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Französischlernen mit Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten

2023
978-3-8233-9618-5
Gunter Narr Verlag 
Sophie Engelen
10.24053/9783823396185

Haben Schüler:innen Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS), wirkt sich dies häufig auch auf das Fremdsprachenlernen aus. Dennoch ist wenig darüber bekannt, welchen Schwierigkeiten Lernende mit LRS im Fremdsprachenunterricht konkret begegnen, welche Lern- und Kompensationsstrategien sie anwenden und welche Stärken sie in Auseinandersetzung mit der Fremdsprache entfalten. Die vorliegende Arbeit bietet anhand mehrerer Fallstudien erstmals detaillierte Einblicke in Lernprozesse von Schüler:innen mit LRS im Französischunterricht der Sekundarstufen I und II. Das qualitative Forschungsdesign kombiniert Unterrichtsbeobachtungen, die inhaltliche und sprachliche Analyse schriftlicher Lernendentexte sowie Schülerinterviews. Die Untersuchung leistet damit einen Beitrag zur fremdsprachendidaktischen Grundlagenforschung in den Bereichen LRS und Inklusion.

Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Sophie Engelen Französischlernen mit Lese-Rechtschreib- Schwierigkeiten Eine qualitative Studie im Unterricht der Sekundarstufen I und II Französischlernen mit Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten G I E S S E N E R B E I T R ÄG E Z U R F R E M D S P R A C H E N D I DA K T I K Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, MichaelLegutke,HélèneMartinez,Franz-JosephMeißner(†) undDietmarRösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho Sophie Engelen Französischlernen mit Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten Eine qualitative Studie im Unterricht der Sekundarstufen I und II DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783823396185 © 2023 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. 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Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-8618-6 (Print) ISBN 978-3-8233-9618-5 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0490-6 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Für Uli 13 15 1 17 23 2 25 2.1 25 2.1.1 25 2.1.2 33 2.1.3 39 2.2 41 2.2.1 42 2.2.2 45 2.2.3 49 2.3 53 2.3.1 54 2.3.2 58 3 67 3.1 67 3.2 68 3.2.1 68 3.2.2 69 3.2.3 71 3.2.4 73 3.2.5 75 3.3 76 3.3.1 76 3.3.2 81 3.4 85 3.4.1 86 3.4.2 86 Inhalt Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theoretische Grundlagen und Forschungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . Lesen im Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lesen - Leseverstehen - Lesekompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Didaktisierung von Leseprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formen und Funktionen des Lesens im Französischunterricht . . . Schreiben im Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auf dem Weg zur Schreibkompetenz in der Fremdsprache . . . . . . Didaktisierung von Schreibprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formen und Funktionen des Schreibens im Französischunterricht Rechtschreiben im Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachwissenschaftliche Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Didaktische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffe von Lese- und Rechtschreib-Schwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . Die Diagnose „LRS“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prävention und Früherkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ätiologie und Ursachenforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medizinische Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pädagogisch-didaktische Diagnoseansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prävalenz von LRS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LRS in der Erstsprache - LRS in der Fremdsprache? . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erklärungsansätze für LRS in den Fremdsprachen . . . . . . . . . . . . . . Schulpraktische Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Symptomatik und Komorbiditäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Symptomatik im Bereich des Lesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Symptomatik im Bereich des (Recht-)Schreibens . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 87 3.4.4 88 3.5 91 3.5.1 91 3.5.2 94 4 97 4.1 97 4.2 98 101 5 103 5.1 103 5.2 104 5.3 106 5.3.1 107 5.3.2 110 5.3.3 112 5.3.4 114 6 117 6.1 117 6.2 118 6.2.1 120 6.2.2 121 6.3 123 6.4 125 6.4.1 126 6.4.2 127 7 129 7.1 129 7.1.1 131 7.1.2 132 7.1.3 135 7.2 139 7.3 140 Symptomatik in weiteren Kompetenzbereichen und Komorbiditäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychosoziale Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Förderkonzepte bei LRS in den Fremdsprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterrichtsbezogene und inklusive Förderansätze . . . . . . . . . . . . . Adaptierte Leistungsüberprüfung und -bewertung . . . . . . . . . . . . . Quand deux mondes se rencontrent-… . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Synthese der theoretischen Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussfolgerungen für die empirische Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzeption und Durchführung der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von den Forschungsfragen zur Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zielsetzung und Fragestellungen der empirischen Studie . . . . . . . . . . . . . Methodologische Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsethische Grundsätze für die empirische Arbeit mit beeinträchtigten Lernenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zugang zum Forschungsfeld und Auswahl von Forschungspartner: innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Informed consent und Freiwilligkeit der Teilnahme . . . . . . . . . . . . . Das Prinzip der „Nicht-Schädigung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenschutz und Anonymisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methoden der Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Triangulation als Forschungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teilnehmende Beobachtung des Französischunterrichts . . . . . . . . . . . . . . Forschungsmethodische Konsequenzen aus der Pilotstudie . . . . . . Vorgehen bei der analogen Unterrichtsbeobachtung . . . . . . . . . . . . Erfassung von Schreibprodukten der Schüler: innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schülerinterviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezifika der Interviewsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strategien der Gesprächsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenanalyse und -auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begründung der Auswertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterrichtsbeobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schülerinterviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schreibprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Computergestützte Datenauswertung und quantifizierende Verfahren . . Übersicht über die erhobenen Daten und das Sampling . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt 143 8 145 8.1 145 8.2 147 8.2.1 147 8.2.2 149 8.3 151 8.3.1 151 8.3.2 153 8.3.3 154 8.3.4 156 8.4 157 8.4.1 157 8.4.2 162 8.4.3 163 8.4.4 169 8.4.5 173 8.5 174 8.5.1 174 8.5.2 176 8.6 177 9 179 9.1 179 9.2 180 9.2.1 181 9.2.2 182 9.2.3 185 9.3 187 9.3.1 187 9.3.2 191 9.3.3 194 9.3.4 197 9.4 199 9.4.1 199 9.4.2 206 9.4.3 209 9.4.4 217 Ergebnisse der empirischen Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallanalyse „Franziska“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurzporträt und schulische Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Weil ich nach Paris immer schon fahren wollte“ - Franziskas Weg in den Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Französische als Positivauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reale Erfolge: Franziska in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franziska als Leserin im Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Basale Lesefertigkeiten und instrumentelles Lesen . . . . . . . . . . . . . Leseverstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lautes Vorlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit: Perspektiven für die Leseförderung . . . . . . . . . . . . . Franziska als Schreibende im Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schülerleistungen im Bereich des (Recht-)Schreibens . . . . . . . . . . . Basale Schreibfertigkeiten und reproduktives Schreiben . . . . . . . . Gelenktes und freie(re)s Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schriftliche Leistungsüberprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit: Perspektiven für die Schreibförderung . . . . . . . . . . Franziska als Französischlernende zwischen Schule und Zielland . . . . . . Diagnostik und Rolle von LRS in Franziskas Sprachlernbiographie Perspektiven: Franziska als Französischsprecherin . . . . . . . . . . . . . Fazit: Der Fall „Franziska“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallanalyse „Katharina“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurzporträt und schulische Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Französischlernen als das geringste Übel? Katharinas Weg in den Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frühe Schwierigkeiten - frühe Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LRS als Belastung im persönlichen Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine Entscheidung gegen Latein-… und für das Französische? . . . . Katharina als Leserin im Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Basale Lesefertigkeiten und instrumentelles Lesen . . . . . . . . . . . . . Leseverstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lautes Vorlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit: Perspektiven für die Leseförderung . . . . . . . . . . . . . Katharina als Schreibende im Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . Schülerleistungen im Bereich des (Recht-)Schreibens . . . . . . . . . . . Basale Schreibfertigkeiten und reproduktives Schreiben . . . . . . . . Gelenktes und freie(re)s Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit: Perspektiven für die (Recht-)Schreibförderung . . . Inhalt 9 9.5 218 9.5.1 219 9.5.2 221 9.6 223 10 227 10.1 227 10.2 229 10.2.1 229 10.2.2 231 10.3 233 10.3.1 233 10.3.2 234 10.3.3 236 10.3.4 238 10.4 239 10.4.1 239 10.4.2 244 10.4.3 248 10.4.4 256 10.5 257 10.5.1 258 10.5.2 258 10.6 260 263 11 265 11.1 265 11.2 267 11.3 269 11.4 271 12 275 12.1 275 Katharina als Kämpferin im Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kompensation durch Mündlichkeit-- Krisenfall Lexik? . . . . . . . . . Schriftsprache als Herausforderung innerhalb und außerhalb der Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit: Der Fall „Katharina“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallanalyse „Anna“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurzporträt und schulische Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Französischlernen als Neuanfang: Annas Weg in den Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Einfach nur so ein Schnupperkurs-…“-- Erste Annäherungen zu Beginn der Sek. I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Wir lernen ja jetzt alles neu-…“-- (Wieder-)Entdeckung des Französischen in der Sek. II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anna als Leserin im Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Basale Lesefertigkeiten und instrumentelles Lesen . . . . . . . . . . . . . Leseverstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lautes Vorlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit: Perspektiven für die Leseförderung . . . . . . . . . . . . . Anna als Schreibende im Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schülerleistungen im Bereich des (Recht-)Schreibens . . . . . . . . . . . Basale Schreibfertigkeiten und reproduktives Schreiben . . . . . . . . Gelenktes und freie(re)s Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit: Perspektiven für die (Recht-)Schreibförderung . . . Anna als Akteurin im Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Engagement und mündliche Mitarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auseinandersetzung mit der Diagnose „LRS“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit: Der Fall „Anna“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resümee und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallübergreifende Ergebnisdarstellung: LRS als Heterogenitätsdimension des Französischunterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Motivationen für die Fremdsprachenwahl Französisch . . . . . . . . . . . . . . . Stärken und Schwächen im Bereich des Lesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stärken und Schwächen im Schreiben und Rechtschreiben . . . . . . . . . . . . Emotionale Dimensionen der Schwierigkeitsbewältigung und Coping- Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Impulse zu einer LRS-Förderung im Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachenwahlberatung als Element der LRS-Förderung . . . . . . . . . . . . . . 10 Inhalt 12.2 276 12.3 279 12.4 281 12.5 283 13 285 13.1 285 13.2 286 13.3 287 291 313 313 314 317 320 323 325 Differenzierung als methodische Reaktion auf LRS im Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alte und neue Überlegungen zur Förderung orthographischer Kompetenz im Französischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Perspektiven für Leistungsüberprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umgang mit fremdsprachenbezogenen Ängsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kontextualisierung der Studienergebnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Status quo: LRS im Französischunterricht zwischen Bagatellisierung und Pathologisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rückblick: Kritische Reflexion des Forschungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . Ausblick: Potenziale für Anschlussforschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schriftlicher Fragebogen der Vorstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leitfaden für die Schülerinterviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beobachtungs- und Kategoriensystem zur Auswertung des Französischunterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kategoriensystem zur Auswertung der Schülerinterviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 11 Abkürzungsverzeichnis Abb. Abbildung BS Berufliche Schule Dt. Deutsch FLE Français Langue Étrangère FLLD Foreign Language Learning Disability Frz. Französisch GER Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen GS Gesamtschule Gym. Gymnasium HE Hessen Herv. im Orig. Hervorhebung im Original Herv. der Verf. Hervorhebung der Verfasserin HKM Hessisches Kultusministerium HSA Hauptschulabschluss ICD-10 Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO IPA Internationales Phonetisches Alphabet ISQA Inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse Jgst. Jahrgangsstufe Kap. Kapitel KC Kerncurriculum (Hessen) KLP Kernlehrplan (NRW) LCDH Linguistic Coding Differences Hypothesis LRS Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten MSA Mittlerer Schulabschluss NRW Nordrhein-Westfalen Sek. I/ II Sekundarstufe I/ II Tab. Tabelle Tur. Türkisch UE Unterrichtseinheit (= eine Unterrichtsstunde) WHO World Health Organization Vorwort Der vorliegende Band ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im Mai 2022 am Fachbereich 05 (Sprache, Literatur, Kultur) der Justus-Liebig-Universität Gießen eingereicht habe. Die Studie ist eingebettet in ein Netz von Kooperations- und Gesprächspartner: innen, Kolleg: innen und Unterstützer: innen entstanden. Nicht allen kann hier persönlich gedankt werden - dennoch seien sie gleichermaßen adressiert. Es braucht Mut, sich seinen Schwächen zu stellen. Deshalb gilt mein erster und größter Dank den Schüler: innen mit Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten an den Gesamtschulen und Gymnasien in Hessen und Nordrhein-Westfalen, die sich bereit erklärt haben, an meiner Studie teilzunehmen und mir damit tiefe Einblicke in ihre persönlichen Erfahrungen, Lern‐ prozesse und Herausforderungen (nicht nur) in Auseinandersetzung mit dem Fremdspra‐ chenlernen ermöglicht haben. Gleiches gilt für die kooperierenden Französischlehrkräfte, Erziehungsberechtigten und Schulleitungen, die - als sie vor der Entscheidung standen, Türen zu öffnen oder zu schließen - mir Zugang zu ihren Lebens- und Arbeitswelten gewährten. Der Herbert und Ingeborg Christ Stiftung Lehren und Lernen fremder Sprachen verdanke ich, mein Dissertationsprojekt als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Roma‐ nistik der Justus-Liebig-Universität Gießen durchführen und abschließen zu können. Deshalb gilt ein sehr großer Dank den Stiftungsinhaber: innen Prof. Dr. Herbert Christ (†) und Dr. Ingeborg Christ, die durch ihre Begeisterung, ihre Großzügigkeit und ihr lebens‐ langes Engagement für die Fremdsprachendidaktik dies erst ermöglichten. Gleichermaßen herzlich danke ich meiner Erstbetreuerin Prof. Dr. Hélène Martinez für ihre fortwährende Unterstützung bei der Erstellung dieser Dissertation, den jederzeit konstruktiven fachlichen Austausch, die Möglichkeit, mich an ihrer Professur weiterzuentwickeln und das ungebro‐ chene Vertrauen, dass mein Projekt eines Tages einen guten Abschluss finden würde. Meine Zweitbetreuerin Prof. Dr. Eva Burwitz-Melzer sowie Prof. Dr. David Gerlach unterstützten mein Forschungsvorhaben von Beginn an und während all seiner Phasen, insbesondere durch die Eröffnung neuer fachlicher Perspektiven, zahlreiche Literaturhin‐ weise und die Vermittlung hilfreicher Kontakte. Prof. Dr. Falk Seiler danke ich für den Austausch in linguistischen Fragen sowie seine gesellschaftskritischen Impulse, die mir immer dazu verhalfen, mein Projekt an übergeordnete Diskurse rückzubinden. Prof. Dr. Jürgen Kurtz, Prof. Dr. Michael K. Legutke und allen Teilnehmer: innen des Kolloquiums „Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung“ der Justus-Liebig-Universität Gießen gilt mein Dank für den allzeit kritisch-konstruktiven und ermutigenden Austausch - und die Wahrung lebens- und forschungspragmatischer Perspektiven. Auf kollegialer wie freundschaftlicher Ebene bin ich insbesondere Dr. Julia Fritz, Christina Klempel, Johanna Lea Korell, Dr. Leonhard Krombach, Dr. habil. Dinah K. Leschzyk, Frédérique Moureaux, Dr. Tanja Prokopowicz, Anna Schröder-Sura, Dr. Nevena Stamenković, Dr. Caroline Schuttkowski, Finn Telschow und Dr. Anna Isabell Wörsdörfer verbunden. Euch danke ich für sorgfältige Korrekturdurchgänge, hilfreiche Fachdiskussionen, den einen oder anderen gemeinsamen Becher Kaffee, Bibliothekssessions und (als Schalke-Fan nicht immer) aufmunternde Fußballabende. Schließlich möchte ich mich bei meiner Familie und meinen Freund: innen für ihre Geduld, ihre Ermutigung und ihren unschätzbaren Rückhalt bedanken, auf den ich mich in Hochphasen wie Durststrecken der Arbeit gleichermaßen verlassen konnte. Nicht zuletzt danke ich Dir, Lennart, für Deine bedingungslose Unterstützung bei all meinen Vorhaben, in allen Lebenslagen und an allen Orten. Dein kritischer und immer humorvoller Blick aus fachfremder Perspektive hat meine Arbeit jederzeit weitergebracht. Du hast mir immer das Zutrauen vermittelt, auf dem richtigen Weg zu sein und das Projekt erfolgreich abschließen zu können-- nun ist es geschafft! 16 Vorwort 1 Einleitung Verschiedene fachliche und bildungspolitische Entwicklungen der letzten Jahre und Jahr‐ zehnte haben innerhalb der Fachdidaktiken zu einer zunehmenden Distanzierung von dem „imaginären Durchschnittsschüler, von den ‚Mittelköpfen‘ hin zu einer differenz‐ ierten Sichtweise“ (Helmke 2017: 263) geführt und die Berücksichtigung individueller Lernvoraussetzungen zu einem zentralen Aspekt von Unterrichtsqualität erhoben (vgl. Eisenmann/ Grimm 2014). Spätestens infolge der Ratifizierung der UN-Behindertenrechts‐ konvention durch die Bundesregierung im Jahr 2009 haben sich die Fragen nach einem adäquaten Umgang mit heterogenen Lerngruppen und der Umsetzung von Inklusion auch als markante Diskussionslinien in der Fremdsprachendidaktik etabliert. Eine weitere, konkrete bildungspolitische Entscheidung mit unmittelbarem Einfluss auf den Fremdspra‐ chenunterricht besteht beispielsweise in der Einführung des Rechts auf den Besuch allgemeinbildender Schulen für Schüler: innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in NRW (vgl. Springob 2017: 18 f.), das die grundsätzliche Tendenz zur Umsetzung von Inklusion qua Abschaffung externer Differenzierung widerspiegelt. Zum anderen befeuern gesamtgesellschaftliche Entwicklungen wie Migrationsbewegungen oder die kurz- und langfristigen Folgen von Lockdowns und Homeschooling infolge der COVID-19-Pandemie die Frage, wie man unterschiedlichen Lernausgangslagen im Rahmen der begrenzten Möglichkeiten schulischen Unterrichts überhaupt noch gerecht werden kann (vgl. Gamper et al. 2021). Fachintern verweist der Blick auf zukünftige Herausforderungen zugleich in die Historie der Fremdsprachenforschung: Zahlreiche inklusionsorientierte Unterrichtskonzepte und Ideen sind an frühere bzw. bereits bestehende fremdsprachendidaktische und allgemein‐ pädagogische Diskurse anschlussfähig. Exemplarisch sei hier die Debatte um den „Eng‐ lischunterricht für alle“ in den 1960/ 70er-Jahren genannt, die sich an der Einführung des Englischen als Pflichtfremdsprache an Hauptschulen entzündete und methodische Ansätze wie Individualisierung oder Differenzierung hervorbrachte, die bis heute in der Diskussion präsent sind (vgl. Hermes 2016). In jüngerer Vergangenheit sind insbesondere die Arbeiten von Claudia Riemer zu individuellen Einflussfaktoren auf das Fremdsprachenlernen zu nennen, die zu einem differenzierten Blick auf individuelle, lernförderliche und -hinderliche Variablen beim Fremdsprachenlernen beigetragen haben (vgl. Riemer 2002). Nicht zuletzt bietet das Paradigma der Lernerorientierung zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine Auseinandersetzung mit Inklusion im Fremdsprachenunterricht: Hier geht es nicht nur um eine Betrachtung und Gestaltung des Unterrichts aus Perspektive der Lernenden bzw. die Schaffung individueller Lehr-Lern-Arrangements, sondern vielmehr darum, Schüler: innen jeden Alters als selbstständige Lernende zu verstehen, die aktiv und selbstgesteuert Lernstrategien einsetzen und so Aneignungsprozesse reflektieren und optimieren (vgl. Martinez 2016 a ). Die Auseinandersetzung mit Heterogenität und Inklusion ist für die Fremdsprachen‐ didaktik also keineswegs neu. Sie manifestiert sich in dem grundsätzlichen Anspruch, alle Lernenden gemäß ihren individuellen Dispositionen zu fördern. Dies erfordert einen 1 Im Folgenden wird der Oberbegriff der Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS) genutzt. Dieser ist in pädagogischen und fachdidaktischen Diskussionen geläufig und soll zu einem weniger defizitorientierten Sprachgebrauch bzw. weniger pathologisierenden Bezeichnungen von Personen mit LRS beitragen. 2 Es ist mir ein aufrichtiges Anliegen, Personen aller sozialen wie biologischen Geschlechter gleicher‐ maßen in dieser Arbeit abzubilden und mit dieser zu adressieren. In der Regel wähle ich dazu den Doppelpunkt (z. B. „Schüler: innen“) oder eine neutrale Form (z. B. „Lernende“ oder „Lehrkräfte“). In den wenigen Fällen, bei denen diese Form der gendersensiblen Sprache die Lesbarkeit des Texts zu sehr einschränken würde, greife ich auf das generische Maskulinum zurück (z. B. bei Komposita wie „Schülerinterview“). Weiterhin wird der Begriff der Forschungspartner: in (z. B. in Abgrenzung zu „Proband: in“) genutzt, um den hohen Stellenwert eines von gegenseitigem Respekt und Austausch geprägten Arbeitsverhältnisses zu betonen (vgl. Legutke/ Schramm 2016). weiten Inklusionsbegriff, der sich auf den sensiblen Umgang mit verschiedenen Dimen‐ sionen von Diversität bzw. Heterogenität, wie z. B. Begabungen, Beeinträchtigungen, Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielfalt sowie die Herstellung von Chancengleichheit im Bildungssystem insgesamt bezieht (vgl. DGFF 2020: 3; Rohde 2014: 9). Dieser Begriff wird in der Regel von einem engen Inklusionsbegriff abgegrenzt, der vorrangig auf die Umsetzung einer gemeinsamen Beschulung von Schüler: innen mit und ohne Beeinträchtigungen bzw. spezifischen Förderschwerpunkten abzielt (z. B. Werning 2014: 602 f.). Mit dem Themenfeld der Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (im Folgenden: LRS 1 ) knüpft die vorliegende Arbeit an einen weiten Inklusionsbegriff an, rückt dabei jedoch einen spezifischen Aspekt von Inklusion in den Fokus: Die Forschungspartner: innen 2 der vorliegenden Studie sind Schüler: innen der Sekundarstufen I und II, die das Französische als zweite Schulfremdsprache erlernen und von umschriebenen Beeinträchtigungen im Lesen und (Recht-)Schreiben betroffen sind. So bestand die wesentliche Zugangsvoraussetzung zu der Studie darin, eine aktuelle und offizielle Diagnose der „Lese- und Rechtschreibstörung“ nach ICD-10 (vgl. Dilling et al. 2018) nachweisen zu können. Diese kann beispielsweise von Kinder- und Jugendmediziner: innen oder Schulpsycholog: innen ausgestellt werden. Damit bildet die Arbeit die schwerste Verlaufsform eines breit gefächerten Spektrums von LRS ab. LRS können als Teilleistungsschwäche grundsätzlich bei Lernenden jeden Alters und Geschlechts an allen Schulformen auftreten. Dabei schwanken Angaben zur Prävalenz, also der Auftretenshäufigkeit der LRS, je nach Diagnosekriterien sehr stark: Eine als zuverlässig geltende Metaanalyse von Strehlow und Haffner (2002) beziffert hier 6-9 % aller Schüler: innen in Deutschland. Demzufolge sind Schüler: innen mit LRS natürlich auch Teil des Französischunterrichts - und sollten damit aus (fremdsprachen-)didaktischer Perspek‐ tive Beachtung erfahren. Aufgrund der Bildungsgänge, in deren Rahmen Französisch als Fremdsprache traditionell angeboten wird, ergeben sich jedoch gewisse Einschränkungen, die auch für die vorliegende Studie relevant sind: Zum einen wird das Französische als klassische Sekundärfremdsprache auch von den Forschungspartner: innen der vorliegenden Studie als zweite Fremdsprache (nach Englisch) belegt, was einen vergleichsweise späten Beginn (in der Regel frühestens ab der 6. Klasse) und damit ein höheres Lebensalter der Lernenden mit sich bringt. Zum anderen wirken bei dem Zugang zum Fach Französisch in‐ sofern bildungssystematische Selektionseffekte, als die zweiten Fremdsprachen in Deutsch‐ land vorrangig an Schulformen angeboten werden, die perspektivisch zur Allgemeinen Hochschulreife hinführen (vgl. Caspari 2021: 38 f.; Fritz 2018: 17; Reinhardt/ Mensching 18 1 Einleitung 2022: 161 ff.). So besuchen auch alle Forschungspartner: innen der Studie Gymnasien und Gesamtschulen in den Bundesländern Hessen und Nordrhein-Westfalen (NRW). Problemaufriss und Erkenntnisinteresse So wie Lernen in den Erst-, Zweit- und Fremdsprachen als vernetzte Aktivität verstanden wird (z. B. Hufeisen 2010), wirken sich auch Verzögerungen und Beeinträchtigungen des Schriftspracherwerbs auf die Entwicklung der Lese- und Schreibkompetenz in den Fremdsprachen aus. Einige Studien haben dies mit Bezug zu dem spezifischen Phänomen der LRS nachgewiesen: Für die Ausgangssprache Deutsch sind insbesondere die Arbeiten von Romonath und Wahn (2006) sowie Romonath et al. (2005) an der Schnittstelle von Linguistik und Psychologie zu nennen. Diese knüpfen an die Linguistic Coding Differences Hypothesis an, die bereits Anfang der 1990er-Jahre von Ganschow und Sparks (1989) bzw. Sparks (1995) in die Diskussion eingebracht wurde. Sie liefern weitere Evidenz für den hohen Stellenwert phonologischer und orthographischer Verarbeitungsmechanismen beim Sprachenlernen und verweisen damit auf das Konzept der Sprachlerneignung (vgl. Schlak 2008), das auch für die Erklärung von LRS in den Fremdsprachen herangezogen werden kann. Im Umkehrschluss ist es beispielsweise Gerlach (2013) gelungen, positive Effekte eines systematischen Trainingsprogramms zur Lese- und Rechtschreibförderung in der Fremdsprache Englisch auf ebendiese Kompetenzen im Deutschen nachzuweisen. Die sprachenübergreifenden Auswirkungen von LRS sind jedoch nicht nur in der Forschungsliteratur thematisiert worden, sondern bereits seit einigen Jahren auch vermehrt Gegenstand allgemeiner Ratgeberliteratur sowie unterrichtspraktischer Publikationen (z. B. Sellin 2008; Zander 2002). Letztere liegen mittlerweile zu allen großen Schulfremdsprachen vor und präsentieren erfahrungsbasierte Empfehlungen zur Unterrichtsgestaltung, häufig in Form von Good Practices: Exemplarisch seien für das Französische hier die Beiträge von Braun (2015, 2017), Mendez (2013), Plötner (2017) und Reimann (2014) genannt. Die zunehmende Dringlichkeit der Frage nach einem angemessenen Umgang mit LRS und umsetzbaren Förderkonzepten im Fremdsprachenunterricht spiegelt sich nicht nur in dem erheblichen Anstieg praxisorientierter Publikationen wider, sondern wird durch erste explorative Beiträge zur Lehrersicht bestätigt (vgl. Engelen 2019). So formuliert Mendez (2013: 4) für den Französischunterricht: „Immer noch viele Lehrkräfte wissen nicht, wie sie mit Schülerinnen und Schülern, die mit Legasthenie oder LRS diagnostiziert werden, umgehen sollen. Ein gezieltes Training findet in der Schule eher nicht statt.“ Was als mögliche Unsicherheit in der Schulpraxis benannt wird, verweist ebenso auf eine Leerstelle der Fremdsprachenforschung: Denn bislang liegen keine empirischen Studien vor, die an den stattfindenden Unterricht anknüpfen und erheben, welche Überlegungen und Auswahlentscheidungen Schüler: innen mit LRS in den Französischunterricht führen, welchen Schwierigkeiten die Lernenden beim Französischlernen konkret begegnen, in welchen Kompetenzbereichen sie demgegenüber Stärken entfalten, wo sich Kompensa‐ tionsmöglichkeiten ergeben und welche Förder- und Differenzierungsmaßnahmen im Unterricht wirksam werden. Überdies zeigt sich - gerade mit Blick auf Konzepte partizi‐ pativer Forschung (vgl. Hauser 2020) - ein Mangel an Studien, die „das lernende Subjekt im Mittelpunkt haben“ (Königs 2017 b : 130) und der Sicht beeinträchtigter Lernender im Heterogenitätsdiskurs einen angemessenen Platz einräumen. Dieses Zusammenspiel 1 Einleitung 19 verschiedener Perspektiven sowie individueller Aneignungsprozesse kann nur unter Rück‐ bindung an konkrete Lehr-Lern-Situationen einer angemessenen Betrachtung unterzogen werden. Somit ergibt sich in der Fremdsprachendidaktik ein Desiderat für qualitativ-explo‐ rative Forschungsarbeiten, die - in Abgrenzung zum quantitativen Forschungsparadigma - keinen Anspruch auf Generalisierungen erheben, sondern eine ganzheitliche und dichte Durchdringung des jeweiligen Falls anstreben (vgl. Flick et-al. 2017: 22 ff.). Die vorliegende Dissertationsstudie hat zum Ziel, in diese Lücke zu treten und die skizzierten Fragestellungen für das Französische als Fremdsprache zu verfolgen. Das Erkenntnisinteresse der Arbeit richtet sich somit sowohl auf Aspekte unterrichtlichen Lernens wie die Performanz der Lernenden mit LRS im Lesen und (Recht-)Schreiben und ihre Unterrichtsbeteiligung als auch auf die Schülersicht auf das Französische als zweite Fremdsprache unter den Bedingungen von LRS. Damit versteht sich diese empirische Studie als Beitrag zu einer unterrichtsbezogenen Grundlagenforschung, die zu einem tiefergeh‐ enden Verständnis der Heterogenitätsdimension LRS im Französischunterricht führen und die Basis für die Ableitung evidenzbasierter Fördermaßnahmen sowie weiterführender fachdidaktischer und inklusionsbezogener Diskussionspunkte bilden könnte. Aufbau der Arbeit Im ersten Teil der Arbeit („Theoretische Grundlagen und Forschungsüberblick“) werden grundlegende Aspekte, der theoretische Bezugsrahmen sowie relevante Forschungsergeb‐ nisse zum Themenfeld des Fremdsprachenlernens mit LRS dargestellt. Dies erfolgt in zwei wesentlichen Schritten: In Kap. 2 werden die Teilkompetenzen des Lesens und (Recht-)Schreibens im Französischunterricht zunächst unabhängig von LRS betrachtet. Dabei stehen grundlegende Aspekte der Kompetenzentwicklung, die Rolle verschiedener Teilfertigkeiten und spezifische Merkmale des Fremdsprachenlernens im Fokus. Zudem werden Möglichkeiten der Didaktisierung von Lese- und Schreibprozessen sowie Prozess‐ ebenen bzw. Formen und Funktionen des Lesens und (Recht-)Schreibens im Französisch‐ unterricht diskutiert. Der Rechtschreibung, die als „sprachliche[s] Mittel“ lediglich in „dienende[r] Funktion“ (KMK 2004 a : 14) Teil des fremdsprachlichen Kompetenzverbunds ist, kommt dabei ein eigenes Unterkapitel zu, in dessen Rahmen linguistische und didak‐ tische Dimensionen orthographischer Fertigkeiten im Französischunterricht beleuchtet werden. Vor dem Hintergrund dieser breiten Ausgangslage wird in Kap. 3 das spezifische Phänomen der LRS im Französischunterricht in den Mittelpunkt gerückt. Wesentliche Herausforderungen für die Lehrkräfte liegen in dem Umgang mit der LRS-Diagnostik, die in der Regel nicht im Kontext der Fremdsprachen selbst erfolgt, dem Verständnis von Ursachen sowie der Identifikation einer potenziell LRS-spezifischen Symptomatik, die der Ableitung adäquater Fördermaßnahmen dienen kann. Darüber hinaus werden Aspekte der Fremdsprachenwahl, etablierte Förderkonzepte in den Fremdsprachen sowie spezifische Maßnahmen wie Nachteilsausgleich und Notenschutz diskutiert. Der zweite Teil der Arbeit („Konzeption und Durchführung der Studie“) legt das methodi‐ sche Konzept und das Forschungsdesign der vorliegenden Studie dar. Vor dem Hintergrund der theoretischen Ausgangslage werden konkrete Forschungsfragen abgeleitet, die die Auswahl spezifischer Instrumente der Datenerhebung nahelegen. Ein Schwerpunkt des Methodikkapitels besteht in den forschungsethischen Grundsätzen, die die empirische 20 1 Einleitung Studie leiten und die bei der Zusammenarbeit mit lernbeeinträchtigten Schüler: innen einer besonderen Elaboration bedurften (Kap.-5). Anschließend werden die verschiedenen Datenerhebungsmethoden vorgestellt und begründet, die im Sinne der Between-Method- Triangulation (Flick 2017: 313 ff.) mit dem Ziel der Erkenntniserweiterung kombiniert werden (Kap. 6). Eine wesentliche Herausforderung bestand darin, eine differenzsensible Forschungsmethodik auszuwählen, die für das Erkenntnisinteresse der Studie aussagekräf‐ tige Daten liefert, ohne Schüler: innen mit LRS gegenüber ihrer Lerngruppe zu exponieren. Folglich erschienen analoge Beobachtungen des Französischunterrichts, die Erfassung der Schreibprodukte aller Schüler: innen der jeweiligen Lerngruppe und abschließende, leitfadengestützte Interviews mit den von LRS betroffenen Schüler: innen gegenstandsan‐ gemessen. Abschließend werden Sampling-Strategien, d. h. Kriterien für die Auswahl der präziser zu untersuchenden Fälle, sowie Verfahren der Datenanalyse und -auswertung präsentiert (Kap.-7). Die empirischen Ergebnisse werden in Form von drei Fallanalysen im dritten Teil der Arbeit („Ergebnisse der empirischen Studie“) dargestellt. Die Ergebnispräsentationen (Kap. 8-10) orientieren sich an den formulierten Forschungsfragen und stellen die von LRS betroffenen Schülerinnen Franziska (8. Klasse), Katharina (9. Klasse) und Anna (12. Klasse) in den Mittelpunkt. Die Analyse verschiedener bildungsbiographischer Wege in den Französischunterricht und individueller Motivationen für die Fremdsprachenwahl bildet jeweils den Auftakt der Präsentationen der Fallstudien. Anschließend werden Stärken und Schwächen der Schülerinnen beim Französischlernen insbesondere in den Bereichen des Lesens und (Recht-)Schreibens unter Rückgriff auf die drei erhobenen Datentypen genauer betrachtet. Die Fallanalysen schließen mit Darstellungen der individuellen Wege und Strategien, LRS im Französischunterricht zu begegnen und in die Sprachlernbiographie zu integrieren. Im vierten Teil der Arbeit („Resümee und Ausblick“) erfolgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse der empirischen Studie (Kap. 11), die als Basis für die Ableitung unter‐ richtspraktischer Implikationen dient (Kap. 12). Die Arbeit endet mit einer Reflexion des Forschungsprozesses und der Skizzierung wesentlicher Desiderate im Bereich des Französischbzw. Fremdsprachenlernens mit LRS (Kap.-13). 1 Einleitung 21 3 Im Folgenden ist von „Fremdsprachenunterricht“ die Rede, wenn sich Erkenntnisse übergreifend auf das Fremdsprachenlernen allgemein beziehen; der Begriff „Französischunterricht“ wird genutzt, wenn es um Spezifika des Schulfachs geht. Theoretische Grundlagen und Forschungsüberblick Im Rahmen der folgenden Kapitel wird der aktuelle Stand der Diskussion um das Lehren und Lernen des Französischen als Fremdsprache bei LRS aufgearbeitet. Die Thematik kann nur unter Einbezug relevanter Beiträge aus verschiedenen Disziplinen wie Psycho‐ logie, Förderpädagogik, Linguistik und Deutschbzw. Fremdsprachendidaktik angemessen betrachtet werden, die sich vor dem Hintergrund individueller fachlicher Traditionen, aus verschiedenen Blickwinkeln und nicht zuletzt mit divergierenden Zielsetzungen dem Thema des Fremdsprachenbzw. Französischlernens 3 mit LRS zuwenden. Daraus resultiert die Notwendigkeit, diese verschiedenen Perspektiven in Relation zueinander zu setzen und mit Blick auf den Französischunterricht zu synthetisieren. Der Umgang mit LRS im Französischunterricht ist in ein didaktisches und unterrichts‐ methodisches Gesamtverständnis von Lesen und (Recht-)Schreiben eingebettet. Folglich werden in einem ersten Schritt zentrale Aspekte aufgearbeitet, die auf einer Makroebene die Rahmung bilden, innerhalb derer sich Schüler: innen mit LRS und ihre Französischlehrkräfte bewegen (Kap. 2). In diesem Kontext sind fremdsprachendidaktische Konzepte maßgeblich, die auch unabhängig von Lernschwierigkeiten Bestand haben. In einem zweiten Schritt erfolgt auf einer Mesoebene die Darstellung und Diskussion von LRS, mit besonderem Fokus auf für den Französischunterricht relevanten Aspekten (Kap. 3). In diesem Kontext dominieren meist Fragen nach einer beobachtbaren Symptomatik in den Fremdsprachen, einer zielführenden Diagnostik und einer angemessenen Förderung der Schüler: innen mit LRS. Die Synthese dieser beiden Perspektiven und die Zuspitzung auf die individuelle, lernerseitige Auseinandersetzung mit dem Französischen als zweite Fremdsprache führt auf die Mikroebene konkreter Lehr-Lern-Kontexte des Französischen als zweite Fremdsprache und bildet den Übergang zu der empirischen Studie, die in verschiedenen Unterrichtsset‐ tings der Sek. I und II verortet ist (Kap.-4). 4 Der Begriff der Erstsprache wird im Folgenden genutzt, um eine explizite Abgrenzung zum Fremdsprachenlernen herzustellen. Er bezieht sich im Kontext der vorliegenden Studie, also dem deutschen Bildungssystem, meist auf das Deutsche bzw. die Deutschdidaktik und soll eine Situation des Schriftspracherwerbs verdeutlichen, in deren Rahmen Lernende die Zielsprache bereits mündlich erworben haben. Der Begriff der Muttersprache dient demgegenüber der Verdeutlichung eines familiären Erwerbskontexts. 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht In den folgenden Teilkapiteln werden zunächst grundsätzliche Aspekte des Lesens und (Recht-)Schreibens im Französischunterricht diskutiert. Darunter fallen Überlegungen zu Entwicklung und Förderung einer Lese- und Schreibkompetenz, Lese- und Schreib‐ prozessen und deren Didaktisierung sowie Formen und Funktionen des Lesens und (Recht-)Schreibens im Französischunterricht. 2.1 Lesen im Französischunterricht Lesen, stilles Lesen, sinnentnehmendes Lesen, lautes Lesen, Leseverstehen, Lesekompetenz - begibt man sich auf die Suche nach Publikationen zu fremdsprachlichem Lesen, eröffnet sich allein für die Bezeichnung anvisierter Zielkompetenzen eine Vielfalt an Termini. Im Folgenden soll ein Weg durch das Labyrinth der Begrifflichkeiten gebahnt werden, der zu wesentlichen Teilfertigkeiten bzw. Prozessebenen (Kap. 2.1.1), didaktischen Konzepten zur Förderung der Lesekompetenz (Kap. 2.1.2) sowie Formen und Funktionen des Lesens (Kap.-2.1.3) im Französischunterricht führt. 2.1.1 Lesen - Leseverstehen - Lesekompetenz Ob erst- oder fremdsprachliche Lesedidaktik: 4 In der Forschungsliteratur besteht Einigkeit, dass das Lesen ein sehr komplexer Prozess ist, der unter Rückgriff auf verschiedene physiologische und psychologische Ressourcen erfolgt. Er ist in mehrere Teilprozesse gegliedert und führt von der Buchstaben- und Worterkennung über semantische und syntaktische Analysen auf Satzebene zum Textverstehen und zu einer Interpretation und Elaboration über den Text hinaus (vgl. Christmann 2015: 23 ff.; Richter/ Christmann 2009: 34 ff.). Lesekompetenz kann in einem jahrelangen Prozess nur durch eine ausgiebige Auseinandersetzung mit Schriftsprache und Übung erworben werden; relevante Faktoren für den einen erfolgreichen Erwerb von Lesekompetenz werden u. a. von der Lesesoziologie herausgearbeitet und sowohl in persönlichkeitsbezogenen als auch schulischen und insbe‐ sondere familiären Bedingungen gesehen (vgl. Bartnitzky 2006: 21 ff.). Während der Begriff „Lesefertigkeiten“ eher auf basale Dekodierprozesse auf Buch‐ staben- und Wortebene bezogen ist, referiert „Leseverstehen“ bzw. „Leseverständnis“ in der Regel auf übergeordnete Prozesse der Sinnkonstruktion auf Satz- und Textebene (vgl. Kap.-2.1.1.1). Der Begriff der Lesekompetenz ist die wohl globalste und zugleich flexibelste Bezeichnung didaktischer Zielsetzungen im Bereich des Lesens, denn je nach Kontext werden unterschiedliche Teilaspekte umfasst: Während die PISA- und IGLU-Studien in Anlehnung an den englischen Literacy-Begriff ein kognitionspsychologisches Verständnis des Lesens fokussieren, beziehen didaktische Ansätze auch emotionale, motivationale und interaktive Dimensionen des Lesens ein (vgl. Hurrelmann 2002). Außerdem werden Fähigkeit und Bereitschaft, Lesevorgänge in außerschulischen Kontexten routiniert und funktional umzusetzen, berücksichtigt (vgl. Rosebrock/ Nix 2017: 23 ff.). Das Leseverstehen wird jedoch meist „als Kern der Lesekompetenz“ (Philipp 2012: 38) verstanden. Im Fol‐ genden wird ein detaillierterer Blick auf Teilfertigkeiten der Lesekompetenz, Modellie‐ rungen des Schriftspracherwerbs, Leseprozesse sowie den Zusammenhang von erst- und fremdsprachlichem Lesen geworfen. - 2.1.1.1 Von der Schriftzur Textkompetenz Grundlegend werden im Kontext der Lesekompetenz zwei Dimensionen von Fertigkeiten unterschieden: Zum einen werden basale Fertigkeiten benannt, die primär in der Dekodie‐ rung geschriebener Sprache bestehen und - im Idealfall - automatisiert ablaufen (vgl. Lutje‐ harms 2006: 20 f.; Schneider 2006). Sie führen zu einer zügigen und korrekten Identifikation und Entschlüsselung von Einzelwörtern bis hin zu übergeordneten syntaktischen Zusam‐ menhängen, verbleiben jedoch vergleichsweise auf einer Ebene der Sprachoberfläche, weshalb sie auch als „hierarchieniedrig“ (Christmann 2015: 23) bezeichnet werden. Hudson (2010: 81 ff.) fasst diese Fertigkeiten unter den „lower level skills“ zusammen und grenzt sie von den „higher level skills“ ab, die in der Verarbeitung, Kombination und Interpretation von Informationen bestehen und damit das eigentliche Verstehen auf der Textebene darstellen. Letztere werden folglich auch als „hierarchiehohe Fertigkeiten“ (Christmann 2015: 23) bezeichnet und in der Regel mit einem höheren Grad an Aufmerksamkeit, Bewusstheit und Steuerung assoziiert (vgl. Lutjeharms 2006: 20 f.). Richter und Christmann (2009: 43) heben in diesem Zusammenhang den Begriff „globale Kohärenzbildung“ hervor, mit dem sie „alle hierarchiehöheren Prozesse […], die zu einem integrativen Verständnis des Textsinns im Ganzen führen“, zusammenfassen. Sowohl das inhaltsbezogene Vorwissen der Leser: innen als auch die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses spielen für diese Etappe des Leseverstehens entscheidende Rollen (vgl. ebd.: 42 ff.). Die Differenzierung der Teilprozesse des Lesens auf hierarchieniederer und -höherer Ebene entspricht begrifflich der in frankophonen Publikationen üblichen Unterscheidung eines „niveau de la forme ou de la surface, appelé déchiffrement“ und eines „niveau du message ou du contenu, appelé compréhension“ (ebd.: 20, Herv. der Verf.). Im Kontext der Deutschdidaktik wählen Bachmann und Becker-Mrotzek (2017: 26 ff.) die Begriffe „Schrift(kompetenz)“ bzw. „Text(kompetenz)“, um die Anforderungen einer produktiven wie rezeptiven Auseinandersetzung mit Schriftsprache zu präzisieren: 26 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht Abb. 1: Literale Kompetenzen nach Bachmann und Becker-Mrotzek (2017: 28) Das entworfene Schema ist für die fremdsprachliche Lese- und Schreibdidaktik ebenso aussagekräftig: Bei Prozessen des Lesens und Leseverstehens ist die Ebene der „Schriftre‐ zeption“, die in der „Fähigkeit, graphische Zeichenfolgen sprachlich zu interpretieren“ be‐ steht, von der Ebene der „Textrezeption“ zu unterscheiden, die „die Fähigkeit [bezeichnet], Texte zu verstehen.“ (ebd.: 28) Bei der „Schriftrezeption“ sowie der „Schriftproduktion“ (ebd.) können für Fremdsprachenlernende besondere Herausforderungen in der Aneig‐ nung spezifischer Aspekte des französischen Schriftsystems bestehen: Die diakritischen Zeichen bzw. Akzente sowie die Ligaturen ‹æ› und ‹œ› sind hier charakteristisch (vgl. Kap.-2.3). Daran knüpft an, dass die Akzentsetzung immer wieder als zentrale Herausfor‐ derung für Fremdsprachenlernende bei der Auseinandersetzung mit der französischen (Schrift-)Sprache genannt wird (vgl. Luzzati 2010: 43 ff.; Visser 2019: 30). Noch wichtiger erscheint mit Vorausschau auf potenzielle Schwierigkeiten im Bereich des Lesens, dass eine Automatisierung des déchiffrement bzw. der Schriftkompetenzen unabdingbar erscheint, wenn höhere Leseprozesse erfolgreich realisiert und ein Lesever‐ ständnis erreicht werden soll: Geübte Lesende sind imstande, sprachliche Informationen sehr schnell automatisch zu dekodieren. Automatische Verarbeitung belastet das Arbeitsgedächtnis nicht […]; daher kann die Aufmerk‐ samkeit der inhaltlichen Verarbeitung gewidmet werden. Sobald das Dekodieren Aufmerksamkeit erfordert, wird der Leseprozess gestört. (Lutjeharms 2016: 98) Lutjeharms benennt hier - auch wenn der Begriff nicht explizit genannt wird - einige für die Dimension der Leseflüssigkeit wesentliche Aspekte: Laut Rosebrock und Nix (2017: 36 ff.) kennzeichnet sich diese durch eine Genauigkeit des Dekodierens, eine Automatisierung der Dekodierfähigkeit, eine hinreichende Lesegeschwindigkeit und die Fähigkeit zum ausdrucksstarken Vorlesen. Damit ist sie primär auf der Ebene der hierarchieniedrigen Fertigkeiten verortet und bildet eine zentrale Komponente der Lesekompetenz. Während die Aspekte der genauen und automatisierten Dekodierung bereits unter dem Begriff der Schriftkompetenz bzw. des déchiffrement gefasst wurden, ist insbesondere das Merkmal der Lesegeschwindigkeit eng mit der Leseflüssigkeit verknüpft. Erst wenn eine gewisse Mindestgeschwindigkeit des Lesevorgangs erreicht wird, können relevante Informationen im Arbeitsgedächtnis zusammengeführt und die angestrebte Bedeutungsentnahme erreicht werden (z. B. Rosebrock et al. 2011: 12 ff.). Voraussetzung hierfür sind eine Automatisierung 2.1 Lesen im Französischunterricht 27 der Dekodierfähigkeiten und ausreichende Wortschatz-, aber auch Grammatikkenntnisse in der Fremdsprache (vgl. Ehlers 2006: 32). Die Konstituente des „ausdrucksstarken Vor‐ lesen[s]“ (Rosebrock/ Nix 2017: 39) bezieht sich explizit auf Kontexte des lauten Lesens und umfasst die Fähigkeit, Abschnitte des Lesetexts durch angemessene Intonation, Pausen und Leserhythmus zu verbinden bzw. voneinander abzugrenzen. Damit repräsentiert sie bereits (Teil-)Ergebnisse eines Verstehensprozesses, ohne diesen in direkter Form abzufragen. Den basalen Lesefertigkeiten und insbesondere dem Merkmal der Leseflüssigkeit ist in jüngerer Vergangenheit in der Fremdsprachenforschung eine größere Relevanz zugeschrieben worden (vgl. Gerlach/ Lüke 2020: 7 f.; Nassaji 2014) - Konzepte für eine explizite Förderung gerade im Unterricht der zweiten Fremdsprachen bedürfen jedoch einer weiterführenden Elaboration (vgl. Kap. 2.1.2). Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass gerade die Leseflüssigkeit auch für höhere Leseprozesse im Französischen als Fremdsprache eine bedeutende Rolle spielt, bildet sie doch das Scharnier zwischen Dekodier- und Verstehensprozessen. Für den Unterricht der zweiten Fremdsprachen werden ein routinierter Umgang mit Schriftsprache und entsprechende Entschlüsselungsfertigkeiten des lateinischen Alphabets von Beginn an vorausgesetzt. Dies bestätigt insbesondere der Blick in bildungspolitische Rahmendokumente des Französischunterrichts wie die Bildungsstandards für die erste Fremdsprache: Diese setzen auf der Ebene der hierarchiehöheren Prozesse, also dem Leseverstehen bzw. der Textkompetenz an (vgl. KMK 2004 a ; 2012) und gehen somit von bereits entwickelten, basalen Lesefertigkeiten der Schüler: innen aus. Doch gerade in diesen Bereichen weisen Schüler: innen mit LRS oftmals Defizite auf (vgl. Kap. 3.4). Aus kognitionspsychologischer Perspektive erscheint bemerkenswert, dass „Defizite in der Be‐ wältigung hierarchieniedriger Prozesse durch effiziente globale Kohärenzbildungsprozesse zumindest teilweise ausgeglichen werden können.“ (Richter/ Christmann 2009: 45) - 2.1.1.2 Stufenmodelle des Schriftspracherwerbs Mögliche Abläufe des Schriftspracherwerbs werden meist in Form von Stufen- oder Phasenmodellen konzeptualisiert. Ein häufig zitiertes Modell wurde von Frith (1986) vorgelegt und nimmt eine integrative Betrachtung des Lese- und Rechtschreiberwerbs vor. Ursprünglich wurde es entwickelt, um entwicklungsbezogene Beeinträchtigungen des Schriftspracherwerbs (developmental dyslexia) besser erklären zu können, und eignet sich deshalb für die vorliegende Studie in besonderer Weise. Als Ausgangspunkt für die Entwicklung weiterführender Modellierungen des Schriftspracherwerbs (vgl. Gerlach 2013: 22 ff. als Überblick) soll es exemplarisch diskutiert werden. In Friths Modell werden drei Hauptphasen des Schriftspracherwerbs unterschieden: Die erste, logographische Phase besteht darin, Wortformen anhand graphisch besonders hervorstechender Merkmale visuell zu erkennen bzw. wiederzuerkennen, also z. B. pro‐ minente Schriftzüge im öffentlichen Raum wie Werbelogos oder Schilder (Frith 1986: 72). In Bezug auf das Schreiben werden erste feinmotorische Versuche unternommen, Buchstaben oder Wörter zu Papier zu bringen. Im Rahmen der zweiten, alphabetischen Phase wird schriftlicher Input nun nuanciert wahrgenommen und Wörter buchstabenweise entschlüsselt. Dazu wird die indirekte Lesestrategie genutzt, die darin besteht, Laut-Buch‐ staben-Zuordnungen systematisch zur Entschlüsselung von Wörtern einzusetzen. Hier ist 28 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht 5 Die Darstellung sprachbezogener Beispiele orientiert sich im Folgenden an den üblichen Konventi‐ onen: Angaben zur Aussprache werden gemäß dem Internationalen Phonetischen Alphabet (IPA) in eckigen Klammern […] gemacht; (fremdsprachliche) Lexeme kursiv gedruckt; Graphe bzw. Grapheme in spitze Klammern ‹…› gesetzt; Fehlschreibungen bzw. fehlerhafte Aussprachen mit Asterisk (*) gekennzeichnet; korrekte Wortformen via Pfeil (→) dargestellt; deutsche Übersetzungen in einfache Anführungszeichen gesetzt ‚…‘. die phonologische Bewusstheit von entscheidender Bedeutung. Diese kann mit Schründer- Lenzen (2013: 88) wie folgt definiert werden, wobei in der pädagogischen Diskussion zwei Facetten des Begriffs deutlich werden: Phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne wird in der Fähigkeit gesehen, Reime zu erkennen, Silben zu segmentieren und zusammenzusetzen. Phonologische Bewusstheit im engeren Sinne ist die Fähigkeit, nicht nur Anfangs- und Endlaute in einem gesprochenen Wort identifizieren zu können, sondern das gesamte Wort auf seine lautlichen Bestandteile hin abhören zu können. Die phonologische Bewusstheit im weiten Sinn gilt als wichtige Voraussetzung für den Schriftspracherwerb (vgl. ebd.) und wird für das Schreiben produktiv genutzt: Während der alphabetischen Phase erfolgt lautgetreues Schreiben ohne Rücksichtnahme auf ortho‐ graphische Regeln, z. B. *Fase für dt. Phase  5 (vgl. Brügelmann 2015 für die Debatte um das sogenannte Schreiben nach Gehör). Im Rahmen der dritten, orthographischen Phase werden Rechtschreibregeln, die von spontanen Laut-Buchstaben-Zuordnungen abweichen können und im Fall des Französi‐ schen verschiedene Prinzipien umfassen, erworben (vgl. Kap. 2.3.1). Im Bereich des Lesens wird die Verarbeitung auf der Wortebene erreicht und ganze Wörter oder Syntagmen können „auf einen Blick“ gelesen werden („Wortüberlegenheitseffekt“, vgl. Kap. 2.1.1.3). Dazu erfolgen eine Abspeicherung im orthographischen Lexikon und eine Verknüpfung mit dem jeweiligen Lautbild, was zu einer „Automatisierung des phonologischen Rekodierens und einer Erhöhung der Lesegeschwindigkeit“ (vgl. Klicpera et al. 2017: 27) führt. Mittlerweile hat sich ein flexibles Verständnis der Entwicklungsmodelle des Schriftspra‐ cherwerbs etabliert, das Übergänge und auch temporäre Verschlechterungen zwischen den Phasen explizit vorsieht (z. B. Karg 2015: 180 ff.): Nicht umsonst nennt Frith (1986: 72, Herv. der Verf.) in seinem Ausgangstext „strategies for dealing with the written word“, die ebenfalls Kompensationsstrategien umfassen (vgl. ebd.: 73). Der Schriftspracherwerb wird somit als nicht linearer Prozess verstanden, der zudem gegenläufige Tendenzen zwischen Lese- und (Recht-)Schreibentwicklung aufweisen kann: „The hypothesis is that reading and writing strategies do not actually develop in unison, but on the contrary, out of step with each other.“ (ebd.: 76) Während beim Lesen Prozesse erreicht werden müssen, die sich von der Buchstabenebene entfernen, ist beim (Recht-)Schreiben zwar auch eine Automatisierung erwünscht, dennoch muss eine buchstabenweise Exaktheit bei‐ behalten werden. Im Hinblick auf fehleranalytische Zugänge können Erwerbsmodelle dazu beitragen, Lese- und Rechtschreibleistungen von Schüler: innen einzuschätzen und einem Entwicklungsstand zuzuordnen (vgl. Karg 2015: 140). Für den Französischunterricht stellt sich die Frage, inwieweit beim Fremdsprachenlernen vergleichbare Abläufe und Phasen der Auseinandersetzung mit Schriftsprache zu durchlaufen sind und welche Fertigkeiten auf Basis bestehender (Fremd-)Sprachenkenntnisse übertragen werden können. 2.1 Lesen im Französischunterricht 29 6 Die kognitionspsychologische Forschung hat weitere Effekte herausgearbeitet, die sich auf Prozesse der Worterkennung auswirken, so z. B. den „semantischen Priming-Effekt (semantisch assoziierte Wörter werden schneller erkannt als semantisch nicht assoziierte Wörter)“ oder den „Wortlängenef‐ fekt (die Verarbeitung längerer Wörter ist zeitaufwändiger als die von kurzen Wörtern)“ (Christmann 2015: 24). 7 Das Zwei-Wege-Modell wurde inzwischen zu dem Dual-Route-Cascaded-Modell weiterentwickelt (vgl. Coltheart et al. 2001). Dieses kennzeichnet sich u. a. dadurch, dass die direkte, visuelle und die indirekte, lautliche Route parallel aktiviert werden und ineinandergreifen können. 2.1.1.3 Leseprozesse und ihre Modellierung Die Frage nach einer adäquaten Modellierung von Leseprozessen in der Erst- und den Fremdsprachen wird meist von der Psycholinguistik und der Kognitionspsychologie bear‐ beitet. In den vergangenen Jahrzehnten sind zahlreiche Leseprozessmodelle entstanden, die den Weg hin zu dem Verstehen eines Lesetextes detailliert aufzeigen (vgl. als Übersicht für die Erstsprache: Christmann 2015; für die Zweit- und Fremdsprachen: Nassaji 2003: 262 ff.; für eine Gegenüberstellung: Lutjeharms 2010). Im Folgenden werden übergeordnete Aspekte von Leseprozessmodellen fokussiert, die nicht nur für die Fremdsprachendidaktik, sondern mit Vorausschau auf defizitäre Lesekompetenzen besonders relevant sind. Die Kognitionspsychologie hat mithilfe von Eye-Tracking-Studien herausgearbeitet, dass erfolgreiche Leser: innen Schriftsprache in Sakkaden verarbeiten, d. h., sie erkennen Wörter spontan, ohne dass jeder Buchstabe einzeln entschlüsselt wird (vgl. Christmann 2015: 34 f.). Dabei werden in der Regel nur die jeweils ersten Buchstaben eines Worts fokus‐ siert und die Augen springen dann zu einem nächsten Fixpunkt, weshalb Rechtschreibfehler bei einem inhaltsorientierten Lesen auch kaum bemerkt werden (vgl. Lutjeharms 2010: 16 f.). Die Bereiche zwischen beiden Fixpunkten werden als Muster erkannt bzw. inhaltlich geschlussfolgert; eine hohe Dauer der jeweiligen Fixationen und regressive Blickbewe‐ gungen werden als Indikatoren für Verstehensprobleme interpretiert (vgl. ebd.). Dies wird auch als „Wortüberlegenheitseffekt“ (Christmann 2015: 24) bzw. „Wortsuperioritätseffekt“ (Lutjeharms 2010: 17) bezeichnet: „Wörter werden schneller gelesen als eine Reihe einzelner Buchstaben […]. Bekannte Rechtschreibmuster und Morpheme werden als Einheit verar‐ beitet.“ (ebd.) 6 Folglich vereinfachen und beschleunigen eine hohe Auftretenswahrscheinlichkeit und damit einhergehend eine größere Vertrautheit der Lernenden mit bestimmten Wörtern nicht nur in fremdsprachlichen Lesetexten die basalen Dekodierprozesse und in weiterer Folge das Leseverstehen (vgl. Leloup 2018: 212 ff.; Lutjeharms 2006: 22): Dies wird auch unter dem Begriff „Sichtwortschatz“ (Bremerich-Vos et al. 2017: 284; Schneider 2006: 12) konzeptualisiert. Folgt man Zwei-Wege-Modellen der Worterkennung (ursprünglich nach Coltheart 1978 7 ), werden im Fall des Sichtwortschatzes den Wörtern auf direktem Weg über das orthographische Lexikon Bedeutungen zugewiesen. Somit muss nicht der indirekte Weg über eine phonologische Rekodierung, d. h. eine Zuordnung des Lautbilds zum Schriftbild, gegangen werden, der noch unterhalb der Wortebene ansetzt (vgl. Bremerich- Vos et al. 2017: 284). Dieser Ansatz beansprucht mehr zeitliche und kognitive Ressourcen und belastet das Arbeitsgedächtnis stärker, sodass mehr Aufmerksamkeit nötig ist, was wiederum Lesegeschwindigkeit und -flüssigkeit herabsetzt. Folglich wird angenommen, dass der Umweg über ein lautierendes Lesen eher von ungeübten Leser: innen gewählt wird 30 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht 8 Auf weiterführende, komplexere mentale Modelle des Leseverstehens, die auf Basis der Kognitionspsy‐ chologie entwickelt wurden, soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden (vgl. Henseler/ Surkamp 2019: 88). bzw. im Fall von Leseschwierigkeiten zu beobachten ist (vgl. Christmann 2015: 26; Nassaji 2003: 270). Nassaji (2014: 18 f.) bringt dies auch mit der orthographischen Tiefe einer Sprache in Verbindung: Eine eher inkonsistente Orthographie trägt dazu bei, dass eher nicht der Umweg über eine Graphem-Phonem-Zuordnung gewählt wird, sondern ein direkter Abruf der Wortbedeutungen über das orthographische Lexikon erfolgt. Während Zwei-Wege-Modelle der Worterkennung auf Buchstabenbzw. Wortebene verortet sind, existieren zahlreiche weitere Modelle, die bestimmte Teilprozesse des Lesens auf Satz- und Textebene fokussieren (vgl. Christmann 2015: 28 ff.) 8 und den konzeptuellen Übergang zu den hierarchiehöheren Leseprozessen vollziehen. Teilprozessmodelle, die die Satzebene fokussieren, stellen dar, wie Lesende unter Nutzung semantischer und syntakti‐ scher Analysen und impliziten grammatischen Wissens von einer Einzelwortidentifikation zu einer Herstellung partieller Sinnzusammenhänge kommen (vgl. ebd.). Auf der Textebene wird dann relevant, wie Leser: innen einzelne Textteile in Relation setzen und dabei „in Form von Inferenzen und Elaborationen über den gegebenen Text hinausgegangen wird“ (ebd.: 31). Alle Leseverstehensmodelle können gleichermaßen danach unterschieden werden, inwie‐ weit sie den Leseprozess eher als erwartungsbzw. wissensgeleitet (top-down), als datenge‐ leitet (bottom-up) oder als interaktiv modellieren. Erwartungsbzw. wissensgeleitete Ansätze betonen, dass die Leser: innen „(oft unbewusst) allgemeines Weltwissen oder spezielles thematisches Vorwissen“ (Hermes 2017: 228) in den Leseprozess einbringen. Sie begegnen einem Lesetext beispielsweise mit textsorten- oder adressatenbezogenen Vorerwartungen und gleichen diese in einem Prozess des „Hypothesentestes“ (Christmann 2015: 23) mit den vorliegenden Informationen ab. Ursprünglich sind erwartungsbzw. wissensgeleitete Modelle auf Beobachtungen der erstsprachlichen Leseforschung zurückzuführen, die für schwache Lesende herausgearbeitet hat, dass diese verstärkt auf Ratestrategien zurück‐ greifen, wenn Dekodierungsprozesse unzureichend automatisiert sind (vgl. Lutjeharms 2010: 12). Die Fremdsprachendidaktik greift vor dem Hintergrund der Differenzen zwischen erst- und fremdsprachlichem Lesen auf die Ansätze zurück und entwickelt hieraus die Idee eines inferierenden Lesens (vgl. ebd.; Kap. 2.1.2.1). Datengeleitete Modelle begreifen Lesen demgegenüber als linearen Prozess, der auf den hierarchieniedrigen Ebenen beginnt und ausschließlich von den Informationen auf der Textoberfläche ausgeht. Diese sollten möglichst zügig und automatisiert durchlaufen werden, um Raum für die eigentlichen Verstehensprozesse zu schaffen (vgl. Christmann 2015: 23). Das leserseitige Vorwissen spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Aktuelle Forschung begrüßt meist interaktive Leseprozessmodelle (z. B. Henseler/ Surkamp 2019: 87), da diese zentrale Aspekte der Top-down- und der Bottom-up-Modelle integrieren und damit den flexiblen „Bedingungen der jeweiligen Lesesituation und Leseaufgabe sowie den individuellen leserseitigen Voraussetzungen“ (Christmann 2015: 23) am ehesten gerecht werden. Konsens besteht in der Regel darüber, dass Lesen ein flexibler Vorgang sei, der in hohem Maße in der individuellen Sinnkonstruktion in Auseinandersetzung mit dem Lesetext 2.1 Lesen im Französischunterricht 31 9 Die Interdependenzhypothese wurde ursprünglich im Rahmen der Bilingualismusforschung von Jim Cummins entwickelt und nimmt eine positive Wechselwirkung zwischen Erst- und Zweitsprache an. Der Transfer von Fertigkeiten von der Erstauf die Zweitsprache bezieht sich insbesondere auf kognitiv-akademische Fertigkeiten. bestehe (ebd.: 32) - ein Lesen ohne Vorerfahrungen, -wissen und -erwartungen scheint ohnehin unmöglich. Daran knüpft der didaktische Anspruch an, Leseprozesse nicht auf der Ebene einer individuellen Auseinandersetzung mit dem Lesetext enden zu lassen, sondern „Anschluss- Kommunikationen“ (Hurrelmann 2002: 13) bzw. eine „Lese-Kommunikation“ (Bartnitzky 2006: 19) zu etablieren, die dem schülerseitigen Austausch zu zentralen Inhalten der Lesetexte oder der Klärung offener Fragen dienen kann und so die reale lebensweltliche Relevanz des Lesens untermauert. - 2.1.1.4 Erst- und fremdsprachliches Lesen Lernende greifen beim Lesen in der Fremdsprache in der Regel auf Lesefertigkeiten zurück, die sie bereits im Kontext des Schriftspracherwerbs in ihren Erst- und Zweitsprachen erworben haben. Dabei sind einige Differenzen zwischen erstsprachlichem Lesen und dem Lesen in einer Fremdsprache bemerkenswert, die meist anhand von zwei Hypothesen diskutiert werden: Erstens postuliert die Schwellenhypothese (threshold hypothesis), dass Lernende über ein Minimum an Fremdsprachenkenntnissen verfügen müssen, um erst‐ sprachlich erworbene Lesekompetenzen in fremdsprachliche Leseprozesse transferieren zu können (vgl. Hermes 2017: 228). Denn in Abgrenzung zu Leseprozessen in der Erst‐ sprache bestehen für fremdsprachliches Lesen vermehrte Herausforderungen im lexikosemantischen und grammatischen Bereich: Die Fremdsprache selbst muss noch erlernt werden, viele Wortbedeutungen sind noch nicht abrufbar und es fehlt die Basis des bereits mündlich erworbenen Wortschatzes bzw. der syntaktischen Struktur. Lesende in der Fremdsprache müssen folglich eine ausreichende Ambiguitätsbzw. Frustrationstoleranz an den Tag legen, denn die Leseflüssigkeit - und damit auch die in der Erstsprache bereits erreichte Lesegeschwindigkeit - verringert sich beim fremdsprachlichen Lesen zunächst (vgl. Ehlers 2006: 32). Auch starke bzw. geübte Leser: innen setzen zu Beginn der Auseinandersetzung mit einer Fremdsprache Lesestrategien ein, die meist eher mit schwachen bzw. ungeübten Leser: innen in Verbindung gebracht werden (vgl. Lutjeharms 2010: 21). Doch diese Strategien, wie beispielsweise das inferierende Lesen, werden im Fall fremdsprachlichen Lesens insofern zu einer Stärke, als Letzteres sich häufig „eng an der sprachlichen Basis orientiert und […] zu wenig Inferenzen [erzeugt], um sich ein Bild von der beschriebenen Situation machen zu können.“ (Ehlers 2006: 33) Somit besteht in dem Wechsel der Aufmerksamkeit von der Sprachhin zu der Inhaltsebene des Texts eine wesentliche Leistung fremdsprachlichen Lesens. Zweitens wird im Rahmen der Interdependenzhypothese (interdependence hypothesis) ein enger Zusammenhang zwischen Lesekompetenzen in der Erstbzw. Zweit- und der Fremdsprache angenommen (vgl. Hermes 2017: 228). 9 Dies kann Lernenden im posi‐ tiven Sinn ermöglichen, auf bereits erworbene, basale Lesefertigkeiten und Strategien zurückzugreifen; didaktische Ansätze wie Mehrsprachencurricula machen dies explizit nutzbar. Im Umkehrschluss heißt dies jedoch auch, dass sich schwache Leseleistungen in der Erstsprache auch auf das fremdsprachliche Lesen auswirken, da eine „mangelhafte 32 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht muttersprachliche Dekodierfähigkeit auch den Erwerb der zielsprachlichen Kompetenz beeinträchtigen wird“ (Lutjeharms 2010: 21). Führt man diesen Gedanken weiter, stößt man auf das Konzept der Sprachlerneignung, das mit der zentralen Rolle übergeordneter Sprach‐ verarbeitungsmechanismen argumentiert (vgl. Schlak 2008) und in Kap. 3.3.1 weiterführend diskutiert wird. Aus sprachstruktureller Sicht, aber auch im Hinblick auf Einstellungen und Lesemotivation ist „die (empfundene) Distanz oder Nähe von Ausgangs- und Zielsprache, die bedingt, ob Transferprozesse einsetzen“ (Lutjeharms 2010: 21), bedeutsam für mögliche Wechselwirkungen zwischen zwei oder mehr Sprachen. Beispielsweise können hierarchie‐ niedrige Fertigkeiten wie die visuelle Mustererkennung nur übertragen werden, wenn Ausgangs- und Zielsprache über dasselbe Schriftsystem und syntaktisch über eine ähnliche Wortfolge verfügen (vgl. Kap.-2.1.1.2). Wie bereits Bernhardt und Kamil (1995) herausgearbeitet haben, kann sowohl die Schwellenals auch die Interdependenzhypothese einen wichtigen Beitrag zum Verständnis fremdsprachlicher Leseprozesse leisten, da diese ein komplexes Zusammenspiel verschie‐ dener Faktoren und Teilprozesse bilden. Beide Hypothesen verweisen auf Diskussions‐ punkte, die die Fremdsprachendidaktik auch heute noch beschäftigen: Zum einen stellt sich die Frage, wie Fremdsprachenlehrkräfte reagieren können, wenn basale Lesefertig‐ keiten in der Erstsprache nur unzureichend erworben wurden. Zum anderen führt die Schwellenhypothese auf die Frage zurück, welchen Stellenwert Schriftsprache im Fremd‐ sprachenunterricht überhaupt haben sollte bzw. wann ein „günstiger“ Zeitpunkt wäre, diese zu einem impliziten oder expliziten Lerngegenstand zu machen. Dies wird insbesondere für das frühe Fremdsprachenlernen bzw. den Primarbereich diskutiert (z. B. Mertens 2002, vgl. Kap.-2.2.3.4), ist aber gleichermaßen für die zweiten und dritten Fremdsprachen relevant - gerade, wenn es zu schülerseitigen Beeinträchtigungen des Schriftspracherwerbs kommt. 2.1.2 Didaktisierung von Leseprozessen Die hohe Komplexität von Leseprozessen stellt umfassende Anforderungen an die lesende Person - aber auch an Lehrkräfte, die mit der Vermittlung fremdsprachlicher Lesekompe‐ tenz betraut sind. Aus didaktischer Sicht ist es daher nötig, einzelne Teilprozesse des Lesens zu differenzieren, um diese methodisch zugänglich und evaluierbar zu machen. Im Folgenden werden Lesestile, -techniken und -strategien sowie die Modellierung verschie‐ dener Lesephasen als Möglichkeiten der Didaktisierung von Leseprozessen vorgestellt. - 2.1.2.1 Lesestile Ein prominenter Ansatz besteht in der Differenzierung verschiedener Lesestile, die bei Ehlers (2006: 35) auch „Leseformen“ genannt werden. Sie bezeichnen „ein durch die Lese‐ intention bestimmtes Leseverhalten“ (Schmidt 2007: 123), d. h., die lesende Person richtet ihren kognitiven Fokus bei der Lektüre eines Texts an einem bestimmten Leseinteresse aus. So kann ein Lesevorgang möglichst ressourcenschonend bzw. zielgerichtet erfolgen. Es stehen verschiedene Kategorisierungen von Lesestilen zur Verfügung - folgende, in Anlehnung an Lutjeharms (2010: 11) und Schmidt (2007: 123) zusammengestellte Unter‐ scheidungen sind die gängigsten: 2.1 Lesen im Französischunterricht 33 10 Henseler und Surkamp (2019: 89) stellen eine Übersichtstabelle über eine mögliche Zuordnung von Lesetechniken zu Lesestrategien zur Verfügung. • das suchende, selegierende oder selektive Lesen, auch Scanning genannt: Leser: innen suchen gezielt nach Informationen im Text; • das detaillierte, totale, intensive oder gründliche Lesen: Leser: innen möchten den Text möglichst umfassend und in all seinen Nuancen verstehen; wenn betont wird, dass der Text gänzlich gelesen wird, wird auch die Bezeichnung des statarischen Lesens relevant; • das orientierende, überfliegende oder globale Lesen, auch Skimming genannt: Leser: innen verschaffen sich eine grobe Übersicht über den Gesamttext; oft mit dem Ziel, zu entscheiden, ob sich der Text für eine bestimmte Leseabsicht eignet und gründlicher konsultiert werden soll; • das kursorische Lesen: Leser: innen extrahieren wesentliche Inhalte des Texts; • das elaborierende oder argumentative Lesen: Leser: innen vollziehen einzelne Argu‐ mente nach, setzen sich unter Einbezug der eigenen Perspektive intensiv mit dem Inhalt auseinander und gehen dabei inferierend über den Text hinaus. Leseintention und Lesestil sind in der Regel an die jeweilige Textsorte sowie die Kommuni‐ kationssituation rückgebunden: Als klassische Beispiele dienen die selektive Lektüre eines Fahrplans oder das detaillierte Lesen eines wissenschaftlichen Artikels (vgl. Schmidt 2007: 123). Auch während der Lektüre eines (einzelnen) Texts kann es sinnvoll sein, Lesestile zu kombinieren (vgl. Lutjeharms 2016: 99); dies gilt insbesondere für diskontinuierliche Texte. - 2.1.2.2 Lesetechniken und Lesestrategien Die obige Auflistung beinhaltet einige Aspekte, deren Klassifikation immer wieder Ge‐ genstand fachlicher Diskussionen ist: So werden das Skimming und das Scanning auch den Lesetechniken zugeordnet (vgl. Hermes 2017: 229; Meißner 2013: 44). Diese werden „im Unterschied zu Lesestrategien als konkrete Handlungen der Lernenden zur Unterstüt‐ zung des Leseverstehens definiert“ und können beispielsweise in dem „Anfertigen von Notizen, [dem] Unterstreichen wichtiger Textstellen oder Wörter [oder dem] Nachschlagen unbekannter Wörter“ (Schmidt 2007: 123) bestehen. Damit gelten Lerntechniken als „Teilhandlungen von Strategien“ bzw. als „Fertigkeiten“ (Martinez 2016 b : 372), die den Lernstrategien hierarchisch nachgeordnet sind (vgl. ebd.). 10 Lesestrategien sind eingebettet in die Forschung und Diskussion um Lernstrategien, die bereits seit den 1970er-Jahren auch in der Fremdsprachendidaktik präsent sind und als wesentliches Element eines lerner- und kompetenzorientierten Fremdsprachenunterrichts gelten (vgl. als Überblick Martinez 2016 b ). Dem liegt die Annahme zugrunde, dass durch eine bewusste Steuerung des Lernbzw. Leseprozesses individuelle Ressourcen genutzt und Schwächen kompensiert werden können. Verschiedene Studien weisen auf einen direkten Zusammenhang von Strategieverwendung und Lernerfolg im Bereich des Lesens (nicht nur) bei auftretenden Lernschwierigkeiten hin (vgl. die Metaanalyse von Souvignier und Antoniou 2007). Es existieren verschiedene Strategiebegriffe, die nicht immer klar definiert bzw. abgrenzbar sind: Wie Schmidt (2007: 122) herausarbeitet, ist allen Konzepten gemein, dass sie eine „Problemorientierung, Zielgerichtetheit/ Intentionalität und Bewusstheit“ von 34 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht 11 Meißner (2013: 48) verweist zudem auf Modelle der fünfstufigen Phasierung von Leseprozessen (before-, pre-, while-, post- und after-reading activities), die in umfassenderem Maß Prozesse der Vor- Strategien annehmen. Für ein erfolgreiches Fremdsprachenlernen gilt zudem, dass Planung, Reflexion und Evaluation des individuellen Strategiegebrauchs nötig sind, damit diese auch in Kommunikationssituationen außerhalb des Fremdsprachenunterrichts genutzt werden können (vgl. Bimmel 2002; Martinez 2016 b : 373 f.). Folgt man O’Malley und Chamot (1990: 98 ff.), zeichnen sich effektive Strategien dadurch aus, dass die für die Lösung des jeweiligen Problems geeignet sind und ihr Einsatz in angemessener Weise bewusst gemacht bzw. metakognitiv gesteuert wird. Insbesondere Lesestrategien haben infolge der PISA-Studie eine neue Relevanz erfahren, denn sie gelten als zentral für die Entwicklung der Lesekompetenz von Schüler: innen (vgl. Bartnitzky 2006: 18). In der Sekundärliteratur werden folgende Kategorisierungen vorgeschlagen: Globale Lesestrategien beziehen sich auf den gesamten Text und bestehen z. B. in einem „Erkennen der Textstruktur [oder der] Aktivierung von Vorwissen zum Thema“ (Schmidt 2007: 124). Lokale Lesestrategien werden auf bestimmte Passagen eines Texts angewendet, z. B. durch „nochmaliges Lesen einer Textstelle [oder] Raten eines unbekannten Wortes“ (ebd.). Eine weitaus bekanntere Dichotomie besteht in der Differenzierung kognitiver und metakognitiver Strategien (z. B. Bimmel 2002: 118 ff.). Kognitive Lesestrategien dienen dazu, Leseprozesse optimal zu bewältigen und damit Leseaufträge zu erfüllen. Sie können auf alle Ebenen von Leseprozessen abzielen, die von der basalen Dekodierung des Geschrieben bis hin zu einem Textverständnis reichen (vgl. Kap. 2.1.1.1). Als kognitive Lesestrategien gelten beispielsweise die Selektion wichtiger und nebensächlicher Informationen und die damit verbundene Aufmerksamkeitslenkung, das Erraten von Wortbedeutungen anhand des Kontexts, der Rückgriff auf andere (Fremd-)Sprachenkenntnisse oder die Anwendung von Regeln (vgl. Schmidt 2007: 124 f.). Metakognitive Lesestrategien zielen demgegenüber nicht auf die direkte Arbeit am Lesetext ab, sondern dienen der Steuerung und Regulierung des eigenen Leseprozesses, z. B. indem dieser geplant wird, um die erworbenen kognitiven Strategien zielführend einsetzen zu können. Zum einen werden dafür eine Reflexionsfähigkeit und ein gewisses deklaratives Wissen über Leseprozesse und deren optimalen Ablauf benötigt; zum anderen muss dieses Wissen in eine Performanz, d. h. konkrete Handlungen überführt werden, die z. B. in der Setzung von Lesezielen oder der Auswahl eines Lesestils bestehen können (vgl. Meißner/ Schröder 2017: 126 ff.). Als Großkategorien metakognitiver Lesestrategien gelten das Planen, Kontrollieren, Steuern und Bewerten der ablaufenden Prozesse. Konkrete Strategien können beispielsweise in der Bestimmung eines Leseziels (z. B. einen Text global verstehen), der Planung der konkreten Schritte zwecks Erreichung dieses Ziels (z. B. auf Schlüsselwörter achten) oder der Identifikation von Verständnisproblemen liegen (z. B. Ehlers 2006: 37). Hinsichtlich der methodisch-didaktischen Planung von Leseprozessen wird der mög‐ lichst effiziente Einsatz von Lesestrategien oftmals an verschiedene Lesephasen rückge‐ bunden. In der Regel wird der klassische Dreischritt von activités avant - pendant - après la lecture angenommen (z. B. ebd.: 35). 