüller (1992), vor allem konzentriert auf Mechthild von Magdeburg. 21 Vgl. überblicksartig Haas (1988), der für das 12. und 13. Jahrhundert fünf große Mystikerinnen ausmachen möchte: Hildegard von Bingen, Elisabeth von Schönau, Mechthild von Magdeburg, Mechthild von Hackeborn und Gertrud von Helfta. Für die Magdeburgerin vgl. Palmer (1992). 22 Kiening (2011), S.-9. 23 Vgl. Ruh (1986), bes. S.-38. 24 Vgl. Störmer-Caysa (2004), S. 8: »Was ein Mystiker wollte oder dachte […] läßt sich nur erschließen, wenn er es aufgeschrieben hat.« 25 Vgl. Haug (1986), S. 495. Zur Kritik daran vgl. Köbele (1993), S. 64-68. Zur Diskussion vgl. Linden (2011), S.-362f. 26 Vgl. generell zur Buchmetaphorik, insbesondere im Christentum, bereits Curtius (1942), bes. S.-375, der gerade für das Mittelalter eine Überkreuzung von religiöser und literarischer Buchmetaphorik herausstellt. Für ähnliche Inszenierungsstrategien in der Gattung der Predigt und der Legende vgl. Mertens (2012), der den Prozess als »zirkuläre[n] Vorgang« (S.-269) betrachtet. Inwieweit dem Text selbst eine göttliche Autorschaft zugeschrieben wird oder der Rezipient bzw. die Rezipientin der göttlichen Offenbarung eine Autorfunktion einnimmt, weicht im Einzelfall ab. 20 Gott tritt manchmal explizit als Übermittler seiner Botschaft auf, zuweilen erteilt er lediglich den Auftrag zur Verschriftlichung der jeweiligen Auditionen bzw. Visionen. 21 Zugleich stellen mystische Texte den Inhalt dieser Visionen als Geheimnis dar, das allein der Visionärin oder einem Kreis von Auserwählten zugänglich ist. Zwischen diesen zunächst fix gedachten Polen changiert der Text, der sich somit als Versuch einer Überbrückung einer eigentlichen Leerstelle charakterisieren lässt. Hierüber definieren sich mystische Texte als solche zunächst: Mystische Bücher lassen sich also vorläufig als materiell prägnante Schriftstücke verstehen, die es mit göttlichen oder religiösen Geheimnissen zu tun haben und häufig zwischen Verbergung und Offenlegung oszillieren. 22 Der jeweilige Inhalt und die Frage nach Interpretation dieser »Geheimnisse« stehen folglich im Mittelpunkt. Diese fordern einerseits zur Entschlüsselung und Mitteilung auf, sind andererseits aber exklusiv. 23 Dennoch, oder gerade deswegen, muss die Manifestation dieser Geheimnisse berücksichtigt werden. 24 Hierbei kann gefragt werden, ob durch eine Verschriftlichung das mystische Erlebnis lediglich ›offenbart‹, also zugänglich gemacht, wird oder die Sprache nicht sogar selbst zur Erfahrung transformiert, wie Walter Haug angenommen hat: Wenn man die Sprache als Medium von Erfahrung versteht, kann die mystische Sprache, wenn sie denn von eigener Art ist, sich nur durch eine spezifische Struktur dieses Mediums bzw. des sprachlichen Vollzugs in ihm auszeichnen. 25 Bereits hier wird deutlich, dass dem Akt der Materialisierung der Offenbarungen und damit schließlich auch der Manifestation als materiellem Produkt eines solchen Prozesses eine entscheidende Rolle zukommen. 26 Durch den Schreibakt erhält ein mystischer Text zugleich eine reflexive Komponente. Er ist nicht nur eine Beschreibung, sondern auch ein Schreiben über das Erlebnis. Damit kann der Akt der Verschriftlichung identitätsstiftenden Charakter besitzen, wenn sich die Reflexion auf das Subjekt selbst bezieht, etwa durch die Vergegenwärtigung des Erlebten 16 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 27 Vgl. Löser (2012), S.-159, und Kiening (2011), S.-8. 28 Ruh (1990), S.-24. 29 So Löser (2012), S.-159. 30 Auch hier wäre zunächst zu klären, inwieweit bei einer solchen Frage zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit aufgrund der beteiligten ›voices‹ unterschieden werden muss, vgl. Mooney (1999). Dass hierbei durchaus Wechsel stattfinden können, zeigt Bynum (2005), S. 128, auf, wobei sie vor allem an Ergebnisse eigener früherer Werke anschließt, vgl. vor allem dies. (1984). Zur Konstruktion von Autorschaft bzw. Autorität vgl. Kapitel 2. 31 Vgl. Kirakosian (2017a), S. 221, die darauf hinweist, dass für das »Gelingen« einer mystischen Vita mehrere Teilnehmer benötigt werden. 32 Vgl. etwa für den Fall Dorothea von Montau Elliott (1999), Suerbaum (2010a), Volfing (2010) und Wallace (2011), S. 37-60, für Birgitta von Schweden Nyberg (1985), bes. S. 280, sowie Flemming (2011), S. 303f., für Katharina von Siena Krafft (2013), für Porète unter Betonung der Selbstinszenierung Zech (2012). im Textualisierungsprozess. 27 Sprache konstituiert sich somit infolge des Schreibaktes als Medium der Erfahrung, wodurch »mystische Sprache als Metasprache« 28 definiert werden kann. Folglich ergeben sich in der Retrospektive für den Leser Fragen nach der in den Text eingeschriebenen Position von Autorschaft sowie dem Charakter des Erlebnis- und daran anschließend auch des Schreibprozesses. 29 Da in jedem Text die Manifestierung innerhalb der Beziehung Autor-Gott neu ausgehandelt und repräsentiert wird, ergeben sich differie‐ rende Nuancen, die sich als gattungscharakteristisch beschreiben lassen. Inwieweit sich bei einer solchen Aushandlung des Textes geschlechtsspezifische Unterschiede feststellen lassen, je nachdem, ob die Offenbarung dabei an einen Mann oder eine Frau erfolgte, bedarf einer Berücksichtigung. 30 Zusätzlich erscheint es allerdings notwendig, nicht nur die Relation Text-Autor zu berücksichtigen, sondern diese um die Ebene der Rezipienten zu erweitern, die an den schließlich ausgehandelten Text herantreten - auch hier wieder unter der vorläufigen Annahme eines festen Textverständnisses, auf die später noch genauer einzugehen sein wird. Aus der Perspektive der Leser, und dabei besonders der mittelalterlichen Rezipienten, muss der Text hinsichtlich seines Status anerkannt und reflektiert werden. 31 Dies gilt sowohl für die Ebene des mystischen Erlebnisses wie auch die des Schriftzeugnisses. Die Anerkennung kann sich zum einen auf eine institutionelle Akzeptanz der mystischen Erfahrung und deren Vertextung beziehen - als Beispiel für eine Ablehnung sei etwa der Fall Marguerite Porète genannt, in dem neben der Frau signifikanterweise auch das dazu‐ gehörige Buch verbrannt wurde -, als auch auf die zirkulierenden Versionen eines Textes, von denen etwa nur eine als autorisiert eingestuft und zur Weiterverbreitung freigegeben wurde. 32 Gleichzeitig ist es aber immer Aufgabe des Rezipienten, dem Text seinen Status neu zuzuschreiben, wodurch dieser seine Position als mystischer Text erhält. Erst durch die kontinuierliche Aktualisierung seines Inhalts erlangt er die ihm zugeschriebene spirituelle Kraft, die ihn als solchen auszeichnet. Die Perspektive der Rezeption erlaubt somit einen differierenden Blickwinkel auf die Problematik des Manifestationsprozesses. Denn durch den Akt der Rezeption aktualisiert sich auch der Akt des Schreibens, sei es als internalisierte Erfahrung - der Text ›schreibt‹ sich in das Innere des lesenden oder hörenden Subjektes ein - oder als handlungspraktisches Kopieren des Textes. Durch eine solche Reproduktion übernehmen die ursprünglichen Rezipienten die Funktion des Autors und erschließen den 1.1 Mystik als Kommunikation: Die Konstitution mystischer Texte 17 33 Vgl. etwa das Beispiel des Lichtenthaler Codex in Kap. 5.1. 34 Vgl. Barton / Nöcker (2015), bes. S. 432f., die in ihrem einführenden Beitrag zur Performativität die geistlichen, besonders mystischen, Texte in einem kurzen Abriss lediglich auf Rezeptionsebene betrachten, die daraus folgende produktive Ebene jedoch vernachlässigen. 35 Insofern wird das bereits von Bonaventura entworfene und hierarchisch gestufte Autorschaftsmodell (Gott - Autor - Kompilator) aufgebrochen. Vgl. zu Bonaventura Minnis (1988), S. 95f., und Hubrath (1996), S.-53, Anm.-139. 36 Vgl. Löser (2012), S. 177. Zur Diskussion über die männliche Autorschaft in solchen Werken vgl. Kirakosian (2017a), S. 65-71, sowie bereits Peters (1988b), S. 102, für die Dominanz des Modells im 14.-Jahrhundert. Vgl. auch Bürkle (1999), S.-26f. 37 Vgl. zu Mechthild von Magdeburg vor allem Nemes (2010) und Poor (2004), deren Arbeiten zu den Mechthild-Handschriften sich im Spannungsfeld zwischen den Fixpunkten ›Autorschaft‹ und ›Autorität‹ bzw. Produktion und Rezeption bewegen, sich trotz ihrer konträren Perspektiven aber gut ergänzen und somit als Vorbild für Untersuchungen zu mystischen Texten mit einer quantitativ höheren Anzahl an Überlieferungszeugen dienen können. Zu einer deutlichen Ablehnung Eckharts als Mystiker, auf deren nur für diese Arbeit relevanten Folgerungen im weiteren Verlauf eingegangen wird, vgl. Flasch (2011). Als Beispiel für eine ausführliche Untersuchung einer Bearbeitung der Werke Eckharts durch einen Redaktor, den Laienbruder Lienhart Peuger im Kloster Melk, vgl. Löser (1999). Text wiederum für neue Rezipienten. 33 Insofern muss auch aus sprechakttheoretischer Perspektive und bei Verwendung von Performativitätskonzepten die produktive Ebene berücksichtigt werden. 34 Somit kann festgehalten werden, dass neben der Relation Autor-Text auch die Beziehung zwischen Autor und Rezipient für die Konstitution und Reaktualisierung des Textes entscheidenden Einfluss besitzt, wobei der Rezipient ebenfalls eine eigene Beziehung zu Gott erhält, die sich zwar an der Beziehung Autor-Gott orientiert, letztendlich aber ein individuelles und eigenständiges Verhältnis darstellt. Als wiederum weder imitierbare noch materialisierbare Verbindung nimmt sie als eigenständige Komponente am apophatischen Diskurs teil. Allerdings ist innerhalb dieser Überlegungen fraglich, inwieweit das rezipierende Sub‐ jekt tatsächlich die Rolle des Autors übernimmt und somit mit diesem gleichgesetzt werden kann. Nicht jeder mittelalterliche (Ab-)Schreiber kann im produktionsästhetischen Sinne als Autor verstanden werden. Auf der anderen Seite lassen sich in Einzelbeispielen sehr wohl aktiv eingreifende Schreiber identifizieren, die den Text kompilieren, redigieren und in neuer Form herausgeben. 35 Dies gilt in besonderem Maße im Falle von Offenba‐ rungen an eine weibliche Person, für deren Verschriftlichung etwa ein Beichtvater als ›Rezipient ersten Grades‹ die Rolle des Editors bzw. Redaktors einnimmt. 36 Aber auch im weiteren Verlauf der Rezeption lassen sich oftmals verschiedene Redaktions- und Bearbeitungsformen feststellen, bei denen fraglich ist, inwieweit hier aus produktionsäs‐ thetischer Sicht ›Neuschöpfungen‹ kreiert werden oder lediglich Bearbeitungsstufen eines ›ursprünglichen‹ Textes vorliegen. Als ein besonders gut erforschtes Feld gelten hier zum Beispiel die Arbeiten der Eckhart-Philologie oder für einen ›frauenmystischen‹ Text die Untersuchungen zu den Mechthild von Magdeburg-Handschriften. 37 Schreiber bzw. Redaktoren dürfen im Zuge der Textkonstituierung also nicht als unter‐ geordnete Größe betrachtet werden, sondern nehmen eine zentrale und eigenständige Rolle im Prozess der Textgenese ein. Diese Rolle kann dabei unterschiedlich ausgeprägt sein, beispielsweise als handelnde Persönlichkeit, die topisch als solche konstruiert wird bzw. 18 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 38 Löser (2012), S.-173. 39 Vgl. Sahle (2013), S. 1-45 für eine Diversifizierung des ›Text‹-Begriffes mit ausgiebiger Forschungs‐ diskussion. Für eine Historisierung des Terminus insbesondere im geistlichen Diskurs vgl. Eikelmann (2021), bes. S. 112: »So lässt sich zeigen, wie text und verwandte Ausdrücke bereits zu abstrakten Termini gerinnen, doch als metatextuelle Selbstbezeichnungen immer auch in der historischen Praxis der Textproduktion und -präsentation verwurzelt sind.« 40 Strohschneider (1997), S.-66. 41 Novara (2022). 42 Vgl. ebd. sich selbst konstruiert, oder als komplett hinter den Text zurücktretende Person. Durch ihre Beteiligung am Entstehungsakt des Textes eröffnet sich daher auch für sie die Möglichkeit zu einer Beziehung mit Gott: Schreiberinnen und Schreiber sind in den Gnadenvorgang inkorporiert. Wer die Offenbarungen, die anderen gewährt wurden, aufzeichnet, hat auf diese Weise Teil am Heil. Diese Erkenntnis ist gleichzeitig Teil eben jener Offenbarung oder wird als solcher be-schrieben. 38 Somit lässt sich zusammenfassend eine dreidimensionale Grundstruktur mystischer Texte erkennen. Zwischen den drei Eckpunkten Autor, Schreiber / Redaktor und Rezipient auf der einen und Gott als (natürlich literarisch konstruiertem) Fixpunkt auf der anderen Seite konstituiert sich der mystische Text. Deutlich wird auch, dass der verwendete ›Text‹-Begriff eine Vielzahl an Bedeutungen umfasst: Einerseits stellt er im Zuge der mystischen Erfahrung die sprachliche Äußerung dar, gleichzeitig besitzt er Werkcharakter als, gleichwohl konstruierte, Entität. Schließlich stellt jede einzelne Manifestation im Zuge der Rezeption ebenfalls eine ›Text‹konstitution dar. 39 Im Hinblick auf die durch die New Philology angestoßenen Methodendiskussionen definierte Strohschneider ›Texte‹ als »Ma‐ nifestationen historisch spezifischer, also in situative Handlungskontexte eingelassener Kommunikationen« 40 , dessen Überlegungen die vorliegende Arbeit folgt. Elisa Novara hat, von der Musikwissenschaft kommend, den Begriff der ›Textualisierung‹ definitorisch zu fassen versucht. Hierunter versteht sie den dynamischen Prozess, den die kompositorische Erarbeitung eines Textes durchläuft. […] Die Schreibprozesse, die dabei mitwirken, verlaufen selten konfliktlos linear und ›logisch‹ konsistent, sondern sind zumeist mit Abbrüchen, Umwegen und Sackgassen, zirkulären Maßnahmen und konzeptionellen Umentscheidungen etc. verbunden […]. 41 Im Folgenden unterscheidet Novara drei unterschiedliche Grundformen der Textualisie‐ rung: Eine als ›Progression‹ bezeichnete quantitative Anreicherung eines bestehenden Textes, zweitens eine mit ›Intervention‹ betitelte Abwandlung oder signifikante Umarbei‐ tung von bestehenden Textabschnitten sowie schließlich eine als ›Redaktion‹ beschriebene Optimierung hin zu einem ›Werktext‹. 42 Auch wenn die germanistische Mediävistik teil‐ weise andere Konzepte unter den Begrifflichkeiten versteht (insbesondere im Hinblick auf ›Redaktion‹), so erscheint der Prozesscharakter der ›Textualiserung‹ durchaus fruchtbar, insbesondere da durch den Terminus »jegliche biologisch-organizistische Assoziation und 1.1 Mystik als Kommunikation: Die Konstitution mystischer Texte 19 43 Ebd. in Abgrenzung zu alternativen Begriffen wie ›Textwachstum‹ oder ›Textentwicklung‹. 44 Einen aus der Perspektive der Geschichtswissenschaft stammenden Überblick über textus bieten Kuchenbuch / Kleine (2006) in ihrer Zusammenfassung einer mediävistischen Tagung, zur ›Textua‐ lisierung‹ bes. S.-428f. 45 Haug (1986), S.-504. damit die Vorstellung eines geradlinig und zielklar verlaufenden Wachstumsprozesses« 43 vermieden wird. 44 Im Hinblick einer Verbindung zwischen dem oben vorgestellten Modell und der Einbet‐ tung der texttheoretischen Überlegungen bedarf es jedoch in Anbetracht der neueren Mystikforschung der letzten Jahre einiger Differenzierungen und weiterführender Beob‐ achtungen. Denn die aufgezeigten Eckpunkte wirken nicht nur auf die Textkonstitution ein, sondern durch die Textkonstitution werden vice versa erst die Eckpunkte definiert. Es liegt somit ein reziproker Prozess vor. Dies gilt nach Haug bereits für die mystische Sprache selbst: Mystisches Sprechen kommt von der Unio her und führt auf sie hin. Die Bewegung wäre kreisförmig zu nennen, wenn sie nicht eben jeweils in der Unio radikal gebrochen würde. Der Mystiker kann dann diesseits dieses Bruches aus unterschiedlichen Positionen heraus das Gespräch eröffnen. Und er kann es mehr von der vergangenen Erfahrung der Unio her oder mehr auf die künftige Erfahrung der Unio hin entwickeln. Und dies selbstverständlich auf unterschiedlichen Ebenen und mit wechselndem Spielraum für den Bereich der Ähnlichkeit, und das heißt auch für sein Sprechen selbst. Und wiederum gibt es Perspektivenschwenkungen und -überschiebungen. 45 Wenn sich also die Sprache immer wieder neu aktualisiert und dabei Akzentuierungen er‐ langt, so muss dies zwangsläufig auch Auswirkungen auf die Manifestation des Sprechens, also des Verschrifteten, besitzen. Damit wird auch die Verbindung zur Rezeption hergestellt, ohne die die Vermittlung mystischen Sprechens nicht gewährleistet werden kann. Der mystische Text stellt also das Scharnier innerhalb des beschriebenen Vermittlungsprozesses dar, der weiterer Kommentierung unter Berücksichtigung spezifischer Prinzipien der Genese mittelalterlicher Texte bedarf. In einem weiteren Schritt wird schließlich der Kontext der Textkonstitution genauer betrachtet. Erst unter Einschluss kulturhistorischer Kontextualisierungen können spezifische Prinzipien des Textualisierungsprozesses her‐ ausgearbeitet werden, die für mediävistische mystische Manifestationen in schriftlicher Form gelten können. Als Untersuchungsobjekt steht hierbei der Liber specialis gratiae der Mechthild von Hackeborn im Zentrum, der durch eine breite und vielschichtige Überlieferungsbasis besticht. Da gerade die volkssprachliche Rezeption des Liber noch weitestgehend unerforscht geblieben ist, lassen sich an ihr die vorgestellten methodischen Überlegungen exemplarisch untersuchen. 1.2 Mystik als Überlieferung: Die Manifestation mystischer Texte Im Normalfall ist infolge der handschriftlichen Überlieferungsbedingungen kein ›origi‐ naler‹ mystischer Text überliefert, wobei jedoch Ausnahmen wie das vermeintliche Auto‐ 20 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 46 Vgl. Schneider-Lastin (1994). Vgl. vor allem zur Betonung der Literarizität der Vita Hasebrink (2008) und Wünsche (2009). Neuere Arbeiten zu Elsbeth heben vor allem körpertheoretische Aspekte des Werkes hervor, vgl. etwa Depnering (2016), Buschbeck (2018) sowie Müller (2020). Für eine andere Mystikerin, den Fall der Katharina Tucher, vgl. Williams-Krapp (2011), S.-172-178. 47 Zu Seuse vgl. vor allem Ziegeler / Altrock (2009). Einen kleinen Forschungsüberblick bietet Haas (2014), bes. S. 27-29. Im Falle Mechthilds von Magdeburg geht eine solche Figur in einer viel‐ schichtigen Erzählerrolle auf, vgl. dazu Suerbaum (2003) und Volfing (2003). Vgl. Bürkle (1999), S. 7f., zu strukturellen Verschiebungen bzw. zu Prozessen innerhalb des Spannungsfeldes zwischen begnadeter Frau und begleitendem frater, insbesondere in der Kristallisation von Autorschaft bei Elsbeth Stagel und Christine Ebner, bes. S. 8: »Während die Figur der begnadeten Mystikerin zur ›Schreibenden‹ und ›Autorin‹ aufgewertet wird, verliert die biographisch kaum faßbare, bisweilen anonym bleibende Figur des vertrauten Fraters ihre eindeutige Position als Hagiograph und wird zum Akteur des Schreibbefehls depotenziert.« 48 Vgl. etwa Harrison (2008), Grubmüller (1992), S.-346, und Peters (1998b), S.-102. Vgl. auch Kapitel 2. 49 Vgl. Kiening (2011), bes. S. 8-10. Vgl. auch Kirakosian (2017a), die ein ähnliches Phänomen am Beispiel Christinas von Hane verfolgt, deren Text jedoch nur unikal überliefert ist. 50 Vgl. Löser (2012), S.-159. 51 Vgl. Quast (2001), bes. S. 40, sowie mit einem Schwerpunkt auf geistlichen Texten Grubmüller (2001). graph Elsbeths von Oye die Regel bestätigen. 46 Das heißt, Rückschlüsse auf die im Moment als fix definierten Faktoren lassen sich beinahe ausschließlich über die überlieferten Text‐ zeugen rekonstruieren. In der Forschung hat - analog zu der gleichen Debatte innerhalb anderer Gattungen - eine Diskussion eingesetzt, ob durch die Existenz der Textzeugen überhaupt noch zum Autor vorgedrungen werden kann oder ob dieser letztendlich nur als Referenzgröße, als Autorität, angesehen werden muss, der ein mystischer Text zuge‐ schrieben wird. In manchen Fällen schimmert zwar eine Autorfigur stärker durch, etwa bei Heinrich Seuse, bisweilen tritt diese aber auch gänzlich hinter den Text zurück. 47 Gerade die Texte, bei denen man in der neueren Forschung von einem gemeinschaftlichen Schreibakt ausgeht, der lediglich ein die göttliche Erfahrung rezipierendes literarisches Subjekt als Referenzgröße konstruiert, das sich damit mehr als Autorität und weniger als Autor konstituiert, lassen feste Konturen einer Autorfigur verschwimmen. 48 Hier zeigt sich also eine Pluralität an Nuancierungen, die sich für die Gattung mystischer Texte als konstitutiv bezeichnen lässt. Die Überlegungen schließen weitere Folgerungen mit ein, wenn berücksichtigt wird, dass ›der‹ mystische Text nicht existiert, sondern lediglich die diesen tradierenden Handschriften. Nur durch diese könnte sich also, geht man von den streng editionsphilo‐ logischen Kriterien Lachmanns aus, ein Archetyp (re-)konstruieren lassen, was jedoch die philologisch bedeutsame Schlussfolgerung beinhaltet, dass neben der allgemeinen, literarisch konstruierten Materialisierung der göttlichen Worte, verstanden als Prozess, also auch die Materialität der Überlieferung berücksichtigt werden muss. 49 Dabei gilt diese Schlussfolgerung nicht nur für moderne Leser, sondern lässt sich bereits schon für mittelalterliche Rezipienten veranschlagen. 50 Da jeder Rezipient bzw. jede Rezipientin mit einem unterschiedlichen Überlieferungsträger konfrontiert wird, rezipiert er bzw. sie einen differierenden Text, womit sich auch die Beziehung zu der jeweiligen konstituierten Auto‐ rität verändert. 51 Als Beispiel, wiederum aus der Eckhart-Philologie, sei die Bearbeitung und Kompilation mehrerer Predigten in der Sammlung des Paradisus animae intelligentis genannt, in denen Eckharts verurteilte Sätze konsequent getilgt wurden, aber auch die 1.2 Mystik als Überlieferung: Die Manifestation mystischer Texte 21 52 Vgl. ausführlich für die Beispiele Löser (2020), der dabei auf zahlreiche früher geleistete Arbeiten rekurriert und auf die editionstheoretischen Konsequenzen in der Eckhart-Philologie eingeht. Vgl. zum Paradisus animae intelligentis und den sich ergebenden Auswirkungen der Bearbeitung Hasebrink (2009). 53 Löser (2012), S.-173. 54 Haas (1986), S. 322. Bisweilen finden sich allerdings in der Literatur immer noch fehlende Reflexionen über die Differenz zwischen Erfahrung und Text, vgl. etwa Bochsler (1997), S. 42, die bei Mechthild von Magdeburg Elemente innerhalb des Textes zu identifizieren versucht, die als »Indiz für die Echtheit der Jenseitsvisionen« verstanden werden können. 55 Zur Einführung in die ›material philology‹ vgl. Nichols (1997) und Lechtermann (2018). differierende Verwendung bei Marquard von Lindau, Nikolaus von Landau sowie bei den Laienbrüdern in Melk. 52 Das heißt, dass der oben als singulärer Fixpunkt beschrie‐ bene Text sich in eine Vielzahl an Überlieferungszeugen aufspaltet, die unterschiedliche Positionen besetzen können und dabei enger zusammenrücken, bisweilen aber auch in größerem Abstand voneinander liegen können - etwa, wenn ein unter einem bestimmten Autornamen überlieferter Text in einer anderen Version plötzlich anonym überliefert, die Manifestation durch Schreiber / Redaktoren also von der Zuschreibung an eine Autorität bzw. Autorinstanz abgekoppelt wird. Innerhalb der Phase der Rezeption generieren sich zwangsläufig Bedeutungsverschiebungen, die ihrerseits wiederum die Gestalt des Textes neu definieren. Was aus den ursprünglich göttlichen Worten wird, entscheidet der Rezi‐ pient. Dies kann im Extremfall dazu führen, dass dem Autorsubjekt eine Mitwirkung an dem Entstehungsprozess abgesprochen wird. Somit lässt sich insgesamt eine Aufsplitterung ›des mystischen Texts‹ in verschiedene ›mystische Texte‹ konstatieren, die jedoch nicht im pejorativen Sinn als verderbte Texte eines Originals verstanden werden dürfen: [W]er das Original sucht, findet - und dies schon an der Quelle des Textes und von dessen Beginn an - Redaktortexte. […] Der Text ist keine fixierte Größe einer einzelnen Autorität, er ist von allem Anfang an als Gemeinschaftswerk konzipiert, das sich nur in steter Arbeit am Text realisieren lässt. 53 Folgt man diesen Annahmen Lösers, so aktualisiert sich der Charakter des Textes im Zuge der Rezeption jedes Mal aufs Neue. Mit jeder Lektüre eines bestimmten Überlieferungsträgers ergeben sich neue Koordinaten im Spannungsfeld zwischen den verschiedenen Eckpunkten, zwischen denen der Text im Rezeptionsakt oszilliert. Dieses Changieren der verschiedenen Textzeugen, sowohl auf inhaltlicher als auch materieller Ebene, charakteri‐ siert die Eigenheit mystischer Texte. Aus pragmatischer Sicht bleibt allerdings festzuhalten, dass lediglich die jeweilige Überlieferungssituation für weitere Untersuchungen zur Verfügung steht: Denn was haben wir anderes als Texte? Wir haben nicht die Erfahrung, sondern nur die Texte, in denen von ihnen berichtet wird. An diese objektiv vorhandenen Gegebenheiten müssen wir uns halten. Damit ist Kontextualität als ein methodisches Postulat vorgegeben. 54 Dabei darf jedoch ›ein Text‹ nicht als stabiles Konstrukt verstanden werden, sondern muss im philologischen Kontext der Überlieferung unter Einschluss der methodischen Erkennt‐ nisse der ›material philology‹ gesehen werden, die den sozialen Kontext der einzelnen Überlieferungsmanifestation sowie die Materialität selbst berücksichtigen. 55 Die physische 22 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 56 Einen guten Abriss über die Geschichte der Editionswissenschaft in der germanistischen Mediävistik bietet Bein (2015), bes. S.-3. 57 Laut Lentes (2006), S. 243, lässt sich die Funktion des Rezipienten als Schreiber für die Gattung des ›Gebetbuches‹ sogar als inhärente Komponente festmachen. 58 Vgl. hierzu Palmer (1989), S.-45. 59 Vgl. Cerquiglini (1989), S. 50: »Dans sa forme, et dans sa fonction sans doute, le manuscrit médiéval, jusqu’à l’imprimerie, est une anthologie, un recueil. Unité toujours supérieure à l’œuvre (qu’il s’agisse d’une pièce poétique ou des plus longs romans, dont nous faisons de forts volumes), le codex est l’espace ouvert d’une confrontation, un geste qui rassemble. On comprend que la pratique paratextuelle du codex, quand elle existe, soit tout autre et serve davantage à rythmer, distribuer cet espace d’écriture.« 60 Vgl. vor allem den programmatischen Aufsatz von Steer (1985). 61 Vgl. Stackmann (1964) für die mit dieser Herangehensweise verbundenen Probleme. Vgl. überblicks‐ artig auch Bein (1999), bes. S.-74-76. Konstitution des einzelnen Überlieferungsträgers, in der zahlreiche Materialitätsdiskurse konvergieren, erhält durch die Betrachtung der agency des Artefakts eine Aufwertung und wird in die Interpretation einbezogen. Inwieweit ein solcher Blick wiederum die Perspektive auf die Rezipienten, vor allem aber auch auf diejenige der zeitgenössischen Schreiber und Redaktoren beeinflusst, zeigen die methodischen Debatten innerhalb der philologischen Disziplin. 56 Gerade der Wandel bezüglich des Textualisierungsprozesses im Verlauf der Rezeption muss auf mehreren Ebenen untersucht werden, die eine Änderung der Perspektive ergeben: Die Art und Weise, in der unterschiedliche Kapitel von Redaktoren neu kompiliert werden, kann dabei erheblich differieren. Kürzungen oder Veränderungen können einzelnen Repräsentationen unterschiedliche Akzente verleihen. Alternativ offeriert eine unterschiedliche Kontextu‐ alisierung innerhalb eines neuen Überlieferungsträgers, etwa durch die Komposition verschiedener Textabschnitte zu einer bestimmten Thematik, neue Rezeptionsmöglich‐ keiten. 57 Dies bedeutet, dass ein aus einem bestimmten Sinnzusammenhang genommenes Exzerpt eine differierende Bedeutung erhält, nachdem eine Übertragung in einen anderen Kontext, etwa von didaktischen Lehrtexten, Gebeten oder Viten, erfolgt. Diese Genres implizieren unterschiedliche Konzepte und vermitteln eine differierende Vorstellung des Textes, wie er in anderen Textzeugen überliefert wird. Gerade paratextuelle Elemente wie Überschriften 58 , Kommentare oder Inhaltsverzeichnisse geben Aufschluss über Lesernut‐ zung und Verständnis. 59 Für eine methodische Neuorientierung in diesem Bereich und die Hinwendung zur Überlieferung seit den 1970er-Jahren zeigt sich vor allem die sogenannte ›Würzburger Forschergruppe‹ verantwortlich. Unter der Leitung von Kurt Ruh und seinen Schülern wurden zahlreiche Editionen vorgelegt, die einerseits methodisch neues Terrain betraten, andererseits ihre neuen methodologischen Ideen auch praktisch umzusetzen versuchten. Den einzelnen Handschriften wurde nun eine größere Bedeutung zugesprochen, wobei der Fokus vor allem auf die Varianten der Textkonstitution gelegt wurde. 60 Dabei unterscheidet sich die Methode grundsätzlich von den Vertretern der rekonstruktiven Textkritik in der älteren philologischen Forschung, deren Interesse in der (Wieder-)Herstellung eines wie auch immer gearteten Archetyps - dem ›Ideal‹ des Textes - durch Generierung eines Stemmas lag. 61 Allerdings, so betonte die Würzburger Forschergruppe, waren auf diese Weise die individuellen Sinngebungen durch Einzelhandschriften sowie Aussagen über 1.2 Mystik als Überlieferung: Die Manifestation mystischer Texte 23 62 Hier schimmert natürlich die Selbstbehauptung gegenüber manchen Vertretern anderer Disziplinen, etwa der Philosophie und der Theologie, durch, von denen die Philologie bisweilen nur als Hilfswissenschaft verstanden bzw. als Dienstleistungswissenschaft zur Bereitstellung der jeweiligen (nicht nur mystischen) Texte betrachtet wird. 63 Löser (2012), S.-158. Ausführlich dazu vgl. Löser (2016). 64 Vgl. ebd. 65 Für Editionen vgl. etwa die Rechtssumme Bruder Bertholds von Steer u. a. (1987), den Lucidarius von Gottschall / Hamm (1994ff.) oder das Buch der Natur Konrads von Megenberg von Luff / Steer (2003). Die beiden letztgenannten Editionen entstammen dem Sonderforschungsbereich 226 ›Wissensorga‐ nisierende und wissensvermittelnde Literatur im Mittelalter‹ in Würzburg / Eichstätt. Auch die Ex quo-Edition (Grubmüller / Schnell) sowie die Legendenforschung (Kunze / Williams / Williams) sind hier zu nennen, die teilweise methodisch modifiziert verfuhren. Allerdings fanden die Überlegungen der Würzburger Gruppe später sehr wohl Anklang bei der Herangehensweise an die anderen Genres, etwa bei der Etablierung des Konzepts der ›Fassung‹ durch Bumke am Beispiel des Nibelungenlied. Vgl. hierzu Bumke (1996a) und ders. (1996b). Einen Überblick bietet Schiewer (2005). Vgl. für ein Projekt noch größeren Ausmaßes unter Benutzung digitaler Methoden und biologischer Konzepte das Berner Parzival-Projekt, http: / / www.parzival.unibe.ch/ home.html (31.3.2023), zur Methode vgl. Stolz (2002) und Chlench / Viehhauser (2014). 66 Für einen ausführlichen Überblick über die verschiedenen Traditionen und Abgrenzungen vgl. Nemes (2010), S.-69-84. Vgl. auch Stackmann (1998), S.-24-32. 67 Cerquiglini (1989), S.-58. 68 Vgl. für eine methodische Differenzierung zwischen ›New Philology‹ und der Würzburger For‐ schergruppe Nemes (2008b), bes. S. 18 zur Betonung des Forschungsdesiderats im Bereich der ›Frauenmystik‹, darunter als explizites Beispiel das Werk Mechthilds von Hackeborn. 69 So beklagte schon Melinda Menzer in ihrer 2001 erschienenen Rezension, dass Cerquiglini letztend‐ lich trotz seines vielversprechenden Aufsatzes daran scheitere darzulegen, inwieweit Varianz in der deren Benutzung durch eine etwaige Leserschaft vernachlässigt worden, was in der Folge zu Fehlinterpretationen führte, die an der tatsächlichen Überlieferung vorbeigingen. 62 Im Gegensatz dazu orientierte sich der Kreis um Ruh am Prozess der Textgenese. Die Hand‐ schrift wird dabei nicht als eine potentiell verderbte Interpretation eines stabilen Textes verstanden, sondern als repräsentative Manifestation einer bestimmten Prozessstufe: »Der reale Text ist auf keiner Stufe ein fixierter, sondern immer Ergebnis eines Prozesses; ja nicht einmal Ergebnis; er ist Prozess.« 63 Da somit der Redaktor als wichtiger Faktor innerhalb dieses Prozesses eine Aufwertung erhält, gewinnt der soziale Kontext der mittelalterlichen Schreibkultur an Bedeutung. 64 Es erscheint dabei nicht zufällig, dass zu Beginn solcher methodischer Überlegungen weder die höfische noch die heroische Epik im Mittelpunkt des Interesses standen, sondern pragmatische Literatur wie Wörterbücher, Rechtstexte und vor allem geistliche Prosa. 65 Auf der anderen Seite vermied die ›Würzburger Forschergruppe‹, extreme Methodenpo‐ sitionen zu vertreten, wie es etwa Vertreter der ›New Philology‹ taten. 66 Von diesen wurden die Textvarianten nicht mehr als Varianten eines Textes interpretiert, sondern die Varianten selbst zu den Textkonstituenten erklärt, während vor allem der Akt des Edierens negativ bewertet wurde: »La philologie médiévale est le deuil d’un Texte, le patient travail de ce deuil.« 67 Allerdings bedeutete dies für die praktische Umsetzung erhebliche Konsequenzen, da bei einer strikten Anwendung einer solchen Methode den Editoren kaum etwas anderes übrig blieb, als Manuskripttranskriptionen gleichwertig nebeneinander zu drucken. 68 Somit schien der Ansatz zwar in eine konsequente Richtung zu gehen, scheiterte aber letztendlich an der Praktikabilität. 69 Inwieweit Methoden der Digital 24 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte Überlieferung tatsächlich Bedeutung produziert, vgl. Menzer (2001), S. 2. »However, chapter three ends on a disappointing note, because although Cerquiglini has given us this exciting way of reading medieval texts, he does not show us how variance actually produces meaning.« 70 Vgl. für ein aktuelles Projekt in nicht-religiösem Kontext neben der bereits angesprochenen Berner Parzival-Ausgabe die Online-Edition ›Lyrik des deutschen Mittelalters‹ (http: / / www.ldm-digital.de, 31.3.2023). Vgl. dazu Braun / Glauch / Kragl (2016). Ein anderes Beispiel ist die Neuedition der Lieder Hugos von Monfort, vgl. hierzu Hofmeister (2010). 71 Vgl. am Beispiel der Interpunktion Cerquiglini (1989), S. 45-47. Vgl. für eine kulturgeschichtliche Einbettung der Textgeschichte Smailagić (2021). 72 Löser (2012), S.-18f. 73 Für diese Kritik an Steer vgl. Löser (2014a) und ders. (2014b). Allerdings schimmert eine solch teleologische Sichtweise noch bei Lösers Versuch durch, ein persönliches Eckhart-Predigtbuch zu rekonstruieren, vgl. Löser (2009a), S.-622-627, sowie ders. (2014a), S.-79-82. Vgl. dazu auch Sturlese (2005). Humanities, die zum Teil auf Überlegungen der Würzburger Forschergruppe aufbauten, teilweise aber auch unabhängig von dieser ähnliche Richtungen in der Erschließung mittelalterlicher Texte einschlugen, erhebliche Hilfestellungen leisten können, auch um die verschiedenen theoretischen Diskussionen in der Praxis umzusetzen, zeigt sich an den aus den jeweiligen Projekten hervorgegangenen Resultaten in den verschiedenen Gattungen mit jeweils eigenen Problemstellungen. 70 Für die hier vorgestellte Thematik erscheint jedoch Cerquiglinis Beobachtung von Bedeutung, dass editorische Arbeit, in welcher Gestalt auch immer sie erfolgt, stets mit bestimmten Intentionen verbunden ist bzw. die Editoren auch nur in ihrer Zeit stehen und sich dadurch nicht zeitgenössischen Diskursen entziehen können. Hierbei spiegelt sich ihre eigene mentalitätsgeschichtliche Gegenwart im Ergebnis wider, wodurch sich Bedeutungsverschiebungen ergeben können. 71 Für Rezipienten solcher Forschung war ein editorisches Ergebnis der ›New Philologists‹ daher nur schwer zu handhaben, ähnlich wie dies auch auf die ersten Ergebnisse der ›Würzburger Forschergruppe‹ zutraf, was von diesen im Verlauf der letzten Jahrzehnte aber zunehmend korrigiert wurde. Ein grundlegender Unterschied kann dabei zwischen beiden Ansätzen festgestellt werden, wie Freimut Löser vermerkt: Man kann z. B. sehen, wie die Wertung von Varianten je nach dem Standpunkt des Erzählers der Überlieferungsgeschichte variiert: Ein postmoderner Erzähler wie BERNARD CERQUIGLINI wird die vielen verschiedenen Varianten innerhalb der Überlieferungsgeschichte nebeneinander stehen lassen und polyvalent und polyphon erzählen oder eben sogar die Geschichtlichkeit negieren und schlicht bei der Überlieferung landen, ein auktorialer Erzähler wie KURT RUH oder GEORG STEER wird eine eher teleologisch orientierte Überlieferungsgeschichte erzählen. Wer den verlorenen Autor sucht, erzählt vielleicht gar auf dessen Auferstehung hin heilsgeschichtlich. 72 Wie die sich immer noch in Arbeit befindliche Edition der Predigten Meister Eckharts zeigt, orientiert sich Steer dabei weiterhin an der Vorstellung eines Autors bzw. einer produktionsästhetischen Textkonstitution, wie fragmentiert und losgelöst vom Autor die Überlieferung dabei auch erscheint. 73 Die Predigten Eckharts und Taulers bieten ein gutes Beispiel, um die Entwicklung der Überlieferung einer bestimmten Textgruppe zu verfolgen. In zahlreichen Fällen wurden Predigtexzerpte aus ihrem Zusammenhang gelöst, von Redaktoren neu kompiliert und in differierenden Kontexten neu herausgegeben, sei es in Traktaten oder Frömmigkeits‐ 1.2 Mystik als Überlieferung: Die Manifestation mystischer Texte 25 74 Vgl. für eine Zusammenstellung und Unterteilung des Überlieferungskontextes die Datenbank des Projektes ›Predigt im Kontext‹ http: / / pik.ku-eichstaett.de/ (31.3.2023). Für ein Beispiel zu Johannes Tauler vgl. Suerbaum (2012b) und neuerdings Weigand (2020). Zu Eckhart vgl. Löser (2017b). 75 Vgl. den oft vermuteten Einfluss von Marguerite Porète auf Eckhart, wobei dessen Predigt 52 (Beati pauperes spiritu) von einigen Forschern als direkte Antwort auf Porète gelesen wurde. Für das Verhältnis zwischen beiden vgl. Hollywood (1994). Für einen ebenfalls oft vermuteten, aber bisher nicht stichhaltig nachgewiesenen Einfluss Eckharts auf Mechthild von Magdeburg vgl. Tobin (1994). 76 Vgl. Hasebrink (1992). Vgl. für Überschreitungen der Textsorten auch Löser (2020), S. 201-203, sowie Vinzent (2017a) für die Annahme, Eckhart habe seine lateinischen Bibelkommentare selbst ins Deutsche übersetzt. 77 Vgl. hierzu die bereits angesprochene, aber aufgrund des Anspruchs, alle bekannten Handschriften zu berücksichtigen, noch nicht fertiggestellte Edition von Quint u. a. (1958ff.). Vgl. für eine Problematisierung der Editionsprinzipien und dem dadurch konstruierten Eckhart-Bild anhand einer Predigt Löser (2014b), S. 245: »Die bisherige Edition formt so seit 1936 ein spezifisches Eckhartbild: Eckhart, der Prediger mit der Löwenpranke, der von Rom Verfolgte, der deutsche Denker - oder Eckhart, der Häretiker, je nach Standort des Lesers.« Für ein Beispiel der Orientierung der ›Frauenmystik‹-Philologie an der Editionsgeschichte der Werke Eckharts vgl. Ubl (2022). 78 Vgl. zu Hildegard von Bingen und ihrer Strategie, sich als Prophetin darzustellen, Meier (1988). Allerdings gilt Hildegard nach Ansicht der Forschung nicht als Mystikerin, vgl. Williams-Krapp (2008), S. 263f. Anders - und dezidiert ohne männlichen Beichtvater - lässt sich das ›Ich‹ bei Mechthild von Magdeburg charakterisieren, vgl. zu der dortigen Identitätskonzeption Suerbaum (2003) und Volfing (2003). 79 Vgl. für den Fall Katharina von Siena Krafft (2013) und Tylus (2013). Für die unterschiedlichen Intentionen und Textversionen der Dorothea von Montau in Latein und Volkssprache vgl. Suerbaum (2010b). Für Mechthild von Magdeburg vgl. bereits Margetts (1977). literatur im Allgemeinen. 74 Die Überlieferung Eckharts - oftmals anonym, also ohne Autoritätszuschreibung - ist daher mit dem Status mancher ›frauenmystischer‹ Texte vergleichbar. 75 Ähnliche Diskussionen über die Frage nach Autorschaft sowie das Verhältnis zwischen Latein und Volkssprache nehmen in beiden Fällen großen Raum im Forschungs‐ diskurs ein. 76 Die Eckhartphilologie könnte also mit ihrem Fokus auf die Überlieferung einen Orientierungspunkt für ähnliche Untersuchungen im Bereich ›frauenmystischer‹ Texte darstellen, gerade im Falle einer Präsenz zahlreicher Textzeugen, die sich über mehr als eine Sprache erstrecken. 77 Allerdings differiert die Ausgangslage Eckharts in einigen Punkten von derjenigen der schreibenden Frauen: Dem Dominikanerpater und zeitweiligen Professor in Paris standen unterschiedliche Narrativierungsstrategien zur Verbreitung seiner Ideen zur Verfügung, etwa in der Form von Predigten und Lehrtraktaten. Auch der performative Rezeptionscharakter unterschied sich von den Offenbarungen der Mystikerinnen. Hier zeigt sich deutlich der Unterschied zwischen einer wie auch immer konstruierten (Mit-)Autorschaft Gottes an einem mystischen Text und einem Text über Gott und das mystische Erlebnis. Mystikerinnen mussten also ihre ›Orthodoxie‹ nicht nur innerhalb ihres sozialen Kollektivs rechtfertigen, sondern auch in narratologischer Hinsicht ihre göttliche Aufgabe innerhalb des Schreibaktes herausstellen. 78 Redaktoren kümmerten sich schließlich um eine erste Verbreitung des Textes, was somit nicht nur für die Mystikerin eine Statussteigerung be‐ deutete, sondern auch für den Beichtvater selbst. 79 Somit zeigt sich, dass die Konstituenten 26 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 80 Vgl. Haas (2004), S. 18, für eine Verabsolutierung des Kontexts: »Der daraus sich je neu bildende Kontext ist unvermeidlich und durch nichts verhinderbar.« 81 Vgl. zusammenfassend Löser (2020), S.-186-189. 82 Für Katharina vgl. Tylus (2013). Für die deutschsprachige Rezeption vgl. zusammenfassend Jungmayr (1997), bes. S.-171f., und Brakmann (2008), bes. S.-3f. und S.-21-31. 83 Vgl. etwa für die Bedeutung der Rezeption in England die Gründung des Klosters Syon im Jahr 1415 Heffernan (2017) sowie allgemein für die Rezeption Rychterová (2019), bes. S. 262f., die die Verschiebung von einer Verbreitung durch die Universitäten, vor allem Prag und Leipzig, hin zu den Birgitten analysiert. Auch die Dominikaner förderten die Verehrung Birgittas, indem sie ihr die Kirche des ersten Reformklosters widmeten, vgl. Williams-Krapp (2012), S. 271f. und 275. 84 Johnston / Van Dussen (2015), S.-2. der Überlieferung nicht unterschätzt werden dürfen, auch im Hinblick auf die Verfolgung nicht genuin philologischer Fragestellungen. 80 Dies trifft nicht nur auf den Text bzw. dessen Überlieferungsträger zu, sondern auch auf die anderen an der Textkonstituierung beteiligten Subjekte, also die Schreiber / Re‐ daktoren und die Rezipienten. Dabei spielt die Bedeutung der Ordenszugehörigkeit eine entscheidende Rolle: So stellt sich etwa die Frage, ob ein Text aufgrund einer bestimmten Ordenszugehörigkeit des Autors propagiert bzw. rezipiert wurde, wobei auch in diesem Fall die Paradisus-Bearbeitung der Predigten Eckharts aufgrund ihrer gezielten Zusammenstel‐ lung ein eindrückliches Beispiel bietet. 81 Auch die Texte Katharinas wurden innerhalb des Dominikanerordens mit anderen Intentionen, etwa der Propagierung eines Heiligenkultes - was mit der Kanonisation 1461 durch Papst Pius II. auch gelang -, verbreitet, wie sich etwa an der deutschsprachigen Rezeption anhand des Geistlichen Rosengartens zeigt. 82 Ähnliches kann für die Verbreitung der Texte der Birgitta von Schweden in ihrem eigenen Orden besonders in der zweiten Hälfte des 15.-Jahrhunderts beobachtet werden. 83 1.3 Kulturhistorische Annäherungen an die Konstruktion ›frauenmystischer‹ Texte Der synchrone Kontext der Überlieferung wurde bisher ausreichend gewürdigt. Allerdings stellt dies lediglich eine der beiden Perspektiven dar, da in gleicher Weise der diachrone Charakter der Rezeption berücksichtigt werden muss, gerade hinsichtlich des Status eines Textes. Sobald nämlich verschiedene Textzeugen bezüglich ihrer Konstitution betrachtet werden, können diese aufgrund des Rezeptionsaktes als Kulturobjekte verstanden werden, womit sie genuin (kultur-)historischen Prinzipien unterliegen. Sie werden in eine Pluralität an Kontexten eingebettet »as objects within the cultural world, where people interact with them in meaningful, readable, ways« 84 . Bedeutung erhält daher die Frage, auf welche Weise ein mittelalterlicher Text gelesen und verstanden wurde, was eine Verschiebung auf den Blickwinkel des jeweils zeitgenössischen Lesers, der mit dem einzelnen Überlie‐ ferungszeugen interagiert, bedingt. Eine solche Sichtweise kombiniert im Rahmen des diachronen Wandels literaturwissenschaftliche und historische Methoden: 1.3 Kulturhistorische Annäherungen an die Konstruktion ›frauenmystischer‹ Texte 27 85 Haas (1986), S.-322. 86 Zur Verzahnung zwischen Liturgie und Literatur vgl. Unterreitmeier (1990). 87 Vgl. Palmer (1989), S. 44: »Für jedes Einzelwerk und für jede Handschrift ist die Frage zu stellen, welcher Platz dem Schriftsteller oder dem Schreiber zwischen Unabhängigkeit und Traditionsver‐ bundenheit zuzumessen ist.« 88 Poor (2004), S.-94. 89 Für die Schwesternspiegel unter geschlechtsspezifischer Rezeptionsperspektive vgl. Borries (2008), S.-454-459. 90 Vgl. Braudel (1958), exemplarisch ausgeführt in seinem bedeutenden Werk zum Mittelmeer, vgl. ders. (1949). Zur Kritik am Modell vgl. Raphael (2003), S. 105, und Schulze (1985), S. 256-258 sowie S. 262. Sollen sie [i. e. die mystischen Texte, L. U.] verstanden werden, muß diese Kontextualität möglichst weit gefaßt werden und die begriffsgeschichtlichen, historischen, sozialen, ökonomischen, vor allem aber die gesamtreligiösen Gegebenheiten des Textes mitberücksichtigt werden. 85 Dies wird deutlich, wenn die Rezeptionsbedingungen präziser differenziert werden. Ein mittelalterlicher Leser rezipierte schließlich nicht einen mystischen ›Text‹, sondern ledig‐ lich einen bestimmten Überlieferungsträger. Somit las oder hörte er im Normalfall - außer etwa bei einer Mehrfachüberlieferung des Textes in derselben Klosterbibliothek - lediglich eine Version, hatte also Zugang zu nur einer bestimmten Textrepräsentation. Nur durch diese Manifestation konnte er sich einen Eindruck darüber verschaffen, wie denn ›der Text‹ lautete. Ähnliche Überlegungen gelten für den spezifischen Autor bzw. die Autorität. Durch die Lektüre beziehungsweise mithilfe des den Rezipienten umgebenden kulturellen Kontextes gewann der Autor bzw. die Autorin für den Leser an Konturen, wobei unter ›kulturellem Kontext‹ etwa andere Überlieferungsträger, der Standort in der Bibliothek, paratextuelle Angaben oder etwa die Liturgie verstanden werden können. 86 Somit lässt sich eine bestimmte Auffassung von einem Text bzw. der dahinterstehenden auktorialen (oder möglicherweise als solche konstruierten) Person feststellen, die sich auf verschiedenen Ebenen (formal-strukturell, inhaltlich, paratextuell, kontextuell im Rahmen des Überliefe‐ rungsträgers) beschreiben lässt und ihrerseits wieder unterschiedliche Textkonstitutionen bewirkt. 87 Im Bereich ›frauenmystischer‹ Texte kann ein solcher Prozess verfolgt werden. So wurde im Verlauf der späteren Rezeption das Fließende Licht anonym überliefert. Durch die Anonymisierung konnte allerdings auf der anderen Seite die Verbreitung des Textes gesteigert werden, wie Sara Poor herausarbeitete: »In this way, they transmit the teachings of Mechthild without danger of reproof from higher authorities, increasing the circulation of the book but also making it anonymous.« 88 Über Dekaden und Säkula können also Änderungen in den jeweiligen mentalen Reprä‐ sentationen festgestellt werden, die unter anderem durch außerliterarische Faktoren, etwa Kanonisationen oder Verurteilungen, beeinflusst werden oder diese erst beeinflussen. Dies setzt selbstverständlich voraus, dass die Überlieferungslage die Möglichkeit anbietet, solche Interdependenzen zwischen literarischer und außerliterarischer Rezeption zu verfolgen. 89 Trotz der in der Folgezeit geäußerten Kritik kann also Braudels Konzept der longue durée zur Analyse dieser Überlieferungskonstellation hilfreich sein, da es einen methodischen Zugriff auf die hier vorgestellten kontextuellen Veränderungen von mystischen Texten im Zuge der Überlieferung ermöglicht. 90 Vor allem die Impulse von Georges Duby und Robert Mandrou werden dabei berücksichtigt, die jedoch in ihren Werken nicht spezifisch 28 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 91 Vgl. für die Diskussionen um das Konzept ›Mentalität‹ schon bei Marc Bloch und Lucien Febvre, also der ersten Annales-Generation vor Braudel, Burguière (1987). Vgl. für die Ablehnung des Terminus durch Duby, der mentalités lieber durch imaginaire ersetzen möchte, Peters (1999), S. 174f. Vgl. auch Chartier (1988), S. 19f., 27f. und 41f. Zur allgemeinen Rezeption der Mentalitätsgeschichte in der germanistischen Mediävistik vgl. Peters (1985), bes. S. 192-197, die am Beispiel der dominikanischen Nonnenviten (1949) für eine Einbeziehung der Mentalitätsgeschichte eintrat. 92 Vgl. etwa den zentrale Aufsätze umfassenden Sammelband von Raulff (1989). Für den Versuch eine Definition zu etablieren vgl. Dinzelbacher (2008), S. XXI (»Historische Mentalität ist das Ensemble der Weisen und Inhalte des Denkens und Empfindens, das für ein bestimmtes Kollektiv in einer bestimmten Zeit prägend ist. Mentalität manifestiert sich in Handlungen«). Allerdings muss hierbei gefragt werden, inwieweit lediglich Handlungen als Manifestationen von Mentalitäten verstanden werden können oder zum Beispiel nicht auch kulturelle Artefakte, etwa Bücher bzw. Überlieferungsträger. Fraglich bleibt auch, ob Sprechakte von Dinzelbacher unter Handlungen berücksichtigt werden. Vgl. kritisch zu Dinzelbacher auch Röcke (1995). 93 Vgl. dazu Lutter (2020), S.-131f. 94 Ebd., S. 132, unter Verweis auf Roger Chartier, Stuart Hall sowie weitere zentrale Literatur. 95 Vgl. Pohlkamp (1977), S. 235, welcher einen verstärkten Blick auf hagiographische Texte forderte: »Die auf solche Weise im Beziehungsfeld wechselseitiger Beeinflussung von Autor und Publikum erarbeitete Idealisierung eines Heiligen läßt hagiographische Texte als geeignete Quellen für eine ›histoire des mentalités‹ erscheinen […].« den Begriff ›Mentalität‹ zu definieren versuchten. 91 Im Deutschen wurden solche Ansätze erst spät rezipiert, da methodische, (fremd-)sprachliche und disziplingeschichtliche Unter‐ schiede eine Systematisierung sowie Ausdifferenzierung dieser Perspektive behinderten. 92 Insofern erscheint es vorteilhaft, mentalitätshistorische Perspektiven innerhalb weiterer kulturgeschichtlicher Fragestellungen einzubetten und etwa hinsichtlich Identitätskonstruktionen und -diskursen zu fokalisieren. 93 Solche Prozesse, die sich in der Produktion und Rezeption von Textträgern manifestieren, tragen zur Identitätsbildung bei: They [i. e. Identitäten; L. U.] are constantly constructed within a variety of cognitive and cultural processes through which individuals identify with others and with specific ideas, or oppose them. Such series of identifications and distinctions work by means of cultural representations. 94 Im Folgenden soll gefragt werden, welche Folgerungen sich aus einer Applizierung der Überlegungen für mittelalterliche Mystiker(innen) und die Überlieferung ihrer Texte ergeben, 95 in der Hoffnung, dass langfristige Veränderungen beobachtet werden können, die durch bestimmte ereignisgeschichtliche Determinanten, z. B. Kanonisationen, einen Wandel erfahren. Rituelle Praktiken wie Liturgie und Verehrung unterliegen langsamen Wandlungsprozessen, die sich bisweilen über Jahrzehnte und Jahrhunderte erstrecken. Daher können bestimmte Phänomene und Vorstellungen spezifischen Kollektiven zuge‐ ordnet werden, sei es einem bestimmten Orden, einem einzelnen Kloster oder einer geogra‐ phischen Region. Ebenso lassen sich der Überlieferungsprozess und die an diesem Prozess partizipierenden Faktoren verfolgen. Der soziale Kontext der Redaktoren sowie deren Einstellung zu dem jeweiligen Text müssen ebenso berücksichtigt werden, als Beispiel sei etwa die Produktion von Büchern für Konvente genannt, etwa als Lehrbücher oder in Gestalt von Gebetbüchern. Reformbemühungen bestimmter Kollektive, die Auswirkungen auf die Textproduktion und -distribution besitzen, üben ebenso Einfluss aus. Individuelle Textmanifestationen lassen sich als Zeugen dieser Veränderungen definieren. Freimut Löser 1.3 Kulturhistorische Annäherungen an die Konstruktion ›frauenmystischer‹ Texte 29 96 Löser (2021b), S.-152. 97 Vgl. Nemes (2008a) für den Fall Mechthild von Magdeburg. 98 Gillespie (2008), S.-137. 99 Vgl. überblicksartig für das 12. Jahrhundert Newman (2012). Über die unterschiedlichen Verläufe gerade bei Frauen vgl. für eine größere Überblicksstudie Dinzelbacher (1995b). 100 Vgl. als konzisen Überblick Field (2017). 101 Vgl. für eine Situierung des Kontextes unter Einschluss mentalitätshistorischer Voraussetzungen Terry (2011), S.-37-56. hat jüngst auf die Wechselwirkung zwischen religiösen Praktiken und der Textgeschichte hingewiesen: Texte zu religiösen Praktiken, seien sie normativ oder deskriptiv, zeigen gerade in ihrer textge‐ schichtlichen Änderung Anpassungen und Veränderungen dieser Praxis wie auch eine Verände‐ rung der Beurteilung dieser Praxis durch die normgebenden Instanzen. Das heißt, selbst im Bereich normativer Texte wird - spätestens in ihrer Textgeschichte - bei aller normhaften Einheitlichkeit eine Differenzierung und Vielfalt spürbar. 96 Einerseits arbeiten Schreiber bzw. Redaktoren an den einzelnen Textzeugen und produ‐ zieren diese, ihre Ergebnisse reflektieren und repräsentieren also jeweils mentale Vorstel‐ lungen, andererseits aktualisieren sie durch ihre Arbeit diesen sich ständig im Wandel befindlichen Prozess. 97 Somit lässt sich auf verschiedenen Ebenen mit differierendem Wirkungsgrad eine Teilnahme am Identitätsdiskurs konstatieren. Vincent Gillespie argu‐ mentierte, dass so bearbeitete Texte im Zug ihrer Bearbeitung »smarter« werden: »Texts get smarter, readers more demanding, inscribed audiences get more permissive and inclusive.« 98 Bei einem Blick auf mittelalterliche Mystikerinnen eröffnen sich Perspektiven, bei denen verschiedene, bereits genannte Parameter ihre notwendige Berücksichtigung finden. Als verbindendes Element kann - vorausgesetzt, dass die Frauen und ihre Texte in den folgenden Jahren nicht vollkommen in Vergessenheit gerieten bzw. nicht überliefert wurden - die Tatsache konstatiert werden, dass sowohl die einzelne Person als auch der mit ihr assoziierte Text für die Nachwelt Memorialcharakter besitzen, also an sie gedacht bzw. erinnert wird, somit eine kreative Rezeption stattfindet. Verschiedene Verläufe dieser Erinnerung können identifiziert werden, die aufzeigen, dass keine starren Erinnerungspro‐ zesse vorherrschen, die von einem ursprünglichen Text bzw. einer Person (über die es oftmals nicht einmal gesicherte Informationen gibt) ausgehen, sondern vielmehr durch einzelne ereignishistorische Entscheidungen einen Wandel erfahren, der von der Rezeption beeinflusst wird. Werden die bisherigen Überlegungen auf konkrete Beispiele übertragen, können un‐ terschiedliche Pfade aufgezeigt werden, die verschiedene Mystikerinnen im Laufe ihrer Rezeption einschlugen. 99 Im Falle Marguerite Porètes etwa bedeutete dies den Tod auf dem Scheiterhaufen im Jahr 1310. 100 Dieses ereignisgeschichtliche Faktum gestaltete die weitere Entwicklung ihres Textes: Aufgrund des Häresie-Verdachtes wurde der Mirouer des simples âmes in der Folge lediglich anonym überliefert. 101 Auch im Fall Eckharts besaß der gegen ihn geführte Prozess und die durch die Bulle In agro dominico verurteilten Sätze im Jahr 1329 30 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 102 Vgl. überblicksartig für den nicht einfachen Weg zur Kanonisation Dinzelbacher (1995b), S. 26-28. Vgl. für die Vereinnahmung Birgittas und Katharinas durch die Ordensrefomen Williams-Krapp (2013), S.-273f. 103 Vgl. Haas (2004), S.-332-354. 104 Diese Beispiele, lediglich exemplarisch genannt, zeigen auf, inwieweit historische Faktoren für die textuellen Repräsentationen eine gewichtige Rolle spielen können. Am Beispiel der Seligsprechung Seuses - ein vergleichbarer Fall liegt bei Dorothea von Montau vor, welche erst 1976 heiliggesprochen wurde, nachdem ein nach ihrem Tod angestrebter Kanonisationsprozess nicht erfolgreich verlaufen war - offenbart sich, welch langsamer Bewegung die Rezeption bisweilen unterliegt. 105 Vgl. Beutin (1997), S. 63. Vgl. auch Haas (2004), S. 334: »Den spanischen Mystikern ist es gelungen einen ›inneren Evasionsraum‹ in subjektiv gefärbten Erlebnisstilarten zu schaffen, der dem Subjekt einen Anteil gibt, der es als ein selbstbewusstes und sich selbst erkennendes Prinzip der Konstruktion einer auf die Einheit mit Gott ausgerichteten Wirklichkeit ausweist.« Zu Johannes vom Kreuz vgl. Teuber (2000). 106 Zur Kritik daran vgl. Flasch (1988), bes. S. 439, 451f., 454f. Vgl. Largier (2000), S. 115, für das Plädoyer, ›deutsche Mystik‹ durch ›rheinische Mystik‹ zu ersetzen. 107 Vgl. generell über die Verwendung des Konzepts ›Emotion‹ in der Mystik Largier (2008). 108 Angela wird von Peter Dinzelbacher als »[h]äretische Heilige« bezeichnet, vgl. Dinzelbacher (1995b), S.-60-64. Zur Kommunikationsstrategie in ihrem Text vgl. Emmelius (2004), S.-54-59. 109 Auch Hildegard von Bingen wurde 2012 zur Kirchenlehrerin erhoben. eine Auswirkung auf die Überlieferung der Predigten. Somit veränderten sich durch den ereignisgeschichtlichen Kontext die konstituierenden Parameter der Textüberlieferung. Einen radikal anderen Verlauf konnten mystische Erlebnisse erfahren, indem ihre Rezipientinnen zu Heiligen erklärt wurden, wofür vor allem Katharina von Siena, Birgitta von Schweden 102 oder Teresa von Ávila 103 stehen. Auch männliche Mystiker stiegen zu Heiligen auf, so zum Beispiel Johannes vom Kreuz, oder wurden wie etwa Heinrich Seuse im Jahr 1831 zumindest in den Rang der Seligen aufgenommen. Die Jahreszahl bei Letzterem zeigt an, dass die Seligsprechung trotz der weiten Verbreitung seiner Texte im Mittelalter erst sehr viel später erfolgte, während in anderen Fällen die ereignispolitische Kanonisation zu einer gesteigerten Überlieferung führte. 104 Das Beispiel Heinrich Seuse zeigt aber auch, dass sich zu diesen Beobachtungen die Vorstellungen der zu diesen Texten und Personen arbeitenden Forschenden der Neuzeit gesellen, deren Einschätzungen ebenfalls beachtet werden müssen. Die spanische Mystik des 16. Jahrhunderts, vor allem Teresa von Ávila und Johannes vom Kreuz, wurde in der historiographischen Retrospektive gerade in der anglo-amerikanischen Forschung als Hö‐ henkamm der katholischen Mystik beschrieben. 105 Die deutsche Forschung, insbesondere die Germanistik, fokussierte sich in der Vergangenheit vor allem auf das mystische Drei‐ gestirn Eckhart, Tauler und Seuse als die Spitze einer spezifisch ›deutschen‹ Mystik. 106 Diese Konzentration hatte zur Folge, dass der ›Frauenmystik‹ im Vergleich zur dominikanischen ›Intellektuellenmystik‹ eine emotionale Komponente attribuiert wurde. 107 Dass die Rahmenbedingungen für bestimmte Kollektive in mentalitätsgeschichtlicher Hinsicht auch noch in der Gegenwart einem Wandel unterliegen, beweist etwa die Heiligsprechung von Angela da Foligno im Jahr 2013. 108 Andere Frauen erhielten neue Auszeichnungen, wie an der Erhebung Katharinas von Siena zur Kirchenlehrerin 1970 oder zur Schutzpatronin Europas 1999, zusammen unter anderem mit Birgitta von Schweden, exemplifiziert werden kann. 109 Es erscheint somit notwendig, mittelalterliche und neuzeit‐ liche Rezeption zusammenzuführen. 1.3 Kulturhistorische Annäherungen an die Konstruktion ›frauenmystischer‹ Texte 31 110 Dabei gab es auch bereits im Mittelalter Kritik an den beiden, vgl. etwa für die Kritik Gersons an Birgitta Roth (2001), S.-189-195. 111 Vgl. grundsätzlich für das Konzept Assmann (2013). 112 Vgl. für diese eher zufällig ausgewählten Beginen Dinzelbacher (2012), S.-153f. bzw. S.-117-120. 113 Vgl. etwa die Aufmerksamkeit, die Mechthild von Magdeburg nach der Edition von Neumann im Jahr 1990 zuteilwurde, vgl. Neumann / Vollmann-Profe (1990 / 1993). So verzeichnet, bei aller methodischen Vorsicht, der Katalog der Regesta Imperii unter ›Mechthild von Magdeburg‹ seit 1991 174 Publikationen, in der Zeit vor 1990 ledig‐ lich 69, vgl. http: / / opac.regesta-imperii.de/ lang_de/ suche.php? page=1&; qs=Mechthild+von+Mag‐ deburg&ts=&ps=&tags=&ejahr=&thes=&sprache=&sortierung=d&pagesize=20&objektart=alle (31.3.2023). 114 Vgl. etwa die unterschiedlichen Ansätze der beiden opera magna, einerseits aus literaturwissenschaft‐ licher germanistischer Perspektive von Kurt Ruh, andererseits aus Perspektive des amerikanischen Theologen Bernard McGinn. Für das Beispiel Gertrud von Helfta vgl. Ringler (2005), S.-365f. 115 Vgl. Flasch (1988), S.-454f. Marguerite Porète auf der einen sowie Katharina und Birgitta auf der anderen Seite stellen zwei extreme Pole für die Rezeption mittelalterlicher Mystikerinnen dar, 110 zwischen denen sich andere Personen platzieren und folglich auch verschiedenste Textualisierungs‐ prozesse einzelner Werke beobachten lassen. Allerdings stellt der jeweilige Grad an ›Orthodoxie‹ einer Mystikerin lediglich eine Möglichkeit dar, Mystikerinnen in Gruppen einzuordnen. Alternativ kann auch eine Hierarchisierung nach Popularität erfolgen, auch wenn hier ebenfalls eine genaue Quantifizierung unmöglich erscheint. Trotzdem offenbaren sich Unterschiede: Einige Mystikerinnen sind, gerade im Falle von Heiligspre‐ chungen, innerhalb größerer Kollektive bekannt. Sie fanden also Eingang in ein bestimmtes ›kulturelles Gedächtnis‹ 111 , was sich unter anderem etwa am Beispiel von Straßen- oder Gebäudebenennungen oder durch die Erhebung zu Patroninnen von Städten, Regionen oder Ländern zeigt - im Falle Katharinas und Birgittas sogar von Europa insgesamt. Im Gegensatz dazu sind zahlreiche Mystikerinnen selbst innerhalb eines akademischen kulturellen Gedächtnisses kaum bekannt - Namen wie Gertrud von Ortenberg, Gertrud van Oosten oder Beatrijs von Nazareth erreichen allenfalls auf regionaler Ebene oder in spezifischer wissenschaftlicher Literatur mit einer überschaubaren Anzahl an Publika‐ tionen gewisse Bedeutung. 112 Die Aufmerksamkeit im wissenschaftlichen Diskurs spielt ebenfalls eine Rolle im Verlauf solcher Entwicklungen. So eröffnet etwa eine neue kritische Edition der jeweiligen Texte neue Forschungsperspektiven, wobei sie zugleich bestimmten Intentionen unterliegt, wie die bereits angesprochene Kritik Cerquiglinis verdeutlicht. 113 Dabei erschwert die universitäre Auffächerung in Disziplinen wie klassische und germa‐ nistische Philologie, Theologie, Philosophie und Geschichte eine umfassende Aufarbeitung des Phänomens ›mittelalterliche Mystik‹. 114 Zusätzlich erfährt der Diskurs dadurch Hinder‐ nisse, dass ein Großteil der wissenschaftlichen Arbeiten in der jeweiligen Nationalsprache geschrieben wurde (und wird), wobei gerade im 19. Jahrhundert die Propagierung einer nationalen Identität und damit auch eine nationalspezifische Mystik eine wichtige Rolle spielte - deutlich nachweisbar im Falle der ›Deutschen Mystik‹ und Eckharts. 115 ›Frauenmystik‹ nahm auf der anderen Seite allein durch ihren Status als solche eine gesonderte Rolle ein. Von der Forschung des 19. Jahrhunderts bis hin zu Rahner als unter‐ geordnet betrachtet, entdeckte die Geschlechterforschung diese Form der Mystik als eine Möglichkeit für Frauen, innerhalb einer männlich dominierten Gesellschaft ihre Stimme 32 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 116 Einen anderen Weg schlägt Köbele (2007), S. 151, bei ihrer Untersuchung ein, wenn sie »die Binnenperspektive« betrachtet und auf das jeweilige Heiligkeits-Konzept hin untersucht (Beispiele: Mechthild von Magdeburg, Eckhart, Seuse, Sebastian Franck). zu erheben. Allerdings erreichte diese methodische Richtung teilweise ein Extrem, indem einigen Mystikerinnen eine große Bedeutung zugeschrieben wurde, die deutlich anderen empirischen Triftigkeiten, etwa der Überlieferung, widersprach. Solche Wertungen lassen sich daher eher als Spiegel zeitgenössischer Positionen ablesen denn als historische Fakten über die Mystikerin. Aber auch an diesem Beispiel kann nachgewiesen werden, inwieweit sich die eigene Gegenwart in der jeweiligen Forschungsaktivität manifestiert und dabei bestimmte kollektive Mentalitäten widerspiegelt. Wenn solche Parameter historischer Narrationsbildung berücksichtigt werden, die ein bestimmtes Bild einer Mystikerin konstruieren, so schließt dies selbstverständlich auch nicht-literarische Elemente ein, etwa artifizielle Manifestationen wie Skulpturen oder ikonographische Zeugnisse. Auch diese stellen, vor allem bei kanonisierten Mystikerinnen, eine Popularitätssteigerung dar, die einerseits ›von oben‹ gesteuert, aber auch in der Perspektive ›von unten‹ aus verfolgt werden kann. Dies gilt sowohl auf diskursivem wie auch handlungspraktischem Niveau, etwa im Performanzcharakter innerhalb des Kirchenraumes anhand bestimmter Rituale oder liturgischer Berücksichtigung. Diese Beobachtungen bedeuten zusammenfassend, dass in der Folge nicht das Ergebnis einer solchen Entwicklung der Mystikerin und ihres Textes durch die Geschichte untersucht wird. Viel eher werden der Prozess selbst und die auf diesem Weg enthaltenen Stationen und Faktoren zum Untersuchungsobjekt. 116 Es ist dieser Prozess, der Umschlagpunkte auf dem Pfad zwischen Häresie oder Heiligsprechung, Vergessen oder Massenverehrung aufweist und zugleich ein Panorama an schriftlicher Überlieferung enthüllt, welches auf dem Rezeptionsweg produziert wird. Für mittelalterliche Mystikerinnen kann die Überlieferung selbst bereits ein deutlicher Indikator für Interpretationen sein. Eher breit überlieferte Texte tendieren dazu, ›orthodox‹ beurteilt worden zu sein, wobei die Verbreitung der Texte von offizieller Seite oder zumindest von bestimmten Kollektiven gesteuert wurde. Begleitet wird diese Tendenz durch verstärkt auftretende rituelle Praktiken, etwa Reliquienverehrung oder religiöse Kunst. Etabliert wird somit die Schaffung eines Kultes als Erinnerungsform innerhalb eines sozialen Kontextes. Wenn man also versucht, die Überlegungen des vorherigen Unterkapitels als auch die kulturgeschichtlichen Elemente zu vereinen, so kann festgestellt werden, dass die jeweilige Textkonstituierung in diachroner Hinsicht von differierenden Faktoren bestimmt wird. Schreiber bzw. Redaktor, Autor(ität) sowie die jeweilige rezipierende Person unterliegen einem historisch-kulturellen Wandel, der je nach Zeitpunkt zu verschiedenen Textualisierungsprozessen und somit unterschiedlichen textuellen Repräsentationen führt. 1.4 Mechthild von Hackeborn in der Forschung Fasst man die bisher erwähnten Punkte zusammen, so erscheint die Situation Mechthilds von Hackeborn auf den ersten Blick schwer in ein solches System integrierbar. Obwohl sie 1.4 Mechthild von Hackeborn in der Forschung 33 117 Vgl. etwa das Malteserstift St. Mechthild in Leipzig-Eutritzsch, vgl. http: / / www.malteser-altenhilfe-s achsen.de/ unsere-einrichtungen/ malteserstift-st-mechthild.html (31.3.2023). Dort befindet sich eine Bronze-Statue Mechthilds von Markus Gläser. 118 Vgl. zuletzt Newman (2018) mit einem Überblick über die Diskussion. Newman vermutet (S. 71) vor allem die Feier des Heiligen Jahres 1300 als Berührungspunkt, da Dante in Rom mit Pilgern aus den Reihen der Dominikaner in Berührung gekommen sein könnte. 119 Vgl. Zieger (1974). Vgl. ausführlich dazu Kapitel 1.4.2. 120 Vgl. Hubrath (1996). In Kurzform vgl. dies. (1999). 121 Ebd., S.-131. 122 Vgl. etwa den Eintrag von Dinzelbacher (1999) im Lexikon des Mittelalters, für den englischspra‐ chigen Raum exemplarisch die Darstellung bei Finnegan (1991). bereits früh als Heilige verehrt wurde, erfolgte keine offizielle Kanonisation. Auf ähnliche Weise spiegelt die praktische Ausgestaltung ihrer Verehrung im kulturellen Gedächtnis nicht den Status innerhalb der Amtskirche wider. Nur wenige sie abbildende Statuen oder Gemälde existieren. Kaum eine Kirche verwendet ihr Patrozinium, wenn ihr auch in einigen Kollektiven ein bestimmter Grad an Verehrung entgegengebracht wird. 117 In der Dante-Forschung wurde immer wieder, jedoch ohne letztlich überzeugenden Beweis, eine Identifizierung Mechthilds mit Matelda vorgeschlagen, was eine sehr frühe literarische Rezeption Mechthilds in Italien bedeuten würde. 118 Ein solcher Befund wirft insbesondere im Hinblick auf die breite Überlieferungssituation des Liber im Mittelalter Fragen nach den dazugehörigen Gründen auf. Hierbei wird in einem ersten Schritt auf die allgemeine Forschungssituation eingegangen, bevor die text‐ geschichtliche Forschung kritisch betrachtet wird. Im Anschluss erfolgen darauf aufbauend methodologische Überlegungen. 1.4.1 Mechthild-Forschung im Überblick Die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen als Ausdruck eines ›akademischen Gedächtnisses‹ ist verschwindend gering, gerade im Gegensatz zu prominenteren Mysti‐ kerinnen. Nur zwei Monographien beschäftigen sich ausschließlich mit Mechthild, wovon die Dissertation Manfred Ziegers zur Überlieferung letztendlich nicht publiziert wurde. 119 Die andere Studie, vorgelegt von Margarete Hubrath - ebenfalls eine Dissertation -, behandelt den Komplex ›Memoria‹ im Liber specialis gratiae und rückt besonders den kollektiven Aspekt sowohl bei der Produktion des Textes als auch inhaltlich durch die narrative Verankerung des Konvents in den Vordergrund. 120 Gleichzeitig erhält der Text durch die »memorative Aktualisierung des Heilsgeschehens gemäß dem christlichen Erinnerungsgebot« 121 eine identitätsstiftende Funktion für die Schwestern des Helftaer Konvents, welche einerseits ihre Mitschwester (vor allem in Buch VII), aber auch sich selbst in den Text einschreiben. Die Anzahl an Aufsätzen zur Hackebornerin ist zahlreicher, wobei es sich in der Mehrheit der Fälle um einführende Kapitel in theologischen Studien handelt, die Mechthild in ihren Kontext der Mystik in Helfta einordnen. 122 Solche Narrationen, zumeist an der Biographie der ›Autorin‹ orientiert, konstituieren Mechthild in der Regel an der Schnittstelle zwischen Mechthild von Magdeburg, die wohl den letzten Lebensabschnitt in Helfta verbrachte, und 34 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 123 Vgl. zum Beispiel Harrison (2013), S.-297f. 124 Vgl. Schmidt (1987) für die Behauptung einer direkten Abhängigkeit, für die jedoch bis heute ein kritischer Nachweis, insbesondere in der Überlieferung, fehlt. Vgl. auch Kirakosian (2017c), S. 257-259. Als Beispiel einer Gebetssammlung, natürlich mit bestimmten Intentionen erstellt, vgl. Richstätter (1930). 125 Vgl. Voaden (2010), S. 437: »Mechtild’s descriptions of her visions are imbued with creative vitality.« Ähnlich schon Caroline Walker Bynum (1984), S. 212: »Mechthild’s visions are much more vivid, poetic, and affective than Gertrude’s and, to some tastes therefore, more beautiful.« 126 Vgl. für einen Überblick zur Diskussion unter Berücksichtigung der Moskauer Fragmente Nemes (2013). Der mitteldeutsche Dialekt kann nach den Funden in den Moskauer Fragmenten bestätigt werden. 127 Schmidt (1987), Haas (1982), S. 226, sowie Unger (1993), S. 21, plädierten für eine deutsche Erstfassung, Ruh (1993), S. 301, und Stölting (2005), S. 226f. votierten zusammen mit der Majorität der Forschung für Latein. Hubrath (1998), S. 172, schlug die Möglichkeit eines Mittelwegs vor: Während Mechthild ihre Visionen auf Deutsch diktierte, verschriftlichten die Mitschwestern diese auf Latein. Ähnlich Newman (2017), S.-1. 128 Vgl. v.-a. Grundmann (1935). 129 Vgl. Beutin (1997), S. 64. Vgl. auch überblicksartig mit Fokus auf den schreibenden Frauen des 12.-Jahrhunderts Newman (2012), bes. S.-378-389. 130 Strohschneider (2006), S.-77. ihrer jüngeren Mitschwester Gertrud ›der Großen‹. 123 Andere Überblickswerke verbinden die Hackebornerin mit Gertrud, aber aus rein theologischer Perspektive, in der Darstellung als zentrale Personen in der Ausbildung einer Herz-Jesu-Verehrung, um auf diese Weise eine ideengeschichtliche Linie hin zur spanischen Mystik, allen voran Teresa von Ávila, zu ziehen. 124 Die englischsprachige Forschung setzte früher ein, da für sie die Meinung Rahners und anderer keine bedeutende Rolle einnahm. Die Literaturwissenschaft besaß andere Gründe, um Mechthild fernab der theologischen Relevanz zu vernachlässigen. Für sie bot Mechthild aus literarischer Sicht keinen wirklichen Anreiz - gerade im Vergleich zur älteren Begine gleichen Namens, die ihre theologische Extravaganz mit kühner Sprachverwendung verband und daher wesentlich interessanter war. Allerdings ist bei dieser Einschätzung in den letzten beiden Dekaden ein allmählicher Sinneswandel zu beobachten. 125 Im Vergleich zur Magdeburgerin, die ihren Text auf Deutsch verfasste, 126 mussten die Germanisten sich erst mit dem aufgestellten Diktum auseinandersetzen, dass der Liber zuerst auf Latein veröffentlicht wurde. Die Mehrheit der Forschung folgte dieser Meinung, die daher in den jüngeren Arbeiten weitgehend als anerkannt gelten darf. 127 Für die literaturwissenschaftliche Beschäftigung innerhalb der Altgermanistik sorgten gerade die verdienstvollen Arbeiten des Historikers Herbert Grundmann für neue Im‐ pulse. 128 Bis dahin hatte diese nur wenige Texte berücksichtigt, die nicht von den großen ›deutschen‹ Mystikern Eckhart, Seuse und Tauler stammten. 129 Dabei stellt sich die gene‐ relle Frage, inwieweit man dem Text durch eine kulturwissenschaftliche Betrachtung und unter Überwindung akademischer Disziplinen gerechter werden könnte: Das - sozusagen - philologische Prinzip des sola scriptura organisiert nicht mehr wie von allein disziplinäre Identität. Vielmehr wird es im Gegenteil selbst in seiner historischen Kontingenz befragbar; man sieht dann, dass dieses Prinzip zum Beispiel spezifische Koppelungen von Schrift, Text und Semantik institutionalisiert, welche keineswegs universal funktionieren. 130 1.4 Mechthild von Hackeborn in der Forschung 35 131 Ruh, Bd. 2 (1993), S. 303. Zur Kritik daran schon Beutin (1997), S. 66, der gleichzeitig ein anderes Nar‐ rativ verfolgt und die Werke Gertruds und Mechthilds als »[d]ie vermutlich besten, auf deutschem Territorium entstandenen Werke der Frauenmystik […]« bezeichnet. 132 Vgl. als Zusammenfassung des Forschungsansatzes und gleichzeitig paradigmatisches Beispiel Eliass (1995), zur Methodik bes. S.-3-20. 133 Vgl. zu Autorschaft und Autorität Kapitel 2. 134 Vgl. hierzu den Parallelfall in den Nonnenviten, in denen ebenfalls »dem Priester in seiner Funktion als Sakramentsspender keine allzu grosse Bedeutung beigemessen wird«, so Zimmermann (1993), S. 75, über eine Stelle, in der anstatt des Priesters Christus selbst ans Bett einer Kranken tritt und die Abendmahlsworte spricht. Vgl. auch Voaden (2010), S. 435, und Angenendt (2009), S. 269: »Christus gewährte, was die Kirche verwehrte.« 135 Zum Verhältnis zwischen Nonnen und Priestern in den Helftaer Schriften vgl. Harrison (2022), S.-215-255. 136 Vgl. für die Funktion des Mittlers und die damit im Mittelalter verbundene Problematik Angenendt (2009), S. 124-126. Bei Gertrud wird diese Funktion noch expliziter hervorgehoben, vgl. Jaron Lewis (1990), S.-62-67. Vgl. hierzu auch Harrison (2013), S.-305-307. 137 Peters (1988b), S.-98. Ein solcher Paradigmenwechsel zeigt sich gerade im Werk Kurt Ruhs, der sich einerseits noch nicht völlig von den theologischen Vorwürfen gegenüber ›frauenmystischen‹ Texten lösen konnte oder wollte, die die Texte als ›Privatoffenbarungen‹ verstanden, andererseits aber eine literarische Qualität gerade der volkssprachlichen Texte propagierte: »Von der Mitte des 13. Jahrhunderts an ist Mystik überwiegend und in ihren bedeutendsten Texten volkssprachlich.« 131 Während Ruh durch dieses Narrativ einen Übergang von einer frühen lateinischen hin zu einer volkssprachlichen Mystik zu zeichnen versuchte (die letztendlich doch wieder auf Eckhart als Gipfelpunkt zulaufen sollte), so zeigt die Überlieferung, dass sich der Liber diesem Schema einerseits geradezu entzieht - sich andererseits aber durch seine volkssprachliche Rezeption in das Narrativ Ruhs einfügen lässt. Einen dezidiert anderen Schwerpunkt bezüglich einer Beschäftigung mit Mechthild von Hackeborn setzte die feministische Forschung, die, angefangen mit Caroline Walker Bynum, eine ›genuin weibliche Theologie‹ in Helfta auszumachen versuchte. 132 Zentrales Argument einer letztendlich produktionsästhetischen Sichtweise stellt das Fehlen männli‐ cher Beichtväter dar, wie sie in anderen mystischen Schriften auftreten - bzw. im Zuge der Rezeption zu solchen stilisiert werden. 133 An die Stelle eines (männlichen) Priesters tritt die Mystikerin selbst, die im direkten und unmittelbaren Austausch mit Gott steht - und somit eine männliche Begleitperson überflüssig macht. 134 Selbstverständlich bedarf es bei der Vertretung einer solchen These auch wieder der Fokussierung auf bestimmte Kapitel, etwa I, 1b, in dem explizit Mechthild selbst die Funktion des Priesters übernimmt und den Kelch mit Christi Blut verteilt - in anderen Kapiteln, in leicht entschärfter Form, tritt Christus selbst als Zelebrant der Konventsmesse auf (I, 4 oder V, 6; in Letzterem in Funktion als Krankenseelsorger). 135 Auch die Fähigkeit Mechthilds, durch ihre Fürsprache und Gebete Seelen aus dem Fegefeuer oder der Hölle zu retten, führt zu einer Sonderstellung. 136 Peters versteht dies als intentionalen Prozess, obgleich im Text feste Beweise dafür fehlen: [S]ie [i. e. die Texte; L. U.] unterlaufen damit - zumindest im Prestige der religiösen Rolle der Visionärin - die faktische Ausgrenzung der Frauen von der Autorität der Geistlichen. Diese selbstbewußten Zisterzienserinnen vermeiden geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen und scheinen jedenfalls in ihren Visionen keine Einschränkung ihres Aktionsradius zu kennen. 137 36 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 138 Peters (1988b), S. 102, setzt für die Nonnenviten diese »literarisch fruchtbare Kooperation« als programmatische Ausgestaltung erst für das 14. Jahrhundert an. Vgl. hierzu auch Bürkle (1999), S. 7. 139 Vgl. Zimmermann (1993), S. 14. Dies mag evtl. für die Nonnenviten gelten, für einen Text mit einer solchen Breitenwirkung wie dem Liber zeigt jedoch die Rezeption, dass diese viel ›offener‹ erfolgte. Zu Zimmermann als Antwort auf eine Lesart des Textes als ›wörtlich-konkrete Lektüre‹, wie sie etwa von Langer verstanden wurde, der streng zwischen Eckharts Denkmodell und den Nonnenviten trennt, vgl. Bürkle (1999), S.-42. 140 Vgl. Richstätter (1924), S. 82-87. Vgl. hierzu auch Zarowny (1999), der Gertrud und Mechthild in eine Tradition der Aristoteles-Rezeption zu stellen versucht. Das methodische Problem der Arbeit besteht allerdings darin, dass vorrangig mit der mittelenglischen Übersetzung gearbeitet und auf die handschriftliche Überlieferung überhaupt nicht Bezug genommen wird. 141 Vgl. hierzu differenzierend Newman (2017), S.-23f. 142 Vgl. grundsätzlich zu Teresas Positionen Delgado (2015), für den Aspekt der »inszenierten Rhetorik« bes. S.-285. 143 Vgl. Richstätter (1924), S. 75, für dessen Urteil über das Helftaer Schrifttum: »Der Duft einer bräutlichen, großmütigen Liebe zum Erlöserherzen, der aus ihnen [i. e. Gertrud und Mechthild; L. U.] weht, nimmt den Leser unwillkürlich für die Verehrung des göttlichen Herzens gefangen.« Dass im umgekehrten Fall einer solchen Perspektive die Selbststilisierung des Priesters Albert in der Leipziger Handschrift als männlicher Beichtvater, etwa analog zur Lux divinitatis, begegnet, erhält dagegen weniger Bedeutung. 138 Viel eher betont die geschlech‐ tergeschichtliche Forschung die compassio Mechthilds, die zu einer strikt individuellen Erfahrung führt und von jedem Rezipienten bzw. jeder Rezipientin nachvollzogen werden kann - unter Rückgriff auf eine topische Bildersprache, die dennoch - trotz zahlreicher Rückgriffe auf Kirchenväter - spezifisch neue Dimensionen aufweist und Akzente setzt, etwa im Bereich der Passionsmystik oder der Brautmystik. Bisweilen wurde sogar versucht, das Konzept der ›Frauenmystik‹ aufzugeben und zu ersetzen durch die Definition als »Texte, die im 14.-Jahrhundert von Frauen für Frauen geschrieben worden sind« 139 . Dass mit der Neubesiedlung Helftas auch in der Forschung ein Perspektivenwechsel einherging, der einer spezifischen Frömmigkeit in Helfta nachzuspüren versuchte, kann ebenfalls beobachtet werden. Dieser Umstand stellt jedoch bei weitem nicht das einzige Beispiel für den Umgang der Forschung mit Mechthild dar, welche sich im Anschluss an die Edition von Solesmes mit dem Liber beschäftigte. Bereits eine der frühen Publikationen von Carl Richstätter, einem Jesuitenpater, setzte den Schwerpunkt auf die Herz-Jesu-Fröm‐ migkeit und begründete somit einen Interessensschwerpunkt, der bis heute die Forschung bestimmt. 140 Dabei werden spezifische Kapitel des Liber in den Vordergrund gerückt, die die spezielle Verehrung des Herzens Jesu thematisieren. 141 Diese Verbundenheit des Einzelnen mit Christus, die sich geistesgeschichtlich über Bernhard von Clairvaux, die beiden Viktoriner bis hin zu Teresa von Ávila, 142 Franz von Sales und Margareta Maria Alacoque verfolgen lässt, aber auch ekklesiologisch verstanden werden kann (Herz Jesu als Quelle der Kirche), besaß Auswirkungen auf die Textgeschichte. Während einerseits bestimmte mittelalterliche Handschriften den Fokus auf Herz-Jesu-Kapitel legten, wobei diese vor allem im zisterziensischen Kontext zu verorten sind, lässt sich andererseits gerade durch die Beschäftigung der Kölner Kartäuser im 17. Jahrhundert eine weitere Fokussierung beobachten, wie sie etwa an dem von Lansperger herausgegebenen Legatus Gertruds deutlich wird. Somit lassen sich Richstätter und auf ihn folgende Forschungsarbeiten in eine Traditionslinie einordnen, die dem Text bestimmte Rezeptionskanäle zuweist. 143 1.4 Mechthild von Hackeborn in der Forschung 37 144 Vgl. McGinn (1998) und ders. (2005). 145 In wenigen Fällen begegnen noch Versuche, in denen von einer temporal verortbaren Faktizität der Visionen (wie auch aller anderer biographisch deutbaren Aussagen) ausgegangen wird, vgl. etwa Caron (1995), S.-512: »Mechthild’s visions and revelations did not take place in one single year.« 146 Vgl. etwa Geyer (1992), S. 222, über die Vita der Maria von Oignies als expliziter Gegenentwurf zur Lehre der Katharer. Vgl. dazu Bürkle (1994), S.-137. 147 Als Beispiel für eine inhaltlich ausgerichtete Traditionslinie von Mechthild, Angela da Foligno und Marguerite Porète anhand der annihilatio vgl. Newman (2016). Umgekehrt zieht Korntner (2012) durch ihren Titel bereits eine deutliche Trennlinie. 148 Vgl. etwa am Beispiel einer neueren körpergeschichtlichen Arbeit unter komparatistischer Perspek‐ tive auf Mechthild von Magdeburg, Elsbeth von Oye und Margery Kempe Kügeler-Race (2018). Für eine inhaltliche Auseinandersetzung über beide Mechthilden anhand der visionären Schau vgl. Schmidt (1985), wobei sich nur zwei Seiten mit der Hackebornerin befassen, hingegen über 15 mit der Magdeburgerin. Auch der amerikanische Theologe Bernard McGinn wählte in seiner großangelegten Studie über die christliche Mystik eine bestimmte Vorgehensweise bei der Eingliederung Mechthilds in seinen chronologisch verlaufenden Überblick. Während im Kapitel zuvor die drei Beginen Hadewijch, Marguerite Porète und Mechthild von Magdeburg behandelt werden, so gruppiert McGinn die Hackebornerin zusammen mit Gertrud als Angehörige monastischer Denominationen ein, in diesem Fall als Zisterziensermystikerin, und stellt diese dabei neben kartäusische und dominikanische Mystikerinnen. Bedeutsam ist weniger, dass eine Betonung der zisterziensischen Elemente des Liber erfolgt, sondern dass Mecht‐ hild überhaupt in den Band eingruppiert wird, der den Abschnitt von 1200-1350 behandelt, und nicht in den Band über die spezifische Mystik im Reich zwischen 1300 und 1500 - in dem dann wiederum Eckhart, Tauler und Seuse dominieren. 144 Diese Entscheidung bedeutet vor allem, dass Mechthild biographisch-chronologisch eingeordnet wird und nicht aus Rezeptionsperspektive. 145 Mechthild wird also nicht aus Sicht der Überlieferung eingeordnet, sondern aus systematischer Perspektive. Eine weitere zentrale und bereits angesprochene Traditionslinie, die sich aus der vorher‐ gehenden zwangsläufig ergibt, besteht in der ›Verortung‹ Mechthilds zwischen Orthodoxie und Heterodoxie, die selbstverständlich eigene Akzente setzt. 146 Dies stellt gerade einen Un‐ terschied für die Kontexte dar, in denen Mechthild in eine Tradition spezifisch ›orthodoxer‹ Heiliger gestellt wird, wobei sie in beinahe sämtlichen mittelalterlichen Handschriften auch als solche bezeichnet wird, etwa in Verbindung mit Birgitta, Katharina von Siena oder Hildegard von Bingen. Die Alternativsetzung wäre hierbei, eine Traditionslinie mit Beginen bzw. spannungsreicheren Texten, etwa Marguerite Porète, Hadewijch oder eben der Magdeburgerin herzustellen. 147 Auch hier lässt sich eine Fokussierung auf unterschiedliche inhaltliche Akzente setzen, wie etwa an den größeren Handbüchern betrachtet werden kann. 148 Es wird evident, dass auch in diesem Fall die Auswahl der Kapitel selektiv erfolgt und die Extraktion selbiger aus dem Gesamtkontext mit der gleichen Methode geschieht, die mittelalterliche Redaktoren Jahrhunderte früher verfolgten. Burkhard Hasebrink for‐ mulierte in definitorischer Schärfe über die Beschäftigung mit Redaktoren: 38 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 149 Hasebrink (2009), S.-136. 150 Hierbei lassen sich zentrale Bestandteile des in der Forschung freilich umstrittenen Konzepts des Paradigmenwechsels von Thomas S. Kuhn bestimmen, vgl. Kuhn (1962). 151 Vgl. Zieger (1974), S. 11-72, für die fremdsprachigen Textzeugen S. 71f. Für den italienischen Textzeugen vgl. Malgarini / Vignuzzi (2003) und dies. (2006). Für eine katalanische Übersetzung vgl. Romero (2017). 152 Vgl. zu den Drucken insbesondere Kapitel 7.1. 153 Vgl. Zieger (1974), S. 11-74. Für eine mittlerweile ca. 370 Handschriften umfassende Sammlung vgl. das von der British Academy geförderte Projekt ›MMMMO - Mechthild’s Medieval Mystical Manuscripts Online‹. Das Spannende an der Untersuchung eines Redaktors liegt in der Annahme, daß er zwar keinen eigenen Text verfaßt, aber ihn doch analog zu einem Autor bearbeitet, d. h. seine Arbeit am Text ähnlichen, vor allem auktorial verantworteten Sinn- oder Kohärenzkriterien unterwirft. 149 Es stellt sich die Frage, inwieweit eine solche Annahme auch auf den Editor übertragen werden kann. Verschiebungen institutioneller Natur spielen bei einer solchen Betrachtung ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle. 150 Dass sich hierbei wieder Auswirkungen auf die textuelle Gestalt ergeben, ist offensichtlich und kann an den verschiedenen Textaus‐ gaben abgelesen werden, wie die weiteren Kapitel zeigen werden. Diese unterschiedlichen Textmanifestationen charakterisieren die Offenheit des Textes und markieren sie gleich‐ zeitig als solche. 1.4.2 Die textgeschichtliche Forschung zum Liber specialis gratiae Im Vergleich zu den neuzeitlichen Faktoren der Rezeption, die vor allem eine wissen‐ schaftshistorische Dimension besitzen, wirkt die handschriftliche Überlieferung wie ein Paradoxon. Als Manfred Zieger Informationen zur Überlieferung in den frühen Siebzigern zusammentrug, identifizierte er ungefähr 300 Handschriften, verstreut über das gesamte deutschsprachige Gebiet. Daneben registrierte er Übersetzungen ins Dänische, Schwedi‐ sche, Englische und Irische, wobei in der Folgezeit weitere Übersetzungen identifiziert werden konnten, etwa eine italienische Version. 151 Diese Sprachenvielfalt beweist, dass Mechthilds Text in weiten Teilen des Reiches und Europas gelesen wurde und zwar nicht nur punktuell, sondern in breitem Ausmaß. Aufgrund der Erwartung weiterer Funde und Identifikationen durch neue bzw. bessere Handschriftenkataloge kann ein Überblick über alle erhaltenen Textzeugen des Liber specialis gratiae nur als vorläufig betrachtet werden. Auch machte die Textgeschichte keineswegs vor dem Medienwechsel von Handschrift zu Buchdruck halt, wie zahlreiche gedruckte Ausgaben bis ins 18. Jahrhundert zeigen. 152 Die reine Anzahl an Überlieferungszeugen wirft daher Fragen nach ihrer ›Qualität‹ bzw. ihrem Status auf. Im Rahmen seiner Studie legte Zieger eine Liste aller ihm bis dato bekannten Hand‐ schriften an, die auch Grundlage für die vorliegende Arbeit war. 153 Zieger unterteilte seine Liste, geordnet nach quantitativem Liber-Bestand, in vier Gruppen. Zu Gruppe A wurden diejenigen Handschriften gerechnet, die den vollständigen Textbestand der sieben Bücher überliefern. Alle Handschriften, die hingegen eine verkürzte Fassung mit den ersten fünf Büchern beinhalten, jedoch mehr oder weniger der Kapitelzählung von Gruppe 1.4 Mechthild von Hackeborn in der Forschung 39 154 Kritik an Ziegers Einteilung findet sich bereits bei Hubrath (2002), S.-283. 155 Vgl. z.-B. die Handschriften aus Lichtenthal, aber auch diejenigen aus St. Nikolaus in undis. 156 Zieger (1974), S.-9. 157 Vgl. ebd., S.-9. Vgl. auch S.-82f. 158 Ebd., S.-83. A ähneln, wurden zu Gruppe B zusammengefasst. Gruppe C beinhaltet alle Exzerpte, deren Kapitelstruktur nicht der Reihenfolge von A und B entspricht. Die Textabschnitte können aber teilweise beträchtliche quantitative Ausmaße annehmen und überliefern keinesfalls nur einzelne Kapitel. Gruppe D grenzt sich schließlich von C dadurch ab, dass in ihr vor allem Einzelkapitel und Kleinexzerpte aufgeführt werden, die sich in Gebets- und Andachtsbüchern finden. Betrachtet man jedoch die Überlieferung selbst, so ergeben sich erste Fragen in Bezug auf die vorgenommenen Zuweisungen, da sie das Bild der Überlieferung in mehrfacher Hinsicht verzerren. 154 So werden bei einer solchen Gruppeneinteilung grundsätzlich Handschriften auseinandergerissen, die in engem Über‐ lieferungszusammenhang stehen. 155 Als wesentlich problematischer ist jedoch die grundsätzliche Einteilung zu bewerten. So wird durch die Klassifizierung in die Gruppen A bis D eine hierarchische Struktur erstellt, die den Textträgern in bestimmten Gruppen für die Textgeschichte eine signifikant höhere Bedeutung zumisst. Eine solche Einteilung widerspricht jedoch der tatsächlichen Überlieferungssituation. Überhaupt besitzt Gruppe A für die Rezeption bei weitem nicht die Bedeutung von Gruppe B, wie die volkssprachliche Überlieferung beweist, da nur der Leipziger Druck von 1503 innerhalb des deutschen Überlieferungszweiges Gruppe A zugerechnet werden kann. Die absteigende Hierarchie bis hinab zu den für die Textgeschichte weniger bedeut‐ samen Klein(st)überlieferungen in Gruppe D, deren Handschriften laut Ziegers Definition Exzerpte mit einem Umfang »zwischen wenigen Zeilen und 6-8 Kapiteln« 156 des Liber überliefern, lässt auch im Übergang der beiden Gruppen C und D schwammige Konturen erkennen. Welche Gründe führen zu einer Einordnung in eine der beiden Gruppen, wenn die quantitative Textmenge als nicht entscheidendes Merkmal gilt? Der von einem ›Originaltext‹ ausgehende Zieger argumentierte dabei, dass D alle Textexzerpte zugeordnet werden, die »in Gebets- und Andachtsbüchern verstreut« 157 zu finden seien. Somit führte er an dieser Stelle paratextuelle Elemente sowie den Überlieferungskontext als Argumente für eine Unterscheidung ein, die zuvor in seinen Überlegungen keine Rolle gespielt hatten: Der wesentliche Unterschied zwischen einer Auswahlhandschrift [i. e. Gruppe C; L. U.] und einem Gebetbuchfragment [i. e. Gruppe D; L. U.] besteht (abgesehen vom Umfang) darin, daß jene ein ganz bestimmtes Werk (oder das eines ganz bestimmten Autors) festhalten möchte, daß es bei einem Gebetbuch aber in erster Linie auf die Situation ankommt, für die ein Gebet gebraucht wird. Es ist dabei weniger wichtig, ob das Gebet von Mechthild oder wem auch immer stammt […]. 158 Zieger attribuierte somit bestimmten Handschriften differierende Intentionen, nämlich die pragmatische Anwendung als Gebetsliteratur, um seine Kategorie D (die es bei Bromberg noch nicht gab; s. dazu weiter unten) zu legitimieren. Dabei ergeben sich gerade durch die Redaktionen am Text innerhalb einer solchen pragmatischen Literatur bedeutsame Einblicke in die Literaturproduktion des 15. Jahrhunderts, wie an einem lateinischen Bei‐ 40 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 159 Vgl. ebd. 160 Zitiert nach Zieger (1974), S.-83. 161 Liber (1877), S.-197. 162 Zum locus amoenus bei Gertrud in der Gestalt eines Lustgartens oder einer Marmorgruft vgl. Ringler (2005), S.-380f. Vgl. zum Garten in den Helftaer Schriften ebenfalls McAvoy (2021), S.-141-194. 163 Liber (1877), S.-198. 164 Zieger (1974), S.-82. 165 Vgl. ebd., S. 84. In der Handschrift finden sich die jeweiligen Stellen auf f. 51r, 53v und 89v. Vgl. die Incipits bei Zieger (1974), S.-84, Anm.-7. spiel exemplarisch ausgeführt werden soll. So betrachtete Zieger die Salzburger Handschrift Cod. b VII 10 als prototypisches Beispiel eines Überganges zwischen Gruppe C und D. 159 In dieser Handschrift findet sich das Kapitel III, 2 in der Weise reproduziert, dass ein Wechsel der Sprecherrollen beobachtet werden kann: In missa quadam dixit ad Dominum: O amantissime, doce me laudare te. Cui Dominus: Lauda me in quinque sensibus meis. Sequitur oracio formalis de quinque sensibus: Laudo te, amantissime Jhesu, pro visu amabili […].  160 Vergleicht man den hier gebotenen Text mit demjenigen der Edition (laut Zieger eine Annäherung an den ›echten‹ Text), so fällt vor allem der Verlust der gesamten ›Rahmen‐ handlung‹ auf. In der dort beschriebenen Vision entschwindet Mechthild mit dem Herrn an einen idealtypischen locus magnae amoenitatis  161 , eine mit Blumen bewachsene Wiese, auf der die Seele in Gestalt eines Schafes weidet. 162 Auf die auch in der Salzburger Handschrift zitierte Aufforderung an den Herrn, ihr zu zeigen, wie er zu loben sei, erhält sie als Antwort eine aus fünf Blättern bestehende Rose, die dem Herzen Gottes entspringt. Erst jetzt folgt die verbale Erklärung, wie sie Gott loben solle. Im Anschluss werden die fünf Rosenblätter, die die fünf Sinne charakterisieren, einzeln ausgelegt, jedoch aus auktorialer Perspektive und nicht aus derjenigen Mechthilds: Et [ Mechthild; L. U.] intellexit quod Deum laudare deberet, pro visu amabili […]. 163 Deutlich wird, dass die Salzburger Handschrift die Vision Mechthilds verkürzt darbietet und lediglich den didaktischen Inhalt in Gebetsform dem Rezipienten präsentiert. Für den an der Erstellung eines textgeschichtlichen Stemmas interessierten Philologen Zieger waren solche umformulierten Passagen der Gruppe D unbedeutend, wobei bereits Gruppe C, also die sogenannten Exzerpthandschriften, als »für die [i. e. Ziegers; L. U.] Arbeit ohne Bedeutung« 164 eingestuft wurde. Allerdings musste Zieger selbst einräumen, dass bereits die für seine Arbeit zentrale Wolfenbütteler Handschrift Cod. Guelf. 1003 Helmst. an mehreren Stellen in Gebete umgearbeitete Kapitelabschnitte bietet, so zum Beispiel die Abschnitte I, 25b, I, 26b oder II, 24. 165 Doch da die gesamte Handschrift bei Zieger in Gruppe A einsortiert wurde, erwartet man solche Umformulierungen in gerade dieser zentralen Handschrift nicht. Die angeführten Beispiele zeigen also deutlich die Problematik der Kategorisierung Ziegers auf. Auf der einen Seite existieren undurchsichtige Randbereiche zwischen den einzelnen Gruppen, auf der anderen Seite verstärkt die a posteriori getroffene Einteilung die durch die Überlieferung nicht gedeckte Abtrennung der Textzeugen. Die Wolfenbütteler Handschrift offenbart noch eine zusätzliche Schwierigkeit. In Ad‐ dition zum ›Volltext‹ findet sich im weiteren Verlauf der Handschrift zwischen einigen 1.4 Mechthild von Hackeborn in der Forschung 41 166 Vgl. f.-203v-204r. 167 Vgl. Zieger (1974), S.-12 (Nr.-8) sowie S.-29 (Nr.-22). 168 Vgl. etwa die Handschrift Nürnberg, Stadtbibliothek, Cod. Cent. VII, 51, f. 2r-5r, welche dasselbe Kapitel (I, 47) in unterschiedlichen Formen bietet. Dasselbe gilt für den Codex Augsburg, Universi‐ tätsbibliothek, Cod. III.1.8° 50, f.-113r-116v, ebenfalls für das Kapitel I, 47. 169 Für bestimmte Bibliotheken ist dabei die Aufarbeitung weiter fortgeschritten, vgl. etwa im Fol‐ genden exemplarisch für Orte der Mechthild-Rezeption: neben der Kartause Basel (Kap. 3) v. a. die Handschriften aus St. Matthias in Trier (http: / / stmatthias.uni-trier.de, 31.03.2023), für das Kloster Tegernsee Bauer (1996), für Kirchheim am Ries Schromm (1998), für Eberbach Palmer (1998), für St. Nikolaus in undis in Straßburg vor allem Hornung (1956), Rüther / Schiewer (1992) und Lentes (1996), Bd. 1, S. 99-138, für St. Katharina in Nürnberg Willing (2012). Solche Kontextualisierungen eröffnen eine sinnvolle Perspektive, die von autorschaftsgebundenen Perspektiven divergiert. 170 Vgl. Zieger (1974), S. 82. Vgl. hierzu die Beobachtung von Ochsenbein (1988), S. 393, dass nur wenige Stundenbücher aus dem alemannischen Raum überliefert sind (in dessen Liste nur 9 von 120 Stun‐ anderen Gebeten noch einmal eine Version des Kapitels I, 43. 166 Da der Text hier in Gebets‐ form steht, blieb Zieger nichts Anderes übrig, als den Codex neben der Eingruppierung in A auch in Gruppe D ein zweites Mal aufzuführen. 167 Somit zeigt die Wolfenbütteler Handschrift bereits in sich eine uneinheitliche Überlieferung, mit der eine hierarchisch strukturierte textgeschichtliche Methode ihre Probleme besitzt. Eine ähnliche Problematik lässt sich auch bei anderen Handschriften beobachten. 168 Unbestreitbar ist Ziegers Untersuchung sehr verdienstvoll, jedoch bedarf die Auflis‐ tung der zahlreichen Textzeugen eines differenzierteren methodischen Zugriffes. War für Ziegers stemmatische Untersuchung die verwendete Methode der Hierarchisierung ein schlüssiges Vorgehen, so konnte dennoch aufgezeigt werden, dass die Erstellung eines Archetyps aufgrund der bearbeitenden Tendenzen bereits in den ältesten Handschriften ein unmögliches Unterfangen darstellt. Im Rückgriff auf die Überlieferung kann festgestellt werden, dass der Text im Laufe seiner Rezeption und der damit verbundenen (Re-)Produk‐ tion einem ständigen Wandel unterworfen war. Statt aus der Varianz einen ›Originaltext‹ herzustellen, sollte die Forschung das Augenmerk eher auf die einzelnen Textträger in ihrem jeweiligen Kontext richten und spezifische Charakteristika der Wandlungsfähig‐ keit des Liber herausarbeiten. Dass ein solches Vorgehen gerade bei den lateinischen Handschriften aufgrund der schlechten Zustände der Bibliothekskataloge oder fehlender Digitalisate nur unzureichend möglich ist, ist offensichtlich. Es bedarf zuerst einer grundle‐ genden paläographischen und kodikologischen Aufarbeitung des Überlieferungsmaterials, um bestimmte rezeptionsorientierte Fragen beantworten zu können. 169 Bei aller methodischen Kritik an Ziegers Studie dürfen dabei ihre durchaus gewinn‐ bringenden Ergebnisse nicht vernachlässigt werden. Eine durchwegs textgeschichtlich orientierte Arbeit steht nicht notwendigerweise im Widerspruch zu rezeptionsorientierten Fragestellungen. Viel eher verspricht eine Kombination beider Methoden fruchtbare Ergeb‐ nisse und kann insbesondere Verbreitungswege und -mechanismen aufzeigen, unter denen die Rezeption des Liber nachgezeichnet werden kann. So konnte Zieger allein aufgrund seiner quantitativen Auflistung zeigen, dass die von ihm als Gruppe C bezeichneten lateinischen Auswahlhandschriften vor allem im Südosten des deutschen Sprachraums auftreten, hingegen nur vereinzelt in den niederländischen oder -deutschen Überlieferungs‐ zentren. 170 Dafür konnte Gruppe B für die volkssprachliche Tradition als bedeutsamste Kategorie identifiziert werden, da eine dieser Handschriften die lateinische Vorlage für 42 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte denbüchern, die vor 1530 verfasst wurden), während der überwiegende Teil als ›Privatgebetbücher‹ klassifiziert werden kann. Im mittelniederländischen Raum überwiegt dagegen das Stundenbuch. 171 Vgl. Zieger (1974), S.-82. 172 Wie das Beispiel der Kartause Basel zeigt, ist diese Annahme jedoch mit Vorsicht zu genießen. 173 Zieger (1974), S.-82. 174 Vgl. ebd. Für die Diskussion, ob die Übersetzung der mittelenglischen Version aus einer lateini‐ schen oder niederländischen Handschrift erfolgte, vgl. die konträren Meinungen von Hendrix (1982) und Gillespie / Sargent (1983). Ersterer plädiert für eine Übersetzung aus der Volkssprache, Gillespie / Sargent hingegen sprechen sich für das Lateinische als Ausgangssprache aus. 175 Wie sich jedoch zeigt, musste er bei den verschiedenen Einzeluntersuchungen der Überlieferungs‐ zweige mehrfache Kontaminationen einräumen. 176 Vgl. Bromberg (1965), S.-465. 177 Vgl. ebd. die erste niederländische Übersetzung gewesen zu sein scheint, wobei der Beginn der dortigen Überlieferung Zieger zufolge ungefähr auf 1420 angesetzt werden kann. 171 Auch die (ober-)deutsche Tradition, die laut Zieger ungefähr 40 Jahre später einsetzte, blieb in der Tradition von Gruppe B, sodass sich ausschließlich Kapitel aus den ersten fünf Büchern in den volkssprachlichen Handschriften finden. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die letzten beiden Bücher der Edition den volkssprachlichen mittelalterlichen Rezipienten der Handschriften vollkommen unbekannt waren, was im Übrigen bis auf vereinzelte Ausnahmen für das siebte Buch auch für die lateinischen Handschriften gilt. 172 Interessanterweise bezeichnete Zieger die meisten Textzeugen der Gruppe B als »breite Überlieferungszweige ohne Verbindung zu den deutsch / niederländischen Fassungen« 173 , was der Methodik seiner Herangehensweise konsequent entspricht. Wäre er nämlich aufgrund der diffizilen Überlieferungssituation von ständigen Kontaminationen zwischen den lateinischen und volkssprachlichen Handschriften ausgegangen, so wäre ein Rekonstruktionsversuch des ›originalen‹ Textes von Beginn an zum Scheitern verurteilt gewesen. Da Zieger jedoch die Vorstellung der lateinischen ›Urfassung‹ aufrechterhielt und die Theorie einer langsamen Zersplitterung des Textes in die sich gegenseitig nicht tangie‐ renden Volkssprachen hinein vertrat (auch die Übersetzungen ins Englische und Schwe‐ dische seien unabhängig von der deutschen / niederländischen Tradition entstanden 174 ), erschien für ihn die fehlende Kontamination nur als logischer Beweis der Berechtigung seiner Forschungsintention. 175 Dabei folgte er der Methode Brombergs, der wenige Jahre zuvor die mittelniederländische Überlieferung mit der philologisch-kritischen Methode zu erschließen versucht hatte. Dieser hatte postuliert, dass die gesamte niederländische Tradition auf eine Urübersetzung zurückzuführen sei, die jedoch zwei unterschiedliche Vorlagen miteinander kompiliert habe, nämlich eine für das erste Buch sowie eine zweite, aus der die Bücher II-V stammten. 176 Diese Urübersetzung habe sich schließlich in drei verschiedene Stränge aufgeteilt, wobei Bromberg besonders der von ihm als ›Tekstvorm II‹ bezeichneten Gruppe Aufmerksamkeit schenkte, da sie den Text in einer ganz eigenen Reihenfolge darbietet, ohne Bucheinteilungen vorzunehmen. 177 Eine solche Überlieferung aus einer Nijmwegener Handschrift findet sich in Brombergs zweitem Teil der Untersuchung kommentiert abgedruckt, sodass sich hier eine Vergleichs‐ 1.4 Mechthild von Hackeborn in der Forschung 43 178 Vgl. ebd., S. 190-463. Bromberg bietet den Text als Paralleldruck mit einer lateinischen Utrechter Handschrift (Universitätsbibliothek, Hs. 4 G 2; früher Hs. 247) und berücksichtigt außerdem die Varianten des Solesmenser Druckes im Apparat. 179 Vgl. das Stemma bei Bromberg (1965) im Anhang. Zur Kritik vgl. Zieger (1974), S. 94-101. Zu den Bedingungen der kritischen Methode vgl. Stackmann (1964). 180 Zieger (1974), S.-94. 181 Vgl. ebd., S.-36-58. 182 Ziegers Arbeit ist Newman (2017) unbekannt, weswegen dort vor allem mit Brombergs Erkennt‐ nissen gearbeitet wird, vgl. ebd., S.-26f. 183 Zieger (1974), S.-104. 184 Für einen Überblick über die neuere Forschung zum Verhältnis zwischen Latein und Volkssprache (etwa die Arbeiten von Vollmann-Profe, Hasebrink und Köbele) vgl. das Kapitel 3 zur Kartause Basel. möglichkeit bei der Betrachtung der übrigen volkssprachlichen Textzeugen ergibt. 178 Insgesamt kann Bromberg so für die niederländische Überlieferung ein Stemma erstellen, welches bereits bei Zieger auf erste Kritik stieß, der auf mögliche Kontaminationen mit lateinischen Handschriften, Substitutionen durch andere volkssprachliche Handschriften sowie überlieferungsgeschichtliche Dynamiken hinwies, was der Anwendung der kriti‐ schen Methode den Boden entzogen hätte, wie bereits Stackmann herausgearbeitet hatte. 179 Zurecht kritisierte Zieger die bei Bromberg fehlende Fragestellung, inwieweit denn das Werk in der volkssprachlichen Rezeption des 15. Jahrhunderts noch dieselbe Bedeutung hatte wie 100-150 Jahre zuvor, mit anderen Worten, aus welchem Grund es damals ins Niederländische übersetzt wurde und sich dann offensichtlich größerer Beliebtheit erfreute. 180 Gerade die Tatsache, dass die exzerpierende Rezeption der Gruppe D, die ja nicht als ein‐ heitliche Kategorie verstanden werden darf, sondern viele unterschiedliche Auswahltexte in differierenden Facetten umfasst (laut Zieger im Niederländischen 114 Handschriften), lässt auf eine Beliebtheit in besonderem Ausmaß schließen. 181 Der Umstand, dass Bromberg die Gruppe D überhaupt nicht beachtete, da diese für ihn aufgrund seiner stemmatischen Erschließung keine wichtige Rolle einnahm, zeigt die verschiedenen Einstellungen bei der Annäherung an Mechthilds Text auf. Zieger kritisierte das Vorgehen nach Lachmannscher Prägung und wies durch die Betonung der bereits angesprochenen Möglichkeit einer gegenseitigen Beeinflussung lateinischer und volkssprachlicher Handschriften auf die Revisionsbedürftigkeit von Brombergs Stemma hin. 182 Allerdings vermied es Zieger, sich grundsätzlich von der textkritischen Methode zu lösen, versuchte er doch lediglich, die von ihm vorgebrachten Kritikpunkte innerhalb des textphilologischen Methodenapparates zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund lassen sich bestimmte Unterstellungen bezüglich der Inten‐ tionalität mittelalterlicher Schreiber erklären, für die sich in der Überlieferung keine Nachweise finden, wie etwa die Behauptung, dass man bei vorhandener niederländisch-la‐ teinischer Mischüberlieferung »von vornherein weiß, nach welcher Hs. sich der Schreiber im Zweifelsfall gerichtet hat: nach der lateinischen, da Mechthilds Werk als ursprünglich lateinisches galt.« 183 Der sich bei solchen Annahmen selbstverständlich ergebende metho‐ dische Zirkelschluss ist offensichtlich. 184 Erst die Existenz paratextueller Elemente, die einen volkssprachlichen Text eindeutig als Übersetzung kennzeichnen würden, der darüber hinaus auf ein Bewusstsein einer lateinischen Urfassung hinwiese, würde eine solche 44 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 185 Vgl. etwa Kapitel 3 für die Marginalie, in der als ›Korrekturhandschrift‹ des Carpentarius in der Basler Kartause der Pariser Druck herangezogen wurde. Allerdings sind sowohl der Druck als auch die Handschrift lateinisch. 186 Zieger (1974), S.-144. 187 Es handelt sich bei der Vollhandschrift um die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstandene Handschrift Kopenhagen, Arnamagnæanske Institut, Cod. AM 798.4°. 188 Vgl. Zieger (1974), S. 154. Für ein Beispiel, das deutliche Beeinflussung durch eine lateinische Handschrift aufweist, vgl. ebd., S.-159f. 189 Vgl. ebd., S.-207. 190 Dieser (Verwirrung stiftende) Akt, bestimmte Handschriften als ›Vollhandschriften‹ zu bezeichnen, selbst wenn sie nur die ersten fünf Bücher beinhalten (sowie teilweise erheblich weniger), kann in mehreren Handschriftenkatalogen verfolgt werden. 191 Vgl. Zieger (1974), S.-207. 192 Colmar, Stadtbibliothek, Ms. 334, und Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 67. Betrachtung stützen. Trotz der Tatsache, dass die meisten Handschriften solcher Angaben entbehren, 185 beschränkte sich Zieger letztendlich aber doch auf den eigentlichen Text. Zwar gelang es ihm, in Ergänzung zu Bromberg einige bedeutende Fallstudien zu einzelnen Handschriften und deren Abhängigkeiten vorzulegen - unter anderem belegte er schlüssig anhand mehrerer Beispiele verschiedene Kontaminationen -, letztendlich musste er jedoch für die niederländische Tradition einsehen, dass seine Methode schließlich in eine Aporie mündet: »[Es] gibt zu viele Varianten, die auch bei günstigerer Überlieferungslage unge‐ klärt bleiben müßten.« 186 Auch für die moselfränkische Tradition, die lediglich aus einer an‐ nähernden Vollhandschrift (d. h. einer Handschrift aus Gruppe B) besteht sowie zahlreiche Gebetbuchfragmenten einschließt, konnte Zieger keine eindeutige Vorlage identifizieren. 187 Hierbei lassen sich starke Indizien dafür finden, dass dieser Überlieferungszweig von der niederländischen Tradition beeinflusst wurde und der Einfluss des Niederländischen viel größer war als Kontaminationen mit lateinischen Handschriften, die zur Korrektur herangezogen wurden. 188 Da durchaus auch Tangierungen zu der oberdeutschen Überlie‐ ferung nicht ausgeschlossen werden können, sind die rheinfränkischen Handschriften aus textgeschichtlicher Hinsicht nicht strikt von den oberdeutschen Handschriften trennbar. Im Folgenden sei abschließend spezifisch auf die oberdeutsche Textgeschichte einge‐ gangen: Laut Zieger verläuft die oberdeutsche Verbreitung des Liber analog zur niederlän‐ dischen Tradition, da einige Gemeinsamkeiten festgestellt werden können. 189 So existieren nur wenige ›Vollhandschriften‹, wobei im oberdeutschen Bereich hierunter, aufgrund der Absenz von A-Handschriften, kürzende Handschriften der Gruppe B zu verstehen sind, denen eine Vielzahl an Exzerpten gegenübersteht. 190 Allerdings ist die Anzahl der bisher identifizierten Exzerpthandschriften bei weitem nicht mit derjenigen der niederdeutschen und vor allem der niederländischen Tradition vergleichbar. Ferner ist auch im Bereich der oberdeutschen Handschriften eine Beeinflussung durch lateinische Handschriften festzu‐ stellen, auch wenn Zieger dennoch die Existenz einer einzigen Urübersetzung postuliert, von der die anderen oberdeutschen Handschriften abgeleitet werden können. 191 Dabei spielen sowohl die Colmarer als auch die Karlsruher Handschrift eine bedeutende Rolle. 192 Erstere lässt sich nach Ziegers bekanntem Muster aus der niederländischen Tradition ableiten, zeigt aber auch deutliche Korrekturvorgänge unter Berücksichtigung lateinischer 1.4 Mechthild von Hackeborn in der Forschung 45 193 Vgl. Zieger (1974), S. 218. Für zahlreiche Beispiele, die diese Position unterstützen, vgl. ebd., S. 209- 217. 194 Vgl. ebd., S.-252f. 195 Es handelt sich um die Kapitel I, 1, 5, 7, 8, 12, 26, 27, 29. Vgl. zu der Handschrift Hilg (1987). Im Katalogeintrag durch Hagenmeier (1988), S.-40, erfolgt kein Hinweis auf die Liber-Exzerpte. 196 Vgl. Zieger (1974), S.-253-256. 197 Ebd., S.-226. 198 Ebd., S.-227. 199 Ebd., S.-228. 200 Vgl. ebd., S.-281. Handschriften. 193 Die Karlsruher Handschrift stellt für die textgeschichtliche Forschung die wichtigste Handschrift des oberdeutschen Überlieferungsverbundes dar. Laut Zieger kann sie sicher als Übersetzung einer lateinischen Handschrift angesehen werden, wobei die Vor‐ lage näher an der niederländischen Tradition gestanden haben muss als dies etwa bei dem Leipziger Druck von 1503 der Fall war. Aus diesem Grund finden sich einige Beispiele, die den oberdeutschen Text der Karlsruher Handschrift eng an die niederländische Tradition rücken. 194 Unbeachtet blieb von Zieger dabei die Tatsache, dass schon ungefähr 30 Jahre vor der Karlsruher Handschrift Ausschnitte aus dem Liber in einem oberdeutschen Textzeugen nachgewiesen werden können. In der Handschrift Freiburg, Universitätsbibliothek, Hs. 192, um 1430 in einem oberrheinischen Frauenkloster entstanden, finden sich Exzerpte aus dem ersten Buch in ein Marienleben eingearbeitet. 195 In Bezug auf die weiteren von Zieger als Vollhandschriften bewerteten Textzeugen Stuttgart, Landesbibliothek, Cod. theol. 2° 284 sowie Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 344 und Ms. germ. qu. 434 kann Zieger zwar Zusammenhänge aufzeigen, ein direktes Abhängigkeitsverhältnis zu anderen Handschriften aber nicht nachweisen. 196 Ähnliches gilt für den Leipziger Druck von 1503, der im Unterschied zur bisher behandelten volkssprachlichen Überlieferung nicht der verkürzten Version B, sondern der längeren Version A entspricht - und damit laut Zieger einer »textgeschichtlich früheren Stufe« 197 . Dass bei Ziegers Argumenten bezüglich des Druckes jedoch Vorsicht geboten sein muss, zeigt ein Widerspruch in seinen Aussagen. Behauptet er an einer Stelle, dass der Dominikaner Marcus von Weida, der für den Text verantwortlich gemacht werden kann, von »der niederländischen Tradition […] keine Kenntnis« 198 besessen habe, so erfolgt nur wenige Sätze später folgende Aussage: [Der Leipziger Druck von 1503] ist keine neue Übersetzung aus dem Lateinischen, sondern zunächst eine Übernahme aus dem Niederländischen, die durch eine A-Handschrift beeinflußt worden sein muß. 199 Nachdem Zieger also herausarbeiten konnte, dass sich in der oberdeutschen Bearbeitung drei verschiedene Gruppen bilden lassen, als deren Hauptvertreter die Karlsruher Hand‐ schrift, der Colmarer Codex sowie der Leipziger Druck gelten, stellt sich für ihn die Frage, ob alle diese Bearbeitungen auf eine einzige Übersetzung zurückgeführt werden können. Doch auch hier kommt Zieger lediglich zu einem für ihn unbefriedigenden Ergebnis. Zwar gelangt er zu der Erkenntnis, dass im Falle einer tatsächlichen oberdeutschen ›Urübersetzung‹ diese eine Vorlage der Karlsruher Handschrift gewesen sein müsste, allerdings sei die Textgestalt des daraus abgeleiteten Karlsruher Überlieferungsträgers am weitesten von dem lateinischen ›Urtext‹ entfernt. 200 Die Erstellung eines kritischen 46 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 201 Ebd., S.-304. 202 Ebd. 203 Vgl. Löser (2016), S.-6. 204 Vgl. Kirakosian (2017a), S.-221. Textes selbst unter Zuhilfenahme des Druckes oder der Colmarer Handschrift sei somit unmöglich, da bei der Übernahme aus dem Niederländischen immer auch die Hinzunahme einer lateinischen Handschrift als Korrekturhandschrift anzunehmen ist. Letztendlich gelangt Zieger nicht nur für die oberdeutsche Überlieferung zu dem bereits von Anfang an durch seine verwendete Methode erwartbaren Ergebnis: [A]us Gründen, die in der Traditionsgeschichte des Werks zu suchen sind, muß man von vornherein mit einer redigierten Übersetzung vorliebnehmen, deren Wortlaut man zwar ungefähr kennt, aber nicht mehr herstellen kann, auch nicht mehr herzustellen braucht. 201 Gegenüber seinem anfangs formulierten Ziel, dem ›Urtext‹ näher zu kommen, vollzieht Zieger letztendlich eine komplette Wende. Nicht mehr das Original soll im Vordergrund stehen, sondern die einzelnen Überlieferungsträger: Denn auf sie [i. e. die Originalfassung; L. U.] als den textlichen Ausgangspunkt kommt es weniger an als auf die verschiedenen Ergebnisse, wie sie in den immer wieder überarbeiteten Handschriften vorliegen […]. 202 Hierbei postuliert Zieger bereits Ziele, die die ›Würzburger Forschergruppe‹ in ihren überlieferungsgeschichtlichen Untersuchungen in den folgenden Jahren - allerdings an anderen Texten - verfolgen sollte. Die Ergebnisse Ziegers sowie manche von ihm erforschten textgeschichtlichen Zu‐ sammenhänge bilden somit eine nützliche Ergänzung bei der Betrachtung einzelner Textzeugen. Infolge einer Einbettung in den textgeschichtlichen Kontext erlaubt der jeweilige Codex Aussagen über die spezifische Textgestalt und die damit verbundene Rezeption des Liber zu treffen. Standen bei Ziegers hierarchisch strukturierten Gruppen andere Schwerpunkte im Vordergrund, so soll im Folgenden die Textgestalt der einzelnen Handschriften im Vordergrund stehen. Somit lässt sich die textgeschichtliche Forschung in eine überlieferungsgeschichtliche Perspektive überführen. 1.4.3 Methodologische Perspektivierung des Forschungsüberblicks Führt man die bisher vorgestellten Ausführungen zusammen, so kann konstatiert werden, dass durchaus gewisse Kontinuitäten in der Rezeption des Liber festgehalten, gleichzeitig aber auch Veränderungen beobachtet werden können. Die Auswirkung zeigt sich auf verschiedenen Ebenen - während der einzelne Überlieferungsträger einerseits als textuelle Manifestation einen bestimmten Einblick in Rezeptionsvorgänge in einem spezifischen Kontext gewährt, somit spezifische Forderungen der überlieferungsgeschichtlichen Me‐ thode praktisch umsetzt, 203 so gibt andererseits die Produktion eines solchen Textträgers wiederum neue Impulse für den jeweiligen Kontext. Die Überlegung Kirakosians erscheint somit sinnvoll, Lösers Konzept der ›Schriftmystik‹ zu ›Schreibmystik‹ zu erweitern, um den Prozesscharakter zu betonen. 204 Der einzelne Textzeuge lässt sich sowohl als Repräsentant 1.4 Mechthild von Hackeborn in der Forschung 47 205 Hasebrink (2009), S.-182. 206 Vgl. hierzu Kapitel 2. 207 Vgl. Löser (2012), S.-158, Kirakosian (2017a), S.-247, Lutz (2012), S.-14. eines Austauschprozesses charakterisieren, gleichzeitig werden solche Verhandlungen auch immer durch Textproduktion (oder eben deren Nicht-Präsenz) angestoßen. Auf einer weiteren Ebene können Verbünde bzw. Netzwerke beobachtet werden, welche bestimmte Leitlinien aufzeigen bzw. anhand derer sich bestimmte größere Schwankungen offenbaren, sei es eine Rezeption in einem bestimmten Kloster wie der Kartause Basel, bei den Kölner Kartäusermönchen des 17. Jahrhunderts, oder etwa im forschungsgeschichtli‐ chen Rahmen der Beginenforschung im 20. Jahrhundert - der Blick auf die Varianz zeigt exemplarisch auf, »wie sehr uns Ordnungskategorien wie Systematik und Chronologie den Blick verstellen können für Ambivalenzen und Verschiebungen, Umbenennungen und Inkongruenzen« 205 . Dass sich diese strukturellen Entwicklungen wiederum in Text‐ trägern widerspiegeln, ist daher konsequent - ähnlich wie sich umgekehrt das einzelne Überlieferungszeugnis in größere Strukturen einbetten lässt, wobei neben textuellen Dynamiken auch andere, außerliterarische Aspekte betrachtet werden müssen, zu denen neben kirchenpolitischen Entscheidungen auch säkularpolitische Gegebenheiten gehören, was sich am Beispiel der Zerstörung Helftas und dem daraus resultierenden Fehlen eines Erinnerungsortes zeigt. Auf einer dritten Ebene manifestieren sich schließlich bestimmte Phänomene, welche nur allmählichen Schwankungen unterliegen und sich letztendlich ebenfalls in Einzelzeug‐ nissen manifestieren. Beispiel hierfür ist etwa der Umgang der Rezeption mit Mechthilds Rolle als Frau sowie mit ihrer allgemeinen Stellung als Mystikerin im Spannungsfeld zwi‐ schen Autorität und Autorschaft. 206 Der Liber rückt einerseits Mechthild als Empfängerin von Visionen und Auditionen in das Blickfeld, andererseits erfolgt eine Zuschreibung an eine spezifische Person, Mechthild von Hackeborn. Folglich stellt sich auch die Frage nach dem Status des mystischen Textes als Lektüre - im geistigen Nachvollzug der Unio-Erfahrung, als lehrhaftes Exempel für unbegnadete Menschen oder ›lediglich‹ als Objekt wissenschaftlicher Betrachtung. Ein derart differenzierter Umgang mit dem Text entwickelt sowie verändert sich ebenfalls nur über einen längeren Zeitraum. Zwei Aspekte lassen sich festhalten: Erstens wird die Durchlässigkeit der einzelnen Ebenen sichtbar, die sich gerade nicht in hermetischer Abgeschlossenheit voneinander abgrenzen, sondern miteinander im Austausch stehen und fluide Übergänge besitzen. Diese beeinflussen sich gegenseitig und bewirken in gegenseitigen Verhandlungen Verän‐ derungen. Dieser Austausch, der sich im Falle Mechthilds durch das Fehlen bestimmter machtpolitischer Entscheidungen wie einer Kanonisation äußert, offenbart daher Verschie‐ bungen unterhalb einer ereignisgeschichtlichen Ebene, die wiederum aber gleichzeitig immer wieder Auswirkungen auf Textproduktion und -rezeption besitzen. Textmanifesta‐ tionen können daher als Marker ›gelesen‹ werden, regen gleichzeitig aber auch neue Prozesse an und charakterisieren somit den Text geradezu als Prozess. 207 Gerade bei geist‐ lichen Texten, denen verschiedene Funktionen, von Gebetssammlungen über didaktische Unterweisung bis hin zur Vitenlektüre, zukommen, offenbart sich innerhalb der jeweiligen Perspektive eine Differenzierung. Diesen Perspektivierungen, denen auch die akademische 48 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 208 So forderte zuletzt Weigand (2020), S. 91f., verstärkt Rezeptionsstufen wirkungsmächtiger Texte zu edieren. 209 Vgl. Burke (2008), S. 59. Vgl. grundsätzlich Chartier (1988), für eine Definition bes. S. 7f. sowie S. 12. 210 Vgl. Haug (1984) für das Beispiel Mechthild von Magdeburg. 211 Gegen Voaden (2010), S.-445. 212 Vgl. dazu McGinns Perspektive, der Mystik weniger auf die Unio fixiert betrachtet als die altgerma‐ nistische Forschung. Vgl. auch Williams-Krapp (2008), S.-268, und Ankermann (1997), S.-10. 213 Vgl. Abram / Fournier / Nemes (2020). 214 Hierzu bereits Richstätter (1924), S. 84, für eine Textsortenzuweisung der beiden Helftaer Nonnen: »Aber Mechthild übertrifft ihre Mitschwester [i. e. Gertrud; L. U.] durch den großen Schatz von Gebeten und Übungen […]. Bis auf den heutigen Tag werden ihre Herz-Jesu-Gebete wohl mehr benutzt als die der heiligen Gertrud.« Vgl. hierzu auch Bürkle (1999), S.-35. Beschäftigung unterliegt (etwa bei der vorrangigen Beschäftigung der Altgermanistik mit den deutschen Texten Eckharts), nachzuspüren und sie transparent zu gestalten, vermittelt Erkenntnisse über den jeweiligen Textstatus. 208 Folglich lassen sich die beiden zentralen Konzepte der Neueren Kulturgeschichte, die von Burke, in Übernahme der Konzepte von Chartier, als ›representations‹ und ›practices‹ bezeichnet wurden, in die Rezeptionsgeschichte von Texten übertragen und exemplifizieren. 209 Der zweite Aspekt bezieht sich auf spezifisch mystische Texte. Wurde zu Beginn ein Modell entwickelt, welches neben der Beziehung zwischen Subjekt und Gott die zentrale Rolle des Rezipienten herausarbeitet, welcher anhand der mystischen Manifestation in Form eines Textes über das eigentlich Unsagbare selbst in den Nachvollzug treten kann, so lässt sich genau dieser Eintritt des Rezipienten in das mystische Geschehen als zentrales Element mystischer Spiritualität festhalten. Erst das Lesen bzw. das Verbreiten dieses Vorganges und darüberhinausgehend das Berichten über das eigentlich Unberichtbare verhilft der jeweiligen Person zu einer Verbreitung und damit zu einer gewissen Autorität - womit gleichzeitig die Botschaft durch iteratives Erzählen aufs Neue legitimiert wird. 210 Erst durch die Rezeption erhält der mystische Text und damit auch die jeweilige Autorität seinen Status als solche(n) - gleichzeitig erhält der Rezipient durch den Text die Möglichkeit bzw. Chance, selbst zum Subjekt göttlicher Begnadung zu werden und somit einen weiteren Multiplikatoreffekt in Gang zu setzen. Durch das Abschreiben wird trotz der Unmöglichkeit des Nachvollzuges das Unsagbare zum Sagbaren, da das Sagbare trotz aller Offenheit für den Rezipienten zum Nachvollzug äquivalenter, sprich unsagbarer, Erfahrung werden kann. Gleichzeitig kann der Text in anderen - und populäreren 211 - Manifestationen durchaus verschiedenen Zwecken unterliegen, welche sich von mystagogischen Intentionen unterscheiden, etwa in der Form von Gebetbüchern. 212 In dieser letzteren Form ist die Verwendung des Attributes bzw. der Klassifizierung ›mystisch‹ fraglich, womit sich der Text als Fallbeispiel für aktuelle Forschungen, vor allem zum elaborierten Bibliothekskatalog der Kartause Erfurt, zu prämodernen Kategorisie‐ rungen der Gattung ›Mystik‹ eignet. 213 Diese funktionale Variabilität als charakteristisches Kennzeichen kann bereits im Mittelalter für gegenwärtig als ›mystisch‹ klassifizierte Texte als vorherrschendes Kennzeichen nachgewiesen werden. 214 Insofern sich also der Einbezug des Rezipienten als charakteristisch für das ›Genre‹ Mystik klassifizieren lässt, erhält der geschriebene Text die zentrale Bedeutung, die von der direkten Erfahrung 1.4 Mechthild von Hackeborn in der Forschung 49 215 Kiening (2011), S.-10. 216 Vgl. Hubrath (1996), S.-38f. 217 Vgl. Poor (2014), S. 96, für das Fließende Licht: »[T]he later Middle Ages saw a trend towards a more fragmentary reception of devotional writings, particularly in the context of German devotional writing within religious reform movements, the new discoveries remind us that this story has not yet been fully told.« 218 Vgl. Löser (2009b), S.-244. 219 Vgl. Richstätter (1924), S.-73. Die Sperrung im Original. zwischen Gott und Subjekt berichtet und die gleichzeitig Prozess und Produkt darstellt: »Zum einen verschränken sich hier Materialisierung und Dematerialisierung, zum andern werden eine textuelle und eine ontologische Transzendierung der Schrift überblendet.« 215 Da die Offenheit des Textes das zentrale Charakteristikum darstellt, schwankt auch sein Charakter zwischen diesen beiden Polen, indem der Text immer auf Mechthild als Auto‐ rität verweist und gleichzeitig bezüglich seiner Materialität und Reproduzierung immer neue prozesshafte Züge erhält. Gerade die Referenzialität Mechthilds im Spannungsfeld zwischen Autorität und Autorschaft zeigt für den Liber zahlreiche Möglichkeiten auf, wie mit dem Text umgegangen wird. Dieses Spannungsverhältnis - ohne gesteuerte Beeinflussung ›von oben‹ - unter‐ scheidet Mechthilds Text von vielen anderen ›frauenmystischen‹ Texten, da einerseits eine breite Rezeption durch die Jahrhunderte verfolgt werden kann, andererseits der Liber auch immer Teil eines kulturellen Gedächtnisses bleibt und sich trotz diverser Metamorphosen und Transformationen als erinnerungswürdiges Element nachweisen lässt. Dass diese Rezeption jedoch nicht auf die Memoria-Funktion beschränkt bleibt, sondern sich über Jahrhunderte verteilt als spirituelles Angebot erweist, 216 zeigt die Multifunktionalität des Textes, welcher zuletzt, wenn auch erst innerhalb der letzten Dekaden, auch für die Forschung zum Gegenstand ihrer Betrachtungen wurde - je nach Fokussierung aus historischer, theologischer oder literaturwissenschaftlicher Perspektive. 217 Analog zu dem Prediger Eckhart wird also auch die Mystikerin Mechthild »selbst […] vom Redner zum Gegenstand der ›Erzählung‹, vom Akteur zum Gegenstand« 218 . Richstätter hatte bereits in Abgrenzung zu einer rein historischen Betrachtung eine theologische Perspektive betont: Man muß auch immer beachten, daß der Historiker mit der Erforschung der w a h r e n Mystik sich auf ein Gebiet begibt, auf dem er, wenn er nicht selbst ein Mystiker ist, sich immer fremd fühlen wird, daß er also als Unkundiger an das zarteste Verhältnis zwischen der gottminnenden Seele und ihrem Schöpfer zu rühren wagt. 219 Somit belegt aber gerade diese Meinung das Verhältnis im jeweiligen Umgang mit Literatur. Stephen Greenblatt stellte bei Betrachtung der Beziehung zwischen Forschung und For‐ schungsgegenstand, sozusagen auf Meta-Ebene, treffend fest, dass die Literatur ihrerseits die Interpreten geprägt hat und dass es eine komplexe, unvermeidliche und entscheidend wichtige Verflechtung unserer eigenen literarischen Normen und Interessen mit denen, die die Textspuren der Vergangenheit geformt haben, gibt. In der Literaturgeschichte geht es immer um die Beziehung zwischen den Bedingungen, die das literarische Werk für diejenigen, 50 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 220 Greenblatt (2000), S.-28f. 221 Für eine Statusänderung des Übersetzers im Verhältnis zu Autorschaft und Autorität zwischen Latein und Volkssprache, allerdings für das Genre des Kommentars, vgl. Suerbaum (1998), S.-36f. 222 Vgl. Zieger (1973), S. 36-58. Ziegers Liste kann bezüglich der niederdeutschen Handschriften um mindestens 45 Textzeugen erweitert werden. Vgl. für eine Auflistung aller bisher identifizierten Textzeugen http: / / www.helftamysticism.org (31.3.2023). die es schufen, möglich machten, und den Bedingungen, die es für uns selbst möglich machen. Insofern ist Literaturgeschichte immer die Geschichte der Möglichkeit von Literatur. 220 Gerade für das Spannungsfeld der spätmittelalterlichen Frömmigkeitskultur erlaubt die Perspektive auf instabile geistliche Texte besondere Einblicke in persönliche und kollektive Wahrnehmungsmuster sowie in die spezifische Ausgestaltung von Beten, Lesen und Schreiben. Die vorliegende Studie konzentriert sich auf den Textualisierungsprozess in der ober‐ deutschen Rezeption des Liber, die sie diachron untersucht. Diese Fokussierung wird durch drei Kriterien geleitet: Erstens offenbart eine Übersetzung in die Volkssprache gleichzeitig ihren Status als Rezeptionszeugnis, was ihr aus sprachlicher Hinsicht eine Sonderrolle zukommen lässt. 221 Diese Sonderrolle beinhaltet nicht nur Potenzial bezüglich linguistischer Fragestellungen wie bestimmte sinngebende Veränderungen durch Erweiterung bzw. Verengung infolge des Übersetzungsaktes, sondern besitzt auch kulturhistorische Implika‐ tionen, etwa bei einer Übersetzung für eine des Lateinischen unkundige Rezipientenschaft. Mögliche Fragen nach geschlechterspezifischer Rezeption und damit verbundener Netz‐ werke schließen sich daran an. Zweitens lässt sich konstatieren, dass das Oberdeutsche nicht als Dialekt bzw. Schreib‐ sprache im ursprünglichen Entstehungsraum des Textes, also Helfta bzw. dem mitteldeut‐ schen Sprachraum, verwendet wurde. Dieser Umstand rückt weniger sprachgeschichtliche Besonderheiten in den Vordergrund, sondern eher den sozialen Kontext, der für die Verbreitung und Zirkulation des Textes verantwortlich gemacht werden kann, etwa die ver‐ schiedenen Klöster oder Orden. Die mit diesen Kollektiven assoziierten kulturhistorischen Perspektiven geben Einsicht über die Art und Weise, wie der Text gelesen wurde sowie über die Vorstellung, die die Rezipienten von dem Autor bzw. dem Text besaßen. In der oberdeut‐ schen Überlieferung lassen sich damit Rezeptionszeugnisse greifen, die auf eine Wirkung außerhalb des geographischen Entstehungsraums deuten. Auch die wenigen aus dem mitteldeutschen Raum stammenden Handschriften weisen kein besonderes Lokalkolorit auf, etwa eine besondere lokale Verehrung. Bereits hier wird erwähnt, dass zumindest aus quantitativer Hinsicht, in Anschluss an Zieger, kein grundsätzlicher Unterschied zwischen der Verbreitung im oberdeutschen und etwa dem niederdeutschen Sprachraum besteht. Für Letzteren wies Zieger etwa 110 erhaltene Handschriften, zumeist Gebetbücher, mit Mechthilds Text nach. 222 Da jedoch die meisten von ihnen die gleichen Kapitel enthalten, die sich auch in den Handschriften aus dem oberdeutschen Sprachraum befinden, und in formaler Hinsicht ähnlich aufgebaut sind, rechtfertigt dies die Konzentration auf einen bestimmten geographischen Raum. Einige praktische Überlegungen sind ebenfalls für die Auswahl des oberdeutschen Bereiches verantwortlich. Da die Handschriften aus diesem Bereich schon seit längerem 1.4 Mechthild von Hackeborn in der Forschung 51 223 Vgl. für den Überblick Kapitel 4.1, für exemplarische Einzelanalysen Kapitel 5. 224 Vgl. Nemes (2022), der anhand eines Gebetes aus der Lux divinitatis zahlreiche Handschriftenver‐ bindungen und Netzwerke kenntlich machen kann. im Fokus der Wissenschaft stehen, existieren für zahlreiche Bibliotheken und Archive die notwendigen Handschriftenkataloge. Dieses Informationsangebot bietet daher einen ersten Einstieg in den sozialen Kontext der Handschriftenproduktion und -rezeption. Allerdings wird keineswegs der Anspruch erhoben, alle existierenden oberdeutschen Handschriften mit Mechthilds Text zu berücksichtigen. Wie in den folgenden Kapiteln ausführlich behandelt wird, kann in zahlreichen Fällen lediglich eine Übernahme kleiner Exzerpte aus Mechthilds Liber beobachtet werden, die in neuem Kontext platziert werden, allerdings ohne Hinweis auf Herkunft bzw. Autor. Daher ist anzunehmen, dass eine Identifikation der Textstellen bisher nicht immer gelang und solche Überlieferungsfälle in zahlreichen Katalogen keinen Eintrag besitzen. Hingegen liegt die Wahrscheinlichkeit höher, dass bei einem größeren Exzerpt die Zugehörigkeit zum Liber erkannt wurde. Aus diesem Grund wird bei den folgenden Untersuchungen ein kategorialer Ansatz verfolgt, welcher exemplarisch an Einzelhandschriften die Entwicklung der Rezeption untersucht, ohne dabei die Gesamtheit der bekannten Handschriften zu vernachlässigen. 223 An dieser Stelle ist an das nüchterne Fazit aus Ziegers textgeschichtlich orientierter Per‐ spektive zu erinnern. Daher erscheinen die weiter oben skizzierten, eher kulturhistorisch orientierten Fragestellungen, die sich an dem jeweiligen Rezeptionskontext orientieren, geeigneter, um sich der Überlieferung anzunähern, und sie dürften ihrerseits wieder Hilfe‐ stellung für eine dringend benötigte philologisch orientierte Forschung bieten. Philologi‐ sche Beiträge können zweifelsohne Auskunft über Verbreitungswege von Handschriften sowie Einblicke in Reproduktions- und Rezeptionsprozesse bestimmter Kollektive geben. 224 Am Ende einer solchen methodischen Annäherung sollte letztendlich auch eine dringend benötigte volkssprachliche Edition ins Auge gefasst werden. 52 1 ›Frauenmystik‹ im Kontext - eine kulturhistorische Überlieferungsgeschichte 1 Vgl. Senne (2004), S. 141, freilich am Beispiel Mechthilds von Magdeburg. Vgl. zu der breiteren Diskussion, für einen Forschungsüberblick sowie für mediävistische Implikationen der Autorschafts‐ debatten am Beispiel der Erzählliteratur Unzeitig (2010), bes. S. 1-19. Vgl. überblicksartig mit weiterführender Literatur Plotke (2017), S.-85-96. 2 Vgl. Kiening (2015), S. 12f., zur Verbindung zwischen den theoretisch-theologischen Komponenten und der praktischen Ausgestaltung eines Werkes als »Erprobung einer Exegese, die sich als kreative Arbeit am Text versteht« (ebd., S. 20). 3 Zu Bonaventura vgl. Minnis (1988), S.-93f. 4 Vgl. Müller (1999), S.-150. 5 Vgl. Nemes (2010), S.-380. 2 Autorität und Autorschaft im Liber specialis gratiae als konstitutives Merkmal im Wandel der Überlieferung Wie sich in den vorangehenden Untersuchungen erwiesen hat, bleiben große Teile der Liber-Überlieferung mit dem Namen Mechthild verbunden, werden also nicht anonym tradiert. Daher ist es nötig, die Bedeutung von Autorinstanz bzw. Autorität innerhalb dieser Überlieferung zu klären. Unterschieden wird im Anschluss an Elke Senne zwischen einer ›textexternen Autorin‹ als Verfasserin, einer ›textinternen Autorin‹, die vom Text konstruiert wird, sowie einer ›rezipierten Autorin‹ im Zuge der Überlieferung. 1 Hierbei wird aufgezeigt, inwieweit der Liber und seine textuellen Manifestationen mehrdimensio‐ nale Vorstellungen von der Autorperson sowie des Textes literarisch konstruieren, gerade im Zusammenspiel zwischen göttlichem creare und menschlichem facere. 2 Im Folgenden fokussieren die Ausführungen auf den Beitrag des Subjektes, mit dem der Text des Liber assoziiert wird: Mechthild von Hackeborn. Im Rückgriff auf Bonaventuras klassische Unterscheidung zwischen scriptor, compilator, commentator und auctor steht also die Frage nach Letzterem im Vordergrund. 3 Dabei dürfen jedoch die Interferenzen mit den anderen an der Textentstehung beteiligten Instanzen nicht vernachlässigt werden bzw. sind davon nur schwer zu trennen. Grundsätzlich gehen diese Überlegungen von einem offenen Autorschaftsmodell aus, in dem die Größe ›Autor‹ im Zuge der Überlieferung im Plural existiert, wie es Müller formuliert. 4 Nemes plädiert auf ähnliche Weise in Anlehnung an Janota für einen erweiterten Autorbegriff, der zwischen einer produktionsorientierten und einer rezeptionsorientierten Perspektive unterscheidet. Während bei Ersterer im Falle von ›frauenmystischen‹ Schriften nicht von der Bezugsgröße Autor gesprochen werden sollte, so lassen sich im Zuge der Rezeption bisweilen Tendenzen einer solchen Autorzu‐ schreibung nachweisen. 5 Dabei lässt sich beobachten, inwieweit solche Veränderungen in der Überlieferung wiederum Rückwirkungen auf die Manifestation von bestimmten Textzeugen besitzen und sich ein wechselseitiger Austausch zwischen den jeweiligen Ebenen ergibt. Die Frage besteht also darin, ob ein Schreiber tatsächlich nur als Kopist fungiert oder etwa durch das Kopieren in einem bestimmten Kontext nicht auch eine affirmative Funktion hinsichtlich der Herausbildung von bestimmten Traditionen besitzt, etwa in Bezug auf die Existenz einer Autorfigur oder eines stabilen Textkörpers. Hierzu bedarf es zuerst der Untersuchung, inwieweit ein solches Zusammenspiel literarisch (über 6 Für Mechthild von Magdeburg vgl. Suerbaum (2003). 7 Das Problem wird bei Hubrath (1996), S. 48-56, ersichtlich, welche zwar wertvolle Beiträge zu dem hier Besprochenen leistet, aber ausschließlich mit der Edition arbeitet, was besonders bei ihrem Vorschlag zur Gesamtgliederung der sieben Bücher (S. 67) kritisch hinterfragt werden muss. Zur Kritik an der Edition vgl. dies. (1999), S.-234. 8 Beutin (1999), S.-162. 9 Kirakosian (2017a), S.-247. 10 Vgl. vor allem Poor (2004), S. 57-78, zu den Autorisationsstrategien im Fließenden Licht. Zu einer zuvor bereits veröffentlichten Version des Textes vgl. Poor (2000). Vgl. auf der anderen Seite Nemes (2010), S.-13-26, zu den »Zugängen zur Autorschaft« sowie zur Rezeption ebd., S.-309-380. 11 Vgl. Ziegeler / Altrock (2009). die historischen Umstände des Verschriftlichungsprozesses in Helfta lassen sich aufgrund fehlender außerliterarischer Quellen keine konkreten Aussagen herleiten) konstruiert wird. 6 Das methodische Problem, welches sich bei einer solchen Aufgabe stellt, ergibt sich aus der Benutzung der Edition der Solesmenser Mönche. 7 Da diese durch die Kompilation ver‐ schiedener Handschriften eine eigene Version des Textes sowie bestimmte Vorstellungen entwirft, so bedarf es immer des kontrollierenden Rückgriffes auf einzelne Handschriften, um der Fragestellung gerecht zu werden und speziellen thematischen Verschiebungen im Verlauf der Rezeption, die bis zur Edition reichen, nachzugehen. Die Untersuchung erlaubt somit neben einer Auseinandersetzung unter Einbezug des jeweiligen Schreibers und des Rezipienten auch eine Integration der vierten an der Konstitution beteiligten Instanz, Gott. Erst durch diese - literarisch konstruierte - göttliche Legitimation erhält der mystische Text seinen Status als solchen in seiner Materialität. Somit muss auch die Vorstellung von einer wie auch immer gearteten »psychischen Produktion« 8 abgelehnt werden, die letztendlich wiederum zu einer Re-Inthronisierung des Autors führt. Es ergibt sich die Frage, inwieweit der Text als Textkörper narrativ seine Legitimität erhält, anderseits aber auch, welche Signifikanz dem physischen Textträger, der einzelnen Handschrift, zukommt, mit dem der einzelne Leser bzw. die einzelne Leserin konfrontiert wird. Innerhalb solcher Aushandlungsprozesse, die bereits von Anfang an als »Akt des Fließens« 9 konstruiert sind, ergeben sich verschiedene Rezeptionsmöglichkeiten, die durch die Konstitution des Textes bedingt sind. Im umgekehrten Fall resultieren aus diesen Konditionen jedoch neue Konstruktions- und Adaptionsmöglichkeiten. Diese Aushandlungsprozesse lassen sich durch das breite Überlieferungsmaterial exem‐ plarisch an einzelnen Beispielen vorstellen. Dabei ist zu klären, welche Assoziation auch im außerliterarischen Kontext mit Mechthild verbunden wird bzw. inwieweit sich das Spannungsverhältnis der Konstruktion ›Mechthild‹ zwischen den beiden Feldern Autorität und Autorschaft verschiebt. Für Mechthild von Magdeburg wurde eine solche Unterschei‐ dung im Detail schon von Nemes und Poor durchgeführt. 10 Für Heinrich Seuse haben Hans-Joachim Ziegeler und Stephanie Altrock eine wichtige Studie zur Konstruktion von Autorschaft im Zuge der Rezeption vorgelegt. 11 Hierdurch können im Vergleich zu anderen ›frauenmystischen‹ Texten die Spezifika der Hackebornerin und ›ihrem‹ Text nachverfolgt werden. Abschließend kann die Frage geklärt werden, welche Konsequenzen sich aus dem Überlieferungsbefund für eine Betrachtung des Autorschafts- / Autoritäts-Diskurses 54 2 Autorität und Autorschaft im Liber specialis gratiae 12 Inwieweit dies auch durch sprachliche Differenzen bedingt ist, zeigt die Formulierung von Tylus (2009), S. 43, am Beispiel der Katharina von Siena: »What we need to appreciate is not whether Catherine regarded herself as an ›author‹ or a literary figure in the sense that we now come to define it but her belief in the importance, and difference, of words ›consigned to writing‹.« 13 Für einen Überblick im Rückgriff auf Zieger vgl. Hellgardt (2014), S. 138-140. Da zahlreiche Kataloge, insbesondere ältere, nicht streng zwischen ›Sammelhandschriften‹ und ›zusammengesetzten Hand‐ schriften‹ unterscheiden, kann auch in dieser Arbeit nicht immer eine Differenzierung erfolgen, da in zahlreichen Fällen die Katalogangaben übernommen werden. Zur Problematik vgl. Löser (2017a), S.-95-99. 14 Generell zum ›vitenähnlichen Grundriss‹ vgl. Ringler (1980), S.-10. ergeben. Dass bestimmte Grenzen als fließend erachtet werden müssen, versteht sich als Grundvoraussetzung. 12 Das Kapitel unterteilt sich in drei Abschnitte, von denen der erste diejenigen Passagen des Liber berücksichtigt, in denen die Frage nach Autorschaft im Zentrum steht. In einem zweiten Schritt erfolgt die Perspektivierung im Hinblick auf die Autorität, also die Frage nach der Legitimation der Verfasserschaft. Zuletzt werden schließlich diejenigen Textabschnitte besprochen, die die tatsächliche Materialisierung des Textes betreffen. Diese wird im Verlauf des Liber an zahlreichen Stellen thematisiert. Bei allen drei Abschnitten wird berücksichtigt, inwieweit sich Akzentverschiebungen in denjenigen volkssprachli‐ chen Handschriften ergeben, die eine kürzere Version des Textes überliefern, also bei Zieger in der Kategorie B verzeichnet werden. Außerdem finden diejenigen Handschriften Beachtung, die lediglich Exzerpte und einzelne Kapitel überliefern, was vor allem also Gebetbücher und Sammelhandschriften betrifft. 13 Gerade dort offenbaren etwaige Reduk‐ tionen bestimmte Fokussierungen, die Einblick in das jeweilige Verständnis von Mechthild bzw. ihrem Text gegenüber zeigen. 2.1 Die Konstruktion von Autorschaft Der Text der lateinischen Edition porträtiert Mechthild gerade im zweigeteilten Prolog als von Gott inspirierte Person, die von diesem bereits in früher Kindheit favorisiert wird und - gegen den Wunsch ihrer Eltern - nach einem dortigen Besuch in das nahegelegene Kloster eintritt. 14 Dabei wird bereits die Verbindung weiterer an der Verschriftlichung beteiligter Subjekte betont: Bis zu ihrem 50. Lebensjahr verheimlicht Mechthild - in diesem Fall also als ›textinterne Autorin‹ - die Visionen ihren Mitschwestern, was typlogisch in Verbindung zu dem Schweigen der Evangelien vor dem 30. Lebensjahr Jesu gesetzt wird. Neben Mechthild besitzen somit die beiden Schreiberinnen, aber auch Gott entscheidenden Anteil an der Entstehung des Liber: Schreiben ist ein göttlicher Offenbarungsakt, an dessen Zustandekommen Gott, neben dem Medium der Offenbarung zwei weitere Schwestern und schließlich wieder Gott selbst als Korrektor beteiligt sind. Merkwürdigerweise entzieht sich gerade ein Text, der die höchste Wahrheit, die letztgültige Approbation beansprucht, jeder Geschlossenheit und Fixierung. Das Bild vom Fluss ist mit Bedacht gewählt. Die ›Autorin‹ ist nicht Autorin, zumindest nicht als Verfasserin ›ihres‹ Buches. Sie ist Urheberin von Erfahrungen, die in einer stets in Bewegung befindlichen Dreier‐ 2.1 Die Konstruktion von Autorschaft 55 15 Löser (2012), S. 171. Eine ähnliche Bewertung, wenn auch stark an der Biographie der Schreiberinnen interessiert, auch bei Beutin (1999), S.-161f. 16 Vgl. Nemes (2014), S.-120. 17 Vgl. Liber (1877), S.-156. Vgl. auch den Bezug in diesem Kapitel auf den Legatus Gertruds, Kap. V,-4. 18 Vgl. für den entgegengesetzten Fall bei Christina von Hane, in welchem beide Rollen zusammenfallen und dadurch eine Steigerung der auctoritas bewirkt wird, Kirakosian (2017a), S.-101. 19 Liber (1877), S.-177. konstellation zwischen dem eigentlichen Autor (Gott), dem Medium Mechthild von Hackeborn und den Schreiberinnen Gertrud und »Schwester N« ihre Gestalt suchen. Die Offenbarung und deren Schrift-Werdung zu trennen, ist schier unmöglich, kehrt doch der Schreibprozess stets neu an seinen Ursprung zurück. 15 Allerdings stellt sich die aus philologischer Sicht berechtigte Frage, wie nun der Text zu Papier bzw. Pergament gelangte, schließlich gibt der Bericht über Gottes Autorschaft, so affirmativ er auch erfolgt, lediglich eine unbefriedigende Auskunft. 16 Somit werden im Folgenden die Stellen besprochen, in denen dieses Verhältnis zwischen Offenbarung und Schriftwerdung thematisiert wird. An einer Stelle im zweiten Buch erfolgt ein referentieller Bezug, als Mechthild darüber berichtet, dass im Falle einer Verschriftlichung aller ihr erwiesenen Gunstbeweise Gottes das Buch größer wäre als die in der Matutin verwendeten Chorbücher: Si omnia scribi deberent quae a benignissimo Dei Corde mihi collata sunt bona, matutinalis libri excederent quantitatem.  17 Der Unsagbarkeitstopos wird also als Unverschriftbarkeitstopos in die Materialität transfiguriert. Eine vergleichbare Szene findet sich wenige Kapitel später in II, 31, in der die beiden als Erzählerinnen auftretenden Mitschwestern berichten, dass nur ein Bruchteil der berichtenswerten Ereignisse erzählt - und damit ist wohl auch ›verschriftlicht‹ zu verstehen - wird, da die Berichte (von Gott an Mechthild? Von Mechthild an beide Mitschwestern? ) zu bruchstückhaft oder zu ausgedehnt seien. Das erzählende Ich ist in diesem Fall also deutlich vom erlebenden Ich separiert. 18 Wiederum wird von Mechthild persönlich der Unsagbarkeitstopos betont. Multo adhuc plura de his scribi possent quae in hac infirmitate sibi Dominus fecit; sed ideo praetermittimus, quia tam interrupta nunc partim et iterum partim proferendo, saepissime, ut ipsa fatebatur, optima subtrahebat. Dicebat enim: »Omnia quae dico vobis quasi ventus sunt respectu eorum quae verbis nullo modo exprimere possum.« Quandoque etiam tam latenti lingua loquebatur, ut eam bene intelligere non possemus; unde nihil de his, praeter ea quae diligenter et veraciter audivimus, et conservare potuimus, ad laudem Dei et utilitatem scripsimus proximorum.  19 Dabei wird besonders der Kommunikationsaspekt ins Blickfeld gerückt, da beide Mit‐ schwestern aufgrund der Lautstärke Mechthilds Schwierigkeiten besitzen, ihr zu folgen. Dies wird als Beleg dafür genommen, dass außer Mechthilds Worten nichts hinzugefügt wurde und lediglich ihren Worten Wahrheit zugesprochen wird (diligenter et veraciter audivimus, et conservare potuimus). Neben dem tatsächlichen Schreiben nimmt also auch das Hören eine wichtige Rolle im Schreibprozess ein. Die beiden schreibenden Personen werden lediglich zu Vermittlerinnen der Vermittlerin der göttlichen Botschaft. Für Kurt Ruh reicht dieser Umstand an der sprachlichen Beteiligung jedoch schon aus, um »Schwester N« als »weitere Autorin« zu bezeichnen, auch wenn im Legatus 56 2 Autorität und Autorschaft im Liber specialis gratiae 20 Vgl. Ruh (1992), bes. S.-4. Vgl. im Legatus die Stelle V, 27-30. Vgl. zu Ruhs These und die inhaltliche Diskussion Ankermann / Sroka (1996 / 1997), bes. S. 275-282. Zu Schwester N und Legatus vgl. besonders Märker / Nemes (2015), zur fachgeschichtlichen Diskussion S.-274f. 21 Vgl. hierzu in diachroner Perspektive Klein (2006) mit einer Forschungsdiskussion, zu Mechthild von Magdeburg bes. S.-82-84. 22 Vgl. Hubrath (1998), S.-172, sowie ausführlich Kirakosian (2021), S.-12-32, bes. S.-19-25. 23 Ebd., S.-31. 24 Liber (1877), S.-190. 25 Ebd., S.-192. 26 Ebd. 27 Kirakosian (2017a), S.-243f. Gertruds die Schreiberin die Rolle der Kompilatorin annimmt. 20 Hier werden die Schwie‐ rigkeiten eines aus der Neuzeit stammenden emphatischen Autor-Konzeptes deutlich, weswegen die Benutzung eines erweiterten Autor-Begriffes dem Text gerechter wird. 21 Jüngst hat Racha Kirakosian, auch mithilfe der neuentdeckten Fassung des Legatus aus Leipzig, die Textentstehung rekonstruiert und betont dabei die kollektive Autorschaft der beteiligten Schwestern, deren Kollaboration dynamisch betrachtet werden muss. 22 Die in Helfta entstandenen Werke sind somit »a communal project executed by a collective of writers, regardless of any communal conflicts that might have existed at the time of its production« 23 . Während in dieser Passage Mechthild sehr wohl von der Aufzeichnung ihrer Visionen Kenntnis besitzt, wird an anderer Stelle erwähnt, dass die reine Verschriftlichung ohne ihr Wissen erfolgte: Cum liber scriberetur, ignorante penitus illa beata de qua dicimus persona […].  24 Dieser Vorgang wird im folgenden, das zweite Buch abschließenden Kapitel noch einmal aufgegriffen: Sicut jam diximus hic liber fere totus ita conscriptus est, ut haec Dei famula ignoraret.  25 Als Mechthild davon erfährt, wendet sie sich in ihrer Betrübnis zu Gott, der wiederum ein Buch in der Hand hält und sie dahingehend unterrichtet, dass es seine göttlichen Worte enthalte: Omnia quae in hoc libro continentur scripta, a Corde meo divino profluxerunt, et refluent in ipsum.  26 Gott stilisiert sich hier also selbst als Autor, der in der Folge die materielle Ausgestaltung dieser Worte, das Buch selbst, an Mechthild übergibt, wobei die Materialität weiter unten noch genauer betrachtet wird. »Die narratio wird zum einen als Produkt von Mitteilungs- und Schreibprozessen dargestellt, zum anderen wird die evidente Schriftlichkeit als ein lebendiges Buch inszeniert.« 27 An verschiedenen Stellen wird also die Autorschaft des mystischen Textes im Span‐ nungsfeld zwischen Gott, Mechthild, den beiden Schreiberinnen sowie dem projizierten Rezipienten erörtert und diskutiert, ohne dass letztendlich eine eindeutige Aussage ge‐ troffen werden kann, wer denn im Sinne Bonaventuras den Stempel ›Autor‹ verdient. Spannend ist daher insbesondere die Frage, in welchem Maßstab im Zuge der Rezeption die einzelnen Überlieferungsträger des Liber mit diesen Passagen verfahren und Mechthilds Text im Falle einer Komplexitätsreduktion auf eine divergierende Art konstruieren, gerade im Hinblick auf den Anteil der beiden Schreiberinnen an der Genese des Textes. Am Beispiel des Codex Lichtenthal 67 soll die Funktionsweise der sogenannten Kurz‐ fassung der ersten fünf Bücher bezüglich ihrer Konstruktion von Autorschaft untersucht 2.1 Die Konstruktion von Autorschaft 57 28 Zum ausführlichen Katalogeintrag vgl. Heinzer / Stamm (1987), S. 171. Zur Handschrift vgl. weiter unten Kapitel 5.1. 29 Zur Vereinfachung wird in diesem Beitrag auf eine Unterscheidung zwischen ›Übertragung‹, ›Übersetzung‹ und ›Umschrift‹ verzichtet, vgl. dazu Klein (2008), S. 225f., da die Übergänge, wie der Autor selbst (ebd., S. 228) feststellt, fließend verlaufen. Für den vorliegenden Mechthild-Text entsteht die weitaus größere Bedeutungsverschiebung durch die Anordnung bzw. Auslassung der Kapitel, also auf inhaltlicher, weniger auf sprachlicher Ebene. 30 Also nicht in der Bedeutung von ›körperlos, leblos‹, so auch in vielen mhd. Epen wie dem Erec belegt. 31 Vgl. Nicolaus von Basel, hg. von Schmidt (1866), S. 256. Nikolaus von Basel wird nach den Ergebnissen der neueren Forschung nicht mehr als Autor angesehen, was für die vorliegende Frage jedoch ohne Bedeutung ist, vgl. Haas (1984), S.-463. 32 Voaden (2010), S.-440. 33 Zur Strategie des Johannes Marienwerder im Umgang mit der Lebensbeschreibung Dorotheas von Montau vgl. Suerbaum (2010b). werden. 28 Dabei steht die philologische Perspektive, also die Frage nach Übertragung aus dem Lateinischen oder aus dem Niederdeutschen im Hintergrund. 29 Die Lichtenthaler Handschrift stellt auch insofern einen interessanten Fall dar, da in ihr ein männlicher Schreiber den Text für ein Frauenkloster, in diesem Fall Zisterzienserinnen, redigiert, was den Beitrag des Schreibers in den Blick rückt: f. 208v: Vnd das wir mit allen Júngffröwen Jn öwigen leben funden werden […] (209r) Bittent got lieben seligen Júngffröwen Mechthilt vnd Kätherina fúr den lieblosen schriber dictus Knör Die Abgrenzung des ansonsten unbekannten Schreibers Knor (bzw. Knör), der sich allenfalls als Verfasser einer Abschrift sieht, sich ansonsten jedoch selbst als ›lieblos‹ bezeichnet, kann einerseits als topische Demutsbezeugung gelten. Andererseits muss sie auch als klare Abgrenzung zu den beiden begnadeten Frauen gelesen werden, aber damit implizit auch zu den beiden am Schreibprozess beteiligten Schreiberinnen, die explizit von Gott begünstigt und autorisiert wurden. Für eine solche Lesart, die gegen die mittelhochdeutsche Lesart von ›lîplôs‹ 30 und für eine Übersetzung mit der modernen Bedeutung von ›lieblos‹ steht, finden sich Nachweise bereits gegen Ende des 14. Jahrhunderts im Umkreis der ›Gottesfreunde‹, wie die dort zu findenden Ausrufe (ach ich armer ellender liebeloser man sowie ich bin die arme ellende liebelose lidende sele die dir in der zit nut volgen wolte) 31 belegen. Da dem Schreiber der Handschrift wie den anderen Rezipientinnen und Rezipienten innerhalb des Klosters keine besonderen Gunstzuweisungen wie Visionserscheinungen zuteilwerden, kommt der Lektüre eine kompensierende Funktion zu. Statt selbst Gnaden‐ gaben zu empfangen, besteht die Lösung für ihn im Lesen und (Ab-)Schreiben vorbildhafter Texte. Nur durch die Nachfolge als Braut Christi kann letzten Endes Heil erlangt werden. Voaden beobachtete zutreffend, dass Mechthild weder sich selbst noch ihre Mitschwestern als ›Frauen‹ identifiziert, wobei durch diese gendertheoretische Perspektive ein hohes Identifikationspotenzial sowohl auf Textals auch Rezeptionsebene geboten wird - auch für den männlichen Schreiber der Lichtenthaler Handschrift. 32 Im Zuge der Autorenfrage sieht sich Knor also lediglich als scriptor im Sinne Bonaventuras, der - ähnlich wie die beiden Schreiberinnen in der oben geschilderten Vision - diese lediglich niederschreibt, im Unterschied zu jenen jedoch keine göttliche Autorisierung erhält. 33 Durch die vorge‐ 58 2 Autorität und Autorschaft im Liber specialis gratiae 34 Natürlich kann hier nicht geklärt werden, ob diese Umstellungen von Knor selbst getätigt wurden (etwa im Rahmen einer Übersetzung), allerdings verlagert sich im Falle einer Verneinung diese Diskussion lediglich auf den Schreiber / Kompilator der Vorlage von Knors Handschrift. 35 Für Beispiele der sich daraus ergebenden Implikationen am Beispiel der Kartause Basel vgl. Kapitel 3. 36 Vgl. für eine genauere Analyse Kap. 5.1.2. 37 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 628, f.-42r. 38 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 31, f.-230v. 39 Basel, Universitätsbibliothek, Cod. B XI 19, f.-127r. 40 Vgl. generell zur Mehrdeutigkeit von Materialität im Mittelalter Bynum (2015), wobei eine Katego‐ risierung aufgrund der Bedeutungspluralität schwerfällt, vgl. S.-29. nommenen Kürzungen und minimalen Umstellungen 34 muss jedoch tatsächlich gefragt werden, inwieweit der Schreiber nicht auch als compilator zu bezeichnen ist, durch den sich Verschiebungen ergeben. 35 Betrachtet man nun die im Unterschied zur Edition fehlenden Kapitel, 36 so fällt bei genauerer Analyse der zum Thema Autorschaft besprochenen Kapitel auf, dass einige im Zuge des Redaktionsprozesses gekürzt wurden, so vor allem das bedeutsame Kapitel V, 31. Ansonsten lassen sich für den Bereich der Autorschaft keine größeren Verschiebungen erkennen; die Uneindeutigkeiten in den verschiedenen übertragenen Kapiteln werden also beibehalten. Bei Hinzunahme anderer Formen der Rezeption, etwa in den Gebetbüchern und der Kleinüberlieferung, ist bedeutsam, dass in keinem Fall explizit auf Mechthild als externe Autorin, d. h. als Verfasserin des Textes, hingewiesen wird. Allerdings ergeben sich in mehreren Fällen Uneindeutigkeiten, etwa wenn in einer Handschrift aus dem Nürnberger Katharinenkonvent der Mechthild-Textbestandteil paratextuell eingeleitet wird: das her nach geschriben stet ist genumen vsz der seligen junckfrawen sant Mechtildis.  37 Es bleibt unklar, ob Mechthild hierbei als Protagonistin oder als Autorin - also intra- oder extra‐ diegetisch - verstanden wird, aus deren Werk die folgende Passage entnommen wurde. Ähnliche Ambiguität findet sich in einer vergleichbaren verkürzten Variante aus einer Handschrift, die wahrscheinlich in den Dominikanerinnenkonvent St. Nikolaus in undis in Straßburg verortet werden kann: Dis ist vs sant Mehtilden búch.  38 Selbst wenn der Text als Revelation angesprochen wird, lässt sich eine solche Zuschreibung nachweisen: Vsz der uffenbarung sancte mechtildis ist genommen disz nachgeschribene gebet.  39 Auch in diesem Beispiel entzieht sich die Frage nach Autorschaft einer eindeutigen Antwort: Handelt es sich um Mechthild als erfahrendes Subjekt der Offenbarungen oder schließt dies ihren Status als Autorin mit ein? Zusätzlich stellt sich die Frage nach dem Primat der paratextuellen Ankündigung bezüglich einer Autorenzuweisung. Auffällig erscheint im Hinblick auf die Überlieferung vor allem, dass Bemerkungen hinsichtlich der beiden Schreiberinnen oder andere Aussagen zur Autorschaft ausbleiben. Hier spielen eher die Fragen nach Autorität sowie Materialität eine entscheidende Rolle, wie in den beiden folgenden Unterkapiteln aufgezeigt wird. Erst in der späteren Ikonographie wird Mechthild auch eindeutig als tatsächliche Autorin des mit ihr assoziierten Textes abgebildet, wie ein aus dem 18. Jahrhundert stammendes Beispiel aus dem Kloster Engelszell zeigt (vgl. Abb. 1). Dort wird sie, wenn auch nicht mit einem Federkiel, so doch mit einem Buch abgebildet, ›ihrem‹ Liber. 40 Die Darstellung folgt dabei dem in der Ikonographie aus der Patristik verbreiteten Schema, die jeweiligen Autoren und Autorinnen mit ihrem Werk 2.1 Die Konstruktion von Autorschaft 59 41 Vgl. Bertelsmeier-Kierst (2005), S. 173, über die Ikonographie bei den Zisterzienserinnen, die sich später auch bei Dominikanerinnen und Franziskanerinnen findet, »die den Schreibbzw. Buchherstellungsvorgang als innere Schau des Herzens, als Akt der Kontemplation und geistiger Innigkeit festhält. Die Schreiberin (oder geistliche Stifterin) lässt sich vorrangig als Adorantin abbilden […].« Vgl. generell zur ikonographischen Gestaltung von Autorfiguren im Spätmittelalter Peters (2007). 42 Vgl. auch Meier (1988), S. 76, mit dem Verweis auf Hildegard von Bingen, die in der gesamten mittelalterlichen Bildüberlieferung als Autorin erscheint, »die mit Wachstafel und Griffel an der Konzeption ihrer Schriften arbeitet«. 43 Vgl. Morgan (2013), S.-111-115. 44 Vgl. Nemes (2010), S. 359. Ähnliches geschieht auch im Fall des ›Exemplars‹ und der Verbindung zwischen Seuse und Elsbeth Stagel: Während die älteren Handschriften durchaus noch eine Mitau‐ torschaft Elsbeths überliefern, kürzen spätere Handschriften diese Uneindeutigkeit, vgl. ebd., S. 360. abzubilden, was auch für mystische Bücher gilt, 41 paradigmatisch am Beispiel der Teresa von Ávila zu sehen, welche um 1615 von Peter Paul Rubens porträtiert wurde (vgl. Abb. 2). 42 Ein vergleichbares Beispiel aus der Rezeption anderer ›frauenmystischer‹ Werke ist der Fall der Margareta Ebner, bei dem ebenfalls verschiedene Personen, Heinrich von Nördlingen sowie eine Mitschwester, an der Ausgestaltung des Textes mitwirkten. 43 In der ältesten Handschrift findet sich jedoch eine nachträgliche Marginalie, wohl aus dem 17. Jahrhun‐ dert, die behauptet, dass Margareta dieses Buch mit ihrer eigenen Hand selbst verfasste - alle anderen Beteiligten werden somit aus dem Narrativ der Verschriftlichungsgenese herausgedrängt. 44 Abb. 1: Johann Georg Üblhör (1703-1763): Statue der heiligen Mechthild von Hackeborn, ca. 1760, Stiftskirche Engelszell (Foto: Wolfgang Sauber, vgl. https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Engel szell_Stiftskirche_-_Nepomukaltar_3_Mechthild.jpg; 31.3.2023) 60 2 Autorität und Autorschaft im Liber specialis gratiae 45 Vgl. für eine vergleichbare Autorschaftskonstruktion bei Birgitta Luongo (2019). 46 Vgl. Ruh (1993), S. 317f.: »Anderswo stand der Beichtiger einer Visionärin für die Publikationswürdig‐ keit gerade. In Helfta übernahm allem Anschein nach die Klosterführung die Verantwortung: durch das Mittel göttlicher Approbation.« Vgl. auch Peters (1988b), S. 98 sowie S. 102, zur Betonung der Beziehung als dominantes Thema in einigen »Gnaden-Viten des 14. Jahrhunderts«. Zur Entwicklung des Beichtvaters in der Teutonia, etwa in einem Brief Hermanns von Minden aus dem Jahr 1287, Abb. 2: Peter Paul Rubens (1577-1640): Hl. Therese von Avila, um 1615 (Kunsthistorisches Museum Wien © KHM-Museumsverband) Somit kann zusammengefasst werden, dass der Liber ein mehrschichtiges Bild der Autor‐ schaft des Textes entwirft. Mechthild nimmt zwar die zentrale Rolle ein, wird dabei aber nicht als Autorin im Sinne einer Text-Verfasserin konstruiert. 45 Im Verlauf der Überlieferung werden diese Mehrschichtigkeiten nicht aufgelöst, aufgrund der Reduktionen bzw. der jeweiligen paratextuellen Elemente verengt sich die Perspektive einzig auf einen unklaren Status Mechthilds selbst, die innerhalb der Rezeption in manchen Manifestationen in den Status als ›textexterne‹ Autorin eingeschrieben wird. 2.2 Die Konstruktion von Autorität An keiner Stelle im Text erfolgt irgendein Bezug auf einen Beichtvater oder sonstigen männlichen Begleiter wie in zahlreichen anderen ›frauenmystischen‹ Werken, was eine Partikularität der Helftaer Mystik darstellt. 46 Besonders im Zuge genderspezifischer Fra‐ 2.2 Die Konstruktion von Autorität 61 in denen die fratres docti erwähnt werden, vgl. Zimmermann (1993), S. 48f. Für die Diskussion um Heinrich von Halle und dessen Beitrag zum Fließenden Licht vgl. Nemes (2010), S. 99-114. Für einen allgemeinen Überblick zur cura monialium vgl. Bürkle (1999), S. 57-104, sowie verschiedene Fallbeispiele in weiteren Kapiteln ihrer Arbeit. Darauf, dass eine Lektüre der betreffenden Texte nicht einseitig aus Sichtweise der Beichtväter erfolgen sollte, weist Mooney (1999) am Beispiel Katharinas von Siena hin. 47 Vgl. Spitzlei (1991), S. 34, sowie, bereits etwas früher, Bynum (1984), S. 176. Vgl. generell für genderorientierte Lektüren in Bezug auf ›frauenmystische‹ Texte Spanily (2002) und für den Fall Mechthilds von Magdeburg Poor (2004). Für Teresa von Ávila vgl. Souvignier (2015). 48 Im Sinne Unterreitmeiers (2009), S. 27, kann hier also von einem »literarischen Gedächtnis« gesprochen werden, da der Leser »an dem Gespräch zwischen den Zeiten in Gemeinschaft mit den Toten lebt«. 49 Vgl. hierzu im Gegensatz den Legatus Gertruds, in welchem an einer Stelle der Text als von mehreren Theologen geprüft beschrieben wird, vgl. Williams-Krapp (2011), S.-168. 50 Vgl. Grubmüller (1992), S.-341f. 51 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 1003 Helmst., f.-204v. 52 Vgl. Rydel (2014). gestellungen der 1990er- und frühen 2000er-Jahre wurde den Helftaer Texten daher wirkungsmächtiges Potenzial zugesprochen, da sich in den Augen bestimmter Forscher hier eine genuin von Frauen gesteuerte Theologie entwickelte. 47 Eine Ausnahme findet sich jedoch, wenn im Kapitel V, 18 ein nicht näher spezifizierter Prälat Mechthild verbietet, ihre Visionen über bestimmte Verstorbene - gemeint sind hier wohl die umliegenden Kapitel - ihren Mitmenschen zu offenbaren, da ansonsten ein Schaden für das Kloster entstehen könnte. 48 Als Mechthild sich daraufhin an Gott wendet, erhält sie von diesem mithilfe eines Psalmverweises (Ps 119,1) die Legitimation für ihr Handeln unter dem Hinweis, dass der göttliche Zuspruch die fehlenden Almosen (die entweder zu erwarten sind oder bereits erfolgten? ) auszugleichen vermag. Anstatt also von einem männlichen Begleiter autorisiert zu werden, 49 erhält Mechthild die Legitimation direkt von Gott. 50 Bei genauer Betrachtung der Überlieferung stellt sich allerdings die Frage nach der Rolle des Priesters Albert, der sich im Epilog der Wolfenbütteler Handschrift nennt. Dieser stilisiert sich in gewisser Weise als ebensolcher Beichtvater, der für die Fassung letzter Hand, in diesem Fall die getreue Abschrift von einem sich in Helfta befindlichen Exemplar, bürgt: Anno domini m° ccc° l° xx°, sequenti die post festum sancti Luce ewangeliste, Albertus sacerdos, vicarius sancti Pauli Erfordensis, libros istos conscripsit et finivit. Deo gratias.  51 Dabei lässt sich eine solche Stilisierung nicht nur für die Wolfenbütteler Handschrift beobachten, sondern auch auf späterer Rezeptionsebene: So zeigt Courtney Rydel in einem Beitrag auf, inwieweit der Kompilator der mittelenglischen Übersetzung gezielt eingriff, etwa durch Wechsel von Pronomina, um den Text dergestalt zu stilisieren, als ob an deren Genese ein männlicher Beichtvater beteiligt gewesen sei. 52 Hierbei wurden spezifische Erwartungen der englischen Rezipientenkreise des 15.-Jahrhunderts erfüllt: 62 2 Autorität und Autorschaft im Liber specialis gratiae 53 Ebd., S.-211. 54 Vgl. grundsätzlich zum Fokus der Helftaer Texte auf die Klostergemeinschaft Harrison (2009) und ausführlich dies. (2022). 55 Für die Verschränkungen zwischen Raum und Zeit, kollektive und individuelle Gottesbegegnung sowie Liturgie und Schau bei Gertrud von Helfta vgl. Kellermann (2022). 56 Vgl. II, 4. Etwas anders gestaltet sich die Ausgangssituation in I, 31: Hier kann Mechthild aufgrund einer aufgetragenen Arbeit nicht am Gottesdienst teilnehmen, erscheint aber trotzdem von der Gemeinschaft separiert und daher exponiert. 57 Vgl. II, 5. In III, 7 fällt es ihr schwer, aufgrund der Schmerzen zu singen. Im umgekehrten Fall empört sie sich, wenn einige Mitschwestern aufgrund der Sommerhitze während der Messe träge und schläfrig (pigritantes et dormitantes) sind, vgl. III, 20. 58 Vgl. II, 6. 59 Vgl. II, 26, 27, 30 (hier 40 Tage - in Parallelität zur Fastenzeit) sowie IV, 58. Dort werden ihre Schmerzen zusammen mit der Eucharistie Gott angeboten, eine weitere christologische Parallele. Generische Leiden werden beschrieben in II, 36, 40; III, 19. 60 Vgl. Meier (1988), S.-79. 61 Vgl. II, 11. Die Krankheit wird hier direkt mit Jesu Passion verbunden. Zum Nachvollzug als erlebte Heilsgeschichte vgl. Fuhrmann (2015), S.-166-173. the Middle English translator has instead substituted a narrative of clerical control. The readers of the Booke would have believed that Mechtild’s words and visions had been selected, edited, and possibly revised by a male scribe who had authority over her […]. 53 Dass im fortschreitenden Verlauf des Narrativs andere literarische Muster von göttlich be‐ gnadeten Frauen benutzt werden, zeigt sich am Beispiel der gesundheitlichen Konstitution Mechthilds, welche auch für den Verschriftlichungsprozess Implikationen besitzt. Mecht‐ hild erscheint an verschiedenen Stellen als körperlich zu schwach oder ist in mehreren Kapiteln nicht in der Lage, an dem Gottesdienst oder den Gebetszeiten des Konvents beizuwohnen. 54 Stattdessen erhält sie entweder von Gott die Kraft, trotzdem teilzunehmen, oder trotz Abwesenheit bzw. gerade deswegen die jeweilige das Kapitel bestimmende Vision. 55 An einer anderen Stelle muss sie aufgrund ihrer übergroßen Verzücktheit wie eine Verstorbene aus dem Chor getragen werden - eine Beschreibung in Anlehnung an den Liebestod -, 56 oder sie erscheint aufgrund der körperlichen Belastung durch die Visionen nicht in der Lage, die Lesung auszuführen. 57 Zu einem anderen Zeitpunkt muss sie die Lesung des Evangeliums in der Matutin abbrechen, woraufhin sie wiederum wie leblos aus dem Chor getragen wird, allerdings rechtzeitig zur Prim wundersam von Gott in Gestalt eines Jünglings wiedererweckt wird. 58 Nur selten werden die Beschwerden spezifiziert, etwa als Kopfschmerzen. 59 Der Topos der begnadeten Kranken wird auch in anderen ›frauenmystischen‹ Texten zahlreich verwendet: Die Krankheit bedeutet Rückzug aus der Körperlichkeit, aus dem äußeren Menschen, Stärkung des Geistigen und seines Aufnahmevermögens für den Empfang der Inspiration. Im Vorgriff auf die vollkommene endzeitliche Erneuerung geschieht eine Neuschöpfung im Geist, die den visionären Propheten zur Schau Gottes und seiner Geheimnisse schon hier befähigt. 60 Etliche Referenzen auf Mechthilds Krankheit erfolgen vor allem in den hinteren Büchern, während sie in den ersten Büchern nur an prominenter Stelle im Prolog oder lediglich als Vorausdeutung Erwähnung findet. 61 Diese Einrichtung betont, zumindest für den Aufbau in der Wolfenbütteler Handschrift, die temporal-lineare Struktur, die an einigen Stellen des 2.2 Die Konstruktion von Autorität 63 62 Für den ähnlich gelagerten Fall bei Elisabeth von Schönau vgl. Meier (1988), S. 86. Auch bei Gertrud orientiert sich der Text am Kirchenjahr. Zu Christine Ebner vgl. Hermann (2021). 63 Dies erschien wohl auch den Benediktinern von Solesmes in ihrer Ausgabe problematisch, weswegen sie einen Teil des Prologs als ›Caput praevium‹ in das erste Buch aufnahmen, um somit erzähltech‐ nisch eine Überleitung zu schaffen, vgl. Liber (1877), S. 5. Einige andere Handschriften fassen diesen Teil im Prolog zusammen oder überliefern ihn überhaupt nicht. 64 Vgl. II, 19b. 65 Liber (1877), S. 353. Wie der Kommentar der Herausgeber zum Kapitel zeigt, gingen diese davon aus, dass das Kapitel V, 22 erst nach Mechthilds Tod verfasst wurde. 66 Zur Motivik des Herzenstausches vgl. Brückner / Forster (2010). 67 Narratologisch wird diese Antwort in V, 25 wiederaufgenommen, als die beiden Schreiberinnen die vorgeworfene Undankbarkeit Mechthilds durch ein Gebet wiedergutzumachen versuchen. Mechthild selbst erhält daraufhin eine Vision, in der nun eine Unio zwischen Gott und den beiden Schreiberinnen beschrieben wird, wobei das Bild des Wildbaches wieder aufgegriffen wird, vgl. Liber (1877), S. 358. Dies verdeutlicht die im Folgenden ausgeführte Verbindung zwischen Gott, Mechthild und den beiden Schreiberinnen. 68 Liber (1877), S.-354. Textes explizit hervortritt und von der Kindheit im Prolog bis zu Mechthilds Tod im siebten Buch reicht. Gleichzeitig konkurriert sie dabei mit anderen Zeitabläufen, vor allem dem Kirchenjahr im ersten Buch, nach welchem die einzelnen Kapitel angeordnet sind. 62 Gerade hier wirkt das Spannungsverhältnis zwischen Kindheit im Prolog und Adoleszenz im ersten Kapitel des ersten Buches am größten. 63 Auch andernorts ergeben sich Unstimmigkeiten, etwa wenn im zweiten Buch im Zuge einer Vision explizit erwähnt wird, dass es sich um eines der ersten Geschenke Gottes handle, woraufhin die Verehrung des Herzens Jesu an Intensivierung zunahm, 64 obgleich zahlreiche Beispiele dafür bereits im ersten Buch auftreten. In diesen Passagen zeigt sich, dass Mechthild durch ihre gesundheitliche Schwäche als würdige Empfängerin von Gottes besonderer Gnade stilisiert wird. Deutlich wird diese Darstellung durch die Titelgebung - Liber specialis gratiae -, die diesen Prozess als zentrales Element des Narrativs hervorhebt. Die wohl bedeutendste Thematisierung einer Autorisierung durch Gott erfolgt gegen Ende des fünften Buches in den Kapiteln 22-24, worauf bereits im Titel (De veritate huius libri, videlicet specialis gratiae) 65 hingewiesen wird. Der erste Teil von V, 22 schildert einen Herzenstausch zwischen der Seele und Mechthild, der in ein Unio-Erlebnis mündet, in dem die Göttlichkeit wie ein Wildbach mit gewaltiger Wucht in sie eintaucht (Sensitque anima quasi rivum validissimo impetu influere in se divinitatem). 66 Im Folgenden fragt Mechthild Gott, warum ihr die ihr zuteil gewordenen Erlebnisse so lästig erschienen seien. Sie erhält als Antwort, dass diese emotionale Reaktion in ihrer fehlenden Dankbarkeit gründet, ohne dass diese Erklärung weiter ausgeführt wird. 67 Auf ihre folgende Frage, warum ausgerechnet sie ausgewählt wurde, nennt Gott als Grund seine unendliche Güte (infinita bonitas), die Mechthild von den weltlichen (und daher negativ zu sehenden) Genüssen ferngehalten habe. Es wird also eine positive Bewertung der Askese vorgenommen. Schließlich erfolgt die entscheidende Frage Mechthilds, wieso denn alles, was die beiden Mitschwestern aufgezeichnet hätten, der Wahrheit entspräche, da sie es selbst nicht gelesen hätte bzw. ihrer Erinnerung nicht sicher sein könnte, falls sie es doch gelesen hätte: Unde scire possum, si verum est omne quod de his scribunt, cum ego non legerim, nec approbaverim? Etsi bene legerem, non tamen ad plenum mihi crederem. 68 64 2 Autorität und Autorschaft im Liber specialis gratiae 69 Vgl. zu diesem Topos am Beispiel Hildegards Meier (1988), S. 79: »[D]ie Schwäche der Frau ist überwunden in der Stärke der virgo, die in besonderem Maß Paradigma des Heils ist, zumal in der Nachfolge Marias, d. h. in der Verheißung der spirituellen Inkarnation des Wortes Gottes in ihr.« Für Mechthild von Magdeburg vgl. Heimbach-Steins (1989), S. 166-170, sowie Gerok-Reiter (2017), S. 161: »Das Sprecher-Ich nimmt sich hier weder ein Recht zur Lehre noch erhält es dieses. Verpflichtet wird es durch die göttliche Instanz sowie den Beichtvater lediglich darauf, nicht zu schweigen, sondern sich zu äußern.« 70 Liber (1877), S.-354f. 71 Zum »fehlenden Wort« bei Gertrud vgl. Ringler (2005), S. 375f. Vgl. für das Spannungsfeld auch Kasten (1999). Im Gegensatz zu Mechthild von Magdeburg, die in ihrem Text im Vergleich zu der Hackebornerin als ungelehrt und nicht lesefähig stilisiert wird, 69 fragt der Liber hier direkt nach dem Wahrheitsgehalt - und zwar nicht desjenigen der erlebten Visionen, sondern der Materialität selbst, also bereits nach dem erfolgten Kommunikationsprozess in Verbindung mit beiden aufzeichnenden Mitschwestern. Gottes Antwort fällt im Gegensatz zu den beiden vorherigen Antworten ausführlicher aus: Ego sum in corde desiderantium audire a te, excitando ad hoc desiderium earum. Ego sum intellectus in aure audientium, per quem intelligunt quod audiunt. Ego etiam sum in ore inde loquentium; ego sum in manu scribentium; in omnibus cooperator eorum et adjutor; sicque omne quod in me et per me veritatem dictant et scribunt, est verum. Et sicut artifex aliquis habens plures ministros ipsum in opere suo adjuvantes, licet ipsi opus non tamen perficiant ut magister, pro modulo tamen suo quilibet operatur; sed ex ministerio opificis ipsum opus consummatur: ita et quae haec scribunt, etsi non tam eleganter prout tibi donavi depromunt, mea tamen cooperante et adjuvante gratia, in mea veritate approbatum confirmatur. Tu etiam toties me rogasti, ut te non permitterem spiritu erroris seduci, ut jure meae crederes bonitati te in hoc exauditam.  70 Gott autorisiert in diesem Abschnitt nicht die Visionen Mechthilds, sondern die Aufzeich‐ nung - und damit auch die schreibenden Personen. Die drei Faktoren, die in parallelen Satzkonstruktionen aufgeführt werden und die göttliche Präsenz in Ohr, Mund und Hand betonen, also in denjenigen Körperteilen, die an der Aufnahme und Verbreitung des göttlichen Wortes partizipieren, erhalten eine zentrale Bedeutung. Gott wird zum Herrn als auch Helfer der schreibenden Person - umgekehrt bedarf er aber selbiger, um diese Worte auch tatsächlich niederzuschreiben, wodurch sich ein gegenseitiges Austauschverhältnis ergibt. Somit lässt sich ein bereits im ersten Kapitel besprochenes Zusammenspiel zwischen Gott, der begnadeten Person sowie den an dem Prozess der Verschriftlichung beteiligten Schreiberinnen bzw. Schreibern beobachten. In vorliegendem Fall erscheint das Beziehungsgeflecht insofern interessant, da die erlebende Person nicht mit derjenigen der Verschriftlichung der erhaltenen Visionen koinzidiert, sondern mit ihr gleichberechtigt - und von Gott in gleichem Rahmen legitimiert - die beiden Schreiberinnen autorisiert werden. Diese Autorisierung geschieht trotz der Tatsache, dass die materialisierte Manifestation nicht zwangsläufig dem gleichen Wortlaut entspricht, was aufgrund der Ineffabilität des mystischen Erlebnisses auch gar nicht möglich ist. 71 Gott selbst offenbart sich hier als Schreiber, Korrektor und wird nicht nur zur Redaktionsinstanz, sondern letztendlich zur Autorisierungsinstanz des verfassten 2.2 Die Konstruktion von Autorität 65 72 Vgl. für Mechthild von Magdeburg Grubmüller (1992), S. 338f., mit weiteren Beispielen für die Erteilung göttlicher Schreibbefehle. 73 So Kirakosian (2017a), S.-28. 74 Allerdings wird berichtet, dass drei Lichtstrahlen aus dem Herzen Gottes entspringen, mit den beiden Schwestern aber nur zwei Rezipientinnen bereitstehen. Worauf sich der dritte Lichtstrahl richtet (Mechthild? Das Buch? Den Leser? ) bleibt unerwähnt. Die Vision verkörpert also prototypisch das im ersten Kapitel entworfene Schema des Zusammenspiels zwischen Gott, Mechthild, dem Schreiber sowie dem Überlieferungsträger, wobei selbstverständlich der Rezipient ebenfalls berücksichtigt werden muss, weswegen die Mehrdeutigkeit des nicht expliziten Zielpunktes des dritten Strahles umso interessanter ist. 75 Vgl. Liber (1877), S.-356. 76 Vgl. hierzu Nemes (2010), S. 281f., Anm. 765. Die Position findet sich vor allem bei Ruh (1993), S. 302. Nemes diskutiert außerdem unter Nennung der relevanten Sekundärliteratur die Frage, inwieweit die Parallelen im Liber und dem Legatus für eine Beteiligung der gleichen Schwester sprechen oder (so vor allem die Meinung von Ursula Peters) ob lediglich lose intertextuelle Bezüge hergestellt werden können, die typisch für ein Autorenkollektiv sind und daher nicht zwangsläufig für eine Identifikation mit Gertrud sprechen müssen. Vgl. neuerdings zu der Diskussion auch Nemes (2019b). Ich danke Balázs Nemes für Einblick in das Manuskript. Textes. 72 Die materielle Verkörperung des Textes steht also nicht nur am Anfang der Kommunikation, 73 sondern auch an deren Ende. Zur Verstärkung des eben Mitgeteilten erblickt Mechthild im Folgenden Lichtstrahlen, die direkt aus dem Herzen Gottes, mit dem sie sich eben noch vereinigt hatte, ausfließen und sich auf die beiden Herzen der Mitschwestern richten. 74 Die göttliche Autorisation wird dadurch noch einmal ›erhellt‹. Zum Abschluss erfolgt die Hinwendung an die Rezipientinnen und Rezipienten, die nach der Lektüre des Textes Gott die notwendige Dankbarkeit entgegenbringen. Die Lektüre verfolgt nach Mechthild den Zweck, einerseits Gott zu preisen, andererseits einen geistlichen Fortschritt (profectus) für den Rezipienten zu bewirken. Auf diese Weise erfolgt nun die Einbindung des Rezipienten, da nur durch dessen Teilnahme und Teilhabe der mystische Text tatsächlich auch seine intendierte Wirkung entfalten kann. Diese Bedingung wird im folgenden Kapitel (V, 23) weiter ausgeführt, als Mechthild für die zukünftigen Leser des Buches ein Gebet verrichtet und von Gott die Nachricht erhält, dass diese zukünftigen Rezipienten in gleichem Maßstab belohnt werden wie diejenigen, denen Gnadengaben zuteilwerden, ähnlich wie die Bräute, die in Nachahmung einer besonders geschmückten Braut ebenso Schmuck anlegen und damit die gleiche Pracht erhalten. 75 Das Folgekapitel (V, 24) bündelt noch einmal die bereits angesprochenen Aspekte und verweist zurück auf das Kapitel mit der Titelvergabe (II, 43), setzt sich also direkt in Verbindung zu den anderen selbstreferentiellen Kapiteln. Nachdem erneut betont wird, dass die göttliche Gnade selbst als Autorinstanz auftritt, erfolgt ein Perspektivenwechsel auf eine der beiden Schreiberinnen, oftmals in der Forschung mit Gertrud assoziiert. 76 Ihr wird in der Folge ebenfalls eine Vision zuteil, welche zwar für die vorliegende Fragestellung insignifikant ist, aber im Rahmen des Beziehungsgeflechtes nicht vernachlässigt werden darf. Es zeigt sich abschließend, dass verschiedene literarische Verfahrensmuster verwendet werden, um dem Text Autorität zu verleihen, diese aber gerade im Verlauf der Rezeption 66 2 Autorität und Autorschaft im Liber specialis gratiae 77 Vgl. Liber (1877), S.-193. 78 Für den Vergleich ähnlicher Phänomene zwischen der Magdeburgerin und Gertrud vgl. Hellgardt (2014), S. 132. Zum »auratischen Charakter des von Gott gewollten Buches« bei Mechthild von Magdeburg vgl. Bürkle (1994), S.-139. Vgl. auch Staubach (1988), S.-309f. 79 Liber (1877), S.-193. 80 So übersetzt Schmidt beide Prädikate mit »beschreiben«, vgl. Liber (2013), S.-195. unterschiedliche Akzentuierungen erhalten und besonders bei textlicher Reduktion auch eine Vereindeutigung des Status nach sich ziehen. 2.3 Die Konstruktion von Materialität Die dritte Komponente betrifft den Verweis auf die Materialität des Textes, welche in verschiedenen Passagen des Textes explizit zum Thema gemacht wird. So wird in dem weiter oben diskutierten Kapitel II, 43 Mechthild von Gott der Name des Buches übermittelt - es soll Liber specialis gratiae genannt werden. 77 Sofort ist sie mit dem Textträger vertraut und kann einer der beiden involvierten Mitschwestern Details über das Buch mitteilen, die von der Größe über die Gestalt des Ledereinbandes bis zur Schließe reichen: 78 Ex tunc illa hunc librum ita bene recognovit, quem nunquam corporeis viderat oculis, ut familiari suae ostenderet quantitatem libri, et formam corii quo erat opertus ediceret, et zonae qua circumligatus fuerat.  79 Die Beschreibung der Materialität wirkt in ihrer Detailtreue verblüffend, allerdings er‐ scheint fraglich, ob eine Überschreitung zwischen transzendenter und immanenter Ebene erfolgt, deren Ambiguität durch die Prädikate ostenderet und ediceret ausgedrückt wird. Der zentrale Wechsel findet im Moment des Sehens (viderat) statt, welches zwischen einer inneren Schau und einer äußeren Sinneswahrnehmung oszilliert. Erzählt Mechthild im Anschluss lediglich von dem ihr erschienenen Buch, womit die Details als verstärkender Verifikationsfaktor zu interpretieren wären 80 oder bereits als Auftrag, wie das verschrift‐ lichte Buch anzufertigen sei, also als imitatio? Bei einer solchen Lesart würde nicht nur auf Rezipientenebene eine Angleichung erfolgen, da der Leser in Nachahmung Mechthilds selbst zur gläubigen Seele wird, sondern auch der Textkörper gleicht sich dem von Gott vorgegebenen prototypischen Buch an. Zum Abschluss des Kapitels findet sich ein weiterer Unsagbarkeitstopos, wobei anstatt des Mitschwestern-Duos eine der beiden Schwestern als Vermittlerin auftritt. Es ist wohl kein Zufall, dass dieses Kapitel den Abschluss des zweiten Buches darstellt. Diese Signifikanz wird besonders dadurch verstärkt, dass das dritte Buch unvermittelt und ohne Bezugnahme auf das vorangegangene Kapitel beginnt. Vergleichbare Problemstellungen finden sich auch bei Mechthilds Namensvetterin. Im Zuge der Forschungsarbeiten am Fließenden Licht wurden Mutmaßungen geäußert, dass das Werk der Magdeburgerin eventuell in mehreren Teilabschnitten veröffentlicht wurde, die die Bücher I-II, I-IV, I-V, I-VI und I-VII umfassten, zu denen der textinterne Befund stimmig erscheint. Allerdings lässt sich in der Überlieferung keine Handschrift nachweisen, die auch nur annähernd 2.3 Die Konstruktion von Materialität 67 81 Gerade die ältesten Textzeugen des Fließenden Lichts, die Moskauer Fragmente, überliefern ausge‐ rechnet Abschnitte aus dem siebten Buch. Vgl. nach dem Fundbericht durch Ganina / Squires (2010) vor allem Nemes (2013) und die Beiträge von Squires (2014a; 2014b). Vgl. außerdem Linden (2019), bes. S. 195f., die den Ausschnitt aus dem siebten Buch im Überlieferungszusammenhang betrachtet, sowie Emmelius / Nemes (2019), S. 10f. Für den »plurale[n] generische[n] Charakter und die schwach ausgeprägte Makrostruktur« des Fließenden Lichts sowie einen Überblick über die Forschung vgl. Emmelius (2019), S.-162, Anm.-24. 82 Zur Leipziger Handschrift vgl. Märker (2019), S. 136. Zu der Gliederung in den ältesten (Voll-)Hand‐ schriften und den damit verbundenen Implikationen / Problemen für die Solesmenser Edition vgl. Ubl (2024, in Druckvorb.). 83 Vgl. hierzu Hubrath (1996), S. 37. Für eine exemplarische Analyse eines Briefes mystischen Inhalts unter Berücksichtigung der jüngeren Forschung vgl. Krusenbaum-Verheugen (2018). 84 Nach Schwalbe / Zieger (2014), S. 30, unterscheidet sich das Kapitel »weder stilistisch noch inhalt‐ lich« von den übrigen Kapiteln. 85 So findet sich das Kapitel auch in einigen Handschriften, welche lediglich Exzerpte bieten, etwa Nürnberg, Stadtbibliothek, Cod. Cent. VI, 43 l , f. 265v (dort nur die Teile a - ohne den ersten Absatz - und b), sowie als Beispiel für zwei lateinische Handschriften Göttingen, Universitätsbibliothek, 8° Ms. theol. 121, f.-92v, und Köln, Historisches Archiv, Best. 7008 (GB 8°) 55, f.-32r. 86 Vgl. zum Kapitel, in dem Mechthild als Spenderin von Milch und Honig auftritt, Newman (2016), S.-598. den (vollständigen) Textbestand der beiden ersten Bücher überliefert. 81 Der Liber bietet bei solchen Überlegungen eine Parallele. Auch die hier vorhandenen Markierungen spiegeln sich nicht in der handschriftlichen Überlieferung wider. Am Ende des dritten und vierten Buches fehlt ein vergleichbarer literarischer Abschluss. Der Status des siebten Buches ist aufgrund der textinternen Aussagen nicht vollständig geklärt. So nimmt etwa die zentrale Wolfenbütteler Handschrift, die als eine der wenigen Überlieferungsträger das siebte Buch überliefert, eine starke Separierung des sechsten vom siebten Buch vor. Deutlich wird dies gerade im Unterschied zu der nach jüngsten Untersuchungen älteren Leipziger Handschrift Ms 671, in der zwar das sechste Buch, nicht aber das siebte Buch enthalten ist. 82 Ähnliche Fragen lassen sich auch an ein Kapitel in Briefform am Ende des vierten Buches herantragen, welches bei einer biographischen Interpretation des Textes die einzige Passage des Liber darstellt, in der Mechthild sich selbst artikuliert. 83 Es ist hier nicht der Ort, um die Frage nach den literarischen Verfahren dieses Kapitels IV, 59 zu stellen, welches sich in vier Unterabschnitte gliedert und keinen echten Schluss in Abgrenzung zum fünften Buch oder in der Markierung eines Sprecherwechsels aufweist. Auch eine linguistische Analyse im Vergleich zu den übrigen Kapiteln kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. 84 Allerdings stellt sich für die Rezeption die Frage, inwieweit Redaktoren mit der veränderten Sprecherrolle sowie der damit verbundenen Autorkonstitution verfahren. 85 An anderem Ort erscheint die Identifikation der Sprecherinstanz bei Thematisierung der Materialität schwierig. Im Kapitel V, 24 86 erfolgt der Nachsatz infolge der Vision, in der eine Ich-Instanz, welche schwer zu bestimmen ist (Mechthild scheidet an dieser Stelle aus inhaltlicher Sicht aus; die Schreiberinnen erscheinen als Objekt; Priester Albert tritt nur in der Wolfenbütteler Handschrift auf), eine weitere Anekdote berichtet: Das Buch, welches von den beiden Schreiberinnen verwahrt worden war, wurde von einer der beiden aufgeschlagen (von Gertrud? von der namenlosen Schwester? ). Während der Lektüre wird die Schreiberin dabei von einer anderen Mitschwester beobachtet und diese beim Anblick 68 2 Autorität und Autorschaft im Liber specialis gratiae 87 Vgl. Liber (1877), S.-357f. 88 So etwa Schmidt in Liber (2013), S.-341, bei seiner Übersetzung. 89 Vgl. Liber (1877), S.-370. 90 Vgl. bereits als Inszenierung von Schriftlichkeit Psalm 40 (Vulgata: 39), 8f.: In capite libri scriptum est de me, ut facerem voluntatem tuam. Deus meus, volui, et legem tuam in medio cordis mei. 91 Vgl. Kirakosian (2017a), S. 172: »So gesehen nehmen jetzt die Textvermittlungsinstanzen zwischen den eigentlichen Textproduzentinnen (wenn man Gertrud und Mechthild von Hackeborn überhaupt noch als solche bezeichnen kann) und den Rezipienten einen immer eigenständigeren und einen immer gewichtigeren und gleich gesegneten Gnadenzustand in Anspruch. Ein fester Text bliebe wirkungslos. Der fließende Text erst lässt auch seine Redaktorinnen und Schreiberinnen an der Gnadenwirkung teilhaben.« des Buches im Herzen erregt. 87 Ohne dass Mechthild explizit erwähnt wird - lediglich auf ihre Berichte wird verwiesen -, thematisiert das Kapitel die Rezeption des Buches, und zwar ausdrücklich die textuelle Manifestation, welche nicht in abgeschlossenem Zustand verwahrt, sondern von den Mitmenschen rezipiert werden soll. Inwieweit man den Liber in engerem Sinne hierbei als Handschrift auffasst 88 oder er im übertragenen Sinne für den Textkörper steht, bleibt offen, besonders wenn das ganze Kapitel als Appell zur Verbreitung und Rezeption des Textes verstanden wird. An dieser Stelle erscheint der Text bereits von Mechthild ›abgekoppelt‹, jedoch als stabile (Text-)Einheit. Diese Entwicklung wird in den letzten beiden Kapiteln des fünften Buches ein letztes Mal thematisiert. Während V, 29 noch einmal vitenhaft das Leben Mechthilds Revue passieren lässt und diese als vorbildhafte und tadellose Person darstellt, welche alle Tugenden und Gelehrsamkeit besitzt, so erfolgt in V, 31 abermals die explizite Nennung Gottes als Korrektor. 89 Hier wird der Prozess der Veröffentlichung ins Blickfeld gerückt, welche durch die Äbtissin sowie mit dem Einverständnis eines Prälaten erfolgte - ob hierbei betont wird, dass nun doch ein männlicher Prälat an der Entstehung des Textes mitwirkte oder dieser lediglich sein Placet gab, sein Beitrag letztendlich also als verschwindend gering zu beurteilen ist (aber eben als literarisch und/ oder theologisch notwendig), bleibt ungeklärt. Nach einigem Zögern und Unvermögen der beiden Schreiberinnen überreichen sie Mechthild das Buch und lesen es ihr mit Ausnahme des Prologs und des letzten Kapitels vor, wobei keine Begründung für die Auslassung dieser beiden Passagen erfolgt. Aufgrund diverser Unklarheiten, inwieweit bestimmte Punkte der Wahrheit entsprächen, wendet sich Mechthild an Gott, der sie beruhigt und sich, wie oben bereits beschrieben, als Korrektor darstellt. Dieser Korrekturprozess geschieht also mit Mechthild als Mediatorin. Somit erscheint sie nicht nur als Vermittlerin des Inhalts, sondern auch als Beteiligte an der praktischen materiellen Ausgestaltung des Schreibprozesses. Es zeigt sich, dass in verschiedenen Abschnitten im Liber der Prozess der Verschrift‐ lichung thematisiert wird. 90 Innerhalb eines Beziehungsgeflechts haben verschiedene Akteure - Gott, Mechthild, zwei Schreiberinnen, Rezipienten - an der praktischen Aus‐ gestaltung des mystischen Textes ihren Anteil und treten miteinander in Beziehung. Mechthild ist die entscheidende Bezugsgröße, durch die Gott mithilfe seiner Visionen wirkt und durch deren Erleben die beiden Schreiberinnen erst ihrer Aufgabe nachgehen können. 91 Neben der Hackebornerin nimmt die Materialität des Textes eine bedeutsame Stellung ein. Der Beitrag eines jeden der drei am Text beteiligten Faktoren wird detailreich bis hin zur tatsächlichen Ausgestaltung des fertiggestellten Produkts beschrieben. Welche Bedeutung 2.3 Die Konstruktion von Materialität 69 92 Vgl. Nemes (2010), S. 377. Vgl. zur körperlichen Identifikation von Buch und Autor bei Seuse Kiening (2011), S.-53. 93 Ruhrberg (1995), S.-147. 94 Vgl. Unger (1993), S. 21, die ohne Begründung annimmt, dass die ersten sechs Bücher als Einheit zu betrachten sind, während das siebte Buch von den zwei Mitschwestern hinzugefügt wurde. 95 Vgl. das Kapitel VII, 17, in dem noch einmal der Wahrheitsanspruch des Buches durch Gott verbürgt wird. 96 Vgl. Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 67, f.-182r-183r. 97 Ebd., f.-183v. die Materialität des Textes erreichen kann, zeigt das Beispiel der Christina von Stommeln, in deren Fall der Handschrift ein reliquienähnlicher Status zugesprochen wurde, sodass sie über 500 Jahre bei Christinas Gebeinen verblieb. 92 Es wird deutlich, inwiefern hierbei von einem »literarischen Körper« 93 gesprochen werden kann. Als Gegenbeispiel zu Christina kann Marguerite Porète gelten. Als diese 1310 auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, wurde mit dieser auch ›ihr‹ Text ins Feuer geworfen. Die Materialität der verschriftlichten Manifestation war also für verschiedene ›frauenmystische‹ Texte gerade im Zuge der Rezeption von Bedeutung, wobei diese in nur wenigen Fällen textintern so selbstreferentiell auftritt wie im Liber. Unklar bleibt jedoch, welche Gestalt und Struktur dieser letztendlich doch relativ abs‐ trakt bleibende Liber besitzt - etwa die Frage, ob das sechste und siebte Buch tatsächlich als zu den anderen Teilen zugehörig oder als separate Entitäten betrachtet werden. 94 Auffällig ist auch, dass gerade in diesen beiden Büchern, mit einer Ausnahme, eine selbstreferentielle Passage fehlt. 95 Als ein Beispiel für die Komplexitätsreduktion im Zuge der Rezeption innerhalb der Überlieferung kann die Bearbeitung des Kapitels V, 22 in der deutschsprachigen Lichten‐ thaler Handschrift gelten. 96 Bereits die Überschrift markiert einen Wechsel, da nun nicht mehr vom ›Wahrheitsgehalt‹ (De veritate hujus libri), sondern Von der krafft disz bůches (f. 182r) gesprochen wird. Nicht der Autorisierungsprozess wird also ins Zentrum gerückt, sondern die Wirkung des aus diesem Prozess entstandenen Produktes. Diese Akzentver‐ schiebung setzt sich auch im Inhalt des Kapitels fort. Während im lateinischen ›Volltext‹ Mechthild Gott darüber befragt, warum ihr die Offenbarungen so lästig erschienen, so lautet die Frage in der Lichtenthaler Handschrift nur dahingehend, warum Mechthild als eigentlich Unwürdige - so ihre Annahme - trotzdem diese Gnade zuteilwird: f. 182r: Vnd sprach zů dem herren. Was hat (182v) dich gezwungen Oder dar zů geneigt Das du mir aller vnwirdigosten vnd aller schnosten Sölich grosz gnad hast getane. Da Enttwirt der herr vnd versprach. Das hat min vnvereint göttlich güttigkeit getane. Anstatt den Kommunikationsprozess - wie im lateinischen Text - zu reflektieren, erfolgt eine Fokussierung auf die Autoritätsperson Mechthild. Im Folgenden wird zwar Bezug auf die beiden Schreiberinnen genommen, die jedoch im Vergleich zum lateinischen Text kein schärferes Profil erhalten, was aufgrund der Kürzungen, etwa der Auslassung von V, 31, plausibel erscheint. Eine weitere Kürzung findet auch in V, 24 insofern statt, als zu Beginn nicht selbstreflexiv auf den Titel verwiesen wird (et quod Liber specialis gratiae nominetur), sondern lediglich festgestellt wird, das es ouch das bůch der geistlichen gnäd sie  97 . Anstatt selbstreflexiv 70 2 Autorität und Autorschaft im Liber specialis gratiae 98 Vgl. für performative Strategien am Beispiel eines Passionsgebets Buschbeck (2019), bes. S. 401-405. 99 Vgl. zur Verschränkung zwischen Gebet und Mystik Largier (2008), S. 366-369. Zur Immersion im Bereich der Gebetbuchliteratur vgl. Buschbeck (2021a), bes. S.-23-29. 100 Vgl. Ferguson (2003), zur Defintion von »partial literacy« S. 175: »concept of a feminized subject whose status as a reader but not a writer makes her subject to instruction, especially religious instruction as conveyed and controlled by a class of clerks (or intellectuals) that retain imaginary roots in the Latin-speaking priesthood«, zu »full literacy« S. 177: »[It; L. U.] grants women the ability to engage in writing or interpretation aimed at a public audience and at future fame.« Vgl. zur Problematik auch Tylus (2009), S.-43. 101 Die Auflistung zeigt, wie im Gegensatz zu manchen Forschungsmeinungen Mechthilds Name tatsächlich überliefert wird, vgl. grundsätzlich verschieden etwa Newman (2016), S. 599: »Only a single manuscript, copied from a lost exemplar at Helfta, gives her name; others use at most the initial M.« auf die Materialität des Buches Bezug zu nehmen, wird lediglich auf die mit dem Text intendierte Wirkung eingegangen und dabei auf den Fokuswechsel der Überschrift zwei Kapitel zuvor verwiesen. Allerdings wurde das Kapitel ansonsten in der Folge relativ detailgetreu übersetzt. Die Untersuchung weiterer Handschriften der ›Kurzfassung‹ wird daher infolge der Aufarbeitung der Überlieferung, sowohl der deutschen als auch der lateinischen Handschriften, notwendig, um Aufschluss darüber zu erhalten, inwieweit Per‐ spektivenwechsel, Akzentverschiebungen oder Reduktionen beobachtet werden können, die sich jeweils von Manifestation zu Manifestation unterscheiden. Die Reduktion an Text-Material spiegelt sich auch in denjenigen Passagen wider, die sich auf den Schreibprozess bzw. andere selbstreflexive Aspekte beziehen. Keines der bisher besprochenen Kapitel ist in den Gebetbüchern überliefert, was aufgrund der inhaltlichen Komponente nicht verwundert. In den meisten Fällen wird die Rahmenhandlung gekürzt, was oftmals einen Perspektivenwechsel der Sprecherrolle nach sich zieht. Nicht mehr Mechthild tritt als Sprecherin auf bzw. als Rezipientin einer Vision, viel eher rückt der Rezipient in die Ich-Rolle. Somit nimmt der Rezipient oder die Rezipientin den Nachvollzug der eigentlich Mechthild zukommenden Rolle vor und partizipiert damit am Text. 98 Dieser wird performativ - als Gebet - wiedergegeben. 99 So verändert sich auch der Blickwinkel auf die Rolle Mechthilds und den Textkörper. Es verwundert daher nicht, wenn durch den Fokuswechsel und die fehlende Anbindung an die Autorfigur das Subjekt Mechthild überflüssig wird. Dieser Befund zeigt deutlich die Schwäche von Autorschaftsmodellen auf, die von stabilen Texten ausgehen, etwa desjenigen von Margaret Ferguson, welches die handschriftliche Überlieferung vernachlässigt. Fergusons Modell attribuiert den schrei‐ benden Frauen unterschiedliche Grade an Literarizität, die von »partial literacy« bis zu »full literacy« reichen. 100 Erfolgt jedoch eine Zuschreibung an Mechthild, so lassen sich verschiedene Kategorien beschreiben, die im Folgenden kurz vorgestellt werden. Exemplarisch seien einige paratex‐ tuelle Elemente aufgeführt, die auf Mechthilds Text verweisen und dabei einen Überblick über die Verfahrensweisen geben, mit denen die einzelnen Handschriften auf Mechthild und ihren Text Bezug nehmen: 101 2.3 Die Konstruktion von Materialität 71 102 Freiburg, Erzbischöfliches Archiv, Hs. 11, f.-64v. 103 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 87, f.-223v. 104 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 109, f.-265v. 105 St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 591, S.-295. 106 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 37, f.-79r. 107 Hier zeigen sich allerdings bereits in der frühen Überlieferung mehrdeutige Perspektiven: In der zentralen Wolfenbütteler Handschrift, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. Helmst. 1003, f. 51r, findet sich sowohl eine bildliche Gestaltung der Maria Magdalena, die Jesu Füße mit ihren Tränen wäscht (vgl. Lk 7, 38), als auch eine knieende Frau, welche mit sponsa Iesu gekennzeichnet ist. Da eine weitere Marginalie das Kapitel als Oratio de sancta maria magdalena bezeichnet, erscheint eine Identifikation auf den ersten Blick eindeutig. Durch die Bezeichnung als Braut Christi sowie den Ordenshabit kann die Darstellung allerdings auch auf Mechthild hindeuten sowie, in Erweiterung, hervorgerufen durch die Darbietung des Gebets in der ersten Person, auf die jeweilige rezipierende Person. Somit ergibt sich eine, der Textkonstruktion kongruente, polyvalente Lesart der Darstellung. 108 Für ein etwas aufwendigeres Gebetbuch mit einigen Miniaturen aus dem niederdeutschen Raum vgl. etwa Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 326. Aufwendig verziert auch Köln, Kolumba - Kunstmuseum des Erzbistums Köln, Hs. König Nr.-26. i. Dis pater noster lerte v́nser herre die heilige closterfrow Mechilt sprechen fúr die selen dz sú erlöset wúrdent. Und do sú es eins usz gebettet do sach sú ein grosz schar der selen mit grossen fröuden zů hymmel faren […]  102 ii. Diese nachgeschriben fúnff Aue maria mit Jren vermanungen sprach gewonlichen die selige Jungfröwe sant Mechthilt so sú zü dem heiligen Sacrament gon wolte Als denn geschriben statt Jn dem ersten bůch der geistlichen genoden die sol ouch ein Jeglicher mensche gern sprechen so er dz heilige sacrament entpfohen wil  103 iii. Vnszer herre lert sanct mechtiltt daz sie allen tag iij mal solt sprechen den psalmen Laudate dominum omnes gentes Den ersten so man des morgens vffstet vnd disz gebett  104 iv. Vs dem bůche der geistlichen genoden  105 v. Dise noch geschribene funf aue maria mit iren vermanungen sprach gewönlich die selige Jungfrowe sant mehthilt So sú zü dem heiligen sacramente gon wolte als den geschriben stot in dem ersten bůche der geistlichen gnoden Die sol ouch ein jegelicher mensche sprechen so er dz heilig sacramente enpfohen will etc.  106 Deutlich zeigen sich zwei Verfahren, die als Alternativen zur bereits angesprochenen anonymen Überlieferung hinzutreten. Entweder wird auf Mechthild, die als vorbildhafte Bezugsperson gilt, als Autorität verwiesen (ii und v), der die entsprechende Vision bzw. das entsprechende Gebet gelehrt wurde (i und iii), und in deren Nachfolge der Rezipient oder die Rezipientin tritt. Auf der anderen Seite verweisen zahlreiche Handschriften (ii, iv, v) auf den Text selbst, der als einigermaßen ›feste‹ Einheit thematisiert wird, aus der das behandelte Exzerpt genommen wurde. In einigen Handschriften (ii und v) werden beide Bezugspunkte genannt, Mechthild als Autorität und der Liber. An keiner Stelle wird ein Autor genannt, auch Mechthild selbst wird nicht als Autorin bezeichnet. Eine solche Aufteilung setzt sich in der bildlichen Gestaltung Mechthilds fort, wobei die ikonographische Inthronisierung Mechthilds als Autorin erst Jahrhunderte später erfolgte, wie bereits gezeigt wurde. Zuvor findet sich eine Abbildung Mechthilds in kaum einer Handschrift, 107 auch ansonsten erscheint die Qualität der Verzierungen in den meisten Hand‐ schriften überschaubar 108 - was den Stellenwert des Liber als geistliche Gebrauchsliteratur 72 2 Autorität und Autorschaft im Liber specialis gratiae 109 Meier (1988), S.-78. unterstreicht. Ein Beispiel für die Autorität Mechthild findet sich erst im Pariser Druck von 1513, in dem Mechthild mit dem Herz Jesu als Attribut dargestellt wird (vgl. Abb. 3). Abb. 3: Liber trium virorum et trium spiritualium virginum, Titelblatt (Ausschnitt), Paris 1513 (München, Bayerische Staatsbibliothek, Res/ 4 P.gr.c. 100f) Auch hier gründet die Darstellung im Inhalt des Liber und weniger in der Autorrolle Mechthilds, wie dies an den paratextuellen Elementen in der handschriftlichen Überliefe‐ rung deutlich wurde. Trotzdem ist der textinterne Zusammenhang zwischen den einzelnen Textabschnitten bezüglich der literarisch konstruierten Materialität von entscheidender Bedeutung. Erst durch das Zusammenspiel zwischen Autorschaft in der Verschriftlichung und materiellem Ergebnis manifestiert sich der von Gott übermittelte Auftrag, der ja selbst wiederum in literarisch stilisierter Form erscheint: Denn die Selbstdarstellung, Teil des literarischen Werks, muß in ihrer Literarizität, d. h. in ihrer Stilisierung der eigenen Rolle und deren Funktion, durchschaut werden, der freilich dadurch die existentielle Wahrheit nicht genommen ist. 109 2.3 Die Konstruktion von Materialität 73 110 Vgl. Löser (2012), S. 159. Treffend fasst Buschbeck (2022), S. 30f., die Verschränkung verschiedener Ebenen zusammen, die die Rezeptionsebene miteinschließt: »Auf diese Weise ergibt sich ein mehr‐ fach verschachteltes Entsprechungsverhältnis zwischen Schriftzitat, in der Liturgie gesungenem oder gesprochenen Text, visionärer Schau, Inschrift, Inschriftenträger und Inschriftenauslegung sowie instruierend propagierter, gelesener und nachgesprochener Gebetsformel.« 111 Vgl. Ubl (2024, in Druckvorb.). 112 Löser (2016), S.-16. Bei der Betrachtung und Analyse solch selbstreferentieller Passagen wird überdies der Prozess der Verschriftlichung reflektiert. 110 Versucht man die Ergebnisse der bisherigen Untersuchung zusammenzufassen, so lässt sich im Verlauf der Rezeption eine Aufspaltung Mechthilds in zwei Instanzen feststellen, einerseits als Autorität, andererseits als Autorin, auch wenn in Folge der Zuschreibung Zweitere zugunsten der Erwähnung der materiellen Verfestigung des Textes zurücktritt. Deswegen trägt dieser Aspekt eine entscheidende Komponente zur Konstruktion des Textes bei, wie am Beispiel der Edition der Solesmenser Mönche im 19. Jahrhundert noch gezeigt werden kann, deren Bild von Mechthild (etwa als Benediktinerin) die Konstruktion ihres Textes, in ihrem Fall der Edition, entscheidend determiniert, sichtbar an der formalen Einrichtung des Textes. 111 So kann mit Löser konstatiert werden: Editionen geraten damit zu Denkmälern eines Autortextes, der durch atomisierte Varianten keineswegs untermauert wird, sondern in dem vereinzelte Varianten wie Blütenblätter um das Denkmal des Autors gestreut werden. 112 74 2 Autorität und Autorschaft im Liber specialis gratiae 1 Vgl. hierzu neuerdings Kirakosian (2021). 2 Vgl. vor allem Nemes (2010), S. 99-245. Für die Edition der Lux divinitatis vgl. Hell‐ gardt / Nemes / Senne (2019). 3 Vgl. etwa Hasebrink (1992). 4 Vgl. Quint (1944). 5 Hasebrink (1992), S. 370. Vgl. auch Largier (1995), S. 41, der auf Eckharts literarische Aktivität in beiden Sprachen hinweist, und S. 63 (Volkssprache als »Erweiterung und Deutung des vielzitierten lateinischen Programms«) bzw. 68f. Vgl. grundsätzlich auch Störmer / Caysa (1990), Köbele (1993), bes. S. 32-51, Steer (1992), Vollmann-Profe (2000) sowie Suerbaum (2012a). Zur Bildersprache bei Mechthild vgl. Finnegan (1991), S.-46-55. 6 Vgl. Hellgardt (2014), S. 139, zur wechselseitigen Beziehung zwischen Latein und Volkssprache im Zuge der Überlieferung, welche die Philologie lachmannscher Prägung vor unlösbare Aufgaben zu stellen scheint. 7 Vgl. etwa Hellgardt (2014), bes. S. 135, für die zentralen Unterschiede zwischen dem Fließenden Licht und der lateinischen Version, der Lux divinitatis. Vgl. auch Vollmann-Profe (2000), S. 138 und 152-154. 8 Vgl. Nemes (2010), S.-208-245. 3 Mechthild von Hackeborn im Spannungsfeld zwischen Latein und Volkssprache - die Kartause Basel als Fallstudie Der Liber specialis gratiae ist im Vergleich zu anderen ›frauenmystischen‹ Werken sowohl in der Volkssprache als auch in Latein in großen Stückzahlen überliefert. In der gleichen Gattung ist allein Mechthilds Helftaer Mitschwester Gertrud annähernd vergleichbar, deren Überlieferung und Rezeption bisher ebenso wenig Beachtung geschenkt wurde wie der der etwas älteren Nonne. 1 Während die lateinische Überlieferung des Fließenden Lichts, die Lux divinitatis, bereits in einigen Forschungsarbeiten gewürdigt wurde, 2 lassen die Überliefe‐ rungszahlen aber keine ertragreiche Rezeptionsstudie zu. Für die Hackebornerin können daher auf quantitativer Ebene allenfalls Vergleiche zur Rezeption der Dominikanermystik, also zu Eckhart und Seuse gezogen werden. 3 Ältere Forschungsarbeiten hoben vor allem die Unterschiede in der Verwendung der beiden Sprachen hervor, etwa im Bereich der empfindsameren Verwendung des Deutschen oder der Bildersprache. 4 Hingegen betonten Arbeiten der letzten drei Jahrzehnte die enge Verzahnung der beiden Sprachen je nach situativer Verwendung, wobei die Volkssprache als gleichwertiges »Medium theoretischer wie literarischer Sinnbildung unter Wahrung ihrer Funktion als Übersetzungssprache« 5 fungiert, wie Hasebrink betont. Da in dieser Arbeit vor allem die volkssprachigen Überlie‐ ferungsträger des Liber im Zentrum stehen, so erscheint es sinnvoll, an einem einzelnen Beispiel die lateinische Rezeption ins Blickfeld zu rücken, um aufzuzeigen, dass der Rezeptionsstrang hinsichtlich der Übersetzungstätigkeit keine wesentlichen Unterschiede zur Volkssprache aufweist und ähnliche Phänomene beobachtet werden können. 6 Dass sich durch Restrukturierungen und Auslassungen durchaus Änderungen bezüglich der Rezeption in der jeweiligen Sprache ergeben, bleibt davon unberührt bzw. verstärkt die Bedeutung des jeweiligen Kontexts des einzelnen Textzeugen. 7 Die Kartause Basel eignet sich als Fallstudie, da einerseits ihre Bedeutung für die Überlieferung von ›frauenmystischen‹ Texten, vor allem Mechthild von Magdeburg, 8 9 Einen Überblick über die Geschichte der Bibliothek bietet Honemann (2020), S. 12-18. Die posthum erschienene Publikation basiert auf dessen 1982 eingereichten Habilitationsschrift. 10 Vgl. Abram / Fournier / Nemes (2020). Gerade die Kartause Erfurt ist aufgrund ihrer Bibliothek samt erhaltenem Katalog sowie des Netzwerks zu zahlreichen mitteldeutschen Klöstern, darunter Helfta, in den letzten Jahren verstärkt in das Blickfeld der Forschung gelangt. 11 Nur die beiden oberdeutschen sowie drei der lateinischen Handschriften finden sich in Ziegers Verzeichnis, vgl. Zieger (1974), S. 14, 20, 25 und 65. Für einige Hinweise im Folgenden bin ich Balázs Nemes (Freiburg) dankbar, der für die Edition der Lux divinitatis in Kooperation mit Monika Studer (Basel) einige der alten Bibliothekssignaturen identifizieren konnte, vgl. hierzu Hellgardt / Nemes / Senne (2019), S. 490f. Für eine genaue Auseinandersetzung mit der Studie Ziegers vgl. Kapitel 1.4.2. 12 Basel, Universitätsbibliothek, AR I 2 (Registrum pro antiqua bibliotheca) und AR I 3 (Registrum pro nova bibliotheca). Das dem Standortverzeichnis vorausgehende Informatorium wurde von Sieber (1888) ediert. Vgl. hierzu auch die englische Übersetzung durch Halporn (1984). 13 Basel, Universitätsbibliothek, AR I 4a. Zu der Bibliotheksgeschichte der Kartause Basel, der Bedeu‐ tung des Bibliotheksbestandes und einem Überblick über die erhaltenen Verzeichnisse vgl. Sexauer (1978), S.-105-125 und Märker (2008), S.-353-355. 14 Vgl. Studer (2020) und Halporn (1984). Zur Überlieferung in der Basler Kartause vgl. im Vergleich zu anderen Kartausen auch Holtzhauer (2022), bes. S. 216-224, dem ich für einen Einblick in die Manuskriptfassung herzlich danke. bekannt ist, und sich andererseits einige Bibliothekskataloge bzw. -verzeichnisse erhalten haben, die Auskunft über einzelne Buchbiographien geben. 9 Hierbei wird deutlich, dass sich in der Bibliothek der Kartause Basel kein kategoriales Verständnis der Textsorte ›Mystik‹ nachweisen lässt, wie dies etwa in der Kartause Erfurt zu beobachten ist. 10 Durch die Anzahl der Überlieferungszeugen kann ein aussagekräftiges Panorama der Rezeption eines ein‐ zelnen Textes an einem spezifischen Rezeptionsort in der Wende vom 15. Jahrhundert zum 16. Jahrhundert geboten werden. Hierbei wird das Zusammenspiel zwischen Autorität/ Au‐ torschaft, den einzelnen Schreibern sowie dem jeweiligen Rezipientenkollektiv bei der Produktion und Rezeption der jeweiligen Textmanifestation aufgezeigt. Da sich auch volks‐ sprachige Handschriften mit Liber-Exzerpten aus der Kartause finden, können ebenfalls Untersuchungen zum Verwendungszweck der jeweiligen Sprache angestellt werden. Im Folgenden wird nach einem kurzen Überblick über die verschiedenen Bücherverzeichnisse, welche in relativ kurzen Abständen von verschiedenen Bibliothekaren im ersten Viertel des 16. Jh. angelegt wurden, zuerst auf die verschiedenen lateinischen Textzeugen des Liber eingegangen, bevor anschließend die beiden volkssprachigen Handschriften vorgestellt werden. 11 3.1 Die lateinischen Textzeugen der Kartause Basel Leider hat sich der Bibliothekskatalog des Priors der Kartause, Jakob Louber, der gleichzeitig auch das Amt des Bibliothekars bekleidete, nicht erhalten, dafür einerseits ein zweitei‐ liges Standortverzeichnis, angefertigt von Georg Carpentarius um 1520, 12 andererseits ein Stichwortkatalog des Urban Moser, der auf ca. 1515 datiert werden kann. 13 Louber hatte während seiner Amtszeit (1480-1501) ein neues Signatursystem eingeführt und die Bestände neu verzeichnet, wobei das System von seinen Nachfolgern übernommen wurde. 14 Im Stichwortkatalog Mosers werden diese neuen Signaturen verwendet und das 76 3 Mechthild von Hackeborn zwischen Latein und Volkssprache - die Kartause Basel 15 Ein Abdruck findet sich auch bei Hellgardt / Nemes / Senne (2019), S. 490f., sowie Holtzhauer (2022), S.-218f. 16 Vgl. Studer (2020) u.-a. gegen Halporn (1984), S.