11 Während sich kognitive Strategien vorrangig in 2.1 Lesen im Französischunterricht 35 und Nachbereitung einer Lektüre einbeziehen. Eine ausführliche Übersicht zur Rückbindung von Lesestrategien an bestimmte Lesephasen findet sich z. B. bei Hudson (2010: 108). 12 Zudem werden „Stützstrategien“ in der Taxonomie von Mandl und Friedrich (1992) von „Primärstra‐ tegien“ unterschieden, was wiederum eine Nachrangigkeit suggeriert. Phasen direkter Textarbeit (pendant la lecture) finden, werden metakognitive Strategien eher der Vorentlastung (avant la lecture), Nachbereitung und Reflexion (après la lecture) von Leseprozessen zugeschrieben. Neben kognitiven und metakognitiven bilden soziale bzw. affektive Strategien eine dritte wichtige Gruppe bei O’Malley und Chamot (1990: 46). Sie unterscheiden drei Arten von Strategien: Cooperation: Working with peers to solve a problem, pool information, check notes, or get feedback on a learning activity; Questioning for clarification: Eliciting from a teacher or peer additional explanation, rephrasing, or examples; Self-talk: Using mental redirection of thinking to assure oneself that a learning activity will be successful or to reduce anxiety about a task. Bei der Sichtung relevanter Publikationen fällt auf, dass die Gruppe der sozialen bzw. affektiven Strategien im Kontext der fremdsprachlichen Lesedidaktik den kognitiven und metakognitiven Strategien nachgeordnet scheint. Dies könnte darin begründet sein, dass soziale bzw. affektive Strategien den Leseprozess eher indirekt unterstützen und sich damit nur mittelbar auf die direkte Textarbeit und deren didaktische Vermittlung beziehen. 12 Doch gerade wenn „Selbstregulation“ (Meißner/ Schröder 2017: 126) als Merkmal erfolgreicher Leseprozesse angenommen wird, sollte ein konsequenter Transfer dieser Strategien auch auf das Lesen erfolgen - dies entspricht auch dem didaktisch etablierten Begriff von Lesekompetenz, der emotionale, soziale und motivationale Faktoren umfasst (vgl. Rosebrock/ Nix 2017: 17 ff.). Soziale und affektive Strategien werden in der Lesedidaktik meist durch das Konzept der „Stützstrategien“ (vgl. Philipp 2015 b : 214 f.) repräsentiert: Diese können den Lesepro‐ zess indirekt unterstützen bzw. entlasten und werden in interne und externe Strategien eingeteilt. Erstere beziehen sich auf Motivation und Verhalten der lesenden Person selbst und können beispielsweise darin bestehen, die persönliche Anstrengung im Laufe des Leseprozesses zu überwachen, entsprechende Pausen und Belohnungen einzuplanen und so ein angemessenes Zeitmanagement zu erreichen. Externe Stützstrategien zielen auf den Lesekontext bzw. das Leseumfeld und können z. B. durch eine günstige Einrichtung des Leseorts (z. B. Schaffung einer ruhigen Umgebung, passende Lichtverhältnisse) und den Einbezug externer Ressourcen (z. B. Lesepartner: innen, Hilfsmittel) umgesetzt werden (vgl. Philipp 2012: 43 ff.). Infolge der Inklusionsdebatte erfahren psychosoziale Aspekte des Fremdsprachenlernens und damit auch Stützstrategien des Leseverstehens neue Aufmerk‐ samkeit, z. B. indem Peer Tutoring oder kooperative Lesemethoden auch für die Entwicklung basaler Lesefertigkeiten eingesetzt werden (vgl. Kap.-2.1.2.3). Kompensationsstrategien verlaufen insofern transversal zu der vorgestellten Kategori‐ sierung der Lernbzw. Lesestrategien, als sie aus den kognitiven, metakognitiven wie affektiven bzw. sozialen Strategiegruppen bezogen werden können. Üblicherweise werden Kompensationsstrategien „zum Ausgleichen sprachlicher Defizite eingesetzt“ (Martinez 2016 b : 374), denen jede: r Lernende in Auseinandersetzung mit einer Fremdsprache be‐ gegnet. Typischerweise zählen die „Kommunikationsbzw. Sprachgebrauchsstrategien“ zu 36 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht 13 Martinez (2016 b : 373) weist darauf hin, dass das Merkmal der Bewusstheit von Strategien in der Fachdiskussion nicht unumstritten ist. Es besteht jedoch Konsens darüber, dass Lernstrategien zumindest „bewusstseinsfähig“ sind (ebd.). 14 Henseler und Surkamp (2019: 88) nennen in diesem Zuge klassische Fehlannahmen und Kritikpunkte der fremdsprachlichen Lesedidaktik, die beispielsweise darin bestehen, zu anspruchsvolle Lektüren zu thematisieren, die nicht in den Interessensgebieten der Schüler: innen liegen, wenig Zeit für freies Lesen einzuräumen und die Begegnung mit (literarischen) Texten durch Vorentlastung oder enge Verständnisfragen zu stark einzuschränken. den Kompensationsstrategien, die „nicht in erster Linie dem Erwerb einer Fremdsprache, sondern der Sicherung der Kommunikation“ (ebd.: 373 f.) dienen. Mit Bezug zum Lese‐ verstehen bestehen Kompensationsstrategien darin, „unverstandene Textelemente [zu] erschließen oder [zu] kompensieren“ (Henseler/ Surkamp 2019: 89), beispielsweise indem weniger relevante Textteile überlesen, unbekanntes Vokabular erraten bzw. unter Rückgriff auf andere Sprachkenntnisse erschlossen oder auf Hilfsmittel wie Wörterbücher zurück‐ gegriffen wird (vgl. ebd.). Die Anwendung von - auch kompensatorischen - Lesestrategien ist also nicht nur jedem Leseprozess inhärent, sondern kennzeichnet insbesondere ein erfolgreiches Lesen in der Fremdsprache: „Kompetente Lesende beherrschen das Inferieren als Problemlösestrategie besser als schwache Lesende.“ (Lutjeharms 2016: 98) Die bisherigen Ausführungen haben veranschaulicht, dass Lesen (und Schreiben) nur erfolgreich sein können, wenn automatisierte Fertigkeiten und potenziell bewusst steuer‐ bare 13 Lesestrategien effizient ineinandergreifen (vgl. Hudson 2010: 105 ff.; Philipp 2015 b : 212 ff.). Im Folgenden werden Ansätze zur Leseförderung im Fremdsprachenunterricht vorgestellt, die auf diese beiden Komponenten zurückgreifen. - 2.1.2.3 Ansätze zur Leseförderung im Fremdsprachenunterricht Eine direkte Leseförderung, wie sie im anglophonen Raum unter Einbezug empirischer Ergebnisse der Leseforschung und -didaktik stattfindet, findet im Fremdsprachenunterricht in Deutschland nach wie vor wenig Beachtung (vgl. Henseler/ Surkamp 2019: 88). 14 Während sich die Deutschdidaktik auch basalen Lesefertigkeiten wie der Leseflüssigkeit zuwendet (z. B. Rosebrock/ Nix 2017: 40 ff.), ist zu beobachten, dass die Fremdsprachenforschung meist die hierarchiehöheren Prozesse der Lesekompetenz fokussiert, wie auch Gerlach und Lüke (2020: 4) festhalten. Daraus folgt, dass die große Mehrheit der Ansätze und Methoden zur Leseförderung im Fremdsprachenunterricht primär auf die Textkompetenz bzw. die higher level skills abzielt und stark an den Unterricht selbst bzw. dort eingesetzte Textsorten und Leseaufträge rückgebunden ist (vgl. Fritsch 2014: 93 ff.) Im Folgenden werden exemplarisch einige Ansätze zur Leseförderung vorgestellt, die für den Französischunterricht und bei auftretenden Leseschwierigkeiten besonders relevant sind. Mit Fokus auf den higher level skills zielen einige Ansätze unter Einbezug von Textsortenspezifika auf die konkrete Anwendung und Reflexion von Lesestrategien ab (vgl. Kap. 2.1.2.1). Beispielsweise schlägt Bürgel (2010: 171) mit Fokus auf Sach- und Informationstexten die „Textdechiffrierungsmethode“ vor, die über die Identifikation der Textstruktur als „lesestrategischer Zwischenschritt“ vor einer detaillierteren Lektüre an‐ gewandt werden kann. Insbesondere anhand der Identifikation von Textmarkern und kohäsiven Elementen soll die Funktion von Textpassagen im Gesamtgefüge des Texts 2.1 Lesen im Französischunterricht 37 15 Weitere Methoden, die Leser: innen zu einem systematischen und strategiegeleiteten Zugang zu Texten verhelfen sollen, sind beispielsweise die SQ3R-Methode (Survey, Question, Read, Recite, Review) oder die PQR4-Methode (Preview, Questions, Read, Reflect, Recite, Review). Diese zielen auf eine sukzessive Anreicherung und Elaboration des Leseverstehens ab, z. B. indem die Schüler: innen Fragen zu einem Text formulieren und beantworten, Textinhalte veranschaulichen etc. (vgl. Fritsch 2014: 97 ff.). bestimmt werden. Über den Aufbau einer konkreten Erwartungshaltung wird so der Zugang zu inhaltlichen Aspekten erleichtert und eine gezielte Informationsentnahme vorbereitet. Die Methode zielt explizit auf die Erhöhung der Lesegeschwindigkeit ab (vgl. ebd.: 176), wobei diese über einen zielgerichteten und damit zeitökonomischen Zugang zu Sachtexten gesteigert werden soll und nicht über die Förderung basaler Lesefertigkeiten, mit denen die Lesegeschwindigkeit eigentlich assoziiert wird (vgl. Kap. 2.1.1.1). Außerdem wird angestrebt, dass Schüler: innen so alle Textteile in ihr Leseverstehen einbeziehen und nicht aufgrund einer „linear-additive[n] Wort-für-Wort-Dekodierung“ (ebd.: 171) auf den Eingangspassagen des jeweiligen Texts verharren. Ehlers (2006: 33 ff.) resümiert mit Fokus auf literarischen Texten insbesondere die Schulung selektiver Fertigkeiten (z. B. die Erfassung des Hauptgedankens eines Texts über Zusammenfassungen oder die Schlüsselwortmethode) und des systematischen Schlussfolgerns (z. B. Fragen an den Text stellen, Themen ableiten). Damit zielt sie primär auf hierarchiehöhere Fertigkeiten und eine Verbesserung des Leseverstehens ab. 15 Unter Einbezug einer Förderung der lower level skills legen Gerlach und Lüke (2020) eine Interventionsstudie vor, die in einem integrierten Ansatz sowohl auf die Förderung der hierarchieniedrigen Leseflüssigkeit als auch des übergeordneten Leseverstehens im Englischunterricht abzielt. Das ursprünglich unterrichtsextern konzipierte Interventions‐ programm greift auf - in der Deutschdidaktik bereits gängige - Verfahren zur Förderung der Leseflüssigkeit zurück, wie z. B. das interaktive Partnerlesen oder das wiederholte und begleitete Lautlesen; Lesekompetenz wird insbesondere über eine Vermittlung von Lesestrategien gefördert (vgl. ebd.: 14 f.). Indem „leseanimierende Verfahren (Buchvorstel‐ lungen und Lesepässe)“ (ebd.: 15) eingesetzt werden, soll zudem eine höhere Lesemotivation angebahnt werden. Die Autor: innen weisen im Rahmen der Evaluation der Studie (vgl. ebd., 16 f.) nach, dass die Intervention die Leseflüssigkeit mehr als die übergeordnete Lesekom‐ petenz steigert und sich vorrangig für leseschwächere Schüler: innen eignet; Effekte auf die Lesemotivation könnten in einer Folgestudie miterhoben werden. Die Studie zeigt, wie auf Basis empirischer Evidenz aus der Leseforschung entwickelte Fördermaterialien in den Englischunterricht auch auf höheren Niveaustufen integriert werden können. Infolge der Inklusionsdebatte erleben Unterrichtssettings, die eine Interaktion zwischen Lernenden vorsehen, eine Renaissance (vgl. Büttner et al. 2012). Dies gilt auch für Ansätze zur Leseförderung: Methoden, die auf kooperatives Lernen oder Peer Tutoring setzen, erfahren wieder eine stärkere Beachtung. Diesen wird der Vorteil zugeschrieben, zugleich mehrere Lernziele auf kognitiver wie psychosozialer Ebene zu adressieren, da neben der inhaltlichen Bearbeitung einer Aufgabe auch Kooperations- und Aushandlungsprozesse im Rahmen der Partnerbzw. Gruppenarbeit geschult werden. Hoch (2013) stellt mit Bezug zum Italienischunterricht die Methoden des paired reading and thinking (wechselseitiges Lesen und Erklären) und des reciprocal reading (reziprokes Lesen) vor. Im Fall des paired reading 38 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht arbeiten in der Regel gute mit schwächeren Leser: innen in Lese-Tandems zusammen. Es handelt sich um ein Laut-Lese-Verfahren, das der Steigerung der Leseflüssigkeit dient und auch zu einem besseren Leseverstehen führen soll, indem ein Austausch über den Textinhalt erfolgt. Das reziproke Lesen dient demgegenüber primär der Schulung von Lesestrategien. In Gruppenarbeit wird ein bislang unbekannter Text gelesen und arbeitsteilig erschlossen, wobei jedes Gruppenmitglied eine bestimmte von mehreren Teilaufgaben übernimmt, die abschließend zu einem „Gesamtwerk“ zusammengeführt werden. Mit Obermeier (2022) liegt eine empirische Studie für den Englischunterricht der 8. Jahrgangsstufe vor, die sich dem reziproken Lesen als Methode für einen differenzierenden Umgang mit Texten in heterogenen Lerngruppen widmet. Die Studienergebnisse weisen darauf hin, dass im Kontext fremdsprachlichen Lesens insbesondere Klärungsprozesse zu unbekanntem Vokabular und inhaltlichen Unsicherheiten im Fokus stehen. Dabei ist jedoch entscheidend, dass im Sinne der Schwellenhypothese zunächst ein gewisses Niveau in den Fremdsprachen erreicht wird, um flüssig genug für eine sinnentnehmende Rezeption lesen zu können. Dies weist darauf hin, dass sich die Methode im Fremdsprachenunterricht womöglich nicht für alle Lernenden gleichermaßen eignet, sondern gerade im Fall von Leseschwierigkeiten in frühen Lernjahren einer kritischen Betrachtung unterzogen werden muss. 2.1.3 Formen und Funktionen des Lesens im Französischunterricht Hinsichtlich der Funktionen, die Lesen im Französischunterricht einnehmen kann, werden hauptsächlich Leseaufträge als Mittel des Spracherwerbs und solche mit dem Ziel der Erfassung von übermitteltem Inhalt unterschieden (vgl. Meißner 2013: 32 ff.). Im Kon‐ text institutionalisierten Fremdsprachenlernens dominiert dabei erstere Funktion, wie auch Lutjeharms (2006: 23) formuliert: „Dans l’enseignement, les textes sont utilisés principalement comme input pour l’apprentissage de la langue.“ Dies ist u. a. damit zu erklären, dass beim Lesen der fremdsprachliche Input in irgendeiner Form enkodiert werden muss, d. h. mental gespeichert und damit langfristig abrufbar gemacht wird (vgl. Lutjeharms 2010: 20). Analog zu der prominenten Unterscheidung zwischen writing to learn und learning to write im Bereich des Schreibens (vgl. Manchón 2011 a ; Kap. 2.2.3.1) kann differenziert werden, inwieweit Lesen als Teilkompetenz selbst im Fokus steht (Lesenlernen, learning to read) oder als Werkzeug zur Erreichung von Lernzielen genutzt wird, die nicht primär im Bereich des Lesens bzw. Leseverstehens liegen (Lernen durch Lesen, reading to learn; vgl. Delaney 2008: 141). - 2.1.3.1 Zirkuläre Bezüge: Reading to write - writing to read Gerade die Funktion des instrumentellen Lesens verdeutlicht, wie eng Lese- und Schreib‐ prozesse (nicht nur) im Französischunterricht miteinander verbunden sein können. So beschreibt Feilke (2017: 160): Im Stoffwechsel einer literalen Gesellschaft wie auch in Schreib- und Leseprozessen selbst sind Lesen und Schreiben eng aufeinander bezogen. So wie das Lesen (Verstehen und Aneignung) vom Umfang der eigenen Produktion zum Gelesenen profitiert (von Unterstreichungen über Glossen bis zu Zusammenfassungen und Textvergleichen) […], profitiert das Schreibenlernen vom Lesen: Schrifttexte und die in ihnen herausgebildeten Strukturen können als Modelle der 2.1 Lesen im Französischunterricht 39 eigenen Produktion und Aneignung dienen […]. Das gilt für literarische, journalistische oder wissenschaftliche Textmodelle ebenso wie für Schülertexte, aus deren Lektüre gelernt werden kann. Typische Unterrichtssituationen, in deren Rahmen Lesefertigkeiten für die Realisierung von Arbeitsaufträgen und damit die Teilhabe am Unterricht unabdingbar sind, bestehen beispielsweise dann, wenn Schüler: innen einer Aufgabenstellung Informationen zu dem geforderten Vorgehen entnehmen oder schriftliche Notizen zur Vorbereitung mündlicher Performanz anfertigen. Sind Lesefertigkeiten gefordert, um Schreibaufträge vorzubereiten bzw. zu realisieren, wird auch das Konzept des reading to write (Lesen, um zu schreiben, Delaney 2008: 141) genutzt: Perhaps reading-to-write should be conceptualized as a reciprocal interaction between literacy skills, in which the basic processes and strategies used for reading and writing are modified by an individual’s goals and abilities, and also by external factors. Reading-to-write certainly involves the interplay of reading and writing processes […] (ebd.) Dies betrifft beispielsweise Tafelabschriften oder die Formulierung von Resümees, Sprachmittlungsaufgaben, die von Lesetexten ausgehen, kreative Formen der drama‐ pädagogischen Weiterarbeit mit literarischen Texten oder die Überarbeitung eigener Schreibprodukte durch die Lernenden. Diese Beispiele für einen integrierten und sprach‐ übergreifenden Rückgriff auf Lese- und Schreibkompetenzen lassen erahnen, wie man‐ gelnde schriftsprachliche Kompetenzen weiterführende Schwierigkeiten in anderen Kom‐ petenzbereichen bedingen können (vgl. Sasse 2009: 299). - 2.1.3.2 Der Sonderfall: lautes Lesen Die bisherigen Ausführungen zu Formen und Funktionen des Lesens im Französischun‐ terricht fokussieren einen Lesebegriff, der auf das Leseverstehen hinführt und auch als „leises“ oder „sinnentnehmendes Lesen“ (vgl. Rymarczyk 2011) bezeichnet wird. Davon wird das „laute Lesen“ bzw. „Vorlesen“ grundsätzlich abgegrenzt (vgl. ebd.; Meißner 2013: 39 ff.): In diesem Fall sollen die Leser: innen geschriebene Sprache in eine Lautform transferieren und mündlich verbalisieren. Meißner (2013: 39) bezeichnet das Vorlesen als eine „uneigentliche Form des Lesens, […] denn das Schreiben und das Lesen sind primär auf die inhaltliche Kommunikation mit örtlich oder zeitlich distanten Partnern gerichtet.“ Diese zeitliche und räumliche Distanz entfällt im Fall des Vorlesens und stellt eine Simultaneität zwischen vorlesender Person und Adressat: in her. Auch Hermes (2017: 229) weist darauf hin, dass das laute Lesen einem „‚natürlichen‘ Lesen zuwiderläuft, das in der Regel leise erfolgt“. Das Vorlesen stellt also eine Kommunikationssituation dar, die an spezifische Mitteilungsabsichten wie das Vorlesen einer Geschichte oder das Verlesen einer Mitteilung gebunden ist. Somit kommt - sofern es sich nicht um einen selbst verfassten Text handelt - neben den Verfasser: innen des Texts und der vorlesenden Person potenziell eine dritte Instanz ins Spiel, an die sich das Vorgelesene richtet. In Unterrichtskontexten können dies die Lehrkraft, Mitschüler: innen oder - bei Lautleseverfahren zur Steigerung der Leseflüssigkeit (vgl. Gerlach/ Lüke 2020: 7 ff.) - auch die vorlesende Person selbst sein. Im Fremdsprachenunterricht kann das laute Lesen von Texten oder Notizen beispiels‐ weise der Ergebnispräsentation oder der Vergegenwärtigung von Aufgabenstellungen 40 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht und relevanten Lehrwerkstexten dienen. Diese inhaltlich orientierte Funktion kann von Zielsetzungen auf der Sprachoberfläche unterschieden werden, die primär der Aussprache‐ schulung dienen (z. B. das „Chorsprechen“, Meißner 2013: 41). Aus methodisch-didaktischer Sicht kann das laute Lesen von der Teilkompetenz des Sprechens abgegrenzt werden, im Rahmen derer z. B. im Fall des „zusammenhängenden Sprechens“ (vgl. z. B. KMK 2004 a : 13) zwar auf schriftliche Notizen oder Vorlagen zurückgegriffen werden kann, die jedoch den Fokus klar auf eine freiere und flexible Versprachlichung bzw. Loslösung von der schriftlichen Vorlage setzt. Das Vorlesen gilt als „eine sehr komplexe Tätigkeit, die die parallele Verarbeitung ganz unterschiedlicher Prozesse verlangt“ (Meißner 2013: 40). Konkret ist ein integrierter Zugriff auf verschiedene Fertigkeiten, wie das automatisierte und zügige Dekodieren des Geschriebenen, dessen korrekte Aussprache und eine angemessene Intonation auf Satz- und Textebene, nötig. Letztere setzt ein gewisses inhaltliches Verständnis des Lesetexts voraus, da nur so eine Intonation erreicht werden kann, die enthaltene Sinneinheiten adäquat widerspiegelt (vgl. die Merkmale der Leseflüssigkeit, Kap. 2.1.1.1). Jedoch wurde nachgewiesen, dass Leseverstehen und lautes Vorlesen nur bis zu einem gewissen Punkt ineinandergreifen: Denn kommt es aufgrund der Parallelität der Anforderungen zu einer kognitiven Überlastung, kann das laute Vorlesen von Texten parallele Leseverstehenspro‐ zesse hemmen (vgl. Hermes 2017: 229; Meißner 2013: 40 f.). Aus unterrichtsmethodischer Sicht impliziert dies, dass das laute Vorlesen mit klaren Zielsetzungen verbunden werden und Arbeitsaufträge mit dem Ziel eines sinnentnehmenden Lesens eher nicht parallel mit dem lauten Lesen eines Texts gestellt werden sollten. Wie Rymarczyk (2011) für den Englischunterricht der Grundschule herausarbeitet, weisen die Leistungen von Erst- und Drittklässlern für das leise und das laute Lesen in der Fremdsprache große Diskrepanzen auf: Während Schüler: innen beim leisen Lesen die jeweiligen Wortbedeutungen abrufen bzw. beim freien Sprechen die Wörter korrekt artikulieren, ist das laute Lesen erschwert und wird stark an die Regeln der deutschen Aussprache angelehnt (vgl. ebd.: 61 ff.). Dennoch wird in dem methodischen Einsatz des lauten Vorlesens die Chance gesehen, bereits etablierte Verknüpfungen von Lautbildern und Bedeutungen gezielt um das Schriftbild zu ergänzen. Somit könnte ein Beitrag zu Wort‐ schatz- und Leseerwerb erbracht und auch das sinnentnehmende Lesen anhand des lauten Lesens gefördert werden (vgl. ebd.: 63). Es liegt nahe, das laute Lesen als eigenständige Fertigkeit zu betrachten, die einer entsprechenden Anbahnung und Schulung bedarf. Dies gilt gerade für den Französischunterricht, da die französische Sprache eine beträchtliche Diskrepanz zwischen code phonique und code graphique, also der gesprochenen und geschriebenen Sprache aufweist und damit Lernende vor besondere Herausforderungen stellt (vgl. Kap.-2.3.1.2). 2.2 Schreiben im Französischunterricht Im Zuge konkreter Symptome, die mit LRS einhergehen können, werden nicht nur Schwierigkeiten im Bereich des Rechtschreibens, sondern auch in Bezug auf andere Teilaspekte der Schreibkompetenz genannt (z. B. „Schwierigkeiten bei der Textproduktion 2.2 Schreiben im Französischunterricht 41 und -strukturierung“, Schulte-Körne 2014: 140). Deshalb wird im Folgenden die Teilkom‐ petenz des Schreibens im Französischunterricht insgesamt in den Fokus gerückt: Aus welchen Teilfertigkeiten besteht die Schreibkompetenz und welche didaktischen Zugänge und Fördermöglichkeiten können gefunden werden? Welche Formen und Funktionen kommen dem Schreiben im Französischunterricht zu? Und wie wird der Teilaspekt des orthographisch korrekten Schreibens in den gesamten Prozess eingeordnet? Diesen Fragen soll im Rahmen der folgenden Teilkapitel nachgegangen werden. 2.2.1 Auf dem Weg zur Schreibkompetenz in der Fremdsprache Analog zur Lesekompetenz gilt auch das fremdsprachliche Schreiben als komplexe Kom‐ petenz, die die Beherrschung und Koordination verschiedener Teilfertigkeiten verlangt (vgl. Krings 2016: 107). Diese werden in einem jahrelangen Prozess durch eine ausgiebige Auseinandersetzung mit Schriftsprache erworben, wie Königs (2017 a : 302) formuliert: Die Entwicklung einer umfassenden Schreibkompetenz kann man sich auf einem Kontinuum vorstellen, das bei Lernanfängern mit der schriftlichen Fixierung und Reproduktion von Wörtern, Strukturen oder kleinen Texten beginnt und bei der freien Textproduktion endet, mit der eine umfassende Schreibkompetenz in der Fremdsprache einhergeht. In Abgrenzung zum Leseverstehen als rezeptive Kompetenz stellt das Schreiben die pro‐ duktive Komponente schriftsprachlicher Kompetenzen dar. Dies bringt für Forschung wie Unterrichtspraxis die Chance mit sich, anhand entstehender Schreibprodukte erste Rückschlüsse auf Schreibprozesse und eventuell schwierigkeitsbesetzte Teilbereiche zu ziehen-- in Bezug auf das Lesen ist dies nur in indirekter Form möglich. - 2.2.1.1 Teilkomponenten von Schreibkompetenz Wie bereits mit Bezug zur Lesekompetenz diskutiert wurde, stehen mit der Differenzierung einer „Schriftkompetenz“ bzw. „Textkompetenz“ (Bachmann/ Becker-Mrotzek 2017: 26 ff.) Begrifflichkeiten zur Verfügung, die die verschiedenen Anforderungen und Entwicklungs‐ schritte bei der Produktion schriftlicher Äußerungen benennen (vgl. Kap. 2.1.1.1). Damit werden hierarchiehohe und -niedrige Schreibfertigkeiten unterschieden: In den Bereich der „Schriftproduktion“ fallen zum einen (fein-)motorische Fähigkeiten und die Beherrschung des jeweiligen Schriftsystems; zum anderen zählen orthographische Fertigkeiten dazu (vgl. ebd.: 28). Unter „Textproduktion“ wird in Bezug auf das fremdsprachliche Schreiben verstanden, „Texte entsprechend gültigen Textkonventionen verfassen zu können“ (Krings 2016: 107). Dazu müssen wiederum einzelne Komponenten wie Textsortenkonventionen oder konzeptionell schriftliche Fertigkeiten beherrscht werden. Zentral für die Koordination der einzelnen Prozesse ist das „Schreibprozessmanage‐ ment“: Es bezeichnet die „Fähigkeit, die komplexen mentalen Teilprozesse der Textproduk‐ tion zu planen und zu steuern“ (ebd.), und ragt damit in den Bereich der metakognitiven Schreibstrategien hinein (vgl. Kap.-2.2.2.3): Die ständige Überwachung des Schreibprozesses (monitoring) umfasst eine Fülle an seriell ange‐ ordneten oder parallel verlaufenden Vorgängen. So prüft der Schreiber auf einer unteren Ebene die Rechtschreibung, die Zeichensetzung und den Satzbau, während er auf einer oberen Ebene 42 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht die Passung und die Klarheit von Ideen und deren Darlegung, die Argumentationsstruktur sowie die Wirksamkeit auf den potenziellen Leser reflektiert. Das multifaktorielle Zusammenspiel der mentalen Prozesse ist äußerst komplex und kann in seiner Ablaufstruktur bis dato noch nicht exakt genug beschrieben werden. (Kieweg 2009: 4) Der Weg hin zu produktiven Fertigkeiten im Bereich der Schriftsprache wurde bereits im Kontext der Modelle des Schriftspracherwerbs diskutiert, die eine Parallelität des Lesen- und Schreibenlernens annehmen (vgl. Kap. 2.1.1.2). Deshalb werden an dieser Stelle einige Spezifika fremdsprachlicher Schreibkompetenz fokussiert: Die hohe Komplexität von Anforderungen beim Verfassen von Texten führt in der Regel zu einer Hierarchisierung potenziell mehr oder weniger komplexer Teilfertigkeiten. Beispielsweise verdeutlicht das obige Zitat von Kieweg (2009: 4), dass das monitoring der orthographischen Korrektheit in fremdsprachlichen Schreibprozessen vermeintlich „mitläuft“, d. h. parallel zu den anderen Anforderungen vollzogen wird. Auch nimmt Bludau (2002: 88) an, „dass der Lernende am ehesten noch und am frühesten in seiner Rechtschreibung Fehler erkennen wird“, also hier ein besonders leicht zugänglicher Bereich der Schriftsprache bestünde. Gerade vor dem Hintergrund komplexer Orthographien und der Annahme einer sukzessiven Entwicklung orthographischer Kompetenz in den Fremdsprachen wird diese Grundauffassung kritisch zu reflektieren sein (vgl. Kap.-2.3.2). Überdies erfordert das Schreiben in der Fremdsprache ein „ständige[s] Hin- und Herpen‐ deln zwischen inhaltlicher Planung und deren sprachlicher Realisierung“ (Krings 2016: 109). Beim fremdsprachlichen Schreiben können dabei die Ebenen der Grammatik und der Lexik für die Lernenden besonders herausfordernd sein, wobei lexiko-semantische Probleme den größten Teil von Realisierungsschwierigkeiten ausmachen und Schreibprozesse unterbre‐ chen können, z. B. aufgrund der Suche nach Paraphrasen oder Lexemen im Wörterbuch (vgl. ebd.). Abseits des komplexen Zusammenspiels verschiedener Teilfertigkeiten und -prozesse bezeichnet Königs (2017 a : 301) das Verfügen über eine „instrumentelle Schreibfertigkeit“ als wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Realisierung von Schreibaufträgen im Fremdsprachenunterricht. Damit ist auf einer basalen Ebene die schülerseitige Fertigkeit gemeint, inhaltliche „Ideen unter Verwendung der orthographischen Kenntnisse niederzu‐ schreiben“ (ebd.). Neben der Beherrschung der Rechtschreibung umfasst die instrumentelle Schreibfertigkeit feinbzw. graphomotorische Fertigkeiten sowie eine gewisse Schreibge‐ schwindigkeit. - 2.2.1.2 Schreibprozesse und ihre Modellierung Werden komplexere Schreibanlässe thematisiert, rückt der schülerseitige Schreibprozess in den Fokus fremdsprachendidaktischen Interesses. Dessen empirische Forschung wurde seit den 1980er-Jahren besonders im anglophonen Bereich vorangetrieben, was in zahlreiche Modelle insbesondere für das erstsprachliche Schreiben mündete (vgl. Philipp 2015 a : 31 ff.). Diese wurden auf das fremdsprachliche Schreiben übertragen bzw. angepasst (als Überblick vgl. Portmann 1991: 177 ff.). Ein breit akzeptiertes Modell zur Darstellung von Schreibprozessen besteht in dem Modell von Hayes und Flower (1980), das seitdem mehrere Aktualisierungen erfahren hat (vgl. Hayes 2012: 370). Die folgende Abbildung zeigt die überarbeitete Version des Modells aus dem Jahr 2012. 2.2 Schreiben im Französischunterricht 43 Abb. 2: Schreibprozessmodell nach Hayes (2012: 371) Ein wesentliches Merkmal des Schreibprozessmodells besteht in der Differenzierung von drei Ebenen, die die individuellen Dispositionen der schreibenden Personen in den Fokus rücken. Diese bestehen erstens in verschiedenen kognitiven und sprachlichen Ressourcen der Schreibenden („resource level“), die auch bei der Diskussion defizitärer Lese- und Schreibkompetenzen eine besondere Rolle spielen: Dem Arbeits- und Langzeitgedächtnis kommt eine ebenso wichtige Rolle zu wie der Aufmerksamkeitssteuerung sowie dem Lesen als Fertigkeit, die unmittelbar mit Schreibaufträgen verbunden ist (vgl. Kap. 2.1.3.1). Zweitens ist die Prozess- und Umsetzungsebene zentral („process level“): Diese wird in den eigentlichen Schreibprozess und das Aufgabenumfeld aufgeteilt. Hier ist von beson‐ derer Relevanz, dass sowohl technologische Möglichkeiten, die das Schreiben unterstützen können, als auch Koaktanten sowie kooperative Schreibverfahren („collaborators & critics“) in das Modell integriert wurden. Hinsichtlich des Themas der vorliegenden Arbeit erscheint beachtenswert, dass auch basale Fertigkeiten wie die Laut-Buchstaben-Zuordnung und das orthographisch korrekte Schreiben („transcriber“) explizit berücksichtigt werden. Deutlich werden darüber hinaus die verschiedenen Rollen, die eine schreibende Person parallel zu erfüllen hat: So werden z. B. Inhalte in die (Fremd-)Sprache übertragen („translator“) und der eigene Schreibprozess bzw. Schreibprodukte überwacht und überarbeitet („evaluator“). Die in dem Hayes-Flower-Modell von 1980 so prominente Rolle des monitoring wird auf diesen Ebenen implizit repräsentiert, indem sie unterschiedliche Planungsgrade von Schreibenden bezeichnet (vgl. Hayes 2012: 373 ff.). 44 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht Drittens integriert das Modell die Ebene der Steuerung bzw. Kontrolle („control level“). Wichtigste Neuerungen sind hier, dass die typischen drei Phasen von Schreibprozessen (hier: „plan“, „write“, „revise“) auf einer metakognitiven Ebene eng mit persönlichen Zielsetzungen für das Schreiben verbunden werden. Zudem hat die Motivation als wesent‐ liche Determinante des Sprachlernerfolgs Eingang in das Schreibprozessmodell gefunden. Grundlegend wird eine Rekursivität der verschiedenen Ebenen des Modells angenommen und das Schreiben als zyklischer Prozess verstanden. Dieser bietet - im Gegensatz zu der produktiven Teilkompetenz des Sprechens - den Vorteil, dass aufgrund des asynchronen Ablaufs einzelne Bewältigungsschritte bewusst gemacht, reflektiert und mit gezielten Lern- und Kompensationsstrategien versehen werden können. Diese Ansätze zur Didaktisierung von Schreibprozessen werden im folgenden Kapitel aufgegriffen. 2.2.2 Didaktisierung von Schreibprozessen Nicht nur im Fremdsprachenunterricht bergen Schreibaufträge eine hohe Komplexität, die reduziert bzw. operationalisiert werden muss, um anhand passgenauer Fördermaß‐ nahmen adressiert werden zu können. Im Folgenden werden Phasenmodelle, Ansätze der Schreibförderung und Schreibstrategien als Möglichkeiten der Didaktisierung von Schreibprozessen vorgestellt. - 2.2.2.1 Phasierung von Schreibprozessen Analog zu dem exemplarisch gezeigten Prozessmodell des Schreibens von Hayes (2012) wird bei der Didaktisierung von Schreibaufträgen meist der Versuch unternommen, verschiedene Komponenten von Schreibprozessen zu identifizieren und diese damit nicht nur erklär- und nachvollziehbar, sondern insbesondere auch methodisch zugänglich zu machen (z. B. Bludau 2002: 86). Krings (2016: 110) greift in diesem Kontext auf den Begriff der procedural facilitation zurück, der „die Zerlegung komplexer Schreibprozesse in einzelne Schreibphasen […] mit jeweils einem bestimmten Aufmerksamkeitsfokus“ bezeichnet. Dies soll die jeweiligen Teilschritte hin zu einem Schreibprodukt für Lehrende wie Lernende handhabbar machen. Allen Ansätzen ist gemein, dass sie - wie für die Teilkompetenz des Lesens (vgl. Kap. 2.1.2.2) - eine Vorbereitungs-, eine Durchführungs- und eine Nachbereitungsphase bei der Bearbeitung von Schreibaufgaben annehmen. Während die Begrifflichkeit des pre-, while- und post-writing (z. B. Bludau 2002: 86) zunächst auf die chronologische Abfolge einzelner Etappen von Schreibprozessen abzielt, verweisen Einteilungen wie préparer - rédiger - corriger (vgl. Blume 2008) oder planification - mise en texte - révision (vgl. Martinez 2004) bereits auf inhaltliche Aspekte einzelner Schreibphasen. Wesentliche Subprozesse der Planungsbzw. Vorbereitungsphase bestehen beispiels‐ weise in der Identifikation eines Schreibziels, der Aktivierung von Vorwissen zu Thema, Ad‐ ressat: in, Textsorte und Kommunikationssituation sowie der Anfertigung vorbereitender Notizen. Während der Textredaktion wird der eigentliche Text ausformuliert, wobei inhalt‐ liche Aspekte in eine adäquate sprachliche Form gebracht werden und auch strukturelle Elemente der Textgestaltung berücksichtigt werden müssen. Für das fremdsprachliche Schreiben ergibt sich hier die besondere Herausforderung der Loslösung von der Erstbzw. Zweitsprache (s. o.). Die Überarbeitungsphase von Texten hat zum Ziel, vorrangig sprach‐ 2.2 Schreiben im Französischunterricht 45 liche Korrekturen an dem eigenen Schreibprodukt vorzunehmen. Aufgrund ihrer hohen Relevanz auch für den Bereich der Rechtschreibung wird sie im folgenden Kapitel einer genaueren Betrachtung unterzogen. Die vorgenommene Phasierung von Schreibprozessen bildet den idealen Ablauf komplexerer Schreibprozesse ab, kommt aber nicht per se in Gang, wenn Lernende eigenständig einen Text verfassen sollen. Im Gegenteil bedarf es einer begleiteten Einübung der wesentlichen Arbeitsschritte der einzelnen Schreibetappen durch die Lehrkraft, die langfristig auf ein routiniertes Handeln der Schüler: innen hinauslaufen sollte (z. B. Blume 2008). - 2.2.2.2 Überarbeitungsphasen und die Rolle sprachlicher Korrektheit Insbesondere für die Phase der révision von Schreibprodukten stellt sich jedoch die Frage, welcher Stellenwert und welche Aufmerksamkeit ihr bei der Realisierung von Schreibprodukten tatsächlich zuteilwerden. Einerseits wird der fachdidaktische Anspruch formuliert, Korrekturen und Überarbeitungen als Instrument der sprachlichen, inhaltlichen und formalen Qualitätssicherung fortwährend in laufende Schreibprozesse zu integrieren. So benennt beispielsweise Blume (2008: 7, Herv. der Verf.) „eine gründliche, Inhalt, Gedan‐ kenführung, Textkohärenz und Sprache überprüfende und ggf. korrigierende Textrevision während und am Ende des Schreibprozesses“ als Zielvorstellung. Martinez (2004: 37, Herv. der Verf.) bezeichnet dies sogar als Merkmal geübter Schreibender: „Tout scripteur expérimenté révise constamment son texte ! La révision est - avec la planification - la stratégie la plus importante du bon scripteur.“ Andererseits stellen unterrichtspraktische Beiträge heraus, dass die Überarbeitungs‐ phase seitens der Schüler: innen die „neben der Planungsphase am wenigsten beachtete Phase des Schreibprozesses“ (Blume 2014: 174) sei: „Nach dem Motto ‚Es ist geschafft, Schluss, aus Ende‘ erfolgt kaum eine konzentrierte Durchsicht des ersten Textentwurfs, in Klausuren besteht oftmals auch keine Zeit mehr dazu.“ (ebd.) Es ist nicht zu leugnen, dass es den Schreibenden eine besondere Anstrengung und Motivation abverlangt, sich auf den der Textplanung und -erstellung nachgelagerten Arbeitsschritt der Textüberarbeitung zu kon‐ zentrieren. Denn die Textrevision erfordert die grundsätzliche Bereitschaft, Verantwortung für den eigenen Lernbzw. Schreibprozess zu übernehmen, und den Willen, ein angemes‐ senes Schreibprodukt zu redigieren. Die Lernenden müssen dazu bereit und in der Lage sein, sich dem eigenen Schreibprodukt in selbstkritischer Distanz zuzuwenden, und dabei in der eigenen Person eine verlässliche Korrekturinstanz wahrnehmen, die das Geschriebene tatsächlich verbessern kann (vgl. das Konzept der Selbstwirksamkeit, z. B. Bandura 1997: 36 ff.). Außerdem werden eine hohe Selbststeuerung und „Selbsttätigkeit des Schreibenden“ (Bludau 2002: 87) sowie ein ausgeprägtes metasprachliches Reflexionsniveau der Lernenden vorausgesetzt. Selbst für geübte Schreibende stellt es deshalb eine große Herausforderung dar, in kritische Distanz zu eigenen Texten zu treten und sprachliche Fehler oder inhaltliche Inkohärenzen zu identifizieren und zu verbessern. Gerade der metakognitive Zugriff auf Fertigkeiten wie das Rechtschreiben, die zumindest teilweise automatisiert ablaufen sollten, kann eine besondere Herausforderung darstellen: Dazu sind beispielsweise ein Rechtschreibwissen und Rechtschreibbewusstsein auch in der Fremdsprache vonnöten (vgl. Kap. 2.3.2.1). 46 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht Außerhalb von Leistungsüberprüfungen steht eine große Breite an Methoden zur Text‐ überarbeitung zur Verfügung, die in der Unterrichtspraxis Anwendung finden können und über die Blume (2014: 174 ff.) einen Überblick gibt. Dazu zählen beispielsweise Ansätze wie das „Vorlesen und Besprechen von Texten in Kleingruppen“, das gegenseitige „Lektorieren“ in Partnerarbeit oder auch die „Textlupe“ (ebd.). Letzterer wird ein besonders positiver Effekt für Textüberarbeitungen zugeschrieben, die eine Steigerung der sprachlichen Kor‐ rektheit zum Ziel haben. Denn indem die Schüler: innen konkrete und klar begrenzte Problemfelder ihres Texts fokussieren, können besonders schwierigkeitsbesetzte Bereiche gezielt bearbeitet werden. Hinsichtlich möglicher Textüberarbeitungen bei Leistungsüberprüfungen spielt der Aspekt der „Zeitökonomie“ eine große Rolle, wie Bludau (2002: 87) verdeutlicht. In der Regel liegt es in der Eigenverantwortung der Lernenden, sich die zur Verfügung stehende Zeit so einzuteilen, dass am Ende ausreichend Zeit für eine oder mehrere Überarbeitungsschleifen bleibt. Nicht zuletzt müssen je nach Zielsetzung des Schreibprodukts sowie individuellen Stärken und Schwächen Prioritäten bei der Überarbeitung formaler, struktureller oder inhaltlicher Textmerkmale gesetzt werden. Blume (2008: 7) resümiert all diese Aspekte unter dem Stichwort der „Überarbeitungskompetenz der Schülerinnen und Schüler“. Der Ansatz der Textüberarbeitung impliziert, dass der im Rahmen der Phase der Verschriftli‐ chung niedergeschriebene Text ein Mindestmaß an Lesbarkeit, sprachlicher Korrektheit und inhaltlicher Kohärenz aufweist, um überhaupt einer Feinkorrektur unterzogen werden zu können. Zudem erscheint bei der Textüberarbeitung nicht nur das Rekurrieren auf vorherige Phasen des Schreibprozesses essenziell, sondern es ist der integrierte Rückgriff auf die Lesekompetenz nötig, um überhaupt einen hinreichend exakten und zügigen Zugriff auf das eigene Schreibprodukt zu erlangen. Hier wird die Interdependenz schriftsprachli‐ cher Kompetenzen deutlich, die auch in Schreibprozessmodellen repräsentiert wird (vgl. Kap. 2.2.1.2) und für Schüler: innen mit LRS eine besondere Herausforderung darstellen könnte: Denn die Umsetzung des Nachteilsausgleichs in Form einer Zeitzugabe bei schrift‐ lichen Arbeiten setzt auf eine effektive Textüberarbeitung seitens der Schüler: innen (vgl. Kap.-3.5.2). - 2.2.2.3 Schreibstrategien und Ansätze der Schreibförderung Auf der Ebene der Unterrichtsmethodik stehen verschiedene Ansätze zur Verfügung, um eine Schreibförderung auch im Fremdsprachenunterricht umzusetzen. Die große Breite und Vielfalt der Ansätze und Ideen wird in der Forschungsliteratur sowie in schulpraktischen Beiträgen auf unterschiedliche Weise systematisiert. Beispielsweise differenziert Blume (2014: 160 ff.) verschiedene Zielsetzungen der Schreibförderung im Französischunterricht. Diese können zum einen darin bestehen, vorrangig die Motivation der Lernenden für das „mühselige Geschäft“ (ebd.: 160) des Schreibens aufrechtzuerhalten, beispielsweise indem kreative Schreibverfahren und eine Variation an Textsorten Eingang in den Unterricht finden. Überblicke über kreative Verfahren der Schreibförderung wie z. B. assoziative Ver‐ fahren, open end stories oder Schreibspiele geben beispielsweise Caspari (2005) oder Porsch (2020: 73 ff.). Zum anderen zielen Verfahren der Schreibförderung auf die effektive Gestal‐ tung der einzelnen Phasen von Schreibprozessen ab (vgl. Kap. 2.2.2.1), um die jeweiligen Schreibergebnisse zu verbessern und einen bewussten Umgang der Schüler: innen mit ihren 2.2 Schreiben im Französischunterricht 47 Schreibprozessen anzuregen. Typische Beispiele bestehen in Mindmapping-Verfahren für die Planungsphase von Texten oder Ansätzen, die im Rahmen der eigentlichen Texterstel‐ lung auf die Rekonstruktion bzw. Imitation bestimmter Textsortenspezifika abzielen (z. B. die fiches d’écriture nach Deharde/ Lück-Hildebrandt 2006). Umfassende Anregungen für die methodische Gestaltung der verschiedenen Phasen von Schreibprozessen finden sich beispielsweise in Blume (2014: 164 ff.). Für Schüler: innen mit LRS haben Ansätze zur Förderung basaler Schreibfertigkeiten eine besondere Relevanz. Methodisch bieten sich vor allem im Anfangsunterricht beispielsweise Partner-, Dosen- oder Laufdiktate zur „Schulung der graphischen Umsetzung der neuen Phoneme“ (ebd.: 164) oder auch „multisensorische Diktate“ (Gerlach 2019 a : 70) an. Für den Bereich des Französischen als Fremdsprache ist mit Berger und Abry (2019) eine niveaustufenübergreifende Materialsammlung erschienen, die zahlreiche Übungen zur Differenzierung von Lauten, der Etablierung der Phonem-Graphem-Relationen und zur Schulung graphomotorischer Herausforderungen (also z. B. neuen Schriftzeichen im Be‐ reich der Diakritika) anbietet. Vor dem Hintergrund der engen Orientierung von Ansätzen zur Schreibförderung an gängigen Schreibprozessmodellen ist positiv hervorzuheben, dass in Hayes’ Modell die Anforderung des Verschriftens des Texts explizit genannt wird („transcriber“, vgl. Hayes 2012: 371 f.). Wie bereits für den Kontext der Leseförderung erarbeitet (vgl. Kap. 2.1.2) können auch für die Teilkompetenz des Schreibens Schreibtechniken und -strategien unterschieden werden. Letztere sollen im Folgenden besonders in den Fokus gerückt werden, da der Vermittlung von Schreibstrategien die höchsten Effekte auf die Verbesserung der Schreibkompetenz zugeschrieben werden (vgl. Feilke 2017: 164). Analog zur Kategorisierung im Bereich der Lesestrategien wird auch hinsichtlich der Schreibstrategien zwischen kognitiven, metakognitiven und affektiven bzw. sozialen Strategien unterschieden. Letztere werden auch „Stützstrategien“ (Philipp 2015 b : 214 f.) genannt und bezeichnen interne oder externe Strategien zur Optimierung des Schreibprozesses, also z. B. das Einplanen ausreichender Pausen oder Belohnungen bzw. die Zusammenarbeit mit anderen Lernenden oder die Konsultation von Modelltexten. Die metakognitiven Schreibstrategien umfassen einen Dreischritt von Strategien zur Planung, Überwachung und Anpassung der eigenen Vor‐ gehensweise beim Verfassen von Schreibprodukten (vgl. Schröder et al. 2017: 144). Vor dem Hintergrund von Forschungsergebnissen in der Deutschdidaktik ist zu betonen, dass sich die Vermittlung „selbstregulatorischer Fähigkeiten“ (Philipp 2015 a : 179) gerade für schreibschwache Schüler: innen als besonders effizient erwiesen hat. Diese werden angele‐ itet, sich selbst Ziele für anstehende Schreibaufgaben zu setzen, diese zu überprüfen und sich selbst Fragen zu stellen bzw. weiterführende Handlungsanweisungen zu formulieren. Für das Englische stellt beispielsweise Kieweg (2009: 10 ff.) entsprechende Materialien zur Selbstreflexion bzw. -evaluation zur Verfügung. Das Herzstück der Schreibstrategien stellen die kognitiven Strategien dar, die in die Großgruppen der „Planungs- und Revisionsstrategien“ eingeteilt werden und - wie auch die anderen Strategietypen - transversal zu allen Phasen von Schreibprozessen liegen (vgl. Philipp 2015 a : 165). Unter Rückbindung an das Schreibprozessmodell von Hayes (2012) nimmt die schreibende Person im Fall der Planungs- und Revisionsstrategien verschiedene Rollen und Haltungen gegenüber ihrem Schreibprodukt ein. Sie ist zum einen Leser: in des 48 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht eigenen Texts („text written so far“), zum anderen initiiert sie als „evaluator“ (ebd.: 371) entsprechende Überarbeitungen (vgl. Kap.-2.2.2.2). 2.2.3 Formen und Funktionen des Schreibens im Französischunterricht Reichelt (2001: 579) wirft in ihrer Metaanalyse zum fremdsprachlichen Schreiben im USamerikanischen Bildungsbereich relevante Fragen bezüglich des Einsatzes von Schriftlich‐ keit im Fremdsprachenunterricht auf: And within the FL [foreign language] classroom itself, what is the purpose of writing: Is it to work on accuracy in orthography and morphology? to reinforce and learn new vocabulary? to practice various syntactic structures? to provide further experience in purposive use of the TL [target language] through interaction and creation of meaning? to learn to create compositions appropriate for some particular audience and purpose? to learn and communicate about aspects of the TL, including literature and culture? to support acquisition of speaking, reading, and listening skills? Die skizzierten Dimensionen von Schriftlichkeit bzw. Schreibkompetenz werfen ein Schlaglicht auf die Bandbreite möglicher Schreibanlässe und -absichten und zahlreiche verschiedene Formen und Funktionen, die mit dem Schreiben im Fremdsprachenunterricht assoziiert werden: Zum einen kann Schreiben der Entwicklung fremdsprachlicher Kompe‐ tenzen oder der Aneignung inhaltlichen Wissens dienen und damit „Mittel zum Zweck“ des Fremdsprachenlernens sein. Zum anderen stellt das Schreiben selbst eine Zielkompetenz des Fremdsprachenunterrichts dar, die spezifische Anforderungen für die Lernenden mit sich bringt und Kern eigenständiger methodisch-didaktischer Überlegungen ist. - 2.2.3.1 Learning to write und writing to learn Besonders greifbar wird diese Differenzierung anhand des Begriffspaars writing to learn und learning to write, anhand dessen Manchón (2011 a ) ihren gleichnamigen Sammelband strukturiert und damit die beiden Termini als wesentliche Achsen der Beschäftigung mit fremdsprachlichen Schreibprozessen herausstellt. Writing to learn wird hinsichtlich einer inhaltsorientierten („writing-to-learn content“, Manchón 2011 b : 3 ff.) und einer sprachbezo‐ genen Dimension („writing-to-learn language“, ebd.) differenziert: Hier dient Schreiben als Instrument dem Zweck eines Lernzuwachses in einem bestimmten Anforderungsbereich. Darauf rekurrieren auch andere Autor: innen wie beispielsweise Kieweg (2009: 3), der für den Fremdsprachenunterricht sechs Zielsetzungen des Schreibens identifiziert, wovon eine auf das „Schreiben, um etwas zu lernen oder zu behalten“, abzielt: Dazu zählen einfache Formen wie „taking notes while reading/ listening“, „filling in a questionnaire“ oder „taking a dictation“, aber auch komplexere Schreibaufträge wie „retelling a story“ oder „writing a summary“. Demgegenüber lenkt das learning to write den Blick explizit auf die Teilkompetenz des Schreibens, für deren Schulung ganz eigene Konzepte benötigt werden (als Überblick z. B. Hyland 2011). Es sei vorweggeschickt, dass das learning to write im Fremdsprachenunterricht meist schon basale schriftsprachliche Kompetenzen im Sinne einer „Textkompetenz“ (Bachmann/ Becker-Mrotzek 2017: 26) voraussetzt und 2.2 Schreiben im Französischunterricht 49 entsprechende Schreibprozessmodelle in der Regel auf der Planungsebene von Texten einsetzen (vgl. Kap.-2.2.2). Mit Bezug zur Umsetzung im Unterricht ist ein Kontinuum schriftlicher Aktivitäten zwischen den Polen des writing to learn und learning to write anzunehmen. Diese zielen-- mit jeweiligen Schwerpunktsetzungen - auf die Entwicklung von Schreibkompetenz selbst oder auf andere inhaltliche oder sprachliche Aspekte des Fremdsprachenlernens (vgl. auch die Unterscheidung von focus on form und focus on meaning). Nicht nur in Bezug auf den schulischen Fremdsprachenunterricht müsste das den Zusammenhang des Lernens und Schreibens fokussierende Begriffspaar writing to learn und learning to write um korrespon‐ dierende Begriffe im Bereich der Leistungsüberprüfung und -beurteilung von Schüler: innen ergänzt werden. So gehören sowohl das Prüfen und Bewerten von Schreibleistungen als auch das Schreiben mit dem Ziel, einen Lernstand schriftlich abzubilden und mit Blick auf eine juristische Verbindlichkeit bzw. eine Absicherung der Lehrkräfte zu fixieren, zu typischen Einsatzbereichen des Schreibens im Fremdsprachenunterricht (vgl. de Florio- Hansen 2005: 221). Das Schreiben als Ziel von und Mittel zur Leistungsüberprüfung wird besonders intensiv diskutiert, wenn es im Kontext von LRS zu Modifikationen von Prüfungsformaten kommt (vgl. „Nachteilsausgleich“ und „Notenschutz“, Kap.-3.5.2). - 2.2.3.2 Reproduktives, gelenktes und freies Schreiben Anknüpfend an das Begriffspaar des writing to learn und learning to write bzw. die Unterscheidung basaler und komplexer Formen des Schreibens im Fremdsprachenunter‐ richt kann das gelenkte von dem freien Schreiben differenziert werden. Beide Termini bezeichnen wiederum die Pole eines vorstellbaren Kontinuums zwischen mehr oder weniger an einem bestimmten Modell oder an sprachlichen bzw. inhaltlichen Vorgaben orientierten Schreibaufträgen, die im Fremdsprachenunterricht gestellt werden können. Portmann (1991: 475) nennt dies auch „Vorlagengebundenheit“ und bezeichnet damit gelenkte Schreibaufgaben, die „die Verarbeitung von vorliegendem Material in Nacherzäh‐ lungen und Zusammenfassungen, im Weiteren auch in Textkommentaren usw. erfordert.“ (ebd.) Königs (2017 a : 301 f.) bezeichnet anhand der korrespondierenden Begriffe „dependent authorship“ und „independent authorship“ nicht nur Differenzen bezüglich der geistigen Urheberschaft von Texten, sondern auch eine steigende Komplexität von Schreibaufgaben im Laufe des Fremdsprachenlernens. Eine besondere Form gelenkten Schreibens besteht in dem kopierenden Schreiben, also der reinen Reproduktion schriftlicher Vorlagen. Hiermit sind beispielsweise Tafelab‐ schriften, die Übertragung schriftlicher Notizen oder Arbeitsaufträge wie „etwas ins Reine schreiben“ gemeint. Soll ein mündlicher Input notiert werden, wie dies z. B. bei Diktaten oder Mitschriften von Wortbeiträgen im Unterricht der Fall ist, erfolgt zwar auf inhaltlicher Ebene eine reine Reproduktion, die Umsetzung des Lautbilds in die Schriftform ist aber als eigenständige Leistung einzuschätzen. Dies ist insbesondere hinsichtlich der Herausforde‐ rungen wie z. B. der Etablierung von Phonem-Graphem-Relationen, denen Schüler: innen mit LRS beim Fremdsprachenlernen begegnen, von nicht zu unterschätzender Bedeutung (vgl. Kap.-3.4). Auch Portmann (1991: 475 ff.) diskutiert die in der Schreibdidaktik nach wie vor häufig vertretene Hypothese, dass freies Schreiben als „schwierig(-er)“ und vorlagengebundenes 50 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht Schreiben als „einfach(-er)“ zu verstehen und je nach Sprachniveau der Lernenden graduell einsetzbar sei. Auch wenn die höhere Komplexität freier Schreibaufgaben grundsätzlich an‐ erkannt wird, kommt Portmann (1991: 478) in Bezug auf gelenktes Schreiben zu folgendem Ergebnis: Vorlagengebundenes Schreiben ist demnach nicht generell als leicht zu taxieren. Wahrscheinlich wird es um so leichter, je mehr es, nach Vorbereitung, sich blosser [sic! ] Reproduktion annähert. Dort, wo es reformulierenden Sprachgebrauch fordert, kann es zur höchst anspruchsvollen Aufgabe geraten, vor allem dann, wenn Wortschatz und Satzstrukturen der Vorlage nicht zu Hilfe genommen werden können […]. Portmann identifiziert hier eine Dimension von Schwierigkeit bei Schreibaufgaben, die in der engen Orientierung an einem Ausgangstext besteht: Für Lernende besteht weniger die Möglichkeit, auf Wortschatz und sprachliche Strukturen zurückzugreifen, die individuell gut beherrscht werden - wie es im Fall freierer Schreibaufträge anzunehmen wäre. Ebenfalls wird die Grundannahme, dass die reine Reproduktion schriftlicher Texte die „leichteste“ Form des Schreibens im Fremdsprachenunterricht sein könnte, aufrechter‐ halten. Hier besteht ein Konsens, der auch in bildungspolitischen Rahmendokumenten zum Ausdruck kommt: Beispielsweise geht die im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER) dargestellte Progression von Lernenden im Bereich der Schreibbzw. orthographischen Kompetenz von einer Entwicklung von reproduktiven hin zu freien Schreibfertigkeiten aus (vgl. Europarat 2020: 160). - 2.2.3.3 Schreibanlässe und Textsorten Neben der Differenzierung von Formen und Funktionen des Schreibens im Fremdspra‐ chenunterricht können verschiedene konkrete Schreibanlässe und damit einhergehend relevante Textsorten unterschieden werden. Nieweler (2004: 2) differenziert mit Bezug zum Französischunterricht beispielsweise „Schreiben, um sich mitzuteilen (persönlichkeits‐ orientiert)“, „Schreiben, um anderen etwas mitzuteilen (produktorientiert, funktionales Schreiben)“, und „Schreiben, um zu interpretieren (kreativitätsorientiert oder textanaly‐ tisch)“. Analog dazu nennt Kieweg (2009: 3) für den Englischunterricht „emotives“, „infor‐ matives“, „argumentatives“, „unterhaltsames/ kreatives Schreiben“, „Schreiben zum Erhalt persönlicher Kontakte“ und „Schreiben, um etwas zu erlernen oder zu behalten“, als we‐ sentliche Kategorien für eine Klassifizierung verschiedener Zielsetzungen des Schreibens. Im Rahmen praxisorientierter Beiträge wird betont, dass im Unterrichtsalltag zweckori‐ entiertere Formen des Schreibens wie z. B. das Anfertigen von Tafelabschriften, Vokabel‐ einträge oder das Ausfüllen von Arbeitsblättern gegenüber intensiveren und systematisch angelegten Schreibaufgaben wie creative oder genre writing oftmals im Fokus stehen (z. B. Kieweg 2009: 2). Dies wird einerseits damit begründet, dass gerade im Unterricht der zweiten Fremdsprachen meist zu wenig Zeit zur Verfügung stehe bzw. Lerngruppen zu groß seien, um sich differenziert und intensiv umfassenderen Schreibaufgaben zuzuwenden (z. B. Blume 2008: 4). Andererseits scheint ein writing to learn seitens der Schüler: innen im Unterricht unabdingbar, da es der individuellen Strukturierung von Lernprozessen, der gemeinsamen Ergebnissicherung und der Leistungsüberprüfung dient. Auch eine Weiterar‐ beit an Lerninhalten außerhalb des Fremdsprachenunterrichts würde erheblich erschwert, 2.2 Schreiben im Französischunterricht 51 wenn den Schüler: innen selbst, aber auch Lehrkräften im Nachmittagsbereich, Eltern oder Nachhilfelehrer: innen keine verbindlichen - da schriftlich fixierten - Informationen zu behandelten Themen zur Verfügung stehen. Dieser Skizzierung der Unverzichtbarkeit „zweckgebundenen“ Schreibens im Fremd‐ sprachenunterricht steht entgegen, dass einige fremdsprachendidaktische Publikationen zwar das Schreiben zur „Unterstützung des Lernprozesses“ (Königs 2017 a : 300), „Schreiben als Lernhilfe“ (de Florio-Hansen 2005: 224) oder „Schreiben als Arbeitstechnik“ (Kieweg 2009: 3) erwähnen, sich dann jedoch bevorzugt komplexeren Schreibanlässen wie dem Ver‐ fassen persönlicher Korrespondenzen oder Buch- und Filmrezensionen (z. B. Nieweler 2008) zuwenden. Mögliche Abläufe und methodische Aspekte basaler Formen des Schreibens, die z. B. der Ergebnissicherung im Unterricht, dem individuellen Notieren bestimmter As‐ pekte als Gedächtnisstütze oder der Vorbereitung mündlicher Aufgabenstellungen dienen, werden in ihren jeweiligen Voraussetzungen und Herausforderungen kaum thematisiert. - 2.2.3.4 Exkurs: frühes Französischlernen Verfolgt man die Spur eines Schreibbegriffs für den Fremdsprachenunterricht, der nicht bei einer bereits ausgeprägten „instrumentellen Schreibfertigkeit“ (Königs 2017 a : 301) und - in Bezug auf komplexere Schreibprozesse - auf der Ebene der Textvorbereitung bzw. -planung ansetzt, gelangt man in den Themenbereich des frühen Fremdsprachenler‐ nens bzw. des Französischlernens als erste Fremdsprache. Dort rückt die Frage in den Fokus, wie basale schriftsprachliche Kompetenzen in der Fremdsprache erworben werden können - ein Prozess, der in der Primarstufe zugleich ein wesentliches Anliegen des Deutschunterrichts ist (vgl. Weth 2011 a ). Es wird intensiv diskutiert, welchen Stellenwert geschriebene Sprache im Kontext spielerisch-kommunikativer und meist stark an verbalem Input orientierter Unterrichtsansätze für die Grundschule haben kann und sollte. Lange Zeit wurde die Ausbildung mündlicher Sprachkompetenz absolut gesetzt und die Entwicklung von Schriftlichkeit in der Fremdsprache hierarchisch nachgeordnet, wie Mertens (2002: 142) erläutert. Gründe dafür bestanden beispielsweise in der Befürchtung, fremdsprachlicher Schrifterwerb könne nur in Konkurrenz zum Schreiben in der Erstsprache erfolgen und würde so die Entwicklung von Schreibkompetenz in der Schulsprache verzögern. Zudem wurde in der komplexen Systematik der französischen Orthographie eine Überforderung (nicht nur) jüngerer Fremdsprachenlernender befürchtet. Gründe liegen beispielsweise darin, dass auch bereits für erstsprachliche Kinder das Erlernen der französischen Recht‐ schreibung sehr anspruchsvoll ist (vgl. Brissaud 2011). Die Skepsis gegenüber dem Einbezug von Schriftsprache in den Fremdsprachenunter‐ richt der Grundschule hat in den vergangenen Jahren im Kontext der Literacy-Diskussion abgenommen (vgl. Rymarczyk 2016), sodass nun vermehrt Ansätze zu einem systemati‐ schen Aufbau fremdsprachlicher Lese- und Schreibkompetenzen im Grundschulunterricht diskutiert werden, die potenziell auch auf ältere oder fortgeschrittene Lernende übertragen werden könnten. Beispielsweise zeigt Weth (2011 a : 103), dass Schüler: innen beim Erlernen der ersten Fremdsprache Französisch in der Grundschule ihre „Rechtschreibkompetenz des Deutschen als Ressource für die Verschriftung der Fremdsprache“ nutzen und so eine Übertragung schülerseitigen Wissens über Aufbau und Struktur einer Schriftsprache auf weitere Sprachen erfolgen kann. Dies setzt ein konstruktives Verständnis von (Recht‐ 52 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht 16 Weth (2011 b : 137) merkt zu Recht an, dass für die systematische Arbeit mit dem französischen Laut- und Schriftbild neben der Silben- und Wortebene auch die Auseinandersetzung mit wortübergreif‐ enden Phänomenen wie der liaison, dem enchaînement oder den groupes rythmiques nötig ist. 17 Dieses Vorgehen steht in Konkurrenz zu Ansätzen wie chunk learning, die eine integrierte Vermitt‐ lung von Wortschatz und Grammatik vorsehen und sich - unter Berufung auf die Spracherwerbs‐ forschung - dem über der Wortebene ansetzenden, imitativen Verbalisieren häufig zusammen vorkommender Wörter annähern (z. B. Müller-Hartmann/ Schocker 2016). schreib-)Fehlern als konstitutive Merkmale von Lernprozessen voraus und erkennt eine „orthographische Lernersprache“ (Weth 2011 a : 104) im positiven Sinne an (vgl. Kap. 2.3.2.2). Methodische Ansätze zur Nutzung von Schrift und Schriftlichkeit im Französischunter‐ richt der Grundschule gehen davon aus, dass die Schriftsprache gerade in fortgeschrittener Grundschulzeit für Schüler: innen zu einer festen Bezugsgröße wird, die auch für das Französischlernen genutzt werden kann. Beispielsweise schlägt Mertens (2002: 147) einen „silbenbezogene[n], strukturierte[n] Zugang zur französischen Schriftsprache“ vor, der phonologische Spezifika des Französischen systematisch zur Schulung der Aussprache‐ wahrnehmung und Automatisierung grundlegender Verarbeitungsmechanismen nutzt. Dabei kommt auch der Schrift selbst eine wichtige Rolle zu, denn ausgehend von Reimen ordnen die Lernenden die jeweiligen Silben der passenden Schreibung zu und systematisieren diese anhand eines Zugmodells (le petit train). Auch die „Markierungsme‐ thode“ von Lämmle und Maier (2008) zielt darauf ab, dass Schüler: innen die Phonem- Graphem-Relationen der französischen Sprache sukzessive entdecken. Dazu segmentieren die Lernenden das Lautkontinuum der gesprochenen Sprache anhand des Schriftbilds und markieren, welche Grapheme bestimmten Lauten entsprechen (für eine Diskussion der beiden Methoden vgl. Weth 2011 b : 137 f.). 16 Die skizzierten Diskurse um frühes Französischlernen thematisieren, was in Bezug auf die zweiten Fremdsprachen keine Priorität mehr hat - jedoch im Fall von Beeinträchti‐ gungen des Lesens und (Recht-)Schreibens (wieder) relevant wird: Durch die Rückkopplung an den Schriftspracherwerb im Deutschunterricht der Grundschule wird Schüler: innen nicht „nur“ als Lernende einer neuen Sprache, sondern dezidiert auch als Lese- und Schreibanfänger: innen begegnet. Dabei wird auf einer sprachstrukturellen Ebene angesetzt, die unterhalb der Einheit des Worts liegt und meist silbenbezogen ist. So werden auch spielerische und entdeckende Zugänge zur französischen (Schrift-)Sprache, z. B. über Reime und Verse, ermöglicht. 17 Damit ergeben sich Überschneidungen sowohl mit besonders schwierigkeitsbesetzten Bereichen (vgl. Kap. 3.4) als auch mit entsprechenden Förderan‐ sätzen bei LRS (vgl. Kap.-3.5). 2.3 Rechtschreiben im Französischunterricht Während im vorherigen Teilkapitel der inhaltliche Fokus auf der Darstellung des Schreibens als übergeordnete Teilkompetenz liegt, werden im Folgenden die Rechtschreibung und ihre Rolle im Französischunterricht einer genaueren Betrachtung unterzogen. Relevante Aspekte werden sowohl aus sprachwissenschaftlicher (Kap. 2.3.1) als auch aus didaktischer Sicht diskutiert (Kap.-2.3.2). 2.3 Rechtschreiben im Französischunterricht 53 18 Während „Graph“ synonym zu „Buchstaben“ steht, gilt ein Graphem „in Analogie zum Phonem innerhalb eines Lautsystems [als] kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit eines Schriftsystems.“ (Mertens 2017: 272) 19 Darunter sind die drei Akzente (accent aigu, z. B. frz. présent; accent grave, z. B. frz. mère; und accent circonflexe, z. B. frz. château), die Cédille (z. B. frz. français) und das Trema (z. B. frz. Noël) zu fassen. 2.3.1 Sprachwissenschaftliche Perspektiven Während die Graphie eine „schriftlich realisierte Form von Sprache (in Opposition zur Phonie)“ bezeichnet und damit auf einer deskriptiven Ebene verbleibt, die noch „keine Wer‐ tung ein[schließt]“ (Geckeler/ Dietrich 2012: 82), ist die Orthographie bzw. Rechtschreibung „die Bezeichnung für die Lehre von der normativ und einheitlich geregelten Verschriftung von Sprache und für diese Verschriftung selbst.“ (ebd.) Folglich kann mit Dürscheid (2016: 166) festgehalten werden: „Jede Rechtschreibung ist also eine Schreibung, aber nicht jede Schreibung eine Rechtschreibung.“ Analog dazu werden im Rahmen der Graphemik bzw. Graphematik 18 Regularitäten geschriebener Sprache untersucht, die nicht mit der - meist staatlich festgelegten - Schriftnorm der Orthographie gleichzusetzen sind (vgl. Mertens 2017: 272). Mertens (ebd.) führt dazu folgendes Beispiel an: Während frz. événement bzw. frz. évènement (‚Ereignis, Veranstaltung‘) offiziell als korrekte Schreibweisen gelten, wären *évainement oder *hévènement aus graphematischer Sicht ebenso adäquate Repräsenta‐ tionen des Lautbilds. Für das Französische ist charakteristisch, dass das Inventar der diakritischen Zeichen 19 integraler Bestandteil des Schriftsystems ist und somit auch für orthographisch korrektes Schreiben abrufbar sein muss. Die Orthographie kennzeichnet sich also durch einen hohen Grad an Kodifizierung, Verbindlichkeit und Invarianz im Vergleich zur gesprochenen Sprache, die einer größeren Spontaneität und Variabilität unterliegt. Im Folgenden und insbesondere bei der Analyse der Schreibprodukte der Schüler: innen wird von einer engen Definition von Orthographie ausgegangen: Diese umfasst nicht die Zeichensetzung, da diese auf der Satz- und nicht auf der Wortebene verortet ist und auch dem Bereich der Stilistik zugeordnet werden kann (vgl. Meisenburg 2008: 180). - 2.3.1.1 Soziolinguistische Dimensionen: Orthographie in Frankreich Nicht nur im Französischen existiert meist nur eine Möglichkeit, ein Wort korrekt zu schreiben; in Ausnahmefällen werden auch mehrere Varianten akzeptiert. Um bei dem obigen Beispiel zu bleiben: Mit der Orthographiereform von 1990 wurde die neue Schreib‐ weise évènement eingeführt, die sich am mündlichen Sprachgebrauch orientiert; die traditionelle Variante événement wird jedoch weiterhin toleriert. Dies weist darauf hin, dass sich Orthographie in einem Spannungsfeld „zwischen Norm und Usus“ (Dürscheid 2016: 166) bewegt: Die Frage, welche Schreibweise(n) der Sprachgebrauch nahelegt und welche Variante(n) als offizielle Schreibungen ausgewiesen werden, ist nicht nur für das Französische relevant. Deshalb geht für Jaffré und Brissaud (2006: 145, Herv. der Verf.) das Prinzip der Rechtschreibung immer mit einer sozialen bzw. gesellschaftlichen Akzeptanz einher: Orthographie wird verstanden als „des formes graphiques qui relèvent d’un usage social par définition normé“. Im Vergleich zu anderen Sprachen kann festgehalten werden, dass der „bewahrende Charakter“ (Karg 2015: 22) der Schrift im Französischen ernster 54 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht 20 Aus didaktischer Perspektive vielsagend ist hier, dass es sich um einen reinen Diktat-Wettbewerb handelt. Freie Formen des Schreibens kommen nicht zum Einsatz, sodass hier im engen Sinne eine „Schriftproduktion“ isoliert getestet wird - und keine „Textproduktion“ (Bachmann/ Becker-Mrotzek 2017: 28). 21 „Amuse-Bush“ als Anspielung auf frz. amuse-bouche, geläufiger bezeichnet als amuse-gueule (kleine Speise, die in gehobenen Restaurants noch vor der Vorspeise serviert wird). genommen wird. Ein eindrückliches Beispiel bleibt die Orthographiereform aus dem Jahr 1990, die trotz ihrer moderaten Grundanlage - sie zielte vorrangig auf die Vereinfachung der „Akzente und Tremata, die Pluralmarkierung von Komposita und die Bindestrich- Schreibung“ (Weth 2015: 88) ab - an einer aufgeheizten öffentlichen Debatte scheiterte, die insbesondere „bildungspolitische, sprachpflegerische und ästhetische Aspekte“ (ebd.) einbezog (vgl. auch Pöll 2020: 413). Die Frage nach einem korrekten Gebrauch der Schriftsprache ist in Frankreich in einen öffentlichen Diskurs über die sprachliche Norm eingebettet, der von der prestigeträchtigen Institution der Académie française angeführt wird. Diese widmet sich der Sprachpflege mit dem Ziel der Wahrung des bon usage und spricht - nicht selten als konservativ kritisierte - Empfehlungen aus, die z. B. den Umgang mit Anglizismen und Neologismen, aber auch Fragen der Aussprache und der Orthographie betreffen. Als Beispiel kann hier das Dictio‐ nnaire de l’Académie française aus dem Jahr 1835 dienen, das eine maßgebliche Orientierung der französischen Rechtschreibung an etymologischen Prinzipien festlegte (vgl. ebd.). In Frankreich und der gesamten Frankophonie wird die Beachtung der geltenden - mono‐ zentrischen - schriftsprachlichen Norm in besonderem Maße mit einem hohen allgemeinen Bildungsniveau assoziiert und in Form jährlich stattfindender Rechtschreibwettbewerbe (Championnat de France d’orthographe) wertgeschätzt und kultiviert (vgl. auch Meisenburg 2008: 180; Pöll 2020: 404). 20 Im Umkehrschluss führt dies bisweilen jedoch dazu, dass „rechtschreiblicher Erfolg […] als subjektive Leistung interpretiert, während Misserfolg als intellektuelles Defizit beschrieben wird“ (Weth 2015: 91). Wenn Sprecher: innen des Französischen bzw. Französischlernende an der Gesellschaft und insbesondere dem Berufsleben teilhaben wollen, müssen sie sich in synchroner Perspektive den fixen Kodex der aktuell gültigen Orthographie aneignen. Aus diachroner Sicht erscheint die orthographische Norm jedoch variabel, wie Catach (1989: 81 f.) betont: Plus d’un mot sur deux a, en France, changé au moins une fois d’orthographe depuis le XVIe siècle et parfois à plusieurs reprises. Aujourd’hui même […], un bon cinquième du vocabulaire d’un dictionnaire courant de 50 000 mots est touché d’une façon ou d’autre par ces variations, à mon avis tout à fait naturelles. Neben der sprachgeschichtlichen Dimension ergibt sich - gerade im Kontext digitaler Kommunikationssituationen - eine individuelle Ebene der mehr oder weniger bewussten Variation von (Ortho-)Graphie: Während „Amuse-Bush“ 21 ( Jaffré 2010: 314) der Polit-Satire angehört, dienen Formen wie „Chine : de grrrrrrrrrrrros bouchons sur l’autoroute“ (ebd.: 315) der besonderen Betonung und dem Einfangen gesprochener Sprache. Die genannten Beispiele verdeutlichen zugleich die doppelte Funktion geschriebener Sprache aus „Auf‐ zeichnungsfunktion (aus der Perspektive des Schreibers) und Erfassungsfunktion (aus der Perspektive des Lesers)“ (Dürscheid 2016: 166). Der orthographischen Norm kommt dabei 2.3 Rechtschreiben im Französischunterricht 55 die zentrale Funktion zu, das geschriebene Wort für Lesende überhaupt entschlüsselbar zu machen, indem für eine gewisse „Invarianz der Schreibung“ (ebd.) gesorgt wird. - 2.3.1.2 Mediale Dimensionen: Lautung und Schreibung Deux systèmes de signes (Saussure) Für Sprache ist konstitutiv, dass sie in zwei Erscheinungsformen existiert: als mündlich gesprochene und als schriftlich fixierte Sprache. Im Französischen treten diese beiden Realisierungen in besonders diskrepanter Weise hervor. Dies ist sprachgeschichtlich be‐ gründet: Das Lautinventar der gesprochenen Sprache konnte seit der frühromanischen Phase nicht mehr adäquat durch die zur Verfügung stehenden lateinischen Grapheme abgebildet werden. Klassische Beispiele sind die Repräsentation eines einzigen Lauts durch Kombinationen von Graphemen (z. B. der Digraph ‹ou› für [u]), die Umdeutung lateinischer Grapheme (z. B. ‹u› für den Vokal [y]) oder die Einführung diakritischer Zeichen zur Unterscheidung verschiedener Laute (z. B. ‹é› für [e], ‹è› für [ɛ], ‹ç› für [s]) (vgl. Geckeler/ Dietrich 2012: 84). Somit kam es zu einer Diskrepanz zwischen dem code graphique und dem code phonique, die nur durch entsprechend grundlegende Reformen der französischen (Ortho-)Graphie hätte abgemildert werden können (ebd.: 84 f.; Meisenburg 2008: 180). Seit Mitte des 20. Jahrhunderts erfolgten Versuche, eine derartige Reform tatsächlich durchzuführen. Zu einer grundlegenden Umgestaltung oder Vereinfachung im Sinne einer Vereinheitlichung oder Neuzuordnung der Phonem-Graphem-Relationen kam es aber nicht (vgl. Weth 2015: 87 f.). So steht heute 130 Graphemen, die anhand von 26 Buchstaben die Laute des Franzö‐ sischen repräsentieren und die auf 45 Basisgrapheme und 33 archigraphèmes reduziert werden können (vgl. Meisenburg 2008: 180), eine Anzahl von 31 bis 34 Phonemen gegenüber (vgl. Geckeler/ Dietrich 2012: 85). Damit ist das Französische weit von einer eindeutigen Repräsentation von Lauten durch Schrift entfernt, die in fachdidaktischen Publikationen unter den Stichwörtern der „Lauttreue“ bzw. „orthographic depth“ (vgl. Kap. 3.3.1.3) diskutiert wird. Dem steht als Idealbild ein Eins-zu-eins-Verhältnis von Lauten und Buchstaben gegenüber, das de facto in keiner natürlichen Sprache existiert (Karg 2015: 62 f.). Lediglich Hilfssysteme wie das IPA können dazu beitragen, Aussprachekonventionen eindeutig abzubilden - sie sind jedoch nicht mit dem Schriftsystem der jeweiligen Sprache gleichzusetzen. Im Bereich der gesprochenen Sprache liegen mit der Wortgruppenbetonung (mot phonétique), dem enchaînement consonantique bzw. vocalique und der Liaison zudem Phänomene vor, die für eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem Laut- und Schriftbild des Französischen sorgen und die Segmentierung gesprochener Sprache erschweren. Während auf graphischer Ebene Worte als distinkte, logische Einheiten erscheinen und durch Wortzwischenräume voneinander abgegrenzt werden, bilden sie in der chaîne parlée nur selten eine fixe phonetische Einheit. Dort dominieren Phänomene, die über Wortgrenzen hinweggehen. Als nur ein Beispiel sei die Liaison illustriert: Stumme Endkonsonanten werden ausgesprochen und an das Folgewort gebunden, wenn dieses mit einem Vokal beginnt, z. B. heißt es für frz. les amis [lezami] statt *[le.ami] oder *[lami] (zusammenfassend vgl. Geckeler/ Dietrich 2012: 69 ff.; Selig 2008: 163 ff.). 