-226. Verzeichnis auf die Weise gestaltet, dass die einzelnen Textbestandteile der jeweiligen Handschriften ihren Autoren zugeordnet und diese alphabetisch aufgelistet werden. Mosers Verzeichnis vorgeschaltet befindet sich ein von Carpentarius geschriebener Index mit den Signaturänderungen, die in der Zeit zwischen Mosers Verzeichnis und Carpentarius’ eigenen Registern erfolgten. Blickt man nun in Mosers Verzeichnis (AR I 4a), so findet sich auf f.-208v folgender Eintrag zu Me: 15 Opera Melchtildis [sic! ] virginis 1 Reuelationes trium virorum scilicet herme vguetini et roberti et trium virginum scilicet hildegardis Elisabeth et Mechtildis h 8 2 lux diuinitatis C lxviij De bonitate religionis et prauitate quorumdam religiosorum ex libro qui dicitur lux diuinitatis E xv liber spiritualis gratie reuelationum Mechtildis de quo etiam supra E 77 E 103 3 Oratio Mechtildis quam semper dicebat post quinque pater noster E lxxx E li E 73 E 39 E 51 4 Quinque gaudia diuinae resurectionis J xxxiiij 5 Quinque Salue ad Mariam virginem pro negligentiis in eius horis J xl E 37 6 Tria Aue Maria cum tribus orationibus pro bona morte I xl E 116 Aliqua excerpta ex reuelationibus Mechtildis E 10 Wie zu erkennen ist, existieren zu dem Lemma ›Mechthild‹ sechs Einträge mit neun unterschiedlichen Titeln, wobei insgesamt auf 16 verzeichnete Bände verwiesen wird. Die ihr zugewiesenen Bücher unterscheiden sich insoweit, dass sich die Signaturen mit arabischen Zahlen auf Bestandteile der nova bibliotheca der Mönchsbibliothek beziehen, die römischen Zahlzeichen auf die Handschriften und Drucke der antiqua bibliotheca. Diese beiden unterschiedlichen Bestände werden in den beiden Standortkatalogen (einer für jeden Teilbereich) von Carpentarius aufgeführt. Wie sich im Folgenden zeigt, kann dabei die Annahme der älteren Forschung nicht aufrechterhalten werden, welche angenommen hatte, dass in der nova bibliotheca vor allem Drucke und volkssprachliche Werke aufbewahrt wurden, während die antiqua bibliotheca eher ältere und lateinische Handschriften beher‐ bergte. 16 Zwischen beiden Teilbibliotheken zirkulierten die Mechthild-Handschriften, von denen sich somit fürs Erste 16 Überlieferungszeugen verifizieren lassen. Der erste Eintrag bereitet bei der Identifikation des Inhalts wenig Schwierigkeiten. Hierbei handelt es sich um den Pariser Druck aus dem Jahr 1513, gedruckt von Jacobus Faber Stapulensis, in dem eine verkürzte Version des Liber mit anderen Frauen (Elisabeth von Schönau, Hildegard) und Männern (Hermas, Uguetinus und Robert) in Verbindung gesetzt wird. Es lässt sich ein Interesse an Viten-Texten feststellen, da die vorbildhaften Leben dreier Frauen und Männer für die Gestaltung des Lebens der Rezipienten als paradigmati‐ sches Beispiel dienen. Dieses Interesse bestätigt auch der Standort der Bibliothek, wobei hier jedoch eine Umsignierung erfolgte: Schlägt man in dem ›Register‹ des Carpentarius zu Beginn von Mosers Verzeichnis nach, um nach der Signatur h 8 zu suchen, so erfährt man, dass der Druck ungefähr zwischen 1515 und 1520 die neue Signatur C 82 erhalten 3.1 Die lateinischen Textzeugen der Kartause Basel 77 17 Vgl. Mosers Verzeichnis, f. 10r. Auf f. 6r zeigt ein Eintrag, dass die neue Signatur h 8 nun an das Werk vergeben wurde, welches zuvor die Signatur C 60 getragen hatte. 18 Vgl. Halporn (1984), S.-240. 19 Halporn (1984), S.-240, übersetzt »inspirational writings«. 20 Zumindest befindet sich kein Exemplar des Druckes in der Universitätsbibliothek Basel und auch von den in anderen Institutionen erhaltenen Druckexemplaren konnte bisher keines mit der Signatur der Kartause in Verbindung gebracht werden. 21 Das Schicksal des Stapulensis-Druckes kann dadurch allerdings nicht zwangsläufig erklärt werden, da sich auch keine Dublette in der Universitätsbibliothek Basel nachweisen lässt. 22 Vgl. zu den Lux divinitatis-Handschriften Nemes (2010), S. 108-110. Jedoch stellt die auf f. 202r aufgeführte Signatur keinen Verschreiber dar, sondern das erste x wurde bereits von Moser durchgestrichen. Nemes weist schlüssig nach, dass es sich bei der hier aufgeführten Handschrift um einen unbekannten Textzeugen handelt, der im Unterschied zu den Behauptungen früherer Forscher nicht mit denjenigen identisch sein kann, die überliefert sind. hatte. 17 Dass für diesen Druck gerade im Zuge der Rezeption die Biographien der einzelnen Personen von entscheidender Bedeutung waren, zeigt die Eingruppierung in die Kategorie C, die unter anderem Geschichtsbüchern vorbehalten war. Grundsätzlich lässt sich folgende Klassifizierung bestimmen: 18 In Gruppe A werden alle Bücher gruppiert, die den Septem Artes zugerechnet werden, außerdem philosophische und medizinische Schriften. Gruppe B beinhaltet Gesetzestexte, Gruppe C neben historischen auch literarische Texte. Predigten bilden die Gruppe D, wohingegen geistliche Traktate und devotionale Texte der Gruppe E zugerechnet werden. 19 Bibeln bleiben der Gruppe F vorbe‐ halten, Schriften der Kirchenväter der Gruppe G. Scholastische Texte bilden die Gruppe H, während zuletzt Gruppe I wiederum den gleichen Inhalt wie Gruppe E enthält, dabei allerdings nur Bücher mit kleinem Format berücksichtigt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass vor allem die Kategorien E und I den Großteil der Mechthild-Handschriften beinhalten, womit die Eingruppierung eines Überlieferungsträgers in Gruppe C als Besonderheit markiert werden kann. Dass kein anderer Überlieferungsträger mit Mechthild-Material unter die C-Signaturen‐ gruppe fällt (mit Ausnahme der Lux divinitatis-Handschrift unter 2), lässt darauf schließen, dass für die übrigen Überlieferungszeugen ebenfalls inhaltliche Gründe für deren Platz im Bibliotheksregal ausschlaggebend waren. Das Exemplar des Druckes konnte bisher nicht identifiziert werden, 20 was aber nicht verwunderlich erscheint, da die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Druck aus der Kartause erhalten hat, geringer als bei einer Handschrift aus gleicher Provenienz ist. Nach der Überführung des Bestandes in die Universitätsbibliothek 1590 wurden zahlreiche Dubletten verkauft oder vermutlich zerstört, sodass im Vergleich zu den Handschriften weitaus weniger Drucke noch vorhanden sind. 21 Betrachtet man nun die nächsten Einträge im Verzeichnis, so fällt auf, dass diese sich auf Handschriften mit der lateinischen Version des Fließenden Lichtes, der Lux divinitatis, beziehen, wobei die beiden ersten der unter 2 aufgeführten Titel sich in Carpentarius’ Verzeichnis auch unter Lu auf f. 202r finden. 22 Hieraus lässt sich schließen, dass zumindest der Bibliothekar Moser nicht zwischen den beiden Mechthilden differenzierte und sowohl die Lux divinitatis als auch der Liber specialis gratiae als Werke (opera) derselben Mechthild betrachtet wurden. Die erste Handschrift, eine mutmaßliche Vollhandschrift, stellt nicht die 78 3 Mechthild von Hackeborn zwischen Latein und Volkssprache - die Kartause Basel 23 Vgl. Stierling (1907), S. 15, und Senne (2003), S. 159. Vgl. dazu im Gegensatz Jakob Volradi in der Erfurter Kartause, der sehr wohl zwischen beiden Mechthilden - mit einer einzigen Ausnahme - zu unterscheiden wusste, vgl. Hellgardt / Nemes / Senne (2019), S.-494f. 24 Vgl. hierzu Nemes (2010), S.-109. 25 Bei Nemes (2010), S. 109, als ›V.4‹ bezeichnet (vgl. die Zählung der neuen Edition von Hellgardt / Nemes / Senne [2019], S. 330) mit Verweis auf S.-590 (richtig: S.-591) der Edition von 1877. 26 Vgl. hierzu ebd., S.-109. 27 Vgl. ebd., S. 109, jedoch ohne Blattangabe. Unter Spe findet sich in Mosers Verzeichnis kein Eintrag hierzu. 28 Neben Nemes (2010), S.-109, bereits Stierling (1907), S.-15, und Neumann (1993), S.-173, Anm.-9. 29 Vgl. dazu etwa in Mosers Verzeichnis f.-202r: Lucidarius in vulgari. Lux divinitatis-Handschrift mit der Sigle Rb dar, wie lange angenommen wurde, 23 sondern die Handschrift mit der Sigle Ra, nachweisbar durch die alte Bibliothekssignatur C lxviii. 24 Bei dem zweiten Titel De bonitate religionis ac prauitate quorumdam religiosorum ex libro qui dicitur lux divinitatis wird explizit auf ein Kapitel aus der Lux divinitatis verwiesen, das Kapitel V.2. 25 Allerdings ergeben sich nun Schwierigkeiten bei der Bestimmung der tatsächlichen Handschrift bzw. der Zuweisung des Textbestandteils. 26 Die Handschrift mit der Signatur E xv taucht in Urban Mosers Stichwortverzeichnis zwei weitere Male auf, nämlich zu einem Textbestandteil einer Bernhardsvita (f. 50r) sowie dem Speculum monachorum.  27 Trotzdem gelang es allen bisherigen Versuchen nicht, den gesuchten Band ausfindig zu machen. 28 Besonders verwirrend erscheint der Befund dadurch, dass tatsächlich ein Band mit der Signatur E xv von der Hand des Carpentarius existiert, die Handschrift B XI 19 des Laienbruders Hans Lessers, auf welche später noch ausführlich eingegangen wird - welche wiederum nicht bei den anderen Mechthild-Einträgen in Mosers Verzeichnis erscheint, obwohl diese 1479 in der Kartause geschrieben wurde und sich seitdem auch dort befand. Die Verwirrung lässt sich dahingehend aufklären, dass die Signatur in der volkssprachlichen Handschrift etwas größer ist als in den anderen Handschriften. Dies deutet darauf hin, dass die Handschrift B XI 19 Teil der Laienbibliothek war, was aufgrund des Schreibers, eines Laienbruders, sowie der Schreibsprache (in Mosers Verzeichnis wird nicht auf einen volkssprachlichen Text hingewiesen 29 ) nicht verwundert. Während die Laienbibliothekshandschrift derselben Signatur also erhalten ist, scheint die Handschrift der Mönchsbibliothek, welche ebenfalls Mechthild-Exzerpte überliefert, verloren gegangen zu sein oder wurde bisher nicht identifiziert. Der dritte Eintrag unter 2 führt wieder zum Liber zurück, wobei deutlich wird, dass die zeitgenössischen Rezipienten nicht zwischen den beiden Frauen gleichen Namens unterschieden, sondern lediglich zwischen zwei verschiedenen Werken, der Lux divinitatis einerseits sowie den Revelationes (= Liber) andererseits. Dieser Umstand wird insbesondere dadurch sichtbar, dass die beiden aufgeführten Handschriften unter der gleichen arabischen Ziffer zusammengefasst werden wie die vorherigen Überlieferungsträger mit den Texten der Magdeburgerin. Interessanterweise werden in dieser Kategorie alle angeblich vorhan‐ denen Vollhandschriften aufgeführt. Mit einem Blick in das Verzeichnis von Carpentarius lassen sich die beiden Handschriften bestimmen. Es handelt sich um die heute mit den Signaturen A IX 3 (E 77) und A IX 34 (E 103) bezeichneten Handschriften. Obwohl beide einen großen Textbestandteil des Liber überliefern, so wird nur die zweite der beiden 3.1 Die lateinischen Textzeugen der Kartause Basel 79 30 Vgl. Zieger (1974), S. 14, Nr. 3. Im Unterschied zu Zieger fängt bei A IX 34 der Text des Liber erst auf f.-66r an (bei Zieger »65r«). 31 Auch hier zeigt sich, dass die Annahme von bibliotheca antiqua = Handschriften bzw. bibliotheca nova-= Drucke nicht weiter aufrechterhalten werden kann. 32 Allerdings erfolgte laut Register keine Umsignierung dieser Handschrift. 33 Basel, Universitätsbibliothek, Cod. A IX 3, f.-1r. 34 Vgl. hierzu Sexauer (1978), S.-193-199. Handschriften in der Liste Ziegers unter den Handschriften der Gruppe B geführt. 30 Bei den beiden hier genannten Handschriften lässt sich im Übrigen die Funktionsweise des Verzeichnisses von Moser überprüfen, da entweder die alte Signatur wie im Fall von A IX 3 (E 77; nur noch schwach neben der neuen Signatur erkennbar) ausradiert / rasiert und die neue Signatur (J lxxxi) daneben gesetzt wurde, oder man die alte Signatur lediglich durchstrich (im Falle von E 103), sobald die neue Signatur E clx vergeben wurde. Carpentarius vermerkte diese Umsignierung (beide auf f. 7v) und führte die jeweiligen Titel in seinem Bücherverzeichnis der ›alten‹ Bibliothek unter der neuen Signatur und mit dem Titel Liber spiritualis gratiae (f. 42r) bzw. Liber spiritualis Mechtildis (f. 66v) auf. 31 Diese Umsignierung muss folglich zwischen der Erstellung der jeweiligen Verzeichnisse erfolgt sein, also zwischen 1515 und 1520. Da Carpentarius selbst die Reorganisation der Bibliothek vornahm, die Bücher umsignierte und deswegen die neuen Standortkataloge erstellte, die den Katalog von Louber ersetzten, stellte er dem inhaltlich geordneten Katalog von Moser eine Signaturenkonkordanz voran. Insofern kann man die Umsignierung noch genauer, nämlich um 1519 / 20 datieren. Für A IX 34 lässt sich noch ein zusätzliches Detail feststellen: Wie ein eventuell durch Carpentarius angefertigter Nachtrag der Signatur E 103 in Mosers Verzeichnis aufzeigt, gelangte die Handschrift erst nach der Anlegung des Verzeichnisses in den Besitz des Klosters oder wurde zumindest erst zu diesem Zeitpunkt neu in die Bibliothek eingegliedert. Das Gleiche lässt sich auch für den Band mit der alten Signatur E 116 feststellen, der ebenfalls kurz vor 1520 in die Kartause gelangt sein muss. 32 Innerhalb kurzer Zeit erfolgte also die erstmalige Aufnahme sowie Umsignierung zweier Bände mit Mechthild-Exzerpten - ein Indiz dafür, dass die einzelnen Bände nicht einfach nur im Regal standen, sondern Wissen tatsächlich handfest transferiert wurde. Inwieweit die ›alten‹ Bände umsigniert wurden, weil sie durch die Ankunft neuer Bücher wieder stärker in den Fokus rückten und vielleicht genau dadurch in diesem Zusammenhang erst eine veränderte Bedeutung erhielten, ist eine überlegenswerte Möglichkeit. Dass der Codex von der Signaturengruppe E nach J wechselte, könnte darauf hindeuten, dass man nun wieder mehr an der Biographie Mechthilds interessiert war und weniger am Inhalt des jeweiligen Textes. Wohl deswegen wurde im Unterschied zu der in der Gruppe E verbleibenden Handschrift der Eigenname in Carpentarius’ Verzeichnis hinzugesetzt. Carpentarius wird durch einen Vermerk in A IX 3 höchstpersönlich als Schreiber selbiger Handschrift benannt: Liber Cartusiensis Jn Basilea scriptus per Dominum Georgium carpen‐ tary confratrem nostrum / continens Librum Spiritualis gracie sive reuelaciones Mechtildis cum tabula.  33 Dass die Handschrift im Jahre 1512 geschrieben wurde, also etwa drei Jahre nach dem Klostereintritt des Schreibers, aber bevor er den Bibliothekarsdienst aufnahm (ca. 1519), 34 lässt vermuten, dass Carpentarius, der sich hervorragend in der Bibliothek 80 3 Mechthild von Hackeborn zwischen Latein und Volkssprache - die Kartause Basel 35 Basel, Universitätsbibliothek, Cod. A IX 3, f.-4r. 36 So bereits von einem Bibliothekar (Binz? ) im Spiegel von A IX 3 vermerkt sowie in der Katalogbe‐ schreibung von Binz (1907), S.-139-141. 37 Vgl. generell zur mehrteiligen Gliederung in Büchern Palmer (1989), zur Dreigliederung bes. S. 51-53. 38 Wenn keine Buchangabe vermerkt ist, so entspricht die Buchnummer in der lateinischen Edition derselben Nummer. 39 Zwischen I, 19 g und h ist als Kapitel 18, 2 ein halbes Pergamentblatt eingebunden, welches II, 19b enthält. Jedoch scheint dieses Blatt erst etwas später hinzugebunden worden zu sein (gleicher Schreiber), da der Text weiterläuft. auskannte, nach Anfertigung der Handschrift diese selbst signierte und in die Bibliothek einsortierte, sodass sie in seinem Verzeichnis berücksichtigt werden konnte, bevor er sie später wiederum selbst umsignierte, als er das Amt des Bibliothekars versah. Für das Jahr 1513 lässt sich eine Randnotiz belegen, in der das Ende der Handschrift als defekt beschrieben wird und daher Korrekturen im selben Jahr ausgeführt wurden (Nota finem periodiacum huius libri in quodam libro nouiter impresso repertum et transscriptum esse anno 1513  35 ). Da das andere Exemplar des Liber, A IX 34, von Urban Moser selbst abgeschrieben wurde, 36 liegt ein Beweis dafür vor, dass die beiden Handschriften mit größtem Liber-Bestand (im Glauben der Rezipienten also Vollhandschriften) von den beiden zeitgenössischen Bibliothekaren Urban Moser und Georg Carpentarius selbst kopiert wurden, was unterstreicht, welchen Stellenwert Mechthilds Liber für die Rezeption in Basel besaß. Beide Handschriften weisen darüber hinaus eine große Anzahl an Annotationen auf, die zeigen, dass der Liber tatsächlich rezipiert wurde. Anhand der Textgestalt des Liber in A IX 3 lässt sich die Einteilung der Kategorien durch Zieger noch einmal kritisch hinterfragen. Während dieser davon ausging, dass es entweder Handschriften mit allen sieben Büchern gibt oder diejenigen mit Kurzfassung aus Kapiteln der Bücher I bis V, so zeigt A IX 3 (E 77 / J lxxxi), dass auch Zwischenstufen anzutreffen sind, da im vorliegenden Codex auch Kapitel aus dem sechsten Buch überliefert werden. Die genaue Buch- und Kapitelstruktur weist darüber hinaus auch deutliche Abweichungen zur Edition auf. Die Handschrift unterteilt die Kapitel nämlich ebenfalls in fünf Bücher, von denen einige wiederum in zwei Teile aufgeteilt werden. Innerhalb der Kapitelzählung erfolgt teilweise eine weitere Untergliederung in Artikel bzw. eine zweite Unterebene, welche mit Paragraphen versehen wird. 37 Vergleicht man die Überlieferung von A IX 3 mit der lateinischen Edition, so ergibt sich folgende Struktur: 38 Pars prima Distinctio Prima Prolog, Vorwort, 1-5d; 6; V, 29; 7-9b; 10-13a; 14; 15; 17, 16b, a, 18c, a, d, e; II, 19; 19a-h  39 , 20a, b, 22-28, 34a, 29-31, 33, 34b, c, 32, 35 Distinctio Secunda 36-38, 41-47; II,1 Pars Secunda 2-18, 20-22, 24-29a, 32-34a, 35-37, 40; I, 8; I, 9b; I, 20c; I, 21; I, 13b Pars Tertia 1-2, 4-9a, 10, 12-17; IV, 13; 19-27, 29-36, 38-39, 44-47; III, 51; 48, 51 Pars Quarta 3.1 Die lateinischen Textzeugen der Kartause Basel 81 40 Diese unterscheiden sich von den älteren Überlieferungszeugen aus Leipzig, Wolfenbüttel und St. Gallen, vgl. zur Struktur dort Ubl (2024, in Druckvorb.). 41 Hieraus ergibt sich, dass das den Text abschließende Kapitel V, 30 als Epilog fungiert - und als ebensolcher auch ausgewiesen wird. 42 Vgl. für die Bedeutung des Johannes Springer (2016), S. 468: Aufgrund einer Stiftung bestand seit 1265 eine Grablege der Mansfelder Grafen, die dem Evangelisten gewidmet war. Vgl. dazu auch Oefelein (2004), S.-128. 5, 60, 6-7, 9; III, 18; 15-16; V, 28; 21-26, 28-30, 32, 35-38, 45, 47, 50-51; III, 45; 52-56, 58-59 Pars Quinta Distinctio prima VI, 1-7; 2 Distinctio secunda 1, 3, 27; VI, 9; 4, 6-9, 12; IV, 16; 11, 15, 10a, 15-17; IV, 16; 18b, a, 21, 20 Distinctio tertia II, 43; 24, 22, 23, 25-26, 30 Deutlich zeigt sich hier bereits auf der Makroebene eine Verschiebung, da verschiedene Kapitel und Kapitelverbünde neu zusammengesetzt wurden. 40 Auf der Mikroebene gestaltet sich der Befund wesentlich disparater, da einzelne Textabschnitte, die in der lateinischen Edition bzw. in anderen Handschriften als ein Kapitel aufgeführt werden, hier in verschie‐ dene Kapitel aufgespaltet sind, etwa der zweite Teil des Kapitels I, 1b oder der zweite Teil des Kapitels III, 36. Teilweise finden sich Kapitelabschnitte komplett separiert und an verschiedenen Abschnitten innerhalb des Textes: Während sich der zweite Teil des Kapitels III, 45 an der Stelle befindet, an der man ihn erwarten würde (hier Pars Tertia, Kapitel 38), so folgt der erste Abschnitt erst im vierten Teil des Textes als Kapitel 30. Zahlreiche Kapitel finden sich überdies leicht gekürzt oder in variierter Gestalt. Auch die Hierarchie in der Struktur weist Variationen auf, die leichte Akzentverschiebungen nach sich ziehen. So setzt sich das zweite Kapitel des zweiten Buches aus den Kapiteln II, 3a - II, 3b - II, 4 (1. Teil) - II, 4 (2. Teil) - II, 5 - II, 6 zusammen, die jeweils als einzelner articulus mit rubrizierter Überschrift aufgeführt, aber als capitulus secundus zusammengefasst werden. Dies verstärkt die Betonung der inhaltlichen Kohärenz der jeweiligen Kapitel, da in ihnen die Unterstützung Gottes für die immer wieder von Schwachheit und Krankheit befallene Mechthild im Zentrum steht. Die Verlagerung der Kapitel I, 8 - I, 9b - I, 20c - I, 21 (ohne den letzten Absatz) - I, 13b, die in der Handschrift als Kapitel 29 bis 33 des zweiten Buches aufgeführt werden, zeigt, dass auch größere Kapitelverbünde von der Umstrukturierung betroffen sind, was ebenso für die ersten Kapitel des sechsten Buches zutrifft, die hier als erste Kapitel des fünften Buches (Distinctio prima) erscheinen. 41 An einem Beispiel soll veranschaulicht werden, inwieweit eine solche Umstellung auch inhaltliche Neuakzentuierungen nach sich zieht. Kapitel V, 29 der lateinischen Edition wird in der Basler Handschrift zwischen den Kapiteln I, 6 und 7 eingefügt. Aufgrund der liturgischen Referenz, der Bibelstelle Io 15, 26 (Stabant autem juxta crucem), die sich eigentlich auf den Karfreitag bezieht, steht das Kapitel hier aus liturgischer Perspektive am ›falschen‹ Ort, nämlich zwischen einem Kapitel zu Johannes dem Evangelisten und dem Fest der Beschneidung des Herrn. Allerdings hat V, 29 als zentrales Element die Beziehung zwischen der Seele (Mechthild), Gott und Johannes zum Thema. 42 So nimmt in 82 3 Mechthild von Hackeborn zwischen Latein und Volkssprache - die Kartause Basel 43 Die in der lateinischen Edition folgende Frage Mechthilds, wie Johannes denn Maria anspräche, und die darauf folgene Antwort vrou muome, die in der Vergangenheit einige Forscher, etwa Schmidt (1987), S. 256, dazu verleitete, dem Liber eine volkssprachliche Originalsprache zuzuschreiben, fehlt in der Basler Handschrift. 44 Vgl. generell für einen Überblick über Kapitelstrukturen in der westeuropäischen Literaturgeschichte Palmer (1989). 45 So etwa auch in der lateinischen Edition, in der immer nur von »B«, »N« oder »M« die Rede ist, wobei die Edition hier der Wolfenbütteler Handschrift folgt. 46 In der Handschrift Kapitel 6 und 7 der Pars quinta. In der Edition bezieht sich V, 8 auf einen »H. von Plauen«. In der Basler Handschrift handelt es sich offensichtlich in beiden Kapiteln um dieselbe Person, vgl. f.-167r-v. 47 In der Handschrift Pars quinta, distinctio prima, Kapitel 2, f.-164r. der Karfreitagsvision die Seele die Position des Johannes ein und wird von Gott in die Obhut Mariens übergeben. Auf diese Weise erhält auch das nun vorangehende Kapitel I, 6 eine andere Funktion, indem es auf das Folgekapitel vorbereitet: In einer Vision sieht Mechthild den Herrn am Altar stehen, flankiert von Johannes und Maria, wobei ein Lichtstrahl vom Angesicht des Johannes auf die Gottesmutter fällt, da er es bisher noch nicht gewagt hatte, diese anzusehen. 43 Das Folgekapitel V, 29, in dem die tatsächliche Übergabe der Seele an die Gottesmutter erfolgt, ist narratologisch der logische Folgeschritt. Dass die Kapitel eng zusammengerückt werden, wird auch durch den strukturellen Zusammenhang deutlich, da beide Kapitel als Artikel 3 und 4 mit den Abschnitten I, 6a und 6b zu einem ›Gesamtkapitel‹ 4 mit vier Teilabschnitten zusammengefasst werden. Aus dem Karfreitags-Kapitel V, 29 wird also in der Basler Handschrift ein Johannes-Kapitel (4,-4). Dieses Beispiel kann stellvertretend für viele weitere Akzentverschiebungen stehen, die sich durch die Umstellungen und Variationen ergeben, sowohl auf Kapitelebene als auch auf der Ebene einzelner Kapitelabschnitte. 44 Interessant ist, dass einzelne Personenbezüge, die in anderen Handschriften gekürzt wurden oder nur als Initialen erscheinen, 45 in den meisten Fällen ausgeschrieben sind, etwa im Falle des Dominikanerbruders Nikolaus von Plauen (f. 167v: Blawe), dessen Name in den Kapiteln V, 7 und 8 genannt wird. 46 Im Falle des Grafen »B«, dessen Identität Carpentarius beim ersten Schreiben unbekannt war, wurde bei einem Korrekturvorgang (wohl von ihm selbst) durch einen Nachtrag am Rand berichtigt: Ex libro novitur parrhisys impresso colligitur hunc comitem Bernardum nominatum fuisse (f. 169v). Da mit diesem Nachtrag nur der Pariser Druck gemeint sein kann, der unter h 8 in Mosers Verzeichnis aufgeführt ist, muss das Exemplar in kurzer Zeit aus Paris nach Basel gelangt sein, da der Druck laut Kolophon im Juni 1513 erfolgte. Deutlich lässt sich also ein biographisches Interesse feststellen, welches neben Mechthild auch die anderen im Liber auftretenden Personen betrifft. Außerdem wird ein direkter Einfluss eines neuangekommenen Textzeugen auf einen sich bereits in der Kartause befindlichen Text greifbar - mehrere Manifestationen des Textes interagieren miteinander. Eine für vorliegenden Zusammenhang wichtige Notiz findet sich am Rande des Kapitels V,-2 47 , einem Kapitel mit einem Verweis auf Mechthild von Magdeburg. Der Schreiber war über den Namen zuerst sichtlich verwirrt und schrieb erst Mech beate, bezog den Verweis also auf die Hackebornerin. Wohl aufgrund textimmanenter Logik erkannte er, dass es sich jedoch nicht um diese handeln könne, strich das Geschriebene durch und ersetzte es durch Mechtildis. In einer Marginalie erfolgt die Erläuterung: 3.1 Die lateinischen Textzeugen der Kartause Basel 83 48 Vgl. etwa f.-35r, 37r, 121r, 127r, 141v, 154r, 158r, 163r sowie 167r. 49 Die Ausschmückung bestimmter Initialen, allen voran des ›B‹ in Benignitas findet sich jedoch ebenfalls in einigen anderen Handschriften, etwa in Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms 671, f. 6v; etwas kleiner in Düsseldorf, Landes- und Staatsbibliothek, Ms. B 193, f. 112v. Für das Aufkommen von Rubriken im 14.-Jahrhundert als Gliederungsmerkmal vgl. Palmer (1989), S.-73. f.-164r: Ambigitur ne forte fuerit alia soror illius sancte congregationis hoc nomine mechtildis vocata et non carnalis soror huius sancte Mechtildis nam et textus idipsum sonare videtur ita quod tametsi praesens reuelatio glorie vtrique convenire videatur tamen magis illi quam huic. Bereits Carpentarius war sich also nicht sicher, ob neben der Hackebornerin eine weitere Mystikerin mit gleichem Namen existierte - eine Tatsache, die in Mosers Verzeichnis ebenfalls festzustellen ist, wie bereits beobachtet wurde. Gegen den Strich gelesen bedeutet die Notiz allerdings, dass durchaus ein bestimmtes Bewusstsein um die Existenz einer ›anderen‹ Mechthild festgestellt werden kann, insgesamt die Schemen beider Mechthilden jedoch bereits deutlich verschwammen. Durch die Neuordnung von Carpentarius ergeben sich also verschiedene Neuakzentuierungen. Als eine der wenigen Mechthild-Handschriften lassen sich in der Handschrift A IX 3 durch kunstvolle Initialen zumindest Ornamentansätze feststellen, 48 während der überwie‐ gende Großteil der Mechthild-Überlieferung auch außerhalb der Kartause als eher prag‐ matisches Schrifttum bezeichnet werden kann und im Regelfall lediglich Rubrizierungen aufweist, die als Kapitelüberschriften vor allem funktionellen Charakter besitzen. 49 Anstatt eines Inhaltsverzeichnisses mit einer Kapitelübersicht wie in anderen Liber-Handschriften mit großem Mechthild-Bestand, den ›Vollhandschriften‹, findet sich im von Carpentarius geschriebenen Band stattdessen ein alphabetisches Register mit Sentenzen und Themen‐ komplexen, welches auf die verschiedenen Kapitel verweist (f. 5r-34r). So bietet sich dem Nutzer die Möglichkeit einer themenorientierten Lektüre, sodass dem Codex eher die Funktion einer Unterweisungslehre zugesprochen werden kann. Vermutlich aus diesem Grund erfolgte durch Carpentarius, nachdem er das Amt des Bibliothekars angetreten hatte, die Umsignierung in die I-Gruppe, also der Devotionalien. Die Handschrift A IX 3 eröffnet exemplarisch einen Einblick, inwieweit eine Schreibproduktion und -rezeption innerhalb der sogenannten ›Volltexte‹ des Liber zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort erfolgte und welche Vorstellungen von Text und Autor in einem bestimmten Kollektiv existierten. Widmet man sich nun dem nächsten Punkt in Mosers Verzeichnis, so fällt auf, dass dieses ein einzelnes Gebet in den Vordergrund stellt, nämlich eines, das Mechthild angeblich nach fünf Vaterunsern zu beten pflegte. Dass es aus dem Liber stammt und die Herkunft für die Rezipienten deutlich war, zeigt Mosers letzter Eintrag, in welchem auf andere (aliqua) Exzerpte aus dem Liber verwiesen wird. Auch die generelle Einordnung unter die opera Mechtildis zeigt die Verknüpfung zwischen Autorität und Autorschaft, da die Hackebornerin hier deutlich in beiden Rollen erscheint. Das Kapitel, es handelt sich um einen Ausschnitt aus IV, 56, findet sich in nicht weniger als fünf Handschriften, wobei festgestellt werden kann, dass es mindestens einen weiteren Codex in der Kartause gab, der ebenfalls dasselbe Kapitel beinhaltete, nämlich den Band mit der alten Signatur E 84 3 Mechthild von Hackeborn zwischen Latein und Volkssprache - die Kartause Basel 50 Vgl. zum Mechthild-Gebet in dieser Handschrift Hamburger / Palmer (2015), S. 469, 515-517 und 593-595 (Transkription). Vgl. für den Abschnitt am Beispiel von St. Nikolaus in undis Lentes (1996), S.-542-544. 51 Vgl. in der Edition (1877), S. 308. Die Edition bietet statt super excellentissimo lediglich superexcellenti. 52 Die Signatur wurde frei, da der Band mit der ursprünglichen Signatur von Carpentarius zu E 13, 3 umsigniert wurde. 53 Der Mechthild-Text findet sich auf f.-43v. Die Handschrift fehlt bei Zieger (1974). 54 Vgl. etwa Freiburg, Franziskanerkloster, Cod. 144, f. 25r, sowie ein Gebetbuch aus Sint-Truiden, f. 103, vgl. Indestege (1942), S. 93. Für eine moderne Zuschreibung vgl. http: / / www.preces-latinae.org/ thes aurus/ Filius/ StBrigid.html (31.3.2023). 55 Bei Hellgardt / Nemes / Senne (2019), S.-491, versehentlich als E 13 transkribiert. clvi, welcher die moderne Signatur A XI 62 trägt. 50 Der Text der Handschrift lautet folgendermaßen: f.-91v: Oratio beate Mechtildis quam super post quinque pater noster quae in memoriam dominice (! ) passionis consueuit dicere solebat adiungere (92r) Domine Jhesu Christe fili dei viui suscipe hanc oracionem in amore illo super excellentissimo in quo omnia vulnera tui sanctissimi corporis sustinuisti michique miserere et omnibus peccatoribus cunctisque fidelibus tam viuis quam defunctis Amen.  51 Da Moser diese Handschrift nicht verzeichnete, ist es wahrscheinlich, dass die Handschrift erst unter Carpentarius, von dem die Signatur stammt, zu den Kartäusern kam oder erst dann verfasst wurde. 52 Möglich wäre ebenfalls, dass schlicht vergessen wurde, den Text zu katalogisieren. Bei den Handschriften handelt es sich insgesamt zumeist um kleine Oktavhandschriften, die als Gebetbücher dienten und verschiedene Textbestandteile beinhalten. So lässt sich der Codex mit der Signatur E lxxx als die Handschrift A X 94 identifizieren. 53 Im Verzeichnis von Carpentarius trägt die Handschrift die Überschrift Ave maris stella (vgl. f. 37v) und zeigt daher auf, dass nicht nur Gebete, sondern auch Hymnen Bestandteile von Gebetshandschriften mit Liber-Inhalt sein können. Die Handschrift E li ist mit A X 96 identisch, wobei sich das Gebet hier auf f. 175r befindet. Jedoch erfolgt keine Zuschreibung an Mechthild oder irgendein anderer Verweis auf die Herkunft des Gebetes. Der Nachweis war somit nur durch das mosersche Verzeichnis möglich. Es zeigt sich, dass in zahlreichen anderen Fällen außerhalb der Kartause eine Identifizierung der Mechthild-Provenienz bisher nicht gelingen konnte, insbesondere da das vorliegende Gebet in anderen Fällen sogar unter Birgittas Namen geführt wird. 54 Die letzten drei Bände mit den Kartause-Signaturen E 73  55 , E 39 und E 51 wurden bisher nicht identifiziert. Es kann lediglich festgestellt werden, dass die ersten beiden durch Carpentarius umsigniert wurden, Ersterer zu E 12 3m (Titel: Hortulus anime), Zweiterer zu E clxxii (Titel: Textus passionis domini cum sanctorum authoritatibus). Unter Punkt 4 nennt Moser ein weiteres Exzerpt, welches auf das Kapitel I, 19 aus dem Liber verweist. Die Signatur J xxxiiii wird bei Carpentarius mit der Überschrift Vita Christi (f. 64r) angegeben, wobei der Kontext des Mechthild-Kapitels, sofern es sich um die richtige Handschrift handelt, unbekannt bleibt. Erst infolge einer eindeutigen Identifikation der Handschrift lassen sich weitere Aussagen über die spezifische Gestaltung des Mechthild-Kapitels im Kontext treffen. Als Feststellung kann nur konstatiert werden, 3.1 Die lateinischen Textzeugen der Kartause Basel 85 56 Normalerweise besteht kein Unterschied zwischen I und J - warum Moser hier die Minuskel verwendet, ist unklar. 57 Freundlicher Hinweis durch Balázs Nemes (Freiburg). 58 In beiden Fällen erfolgte lediglich durch die enthaltenen Texte eine Zuschreibung in die Kartause. dass die Handschrift wohl aufgrund der Größe in die Kategorie I bzw. J aufgenommen wurde, die pro libris pusillis et devotionalibus (Carpentarius, Register für die antiqua bibliotheca, f. 62v) vorgesehen war und verschiedene Kategorien geistlichen Schrifttums enthielt, die von Viten über Legenden bis hin zu geistlichen Übungen, Predigten und Kleintraktaten reichten. Auch die unter Punkt 5 verzeichneten Handschriften bedürfen einer Identifizierung, um sie weiteren Untersuchungen unterziehen zu können. Bei dem Kapitel handelt es sich um das in zahlreichen Handschriften als separates Liber-Exzerpt überlieferte Kapitel I, 43. Die beiden Handschriften in Mosers Verzeichnis tragen die Signaturen J xl und E 37. Bei einer Überprüfung der Einträge kann eruiert werden, dass die Signatur E 37 später zu J xxix umsigniert wurde (f. 7v in Mosers Verzeichnis). Interessant ist, dass zwei Handschriften lediglich Signaturen tauschten, da im umgekehrten Fall die neue Signatur E 37 nun von dem Codex besetzt wurde, der zuvor J xxix innehatte (vgl. f. 11r). Die beiden Titel hierfür im Register des Carpentarius lauten Diverse orationes etiam de sanctis sowie Liber meditationum beati Bernhardi. Dass dabei selbst Carpentarius Schwierigkeiten mit diesem Platzwechsel hatte, zeigt die Tatsache, dass er in seinem Verzeichnis zuerst den alten Titel aufnahm, ihn dann aber durchstrich und durch den neuen Titel ersetzte - ein Beweis dafür, dass die Umsignierung in manchen Fällen auch zu Schwierigkeiten führen konnte (f. 40r - Band der nova bibliotheca). Über die Gründe für den Tausch der beiden Bücher lässt sich lediglich spekulieren. Bei der dritten Handschrift, derjenigen mit der Signatur J xl, handelt es sich laut Carpentarius um ein Buch mit dem Titel De cognatione beate Marie et aliquibus confessoribus. Als letzte Gruppe führt Moser schließlich unter 6 zwei Bände auf, die die Signaturen i xl  56 und E 116 tragen, letztere als Nachtrag durch Carpentarius ergänzt. Um welche Handschrift es sich bei Ersterer handelt, bleibt dabei unklar, gerade bezüglich der Abgrenzung zu der gerade erwähnten Handschrift J xl - möglicherweise handelt es sich hierbei auch um denselben Codex. Bei der zweiten Handschrift ergibt sich das Problem, dass im Verzeichnis von Carpentarius kein Titel angegeben wird und der Eintrag neben der Zahl frei bleibt (f. 44r in der ›neuen‹ Bibliothek). Das in beiden Handschriften überlieferte Kapitel aus dem Liber, I, 47, findet sich außerdem in zwei weiteren Basler Handschriften, die heute unter den Signaturen A V 54e (Gebet auf f. 3r) und A VII 68 (f. 254v-255r) aufbewahrt werden. 57 Ob diese Handschriften bisher unbekannte Überlieferungsträger darstellen, die erst später in die Kartause gelangten, oder ob sie bereits von Moser / Carpentarius verzeichnet wurden und mit den alten Signaturen in Verbindung gebracht werden können, müssen weitere Untersuchungen zeigen. 58 Mit der letzten Subkategorie verweist Moser schließlich noch auf eine Handschrift mit weiteren Mechthild-Exzerpten, wobei in diesem Fall nicht der Kapitel-Titel angegeben, sondern lediglich auf die Handschrift verwiesen wird, die aliqua excerpta aus der Lux divinitatis enthält. Diese trägt die Signatur E 10, welche den Angaben zufolge zuvor umsigniert wurde (neue Signatur E xl, vgl. f. 7v bei Moser). Bei Carpentarius lautet der 86 3 Mechthild von Hackeborn zwischen Latein und Volkssprache - die Kartause Basel 59 Vgl. Stierling (1907), S.-15. 60 Vgl. die Edition der Lux divinitatis bei Hellgardt / Nemes / Senne, S.-XLV-XLVII. 61 Vgl. f.-149r-154r bei Moser. 62 Hinweise durch Balázs Nemes. 63 Vgl. Zieger (1974), S.-20, Nr.-1. Zieger konnte die Handschrift nicht einsehen. 64 Meyer / Burckhardt (1966), S. 784-786, geben die jeweiligen Abschnitte in der Reihenfolge der Edition an, anstatt der Struktur in der Handschrift zu folgen. 65 Der letzte Bestandteil 2m findet sich nicht bei Carpentarius, sondern wurde von anderer Hand nachgetragen, da es sich um die zweite Handschrift mit derselben Signatur handelt. 66 Zu lesen ist lediglich das erste x zur Hälfte sowie die beiden linken Unterstriche der anderen beiden x. 67 Vgl. Nemes (2010), S.-106-108. Titel hierzu Cesarius ad monachos. Es handelt sich im Gegensatz zu Stierlings Annahme 59 nicht um die Handschrift, die in der Mechthild von Magdeburg-Forschung unter der Sigle Ra bekannt ist, sondern um die Vorlage der Handschrift Be1. 60 In dieser im Bestand der Basler Universitätsbibliothek nicht nachweisbaren Handschrift befinden sich laut Mosers Verzeichnis zahlreiche Textbestandteile des Kartäusers Heinrich Arnoldi von Alfeld. 61 Zusätzlich zu den bei Moser aufgeführten Codices lassen sich Textbestandteile aus dem Liber in zwei weiteren Handschriften des Kartausen-Bestandes der Universität Basel nachweisen. 62 Zum einen ist hier die Handschrift A X 95 zu nennen, wobei sich der Mechthild-Abschnitt (III, 17, ohne den letzten Absatz) auf f. 223r befindet. Die Handschrift wurde von Carpentarius selbst im Jahr 1523 geschrieben, was erklärt, warum sie in Mosers Verzeichnis nicht aufgelistet wird, dafür jedoch in Carpentarius’ Verzeichnis für die bibliotheca antiqua (f.-63r). Ein größerer Bestandteil, der auch schon Zieger bekannt war, 63 findet sich außerdem in B X 36 (Mechthild-Abschnitt auf f. 140r-200v). 64 Diese Handschrift besitzt die alte Signatur E xiiij 2m  65 und lässt sich unter dem auch in der Handschrift verzeichneten Titel Meditationes de sancta Elyzabeth in Carpentarius’ Verzeichnis der ›alten‹ Bibliothek (f. 34r) finden. Im Vergleich zu anderen C-Handschriften in der Kategorienklassifikation Ziegers überliefert der Codex einen verhältnismäßig großen Textbestand. Dass somit eine Modifizierung der Kategorien angebracht erscheint, die die Funktionalität des einzelnen Textträgers stärker berücksichtigt, wird an vorliegender Handschrift, die allerdings weder Inhaltsverzeichnis noch Register oder Prolog überliefert, erneut deutlich. Eine weitere Handschrift, die für vorliegende Betrachtung miteinbezogen werden muss, wird heute unter der Signatur A 82 in der Burgerbibliothek in Bern aufbewahrt. Leider befindet sich auf dem Blatt mit der früheren Kartäusersignatur ein Loch (f. Ir), 66 allerdings ist aufgrund des Titels eine Identifizierung in Carpentarius’ Verzeichnis möglich. Es handelt sich um die alte Signatur E xxx mit dem Titel Doctrina proficiendi (f. 35r im Verzeichnis der ›alten‹ Bibliothek), welche nach Mosers Angaben zuvor die alte Signatur E 101 trug (f. 7v im Repertorium). Wie Nemes nachweisen konnte, handelt es sich hierbei jedoch um Lux divinitatis-Exzerpte, die sich auf f. 71r-77r und f. 78v befinden. 67 Wie die Überschrift auf f. 71r zeigt (Oratio beate Mechtdildis (sic! ) virginis), wird der Textabschnitt zweifelsfrei der Mechthild des moserschen Verzeichnisses zugesprochen, dem Amalgam aus Magdeburgerin und Hackebornerin. Möglicherweise unterlief dem Schreiber hier ein Fehler, indem er die letzte Ziffer von E 101 vergaß und sich insofern der letzte Eintrag E 3.1 Die lateinischen Textzeugen der Kartause Basel 87 10 erklären ließe. An anderer Stelle lässt sich eine Berücksichtigung in Mosers Verzeichnis feststellen: Auf f. 68r wird auf die Handschrift als Überlieferungszeuge für einen Brief Bonaventuras verwiesen, der in der Handschrift auf f. 1r beginnt - und der den Titel des gesamten Buches begründet. Fasst man nun die Ergebnisse der Analyse der lateinischen Textzeugen der Kartause Basel zusammen, so ergibt sich folgendes Bild: Neben acht heute noch existierenden Handschriften mit Mechthild-Exzerpten lassen sich indirekt mindestens neun weitere Handschriften nachweisen. Hinzu kommt noch ein Exemplar des Pariser Druckes von 1513 sowie möglicherweise die beiden Hss. A V 54e und A VII 68, die entweder mit einer der bekannten Signaturen identisch sind oder zusätzlich addiert werden müssen. In der folgenden Tabelle werden die Mechthild-Handschriften zusammengestellt. Dabei bleiben diejenigen Handschriften unberücksichtigt, die lediglich Abschnitte aus der Lux divinitatis überliefern: Neue Signatur Entste‐ hung Klassifikation Blattangaben des Liber Signatur in Hs. angefer‐ tigt von Biblio‐ theks‐ ver‐ zeichnis Moser Biblio‐ thekska‐ talog Carpen‐ tarius Basel, UB, A V 54e 15. Jh. Einzelne Lage 3r: I, 47 Ohne ? ? Basel, UB, A VII 68 Mitte bis Ende 15. Jh. - 254v-255r: I, 47 272r-274r: LD VI, 14c (2. Ab‐ schnitt) (FL VI, 37) 272r (Rand): LD VI, 14 f (FL VI, 27) 274r: III, 1 (Mit‐ telabschnitt) (FL VI, 3) Ohne ? ? Basel, UB, A IX 3 1512 MH als Haupt‐ text I-VI Carpen‐ tarius E 77 J lxxxi Basel, UB, A IX 34 Ende 15. Jh. Wohl erst als Einzeltext, jetzt zusammen in Sammelhand‐ schrift 66r-275r: I-V Carpen‐ tarius E 103 (Nach‐ trag, evtl. durch Carpenta‐ rius) E 103 E clx Basel, UB, A X 94 1473 Gebet‐ buch / Sammel‐ handschrift 43v: IV, 56 (Teil) Louber E lxxx E lxxx Basel, UB, A X 95 1523 Gebetbuch 223r-224r: III, 17 (ohne letzten Absatz) Carpen‐ tarius J xv J xv Basel, UB, A X 96 1467 / Ende 15. Jh. Gebetbuch 175r: IV, 56 (Teil) Louber E li E li 88 3 Mechthild von Hackeborn zwischen Latein und Volkssprache - die Kartause Basel Neue Signatur Entste‐ hung Klassifikation Blattangaben des Liber Signatur in Hs. angefer‐ tigt von Biblio‐ theks‐ ver‐ zeichnis Moser Biblio‐ thekska‐ talog Carpen‐ tarius Basel, UB, A XI 62 15. Jh. Sammelhand‐ schrift (Kurz‐ traktate, Ge‐ bete) 91v-92r: IV, 56 (Teil) Carpen‐ tarius - E clvi Basel, UB, B X 24 1484 Sammelhand‐ schrift; Medita‐ tionen und Ge‐ bete 23r-v: Exzerpt aus I, 46 Louber E cxlv E cxlv Basel, UB, B X 36 ca. 1400 (wider‐ sprüch‐ liche Kata‐ logangabe, wohl eher 2. Hälfte 15. Jh.) Sammelhand‐ schrift; Medita‐ tionen und Le‐ genden 140r-200r: grö‐ ßere Exzerpt‐ menge Carpen‐ tarius - E xiiii 2 m Exemplar nicht identifi‐ ziert 1513 Druck: Reuela‐ tiones trium vi‐ rorum […] et trium vir‐ ginum-… - - h 8 C 82 Nicht identifi‐ ziert - Titel bei Car‐ pentarius: Or‐ tulus anime - - E 73 E 12 3m Nicht identifi‐ ziert - Titel bei Car‐ pentarius: Textus passionis dominice cum sanctorum au‐ thoritatibus - - E 39 E clxxii Nicht identifi‐ ziert - Titel bei Car‐ pentarius: Rosa‐ rium beate Marie - - E 51 E 51 Nicht identifi‐ ziert - Titel bei Car‐ pentarius: Vita Christi - - J xxxiiii J xxxiiii Nicht identifi‐ ziert - Titel bei Car‐ pentarius: De cognatione beate Marie et ali‐ quibus confesso‐ ribus - - J xl J xl Nicht identifi‐ ziert - Titel bei Car‐ pentarius: leer - - E 116 (Nach‐ trag, evtl. durch E 116 3.1 Die lateinischen Textzeugen der Kartause Basel 89 68 Vgl. Ochsenbein (1980). Das Gebetbuch ist die einzige vollständig erhaltene Handschrift aus dem Dominikanerinnenkonvent. 69 Vgl. grundsätzlich zum Verhältnis von Laienbrüdern und Liturgie bzw. zu Gebetbüchern in Laienbe‐ sitz Erhard (2015), S.-287-289. 70 Zur Gattung des ›Privatgebetbuch‹ vgl. Ochsenbein (1988), mit einer Definition auf S. 380: »Gebets‐ sammlung, die in ihrem größeren Teil ebenfalls deutsche Stücke vereinigt, jedoch im Gegensatz zum deutschen Gebetbuch liturgischer Provenienz zur Hauptsache Gebete privaten Charakters enthält, das heißt Stücke, die lediglich für die persönliche, freiwillige Andacht bestimmt waren und deren lateinische Vorlage, soweit sich eine solche überhaupt ermitteln läßt, nie im offiziellen liturgischen Gottesdienst Verwendung fand.« Aufgrund der verschiedenartigen Rezeptionsmöglich‐ keit bestimmter Texte ist eine scharfe Trennlinie zu anderen Gattungen nur schwer möglich, was Ochsenbein selbst bemerkt, vgl. ebd., S. 394: »Die Mischung von Privatgebeten und Texten aus dem Stundenbuch läßt sich auch in späteren Handschriften immer wieder beobachten, sie kann so stark Neue Signatur Entste‐ hung Klassifikation Blattangaben des Liber Signatur in Hs. angefer‐ tigt von Biblio‐ theks‐ ver‐ zeichnis Moser Biblio‐ thekska‐ talog Carpen‐ tarius Carpenta‐ rius) Nicht identifi‐ ziert - Titel bei Car‐ pentarius: Cesa‐ rius ad Mona‐ chos - - E 10 E xl Nicht identifi‐ ziert - Titel bei Car‐ pentarius: Diu‐ erse orationes et de sanctis - - E 37 J xxix Nicht identifi‐ ziert - - - - E xv (? ) - 3.2 Die volkssprachlichen Textzeugen des Liber in der Kartause Für die beiden volkssprachlichen Handschriften besteht die Besonderheit, dass sich die direkte Provenienz nachweisen lässt, da beide aus Privatbesitz in die Kartause gelangten. A VIII 51 gehörte Margret Zschampi aus dem Dominikanerinnenkonvent Klingental, bevor diese den Codex nach ihrem Tod 1525, oder kurz zuvor, der Kartause Basel vermachte und dieser schließlich in die dortige Laienbibliothek eingereiht wurde. 68 Das Gebetbuch ist daher ein seltenes Beispiel eines Liber-Textes in Laienbrüderhand. 69 Der Eintrag der Signatur D xxv erfolgte durch die Hand von Carpentarius, der noch bis 1531 das Bibliothekarsamt versah. Das ›Gebetbuch‹ stellt laut Ochsenbein insofern eine Besonderheit dar, als es im Vergleich zu zahlreichen anderen Privatgebetbüchern nicht nur ausschließlich Gebete überliefert, sondern in der Mehrheit lehrhafte und didaktische Texte - somit muss auch der Mechthild-Abschnitt aus dieser Perspektive gelesen werden. 70 So werden verschiedene Kapitel über die Wunden Christi (die in der Edition bzw. anderen 90 3 Mechthild von Hackeborn zwischen Latein und Volkssprache - die Kartause Basel sein, daß eine eindeutige Zuweisung nicht mehr möglich ist.« Vgl. hierzu auch Lentes (1996), Bd. 1, S.-72-84. 71 Es handelt sich hierbei um die Kapitel IV, 56 (1. Teil); V, 6; I, 18d (Anfang); V, 6; IV, 56 (2. Teil). 72 Eine solche Untersuchung für eine bestimmte Gruppe von Handschriften wäre allerdings vielver‐ sprechend. Möglich ist allerdings immer eine Übertragung aus einer lateinischen Handschrift. Für ähnliche Fragen hinsichtlich der Handschriften der Kartause Basel ist der Hinweise bei Ham‐ burger / Palmer (2015), S. 516, bedeutsam, dass die direkte Vorlage des Mechthild-Exzerpts im Begerin-Gebetbuch aus Basel (A XI 62) zu stammen scheint. Sollte dies zutreffen, stellt dieser Vorgang ein weiteres Zeugnis für die Rezeption und den Austausch der Handschriften mit Liber-Bestandteilen dar. Vgl. auch den dortigen Hinweis auf einen Straßburger Druck (Drucker: Johannes Grüninger) mit dem Gebet bzw. den für die Rezeption des Textes spannenden Verlauf, vgl. auch Haimerl (1952), S. 92, Nr. 546, sowie Schwalbe / Zieger (2014), S. 31 und 175, Anm. 36. Vgl. ausführlich für die Tradition früher deutscher Gebete Hamburger / Palmer (2015), Bd.-1, S.-408-415. 73 Vgl. Kap. 2.3. 74 Vgl. zu Hans Lesser und der Handschrift Honemann (2020), S.-161f. 75 Vgl. ebd. Allerdings erwähnt Honemann in seiner eklektischen Aufzählung der Textbestandteile die Mechthild-Exzerpte nicht. 76 Vgl. Emmelius (2019), S. 172: »Bezugnahmen auf den liturgischen Vollzug des officium divinum, insbesondere markierte intertextuelle Referenzen auf liturgische Gesänge haben im ›Liber specialis gratiae‹ eine explizite zeitliche Strukturierungsfunktion für die Auditionen und Visionen der anima.« Handschriften in anderem Kontext erscheinen) neu zusammengestellt. 71 Im Anschluss werden nicht von Mechthild stammende Gebete unter Psalmverweisen vorgestellt, die direkt auf die in den Mechthild-Kapiteln erwähnten Themen Bezug nehmen und diese fortführen. Mechthild dient hier sozusagen als Einführung zu einem bestimmten Themen‐ komplex und als literarische Autorität - präziser müsste man jedoch sagen: nicht sie selbst, obgleich sie zwar als Sellige andechdige ivngfröwe Mechilt (f. 38r) eingeführt und erwähnt wird, sondern viel eher der Text. In der rubrizierten Überschrift Dis ist vs dem bůch der geistlichen genoden geschriben (f. 38r) wird auf den Text als Referenzwerk verwiesen. An dieser Stelle können keine detaillierten philologischen Betrachtungen über die genaue Vorlage erfolgen, 72 aber dass der Text selbst als Autorität dient, ist insofern relevant, da diese Beobachtung auch für zahlreiche andere Handschriften getätigt werden kann, 73 jedoch nicht für die lateinischen Handschriften aus Basel, die nicht den Volltext bieten. Letztere werden stattdessen eher mit der Person Mechthild assoziiert, an der sich auch das Verzeichnis Mosers orientiert. Die zweite volkssprachliche Handschrift, B XI 19, stammt ebenfalls aus der Laienbiblio‐ thek und kann dem Laienbruder Hans Lesser aus St. Gallen zugeordnet werden, der laut einem Eintrag in der Handschrift im Jahr 1478 in das Kloster kam und einen Großteil der vorliegenden Handschrift im folgenden Jahr schrieb. 74 Hier erscheint ein bestimmtes, Mechthild zugeschriebenes Gebet zweimal in verschiedener Schreibweise, welches von Zieger als ein zum Kapitel V, 6 zugehöriges Exzerpt identifiziert wurde. Für Honemann besteht der Band aus ursprünglich kleineren Heftchen, die schließlich von Carpentarius zu‐ sammengebunden wurden. 75 In beiden Fällen erfolgt innerhalb der Handschrift jedoch eine eindeutige Zuweisung an Mechthild: Vsz der uffenbarung sancte mechtildis ist genommen disz nachgeschribene gebet (f. 127r). Auch hier wird der Exzerptcharakter des Abschnittes deutlich, der Schreiber war sich also seines Exzerpierprozesses bewusst. Da lediglich das Gebet kopiert und damit von der dieses Gebet beinhaltenden Rahmenhandlung abgekoppelt wurde, ändert sich der Funktionsgebrauch des Textabschnittes. 76 Trotz allem besteht 3.2 Die volkssprachlichen Textzeugen des Liber in der Kartause 91 Dies gilt also selbst dann, wenn die Referenz nicht explizit geschildert, sondern durch die Einbettung innerhalb der Handschrift vorgegeben wird. 77 Etwa der Text eines Gerhardus, vgl. das Verzeichnis Mosers, f.-138r. 78 Vgl. Zieger (1973), S.-65 (Nr.-2). 79 Vgl. Meyer / Burckhardt (1966), S. 1034. Vgl. die von beiden vorgeschlagene Stelle bei Strauch (1882), S.-161-166. 80 Zieger (1974), S.-65. 81 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 253, f.-515v. weiterhin eine feste Anbindung an die als explizit ›heilig‹ verehrte Mechthild, die aber hier - wie auch in der anderen deutschsprachigen Handschrift - nicht als Autorin angesehen wird, sondern als Rezipientin von Offenbarungen. Im Textträger befindet sich auch tatsächlich ein der sancte Mechildis zugeschriebenes Gebet, welches im Folgenden transkribiert wird: f.-127r: Vsz der uffenbarung sancte mechtildis ist genommen disz nachgeschribene gebet O Du aller sterckste liebde gottis ich lobe dich O du aller wiseste liebde gottis ich gebenedien dich O du aller süszeste liebde gottis ich eren dich O du aller senffmudigste liebde gottis ich grüsze dich yn allem gude vnd vmb alles gut daz din aller erlichste gotheit (127v) vnd din aller seligste menscheit gewircket hat yn vns. Durch das aller edelste instrument dyns gotlichen hertzen vnd das sie werden wirken ewiglich Amen. Hier wird ersichtlich, dass es sich nicht um das Kapitel aus der Lux divinitatis handelt, wollte man annehmen, die Signatur E xv beziehe sich auf diesen Band. Aufgrund der Provenienz aus der Laienbibliothek lässt sich dies ausschließen - übrigens finden sich auch die anderen beiden Textbestandteile aus Mosers Verzeichnis, die dem Band aus der Mönchsbibliothek mit derselben Signatur angehören müssten, nicht in diesem Codex. 77 Allerdings ist Ziegers Annahme, es handle sich um das Gebet V, 6 aus dem Liber, zu korrigieren. 78 Interessanterweise befindet sich wenige Blätter später (f. 137r) noch einmal das identische Gebet mit wenigen Schreibvarianten (wiszte statt wiseste; liebe statt liebde; grosze statt grüsze). Bereits die Katalogisatoren der Handschrift, Meyer und Burckhardt, argumentierten, dass der Text weder von der einen noch der anderen Mechthild stammt. Sie schlugen stattdessen eine Verbindung zu Margareta Ebner und Heinrich von Nördlingen vor, die jedoch kaum überzeugt. 79 Zieger sprach sich in der Folge dagegen vehement für eine Identifikation aus dem Liber aus, wohl in der Annahme, es handle sich um das Kapitel V, 6: Trotz der Namensnennung wird das Gebet Mechthild ausdrücklich abgesprochen, dabei gehört gerade dies zu den am häufigsten überlieferten Stücken, das hier auch textlich einwandfrei wiedergegeben ist. 80 Vermutlich mag Zieger irritiert haben, dass die beiden Katalogisatoren auf eine mittelnie‐ derdeutsche Mechthild-Handschrift 81 verwiesen, deren Textbestandteil aber wiederum aus einem anderen Kapitel stammt (nämlich I, 19d bzw. e). Wie sich zeigt, handelt es sich allerdings um das Gebet aus dem Kapitel I, 5d, dessen Text lautet: Laudo te, o amor fortissime; benedico te, o amor sapientissime; glorifico te, o amor dulcissime; magnifico te, o amor benignissime; in omnibus et pro omnibus bonis quae tua gloriosissima divinitas 92 3 Mechthild von Hackeborn zwischen Latein und Volkssprache - die Kartause Basel 82 Vgl. Liber (1877), S. 19f. Vgl. allgemein zu den O-Antiphonen Ballhorn (1998), zu den Umdichtungen bes. S.-29f. 83 Vgl. Federer (2011), S.-326f., Anm.-185. 84 Vgl. zum Verhältnis zwischen Klosterreformen und dem Kartäuserorden Rüthing (1989), bes. S. 43 zur literarischen Produktion, die Rezeptionswirkung auf andere Denominationen besaß. 85 Hinzu kommt mit Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 17, ein weiteres Andachtsbuch mit lateinischem Exzerpt (I,-47). 86 Inwieweit das Kölner Beispiel tatsächlich ein exzeptioneller Fall ist oder nur einen besonders gut erforschten Bestand darstellt, muss offenbleiben. Zieger arbeitete vor allem mit den Beständen der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, in die ein großer Teil der Augustinerinnenbibliothek St. Maria Magdalena in Köln gelangte. et beatissima humanitas operata est in nobis per nobilissimum instrumentum Cordis tui, et operabitur in saecula saeculorum. Amen.  82 Somit ergibt sich für die beiden volkssprachlichen Handschriften folgende Zusammenfas‐ sung: Basel, UB, Cod. A VIII 51 um 1460 Gebet- und An‐ dachtsbuch 38r-40v: IV, 56 (1. Teil); V, 6; I, 18d (Anfang); V, 6; IV, 56 (2. Teil) Carpenta‐ rius - D xxv (Laienbib‐ liothek) Basel, UB, Cod. B XI 19 2. Hälfte 15. Jh. Gebet- und An‐ dachtsbuch 127r-v und 137r: I, 5d (Exzerpt) (dop‐ pelt, jedoch mit Va‐ rianten in der Schreibweise) Carpenta‐ rius - E xv (Laienbib‐ liothek) Nicht erfasst ist der Codex A XI 95, der ebenfalls Exzerpte aus dem Liber überliefert, jedoch aus dem Dominikanerinnenkonvent Unterlinden in Colmar stammt. Da die Handschrift erst um 1600 verfasst wurde, kann sie als sehr spätes Rezeptionszeugnis dienen, was zeigt, dass der Liber nicht nur um die Wende des 14. / 15. Jahrhunderts gelesen wurde, sondern auch darüber hinaus. Bei Betrachtung des Gesamtbefundes wird nun deutlich, dass der Behauptung Federers, Exzerpte aus dem Liber seien in der Universitätsbibliothek Basel nur noch in einer Handschrift vorhanden, widersprochen werden muss. 83 Stattdessen offenbart die Basler Kartause eine von nur wenigen Klöstern übertroffene Rezeption des mit der Hackebornerin assoziierten Textes. Dass sich insgesamt trotz einiger Unsicherheiten in der genauen Zählung um die 20 Handschriften direkt und indirekt nachweisen lassen, zeugt von der enormen Rezeption, die der Text Mechthilds im oberdeutschen Sprachraum und speziell in der Region des Oberrheins erfuhr, auch wenn der Bestand der Kartause Basel sicherlich zu den größten Klosterbibliotheken des 15. Jahrhunderts gezählt werden kann, der überdies besondere Rekonstruktionskonstituenten aufweist. 84 Auch für zahlreiche andere Klöster sind mehrere Handschriften mit Liber-Exzerpten belegt, so z. B. für St. Nikolaus in undis in Straßburg (5 85 ) oder als ein besonders eindrucks‐ volles Beispiel aus dem rheinfränkischen Sprachraum für das Augustinerinnen-Kloster St. Maria Magdalena in Köln (17). 86 Bedeutsam ist vor allem, dass keine der in Basel 3.2 Die volkssprachlichen Textzeugen des Liber in der Kartause 93 87 Dies zeigt der Katalog von Meyer / Burckhardt (1966) wie auch der in der Universitätsbibliothek Basel verwendete Zettelkasten. 88 Vgl. Nemes (2013), S. 185, für die Feststellung, dass der Text Mechthilds von Magdeburg im mitteldeutschen Raum meist mit ihr assoziiert, im oberdeutschen Raum hingegen anonym überliefert wird. 89 Vgl. Ochsenbein (1992) für grundsätzliche Beobachtungen zur Verwendung beider Sprachen in dominikanischen Frauenklöstern am Oberrhein. 90 Vgl. zum Beispiel für die belegte Interaktion zwischen Laien und Klosterbibliotheken Williams-Krapp (2004), S. 139. Vgl. generell zu Laienbibliotheken Bauer (1996), S. 20-28, für die Windesheimer überlieferten Handschriften uneingeschränkt Ziegers Gruppe A zugehört, wie sie von der Edition vertreten wird, was in der Folge zu problematischen Missverständnissen im Umgang mit der Rezeption des Liber führt. Die meisten Handschriften sind in die bei Zieger nicht klar getrennten Gruppen C und D einzuordnen - darunter auch die beiden volkssprachlichen Handschriften. Sie überliefern zumeist nur Ausschnitte, und zwar dezidiert Gebete aus einzelnen Kapiteln, und unterliegen somit einer anderen Funktion als dieselben Abschnitte in der von der Edition propagierten Offenbarungsschrift. Dieser Befund spiegelt sich in den Bibliotheksstandorten der Mönchsbibliothek wider, da die Handschriften in der Mehrheit der Fälle bei den Gebetbüchern aufgeführt werden, bisweilen auch bei den Unterweisungsschriften (vor allem in den Signaturengruppen E und I). In dieser Funktionialisierungsmöglichkeit des mechthildschen Textes darf daher wohl ein Hauptgrund für die quantitativ hohe Anzahl der Rezeptionszeugen des Liber zu suchen sein. Da innerhalb der Überlieferung durch die Anzahl an Textzeugen einerseits und die zeitgenössischen Kataloge bzw. Verzeichnisse andererseits besondere Konditionen gegeben sind, erlaubt der Bestand einen seltenen Einblick in spezifische Rezeptionsbedingungen. Für zeitgenössische Rezipienten verschwammen dabei die Grenzen zwischen der Mag‐ deburgerin und der Hackebornerin bzw. amalgamierten sich, wie Mosers Katalog aufzeigt (und auch Jahrhunderte später hatten wissenschaftlich Rezipierende der Handschriften noch ihre Probleme damit 87 ). Für die Basler Kartäuser existierte lediglich eine Mechthild, der verschiedene Texte und Gebete zugeschrieben wurden. Eine Ausnahme bildet die Randnotiz des Carpentarius, an der noch Spuren eines Bewusstseins der Existenz einer anderen Mechthild zu greifen sind. 88 Welchem Orden Mechthild angehörte, eine Frage, die etwa in manchen Benediktiner- oder Zisterzienserhandschriften thematisiert wird, blieb für die Kartäuser in Basel irrelevant. Weder Mosers Verzeichnis noch die meisten Handschriften schenken diesem Detail Beachtung. Auch die Tatsache, dass einige der Exzerpte aus dem Liber stammen, scheint in manchen Fällen nicht bewusst gewesen zu sein, da diese nicht als solche verzeichnet wurden. Insgesamt kann festgestellt werden, dass mit Carpentarius und Moser zwei Protagonisten des Bibliotheksbetriebes der Kartause persönlich als Schreiber von Handschriften mit Mechthild-Exzerpten in Erscheinung traten, was für die Bedeutung des Textes spricht. Verstärkt wird dieser Befund durch die zahlreichen Umsignierungen, die viele Codices mit Liber-Anteil betrafen und zeigen, dass die Handschriften tatsächlich rezipiert und in der Hand gehalten wurden, anstatt buchstäblich im Regal zu verstauben. Auch zum Verhältnis zwischen Latein und Volkssprache lassen sich Aussagen treffen. 89 Für die Kartause Basel war Latein die Sprache der Mönche, während die volkssprachli‐ chen Mechthild-Handschriften in der Laienbibliothek aufbewahrt wurden. 90 Die Frage, inwieweit in quantitativer Hinsicht Unterschiede festzustellen sind, welche Gebete bzw. 94 3 Mechthild von Hackeborn zwischen Latein und Volkssprache - die Kartause Basel Kongregation vgl. Kock (2002), bes. S. 15-19. Für einen Überblick über den Bildungsstand von Laienbrüdern vgl. Schreiner (1993), für den Kartäuserorden bes. S.-321f. 91 Ein erster Überblick über die überlieferten Handschriften offenbart hierbei keine größeren Unter‐ schiede. Exzerpte sich in lateinischen bzw. volkssprachlichen Handschriften befinden - in der Kartause divergieren diese - muss weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben. 91 Auch der paratextuelle Bezug auf den Liber bzw. Mechthild divergiert in beiden Sprachen: Während die lateinischen Handschriften eher auf Mechthild als Autorität verweisen, so beziehen sich die volkssprachlichen Handschriften auf den Buchtitel, den Liber. Auch ein solcher Unterschied lässt sich jedoch nicht grundsätzlich bei einem Blick auf die gesamte Überlieferung bestätigen. Durch den Vergleich der Handschriften aus der Kartause Basel wird die Schwäche der Edition sichtbar, wobei sich dabei generell die Frage stellt, ob man diese überhaupt als Referenz heranziehen sollte. Sicherlich gab es für Carpentarius und die anderen Schreiber eine Vorlage, aus rezeptionsorientierter Perspektive konnten die Kartäuser in Basel primär allerdings nur diejenigen Handschriften lesen, welche sich in ihrer Bibliothek befanden - oder diejenigen, auf die sie durch Ausleihpraktiken zugreifen konnten. Durch diese Manifestationen wurde ein bestimmtes Bild von Mechthild, aber auch von ihren Texten konstruiert, welches sich wiederum durch das Kopieren in neuen Überlieferungszeugen manifestierte. Die Auswirkungen setzen sich bis hin zur Gegenwart fort, etwa bei der Bestimmung der einzelnen Kapitelabschnitte durch Katalogisatoren oder Bibliothekare, die bei anonymer Überlieferung keine Zuschreibung tätigen konnten. Deutlich wird, dass jede textuelle Repräsentation, egal ob ›Vollhandschrift‹ oder Gebetbuch, eine eigene Version des Textes konstruiert, wobei dem jeweiligen Schreiber / Redaktor entscheidende Bedeutung zukommt. Die Kartause Basel bietet sich mit ihren Handschriften als Fallstudie für verschiedene Fragestellungen an, die exemplarisch für das Spannungsverhältnis zwischen lateinischer und deutscher Gesamtüberlieferung des Liber specialis gratiae stehen kann. Für die Kartause kann zwar eine grundsätzliche Trennung handschriftlicher Manifestationen beobachtet werden. Inwieweit sich aber die oberdeutsche Rezeption an anderen Rezeptionsorten und -kollektiven ähnlich verhält oder sich größere Divergenzen nachweisen lassen, wird in den folgenden Kapiteln aufgezeigt. 3.2 Die volkssprachlichen Textzeugen des Liber in der Kartause 95 1 Vgl. Zieger (1974) und Bromberg (1965). 2 Vgl. Kapitel 1.4.2. 3 Vgl. http: / / www.helftamysticism.org (31.3.2023). Das Projekt ist die digitale Visualisierung der in der eingereichten Abgabefassung der Dissertation als Anhang beigefügten Handschriftenliste. Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit den ›Digitale Lernwelten‹ in Eichstätt. 4 Vgl. Zieger (1974), S.-59-70. 4 Eine Mechthild, zwei Mechthilden, viele ›Mechthilden‹ - die oberdeutsche Überlieferung des Liber specialis gratiae Die Aufarbeitung der Überlieferungsgeschichte des Liber stellt immer noch eines der größten Desiderata der Mechthild von Hackeborn-Forschung dar. Bereits vor den Unter‐ suchungen von Manfred Zieger hatte sich Richard Bromberg mit der niederländischen Überlieferung beschäftigt. 1 Beiden Arbeiten liegt die Absicht zugrunde, textgeschichtliche Abhängigkeiten zu bestimmen sowie das Verhältnis zwischen lateinischen und volks‐ sprachlichen Überlieferungszeugen zu klären. Die Ergebnisse bzw. die Problematik der zugrundeliegenden Methode wurden bereits eingehend referiert. 2 Hieraus folgend stellt sich die Aufgabe, das vorhandene Material unter einer differenzierten und von den früheren Untersuchungen abweichenden Sichtweise zu betrachten und die Perspektive der Überlieferung und Rezeption in den Vordergrund zu rücken. Es wird also nicht lediglich gefragt, welchen Beitrag die einzelne Handschrift für die Textgeschichte besitzt, sondern der einzelne Überlieferungsträger selbst steht im Zentrum. Wann, wo und wie wurde der Liber in seiner spezifischen Überlieferungsgestalt rezipiert? Hierdurch ergeben sich bereits in quantitativer Hinsicht Rückschlüsse auf das Rezeptionsverhalten sowie Einblicke in Netzwerke und hinter den Handschriften stehende Strukturen, welche für die Produktion, Verbreitung und Lektüre des Textes verantwortlich gemacht werden können. Ein erster Schritt bei der Aufarbeitung wurde im Rahmen des von der British Academy geförderten Projekts ›MMMMO - Mechthild’s Medieval Mystical Manuscripts Online‹ unternommen, welches zum Ziel besitzt, alle Überlieferungszeugen des Liber zusammen‐ zutragen. 3 Hierbei können die einzelnen Handschriften nach Alter, Orden und / oder Schreibsprache gefiltert werden. Die Textzeugen werden hierbei auf einer Karte verortet und die Provenienz kenntlich gemacht. Die digitale Darstellung erlaubt eine kontinuierliche Aktualisierung und Ergänzung im Falle zu erwartender Neufunde und Identifikationen, gerade im Fall der lateinischen und niederdeutschen / niederländischen Überlieferung. Somit wurde ein neues Referenzsystem etabliert, welches auch in Zukunft als Anlaufstelle der Helfta-Forschung fungieren kann. 4.1 Die oberdeutschen Mechthild-Handschriften - ein Überblick Ziegers Handschriftenliste 4 der oberdeutschen Liber-Handschriften, die 37 Titel inklusive der Drucke umfasst, lässt sich nach heutigem Forschungsstand um mindestens 25 Hand‐ 5 Vgl. etwa das Repertorium der Sangsprüche und Meisterlieder, Bd. 1, hg. von Brunner / Wachinger (1994), S. 256, sowie den Katalogeintrag bei Becker (1914), S. 3-7. Die Datierung auf 1428 (vgl. f. 120v) spricht ebenfalls für die Stellung zwischen der früheren niederländischen und der etwas späteren oberdeutschen Überlieferung. 6 Vgl. Degering (1932), S.-186. 7 Es handelt sich dabei um die Codices Ebstorf, Klosterbibliothek, Mss. IV 4, 5, 13 (vermutlich in Wienhausen geschrieben), 15 und 17. Vgl. die Beschreibungen bei Giermann / Härtel (1994). Alle Handschriften stellen hierbei lateinisch-deutsche Mischhandschriften dar, wobei die Mechthild-Ex‐ zerpte (zumeist das Kapitel III, 17) in lateinischer Sprache überliefert werden. 8 Von Bihlmeyer (1961), S.-23*, wurde die Handschrift als »schwäbisch« gekennzeichnet. schriften erweitern - auch wenn dabei die bei Zieger aufgeführte Straßburger Handschrift Ms. 1995 subtrahiert werden kann, die von diesem noch zu den oberdeutschen Hand‐ schriften gezählt wurde, wohl aber eher dem rheinfränkischen Sprachraum zuzuordnen ist. 5 Selbiges gilt für den mitteldeutschen Berliner Codex Ms. germ. oct. 560. 6 Beide Beispiele verdeutlichen, dass auch in anderen deutschen Sprachräumen Chancen bestehen, neue Handschriften mit Mechthilds Text zu identifizieren und weitere Informationen zu bereits bekannten Codices zusammenzutragen. So konnten beispielsweise für den niederdeutschen Sprachraum fünf Handschriften aus dem Benediktinerinnenkloster Ebstorf identifiziert werden, die ebenfalls Mechthild-Exzerpte überliefern, zumeist in nur wenige Jahre vor der Reformation verfassten lateinisch-deutschen Gebetbüchern, und damit ein halbes Jahrhun‐ dert vor dem Ende der benediktinischen Tradition des Klosters. 7 Im Allgemeinen können bestimmte Übergänge vom Oberdeutschen zum Mitteldeutschen als fließend angesehen werden, wie zum Beispiel die Heidelberger Hs. 33 zeigt, die deutlich mitteldeutsch geprägt ist, allerdings trotzdem oberdeutsche Einschläge aufweist - erklärbar aufgrund ihres Status als Abschrift des Leipziger Druckes von 1508. 8 Die quantitative Erhebung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihr ein methodisches Problem zugrunde liegt. Es können selbstverständlich nur die Belege des Liber berücksich‐ tigt werden, die von den Autoren der jeweiligen Kataloge als solche erkannt wurden, weil sie entweder durch den Schreiber Mechthild zugeschrieben worden waren oder der Text den Katalogisatoren bekannt war. Hierbei sind aus textgeschichtlichen Gründen, die teilweise schon erläutert wurden - Textumstellungen und Neuarrangements auch innerhalb einzelner Kapitel -, fehlende Identifikationen nicht auszuschließen, vor allem im Bereich der Gebetbücher und der Klein(st)überlieferung von Exzerpten. Trotz des zu erwartenden Hinzugewinnes weiterer Überlieferungszeugen bei genauerer Analyse der bisher katalogisierten Handschriften sowie der noch unerforschten Bestände lassen sich aufgrund des breiten Überlieferungsmaterials doch grundsätzliche Aussagen zur oberdeut‐ schen Überlieferung treffen. Zum einen zeigt sich, dass die Kritik an einer Abtrennung zwischen einer Gruppe B und C, wie sie in Ziegers Arbeit erfolgt, berechtigt ist. Der Übergang von Handschriften, die einen großen Mechthild-Bestand überliefern, bis hin zu einem Gebetbuch, welches lediglich ein Kapitel des Liber überliefert, ist fließend. Es existieren Handschriften wie der Cod. Lichtenthal 67, bei denen Mechthilds Text als Haupttext fungiert, aber auch Sammelhandschriften erbaulichen oder didaktischen Inhalts, die mehrere Kapitel, ganze Kapitelverbände oder nur kleine Exzerpte beinhalten können. Die Entwicklung setzt sich bis zur Gattung der Gebetbücher fort, die allerdings nicht nur zwangsläufig ein oder zwei Kapitel überliefern, sondern in denen ebenfalls eine 98 4 Eine Mechthild, zwei Mechthilden, viele ›Mechthilden‹ - die oberdeutsche Überlieferung 9 Dieser bietet an verschiedenen Stellen in der Handschrift einerseits aus dem Liber stammende Kapitel, andererseits aber auch zahlreiche Mechthild zugeschriebene, bisher nicht identifizierte Textstücke. Zur Handschrift vgl. Schneider (1984), S.-651-659. 10 Über die breite Basis an Katalogeinträgen konnten allerdings auch bisher unidentifizierte Stücke bestimmt werden. So konnte z. B. das bisher unbekannte Stück im Cgm 860 über den Verweis auf Stammler (1965), S. 29, aufgelöst werden, der das Stück seinerzeit aus der Beuroner Handschrift abgedruckt hatte. Allerdings muss die Identifizierung als I, 5d, die dort durch den Katalog erfolgte, bezweifelt werden, handelt es sich doch viel eher um ein Exzerpt aus I, 5b. Der Abschnitt III, 17 wird von Schneider (1984), S.-687, versehentlich als »VIII, 17« bezeichnet. 11 Vgl. Prag, Nationalbibliothek, Frag. germ. 42b. Die Handschrift ist bei Zieger (1974), S. 69, aufgeführt. Durch die Signaturenwechsel der Prager Bibliothek bestehen Identifikationsschwierigkeiten. Eine Konsultation von Marek / Modráková (2006) ergab keinen Treffer. 12 Diese Beobachtung stützt somit die These von Lentes (1996), Bd. 1, S. 89, über die ordensübergreifende Herausbildung einer »Frömmigkeit der Gebetbücher«. 13 Vgl. Ochsenbein (1980). Dieser erkannte nicht, dass sich in der Handschrift ein Mechthild-Exzerpt befindet. Vgl. generell zur Rezeption von Stundengebetbüchern bei Frauen Mellon (2008), S. 36-47, mit dem Fokus auf mariologischen Texten. beträchtliche Masse an Mechthild-Kapiteln identifiziert werden kann, wie zum Beispiel der Münchner Cgm 856 zeigt. 9 Dieser verdeutlicht auch die Schwierigkeit, bestimmte Textstellen aus dem Liber zu identifizieren, da die Exzerpte oftmals aus nur wenigen Zeilen bestehen und erheblich vom Text der lateinischen Edition abweichen. 10 Solche Stellen verdeutlichen die Instabilität des Textes, die in den verschiedenen Text‐ gestalten von den frühen lateinischen Handschriften bis zu den späten oberdeutschen Drucken auftritt und selbst noch im 18. Jahrhundert zu einer Vervielfältigung des Textes führt, wie ein Prager Einzelblatt zeigt, das wohl nicht zufällig eines der am weitesten verbreiteten Kapitel (I, 43) überliefert. 11 Gerade bei Berücksichtigung der neuen Überlieferungszeugen kann festgehalten werden, dass der Liber ordensübergreifend gelesen wurde. 12 In zahlreichen Bibliotheken der verschiedenen Kongregationen finden sich Textzeugen, die von Augustiner-Chorfrauen (Inzigkofen), Benediktinerinnen (Eichstätt, Frauenalb), Klarissen (Freiburg), Zisterzien‐ serinnen (Kirchheim am Ries, Lichtenthal, Heggbach, Eschenbach), Dominikanerinnen (Nürnberg, Straßburg, Augsburg, Freiburg, Colmar), Franziskanerinnen (Wonnenstein, Ingolstadt) bis hin zu Kartäusern (Basel) aufbewahrt wurden. Die meisten Handschriften wurden in Frauenklöstern rezipiert, wobei sich durchaus auch Ausnahmen finden lassen, wie das Beispiel der Kartause Basel zeigt. Dieser Befund bedeutet nicht, dass die Hand‐ schriften auch in den jeweiligen Klöstern geschrieben wurden. Als Beispiel für einen solchen Fall lässt sich das bereits erwähnte Privatgebetbuch der Margret Zschampi (Basel, UB, Cod. A VIII 51) anführen, welches erst nach dem Tod der Eigentümerin in den Besitz der Kartause Basel gelangte. 13 Die Handschrift ist zudem ein Beleg für eine Rezeption zu einem relativ frühen Zeitpunkt. So entstand das angesprochene Gebetbuch um 1460 und stellt damit einen der früheren oberdeutschen Textzeugen dar, wenn man bedenkt, dass die Handschrift Cod. Lichtenthal 67, die für Zieger aufgrund ihres großen Mechthild-Corpus eine entscheidende Rolle einnahm, erst im Jahr 1470 geschrieben wurde. Ähnlich früh entstanden auch der Nürnberger Cod. Cent. VI, 43 l (1446) sowie der Karlsruher Cod. Lichtenthal 87 (um 1450-54), die eine oberdeutsche Rezeption an verschiedenen Orten, in Nürnberg und wohl auch Straßburg, bereits um die Jahrhundertmitte belegen. Der Berliner 4.1 Die oberdeutschen Mechthild-Handschriften - ein Überblick 99 14 Vgl. etwa die Berliner Handschriften, die in den Besitz Daniel Sudermanns gelangten, vgl. dazu Hornung (1956) und Schiewer (2019), S.-138f. 15 Vgl. Schromm (1998), S.-309f. 16 Vgl. Degering (1932), S.-186. 17 Vgl. Zieger (1974), S.-254. 18 Vgl. Hornung (1956), S.-142f. 19 Vgl. ebd., S. 143-146. Auch die gleichen Maße des Textspiegels sowie das gleiche Wasserzeichen sprechen dafür. Codex Ms. germ. oct. 572 zeigt hierbei einen Wanderweg vom monastischen Kontext in Privatbesitz auf. Lässt sich die Handschrift ursprünglich für das Kloster St. Walburg in Eichstätt nachweisen, so fand sie schließlich, wenn auch erst im beginnenden 19. Jahr‐ hundert, ihren Weg in den Privatbesitz des Kölner Erzbischofs und Kardinals Johannes von Geissel. Natürlich lässt sich nicht belegen, dass dieser die Handschrift nur aufgrund des Mechthild-Exzerptes kaufte. Der Fall zeigt aber, dass die jeweiligen Nachbesitzer im Übergang zwischen Spätmittelalter und Moderne nicht vernachlässigt werden dürfen. 14 Erst über Zwischenschritte wie den Kölner Erzbischof gelangten die Handschriften an ihre derzeitigen Bibliotheksorte, weswegen gerade die Besitzer in der Frühen Neuzeit Aufschluss über Rezeptionswege der jeweiligen Texte geben. Der Cod. Lichtenthal 67 zeigt ebenfalls eine Wanderbewegung zwischen Klöstern auf, da er von einem männlichen Schreiber vermutlich für das Zisterzienserinnenkloster in Lichtenthal geschrieben wurde. Ähnliches kann für die sich in Beuron befindliche Handschrift angenommen werden, die im Benediktinerkloster Neresheim von einem Mann geschrieben wurde, allerdings eine Widmung für eine Zisterzienserin in Kirchheim am Ries trägt, in deren Besitz die Handschrift auch nachgewiesen werden kann. 15 Später findet sich die Handschrift im Augustinerchorfrauenstift Inzigkofen, was den ordensübergreifenden Status der Gebets‐ handschrift und damit auch von Mechthilds Text exemplarisch aufzeigt. Die Berliner Handschrift Ms. germ. oct. 560 offenbart ebenfalls eine intentionale Anfertigung eines männlichen Schreibers für Klosterfrauen. Diese Anfertigung ergibt sich aus textinternen Gründen, die den Gebrauch für Nonnen wahrscheinlich machen, obgleich sich der Schreiber Niclas Numan, belegt für das Augustinerchorherrenstift Groß-Frankenthal, selbst nennt. 16 Aber auch innerhalb der einzelnen Handschriften lassen sich Zusammenhänge er‐ kennen. So war Zieger der Meinung, dass die beiden Berliner Handschriften Ms. germ. qu. 344 und 434 vom gleichen Schreiber geschrieben seien und letztere eine direkte Fortsetzung der ersten Handschrift sei, da der Mechthild-Text genau an der Stelle fortgeführt wird, an der der Codex Ms. germ. qu. 344 abbricht. 17 Diese Meinung kann durch neuere Forschungen ergänzt bzw. bestätigt werden, wenn man die überlieferungsgeschichtlichen Entstehungs‐ bedingungen der beiden Handschriften in den Blick nimmt. So setzt sich der Codex zwar zumeist aus Abschriften Daniel Sudermanns zusammen, gerade der Mechthild-Abschnitt stammt jedoch aus einer älteren Handschrift. 18 Umgekehrt ist Ms. germ. oct. 434 aus mehreren Faszikeln zusammengebunden, wobei die erste Einheit (24 Blätter) ausschließlich aus Exzerpten des Liber besteht, was eine ursprüngliche Einheit mit den Abschnitten aus Ms. germ. oct. 344 wahrscheinlich macht. 19 Somit kann der überlieferungsgeschichtliche Blick auf die jeweiligen Textträger auch über die historisch-kritische Methode hinaus relevante Informationen liefern. 100 4 Eine Mechthild, zwei Mechthilden, viele ›Mechthilden‹ - die oberdeutsche Überlieferung 20 Vgl. den Überblick im Projekt ›Mechthild’s Medieval Mystical Manuscripts Online‹. 21 Vgl. für die Verzahnung von Liturgie und Vision Kirakosian (2017a), S. 161f. und 197 sowie im Fazit auf S. 253: »Die sich am Kirchenjahr orientierenden Textualisierungsstrategien machen die Schreibmystik innerhalb einer liturgischen Rezeption erfahrbar, weil dadurch der Nachvollzug des Textes durch ritualisierte spirituelle Handlungen vorgegeben ist.« Für den Parallelfall der Elisabeth von Schönau vgl. Meier (1988), S. 86. Vgl. grundsätzlich für die Struktur der Liturgie in den einzelnen Helftaer Werken Emmelius (2019), für Gertrud auch Grimes (1998), bes. S.-69. 22 Vgl. Hubrath (1996), S. 64f. Vgl. generell auch Suerbaum (2009), S. 40: »[L]iturgische Anklänge verleihen gerade in einem volkssprachlichen Text natürlich Dignität.« Für die Verzahnung zwischen Liturgie, Musik und imaginiertem Raum vgl. Kirakosian (2017b). 23 Durch die Provenienzen können überlieferungsgeschichtliche Zusammenhänge geklärt werden. So geriet der Cod. Lichtenthal 106 nach seiner wahrscheinlichen Entstehung im Frauenalber Konvent in Lichtenthaler Besitz, vgl. Heinzer (1986), S. 103f. Auch die Nürnberger Handschrift Cod. 1733 wurde zumindest teilweise in Frauenalb geschrieben, gelangte dann aber schnell außerhalb der dortigen Klostermauern und über mehrere Zwischenstationen schließlich nach Nürnberg, vgl. Heinzer (1986), S.-106f. Inwieweit persönliche Präferenzen oder inhaltliche Gründe für die Auswahl der jewei‐ ligen Exzerpte in den Handschriften verantwortlich gemacht werden können, lässt sich selbstverständlich in der überwiegenden Mehrheit der Fälle nicht entscheiden, aber durch die Konstitution als instabiler Text treten in verschiedenen Überlieferungszeugen Passagen hervor, die zwar durch zeitgenössische Redaktoren Mechthild zugeschrieben werden, sich aber nicht in anderen Handschriften oder etwa dem Editionstext finden. So überliefert Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 628, ein Gebet auf f. 51v, das keinem Kapitel des Liber entspricht. Durch die Zuschreibung an eine Autorität bzw. das Hineinschreiben in ein bereits existierendes Buch, den Liber (! ), generiert sich somit zusätzliche Wirkmächtigkeit. Betrachtet man die quantitative Überlieferung der einzelnen Kapitel, so kann festgestellt werden, dass gerade in den Gebetbüchern oftmals dieselben Kapitel tradiert werden, etwa die Kapitel 5, 19, 13, 43 und 47 aus dem ersten, 17 aus dem zweiten sowie 17, 18 und 19 aus dem dritten Buch. 20 Aus dem vierten Buch ist häufig das Kapitel 15 gewählt, während die Kapitel 6, 18 und 19 aus dem fünften Buch in mehreren Handschriften gefunden werden können. Die Handschriften, die einen größeren Mechthild-Abschnitt überliefern, beinhalten verhältnismäßig viele Kapitel aus dem dritten Buch, wobei im Allgemeinen die Verteilung der Kapitel aus den einzelnen Büchern relativ gleichwertig ist - sieht man von der Abwesenheit des sechsten und siebten Buches ab -, sodass von keiner präferierten Stellung eines einzelnen Buches ausgegangen werden kann. 21 Dies ist besonders im Hinblick auf das erste Buch von Bedeutung, welches durch seine Strukturierung nach dem Kirchenjahr eine Sonderstellung einnimmt und auch vom Umfang her die anderen Bücher deutlich übertrifft. 22 Aus diesem Grund müssen für die jeweilige Kapitelauswahl andere Gründe gefunden werden. Dies gilt besonders im Hinblick auf die erstaunliche Anzahl von Mechthild-Überlieferungen, die in einzelnen Klöstern aufgefunden werden kann. Gerade bei den Konventen, die durch Kataloge gut erschlossen sind, können hierfür einigermaßen gesicherte Aussagen getroffen werden. So lassen sich allein für das Bene‐ diktinerinnenkloster Frauenalb sechs Handschriften mit Mechthild-Exzerpten benennen, 23 für das Dominikanerinnenkloster St. Nikolaus in undis stehen fünf Handschriften zur 4.1 Die oberdeutschen Mechthild-Handschriften - ein Überblick 101 24 Die bereits genannten fünf niederdeutschen Handschriften in Ebstorf zeugen ebenfalls von einer großen Konzentration des Textes an einem Ort, freilich außerhalb des oberdeutschen Sprachraumes. 25 Für die Beziehungen zwischen Frauenalb und Lichtenthal vgl. besonders Heinzer (2008), S. 485-502. 26 Vgl. Zieger (1974), S.-69. 27 Vgl. zur Geschichte des Klosters Heinzer (1986), S.-93, mit weiterer Literatur. 28 Trotzdem wurde die Handschrift von Zieger der Gruppe D zugeordnet. Auf f. 153r findet sich der gleiche Textbeginn noch einmal, jedoch durchgestrichen. 29 Vgl. für die Handschriftendatierungen und die kontextuellen Angaben im Folgenden Heinzer (1986), S.-102-107. 30 Von Margaretha stammt auch ein handschriftlicher Zusatz eines später in Lichtenthal aufbewahrten Druckes (Cod. Lichtenthal 116). Katharina von Renchingen tritt ebenfalls als Schreiberin in Erschei‐ nung, der sich ein Großteil des St. Gallenser Cod. 1877 zuschreiben lässt (mit Kolophon, der die Handschrift auf 1518 datiert, also die Zeit vor ihrem Amtsantritt als Äbtissin), vgl. Heinzer (1986), S.-107. Diskussion, auch wenn dort bei einigen Codices die Provenienz bisher nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte. 24 So stellen etwa die Frauenalber Handschriften ein homogenes Ensemble an Gebetbü‐ chern dar: 25 Fünf der Handschriften befinden sich heute in der Landesbibliothek Karlsruhe - es handelt sich hierbei um die Handschriften Cod. Lichtenthal 90, 92, 106, 107 und 109 -, eine weitere wird im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg (Cod. 1733) aufbewahrt. Auf‐ grund des späteren Katalogs war nur die Nürnberger Handschrift von Zieger berücksichtigt worden. 26 Infolge der bereits 1598 erfolgten Aufhebung des Benediktinerinnenkonvents haben sich nur wenige Handschriften erhalten. 27 Diese waren oftmals Privateigentum der Nonnen, die mit diesen in das Folgekloster umsiedelten, in den meisten Fällen nach Lichten‐ thal, woraus sich die heutigen Signaturen erklären lassen. Die erhaltenen Handschriften mit Mechthild-Exzerpten können daher allesamt als Gebetbücher charakterisiert werden und überliefern lediglich einzelne Kapitel, die sich oft an verschiedenen Stellen der Handschrift befinden, etwa das Kapitel V, 18 (genauer handelt es sich dabei nur um den Teil b) in Cod. Lichtenthal 90 auf f. 255v-259r und das Kapitel I, 19 auf f. 300v-303v. Dasselbe Kapitel I, 19 findet sich auch in Cod. 92, f. 232r-236r sowie in Cod. 106, f. 319r-323r, wobei sich in letzterer Handschrift auf f. 61r-69r zusätzlich die Kapitel III, 17 und 19 finden. Auch in Cod. 107 wird I, 19 überliefert (f. 329v-331v), hier wiederum auf f. 369v-376v mit V, 18 gepaart. In Cod. 109 findet sich, für Frauenalb unikal, das Kapitel III, 18. Lediglich in der in Nürnberg aufbewahrten Handschrift begegnet ein kleiner Kapitelverbund, da auf f. 144r-151v die Kapitel II, 2 und 17, III, 3 sowie IV, 56 überliefert werden. 28 Dass die Vorliebe der Schreiber der Handschriften für gewisse Mechthild-Kapitel nicht als Zufall bewertet werden darf, zeigt der auch ansonsten nachgewiesene enge Überlieferungszusammenhang. Alle Handschriften stammen aus der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts, angefangen von 1490 / 95 (der Mechthild-Teil der Nürnberger Handschrift) über die 1520er- und 30er-Jahre (Cod. 90 und 92) bis in das Jahr 1540 (Cod. 106). Auch Cod. 109 (um 1540) und 107 (1. Hälfte 16 Jahrhundert) lassen sich in die Zeit datieren. 29 Für einige der Handschriften sind Schreiberinnen belegt, so etwa Margaretha von Renchingen für Cod. 106 (mit Kolophon auf f. 323v) und 109, wobei Margaretha wohl als Verwandte der späteren Äbtissin Katharina von Renchingen identifiziert werden kann, womit sich auch das Wappen der Renchinger auf dem Einband von Cod. 106 erklären lässt. 30 Der Nonne Anna von Eberstein können ebenfalls mehrere Handschriften zugeschrieben 102 4 Eine Mechthild, zwei Mechthilden, viele ›Mechthilden‹ - die oberdeutsche Überlieferung 31 Auch Teile der Handschrift Cod. Wonnenthal 11 (f. 2r-222v) können ihr zugeschrieben werden, vgl. Heinzer (1986), S.-105. 32 Vgl. Heinzer (1986), S.-107. 33 Vgl. den Katalog bei Heinzer / Stamm (1987), S. 239-243, sowie Kraß (1998), S. 177 (Sigle K). Heinzer / Stamm schreiben den Textbestandteil fälschlicherweise Mechthild von Magdeburg zu. 34 Der Psalm (51) begegnet auch in Gertruds Legatus, vgl. Bangert (1997), S.-361. werden, etwa der Großteil von Cod. 90 (f. 9r-358v). Dieselbe Schreiberin ist auch als Nachtragshand im Cod. 92 belegt. 31 Da auch ein Teil der Nürnberger Hs. 1733 ihre Handschrift trägt (f. 278r-309r), ergibt sich hieraus die Provenienz der Handschrift, die im Unterschied zu den anderen Codices ihren heutigen Standort über den Aufenthaltsort Pegnitz im 18. Jahrhundert fand. 32 Die Handschrift ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass sich die Überlieferungsgeschichte oft als wenig eindeutig erweist: So begegnen verschiedene Handschriftenabschnitte, von denen sich zwar einige nach Frauenalb lokalisieren lassen (etwa der von Anna von Eberstein verfasste Teil V sowie, laut Heinzer, wohl auch Teil IV), gerade der Abschnitt III mit den Mechthild-Exzerpten konnte jedoch bisher nicht genauer bestimmt werden. Die Nennung eines Franziskanerbruders sowie der Priorin des Katharinenklosters in Nürnberg (f. 122r) zu Beginn von Teil III der Handschrift deutet zumindest auf eine Provenienz außerhalb von Frauenalb hin. Sollte sich dieser Befund erhärten, so rücken die anderen Frauenalber Handschriften, was die Mechthild-Überliefe‐ rung betrifft, noch enger zusammen, schließlich entstand der Mechthild-Abschnitt der Nürnberger Handschrift etwas früher als diejenigen Abschnitte der anderen Codices. Auch aus inhaltlicher Sicht überliefert Hs. 1733 andere Kapitel als die übrigen Überliefe‐ rungsträger. Somit zeigt sich, dass methodische Perspektiven sowohl der Textals auch der Überlieferungsgeschichte zur Erhellung der Kontexte der einzelnen Handschriften beitragen können. Betrachtet man die einzelnen Mechthild-Bestandteile, so ergeben sich ebenfalls signifi‐ kante Unterschiede. In allen vier Frauenalber Handschriften ist das Kapitel I, 19e anonym überliefert. Ebenfalls anonym erfolgt die Überlieferung in Cod. Lichtenthal 99, f. 132v-136r, einer Handschrift, die aus dem gleichen südwestdeutschen Raum, allerdings wohl nicht aus Frauenalb, stammt. 33 Die anderen Kapitel in den Handschriften werden mit Mechthild in Verbindung gesetzt, jedoch ohne Bezugnahme auf die exakte Quelle, den Liber. So lautet die Einleitung zu V, 18 in Cod. 107: Wie man herwerblichen für die selen bitten sol lert vnser lieber herr die heiligen junckfräwen sant mechtildis (f. 369v). In Cod. 90 (f. 300v-303v) wird der gleiche Textbestandteil anonym überliefert. Somit zeigt sich, dass unterschiedliche Beziehungen der einzelnen Kapitel zu Mechthild bestehen, die von eng zusammenrückenden Formen bis zu kompletter Loslösung reichen. Auch in der Nürnberger Hs. 1733 werden die Liber-Kapitel der Hackebornerin zugeschrieben, wobei jedes einzelne Kapitel explizit mit Mechthild verbunden wird: f. 144r: dis ist das bett sant karissima das ist sant mechtilt wirt zü zeiten geheisen karissima von ir grosen liebe wegen die ir grosen liebe wegen die sie zü got gehapt hat etc. […] f.-144v: got der herr lert die andechtig gottes dienerin sant mechtilt den psalmen miserere mei deus  34 […] 4.1 Die oberdeutschen Mechthild-Handschriften - ein Überblick 103 35 Der gleiche Kapitelanfang auf f.-158r; es handelt sich wohl um einen Kopierfehler. 36 Zum Verhältnis des gesungenen Agnus und der mystischen Sprache vgl. Kirakosian (2017b), S. 131f. 37 Vgl. grundsätzlich zur Liturgie als Stimulus für Offenbarungen Fuhrmann (2015), S.-145-154. 38 Vgl. Erhard (2015), S. 289, für die Beobachtung innerhalb der Gebetbücher, dessen Überlegungen in diesem Fall auch auf die Feier der Messliturgie übertragen werden können, wodurch der Text somit eine »die lateinische Liturgie aufschließende Verwendungsmöglichkeit« erhält. 39 Schmitt verstärkt in Liber (2013), S. 221, in seiner Übersetzung den Appellcharakter an den Rezipienten (»Bei dem ersten opfere du mich Gott dem Vater«). f.-146r: Die andechtig gottes dienerin sant mechtilt sprach auch zü got […] f.-147r: Die andechtig gottes dienerin sant mechtilt begert zü wissen […] f.-148r: Eins mals als die andechtig sant mechtilt […] f.-149v: Die selig andechtig gottz dienerin sant mechtilt opffert zü einer zeit […]  35 Gerade die fast schon topische Referenzialität auf die fromme Dienerin Mechthild zeigt Anzeichen einer literarischen Adaption für den spezifischen Überlieferungsträger, bei dem die Autorität Mechthild eine ihr spezifisch zugeschriebene Rolle einnimmt. Ein weiterer Umgang ist bei Betrachtung der Kapitel III, 17 und 19 in Cod. 106 ersichtlich. Zum Einstieg (f. 61r) erfolgt keine Zuschreibung an Mechthild. Stattdessen beginnt das Kapitel unvermittelt mit wörtlicher Rede. Im Unterschied zu anderen Überlieferungsträgern wird am Ende des Kapitels die Rahmenhandlung aufgegriffen und von einer, noch anonymen, Dienerin Gottes (f. 67r) gesprochen. Da der Zusammenhang für den Rezipienten unklar ist, erfolgt eine Auflösung der Uneindeutigkeit für ihn (oder sie) erst durch das nächste Unterkapitel, in welchem auf Mechthild verwiesen wird. Diese Nennung erfolgt somit erst durch die Einleitung des Kapitels III, 19 (f.-68v), von dem sich wiederum nur der Mittelteil in vorliegender Handschrift wiederfindet. Die Einleitung des Kapitels indiziert die Aussage Gottes als unmotivierte Audition und unterscheidet sich damit von derjenigen Textgestalt anderer Versionen, in denen Gott als Antwortgeber einer von Mechthild gestellten Frage auftritt. In diesem Fall kann an den folgenden Sätzen noch eine weitere Umstellung beobachtet werden: f. 68v: Der herre hat zu eyner zeytt gesprochen zu sanct mechtiltt. mir wirt dreü mal gesungen zu der messz Agnus dei. Zumm ersten opfere ich mich vor euch gott dem vatter mit aller meyner demuttigkeit vnd gedultt. Zum (f. 69r) andern opfere ich mich mit aller bitterkeit meyns leydens zu vollenkommener versunung. Zum dritten mit gantzer liebe meyns gotlichen hertzen zu erfullung aller gutten die dem menschen gebresten. Während die Frage Mechthilds in den anderen Versionen lautete, was denn gerade in der Messe gesungen würde 36 - ihre Krankheit verwehrt ihr eine Teilnahme -, so erscheint der liturgische Bezug durch Gott hier als generischer Bezug. 37 Nicht ein spezifisches Agnus Dei dient als Referenz, sondern es erfolgt eine generalisierende Aussage über die liturgische Feier. 38 Auch die Unterscheidung zwischen Christus und Gottvater ist deutlich, da an dieser Stelle Christus als Sprecher auftritt, der sich - wie er Mechthild gegenüber erwähnt - für die Menschen seinem Vater opfert. 39 Die in den anderen Versionen als Zusatz gekennzeichnete Aussage Gottes, dass bei aufrichtiger Anteilnahme an der Messe zahlreiche Heilige in 104 4 Eine Mechthild, zwei Mechthilden, viele ›Mechthilden‹ - die oberdeutsche Überlieferung 40 Zur Buße bei Gertrud vgl. Bangert (1997), S.-352-375. 41 Vgl. für ausführlichere Einzelanalysen Kapitel 5. 42 eyt durchgestrichen. 43 So könnte man etwa annehmen, dass Cod. 106 eine andere Vorlage benutzte, die das glorifico über‐ lieferte, während die anderen Handschriften eine Vorlage ohne glorifico nutzten. Selbstverständlich ist nicht auszuschließen, dass etwaige andere Handschriften zur Korrektur konsultiert wurden, womit sich die Sachlage noch undurchsichtiger gestaltet. der Todesstunde beistehen würden, fehlt in der Folge ebenso wie die sich anschließende Vision Mechthilds, in der ihr Gott ein weiteres Mal erklärt, wie man sich auf die Messe vorzubereiten habe (Buße, Schlagen auf die Brust sowie Beichte). 40 Differierende Funktio‐ nalisierungsstrategien innerhalb der Überlieferung zeigen sich bereits an diesem Beispiel 41 und offenbaren, in welch unterschiedlichem Ausmaß sich einzelne Kapitel, gekürzt und umgeschrieben, neuen Überlieferungszusammenhängen anpassen. Welche Schwierigkeiten aus textgeschichtlicher Perspektive im Umgang mit dem Liber bestehen, zeigt sich an dem bereits angesprochenen Kapitel I, 19e, von dem im Folgenden die ersten Sätze der vier eng zusammenhängenden Frauenalber Handschriften nebeneinander‐ gestellt werden. Cod. Lichtenthal 90, f. 300v: Jch lob bet an grosz ere vnd benedicir dich guter Jhesu vmb die vnvsz sprechlich freud die du gehebt hast da dyn seylige menscheyt […] Cod. Lichtenthal 92, f. 232r: Jch lop dich ich mach grosse vnd benedicier dich guter Jhesu in der vnvsprechlichen freyt die du gehebt host do dyn seligkeyt  42 menscheyt […] Cod. Lichtenthal 106, f. 319r: Jch loben Anbetten glorificieren mach grosz vnd gebenedey dich O gutter Jhesu Jn der vnuszsprechlichen freuden die du hast gehabt wan ee deyne h. menscheit […] Cod. Lichtenthal 107, f. 329v: Ich lob bet an grosz ere vnd benedicir dich gütter herr Jhesu vmb die vnusz (330r) sprechliche freüde die du gehabt hast da dien aller seligste menscheit […] Gerade bei Betrachtung der Verben zu Beginn kommen Zweifel auf, ob eine textkritische Methode Aufschluss über direkte Abhängigkeiten geben kann. Lediglich Cod. 90 und 107 stehen sich nahe, auch wenn man dann Cod. 107 als Vorstufe sehen müsste, da Cod. 90 herr weglässt, will man den Titel nicht als Zusatz auffassen. Cod. 92 und 106 bieten andere Formen. Ersterer fügt das Personalpronomen dich hinzu und wiederholt das Subjekt ich, der zweite trennt im Unterschied zu den anderen Handschriften bei Anbetten die Partikel nicht vom Stamm ab. Ferner fügt er als einziger das neue Verb glorificieren hinzu. Somit zeigt sich bereits beim ersten Blick auf den ersten Satz innerhalb eines Kapitels bei vier eng zusammenhängenden Handschriften: Eine strenge philologische Vorgehens‐ weise nach lachmannscher Prägung ist im oberdeutschen Bereich, ähnlich wie Zieger es mit seinen Untersuchungen für die lateinischen Handschriften versuchte, methodisch problematisch, gerade da eine ständige Kontamination durch lateinische Handschriften nicht ausgeschlossen werden kann. 43 Durch die generelle Redaktion, etwa am Wegfall der narrativen Rahmenhandlung sichtbar, stellt dies für den am ›Archetyp‹ interessierten Philologen somit bereits eine ›verderbte‹ Textform dar, womit fraglich erscheint, welchen Nutzen eine textkritische Herangehensweise erbringen würde. Lediglich Fragen nach der Bearbeitung bzw. Dependenzen innerhalb des Handschriftenbetriebs im Frauenalber 4.1 Die oberdeutschen Mechthild-Handschriften - ein Überblick 105 44 Vgl. hierfür grundsätzlich Besch (2008) und Klein (2008) sowie Lutz (2012), bes. S.-14. 45 Es handelt sich dabei um Ms. germ. qu. 178, Ms. germ. qu. 344, Ms. germ. qu. 434, Ms. germ. oct. 31 und Ms. germ. oct. 37. Konvent könnten hiermit geklärt werden. Viel eher ist also insgesamt von einem wenig stabilen Text auszugehen, der in verschiedenen Manifestationsformen durch den Schreiber adaptiert werden kann. Hierdurch erhöht sich die Bedeutung nicht nur eines etwaigen Redaktors, sondern auch des Schreibers, der die Funktion des Redaktors übernimmt. 44 Es wird deutlich, dass im Frauenalber Konvent Mechthild und ihr Text ›anders‹ gelesen wurden. Keine der dort produzierten Handschriften überliefert längere Passagen des Textes, geschweige denn eine annähernde ›Vollversion‹ der Gruppen A oder B in Ziegers Kategorien. Viel eher zeigen die sechs überlieferten Handschriften paradigmatisch auf, in welcher Form Mechthild in Gebet- und Andachtsbüchern überliefert wird. In einigen Fällen (I, 19e) liegt eine anonyme Überlieferung vor, während in anderen Fällen auf Mechthild als Autorität verwiesen wird. In keinem der Frauenalber Überlieferungsträger findet sich hingegen eine Quellenangabe oder ein Hinweis auf den Liber. Mechthild erfährt in Frauenalb also eine dezidiert andere Rezeption als etwa in der Kartause Basel. Wirft man einen Blick nach Straßburg, so ergibt sich ebenfalls ein differenziertes Bild. Allerdings ist die Provenienz einiger Handschriften nicht absolut gesichert. Fünf oberdeut‐ sche Handschriften wurden im Dominikanerinnenkloster St. Nikolaus in undis geschrieben und gelangten später in die Berliner Staatsbibliothek. 45 Eine weitere Handschrift, der Münchner Cgm 856, lässt sich dem Dominikanerinnenkonvent St. Margareta und Agnes (also nach deren Zusammenlegung im Jahr 1475) zuordnen. Eine Karlsruher Handschrift, Cod. Lichtenthal 87, ist vermutlich ebenfalls in Straßburg zu verorten. Bezüglich der St. Nikolaus zugeordneten Handschriften ergibt sich ein Panorama der verschiedenen Adaptionen von Mechthilds Text. Einerseits stellen Ms. germ. qu. 344 und 434 eine Überlieferungsform dar, die vermutlich einen Großteil des Texts enthält, auch wenn die einzelnen Lagen im Zuge der Rezeption separiert wurden. Ms. germ. qu. 344 überliefert den Prolog sowie die Kapitel I, 1 und 2, bricht allerdings in der Kapitelmitte ab. Ms. germ. qu. 434 setzt an genau dieser Stelle an und überliefert die folgenden Kapitel bis I, 11. Hieraus ergibt sich aufgrund der Erscheinungsform der überlieferten Kapitel der Schluss, dass der Textzeuge früher einmal ebenfalls einen Großteil der anderen Kapitel überlieferte - freilich bleibt unklar, ob dies eine Überlieferung des sechsten und / oder des siebten Buches miteinschloss. Ms. germ. qu. 178 bietet einen interessanten Einblick in die Verwendung des Textes, da - wohl um die Mitte des 15. Jahrhunderts verfasst - mehrere Teilkapitel, nämlich I, 29 (f. 188v-191r), I, 1b (f. 201r-201v), I, 15b (f. 213r-213v) und I, 5c-d (f. 223r-227v) auf umfangreichere Texte folgen, einerseits eine Vita Christi-Übersetzung des Michael de Massa und andererseits ein größeres Exzerpt der Imitatio Christi des Thomas von Kempen. Somit zeigt sich, dass sich Mechthild-Exzerpte auch an mehreren Stellen in ein- und derselben Handschrift befinden können. Dies kann bisweilen mit demselben Funktionszusammenhang begründet werden, etwa wenn sich bei einem dem Jahreskreis folgenden Gebetszyklus an diversen Feiertagen Mechthild-Gebete finden. Im Kolophon (f. 239v) der Handschrift nennt sich eine Schreiberin, was Hornung als Anhaltspunkt 106 4 Eine Mechthild, zwei Mechthilden, viele ›Mechthilden‹ - die oberdeutsche Überlieferung 46 Vgl. Hornung (1956), S. 109. Für einen Überblick der Dominikanerinnenkonvente in der Teutonia unter besonderem Fokus auf Straßburg vgl. Hirbodian (2016), bes. S.-31-35. 47 Vgl. Rautenberg (1999). 48 Vgl. Hilg (1985), Sp. 1222. 49 Vgl. Bodemann u.-a. (2005), S.-318. 50 Vgl. Nemes (2015a), S.-194. 51 Vgl. Köster (1951), S. 299. Köster arbeitete heraus, dass, auch wenn beide Handschriften möglicher‐ weise vom selben Schreiber angefertigt wurden, die Handschrift nicht als Vorlage für den Codex für eine Verortung in St. Nikolaus in undis nahm. 46 Da die Handschrift ungefähr auf die Jahrhundertmitte datiert wird, zählt sie ebenfalls zu den frühesten Überlieferungszeugen im oberdeutschen Sprachraum. Etwas später, im dritten Viertel, entstand der Codex Ms. germ. oct. 31, der das Gebet III, 30 überliefert. Auf 1478 lässt sich dank einer Jahresangabe die Handschrift Ms. germ. oct. 37 datieren, welche das häufig als Einzelkapitel überlieferte Kapitel I, 43 tradiert. Dieses findet sich auch im Codex Lichtenthal 87, welcher, wohl um die Mitte des 15. Jahrhunderts entstanden, eine ganze Reihe von Texten überliefert, die ihn in große Nähe zu dem St. Galler Codex 591 rücken. In beiden Handschriften finden sich die Prosalegende von Ursula und den elftausend Jungfrauen, aber auch Ausschnitte aus der Visionsschrift der Elisabeth von Schönau. Beide Textbestandteile sowie zusätzlich ein Ausschnitt aus Seuses Büchlein der ewigen Weisheit begegnen in der bei Zieger eine wichtige Rolle spielenden lateinischen Handschrift Basel, Universitätsbibliothek, Cod. B X 36. Dieser Befund bedeutet selbstverständlich nicht, dass sofort auf eine direkte Abhängigkeit der drei Handschriften geschlossen werden kann, verdeutlicht aber, welche Möglichkeiten der Blick auf den Verbund von mehreren Textbestandteilen, also das direkte Umfeld des Mechthild-Exzerpts, in einer bestimmten Handschrift, eröffnet. Der Codex überliefert darüber hinaus genau wie die Handschrift aus St. Gallen nicht nur die Prosalegende der hl. Ursula sowie Visionen der Elisabeth von Schönau, sondern auch weitere Exempel über das Martyrium der elftausend Jungfrauen sowie die Prosalegende der Cordula. 47 Außerdem findet sich neben den Mechthild-Ge‐ beten noch dieselbe Marienmantelallegorese. 48 Die genannten Textbestandteile (Ursula, Elisabeth von Schönau, Cordula) überliefert auch Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 201. Ohne die Liber-Exzerpte kommen die gleichen Textbestandteile ebenfalls in einer Heidelberger Handschrift, dem Cpg 108, vor. 49 Ähnliches gilt für die im mitteldeutschen Dialekt verfasste Handschrift Eisenach, Bibliothek der Wartburg-Stiftung, Ms. 1358-60, die vermutlich im Kloster Altenberg angefertigt wurde. 50 Alle fünf Handschriften sind ungefähr in der Mitte des 15. Jahrhunderts verfasst worden. Während die St. Galler Handschrift jedoch im Klarissenkloster Freiburg angefertigt wurde, wird für die Lichtenthaler Hand‐ schrift eine Entstehung im Straßburger Raum angenommen. Zumindest kann für alle der hier vorgestellten Handschriften ein enger überlieferungsgeschichtlicher Zusammenhang nachgewiesen werden, der eng mit der Basler Handschrift verbunden ist. Eine entscheidende Vermittlungsfunktion könnte hierbei die aller Wahrscheinlichkeit nach in der Kartause Straßburg entstandene und später an die Kartause Basel verschenkte Handschrift Basel, Universitätsbibliothek, Cod. A VIII 26 einnehmen. Diese überliefert ebenfalls - jedoch ohne den Liber - die bereits genannten Textstücke und stellt somit einen weiteren Baustein für die Erschließung der Überlieferung des Textverbundes dar. 51 4.1 Die oberdeutschen Mechthild-Handschriften - ein Überblick 107 aus St. Gallen diente. Zu der Handschrift bzw. zum Schreiber, der vermutlich auch als Schreiber für Oxford, Bodleian Library, MS. Don. e. 50 ausgemacht werden kann, vgl. auch Studer (2017). 52 Ausführlichere, insbesondere die Textgeschichte in den Blick nehmende, Untersuchungen können aus Platzgründen nicht erfolgen. Der Fund zeigt, dass Mechthilds Text in einigen Fällen in einem Textverbund mitüber‐ liefert wird, der bisweilen die Liber-Exzerpte bietet, teilweise diese aber auch auslässt. Der Zusammenhang der Handschriften, der sich über verschiedene Schreibsprachen erstreckt sowie die Grenze zwischen Latein und Volkssprache überschreitet, kann in einer Tabelle festgehalten werden: 52 108 4 Eine Mechthild, zwei Mechthilden, viele ›Mechthilden‹ - die oberdeutsche Überlieferung Basel, UB, Cod. A VIII 26 Basel, UB, Cod. B X 36 Karlsruhe, LB, Cod. Lichten‐ thal 87 St. Gallen, Stifts‐ bibl., Cod. 591 Heidelberg, UB, Cpg 108 Berlin, SBB-PK, Ms. germ. qu. 201 Eisenach, Bibl. der Wart‐ burg-Stiftung, Ms. 1358-60 - Datierung Mitte 15. Jh. 53 2. Hälfte 15. Jh. Um 1450-1454 54 15. Jh. 55 3. V. 15. Jh. 56 15. Jh. 2. Hälfte 15. Jh. 57 Provenienz Kartause Straßburg Kartause Basel Straßburger Raum Klarissenkloster Freiburg Südwestdeutsch‐ land alemannischer Sprachraum (el‐ sässisches Frauen‐ kloster? ), später Sudermann 58 Kloster Alten‐ berg Inhalt - - - - - - - Ursula und die 11.000 Jung‐ frauen (Prosa‐ legende; Tag‐ zeiten) 59 1r-35v (lat.) 54r-77r (lat.) 88r-126r S.-1-161 1r-47v 127v-137r 1r-91r / 138r- 151r Elisabeth von Schönau 37v-53v (lat.) 2r-53v (lat.) 127v-145r S.-162-233 49v-62v 68r-98v 93v-137v Exempla von den 11.000 Jungfrauen 54r-59r (lat.) - 145r-153r S.-234-259 63v-69r 107v-127v 180r-197v Cordula (Pro‐ salegende) 36r-37r (lat.) - 126v-127r S.-260-264 48r-v 98v-107v 91r-93v Mantel unserer lieben Frau (Prosalegende) - - - S.-265-290 86r-90r - - Mechthild von Hackeborn: Liber - 140r-200r (lat.) 223r-224v S.-295-302 - - - 4.1 Die oberdeutschen Mechthild-Handschriften - ein Überblick 109 53 Vgl. Studer (2019), S.-169. 54 Vgl. Heinzer / Stamm (1987), S.-204. 55 Vgl. Zimmermann (2003), S.-247. 56 Vgl. Köster (1951), S.-302. 57 Vgl. Nemes (2015a), S.-194-198. 58 Vgl. Hornung (1956), S.-233-235. 59 Inwieweit die einzelnen Textbestandteile sich zu den anderen einzelnen ›Exempla der 11.000 Jungfrauen‹ verhalten, wurde von den einzelnen Katalogisatoren unterschiedlich eingeschätzt und wird aus pragmatischen Gründen nicht weiter behandelt. Eine differenzierendere Studie ist daher wünschenswert. 60 Etwa Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. St. Georgen 95, f.-155v-160r. 61 Vgl. z. B. Budapest, Nationalbilbiothek, Cod. Germ. 33, f. 243r-246v; Freiburg, Erzbischöfliches Archiv, Hs.-11, f.-64v-71r; Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 90, f.-255v-259r. 62 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Cod. 1733, f.-151r-v. 63 Vgl. zu dieser Handschrift Suerbaum (2017). 64 Vgl. f.-2r. Das Verhältnis zwischen Latein und Volkssprache kann aber auch innerhalb einzelner Überlieferungsträger in der jeweiligen Verwendung genauer untersucht werden. So bietet das Kapitel V, 18b eine Auslegung des Vaterunsers, in dem die einzelnen Bestandteile mit Gebeten verbunden werden. Während aber einige Handschriften den Gebetstext auf Latein bieten, 60 überliefern andere Handschriften diesen auf Deutsch. 61 Inwieweit die jeweiligen Redaktoren bzw. in der Folge Rezipienten dem Prätext einen erhöhten Status zuwiesen oder aber durch Verwendung der Volkssprache keinen Unterschied zwischen liturgischer Sprache und Auslegung vollziehen wollten, muss offenbleiben. Gesteigert wird eine solche Verfahrensweise noch, wenn dasselbe Gebet zuerst auf Deutsch und dann auf Latein dargeboten wird, wie dies etwa in einer Nürnberger Handschrift mit dem Mittelabschnitt des Kapitels IV, 56 der Fall ist. 62 Die Frage nach dem Status der jeweiligen Textabschnitte setzt zumindest eine Lateinkundigkeit der einzelnen Gebete (Va‐ terunser, Ave Maria, Glaubensbekenntnis) voraus - wobei selbstverständlich auch hier im Einzelfall Anpassungen erfolgt sein könnten. Somit zeigt die Materialbasis grundsätzliche Möglichkeiten für weitere Perspektivierungsmöglichkeiten im Verhältnis von Latein und Volkssprache in ›frauenmystischen‹ Texten auf. Ein weiteres, ähnlich wie I, 43 häufig überliefertes Kapitel, welches oft einzeln auftritt, ist das Kapitel I, 47. Dieses findet sich sowohl in einer heute in Zürich aufbewahrten Handschrift (Zentralbibliothek, Ms. C 96), aber etwa auch in einem Codex in Yale (Beinecke Library, Ms. 968), der aus dem Katharinenkloster in Nürnberg stammt. 63 Ebenfalls aus St. Katharina kommt eine weitere Handschrift (Nürnberg, Stadtbibliothek, Cod. Cent. VII, 51), die das Gebet ein weiteres Mal überliefert. 64 Aus dem gleichen Konvent stammt auch die in der Nürnberger Stadtbibliothek aufbewahrte Handschrift Cod. Cent. VI, 43 l , in welcher der Liber in einem Verbund mit Tauler- und Eckhartpredigten steht. Mit dem Kapitelverbund I, 11, 23 - IV, 59b - I, 18c, 34c, 3, 34b - V, 21, 27 - I, 3 (f. 263v-279r) bietet die Handschrift einen größeren Auszug aus dem Liber, wobei verschiedene Kapitel aus unterschiedlichen Büchern exzerpiert und in einen neuen Zusammenhang gestellt werden. Das Kapitel I, 47 findet sich ein weiteres Mal in einer um die Mitte des 16. Jahrhunderts angefertigten Handschrift, die vermutlich aus dem Zisterzienserinnenkloster Wonnental stammt und daher ihre heutige Signatur trägt (Karlsruhe, LB, Cod. Wonnenthal 16). Ähnliche Vermutungen gelten für eine 110 4 Eine Mechthild, zwei Mechthilden, viele ›Mechthilden‹ - die oberdeutsche Überlieferung 65 Vgl. Schlechter / Stamm (2000), S.-373. 66 Vgl. Schneider (1988), S. 518f. Die erste Version von I, 47 lässt sich der Haupthand von Teil I, der Medinger Nonne Susanna von Binzendorf, zuordnen, wohingegen die zweite Version aus Faszikel VIII der Handschrift stammt und sich der Schreiber bzw. die Schreiberin nur für dieses eine Gebet verantwortlich zeigt. Vgl. ausführlich Kapitel 5.3. 67 Vgl. Trede / Gehrt (2011), S.-108-113. 68 Vgl. das grundsätzliche Urteil von Repges (2002), S. 74, der im Gegensatz zu Hubrath von einer grundsätzlich unsystematischen Anordnung der Kapitel ausgeht: »Sie [i. e. die Kapitel; L. U.] sind weder insgesamt noch in sich streng systematisch gegliedert, enthalten vielmehr in lockerer Folge und in unterschiedlicher Länge mal dieses, mal jenes […].« weitere Handschrift, die wohl im gleichen Konvent entstand (Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Wonnenthal 14), sich aber etwas genauer datieren lässt, nämlich auf die Jahre um 1490- 1494. Eine weitere in Karlsruhe liegende Handschrift verzeichnet ebenfalls dasselbe Kapitel, allerdings wird bei der Handschrift ein franziskanischer Kontext vermutet (Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Wonnenthal 15). 65 Auch in drei Augsburger Handschriften findet sich das Kapitel. Es handelt sich hierbei um die drei Handschriften Cod. III.1.8° 31, Cod. III.1.8° 48 und Cod. III.1.8° 50, die alle in der Universitätsbibliothek Augsburg aufbewahrt werden. Alle drei stammen aus dem Dominikanerinnenkonvent Maria Medingen. Während die beiden letzten Handschriften nur I, 47 überliefern, so befindet sich in Cod. III.1.8° 31 ebenfalls das Kapitel I, 18 sowie ein weiteres Mal das Kapitel I, 47, jedoch in anderer Fassung. Verschiedene Schreiber können für die Anfertigung der Handschriften verantwortlich gemacht werden. 66 Sowohl Cod. III.1.8° 31 als auch Cod. III.1.8° 50 gelangten später in das Zisterzienserinnenkloster Kirchheim am Ries, sodass sich eine Rezeption derselben Über‐ lieferungsträger in zwei verschiedenen Denominationen belegen lässt. Dass das Kapitel I, 47 in der gesamten schwäbischen Umgebung beliebt war, zeigt eine Parallelüberlieferung in einer weiteren Handschrift, welche in der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg unter der Signatur 8° Cod. 39 enthalten ist. 67 Diese stammt laut Katalogangaben aus einem schwäbischen Frauenkloster. Alle Augsburger Handschriften konnten dabei aufgrund fehlender Kataloge von Zieger nicht in dessen Liste berücksichtigt werden. Ebenfalls aus Kirchheim am Ries stammt ein Privatgebetbuch (Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. III.1.8° 24) einer Nonne, welches das Gebet IV, 29, aber auch Predigten überliefert. Schließlich lässt sich eine weitere Handschrift, Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. I.3.8° 7, dem Dominikanerinnenkloster Medlingen zuordnen. In dieser finden sich verschiedene Evangelienabschnitte und dazugehörige Gebete, darunter Kapitel I, 19e aus dem Liber, und somit ein sich von anderen Überlieferungsträgern unterscheidender Kontext des Mechthild-Textes. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in der überwiegenden Mehrheit der Hand‐ schriften lediglich einzelne Gebete bzw. kleinere Kapitelverbünde überliefert werden. Nur in wenigen Fällen liegt ein größerer Textbestand vor. Selbst in vermeintlichen ›Volltext‹-Handschriften begegnen lediglich die ersten fünf Bücher des Liber, die jedoch keineswegs den vollen Kapitelbestand der fünf Bücher repräsentieren, sondern ebenfalls Kürzungen und Umordnungen aufweisen. 68 Im gesamten oberdeutschen Sprachraum kann eine volkssprachliche Rezeption festgestellt werden, welche sich über alle Denominationen erstreckt. Sowohl Männer als auch Frauen treten als Rezipierende in Erscheinung, wobei der Liber bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich im monastischen Kontext gelesen wurde. 4.1 Die oberdeutschen Mechthild-Handschriften - ein Überblick 111 69 Vgl. Poor (2004), S.-132-134 sowie 172. 70 Vgl. hierzu, freilich aus Perspektive der Magdeburgerin, Nemes (2010), S. 309-380, und ders. (2019a). Eine Vielzahl an Überlieferungskontexten lässt sich feststellen, wobei vor allem Gebet- und Andachtsbücher die Überlieferung bestimmen. 4.2 Autor(schafts)-Interferenzen in der Überlieferung Am Beispiel der Handschriften aus der Kartause Basel konnte bereits aufgezeigt werden, dass dort Mechthild von Hackeborn mit ihrer Magdeburger Namensschwester eine Perso‐ nalunion eingegangen war. Für die Rezipienten bedeutete dies einerseits nicht nur eine Auf‐ lösung der Konturen spezifischer biographischer Vorstellungen, sondern besaß dezidierte Konsequenzen bei der Produktion von Überlieferungsträgern. Nur durch die angenommene Personalunion der beiden Mechthilden war es für bestimmte Textabschnitte des Fließenden Lichts bzw. der Lux divinitatis möglich, Eingang in bestimmte Lektüren zu finden, der ihr möglicherweise bei strengerer Konturierung der Autorenbiographie verschlossen gewesen wäre. 69 In zahlreichen anderen, bereits aufgeführten Beispielen wird der Liber anonym überliefert. Es ist unklar, ob die Autorschaft bewusst verschwiegen wurde, etwa aus textsortenspezifischen Gründen, beispielsweise bei Gebetbüchern - allerdings erscheint in zahlreichen Fällen Mechthild gerade im Bereich der Gebet- und Andachtsbücher als eine derjenigen Autoritäten, bei denen explizit durch Namensnennung eine Ankopplung an ein Autorenprofil erfolgt. Theologisch problematische Implikationen lassen sich auf den ersten Blick ebenfalls nicht als Ursache festmachen, auch wenn die Kürzungen und redaktionellen Eingriffe, die im nächsten Kapitel genauer betrachtet werden, durchaus Konsequenzen im Rahmen der Lektüre haben und Entschärfungen sowie Perspektivierungen vornehmen. Es zeigt sich, dass ein Blick auf die Vernetzung zwischen Text und Autorschaft zwangsläufig Auswirkungen auf die Art und Weise der Rezeption besitzt. Auf ein sich so ergebendes praktisches Problem bezüglich der Methodik wurde schon eingegangen: Gerade bei anonym überlieferter Klein(st)überlieferung konnte eine Identifizierung durch die Handschriftenkatalogisatoren in zahlreichen Fällen noch nicht gelingen. Es ist daher zu vermuten, dass in den nächsten Jahren aufgrund der sich wieder stärker mit der Überliefe‐ rung beschäftigenden Forschung weitere Identifikationen gelingen und sich daraus folgend noch verlässlichere Angaben bezüglich der genauen Anzahl der Textzeugen tätigen lassen. Für einzelne Rezipientenkollektive können jedoch bereits jetzt durchaus repräsentative Aussagen getroffen werden. Neben der anonymen Überlieferung und der sich für Rezipienten bisweilen als schwierig erweisenden Trennung zwischen den beiden Mechthilden lassen sich weitere Autor‐ schafts-Interferenzen im Zuge der Überlieferung nachweisen. 70 So werden in zwei Hand‐ schriften aus St. Gallen die Kapitel IV, 29 und III, 18 Gertrud von Helfta zugeschrieben. Im Cod. 603, der aus unterschiedlichen Faszikeln besteht und eine Sammlung von mehreren Visionsschriften und Legenden beinhaltet, darunter das Tösser sowie das St. Katharinentaler Schwesternbuch, findet sich der Mechthild-Abschnitt innerhalb des zweiten Faszikels, 112 4 Eine Mechthild, zwei Mechthilden, viele ›Mechthilden‹ - die oberdeutsche Überlieferung 71 Zur Handschrift vgl. Scarpatetti (2003), S. 162-166, Meyer (1995), S. 59-65, sowie Mengis (2013), S.-333-337 (Nr.-47). 72 Vgl. zur pluralen Autorschaft bzw. zur auctoritas Müller (1999), bes. S. 158. Vgl. grundsätzlich dazu Minnis (1988). 73 Vgl. Scarpatetti (2008), S.-222-225. 74 Vgl. hierzu Wieland (1973), S.-21-24, und Kirakosian (2021), S.-110-114. 75 Vulgata: Ps-116. anschließend an eine Margareten-Legende. 71 Neben der typischen Umstellung - dem Wegfall der Rahmenhandlung und dem dadurch erfolgenden Perspektivwechsel unter Wegfall einer Erzählfigur - erfolgt im Anschluss an die Überschrift die Bezugnahme auf Gertrud anstatt Mechthild: Unser lieber her lert Sant Trutten wie ein mensch sin versumnus mit lob (lob ein zweites Mal durchgestrichen) soͤlt gegen ym erfüllen (S. 441b). Anstatt der Hackebornerin dient nun also die jüngere Helftaer Mitschwester als Autoritätsperson, nicht jedoch als Autorin. 72 Weder wird Gertrud als direkte Autorin des Textes genannt, noch wird paratextuell auf den Legatus verwiesen, sondern die Handschrift nennt Gertrud lediglich als Rezipientin des göttlichen Wortes. Die fehlende Bezugnahme auf einen direkten Text - schließlich wird auch der Liber Mechthilds nicht erwähnt - verstärkt den Eindruck eines instabilen Textes, der lediglich durch die Heiligkeit der Rezipientin, in diesem Fall Gertrud, an Autorität gewinnt. Auf ähnliche Weise ›funktioniert‹ die Zuschreibung in Cod. 506, wobei hier ebenfalls das Kapitel III, 18 betroffen ist. Die Handschrift scheint wohl zuerst in Privatbesitz gewesen und schließlich in das Benediktinerinnenkloster St. Georgen gelangt zu sein. 73 Interessanterweise wird dort das Liber-Exzerpt im Zusammenhang mit einem größeren Abschnitt aus Gertruds botten, einer volkssprachlichen Bearbeitung des Legatus, überliefert. Das Liber-Kapitel befindet sich in der Handschrift auf f. 1v, gefolgt von einem Überliefe‐ rungsverbund aus Gertrud-Kapiteln. 74 Während auf f. 1v kein Name steht, der Text also weder mit Mechthild noch Gertrud in Verbindung gesetzt wird, so erfolgt auf f. 2r, also bei dem aus dem Legatus stammenden Abschnitt, eine dezidierte Bezugnahme auf truta, also Gertrud. Da mit Ausnahme des Blattwechsels sowie einer, allerdings nicht ausgefüllten, Kapitelinitiale eine Fortsetzung des gleichen Textes angenommen werden muss, lässt sich auch der auf f.-1v befindliche Text auf Gertrud beziehen. Das in der Handschrift aufgefundene Kapitel stellt auch aus inhaltlicher Perspektive einen interessanten Befund dar: So beinhaltet das Kapitel III, 18 die Unterrichtung Mechthilds durch den Heiligen Geist, dass sie dreimal am Tag den Psalm 117 75 (Laudate omnes gentes) zu beten habe, nämlich morgens, in der Messe sowie abends. Zwischen der zweiten und der dritten Gebetszeit steht in dem Kapitel der Edition ein leicht unmotivierter Einschub, in dem Mechthild ihre geistige Armut beklagt und daraufhin einen Ring überreicht bekommt, im Verbund mit einer Erläuterung über sieben Eigenschaften des Heiligen Geistes. Erst nach diesem Exkurs setzt das Kapitel mit der dritten Gebetszeit des Psalmes 117 fort. In der St. Galler Handschrift erscheint nun der Mittelteil herausgekürzt und damit stringent auf die Umgangsweise mit Psalm 117 zugeschnitten. Ein Vergleich mit anderen Handschriften kann daher Aufschluss darüber geben, inwieweit der Mittelteil nur in vereinzelten Handschriften auftritt oder das Kapitel im Normalfall mit oder ohne den 4.2 Autor(schafts)-Interferenzen in der Überlieferung 113 76 Hierdurch werden nicht gleich Fragen nach ›Echtheit‹ oder ›sekundären‹ Textabschnitten gestellt, da im Vordergrund die Rezeptionsweise des Liber steht. Ohne den Mittelteil findet sich das Kapitel auch in Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 109, f. 265v-266r. Im Druck von 1508 finden sich beide Abschnitte an völlig unterschiedlichen Stellen, der Psalm-Abschnitt auf f. 40v (Kapitel 11), die siebengestaltige Präsenz Gottes, allerdings ohne die Vision der Ringübergabe, auf f. 5v (Kapitel 3). 77 Vgl. Kirakosian (2021), S.-114. 78 Vgl. Kraß (1998), S.-173f. und 183. 79 Vgl. ebd., S.-173 sowie 183. Ring-Abschnitt rezipiert wurde. 76 Während in Cod. 603 nur die Zuschreibung an Gertrud anstatt Mechthild erfolgte, so lässt sich für Cod. 506 die Inkorporation eines Mechthild-Ka‐ pitels in einen Textverbund feststellen, der normalerweise Gertrud zugeschrieben wird. Daran ändert auch nichts, dass der Name Gertrud im Kapitel nicht genannt wird und der Mechthild-Abschnitt zuerst auftritt, da im Anschluss an den Gertrud-Teil ein größerer Text‐ verbund steht, der wiederum Mechthild zugeschrieben wird (f. 27v: S mächilt) und sich bis f. 42r erstreckt. Somit ist für diese Handschrift (und damit auch für das Rezipientenkollektiv) keine Personalunion zwischen Gertrud und Mechthild anzunehmen, allerdings konnte nicht zwischen einer genauen Herkunft aus dem Liber bzw. dem Legatus unterschieden werden: Anstatt einer biographischen Trennlinie verschwimmen die Konturen der Text‐ grenzen zwischen den beiden ›frauenmystischen‹ Schriften. Inhaltliche Schwerpunkte, hier die Anbindung an den Psalm, überlagern die autorbzw. werkorientierte Redaktion. 77 Eine Zuschreibung des Kapitelverbundes IV, 29 und III, 18 an Gertrud findet sich auch in der Züricher Handschrift Ms. C 162, wobei sich die Mechthild-Abschnitte auf f. 274r-275v befinden. Auch dort beginnt das Kapitel IV, 29 wie im St. Galler Codex: Unszer lieber herr lert sant trůtta wie ain mensch sin versumnus mit lob gegem ym solt erfüllen […]. Dieser Einstieg deutet auf einen engen Zusammenhang der beiden Hand‐ schriften hin, der sich bei der textkritischen Betrachtung der weiteren Texte bestätigen lässt. So vermutete bereits Andreas Kraß im Rahmen der Stabat mater-Überlieferung (f. 254r-256r), dass die Züricher Handschrift eine Abschrift eines heute in Einsiedeln aufbewahrten Codex (Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Cod. 646) darstellt. 78 Diese Handschrift stammt aus dem Dominikanerinnenkloster St. Katharinental bei Dießenhofen, während die Züricher Handschrift aus St. Katharina in St. Gallen stammt. Es ist folglich von einem engen Verhältnis zwischen den beiden Klöstern auszugehen, welches sich in der Handschriftenproduktion niederschlägt. Unberührt bleibt die Frage, welche Handschrift in diesem Verbund zuerst verfasst wurde: Kraß vermutete, dass die Züricher Handschrift von dem Einsiedler Codex abschrieb, 79 während die St. Galler Handschrift wiederum erst 1493 entstand - die beiden anderen Handschriften können lediglich allgemein in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts datiert werden. Es wird deutlich, dass bei der Betrachtung eines spezifischen Textes und seiner Überlieferungsgeschichte Beiträge zu verschiedenen Überlieferungsträgern getätigt und Einblicke in Netzwerke von Handschriftenproduktion und -rezeption genommen werden können. Die Rezipientinnen, egal ob es sich hierbei um die Dominikanerinnen in St. Gallen oder St. Katharinental handelte, assoziierten den ihnen vorgelegten Textverbund nun nicht mehr mit der Hackebornerin, sondern mit deren Mitschwester Gertrud. Somit verschwimmen für bestimmte Kollektive nicht nur Konturen bezüglich Autorschaftskonstrukten, sondern diese Oszillationen besitzen 114 4 Eine Mechthild, zwei Mechthilden, viele ›Mechthilden‹ - die oberdeutsche Überlieferung 80 Sicherlich besteht ein Beitrag darin, dass bestimmte Strategien zur Verbreitung des Textes bereits kurz nach Katharinas Tod verfolgt wurden, vgl. etwa zu Caffarini Hamburger / Signori (2013), S. 3: »Under Caffarini’s auspices, a ›multimedia‹ major offensive takes shape in which copies and translations of texts play as important a role as images and relics.« Dort auch Verweise auf weitere Literatur. Zur (Selbst-)Inszenierung Katharinas als Autorin vgl. Luongo (2020). 81 Vgl. hierzu Weigand (2004) und Franzke (2019), bes. S.-48. 82 Vgl. Bischoff (1966), S. 64. Die Handschrift erhielt aus dem Grund Bischoffs Aufmerksamkeit, da der im Jahr 1468 verfasste Codex aus dem Kloster Reichenbach die Minuskel des 12. Jahrhunderts imitiert. 83 Vgl. etwa die Beispiele der Basler Kartause für eine Vermischung der beiden Mechthilden in Kapitel 3 bzw. Nemes (2010), S.-106f. 84 Zur Innsbrucker Handschrift vgl. Neuhauser (2014), S.-109-112. auch unmittelbare Auswirkungen auf die Konstruktion textueller Manifestationen. Solche Aufweichungen sind bei anderen Autorinnen in dieser Ausprägung nicht beobachtbar, wenn man etwa das Beispiel der Katharina von Siena betrachtet, bei deren Texten zwar ebenfalls eine Instabilität festgestellt werden kann, dabei aber die Konturen von einer konstruierten Autorschaftsinstanz als stabil zu betrachten sind, was wohl auch mit der Bedeutung und außerliterarischen Verehrung von Katharina in Zusammenhang gebracht werden muss. 80 Vergleichbar wäre allenfalls die Einbindung von Predigten Eckharts in den Basler Taulerdruck, vor allem der sogenannte ›Gottesgeburtszyklus‹. 81 Neben der Instabilität von Text und Autorschaft lässt sich darüber hinaus feststellen, dass nicht nur zeitgenössische Rezipienten ihre Schwierigkeiten bei der Konturierung der Hackebornerin und ihres Textes besaßen, sondern auch zahlreiche spätere Handschriften‐ katalogisatoren sowie Philologen. Auch Bernhard Bischoff attribuierte den Text in der lateinischen Handschrift München, Staatsbibliothek, Clm 2990, f. 56v (Kapitel I, 19e) der Magdeburgerin. 82 Allerdings gibt es nicht wenige Handschriften, die einen Textabschnitt der Hackebor‐ nerin zuschreiben, dessen Herkunft aus dem Liber entweder als sehr unsicher gelten kann oder sich nicht in Mechthilds Werk nachweisen lässt, auch wenn eine definitive Zurückweisung mit Vorsicht zu genießen ist - eine Ausnahme stellt ein Exzerpt dar, dessen Herkunft aus einem anderen Werk als gesichert angenommen werden kann, etwa im umgekehrten Fall zu den gerade aufgezeigten Beispielen aus Gertruds Legatus. 83 Solche unbekannten, jedoch Mechthild zugeschriebenen Stücke begegnen für die oberdeutsche Sprache mindestens in vier Handschriften, die aus dem ganzen Sprachgebiet stammen. Ein Beispiel dafür ist der lateinische Codex Graz, Universitätsbibliothek, Cod. 1569 (Prove‐ nienz: Kartause Seitz), der im Anschluss an einige Liber-Kapitel auf f. 81r ein Mechthild zugeschriebenes Exzerpt überliefert. Das Phänomen lässt sich damit auch außerhalb eines enger gefassten oberdeutschen Sprachraumes nachweisen. Aber auch innerhalb desselben gibt es lateinische Fälle, wofür etwa die Handschrift Innsbruck, Universitätsbibliothek, Hs. 717 (Provenienz unbekannt, später im Besitz des Innsbrucker Neustifts), in der sich auf f. 8v und 9r ebenfalls nicht im Liber anzutreffenden Exzerpte finden, ein Beispiel ist. 84 Ähnliche lateinische Exzerpte bieten die Salzburger Handschriften aus St. Peter, Cod. b V 18 und b VII 10, wobei in beiden Fällen ein relativ großer Mechthild-Bestand zu finden ist. Gerade das zweite Beispiel zeigt die angesprochenen Schwierigkeiten in der Vermischung mehrerer Ebenen. So befindet sich in einem größeren Kapitelverbund (f. 106b-153b) am Ende ein 4.2 Autor(schafts)-Interferenzen in der Überlieferung 115 85 Vgl. http: / / www.stmatthias.uni-trier.de/ ? l=n&; s=suche&k_id=237 (31.3.2023). Der gleiche Textbe‐ standteil findet sich in Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms 1467, f.-82r-88r. 86 Vgl. den Katalogeintrag bei Becker (1914), S.-17f. 87 Selbstverständlich besteht eine Möglichkeit darin, dass die Exzerpte tatsächlich aus dem Liber stammen. Die Handschrift, teilweise illustriert, konnte bisher noch nicht eingesehen werden. 88 Zur Handschrift vgl. Schneider (1996), S.-260-269. Das Gebet befindet sich auf f.-168r-169v. 89 Dort auf f.-55r. Vgl. auch Haimerl (1952), S.-40, Anm.-196. 90 Vgl. Schneider (1984), S. 651-659. Es handelt sich hierbei um die Stücke 2, 4, 5 und 12 in der Katalogbeschreibung. 91 Vgl. ebd. die Stücke 1, 4, 6 und 12. zusätzliches Textstück, welches Mechthild zugeschrieben wird. An diesen Beispielen wird deutlich, wie sich ›fremde‹ Texte in einen Text einschreiben und an der Autorität Mechthild partizipieren, somit aus Perspektive des Überlieferungsträgers zu einer Textmanifestation werden. Ein Beispiel für einen anderen Text, der sich aber auf Mechthild beruft, stellt eine Handschrift aus Trier dar (Stadtbibliothek, Hs. 1918/ 1466 8°), deren Textbestandteil (f. 82r-88v) im Katalog mit »Traktat gegen Missstände in der Kirche und phantasievolle Prophezeiungen mit Berufung auf die hl. Mechthild« angegeben wird. 85 Die vier oberdeutschen Handschriften mit Mechthild attribuierten Textbestandteilen reichen vom 15. Jahrhundert bis ins 17. Jahrhundert hinein. So überliefert Straßburg, National- und Universitätsbibliothek, Ms. 2139 (früher L germ. 208.8°), ein Gebetbuch aus dem 15. Jahrhundert, zwei Stellen, die jeweils ein größeres Exzerpt beinhalten. Im Abschnitt f. 42v-59r lautet die Überschrift Vff den sundag jnuocauit me Sanct Mechthilden Offenbarung, in demjenigen von f. 103v-137r: An dem sundag Judica so man anfoht das liden xpi vun der offenbarung sanct Mechthilten.  86 Es zeigt sich gerade im Hinblick auf den zweiten Textbestandteil, dass an dieser Stelle für die Rezipienten bzw. für den jeweiligen Redaktor durch den Verweis auf eine Offenbarung sanct Mechthilten eine mentale Repräsentation eines bestimmten Textes bzw. einer Texteinheit nachgewiesen werden kann. 87 Vermutlich später als die Straßburger Handschrift, nämlich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, entstand der Münchner Codex Cgm 4639, der lediglich ein kleines Mechthild zugeschriebenes Gebet enthält. 88 Der Abschnitt der Handschrift, geschrieben von der Nonne Agnes Sauter, lässt sich laut Schneider dem Zisterzienserinnenkloster Heggbach zuordnen, wahrscheinlich in die beiden letzten Jahrzehnte des Jahrhunderts. Das Gebet ist an das Jesuskind gerichtet, wobei die Zuschreibung erst durch die Katalogisatorin erfolgte. Schneider war vermutlich aus dem Grund auf die Zuschreibung gekommen, da eine andere von ihr beschriebene Handschrift, der Cgm 856, ebenfalls dasselbe Gebet überliefert, 89 so‐ dass sie auf diese Parallelüberlieferung verweisen konnte. Der elsässische Codex, der erst im 16. Jahrhundert entstand und dem Dominikanerinnenkloster St. Margareta und St. Agnes in Straßburg entstammt, später jedoch in Mannheim aufbewahrt wurde, stellt insofern ein interessantes Konglomerat dar, als an zahlreichen Stellen tatsächlich Mechthild-Exzerpte gefunden werden können: f. 33r (I, 29), f. 47v-48v (I, 5a), f. 179v-181r (I, 7), f. 271v-277v (I, 19d+e). 90 Allerdings treten an mehreren Stellen (f. 5r, 6r, 45v, 55r, 202v, 268r und 271v) weitere Exzerpte auf, die sich allesamt nicht im Liber identifizieren lassen. 91 Gerade die Frage nach der Vorstellung bezüglich einer Zugehörigkeit der verschiedenen Exzerpte zu einem Gesamttext erscheint dabei von großer Bedeutung, also inwieweit die einzelnen 116 4 Eine Mechthild, zwei Mechthilden, viele ›Mechthilden‹ - die oberdeutsche Überlieferung 92 Zur Handschrift vgl. Schneider (1949), S.-147f. 93 Unterhalb des Textes auf f. 216v befindet sich der Eintrag mit der Jahreszahl 1616, durch die sich die Handschrift datieren lässt. Exzerpte, sowohl die aus dem Liber stammenden als auch das ›Fremdgut‹, als einem Text zugehörig betrachtet werden. Die letzte der vier oberdeutschen Handschriften mit einem Mechthild zugeschriebenem Exzerpt stellt eine Freiburger Handschrift aus dem Dominikanerinnenkloster Adelhausen dar (Freiburg, Erzbischöfliches Archiv, Hs. 17). 92 Der Textbestandteil findet sich auf f. 216v- 254v. Das Incipit lautet folgendermaßen: f. 216v: Spatzier gerttlin der christ gleibigen sellen darin schene betrachtung und gebett vsz etlichen alten vnd neywen büchern zusamen gezagen allen irn gleibigen sellen zu trost als man findet in dem bůch dialogorum S gregorij auch in S patrir (sic! ) fegür vnd zumtali (sic! ) des gleichen in den offenbarungen der heilligen mechtildis vnd brigite vnd ander vilen die disze pein beschriben (217r) heim suoch die krancken.  93 Interessanterweise wird, trotz der Exzerpierung und der dabei erfolgenden Angabe der ursprünglichen Quellen, der neukompilierte Text mit einem neuen Titel, dem Spatziergert‐ lein versehen. Gegen den Strich gelesen bedeutet der Eintrag jedoch auch, dass trotz des neuen und als einheitlich verstandenen Textes ein Bewusstsein um die ursprüngliche Herkunft der verschiedenen Bestandteile noch existent war - unabhängig davon, ob das aus dem Liber verwendete Exzerpt nun tatsächlich aus ihm stammt oder nicht. Dass eine solche Bearbeitung noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts möglich war, zeigt überdies die Bedeutung, die dem Liber auch im 16. Jahrhundert und später noch zuteilwurde, auch und gerade im Bereich der handschriftlichen Überlieferung. Der Überblick über die handschriftliche Überlieferung des oberdeutschen Liber specialis gratiae offenbart eine große Spannbreite und mehrere Stränge. Diese erstrecken sich über verschiedene Textbestände, die von großen, annähernd als ›Vollhandschriften‹ (ohne die beiden letzten und mit Variationen im Kapitelverbund der ersten fünf Bücher) zu bezeichnenden Textzeugen bis hin zu Kleinüberlieferung im Rahmen von Gebetbüchern reichen. Oftmals wird der Text zwar mit Mechthild assoziiert, es findet sich jedoch auch eine weitverbreitete anonyme Überlieferung. Zugleich begegnen umgekehrt Textabschnitte, die Mechthild zugeschrieben werden, jedoch nicht als Stellen aus dem Liber identifiziert werden konnten, somit also als Fremdzuschreibung betrachtet werden müssen. Dass im Zuge der Überlieferung der Textbestand erheblich voneinander abweicht, zeigt auf, welche Wirkmächtigkeit Bearbeiter und Redaktoren im Zuge der Rezeption besitzen. Durch die Schaffung neuer Textmanifestationen mithilfe von Exzerpierungen und Kompilationen eröffnen sich somit für etwaige Rezipienten neue Interpretationsangebote, die für das individuelle Verständnis ein von der Vorlage oder einer anderen Liber-Version differie‐ rendes Angebot bereitstellen können. Deutlich wird nach dem Beitrag der einzelnen Überlieferungsträger gefragt, an denen sich der Rezeptionsakt bezüglich einer projizierten Autorin und ihres Werkes nachvollziehen lässt. 4.2 Autor(schafts)-Interferenzen in der Überlieferung 117 94 Gerade die Gattungszuweisung erscheint hierbei tatsächlich von interessantem Stellenwert zu sein, da dies Auswirkung auf die Textinterpretation besitzt. So geht Harrison bei Beschreibung der »synaesthetic explosion of images« davon aus, dass der Text »for the entertainment and edification« der Rezipierenden genutzt wurde, vgl. Harrison (2013), S.-300. 95 Vgl. neben den zahlreichen Forschungsarbeiten von Nemes zu Mechthild von Magdeburg sowie Kirakosian (2017a; 2021) zu Christina von Hane bzw. Gertrud auch die Studien von Williams-Krapp zur Rezeption mystischer Literatur innerhalb der Ordensreformen (1990; 2008; 2012; 2016), zu Elisabeth von Schönau Senne (2003). 4.3 Methodologische Konsequenzen der Überlieferungslage Es zeigt sich bereits bei dem hier dargebotenen Überblick über das Material, welche Schwie‐ rigkeiten sich bezüglich der Textgestalt des Liber im Rahmen der Überlieferung ergeben. Die in den verschiedenen Katalogen verzeichneten Incipits lassen erste Rückschlüsse auf die spezifische Textgestalt in der jeweiligen Handschrift zu. Bei genauerer Untersuchung der jeweiligen Textbestandteile ergibt sich ein differenziertes Bild. So bedeutet die Angabe eines Kapitels bei dem Überlieferungsüberblick keinesfalls eine Kongruenz mit der lateinischen Edition, die sich sehr stark an der Wolfenbütteler Handschrift orientiert. Lediglich kleine Kapiteleinheiten wie einzelne Aussprüche oder Gebete können dabei von den Redaktoren übernommen oder sogar Sätze aus verschiedenen Kapiteln neu zusammengestellt werden. Auch der Umgang mit den in der Wolfenbütteler Handschrift auffindbaren Überschriften bietet ein zu differenzierendes Bild. So nennt der Münchner Cod. ms. 278 zwar keinen Autor, eine Zuweisung an Mechthild findet also nicht statt, dafür werden jedoch die aus der Wolfenbütteler Handschrift bekannten und in der Solesmenser Edition verwendeten Überschriften abgeschrieben. Ein ähnlicher Umgang bezüglich derselben paratextuellen Elemente kann in der Nürnberger Handschrift Cent. VI, 43 l beobachtet werden, da dort in beträchtlichem Maß abweichende Umschreibungen der Überschriften begegnen. Deutliche Umformungen des Kapitels finden sich auch in Nürnberg, Cod. Cent. VII, 51, in dem Mechthild ebenfalls nicht genannt wird und die Identifikation des Textbestandteils einzig durch die umfangreiche Kenntnis der Katalogisatorin möglich war. Es wird also in der Folge zu fragen sein, inwieweit der Text in seinem funktionalen Arrangement in einem Gebetbuch oder in einer didaktischen Lehrschrift seine spezifische Gestalt erhält. 94 Eine solche Betrachtung ist ausschließlich über Einzelanalysen möglich. Nur bei der genauen Betrachtung des Textes im jeweiligen Kontext der Überlieferung können Umgangsformen im Rahmen der Rezeption erschlossen werden. Mithilfe eines solchen methodischen Vorge‐ hens können Gründe für die Popularität des Textes im Spätmittelalter erschlossen werden, die in quantitativer Hinsicht zweifelsohne nachweisbar ist. Erst nach einer Betrachtung dieser Überlieferungssituation können Interpretationsangebote überprüft und bestätigt werden, die bisher an den Gesamttext Mechthilds gestellt wurden, damit allerdings der Gefahr ausgesetzt waren, an der Überlieferungssituation vorbeizugehen. Bringt man die vorgefundenen Befunde auf eine allgemeine Ebene, so fügen sich die Beobachtungen zur Hackebornerin nahtlos in bisherige Forschungsbefunde zu anderen mittelalterlichen Frauen und den mit ihr assoziierten Schriften ein. 95 Im Vergleich zu zahlreichen anderen Überlieferungsfällen eröffnet der Liber allerdings die Möglichkeit, in kleinste Rezeptionskollektive hineinzuzoomen und die Rezeption an einem bestimmten 118 4 Eine Mechthild, zwei Mechthilden, viele ›Mechthilden‹ - die oberdeutsche Überlieferung 96 Für Erstere vgl. Andersen (2014), für die zweite Nemes (2014). 97 Vgl. Krafft (2013). 98 Vgl. Suerbaum (2014). Ort zu betrachten. Dabei lässt sich nicht nur für ein bestimmtes Kloster ein großer Befund nachweisen, der durch besonders günstige Überlieferungsbedingungen erleichtert wurde, sondern eine solche Betrachtungsmöglichkeit eröffnet sich in mehreren Konventen, in verschiedenen geographischen Räumen und für verschiedenste Denominationen. Es verwundert daher nicht, dass innerhalb eines solchen Überlieferungsbefundes enge De‐ pendenzen, wie etwaige Abschriften oder Schreiberbestimmungen, zwischen einzelnen Handschriften nachgewiesen werden können. Jedoch zeigt sich auch, dass im Vergleich zu anderen Textsorten ein offener Umgang herrschte. Redaktoren nahmen Kürzungen und Umstellungen vor, stellten Kapitel um, kompilierten ursprünglich weit auseinander‐ liegende Kapitel neu und arbeiteten je nach Bedarf den Text auf eine Weise um, dass Jahrhunderte später eine Bestimmung des Exzerptes nur unter Schwierigkeiten gelingen konnte - oder einer Identifikation noch harrt. Dass damit auf den ersten Blick nicht zwangsläufig theologische Implikationen verbunden waren, zeigt sich durch das Fehlen paratextueller Hinweise. Gerade die Anzahl an Überlieferungszeugen und die bereits aufgrund äußerer Merkmale sowie des Überlieferungskontextes als Gebetbücher zu iden‐ tifizierbaren Handschriften legen nahe, dass für verschiedene Rezipientengruppen Exzerpte aus dem Liber notwendig in bestimmte Textverbünde, etwa in Gebetbücher, aufgenommen werden mussten. Dass gerade Mechthild wie nur wenige andere Frauen, z. B. Birgitta oder Gertrud, 96 ordensübergreifend rezipiert wurde, unterscheidet die Hackebornerin etwa von einer stark ordensspezifischen Produktion bzw. Rezeption der Schriften anderer Frauen, wie etwa Katharina von Siena bei den Dominikanerinnen 97 oder Dorothea von Montau für den Deutschen Orden 98 , in unikaler Überlieferung auch Christina von Hane für die Prämonstratenserinnen. Im Unterschied zur Magdeburger Namensvetterin erscheint ihr Name zumeist in den Incipits bzw. den paratextuellen Elementen, auch wenn eine anonyme Überlieferung in manchen Fällen zu konstatieren ist. In keinem Überlieferungsfall scheint jedoch, abgesehen von einer Ordenszuschreibung sowie dem allgemeinen Attribut als ›Heilige‹, ein besonderes Spezifikum mit Mechthild verbunden. Es finden sich außerdem keine Bezüge zu Helfta, insbesondere in den Gebet‐ büchern ist die Hackebornerin lediglich auf ihre Autoritätsstellung hin funktionalisiert. Aufgrund der außerliterarischen Verehrung, welche bei anderen Mystikerinnen beobachtet werden kann, erfolgt Mechthilds Profilierung lediglich durch die erfolgte Verknüpfung bzw. Zuschreibung an ihren Text. Der Text sorgt somit für eine Wirkmächtigkeit der Ha‐ ckebornerin, während umgekehrt diese dem Text Autorität verleiht. Mechthild erfährt also hinsichtlich der Quantität der Überlieferung ihrer Schriften durchaus eine Verehrung. Bei der Frage nach den Spezifika der Rezeption muss allerdings ein differenziertes Panorama vorgestellt werden. Aufgrund der Anpassungsfähigkeit des Textes sowie aus inhaltlichen Gründen offeriert der Text verschiedene Interpretationsangebote, wie im nächsten Kapitel gezeigt werden wird. 4.3 Methodologische Konsequenzen der Überlieferungslage 119 1 Vgl. Heinzer / Stamm (1987), S.-171. 2 Vgl. zur frühen Klostergeschichte Breith (2010), S.-19f. 3 Zu den dreizehn erhaltenen Bänden vgl. Heinzer (2008), S. 442f., und Breith (2010), S. 21f. Vgl. zur Geschichte der Klosterbibliothek auch Heinzer / Stamm (1987), S.-36-46. 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae Anhand verschiedener funktionsanalytischer Einzelstudien zu Überlieferungsträgern des Liber wird im Folgenden das Rezeptionspotenzial des Liber ins Blickfeld gerückt. Aufgrund der offenen Überlieferungslage hinsichtlich des quantitativen Umfangs auf der Makroebene ist ein Einblick in überlieferungsgeschichtliche Mikrostrukturen in methodischer Hinsicht eine logische Notwendigkeit. Hierbei erhält der unterschiedliche funktionelle Umgang mit dem Text besondere Bedeutung. Aufgrund des gegenseitigen Einflusses von Textrezeption und -produktion können unterschiedliche Rezeptionsangebote vermutet werden, die durch den einzelnen Überlieferungsträger paradigmatisch sichtbar werden. 5.1 Der Karlsruher Codex Lichtenthal 67 Die Handschrift wurde bereits von Felix Heinzer und Gerhard Stamm eingehend be‐ schrieben, 1 sodass auf eine ausführliche kodikologische und paläographische Deskription verzichtet werden kann. Stattdessen rückt die spezifische Textüberlieferung des Liber in das Zentrum. Nach einer Einordnung in den historischen und literarischen Kontext werden die Textgestalt und das (re-)strukturierte Arrangement betrachtet. Im Anschluss erfolgen eine genauere Untersuchung des Prologs bzw. der Schlussschrift. Auf dieser Grundlage werden Überlegungen formuliert, die die These von einer zisterziensischen Provenienz der Handschrift, eventuell spezifisch für Lichtenthal angefertigt, stützen, und gleichzeitig auch Aufschluss über eine spezifisch zisterziensische Rezeptionsweise des Liber geben. Somit werden neben der Fokussierung auf die reine Manifestation des Textes auch überlieferungsgeschichtliche Komponenten berücksichtigt, die Erkenntnisse über das Rezeptionsverhalten eines bestimmten Kollektivs zulassen. 5.1.1 Die (literar-)historische Umgebung der Handschrift Die Gründung des Zisterzienserinnenkonvents in Lichtenthal fällt in das vierte Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts. 2 Im Jahre 1248 wurde das Kloster durch das Generalkapitel der Zisterzienser in Cîteaux inkorporiert und dem Abt von Neuburg unterstellt. Durch die Stellung als Grablege der Markgrafen von Baden bis ins 15. Jahrhundert lässt sich die Bedeutung des Klosters erkennen. Gemäß den Statuten des Zisterzienserordens erhielt das Kloster, wahrscheinlich aus Neuburg, die notwendigen Liturgica als Grundausstattung. 3 Felix Heinzer hat die Geschichte der Klosterbibliothek eingehend untersucht und schätzt 4 Vgl. Heinzer (1988), S.-45-47. 5 Vgl. Breith (2010), S.-24. 6 Vgl. Heinzer / Stamm (1987), S.-43. 7 Vgl. Breith (2010), S. 41. Vgl. für eine Liste der von Regula geschriebenen oder überarbeiteten elf Handschriften ebd., S.-33-36. 8 Vgl. als Überblick über die Handschriften der Zisterzienser Palmer (2017). 9 Vgl. Breith (2010), S. 43, für die These, dass Regula gegen den Willen des Beichtvaters die Latein‐ kenntnisse ihrer Mitschwestern zu fördern versuchte. 10 Es handelt sich hierbei um Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 70, und Stras‐ bourg, Bibliothèque nationale et universitaire, Ms. 2542, vgl. hierzu Kunze (1983), S. XXII-XXXII, und Breith (2010), S.-45-47. den Bestand im 16. Jahrhundert auf ca. 200 Bände, von denen sich drei Viertel erhalten haben, die heute in der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe sowie im Kloster selbst aufbewahrt werden. 4 Neben einer Hochphase in den Dekaden nach der Gründung lässt sich insbesondere in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine rege Schreibtätigkeit feststellen, was in den Zusammenhang mit der Ordensreform gebracht werden kann. 1426 wurde in Cîteaux die Reform des Klosters beschlossen, die von den Äbten von Lützel, Maulbronn und Herrenalb überwacht wurde. Aus der Abtei Königsbrück bei Hagenau, welches bereits zuvor reformiert worden war, kamen zur Unterstützung einige Konventualinnen, unter ihnen, vermutlich im Jahr 1444, auch die für den im Zentrum stehenden Schreibbetrieb verantwortliche Schwester, Margaretha, auch Regula (gest. 1478) genannt. 5 Unter Regula kann ein gesteigerter Fokus auf die Erstellung geeigneter Tischlektüren konstatiert werden, aber auch die Pflege der Liturgie sowie der Einhalt der Ordensregeln standen gemäß der Reform im Zentrum der Schreibtätigkeit. Durch die Identifikation ihrer Schreiberhand, die Felix Heinzer und Gerhard Stamm im Zuge der Katalogerstellung der Lichtenthaler Handschriften gelang, lässt sich die Arbeitsweise nicht nur Regulas persönlich, sondern auch des gesamten Skriptoriums unter ihrer Führung nachverfolgen. 6 Regula besaß exzellente Lateinkenntnisse und ihre Versiertheit in der Sprache drückt sich in zahlreichen Randbemerkungen aus. 7 Die von ihr verantworteten Handschriften weisen gemäß dem zisterziensischen Ideal eine relative Schlichtheit ohne ausschweifenden Buchschmuck auf. 8 Ferner lässt sich eine außerordentliche Bemühung um den rechten Text er‐ kennen, da in zahlreichen Handschriften Korrekturen und Marginalien festgestellt werden können. Die Fertigkeit in der lateinischen Sprache, die Regula auch ihren Schwestern zu vermitteln suchte, 9 erlaubte eine eigenständige Tätigkeit als Übersetzerin, Kompilatorin und Redaktorin. Gerade bei den von Regula verfassten Legenda aurea-Handschriften lässt sich eine eigenständige Bearbeitung Regulas fassbar machen, etwa in der Ausgestaltung der zisterziensischen Legenden sowie durch das Hinzufügen von Zusatzmaterial bei Legenden, die Regula zu kurz erschienen. 10 Somit lässt sich mit Regula eine bedeutende Redaktorin in der südwestdeutschen Klosterliteratur des 15. Jahrhunderts ausmachen, die selbstbewusst Akzente innerhalb eines Netzwerkes von Reformklöstern setzte. Dass auch der Liber als geeignetes Werk zur Verbreitung erschien, wird an den zahlreichen Handschriften aus Lichtenthal deutlich. Nicht weniger als zehn Handschriften, die heute allesamt in Karlsruhe überliefert werden, lassen sich in Verbindung mit Lichtenthal bringen. Neben dem genauer zu analysierenden Cod. 67, der als einziger einen ›Volltext‹ bietet, überliefern die anderen 122 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae 11 Es handelt sich um die Cod. 90, 92, 94, 99, 105, 106, 107 und 109. Hinzu kommt noch die Hs. 1733 aus dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, die zumindest teilweise in Frauenalb entstand. Vgl. neben den Katalogbeschreibungen bei Heinzer / Stamm (1987) auch die Kurzbeschreibungen der Frauenalber Handschriften bei Heinzer (1986), S. 102-105. Vgl. http: / / www.helftamysticism.org (31.3.2023). 12 Zur Beziehung zwischen Frauenalb und Lichtenthal vgl. Heinzer (2008), S.-486-488. 13 Vgl. Heinzer (2008), S.-488. 14 Diese Aussage lässt sich vor allem für die bei Zieger unter B geführten Handschriften treffen. 15 Vgl. grundsätzlich für die Gliederungsmerkmale in der geistlichen Prosa am ähnlich gelagerten Fall der Magdeburgerin Palmer (1989), S. 77f. Dabei folgt die Volkssprache eng dem Muster lateinischer Gliederungsapparate. 16 Vgl. Heinzer / Stamm (1987), S.-171. 17 Lediglich die Überschrift des Kapitels ist übernommen. Handschriften lediglich Exzerpte. 11 Die meisten dieser Handschriften entstanden nicht direkt in Lichtenthal, sondern etwa in Frauenalb oder Königsbrück und lassen sich zumeist in das beginnende 16. Jahrhundert datieren, gelangten aber um 1600 im Zuge der Reforma‐ tionswirren und der Umsiedlung von Benediktinerinnen aus Frauenalb in Lichtenthaler Besitz. 12 Als Gebet- und Andachtsbücher verwundert es nicht, dass sie eher gebetsartige Kapitel aus dem Liber beinhalten, etwa I, 47, I, 19e oder V, 18b. Auch die Tatsache, dass die spätere Äbtissin Katharina von Renchingen als Schreiberin von zwei Handschriften auftritt, erscheint bedeutsam für eine Bewertung der Schreibtätigkeit. 13 Die Überlieferung zeigt, dass der Liber für die südwestdeutschen Frauenklöster ein beliebter Text war, der eine Vervielfältigung verdiente. Insofern zeigt die Präsenz eines ›vollständigen‹ Textes auch die Verfügbarkeit des Materials für weitere Rezeptionsmöglichkeiten. 5.1.2 Die Textgestalt des Liber im Cod. Lichtenthal 67 Die Lichtenthaler Handschrift überliefert eine gekürzte Version der ersten fünf Bücher, kennzeichnet den Textbestand jedoch als vollständig. Deutlich wird dieser Umstand an dem in vielen Handschriften überlieferten ausführlichen prologus praeter rem, der der Kindheitsgeschichte Mechthilds, dem prologus ante rem, vorausgeht. Dieser gliedert die ein‐ zelnen Bücher thematisch und ist in zahlreichen weiteren anderen Handschriften erhalten. 14 Auch innerhalb des Textes finden sich rubrizierte Überschriften, die den Beginn eines neuen Kapitels (hier jedoch nicht durchgehend) oder eines neuen Buches ankündigen. 15 Teilweise finden sich auch zweifarbige Überschriften in rot und grün, was jedoch keine inhaltliche Motivierung besitzt (z. B. ab f. 27r). Insgesamt ist auffällig, dass mit aufsteigender Kapitelnummer eine größere Anzahl an Kapiteln ausgelassen wird. So fehlen im ersten Buch nur zwei Kapitel (I, 10 und 40, außerdem 13b), während aus dem vierten Buch nur knapp über die Hälfte der Kapitel überliefert wird (33 von 60 Kapiteln). Bereits Heinzer und Stamm hatten in ihrem Katalogeintrag herausgearbeitet, welche Kapitel in der Zusammenstellung fehlen: 16 Buch I: 10, 13b, 40 Buch II: 19, 23, 29b Buch III: 37, 40 17 , 43, 49, 50, 52 Buch IV: 1-4, 8, 10-12, 14, 19, 20, 27, 31, 33, 34, 39-44, 46, 48, 49, 52, 53, 57 5.1 Der Karlsruher Codex Lichtenthal 67 123 18 Nur die Einleitung des Kapitels wird überliefert, der Rest fehlt hingegen. 19 Vgl. f. 70v-71r. Die Überschrift zu Bartholomäus lautet Von dem heiligen zwölffbotten Sancto bartholomeo dem lider, während das ehemalige Kapitel I, 34c als Überschrift Wie got der herr Jn sinen heiligen sölle gelobet werden vnd geeret besitzt und die generelle Verehrung sowie die Vorbildfunktion der Heiligen thematisiert. 20 Vgl. hierzu noch den Druck München, Staatsbibliothek, Rar. 1676 (VD16 M 1784), f. 4r (ein Exemplar des Leipziger Druckes von 1503). Die dortige Unterstreichung des Bibelzitates erlaubt einen hierauf folgenden Einblick in das Rezeptionsverständis des jeweiligen Lesers, der an selbiger Stelle eine klare Abtrennung einer Sinneinheit vornahm, die durch das Zusammenziehen durch den Drucker - bzw. dessen Vorlagengeber - vorgenommen worden war. 21 Ein Überblick über einige Handschriften der B-Gruppe bestätigt dieses Bild. 22 Als Beispiele sind zu nennen: f. 37r das notwendige Zahlwort dry, 132r demütikeit, 138v über ist vorhanden, jedoch fehlt gossen, 145v barmherzikeit, 159r fehlt die Nebensatzeinleitung da batt. Buch V: 1 (Teil) 18 , 2-5, 7, 8, 10b, 11, 15, 31, 32 Buch VI: fehlt vollständig Buch VII: fehlt vollständig Die scheinbar feste Kapitelform entspricht jedoch nicht den tatsächlichen Verhältnissen. Viel eher bilden die Bücher unfeste Konstrukte, die von der Form der lateinischen Edition abweichen, da einerseits ganze Kapitel oder einzelne Abschnitte unter einer Überschrift zusammengefasst werden oder andererseits ein überliefertes Kapitel aus der lateinischen Edition in mehrere Einzelabschnitte mit eigenen Überschriften aufgeteilt wird. Es lässt sich ein Bestreben des Redaktors erkennen, Kapitel systematisch entweder zusammenzuziehen oder zu trennen. Der erste, weitaus seltenere Fall, lässt sich bei den Unterkapiteln zum Festtag des heiligen Bartholomäus exemplifizieren. Während die lateini‐ sche Ausgabe die Kapitel I, 34a und b trennt und ähnlich wie für 34c eine eigene Überschrift überliefert, führt die Handschrift die ersten beiden Unterkapitel zusammen, bietet aber für 34c eine neue Überschrift, da dieser Abschnitt sich (dann) nicht mehr auf Bartholomäus bezieht. 19 Für die Trennung bestehender zusammenhängender Abschnitte lässt sich ein Bestreben erkennen, Bibelzitate zu trennen und damit formalgleiche Sinnabschnitte zu konstruieren. Ein gutes Beispiel bietet das Kapitel I, 1b, welchem wohl aufgrund des Bibelzitates Missus est (Lk 1, 26) durch die Handschrift eine neue Überschrift zugewiesen wurde und welches damit ein eigenständiges Kapitel bildet. 20 Ein weiteres Beispiel für eine direkte Änderung der Struktur in der Lichtenthaler Hs. stellt das Kapitel II, 4 dar, welches mit dem letzten Abschnitt des Kapitels II, 3 beginnt und auch die Überschrift des zu dem Abschnitt von II, 3 gehörenden Kapitels führt. Die folgenden kurzen Kapitel II, 5 und 6 finden sich ebenfalls in diesem neuen Kapitel. Weitere Unterschiede ähnlicher Art innerhalb des ersten Buches begegnen in den Kapiteln I, 5, 6, 8, 9, 11, 18, 22. Somit zeigt sich, dass im Zuge der Rezeption bei den formalen Einheiten des Textes eine Varianz auftritt, die sich nur auf diffizile Weise philologisch erfassen lässt, und sich je nach Redaktoreingriff und Rezeption unterscheidet. 21 Eine weitere Beobachtung beinhaltet eine durchwegs unsaubere Bearbeitung durch den wohl ungeübten Schreiber, die zahlreiche, allerdings konsequent ausgeführte, Korrekturen erforderte. Dieser Korrekturbedarf lässt sich zum einen daran feststellen, dass für den Satzbau notwendige Wörter nachgetragen wurden. 22 Dabei schien der Schreiber generell Probleme mit seiner Vorlage gehabt zu haben, wie manche Verschreibungen zeigen, die 124 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae 23 Die Handschrift scheint wohl für einen neuen Einband zurechtgeschnitten worden zu sein, wes‐ wegen manche Marginalien nicht vollständig überliefert sind. Weitere Nachträge von ähnlicher Länge finden sich auf f. 66r, 138v, 140r und 148v. Zur Hausallegorie im Liber vgl. Buschbeck (2021b), S. 299-306. Für einen Einblick in die sich in Druckvorbereitung befindende Arbeit danke ich Björn Buschbeck herzlich. 24 Wie weit unsauber arbeitende Schreiber Einblicke in die Rezeption geben können, zeigt Nemes (2012b) auf. 25 Dieser Vermerk ist ein weiterer Hinweis dafür, dass die Handschrift hier dem lateinischen Traditi‐ onsstrang des Titels folgt, der das Buch Liber spiritualis gratiae nennt und nicht specialis, wie das Werk in der heutigen Forschung zumeist genannt wird. 26 Heinzer / Stamm (1987), S. 171, verrechnen sich hier um einen Tag, da nicht der Festtag St. Othmars selbst gemeint ist (16. November), sondern der auf diesen folgende Samstag, der 1470 auf den 17. November fiel. Interessanterweise ist die Feier des Abtes von St. Gallen im zisterziensischen sich nicht auf Probleme im Transfer regionaler Formen zurückführen lassen. Durchwegs am Rand korrigierte Fehler für solche Lapsus wären rengnieren statt reinigen (f. 158v) oder nekliches statt eins kelches (f. 158r). Auch bei den Überschriften war der Schreiber im Laufe der Kopie durcheinandergeraten, da er auf f. 111v und 113r Überschriften aus bereits kopierten Kapiteln vermutlich aufgrund eines Blätterfehlers noch einmal verwendete. Ge‐ rade wenn man den Status der Übertragung untersucht, erlauben die Fehler des Schreibers auch den Rückschluss, dass vorliegender Codex nicht selbst eine Direktübertragung aus dem Niederdeutschen oder dem Lateinischen darstellt, sondern allenfalls die Kopie einer solchen. Dies wird durch das Auslassen mehrerer Zeilen deutlich, da an mehreren Stellen Marginalien mit einer ähnlichen Länge nachgetragen wurden, so z. B. die für die Allegorese essentielle Erklärung des Funktionsmechanismus der Tür des Hauses Gottes vnd so die tür uff geta(n) so ward ouch das gött(lich herz) (f. 36v). 23 Somit erlaubt die fehlerhafte Arbeitsweise des Textes durchaus Rückschlüsse auf die mikrostrukturelle Textgeschichte. 24 Zwar belegt der Einband aus dem Jahr 1607 die Handschrift für Lichtenthal, nicht jedoch deren ursprüngliche Provenienz. Daher verdient der Schreiber besonderes Augenmerk, da seine Redaktion (oder die seiner Vorlage) auch aus Gründen der Rezeptionsforschung von Interesse ist. Diese Signifikanz lässt sich schon an der Konzeption der gesamten Handschrift feststellen, die deutlich erkennbar als ein Gesamtwerk konzipiert und durch die Hand des Schreibers strukturiert wurde. Neben den roten Überschriften, die sich durch das Werk ziehen, beginnt die Handschrift mit einer Einleitung, in der das Werk Mechthilds angekündigt wird (vgl. Abb. 4): f. 2r: Es vecht an das bůch der geistlichen  25 gnaden Jn dem alle menschen geistlichen trost finden mögen Vnd ouch volkömen besserung jres lebes (sic! ) etc. Deutlich wird hier bereits die Intention des zusammengestellten Buches, die volkomen besserung des Lebens des jeweiligen Rezipienten oder der jeweiligen Rezipientin zu befördern. Das Werk scheint spezifisch für Frauen konzipiert zu sein, was in der Folge deutlich wird, da nach dem Mechthild-Text die Kapitel der Katharinen-Vita angekündigt werden, die ihrerseits von einer gemeinsamen Schlussschrift abgerundet werden: f. 208v: Dis bůch ist vsz geschriben Am nehsten Samstag nach Sant Othmars tag Anno Domini etc. lxx iär  26 Vnd heist das geistlich bůch von der Erwirdigen vnd gottes dienerin Sant Mechthilten Vnd 5.1 Der Karlsruher Codex Lichtenthal 67 125 Missale nicht vorgesehen (ebenso bei den Dominikanern), auch wenn die meisten anderen Orden und Diözesen diesen Festtag begehen. das wir mit allen Jungfröwen Jn öwigen leben finden werden […] (209r) Bittent got lieben seligen Jungfröwen Mechthilt vnd Kätherina für den lieblosen schriber dictus Knör. Abb. 4: Prolog des Liber im Kloster Lichtenthal (Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. Lichten‐ thal 67, f. 2r) In dem hier nicht transkribierten Zwischenteil findet sich ein kurzer Hinweis auf die Katha‐ rina-Kapitel sowie eine Fürbitte um die Verleihung des ewigen Lebens. Die Schlussschrift stellt also einen konzipierten Abschluss des Gesamtwerkes dar, in dem beide Visionärinnen, 126 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae 27 Vgl. zur Gattung der Kolophone Dahm (2020). 28 Zusammenfassend zur Doppelformel vgl. Besch (1993) und Thielert (2016), dort v. a. der ausführliche Forschungsüberblick (S. 15-69) sowie das Fazit (S. 305-312). Allerdings untersucht Thielert andere Textsorten als das hier im Vordergrund stehende literarische Schrifttum. Zu Regulas Stilistik vgl. Stamm (1995) und vor allem Breith (2010), S.-33-80. Vgl. auch Evers / Stello (2018), S.-74f. 29 So finden sich z. B. keine der bei Besch (2008), S. 215, aufgeführten Beispiele in der Handschrift. Eine genauere Analyse der Doppelformel, etwa unter Hinzuziehung der mitteldeutschen Beispiele aus Besch (1964), könnte hier weitere Ergebnisse liefern. 30 Besch (2008), S.-210. Katharina von Siena und Mechthild, noch einmal eng zusammengerückt werden, was in der Bitte um Fürsprache zum Ausdruck kommt. 27 Deutlich wird die Gesamtkonzeption der Handschrift, in der zwei zentrale ›frauenmystische‹ Texte aufeinander bezogen werden, wobei dem Liber durch die quantitative Blattanzahl Vorrang eingeräumt wird, während die Vita der Katharina funktionell auf gleicher Ebene steht, sich jedoch inhaltlich stark an die Liber-Kapitel annähert. Dadurch weist sie lediglich unterstützenden Exzerptcharakter auf, da sich kein eigenständiges Narrativ wie im Mechthild-Abschnitt entfaltet, sondern allenfalls Bezüge zu den Liber-Abschnitten hergestellt werden. 5.1.3 Bernhard ›der Wunderbare‹ - eine zisterziensische Provenienz? Neben einigen sprachlichen Besonderheiten, die zuerst kurz vorgestellt werden sollen, erlauben schließlich zwei Stellen eine Zuschreibung des Codex an eine zisterziensische Her‐ kunft. Grundsätzlich kann für die Handschrift eine häufige Verwendung der ›lexikalischen Doppelform‹ beobachtet werden, die wohl weniger aus stilistischen Gründen, sondern aus Sorge um eine genaue Übersetzung bzw. Übertragung erfolgte und besonders typisch für die Arbeitsweise von Schwester Regula ist. 28 Allein der Anfang des Kapitels I, 2 (vgl. f.-6v) überliefert mehrere Doppelungen, so wirdigen vnd edeln für ein in der lateinischen Edition nicht vorhandenes Epitheton (dignus? ) Gabriels, unzelich vile vnd schar für innumerabilis multitudo (hier hat der Schreiber wohl das zweite Adjektiv vergessen), geschicht vnd geordent für ordinaverunt sowie Chör oder samenunge für ordo. Allerdings lassen sich keine typischen Beispiele finden, die für eine Übertragung aus dem Niederdeutschen sprechen. 29 Hingegen lässt sich jedoch das Bestreben erkennen, den Text so eng wie möglich an der Vorlage zu halten, dabei aber immer noch verständlich für die Rezipienten zu sein: »Der Schreiber gibt Verstehenshilfen, er dolmetscht gewissermaßen.« 30 Eine ähnliche Verstehenshilfe bietet der Text in den Auflösungen der lateinischen Bibelzitate, die fast ausschließlich mit der Einleitung Das spricht zuo tütsch erfolgen. Obgleich nicht alle lateinischen Bibelzitate konsequent aufgelöst werden, ist es verwunderlich, dass auch Phrasen übersetzt werden, von denen man aufgrund ihres liturgischen Gebrauchs erwarten würde, dass sie ohne Übersetzung verständlich wären, z. B.der Introitus Nos autem gloriari am Dienstag der Karwoche (f. 27v) oder Celeste gaudium (f. 24v). Auch hier kann wieder an Schwester Regula gedacht werden, die durch ihre zahlreichen Übersetzungen im Bereich 5.1 Der Karlsruher Codex Lichtenthal 67 127 31 Vgl. insgesamt zur Literaturtätigkeit Stamm (1989) und ders. (1995), bei Regula besonders zum Verhältnis Latein-Deutsch Breith (2010), S. 41-45. Regula selbst besaß exzellente Lateinkenntnisse, was wohl einen Grund dafür darstellte, dass sie aus Königsbrück nach Lichtenthal kam. Für die Verbindung zwischen Königsbrück und Lichtenthal vgl. auch Cod. Lichtenthal 94 (mit einem Liber-Exzerpt), wobei sich mindestens eine Schreiberin in Königsbrück verorten lässt, deren Hand sich jedoch in einigen Lichtenthaler Handschriften findet, vgl. dazu Evers / Stello (2018), S. 80. Für ein Parallelbeispiel aus dem Benediktinerinnenkloster St. Andreas in Engelberg vgl. Ochsenbein (2000). 32 Vgl. Liber (1877), S. 97. In den Hss. verweist etwa Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms 671, f. 57v, auf Bernhard. 33 Selbstverständlich besteht auch die Möglichkeit, dass in dem Bernhard-Kapitel eine Interpolation Benedikts in einigen (benediktinischen? ) Handschriften stattfand, was die Benediktinermönche von Solesmes natürlich nur zu gerne übernahmen. In der Handschrift Colmar, Stadtbibliothek, Ms. 334, stammend aus dem Dominikanerinnenkonvent Unterlinden, befindet sich ebenfalls Bernhards Orden exponiert (f. 89r). Das Kapitel trägt dort bereits Nummer 37. Die Einleitung des Kapitels fällt hingegen weniger lobend aus, vgl. f. 88v: An der hochzit des hohen leres (sic! ) sant Bernhardus. Zum Einfluss Bernhards auf die Helftaer Schriften vgl. Lanckowski (1990), bes. S.-22. 34 Eine weitere Parallele wäre die gleichlautende Schreibernennung. Anstatt dicta Regula treffen wir hier auf dictus Knör. Dass diese Ähnlichkeit nicht unbedingt als Zufall angesehen werden sollte, zeigt ein Vergleich mit dem (zugegebenermaßen schmalen) Corpus von Kolophonen bei Bodemann / Dabrowski (2000), S. 13-30, unter denen sich vorliegende dictus-Variante nicht findet. Vgl. generell zu Schreiberkolophonen Schneider (2009), S.-141-144. der Frauenviten aus dem Lateinischen versuchte, diese Schriften für ihre lateinunkundigen Mitschwestern rezipierbar zu gestalten. 31 Die beiden ›Pro-Zisterzienser‹-Stellen beziehen sich auf die Identifikationsfigur des Ordens, Bernhard von Clairvaux. An dessen Festtag (20. August) leitet der lateinische Editionstext das Kapitel (I, 28) schlicht mit den Worten In festo eximii doctoris beati Bernhardi ein. Die Lichtenthaler Handschrift erweitert die Ausschmückung Bernhards um eine Fülle von Lobpreisungen: f. 59r: An dem hochzyt vnd vest Des Edeln honigflüssigen lerers Vnd besunder liephabers vnd vsserwelten kapplans vnser lieben ffröwen Der Edeln hymell keyserin Mariam Vnsers heiligen vatters Sant Bernhartz […] Noch weitaus deutlicher gestaltet sich ein weiterer Eingriff des Redaktors in den Text. In demselben Kapitel befragt Mechthild Gott, was denn die Phrase In medio ecclesiae bedeutet, die in der Liturgie am Fest des Tagesheiligen erscheint. Sie erhält - im Editionstext - als Antwort, dass in der Mitte der Kirche nicht Bernhard oder die Zisterzienser stehen, sondern vielmehr Benedikt und dessen Orden. 32 Dem Redaktor der Handschrift (oder einer Vorlage der hier vorliegenden Handschrift) passte wohl diese Aussage nicht, weswegen er sich kurzerhand dazu entschied, den Namen Benedikt mit Bernhard zu ersetzen (f. 59v: Das mittel der heiligen kirchen Jst der orden Des heiligen Sant Bernhartz Der vffenthelt Die heiligen kirchen), womit nun dem Zisterzienserorden in allen Bereichen die größten Kompetenzen zugesprochen werden. 33 Somit kann nach der Zusammenstellung verschiedener Hinweise festgehalten werden, dass eine Entstehung der Handschrift in Lichtenthal zwar nicht direkt nachweisbar ist, jedoch aufgrund der Ähnlichkeiten zum Schaffenswerk Schwester Regulas 34 und vor allem der beiden Bernhard-Stellen eine Entstehung im zisterziensischen Kontext, wohl 128 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae 35 Eine solche zisterzienserfreundliche Bearbeitung des Materials ist bei Regula auch im Umgang mit Legenden festzustellen, vgl. Breith (2010), S. 46: »Darüber hinaus legt sie besonderen Wert auf möglichst vollständige Legenden, wenn es sich um dem Zisterzienserorden nahestehende Heilige handelt, etwa die Heiligen Bernhard von Clairvaux, Ludwig der Jüngere sowie Robert von Molesme.« 36 So z. B. Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 49 und 57, zwei lateinische Stundenbücher (Diurnale), geschrieben von Nikolaus Hirschmann bzw. Johannes Zürn, wobei letztere Handschrift spezifische Bearbeitungen für den Frauenkonvent Lichtenthal aufweist. Johannes Zürn lässt sich für Herrenalb nachweisen, bearbeitet seine Handschriften aber für Lichtenthal, vgl. zu ihm Heinzer (2008), S. 447-463. Für den Ausbau des Handschriftenbestands in Lichtenthal sowie zur generellen Ausstattung im Zisterzienserorden vgl. Heinzer (2008), S.-437-446. 37 Dass ein solcher Fall auch im Bereich der Gebetbücher auftreten kann, zeigt das Beispiel Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 560. Das Gebetbuch mit den Liber-Kapiteln I, 19e und V, 6, welches von dem Schreiber Niclas Numan verfasst wurde, wurde laut Degering (1932), S. 186, dezidiert »für Nonnen« bearbeitet. im engen Umkreis Lichtenthals, anzunehmen ist. 35 Auch das Geschlecht des Schreibers spricht nicht gegen eine Entstehung in Lichtenthal bzw. für die dort ansässige weibliche Rezipientengruppe, wie andere Handschriften aus Lichtenthal beweisen, die männliche Schreiber nennen. 36 Der genaue Entstehungsort ist aus Rezeptionsperspektive allerdings nicht von entscheidender Relevanz, viel eher soll betont werden, dass eine Handschrif‐ tenproduktion vorliegt, in der ein männlicher Schreiber den Text für ein spezifisches weibliches Rezipientenkollektiv umarbeitet, in diesem Fall den Zistzerzienserinnenkonvent Lichtenthal. 37 5.1.4 Der Redaktor am Werk - das Beispiel des vierten Buches Um die Tätigkeit des Redaktors bzw. die in der Gesamtintention veränderte Fassung des Lichtenthaler Codex an einem Beispiel vorzuführen, wird im Folgenden das vierte Buch genauer betrachtet. Dieses erscheint aus mehreren Gründen als besonders geeignet für eine ausführlichere Untersuchung. Erstens wird es durch die Einleitung, sowohl in der lateini‐ schen als auch der volkssprachlichen Fassung, als thematischer Block ausgewiesen, der im Unterschied zum ersten Buch nicht nach dem Kirchenjahr geordnet ist, sodass sich bereits hier im Falle von Kürzungen und Restrukturierungen Diskrepanzen zwischen einer ›voll‐ ständigen‹ Textform sowie der nun rezipierten Kurzform vermuten lassen. Zum zweiten zeigt sich im vierten Buch allein anhand der Quantität ein bedeutendes redaktorisches Eingreifen, da von den ursprünglich 60 in der lateinischen Version überlieferten Kapiteln nur 33 in vorliegendem Codex überliefert werden. Die Kapitel selbst werden untereinander ebenfalls wieder in mehrere Abschnitte untergliedert oder es begegnet im umgekehrten Fall eine Zusammenfassung zu größeren ›kapitelübergreifenden‹ Texteinheiten. Es wird also vor allem nach der Stabilität der Form und Struktur gefragt. Dabei darf weniger von einer direkten Intentionalität des Redaktors ausgegangen werden - möglicherweise schrieb dieser lediglich von einer Vorlage ab und nahm somit gar keine bewussten Änderungen vor -, sondern das Produkt des Schreibprozesses steht im Mittelpunkt. In diesem lassen sich Differenzen zu anderen Fassungen mit größerem Textbestand nachweisen, wobei somit hinter dem Text liegende Strukturen und Vorstellungen hervortreten, die sich durch die veränderte Textmanifestation ergeben. 5.1 Der Karlsruher Codex Lichtenthal 67 129 38 Dies dürfte wohl auch dafür verantwortlich sein, dass sich zahlreiche Kapitel aus diesem Buch als Einzelexzerpte in den zahlreichen Gebet- und Andachtsbüchern finden. 39 Liber (1877), S.-2. 40 Ähnlich auch Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 434, f.-223r. 41 Vgl. überblicksartig Neidhardt (2016), S. 483-490. Für den Fall Basel vgl. Degler-Spengler (1995). Dort wurden die Beginen 1411 schließlich ganz aus der Stadt vertrieben. 42 Dies intendiert aber wohl Schmidt in Liber (2013), S. 19, bei seiner Übersetzung: »[…] sei es, dass sie in der Gemeinschaft eines Klosters oder aber alleine leben.« 43 Vgl. hierfür Harrison (2013), S.-307f. 44 Möglich ist, dass das Kapitel aufgrund der exponierten Stellung Mechthilds ausgelassen wurde, ähnlich wie im Falle Mechthilds von Magdeburg einige der Interzessionskapitel in späteren redak‐ In der Einleitung des lateinischen Editionstextes, in der die Inhalte der einzelnen Bücher vorgestellt werden, erhält das vierte Buch den Status als geistige Lektüre, die nützen und Trost spenden soll. 38 Es hält sowohl Beispiele von Gemeinschaften als auch Einzelpersonen bereit: In quarta, fere similia ad utilitatem et consolationem hominum pertinentia ponuntur: primo de Congregatione in communi, postea de hominum personis in speciali.  39 Auffällig ist, dass in der Lichtenthaler Einleitung die zweite Hälfte der Ankündigung entfällt und nur der inhaltliche Teil genannt wird: 40 f. 3r: Jn dem vierden werdent für geleit Die ding die da gehörnd zů nucz vnd trost vnd vnderwysunge der menschen. Bedenkt man den Rezpientenkreis und die intendierte Redaktion für einen Frauenkon‐ vent, so wird deutlich, dass der nachgeschobene Teilsatz des lateinischen Textes im 15. Jahrhundert überflüssig geworden war, gerade wenn man die monastische Politik der Observanzbewegungen berücksichtigt, die dem Beginen- oder Inklusenleben mit Bedenken begegnete. 41 Allerdings ist keineswegs klar, dass sich die Stelle auf das Beginen- oder Inklusenleben bezieht. 42 Viel eher treten Einzelpersonen auf, die in zahlreichen Fällen einzelne Mitschwestern (etwa IV, 30, 34, 44, 46), 43 Dominikanerbrüder (40, 41, 42) oder Personen außerhalb des Klosters (39, 59) darstellen, oft aber einfach als anonyme Personen bezeichnet werden. Somit darf die Kürzung als strategische Redaktion bewertet werden, um den Text auf eine bestimmte Rezeptionsgruppe zuzuschneiden, nämlich Personen innerhalb des Konvents. Eine solche Bearbeitungstendenz lässt sich auch in der Kürzung bzw. Auslassung einiger Kapitel erkennen. Insgesamt können drei Gründe für die Auslassung eines Kapitels oder Kapitelabschnittes im Lichtenthaler Codex genannt werden. Es handelt sich hierbei erstens um die Problematik der Übernahme von Abschnitten, die die lateinische Sprache zum Gegenstand der Allegorese haben, zweitens um Kapitel, in denen historisch identifizierbare Persönlichkeiten erscheinen, die zwar für Helfta, nicht jedoch für Lichtenthal relevant sind, sowie drittens um leicht missverständliche Aussagen, die aufgrund theologischer Implikationen der Auslassung zum Opfer fielen. Jeder dieser Punkte soll nun mit Beispielen aus dem vierten Buch belegt werden. Im Kapitel IV, 57 legt Gott die Worte Eia, bene venias aus und gesteht in der Folge Mechthild zu, aufgrund ihrer Interzession 100 Sünder zu begnadigen. 44 Da die einzelnen 130 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae tionellen Bearbeitungen fehlen. Jedoch findet sich dieses Muster bei der Hackebornerin nicht konsequent, sodass der Wegfall aufgrund sprachlicher Gründe wahrscheinlich ist. Vgl. zum Beispiel im Fließenden Licht die Kapitel VII, 41 und 49, die sich (wie das gesamte siebte Buch) nicht in der lateinischen Lux divinitatis wiederfinden. 45 Ein weiteres Beispiel hierfür wäre III, 42, in dem Gott den Begriff ›Ei‹ (ovum) auslegt. Da die Zweisilbigkeit bei der Auslegung eine entscheidende Rolle spielt, erscheint auch dieses Kapitel in der Lichtenthaler Handschrift nicht. 46 Vgl. hierzu Buch V: Während in den Kapiteln IV, 25, 26, 30, 45 explizit von einer oder mehreren namentlich unbekannten soror(es) die Rede ist (in den meisten anderen Kapiteln geht es nur um noch unspezifischere personae, mit denen wohl jedoch ebenso Mitschwestern gemeint sein können), so bietet das fünfte Buch des Öfteren konkrete Namen, die Mechthild um Interzession oder Hilfe bitten (z. B. V, 4, 5, 7, 8, 10b). Diese Kapitel, die nicht nur weibliche Personen, sondern auch Fratres enthalten, sind dann ausgelassen. 47 So IV, 14, welches von dem Rücktritt der Nachfolgerin Gertruds, Sophia von Mansfeld, und der in der Folge erforderlichen Äbtissinnenwahl handelt. Vgl. auch V, 1, 2. Auch die Kapitel, die sich wohl auf Mechthild von Magdeburg beziehen könnten (II, 42 sowie V, 3 und 7) sind ausgelassen oder entpersonalisiert, wobei die Begründung wohl nicht in dem problematischen Schrifttum der früheren Begine zu suchen ist, sondern wie in den anderen Fällen in der generellen Entkoppelung von historisch identifizierbaren Personen. Mit welcher Begründung Newman (2016), S. 592, annimmt, dass Mechthild nach ihrer Schwester die Position als »effectual second-in-command« bekleidete, muss offenbleiben. 48 Zum Beispiel die Kapitel IV, 10-12. 49 Liber (1877), S.-339. 50 Vgl. II, 22. Wörter der lateinischen Sentenz ausgelegt werden, ist eine Übersetzung nur schwer möglich, weswegen sich der Redaktor, wohl unter Berücksichtigung der mangelnden Lateinfähigkeiten einiger Schwestern - man denke an die Übersetzungen der Bibelzitate und Responsoria -, dazu entschied, das Kapitel auszulassen. 45 Ein weitaus größerer Anteil an Kapiteln des vierten Buches nimmt Bezug auf histo‐ risch identifizierbare Personen und Ereignisse und wurde vermutlich aus diesem Grund ausgelassen. Diese umfassen unter anderem Mitschwestern aus dem Helftaer Kloster, 46 ins‐ besondere die leibliche Schwester Mechthilds, Gertrud von Hackeborn. 47 Zusätzlich werden ebenfalls die Kapitel ausgelassen, in denen auf regionale Kriege und damit verbundene Zustände angespielt wird, die das Kloster Helfta tangierten. 48 Dabei zeigt sich insgesamt das Bestreben, die Texte zu entpersonalisieren. Nicht mehr eine bestimmte Person, die von Mechthild einen Rat auf ihre Frage erhält, steht im Fokus, sondern der Ratschlag an sich wird hervorgehoben. Für die Rezeption erleichtert ein solch entkontextualisierender Prozess die Lektüre. Die daraus resultierenden Leerstellen können in der Folge aus Sicht des Rezipienten durchaus mit Sinngehalt angefüllt werden, zum Beispiel bei der Fürbitte für eine kranke Schwester durch den aktualisierenden Bezug auf den eigenen Konvent. Diese Redaktionsmethode zeigt sich deutlich im Kapitel V, 12, welches der Redaktor wohl nicht komplett übergehen wollte, stattdessen den individuellen Bezug, der die Seele in dem Kapitel einem Mädchen E. von Orlamunde 49 zuschrieb, entfernte und generell in die Überschrift Von der seln Eins Jungen kindes (f. 175v) abänderte. Das gleiche Muster findet sich in den zwei vorangehenden Kapiteln über den Klostergrafen B. War im zweiten Buch noch ein entsprechendes Kapitel mit Bezug auf ihn ausgelassen worden, 50 so werden die Kapitel des fünften Buches zwar übernommen, jedoch ohne eine spezifische 5.1 Der Karlsruher Codex Lichtenthal 67 131 51 Vgl. V, 10a und 11, miteinander verbunden, auf f. 173r-175v. Seltsamerweise findet sich zu Beginn des Abschnittes eine Marginalie mit der Ankündigung, dass das Kapitel missetzt ist und eigentlich erst drei Blätter später folgen soll, obwohl es nicht von der Ordnung der lateinischen Version abweicht. 52 Liber (1877), S.-265, bzw. Liber (2013), S.-260. 53 Liber (1877), S.-303, bzw. Liber (2013), S.-294. 54 Zum generellen Diskurs über die Häufigkeit des Eucharistie-Empfanges vgl. Browe (2007), S. 67-88, Rubin (1991), S. 147-155, sowie Bürkle (1999), S. 82, die sich gegen ältere Vorstellungen, z. B. bei Ringler, ausspricht. Zum Verhältnis zwischen Mystik und Eucharistie vgl. Hamm (2011), S. 459f., und Rubin (2012), S. 459-462. Vgl. auch Poor (2004), S. 150, mit Erwähnung der Beispiele Johannes Meyer und Eberhard Mardach, sowie in sehr differenzierter Weise Mossman (2010), S. 151f., am Beispiel Marquards von Lindau. Für die Situation in Helfta vgl. Jones (2014), S. 1026, mit weiteren Literaturangaben sowie neuerdings Johnson (2020), S. 38f. Zur geistigen Kommunion insbesondere in den Schwesternbüchern, die diese stark aufwerteten, vgl. insbesondere Zimmermann (1993), S. 104 und S.-169. Zu Mardachs Sendbrief von wahrer Andacht vgl. Williams / Williams-Krapp (2004). Namensnennung, womit eine Identifikation mit jedem anderen Klostergründer, also auch dem Gründer des jeweiligen Rezeptionsortes, ermöglicht wird. 51 Einige weitere Kapitel zeigen ferner ein Eingreifen des Redaktors, durch das leicht missverständliche Passagen gekürzt oder ausgelassen wurden. Dies bezieht sich einerseits auf inhaltliche Aussagen, aber auch die sprachliche Äußerung selbiger. Beispiele aus dem vierten Buch sollen die Spannbreite der Gründe für Auslassungen in der oberdeutschen Übertragung verdeutlichen. So befindet sich im Kapitel IV, 8 neben einer weiteren Erwäh‐ nung Mechthilds von Magdeburg die Aussage, dass die Apostel sich in der Hierarchie unterhalb derjenigen befinden, die Ehefrauen und weltlichen Besitz haben: Deinde ad apostolos accessit, admirans cur inferiorem ab his locum tenerent, qui uxores et mundana habuerent […]. 52 Auch wenn die Konstellation im Verlauf des Kapitels dahingehend zurechtgerückt wird, dass beide Lebensformen zumindest gleichbedeutend sind - und die Apostel Gott darum bitten, Mechthild einen ihnen gleichrangigen Platz einzuräumen -, so erscheint diese Be‐ hauptung für einen Zisterzienserinnenkonvent zumindest geringere Relevanz zu besitzen. Ein ähnliches Schicksal ereilte das Kapitel IV, 48, in dem sich Mechthild mit einer Mit‐ schwester konfrontiert sieht, die sich des Kommunionempfangs unwürdig fühlt. Nachdem Mechthild Gott um Rat fragt, erhält sie folgende Antwort: Ipsa saepe accedat ad me, et quotiescumque ad me venerit, suscipiam eam quasi legitimam reginam meam.  53 Dieser Aufruf zum häufigen Kommunionempfang lässt sich in die Diskussionen der Reformbewegung einbinden, die mithilfe der cura monialium die Entscheidungsgewalt über die Sakramentsfrequenz in eigenen Händen hielt und sich mit der gestiegenen Nachfrage innerhalb der Frauenkonvente auseinandersetzen musste. Eine entscheidende Rolle spielte die Frage, in welchem Verhältnis eine geistige Kommunion zu einem realen Eucharistie‐ empfang stand. 54 Im Verhältnis zu anderen ›frauenmystischen‹ Texten scheint die Frequenz 132 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae 55 Auch bei Gertrud nimmt die Kommunion eine zentrale Stellung ein und gipfelt sogar in einem Plädoyer für eine tägliche Kommunion, vgl. Bürkle (1999), S. 85. Für Gertruds Verhältnis zur Eucharistie vgl. Bangert (2015) und ders. (1997), S. 326-352. Für den Bezug zwischen Liturgie und Eucharistieempfang in den Exercitia spiritualia vgl. Jones (2014). 56 Vgl. Liber (1877), S.-273, dort gerichtet an puellulae novitiae. 57 Liber (1877), S.-302, bzw. Liber (2013), S.-293. 58 Vgl. Liber (2013), S.-293f., bzw. Cod. Lichtenthal 67, f.-164v. der Kommunion, bzw. zumindest die literarische Referenz auf den Kommunionempfang, diejenige in anderen Klöstern zu übertreffen. 55 Im entgegengesetzten Falle scheinen dafür vorbildliche Verhaltenskataloge für Nonnen, die normative Verhaltensregeln vorschreiben und Richtlinien für ein geistiges Leben setzen, übernommen worden zu sein, wobei hierfür das Kapitel IV, 16 paradigmatisch steht, welches in der lateinischen Version nur für Novizinnen 56 gedacht war, in der oberdeutschen Übertragung jedoch, durch die Überschrift (Wie sich die nunnen halten söllent, f. 154v) verdeutlicht, für alle Nonnen vorgesehen war. Als ein Beispiel für eine Auslassung wegen einer möglicherweise zu erotisch konno‐ tierten Stelle kann das Kapitel IV, 46 gelten, in dem eine Unio-Darstellung geschildert wird, die die redaktionelle Kürzung brautmystischer Elemente in der oberdeutschen Übertragung bestätigt. In diesem Kapitel empfängt eine kranke Schwester die Kommunion et dum sacerdos hostiam sacrosanctissimam ori ejus imponeret, ipse Jesus Christus, panis vivus et Angelorum indeficiens cibus, se totum praebuit illi animae: os suum roseum ad osculandum, brachia ad amplexandum. Sicque felix illa anima, tamquam nivea columba tota cum Dilecto unita erat, ut ibi nihil appareret nisi Deus.  57 Dass die Kapitel nicht aus festen Abschnitten bestehen, die der Dichotomie Übernahme - Auslassung unterworfen sind, beweist das folgende Kapitel IV, 47, in dem der Mittelteil, eine Auslegung des Begriffes Carissima / Min aller leipstu (sic! ), komplett ausgelassen wurde, Einleitung und Schluss jedoch beibehalten wurden. 58 Auch andernorts ergeben sich eher variable Strukturierungsformen, in denen Kapitel teilweise zusammengeschoben oder in mehrere Unterkapitel aufgeteilt werden, ohne dabei Bedeutungsunterschiede zu vermitteln. Ein gutes Beispiel bietet der Übergang von IV, 54 auf 55 (f. 165v). Beide Kapitel sind zu einem größeren Kapitel zusammengefasst, jedoch wurde mit grüner und roter Tinte ein Paragraphenzeichen eingeschoben, welches eine Trennung markiert. Entweder ist dem Schreiber ein Fehler unterlaufen und die Überschrift wurde vergessen - oder es herrschte trotz der Redaktion ein bestimmtes Trennungsbedürfnis. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Kapitel zwar in durchaus stabiler Form überliefert sind, aber varianzartige Verschiebungen aufweisen. Insgesamt kann die Bearbeitung des vierten Buches als exemplarisch für den gesamten Mechthild-Text gelten, die das Werk als sprachlich unproblematischere, auf fehlende Lateinkenntnis rücksicht‐ nehmende, entpersonalisiertere, für rezeptionelle Vereinnahmung offenstehendere sowie ›orthodoxere‹, auf anstößige oder problematische Stellen verzichtende, Fassung bietet. 5.1 Der Karlsruher Codex Lichtenthal 67 133 59 Vgl. Jungmayr (2004), Bd. 1, S. lxxi. Die Handschrift trägt bei Jungmayr die Sigle k1. Vgl. dort f.-2r-140v. 60 Vgl. ebd., S.-lxxvii. 61 Vgl. z. B. das Vergessen einfacher Wörter auf f. 201r sowie der ganzen Zeile auf f. 199r. Das gleiche Verhalten der Korrekturhand lässt darauf schließen, dass kein Vorlagenwechsel stattfand. 62 Eine Ausnahme findet sich auf f. 204v. Hier bezeichnet Katharina explizit in einem Gespräch mit Papst Gregor XI. die Kurie als paradis der wollust und Die helle vnd grüben aller laster. 63 Aus den folgenden Kapiteln generiert sich dabei, nach Auflistung von Heinzer / Stamm (1987), S. 171, das Material: f. 192r-196r: c. 58-63, 105-124, f. 196r-201r: c. 154-167, f. 201r-205r: c. 143-153, f. 205r-206r: c. 235-237, f. 206r-207v: c. 166-167, 177, f. 208r: c. 92; die einzelnen Abschnitte werden durch Initialen voneinander abgesetzt. 5.1.5 Mechthild im Kontext - die Kapitel der Katharinen-Vita Die in der Lichthenthaler Handschrift überlieferten volkssprachlichen Kapitel der Legenda Maior der Katharina von Siena stechen aus der Überlieferungssituation des Textes heraus. So lassen sich die hier versammelten Kapitel nicht in einen der bisher bekannten Überset‐ zungsstränge einordnen, auch nicht in den Geistlichen Rosengarten, der sich unter anderem in einem von Schwester Regula geschriebenen Lichtenthaler Codex (Cod. Lichtenthal 82) wiederfindet. 59 Jungmayr betrachtet die vorliegende Version nicht als Übertragung aus dem niederdeutschen Raum, sondern als eigenständige Übersetzung aus dem Lateini‐ schen. 60 Auch dies ist ein deutlicher Hinweis auf eine eigene Übersetzungsarbeit in der Post-Regula-Phase direkt aus dem Lateinischen, gerade da innerhalb des Textes ähnliche Schreiberfehler auszumachen sind wie in dem Mechthild-Text, sodass bereits von einer gemeinsamen Vorlage ausgegangen werden kann. 61 Warum allerdings nicht einfach die Version aus der bereits in Lichtenthal vorhandenen Handschrift übernommen, sondern eine Neuübersetzung angefertigt wurde, bleibt unklar. Im Folgenden soll allerdings der Blick weniger auf die genauen Übersetzungs- und Bearbeitungsmethoden gerichtet werden, die Mustern ähnlich denen des Liber folgen (zum Beispiel finden sich keine Kapitel mit expliziten Beschreibungen wie sie teilweise bei Katharina auftreten, etwa von Visionen mit kopulierenden Paaren oder auferlegten harten Kasteiungen, denen sich Katharina unter‐ wirft, sowie etwaiger institutioneller Kritik 62 ), sondern auf die bewusste Entscheidung des Redaktors, der ausschließlich Elemente aus den ersten beiden Teilen der Vita auswählte 63 und so den Text in die Nähe zum vorangegangenen Textbestandteil setzte. Dabei wird zu klären sein, inwiefern Katharina eine Funktion als Supplement für den vorangegangenen Text einnimmt und Parallelen gezogen werden, die beide begnadete Frauen auch inhaltlich näher zusammenrücken, ähnlich wie dies auch der strukturelle und formale Rahmen, wie die beide Frauen berücksichtigende Schlussschrift, ausdrückt. Obgleich die Erzählperspektive, die Sichtweise von Katharinas Beichtvater Raimund von Capua, beibehalten wird, erscheinen die geschilderten Berichte als aktiv tätige, jedoch entpersonalisierte und daher generalisierende Beispiele für ein geistiges Leben. Dieses Bild zeigt sich in der Öffnung zur Außenwelt und stellt Möglichkeiten vor, in denen eine jeweilige Rezipientin Gottesdienst unter anderem durch den Dienst am Nächsten verrichten kann. Dabei dürfen die einem entgegenschlagende Verachtung und Ablehnung nicht als Hinderungsgrund angesehen werden, stellen sie doch eine vom Bösen errichtete Hürde dar, wie die verschiedenen Beispiele belegen. 134 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae 64 Vgl. c.-58 bzw. f.-192r-v. 65 Vgl. c.-154 bzw. f.-196r. 66 Vgl. c.-143ff. bzw. f.-201r-v. 67 Vgl. c.-235 bzw. f.-205r. 68 Vgl. c.-115. 69 Vgl. für die Verbindung zwischen Ringgabe und Kommunion anhand der im 14. Jahrhundert bisweilen auftretenden Substitution des Ringes durch die Eucharistie Bartal (2011). 70 Vgl. z. B. in III, 1 und III, 18, in beiden Fällen jedoch mit sieben statt vier Edelsteinen, die in der Folge ausgelegt werden. Die Zusammenstellung der Kapitelabschnitte folgt einem bestimmten Schema. Zuerst wird das vorbildhafte Leben Katharinas geschildert, vor allem die freiwillige Einschränkung in der Nahrungsaufnahme, was schließlich im Verzehr von rohem Gemüse gipfelt. 64 Im Anschluss folgen Interaktionen Katharinas mit ihrer Umwelt. So pflegt Katharina eine an Brustkrebs erkrankte Patientin, 65 steht Leprakranken bei 66 und lässt sich dabei nicht von ihren eigenen Krankheiten und Schwächen abhalten, selbst als die Lepra auf sie zurückfällt, sie jedoch im weiteren Verlauf von Gott wieder geheilt wird. Darüber hinaus gelingt es ihr durch ihr vorbildliches Verhalten sogar, einen stadtbekannten Bösewicht zu bekehren und diesen auf die rechte Bahn zu geleiten. 67 Beschreiben die Tätigkeiten Katharinas somit ein komplementäres Betätigungsfeld zu der eher meditativen Tätigkeit der im Kloster verankerten Mechthild, so ergeben sich in den direkten Begegnungen mit Gott, der auch bei Katharina die Rolle des Bräutigams einnimmt, deutliche Parallelen in der Darbietung der gleichen ›Belohnungen‹. So bekommt Katharina von Gott einen großen goldenen, mit Edelsteinen besetzten Ring an den Ringfinger angesteckt, wobei Gott hier auf die ewige Hochzeit nach dem Tode verweist und die Seele bittet, bis dahin auszuharren: f. 195r: Nym war ich vermehel mich mir dinen schöpffer vnd Ewigen behalter Jn wärem glouben Den du vnvermassigt gancz vnd stet behalten solt Als lange bisz du die Ewigen vnstörlichen hochzytt vnd vermehelunge Mit mir Jn dem himel ffröilichen vnd seliglichen begene vnd volbringen wirst.  68 Der Ring dient in diesem Kontext als Zeichen dafür, schon im diesseitigen Leben den richtigen Weg beschritten zu haben, dessen Ende jedoch noch nicht erreicht ist, weshalb das ewige Hochzeitsfest erst nach dem Tod gefeiert werden kann. 69 Auch bei Mechthild spielt eine solche Bildreihe eine entscheidende Bedeutung, da sie nicht nur Ringe überreicht bekommt, 70 sondern gerade die Liebkosung des Ringfingers durch Gott mit Verweis auf die Treue der Braut dieselbe Aussage widerspiegelt. Während das Kapitel IV, 31 mit genau dieser Thematik in der Lichtenthaler Handschrift wohl aufgrund der expliziten erotischen Sprache gekürzt wurde, so findet sich das Bild des Ringfingerkusses in einem Brief Mechthilds an eine Bekannte. Bei der Auslegung jedes einzelnen Fingers lautet der Text zum Ringfinger: Per annularem figuratur ejus cordis fidelitas, qua sollicitus curam nostri, velut mater fidelissima, gerit, tollens onera et gravamina nostra ineffabili cordis sui fidelitate, et protegens nos a cunctis malis. Ad hunc etiam digitum tuum conjungas, agnoscendo quantam infidelitatem tam praedulcissimo et 5.1 Der Karlsruher Codex Lichtenthal 67 135 71 Kap. IV, 59, vgl. Liber (1877), S. 311, bzw. Liber (2013), S. 300. Vgl. die Stelle in der Handschrift auf f.-167v-168r. 72 Das blutgetränkte Brautkleid bei Mechthild in IV, 55. Die Krone findet sich bei Katharina in c. 158, bei Mechthild an mehreren Stellen, z. B. I, 18, 23 sowie in III, 10, wobei dort die Edelsteine die Farben Rot und Weiß besitzen als Zeichen für das Leiden sowie die Unschuld. 73 Vgl. für das 18. und 19.-Jahrhundert Kapitel 7. 74 Vgl. hierzu generell Schmidt (1998), S. 125-130, und Voaden (1997). Für Katharina vgl. Brückner / Forster (2010), S. 205f. Für die verschiedenen Bedeutungen, die das Herz bei Mechthild einnehmen kann, neben der Nahrung u. a. als Eingang zu Gott sowie als »living engine that works to unify God and human«, vgl. McGinn (1998), S. 279, sowie für Gertrud Schwalbe / Zieger (2014), S.-69-96. 75 Vgl. für Katharina c. 163 bzw. f. 201r. Bei Mechthild finden sich Trankszenen u. a. in I, 18, 27 (hier mittels eines goldenen Röhrchens); II, 16, 23 (Engel versuchen die aus der Wunde herausquellenden Ströme mit Bechern aufzufangen); IV, 26 sowie ebenfalls im Brief an die Bekannte in IV, 59. Zum Röhrchen bei Elsbeth von Oye vgl. Wünsche (2010), S.-183-186. fidelissimo Amatori tuo exhibueris, elongans ab eo animam tuam, quam sibi in laudem et amorem creavit, ut eo solo in aeternis perfrueretur deliciis, quam raro et quam tepide ejus memoreris.  71 Vergleicht man beide Passagen, so wird der Kontrast, aber auch die direkte Zusammenge‐ hörigkeit deutlich. Während Mechthild ihre unbekannte Freundin ermahnt, nicht vom ›richtigen‹ Weg abzukommen, sondern am geistigen Weg festzuhalten, so dient der Ring an Katharinas Hand als positiver Verstärker. Im Diesseits bleibt nur das geistliche Leben, um die Belohnung im Jenseits zu erhalten. Der Ring als brautmystisches Symbol avanciert hier zum Verbindungsglied zwischen beiden Ebenen, als Manifestation der nuptialen Ewigkeit in der Immanenz. Auch die anderen beiden von Gott überreichten Geschenke verweisen auf die ewige Hochzeit, das blutgetränkte weiße Brautkleid sowie die aufgesetzte Krone, wobei sich hier ebenfalls Entsprechungen im Mechthild-Text finden. 72 Auch wird an diesen Stellen der literarische Unterschied zwischen beiden Autorinnen deutlich. Während bei Mechthild in einem minimalen narrativen Rahmen die Krone überreicht wird, bevor die in ihr eingefassten Edelsteine exegetisch ausgelegt werden, findet sich bei Katharina die Übergabe in eine literarische Rahmenhandlung eingebettet. So muss sie sich entscheiden, ob sie die goldene Krone im diesseitigen oder jenseitigen Leben bevorzugt, wobei sie als Konsequenz im jeweils anderen Leben die Dornenkrone erhält. Katharina entreißt daraufhin zielstrebig Gott die Dornenkrone und setzt diese so fest auf, dass sie auch an den Folgetagen noch starke Kopfschmerzen verspürt. Auch wenn Mechthilds Text der Katharinen-Vita didaktisch in nichts nachsteht, so wird deutlich, dass die entsprechende Literarizität bei Katharina durchaus einen Grund für die nachhaltigere Rezeption in bestimmten Kreisen darstellen könnte als diejenige des Liber. 73 Am deutlichsten zeigt sich die Verbindung beider Texte in der Stilisierung des Herzens Jesu bzw. der Seitenwunde des Gekreuzigten, welche bei Katharina schließlich zum be‐ rühmten Herzenstausch führt. 74 Anstatt es ausschließlich als Symbol des Leidens zu deuten, interpretieren beide Texte das Herz als wonneschenkenden Quell, was in der Labung der beiden Frauen an der aus der Wunde entströmenden Flüssigkeit seinen Höhepunkt findet. 75 136 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae 76 Dass dabei durchaus optimistische Töne vorherrschen, entdeckte schon McGinn (1998), S. 271: »This emphasis on the love of God revealed in the heart of Jesus is at the root of the optimism about salvation that is one of the most winning aspects of Helfta mysticism.« 77 Vgl. grundsätzlich zur Gattung Achten (1987), bes. S.-36-44. 78 Vgl. Scarpatetti u.-a. (1991), S.-134f. 79 Vgl. http: / / www.e-codices.unifr.ch/ de/ description/ zbs/ S-0458/ (31.3.2023). Zum einen wird somit die Vereinigung der beiden Partner bekräftigt, zum anderen erfolgt durch die Speisung eine Stärkung, um die verbleibende Zeit auf Erden zu überstehen. 76 Aus dieser Dichotomie wird auch die Folge der Speisung deutlich, da Katharina als beid gesetiget vnd ouch torstet (f. 201r) beschrieben wird. Das endgültige Ziel, die ewige Vereinigung mit dem Partner, bleibt unerreichbar und kann, brautmystischen Schemata entsprechend, im Diesseits nicht erfolgen. Somit bleibt die Aussage bei beiden Texten ein deutlich auf das Jenseits gerichteter Verweis. Dass im Diesseits unterschiedliche Möglichkeiten eines geistigen Lebens bereitstehen, zeigen die komplementär bereitgestellten Texte: auf der einen Seite die ihre Mitschwestern beratende und für diese bittende Mechthild, auf der anderen Seite die in der Welt wirkende, Kranken beistehende Katharina. Beide erhalten für ihr Wirken dieselben Belohnungen von Gott, die ewige Gemeinschaft im Jenseits und dienen ihrerseits wieder als Vorbild für die jeweiligen Rezipient(inn)en, wie die Zusammenstellung im Lichtenthaler Codex beweist. Dass sie dabei in enge Nähe zueinander gerückt werden, zeigt die bereits angesprochene Schlussschrift des Schreibers, der beide zusammen um Fürsprache anruft. Sowohl Katharina als auch Mechthild avancieren zu nachahmungswürdigen Personen, deren Tätigkeiten und Wirken durch Redaktoren für be‐ stimmte Rezipientengruppen bekannten Schemata angepasst werden, je nach didaktischem und ordensbzw. konventspolitischem Interesse. 5.2 Der Solothurner Codex S 458 Der Solothurner Handschrift, die noch nicht in Ziegers Auflistung berücksichtigt ist, wird bereits aufgrund ihrer äußeren Erscheinung als Andachts- und Gebetbuch eine vollkommen andere Funktion zugewiesen als der Lichtenthaler Handschrift. 77 Sowohl die Oktavgröße des Codex als auch der Inhalt, welcher verschiedene Gebete und Medita‐ tionen umfasst, deuten auf einen intendierten täglichen Gebrauch durch den jeweiligen Benutzer hin. Da sich außerdem Aussagen über die Datierung, Provenienz sowie die Schreiberin treffen lassen, eignet sich die Handschrift als Untersuchungsobjekt für eine Tradierung des Liber in diesem Kontext. Der Codex wurde bereits ausführlich in Scarpatettis Katalog 78 sowie von Ian Holt im Jahr 2009 (e-codices) 79 beschrieben, weswegen der folgende Abschnitt auf eine erneute Beschreibung verzichtet. In einem ersten Schritt wird sich stattdessen dem (literar-)historischen Umfeld des Dominikanerinnenkonvents Bern sowie dem Überlieferungskontext der Handschrift zugewandt, bevor in einem zweiten Schritt - analog zur Lichtenthaler Handschrift - die Textgestalt der Mechthild-Kapitel ausführlich betrachtet wird. Dabei erfolgt eine eingehende Betrachtung funktionaler Aspekte sowie der paratextuellen Elemente. Zuletzt werden die Mechthild-Kapitel in den Kontext der 5.2 Der Solothurner Codex S 458 137 80 Vgl. zur Geschichte des Inselklosters Engler (2017), S.-5-8, sowie dies. (2011). 81 Engler (2011), S.-760. 82 Vgl. Jones (2018), S.-191, Anm.-40. 83 Vgl. Engler (2003), S.-482. 84 Vgl. ebd., S.-484. 85 Vgl. ebd., S.-484f. Vgl. auch Fechter (1987). 86 Vgl. ausführlich Jones (2018), S. 127-160. Zum Ausleihprinzip von Büchern in reformierten Klöstern am Beispiel Meyers vgl. Williams-Krapp (2016), S.-108. 87 Vgl. zur lange Zeit unbekannten Chronik Schneider-Lastin (2004). Die Chronik befindet sich in Breslau (Wrocław), Universitätsbibliothek, Cod. IV F 194a, f. 81v-148v, die zitierte Stelle auf f. 122r. Vgl. dazu Engler (2003), S. 485. Nach Schneider-Lastin fungierte Meyer von 1454 bis 1458 in Bern als Beichtvater. So ist dessen Datierung der Handschrift auf 1460 plausibel. Die Handschrift selbst scheint in St. Katharina in Nürnberg geschrieben worden zu sein. Fechter (1987), Sp. 484, bezweifelte noch eine Verfasserschaft Meyers für die Chronik, was durch Schneider-Lastin und den im Jahr 1994 identifizierten Text in der Breslauer Handschrift jedoch widerlegt werden konnte. Vgl. auch Seebald (2014), S.-204f. anderen Textbestandteile der Handschrift gerückt, wobei der gesamte Codex als Überliefe‐ rungsträger in seinem funktionalen Zusammenhang als Gebetbuch betrachtet wird. 5.2.1 Die (literar-)historische Umgebung der Handschrift Der Dominikanerinnenkonvent St. Michael in der Insel, in dem die Handschrift wahrschein‐ lich entstand, besaß keine große literarische Blütezeit, wenn man überhaupt von einer solchen sprechen kann. Ursprünglich 1285 in Brunnadern gestiftet und nach wenigen Jahren in den Dominikanerorden inkorporiert, gelang es ihm erst nach mehreren Anläufen und Umzügen im Jahr 1439 ein geschlossenes Kloster aufzubauen, dessen Fertigstellung im folgenden Jahr durch die Einweihung der Klosterkirche abgeschlossen wurde. 80 Zuvor war ein Zusammenleben lediglich im Rahmen einer Beginengemeinschaft möglich gewesen. Dass die Klostergemeinschaft letztlich doch zu einer »bescheidene[n] geistige[n] und wirtschaftliche[n] Blüte« 81 gelangte, muss auch im Zusammenhang mit der Einführung der Ordensreform gesehen werden, die 1439 von Basel aus erfolgte und mit dem Einzug einiger Schwestern aus dem Basler Konvent verbunden war. 82 Bereits 1419 hatte die Observanzbewegung das Männerkloster der Dominikaner in Bern erreicht. 83 Erst ab der Einführung der strengeren Ordensregeln kann auch mit dem damit einhergehenden Aufbau einer eigenen Klosterbibliothek gerechnet werden, auch wenn die Anzahl der Bücher diejenige anderer prominenter Frauenklöster nie erreichte. 84 Für die Ausgestaltung und Durchsetzung der Observanzregel zeigt sich vor allem der Dominikaner Johannes Meyer verantwortlich, der nach seiner Priesterweihe zum Beichtvater im Berner Frauenkonvent ernannt wurde und dort bis zu seinem Wechsel in das Kloster Schönensteinbach im Jahr 1458 wirkte. 85 Für ihn bedeutete seine Stelle im Berner Konvent auch eine erste Bewährungsprobe, bevor er später mit zahlreichen literarischen Tätigkeiten als Redaktor, Vermittler und Übersetzer geistlicher Literatur in Erscheinung trat. 86 So beklagte er sich in seiner um 1460 angefertigten Chronik über das Kloster St. Michael darüber, dass bei seiner Ankunft nicht einmal die Grundausstattung an Büchern für den Gottesdienst, also an Liturgica, vorhanden war. 87 Diese Missstände galt es zu beheben, sodass in den folgenden Jahren eine Schreibtätigkeit der ansässigen Schwestern 138 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae 88 Vgl. Fechter (1987), Sp. 477f. und Engler (2003), S. 486. Zu den Handschriften vgl. auch Seebald (2015). Eine Edition wurde von Glenn DeMaris (2015) vorgelegt. 89 Vgl. Engler (2003), S.-486. 90 Bloomington (Indiana), University Library, Ricketts Ms. 198. Vgl. Glenn DeMaris (2015), S. XXVI, 121-126 (Nr.-1). 91 Vgl. Meersseman (1975), S.-204-209. 92 Bern, Burgerbibliothek, Cod. A 53. Vgl. Engler (2003), S. 488. Engler beobachtete auch, dass viele Handschriften nach Nürnberg für das Anfertigen von Abschriften weggegeben wurden. Eine gegensätzliche Bewegung von Handschriften aus Nürnberg scheint es jedoch nicht gegeben zu haben, sodass sich die Frage stellt, was mit den Berner Originalen geschah. 93 Vgl. Engler (2003), S.-489. 94 Vgl. ebd. So gelangten eine illustrierte Bibel sowie ein weiteres zweibändiges Exemplar der Heiligen Schrift in Klosterbesitz. festzustellen ist, die durch die neu ankommenden Schwestern aus Basel verstärkt wurde. Neben den historiographischen Erkenntnissen enthält Meyers Chronik ein Verzeichnis der verstorbenen Schwestern und Beichtväter aus dem Kloster, was den Text somit zu einer bedeutenden prosopographischen Studie werden lässt. Als weiteres Hauptwerk aus Meyers eigener Feder zu dieser Zeit ist das sogenannte Ämterbuch zu nennen, das als prototypische Verfassung eines Klosters mit präziser Benen‐ nung der Aufgaben der einzelnen Ämter gesehen werden kann und sich in zahlreichen Handschriften dominikanischer Klöster - Frauengleichermaßen wie Männerkonvente - findet. 88 Orientierung für die idealtypische Beschreibung eines Konventes bot ihm die alltägliche Praxis innerhalb des eigenen Klosters, wie er in seinem Werk anmerkte. 89 So überrascht es nicht, dass das Ämterbuch direkt nach seiner Niederschrift in einer Handschrift in das Katharinenkloster nach Nürnberg gelangte und dort von den emsigen Schwestern kopiert wurde. Eine direkte Abschrift des Berner Originals, welches als news puch aus Bern bezeichnet wurde, existiert noch. 90 Eine weitere Handschrift aus dem Inselkonvent mit einem Kalendar befand sich bis 1975 in Fribourg, gilt heute aber als verschollen. 91 Als eine überlieferte Handschrift aus dem Berner Kloster kann neben einigen wenigen anderen erhaltenen Handschriften ein Codex mit Meyers Regelbuch gelten. 92 Nach Meyers Weggang im Jahr 1458 setzte im Kloster ein langsamer Niedergang des Literaturbetriebs ein. Bezeichnend hierfür ist ein Eintrag im Register des Ordensgenerals aus dem Jahr 1482, der erneut das Fehlen von Liturgica in der Klosterbibliothek - die kaum als solche bezeichnet werden kann - feststellte, wohl aus Armutsgründen. 93 In den restlichen Dekaden des Jahrhunderts waren die Schwestern auf Schenkungen angewiesen, die aus Privatbesitz nach dem Tod der jeweiligen Eigentümer in das Kloster gelangten. 94 Erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts lässt sich mit dem hier untersuchten Codex wieder eine Schreibtätigkeit im Kloster selbst belegen. Der Besitzvermerk weist eindeutig auf eine Entstehung im Kloster hin und lässt dank der Angaben der Schreiberin Lucia von Moos eine Datierung auf das Jahr 1507 zu: f. 187v: Diss büchlin hat geschriben S Lucia von moss jn dem jor do man zalt xvc vnd vij jor und wem es wirt noch minem tod der bit got getrüwlich für mich. 5.2 Der Solothurner Codex S 458 139 95 Vgl. Studer (1858-1860), Heft-3, S.-102. 96 In dieser Transkription werden die Zeilentrennungen kenntlich gemacht, um die Reime zu betonen. 97 Hingegen findet sich das sechste Kapitel nicht in dieser Handschrift, wie noch beim Handschriften‐ census (http: / / www.handschriftencensus.de/ 22465; 31.3.2023) vermerkt ist. 98 Auch hier gibt der Handschriftencensus nur f.-100v als Blattangabe an. 99 Vgl. f. 6r und 23v (dort etwas kleiner). Außerdem finden sich an zwei weiteren Stellen (f. 71r, 89r) aufgeklebte Holzschnittinitialen. Einfache Fleuronné-Initialen sind über die ganze Handschrift verteilt. Der Tod der Schreiberin ist für den 2. Februar 1512 belegt. Da sie zu dem Zeitpunkt 88 Jahre zählte, kann ihre Geburt also für die Jahre 1423 / 1424 angenommen werden. 95 Ob sie selbst aus Bern stammte oder sogar als eine junge Reformschwester aus Basel in das Inselkloster kam, kann nicht geklärt werden. Mit ihrem Tod verpasste sie die nur wenige Jahre später erfolgende Säkularisation des Klosters, welches 1528 in den Besitz des Spitals wechselte. Auch die Handschrift wechselte im Zuge der Auflösung den Besitzer und gelangte in Solothurner Privatbesitz. Hiervon zeugt ein um 1600 erfolgter Eintrag des Bürgers Hans Gugger: 96 f. 14v: Von mir Hansz / Gugger zů Solothurn / Dasz bůch / ist mir lieb / wer mir stilt / der ist ein dieb / geb es sige / riter oder knecht / der galgen stos / im ufs recht. Knapp ein halbes Jahrhundert später sah sich ein Nachfahre Guggers mit dem Vornamen Urs dazu verpflichtet, sich ebenfalls mit einen Besitzvermerk in der Handschrift zu verewigen: Von mir Vrs gugger zu Solothůrn 1645 (f. 14r). Im Lauf der weiteren Jahrhunderte gelangte der Codex schließlich in die Zentralbibliothek Solothurn. Somit kann zusammen‐ fassend für die Handschrift gesagt werden, dass sie in einem reformorientierten Kloster entstand, das jedoch zum Zeitpunkt der Entstehung der Handschrift seine nicht gerade literaturproduktive Blütezeit unter der Beichtvaterschaft des Johannes Meyer bereits seit einem knappen halben Jahrhundert hinter sich hatte. Mechthild wurde also nicht nur in literarischen Zentren, sondern auch in der Peripherie gelesen und kopiert. 5.2.2 Die textuelle Beschaffenheit der Mechthild-Exzerpte In der Handschrift finden sich vier Exzerpte aus dem Liber an vier unterschiedlichen Stellen. Die einzelnen Passagen lassen sich also nicht als ein zusammenhängender Textbestandteil betrachten, obwohl alle vier Abschnitte aus dem ersten Buch stammen. Auf f. 46r-49r begegnet das Kapitel fünf, 97 auf f. 70r-70v das achte Kapitel, das 13. Kapitel wird auf f.-91v-94r überliefert und schließlich auf f.-99r-100v das 14. Kapitel 98 . Betrachtet man nun das erste, größte Exzerpt, so sticht vor allem die große blaue Cadelle hervor, die ungefähr die Hälfte der Blattseite einnimmt und sich über elf Zeilen erstreckt (vgl. Abb. 5). Diese Verzierung verdeutlicht die besondere Stellung, die dem Mechthild-Text in der Handschrift eingeräumt wird, da lediglich an zwei weiteren Stellen verzierte Fleu‐ ronné-Lombarden von ähnlicher Größe in der Handschrift auftreten. 99 Zusätzlich weist die Seite außerhalb des Schriftspiegels verzierende Blütenranken auf. Der Textbestandteil, der zu Beginn einer neuen Lage einsetzt, wird durch eine rubrizierte Einleitung angekündigt, die den Text Mechthild zuschreibt: 140 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae f. 46r: Hie noch stot wie du den helgen wienacht oben solt begon mit andacht vnd ist genomen vss dem büch der seligen jungfröwen Sant Mechtilden zü dem ersten von dem grossen capitel. Abb. 5: Der Liber in einem Gebetbuch aus dem Berner Inselkloster (Solothurn, Zentralbibliothek, Cod. S 458, f. 46r, www.e-codices.ch) Deutlich zeigt sich die - vergleichbar mit einer Predigt - Anlasszuweisung auf den Weihnachtstag, was der Struktur des ersten Buches des Wolfenbütteler Codex bzw. der Edition entspricht. Mechthild wird als Autorin genannt und ihr Werk sogar als buoch 5.2 Der Solothurner Codex S 458 141 100 Vgl. Palmer (1992) zum Gebrauch von buoch als Gliederungseinheit im Fließenden Licht. 101 Es fehlt der Absatz zum Evangelium Exiit edictum (Lk 2,1), in dem der in der Krippe liegende Jesus die Banden der Windeln mit den Banden der Kreuzigung vergleicht, vgl. Liber (1877), S.-17f. 102 Vgl. Neuheuser (2001), S.-132. 103 In der Lichtenthaler Handschrift finden sich alle Unterkapitel (f. 9v-13r). Gerade für das Unterkapitel d zeigt sich im Vergleich dazu der grundlegende Unterschied im Bereich des funktionalen Gebrau‐ ches. Während die Solothurner Handschrift die liturgische Stellung im Weihnachtskreis hervorhebt, betont der Cod. Lichtenthal 67 die inhaltliche Bedeutung, was durch die Überschrift verdeutlicht wird: Von den vier schlegen oder stössen des wirdigen herczen Jhesu christi (f.-12r). 104 Zu Kind-Jesu-Visionen vgl. immer noch grundsätzlich Rode (1957), bes. S. 49-93, mit einer Ausdif‐ ferenzierung verschiedener Typen. bezeichnet. Somit dürfte der Schreiberin (oder im Falle eines Abschreibens dem jeweiligen Kompilator der Vorlage) bewusst gewesen sein, dass der Text einen bestimmten stabilen Charakter besaß, der von ihr als geschlossener Corpus, eben als buoch, dem Liber, bezeichnet wird. 100 Diese Beobachtung weist außerdem darauf hin, dass der Schreiberin, bzw. dem Vorlagenkompilator einer früheren Stufe, eine größere Auswahl des Liber-Corpus bekannt war, sich aber letztendlich dagegen entschieden wurde, eine größere Anzahl an Kapiteln in vorliegende Handschrift aufzunehmen. Daher erscheint es legitim, zu untersuchen, ob sich formale oder inhaltliche Indizien für einen solchen Exzerpierungsprozess erschließen lassen. Vergleicht man die Textform des fünften Kapitels mit der lateinischen Edition, so wird ersichtlich, dass keinesfalls das gesamte Kapitel in der Handschrift enthalten ist, sondern lediglich die Teile a, c und d. Die Abschnitte b und e befinden sich hingegen nicht in der Handschrift und auch aus c fehlt ein größerer Teil. 101 Die einzelnen Unterkapitel sind mit Überschriften eingeleitet, die zumeist den lateinischen Überschriften der Edition entsprechen, wobei die Zählweise der Einleitung des Textbestandteils nicht weitergeführt wird. So finden sich die rubrizierten Überschriften Von der geburt vnssers lieben herren jhesu christi (f. 46v) sowie Von der mess lux fulgebit (f. 48r). Somit lässt sich auch hier eine starke Zentrierung auf die jeweilige Liturgie feststellen, die nach der Prim an Heiligabend, also am Tag vor dem Weihnachtsfest, beginnt, mit der Mitternachtsmesse zur Geburt des Herren fortfährt sowie mit der Messe am nächsten Morgen, deren Introitus Lux fulgebit ( Jes 9,2) lautet, ihren weiteren Fortgang findet. 