56 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht Mediale und konzeptionelle Mündlichkeit und Schriftlichkeit Die mittlerweile als „klassisch“ zu bezeichnende Differenzierung medialer und konzeptu‐ eller Mündlichbzw. Schriftlichkeit nach Koch und Oesterreicher (1985: 17) verdeutlicht, dass es Sprecher: innen jedoch nicht nur mit zwei, sondern de facto mit vier Realisierungs‐ formen der französischen Sprache zu tun haben: Abb. 3: Vierfelderschema nach Koch und Oesterreicher (1985: 17) Während auf der Ebene des Mediums, also des phonischen bzw. graphischen Kodes eine dichotome Unterscheidung vorliegt, ist die Achse der Konzeption als Kontinuum zu verstehen. Diese bezeichnet kommunikative Modi, die sich zwischen den exemplarischen Polen des vertrauten Gesprächs als minimal formalisierte und der Verwaltungsvorschrift als maximal formalisierte Kommunikationssituation bewegen (vgl. ebd.). Dies bleibt auch für den Erwerb bzw. das Erlernen des Französischen nicht ohne Konsequenzen: [Es existiert w]ohl kaum ein französischer Schüler, dem der Erwerb der Orthographie seiner Sprache keine Probleme bereitet hätte. Sowohl gesprochene und geschriebene Sprache als auch phonischer und graphischer Code erscheinen im Französischen, insbesondere der Ebene der grammatischen Markierungen, gleich zwei eigenständigen Systemen. (Beinke/ Rogge 1990: 471) Hier wird auf ein weiteres für die französische Orthographie charakteristisches Merkmal Bezug genommen, nämlich die Differenzierung der orthographe lexicale und der orthographe grammaticale (vgl. Pöll 2020: 404): Während Erstere die Fertigkeit bezeichnet, die Grund‐ form von Wörtern korrekt zu schreiben, umfasst Letztere die Adaption der Rechtschreibung an das syntaktische Umfeld, z. B. die Flexionsmorphologie bei der Konjugation von Verben oder Kongruenz (frz. accord) von Adjektiven und Nomen. Sollen Lernende die Lautform für frz. les jolies chaussures [leʒɔliʃosyʀ] ‚die hübschen Schuhe‘ orthographisch korrekt realisieren, verlangt dies einen integrierten Zugriff auf orthographische und grammati‐ sche Kenntnisse. Denn nur so können entsprechende Markierungen für Genus ‹-e› und Numerus ‹-s› eingefügt werden: Diese sind zwar im Schriftbild sichtbar, jedoch im Lautbild nicht hörbar, da sie phonetisch als stumme wortfinale Grapheme gelten („homophonie grammaticale“, vgl. Jaffré/ Brissaud 2006: 146). Die Diskrepanz zwischen phonischem und graphischem Kode manifestiert sich auf lexikalischer Ebene zudem in den Phänomenen der homophonie bzw. hétérographie (vgl. Jaffré/ Brissaud 2006). Anhand des Schriftbilds werden Wörter differenziert, die lautsprach‐ lich identisch sind und sonst nur anhand ihres sprachlichen Kontexts unterschieden werden 2.3 Rechtschreiben im Französischunterricht 57 können (vgl. ebd.: 152). Dies trägt insbesondere dann zu einer Disambiguierung, d. h. einer Auflösung von Mehrdeutigkeit im schriftlichen Bereich bei, wenn sprachliche Einheiten isoliert auftreten - wie dies im schulischen Kontext bei Vokabeltests häufig der Fall sein dürfte. Folgendes Beispiel verdeutlicht die divergierende Repräsentation des Lautbilds [vɛʀ] im Schriftbild: Abb. 4: Homophonie - Heterographie Weth (2015: 90 f.) weist darauf hin, dass im Fall vieler Homophone dennoch mit der kon‐ stanten Schreibung von Wortstämmen gearbeitet werden kann. So können semantisch zu‐ sammengehörige Wortgruppen, beispielsweise in Form von Wortfeldern, gebildet werden, z. B. im Fall von frz. champ [ʃɑ͂] ‚Feld‘ und frz. champêtre [ʃɑ͂pɛtʀ] ‚ländlich‘ vs. frz. chant [ʃɑ͂ ] ‚Gesang‘ und frz. chanter [ʃɑ͂te] ‚singen‘ (vgl. ebd.: 91). Somit verweisen Regularitäten der französischen Orthographie implizit auch auf didaktische Umsetzungsmöglichkeiten. 2.3.2 Didaktische Perspektiven Vor dem Hintergrund der skizzierten Charakteristika der französischen Orthographie bzw. der Zusammenhänge von Lautung und Schreibung erscheint naheliegend, der Recht‐ schreibung auch im Französischunterricht einen zentralen Platz einzuräumen. Diesen Zusammenhang stellt Krings (2016: 107) wie folgt her: Insbesondere in Sprachen, in denen die Schreibung nicht auf einheitlichen Phonem-Graphem- Zuordnungen beruht, sondern zusätzlich stark von morphologischen und etymologischen Prin‐ zipien beeinflusst wird oder auf historischen Konventionen beruht, wie es z. B. im Englischen und Französischen der Fall ist, wird die Orthographie zu einem wichtigen Lerngegenstand im Fremdsprachenunterricht. Mit diesem Ansatz konkurriert die Vorstellung, dem „Verfügen über sprachliche Mittel“ - und damit auch der Orthographie - eine „dienende Funktion“ (KMK 2004 a : 14) im Fremd‐ sprachenunterricht zuzuschreiben, wie es beispielsweise die Bildungsstandards für die erste Fremdsprache formulieren. Darüber hinaus wurde in der Schulpraxis der Stellenwert or‐ thographischer Korrektheit in den letzten Jahren im Kontext von Leistungsüberprüfungen deutlich herabgesetzt, was sich in der geringeren Gewichtung bzw. gänzlichen Abschaffung des Fehlerquotienten niederschlägt und auch in den „Hinweisen zur Bewertung der sprachlichen Leistung“ zu den Gemeinsamen Abituraufgabenpools der Länder für die Fächer Englisch und Französisch deutlich wird (vgl. IQB 2021). 58 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht 22 Analog zu Zwei-Wege-Modellen des Lesens (vgl. Kap. 2.1.1.3), können Wortschreibungen aus dem orthographischen Lexikon abgerufen oder über einen indirekten Weg auf Basis orthographischen Wissens abgeleitet werden (vgl. Widmer 2019 a : 372). Auf der Ebene der Rechtschreibförderung weist Mertens (2017: 272) darauf hin, dass sich die Fremdsprachendidaktik in den vergangenen Jahrzehnten nur zögerlich mit Konzepten zur systematischen Entwicklung orthographischer Kompetenz auseinandergesetzt hat. Demgegenüber bilden in der Deutschdidaktik eine „Orthographiedidaktik“ (z. B. Karg 2015: 166) bzw. in der Didaktik des Französischen als Erstsprache eine „didactique de l’orthographe“ (z. B. Brissaud 2011; Brissaud/ Cogis 2011) Arbeitsschwerpunkte. Im Fol‐ genden wird dargestellt, welche Ansätze zur Förderung orthographischer Kompetenz im Bereich Français Langue Étrangère (FLE) vorliegen und welche Übertragungsmöglichkeiten sich aus der Deutschdidaktik bzw. der Didaktik des Französischen als Erstsprache ergeben könnten. - 2.3.2.1 Rechtschreibwissen - Rechtschreibkönnen - Rechtschreibstrategien Wendet man sich der Förderung orthographischer Fertigkeiten im Fremdsprachenunter‐ richt zu, lohnt ein Blick in erstsprachliche Rechtschreibdidaktiken, denn diese diskutieren in wesentlich differenzierterer Weise Teilfertigkeiten orthographischer Kompetenz und deren systematische Entwicklung (vgl. Ossner 2010). So soll im Kontext des Deutschun‐ terrichts der Primar- und Sekundarstufe eine Rechtschreibkompetenz aufgebaut werden, die auch in den Bildungsstandards für das Fach Deutsch explizit als Unterpunkt des Kompetenzbereichs „Schreiben“ ausgewiesen wird („richtig schreiben“, KMK 2004 b : 11). Grundsätzlich werden orthographisches Wissen und Können voneinander abgegrenzt, also deklarative und prozedurale Dimensionen orthographischer Fertigkeiten: Während sich orthographisches Wissen insbesondere auf „Grundregeln der Rechtschreibung“ (ebd.: 11) bezieht, rekurriert orthographisches Können auf hinreichend automatisiertes, orthogra‐ phisch korrektes Schreiben (vgl. Karg 2015: 17 ff.; Ossner 2010: 17). Der hohe Stellenwert der Automatisierung des Abrufens orthographischer Kenntnisse wird besonders dann deutlich, wenn diese nicht erfolgt ist: Denn übergeordnete Schreibprozesse können empfindlich gestört werden, wenn die Rechtschreibung nur mit einem kognitiven Mehraufwand und zeitlich verzögert abrufbar ist und so geringere Ressourcen für andere Teilprozesse des Schreibens zur Verfügung stehen (vgl. Schründer-Lenzen 2013: 60 ff.). 22 Die Ebene deklarativen, orthographischen Wissens soll jedoch kein „Selbstzweck“ sein, sondern insbesondere als Ressource für Kompensationen auf prozeduraler Ebene dienen. Widmer (2019 a : 376) konnte aufzeigen, dass sich sowohl rechtschreibstarke als auch -schwache Schüler: innen in hohem Maße „auf ihr Regel- und Strategiewissen verlassen, wenn sie sich bei einer Schreibung unsicher sind“. Diese verschiedenen Dimensionen orthographischer Kompetenz integriert Widmer (2019 b : 7) als „Rechtschreibbewusstheit“, mit der Kinder richtig verschriften, Fehler erkennen und diese korrigieren und gleichzeitig Rechtschreib‐ wissen versprachlichen […]. Als Voraussetzung für rechtschreibbewusstes Handeln gilt das sogenannte Rechtschreibgespür. Es handelt sich dabei um das Gefühl, dass mit einer Schreibung etwas nicht stimmen könne oder dass eine Wortschreibung ‚irgendwie‘ besser aussieht als die andere, man aber selbst nicht so genau weiß, weshalb das so ist. (ebd.: 7, Herv. der Verf.) 2.3 Rechtschreiben im Französischunterricht 59 Das Rechtschreibgespür ist somit initiale Voraussetzung, um eigene Fehler in einem Text überhaupt erst bemerken und idealerweise korrigieren zu können. Orthographi‐ sches Wissen und Können werden zusammen mit einem orthographischen „Problem‐ lösungswissen“ und „metakognitivem Wissen“ als „notwendige Bedingungen für eine Rechtschreibkompetenz“ (Ossner 2010: 17) gesehen. Als Problemlösungswissen gelten „Problemlösestrategien, welche eine(n) Schreiber(in) dazu befähigen, eine Wortschreibung herzuleiten“; als metakognitives Wissen wird bezeichnet, wenn „der/ die Schreiber(in) die eigenen Fehlerschwerpunkte und die eigenen rechtschriftlichen Fähigkeiten einschätzen kann und Wissen über hilfreiche Lern- und Korrekturstrategien (z. B. Umgang mit dem Wörterbuch) erworben hat“ (Widmer 2019 a : 372; vgl. auch KMK 2004 b : 11). Auch im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts sollten diese Fertigkeiten entwickelt werden - wenn auch nicht namentlich als orthographische Kompetenz: Die „Methoden‐ kompetenzen“ (KMK 2004 a : 17 f.) bzw. die „Sprachlernkompetenz“ (KMK 2012: 22) konzep‐ tualisieren dies auf übergeordneter Ebene und beziehen sich transversal auch auf die „sprachlichen Mittel“, d. h. ebenso die Orthographie. Wie bereits für die übergeordneten Prozesse des Lesens und Schreibens herausgearbeitet wurde, greifen Schüler: innen auch im Bereich der Orthographie systematisch auf Vorkenntnisse zurück und übertragen erlernte Regeln strategisch auf die zu erlernende Schriftsprache, wie Weth (2011 a ) für den deutsch-französischen Sprachkontakt herausgearbeitet hat. Hierin liegt einerseits erhebliches Potenzial für die selbstständige Erschließung von Regularitäten und die Nut‐ zung vorhandener (fremd-)sprachlicher Ressourcen, andererseits können mit Blick auf Fehlerursachen sogenannte Interferenzfehler entstehen (vgl. Kap.-2.3.2.3). Beim Verfassen kürzerer Notizen oder Texte im Französischunterricht besteht die Herausforderung, orthographische Kompetenzen nicht nur auf Wortebene zu aktivieren (orthographe lexicale). Zum einen muss das Rechtschreiben in die kognitive Gesamtan‐ forderung der Textproduktion funktional eingeordnet und parallel zu konkurrierenden Anforderungen des Schreibens umgesetzt werden (vgl. Kap. 2.2.1.1). Zum anderen muss im Französischen auf syntaktischer Ebene die orthographe grammaticale (vgl. Kap.-2.3.1.2) berücksichtigt werden. So erläutert Brissaud (2011: 210): […] les problèmes de gestion des connaissances orthographiques dans la production de textes : les connaissances déclaratives ne suffisent pas, encore faut-il apprendre à les mettre en œuvre dans le flux de l’écriture dans des structures syntaxiques particulières. Brissaud und Cogis (2011: 12 ff.) sehen hier zwei disparate Anforderungsbereiche der franzö‐ sischen Orthographie, die auch in didaktischen Ansätzen entsprechend berücksichtigt werden müssten. Während auf der Ebene der orthographe lexicale Automatisierungsprozesse und Memorierungsstrategien dominieren (z. B. ein neues Wort in seiner Grundform memorieren, es bereits bekannten Wörtern zuordnen, Wortstämme und -familien identifizieren etc.), sind für die orthographe grammaticale Analysestrategien nötig, die Wörter in ihren syntaktischen Kontext setzen und grammatische Merkmale offenlegen (z. B. ausgehend von dem Nomen relevante Bezugswörter identifizieren, Numerus und Genus erkennen etc.) (vgl. ebd.). In der Didaktik des Französischen als Erstsprache unter dem Stichwort der orthographe grammaticale behandelte Anforderungen werden in der fremdsprachlichen Französischdidaktik in der Regel als klassische Grammatikthemen gefasst (vgl. Nieweler 2017: 313). 60 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht 2.3.2.2 Rechtschreibförderung im Französischunterricht Weth (2015: 91) benennt in ihrem Überblicksartikel zum Schrift(sprach)erwerb in Frankreich das Memorieren und Reproduzieren als gängigste Methoden der erstsprachlichen Orthogra‐ phievermittlung, verzeichnet jedoch auch aktuelle Entwicklungen hin zu einem strukturierten und progressionsorientierten Orthographieerwerb. Insbesondere das Diktat steht in den vergangenen Jahren immer wieder im Fokus fachdidaktischer Diskussionen sowohl in Frankreich (vgl. Brissaud 2011) als auch in Deutschland (vgl. Karg 2015: 227 ff.). In beiden Bildungskontexten blickt die Methode auf eine lange Tradition zurück, wobei Brissaud (2011: 207) anmerkt, dass in der ungebrochenen „croyance en l’efficacité de la dictée“ ein Mythos der französischen Orthographiedidaktik liege. Zwecks Rechtschreibförderung finden Diktate - auch in modifizierten Formen - aber nach wie vor Eingang in den Französischunterricht: Philipp (2017: 12 f.) schlägt beispielsweise das Laufdiktat (dictée au ping-pong) vor. Dieses sieht vor, dass sich Lernende zu einem bestimmten Punkt im Klassenzimmer begeben, um einen dort präsentierten Text zu lesen und sich einzuprägen. Anschließend kehren die Schüler: innen auf ihre Sitzplätze zurück und notieren die Sätze aus dem Kopf, wobei sie sich diese auch leise vorsprechen können (vgl. ebd.). Angestrebt wird mit dieser Methode, sowohl das Arbeitsgedächtnis als auch die Phonem-Graphem-Relationen zu trainieren und zugleich durch Bewegungselemente die Motorik der Schüler: innen zu entlasten (vgl. ebd.: 12). Visser (2019) stellt verschiedene spielerische Übungen vor, die Rechtschreibfertigkeiten im Französischen schulen sollen. Meist fokussieren diese die Einzelwortebene und damit die ortho‐ graphe lexicale (vgl. Kap. 2.3.1.2). Im Fall von Galgenmännchen (jouer au pendu) oder bei dem Kartenspiel la pêche aux mots sind insbesondere die Buchstabierkenntnisse der Schüler: innen gefordert; das Quartettspiel le jeu de sept familles zielt vorrangig auf die Bewusstmachung von Wortfamilien ab und das Gänsespiel (le jeu de l’oie) möchte über die Thematisierung verschiedener schwierigkeitsbesetzter Bereiche der französischen Orthographie ein Bewusst‐ sein für individuelle Stärken und Schwächen bei der Rechtschreibung herstellen. Wie Weth (2011 b ) betont, sind entdeckende Zugänge zu den komplexen Phonem-Graphem-Relationen des Französischen, die den Aufbau von „Strukturwissen“ (ebd.: 137) anregen, zu begrüßen. Jedoch bleibt auch bei dem hier vorgestellten Ansatz der Nachteil bestehen, dass in sprachstruktureller Hinsicht die Wortebene nicht überschritten und somit weder der Repräsentation grammatischer Strukturen in der Orthographie noch zentralen lautlichen Phänomenen des Französischen (wie der liaison oder des enchaînement) Rechnung getragen wird (vgl. ebd.). Wirft man einen Blick in Ansätze der Rechtschreibdidaktik für das Französische als Erstsprache, zeigen sich insbesondere hinsichtlich einer systematischen Schulung der orthographe grammaticale Potenziale, die auch für die FLE-Didaktik nutzbar gemacht werden können. Beispielsweise schlägt Laparra (2010) jahrgangsbezogene Stufen der Ent‐ wicklung einer orthographischen Kompetenz der Lernenden vor, die explizite Kenntnisse der Morphologie einbezieht. So kann eine Progression von weniger komplexen Numerusüber Genusmarkierungen hin zu der deutlich komplexeren Flexionsmorphologie erfolgen. Auch Casalis und Bois Parriaud (2018: 294 ff.) äußern einen vergleichbaren Vorschlag, der weitere Aspekte der französischen Morphologie umfasst, wie beispielsweise die Ar‐ beit mit Affixen oder Wortstämmen und damit auch semantisch zusammenhängenden Begriffen. Studienergebnisse zu französischen Muttersprachler: innen weisen darauf hin, dass insbesondere Personen mit LRS von expliziter Regelvermittlung im Bereich der 2.3 Rechtschreiben im Französischunterricht 61 Morphologie profitieren können (vgl. Plisson et al. 2013): So weisen Quémart und Casalis (2018) im Rahmen einer vergleichenden Studie nach, dass Schüler: innen mit LRS zwar insgesamt größere Schwierigkeiten haben, die stummen Endlaute des Französischen graphisch korrekt abzubilden, als Lernende ohne LRS. Jedoch können Erstere stärker auf Wortbildungsmuster zurückgreifen, um morphologisch erwartbare, stumme Endlaute dennoch graphisch korrekt zu repräsentieren (z. B. im Fall von frz. tricot [tʀiko], hier: ‚Strickzeug‘ - frz. tricoter [tʀikɔte] ‚stricken‘). Sowohl die Ansätze der erstals auch der fremdsprachlichen Orthographiedidaktik weisen darauf hin, dass eine aktive Auseinandersetzung mit orthographischen Regulari‐ täten möglich und sinnvoll ist und sich eine individuelle Progression auch im Bereich der Orthographie einstellen kann: Damit geht die Anerkennung einer „orthographischen Lernersprache“ (Weth 2011 a : 104) oder - wie bereits Börner (1977: 80) formulierte - „Lerner- Orthographie“ einher. Dies knüpft argumentativ an die etablierte Interlanguage-Hypothese Selinkers (1972) an, die Interimssprachen in ihrer individuellen Systematik anerkennt und Lernenden damit in wertschätzender Weise begegnet. Aus fehleranalytischer Perspektive ermöglicht sie, den Rückgriff auf zuvor erlernte Sprachen oder Phänomene wie Übergene‐ ralisierungen oder Fossilierungen zu verstehen. Diese Zugänge zu Schreibprodukten von Schüler: innen werden im Folgenden thematisiert. - 2.3.2.3 Orthographische Fehler und Fehleranalyse Wie bereits in Kap. 2.3.1 dargestellt wurde, unterscheidet sich die Orthographie von der Graphie durch ihren Anspruch auf überindividuelle Verbindlichkeit und einen hohen Grad an Kodifizierung. Folglich ergibt sich für Fremdsprachenlernkontexte die Frage, wie mit Abweichungen von der orthographischen Norm, also Rechtschreibfehlern, umgegangen werden kann. Bereits Börner (1977: 80) stellt folgende Grundsatzüberlegungen für den Umgang mit orthographischen Fehlern im Französischunterricht vor: Abb. 5: „Orthographische Fehleranalyse und -therapie“ (Börner 1977: 80) Es wird deutlich, dass ein lösungsorientierter Umgang mit lernerseitigen Defiziten in der Orthographie aus der Synthese linguistischer bzw. fehleranalytischer und methodisch- 62 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht didaktischer Überlegungen zur Vermittlung der Rechtschreibung, d. h. zur Identifikation von Fehlern, deren Bewertung und weiterführenden Bearbeitung erfolgt. Dem liegt zu‐ grunde, dass Fehler als notwendige Begleiter von Lernprozessen und positive Ressource für das Sprachenlernen verstanden werden - und nicht partout vermieden werden sollen (vgl. Kleppin 2010: 1060). Überdies impliziert die Vorgehensweise, dass für die Rechtschreibung der Lernenden und deren Förderung eine gewisse Zeit und Aufmerksamkeit zur Verfügung steht. Zunächst stellt sich für Lehrkräfte die Frage, welche lernersprachlichen Äußerungen überhaupt als fehlerhaft einzuschätzen sind. Im Fall der Rechtschreibung ist dies meist das enge und eindeutige Kriterium der Abweichung von der orthographischen Norm, die sich für einzelne Wortformen in den Wörterbüchern findet bzw. anhand grammatischer Regularitäten ableitbar ist: Schreibt ein: e Schüler: in im Französischunterricht *une foto statt ‹une photo›, entspricht dies nicht der orthographisch korrekten Schreibung. Nicht nur, aber insbesondere in Bezug auf Rechtschreibfehler müssen sich Französischlehrkräfte jedoch in einem Spannungsfeld positionieren: Einerseits formulieren die Bildungsstandards für die Sek. I und II das Kriterium einer „gelingenden Kommunikation“ (KMK 2004 a : 14; 2012: 18), gewichten also die Verständlichkeit von Äußerungen höher als einen engen Begriff (schrift-)sprachlicher Korrektheit. Überträgt man dies auf den Bereich der Rechtschreibung, wäre *une foto nicht als falsche Schreibung zu beurteilen, denn das Graphem ‹f› reprä‐ sentiert in gleicher Weise das Phonem / f/ wie das Graphem ‹ph› - die Kommunikation scheint hierdurch nicht beeinträchtigt. Andererseits muss eine gewisse orthographische Kompetenz auch in der zweiten Fremdsprache erreicht werden, denn Schreiben als Bewältigung einer Kommunikationsanforderung umfasst eben auch das richtige Schreiben, die Kenntnis, Wahrnehmung und Leistung der Aufzeichnungs- und Erfassungsfunk‐ tion, die mit dem Schriftstück garantiert werden muss. (Karg 2015: 168) Hinzu kommt, dass aus soziolinguistischer Perspektive in der gesamten Frankophonie schriftsprachlicher Korrektheit ein hoher Stellenwert zukommt und dies der Französisch‐ unterricht im Sinne einer kulturellen bzw. sprachlichen Authentizität in gewissem Maße auch transportieren sollte (vgl. Kap. 2.3.1.1). Folglich sind Lehrkräfte gefordert, die Kriterien für die Identifikation von Rechtschreibfehlern je nach Kommunikationssituation genau zu erwägen und dabei auch die Differenzierung konzeptueller Mündlich- und Schriftlichkeit (vgl. Kap.-2.3.1.2) einzubeziehen. Wenn Rechtschreibfehler im Kontext des Französischunterrichts als Lernanlass ver‐ standen werden, sollte an die Identifikation von Fehlern zunächst deren Analyse an‐ schließen. Aus pädagogisch-didaktischer Sicht werden dabei meist mögliche Fehlerursa‐ chen fokussiert: Beispielsweise können sich (Fremd-)Sprachenkenntnisse der Schüler: innen auf die Lernerorthographie auswirken (vgl. Kleppin 2010: 1064). Wird z. B. *la Maison und nicht ‹la maison› geschrieben, könnte dies auf die Groß- und Kleinschreibung im Deutschen zurückgeführt werden; *la nacion statt ‹la nation› auf Spanischkenntnisse. Ebenso können sich ein „intralingualer Transfer wie Übergeneralisierung, Regularisierung [oder] Simplifizierung“, „Strategien der Kommunikation“, „Lernstrategien“ oder „persön‐ liche Störfaktoren“ (ebd.) in den Rechtschreibleistungen der Schüler: innen niederschlagen. Mögliche Ursachen von Rechtschreibfehlern werden meist durch die korrigierende Person 2.3 Rechtschreiben im Französischunterricht 63 identifiziert - wobei hier ein gewisser Interpretationsspielraum verbleibt. Auch werden Stufenmodelle des Rechtschreiberwerbs zur Erklärung orthographischer Fehler hinzuge‐ zogen (vgl. Kap. 2.1.1.2). Diese münden jedoch eher in die Erstellung individueller Recht‐ schreibprofile, die persönliche Faktoren wie Sprachlernbiographien oder auch die konkrete Schreibsituation in die Fehleranalysen miteinbeziehen (vgl. Karg 2015: 187 ff.). Der zweite große fehleranalytische Ansatz besteht in sprachstrukturellen Zugängen, die darauf abzielen, Rechtschreibfehler anhand ihrer Position im Sprachsystem zu katego‐ risieren: Dies ist das klassische Handlungsfeld der Fehlerlinguistik (vgl. Börner 1977: 80 ff.). Diese rückt von der Betrachtung individueller Fehlerprofile und -ursachen ab, ermöglicht aber die Identifikation besonders schwierigkeitsbesetzter Bereiche des Sprachsystems. Eine für die französische Orthographiedidaktik maßgebliche Kategorisierung hat Catach (2016) vorgelegt: Auf Basis einer linguistischen Betrachtung des Französischen werden zentrale Herausforderungen der Orthographie benannt und mögliche Fehlerkategorien abgeleitet. Dazu zählen im Bereich der orthographe lexicale beispielsweise Fehler bei der graphischen Abbildung der Segmentation (z. B. *loreille → l’oreille ‚Ohr‘) oder Diskrimination von Lauten (z. B. *ajeter → acheter ‚kaufen‘), Akzentfehler oder derivative Fehler (*canart → canard ‚Ente‘). Im Bereich der orthographe grammaticale sind Fehler hinsichtlich Zeichensetzung, Groß- und Kleinschreibung, Genus- und Pluralmarkierung bzw. des accord häufig (z. B. *les petit filles → les petites filles ‚die kleinen Mädchen‘). Die Komplexität fehlerlinguistischer Analysen spiegelt sich nur in begrenztem Maße in didaktischen Ansätzen zur Weiterarbeit mit Rechtschreibfehlern wider. Hier werden meist übergeordnete Kategorisierungen gewählt - auch damit Schüler: innen im Rahmen autoevaluativer Verfahren die Möglichkeit haben, ihre Rechtschreibfehler selbstständig weiterzubearbeiten: Dies kann beispielsweise anhand von Fehleranalyseblättern oder Korrekturportfolios erfolgen, die Schüler: innen dazu anregen, ihre orthographischen Fehler Kategorien wie „Akzentsetzung“ oder „Wortendungen“ zuzuordnen und systematisch weiterzubearbeiten (vgl. Braun 2015: 12; Sellin 2008: 174). - 2.3.2.4 Fehlerkorrektur und -bewertung An die Identifikation und Analyse von Rechtschreibfehlern schließt die Frage an, wie Rechtschreibfehler im Französischunterricht korrigiert und bewertet werden sollten. Dies umfasst zwei unterschiedliche Aspekte: Zum einen muss der Stellenwert der Orthographie bei der Bewertung von Schreibprodukten der Schüler: innen - oder auch in Bezug auf andere Teilkompetenzen - bestimmt werden. Zum anderen sollte ein System gefunden werden, das zu einer transparenten und begründeten Fehlerkorrektur und -bewertung führt, die zugleich als Anlass zur Weiterarbeit genutzt werden kann (vgl. die Idee der Förderdiagnostik, Kap. 3.2.4). Grundsätzlich werden im Umgang mit Fehlern Verfahren der Fremd- und Eigenkorrektur unterschieden: Die „Berichtigung durch den Lehrer“ (Kleppin 2010: 1065) gilt als deutlichste Form der Fremdkorrektur, d. h., die Lehrkraft versucht, „die Äußerungsabsicht des Lerners sprachlich korrekt zu rekonstruieren“. Eine „einfache Fehlermarkierung“ bzw. eine „Fehlermarkierung mit Korrekturzeichen“ (ebd.) weist Lernende auf fehlerhafte Textstellen hin und ermöglicht so eine mehr oder weniger gesteuerte Eigenkorrektur. Eine Zwischenstellung nehmen Verfahren der kooperativen Textüberarbeitung und Partnerkorrektur ein, im Rahmen derer sich die Schüler: innen 64 2 Lesen, Schreiben und Rechtschreiben im Französischunterricht gegenseitig ein Feedback geben und dabei zugleich ihren fehleranalytischen Blick auf eigene und fremde Texte schärfen (vgl. Nieweler 2017: 319 f.). Als klarste Form der Eigenkorrektur gelten Verfahren, die ohne Eingriff der Lehrkraft auskommen und rein schülerzentriert angelegt sind, z. B. über eine Wiedervorlage geschriebener Texte, die zeitliche Abgrenzung einer Bearbeitungsvon einer Korrekturphase oder die Zuhilfenahme von Fehleranalyseblättern oder Checklisten zur Fehlerprophylaxe. Hier ergibt sich für Schüler: innen die zusätzliche Herausforderung, fehlerhafte Teststellen überhaupt erst zu identifizieren. Derartige Verfahren finden oftmals bei Berichtigungen nach Klassenarbeiten oder Vokabeltests Anwendung (vgl. ebd.: 291 f.). Eng verbunden mit den Modalitäten der Fehlerkorrektur ist im Fall von Leistungsüber‐ prüfungen die Frage nach der Bewertung bzw. Gewichtung von Rechtschreibfehlern: Denn nicht alle Korrekturen müssen als Fehler gewertet werden (vgl. Kleppin/ Mehlhorn 2008: 19 f.). Insbesondere der Fehlerindex bzw. Fehlerquotient gilt seit einigen Jahren nicht mehr als adäquates Mittel zur Beurteilung schülerseitiger Schreibprodukte, da er keine handlungsbezogene Einschätzung der Schreibleistung der Schüler: innen erlaubt und Fehler unabhängig von ihrem kontextuellen Einfluss auf die Kommunikation bewertet, wie Nieweler (2006: 282) bereits vor einigen Jahren betont. Mit Blick auf die Wirkung von Korrekturen werden aus lernpsychologischer Sicht Verfahren der „Positivkorrektur“ (vgl. Bausch 2005) empfohlen. Diese gehen von dem Grundverständnis aus, dass Fehler als Lern‐ anlass zu begreifen sind, und eröffnen Möglichkeiten der Eigenkorrektur und Weiterarbeit, z. B. anhand eines Fehlerdossiers. Auch wird die Korrekturstrategie vorgeschlagen, richtige Textstellen hervorzuheben bzw. grüne, statt roter Korrekturfarbe zu verwenden (vgl. Sellin 2008: 157). Mit dem tendenziellen Abrücken von einer „fehlerinduzierte[n] Didaktik“ ( Jung 2017: 190) kontrastiert die Feststellung, dass sich (nicht nur) Schüler: innen mit LRS häufig ein unmittelbares und kleinschrittiges Feedback zu ihren Fehlern wünschen (vgl. Sellin 2008: 108). In jedem Fall setzt der konstruktive Umgang mit orthographischen Fehlern seitens der Lehrkräfte umfassende sprachstrukturelle Kenntnisse voraus. Denn wie Brissaud (2011: 215) mit Blick auf Lehrkräfte in Frankreich beobachtet, kann eine (empfundene) Unsicherheit in Rechtschreibfragen dazu führen, dass in unverhältnismäßigem Maß auf eine idéologie du standard rekurriert wird. So bliebe kein Raum mehr für die Wertschätzung lernersprachlicher Zwischenstufen und orthographischer Variation: „L’insécurité dans laquelle ils [les professeurs] se trouvent les conduit souvent à la normativité.“ Hinzu kommt, dass besonders leicht zu identifizierende Fehler auf einer Mikroebene von Texten, die zudem schnell einer eindeutigen Kategorie (richtig bzw. falsch) zuzuordnen sind, von Lehrenden mitunter besonders intensiv und direkt korrigiert werden (vgl. Kleppin 2010: 1068). 2.3 Rechtschreiben im Französischunterricht 65 3 Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischunterricht Während im vorherigen Kapitel verschiedene Facetten des Lesens und (Recht-)Schreibens im Französischunterricht unabhängig von Beeinträchtigungen im Bereich schriftsprach‐ licher Kompetenzen diskutiert wurden, rückt im Folgenden der Fokus auf die Teilleis‐ tungsschwäche LRS und ihre Rolle für das Lernen und Lehren des Französischen als Fremdsprache. 3.1 Begriffe von Lese- und Rechtschreib-Schwierigkeiten LRS, Legasthenie, Lese- und Rechtschreibstörung, Lese-Rechtschreib-Schwäche, Lese-Recht‐ schreib-Schwierigkeiten, Dyslexie - die Beschäftigung mit beeinträchtigten Lese- und (Recht-)Schreibkompetenzen legt eine Fülle divergierender Begrifflichkeiten offen, die nicht immer trennscharf sind und teilweise synonym gebraucht werden. Insbesondere fällt auf, dass sich je nach fachlichem Diskurs verschiedene Termini etabliert haben, wie Klicpera et al. (2017: 14) erläutern: Während „Lese-Rechtschreib-Schwäche“, „Lese-Recht‐ schreib-Schwierigkeiten“ und „LRS“ meist pädagogisch-didaktischen Handlungsfeldern zuzuordnen sind, entstammen Begriffe wie „Legasthenie“, „Lese- und Rechtschreibstörung“ oder „Dyslexie“ medizinisch-psychiatrischen Kontexten. Je nach Forschungsfeld ergeben sich daraus weiterführende Unterscheidungen: Medizinische Zugänge betonen in der Regel biologische und genetische Ursachenzusammenhänge, gehen von einer stärkeren Ausprägung und Persistenz der Schwierigkeiten aus und nehmen eine höhere Komorbidität zu anderen Erkrankungen an (vgl. Kap. 3.2.3). Pädagogisch-didaktische Ansätze hingegen heben Umweltfaktoren bzw. Bündel von Ursachen in dem Gesamtkontext des Schriftspra‐ cherwerbs hervor und beziehen auch schwächere Ausprägungen von Schwierigkeiten mit ein, die als vorübergehend beschrieben werden bzw. deren Überwindung grundsätzlich als möglich gilt (vgl. Kap. 3.2.4). Mit der Wahl eines der obigen Begriffe geht nicht selten einher, dass dies als Stellungnahme innerhalb eines „Grabenkampfs“ zwischen den Diszip‐ linen gewertet wird. Beispielsweise notiert Jung (2017: 189): „Die Gegner medizinischer Erklärungen sprechen von einer bloßen Lese-Rechtschreibschwäche (LRS).“ Die begriffliche Fülle verdichtet sich in der Fremdsprachenforschung noch, wenn zielsprachliche Termini Eingang in die Diskussion finden: Frz. dyslexie (du développement) bzw. dysorthographie stehen als Kurzbezeichnungen für umschriebene Beeinträchtigungen im Bereich des Lesens bzw. Rechtschreibens zur Verfügung. Damit entsprechen sie der offiziellen Definition einer „trouble spécifique de la lecture“ bzw. einer „trouble spécifique de l’acquisition de l’orthographe“ (CIM-10, F81.0 bzw. F81.1; vgl. auch Cuq 2010: 76). Kontraintuitiv sind sie jedoch nicht gleichbedeutend mit dem deutschen Begriff der Dyslexie: Dieser ist der Bezeichnung nicht entwicklungsbezogener, also erworbener Be‐ einträchtigungen vorbehalten, d. h., bereits angeeignete Schriftsprachkompetenzen gehen durch ein externes Ereignis wie einen Unfall oder Schlaganfall wieder verloren oder werden 23 Eine Ausnahme bildet der Begriff „Entwicklungsdyslexie“, der synonym zu „Lese- und Rechtschreib‐ störung“ nach ICD-10, F81.0, verwendet wird. stark eingeschränkt, weshalb auch von einer „Werkzeugstörung“ gesprochen wird (vgl. ICD-10, R48.0; Dilling et al. 2018). 23 Bei Rezeption wie Konzeption von Forschungsarbeiten im Kontext von LRS sind also zugrunde liegende Definitionen und Begrifflichkeiten einer exakten Betrachtung zu unterziehen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird der Begriff der Lese-Rechtschreib- Schwierigkeiten (LRS) gewählt, auch wenn hinsichtlich des Samplings der Studienteil‐ nehmer: innen von einer strengen Diagnostik der „Lese- und Rechtschreibstörung“ unter Bezug auf die ICD-10 (Dilling et al. 2018) ausgegangen wurde (vgl. Kap. 5.3.1). Unter Berücksichtigung des Entstehungskontexts der Studie soll LRS als möglichst neutraler, übergeordneter Begriff eine Argumentation aus fremdsprachendidaktischer Perspektive stützen, die eine evidenzbasierte, förderliche Begegnung mit LRS auch im Französischun‐ terricht für möglich hält. 3.2 Die Diagnose „LRS“ Im Rahmen dieses Teilkapitels werden verschiedene Aspekte der Diagnostik von LRS thematisiert. Während Aspekte wie Prävention und Früherkennung von LRS vorrangig in der Vorschule bzw. Primarstufe eine Rolle spielen, sind Fragen nach der Zuständigkeit und Kriterien für eine zuverlässige Diagnostik bzw. der Übertragbarkeit auf das Fremdspra‐ chenlernen unmittelbar für den Französischunterricht relevant. 3.2.1 Prävention und Früherkennung Im Rahmen der Literacy-Forschung wurde herausgearbeitet, dass die Entwicklung von Lese- und Schreibkompetenz nicht erst in der Grundschule, sondern bereits in frühester Kindheit beginnt. Schon im Kindergarten, der Vorschule und in der Familie erfolgt eine erste Auseinandersetzung mit Schriftsprache und zentrale Vorläuferfähigkeiten des Schrift‐ spracherwerbs wie Aufmerksamkeit und Konzentration, feinmotorische Fertigkeiten und phonologische Bewusstheit, aber auch ein grundsätzliches Interesse bzw. eine Vertrautheit mit Schrift und Büchern werden angebahnt (z. B. Sasse 2009: 297 f.). Hier setzt auch die potenzielle Früherkennung von LRS an: Mögliche Ursachen von LRS sollen präventiv identifiziert werden, um möglichst früh eine intensive Förderung der schwierigkeitsbe‐ setzten Bereiche einzuleiten. Dabei werden spezifische Prädiktoren wie „der schnelle Abruf aus dem Langzeitgedächtnis, phonologische Bewusstheit, Wortschatz, visuelle Aufmerk‐ samkeitssteuerung“ von unspezifischen Prädiktoren wie „ungünstige sozioökonomische Bedingungen (mit geringer vorschulischer und schulischer Förderung) oder auch individu‐ elle Bedingungen wie ein generell geringes kognitives Leistungsniveau“ (Klicpera et al. 2017: 219) unterschieden. Meist wird jedoch die phonologische Bewusstheit als zentraler Prädiktor hervorgehoben (z. B. Rißling et al. 2011). Diese besteht im weitesten Sinne in der Fähigkeit, in der gesprochenen Sprache den Lautstrom zu segmentieren, Laute zu 68 3 Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischunterricht diskriminieren, Silben und Reime zu identifizieren und passende Laut-Buchstaben-Zuord‐ nungen vorzunehmen (vgl. Schründer-Lenzen 2013: 88). Exemplarisch für mögliche Test- und Diagnoseverfahren im Vorschulalter kann das Bielefelder Screening zur Früherkennung von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten genannt werden (für eine Kurzvorstellung vgl. Klicpera et al. 2017: 219 f.). Wie Sasse (2009: 298) betont, ist der Stellenwert einer frühen und niederschwelligen Förderung basaler schriftsprachlicher Kompetenzen mit Blick auf verschiedene Hetero‐ genitätsdimensionen von Schüler: innen von nicht zu unterschätzender Bedeutung: Insbesondere Kinder, die in sozial benachteiligten Herkunftsfamilien, in Migrationskontexten oder auch in wohlhabenden, aber schriftfernen Familien aufwachsen, sind auf präventive Angebote zur Vermeidung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten angewiesen. (ebd.) Ab der Grundschulzeit rückt der Fokus weg von einer präventiven Früherkennung hin zu der Beobachtung tatsächlich gezeigter schulischer Leistungen, da von nun an die Vermittlung der Schriftsprache im Sinne eines Lesen- und Schreibenlernens im engen Sinne erfolgt. Als „klassischer“ Diagnosezeitpunkt wird meist die dritte Klasse genannt (vgl. Rückert et al. 2010: 82). Mayer (2016: 40 ff.) gibt einen differenzierten Überblick über etablierte Test- und Diagnoseverfahren, die sich dezidiert auf die deutsche Sprache beziehen, was hinsichtlich des Fremdsprachenlernens eine Übertragungsleistung erfordert (vgl. Kap.-3.3.2.1). 3.2.2 Ätiologie und Ursachenforschung Die Frage nach möglichen Ursachen von LRS ist für den Französischunterricht nur mittelbar relevant. Denn zum einen werden LRS - wie alle Sprachentwicklungsstörungen - in der Forschungsliteratur als multikausales Phänomen betrachtet (vgl. Grimm 2012: 115 ff.), zum anderen sind für die Ableitung von Fördermaßnahmen im Fremdsprachenunterricht vielmehr die konkreten Symptome der Schüler: innen als potenzielle Ursachen der Beein‐ trächtigung maßgeblich (vgl. Gerlach 2019 a : 24). Im Rahmen der vorliegenden Studie erscheint dennoch ein kompakter Überblick über relevante Ergebnisse der Ursachenfor‐ schung lohnenswert, wobei sowohl personenbezogene als auch gesellschaftliche bzw. schulstrukturelle Faktoren Berücksichtigung finden. Klicpera et al. (2017: 178 ff.) begreifen LRS als Resultat eines Zusammenspiels geneti‐ scher Dispositionen und Umweltfaktoren. Dabei werden drei konkrete Faktorengruppen relevant: Erstens können biologische Faktoren, zweitens Defizite in Wahrnehmung und Kognition und drittens soziale Aspekte und Umweltfaktoren die Entwicklung von LRS bedingen (vgl. ebd.). Als biologische Variablen gelten insbesondere neurologische und neuropsychologische Dispositionen, die sich bei betroffenen Personen in einer deutlich geringeren Aktivierung der linken Gehirnhälfte bei der Auseinandersetzung mit Schrift‐ sprache zeigen können und von Linkersdörfer (2011) differenziert diskutiert werden. Eng verbunden mit biologischen Einflussfaktoren sind Fragen der genetischen Disposition und damit der Vererbbarkeit von Beeinträchtigungen. Hier schließt die ethische Diskussion über Möglichkeiten des Rückgriffs auf genetische Variablen als Prädiktor potenzieller Schwierigkeiten im schriftsprachlichen Bereich an (vgl. Lindberg 2016: 53 f.). 3.2 Die Diagnose „LRS“ 69 Hinsichtlich der Kognition werden unterschiedliche Variablen verortet, die zur Ent‐ stehung von LRS beitragen können. Als zentral gilt eine herabgesetzte Kapazität des Arbeitsgedächtnisses, das u. a. für die unmittelbare, prozessbezogene Verarbeitung von Sprache zuständig ist und auch den Zugriff auf im Langzeitgedächtnis gespeicherte Informationen regelt (vgl. Mayer 2016: 69 ff.). Unter Rückgriff auf Baddeleys Modell des Arbeitsgedächtnisses werden im Fall von LRS insbesondere Defizite im Bereich des phonologischen Kurzzeitgedächtnisses hervorgehoben. Funktioniert die „phonologische“ bzw. „artikulatorische Schleife“ nicht hinreichend, können beispielsweise beim Lesen einzelne Silben nicht oder nur sehr langsam zu Wörtern zusammengefügt werden (vgl. Klicpera et al. 2017: 196 f.). Hier ist auch die prominente These des „doppelten Defizits“ (vgl. Wolf/ Bowers 1999) zu verorten, die Beeinträchtigungen der phonologischen Bewusstheit und Benennungsgeschwindigkeit (d. h. des schnellen Abrufs einer Wortbedeutung aus dem Langzeitgedächtnis) als ursächlich für LRS ansieht. In der phonologischen Bewusst‐ heit und der Benennungsgeschwindigkeit liegen zwei wichtige Vorläuferfertigkeiten des Schriftspracherwerbs und Determinanten von Lesegeschwindigkeit bzw. -flüssigkeit (vgl. Klicpera et al. 2017: 196) - diese sind wiederum Voraussetzung für das Leseverstehen und werden als zentraler Bestandteil der Sprachlerneignung betrachtet (vgl. Kap.-3.3.1.1). Während über Schwächen bei der auditiven Sprachwahrnehmung als potenzielle Ur‐ sache von LRS Konsens herrscht, wird die Rolle visueller Beeinträchtigungen kritisch diskutiert (vgl. Dehaene et al. 2010). Weiterhin zählen Schwierigkeiten im Bereich der Auf‐ merksamkeit und Konzentration zum Bereich der kognitiven Faktoren, die LRS bedingen können. Wie spätestens seit den Ergebnissen der PISA-Studie nicht mehr überraschen dürfte, gehören sozioökonomische Faktoren und der familiäre Umgang mit Schriftsprache (family literacy) zu sozialen Variablen und Umweltfaktoren, die den Verlauf des Schriftspra‐ cherwerbs insgesamt mitbestimmen und somit auch LRS bedingen können. Ganz konkrete Einflussfaktoren liegen beispielsweise in den jeweiligen Lebensbzw. Wohnbedingungen und der Betreuungsqualität durch die Eltern (vgl. Klicpera et al. 2017: 200). Die LRS-bezogene Ursachenforschung war lange Zeit auf spezifische Dispositionen betroffener Personen zugespitzt. Im Kontext der aktuellen Inklusionsdebatte haben Erklä‐ rungen, die Lernbeeinträchtigungen nicht als individuelles, sondern auch als gesamtgesell‐ schaftliches und strukturelles Problem begreifen, an Bedeutung gewonnen: So wie Behinderung als die Beeinträchtigung der Austauschprozesse zwischen Mensch und Umwelt aufgefasst wird […], so können Lese-Rechtschreibschwierigkeiten als Beeinträchtigung der Austauschbeziehungen des Kindes mit seiner schrifthaltigen Umwelt verstanden werden. (Sasse 2009: 297) Dies ist gerade für den schulischen Kontext relevant, in dessen Rahmen sich LRS meist am deutlichsten manifestieren: Die Rolle von Lesen und (Recht-)Schreiben, angemessene Förderangebote sowie der Stellenwert schriftsprachlicher Korrektheit im (Fremdspra‐ chen-)Unterricht wirken sich maßgeblich darauf aus, inwieweit LRS als Beeinträchtigung überhaupt wahrnehmbar und relevant werden - natürlich ist hier keine Ursache in psychischem oder somatischem Sinn gemeint. Dennoch kann das pointierte Beispiel, das Strehlow und Haffner (2002: 125) anführen, dazu dienen, diesen Zusammenhang in aller Deutlichkeit zu illustrieren: „So war Legasthenie im Mittelalter keine bedeutsame Störung, 70 3 Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischunterricht 24 „GM“ = „German Modification“. Im Folgenden wird auf die zum Studienzeitpunkt gültige deutsche Ausgabe der ICD-10 Bezug genommen (vgl. Dilling et al. 2018). da die Fähigkeit des Lesens und Schreibens nicht von der Allgemeinbevölkerung erwartet wurde.“ Die Funktion und der Stellenwert von Schriftsprache in Schule und Gesellschaft können also implizit auch als Gradmesser für Ausprägung und Relevanz von LRS dienen. 3.2.3 Medizinische Diagnostik Im Kontext medizinischer Diagnostik ist das Diagnosemanual der Weltgesundheitsorgani‐ sation (WHO), die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (= ICD-10; Dilling et al. 2018) maßgeblich. In Deutschland zugelassene Ärzt: innen und Psychotherapeut: innen sind verpflichtet, ihre Diagnosestellung an der Systematik der ICD-10-GM 24 auszurichten. - 3.2.3.1 Die ICD-10 der WHO Die ICD-10 der WHO (Dilling et al. 2018) führt die „Lese- und Rechtschreibstörung“ in ihrem fünften Kapitel „Psychische und Verhaltensstörungen“ unter dem Punkt „F81. Umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten“ auf: F81.0 Lese- und Rechtschreibstörung Das Hauptmerkmal ist eine umschriebene und bedeutsame Beeinträchtigung in der Entwicklung der Lesefertigkeiten, die nicht allein durch das Entwicklungsalter, Visusprobleme oder unangemessene Beschulung erklärbar ist. Das Leseverständnis, die Fähigkeit, gelesene Worte wiederzuerkennen, vorzulesen und Leistungen, für welche Lesefähigkeit nötig ist, können sämtlich betroffen sein. Bei umschriebenen Lesestörungen sind Rechtschreibstörungen häufig und persistieren oft bis in die Adoleszenz, auch wenn einige Fortschritte im Lesen gemacht werden. Umschriebenen Entwick‐ lungsstörungen des Lesens gehen Entwicklungsstörungen des Sprechens oder der Sprache voraus. Während der Schulzeit sind begleitende Störungen im emotionalen und Verhaltensbereich häufig. Die ICD-10 definiert LRS als „umschriebene Entwicklungsstörung“, d. h. eine Teilleis‐ tungsstörung in dem klar begrenzten Fähigbzw. Fertigkeitsbereich des Lesens bzw. Rechtschreibens, die entwicklungsbezogen auftritt und somit den Schriftspracherwerb kontinuierlich beeinträchtigt. Entsprechende Fertigkeiten werden erschwert, verlangsamt oder gar nicht erworben, was jedoch nicht allein in einer unzureichenden Beschulung begründet liegen darf. Mit der Beeinträchtigung darf laut ICD-10 keine Minderung der allgemeinen Intelligenz einhergehen, was die Grundlage zur Abgrenzung allgemeiner Lernbehinderungen bildet (vgl. Kap. 3.2.3.2). Es wird deutlich, dass die Definition der „Lese- und Rechtschreibstörung“ vorrangig über die „bedeutsame Beeinträchtigung“ der Lesefertigkeiten erfolgt und eingeschränkte Rechtschreibfertigkeiten lediglich als parallele Symptomatik auftreten können. Dies steht in einer gewissen Diskrepanz zu den gängigen Testbzw. Diagnoseverfahren für LRS, die in Deutschland Anwendung finden und primär die Rechtschreibleistungen von Schüler: innen als Beurteilungskriterium hinzuziehen (vgl. Moll et al. 2012: 7). Folglich zielen auch Maßnahmen des Nachteilsausgleichs bzw. Noten‐ schutzes oftmals stärker auf das (Recht-)Schreiben ab (vgl. Kap. 3.5.2). Das gemeinsame 3.2 Die Diagnose „LRS“ 71 Auftreten von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten wird als häufige Komorbidität, d. h. begleitende Problematik genannt. Folglich können Leseschwierigkeiten auch unabhängig von Rechtschreibschwierigkeiten auftreten. Die Benennung einer isolierten Lesestörung ist anhand der ICD-10 jedoch rein begrifflich nicht möglich; die englische oder französische Terminologie ist hier weitaus präziser („trouble spécifique de la lecture“ bzw. „trouble spécifique de l’acquisition de l’orthographe“, vgl. CIM-10, F81.0 bzw. F81.1). Insbesondere vor dem Hintergrund fachdidaktischer Modellierungen bzw. Konzeptionen von Lesekompetenz (vgl. Kap. 2.1.1) fällt die potenzielle Breite und Unterschiedlichkeit der Beeinträchtigungen auf, die das Lesen betreffen können. So nennt die ICD-10 sowohl basale Lesefertigkeiten („gelesene Worte wiederzuerkennen“) als auch hierarchiehöhere Prozesse („Leseverständnis“) sowie das laute Vorlesen, das als eigene Teilfertigkeit gilt und über die eigentliche Lesekompetenz hinausgeht (vgl. Kap. 2.1.3.2). Spezifische Schwierigkeiten im Bereich der Rechtschreibung werden im Rahmen der „isolierten Rechtschreibstörung“ (ICD-10, F81.1) erläutert, die ohne Vorgeschichte einer Leseproblematik diagnostiziert werden kann. Auch für den Fremdsprachenunterricht ist relevant, dass die „Lese- und Rechtschreibstörung“ während der Schulzeit von Beeinträchtigungen „im emotionalen und Verhaltensbereich“ (ebd.) begleitet werden kann, die sich wiederum auf Motivation, Unterrichtsbeteiligung und den Kompetenzerwerb insgesamt auswirken können (vgl. Kap.-3.4.3 bzw. 3.4.4). Die zitierten Passagen verdeutlichen, dass mit der ICD-10 ein medizinisches Klassifika‐ tionssystem vorliegt, das zweckgemäß darauf angelegt ist, auftretende Symptomkomplexe klar voneinander abzugrenzen und zu kategorisieren, um möglichst wirksame Interven‐ tionen einleiten zu können. Während für Instanzen wie (Schul-)Psycholog: innen oder Ärzt: innen die ICD-10 das Referenzwerk zur Diagnosestellung darstellt, begegnen (Fremd‐ sprachen-)Lehrkräfte an Schulen einer wesentlich stärker ambivalenten Ausgangslage bei der Einschätzung von LRS. Hier eröffnet sich ein ganzer Fächer an Einflussfaktoren und Beurteilungskriterien: Dazu zählen sowohl linguistische Merkmale der zu erlernenden Sprache, bildungspolitische Rahmenvorgaben des Fremdsprachenunterrichts und unter‐ richtsspezifische Zielsetzungen als auch schülerseitige Heterogenitätsdimensionen wie Sprachkenntnisse, Einstellungen zum Fremdsprachenlernen, kognitive Kapazitäten oder die mögliche Unterstützung des Elternhauses (vgl. Kap. 3.3.2). Zudem wird deutlich, dass die IDC-10 keine sprachenspezifische Definition der umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten vornimmt, sondern sich grundsätzlich auf den Spracherwerb bzw. das Sprachenlernen bezieht: Zum einen erfolgt kein Hinweis auf linguistisch und didaktisch relevante einzelsprachliche Merkmale wie die Transparenz der Phonem-Graphem-Relati‐ onen, die den Schriftspracherwerb erheblich beeinflussen können. Zum anderen wird die individuelle Mehrsprachigkeit der Schüler: innen nicht thematisiert. Rückschlüsse auf die Spezifika von Fremdspracherwerbsbzw. -lernprozessen müssen also individuell gezogen werden und sind in der ICD-10 nicht angelegt. - 3.2.3.2 LRS vs. allgemeine Lernbehinderungen Ein wesentlicher Diskussionspunkt in Bezug auf medizinische Diagnoseansätze besteht in der Frage, inwieweit die Anwendung des „doppelten Diskrepanzkriteriums“ (z. B. Strehlow/ Haffner 2002: 114) bei der Diagnostik von LRS trennscharf und hinsichtlich einer effizienten 72 3 Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischunterricht 25 Eine signifikante Abweichung besteht laut ICD-10 dann, wenn der Entwicklungsstand eine Diskre‐ panz von mindestens zwei Standardabweichungen aufweist (vgl. Klicpera et al. 2017: 135 f.). 26 Historisch besteht in der Etablierung des „Intelligenzdiskrepanzkriteriums“ eine deutliche Weiter‐ entwicklung. Paul Ranschburg sah zu Beginn des 20. Jahrhunderts Legasthenie noch in einem Intelligenzdefizit der betroffenen Person begründet. Förderung betroffener Schüler: innen sinnvoll erscheint: Die ICD-10 fordert als Kriterien für die LRS-Diagnostik, dass die Lesebzw. Rechtschreibleistung signifikant sowohl von der Klassenbzw. Altersnorm als auch dem individuellen Intelligenzniveau abweicht (vgl. Klicpera et al. 2017: 135 f.). 25 Während für Lehrkräfte die Anwendung einer sozialen Bezugsnorm bei der Einschätzung von Schülerleistungen eine gängige Alltagspraxis ist, steht insbesondere das sogenannte Intelligenzdiskrepanzkriterium in den letzten Jahren immer wieder zur Diskussion. Dieses dient aus Sicht der medizinischen Diagnostik der Abgrenzung spezifischer, d. h. umschriebener Teilleistungsschwächen und unspezifischer LRS, d. h. Schwierigkeiten, die mit allgemeinen Lernbehinderungen einhergehen. 26 Aus schulpraktischer Perspektive stellt sich die Frage, inwieweit der Einbezug des Intelligenzdiskrepanzkriteriums für den Unterricht zielführend ist (vgl. Mayer 2016: 46). Denn unabhängig von der Frage, inwieweit LRS mit erwartbar ausgeprägten oder beein‐ trächtigten allgemeinen kognitiven Fähigkeiten einhergehen, bleiben die Probleme in den Bereichen des Lesens und Rechtschreibens bestehen: Eine differenzierte Förderdiagnostik in Bezug auf die individuell auftretenden Schwierigkeiten erscheint hier zielführender (vgl. Klicpera et al. 2017: 15 f.). Für den Fremdsprachenunterricht kommt hinzu, dass dem Faktor der „allgemeinen Intelligenz“ für das Fremdsprachenlernen keine besondere Prädiktionsfä‐ higkeit beigemessen wird (vgl. Romonath 2006: 22; Schlak 2008: 7). Es ist de facto unmöglich, einen Leistungsstand in der jeweiligen Fremdsprache auf Basis der allgemeinen Intelligenz von Lernenden exakt zu prognostizieren - somit erscheint auch die Frage einer möglichen Abweichung schriftsprachlicher Leistungen vom individuellen Intelligenzniveau sekundär. Eine in ihrer fachlichen Wirkung nicht zu unterschätzende Novellierung besteht auf medizinisch-diagnostischer Ebene darin, dass das „Intelligenzdiskrepanzkriterium“ in dem für den angloamerikanischen Raum maßgeblichen Diagnosemanual des DSM-5 (Falkai et al. 2018: 66 ff.) erstmals keine explizite Erwähnung mehr findet - eine signifikante Veränderung gegenüber der Vorgängerversion. Damit wird eine mögliche Öffnung der LRS-spezifischen Förderangebote für Schüler: innen mit erhöhtem Förderbedarf im schrift‐ sprachlichen Bereich insgesamt verbunden. 3.2.4 Pädagogisch-didaktische Diagnoseansätze Während medizinische Diagnosesysteme, die exemplarisch anhand der ICD-10 (Dilling et al. 2018) diskutiert wurden, auf eine klare Abgrenzung und trennscharfe Kategorisierung von Beeinträchtigungen abzielen, stellt sich auf methodisch-didaktischer Ebene die Frage des konkreten Mehrwertes für die Konzeption von Fördermaßnahmen: Contrary to the beliefs of many, once a reading difficulty is identified, a diagnosis of dyslexia offers little or no further benefit for guiding the nature of any intervention. In some societies such a label, irrespective of its questionable scientific rigor or validity, is necessary in order to receive 3.2 Die Diagnose „LRS“ 73 additional educational resources. In respect of pedagogy, however, the crucial task is to identify the individual’s particular strengths and weaknesses and address these directly. (Elliott/ Grigorenko 2014: 165) Die deutliche Kritik, die die Autor: innen an der gängigen Diagnosepraxis formulieren, umfasst zwei Aspekte: Erstens wird die Funktion der Diagnostik als Labeling-Instrument und Türöffner für den Ressourcenabruf im Bildungssystem kritisiert. Zweitens wird auf die mangelnde Überleitung von einer Diagnostik zur individuellen Förderung betroffener Personen hingewiesen. Wesentliches Merkmal einer pädagogisch-didaktisch orientierten LRS-Diagnostik ist folglich, die Lese- und Rechtschreibfertigkeiten nicht isoliert, sondern eingebettet in den jeweiligen persönlichen und gesellschaftlichen Kontext zu betrachten. Darüber hinaus sollte eine Diagnostik so angelegt sein, dass sie Hinweise zu einer effizienten Förderung liefert. Dieser Anspruch wird auch anhand des Konzepts der „Förderdiagnostik“, das bereits seit 1990er-Jahren in der Integrationspädagogik präsent ist (vgl. Belusa/ Eberwein 1998), bzw. der „multiaxialen Diagnostik“ (Warnke et al. 2002: 38) repräsentiert: [Diese] stellt sicher, dass nicht nur die Lese-Rechtschreibstörung des Kindes einer fachmännischen Untersuchung zugeführt wird, sondern das gesamte Kind in Zusammenhang mit seinem Lebens‐ umfeld, seinen seelischen und körperlichen Voraussetzungen zum schulischen Lernen, seinen spezifischen Fertigkeiten (Teilleistungsfertigkeiten), seiner Begabung und seinem psychosozialen Lebensumfeld Verständnis findet. Denn Zweck der aufwendigen Diagnostik ist es nicht allein, qualifiziert festzustellen, ob eine Legasthenie vorliegt oder nicht, sondern es sollen mit ihr auch entscheidende Hinweise für die Hilfestellung gewonnen werden. (ebd.) Bei der Übertragung medizinischer Diagnosesysteme auf schulische Kontexte ergibt sich dennoch das ethische und schulpraktische Problem, dass Fördermaßnahmen oder Nach‐ teilsausgleich bzw. Notenschutz nur Schüler: innen zuteilwerden, die über eine „offizielle“ LRS-Diagnose verfügen. Dies wird - meist aus förderpädagogischer Sicht und mit Bezug zum deutschen Schulsystem - auch unter den Schlagwörtern „Etikettierungs-Ressourcen- Dilemma“ (Moser/ Dietze 2015: 79) bzw. „labeling und funding“ (ebd.: 88) diskutiert. Es beschreibt die gegenwärtige Herausforderung, dass schulische Ressourcen wie Förderkurse oder Materialien an die Identifikation eines individuellen Förderbedarfs rückgebunden werden, der zuvor erst festgestellt, also diagnostiziert werden muss. Dies wiederum setzt eine gewisse Ausprägung der jeweiligen Beeinträchtigung voraus, da diese sonst nicht identifizierbar wäre. Für die kritische Diskussion dieses Ansatzes ist das „Wait-to-Fail- Prinzip“ (vgl. Huber/ Grosche 2012: 313) bedeutsam: Präventive Ansätze bzw. frühe Inter‐ ventionen bei Lernschwierigkeiten erscheinen unter diesen strukturellen Voraussetzungen nur mit starken Einschränkungen umsetzbar. Aus pädagogisch-didaktischer Sicht ist hervorzuheben, dass die Lese- und Rechtschreib‐ leistungen von Schüler: innen in einer Lerngruppe auf einem Kontinuum verteilt sind. Unab‐ hängig davon, welche Kriterien genau angelegt werden, kann eine medizinische Diagnostik nur funktionieren, wenn sie cut points setzt, d. h. einen Schwellenwert festlegt, der über das Vorliegen einer Diagnose entscheidet. Auch in anderen schulischen Bereichen begegnen Lehrkräften derartige Klassifikationen, z. B. wenn über mögliche Hochbegabungen anhand des Intelligenzquotienten mit 130 Punkten als Grenzwert entschieden wird. Gerade wenn - 74 3 Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischunterricht wie im Fall der LRS - sehr unterschiedliche Konstrukte und Diagnosekriterien vorliegen, kann die Kopplung der Diagnostik an die Bereitstellung adäquater Fördermaßnahmen unbefriedigend bis unethisch erscheinen (vgl. Strehlow/ Haffner 2002: 114). Zudem sug‐ gerieren rigide Diagnosesysteme im schulischen Kontext, dass Schüler: innen mit LRS eine spezifische Personengruppe mit einzigartigen Defiziten in den Bereichen des Lesens und des Rechtschreibens sein könnten. Aufgabe der Didaktik ist deshalb auch, mit den Implikationen der medizinischen Diagnostik im Schulkontext umzugehen und möglichst schüler-, ressourcen- und lösungsorientiert auf diese zu reagieren, d. h. beispielsweise eigenen Beobachtungen zu trauen, auch wenn diese in Widerspruch zu medizinischer Diagnostik stehen. 3.2.5 Prävalenz von LRS Analog zu den verschiedenen Diagnoseansätzen variieren Angaben zur Prävalenz, d. h. der Auftretenshäufigkeit von LRS, in der Fachliteratur deutlich. Neben dem zugrunde liegenden diagnostischen Konstrukt wird diese von dem gewählten Messzeitpunkt und der Grundgesamtheit der untersuchten Personen (z. B. die Gesamtbevölkerung eines Landes oder die Schülerschaft in einem bestimmten Bildungs- oder Jahrgang) beeinflusst. Beiträge, die sich an der medizinischen Diagnostik der „Lese- und Rechtschreibstörung“ nach ICD-10 (Dilling et al. 2018) orientieren, nennen in der Regel Prozentzahlen im einstelligen Bereich: Beispielsweise gehen Klicpera et al. (2017: 138) von 2 bis 4 % betroffenen Schulkindern aus; Ise et al. (2012: 122) legen ihrer Untersuchung zur Wirksamkeit deutschsprachiger Förder‐ ansätze einen Wert von 4 bis 8 % zugrunde. Strehlows und Haffners (2002) Metaanalyse ermittelt anhand einer repräsentativen Stichprobe junger Erwachsener im Alter von 16 bis 30 Jahren eine Prävalenz von 6 bis 9 %. Hinsichtlich medizinischer Testungen ist zu berück‐ sichtigen, auf welchen statistischen Maßen die jeweilige Diagnostik basiert: Beispielsweise fordert das DSM-5 für eine valide Diagnose anderthalb Standardabweichungen zwischen der aufgrund der Klassenstufe bzw. des Alters erwartbaren und der tatsächlich gezeigten Leistung und formuliert für die USA eine Auftretenshäufigkeit der specific learning disorders von 5 bis 15 % bei Schulkindern bzw. 4 % bei Erwachsenen (vgl. Falkai et al. 2018: 93). Die ICD-10 legt demgegenüber eine Diskrepanz von mindestens zwei Standardabweichungen zugrunde sowie die Anwendung des „doppelten Diskrepanzkriteriums“ (Klicpera et al. 2017: 135 f.; vgl. Kap. 3.2.3). Erfolgt eine Orientierung an pädagogisch-didaktischen Diagnoseansätzen, die auch temporär auftretende oder weniger stark ausgeprägte Schwierigkeiten in den Bereichen des Lesens und Rechtschreibens umfassen, liegen Angaben zur Prävalenz der LRS in der Regel im zweistelligen Prozentbereich (vgl. Gerlach 2020: 415). Zieht man den (nicht unkritischen) Begriff der Risikogruppe hinzu, der im Rahmen der PISA-Studie leistungsschwächere Schüler: innen beschreibt, die bei der Testung der Lesekompetenz die Kompetenzstufe 1a oder niedriger erreicht haben, ergibt sich eine Gesamtzahl von 18,5 % aller Schüler: innen (vgl. Naumann et al. 2010: 38). Diese Schüler: innen sind nicht in der Lage, einfachste Lese‐ aufgaben zu lösen und z. B. das Hauptthema eines Texts zu erfassen. Das Lesekompetenz- Konzept der PISA-Studie, das auf das Leseverstehen fokussiert ist und einen Rückbezug zur Lesefähigkeit im Alltag herstellt, führt überdies zu dem Begriff des funktionalen Analphabe‐ 3.2 Die Diagnose „LRS“ 75 tismus (z. B. Löffler 2014). Dieser bezieht sich auf Personen, die ihre Schulausbildung bereits abgeschlossen haben und dennoch nicht in der Lage sind, alltagsbezogene Anforderungen in den Bereichen des Lesens und (Recht-)Schreibens zu erfüllen (vgl. Nijakowska 2010: 94 ff.). Für diese Personengruppe (im Alter von 18 bis 64 Jahren) wird unter Rückgriff auf die Level-One-Studie eine Anzahl von 14,5 % der Gesamtbevölkerung angegeben (vgl. Löffler 2014: 63 f.). Für alle Diagnoseverfahren und -kriterien gilt die Einschränkung, dass nur diejenigen Lernenden, die überhaupt getestet werden, diagnostiziert werden können - eine gewisse Dunkelziffer muss also stets mitgedacht werden. Auch wenn keine Zahlen zu potenziell betroffenen Schüler: innen im Französischunter‐ richt vorliegen, kann auf Basis der skizzierten Prävalenz davon ausgegangen werden, dass die Problematik beeinträchtigter Lese- und Schreibfertigkeiten auch für den Unterricht der zweiten Fremdsprachen relevant ist. Gelegentlich geäußerte Vorbehalte, dass es überhaupt nur sehr wenige Schüler: innen mit LRS gebe und diese „Einzelfälle“ nicht systematisch in methodisch-didaktische Unterrichtskonzepte einbezogen werden müssten, können somit entkräftet werden. Wichtiger noch erscheint aus Sicht der Didaktik, dass Französischlehr‐ kräfte den Umgang mit sinkenden schriftsprachlichen Kompetenzen der Schülerschaft als herausfordernd beschreiben und auf der Suche nach adäquaten Fördermöglichkeiten sind (vgl. Engelen 2019; Mendez 2013; Reimann 2014). 3.3 LRS in der Erstsprache - LRS in der Fremdsprache? Während in den Kap. 3.1 & 3.2 Merkmale von LRS im Fokus standen, die im Kontext des deutschen Bildungssystems vorrangig mit Bezug auf die Beherrschung der deutschen (Schrift-)Sprache diskutiert werden, kommen im Folgenden Konzepte und Theorien zur Sprache, die sich mit den möglichen Auswirkungen von LRS auf das Fremdsprachenlernen befassen. Hier können theoretische (Kap. 3.3.1) sowie schulpraktische (Kap. 3.3.2) Aspekte unterschieden werden. 3.3.1 Erklärungsansätze für LRS in den Fremdsprachen Im Forschungsdiskurs gilt als sicher, dass sich Beeinträchtigungen des Schriftspracher‐ werbs in der Erstsprache auch auf das Lesen und Schreiben in der Zweitbzw. Fremdsprache auswirken (vgl. Gerlach 2017: 296 f.; Nijakowska 2010: 66 ff.). Dieser Zusammenhang wird in Bezug auf die konkrete Beeinträchtigung LRS bereits seit den 1980er-Jahren beforscht: Darauf weisen für die Ausgangssprache Deutsch die frühen Arbeiten von Renate Valtin hin (vgl. Valtin et al. 1981), die von Roswitha Romonath (vgl. Romonath et al. 2005) mit Bezug auf die Fremdsprache Englisch bestätigt wurden. Im anglophonen Raum sind die empirischen Studien von Richard Sparks, Leonore Ganschow und Kolleg: innen maßgeblich, die in der Aufstellung der Linguistic Coding Differences Hypothesis (LCDH) mündeten (s. u., vgl. Sparks 1995; Sparks et al. 1989) und zu einer Vielzahl psycholinguistisch orientierter Anschlussforschungen führten (vgl. im Überblick z. B. Rindlisbacher [2021] für die Lesekompetenz; Kormos [2012] für die Schreibkompetenz in den Zweit-/ Fremd‐ sprachen). Die Studienlage indiziert, wie unterschiedlich die konkreten Auswirkungen 76 3 Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischunterricht auf die verschiedenen Teilfertigkeiten sein können, die für einen erfolgreichen Umgang mit Schriftsprache in den Fremdsprachen nötig sind (vgl. auch Sparks et al. 2006). Im Folgenden werden deshalb drei Aspekte einer besonderen Betrachtung unterzogen, die sich für den Zusammenhang des Fremdsprachenlernens mit LRS im Schulkontext als besonders aussagekräftig erweisen: Dazu zählen das Konzept der Sprachlerneignung (Kap. 3.3.1.1), die Diskussion um das mögliche Symptombild einer Fremdsprachenlegasthenie (Kap. 3.3.1.2) sowie Überlegungen zu den Auswirkungen der jeweiligen Zielsprachen auf die Ausformung der LRS (Kap.-3.3.1.3). - 3.3.1.1 Sprachlerneignung (foreign language aptitude) Das Konzept der Sprachlerneignung kann im Kontext von LRS herangezogen werden, um zu verdeutlichen, dass Schwierigkeiten bei der Auseinandersetzung mit (Schrift-)Sprache mit der Beeinträchtigung übergeordneter sprachlicher Verarbeitungsmechanismen, wie z. B. der phonologischen Rekodierung, begründbar sind und damit in der Regel nicht nur in Bezug auf eine Sprache auftreten. Die Sprachlerneignung gilt neben der Motivation als einer der Big-Two-Faktoren für den Fremdsprachenlernerfolg (nach Rod Ellis, vgl. Schlak 2008: 4). Dieser Begriff fasst verschiedene Fähig- und Fertigkeiten zusammen, die für das Fremdsprachenlernen konstitutiv sind: Dazu zählen zum einen die Identifikation und Diskrimination von Lauten (phonetic coding ability) bzw. die Verknüpfung von Wortformen mit einer Bedeutung (rote learning ability), die im Kontext des Schriftspracherwerbs als zentrale lower level skills herausgestellt wurden (vgl. Kap. 2.1.1). Zum anderen werden mit der grammatical sensitivity und der inductive language learning ability Fertigkeiten genannt, die das Verständnis grammatischer Zusammenhänge und das selbstständige Er‐ schließen unbekannter sprachlicher Strukturen umfassen. Damit fokussiert das Konstrukt der Sprachlerneignung rein kognitive Aspekte des Umgangs mit (Fremd-)Sprachen, die um weitere individuelle Einflussfaktoren, wie z. B. soziale und emotionale Variablen, zu ergänzen wären, sofern ein umfassendes Bild von der lernenden Person gezeichnet werden soll (vgl. Riemer 2002). Das Konzept der Sprachlerneignung wird aufgrund seines potenziell deterministischen Grundgedankens kritisiert, der in dem deutschen Begriff der Eignung deutlicher hervor‐ treten könnte als in dem englischen Begriff der aptitude. Mittlerweile werden die basalen Sprachverarbeitungsmechanismen jedoch als dynamisches Fertigkeitsbündel verstanden, das lediglich eine Auskunft darüber ermöglicht, wie schnell und wie gut eine Sprache unter welchen Bedingungen erlernt werden kann - und nicht über eine unabwendbare (Nicht-)Eignung zum Sprachenlernen entscheidet (vgl. Schlak 2008: 4 f.). Hinsichtlich möglicher Förderansätze wird das Potenzial betont, basale schriftsprachliche Kompetenzen sprachübergreifend zu verbessern: Gerlachs (2013) Studie zur Wirksamkeit eines Interven‐ tionsprogramms im Bereich der Rechtschreibung des Englischen als Fremdsprache weist darauf hin, dass sich die Förderung der lower level skills nicht nur positiv auf das Englische, sondern auch auf entsprechende Fertigkeiten im Deutschen auswirkt. Die von Sparks et al. (1989) vorgelegte LCDH zielt argumentativ insofern in eine ähnliche Richtung, als sie die Interdependenz von Erst- und Zweitbzw. Fremdsprachenlernen betont. So wie Lernende von individuellen Stärken bei der Rezeption und Produktion ihrer Erstsprache auch beim Zweitbzw. Fremdsprachenlernen profitieren können, werden 3.3 LRS in der Erstsprache - LRS in der Fremdsprache? 77 Schwächen in den linguistischen Codes auch auf weitere Sprachen übertragen. Dies betrifft insbesondere orthographische und phonologische Verarbeitungsmechanismen; semantische Prozesse sind hingegen kaum betroffen (vgl. Sparks et al. 2006). Dabei bezieht die LCDH Aspekte ein, die über kognitive Variablen hinausgehen: Beispielsweise wird auf der Ebene affektiver Lernervariablen angenommen, dass negative Einstellungen gegenüber dem Fremdsprachenlernen vielmehr das Resultat als der Grund für mangelnden Lernerfolg sind (vgl. Sparks/ Ganschow 2001: 99 ff.). Psycholinguistische Studien mit Bezug zu deutschsprachigen Lernenden des Englischen als Fremdsprache bestätigen die Annahme, dass „die sprachlichen Fähigkeiten in der Mut‐ tersprache die besten prognostischen Merkmale für Ergebnisse im Fremdsprachenlernen bilden“ (Romonath et al. 2005: 109) - dies gilt sowohl für beeinträchtigte als auch für durchschnittlich entwickelte Mechanismen der Sprachverarbeitung. Mit dem Konzept der Sprachlerneignung sowie entsprechenden Optionen zur Prognose fremdsprachlicher Kompetenzen wird oftmals die Perspektive verbunden, ein „erkennbares Fremdsprachen‐ lernrisiko“ (Romonath 2006: 28) im Sinne präventiven Handelns zu identifizieren. In diesem Kontext sind auch entsprechende Testinstrumente wie der Modern Language Aptitude Test (MLAT) zu verorten, die auf eine frühzeitige Identifikation individueller Stärken und Schwächen hinsichtlich des Fremdsprachenlernens abzielen (vgl. Engelen 2016: 239 ff.) und den Begriff der Foreign Language Learning Disability (FLLD) hervorbrachten, der im Folgenden diskutiert wird. - 3.3.1.2 Fremdsprachenlegasthenie und „verdeckte“ LRS In Abgrenzung zu Konzepten wie der Sprachlerneignung und der LCDH, die die sprach‐ übergreifende Relevanz basaler schriftsprachlicher Fertigkeiten betonen, wird gelegentlich der Begriff der Fremdsprachenlegasthenie genutzt, um besondere Ausprägungen von LRS in den zu erlernenden Fremdsprachen hervorzuheben (z. B. Valtin et al. 1981; Buda 2012). Auch in englischsprachigen Beiträgen kursiert der Begriff der Foreign Language Learning Disability (z. B. Reed/ Stansfield 2004), der auf sich primär oder gar ausschließlich in den Fremdsprachen manifestierende LRS referiert. Die These isoliert auftretender LRS in den Fremdsprachen gilt vor dem Hintergrund aktueller Forschungsergebnisse zum Zusammenhang des Fremdsprachenlernens mit LRS jedoch als widerlegt (vgl. Gerlach 2019 a : 30 f.; Sparks 2006: 552 f.). Sparks (2016: 255 f.) ordnet diese sogar als Mythos ein, der sich in den vergangenen Jahrzehnten im Bildungssystem der USA über anekdotische Evidenz und (Einzel-)Fallstudien verfestigt habe. Dennoch muss die - meist im Kontext konkreter Unterrichtspraxis geäußerte - Beobach‐ tung, dass sich LRS bei manchen Schüler: innen in einer Fremdsprache intensiver zeigen können als in der Erstsprache, ernst genommen und diskutiert werden. Dies ist eng mit der Frage verbunden, wann bzw. in Auseinandersetzung mit welcher Sprache LRS sicht- und damit beobachtbar werden - und wann sie möglicherweise nur „verdeckt“ auftreten (vgl. Gerlach 2019 a : 31). Hier können verschiedene Aspekte wie Merkmale der zu erlernenden Sprache selbst, aber auch bereits umgesetzte Fördermaßnahmen eine Rolle spielen. Darin bestehen auch mögliche Gründe, warum die These der „Fremdsprachenlegasthenie“ so lange in Praxis wie Forschung hat kursieren können. Schneider und Crombie (2003: 5) sehen dies vorrangig in gut entwickelten Lern- und Kompensationsstrategien begründet, die 78 3 Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischunterricht Lernende mit LRS in der Erstsprache nutzen - aber noch nicht auf das Fremdsprachenlernen haben übertragen können: Reading, writing, listening and speaking skills in the FL [foreign language] are all significantly affected by weaknesses in linguistic coding skills even when the native language has been well mastered through years of developing strategies and overlearning to the point where automaticity has been achieved. The underlying language processing difficulties and differences are still likely to affect the student when exposed to foreign language learning. (ebd.) Dies habe zur Folge, dass sich LRS beim Fremdsprachenlernen unter Umständen deutlicher zeigen, als dies bei der Auseinandersetzung mit der Erstsprache hätte angenommen werden können. Auch die gängigen Diagnosekriterien widersprechen der Existenz einer Fremdsprachenlegasthenie: Gerade das Merkmal der Entwicklungsbezogenheit ist hier konstitutiv und grenzt LRS von anderen Beeinträchtigungen ab, die „erworben“ werden, also losgelöst von der ursprünglichen Entwicklung der Lese- und Schreibfertigkeiten eintreten können (vgl. Dilling et al. 2018; Kap. 3.2). Wenn die Auseinandersetzung mit Schriftsprache für betroffene Schüler: innen bereits von Beginn an erschwert ist, schließt dies praktisch aus, dass LRS erstmals beim Fremdsprachenlernen an der weiterführenden Schule überhaupt in Erscheinung treten. Gleiches gilt für LRS, die vermeintlich nur in der Erstsprache, aber nicht in den Fremdsprachen auftreten, wie Gerlach (2019 a : 31) festhält: Noch deutlich seltener ist der Fall, dass LRS in der Muttersprache sehr präsent sind, in der Fremdsprache aber kaum auftreten. Hier liegt die Vermutung nahe, dass zum einen die Motivation zum Fremdsprachenlernen sehr hoch ist und die schwachen Rekodierungsfähigkeiten ausgleicht, ein anderer Faktor könnte eine sehr gute Lehrkraft sein, die viel Wert auf multisensorische Wort‐ schatzarbeit und die Förderung basaler schriftsprachlicher Fertigkeiten auch in der Fremdsprache legt. Die angestellten Überlegungen formulieren geringere und höhere Wahrscheinlichkeiten bzw. Facetten des Auftretens von LRS in einer oder mehreren Sprachen, die nicht zuletzt an Merkmale der Zielsprachen selbst rückgebunden sind - dies wird im Folgenden unter dem Begriff der orthographic depth hypothesis diskutiert. - 3.3.1.3 Auswirkungen der Zielsprachen auf LRS (orthographic depth hypothesis) Es gilt als sicher, dass sich die Struktur der jeweiligen (Fremd-)Sprache auf den (Schrift-)Spracherwerb auswirkt und beispielsweise seine Dauer und dabei auftretende Schwierigkeiten beeinflusst (vgl. Brunswick 2010; Miles 2000). Dabei wird insbesondere der Komplexität der Orthographie eine wichtige Rolle zugeschrieben: Als orthographisch „tief “ bzw. „intransparent“ gelten Sprachen, die keine engen Phonem-Graphem-Korres‐ pondenzen aufweisen, also wenig „phonographisch“ (Weth 2015: 88) bzw. „lauttreu“ (von Suchodoletz 2007: 127) sind. Das Französische weist zahlreiche Eigenschaften auf, die eine Charakterisierung als „intransparente“ Sprache nahelegen, so z. B. die hohe Anzahl stummer Buchstaben, die Homophonie bzw. Heterographie und die Existenz von Mehrgra‐ phen (vgl. Kap. 2.3.1). Die deutsche oder die spanische Orthographie werden demgegenüber als deutlich „flacher“ eingestuft, was den Lesekompetenzerwerb der Lernenden beschleu‐ nigt (vgl. Seymour et al. 2003: 145 f.). 3.3 LRS in der Erstsprache - LRS in der Fremdsprache? 79 27 Wie Seymour et al. (2003: 165 ff.) selbst anmerken, wirken sich andere Faktoren wie z. B. das Alter beim Lesebeginn oder verschiedene Lehr-Lern-Methoden auch auf die Geschwindigkeit der Entwicklung der Lesefertigkeiten aus. Katz und Frost (1992) fassen dies unter dem Begriff der orthographic depth hypothesis zusammen: Die (In-)Transparenz einer Sprache wirkt sich auf die Entwicklung der Lese‐ fertigkeiten aus und beeinflusst, inwieweit bei der Entschlüsselung von Wörtern auf das jeweilige Lautbild zurückgegriffen wird. Dieser Zusammenhang wurde mehrfach anhand eines Vergleichs des Deutschen und Englischen hergestellt, da die Sprachen etymologisch nah beieinanderliegen, sich im Grad ihrer Transparenz jedoch deutlich unterscheiden: Während Lesende im Fall transparenter Orthographien (wie dem Deutschen) vermehrt auf phonologische Informationen bei der Entschlüsselung von Wörtern zurückgreifen, werden bei intransparenten Sprachen (wie dem Englischen) eher direkte Wege der Ent‐ schlüsselung und Ganzwortstrategien gewählt (vgl. Ziegler et al. 2003: 171 f.; Kap. 2.1.1.3 zu den Zwei-Wege-Modellen der Worterkennung). Dies bewirkt eine Verlangsamung der Entwicklung der Lesefertigkeiten im Englischen sowohl für beeinträchtigte als auch für nicht beeinträchtigte Lernende (vgl. Landerl et al. 1997). Weitere Studien bestätigen, dass die Geschwindigkeit des Schriftspracherwerbs in hohem Maße an die orthographische Tiefe einer Sprache rückgebunden ist: Beispielsweise stellen Seymour et al. (2003) mit Bezug auf 13 europäische Sprachen heraus, dass das Dekodieren von Wörtern und Pseudowörtern in transparenten Sprachen deutlich schneller gelingt als in intransparenten Sprachen. Während nach einem Jahr Leseunterricht englische Kinder 40 % der Testwörter korrekt vorlasen - für das Französische sind es 75 % - ergab sich für transparentere Sprachen mit 95 % ein Ceiling-Effekt. 