102 Deswegen wirkt es auch verständlich, dass der Kapitelteil b nicht mitüberliefert wird, da sich sowohl b als auch c auf die gleiche Messe (mit dem Introitus Dominus dixit ad me) beziehen und somit eines der beiden Unterkapitel als überflüssig gelten kann. 103 Aber auch in dem überlieferten Abschnitt c findet sich keinesfalls das vollständige Unterkapitel der lateinischen Edition. So erfährt Mechthild in einer Vision, in der sie Gottvater als rex regnans auf einem Thron begegnet, wie ihr dieser seinen Sohn anvertraut, der aus einem Lichtstrahl direkt dem Herzen Gottes entspringt bzw. aus diesem geboren wird. 104 Dieses Kind grüßt sie nun mit folgenden Worten, die in direkter Rede wiederge‐ geben sind: Gegrüsset systu schin der vetterlichen eren Ein liecht von dem liecht für bringen (f. 47r), was vermutlich auf einen ursprünglich lateinischen, Ambrosius zugeschriebenen, Hymnus (Salve splendor gloriae) auf das Antlitz Jesu verweist, der in zahlreichen Stunden‐ 142 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae 105 Vgl. Mone (1853), S. 156, Z. 14. Vgl. dazu Wiederkehr (2013), S. 175 und 177. Eine Edition findet sich bei Stammler (1965), S. 29 bzw. 77f. nach der Handschrift Beuron, Bibliothek der Erzabtei, 8° Ms. 43 (früher Cod. 24), f. 283v-284r. Weitere Mechthild-Handschriften, die lediglich den Teil I, 5b überliefern: Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7008 (GB 8°) 6, f. 232v-234r; München, Staatsbibliothek, Cgm 860, f. 28v-29r; Darmstadt, Universitäts- und Landesbibliothek, Hs. 193, f. 103r. Vgl. zum Hymnus auch Dreves / Blume (1909), S.-8f. 106 Dies trifft auch dann zu, wenn gerade nur dieser Gebetsteil überliefert ist, vgl. dazu etwa die Handschriften, die lediglich die Kapitel I, 47 oder V, 18b (Vaterunser) überliefern. 107 Vgl. Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Wonnenthal 14, f. 79v-81r; Cod. Wonnenthal 15, f. 134v-136v; Cod. Wonnenthal 16, f. 221v-224r. In Cod. 15 tritt das ›Ich‹ als Erzähler auf. Über die mittelalterliche Darstellung Marias als Lesende sowie Betende vgl. Schreiner (1990), bes. S. 318-331. Zur Bedeutung der Gottesmutter für die Helftaer Schriften vgl. Harrison (2013), S. 303-305, für Gertrud auch Mellon (2008), S. 133-137. Dabei ist die Umarbeitung des Kapitels nicht auf die Volkssprache beschränkt, vgl. für eine lateinische Umarbeitung aus St. Nikolaus in undis (Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 17, f.-23v-24r) Lentes (1996), Bd.-1, S.-515-517. 108 Zur Bedeutung Marias in den Helftaer Werken vgl. Harrison (2021). 109 Vgl. für ein anderes Beispiel Gebauer (2010), S.-181-185 und 256. 110 Kirakosian (2017a), S.-63f., Anm.-130. 111 Vgl. ebd., S.-60f. büchern überliefert ist. 105 Bedeutsam ist nun, dass das Gebet von dem vorangegangenen Text abgesetzt und sogar mit einer zweizeiligen Fleuronné-Initiale versehen wird. Diese Vorgehensweise wurde nur wenige Zeilen zuvor bei der direkten Rede Gottvaters, in der er der Seele erklärt, wie denn der Sohn zu loben sei, nicht angewandt. Damit kann ein unterschiedlicher Umgang mit direkten Reden festgestellt werden, wobei die Passagen, in denen die Seele, also Mechthild, spricht, besondere Beachtung erfahren - insbesondere bei Interpolationen von Hymnen und Gebeten. 106 Ein ähnliches Beispiel findet sich in der Umgestaltung des Kapitels I, 47 in den Wonnen‐ taler Handschriften. Im lateinischen Text tritt dort Maria als Sprecherin auf, während in den drei Codices die Handlung als Unterweisung aus neutraler Erzählperspektive geschildert wird. 107 Dieser Wechsel der Erzählperspektive ist ein Beispiel dafür, dass nicht nur Sätze aus Gottes Mund redigiert wurden, sondern auch diejenigen anderer Sprecherrollen, in diesem Fall der Gottesmutter. 108 Die Erzählsituation wird nach funktionalem Zusammenhang angepasst, wodurch sich das Verhältnis zwischen Gott, Mechthild und dem Rezipienten verschiebt und je nach Manifestation neu konstituiert. 109 Bereits durch die Textgestaltung wird die Perspektive dahingehend verschoben, dass die Rezipientin des Textes an die Stelle Mechthilds rückt und selbst das Gebet spricht. Aus Lesen wird somit Beten. Die optische Ausgestaltung des Textbestandteils verstärkt den Perfor‐ manzcharakter des Inhalts. Da die Lektüre dem Festtag entspricht, verrichtet die Leserin gleichzeitig das liturgisch passende Gebet, das sich in der spezifischen Textmanifestation eingearbeitet findet. Inwieweit die Verzierungen zu einer weiteren Strukturierung des Inhalts bzw. als »visuelle Indikatoren eines performativen Gebrauchs« 110 beitragen, zeigt sich an zwei weiteren Beispielen. Auf f. 47v und f. 48v werden die gleichen Buchstaben der jeweiligen Auslegung bzw. des Gebets (Zů dem ersten, zů dem andren bzw. O du überstarcke minn […] O du allerwiseste minn, etc.) rubriziert, was nicht nur als Buchschmuck, sondern auch als Betonung der formalen Gliederung interpretiert werden kann. 111 Noch deutlicher zeigt sich diese Art der Hervorhebung beim Übergang des einen Textbestandteils auf den folgenden. So schließt der Mechthild-Abschnitt mit einem Amen, welches in diesem 5.2 Der Solothurner Codex S 458 143 112 Allerdings ist in vorliegender Handschrift nicht eindeutig, wer als Sprecher auftritt, da auch ein Tausch der Sprecherrollen nicht auszuschließen ist. Somit würde die Seele (und damit auch die Rezipientin) als Bittende auftreten. 113 Zu überlegen wäre, inwiefern hierbei an eine imitatio Mariae zu denken ist, vgl. Schreiner (1990), S.-339. 114 Vgl. Ochsenbein (1988), S. 395, der Gebetsanweisungen als eigene Textsorte auffasst. Entgegen Och‐ senbeins Meinung, ebd., die meisten Gebetsdichtungen in Orationalien würden anonym überliefert, findet für die Liber-Abschnitte eine Anbindung an Mechthild statt. 115 Vgl. Cod. Lichtenthal 67, f. 16v. Auch ansonsten sind einige Varianten festzustellen, z. B. wird dort liden statt marter für passio verwendet. Fall von Gott gesprochen wird, der nach einer Vereinigung mit der Seele verlangt. 112 Das Amen schließt damit jedoch nicht nur den Einzelabschnitt ab, sondern auch den gesamten Textbestandteil, der somit noch stärker den funktionalen Charakter eines Gebetes erhält. Intensiviert wird dieser Schlusscharakter durch die im Anschluss erfolgende paratextuelle rubrizierte Schlussschrift, die gleichzeitig auf den folgenden Textbestandteil verweist: f.-49r: Mit dissem nochgeschribnen manungen so lob got vmb sin aller helgeste geburt vff den helgen wienacht tag du magst öch zwischen iecklicher manung sprechen ein pater noster oder ein gloria in excelsis oder wz du genod hast etc. Explizit werden an dieser Stelle genaue Rezeptionsanweisungen und Vorschläge gegeben, wie der nachfolgende Text, der sieben Ermahnungen zur Geburt Christi beinhaltet, zu lesen bzw. beten sei. 113 Somit besteht eine enge thematische Abhängigkeit zwischen den beiden Textbestandteilen, die durch einen ›auktorialen Erzähler‹ gesteuert wird, der die Rezipierenden anleitend durch die jeweiligen Textbestandteile führt. 114 In ähnlicher Weise verfährt der nächste Abschnitt aus dem Liber, dem achten Kapitel entnommen, der im Folgenden transkribiert wird, um auch sprachliche Einsichten in die Textgestalt zu erhalten: f.-70r: Diss ist wie du begon solt den zwölften tag vnd ist von Sant mechtild Noch dem do dise gottes dienerin vff dem zwölften tag vnssers herren fronlichnam hat entphangen do sprach vnsser herr zü ir Sich ich gib dir dz gold dz ist min (70v) göttliche minn Vnd wieröch dz ist alle min helikeit vnd jnnikeit Vnd mirren dz ist die bitterkeit aller miner marter Dise die gib ich dir alle samen als eigenlich dz du sy mir wider mögest geben als die dinen getot wenn dz die sel getüt so gib ich ir die selben zwyfaltenklich wider Vnd ob sy mir sy aber opffret so dick sy dz tüt so gib ich ir sy zwyfalt wider Vnd diss ist dz hundertfalt dz der mönsch in diser gegenwúrtigen zit Entphocht vnd dornoch in der künfftigen zit dz ewig leben Dise drú möcht der mensch got alle jor vff dissen tag opfren Die götliche minn Die luterkeit siner helikeit Die frucht vnd bitterkeit siner helgen marter. Es fällt auf, dass auch aus diesem Kapitel lediglich der letzte Abschnitt übernommen wurde, der die Auslegung der drei Gaben der heiligen Könige - es handelt sich um das Epipha‐ niefest am zwölften Tag nach Weihnachten - sowie die praktische (Lebens-)Anweisung an die Rezipierenden beinhaltet. Die eigentliche Vision des Kapitels, in der Mechthild mehreren Allegorien, z. B. der Caritas, begegnet und unter anderem eine Vereinigung mit Christus beinhaltet, bleibt unberücksichtigt. Sprachlich fällt vor allem im Unterschied zur Lichtenthaler Handschrift die Vermeidung der Doppelformel auf, die dort auch in diesem Abschnitt zahlreich aufzufinden ist. 115 Vergleicht man den Abschnitt mit der lateinischen 144 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae 116 Vgl. Liber (1877), S.-28. 117 Auch hier müssten die Angaben sowohl des Handschriftencensus als auch der Beschreibung bei e-codices korrigiert werden. Diese weisen das Kapitel als I, 14 aus. Vgl. jedoch Liber (1877), S.-40. 118 Ebd. 119 Vgl. f.-94r: Hie lob vnssren herren dz er wolt gan in die wüsty […]. Edition, so sticht besonders die parallelgetreue Übersetzung ins Auge, da gerade die Nebensatzkonstruktionen in ähnlicher Weise angeordnet werden, wie in folgendem Satz aus dem gerade zitierten Abschnitt deutlich wird: Quod dum anima fecerit, eadem duplicata sibi reddo, et si illa iterum mihi obtulerit, quotiens hoc fecerit, toties duplicata sibi reddo.  116 Das Bestreben, die deutsche Satzkonstruktion möglichst dem lateinischen Text anzunähern, führt in der deutschen Übersetzung zu einer grammatikalisch gewagten Konstruktion. Zieger war die Solothurner Handschrift nicht bekannt, weswegen sich bei ihm auch keine weiteren textgeschichtlichen Angaben finden. Da Reformschwestern aus Basel im Zuge der Einführung der strengeren Observanz in das Inselkloster kamen, ist zu überlegen, ob in diesem Zusammenhang auch der Liber nach Bern gelangte und dort von Lucia von Moos abgeschrieben oder sogar übersetzt wurde. Das bei dem ersten Exzerpt beobachtete Muster setzt sich auch im zweiten Liber-Ab‐ schnitt fort. Die Überschrift apostrophiert den jeweiligen Rezipienten mit du und klärt diesen darüber auf, wie er das jeweilige Fest zu begehen habe, nur um in einem kurzen Nachtragssatz die Quelle (Sant mechthild) zu nennen. Im Anschluss erfolgt der kurze Umriss der Situation, wann der Text rezipiert werden soll (nach der Kommunion), bevor die Auslegung der drei Gaben der Könige durch Gott selbst angesprochen wird, die somit den Status einer unmittelbaren und direkten Unterweisung durch den Herrn erhält. Gleiches Muster wird bei den anderen beiden Textstellen in der Handschrift wiederholt. So findet sich ab f. 91v das zum Osterkreis gehörende Kapitel I, 13. 117 Die Passage wird eindeutig Mechthild zugewiesen und simultan der jeweils Rezipierende apostrophiert: f.-91v: Wie du mit vnssrem herren solt in die wüsti gon lert vnsser herr Sant mechtilden vnd von dem berg vnd von den vij staflen vnd von dem brunnen An dieser Stelle lässt sich das Phänomen beobachten, dass lediglich der erste Teil des Kapitels übernommen wurde, was auch in der Überschrift berücksichtigt wird. Diese lautet in der lateinischen Edition De monte et septem gradibus et fontibus, et de throno dei et beatae virginis. 118 Sowohl der Teil über den Thron Gottes als auch derjenige über die Gottesmutter entfällt, dafür resultiert der Überschriftteil, der einen Bezug zur Wüste herstellt, wahrscheinlich aus einem Schreibfehler. Erst der nachfolgende Textbestandteil handelt von dem Aufenthalt Jesu in der Wüste und trägt das Thema auch in der Überschrift, sodass die Schreiberin hier vermutlich mit den Kapiteln durcheinandergeriet. 119 Gerade der Abschnitt mit der Auslegung der Demutsstaffeln dürfte im Unterschied zu der Thronvision, in der wieder eine durch das Hohelied inspirierte Unio geschildert wird, verantwortlich für die Übernahme gewesen sein. Es werden praktische Anweisungen für das tägliche Leben gegeben, indem die verschiedenen Staffeln mit vorbildhaften Eigenschaften (Demut, Geduld, Liebe, Nächstenliebe, etc.) assoziiert werden. Das Muster der Übernahme didakti‐ 5.2 Der Solothurner Codex S 458 145 120 Handschriftencensus und e-codices kennzeichnen das Kapitel fälschlicherweise als I, 15. 121 Liber (1877), S.-46. Vgl. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 1003 Helmst., f.-27v. scher Lebensführungsregeln anstatt der mystischen Visionen lässt sich also auch in diesem Abschnitt verfolgen. Das letzte Mechthild-Exzerpt überliefert mit dem gesamten 14. Kapitel einen unge‐ kürzten Passus, der in der Handschrift sehr unspezifisch mit Diss lert vnsser herr S mechtild an dem balmtag (f. 99r) überschrieben wird. 120 Die Wolfenbütteler Handschrift bzw. die Edition bietet dagegen die rein auf den Inhalt bezogene Überschrift (Qualiter domino anima ministret) 121 ohne auf den Anlass einzugehen, welcher dann im ersten Satz genannt wird. Als Grund für die vollständige Übernahme aus der Vorlage können inhaltliche Punkte angegeben werden, da sich lediglich eine Auslegung strukturiert durch das ganze Kapitel hindurch verfolgen lässt, wobei die einzelnen Punkte durch rubrizierte Initialen auch ornamental hervorgehoben werden. Es überrascht, dass hier eine Vision vorliegt, in der die Seele an die Stelle Marthas in Bethanien versetzt wird und den am Tisch sitzenden Herrn mit verschiedenen Gaben, die allegorisch ausgelegt werden, bedient. Allerdings werden die jeweiligen Gänge des Essens allegorisch mit der Karwoche verbunden (z. B. ein Lammgericht für das unschuldige Lamm Christus) und die Attribute der bedienenden Seele hervorgehoben, die nicht nur mit Mecht‐ hild, sondern auch mit dem Rezipienten der Textstelle identifiziert werden kann, der durch die Lektüre die Position Mechthilds - deren Name nur in der Überschrift genannt wird - einnimmt. Somit kann erneut nicht von einer eindeutigen Vision gesprochen werden, auch wenn der visionäre Charakter und das geistige Entrücken nach Bethanien noch durchaus vorgefunden werden können. Viel eher zeigt sich ein Oszillieren des Textbestandteils, der zwischen mystischer Vision, didaktischer Unterweisung sowie allegoretischer Auslegung changiert. Als Ergebnis der Untersuchung der textlichen Repräsentation des Liber in der Solo‐ thurner Handschrift lässt sich festhalten, dass die vier Exzerpte an den verschiedenen Stellen nach ihrer liturgischen Stellung im Kirchenjahr angeordnet sind. Diese Struktur dürfte für den Kompilator das entscheidende Kriterium gewesen sein. Bis auf das letzte Kapitel finden sich jedoch nur Kapitelabschnitte wieder, sodass auch hier ähnlich wie in der Lichtenthaler Handschrift nur ein Verständnis von bestimmten stabilen Sinneinheiten nachgewiesen werden kann, das aber nicht mit den ›tatsächlichen‹ Kapitelgrenzen kon‐ vergiert. In allen Fällen wird Mechthild als Autorin genannt und an einer Stelle explizit auf den Liber verwiesen, dessen Kenntnis durch den Kompilator zwar aufgezeigt werden konnte - woraus sich aber nicht unbedingt zwangsläufig eine materielle Verfügbarkeit ergibt. In allen Fällen wurde das Augenmerk weniger auf die Visionen sowie den mystischen Charakter der Schrift Mechthilds gerichtet, sondern auf die didaktischen, unmittelbar mit dem jeweiligen Fest verbundenen Anweisungen, z. B. auf die Gebete oder Auslegungen der mit dem jeweiligen Tag verbundenen Spezifika. Ein auktorialer Erzähler erläutert dem Rezipienten, welcher Textbestandteil samt Inhalt präsentiert wird. Der Leser rückt somit an die Stelle der ursprünglichen Begnadeten und erfährt unmittelbar Gottes Auslegungen. Mechthild und ihrem Text kommt somit der Status einer Vermittlerrolle zu, wobei die Autorschaft der Nonne aus Helfta anerkannt wird. 146 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae 122 Vgl. hierzu Kirakosian (2017a), S. 222, die bei der pragmatischen Zusammensetzung das »Zusam‐ menspiel von Textualität, Schrift und Schriftlichkeit« betont. 123 Vgl. Knoch (1995), S. 90: »Für das Mittelalter wird im Kirchenjahr als der grundlegenden, die Le‐ benszeit des Menschen gliedernden und formenden Ordnung im Zyklus der stets wiederkehrenden, mit dem Erleben der Jahreszeiten verbundenen Festkreise zugleich der Blick auf das jenseitige Ziel geschärft.« 124 Vgl. f. 1v: Disz ist der herlich antiphon hec est dies jn tutsch den man singt vber dz maget vf dz hochzit annunciacionis Dominica. Zur Bedeutung des Gesangs bei Mechthild vgl. Hubrath (1998), S.-180. 125 Vgl. zur Bedeutung Marias im Dominikanerorden Springer (2016), S.-466-468. 126 Wegen Beschädigung ist ein Wort (evtl. got) nicht lesbar. Es wird nun zu prüfen sein, inwieweit sich dieses Muster als gängiges Prinzip der Kom‐ pilation nachweisen lässt. Dabei wird auf die Anordnung der begleitenden Textbestandteile eingegangen und der funktionelle Charakter der Handschrift als Überlieferungsträger performativer Schriftlichkeit 122 , in diesem Fall als Gebetbuch, untersucht. 5.2.3 Der Kontext - der Liber innerhalb eines Gebetbuches Der Solothurner Codex ist als Gebet- und Andachtsbuch strukturiert, das den Rezipienten durch das gesamte Kirchenjahr führt. 123 Dabei lassen sich die verschiedenen Textbestand‐ teile in mehrere liturgisch zusammenhängende Abschnitte unterteilen. Vergessen werden darf dabei nicht, dass die Schreiberin Lucia von Moos nicht alle in der Handschrift enthaltenen Texte selbst schrieb, sondern einige Abschnitte erst nachträglich eingefügt, ergänzt oder eingebunden wurden, sodass die ursprüngliche, weitaus stringentere Ordnung durcheinandergeriet. So beginnt die Handschrift mit einer von anderer Hand geschriebenen Auslegung über die Antiphon Haec est dies, welche sich auf das Fest Mariä Verkündigung bezieht. 124 Um die synästhetische Erfahrung des Festes noch ausgeprägter zu gestalten, wurde auf f. 4v ein Holzschnitt eingeklebt, der die Verkündigung zeigt. Auf dem gegen‐ überliegenden Rectoblatt steht ein Gebet zur Gottesmutter. 125 Das sechste Blatt beinhaltet nun den ursprünglichen Beginn der Handschrift, da dort Lucia von Moos als Schreiberin ansetzt und der Textbeginn mit einer großen Fleuronné-Lombarde mit roten Blumen und roten Blütenranken markiert ist. Auch die Lagenstruktur offenbart, dass die vorgebundenen Blätter nachträglich in die Handschrift eingefügt wurden. So begegnet außer der Lombarde eine paratextuelle Kennzeichnung, die Struktur und Inhalt der nachfolgenden Textbestand‐ teile benennt: f. 6r: Ein andechtiger mönsch der gern vnssren lieben herren welt loben vmb (vmb doppelt) alles dz güt dz er vnss ye getet der mag sich üben in disen noch geschribnen gebeten (..t) 126 ze lob vnd dem vnschuldigen leben vnd liden vnssers lieben herren ze eren vnd ist geteilt vnd geordnet in etliche hochzitlich tag dz j. Ob dieser Abschnitt nur als Überschrift für den folgenden Abschnitt mit thematischen Gebeten zur Passion fungiert (f. 6r-27v) oder auch als Strukturierungsmerkmal für die gesamte Handschrift gesehen werden kann, bleibt zunächst offen. Die Tatsache jedoch, dass die einzelnen Abschnitte, die thematisch der Passionszeit (f. 6r-27r), den beiden Marienfesten Verkündigung und Heimsuchung (f. 27v-45v), dem Weihnachtsfestkreis (f. 46r-89r) sowie der Oster- und Pfingstzeit (f. 89r-167r bzw. f. 167r-212v) zugeordnet 5.2 Der Solothurner Codex S 458 147 127 Hierbei ist gemeint, dass Textabschnitte einem bestimmten Autor zugewiesen werden können, wobei der Autor explizit von dem Schreibenden bzw. Kompilator genannt wird. Eventuell ließen sich weitere Abschnitte genauer identifizieren, was aber mit einigen Schwierigkeiten verbunden sein dürfte. 128 Es handelt sich um die Kapitel 70 (f. 63v-64v), 71 (f. 70v-71v), 86 (f. 96v-98v), 88 (f. 101r) und 91 (f.-101r-105r). Vgl. die Stellen in der Edition bei Wieland (1973). sind, keine eigenen Unterüberschriften besitzen, die das Gesamtthema der folgenden Textbestandteile in den Blick nehmen, deutet aber auf eine Anfangsüberschrift für den gesamten Codex hin. So verweist der erste Mechthild-Abschnitt, dessen Überschrift zu Beginn der zum Weihnachtskreis gehörenden Textbestandteile steht, lediglich auf das Mechthild-Exzerpt. Insgesamt herrscht im hinteren Teil der Handschrift eine gestörte Ordnung vor. Ursprüng‐ lich endete die Handschrift wohl auf f. 187v, da dort ein Kolophon der Schreiberin Lucia von Moos auftritt - wofür auch die Lagenstruktur spricht. Allerdings finden sich auf f. 213r-241v weitere Gebete und Anweisungen von Lucia von Moos, die sich jedoch auf unspezifische Wochentage im Kirchenjahr beziehen und daher keinem thematischen Festkreis zugerechnet werden können. Diese müssen sich entweder zu einem früheren Zeitpunkt an einer anderen Stelle der Handschrift befunden haben oder gar in einer eigenen Handschrift, die für den alltäglichen Gebrauch der Stundengebete genutzt wurde, während der Rest für die Festtage gedacht war. In einem solchen Fall wären die Blätter, wie auch die von der anderen Hand angefertigten Texte, durch einen späteren Kompilator in einer Handschrift zusammengebunden worden. Der angesprochenen zweiten Hand können die ebenfalls zum Pfingstfest gehörenden Gebete und Hymnen auf f. 188v-212v zugewiesen werden sowie weitere Tagzeitengebete an den Festtagen Mariens und ihrer Mutter Anna (f.-242r-252r). Während die meisten der jeweiligen Gebete und Auslegungen traditionellen Mustern entsprechen, ist für den Kontext der Mechthild-Abschnitte bedeutsam, dass sich in der Handschrift einige Kapitel aus dem Legatus Gertruds von Helfta finden, die der volksprach‐ lichen Version des botten der götlichen miltekeit entnommen sind. 127 Diese begegnen, wie der Liber, an verschiedenen Stellen je nach liturgischer Position im Jahreskreis angeordnet und hierbei oft in unmittelbarer Umgebung zu den Mechthild-Exzerpten. 128 Im Unterschied zu diesen werden jedoch keine genauen Überschriften geboten, die den Inhalt des jeweiligen Abschnittes zusammenfassen. Lediglich eine allgemeine Textzuschreibung an Gertrud erfolgt, wie die rubrizierten Incipits Von sant trutten (f. 63v und 70v) sowie Diss lert öch vnsser herr Sant truten (f. 101r) beweisen. Aus inhaltlich-struktureller Hinsicht lassen sich jedoch die gleichen Phänomene wie in den Mechthild-Abschnitten beobachten. Es werden entweder Auslegungen oder Gebete übernommen, Visionen, die in der Fassung des botten zumeist fehlen, jedoch nicht. Zusammenfassend kann für die Solothurner Handschrift festgehalten werden, dass hier ein prototypisches Gebet- und Andachtsbuch vorliegt, in das einzelne Kapitel des Liber eingearbeitet wurden. Im Vergleich zur Lichtenthaler Handschrift erfolgt ein funktionell anderer Umgang mit dem Text, der ein divergierendes kompilatorisches Verfahren mit dem Werk Mechthilds aufweist. Nicht der zusammenhängende Text als Hauptbestandteil einer Handschrift, die den Werkcharakter als solchen berücksichtigt, wird geboten, viel eher 148 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae 129 Vgl. über das Auseinanderdriften zwischen observanten Klöstern und Konventen, die sich der Reform verweigerten, v. a. am Beispiel der beiden Nürnberger Klöster St. Katharina und Engelthal, Williams-Krapp (2013), S. 274-278. Für das geringe Schrifttum aus nicht-reformierten Klöstern vgl. ders. (2016), S.-115. 130 Neben der hier behandelten Hs. erscheint Fabri auch in Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. III.1.8° 42, wobei die Handschrift sich wohl ebenfalls in ein schwäbisches Frauenkloster verorten lässt. lässt sich eine Übernahme einzelner, als bedeutsam oder besonders lehrreich erscheinender Gebete oder Einzelkapitel, zumeist Kapitelausschnitte, beobachten, die in differierenden Kontext gestellt werden. Jedoch muss die Schreiberin bzw. der Kompilator der Vorlage ein Bewusstsein um das Gesamtwerk besessen haben, da explizit die Quelle der jewei‐ ligen Ausschnitte angegeben wird. Auch wird Mechthild als Protagonistin genannt, was den Status als Autorin miteinschließt. Dass das Werk in einer Handschrift aus einem Reformkloster überliefert wird, spricht zumindest dafür, dass gerade die Befürworter der strengeren Observanz einen Kontext der Handschriftenproduktion bzw. Textverbreitung ermöglichten, von der auch literarisch eher unbedeutendere Konvente wie das Inselkloster in Bern profitierten. 129 Die Solothurner Handschrift zeigt ferner, dass das Werk Mechthilds von Hackeborn noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts und damit kurz vor der Reformation gelesen und verbreitet wurde und innerhalb der Gebetbuchliteratur zusammen mit Ger‐ truds Legatus eine prominente Stellung einnahm. 5.3 Der Augsburger Codex III.1.8° 31 Die Augsburger Handschrift, Universitätsbibliothek, Cod. III.1.8° 31, bietet im Unterschied zu den Handschriften aus Karlsruhe und Solothurn eine dritte Manifestation, die von den anderen beiden erheblich differiert. Sie zeigt auf, inwieweit Verschiebungen und Überlappungen einzelner Textabschnitte bestehen. Hierdurch entzieht sich die Ausdiffe‐ renzierung von festen Ordnungskategorien in der Form von singulären Textbestandteilen einer eindeutigen Zuweisung. Diese Beobachtung verstärkt die Perspektive auf einzelne Überlieferungsträger und steht daher in der Tradition einer möglichen methodischen Annäherung an das Material unabhängig von textgeschichtlichen Kategorien. 5.3.1 Die (literar-)historische Umgebung der Handschrift Die sechs Augsburger Handschriften, in denen Mechthild-Material erscheint, eignen sich aus mehreren Gründen für eine Untersuchung von Rezeptionsphänomenen. Zum einen lässt sich für eine größere Anzahl an Handschriften eine Provenienz aus dem Dominikanerinnenkonvent Medingen nachweisen. Dadurch wird - wie auch in Bern - eine Verbindung zur Reformbewegung sichtbar, was weitere Netzwerke und Verbreitungswege von Handschriften und den in ihnen enthaltenen Texten offenlegt. So wurde Medingen 1472 von St. Katharina in Nürnberg reformiert, was den großen Einfluss Nürnberger Schrifttums in den Medinger Handschriften erklärt, etwa des Ulmer Dominikaners Felix Fabri. 130 Somit kann neben persönlichen Verflechtungen - wie im Falle der von Basel 5.3 Der Augsburger Codex III.1.8° 31 149 131 Vgl. für die Geschichte des Klosters sowie vor allem der Bibliothek Schromm (1998), S. 65-135, für den Übergang der Handschriften von Kirchheim nach Augsburg S. 151f. Vgl. auch Hägele (2011), bes. S.-24-27. 132 Vgl. Schneider (1988), S. 518-540. Zur Handschrift vgl. auch Schneider (2006), S. XLIX, Federer (2011), S.-398f. bzw. 403, Schromm (1998), S.-232f., sowie Klingner / Lieb (2013), Bd.-2, S.-24, und https: / / rep ertorium.sprachen.hu-berlin.de/ repertorium/ id/ 15174 (31.3.2023). 133 Die zusätzlichen Faszikel wurden in den ältesten Faszikel eingebunden, der somit in mehrere Teile zerfällt. Die Mechthild-Abschnitte finden sich auf f. 52v-54r (Schneiders Nr. 17) sowie 94r-v (Schneiders Nr.-40). 134 Vgl. Schneider (1988), S. 518. Dort auch Hinweise auf weitere von der Schreiberin verfasste Handschriften: Wien, Schottenkloster, Cod. 413 (verfasst in Medingen 1495), Teile von Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. III.1.8° 48; ebd., Cod. III.1.8° 56; ebd., Cod. III.2.8° 63. Vier weitere Hände lassen sich nachweisen, vor allem f. 139r-164v, welche möglicherweise von einer Ursula verfasst wurden, vgl. den Eintrag auf f.-153r. ins Berner Inselkloster umgesiedelten Nonnen - innerhalb der Reform zumeist auch eine Verflechtung bezüglich der Handschriftenproduktion und -rezeption verfolgt werden. Für die Medinger Handschriften zeigt die Überlieferung zum anderen eine weitere Be‐ sonderheit: Nach der Auflösung des Klosters gelangte ein Großteil der Handschriften in das Zisterzienserinnenkloster Kirchheim am Ries und in die dortige Klosterbibliothek, bevor sie nach einem Aufenthalt in der Oettingen-Wallersteinschen Bibliothek schließlich in die Universitätsbibliothek Augsburg überführt wurden. 131 Somit dienten die Handschriften sowohl einer weiblichen dominikanischen Leserschaft, als auch in der Folge einem zis‐ terziensischen Rezipientenkollektiv. Insofern stellt sich die Frage, inwieweit bestimmten Textabschnitten eine ordensübergreifende Rezeption zuteilwurde bzw. wie Zisterziense‐ rinnen mit Texten verfuhren, welche ursprünglich Dominikanerinnen als Lektüre dienten. In der Beantwortung dieser Frage kann der Cod. III.1.8° 31 helfen, der an mehreren Stellen Mechthild-Exzerpte überliefert. Daneben finden sich in der Handschrift vor allem geistliche Kurztexte, etwa ein Ausschnitt aus Seuses Büchlein der ewigen Weisheit, ein Exzerpt aus Margareta Ebners Offenbarungen sowie Ausschnitte aus dem Buch der Vollkommenheit und den 24 Alten des Otto von Passau. Vor allem begegnen kurze Gebete und andere, bisher nicht identifizierte, Kurztexte, die wohl zur persönlichen Reflexion und Betrachtung dienten, wobei an diesem Punkt auf die ausführliche Beschreibung Karin Schneiders verwiesen werden kann. 132 Die Handschrift selbst offenbart eine komplizierte Genese, da sie aus zehn verschiedenen Faszikeln besteht. Der größte Abschnitt, der unter anderem die beiden ersten Mechthild-Ex‐ zerpte beinhaltet, wurde in Medingen geschrieben und zu einem späteren Zeitpunkt (in Kirchheim? ) um einige ältere Abschnitte, vermutlich aus inhaltlichen Gründen, ergänzt. 133 Die Provenienz ergibt sich aus der Schreiberin Susanna (Osanna) von Binzendorf, die zwischen 1484 und 1492 als Nonne für Medingen belegt ist und sich für den Großteil der Handschrift als Schreiberin verantwortlich zeigt. 134 Hieraus lässt sich folglich eine explizite Schreibtätigkeit für einen Mechthild-Abschnitt feststellen, der im selben Kloster rezipiert wurde. Daneben ist im hinteren Spiegel eine Urkunde eingebunden, welche von einem Medinger Priester ausgestellt wurde und damit zweifelsfrei die Provenienz in Medingen selbst belegt. Da die Urkunde bereits 1343 ausgestellt wurde und damit 150 Jahre später hinfällig geworden war, konnte sie für den Einband benutzt werden. 150 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae 135 In Schneiders Katalogbeschreibung Nummer-100. 136 Von Bedeutung sind die vier Blätter des Abschnittes IX, welche einen mitteldeutschen Dialekt aufweisen. 137 Für ein Beispiel, bei dem dasselbe Kapitel in unterschiedlicher Schreibweise vom gleichen Schreiber in eine Handschrift aufgenommen wurde, vgl. das Gebetbuch des Hans Lesser in Kapitel 3. Dort befindet sich das Kapitel V, 6 auf f.-127r-v sowie f.-137r. Die Handschrift befand sich anscheinend zuerst im Privatbesitz der Äbtissin Barbara von Seldneck, da sich auf f. 46v ein Besitzeintrag findet. Diese starb jedoch bereits 1483, sodass eine Entstehung von Teil I wohl um 1480 angenommen werden muss. Nach ihrem Tod wurde die Handschrift vermutlich in die Klosterbibliothek aufgenommen, da ein weiterer Eintrag auf f. 108v auf den Tod der Äbtissin samt Datum verweist. Abschnitt II der Handschrift, der die Blätter 11 bis 18 umfasst, wurde bereits in Medingen in die Handschrift eingebunden, da Susanna von Binzendorf dort Korrekturen vornahm. Insbesondere für Teil VIII der Handschrift, in dem sich ein weiterer Mechthild-Abschnitt (f. 240r-v 135 ) befindet, können außer der ostschwäbischen Mundart keine weiteren Eingrenzungen vorgenommen werden. 136 Im nächsten Schritt sollen wie bei den beiden anderen Handschriften die Spezifika des Mechthild-Abschnittes im Zentrum stehen, bevor die Textbestandteile aus dem Liber im Kontext der Handschrift untersucht werden, somit ihre Funktion im Rahmen der Lektüre genauer betrachtet wird. 5.3.2 Die Spezifika des Liber in der Augsburger Handschrift Innerhalb der Handschrift finden sich an drei verschiedenen Stellen Abschnitte aus dem Liber, wobei alle drei Exzerpte aus dem ersten Buch stammen. Auf f. 52v-54r begegnet das Kapitel 18d, auf f. 94r-v das Kapitel 47. Das gleiche Kapitel folgt ein weiteres Mal auf f. 240r- v, also innerhalb einer später hinzugebundenen Lage, jedoch in anderer Form. Somit zeigt die Handschrift paradigmatisch auf, in welcher Varianz ein bestimmtes Kapitel im Zuge der Überlieferung auftreten kann. Beide Formen entstanden zwar nicht im Zuge derselben Produktion, wurden allerdings im Verlauf der Rezeption im selben Überlieferungskontext gelesen. 137 Bei Betrachtung des Kapitelbeginns von I, 18d auf f. 52v fällt auf, dass im Unterschied zu vorangegangenen Textbestandteilen der Abschnitt nicht mit einer rubrizierten Überschrift eingeleitet wird - etwa im Vergleich zu dem Abschnitt auf f. 52r, welcher mit gepett versehen wurde. Wie der vorangegangene Teil beginnt der Mechthild-Abschnitt ebenfalls mit einer rubrizierten, zweizeiligen Initiale. Auf ähnliche Weise markiert ein in Majuskeln verfasstes AMEN den Abschluss des vorangegangenen Gebets (vgl. Abb. 6). Hinzu kommt die Datumsangabe lxxxiiij jar, welche auf das Jahr 1484 verweist. Der Textbestandteil setzt nun folgendermaßen ein: f.-52v: Unser herr hat kunt gethann der hailigen junckfrawen sant mechtlidis (sic! ) dieses gepett vnd sprach zu jr wer mir begert ainenn sünderlichen deinst (sic! ) zu thun für alle die vn Er die mir je erbotten ward vnd allem dem gůt dz jch bin vnd je gedacht dir vnd allen menschen der naig sich für mich alsz mengen mal alsz mengen tag jch auf ertrich gelebt han vnd thu es mir zu lob vnd zu deinst 5.3 Der Augsburger Codex III.1.8° 31 151 meiner hochen trifelchait vnd alle meinen wünden vnd zu Eren meinem verschmachten tod zu lob So wil jch mich auch naigen zu dem hail alle die mir diese Er thunt Die sum ist xiij tausend do die ander person des selben bewertten ordens diese naigung anfing Da kam der bösz (53r) gaist zu jr der die offenbarung wasz geschehnn vnd sprach zu jr wasz selickait hanst du dich nu angenůmen dz sich etlichen menschen so fyl for got müsen naigen wir wölten geren dz dich dr tod von dr Erd nem wir kündent nynert mer rechter gewinen wen bey dem haupt vnd den herczen des menschen dz müsz auch verhönet sein vnd widerwerttig werden durch die naigung Es ist auch geofenbart worden der selben junckfrawen mechilldis von got wer den psalm Exaltabo te domine quoniam suscepisti ain gancz jar spircht (sic! ) der hat jeder wunnden ain ver gesprochen och wer in all freitag zu vij spricht Es ist auch geoffenbart wer ain gancz jar spricht all tag xv pater noster aue maria dr erfult die zal dr wüden vnsers herrn vnd daz auch dr mensch wissen sol daz es kaines bösen todes nit stirbt Es ward auch ainem menschen geoffenbart die Sum seiner wünden Also dz er wunnden Entpfangen hat wunnden in wunnden vnd dz ain wunnd in die andern jst zu sammen xxx tausend wunden vnser (herr am Rande rubriziert nachgetragen) (53v) Sprach zu jr mir jst nit lieber vnd genemer den wer mir Ert mein wünden vnd schmerczen Do sprach darnach der bösz gaist mir jst nit laider vnd widrer den der da Eret die wünden des grosen küniges vnd Er ward gefrag warumb Da sprach er da mag jch den selben menschen nit genahnen die im sein wunden Erend alsz jch andren menschen genachen vnd sye überwind die die selben wünden nit Erent Auch öffend jr vnser herr ain besunder pett da durch sye fyl sellen Erloszt het von pein vnd fegfürer vnd ward jr auch gesait wer für sich oder ain sel pettet ain jar der Erlöszet die sel von dr pein ds fegfürers wen ers mit andacht spricht (du fleisz mit dem pett rubriziert) Das gepet stat da fornen an dem buchlin vnd haiszt her Jhesu Christe jch pit dich durch den schmerczen (Den psalm den wünden Jhesu christus rubriziert) Exaltabo te domine Exaltabo te quoniam suscepisti me nec delcetasti (sic! ) inimicos meos super me Domine deus meus clamaui ad te et sanasti me Domine (54r) eduxisti ab inferno animam meam saluasti me adescententibus (sic! ) in lacum Psallitte Domino sancti eius et confitemini memorie sanctitatis eius Quoniam ira in indignacione eius et vita in uoluntate eius Ad uesperum demorabitur fletus et ad matutinum leticia Ego autem dixi in habundancia mea non mouebor in etternum Domine in uoluntate tua prescitisci (sic! ) decori meo virtutem Auertisti faciem tuam ame (sic! ) et factus sum conturbatus Adte (sic! ) Domine clamabo et ad deum meum deprecabor Que vtilitas in sanguine meo dum descendo in corumpcionem Numquid confitebitur tibi puluis aut annunciabit veritatem tuam Audiuit dominus et misertus est mei dominus factus est adiutor meus Confertisti planctum meum in gaudium mihi concidisti (sic! ) saccum meum et circumdedisti me leticia Vt cantet tibi gloria mea et non compungar domine deus meus in eternum confitebor tibi Gloria patri 152 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae 138 Vgl. Schneider (1988), S. 523: »Nach Mechthild von Hackeborn, Liber specialis gratiae, nur der Abschnitt über den Psalm Exaltabo (I, 18)« unter Verweis auf die Solesmenser Edition. Vgl. hierzu, wenn auch am Beispiel einer anderen Handschrift, Lentes (1996), S.-545f. Abb. 6: Liber-Exzerpt in einer Sammelhandschrift aus Maria Medingen (Augsburg, Universitätsbiblio‐ thek, Cod. III.1.8 ° 31, f. 52v) Zum Vergleich wird das Kapitel I, 18d in der lateinischen Edition angeführt, als welches der Textbestandteil von Karin Schneider identifiziert wurde. 138 Qui Dominicae passionis colendam memoriam frequentare desiderat, feria sexta vice Horarum legat septies Psalmum: Exaltabo te, Domine, quoniam suscepisti me. Et post circulum anni habebit tot versus quot Christus vulnera habuit. Item legat, si potest, unam Passionem Domini, et agat Deo gratias, inter caetera, quia de vulnere sinistri pedis ejus fluxit nobis lavacrum salutis, et a dextro flumen pacis; a manu vero sinistra produxit nobis fluenta gratiae: a dextra autem medicamen animarum; de vulnere 5.3 Der Augsburger Codex III.1.8° 31 153 139 Vgl. Liber (1877), S.-59. 140 Lentes (1996), S. 545, verweist darauf, dass der Psalm Exaltabo te im Mittelalter genau 15 Verse besaß, also mit den 15 Vaterunsern korreliert. Vgl. auch ders. (1995), S. 45, über Zahlengebete in den Helftaer Schriften. 141 Zur Soteriologie bei Mechthild vgl. Meyer (2021). 142 Möglich ist etwa eine Bezugnahme auf ein Kapitel aus dem Legatus Gertruds. 143 Vgl. Schromm (1998), S.-232. So auch schon Schneider (1988), S.-523. quoque dulcissimi Cordis ejus erupit nobis aqua vivificans et vinum inebrians, scilicet sanguis Christi, et omnis boni copia infinita.  139 Bereits auf den ersten Blick fällt die Erweiterung auf, die es erschwert, den Textbestandteil tatsächlich mit diesem Kapitel zu identifizieren. Vor allem der Bezug zu den Wunden Christi, die Referenz auf Psalm 30 (Vulgata: Psalm 29) und die Verbindung zwischen Wundenanzahl, Psalm und Gebetsunterweisung unter gleichzeitigem Verweis auf Mechthild als Autorität lassen sich als Indizien für eine Identifizierung ausmachen. 140 Umgekehrt entfallen aus dem lateinischen Kapitel die Allegorien der aus den einzelnen Wunden strömenden Bäche, die mit soteriologischen Attributen (Heil, Gnade) in Verbindung gesetzt werden. 141 Trotzdem überrascht vor allem die Zusammensetzung des Textbestandteils. So wird an mehreren Stellen explizit Mechthild als Autoritätsperson genannt, jedoch an einer Stelle auf eine Person aus dem gleichen Orden verwiesen. 142 Das lateinische Kapitel besitzt keine narrative Rahmenhandlung, selbst die Sprecherrolle bleibt im Vergleich zu zahlreichen anderen Kapiteln diffus. Es handelt sich um keine Vision oder Audition, die Mechthild zuteilwird, wie dies etwa im vorangegangenen und folgenden Abschnitt, also 18c und e, geschieht. Viel eher tritt ein auktorialer Erzähler auf, welcher in einem didaktischen Charakter als Gebetsunterweisung dem Rezipienten vorgibt, auf welche Weise er den Psalm sowie als Ergänzung einen Evangelienabschnitt zu lesen habe. Tatsächlich ist von Mechthild im Abschnitt selbst weder direkt noch indirekt die Rede, so‐ dass der Bezug nur durch den Kontext deutlich wird - in der Augsburger Handschrift erfolgt diese Zuschreibung durch Hinzufügung von Zuschreibungen. Im Unterschied zu anderen Handschriften wird also keine Rahmenhandlung gekürzt, sondern eine solche viel eher aufgrund paratextueller Eingriffe durch den Kompilator neu hinzugefügt. Bereits Schromm hatte in seiner Auflistung der aus dem Kloster Kirchheim stammenden Handschriften angenommen, dass nur der sich direkt auf den Psalm beziehende Abschnitt aus dem Liber stammt, während die anderen Abschnitte von ihm nicht genauer identifiziert wurden. 143 Der Textabschnitt zeigt somit im Vergleich zur Lichtenthaler und der Solothurner Hand‐ schrift eine weitere Steigerung. Während in der Lichtenthaler eine Gesamtstruktur des Liber vorlag, die als solche trotz Restrukturierungs- und Retextualisierungsprozessen noch deutlich erkennbar war, so können die Kapitel der Solothurner Handschrift als individuelle und funktionalisierte Textabschnitte angesehen werden, welche zwar in einem anderen Kontext, demjenigen eines Gebetbuches, verwendet werden, dabei aber in ihrer Struktur als eigene Kapitel trotz der Umschreibungs- und Kürzungsprozesse erhalten bleiben. In der hier zentralen Augsburger Handschrift wird auch eine solche Kapitelstruktur aufgegeben und ein Textabschnitt direkt im Verbund mit anderen, thematisch verwandten, Textabschnitten kontrahiert und refunktionalisiert, wenn auch unter Beibehaltung eines Autoritätsbezuges. Nicht nur wird dabei die in anderen Kontexten erhaltene Struktur dissoziiert, sondern es 154 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae 144 Vgl. Spamer (1910), der diese Bezeichnung prägte, wenn auch mit Perspektive auf Eckhart. Vgl. hierzu auch Schiewer (2012). 145 Vgl. für eine Parallelüberlieferung in einer Straßburger Handschrift Lentes (1999), S. 37. Dort wird der Psalm in die Volkssprache übersetzt. Außerdem erfolgt bei anderen Gebetsübungen die Angabe, welche Kompensationsgebete im Falle einer Unverständlichkeit der lateinischen Gebete zu verrichten seien. 146 Vgl. Kirakosian (2017a), S.-123, die von einem »textpragmatischen Anspruch« spricht. 147 Hubrath (2002), S.-285. entsteht sogar ein beinahe schon als ›Mosaikerzähltext‹, in Anlehnung an die Bezeichnung ›Mosaiktraktat‹, zu bezeichnendes Textgebilde. 144 Hierbei werden durch textinterne Referenzen, etwa den Verweis auf die Wunden Jesu oder den verschiedenen Zahlenspielen, die einzelnen Sinneinheiten nicht nur thematisch miteinander verschränkt, sondern der gesamte Textabschnitt wird mit dem im Anschluss gesondert dargebotenen Psalm - man beachte auch den Sprachwechsel ins Lateinische - verbunden. 145 Während der Liber in der lateinischen Edition bzw. der Wolfenbütteler Handschrift im jeweiligen Textabschnitt den Psalm nur anzitiert und dieser lediglich als Referenz für das restliche Kapitel dient, so sind die Verhältnisse im Augsburger Codex geradezu umgekehrt: Der Abschnitt vor dem Psalm dient als Einleitung, die auf den Psalm verweist und die Bedeutung der Lektüre sowie den Modus des Rezipierens genauer erläutert. Der Psalm selbst muss nicht in einem Psalter nachgeschlagen werden, sondern wird ebenso präsentiert. Es ergibt sich eine direkte Verbindung zwischen dem Mechthild-Abschnitt und seiner liturgischen Verwendung. Während die Wolfenbütteler Handschrift bzw. die ›Vollversionen‹ der ersten fünf Bücher den Psalm lediglich als litera‐ rische Referenz benutzen, findet der Textbestandteil hier pragmatisch im Klosteralltag seine Verwendung. Mithilfe des Liber werden also die Grenzen zwischen ›literarischem Text‹ und liturgischem ›Gebrauchstext‹ aufgebrochen, insofern man dazwischen überhaupt eine feste Grenze ziehen will. 146 So kann Hubraths Dichotomie zweier Liber-Formen (»als stärker poetisch-literarisch angelegter Text und als Gebrauchstext« 147 ), die auch als Etablierung zweier ›Werk‹-Konzepte gedacht ist, bei Betrachtung der Überlieferungslage um eine Pluralität an Zwischenschritten erweitert werden. Durch das Netz an Verweisen und gegenseitigen Bezugnahmen wird der Psalm zum literarischen Text innerhalb des Textverbundes, gleichzeitig wird der literarische Text des Liber zum Gebrauchstext und in einen funktional-pragmatischen Kontext eingebunden. Autorität erhält er zwar durch den Bezug auf die Hackebornerin, jedoch sind die Grenzen zur Umgebung fließend. Der Liber erhält damit eine weitere Rezeptionsfunktion im Zuge der Unterweisungsliteratur - als Einleitung, Vorwort sowie Kommentar anderer liturgischer Exzerpte, jedoch nicht als eigenständiges Textexzerpt, sondern als Teilexzerpt. Dieses kann nicht mehr als solches erkannt werden, sondern tritt als Teil eines Mosaiktraktates auf und gliedert sich so in den Funktionszusammenhang der gesamten Handschrift ein. Der Überlieferungsverbund erhält eine noch stärkere Bedeutung, da der Einzeltext hinter die Funktion zurücktritt. Lediglich der Verweis auf Mechthild offenbart noch die Herkunft. Erst der Blick auf die übrigen Texte spannt das Netz an ursprünglichen Einzeltexten auf. Ein weiterer Abschnitt findet sich gleich zweimal in der Augsburger Handschrift. Hierbei handelt es sich um das Gebet I, 47, welches in zwei verschiedenen Lagen begegnet, von 5.3 Der Augsburger Codex III.1.8° 31 155 148 Das gleiche Kapitel auch in Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. III.1.8° 48, f. 113r-114v. 149 Der Nachtrag am falschen Ort, grammatikalisch korrekt wäre (wie auf f.-94v) erst nach liecht. 150 Vgl. Liber (1877), S.-133. denen die erste zu dem in Medingen verfassten Abschnitt gehört (f. 94r-v), die andere später hinzugefügt wurde (f. 240r-v). Beide Abschnitte werden im Folgenden gegenübergestellt, um einen Vergleich zu ermöglichen. f.-94r: O du wirdige můter gottes jch ermane dich der mechtickait die dir gott der vater gegeben hatt also daz du nach jm bist die mechtigest in den hymeln vnd auf Ertrich vnd pitt dich dz du mit der selben mechtickait der schwester oder mir wellest pey gestan die nun hin für die erst wirt vnd verschayden sol vnd vertreyb von jr die mechtickait dez bössen gaistes vnd besunder an jrem End vnd erwirb jr vmb dein liebes kind ain seliges End AMEN O du aller wirdigeste junckfraw maria jch ermane dich der weiszhait do mit dich der gottes sun Erleücht vnd geziret hatt also dz du mit deiner clarhaitt Erleüchtest den hymell vnd bit dich dz du der schwester erwerbest dz sye (94v) Erlücht werd in jr sel mit dem leicht des gelaüben vnd ainer rechten erckantus vnd besunder an jrem End vnd dz die liecht durch den bössen gaist nymer mer Er lechst werd AMEN O du aller edelste junckfraw maria jch Ermane dich der lieb vnd suszickait die dir volkumelichen ein gossen hatt der hailig gaist dz du nach im bist die aller gütigest barmherczigest trosterin vnd bit dich dz du durch die selben gütickait der schwester Erwerbest die süszickait gotlicher lieb in daz jr alle ding süsz werden vnd auch die pittrickat dez todes AMEN Das hat dr Felix lesmaiester zu ůlm selbz dr faren mit seiner aigen person und es ist war er hat unsz gesagt Die andere Fassung lautet: 148 f. 240r: [S]ant Mechtildis begert von der wirdigen Jungckfrawen Maria dz sie jr saget wo mit sye verdeinen mocht das sie jr by stun an jrem end da sprach die wirdig junckfraw Maria zu jr sprich mir all tag als lang du lebendig belibst iij aue Maria wan du dz j aue maria sprichst so Er man mich der mechtikeit die mir geben hat Got der vater also dz jch nach jm die mechtigest bin im himel vnd uff dem Erterich dz jch mit der selben mechtikeit dir by sie vnd vertreib von dir die mechtikeit des tuffels wan du dz ander spricht so er man mich der weisheit mit der mich der sun gocz hat erlucht vnd geziret also dz ich mit miner klarheit Erlucht den himel als die sun lucht in jrem schein dz jch Erlucht an deinem End dein sel mit dem liecht des globens vnd einer rechten Erkantnus vnd dz die (durch am Rand nachgetragen 149 ) liecht den bosen geist nit Erlechst werden Dz dritt sprich vnd Erman mich der der (sic! ) lieb vnd sussikeit die mir volkommenlich in gossen hat der heilig Geist dz ich nach im bin die Gutigest die barmherczigest dz ich durch (240v) die selben Gutikeit allweg dem sunder durch die suszigkeit dir Ein giesz die suszigkeit Gotlicher lieb vnd dir susz mach wie bitterkeit des dodes amen. Bereits auf den ersten Blick wird deutlich, dass die zweite Variante der Version entspricht, wie sie in der lateinischen Edition aus Solesmes abgedruckt wurde. 150 Die drei Ave Maria, welche mit den einzelnen Personen der Trinität verbunden werden und dabei bestimmte Attribute besetzen, sind in der Struktur identisch. Auch die inhaltlichen Attribute, welche sich auf die väterliche Allmacht, die Weisheit des Sohnes sowie die Süße des Heiligen Geistes beziehen, werden übernommen. Die grundlegende Differenz zwischen den beiden 156 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae 151 In der Parallelüberlieferung in Cod. III.1.8° 48 bleibt Mechthild anonym, stattdessen beginnt der Text lediglich mit Ein Junckfraw begert von der Junckfraw Maria (f.-113r). 152 Vgl. für die hierarchische Ordnung von der lesenden (lectio) zur betenden (oratio) und schließlich betrachtenden (meditatio) Gottesmutter Schreiner (1990), S.-330. 153 Zum pragmatischen Gebrauch von ›O‹ bei Christina von Hane vgl. Kirakosian (2017a), S.-63. 154 Was mit den restlichen 50 Ave Maria geschieht, bleibt unklar. 155 Für Ochsenbein (1988), S. 381, zählt ein solcher Text als ›privater‹ Text: »Gebete liturgischer Herkunft etwa sind meistens in der Wir-Form gestaltet, während der private Text das Ich des Betenden bevorzugt.« Versionen liegt in der Perspektive der Personenkonstellation. Während Mechthild 151 in der Edition und damit auch in der zweiten zitierten Version von der Gottesmutter darüber belehrt wird, wie sie die Gebete zu verrichten hat 152 und welche Bedeutung diese besitzen, so wird diese Grundkonstellation in der ›Gebetsfassung‹ vollkommen übergangen und die drei Ave Maria erscheinen direkt als Gebet, was durch die emphatische Struktur, beginnend mit der Invocatio O und endend mit Amen, deutlich wird. 153 Allerdings funktioniert diese Unterscheidung zwischen ›Gebetsfassung‹ und ›Erzähl‐ fassung‹ keineswegs dichotomisch. So wird in der Gebetsfassung für eine namenlose Schwester bzw. mit dieser gebetet. Diese Schwester könnte man einerseits wieder auf Mechthild als Autorität beziehen, welche ansonsten nicht erwähnt wird und daher als Relikt einer ›ursprünglichen‹ Version aufgefasst werden kann. Gegen eine solche Möglichkeit spricht der Befund, dass im Editionstext sowie in anderen Handschriften ein solcher Bezug nicht erscheint, somit die Schwester-Referenz als Zusatz aufgefasst werden muss. Will man den Bezug nicht kontextuell-pragmatisch auffassen, also hinsichtlich einer anderen Schwester im spezifischen Kontext der Handschriftenproduktion, so kann damit nur die performativ betende Schwester gemeint sein, welche im Vollzug der Lektüre das Gebet verrichtet und von der Gottesmutter Hilfe für die schwester, also sich selbst, erfleht. Ein solch reflexiver Bezug scheint auch in der ›Erzählfassung‹ noch durch, wenn die Güte für einen (männlichen! ) sunder erfleht wird. Somit bleibt der Wechsel zwischen ›Erzählfassung‹ und ›Gebetsfassung‹ fließend und kann je nach Perspektive durch den jeweiligen Leser aktualisiert werden. Auch geschlechtsspezifische Lektürepraktiken spielen hierbei eine Rolle. Inwieweit ein solches Changieren zwischen den beiden Versionen besteht, zeigt die Fassung der Augsburger Handschrift, Universitätsbibliothek, Cod. III.1.8° 50, in der direkt aufeinanderfolgend zuerst die ›Erzählfassung‹ und anschließend die ›Gebetsfassung‹ dargeboten werden, und zwar mit einer Überleitung: f. 114v: Welcher swester nit peszs weisz die mag die ii C aue Maria die einer S pet vmb ain seligs end also opffern als her noch geschriben stet zu dem erste l ave M sprich Neben der Tatsache, dass es sich hier um insgesamt 200 Ave Maria handelt und jedem der drei Abschnitte 50 zugeordnet werden, 154 ist der didaktische Impetus explizit: Sollte es eine Schwester nicht schaffen, die im vorangegangenen Textbestandteil angesprochenen Aspekte in ihre Gebete aufzunehmen, so steht ihr im Folgenden ein paradigmatischer Gebetsabschnitt zur Verfügung, der zum Mitlesen und gleichzeitig zum Nachbeten offen‐ steht. 155 Der Redaktor lenkt durch seine Überlieferung und durch das Umschreiben des gleichen Kapitels den Leseprozess der (in diesem Fall weiblichen) Rezipientin. Wie kaum an einer anderen Stelle zeigt sich hier die unterschiedliche Funktion, welche dasselbe 5.3 Der Augsburger Codex III.1.8° 31 157 156 Kann dies einerseits als durchaus normative Wirkung verstanden werden, so zeigt eine solche Umarbeitung auch die Umsetzung der Anforderung bestimmter Gebetbücher, vgl. Lentes (1996), S.-517. Zur Heilsarithmetik vgl. auch Eisermann / Mackert (2009), S.-69f. 157 Beide Versionen auch hintereinander in Nürnberg, Stadtbibliothek, Cod. Cent. VII, 51, f.-2r-5r. 158 Eine weitere Steigerung findet sich in Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Wonnenthal 15, f. 134v- 136v, in der die Einleitung sowie das Gebet selbst aus der Egoperspektive erfolgen. Die Fassung stellt somit eine dritte Möglichkeit im Umgang mit dem gleichen Kapitel dar. Eine radikale Kurzfassung bietet schließlich Zürich, Zentralbibliothek, Ms. C 96, f. 81r: Es sind ouch von vnser lieben frowen drú Aue maria geoffenbart die dem menschen ze helffe koment vnd sunderlich in des todes not der si alle tag sprichet. Das erste irem grossem gewalt den hette aller nechste nach gotte Das ander iren hohen wisheiten. Das dritte ir grossen minne die si vbertreffenlich hett vrre (sic! ) denn alle heiligen. Somit zeigen sich distinkte Versionen des Kapitels I, 47 in der Überlieferung. 159 Beebe (2014), S.-200f., bezieht die Zuschreibung allerdings auf den folgenden Textbestandteil. 160 Vgl. Schneider (1988), S.-528. 161 Vgl. hierzu besonders Beebe (2014), S.-61 und 194-203. 162 Wien, Schottenkloster, Cod. 413. Vgl. Beebe (2014), S.-196f. Kapitel aus dem Liber besitzen kann, einerseits als didaktische Gebetsunterweisung und andererseits als Gebet selbst. 156 In der Augsburger Handschrift folgen beide Versionen direkt aufeinander, ja werden sogar explizit miteinander verbunden. 157 Somit ergibt sich eine Liber-Lektüre, die nicht nur auf andere Textbestandteile Bezug nimmt oder durch Restrukturierungen neue Schwerpunkte setzt, sondern durch das Umschreiben des eigenen Textes neue performative Lektürepraktiken aus sich selbst hervorbringt. 158 Eine interessante Referenz besteht außerdem in der ›Gebetsversion‹ der Augsburger Handschrift Cod. III.1.8° 31, in der auf einen Lesemeister aus Ulm mit Namen Felix verwiesen wird (f.-94v). 159 Von Karin Schneider wurde die Vermutung geäußert, dass es sich um Felix Fabri handeln könnte. 160 Warum ausgerechnet der Dominikaner als Autorität für einen Liber-Textbestandteil auftritt, ist unklar, stellt aber keinen Einzelfall dar. Für die Medinger Schwestern spielte er aufgrund seiner Reformtätigkeit sowie als zeitweiliger Beichtvater eine bedeutende Rolle. 161 Wohl nicht zufällig wird sein Rombericht in einer weiteren von Susanna von Binzendorf verfassten und heute im Schottenkloster in Wien aufbewahrten Handschrift überliefert. 162 Das Auftreten Felix’ als Autorität, mag dieser Hinweis schriftlich oder mündlich erfolgt sein, weist jedoch auch darauf hin, dass der Liber-Text geschlechtsunabhängig rezipiert werden konnte und Fabri ihn sogar den Dominikanerinnen weiterempfahl. Gleichzeitig lässt sich auch eine weitere Zuspitzung der Abkopplung von Autorinstanz und Text beobachten. Weil Felix diesen Text für sich vereinnahmte und ihm selbst Autorität verlieh, erscheint Mechthild als überflüssige Reminiszenz, derer nicht mehr bedurft wurde. Folge‐ richtig wird der Text hier anonym überliefert. Felix substituiert somit nicht einfach nur die Hackebornerin, auch wenn er aufgrund der geographischen und zeitlichen Proximität eine größere Bekanntheit für das etwaige Rezipientenkollektiv in Medingen besaß, sondern er aktualisiert gleichzeitig den Text. Durch eine solche Reaktualisierung erscheint der Text nicht nur als überkommenes Relikt, vergleichbar mit den Kirchenvätertexten oder etwa Legenden, viel eher erhält er durch seinen performativen Vollzug eine gesteigerte Signifikanz. Dabei unterscheidet sich die Tradition von derjenigen anderer Texte, da im Zuge einer solchen Lektürepraxis ein Autoritätsbzw. Autorbezug zur Hackebornerin 158 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae 163 Vgl. Schneider (1988), S.-523. 164 Der rubrizierte Titel auf f. 66v: Das gepet haisset die Romfart. Vermutlich herrscht hier möglicherweise wieder ein Bezug zu Fabri vor, an dessen Texte die Medinger Nonnen ein großes Interesse besaßen, vgl. zu dieser Stelle Beebe (2014), S.-201. 165 Vgl. Schneider (1988), S.-525. überflüssig wird, was sich in einer zunehmend anonym überlieferten Rezeption in der Exzerptüberlieferung, gerade in den Gebet- und Andachtsbüchern, widerspiegelt. Der Umgang der Handschrift mit dem Liber-Exzerpt ist somit wiederum ein Zeugnis dafür, dass der Überlieferungskontext eine Wechselwirkung auf die individuelle Manifes‐ tation des mit Mechthild assoziierten Textes ausübt. Nur bei der Betrachtung einzelner Textzeugnisse in ihrem jeweiligen Rezeptionskontext lassen sich Aussagen über mentale Repräsentationen über den Text bzw. über die mit diesem assoziierte Person gewinnen. Es wird deutlich, dass der rein textgeschichtliche Blick auf den Liber bzw. die Exzerpte insuffizient erscheint, sondern stattdessen die einzelnen Textbestandteile stärker in ihrer Überlieferung betrachtet werden müssen. Somit verschmelzen Handschriftenproduktion und -rezeption und tradieren bzw. aktualisieren bestimmte Texte, wobei sich differierende Entwicklungsstränge aufzeigen lassen, welche sich in der individuellen Textgestalt wider‐ spiegeln. 5.3.3 Der Kontext des Liber in der Handschrift Die Verbindung zwischen dem ersten Liber-Exzerpt im Verbund des Mosaikerzähltexts sowie Psalm 30 stellt im Rahmen der Überlieferung nicht die einzige Verschränkung dar. So befindet sich zwischen dem Explicit des Abschnittes und damit vor Beginn des Psalms ein direkter Verweis auf einen weiteren Textbestandteil: Das gepet stat da fornen an dem buchlin vnd haiszt her Jhesu Christe jch pit dich durch den schmerczen (f. 53v). Diese Passage verweist, was bereits Schneider erkannte, auf ein Gebet in derselben Handschrift: 163 f. 67r: O lieber herr Jhesus Christus Jch pit dich durch den schmerczen vnd das we aller deiner wünden vnd durch deines aller hailigsten plůt vergissen vnd durch die krafft Deines aller hailigesten kosperlichen todes so erbarm dich über mein sell vnd über all gelaübig sellen Amen  164 Die umliegenden Gebete adressieren ebenfalls die Passion Christi und lassen sich daher thematisch auf Psalm 30 sowie den diesen einleitenden Passionsmosaiktraktat einschließ‐ lich des Liber-Exzerptes rückbeziehen. Hierdurch entfaltet sich das bereits thematisierte Netz unterschiedlicher Texteinheiten, die im Unterschied etwa zum Solothurner Gebetbuch nicht lediglich Gebete und Andachtstexte vereinen, sondern Liturgica wie Psalmen und Gebete mit lehrhaften Texten anreichern. Das Passionsgebet vor dem zitierten weist einen interessanten Sprecherbezug auf, da sich dort die Schreiberin, und damit eventuell auch Redaktorin, in der subjektiven Sprecherrolle zu erkennen gibt: Ich arme grosse sunderin S wirff heüt die groszhait aller meiner sünd […] (f. 66v). Bereits Schneider identifizierte die Ich-Sprecherin mit der Schreiberin Susanna von Binzendorf. 165 Diese Zuweisung ist bemerkenswert, da die Handschrift, bzw. zumindest der erste Teil, für die Äbtissin Barbara von Seldneck verfasst worden war. Warum sich die Schreiberin daher als Ich-Person exponiert, muss offenbleiben. Vielleicht benutzte 5.3 Der Augsburger Codex III.1.8° 31 159 166 Vgl. f.-4r, 63r-v, 66r-68v, 79v-85r, 103v-104v, 107v-108r. 167 Vgl. f.-17v-18r, 31r-34r, 36r-44r, 95r, 99v-101r, 101v-103v, 111v-115v. 168 Vgl. f.-19r-25v, 28v (eingebettet in Gebete an Erasmus), 76r-v (Io 1,1-14), 78v-79r (Lk 1,26-38). 169 Vgl. etwa f.-35r das Gebet an Vinzenz Ferrer (Dominikaner! ), 61v-62v. 170 Vgl. f.-70v-74v. 171 Vgl. Schneider (1988), S.-521. 172 Vgl. Montag (1978) sowie Lentes (1996), S.-536-539. 173 Vgl. auch Kap. 3 zu den Handschriften in der Basler Kartause, in denen der Abschnitt ebenfalls vorliegt. Susanna die Handschrift selbst, bevor diese in den Besitz der Äbtissin wechselte - oder sie bediente den Topos der sündhaften Schreiberin, ähnlich wie dies der lieblose Schreiber der Lichtenthaler Handschrift bereits tat. Noch deutlicher wird hierdurch der wechselhafte Charakter der Lektüre prononciert: Nicht nur der textimmanente Sprecher eines bestimmten Textes schimmert als Ich-Instanz hervor, wie dies etwa Mechthild (oder Gott) in einigen Liber-Passagen tut, auch der Redaktor bzw. der jeweilige Schreiber schreibt sich in den Text ein und kreiert auf Produktionswie auf Rezeptionsebene eine zusätzliche Reflexion. Durch diese Nivellierung wird auch der finale Rezipient, seien es nun die Äbtissin Barbara, weitere Medinger Schwestern oder schließlich auch die Zisterzienserinnen aus Kirchheim am Ries, in die Lektürepraxis einbezogen. Das ›Ich‹ ist nicht nur Mechthild oder Gott, es ist auch nicht Susanna, Barbara oder eine Zisterzienserin, es ist simultan sowohl eine einzelne, bestimmte oder unbestimmte Figur, als auch ein Rezipientenkollektiv. Diese Instabilität offenbart die unterschiedlichen Möglichkeiten der Lektüre des Liber im Verlauf der Überlieferung. Anstatt dem Kirchenjahr zu folgen, wie dies etwa die Gebete in der Solothurner Hand‐ schrift tun, ergibt sich zumindest für den ersten, in Medingen entstandenen, Faszikel der Handschrift eine thematische Orientierung. Neben den bereits angesprochenen Passionsbe‐ zügen 166 lassen sich vor allem mariologische Kurztexte, 167 Psalmen und andere Bibeltexte, 168 Heiligentexte 169 sowie Kommuniongebete 170 finden. Dass unter diesen der Liber nicht der einzige prominente Text ist, der funktionalisiert wurde, zeigen zwei andere bekannte Beispiele. So finden sich einerseits Exzerpte aus den Offenbarungen der Margareta Ebner (f. 30r-v) zum Vaterunser, wobei dort zahlreiche Umformungen zur Edition auszumachen sind, 171 andererseits aus dem gleichen Werk wiederum eine Stelle zu 12.412 Vaterunser und Ave Maria (f. 98v-99v) sowie eine dritte Stelle, die sich auf den Namen Jesu bezieht (f.-109v-111r). Ein zweiter bekannter Text stammt aus dem Büchlein der ewigen Weisheit Heinrich Seuses, bekannt als die 100 Betrachtungen (f. 46v-52v), welche sich als Exzerpte in zahlreichen Handschriften finden. Ebenfalls in der Handschrift werden auf f. 55r-61r die Fünfzehn Gebete zum Leiden Christi überliefert, die in zahlreichen Handschriften, 172 so auch hier, Birgitta von Schweden zugeschrieben werden. In diesen begegnet bisweilen am Ende ein kleiner Abschnitt aus dem Liber, freilich ohne als solcher ausgewiesen oder in irgendeiner Weise auf Mechthild rückbezogen zu werden. 173 Somit ist deutlich, dass der Blick auf den einzelnen Überlieferungsträger den Blick auf autorbezogene Texte verändert, sich andererseits aber auch die Texte aufgrund ihrer neuen Funktion verändern. In den meisten Fällen bleibt die Kopplung an eine Autorität erhalten, womit sie etwa an Texte der Kirchenväter angeglichen werden, wie die vorliegende 160 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae 174 Vgl. f.-227r-234v. Der Text ist ediert bei Strauch (1882), S.-161,8-166,30. Handschrift zeigt, in der sich auf f. 95r direkt im Anschluss an ein Mechthild-Exzerpt ein Gebet befindet, welches Bernhard von Clairvaux attribuiert wird. Hierdurch lassen sich diese Phänomene nicht unbedingt auf die Textsorte ›Mystik‹ oder gar spezifisch ›frauenmystische‹ Texte reduzieren. Umgekehrt scheint jedoch gerade für ›frauenmystische‹ Texte und insbesondere den Liber der Aufbau der einzelnen Kapitel des Liber ein Grund für die Rezeption in neuen Kon‐ texten zu sein. Die verschiedenen liturgischen Bezüge ermöglichen sowohl aus liturgischer als auch aus thematischer Hinsicht Anschlussmöglichkeiten für zahlreiche Kontexte. Die Kapitelstruktur selbst erlaubt eine Beibehaltung der Rahmenhandlung und Verwendung als Visionsliteratur, aber auch eine Herauslösung einzelner Abschnitte aus überkommenen Strukturen und Einbettungen in neue Sinnzusammenhänge. Dass für die Augsburger Handschrift nicht nur im Medinger Umfeld ein Rezeptionspotenzial vorhanden war, zeigt sich auch in der Folge, als die Handschrift in Kirchheimer Besitz überging. Durch das Hinzufügen weiterer Faszikel, welche sich thematisch in die bereits vorhandenen Texte einfügen, etwa mit dem Vaterunser aus den Offenbarungen der Margareta Ebner 174 (f. 227r- 234v) oder weiteren Passionsgebeten (vgl. etwa f. 241v-242v, 245r-248v oder 279r-280r), kann eine andauernde Auseinandersetzung mit dem Liber beobachtet werden. Somit zeigt sich, dass die Handschrift weiterhin verwendet wurde, also durchaus noch im funktionellen Gebrauch war. Dieser Vorgang eröffnete dem Liber die Möglichkeit, auch in den folgenden Jahrhunderten gelesen zu werden und hierdurch zu ›überleben‹. 5.4 Zwischenfazit der Einzelanalysen Der Liber specialis gratiae wurde insbesondere in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhun‐ derts sowie zu Beginn des 16. Jahrhunderts breit rezipiert. Gerade die Abwendung von der textgeschichtlichen Perspektive hin zur Betrachtung der Rezeption des einzelnen Überlieferungsträgers offenbart die unterschiedlichen Funktionalisierungen, unter denen der Liber rezipiert wurde. In dieser grundsätzlichen Multifunktionalität, welche sich in unterschiedlichen Restrukturierungen und Reaktualisierungen niederschlägt, scheint die Attraktivität des Textes gelegen zu haben. Verschiedene Redaktoren konnten sich so an ihm bedienen und ihn innerhalb ihrer eigenen Textmanifestationen formen. Dass dabei gleichzeitig ein anderer Umgang mit Mechthild als Autorität erfolgte, welcher bereits in der grundsätzlichen Stellung im Text polyvalent ist, kann ebenfalls beobachtet werden. Dies lässt sich an verändernden Restrukturierungen, zum Beispiel dem Umgang mit Mechthild als schreibendem und / oder erlebendem Subjekt bzw. Objekt festmachen, was sich bei Refunktionalisierungen, etwa durch das Hereinholen des Rezipienten im performativen Vollzug der Lektüre, nachhaltig verändert. Durch diese, in anderen Texten weniger ausgeprägte, Offenheit zeigt sich die Vielfalt der verschiedenen Textgestalten, in denen der Liber fortwirkte und sich zum Spiegelbild geistlicher Lektüre und Lektürepraxis im Spätmittelalter entwickelte. 5.4 Zwischenfazit der Einzelanalysen 161 Gleichzeitig bleibt das Medium der Handschrift nicht ausschließlich, aber zumindest größtenteils im monastischen Kontext verankert, in welchem sich die meisten Überlie‐ ferungsträger verorten lassen. Eine einschneidende Veränderung sollte erst mit einer potentiellen Lektüre durch ein Laienpublikum erfolgen, für welches eine neue Refunkti‐ onalisierung des mechthildschen Textes erforderlich wurde. Der mediale Wechsel und der Übergang von der Handschrift zum Druck stellte neue Anforderungen, welche aber gleichzeitig Chancen für neue Lektürepraktiken des Liber boten. 162 5 Mechthild lesen - Rezeptionsvarianten des Liber specialis gratiae 1 Unbestritten bleibt, dass auch der Druck mehrere einzelne Überlieferungsträger besitzt. Verwendet wurde im Folgenden das Exemplar aus dem Birgittenkloster Altomünster, das sich heute in der Bayerischen Staatsbibliothek München befindet, Signatur: 4 P. lat. 885 d (VD16 M 1786). Die Provenienz kann durch einen Besitzeintrag auf dem Titelblatt (»Coenobium Altomünster 1578«) erschlossen werden. Aufgrund des gewählten Untersuchungsschwerpunktes in diesem Kapitel wird auf weitere Analysen der einzelnen Überlieferungsträger verzichtet (etwa Annotationen und weitere Benutzungsspuren); im Vordergrund steht stattdessen die Druckversion (im Folgenden: ›der Druck‹) als textuelle Manifestation. 2 Vernachlässigt wird an dieser Stelle, dass bereits 1490 einzelne lateinische Gebete (V, 6; I, 19) bei Grüninger in Straßburg in einem Andachtsbuch abgedruckt wurden, vgl. Schwalbe / Zieger (2014), S.-31 bzw. 175, Anm.-36. 3 So bereits Hubrath (2002), S. 284, über den erneuten Druck, »der stellenweise einen anderen lateinischen Grundtext erkennen läßt als der Druck von 1503«. 4 Vgl. hierzu Zieger (1974), S. 223, der nachweist, dass der Druck von 1508 gegen den Vorgängerdruck von 1503 Übereinstimmungen mit den beiden oberdeutschen Handschriften besitzt. 5 Dies gilt gerade für die Klosterbibliothek Helftas selbst. Vgl. für mitteldeutsche Handschriften etwa Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 560 (geschrieben 1505), vgl. dazu Degering (1932), S. 186-188, oder als Handschrift aus dem Ostmitteldeutschen, jedoch mit einem lateinischem Liber-Abschnitt Würzburg, Universitätsbibliothek, M. ch. q. 170, vgl. Thurn (1990), S. 173f. Die lateinische frühe Handschrift Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms 671, stammt ebenfalls aus Ostmitteldeutschland (Zisterze Altzelle). Für die besondere Stellung der Kartause Erfurt und die dortige Rezeption der Helftaer Schriften vgl. Nemes (2022). 6 Dass diese Grenzen im Zuge der Überlieferung wieder verschwimmen, zeigt das Exemplar aus Alto‐ münster, welches im monastischen Kontext rezipiert wurde. Dass umgekehrt auch Handschriften in 6 Mechthild für Laien gedruckt - die Leipziger Ausgabe (1508) Der Leipziger Druck aus dem Jahr 1508 unterscheidet sich hinsichtlich zahlreicher Aspekte von den bisher betrachteten Überlieferungsträgern, nicht zuletzt aufgrund der Materialität. 1 Der Produktionskontext verdeutlicht diese Differenz auf besondere Weise, da in Leipzig in‐ nerhalb von sieben Jahren drei Textversionen entstanden: zwei volkssprachliche Drucke in den Jahren 1503 und 1508 sowie eine lateinische Ausgabe im Jahr 1510. 2 Der mittlere Druck ist aufgrund seiner sich von seinem Vorgänger stark unterscheidenden Struktur für eine eingehende Analyse geeignet. Auch sprachlich weist dieser leichte Unterschiede zu seinem Vorgängerdruck aus dem Jahr 1503 auf. 3 Es dominiert zwar ebenfalls das Mitteldeutsche, auch wenn die Vorlage des Druckes von 1503 wohl aus dem Niederdeutschen stammte. Allerdings lässt sich auch ein Einfluss der oberdeutschen Tradition, vermutlich aus der Nähe der Karlsruher und der Colmarer Handschrift, nachweisen. 4 Dieser sprachliche Einfluss zeigt, dass Sprachgrenzen die Zirkulation der Handschriften nicht behinderten und die Begrenzung auf einen bestimmten Sprachraum durchaus fluide gesehen werden muss - was im Übrigen auch für die lateinischen Handschriften gilt. Zweitens zeigt die Konzentration in Leipzig, dass in Mitteldeutschland eine gesteigerte Nachfrage am Liber bestand, auch wenn sich im Vergleich zum niedersowie oberdeutschen Sprachraum weniger Handschriften aus diesem Gebiet erhalten haben, was wohl durch überlieferungs‐ geschichtliche Kontexte zu erklären ist. 5 Explizit kann mit den Drucken überdies ein Laienpublikum als Adressat ausgemacht werden, wobei sich hierbei ein Unterschied zwischen handschriftlicher Überlieferung und Druckproduktion ergibt. 6 Bevor sich jedoch Privatbesitz waren, konnte anhand des Privatgebetbuchs der Margret Zschampi in Basel aufgezeigt werden. 7 Vgl. Döring (2012), S. 4. Zum Kontext der städtischen Entwicklung des mitteldeutschen Raumes und bes. Leipzig vgl. Fasbender (2017), bes. S.-12-17. 8 Vgl. zu den einzelnen Druckereien (Kachelofen-Lotter, Landsberg, Stöckel, Thanner sowie Schu‐ mann) und deren Produktionen Döring (2006), S.-87-90. 9 Vgl. Döring (2012), S.-6. 10 Vgl. Volz (1956). 11 Vgl. für die Entwicklung des Breviers im 16. Jahrhunderts im Medium Druck Häussling (1997), S. 216f. 12 Vgl. Döring (2006), S.-94. 13 Vgl. Otto (2003), S.-29-34. der Gesamtstruktur bzw. dem kompilatorischen Verfahren des Arrangeurs gewidmet wird, soll erst auf den Produktionsort Leipzig und auf die mit dem Druck im Zusammenhang stehenden Funktionsträger eingegangen werden. Im Anschluss erfolgt unter Perspektivie‐ rung auf einzelne Teilaspekte die Begutachtung inhaltlicher Sinnverschiebungen, welche durch die vorgenommenen redaktionellen Verfahrensweisen transportiert werden. 6.1 Der Kontext des Druckes - Ort und Personen Warum die aufblühende Universitäts- und Handelsstadt Leipzig erst in den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts zu einem Ort mit gesteigerter Produktion von (Früh-)Drucken wurde, ist bisher ungeklärt. 7 Erst in der Dekade vor der Jahrhundertwende etablierten sich vier große Druckereien, die 1514 um eine fünfte ergänzt wurden. 8 Von diesen Offizinen stellt diejenige des Konrad Kachelofen, die um 1500 von dessen Schwiegersohn Melchior Lotter dem Älteren übernommen wurde, die älteste und auch die produktionsreichste dar, war sie doch im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts in der Lage, gegenüber der Konkurrenz beinahe doppelt so viele Druckseiten herzustellen. 9 Im Gegensatz zu den anderen Druckereien, die hauptsächlich für die Universität produzierten und sich vor allem auf Lehrbücher und die Werke antiker und humanistischer Autoren konzentrierten, besaß die kachelofen-lottersche Werkstatt einen Schwerpunkt in der Herstellung von litur‐ gischen Büchern sowie geistlichem Schrifttum, gerade auch im volkssprachlichen Bereich. 10 Zahlreiche Missale-Drucke, aber auch Breviere 11 und Psalterausgaben für verschiedene Diözesen sind für Lotters Offizin belegt und zeigen, dass die Werkstatt mit den großen Druckereien Süddeutschlands, etwa in Augsburg und Nürnberg, mithalten konnte. 12 Bereits 1498 hatte Kachelofen eine Sammlung der Predigten des Johannes Tauler heraus‐ gegeben, welche noch vor den Drucken aus Augsburg, Basel und Köln die erste gedruckte Kompilation der Predigten des Dominikaners darstellte. 13 Auch nach der Übernahme durch Lotter nahmen bis zur Reformation volkssprachliche mystische Schriften einen hohen Prozentanteil der gedruckten Werke ein. Lotters gleichnamiger Sohn sorgte durch die Herausgabe der Luther-Übersetzung des Neuen Testaments dafür, dass auch in den nachfolgenden Jahren entscheidende Impulse in der Geschichte des Druckes von der Offizin ausgingen. Als Beispiel für die Herausgabe eines dieser frömmigkeitsgeschichtlichen Werke kann der Liber-Druck aus dem Jahr 1503 gelten, in dessen Einleitung die Entstehungsge‐ schichte des Werkes geschildert wird. So fungierte der aus dem Paulskloster stammende 164 6 Mechthild für Laien gedruckt - die Leipziger Ausgabe (1508) 14 Vgl. zur Biographie zusammenfassend Honemann (2017). 15 Vgl. Döring (2006), S. 95, und Honemann (2017), S. 138f. Die Handschrift, die die beiden studierten, ist nicht näher bekannt. Es handelte sich aber wohl um eine Handschrift der ›Langfassung‹ mit allen sieben Büchern, was die Vermutung nahelegt, dass eine lateinische Handschrift im Umfeld von Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms 671, benutzt wurde, da enge Verbindungen zwischen dem Codex und dem ersten Druck aufgezeigt werden können, vgl. dazu Zieger (1974), S. 226-232. Vgl. auch Liber (1503), f.-i r : auch mir das aus latein in ein gar formlich vnd meisterlich deutzsch durch treffliche prelaten, der Namen nicht not czu nennen bracht furtragen lasszen. Benutzt wurde das Exemplar Rar. 1676 (VD16 M 1784) der Staatsbibliothek München. 16 Liber (1503). Da die alte Blattzählung - auch im Fall des Liber (1508) - beibehalten wird, erfolgt eine Hochstellung der Rectobzw. Versoangaben bei den Drucken, um Missverständnissen um das ›v‹ vorzubeugen. 17 Vgl. Döring (2006), S. 96. Zieger (1974), S. 232, hatte fälschlich noch angenommen, die lateinische Ausgabe sei ebenfalls von Lotter herausgebracht worden. Newman (2017), S.-27, bezeichnet irriger‐ weise den Druck von 1510 als editio princeps. Hingegen wird der Druck von 1503 als Gebetbuch bezeichnet, S. 253, Anm. 59 (mit dem Druckernamen »Melchior«). Die Bezeichnung der Ausgabe von 1510 als Erstdruck findet sich auch bei Jahn (2011), Sp. 966. Überdies weist Jahns Artikel eine starke biographische Lesart des Liber auf, außerdem wird eine deutschsprachige Fassung als ursprünglich angenommen. 18 Vgl. Döring (2006), S. 96. Wahrscheinlich ist hierunter auch eine Übersetzung der Vita der Katharina von Siena zu zählen, vgl. Williams-Krapp (2012), S.-275. 19 Vgl. Honemann (2017). Dominikaner Marcus von Weida 14 als Herausgeber, der nach einem Empfang bei der Herzoginmutter Sidonie von ihr gebeten wurde, das Werk drucken zu lassen. 15 Daraufhin berichtet der Dominikaner, wie er sich auf die Suche nach einem Drucker begeben hatte: f.-i r : hab dor auff eynen guten meister der drucker kunst mit hocher flehe vnd bethe do hin vormocht das er solch werck angefangen. Vnnd als er mir gesagt, gedenckt er an dyszer Materien nicht grossen nucz des geldes czu suchen Sonder er will dorinne got czu lobe ewern f. g. czu gefallen vff mein bethe Auch vor sein person gerne eynen cleynen schaden leyden Andere materie, doran er etwas reddelichs haben mochte, ligen vnd ditz fertigen lasszen.  16 Insofern passte das Werk in das liturgisch-geistliche Profil der Werkstatt Lotters, der - wohl aufgrund des Erfolges - fünf Jahre später eine weitere Ausgabe, jedoch nach deutlicher Überarbeitung, herausgab. Im Jahr 1510 publizierte schließlich Lotters Konkurrent Jacob Thanner eine lateinische Ausgabe des Liber, wohl um ebenfalls an dem Erfolg des Werkes zu partizipieren. 17 Insbesondere die Entstehungsgeschichte des Erstdruckes zeigt durch den Auftrag der Herzoginmutter, dass die Druckausgabe im Gegensatz zu den meisten Handschriften auch für ein Laienpublikum gedacht war. Die Zusammenarbeit zwischen Melchior Lotter und Marcus von Weida erstreckte sich fast über ein ganzes Jahrzehnt bis zum Todesjahr der Herzoginmutter Sidonie im Jahr 1510, sodass diese als treibende Kraft hinter der Veröffentlichung zahlreicher Werke, die von einer Nützlichen lere zu beten (1502) über den Legatus Gertruds in der Form des Botten (1505) bis hin zu Pseudo-Bonaventuras Spiegel der Zucht (1510) reichten, gesehen werden muss. 18 Der Dominikaner kann daher als Bindeglied zwischen laikal-herrschaftlichem Patronat mit spirituellem Interesse an geistlichen Texten auf der einen Seite sowie dem Drucker auf der anderen Seite ausgemacht werden. 19 Er dürfte wohl die Verantwortung für die Beschaffung einer Druckvorlage bzw. der Übersetzung (die die genannten Prälaten bereits beschafft 6.1 Der Kontext des Druckes - Ort und Personen 165 20 Vgl. Lee (1985), Sp. 1237. 21 Vgl. ebd., Sp. 1233. 22 Vgl. Zieger (1974), S.-227f. 23 Vgl. für das Folgende Zieger (1974), S.-226-240, für den Druck von 1508 bes. S.-233-241. 24 Allerdings strukturiert der Druck die Kapitel ebenfalls in fünf Büchern, vgl. das Inhaltsverzeichnis am Ende des Druckes. Das fünfte Buch des Druckes enthält die Bücher V, VI und VII der Edition unter Fortzählung der einzelnen Kapitel. 25 Vgl. ebd., S.-228-232. Zustimmend dazu Hellgardt (2014), S.-140. 26 Vgl. Hubrath (2002), S. 284, mit Beispielen. Ihr Fazit, welches sich gegen Ziegers Arbeitsweise lesen lässt, lautet: »Eine vertikale Überlieferungsstruktur zwischen den Handschriften und Drucken bildet eher die Ausnahme, da viele Schreiber ihren Text unter Zuhilfenahme zumindest zweier Handschriften angefertigt haben müssen, wobei bspw. die niederländischen Vorlagen nochmals anhand einer lateinischen Handschrift korrigiert und überarbeitet wurden.« hatten oder erst anfertigten? ) getragen haben. 20 Dabei kam ihm vermutlich seine Popularität sowohl bei der Bevölkerung als auch im Adel zugute. Letzteres belegt vor allem seine Beauftragung durch den Fürsten in bedeutsamen Angelegenheiten. 21 Darüber, dass Marcus tatsächlich überhaupt keine Kenntnis von der breiten Überlieferung im deutsch-niederlän‐ dischen Sprachraum besaß, wie Zieger annahm, lässt sich nur spekulieren, was auch für seine Beweggründe gilt, sich des Textes anzunehmen. 22 Somit konnte der Erstdruck 1503 nur in einem Zusammenspiel zwischen literarischer Kenntnis und den Beziehungen für die Akquisition einer geeigneten Vorlage durch Marcus von Weida, dem fürstlichen Patronat - wohl entgegen der Druckeraussage mit einhergehendem Druckkostenzuschuss - durch die Herzoginmutter sowie den praktischen Fähigkeiten Melchior Lotters erfolgen. Nur fünf Jahre später brachte das Trio eine weitere Ausgabe auf den Markt, die sich jedoch deutlich von ihrem Vorgängerdruck unterschied. 6.2 Struktur und Gliederung des Druckes Bevor auf den Aufbau und die Struktur des Druckes eingegangen wird, erfolgt eine kurze textgeschichtliche Einbettung, die den Zusammenhang zwischen der oberdeutschen Tradition und dem Druck erörtert. Bereits Zieger hatte sich mit den textgeschichtlichen Zusammenhängen beschäftigt, sodass dessen Ergebnisse hier noch einmal aufgegriffen werden können. 23 Zu den Besonderheiten des Leipziger Druckes von 1503 gehört, dass dieser gerade nicht eine gekürzte Fassung bietet, sondern eine ›Langfassung‹, welche alle sieben Bücher umfasst. 24 Im Unterschied zu der älteren volkssprachlichen handschrift‐ lichen Überlieferung vor allem im niederdeutschen Bereich kann der jüngere Druck auf einer textgeschichtlich älteren Stufe verortet werden. Dass der Erstdruck jedoch nicht als Übersetzung aus einer lateinischen Handschrift, sondern als Übernahme aus dem Niederländischen unter Hinzuziehung einer lateinischen Handschrift gesehen werden muss, weist Zieger anhand einiger Beispiele nach. 25 Bereits für den Druck von 1503 waren also sowohl eine volkssprachliche als auch eine lateinische Handschrift benutzt worden. 26 Wenig verwunderlich ist die Tatsache, dass der Druck von 1508 trotz seiner radikalen Umstellung und Restrukturierung textgeschichtlich eng mit seinem Vorgängerdruck ver‐ bunden werden kann - offensichtlich wurde mit dem gleichen Text gearbeitet, was 166 6 Mechthild für Laien gedruckt - die Leipziger Ausgabe (1508) 27 Vgl. Zieger (1974), S.-239. 28 Vgl. für Beispiele ebd., S. 239. Selbstverständlich sind diese Zusammenhänge für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit nicht zentral, weswegen auf eine ausführliche Überprüfung der (bisweilen zweifelhaften) Behauptungen Ziegers verzichtet wurde. Diese vermag erst eine vollständige textge‐ schichtliche Untersuchung auf breiterem Material zu leisten. Zieger (1974), S. 241, bezeichnete den genauen Zusammenhang der textgeschichtlichen Beziehungen der Fassung, der auch die beiden Drucke angehören, entlarvend als »nicht klar«. 29 Die Verwendung von Kapiteln und Artikeln begegnete, wenn auch nicht auf ähnlich radikale Weise, bereits in den lateinischen Handschriften der Kartause Basel. Die Edition von 1877 verzichtet bekanntermaßen auf die Artikel-Einteilung. 30 Bereits Zieger (1973), S. 63f., versuchte sich an einer Bestimmung der einzelnen Kapitel. In zahlrei‐ chen Fällen gelang ihm dies, allerdings blieben einige Leerstellen. Zudem beinhaltet seine Auflistung zahlreiche, teils inhaltlich falsche, teils typographische, Fehler, weswegen eine erneute Auflistung nach Überprüfung der einzelnen Abschnitte erforderlich ist. Wie später aufgezeigt wird, sind allerdings aufgrund der Methode des Redaktors einige Abschnittsidentifikationen zweifelhaft bzw. unsicher. Die Unterschiede zu Zieger sind fettgedruckt. sich teilweise an deckungsgleichen Abschnitten (etwa IV, 53 oder dem jeweils ersten Teil von IV, 38 und I, 7) belegen lässt. 27 Allerdings wurde der Text nicht einfach nur übernommen, sondern vermutlich sowohl mit einem anderen lateinischen Textzeugen (oftmals genauerer Wortlaut als der Vorgängerdruck), als auch mit einem oberdeutschen Textzeugen abgeglichen. Dieser Vorgang lässt sich daran festmachen, dass der Druck von 1508 im Vergleich zu seinem Vorgängerdruck in einigen Fällen divergiert, dabei aber mit den Handschriften aus Lichtenthal (Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 67) sowie Colmar (Colmar, Stadtbibliothek, Ms. 334) übereinstimmt. 28 Somit erklärt sich der Einfluss der oberdeutschen Überlieferung auf den Druck, auch wenn sprachlich selbstverständlich das Mitteldeutsche überwiegt. Neben der funktionellen Divergenz und dem kulturellen Rezeptionskontext, die an sich bereits eine Beschäftigung mit dem Druck rechtfertigen, lässt sich daher auch ein sprachlicher Faktor extrahieren, der die Bedeutung des Druckes für vorliegende Arbeit markiert. Im Folgenden werden die Struktur und der Aufbau des Druckes (vgl. Abb. 7) ins Zentrum gestellt. Im Unterschied zu ihrem Vorgängerdruck ist die Ausgabe von 1508 radikal gekürzt. Der Text wurde von 166 Blättern auf 51 Blätter reduziert, wobei das Register signifikante Unterschiede aufweist. Folgte der Druck von 1503 in den meisten Fällen der ›Langfassung‹ der lateinischen und volkssprachlichen Handschriften, so wählt der spätere Druck ein dezidiert anderes Gliederungsverfahren. Anstatt der bisherigen sieben Bücher, die bereits im Druck von 1503 in fünf Büchern präsentiert wurden, erfolgt eine Unterteilung in zwölf Kapitel, die teilweise wiederum in einzelne Artikel aufgefächert werden. 29 Erstellt man eine Konkordanz-Liste zwischen den Kapiteln des Druckes und der lateinischen Edition, so zeigt sich deutlich die erfolgte Restrukturierung bzw. die Neustrukturierung bekannter Kapitel: 30 Prolog 1. Kapitel: IV, 30 - III, 17 2. Kapitel: III, 29 - 1. Artikel: III, 30 - 2. Artikel: III, 31 - 3. Artikel: III, 32 - I, 43 6.2 Struktur und Gliederung des Druckes 167 31 Die Einleitung ist vermutlich nur redaktioneller Art, also ohne direkten Liber-Bezug. 3. Kapitel: III, 19 - III, 18 - III, 16 - III, 19 - III, 30 - I, 21 - I, 23 - I, 11 - III, 17 - IV, 29 - I, 19c - I, 5d - III, 19 - I, 5d; 4. Kapitel: I, 5c - III, 21 - 1. Artikel: III, 24 - III, 23a - 2. Artikel: III, 25 - 3. Artikel: I, 43 - 4. Artikel: III, 26 - I, 8 - IV, 2 - II, 40 - 5. Artikel: I, 26c - II, 14 - I, 14 5. Kapitel: 31 - 1. Artikel: III, 3 - III, 4 - 2. Artikel: I, 5b - I, 8 - III, 33 - 3. Artikel: I, 7 - I, 16 - III, 23a - IV, 59b - I, 17 - I, 18e - 4. Artikel: I, 16a - I, 18a - 5. Artikel: II, 17 - 6. Artikel: III, 1 - 7. Artikel: III, 2 - I, 1a - 8. Artikel: IV, 37 - II, 1 - 9. Artikel: I, 18c - IV, 56 - V, 6 - I, 18d - IV, 56 - 10. Artikel: I, 19d - 11. Artikel: III, 5 - 12. Artikel: I, 42 - I, 44 - I, 47 - I, 26b - 13. Artikel: IV, 29 (? ) - 14. Artikel: V, 28 - IV, 53 - 15. Artikel: V, 18b - V, 19 - 16. Artikel: III, 20 - II, 41 - IV, 23 6. Kapitel: III, 16 - IV, 18 - V, 15 - I, 35 - 1. Artikel: VI, 9 - 2. Artikel: II, 34 7. Kapitel: I, 9a - 1. Artikel: I, 16b - IV, 60- - 2. Artikel: III, 35 - 3. Artikel: III, 35 8. Kapitel: III, 49 - IV, 21 - 1. Artikel: II, 22 - 2. Artikel: IV, 59b (mit Augustinus-Zitat) - III, 43 - II, 21 - III, 43 - 3. Artikel: III, 44 - 4. Artikel: IV, 59c - 5. Artikel: III, 8 - I, 18 - 6. Artikel: III, 27 - 7. Artikel: II, 41 - 8. Artikel: III, 10 - II, 18 (? ) - 9. Artikel: I, 7 168 6 Mechthild für Laien gedruckt - die Leipziger Ausgabe (1508) 9. Kapitel: IV, 59c -V, 29 - 1. Artikel: IV, 38 - 2. Artikel: IV, 37 - 3. Artikel: III, 7 - I, 20c - 4. Artikel: IV, 55 - IV, 58 - 5. Artikel: I, 30 (? ) - 6. Artikel: IV, 59 (? ) - 7. Artikel: III, 34 10. Kapitel: I, 5c - IV, 28 - III, 14 - 1. Artikel: III, 14 - IV, 33 - III, 41 - IV, 33 - III, 10 - III, 13 - III, 41 - III, 14 - III, 13 - IV, 7- - 2. Artikel: III, 14 - III, 27 11. Kapitel: III, 18 - 1. Artikel: I, 31a - 2. Artikel: V, 3 - V, 5 - 3. Artikel: I, 47 (? ) - I, 29 - 4. Artikel: I, 31 - 5. Artikel: IV, 29 - III, 5 - 6. Artikel: III, 26 - 7. Artikel: I, 20 - I, 30 - II, 15 - 8. Artikel: II, 15 - II, 41 - IV, 23 - I, 46- 12. Kapitel: - - 1. Artikel: II, 36 - 2. Artikel: II, 36 - II, 41 - 3. Artikel: II, 36 - 4. Artikel: III, 36 - 5. Artikel: IV, 24- - 6. Artikel: IV, 25 - 7. Artikel: IV, 26 - 8. Artikel: ? - 9. Artikel: III, 16 - 10. Artikel: IV, 32 - 11. Artikel: IV, 30 - 12. Artikel: II, 31 - II, 32 - 13. Artikel: I, 18c - IV, 51- - 14. Artikel: IV, 52- - 15. Artikel: II, 29 - 16. Artikel: IV, 58 - 17. Artikel: II, 25 - 18. Artikel: IV, 59 - 19. Artikel: IV, 59 - IV, 40 - 20. Artikel: II, 39- 6.2 Struktur und Gliederung des Druckes 169 Abb. 7: Der Liber im Leipziger Druck aus dem Jahr 1508 (München, Bayerische Staatsbibliothek, 4 P. lat. 885 d, f. ii r ) Das Ergebnis der Restrukturierung bzw. der redaktionellen Umarbeitung bietet den Text in zwölf Kapiteln, die den Rezipienten aufgrund derselben Zahl der Apostel in die Sukzession Christi einbinden. Gleichzeitig entspricht die Kapitelanzahl den Nummern der Regeln des Franziskanerordens, wobei ein Beteiligter aus diesem Orden in der Einleitung erwähnt wird. Während die Basler Handschrift A IX 3 ebenfalls Artikel nutzt, aber größtenteils der bekannten Ordnung folgt und mit einem zusätzlichen Register lediglich alternative Lektürevorschläge offeriert für den Fall, dass ein Rezipient an einer thematischen Lesart 170 6 Mechthild für Laien gedruckt - die Leipziger Ausgabe (1508) 32 Hubrath (2002), S.-185. interessiert ist, so dreht der Druck das Verhältnis geradezu um: Die Struktur wird durch den Inhalt bedingt. In jedem der einzelnen Kapitel werden thematische Schwerpunkte gesetzt: Das erste Kapitel handelt von der richtigen Art, Gottes Herz zu loben und ihm mit dem gesamten Körper zu dienen, das zweite vom richtigen Gebet, vor allem den Stundengebeten, das dritte von der richtigen Art und Weise, der Messe beizuwohnen. Weitere Kapitel behandeln den Empfang der Eucharistie (Kapitel 4), das Bewahren vor Sünde (Kapitel 7) oder den Umgang mit Krankheit und Gebrechlichkeit (Kapitel 11). Die Anzahl der zugeordneten Artikel variiert: Während das erste Kapitel noch ohne subordinierte Artikel auskommt und das sechste Kapitel (über den Fleiß und die Mühen des Menschen) lediglich zwei Artikel beinhaltet, so werden dem fünften Kapitel (über das richtige Lob Gottes) 16 Artikel untergeordnet, woran sich bereits die Schwerpunktsetzung des Gesamtdruckes ablesen lässt und Hubrath den Druck daher als »Handbuch für den Alltagsgebrauch« 32 bezeichnete. Vergleicht man die Schwerpunktsetzung mit der quantitativen Zusammenstellung der Kapitel in der lateinischen Vollversion, so können signifikante Verschiebungen beobachtet werden: Während Buch I in der ›Langfassung‹ mehr als ein Drittel des gesamten Textcorpus ausmacht, so lässt sich bei einem Überblick über den Druck eine Dominanz des dritten Buches feststellen, welches die überwiegende Anzahl an Kapiteln bereitstellt. Der Grund dafür ist offensichtlich - während das erste Buch der Ordnung des Kirchenjahres folgt, so setzt das dritte Buch thematische Schwerpunkte, wobei diese teilweise mit den vom Druck gesetzten Themenbereichen übereinstimmen. Daher verwundert es nicht, wenn einige Kapitelverbünde ihre Ordnung sogar behalten, etwa im achten Kapitel sich die Artikel 2 und 3 unter anderem aus Abschnitten von III, 43 und III, 44 zusammensetzen. In seltenen Fällen, wie etwa im 2. und 3. Artikel des 7. Kapitels, wird ein Kapitel in zwei Abschnitte unterteilt und gegliedert (hier III, 35). Ansonsten finden sich Textabschnitte aus verschiedenen Büchern miteinander gekoppelt, auseinandergerissen und intratextuell verbunden. Kaum ein Kapitel wird dabei in der Gestalt überliefert, wie es die Solesmenser Edition bietet. Viel eher erzeugt der Redaktor neue Kapitel, die sich aus unterschiedlichen Abschnitten zusammensetzen - exemplarisch sei hier der 16. Artikel des fünften Kapitels genannt, welcher sich aus den Einheiten III, 20 - II, 41 - IV, 23 ergibt. Teilweise finden sich nur einzelne Abschnitte aus anderem Zusammenhang inseriert, etwa im neunten Artikel desselben Kapitels: In diesem werden die Abschnitte I, 18c und d mit dem Abschnitt IV, 56 verbunden, wobei letzterer ebenfalls aufgespalten wird. Zudem begegnet ein Exzerpt aus V, 6 in dem Artikel. Ein extremes Beispiel intratextueller Restrukturierung offenbart der erste Artikel des zehnten Kapitels, welches exemplarisch ›auseinandergenommen‹ werden soll, wobei der Schwerpunkt weniger auf den inhaltlichen Verschiebungen, sondern auf den strukturellen Verknüpfungen liegt und eine Analyse der formalen Verfahren im Vordergrund steht. f.-xxxix v : Der erste artickel. [III, 14] SOndern als die selige Mechtildis von got fragte, wie solchs gescheen solle ader moge, Antwort der her. Der mensche sal alle seine begyrde, seine meinunge vnd gebete opffern got dem vater in der 6.2 Struktur und Gliederung des Druckes 171 33 Zieger (1974), S.-64, konnte das aus IV, 7 stammende Exzerpt nicht identifizieren, ebenso bestanden für ihn Schwierigkeiten bei den vorigen Unterabschnitten. 34 Vgl. zum Beispiel für einen ansonsten nicht in dieser Intensität auftretenden Marker Und an einem anderen ortte (f.-xxxix v ). voreinunge meiner begirden vnd meines gebetes. Und sal thun alle seine erbeyt vnd alle seine werck in der voreinunge meiner wercke vnd meiner erbeyt. Er sal auch al sein leben, Nemlich alle seine bewegunge, kreffte, sinne, gedancken, wort vnd alle seine werck ordenen noch der weisze meins lebens vnd sich mir in togenden vorgleichen. [IV, 33] Also nemlich die weile ich demutig vnd gehorsam gewest bin, sal er sich fleissigen czu vnderwerffen aller crea (xl r ) ture. Und so es die not erfordert auch bis in den todt gehorsam sein. [III, 41] Dan welcher mensche solche meinunge seine gutten werck thun wirdt, das er bei sich gedenckt dein got ist demutig worden vnd hat sich geruchet czu demutigen wercken vnd dinsten, czu bygen vil meher czimpt es dir dorfftigen menschen, demutig vnd vnderworffen czu sein. [IV, 33] Des gleichen so der mensche gedencken wirdt von der gedult vnd andern togenden des selben menschen solche togent, die er als dan in solchen gedancken vorbringt, seindt edeler dan tausent andere togent, die in solcher meinunge nicht vorbracht sein. [III, 10] Unnd alwege, was der mensche thut, das sal er thun vmb meintwillen vnd in meinem lobe vnd in meinem gedechtnus, was im aber czuthun nicht czimpt ader nicht gethun kan, das sal er auch williglich vmb meiner lybe willen nachlassen. [III, 13] Und sal alle dinge, die im widder vnnd schwer seindt, szo er die leidet, beide des hertzen vnd des leibes, vmb der lybe willen gots williglich leiden, gleich als ich alle dinge in im lyde, geduldiglich tragen. [III, 41] Und des selben menschen gedechtnus wil ich also in mein hertze schreiben, das er nimmer meer doraus moge geleschet werden. [III, 14? ] vnd er sal mit mir wandern in der warheit vnd sal in allen dingen czu mir haben ein getrawe vffmerckunge vnd sal sich gentzlich mit mir voreinigen. [III, 13] Also das er seine gemeine werck nicht im sondern mir czu schreibe, gleich als ap er nichts anders sei dan ein cleidt, do mit ich czugedackt alle werck in im vorbringen vnd schiken moge. [IV, 7] Und ich wil yn an seinem letzten ende gleich wie eine muter yren allerlibsten son entpfaen in meyne veterliche vmbfaunge vnd dorinne ewiglich ruhen lassen. Innerhalb eines Artikels lassen sich Exzerpte aus sechs verschiedenen Kapiteln identi‐ fizieren, wobei aus diesen Kapiteln teilweise mehrere Abschnitte verwendet und unter‐ schiedlich angeordnet werden. 33 Schon der Artikelbeginn stellt eine Besonderheit dar, da ein Abschnitt aus III, 14 bereits in der Einleitung des Kapitels (Kapitel 10) verwendet wurde und der Text der lateinischen Edition zu Beginn den Artikel nahtlos fortsetzt. Somit lässt sich die Applikation des Artikels als Struktureinheit als redaktioneller Eingriff ausmachen. Der Text wird so vor allem durch die Einführung eines Markers gegliedert, der einen Kapitelwechsel kennzeichnet - in den meisten Fällen erfüllt Jtem diese Funktion, 34 bisweilen kann ein solcher Übergang allerdings auch ohne Markierung erfolgen. Im Extremfall begegnet ein Übergang zwischen zwei Satzteilen, wie im vorliegenden Beispiel an mehreren Stellen durch die parataktische Junktion zu beobachten ist. Während die ersten drei Abschnitte noch funktional als solche betrachtet werden können, da sie mit Also nemlich bzw. Dan und dergleichen eingeleitet werden, so erfolgt in den nächsten Übergängen eine stilistische 172 6 Mechthild für Laien gedruckt - die Leipziger Ausgabe (1508) 35 Die Bestimmung ist mit leichten Zweifeln behaftet, allerdings scheint die Wendung vom irdischen zum himmlischen Wandeln, welches in einem Unio-Erlebnis gipfelt, charakteristisch dem Abschnitt in III, 14 zu entsprechen, vgl. Liber (1877), S. 213: Sic homo terrestris a pristina conversatione sua in novitate vitae meae totus efficitur coelestis, et mihi counitur. 36 Vgl. Liber (1877), S. 211. Schmidt übersetzt in Liber (2013), S. 212: »dass du jedes Leid […] erleidest, als betreffe es dich.« 37 Selbstverständlich wird hier nicht von einer direkten Übersetzung ausgegangen, da vor allem der Druck von 1503 als Vorlage für die Redaktion von 1508 diente. 38 Vgl. Schiewer (2012). 39 Vgl. Liber (1877), S. 2. Interessanterweise bezieht sich das dort erwähnte Zitat auf die Aussage, dass der Sinn der Worte wichtiger genommen werden soll als die Wörter selbst, eine Tatsache, die für den Redaktor des Druckes eine bedeutende Rolle einnahm. Angleichung, da die Modalverbkonstruktion der mensch sal in den Abschnitten aus III, 10, 13 und 14 35 als Anapher parallelisiert wird, wobei in den meisten Fällen der lateinische Konjunktiv deliberativ übersetzt wird, etwa für III, 13: ut omnia quae pateris adversa tam mentis quam corporis, non tibi sed mihi, ac si ego in te omnia sustineam, patiaris.  36 Auch die Übersetzung von mentis mit hertzen zeigt eine Verschiebung, die den Abschnitt näher an den folgenden heranrückt, da Gott des Menschen Andenken in seinem eigenen Herzen verewigt. 37 Aus inhaltlicher Perspektive zeigt sich, inwieweit die einzelnen Exzerpte relational miteinander verbunden sind. Jedoch wirft gerade die Verschiebung durch den Redaktor die Frage auf, inwieweit solche intratextuellen Verschiebungen noch als ›redaktioneller‹ Eingriff bezeichnet werden können oder bereits eine Neuschöpfung vorliegt - eine Frage, die bereits für andere geistliche Texte gestellt wurde, etwa bei Spamers ›Mosaiktraktat‹. 38 Während zu Beginn des Druckes zumeist nur einzelne Exzerpte oder zwei Abschnitte zu einem Artikel zusammengefasst werden, so belegt der zweite Teil des Druckes stärkere redaktionelle Eingriffe, welche über das Exzerpieren und Restrukturieren hinausgehen und von formalen Angleichungen und Verknüpfungen verschiedener Teile bis hin zur stilistischen Angleichung reichen. Dies wird deutlich im zweiten Artikel des achten Buches, in dem zwischen zwei Ausschnitten aus III, 43 ein Exzerpt aus II, 21 eingeflochten wird. Während die beiden Abschnitte aus III, 43 eine parallele Struktur bieten, die durch das formale so du syhst eingeleitet wird, fokussiert der Einschub von II, 21 die Hoffart, welche durch den Menschen überwunden werden müsse. Auch hier werden die charakteristischen Wendungen von III, 43 wieder aufgegriffen, jedoch in leicht abgewandelter Form: so betrachte die krafft und mit betrachtunge solcher dinge magstu, ferner wen du aber einen vngeduldigen menschen syhst, bevor schließlich mit dem Folgeabschnitt, wieder aus III, 43, der nächste Abschnitt über den Zorn eingeleitet wird. Somit zeigt diese Stelle, inwieweit formale Strukturierungen hierarchische Ordnungen erzeugen. Anaphern begegnen daher als Elemente äquivalenter Ordnung, lediglich ähnliche Formulierungen weisen auf ein subordiniertes Verhältnis der einzelnen Teile hin. Zudem lassen sich im eben besprochenen zweiten Artikel des achten Kapitels weitere Bearbeitungstendenzen nachweisen. Die Einleitung mit einem Augustinus-Zitat dürfte vermutlich eine Hinzufügung des Redaktors sein, da Augustinus im gesamten Liber sonst nur ein einziges Mal auftritt, nämlich im Prolog. 39 Der gesamte folgende Abschnitt scheint damit an IV, 59b angelehnt zu sein, auch wenn sich lediglich lose Parallelen ziehen lassen. 6.2 Struktur und Gliederung des Druckes 173 40 Vgl. zu den generellen Auslassungen brautmystischer Themen das folgende Unterkapitel. 41 Vgl. Heidelberg, Universitätsbibliothek, Heid. Hs. 33, f.-157v-159r. 42 Vgl. etwa Basel, Cod. A IX 3 und Leipzig, Ms 671, in denen sich zwar das sechste Buch findet, nicht jedoch das siebte. 43 Da Marcus von Weida ähnlich wie 1503 wohl als Herausgeber fungierte, auch wenn die Entstehungs‐ geschichte durch das Erscheinen eines Franziskaners undurchsichtige Züge annimmt, kommt er als einziger für die Verfasserschaft der Vorrede in Frage und damit auch für die Umstrukturierung der Kapitel. 44 Dass umgekehrt für Laien »Spielräume zu selbständiger unbeaufsichtigter Bildung eröffnet werden«, erkannte bereits Grubmüller (1994), S.-71. Im Verlauf des Exzerpierprozesses drehte der Redaktor einzelne Teile um, was gerade am Ende des Artikels bemerkbar wird. Im Vergleich zu der lateinischen Edition werden ledig‐ lich die Passagen über die Sünden herausgegriffen, wobei weitere Erklärungen oder der Offenbarungscharakter herausgekürzt werden. 40 So erfolgt eine deutliche Akzentverschie‐ bung, die die weitere Rezeption kennzeichnet: Während der Druck zuerst die Ungeduld und dann den Zorn als Sünden auflistet, so stellt die Heidelberger Handschrift, die ansonsten sehr genau den Druck abschreibt, die beiden Sünden um, gliedert sie jedoch noch weiter: Beide Abschnitte werden durch Überschriften von dem restlichen Kapitel abgegrenzt. 41 Somit zeigt der Verlauf der Rezeption bereits in diesen eng zusammengehörenden Retex‐ tualisierungen eine Akzentverschiebung, die lediglich durch formale Umstrukturierungen erfolgt. Bedeutsam ist auch, dass mit VI, 9 (erster Artikel in Kapitel 6) ein Abschnitt aus dem sechsten Buch vorliegt, welches bereits im Druck von 1503 abgedruckt wurde. Damit wird ein weiterer Unterschied zu der handschriftlichen Überlieferung deutlich, welche die beiden letzten Bücher in den meisten Fällen ausschloss. Da das siebte Buch aufgrund der thematischen und biographischen Schwerpunktsetzung für den Druck von 1508 keine Relevanz besaß, das sechste Buch hingegen durch den Exzerpierprozess in den Druck eingebunden werden konnte, zeigt sich hier eine differierende Entwicklung der beiden letzten Bücher. Zwar wird auch dem sechsten Buch eine Sonderrolle in der Überlieferung zuteil, bisweilen lässt sich für dieses jedoch eine engere Verknüpfung mit den vorhergehenden Büchern ausmachen, die dem letzten Buch verwehrt blieb. 42 Für die Bewertung des redaktorischen Eingriffes ist es notwendig, einen genauen Blick auf die Vorrede des Druckes zu werfen, da hier Angaben getätigt werden, die die Prinzipien und Leitkategorien der Zusammenstellung erläutern. 43 Bereits in der Überschrift wird der lehrhafte Charakter des Buches angesprochen, ohne einen Bezug zu dem Genre der Offenbarungs- und Visionsliteratur herzustellen: f. a i r : Ein sonderlich nutzlich vnd trostlich buchlen. Allen den, dy got forchten vnd im gerne beheglich sein wolten […] mit vil schonen vnd liplichen gebeten. Dass die Ansprache nicht nur an Ordensangehörige oder Kleriker erfolgt, sondern auch an Laien, wird zwar nicht explizit geschildert, aber man kann durchaus annehmen, dass auch diese als Zielpublikum, i. e. Käuferschaft, miteinbezogen werden. 44 Im Anschluss wird der Sinn und Zweck des Neudruckes genauer erklärt: 174 6 Mechthild für Laien gedruckt - die Leipziger Ausgabe (1508) 45 Vgl. Brückner (2010) zum Exzerpierverfahren der Dorothea von Hof, bes. S. 66 zur Bezeichnung des Gebetbuches als »integrative Kompilation«. 46 Bereits der Titel des Druckes weist ja gerade nicht auf einen Textstatus als Offenbarung hin. 47 Vgl. zum strukturellen Unterschied zwischen dem Legatus und dem botten Hellgardt (2014), S.-141- 144. In Lotters Druck findet sich das siebte Buch des Liber in deutscher Übersetzung hinzugebunden, vgl. dazu Honemann (2017), S.-142. Vgl. auch Kirakosian (2021), S.-274, Anm.-84. 48 Für Birgitta und die Verbreitung im Druckzeitalter vgl. Andersen (2014) sowie Williams-Krapp (2012), S.-268f. f.-i r : dan es beschleust in sich vil sonderliche vnde aller eren wirdigk lere vnd punckt. doch seindt die furnemlichsten stucke vnde nutzlichsten leren, die do gleich als der kern diszes buchs geachtet sein, auszgeczogen vnde in ein clein buchlein zusamen getragen, do mit es die gotforchtigen vnd andechtigen menschen als zu einer teglichen vbunge stets bey der hant haben mogen. Doch ist disses buchlein nicht noch der ordenunge des originals ader vrsprunglichen buchs geistlicher gnaden geordent vnde gemacht. Sondern szo vil man sich hat duncken lassen das es zu der andacht dynen wolle Die abgedruckten Exzerpte, die furnemlichsten stucke vnde nutzlichsten leren, werden als solche deutlich gemacht sowie etwaige Differenzen im Vergleich zum ›Original‹ erläutert, aus dem sie auszgeczogen worden waren. Wortwörtlich bezeichnet der Redaktor die Passagen als kern. 45 Es scheint ein deutliches Bewusstsein des Originals vorzuliegen, an dem sich der Herausgeber orientiert. Das Vokabular zeugt darüber hinaus von einer Reflexivität über den redaktorischen Eingriff. Auch eine Herausstellung des funktionellen Charakters des Buches als tägliches Andachtsbuch findet statt, das für diesen Zweck von dem Herausgeber zusammengestellt wurde, wobei somit die Struktur des ursprünglichen Textmaterials gegenüber der Neufunktion eine subordinierte Rolle einnimmt. Durch die Neukompilation ergibt sich keine Sinnänderung, wie der Text betont: f. i r-v : dan offte die dinge, die in dem letzten buche ader in der mittel gemelts originals geschriben sein, vorn an stehen vnd die dinge, die in dem ersten ader andern buche stehen, czu letzt beruret werden vnd also wydder vmb. Doch ist im grunde vnd in dem synne in den dingen, do von das original sagt, durch solche voranderunge nichts vorwandelt, auch nichts dorzu gesatzt ader do von genommen Es wird also zu untersuchen sein, inwieweit die didaktischen Lehren im grunde vnd in dem synne im Gegensatz zu der Aussage des Redaktors nicht nur aus dem vorhandenen Textmaterial redigiert und erstellt, sondern geradezu neu erzeugt wurden und in welches Verhältnis sie zu den mystischen Bestandteilen des Textes gesetzt werden können. 46 Es erfolgt eine Verschiebung hin zu einer aktiven andaht oder vbunge, weniger einer biographischen Lesart des Textes. Eine solche Umarbeitung erweist sich als typisch für einige andere ›frauenmystische‹ Schriften, wie etwa die Umarbeitung von Gertruds Legatus in die Form des botten zeigt, der ebenfalls von Melchior Lotter 1505 unter Federführung des Marcus von Weida gedruckt worden war. 47 Aber auch das Werk Birgittas von Schweden erfuhr im ausgehenden 15. Jahrhundert eine starke Rezeption durch Verbreitung entsprechender Redaktionen, die die jeweiligen Auslegungen der ursprünglichen Visionsrahmen beraubten. 48 Für die meisten Werke zeigt sich damit im Übergang zum Medium Druck und damit einherge‐ hender veränderter Rezeptionskollektive nochmals eine Steigerung der bereits in den Handschriften zu beobachtenden Tendenzen. Inwieweit ein solches Bestreben bestand, 6.2 Struktur und Gliederung des Druckes 175 49 Vgl. hierzu etwa zum Verhältnis zu ›mystischen‹ Schriften Williams-Krapp (2012), S.-264-273. 50 Zu Sidonie vgl. Honemann (2017), S.-135f. 51 Vgl. Zieger (1974), S. 241 und 266. Vgl. allerdings Ziegers Fazit, S. 266, infolge seiner textgeschicht‐ lichen Deduktionen über den Zusammenhang der Drucke: »[…] auch mit diesem Ansatz [können] nicht alle Probleme gelöst werden.« 52 Vgl. etwa die Überschrift des ersten Anhanges (f. lviii v ): Vff den abent mag der mensche sprechen diszes gebethe. immer bessere ›Andachtsbücher‹ für Frömmigkeitspraktiken gerade für den Laienstand herzustellen, 49 zeigt der letzte Abschnitt der Vorrede, in der sich ein Franziskaner als Verantwortlicher für die Kompilation der vorliegenden Ausgabe zu erkennen gibt. Dieser Umstand verwundert zunächst, da Marcus von Weida dem Dominikanerorden, also der ›Konkurrenz‹, angehörte. Da aber die Herzoginmutter Sidonie weiterhin als Auftraggeberin fungiert, wobei die Verbindung nur über Marcus von Weida hergestellt worden sein kann, erscheint es wahrscheinlich, dass dieser, möglicherweise über Sidonies Vermittlung, an die Fassung des Franziskaners kam. 50 Allerdings bleiben an dieser Stelle weitere Fragen bezüg‐ lich der Verbindungen der an dieser Auflage beteiligten Personen sowie der jeweiligen Vorlagen unbeantwortet - insofern sich diese Zusammenhänge aufgrund wechselseitiger Kontaminationen und dem Wechsel zwischen Latein und Volkssprache überhaupt auflösen lassen. 51 Die Betrachtung des Aufbaus des Druckes könnte daher partiell Licht ins Dunkel bringen. Dieser beinhaltet nämlich nicht nur Ausschnitte aus dem Liber, sondern auf den letzten 26 Blättern weitere didaktische Texte, die noch spezifischere praktische Hinweise geben, wie ein geistliches Leben zu führen sei. Sie können daher als eine Art Anhang betrachtet werden und tragen eher unspezifische Titel. 52 Am Ende des Mechthildtextes findet sich außerdem ein Kolophon, welcher das Ende des Ausschnittes aus dem Liber bezeugt und den Zusatz durch einen bruder prediger ordens vordeutzscht enthält, womit eindeutig Marcus von Weida gemeint sein dürfte. Somit gewinnt das Bild des organisierenden Dominikaners, der eigenhändig die franziskanische Vorlage übersetzte, an Konturen. Dieser Franziskaner beruft sich im Prolog darauf, nicht nur den Text in zwölf Kapitel gegliedert zu haben, sondern er rühmt sich, das Buch jeden Tag zu benutzen. Der Leser wird dazu eingeladen, ihm bei der Lektüre zu folgen, um die himmlischen Belohnungen zu erlangen. f. i v : vnd so er [i. e. der Franziskaner; L. U.] die [i. e. die neu geschaffene Ordnung des Buches; L. U.] also helt, vorhoft er mit gots hulffe wurcklich in seinem gemute in Cristum vnd durch Cristum, dan er ist der wegk in dy beschawlickeit der heiligen gotheit, getragen czu werden Und nachfolgende werden ein warer nachfolger der heiligen zwelffboten, ein vleissiger hanthaber seiner regel, ein bestendiger vnd getrawer liphaber, hindan gestalt allem irthum vnsers heiligen glowbens. vnd das er also die sussickeit der andacht, das ist Cristus vnsers hern hie als vnder einer schalen kosten vnd zu letzt in das ewyge leben, do di warhaftige speisse ane schalen vnd in aller settickeit sein wirdt, das ist Cristus, selicklich kommen moge. Nicht nur wird der Rezipient durch die Lektüre selbst zu einem Nachfolger der Apostel stilisiert, er begibt sich durch die Rezeption des präsentierten Textes direkt in die Nachfolge Christi. Das Bild des ›kern‹ wird wieder aufgegriffen und die Prozesshaftigkeit der Entwick‐ lung betont. Neben der Betonung der ›Orthodoxie‹ und weiteren literarischen Topoi, etwa 176 6 Mechthild für Laien gedruckt - die Leipziger Ausgabe (1508) 53 Der erste Abschnitt von III, 17 etwa in München, Staatsbibliothek, Cgm 860, f. 26v-28v, sowie Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 513, f. 7r-11v. Das Kapitel (ohne den letzten Absatz) auch in der lateinischen Handschrift Basel, Universitätsbibliothek, Cod. A X 95, f. 223r-224r. Im Münchner Codex wird der Abschnitt mit einem kurzen Exzerpt aus I, 5b kombiniert, in der Berliner Handschrift hingegen mit der letzten Passage aus III, 16 sowie einem Exzerpt aus dem Mittelteil von III, 19. dem Vergleich der Lektüre mit der Eucharistie, kann die Vorrede auch als werbetechnische Strategie für ein Produkt gelesen werden. Solche Produktionsbedingungen und die damit verbundenen Intentionen der verschiedenen beteiligten Interessensgruppen dürfen bei der Betrachtung der Rezeption des Werkes nicht vernachlässigt werden. Dass sich durch die veränderte Textgestalt des Werkes abweichende Interpretationsmöglichkeiten ergeben bzw. in älteren Überlieferungsträgern andere Fokussierungen die Rezeption bestimmten, ist offensichtlich. 6.3 Exemplarische Kapitelanalyse Im Folgenden sollen thematische Detailuntersuchungen verschiedene Partikularitäten des Druckes behandeln. Das erste Beispiel befasst sich mit den veränderten narrativen Strukturen und Perspektivwechseln und nimmt auch das Verhältnis zwischen dem Druck und der lateinischen Edition in den Blick. Wie auch in vorangegangenen Analysen gilt die Kritik in erster Linie der spezifischen Textversion der lateinischen Edition - das Kapitel müsste neben der Druckversion noch mit anderen Retextualisierungen in den verschiedenen Handschriften verglichen werden. 53 Ein Vergleich mit der lateinischen Edition zeigt daher lediglich die grundsätzliche Problematik auf. Im zweiten Beispiel werden schließlich anhand eines Artikels die vorgenommenen Kürzungen im Vergleich zur lateinischen Edition exemplarisch vorgestellt. Das erste Kapitel, welches den ›richtigen‹ Gruß an das Herz Gottes zum Thema besitzt, beginnt mit folgendem Abschnitt: f. ii r -iii r : FRue so du am ersten vff stehst saltu so vil du magst in gantzem hertzen czu mir erseufftzen, begerende, das ich den selben tag alle deine werck in dir wircken vnd vben wolle. vnd alszo durch das sufftzen mich in dich czyhende (wie wol sust kein dingk, wie kleine das ist, alleine durch gedancken magk erlanget werden) wirdstu meyn cleydt. Unnd als der leip lebet vnd geregiret wirdt aus der sele, Also die sele aus mir lebende wurckt alle dingk durch mich. Dornach grussze das bluende vnnd liphabende hertze deins allerlibsten liphabers, von dem alles gut, alle frewde vnnd alle selickeyt geflossen ist, im hymmel vnnd vff erden flewst vnd wirdt flyssen ane ende. vnd befleissige dich als dan aus allen krefften, deyn hertze in sein hertze czu gyssen, also sprechende. Ich lobe, gebenedeye vnd grusse dich, allersustes vnd aller guttigstes hertze Ihesu Cristi, meins aller getrausten liphabers, dir dangsagende vmb die getrawe vorwarunge, do mit du mich disse nacht beschyrmet vnd vor mich lop vnnd dangsagunge vnd alle dinck, die ich solte betzalt haben, got dem vatter ane vnderlas beczalt hast. Unnd nuh, O einiger mein liphaber, gutiger Ihesu, wie wol du vnszerer guttere nicht notdorfftig bist, Ich armer dorfftiger mensche, stehende in der gegenwertickeit deyner vnmessigen gutickeit, opffer dir gentzlich vnd vffs aller mildiglichste mein hertze vnd bit vor das erste vffs demutigste, das von dir anzunehmen als ein wol bluende rose, also das dich seyne lustbarheit bewege vnd sein roch, dein gotlich 6.3 Exemplarische Kapitelanalyse 177 54 Liber (1877), S.-217f. 55 Für eine Aufstellung der einzelnen Kapitel vgl. weiter oben. hertze erlustige alszo, das du itzundt als etwan sprechen mogest. Meine wollust ist zu sein bey den kyndern der menschen. Czum andern als einen becher, vffs aller kunstreichste vorguldet, do mit dich geluste, dein selbst sussickeit dor ein zugyssen vnd alwege widder auszczutrincken mit allem gutten, das du heute in mir in meinem hertzen, in meinem munde vnd in meinen wercken geruchst gnediglich zu wircken. Du wollest auch das, alszo eingyssende, erfullen mit der selbigen reynsten feuchtickeit deyner wunsamen sussickeyt, do mit es durch keynerley der aller vnreinsten werntlichen sussickeit, schlam, vnflat ader heffen szo in das hertze eingehen, vorvnreynet ader der selben anhangende, moge mit ichte vorbittert werden. Czum dritten, als ein allerschonsten malogranat apffel, der do czimpt deinem koniglichen wol leben, das du das essende also in dich nemest, das es sich hynforder alwege seliglich in dir erfynde vnd dir do selbst also voreyniget werde, dz alle seyne begirden geordent werden noch deinem gotlichen hertzen. vnd das es alles wolle, was du wilt, vnd nicht wolle, was du nicht wilt, vnd das es auch nichts anders moge wollen ader nicht wollen, dan was du wilt ader nicht wilt, beyde in gluckseligen vnd auch in widderwertigen zufellen ewiglich, als dein heiliger cwelffbot Paulus, der do sprach. wer got anhengt der wirt mit ym ein geist, also warhafftig erfunden werde. Solchs wollest du mir vorleyhen aus der selbigen deiner gut tickeit, der du lebest vnnd regnirest got in ewige ewickeit. Amen. Sucht man das Kapitel in der lateinischen Edition, lässt sich die Passage als Kapitel III, 17 identifizieren. Auch hier wird, um den Vergleich zu ermöglichen, der erste Abschnitt zitiert: Mane cum primo surgis, saluta florens et amans Cor dulcissimi amatoris tui, a quo omne bonum, omne gaudium, et omnis felicitas effluxit in coelo et in terra, effluit et effluet sine fine; et cor tuum totis viribus ejus Cordi infundere conare, ita dicens: Laudo, benedico, glorifico et saluto dulcissimum et benignissimum Cor Jesu Christi, fidelissimi amatoris mei, gratias agens pro fideli custodia, qua me hac nocte protexisti, et pro me laudes et gratiarum actiones et omnia quae ego debebam Deo Patri incessanter persolvisti. Et nunc, o unice amator meus, offero tibi cor meum, ut rosam vernantissimam, cujus amoenitas tota die oculos tuos alliciat, et ejus fragrantia divinum Cor tuum delectet. Offero etiam tibi cor meum, ut eo pro scypho utaris, unde tuiipsius dulcedinem bibas, cum omni quod hoc die in me operari dignaris. Insuper offero tibi cor meum, ut optimi saporis malogranatum, et tuo regio condecens convivio, quod comedendo sic trajicias in te, ut de caetero se feliciter sentiat intra te: orans etiam ut omnis cogitatio, locutio, operatio et voluntas mea secundum beneplacitum tuae benignissimae voluntatis hodie dirigatur.  54 Das vorliegende Beispiel weist zahlreiche Änderungen zwischen beiden Versionen auf und belegt, inwieweit der Redaktor das Kapitel mit weiterem Liber-Material ergänzte. 55 Präzise werden innerhalb des Kapitels die einzelnen Schritte am Morgen erläutert, die der andächtige Mensch befolgen soll, selbst wenn diese gar nicht im lateinischen Text zu finden sind. Bereits die ersten fünf Zeilen, die nach dem Aufstehen ein erstes Seufzen als Sehnen nach der Unio verlangen, durch die der Mensch zu Gottes cleydt wird, situieren sich als ergänzendes Textgut, welches aus Kapitel IV, 30 stammt. Die enge Beziehung zwischen Seele und Leib wird in den Vordergrund gerückt, wobei die Seele durch die gleichzeitige Verbindung mit Gott eine weitere Konnexion eingeht. Auf diese Weise besitzt der göttliche 178 6 Mechthild für Laien gedruckt - die Leipziger Ausgabe (1508) 56 Zur Unio vgl. Haas (2004), S. 48-63, sowie als kurzer Überblick Störmer-Caysa (2004), S. 8-10. Leider fehlt in Störmer-Caysas Einführung ein Hinweis auf die Helftaer Mystik. 57 Vgl. generell hierzu Hubrath (2002), S.-285. 58 Vgl. zum Aufbau der Eckhart-Predigt 86 Leppin (1997), Mieth (2003) und Grotz (2009), S.-53-77. 59 Vgl. Schmidt (1998), S. 125-130. Schmidt beobachtet treffend, dass die Aufwertung der menschlichen Seele zu einer beinahe schon göttlichen Stellung ein zentrales Thema der Herzensvereinigung darstellt. Weitere vergleichbare Stellen finden sich in den Kapiteln I, 16; III, 26; IV, 54, die alle in den Druck von 1508 übernommen wurden. Vgl. auch Williams-Krapp (1990b), S. 61. Für ein Beispiel des Stellenwertes der Herzensthematik in der Rezeption noch bei Gerhard Tersteegen vgl. Köpf (1998), S.-216. 60 Insofern entschied sich Schmidt in Liber (2013), S. 217, bei seiner Übersetzung konsequenterweise dazu, den gesamten zitierten Abschnitt in Anführungszeichen zu setzen. 61 Im lateinischen Text ist für IV, 30 eindeutig Christus als Sprecher markiert. Wille einen direkten Einfluss auf das tätige Handeln der jeweiligen Person. Die mystische Unio wird keineswegs ausgespart oder komplett getilgt, sondern in einen differierenden Kontext gestellt. 56 Jedoch bezieht der Text weniger ekstatische Passagen ein, welche etwa im Bild des Tanzes Gottes mit der Seele in Kapitel IV, 30 nur wenige Zeilen zuvor vorherrschten, in denen das cleydt der kranken Seele als Festgewand interpretiert wird. Der zentrale Fokus liegt allerdings auf dem ethischen Zusammenspiel zwischen Gottes Willen und dem Handeln des Menschen. 57 Somit ist die Unio immer pragmatisch ausgerichtet und nicht als Selbstzweck zu verstehen, ähnlich wie diese Lesart bereits in der Martha-Maria-Thematik und der Verbindung zu Meister Eckhart angesprochen wurde. 58 An dieser Stelle erfolgt nun der Übergang zu dem Exzerpt aus III, 17, ebenfalls einem Kapitel über die morgendlichen Tätigkeiten entnommen, in dem der Gruß an das Herz Gottes gefordert wird, der gerade in der Rezeption eine zentrale Rolle der Mystik Mechthilds einnimmt, wie an der Stelle durch die Tätigkeit des Redaktors gezeigt werden kann. 59 Dabei lässt sich nicht nur eine inhaltliche Übernahme nachweisen, sondern auch eine sprachlich-stilistische Nachahmung des lateinischen Textes, da das Partizip ita dicens im deutschen Text kongruent mit also sprechende wiedergegeben wird - generell finden sich zahlreiche Partizipialkonstruktionen, die sich eng an den lateinischen Text anlehnen. Erst anschließend erfolgt die Nennung des eigentlichen Gebets, das am Tagesbeginn gesprochen werden soll. Wirft man einen Blick auf die Erzählperspektive, so fällt auf, dass die direkte Rede aus der lateinischen Version, die durch den Imperativ saluta ausgewiesen wird, im Deutschen erhalten bleibt (saltu). Während der lateinische Erzähler aber in dem ersten Abschnitt keine Eigenmarkierungen tätigt, was den Schluss offenlässt, es könnte sich um einen personalen Erzähler handeln - obwohl die direkte Rede unbestritten vorhanden bleibt 60 -, so verfährt der deutsche Text anders. Noch in der ersten Zeile offenbart sich der Erzähler durch das mir, auch wenn dabei unklar bleibt, ob lediglich Christus oder der trinitarische Gott insgesamt gemeint ist. 61 Somit wird die Verbindung zwischen Rezipienten und dem göttlichen Erzähler intensiviert, da die Kommunikation unmittelbar und direkt zwischen den beiden Agenten der Unio stattfindet. Erst nach einer solchen Instruktion, die ganzheitlich erfolgt, wird das Gebet, das der Rezipient sprechen soll, nicht durch eine göttlich legitimierte Erzählinstanz, wie man wegen des lateinischen Textes annehmen könnte, sondern durch Gott selbst 6.3 Exemplarische Kapitelanalyse 179 62 Vgl. etwa München, Staatsbibliothek, Cgm 860, f. 26v-28v, und Darmstadt, Universitäts- und Landesbibliothek, Hs. 189, f.-103r-104r. 63 So überliefert die Handschrift Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 106, zwar die Einleitung zu dem Textbestandteil ähnlich dem lateinischen Text, allerdings legt bereits die Überschrift Wie der mensch daz hertz gottes soll grußen (f. 61r) den Fokus auf den Gebetstext. Der Kontext des Textbestandteils innerhalb der Handschrift besteht aus verschiedenen thematischen Gebetssammlungen. vermittelt. Der Druck überliefert das Gebet inklusive der dazugehörigen Einleitung. In den Handschriften findet sich jedoch gerade in den Exzerpthandschriften eine klare Tendenz für ein ausschließliches Interesse an diesem Gebet, weswegen entweder nur der Gebetstext übernommen wurde 62 oder eine klare Ausrichtung auf den Gebetstext, z. B. durch den Kontext, festgestellt werden kann. 63 Somit lassen sich allein aufgrund des Kontexts der jeweiligen Retextualisierung Rückschlüsse auf mögliche Redaktor-Intentionen ziehen. Während in den meisten Handschriften das Gebet selbst im Fokus steht, so stellt das Gebet hier lediglich einen Abschnitt einer Sequenz dar, welche der Rezipient in einem größeren Rahmen zu befolgen hat. Weniger der aktive performative Aspekt steht im Vordergrund, sondern die Einbindung des Gebets in eine allgemeine geistliche Lebensführung. Dabei lässt sich innerhalb des Textabschnittes ein Perspektivenwechsel konstatieren, da nun das Herz Christi als angesprochenes Objekt verehrt wird, während Gottvater in der dritten Person erscheint, wobei die Schulden, die das Subjekt bei diesem besaß, durch das Herz beglichen wurden. Da aber in der Rahmenhandlung eine göttliche Instanz als Sprecher auftritt, die entweder als Gottvater oder als gesamte Trinität interpretiert werden muss, muss folgerichtig ein Perspektivenwechsel erfolgt sein, der in dieser Zuspitzung im lateinischen Text nicht nachgewiesen werden kann. In den nachfolgenden Ausführungen, in denen das Herz mit einer Rose, einem Becher sowie einem Granatapfel verglichen wird, inseriert der Druck zahlreiche Satzteile, die den devotionalen Charakter verstärken, jedoch keine Vorlage im lateinischen Text besitzen, etwa den Ausdruck opffer dir gentzlich vnd vffs aller mildiglichsten mein hertze vnd bit vor das erste vffs demutigste das von dir anzunehmen für das lateinische, im Gegensatz zum Deutschen nüchtern wirkende, offero tibi cor meum. Dass der Text eine gewisse eigenständige Literarizität besitzt, belegt der neu eingefügte Satz, der nicht nur als stilistischer Zusatz angesehen werden darf, sondern wesentliche inhaltliche Relevanz besitzt, da er eine Unterscheidung zwischen ›echter‹ und ›falscher‹ Süße einführt: f. ii v : Du wollest auch das, alszo eingyssende, erfullen mit der selbigen reynsten feuchtickeit deyner wunsamen sussickeyt, do mit es durch keynerley der aller vnreinsten werntlichen sussickeit, schlam, vnflat ader heffen szo in das hertze eingehen, vorvnreynet ader der selben anhangende, moge mit ichte vorbittert werden. Auch der Zusatz, der die Einigkeit des Wollens bzw. Nicht-Wollens des Subjektes mit dem des Objektes gleichsetzt, kommt nicht im lateinischen Text vor. Mit dem Bibelzitat aus dem 1. Korintherbrief (1 Cor 6,17: Qui autem adhæret Domino, unus spiritus est), einer klassischen Gebetsschlussformel, sowie der Markierung Amen, wobei sich alle drei Elemente nicht im lateinischen Text wiederfinden, wird der erste Abschnitt mithilfe eines 180 6 Mechthild für Laien gedruckt - die Leipziger Ausgabe (1508) 64 Für die Funktion von Paragraphen im Mittelalter vgl. Palmer (1989), S.-46. 65 Vgl. zur Passionsmystik bei Mechthild Schmidt (1998), S. 129f. Allgemein zur Passionsmystik unter Fokus auf Seuse vgl. Langer (2004), S. 366-374, und McGinn (2005), S. 212-217, Largier (2008), S. 373f., sowie Haas (1985). Vgl. zur Entwicklung im 15. Jahrhundert auch Williams-Krapp (2012), S. 263. Für die Elemente der Passionsmystik bei Gertrud vgl. Bangert (1997), S.-304-325. 66 Vergessen werden darf dabei nicht, dass die ›Zufluchten‹ auch den gesamten im Druck enthaltenen Text des Liber beschließen. paratextuellen Markers in Form eines Paragraphenzeichens beschlossen, ohne dass danach eine Zeilentrennung erfolgt. 64 Für eine Zusammenfassung der Textstelle im Unterschied zum lateinischen Text soll an dieser Stelle erneut an die Gründe für diesen Zugriff erinnert werden: Es steht weniger die Auflösung des beweglichen Materials des mechthildschen Textes im Vordergrund, dessen mouvance rückverfolgt werden soll, um Aufschlüsse über archetypische Strukturen zu erhalten. Viel eher besteht die Intention des Vergleiches darin, die neu entstandenen Textstrukturen als eigene Textform zu erfassen und in den Rezeptionskontext einzubetten. Während das Kapitel III, 17 in einigen Handschriften lediglich als Gebet überliefert ist, besitzt der Druck von 1508 eine andere Konstruktion, denn er offeriert praktische Anwei‐ sungen, in welcher Modalität das geistige Leben des Einzelnen auf Gott hin ausgerichtet werden soll. Ein zweites Beispiel aus dem Druck kann verdeutlichen, wie sich der Fokus des Redaktors - ähnlich wie in der Solothurner Handschrift - von den visionären Rahmenhandlungen hin zu den didaktischen Inhalten verschiebt. So versammelt das zwölfte und letzte Kapitel unter der Überschrift Von manchfeldiger czuflucht in der widderwertickeit vnd in allerlei beschwerungen (f. xliv v ) 20 ›Zufluchten‹, denen sich die Rezipienten in Zeiten der Not oder bei Schmerzen zuwenden können. Dabei handelt es sich im Allgemeinen um Gebete, Gebetsanweisungen oder sonstige geistliche Impulse. Dass sich das Kapitel über sieben Blätter erstreckt (f.-xliv v -li r ) und damit eines der größten Kapitel im Druck darstellt, zeugt von der Bedeutung, die dem Passionsgedanken und der dazu kongruenten Passionsmystik zukommt. 65 Die letzte dieser Zufluchten stellt die Vereinigung des leidenden Menschen mit Gott in den Vordergrund: 66 f. li r : Die xx czuflucht. DJ czwentzigste czuflucht ist, das der mensch gentzlich gloube, das der her Iesus in im sei vnd in im leyde vnd in im bleibende, in keinem wegk yn vorlassen wirt. Do von sagte der her vnder andern czu seiner liphaberin. Nim war, ich hab mich mit deinen peinen gecleidet vnd wil alle deine schmertzen also in mich czyhen, das ich in dir alle dinge leiden wil. vnd wil also in hochstem wolgefallen got dem vater alle deine pein, mit meinem leiden voreiniget, opfern vnd wil bei dir sein bis czu deinem letzten odem. vnd du salt nindert hin dan in meinem hertzen ewiglich dorin czu ruhen deinem adem auszblasen vnd ich wil deine sele mit so vnschatzbarlicher libe in mich selber entpfaen, das sich des alle himlische ritterschaft mit sonderlicher frolockunge vorwundern wirt. Solchs alles wolle vns gnediglich vorleihen vnd geben ewiglich czu entpfinden got vnszer her durch das vnaussprechliche verdinst der seligen iungfrawen mechtildis Amen. Im lateinischen Text (II, 39) ist der Abschnitt in eine Rahmenhandlung eingebettet, in der Christus der leidenden Mechthild erscheint: 6.3 Exemplarische Kapitelanalyse 181 67 Liber (1877), S.-187. 68 Allein die Überschrift im lateinischen Text Quod Christus cum poenis animae se vestit, et eas suae passioni unitas Deo Patri offert zeigt, dass der Fokus hier auf der Vision selbst liegt, während die Auslegung des Bildes in den Druck übernommen wurde, ohne dabei dieses zu übernehmen. 69 Vgl. f.-xviii v -xix v . Laboranti aliquando gravi doloris infirmitate, apparuit ei Dominus Jesus Christus alba veste indutus, et cingulo cinctus de viridi serico et aureis scutulis facto, cujus longitudo ad genua ejus tendebat. At illa admirans, cum scire cuperet quid hoc sibi vellet, dixit ad eam Dominus: En poenis tuis me vestivi. In cingulo autem innuitur quod poenis undique cingeris, et usque ad genua tota repleris. Sed ego omnes dolores tuos sic mihi intraham, et in te omnia patiar; sicque in altissima placentia Deo Patri omnes poenas tuas meae passioni unitas offeram, eroque tecum usque ad ultimum flatum tuum, quem nusquam nisi in Cor meum perpetuo pausatura, efflabis. Egoque animam tuam tam inaestimabili amore ad me et in me ipso suscipiam, ut omnis coelestis militia cum jubilo admiretur.  67 Der gesamte Rahmen, in dem die Auslegung des mit dem menschlichen Leiden bekleideten Christus verbildlicht vorweggenommen wird, entfällt im Druck. Lediglich die Auslegung, durch Christus selbst getätigt, wird überliefert. Im Folgenden kann dabei nicht auf sprach‐ liche Details eingegangen werden, wie etwa die differierende Textgestalt im Verhältnis zum lateinischen Text - zum Beispiel das performative Nim war, welches als direkte Ansprache an den Rezipienten gelesen werden kann. Auch hier findet sich der durch das Amen verkörperte Abschluss der Sequenz, der anzeigt, dass die einzelnen Zufluchten durchaus als separate Textbestandteile gelesen werden können, je nach persönlicher Präferenz und Performanzintention des Rezipienten. Somit zeigt sich an diesem Beispiel ein funktionell anderer Textgebrauch, der einerseits durch die Positionierung des Textes innerhalb des Überlieferungsträgers gekennzeichnet wird, in diesem Fall die Einbettung in mehrere thematisch zusammenhängende Abschnitte zur Passionsthematik, andererseits aber auch durch die sprachliche Redaktion innerhalb des Textbestandteils, die den Text mithilfe kürzender und redigierender Verfahren funktionell verändert. 68 Gerade die redaktionellen Eingriffe, welche besondere Rücksicht auf ein Laienpublikum nehmen, sind von Bedeutung, da sich in ihnen nicht nur ein Unterschied zur handschrift‐ lichen Überlieferung nachweisen lässt, sondern auch eine spezifische Aktualisierung im Kontext neuer Rezeptionsmöglichkeiten. So begegnet an einigen Stellen nicht mehr nur Mechthild als Subjekt, wie im bereits angesprochenen Kapitel der Maria-Martha-Thematik (I, 14), sondern es findet eine Ausweitung statt: Anstatt Mechthild sollen nun alle geistlichen Menschen Dankbarkeit zeigen, wie an den generalisierenden Pronomina deutlich wird: f. xiv r : Und alle disse dingk tregt geistlich fur dinende den hern, ein itzliche andechtige sele, so sie disse ding mit andechtiger dangsagunge betrachtet vnd vmb der willen den hern Ihesum lobende gebenedeiet. Es lassen sich dabei noch allgemeinere Modifikationen nachweisen: So finden sich Pas‐ sagen, in denen Mechthilds Mitschwestern behandelt werden bzw. der allgemeine Kloster‐ kontext angesprochen wird, grundsätzlich gekürzt oder retextualisiert, wofür als Beispiel das Kapitel III, 1 gelten kann, 69 in dem der monastische Kontext der Offenbarung komplett gekürzt wurde. Auch an anderen Stellen erfolgen Spezifikationen: Anstatt lediglich in 182 6 Mechthild für Laien gedruckt - die Leipziger Ausgabe (1508) 70 Vgl. für eine diachrone Übersicht über den Chorraum, der zum ›Subjekt‹ der Liturgie wird, Gerhards (1998), für die Situation in reformierten Frauenklöstern vgl. Bertelsmeier-Kierst (2008), S. 27. Vgl. zur Raumsemantik am Beispiel des Fließenden Licht auch Suerbaum (2019), bes. S.-120-124. 71 Ein Reflex auf eine geschlechtsbezogene Bearbeitung / Lektüre ist in IV, 25 zu finden: Her heilger vater, sich vff mich deinen knecht (vgl. f. xlvi v ), wobei sich dies im lateinischen Text auf Mechthild (›Dienerin‹) bezieht. 72 Die Wörterbücher von Lexer (http: / / www.woerterbuchnetz.de/ Lexer? lemma=prelate; 31.3.2023) und Benecke / Müller / Zarncke (http: / / www.woerterbuchnetz.de/ BMZ? lemma=prelate; 31.3.2023) verweisen für die Bezeichnung lediglich auf ›hohe Geistliche‹. Die dort angegebenen Beispiele beziehen sich nicht ausschließlich auf monastische Kontexte. 73 Vgl. Lentes (1999), S.-58f., unter Betonung der Perspektive auf das Alltagshandeln bei gleichzeitiger Zurückdrängung von Gebärden. 74 Vgl. das Exemplar, welches für die Transkription benutzt wurde. Dieses stammt aus Altomünster. den Chorraum zu gehen, in dem die Stundengebete verrichtet werden und der nur den Konventsmitgliedern vorbehalten war, 70 soll sich der andächtige Mensch jetzt czu chore ader czu kirchen (f. iii r ) begeben. Institutionelle Rahmen werden ebenfalls eingebunden, wobei spezifisch die stende der heilgen kirchen (f.-xxvi v ) mit in das Gebet eingeschlossen werden sollen. Wer damit bezeichnet ist, wird in einem anderen Kapitel deutlich, der Retextualisierung von IV, 18 (f. xxix v ). Stehen die umliegenden Kapitel in der lateinischen Edition im Kontext der Verhaltensweisen im Kloster, etwa von Unterweisungen der Novizinnen (IV, 16), der richtig ausgeführten Wahl einer neuen Äbtissin (IV, 14) oder wie die Profess abzulegen sei (IV, 17), so wird nun auf das vorangegangene Kapitel der Profess Bezug genommen, da Gott der Seele versichert, dass er eine jede Mitschwester am Tage der Profess in seine väterlichen Arme aufgenommen habe. 71 Dabei werden die Vorgesetzten der jeweiligen Schwester (praelatum) erwähnt - im Kontext des Druckes werden der klösterliche Bezug sowie die Referenz auf die Profess konsequent gekürzt und lediglich die Hände der prelaten genannt. Diese stehen allgemein für geistliche Begleitung und können damit sowohl einen Beicht‐ vater der sächsischen Herzogin Sidonie, als auch einen weltlichen Priester bezeichnen, dem sich ein geistlicher Mensch anvertraut. 72 Es zeigt sich also deutlich, dass zwar durchaus Parallelen zum monastischen Kontext gezogen werden (etwa durch die Stundengebete, die sich selbstverständlich am Klosteralltag orientieren), dass aber gleichzeitig der Text nicht-monastische Rezipientenkollektive einschließt und sich für neue soziale Gruppen öffnet. 73 Dass simultan der Druck trotzdem auch im Kloster rezipiert wurde, kann an den erhaltenen Überlieferungszeugen abgelesen werden. 74 Eine eindeutige Entscheidung für eine dezidierte Rezeption des Druckes außerhalb des monastischen Kontexts muss daher zurückgewiesen werden, jedoch zeigt sich bereits an der Entstehungsgeschichte des Druckes sowie den erfolgten redaktorischen Eingriffen, dass der Text auch für ein Publikum außerhalb der Klöster retextualisiert wurde. Dass im Zuge der Aktualisierung auch die liturgischen Bezüge verschoben bzw. aufgelöst wurden, wird an verschiedenen Zusammenstellungen deutlich, gerade im Hinblick auf das erste Buch des Liber. So finden sich im dritten Kapitel des Druckes (f. viii r ) diverse Passagen neu strukturiert. Kombiniert wird ein Ausschnitt aus der Osternacht (I, 19c), der allgemein den Lobpreis Gottes behandelt, mit einem Textexzerpt, das liturgisch zum Sanctus der Weihnachtsmesse gehört (I, 5d). Diesem wiederum folgt ein Abschnitt aus dem dritten 6.3 Exemplarische Kapitelanalyse 183 75 Vgl. zum performativen Aspekt des Agnus Kirakosian (2017b), S.-131. 76 Liber (1877), S. 19f. Für die verschiedenen Versionen innerhalb der handschriftlichen Gebetbücher vgl. Kapitel 5.2. 77 Vgl. Bärsch (2018). Buch (III, 19), in welchem der Lobpreis Gottes während des Agnus Dei weiter ausgeführt wird. 75 Anschließend erfolgt der Abschluss des Kapitels wiederum mit einem Exzerpt aus I, 5d. Verschiedene Passagen werden folglich aus anderen Kontexten genommen und neu verbunden. Dabei erfolgt einerseits eine thematische Zusammenführung des Lobpreises, der lediglich bei III, 19 im Zentrum stand, weswegen das Kapitel wohl ins dritte Buch aufgenommen wurde. Andererseits wird ein Zusammenhang zwischen Sanctus und Agnus hergestellt, der zwei Abschnitte aus unterschiedlichen Anlässen, Weihnachten und Ostern, neu zusammenführt. Auch hier werden die einzelnen Teile aus dem Kontext der Feier des jeweiligen Kirchenfestes herausgelöst und in allgemeine Messordinarien überführt. Nicht mehr nur zu dem jeweiligen Kirchenfest, sondern in jeder Feier des Gottesdienstes kann der Lobpreis Gottes erfolgen. Dass dabei für die Fokussierung auf die Thematik Textvarianten benutzt werden, zeigt das Gebet innerhalb des Abschnittes I, 5d, welches im lateinischen Text wie folgt lautet: Laudo te, o amor fortissime; benedico te, o amor sapientissime; glorifico te, o amor dulcissime; magnifico te, o amor benignissime; in omnibus et pro omnibus bonis quae tua gloriosissima divinitas et beatissima humanitas operata est in nobis per nobilissimum instrumentum Cordis tui, et operabitur in saecula saeculorum Amen.  76 Der Druck verstärkt nun die Fokussierung auf die Kapitel-Thematik, indem nicht die allgemeine Liebe Gottes angesprochen, sondern direkt Gott als Liebhaber adressiert wird: f. viii v : Ich lobe dich o du allersterckster lyphaber. Jch benedeye dich o du aller weiszester liphaber. Jch erwirdige dich, o aller suster liphaber. Jch groszmechtige dich, du aller guttigster liphaber in allen vnd vor allen gutten dinge, die deine erliche gotheit vnd dein allerheilgste menscheit in vns gewurckt hat, durch das edelste instrument deins hertzen, vnd wurcken wirdt in ewige ewickeit Amen. Daran anschließend erfolgt noch ein kleiner Nachsatz, der sich auch schon im lateinischen Text befindet, jedoch um eine Wendung erweitert: f.-viii v : Szo will ich als dan in der benedeyunge des pristers den selben menschen alszo gebenedeyen. Gebenedeie dich meine almechtickeit, dich vnderweisze meine weiszheit, dich erfulle meine sussickeit, dich zyhe vnd voreynige mit mir meyne guttickeit ane ende Amen. Und der mensche mag die selbe benedeyung bitten ader alszo sprechen. her, mich gebenedeie deine gotheit, mich stercke deine menscheit, deine guttickeit ernere mich, deine lybe, die enthalde mich Amen. Lediglich der erste Abschnitt, das Gebet Gottes, findet sich im lateinischen Text. Diese Oration wird somit als Spiegelung des menschlichen Gebets funktional eingebettet. Der Redaktor erweitert diese Passage um ein weiteres Gebet, welches auf parallele Weise die Termini des göttlichen Gebets aufgreift. Hierdurch wird der Priester noch weiter in den Hintergrund gedrängt und dient lediglich als Stichwortgeber, der das Exzerpt in die liturgische Reihenfolge Sanctus - Agnus - Benedictio stellt. 77 Im Anschluss tritt er allerdings hinter die Beziehung zwischen Gott und dem geistlichen Menschen, der durch 184 6 Mechthild für Laien gedruckt - die Leipziger Ausgabe (1508) 78 Vgl. Ochsenbein (2003) für einen Überblick über die Gattung der Gebetbücher im Übergang von Handschrift zu Druck mit zahlreichen Beispielen. die Ergänzung funktional wieder in den Vordergrund geholt wird, zurück. Somit wird die bereits im Register angedeutete Thematik des dritten Kapitels betont: von dem ampte der heilgen messe wie nutzlich vnnd vordinstlich es ist mit andacht do bey czustehen (f. a ii r ). Dabei steht kein bestimmtes liturgisches Fest im Vordergrund, stattdessen wird das allgemeine Verhalten des Menschen während der kontinuierlich aktualisierten Feier des Gottesdienstes perspektiviert. Die Aktualisierung des Textes erlaubt somit eine iterative Partizipation innerhalb der Beziehung Mensch-Gott, in der die Messe als Katalysator fungiert. Anhand der Lektüre wird die Messe performativ aufgerufen, der Text selbst bleibt dabei weiterhin geistliche Unterweisungsliteratur. Versucht man, die Ergebnisse der Analyse des Druckes von 1508 zusammenzutragen, so lässt sich festhalten, dass der Druck die Dynamik innerhalb der textlichen Gestaltung in den Handschriften fortsetzt. Während dort vor allem einzelne Exzerpte aus dem Werk Mechthilds entnommen und in einen anderen Kontext gestellt wurden, zum Beispiel innerhalb eines Gebetbuches, wird im Druck der funktionell abweichende Charakter bereits programmatisch im Titel angekündigt und explizit in der Vorrede reflexiv beschrieben. Nicht nur einzelne Textbestandteile werden übernommen, sondern der ›ganze‹ Text wird verfahrenstechnisch in einen anderen Zusammenhang gestellt. 78 Die Verfahren beinhalten sowohl inhaltliche Modifizierungen - textuelle Ergänzungen, die in solchen Dimensionen in den Handschriften nicht anzutreffen sind -, als auch die bereits bekannten kürzenden Verfahren, die den Fokus von den visionären Bildern weg und auf die didaktischen Auslegungen hin ausrichten. Der Liber präsentiert nicht die Visionen einer begnadeten verehrungswürdigen Heiligen, sondern die in den Visionen präsentierten Ratschläge erscheinen als besonders nachahmungswürdig, um selbst ein geistliches Leben zu führen. Dass dabei als Adressat (und Käufer) der Laienstand in der Stadt Leipzig fungierte, an dessen Spitze die Herzoginmutter Sidonie stand, die als Auftraggeberin auftritt, zeugt von einer weiteren veränderten Rahmenbedingung. Insofern darf der geistes-, sozial- und kulturgeschichtliche Hintergrund nicht vernachlässigt werden, der den Text zwei Jahrhunderte nach seiner Entstehung anderen Rezeptionsbedingungen aussetzt und in gänzlich anderer Manifestation präsentiert. 6.3 Exemplarische Kapitelanalyse 185 1 Röcke (1996), S.-33. 2 Inwieweit dies allgemein innerhalb philologischer Rekonstruktion auch auf Schreibkonventionen oder Interpunktion zutrifft, zeigt Cerquiglini (1989), S.-45-47, auf. 3 Vgl. hierzu Röckes Hinweis auf die Gefahr einer Vernachlässigung der einzelnen Manifestation, vgl. Röcke (1990), S.-94. 4 Vgl. Braudel (1958). Vgl. auch Dinzelbacher (2007), S.-278, sowie bereits Pohlkamp (1977), S.-238. 7 Mechthild auf dem Weg in die Moderne Der Leipziger Druck stellt keinesfalls das Ende der Lektüre von Mechthilds Text dar, wie die weitere Druckgeschichte beweist, deren Betrachtung ein Desiderat in der Forschung ist und die im ersten Abschnitt des Kapitels zumindest überblicksartig vorgestellt werden soll. Daneben gilt es, den außerliterarischen Kontext zu betrachten, der in den letzten Kapiteln zugunsten einer Analyse der einzelnen Textzeugen sowie deren Überlieferungskontexte in den Hintergrund trat, dabei jedoch ständig präsent war - die Textgenese also als Aushand‐ lung verstanden werden muss: »Insofern stehen literarische Texte nicht für sich, sondern sind ausschließlich im Kontext verstehbar, der sie prägt und den sie ihrerseits prägen.« 1 Bei Betrachtung der Manifestationen solcher Aushandlungen zeigt sich in diachroner Hinsicht, welche veränderten Bedingungen hinsichtlich der Mechthild-Lektüren identifiziert werden können. Die Betrachtung der außerliterarischen, aber auch der akademischen Diskussionen im Verlauf der beiden letzten Jahrhunderte schlägt somit einen Bogen zum ersten Kapitel. In letzter Konsequenz führten diese wieder zu differierenden Lektüren des Liber, die nicht nur eigene Rezeptionskonstrukte zum Ergebnis besaßen, sondern diese Konstrukte sich auch im Rahmen der Produktion sowohl primärer (Editionen) als auch sekundärer (Forschungs‐ projekte, Aufsätze, Verehrungskollektive wie Gebetsgemeinschaften) Art niederschlugen. 2 Daher stellt das Kapitel kein reines ›Rezeptionskapitel‹ dar, sondern setzt sich zur Aufgabe, die Prämissen zu identifizieren, unter denen die unterschiedlichen Lektüren im Verlauf der Jahrhunderte, repräsentiert durch einzelne Textzeugen, erfolgten. 3 Wenn die Positionierung Mechthilds zwischen Rezeption und Vergessen im Zentrum steht, so ist es einerseits notwendig, dass gewisse Schwerpunkte gesetzt werden - in dieser Studie aufgrund der Überlieferungslage die erfolgte Betrachtung des oberdeutschen Handschriftenmaterials. Erst bei Einschluss außerliterarischer Elemente können mentali‐ tätsgeschichtliche Aussagen im Sinne von Braudels longue durée verfolgt werden, die die Produktion und Rezeption eines mit einer Frau assoziierten Textes, dessen theologischen Eigenschaften besondere Implikationen zukommen, ins Zentrum rücken. 4 In letzter Kon‐ sequenz lässt sich somit auch die Beschäftigung mit dem Liber in der Gegenwart in ein solches System einbinden. 5 Neben den bekannteren Frauen stellt der Druck die erste lateinische Überlieferung des Hirten des Hermas dar. Die anderen beiden Texte bilden die Offenbarungen des Uguetin von Metz sowie der Livre des paroles des Robert von Uzès. 6 Vgl. Kapitel 3. 7 Vgl. Liber (1877), S.-XII. 8 Vgl. Köpf (1998), S.-210. 9 Vgl. die historiographische Sicht aus katholischer Perspektive bei Greven (1935). 10 Vgl. Nemes (2004). 7.1 Mechthilds Liber nach 1500 Leipzig entwickelte sich zum ersten Druckzentrum des Liber, in dem neben den beiden volkssprachlichen Drucken 1503 und 1508 auch der erste lateinische Druck 1510 erfolgte, allerdings nicht bei Melchior Lotter, sondern bei dessen Konkurrenten Jacob Thanner. In den folgenden Jahren kann eine Ausweitung der Rezeption auf europäischer Ebene beobachtet werden - so druckte Jacobus Faber Stapulensis bereits 1513 eine Kurzform in Paris, in der Mechthild neben Elisabeth von Schönau sowie Hildegard von Bingen drei Männern (Hermas, Uguetinus und Robert) gegenübergestellt wird. 5 Der Druck verbreitete sich mit rasanter Geschwindigkeit, zumindest wurde im folgenden Jahr in der Kartause Basel mit einem solchen Exemplar eine dortige Handschrift korrigiert bzw. ergänzt. 6 Die nächste nachweisbare Ausgabe erfolgte 1522 in Venedig, herausgegeben von Antonius de Fantis. In dieser Edition befinden sich im Verlauf des fünften Buches drei Kapitel (V, 18-20), welche laut den Solesmenser Benediktinern exakt dem ›mechthildschen Stil‹ entsprachen und von ihnen daher in deren Edition berücksichtigt wurden, auch wenn diese allesamt in den älteren Handschriften (z. B. Wolfenbüttel, Leipzig, St. Gallen) fehlen. Außerdem konjizierten die Editoren anhand des Druckes weitere Kapitel aus dem fünften und sechsten Buch. 7 Im Jahr 1558 erschien in Venedig eine weitere Edition des Liber, die einen ähnlichen Text bietet wie der venezianische Vorgänger. Aufgrund der folgenden Edition lässt sich außerdem rückschließen, dass bereits im Jahr 1536 eine weitere Ausgabe in Köln erfolgte, von der sich allerdings kein Exemplar erhalten hat. Dennoch rühmten die Herausgeber der zweiten Edition aus Venedig den Kölner Druck, den sie der Offizin Lanspergers zuordneten. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass die Ausgabe nicht bei Lansperger, sondern bei Loher gedruckt wurde, da dieser im gleichen Jahr eine Edition des Legatus herausbrachte. 8 Dass beide Kartäusermönche jedoch einen entscheidenden Multiplikationseffekt für Mechthild und ihren Text besessen haben könnten, zeigt sich auf mehreren Ebenen. Zum einen gelang es Dietrich Loher, dass die Kartause Erfurt 1550 wieder zum katholischen Glauben zurückkehrte, nachdem er von seinem Ordenskapitel 1548 dazu beauftragt worden war. Lansperger hingegen trat vor allem als Vermittler von Werken der Herz-Jesu-Frömmig‐ keit hervor, was sich an mehreren Drucken nachweisen lässt, etwa dem Rosarium Mysticum (1531) oder dem Spiegel der euangelischer volkommenheit (1536). 9 Auch die Publikation der Exercitia spiritualia sowie die Erstausgabe des Legatus erfolgten durch Lansperger. Balázs Nemes betont, dass in den Ausgaben Lanspergers noch historisches Wissen um Helfta vorhanden war, die Exercitia jedoch vermutlich nicht als Gertruds Werk angesehen werden können. 10 Genaue Untersuchungen zu den wechselhaften Beziehungen der einzelnen Texte sowie motivgeschichtliche Spezialuntersuchungen stehen noch aus, aber es zeigt sich auch 188 7 Mechthild auf dem Weg in die Moderne 11 Vgl. zur Rezeption des Legatus bei den Kartäusern Kirakosian (2021), S.-52-55. 12 Vgl. Williams (2004), bes. S. 15, über die im Mittelalter verbreitete Tradition, die Wunden Christi zu zählen, sowie S. 19f. für die Preces Gertrudianae. Vgl. zur ›Vermessung des Christus-Körpers‹ auch Lentes (1996), S.-527-535. 13 Vgl. aus theologischer Perspektive Rahner (1967) und ders. (1971). Vgl. auch Williams-Krapp (1990b), S.-61, unter Betonung des Einflusses der Herz-Jesu-Motivik auf die Laienfrömmigkeit. 14 Benutzt wurde das Exemplar München, Staatsbibliothek, 4 Asc. 1183#Beibd.1. Nichtsdestoweniger bietet der Druck den Text in der Struktur der fünf Bücher, wobei deutlich wird, dass der Fokus auf den Gebeten liegt. Allerdings wird Mechthild historisch insoweit eingeordnet, dass die Differenz von drey hundert Jaren auf dem Titelblatt angegeben wird. Außerdem findet sich eine kleine Klosterchronik am Ende des Druckes, in der über die Geschichte Helftas bis zur Zerstörung berichtet wird. Ein Interesse an der historischen Biographie Mechthilds (sowie Gertruds) kann also festgestellt werden, vgl. zu der Klosterchronik, die seltsamerweise mit den Drucktypen von Lotters Konkurrenten Landsberg gedruckt wurde, Honemann (2017), S.-139f., und Oefelein (2019a), S.-42-44. 15 Im Kloster Hermetschwil findet sich unter der Signatur Cod. chart. 102 eine handschriftliche Kopie des Druckes aus dem Jahr 1634, wohl im Benediktinerinnenkloster selbst angefertigt. 16 Die Titelangaben werden hier und im Folgenden aus dem ›Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts‹ (VD17) unter Verwendung der dort verfügbaren Digita‐ lisate zitiert. Signatur des Exemplars: München, Bayerische Staatsbibliothek, P. lat. 1463f. an dieser Stelle, welche Bedeutung dem direkten Kontext der Textentstehung zukommt. Durch die daraus folgende Wirkung, etwa auf Petrus Canisius, ergeben sich weitere Rezeptionsspuren. Da sich allerdings kein Exemplar des Liber aus der Kölner Ausgabe erhalten hat, lässt sich nur darüber spekulieren, welche Struktur bzw. Kapitelordnung Lansperger auswählte, allerdings liegt die Vermutung nahe, dass vor allem die Kapitel mit der Herz-Jesu-Thematik in den Vordergrund gerückt wurden. 11 Motivgeschichtliche Linien zu verfolgen erscheint dabei vielversprechend, etwa bei den in mehreren Kapiteln auftretenden Gebeten zu den fünf Wunden Christi, welche in den folgenden Jahrhunderten eine entscheidende Rolle spielten. 12 Auch beim Übergang von kartäusischer zu jesuitischer Herz-Jesu-Verehrung dürfte Mechthild von Hackeborn eine Schlüsselrolle eingenommen haben, etwa hinsichtlich der Visionen Margareta Alacoques und den in ihrem Kontext entstandenen Schriften. 13 Dass in Deutschland der Liber auch im oberdeutschen Raum gedruckt wurde, zeigt die Ausgabe in Thierhaupten aus dem Jahr 1597. Dort wird der Druck als Fundgrueb bezeichnet. 14 Wohl nicht zufällig erfolgte die Herausgabe in einem Benediktinerkloster - im Unterschied zu Kartäusern oder Jesuiten war die Verbreitung vermutlich weniger durch thematische Interessen geleitet. 15 Die Entwicklung lässt sich auch nach dem Druck aus Thierhaupten weiterverfolgen: 20 Jahre später erschien ein weiterer Druck in München, der nun direkt als Gebetbuch bezeichnet und mit einem Widmungsschreiben an die Pfalzgräfin versehen wurde, die wohl nicht zufällig den gleichen Namen wie die Heilige trug. Der Titel lautete dabei wie folgt: Ein neues guldes Bettbuech S. Mechtildis: In Welchem gantz feurige und inbrünstige Gebett/ zu Gott dem Allmechtigen/ und dem gantzen Himlischen Heer/ auf die fürnembste heiligiste Fest und Sontäg deß gantzen Jahrs/ begriffen. Mit sonderem fleiß und eyfer/ geistlicher un[d] andechtiger Closterpersonen/ maisten thails/ auß den Offenbarungen und gewonlichen Gebetten der heiligen Junckfrauen Mechtildis genommen/ und in truck gebracht  16 7.1 Mechthilds Liber nach 1500 189 17 Gewidmet wurde die Ausgabe Mechthild von Leuchtenberg. Aufgrund ihrer Heirat mit Albrecht VI., dem Bruder des Kurfürsten Maximilian I. von Bayern, fiel die Landgrafschaft Leuchtenberg schließlich 1646 nach dem Tod des Grafen Maximilian Adam an die Wittelsbacher. 18 Exemplar: Salzburg, Archiv der Erzdiözese, Urs IV Fr 4. Das Exemplar stammt aus einem Ursulinen‐ kloster. 19 Exemplar: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Xb 7275. Der Druck erschien bei Anna Berg. Innerhalb von vier Jahren erfolgten drei Ausgaben (1614, 1616, 1618). weshalb durchaus von einem Erfolg des Werkes gesprochen werden kann, gerade im oberdeutschen Sprachraum. 17 Aus dem Jahr 1657 ist schließlich ein weiterer Druck aus Köln bekannt, der von Johann Wilhelm Friessem herausgegeben wurde. Der Titel trägt den Text: Das Buch der Geistlichen Gnaden und Offenbahrungen der Heiligen Jungfrawen Mechtildis/ des H. Benedicti Ordens im Kloster Helpede bey Eisleben leiblicher Schwester der H. Gertrudis Abdissin: Vor drey hundert und mehr Jahren von Gott selbiger H. Jungfrawen geoffenbahret und Gelehret. Wie die Liebende Seel, die süssigkeit Göttlichen Trosts finden/ und noch mehr in der Liebe Gottes entzündet möge werden/ und zu ihrer selbst erkantnüß gelangen. In fünff underschiedliche Bücher außgetheilet/ und jetzo zu nutz und trost aller Gottseeligen unnd frommen Seelen auffs new in hochteutsche Sprach an tag geben  18 Bedeutsam ist die angedeutete historische und sprachliche Distanz, die durch die Tem‐ poralangabe drey hundert und mehr Jahren erfolgt, sowie die Zuordnung Helftas zum Benediktinerorden. Außerdem wird der Liber wieder als aus fünf Büchern bestehendes Werk angesehen, das nun auffs new in hochteutsche Sprach herausgegeben wurde, wobei der bereits angesprochene Rezipient die Liebende Seel ist - die Adressatinnen des Druckes waren allerdings keineswegs Laien, sondern die Benediktinerinnen von St. Agatha in Köln, wie der Einleitung des Druckes entnommen werden kann. Friessem lässt sich in den folgenden Jahren auch als Herausgeber weiterer ›frauenmystischer‹ Schriften ausmachen, etwa des Legatus (1670), der Vita der Katharina von Siena des Raimund von Capua (1665), aber auch der Werke von Friedrich Spee (1666) oder Franz von Sales (1666). Dass damit der Liber als spezifisch katholisches Schrifttum angesehen wurde, zeigt die Herausgabe im Zuge der Konfessionalisierung im Rahmen gegenreformatorischer Schriften. Auch das ebenfalls von Friessem gedruckte und von Martin Cochem kompilierte Gebetbuch steht hierfür, welches 1670 sowohl auf Deutsch als auch auf Latein auf den Markt kam. Hier begegnet wiederum die explizite Benennung als Gebetbuch, welchem eine andere Funktion zugeschrieben wird als dem Buch von 1657: Der zweyer HH. Schwesteren Gertrudis und Mechtildis Gebett-Buch: Darin lauter Himmlische/ und Göttliche Gebett/ welche diesen HH. Jungfrawen theils von Christo/ oder der Mutter Gottes mündlich offenbahrt; theils durch den H. Geist eingeben worden/ verfast seynd  19 Inwieweit eine strikte Unterscheidung zwischen ›Gebetbuch‹ und ›Langfassung‹ in der Terminologie nicht aufrechterhalten wird, zeigt ein weiterer, im selben Jahr veröffentlichter Druck, der als Tractätlein bezeichnet ist und Ausschnitte aus dem Liber und dem Legatus abdruckt, dabei jedoch auch andere Texte miteinschließt - als Autoritäten im Titel dienen jedoch Gertrud und Mechthild: 190 7 Mechthild auf dem Weg in die Moderne 20 Ebd. 21 Vgl. zu Gebet und Performativität Herberichs / Kiening (2008) sowie am Beispiel des Gebetbuches der Ursula Begerin Hamburger / Palmer (2015), Bd.-1, S.-413f. 22 Exemplar: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Xb 12° 53. 23 Vgl. den Parallelfall für Handschriften bei Christina von Hane in Kirakosian (2017a), S. 253: »Die sich am Kirchenjahr orientierenden Textualisierungsstrategien machen die Schreibmystik innerhalb einer liturgischen Rezeption erfahrbar, weil dadurch der Nachvollzug des Textes durch ritualisierte spirituelle Handlungen vorgegeben ist.« Für den Fall Elisabeth von Schönau vgl. Meier (1988), S. 86: »So werden ihre zeitlich an den Festkalender gebundenen und in ihrem Rhythmus und Inhalt von ihm bestimmten Visionen gleichsam zu einem spirituellen Kalendarium.« Ähnlich verhält sich der Fall auch bei Dorothea von Montau, vgl. dazu Suerbaum (2014). 24 Exemplar: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Xb 8636. Hochnützliches und trostliches Tractätlein Vom Mündtlichen Gebett: Mehrentheils auß den Offenbah‐ rungen der HH. Gertrudis und Mechtildis außgezogen […]  20 Eine Betonung liegt auch auf dem performativen Charakter. So werden die Gebete als »mündlich« bezeichnet, was in einem doppeldeutigen Sinne zu verstehen ist, nämlich einerseits auf die Person Mechthild bezogen, die als Autorität das Gebet lehrt (und nicht vorschreibt), und zweitens als performativer Akt des Betens durch den Rezipienten. 21 Somit schwingt auch in diesem Fall der doppeldeutige Umgang mit dem Text mit, der sich bereits in der handschriftlichen Überlieferung nachverfolgen lässt, einerseits die Einbettung einzelner Gebete in größerer Narrative sowie andererseits die Separierung und funktionelle Neuanordnung selbiger Gebete. Im Jahr 1675 erschien ein weiterer Druck im oberdeutschen Sprachraum, publiziert von Johann Jäcklin in München, wobei sich im Verlauf der beiden Editionen, die 1675 und 1678 erfolgten, eine Verschiebung feststellen lässt. So lautet die Überschrift in der ersten Ausgabe: Himmlisches Kleynodt/ Das ist: Ein gantz newes Gebettbuch/ darin lauter Himmlische und Göttliche Gebett/ welche disen HH. Jungfrawen S. Gertrudis Und Mechtildis Von Christo […] Mündtlich offenbahrt: Auß den Honigfliessenden und andern Büchern ihrer Offenbarungen herauß genommen […] auch mit grosser Schrifft und schönen Kupffern zieren wollen […] Sambt schönen Täglichen newen Officien auf alle Tag gerichtet / Von einer Hoch-Adelichen Person/ in dises Geistreiche Schatz-Kästlein getrewlich auß vilen Gebettbüchern zusammen getragen  22 Zum ersten Mal werden Kupferstiche erwähnt, welche den Druck zieren, gleichzeitig erfolgt eine Fokussierung wiederum auf die Funktion der Textstellen, denen überdies ein Jahreskompendium an Offizien beigebunden wurde, wobei das liturgisch orientierte Verfahren ein ebenfalls aus den Handschriften bekanntes Muster darstellt. 23 Die zweite Edition, ebenfalls bei Jäcklin gedruckt, elaboriert den Adressatenbezug: Himmlisches Kleynodt/ Das ist: Ein gantz newes Gebett-Buech/ Für das Hochadeliche Frawen-Zimmer: Auß den Honigfliessenden Offenbahrungen S. Gertrudis Und Mechtildis/ Auch auß andern alt: und newen Bettbüchern herauß genommen/ zu Trost aller andächtigen Seelen in dises geistreiche Kleynodt zusammen getragen / Von einer Hochadelichen Persohn […] übersetzt worden  24 Sowohl der Status als (Neu-? )Übersetzung wird hierbei betont als auch der definierte und intendierte Rezipientenkreis, das hochadelige, weibliche (Laien-)Fürstentum. Auch 7.1 Mechthilds Liber nach 1500 191 25 Exemplar: München, Bayerische Staatsbibliothek, Asc. 5568 d. 26 Exemplar: Berlin, Staatsbibliothek, 4° Na 8130-1/ 2. die Aktualisierung bzw. die Anreicherung durch andere Texte spricht der Titel an. Vor allem erfolgt wie bei den Kölner Ausgaben eine Akzentverschiebung dahingehend, dass Mechthild nun hinter Gertrud an zweiter Stelle genannt wird - so lassen sich ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zwar weitere Drucke vom Legatus bzw. des Gertruden-Buches nachweisen, Mechthild hingegen findet sich nur noch in Texten, in denen sie zusammen mit Gertrud erwähnt wird. Dieser Prozess spiegelt sich auch in den weiteren Drucken wider, etwa in dem erneuten Druck des lateinischen Gebetbuches 1684 sowie in einer weiteren Neuausgabe 1689 bei Friessem in Köln, ferner dem Tractätlein von Bleul, welches 1687 in Nürnberg herausge‐ geben wurde. Im Fortgang lassen sich bis zum Ende des 17. Jahrhunderts noch zwei Gebetbücher in Colmar, beide gedruckt von Johann-Jacob Becker im Jahr 1688, nachweisen, außerdem eine Ausgabe desselben Buches 1689 in Einsiedeln, wobei der Verleger dieses Mal den Namen Ochsner trug - 1691 publizierten die Mönche in Einsiedeln eine lateini‐ sche Version des Gebetbuches. In allen Städten scheinen die Erfolge für die Bücher auf konstantem Niveau gelegen zu haben, da sich in der letzten Dekade des Jahrhunderts weitere Neuausgaben der Werke der beiden Helftaerinnen nachweisen lassen, so von Jäcklin 1691 in München (mit dem Titel Geistlicher Baum), von Bleul in Nürnberg 1694 und 1696 sowie in Köln 1694, ebenfalls von Bleul gedruckt. Im Jahr 1700 erschien schließlich zum ersten Mal eine Ausgabe in Konstanz, bestimmt für das Fürstentum Kempten, gedruckt von David Haut. Der Titel vereint mehrere bereits bekannte Elemente und wird als Gebetbuch bezeichnet: Außerlesenes Geistreiches Gebettbuch/ Darinn Neben andern andächtigen Gebetten vil begriffen seynd/ welche Christus selbst von Wort zu Wort den HH. Schwestern Gertrudi und Mechtildi offenbahrt und Gelehrt; Wie auch mit grossen Gnaden zu belohnen versprochen hat: Mit Zusetzung eines gar schönen Tractätlein vom Mündlichen Gebett/ darinn erklärt wird/ wie nutzlich das Mündtliche Gebett sey/ und wie mau [sic! ] sich darinn verhalten soll  25 Im 18. Jahrhundert setzte sich die Entwicklung fort, auch wenn die Aufarbeitung bzw. Identifikation einzelner Druckschriften und deren Einarbeitung in Datenbanken noch zahlreicher Ergänzungen bedarf. Mit einem Druck in Prag 1710 durch Carl Ferdinand Arnolt lässt sich aber eine Kontinuität des Liber beobachten, da sich in diesem Fall die Hackebornerin in Gesellschaft anderer ›frauenmystischer‹ Texte befindet, wobei vor allem die Visionen und Texte der Marina von Escobar im Zentrum stehen, deren Buchstruktur (Aufteilung in sechs Bücher) sowie die thematischen Schwerpunktsetzungen stark an Mechthilds Text erinnern - wohl ein Grund, warum die Texte zueinander in Relation gesetzt wurden: Unergründliche Mystische Gold-Grube Göttlicher Offenbahrungen, Und Himmelische Legend der Heiligen: Dergleichen Nach der Heiligen Gertraud, Mechtild, Brigitta, Catharina von Siena, Theresia von Jesu, [et]c. Noch nie ans Licht gekommen: Und werden erzehlet In dem Wundersamen Leben, der-… Marina von Escobar  26 192 7 Mechthild auf dem Weg in die Moderne 27 Zumindest für diesen Druck lässt sich ein Fokus auf ›Frauenmystik‹ feststellen, wobei männliche Mystiker, etwa Johannes vom Kreuz, in den Hintergrund treten. 28 Möglicherweise erfolgte der Druck statt in Köln in Nürnberg. 29 Über die Unsicherheiten bzgl. des Druckortes bzw. des genauen Erscheinungsjahres vgl. den Katalogeintrag https: / / kxp.k10plus.de/ DB=1.65/ PPNSET? PPN=016619064 (31.3.2023). 30 Exemplar: Bibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin, Spa 1364 (vgl. VD18 12716642). 31 Der Kapuziner versteht sich schließlich zu Gertrud und nicht zur Hackebornerin besonders hinge‐ zogen. An dieser Stelle lässt sich auch eine Personalunion der beiden Gertruden feststellen, da Gertrud als die leibliche Schwester Mechthilds auftritt. Hier zeigt sich einerseits die Kontinuität in der Rezeption verschiedener mittelalterlicher Mystikerinnen, deren Texte bereits im Mittelalter miteinander verbunden wurden (neben Mechthild und Gertrud vor allem Katharina von Siena und Birgitta), aber andererseits auch die Integration jüngerer Visionärinnen, etwa Teresa von Ávila oder Marina von Escobar, wodurch einerseits bestimmte Traditionslinien verfolgt bzw. Legitimierungen der jüngeren Mystikerinnen vollzogen, andererseits ältere Texte und Autorinnen Aktualisierungen erfahren und somit in neue zeithistorische Kontexte eingebunden werden. 27 Auch in Köln 28 erfolgte weiterhin eine Fortsetzung der bisherigen Drucke, wobei bestimmte Leitlinien beobachtet werden können, wie etwa 1727 in der bei Peter Paul Bleul, wohl einem Nachfahren des gleichnamigen Druckers aus dem 17. Jahrhundert, erschienenen Edition deutlich wird: 29 Gertruden-Buch, Oder Auserlesenes, Geistreiches und Andächtiges Gebet-Buch: Darinn das wahre Marck der andächtigster von Christo und der Mutter Gottes selbsten gemachter, und den zweyen HH. Closter-Jungfrauen und leiblichen Schwestern, Gertruden und Mechtilden, Theils mündlich, theils durch den H. Geist offenbarter Gebetlein, begriffen seynd …: Mit Zusetzung eines gar schönen Tractätleins, daraus ein jeder klärlich sehen kan, wie das mündliche Gebet Gott und den Heiligen so angenehm, und dem Menschen so nothwendig und nutzlich ist / Durch Mühe und Fleiß Eines des Capuciner Ordens-Priestern, der H. Gertruden sonderlichen Liebhabern, von neuem gemacht, offt übersehen, und nun zum letztenmal verbessert und vermehrt  30 Es lässt sich eine Kontinuität der Bezeichnung als Tractätlein festellen, welches jetzt jedoch nur als Zusetzung behandelt wird. Außerdem tritt als Kompilator ein Kapuzinermönch auf, für den Gertrud eine bedeutende Rolle gespielt hat - ein Zeichen dafür, dass Mechthild auch weiterhin ordensübergreifend, und etwa nicht nur beschränkt auf spezifisch jesuitische Positionen, gelesen und verbreitet wurde. Des Weiteren lässt sich auch eine Verschiebung der Bedeutung bezüglich der beteiligten Frauen feststellen. Während einerseits Gertrud von Helfta als Haupt-Autorin bzw. Autorität angesehen wird und das Gertruden-Buch im Zentrum der Kompilation steht, so lässt sich andererseits Mechthild von Hackeborn in zweiter Reihe verorten, deren Gebeten lediglich eine schmückende Rolle, praktisch als Beiwerk, zugesprochen wird. 31 Die Funktionalisierung als Gebetlein verstärkt dadurch auch den performativen Charakter, der den Exzerpten zugeschrieben wird und die in ein größeres Gebet-Buch eingebettet werden. Mechthild dient somit lediglich als Autorität, wobei der Bezug zu Gertrud einerseits über die literarische Traditionslinie vollzogen wird, anderer‐ seits über die Verbindung der beteiligten Personen, so etwa über die familiäre Konstellation 7.1 Mechthilds Liber nach 1500 193 32 Vgl. auch Voaden (2010), S. 447. Vgl. auch Köpf (1998), S. 216f., über den Umstand, dass bei Tersteegen eine Priorisierung zugunsten Gertruds stattfindet. Zusätzlich findet bei ihm eine Zurückdrängung katholischer Elemente statt, z. B. bezüglich des Eucharistieverständnisses und mariologischer Passagen. 33 Newman (2017), S. 31, geht von insgesamt mehr als 30.000 Exemplaren des 1668 von Martin Cochem, einem Kapuziner, herausgegebenen Gebetbuchs aus. 34 Kiening (2011), S.-68. der beiden Schwestern. Deutlich wird, dass Mechthild im Zuge der Druckausgaben langsam aber kontinuierlich hinter Gertrud zurücktrat. 32 Zusammenfassend lässt sich Folgendes konstatieren: Der Liber erfuhr in den folgenden Jahrhunderten nach dem Leipziger Erstdruck eine ungebrochene Rezeption. Diese be‐ schränkte sich nicht nur auf bestimmte lokale Zentren. Stattdessen kann von einer Rezeption im gesamten Reich gesprochen werden, was sich durch die Druckorte belegen lässt (Leipzig, Köln, Nürnberg, München, Prag). 33 Die Herausgeber publizierten nicht nur den lateinischen Text, sondern Mechthilds Text wurde auch in der Volkssprache gelesen. Es lassen sich dabei mehrere Ergebnisse festhalten. Erstens muss man eine leichte Bedeutungsverschiebung zwischen den beiden Helftaer Nonnen Mechthild und Gertrud konstatieren, wobei Letzterer im Verlauf des Editionsprozesses eine größere Rolle beige‐ messen wurde als ihrer älteren Mitschwester. Zweitens kann vor allem eine Verschiebung bezüglich der Textform festgestellt werden. Während der Liber im 16. Jahrhundert noch als eigenständiges Werk gedruckt wurde, fand im 17. und 18.-Jahrhundert eine Schwerpunkt‐ setzung in Richtung der Gebetbücher statt, die verschiedene Gebete von verschiedenen Autoritäten, vor allem Gertrud und Mechthild, vereinten. Dass sich eine solche allgemeine Entwicklung bezüglich geistlicher Texte festhalten lässt, arbeitete bereits Kiening bezüglich der Einstellung gegenüber dem ›Buchkörper‹ heraus: Die frühe Neuzeit hat diese Idee nicht einfach preisgegeben, ihre Bindung an die Materialität des Buches aber gelockert. So wie generell mit der Ausbreitung gedruckter Bücher der Körper des Buches nicht mehr Garant für dessen Bedeutung ist, verliert auch die religiöse Heilswirkung des Codex an Gewicht. 34 Ein Blick auf die jeweiligen Kontexte zeigt, etwa bei der Perspektive auf die Kartäuser-Kom‐ pilatoren in Köln, dass bestimmte Intentionen Auswirkungen auf die Auswahl und den Kompilationsprozess der einzelnen Editionen besaßen. Auch die generelle Ausgestaltung der Gattung Gebetbuch, für die sich ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine Formung einer umfänglichen Privatfrömmigkeit verfolgen lässt, spielt hierbei eine Rolle. Zwar finden sich liturgische Gebetselemente vereinzelt schon früh in die Volkssprache über‐ setzt, aber erst mit der Ausgliederung und Übertragung von Teilen des Breviers, das seit dem Hochmittelalter den Textbestand der Stundenliturgie zusammenfasste, und des etwa zeitgleich entstandenen lateinischen Stundenbuches wird ab dem 14. Jahrhundert auch eine auf liturgischer Basis gründende private Gebetsfrömmigkeit in der Volkssprache schriftlich greifbar. Nicht mehr das bloß äußere Rezitieren lateinischer Gebete in gezählter Häufigkeit, sondern das innere Beten in 194 7 Mechthild auf dem Weg in die Moderne 35 Erhard (2015), S. 289. Zum Gebetbuch allgemein vgl. Ochsenbein (1988), Achten (1987) und Lentes (2006). Vgl. für das Gebetbuch der Ursula Begerin, unter ausführlicher Berücksichtigung sowohl der Materialität als auch des Inhalts, Hamburger / Palmer (2015). 36 Vgl. auch Hellgardt (2014), sich auf die Werke aller drei Helftaer Texte beziehend, S. 144f.: »This reshaping is made easier by the loose division of all three works into books and chapters, rather than into strict, systematic sequences. We see this particularly in Mechthild of Hackeborn’s Liber, where for long stretches chapters are strung together in chains of episodes or anecdotes.« Für Beispiele anderer Heiliger zu Beginn des Druckzeitalters vgl. zu Vinzenz Ferrer Smoller (2015), zu Katharina von Bologna Martinelli / Graziani (2015) und zu Lucia von Narni Zarri (2015). 37 Bereits 1857 war eine Übersetzung von Carl Reischl erschienen, vgl. Reischl (1857). Mechthild wird dort als »Mechtildis von Helfeda« bezeichnet. 38 Vgl. hierzu in der handschriftlichen Überlieferung Nemes (2015b). der Volkssprache im vollen Verständnis des Wortlauts rücken nun in den Mittelpunkt des laikalen Gebetslebens. 35 Somit zeigt sich wie im Handschriftenzeitalter auch im Druckzeitalter eine Verschränkung zwischen Rezeptionskontext und Textproduktion. 36 Betrachtet man also die Druckausgaben der (Frühen) Neuzeit, so erscheint die Ausgabe der Solesmenser Mönche keineswegs als spontaner Neubeginn der Beschäftigung mit dem Werk der Helftaerinnen. Sie stellt allerdings in dreifacher Hinsicht einen Neuanfang dar. Erstens als erste dezidiert nach dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit verfahrende Ausgabe, die sich auf die handschriftliche Überlieferung stützt. Zweitens, darauf aufbauend, als Versuch, einen kompletten Text des Liber herauszugeben - auch wenn dieses Unter‐ fangen, retrospektiv gesehen, unter methodisch problematischen Gesichtspunkten erfolgte. Drittens wurde durch die Hinzunahme des Legatus Gertruds im ersten Band und, wenn auch in subordinierter Weise, der Lux divinitatis der Mechthild von Magdeburg im zweiten Band, das Helftaer Duo um eine dritte Person erweitert - eine Retextualisierung eines Textes, der im Verlauf der Drucküberlieferung nicht berücksichtigt wurde. Durch die Einbettung in das Reformprogramm der Erzabtei Solesmes im 19. Jahrhundert lässt sich die Ausgabe in ein Gesamtprogramm einordnen. Deswegen verwundert auch nicht, dass die Edition auf Latein und nicht in der Volkssprache erfolgte. Dass diese Entwicklung aber auch für die Volkssprache von Bedeutung war, zeigt die nur drei Jahre später erschienene Übersetzung ins Deutsche von Müller, 37 die 1880 in Regensburg gedruckt wurde. Deren Titel, Leben und Offenbarungen der heiligen Mechtildis und der Schwester Mechtildis (von Magdeburg), Jungfrauen aus dem Orden des heiligen Benediktus, Herausgegeben nach den neuesten lateinischen Ausgaben, verdeutlicht, dass sie sich einerseits als Übersetzung der Edition verstand und somit die deutschsprachige hand‐ schriftliche Überlieferung ausblendete. Andererseits, praktisch nebenbei, integrierte Müller Mechthild von Magdeburg in den Benediktinerorden und stellte sie somit gleichwertig neben Mechthild von Hackeborn - wie auch die Schriftgröße bei Müller im Vergleich zum Titelblatt der Solesmenser Ausgabe angeglichen wurde -, auch wenn immer noch zwischen der [H]eiligen und Schwester gleichen Namens unterschieden wird. Beide Mechthilden unterscheiden sich jedoch nicht in der Schreibweise. 38 Im Vorwort erörterte Müller seine Übersetzungsprinzipien sowie die Zusammenstellung seiner Autorinnenwahl. Auch bei ihm lassen sich Bearbeitungstendenzen feststellen, die sich auf die Zusammensetzung des 7.1 Mechthilds Liber nach 1500 195 39 Vgl. generell zur Stifterfamilie Gottschalk (1955). 40 Vgl. hierzu Hubrath (1996), S.-108. 41 Vgl. Balthasar (1955). 42 Vgl. Balthasar (2001). 43 Vgl. Liber (2013). 44 Der Übersetzung fehlt das Kapitel III, 9b. 45 Vgl. Newman (2017). 46 Vgl. Barratt (2020). 47 Vgl. ebd., S. xxiv-xxx. Dinzelbacher (1999), Sp. 437, weist sogar die Autorschaft Mechthilds für das siebte Buch zurück: »[D]as letzte Buch enthält Offenbarungen Gertruds.« Textes beziehen. So kürzte Müller etwa eine Passage, in der Burchard von Mansfeld 39 dafür gelobt wird, sich im Zeichen der Demut sogar seiner Ehefrau unterworfen zu haben - möglicherweise um dem Vorwurf der Nähe zu einer dualistischen Leibfeindlichkeit, in der die Frau im Verhältnis zum Mann aufgrund ihrer Verkörperung des fleischlichen Prinzips dem männlichen Geist entgegenstehen und dabei eine inferiore Rolle einnehmen würde, zu entgehen. 40 Eine Auswahl an Kapiteln der drei Mystikerinnen Gertrud sowie der beiden Mechthilden bot der Schweizer Jesuit Hans Urs von Balthasar, einer der einflussreichsten katholischen Theologen der Nachkriegszeit, im Jahr 1955. 41 Balthasar versuchte, wie er im Vorwort in einer späteren Neuausgabe seines Buches darlegte, eine genuine Theologie der drei Helftaer Frauen in exemplarischen Kapiteln aufzuzeigen. 42 Zu diesem Zweck wählte er insbesondere Kapitel aus Buch III des Liber und stellte diese neben bestimmte Herz-Jesu-Kapitel aus dem Legatus. Die thematische Fokussierung gleicht exakt den Drucken aus früheren Jahr‐ hunderten, die ebenfalls, wenn auch weniger in akademischer denn spiritueller Hinsicht, ähnliche Redaktionsstrategien anwandten. Auch Balthasar nutzte die Solesmenser Edition als Vorlage. Die jüngste deutsche Übersetzung, erneut unter Benutzung der Ausgabe von 1877, wurde von Klemens Schmidt 2010 vorgelegt und im Eigenverlag des Klosters Münsterschwarzach veröffentlicht. 43 Schmidt folgte der lateinischen Edition kapitelgetreu, wenn auch mit kleineren Ausnahmen und ohne Berücksichtigung des zumindest in Ansätzen vorhandenen Apparates bzw. der Anmerkungen von Dom Paquelin. 44 Lediglich knappe Anmerkungen hinsichtlich der liturgischen Ordnung der jeweiligen Kapitel werden ergänzt sowie im Vorbzw. Nachwort äußerst kurz gehaltene Abrisse über die ›Biographie‹ Mechthilds, die Textgeschichte sowie das Kloster Helfta. In der angelsächsischen Forschung hat Barbara Newman im Jahr 2017 eine englische Übersetzung verfasst. 45 In dieser ordnet sie die Kapitel in acht Abschnitte ein, die zu einem Großteil der Reihenfolge der Solesmenser Ausgabe folgen, in einigen Fällen aber auch davon abweichen. So findet sich Kapitel II, 26 im sechsten Teil über Gertrud von Hackeborn wieder, während V, 30 im siebten Teil über Mechthild verwendet wird. Der achte Abschnitt vereint alle Kapitel, die sich auf den Liber selbst beziehen. Auch werden nicht alle Kapitel in der Übersetzung berücksichtigt - so fehlen etwa sämtliche Marien-Kapitel am Ende des ersten Buches. Eine Übersetzung des sechsten und siebten Buches, zusammen mit dem fünften Buch des Legatus, wurde 2020 von Alexandra Barratt herausgegeben. 46 Diese Zusammenstellung ermöglicht einen Vergleich der beiden Werke, insbesondere der teilweise wortwörtlichen Parallelen. 47 196 7 Mechthild auf dem Weg in die Moderne 48 Vgl. Halligan (1979) sowie die Neuedition von Mouron / Yoshikawa (2022). Vgl. hierzu Mouron / Yo‐ shikawa (2024, in Druckvorb.). 49 Grundsätzlich kann für die Rezeption des Liber im angelsächsischen Raum von einer vergleichbaren Rezeption bezüglich der Bedeutung Mechthilds als Autorität ausgegangen werden, vgl. das Fazit von McAvoy (2016), S. 87: »In fact, by the late fifteenth century, so embedded was Mechtild’s writing within English religious culture that her name alone, appended to both prayers and extracts, could offer a text, or, indeed, adjoining texts, both authority and validation.« Vgl. auch Newman (2017), S.-31. 50 Zu Vadstena vgl. den Überblick bei Fritz (2019), bes. S. 147-151 zur Bibliothek. Für eine Ausgabe vgl. Geete (1899). 51 Vgl. etwa Schmidt (1987). Für eine Handschrift des Liber in Spanien vgl. Toledo, Kathedralbibliothek, Cod. 21-3. 52 Vgl. Romero (2017) mit einem Abdruck. Außerdem wird in einem Abriss die Rezeption Mechthilds (zumeist als Melchides / Melchiades) auf der iberischen Halbinsel behandelt. 53 Vgl. Kirakosian (2017c), S.-258f. 54 Vgl. Cré (2006), S. 51: »The Carthusians did play a part in the dissemination of Mechthild of Hackeborn’s Liber in England as well as on the continent. […] Mechthild’s text, fragments of it and references to it can be found in many manuscripts associated with the Carthusians.« Vgl. auch McAvoy (2016), S.-71. Zur handschriftlichen Überlieferung vgl. Voaden (1996), S.-51. 55 Löser (2012), S.-158. Auf weitere mittelalterliche Übersetzungen oder deren Ausgaben, die etwa die mittel‐ englische Übersetzung The Book of Ghostly Grace  48 betreffen oder Übersetzungen der lateinischen Edition in andere Sprachen beinhalten, kann im Folgenden nicht eingegangen werden. 49 Dabei erscheinen weitere Forschungen bezüglich der fremdsprachigen Überset‐ zungen durchaus vielversprechend - etwa mit Blick auf die schwedische Übersetzung der Vadstena-Handschriften im Kontext der Birgitta-Rezeption. 50 Auch die Untersuchung der Rezeption auf der iberischen Halbinsel verspricht weitere Erkenntnisse, da in der Forschung des Öfteren Vermutungen über einen Einfluss Mechthilds auf die spanische Mystik angestellt, bisher jedoch keine überlieferungsgeschichtlichen Zeugnisse hierfür angeführt wurden. 51 Im Jahr 2017 hat Tomàs Martínez Romero auf eine katalanische Übersetzung aufmerksam gemacht. 52 Gerade der Einfluss auf Teresa von Ávila, Johannes vom Kreuz oder Maria Alacoque, die im Zuge der jesuitischen Tradition große Bedeutung besaßen, bedarf einer genaueren ideensowie motivgeschichtlichen Auseinandersetzung, 53 bei der sich der europäische Charakter zeigt, den der Liber in den folgenden Jahrhunderten nach seiner Entstehung besaß, wobei sich dessen Popularität nicht nur auf den deutschen oder gar oberdeutschen Raum beschränkte. Viel eher lassen sich Mechthild und ihr Text als supranationale Subjekte charakterisieren, denen weit über regionale und ›nationale‹ Grenzen hinweg Bedeutung zukam. Erstaunlicherweise geschah dies ohne ein spezifisches Netzwerk, sondern mit Hilfe verschiedener Gruppierungen wie etwa den Kartäusern, die den Liber nach England vermittelten. 54 Somit zeigt sich eine Rezeption ›von unten‹, die dem Text zu einer größeren Geltung verhalf, was den ›Prozesscharakter‹ deutlich verstärkt, den Löser als Charakteristikum einer solchen Verbreitung betrachtete. 55 Der Umgang mit den diversen Übersetzungen erweist sich allerdings als methodisches Problem, insofern als im Unterschied zur mittelenglischen Version keine Ausgabe vorliegt. Deutlich tritt die Abhängigkeit von der Solesmenser Edition zutage, deren Problematiken durch Übersetzungen weitertradiert wurden und einen grundlegenden Paradigmenwechsel im Umgang mit dem Text verhinderten. 7.1 Mechthilds Liber nach 1500 197 56 Löser (2016), S.-16. 57 Cerquiglini (1989), S.-43. 58 Vgl. hierzu und im Folgenden Oefelein (2004), S. 95-143, sowie dies. (2019a). Vgl. grundsätzlich zur Geschichte auch Bangert (1998). 59 Vgl. Oefelein (2004), S.-103 bzw. zur Neudatierung S.-108, und dies. (2019a), S.-52f. 60 Vgl. hierzu Montag (1968), S.-94-97. 61 Vgl. für Katharina und das von Pius II. entworfene ›neue‹ Modell Katharinas Krafft (2013), bes. S. 41: »For Pius, Catherine primarily was a protagonist of Christian Europe and not a saint for the Dominicans, albeit her cult was mainly propagated by this order. […] his interpretation of St Catherine was to remain influential, too. The differing strategies to canonize Catherine corresponded with divergent images of her as a saint.« Vgl. ebd. auch das Fazit des im Kampf um die Deutungshoheit mit den Dominikanern letztlich unterlegenen Papstes: »even the pope could not change the image that had been created by the Dominicans decades ago. […] Catherine’s […] case clearly shows the limits of the pope’s influence.« Vgl. hierzu auch Signori / Hamburger (2013), bes. S. 3, und Williams-Krapp (2012), S. 273-276. Für die Verbreitung der Texte über Birgitta im Erlöserorden und dessen Verbindungen nach Melk und Rebdorf vgl. Nyberg (1989), S.-389f. Es zeigt sich, dass sich auch moderne Ausgaben in Produktionskontexte einreihen lassen, dabei signifikante Deutungsmuster tradieren und bestimmen, welche Sinnmuster aus früheren Jahrhunderten sowohl in Handschriften als auch Drucken verfolgt werden. Auch wird deutlich, dass die Editionsgeschichte Teil der Überlieferung [ist]. Texte werden von ihrem fixierten, abgeschlos‐ senen Charakter befreit, wenn man sie als Prozess und im Verlauf sieht. Die Veränderungen und die Veränderbarkeit der Texte treten so in den Vordergrund. 56 Dass die Textgestalt immer Dependenzen mit dem gegenwärtigen Kontext aufweist, wurde daher in diesem ersten Schritt aus Perspektive des Textes betrachtet, oder um mit Cerquiglini zu sprechen: »L’édition est un choix: il faut trancher, et savoir les raisons du geste qui récuse.« 57 Im Folgenden erfolgt nun ein Perspektivenwechsel, der aus Richtung des Kontexts auf Mechthild und ihren Text blickt. 7.2 Außerliterarische Perspektiven Das Kloster Helfta erlebte einen raschen Niedergang im Verlauf des 14. Jahrhunderts. 58 Die Nonnen mussten bereits 1345 nach einem Überfall, bei dem das Kloster niederbrannte, eine neue Stätte suchen, welche sie vor den Stadtmauern Eislebens fanden. 59 Wenige Jahrzehnte später kehrten einige Nonnen von Neu-Helfta wieder nach Alt-Helfta zurück, wobei 1527 bzw. 1529 im Zusammenhang mit der Reformation das klösterliche Leben endgültig verstummte. Dieser Verlauf hatte zur Folge, dass keine Art der Lokalverehrung für Mechthild und Gertrud dauerhaften Bestand haben konnte, die sich auch in den frühen Handschriften nicht nachweisen lässt - auch wenn die Überlieferung aufgrund der größeren Verluste in Mitteldeutschland mit Vorsicht betrachtet werden muss. Gerade im Unterschied zu Birgitta 60 oder Katharina von Siena, die mit ihrem eigenen Orden bzw. den Dominikanern namhafte strukturelle Dispositive und Netzwerke zur Verbreitung ihrer Texte nutzen konnten, lässt sich ein solcher Umstand für den Liber nicht nachweisen, was besonders das 15.-Jahrhundert betrifft. 61 198 7 Mechthild auf dem Weg in die Moderne 62 Zu Helftas vielfältigem und ordensübergreifenden Netzwerk vgl. Oefelein (2019b). 63 Inwieweit in Bezug auf die Handschriftenkataloge die beiden Mechthilden vertauscht wurden, zeigt die Bearbeitung des Basler Bestandes durch Binz (vgl. Kapitel 3). Aber auch innerhalb der Forschung lassen sich Flexibilitäten beobachten, vgl. etwa Richstätter (1924), S. 15: »eine heilige Gertrud und eine selige Mechthild«, wobei auf die Hackebornerin mit dem Attribut der Magdeburgerin verwiesen wird. Dass dabei nicht auf die Magdeburgerin verwiesen wird, wird auf S. 73f. deutlich, in dem in Abgrenzung zur ›seligen‹ Mechthild die Magdeburgerin einer anderen Gruppe an Mystikerinnen zugeordnet wird, »denen auch Gelehrte, die der katholischen Kirche fernstehen, das Zeugnis höchster Wahrhaftigkeit und Lauterkeit der Gesinnung nicht versagen konnten«. Dass Gertrud in der ›Hierarchie‹ über Mechthild steht, zeigt ein Verweis auf S. 76: »Die hervorragendste jener begnadigten Ordensfrauen ist die heilige Gertrud die Große. Eng befreundet mit ihr war die ihr geistesverwandte selige Mechthild von Hackeborn.« 64 Vgl. die Feststellung bei Voaden (1996), S. 68, für die Überlieferungssituation in England: »It seems unlikely that anything was known of Mechthild of Hackeborn in England independent of her revelations.« Auch wenn verschiedene Orden Mechthild rezipierten und dabei direkt für sich zu vereinnahmen suchten (etwa Benediktiner und Zisterzienser), bleibt fraglich, ob diese Inanspruchnahme aus bestimmten Intentionen geschah oder aus Unkenntnis über die direkte Denominationszugehörigkeit. Diese Offenheit, die gerade nicht durch ein spezifisch beteiligtes Netzwerk wie im Fall Birgittas oder Katharinas bedingt wurde, eröffnete sowohl strukturell als auch individuell neue Lektüre- und Produktionsmöglichkeiten. 62 Mechthild wurde nie offiziell kanonisiert, womit sie sich von Heiligen wie Katharina unterscheidet, aber auch von Dorothea von Montau, deren angestrebte Kanonisation trotz intensiver Verbreitung des mit ihr assoziierten Textes, fehlschlug. Gerade Mechthild wurde innerhalb der Überlieferung allerdings durchwegs als Heilige bezeichnet, was sich von den ältesten lateinischen Handschriften bis hin zur Solesmenser Edition und zu deren Übersetzung durch Müller verfolgen lässt, die gerade in Abgrenzung zur Magdeburgerin die Hackebornerin mit diesem Attribut versahen. 63 Somit kann für Mechthild eine spannungsreiche Zwitterstellung konstatiert werden, die sich auf der einen Seite durch eine reiche Überlieferung sowie eine zugeschriebene Heiligenstellung ausweist, der aber auf der anderen Seite eine spezifische außerliterarische Verehrung bzw. die Entstehung und Kontinuität eines hagiographischen Textes über sie, zum Beispiel in Gestalt einer Legende, fehlt. Mechthild wird lediglich durch ihren eigenen Text am Leben erhalten, während der Text nur durch die Autorität Mechthild kopiert und tradiert wird. 64 Text und Person nehmen somit aufeinander Bezug und sind gleichzeitig aufeinander angewiesen. Diese Abhängigkeit stellt einen entscheidenden Unterschied zu anderen prominenten Mystikerinnen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit dar, bei denen einerseits eine stabile, rezipierte Textform vorliegt, oder andererseits Verehrungswege nachgezeichnet werden können, die ohne den Text auskommen. Zugleich zeigt eine solche Ausgangslage das Bedürfnis von Rezipierenden, literarische Angaben aus Mechthilds Text als historisch-faktual anzusehen, ohne dabei fiktional-li‐ terarische Aspekte zu berücksichtigen. Trotzdem scheinen diese Dependenzen in der absoluten Beziehung zwischen Text und Person, wobei Ersterer als Katalysator fungiert, für im Fortgang problematisch zu beurteilende Schlussfolgerungen verantwortlich zu sein. Deutlich wird dies im Eintrag des Ökumenischen Heiligenlexikons, dessen Angaben 7.2 Außerliterarische Perspektiven 199 65 Vgl. https: / / www.heiligenlexikon.de/ BiographienM/ Mechthild_von_Hackeborn.htm (31.3.2023). 66 Vgl. https: / / www.heiligenlexikon.de/ BiographienG/ Gertrud_von_Helfta.html (31.3.2023). 67 Vgl. etwa Repges (2002) und Finnegan (1991). Auch Köpf (1998) spricht von der »Rezeption der Helftaer Mystik«. 68 Gedacht werden kann hier vor allem an runde Jahrestage. 69 Vgl. Wallace (2011), S.-37-60. zur Biographie Mechthilds ausschließlich aus den Selbstaussagen des Liber schöpfen. 65 Interessant ist auch, dass der Gedenktag Mechthilds, der 19. November, als nicht-gebotener Gedenktag sowohl für den Benediktinerals auch den Zisterzienserorden gilt. Der Eintrag zu Gertrud von Helfta, welche später mit dem Attribut ›die Große‹ ausgezeichnet wurde, begegnet hierbei mit einer kleinen Nivellierung verglichen zu demjenigen Mechthilds. Ihr Gedenktag, der 16. November, stellt im Zisterzienserorden (sowie bei den Trappisten) einen gebotenen Gedenktag dar, der in den weiblichen Zweigen sogar als Fest gefeiert werden kann. 66 Diese leichte Unterscheidung im Bereich der Verehrung, die im Zusammenhang mit der Attributsverleihung ›die Große‹ kontextualisiert werden kann, hängt auch mit den Textualisierungsstrategien der beiden Werke zusammen, in denen Mechthild im Vergleich zu ihrer Mitschwester Gertrud im Verlauf der Rezeption in den Hintergrund rückt. Aufgrund der evozierten Selbstreferenzialität zwischen den einzelnen Personen und ihren Texten scheinen jedoch die Biographien selbst wenig Anlass zu einer breiten Verehrung zu geben, was sich auch an den fehlenden Patrozinien für die beiden Helftaer Schwestern zeigt, wobei Gertrud hier vor allem hinter ihre Namensschwester Gertrud von Nivelles zurücktritt, was durch die Verehrung in der Karolingerzeit different kontex‐ tualisiert werden kann. Von besonderer Bedeutung ist, dass seit der Wiedererrichtung des Klosters Helfta im Jahr 1998 - durch Nonnen der niederbayerischen Abtei Seligenthal - tatsächlich ein Verehrungsort für die Helftaer Mystikerinnen besteht, der gleichzeitig auch als Erinnerungsort fungiert. Ein solcher Kult manifestiert sich an der 2008 in Helfta errichteten Gertrud-Kapelle, die dezidiert Gertrud gewidmet ist. Auch hier lässt sich in letzter Instanz eine Priorisierung zugunsten Gertruds feststellen, die in der ikonographischen Darstellung der drei Mystike‐ rinnen in der Hauptkirche daher auch die Mittelposition einnimmt. Ferner wird durch den Einbezug der Magdeburgerin auch in diesem Fall eine Trias konstruiert, die spezifisch diese drei Mystikerinnen zusammenstellt und sich damit gegen andere mögliche Kombinationen richtet, welche gerade im Hinblick auf Mechthild von Magdeburg möglich wären (etwa in spezifischer Tradition der Beginen Marguerite Porète - Hadewijch - Mechthild). Somit erhielt der Fokus auf eine genuine ›Mystik von Helfta‹ weiteren Aufschwung. 67 Textent‐ wicklungen spiegeln sich in außerliterarischer Verehrung wider, während andererseits außerliterarische Perspektiven ihrerseits Auswirkungen auf die Manifestation der Texte besitzen. 68 Dass dies auch für andere ›frauenmystische‹ Texte zutrifft, beweisen die Beispiele Dorotheas von Montau und Birgittas von Schweden, deren außerliterarisches Schicksal sich an der Verbreitung ihrer Texte ablesen lässt - so wurde Dorothea vom Deutschen Orden für sich vereinnahmt und sogar zur Patronin Preußens erhoben, wobei seit dem Aufgehen Preußens im Deutschen Reich 1871 ein Bedeutungsverlust eintrat. 69 Dieser zeigte sich in der Folge auch an der Lokalverehrung in Marienwerder (Kwidzyn), die nach dem Ersten 200 7 Mechthild auf dem Weg in die Moderne 70 Vgl. Signori (2007), S.-11, mit einer Definition des Konzepts. 71 Vgl. Zieger (1974), S.-71. 72 Vgl. Kirakosian (2017a), S. 51: »Keine deutsche Mystikerin wurde je in ein allgemeines Legendar aufgenommen und nur eine einzige wurde je selig gesprochen und zwar beinahe 600 Jahre nach ihrem Tod.« Zum einen stellt sich hier die Frage, wie der Anachronismus »deutsch« zu verstehen ist, zum anderen zeigt ja gerade der Fall Mechthilds (wie auch Gertruds), dass durchaus eine Verehrung als Heilige erfolgte, wenngleich ohne formale Kanonisation - die sich zu diesem Zeitpunkt ja auch noch nicht herausgebildet hatte, vgl. Wetzstein (2004), bes. S. 209-213, dort auch mit definitorischer Differenzierung zwischen ›Heiligsprechung‹ und ›Kanonisation‹. Zu Konstituenten der Kanonisation vgl. Dinzelbacher (2007), S.-262f. 73 Vgl. Williams-Krapp (1990a), S.-39f. 74 Vgl. Beutin (1999), S.-153. 75 Signori (2007), S.-31. Weltkrieg und der neuen Zugehörigkeit zu Polen nicht mehr in dem gleichen Ausmaß erfolgte - somit ergibt sich ein Paradefall für eine ›patriotische Heilige‹. 70 Umgekehrt lassen sich für Birgitta durch die Entstehung und Kontinuität eines Kultes um Vadstena sowie ihrer Aufnahme in das kulturelle Gedächtnis einer schwedischen ›Nation‹ bestimmte Traditionslinien beobachten, was sich auch in der Handschriftenproduktion zeigt, zum Beispiel im Abschreiben des Liber in Vadstena. 71 Die Frage, welche jeweiligen Faktoren betrachtet werden, ist also berechtigt. 72 Die einzige Ausnahme für den Versuch einer Kult-Etablierung, die gleichzeitig mit einer Verbreitung des Textes in Verbindung gebracht werden kann, liegt möglicherweise in der späteren jesuitischen Verehrung Mechthilds, allen voran durch die Arbeit des Petrus Canisius, dem laut Williams-Krapp entscheidende Bedeutung in der Auseinandersetzung mit Mechthild zukam und der einer Legende nach mit einem Büchlein in der Hand starb, welches Gebete Mechthilds enthielt. 73 Auch bezüglich anderer prominenter Persön‐ lichkeiten wird von einer Lektüre Mechthilds berichtet. So besaß angeblich der Reformator Thomas Müntzer ein Exemplar eines Mechthild-Druckes. 74 Gerade bei Instabilitäten, wie sie im Falle Mechthilds sowohl durch fehlende außerli‐ terarische Quellen als auch durch die Instabilität des Textes selbst vorliegen, wird die Entstehung verschiedener Alternativsetzungen erleichtert. Somit erscheint das jeweilige Autoren-Subjekt bezüglich seiner Heiligkeit nicht als fest umrissene Gestalt, sondern als formbares Objekt für verschiedene Gruppierungen: Es sind, was bislang nicht genügend diskutiert wurde, auch keine ›Personen‹ mit biographischem Profil, sondern in erster Linie Symbole, Denkmäler, Erinnerungsorte, die in wandelbarer Gestalt von Geschichte, Freiheit und Unabhängigkeit künden. 75 Auch wenn Signori hier eher an Heilige anderer Art, etwa das bekannte Beispiel der Jeanne d’Arc, denkt, lässt sich das Konzept auch auf ›mystische‹ Heilige übertragen und wird mit Blick auf die Textkonstitution, manifestiert in den jeweiligen Textgeschichten, evident. Dieser Umstand lässt sich auch an der Forschungsgeschichte zu Mechthild nachweisen - auch in dieser Hinsicht können verschiedene Alternativen und Schwerpunktsetzungen aufgezeigt werden, welche mit unterschiedlichen Kontexten und aus differierender Per‐ spektive an Mechthild und ihren Text heranrücken, sich somit unterschiedliche Verflech‐ tungen aufzeigen, wie bereits Peters konstatierte: 7.2 Außerliterarische Perspektiven 201 76 Peters (2006), S.-192. Rather, the claim goes, texts generate their own contexts and are to a great extent interwoven with significant overlaps that result, as the various textile metaphors of the »culture as text«-discussion show: as texture, fabric, network, or tangle of discursive threads that are entwined in complex ways. 76 Es ist kein Zufall, dass somit in konsequenter Fortsetzung aufgezeigt wird, dass auch die Forschung als in ihrer Zeit stehend auf Mechthild blickt und dabei wieder ihren eigenen Text konstruiert - in ähnlicher Weise wie Rezipierende des Mittelalters. 202 7 Mechthild auf dem Weg in die Moderne 1 Mostert (2015), S.-102. 2 Kiening (2011), S. 67, betrachtet sie als »Paratexte, die zugleich dem auratisierten Text angehören (und damit an ihm teilhaben) u n d außerhalb von ihm stehen (und damit über ihn sprechen können). Das ist eine Kippfigur, die darauf angewiesen ist, dass die Übereinstimmung von Aussage und Ausgesagtem geglaubt wird.« Sperrung im Original. 3 Zumindest für die längeren Versionen, gerade der lateinischen Handschriften, vgl. zum Aufbau Ringler (1980), S. 10. Ähnlich die Vita der Christina von Hane, vgl. Kirakosian (2017a), S. 87. Auch der Druck von 1513 kann hier eingeordnet werden. 4 Löser (2012), S.-199. 8 Fazit und Ausblick Dem Liber specialis gratiae kann innerhalb der allgemein als ›Frauenmystik‹ bezeichneten Literatur eine paradoxe Sonderstellung zugesprochen werden. Als einer der am weitesten verbreiteten Texte seiner Gattung wird ihm kaum akademische Aufmerksamkeit zuteil. Insbesondere die germanistische Forschung ignorierte die große Rezeption des Textes in der Volkssprache, die diesem vor allem im 15. Jahrhundert zukam. Ferner lässt sich, angefangen bei den frühesten Überlieferungszeugen, eine Instabilität des Textes in mehrfacher Hinsicht konstatieren - bezüglich der Struktur können verschiedene Retextualisierungsstrategien beobachtet werden, die den Text und seine Einheiten - Bücher, Kapitelverbünde, einzelne Kapitel, Kapitelabschnitte, einzelne Sätze - verschiedenartig anordnen und in unterschied‐ lichen Kontexten arrangieren. Text- und Wissensorganisation anhand paratextueller Ein‐ heiten dienen als Indikator für hinter dem Text stehende Mentalitäten: Man kann geschriebene Texte auf viele verschiedene Weisen betrachten. Man kann sie einfach lesen wollen. Aber auch ohne den Text selbst zu lesen, können die Formen der Buchstaben und die Struktur des Textes auf der Seite Auskunft geben über die Organisation des Inhalts im Kopf des Autors oder Schreibers. Das Lesen jener Teile des Textes, die etwas über seine Struktur mitteilen (wie z. B. eine Liste von Kapitelüberschriften), vermittelt wertvolle Erkenntnisse über die Art und Weise der Organisation von Wissen in geschriebener Form. Die Gedanken, die im Werk zum Ausdruck gebracht werden, können wir nur einer Lesung seiner Worte entnehmen. Die Organisation des Wissens aber kann auf der geschriebenen Seite sichtbar gemacht sein. 1 Die Instabilität dieser Paratexte trägt entscheidend zur Refunktionalisierung bei, ist aber gleichzeitig konstitutiver Bestandteil, was ihnen den Status von Kippfiguren zuweist. 2 Dies führt zu einer Offenheit im Bereich der verschiedenen Funktionen, welche der Text in verschiedenen Rezipientenkollektiven innerhalb seiner Manifestationen einnimmt: An‐ gefangen bei vitenähnlichen Zusammenstellungen 3 über didaktische Unterweisungen bis hin zu Gebetbüchern lassen sich verschiedene Funktionen einzelner Überlieferungsträger nachweisen, die deutliche Rezeptionsspuren der jeweils verschiedenen Lektüreangebote aufweisen. Der Text ist, in einem vergleichbaren Fall wie bei Meister Eckhart, aber in seiner Prägnanz darüberhinausgehend, in anderen »Textsorten zuhause« 4 . Gleichzeitig begegnet diese Instabilität auch über den Ausgang des Handschriftenzeitalters hinaus, da sich mit dem Übergang in das Medium Druck die bereits zuvor zu beobachtende Funktionalisierung fortsetzt. 5 Röcke (1996), S. 26. Vgl. auch Bein (2004), S. 23: »[Der authentische Text ist; L. U.] so gut wie vollständig unzugänglich. Wir können nur - und auch dies längst nicht immer - Einblick nehmen in Prozesse der Überlieferung und vorsichtig Schlüsse ziehen aus den Erscheinungsbildern, auf die wir stoßen.« 6 Nemes (2010), S.-375f. Darüber hinaus lassen sich für den Liber im Vergleich zu anderen ›frauenmystischen‹ Texten aufgrund der Überlieferungssituation quantitative und qualitative Aussagen über das Rezeptionsverhalten tätigen. So können verschiedene Textmanifestationen im gleichen Überlieferungskontext, zum Beispiel in einem bestimmten Kloster, aufgefunden werden - im Fall der Kartause Basel ermöglicht dies auch Aussagen über das Verhältnis zwischen Latein und Volkssprache. Auf größerer Ebene rezipieren verschiedene Denominationen den Liber anders und versuchen, ihn für ihre eigenen Zwecke zu vereinnahmen, etwa im charakteristischen Unterschied zwischen manchen zisterziensischen und benediktinischen Handschriften. Nicht der ›originale‹ Text, sondern der jeweils ›gemachte‹ Text steht im Zentrum, um dahinterliegende Mentalitäten greifbar zu machen, wie Röcke in Anlehnung an Duby feststellte: »Denn - so Georges Duby - die Menschen richten ihr Verhalten nicht nach den realen Gegebenheiten aus, sondern nach dem Bild, das sie sich von ihnen machen.« 5 Der Liber lässt sich aufgrund seiner Offenheit als ordensübergreifende Lektüre charakterisieren, was ihn von anderen Werken unterscheidet. Diese Offenheit wird nicht ›von oben‹ gesteuert, sondern die Rezeption des Textes vollzieht sich ›von unten‹, wobei die textuelle Dynamik gleichzeitig als Gradmesser kontextueller Entwicklungen gelesen werden kann. Somit beschreibt Nemes zwar zutreffend, dass es Bereiche der mittelalterlichen Literatur gibt, in denen wir ein Interesse an der Bewahrung des authentischen Textes nicht nur bei den Literaturproduzenten, sondern auch bei den Literatur‐ rezipienten beobachten können, und dies sogar jenseits solch normativer Textbereiche wie die der biblischen und liturgischen Schriften sowie der Klassiker der paganen und christlichen Antike. 6 Allerdings lässt sich in differierenden Fällen eine spezifische Funktionalisierung des jeweiligen Textes erkennen, die sich verändernden Kontexten und Rezeptionsbedingungen anpasst und durch einzelne Überlieferungsträger repräsentiert wird. Diese Rezeption beschränkt sich nicht nur auf das Handschriften- oder Druckzeitalter, sondern schließt die Entwicklung der vergangenen 150 Jahre sowie der akademischen Beschäftigung ein. Der Liber lässt sich daher als Katalysator bezeichnen, an dem jeweils gegenwärtige Interessen der den Text rezipierenden Individuen und Gruppen offenbar werden. Es ergibt sich ein Status als Text, an dessen Rezeptionsprozess simultan spirituelle, literarische, akademische und wissenschaftsgeschichtliche Interessen teilhaben. Gleichzeitig stellt sich iterativ die Frage nach der damit verbundenen Textmanifestation, die wiederum in eine Textproduktion mündet - eine Aufbereitung und Neuausgabe des Liber als spirituelle Lektüre erfolgt auf andere Weise als eine wissenschaftliche Ausgabe, welche zum Ziel hat, sämtliche Varianten der einzelnen Handschriften wiederzugeben. Auch die vorliegende Arbeit als philologische bzw. rezeptionshistorische Studie lässt sich letztendlich in eine solche Tradition einordnen, wobei hierdurch der überlieferungsgeschichtliche Charakter selbst reflektiert wird: 204 8 Fazit und Ausblick 7 Löser (2016), S.-19. 8 Bihrer (2011), S.-274. Wenn aber Überlieferungsgeschichte das Produkt unserer Erzählungen ist, dann ist sie auch in diesem Maße Rekonstrukt (ganz so wie dies der aufgrund eines Stemmas rekonstruierte edierte Text ist). 7 Somit wird auch die bereits von Bihrer gestellte Forderung umgesetzt: Die Forschung sollte schließlich nicht mehr von scheinbaren Entitäten und größeren sozialen Gemeinschaften ausgehen, sondern gerade den umgekehrten Weg wählen und damit die Perspek‐ tive umdrehen, indem sie den Konstruktcharakter von Wirkungsebenen anerkennt und dabei insbesondere die argumentative Nutzung von Begegnungen in unterschiedlichen Konstellationen in den Blick nimmt. 8 Mechthild von Hackeborn lässt sich im Spannungsfeld zwischen Erinnern und Vergessen einordnen. Außerliterarische Entwicklungen wie die Wiedererrichtung Helftas sowie das wiederkehrende Interesse auch außerhalb der Fachwissenschaft begünstigen eine kontinu‐ ierlich stärker werdende Verankerung im kulturellen Gedächtnis. Größtes Hindernis einer weiterreichenden Beschäftigung stellt immer noch das Fehlen einer wissenschaftlichen (Neu-)Edition dar, was einerseits den lateinischen Text betrifft - in Anbetracht der Probleme der Solesmenser Edition von 1877 -, andererseits das komplette Fehlen einer volkssprachlichen Ausgabe, sieht man von Übersetzungen der Solesmenser Edition ab. Hierfür bedarf es einer weiteren überlieferungs- und textgeschichtlichen Aufarbeitung des zahlreichen Handschriftenmaterials. Die vorliegende Arbeit versteht sich daher als ein Baustein auf diesem Weg. Auch zukünftige Rezipierende werden unterschiedliche Lektürewege einschlagen und dabei in die Fußstapfen von Vorgängern treten oder neue Pfade einschlagen - Rezeptionsmöglichkeiten, die den Liber aufgrund seiner Offenheit von Anfang an auszeichneten und vermutlich auch in Zukunft auszeichnen werden. 8 Fazit und Ausblick 205 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) Transkriptionsrichtlinien Zur besseren Lesbarkeit wurden behutsam folgende Eingriffe in den Text vorgenommen: ● Keine Beibehaltung der originalen Zeilentrennung (Worttrennung nur beibehalten, falls über die Seitengrenze hinausgehend) ● Auflösung von Abkürzungen / Nasalstrichen (z.-B. ›xpm‹ als ›Cristum‹) ● ›vn̄‹ wird als ›vnd‹, Schaft-›s‹ als normales ›s‹ transkribiert. ● Korrektur offensichtlicher Schreib- / Setzfehler unter Angabe des gedruckten Textes im Apparat ● Vorsichtige Anpassung der Interpunktion; Groß- und Kleinschreibung wurde beibe‐ halten, lediglich Eigennamen werden durchgehend großgeschrieben. ● In wenigen Fällen Zusammenschreibung / Getrenntschreibung zur besseren Lesbarkeit geändert. Auch hier wird die Abweichung im Apparat kenntlich gemacht. ● Die lateinische Blattzählung des Druckes wurde beibehalten, das Titelblatt bzw. Register wird jedoch mit f. a i, a ii etc. gezählt, da der Druck diese nicht nummeriert. ● Reklamanten sowie Blattangaben werden nicht transkribiert. ● Ausgesparte Initialen (mit Platzhalter) werden als Majuskel transkribiert. Benutzt wurde das Exemplar 4 P. lat. 885 d der Bayerischen Staatsbibliothek München. Dieses stammt aus dem Birgittenkloster Altomünster und trägt einen Besitzvermerk auf f. a i r : Coenobium Altomünster 1578. Als vermutlich alter Einband (ergänzt um einen modernen Holzdeckel) dient ein altes Handschriftenblatt (Pergament? ), vermutlich ein Graduale, da sich mehrere Psalmen (u. a. Ps 9 Narrabo omnia mirabilia tua, Ps 18 (17) Factus est dominus protector meus, Ps 27 (26) Dominus illuminatio mea) sowie deren Stellung im Proprium erkennen lassen. 