27 Dies weist darauf hin, dass die Phasen des Schriftspracherwerbs in verschiedenen Sprachen unterschiedlich viel Zeit in Anspruch nehmen können. Folgt man der grain size theory von Ziegler und Goswami (2005) wirkt sich neben der (In-)Transparenz einer Sprache, also der Eindeutigkeit der Phonem-Graphem-Zuord‐ nungen, auch die Größe der zu verarbeitenden Einheiten auf die Entwicklung schrift‐ sprachlicher Fertigkeiten aus. Während bei der Entschlüsselung intransparenter Sprachen größere Einheiten fokussiert werden, sind in weniger komplexen Sprachen bereits kleinere sprachliche Einheiten lesbar, ohne dass dies zu Fehlern seitens der Leser: innen führen würde. Für das Spanische als transparentere Sprache zeigt sich beispielsweise, dass von LRS betroffene Lernende im Vergleich zu nicht beeinträchtigten Lernenden zwar deutlich langsamer lesen, jedoch relativ schnell ein hohes Level an korrekten Laut-Buchstaben- Zuordnungen erreichen, wie Davies und Cuetos (2010) herausarbeiten. Die Studie von Caravolas et al. (2003) weist für den Sprachenvergleich Englisch und Französisch darauf hin, dass nicht nur die Transparenz der jeweiligen Orthographie ein bedeutender Faktor für einen erfolgreichen Umgang mit Schriftsprache ist, sondern insbesondere auch die phono‐ logischen Verarbeitungsfertigkeiten der Lernenden. Für das Französische spielt darüber hinaus ein Verständnis der grammatischen Strukturen der Sprache eine entscheidende Rolle, was vor dem Hintergrund der orthographe grammaticale verständlich wird (vgl. Kap.-2.3; Miles 2000: 197 f.). Für den Kontext des Französischunterrichts weist die orthographic depth hypothesis darauf hin, dass die Intransparenz der französischen Sprache als spezifischer Einflussfaktor 80 3 Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischunterricht 28 Eine Ausnahme stellt der von Elbro et al. (2012) entwickelte Lesetest dar. Dieser richtet sich an erwachsene Lernende des Englischen als Fremdsprache und ermöglicht, über die Erfassung basaler Dekodierfertigkeiten eine zuverlässige Aussage zu Leseschwierigkeiten in der Zweitsprache zu treffen - und damit den „Umweg“ über eine Diagnose in der Erstsprache zu vermeiden. bei der Entwicklung einer ausreichenden Lese- und Rechtschreibkompetenz mitzudenken ist. Dies gilt grundsätzlich für alle Schüler: innen - für Lernende mit LRS aber in besonderem Maße, da sich ihre Beeinträchtigung genau in den Bereichen auswirkt, die sich im Fall einer intransparenten Sprache als sehr komplex darstellen (so z. B. die Etablierung von Phonem- Graphem-Relationen). Die Komplexität der französischen (Schrift-)Sprache könnte somit Teil einer Erklärung des in der Schulpraxis wiederholt beschriebenen Phänomens sein, dass sich LRS im Französischen als Fremdsprache besonders deutlich zeigen (vgl. Mendez 2013). Jedoch bedarf es einer angemessenen Einbettung in den Gesamtkontext des Fran‐ zösischunterrichts: Denn neben der Struktur der Zielsprache spielen zahlreiche andere Einflussfaktoren, wie z. B. individuelle Motivationen bei der Fremdsprachenwahl, eine ebenso wichtige Rolle für den letztlichen Sprachlernerfolg. Diese Dimensionen von LRS mit unmittelbarem Bezug zum Fremdsprachenunterricht werden im Folgenden diskutiert. 3.3.2 Schulpraktische Dimensionen Während in Kap. 3.3.1 vorrangig linguistische und kognitionspsychologisch orientierte Erklärungsmuster für den Zusammenhang von LRS in der Erstsprache und beim Fremd‐ sprachenlernen vorgestellt wurden, werden im Folgenden drei Aspekte beleuchtet, die in der Schulpraxis zum Ausdruck kommen: Dazu zählen die Frage nach einer Diagnostik in den Fremdsprachen sowie Überlegungen zur Fremdsprachenwahl und Motivationen von LRS betroffener Schüler: innen für das Fremdsprachenlernen. - 3.3.2.1 LRS-Diagnostik in den Fremdsprachen Wie hinsichtlich grundlegender Diagnosesysteme für LRS herausgearbeitet wurde (vgl. Kap. 3.2), beziehen sich schulrechtlich anerkannte Testinstrumente im Kontext des deut‐ schen Schulsystems ausschließlich auf die deutsche Sprache (so z. B. die Hamburger Schreibprobe oder die Münsteraner Rechtschreibanalyse). Da in der Regel LRS bereits bei der frühen Auseinandersetzung mit Schriftsprache auftreten und der durchschnittliche Diagnosezeitpunkt bereits in der Grundschulzeit liegt (vgl. Rißling et al. 2011: 229), fällt die erstmalige LRS-Diagnose zeitlich selten in den unmittelbaren Kontext des Fran‐ zösischunterrichts - eine Ausnahme bildet der frühbeginnende Fremdsprachenunterricht in der Grundschule, der jedoch nicht im Fokus der vorliegenden Studie steht. Folglich stehen Fremdsprachenlehrkräfte in den zweiten Fremdsprachen vor der Herausforderung, ausgehend von bereits erfolgten Testungen im Deutschen die Diagnosestellung zu über‐ tragen und Rückschlüsse auf mögliche Beeinträchtigungen auch in den fremdsprachlichen Fächern zu ziehen. Denn bei der Einschätzung schülerseitiger Schwierigkeiten in den Bereichen des Lesens und des Rechtschreibens kann in den fremdsprachlichen Fächern nicht auf speziell für die Diagnose von LRS in den Schulfremdsprachen entwickelte Testinstrumente zurückgegriffen werden. 28 3.3 LRS in der Erstsprache - LRS in der Fremdsprache? 81 Diese Ausgangslage befreit Fremdsprachenlehrkräfte natürlich nicht von einem sensi‐ bilisierten Blick auf schülerseitige Schwierigkeiten im Bereich der schriftsprachlichen Kompetenzen: Zum einen ist möglich, dass in vorherigen Klassenstufen noch gar keine Testung auf LRS vorgenommen wurde; zum anderen könnten sich bereits bestehende LRS durch „ungünstige“ Lebens- und Lernumstände so verschlechtert haben, dass eine erneute Diagnostik indiziert ist. Insgesamt ist zu beobachten, dass die mögliche Rolle der Lehrkräfte bei der Diagnostik in den letzten Jahren dynamische Veränderungen erlebt hat und - auch infolge der Inklusionsdebatte - eine Öffnung des Diagnosebegriffs hin zu flexibleren pädagogisch-didaktischen Handlungsmöglichkeiten erfolgt ist (vgl. Sasse 2009: 300). Daraus resultiert, dass Lehrkräften in den letzten Jahren eine immer größere Verantwortung auch für die Erkennung von Lernschwierigkeiten übertragen wurde und in einigen Bundesländern sogar Klassen- oder Schulkonferenzen ermächtigt sind, über die Erteilung von Nachteilsausgleich und Notenschutz zu entscheiden (vgl. Gerlach 2019 a : 34). Dies ist einerseits zu begrüßen, da eine zügige, flexible Regelung und Entstigmatisierung der Betroffenen möglich wird, andererseits stellt dies umfassende Anforderungen an die Lehrkräfte, die nicht nur Fachkenntnisse zu LRS, sondern auch sprachstrukturelles Wissen benötigen, um eine angemessene Förderdiagnostik umzusetzen (vgl. Sasse 2009: 300 f.). Sollen LRS im Fremdsprachenunterricht eingeschätzt werden, steht beispielsweise mit Gerlach (2015 b : 147) ein Diagnosebogen zur Verfügung, der sich an konkreten Schwierigkeiten von Schüler: innen orientiert und zugleich von den Lernenden als „Selbsteinschätzungsbogen“ (ebd.: 148) genutzt werden kann. Wie aus einem explorativen Beitrag hervorgeht, in dessen Rahmen zwölf Lehrkräfte des Französischen als zweite Fremdsprache zu ihren Einschätzungen von Schüler: innen mit LRS befragt wurden, schreiben Französischlehrer: innen eine mögliche Diagnosekom‐ petenz gemeinhin ganz unterschiedlichen Instanzen im unmittelbaren Schulumfeld sowie außerschulischen Bereich zu (z. B. Deutschlehrkräften, LRS-Beauftragten an Schulen oder Fachärzt: innen) (vgl. Engelen 2019: 134 f.): Eine „offizielle“, d. h. schulrechtlich verbindliche und reliable Diagnosestellung verorten sie aber meist nicht in ihrem eigenen Zuständig‐ keitsbereich. Demgegenüber wird die Notwendigkeit einer effizienten Kommunikation vorliegender LRS-Diagnosen auf Schulebene hervorgehoben: Die Lehrkräfte ergänzen diese durch die konkrete Beobachtung betroffener Schüler: innen im Französischunterricht, um angemessene Fördermaßnahmen abzuleiten (vgl. ebd.: 130 ff.). Somit bleibt eine kontinu‐ ierliche Analyse der auftretenden Schwierigkeiten unabdingbar, wie auch Gerlach (2019 a : 26) betont: [Die LRS] können individuell (auch tagesformbedingt) sehr unterschiedlich ausfallen, mögen zudem in der Schwere und Komplexität stark variieren, sodass die Diagnose von Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler mit LRS unabdingbar ist, wenn sie im Unterricht integriert werden sollen. (Gerlach 2019 a : 26) Während also auf schulrechtlicher Ebene, beispielsweise die Umsetzung von Nachteilsaus‐ gleich und Notenschutz betreffend, die Realisierung einer offiziell anerkannten Diagnostik weiterhin unabdingbar bleibt, kennzeichnet sich die Idee einer „Förderdiagnostik“ (z. B. Belusa/ Eberwein 1998) durch einen flexiblen und fortwährenden Blick auf die Schwierig‐ keiten betroffener Schüler: innen. 82 3 Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischunterricht 29 Je nach Sprachenangebot an der Schule spräche dies wiederum gegen das Lateinische, aber für das Spanische, das konsistentere Phonem-Graphem-Beziehungen als das Französische aufweist (vgl. Müller-Lancé 2007). 3.3.2.2 Überlegungen zur Fremdsprachenwahl Vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen der Rolle von LRS beim Fremdspra‐ chenlernen ergibt sich in der schulischen Beratungspraxis die Frage, welche Fremdsprachen für Schüler: innen mit LRS besonders „günstig“ oder „vorteilhaft“ zu erlernen sein könnten. Wie bei allen Lernenden sollten verschiedene Überlegungen, z. B. zur Relevanz der Sprache für den Lebensalltag und die spätere Berufswahl oder zu individuellen Stärken und Interessen, auf Basis des Sprachenangebots der jeweiligen Schule zusammenfließen (vgl. Schneider/ Crombie 2003: 14 ff.). Dennoch werden in Bezug auf Schüler: innen mit LRS sprachstrukturelle Charakteristika der zur Auswahl stehenden Fremdsprachen häufig besonders betont. So erläutert Braun (2015: 7, Herv. im Orig.): Noch vor Jahren wurde interessierten Schülern, die von LRS betroffen waren, eher davon abgeraten, Französisch zu lernen. Die Divergenz von Schreibung und Lautung sowie die Manifes‐ tation grammatischer Phänomene in der Graphie, wie beispielsweise der accord von Adjektiv und Substantiv oder von Partizip und vorangehendem direkten Objekt, schienen für von LRS- Betroffene quasi unüberwindliche Hürden darzustellen. Vor dem Hintergrund typischer Schwierigkeiten von Schüler: innen mit LRS werden Merkmale des Französischen wie die Komplexität der Orthographie und die Intranspa‐ renz der Phonem-Graphem-Relationen als begründbare Gegenargumente zur Wahl des Französischen als Fremdsprache aufgeführt (vgl. Kap. 2.3.1). Dem steht entgegen, dass die „modernen“ Fremdsprachen umfassende Kompensationsmöglichkeiten im Bereich der Mündlichkeit bieten und so eventuelle Schwächen in Auseinandersetzung mit der Schriftsprache weniger zum Tragen kommen könnten. 29 Überdies ist kritisch anzumerken, dass sprachstrukturellen Argumentationen in der Regel ein vermeintlich generalisierbarer - und wenig lernerorientierter - Schwierigkeits‐ begriff zugrunde liegt. Denn vor allem das Französische wird (nicht nur) im Kontext des schulischen Fremdsprachenunterrichts immer wieder als besonders „schwere“ Fremd‐ sprache gehandelt (vgl. de Florio-Hansen 1995; Meißner 1998; Sellin 2008: 60). Mit Bezug zu Schüler: innen mit LRS klingt gelegentlich sogar die Frage an, ob das Französische für sie überhaupt erlernbar sei: „Kann ich als Legastheniker Französisch lernen? “, fragt beispielsweise Mendez (2013: 4). Es ist wünschenswert, dass deterministische Positionen in Zukunft überwunden werden und sprachstrukturelle Aspekte nur ein Kriterium sind, das in die Fremdsprachenwahl einbezogen wird: „Eine für alle LRS-Kinder besonders gut geeignete Fremdsprache gibt es also nicht.“ (von Suchodoletz 2007: 129). Vor dem Hinter‐ grund individueller Sprachlernbiographien und möglicher psychosozialer Konsequenzen von LRS (vgl. Kap. 3.4.4) sollte für die Schüler: innen die jeweilige Entscheidung für eine Fremdsprache auch in emotional-motivationaler Hinsicht überzeugend sein. 3.3 LRS in der Erstsprache - LRS in der Fremdsprache? 83 30 Das Begriffspaar intrinsisch - extrinsisch differenziert, inwieweit Anreize aus auf dem Lerngegen‐ stand bzw. der bearbeitenden Person selbst (z. B. Interesse an der Fremdsprache) oder dem Umfeld (z. B. gute Noten) erwachsen. Eine ältere Unterscheidung, die der Diskussion um den Zweitsprach‐ erwerb entstammt, liegt in der integrativen (d. h. die Person möchte sich selbst weiterentwickeln und Teil der zielsprachlichen Kultur werden) und instrumentellen Motivation (d. h. es werden konkrete praktische Vorteile oder berufliche Zwecke mit dem Fremdsprachenlernen verbunden) (vgl. zusammenfassend z. B. Riemer 2002: 72 f.; Zepter 2015: 18 ff.). 3.3.2.3 LRS und Motivation für das Fremdsprachenlernen Anknüpfend an die Identifikation geeigneter Kriterien für die Fremdsprachenwahl bei LRS stellt sich die Frage, inwieweit die Motivation für das Fremdsprachenlernen bei Lernschwierigkeiten anderen Dynamiken unterliegen könnte als im Fall nicht beeinträch‐ tigter Lernender. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Variable „Motivation“ in der Fremdsprachenforschung zu den „affektiven Faktoren“ (Riemer 2002: 72) zählt und als Determinante für den Sprachlernerfolg gilt (vgl. Schlak 2008: 4). Sie ist als komplexes und dynamisches Konstrukt zu verstehen, das in Interdependenz mit weiteren Variablen wie Emotionen, Selbstkonzept, Einstellungen und auch der Kognition steht, die sich wiederum auch auf das Fremdsprachenlernen auswirken können (vgl. Kleppin 2001; 2002; Riemer 2002: 72 ff.; Zepter 2015: 17 ff.). Csizér et al. (2010: 476) haben im Rahmen einer Interviewstudie unter Studierenden mit LRS eine signifikante Differenz im Bereich der Sprachlernmotivation im Vergleich zu Studierenden ohne LRS herausgearbeitet: However, as we will show, dyslexic language learners seem to differ from nondyslexic learners by having primarily extrinsic interests in language learning, whereas motivation research in the Hungarian context with groups at a similar age has indicated that non-learning-disabled students tend to have internalized goals and intrinsic interest in language learning […]. Die Gruppe der Lernenden mit LRS nennt vorrangig extrinsische, ja sogar instrumentelle Motive (vgl. ebd.: 483) für ihre Beschäftigung mit dem Englischen als Fremdsprache, deren Beherrschung sie mit besseren Anstellungschancen nach dem Studium in Verbindung bringen. 30 Ein möglicher Sprachlernerfolg wird meist hinsichtlich zu bewältigender Prüf‐ ungen und nicht vor dem Hintergrund außeruniversitärer Sprachverwendungssituationen beurteilt, wobei sich die Studierenden mit LRS selbst nicht als zukünftig kompetente Sprecher: innen sehen (vgl. ebd.: 484). Umso deutlicher tritt hier die Rolle der Lehrkräfte bzw. des sozialen Umfelds insgesamt als mögliche Motivator: innen hervor. Dieser Zusammenhang weist auf die enge Verbindung von Motivation und Selbstkonzept hin: Dieses hat eine „affektiv-evaluative Komponente“, wie das „Selbstwertgefühl“ und das „Selbstvertrauen“, und integriert „lern- und leistungsbezogene Informationen“, die auch als „Fähigkeitsselbstkonzept“ bezeichnet werden (Zepter 2015: 22). Das Fähigkeitsselbstkon‐ zept konstituiert sich in hohem Maße über das Erleben der eigenen fremdsprachlichen Kompetenz in Auseinandersetzung mit einer sozialen oder individuellen Bezugsnorm (vgl. weiterführend Rheinberg/ Fries 2018). Auch die Studie von Fritz (2020: 280 ff.) hat den hohen Stellenwert des individuellen Kompetenzerlebens für ein langfristig erfolgreiches Fremdsprachenlernen hervorgehoben: Nur, wenn es Lernenden gelingt, ein Bewusstsein für das eigene Können zu erlangen, ist es ihnen möglich, sich als erfolgreiche Fremdspra‐ chenlernende wahrzunehmen. 84 3 Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischunterricht Gerade im Rahmen inklusiver Lehr-Lern-Kontexte wird deshalb in hohem Maße auf die Verwendung individueller Bezugsnormen bei der Leistungsbewertung gesetzt, um einen Lernfortschritt sichtbar zu machen und diesen mit positiven Emotionen zu verknüpfen (vgl. Zepter 2015: 23). Im Vergleich zu einer sozialen Bezugsnorm in Form einer Lerngruppe, die auch Schüler: innen ohne Beeinträchtigungen umfasst, wäre dies wahrscheinlich nicht möglich. Eng verbunden mit dem Selbstkonzept ist die Frage, wie Lernende persönliche Erfolgsbzw. Misserfolgserlebnisse mit bestimmten Personen, Instanzen oder Umständen verknüpfen: Hinsichtlich LRS im Französischunterricht stellt sich insbesondere die Frage, welche Rolle betroffene Schüler: innen ihren Lernschwierigkeiten bei der Bewältigung von Lernprozessen bzw. kommunikativen Aufgaben zuschreiben - dies wird unter dem Begriff der „Kausalattributionen“ (Zepter 2015: 23 ff.) gefasst. Für das Französischlernen mit LRS können folglich zwei verschiedene Aspekte der Fremdsprachenlernmotivation differenziert werden: Erstens existiert eine initiale Motivation für die Wahl des Französischen als Fremdsprache. Zweitens beeinflussen im Laufe des Französischunterrichts dann positive wie negative Lernerlebnisse die als dynamisch, veränder- und beeinflussbar verstandene Motivation der Lernenden (vgl. auch Riemer 2002: 75 f. zum Stichwort „Motivierung“). 3.4 Symptomatik und Komorbiditäten Bei der Diskussion möglicher Ursachen von LRS wurden Beeinträchtigungen übergeord‐ neter sprachlicher Verarbeitungsmechanismen beschrieben (wie z. B. eine herabgesetzte Kapazität des Arbeitsgedächtnisses oder Schwierigkeiten bei der Rekodierung), die vor‐ rangig anhand spezifischer Test- und Diagnoseinstrumente identifizierbar sind (vgl. Kap. 3.2). Unter dem Begriff der Symptomatik werden hingegen in der Regel Schwierig‐ keiten gefasst, die bei der individuellen Auseinandersetzung mit Schriftsprache konkret und ohne Zuhilfenahme spezifischer Diagnoseverfahren beobachtbar sind. In den folgenden Teilkapiteln werden mögliche Symptome, die LRS (für die Ausgangs‐ sprache Deutsch) beim Fremdsprachenlernen mit sich bringen können, beschrieben. Diese werden in der theoriebezogenen sowie unterrichtspraktischen Literatur sowohl auf Basis systematischer empirischer Studien (z. B. Gerlach 2013; Reimann 2014 mit einer Pilotstudie), mehr jedoch rein erfahrungsbasiert in einer großen Breite beschrieben (z. B. Mendez 2013, Sellin 2008). In diesem Zusammenhang ist auch die Ratgeberliteratur des größten Interessenverbands betroffener Personen in Deutschland, des Bundesverbands Legasthenie & Dyskalkulie e. V. zu nennen (vgl. BVL 2014, 2018). Oftmals erfolgen Übertragungen von erstsprachlichem auf das Fremdsprachenlernen bzw. sprachübergreifende Generalisie‐ rungen. Gerade weil über mögliche Symptome von LRS (nicht nur) beim Fremdsprachen‐ lernen Konsens zu herrschen scheint, soll dieser im Folgenden abgebildet werden und einen Ausgangspunkt für die empirische Studie bilden, in deren Rahmen dann konkrete Auswirkungen und „Symptome“ von LRS bei der Auseinandersetzung mit dem Französi‐ schen als (zweite) Fremdsprache empirisch erforscht und in den Kontext des schulischen Französischunterrichts eingeordnet werden. 3.4 Symptomatik und Komorbiditäten 85 3.4.1 Symptomatik im Bereich des Lesens Die für den Bereich des (fremdsprachlichen) Lesens beschriebene Symptomatik betrifft aus didaktischer Sicht unterschiedliche Fertigkeitsbereiche. Es werden Beeinträchtigungen im Bereich basaler Lesefertigkeiten genannt, beispielsweise eine niedrige Lesegeschwin‐ digkeit, eine herabgesetzte Leseflüssigkeit oder ein lautierendes, stockendes bzw. Wort-für- Wort-Lesen (vgl. BVL 2018: 6). Diese Schwierigkeiten können sich beim lauten Vorlesen, das den parallelen Rückgriff auf verschiedene Fertigkeiten verlangt und somit als integ‐ rative Kompetenz betrachtet wird (vgl. Kap. 2.1.3.2), besonders deutlich manifestieren. Beispielsweise werden „Startschwierigkeiten beim Vorlesen, langes Zögern oder Verlieren der Zeile im Text“, das „Auslassen, Ersetzen oder Hinzufügen von Worten oder Wortteilen“ oder die „Vertauschung von Wörtern im Satz oder von Buchstaben in den Wörtern“ (BVL 2018: 6) genannt. Auch werden Schwierigkeiten im Bereich hierarchiehöherer Leseprozesse beschrieben, die als Auswirkungen beeinträchtigter basaler Lesefertigkeiten zu verstehen sind, so z. B. die „Unfähigkeit, aus dem Gelesenen Zusammenhänge zu erkennen und Schlussfolgerungen zu ziehen“ (ebd.). 3.4.2 Symptomatik im Bereich des (Recht-)Schreibens Auch im Bereich des (Recht-)Schreibens können sich mögliche Symptome von LRS auf sehr unterschiedlichen Ebenen des Schreibprozesses zeigen - und sind damit nicht auf die Orthographie beschränkt. Hierarchieniedrige Schreibfertigkeiten und Rechtschreibung betreffend werden zum einen graphomotorische Schwierigkeiten beschrieben, die sich in einer unleserlichen Handschrift und einem insgesamt schwachen Schriftbild nieder‐ schlagen können (z. B. Gerlach 2019 a : 27). Im Vergleich zu den dargestellten Schwierig‐ keiten im Bereich des Lesens fällt auf, dass eine herabgesetzte Schreibgeschwindigkeit nur selten Eingang in die Auflistungen möglicher LRS-spezifischer Symptome beim Fremdsprachenlernen findet. In Bezug auf die Rechtschreibung sind zahlreiche Fehler‐ arten denkbar, die an verschiedene Schreibanlässe rückgebunden werden: Eine „hohe Fehlerzahl bei ungeübten Diktaten“ wird ebenso genannt wie eine „hohe Fehlerzahl beim Abschreiben von Texten“ (BVL 2018: 6). Weiterhin werden im Bereich der Recht‐ schreibung diverse Subtypen orthographischer Fehler definiert, so z. B. Auslassungen und Hinzufügungen von Buchstaben oder Wortteilen, Reihenfolgefehler und Verwechs‐ lungen lautlich (bzw. visuell) ähnlicher Buchstaben (z. B. Nickel 2004: 102; Reimann 2014: 8). Im Bereich hierarchiehöherer Schreibfertigkeiten werden Schwierigkeiten wie beispielsweise eine chaotische und unstrukturierte Textorganisation beschrieben (vgl. Schulte-Körne 2014: 140). Als weiteres Symptom im Bereich des (Recht-)Schreibens gilt die sogenannte „Fehlerinkonstanz“ (Reimann 2014: 8), d. h., bestimmte Grapheme oder Wörter werden mal korrekt, mal auf verschiedene Weisen falsch geschrieben. Typischerweise scheinen sich LRS im Bereich des (Recht-)Schreibens in einer deutlich erhöhten Fehlerzahl im Vergleich zu Schreibprodukten gleichaltriger Schüler: innen ohne LRS zu zeigen (vgl. Gerlach 2019 a : 27; Herné 2014: 30; Siemann 2016: 78 f.) - in diesem quan‐ titativen Merkmal besteht Einigkeit in der Forschung. Kritisch gesehen wird mittlerweile jedoch die Annahme, dass auch qualitative Unterschiede zwischen Rechtschreibfehlern 86 3 Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischunterricht bestehen, also typische Fehlerarten vermehrt oder ausschließlich von Schüler: innen mit LRS begangen werden. Dies wird auch unter den Schlagwörtern „LRS-Fehler“ bzw. „Legastheniefehler“ disku‐ tiert. Deren Existenz wird mittlerweile jedoch eindeutig ausgeschlossen, wie exemplarisch Herné (2014: 30) für die Deutschdidaktik formuliert: Ausgehend von den Arbeiten der Psychologin Lotte Schenk-Danzinger aus den 1960er Jahren meinte man, sogenannte ‚Reversions- und Sequenzfehler‘ als Indikatoren für Legasthenie identi‐ fiziert zu haben. Verwechselungen von visuell ähnlichen Schriftzeichen (z. B. ‹b› und ‹d›) oder Vertauschungen der Reihenfolge von Buchstaben (z. B. ‹ei› und ‹ie›) galten daher als ‚legasthe‐ nietypische‘ Fehler. Inzwischen konnte jedoch zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass diese Annahme schlichtweg falsch ist […]. Legastheniker bzw. LRS-Kinder machen grundsätzlich keine anderen, sondern nur viel mehr Fehler als ihre Altersgenossen. Für die LRS-Diagnose ist in erster Linie also nicht die Fehlerart, sondern die Fehlerzahl ausschlaggebend. Wie Gerlach (2019 a : 28) erläutert, ist der „Mythos ‚Buchstabendreher‘“ vermutlich darauf zurückzuführen, dass LRS ursprünglich auf „visuelle Verarbeitungsstörungen“ zurückge‐ führt worden sind: „Zwar existieren Buchstabendreher, allerdings sind es keine visuellen ‚Dreher‘, sondern lautliche Verwechselungen.“ Auch Klicpera et al. (2017: 189 ff.) weisen darauf hin, dass visuelle Beeinträchtigungen als mögliche Ursache von LRS mittlerweile kritisch betrachtet werden. Unter Rückgriff auf Stufenmodelle des Schriftspracherwerbs (vgl. Kap.-2.1.1.2) kann verdeutlicht werden, dass vermeintlich inkorrekte „Schreibweisen, die Erwachsene als Fehler bezeichnen, für das Kind notwendige Zwischenschritte auf dem langen Weg zur orthographisch korrekten Schreibweise darstellen.“ (Sasse 2009: 300) Typische Beispiele können aus der logographischen Stufe bezogen werden, im Rahmen derer eine Einsicht in Phonem-Graphem-Relationen sukzessive entsteht (vgl. Frith 1986): Phonetische Schreibungen („wie man spricht“) gehören hier zu Kennzeichen einer erwart‐ baren Progression. Gerade die Beurteilung eines Schülers mit LRS auf Basis einer sozialen Bezugsnorm kann ergeben, dass ein beeinträchtigter Lernender noch auf einer anderen Entwicklungsstufe verharrt und entsprechende Fehler längere Zeit auftreten (vgl. von Suchodoletz 2007: 129). Dies wirkt dann womöglich wie ein dauerhaftes Differenzmerkmal im Vergleich zu Schüler: innen, die diese Stufe bereits überwunden haben. 3.4.3 Symptomatik in weiteren Kompetenzbereichen und Komorbiditäten Die beschriebenen Schwierigkeiten in den Bereichen des Lesens und (Recht-)Schreibens betreffen grundlegende Fertigkeiten der betroffenen Schüler: innen, die bei der rezeptiven wie produktiven Auseinandersetzung mit Schriftsprache in allen Fächern zutage treten können. Somit sind LRS nicht nur auf das Lesen und (Recht-)Schreiben bezogen, sondern können sich auf alle weiteren Kompetenzbereiche des Französischunterrichts auswirken, innerhalb derer auf Lesen und Schreiben zurückgegriffen werden muss: Dies betrifft beispielsweise das spracherwerbsbezogene Lesen (vgl. Kap. 2.1.2) oder das „writing to learn“ (vgl. Kap. 2.2.3.1). Weitere Herausforderungen können sich aus einer herabgesetzten Kapazität des Arbeitsgedächtnisses bzw. einem verlangsamten Zugriff auf das Langzeitge‐ dächtnis ergeben, was sich beispielsweise in dem erschwerten Aufbau eines Wortschatzes 3.4 Symptomatik und Komorbiditäten 87 31 Im Vergleich zu der Probandengruppe mit anderen umschriebenen Entwicklungsstörungen (z. B. der Sprache oder der Motorik) schnitten Personen mit LRS in Bezug auf den Schulerfolg jedoch nicht signifikant schlechter ab; hinsichtlich der Arbeitslosigkeit wurde die Differenz jedoch signifikant (vgl. Esser et al. 2002: 238). niederschlägt (vgl. Romonath/ Wahn 2006: 291). Gerlach (2019 a : 28) weist infolge einer eingeschränkten Aufmerksamkeits- und Konzentrationsspanne auf Schwierigkeiten bei der Organisation, Strukturierung und Selbstregulierung während Aufgabenbearbeitungen hin. Je weiter sich potenziell auftretende Symptome von den unmittelbaren Kompetenzbe‐ reichen des Lesens und (Recht-)Schreibens entfernen, desto deutlicher stellt sich die Frage, inwieweit parallel zu LRS weitere Beeinträchtigungen auftreten könnten. Dies wird unter dem Begriff der Komorbidität gefasst. So weisen Schüler: innen mit LRS häufig „umschriebene Rechenschwierigkeiten“ (Dyskalkulie), eine „verzögerte motorische Koordination“ oder „Sprachentwicklungsstörungen“ auf (vgl. Klicpera et al. 2017: 142 ff.). Häufig beobachtet werden ebenfalls das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS) bzw. die Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) (vgl. Gerlach 2019 a : 28). Im Fall emotionaler oder sozialer Beeinträchtigungen stellt sich die Frage, inwieweit diese im Sinne einer Komorbidität als separate Beeinträchtigungen oder infolge von LRS auftreten. 3.4.4 Psychosoziale Konsequenzen In Abgrenzung zu Aspekten der Komorbidität - also dem parallelen Auftreten einer Beein‐ trächtigung, die nicht ursächlich mit LRS zusammenhängt - werden im Folgenden mögliche psychosoziale Begleiterscheinungen thematisiert, die aus LRS bzw. dem gesellschaftlichen, schulischen, familiären oder persönlichen Umgang mit der Teilleistungsschwäche resul‐ tieren können. So schildert Sasse (2009: 301): Anhaltende Lernschwierigkeiten, enttäuschte Erwartungen von Lehrern und Eltern sowie Pro‐ bleme mit Mitschülern können dazu führen, dass Kinder mit Lese-Rechtschreibschwierigkeiten nicht nur eine gute pädagogische, sondern auch eine gute (außerschulische) psychologische Begleitung zur Unterstützung ihres Selbstwertgefühls und zur Bewältigung der Lese-Rechtschreib‐ schwierigkeiten benötigen. Die Ausprägung psychosozialer Konsequenzen wird in hohem Maße durch die Schwere der LRS, den Diagnosezeitpunkt, Förderbzw. Unterstützungsmaßnahmen und den Umgang des persönlichen Umfelds mit der Teilleistungsschwäche beeinflusst. Esser et al. (2002) haben im Rahmen einer longitudinalen Studie die Entwicklung Achtjähriger mit LRS über 17 Jahre verfolgt und herausgearbeitet, dass Schüler: innen mit LRS infolge schlechterer Schulleistungen geringere berufliche Qualifikationen erwerben und somit häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen sind. 31 Weiterhin weisen sie häufiger bis in das Erwachsenenalter persistierende psychische Beeinträchtigungen auf (vgl. ebd.: 238 ff.). Demgegenüber über‐ rascht positiv, dass bezüglich des Selbstbilds, das insbesondere hinsichtlich der Faktoren „seelische Gesundheit“ und „Sinnerfülltheit“ (ebd.: 241) überprüft wurde, im Alter von 25 Jahren keine signifikanten Unterschiede mehr festgestellt wurden. Schulz et al. (2003) weisen wiederum anhand einer Probandengruppe im Alter von acht bis zwölf Jahren aus, dass Kinder mit LRS über ein geringeres Selbstwertgefühl als Kinder ohne LRS 88 3 Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischunterricht 32 Die Terminologie des „affektiven Filters“ wurde mit Bezug zum Zweitspracherwerb von Stephen Krashen entwickelt und bezeichnet Emotionen, die Lernprozesse positiv oder negativ beeinflussen können. verfügen. Dies manifestiert sich insbesondere im Bereich der kognitiven Komponente des Selbstwertgefühls (vgl. auch Burden [2008] zu dem Aspekt des „low academic selfconcept“). Beiträge, die die Perspektive betroffener Lernender einbeziehen, deuten darauf hin, dass die Diagnose LRS nach wie vor mit den Stigmata eines mangelnden schulischen Engagements bzw. Fleißes oder einer herabgesetzten allgemeinen Intelligenz in Verbin‐ dung gebracht wird (vgl. Simon 2000). Auch die Effekte gut begründeter didaktischer Entscheidungen wie Differenzierungsmaßnahmen oder die Umsetzung eines Nachteil‐ sausgleichs müssen mit Blick auf emotionale Dimensionen und Differenzempfinden zu Mitschüler: innen reflektiert werden (vgl. Kap. 3.5). Neben schwerwiegenden psychischen Folgen, die Personen mit LRS ein Leben lang begleiten können, beeinflussen emotional-affektive Faktoren auch den Prozess des Fremd‐ sprachenlernens unmittelbar - dies gilt für alle Lernenden (vgl. Riemer 2002: 72 ff.). Neben individuellen Einstellungen zum Fremdsprachenlernen wird insbesondere der Aspekt der Motivation in direktem Zusammenhang mit (Fremd-)Sprachenlernerfolg gesehen und maß‐ geblich durch Emotionen bzw. Erfolgs- und Misserfolgserlebnisse der Lernenden geprägt (vgl. MacIntyre 2002). Gerade die zweiten Fremdsprachen reihen sich aufgrund ihres relativ späten Beginns (meist zwischen 6. und 8. Klasse) in eine individuelle Sprachlernbiographie ein, die bereits von umfassenden positiven wie negativen Erfahrungen und Lernerlebnissen im Kontext des (Fremd-)Sprachenlernens geprägt ist (vgl. Fritz 2020: 286 ff.). Schüler: innen, die bereits in Auseinandersetzung mit der deutschen und englischen (Schrift-)Sprache überdurchschnittliche Schwierigkeiten beim Lesen und (Recht-)Schreiben hatten, müssen sich im Französischunterricht wahrscheinlich mit negativen Vorerfahrungen und Miss‐ erfolgserlebnissen auseinandersetzen: Ein hoher affektiver Filter kann hier angenommen werden. 32 So haben Csizér et al. (2010: 484) im Rahmen einer Interviewstudie unter Studierenden mit LRS herausgearbeitet, dass diese im Vergleich zu nicht beeinträchtigten Kommiliton: innen verstärkt mit einem herabgesetzten Selbstbewusstsein und Ängsten zu kämpfen haben: […] it becomes apparent that due to the difficulties dyslexic students experience in language learning, they tend to have more negative perceptions about themselves as language learners, display lower levels of self-confidence, and may experience greater language learning anxiety than do their nondyslexic peers. (ebd.: Herv. der Verf.) Das bereits seit den 1970er-Jahren diskutierte Konzept der foreign language anxiety kann als Konstrukt zur Erklärung der Rolle negativer Emotionen beim Fremdsprachenlernen hin‐ zugezogen werden. Die foreign language anxiety (dt. meist Fremdsprachenangst) beschreibt eine situationsspezifische Angst („state anxiety“, Horwitz 2001: 113), die im unmittelbaren Kontext des institutionalisierten Fremdsprachenlernens zu verorten und nicht deckungs‐ gleich mit einer allgemeinen Schulangst oder Ängstlichkeit als Persönlichkeitsmerkmal („trait anxiety“, ebd.) ist. Meist werden Sprechangst, Prüfungsangst und Angst vor negativer 3.4 Symptomatik und Komorbiditäten 89 Bewertung differenziert („communication apprehension, test anxiety, fear of negative evaluation“, Horwitz 1986). Die Fremdsprachenangst kann sich-- wie alle anderen Ängste auch - in (psycho-)somatischen Reaktionen wie Unsicherheit, Zurückhaltung, Schwitzen, Zittern oder Stottern zeigen (vgl. ebd.: 129). Doch zunächst stellt sich die Grundsatzfrage nach Ursache und Herkunft der Angst und ihren Auswirkungen auf das Fremdsprachenlernen. So fragt MacIntyre (2002: 64): „Does anxiety cause poor performance or does poor performance cause anxiety? “ Während Horwitz (2001: 117 f.) Angst als Grund für geringen Lernerfolg in Betracht zieht, begreifen andere Autor: innen Angst eher als Resultat eines als wenig erfolgreich wahrgenommenen Lernprozesses (vgl. MacIntyre 2002: 65). Es liegt nahe, dass sich die Kausalbeziehung in beide Richtungen entfaltet und eine Negativspirale in Gang kommt: Eher ängstliche Lernende erleben sich selbst vermutlich als weniger kompetent, was zu einer tatsächlich herabgesetzten Performanz in der Fremdsprache führen kann - dies wiederum wirkt sich negativ auf die Eigenwahrnehmung aus. Schulz et al. (2003: 232) stellen dies in ihrem Strukturmodell „Teufelskreis Lernstörungen“ dar. So stehen kognitive Ressourcen, die für die Bewältigung der Angst benötigt werden, nicht mehr für das Lernen zur Verfügung (vgl. MacIntyre 2002: 66). Zentral ist dabei, dass eine von Lernenden als negativ bzw. unzureichend wahrgenom‐ mene Performanz in der Fremdsprache nicht einer tatsächlich schlechten Leistung entspre‐ chen muss: „Anxious language learners feel uncomfortable with their abilities even if their objective abilities are good.“ (Horwitz 2001: 119) Im Gegenteil neigen ängstliche Lernende eher dazu, ihre Leistungen zu unterschätzen (vgl. MacIntyre 2002: 67) oder fremdsprach‐ liche Performanz gänzlich zu vermeiden. Brissaud (2011: 220) verweist - unabhängig von Lernschwierigkeiten - auf die Diskussion der PISA-Ergebnisse in Frankreich: Die Angst vor Fehlern im schriftlichen Bereich hemmte die Textproduktion der Schüler: innen derart, dass die Kategorie nicht bearbeiteter Testaufgaben dort deutlich über dem Durchschnitt anderer Staaten lag (zum hohen Stellenwert schriftsprachlicher Korrektheit in Frankreich vgl. Kap.-2.3.1.1). Alexander-Passe (2006) liefert mit seiner Studie zu Bewältigungsstrategien von Jugend‐ lichen mit LRS Ergebnisse für das spezifische Feld der Lernschwierigkeiten: Er konnte die Unterscheidung von „Task-Based Coping“ (d. h. unmittelbar anforderungsbezogenen Strategien), „Emotional-Based Coping“ (z. B. der Umgang mit empfundener Unsicherheit, Misserfolg und Frustration) und „Avoidance-Based Coping“ (d. h. betroffene Schüler: innen vermeiden Aufgaben und Situationen, die ihre Schwierigkeiten besonders deutlich hervor‐ treten lassen) herausarbeiten (ebd.: 258 ff.). Während Erstere vorrangig von männlichen Teenagern angewandt werden und eines hohen Selbstbewusstseins bedürfen, greifen weib‐ liche eher auf emotions- und vermeidungsbasierte Strategien zurück, was Rückschlüsse auf ein niedrigeres Selbstwertgefühl und größere Unsicherheiten im Umgang mit den jeweiligen Beeinträchtigungen zulässt (vgl. ebd.: 273). Es wird deutlich, dass foreign language anxiety vorrangig in Zusammenhang mit potenziell schlechteren Leistungen beim Fremdsprachenlernen diskutiert wird. Seltener wird Angst als möglicherweise positiver Aspekt bzw. „Antreiber“ von Lernprozessen gesehen: MacIntyre (2002: 66) und Riemer (2002: 77) weisen beispielsweise darauf hin, dass eine gering ausgeprägte Angst zu mehr Fleiß und besseren Lernergebnissen führen kann. 90 3 Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischunterricht 3.5 Förderkonzepte bei LRS in den Fremdsprachen Vor dem Hintergrund der skizzierten Symptomatik, die LRS beim Fremdsprachenlernen mit sich bringen können, stellt sich die Frage, wie im Unterricht angemessen auf die Beeinträchtigungen reagiert werden könnte. Zum einen stehen Förderkonzepte für das Lesen (Kap. 2.1.2) und das Schreiben (Kap. 2.2.2) bzw. das Rechtschreiben (Kap. 2.3.2) zur Verfügung, die im Rahmen eines differenzierenden Französischunterrichts grundsätzlich für alle Schüler: innen angeboten werden können und in den oben genannten Kapiteln bereits vorgestellt wurden. An dieser Stelle sollen diese übergeordneten Ansätze um spezifische Konzepte der LRS-Förderung im Fremdsprachenunterricht ergänzt werden. 3.5.1 Unterrichtsbezogene und inklusive Förderansätze Die Sichtung relevanter bildungspolitischer Rahmendokumente des Fremdsprachenunter‐ richts ergibt, dass die Förderung von Lernenden mit Teilleistungsschwierigkeiten auch im Fremdsprachenunterricht explizit eingefordert wird. Stellvertretend sei hier die „Verord‐ nung zur Gestaltung des Schulverhältnisses“ des Hessischen Kultusministeriums zitiert: § 37 Grundsätze (1) Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten beim Lesen, Rechtschreiben oder beim Rechnen haben in allen Schulformen Anspruch auf individuelle Förderung. Förderziel ist, die Schwierigkeiten so weit wie möglich zu überwinden. Die Schulen sind verpflichtet, Fördermaßnahmen im Sinne dieses Abschnittes der Verordnung durchzuführen. […] (HKM 2017: 12, Herv. der Verf.) § 39 Fördermaßnahmen (5) Die Förderung ist mit dem Deutsch- oder Mathematikunterricht abzustimmen. Die Abstim‐ mung erfolgt in der Klassenkonferenz unter Einbeziehung der übrigen Fachlehrerinnen und Fachlehrer. Eine angemessene Berücksichtigung in allen Fächern, insbesondere in den Fremdsprachen, ist sicherzustellen. (ebd.: 17, Herv. der Verf.) Da die Förderung von Lernenden mit LRS bislang vorrangig mit Bezug auf den Deutsch‐ unterricht konzeptualisiert wurde, bleibt für viele Fremdsprachenlehrkräfte häufig unklar, wie Schüler: innen mit LRS im Rahmen des sehr begrenzten Stundenkontingents konkret unterstützt werden können. Für die traditionell zweiten Fremdsprachen wie das Französi‐ sche und das Spanische stellt sich diese Frage ebenso wie für das Englische als (meist erste) Fremdsprache. Bestehende Fördermaßnahmen unterscheiden sich hinsichtlich der Möglichkeiten, diese direkt in das Unterrichtsgeschehen einzubetten bzw. im Rahmen außerschulischer Förderung umzusetzen; darüber hinaus sind Ansätze vorzustellen, die sich vorrangig auf Modalitäten der Leistungsüberprüfung und -bewertung beziehen. - 3.5.1.1 Differenzierung, Individualisierung und Aufgabenorientierung Die pädagogische Leitidee, „Lernende dort abzuholen, wo sie stehen“, gilt bereits seit einigen Jahrzehnten auch für den Fremdsprachenunterricht. Infolge der zunehmenden He‐ terogenität von Lerngruppen bzw. deren verstärkter Betrachtung durch die Fachdidaktiken im Kontext der Inklusionsdebatte wird der Anspruch, Lernende gemäß ihren individuellen Dispositionen optimal zu fördern und in diesem Zuge persönliche Stärken für den Lernpro‐ 3.5 Förderkonzepte bei LRS in den Fremdsprachen 91 zess nutzbar zu machen, in der Regel noch deutlicher formuliert (z. B. Eisenmann 2016: 359). Dabei gelten Maßnahmen der Differenzierung, Individualisierung und in weiterer Folge der Autonomisierung Lernender als adäquate methodisch-didaktische Reaktionen, die im Lehr- Lern-Kontext des Fremdsprachenunterrichts umgesetzt werden können: Beispielsweise beschreibt Hoffmann (2019: 162) „Differenzierung als notwendige Folge von Heterogenität“. Damit sind gemeinhin Maßnahmen der „inneren Differenzierung“ bzw. „Binnendifferen‐ zierung“ gemeint, die sich von der „externen“ bzw. „äußeren Differenzierung“ dadurch unterscheiden, dass sie innerhalb einer Lerngruppe umgesetzt werden können und keine dauerhafte Einteilung von Lernenden in Gruppen nach bestimmten Kriterien voraussetzen (vgl. Eisenmann 2016: 358; Wolff 2010: 54). Grundsätzlich können Lehrkräfte an sehr unterschiedlichen Punkten der Lernprozesse und der Unterrichtsgestaltung differenzieren und dabei potenziell einen ganzen Fächer individueller Lernervariablen berücksichtigen, wie z. B. Wolff (2010: 52) für den Fremdspra‐ chenunterricht zusammenfasst - der individuelle Entscheidungsspielraum ist hier sehr groß. In Anlehnung an Bönsch (2009), Haß (2017) und Wolff (2010) können folgende gängigste Formen innerer Differenzierung unterschieden werden: • Differenzierung entlang qualitativer Kriterien, z. B. Schwierigkeitsgrad von Texten und Aufgaben je nach Leistungsstand oder Übungstypen und je nach bevorzugten Lernstrategien der Schüler: innen etc.; • Differenzierung entlang quantitativer Kriterien, z. B. Steuerung von Anzahl und Um‐ fang der Aufgaben, zur Verfügung stehende Lernbzw. Bearbeitungszeit je nach Lerntempo der Schüler: innen etc.; • Differenzierung nach Interessen der Lernenden, z. B. Fokussierung bestimmter Themen oder Textsorten etc.; • Differenzierung über Unterrichtsmethodik und Sozialformen, z. B. Formen des peer tutoring bei der Bearbeitung schwierigkeitsbesetzter Kompetenzbereiche etc.; • Differenzierung über Medien, Materialien und zur Verfügung gestellte Hilfestellungen, z. B. scaffolding oder die Adressierung verschiedener Lernkanäle durch multisensori‐ sches Arbeiten etc. Mit der konsequenten Umsetzung von Differenzierungsmaßnahmen geht eine zunehmende Individualisierung des Fremdsprachenlernens einher. Als langfristige Zielsetzung wird in diesem Kontext eine „sukzessive Rücknahme der Lehrersteuerung und Übertragung von Verantwortung auf die Schülerinnen und Schüler“ (Mehlhorn 2014: 100) formuliert. Damit verschiebt sich die Antwort auf die Frage, wer eine Differenzierung vornimmt, von einer lehrerseitigen Organisation hin zu einer Selbsteinschätzung und autonomen Steuerung der Schüler: innen im Lernprozess (vgl. M. Trautmann 2010: 57; Wolff 2010: 55 f.). Dies verlangt von den Lernenden „die Fähigkeit und Bereitschaft, das eigene Sprachenlernen selbstständig zu analysieren und bewusst zu gestalten“ (KMK 2012: 22) und erfordert eine Auseinandersetzung mit weiterführenden Konzepten wie der „Sprachlernkompetenz“ (vgl. Martinez/ Meißner 2017). Auch hinsichtlich einer Förderung von Schüler: innen mit LRS im Fremdsprachenunterricht gelten Differenzierungsansätze als sinnvolle Zugänge, die vor allem mit der allgemeinen Unterrichtsgestaltung vereinbar und im Schulalltag umsetzbar sind (z. B. Gerlach 2012). Dies wird auch mit dem Prinzip der Aufgabenorientierung in 92 3 Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischunterricht Verbindung gebracht: Ausgehend von der Idee einer Gestaltung von Lernaufgaben, die eine differenzierte Arbeit an einem gemeinsamen Gegenstand ermöglicht, können Aspekte sprachlichen und inhaltlichen Lernens vereint werden (vgl. Gerlach/ Roters 2020). - 3.5.1.2 LRS-bezogene Förderansätze im Überblick Neben übergeordneten, unterrichtsbezogenen Prinzipien wie Differenzierung, Individuali‐ sierung und Aufgabenorientierung, die für den Umgang mit heterogenen Lerngruppen ins‐ gesamt empfohlen werden (im Überblick: Eisenmann/ Grimm 2014), existiert eine Vielzahl spezifischer Empfehlungen und Leitlinien für den Umgang mit LRS im Fremdsprachenun‐ terricht. Es liegt nahe, lediglich ausgewählte Prinzipien einer differenzierten Darstellung zu unterziehen-- folgende Übersicht kann als Orientierung dienen: Abb. 6: Ansätze und Empfehlungen beim Umgang mit LRS im Fremdsprachenunterricht (Gerlach 2020: 417) 3.5 Förderkonzepte bei LRS in den Fremdsprachen 93 33 Für einen Überblick zu den Einsatzmöglichkeiten digitaler und technischer Hilfsmittel bei verschie‐ denen (sonderpädagogischen) Förderbedarfen vgl. Blume und Würffel (2018). Mit Bezug zum Fremdsprachenunterricht besonders hervorgehobene Förderansätze be‐ stehen in einer starken Strukturierung der Lerninhalte und einem höheren Stellenwert automatisierenden Übens (z. B. das schrittweise Einführen von Wortschatz anhand von Karteikartensystemen), dem multisensorischen Arbeiten (z. B. dem Einbezug mehrerer Sinneskanäle durch kreative Verfahren) und Ansätzen zur Kompensation von Defiziten im Bereich der Schriftlichkeit durch mündliche Leistungen. Um eventuelle Defizite im Bereich der Lexik auszugleichen bzw. Möglichkeiten zur Kompensation orthographischer Schwä‐ chen zu schaffen, bietet sich im Fremdsprachenunterricht erwartungsgemäß die Nutzung elektronischer oder analoger, ein- oder zweisprachiger Wörterbücher an. Zudem werden im Bereich der Leseförderung Aspekte der Materialgestaltung thematisiert: Gemeinhin werden hier eine Reduzierung des Layouts, die Wahl einer vergrößerten und serifenfreien Schrift sowie die Erhöhung von Buchstaben- und Zeilenabständen empfohlen (vgl. Gerlach 2019 b ). Die besondere Wirkung spezifischer Schriftarten, die dezidiert für Personen mit LRS geschaffen wurden, wird demgegenüber angezweifelt (vgl. Gerlach 2022: 78). Die technischen Entwicklungen der letzten Jahre bzw. die Digitalisierung haben weitere Assistenzsysteme hervorgebracht, die Personen mit LRS den Umgang mit Schriftsprache im Alltag erleichtern und auch im schulischen Kontext Anwendung finden können. 33 Grundlegend ist die Unterscheidung, ob die Unterstützungssysteme auf eine reine Kom‐ pensation, d. h. Überbrückung von Defiziten, oder in didaktischem Sinn auf eine Förderung schwierigkeitsbesetzter Bereiche abzielen. Crombie (2013) und Dawson et al. (2019) geben einen differenzierten Überblick über assistive technologies, die sich bei LRS nützlich er‐ weisen können. Beispielsweise können bei Leseschwierigkeiten E-Reader genutzt werden, um das Schriftbzw. Erscheinungsbild von Texten zu modifizieren, d. h. Zeilen- und Buchstabenabstände sowie Kontraste zu vergrößern oder eine serifenfreie Schriftart zu setzen. Weiterhin bieten eine integrierte Text-to-Speech-Software oder Vorlesestifte die Möglichkeit, Leseprozesse zu entlasten, indem eine Audiospur generiert wird (vgl. Crombie 2013: 132). Umgekehrt dienen bei Schwierigkeiten im Bereich des (Recht-)Schreibens Tools zur Spracherkennung mit Textausgabe (Speech-to-Text-Software) der schnellen Nieder‐ schrift gesprochener Sprache; Programme für eine Rechtschreibkorrektur sind mittlerweile zur Standardausstattung aller Software zur Textverarbeitung geworden. Ein Diskussionspunkt besteht in der Frage, welche Förderansätze angesichts der be‐ grenzten Ressourcen in den Fremdsprachenunterricht integriert werden können und in‐ wieweit nicht auch Maßnahmen externer Differenzierung, wie z. B. spezifische Förderkurse oder schulexterne Zusatzangebote, einbezogen werden sollten (vgl. M. Trautmann 2010: 53 ff.); insbesondere im Einbezug lerntherapeutischer Expertise liegen hier umfassende Potenziale (vgl. Gerlach 2022: 79). 3.5.2 Adaptierte Leistungsüberprüfung und -bewertung Insofern eine schulrechtlich gültige Diagnosestellung vorliegt (vgl. Kap. 3.2), haben Schüler: innen mit LRS im deutschen Schulsystem einen grundsätzlichen Anspruch auf 94 3 Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischunterricht 34 Die drei zuletzt genannten Punkte zählen im Bundesland Hessen bereits zu den „Abweichungen von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung“ (HKM 2017: 43), gehen also über die Stufe des Nachteilsausgleichs in diesem Fall hinaus, auch wenn sie gemeinhin unter diesem Begriff geläufig sind (z. B. Gerlach 2019 a : 76 ff.). Nachteilsausgleich bzw. Notenschutz. Art und Umfang der Regelungen variieren je nach Bundesland erheblich. Da die vorliegende empirische Studie in Hessen und NRW an‐ gesiedelt ist, wird im Folgenden vorrangig auf die für diese Bundesländer geltenden Rahmenbedingungen Bezug genommen. Mit der Umsetzung von Maßnahmen des Nacht‐ eilsausgleichs bzw. Notenschutzes wird die Herstellung einer „Einzelfallgerechtigkeit“ (Mendez 2013: 4) angestrebt. Die inklusive Grundidee lautet folglich, Nachteile beein‐ trächtigter Schüler: innen zu reduzieren und nicht, ihnen Vorteile gegenüber anderen Lernenden einzuräumen. Mit dem Nachteilsausgleich bzw. Notenschutz geht bei LRS im Fremdsprachenunterricht jedoch keine grundsätzliche Lernzieldifferenz einher, d. h. alle Schüler: innen einer Lerngruppe werden entlang desselben Curriculums und mit identischen, schulartspezifischen Kompetenzzielen beschult (vgl. Trautmann 2016). - 3.5.2.1 Nachteilsausgleich Bei der Anwendung des Nachteilsausgleichs werden - im Gegensatz zum Notenschutz - die Grundsätze der Leistungsbewertung nicht angetastet, d. h., die Leistungsanforderungen bzw. deren Bewertungsmaßstäbe werden auch für Schüler: innen mit LRS aufrechterhalten. Jedoch werden die Prüfungsbedingungen mit dem Gedanken der Herstellung von Chan‐ cengleichheit modifiziert. Damit soll erreicht werden, dass nicht allein eine beeinträchtigte Lese- und Schreibkompetenz die Lernenden daran hindert, schriftliche Leistungsanforde‐ rungen in anderen Kompetenzbereichen zu erfüllen - dies gilt insbesondere auch für die nicht sprachlichen Fächer. Die Verordnung zur Gestaltung des Schulverhältnisses des Landes Hessen (vgl. HKM 2017: 43 ff.) führt für die Sek. I u. a. folgende fächerübergreifende Maßnahmen des Nachteilsausgleichs auf: • verlängerte Bearbeitungszeiten und Pausen während der Klassenarbeiten; • Vorlesen von Aufgabenstellungen und Einsatz visuell spezifisch gestalteter Arbeitsblätter; • Einsatz von Hilfsmitteln (z. B. Schreiben am Computer, Digitalisierung von Aufgaben); • stärkere Gewichtung der mündlichen im Vergleich zu schriftlichen Leistungen bzw. Ver‐ besserung der schriftlichen Leistung durch eine mündliche Zusatzleistung (z. B. Referate); • Ersatz schriftlicher durch mündliche Leistungen (z. B. könnte ein schriftlicher Text durch eine Sprachaufnahme ersetzt werden); • Verwendung eines Wörterbuchs und Nachkorrektur einer Klassenarbeit am Folgetag der Leistungsüberprüfung, ggf. unter Einbezug spezifischer Hilfen; • differenzierte Aufgabenstellungen und angepasste Anforderungen (z. B. weniger Auf‐ gaben in Grammatiktests). 34 Mit der verlängerten Bearbeitungszeit, die in der Regel bei schriftlichen Leistungsüberprü‐ fungen zum Tragen kommt, sind verschiedene Erwartungen verbunden: Zum einen sollen die Schüler: innen eine durch die mangelnde Automatisierung von Lese- und Schreibprozessen bedingte niedrigere Bearbeitungsgeschwindigkeit ausgleichen können. Zum anderen soll eine konzentrierte Durchsicht der Schreibprodukte hinsichtlich ihrer sprachlichen und inhaltlichen 3.5 Förderkonzepte bei LRS in den Fremdsprachen 95 Gestaltung bzw. insbesondere ihrer orthographischen Korrektheit erfolgen. Ersatzleistungen bzw. die stärkere Gewichtung mündlicher Leistungen zielen darauf ab, das Erreichen be‐ stimmter inhaltlicher Lernziele auf anderem Wege nachzuweisen. Dies ist folglich nur möglich, wenn nicht primär das Leseverstehen oder Rechtschreiben als Zielkompetenzen im Fokus stehen. Auch ist der Einsatz von Hilfsmitteln wie Wörterbüchern oder Leseschablonen im Rahmen von Leistungsüberprüfungen möglich. Nachteilsausgleich und Notenschutz sind in der Regel als „gestufte Maßnahmen“ (HKM 2017: 24) zu verstehen, die bei andauernden LRS sukzessive zum Einsatz kommen sollten-- somit können Maßnahmen des Nachteilsausgleichs von einem Notenschutz begleitet werden, dies muss aber nicht der Fall sein. - 3.5.2.2 Notenschutz Die Maßnahme des Notenschutzes bezeichnet im Kontext von LRS die Nicht-Bewertung von Rechtschreibfehlern und gilt gegenüber dem Nachteilsausgleich als „ultima ratio, wenn die Rechtschreibleistung das Abschneiden in schriftlichen Leistungsüberprüfungen derart absenkt, dass dadurch die Versetzung gefährdet ist“ (Gerlach 2019 a : 76). De facto wird mit dem Notenschutz von zentralen Grundsätzen der Leistungsbewertung abgewi‐ chen und eine differente Leistungsbeurteilung umgesetzt (vgl. HKM 2017: 24 f.). In den meisten Bundesländern wird die Anwendung des Notenschutzes mit einem entsprechenden Vermerk auf dem Zeugnis versehen. Wie aus der Praxis berichtet wird, führt dies nicht selten dazu, dass Schüler: innen - oder deren Erziehungsberechtigte - Hemmungen haben, den Notenschutz überhaupt in Anspruch zu nehmen, obwohl er ihnen zustünde, da sie Stigmatisierung befürchten (vgl. Simon 2000). Auf der Ebene der konkreten Umsetzung des Notenschutzes im Französischunterricht begegnen Lehrkräfte der Herausforderung, eine klare Abgrenzung von Orthographie- und Grammatikfehlern vorzunehmen. In Bezug auf die französische Rechtschreibung, die grammatische Strukturen, die in gesprochener Sprache oftmals nicht hörbar sind, auf orthographischer Ebene abbildet, stellt dies ein gewisses Dilemma dar (vgl. Kap. 2.3.1.2). Hier wird deutlich, dass sich curriculare Vorgaben und Hinweise zur Umsetzung des Noten‐ schutzes in der Regel auf die deutsche Sprache beziehen, die aufgrund ihrer transparenteren Orthographie eine leichtere Differenzierung von Rechtschreib- und Grammatikfehlern er‐ laubt. Mendez (2013: 5) unterbreitet aus unterrichtspraktischer Perspektive den Vorschlag, bei Zweifelsfällen das Kriterium der lautsprachlichen Korrektheit hinzuzuziehen, um eine angemessene Umsetzung des Notenschutzes zu gewährleisten. Schreiben Lernende beispielsweise *je regard statt ‹je regarde› ‚ich sehe‘, wird das Lautbild [ʒəʀ(ə)gaʀd] durch beide Schreibweisen korrekt repräsentiert und die falsche Schreibung verursacht kein Verständnisproblem: Je nach Schreibanlass könnte sich die Lehrkraft selbst das Wort vorsprechen oder den Lernenden die Möglichkeit geben, das geschriebene Wort durch eine mündliche Artikulation zu ergänzen, um die Wortschatzabfrage zumindest teilweise zur erfüllen (z. B. im Fall von Vokabeltests). Der tatsächliche Effekt, der sich durch die Anwendung des Notenschutzes in Bezug auf die Notengebung im Französischunterricht ergibt, ist eng damit verbunden, welches Gewicht der orthographischen Korrektheit im Rahmen von Leistungsüberprüfungen insgesamt eingeräumt wird (vgl. Kap.-2.3.2). 96 3 Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischunterricht 35 Historisch gesehen liegt hier eine begrüßenswerte Entwicklung, die von einem starren Verständnis formalsprachlicher Korrektheit abrückt - wie sie z. B. im Rahmen der Grammatik-Übersetzungs- Methode relevant war - und Lernenden als kommunikativ Handelnde ernst nimmt (vgl. als Überblick Königs 2017 a : 300). 4 Quand deux mondes se rencontrent-… 4.1 Synthese der theoretischen Perspektiven Die theoretische Annäherung an die Thematik des Französischlernens mit LRS verdeutlicht die Notwendigkeit, umfassend auf Konzepte der erstsprachlichen Lese- und Schreibdi‐ daktiken zurückzugreifen, wenn Lösungsperspektiven für den Umgang mit defizitären schriftsprachlichen Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht aufgezeigt werden sollen. Dies liegt darin begründet, dass LRS u. a. durch Defizite im Bereich basaler schriftsprach‐ licher Fertigkeiten wie z. B. der phonologischen Rekodierung oder einer mangelnden Automatisierung des Lesens und Schreibens verursacht werden (vgl. „Schriftrezeption und -produktion“, Kap. 2.1.1.1). Die Betrachtung gängiger Ansätze zur Lese- und Schreib‐ förderung im Fremdsprachenunterricht hat jedoch offengelegt, dass hierarchieniedrige Fertigkeiten wie eine ausreichende Leseflüssigkeit oder die Graphomotorik hier nur selten im Fokus stehen - diese werden in der Regel als bereits erworben vorausgesetzt (vgl. Engelen/ Gerlach 2022: 124 f.). Ähnliches gilt für vermeintlich weniger komplexe Lese- und Schreibanlässe wie z. B. das Vorlesen von Aufgabenstellungen, das Anfertigen von Notizen oder die Erstellung von Tafelabschriften: Diese sind im Fremdsprachenunterricht selbst zwar omnipräsent und für den Spracherwerb konstitutiv (z. B. die „instrumentelle Schreibfertigkeit“, Königs 2017 a : 301), jedoch wird nur selten thematisiert, wie auf grundlegende Probleme in diesen Berei‐ chen reagiert werden kann. Der frühe Fremdsprachenunterricht, der in der Primarstufe parallel zu dem Schriftspracherwerb im Deutschen beginnt und Lernende auch in den Fremdsprachen als Lese- und Schreibanfänger: innen betrachtet, kann in diesem Kontext mögliche Denkanstöße liefern (vgl. Kap. 2.2.3.4). In den Sek. I und II stehen demgegenüber meist hierarchiehohe Lese- und Schreibprozesse im Fokus des fremdsprachendidaktischen Interesses (z. B. „Textrezeption und -produktion“, vgl. Kap.-2.1.1.1). Mit diesen Beobachtungen steht in Einklang, dass die Rechtschreibung als „sprachliches Mittel“ in relevanten bildungspolitischen Rahmendokumenten des Französischunterrichts den funktional kommunikativen Kompetenzen nachgeordnet wird: Zwar sind die sprachli‐ chen Mittel ein wichtiges Element aller fremdsprachlicher Teilkompetenzen, jedoch behalten sie eine „dienende Funktion“ und sollten zu einer „gelingenden Kommunikation“ beitragen (vgl. KMK 2004 a : 14; 2012: 18). Für den Bereich der Orthographie kommt hinzu, dass deren Stellenwert im Kontext von Leistungsüberprüfungen in den vergangenen Jahren sukzessive herabgesetzt wurde (vgl. Visser 2016: 161). 35 Aus linguistischer Perspektive konnte die französische Orthographie jedoch als intransparent charakterisiert werden, was eine längere Erwerbsdauer bzw. einen intensiveren Lernweg sowohl für erstals auch für fremdsprachliche Lernende impliziert (vgl. Kap.-2.3.1). Folglich müsste der Rechtschreibung im Französischunterricht eine gewisse Aufmerksamkeit geschenkt und eine systematischere Progression vorgesehen werden, wie sie z. B. die Skala zur Beherrschung der Orthographie des GER bzw. seines Begleitbands nahelegt (vgl. Europarat 2020: 160). Für die übergeordneten Teilkompetenzen des Lesens und Schreibens stehen aus fremdsprachendidaktischer Perspek‐ tive Modellierungen und Didaktisierungen von Lese- und Schreibprozessen zur Verfügung, so z. B. die Phasierung von Lese- und Schreibprozessen oder die Konzeptualisierung von Lese- und Schreibstrategien (vgl. Kap.-2.1.2 bzw. Kap. 2.2.2). Der Anspruch eines inklusiven Fremdsprachenunterrichts, der die individuellen Bedürf‐ nisse von Schüler: innen adressiert (vgl. Kap. 3.5), bringt für die Heterogenitätsdimension der LRS mit sich, dass auch basale schriftsprachliche Fertigkeiten zielgerichtet geübt und genügend Kompensationsmöglichkeiten geschaffen werden. Gerade für Fremdsprachen‐ lehrkräfte der Sek. I und II stellt sich jedoch die Frage, inwieweit eine meist im Deutschen gestellte LRS-Diagnose auch auf den Französischunterricht übertragen werden kann (vgl. Kap. 3.2) und welche typischen Symptome die Fremdsprachenlernenden konkret zeigen (vgl. Kap. 3.4). Außerdem ist relevant, inwieweit lernbzw. leistungsbezogene Unterschiede zwischen Schüler: innen mit und ohne LRS existieren und wahrnehmbar sind - und dies für die Lehrkräfte im Sinne einer differenzierenden Unterrichtspraxis handlungsleitend wird. Auch aus Schülersicht könnte dies das jeweilige Fähigkeitsselbstkonzept sowie Emotionen und Motivationen, die mit dem Französischunterricht verbunden werden, entscheidend prägen. 4.2 Schlussfolgerungen für die empirische Studie Infolge der Inklusionsdebatte und der vermehrten Beachtung der Heterogenität von Lerngruppen in den vergangenen Jahren hat auch die Beschäftigung der Fremdsprachen‐ didaktik mit spezifischen Lernausgangslagen wie LRS zugenommen (mit Bezug zum deutschen Schulsystem z. B. Burwitz-Melzer et al. 2017; für Frankreich z. B. Casalis 2018; für das Vereinigte Königreich z. B. Kormos 2017). Die romanischen Sprachen betreffend deuten darauf einige Good-Practice-Beispiele und erfahrungsbasierte Empfehlungen für die Unterrichtsgestaltung bzw. individuelle Förderung hin (z. B. Braun 2015, 2017; Plötner 2017; Schwarz 2018 a , 2018 b ). Empirische Zugänge beschränken sich jedoch auf Pilotstu‐ dien zum Französischen (vgl. Reimann 2014), explorative Beiträge zur Perspektive der Französischlehrkräfte (vgl. Engelen 2019) bzw. zu Diktaten im Spanischunterricht (vgl. Siemann 2016; 2020). Fundierte empirische Studien sind bislang auf das Englische als Fremdsprache bezogen und primär im außerunterrichtlichen Bereich verortet (vgl. Gerlach 2013). Bisherige Überlegungen für den Französischunterricht stützen sich intensiv auf einen Transfer medizinischer bzw. im Kontext des Deutsch- und Englischlernens gewonnener Erkenntnisse. Folglich mangelt es an empirischer Forschung, die LRS als individuelle Beeinträchtigung im unmittelbaren Kontext des Französischunterrichts betrachtet und dabei die Vielfalt möglicher Lese- und Schreibsituationen einbezieht, denen Schüler: innen mit LRS bei ihrer Auseinandersetzung mit der französischen Sprache begegnen. Darüber hinaus steht eine 98 4 Quand deux mondes se rencontrent-… Rückbindung an die spezifischen Bedingungen des Unterrichts der zweiten Fremdsprache aus, die sich u. a. durch eine beginnende Adoleszenz sowie umfassende Vorerfahrungen sowohl mit dem Fremdsprachenlernen als auch mit LRS-bezogenen Fördermaßnahmen kennzeichnen. Hier schließen die Fragen an, welche Überlegungen und Auswahlentschei‐ dungen Schüler: innen mit LRS überhaupt in den Französischunterricht führen, welchen Herausforderungen die Lernenden dort gegenüberstehen und wie diesen Schwierigkeiten begegnet wird (vgl. Kap. 5.1). Die Beantwortung dieser Fragestellungen erfordert ein triangulierendes Vorgehen, das verschiedene qualitative Datenerhebungsbzw. -auswer‐ tungsmethoden mit dem Ziel der Erkenntniserweiterung kombiniert (vgl. Flick 2011: 41 ff.). Insbesondere soll die Beobachtung des tatsächlichen Handelns der verschiedenen Akteur: innen im Französischunterricht bzw. die Erfassung von Schreibprodukten der Lernenden um die Sicht der Schüler: innen mit LRS im Rahmen leitfadengestützter Schüler‐ interviews ergänzt werden (zur Kombination von Beobachtungs- und Befragungsverfahren vgl. Schramm/ Schwab 2016: 141 f.). Konzeption und Durchführung der empirischen Studie bilden den Gegenstand des folgenden Teils (Kap.-5-7). 4.2 Schlussfolgerungen für die empirische Studie 99 Konzeption und Durchführung der Studie Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit wurden der Forschungsstand und zentrale Deside‐ rate im Themenfeld des Französischlernens mit LRS skizziert. Diese bestehen insbesondere in der direkten Rückbindung empirischer Studien an den Lehr-Lern-Kontext des Franzö‐ sischunterrichts und dem Einbezug der Sicht von Schüler: innen mit LRS in den Forschungs‐ prozess. Im Folgenden werden die Zielsetzung und die Fragestellungen der Studie sowie Spezifika des Forschungsfelds erläutert, die forschungsethische Überlegungen nach sich ziehen (vgl. Kap. 5) und das methodische Vorgehen bei Datenerhebung und -auswertung maßgeblich bestimmen (vgl. Kap. 6 & 7). Mit der Dokumentation und Offenlegung der forschungsmethodischen und -ethischen Entscheidungen, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit getroffen wurden, soll den zentralen Gütekriterien der „Transparenz“ und der „intersubjektiven Nachvollziehbarkeit“ (Steinke 2017: 324 ff.) entsprochen werden. Diese sind für qualitative Forschungsprojekte konstitutiv, da eine größtmögliche Offenheit im Forschungsprozess und die Wahrung individueller Lebenswelten nur dann von beliebigen Alltagsbeschreibungen und anekdotischer Evidenz abgegrenzt werden können, wenn eine transparente Darstellung des methodischen Vorgehens erfolgt und auch die eigene Rolle als Forscherin kritisch reflektiert wird (vgl. Riemer 2016: 575). 5 Von den Forschungsfragen zur Datenerhebung 5.1 Zielsetzung und Fragestellungen der empirischen Studie Vor dem Hintergrund der dargestellten Desiderate besteht ein zentrales Anliegen der Arbeit darin, empirische Zugänge zu dem kaum erforschten Gegenstandsbereich des fremdsprachli‐ chen Französischlernens mit LRS zu finden. Dabei soll insbesondere eine unmittelbare Rückbin‐ dung an den Französischunterricht und damit einhergehende fremdsprachliche Lehr-Lern-Pro‐ zesse erfolgen. Ein weiterer Fokus besteht in der Erhebung der Sicht betroffener Schüler: innen auf das Französischlernen und die Rolle ihrer LRS: Im Sinne eines triangulierenden Vorgehens können so die Instrumente der Datenerhebung erweitert, verschiedene Perspektiven auf den Untersuchungsgegenstand kombiniert und eine größere Erkenntnistiefe erreicht werden (vgl. Kap. 6.1). Um die Gesamtsituation der Schüler: innen mit LRS im Französischunterricht zu verstehen, erscheint es hilfreich, wesentliche Überlegungen, Auswahlkriterien und Kontext‐ faktoren zu rekonstruieren, die seitens der Schüler: innen zu einer Entscheidung für das Französische als zweite Fremdsprache geführt haben. Diese sind an vorherige Erfahrungen mit dem (Fremd-)Sprachenlernen, individuelle Ressourcen und das komplexe Konstrukt der Motivation für das Französischlernen rückgebunden. Da anzunehmen ist, dass Schüler: innen mit LRS auch im Französischunterricht größeren Herausforderungen (nicht nur) im Bereich der schriftsprachlichen Kompetenzen begegnen, stellt sich zudem die Frage, welche Schwierigkeiten dort genau beobachtbar sind und/ oder für die Schüler: innen selbst spürbar werden. Dies steht in engem Zusammenhang zu inhalt‐ lichen und methodischen Schwerpunktsetzungen, die in dem jeweiligen Unterrichtskontext vorgenommen werden. Gemäß der bei LRS zu erwartenden Symptomatik (vgl. Kap. 3.4) werden folglich die Teilkompetenzen des Lesens und (Recht-)Schreibens im Rahmen der Studie besonders intensiv betrachtet. Daran anknüpfend wird der Frage nachgegangen, wie Schüler: innen ihren LRS begegnen, welche Lern- und Kompensationsstrategien sie einsetzen und auf welche Hilfsmittel und Ressourcen sie zur Bewältigung des Französischlernens zurückgreifen. Somit stehen die Französischlernenden im Fokus der empirischen Studie. Zusammengefasst resultieren daraus folgende Fragestellungen, die für die empirische Untersuchung leitend sind: 1. Welche Faktoren beeinflussen die Wahl des Französischen als zweite Fremd‐ sprache von Schüler: innen mit LRS? • Aus welchen Gründen entscheiden sich betroffene Schüler: innen für die Wahl des Französischen als zweite Fremdsprache? • Welche Rolle spielen ihre diagnostizierten LRS dabei? • Inwieweit haben schulische Regelungen zu dem Umgang mit LRS ihre Entschei‐ dung beeinflusst? 2. Wie nehmen Schüler: innen mit LRS den Französischunterricht und ihr Fran‐ zösischlernen wahr? • Welche Erwartungen haben sie an den Französischunterricht und inwieweit werden diese erfüllt? • Welche Zielsetzungen formulieren sie für das Französischlernen und inwieweit können sie diese erreichen? • Welche Erfolgs- und Misserfolgserlebnisse bringen sie mit dem Französischlernen in Verbindung? 3. Welche Stärken und Schwächen zeigen Schüler: innen mit LRS insbesondere in den Bereichen des Lesens und (Recht-)Schreibens? • Welche Herausforderungen und Schwierigkeiten sind im Französischunterricht beobachtbar? • Welche Stärken und Kompensationsmöglichkeiten zeigen sich demgegenüber im Französischunterricht? • Welchen Stellenwert schreiben die Schüler: innen ihren LRS in diesem Zusam‐ menhang zu? 4. Wie gehen betroffene Schüler: innen mit ihren LRS im Französischunterricht und beim Französischlernen um? • Inwieweit setzen sie Lern- und Kompensationsstrategien ein, um mögliche Defi‐ zite zu kompensieren? • Auf welche Unterstützungsmöglichkeiten, Hilfsmittel und Ressourcen greifen sie zurück? • Welche Wirkung entfalten eventuell erlassene Maßnahmen des Nachteilsaus‐ gleichs und des Notenschutzes? Die offene Formulierung der Forschungsfragen deckt sich mit dem Ziel der Studie, Hypothesen und Aussagen in Form detaillierter Betrachtungen und dichter Beschreibungen zu dem Forschungsgegenstand zu generieren (vgl. Dörnyei 2007: 130). Diese werden nicht - wie im Kontext quantitativer Forschung erwartbar wäre - vorab formuliert und am Datenmaterial überprüft, sondern sollen aus der empirischen Untersuchung selbst hervorgehen. Somit erhebt die Studie keinen Anspruch auf eine Generalisierbarkeit der Ergebnisse, sondern sieht sich der Exploration des Forschungsfelds und der Generierung erster Erkenntnisse und Hypothesen zum Zusammenhang des Französischlernens mit LRS verpflichtet. Diese können im Sinne einer empirischen Grundlagenforschung Impulse für einen adäquaten Umgang mit LRS im Fremdsprachenunterricht und weiterführende Studien in diesem Bereich bieten. 5.2 Methodologische Vorüberlegungen Vor dem Hintergrund der formulierten Zielsetzungen und Fragestellungen der vorlie‐ genden Arbeit erscheint die Wahl eines qualitativen, explorativen Forschungsansatzes gegenstandsangemessen. So formulieren Flick et al. (2017: 25): Qualitative Forschung ist immer dort zu empfehlen, wo es um die Erschließung eines bislang wenig erforschten Wirklichkeitsbereichs (‚Felderkundung‘) mit Hilfe von ‚sensibilisierenden Kon‐ zepten‘ (Blumer 1973) geht. Durch den Einsatz von ‚naturalistischen‘ Methoden, wie teilnehmender 104 5 Von den Forschungsfragen zur Datenerhebung Beobachtung, offenen Interviews oder Tagebüchern, lassen sich erste Informationen zur Hypothe‐ senformulierung für anschließende, standardisierte und repräsentative Erhebungen gewinnen […]. Eine weitere Begründung für die Wahl eines qualitativen Forschungsdesigns liegt im Anspruch der Arbeit, eng an der Perspektive der beforschten Personen zu bleiben und diese bei der Bewältigung realer, alltäglicher Aufgaben wahrzunehmen (vgl. ebd.: 22 ff.). Damit geht eine Wertschätzung der subjektiven Sicht der Forschungspartner: innen einher, die als Expert: innen ihres Lebensumfelds gelten. Dies betonen auch Bogdan und Taylor (1998: 4 f., Herv. im Orig.): Qualitative methodologists refer to research procedures which produce descriptive data: people’s own written or spoken word and observable behavior. […] Qualitative methods allow us to know people personally and to see them as they are developing their own definitions of the world. We experience what they experience in their daily struggle with their society. We learn about groups and experiences about which we may know nothing. Voraussetzungen dafür sind Offenheit und Flexibilität der Datenerhebungs- und -auswer‐ tungsmethoden, was zugleich einen signifikanten Unterschied zum quantitativen Para‐ digma darstellt. Denn qualitative Forschung ist immer als „Abfolge von Entscheidungen“ (Flick 2017: 257) zu verstehen, die auch während des Forschungsprozesses noch Modifi‐ kationen und Adaptionen an Forschungsfeld und -gegenstand zulässt. Auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden verschiedene Datenerhebungsmethoden in Form einer Pilotstudie erprobt (vgl. Kap. 6.2.1). Dies impliziert, dass Datenerhebung und -analyse pha‐ senweise parallel ablaufen, ineinandergreifen und iterativ angelegt sind: „[I]n accordance with the flexibility and emergent nature of the qualitative research project, qualitative data collection and analysis are often circular and frequently overlap.“ (Dörnyei 2007: 124) Weiterhin wird im Rahmen qualitativer Forschung die subjektive Wahrnehmung der Forschenden als Mittel des Erkenntnisgewinns systematisch eingesetzt, methodisch kon‐ trolliert und in ihren Auswirkungen reflektiert (vgl. Flick et al. 2017: 24 ff.). Da sich die forschende Person meist unmittelbar im Forschungsfeld aufhält und eine persönliche Bezie‐ hung zu Forschungspartner: innen entstehen kann, müssen ihre Vorannahmen, ihre Rolle, persönliche Involviertheit und Subjektivität im Forschungsprozess reflektiert werden (vgl. das Gütekriterium qualitativer Forschung der „reflektierten Subjektivität“ nach Steinke 2017: 330 f.). Damit geht das „Aufgeben eines objektivistischen Absolutheitsanspruchs“ (Hülst 2013: 284) einher, denn bereits bei der Datenerhebung ist die forschende Person stark in das untersuchte Feld eingebunden. Auch wenn im Rahmen der vorliegenden Studie die Einflussnahme auf den Forschungsgegenstand so gering wie möglich gehalten werden sollte, erfordert dies forschungsethische Überlegungen (vgl. Kap. 5.3). Diese Grund‐ gedanken verweisen weiterführend auf die mögliche Gleichberechtigung der Perspektiven aller in den Forschungsprozess involvierten Akteur: innen, wie sie im Rahmen partizipativer bzw. inklusiver Forschungskonzepte formuliert wird (vgl. Hauser 2020). 5.2 Methodologische Vorüberlegungen 105 36 Eine Übersicht über die jeweiligen Genehmigungsverfahren der Bundesländer findet sich auf der Home‐ page des Projekts „Forschungsdaten Bildung“ (DIPF 2017). 5.3 Forschungsethische Grundsätze für die empirische Arbeit mit beeinträchtigten Lernenden Die Öffnung der Fremdsprachenforschung für Themen wie Inklusion und heterogene Lern‐ ausgangslagen der Schülerschaft bringt einen erhöhten Reflexionsbedarf in Bezug auf for‐ schungsethische Fragestellungen mit sich (vgl. Königs 2017 b : 130). Dies gilt insbesondere für qualitative Studien mit lernbeeinträchtigten Schüler: innen, da hier eine Forschungsbe‐ ziehung eingegangen wird, die in der Regel mit einem längeren, persönlichen Kontakt verbunden ist (vgl. Hopf 2017 a : 591; Miethe 2013: 928). Dies kann beispielsweise zu impliziten sozialen Verpflichtungen führen und den vorzeitigen Ausstieg aus einer Studie für Forschungs‐ partner: innen erschweren. Lernbeeinträchtigte Schüler: innen können zudem vorbelastet sein, da sie schulische Misserfolge erlebt oder soziale Ausgrenzungserfahrungen gemacht haben (z. B. Büchner et al. 2009). Inklusive Forschungsansätze bergen - entgegen ihrer genuinen Zielsetzung - auch die Gefahr, (empfundene) kognitive, psychische oder physische Differenzen betroffener Schüler: innen zu ihrer Lerngruppe zusätzlich zu markieren bzw. hervorzuheben, da beispielsweise in komparativer Perspektive nach Unterschieden zwischen lernbeeinträchtigten und nicht lernbeeinträchtigten Schüler: innen gefragt oder dezidiert die Wirksamkeit von Interventionen oder Differenzierungsmaßnahmen geprüft wird. Überdies tragen Fremdsprachenforschende in Deutschland eine besondere Verantwortung für die Einhaltung forschungsethischer Standards bei der Konzeption und Durchführung empirischer Studien, da im Vergleich zu anderen Ländern die Prüfung durch eine unabhängige, universitätseigene Ethikkommission nicht üblich ist (vgl. die clearance im anglophonen Raum; Viebrock 2015: 87). Für Studien im schulischen Bereich besteht jedoch die Besonderheit, dass empirische Forschungsvorhaben zunächst von Schulleitungen bzw. den Kultusministerien der Länder geprüft werden, bevor eine Durchführung im Unterricht möglich wird. 36 Als die Arbeit an dem vorliegenden Forschungsprojekt begonnen wurde, konnte noch nicht auf den Ethikkodex der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung zurückgegriffen werden, der erst 2019 erschienen ist (vgl. DGFF 2019). Deshalb wurden die ethischen Richtlinien anderer, nahestehender Berufsverbände wie der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissen‐ schaft (DGfE), Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) und der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) konsultiert. Die Ethikkodizes dieser Verbände beschäftigen sich vor dem Hintergrund ihrer Fachgeschichte in besonderer Weise mit einem angemessenen Umgang mit potenziellen Forschungspartner: innen und konnten bei einigen methodischen und konzeption‐ ellen Entscheidungen dieser Arbeit wichtige Orientierungen liefern. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden auf mikroethischer Ebene „konkrete Handlungsentscheidungen im Forschungsprozess“ (Bach/ Viebrock 2012: 17) erläutert, die hinsichtlich der Konzeption und Durchführung des empirischen Teils dieser Arbeit getroffen wurden. 106 5 Von den Forschungsfragen zur Datenerhebung 5.3.1 Zugang zum Forschungsfeld und Auswahl von Forschungspartner: innen Legutke und Schramm (2016: 109) nennen ein „vertrauensvolles Arbeitsbündnis […], das für den anvisierten Forschungsprozess tragfähig ist“, als Zielvorstellung der Zusammenarbeit zwischen Forscher: in und Forschungspartner: innen (nicht nur) im Bereich der Fremdsprachen‐ didaktik. Einerseits sollte also professionell, d. h. zielgebunden und mit der nötigen Distanz gehandelt werden. Andererseits sind positive Qualitäten wie Zuverlässigkeit oder Vertrauen zu etablieren, für die ein persönlicher Kontakt aufgebaut werden muss: Der in den Richtlinien der DGPs (2016, Abs. 5.2) gewählte Begriff der „professionellen Beziehungsqualität“ macht dies umso deutlicher. Die Umsetzung dieser ambivalenten Zielvorstellung in die Praxis stellt eine Gratwanderung dar, die im Folgenden dargestellt wird. Als Eintritt in das Forschungsfeld wurde eine Vorgehensweise der schrittweisen Annäherung an die Forschungspartner: innen gewählt, die sowohl die jeweilige Franzö‐ sischlehrkraft, die Schüler: innen selbst und ihre Erziehungsberechtigten einbezog. So sollte einerseits eine wohlüberlegte, freiwillige und tragfähige Kooperation aufgebaut werden, andererseits wollte die Forscherin sicherstellen, keine Gatekeeper zu übergehen, und somit Faktoren eindämmen, die zu einem Abbruch der Zusammenarbeit während der Datenerhebung führen könnten. Zu Beginn des Dissertationsprojekts ergab sich die Herausforderung, passende Forschungspartner: innen zu finden. Da keine offiziellen Statis‐ tiken dazu vorliegen, war zunächst unklar, wie häufig Schüler: innen mit LRS überhaupt an Französischkursen teilnehmen und damit für die Studie grundsätzlich zur Verfügung stehen würden. Überdies war es aus forschungspragmatischer Sicht erforderlich, dass die Lehrkräfte selbst zu einer Kooperation im Rahmen der Studie bereit sind. Bereits zu Studienbeginn wurden Sampling-Kriterien angewandt, die theoriebzw. kri‐ teriengeleitet (vgl. Grum/ Legutke 2016: 84 f.) formuliert und für eine Aufnahme der Franzö‐ sischlernenden in die Studie erfüllt sein mussten. Als potenzielle Forschungspartner: innen galten Schüler: innen, … • die das Französische als zweite Fremdsprache erlernen, • für die eine aktuelle und schulrechtlich verbindliche Diagnose der „Lese- und Recht‐ schreibstörung“ (ICD-10, F81.0) vorliegt, die von der jeweiligen Schule anerkannt wird, • denen die jeweilige Französischlehrkraft die Teilnahme an der Studie zutraut, • die über keine Vorerfahrungen mit Forschungsprojekten zum Fremdsprachenlernen mit LRS verfügen. Über eine eindeutige Regelung des Zugangs zur Studie sollte vermieden werden, Res‐ sourcen der Forschungspartner: innen unüberlegt in Anspruch zu nehmen und „Datenfried‐ höfe“ zu erzeugen, d. h. Arten und Mengen von Daten zu erheben, die anschließend nicht zielführend ausgewertet werden können. Zudem diente die Formulierung der Sampling-Kriterien der Sicherstellung einer gewissen gemeinsamen Ausgangslage der Studienteilnehmer: innen. Erstens sollte die Voraussetzung, dass Französisch als zweite Fremdsprache erlernt wird, erfüllt sein. Dies liegt einerseits in pragmatischen Überle‐ gungen begründet: Das Französische wird als zweite Fremdsprache in Deutschland deutlich häufiger angewählt denn als erste Fremdsprache (vgl. Fritz 2018). Daraus ergibt sich ein deutlich größerer Pool potenzieller Forschungspartner: innen, als wenn das Französische 5.3 Forschungsethische Grundsätze 107 37 Die Kurzbefragung der Lehrkräfte wurde also vorrangig als Eintritt in das Forschungsfeld und zur Akquise von Forschungspartner: innen genutzt. Dennoch stehen die Fragebögen als „Nebendaten“ bei der Auswertung der zentralen Datensätze der Studie zur Verfügung. Insgesamt gingen 23 ausgefüllte Fragebögen potenziell interessierter Lehrkräfte bei der Autorin ein. als erste Fremdsprache gewählt worden wäre. Andererseits hätte die Fokussierung des Französischen als erste Fremdsprache dazu geführt, dass mit Kindern im Grundschulalter hätte zusammengearbeitet werden müssen. Dies hätte forschungsethische Überlegungen zu der Durchführbarkeit der Studie noch verschärft und die inhaltliche Reichweite der leitfadengestützten Schülerinterviews vermutlich sehr eingeschränkt (vgl. Kap.-6.4). Zweitens sollte eine offiziell gestellte, schulrechtlich verbindliche und somit von der jeweiligen Schule anerkannte Diagnose nach engen medizinischen Kriterien vorliegen (vgl. Kap.-3.2.3), um hinsichtlich der Lernschwierigkeiten keine beliebige bzw. stark heterogene Problematik zu repräsentieren, deren mögliche Ausprägung nicht mehr anhand transpa‐ renter Diagnosekriterien nachvollziehbar gewesen wäre. Drittens sollte eine Studienteil‐ nahme zunächst aus Sicht der jeweiligen Französischlehrkraft verantwortbar erscheinen, denn diese hatte bereits über einen längeren Zeitraum Gelegenheit, die betroffenen Lernenden in ihrem Umgang mit ihren LRS zu beobachten und ggf. auch das persönliche Umfeld der Schüler: innen kennenzulernen. Viertens sollte keine Mehrfachbelastung durch die Teilnahme an anderen Forschungsprojekten erzeugt bzw. Verzerrungseffekte aufgrund von Vorerfahrungen mit vergleichbaren Studien vermieden werden. Über eine explorative Vorstudie, die der eigentlichen Pilotbzw. Hauptstudie der Arbeit noch vorgeschaltet wurde, und damit einen ersten, vorsichtigen Schritt in das Forschungs‐ feld darstellt, wurden mögliche Forschungspartner: innen identifiziert. Die Vorstudie be‐ stand in dem Versand eines Kurzfragebogens mit weitestgehend offen formulierten Fragen an Französischlehrkräfte (vgl. Anhang „Schriftlicher Fragebogen der Vorstudie“), die z. B. über Fach- und Schulleiter: innen per E-Mail kontaktiert wurden. Anhand der Fragebögen sollte erfasst werden, inwieweit die Thematik des Französischlernens mit LRS in der Schulpraxis relevant ist, ob zu diesem Zeitpunkt von LRS betroffene Schüler: innen an ihrem Französischunterricht teilnehmen und grundsätzliches Interesse an einer Studienteilnahme besteht. 37 Folgende Abbildung illustriert die mit der Vorstudie verbundenen Zielsetzungen im Überblick: 108 5 Von den Forschungsfragen zur Datenerhebung 38 Als Hauptforschungspartner: innen sind die Schüler: innen mit LRS zu verstehen, die im Fokus der Studie stehen. Die übrigen Schüler: innen der Lerngruppen werden ebenfalls als Forschungs‐ partner: innen gesehen, auch wenn sie nur bei der Erfassung der Schreibprodukte in das Studiende‐ sign einbezogen wurden (vgl. Kap. 6.3). Abb. 7: Zielsetzungen der Vorstudie und Samplingprozesse Bei positiver Rückmeldung wurde das Forschungsvorhaben während eines persönlichen Treffens vorgestellt und in Erfahrung gebracht, inwieweit die Lehrkräfte den Schüler: innen mit LRS eine Studienteilnahme zutrauen oder welche fachlichen oder psychosozialen Aspekte dagegensprechen könnten. Sofern die Lehrkräfte als Kooperationspartner: innen gewonnen wurden, fungierten sie als Vermittler: innen zu den betroffenen Schüler: innen, sprachen diese erstmals auf das Forschungsvorhaben an und konnten sich so einen Eindruck über deren mögliche Bereitschaft zur Studienteilnahme verschaffen. Erst nach positiver Reaktion der Schüler: innen mit LRS wurde das Projekt der gesamten Lerngruppe und der jeweiligen Schulleitung vorgestellt. 38 So bestand für alle beteiligten Personen die Möglichkeit, Rückfragen zur Studie zu stellen oder persönliche Anliegen vorzutragen (vgl. informed consent, Kap. 5.3.2). Damit wurde die Ausgangslage geschaffen, um den entsprechenden Antrag auf Genehmigung des Forschungsprojekts beim Hessischen Kul‐ tusministerium bzw. in NRW bei der Schulleitung zu stellen. Während das bisher beschriebene Vorgehen insbesondere dem Gewinnen von For‐ schungspartner: innen und der Absicherung des Einverständnisses aller am Forschungspro‐ zess beteiligten Personen diente, stellte sich nach Beginn der Datenerhebungen die Frage, wie die Forschungsbeziehung über einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen aufrecht‐ erhalten und möglichst ertragreich gestaltet werden könnte. Legutke und Schramm (2016: 5.3 Forschungsethische Grundsätze 109 39 Ein derartiges Vorgehen beschreibt beispielsweise Britta Viebrock in ihrer Dissertation, im Rahmen derer sie zwecks kommunikativer Validierung der Forschungsergebnisse Lehrkräften direkte Rück‐ meldungen zu ihrem Unterrichtshandeln gab (vgl. resümierend Bach/ Viebrock 2012: 27 ff.). 109) nennen diesbezüglich das Ziel einer Win-win-Situation für alle am Forschungsprozess Beteiligten: Arbeitsbündnisse können dann besondere Produktivität entfalten, wenn es gelingt, Formen der Gegenseitigkeit zu entwickeln, die von den am Forschungsprozess beteiligten Personen als gewinnbringend wahrgenommen werden können, wenn es also gelingt, ein Verhältnis des Gebens und Nehmens zu etablieren. Gerade im Bereich der Fremdsprachendidaktik muss dies keine Wunschvorstellung bleiben, denn es bietet sich die Möglichkeit eines direkten Austauschs zwischen Forschung und Schulpraxis, beispielsweise indem Studienergebnisse zur Ableitung konkreter Maßnahmen zur Verbesserung der Unterrichtsqualität zur Verfügung gestellt werden. 39 Im Fall der vorliegenden Arbeit wurde dieser Ansatz jedoch nicht verfolgt, da eine Fokussierung des Studiendesigns auf eine: n Lernende: n nicht zugelassen hätte, die im Rahmen des Schülerinterviews zugesicherte Anonymität zu wahren. Zudem erschien angesichts der ohnehin schon vorbelasteten Ausgangslage das Risiko, durch eine direkte Rückmeldung die Forschungspartner: innen zu verletzen oder zu kränken, zu hoch. Alternativ wurde den kooperierenden Lehrkräften angeboten, parallel zu oder im Anschluss an die Datenerhe‐ bungen eine Fortbildung zum Thema Fremdsprachenlernen mit LRS an den jeweiligen Schulen unentgeltlich anzubieten. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie wurden hier noch nicht einbezogen, sodass sich die Veranstaltungen auf den bisherigen Kenntnisstand zu dem Thema bezogen und vorrangig einem kollegialen Austausch zwischen Schule und Universität dienten. So konnte auch der „Feldrückzug“ (Legutke/ Schramm 2016: 110) bewusst gestaltet und für die kooperierenden Lehrkräfte „abgerundet“ werden. 5.3.2 Informed consent und Freiwilligkeit der Teilnahme Vor Beginn der Datenerhebungen wurde das schriftliche Einverständnis aller Forschungs‐ partner: innen eingeholt, um den Grundsatz der Freiwilligkeit bzw. der informierten Einwilligung (informed consent) zur Teilnahme an Studien einzuhalten. Dieser setzt vo‐ raus, dass die Forschungspartner: innen zur angemessenen Fundierung ihrer Teilnahme- Entscheidung möglichst genau über Ziele, Methoden, Dauer und mögliche Risiken der Studie informiert werden. So soll ein „misinformed consent“ (Thompson 2002: 99) bzw. „Pseudo-consent“ (Miethe/ Gahleitner 2010: 575) vermieden werden, der in einer schein‐ baren, vorgetäuschten oder aus einem Nicht-Verstehen der Informationen resultierenden Zustimmung zur Studienteilnahme besteht, de facto aber nicht wohlüberlegt und unter Einbezug aller Chancen und Risiken getroffen wurde. Im Ethikkodex der DGfE (2016) heißt es zur Gestaltung der Informationsvergabe an Forschungspartner: innen: Besondere Anstrengungen zur Gewährleistung einer angemessenen Information sind erforderlich, wenn davon auszugehen ist, dass die in die Untersuchung einbezogenen Personen aufgrund ihres Bildungskapitals, ihrer Milieu- oder Schichtzugehörigkeit, ihrer sozialen Lage oder ihrer 110 5 Von den Forschungsfragen zur Datenerhebung 40 Für Erziehungsberechtigte bestand die Möglichkeit, telefonisch mit der Studienleiterin in Kontakt zu treten, was von zwei Elternpaaren in Anspruch genommen wurde. Sprachkompetenzen nicht ohne spezifische Informationen die Intentionen und Modalitäten des Forschungsvorhabens durchdringen können. (DGfE 2016, § 4, Abs. 2) So stellte es eine Herausforderung dar, Kindern und Jugendlichen im Alter von 12-19 Jahren, die mit Fachbegriffen und Wissenschaftsjargon nicht vertraut sind und bei denen besondere Schwierigkeiten im Bereich des Lesens zu erwarten waren, das Forschungsan‐ liegen verständlich zu machen. Dazu empfehlen Melville und Hincks (2016: 4): „Some ethical guidelines encourage researchers to talk to prospective participants face-to-face, which can be especially useful for delivering information to people with poor literacy skills or people who feel intimidated by written documents.“ Deshalb wurden die schrift‐ liche Information über die Studie und die Einverständniserklärung um eine persönliche Vorstellung des Forschungsprojekts in der jeweiligen Lerngruppe ergänzt. 40 Ein weiterer Lösungsansatz bestand darin, für verschiedene Adressat: innen zielgruppenadäquate In‐ formationsschreiben bzw. Einverständniserklärungen aufzusetzen, die in sprachlichen, inhaltlichen und formalen Merkmalen angepasst wurden. So wurden beispielsweise die Unterlagen, die sich an Schüler: innen der 6. bis 9. Klasse richteten, gekürzt, syntaktisch vereinfacht, Fachbegriffe wurden paraphrasiert und die Schüler: innen geduzt. Eng verbunden mit dem Anspruch der Freiwilligkeit ist die Frage nach der Motiva‐ tion von Forschungspartner: innen zur Studienteilnahme: Welche Vorteile könnten sich Schüler: innen bzw. Lehrkräfte von dem Forschungsprojekt erhoffen? Welche Nachteile könnten sie demgegenüber befürchten, wenn sie sich gegen eine Teilnahme an der Studie entscheiden? Da alle Forschungspartner: innen vor Studienbeginn in keinem persönlichen oder beruflichen Verhältnis zur Forscherin standen, kann angenommen werden, dass sie nicht aufgrund eines Pflichtgefühls oder aus Sorge vor negativen persönlichen Konse‐ quenzen an der Studie teilgenommen haben. Weiterhin konnte ausgeschlossen werden, dass materielle Reize die Entscheidung zur Studienteilnahme beeinflussten, da keine Bezahlung der Forschungspartner: innen erfolgte - lediglich eine sachbezogene Win-win-Situation wurde angestrebt. Gegenüber den teilnehmenden Schüler: innen wurde besonders verdeut‐ licht, dass die Entscheidung für oder gegen die Studienteilnahme bzw. die Ergebnisse des Forschungsprojekts in keinen Bezug zum Französischunterricht gesetzt würden oder gar Einfluss auf die Leistungsbewertung nehmen könnten. Darüber hinaus ist unter dem Prinzip der Freiwilligkeit zu verstehen, dass ein Abbruch der Studienteilnahme und auch ein nachträglicher Rückzug der Daten jederzeit unbegründet möglich sein sollten (vgl. Miethe 2013: 929). Entsprechend eindeutige Hinweise wurden in die Informationsschreiben bzw. Einverständniserklärungen der Studie aufgenommen. Dem beschriebenen Anspruch umfassender und zielgruppenorientierter Aufklärung über das Forschungsvorhaben steht die potenzielle Gefahr einer Verzerrung von For‐ schungsergebnissen durch eine zu ausführliche Informationsvergabe vor Studienbeginn gegenüber. Diese kann beispielsweise eintreten, wenn durch die Verwendung stigmati‐ sierender Begrifflichkeiten bestimmte Personengruppen von der Studienteilnahme abge‐ schreckt werden (vgl. Hopf 2017 a : 593) oder die zu konkrete Formulierung von Studienzielen bestimmte Verhaltensweisen oder Aussagen der Forschungspartner: innen triggert (vgl. den 5.3 Forschungsethische Grundsätze 111 Hawthorne-Effekt bzw. die Effekte der sozialen Erwünschtheit und der selbsterfüllenden Prophezeiung, z. B. Albert/ Marx 2016: 39 f.). Im Fall der vorliegenden Arbeit war diesbezüg‐ lich abzuwägen, zu welchem Zeitpunkt, wie explizit und anhand welcher Begrifflichkeiten die Schüler: innen über das Studienziel der Erforschung der Teilleistungsschwäche LRS im Kontext des Französischunterrichts informiert werden sollten. Es wurde entschieden, die Schüler: innen im Rahmen der Informationsschreiben und der persönlichen Vorstellung explizit auf das Forschungsinteresse im Bereich LRS hinzuweisen, jedoch potenziell patho‐ logisierende Begrifflichkeiten wie „Legasthenie“ oder „Lese- und Rechtschreibstörung“ zu vermeiden. Hier tritt ein - nicht gänzlich auflösbares - Dilemma zutage, das aus den konkurrier‐ enden Ansprüchen auf Transparenz, Offenheit und Ehrlichkeit gegenüber den Forschungs‐ partner: innen einerseits und dem Ideal einer möglichst objektiven und unbeeinflussten Erforschung des Themenbereichs andererseits resultiert. Es ist natürlich möglich, dass die Lehrkräfte ihren Unterricht bzw. ihren Umgang mit den von LRS betroffenen Schüler: innen im Untersuchungszeitraum verändert haben, z. B. um sich gegenüber der Forscherin als besonders engagiert zu präsentieren (vgl. dazu das „Beobachterparadoxon“, Ricart Brede 2014: 138). Auch stellt der Austausch zwischen Lehrkräften, Schüler: innen und Erziehungsberechtigten bezüglich des Forschungsprojekts in Abwesenheit der Forscherin eine unkalkulierbare Variable dar, sodass nicht mit abschließender Sicherheit eingeschätzt werden kann, wie deutlich bzw. in welcher Weise die Schüler: innen von anderen Personen auf den Fokus der Studie angesprochen worden sind. Trotz aller Einschränkungen kann festgehalten werden, dass unter größtmöglicher Wahrung der forschungsethischen Grund‐ sätze eine Durchführung der Studie sinnvoll und vertretbar erscheint. 5.3.3 Das Prinzip der „Nicht-Schädigung“ Der Grundsatz der Freiwilligkeit der Teilnahme und des informed consent ist eng mit dem „Prinzip der Nicht-Schädigung“ (Hopf 2017 a : 594 ff.) der am Forschungsprozess beteiligten Personen verbunden. Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie gibt im Rahmen ihres Ethik‐ kodexes dazu folgende Orientierung: Personen, die in Untersuchungen als Beobachtete oder Befragte oder in anderer Weise, z. B. im Zusammenhang mit der Auswertung persönlicher Dokumente, einbezogen werden, dürfen durch die Forschung keinen Nachteilen oder Gefahren ausgesetzt werden. Die Betroffenen sind über alle Risiken aufzuklären, die das Maß dessen überschreiten, was im Alltag üblich ist. Die Anonymität der befragten oder untersuchten Personen ist zu wahren. (DGS 2017, § 2, Abs. 5) Auf den ersten Blick erscheint dieser Grundsatz in der fremdsprachendidaktischen For‐ schung leicht umsetzbar. Doch gerade qualitative Forschungsprojekte mit lernbeeinträch‐ tigten Schüler: innen können aufgrund der spezifischen Lernausgangslage ein besonderes Verletzungsrisiko mit sich bringen. Insbesondere die Schülerinterviews bergen - neben ihrem großen Potenzial für die Erschließung der Schülersicht auf unterrichtliche Lehr-Lern- Zusammenhänge - das Risiko, dass negative Emotionen bzw. Einstellungen gegenüber schulischem Lernen wie Prüfungsangst intensiviert bzw. einschneidende oder gar traum‐ atische Erlebnisse wie z. B. die Diagnose der LRS, damit verbundene soziale Ausgrenzungs‐ 112 5 Von den Forschungsfragen zur Datenerhebung 41 Kallmeyer und Schütze (1977: 187 ff.) unterscheiden hier einen „Detaillierungszwang“, d. h., die tatsächliche Abfolge der Ereignisse muss eingehalten und diese ausreichend verknüpft werden, einen „Gestaltschließungszwang“, d. h., begonnene Erzählstränge müssen vollendet werden, und einen „Relevanzfestlegungs- und Kondensierungszwang“, d. h., die Erzählung muss einem roten Faden folgen und für das Fortkommen der Geschichte wesentliche Ereignisse fokussiert werden. erfahrungen oder ein ungewollter Schulwechsel durch ein erneutes Erleben im Rahmen der Erzählungen aktualisiert werden. Folglich bestand eine besondere Herausforderung darin, potenziell verletzende Themenbereiche vor den Interviews zu antizipieren, da eine explo‐ rative Studie ja gerade zum Ziel hat, diese Aspekte überhaupt erst zu identifizieren. Zudem ergeben sich bei narrativ orientierten Interviewformen häufig „Zugzwänge des Erzählens“ (Kallmeyer/ Schütze 1977: 187): Diese bestehen darin, dass die individuellen Erzählungen ausreichend strukturiert, mit nötigen Details angereichert und schließlich auch zu Ende geführt werden müssen, um sie den Rezipient: innen verständlich zu machen. 41 Dieser Erklärungsbzw. Kontextualisierungsdruck, der besonders durch offene, erzählgenerie‐ rende Fragen hervorgerufen werden kann, kann die Gesprächspartner: innen in emotional aufwühlende Erzählsituationen führen, die angesichts der vorherigen Fragestellung weder für die Interviewerin noch für die Forschungspartner: innen erwartbar waren (vgl. Engelen 2021). Wenn also verletzende Erlebnisse bzw. dadurch evozierte negative Emotionen Teil des zu erforschenden Gegenstandsbereichs sind, kann sich ein Widerspruch zwischen der Realisierung des Prinzips der Schadensvermeidung und dem wissenschaftlichen Anspruch auf eine objektive Exploration des Themenfelds ergeben, der nicht immer klar auflösbar ist. Entscheidend ist hier, dass die Umsetzung forschungsethischer Grundsätze in die Praxis mit der notwendigen Sensibilität und entsprechendem Verantwortungsbewusstsein im Laufe des Forschungsprozesses immer wieder reflektiert wird. In Bezug auf die Schülerinterviews wurden folgende Lösungsansätze identifiziert: Den Forschungspartner: innen wurde angeboten, Ort und Zeit für die Durchführung der Interviews selbst zu wählen. Diese Möglichkeit der Mitbestimmung der Interviewmodali‐ täten sollte zu einem geschützten und angenehmen Gesprächsklima beitragen. Zudem wurde unmittelbar vor dem Interview erneut auf die Freiwilligkeit der Teilnahme und die Möglichkeit hingewiesen, Fragen der Interviewerin nicht zu beantworten. Es wurde eine Gesprächsstrategie gewählt, die vorsah, auch bei unangenehmen Schilderungen eine affirmative, aktive Gesprächsführung beizubehalten und potenziell sensible Themen im Interviewverlauf erst später anzusprechen, wenn ein gewisses Vertrauensverhältnis etab‐ liert werden konnte (vgl. Kap.-6.4.2). Wäre es zu einer für die Forschungspartner: innen so belastenden Gesprächssituation gekommen, dass eine Weiterführung des Interviews nicht mehr hätte verantwortet werden können, wäre ein Abbruch des Interviews vorgeschlagen worden; dieser Fall ist jedoch nicht eingetreten. In diesem Kontext wird deutlich, dass (nicht nur) bei der Forschung mit lernbeeinträch‐ tigten Schüler: innen bzw. besonders belasteten Personen ein klares Rollenverständnis seitens der Interviewerin nötig ist: Auch wenn das Prinzip der Schadensvermeidung eingehalten werden soll, dient die Interviewsituation nicht dazu, zuvor entstandene Schwie‐ rigkeiten oder Probleme dialogisch zu bearbeiten bzw. zu lösen. Hier zeigt sich deutlich die Abgrenzung des gewählten Interviewtyps (vgl. Kap. 6.4) von anderen Interviewformen wie dem „problemzentrierten Interview“ (Friebertshäuser/ Langer 2013: 442 f.), das explizit 5.3 Forschungsethische Grundsätze 113 auf die kommunikative Aushandlung eines bestimmten Themas und die Erarbeitung potenzieller Lösungsperspektiven abzielt. Miethe (2013: 933) beschreibt insbesondere in Bezug auf die Möglichkeit der Rückmeldung von Ergebnissen an Studienteilnehmer: innen das Risiko einer Vermischung einer forschenden und psychologisierenden Haltung: Durch die Rückgabe derartiger Ergebnisse, so hier die Position, bestehe die Gefahr der Schaffung quasi therapeutischer Settings, deren Bearbeitung eine therapeutische Qualifikation und einen institutionellen Rahmen erfordern würde, über die Forschende in der Regel nicht verfügen und deren Einsatz auch den Rahmen von Forschungskontexten überschreiten würde […]. Auch wenn im Rahmen qualitativer Forschung die Rückmeldung von Studienergebnissen durchaus praktiziert wird (vgl. z. B. Bach/ Viebrock 2012: 27 ff.), wurde dies für die vorlie‐ gende Arbeit nicht systematisch vorgesehen; eine Einsicht in die Ergebnisse müsste auf expliziten Wunsch der Forschungspartner: innen aber ermöglicht werden. Andererseits kann es als „Schädigung“ verstanden werden, wenn Schüler: innen durch die Präsenz von Forscher: innen bzw. als invasiv oder übergriffig wahrgenommene For‐ schungsmethoden in ihrem Lernprozess negativ beeinflusst oder beim unterrichtlichen Lernen behindert werden, z. B. wenn Hemmungen bestehen, sich am Unterricht zu beteiligen oder bestimmte Aufgaben zu bearbeiten (vgl. dazu die Diskussion der Daten‐ erhebungsmethoden in Kap. 6.2). Unter dem Begriff der Schädigung von Forschungs‐ partner: innen werden überdies negative Konsequenzen gefasst, die durch die Verletzung von Vertraulichkeitszusagen seitens der Forscher: innen entstehen können. Dieser Aspekt wird im folgenden Teilkapitel aufgegriffen. 5.3.4 Datenschutz und Anonymisierung Vorgaben zu Datenschutz, Vertraulichkeit und Anonymisierung von Daten sind grundle‐ gend für jede Art empirischer Forschung und haben aufgrund ihrer rechtlichen Veran‐ kerung in Form von Datenschutzgesetzen einen besonderen Stellenwert. Im Rahmen qualitativer Forschung kann die „Einlösung von Vertraulichkeits- und Anonymitätszusi‐ cherungen“ (Hopf 2017 a : 591) eine besondere Herausforderung darstellen, da in der Regel kleinere Personengruppen oder gar Einzelpersonen Eingang in die Forschungsprojekte finden. Im Fall der vorliegenden Arbeit musste eine Balance zwischen einer ausreichend dichten und informativ gesättigten Fallbeschreibung, die auch spezifische bildungsbio‐ graphische Informationen wie erlernte Erst-, Zweit- und Fremdsprachen, besuchte Schul‐ formen etc. einbezieht, und einem ausreichenden Schutz der Forschungspartner: innen vor Wiedererkennung als Studienteilnehmer: innen gefunden werden. Erschwert wurde dies durch den engen Fokus des Forschungsvorhabens auf jeweils nur eine Schülerin bzw. einen Schüler mit LRS innerhalb einer Lerngruppe: Die Person wäre also eindeutig identifizierbar gewesen, wenn beispielsweise eine direkte Rückmeldung der Studienergebnisse an Lehr‐ kräfte oder Schulleitungen erfolgt wäre (s. o.). Eine Anonymisierung der Daten im engen Sinne ist für die vorliegende Arbeit nicht möglich, denn der Forscherin sind die richtigen Namen der Forschungspartner: innen natürlich bekannt. Folglich können die Daten lediglich pseudonymisiert werden, d. h., die jeweiligen Klarnamen werden durch einen anderen Namen ersetzt (vgl. Legutke/ Schramm 114 5 Von den Forschungsfragen zur Datenerhebung 42 Sofern die Schreibprodukte der Schüler: innen handschriftlich erstellt und anschließend eingescannt wurden, erfolgte eine Schwärzung; wurden Schülertexte digitalisiert, erfolgte eine Aussparung personenbezogener Informationen. 2016: 113 f.). Die Pseudonymisierung bezieht sich hier nicht nur auf die Vor- und Nach‐ namen der Forschungspartner: innen, sondern wird gleichermaßen auf weitere Angaben wie Ortsbezeichnungen und Namen von Schulen, Lehrkräften, Peers etc. angewandt. Die jeweiligen Zuordnungstabellen von Klarnamen und Pseudonymen, die bei der Da‐ tenaufbereitung genutzt wurden, sind nur der Forscherin selbst zugänglich. So konnte sichergestellt werden, dass in der Arbeit die Identität der Forschungspartner: innen und ihrer sozialen Umfelder nicht unmittelbar erkennbar ist. Die Angaben zu Bundesland, Schulform und Jahrgangsstufe wurden jedoch bewahrt, da sie zentrale Merkmale des Erhebungskontexts repräsentieren. 42 Dennoch kann abschließend weder garantiert werden, dass sich die Studienteilnehmer: innen nicht selbst in den präsentierten Datenauswertungen wiedererkennen, noch dass beispielsweise ihnen nahestehende Personen, die von der Studienteilnahme wissen, die jeweilige Person zu identifizieren vermögen. Auch hier zeigt sich, dass konkrete Entscheidungen zur Umsetzung forschungsethischer Vorgaben in die Praxis immer aus einem Aushandlungsprozess im Spannungsfeld zwischen Normativität und Pragmatik resultieren (dazu auch Bach/ Viebrock 2012: 22 f.). Im Folgenden werden die gewählten Instrumente der Datenerhebung vorgestellt und begründet. 5.3 Forschungsethische Grundsätze 115 6 Methoden der Datenerhebung Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden verschiedene Datenerhebungsmethoden kom‐ biniert, um einen angemessenen Zugriff auf den Untersuchungsgegenstand zu erlangen. Dies erscheint insbesondere in „Settings, die durch eine hohe Faktorenkomplexion gekenn‐ zeichnet sind (wie z. B. fremdsprachliche Lehr- und Lernkontexte)“ (Knorr/ Schramm 2016: 90) sinnvoll. 6.1 Triangulation als Forschungsstrategie Diese Forschungsstrategie wird auch als „Methodentriangulation“ (ursprünglich nach Denzin 1970; vgl. auch Flick 2011: 41 ff. bzw. für die Fremdsprachenforschung Knorr/ Schramm 2016: 92) bezeichnet und mit dem Ziel eingesetzt, eine erweiterte und multiper‐ spektivische Durchdringung des Gegenstandsbereichs zu erreichen. Im Gegensatz zu der anfänglichen Zielsetzung von Triangulation, die in der Validierung von Forschungsergeb‐ nissen durch den Einsatz mehrerer Methoden bestand, dienen Verfahren der Triangulation heute dezidiert der Erkenntniserweiterung (vgl. Flick 2011: 20; Settinieri 2015: 20 f.). Durch den Einsatz verschiedener Methoden kann es zu divergierenden Befunden kommen; diese sind im Kontext qualitativer Forschung aber auch explizit erwünscht. Settinieri (2015: 20 f.) fasst die möglichen Ergebnisse von Triangulationsverfahren wie folgt zusammen: Diese können sich in „Konvergenz/ Kongruenz“, d. h. einer Übereinstimmung, in „Divergenz“, d. h. Abweichungen oder widersprüchlichen Ergebnissen, oder in „Komplementarität“, d. h. wechselseitiger Ergänzung, manifestieren. Mit einer Methodentriangulation geht oftmals eine Datentriangulation einher, da ver‐ schiedene Erhebungsmethoden unterschiedliche Datentypen generieren, die wiederum unterschiedliche Methoden der Datenanalyse nahelegen. In Ergänzung zu der klassischen Typologisierung der Triangulation nach Denzin (1970: 297) nutzt Flick (2011: 20 ff.) den Begriff der Perspektiven-Triangulation. Dieser lässt sich auf die vier ursprünglichen Tri‐ angulationsformen der Daten-, Forscher-, Methoden- und Theorientriangulation anwenden und betont die Kombination verschiedener fachlicher Standpunkte und Sichtweisen in der Forschung. Aguado (2015: 208) und Settinieri (2015: 23) weisen auf die „Demokratisie‐ rung von Forschung“ hin, die durch die „angestrebte Gleichwertigkeit von Perspektiven“ angebahnt werde. Im Forschungskontext Schule gilt dies insbesondere mit Blick auf den Stellenwert der Schülersicht und verweist auf Anliegen partizipativer Forschung, die im Kontext der Inklusionsdebatte neue Relevanz erfahren (vgl. Hauser 2020) und auch in die vorliegende Arbeit Eingang gefunden haben. Im Sinne einer Between-Method-Triangulation (Flick 2017: 313 ff.) wurde für die Beant‐ wortung der Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit auf folgende drei Datenerhebungs‐ methoden zurückgegriffen: 43 Mit Unterrichtsbeobachtung ist im Folgenden eine wissenschaftliche Beobachtung des Unterrichts‐ geschehens gemeint, die sich durch eine „zielgerichtete, systematische und regelgeleitete Erfas‐ sung, Dokumentation und Interpretation von Merkmalen, Ereignissen oder Verhaltensweisen“ (Döring/ Bortz 2016: 324) kennzeichnet und somit von zufälligen und unsystematischen Alltagsbeo‐ bachtungen abzugrenzen ist. Abb. 8: Übersicht über die Datenerhebungsmethoden der Hauptstudie Während die Beobachtung des Französischunterrichts und die Erfassung von Schreibpro‐ dukten der Schüler: innen der jeweiligen Lerngruppe zeitlich parallel ablaufen, bilden die Schülerinterviews den Abschluss der jeweiligen Datenerhebung. Insbesondere die Kombi‐ nation von Beobachtungen und Interviews erscheint für die vorliegende Studie sinnvoll, da „Ansichten, wie sie in Befragungen kundgetan werden, und tatsächliches Verhalten, wie es beobachtet werden kann, in einigen Fällen divergieren“ (Schramm/ Schwab 2016: 141). Im Folgenden werden die einzelnen Methoden und ihre konkreten Verwendungen im Kontext der vorliegenden Studie transparent gemacht und begründet. 6.2 Teilnehmende Beobachtung des Französischunterrichts Der Einstieg in die Datenerhebungen erfolgte in allen Fällen über eine mehrwöchige Beobachtung des Französischunterrichts 43 , wobei der Beobachtungsfokus jeweils auf den Schüler: innen mit LRS lag. Die teilnehmende Beobachtung des Französischunterrichts er‐ folgte ausschließlich „online“, d. h. „im Moment des Geschehens selbst“ (Schramm/ Schwab 2016: 143 f.). Im Rahmen der Hauptstudie wurden keine audio- oder videographischen Aufzeichnungen des Unterrichts vorgenommen (vgl. Kap. 6.2.1). Die Beobachtung war bereits während der Phase der Datenerhebung gezielt auf die von LRS betroffenen Schüler: innen gerichtet. Hier erfolgt eine Orientierung an dem Konzept der „focal students“, das Parks et al. (2005) im Rahmen ihrer longitudinalen Studie zu Schreibprozessen im Englischunterricht nutzen. Dies sieht die Konzentration auf bestimmte Schüler: innen bei der Datenauswertung vor, die hinsichtlich der Forschungsfragen besonders reiche und interessante Daten liefern. Im Fall der vorliegenden Arbeit erfolgt diese Fokussierung bereits bei der Erhebung der Daten. Die Beobachtungen umfassten jeweils einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen und orientierten sich - wenn möglich - am Umfang einer Unter‐ 118 6 Methoden der Datenerhebung richtsreihe. Es wurden alle in diesem Zeitraum stattfinden Unterrichtsstunden beobachtet, sodass eine lückenlose und zusammenhängende Dokumentation erfolgen konnte. Dazu wurden teilstrukturierte Beobachtungsbögen eingesetzt, die sowohl In-situ-Kodierungen bestimmter Beobachtungsaspekte (wie z. B. Sozialformen, eingesetzte Materialien oder Auftreten von Unterrichtsbeteiligung) als auch offene Notizen zum Unterrichtsgeschehen bzw. dem Verhalten der von LRS betroffenen Schüler: innen im Französischunterricht vorsahen (vgl. Kap.-6.2.2). Die Unterrichtsbeobachtungen können als Fremdbeobachtung im „authentischen Feld“ (Schramm/ Schwab 2016: 144) charakterisiert und sowohl von Selbstbeobachtungen (z. B. im Rahmen von Aktionsforschung) als auch von Beobachtungen in speziell für den Forschungszweck arrangierten Kontexten (z. B. Laborsituationen oder Sprachstandserhe‐ bungen) abgegrenzt werden (vgl. ebd.; Ricart Brede 2014: 141). Sie wurden mit dem Ziel durchgeführt, die Schüler: innen mit LRS als Akteur: innen in ihrem tatsächlich stattfind‐ enden Französischunterricht und als Teil ihrer gewohnten Lerngruppe zu erleben. Damit wird einem wesentlichen Merkmal qualitativer Forschung, nämlich der „Orientierung am Alltagsgeschehen“ (Flick et al. 2017: 23) entsprochen. Ein weiteres Merkmal der durchgeführten Beobachtungen ergibt sich aus deren Ver‐ ortung auf dem „Kontinuum des Partizipationsgrads“ (Schramm/ Schwab 2016: 143) am Unterricht: Zwar wurde der regulär stattfindende Französischunterricht besucht und damit direkt „an der Praxis derjenigen, über deren Handeln und Denken er bzw. sie Daten er‐ zeugen möchte“ (Lüders 2010: 151), teilgenommen; jedoch erfolgte keine aktive Beteiligung oder Teilnahme am Unterrichtsgeschehen (z. B. in Form von Mitarbeit oder Redebeiträgen). Des Weiteren wurde darauf geachtet, eine unauffällige, passive Position im hinteren Bereich des Klassenraums einzunehmen, die lediglich dann aufgegeben wurde, wenn sich z. B. bei Gruppenarbeiten die fokussiert zu beobachtenden Schüler: innen räumlich so weit entfernten, dass es zu Schwierigkeiten bei der visuellen und akustischen Erfassung der Situation gekommen wäre. Dieses Prinzip wurde nur dann durchbrochen, wenn sich eine Französischlehrkraft mit expliziten Redeaufforderungen oder Rückfragen an die forschende Person wandte. Somit kann die eigene Position als Forscherin als „observer as participant“ definiert werden, da diese in stärkerem Maße von Distanz gegenüber als von Identifikation mit der Lerngruppe gekennzeichnet war und eine „begrenzte Zeit mit der Beobachtung von Gruppenmitgliedern“ (Schramm/ Schwab 2016: 143) verbracht wurde. Die Modalitäten der Teilnahme bzw. Nicht-Teilnahme am Unterricht gehen mit der Frage einher, inwiefern eine verdeckte oder offene Beobachtung vorgenommen wird. In schulbezogenen Forschungs‐ kontexten werden aus rechtlichen und forschungsethischen Gründen Beobachtungen in der Regel offen durchgeführt und die an der Forschung beteiligten Personen dement‐ sprechend über Durchführung und Zweck der Studie informiert bzw. schriftlich um ihr Einverständnis gebeten (vgl. Kap. 5.3.2). An diesen Standards hat sich auch die vorliegende Studie orientiert. Die Vorgehensweise einer offenen Unterrichtsbeobachtung hat jedoch auch Rückwirkungen auf die Erhebungssituation bzw. das zu beobachtende Verhalten selbst, wie Ricart Brede (2014: 138, Herv. im Orig.) verdeutlicht: Allerdings ist zu bedenken, dass das Bewusstsein um die Erhebungssituation zu Verhaltensverän‐ derungen bei den beobachteten Personen führen kann; beispielsweise indem sich Lernende, wenn 6.2 Teilnehmende Beobachtung des Französischunterrichts 119 44 Dennoch kann beispielsweise ein Hawthorne-Effekt nicht ausgeschlossen werden. Dieser bezeichnet mögliche Verhaltensänderungen von Forschungsteilnehmer: innen, die allein aufgrund ihres Wissens um die Partizipation an einer wissenschaftlichen Studie eintreten (vgl. Albert/ Marx 2016: 40 f.). sie beobachtet werden, weniger aktiv am Unterricht beteiligen, um sich nicht mit vermeintlich falschen Antworten zu blamieren, oder indem Lehrende im Sinne sozialer Erwünschtheit agieren und daher weniger Frontalunterricht durchführen als in unbeobachteten Unterrichtsstunden. Labov prägte für diesen Umstand den Begriff Beobachterparadoxon […]. Gemeint ist damit das Problem, dass sich der Prozess des Beobachtens grundsätzlich auf die beobachtete Situation auswirkt und deren Natürlichkeit beeinträchtigt, so dass niemals eindeutig sichergestellt werden kann, ob sich die Situation ohne Beobachtung in derselben Form ereignet hätte. Das Beobachterparadoxon ist auch im Rahmen der vorliegenden Studie nicht gänzlich auflösbar, denn das Forschungsziel, authentische Daten zu gewinnen, lässt sich letztlich nur über eine direkte Beobachtung des Unterrichts erreichen. Dennoch wurde versucht, die durch die Präsenz der Forscherin verursachten Rückwirkungseffekte auf das Verhalten von Schüler: innen und Lehrkräften möglichst gering zu halten. In Abgrenzung zu Studien im Bereich der Aktionsforschung oder des Design-Based-Research wurde nicht auf die Unterrichtsplanung eingewirkt bzw. die Lehrkräfte im Vorfeld explizit darum gebeten, ihre ursprüngliche Unterrichtsplanung weder zu modifizieren noch an potenziell erwünschte Vorgehensweisen anzupassen. 44 In schulischen Kontexten besteht diesbezüglich der Vorteil, dass sowohl Lehrkräfte als auch Schüler: innen an regelmäßige Hospitationen durch Lehramtsstudierende bzw. Referendar: innen gewöhnt sind. Somit entstand durch die Teilnahme der Forscherin am Französischunterricht keine grundlegend neue Situation und organisatorische Gepflogenheiten der jeweiligen Lehrkraft konnten übernommen werden. 6.2.1 Forschungsmethodische Konsequenzen aus der Pilotstudie Im Rahmen der Pilotstudie wurde eine videographische Aufzeichnung des Französischun‐ terrichts im Umfang von zwölf Unterrichtsstunden erprobt. Diese wurde in der Haupt‐ studie zugunsten einer analogen Beobachtung des Französischunterrichts aufgegeben. Dafür waren sowohl Rückschlüsse auf die Praktikabilität und Gegenstandsangemessenheit der Erhebungsmethode als auch forschungsethische Überlegungen ausschlaggebend. Im Einzelnen: Auf Basis der Pilotstudie mussten eine zu hohe „Invasivität“ (Ricart Brede 2014: 138) der Datenerhebungsmethode und damit einhergehend starke Methodeneffekte angenommen werden. Diese können u. a. der Präsenz bislang nicht genutzten technischen Equipments zugeschrieben werden und verschärften sich womöglich durch den Fokus auf eine Schülerin bzw. einen Schüler, die bzw. der ohnehin schon mit besonderen Schwie‐ rigkeiten im Unterrichtskontext konfrontiert ist. Konkret berichtete die Lehrkraft der Lerngruppe der Pilotstudie, dass die Unterrichtsbeteiligung des Schülers mit LRS seit der videographischen Aufzeichnung des Unterrichts deutlich zurückgegangen sei und sich im Laufe der Wochen auch kein „Gewöhnungseffekt“ eingestellt habe. Dies ist - neben einer möglichen Verzerrung der Studienergebnisse - auch aus forschungsethischer Sicht nicht vertretbar (vgl. den Grundsatz der „Nicht-Schädigung“, Kap. 5.3.3), da der Einsatz von 120 6 Methoden der Datenerhebung 45 Zudem ist - aus Perspektive der Forschung ernüchternd - von einer nicht zu unterschätzenden Reaktanz gegenüber audio- oder videographischen Unterrichtsaufzeichnungen und folglich einer deutlich erschwerten Suche nach möglichen Forschungspartner: innen zu berichten. Videokamera und Mikrofon offenkundig zu einer (empfundenen) Exponierung betroffener Schüler: innen beitrug. 45 Der Wechsel zu einer analogen Unterrichtsbeobachtung ermöglichte einerseits eine unauffällige Positionierung der Forscherin im hinteren Bereich des Klassenraums und zu‐ mindest eine Reduktion möglicher Verzerrungen durch die Datenerhebungsmethode. An‐ dererseits brachte dies den Nachteil mit sich, dass kein „iteratives Beobachten“ (Schramm/ Schwab 2016: 143 f.), d. h. eine wiederholte Betrachtung und Analyse aufgezeichneter Un‐ terrichtsstunden mehr möglich war. Dies führte zu einer Verschiebung des Schwerpunkts mancher Forschungsfragen, die zuvor relativ breit mit Bezug zu allen Teilkompetenzen for‐ muliert worden waren, was eine exaktere Rekonstruktion einzelner Unterrichtssequenzen bzw. auch eine linguistische Analyse von Lernersprache ermöglicht hätte (vgl. Ricart Brede 2014: 139). Dennoch bleibt die Unterrichtsbeobachtung auch in analoger Form für die vorliegende Studie gegenstandsangemessen, denn sie ermöglichte eine Gesamtein‐ schätzung der Schülerleistungen sowie die Erhebung notwendiger Kontextdaten für die Schülerinterviews und die Auswertung der Schreibprodukte der Schüler: innen. 6.2.2 Vorgehen bei der analogen Unterrichtsbeobachtung Der Vorbereitung der Unterrichtsbeobachtungen kam eine bedeutende Rolle zu, da die Beobachtungsdaten in der Unterrichtssituation möglichst lückenlos und systematisch do‐ kumentiert werden mussten, um auch Monate nach der Datenerhebung noch eindeutig und für eine strukturierte Analyse zugänglich zu sein. Denn ist die jeweilige Unterrichtsstunde einmal unter einer bestimmten Fragestellung beobachtet worden, kann sie sich nicht erneut anhand einer anderen Schwerpunktsetzung ausgewertet werden. Dies hatte Auswirkungen auf Anzahl und Art der im Rahmen des Französischunterrichts zu erfassenden Aspekte, wie auch Ricart Brede (2014: 144) betont: Weiterhin gilt es - insbesondere für Beobachtungen, die ohne digitale Aufzeichnungen aus‐ kommen - die begrenzte Wahrnehmungskapazität eines Beobachters zu berücksichtigen (d. h. das Beobachtungsystem kann nicht unendlich viele Aspekte umfassen). Zudem konnte das Inferenzniveau der zu beobachtenden Merkmale, also „der Grad an Interpretation […], der erforderlich ist, um eine Beobachtung vorzunehmen“ (ebd.: 143), nicht beliebig gesteigert werden. Während potenziell „niedrig inferente“ Aspekte wie z. B. in einer Unterrichtsstunde verwendete Sozialformen schnell und zuverlässig erfasst werden können, wäre für die Kodierung „hoch inferenter“ Merkmale der Unterrichtsqualität wie z. B. Motivierung oder kognitive Aktivierung der Lernenden die Möglichkeit einer wiederholten Sichtung der Unterrichtsstunden durch videographische Aufzeichnungen nötig (Pauli 2012: 48 f.; Schramm/ Schwab 2016: 148). Konkret heißt dies für die vorliegende Studie, dass vorrangig manifeste Variablen 46 , also direkt beobachtbare Merkmale des Französischunterrichts und des Schülerverhal‐ 6.2 Teilnehmende Beobachtung des Französischunterrichts 121 46 Das Begriffspaar der manifesten/ latenten Variablen wird ursprünglich in der quantitativen For‐ schung verwendet, z. B. um im Rahmen eines Testkonstrukts die Operationalisierung bestimmter Aspekte bzw. die Messbarkeit bestimmter Variablen zu bezeichnen (vgl. Döring/ Bortz 2016: 483). tens dokumentiert wurden. Weiterhin wurde die Durchführung der analogen Unterrichts‐ beobachtungen dadurch erleichtert, dass jeweils nur eine Schülerin bzw. ein Schüler mit LRS bei den Datenerhebungen fokussiert wurde. Aus den vorherigen Überlegungen resultierte folgender Aufbau des Beobachtungsbogens, der exemplarisch mit einer Notiz aus dem Fall „Franziska“ versehen ist (vgl. Kap.-8.4.3.1; Anhang „Beobachtungs- und Kategoriensystem zur Auswertung des Französischunterrichts“): Zeit 9: 20 Materialien und Medien Dropdown-Auswahl: „Lehrbuch“; „Schülerhefte“ Fokussierte Zielkompetenzen Dropdown-Auswahl: „Sprachmittlung“ Unterrichtskontexte und Sozialformen Dropdown-Auswahl: „Einzelarbeit“ Arbeitsatmosphäre und Unterrichtsstörungen Dropdown-Auswahl: „ruhige Arbeitsatmosphäre“; „keine Unterrichtsstörungen“ Aufgabenstellung Zusammenfassung eines Jugendromans vom Deutschen ins Fran‐ zösische (→ S.-41, Nr.-7) Tab. 1: Bogen zur Unterrichtsbeobachtung I: Basismerkmale der Unterrichtssituationen Im ersten Teil des Bogens („Basismerkmale der Unterrichtssituationen“) wurden wesent‐ liche Elemente der Unterrichtsabläufe wie die Dauer der Unterrichtsphasen, eingesetzte Materialien und Medien, Aufgabenstellungen, Sozialformen und weitere Aspekte wie die Arbeitsatmosphäre bzw. mögliche Unterrichtsstörungen erfasst. Um den Notationsauf‐ wand zu reduzieren und dem Vergessen von Basisinformationen vorzubeugen, wurde ein Tablet zur Erfassung der Unterrichtsbeobachtungen eingesetzt: In Tabellenform bot sich die Möglichkeit, für geschlossene Kategorien Dropdown-Menüs vorzubereiten. Dieses Vorgehen wird auch als „kodierende Beobachtung“ (Pauli 2012: 47 f.) bezeichnet und ist von „Schätzverfahren“ (ebd.) abzugrenzen, die auf eine subjektive Beurteilung des Beobachtungsgegenstands anhand einer Skala abzielen. Beispiele für vergleichbare Bögen zur analogen Unterrichtsbeobachtung finden sich beispielsweise bei Schramm und Schwab (2016: 147). Im zweiten Teil des Bogens („Fokus auf LRS-Schüler: innen“) wurden diejenigen Beobach‐ tungen notiert, die sich speziell auf die Schüler: innen mit LRS bezogen. Diese umfassen zwar ebenfalls geschlossene Kategorien, beschränken sich jedoch nicht auf einen fixen, zuvor definierten „Ereigniskatalog“, sondern beinhalten ebenso offene Beobachtungsfragen: 122 6 Methoden der Datenerhebung Verhalten in Einzelarbeits‐ phasen Dropdown-Auswahl: „S. arbeitet ruhig und konzentriert“ Sprachverwendung Dropdown-Auswahl: / Wie handelt der S.? Inwiefern beteiligt S. sich an der Unter‐ richtssituation? F. fertigt Stichworte auf Dt. auf separatem Zettel an, überträgt diese ins Frz. Wie erfolgt die Aufgabenbe‐ arbeitung bzw. Realisierung von Redebeiträgen? F. beendet Schreibprodukt in vorgegebener Zeit; nimmt Korrek‐ turen und Streichungen nach Beendigung des Texts vor → Analyse des Schreibprodukts „Ich, Elias“ Auf welche Ressourcen und Hilfsmittel wird zurückge‐ griffen? keine Nutzung von Hilfsmitteln/ Wörterbüchern, keine Fragen an Lehrkraft oder Mitschüler: innen Tab. 2: Bogen zur Unterrichtsbeobachtung II: Fokus auf LRS-Schüler: innen Die offene, leitfragenorientierte Beobachtung sollte eine möglichst unvoreingenommene Betrachtung der Schüler: innen mit LRS anregen und rückte diesen Teil der Datenerhe‐ bungen in die Nähe einer ethnographischen Beobachtung (vgl. Breidenstein 2012). Diese kennzeichnet sich durch eine offene Herangehensweise an das Themenfeld und die „Annahme der Fremdheit“ (ebd.: 30), die zu einer Distanzierung von bereits vorliegendem (Alltags-)Wissen und der bewussten Einnahme einer Beobachterrolle führen soll. Ein weiterer wichtiger Schritt bestand darin, direkt nach Abschluss einer Unterrichtsstunde die Notizen zu ergänzen bzw. zu vervollständigen (vgl. ebd.: 32 ff.). Folglich sind die im Rahmen der Hauptstudie durchgeführten Unterrichtsbeobachtungen sowohl durch Merkmale einer „gesteuerten“, d. h. vorstrukturierten und kategorisierenden, als auch einer „ungesteuerten“, d. h. offenen und induktiven Herangehensweise gekenn‐ zeichnet (vgl. Schramm/ Schwab 2016: 142). Damit soll zugleich eine explorative und ereig‐ nisoffene, aber auch zielgerichtete Beobachtung der focal students im Französischunterricht umgesetzt wie auch den Besonderheiten einer analogen Beobachtung entsprochen werden. Die systematischen Beobachtungen der Schüler: innen in ihrem Französischunterricht stellen den ersten Teil des in der vorliegenden Studie verwendeten Sets an Datenerhebungs‐ methoden dar. Sie wurden parallel zur zweiten Datenerhebungsmethode der Erfassung der Schreibprodukte aller Schüler: innen der jeweiligen Lerngruppe durchgeführt, die im Folgenden vorgestellt wird. 6.3 Erfassung von Schreibprodukten der Schüler: innen Sobald unterrichtsbezogene Produkte wie Texte von Lernenden Eingang in ein empirisches Studiendesign finden, stellt sich die grundlegende Frage, inwieweit die jeweiligen Produkte erhoben oder erfasst werden sollen (vgl. Caspari 2016: 196 f.). Das Begriffspaar bezeichnet zwei Pole eines Kontinuums, das von einer für den Forschungsanlass kreierten und gezielt gestalteten Erhebungssituation bis hin zu einer potenziellen „Natürlichkeit“ (ebd.: 197), d. h. einer unabhängig vom Forschungsanlass vorgefundenen Situation der Datenerfassung reicht. 6.3 Erfassung von Schreibprodukten der Schüler: innen 123 47 Auch hier sind - wie im Fall der Unterrichtsbeobachtung - mögliche Auswirkungen der Erhebungs‐ situation auf die Entstehung der Schreibprodukte der Schüler: innen nicht gänzlich auszuschließen (vgl. Caspari 2016: 203). 48 Derartige Ansätze berücksichtigen jedoch nicht die vielfältigen Schreibaufträge, mit denen Schüler: innen konfrontiert sind, und erfassen folglich auch nicht die Lern- und Kompensationsstra‐ tegien, die die Lernenden üblicherweise anwenden würden. Beispielsweise wählt Siemann (2016, 2020) für den Spanischunterricht die Form des Diktats, um einen Vergleich der Schreibleistungen der Schüler: innen eines Spanischkurses umsetzen zu können. Da im Rahmen der vorliegenden Studie der stattfindende Französischunterricht so wenig wie möglich durch die Forscherin beeinflusst werden sollte (vgl. Kap. 6.2), wurde eine Erfassung der Schreibprodukte der Schüler: innen angestrebt: „Die gewünschten Texte könnten in der entsprechenden (Unterrichts-)Situation genauso gut auch unabhängig von einer Forschungsabsicht entstehen.“ (ebd.: 197) 47 Folglich wurden Schreibprodukte aller Art erfasst und ausgewertet, die im Kontext des von der Lehrkraft geplanten Unterrichts‐ geschehens entstanden sind. Dazu zählen sowohl kurze Notizen als auch längere Texte der Schüler: innen, die im Unterricht selbst erstellt wurden (z. B. Tafelabschriebe, Notizen zu Unterrichtsgesprächen oder bearbeiteten Aufgaben), Schreibprodukte, die als Hausauf‐ gaben oder in Situationen der Leistungsüberprüfung entstanden sind (z. B. Vokabeltests oder Klassenarbeiten bzw. Klausuren; für eine Übersicht zu möglichen Lernertexten im Fremdsprachenunterricht vgl. Caspari 2016: 195 f.). Dieses Vorgehen hat den Vorteil, nicht nur eine Einschätzung der schülerseitigen Kompetenzen und Defizite im Bereich des (Recht-)Schreibens, sondern zugleich einen realistischen Eindruck von Formen und Funktionen des Schreibens im Französischunter‐ richt zu ermöglichen. Dies brachte allerdings mit sich, dass je nach Unterrichtskontext ganz unterschiedliche Schreibanlässe auftraten und folglich stark divergierende Schreib‐ produkte entstanden, was die Komplexität des Vergleichs zwischen den Fällen in Bezug auf die Schwierigkeiten im Bereich des (Recht-)Schreibens erhöhte. In gezielt gestalteten Erhebungssituationen hätte dies von der Forscherin stärker gesteuert werden können. 48 Die Schreibprodukte der Schüler: innen wurden direkt nach der jeweiligen Unterrichts‐ stunde mithilfe eines Tablets eingescannt und im Dateinamen mit einem entsprechenden Code versehen, sodass eine Zuordnung der Schreibprodukte eindeutig möglich war. Im Rahmen der Unterrichtsbeobachtungen konnten die nötigen „Kontextdaten“ (Caspari 2016: 202) erhoben werden, die eine angemessene Einordnung der Schreibprodukte in die jeweilige Unterrichtssituation und korrespondierende Arbeitsaufträge ermöglichten. Bei der Umsetzung der Erfassung der Schreibprodukte bestand der Vorteil, dass in der Regel die Schreibprodukte aller am Unterricht beteiligten Schüler: innen im Anschluss an die jeweilige Unterrichtsstunde eingescannt wurden. Somit konnte vermieden werden, anhand der Datenerhebungsmethoden eine Differenz zwischen den Schüler: innen zu erzeugen. Eine wesentliche Einschränkung der Datenerhebungsmethode liegt in der gewählten Produktperspektive auf die Schreibleistungen der Schüler: innen: Mit introspektiven Ver‐ fahren wie dem „Lauten Denken“ stehen in der Fremdsprachenforschung Methoden zur Verfügung, die über die Verbalisierung einzelner Verarbeitungsschritte eine Analyse der Prozessebenen (nicht nur) des Schreibens ermöglichen. Diese sind jedoch mit einem hohen Vorbereitungs- und Durchführungsaufwand verbunden und können nur im Rahmen 124 6 Methoden der Datenerhebung einer Erhebungssituation umgesetzt werden, die in dieser Form im Französischunterricht sonst nicht präsent wäre. Dies hätte Umfang und Zielsetzung der vorliegenden Studie nicht entsprochen (vgl. Heine/ Schramm 2007: 177 ff.). Darüber hinaus war zu befürchten, dass die Umsetzung introspektiver Ansätze in Bezug auf das (Recht-)Schreiben gerade Schüler: innen mit LRS an ihre Grenzen führen würde, denn Einschränkungen im Bereich der metakognitiven Bewusstheit gelten als potenzielles Symptom bei LRS (vgl. Gerlach 2019 a : 29). Anhand der Unterrichtsbeobachtungen können jedoch zumindest einzelne, hochinferente Dimensionen der Schreibprozesse wie z. B. der Rückgriff auf Hilfsmittel, die benötigte Bearbeitungszeit, schülerseitige Fragen an Lehrkräfte oder die Kooperation mit Mitschüler: innen in die Analyse der Schreibprodukte einbezogen werden. 6.4 Schülerinterviews Die leitfadengestützten Schülerinterviews bildeten den Abschluss der jeweiligen Datener‐ hebung und wurden ausschließlich mit den von LRS betroffenen Lernenden - und keinen weiteren Schüler: innen - durchgeführt. Während die Unterrichtsbeobachtungen und die Erfassung der Schreibprodukte der Schüler: innen als wenig invasive Datenerhebungsme‐ thoden konzipiert wurden und möglichst ohne (gezielte) Eingriffe der Forscherin in den Lehr-Lern-Kontext des Französischunterrichts auskommen sollten (vgl. Kap. 6.2 & 6.3), stellten die Interviews eine bewusst gestaltete Erhebungssituation dar, die per Audioauf‐ nahme aufgezeichnet wurde. Die Interviews werden im Folgenden als „leitfadengestützt“ bezeichnet, da ihnen „ein Leitfaden, in dem Fragen oder Stichworte für Fragen festgehalten sind“ (Helfferich 2011: 36), zugrunde liegt. Der Leitfaden bietet bei der Durchführung der Interviews eine inhaltliche und sprachliche Orientierung und erleichtert so einen Vergleich der Interviews, da bestimmte Aspekte wie beispielsweise die Fragen nach den Beweggründen für die Wahl des Französischen als zweite Fremdsprache, nach (Miss-)Er‐ folgserlebnissen beim Französischlernen oder den empfundenen Auswirkungen von LRS in allen Interviews thematisiert wurden (vgl. Kap. 6.4.2). Der Interviewleitfaden wurde primär theoriegeleitet entwickelt und um im Rahmen der Pilotierungen identifizierte Aspekte empiriegestützt ergänzt, wie auch Friebertshäuser und Langer (2013: 439) vorschlagen: Bei Leitfaden-Interviews begrenzen die Fragen den Horizont möglicher Antworten und struktu‐ rieren die Befragung. Leitfaden-Interviews setzen ein Vorverständnis des Untersuchungsgegen‐ standes auf Seiten der Forschenden voraus, denn das Erkenntnisinteresse richtet sich in der Regel auf vorab bereits als relevant ermittelte Themenkomplexe. Deren Bedeutung kann sich aus Theorien, eigenen theoretischen Vorüberlegungen, bereits vorliegenden Untersuchungen, ersten eigenen empirischen Befunden oder eigener Kenntnis des Feldes ableiten. […] Der Leitfaden kann auch dazu dienen, Ergebnisse verschiedener Einzelinterviews vergleichen zu können. Dennoch wurde der Interviewleitfaden so angelegt, dass er viel Raum für inhaltliche Schwerpunktsetzungen der Interviewpartner: innen eröffnete, z. B. indem offene, erzählge‐ nerierende Fragen gestellt wurden, die Reihenfolge der Fragen flexibel handhabbar war und am Ende der Interviews Raum für Ergänzungen und Fragen seitens der Schüler: innen eingeplant wurde. Die Hauptfragen der thematisch orientierten Interviewblöcke sind im 6.4 Schülerinterviews 125 49 Neben dem „Fairness-Dilemma“ benennt Hermanns (2017: 361) das „Dilemma der Vagheit“, das die Diskrepanz zwischen unklaren methodischen Anforderungen an die Interviewgestaltung und dem Anspruch, „einen wesentlichen Beitrag zur Forschungsfragestellung zu leisten“, bezeichnet. Zudem können Interviewer: innen in ein „Dilemma der Selbstrepräsentation“ gelangen: „Um sein Interview gut zu führen, kann er [der Interviewer] sich nicht so wissend und kenntnisreich zeigen, wie er zu sein glaubt.“ 50 Da hierin ein wichtiger forschungsethischer Grundsatz liegt, verdeutlicht dies ein entsprechender Passus auch in der Einverständniserklärung zur Studienteilnahme. Auch wenn im Rahmen der Studie letztlich keine Forschungspartner: innen von der Interviewteilnahme zurückgetreten sind, hat es jedoch teilweise mehrerer Anläufe bedurft, bis Einzelne zu dem verabredeten Interviewtermin tatsächlich erschienen. Anhang der vorliegenden Arbeit abgedruckt (vgl. Anhang „Leitfaden für die Schülerinter‐ views“). Die Positionierung der Schülerinterviews am Ende der jeweiligen Datenerhebungen er‐ möglichte sowohl den Französischlernenden als auch der Forscherin, im Gesprächsverlauf explizit auf die getätigten Unterrichtsbeobachtungen und die entstandenen Schreibpro‐ dukte Bezug zu nehmen. Die Interviews beinhalten folglich retrospektive Elemente, auch wenn kein Rückbezug zum Unterrichtsgeschehen anhand von Audio- oder Videosequenzen im Sinne eines stimulated recall erfolgt. Außerdem sollten die LRS der jeweiligen Lernenden bewusst erst am Ende der Datenerhebungen im Rahmen der Interviews explizit themati‐ siert werden, damit eventuelle Rückwirkungen auf die Unterrichtsbeobachtungen bzw. Gestaltung der Schreibprodukte möglichst reduziert werden. Somit dienten die Interviews zugleich dem Rückzug der Forscherin aus dem Forschungsfeld (vgl. Kap.-5.3.1). 6.4.1 Spezifika der Interviewsituation Unabhängig von Interviewtyp und genauem Erhebungskontext müssen die Inter‐ viewer: innen die von Hermanns (2017: 361) als „Fairness-Dilemma“ 49 bezeichnete Schwie‐ rigkeit lösen, zwischen einer empathischen Haltung gegenüber den Interviewpartner: innen und einem investigativen, professionell-distanzierten Anspruch der Interviewgestaltung zu vermitteln: „Der Aufgabe und dem inhaltlichen Interesse des Interviewers, möglichst viel und Persönliches von der Interviewpartnerin zu erfahren, steht der Anspruch nach respektvollem Umgang mit der Gesprächspartnerin gegenüber.“ (ebd.) Im Rahmen der vorliegenden Studie bestand zudem eine besondere Herausforderung darin, nicht nur den spezifischen Anforderungen einer Gesprächssituation mit Kindern bzw. Jugendlichen im Alter von 12-18 Jahren gerecht zu werden (vgl. Reinders 2012; T. Trautmann 2010), sondern auch mit der nötigen Sensibilität und Rücksichtnahme auf das womöglich negativ besetzte Thema der LRS einzugehen (vgl. dazu die Leitlinien in Melville/ Hincks 2016). Diese Aspekte wurden wie folgt berücksichtigt: Sobald sich der Abschluss der Unterrichtsbeobachtungen näherte, wurden die jeweiligen Schüler: innen auf das durchzuführende Interview ange‐ sprochen. Auch wenn vor Beginn der Studie die Bereitschaft der Lernenden zur Teilnahme an einem abschließenden Interview bereits geklärt worden war, bestand weiterhin jederzeit die Möglichkeit, auch ohne Begründung aus der Studie auszusteigen (vgl. ebd.: 3). 50 Eine Besonderheit der Interviewsituation bestand für die Schüler: innen darin, dass diese sich nun erstmals in eine Face-to-Face-Situation mit der Forscherin begeben sollten, 126 6 Methoden der Datenerhebung 51 Dieses kann den Interessen der Forscherin auch entgegenstehen, z. B. wenn ein Ort mit hohem Geräuschpegel für die Durchführung des Interviews gewählt wird. in der weder Lehrkraft noch Mitschüler: innen anwesend waren und im Rahmen derer ihre LRS explizit thematisiert werden sollten. Hier lag ein wesentlicher Unterschied zu den vorherigen Datenerhebungsmethoden und folglich war das Risiko eines vorzeitigen Ausstiegs der Forschungspartner: innen aus der Studie zu diesem Zeitpunkt besonders hoch. Dementsprechend wurden die Lernenden möglichst unter vier Augen auf das zu verabredende Interview angesprochen. Durch die Vertraulichkeit der Situation sollte einer möglichen Exponierung vor Klassenkamerad: innen bzw. für das Forschungsanliegen kontraproduktiven „sozialen Zwängen“ durch Peers vorgebeugt werden (Warum musst nur du denn jetzt noch bei dem Interview mitmachen? ). Weiterhin konnten die Schüler: innen Zeit und Ort des Interviews selbst bestimmen. So sollte die Möglichkeit geschaffen werden, ein möglichst angenehmes Interviewsetting auszuwählen und umgebungsbedingte Unsi‐ cherheiten abzufedern. 51 Zudem wurde die Art der Gesprächsführung an die spezifischen Gegebenheiten der Interviewsituation angepasst, wie im Folgenden erläutert wird. 6.4.2 Strategien der Gesprächsführung Um eine geschützte Gesprächsatmosphäre zu vermitteln, wurden zu Beginn des jeweiligen Interviews zunächst die Durchführungs- und Datenschutzmodalitäten in Erinnerung ge‐ rufen, um die Freiwilligkeit der Teilnahme an dem Interview erneut zu betonen. Im schu‐ lischen Kontext erschien angemessen, dezidiert darauf hinzuweisen, dass keine Bewertung der von den jeweiligen Interviewpartner: innen getätigten Aussagen erfolgt, diese in keiner Weise an eine zukünftige Leistungsbewertung gekoppelt sind und der jeweiligen Lehrkraft keine Rückmeldung über die Inhalte des Schülerinterviews gegeben wird. So wurden die Gesprächspartner: innen zu einem möglichst ausführlichen und offenen Antwortverhalten ermutigt, das individuelle inhaltliche Schwerpunktsetzungen ermöglichen sollte. Der Ein‐ stieg in das Interview erfolgte über eine offen formulierte „inhaltliche Warming-up-Frage“ bzw. „Eisbrecherfrage“ (Kruse 2015: 219): „Du lernst nun seit […] Jahren Französisch. Wenn du auf deinen Französischunterricht und dein Französischlernen zurückblickst, wie war das für dich? Erzähle mir doch bitte von deinen Erfahrungen.“ Der Verweis auf die bislang absolvierten Lernjahre leitete das Gespräch thematisch ein und bahnte eine „kommunika‐ tive Vertrauensbeziehung“ (ebd.) zwischen Interviewerin und Interviewpartner: in an. Des Weiteren sollte anhand der narrativ orientierten Erzählaufforderung eine „Spontan- oder Stegreiferzählung“ (Helfferich 2011: 36) der Interviewten evoziert und so „die Möglichkeit zur eigenstrukturierten Positionierung und Thematisierung“ (Kruse 2015: 213) eingeräumt werden. Zugleich wurde über die Referenz auf den Gesamtzeitraum des Französischlernens die Prozessperspektive des Erzählens in den Fokus gerückt und Raum für individuelle Schwerpunktsetzungen auch hinsichtlich der Chronologie der erzählten Episoden eröffnet. Der einleitenden Warming-up-Frage folgten dann thematische Blöcke, die jeweils aus einer erzählgenerierenden Hauptfrage und anschließenden immanenten bzw. exmanenten Nachfragen bestanden, d. h. Fragen, die sich auf das bereits Erzählte beziehen bzw. zuvor identifizierte Aspekte abfragen (vgl. Küsters 2006: 13 f.) und bei Bedarf gestellt 6.4 Schülerinterviews 127 werden können. Zugleich wurde versucht, eine Rückbindung an konkrete Situationen und die Schilderung von Beispielen zu evozieren, um einer Gefahr des „Abschweifens“ bzw. Verallgemeinerungen vorzubeugen. Dies verdeutlicht beispielsweise Frage (9) zur außerschulischen Relevanz der französischen Sprache für die Schüler: innen: Ich würde gerne noch einmal darauf zu sprechen kommen, wie du dich außerhalb der Schule mit der französischen Sprache beschäftigst. Welche Berührungspunkte gibt es im Alltag für dich mit der französischen Sprache? Mögliche Nachfragen: --Bist du schon mal im französischsprachigen Ausland gewesen? --Kannst du dir vorstellen, mal nach Frankreich zu fahren? --Fällt dir sonst noch was hierzu ein? Wie ging es dann weiter? --Du hast […] erwähnt. Könntest du mir noch mehr darüber erzählen? --Kannst du dich an eine (weitere) Situation erinnern, in der dies der Fall war? --Könntest du mir ein Beispiel dafür nennen? Die Frageblöcke strukturieren das Interview thematisch vor, können während der Inter‐ views jedoch flexibel eingesetzt werden. Um dem Risiko einer „Leitfadenbürokratie“ (vgl. Hopf 2017 b : 358), d. h. einem starren Abarbeiten der jeweiligen Leitfragen in der Interview‐ praxis vorzubeugen, wurde bei der Durchführung der Interviews auf eine Nummerierung der thematischen Blöcke verzichtet und diese jeweils auf kleineren Zetteln ausgedruckt, die während des Interviews variabel eingesetzt werden konnten. Dieses Vorgehen sollte an den Gesprächsverlauf adaptierte Fragestellungen befördern, erforderte jedoch zugleich eine noch höhere Konzentration bzw. sehr aktives Zuhören in der Interviewsituation. Die entwickelte Gesprächsstrategie sieht vor, im ersten Teil der Interviews z. B. mit Fragen zu dem Erleben des Französischunterrichts, der Motivation für die Wahl des Fachs oder Berührungspunkten mit dem Französischen im Alltag zu beginnen. Erst wenn diese potenziell weniger sensiblen Aspekte thematisiert wurden, sollte - sofern die Interviewpartner: innen das Gespräch nicht von sich aus darauf lenkten - im zweiten Teil des Interviews explizit auf die LRS der Schüler: innen eingegangen werden. Dies ermöglichte zudem einen Blick auf die individuellen Zeitpunkte bzw. Erwähnungskontexte der LRS durch die Schüler: innen selbst. Auf sprachlicher Ebene wurde anhand von Abtönungspartikeln wie denn, vielleicht, eigentlich, mal etc. und Konjunktiven angestrebt, „dass die formulierten Fragen bzw. Stimuli an Direktheit oder Schärfe verlieren, oder sie eine Vagheit aufbauen, die eine positive ‚Verfänglichkeit‘ auf die Textproduktion der Erzählperson nach sich zieht.“ (Kruse 2015: 217 f.) Zudem wurde darauf geachtet, sensible Aspekte stets vorsichtig zu formulieren und alle Arten von Wertungen zu vermeiden, ohne den expliziten Aufforderungscharakter der Erzählimpulse zu stark abzuschwächen. Dieser Eröffnung des zweiten Interviewteils folgten z. B. Frageblöcke zu LRS im Alltag, in der Schule, in den (fremd-)sprachlichen Fächern, zu den Teilkompetenzen des Lesens und des Schreibens, zu Leistungsüberprüfungen und Unterstützungssystemen im Kontext des Französischlernens. Am Schluss der Interviews wurde den Schüler: innen die Möglichkeit gegeben, ihrerseits relevante Aspekte und Themen anzusprechen, die im Verlauf des Interviews nicht oder nur unzureichend zur Sprache kamen. Vor dem Hintergrund der vorgestellten Verfahren der Datenerhebung werden im Folgenden die gewählten Methoden der Datenanalyse und -auswertung präsentiert. 128 6 Methoden der Datenerhebung 52 Beispielsweise können die Kriterien der „Transparenz“ und der „intersubjektiven Nachvollziehbarkeit“ durch eine klare Darlegung der Vorgehensweise bei der Analyse des Materials und der Kategorienbildung erfüllt werden. 7 Datenanalyse und -auswertung Im Folgenden werden die Schritte der Datenauswertung bzw. der Präsentation der Analy‐ seergebnisse dargestellt. Dazu zählt, welche datentypspezifischen bzw. -übergreifenden Auswertungsmethoden zur Anwendung kamen und anhand welcher Kriterien diejenigen Fälle ausgewählt wurden, die einer genauen Analyse unterzogen wurden („Sampling“, vgl. Grum/ Legutke 2016). 7.1 Begründung der Auswertungsverfahren So wie die Datenerhebungsmethoden einen zielgerichteten empirischen Zugriff auf die For‐ schungsfragen ermöglichen sollten, müssen auch die Datenauswertungsmethoden gegenüber den Fragestellungen der Arbeit und der Beschaffenheit der Datensätze gegenstandsangemessen sein. Es bedarf also solcher Auswertungsmethoden, die mit den Zielsetzungen einer qualitativexplorativen Studie vereinbar sind und das Maximum an Erkenntnissen aus den jeweiligen Datentypen extrahieren können. Weiterhin sollten die Auswertungsmethoden nicht nur eine differenzierte Analyse der einzelnen Fälle ermöglichen, sondern ebenfalls Zusammenhänge und Abweichungen zwischen den Fällen systematisch aufdecken und auch bei größeren, inhaltlich komplexen Datenmengen praktikabel sein. Für diese Zielsetzungen eignet sich in besonderem Maße die qualitative Inhaltsanalyse, welche in der empirischen Fremdsprachenforschung ein etabliertes Analyseinstrument darstellt (vgl. Aguado 2013; Burwitz-Melzer/ Steininger 2016). Im Rahmen der vorliegenden Studie wird sie für die Auswertung der Beobachtungssowie der Interviewdaten genutzt, was im Folgenden genauer begründet wird. Vorteile der qualitativen Inhaltsanalyse bestehen in einem systematischen, methodisch kontrollierten und regelgeleiteten Vorgehen, das an die Gütekriterien qualitativer Forschung rückgebunden und zugleich flexibel auf verschiedene Datentypen angewandt werden kann. 52 Als weitere Stärke der Methode sind Zusammenfassung, übergreifende Strukturierung bzw. Re‐ duktion des Datenmaterials zu nennen, die es erst ermöglicht, der ganzen Breite der erhobenen Daten gerecht zu werden. Zudem lässt sich die qualitative Inhaltsanalyse mit quantifizierenden Analyseschritten kombinieren, z. B. indem über eine kategorienbasierte Häufigkeitsauswertung in den Interviews Rückschlüsse auf die Relevanz bestimmter Themen für die Schüler: innen gezogen werden können (vgl. Kap.-7.2; Mayring 2017: 474). Natürlich kann die qualitative Inhaltsanalyse im Vergleich zu anderen Auswertungsme‐ thoden auch Nachteile mit sich bringen, die an dieser Stelle reflektiert werden sollen: Wie Aguado (2013: 126 ff.) erläutert, wird der qualitativen Inhaltsanalyse oftmals vorgeworfen, einen starken Fokus auf den „propositionalen Gehalt des Textes“ (ebd.: 126) zu legen. Gerade die zusammenfassende Inhaltsanalyse laufe somit Gefahr, „latente Sinnstrukturen“ oder die „konnotativen Bedeutungen“ (ebd.) von Texten nicht oder nur unzureichend zu erfassen. Dem soll im Kontext der vorliegenden Datenauswertung dadurch entgegengewirkt werden, dass eine deduktive mit einer induktiven Kategorienbildung kombiniert wird (s. u.) und auch die Erstellung von „In-vivo-Codes“ (Hülst 2013: 286) vorgesehen ist, um die Originalität der Innensicht von Schüler: innen im Fall der Interviews bestmöglich zu repräsentieren. Darauf ist auch die Wahl des Transkriptionssystems ausgerichtet (vgl. Kap. 7.1.2). Überdies weist Mayring (2017: 469) darauf hin, dass die Vorbehalte gegenüber der qualitativen Inhaltsanalyse sich oftmals noch auf die Ursprünge der Methode beziehen, im Rahmen derer vorrangig quantitative Inhaltsanalysen zuungunsten einer inhaltlichen Analyse vollzogen wurden. Da sich Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse in den vergangenen Jahrzehnten stark ausdifferenziert haben (als Überblick vgl. Schreier 2014), muss zunächst präzisiert werden, welche Art von Inhaltsanalyse konkret vorgenommen wird. Für die vorliegenden Datensätze der Unterrichtsbeobachtungen und Interviews wurde auf die „inhaltlich struk‐ turierende qualitative Inhaltsanalyse“ nach Kuckartz (2018: 97 ff., im Folgenden: ISQA) zurückgegriffen, die Schreier (2014, o.S.) auch als „Kern der Inhaltsanalyse“ bezeichnet. Diese sieht ein „mehrstufiges Verfahren der Kategorienbildung und Codierung“ (ebd.: 97) vor, für das eine Kombination von deduktiver Kategorienbildung, d. h. einer theoriegelei‐ teten Top-down-Analyse, und induktiver Kategorienbildung, d. h. einer datenbasierten Bottom-up-Analyse, charakteristisch ist. Folgendes Schema verdeutlicht die einzelnen Schritte, die bei Anwendung einer ISQA vollzogen werden: Abb. 9: Ablaufschema einer inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018: 100) 130 7 Datenanalyse und -auswertung 53 Ein ähnliches, wenn auch in Bezug auf die Datentypen umgekehrtes Vorgehen findet sich beispiels‐ weise bei Miede (2019: 71): Hier wird eine umfassende Kodierung der Unterrichtsbeobachtungen vorgenommen; die Interviewdaten werden mithilfe eines „Kommentarsystems“ auf die Bebachtungs‐ daten rückbezogen. Da sich die konkrete Umsetzung der ISQA in Bezug auf die Beobachtungsdaten und die Schülerinterviews unterscheidet, wird die Analyse dieser beiden Datentypen in separaten Unterkapiteln betrachtet. Denn wie Kuckartz (2018: 95) verdeutlicht, stellt bereits die Bildung der Kategoriensysteme eine zentrale Analyseleistung dar, die im Rahmen des Forschungsberichts erläutert und reflektiert werden sollte. Anschließend wird der gewählte fehleranalytische Zugang zu den Schreibprodukten der Schüler: innen vorgestellt (vgl. Kap.-7.1.3). 7.1.1 Unterrichtsbeobachtungen Die Auswertung der Unterrichtsbeobachtungen folgte einer anderen Logik als die Aus‐ wertung der Schülerinterviews, da aufgrund der analogen, d. h. nicht audio- oder video‐ graphisch gestützten Beobachtungsform keine wiederholte Betrachtung der Unterrichts‐ stunden möglich war. Zudem unterscheiden sich die Zielsetzungen, die mit den beiden Datentypen verbunden werden: Die Beobachtungsdaten dienen vorrangig der Schaffung eines Gesamteindrucks des Schülerverhaltens und der fremdsprachlichen Performanz sowie der Erhebung des Unterrichtskontexts, der sowohl für die Vorbereitung der Schü‐ lerinterviews als auch die kontextualisierte Analyse der Schülertexte unabdingbar war. Eine präzise Analyse fremdsprachlicher Interaktionen oder der Lernersprache, wie sie beispielweise bei Miede (2019) für die Teilkompetenz des Sprechens im Englischunterricht der Sek. II nachzuvollziehen ist, wurde hingegen nicht angestrebt. Folglich wurden für die Beobachtungs- und die Interviewdaten zwei separate Kategoriensysteme entwickelt. Vor dem Hintergrund der fehlenden Iteration der Beobachtungen mussten bereits vor der Datenerhebung Beobachtungschwerpunkte klar definiert und teilweise geschlossene bzw. vorstrukturierte Kategorien festgelegt werden, die im Sinne der „kodierende[n] Be‐ obachtung“ (Pauli 2012: 47 f.) während des Unterrichts ausgewählt wurden (vgl. Kap. 6.2.2). Dieses Vorgehen bringt mit sich, dass über die Zuordnung bestimmter Beobachtungs‐ aspekte zu vorformulierten Kategorien erste Datenanalyseschritte bereits während der Datenerhebung erfolgten. Entsprechende Beobachtungskategorien, die zugleich Auswer‐ tungskategorien darstellen, sind innerhalb des Kategoriensystems zur Auswertung der Unterrichtsbeobachtungen mit * markiert (vgl. Anhang „Beobachtungs- und Kategorien‐ system zur Auswertung des Französischunterrichts“ bzw. Kap.