1 wilvnd Der Liber specialis gratiae (1508) [a i r ] Ein sonderlich nutzlich vnd trostlich buchlen. Allen den, dy got forchten vnd im gerne beheglich sein wolten. Auch den, die in widderwertigkeit sein, ader krancken vnd an yrem letzten ende ligen mit vil schonen vnd liplichen gebeten. Seliglich vnd nutzlich czu leszen vnd czu horen. Auff begere vnd kost der durchleuchten hochgebornen furstin vnd frawen, frawen Zdena, geborn von koniglichem stamm czu Behem, hertzogin czu Sachsszen Lantgraffin in Doringen vnd marggrauin czu Meissen, witwen, czu besserunge vnd selickeit frommer andechtiger menschen vordeutzscht vnd gedruckt. [a i v ] leer [a ii r ] Das register dises buchlens vnd hat xij capitel. ¶ Das erste capitel lernt, wie der mensch das hertze gotes loben solle vnd sich got opffern mit alle seinen glydern. an dem andern blat. ¶ Das ander capitel sagt, was der mensche vor andacht vor einer itzlichen geczeiten ader in seinem gebete haben solle. vnd hat drey artickel. An dem iii. blat. Der erste artickel sagt von einer sonderlichen andacht. an dem iiij. blat. Der ij. artickel sagt aber von einer sonderlichen andacht. an dem iiii. blat. Der dritte artickel sagt, was der mensche vor seine vorseumlickeit, die er vnder den geczeiten ader sust vnder seynem gebete vorbringet, thun solle. an dem v. blat. ¶ Das iij capitel sagt von dem ampte der heilgen messe, wie nutzlich vnnd vordinstlich es ist, mit andacht do bey czustehen. an dem v. blate. ¶ Das iiij. capitel sagt von der entphaunge des aller edelsten sacraments des czarten fronen leichnams Cristi Iesu. wie gar fruchtbar es ist dem menschen, das czu entpfaen, vnd wie sich der mensch dorzu schicken vnd bereiten solle. vnd dises capitel hat v artickel. an dem ix. blat. ¶ Der erste artickel sagt, was der mensche bedencken vnd betrachten sal, so er czu dem heilgen sacrament gehen wil. an dem ix. blate. ¶ Der ander artickel lernt, was der mensche thun sal, so er czu dem heilgen sacrament gehen wil vnd 1 nicht andacht bey sich entpfindet. An dem x. blat. ¶ Der dritte artickel sagt, wie der mensche die mutter gotes anruffen solle, so er czu gotes tische gehen wil. An dem xi. blat. [a ii v ] ¶ Der iiij. artickel lernt, das der mensche offte czu gehen solle czu dem heilgen hochwirdigen sacrament. An dem xij. blat. ¶ Der funffte artickel lernt, was der mensche den tag begynnen ader thun solle, so er czu gots tische gegangen ist. An dem xij. blat. 208 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 2 arrickel 3 sollen ¶ Das funffte capitel sagt, wie der mensche got mit seinem sonderlichen gebete loben solle. vnd das capitel hat xvi artickel. an dem xiiij. blate. ¶ Der erste artickel sagt, wie der mensche beten solle czu der heilgen drifaldickeit. an dem xiiij. blate. ¶ Der ander artickel sagt, was der mensch vor andacht in dem gebethe vben solle gegen vnserm hern Iesu Cristo. an dem xv. blat. ¶ Der iij. artickel sagt, wie sich der mensche vben solle in der betrachtung des bittern leidens Cristi. an dem xvi. blat. ¶ Der iiij. artickel sagt, wie der mensch ersufftzen solle in der betrachtunge des bittern leidens Cristi. an dem xvii. blat. ¶ Der funffte artickel lernt, wie der mensche Cristo vnserm hern vmb etliche sonderliche artickel seins heilgen leidens sonderlich dancken solle. an dem xviij. blat. ¶ Der vi. artickel lernt, wie das gantze leiden Cristi in syben artickeln begriffen sey vnd wie der mensche noch den syben artickeln ader glydern eins fyngers das selbige betrachten moge. An dem xviij. blat. ¶ Der vii. artickel lernt, wie der mensche in seinen funf synnen vnd in alle seinen glidern den hern Iesum loben solle. an dem xix. blat. ¶ Der viij. artickel lernt, was der mensche vor andacht beweiszen solle gegen den wunden Cristi Iesu. an dem xx. blat. ¶ Der ix. artickel lernt, wie der mensche offte geistlich die wunden Cristi kussen solle. an dem xxi. blat. ¶ Der x. artickel sagt von funff sunderlichen frouden [a iii r ] die der herre Iesus in seiner frolichen vffersteunge entpfangen hat, die der mensche in seyner andacht betrachten sal. an dem xxii. blat. ¶ Der xi. artickel sagt von dreyen sonderlichen dingen, die der mensche offte in seinem gebethe bedencken sal. An dem xxiij. blat. ¶ Der xii. artickel lernt, wie sich der mensche in andacht gegen der mutter gots beweiszen solle vnd sonderlich bedencken den engelischen grus. an dem xxiiii. blat. ¶ Der xiii. artickel lernt, wie der mensch czu allen heilgen gots in seinem gebet zuflucht haben solle. an dem xxvi. blat. ¶ Der xiiij. artickel lernt, wie der mensch bitten solle vor die stende der heilgen kirchen. an dem xxvi. blat. ¶ Der xv. artickel 2 lernt, wie der mensche das heylge vater vnser vor die vorstorben, auch vor die lebenden sprechen solle. An dem xxvii. blat. ¶ Der xvi. artickel lernt, wie sich der mensch in seinem gebethe widder die tragheit vnd so er nicht andacht entpfindet halden solle 3 . an dem xxix. blat. ¶ Das sechste cappitel sagt, wie sich der mensche in auszwendiger erbeit vben solle. vnd dis capitel hat ij artickel. an dem xxix. blat. Der erste sagt von den wercken der demut. an dem xxx. blat. Der Liber specialis gratiae (1508) 209 Der ander artickel sagt von den wercken der liebe ader barmhertzickeit. an dem xxx. blat. ¶ Das vij. capitel sagt von den wurckungen der andechtigen begirden vnd eins gutten willens. Und diszes capitel hat iij artickel, die do sagen, wie got den guten willen des menschen vor die that an nimpt. an dem xxx. blat. ¶ Das viij. capitel sagt vnd lernt, wie sich der mensch vor sunden bewaren solle vnd wie er sein gemute in got erheben solle. vnnd ditz cappitel hat ix artickel. an dem xxxij. blat. [a iii v ] Der erste lernt, was der mensch thun sal, so er aus seynem hausze geht. an dem xxxiij. blat. Der ii. lernt, wie sich der mensch in wurcklicher andacht erheben solle in alle dem, das er mit seinen synnen begreiffen magk. an dem xxxiii. blat. Der dritte artickel lernt, wie sich der mensche bewaren solle, das er durch die auszwen‐ digen lustlichen dinge nicht vorfurt werde. an dem xxxiiii. blat. Der iiii. artickel lernt, was sunde ist. dorzu sal der mensch keine lust ader begirde haben. an dem xxxiiii. blat. Der funffte artickel lernt, wie sich der mensche in seyner anfechtunge halten solle. an dem xxxv. blat. Der vi. artickel lernt, in was meinung der mensch dy notdorfft seins leibes czu sich nemen solle. an dem xxxv. blat. ¶ Der vii. artickel lernt, wie der mensche anderer leute dinst annemen solle. an dem xxxv. blat. Der viii. artickel lernt, was der mensche beginnen sal, so er alleine ist. an dem xxxv. blate. Der ix. artickel lernt, wie sich der mensche haltenn sal, wen er bey andern leuthen ist. an dem xxxvi. blat. ¶ Das ix. capitel sagt von etlichen sonderlichen trostlichen offenwarungen, dor aus der mensch vil trosts nemen magk. vnd ditz capitel hat vii artikel. an dem xxxvi. blat. Die ersten iii artickel sagen von etlichen trostlichen offenwarungen etlicher sonderlicher person. an dem xxxvi. vnd xxxvii. blat. Der iiii. artickel sagt von einem sonderlichen trost aller sunder vnd sunderin. an dem xxxviii. blat. Der v. artickel sagt von einem sonderlichen trost aller geistlichen person. an dem xxxviii. blat. Der vi. artickel sagt von einem sonderlichen trost aller lebenden menschen vff erden. an dem xxxviii. blat. Der sybent artickel lernt, wie der mensch auch schlaf- [a iv r ] fende gros bey got vordinen moge. an dem xxxviii. blat. ¶ Das x. capitel sagt vnd lernt, wie im der mensche die werck Cristi eygen machen konne vnd solle. vnd dis capitel hat ij artickel, die lernen die weisze vnd wege, wie im der mensch dy werck Cristi eigen machen konne vnd solle. an dem xxxix. vnd xl. blat. ¶ Das xi. capitel lernt vnd sagt, wie der mensch seyne gebrechlickeit vnd vorseumpnus erfullen vnde widder bringen moge. vnd dises capitel hat viii artickel, die do alle von solcher erfullunge vnd widder bringunge sagen. an dem xl. bis an das xlv. blat. 210 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) ¶ Das xij. capitel sagt von mancherley czuflucht, dy der mensche in seiner widderwer‐ tickeit vnd beschwerunge suchen vnd haben solle. vnd sonderlich sagt dises capitel von czwentzigerley czuflucht. an dem xlv. bis an dz li. blat. ¶ Dornach folget ein vnderweisunge, wie der mensche sein gewissen in reinickeit behalten moge mit vil schonen gebethen. an dem li. blate. ¶ Dornach folget auch ein sonderliche vnderweisunge vor geistliche personen vnd andere, die got forchten, wie sie sich in alle iren wercken halten sollen, auch mit vil schonen vnd liplichen gebethen. an dem lix. blate bis an das lxvii. blate. ¶ Czu letzt fyndet man eine sonderliche nutzliche vnderweisunge mit fast schonen liplichen gebeten, wie der mensche czum allerwenigsten ein mal in dem iar die stunde seins todes bedencken vnd sein selbst begengnus ader gedechtnus halten solle. An dem lxviii. blat bis an das ende. ¶ Hie hebt sich an das buchlen der vbunge andechtiger menschen ader der richtsteygk des gemuthes in gott. [a iv v ] leer [i r ] Die vorrede in das buch der vbungen gotforchtiger vnde andechtiger menschen. Das buch geistlicher gnaden ader der offenwarungen der selichen iungfrawen Mechtildis, etwan closter iungfrawen des closters Helffede im lande czu Sachssen bey Eiszleben gelegen. ist vnde wirdt von vil treflichen gelarten vnde erfarnen in der heyligen schrifft gelobet, das solch buch nicht alleyne in guttigem glawben zu gedulden sey, sondern es were auch wirdig, das es mit guldenen buchstaben geschriben wurde, dan es beschleust in sich vil sonderliche vnde aller eren wirdigk lere vnd punckt. doch seindt die furnemlichsten stucke vnde nutzlichsten leren, die do gleich als der kern diszes buchs geachtet sein, auszgeczogen vnde in ein clein buchlein zusamen getragen, do mit es die gotforchtigen vnd andechtigen menschen als zu einer teglichen vbunge stets bey der hant haben mogen. Doch ist disses buchlein nicht noch der ordenunge des originals ader vrsprunglichen buchs geistlicher gnaden geordent vnde gemacht. Sondern szo vil man sich hat duncken lassen das es zu der andacht dynen wolle, dan offte die dinge, die in dem letzten buche ader in der mittel gemelts originals geschriben sein, vorn [i v ] an stehen vnd die dinge, die in dem ersten ader andern buche stehen, czu letzt beruret werden vnd also wydder vmb. Doch ist im grunde vnd in dem synne in den dingen, do von das original sagt, durch solche voranderunge nichts vorwandelt, auch nichts dorzu gesatzt ader do von genommen, so vil sichs hat leyden wollen, wenigk wort auszgeschlossen, die zu besserunge der andacht aus grunde der schrifft dorzu geczogen seindt. Unde man mag diszes buchlein nennen den kern der offenwarunge sancte Mechtildis. Ader den richtsteigk des gemuthes in got. Ader die vbunge der andechtigen menschen. Unde hat xij capittel noch der czal vnd czu eren der xij apostel, auch der xij artikel vnszers heyligen glowbens vnde der xij capitel der regel sancti Francisci barfuszer ordens, do durch angeczeygt wirdt, das dysses buchlein nicht entgegen ist der lere der heiligen zwelfboten. vnd ist zu einer Der Liber specialis gratiae (1508) 211 4 czugyssen 5 vor vnreynet czyre vnszers allerheilgsten glawbens zusammen getragen von einem bruder des ordens sancti Francisci vnd im selbst gleich als zu eyner regel vnd vbunge der andacht teglich vnd ewiglich zuhaben in solche ordenunge bracht. vnd so er die also helt, vorhoft er mit gots hulffe wurcklich in seinem gemute in Cristum vnd durch Cristum, dan er ist der wegk in dy beschawlickeit der heiligen gotheit, getragen czu werden Und nachfolgende werden ein warer nachfolger der heiligen zwelffboten, ein vleissiger hanthaber seiner regel, ein bestendiger vnd getrawer liphaber, hindan gestalt allem irthum vnsers heiligen glowbens. vnd das er also die sussickeit der andacht, das ist Cristus vnsers hern hie als vnder einer schalen kosten vnd zu letzt in das ewyge leben, do di warhaftige speisse ane schalen vnd in aller settickeit sein wirdt, das ist Cristus, selicklich kommen moge. [ii r ] Wie der mensche got in sein hertze czyhen vnd das hertze gots grussen moge vnd sein hertze vnd alle seine glydere got befelhen vnd opffern solle. Das erste Capitel. [IV, 30] FRue so du am ersten vff stehst, saltu so vil du magst in gantzem hertzen czu mir erseufftzen, begerende, das ich den selben tag alle deine werck in dir wircken vnd vben wolle. vnd alszo durch das sufftzen mich in dich czyhende (wie wol sust kein dingk, wie kleine das ist, alleine durch gedancken magk erlanget werden) wirdstu meyn cleydt. Unnd als der leip lebet vnd geregiret wirdt aus der sele, Also die sele aus mir lebende wurckt alle dingk durch mich. [III, 17] Dornach grussze das bluende vnnd liphabende hertze deins allerlibsten liphabers, von dem alles gut, alle frewde vnnd alle selickeyt geflossen ist, im hymmel vnnd vff erden flewst vnd wirdt flyssen ane ende. vnd befleissige dich als dan aus allen krefften, deyn hertze in sein hertze czu gyssen 4 , also sprechende. Ich lobe, gebenedeye vnd grusse dich, allersustes vnd aller guttigstes hertze Ihesu Cristi, meins aller getrausten liphabers, dir dangsagende vmb die getrawe vorwarunge, do mit du mich disse nacht beschyrmet vnd vor mich lop vnnd dangsagunge vnd alle dinck, die ich solte betzalt haben, got dem vatter ane vnderlas beczalt hast. Unnd nuh, O einiger mein liphaber, gutiger Ihesu, wie wol du vnszerer guttere nicht notdorfftig bist, Ich armer [ii v ] dorfftiger mensche, stehende in der gegenwertickeit deyner vnmessigen gutickeit, opffer dir gentzlich vnd vffs aller mildiglichste mein hertze vnd bit vor das erste vffs demutigste, das von dir anzunehmen als ein wol bluende rose, also das dich seyne lustbarheit bewege vnd sein roch, dein gotlich hertze erlustige alszo, das du itzundt als etwan sprechen mogest. Meine wollust ist zu sein bey den kyndern der menschen. Czum andern als einen becher, vffs aller kunstreichste vorguldet, do mit dich geluste, dein selbst sussickeit dor ein zugyssen vnd alwege widder auszczutrincken mit allem gutten, das du heute in mir in meinem hertzen, in meinem munde vnd in meinen wercken geruchst gnediglich zu wircken. Du wollest auch das, alszo eingyssende, erfullen mit der selbigen reynsten feuchtickeit deyner wunsamen sussickeit, do mit es durch keynerley der aller vnreinsten werntlichen sussickeit, schlam, vnflat ader heffen szo in das hertze eingehen, vorvnreynet 5 ader der 212 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 6 I Cor 6,17. Das Zitat findet sich nicht in III, 17 des Liber, es handelt sich also um einen Zusatz. 7 beuil h 8 itzlicheu selben anhangende, moge mit ichte vorbittert werden. Czum dritten, als ein allerschonsten malogranat apffel, der do czimpt deinem koniglichen wol leben, das du das essende also in dich nemest, das es sich hynforder alwege seliglich in dir erfynde vnd dir do selbst also voreyniget werde, dz alle seyne begirden geordent werden noch deinem gotlichen hertzen. vnd das es alles wolle, was du wilt, vnd nicht wolle, was du nicht wilt, vnd das es auch nichts anders moge wollen ader nicht wollen, dan was du wilt ader nicht wilt, beyde in gluckseligen vnd auch in widderwertigen zufellen ewiglich, als dein heiliger czwelffbot Paulus, der do sprach. wer got anhengt, der wirt mit ym ein geist, 6 also warhafftig erfunden werde. Solchs wollest du mir vorleyhen aus der selbigen deiner gut [iii r ] tickeit, der du lebest vnnd regnirest got in ewige ewickeit. Amen. ¶ Du salt auch dein gesichte beyde, das inwendige vnd auch das auszwendige beuelhen der gotlichen weiszheit. Dein horen saltu auch beuelhen der gotlichen barmherczickeit, bittende, das er dir czu alle dem, das du den tag horen wirdst, vorstentnus gebe vnd dich beware vor schedlichem gesichte vnd horen. Deynen mundt vnde deine stimme beuilh auch gotlichem vortrawen, bittende, das er dir eingysse den schmack seyns gotlichen geists, do durch dir alle ding, die du den tag reden salt, schmecken mogen. vnd das er deinen mundt offne in seynem lobe vnd dangsagunge vnd vorware dich vor aller sunde. Sonder aber deyne hende beuilh 7 gotlicher guttikeit, bittende, das sie deyne werck zulegen wolle zu iren wercken vnd in den selben heilgen vnd volkommen machen wolle, deine werck vnd dich abezyhe von allen boszen wercken Amen. ¶ So du czu chore ader zu kirchen gehen, deine geczeiten anheben ader bethen wilt, ader was du vor gute werck anheben wilt, so thu vnd sprich wie folget vnnd glowbe got, das solch werck, das du als dan thust, nicht magk vorloren werden. czeichen dich mit dem czeichen des heilgen creutzes, sprechende in dem namen des vaters vnd des sones vnd des heilgen geistes Amen. Heiliger vater, in der voreynunge der heiligen libe deins allerliebsten sones beuelh ich dir meynen geist. Unde nicht alleyne wirdt das selbe gute werck nicht vorlorn. Sonder es wirdt auch dem herren Ihesu gros angeneme. Szo der, der das werck thut bey vnd mit sich hat die liebe, das ist, das er alle seyne werck thut in der voreynunge der lybe, do durch got mensche worden ist. [iii v ] Was der mensche vor andacht vor einer itzlichen 8 gezeiten ader in seinem gebethe haben solle. ¶ Das ander Capitel. [III, 29] DEm noch szo der mensche am ersten in der nacht ader des morgens vffgesteht, szo spreche er das ampt der heiligen metten ader was sein andacht ist czu eren der liebe, do durch sich der her Iesus williglich gefangen gegeben hat in dy hende der vngutigen vnd do durch er gehorsam worden ist dem himlischen vater bys in den todt. vnd sal sich in seinem hertzen schicken gehorsam zu sein in allen dingen, die im aufgeleget werden. auch der massen, so es im moglich zuuorbringen allen gehorsam, den ye yrgent ein heilge vff Der Liber specialis gratiae (1508) 213 9 aufange 10 Mt 20,28 erden erfullet hat. ¶ Sondern czu der prime zeit vmb der ere willen, der sonderlichen demut, als der her gleich einem allerguttigsten lam vor dem allerunwirdigisten richter Pylato vor gerichte gestanden, sal sich der mensche vmb gots willen vnderwerffen aller creature vnd bereit sein, zuuorbringen alle einfeldige demutige dinge. ¶ Czu tercie czeit Sal sich selbst der mensch vmb der libe willen, das der herre vorspottet vnd vorspeyet vnd mit allerley lesterunge gesetiget ist worden, vorschmeen vnd geringe achten. ¶ Czu Sexte czeit sal der mensche im selber die werldt creutzigen vnd sich der werldt creuczigen vnd gedencken, wie der liphaber Cristus vmb seiner lybe willen an ein creucz genagelt vnd derhalben sollen im alle susse vnd lustige dinge diszer werldt wie ein creucze bitter sein. ¶ Czu none zeit sal der mensche sterben der werldt vnd aller creature also, das im der lipliche todt Cristi in seinem hertzen alszo sussze werde, das ym alle creature nicht schmecke vnd vor acht seye. ¶ Czu vesper czeit, als der [iv r ] her von dem creucze genommen, sal der mensche betrachten in frewden, wie er noch diszem betrubten tode vnd weniger erbeyt diszer werldt in der schos Cristi in gar vil seliger ruhe ewiglich rasten werde. ¶ Czu Complet czeit so sal der mensche in seinem hertzen Cristum begraben vnd gedencken der allerseligsten voreynunge, do durch sein geist ein ding werde mit Cristo, vnd also sein in der hochsten volkommenheit gebrauchen moge, welche voreynunge sich hie anhebt durch den eintrechtigen willen Cristi vnd des menschen in allen widderwertigen vnd gluckseligen dingen. vnd wirdt dort erfullet durch die ewige glorie, die do bleibt ane ende. Ein ander andacht di der mensch haben mag vnd den tagzeiten ader in seinem gebet. ¶ Der i. artickel [III, 30] SO auch ymandt die tage gezeiten ader sein gebet andechtiglich vorbringen wil, der sal sich fleissigen in dissen dreyen stucken. Uom anfange 9 der gezeyten bis man die psalmen anhebt, so sal der mensch erheben lobende den abgrundt gotlicher demut, do mit sich die selbe allerhochste maiestat der gotheit von der hohe der hymel neigende, in den tal disser dorfftickeit demutiglich geworffen. vnd got der engel ist worden ein bruder vnd geselle der menschen vnd das meher ein knecht der demut. Noch dem er selber spricht. Jch bin nicht kommen das mir gedint werde, Sonder das ich dinen wolle vnd vmb die ere erbitung der selben demut sal sich der mensche mit dem leibe vnd hertzen demutiglich neigen ader seine knye bigen. 10 ¶ So man aber dy psalmen angehaben, so sal der mensch betrachtende erheben in seinem hertzen dy vnerforslich weisheit gots, die also gnediglich mit dem menschen gelebt vnd durch sich selbst di selben hat wollen vnderweiszen mit [iv v ] seliglichen vormanungen vnd ebenbilden des lebens. Und sal dan mit gebougtem hertczen vnd knyen got dangksagen vor alle lere, die ye aus seynem allersusten gotlichen hertzen vnd munde geflossen sein. Auch vor alle weissagunge, predigten vnd lere der propheten vnd heilgen lerer, die dann solchs alles aus anweisunge des heilgen geistes warlich von sich 214 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 11 doriune 12 le unge 13 Io 17,19 14 vorservmlickeit geredt haben. Unde auch vor alle gnade vnnd geystliche einflyssunge, do durch got dem menschen die beheglickeit seins gotlichen willens durch sich selbst pfleget ein czubildenn. ¶ Sondern noch dem psalmen bis czu dem ende der geczeitten Sal der mensche erheben die aller senfftmutigste guttickeit gots, dorinne 11 er sich geubet in allen dingen, die er vff erden begunst vnnd gelyden, dangsagende ym vor alle seyne begirde vnd gebethe vnnd vmb alles das er vff erden gethan vnd vmb vnsern willen gelyden hat. Unnd sonderlich sal ym der mensche dangsagen des, das er czu itzlicher stunde vnnd tagczeit gelyden hat. Ein andere andacht. ¶ Der ander artickel. [III, 31] SO der mensche anhebt die geczeiten ader sein gebeth so spreche der mensche in seinem hertzen ader mit dem munde. her in der voreynunge der hitzigen andacht, do durch du selbst hie vff erden czu eren deinem himlischen vater die geczeiten gehalten, beczale vnd opfer ich dir disze geczeiten ader dits mein gebet. Und erhebe also, so vil im moglich, sein hertze in got. Und so der mensch solchs aus teglicher lerunge 12 in vbunge brenget, so wirt er also do durch bey got geadelt vnnd gros geacht, das es im etzlicher masse gleich der vbunge [v r ] Cristi geachtet wirdt, dan gleicher weisze als keine sunde also leichte ist, so sie der mensche mit bedachtem willen in eyne bosze gewonheit bringt, dor aus ein todliche sunde wirdt. Also auch die togende, so die der mensche in ein gute gewonheit bringet, so sein im die auch diste grossers vordinsts bey got. Und ap wol vnser her Ihesus noch vnser weisze zu reden nicht die tagczeiten gehalten ader gebethet, ydoch ist es vngeczweiuelt, das er czu itzlicher tagczeit got dem himlischen vater ein sonderlich lop vnd dangsagunge gethan. Dan alle cristenliche ordenung hat er in im selber als sonderlich mit der tauffe angefangen vnd vor vns gehalten vnd vorbracht. vnd hat also in sich selber die werck aller glowbigen menschen geheilget vnd volkommen gemacht. der halben sprach der her czu dem vater Jch heilge mich selber vor sie, do mit vnd sie auch in mir heylig sein mogen. 13 Dan gleicher weisze als wir in den syben gezeiten betrachten, was der her czu itzlicher stunde geliden hat, Also hat er alle dinge, die er czu itzlicher stunde leiden wolde, in seiner gotlichen weiszheit vor hin gewust. Was der mensche vor die vorsevmlickeit 14 , die er vnder den geczeiten ader in seinem gebete vorbringet, thun solle. ¶ Der dritte artickel. [III, 32] DYe weil dem menschen vnder dem gebete vnde gezeiten gewonlich vil frembder gedancken pflegen ein zufallen, So sal der mensche noch einer itzlihen geczeiten ader noch seinem gebete, do mit seine vorsewmlickeit erfullet werden, sprechen. O aller gutigstes lamp gots her Ihesu, erbarme dich mein ader das gebethe des offenwaren sunders. Got bis gnedig mir armen sunder, dann hat ditz wort so vil an dem Der Liber specialis gratiae (1508) 215 15 alle 16 amptc 17 fer [v v ] offenwerlichen sunder vormocht, das er do durch von allen 15 seinen sunden gereiniget worde. worumb solte es dan andern nicht auch gnade erlangen vmb yre vorsewmlickeit, dan die gotlich maiestat itzundt gleicher guttickeit ist, als sie die czeit gewest. Und ap es der mensch vorges zu sprechen noch itzlicher gezeiten, so mag er es sunst czu syben mal ader ein mal sprechen, wen es im am besten ebendt. [I, 43] So aber der mensch also gar vorsewmlich were vnd wuste nicht ap er eine geczeiten ader anders gebet hette ader nicht, so wirdt im die vorsewmlickeit bei got geachtet als ap er die selbe geczeiten ader anders gebethe nicht gebet hette. Von dem ampt der heilgen messe. ¶ Das dritte Capitel. [III, 19] DO mit der mensche offte vnd gerne messe horen solle, so sollen wir horen, was der her der andechtigen selen saget. wer mit fleisse vnd andechtiglich hort das ampt der heiligen messe, dem selben wil ich an seinem letzten ende so vil edler personen aus meynem heilgen czu troste vnd beschirmunge vnd seine sele mit eren czu gleyten czuschicken, so vil vnd manche messe er vff erden gehort. [III, 18] Und aber mals hat er czu ir gesprochen das er in sybenerley weisze pflege czu sein vnd czukommen bey vnd zu dem ampte 16 der heilgen messe. ¶ Czu dem ersten in solcher demut, das keyn mensche alszo voracht do sey, gegen dem sich der her nicht demutiglich neyge vnnd czu ym komme, als fer er selber wil. ¶ Czum andern kompt der her mit solcher gedult zu dem ampte der heilgen messe, das kein sunder ader feindt gots do also gros ist, den got nicht geduldiglich gedulde, vnd so er sich mit im voreinigen wil, nicht vffs al [vi r ] ler frolichste alle seine sunde vorgebe. ¶ Czum dritten kompt der herre czu dem ampte der heiligen messe in so grosser lybe, das keyn mensche also kalt ader vorstockt ist, wil er selber, er mag in der lybe gots entzundet werden vnd sein hertze wirdt im erweicht. ¶ Czum vierden kompt der her mit so vberflussiger mildickeit czu dem ampt der heilgen messe, das kein mensche so arm ist, wil er, er mag do von reich werden an der sele in sonderheit. ¶ Czum funfften so gibt sich der herr in dem ampte der heilgen messe ein solche allersuste, allerlustigste vnd aller gnugsamste speysse einem itzlichen, der dor czu geschickt, das keiner so kranck ader hungerick ist. er mag do von erqwickt vnd vberflussiglich gesetiget werden. ¶ Czum sechsten kompt der her czu dem ampte der heilgen messe mit so vil grosser clarheit, das keins menschen hertze also blindt ader finster ist, das durch sein gotliche gegenwertickeit nicht moge erleuchtet ader gereiniget werden. ¶ Czum sybenden so kompt der her czu dem ampte der heilgen messe so vol gnaden vnd heylickeit, das keyn mensche also trege ader ane andacht ist, der do nicht moge, so ser 17 er selber wil, von seiner tragheit erwecket vnd zu andacht gereytzt werde. [III, 16] Und an einem andern ende spricht der her zu der liphabenden selen in dem ampte der heilgen messe. saltu bey mir sein gleich als in einem wolleben do hyn ein yder man frey kommen mag vnd 216 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 18 beschwernnge 19 Hebr 4,12 20 Io 15,9 21 Ps 68 (67),30 nymandt auszgeschlossen wirt doch also, das itzlicher seine czerunge mit bringe, das ist das andechtige gebet. Do selbst mache ich her gesunt aus mildickeit meiner gotlichen maiestat aller menschen wunden. die sunde vorlas ich das armut mach ich reich aller togent vnd ich mach leichte alle beschwerunge 18 . [III, 19] Unn aber mals sagt der her. Es ist gut [vi v ] das der mensche gegenwertig sey bey dem ampt der heilgen messe. vnd ap er es nicht anders gethun kan, szo stehe er so nahe do bey, das er die wort horen moge. dan es spricht sant Paul. Das wort gots ist lebendig vnd krefftigk vnd dringet meher durch den ein scharff schneidendes schwert. 19 den das wort gots macht lebendig die sele vnd geust yr ein geistliche frewde, als das auch offte erscheint in den leyen vnd vnwissenden menschen, wiewol die nicht vorstehen die dinge, die geleszen werden. so entpfinden sie doch eine frewde des geistes vnd werden do von gehertzt zu der busse. das wort gots macht auch krefftig die sele zu den togenden vnd allen gutten wercken vnd durchdringet sie vnd erleuchtet alle yre innersten kreffte. Sondern so der mensche aus kranckeit ader gehorsam ader anderer redlicher vrsachen vorhindert wirdt, wu denn der mensche ist, do selbst bin ich dan auch bey im gegenwertigk. ¶ [III, 30] Jtem vnder der Epistel vnd vnder dem ewangelio Sal der mensch dancksagen der vnerforszlichen weiszheit gots vor die spruche vnd predigaten der heiligen lerer vnd propheten vnd vor alle lere, die ye geflossen ist aus dem munde ader hertzen Cristi. ¶ [I, 21] Jtem die andechtige sele hat czur czeit sehen den herren offnen die wunde seins allersusten hertzen sprechende. Sich an die manchfeldickeit meiner guttickeit vnd so du die erkennen wilt, magstu die nicht clerlicher fynden dan in den worten des heilgen ewangelij. dan grosser ader susser begyrde, wort, sein nye erhort dan die wort, die ich czu meinen iungern gesagt sprechende. Als mich der vater gelibet hat, also hab ich euch auch gelibet. 20 vnnd der gleichen vil wort, die ich beyde zu meinen iungern vnd auch czu dem vatter geredt habe, vil guts meinen iungern erlangende. [vii r ] ¶ [I, 23] Jtem zu einer andern czeit, als man sunge disze wort des propheten. dir werden die konige opffern gaben. 21 Sagte die andechtige sele czu dem hern. O allerhertzlichster her vnd liphaber, wie vnd was mag ich dir opffern die weyle ich gar nichts habe, das dir geczymet. die leyen, so sie zu gots tische gehen wollen, opffern dir yr czeitlich gut, des hab ich nicht. Die geistlichen opffern dir sich selbst vnd yre andacht. der entpfynde ich leyder in mir nicht. do antwort yr der her vnde sprach. Dein hertze saltu mir opfern in funfferley weisze, so hastu mir als dan ein angeneme opffer geopffert. ¶ Czum ersten opffer mir das als ein malschatz mit aller trewe vnd bit mich, das durch die libe meins hertzen in dir gereyniget werde, das du durch deine vntrawe vorterbet hast. ¶ Czum andern opffer mir das als ein vorspan mit aller wollust deines hertzen also, so du alle wollust haben mochtest, das du dich der vmb mein willen williglich entschlaen woltest. ¶ Czum dritten opffer mir das als eine zyrliche krone also, so du hettest alle ere, di du in dyszer werlt ymmer meher erlangen mochtest. das du die vmb meinent willen vorschmeen woltest, do mit ich alleine sein moge Der Liber specialis gratiae (1508) 217 22 Ps 45 (44),15 23 eigner 24 sas dein ere vnd deine krone. ¶ Czum virden opfer mir das als ein guldene trinck schale, doraus ich mein selbst sussickeit trincken moge. ¶ Czum funfften opffer mir das als ein gefesz der allerbesten vnd lustigsten ertzteye, dor aus ich mich selber esszen moge. ¶ [I, 11] Czu eyner andern czeit als man sunge. Dem konig werden geopffert die iungfrawen 22 etc. vnd sye gedachte, was sye nun beheglichs got opffern mochte, Sagte der her czu yr. wer mir opffert ein demutiges, liphabendes vnd geduldiges hertze, der gibt mir ein sere angeneme gabe. vnd sye sagte, welches ist ein solch de [vii v ] mutiges hertze, dorinne du alszo ein wolgefallen hast. Antwort der her. Das sich frowet, so es veracht wirdt, vnd das sich in der peyn vnd aller widderwertickeit frowet frolockende derhalben, das es etwas czu meynem leyden zulegen moge vnd das es habe, do von es sich mir gentzlich opfern moge. Der mensche ist warlich eins demutigen vnd geduldigen hertzen. Des gleichen welcher sich frowet in allem, das seinem nesten guts zukompt vnd sich in seiner widderwertickeit betrubet als in seiner eignen 23 widderwertickeit. der selbe hat vnd opfert ein recht liphabendes hertze. ¶ [III, 17] Jtem der her sagte. Eher dan der prister das stilmesse thut, reinige dein hertze vnd eussere das von allen yrdischen dingen vnd bereyte dich zu entpfahen den auszflus gotlicher lybe, der do einfleust vnd erfullet aller menschen hertzen, die geschickt stehen bei dem ampte der heiligen messe. Dan die selbe andechtige person hat zur czeit vnder dem ampte der heilgen messe gesehen das allersuste hertze Ihesu Cristi in der gestalt einer durchscheinenden lampen als ein cristal, bornende als ein flamme des fewers vnd allenthalben vmbher vberflyssen aus reicher sussickeit. vnd tropfelt sussiglich in alle hertzen der, die mit andacht do waren. Das fewer bedeut die hitze gotlicher libe, in der sich Christus vor vns an dem altar des creuczes got dem vater geopffert hat. Aber die auszflyssende sussickeit bedeut die mennige vnd reichtum alles gutten vnnd der selickeit, die er vns in seinem hertzen gegeben hat, dan in im haben wir alle heylsame vnd notdorfftige dinge in dem lobe, in dangsagunge, in dem gebethe, in der libe, in begerunge, in gnuhkthuunge vnd erfullunge aller vnszerer vorsewmlickeit. ¶ [IV, 29] Jtem der her sagte vnder der profacion. Sal mich der mensch loben in voreynunge des vber [viii r ] hymmelischen lobes, dorinne die hochwirdige gotliche dreyfaldickeit sich selber gegenein‐ ander lobet vnd gelobet wirdt vnd einfleust in die werde iungfrawe Maria vnd dor nach in alle engel vnd heyligen vnde sal bethen ein Uater vnszer vnd ein Aue Maria vnde das opffern in der voreynunge des lobes. dorinne mich hymmel vnnd erde vnd alle creature lobet vnde gebenedeyet vnd sal bithen, das 24 sein gebethe vffgenommen vnd angeneme werde durch mich Ihesum Cristum, gots son, durch den alles gute, das got dem vatter geopffert wirdt, aufsteiget in sein gotlich wolgefallen. Und also werden dem selben menschen durch mich alle seyne sunde vorlassen vnd seine vorseumlickeit erfullet. Und der solchs thut sal guttiglich glowben, das er die selbe gnade entphaen werde. Dan als der her sagt, es ist 218 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) vnmoglich, das der mensche das nicht erlange, das er aus rechtem grunde seins hertzen hofft vnd glowbet. Und es ist czu mercken, das es dem hern Ihesu sonderlich angeneme ist, das man yn lobe mit dem lobe, dorinne sich selbst die hochwirdige heilge gotliche dryfaltickeit gegeneinander lobt. [I, 19c] Dan als die andechtige person zur czeit begerte, got vmb alle seyne gaben zu loben, Sprach der her zu yr. So du mich begerst zu loben, so ere mich in der eynunge der aller hochsten ere, dorinne got der vater in seiner almechtickeit mit dem heiligen geiste mich eret vnd in der eynunge der aller erwirdigsten ere, dorinne ich die vnerforschliche weiszheit, den vater vnd den heilgen geist, ere vnd der heilge geist mit seiner vnaussprechlichen vnd vnbegreiflichen guttickeit, den vater vnd mich, in aller wirdigster weisze erhebt ¶ [I, 5d] Jtem der her sagte. Szo man aber das Sanctus synget, szo bethe der mensche ein Uater vnszer vnnd bitte mich [viii v ] das ich mit der almechtigen weiszen, sussen vnd guttigen lybe meins hertzen die selbe stunde also yn bereitten wolle, das er wirdig sein moge, mich geistlich zu entpfahen. vnd das ich in im wurcke vnd vorbringe die ding, die ich von ewigkeit zuthun gedacht noch allem wolgefallen meines ewigen willens. ¶ [III, 19] Jtem zu dem agnus dei sagte der her. Nym war, itzund singet man mir drey mal Ein lamp gots. in dem ersten Opffer ich mich got dem vater mit alle meiner demuth vor euch. Czu dem andern opffer ich mich mit aller bitterkeit meins leidens czu einer volkommen vorsonunge. Czu dem dritten opffer ich mich mit gantzer lybe meynes gotlichen hertzen zu erfullunge alles gutten, das dem menschen gebricht. ¶ [I, 5d] Jtem der her sagte, so man complende ader die letzte collect list, so sal der mensche sprechen disze wort. Jch lobe dich o du allersterckster lyphaber. Jch benedeye dich o du aller weiszester liphaber. Jch erwirdige dich, o aller suster liphaber. Jch groszmechtige dich, du aller guttigster liphaber in allen vnd vor allen gutten dinge, die deine erliche gotheit vnd dein allerheilgste menscheit in vns gewurckt hat, durch das edelste instrument deins hertzen, vnd wurcken wirdt in ewige ewickeit Amen. Szo will ich als dan in der benedeyunge des pristers den selben menschen alszo gebenedeyen. Gebenedeie dich meine almechtickeit, dich vnderweisze meine weiszheit, dich erfulle meine sussickeit, dich zyhe vnd voreynige mit mir meyne guttickeit ane ende Amen. Und der mensche mag die selbe benedeyung bitten ader alszo sprechen. her, mich gebenedeie deine gotheit, mich stercke deine menscheit, deine guttickeit ernere mich, deine lybe, die enthalde mich Amen. [ix r ] Von der entpfaunge des allerheilgsten sacraments. ¶ Das iiij. capitel. [I, 5c] VNde die weile man in dem ampte der heilgen messe pflegt czu entpfahen das hochwir‐ digste sacrament des zarten fronen leichnams Cristi Ihesu, so ist czu mercken, das der her eins czur zeit czu der seligen iungfrawen Mechtildis gesagt. So der mensch erkentte, wie gros heyl im doraus kompt, so er andechtiglich entpfeht das sacrament meines czarten leichnams, so mochte der mensche vor grossen frewden in im selber vorschmachten ader krafftlos werden. Demnach so der mensche zu gots tische gehen wil, sal er vorhyn, eher dan er zugeht, sein gewissen mit fleisse erforschen vnd reinigen vnd das haus seiner sele eygentlich besichtigen, ap icht irgent die wende vorletzt ader vorunreynet sein. gegen dem vffgange der sonnen sal der mensche mercken, wy fleissig ader wie vorsewmlich er gewest Der Liber specialis gratiae (1508) 219 25 vornufft 26 mtt 27 schmuckc 28 vn (ohne Nasalstrich) 29 1 Kor 11,25 in allen dingen, die got angehoren vnd ap er yn auch in czymlicher ere gehabt vnd ap er sein gotlich ebenbilde in sich selber vorunreinet habe, sein gedechtnus mit yrdischen ader vnnutzen gedancken bekommert, seyne vornunfft 25 ader das vorstentnus czu yrdischer weiszheit ader anderm fyrbitz gekart vnd seinen willen in den vorgenglichen vnd eytteln dingen erlustiget, ader etwas widder got gelybet, ader sich von seinem gotlichen willen gekart, ader die erkentnus seiner sinne czu yrdischen dingen gewant, seyne wort nicht mit 26 fleisse gehort, seinen mundt in dangsagunge, gots lobe vnd in dem gebethe nicht geubet. ¶ Aber in dem teyl gegen dem mittage sal der mensche mercken vnd betrachten, wie andechtiglich er gedynt habe der werden mutter [ix v ] gots vnd allen lieben heilgen vnnd wie vil er sich gebessert habe aus der liben heilgen vnd anderer menschen exempel vnd lere. ¶ Jn dem teyl des nyderganges der sonnen sal sich der mensche mit fleisse erforschen, wie vil er czugenomen habe in togenden, wie demutigk, wie gehorsam, wie geduldig er gegen der vngerechtickeit gewest, ap er die regel vnd satzungen gots, des ordens ader der heilgen kirchen wol gehalten, ap er die sunde in sich selber vberwunden vnd auszgerotet. ¶ Jn dem teyl gegen mitternacht sal der mensche mercken, wie getrawe er gewest sey gegen der gantzen heilgen kirchen, wie er sich gegen seinem nesten gehalten, ap er yn auch aus innerlicher lybe gelybet, ap er auch seins nesten widderwertickeit als sein eygne geachtet, ap er auch vor die sunder vnd vor die selen der glowbigen vnd alle dorfftigen inniglich gebet vnd in andern vil vnzelligen dingen dergleichen. Und so er eynche mackel ader vorletzunge in disen allen stucken fyndet, sal er das durch eine demutige beichte vnd gnugthuunge lernen widder zubringen. [III, 21] So aber das angesichte der selen durch die beichte gewaschen ader also mit weisser farbe bestrichen, so sal sich der mensche vleissigen, das er sie mit roter farbe auch schmucke 27 vnd 28 czire durch stete betrachtunge des bittern leidens Cristi. Unnd sal zu hertzen nemen die wort Cristi, die er gesagt. disse dinck so offte yr die thut, thut die in meinem gedechtnus. 29 Der erste artickel. [III, 24] NOch vnderweisunge des hern sal der mensch, so er czu gots tische gehen wil, dreyerley mit vleis betrachten. Das erste ist die ewige lybe, dorinne vns got eher dan wir gewest, von ewickeit ge [x r ] libet vnd hat erkant alle vnsere gebrechen vnd boszheit. dennoch hat er vns gerucht zuschaffen noch seinem gotlichen anblicke vnd gleichnus, derhalben wir im billich dancken sollen. Das ander ist disse vnmessige liebe, dorinne vns der son got gelibet, in dem, als er was vol aller wollust in der ere des vaters, hat sich die selbe vnentliche maiestat geneiget zu aller vnserer dorftickeit, die wir leiden in den banden ade vnd mit vnaussprechlicher 220 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 30 einpfindestu 31 Ct 1,14 32 Io 12,32 33 rosenn..der (doppelte Punktierung) gedult geliden hunger, dorst, kelde, hytze, mudickeit, betrubnus, lesterunge, pein vnd einen allerschentlichsten todt. do mit er vns erloszen mochte von aller dorfftickeit. Das dritte ist disse vnbegreifliche lybe, dorinne er vns alle augenblicke gnediglich ansiht vnd in aller guttigster veterlicher sorge erneret also, das der, der vnszer schepffer vnd her, vnser allersuster erloser vnd bruder ist, ane vnderlas vor vns steht bey dem vater, alle vnsere dinge schickt, vnd fordert alle vnsere handelunge, gleich als ein aller getrawester furspreche vnd knecht. Disse drey stucke solten wir billich alle augenblick betrachten, doch sonderlich sollen wir das betrachten, so wir stehen bei dem himlischen wolleben, das vns vnszer allerlibster liphaber czu einem testament seiner vnmessigen lybe gemacht vnd gegeben hat. ¶ [III, 23a] Jtem der her hat gesagt. so du wilt czu gots tische gehen, so saltu mich solcher meynunge entpfahen, gleich als hettestu alle begirde vnd alle lybe, do mit ye menschlich hertze entzundt gewest. vnd also in der allerhochsten libe, dorinne es moglich menschlichs hertze zu bewegen, saltu czu mir gehen. Und als dan will ich die selbe lybe in vnd von dir annehmen, nicht der gestalt, als sie in dir ist, sondern dermassen, so sie in dir were, der gestalt, als du die selbe gern haben woltest. [x v ] So sich der mensche ane andacht, wen er czugehen sal, entpfindet, was er thun solle. Der ander artickel. [III, 25] SO du czu gots tische gehen wilt, empfindestu 30 dein hertze trege vnd las czu dem gebete, do mit du ein solche begirde vnd liebe haben mogest wie billich, so schreye aus gantz deinem hertzen czu dem hern vnd sprich. O her, czeuch mich noch dir. las vns lauffen in dem ruche deiner edeln salben. 31 in dem wort czeuhe mich noch dir saltu bedencken, wie gar ein mechtige vnmessige lyebe dise gewest, die den almechtigen vnd ewigen got czu einer solchen schentlichen marter pein geczogen hat. vnd salt in dir selbst begirlich bitten, das der selbe, der gesagt hat, so ich erhaben werde von der erde werde ich alle dingk czu mir tzihen. 32 Dein hertze mit allen krefften deiner sele in sich czihen wolle vnd mache dich louffende mit lyebe vnd begyrde in dem ruch der dreyer edler salben, die aus der aller edelsten appotecken seins allersusten gotlichen hertzen also mildiglich geflossen, das sie himmel vnd erden erfullet haben. ¶ Die erste ist das edele roszen wasser, das die gotliche lybe aus der alleredelsten rosenn der 33 gotlichenn brust in dem gluenden offen der lybe selber gebrant hat. dysser salbe gebrauche zu abwaschunge des angesichtes deiner sele, fleissiglich betrachtende, so du findest ein mackel der sunde, das du bittest, die selbe abczuwaschen aus dem borne der barmhertzickeit, doraus er den schecher am creutze gewaschen hat. ¶ Die andere salbe ist roter wein, das ist das allerheilgste blut, das die presse am creutze auszgedruckt vnd mit wasser aus der roszenfarben wunden [xi r ] seins hertzen hat ausgedrungen. vnd salt bitten, das mit dem selben moge geferbet werden das angesicht deiner selen, do mit du wirdig werden mogest eins szo grossen wolleben. Die dritte salbe ist die vbertrefliche vnschatzbarliche sussickeit des gotlichen hertzen, die Der Liber specialis gratiae (1508) 221 34 demut..von (doppelte Punktierung) auch nicht geringer ader weniger machen konde dy bitterkeit des todes. Und wirdt gnant die salbe des balsams, die do vberwindet den roch aller wolrichender kreuter, vnd dint vnd ist krefftick zu aller kranckeit der selen. vnd du salt bitten, das disse salbe eingegossen werde dem hertzen deiner selen, do mit es schmecke vnd entpfinde, wie susse der her sey vnnd du aus sussickeit dysses schmackes vette auszgebreytet, gesterckt vnd mit im gentzlich eingeleibet werden mogest, der sich dir also durch die lybe eygen gegeben. Und so du aus allen obgeschriben dingen gar keine sussickeit entpfindest, so bitte, das es in deinem allersusten vnd allergetrawesten liphaber erfullet werde vnd das ym dein vnschmack schmecke vnd das in im deine lassickeit erhytzet werde vnnd er alleine in alle deinen wercken geeret werde hie vnnd dort ewiglich. Wie der mensche, so er czu gots tisch gehen wil, die muter gotes anruffen solle ¶ Der iij. ar. [I, 43] DEr mensch, so er zu gots tische gehen wil, sal beten funf Aue Maria vnd sal bei einem itzlichen thun ein sonderliche vormanunge. Czum ersten vormane der mensche die muter gots, der entpfaunge, als sie in reinickeit iungfrewlicher keuscheit gots son entpfangen, als sie den selben durch vorkundigunge des engels mit yrer vngruntlichen demut von 34 den koniglichen gesessen ader stulen zu sich gezogen. Und sal sy [xi v ] bitten, das sy im erwerbe ein reyn gewissen vnd ware demuth. Czu dem andern sal er die mutter gots vormanen der honigkflussigen entpfaunge, do mit sie den son gots entpfangen als sye yn am aller ersten in der menscheit angesehen vnd waren got erkant. Und sal bitten, das sy im erlange ein recht erleucht erkentnus. Czum dritten sal der mensche die muter gots ermanen der gnade, das sie alle czeit vnd stunde bereit gewest zu entpfaen die gnade gots vnnd das sy nye gnade gots in yr vorhindert hat. vnd sal bitten, das sie im erwerbe, das sein hertze alczeit czu der gotlichen gnade bereit vnd geschickt sei. ¶ Czum vierden sal der mensche die muter gots vormanen der sonderlichen andacht vnd danckbarheit, dorinne vnd mit sye vff erden entpfangen vnd genommen das sacrament des czarten fronleichnams yres allerlibsten sons, dan sie einigk vber alle menschen erkant hat volkomlich, wie gros heil dem menschen doraus kompt. Und sal sy bitten, das sy ym erwerbe rechte andacht vnd wirdige dangsagunge. ¶ Czu dem funfften sal der mensche die mutter gots vormanen der honigflussigen entpfaunge, do mit sy ir allerlibster son von diszer betrubten werldt geruffen vnd in die ewigen frowden entpfangen vnd auffgenommen hat. Und sal bitten das sy im erwerbe, das er zugehen moge mit warer geistlicher frowde. Dan wie oben berurt, so der mensche erkente, wie gros heil doraus kompt, so man in rechter andacht entpfeht den zarten fronleichnam Cristi, so mochte der mensche vor frowden wol in im selber vorgehen ader vorschmachten Das der mensche offte czu gotes tische gehen solle. ¶ Der iiij. artickel. [III, 26] 222 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 35 her [xii r ] DEr her hat czur czeit zu seiner liphaberin, der seligen iungfrawen Mechtildis, gesagt, das der mensche, so offt er mit andacht czugehet czu dem heilgen sacrament, so vil reiner wirdt seine sele. gleicher weisze, ye offter sich der mensche mit wasser begeust vnd wescht, ye reiner er wirdt. ye offter auch der mensche vornym mit andacht czugeht zu gots tische, alszo vil meer wircke ich in im vnd er wirckt in mir vnnd so vil meer werden seine werck geheiliget. Und so vil meer der mensch sich fleissiget mit andacht czuzugehen, so vil tiffer wirt er in mich gesenckt. vnd so vil meher die sele durchdringet den abgrundt meiner gotheit, also vil meher wirdt die sele auszgebreitet vnnd wirdt tuchtigk czu begreiffen meine gotheit gleicher weisze als ein wasser. ye offter das an einen ort fleust, ye tyffer es den selben ort auszreist vnd macht den geschickt das wasser ye meher vnd meher do hyn czuflissen. ¶ [I, 8] Auch so wirt die czirheit ader vnschatzbarliche schone, do mit Cristus die selen seiner glowbigen in der vorgyssunge seins rosenfarben blutes geschmuckt, szo offte der mensche andechtiglich zu gots tische geht, in der sele vornawet vnd gemeret. also, wer alleine einmal zugeht, der czwifacht die czirheit seiner sele. welcher aber hundert mal ader meer mals in andacht zugeht, so offte er das thut, so offte wirt die zirheit seiner selen gemeret vnd vornawet. der her gibt auch der sele, dy in inniglich in dissem sacrament entpfeht, alle werck seiner heilgen menscheit vnd seins heilgen leidens. ¶ [IV, 2] Es ist auch gesehen, das der her allen den, di mit andacht entpfingen das hochwirdige sacrament, aufgesatzt hat, ein ser zyrlich krone, dy gnant was di krone des reichs, di hatte vnder anderm schmuck vir sunderlich captel ader zirlich gemachte [xii v ] houptdecken gleich als die allerlautersten spigel. Die erste houptdecke ader captel was an dem fordern teyle der krone vnd bedeut die ewige vnmessige libe, die das gotliche hertze hat zu einer itzlichen andechtigen selen. vnd die libe wirdt die sele im himmel mit der czeit also volkomlich fulen, das sie alles marck vnd inwendige glider durch gehen wirdt. Die andere heuptdecke ader captel ist gewest czu der rechten hant vnd bedeut die allersuste gebrauchunge, dorinne wir gots vnd alles gutten ane vnderlas vnd ane alle vorhinderunge gebrauchen werden. Das dritte zu der lincken hant vnd bedeut die vngesonderte voreinunge, dorinnen vns got etzlicher masz im gantz gleich machen wirdt. Das virde captel hinden in dem nacken druckt aus das vnaussprechliche erkentnus do durch wir das vnbegreifliche licht vnd allerclarsten spigel der heilgen gotlichen drifaldickeit ane vorhinderunge alczeit sehen werden. ¶ [II, 40] Jtem noch der 35 entpfaunge des heilgen sacrament Sagte der her zu der innigen selen. Mein vater wurckt in dir mit seiner gotlichen almechtickeit ein werck darzu du mit deinen kreften nicht gnugsam bist. Und ich in meiner gotlichen weiszheit wurcke in dir ein werck, das alle deine sinne vbertrit. Und der heilge geist in seiner vnmessigen guttickeit wurckt in dir ein werck, das du mit deinem schmacke noch czur czeyt nicht fulen magst. Der Liber specialis gratiae (1508) 223 Was der mensche den tag begynnen sal, so er zu gots tische gegangen ist. ¶ Der v. artickel. [I, 26c] SO der mensche zu gots tische gangen ist, sal er sich den selben tag in funff stucken sonderlich vnder andern vben vnd in den selben got gleich als ein wolleben erzeigen. Das erste, das er in alle dem, [xiii r ] das im moglich, got in lobe erhebe vnd in der voreynunge, dorinne Christus alle seine werck gethan, auch alle seine werck den tag thue in der ere vnd lybe gots. Das andere, das er in der voreinunge der danckbarheit, dorin der son gots die menschliche natur an sich genommen vnd den todt mit frewden geliden vnd in der danckbarn lybe, dorinn er got dem vater dancksagende disse sonderliche grosse gabe vns gegeben hat, den selben tag mit grosser danckbarheit dangsagunge thue vor ditz heilge so grosses sacrament. ¶ Czum dritten sal der mensche den tag manchfeldigen seine heilgen begirden, do mit er in der gegenwertickeit eins so grossen gastes nicht ler erfunden werde. ¶ Czum vierden, das er alle seine werck vnd was er den tag thut ordene zu nutze der gantzen heilgen cristenheit. ¶ Czum funfften, das er auch alles, was er den tag leidet ader thut, czu ordene vnd mitteyle den selen der vorstorben zu yrer selickeit. ¶ Jtem es sein vier stucke, die got sonderlich von den geistlichen, auch von andern beheglich vnnd angeneme sein, das ist, das der mensche habe ein rein gewissen, vbe sich in heilgen begirden, rede freuntlich mit seinem nesten vnd beweisze mit der that die werck der lybe ader bermhertickeit. ¶ [II, 14] Jtem czur czeit wolt die seilge iungfrawe Mechtildis beichten. vnd als der beichtuater nicht vorhanden gewest, ist sie sere betrubet worden derhalben, das sie vngebeichtet nicht nemen torste das heilge sacrament. Do begunde sie ligende in irem gebet in grosser bitterkeit ires hertzen yre vorsewmlickeit vnde schult zu clagen got dem hochsten prister. Und er gab yr vorsicherunge, das ir vorgeben weren alle ire sunde. Do von dangsagende sprach sy czu dem hern. O allersuster got, wie ist es nu mit meinen sunden. Antwort der her. Es ist do mit gleich so [xiii v ] ein mechtiger konig czukunfftigk ist in ein herberge, so wirt eylende das haus gereiniget, do mit nichts erscheine, das seine ougen erczorne. So er aber also gar nahe ist, das man den vnflat nicht so eilende aus dem haus werffen mag, so kert man doch den czusamen vff einen hauffen vnd wirft hinden nach den selben hinaus. Dan so du einen gantzen willen vnd begirde czu beichten hast deine sunde vnd die nicht meer czuthun, so werden sy vor mir also auszgelescht, das ich der nimmer meer gedencke. doch mus man hernach die durch eine rechte beichte auszwerffen. Sondern der wille vnd die begirde, die du hast, vnd der fleis czuuormeiden die sunde, als vil du weist vnd magst, ist gleich als ein vnaufloszlich bandt, das ich mir vorstrickt vnd czugefuget in dem vorbintnus der vnaufloszlichen voreinunge. ¶ [I, 14] Jtem an dem heilgen palm tage doucht die selige iungfraw Mechtildis, wie sie were czu Bethania in dem hausze der czweier schwester Marthe vnd Magdalene. vnd vnder andern sagte der her czu yr. Ein solch haus mache mir in deiner sele, dorinne du mir selber dinen wirst vnd von stundt daucht sy, das der her czu tische sesze vnd das sie im dintte vnd vor das erste hat sy im vorgesatzt honigk in einer silbern schussel, das ist die honigflussige libe, die yn aus dem schosz des vaters in dy krippe geczogen vnd gelegt hat, die czeit, do 224 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 36 gewortzt..vnd (doppelte Punktierung) 37 1 Thess 5,17 in aller werldt die himmel honigflussigk worden sein. Czum andern hat sy im furgetragen ein essen von vyol kraut vnd bedeut sein aller demutigstes leben, dorinne er sich vff erden vnderworffen aller creatur. Czum dritten hat sie im furgetragen ein lamp fleisch, bedeudt, das er ist das vnschuldige lamp, das wegk genomen hat die sunde aller werldt. Czum vierden hat sy im furgetragen einen [xiv r ] rebock, der bedeut die vnschatzbarliche begirde, dorinne Cristus der herre alle tage seins lebens vff erden geloffen. Czum funfften hat sie im furgetragen ein gemestet kalk vnd bedeut die sunder, die durch die busz mit der sussickeit geistlicher gnaden gemestet werden. Czum sechsten einen bratfisch, bedeutende Cristum, der vor vns geliden hat. Czum sybenden hat sie im furgelegt das allerkostlichste vnd suste hertze Ihesu mit mancherlei vnd des allerbesten roches wurtzen gewortzt vnd 36 vberflussigk vol aller togent. Sie hat im auch geschanckt dreyerley tranck. Czum ersten einen gar sere gutten wein, do durch auffgenommen alle erbeit des allerheilgsten lebens christi vnd aller auszerwelten. Czum andern einen roten wein, bedeutende das leiden vnnd den todt Cristi. Czum dritten einen sonderlichen newen abgeczogenn ader abegeleuterten aller besten vnd allersusten wein, bedeutende die innerliche vnd geistliche eingissunge gotlicher sussickeit. Und alle disse dingk tregt geistlich fur dinende dem hern, ein itzliche andechtige sele, so sie disse ding mit andechtiger dangsagunge betrachtet vnd vmb der willen den hern Ihesum lobende gebenedeiet. Von den sonderlichen ader heimlichen gebeten, die der mensche got czu lobe thun sal. Das funffte Capitel. SO der mensche seine geczeyten, die er czu bethen pflichtig, beczalt hat, Sal er vnnd sonderlich geistliche personen mit vleis achtunge haben vff die sonderlichen vnnd heimli‐ chen gebethe, dorczu der mensche an ym selber nicht sonderlich vorstrickt ader vorbunden. Und betrachten das [xiv v ] wort des hern, do er spricht. Man mus alwege beten vnd nimmer nicht ablassen. 37 Und doch in sonderheit eher der mensch zu gots tische geht vnd wen er zu gegangen ist. Derhalben ist nu czu sagen, wie der mensche sein gebet sprechen solle. Doch ist hie bei zu mercken, das alle dinck, die gesatzt sein czu anreitzunge der andacht ader sich czu schicken. Czu dem heilgen sacrament ader czu dangsagunge, so der mensche das entpfangen, mag ein iglicher andechtiger mensche, wen vnd so offte es ym gefellig sunst, vben vnd bethen. Wie der mensche beten sal czu der allerheilgsten gotlichen driualtickeit. ¶ Der erste artickel. [III, 3] Vnde noch dem die wirdigsten dinge die ersten sein sollen, So sal der mensche vor das erste seyn gebet formieren vnd sprechen czu der allerheilgsten gotlichen dryfaldickeit. Und die selbe hat der herr gelernt zu loben in nachfolgenden wortten. Ere sei dir allersuste, alleredelste, scheynende, fridesame, vnaussprechliche, gotliche dryfaldickeit, erbarme dich Der Liber specialis gratiae (1508) 225 mein. Und so der mensche disses lob vnd die wort mit rechter andacht spricht, so wil der her das wort allersuste voreynigen seiner hochsten sussigkeit. vnd das wort alleredelste wil er voreinigen seinem aller vbertreflichstem adel. Und das wort scheinende wil er voreinigen seinem vnbegreiflichem lichte. vnd das wort frydesame wil er voreinigen seiner hochsten vnrwigen ruhe vnd fryde. vnd das wort vnaussprechliche wil er voreinigen seyner vnaussprechlichen guttickeit vnd wil also in der allerbeheglisten weisz solch lop durch sich selbst antworten der hochwirdigen gotlichen drifaldickeit. [III, 4] Jtem der her hat sy gelernt dreierlei andere weisze czu loben die heilgen drifaldickeit [xv r ] gleich als drey schlege. Czum ersten, sagt der herr, saltu loben des vaters almechtickeit, die er in dem sone vnd dem heilgen geist noch seinem willen wurckt, welche keine creature vnmessickeit im himmel noch vff erden begreiffen mag. Dornach lobe des sones vnerforsliche weiszheit, die er volkomlich mit dem vater vnd dem heilgen geist noch alle seinem willen an alle vorhinderunge mit gemeine macht ader mitteylet, welche keyne creatur volkomlich begreiffen mag. Dornach lobe des heilgen geistes guttickeit, die er vberflussiglich mit dem vater vnd dem sone mitteylt noch alle seinem willen, die er auch keiner creatur volkomlich mitteilt. Und als die sele der weisze an das hertze yres liphabers klopffte vnd also yn lobte, plutz in dem selben schlage, hat erschollen der gantze himel. Und der her sprach. die andere weisze ader der andere schlagk ist, das du mich loben salt vmb alle gnade vnd gaben, die geflossen sein aus den reichtumern meiner guttickeit in meine iungfrewliche muter, die do mit aller gnade vnd gutten dingen reichlicher erfullet was dan ye ein creatur. Und auch vmb alle gnade, die gegeben ist allen heilgen, die itzundt in gegenwertigkeit meiner gotheit in frewden hie stehen vnd mich den born alles gutten mit frolocken ansehen. Die dritte weisze ist, das du mich loben salt vmb alle gnaden vnd gaben, die von mir ausfleust in alle menschen. in die gutten, die ich durch meine gnade heilige vnd bestetige. in die sundere, die ich zu der bussze lade vnd mit barmhertzickeit czu dem gutten wartte. vnd auch in alle selen, die ich mit meiner gnade teglich von dem fegefewer entledige Und czu den frewden des himmels fure. Czu dem ersten douchte sie, das sie bethen ader sprechen solt disze wort. Dyr sey czyre vnd das reich, dir ere vnnd gewalt. Czu [xv v ] dem andern. dich loben mit rechte, dich anbeten, dich erwirdigen alle creaturen, o du heilge drifaldickeit. Czu dem dritten. Aus dem alle dinge, durch den alle dinge, in welchem alle dinge, im sei ere in ewige ewickeit Amen. Was der mensche vor andacht haben sal gegen dem hern Ihesu. Der ij. artickel. [I, 5b] DArnach sal sich der mensche vor allen dingen fleissigen, czu vben in andacht gegen dem hern Ihesu in sonderheit. Und sal anheben von seiner kyntheit vnd mit kurczer betrachtunge vbergehen sein gantzes allerheilgstes leben vnd sal yn am ersten alszo grussen. Bis gegrusset, du edeles kynt des veterlichen hertzen, du allersustes marck der krancken selen, du allerseligste vettickeit vnd erqwickunge. ich opffer dir das marck meins hertzen vnd meiner selen zu einem ewigen lobe Amen. ¶ [I, 8] Jtem noch der weisze der heilgen drey konige sal sich der mensche fleissigen mit innerlicher andacht drey dingk czu 226 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 38 au 39 vnerforflichen opfern. Und so es der mensche nicht meher thun will, szo sal er doch das czum wenigsten ein mal im iar thun. Czum ersten golt, das ist seine gotliche lybe, do durch er mensche worden ist, vnd sal die in seinem hertzen mit dangsagunge fleissiglich betrachten. Czu dem andern weyrach, das ist sein allerheilstes leben vnd andacht lobende. Czum dritten den mirre, das ist die bitterkeit seins gantzen heilgen leidens, fleissiglich betrachtende. Und so der mensche das selbige thut, vornym, das er mit andacht dem hern Ihesu opffert seine gotliche lybe, reinickeit seiner heilickeit vnd die frucht seins heilgen leidens. so wil der her dem menschen die selben gaben czwifach widdergeben, gleich ap sy sein eigen weren. Und das ist das hundertfache, das der mensch hie nimpt vnd dort [xvi r ] das ewige leben. ¶ [III, 33] Jtem so der mensche got seinem glowben nochfolgender weisz beuilht, der vordint die gnade, das er an 38 seinem letzten ende nicht schedlich in dem glowben angefochten wirdt. ¶ Czum ersten beuelh er seynen glowben des vaters almechtickeit vnd bitte yn, das er aus kraft seiner gotheit also in seinem glowben bestetiget werde, das er von einem rechten glowben nimmer meer weichen moge. Czu dem andern sal er den beuelhn der vnerforslichen 39 gots weiszheit, bittende, das yn die selbe mit dem lichte irer gotlichen erkentnus also erleuchte, das er nimmer meer durch den geist des irthums mog verfurt werden. Czum dritten beuelh er den der guttickeit des heilgen geistes, do mit sein glowb alle dick der maszen in im wircke, do mit er in der stunde seins todes als ein volkomner geczeichenter Cristen mensche erfunden werde. Wie sich der mensch vben sal in andechtiger betrachtung des bittern leidens Cristi. ¶ Der iij. ar. [I, 7] AN dem tag der beschneidunge des hern sagte der her vnder andern zu der seligen iungfrawen Mechtildis. wer sein leben vornawen wil, der thu als eine braut, dy von irem breuticham forderlich begert zu haben ein gabe des newen iares. Also sal dy glowbige sele von mir begern mit newen cleidern gecleidet zu werden, do mit sie das iar vber in meinen ougen gleich als ein konigyn erlich erscheine. Derhalben sal sy am ersten begern, das er von mir gegeben werde ein purpur cleidt, das ist die heilge demut, dorin ich vom himmel vff dy erde kommen, in allen vnd czu allen vorachten dingen, demutiglich neyge. Dornach sal sie bitten ein sammet cleidt, das ist die heylge gedult, do mit die weile ich dorumb die menscheit an mich genommen, das ich pein vnd [xvi v ] vorspottunge leiden mochte, das sie auch alle hartte vnd schwere dinge geduldiglich vmbfahe. Und vber disse cleydunge sal sie begern, angezogen werden mit eynem gulden mantel, das ist der heilgen lybe. Also das sie sich in der lybe, dorinne ich mich vff erden den menschen beheglich vnd guttigk beweist, auch allen menschen freuntlich vnd gutlich beweisze. Und so das iar vmb ist, szo sal die sele bitten, das die dinge in or vornawet werden vnd sal sich ye meher vnd meher inwendig in dissen dingen vben vnd sich fleissigen die selben von newem czu bewaren ¶ [I, 16] Jtem czur czeit Als man in der epistel las disse Der Liber specialis gratiae (1508) 227 40 Phil 2,9 41 hahe wort. Er hat im gegeben einen namen, der do ist vber alle namen etc. 40 Sagte die selige iungfrawe Mechtildis zu dem hern. Mein allerlibster her, welchs ist doch der namen, den dir der vater gegeben hat. Und der her antwort yr. das ist der namen. Ein selickmacher aller werldt. Dan ich byn ein selickmacher aller der, die itzundt seyn, die gewest, vnd die zukunfftig sein. Jch byn ein selickmacher der, die gewest sein, eher dan ich mensche worden. Jch bin ein selickmacher der, die gewest czur czeit als ich in der menscheit mit den menschen gelebt habe. Jch bin ein selickmacher aller der, die noch gefolget haben meiner lere vnd nochmals nochfolgen wollen meinen fusztritten bis an das ende der werldt. Unnd das ist mein allerwirdigster namen, der mir einigk von anbeginne der werldtt von dem vater vorordent ist, der do ist vber alle namen. ¶ [III, 23a] Jtem zu einer andern czeit bat sie den hern sprechende. Allersuster her Iesu, schreybe meynen namen in dein hertze vnd schreibe deinen honigflussigen namen durch ein stete betrachtunge in mein hertze, sonder vber alle dinge sal der mensche ane vnderlas betrachten, das gebenedeite vnd allerbitterste [xvii r ] leidens vnsers hern Ihesu Christi. [IV, 59b] Unnd dem nach ist czu mercken, das die be‐ trachtunge des bittern leidens Cristi wunderliche vnd wirdige alles gedechtnus wurckunge hat, dan die boszen geiste vnd allerley anstosse kan der mensche mit nichte also wol vberwinden als in dem leiden des hern. Jtem szo die rowber der boszen gedancken dir zukommen, habe zuflucht czu den scheinbarn wappen des leidens deins hern vnd fasse sein leiden durch ein stete betrachtunge in dein hertze. so wirt do von alle schar boszer gedancken zu nichte gemacht vnd voriagt. ¶ [I, 17] Jtem welcher mensche libet vnd gerne betracht das leiden Cristi, des togende werden sonderlich geadelt. Und was er guts thut, wirdt im fruchtbarlicher zu seinem vordinst geacht werden. Es mag auch nymant das bitter leiden Cristi gruntlich liben, ym werde dan die gnade gots vorhin eingegoszen. Und die got lieben wollen, die sollen sich halten zu seinem heilgen leyden, das selbe offte betrachtende vnd zu hertzen nemende, dan dorinne fyndet der mensche die allergnugsamste vrsachen lip czuhaben. Es ist auch nichts, das das gemute also bewegen mag als die fleissige betrachtunge des leidens Cristi, derhalben so hat auch Cristus seins heilgen leidens vberwindunge seinen glowbigen gegeben, das es yn sein solle ein schutz vnd krafft widder alle feinde ¶ [I, 18e] Jtem czur czeit hat die seilge iungfraw Mechtildis den hern gefragt, was im am hochsten von dem menschen beheglich sey. Antwort ir der her. Ein itzlich mensch sal mit grosser dangsagunge mercken vnd in stetem gedechtnus haben die vbungen aller togentsamen werck, die ich vff erden gewurckt habe 41 , vnd aller pein vnd vngerechtickeit, die ich drey vnd dreissigk iar geliden hab. vnd wie in grossem armut ich gelebet habe. vnd wie [xvii v ] grosse honunge mir erczeigt ist von meiner creatur vnd czum letzten gestorben bin an dem creutze eins bittern todes von lybe wegen der selen des menschen, die ich mir czu einer braut gekoufft habe mit meinem kostbarlichen blute. disse dingk sollen einem itzlichen also angeneme vnd danckbar sein, als hette ich die allein vmb seins heiles willen geliden. 228 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 42 Io 12,32 Wie der mensche erseuftzen solle in der betrachtunge des leidens Cristi. ¶ Der iiij. artickel. [I, 16] DEr her hat gesagt, so offte als der mensche in der betrachtunge meins bittern leidens erseuftzt, so offte ruret er gleich als mit einer bluenden roszen an senfftmutiglich meine wunden. vnd von dannen springt widder vmb der pfeyl der lybe in seine sele, do von er seliglich vorwundet wirdt. Unnd nicht allein mit seufftzen, sonder auch weinende sal der mensche betrachten das leiden Cristi. [I, 18a] Dan der her Ihesus, erscheynende einer andechtigen person, hat zu yr vnd andern gesagt. Jch sage dir in der warheit. So ymant ausz andacht in betrachtunge meins leidens seine czeer vorgissen wirt, ich wil es annehmen als hette er selber vor mich gelyden. Do sprach die andechtige sele. Mein liber her, mit was andacht mag ich kommen zu solchem weinen. do sagt der her. ich wil dichs lernen. Czum ersten gedencke mit was freuntschafft vnd libe ich entgegen gangen bin meinen feinden, die mich mit schwerten vnd mit knutteln gleich als einen morder vnd vbelteter suchten. Czu dem tode. Jch bin aber yn entgegen gangen, gleich als eine muter irem son, do mit ich sie aus den rachen der wolffe mochte erledigen. ¶ Czu dem andern, als sie mich mit vngutigen halszschlegen schlugen, szo vil [xviii r ] halszschlege, als sie mir gaben, so manchen sussen kusz hab ich gegeben den selen der menschen, die bis an den iungsten tag durch mein heilges leiden sollen selig werden. Czum dritten, als sie mich so graussamlich geischelten, hab ich so ein krefftig gebete gethan czu meinem himlischen vater, das yr vil aus meinen veinden bekart sein. Czum virden, als sy meinem houpte eindruckten die dornen krone. so vil dorner als sie mir eindruckten, so vil edele gesteine hab ich gedruckt in die hertzen meiner glowbigen. ¶ Czum funfften, als sie mich an das creutze nagelten vnd alle meine glydere auszstrackten, also das man alle mein gebeine vnd glidere czelen mochte, hab ich aus gantzer krafft meiner gotheit zu mir geczogen die selen aller der menschen, die von ewickeit auszersehen sein, czu dem ewigen leben als ich vorhin gesprochen hatte, so ich erhoet werde von der erden, so werde ich alle ding czu mir czyhen. 42 ¶ Czu dem sechsten, als sie offneten mit dem spere meyne seyte, hab ich den, die durch den fal adam getruncken hatten, den tranck des todes geschanckt aus meinem hertzen den tranck des lebens, das sie sein mochten kyndere des ewigen lebens vnnd der selickeit in mir, dan ich bin das leben. Wie der mensche vmb etliche sonderliche artickel seins heilgen leidens got sonderlich dangsagen solle. Der v. artickel. [II, 17] VF ein czeit ist der andechtigen person die lybe des hern entschinnen in gestalt einer sere schonen iungfrawen. Und als die person von der libe des hern fragte, worinne der her in seinem leiden den grosten schmertzen gehabt, Antwort die lyebe. Das der [xviii v ] ugroste schmertzen des hern gewest sey, als er also vnmenschlich an dem creutze auszge‐ strackt, das man im alle seine glydere hette czelen mogen. vnd sagte, welcher mensche dem Der Liber specialis gratiae (1508) 229 43 dorft hern des schmertzen andechtlich dangsaget, der thut im so einen angenemen dinst, als ap er im alle seine wunden mit einer allersusten linden salben gesalbet hette. Jst es auch sach, das der mensche dem hern dangsaget des vnmessigen dorsts, den der her vmb die selickeit der menschen am creutze gehabt, das wil der herr also annehmen, als hette im der mensche seinen dorst 43 gelescht, welcher aber dem hern danckt, das er angenagelt an dem creutze gehangen hat, der thut im so grossen dinst, als hette er yn von dem creutze vnd von alle seyner marter erlost. Wie das bitter leiden Cristi sonderlich in syben artickeln begriffen vnd noch den syben glydern eins fyngers von dem menschen zu betrachten sein ¶ Der sechst artickel [III, 1] VF ein czeit sagte der her zu seiner auszerwelten braut. ich wil dir geben einen ringk geschmuckt mit syben edeln gesteinen, die du betrachten magst an den syben glidern deins fingers. An dem ersten glyde magstu betrachten die gotliche libe, die mich von der schos meins himlischen vaters geneiget hat vnd mich dynende gemacht, dich zu suchen drey vnd dressick iar mit vil erbeit vnd als do qwam die czeit der hochzeit aus eigner lybe meins hertzen, bin ich vorkouft worden czu einem lon des wollebens vnd hab mich selber gegeben czu brote, fleisch vnd czu einem trancke. Jch bin auch in dem selben wolleben gewest ein harffe vnd orgel, durch suszflussige wort meins mundes vnd frolich zu machen [xix r ] die geste gleicherweisze als die spil leute, bin ich gedemutiget vor den fussen meiner iunger. An dem andern glyde betrachte, wie ich schoner iunglingk noch dem wolleben den tantz gefurt habe, do ich drey mal in dem gartten czu der erden niddergefallen, gleich als ap ich hette drey sprunge gethan, so treflich, das ich von schweis gantz nasz worden vnd blutige tropffen vorgossen hab. An dissem tantze hab ich dryfach gecleidet meine rittere, die mit mir leiden vnd mitleidunge haben in dem, das ich yn erworben vorgebunge der sunde, heiligunge der selen vnd meine gotliche clarheit. An dem dritten glide gedencke der lybe, die mich gedemutiget hat czu dem kusse der braut, do Iudas czu nahende mich gekust hat, in welchem kusse mein hertze solche lybe entpfande, das ich seine sele, so er rewe gehabt hette, durch diszen kusz mir czu einer braut genommen hette. Dan die czeit hab ich mir vortrawet alle dy, die ich mir czu breuten von ewickeit vorsehen hab. An dem virden glide betrachte waszerley brautgesangk meine oren aus lybe der braut gehort haben, do ich stunde vor dem richter vnd so vil falsche geczeugnus vber mich gefurt worden. An dem funfften glyde bedencke, wie gar czirlich ich mich dir czu lyebe geschmuckt habe, do ich so offte meine cleydere vorwandelt, weisz, purpuren, sammeth, vnd einen rosenkrantz, das ist die dornenkrone, getragen habe. An dem sechsten glyde bedencke, wie ich dich vmbfangen hab, als ich an die sewle gebunden wardt vnd do von deinen wegen alle geschos deiner feynde in mich entpfangen habe. An dem sybenden glyde bis ingedencke, wie ich eingegangen bin in den sal des creutzes vnd wie die breutigam yre cleydere pflegen czu geben den lotterbuffen, alszo hab ich gegeben meine cleydere den rittern vnnd den, 230 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 44 Falsche Zählung. Anstatt mit Artikel 8 fortzusetzen, folgt noch einmal Artikel 7. [xix v ] die meinen leichnam gecreutziget haben. Darnach hab ich auszgestrackt meine arme durch die allerherttesten nagel czu deinem vmbfahen, vnd habe dir in der schlaffkammer der lybe Siben lide vol wunderlicher sussickeit gesungen. Dornach hab ich dir mein hertze czu einem eingange geoffent, als ich den schlaff der lybe am creutze sterbende mit dir angefangen hab. Wie der mensche den hern Ihesum in seinen funff synnen vnd allen seinen glidern loben solle. Der vij. artickel 44 . [III, 2] DEr mensche sal auch in seinem gebethe den hern Ihesum loben in seinen funff sinnen, dan im das sonderlich angeneme. Czu dem ersten, in seinem liplichen gesichte, do mit er alzeit ansyht den menschen gleich als ein vater seinem einigen son. vnd hat czu keiner zeit ein zorniglich, sondern alwege ein freuntlich angesichte, gleicherweisze begerende, das der mensche offte czu im czuflucht haben solle. O wie gar kreftiglich hat er angesehen Petrum, do er in czu solchem seligen weinen reytzte vnd bewegte. Und vmb das lob sal der mensche hoffende bitten, das der her Ihesus im geben wolle alle vbunge vnd vorgissunge der czere seiner allerheilgsten ougen. ¶ Czu dem andern sal er yn loben in seinem heilgen horen, dan seine oren horen vff das aller leysiste vnd sein alwege czuhoren offen vnd geneigt, also das auch die gotlichen oren noch gestalter sachen meher erlustiget werden czu horen das aller geringste wispeln vnd ersufftzen des hertzen des menschen, dan czu horen den lobesangk der heilgen engel. Derhalben szo wirdt got mit einem schlechten andechtigen ersufftzen geczogen in das hertze des menschen. So doch sust [xx r ] kein dingk vff erden der mensch mit blossen gedancken czu sich bringen mag. Und vmb das lop wil der her dem menschen geben die vbunge seiner heilgen oren. ¶ Czu dem dritten sal der mensche den hern loben in seynem gotlichen richen, derhalben das er alczeit hat eynen liplichen vnd lustlichen ruch gegen dem menschen, do mit er den menschen erweckt in ym wollust czuhaben vnd ane solchen ruch mag der mensche in keinem gutten wollust haben, er werde dan von got vor angereitzt, vnd do von steht geschriben. Meine wollust ist czu sein bey den kindern der menschen. Unnd vor das lob wil der her dem menschen geben die vbunge seins gotlichen ruches. ¶ Czu dem virden sal der mensche den hern loben in seinem gotlichen schmecken. vnd das geschyt in dem ampte der heilgen messe, do der herr selber ist die allersuste speysse der selen. Und in dysser speise czeuht got die sele des menschen mit einer sonderlichen senfftmutigen fruntschafft in sich, das die sele durch die voreynunge mit got wirdt eine speyse gots. Und vor das lop wil der her dem menschen geben die ware vbunge des schmackes. ¶ Czu dem funften sal der mensche den hern loben in seinem fulen ader greiffen, in dem, das yn seine gotliche liebe bitterlich an dem creutze angegriffen, seine hende vnd fussze mit den stumpffen nageln durchlochert vnd seine heilge seyte mit dem spere durchstochen hat. Und als die czeit im die sele des menschen durch einen vnerfyntlichen schmertzen in sein gotlich hertz gegraben was, das sie auch nu mit vnaussprechlicher froluncke des hertzen eingedruckt bleibe, seine heilgen Der Liber specialis gratiae (1508) 231 45 Im Scan des Münchener Exemplars findet sich das Blatt doppelt. 46 cytter henden vnd fussen vnd seinem allersusten hertzen. Also das sie keinen ougenblick seyn vorgessenn moge. Unnd vmb das lop wirdt [xx v ]  45 der mensche nemen die erbeit vnd vbunge der hende Cristi, der gleichen seiner heilgen fusze, do mit er in dorste vnd hunger geloffen hat vff erden vmb die selickeit des menschen. ¶ [I, 1a] Der mensche sal auch loben den mundt des hern Ihesu vmb alle seine honigflussigen wort, die doraus gegangen sein. Und vor das lop wirdt der her dem menschen geben die fruchte vnd vbunge seins heilgen mundes. Nemlich seins gotlichen lobes, dangsagunge, gebethes, predigen etc. Der mensche sal auch loben das aller heilgste hertze Ihesu vnd vmb das lop wil der her sein hertze voreinigen mit dem hertzen des menschen vnd wil im geben alle vbunge vnd fruchte seins gotlichen hertzen in heilger betrachtunge, andacht vnd lybe vnd in allem gutten reich machen, vberflussiglich also, das der mensche nicht alleine seine vorsewmlickeit erfullen, Sonder auch in vil gutten dingen reich im vordinst vor allem himlischen here erscheinen moge. Was der mensche vor andacht beweisen solle gegen den wunden Cristi. ¶ Der viij. artickel. [IV, 37] DJe selige iungfraw vnd liphaberin Cristi Mechtildis hat czur czeit gedaucht, wie sie stunde vor irem liphaber vnd breutigam Cristo Iesu vnd gruste seine heilgen wunden vnd seine heilgen wunden waren allenthalben vmblegt mit edeln gesteinen. Und der her sprach czu yr. Als die edeln steine in sich haben grosse krafft vnd eins teils auch den menschen benemen etliche kranckheit. Also sein meine wunden also krefftig, das sie benemen alle kranckheit der selen. Dan es sein etliche die so erschrockene hertzen haben, das sie gar keinen getrawen haben von meiner guttickeit. Sondern gleich vor forchte von meinem angesichte begern czuflyhen [xxi r ] von welchen mag gesagt werden, das sie dy czitternde gicht haben. vnd so die selben czuflucht hetten czu meinem leiden vnd meine wunden offte sussiglich grusten, so wurden sie alle forchte gentzlich von yn fernen. Es sein etliche, die haben vmbschweiffende vnd vnbestendige hertzen mit iren gedancken allenthalben vmbfligende. vnd czu czeitten durch ein einigk wort in czorn vnd vngedult fallen. Und so die selben hertzlich mein leiden betrachten vnd meine wunden steckten in ire hertzen, wurden sie doraus bestendickeit des hertzen erwerben vnd gedult fynden. Jtem es sein etliche, die haben die schlaffende gicht vnd sein die, die alle ding feulicklich vnd laszlich vorbringen, so die selben andech‐ tiglich betrachten mein leyden, merckende meine wunden, wie tieff vnd wie mit grossen schmertzen mir die gestochen vnd gemacht sein, so wurden sie die selben von aller trackeit erwecken. ¶ [II, 1] Jtem der her sagte, gleich wie der Saphir aus seiner krafft vortreibet die bosze feuchtickeit alszo vortreiben meine wunden das eytter 46 vnd gifft der sele, vnd reinigen sie von vil mackeln. Und als der granat erfrawet das hertze des menschen, Also machen meine wunden die sele frolich in mir, so die sunden gebust vnd gebessert werden. 232 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 47 dorans Wie der mensche die wunden Cristi offte mit andacht kussen solle. ¶ Der ix. artickel. [I, 18c] DEr mensche sal offte in seinem hertzen betrachten vnd geistlichen kussen die funff wunden Cristi. Und so er in im selber kusset die wunde der rechten hant, sal er der dangsagen, das sie ist ein helfferin vnd mit wirckerin aller seiner gutten werck. vnd do hin sal der mensche vorbergen vnd legen alle seyne geistliche werck, so wirdt im dan widdererfullet durch [xxi v ] das vordinst Cristi alles, das er in geistlichen dingen vorseumpt hat. Czu der wunden der lincken hant sal er dang sagen, das die ist alwege ein gewisse czuflucht aller der, die gnade suchen. Und sal dor ein legen alle seine pein vnd widderwertigkeit, do mit sie aus voreinunge des leidens Cristi susse werden. vnd vor got in hochster beheglickeit richen mogen als ein cleydt mit tysam eingschlossen den selben ruch von sich gibt Unnd als broszem des brots eingetunckt in honigk czeucht an sich des honiges sussigkeit. ¶ Czu der wunden des rechten fusszes sal der mensche dangsagen dem hern vor die hitzige begir, dorinne er alle die tage seins lebens noch seiner selickeit in dorste geloffen hat, Sonder die wunde des lincken fusses sal der mensche mit dangsagunge kussen, wen do selbst wirdt alwege funden vorgebunge der sunde. Und in dy wunden der fusse Ihesu sal der mensche stecken alle seine begirde, dan dy begirden sein fusse der selen, do mit sie dorinne volkomlich gereiniget vnd in der volkommenste weisze geheiliget, hinforder nicht meer mogen vorunreinet werden. Sondern zu der wunden des hertzen sal der mensche sonderlich dangsagen, dan doraus 47 ist geflossen wasser vnd blut, dorin wir gereiniget lebende vnd geistlich truncken gemacht werden. doraus ist auch geflossen, fleust vnd wirt flissen ewiglich ane ende, die vnentliche fulle alles gutten. Und in disse wunde der lybe, die so weyt ist, das sie vmbfeht himmel vnd erde vnd alle dinge, sal der mensche legen alle seine lybe czu der lybe des hern, das sie do von volkommen werden moge. Und als ein gluendes eiszen mit dem fewer in ein libe kommen moge. [IV, 56] Jtem czu einer andern czeit, als dy seilge gots braut Mechtildis got opferte v tausent iiij hundert vnd lx vater vnser, die do gelesen warn von der sampnungen in der ere der allerheilgsten wun [xxii r ] den Cristi erschein yr der her mit auszgestrackten henden vnd mit offnunge aller seiner wunden sprechende. Do ich hinge am creutze waren offen alle meine wunden vnd ein itzliche bath auszlassende yre stimme czu got dem vater vor das heil der menschen vnd also bis heutte mit etlichem geschreye senftmutigen sie den czorn des vaters, dem sunder. Und das sage ich dir, das nye kein betler in nemunge seins almoszen, das er mit seinem vngestumen geschreye erwirbet, also hat mogen erfrawet werden, als frolockende ich auffneme das gebete, das mir czu eren meinen wunden geschyt vnd erczeiget wirt. Und auch das sage ich dir, das ditz gebete nimmer meer vor einen andern menschen magk gebet werden, das es ym nicht erwerbe den standt des heiles. Do sprach sie. Mein liber her, welchs ist die meinunge, yn der du wilt, das es gebet werden solle. Der her antwort, das der mensche nicht alleine mit dem munde, sonder auch mit dem hertzen die wort auffmercklich Der Liber specialis gratiae (1508) 233 48 fer ausspreche vnd czum wenigsten noch v pater noster mir beuelhe vnd yr wardt auch von got eingegeben der versz, der alle wege czu funff pater noster solt gesprochen werden. her Ihesu Christe, ein son des lebendigen gots, nym auff disses gebete in der vbertreflichen libe, in welcher du alle wunden deines allerheilgsten leybes geliden hast. vnd erbarme dich mein vnd aller sunder vnd aller glowbigen der lebendigen vnd der toden vnd gib yn gnade, barmhertzigkeit, vorgebunge aller sunde vnnd das ewige leben Amen ¶ [V, 6] Jtem also mag der mensche grusszen die wunden Christi. O yr seligen wunden meins allersusten liphabers Ihesu Cristi seyt gegrusset. Seit gegrusset in der almechtickeit des vaters, der euch gegeben hat in der weiszheit des sones, [xxii v ] der euch geliden hat in der guttickeit des heilgen geystes, der in euch das werck vnserer erloszunge vorbracht hat. vnd der mensche sal bitten, got dancksagende aller seiner wunden, das Cristus seiner sele so vil wunden der lybe eindrucken wolle, als vil wunden er an seinem heilgen leybe geliden hat. [I, 18d] [IV, 56] Jtem so der mensche alle tage xv vater vnser betet, ein iar langk, so das iar vmb kompt, so hat er itzlicher wunden Cristi ein vater vnser gebet. So dan ein iar in sich hat drey hundert sechs vnd sechtzick tage, so man das zu funffczehen malen manchfeldiget, fyndet man, das der her gehabt vnd entpfangen hat in seinem heilgen leiden vmb vnser heil v tausent iiij hundert vnd neuntzick wunden. Von den funff frouden, die der her Iesus in seiner frolichen vffersteunge entpfangen. Der x. artickel [I, 19d] DEr her hat auch vorheischen grosse dinge den, die nochfolgende frowden, die er in seiner frolichen vffersteunge entpfangen czu czeiten mit andacht betrachten. Die erste frowde ist, die seine gotheit von der menscheit vnd die menscheit von der gotheit in einem newen vnsterblichen vorclerten weszen gehabt. Die andere frowde, die Cristus die czeit gehabt, ist gewest, das im dy ewige libe, die yn vormals in seynem heilgen leiden mit vnczellichen schmertzen vnd bitterkeit erfullet hatte, mit vnmessiger frowde vnd vberflussiger irer sussickeit, alle seine glydere in seiner frolichen auffersteunge durch drungen hat. Die dritte froude, die Cristus gehabt, ist gewest, das er seinem himlischen vater das allerkostlichste pfant, sein edele sele, mit den selen, die er erlost, mit vnaussprechlicher froluncke geantwort hot. [xxiii r ] Die vierde frowde ist gewest, das im sein himlischer vater, dy aller volkommeste gewalt gegeben hat, zu eren reich zu machen vnd zu belonen seine frunde, die er mit so grosser erbeit vnd mit einem so tewren schatze erlanget hat. Die funfte frowde ist gewest, das der himlisch vater alle, die er erloszet hat, in einem ewigen vorhintnus im zugesellet hat, das sie hinforder seine miterben vnd tisch genossen sein sollen. Dan andere konige, so sie mit iren gefreundten gessen, noch vorbrachten wolleben werden sie widder von einander gesundert. Sondern die freunde Cristi, die haben ein ewige wonunge mit Cristo an dem ende, do er ist. Und der her hat zu seiner auserwelten braut gesagt, welcher mensche mich disser frowden erinnert, den wil ich vor die erste frowde, so ser 48 er es begert, vor seinem tode geben 234 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) den schmack meiner gotheit. vor die andere frowde wil ich im geben das vorstentnus eins rechten erkentnus. vor die dritte frowde wil ich ym geben die frucht vnd mitteilunge alle meins leidens vnd meiner schmertzen. vor die vierde frowde wil ich seyne sele an seinem letzten ende antworten meinem vater. vor die funffte wil ich im geben die lustbarliche geselschaft aller lieben heilgen Von dreien sonderlichen dingen, die der mensch offt in seinem gebet betrachten sal. ¶ Der xi. ar [III, 5] EJn ander czeit sagte der her zu seiner liphaberin. Jch wil dich drey dinge lernen, die du teglich in deinem gemute betrachten salt vnd doraus wirdt dir vil guts kommen. Czum ersten betrachte mit dangsagunge, wie gros gut ich dir gegeben habe in der schepfunge vnd erlosunge, das ich dich einen menschen noch meinem bilde vnd gleichnus geschaffen hab. [xxiii v ] vnd vmb deinen willen bin ich mensche worden vnd noch vil vnczelligen schmertzen hab ich vmb deinen willen gelyden einen allerbittersten todt. ¶ Czu dem andern betrachte mit danckbarkeit, wie gros gut ich dir gethan habe von der stunde deiner geburt bisz czu diszer czeit, das ich dich durch soderliche erwelunge von der werldt geruffen vnd mich offtmals czu deiner sele geneiget habe, sie erfullet vnd truncken gemacht mit meiner gotlichen gnade, erleuchtet mit erkentnus vnd angeczundt mit libe vnd noch teglich in der messze czu dir komme, bereit, czu erfullen alle deine begirde vnd willen ¶ Czu dem dritten betrachte in dangsagunge vnd lobe, wie grosse dinge ich dir im himmel ewiglich geben werde, vberflussickeit aller guttere vnd vil meher dan du wenen ader glowben magst, werde ich in dir houffen alle guttere. Unnd ich sage dir das warlich, das mir sere wolbehaget, das dy menschen trostlich grosze dinge von mir hoffen, dan ein itzlicher, der mir glowbet, das ich im noch dissem leben vber sein vordinst wol thun werde vnd mir dorumb in dissem leben mit lobe dangsaget, der wirdt mir alszo czu dancke thun, das ich yn, als vil er glowben ader hoffen mag, vnd doruber vntzellich vber all sein vordinst belonen wil. Dan es ist vnmoglich, das der mensche nicht begreiffe die dinge, die er gloubet vnd von got gehofft hat. Derhalben ist es dem menschen nutze, das er von mir, grosse dinge hoffende, mir treulich vnd wol glowbe. Dan er sal in sicherer hoffnunge glowben, das ich yn noch seynem tode auffnemen wil als ein vater auffnimpt seinen allerlybsten son. vnd das kein vater mit seynem sone also trewlich sein erbe geteylet als ich alles gut vnd mich selbst im mitteilen werde. ¶ Czu dem andern [xxiv r ] wil ich yn auffnemen als ein freundt auffnimpt einen andern seinen libsten freundt. vnd wil im solche freuntschafft erczeigen, der gleichen nye keiner von irgent seinem frunde hat mogen erfarn. Dan es ist nye kein freundt ye also getrawe erfunden, der sich gein seinem frunde nicht in betriglickeit het beweiset, ader hette die beweissen mogen. ich aber, der ich vffs hochste getrawe vnd die trewe selber bin, kan zu keiner zeit meinen freunden vntrawe ader betriglickeit erzeigen. ¶ Czu dem dritten wil ich yn auffnemen als ein breuticham, sein liebste braut mit so grosser czuflissunge der reichtumer vnd mennige der wollust, das nie kein breuticham also sussiglich seine braut czu sich geczogen hat, als ich in mir der allersusten senfftmutickeit werde erlustigen vnd wil truncken machen mit Der Liber specialis gratiae (1508) 235 49 danckarkeit 50 wirt dem flisse meiner gotlichen wollust am leibe vnd in der selen. Do fragte die liphabende sele den hern, sprechende. was wirstu denn geben den, die dir von dissen dingen glawben geben. Antwort der her. Jch wil yn geben ein danckbar hertze, dorinne sie alle lere mit danckbarkeit 49 auffnemen mogen. Jch wil in geben ein libhabendes hertze, dorinne sie mich trewlich mogen liphaben vnd dorinne sie mich alczeit in libe loben mogen, noch der weisze der himlischen geiste, die mich alczeit in lybe lobende gebenedeien. Von der andacht, die der mensche haben vnd beweissen sal gegen der muter gots vnd czum ersten von dem engelischen grusse. ¶ Der xij. artickel. [I, 42] ALs eins die andechtige sele in irem gebet mit hochster begirde des hertzen begertte, mit dem allersusten grusse czu grussen Mariam die hymmelkonigyn, doruber keyn grusz ye erdacht were, Jst yr vonn stundt die werde iungkfrawe [xxiv v ] Maria in wunniglicher czyre entschynnen vnd hat mit gulden buchstaben an irer brust geschriben gehabt den heilgen englischen grus vnd gesagt. vber dissen grus ist nye ymandt kommen. Mich hat auch nimandt ye susser grussen mogen dan mit dissem grusse, in welchem mich got der vater gegrusset hat. Durch das wort Aue hat er mich bestetiget, das ich frey sein solte von allem wee der pein vnd auch der schulde. Auch hat mich der son gotes mit seiner gotlichen weiszheit also erleuchtet, das ich bin ein sere clarer stern, durch welchen erleuchtet wirdt himmel vnd erde. ditz wort 50 bedeutet durch den namen Maria, das ist als vil als ein stern des meres. Auch der heilge geist hat mich mit seiner gantzen gotlichen sussickeit durchgangen vnd mich mit seiner gnaden so gnadenreich gemacht, das itzlicher, der durch mich gnade suchet, die selbe findet vnd das wirdt bedeutet in dem wortte vol gnaden. in dem worte der her mit dir werde ich vormant der vnaussprechlichen voreynunge vnd wirckunge, die in mir die gantze gotliche dryfaldickeit vorbracht hat, do sie dy selbstendickeit meines fleisches voreiniget hat der gotlichen natur in einer person, alszo das got in mir mensche worden vnd der mensch got. was frowde vnd sussickeit ich in disser stunde entpfunden hab, hat kein mensche ny gentzlich mogen erforschen. Aber durch das wort Du bist gebenedeiet in den weibern erkent vnd bezeuget alle creature mit vorwunderunge, das ich gebenedeiet vnd erhoet byn vber alle creature, himmlische vnd irdische. Durch das wort gebenedeiet ist die frucht deins leibes wirt gebenedeiet vnd erhaben dy vortreflichste vnd allernutzlichste frucht meins leibes, die do lebende gemacht hat, geheyliget vnnd ewiglich gebenedeiet alle creaturen [xxv r ] [I,44] DJe werde muter gots sal der mensche auch loben, sonderlich vmb dreyerlei trewe willen, die sie gegen irem gebenedeiten sone vnbeweglich geleistet vnd beweiszet hat. Die erste trewe ist gewest, das sie im in allen seinen wercken vffs aller treulichste beigestanden vnd alleczeit den willen yres sones furgesatzt hat iren eignen willen. Die andere trewe ist gewest, das sie yrem sone in alle seinen noten vnd leiden vffs aller treulichste beygestanden, auch also, das sie alles das leiden, so der her an seinem leibe geliden, in irem hertzen 236 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 51 Ergänzung des himels am Rand 52 eckentnus getragen vnd geliden hat. Die dritte ist, das sie im nochmals itzund in der ewigen selickeit treulich beysteht vnd ane vnderlas treulich bittet vor die sundere, das die mogen bekart werden, vnd vor die lyben selen, die do sein in den banden des fegfewers, das die mogen erlost werden, dan es vngeczweiuelt, das durch ire heilge vorbite vnd vordinst vnczellich vil sunder bekart sein vnd der selen, so sunst ausz dem rechten gerichte gots czu der ewigen peyn vorurteilt solten sein worden, durch ire barmhertzickeit sein widderruffen vnd ausz dem fegfewre auch erlost worden. [I, 47] Und welcher mensche bestendickeit vnd czunemunge in allem gutten vnd einen seligen auszgangk von disser werldt erlangen wil, der sal der mutter gots, noch dem sie selber der seligen iungfrawen Mechtildis geoffenwart hat, teglich zu lobe bethen drey sonderliche Aue Maria. Und bei einem itzlichen aue Maria sal der mensche die muter gots der meinunge ermanen. Czu dem ersten aue Maria Mag der mensche gedencken ader in im selber sprechen. O aller gewaldigste keyserin himmels vnd erden, ich bitte dich als dich got der vater noch der vnmessigen grosse seyner almechtickeit. Mit im in der allerwirdigsten ere in dem hochsten trone 51 erhaben vnd dich die gewaldigste nest im im himmel vnd vff erden gemacht, kom mir czu hulffe [xxv v ] in der stunde meins todes. stercke mich in allem gutten vnd treibe von mir allen widderwer‐ tige gewalt Amen. Czu dem andern aue Maria Mag der mensche gedencken ader sprechen. O aller kunstreichste meisterin, Jch bitte dich, als dich der son gots noch der vbertreflichen seiner vnerforschlichen weiszheit in kunst vnd vorstentnus vffs allerkunstreichste geczyret vnd gantz erfullet hat, alszo das du vber alle heilgen in hochsten erckentnus 52 gebrauchst der heilgen drifaldickeit. Und hat dich mit so grosser clarheit erleuchtet, das du als die sonne scheinende yn irer krafft den gantzen himel erleuchst, begeus meyne sele in der czeit des todes mit dem lichte des glowbens vnd erkentnus vff das mein glowbe nicht durch vnwissenheit ader irthum vorsucht ader vorfurt werde. Amen. Czu dem dritten aue Maria mag der mensche sprechen. O du guttigste trosterin aller dorfftigen. Jch bitte dich, als dir der heilge geist dy sussigkeit seiner lybe volkomlich eingegossen vnd dich so gar liplich vnd vffs allerguttigste gemacht, das du nest got die suste vnd guttiste bist. kom mir czu hulffe vnd stehe mir bey in der stunde meines todes vnd geus meiner sele eyn die sussickeit gotlicher lybe, die so mechtig in mir werde, das mir alle pein vnd bitterkeit des todes aus der selben lybe susse werde Amen [I, 26b] ES hat auch die muter gots gemelter andechtiger person geoffenwart, das es got vnd yr sonderlich beheglich sey, sie czu ermanen der funf sonderlichen frewde, die sie in sich selber vnder andern hie vff erden gehabt. Die erste ist gewest, do sy das vnbegreifliche vnd vnaussprechliche licht yr kindt Cristum angesehen, in dem sie gleich als in einem scheinenden claren spigel erkant hat die ewige libe, dorin sie got vor allen creaturen gelibet vnd auszerwelet hat vnd auch, wie mit grosser libe er sy im vor aller werlt zu einer muter vnd braut Der Liber specialis gratiae (1508) 237 [xxvi r ] auszerkorn vnd die beheglickeit, dorinne im in yr vnd aller dinst, den sy im vff erden erczeiget hat, wolgefallen. Die andere frowde hat sie vfs volkomlichst entpfangen aus dem allersusten grusse des allerlibsten sones, yres vaters vnd breutigams, do er sy angenommen noch der grosse seiner almechtickeit vnd noch der kunst seiner gotlichen weiszheit vnd noch der vnmessickeit seiner czertlichen libe. vnd hat ir gesungen das allerhochste vnd liplichste gesangk der libe mit seiner allersusten gotlichen stimme. Die dritte frowde hat sie in grosser volkommenheit gehabt vnd in der sele entpfangen in dem allersusten kusse, den yr die gotheit gegeben, dorinne ir got den schmack seiner gotlichen sussickeit also czuflissende hat eingegossen, das aus seinem vberflosse die himel honigflissende worden sein, also auch, das nymandt vff erden also dorfftick vnd so bosze ist, so er es allein begert, so mag im von solcher volkommenheit mitteilunge gescheen. Die virde frowde hat sie gehabt, do ire sele gentzlich entzundet ist gewest mit dem fewre gotlicher libe vnd ir hertze czuflossen aus der sussickeit des hertzen yres sones, do er die gantze fulle seiner lybe in sie gegossen hat, so vil es einer creature moglich gewest czu entpfaen ader czugebrauchen vnd aus irer hitzigen libe ist die mennige der liben heilgen gleich in einer newen weisze mit hitziger liebe entzundt worden. Die funfte frowde hat sie gehabt, do der schein vnd glantz der gotheit alle ire glidere mit einem allerclersten lichte durchdrungen hat, also das der himmel mit irer ere gleich als mit einem newen lichte erleuchtet worden. vnd alle frowde der heilgen von irer gegenwertickeit gemeret ist. Das der mensche auch czuflucht haben sal czu andern heilgen gots. ¶ Der xiij. artickel. [xxvi v ] DEr mensche sal auch in seinem gebete czu den andern heilgen gots czuflucht haben vnd sie bitten, das sie got vor yn bitten wollen vnd das ist yn sonderlich angeneme. Und sie vormanen, das sie neben der muter gots trewe vorbitter sein wollen. Und alszo denglich nemen an die liben heilgen den dinst der menschen ap ein mensche allen heilgen in einer gemein nicht meer opfert dan ein einiges vater vnser, so nemen sie es doch in der gemeine also dencklich an als ap es yr itzlichem in sonderheit geopffert were. Wie der mensche bitten sol vor die stende der heilgen kirchen. ¶ Der xiiij. artickel. [V, 28] ES sal auch ein itzlich mensche in einer gemeine bitten vor die stende der heilgen kirchen vnd vor die not aller menschen beide der lebenden vnd auch der vorstorben vnd sonderlich vor die gefangen am leibe ader am geiste. Czu einer czeit sagte der her zu der liphabenden selen. wer vor die gefangen am leibe ader an dem geiste fruchtbarlich bitten wil, der sal mich vor das erste bitten durch die liebe, die mich in dem leibe der iungfrawen newn monden czu lygen gefangen vnd gebunden hat. Czum andern durch die liebe, die mich in die tuchlein gewindelt vnd in der wygen mit windelschnuren vorstrickt hat. Czum dritten durch die liebe, die mich gefangen geantwort hat in die hende der sundere. Czum virden durch die libe, als mich mit gebunden henden vnd gefangen die iuden geantwort haben in die hende des richters. Czu dem funfften durch die liebe, als ich czu der geischelunge an die sewle gebunden. Czum sechsten durch die libe, die mich geczwungen, das ich also vorspottet vnd 238 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 53 dsizen 54 irensunden mit stumpffen nageln an das creutze genagelt bin. Czu dem sybenden durch die lybe, als ich in ey [xxvii r ] nem reinen weissen tuche todt eingewindelt, begraben vnd vorschlossen wardt, do mit ich durch die selbe libe, die mich in alle diszen 53 stucken gefangen hylde, den selben gefangen menschen ledigen wolle von alle seinen banden ader von seynen sunden [V, 53] EJns mals, als die selige iungfraw Mechtildis in etlicher vngedult widder einen menschen, den sy offte mit seligen wortten gestraft vnd er sich nicht besserte, in yr selber bewegt was, sagte der her czu ir. Eya, hab mitleidunge mit mir vnd bit vor die dorfftigen sunder, die ich mit einem so tewren schatze gekouff habe vnd so faste begere czu mir bekert zu werden. Es sal auch der mensche in eyner gemeine bitten vor die gantze cristliche kirche vnd vor die gantze werlt vnd sal alle seine werck thun vnd got opffern czu besserunge vnd trost aller werldt Wie der mensche das vater vnser vor die vorstorben, auch vor die lebenden beten sal. Der xv. ar. [V, 18b] ALs die selige iungfrawe Mechtildis czu eyner czeit an einem heilgen tage czu gots tisch gegangen was vnd ditz allerwirdigste opffer got vor die erlosunge der selen, do mit in das sein mochte ein vorgebunge aller irer sunde vnd eine erfullunge irer vorseumpnus in irem hertzen got geopffert hatte, sagte der her zu ir. Bethe vor sie ein vater vnser in voreinunge der meinunge, als ich das von meinem hertzen den menschen czu beten gegeben habe. in diszen worten vorstunde sie aus gotlicher eingebunge, das sie es der meinunge beten solte. Jn dem wortte vater vnszer, der du bist in den himeln, solt sie gedencken czu begern, den selen vorgeben czu werden, das sie so einen erlichen vnd liplichen vater, der sie alleine aus gnaden in solchen eren erhaben, das sy kyn [xxvii v ] der gots geheissen werden in so grosser ere erbitunge, als sich czympte nicht geliebet, auch nicht schuldige ere erbotten haben, doruber yn mit iren sunden 54 so ofte gereitzt vnd aus irem hertzen, dorin er als in seinem himmel czuwonen vnd czu regniren gedacht gewest, offte ausgetriben, bittende in voreinunge der liplichen busse vnd gnugthuunge, welche ir vnschuldiger bruder Cristus Ihesus vor sie beczalt hat, das er die libe seins hertzen mit der ernwirdigsten ere, die er in der menscheit der selen erczeiget hat, wolle vffnemen czu erfullunge diszer missetat. Geheilget werde dein name czu einer erfullunge, das sie den namen gots vnd eins solchen yres grossen vaters nye wirdiglich geeret haben vnd offte vnnutzlich in yren mundt genommen. Sonder auch gar selten des namens fleissiglich gedacht. Sich auch des allerwirdigsten namens, so die cristen von Cristo genant werden, durch yr bosze leben vnwirdig gemacht haben, begerende, das er geruche auffczunemen die aller volkommeste heilickeit seins sones, in welcher er seinen gebenedeiten namen in predigen erhaben hat vnd in allen wercken seiner menscheit geeret. ¶ Czukomen dein reich. hie saltu auffmerckenn, das den selen vorgeben werde, das sie das reich gots, auch got selber, in dem allein die ware ruhe vnd dy ewige frowde ist, nye szo hitziglich begert Der Liber specialis gratiae (1508) 239 55 allerheilgsteu haben, noch so mit grossem vleisse gesucht, bittende das gott die aller heilgste begirde seins allerlibsten sones, dorinne er die selen hat wollen, seine erbnemen sein seins reichs, auffneme vor alle trackheit, so sie czu den gutten wercken gehabt haben. ¶ Dein wille geschee, das sy seinen willen, nicht irem willen vorgesatzt haben vnd den nicht in allen dingen gelibet haben, bittende, das er die voreynunge des susten hertzen seins allerlibsten sones vnd den aller bereitesten gehorsam, in dem er bis in todt gehorsam gewest, [xxviii r ] auffnemen wolle czu besserunge alles ihres vngehorsams. vnd sonderlich hat sie erkant in disem wortte dein wille geschee, das die geistlichen sere sundigen, die yren willen selden gantz got opffern vnd doruber den willen, den sie got ein mal in irem gehorsam vbergeben vnd geopfert, offte widder nemen, derhalben yn gantz not, das yr in disem wortte sonderliche gedacht werde dan durch disze vorseumlickeit werden sie noch irem tode sere von gott gefernet. ¶ Unszer teglich brot gib vns heute, das sie das alleredelste sacrament vnd yn als gar nutzliche nye mit so grosser begirde, andacht vnd lybe entpfangen haben vnd vil sich des vnwirdig gemacht haben vnd ir vil selden ader nye erlanget haben. Bittende got den vater, das er auffnemen wolle dy allerhitzigste libe, die vnaussprechliche begirde, die so grosse heilickeit vnd andacht Cristi, seines sones, in welcher er vns disze vbertrefliche gabe gegeben hat. ¶ Und vorlasse vns vnsere schulde, als vnd wir vorlassen vnsern schuldigern. in disen wortten sal man begern, das den selen vorgeben werden alle ire sunde, die sie vorbracht haben in den syben todtsunden vnd in den sunden, die aus yn kommen. vnd das sie nicht vorgeben haben den, die in sie gesundiget haben vnd ire feynde nicht gelybet, Got bittende, das er wolle auffnehmen das gar lipliche gebethe seins sones, das er vor seine feinde am creutze gebett hat. ¶ Unnd nicht einleite vns in vorsuchunge, sonder erlosze vns von vbel Amen. Das sie den sunden vnnd begirlickeiten nicht widderstanden, sonder so offte dem teuffel vnd dem fleische vorwilliget vnd sich in vil vbels williglich eingewickelt haben, bittende got, das er die erliche vberwindunge Cristi, do mit er die werlt vnd den teuffel vberwunden, mit gantzer seiner allerheilgsten 55 wanderunge vnd aller seyner erbeyt vnnd leydenn, den selen vorleyhen [xxviii v ] wolle czu erfullunge aller irer vorsewmlickeit, sie erlosende von allem vbele, vnd sie furen wolle czu dem reich der eren, das er selber ist Amen. Und als die selige iungfraw Mechtildis dises gebete in solcher meinunge gebethet hatte, sahe sie ein grosse mennige der selen mit grosser frolockunge vmb ire erlosunge got dangsagende. ¶ [V, 19] Jtem der her hat zu yr gesagt, welcher mensche vor einem vorstorben aus begirde des mitleidens, ader der libe bittet, der wirt teilhaftig aller gutten werck, die gescheen vor den selben vorstorben durch die gantze kirche vnd er wirdt die alle finden bereit an dem tage seins hinscheidens von diszer werldt czu heile vnd selickeit seiner selen. 