-6.2.2). Im Fall der offenen Beobachtungsfragen wurden vor dem Hintergrund der formulierten Forschungsfragen (vgl. Kap.-5.1) bei der Auswertung der Beobachtungsdaten die Teilkom‐ petenzen des Lesens und des Schreibens in Unterrichtssituationen und bei Leistungsüber‐ prüfungen besonders fokussiert. Hier erfolgte die Kategorienbildung erst nach der Daten‐ erhebung. Diese wurde in enger Orientierung an dem oben vorgestellten Verfahren der ISQA vollzogen. Die gebildeten Kategorien entfalteten im Sinne einer Strukturierung und Reduktion des Datenmaterials eine wichtige Orientierungsfunktion, um analyserelevante Unterrichtssituationen zu identifizieren. 53 Da die Beobachtungsdaten wesentliche Kontext‐ 7.1 Begründung der Auswertungsverfahren 131 54 Kowal und O’Connell (2017: 440) verweisen auf die Differenzierung von „Primärdaten (dem Originalgespräch)“, „Sekundärdaten (den Audiobzw. Videoaufnahmen des Gesprächs)“ und „Ter‐ tiärdaten (dem Transkript des Gesprächs auf der Grundlage von Audio- oder Videoaufnahmen)“. informationen zu einer angemessenen Einbettung der Schreibprodukte in die jeweiligen Unterrichtsabläufe liefern, war die computergestützte Datenauswertung an dieser Stelle von besonderem Vorteil, denn genutzte Materialien und erfasste Schreibprodukte konnten direkt in dem Analyseprogramm MAXQDA verlinkt werden. Das vollständige Beobach‐ tungs- und Kategoriensystem zur Analyse der analogen Unterrichtsbeobachtungen findet sich im Anhang dieser Arbeit (vgl. Anhang „Beobachtungs- und Kategoriensystem zur Auswertung des Französischunterrichts“). 7.1.2 Schülerinterviews In Abgrenzung zu den Unterrichtsbeobachtungen liegt mit den Schülerinterviews ein Datentyp vor, dessen Analyse aufgrund der Aufzeichnung als Audiodateien iterativ möglich ist. Dazu wurden die Tondokumente zunächst vollständig transkribiert und die vorliegenden Sekundärin Tertiärdaten überführt (vgl. Kowal/ O’Connell 2017: 440). 54 Die Übertragung der Audiodaten in eine schriftliche Form bringt zwangsläufig Selektions- und Reduktionsprozesse mit sich (vgl. Dresing/ Pehl 2010: 726). Im Fall der vorliegenden Studie wurden die Schülerinterviews vollständig, wörtlich und gemäß den Regeln der Standardorthographie transkribiert. Spezifische Merkmale gesprochener Sprache wie z. B. der Wegfall von Endlauten oder dialektale Besonderheiten wurden nicht in die Verschriftungen aufgenommen, denn „es sollten nur solche Merkmale des Gesprächsverhaltens transkribiert werden, die auch tatsächlich analysiert werden.“ (Kowal/ O’Connell 2017: 444). Dazu zählen Merkmale wie ein Stottern der Schüler: innen und Wortbzw. Satzabbrüche (markiert mit: / ), Pausen (dargestellt durch: (…)) oder eine besondere Betonung (dargestellt durch Unterstreichung). Anhand der Erfassung we‐ sentlicher parasprachlicher bzw. pragmalinguistischer Charakteristika der Redebeiträge sollen nicht nur die inhaltliche Ebene des Gesagten, sondern auch wesentliche Aspekte der Art und Weise, wie die Forschungspartner: innen beispielsweise ihr Französischlernen schildern, abgebildet werden. Bereits die Transkription des Gesagten stellt also eine Auseinandersetzung nicht nur mit sprachlichen, sondern de facto auch mit inhaltlichen Aspekten der Texte dar und bildet den Auftakt der „initiierenden Textarbeit“ (Kuckartz 2018: 101), den die ISQA vorsieht. Folglich wurde zu Beginn der Datenanalyse zunächst eine möglichst offene Ausei‐ nandersetzung mit dem vorliegenden Datenmaterial angestrebt, indem die Interview‐ transkripte mehrfach vollständig gelesen wurden. Dabei wurden inhaltliche Merkmale wie Schlüsselbegriffe, Sinnabschnitte oder unverständliche Passagen bzw. sprachliche Besonderheiten wie registerspezifische oder bildhafte Ausdrücke als Notizen in Form von „Memos“ in das Analyseprogramm MAXQDA eingespeist. Wie Kuckartz (2018: 58) präzisiert, sind unter Memos sowohl „kurze Notizen“ als auch „reflektierte inhaltliche Vermerke“ zu verstehen, „die wichtige Bausteine auf dem Weg zum Forschungsbericht darstellen können“, denn sie ermöglichen das möglichst unvoreingenommene Festhalten 132 7 Datenanalyse und -auswertung 55 Die In-vivo-Kodes werden ebenfalls im Rahmen der grounded theory eingesetzt. In MAXQDA (und anderen Analyseprogrammen) können sie direkt per Klick auf die Textstelle generiert werden (vgl. Rädiker/ Kuckartz 2019: 5 f.). von Eindrücken, Ideen und Hypothesen, die bei der ersten Auseinandersetzung mit dem Datenmaterial entstehen. Nach diesem Schritt wurden die thematischen Hauptkategorien, deren Entwicklung die ISQA auf Basis der Forschungsfragen bzw. des theoretischen Bezugsrahmens vorsieht (vgl. Kuckartz 2018: 101 f.), an das Interviewmaterial herangetragen. Konkret diente der bei der Datenerhebung eingesetzte Interviewleitfaden der Formulierung deduktiver Hauptka‐ tegorien der Interviewauswertung (vgl. ebd.: 72). Diese „werden zunächst einmal auf ihr Vorkommen im Datenmaterial überprüft und ggf. verifiziert oder falsifiziert“ (Aguado 2013: 132) sowie datengeleitet ergänzt, reduziert oder zusammengeführt. Entsprechende Textstellen wurden diesen Kategorien dann (vorläufig) zugeordnet, wodurch eine erste Strukturierung des Interviewmaterials entstand. Anschließend wurden die mit derselben Hauptkategorie kodierten Textstellen zusammengestellt und en bloc gesichtet, um eine Bestimmung von Subkategorien direkt am Material vornehmen zu können (vgl. Kuckartz 2018: 91). Dies stellt den induktiven Part der ISQA dar (vgl. ebd.: 106 ff.), der durch seine Nähe zu den Originaldokumenten dem Gütekriterium der Offenheit qualitativer Forschung sehr entgegenkommt und gemeinsam mit der deduktiven Kodierung ein methodisch integriertes Vorgehen bildet: […] es handelt sich bei dieser integrierten Analyse um einen dynamischen, iterativen Prozess zur Bildung von theorie- und empiriegeleitet ermittelten und rekursiv am Datenmaterial überprüften Kategorien zur optimalen Beschreibung und Erklärung eines Gegenstands bzw. zur Beantwortung der eingangs aus dem Erkenntnisinteresse abgeleiteten Forschungsfragen. (Aguado 2013: 132) Um den Schüler: innen an besonders prägnanten Interviewstellen eine authentische Stimme zu verleihen, wurde zudem auf „In-vivo-Codes“ (Hülst 2013: 286) zurückgegriffen, d. h., die von den Forschungspartner: innen verwendete Begrifflichkeit wurde bei der Generie‐ rung neuer Unterkategorien beibehalten. 55 Dies kann exemplarisch an der Kategorie „10. Verbalisierung von Emotionen“ veranschaulicht werden (vgl. Anhang „Kategoriensystem zur Auswertung der Schülerinterviews“), die die Integration theorie- und empiriegeleiteter Analyseaspekte besonders gut verdeutlicht: 7.1 Begründung der Auswertungsverfahren 133 Abb. 10: Auszug aus dem Kategoriensystem zur Inhaltsanalyse der Schülerinterviews Während die vier Kategorien der „positiv-(de)aktivierenden“ bzw. „negativ-(de)aktivier‐ enden“ Emotionen auf Basis der Forschungsliteratur zu Emotionen in Lehr-Lern-Kontexten formuliert wurden (vgl. Götz et al. 2007: 15), wurden die jeweiligen Subkategorien teil‐ weise im Wortlaut direkt aus den Schülerinterviews generiert (siehe Markierung mit *). Dieses Vorgehen ermöglicht eine differenzierte Darstellung des subjektiven Erlebens der Lernenden in Auseinandersetzung mit dem Französischen als Fremdsprache im Schul‐ kontext und veranschaulicht, dass theoriegeleitet entwickelte Kategorien nicht immer der Überprüfung am empirischen Material standhalten (siehe die Nullkategorie: „positivaktivierende Emotionen“). An anderen Stellen wurde ein resümierendes Vorgehen bei der Kategorienbildung gewählt, das einzelne inhaltliche Aspekte der Schüleräußerungen zu übergeordneten Zusammenhängen gruppiert: Die Subkategorie „psychosomatische Stressreaktionen“ umfasst beispielsweise schülerseitige Äußerungen zu zittrigen Händen oder dem Umherrutschen auf dem Stuhl. Für die Fertigstellung des Kategoriensystems ist entscheidend, dass die Kategorien „zu‐ gleich genau, disjunkt und exhaustiv“ (Aguado 2013: 133) sind, d. h. präzise die relevanten inhaltlichen Aspekte erfassen, ohne redundant oder reduktionistisch zu sein. Wie auch Kuckartz (2018: 105) vorschlägt, wurde die Zuverlässigkeit des Kategoriensystems über eine Zusammenarbeit in einem Forschungstandem überprüft, d. h., eine weitere Dokto‐ randin aus dem Gießener Forschungskolloquium „Fremdsprachendidaktik & Sprachlehr‐ forschung“ hat Auszüge des Interviewmaterials anhand des Kategoriensystems ebenfalls kodiert. Dies diente der Identifikation und Diskussion unklarer bzw. ambivalenter Aspekte und konnte zu einer Rückversicherung und „intersubjektiven Nachvollziehbarkeit“ (Steinke 2017: 324 ff.) der Analyseergebnisse beitragen. Abschließend wurde eine Kodierung des gesamten Materials anhand des finalen Kategoriensystems vorgenommen. 134 7 Datenanalyse und -auswertung 7.1.3 Schreibprodukte Bei der Auswertung der Schreibprodukte der Schüler: innen stellte sich - analog zu den theoretischen Betrachtungen zur Fehleranalyse und -korrektur (vgl. Kap. 2.3.2.3 bzw. Kap. 2.3.2.4) - die Frage, welche sprachlichen und/ oder inhaltlichen Analysekriterien angelegt werden sollten. Gemäß der Grundausrichtung der Studie, so nah wie möglich an der Innensicht und dem Alltagswissen der Forschungspartner: innen zu bleiben, erscheint es sinnvoll, zum einen diejenigen Analysebzw. Korrekturkriterien einzubeziehen, die von der jeweiligen Lehrkraft in ihrem Französischunterricht umgesetzt werden. Hier stellen sich u. a. die Fragen, welche Positionierung innerhalb des skizzierten schulischen Spannungsfelds von orthographischer Norm versus Verständlichkeit einer schriftlichen Äußerung erfolgt und in welche Relation Rechtschreibfehler zu anderen Fehlerkategorien (wie Grammatik, Lexik oder Stil) gesetzt werden. Zum anderen liegt es nahe, sprachstruk‐ turelle Kriterien in die Analyse einzubeziehen, die einen fallübergreifenden Vergleich auftretender Schwierigkeiten ermöglichen. Hier wird ein integrativer Ansatz quantitativer und qualitativer Analysekriterien gewählt, d. h. nicht nur der Frage nachgegangen, wie viele Fehler in welchem schriftsprachlichen Kontext gemacht werden, sondern auch eruiert, welche Art von Fehlern gemacht wird bzw. welche Rolle diese im Sprachsystem und damit für eine gelingende Kommunikation spielen. Dabei wird die Fehleranalyse an die verschiedenen Schreibanlässe und die damit einhergehenden spezifischen Anforderungen an Französischlernende rückgebunden (Kap. 2.2.3). - 7.1.3.1 Quantifizierende Analyse der Teilkorpora Um eine zahlenbasierte Auswertung der jeweiligen Teilkorpora der Schüler: innen vor‐ nehmen zu können, bedarf es zunächst der fallübergreifenden Festlegung von Regeln für die Zählung der geschriebenen Wörter. Als Gesamtkorpus werden im Folgenden die Schreibprodukte aller Schüler: innen verstanden, die im Rahmen der Beobachtung einer Lerngruppe erhoben wurden. Als Teilkorpus werden die jeweiligen Schreibprodukte einer Schülerin bzw. eines Schülers bezeichnet. Folgende Zählweise wurde umgesetzt: • Es wurden nur französische Wörter gezählt; anderssprachige Wörter oder Ziffern wurden nicht einbezogen. • Ein graphischer Wortbegriff wurde zugunsten eines linguistischen Wortbegriffs zu‐ rückgestellt, d. h., Mehrwortlexeme wie frz. grands-parents ‚Großeltern‘ oder frz. aujourd’hui ‚heute‘ werden als ein Wort gezählt. • Zusammengezogene Ausdrücke bzw. Elisionen wie s’il oder qu’elle werden jedoch als zwei Wörter gezählt, da sie aus sprachökonomischen Gründen verbunden werden, aber separate Bedeutungseinheiten darstellen. Analog zu gängigen Systemen der Fehlerkorrektur im Bereich schriftlicher Schülertexte (z. B. Nieweler 2017: 313) wird die Dimension der sprachlichen Korrektheit entlang der Großkategorien „Lexik“, „Grammatik“ und „Orthographie“ bemessen. Für die Fehlerzäh‐ lung wurden folgende Regeln aufgestellt: 7.1 Begründung der Auswertungsverfahren 135 56 Gemäß der gängigen Korrekturpraxis im Französischunterricht würde hier jedoch nur ein Recht‐ schreibfehler gezählt. Die Anzahl mehrfacher orthographischer Fehlschreibungen eines Worts war in allen Teilkorpora jeweils so gering (weniger als fünf Wörter), dass dies kein umfassenderes analytisches Problem darstellte. Dies liegt auch darin begründet, dass ab einer gewissen Häufung orthographischer Schwierigkeiten innerhalb eines Worts kein Rechtschreibfehler, sondern bereits ein Lexikfehler vorliegt (s. u.). • Es wird die absolute Fehleranzahl erfasst und nicht die Anzahl fehlerhafter Wörter. Wird beispielsweise *samdie statt ‹samedi› notiert, werden zwei orthographische Fehler vermerkt, die verschiedene Fehlertypen darstellen (s. u.). 56 • Auch potenzielle Wiederholungsfehler werden als einzelne Fehler gezählt. Wandte die Lehrkraft z. B. im Rahmen der Bewertung schriftlicher Klausuren eine andere Systematik an, wird dies bei der qualitativen Auswertung der Schreibprodukte kontrastiv berücksichtigt. • Ist ein Wort(teil) schlecht lesbar, wird im Zweifel zugunsten der Schüler: innen und einer korrekten Realisierung der schriftlichen Form entschieden. In Abgrenzung zu ersten empirisch-explorativen Arbeiten zu dem Themenfeld des Fremd‐ sprachenlernens mit LRS, die auf dem Gebiet der romanischen Sprachen entstanden sind (z. B. Siemann 2016; 2020), wurde auf den Einsatz einheitlicher Testaufgaben wie z. B. Diktate verzichtet. Diese hätten die Vergleichbarkeit der Schreibprodukte deutlich erhöht, worauf zugunsten des Einbezugs individueller schriftsprachlicher Dokumente verzichtet wird. Diese bilden ab, welche Arten von Texten und Notizen im Rahmen realer Unterrichts‐ situationen entstehen, wie die Schüler: innen in gewohnten Lehr-Lern-Kontexten agieren und mit welchen Arbeitsergebnissen die Lehrkräfte tatsächlich konfrontiert sind. So ergibt sich eine aus linguistischer Sicht relativ ungesteuerte Korpuserstellung, denn je nach Schreibmotivation der Lernenden, deren Arbeitstempo und auch möglichen Fehlzeiten im Unterricht kann die Größe der Teilkorpora und Beschaffenheit der Schreibprodukte erheblich variieren. Für die fehleranalytische Auswertung der Schreibprodukte macht dies die Berechnung einer Bezugsgröße nötig, die mögliche Fehlerzahlen in den Bereichen der Rechtschreibung, der Grammatik und der Lexik in Relation zu dem Umfang des jeweiligen Teilkorpus setzt. Als typischer Wert kann hier der Fehlerindex dienen, der angibt, wie viele Fehlschreibungen in einem Schülertext pro 100 Wörter vorkommen. Analog zu einer Prozentrechnung ergibt sich dieser aus der folgenden Formel: Fehleranzahl-×-100-∕-Wortanzahl. Der Fehlerindex ist - meist unter dem Begriff des Fehlerquotienten - aus der Schulpraxis hinlänglich bekannt. Seine Nutzung im Rahmen der vorliegenden Studie soll keineswegs als Plädoyer für seine Wiedereinführung als Mittel der Leistungsfeststellung missverstanden werden, die aus guten Gründen sowohl im Deutschals auch im Fremdsprachenunterricht aufgegeben wurde. Demgegenüber findet der Fehlerindex in Forschungskontexten als Mittel des relationalen Zugriffs auf die Fehlerhäufigkeiten nach wie vor Anwendung, so z. B. in Kargs (2008) Studie zu orthographischen Leistungsprofilen von Lernenden im Deutschunterricht der Sek. I. 136 7 Datenanalyse und -auswertung 57 Wie Thomé et al. (2011) erläutern, ist eine deskriptive Fehleranalyse von einer interpretativen Fehleranalyse zu unterscheiden, die auf die Identifikation möglicher Fehlerursachen wie z. B. Flüchtigkeitsfehler oder Interferenzen mit anderen Sprachen abzielt. 7.1.3.2 Analyse der Rechtschreibleistungen Während die globale Analyse der Sprachrichtigkeit der Schreibprodukte der Schüler: innen eine Betrachtung des Stellenwerts orthographischer Fehler im Vergleich zu den Fehlerkategorien „Lexik“ und „Grammatik“ ermöglicht, steht in einem zweiten Analyseschritt die Kategorie der „Rechtschreibfehler“ im Fokus. Mit Bezug zu LRS stellt sich die Frage, welche Schwierigkeiten betroffene Schüler: innen auf quantitativer und qualitativer Ebene aufweisen und wie sich diese Rechtschreibprofile im Vergleich zu der Lerngruppe darstellen: Machen Lernende mit LRS beispielsweise mehr und/ oder andere Rechtschreibfehler als ihre Mitschüler: innen? Bei der orthographiebezogenen Analyse der Schreibprodukte wurde folgende deskriptive Fehler‐ kategorisierung angewandt, die vor dem Hintergrund gängiger Systeme der Analyse von Rechtschreibfehlern (vgl. Catach 2016; Kap. 2.3.2.4) induktiv auf Basis der Schreibprodukte entwickelt und anhand von Beispielen aus den Korpora der vorliegenden Studie illustriert wird: 57 Bezeichnung Erläuterung Beispiele Auslassungen von Buchstaben Die Lernenden lassen einen oder mehrere Buch‐ staben aus, die zur korrekten Notation des Wortes nötig wären (z. B. im Fall von Mehrgra‐ phen oder stummen Endlauten). *ensuit → ensuite; *pourqoi → pourquoi Diakritika Die Lernenden lassen diakritische Zeichen wie z. B. die Akzente oder die Cedille weg; sie ver‐ wechseln diese oder fügen sie hinzu. *Jeremie → Jérémie; *aprés → après; *ôreille → oreille Elision Bei grammatisch zusammengehörigen Wörtern wird der Endvokal des ersten Worts nicht wegge‐ lassen, obwohl das Folgewort per Vokal beginnt. *que elle → qu’elle; *ne allons → n’allons Falsches Graphem Es wird ein Graphem an einer Stelle eines Worts gesetzt, das nicht dem korrekten Laut entspricht. Das Lexem kann - unter Einbezug des Kontexts - jedoch noch eindeutig erkannt werden. *marcredi → mercredi; *bisis → bisous Fehlerinkonstanz Die „Fehlerinkonstanz“ bezeichnet (im Kontext von LRS) die unterschiedliche (Falsch-)Schreibung eines Worts in einem Text und bildet damit eine zu‐ sätzliche, übergreifende Kategorie. Es wird kein ei‐ genständiger linguistischer Fehlertyp bezeichnet; die hier aufgeführten Fehler werden jeweils einer weiteren Kategorie zugeordnet. *pourqoi - *purquoi - *pourquoui - pourquoi Groß- und Klein‐ schreibung Die Lernenden schreiben ein Wort klein statt groß - oder umgekehrt. le *maroc → le Maroc Hinzufügungen von Buchstaben Die Lernenden fügen einen oder mehrere Buch‐ staben zu Wörtern hinzu. *anns → ans; *salone de thé → salon de thé orthographe grammaticale Bei der Repräsentation einer grammatischen Information wird ein orthographischer Fehler produziert, der im Schriftbild sichtbar, aber im Lautbild nicht hörbar ist. ma ville *préféré → ma ville préférée; tu *vient → tu viens; *gâteau → gâteaux 7.1 Begründung der Auswertungsverfahren 137 Bezeichnung Erläuterung Beispiele Phonematische Realisierung Wie in der Kategorie „falsches Graphem“ wird der entsprechende Laut graphisch nicht korrekt repräsentiert. Es ergibt sich annäherungsweise das korrekte Lautbild, wenn man das Wort auf Basis deutscher Graphem-Phonem-Relationen artikuliert. *botanic → botanique; *picnic → pique-nique; *disparü → disparu Reihenfolge von Buchstaben Die Lernenden kehren die Reihenfolge von (mindestens zwei) Buchstaben innerhalb eines Worts um; die verwendeten Buchstaben sind aber Teil der korrekten Schreibung. *baue → beau; *Antione → Antoine Segmentierung Die Wortgrenzen werden in der geschriebenen Sprache nicht korrekt repräsentiert. faire *dubien → faire du bien Wortzeichen Diese Kategorie umfasst Wortzeichen wie Bin‐ destriche, Punkte bei Abkürzungen oder Apo‐ strophe bei Tilgungen von Vokalen. Die Lern‐ enden lassen diese weg; sie verwechseln oder fügen diese hinzu. *salons-de thé → salons de thé Tab. 3: Kategoriensystem zur Erfassung verschiedener orthographischer Fehlertypen In verschiedenen Kategorien treten immer wieder Fälle auf, bei denen eine vermeintliche Fehlschreibung dazu führt, dass ein anderes Lexem abgebildet wird. Wird beispielsweise das E am Ende des Substantivs frz. la fraise ‚die Erdbeere‘ ausgelassen, ergibt sich das Adjektiv frz. frais ‚frisch, kühl‘; wird das Substantiv frz. le quart ‚das Viertel‘ phonetisch korrekt als frz. car notiert ([kaʀ]), könnte auch das deutsche Substantiv Bus oder die Konjunktion denn gemeint sein. Dies wirft die grundsätzliche Frage auf, ob Fehler im Bereich der Rechtschreibung oder der Lexik vorliegen. Bei der Kategorisierung derartiger Fehlschreibungen wurde der inhaltliche Kontext hinzugezogen, um eine begründete Entscheidung zu treffen: Schreibt beispielsweise Anna *un car d’heure für frz. un quart d’heure ‚eine Viertelstunde‘, liegt nahe, dass das korrekte Lexem mit Lautbild abgespeichert und ein Rechtschreibfehler gemacht wurde. Gleiches gilt für Fehlschreibungen, die dazu führen, dass das Lautbild nicht mehr exakt repräsentiert wird: Solange auf den ersten Blick inferiert werden kann, welches Wort abgebildet werden soll, fallen Fehler im Zweifel noch in den Bereich der Rechtschreibfehler (z. B. *je veux mager une pizza → je veux manger une pizza ‚ich möchte eine Pizza essen‘). Siemann (2016: 78) nimmt in ihrem empirischen Beitrag zu möglichen Differenzen von Rechtschreibfehlern deutschsprachiger Lernender bei spanischen Diktaten eine andere Kategorisierung vor: Sie nutzt die Bezeichnung „nicht nachvollziehbare Orthographie“ (ebd.) für Wörter, deren Schreibweise so unverständlich ist, dass keine Zuordnung zu einem bestimmten orthographischen Fehlertyp mehr möglich ist (z. B. *midejando → sp. mediterráneo ‚mediterran‘, vgl. ebd.). Dies begründet sich jedoch durch die spezifische Erhebungsmethode der Diktate, die aufgrund ihres Fokus auf der Phonographie praktisch keine andere Fehlerkategorie als diejenige der Rechtschreibung zulassen. Die Fehlerkategorie „orthographe grammaticale“ ist dann erfüllt, wenn bei der Repräsentation einer grammatischen Information ein (orthographischer) Fehler gemacht wird, der im Schrift‐ bild sichtbar, aber nicht im Lautbild hörbar ist, beispielsweise *tu vient → tu viens [tyvjɛ̃ ] ‚du 138 7 Datenanalyse und -auswertung kommst‘ (vgl. die „homophonie grammaticale“, Jaffré/ Brissaud 2006: 146). Natürlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Konjugation nicht exakt beherrscht wird; in jedem Fall ist eine korrekte Schreibung ohne das Wissen um die passenden Phonem-Graphem-Relationen nicht möglich. Demgegenüber würde z. B. *tu viennent als Konjugationsbzw. Grammatikfehler gezählt, da er auch im Lautbild hörbar ist (*[tyvjɛ̃ n] → [tyvjɛ̃ ]) ist. Der orthographische Fehlertyp der „Wortzeichen“ erfasst einen spezifischen Teil der Interpunktion (z. B. die Setzung von Bindestrichen); Satzzeichen (wie die Punkt- und Kommasetzung) fallen im Rahmen des vorliegenden Kategoriensystems nicht darunter. In Anlehnung an Meisenburg (2008: 180) werden Satzzeichen nicht auf der Wortebene verortet und so dem Bereich der Stilistik zugeordnet. Weiterhin sprach gegen die Erfassung von Fehlern im Bereich der Satzzeichen, dass diese seitens der Französischlehrkräfte in keinem der erhobenen Fälle als Fehler gewertet wurden. Eine stichprobenartige Durchsicht der Schreibprodukte weist jedoch darauf hin, dass die Zahl der orthographischen Fehler bei zahlreichen Schüler: innen nochmals deutlich gestiegen wäre, wären die Fehler im Bereich der Satzzeichen in die Zählung eingeflossen. 7.2 Computergestützte Datenauswertung und quantifizierende Verfahren Wie bereits in Bezug auf die Beobachtungs- und Interviewdaten dargestellt wurde auf die Analysesoftware MAXQDA zurückgegriffen, die umfassende Tools und Funktionen im Umgang mit verschiedenen Datensätzen zur Verfügung stellt. Insbesondere bei der Gegenüberstellung der verschiedenen Fälle, aber auch bei der fallinternen Analyse wurde auf die Visual Tools der Software zurückgegriffen, so beispielsweise den „Code-Matrix-Browser“, der eine Darstellung der Häufigkeit und Verteilung von Codes in verschiedenen Fällen bzw. Dokumenten ermöglicht (vgl. ebd.: 166 ff.) oder den „Code-Relations-Browser“, der Überschneidungen und Zusammenhänge zwischen den Kategorien aufzuzeigen hilft (vgl. ebd.: 168 ff.). Oftmals liegt es nahe, die Angaben zu Häufigkeiten von Kodierungen, Themen‐ setzungen oder lexikalischen Elementen in die qualitative Inhaltsanalyse einzubeziehen: Diese dienen vor allem der „Vorbereitung der weiteren Analyse“ (Schmidt 2017: 455). So sieht auch Maxwell (2010: 480) im Einbezug quantifizierender Analyseschritte in die qualitative Datenauswertung eine sinnvolle mögliche Ergänzung, die eine inhaltliche Argumentation untermauern oder kontrastieren kann: „the use of numbers is a legitimate and valuable strategy for qualitative researchers when it is used as a complement to an overall process orientation to the research“ (Herv. der Verf.; vgl. auch Mayring 2017: 471). Beispielsweise kann im Kontext der vorliegenden Fallanalysen relevant sein, wie häufig sich Schüler: innen aktiv am Unterricht beteiligen oder wie oft bei der Schilderung unterrichtsbezogener Schwierig‐ keiten explizit zu LRS Bezug genommen wird. Das qualitative „Kerngeschäft“ bleibt aber die Formulierung adäquater Kategorien und deren Zuordnung zu den jeweiligen Textstellen. Die Aussagekraft der Zahlen für die jeweilige Studie muss folglich sorgfältig reflektiert und immer eng an die inhaltliche Analyse rückgebunden werden: Dabei geht es vor allem um die Frage ‚Bedeutet häufig auch wichtig? ‘. Das Zählbare zu zählen, bedeutet immer, dass man zusätzliche Informationen erhält, enthebt einen aber nicht von der 7.2 Computergestützte Datenauswertung und quantifizierende Verfahren 139 Aufgabe, über die Bedeutung von Zahlen für die konkrete Studie nachzudenken. (Kuckartz 2018: 54; zur weiterführenden Diskussion vgl. Maxwell 2010) Beispielsweise wird vor einer vorschnellen Generalisierung oder der Fehlinterpretation quantifizierender Angaben im Sinne einer statistisch validen Repräsentativität gewarnt. Mayring und Brunner (2013: 331) verorten die qualitative Inhaltsanalyse - auch mit Blick auf ihre Entstehungsgeschichte, die maßgeblich im quantitativen Paradigma liegt - immer in einer „Zwischenstellung zwischen qualitativer und quantitativer Analyse“: „Wir wollen deshalb genauer von einer qualitativ orientierten Inhaltsanalyse sprechen, einer Inhaltsana‐ lyse also, die die qualitativen Analyseschritte elaboriert, aber durchaus auch quantitative Analysen zulässt.“ (ebd.: 332, Herv. der Verf.) Auch über die Frage quantifizierender Analysen hinaus ist festzuhalten, dass die Potenziale und Grenzen einer Analysesoftware natürlich nicht die Auswertungsmethode und -schwerpunkte selbst determinieren dürfen, sondern lediglich im Sinne eines „Werkzeugkasten[s]“ (Rädiker/ Kuckartz 2019: 10) die Analyse unterstützen sollten, deren Vorgehensweise zunächst unabhängig von ihrer technischen Umsetzung festgelegt wird (zur Diskussion vgl. Kelle 2017: 499 f.). 7.3 Übersicht über die erhobenen Daten und das Sampling Nach Abschluss der Datenerhebungen standen folgenden Datensätze für eine Auswertung zur Verfügung: Studienteil Erhebungszeitraum Pseudonym Schulform Jahrgangsstufe Umfang der Unterrichtsbeobachtungen Wortanzahl des Teilkorpus Länge des Interviews Pilot‐ studie 01-02/ 2017 Jan BS 11 12 UE 422 79 Min. Haupt‐ studie 02-03/ 2018 David GS 7 16 UE 319 44 Min. - 01-02/ 2018 Franziska Gym. 8 20 UE 301 37 Min. - 09-10/ 2017 Katharina Gym. 9 15 UE 710 74 Min. - 02-03/ 2018 Anna GS 12 16 UE 584 50 Min. - Tab. 4: Übersicht über die erhobenen Datensätze 140 7 Datenanalyse und -auswertung Auch wenn bereits bei der Aufnahme der Forschungspartner: innen in die Studie nach theoriegeleiteten und forschungsethischen Kriterien selektiert wurde (vgl. Kap. 5.3.1), war nach Abschluss der Datenerhebungen eine weitere Auswahl derjenigen Fälle nötig, die einer genauen Analyse unterzogen werden sollen. Wie im Kontext qualitativer Studien üblich spielte hier die „Relevanz [der Daten] für die Forschungsfrage und nicht ihre Repräsentativität“ (Grum/ Legutke 2016: 86) eine entscheidende Rolle - Letzteres wäre im Fall quantitativer Studien zu erwarten. Dazu erfolgte zunächst eine Sichtung des gesamten Datenmaterials, das anhand verschiedener Kriterien beurteilt wurde: Ein wesentlicher Aspekt bestand in der Qualität sowie Vollständigkeit der Datensätze und ihrem Analyse‐ potenzial. Beispielsweise stellte es ein Hindernis dar, wenn die Schüler: innen im Interview nur sehr zurückhaltend und knapp antworteten, ohne eigene Themenschwerpunkte zu entfalten (dies traf beispielsweise für David zu). Zudem sollte die Auswertung der Fälle im Sinne eines „Sampling[s] maximaler Variation“ (vgl. ebd.: 86) eine gewisse Varianz und Breite des Forschungsfelds abbilden, d. h., es sollten Lernende verschiedener Jahrgangstufen und Schulformen in die Analyse einbezogen werden, die sich zudem in unterschiedlichen Lernjahren des Französischen befinden. 7.3 Übersicht über die erhobenen Daten und das Sampling 141 Ergebnisse der empirischen Studie Die Ergebnisse der empirischen Studie werden in den folgenden Kapiteln in Form von drei Fallanalysen präsentiert. Diese Darstellungsform ist laut Dörnyei (2007: 152) beson‐ ders geeignet, um eine dichte Beschreibung eines komplexen und wenig erforschten Untersuchungsgegenstands vorzunehmen. Sie kann die verschiedenen Perspektiven auf das Forschungsfeld zusammenführen, die im Rahmen der Methodentriangulation erfasst bzw. erhoben worden sind. Der Begriff des Falls ist im Folgenden eng an den Schüler: innen mit LRS orientiert: Es werden diejenigen Lernenden ins Zentrum der Ergebnisdarstel‐ lungen gerückt, die bereits im Fokus der Datenerhebungen standen. Dabei werden die Schüler: innen in dem für sie unmittelbaren Lehr-Lern-Kontext des Französischunterrichts betrachtet. Dies bringt mit sich, dass weitere Akteur: innen, wie z. B. die Lehrkräfte oder die Mitschüler: innen, an relevanten Stellen in die Fallanalysen einbezogen werden. Diese orientieren sich an den in Kap. 5.1 vorgestellten Forschungsfragen der Studie: Es werden zunächst der bildungsbiographische Weg der betroffenen Schüler: innen in den Französisch‐ unterricht sowie deren Motivation und Beweggründe für die Wahl des Französischen als zweite Fremdsprache nachgezeichnet. Anschließend erfolgt eine Analyse der Stärken und Schwächen der Schüler: innen insbesondere in den Kompetenzbereichen des Lesens und (Recht-)Schreibens. Die Fallanalysen schließen mit einer Charakterisierung der Lernenden hinsichtlich weiterer zentraler Merkmale ihrer Auseinandersetzung mit der französischen Sprache und ihres Verhaltens im Französischunterricht. 58 Das Punktesystem der Sek. I und II im Bundesland Hessen erstreckt sich auf eine Skala von 0 bis 15 Punkten, wobei mit 5 Punkten eine ausreichende Leistung erzielt wird, die das Bestehen einer Prüfung ausweist. 8 Fallanalyse „Franziska“ 8.1 Kurzporträt und schulische Rahmenbedingungen Franziska ist zum Studienzeitpunkt im Frühjahr 2018 14 Jahre alt und besucht die 8. Klasse eines Gymnasiums mit städtischem Einzugsgebiet in Hessen. Ein wesentlicher Baustein des Schulprofils besteht in der internationalen Ausrichtung des Gymnasiums, das über einen deutsch-englischen bilingualen Zweig verfügt, zahlreiche Austauschprogramme mit ausländischen Partnerschulen pflegt und die Möglichkeit anbietet, das International Baccalaureate abzulegen. An Franziskas Schule sind zwei verschiedene Bildungsgänge zur Allgemeinen Hochschulreife wählbar: Erst nach Abschluss der 6. Jahrgangsstufe wird ent‐ schieden, ob die Schüler: innen das Abitur nach zwölf oder dreizehn Jahren (G8/ G9) ablegen werden. Da Franziska am Ende der Erprobungsstufe einen guten Notendurchschnitt (2,3) aufwies und als fleißige und motivierte Schülerin gilt, die auch im häuslichen Rahmen sehr unterstützt wird, strebt sie die Allgemeine Hochschulreife nach zwölf Jahren (G8) an. Franziskas Erstsprache ist Deutsch. Seit der 3. Klasse lernt sie Englisch als erste und seit der 6. Klasse Französisch als zweite Fremdsprache. Die Schülerin befindet sich zum Zeitpunkt der Datenerhebungen am Ende des dritten Lernjahrs im Fach Französisch. Franziska wurde im vorherigen Schuljahr und zum ersten Halbjahr der 8. Klasse im Fach Französisch mit der Note „ausreichend“ (= 5 Punkte) 58 bewertet. Während ihre Leistungen im schriftlichen Bereich (Klassenarbeiten/ Vokabeltests) im mangelhaften bis ungenügenden Leistungsspektrum lagen (< 4 Punkte), konnte sie über eine intensive münd‐ liche Mitarbeit bzw. nicht schriftliche Leistungsüberprüfungen ihre Bewertung verbessern. Für die Schülerin gelten Maßnahmen des Nachteilsausgleichs und Notenschutzes in allen (fremd-)sprachlichen Fächern. Diese werden im Französischunterricht in Orientierung an den offiziellen Vorgaben des Landes Hessen wie folgt umgesetzt (vgl. HKM 2017: 24 ff.): • eine mögliche Nutzung eines einsprachigen Wörterbuchs in allen Situationen des Französischunterrichts und auch im Rahmen von Leistungsüberprüfungen (außer Vokabeltests), • eine verlängerte Bearbeitungszeit sowie eine Nicht-Bewertung von Rechtschreibfeh‐ lern bei allen schriftlichen Leistungsüberprüfungen, • die Mitschrift von Unterrichtsergebnissen durch die Lehrkraft am Computer ersetzt Tafelabschriften der Schülerin. Auch wenn offiziell keine höhere Gewichtung mündlicher Leistungen als Maßnahme des Nachteilsausgleichs erfolgt, gibt die Französischlehrerin an, dass sie Franziska gerade im 59 Im Folgenden wird das LRS-Konzept der Schule in enger Anlehnung an das Originaldokument beschrieben. Aufgrund der den Forschungspartner: innen zugesicherten Anonymisierung bzw. Pseu‐ donymisierung der Daten kann jedoch keine Zitation der Quelle erfolgen, da so der Name der Schule eindeutig identifizierbar wäre. Dies gilt auch für alle folgenden Fallanalysen. Bereich des Sprechens fordern und fördern möchte und deshalb bei der Notengebung ein besonderes Augenmerk auf die mündlichen Leistungen der Schülerin richtet. Franziskas Schule verfügt über ein umfassendes Förderkonzept, das sowohl leistungs‐ starke als auch -schwache Schüler: innen adressiert, in das Ganztagskonzept der Schule eingebettet ist und nach der Umstellung auf das G8-System neu formuliert wurde. 59 Ansätze zur LRS-Förderung stellen einen Teil des Förderkonzepts dar, sodass Schwierigkeiten in den Bereichen des Lesens und (Recht-)Schreibens ab Schuleintritt systematisch beobachtet werden können. Hinsichtlich der Förderung von Schüler: innen mit LRS wird zu Beginn der Sek. I zunächst auf die Einschätzungen der Primarstufenlehrkräfte vertraut: Ist das Abschlusszeugnis der Grundschule nicht mit einem entsprechenden Vermerk versehen, wird zunächst davon ausgegangen, dass die Schüler: innen keine LRS haben. Werden im Deutschunterricht der Erprobungsstufe dennoch Auffälligkeiten beobachtet, wird ein diagnostisches und schulintern standardisiertes Diktat geschrieben. Weist dies auf über‐ durchschnittliche Schwierigkeiten beim Rechtschreiben hin, erfolgt eine weiterführende Diagnostik anhand des Testinstruments der Münsteraner Rechtschreibanalyse (MRA), die von dem LRS-Beauftragten der Schule koordiniert und von einem externen Anbieter durchgeführt wird. Schüler: innen mit positivem Befund wird der Besuch eines zweistün‐ digen LRS-Förderkurses nahegelegt, der einmal pro Woche nach Unterrichtsschluss von geschulten Lehrkräften durchgeführt wird. Die schulische LRS-Förderung ist im Rahmen von drei Förderkursen für die Klassen 5, 6 und 7-9 organisiert. Wird Notenschutz in Anspruch genommen, ist der parallele Besuch eines schulischen oder externen LRS-För‐ derkurses obligatorisch; für Maßnahmen des Nachteilsausgleichs gilt keine vergleichbare Regelung. Dezidiertes Ziel aller Fördermaßnahmen ist es, betroffene Schüler: innen zu einem derart hohen (Leseund) Rechtschreibniveau zu verhelfen, dass Nachteilsausgleich und Notenschutz sukzessive aufgehoben werden können. Zur Dokumentation des Lern‐ fortschritts und der Überprüfung der Aktualität der LRS-Diagnose wird die Testung alle anderthalb bis zwei Jahre wiederholt. Für den Fremdsprachenunterricht hat dies verschiedene Implikationen: Zum einen wird auf Basis der gewählten Diagnoseinstrumente ein Förderprofil erstellt, das primär auf eine Verbesserung der orthographischen Leistungen abzielt; die Förderung der Lesekompetenz ist hier klar nachgeordnet. Zum anderen sind abgeleitete Fördermaßnahmen in der Sek I. auf den Deutschbzw. DaF/ DaZ-Unterricht fokussiert - eine explizite Einbindung der klassischen Schulfremdsprachen erfolgt in diesem Zusammenhang nicht. Angesichts der internationalen Ausrichtung der Schule könnte dies überraschen; dieser Befund deckt sich jedoch mit der im Theoriekapitel herausgearbeiteten Forschungslage, die eine systemati‐ sche Verknüpfung erst- und fremdsprachlicher Fördermaßnahmen häufig vermissen lässt (vgl. Kap. 3.3). Fachübergreifend wird der Anspruch formuliert, bei den Schüler: innen eine langfristige Lernmotivation aufzubauen, ihre Konzentrationsfähigkeit und Organisation des Lernpensums zu verbessern und in diesem Kontext Lernstrategien und Methoden zu erarbeiten, die in allen Fächern von Nutzen sein können. 146 8 Fallanalyse „Franziska“ 60 Die Zitation des Schülerinterviews erfolgt im Folgenden über die Angabe des jeweiligen Pseudonyms der Interviewpartner: innen und der jeweiligen Zeilennummer innerhalb des Transkripts. Die Inter‐ viewerin wird mit „I“, die befragte Person mit dem ersten Buchstaben des Pseudonyms abgekürzt. Franziskas Französischkurs hat einen Umfang von vier Unterrichtsstunden pro Woche, die auf jeweils zwei Doppelstunden verteilt sind. Insgesamt besuchen zwölf Schüler: innen den Kurs. Franziskas Lerngruppe charakterisiert sich durch eine relativ homogene Aus‐ gangslage: Alle Schüler: innen lernen gemeinsam seit Beginn der 6. Jahrgangsstufe bei derselben Lehrkraft Französisch als zweite Fremdsprache nach Englisch. Nur die Schülerin Emilia hat mit dem Griechischen eine weitere Muttersprache neben dem Deutschen; keine: r der Lernenden hat bereits die Schulform gewechselt oder eine Klassenstufe wiederholt. Das Leistungsspektrum der Lerngruppe erstreckt sich - bemessen an der Notenverteilung - auf mehrere sehr leistungsstarke Schülerinnen ( Jacqueline, Lisa und Natascha), ein breites Mittelfeld im Bereich guter und befriedigender Leistungen bis hin zu drei weniger leis‐ tungsstarken Schüler: innen (Bastian, Franziska und Jan). Gearbeitet wird mit dem Lehrwerk À plus 3 Nouvelle édition des Cornelsen Verlags (vgl. Blume et al. 2014). Der Analyse des Falls „Franziska“ liegen Unterrichtsbeobachtungen im Umfang von fünf Wochen zugrunde; dies entspricht 20 Unterrichtsstunden à 45 Minuten. Das abschließende Interview hat eine Länge von 37 Minuten und wurde nach Unterrichtsschluss auf Franziskas Wunsch in den Räumlichkeiten der Schule durchgeführt. 8.2 „Weil ich nach Paris immer schon fahren wollte“ - Franziskas Weg in den Französischunterricht Franziskas bildungsbiographischer Weg in den Französischunterricht, der für sie in der 6. Klasse beginnt, ist von einer hohen Stringenz und Kontinuität geprägt: Die Schülerin wechselte - mit einer entsprechenden Empfehlung der Grundschullehrkräfte - nach der Primarstufe auf das Gymnasium, das sie auch zu dem Zeitpunkt der Datenerhebung besucht. Zu einer Nicht-Versetzung in die nächsthöhere Klassenstufe oder einem Wechsel der Schulform kam es in Franziskas Fall nicht. 8.2.1 Das Französische als Positivauswahl Vor diesem Hintergrund wurde die Schülerin im ersten Teil des Interviews zu den Beweggründen für ihre Wahl des Französischen als Fremdsprache befragt: 60 I: Ähm, wenn du dich noch mal in die Situation vor drei Jahren versetzt, als es ähm darum ging, die zweite Fremdsprache zu wählen. Ähm wie kam das denn eigentlich dazu, dass du das Französische als zweite Fremdsprache gewählt hast? F: Weil ich Französisch als Sprache schön finde und weil ähm ich ähm nach Paris immer schon fahren wollte [lacht], und ja. (Franziska: Zeilen 53-57) 8.2 Franziskas Weg in den Französischunterricht 147 61 Zu Beginn des Interviews elizitierten die erzählgenerierenden Fragen in Franziskas Fall nur sehr kurze, wenn auch aussagekräftige Antworten. Dies veränderte sich im Laufe des Gesprächs in positiver Weise, was in der Forschungsliteratur meist auf eine zunehmende Vertrautheit der Inter‐ viewpartner: innen mit den Interviewer: innen und der Gesprächssituation insgesamt zurückgeführt wird (vgl. Kap. 6.4.1). Franziskas Antwort verweist - wenn auch in sehr knapper Form 61 - auf ein aufrichtiges Interesse und eine intrinsische Motivation, die französische Sprache zu erlernen, die auch im weiteren Interviewverlauf wiederholt verbalisiert wird. Zum einen führt die Schülerin ein positives Argument an, das an ästhetische Dimensionen der Sprachwahrnehmung gebunden ist. Zum anderen nennt Franziska den Wunsch, die Hauptstadt des Zielsprachen‐ landes zu bereisen: Dies ist mit dem konkreten Nutzen der Verwendung des Französischen im Rahmen realer Kommunikationssituationen verbunden und lässt die Assoziation eines vorrangig mündlichen und informellen Sprachgebrauchs aufkommen. Während der erst‐ genannte Aspekt der „schönen Sprache“ noch als klischeehaft bzw. als potenziell sozial erwünschte Antwort eingeordnet werden könnte, bezieht die Schülerin auch authentische Sprachkontaktsituationen in ihre retrospektive Begründung der Fremdsprachenwahl ein, die sie tatsächlich erlebt hat: Das Vorhaben, nach Paris zu fahren, wurde im Vorjahr der Datenerhebung im Rahmen einer privaten Reise mit ihrer Familie realisiert; dort hat sich die Schülerin als kommunikativ handlungsfähig erlebt (vgl. Kap. 8.2.2). Im Laufe des Interviews werden diese Erlebnisse wiederholt herangezogen, um Inhalte des Französischunterrichts hinsichtlich ihres außerschulischen Nutzens für die Kommunikation im Zielsprachenland zu reflektieren: Dieser wird von der Schülerin vor allem dann wahrgenommen, wenn im Unterricht mündliche Kommunikation im Fokus steht, die sich an konkreten Sprachhand‐ lungen im Ausland orientiert (z. B. Verkaufsgespräche oder Wegbeschreibungen). Mit Franziskas Argumentation geht einher, dass die Schülerin keine rein schul- oder leistungsbezogene Begründung ihrer Sprachenwahlentscheidung vornimmt. Ebenso for‐ muliert sie keinen direkten Zusammenhang zwischen ihren LRS und ihrer Entscheidung für das Französische als zweite Fremdsprache. Im Gegenteil verlässt Franziska bei der Plausi‐ bilisierung ihrer Fremdsprachenwahl argumentativ den engen institutionellen Rahmen des Französischunterrichts und benennt demgegenüber einen persönlichen sowie außerschu‐ lischen Wert und Nutzen der Fremdsprache. In der Eröffnung der Dimension einer begrün‐ deten Positivauswahl des Französischen als Fremdsprache liegt ein Alleinstellungsmerkmal der Forschungspartnerin. Auf der Ebene des Fremdsprachenangebots ihrer Schule erfolgt Franziskas Wahlentscheidung für das Französische gegenüber den konkreten Alternativen des Spanischen und Lateinischen, die ihr im Kontext ihres international ausgerichteten Gymnasiums zur Verfügung stünden, aber im Rahmen des Interviews seitens der Schülerin nicht zur Sprache kommen. Vor dem Hintergrund ihrer Beeinträchtigung trifft die Schülerin ihre Wahlentscheidung unabhängig von ihren diagnostizierten LRS, die sie nur punktuell mit Schwierigkeiten beim Fremdsprachenlernen in Verbindung bringt und die für ihre Entscheidung für oder gegen das Französische nicht ausschlaggebend waren. 148 8 Fallanalyse „Franziska“ 62 Die hier gewählte Form projektbzw. aufgabenorientierten Lernens, die eine vorbereitende Arbeit im Unterricht mit der Sprachanwendung in realen Kommunikationssituationen kombiniert, erinnert an das „Airport-Projekt“ (vgl. Legutke 2017). 8.2.2 Reale Erfolge: Franziska in Frankreich Anknüpfend an die oben skizzierte Ausgangslage überrascht es nicht, dass außerschulische Lernorte und tatsächliche Begegnungssituationen mit dem Französischen im Zielspra‐ chenland entscheidend mit Franziskas Sprachlernmotivation und der Einschätzung ihrer eigenen Kompetenz in der Fremdsprache zusammenhängen. Dies wird im Rahmen ihrer Reaktion auf die Einstiegsfrage des Interviews besonders deutlich. Diese wurde offen und erzählgenerierend formuliert, um der Interviewpartnerin die Möglichkeit zu geben, zu Ge‐ sprächsbeginn individuelle thematische Relevanzsetzungen vorzunehmen (vgl. Kap. 6.4.2): I: Mhm und wenn du mal auf den Französischunterricht und dein Französischlernen so zurückblickst in den letzten drei Jahren, welche Erfahrungen hast du gemacht mit dem Französischlernen und dem Französischunterricht? Ähm welche Erlebnisse beispielsweise / / verbindest du / / F: / / Ach so, / / ja ähm wir waren irgendwie eine Woche oder ein paar Tage auf jeden Fall in ähm Straßburg mit der Französischklasse und ähm da ja, da haben wir ähm auch viel gemacht. I: Was habt ihr da so unternommen? F: Ähm wir haben so Rallyes gemacht und ähm konnten da halt auch so ein bisschen shoppen gehen und ähm mussten aber auch so mit anderen Leuten in Kontakt tre/ treten bei so Rallyes. Und dann mussten wir denen Fragen so ja ähm / Also mussten wir halt irgendwelche Passanten auf der Straße fragen ähm: „Was ähm es / haben Sie irgendwie ähm Haustiere? “. Oder keine Ahnung irgendwie sowas. Und dann mussten wir das dokü/ dokumentieren und aufschreiben. (Franziska: Zeilen 13-26) Um ihre bisherigen Erfahrungen mit dem Französischlernen zu illustrieren, wählt Franziska zu Interviewbeginn aus der Vielzahl an Lehr-Lern-Erlebnissen, die sich für sie im dritten Lernjahr als potenzieller Erzählhorizont aufspannen, eine außerschulische - wenn auch didaktisch begleitete - Kommunikationssituation aus: Sie steigt thematisch über eine Schilderung einer Studienfahrt nach Straßburg in das Interview ein, die sie mit ihrem Französischkurs im vergangenen Schuljahr unternommen hat. Während des Aufenthalts in Frankreich sollten die Schüler: innen im Rahmen einer kommunikativ angelegten Rallye einheimische Personen ansprechen und zu relevanten Themen ihres persönlichen Lebens bzw. der Region des Elsass befragen. 62 Diese thematische Relevanzsetzung der Schülerin deutet darauf hin, dass eine mündliche Kommunikation an außerschulischen Lernorten eine besondere Bedeutung für Franziska hat - gerade in Abgrenzung zu ihren LRS, die sich auf eine schriftliche Kommunikation im Kontext institutionalisierten Französischlernens sehr deutlich auswirken (vgl. Kap.-8.4). 8.2 Franziskas Weg in den Französischunterricht 149 Die bereits skizzierte Positivauswahl des Französischen als Fremdsprache, die sich vorrangig durch den Wunsch nach einem außerschulischen Nutzen der Sprache begründet, wird an dieser Stelle durch Franziskas Argumentation untermauert: Auch wenn die Schülerin im Rahmen der zitierten Interviewpassage noch keine (positive) Bewertung des Lernerlebnisses vornimmt, deutet das parallele Auftreten der inhaltsanalytischen Kategorien 2.2 „außerschulische Lehr-Lern-Kontexte“ und 8.2.1 „Erzielen kommunikativer Erfolge“ (vgl. Anhang „Kategoriensystem zur Auswertung der Schülerinterviews“) im Verlauf des Interviews darauf hin, dass weitere außerschulische Lernorte wie z. B. der Besuch französischer Kinofilme mit einer gelingenden Kommunikation in authentischen Sprachverwendungssituationen verbunden und damit positiv konnotiert werden (vgl. Kap. 8.5). Dies wird auch im Kontext einer kurzen Erzählpassage deutlich, in deren Rahmen die Interviewerin eine Rückfrage zu Franziskas Städtetour nach Paris stellt. Diese hat die Schülerin privat mit ihrer Mutter unternommen und zuvor selbst in das Gespräch eingebracht: I: Und du sagtest, dass du nach Paris ähm gefahren bist schon. Oder war das ein Plan? Oder hast du das schon gemacht? F: Nein, ich habe das schon gemacht, ja. I: Und wie war das, konntest du da das / / Französische / / F: / / Ja / / also ich war da alleine mit meiner Mutter und meine Mutter kann gar kein Französisch und kann auch nicht so gut Englisch. Und ähm dann habe ich uns da so ein bisschen durchgemanagt, ja. (Franziska: Zeilen 142-148) Im Rahmen ihres Aufenthalts in Paris erlebt sich Franziska - im Vergleich zu ihrer Mutter, die über keine Französisch- und kaum Englischkenntnisse zu verfügen scheint - als sprachlich handlungsfähig und wird so zu einer wichtigen Organisatorin der Auslandsreise („durchgemanagt“). Angesichts ihres jungen Lebensalters - zum Reisezeitpunkt ist Fran‐ ziska zwölf Jahre alt - erscheint dies bemerkenswert und steht in Einklang mit der Beobach‐ tung von Unterrichtssituationen, in denen eine relativ freie mündliche Kommunikation im Fokus steht. Dort gelingt es der Schülerin, sich zielgerichtet in den Französischunterricht einzubringen und auch spontane Kommunikationssituationen erfolgreich zu bewältigen; was nicht zuletzt ihre Französischnote erheblich verbessert. In den folgenden Kapiteln werden gemäß den Fragestellungen der vorliegenden Arbeit zunächst die schriftsprachlichen Kompetenzen der Schülerin fokussiert (vgl. Kap. 8.3 & 8.4). Anschließend wird die von Franziska wahrgenommene Diskrepanz zwischen Anfor‐ derungen des Französischunterrichts im Bereich der Schriftlichkeit und der eher mündlich orientierten Kommunikationssituationen an außerschulischen Lernorten bzw. im Rahmen von Frankreichreisen aufgegriffen, die sich auch bei der Analyse der Schreibprodukte und der Unterrichtsbeobachtungen bestätigen wird (vgl. Kap.-8.5). 150 8 Fallanalyse „Franziska“ 8.3 Franziska als Leserin im Französischunterricht Betrachtet man Franziska als Leserin im Französischunterricht, fällt zunächst auf, dass ihr die Teilkompetenz des Lesens - bemessen an der sozialen Bezugsnorm ihrer Mit‐ schüler: innen und den kriterienorientierten Anforderungen des Französischunterrichts - keine überdurchschnittlichen Schwierigkeiten zu bereiten scheint. Dennoch zeigen sich individuelle Merkmale der verschiedenen Teilfertigkeiten, die zur Realisierung komple‐ xerer Leseprozesse nötig sind: So greift Franziska im Bereich basaler Lesefertigkeiten (d. h. der Textentschlüsselung bzw. des déchiffrement, vgl. Lutjeharms 2006: 20) auf besondere Unterstützungssysteme zurück, die vorrangig aus dem Primarbereich stammen und oftmals auch für die LRS-Förderung eingesetzt werden (vgl. Kap.-8.3.1). Hinsichtlich des Einsatzes von Lesestrategien auf der direkten Ebene des Textverstehens, also der compréhension (vgl. ebd.), bzw. bei der Bearbeitung komplexerer Leseverstehensaufgaben im Französischunter‐ richt zeigen sich jedoch keine grundsätzlichen Unterschiede zu ihren Mitschüler: innen (vgl. Kap. 8.3.2). Den Anforderungen des lauten Vorlesens begegnet Franziska wiederum mit Strategien zur Lese- und Aussprachevorbereitung, die jedoch nicht dem spezifischen Kontext der LRS-Förderung zuzuordnen sind, sondern auf einer übergeordneten Ebene mit fremdsprachlichen Leseprozessen in Verbindung gebracht werden (vgl. Kap.-8.3.3). Auf diese Analyseergebnisse wird im Folgenden differenziert eingegangen. Dies ge‐ schieht vor dem Hintergrund, dass sich für Franziska ein insgesamt sehr unausgeglichenes Kompetenzprofil ergibt: Während die Schülerin im Bereich des Lesens kaum erkennbare Schwierigkeiten aufweist, zeigt sich beim Schreiben ein gänzlich anderes Bild, das von überdurchschnittlichen Schwierigkeiten bei der Rechtschreibung und im Kontext schrift‐ licher Leistungsüberprüfungen von umfassenden Vermeidungsstrategien geprägt ist (vgl. Kap.-8.4). 8.3.1 Basale Lesefertigkeiten und instrumentelles Lesen In Franziskas Fall werden vor allem potenziell hierarchieniedrige Teilfertigkeiten komple‐ xerer Leseprozesse durch Hilfsmittel und Strategien unterstützt. Die Schülerin greift auf eine Leseschablone zurück, wenn es um die Entschlüsselung eines längeren Textes im Französischunterricht geht; für kürzere Texte, wie z. B. Aufgabenstellungen oder einzelne Sätze auf einem Tandembogen, ist dies nicht zu beobachten. Leseschablonen, die auch im Primarbereich zur Unterstützung des Lesenlernens genutzt werden, gelten im Kontext der LRS-Förderung als gängiges Hilfsmittel, um Schüler: innen mit Schwierigkeiten im Bereich der Dekodierung und der visuellen Orientierung innerhalb eines Texts die Entschlüsselung des Geschriebenen zu erleichtern (vgl. Kap. 3.5.2.1). Das zu lesende Wort bzw. entspre‐ chende Satzteile werden in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt, indem die folgenden Wörter derselben Zeile bzw. der weitere Text abgedeckt werden. Dies soll die Lesenden darin unterstützen, ihre Aufmerksamkeit auf die zu entschlüsselnden Wörter zu richten und sich nicht durch andere visuelle Reize ablenken zu lassen. Auch kann so vermieden werden, eine Zeile zu überspringen bzw. diese versehentlich erneut zu lesen. 8.3 Franziska als Leserin im Französischunterricht 151 Die folgende Abbildung zeigt Franziskas Leseschablone, die die Schülerin hier bei der Auseinandersetzung mit der Schullektüre Le journal de Tristan GRAND AIR von Catherine Grabowski (2015: 15) einsetzt: Abb. 11: Fall „Franziska“: Leseschablone Franziska nutzt die Leseschablone bereits seit mehreren Jahren in verschiedenen Unter‐ richtsfächern bei der Lektüre längerer und eng gedruckter Texte. Folglich liegt hier kein fremdsprachenspezifisches Unterstützungssystem vor: Im Gegenteil wird die Lese‐ schablone - ausgehend vom Deutschunterricht der Primarstufe - von der Schülerin auf den Französischunterricht transferiert. Diese konkrete, hilfsmittelbasierte Lesetechnik wirkt auf der Ebene des Gesamttexts als „globale Lesestrategie“ (Schmidt 2007: 124) und unterstützt Franziskas Prozesse der Textentschlüsselung auf visueller und damit kognitiver Ebene. In einem erweiterten Verständnis liegt eine Einordnung als „Stützstrategie“ (Philipp 2015 b : 214) nahe: Dieses Konzept bezieht sich ursprünglich auf soziale und affektive Lesestrategien (vgl. ebd.: 214 ff.) und kann im Kontext von LRS um diese konkrete, „physische“ Kompensationsstrategie pendant la lecture ergänzt werden. Im Rahmen des Interviews misst die Schülerin ihrer Leseschablone einen hilfreichen Effekt bei, der in Franziskas Perspektive primär im Halten bzw. Nicht-Verlieren einer Zeile im Text besteht: Hier erfüllt sich das Merkmal einer Bewusstheit bzw. Bewusstseinsfähigkeit individuell effektiver Lernerstrategien (vgl. Martinez 2016 b : 373). Franziskas Schilderung korreliert mit der Beobachtung im Unterricht, dass die Schülerin ihre Leseschablone zügig 152 8 Fallanalyse „Franziska“ und kontinuierlich durch die vorliegenden Texte bewegt. Würde sie einzelne Wörter oder gar Buchstaben sukzessive entschlüsseln, wäre hier vermutlich eine deutliche Verlangsamung beobachtbar, die sich im Vergleich zu ihren Mitschüler: innen oder in der Nicht-Erfüllung von Aufgabenstellungen manifestieren könnte. Der Effekt auf Prozesse inhaltlicher Textent‐ schlüsselung ist somit - z. B. in Abgrenzung zu direkten, „lokalen“ (Schmidt 2007: 124) Strategien des Leseverstehens - lediglich mittelbar, für das Gelingen des gesamten Lese‐ prozesses aber entscheidend. Kommt es nämlich bereits bei hierarchieniedrigen Fertigkeiten zu nicht kompensierten Einschränkungen, hat dies deutliche Konsequenzen für den gesamten Leseprozess und führt nicht selten zu Abbrüchen sämtlicher Leseversuche - gerade beim fremdsprachlichen Lesen (vgl. Lutjeharms 2010: 21). Vor dem Hintergrund der Ausführungen von Eckermann (2015) zu in- und exkludier‐ enden Effekten differenzierender Unterrichtsmethoden erscheint bemerkenswert, dass die Nutzung der Leseschablone innerhalb der Französisch-Lerngruppe keine besondere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dies gilt sowohl für Situationen der Einzelals auch der Partnersowie der Gruppenarbeit. Gerade im Fall „technischer“ (d. h. physisch und visuell wahrnehmbarer) Hilfsmittel und Assistenzsysteme, die nicht beeinträchtigte Lernende in der Regel nicht nutzen, besteht ein besonderes Risiko der Differenzwahrnehmung bzw. des Empfindens einer persönlichen Benachteiligung seitens der beeinträchtigten Schüler: innen. So kann angenommen werden, dass zum einen der ritualisierte Einsatz der Leseschablone in allen Unterrichtsfächern und zum anderen die Akzeptanz seitens der Lerngruppe dazu beiträgt, dass Franziska ihre Leseschablone in der 8. Klasse weiterhin als für sie effizientes Hilfsmittel der Textentschlüsselung nutzt. 8.3.2 Leseverstehen Mehrere Unterrichtssituationen, im Rahmen derer Franziska ihre Leseschablone einsetzt, waren im Französischunterricht bei der Bearbeitung der Lektüre Le journal de Tristan GRAND AIR (Grabowski 2015) beobachtbar. Diese wird seitens des Verlags als Ersatz für die fünfte Lektion des Lehrwerks À plus 3 vorgeschlagen und mit didaktisierten Begleit‐ materialien herausgegeben. Auch in vorherigen Lernjahren hat die Französischlehrkraft bereits auf vergleichbare Anschlusslektüren zurückgegriffen und Ganzschriften aus dem Bereich der Jugendliteratur im Französischunterricht lesen lassen. Aus literaturdidaktischer Perspektive zielen diese insbesondere auf ein extensives Lesen ab, dem u. a. positive Effekte auf Lesegeschwindigkeit und -flüssigkeit bzw. für die Etablierung einer dauerhaften Lesemotivation bei Schüler: innen (plaisir de lire) zugeschrieben werden (vgl. Topf 2009). Franziskas Lehrerin nutzt GRAND AIR primär zur Förderung des Leseverstehens und - nach eigenen Angaben - zur Variation im Bereich der im Französischunterricht eingesetzten Textsorten. Dabei greift sie auf Begleitmaterialien und Kopiervorlagen des Verlags zurück, die entlang bestimmter Sinnabschnitte chronologisch geordnet sind und sich auf jeweils fünf Seiten der Lektüre beziehen. Zu Beginn der jeweiligen Abschnitte wird das Textver‐ stehen in Form geschlossener bis halboffener Aufgabenformate geprüft (lire et comprendre). Die Schüler: innen bearbeiten diese Aufgaben entweder zu Hause oder in Einzelarbeit im Unterricht. 8.3 Franziska als Leserin im Französischunterricht 153 Die Auswertung der gestellten Aufgaben weist darauf hin, dass es Franziska gelingt, einen angemessenen Zugang zum Lesetext zu finden, denn sie macht nur vereinzelt Fehler beim detaillierten Leseverstehen. Diese werden in der Regel im Zuge einer nachbereitenden Partnerarbeit oder Plenumsphase geklärt; in entsprechende Diskussionen kann sich Fran‐ ziska inhaltlich einbringen. Aufgaben, die ein globales und selektives Leseverstehen ver‐ langen, bearbeitet sie nahezu fehlerfrei. Kommt es beim Lesen für Franziska zu Unklarheiten oder Verständnisschwierigkeiten, notiert die Schülerin offene inhaltliche Fragen am Rand der Aufgaben. Im Rahmen des Französischunterrichts besteht für die Lernenden dann meist die Möglichkeit, diese Unklarheiten im Plenum oder in Partnerarbeit („Lesetandems“) zu besprechen. Wie die Unterrichtsbeobachtungen indizieren, arbeitet Franziska bei diesen Aufgabenstellungen regelmäßig und inhaltlich zielgerichtet mit; zudem bearbeitet sie Hausaufgaben mit Bezug zum Leseverstehen lückenlos. Diese Befunde stehen grundsätzlich in Einklang mit Franziskas Perspektive auf das Leseverstehen, die im Rahmen des Interviews zum Ausdruck kommt. Jedoch war die Schülerin - trotz mehrfacher Nachfragen - kaum zu einer Thematisierung möglicher He‐ rausforderungen im Bereich des Leseverstehens anzuregen. Diese Zurückhaltung könnte zum einen darin begründet liegen, dass Franziska diesen Kompetenzbereich tatsächlich als wenig schwierigkeitsbesetzt wahrnimmt. Zum anderen könnte die Schülerin lesebezogene Schwierigkeiten gegenüber der Interviewerin nicht thematisieren wollen: Diese Option zur Erklärung des Interviewverlaufs ergibt sich auch für den Aspekt, dass die Schülerin schrift‐ lichen Leistungsüberprüfungen systematisch ausweicht und damit verbundene Sorgen bzw. negative Empfindungen in wenigen Worten distanziert „abhandelt“ (vgl. Kap.-8.4.4). Über den engen schulischen Kontext hinaus könnte als ein weiteres Erklärungsmuster hinzugezogen werden, dass Franziska auch in ihrer Freizeit gerne liest. Die vermehrte Auseinandersetzung mit Textrezeption, die auch außerhalb institutionalisierter Lehr-Lern- Kontexte erfolgt und somit von einer grundsätzlichen Leistungsorientierung entbunden ist, könnte sich in diesem Sinne auch positiv auf Franziskas Leseleistung im Französischen auswirken. Auch wenn die Schülerin nicht angibt, fremdsprachliche Werke zu lesen, könnte sich zum einen eine positive Grundhaltung zum Lesen, zum anderen die Schulung basaler Lesefertigkeiten in sprachenübergreifender Weise auch förderlich auf die Lesekompetenz im Französischen auswirken (vgl. Kap.-2.1.1.4). 8.3.3 Lautes Vorlesen Im Rahmen des Interviews mit Franziska erscheint auffällig, dass die Schülerin primär Anforderungen des lauten Vorlesens assoziiert, wenn sie allgemein nach dem „Lesen“ gefragt wird: Hierin sieht sie eine größere Herausforderung als in der Teilkompetenz des Leseverstehens (vgl. Franziska: Zeilen 379-403). Konkret nimmt Franziska die korrekte Aussprache von Wortenden und den Umgang mit stummen Lauten als problematisch wahr. Damit benennt sie Schwierigkeiten beim lauten Vorlesen, die primär im Bereich der Aussprache liegen; aus sprachstruktureller Sicht sind diese im Französischen erwartbar (vgl. Kap.-2.3.1.2). Weitere Aspekte, die gerade im Kontext von LRS relevant sein könnten, wie beispielsweise der Umfang des vorzulesenden Texts oder der Umgang mit einer herab‐ 154 8 Fallanalyse „Franziska“ gesetzten Lesegenauigkeit bzw. -geschwindigkeit, werden von Franziska nicht explizit als herausfordernd dargestellt. Die Unterrichtsbeobachtungen konvergieren mit dieser Selbsteinschätzung Franziskas: Der Schülerin gelingt es grundsätzlich, Aufgabenstellungen im Bereich des lauten Vorlesens zu bewältigen. Das, was Franziska vorliest, ist verständlich, wenn auch einige Male Schwierigkeiten bei der Aussprache finaler Laute notiert wurden (z. B. *[ɑ͂fɑ͂t] für frz. enfants ‚Kinder‘ [ɑ͂fɑ͂ ]). Auch greift die Schülerin beim lauten Vorlesen auf ihre Leseschablone zurück (vgl. Kap.-8.3.1), was in seltenen Fällen zu einem längeren Verharren auf einzelnen Wörtern und mehreren Ausspracheversuchen führt, aber die Verständlichkeit des vorgele‐ senen Texts nicht beeinträchtigt bzw. auch die Lehrkraft nicht zu Korrekturen veranlasst. Folglich kommt es seitens der Interviewerin zu einer Rückfrage in Bezug auf die genaue Vorgehensweise der Schülerin beim lauten Vorlesen im Plenum: I: Weil das habe ich mir auch notiert in eurem Unterricht, dass Frau [Name der Lehrkraft] auch öfter mal die Aufgabe gestellt hat, dass ähm ein Text gemeinsam vorgelesen wird, also reihum, jeder Schüler oder jede Schülerin dann so ein paar Sätze halt vorliest. Wie ist das in so einer Situation für dich? Also gehst du auf eine bestimmte Art und Weise dann ähm vor oder wie fühlst du dich in so einer Situation? F: Ähm also ich versuche halt immer Wort für Wort dann so ähm / Also ich sag mir jetzt nicht: „Hach, das ist so viel Text“, sondern so ich versuche jedes Wort ähm in meinem Kopf durchzugehen. Also ich lese mir den Text vorher so ein bisschen durch, während die anderen noch reden und so. Und dann ähm und schon mal ein bisschen vorlesen und dann versuche ich halt äh das so gut wie möglich vorzulesen. (Franziska: Zeilen 387-398) Franziskas Schilderungen, die sich mit ihrem tatsächlichen Verhalten in entsprechenden Unterrichtssituationen decken, weisen auf einen aktiven Umgang mit situationsbedingten Anforderungen des lauten Vorlesens hin. Potenzielle Vermeidungsstrategien, die auf eine umfassende Nicht-Bearbeitung entsprechender Aufgabenstellungen hinauslaufen können, wie es im Fall des Schreibens beobachtbar ist (vgl. Kap. 8.4.3), werden demgegenüber nicht identifiziert. In der Vorlesesituation selbst wählt die Schülerin vorrangig kognitive und unmittelbar textbezogene Strategien zur Vorentlastung des lauten Vorlesens (vgl. Bimmel 2002: 120): Indem Franziska den vorzulesenden Text sukzessive (d. h. „Wort für Wort“) in einzelne zu bewältigende Wörter segmentiert, versucht sie, schwierigkeitsbesetzte Stellen vorab zu identifizieren und sich eine entsprechende Aussprache bewusst zu machen. Dieses zielgerichtete und proaktive Vorgehen, das vor dem Hintergrund der unterrichtlichen Rahmenbedingungen nur ad hoc in der Vorlesesituation umgesetzt werden kann, wird von der Schülerin mit Strategien der (meta)kognitiven Selbstregulation (vgl. Oxford 2017: 171 f.) kombiniert: Diese zielen insbesondere darauf ab, sich die Machbarkeit des Arbeitsumfangs zu vergegenwärtigen und somit eine erfolgreiche Aufgabenbearbeitung zu initiieren („Also ich sag mir jetzt nicht: ‚Hach, das ist so viel Text‘“). 8.3 Franziska als Leserin im Französischunterricht 155 Franziskas Vorgehensweise, den Lesetext über eine Wort-für-Wort-Entschlüsselung Prozessen des lauten Vorlesens zugänglich zu machen, erscheint im Kontext der konkreten Unterrichtssituation angemessen und zielführend. Vor dem Hintergrund prosodischer Phänomene, die für das Französische konstitutiv sind (wie z. B. die Wortgruppenbetonung oder die Liaison), wären jedoch perspektivisch weitere Bearbeitungsschritte nötig, um sich von der Einzelwortebene zu lösen und eine noch flüssigere Vorlesekompetenz zu erreichen. Da die Lerngruppe erst in der Unterrichtssituation selbst von der Aufgabenstellung bzw. dem vorzulesenden Text erfährt, für den keine Vorbereitungszeit eingeräumt wird, ist auch für Franziska eine alternative bzw. langfristigere Vorbereitung der Vorlesesituation nicht möglich. Somit sind ihre Strategien der Aussprachevorbereitung parallel zu den Vorleseversuchen ihrer Mitschüler: innen angesiedelt. Dies ruft die Frage in Erinnerung, inwieweit das laute Vorlesen im Plenum Prozesse des Leseverstehens vielmehr hemmt als befördert, da die Schüler: innen ihre Aufmerksamkeit auf Fragen der Aussprache bzw. der Vorleseflüssigkeit lenken und den anderen Lernenden womöglich nicht zuhören. Vor dem Hintergrund der hohen Komplexität und Interaktivität gängiger Leseprozessmodelle überrascht nicht, dass hier für Fremdsprachenlernende eine kognitive Überlastung eintritt (vgl. Hermes 2017: 229). 8.3.4 Zwischenfazit: Perspektiven für die Leseförderung Da Franziska weder das Leseverstehen noch das laute Vorlesen überdurchschnittliche Schwierigkeiten bereiten bzw. die Schülerin auftretenden Herausforderungen bereits mit effizienten Lese- und Bewältigungsstrategien begegnet, fällt die Formulierung möglicher Perspektiven für die Leseförderung in Franziskas Fall weniger umfangreich aus. Sowohl die Unterrichtsbeobachtungen als auch das Interview mit Franziska, in dessen Rahmen sich kaum subjektiv empfundene Schwierigkeiten im Kontext des Lesens elizitieren ließen, deuten darauf hin, dass für die Teilkompetenz des Lesens im Französischen keine syste‐ matische - und möglicherweise LRS-bedingte - Abweichung von den anderen Franzö‐ sischlernenden besteht. Lediglich eine weitere Steigerung der Leseflüssigkeit (beim lauten Vorlesen) und die Überwindung der Leseschablone ließen sich als langfristige Zielsetzungen formulieren, wobei sich die Unterstützung des Leseprozesses auf rein visuell orientierender Ebene auch in folgenden Jahrgangsstufen umsetzen lassen müsste. Gerade im Bereich digitaler Tools liegen hier umfangreiche Entwicklungsmöglichen zur Überbrückung sowie gezielten Übung schwierigkeitsbesetzter Teilfertigkeiten von Lesekompetenz (vgl. Dawson et al. 2019). Indem beispielsweise auf Sprachaufnahmen oder Vorlesestifte zurückgegriffen wird, können das Vorlesen und Phonem-Graphem-Zuordnungen auf der Ebene eines gesamten Texts (und nicht nur auf Einzelwortebene) automatisiert werden. Franziskas aktive Auseinandersetzung mit den Anforderungen des Leseverstehens bzw. lauten Vorlesens bietet in diesem Sinne zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine Übertra‐ gung von Lernstrategien auch auf den Bereich des Schreibens - dort sind oftmals Vermei‐ dungsstrategien bzw. unvollständige Bearbeitungen von Schreibaufträgen beobachtbar (vgl. Kap.-8.4). In der Feststellung, dass sich im Fall von Franziska das Lesen als potenziell unproblematischer Kompetenzbereich darstellt, liegt aus methodisch-didaktischer Perspek‐ tive eine große Chance - gilt doch das Lesen als „Türöffner“ zu schriftsprachlichen Kompe‐ 156 8 Fallanalyse „Franziska“ tenzen insgesamt (vgl. Kap. 2.1.1.2). Da insbesondere das (Recht-)Schreiben im Schulkontext für Franziska negativ konnotiert ist und sich in Bezug auf orthographische Kompetenzen im Französischen ein tatsächlicher Leistungsunterschied zu ihren Mitschüler: innen erkennen lässt, wie in den folgenden Kapiteln herausgearbeitet wird, könnte eine integrierte Lese- und Schreibförderung die Arbeit an schwierigkeitsbesetzten Bereichen mit Erfolgserleb‐ nissen und einer langfristigen Motivationssteigerung in Verbindung bringen (vgl. Möller/ Schiefele 2004). 8.4 Franziska als Schreibende im Französischunterricht Während Franziska als Schülerin charakterisiert werden kann, die - gemessen an den An‐ forderungen des Französischunterrichts, der sozialen Bezugsnorm ihrer Mitschüler: innen und auch ihrer Selbstwahrnehmung - kaum überdurchschnittlichen Schwierigkeiten in Bezug auf die Teilkompetenz des Lesens begegnet, ergibt sich hinsichtlich des (Recht-)Schreibens ein differenzierteres Bild. Zum einen weist Franziska in dem isolierten Bereich der Orthographie tatsächlich größere Schwierigkeiten als die anderen Lernenden auf, hinsichtlich der Beherrschung von Grammatik und Lexik bestätigt sich dies jedoch nicht (vgl. Kap. 8.4.1.1). Zum anderen führen umfassende Vermeidungsstrategien der Schülerin zu einem wesentlich geringeren Umfang ihrer Schreibprodukte bzw. sogar zu einer Nicht-Bearbeitung bestimmter Schreibaufträge, was potenziell positive Effekte von Nachteilsausgleich und Notenschutz im Rahmen von Leistungsüberprüfungen beträchtlich einschränkt (vgl. Kap.-8.4.3.2). 8.4.1 Schülerleistungen im Bereich des (Recht-)Schreibens Im Folgenden wird zunächst eine Annäherung an Franziskas Schreibleistung im Vergleich zu dem Gesamtkorpus der Schreibprodukte aller Schüler: innen vorgenommen. Diese werden entlang der Fehlerkategorien „Lexik“, „Grammatik“ und „Orthographie“ analysiert, was für einen globalen Überblick über besonders schwierigkeitsbesetzte Bereiche sorgt (vgl. Kap. 8.4.1.1). Anschließend wird die Fehlerkategorie der Orthographie einer genaueren Analyse unterzogen, anhand derer Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen Franziska und ihren Mitschüler: innen (vgl. Kap.-8.4.1.2) bzw. Spezifika von Franziskas Rechtschreib‐ profil aufgezeigt werden (vgl. Kap.-8.4.1.3). - 8.4.1.1 Fehlerhäufigkeiten im Gesamtkorpus Im Rahmen der beobachteten Unterrichtsreihe begegnen die Schüler: innen unterschied‐ lichen Schreibanlässen: Zum einen sind gelenkte bzw. freie(re) Schreibanlässe wie die Sprachmittlungsaufgabe „Ich, Elias“ oder das Resümee des Films „De l’autre côté du périph“ zu bewältigen. Zum anderen sind zahlreiche Schreibaufträge Teil des Gesamtkorpus, die einen instrumentellen Zugriff auf die Schreibkompetenz verlangen, z. B. im Rahmen von Grammatikübungen oder Vokabeltests. Die folgende Übersicht weist den Umfang der Teilkorpora und die Gesamtzahl der jeweiligen Fehler als absoluten und relationalen Wert (in Form des Fehlerindex) aus: 8.4 Franziska als Schreibende im Französischunterricht 157 Wortanzahl Teilkorpora Orthographie/ Fehlerindex Grammatik/ Fehlerindex Lexik/ Fehlerindex Bastian 295 18/ 6,1 16/ 5,4 12/ 4,1 Dominik 422 14/ 3,3 10/ 2,4 4/ 0,9 Emilia 465 21/ 4,5 21/ 4,5 6/ 1,3 Franziska 301 24/ 8,0 8/ 2,7 9/ 3,0 Jacqueline 283 4/ 1,4 9/ 3,2 1/ 0,4 Jan 477 29/ 6,1 27/ 5,7 14/ 3,0 Lisa 404 7/ 1,7 16/ 4,0 6/ 1,5 Louisa 414 12/ 2,9 9/ 2,2 3/ 0,7 Lars 308 15/ 4,9 11/ 3,6 9/ 3,0 Natascha 386 14/ 3,6 11/ 2,8 4/ 1,0 Sarah 338 14/ 4,1 10/ 3,0 1/ 0,3 Valentina 382 21/ 5,5 24/ 6,3 12/ 3,1 Tab. 5: Fall „Franziska“: Übersicht über die Wortanzahlen der Teilkorpora und die Häufigkeiten verschiedener Fehlertypen Die tabellarische Übersicht legt bereits ein markantes Merkmal des Falls „Franziska“ offen: Die Schülerin hat nur etwas mehr als die Hälfte der im Rahmen der beobachteten Unterrichtsreihe gestellten Schreibaufträge überhaupt bearbeitet, was zu einem sehr geringen Umfang von Franziskas Teilkorpus führt. Forschungsmethodisch hat dies zur Folge, dass nur Schreibauf‐ träge, die auch von Franziska bearbeitet wurden, in die Erstellung der Teilkorpora der anderen Schüler: innen einbezogen wurden, um Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Die übrigen, nicht von Franziska bearbeiteten Schreibaufträge wurden hingegen auch von der Analyse der Teilkorpora ihrer Mitschüler: innen ausgeschlossen (vgl. Kap.-7.1.3). Hinsichtlich der Schreibanlässe, die Franziska nicht bearbeitet, zeigt sich folgende Systematik: Zum einen ist Franziska im Unterrichtsgeschehen grundsätzlich von repro‐ duktiven Schreibaufträgen befreit, d. h., sie fertigt beispielsweise keine Tafelabschriften an (vgl. Kap. 8.4.2). Zum anderen wurden drei Unterrichtssituationen kodiert, in deren Rahmen Franziska Schreibaufträge, die als Hausaufgaben anzufertigen waren, überhaupt nicht bearbeitet hat (vgl. Kat. 9.1.3 der Auswertung der Beobachtungsdaten, Anhang „Schriftlicher Fragebogen der Vorstudie“). Dies betrifft sowohl Teilaspekte übergeordneter Schreibaufträge, wie beispielsweise die Abschrift eines korrigierten Texts (vgl. Kap. 8.4.3.2), aber auch freiere Schreibaufträge. Diejenigen Aufgabenstellungen, denen sich Franziska im Bereich der Schriftlichkeit zuwendet, werden zudem relativ knapp ausgeführt: Nur Jacqueline und Bastian weisen geringfügig kleinere Teilkorpora auf. Hinzu kommt, dass Franziska bei schriftlichen Leistungsüberprüfungen zahlreiche Lücken lässt bzw. wenig tentative Schreibungen, d. h. Lösungsversuche, vornimmt (vgl. Kap. 8.4.4). 158 8 Fallanalyse „Franziska“ 63 Darüber hinaus zeigt sich im Rahmen von Vokabeltests, dass Franziska in diesem Bereich überdurch‐ schnittliche Defizite aufzuweisen scheint (vgl. Kap. 8.4.4), denn sie bearbeitet diese größtenteils nicht. Diese „Leerstellen“ sind in der Zählung der lexikalischen Fehler im Teilkorpus nicht als Fehler erfasst (vgl. Kap. 7.1.3). Betrachtet man die Ausprägungen der drei Fehlerkategorien bei allen Schüler: innen, wird deutlich, dass die jeweiligen Fehlerprofile sehr unterschiedliche Schwerpunkte aufweisen: Beispielsweise zeigen sich für die insgesamt leistungsstarke Schülerin Jacqueline sehr niedrige Fehlerhäufigkeiten; Orthographie und Lexik scheinen ihr kaum Probleme zu bereiten. Dem‐ gegenüber stellen sie die Konjugation von Verben auf -re (z. B. *ils résoudre le cas → ils résoudent le cas ‚sie lösen den Fall‘) und das Genus von Nomen (z. B. *ma temps → mon temps ‚meine Zeit‘) vor größere Schwierigkeiten, die sich auch in einem höheren Fehlerquotienten im Bereich der Grammatik niederschlagen. Jan weist demgegenüber vergleichsweise hohe Fehlerwerte in allen drei Bereichen der sprachlichen Mittel auf, die zumeist auf Interferenzen mit dem Englischen zurückzuführen sein könnten (z. B. *un failure → une faute ‚ein Fehler‘ oder *adventure → aventure ‚Abenteuer‘). Die Kategorie der lexikalischen Fehler zeigt bei (fast) allen Lernenden eine deutlich geringere Ausprägung als diejenigen der grammatischen und orthographischen Fehler-- lediglich bei Franziska gibt es eine sehr leichte Abweichung in Richtung Lexik (Fehlerindex: 3,0 gegenüber 2,7 bei der Grammatik). 63 Die Schwierigkeiten der Schülerin im Bereich des französischen Wortschatzes werden sich auch bei der detaillierten Analyse ihrer Schreibprodukte als gravierend herausstellen, da sie teilweise eine gelingende (schriftliche) Kommunikation einschränken (vgl. Kap.-8.4.3). Der Fehlerschwerpunkt innerhalb von Franziskas Teilkorpus besteht - wie bei sieben weiteren Lernenden - jedoch eindeutig im Bereich der Orthographie: In dieser Kategorie weist sie den höchsten Fehlerindex innerhalb der Lerngruppe auf; in den Bereichen Grammatik und Lexik sind dies Valentina bzw. Bastian. Im Gegensatz zu den Defiziten im Bereich der Lexik wirken sich die Rechtschreibfehler jedoch nur selten auf das Gelingen der schriftlichen Kommunikation im Rahmen des Französischunterrichts aus. Die globale und zunächst rein quantifizierende Analyse der Schreibprodukte deutet darauf hin, dass Franziska - im Vergleich zu ihren Mitschüler: innen und hinsichtlich ihres persönlichen Fehlerprofils - nicht in allen drei Domänen der sprachlichen Mittel gleichermaßen umfän‐ glichen Herausforderungen begegnet. Diese wirken sich jedoch in unterschiedlichem Maß auf die Qualität der Schreibprodukte bzw. die Erfüllung der Schreibaufträge aus. - 8.4.1.2 Orthographische Leistungen der Schüler: innen im Überblick Während im vorherigen Kapitel eine globale Betrachtung der drei Fehlerkategorien erfolgte, werden im Folgenden die orthographischen Leistungen der Lerngruppe einer genaueren Analyse unterzogen. Hier stellt sich insbesondere die Frage, inwieweit Franziska als von LRS betroffene Schülerin auf quantitativer und qualitativer Ebene ähnlichen Rechtschreibschwierigkeiten wie ihre Mitschüler: innen begegnet bzw. inwiefern sich ihre individuellen Schwierigkeiten von denen den anderen Lernenden unterscheiden. Die fol‐ gende Übersicht zeigt, welche orthographischen Fehlertypen in den jeweiligen Teilkorpora der Schüler: innen wie häufig zu finden sind: 8.4 Franziska als Schreibende im Französischunterricht 159 Bastian Dominik Emilia Franziska Jacqueline Jan Lars Lisa Louisa Natascha Sarah Valentina Ge‐ samt Auslassungen von Buchstaben 3 3 2 3 / 4 3 / 2 / 1 5 26 Diakritika 8 3 12 5 1 9 4 5 4 9 7 7 74 Elision / 2 2 / / / / / 3 1 2 1 11 Falsches Graphem / / / 2 / 1 1 / 1 1 / 1 7 Fehlerinkonstanz / / / / / / / / / / / / / Groß- und Kleinschreibung 1 / / 4 / 2 2 / 1 / / 1 11 Hinzufügungen von Buchstaben 2 / 2 4 1 4 2 1 / 1 / 1 18 orthographe grammaticale 3 6 3 4 2 8 2 1 1 2 3 5 40 Phonematische Realisierung / / / / / / / / / / / / / Reihenfolge von Buchstaben 1 / / / / / / / / / 1 / 2 Segmentierung / / / 1 / 1 / / / / / / 2 Wortzeichen / / / 1 / / 1 / / / / / 2 Gesamt 18 14 21 24 4 29 15 7 12 14 14 21 193 Tab. 6: Fall „Franziska“: Übersicht über die Häufigkeiten orthographischer Fehlertypen in den Teilkorpora 160 8 Fallanalyse „Franziska“ Auf der Ebene der gesamten Lerngruppe stellen sich die Diakritika und die orthographe grammaticale mit Abstand als dominanteste Fehlertypen heraus. Hier machen alle Schüler: innen Fehler und die beiden Kategorien bilden ebenso die Fehlerschwerpunkte innerhalb der jeweiligen orthographischen Kompetenzprofile. Auch Franziskas Teilkorpus weist in diesen Bereichen Fehlschreibungen auf, jedoch bilden die Diakritika bei ihr keinen Fehlerschwerpunkt: Vielmehr kennzeichnet sich Franziskas Rechtschreibprofil durch eine vergleichsweise breite Streuung der Fehlertypen; als einzige Lernende macht sie in acht von zwölf Kategorien Rechtschreibfehler. Für Bastian, Jan und Valentina, die ebenfalls erhöhte Fehlerindexe im Bereich der Ortho‐ graphie aufweisen, bilden sich demgegenüber eindeutigere Fehlerschwerpunkte heraus. Im Fall der Schülerinnen Emilia und Natascha zeigt sich beispielsweise, dass diese mehr als die Hälfte aller Rechtschreibfehler im Bereich der Diakritika produzieren, wobei insbesondere die Setzung bzw. Differenzierung von accent aigu und accent grave Schwierigkeiten bereitet (z. B. *trés → très ‚sehr‘ oder *àpres → après ‚nach‘). Angesichts der visuellen und sprachstrukturellen Nuanciertheit der Akzentsetzung im Französischen überrascht es, dass Franziska als Schülerin mit LRS in diesem Bereich keine überdurchschnittlichen Schwierigkeiten aufweist und auch sprachsystematisch seltenere Diakritika wie die Cedille oder den accent circonflexe korrekt umsetzt. Bestimmte Fehlerkategorien sind selten bis gar nicht in den Teilkorpora repräsentiert: Dies betrifft die „Fehlerinkonstanz“, die „phonematische Realisierung“, die „Reihenfolge von Buchstaben“, die „Segmentierung“ und die „Wortzeichen“. Hier bildet sich eine lerngruppenbezogene Tendenz heraus, von der auch Franziskas Rechtschreibprofil nicht abweicht, das im Folgenden vorgestellt wird. - 8.4.1.3 Franziskas Rechtschreibprofil Für die Einordnung von Franziskas Schreibleistung ist die Beobachtung, dass bestimmte Fehlerkategorien innerhalb des Korpus kaum oder gar nicht anzutreffen sind, von beson‐ derer Relevanz - werden doch gerade Kategorien wie die „phonematische Realisierung“, die „Fehlerinkonstanz“ und das Vertauschen der „Reihenfolge von Buchstaben“ oftmals mit für LRS typischen Schwierigkeiten in Verbindung gebracht (vgl. Kap. 3.4.2). Mit den „Diakritika“ (z. B. *trés → très ‚sehr‘), der „Groß- und Kleinschreibung“ (z. B. *Livre → livre ‚Buch‘), den „Hinzufügungen von Buchstaben“ (z. B. *cheff → chef ‚Chef ‘) und der „orthographe grammaticale“ (z. B. *les jeune → les jeunes ‚die Jugendlichen‘) bilden sich nur kleinere Schwerpunkte in Franziskas Rechtschreibprofil heraus: 19 von insgesamt 24 Rechtschreibfehlern begeht die Schülerin in diesen vier Bereichen. Während Franziskas Rechtschreibleistung aus quantitativer Sicht leicht von ihren Mitschüler: innen abweicht (vgl. Kap. 8.4.1.1), können aus qualitativer Perspektive keine potenziell LRS-spezifischen Fehler herausgearbeitet werden, die zu einer grundsätzlichen Abweichung von Franziskas Rechtschreibprofil im Vergleich zu den übrigen Lernenden führen würden. Die Sichtung der orthographischen Fehlschreibungen in ihrem jeweiligen sprachlichen Kontext deutet zudem darauf hin, dass sich diese in Franziskas Fall nur selten auf die Verständlichkeit des Geschriebenen auswirken. Beispielsweise schreibt die Schülerin Sub‐ stantive groß, die im Französischen (mit wenigen Ausnahmen) klein geschrieben werden (s. o.). Auch wenn überrascht, dass vor dem Hintergrund dieser vermeintlich einfachen Regel überhaupt Schwierigkeiten entstehen (als mögliche Fehlerursache liegt hier die 8.4 Franziska als Schreibende im Französischunterricht 161 Übertragung der Regularitäten aus dem Deutschen nahe), dürften Leser: innen, die keine Fehleranalyse verfolgen, diese Fehlschreibung im Text womöglich einfach überlesen (vgl. Christmann 2015: 34 f. zum sakkadischen Lesen). Demgegenüber können orthographische Fehlschreibungen, die mehrere Fehlertypen kombinieren und an der Grenze zu einer Kategorisierung als lexikalische Fehler liegen, die Leseflüssigkeit bzw. Verständlichkeit des Geschrieben sehr wohl beeinträchtigen (z. B. „Segmentierung“ und „Auslassung“ bei *parcque → parce que ‚weil‘). Weitreichendere Konsequenzen für eine gelingende Kommunikation ergeben sich hingegen durch Fehler im lexikalischen und grammatischen Bereich, beispielsweise wenn Franziska Schwierigkeiten hat, das Passiv zu bilden und/ oder grundlegende Lexeme nicht abrufen kann (vgl. Kap.-8.4.3.2). Franziska selbst schätzt ihre Rechtschreibleistung nicht als unterdurchschnittlich ein. Dies geht damit einher, dass die Schülerin ihren LRS nicht per se einen negativen Einfluss auf ihr (Fremd-)Sprachenlernen zuspricht. Franziska macht dies vorrangig an der sozialen Bezugs‐ norm ihrer Mitschüler: innen fest: Ihre Rechtschreibleistung weicht in ihrer Wahrnehmung nicht grundsätzlich von den Leistungen der anderen ab (vgl. Kap. 8.5.1). In Bezug auf mögliche Auswirkungen ihrer LRS auf das Französischlernen assoziiert die Schülerin jedoch sehr wohl Probleme im Bereich der Rechtschreibung. Dies wird deutlich, als Franziska zu den möglichen Auswirkungen ihrer LRS auf das Französischlernen befragt wird: I: Und im Französischunterricht, ähm wo fühlst du dich da so mit Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten konfrontiert? F: Ähm (…) Ja, wenn wir irgendwas schreiben sollen und ich dann ähm ja (…) das nich/ Diese Wörter, obwohl ich die schon so kenne, ich weiß, wie sie ausgesprochen werden, aber ich weiß jetzt auch nicht, ob die dann mit einem M oder so geschrieben werden oder mit zwei oder so (…). (Franziska: Zeilen 328-333) Franziskas Einschätzung korrespondiert mit den Unterrichtsbeobachtungen, die nicht auf besondere Schwierigkeiten beim Lesen, jedoch auf überdurchschnittliche Herausforde‐ rungen in Auseinandersetzung mit der französischen Rechtschreibung hinweisen. Demge‐ genüber besteht eine gewisse Divergenz ihrer Schilderungen in Bezug auf die konkreten, textbezogenen Anforderungen: Während die Schülerin angibt, entsprechende Lexeme und deren Aussprache bereits zu kennen, jedoch bei der konkreten Notation der Wörter Unsicherheiten zu begegnen, zeigen sich gerade im Fall freier(er) Schreibprodukte oder bei Vokabeltests (vgl. Kap. 8.4.4) vermehrte Schwierigkeiten im Bereich der Lexik. Diese reichen von der Wahl falscher Lexeme im Wörterbuch über das Nicht-Abrufen bereits bekannten Vokabulars bis hin zu der Nicht-Bearbeitung schriftlicher Leistungsüberprüfungen. Nur in seltenen Fällen sind jedoch tentative Schreibungen beobachtbar, die auf eine Kenntnis des Lexems, nicht jedoch auf die Beherrschung der konkreten Rechtschreibung hindeuten könnten. 8.4.2 Basale Schreibfertigkeiten und reproduktives Schreiben Die Auswertung aller Schreibprodukte Franziskas deutet darauf hin, dass die Schülerin über ausreichende feinbzw. graphomotorische Fähig- und Fertigkeiten verfügt, um 162 8 Fallanalyse „Franziska“ 64 Eine Ausnahme bildet hier ein Vokabeltest, bei dem die deutschen Ausgangswörter bzw. -sätze zu Beginn als Diktat notiert werden müssen (vgl. Kap. 8.4.4). Aufgabenstellungen im Bereich der Schriftlichkeit im Französischunterricht angemessen umzusetzen. So zeigt sich in den Unterrichtsbeobachtungen keine Problematik im Bereich der Bearbeitungsbzw. Schreibgeschwindigkeit; 64 auch sind ihre Schreibprodukte grund‐ sätzlich gut lesbar. Die Rezeption des Geschriebenen wird jedoch-- gerade im Fall freierer Schreibaufträge - an einigen Stellen durch Streichungen erschwert: Diese beziehen sich auf alle Bereiche der sprachlichen Mittel, d. h. sowohl grammatische als auch lexikalische sowie orthographische Korrekturen (vgl. Kap.-8.4.3). Während Franziska nicht auf technik- oder hilfsmittelbasierte Unterstützungssysteme wie spezifische Stifte, Stifthalter oder auch softwarebasierte Lösungen zurückgreift, die Schreibprozesse entlasten können, wird sie im Unterrichtsgeschehen grundsätzlich von An‐ forderungen des reproduktiven Schreibens befreit: Franziska muss nicht wie alle anderen Schüler: innen Tafelabschriften anfertigen, sondern kann die Ergebnissicherungen über eine Lernplattform abrufen. Diese Maßnahme der medial gestützten Binnendifferenzierung (vgl. Bönsch 2009: 13 f.) lässt sich an Franziskas Schule unkompliziert umsetzen, da alle Klassenzimmer mit funktionstüchtigen Computern und Beamern ausgestattet sind. So kann die Lehrkraft alle Mitschriften am Computer vornehmen und entsprechende Tafelbilder an die Wand projizieren, sodass die übrigen Lernenden diese weiterhin abschreiben können. Gespräche mit Franziskas Lehrkraft, die als „Nebendaten“ (vgl. Kap. 5.3.1) erhoben wurden, haben ergeben, dass die geschilderte Differenzierungsmaßnahme insbesondere Leseprozesse „auf Distanz“ entlasten, eine adäquate Ergebnissicherung und damit die häus‐ liche Weiterarbeit an Inhalten des Französischunterrichts ermöglichen soll. Hinsichtlich möglicher Perspektiven für die Schreibförderung wäre zu diskutieren, wie eine Brücke von Kompensationshin zu entsprechenden Fördermaßnahmen geschlagen werden könnte. Diese könnten Franziska langfristig ermächtigen, auch diesen Teil von Schreibkompetenz zu entwickeln (vgl. Kap.-8.4.4). 8.4.3 Gelenktes und freie(re)s Schreiben Im Folgenden werden zwei Schreibprodukte Franziskas einer genaueren Analyse unter‐ zogen. Diese stehen exemplarisch für gelenkte bzw. frei(er)e Schreibaufträge, die im Kontext des beobachteten Französischunterrichts von den Schüler: innen realisiert werden. Das erste Beispiel besteht in der schriftlichen Sprachmittlung einer deutschsprachigen Zusammenfassung eines Jugendromans ins Französische, das zweite im Resümee der Handlung des Films „De l’autre côté du periph“ und in einer persönlichen Bewertung des Films. Während die erste Aufgabe in Einzelarbeit während des Unterrichts bearbeitet wird, bringen die Schüler: innen die zweite Aufgabe als Hausaufgabe mit in die folgende Französischstunde. - 8.4.3.1 Médiation du texte allemand Ich, Elias Franziska und ihre Mitschüler: innen sind in den vergangenen Schuljahren bereits mehrfach mit Sprachmittlungsaufgaben in Berührung gekommen; mögliche Aufgabenstellungen und 8.4 Franziska als Schreibende im Französischunterricht 163 Vorgehensweisen sollten den Schüler: innen somit grundsätzlich vertraut sein. Der konkrete Arbeitsauftrag lautet wie folgt: „Ton copain français s’intéresse à ce roman. Mais il ne comprend pas très bien le résumé. Lis le texte et explique-lui les points importants.“ (Blume et al. 2014: 41). Die Schüler: innen sind aufgefordert, zentrale Punkte der Zusammenfassung des deutschen Jugendromans „Ich, Elias“ von Luca Bloom für einen (fiktiven) französischen Freund ins Französische zu übertragen. Für eine erfolgreiche Aufgabenbearbeitung müssen die Schüler: innen somit verschiedene Teilanforderungen bewältigen: Nach dem Lesen und Verstehen des deutschsprachigen Ausgangstexts sollte eine Informationsselektion erfolgen und die wichtigsten inhaltlichen Punkte ausgewählt werden; diese müssen ins Französische übertragen und so präsentiert werden, dass sie einem etwa gleichaltrigen Jugendlichen verständlich sind. Eine Konkretisierung der Textsorte (z. B. in Form einer E-Mail) erfolgt weder im Rahmen der Aufgabenstellung noch im Zuge des Unterrichtsgesprächs, weshalb sich die Lerngruppe auf eine reine Inhaltspräsentation ohne direkten Adressatenbezug beschränkt. (vgl. Krombach 2022: 119 für vergleichbare Befunde im Englischunterricht der Sek. II). In Teilaufgabe 7a) wird auf die entsprechenden Ratschläge im Methodenteil des Lehrbuchs verwiesen; dort werden Strategien für die Bearbeitung schriftlicher Sprachmitt‐ lungsaufgaben erläutert. Diese Strategien werden vor der Bearbeitung der vorliegenden Sprachmittlungsaufgabe im Plenum besprochen; Franziska bringt sich in dieses Unterrichtsgespräch selbst nicht aktiv ein. Dennoch geht sie bei der Bearbeitung der Aufgabe, die im Rahmen einer Einzelarbeit während des Unterrichts erfolgt, systematisch vor: Sie notiert zunächst stichwortartig die aus ihrer Sicht wichtigsten inhaltlichen Aspekte, bevor sie diese zu einem kohärenten Text zusammenfügt. Jedoch berücksichtigt die Schülerin dabei nicht, dass für die Sprachmittlungsrichtung aus dem Deutschen in das Französische empfohlen wird, bereits die zusammenfassenden Notizen in der Fremdsprache anzufertigen, um einer abschnittsweisen, rein wörtlichen Übersetzung vorzubeugen. Die folgende Abbildung zeigt Franziskas Schreibprodukt, das in Einzelarbeit während der Französischstunde entstanden ist: Abb. 12: Fall „Franziska“: Schreibprodukt Moi, Elias 164 8 Fallanalyse „Franziska“ Franziska erfüllt - im Hinblick auf die inhaltlichen Merkmale des Ausgangstexts und im Vergleich zu ihren Mitschüler: innen-- die Übertragung der wichtigsten Aspekte des Texts in Grundzügen. Einige zentrale Punkte der Lebenssituation des Protagonisten Elias werden genannt (z. B. geht er auf eine Schule ohne seine Freunde; dort lernt er die neue Schülerin Zoé kennen, was zu einer grundlegenden Veränderung führt), an manchen Stellen jedoch unvollständig dargestellt oder missverständlich formuliert. Beispielsweise ist Elias gemäß dem Ausgangstext nicht grundsätzlich alleine oder einsam, sondern lebt aktuell alleine bzw. ausschließlich zusammen mit seiner Mutter (d. h. ohne den Vater); dies wurde bereits auf Deutsch inkorrekt zusammengefasst („lebt alleine“) und folglich auch nicht adäquat ins Französische übertragen („qui est seul“). Weitere Aspekte, die für das Textverständnis relevant sind und inhaltliche „Scharniere“ der Zusammenfassung bilden, fehlen darüber hinaus in Franziskas deutschsprachigen Notizen (z. B. spricht Zoé niemals von ihrer Familie und Elias spürt, dass sie ein Geheimnis zu bewahren scheint; daraufhin macht er auf der Klassenfahrt einen Fehler). An diesen Punkten zeigt sich, dass Franziska bereits das Leseverstehen des deutschsprachigen Ausgangstexts bzw. die angemessene Selektion von Informationen vor Herausforderungen stellt. Dieser erste Schritt der Bearbeitung von Sprachmittlungsaufgaben sollte nicht nur, aber insbesondere im Kontext von LRS nicht unterschätzt werden. An anderen Stellen sind inhaltliche Defizite des Schülertexts durch Schwierigkeiten bei der Übertragung der deutschen Stichpunkte ins Französische begründet: Beispielsweise finden sich in Franziskas vorbereitenden Notizen Aspekte wie Elias’ Schüchternheit oder seine Zurückhaltung gegenüber seinen Freunden infolge der zunehmenden Zeit, die er mit Zoé verbringt und in die er verliebt ist. Diese werden jedoch nicht ins Französische übertragen. Das einsprachige Wörterbuch scheint die Schülerin auch nicht als Hilfestellung wahrzunehmen; sie greift in keiner Phase der Erstellung des Schreibprodukts darauf zurück. Der Großteil von Franziskas Mitschüler: innen beherrscht an dieser Stelle die notwendige Lexik besser und formuliert die entsprechenden Aspekte direkt auf Französisch (z. B. dt. schüchtern → frz. timide, dt. verliebt → frz. amoureux, -se) bzw. findet passendere Paraphrasen (z. B. formuliert die Mitschülerin Lisa für dt. Nachhilfe im Fach Geschichte geben → frz. aider avec ses devoirs anstelle von frz. expliquer l’histoire). Auf mögliche soziale Ressourcen wie leistungsstärkere Mitschüler: innen oder die Französischlehrkraft, die während der Phase der Einzelarbeit in der Klasse umhergeht und für Rückfragen immer zur Verfügung steht, greift Franziska nicht zurück. Franziska nimmt sowohl während der Formulierung des Texts als auch nach dessen Fertigstellung darin zahlreiche Streichungen und Korrekturen vor. Diese erstrecken sich auf verschiedene sprachliche Teilbereiche und werden von der Schülerin ohne Rückgriff auf Hilfsmittel umgesetzt: • lexikalische Elemente wie *exquis/ → excursion ‚Exkursion‘, • grammatische Aspekte wie Genus (*une garçon → un garçon ‚ein Junge‘), Verbkonju‐ gation (*Elias faire/ fais → Elias fait ‚Elias macht‘) oder Wortstellung (*dans l’écolle l’histoire → l’histoire dans l’école ‚Geschichte in der Schule‘), • Wörter mit fehlerhafter Rechtschreibung (*historie → histoire ‚Geschichte‘). 8.4 Franziska als Schreibende im Französischunterricht 165 Dies deutet darauf hin, dass Franziska im Rahmen der auf die Phase der eigentlichen Text‐ erstellung folgende correction du texte einen reflektierten Zugang zu ihrem eigenen Schreib‐ produkt findet. Zum einen gelingt es ihr, auf der Ebene des „Schreibprozessmanagements“ (Krings 2016: 107) ein gewisses Zeitfenster für Korrekturen einzuplanen bzw. intuitiv zu nutzen, was ein hohes Maß an Ausdauer und Konzentration erfordert. Zum anderen findet sie für einige fehlerhafte Textstellen noch die korrekten Alternativen. Dabei sind der integrierte Rückgriff auf Lese- und Schreibfertigkeiten sowie eine gewisse „Sprachbewusstheit“ (KMK 2012: 21; vgl. Vollmer 2017) in Bezug auf die sprachlichen Mittel erforderlich, was einer Distanzierung vom eigenen Text bedarf. Vor dem Hintergrund dessen, dass-- nicht nur, aber gerade bei LRS-- der Zugang zu eigenen Schreibprodukten auf einer metakognitiven Ebene als erschwert gilt (vgl. Bludau 2002: 87; Krings 2016: 109), kann Franziska hier durchaus eine entwickelte „Überarbeitungskompetenz“ (Blume 2008: 7) bescheinigt werden - auch wenn einige sprachliche Fehler unentdeckt bleiben (z. B. *écolle → école ‚Schule‘). Die Korrekturen der Schülerin beziehen sich in der abschließenden Phase der Textrevision vorrangig auf eine Mikroebene (schrift-)sprachlicher Korrektheit, da in Aspekte der Textgestaltung auf einer Makroebene kaum mehr eingegriffen werden kann. So liegen einige sprachliche Defizite auf einer Ebene, die primär während der Phase der préparation du texte hätten adressiert werden können: Gerade die Formulierung französischsprachiger Stichworte und Chunks hätte in den Bereichen der Lexik und der Grammatik unterstützend wirken können. Zudem bestünden in Bezug auf die Textkohärenz Möglichkeiten, anhand kohäsiver Elemente (wie z. B. Konjunktionen) die ausgeprägt parataktische Struktur des Texts zu durchbrechen und mit komplexeren Zusammenhängen anzureichern. Die Analyse von Franziskas Schreibprodukt legt erwartbare Herausforderungen bei der Bearbeitung schriftlicher Sprachmittlungsaufgaben im Französischunterricht offen, wie sie allen Fremdsprachenlernenden begegnen. Diese bestehen sowohl hinsichtlich des Verständnisses, der Identifikation und Auswahl zentraler inhaltlicher Aspekte des Ausgangstexts sowie der (sprachlich korrekten) Übertragung dieser Punkte ins Franzö‐ sische. Dies zeigt zunächst, dass sich die Schülerin - trotz ihrer LRS und wie ihre Mitschüler: innen - aktiv mit dem Arbeitsauftrag im Bereich des gelenkten bzw. frei(er)en Schreibens im Rahmen der Sprachmittlungsaufgabe auseinandersetzt. Sie ist in der Lage, einen zielgerichteten und verständlichen Text im Französischen zu verfassen, auch wenn dieser einige inhaltliche Defizite und sprachliche Fehler aufweist, die das Verständnis an einigen Stellen beeinträchtigen können bzw. inhaltliche Punkte des Ausgangstexts nicht adäquat repräsentieren. Wenngleich Franziska einige Punkte entlang einer kriterialen Bezugsnorm erfüllt, legt der Vergleich mit der sozialen Bezugsnorm ihrer Mitschüler: innen offen, dass diese im Durchschnitt die Sprachmittlungsaufgabe inhaltlich komplexer und sprachlich korrekter erfüllen. Ansätze zu einer möglichen Weiterarbeit mit Franziskas Schreibprodukt liegen methodisch sowohl auf der Ebene der Sprachmittlung (z. B. der Informationsselektion und der Herstellung eines Adressatenbezugs) als auch in der Wei‐ terarbeit an individuellen Schwierigkeiten in allen Bereichen der sprachlichen Mittel. In der folgenden Unterrichtssequenz werden insbesondere Bearbeitungsstrategien schriftlicher Sprachmittlungsaufgaben mit Bezug zur gesamten Lerngruppe rekapituliert; eine differen‐ zierte Weiterarbeit an individuellen Fehlerschwerpunkten bzw. den Teilfertigkeiten des 166 8 Fallanalyse „Franziska“ Lesens und Schreibens, die für die Realisierung von Sprachmittlungsaufgaben essenziell sind, erfolgt demgegenüber nicht. - 8.4.3.2 Résumé du film De l’autre côté du périph Das zweite Beispiel, das zur Analyse der Umsetzung gelenkter bzw. frei(er)er Schreibauf‐ träge durch Franziska herangezogen wird, stellt die Zusammenfassung des Films De l’autre côté du périph (deutscher Titel: Ein Mordsteam) dar. Die konkrete Aufgabenstellung aus dem cahier d’activités des Lehrwerks À-Plus-3 lautet: „De quoi parle ce film-? Écris le texte pour ta présentation en français dans ton cahier. Donne aussi ton avis.“ Im Rahmen der zuvor behandelten Unité 2 wurde umfassend auf Film- und Buchvorstellungen eingegangen und entsprechendes Vokabular bzw. Redemittel erarbeitet. Nachdem die Schüler: innen den Trailer des Films im Unterricht gesehen haben, bearbeiten sie die Schreibaufgabe als Hausarbeit. Als weitere Informationsquelle steht den Schüler: innen ein deutschsprachiges Resümee des Films zur Verfügung. Weiterhin sind die Lernenden aufgefordert, ausgewählte Wörter zur lexikalischen Vorentlastung der Schreibaufgabe aus einem (zweisprachigen) Wörterbuch herauszusuchen („Trouve comment on dit ces mots en français. Utilise un dictionnaire.“, Teilaufgabe 8a). Die Hausaufgaben werden in der darauffolgenden Stunde eingesammelt und von der Lehrerin korrigiert an die Lernenden zurückgegeben. Die folgende Abbildung zeigt Franziskas Schreibprodukt, das mit den Korrekturen der Lehrkraft versehen ist: Abb. 13: Fall „Franziska“: Resümee des Films De l’autre côté du périph Analog zu der analysierten Sprachmittlungsaufgabe (vgl. Kap. 8.4.3.1) legt Franziskas Schreibprodukt offen, dass sich die Schülerin im Rahmen der Hausaufgabe um eine ernsthafte inhaltliche Bearbeitung der Aufgabe bemüht hat; auch entspricht der Umfang ihres Texts dem Durchschnitt der Lerngruppe. Jedoch gelingt es Franziska auch in diesem Fall nur in Grundzügen, die geforderte Aufgabenstellung zu bearbeiten. Einige zentrale inhaltliche Aspekte haben Eingang in das Schreibprodukt der Schülerin gefunden, sind jedoch nicht immer verständlich bzw. in ihren Bezügen nicht durchweg eindeutig dar‐ gestellt. Beispielsweise wird im Film nicht die Leiche des Wirtschaftsbosses Jean-Éric 8.4 Franziska als Schreibende im Französischunterricht 167 Chaligny gefunden - wie ursprünglich aus Franziskas Text hervorgeht -, sondern die seiner Ehefrau. Dieser falsche Zusammenhang sowie die fehlende Passivkonstruktion erschweren den Einstieg in Franziskas Text für Leser: innen, die den Film bzw. das deutschsprachige Resümee nicht kennen, enorm. Die inhaltliche Zusammenfassung des Films nimmt den größten Teil von Franziskas Text ein, sodass ihre Meinung zu dem Film nur im Schlusssatz zum Ausdruck kommt. Somit wird der zweite (aber auch kleinere) Teil der Aufgabenstellung in sehr knapper Form abgehandelt. Dies fällt jedoch bei den meisten Schreibprodukten der Lerngruppe auf: Die Schüler: innen formulieren ihre Eindrücke - wenn überhaupt - nur in wenigen Worten. Dies könnte darin begründet sein, dass für die Vorbereitung der Schreibaufgabe im Französischunterricht nur ein sehr begrenztes Zeitfenster zur Verfügung steht bzw. die Aspekte bei der Bearbeitung der Hausaufgabe rekapituliert werden müssen, zumal der zweite Teil der Aufgabenstellung womöglich überlesen wird. Überdies erfolgt die Formulierung der eigenen Meinung lediglich auf Basis des Trailers bzw. des deutschsprachigen Resümees. Diejenigen lexikalischen Elemente, die zur Vorbereitung der Aufgabe zu recherchieren waren, hat Franziska adäquat im Wörterbuch nachgeschlagen und - orthographisch korrekt - in ihrem Text verwendet (z. B. le commissaire ‚der Kommissar‘, le cadavre ‚die Leiche‘, puissant ‚mächtig‘). Lediglich im Fall einer Textstelle (*démarrer la désignation → commencer l’enquête ‚die Ermittlung beginnen‘) wurden nicht die passenden Lexeme he‐ rausgesucht. Die weiteren lexikalischen Unsicherheiten der Schülerin betreffen Wörter, die nicht spezifisch zur Textvorbereitung zu recherchieren waren, sondern im dritten Lernjahr bereits beherrscht werden müssten (z. B. *à française → en France ‚in Frankreich‘). Während die Schwierigkeiten im Bereich der Lexik und der Grammatik (insbesondere des Satzbaus) die Verständlichkeit des vorliegenden Schreibproduktes durchaus beeinträchtigen, ist dies für die auftretenden Rechtschreibfehler nicht zu bemerken. Denn wie bereits für Franziskas Teilkorpus herausgearbeitet wurde (vgl. in Kap. 8.4.1.1), sind diese in der Regel nicht so signifikant, dass der Sinn des geschriebenen Worts verfälscht würde (z. B. *le cheff → le chef ‚der Chef ‘). Franziskas Französischlehrerin reagiert auf das Schreibprodukt der Schülerin mit einer klassischen „Positivkorrektur“, d. h., die korrekten Formulierungen werden von der Lehrkraft direkt in den Lernertext eingefügt und bilden die Basis für die schülerseitige Abschrift der korrigierten Textversion (vgl. Philipp/ Sommerschuh 2017: 250). Diese sollte die Schülerin als Hausaufgabe für die kommende Stunde vollziehen; jedoch kommt Franziska diesem Arbeitsauftrag nicht nach. Dies führt dazu, dass die direkten Korrekturen durch die Lehrkraft nicht als Instrument der didaktischen Begleitung der Schreibprozesse der Schülerin wirken können und von Franziska während der Unterrichtsstunde nur einmal gelesen werden. Die beiden Beispiele für gelenkte bzw. freie(re) Schreibaufträge verdeutlichen, dass Franziska im Französischunterricht durchaus zusammenhängende Texte zu verfassen vermag, auch wenn auf inhaltlicher Ebene und in verschiedenen sprachlichen Teilbereichen deutliche Schwierigkeiten identifiziert werden. Dieser Befund steht in Kontrast zu schriftlichen Leistungsüberprüfungen des Französischunterrichts: Dort manifestiert sich eine regelrechte Schreibhemmung, die fast immer zu einer Nicht- Bearbeitung der Schreibaufträge führt, was im Folgenden exemplarisch anhand von zwei Vokabeltests diskutiert wird. 168 8 Fallanalyse „Franziska“ 8.4.4 Schriftliche Leistungsüberprüfungen Im Folgenden werden zwei Vokabeltests einer genaueren Analyse unterzogen, die im Rahmen der beobachteten Unterrichtsreihe geschrieben wurden und stellvertretend für Franziskas Schwierigkeiten im Bereich schriftlicher Leistungsüberprüfungen stehen können. Der test de vocabulaire n o 3 fragt relevantes Vokabular zu dem Film Intouchables ab. Er zielt sowohl auf die Überprüfung isolierter lexikalischer Elemente als auch auf die Niederschrift zusammenhängender Sätze ab, die zuvor in identischer Form im Unterricht thematisiert wurden. Somit ist der Vokabeltest stark reproduktiv angelegt und bezieht sich auf nur einen sehr engen Ausschnitt der Unterrichtsinhalte, die unmittelbar zuvor besprochen wurden. Die zentrale Anforderung für die Lernenden besteht darin, die von der Lehrkraft klar definierten Inhalte zu memorieren und sowohl Wortbedeutungen als auch korrekte Schreibungen abrufen zu können. Im Folgenden ist Franziskas korrigierter Vokabeltest abgedruckt: Abb. 14: Fall „Franziska“: Test de vocabulaire no. 3 8.4 Franziska als Schreibende im Französischunterricht 169 In Einklang mit einem wesentlichen Merkmal von Franziskas Teilkorpus steht, dass die Schülerin auch im Fall des Vokabeltests zahlreiche Leerstellen lässt und den Schreibauftrag damit nur rudimentär bearbeitet: Allein 12,5 von 20 möglichen Punkten verliert Franziska wegen gänzlich freier Textfelder, die nur teilweise tentative Schreibungen aufweisen, die dann von der Schülerin gestrichen wurden. Dies deutet darauf hin, dass Franziska die jeweiligen französischen Lexeme nicht bekannt sind bzw. von ihr nicht abgerufen werden können (z. B. *le cult → la culture ‚die Kultur‘). Diese Vermutung lässt sich auch durch die vorherigen Analysen gelenkter bzw. freier(er) Schreibprodukte untermauern, die grundlegende Schwierigkeiten der Schülerin im lexikalischen Bereich offengelegt haben. Andererseits könnte die hohe Zahl an Streichungen in Franziskas Teilkorpus, die im Fall des Vokabeltests an drei Stellen identifiziert wird, indizieren, dass in einigen Fällen insbesondere die korrekte Schreibung der Wörter Franziska vor Schwierigkeiten stellt. Die enge Form des Vokabeltests bedingt, dass Franziska kaum auf Schreibbzw. Kompensationsstrategien zurückgreifen kann; diese konnte die Schülerin im Fall der gelenkten bzw. freieren Schreibaufträge sehr wohl anwenden (vgl. Kap.-8.4.3). Dem steht entgegen, dass Franziska auch bei anderen Formen schriftlicher Leistungs‐ überprüfungen fast ausschließlich auf Vermeidungsstrategien zurückgreift und somit der Französischlehrkraft kaum „Material“ vorliegt, das einer adaptierten Leistungsbe‐ wertung unterzogen werden könnte. So führen auch im Fall des vorliegenden Vokabel‐ tests Fehler im Bereich der französischen Rechtschreibung zu keinen Punktabzügen. Folglich ist auch die Maßnahme des Notenschutzes, d. h. die Nicht-Bewertung von Rechtschreibfehlern bei schriftlichen Leistungsüberprüfungen, wirkungslos. Lediglich im Fall von „*l’anite“ → l’amitié ‚die Freundschaft‘ könnte eine Einordnung als ortho‐ graphischer Fehler diskutiert werden: Die Lehrkraft entscheidet sich jedoch eindeutig für einen lexikalischen Fehler und streicht das notierte Wort, da es auch im Lautbild nicht dem korrekten Lexem entspricht. An anderen Stellen scheint auf grammatischer Ebene das passende Genus der Vokabeln für Franziska herausfordernd zu sein (z. B. *la cliché → le cliché ‚das Klischee‘). Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Analyse des test de vocabulaire n o 4, der sich auf eine kurze Kriminalgeschichte bezieht und von der Lehrkraft zur Wiederholung in den Unterricht eingebracht wurde. Im Unterschied zu dem zuvor analysierten Voka‐ beltest liegt das deutsche Vokabular, das ins Französische übertragen werden soll, den Schüler: innen hier nicht in schriftlicher Form vor, sondern wird zu Beginn des Tests von der Französischlehrkraft diktiert. Dies wird in der Unterrichtssituation nicht angebahnt oder thematisiert: Zum einen spielt die orthographische Korrektheit der deutschen Wörter bzw. Sätze keine Rolle für die Leistungsbewertung im Französischen, zum anderen scheint dies für die Mehrzahl der Schüler: innen keine besondere Herausforderung darzustellen. In Franziskas Fall ergibt sich jedoch ein anderes Bild: 170 8 Fallanalyse „Franziska“ Abb. 15: Fall „Franziska“: Test de vocabulaire no. 4 Für Franziska stellt das Diktieren der deutschsprachigen Elemente des Vokabeltests eine zusätzliche Anforderung dar, die sich womöglich auch auf die Performanz im Französischen auswirkt: Denn diese ist gegenüber dem zuvor analysierten Vokabeltest noch weiter herabgesetzt. Erstens gelingt es Franziska in der Situation nicht, die deutschsprachigen Wörter bzw. Sätze ausreichend schnell mitzuschreiben. Bereits nach dem dritten Lexem („der Tod“) pausiert die Schülerin und lässt zunächst die vier folgenden Zeilen frei; schließlich steigt sie mit der Notation des ersten zusammenhängenden Satzes („Der Erzähler beschreibt …“) wieder in das Gruppendiktat ein. Dies hat zur Folge, dass Franziska zunächst die Lehrerin um Hilfe bei der Ergänzung der deutschen Ausgangswörter bitten muss, bevor sie - wie alle anderen Schüler: innen - mit der eigentlichen Bearbeitung des Vokabeltests beginnen kann. Zweitens fällt auf, dass Franziskas Notationen der deutschen Wörter bzw. Sätze Fehl‐ schreibungen aufweisen, die am Ende der 8. Klasse in dieser Form nicht mehr erwartbar sind und auch für leistungsschwächere Mitschüler: innen Franziskas - kein Problem darstellen (z. B. *desshalb → deshalb; *jurnalistin → Journalistin; *identifizirt → identifiziert). Die einzige Vokabel, die Franziska im Rahmen des Tests korrekt notiert, besteht in la mort ‚der Tod‘. Neben den ohnehin schon identifizierbaren Schwierigkeiten der Schülerin im Bereich der Vokabelarbeit kann angenommen werden, dass die Notation der deutschen Wörter zusätzliche kognitive Ressourcen der Schülerin in Anspruch nimmt. Zudem startet sie mit einem Misserfolgserlebnis in die schriftliche Leistungsüberprüfung, was sich motivational negativ auswirken und zum gänzlichen Abbruch ihres Bearbeitungsversuchs beitragen könnte. Im Sinne der Perspektiventriangulation lässt sich dies anhand einer Interviewpas‐ 8.4 Franziska als Schreibende im Französischunterricht 171 sage untermauern, im Rahmen derer die Schülerin nach möglichen Misserfolgserlebnissen im Französischunterricht befragt wird: I: Und demgegenüber eine Situation, in der das Französischlernen dir besonders schwergefallen ist? Wo du so ein Misserfolgserlebnis hattest? F: (…) Ähm (…) Keine Ahnung, ähm (…) I: Wo du vielleicht irgendwie enttäuscht warst, oder / F: Ja, nach einem Vokabel/ Also ich hatte mit meinem Vater ganz viel ähm Vokabeln gelernt am Wochenende und schon davor. Als ähm die Frau [Name der Lehrkraft] uns sagte, wir schreiben nächste Woche einen Vokabeltest, habe ich auch ganz viel gelernt und dann war der Vokabeltest trotzdem ähm „nur“ eine drei, aber ich hätte es mir halt besser erhofft, ja. I: Ähm, wie bi/ wie bist du damit umgegangen? Wie hast du darauf reagiert? F: Auf die Note? Ähm ich war traurig, aber ich dachte mir ja eig/ Ist jetzt auch nicht so schlimm. (Franziska: Zeilen 118-129) Nach einem anfänglichen Zögern wählt Franziska die Situation eines Vokabeltests zur Illustration eines Misserfolgserlebnisses im Kontext des Französischlernens. Sie gibt an, sich mit Unterstützung ihres Vaters umfassend auf den Vokabeltest vorbereitet zu haben, aber letztlich nur mit einer befriedigenden Note bewertet worden zu sein. Diese Darstellung überrascht insofern, als Franziska - laut ihrer Französischlehrerin - nur sehr selten eine bessere Note als „ausreichend“ bei schriftlichen Leistungsüberprüfungen aller Art hat erreichen können. Dass sie vor diesem Hintergrund ausgerechnet eine befriedigende Note als Misserfolg angibt, könnte darauf hindeuten, dass sich die Schülerin ihre tatsächlichen Schwierigkeiten nur mit starken Einschränkungen bewusst macht bzw. diese im Rahmen des Interviews eher abschwächt (vgl. Kap.-8.5.2). Darüber hinaus fällt auf, dass Franziska ihr Misserfolgserlebnis relativ sachbezogen schildert: Auch wenn sie angibt, dass die Enttäuschung ihrer Erwartungen bei ihr zu traurigen Gefühlen geführt habe, relativiert sie dies sogleich („Ist jetzt auch nicht so schlimm.“). Auch im Rahmen der Interviewsituation deutete nichts darauf hin, dass sich die Schülerin in besonderer Weise emotional in ihre Schilderungen involviert: Franziskas Ausdrucksweise, ihr Redefluss oder ihre Körperhaltung änderten sich in der Gesprächssi‐ tuation nicht. Vor dem Hintergrund der umfassenden Vermeidungsstrategien, die Franziska bei der Bearbeitung schriftlicher Leistungsüberprüfungen anwendet, schließen jedoch die Fragen an, inwieweit die Schülerin fremdsprachenbezogene Ängste nicht doch in einem gewissen Maß verdrängt, diese auf einer sozialen Ebene auch nicht erwünscht sein könnten oder die Schülerin diese gegenüber der Interviewerin nicht zum Ausdruck bringen möchte. Schließlich ist anzunehmen, dass sie nicht umsonst einen Vokabeltest exemplarisch als Misserfolgserlebnis illustriert. Das Konzept der „Leistungsemotionen“, die von „Lernemotionen“ (Sann/ Preiser 2008: 215) abgegrenzt werden, könnte hier als mögliches Erklärungsmuster dienen: Während Franziska kommunikativen Erfolg im außerschulischen Kontext verortet, werden Nega‐ 172 8 Fallanalyse „Franziska“ tiverlebnisse mit schriftlichen Leistungsüberprüfungen bzw. institutionalisiertem Fremd‐ sprachenlernen verknüpft. Vor dem Hintergrund aktueller Diskussionslinien zur Rolle von Emotionen beim Fremdsprachenlernen erscheint das Bild einer „emotionslosen Lernenden“ wenig wahrscheinlich und auch nicht wünschenswert, wie Oxford (2017: 70) verdeutlicht: Regulating emotions for learning is viewed as crucial, since negative emotions can often impede learners’ performance and positive emotions can aid performance. In addition, positive and negative emotional outcomes can be correlates of cognitive outcomes. 8.4.5 Zwischenfazit: Perspektiven für die Schreibförderung Eine zentrale Herausforderung für die Schreibförderung im Fall „Franziska“ liegt darin, den Output der Schülerin im Bereich der Schriftlichkeit zu erhöhen und sie gerade bei Leistungsüberprüfungen zu einer intensiveren Bearbeitung der Schreibaufträge zu ermutigen. Denn die Diskrepanz zwischen im Unterricht und in Prüfungssituationen ent‐ stehenden Schreibprodukten weist darauf hin, dass Franziska z. B. im Fall von Vokabeltests oder Klassenarbeiten ihre Kenntnisse nur unzureichend abrufen kann. Außerdem können Maßnahmen des Nachteilsausgleichs und Notenschutzes nur dann wirksam werden, wenn eine hinreichend große Textbasis zur Verfügung steht, die im Rahmen eines zusätzlichen Zeitfensters überarbeitet werden kann bzw. für die die Zählung der Rechtschreibfehler ausgesetzt wird. In Abgrenzung zu den Analyseergebnissen im Bereich der Lesekompetenz (vgl. Kap. 8.3) kann hinsichtlich der Schreibkompetenz Franziskas eine Differenz zu ihren Mitschüler: innen herausgearbeitet werden, die sich neben dem geringen Umfang ihres Teilkorpus auch in einer höheren Fehlerdichte im Bereich der Rechtschreibung nieder‐ schlägt. Die relativ breite Verteilung der Fehlschreibungen auf bestimmte Fehlertypen lässt jedoch keine Identifikation spezifischer „LRS-Fehler“ zu und wirft auf methodischdidaktischer Ebene die Frage auf, mit welchen Strategien den ganz unterschiedlichen Arten von Rechtschreibfehlern begegnet werden kann. Beispielsweise wäre der Einsatz von Fehleranalyseblättern eine Option, die einen differenzierten Zugang zu individuellen Schwierigkeiten ermöglichen und Korrekturstrategien anbahnen könnten (z. B. Sellin 2008: 174). Alternativ könnte eine stärkere Automatisierung schwierigkeitsbesetzter Wörter angestrebt werden, die in Franziskas Fall jedoch nur teilweise einem hochfrequenten Grundwortschatz, dem „Sichtwortschatz“ (Bremerich-Vos et al. 2017: 284) entsprechen dürften (z. B. bei *parcque → parce que ‚weil‘ oder *ecolle → école ‚Schule‘). Gerade die Aktivität des Abschreibens, der Franziska im Französischunterricht vor dem Hinter‐ grund der angewandten, medial gestützten Differenzierung nicht nachkommt, könnte perspektivisch als Arbeitstechnik zur Entwicklung von Rechtschreibkompetenz eingesetzt werden. Dies wird beispielsweise im Deutschunterricht der Primarstufe oder im frühen Fremdsprachenunterricht bereits umgesetzt (z. B. Lessmann 2008; Mertens 2002; Mordellet- Roggenbuck 2014: 123). An diese Analyseergebnisse schließt die Frage an, wie in Franziskas Fall eine konstruk‐ tive Weiterarbeit mit auftretenden Fehlern im Bereich der Schriftlichkeit sichergestellt werden kann. Gerade wenn sich diese - wie im Fall des vorliegenden Schreibprodukts - über verschiedene sprachliche Bereiche erstrecken und auch inhaltliche Aspekte betreffen, 8.4 Franziska als Schreibende im Französischunterricht 173 65 Das für die ersten beiden Lernjahre vorgeschlagene Portfolio zielt primär auf die Bereiche der Grammatik und der Orthographie ab. Es kann in vergleichbarer Systematik auch auf die Lexik und übergeordnete inhaltliche Aspekte erweitert werden. liegt es nahe, die jeweiligen Teilanforderungen systematisch zu adressieren. Dies kann beispielsweise anhand eines individuellen Korrekturportfolios gelingen, wie es z. B. Braun (2015: 12) für den Französischunterricht vorschlägt. 65 Indem ein Teil der Verantwortung für die Fehlerkorrektur auf die Schüler: innen übertragen wird bzw. diese zu einer langfristigen Behebung eventueller Defizite angeleitet werden, könnte sich der Umgang mit Fehlern als natürlicher Teil des Lernprozesses etablieren und gerade unsichere Schüler: innen wie Franziska durch Rituale entlastet werden. 8.5 Franziska als Französischlernende zwischen Schule und Zielland Franziskas Einschätzung ihrer eigenen Sprachkompetenz im Französischen ist stark an die Merkmale der jeweiligen Kommunikationssituation rückgebunden, in der sie sich befindet bzw. auf die sie sich bezieht. Dies deutete sich bereits bei der Analyse ihrer Motivation für ihre Fremdsprachenwahl an (vgl. Kap. 8.2.2). Im Zielsprachenland und im Rahmen relativ freier mündlicher Kommunikation (im Rahmen des Französischunterrichts) erlebt sich Franziska als kompetent und handlungsfähig: Mit diesen Situationen bringt sie auch eine Nützlichkeit des Französischlernens in Verbindung. Misserfolgserlebnisse werden demgegenüber von der Schülerin nur mit großer Zurückhaltung formuliert und-- sofern sie überhaupt verbalisiert werden - mit schriftlichen und stark strukturierten Lehr-Lern-Situationen des Französischunterrichts assoziiert (vgl. die Analysekategorie 9.2.1 „Scheitern der Kommunikation“, Anhang „Kategoriensystem zur Auswertung der Schülerinterviews“). Diese Wahrnehmung der Schülerin bestätigt sich grundsätzlich in den Unterrichtsbeobachtungen bzw. ihren Schreibprodukten (vgl. Kap. 8.4). Hier schließt die Frage an, inwieweit diese Diskrepanz auch in einem Zusammenhang mit Franziskas LRS stehen könnte, weshalb deren Rolle in Franziskas Sprachlernbiographie im Folgenden noch einmal in den Fokus gerückt wird. 8.5.1 Diagnostik und Rolle von LRS in Franziskas Sprachlernbiographie Franziska gibt im Rahmen des Interviews an, dass erstmals in der 6. Klasse LRS bei ihr festgestellt worden seien. Dies weicht von den Angaben ihrer Französischlehrkraft ab, die - auch in Rücksprache mit Franziskas Deutschlehrer - bekräftigt, dass die Schülerin bereits in ihrer Grundschulzeit positiv auf LRS getestet worden und gemäß dem Förderkonzept des Gymnasiums an die bestehende Diagnostik angeknüpft worden sei (vgl. Kap. 8.1). Die Diskrepanz zwischen der schulischen Faktenlage und der Perspektive der Schülerin könnte sich auch dadurch erklären, dass Franziska ihren LRS eine vergleichsweise geringe Rolle in ihrem alltäglichen Leben und auch in Bezug auf ihren schulischen Lernerfolg zuspricht bzw. die Modalitäten ihrer LRS-Diagnose nicht detailliert erinnert. 174 8 Fallanalyse „Franziska“ Dies manifestiert sich diskursiv in dem Interview mit der Schülerin, die - im Gegensatz zu allen anderen Forschungspartner: innen - ihre LRS nicht von sich aus in das Gespräch einbringt. Dies führt dazu, dass die Interviewerin die Schülerin im zweiten Teil des Interviews direkt auf ihre Teilleistungsschwierigkeiten anspricht: I: […] Genau, ich hatte ja vorhin schon erzählt, dass mich vor allen Dingen auch interessiert, wo Dinge schwierig sind beim Französischlernen, und Frau [Name der Lehrkraft] hatte mir gegenüber erwähnt, dass du ähm Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten hast. F: Ja, ja. I: Möchtest du mir was darüber erzählen, wie die Situation da ist für dich? F: Ja also, eigentlich ist die / ist das keine andere als bei den anderen. Nur dass ich ähm, dass halt meine Rechtschreibung, wenn ich dann mal ein E zu viel oder so habe oder einen Akzent vergesse, dass das halt nicht nicht so gewertet wird. Das wird mir zwar angestrichen, aber ich kriege keinen Punktabzug, weil ähm / Also ich bemühe / Also manche ruhen sich darauf auf aus, aber ich versuche halt da trotzdem was dagegen zu tun, weil ich, wenn ich dann mein Abi mache, dann habe ich auch kein LRS mehr und dann ähm (…), ja. (Franziska: Zeilen 236-248) Als Franziska von der Interviewerin auf ihre LRS angesprochen wird, wählt sie den Vergleich zu der sozialen Bezugsnorm ihrer Mitschüler: innen, um ihr Befinden im Fran‐ zösischunterricht zu illustrieren: Ihre Situation unterscheide sich nicht grundsätzlich von derjenigen der anderen Lernenden. Anknüpfend an ihre wenig defizitorientierte Argumentation im Rahmen des gesamten Interviews scheint Franziska ihre LRS nicht als grundsätzliches Distinktionsmerkmal zwischen sich und ihren Mitschüler: innen wahrzu‐ nehmen. Vor dem Hintergrund möglicherweise exkludierender Effekte defizitorientierter Diagnosen und mit Blick auf den Inklusionsgedanken stellt dieses „Ausgangsstatement“ Franziskas einen positiven Aspekt ihrer Schullaufbahn bzw. des integrierten schulischen Förderkonzepts dar (vgl. Kap. 8.1). Franziskas grundsätzliche Einschätzung, dass sich ihre LRS nur in geringem Maß auf ihr Französischlernen auswirken, erfährt im Folgenden nur eine Einschränkung: Diese sieht Franziska ausgerechnet im Bereich der Differenzierungsmaßnahmen bei schriftlichen Leistungsüberprüfungen, d. h. dem Notenschutz. Die Schülerin verortet die - auf Basis des Gesamtkorpus beschreibbare - Differenz zu ihren Mitschüler: innen (vgl. Kap. 8.4.1) nicht in ihrer herabgesetzten Rechtschreibleistung selbst, sondern in der gewählten Reaktion der Lehrerin. Diese markiert Rechtschreibfehler der Schülerin zwar im Text, bezieht sie jedoch nicht in die Bewertung ein. Der Notenschutz stellt als produktbzw. schriftbezogene Unterstützungsmaßnahme bei LRS eine vergleichsweise „unauffällige“ Maßnahme dar, die einen differenten Umgang mit den Schüler: innen nicht auf den ersten Blick sichtbar macht - dies ist bei hilfsmittelbasierten oder sozialformorientierten Angeboten anders. Dennoch bestätigt dies die hohe Sensibilität, die Lernende Differenzierungsmaßnahmen entgegen‐ 8.5 Franziska als Französischlernende zwischen Schule und Zielland 175 bringen, und das Konfliktpotenzial, das diesen Situationen innewohnt (vgl. Martens 2015: 212). Franziska identifiziert die Nicht-Bewertung ihrer Rechtschreibleistung als spezifisches Merkmal ihrer persönlichen Situation im Französischunterricht. Doch die Schülerin schließt sogleich an, dass dies für sie kein Argument sei, sich weniger als andere Schüler: innen zu engagieren oder ihrer Teilleistungsschwäche nicht mehr aktiv zu be‐ gegnen. Erneut dient hier eine soziale Bezugsnorm als Vergleichspunkt ihres Handelns bzw. ihrer Selbsteinschätzung: Diese bleibt jedoch diffus („manche ruhen sich darauf aus“) und bezieht sich vermutlich auf die nicht näher definierte Gruppe anderer Schüler: innen mit LRS. Implizit grenzt sich Franziska damit auch von dem Vorurteil ab, dass betroffene Schüler: innen weniger fleißig als andere Lernende seien und ihre Schwierigkeiten (auch) darin begründet seien (vgl. Daloiso 2017: 16 f.). Hier wird umso deutlicher, dass die Nicht- Bewertung von Rechtschreibfehlern immer eine Ultima Ratio und nur in Kombination mit entsprechenden Förderangeboten als sinnvoll zu bewerten ist. Zudem scheint sich Fran‐ ziska darüber im Klaren zu sein, dass in der Oberstufe Nachteilsausgleich und Notenschutz nur noch mit erheblichen Einschränkungen umgesetzt werden und sie auf ihrem Weg zum Abitur diese weitere Herausforderung wird bewältigen müssen. 8.5.2 Perspektiven: Franziska als Französischsprecherin Im Sinne eines kompetenzorientierten Sprachlernverständnisses ist es ein positiver Aspekt, dass Franziska ihre LRS nicht als die eine defizitbetonte Lernervariable wahrnimmt, die ihre gesamte Sprachlernbiographie prägt oder sogar dazu führt, dass ihre Teilleistungsschwäche alle (Fremd-)Sprachenlernerfahrungen negativ dominiert. Dennoch schließt die Frage an, inwieweit eine Bewusstmachung ihrer individuellen Schwierigkeiten Franziska nicht doch dabei helfen könnte, Defizite in den Bereichen des Lesens und Schreibens bzw. insbeson‐ dere der Lexik und Orthographie gezielter anzugehen. Folgt man den Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache, liegen gerade in der „Sprachbewusstheit“ bzw. der „Sprachlernkompetenz“ (vgl. KMK 2012: 21) große Potenziale, geeignete Strategien für ein selbstgesteuertes Fremdsprachenlernen anzubahnen. Nicht umsonst sind die beiden Kompetenzen transversal angelegt und wirken sich auf die Ausbildung der funktional kommunikativen Kompetenzen aus (vgl. ebd.: 12 f.). Eine offene Thematisierung von LRS, die an die bereits etablierten schulischen Fördermaßnahmen anknüpft und diese auf den Bereich des Fremdsprachenlernens ausweitet, könnte zudem dazu beitragen, dass spezifische Phasen von Schreibprozessen (z. B. Korrekturphasen oder die Nachbereitung von Schreibprodukten im Rahmen von Hausarbeiten) von Franziska noch besser genutzt werden. Auch könnten so die stark ausgeprägten Vermeidungsstrategien der Schülerin, die sich insbesondere auf den Bereich des Schreibens erstrecken, in positiver Weise angegangen werden. Denn weder das Interview mit der Schülerin noch die erfolgten Unterrichtsbeobachtungen lieferten Hinweise darauf, dass die Nicht-Bearbeitung von Auf‐ gabenstellungen (gerade bei Leistungsüberprüfungen) in ausreichender Weise thematisiert wird bzw. sich die Schülerin diese bewusst macht. Über den engen Kontext institutionellen Fremdsprachenlernens hinaus bleibt offen, wie sich Franziskas Beschäftigung mit der französischen Sprache im Sinne eines lebenslangen 176 8 Fallanalyse „Franziska“ Lernens perspektivisch fortsetzen wird. So gibt die Schülerin an, nach der 10. Klasse das Fach Französisch wahrscheinlich abwählen zu wollen, da sie sich dann in ausreichendem Maße für Urlaubsreisen nach Frankreich vorbereitet fühle (vgl. Franziska: Zeilen 425-433). Hier führt die Schülerin ihre Argumentation zu Ende, die sie bei der Begründung ihrer Entscheidung für das Französische als Fremdsprache begonnen hat. Wie von Fritz (2020: 256 ff.) herausgearbeitet wurde, stellt der Übergang von der Sek. I in die Sek. II ein Schlüs‐ selmoment für die Weiterführung bzw. mögliche Abwahl der zweiten Fremdsprachen dar: Gerade in der Oberstufe eröffnen sich für die Lernenden noch einmal weitere Möglichkeiten der inhaltlichen Vertiefung und der Erreichung höherer Niveaustufen, die für eine studien- oder berufsbezogene Handlungsfähigkeit in der Fremdsprache essenziell sind - aber immer auch eine umfassende Auseinandersetzung mit der Schriftsprache erfordern. Die potenzielle Nützlichkeit der französischen Sprache hat sich in dem Interview mit Franziska als zentraler und wiederkehrender Referenzpunkt ihrer Darstellungen erwiesen. Hier schließt die Frage an, inwieweit es sich auch um eine indirekte Verbalisierungsstra‐ tegie der Schülerin handeln könnte: Zahlreiche Punkte, an denen sich Defizite oder Unsicherheiten der Schülerin erfassen lassen (z. B. im Bereich der Schriftlichkeit, bei Leistungsüberprüfungen, mit Blick auf die Oberstufe), werden von Franziska mit dem Argument der mangelnden Nützlichkeit für ihre Zwecke versehen. Auch hinsichtlich einer weiterführenden Auseinandersetzung mit der französischen Sprache über die Sek. I hinaus erscheint es also zielführend, Franziska an einen bewussteren Umgang mit ihren LRS heranzuführen. 8.6 Fazit: Der Fall „Franziska“ Franziska zeichnet sich als Schülerin aus, die sich intrinsisch motiviert und mit authenti‐ schem Interesse an der frankophonen Sprache und Kultur für das Französische als zweite Fremdsprache unter mehreren Wahlmöglichkeiten entscheidet. Mit dieser „Positivaus‐ wahl“ geht einher, dass für Franziska reale Bezugspunkte und Sprachkontaktsituationen mit dem Französischen bestehen, die sowohl durch außerschulische Lernorte als auch private Reisen geschaffen werden. Prägend für Franziskas Sicht auf den Französischunterricht und ihre eigene Kompetenz erscheinen ebendiese authentischen Kommunikationssituationen, im Rahmen derer sie sich als sprachlich handlungsfähig erlebt (vgl. Kap. 8.2). Doch obwohl Franziska mit ihrer mündlich-kommunikativen Handlungsfähigkeit einer wesentlichen Grundidee modernen Fremdsprachenunterrichts gerecht wird, hat sie Schwierigkeiten, die Leistungsanforderungen des Französischunterrichts zu erfüllen, vor allem da sie schriftliche Leistungsüberprüfungen nur selten bearbeitet und umfassende Vermeidungs‐ strategien anwendet, was zu einer sehr geringen Größe von Franziskas Teilkorpus an Schreibprodukten führt (vgl. Kap. 8.4.1). Dies betrifft auch die systematische Aufarbeitung erfolgter Fehler in Schreibprodukten (vgl. Kap.-8.4.4). Außerhalb von Prüfungssituationen wendet sich die Schülerin Arbeitsaufträgen im Bereich der Schriftlichkeit auch nur bruch‐ stückhaft zu. Wenn die Schülerin jedoch einen Arbeitsauftrag annimmt, bearbeitet sie diesen ernst- und gewissenhaft: Hier treten im Vergleich zu den Mitschüler: innen über‐ durchschnittliche Schwierigkeiten auf, die eine gelingende schriftliche Kommunikation 8.6 Fazit: Der Fall „Franziska“ 177 teilweise beeinträchtigen. Franziska begegnet diesen Herausforderungen in Unterrichtssi‐ tuationen mit gezielten Korrektur- und Kompensationsstrategien, die unter Einbezug zur Verfügung stehender Hilfsmittel noch weiter elaboriert werden könnten (vgl. Kap.-8.4.3). Die Diskrepanz zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit wird für die Lehrkraft in Form eines unausgeglichenen Kompetenzprofils der Schülerin sichtbar: Während sich Franziska mündlich regelmäßig und mit inhaltlich sinnvollen Beiträgen am Französisch‐ unterricht beteiligt, wird eine potenzielle Förderdiagnostik im Bereich des Schreibens durch die umfassenden Vermeidungsstrategien der Schülerin bedeutend erschwert. Nicht nur hinsichtlich einer differenzierten Bewertung der Schreibprodukte, sondern auch vor dem Hintergrund der Zielsetzung eines vermehrten Übens müsste der schriftliche Output der Schülerin deutlich erhöht werden. Außerdem könnten Franziskas Schreibprodukte noch zielführender für eine Weiterarbeit an individuellen Fehlerschwerpunkten genutzt werden. Diejenigen Schreibprodukte, die Franziska im Rahmen freierer Schreibaufträge verfasst, legen aus quantitativer Sicht vermehrte Schwierigkeiten im Bereich der Orthographie offen. Die Fehlschreibungen wirken sich jedoch nur selten auf die Verständlichkeit des Geschriebenen aus; dies ist im Fall lexikalischer Schwierigkeiten anders zu beurteilen. Gerade im Fall der rudimentären Bearbeitung von Vokabeltests wäre aus methodischdidaktischer Sicht zu überlegen, inwieweit hier nicht weitere sinnvolle Maßnahmen des Nachteilsausgleichs umgesetzt werden könnten: Um die Schülerin im Französischunter‐ richt bzw. bei Leistungsüberprüfungen überhaupt wieder handlungsfähig zu machen und ihr ein Gefühl der Selbstwirksamkeit zu verschaffen, böte eine Erhöhung des Anteils von Mündlichkeit auch bei Leistungsüberprüfungen gute Möglichkeiten der Kompensation (vgl. auch Burden 2008; Schulz et al. 2003). Beispielsweise könnte Vokabular ergänzend in mündlicher Form abgefragt werden, um eine Auseinandersetzung mit französischer Lexik anzuregen und die soziale Ressource der Eltern und Geschwister der Schülerin für die Unterstützung der häuslichen Weiterarbeit zu aktivieren. 178 8 Fallanalyse „Franziska“ 9 Fallanalyse „Katharina“ 9.1 Kurzporträt und schulische Rahmenbedingungen Katharina ist zum Studienzeitpunkt im Herbst 2017 15 Jahre alt und besucht die 9. Klasse eines Gymnasiums mit städtischem Einzugsgebiet in Nordrhein-Westfalen. Dort strebt sie die Allgemeine Hochschulreife nach der 12. Jahrgangsstufe (auch: G8) an. Sie besucht die Schule seit Abschluss der Grundschulzeit, aus der eine Gymnasialempfehlung hervorging. Katharina spricht Deutsch als Erstsprache. Seit der 1. Klasse lernt sie Englisch als erste und seit der 6. Klasse Französisch als zweite Fremdsprache. Katharina hat die 6. Klasse aufgrund mangelhafter Leistungen in den Fächern Englisch und Französisch wiederholt, weshalb sie das erste Lernjahr in Französisch zweimal durchlaufen hat. Folglich befindet sich die Schülerin in Bezug auf die inhaltliche Progression im vierten Lernjahr, hinsichtlich der Anzahl absolvierter Schuljahre aber im fünften Lernjahr Französisch. Katharina wurde am Ende des vorherigen Schuljahrs im Fach Französisch mit der Note „ausreichend“ bewertet. Während ihre Leistungen im schriftlichen Bereich (d. h. in Bezug auf Klassenarbeiten und Vokabeltests) im mangelhaften bis ungenügenden Leistungsspektrum lagen, konnte die Schülerin über eine intensive mündliche Mitarbeit bzw. die Ergänzung schriftlicher durch mündliche Leistungsüberprüfungen ihre Bewertung deutlich verbessern. Katharinas LRS wurden erstmals in der 2. Klasse festgestellt. Seitdem wird ihre Diagnose jährlich von zuständigen Schulpsycholog: innen überprüft. Dies ist an der weiterführenden Schule Voraussetzung dafür, dass Katharina im Rahmen von Leistungsüberprüfungen Nachteilsausgleich und Notenschutz in Anspruch nehmen kann. In Katharinas Fall werden folgende Maßnahmen in allen Unterrichtsfächern umgesetzt: • eine verlängerte Bearbeitungszeit sowie eine Nicht-Bewertung von Rechtschreibfeh‐ lern bei schriftlichen Leistungsüberprüfungen, • die Ergänzung schriftlicher durch mündliche Leistungen bzw. die höhere Gewichtung mündlicher Mitarbeit, • Ergebnissicherungen der Lehrkräfte an der Tafel können abfotografiert werden, was entsprechende Tafelabschriften ersetzt bzw. ergänzt, • bei Bedarf werden der Schülerin im Rahmen schriftlicher Leistungsüberprüfungen Aufgabenstellungen vorgelesen. Für die fremdsprachlichen Fächer gilt zudem, dass Katharina die Nutzung eines einspra‐ chigen Wörterbuchs im Französischunterricht und im Rahmen von Leistungsüberprüfungen (außer Vokabeltests) möglich ist. Zudem werden während des Französischunterrichts umfas‐ sende Differenzierungsmaßnahmen umgesetzt, die spezifisch auf Katharinas Lernsituation zugeschnitten sind (so z. B. die ritualisierte Zusammenarbeit mit einem leistungsstärkeren Mitschüler oder die Auswahl geschlossener Aufgabenformate beim Leseverstehen). Darüber hinaus nimmt die Schülerin schulische und außerschulische Förderangebote in Anspruch, die jedoch nicht explizit auf das Englisch- und Französischlernen abzielen. Katharinas Schule verfügt über drei bis vier Klassen pro Jahrgangsstufe. Besonderheiten des Profils der Europa-Schule liegen in einem deutsch-englischen bilingualen Zweig und Angeboten im Bereich der Sportförderung. Das Fremdsprachenangebot der Schule besteht in den Fächern Englisch als erste Fremdsprache ab Klasse 5, Französisch und Latein als zweite Fremdsprache ab Klasse 6 sowie Spanisch und Italienisch ab der Oberstufe. Die Schulleitung und die Französischlehrerin gaben bei Vorgesprächen zu der Studie an, dass schulintern keine einheitlichen Empfehlungen zur Fremdsprachenwahl für Schüler: innen mit LRS ausgesprochen würden. Katharinas Schule legt angesichts der heterogenen Schülerschaft großen Wert auf eine individuelle Förderung der Lernenden. So wird im Rahmen des schulinternen Curriculums ein Schwerpunkt auf die fächerübergreifende Vermittlung kooperativer Unterrichtsformen und -methoden gelegt, die ein selbstständiges und binnendifferenziertes Arbeiten im Unterricht verstetigen sollen. Weiterhin besteht für leistungsstarke Schüler: innen das Angebot, eine Ausbildung zu Lernhelfer: innen zu absolvieren. Dieses Nachhilfekonzept ermöglicht Schüler: innen ab der 8. Klasse, jüngere Lernende in einem der Kernfächer durch Übungsstunden im Nachmittagsbereich systema‐ tisch zu unterstützen. Dies soll zu einer individuellen Förderung der Schüler: innen auf Peer- Ebene beitragen. Spezifische Konzepte zur LRS-Förderung, wie z. B. Förderkurse, bietet Katharinas Schule nicht an. Sind Lernende von LRS betroffen, können LRS-Beauftragte innerhalb des Kollegiums angesprochen werden, die für Fragen der schulinternen bzw. -externen Förderung oder auch die Klärung schulrechtlicher Aspekte zur Verfügung stehen. Katharinas Französischkurs hat einen Umfang von drei Wochenstunden à 45 Minuten, die sich auf eine Doppel- und eine Einzelstunde verteilen. Die Lerngruppe setzt sich aus 14 Schüler: innen zusammen, wobei Katharina aufgrund ihrer Klassenwiederholung mit Abstand die älteste Schülerin ist. Der Französischkurs kennzeichnet sich durch eine sprachlich hetero‐ gene Schülerschaft: Vier Schüler: innen sind mehrsprachig aufgewachsen und sprechen neben dem Deutschen auch das Türkische bzw. Kurdische als Muttersprache. Das Leistungsspektrum der Lerngruppe erstreckt sich - bemessen an der Notenverteilung - auf mehrere sehr leistungsstarke Schüler: innen im sehr guten und guten Bereich (Anne, Elena, Lynn, Murat, Robin und Susanna), ein solides Mittelfeld im Bereich befriedigender Leistungen bis hin zu vier weniger leistungsstarken Schüler: innen (Enis, Katharina, Kaya und Sabrina), die meist über ausreichende bis mangelhafte Leistungen nicht hinauskommen. In dem Französischkurs wird mit dem Lehrwerk Découvertes série jaune 4 (Bruckmayer et al. 2015) gearbeitet. Der Analyse des Falls „Katharina“ liegen Unterrichtsbeobachtungen im Umfang von fünf Wochen zugrunde; dies entspricht 15 Unterrichtsstunden à 45 Minuten. Das abschließende Interview mit Katharina hat eine Länge von 74 Minuten und wurde auf Wunsch der Schülerin nach Unterrichtsschluss in den Räumlichkeiten der Schule durchgeführt. 9.2 Französischlernen als das geringste Übel? Katharinas Weg in den Französischunterricht Das folgende Kapitel rückt den Fokus auf die Fragestellung, welche Faktoren und Überle‐ gungen Katharina zu ihrer Wahl des Französischen als zweite Fremdsprache bewogen haben. Verständlich werden soll, mit welchen Erwartungen und Zielsetzungen Katharina 180 9 Fallanalyse „Katharina“ womöglich in den Französischunterricht gestartet ist. Im Rahmen des Sprachenangebots der Schule stand neben dem Französischen auch das Fach Latein zur Auswahl. Da Katharina das Abitur nach zwölf Jahren (G8) anstrebt, musste sie bereits in der 5. Klasse ihre Wahl der zweiten Fremdsprache treffen, da diese in der 6. Klasse einsetzt. Deshalb überrascht nicht, dass sich Katharina bei der Plausibilisierung ihrer Entscheidung vorrangig auf Sprachlernerfahrungen aus ihrer Grundschulzeit bezieht. 9.2.1 Frühe Schwierigkeiten - frühe Diagnostik Katharinas Sprachlernbiographie ist bereits seit dem Kindergartenbzw. Vorschulalter von der Auseinandersetzung mit einem beeinträchtigten Schriftspracherwerb geprägt. Wie ein Vorgespräch mit Katharinas Eltern ergab, zeigte die Schülerin bereits in den letzten Kin‐ dergartenjahren größere Schwierigkeiten im Bereich der phonologischen Bewusstheit, die spielerisch über erste Übungen zur Identifikation von Silben oder die Bildung von Reimen gefördert wurde und als wichtige Vorläuferfertigkeit für den Schriftspracherwerb gilt. Katharinas Schwierigkeiten traten in den ersten beiden Grundschuljahren immer deutlicher in Erscheinung, sodass es am Ende der 2. Klasse auf Anregung der Deutschlehrerin zu einer entsprechenden Testung bei dem zuständigen Schulpsychologen kam. Katharina schildert ihre Wahrnehmung des damaligen Diagnoseprozesses wie folgt: I: Ähm, wir haben ja jetzt ja immer wieder schon über die Lese- Rechtschreib-Schwierigkeiten gesprochen. Ich würde da gerne noch einmal drauf zurückkommen, wenn dir das recht wäre. Und zwar ähm, wie kam das eigentlich dazu, dass die Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten bei dir festgestellt worden sind? K: Ähm, das war / Im Kindergarten haben die ähm Erzieher schon gesagt, dass es da möglicherweise Schwierigkeiten geben könnte. […] Und in der zweiten Klasse ist dann äh meine Deutschlehrerin, meine ich, ist halt zu meinen Eltern gegangen und hat gesagt: „Ja, da könnte man ja mal einen Test machen.“, weil das halt doch sehr auffällig war. Und ich halt im Verhältnis zu den anderen schon ziemlich weit hinterhergehangen habe. Und äh dann sind wir halt zu dem Test gegangen und haben dann auch mehrere Tests gemacht halt, auch wirklich ausführlich und alles. […] (Katharina: Zeilen 717-735) Bereits während Katharinas Kindergartenbzw. Vorschulzeit ergeben sich seitens der Erzieher: innen erste Verdachtsmomente für möglicherweise vorliegende LRS, die sich in den ersten Jahren ihrer Grundschulzeit konkretisierten. Folglich initiierte Katharinas Deutschlehrerin ein Elterngespräch und eine Testung der auftretenden Schwierigkeiten. Dieses Vorgehen entspricht aufgrund des frühen Diagnosezeitpunkts und der umfassenden Fördermöglichkeiten, die sich daraus bereits für die Grundschulzeit ergeben, einem wün‐ schenswerten Ablauf bei der Beobachtung möglicher Defizite im Bereich der Vorläuferfä‐ higkeiten des Schriftspracherwerbs, wie er auch in der Fachliteratur beschrieben wird (vgl. Kap. 3.2.1). 9.2 Katharinas Weg in den Französischunterricht 181 An Katharinas Schilderung fällt auf, dass die Schülerin Aspekte der Fremdwahrnehmung ihrer Schwierigkeiten durch die Erzieher: innen, ihre Deutschlehrerin und implizit auch ihre Eltern fokussiert, um die Initiierung und den genauen Ablauf des Diagnoseprozesses zu erläutern. Die eigene Wahrnehmung der Situation hat zu diesem Zeitpunkt (noch) keinen Platz in Katharinas Darstellung; auch tritt die Schülerin nicht als selbstständige Akteurin in Erscheinung, die in die jeweiligen Abläufe einbezogen wird. Natürlich ist dies auch ihrem jungen Lebensalter geschuldet; wesentliche Schritte der Diagnostik werden gemeinsam mit ihren Eltern bewältigt („sind wir halt zu dem Test gegangen“). Im Zuge der LRS-Diagnostik stellt sich zwangsläufig die Frage, an welchen Kriterien oder Bezugsnormen eine mögliche Beeinträchtigung der Lernenden festgemacht wird (vgl. Kap.-3.2). Für Katharinas Fall ist insgesamt charakteristisch, dass ihre Schwierigkeiten im Vergleich zu anderen Schüler: innen der Lerngruppe besonders deutlich werden. Dies zeigt nicht nur die Analyse von Katharinas Schreibleistung, sondern insbesondere der hohe Stellenwert der sozialen Bezugsnorm, die immer wieder einen zentralen Referenzpunkt von Katharinas Schilderungen darstellt. Im Fall der konkreten Interviewpassage bleibt jedoch unklar, inwieweit Katharina eine Verzögerung ihres Schriftspracherwerbs bereits selbst wahrnimmt oder ob sie hier eine rein lehrerseitige Einschätzung rezitiert: „[I]m Verhältnis zu den anderen“ kann sie dem Lernstoff nicht in ausreichender Geschwindigkeit bzw. Intensität folgen, was zu einer sehr eindeutigen Abweichung von ihren Mitschüler: innen führt („doch sehr auffällig“). Die folgende, von einem Schulpsychologen durchgeführte Testung ergab ein positives Ergebnis, sodass Katharina ab der 2. Klasse offiziell als von einer „Lese- und Rechtschreibstörung“ (nach ICD-10, vgl. Dilling et al. 2018) betroffen galt. Nicht nur bei der Analyse der zitierten Passage, sondern im Rahmen des gesamten Interviewverlaufs wird deutlich, dass Katharina und ihr Umfeld zu keinem Zeitpunkt an der Korrektheit der LRS-Diagnose zweifeln. Im Gegenteil verdeutlicht die Schülerin gleich zu Beginn die Zuverlässigkeit der erfolgten Diagnostik („mehrere Tests“, „wirklich ausführlich“). So wird Katharina bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt ihrer Bildungs‐ biographie mit einer systematischen Nicht-Erfüllung schulischer Anforderungen, dem negativen Abweichen von sozialen Bezugsnormen und auch medizinisch-diagnostischen Abläufen konfrontiert, die eine LRS-Diagnostik mit sich bringen kann. Während sich die Schülerin im Kontext des zitierten Interviewauszugs noch relativ distanziert äußert, involviert sie sich im weiteren Interviewverlauf zunehmend in ihre Schilderungen und verbalisiert ihre Wahrnehmungen und Erinnerungen in sehr lebhafter Form. 9.2.2 LRS als Belastung im persönlichen Umfeld Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Katharina von Schwierigkeiten erzählt, die in ihrem häuslichen Umfeld, also beispielsweise beim gemeinsamen Üben mit ihren Eltern, auftreten. Diese verdeutlichen, dass Katharina noch keine Distanz zu den Geschehnissen gefunden hat und die damit verbundenen intensiven negativen Emotionen während des Interviews erneut durchlebt. Folgender Interviewauszug veranschaulicht exemplarisch, wie konkret und detailliert Katharina eine Auseinandersetzung mit ihrer Mutter rekapituliert, die während der Förderung durch einen schulexternen Nachhilfeanbieter in der 5. Klasse stattgefunden hat: 182 9 Fallanalyse „Katharina“ 66 Die Schülerinterviews wurden lediglich per Audio-Aufnahme aufgezeichnet, jedoch um parallele Notizen und ein Postskriptum seitens der Interviewerin ergänzt, das dem Festhalten von Informati‐ onen zu Mimik, Gestik, Unterbrechungen etc. diente (vgl. Kap. 6.4). K: […] Und ähm, halt früher war das halt so, dass ich zum Beispiel, wenn ich gelesen habe, wollte meine Mutter unbedingt des/ dabei dabeisitzen, und dann jedes Mal, wenn ich was falsch gesagt habe, weil die von der [LRS-Hilfe] meinten immer, man soll mich direkt unterbrechen, wenn ich was falsch vorlese. Was mich richtig aufgeregt hat. / / Das hat mich wirklich richtig aufgeregt./ / I: / / Ja./ / K: Und meine Mutter immer die ganze Zeit: „Falsch! Wieder neu anfangen! “ Und ich hab/ Ich habe wirklich richtige Ausraster bekommen. Ich wollte das wirklich nicht mehr. Weil irgendwann da / Ich dachte nur so: Bin ich bescheuert? So, man liest das halt fünfmal und man liest halt wieder immer wieder ein anderes Wort so. Und meine Mutter hat das halt eigentlich / So die meinte das ja nicht böse, aber ihr wurde das halt so gesagt. Und wenn man das so gesagt bekommt von einem eigentlichen Profi, denkt man ja: Ok, müsste eigentlich richtig sein. Und irgendwann habe ich ihr gesagt: „Mama, lass mich wenigstens den Satz zu Ende lesen, so. Nach dem Satz kannst du mir gerne sagen, dass ich da irgendwas falsch gesagt habe.“ (…) Aber immer wieder, bei jedem Wort / Und dann kriegt man irgendwann so einen richtigen Ausraster, wirklich. (Katharina: Zeilen 829-851) Im Rahmen der Interviewpassage schildert Katharina eine Übungssituation mit ihrer Mutter, die auf eine Verbesserung des lauten Vorlesens im Deutschen abzielte. Katharina nimmt den engen Rahmen der Vorlesesituation als belastend bzw. kontrollierend wahr: So scheint es der nachdrückliche Wunsch der Mutter zu sein - und nicht der Schülerin selbst -, Katharina bei der Übung zur Seite zu stehen. Besonders eindrücklich schildert Katharina dann, wie sie von ihrer Mutter fortwährend unterbrochen wird, sobald sie ein Wort falsch vorliest bzw. artikuliert. Die Einwände der Mutter wiederholt Katharina mehrfach auf eine sehr expressive Art und Weise: „Falsch! Wieder neu anfangen! “. Die Unterbrechungen durch ihre Mutter, die Katharina in Form von Zitaten in ihre Schilderungen einbaut, verdeutlichen, wie konkret der Schülerin diese Misserfolgserlebnisse in Erinnerung ge‐ blieben sind: Sie leben im Interview erneut auf, was die besondere Betonung und die gestische Untermalung des Gesagten durch Katharina verdeutlichen. 66 Die Schülerin gibt unmissverständlich wieder, wie unwohl sie sich mit der Situation fühlte und wie verzweifelt sie war-- was schließlich sogar zu Selbstzweifeln führte („Bin ich bescheuert? “). Katharina relativiert jedoch sogleich die Schilderung des Verhaltens ihrer Mutter, indem sie erläuternd hinzufügt, dass das unmittelbare Unterbrechen des lauten Vorlesens bei Fehlern ein Expertenratschlag der außerschulischen LRS-Förderung gewesen sei - ihrer Mutter komme folglich keine Schuld zu. Diese Attribuierung entlastet zugleich das Verhältnis zu ihrer Mutter, die für Katharina bei der häuslichen Unterstützung schulischen 9.2 Katharinas Weg in den Französischunterricht 183 Lernens eine wichtige Rolle spielt; Gleiches gilt für Katharinas Schwester und Vater. So überrascht nicht, dass Katharina im weiteren Verlauf ihrer Schilderung die Expertenrolle der außerschulischen Kontaktperson implizit infrage stellt („eigentlichen Profi“) - was auch die Schülerin in weiterer Folge von ihren Selbstzweifeln entlasten könnte. Die hohe Anzahl an Wiederholungen, die Katharina rekapituliert, um schließlich die jeweilige Passage korrekt vorzulesen, gleicht einem Rätselraten: „So, man liest das halt fünfmal und man liest halt wieder immer wieder ein anderes Wort so.