240 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 56 Blattangabe in Druck falsch, dort xxx Wie sich der mensche widder die trackheit vnd, so er nicht andacht entpfindet, in gotlichem dinst haben solle. ¶ Der xvi. artickel. [III, 20] VF ein czeit sagte der her czu der seligen iungfrawen Mechtildis. Ein itzlicher, der do betrachtet, wie ich sein allergetreuster vnd freuntlichster frundt, so er czu mir kompt, ich im werde offenwaren alle meine heilickeit, auch also vil, das er doruber nichts meer beger ader wolle wissen, so wurde billich sein hertze erweckt, sich in mir czu erlustigen. Auch szo einer betrachtet wie ich, die sussickeit aller wollust im sein werde ein schmack noch aller wollust seins hertzen vnd wie mechtigk vnd freye er wirdt in meiner mildickeit. So er auch mein mechtigk wirdt, denn so er alle dinge, die er haben wil, in mir volkomlich vorbringen magk vnd so der mensche die dinge betrachtet, wurde billich von im der schlaff vnd die tragheit voriaget. [II, 41] Jtem der her sagte czu yr ein andere czeit. So sich der mensche in seinem gebet ane andacht kalt in der lybe vnd von got gefernet entpfindet, So sal er anruffen die lybe gots vnd der selben [xxix r ]  56 beuelhn seine botschafft, bittende, das sie ym gnade ader fleys der andacht erwerben wolle. Ader gebe czum wenigsten den willen vor die that. [IV, 23] Also, so er die libe aller heilgen vnd aller creatur haben mochte, das er die gar in got allein ordenen wolde. So er got nicht also loben vnd liben kan, als er gerne wolde vnd czuthun schuldig, so spreche er also. O gutiger Ihesu, ich lobe dich vnd alles das, das weniger in mir ist, dan es sein sal, bite ich dich, das du das vor mich wollest erfullen. O gutiger Iesu, ich lybe dich vnd alles das, das weniger in mir ist, dan es sein sal, bitte ich dich, das du die lybe deins hertzen dem vater vor mich wollest opffern. Und der her hat beschlyslich gesagt. Und so der mensche einen tag mich czu tausent mal alszo bitten wurde, szo wil ich mich doch also offte als ich gebeten werde, dem vater vor yn opfern, dan ich mag nicht mude ader vordrossen werden. Wie sich der mensche in auszwendiger erbeit vben solle. ¶ Das vi. capitel. [III, 16] VNde die weil sich der mensche nicht alwege in gotlicher beschawlickeit vnd in dem gebete vben mag, derhalben sal sich der andechtige mensche noch vbunge der geistlichen wercke fleissigen, do mit er ausztreibe alle mussigkgeunge, auch alle vnnutze vnd sonderlich schedliche handelunge vnd sich vbe in etlicher erbeit der hende, dan der her hat gesagt zu seiner liphaberin. wen du erbeitest, so ruhe ich in dir. Und so vil sorgfeldiger vnd fleissiger du erbeitest, so vil sussiglicher ruh ich in dir. Sondern allermeist gefallen mir wol dreyerlei werck der erbeit. Nemlich die werck der lybe, der demut vnd vorachter dinge, vnd vber alle dinge die werck des gehorsams dan ein werck, das der mensch aus gehorsam thut, erlustiget mich meer vnd gefelt mir bas dan alle [xxix v ] andere gutten werck, die der mensche aus eignem willen thut. Und alle fusztritte, die der mensche thut ader geht, vmb des gehorsams willen, die meren im alszo hoch sein vordinst, als hette er einen grossen schatz in meine hende gesammelt. [IV, 18] Und von der stunde Der Liber specialis gratiae (1508) 241 57 hindersich 58 And an, dorin ein mensche seinen eignen willen in die hende seiner prelaten, mir vbergibt, neme ich yn in meine vmbfaunge vnd las nicht nach, czu keiner czeit, meine rechte hant, das ich yn vorlasse. er wolle sich dan selber mutwilliglich hinder sich 57 von mir czyhen. vnd so er das thut, so mag er nicht widder an die forige stat kommen. er neige sich dan durch ein ware busse vnd eine wirdige gnugkthuunge vnd sich also gegen dem hern demutiglich nidder streckende, got von newen gelobe, den heilgen gehorsam williglich czuhalten. [V, 15] Und als ich meinem vater bin gehorsam gewest, also bin ich noch gehorsam allen den, die vmb meiner libe willen gehorsam leisten. Und 58 die hie vff erden vmb meinen willen iren willen brechen, dy selben werden auch noch diszem leben sich in mir in sonderlicher freiheit vnd wollust ewiglich erlustigen vnd ich wil mich widderumb auch in sonderlicher weisze in yn erlustigen, do mit es allen heilgen vnd engeln kunth werde, wie gar ein angenemer dinst es mir sey, szo der mensch durch einen rechten gehorsam seinen eygen willen vorlest. Und wolde got, das ditz die menschen geistlich vnd werntlich offte mit fleis betrachten vnd czu hertzen nemen vnd vorstunden. [I, 35] Jtem czu einer andern czeit sagte der her czu seiner liphaberin, welcher mensche wil, das sein gebet vor meine oren komme vnd erhort werde, der sal czu allem gehorsam bereit sein, dan es ist vnmoglich, das eins rechten gehorsamen menschen gebethe nicht erhort werde. Vonn den wercken der demuth. ¶ Der erste artickel. [VI, 9] [xxx r ] DAs aber dem hern vorachte vnnd demutige werck, so er die thut in der libe gots angeneme sein, erscheint doraus, dan der her sagte czur czeit czu seiner liphaberin. So der mensche in seinem hertzen so vil demut fulet, das er in seinem hertzen bereit ist, sich zu vnderwerffen einem itzlichen menschen, das ist im ein war geczeugnis, das er erlanget hat vorgebunge aller seiner sunde. Und welcher mensche vber alle ander wil erhaben vnd erhoet werden, der sal sich in demut allen menschen vnderwerffen. Und so vil, als sich selbst der mensch vorachtede, tyffer vnder andern allen creaturen demutiget, so vil tiffer wirt er in mich gesenckt vnd so vil sussiglicher vnd fruntlicher wirt er von dem flysse meiner wollust truncken gemacht werden. Und welcher mensch sich recht demutiget, der wirt sonderlich teilhaftig der demut Cristi vnd des vordinstes aller der, die sich ye vmb seintwillen gedemutiget haben, gleich ap das sein eigen were. Von den wercken der lybe ader der bermhertzickeit. ¶ Der ander artickel. [II, 34] VF ein czeit sagte der her zu seiner liphaberin. Eya, gib dein gantzes hertze gentzlich der libe vnd habe lip alle menschen, so wirt die libe gots vnd die libe aller der, die got ie gelibet haben, dein eigen werden. Und szo du deinen nesten barmhertzickeit erzeigest, szo wirdt die barmhertzickeit gots vnd alle seiner heilgen dein sein. vnd sonderlich gefelt dem hern wol, das der mensche gut thue den vnschuldigen kleinen kindern vnd den einfeldigen, betrubten, die in anfechtunge, in widderwertickeit ader von andern leuten veracht sein. Dan das sich der mensch vbet in trostunge solcher personen ist vordinstlich, derhalben 242 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 59 Phil 2,10 60 guttlgich ist es auch got sonderlich angenem, dorumb sprach der her vff ein zeit czu der seligen Mechtildis. so vil meher du dich gegen [xxx v ] den creaturen durch die lybe auszstreckt, dich auszbreytende czu allen durch das mitleiden vnd barmhertzigkeit, so vil enger vnnd sussiglicher vmbgurttest du die vnbegreifliche breyte meiner gotheit. Von der wurckunge der andechtigen begirden vnd gutten willens. ¶ Das vij. capitel. VNde die weile der mensche vmb der gebrechlickeit willen offte nicht so vil guts thun mag, als er gerne wolde, ader kan nicht alwege wurcklich vnd auswendigk mit der that guts thun, so sal doch der mensche sich fleissigen, das er alczeit gut thue mit gutten vnd andechtigen begirden vnd willen, dann die selben sein vor got gnugk inwendig, so der mensche auszwendigk mit der that nichts guts czuthun vormag. [I, 9a] Dorumb sagte der her czur czeit czu seiner braut. Das die begirde gotlichs lobes nichts anders sey dan ein sonderliche quelunge der selen, so sie nicht noch irer begirde got loben mag. Des gleichen sein das begyrde, die andacht, das gebethe vnnd aller gutter wille, den die sele hat guts czuuorbringen, gleich als etliche czuknyrszunge ader qwale der selen. Und so ich die selben erfulle durch mich selbst, so mache ich gesunt die czuknyrsunge der selen. Der erste artickel. [I, 16b] ALs die selige Mechtildis eins hortte leszen disze wort. Jn dem namen des hern werden gebowget alle knye 59 , Sagte sie in irem hertzen czu dem hern. O das ich nu macht hette, das ich himmel vnd erde mit aller creature dir allersusten getrawesten liphaber mit ereerbithunge gebigen mochte. do antwort ir der her, guttiglich 60 sprechende. beuil es mir, [xxxi r ] das ich das in mir selber vorbringen moge, dan ich bin ein beschlisser aller creatur. vnd so ich mich erczeige got dem vater durch lop vnd dangsagunge, so ist not, das aller creaturen gebrechen durch mich vnd in mir in der allerwirdigsten weisze erfullet werde. Es leidet auch mein guttickeit nicht, das etwas von den dingen, die dy glowbige sele begert vnd sie zuuorbringen nicht vormag, vnuolkommen ader vnuorbracht gelassen werde. Und so der mensch die begirde nicht haben mag, so habe er doch den willen, das er solche begirde gern haben wolte vnd als dan neme ich den willen vor die that. [IV, 60] Und der herr fragte czur czeit seine auszerwelte liphaberin, sprechende. Jch frage dich vnd du salt mir noch warheit deins hertzen antwortten. Jst auch etwas in der werldt, das du also lip hast, das du vmb meinen willen, so es in deiner gewalt were, nicht vorlassen woltest. Antwortet die selige Mechtildis. her, du weist, so die gantze werlt mein were mit alle dem, das dorinne ist, so wolde ich das alles gentzlich vmb deiner libe willen vorlassen. Und ditz hat der her von stundt also angenommen, als hette sie alle dinge aus irem eigenthum vorlassen. Do fragte der her abermals. Jst auch irgent ein erbeit ader eyne burde des gehorsams so gros, die du nicht vmb meyner libe willen woltest thun ader vorbringen. Sie antwort, her ich Der Liber specialis gratiae (1508) 243 61 fadem bin auch bereit, alle dinge czu leiden vmb deines namen willen. Der her fragte abermals. Jst auch yrgent ein pein so schwer, die du dich weren woltest vmb meiner libe willen zu leiden. Sie antwort. mein liber her, ich bin bereit, mit dir vnd mit deiner hulffe mich aller pein zu vnderwerffen. Diszes alles hat der her also angenommen, als ap sy das mit der that verbracht het. Der ander artickel. [III, 35] [xxxi v ] ALs die selige Mechtildis eins kranck in yrem bette gelegen vnd in armut ires geistes aus gantzem hertzen czu dem hern tyff ersufftzte, Sach sie den hern eylende von seinem trone auffstehen vnd sprechen. vmb der dorfftickeit willen der armen vnd das ersufftzen der notdorftigen wil ich itzundt aufstehen. vnd als der her aufstunde, sein mit im czu gleich auffgestanden alle heilgen vnd haben czu troste dieser selen geopffert alle iren dinst, den sie got vff erden gethan vnd was sie geliden haben czu einem ewigen lobe. Doruber hat der her Iesus alle seine werck geopffert got dem vater sprechende. Jch wil es legen in dem heile, das ist, in mir selber vnd durch mich selbst wil ich erfullen ire begirde. vnd hat also wirdiges lop vor sie got dem vater bezalt. Und sy vorstunde aus gotlicher eingebunge, als offte als die sele in armut des geistes zu got ersuftzt, begerende yn zu loben ader gnade czuhaben, so stehen auff alle heilgen gots vnd loben got vor die sele vnd erlangen ire gnade. vnd in dem hat der her nicht gnuge, Sondern durch sich selbst aufstehende, sprechende. Jch wil es legen in dem heile, das ist ich wil durch mich selbst irer begirde gnugk thun, vnd opffert vor die selbe sele got dem vater lop vnd alles, das sie begert, erfullet er vor sie vffs aller fruntlichste. Der dritte artickel. [III, 35] DOrnach sprach der her. O szo ein ein einiges ersuffczen also hoch ist angenommen, wie mag yrgent ein betrupnus in der selen eins armen menschen bleiben. So ofte der mensche noch mir ersuftzt, so czeucht er mich in sich, dan ich habe mich gemeiner gemacht allen dingen vff erden. dan es ist kein ding also clein ader voracht, auch kein faden 61 ader kein stoubichen also clein, das der mensche alleine mit seinem wil [xxxii r ] len ader mit gedancken erlangen moge. Mich aber mag der mensche haben vnd erlangen mit seinem gutten willen ader mit einem einigen ersufftzen. Dorumb sal der mensch seine begirden vnd sein ersufftzen manchfeldigen, do mit er seinen willen moge entzunden, also das der mensche den willen haben moge, so es im moglich were, alle das lop vnd dangsagunge, noch den es got von einem yden gerne haben wolde czubeczalen ader vor alle menschen czu bitten ader den dinst aller menschen, den sy got czu thun schuldig, czuuorbringen wuste, das er das gerne thun wolde. Des gleichen sal er bereit sein, alle trubsal, vorfolgunge vnd erbeit czu leiden vmb der libe willen gots, die ye ymandt vmb seiner lybe willen geliden hat. 244 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) Wie sich der mensche selber vorwaren sal, das er nicht in vbel falle vnd auch, wie sich der mensche in seinem gemute czu got erheben solle ¶ Das viij. capitel. [III, 49] VF ein czeit sagte der her czu seiner liphaberin. dein leip ist nichts anders dan ein vorachter schlam sack, dor ein gelegt ist ein schoner lichter cristal, der in sich hat eine tewre vnd kostliche feuchtickeit einer salben. vnd als man einen solchen sack mit sorgfeldickeit vorwaren wurde, das der nicht hin vnd widder geworffen, do mit der cristal nicht zu brochen vnd die feuchtickeit des vngent ader salben nicht vorgossen. Also vmb der selen willen, die in sich vorschlossen hat die feuchtickeit der gotlichen gnade vnd die salbunge des heilgen geystes, sal der mensche schonen seyns leybes vnnd sal seyne synne vorwaren, do mit er czu keiner czeyt sehe ader hore ader rede, do durch er die geistliche salbunge meyner gnaden moge vorgyssen ader den heyligenn geyst, der yn ym regnirt, [xxxii v ] wegk iagen. [IV, 21] Und wie ein grosse frucht es dem menschen sey, das er seine sinne vorware vmb gots willen, wirdt aus nochfolgenden dingen erscheinen. Dan czu einer zeit, als die liphaberin gots Mechtildis in begirde yres hertzen czu dem hern sprach, sie wolde gerne seine gefangene sein, hat yr der her alszo geantwort. wer mein gefangener sein wil vff erden, der sal seine ougen abeczihen vnd binden von allem vnnutzen vnd vnczimlichen sehen. vnd des selben menschen ougen wil ich in der ere des himels mit der clarheit meines angesichtes vnd mit offenwarunge meiner eren eroffnen. Jch wil mich im auch in so grossen wollusten selber geben, das sich des die gantze himlische ritterschafft mit frolockunge wirdt vorwundern. Des gleichen welcher seine oren gefenglich heldet von allem vnnutzen vnd schedlichem horen, sie do von abwendende, dem selben wil ich mit dem done meiner suszlautenden stimme in sonderlicher ere einen allersusten gesang singen, welcher auch seinem mundt abeczeucht von vnnutzen vnd schedlichen wortten. des selben mundt wil ich so vbertreflich offnen in meinem lobe, das er yn sonderlicher wirdickeit vor allen andern, die mich loben, mein lop aussprechen sal, welcher auch sein hertze von vnnutzen vnd boszen gedancken vnd von schedlichen begirden abweiszet vnd czwinget. den wil ich mit so grosser freyheit begaben, also das er mein vnd aller der dinge, dy er wil, mechtigk sein sal vnd sein hertze wirt sich in meinem hertzen in sonderlicher freiheit vnd wollust ewiglich frawen. Und welcher seine hende bindet, do mit er nicht thue das werck der sunde, den selben wil ich also erlich von aller erbeit entpinden vnd im geben die ewige ruhe vnd seine gutten werck meinen voreiniget in szo grosser ere erheben, das sich des das gantze himlische here in newen frowden houffiglich frawen sal. [xxxiii r ] So der mensche aus seinem hausze geht was er thun solle. ¶ Der erste artickel. [II, 22] DJe selige iungfrawe Mechtildis hat eins den hern gebeten, sprechende. Mein libster her Iesu, lerne mich, wie ich mich halden solle, ap sichs begebe, das ich muste auszgehen. Antwort der her. so du am ersten auszgehst aus dem hausze, so sprich disen versz. Her, fure mich in deinem wege vnd ich werde eingehen in deiner warheit. mein hertze frawe sich, do mit es forchte deinen namen. Und also saltu auszgehen in meiner forchte vnd mich nemen czu einem wandergesellen, gleich als einen stap. dor an du dich halten mogest vnd also Der Liber specialis gratiae (1508) 245 auszgehende das haus, saltu den wegk vnd alles, was dir begegendt, mit meiner rechten gebenedeien vnd sie werden doraus gebenedeiet. Und so der mensch ein eyttele frowde hat, so wirt sein hertze dornach alwege beschwert, welcher aber haben wirdt meine forchte, der wirdt nicht betrubet, sonder er wirdt erlangen die ware frolickeit. Wie sich der mensche in alle dem, das er mit seinen sinnen begreiffen mag, in wurcklicher andacht er heben sal. Der andere artickel. [IV, 59] VNde die weile es noch meinunge sancti Augustini nicht in vnszerer gewalt, das wir allen den dingen, die wir sehen, nicht aus etlichen solten bewegt werden. Derhalben so kan der mensche seyne sinne nicht in szo grosser achte ader hute haben. er entpfindet ye zu czeiten etwas, do durch er bewegt vnnd das yn czu suntlichen fallen bringen moge, so er nicht fursichtigk ist. Dorumb sal der mensch allenthalben gewappent sein mit den wappen Cristi, do mit er nicht alleine [xxxiii v ] nicht der nider geschlagen, Sondern auch, das er aus vnd in allem seinen thun, die er mit seinen sinnen begreiffen magk, sie gefallen im wol ader vbel, alczeit sich wurklich moge in got erheben. [III, 43] Dorumb sagte der her czu seiner gelibten braut. so du yrgent ein geschichte syhst, das dich ergert, so saltu mich loben in der adelheit meiner gotlichen geschichte. so du ymandt syhst hoffart vben ader so dich die hoffart engstet, so lobe mich in dem grunde meiner demut, dan als ich was ein her aller creature, hab ich mich allen creaturen vnderworffen. [II, 21] ich hab auch nie, auch nicht in den aller wenigsten gedancken ader in wortten, wercken ader geberden hoffart geubet, Sondern ich hab mich in allen dingen vnd in allem meinem thun erczeiget ein ebenbilde der alleruolkommensten demuth vnd bitte, das du durch meine demut mogest vberwinden alle hoffart vnd deinen eigen willen, der do kompt aus sein selbst vnordentlicher libe, do mit sich der mensche libet. vnd also wirstu vberwinden die hoffart in demut. Und so die eitlickeit menschlicher ere dein hertze erweichen wil, so betrachte die krafft der libe, die mich von der ruhe der veterlichen schos geczogen vnd geneiget hat in den iungfraulichen leichnam vnd mit vorachten tuchlen eingewindelt in die krippe gelegt vnd mich beczwungen in predigen vnd anderm vil erbeit zutragen vnd czu letzt mit einem allerschmertzlichsten vnd schentlichsten tode erwurget. Und mit betrachtunge solcher dinge magstu alle eytelkeit aus deinem hertzen gentzlich wegnemen, wen du aber einen vngeduldigen menschen syhst ader dich selbst vngedult beschwert, so lobe mich in meiner gedult, dy ich gehabt hab, alle dinge czu leiden. Nemlich in armut, in hunger, in dorste lauffende in lesterunge vnd vnrechte vnd am grosten in dem tode. [III, 43] Des gleichen, so du syhst einen czornigen menschen ader so du mit czorn an [xxxiv r ] gefochten, so betrachte meine guttickeit, dan ich bin gestanden vor dem richter als ein lamp. Und mit den, dy den fryde nyden, bin ich fridesam gewest, also auch, das ich den, di mich creutzigten vnd also vil geschlecht der grausamheit an mir geubet, das sie nichts merr thun konten vnd doruber vor grossem czorn vber mich ire czene czusammen gebissen, mit so grosser sussickeit meins hertzen gnade erlanget, sy mit meinem vater voreiniget gleich als weren sie mir nye widder gewest. Und also magstu alle dinge, die dir misfallen, vber 246 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 62 Es folgt im Digitalisat noch einmal f.-xxxiiij r-v . winden in mir, in dem dir alle dinge wolgefallen werden, vnd magst also die lastere mit togenden vberwinden. Wie sich der mensche vorwaren solle, das er nicht durch die lustigen dinge der auszwen‐ digen synne vorfurt werde. ¶ Der iij. artickel. [III, 44] CZu einer andern czeit sagte der her czu der seligen iungfrawe Mechtildis. Suche mich in deinen funf sinnen vnd thu noch der weisze eins wirttes, der die czukunft eins sere liben frundes vor der thor harret vnd durch die fenster sehende alwege sicht, ab er seinen begerlichen gast yrgent ersehen moge. Also sal mich auch alczeit suchen die getrawe sele in den funff synnen, die yre fenster sein, vff das, so sie etwas schones, lustlichs ader liplichs syht, sal sie gedencken. ach wie schone, wie lustlich, wie liplich, wie gut musz der sein, der dysze dinge gemacht hat So er aber hort ein sussen ader lustlichen don ader etwas anders, das im lustlich ist czu horn, sal er gedencken. eya, wie gar susse vnd lustlich ist die stimme gots, die vns ruffet, von dem alle lyplickeit vnd laut der stimmen auszgegangen ist. Und so er hort die menschen reden ader etwas leszen, sal er alwege begern etwas czu horenn, dorinne er diszen [xxxiv v ]  62 seinen liben gast fynden moge. Des gleichen sal er auch in alle dem, das er redt, suchen die ere gots vnd des nesten selickeit. wan er singet ader list, sal er gedencken. Eya, was redt ader gebeut itzund dein liphaber dir in disem vers ader in diser lection. vnd sal yn also in allen dingen suchen bis so lange er entpfindet etwas von dem schmack gotlicher sussickeit. Jn dem richen vnd greiffen sal der mensch der gleichen thun, betrachtende wie gar gut vnd lustlich sey der geist gots vnd wie gar vor susse sein kussen der selen werden wirt. Und also in waszerley creature der mensche lust entpfindet, sal er alwege gedencken an dy wollust gots, der alle disze lustige vnd lipliche dinge vns dorumb geschaffen, do mit er vns zu erkentnus vnd libe seiner gotlichen guttickeit czihen vnd furen mochte. Das der mensch czu nichte suntliche begirde ader lust haben solle. ¶ Der iiij. artickel. [IV, 59c] SO der mensche etwas hat, das er lybet ader dorinne er lust hat, sal er bey sich gedencken, das im got das dorumb gegeben, das er do durch zu seiner libe moge gefordert vnd geczogen werden. vnd so er entpfindt, das er doraus in der liebe gots nicht czunimpt, sonder das, das er lip hat, meer vnd offter ym in sein hertze einfelt vnd kompt dan got, so sal er das von im thun, es sei ein mensch ader ein andere creature, sofer er der freuntschafft gots nicht entpern wil. Dan got ist fast sere czertlich vnd leidet mit nichte, das der mensch etwas vber yn ader mit im vnordentlich liphabe. dan der selbe son veterlicher clarheit wil alleine der innerste vnd allerlibste sein in deinem hertzen. Der Liber specialis gratiae (1508) 247 Wie sich der mensche halten sal in seiner anfechtunge. ¶ Der v. artickel. [III, 8] [xxxv r ] SO aber der mensch angefochten wirdt etwas vbels czuthun, der hore was er thun solle. Dan der engel gots ist czur czeit der seligen Mechtildis entschinnen, stehende czu yrer rechten hant in eynem schonen grunen cleide vnd als sie yn fragte, worumb er mit einem grunen cleyde geczyret were, do antwort der engel. dan ich grune alczeit vnnd bringe dir teglich nawe czeitunge. vnd Mechtildis sprach. so das also ist, so bit ich dich, du wollest mir itzundt etwas newes got opffern. Und von stundt hat der engel gleich etwas ausz dem hertzen der andechtigen selen genomen vnd hat das mit frewden got geopffert. Sonder aber die sele hat sich vorwundert, begerende zu wissen, was der engel von yr genommen hette, die weile sie die czeit keinerley andacht des geistes ader sonderlicher hitziger begirde in yr fulte vnd nempt war. sie sach, das der engel von ir genommen hatte, gleich als ein briflen, dor an mit yrem blute also geschriben was. Got ist getrawe in dem nicht ist boszheit. Und diese wort, ich wolde vil liber sterben dan durch todliche sunden von dir gescheiden werden. Dan den selben morgen, als sie mit gedancken angefochten was, hatte sie diese wort gedacht vnd iren gedancken do mit widderstanden. Und der engel sagte czu yr. Disze dinge hastu heute gedacht. Und das saltu wissen, als offte, als der mensche seinen gedancken vnd begirden widderstehende ym in seinem hertzen vorsetzt, das er eher sterben wolle dan sundigen. von stundt wirdt es vor got alszo angenommen, als hette der mensche disze togent mit der that vorbracht. [I, 18] Jtem der her sagte. so der mensche angefochten wirdt, sal er mit gantzen krefften starcklich widderstehen. vnd so vil anfechtunge er in meinem namen vber windet, also vil edler gesteyne setzt er in meine keyserliche krone. [xxxv v ] In was meinunge der mensche die notdorfft des leibes nehmen solle. ¶ Der vi. artickel. [III, 27] DEr her hat gesprochen. so der mensche essen ader schlaffen wil, so sal er sprechen in seinem hertzen. Her, in der voreinunge der lybe, dorin du mir dise notdorft geschaffen, du auch selber hie vff erden der hast wollen gebrauchen, dir czu einem ewigen lobe vnd meynem leibe czu notdorfft, entpfahe ich vnd neme die. ¶ Wie der mensche ander leuthe dinst annemen solle. ¶ Der vij. artickel. [II, 41] VF ein czeit sagte der herr czu seiner liphaberin. Erbeit, woltat vnd dinstbarkeit der menschen, dy dir dinen, saltu mit frolickeit vnd danckbarheit annemen vnd in voreinunge der libe, dorinne dir got czu eren gedint wirdt, gleich ap der dinst nicht dir, Sondern mir geschee, vnd das die selben, die do dinen, do von geheiliget werden vnd belonet. Was der mensche thun solle, so er alleine ist. Der viij. artickel. [III, 10] SO der mensche alleine ist, sal er sein hertze allein czu got erheben, sussiglich mit im redende vnd yn innerlich begern, auch innerlich nach ym ersufftzen vff das aus steter rede mit got sein hertze in gotlicher libe entbrinne ader entzundet werde. vnd sal sich fleissigen stete an got czugedencken als durch betrachtunge seiner gotheit ader der werck seiner 248 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) heilgen menscheit, [II, 18? ] ader gedencken von den dingen, die got in seinen heilgen gethan, vnd was ym selbst got durch seine gotliche barmhertzickeit eingegossen hat. Wie sich der mensche halten sal, so er bey andern leuthen ist. ¶ Der ix. artickel. [I, 7] [xxxvi r ] SO aber der mensch bei andern leuthen ist, sal er an got gedencken, so vil er mag. Er sal mit yn gerne von got reden vnd sal also sich selbst vnd andere anzunden zu der libe gots. Und in der libe, dorinne sich der her hie vff erden freuntlich vnd gutlich erczeiget hat, sal sich der mensch gegen seinen brudern vnd allen menschen fruntlich vnd guttiglich erczeigen. Und als er allen menschen geselligk vnd guttig gewest ist, also sal der mensche auch gegen andern freuntlich vnd guttig sein vnd nimant mit betriglichen ader lygenden wortten beleidigen. Sondern seine wort sollen alle wege sein von den geschichten Cristi ader von dem leben der liben heilgen ader von dem nutze der nesten. Er sal nymandt richten, Dan es spricht der her. Der mensche, der einen andern richtet ane schult vber das gerichte, fellet er in die schult, do von er seinen nesten vbel gerichtet hat Von etlichen sonderlichen offenwarungen, die mildiglich zu glouben vnd anzunemen sein, di auch den menschen trostlich vnd fruchtbar sein mogen. Das ix. ca. [IV, 59c] DEr her sagt eins zu seiner liphaberin. got ist vil bereiter den menschen anzunemen, dan der mensch ist czu im czukommen vnd ditz begert got am grosten, das sich der mensche der massen erczeige, das im got ane vnderlas sein gnad eingissen mog vnd alle gute werck in im meren. [V, 29] Es hat auch di selige mechtildis den hern gebeten, das er sy seiner werden muter beuelen wolle, als er ir seinen liben iunger iohannem beuolhen hat. Uon stundt hat der her irer begirde gnugk gethan vnd sy gegeben in die hende seiner werden muter sprechende. O mutter, disze beuelh ich dir als meine eigne wunden vnd als du mich, so ich verwundet vor dir lege, heilen vnd lindern woltest, also wollest du sy fleissiglich hanthaben vnd trosten in alle irer pein. ich beuel sy dir als einen schatz mein selbst, dz du gedencken [xxxvi v ] wollest, wie gar tewer ich sie geschatzt habe, die weil ich vmb irer libe willen nicht widderfochten hab zu sterben. Jch beuelh sie dir auch, als das, dorein ich gelegt hab alle wollust meins hertzen, noch dem als geschriben ist. Meine wollusten sein, das ich sey bey den kindern der menschen. Do sagte sie. O mein liber her, ich bitte dich, du wollest das auch thun, allen den, die es von dir begern. Antwortet der her. ia, ich wil es thun, dann ich bin nicht ein annemer der personen. Der erste artickel [IV, 38] EJne andechtige person was fast bekommert derhalben, das sie sich aus etlicher irer kranckeit von weinen nicht gemessigen konde, dan sy hatte fast funff iar an einander alszo geweinet. wu sie got mit seiner barmhertzickeit nicht sonderlich enthalden hette, so hette sy mussen ire synne ader das gesichte vorlyszen. Und als die selige iungfrawe Mechtildis vor sie bat, worde sy balde erlediget. Und do sprach der her czu yr. Jch habe sie alleine aus meiner guttickeit entpunden vnd sagte forder. Sage yr, das sy mich bitte, das ich ir vmb Der Liber specialis gratiae (1508) 249 meiner guttickeit willen alle yre czere, die sy vorgossen, vorwandeln wolle, als ap sie die aus libe vnd andacht vnd in rewe yrer sunde vorgossen hette. Und als das horte die selige Mechtildis, begunde sie sich czuuorwundern wie die czere, die so vnnutzlich vorgossen warn, in solche heilge czere mochten vorwandelt werden. Do sprach der her. las sie alleine glowben meiner gotlichen gute vnd so vil sy mir glowbet, so vil wil ich in yr erfullen. O ein wunderliche vnd erschreckliche gnade gotlicher guttickeit, die also mildiglich durch solche vnd so grosse trostungen geruchet, czu hulffe zukommen durch seine liphaberin, den menschen gescheen. vnd wer ditz list [xxxvii r ] ader hort leszen, dem ist zu rathen, das er solche trostunge anneme, als ap im dy gescheen, dan got das seiner dinerin also hat geoffenwart, das im sere beheglich sey, so er einem menschen ein gnade thut, das der mensch das anczeucht vnd betrachtet, als ap im die gescheen were ader gescheen solte. Der ander artickel. [IV, 37] ALs die selige Mechtildis vff ein czeit vor eine person bat, die sich in irem betrupnus von weinen nicht enthalden konde, sagte czu ir der her. Sage der person, vor die du bittest, das sie sich yres weinen messige. so sie aber das in keinem wegk gethun kann, so sal sie ire czere zu meinen thun vnd las yr leit sein, das sy dy nicht vor dy sundere vnd aus libe vorgossen hat, so wil ich die voreiniget mit meinen czeren noch irem willen got meinem vatere czu einem lobe opffern. ¶ Der dritte artickel. [III, 7] DEr her hat vff ein zeit, als man in dem chore den lobesang sunge Benedeiet got alle werck des hern etc., do yn die selige Mechtildis fragte, was er vor lop do von hette, so der massen die creaturen czu seinem lobe vormant worden, gesagt vnd geantwort. so dieser ader der gleichen lobegesang gesungen wirt, dorinne die creaturen czu dem lobe gots czusammen geruffen, so stehen alle creaturen geistlich in meiner gegenwertickeit, gleich als etliche personen, vnd loben mich vor den selben menschen ader in einer gemein vor alle menschen vmb alle die gut tete, die ich yn gethan hab. Und sal den menschen nicht vnglouplich sein, das die creaturen in der gestalt lebender personen bey got stehen, dem nichts vnmoglich ist, der do dy dinge, dy nicht seindt, nennet, gleich als dy, die do seindt. vnd dem kein creature vnsichtig ist, Sondern [xxxvii v ] das ist meer czuuorwundern vnd czu wirdigen, das der gutige her also gutiglich nach henget den begirden der selen, die in libet, in dem das er alle yre begirden auch meer dan es der nature moglich ist, in seiner almechtickeit geruchet czuerfullen. [I, 20c] Und als die wort, die menschwerdunge das erliche leiden, der kostbarliche todt, die auffersteunge, die himmelfart, den hern ermanen, der werck seiner erlosunge. Dan das wort die menschwerdunge erynnert den hern seiner libe, dorinne er worden ist ein bruder der lawen vnd ein geselle der straussen, als von im geschriben ist. Durch dy lawen vnd straussen werden bedeutet dy hoffertigen vnd hartten hertzen der iuden, mit den er szo fruntlich in bruderlicher libe gelebet hat. Sonder das wort das erliche leiden macht czubetrachten die trewe des hern, die er beweiszet hat seinen feinden, vor die er so fleissiglich den vater gebeten hat, als sie im den todt anlegten. Das wort der kostbarliche todt ermant den hern, 250 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 63 mensclihche wie gar einen grossen schatz er sich selber vor den menschen gegeben, als er sich an dem altar des creutzes gott dem vater ein aller angenemstes opffer geopffert hat. Und das gantze sein kouffgelt volkomlich beczalt. Das wort die auffersteunge macht den hern gedencken der grossen ere, die er den menschen angelegt, das menschliche 63 fleisch, von dem grabe erwackt Czu einem czeichen der warhafftigen vffersteunge vnd doruber der grossen ere, die der her den menschen gegeben hat in dem, das sie ym gleich als glidere irem houpte in ewigem vorbintnus czusammen gefuget. Das wort himmelfart erinnert den hern, das er worden ist ein furspreche vnd mitler der menschen bei got dem vater. Sondern ein getrawer voyt sammelt mit vleis den czins seines hern vnd wu er siht, das etwas doran gebricht, das erfullet er von seinem eigen gute. Also der her alle gute werck, die der mensche [xxxviii r ] thut, opfert er dem vater hundertfach. vnd so etwas doran mangelt ader gebricht, das erfullet er von dem seinen, do mit er die sele des menschen mit vnschatzbarlichen reichtumern seinem himlischen vater vor alle seinen heilgen antworten moge. Ein sonderliche trostunge czu allen sundern vnd sunderin ¶ Der virde artickel. [IV, 55] DJ selige iungfrawe Mechtildis hat vf ein czeit gesehen den hern Iesum in einem blutigen cleide vnd hat czu ir gesprochen. Als sich meine menscheit gantz mit blute vbergossen in vnaussprechlicher libe got dem vater an dem altar des creutzes czu einem opfer geopfert hat, Also stehe ich nochmals mit gantzer begirde der libe bei dem himlischen vater vor die sundere vnd weisz im alle geschlechte vnd czeichen meins heilgen leidens. vnd das ist mir vffs allerbegirlichste, das der sunder durch ein ware busz czu got bekart werde. [IV,58] vnd ich sage dir, das kein sunder alszo gros ist, szo er warlich busset, so wil ich im in der selben stunde alle seine sunde vergeben vnd wil mit solcher guttickeit vnd sussickeit mein hertze vff yn neigen als hette er nye gesundiget. ¶ Ein sonderlicher trost aller geistlichen. Der v. artickel. [I, 30? ] DJ geistlichen durch alle werck, dy sy aus vbunge ihres standes thun, erlangen sie grosses vordinst, als das sie dy kron vff dem houpte mit entplossunge der har tragen, auch vmb des cleides willen, dorinne sie gehen vnd anders. ¶ Ein sonderlicher trost aller lebenden menschen vff erden. ¶ Der vi. artickel. [IV, 59? ] SO der mensch wuste, wie gar gros der mensche vordynen mag in einem tag, so worde er frue, wen er vffstehen solte vor grossen frowden, das er den tag erlebet hette keiner erbeit, wie gros die ist, fulen. [xxxviii v ] Wie der mensche auch schlaffente vordinen mag. ¶ Der vij. artickel. [III, 34] SO aber der mensche, wie oben do von gesagt, seyne czeit in dem lobe gots vnd noch seinem nutze zubracht hat vnd schlaffen gehen wil, sal er gedencken, wie er schlafende mit Der Liber specialis gratiae (1508) 251 64 vu¯ dem leibe zu got, als ein hasze pfleget, in seinem gemute wachen moge. vnd dorczu hat der her der liphabenden selen einen solchen rath gegeben. so der mensche schlaffen geht, so sal er betrachten diszen versz. Die ougen nemen den schlaff, das hertze wache alczeit czu dir, dein rechte hant beschirme deine diner, die dich liphaben. ader er gedencke etwas anders von got ader rede mit got. vnd also schlaffende wachet sein hertze zu mir. vnd so dem selben menschen etwas vbels durch den schlaf czukompt, so im das vordryslich vnd schwer ist, so ist es ein czeichen, das er nimmer meer von mir gescheiden wirdt. Jtem so der mensche schlaffen wil, szo sal er vor das erste ein suffczen czihen, gleich als aus meinem gotlichen hertzen in der voreinunge des lobes, das do fleust aus mir in alle heilgen zu erfullunge des lobes, dorinne schuldig ist mich zu loben alle creatur. ¶ Czu dem andern sal er abermals ersuftzen in voreinunge der dangkbarheit, dy von meinem hertzen czihende, die heilgen vnd mir vor die woltat vnd gaben, so ich yn erczeiget habe, dangsagen. ¶ Czu dem dritten sal er ersufftzen vor seine sunde vnd vor aller menschen sunde in voreinunge des mitleidens, dorinne ich aller menschen sunde vnnd vorseumpnus getragen habe. ¶ Czu dem virden sal er ersuffczen in der gunst vnd begirde alles gutten, des die menschen bedorffen czu dem lobe gots vnd czu irem nutze vnd in voreinunge der gotlichen begirde, das ich vmb die selickeit der menschen vff erden gehabt. ¶ Czu dem [xxxix r ] funfften sal der mensche ersufftzen in der voreinunge des gebetes, das aus meinem gotlichen hertzen geflossen vnd aller meiner heilgen das gescheen ist vor die selickeit der menschen beide der lebendigen vnd auch der toden begerende, das ich alle seinen adem, den er die selbe nacht schlaffende an sich czeucht, also anemen wolle, als ap er in solcher meinunge ane vnderlas czu mir ersufftzte. Als dan werde ich, der ich der begirde der selen nichts versagen mag solchs erfullen in meiner gotlichen warheit. Wie der mensch konne vnd 64 solle das vordinst Cristi vnd seine gutten werck im selbst noch gestalter sachen eigen machen vnd alszo auszbreiten vnnd wirdigen alle seine werck. ¶ Das x. capitel. [I, 5c] DEm hern Ihesu gefelt sere wol das ein itzlicher andechtiger mensche seine vordinst vnd seine gantze wanderunge, auch alle gute dinge, seiner heilgen gotheit vnd menscheit zu seinem nutze an sich ader czu sich czyhe. Dan er hat gesagt czu der selgen iungkfrawen Mechtildis. Do ich am ersten geborn wardt in die werldt bin ich von stundt in tuchlen vnd mit wyndel schnuren gebunden, also das ich mich nicht bewegen konde czu einem czeichen, das ich mich gentzlich mit allen guten dingen, die ich mit mir vom himmel bracht, gegeben hab in des menschen gewalt vnd czu seinen hochsten nutze. Dan wer gebunden ist, hat nicht gewalt, das er sich in etwa weren moge vnd man mag ym nemen alles, was er hat. Des gleichen, als ich von der werldt auszgegangen, bin ich also an das creutze genagelt, das ich mich mit nichte bewegen konde czu einem czeichen, das ich alles gut, das ich in meiner menscheit gethan, den menschen gelassen hab vnd auch alle gute dinge, beide gotliche vnd menschliche, vnd mein leiden gentzlich dem 252 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) [xxxix v ] menschen gegeben habe. Dorumb szo mag der mensche getrawlichen meine gutten dinge czu sich nemen, Sondern vnd auch ist mir ditz begirlich, das der mensche meiner gutten dinge gebrauche. [IV, 28] Und an einem andern ortte spricht der her. alle dinge, die der mensche haben wil ader was er darff, das sal er suchen in meinem hertzen vnd sal die von mir bitten, im czugeben, gleicherweisze als ein kindt, das alles, was es begert, bittet von seinem vater. so der mensche reinickeit begert, der hab czuflucht czu meiner vnschult. so er demut begert, so erfulle er dy von der meinen. Er neme auch seine begirde aus dem meinen vnd sal im meine lybe mit der geistlichen vnd gantzer meyner menschlichen vnd gotlichen wanderunge getraulichen eygen machen. [III, 14] Und worumb wolde der mensche nicht nemen, das ich also gar bereit bin im czugeben, Dan alle meine allerheilgste vnd vnschuldigste wanderunge, dorinne ich vff erden gelebet, gebe ich im vff das allerlibste, do mit er die im selber neme vnd alle die dinge, die im gebrechen, von dem meinen erfullen moge. Der erste artickel. [III, 14] SOndern als die selige Mechtildis von got fragte, wie solchs gescheen solle ader moge, Antwort der her. Der mensche sal alle seine begyrde, seine meinunge vnd gebete opffern got dem vater in der voreinunge meiner begirden vnd meines gebetes. Und sal thun alle seine erbeyt vnd alle seine werck in der voreinunge meiner wercke vnd meiner erbeyt. Er sal auch al sein leben, Nemlich alle seine bewegunge, kreffte, sinne, gedancken, wort vnd alle seine werck ordenen noch der weisze meins lebens vnd sich mir in togenden vorgleichen. [IV, 33] Also nemlich die weile ich demutig vnd gehorsam gewest bin, sal er sich fleissigen czu vnderwerffen aller crea [xl r ] ture. Und so es die not erfordert auch bis in den todt gehorsam sein. [III, 41] Dan welcher mensche solche meinunge seine gutten werck thun wirdt, das er bei sich gedenckt dein got ist demutig worden vnd hat sich geruchet czu demutigen wercken vnd dinsten, czu bygen vil meher czimpt es dir dorfftigen menschen, demutig vnd vnderworffen czu sein. [IV, 33] Des gleichen so der mensche gedencken wirdt von der gedult vnd andern togenden des selben menschen solche togent, die er als dan in solchen gedancken vorbringt, seindt edeler dan tausent andere togent, die in solcher meinunge nicht vorbracht sein. [III, 10] Unnd alwege, was der mensche thut, das sal er thun vmb meintwillen vnd in meinem lobe vnd in meinem gedechtnus, was im aber czuthun nicht czimpt ader nicht gethun kan, das sal er auch williglich vmb meiner lybe willen nachlassen. [III, 13] Und sal alle dinge, die im widder vnnd schwer seindt, szo er die leidet, beide des hertzen vnd des leibes, vmb der lybe willen gots williglich leiden, gleich als ich alle dinge in im lyde, geduldiglich tragen. [III, 41] Und des selben menschen gedechtnus wil ich also in mein hertze schreiben, das er nimmer meer doraus moge geleschet werden. [III, 14? ] vnd er sal mit mir wandern in der warheit vnd sal in allen dingen czu mir haben ein getrawe vffmerckunge vnd sal sich gentzlich mit mir voreinigen. [III, 13] Also das er seine gemeine werck nicht im sondern mir czu schreibe, gleich als ap er nichts anders sei dan ein cleidt, do mit ich czugedackt alle werck in im vorbringen vnd schiken moge. [IV, 7] Und ich wil yn an seinem letzten ende Der Liber specialis gratiae (1508) 253 65 Io 15,5 66 Ps 117 (116),1 67 Ps 117 (116) gleich wie eine muter yren allerlibsten son entpfaen in meyne veterliche vmbfaunge vnd dorinne ewiglich ruhen lassen. Der ander artickel. [III, 14] [xl v ] DOrum allerlibsten sollen wir disze allerwirdigste mildickeit gotlicher gnade mit vor‐ hertzlicher danckbarheit entpfaen vnd vns czuczyhen vnd eigen machen die allerheilgste wanderunge Cristi zu erfullunge aller der dinge, die in vns in dem vordinste gebrechen. wir sollen vns auch fleissigen, so vil vns moglich, in togenden im gleich zu werden, dan ditz wirt sein vnsere hochste ere in der ewigen selickeit. Dan welchs mag grossere ere sein, dan dem scheine des ewigen lichtes in etzlicher vorgleichunge czunehen ader nahen czu sein. [III, 27] Und so den menschen etwas aus gehorsam vffgelegt wirdt, sal er sprechen. her, in der voreynunge deiner lybe, dorin du dich woltest vben in deiner erbeit vnd noch an vnderlas wurckest in der selen vnd mir nu dises werck vffgeleget hast, das ich dan auch czu deinem lobe vnd der gemeine czu nutze gerne thue. Jch bitte dich, du wollest das mit deiner allerheilgsten wurckunge voreinigen vnd volbringenn, der du gesagt hast, ane mich moget yr nichts gethun. 65 Von der erfullunge der gebrechen vnd der vorseumlickeit. ¶ Das xi. capitel. [III, 18] VNd die weile der mensche, er sey wie fleissick er wolle, in seinen wercken czu zeitten etliche vorseumlickeit vorbringt vnd also zu czeitten nicht als vil guts vorbrengen mag, als er gerne thun wolde ader czuthun schuldig were, So wirdt hir nach etliche weisze berurt, do durch solche vorseumpnus vnd gebrechen mogen erfullet werden. Die erste weisze ist, das der mensche czu drey mal spreche den psalm. Lobet den hern alle volker etc. 66 Dan vff ein czeyt, als die selige iungfrawe Mechtildis vor eine person bat vnd fragte was der her vor ire vorseumlickeit annemen wollte, hat sie von dem [xli r ] heilgen geiste ein solche antwort entpfangen. Sie sal teglich drey mal leszen den psalm. Lobet got alle volker etc. 67 Uor das erste sal sie den leszen frue vnd sal das kynt Iesum nemen in ire rechte hant vnd das antwortten got dem vater mit allen wercken seiner kinntheit vnd vnschult czu einer erfullunge aller gutten dinge, die sie in irer kintheit vorseumpt hat. Czu dem andern al sy den leszen vnd dem ampte der heilgen messe nemende den hern Iesum als den breutigam irer selen vnd gebe sich schuldig vor got dem vater, das sie solchem vnd so grossem yrem breutigam nye widdergeltunge der libe vnd trewe vnd auch nye keine rechte ere erbithunge gethan habe, Do bey betrachtende, wie gar gros gut sie von im vmb sunst entpfangen hat, dan sie ist arm vnd nichts gewest, sonder er hat sie gemacht vberflissen mit allen guten dingen. Und sal opffern got dem vater die allerhitzigste liebe, dorinne Cristus gebluet vnd in aller togent gegrunet hat in seyner iogent. Czu dem dritten sal sie solchen psalm leszen czu vesper czeit, nemende den hern Jesum mit seiner allervolkommensten 254 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 68 mesche 69 gehrechen wanderunge seins lebens vnd opffern den got dem vater vor alle dinge, die sie vorseumpt hat, in irem leben vnd sal bitten, das durch yn alle seine vnuolkommenheit moge erfullet werden. Als dan ist mildiglich czu glowben, das der grosse vnuorgeltliche schatz, der alle dinge abloszen vnd alle vorseumlickeit erfullen mag, auch erfullen werde die vorseumlickeit des selben menschen. ¶ Der erste artickel. [I, 31a] ES ist auch mildiglich als dan zu glowben, das der her spreche czu dem selben menschen als er etwan gesprochen hat czu seiner liphabenden selen. Nim war, ich will vordich czu gehen vnd opfern got dem vater. Dan als sie eins an allerheilgen abent in der erbeit eins sonderlichen wercks, das ir aus gehorsam was [xli v ] vffgelegt, das ampt der heilgen messe vorseumpt hat, czu letzt eher man auff hube das heilge hochwirdige sacrament, qwam sy mit einem betrupten hertzen vnd opfferte got ire verseumpnus. Do sprach der her zu ir. werde ich nicht dir so ein grosser schatz geachtet, das ich moge entledigen vnd bezalen alle deine vorseumpnus. vnd sie antwort. her, ich glowbe vnd getrawe gentzlich, das du es vormogest. Do sagt der her. bin ich auch ein solcher vnuorgeltlicher schatz, der do tuchtick ist zu erfullen vnd zu beczalen alle deine verseumpnus. vnd sy antwort im. her, ich weis das dir nichtes vnmoglich ist. Jch wil, sprach der her, volkomlich in allen dingen vor dich antworten got dem vater. Und nim war, ich wil vorgehen alle heilgen vnd wil vor dich opfern got dem vater. Und czu dem ersten die allerheilgste czeit, dorinne ich newn monden als ein breutigam geruhet hab in der schlaffkammer, in dem leibe meiner iungfrewlichen muter, wil ich opffern vor die czeit, die du gewest bist in muterlichem leibe, nicht entperende der erbsunde, vnd noch nicht begreiflich warst meiner gnaden. Czu dem andern wil ich opffern meine allerheilgste geburt vor deine geburt, dorinne du nochmals nicht in dem borne der tauffe widder geborn, mir frembde gewest bist. Czu dem dritten meine aller vnschuldigste kintheit vor die vnwissenheit deiner kintheit. Czu dem virden den allerhitzigsten fleis meiner andechtigsten iogent wil ich opfern vor die vorseumlickeit deiner iogent. Czu dem funfften die gantze ordenunge meiner volkommensten wanderunge mit der frucht meynes leidens wil ich opfern vor alle deine miszwirckunge vnd gebrechen, do mit durch mich selbst vnd in mir selbst alle deine dinge mogen erfullet sein. Es mag auch der mensch von dem hern bitten czu erfullunge seiner vorseumlickeit die vbunge vnd wurkunge seiner heilgen glider vnd [xlii r ] das mag der mensche 68 frey thun, dann es hat sich kein kint seinen vater, auch kein knecht seinem hern also gar demutiglich vnderworffen, als bereit der herr ist aller menschen burde, dorfftickeit vnd erbeit czu tragen vnd aller menschen stat vnd czeit an allen gebrechen 69 in im selber czuerfullen. ¶ Der ander artickel. [V, 3] ALs vff eine czeit vor die sele eins vorstorben menschen das ampt der heilgen messe gehalten vnd gesungen worde, der opffer gesangk Her Iesu Criste etc. vnd nimandt Der Liber specialis gratiae (1508) 255 70 noc 71 Spr 8,30 vorhanden was, der etwas vor die selbe arme sele opfferte, Douchte die selige iungkfrawe Mechtildis, wie der konigk der eren, der breutigam aller reinen iungfrawen, der her Cristus czu dem altar ginge vnd opferte got dem vater alle seine gotlichen werck, alle seine gebet, erbeit vnd das leiden seiner heilgsten menscheit mit der ere seiner vbertreflichsten gotheit czu einer merunge der eren vnd frowden seiner newen sponsz vnd braut. Dornach ist hin czu gegangen die werde iungfrawe Maria, die muter des breutigams in iungfraulicher ere vnd hat geopfert alle gaben, gnaden vnd togent, die yr vorlien sein czu einer merunge des vordinsts der braut ires sones. Dornach seint hin czu gegangen alle patriarchen, propheten, apostel, merterer, beichtiger, iungfrawen vnd alle orden der heilgen vnd haben der gleichen gethan. [V, 5] Und beschlislich ist czu der selighen Mechtildis gesagt. Als gesehen ist, das sich selbst der her geopffert hat got dem vater vor disze sele, also opfert er sich vor alle geistlichen, die vmb seiner libe willen alle dinge vorlassen haben, dy weile sy noch 70 irem tode nimandt haben, der vor sy opffert, der halben wil das der guttige her selber erfullen. ¶ Der dritte artickel. DEr mensche sal auch anruffen die werde iungkfraw Maria vnd noch vnderweisung des hern [xlii v ] sal sie der mensche sonderlich dreyer dinge ermanen. Czu dem ersten des vbertreflichen lichtes, das yr vor allen creaturen eingegossen ist. Czu dem andern der vnmessigen frowde, die sie hat aus der voreinunge, dorinne sie vber alle creaturen vffs allerfreuntlichste got voreiniget ist. Czu dem dritten des erkentnus vnd gebrauchunge, in welcher sie vor allen creaturen gebraucht der heilgen gotheit. [I, 29] Demnach hat die muter gots vff ein czeit die selige Mechtildis gelernt, sagende. Sprich mir so vil Aue Maria als vil tage ich gewest bin in mutterlichem leibe, das ist czweihundert drey vnd sybentzigk vnd ermane mich der frowde, in welcher ich mich itzundt frowe, in dem das ich erkenne vnd sehe die frowde der allerheilgsten drifaldickeit, die sie von mir gehabt aus beheglickeit, dorinne sy ir selbst von ewickeit in mir beheglich gewest ist. Und sonderlich hat sy gefrolockt in meiner geburt auch also sere, das aus vberflissunge irer frewde himmel vnd erde vnd alle creaturen, wie wol vnwissende sich die czeit gefrowet haben Dan gleicher weisze als ein werckmeister, so er ein wunderlich werck czumachen gedenckt, betracht er das mit grossem vleis vnd syht es vor abe mit lust in seinem hertzen. Also wardt auch in mir erlustiget vnd frowete sich die heilge gotliche dryfaldickeit, dan sie mich ein solch bilde machen wolde, dorinne alle kunst irer gewalt, weiszheit vnd guttickeit auff das aller vortreflichste erscheinen solte. vnd doruber wuste sie, das yr werck in mir nimmer meer vorterbet ader erger werden solte. Auch hat sie so gnediglich vnd in solcher grosser lust vnd frolockunge vorsehen meine geburt vnd kintheit, das alle werck meiner kintheit vor yr geacht sein als ein lustbarlich spyl, noch dem spruche. Jch spyle vor dem hern zu aller czeit. 71 ¶ Czu dem andern ermane mich der frowde, die ich hab in dem, das mich got vber alle sei 256 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 72 Im Druck als xiiii r bezeichnet. [xliii r ]  72 ne creaturen so sere gelibet hat, das er vmb meiner libe willen offte der werlt vorschont hat, auch eher dan ich geborn was der vater hat auch aus vbriger libe etwas eher dan die czeit gewest, meine geburt gescheen lassen vnd mich vor kommen mit seiner gnaden in dem leibe meiner muter. ¶ Czu dem dritten ermane mich der frowde, dy ich hab in dem, das mich der her vber alle engel vnd vber alle creaturen am allerwirdigsten geeret hat. Auch in der stunde, dorinne mein sele in den leip gegossen, mich mit dem heilgen geist erfullet hat vnd mich von der erbsunde gentzlich gereiniget vnd mich durch sonderliche heiligunge im czu einem heiligen haus geheiliget, Do mit ich, gleich wie ein rosze ane dorn vnd gleich wie die scheynende sonne, auffginge in disze werldt. ¶ Der iiij. artickel. [I, 31] DEr andechtige mensche sal auch aus dem rate des hern an ruffen alle schar der liben heilgen, das sie auch wollen opffern ire vordinst, die patriarchen vnd propheten die begirde, die sy gehabt haben zu der heilgen menschwerdunge Cristi, dy aposteln die trewe, durch welche sie bei dem hern in alle seinen betruptnus bliben sein vnd mit vil erbeit, predigen vnd louffen im czusammen geleszen haben das glowbige volk. Dy merterer yre gedult, dorin sie yr blut vmb der libe willen des hern vorgossen haben. Die beichtiger ire vbrige heilickeit, dorinne sie den andern in wortten vnd exempeln vorkundiget vnd geczeiget den weg des lebens. Die heilgen iungfrawen ire keuscheit vnd ire vnuorrucklickeit, do durch sie vordint haben mir am nesten czu sein. vnd also wirt der herr der togende vorgehen vnd werden im nachfolgen alle ritterschafft der himmel vnd werden itzlicher opffern sein vordinst czu einer volkommen gnugkthuunge des selben menschen vorseumpnus vnd gebrechlickeit. [xliii v ] ¶ Der funffte artickel. [IV, 29] DJe andere weisze ist, sprach der her, das mich der mensche vnder dem ampt der heilgen messe vnd der prefacion czu dem wortte durch welchen deine maiestat loben dy engel, lobe in voreinunge des vberhimlischen lobes, mit welchem die erwirdige gotliche drifaldickeit sich vndereinander lobet vnd gelobet wirt vnd auszfleust in dy selige iungfrawe Mariam vnd dornach in alle engel vnd heilgen, vnd lesze ader bete ein vater vnser vnd opffer das in der voreinunge des lobes, dorinne himmel vnd erde vnd alle creaturen mich lobet vnd gebenedeiet, bittende, das durch mich, Iesum Cristum, den son gots, das gebete auffgenommen werde. durch welchen alles gutte, das got dem vater geopffert wirdt, in hochster beheglickeit czu im aufsteiget. Und also werden alle des selbigen menschen sunde vnd vorseumlickeit durch mich erfullet. [III, 5] So ymant das selbe thun wirt, der sal guttiglich glowben, das er die selbe gnade entpfaen werde, dan als der her oben gesprochen, szo ist es vnmoglich, das der mensche das nicht erlange, das er geglowbet vnd gehoffet hat. ¶ Der sechst artickel. [III, 26] DJ dritte weisze ist, so doruber ymandt alle seine vorlorne verterbte ader vorseumpte werck gnugksamlich widderbrengen wil, der sal offt gehen Czu dem voredeln vnd aller‐ wirdigsten sacrament des czartten fronenleichnams Cristi Iesu, dan das beschleust in im alle guttere vnd hat in sich behalten vnd vorschlossen alle gnade. Der Liber specialis gratiae (1508) 257 ¶ Der vij. artickel. [I, 20] DJ virde weisze ist, das der mensche alle sein werck beuelh dem hern Iesu vnd opfer dy got dem almechtigen vnd ditz mag der mensch getraulich thun. Dan der her spricht, Jch bin worden ein furspreche vnd ein mit [xliv r ] teller der menschen bey dem vater. Sonder aber ein getrawer furspreche ader vorsteher sammelt mit vleissze den czins seins hern vnd wu er syht, das etwas gebricht, so erfullet er das von dem seinen. Alszo opfer ich auch meinem vater alle gute werck, die der mensche thut gehundertfacht, vnd was im gebricht, das wil ich von dem meinen erfullen, do mit ich seine sele mit vnschatzbarlichen reichtumern meinem himlischen vater in beiweszen aller seiner heilgen antwortten moge. [I, 30] Und vff ein zeit an dem tag aller engel, als die selige iungfrawe Mechtildis gesprochen hatte newn vater vnser noch ordenung der newn chor der heilgen engel vnd wolde dy opfern yrem engel, das der selbe forder den andern die antworten solte, Sagte der her guttiglich czu ir. beuilh es mir, das ichs thun moge, dan mit vnschatzbarlicher frowde gelust mich das czuthun, derhalben das alles opfer, das mir beuolhn wirt, so es durch mich in den himmel vberantwort aus mir so gros geadelt wirdt vnd in besserunge vowandelt, gleich als ein pfennigk, so der in einen klump ader stucke syde heissiges goldes geworffen wirt vnd dorin czufleust vnd ein dingk mit dem golde wirt, nicht das er an im selber golt gewest sey, sonder aus dem golde wirdt er auch in golt vorwandelt. ¶ Der viij. artickel. [II, 15] DJ funnfte weysze ist, das der mensche sein werck vnd vorseumpnus beuelhn sal der gotlichenn libe. Dan die libe hat vff ein czeit gesagt czu der andechtigen selen. Du salt dich nicht betruben. Jch wil alle deine schulde widder einbrengen vnd alle deyne vorseumpnus wil ich vor dich erfullen. Unnd als die sele noch betrubet was, sagte aber der her. So du mir recht getrewe byst, szo szal es dir vil lyeber sein, das meyne lyebe deyne vorseumpnus erfulle vor dich, [xliv v ] dan das du es selber thun soltest, do mit meine liebe doraus haben moge lop vnd ere. [II, 41] Dan sie vberantwort got vfs aller getraulichste dy dinge, die ir beuolen werden vnd bewart die in dem schreine des gotlichen hertzen vffs allerbeste vnd antwort die selben widder der selen vffs fleissigste in irem auszgange, gemanchfeldiget vnd geadelt. [IV, 23] Unn als vff ein czeit die selige Mechtildis czu dem hern sprach. Jch opfer dir deine libe, das do durch alles, das mir gebricht, erfullet werde, sprach widder czu yr der her, dor an thustu vffs allerbeste. ¶ [I, 46] Sondern aber die vorseumlickeit, die der mensche in dem dinste Marie der werden muter gots vorbracht hat, magk er durch sich selbst, als das die selbe muter gots geoffenwart hat, der weisze erfullen. Er sal der muter gots opfern das hertze Cristi vnd der meinunge sagen. Nim war allerguttigste iungfrawe Maria, ich opfer dir das allerwirdigste vnd vor edele hertze deines liben sones mit aller trewe vnd libe, die er dir vff erden am hochsten beweiszet hat vnd noch an ende beweiszen wirt vor die dinge, die ich in deinem dinste vorseumpt hab vnd an czweiuel. es wirt dem selben menschen seine vorseumlickeit danckbarlich erfullet vnd nicht vnbillich, Dan in dem hertzen Cristi habe 258 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) wir alles, das vns not vnd seliglich ist, Nemlich in dem lobe, in dangsagunge, in libe, in begirde, in gnugkthuunge vnd in erfullunge aller vnserer vorseumlickeit. Von manchfeldiger czuflucht in der widderwertickeit vnd in allerlei beschwerungen. ¶ Das xij. capitel. [II, 36] DJe erste czuflucht ist, das der mensche seine widderwertickeit vnd beschwerungen legen sal in das hertze Cristi. Als vff ein czeit die selige Mechtildis vmb irer kranckheit willen sich als ein vnnutze di [xlv r ] nerin achtet vnd auch ire pein vnd schmertzen vnfruchtbar, Do sprach czu ir der her. lege alle deine pein in mein hertze vnd ich wil die also vbertreflich vorbringen als yrgent eins menschen hoch von im haben mogen genomen vnd geandert werden, dan als meine gotheit alles leiden meiner menscheit in sich gezogen ir voreiniget hat, alszo wil ich deine pein gentzlich vorandern vnd nemen in meine gotheit vnd wil die ein leiden mit meinem leiden machen. Und die vorclerunge, die got der vater meiner vorclerten menscheit vmb alle mein leiden gegeben, wil ich dir mitteilen. Und in allem betrupnus vnd widderwertickeit sal der mensche czu mir kommen vnd halte sich czu meinem gotlichen hertzen vnd suche do selbst getrost czu werden, so wil ich in ewiglich nicht vorlassen. ¶ Die andere czuflucht. [II, 36] DJ andere czuflucht ist, das der mensch seine widderwertickeit vnd beschwerungen beuelh der gotlichen libe. Dan der her hat gesagt zu seiner liphaberin. du salt alle deine leiden vbergeben der libe, sprechende. O liebe der meinunge als du mir disze dinge bracht hast von dem hertzen gottes beuelh ich dir die selben, bittende, das sie die selbigen in hochster danckbarheit volbracht, do selbst widder vberantwortten wolle. [II, 41] vnd sal in aller betrupnusse vnd erbeit die libe zu hulffe laden, Dan sy steht dem menschen guttiglich bei vnd hilfft im in den gutten dingen vnd beschutzt yn von den boszen. Und wu die libe gegenwertigk ist, fulet der mensche nicht die erbeit, er nimpt auch nicht abe in der widderwertickeit. ¶ Die dritte czuflucht. [II, 36] DJ dritte czuflucht ist, das der mensche Cristum vnsern hern bitte, das er vor seine pein gott den vater loben wolle vnnd die voreinigen seinem heilgen leiden. Dorumb sagte der her zu seiner braut. so du mich auch [xlv v ] in deinen peinen begerst czu loben vnnd vormagst es nicht, So bethe in dem lobe, dorinne ich gott den vater in der danckbarheit, dorinne ich im gedanckt habe, das er wolde, das ich vmb der werlde selickeit solche dinge leiden solte, vnd in der libe, dorinne ich gerne vnd williglich die pein geliden, das ich yn vor deine pein loben vnd gebenedeien wolle vnd als mein leiden im himmel vnd vff erden vnentliche frucht bracht hat, also deine peinen ader waszerley betrupnus mir der weisze beuolhn wirt also gar fruchtbar in der voreinunge meins leidens, das es allen auszerwelten im himmel ere, den gerechten vff erden vordinst, den sundern gnade, den selen im fegefeur trost vnd erqwickunge bringen vnd geben wirt. Dan was ist vor ein dingk vff erden, das mein hertze nicht moge in besserunge vorwandeln Dan alles gutte, das himmel vnd erde in sich haben, das ist geflossen aus der guttickeit meyns hertzen. Dornach hat ir der her geczeiget alle ordenung der heilgen vnd yre Der Liber specialis gratiae (1508) 259 73 Ps 45,8 vnschatzbarliche ere vnd wirdickeit, sprechende. Nym war, wie grosse dinge hat gewurckt die guttickeit meins hertzen in den propheten vnd in den aposteln vnd in itzlichen heilgen, dan sie vfs wirdigste ire werck volbracht vnd hat yn dy belont vber alles vordinst. ¶ Die iiij. czuflucht. [III, 36] DJ virde czuflucht ist, das der mensch seine widderwertickeit vnd beschwerungen in voreynunge der libe, dorinne Cristus geliden hat, leiden sal. Dan als czu einer czeit die selige Mechtildis betrubiglich ersuftzt, derhalben das sie sich vntuchtich befande vnd durch ire kranckheit vorhindert den orden nicht gehalten konde, hortte sie den hern sprechende. Eya, vorgunne mir, das ich die hytze meiner gotlichen lybe in dir moge erkulen. Und in dem worte vorstunde sy, [xlvi r ] welcher mensche alle seine schmertzen vnd kranckheit, traurickeit des hertzen, bekom‐ mernus ader waszerley andere betrupnus gerne vnd williglich leidet in der voreynunge der lybe, in welcher Cristus vff erden vil qwal vnd beschwerunge vnd czu letzt einen schmelichen tod gelyden hat. in dem selben erkulet er etzlicher masse die hitze seins gotlichen hertzen, der do szo mit vnaussprechlicher begirde sucht das heil der menschen. Dan so das gemute solch leyden in sich nicht meher ertragen kan, so wil er es erfullen in seinen liphabern, die im durch getrawe libe anhangen. Und szo die sele, die also vff erden eine kulunge des gotlichen hertzen gewest, in den himmel kompt, wirdt sie von stundt flygen vff das hertze gots vnd mit der gotheit, gleich als ap sie mit dem besten ole gesalbet were, gentzlich in der hytze des aller feurigsten hertzen gots mit allem, das sie hie vmb der liebe willen Cristi des hern geliden hat, vorbrant werden. Unnd als der allerwolrichendeste thymie ader balsam mit der sussickeit yres ruches den gantzen himmel besprengen, do von alle heilgen mit newer frowde vnd wollust begossen werden vnd das ist, do von in dem psalm gesprochen wirdt. Dich hat got, dein gott, gesalbet mit dem ole der frolickeit vor deynen mit gesellen. 73 ¶ Die funffte czuflucht. [IV, 24] DJ funffte czuflucht ist, das der mensche diszen vers Gebenedeiet bistu her got adonay offte lesze vnd betrachte. Dan als die selige iungkfrowe Mechtildis vff ein czeit vor ein andere person bath, gab yr der her disze antwort. Sy sal offte leszen ader bethen diszen verszickel. Gebenedeyet bistu adonay in dem firmament des himmels, ein vater vnsers hern Iesu Cristi, der du gemacht hast, himmel vnnd erde, das [xlvi v ] mer vnd alle dinge, die dorinne sein. Und so sie eingewickelt wirt in dy finsternus der trawrikeit Sal sie aufsteigen vf den bergk der hoffnunge vnd sal mit den ougen des glowbens ansehen mich, das himlisch firmament, dor ein die selen aller auszerwelten, gleich als dy stern, eingestackt sein, welche stern wie wol sie durch die wolcken der sunden vnd durch die nebel der vnwissenheit vorfinstert werden. doch in irem firmament, das ist in meiner gotlichen clarheit, mogen sie nicht vortunckelt werden. Dan ap wol die auszerwelten czu czeiten in grosse sunden fallen, so sehe ich sie doch alwege an in der liebe, dorinne ich sie auszerwelt hab vnd in der clarheit, dorczu sie kommen werden. Do von ist es gut 260 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) dem menschen, das er oft betracht, wie mit gnediger gutickeit ich in erwelt hab, wie mit wunderlichen vnd heimlichen gerichten ich den, der in sunden ist, vor einen gerechten menschen angesehen habe. Und wy liplich ich von im gedenckende auch alle seine boszen dinge in gut vorwandelt hab, do mit er mich das ewige firmament der auszerwelten gebenedeie. Sondern in dem wortte gebenedeien dich alle deine engel vnd deine heilgen sal sie begern, das mich alle engel vnd heilgen czu gleich mit ir loben. ¶ Die vi. czuflucht. [IV, 25] DJ sechste czuflucht ist, das sich der mensche strecke zu den fussen des hern Iesu vnd sal do selbst niderlegen alle seine burden vnd bethen ditz gebethe, wie der her gelernt hat. Als dy selige Mechtildis eins vor ein andere person bat, hat sie von dem hern disze antwort entpfangen. wen der mensche in etwa beschwert ist, so strecke er sich czu meinen fussen vnd lege do selbst nider alle seine burde, mir die beuelhende, vnd spreche diszes gebethe. Her heilger vater, sich vff mich deinen knecht, vor den der her Ihesus Cristus nicht geczweiuelt hat sich zu geben in die hende der schuldigen [xlvii r ] vnd czu leiden die qwale des creutzes, bittende, das ich yn wolle ansehen mit den ougen der barmhertzickeit, sein sele erleuchtende, das er erkennen mog, wor czu vnd wie aus grosser libe ich im das czu widderfaren vorheischen hab, do mit er czu meinem lobe die vnd alle seine widderwertigen dinge geduldiglich leide. dornach sal er kommen czu meinen henden vnd sprechen diszes Responsorium. Sende aus, her, deine weiszheit von dem stule deiner groszmechtickeit, do mit sy bei mir sei vnd mit mir erbeite, vff das ich wissen moge, was vor dir angeneme sey alle czeit. Gib mir, her, dy beisitzerin deiner gesesse, dy weyszheit, do mit sie bei mir sei vnd mit mir erbeite, vff das ich wissen moge, was vor dir angeneme sey alleczeit. Ere dem vater vnd dem son vnd dem heilgen geist, vf das ich wisse, was vor dir angeneme sei alle czeit, Bittende, das die gotliche weiszheit seine mitwirckerin vnd helfferin sein wolle, do mit er disze beschwerunge got czu eren, im czu nutze vnd der gemeine fruchtbarlich leiden vnd tragen moge. Czu dem dritten gehe er czu meinem hertzen der meinunge, sprechende. O wie gar wunderlich ist gegen vns die gnadunge der guttickeit. O wie ein vnaussprechliche fruntschafft der libe, do mit du einen knecht erledigen mochtest, so hastu gegeben deinen son. O wie gar ein wonderlicher lon vnd schatz, mit welches schwere vnd wag das gefengnus der werlt erloset ist, do mit die erschrecklichen bant vnd schlos der hellen czubrochen sein vnd geoffent ist das thor des reichs der himmel, bittende, das ich im durch die libe meins hertzen, dorinne ich die burde aller menschen getragen habe, vorleihen vnd geben wolle die burde seiner traurickeit in libe vnd danckbarheit czu tragen. ¶ Die vij. czuflucht. [IV, 26] DJ sybende czuflucht ist, das der mensche ym anfange seiner beschwerunge dy got schencke der [xlvii v ] meinunge. Die selige Mechtildis hat eins gebett vor eine person, die gerne gewust hette ap sie entlich bey got bleiben wurde. do sprach zu ir der her. So der mensch beschwert wirt, so er mir im anfange dy selbe beschwerunge schenckte, So ich do von trincken worde, so worde ich aus meinem munde so vil sussickeit dor ein gisszen, das im die also geadelt wurde, das Der Liber specialis gratiae (1508) 261 sie dornach nimmer meer mochte vorlorn werden. wen aber der mensch am ersten do von trinckt, so vorgifft er das. vnd ye meer er do von trinckt, ye serer es vorbittert wirt, alszo das mir dornach nicht czimpt do von czutrincken, es werde dan durch die beichte vnd busse vormals gereiniget, ditz sal man also vorstehen. So der mensch in widderwertickeit ader in traurickeit felt, so sal er von stundt alle seine beschwerunge got opffern, so wil dan got dor ein dem menschen schicken die sussickeit seines trostes vnd yn hertzenhaftig machen czu der gedult vnd nicht vorhengen, das solche beschwerunge dem menschen ane frucht der selickeit vorloren werde. Also ap es sich begebe, das der mensche aus seiner gebrechlickeit solche beschwerunge widder von got neme, do von als in einer vngedult redende ader gedeckende, das er solchs mit der busse moge ausleschen. wen aber der mensche seine beschwerunge selber tragen wil, so felt er in vngedult. vnd ye meer er do von handelt, redt ader gedenckt, ye bitterer vnd schwerer im die wirdt. Und so er den hinden nach czu sich selber kompt, so thar er die got nicht opfern, dan es czimpt sich auch nicht. Ydoch sal der mensche nicht czweiueln vnd solche vngedult durch ein lautere beicht vnd ware busse reinigen. vnd dornach seine beschwerunge mit einem demutigen geist vnd einem rewigen hertzen sich fleissigen got czuschencken. Und der mensch sal bitten disze benedeyunge vnd sprechen. her deine gotheit gebenedeye mich, deine men [xlviii r ] scheit stercke mich, deine guttickeit enthalde mich, deine libe beware mich Amen. ¶ Die viij. czuflucht. DJ achte czuflucht ist, das der mensche seine beschwerunge alleine got clage vnd im allein gentzlich die befele. do von sagt der her czu seiner liphaberin. der mensche sal einigk czu mir in aller seiner betrupnus czuflucht haben vnd sal nimant seine bekommernus clagen. Sondern mir allein alle seine beschwerunge mit vortrawen offenwaren vnd ich wil in nymmer meer in seinen noten vorlassen. ¶ Die ix. czuflucht. [III, 16] DJ newnde czuflucht ist, das der mensche betrachte das bitter leiden Cristi vnd das er wisse vnd gloube, dz widderwertickeit sei ein zeichen der auserwelunge vnd der sicherheit. dan der her sprach czu seiner liphaberin. Jch, der her, bin vfs geduldigste gewest in aller meiner vorfolgung vnd leiden, also solte der mensche auch in alle seiner pein vnd vngerechtickeit geduldigk sein, die selben guttiglich tragende Als ein schaff. so das an der weide ist, pleckt ader schreiet es offt. Sondern aber, so es zu der schlachtunge vor den fleischer geczogen, so schweigt es. Also die glowbige sele, so sie nicht beschwerunge fulet, solte sie sich forchten. Sondern so sie geengstet wirt an dem leibe ader in dem geiste, so ist sie vfs groste sicher, dan alle widderwertickeit des gemutes ader des leibes, dye du leydest, saltu nicht dir, sondern mir leiden, gleich als ap ich in dir lyde. ¶ Die x. czuflucht. [IV, 32] DJ czehende czuflucht ist, das der mensch dreyerley getrawen czu got habe. Do von sagte der her czu seiner auserwelten braut. Der mensche sal sich czu mir haben. Am ersten als ein kindt das do hertzlich seinen vater lip hat vnd alwege czu im czuflucht hatt, das er im etwas geben solle. Unnd was der vatter dem kynde gybt aus der freuntschafft 262 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) 74 Sap 8,8 75 hiesus [xlviii v ] do mit es den vater libet, helt es vor ein grosse vnd libe gabe. Also sal auch alczeit der mensche eylen czu meiner gnade vnd alle die dinge, die ich im gebe, sal er zu keiner czeit geringe achten, sonder aus lybe mit grosser danckbarheit entpfahende, vor itzliche gaben dancksagen. ¶ Zu dem andern sal er sich halten als ein braut, die do nicht vmb reichtumb ader vmb schone ader adels willen, sonder alleine aus libe auszerwelt vnd gelibet wirdt vnd czu dem reiche der czirde erhaben. vnd die braut wirt auch von rechte meer danckbar getrawer vnd liphabende erfunden. Und ap die von dem breutigam ader vmb seinent willen leyden mus, so tregt sy das mit grosserer gedult dan ein andere. Also sal auch der mensch alczeit in danckbarheit betrachten, wie gar vmb sunst ich yn erwelet hab eher dan die werldt geschaffen wie mit einem gar tewren lon ich yn erlost hab vnd doruber yn czu meiner geistlichen libe vnd fruntschafft geruffen hab. ¶ Czu dem dritten als ein freundt gegen seinem frunde, der do alles, das seynem frunde czusteht, Nicht anders achtet, dan ap es im czustunde. Also sal er in allen dingen suchen die ere gots vnd so vil im moglich ist, die fordern. Und die ding, die widder got sein, in keinem wegk mit frolichem gemute gedulden czugescheen, Sondern in allen diszen dingen ap der mensche czu czeiten etwas aus den selben, die er begert hat, nicht erlangt ader die gewonliche gnade ader gotliche trostunge im entzogen wirt, sal er nicht als balde betrubet werden ader gedencken, das ditz aus vngnaden geschee ader das er von got vorlassen sey. Dan ein getrawer vater gibt seinem kinde in keinem wegk, ap es auch das von im bittet, die dinge, die im schedlich sein ader nicht geczimen. Der brewtigam beweist auch zu czeiten seiner braut einen ernst nicht aus vngunst, Sondern czu irer vnderweisunge. Also begert auch got czuerfor [xlix r ] schen die trewe der selen. Nicht das er die lerne ader wisse, dan er weisz alle dinge eher dan sie gescheen. 74 Sondern das er sy vor alle seinen heilgen loblich machen mog ¶ Die xi. czuflucht. [IV, 30] DJ eylffte czuuorsicht ader czuflucht ist, das der mensch bedencke, das das leiden ein cleidt ist vnsers hern Iesu Cristi. Dan vff ein czeit fragte die selige Mechtildis den hern worumb er ein andere andechtige person, die im sust treulich alwege dintte, hette laszen kranck werden. do antwort yr der her, worumb czimpt mir nicht, wen ich wil, mit meiner liphaberin frolich czu sein. Dan so der mensch kranck ist, so cziche ich mich an mit seiner selen als mit einem cleide der czyrheit vnd also in frolockunge meins hertzen sitze ich bey meinem vater, dangsagende vnd lobende vor alle pein, die der selbe mensch leidet. ¶ Die xij. czuflucht. [II, 31] DJe czwelffte czuflucht ist, das sich der mensche in seinem willen vorgleichte mit Cristo Iesu vnszerm hern. Dan vff ein czeit, als die selige iungfrawe Mechtildis kranck was, gab ir der her Ihesus 75 dy wale, das sie von im bitten solte, was sie wolde vnd das selbe solt ir gegeben werden. Und als sie in yr selber engstlich czweiuelte vnd nicht wuste, was sy bitten solte, Sprach sie am letzten zu dem hern. O allersuster vnd allerlibster liphaber meiner sele, so ich auch itzunt alle stercke vnd gesuntheit erholen mochte, so wolde ich das mit nichte thun, Sondern ich bitte alleine das von dir, das ich nimmer meer weiche von deinem Der Liber specialis gratiae (1508) 263 76 Hier folgt im Digitalisat noch einmal f.-xlix. gotlichen willen vnd das ich alles das, das du in mir wilt vnd thust, auch alle wege mit dir thue vnd wolle. Und von stundt douchte sy, das sie der her mit seiner lincken hant vmbfinge vnd yr houpt legte vff seine brust, sprechende. Die weile du [xlix v ]  76 wilt alles was ich wil, so wirt deine sele alczeit alszo sein in meiner vmbfaung vnd ich wil allen schmertzen deines houptes in mich czihen vnd den in mir selbst mit meinem leiden heilgen. [II, 32] So du kranck bist, vmfahe ich dich mit meiner lincken hant, vnd so du gesunt bist, vmbfahe ich dich mit meiner rechten hant. Sondern das saltu wissen, so du mit meiner lincken hant vmbfangen wirst, so wirt dir am aller nesten mein hertze czugefuget. ¶ Die xiij. czuflucht. [I, 18c] DJ dreyczehende czuflucht ist, das der mensche gedencke, wie Cristus der her im selbst einen krantz macht aus dem leiden des menschen. Der her Iesus ist etwan der seligen Mechtildis entschinnen vnd hat vff seinem houpte gehabt einen krantz gemacht wunderlich aus mancherlei vnd den allerschonsten blumen, der gleichen sy nie gesehen hatte. Und den krantz hat im selbst der her gemacht aus den manchfeldigen schmertzen, dy sie lange czeyt, lenger dan virtzigk tag, an irem houpte gehabt vnd geliden hatte. [IV, 51] Und czu einer andern czeit sagte der her czu der seligen Mechtildis, als sy vor eine andere person bat, die vil vorfolgunge von iren feinden leide. Sage ir, das sy mir gebe ire feinde, das ist, das sy mir die sache befelh, so wil ich mich selbst mit alle meinen heilgen yr czu einem ewigen lone geben. ¶ Die xiiij. czuflucht. [IV, 52] DJ virczende czuflucht ist, das der mensch wisse, das es dem hern Iesu angeneme ist, solche beschwerunge czu haben, gleich als hette er vor yn geliden. Do von sagte der her czu der seligen Mechtildis. So ymandt also betrubet wirdt, das er sich duncken lest, er wolde liber sterben dan dy selbige traurickeit leiden. Als offte solche beschwerunge mir der mensch opfert vnd setzt im vor in seinen hertzen. das er hinford dorin vorharren wolle, so offte wil ich solch opfer annemen, als hette er vor mich gelyden ¶ Die xv. czuflucht. [II, 29] [l r ] DJ funfftzende czuflucht ist, das der mensche sich selbst geringe achte vnd gloube, das im solche beschwerunge aus grosser libe gots czukommen sey. Do von sagt der her czu seiner liphaberin. Der mensch sal sich in aller traurickeit vnd widderwertickeit geringe achten, sich duncken lassen, das er vnwirdigk sei alles gutten vnd auch des lebens vnwirdig, vnd sal in seiner verwerffung alwege sprechen. her ich bin weniger aller deiner erbarmunge. Er sal auch kein gut anders meer begern dan allein zu dem lobe gots vnd alle dinge, dy im czukommen, sy sein frolich ader traurigk, sal er sicherlich wissen, das im die von got aus vbriger libe czugeschickt sein, vnd sal in dangsagunge vnd in der voreinunge meiner danckbarheit, gleich als durch mein allerheilgstes hertze, alle gaben gotes widder in iren vrsprungk gyssen. ¶ Die xvi. czuflucht. [IV, 58] 264 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) DJ sechczende czuflucht ist, das der mensch bedencke, das got warlich durch solche beschwerungen dem menschen alle sunde wegk nimpt, do von sagt der her czu seiner auserwelten braut. Es ist nie keins menschen hertze aus dem roste der sunden also dorre worden, so er irgent einen schmertzen ader kranckheit des leibs, auch wie clein dy ist, der meinunge leidet, wu es mir gefelligk were, das er vmb meiner libe willen vnd vmb lobes willen, meins namen gern einen grossern schmertzen leiden wolde, sein hertze wirt widder von der selben stunde aus solcher betrachtung grunen vnd wirt itzundt tuchtigk zu entpfaen meine gotliche gnade, dorumb ap auch der mensch nicht leidet, so sal er doch den willen zu leiden haben vmb gots willen vnd als dan nimpt der her den willen vor die that. ¶ Die xvij. czuflucht. [II, 25] DJ sibenczende czuflucht ist, das der mensche wisse, das got alle togende durch dy widderwertickeit hoch adelt vnd erhohet. Do von sagt der her czu der [l v ] seligen Mechtildis. Alles gut dieser werlt mag nicht ein sele selig machen. Sonder dy gantze selickeit vnd ere der selen steht in der pein vnd betrupnus vnd alle pein vnd betrupnus ist der sele, die got recht lip hat, susse vnd liplich. Und als ein cleid, das mit golde vnd kostlichen edeln steinen geczirt ist, nicht vmb seiner schwere willen vorworffen ader voracht wirt, Sondern do von geadelt vnd liber gehabt. Also die gloubige sele sal nicht flyhen betrupnus vmb der bitterkeit willen, czu mal so die vberhant nympt, dan alle ire togent werden doraus geadelt vnd alle yr vordinst wirdt doraus houffigk gemanchfeldiget. ¶ Die xviij. czuflucht. [IV, 59] DJ achtzende czuflucht ist, das der mensch betrachte, das im got seine beschwerunge czu seinem allergrosten nutze czuschickt. Dan der mensche sal gentzlich got glowben, das alle dinge, die im czukommen, sie seindt betrubet ader frolich, aus so grosser lybe vnd czu seinem so grossen nutze im zukommen. vnd so er das erkenntte, so wurde er nicht wollen, das im etwas anders ader in anderer weisze czukommen solte. Derhalben sal also der mensche in allen dingen got lob vnd dangk sagen. ¶ Die xix. czuflucht. [IV, 59] DJ newnczende czuflucht ist, das alle widderwertige dinge die sein gleicher weisze als eyn bant, do mit got den menschen czu sich czeucht. Derhalben so dem menschen etwas vordrislichs begegnet, sal er das annemen, gleich als ein gulden bant, do mit yn got gefenglich bindet vnd do durch czyhen moge czu der libe seins sones, betrachtende, das got do durch in seiner sele wurcken wil die selickeit. [IV, 40] Do von sagte auch der her czu seiner liphaberin, als sie vor einen andern betrupten menschen bat. Als leichtlich als ein mensch die cleinen wormchen mit seiner hant von im wegk thun mag, also [li r ] vil leichtlicher mochte ich von dem menschen, vor den du bittest, wegnemen alle seine vorhinderung, so es mir gefellig were. Sonder ich wil, das er in cleinen vnd wenigsten dingen versucht werde vnd lerne durch mein gnade, dy er anruffen sal, wie er andern menschen, dy in grossen dingen versucht werden, rat vnd hulffe geben moge. Und du salt vngeczweiuelt wissen, das alle die vorhinderunge, do mit dise sele beschwert ist, sye wenig beleidigen mogen als wenigk, als dy cleinen wormchen vorwusten mogen disen grossen bergk, den du syhst. Der Liber specialis gratiae (1508) 265 77 A ¶ Die xx. czuflucht. [II, 39] DJ czwentzigste czuflucht ist, das der mensch gentzlich gloube, das der her Iesus in im sei vnd in im leyde vnd in im bleibende, in keinem wegk yn vorlassen wirt. Do von sagte der her vnder andern czu seiner liphaberin. Nim war, ich hab mich mit deinen peinen gecleidet vnd wil alle deine schmertzen also in mich czyhen, das ich in dir alle dinge leiden wil. vnd wil also in hochstem wolgefallen got dem vater alle deine pein, mit meinem leiden voreiniget, opfern vnd wil bei dir sein bis czu deinem letzten odem. vnd du salt nindert hin dan in meinem hertzen ewiglich dorin czu ruhen deinem adem auszblasen vnd ich wil deine sele mit so vnschatzbarlicher libe in mich selber entpfaen, das sich des alle himlische ritterschaft mit sonderlicher frolockunge vorwundern wirt. Solchs alles wolle vns gnediglich vorleihen vnd geben ewiglich czu entpfinden got vnszer her durch das vnaussprechliche verdinst der seligen iungfrawen mechtildis Amen 77 . ¶ Hie endet sich dy vbunge der andacht, dorin der mensche lernen mag, wie er czu aller czeit sein gemut in got erheben sal, geczogen aus dem buch der geistlichen gnaden ader der offenwarunge der seligen iungfrawen Mechtildis durch einen bruder prediger ordens vordeutzscht. Anno domini dausent funffhundert vnn siben. [li v -lxxvii v Gebete und Unterweisungen] [lxxvii v ] Gedruckt vnd volendet durch Melcher Lotter in der loblichen stat Leiptzk Jm iar nach Cristus geburt funffczehen hundert vnd achte. 266 Anhang: Transkription des Leipziger Liber-Druckes (1508) Bibliographie Primärliteratur Balthasar (1955) Mechthild von Hackeborn: Das Buch vom strömenden Lob, hg. von Hans Urs von Balthasar (Sigillum 4), Einsiedeln 1955. Balthasar (2001) Mechthild von Hackeborn: Das Buch vom strömenden Lob, Auswahl, Übersetzung und Einführung von Hans Urs von Balthasar (Die Grundwerke der drei großen Frauen von Helfta 3), Freiburg im Breisgau u.-a. 2001. Barratt (2020) Gertrud the Great of Helfta. The Herald of God’s Loving-Kindness. Book V. With Mechthild of Hackeborn. The Book of Special Grace. Parts Six and Seven, hg. und übersetzt von Alexandra Barratt (Cistercian Fathers Series 86), Collegeville 2020. 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Für eine Darstellung und Visualisierung der gesamten Überlieferung des Liber spe‐ cialis gratiae vgl. http: / / www.helftamysticism.org (31.3.2023) mit weiteren Informationen. Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek, 8° Cod. 39----111 Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. I.3.8° 7----111 Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. III.1.8° 24----111 Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. III.1.8° 31----111, 149 f., 153-156, 158 Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. III.1.8° 42----149 Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. III.1.8° 48----111, 150, 156f. Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. III.1.8° 50----42, 111, 157 Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. III.1.8° 56----150 Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. III.2.8° 63----150 Basel, Universitätsbibliothek, Hs. AR I 2 (Registrum pro antiqua bibliotheca)----76, 88-90 Basel, Universitätsbibliothek, Hs. AR I 3 (Registrum pro nova bibliotheca)----76, 88-90 Basel, Universitätsbibliothek, Hs. AR I 4a----76f., 87-90 Basel, Universitätsbibliothek, Cod. A V 54e----86, 88 Basel, Universitätsbibliothek, Cod. A VII 68----86, 88 Basel, Universitätsbibliothek, Cod. A VIII 26----107, 109 Basel, Universitätsbibliothek, Cod. A VIII 51----90, 93, 99 Basel, Universitätsbibliothek, Cod. A IX 3----79-81, 84, 88, 170, 174 Basel, Universitätsbibliothek, Cod. A IX 34----79-81, 88, 91 Basel, Universitätsbibliothek, Cod. A X 94----85, 88 Basel, Universitätsbibliothek, Cod. A X 95----87f., 177 Basel, Universitätsbibliothek, Cod. A X 96----85, 88 Basel, Universitätsbibliothek, Cod. A XI 62----85, 89, 91 Basel, Universitätsbibliothek, Cod. A XI 95----93 Basel, Universitätsbibliothek, Cod. B X 24----89 Basel, Universitätsbibliothek, Cod. B X 36----87, 89, 107, 109 Basel, Universitätsbibliothek, Cod. B XI 19----59, 79, 91-93 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 17----93, 143 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 31----59, 106f. Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 37----72, 106f. Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 253----92 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 326----72 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 513----177 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 560----98, 100, 129, 163 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 572----99f. Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 628----59, 101 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 178----106 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 201----107, 109 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 344----46, 100, 106 Berlin, Staatsbibliothek, Ms. germ. qu. 434----46, 100, 106, 130 Bern, Burgerbibliothek, Cod. A 53----139 Bern, Burgerbibliothek, Cod. A 82----87 Beuron, Bibliothek der Erzabtei, 8° Ms. 43 (früher Cod. 24)----99f., 143 Bloomington (Indiana), University Library, Ricketts Ms. 198----139 Breslau (Wrocław), Universitätsbibliothek, Cod. IV F 194a----138 Budapest, Nationalbibliothek, Cod. Germ. 33----110 Colmar, Bibliothèque de la Ville, Ms. 334----45f., 128, 163, 167 Darmstadt, Universitäts- und Landesbibliothek, Hs. 189----180 Darmstadt, Universitäts- und Landesbibliothek, Hs. 193----143 Düsseldorf, Landes- und Staatsbibliothek, Ms. B 193----84 Ebstorf, Klosterbibliothek, Ms. IV 4----98 Ebstorf, Klosterbibliothek, Ms. IV 5----98 Ebstorf, Klosterbibliothek, Ms. IV 13----98 Ebstorf, Klosterbibliothek, Ms. IV 15----98 Ebstorf, Klosterbibliothek, Ms. IV 17----98 Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Cod. 646----114 Eisenach, Bibliothek der Wartburg-Stiftung, Ms. 1358-60----107, 109 Freiburg, Erzbischöfliches Archiv, Hs. 11----72, 110 Freiburg, Erzbischöfliches Archiv, Hs. 17----117 Freiburg, Franziskanerkloster, Cod. 144----85 Freiburg, Universitätsbibliothek, Hs. 192----46 Göttingen, Universitätsbibliothek, 8° Ms. theol. 121----68 Graz, Universitätsbibliothek, Cod. 1569----115 Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 108----107, 109 Heidelberg, Universitätsbibliothek, Heid. Hs. 33----98, 174 Hermetschwil, Klosterarchiv, Cod. chart. 102----189 Innsbruck, Universitätsbibliothek, Hs. 717----115 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 49----129 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 57----129 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 67----18, 45 f., 57 f., 70, 98-100, 121-124, 126, 128-131, 133-135, 137, 142, 144-146, 148, 154, 160, 163, 167 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 70----122 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 82----134 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 87----72, 99, 106 f., 109 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 90----102f., 105, 110, 123 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 92----102f., 105, 123 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 94----123, 128 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 99----103, 123 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 105----123 304 Register Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 106----101f., 104 f., 123, 180 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 107----102f., 105, 123 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 109----72, 102, 114, 123 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Lichtenthal 116----102 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. St. Georgen 95----110 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Wonnenthal 11----103 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Wonnenthal 14----111, 143 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Wonnenthal 15----111, 143, 158 Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Wonnenthal 16----110, 143 Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7008 (GB 8°) 6----143 Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7008 (GB 8°) 55----68 Köln, Kolumba - Kunstmuseum des Erzbistums Köln, Hs. König Nr.-26----72 Kopenhagen, Arnamagnæanske Institut, Cod. AM 798.4°----45 Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms 671----37, 68, 82, 84, 128, 163, 165, 174 Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms 1467----116 München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 856----99, 106, 116 München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 860----99, 143, 177, 180 München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 4639----116 München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 2990----115 München, Universitätsbibliothek, 8° Cod. ms. 278----118 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Cod. 1733----101-103, 110, 123 Nürnberg, Stadtbibliothek, Cod. Cent. VI, 43 l ----68, 99, 110, 118 Nürnberg, Stadtbibliothek, Cod. Cent. VII, 51----42, 110, 118, 158 Oxford, Bodleian Library, MS. Don. e. 50----108 Prag, Nationalbibliothek, Frag. germ. 42b (verschollen)----99 Salzburg, Stiftsbibliothek St. Peter, Cod. b V 18----115 Salzburg, Stiftsbibliothek St. Peter, Cod. b VII 10----41, 115 Sankt Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 506----113f. Sankt Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 583----82, 188 Sankt Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 591----72, 107-109 Sankt Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 603----112, 114 Sankt Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 1877----102 Solothurn, Zentralbibliothek, Cod. S 458----137, 141 f., 145-149, 154, 159 f., 181 Straßburg (Strasbourg), National- und Universitätsbibliothek, Ms. 1995 (früher L germ. 78.4°)----98 Straßburg (Strasbourg), National- und Universitätsbibliothek, Ms. 2139 (früher L germ. 208.8°)----116 Straßburg (Strasbourg), National- und Universitätsbibliothek, Ms. 2542----122 Stuttgart, Landesbibliothek, Cod. theol. 2° 284----46 Toledo, Kathedralbibliothek, Cod. 21-3----197 Trier, Stadtbibliothek, Hs. 1918/ 1466 8°----116 Utrecht, Universitätsbibliothek, Hs. 247 (Hs. 4 G 2)----44 Wien, Schottenkloster, Cod. 413----150, 158 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 1003 Helmst.----41f., 62 f., 68, 72, 82 f., 118, 141, 146, 155, 188 Würzburg, Universitätsbibliothek, M. ch. q. 170----163 Handschriften 305 Yale, Beinecke Library, Ms. 968----110 Zürich, Zentralbibliothek, Ms. C 96----110, 158 Zürich, Zentralbibliothek, Ms. C 162----114 Drucke Berlin, Bibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin, Spa 1364 (VD18 12716642)----193 Berlin, Staatsbibliothek, 4° Na 8130-1/ 2 (VD18 13462857)----192 München, Bayerische Staatsbibliothek, 4 Asc. 1183#Beibd.1 (VD16 M 1787)----189 München, Bayerische Staatsbibliothek, 4 P. lat. 885 d (VD16 M 1786)----163, 170, 207 München, Bayerische Staatsbibliothek, Asc. 5568 d (VD17 12: 743198Y)----192 München, Bayerische Staatsbibliothek, Rar. 1676 (VD16 M 1784)----124, 165 München, Bayerische Staatsbibliothek, Res/ 4 P.gr.c. 100f----73 München, Bayerische Staatsbibliothek, P. lat 1463f----189 Salzburg, Archiv der Erzdiözese, Urs IV Fr 4----190 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Xb 12° 53 (VD17 23: 725686F)----191 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Xb 7275 (VD17 23: 623715X)----190f. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Xb 8636 (VD17 23: 706727C)----191 Orte, Personen und Werke Nicht eigens aufgeführt werden die Belege für die Lemmata ›Mechthild von Hackeborn‹ und Liber specialis gratiae. Alacoque, Margareta Maria----37, 189, 197 Albert (Priester)----37, 62, 68 Albrecht VI. von Bayern----190 Altenberg, Prämonstratenserinnenkloster----107, 109 Altomünster, Benediktinerinnen-/ Birgittenkloster----163, 183, 207 Altzelle, Zisterzienserkloster----163 Ambrosius, Hl.----142 Angela da Foligno----15, 31, 38 Anna, Hl.----148 Anna von Eberstein----102f. Antonius de Fantis----188 Aristoteles----37 Arnoldi von Alfeld, Heinrich----87 Arnolt, Carl Ferdinand----192 Arnulf von Bohéries, Speculum monachorum----79 Augsburg----99, 111, 149 f., 154 f., 157 f., 161, 164 St. Katharina, Dominikanerinnenkloster----99 Augustinus, Hl.----168, 173 Barbara von Seldneck----151, 159f. 306 Register Bartholomäus, Hl.----124 Basel----13, 78, 81, 83, 87, 91, 93-95, 130, 138-140, 145, 149, 164 Klingental, Dominikanerinnenkloster----90, 138 St. Margarethental, Kartause----13, 42-45, 48, 59, 75 f., 78-80, 83-88, 90 f., 93-95, 99, 106 f., 109, 112, 115, 160, 167, 188, 204 Beatrijs von Nazareth----32 Becker, Johann-Jacob----192 Begerin, Ursula----91, 191, 195 Benedikt, Hl.----128 Berg, Anna----190 Berlin----106 Bern----24f., 87, 138-140, 145, 149 Dominikanerkloster----138 St. Michael in der Insel, Dominikanerinnenkloster----14, 137-141, 145, 149f. Bernhard (Graf)----83 Bernhard von Clairvaux----37, 79, 86, 127-129, 161 Bethanien----146 Beuron----99f. Birgitta von Schweden----12, 17, 27, 31 f., 38, 61, 85, 117, 119, 160, 175, 192 f., 197-201 Bleul (Drucker)----192 Bleul, Peter Paul----193 Bonaventura----18, 53, 57 f., 88, 165 (Ps.-)Bonaventura, Spiegel der Zucht----165 Bruder Berthold (von Freiburg), Rechtssumme----24 Brunnadern----138 Burchard von Mansfeld----196 Caffarini → Thomas Antonii von Siena Canisius, Petrus----189, 201 Carpentarius, Georg----45, 76-81, 83-91, 93-95 Christina von Hane----21, 56, 118 f., 157, 191, 203 Christina von Stommeln----70 Cîteaux, Zisterzienserkloster----121f. Colmar----167, 192 Unterlinden, Dominikanerinnenkloster----93, 99, 128, 167 Cordula, Hl.----107, 109 Dante Alighieri----34 Darmstadt----93 Dorothea von Hof----175 Dorothea von Montau----17, 26, 31, 58, 119, 191, 199f. E. von Orlamunde----131 Eberbach, Zisterzienserkloster----42 Ebner, Christine----21, 64 Ebner, Margareta----60, 92, 150, 160f. Ebstorf, Benediktinerinnenkloster 98, 102 Orte, Personen und Werke 307 Eckhart → Meister Eckhart Eichstätt----24, 97, 99f. St. Walburg, Benediktinerinnenkloster----99f. Einsiedeln, Benediktinerkloster----114, 192 Eisleben----190, 198 Elisabeth von Schönau----12, 16, 64, 77, 101, 107, 109, 118, 188, 191 Elsbeth von Oye----21, 38, 136 Engelberg, St. Andreas, Benediktinerinnenkloster----128 (Ps.-)Engelhart von Ebrach, Buch der Vollkommenheit----150 Engelszell, Stift, Zisterzienserkloster / Trappistenkloster----59f. Engelthal, Dominikanerinnenkloster----149 Erasmus, Hl.----160 Erfurt----13 St. Paul----62 St. Salvatorberg, Kartause----49, 76, 79, 163, 188 Eschenbach, Zisterzienserinnenkloster----99 Faber Stapulensis, Jacobus----77f., 188 Fabri, Felix----149, 156, 158f. Ferrer, Vinzenz----160, 195 Franck, Sebastian----33 Franz von Sales----37, 190 Frauenalb, Benediktinerinnenkloster----99, 101-103, 105 f., 123 Freiburg, Adelhausen, Dominikanerinnenkloster----99, 117 Klarissenkloster----99, 107, 109 Fribourg----139 Friessem, Johann Wilhelm----190, 192 Fünfzehn Gebete zum Leiden Christi----160 Gabriel, Erzengel----127 Gertrud von Hackeborn----131, 193, 196 Gertrud von Helfta----12, 16, 32, 35-38, 41, 49, 56 f., 62-69, 75, 101, 103, 105, 112-115, 118 f., 133, 136, 143, 148 f., 154, 165, 175, 181, 188-196, 198-201 Botte der götlichen miltekeit----113, 148, 165, 175 Exercitia Spiritualia----133, 188 Legatus divinae pietatis----37, 56 f., 62, 66, 103, 113-115, 148 f., 154, 165, 175, 188-190, 192, 195f. Gertrud von Nivelles----200 Gertrud von Oosten----32 Gertrud von Ortenberg----32 Gregor I. (‚der Große‘), Papst,-Dialogorum libri IV----117 Gregor XI., Papst----134 Groß-Frankenthal, Augustinerchorherrenstift----100 Grüninger, Johannes----91, 163 Gugger, Hans----140 Gugger, Urs----140 Hadewijch----38, 200 308 Register Haec est dies----147 Hartmann von Aue, Erec 58 Haut, David----192 Heggbach, Zisterzienserinnenkloster----99 Heinrich von Halle----62 Heinrich von Nördlingen----60, 92 Helfta, Kloster----34, 36 f., 41, 48 f., 51, 54, 57, 61-63, 71, 75 f., 97, 101, 113, 119, 128, 130-132, 137, 143, 146, 154, 163, 179, 188-190, 192, 194-196, 198-200, 205 Hermann von Minden----61 Hermas----77, 188 Hermetschwil, St. Martin, Benediktinerinnenkloster----189 Herrenalb, Zisterzienserkloster----122, 129 Hildegard von Bingen----16, 26, 31, 38, 60, 65, 77, 188 Hirschmann, Nikolaus----129 Hortulus animae----85 Hugo von Monfort----25 Hugo von St. Viktor----37 In agro dominico----30 Ingolstadt, Gnadenthal, Franziskanerinnenkloster----99 Innsbruck, Neustift----115 Inzigkofen, Augustinerchorfrauenstift----99f. Jäcklin, Johann----191f. Jacobus de Voragine, Legenda aurea----122 Jeanne d’Arc----201 Johannes, Evangelist----82f. Johannes vom Kreuz----31, 193, 197 Johannes von Geissel----100 Kachelofen, Konrad----164 Karlsruhe----102, 111, 122, 149 Katharina von Bologna----195 Katharina von Renchingen----102, 123 Katharina von Siena----17, 26 f., 31 f., 38, 55, 58, 62, 115, 119, 125-127, 134-137, 165, 190, 192 f., 198f. Kempe, Margery----15, 38 Kempten----192 Kirchheim am Ries, Zisterzienserinnenkloster----42, 99 f., 111, 150, 154, 160f. Knor (Knör)----58f., 126, 128 Köln----13, 37, 48, 93, 100, 164, 188-190, 192-194 Kartause----37, 48 St. Agatha, Benediktinerinnenkloster----190 St. Maria Magdalena, Augustinerchorfrauenstift----93 Königsbrück (bei Hagenau), Zisterzienserinnenkloster----122f., 128 Konrad von Megenberg, Buch der Natur--------24 Landsberg, Martin----164, 189 Lanspergius, Johannes Justus----37, 188f. Orte, Personen und Werke 309 Leipzig----14, 27, 37, 40, 46, 57, 68, 82, 98, 124, 163 f., 166, 170, 185, 188, 194, 207 St. Pauli, Dominikanerkloster----164 Leipzig-Eutritzsch, St. Mechthild, Malteserstift----34 Lesser, Hans----79, 91, 151 Leuchtenberg----190 Liber trium virorum et trium spiritualium virginum----73 Lichtenthal, Zisterzienserinnenkloster----14, 40, 99-102, 107, 121-123-126, 128-131, 134 f., 137, 142, 144, 146, 148, 154, 160, 167 Loher, Dietrich----188 Lotter, Melchior der Ältere----164-166, 175, 188f. Louber, Jakob----76, 80, 88f. Lucia von Moos----139, 145, 147f. Lucia von Narni----195 Lucidarius----24, 79 Ludwig IX.----129 Lukas, Evangelist----62 Luther, Martin----164 Lützel, Zisterzienserkloster----122 Mannheim----116 Mansfeld----82 Marcus von Weida----46, 165 f., 174-176 Mardach, Eberhard----132 Sendbrief von wahrer Andacht----132 Margareta, Hl.----113 Margaretha von Renchingen----102 Maria BMV----65, 72, 77, 83, 110, 128, 143 f., 147 f., 152, 156-158, 160 Maria Magdalena----72 Maria Medingen, Mödingen, Dominikanerinnenkloster----14, 111, 149-151, 153, 156, 158-161 Maria von Bethanien----179, 182 Maria von Oignies----38 Marienwerder (Kwidzyn)----200 Marienwerder, Johannes----58 Marina de Escobar----192f. Marquard von Lindau----22, 132 Martha von Bethanien----146, 179, 182 Martin von Cochem----190, 194 Maulbronn, Zisterzienserkloster----122 Maximilian Adam von Leuchtenberg----190 Maximilian I. von Bayern----190 Mechthild von Leuchtenberg----190 Mechthild von Magdeburg 12f., 16, 18, 21 f., 26, 28, 30, 32 f., 34 f., 38, 49, 53 f., 57, 62, 65-67, 75, 77-79, 83 f., 87, 92, 94, 103, 112, 115, 118 f., 123, 130-132, 195 f., 199f. Das Fließende Licht der Gottheit----13, 28, 50, 54, 62, 67 f., 75, 78, 112, 131, 142, 183 Lux divinitatis----37, 52, 75-79, 86-88, 92, 112, 131, 195 310 Register Medlingen, Kloster Obermedlingen, Dominikanerinnenkloster----111 Meister Eckhart----12f., 15, 18, 21 f., 25-27, 30 f., 32 f., 35-38, 49 f., 75, 110, 115, 155, 179, 203 Melk, Benediktinerkloster----13, 18, 22, 198 Meyer, Johannes----132, 138-140 Ämterbuch----139 Michael de Massa, Vita Christi----106 Moser, Urban----76-81, 83-92, 94 Moskau----35, 68 München----189, 191 f., 194 Müntzer, Thomas----201 N. →-Schwester N. Neresheim, Benediktinerkloster----100 Neuburg, Zisterzienserkloster----121 Nibelungenlied----24 Niederlande----13 Nijmwegen----43 Nikolaus von Basel----58 Nikolaus von Landau----22 Nikolaus von Plauen----83 Numan, Niclas----100, 129 Nürnberg----13, 59, 99, 101 f., 110, 124, 138 f., 149, 164, 192-194 St. Katharina, Dominikanerinnenkloster----42, 59, 99, 110, 138 f., 149 Nützliche lere zu beten----165 Ochsner, Joseph----192 Othmar von St. Gallen----125 Otto von Passau, Die 24 Alten----150 Paradisus animae intelligentis----21f., 27 Paris----13, 26, 45, 73, 77, 83, 88, 188 Pegnitz----103 Peuger, Lienhart----18 Pius II., Papst----27, 198 Porète, Marguerite----17, 26, 30, 32, 38, 70, 200 Mirouer des simples âmes----30 Prag----27, 99, 192, 194 Raimund von Capua----134, 190 Ein geistlicher Rosengarten----27, 134 Rebdorf, Augustinerchorherrenstift----198 Regula (eig. Margaretha), Zisterzienserin----122, 127-129, 134 Reichenbach, Benediktinerkloster----115 Richard von St. Viktor----37 Robert von Molesme----129 Robert von Uzès----77, 188 Livre des paroles----188 Rom----26, 34, 158f. Orte, Personen und Werke 311 Rosarium Mysticum----188 Rubens, Peter Paul----60f. Sankt Gallen----82, 91, 107 f., 112-114, 125, 188 St. Katharina, Dominikanerinnenkloster----114 Sankt Georgen, Stift St. Georgen am Längsee, Benediktinerinnenkloster----113 Sankt Katharinental (bei Dießenhofen), Dominikanerinnenkloster----114 Sankt Katharinentaler Schwesternbuch----112 Sauter, Agnes----116 Schönensteinbach, Dominikanerinnenkloster----138 Schumann, Valentin----164 Schwester N.----56f. Schwester Regula-→ Regula Seitz, Kartause----115 Seligenthal, Zisterzienserinnenkloster----200 Seuse, Heinrich----21, 31, 33, 35, 38, 54, 60, 70, 75, 107, 150, 160, 181 Büchlein der ewigen Weisheit----107, 150, 160 100 Betrachtungen----160 Sidonie von Böhmen----165, 176, 183, 185 Sint-Truiden----85 Solesmes, Saint-Pierre, Benediktinerkloster 37, 44, 54, 64, 68, 74, 118, 128, 153, 156, 171, 188, 195-197, 199, 205 Solothurn----137, 140, 142, 145, 147-149, 154, 159 f., 181 Sophia von Mansfeld----131 Spatziergertlein----117 Spee von Langenfeld, Friedrich----190 Spiegel der euangelischer volkommenheit----188 Stabat mater----114 Stagel, Elsbeth----21, 60 Stöckel, Wolfgang----164 Straßburg----13, 59, 91, 98 f., 106 f., 109, 116, 155, 163 Kartause----107, 109 St. Agnes, Dominikanerinnenkloster----106, 116 St. Margareta, Dominikanerinnenkloster----106, 116 St. Nikolaus in undis, Dominikanerinnenkloster----40, 42, 59, 85, 93, 99, 101, 106 f., 143 Sudermann, Daniel----100, 109 Susanna (Osanna) von Binzendorf----111, 150 f., 158-160 Syon, Birgittenkloster----27 Tauler, Johannes----25f., 31, 35, 38, 110, 115, 164 Tegernsee, Benediktinerkloster----42 Teresa von Ávila----31, 35, 37, 60-62, 192 f., 197 Tersteegen, Gerhard----179, 194 Thanner, Jacob----164f., 188 Thierhaupten----189 Thomas Antonii von Siena (‚Caffarini‘)----115 312 Register Thomas von Aquin----14 Thomas von Kempen, Imitatio Christi----106 Tösser Schwesternbuch----112 Trier 42, 116 St. Matthias, Benediktinerkloster----42 Tucher, Katharina----21 Üblhör, Johann Georg----60 Uguetinus von Metz----77, 188 Ulm----149, 158 Ursula, Hl.----107, 109 Ursula (Schreiberin)----150 Vadstena, Birgittenkloster----197, 201 Venedig----188 Vita Christi----85, 89 Vocabularius Ex quo----24 Volradi, Jakob----79 Wien, Schottenstift, Benediktinerkloster----158 Wolfram von Eschenbach, Parzival----24f. Wonnenstein, Franziskanerinnenkloster----99 Wonnental, Zisterzienserinnenkloster----110 Zschampi, Margret----90, 99, 164 Zürich----110, 114 Zürn, Johannes----129 Orte, Personen und Werke 313 Bibliotheca Germanica Handbücher, Texte und Monographien aus dem Gebiete der germanischen Philologie herausgegeben von Udo Friedrich, Susanne Köbele und Henrike Manuwald Die Buchreihe Bibliotheca Germanica wurde im Jahre 1951 von Friedrich Maurer, Heinz Rupp und Max Wehrli im Francke-Verlag Bern (jetzt: Tübingen) begründet. Seither versammelt die Bibliotheca Germanica Arbeiten der germanistisch-mediävistischen Grundlagenforschung in Texteditionen, materialerschließenden Monographien und textanalytisch-kulturhistorischen Studien. In enger Verbindung von Überlieferungsgeschichte, Textphilologie, kulturwissenschaftlicher Theoriebildung und komparatistischen Interessen vermitteln die in der Bibliotheca Germanica erscheinenden Arbeiten innovative Einsichten in die Textentstehungsprozesse, die Typenspezifik und die poetologischen Besonderheiten der deutschen Literatur der Vormoderne. Aktuelle Bände: Frühere Bände finden Sie unter: http: / / www.narr-shop.de/ reihen/ b/ bibliothecagermanica.html 46 Jörg Seelhorst Autoreferentialität und Transformation Zur Funktion mystischen Sprechens bei Mechthild von Magdeburg, Meister Eckhart und Heinrich Seuse 2003, 410 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-2037-7 47 Michael Stolz Artes-liberales-Zyklen Formationen des Wissens im Mittelalter (2 Bände) 2003, XX, 992 Seiten €[D] 248,- ISBN 978-3-7720-2038-4 48 Bruno Quast Vom Kult zur Kunst Öffnungen des rituellen Textes in Mittelalter und Früher Neuzeit 2003, 237 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8019-7 49 Sandra Linden Kundschafter der Kommunikation Modelle höfischer Kommunikation im ‹Frauendienst› Ulrichs von Lichtenstein 2004, X, 451 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8045-6 50 Andreas Kraß Geschriebene Kleider Höfisches Identität als literarisches Spiel 2006, X, 421 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8129-3 51 Annette Gerok-Reiter Individualität Studien zu einem umstrittenen Phänomen mittelhochdeutscher Epik 2006, X, 350 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8169-9 52 Henrike Manuwald Medialer Dialog Die «Große Bilderhandschrift» des Willehalm Wolframs von Eschenbach und ihre Kontexte 2008, X, 638 Seiten €[D] 148,- ISBN 978-3-7720-8260-3 53 Justin Vollmann Das Ideal des irrenden Lesers Ein Wegweiser durch die ‹Krone› Heinrichs von dem Türlin 2008, X, 272 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8311-2 54 Bernd Bastert Helden als Heilige Chanson de geste-Rezeption im deutschsprachigen Raum 2010, X, 492 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8356-3 55 Balázs J. Nemes Von der Schrift zum Buch - vom Ich zum Autor Zur Text- und Autorkonstitution in Überlieferung und Rezeption des ‹Fließenden Lichts der Gottheit› Mechthilds von Magdeburg 2010, X, 555 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8362-4 56 Tanja Mattern Literatur der Zisterzienserinnen Edition und Untersuchung einer Wienhäuser Legendenhandschrift 2011, X, 446 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8375-4 57 Rachel Raumann Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue und im «Prosa-Lancelot» 2010, X, 330 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8376-1 58 Christiane Krusenbaum-Verheugen Figuren der Referenz Untersuchungen zu Überlieferung und Komposition der ‹Gottesfreundliteratur› in der Straßburger Johanniterkomturei zum ‹Grünen Wörth› 2013, X, 685 Seiten €[D] 128,- ISBN 978-3-7720-8476-8 59 Stefan Matter Reden von der Minne Untersuchungen zu Spielformen literarischer Bildung zwischen verbaler und visueller Vergegenwärtigung anhand von Minnereden und Minnebildern des deutschsprachigen Spätmittelalters 2013, XII, 569 Seiten, 48 Farbtafeln €[D] 128,- ISBN 978-3-7720-8477-5 60 Astrid Lembke Dämonische Allianzen Jüdische Mahrtenehenerzählungen der europäischen Vormoderne 2013, 400 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8498-0 61 Coralie Rippl Erzählen als Argumentationsspiel Heinrich Kaufringers Fallkonstruktionen zwischen Rhetorik, Recht und literarischer Stofftradition 2014, XII, 390 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8528-4 62 Anna Kathrin Bleuler Essen - Trinken - Liebe Kultursemiotische Untersuchung zur Poetik des Alimentären in Wolframs ‹Parzival› 2016, X, 351 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8541-3 63 Hans Rudolf Velten Scurrilitas Das Lachen, die Komik und der Körper in Literatur und Kultur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit 2017, 538 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8541-3 64 Susanne Bernhardt Figur im Vollzug Narrative Strukturen im religiösen Selbstentwurf der ‹Vita› Heinrich Seuses 2016, 330 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8543-7 65 Cordula Kropik Gemachte Welten Form und Sinn im höfischen Roman 2018, 380 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8559-8 66 Daniel Eder Der Natureingang im Minnesang Studien zur Register- und Kulturpoetik der höfischen Liebeskanzone 2016, 458 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8592-5 67 Henrike Manuwald Jesus und das Landrecht Zur Realitätsreferenz bibelepischen Erzählens in Hoch- und Spätmittelalter 2018, 469 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8593-2 68 Margit Dahm-Kruse Versnovellen im Kontext Formen der Retextualisierung in kleinepischen Sammelhandschriften 2018, 392 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8646-5 69 Ramona Raab Transformationen des dû im Text Predigten Meister Eckharts und ihr impliziter Adressat 2018, 182 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8633-5 70 Thomas Poser Raum in Bewegung Mythische Logik und räumliche Ordnung im ›Erec‹ und im ›Lanzelet‹ 2018, 238 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8645-8 71 Bent Gebert Wettkampfkulturen Erzählformen der Pluralisierung in der deutschen Literatur des Mittelalters 2019, 510 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8653-3 72 Linus Möllenbrink Person und Artefakt Zur Figurenkonzeption im ›Tristan‹ Gottfrieds von Straßburg 2020, 514 Seiten €[D] 108,- ISBN 978-3-7720-8707-3 73 Verena Spohn Vom Du erzählen Die Du-Anrede als narrative Strategie in volkssprachlichen religiösen Texten des späten Mittelalters noch nicht erschienen, ca. 440 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8704-2 74 Hannah Rieger Die Kunst der ›schönen Worte‹ Füchsische Rede- und Erzählstrategien im Reynke de Vos (1498) 2021 ca. 282 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8736-3 75 Eva Locher Kohärenz und Mehrdeutigkeit Vergleichende Fallstudien zur Poetik der Sangspruchdichtung Rumelants von Sachsen 2021, 278 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8752-3 76 Laura Velte Sepulkralsemiotik Grabmal und Grabinschrift in der europäischen Literatur des Mittelalters 2021, 264 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8753-0 77 Sebastian Winkelsträter Traumschwert - Wunderhelm - Löwenschild Ding und Figur im Parzival Wolframs von Eschenbach 2022, 396 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8774-5 78 Linus Ubl Konstruktion und Manifestation von ›Frauenmystik‹ Rezeptionsdynamiken in der oberdeutschen Überlieferung des Liber specialis gratiae 2023, 314 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8790-5 Die Arbeit schlägt einen neuen methodischen Ansatz in Bezug auf sogenannte ›frauenmystische‹ Texte des Mittelalters vor. Hierbei rückt die handschriftliche Überlieferung verstärkt in den Fokus, da der einzelne Textträger in seinen jeweiligen kultur- und literaturhistorischen Kontexten verortet wird. Am Beispiel der reichen oberdeutschen Überlieferung des Liber specialis gratiae der Mechthild von Hackeborn können auf diese Weise signifikante Einsichten in spezifische Rezeptionsdynamiken gewonnen werden. Die Arbeit ist daher nicht nur für die germanistische Mediävistik, sondern auch für die Geschichtswissenschaft, die Historischen Hilfswissenschaften, die Theologie und die Gender Studies interessant sowie für alle, die sich mit mittelalterlicher Religions- und Handschriftenkultur beschäftigen. ISBN 978-3-7720-8790-5 Ubl Konstruktion und Manifestation von ›Frauenmystik‹ BIBL. GERM. 78 Linus Ubl Konstruktion und Manifestation von ›Frauenmystik‹ Rezeptionsdynamiken in der oberdeutschen Überlieferung des Liber specialis gratiae