“ Dies deutet zum einen darauf hin, dass Katharina nicht ein isoliertes oder spezifisches Problem mit einem bestimmten aussprachebezogenen Phänomen hat, sondern systematische Schwierigkeiten bei der Phonem-Graphem-Zuordnung vorliegen. Zum anderen weist Katharinas Gefühl des Ausgeliefertseins darauf hin, dass sie nicht in der Lage ist, gezielte Aussprache- oder Vorlesestrategien anzuwenden, um die bestehende Herausforderung systematisch zu bewältigen. Die intensiven negativen Emotionen der Schülerin kumulieren schließlich in einem potenziellen Kontrollverlust („so einen richtigen Ausraster“). Umso bemerkens‐ werter erscheint die direkte und konstruktive Klärung der Situation, die Katharina und ihrer Mutter letztlich zu gelingen scheint. Die Vorgehensweise, erst im Anschluss an einen Satz bzw. eine Sinneinheit eine Korrektur anzuregen, kann letztlich als Kompromiss im Rahmen der Übungssituation gefunden werden. Aus der Perspektive des lebenslangen Lernens ist bedauerlich, dass Katharina zu einem so frühen Zeitpunkt ihrer Bildungsbiographie nicht nur im schulischen, sondern auch in ihrem persönlichen Umfeld Misserfolgserlebnisse im Umgang mit Schriftsprache hat, die auch Jahre später noch als „heiße“ Erinnerungen, d. h. emotional sehr stark besetzte Erlebnisse verbalisiert werden (vgl. Melville/ Hincks 2016: 10). Vor dem Hintergrund fachdidaktischer Überlegungen zur Entwicklung von Lesekompe‐ tenz weist die Situation darauf hin, dass zu dem damaligen Zeitpunkt nahelag, dass Katha‐ rina das Vorlesen als Fertigkeit gezielt trainiert. Dies könnte einerseits darin begründet sein, dass ihre Vorlesekompetenz im Deutschunterricht der 5. Klasse nicht ausreichte, um diese instrumentell, z. B. zur Präsentation von Arbeitsergebnissen, zu nutzen. Andererseits könnte mit dieser Fördermaßnahme insofern eine Verbesserung der Lesekompetenz insge‐ samt intendiert worden sein, als Lautlese-Verfahren genutzt werden, um „eine Verbesse‐ rung der hierarchieniedrigen Leseteilleistungen [zu erzielen], indem sie die Leseflüssigkeit der Schüler(innen) schulen“ (Rosebrock/ Nix 2017: 33). Auch lässt die Vorgehensweise der Mutter darauf schließen, dass der LRS-Förderung hier die Annahme zugrunde liegt, eine „fremdinitiierte Fremdkorrektur“ (Kleppin 2010: 1066) bewirke eine unmittelbare bzw. nachhaltige Verbesserung in dem schwierigkeitsbesetzten Bereich. Folglich hat die Schülerin weder die Möglichkeit, sich selbst zu korrigieren noch ihre Leseflüssigkeit zu trainieren, ohne dass ein permanenter Fokus auf der Korrektheit ihrer Performanz liegt. Das alternative Kriterium der Verständlichkeit von Äußerungen scheint hier demgegenüber keine Rolle zu spielen. Wie das gewählte Beispiel stellvertretend verdeutlicht, ist Katharinas „Fähigkeitsselbstkonzept“ (Zepter 2015: 22) bereits von Negativerlebnissen bzw. einer Defizitorientierung geprägt, als es für die Schülerin um die Wahl der zweiten Fremdsprache geht - die unmittelbaren Auswirkungen auf Katharinas Wahlentscheidung kommen im Folgenden zur Sprache. 184 9 Fallanalyse „Katharina“ 9.2.3 Eine Entscheidung gegen Latein-… und für das Französische? Katharina muss bereits zu dem Zeitpunkt der Fremdsprachenwahl in der 5. Klasse mit umfassenden negativen Vorerfahrungen in Auseinandersetzung mit Schriftsprache zurechtkommen. Vor diesem Hintergrund ist besonders interessant, wie die Schülerin rückblickend ihre Wahl des Französischen als Fremdsprache plausibilisiert: I: Genau, wie wie kam es denn eigentlich dazu, dass du das Französische als zweite Fremdsprache gewählt hast? K: Ähm, weil ich Grammatik nicht kann [lacht], in der Tat. Also Latein ist ja größtenteils fast nur Grammatik. Und ich verzweifle halt in Deutsch schon bei den Grammatiksachen. Da geht das schon so. Und also, ich kann eigentlich auch besser mündlich und so, weil bei mir ist halt so, mündliche Note ist halt ein bisschen mehr. Da habe ich mir gedacht: Ok. Also mein Vater hat halt auch was dazu gesagt; meine Mutter war halt der Ansicht, dass Latein vielleicht besser ist, weil man ja eher die Wörter so ausspricht, wie sie ja geschrieben werden. Bei La/ Französisch muss man ja auf die Aussprache und so achten. Da meinte halt mein Papa: aber die Grammatik so. Und wenn ich dann mal überlege, wenn ich jetzt in der Latein-Grammatik wäre, hätte ich jetzt wahrscheinlich dauerhaft eine Fünf, weil Grammatik und ich sind nicht beste Freunde. So in Französisch die Grammatik, die ist ja jetzt nicht so schwer. Also so konjugieren und sowas kann ich halt eigentlich, weil ich das eher auswendig lerne, würde ich sagen. Aber so zum Beispiel Zeiten und so wird dann auch schon problematisch, aber das geht halt noch, das überlebt man. Deshalb habe ich mich da für Französisch entschieden. (Katharina: Zeilen 264-285) Katharina reagiert auf die offene Frage nach ihrer Wahl des Französischen als zweite Fremdsprache initial mit einer Beschreibung dessen, was sie in Bezug auf das (Fremd-)Spra‐ chenlernen nicht beherrscht: Sie bescheinigt sich selbst eine unzureichende Grammatik‐ kompetenz. Diese Feststellung wird im Folgenden zu einem zentralen Bezugspunkt ihrer Argumentation, auf den sie immer wieder rekurriert: Da die Inhalte des Lateinunterrichts „fast nur Grammatik“ seien, und ihr bereits der Deutschunterricht in dieser Hinsicht Probleme bereite, habe dies gegen die Wahl des Lateinischen und für die Wahl des Französischen gesprochen, denn dort schätze sie die Grammatikarbeit als bewältigbar ein. Interessant ist in diesem Zuge, dass Katharina zum einen den (Fremd-)Sprachenunterricht primär mit Grammatikarbeit in Verbindung bringt und die potenzielle Bewältigbarkeit dieses Teilbereichs zu einem zentralen Kriterium für die Fremdsprachenwahl erhoben wird. Zum anderen assoziiert die Schülerin vorrangig die Bildung der Tempora und die Verbkonjugation mit dem Bereich der Grammatik. Sie gibt an, diesen Anforderungen mit Memorierungsstrategien zu begegnen („weil ich das eher auswendig lerne“). Wie sich bereits im Kontext der LRS-Diagnostik zeigte (vgl. Kap. 9.2.1), spielen Katha‐ rinas Eltern bei wichtigen Entscheidungen in Bezug auf ihre Schullaufbahn eine zentrale Rolle. Im Kontext der Fremdsprachenwahl erinnert Katharina sogar konkrete Argumente, 9.2 Katharinas Weg in den Französischunterricht 185 die ihre Eltern bei der Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Sprache vorgebracht haben. Diese sind insbesondere sprachstruktureller Natur: Ein möglicher Vorteil des La‐ teinunterrichts wird von der Mutter in der Lauttreue der Sprache gesehen - was wiederum gegen das Französische spricht. Ein Nachteil des Lateinischen wird jedoch in höheren Anforderungen im Bereich der Grammatikarbeit vermutet, die eher der Vater betont. Diese Annahmen hinsichtlich besonders herausfordernder Merkmale der beiden zur Auswahl stehenden Fremdsprachen Französisch und Latein werden von den Eltern mit potenziellen Stärken und Schwächen Katharinas gleichgesetzt: Das, was an den jeweiligen Fremdspra‐ chen strukturell anspruchsvoll ist, muss auch für die Schülerin eine Herausforderung sein. Derartige Argumentationen, die einen generalisierbaren Schwierigkeitsbegriff zugrunde legen, wurden wiederholt auch in der Sekundärliteratur diskutiert (vgl. de Florio-Hansen 1995 und Meißner 1998 zu dem Aspekt des Französischen als „schwere“ Schulsprache) - und zugunsten eines lernerorientierten Schwierigkeitsbegriffs zurückgestellt, der individuelle Lernervariablen einbezieht (vgl. Riemer 2002). Katharina bringt ihre eigene Perspektive erst im Laufe der weiteren Argumentation in ihre Antwort ein, indem sie einen Bezug zu ihrer aktuellen Situation im Französisch‐ unterricht herstellt („Und wenn ich dann mal überlege …“): Die Schülerin scheint die Wahl des Französischen auch aus heutiger Sicht nicht zu bereuen, denn mit dem Latein‐ ischen verbindet sie weiterhin eine Schwerpunktsetzung im Bereich der Grammatik - deren Bewältigbarkeit sie auch heute noch anzweifelt. Bei der Versprachlichung dieser Herausforderungen fällt auf, dass Katharina stark markierte Begrifflichkeiten verwendet, die ihre Emotionen übermitteln: Es spannt sich ein Wortfeld von „ich verzweifle“ bis hin zu „das überlebt man“ auf, das auf als existenziell empfundene Dimensionen der Schwierigkeitsbewältigung im Kontext schulischen Lernens verweist. Der intuitive Einsatz weiterer Stilmittel wie der Litotes untermauert dies noch („Grammatik und ich sind nicht beste Freunde“): Das sehr positiv konnotierte Verhältnis der Freundschaft wird sprachlich evoziert, um es über dessen unmittelbare Negierung erst recht in seiner Abwesenheit zu betonen. Es wird deutlich, dass Katharinas Antwort insgesamt durch eine defizitorientierte Ar‐ gumentation strukturiert wird, also eine Darstellung dessen, was ihr beim Sprachenlernen bislang besondere Schwierigkeiten bereitete (bzw. im Lateinischen bereiten könnte) und in welcher Fremdsprache diese umgangen werden könnten. Dennoch nennt Katharina an einer Stelle auch eine positive Begründung für die Wahl des Französischen: Ihre mündlichen Leistungen seien in diesem Fach besser als ihre schriftlichen. Auch wenn dieser Aspekt in dem Interview nicht weiter expliziert wird, kann angenommen werden, dass Katharina im Französischunterricht mehr Gelegenheiten zu mündlicher Mitarbeit bzw. eine höhere Gewichtung mündlicher Leistungen bei der Benotung annimmt als im Lateinunterricht, den sie eher mit schriftlichen und grammatikbezogenen Anforderungen in Verbindung bringt. Katharina setzt ihre vermutlich höhere Kompetenz im Bereich der Mündlichkeit in einen unmittelbaren Zusammenhang mit einer besseren Benotung durch die Lehrkraft: Sprachlich stellt sie hier sogar einen Kausalzusammenhang her („weil bei mir ist halt so, mündliche Note ist halt ein bisschen mehr“). Dies deutet an, wie stark Katharinas Wahrnehmung der eigenen Kompetenz von externem Feedback bzw. der Benotung durch die Lehrkraft geprägt ist. Weitere mögliche Argumente, die eine 186 9 Fallanalyse „Katharina“ höhere mündliche Kompetenz im Französischen untermauern könnten, wie z. B. gelingende Sprachverwendungssituationen außerhalb des Unterrichts, werden nicht angeführt. Katharinas Fall zeigt ebenso, dass individuelle Überlegungen der Fremdsprachenwahl maßgeblich durch das Sprachenangebot an Schulen mitbestimmt werden. Denn es bleibt offen, welche Entscheidung Katharina getroffen hätte, wenn das Sprachenangebot der Schule für die Sek. I beispielsweise auch das Italienische oder Spanische umfassen würde. Vor allem die Argumentation, im Bereich mündlicher Kommunikation Stärken zu entfalten, hätte schließlich in hohem Maße auch für diese „modernen“ Fremdsprachen gegolten. Katharina scheint ihre Wahl des Französischen als Fremdsprache nicht zu bedauern - zumindest bringt die Schülerin dies im Rahmen des Interviews nicht zum Ausdruck, obwohl ihre Versetzung in die nächste Jahrgangsstufe in der 6. Klasse auch an mangelhaften Leistungen im Fach Französisch scheiterte. Die Vorgabe des Bildungsgangs zum Abitur, eine zweite Fremdsprache belegen zu müssen, scheint Katharina folglich akzeptiert zu haben; ihre persönlichen Interessen liegen jedoch vorrangig in den Bereichen Sport und Naturwissenschaften. 9.3 Katharina als Leserin im Französischunterricht Die Analyse von Katharinas Leistungsprofil im Bereich des Lesens legt auf verschiedenen Ebenen besondere Herausforderungen im Umgang mit schriftlichen Texten im Französisch‐ unterricht offen. Diese betreffen basale Lesefertigkeiten wie eine adäquate Lesegeschwin‐ digkeit und -flüssigkeit (vgl. Kap. 9.3.1) sowie in weiterer Folge inhaltliche Aspekte der Textrezeption, also des Leseverstehens, im Französischen (vgl. Kap. 9.3.2). Im Bereich des lauten Vorlesens ist Katharina nicht nur mit Problemen bei der Laut-Buchstaben- Zuordnung konfrontiert, sondern sie kämpft auch mit emotionalen Herausforderungen bzw. empfundenem Stress (vgl. Kap.-9.3.3). 9.3.1 Basale Lesefertigkeiten und instrumentelles Lesen Wirft man zunächst einen Blick auf basale Lesefertigkeiten und kürzere, instrumentelle Leseaufträge im Französischunterricht, so wird deutlich, dass Katharina in Bezug auf zwei Teilaspekte besonderen Unterstützungsbedarf hat: Erstens erscheinen ihre Leseflüssigkeit sowie ihre visuelle Orientierung nicht nur in längeren Lesetexten, sondern auch bei der Schriftrezeption „auf Distanz“ erschwert, beispielsweise wenn ein Tafelanschrieb entschlüsselt werden muss. Dies zeigt sich im Rahmen der Unterrichtsbeobachtungen darin, dass Katharina bei allen Arten von Leseaufträgen mit dem Finger den zu lesenden Text verfolgt, um an vielen Stellen eine Wort-für-Wort-Entschlüsselung des Texts vorzunehmen und nicht die passende Zeile im Text zu verlieren (vgl. Kat. 16.2.3 bzw. 17.3.3 der Auswertung der Beobachtungsdaten, Anhang „Beobachtungs- und Kategoriensystem zur Auswertung des Französischunterrichts“). Im Fall von Tafelbildern stellt sie wiederholt Rückfragen zu dem Geschriebenen an ihre Sitznachbarin bzw. wird im Rahmen des Nachteilsausgleichs von Tafelabschriften entlastet. Zweitens scheint Katharina dem Problem einer - im Vergleich zu ihren Mitschüler: innen - herabgesetzten Lesegeschwindigkeit zu begegnen. 9.3 Katharina als Leserin im Französischunterricht 187 67 Damit soll nicht angedeutet werden, dass visuelle Beeinträchtigungen auch die Ursache von Katharinas LRS sind; denn dies wird in der Forschung mittlerweile kritisch gesehen (vgl. Klicpera et al. 2017: 189 ff.). Probleme bei der Orientierung in Texten können dennoch ein Symptom von LRS sein. Darüber hinaus geht aus Gesprächen mit der Französischlehrkraft hervor, dass in den nicht sprachlichen Fächern Katharina Aufgabenstellungen vorgelesen werden, damit deren Bearbeitung nicht an einem Rezeptionsproblem des schriftlichen Arbeitsauftrags scheitert. Dies zeigt sich im Unterrichtsgeschehen primär implizit, da die Lehrkraft u. a. quantitative Differenzierungsmaßnahmen umsetzt, die auf eine Reduktion des Umfangs von Lesetexten abzielen. Die Triangulation der Unterrichtsbeobachtungen mit dem Schülerinterview ergibt eine Konvergenz bzw. Kongruenz der erhobenen Befunde (vgl. Settinieri 2015: 20 f.): Auch Katharina nimmt ihre Lesegeschwindigkeit und die visuelle Orientierung in Lesetexten - gerade in emotional herausfordernden Vorlesesituationen - als schwierigkeitsbesetzt wahr (vgl. Kap.-9.3.3). Aus der Perspektive der LRS-Förderung stehen verschiedene Möglichkeiten zur Ver‐ fügung, um Beeinträchtigungen bei der Schriftrezeption, der visuellen Orientierung in Texten und der Leseflüssigkeit zu begegnen (vgl. Kap. 3.5.1). 67 Eine Möglichkeit, Defizite in diesen Bereichen auszugleichen, besteht in einer materialgestützten Differenzierung (vgl. Haß 2017: 47): Die Schrift- und Textrezeption beeinträchtigter Schüler: innen kann unterstützt werden, indem Unterrichtsmaterialien bzw. Lesetexte auf visueller Ebene angepasst werden. Diese Maßnahme wird auch im Zuge des Nachteilsausgleichs (nicht nur) bei Leistungsüberprüfungen empfohlen, da so zunächst kein Eingriff in inhaltliche Dimen‐ sionen von Aufgabenstellungen und lernzielbezogene Leistungserwartungen erfolgen muss (vgl. Kap. 3.5.2). Im Rahmen der beobachteten Unterrichtsstunden konnte nicht festgestellt werden, dass bereits eine visuelle Adaption von Arbeitsmaterialien im Französischunter‐ richt umgesetzt wird. Folglich lag es nahe, didaktische Perspektiven in diesem Bereich im Anschluss an die Unterrichtsbeobachtungen aus Schülersicht zu eruieren. So stellte die Interviewerin im Rahmen des Gesprächs mit der Schülerin eine Rückfrage zu der visuellen Modifikation von Arbeitsmaterialien, als es um mögliche Unterstützungsmaßnahmen in Bezug auf das Lesen im Französischunterricht ging: I: Mhm, ja. Hast du / Oder wurde das schon mal vielleicht ausprobiert, oder hast du schon einmal so Texte gesehen, die so in einer anderen Schriftart waren? Also wo man zum Beispiel mehr Abstand hat zwischen den Buchstaben? K: Ja, das hat mein äh zum Beispiel mein Sport-Gesellschaft- Lehrer / Der hat halt vorher mich darauf angesprochen. Und hat halt gefragt: „Ja wie ist das denn? “. Und dann habe ich gesagt: „Ja, in Stresssituationen rutsche ich manchmal aus der Reihe.“ Das heißt, wenn man ein bisschen größer druckt und einfach ein bisschen mehr Zeilen lässt halt zwischen den Absätzen wirklich, dass man da ein bisschen Platz lässt. Und er hat sich halt inzwischen angewöhnt, wirklich relativ große Schrift zu nehmen, also eine etwas größere Schriftgröße. Und halt einfach zwischen den Absätzen dann immer ein bisschen Platz zu lassen und den Text halt so strukturierter zu 188 9 Fallanalyse „Katharina“ 68 Demgegenüber lehnt Katharina den Einsatz von Leseschablonen als wenig ertragreich ab (vgl. Katharina: Zeilen 955-970). machen und nicht so ganz kleine Mini-Zeilen, weil da rutsche ich fünfmal in der Zeile weg, wenn ich halt wirklich nervös bin. Und das funktioniert halt eigentlich auch. (Katharina: Zeilen 971-990) Katharina nimmt visuelle Modifikationen von Lesetexten als sinnvolle Unterstützungsmaß‐ nahme des Leseprozesses wahr, was die Schülerin hier mit Bezug zu ihren Erfahrungen in den Fächern Sport und Gesellschaftslehre darlegt. Katharina kann diejenigen Modifika‐ tionen, die ihr bei der Schriftrezeption weiterhelfen, präzise beschreiben: Dazu zählen erweiterte Abstände zwischen den Absätzen, eine größere Schrift und in weiterer Folge eine überschaubarere Struktur der Lesetexte. Folgt man O’Malley und Chamot (1990: 46), zeichnen sich effektive Lesestrategien dadurch aus, dass sie für die Lösung des jeweiligen Problems geeignet sind und ihr Einsatz den Lernenden in angemessener Weise bewusst ist bzw. bewusst gemacht wird. Auch wenn Katharina die visuellen Modifikationen der Lesetexte nicht selbst vornimmt, kann sie im Rahmen des Lehrer-Schüler-Gesprächs ihre Interessen eindeutig vertreten und als „Expertin ihres Problems“ auf einer metakognitiven Ebene benennen sowie reflektieren, welche Unterstützungsmaßnahmen im Bereich des Lesens ihr warum weiterhelfen-- und welche nicht. 68 Darüber hinaus bietet die Sicht der Schülerin auf ihre Schwierigkeiten das Potenzial, auch tiefergehende Zusammenhänge auftretender Probleme zu ergründen. Denn Katharina verbalisiert explizit ihre Wahrnehmung, dass ihre Defizite im Bereich des Lesens auch daran rückgebunden seien bzw. gravierender würden, sobald sie „wirklich nervös“ sei oder sich in „Stresssituationen“ befinde. Dieses subjektive Empfinden der Schülerin, das die Wahl von Unterstützungsmaßnahmen auf affektiv-emotionaler Ebene nahelegt, kann über die Beobachtung möglicher körperlicher Stressreaktionen im Unterricht selbst nachvollzogen bzw. trianguliert werden: In Situationen des lauten Vorlesens im Französischunterricht zeigt sich tatsächlich, dass Katharina vermehrt auf ihrem Stuhl hin und her rückt und oftmals mit ihren Füßen oder Beinen wackelt, was als Zeichen für eine größere Anspannung bzw. Nervosität gedeutet werden kann (vgl. Kap. 9.3.3). Für Situationen des Leseverstehens ist dies demgegenüber nicht beobachtbar. Ein weiterer Diskussionspunkt hinsichtlich der Förderung und Kompensation von Defiziten im Bereich basaler Lesefertigkeiten ergibt sich aus der Beobachtung, dass Katharina bei der Konfrontation mit Lesetexten die Wörter und Zeilen mit dem Finger verfolgt. Denken wir an dieser Stelle noch einmal an die im Rahmen des Theoriekapitels beschriebene potenzielle Symptomatik von LRS im Fremdsprachenunterricht (vgl. Kap. 3.4): Unter Schwierigkeiten im Bereich des Lesens wird auch das Verfolgen einer Zeile im Text als potenzielles Symptom für LRS genannt, das von visuellen Orientierungsschwierigkeiten oder einer mangelnden Automatisierung der Worterkennung zeugen kann. Auch wird dieses Vorgehen in der Regel mit frühen Stufen des Schriftspracherwerbs assoziiert, die in Katharinas Alter von 15 Jahren bzw. mit Erreichen der 9. Jahrgangsstufe vermeint‐ lich überwunden sein dürften (vgl. zusammenfassend Sasse 2009: 298). Die Unterrichts‐ beobachtungen bestätigen, dass dieser Herausforderung Katharina als einzige Schülerin der 9.3 Katharina als Leserin im Französischunterricht 189 Lerngruppe begegnet - was den Verdacht untermauert, dass es sich um ein LRS-spezifisches Problem handelt. Aus Sicht der Schülerin zeigt sich jedoch, dass Katharina ihr manuell gestütztes Vorgehen bei der Textrezeption weniger als Defizit, sondern vielmehr als Stützstrategie im Rahmen emotional belastender bzw. stressbesetzter Lesesituationen wahrnimmt (vgl. Kap. 9.3.3). Denn Letztere führen aus Katharinas Perspektive dazu, dass sie häufig die Zeile im Text verliert. Der Abgleich des symptomorientierten Blicks auf LRS mit der Perspektive der betroffenen Schülerin legt hier eine Ambivalenz offen, die bereits Frith (1986: 72, Herv. der Verf.) in ihrem zentralen Ausgangstext zu Stufenmodellen des Schriftspracher‐ werbs andeutet: In Bezug auf die drei Hauptstufen des Schriftspracherwerbs werden „strategies for dealing with the written word“ benannt, die aktiv erworben werden müssen, um erfolgreich lesen und schreiben zu können. Folgt man Katharinas Wahrnehmung des Verfolgens der Zeilen im Lesetext als Kompensationsstrategie für stressbedingte Orientierungsschwierigkeiten, wird folgende Einordung in das Panorama möglicher Lesestrategien im Fremdsprachenunterricht möglich: Die Schülerin wendet eine „globale Lesestrategie“ (Schmidt 2007: 124) an, d. h. eine Strategie, die sich auf den ganzen Text und nicht nur auf einzelne, zu fokussierende Textpassagen bezieht. Diese dient als Kompensationsstrategie, die in fremdsprachlicher Kommunikation „zum Ausgleichen sprachlicher Defizite eingesetzt“ (Martinez 2016 b : 374) wird, denen Lernende - unabhängig von Lernbeeinträchtigungen - in Auseinandersetzung mit einer Fremdsprache begegnen. Hier geht es jedoch nicht um die Kompensation eines fremdsprachenspezifischen Defizits wie z. B. den Umgang mit unbekanntem Vokabular, sondern um die Bewältigung grundle‐ gender, sprachübergreifender Herausforderungen bei der „Schriftrezeption“ (Bachmann/ Becker-Mrotzek 2017: 28). Hinsichtlich einer LRS-spezifischen Strategiesystematik, wie sie sich z. B. bei Alexander-Passe (2006) findet, verfolgt Katharina hier sowohl anforderungsals auch emotionsbezogene Strategien, die grundsätzlich von Vermeidungsstrategien abzugrenzen sind (vgl. ebd.: 258 f.). Mithilfe dieser globalen Kompensationsstrategie, die auch als kognitiv orientierte „Stütz‐ strategie“ (Philipp 2015 b : 214) während der Phase der direkten Textarbeit (pendant la lecture) beschrieben werden kann, gelingt es Katharina, die Schwierigkeit des Verlierens der Zeile im Lesetext zu überbrücken. Darauf deutet hin, dass keine Vorlesesituationen kodiert wurden, die auf Sprünge im Text hinweisen; auf einer inhaltlichen Ebene ist dies auch beim Leseverstehen nicht zu beobachten. Demgegenüber zeigte sich jedoch, dass die ebenso grundlegenden Probleme der herabgesetzten Lesegeschwindigkeit, der Wort-für- Wort-Dekodierung und damit der Leseflüssigkeit mit dieser Strategie nicht ausgeglichen werden können. Auch im Fall des Lesens „auf Distanz“, also z. B. bei der Entschlüsselung von Tafelanschriften, ist ein manuelles Verfolgen des Texts nicht möglich. Deshalb wird in diesen Lesesituationen auf andere Kompensationsstrategien unter Einbezug sozialer Ressourcen zurückgegriffen, die vorrangig in der Kooperation mit Mitschüler: innen und materialgestützter Differenzierung bestehen (vgl. Kap.-9.4.2). 190 9 Fallanalyse „Katharina“ 9.3.2 Leseverstehen Anknüpfend an die umfassende Diskussion von Katharinas Umgang mit einer herabge‐ setzten Leseflüssigkeit stellt sich die Frage, welche Konsequenzen ihre Beeinträchtigungen im Bereich der hierarchieniedrigen Lesefertigkeiten für die Zielkompetenz des Leseverste‐ hens im Französischunterricht haben. Denn vor dem Hintergrund gängiger Leseprozess‐ modelle gilt als sicher, dass sich eine mangelnde Automatisierung basaler Lesefertigkeiten auch auf das Textverständnis auswirkt (vgl. Kap. 2.1.1.3; Pikulski/ Chard 2005: 510 f.). Um den Umgang der Schülerin mit Leseverstehensaufgaben im Französischunterricht besser zu verstehen, lohnt ein Blick auf Katharinas Lesesozialisation bzw. die Positionierung der Schülerin gegenüber dem Lesen als „Kulturtechnik“. So schildert Katharina mit Bezug zur deutschen Sprache den Stellenwert, den das Lesen insgesamt für sie hat: K: […] Aber man merkt halt auch, zum Beispiel ich habe halt, glaube ich, von der Grundschule an bis zur siebten, nee nee achten Klasse habe ich, glaube ich, sogar die Bücher, die wir im Unterricht gelesen haben, nie zu Ende gelesen. Und davor habe ich, glaube ich, noch nie ein komplettes Buch gelesen. Und dann in der achten Klasse hat meine Schwester, also wirklich mich einfach gezwungen. Hat mir ein Buch hingelegt und hat gesagt: „Ok, lies jetzt.“ War das, glaube ich, in den Ferien von der siebten zur achten Klasse. Und dann war das Buch, das habe ich auch gelesen, das hat mich auch interessiert. Und jetzt inzwischen ist es so, dass ich schon viel viel mehr lese. Und dadurch ist mein Leseverstehen auch wirklich um einiges besser geworden, muss man halt auch sagen. Aber ich habe halt wirklich auch nichts gelesen, weil ich irgendwie / Ich finde das auch frustrierend, wenn halt andere, zum Beispiel so schneller lesen, zum Beispiel wenn wir einen Text haben, dann lesen die das viel viel schneller als ich. Und irgendwann ist das halt so frustrierend, wenn man dann die ganze Zeit liest und halt die anderen schon viel schneller fertig sind und man selbst halt nicht. Und irgendwann wird das halt richtig frustrierend. […] (Katharina: Zeilen 808-829) Katharinas Rückblick auf ihre eigene Lesesozialisation verdeutlicht, dass die Entwicklung von Lesegewohnheiten und in weiterer Folge von Lesekompetenz in ihrer Erstsprache, dem Deutschen, bis weit in die Sek. I sehr problembehaftet gewesen zu sein scheint. So gibt die Schülerin an, bis zur 7. bzw. 8. Klasse keine literarische Ganzschrift komplett rezipiert zu haben. Diese Wahrnehmung Katharinas kann anhand der gewählten Datener‐ hebungsmethoden der vorliegenden Arbeit nicht verifiziert werden. Jedoch deutete sich bereits im Rahmen des Vorgesprächs mit den Eltern der Schülerin an (vgl. Kap. 5.3.1), dass Katharina über viele Jahre intensiv Vermeidungsstrategien anwendete, wenn es um die Auseinandersetzung mit Schriftsprache im privaten wie schulischen Rahmen ging, was in Gesprächen mit der Französischlehrkraft bestätigt wurde. Gehen wir also davon aus, dass Katharina im Deutschen über viele Jahre eine Beschäftigung mit umfassenderen 9.3 Katharina als Leserin im Französischunterricht 191 Leseaufträgen tendenziell vermieden und somit auch keine positiven Lektüreerfahrungen, die gerade mit Jugendliteratur verknüpft werden, gesammelt hat (vgl. Topf 2009). Vor diesem Hintergrund ist umso bemerkenswerter, dass es der Schülerin unterdessen zu gelingen scheint, ihr Lesepensum zu steigern. Hier wird die wichtige Rolle ihres familiären Umfelds bei der Bewältigung ihrer LRS bzw. der Übung schwierigkeitsbesetzter Fertigkeiten deutlich: Katharina benennt die nachdrückliche Aufforderung ihrer Schwester, nun endlich ein Buch zu lesen, als Schlüsselmoment für positive Veränderungen. Hier wird die hohe Relevanz der sozialen Ebene für die Literacy-Entwicklung deutlich, wie sie auch in didaktischen Modellen der Lesekompetenz repräsentiert wird (z. B. Rosebrock/ Nix 2017: 23 ff.). Katharina gibt an, einen positiven Effekt des extensiveren Lesens auf den zentralen Aspekt der Lesekompetenz, nämlich ihr Leseverstehen, zu bemerken. Demgegenüber bleibt ihre herabgesetzte Lesegeschwindigkeit für sie eine große Belastung. Ihre Beeinträchti‐ gung bemerkt die Schülerin vor allem im Vergleich zu ihren Mitschüler: innen, die die Leseaufträge wesentlich schneller zu bewältigen wissen. Die dreimalige Wiederholung des Adjektivs „frustrierend“ verdeutlicht die emotionale Dimension dieses Differenzerle‐ bens. Auf qualitative Dimensionen möglicher Differenzen zu anderen Lernenden geht Katharina jedoch nicht ein (z. B. auf inhaltliche Aspekte des Lesens oder die Erreichung von Lernzielen). Im Französischunterricht selbst ist eher implizit anhand der methodischdidaktischen Entscheidungen der Lehrkraft zu erkennen, dass Katharina Schwierigkeiten hat, lesebezogene Arbeitsaufträge in hinreichender Geschwindigkeit zu bearbeiten: Die gewählten Maßnahmen qualitativer und quantitativer Differenzierung entfalten hier eine so gute Wirkung, dass Probleme bei der Lesegeschwindigkeit kaum mehr als solche erkennbar sind (s. u.). Im Rahmen der beobachteten Stunden des Französischunterrichts bestätigt sich der Eindruck, dass Katharina Leseverstehensaufgaben nicht grundsätzlich ausweicht, sondern anforderungsbezogene Lesestrategien anwendet, um entsprechende Arbeitsaufträge zu bewältigen. Entsprechende Unterrichtssituationen basieren auf Lektionstexten, die das Lehrwerk Découvertes série jaune 4 (Bruckmayer et al. 2015) im Rahmen der ersten Lektion zur Verfügung stellt; der Einbezug von Schullektüren oder nicht didaktisierten Lesetexten wurde im Rahmen der Unterrichtsreihe nicht beobachtet. Alle erfassten Lesesituationen des Französischunterrichts, die auf das Textverständnis abzielen, folgen einem sehr ähnlichen methodisch-didaktischen Aufbau: Im Anschluss an eine lexikalische Vorentlastung im Plenum erfolgen eine Lektüre der Texte in Einzel- oder Partnerarbeit sowie die Bearbeitung von Leseverstehensaufgaben, deren Ergebnisse dann wiederum im Plenum besprochen werden. In diesen Situationen fallen folgende Spezifika von Katharinas Umgang mit Lesetexten auf: Wie bereits dargestellt zeigen sich insbesondere Lesestrategien, die auf die Kompensation von Defiziten im Bereich hierarchieniedriger Lesefertigkeiten wie z. B. der automatisierten Dekodierung oder einer visuellen Orientierung im Text abzielen (vgl. Kap. 9.3.1). Typische Strategien fremdsprachlichen Leseverstehens, die auf hierarchiehö‐ here Prozesse der Textrezeption abzielen und z. B. in einer Wörterbuchnutzung oder dem Markieren von Begrifflichkeiten im Text bestehen, werden bei Katharina nur sehr selten beobachtet. Demgegenüber greift die Schülerin auf verschiedene Scaffolding-Angebote zurück, die ihr ihre Französischlehrerin unterbreitet: Dazu zählen sowohl Maßnahmen 192 9 Fallanalyse „Katharina“ quantitativer Differenzierung (z. B. ein reduzierter Textumfang) als auch qualitativer Differenzierung (z. B. in Form adaptierter Aufgabenstellungen). Die Umsetzung quantitativer Differenzierungsmaßnahmen zeigt sich nur in einer Un‐ terrichtsstunde: Die Lehrkraft rät Katharina hier, nur die Anfangspassagen eines besonders umfangreichen Lektionstexts zu fokussieren. Die übrigen Passagen werden im Unterricht selbst durch die Sozialform der Partnerarbeit „aufgefangen“, d. h., Katharinas Arbeitspart‐ nerin präsentiert entsprechende Ergebnisse im Plenum. Auf qualitativer Ebene werden insbesondere Aufgabenformate entlastet, die einen integrierten Zugriff auf Lese- und Schreibkompetenzen erfordern. Beispielsweise beinhaltet das Lehrwerk einen Lesetext zu dem Filmfestival in Cannes und bietet dazu zwei Aufgabenvarianten an. Die erste Variante (Groupe A) besteht in einer Leseverstehensaufgabe im Vrai-faux-Format, d. h., die Schüler: innen müssen sieben Information auf ihre Richtigkeit im Lesetext prüfen und im Fall einer falschen Antwort den jeweiligen Satz korrigieren. Die zweite Variante (Groupe B) besteht in einem halboffenen Aufgabenformat, das die Ergänzung wesentlicher Informationen verlangt: Abb. 16: Fall „Katharina“: Differenzierte Aufgabenstellungen zum Leseverstehen (Bruckmayer et al. 2015, Lehrermaterialien, o. S.) 9.3 Katharina als Leserin im Französischunterricht 193 Die Französischlehrerin schlägt Katharina vor, die erste Aufgabenvariante zu wählen und sich zunächst auf das Ankreuzen der Vrai-faux-Kästchen zu konzentrieren. Didaktische kann dies damit begründet werden, dass anhand des geschlossenen Aufgabenformats die Schreiblast reduziert werden kann, die zur Abbildung des Leseverstehens nötig ist (vgl. das Konzept des „writing to learn“, Kap. 2.2.3.1). Der Differenzierungsansatz, der von der Französischlehrkraft zielgerichtet umgesetzt wird und Katharina letztlich eine erfolgreiche Bearbeitung der Leseverstehensaufgabe ermöglicht - die Schülerin löst alle Teilaufgaben in Einzelarbeit korrekt -, weist darüber hinaus folgende Entwicklungs‐ möglichkeiten auf: Wie bereits deutlich wurde, ist Katharina in der Lage, Stärken und Schwächen ihres Französischlernens zu benennen bzw. Unterstützungsmöglichkeiten hinsichtlich ihrer Nützlichkeit zu reflektieren. Hiervon könnte auch im Fall der Lese‐ verstehensaufgaben profitiert und Katharina eine eigenständige Entscheidung bei der Auswahl der Aufgabenvarianten ermöglicht werden. Folgt man der Selbstbestimmungs‐ theorie von Deci und Ryan (2012: 87 f.) könnte dies lernerseitige Wünsche nach Auto‐ nomie erfüllen und eine intrinsische Motivation der Schülerin fördern. Zudem würde so eine weitere Zielvorstellung des Fremdsprachenunterrichts explizit angesprochen: die Sprachlernkompetenz. [Diese] beinhaltet die Fähigkeit und Bereitschaft, das eigene Sprachenlernen selbstständig zu analysieren und bewusst zu gestalten, wobei die Schülerinnen und Schüler auf ihr mehrsprachiges Wissen und auf individuelle Sprachlernerfahrungen zurückgreifen (KMK 2012: 22). Matthias Trautmann (2010: 57) präzisiert dies mit Bezug zu der Umsetzung von Differen‐ zierungsmaßnahmen im Fremdsprachenunterricht: Der lehrerseitigen Differenzierung steht die „Differenzierung von unten“ durch die SchülerInnen als Strategie gegenüber. Dabei sollen sich diese selbst passende Materialien, Themen, Methoden usw. auswählen und selbständig bearbeiten. […] Lehrpersonen steuern indirekt über die Vorbe‐ reitung der Lernumgebung und individualisieren über die Beobachtung und ggf. Unterstützung einzelner LernerInnen. Auch mit Blick auf die Vorstellung eines lebenslangen Lernens könnte Katharina so ermächtigt werden, ihr Fremdsprachenlernen gerade vor dem Hintergrund ihrer LRS erfolgreich zu gestalten. Zudem würde eine schülerseitige Mitgestaltung der Lernsitu‐ ationen die Chance eröffnen, im Sinne einer flexiblen und individuellen Diagnostik überhaupt zu erkennen, in welchen Bereichen sich Beeinträchtigungen womöglich abgeschwächt oder stärker ausgeprägt haben und welche Differenzierungsmaßnahmen daraufhin sinnvoll sind. 9.3.3 Lautes Vorlesen Es deutete sich bereits an, dass bei der Betrachtung von Katharina als Leserin im Französischunterricht zwischen Situationen des Leseverstehens und solchen des lauten Vorlesens differenziert werden muss. Denn während Katharina Aufgabenstellungen mit Bezug zum Leseverstehen anforderungsbezogen und unter Rückgriff auf zur Verfügung stehende Unterstützungsmaßnahmen bearbeitet, sind Situationen des lauten Vorlesens für 194 9 Fallanalyse „Katharina“ die Schülerin mit starken negativen Emotionen besetzt und werden mit Vermeidungsstra‐ tegien assoziiert (vgl. Alexander-Passe 2006). Dies kommt im Rahmen des Interviews mit Katharina zum Ausdruck und wird exemplarisch anhand folgender Rückfrage mit Bezug zum Französischunterricht deutlich: I: […] Und ähm habe ich das richtig verstanden, dass praktisch aber schon ein Unterschied für dich da ist, ob man was laut vorliest oder halt eben leise für sich, also / ? K: Ja, es geht auch schneller, wenn ich tatsächlich leise für mich lese. Und klar, ich kann dann auch mehrfach die Wörter wiederholen, wenn ich irgendwas nicht verstehe oder so. Und allgemein fühle ich mich halt wohler, wenn ich das für mich alleine lese. Klar, ich brauche trotzdem länger als die anderen, aber ich fühle mich so wohler, weil ich einfach nicht laut vorlesen muss und die anderen das nicht hören müssen. […] Das hat so eine Blockla/ Blockade ausgelöst, immer so dieses: Falsch! Das hat so eine richtige Laut- Lese-Blockade ausgelöst. […] (Katharina: Zeilen 915-932) In Katharinas Antwort spiegelt sich insofern erneut die hohe Relevanz der Dimension der Lesegeschwindigkeit bei der Selbsteinschätzung ihrer Lesekompetenz wider, als sie angibt, beim leisen Lesen zügiger vorwärtszukommen als beim lauten Vorlesen. Zudem führt sie als positiven Aspekt des Leseverstehens an, die Strategie des mehrfachen Lesens unverständlicher Textstellen anwenden zu können. Diese konkrete, fertigkeitsbezogene Argumentation untermauert Katharina auf emotionaler Ebene durch die übergeordnete Feststellung eines grundsätzlich größeren Wohlbefindens beim leisen Lesen. Obwohl die soziale Bezugsnorm der Schülerin erneut dazu dient, eine negative Abweichung des eigenen Könnens in Bezug auf die Lesegeschwindigkeit zu konstatieren, kommt Katharina zu einem klaren Urteil: Das Leseverstehen bereite ihr im Französischunterricht weniger Unbehagen als das laute Vorlesen. An dieser Stelle ist bemerkenswert, wie Katharina sogar die Fremdperspektive ihrer potenziellen Zuhörerschaft in ihre Antwort aufnimmt: Hier deutet sich an, dass nicht nur die Schülerin selbst, sondern sogar ihr mögliches Publikum (in Form der Mitschüler: innen) eine Entlastung erfahren bzw. von der „Zumutung“ befreit würde, wenn Katharina das laute Vorlesen vermeidet („und die anderen das nicht hören müssen“). Bei der Begründung der wahrgenommenen Diskrepanz zwischen Prozessen des leisen und lauten Lesens rekurriert Katharina narrativ auf die vorherige Episode des Interviews, in der sie dargestellt hat, wie ihre Mutter sie beim fehlerhaften Vorlesen fortwährend unterbricht und korrigiert (vgl. Kap. 9.2.2). Sie stellt einen direkten Zusammenhang zwischen ihren frühe(re)n Misserfolgserfahrungen bei der Auseinandersetzung mit Schriftsprache und heutigen Hemmnissen beim lauten Vorlesen in Bezug auf den Franzö‐ sischunterricht her. Dabei scheint es um die generelle Konfrontation mit Situationen des lauten Vorlesens zu gehen und nicht um aussprachebezogene oder prosodische Spezifika des Französischen, die das laute Vorlesen in diesem Bereich für Fremdsprachenlernende tatsächlich erschweren könnten. Auffällig ist, dass der Wortlaut der Mutter erneut rezi‐ tiert bzw. erzählerisch inszeniert wird („Immer so dieses: Falsch! “). Katharina kondensiert 9.3 Katharina als Leserin im Französischunterricht 195 ihre Beobachtungen in dem Begriff der Laut-Lese-Blockade, der aufgrund seiner hohen Expressivität als „In-vivo-Codes“ (Hülst 2013: 286) Eingang in das Auswertungssystem der Schülerinterviews gefunden hat (vgl. Anhang „Kategoriensystem zur Auswertung der Schülerinterviews“). Neben der großen Auswirkung negativer Vorerfahrungen bei der Auseinandersetzung mit (Schrift-)Sprache auf aktuelle Lehr-Lern-Kontexte wird hier auch die starke Verwobenheit häuslicher und schulischer Erwerbsprozesse in Katharinas Lernbiographie deutlich. Der Begriff der Laut-Lese-Blockade deutete bereits an, dass Katharina einen Stillstand in diesem Fertigkeitsbereich an sich selbst beobachtet. Folglich überrascht es nicht, dass Katharina im weiteren Verlauf des Interviews dezidierte Vermeidungsstrategien benennt, die sie in Bezug auf das laute Vorlesen anwendet: K: Und dann inzwischen habe ich es einfach inzw/ entwickelt, ich lese fast gar nicht mehr laut, so wirklich, richtig selten. […] Weil ich halt eher les/ lieber still und leise für mich lese, als wie irgendwie laut. Weil mir das halt eben eben auch richtig unangenehm geworden ist, weil man dann halt so komisch liest und dann sich so denkt: Ok, ist jetzt nicht so schön. Und dann zum Beispiel auch an meiner Schule, zum Beispiel wenn man was vorlesen muss, dann geht das auch einfach so [Katharina imitiert, wie ihre Hände zittern]. Dann wird das immer schlimmer mit dem Zittern. Und ich meine so: Okay, kann man jetzt auch lassen. Und dann steigt auch so richtige Angst / Und dann geht das irgendwie so: [Katharina imitiert erneut, wie ihre Hände zittern]. Die Angst zu versagen, würde ich mal sagen (…) / (Katharina: Zeilen 851-866) Auf Basis des beobachteten Französischunterrichts sind Katharinas Schilderungen nur mit Einschränkungen verifizierbar, denn dort spielten typische Vorlesesituationen kaum eine Rolle; Lautleseverfahren wie z. B. die Paired-Reading-Methode (vgl. Rosebrock et al. 2011) wurden nicht angewandt. Lediglich Aufgabenstellungen wurden im Plenum vorgelesen und besprochen, um ein gemeinsames Verständnis der Arbeitsaufträge sicherzustellen. In diesen Unterrichtssituationen meldete sich Katharina nicht und wurde von ihrer Lehrkraft auch nicht anderweitig aufgerufen. Vor dem Hintergrund der intensiven negativen Emotionen, die Katharina mit der Anforderung des Vorlesens in Verbindung bringt, begegnet die Schülerin derartigen Unterrichtssituationen mit Vermeidungsstrategien. Denn das oben formulierte Un‐ wohlsein, dass sich insbesondere über das Gefühl einer Exponiertheit gegenüber der Lerngruppe manifestiert, wird im Rahmen der Interviewepisode erzählerisch noch po‐ tenziert: Katharina beschreibt einen Kontrollverlust in Form einer psychosomatischen Stressreaktion, die sich in dem unkontrollierten Zittern ihrer Hände niederschlägt, das die Schülerin im Rahmen der Interviewsituation mehrfach imitiert. Hier ist beobachtbar, dass an spezifische Situationen gekoppelte Reaktionen zunehmend in Form von Versa‐ gensängsten generalisiert bzw. auf zukünftige, vergleichbare Anforderungssituationen übertragen werden. Aus psychologischer Sicht kann das affektive Gedächtnis zur Erklärung hinzugezogen werden: Bestimmte Anforderungssituationen werden bereits 196 9 Fallanalyse „Katharina“ bei ihrer Antizipation mit negativen Gefühlen verbunden, sodass letztlich auch die reale Performanz bzw. Motivation der Schülerin gehemmt sein könnte (vgl. Wigfield/ Eccles 2000). Dies wiederum könnte zu einer Steigerung der wahrgenommenen Schwierigkeit von Unterrichtssituationen führen und sich auch auf das Fähigkeitsselbstkonzept der Lernenden auswirken. Angesichts der problembehafteten Lage, die Katharina im Bereich des lauten Vorlesens schildert, stellte die Interviewerin eine Rückfrage zur möglichen Unterstützung von Laut- Lese-Situationen: I: Und wenn du jetzt so noch mal heute überlegst, wenn du so Situationen hast, halt im Unterricht, wo du was laut vorliest: Gibt es irgendwie was, was dir das erleichtern könnte, so eine Situation? K: Ja, nee, nicht wirklich. Es ist halt einfach nur, dass ich anfange, mit den Beinen zu wackeln, und dann irgendwie halt wirklich auf dieses Blatt starre und dann halt / Ich lese halt teilweise auch mit dem Finger mit, damit ich halt nicht wegrutsche. Und mehr kann man da halt eigentlich auch nicht machen. (Katharina: Zeilen 945-954) Katharinas Antwort, die - womöglich auch aufgrund der relativ geschlossen gestellten Frage der Interviewerin - vergleichsweise knapp ausfällt, könnte darauf hindeuten, dass die Bewältigung emotionaler Herausforderungen bei der Auseinandersetzung mit Schrift‐ sprache bislang nur unzureichend thematisiert wurde. Denn die Schülerin beschreibt erneut ihre Ohnmacht in Konfrontation mit der Anforderung des lauten Vorlesens. Als einzige Be‐ wältigungsstrategie, die bereits im Kontext der basalen Lesefertigkeiten thematisiert wurde (vgl. Kap. 9.3.1), nennt Katharina die kognitiv orientierte und anforderungsbezogene Stütz‐ strategie des Verfolgens des Texts mit dem Finger, um nicht die passende Zeile zu verlieren. Ihre Feststellung aus Schülersicht, dass keine weiteren Möglichkeiten der Einwirkung auf ihre spezifischen Schwierigkeiten bestünden, wirkt an dieser Stelle ernüchternd bzw. resignierend. Denn aus Perspektive der Fachdidaktik stünden verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, die die Schülerin in derartigen Situationen unterstützen könnten: Erstens wären weitere Orientierungshilfen wie z. B. die Adaption des Layouts von Materialien zu nennen (s. o.). Zweitens kämen Trainingsmethoden und Lautleseverfahren infrage, die entweder in einem geschützten unterrichtlichen Rahmen (z. B. bei Partnerarbeiten) oder im außerschulischen Bereich Anwendung finden könnten (vgl. auch Gerlach 2019 a : 54 ff.). Drittens wäre denkbar, der Schülerin über Strategien der Vorbereitung bzw. Vorentlastung zu ermöglichen, sich ohne Zeit- und Performanzdruck auf diese Unterrichtssituationen, z. B. im häuslichen Rahmen, vorzubereiten - hier steht beispielsweise Katharinas Schwester als Vertrauensperson zur Verfügung. 9.3.4 Zwischenfazit: Perspektiven für die Leseförderung In Katharinas Fall hat sich gezeigt, dass die Schülerin in Auseinandersetzung mit dem Französischen als Fremdsprache im Bereich der hierarchieniedrigeren Lesefertigkeiten, 9.3 Katharina als Leserin im Französischunterricht 197 d. h. der Lesegeschwindigkeit und -flüssigkeit, Schwierigkeiten aufweist. Diese kann sie zumindest teilweise anhand globaler Kompensationsstrategien ausgleichen. Hinsicht‐ lich der herabgesetzten Lesegeschwindigkeit, die mit einer stockenden, wortweisen Dekodierung in Zusammenhang steht, kann ein weiterführender Förderbedarf der Schülerin identifiziert werden: Als typische Förderansätze werden hier „Lautlesever‐ fahren“ (Rosebrock/ Nix 2017: 33 ff.) sowie „Vielleseverfahren“ (ebd.: 57 ff.) genannt, deren Integration in den Englischunterricht Gerlach und Lüke (2020) im Rahmen einer Leseintervention erfolgreich erprobt haben. Andererseits schließt - gerade vor dem Hintergrund der sehr begrenzten Wochenstunden, die für das Französische zur Verfügung stehen, und der emotionalen Herausforderungen, die für Katharina mit dem lauten Lesen verbunden sind - die Überlegung an, ob ergänzende Maßnahmen „externer Differenzierung“ (z. B. Wolff 2010: 54) in Katharinas Fall ertragreich sein könnten. Denn so könnte in Einzelsettings gezielt an entsprechende Angebote angeknüpft werden, die die Schülerin bereits für die deutsche Sprache nutzt und die eine weiterführende Arbeit mit spezifischen Trainings, z. B. zur phonologischen oder morphologischen Bewusstheit, erlauben würden. Hinsichtlich des lauten Vorlesens, das in den beobachteten Französischstunden nur eine untergeordnete Rolle spielt, sind aus Schülersicht insbesondere emotionsbezogene bzw. Vermeidungs-Strategien relevant. Hier schließt die Frage an, inwieweit eine weitere Konfrontation mit Laut-Lese-Situationen im Unterrichtsgeschehen noch sinnvoll ist bzw. zu einer Reaktualisierung der individuell erlebten Gefühle von Ohnmacht und Hilflosigkeit führen könnte. Aus fachdidaktischer Sicht sollte das explizite Ausblenden schwierigkeitsbe‐ setzter Teilkompetenzen natürlich die Ultima Ratio sein, denn in letzter Konsequenz brächte dies eine Lernzieldifferenz mit sich - die im Kontext von Teilleistungsschwierigkeiten wie LRS so nicht vorgesehen ist und Katharinas Empfinden eines Kontrollverlusts zudem verstärken könnte. Als konstruktiver Impuls steht in Katharinas Fall das Konzept zur LRS- Förderung ihrer Schule zur Verfügung, das sich für kooperative Lernformen stark macht (vgl. Kap. 9.1). Im Bereich des Leseverstehens nutzt Katharina die Scaffolding-Angebote ihrer enga‐ gierten Französischlehrkraft. Diese bestehen sowohl in quantitativen als auch qualitativen Differenzierungsangeboten und erweisen sich für die Aufgabenbearbeitung der Schülerin als zielführend. Es konnte jedoch herausgearbeitet werden, dass in diesem Bereich Entwick‐ lungsmöglichkeiten bestünden: Diese betreffen die visuelle Adaption von Arbeitsmateria‐ lien, der ein positiver Effekt auf Dekodierungsprozesse zugeschrieben wird. Insbesondere erscheint jedoch ertragreich, Katharina stärker an ein selbstgesteuertes Lernen heranzu‐ führen, indem die lehrerseitige Auswahl von Differenzierungs- und Förderangeboten sukzessive um schülerseitige Entscheidungen ergänzt und langfristig abgelöst wird. Denn Katharina zeigt im Rahmen des Interviews bereits einen bewussten und reflektierten Umgang mit den gewählten Vorgehensweisen. Vor dem Hintergrund aktueller Ergebnisse der Forschung zu Lesestrategien ist damit aus theoretischer Perspektive eine wesentliche Voraussetzung für einen erfolgreichen und effizienten Strategiegebrauch erfüllt (vgl. die Metaanalyse von Souvignier/ Antoniou 2007). Damit ginge auch eine Schulung fremdsprachlicher Lesestrategien einher, die die ge‐ wählten Differenzierungsmaßnahmen an bestimmten Punkten langfristig ersetzen könnten 198 9 Fallanalyse „Katharina“ (z. B. indem Vorbereitungsstrategien der Textentlastung geschult werden). Weiterhin könnte das im Deutschen geweckte, auch freizeitbezogene Leseinteresse Katharinas ge‐ nutzt werden, um Strategien extensiven Lesens zu fördern und Textrezeption als ästhetische Erfahrung zugänglich zu machen. Denn aktuell ist Katharinas Wahrnehmung deutlich auf ein „[F]unktionieren“ (Katharina: Zeile 990) im Sinne schulischen Lernerfolgs ausgerichtet, das individuelle und kreative Aspekte der Weiterarbeit mit Texten nicht einbezieht (vgl. Fritsch 2014: 93 f.). 9.4 Katharina als Schreibende im Französischunterricht Die Analyse des Schülerinterviews sowie die Beobachtung Katharinas als Leserin im Französischunterricht haben offengelegt, dass die Schülerin - bemessen an einer kriterialen sowie klasseninternen, sozialen Bezugsnorm - in einigen Teilbereichen des Lesens über‐ durchschnittlichen Herausforderungen begegnet. Für die Teilkompetenz des Schreibens zeigt sich der Befund, dass Katharina auch im Französischunterricht aufgrund ihrer LRS überdurchschnittlichen Schwierigkeiten begegnet, in noch deutlicherer Weise. Denn Katharina weist nicht nur in allen drei Bereichen der sprachlichen Mittel (d. h. Grammatik, Lexik und Orthographie) eklatant höhere Fehlerwerte als ihre Mitschüler: innen auf, son‐ dern hat in vielen Situationen Schwierigkeiten, ihre kommunikative Absicht in schriftlicher Form verständlich zum Ausdruck zu bringen. Positiv ist demgegenüber hervorzuheben, dass Katharina nicht auf Vermeidungsstrategien zurückgreift, um schwierigkeitsbesetzten Schreibsituationen im Französischen auszuweichen, sondern weiterhin eine aktive Ausei‐ nandersetzung mit der französischen Schriftsprache sucht. 9.4.1 Schülerleistungen im Bereich des (Recht-)Schreibens Im Folgenden wird Katharinas Schreibleistung im Französischunterricht zunächst aus globaler bzw. quantifizierender Perspektive betrachtet. Dazu werden die Ausprägungen der Fehlerkategorien „Lexik“, „Grammatik“ und „Orthographie“ zwischen den Schüler: innen der Lerngruppe verglichen (vgl. Kap. 9.4.1.1). Anschließend wird die Kategorie der or‐ thographischen Fehler in den Fokus gerückt, sodass Ähnlichkeiten und Abweichungen zwischen Katharina und den anderen Lernenden (vgl. Kap. 9.4.1.2) bzw. Spezifika von Katharinas Rechtschreibprofil aufgezeigt werden können (vgl. Kap.-9.4.1.3). - 9.4.1.1 Fehlerhäufigkeiten im Gesamtkorpus Während der fünfwöchigen Unterrichtsbeobachtungen begegnen die Schüler: innen des beobachteten Französischkurses unterschiedlichen Schreibanlässen: Zum einen sind zahl‐ reiche instrumentelle Schreibaufträge zu erfüllen, wie z. B. reproduktives Schreiben in Form von Tafelabschriften oder die Anfertigung unterrichtsbezogener Notizen. Zum anderen werden auch einige gelenkte bzw. freiere Schreibaufträge gestellt, wie z. B. die schriftliche Vorstellung der eigenen Person zur Vorbereitung eines Schüleraustauschs oder die Formu‐ lierung eines Motivationsschreibens für ein freiwilliges ökologisches Jahr in Form einer Sprachmittlungsaufgabe. Die folgende Übersicht weist den Umfang der Teilkorpora der 9.4 Katharina als Schreibende im Französischunterricht 199 Schüler: innen sowie die Gesamtzahl der jeweiligen Fehler als absoluten und relationalen Wert (in Form des Fehlerindex) aus: - Wortanzahl Teilkorpora Orthographie/ Fehlerindex Grammatik/ Fehlerindex Lexik/ Fehlerindex Anne 688 20/ 2,9 19/ 2,8 7/ 1,0 Asel 753 52/ 6,9 27/ 3,6 14/ 1,8 Damaris 701 33/ 4,7 35/ 5,0 13/ 1,8 Elena 805 32/ 4,0 17/ 2,1 3/ 0,4 Enis 724 48/ 6,6 46/ 6,3 14/ 2,2 Katharina 710 201/ 28,3 68/ 9,6 76/ 10,7 Kaya 699 62/ 8,7 59/ 8,4 19/ 2,7 Lynn 742 16/ 2,1 16/ 2,1 4/ 0,5 Murat 702 26/ 3,7 29/ 4,1 17/ 2,4 Nicolas 776 28/ 3,6 60/ 7,7 12/ 1,5 Robin 790 29/ 3,7 13/ 1,6 8/ 1,0 Sabrina 725 40/ 5,5 59/ 8,1 14/ 1,9 Susanna 700 12/ 1,7 19/ 2,7 4/ 0,6 Zara 686 33/ 4,8 41/ 5,9 25/ 3,6 Tab. 7: Fall „Katharina“: Übersicht über die Wortanzahlen der Teilkorpora und die Häufigkeiten verschiedener Fehlertypen Bereits der globale Überblick über die Teilkorpora weist auf zwei zentrale Merkmale des Falls „Katharina“ hin: Erstens zeigt sich eine sehr große Diskrepanz zwischen den Fehlerzahlen der Schülerin mit LRS und denjenigen ihrer Mitschüler: innen (ohne LRS). Dies betrifft insbesondere den Bereich der Orthographie: Katharinas Fehlerindex liegt als einziger deutlich im zweistelligen Bereich; auch sind Katharinas Fehlerwerte im Bereich der Lexik die höchsten der Lerngruppe. Im Bereich der Grammatik fällt die Differenz gegenüber ihren Mitschüler: innen demgegenüber weniger deutlich aus: Hier begegnen mit Kaya, Nicolas und Sabrina drei andere Lernende ähnlichen Herausforderungen. Zweitens zeigt die Übersicht, dass Katharina in vergleichbarem Umfang Schreibaufträge bearbeitet wie ihre Mitschüler: innen, d. h. die von ihr produzierte Textmenge nicht herabgesetzt ist. Im Rahmen schriftlicher Leistungsüberprüfungen ist jedoch zu berücksichtigen, dass Katharina eine um 30 % verlängerte Bearbeitungszeit zur Verfügung steht, die sie vorrangig zur Komplettierung ihrer Schreibprodukte und weniger für deren Überarbeitung bzw. Korrektur nutzt. Betrachtet man die Ausprägungen der drei Fehlerkategorien bei allen Schüler: innen, werden für die jeweiligen Fehlerprofile sehr unterschiedliche Schwerpunkte deutlich: 200 9 Fallanalyse „Katharina“ Während beispielsweise Nicolas vorrangig mit grammatischen Problemen kämpft, die neu in den Unterricht eingeführt werden (hier insbesondere die Differenzierung der Vergangenheitstempora passé composé, imparfait, plus-que-parfait etc.); zeigen sich bei der Schülerin Asel auf lexikalischer Ebene zahlreiche Transferphänomene aus ihrer Mut‐ tersprache, dem Türkischen (z. B. *kuaffeur → coiffeur ‚Friseur‘ [tur. kuaför]). Innerhalb der individuellen Fehlerprofile der Lernenden weist die Kategorie der lexikalischen Fehler eine deutlich geringere Ausprägung auf als diejenigen der grammatischen und orthogra‐ phischen Fehler. Dies könnte auch darin begründet sein, dass im Rahmen der beobachteten Unterrichtsstunden seitens der Lehrkraft viel Wert auf eine systematische und intensive Wortschatzarbeit gelegt wird, sodass die Schüler: innen meist erst nach einer lexikalischen Vorentlastung (z. B. in Form von Mindmaps oder Ratespielen) mit der Anfertigung von Schreibaufträgen konfrontiert sind. Der Fehlerschwerpunkt innerhalb von Katharinas Teilkorpus besteht - wie bei sechs weiteren Lernenden - eindeutig im Bereich der Orthographie. Katharinas Schwierigkeiten sind hier so grundlegend und umfassend, dass sich in vielen Fällen auch die Rechtschreib‐ fehler auf die kommunikative Verständlichkeit ihrer Texte auswirken. Dies würde man womöglich eher mit den sprachstrukturell „tieferen“ Kategorien der Grammatik bzw. der Lexik in Verbindung bringen. Auch diese beiden Domänen sind in Katharinas Fall schwierigkeitsbesetzt, worauf die Analyse konkreter Schreibprodukte zurückkommen wird (vgl. Kap. 9.4.3). In den folgenden beiden Teilkapiteln wird zunächst ein genauerer Blick auf die Fehlerqualitäten im Bereich der Orthographie geworfen. - 9.4.1.2 Orthographische Leistungen der Schüler: innen im Überblick Wie stellen sich die orthographischen Leistungen der Lerngruppe dar und welche Beson‐ derheiten weist vor diesem Hintergrund Katharinas Rechtschreibprofil im Französischen auf ? Eine erste Antwort auf diese Fragen vermittelt die folgende Übersicht, die das Auftreten verschiedener orthographischer Fehlertypen in den jeweiligen Teilkorpora der Schüler: innen aufzeigt: 9.4 Katharina als Schreibende im Französischunterricht 201 Anne Asel Damaris Elena Enis Katharina Kaya Lynn Murat Nicolas Robin Sabrina Susanna Zara Ge‐ samt Auslassungen von Buchstaben 2 3 1 / 2 70 8 1 / 1 3 2 / / 93 Diakritika 8 26 5 13 12 30 15 6 7 14 11 19 4 11 182 Elision 1 3 2 1 2 7 4 1 2 1 1 3 1 3 32 Falsches Graphem 1 4 3 1 2 30 5 / 1 1 / 1 1 3 53 Fehlerinkonstanz / (1) / / / (11) (2) / / / / (1) / / (15) Groß- und Kleinschreibung / 1 1 4 / 7 2 / 1 / / / / 1 17 Hinzufügungen von Buchstaben / 2 / / 2 24 7 2 2 3 / 2 / 14 58 orthographe grammaticale 7 10 20 11 24 17 11 6 12 7 13 7 5 / 150 Phonematische Realisierung 1 1 / / 3 5 5 / / 1 / 2 / / 18 Reihenfolge von Buchstaben / / / 2 1 7 3 / / / / / / / 13 Segmentierung / 1 / / / 3 2 / 1 / 1 3 / / 11 Wortzeichen / / 1 / / 1 / / / / / 1 1 1 5 Gesamt 20 52 33 32 48 201 62 16 26 28 29 40 12 33 632 Tab. 8: Fall „Katharina“: Übersicht über die Häufigkeiten orthographischer Fehlertypen in den Teilkorpora 202 9 Fallanalyse „Katharina“ Auf der Ebene der Lerngruppe zeigt sich, dass in den Bereichen der „Diakritika“ und der „orthographe grammaticale“ deutliche überindividuelle Fehlerschwerpunkte bestehen - alle Schüler: innen produzieren in diesen beiden Kategorien Fehler. Auch die Kategorie der „Elision“ ist in allen Rechtschreibprofilen der Schüler: innen repräsentiert; aber nur in sehr geringem Umfang. Mit den Fehlertypen „Groß- und Kleinschreibung“, „phonematische Realisierung“, „Reihenfolge von Buchstaben“, „Segmentierung“ und „Wortzeichen“ liegen Kategorien vor, die auf der Ebene des Gesamtkorpus nur geringfügig vertreten sind. Katharinas Teilkorpus bzw. ihr Rechtschreibprofil kennzeichnet sich im Vergleich zu ihren Mitschüler: innen dadurch, dass sie als einzige Lernende in allen Kategorien Fehler macht; lediglich bei Kaya wird eine Fehlerkategorie nicht erfasst. Der Vergleich von Katha‐ rinas Teilkorpus mit dem Gesamtkorpus der Lerngruppe legt offen, dass der für die gesamte Lerngruppe identifizierte Fehlerschwerpunkt der „orthographe grammaticale“ innerhalb von Katharinas Rechtschreibprofil keinen Fehlerschwerpunkt darstellt; die „Diakritika“ sind demgegenüber in etwas höherer Anzahl vertreten. Vielmehr kennzeichnet sich Katharinas Teilkorpus durch eine umfassende Ausprägung der Kategorie „Auslassungen von Buch‐ staben“, die allein ein Drittel aller orthographischen Fehler ausmacht. Zusammen mit den Kategorien „falsches Graphem“ sowie „Hinzufügungen von Buchstaben“ weist Katharina hier Schwierigkeiten auf, die die anderen Lernenden nicht in gleichem Maße haben. Die Dominanz dieser drei Fehlerkategorien lässt darauf schließen, dass Katharina insbesondere im Bereich der grundsätzlichen Laut-Buchstaben-Zuordnungen Schwierigkeiten hat (s. u.). Beim Vergleich der Teilkorpora fällt überdies auf, dass sechs Schüler: innen einen Feh‐ lerschwerpunkt im Bereich der „Diakritika“ aufweisen, wobei insbesondere der accent grave oft vergessen oder mit dem accent aigu verwechselt wird. Vor dem Hintergrund dessen, dass die Akzentsetzung im Französischen einen genuin neuen Lerngegenstand darstellt, der nicht unter Rückgriff auf Deutsch- oder Englischkenntnisse erschlossen werden kann und auch auf visueller Ebene einer nuancierten Sprachwahrnehmung bedarf, überrascht es, dass Katharina als Schülerin mit LRS in diesem Bereich keine überdurchschnittlichen Schwierigkeiten aufweist. Denn gerade vor dem Hintergrund ihrer insgesamt sehr hohen Fehlerwerte im Bereich der Orthographie hätte sich in dieser Kategorie ein Deckeneffekt einstellen können - diese und weitere Besonderheiten von Katharinas Teilkorpus werden im Folgenden vorgestellt. - 9.4.1.3 Katharinas Rechtschreibprofil Aus wissenschaftlicher Sicht bietet Katharinas Teilkorpus aufgrund seines relativ großen Umfangs sowie der hohen Anzahl an Rechtschreibfehlern umfassende Analysepotenziale. So zeigt sich erstens, dass die Schülerin 154 von 201 Rechtschreibfehlern in vier der zwölf Fehlerkategorien macht („Auslassungen von Buchstaben“, „Diakritika“, „falsches Graphem“ sowie „Hinzufügungen von Buchstaben“). Diese sind hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf eine gelingende schriftliche Kommunikation bzw. die Verständlichkeit des Geschrie‐ benen von sehr unterschiedlicher Tragweite. So haben Fehlschreibungen im Bereich der „Diakritika“ in der Regel kaum Auswirkungen auf die Erkennbarkeit eines Worts im Text (z. B. *tres → très ‚sehr‘ oder *garcons → garçons ‚Jungen‘). Dies betrifft auch die Auslassung stummer Endlaute (z. B. des e muet *march-→ marche ‚Stufe‘ oder *promenad → promenade ‚Spaziergang‘) oder die Hinzufügung von Buchstaben (z. B. *générallement 9.4 Katharina als Schreibende im Französischunterricht 203 → généralement ‚allgemein‘, in Kombination mit einem Segmentierungsfehler: *inter nett → internet ‚Internet‘ oder mit Diakritika: *econlogique → écoloqique ‚ökologisch‘). Auslassungen bzw. Hinzufügungen von Buchstaben oder die Wahl falscher Grapheme für entsprechende Laute können jedoch auch dazu führen, dass ein Lexem kaum mehr im Schriftbild erkennbar ist. Dies betrifft insbesondere längere Wörter, die gleich an mehreren Stellen falsch geschrieben werden, so z. B. *ledermain → lendemain ‚der nächste Tag‘ oder *imortanteres → importantes ‚wichtige‘. Hier kommt es zu komplexen Fehlschreibungen, die mehrere orthographische Fehlerkategorien akkumulieren - womöglich auch zulasten des kommunikativen Erfolgs. Denn es bedarf eines regelrechten Rekonstruktionsprozesses durch die Leser: innen von Katharinas Schreibprodukten, der nur unter Zuhilfenahme des kommunikativen Kontexts leistbar ist. Sowohl bei der korpusanalytischen Auswertung im Rahmen der vorliegenden Studie als auch für Katharinas Französischlehrkraft schließt hier die Frage an, wann noch ein Rechtschreibbzw. bereits Lexik- oder Grammatikfehler vorliegt. Als typische Zweifelsfälle können beispielsweise *genne → genre ‚Gattung‘ oder *avoin leui → avoir lieu ‚stattfinden‘ bzw. *j’ n’amie pas → je n’aime pas ‚ich mag nicht‘ genannt werden. Da Katharina als Schülerin mit LRS an ihrer Schule maximale Unterstützung auch bei Leistungsüberprüfungen in Form von Nachteilsausgleich und Notenschutz erhält, begegnet die Französischlehrkraft Katharina mit größtmöglicher Fehlertoleranz und Wohlwollen: Im Zweifel ordnet die Lehrkraft eine Fehlschreibung als Orthographiefehler ein, damit die Anwendung des Notenschutzes möglich bleibt, also die Fehlschreibung nicht in die Bewertung der Schreibprodukte einbezogen wird. Zentrales Kriterium ist hier die kommunikative Verständlichkeit: Inhaltlicher Kontext sowie Lautbild des geschriebenen Worts werden hinzugezogen, um eine Beurteilung vorzunehmen (vgl. Kap.-9.4.3.2). Bei der qualitativen Analyse der Rechtschreibfehler ist von besonderem Interesse, inwieweit sich potenziell LRS-spezifische Fehler in den Teilkorpora der betroffenen Schüler: innen zeigen. Schwierigkeiten im Bereich der Reihenfolge von Buchstaben, soge‐ nannte „Buchstabendreher“, treten zwar auch bei Katharina auf, aber nicht in hoher Anzahl (z. B. *bein → bien ‚gut‘ oder *seour → soeur ‚Schwester‘). Demgegenüber stellt die auftre‐ tende Fehlerinkonstanz (d. h., ein Wort wird innerhalb eines Texts auf unterschiedliche Weise falsch geschrieben) ein Alleinstellungsmerkmal von Katharinas Teilkorpus dar. Das Phänomen tritt nur bei zwei weiteren Schüler: innen überhaupt auf, bei Katharina jedoch gleich im Fall von elf Lexemen: Für frz. Allemagne ‚Deutschland‘ finden sich beispielweise drei verschiedene Schreibweisen in demselben Text (*Allemange, *Allmange, *Allmage) für frz. éléphant ‚Elefant‘ sogar vier Schreibweisen (*elepant, *elepane, *élepant, *élepane). Ein weiteres für Katharinas Rechtschreibprofil charakteristisches Merkmal besteht darin, dass im Fall einiger Schreibprodukte die Fehlerzahl innerhalb der Texte steigt bzw. die Qualität der Fehlschreibungen gravierender wird. Dies wird bei der genaueren Analyse ihrer Schreibprodukte deutlich (vgl. Kap.-9.4.2). An die Analyse von Katharinas Rechtschreibprofil schließt die Frage an, wie die Schülerin selbst ihre Rechtschreibleistung wahrnimmt bzw. inwieweit die französische Orthographie für sie einen besonderen Lerngegenstand darstellt. Dies wurde auch im Rahmen des Interviews thematisiert: 204 9 Fallanalyse „Katharina“ I: Und wenn du / Oder übst du französische Rechtschreibung auf eine besondere Art und Weise? K: Also manchmal ist es halt, wenn ich halt ein Wort so gar nicht aussprechen kann, dann gucke ich halt, ob die Rechtschreibung halt nachvollziehbar ist. Und ansonsten habe ich mir eigentlich schon fast abgewöhnt, die Rechtschreibung irgendwie zu lernen. Wenn ich halt das Wort mir / Wenn ich es schreiben kann, ist gut; wenn nicht, dann nicht, so. Also, es hat halt irgendwie keinen Sinn, wenn man es dann die ganze Zeit übt, weil, die Sache ist halt, selbst wenn ich es üben würde und dann den einen Tag mal kann, geht es eh schief. Ich hatte auch in der Grundschule zum Beispiel, so Rechtschreibtests gibt es ja da. Ich habe das geschrieben, und habe es am nächsten Tag falsch geschrieben. Also es hat halt irgendwie keinen Sinn, so. Es gibt halt Wörter, die ich halt so kann, so je suis, also diese klassischen Wörter, die man halt immer wieder wiederholt, die kann ich inzwischen. Nur halt Apostrophsetzung, also accent aigu, accent aigu, accent circonflexe, accent grave und so weiter, das halt, das mangelt [lacht]. Das merkt man aber auch, wenn ich irgendwie schreibe, dass ich die halt häufig auch mal vergesse einfach. (Katharina: Zeilen 622-644) Katharinas Antwort verdeutlicht ihre zunehmend resignierende Haltung gegenüber der Verbesserung ihrer Rechtschreibleistung: Katharina gibt an, dass sie sich die gezielte Auseinandersetzung mit dem für sie schwierigkeitsbesetzten Bereich der Rechtschreibung weitestgehend „abgewöhnt“ habe, da dies für sie „keinen Sinn“ ergebe. Dies begründet sie damit, dass ihr keine dauerhafte Memorierung der korrekten Schreibungen gelinge - was sie an dem einen Tag korrekt abrufen könne, misslinge ihr am nächsten Tag. Wie sich bereits im Lauf der Fallanalyse zeigte, rekurriert Katharina auch bei der Einschätzung ihrer Rechtschreibleistung stark auf Negativerlebnisse in der Vergangenheit, die im Kontext von Leistungsüberprüfungen verortet sind. Konkret führt die Schülerin eine Erinnerung aus ihrer Grundschulzeit an, bei der es um einen wenig erfolgreichen Rechtschreibtest - wahrscheinlich im Deutschunterricht-- geht. Aus didaktischer Sicht kann Katharinas Wahrnehmung mit zwei verschiedenen Er‐ klärungsmustern versehen werden: Zum einen beschreibt die Schülerin, dass sie die Wortformen nicht von ihrem Kurzzeitin ihr Langzeitgedächtnis überführen könne. Gerade im Bereich der Lexik stünden ihr hier viele Trainingsmöglichkeiten zur Verfügung (vgl. Kap. 9.4.4). Zweitens könnten die Beobachtungen der Schülerin an das Kriterium der Tages‐ form gebunden sein, also an die wenig kalkulierbare individuelle Leistungsfähigkeit je nach Lebens- und Lernsituation. Auf den ersten Blick könnte dieses Kriterium arbiträr wirken, es wird jedoch im Kontext aktueller Forschung zu inklusivem Fremdsprachenunterricht bestätigt. Beispielsweise arbeitet Springob (2017: 268 ff.) im Rahmen seiner empirischen Studie für verschiedene Schüler: innen des Englischen als Fremdsprache mit dem Förder‐ schwerpunkt Emotionale und Soziale Entwicklung heraus, dass die Merkmale „Leistungsbe‐ reitschaft“, „Arbeitsverhalten“ und „Arbeitsorganisation“ eng an ebendiese „Tagesform“ der Schüler: innen gebunden seien, also je nach Erhebungszeitpunkt schwanken können. 9.4 Katharina als Schreibende im Französischunterricht 205 Auch für den Kontext des Fremdsprachenlernens mit LRS wird bei Begründung der Notwendigkeit einer flexiblen und dynamischen Diagnostik auf diese Beobachtungen rekurriert (vgl. Gerlach 2019 a : 26). Nachdem Katharina erzählerisch kurz auf ihre Grundschulzeit zurückgekommen ist, stellt sie wieder einen Bezug zu ihrem Französischunterricht in der Gegenwart her: Das Erleben ihrer Rechtschreibkompetenz im Französischen kennzeichnet sich dadurch, dass sie einen Fehlerschwerpunkt im Bereich der „Apostrophsetzung“ - gemeint ist wahrscheinlich die Akzentsetzung - wahrnimmt. Demgegenüber sieht sie im Bereich frequenter Wörter des Französischen („also diese klassischen Wörter, die man halt immer wieder wiederholt“) für sich keinen deutlich schwierigkeitsbesetzten Bereich. Die Datentriangulation mit den empirischen Ergebnissen der Korpusanalyse ergibt eine Divergenz zur Selbsteinschätzung der Schülerin (vgl. Settinieri 2015: 20 f.): Katharina hat fortwährende Probleme mit der korrekten Verwendung sehr frequenter Ausdrücke des Französischen (z. B. *Salute → salut ‚Hallo‘; *j’appel → je m’appelle ‚ich heiße‘, vgl. Kap.-9.4.3), dem sogenannten Sichtwortschatz. Und auch wenn die Diakritika mit 30 von 201 Rechtschreibfehlern einen teilweisen Fehlerschwerpunkt in Katharinas Teilkorpus darstellen, so ist dieser im Vergleich zu ihren Mitschüler: innen nicht überdeutlich aus‐ geprägt bzw. andere orthographische Fehlertypen bereiten Katharina deutlich größere Probleme, z. B. die „Auslassung von Buchstaben“. Die bisher vorrangig quantifizierende Analyse von Katharinas Teilkorpus im Vergleich zu den Schreibleistungen ihrer Mitschüler: innen wird in den folgenden Kapiteln um eine Rückbindung an verschiedene unterrichtliche Schreibanlässe und inhaltliche Dimensionen der Texterstellung erweitert. 9.4.2 Basale Schreibfertigkeiten und reproduktives Schreiben Bei der Auswertung aller Schreibprodukte Katharinas wird deutlich, dass die Schülerin beim Schreiben nicht nur auf hierarchiehoher Ebene der Textkomposition und Ausfor‐ mulierung, sondern auch auf hierarchieniedriger Ebene besonderen Herausforderungen begegnet. Dies betrifft insbesondere den-- in der Forschung eher weniger beachteten-- Aspekt der Schreibgeschwindigkeit, der sich im Kontext des beobachteten Französisch‐ unterrichts jedoch als essenziell erweist. Überdies stellen vermeintlich basale Schreiban‐ lässe im Bereich des reproduktiven Schreibens Katharina vor Herausforderungen; in diesem Kontext kommt es auch wiederholt zu graphomotorischen Problemen, die sich in einer schwierig lesbaren Handschrift niederschlagen. Darüber hinaus ist auffällig, dass Katharinas (Recht-)Schreibperformanz im Lauf der Erstellung von Schreibprodukten tendenziell abnimmt und deutlich daran rückgebunden ist, welche Rahmenbedingungen der jeweiligen Unterrichtssituation zugrunde liegen. Folgende zwei Tafelabschriften können dies kontrastiv verdeutlichen: 206 9 Fallanalyse „Katharina“ Abb. 17: Fall „Katharina“: Tafelabschrift l’impératif avec un prénom Die Abbildung zeigt eine Tafelabschrift Katharinas, die in einem für sie idealen Unterrichts‐ setting entstanden ist: Die Schülerin verfügte über ausreichend Zeit zur Bewältigung des Schreibauftrags; es bestanden keine parallelen Arbeitsaufträge (wie z. B. die Teilnahme an einem Unterrichtsgespräch) und die „Schreiblast“ in den vorherigen Minuten der Unter‐ richtsstunde war insgesamt sehr gering. So gelingt es Katharina, das Tafelbild vollständig und fast fehlerfrei in ihr Heft zu übertragen und auch die farblichen Markierungen, die ihre Lehrkraft zur Visualisierung der grammatischen Phänomene an der Tafel vornahm, zu kopieren. Auffällig an Katharinas Schreibprodukt sind Rechtschreibfehler bei der Abschrift der deutschen Merksätze zur Imperativbildung (z. B. *Bendestrich → Bindestrich; *Prono‐ menen → Pronomen; *konjougirten → konjugierten), während diese bei der Abschrift des französischen Teils in nur sehr geringer Zahl passieren (z. B. *Ne te appelle pas → Ne m’appelle pas ‚Rufe mich nicht an‘). Diese dürften aber kaum Folgen für die Weiterarbeit mit der Tafelabschrift (auch im häuslichen Bereich) haben. Vermutlich wirkt sich an dieser Stelle der kognitive Fokus der Schülerin in der Unterrichtssituation auf dem Französischen aus. In Abgrenzung zu dem gezeigten Schreibprodukt kann der folgende Auszug aus einer Tafelabschrift Katharinas zur Bildung des futur composé illustrieren, wie stark die Schü‐ lerin auf eine Veränderung der unterrichtlichen Rahmenbedingungen bei reproduktiven Schreibanlässen reagiert: 9.4 Katharina als Schreibende im Französischunterricht 207 Abb. 18: Fall „Katharina“: Auszug aus der Tafelabschrift exemples : aller + infinitif Auch das reproduktive Schreiben kann Katharina umfassende Probleme bereiten, wenn die Schülerin unter Zeitdruck agiert bzw. sich in einer für sie stressbesetzten Unterrichts‐ situation befindet. Der vorliegende Auszug ist am Ende einer Doppelstunde entstanden, während derer ein relativ hoher Fokus auf Lese- und Schreibaufträgen lag und ein kurzes Zeitfenster zur Verfügung stand, um mehrere Beispielsätze in die Schülerhefte zu übertragen. Auch die erwähnten Leseschwierigkeiten (vgl. Kap. 9.3.1) könnten sich hier ursächlich zeigen, denn das reproduktive Schreiben ist als integrierter Prozess zu verstehen, der den Rückgriff auf Lese- und Schreibfertigkeiten nötig macht. Katharina gelingt es nur noch mit starken Einschränkungen, die Ergebnissicherung in ihr Heft zu kopieren: Zum einen steigt die Fehlerzahl von Satz zu Satz; Beispiel 12 ist auch inhaltlich nicht mehr verständlich. Zum anderen erreicht sie keine vollständige Tafelabschrift: Beispiel 13 wird gar nicht mehr abgeschrieben; auch das Schriftbild wird unregelmäßiger, wobei ihre Handschrift weitestgehend noch lesbar erscheint. Hinsichtlich der Fehlschreibungen fällt auf, dass beispielsweise nicht nur Buchstaben hinzugefügt (*vount → vont ‚(sie) gehen‘) oder weggelassen werden (*picine → piscine ‚Schwimmbad‘), sondern auch grammatische Fehler in der Ergebnissicherung vorkommen (*au → à la ‚ins (Schwimmbad)‘). Dies könnte überraschen, da die (vermeintlich) weniger komplexe Teilfertigkeit des reproduktiven Schreibens nicht zwangsläufig einen Rückgriff auf Grammatikkompetenzen verlangt. Auf Katharinas Schwierigkeiten bei der Realisierung reproduktiver Schreibaufträge wird reagiert, indem sie als einzige Schülerin die Möglichkeit bekommt - trotz eines schulweiten Handy-Verbots -, ihr Smartphone zu nutzen, um die Tafelbilder nach Abschluss der Unterrichtsstunde zu fotografieren (vgl. Kat. 10.2.3 der Auswertung der Beobachtungs‐ daten). Dennoch ist die Schülerin angehalten, sich auch weiterhin um Tafelabschriften zu bemühen, sobald im Französischunterricht dieser Schreibauftrag besteht. Somit wird im Rahmen des Nachteilsausgleichs nicht nur eine Kompensationsmaßnahme zur unmittel‐ baren Überbrückung der Unterrichtssituation eingeräumt, sondern es bestehen weiterhin Übungsanlässe, um an der schwierigkeitsbesetzten Teilfertigkeit zu arbeiten. Eine weitere, im Rahmen der Binnendifferenzierung umgesetzte Maßnahme, die Katharina nicht nur bei reproduktiven Schreibaufträgen im Französischunterricht unterstützen soll und (rudimentär) auch in der abgedruckten Tafelabschrift deutlich wird, besteht in der Umsetzung von Peer-Korrekturen: Diese stellen eine enge Form des Peer-Feedbacks dar, denn im Rahmen der beobachteten Unterrichtsstunden wird ausschließlich der Aspekt der orthographischen Korrektheit fokussiert. Die Umsetzung erfolgt, indem Katharina im Französischunterricht dau‐ erhaft mit dem leistungsstarken Schüler Robin zusammenarbeitet. Dieser nimmt ausschließlich 208 9 Fallanalyse „Katharina“ direkte Korrekturen an Katharinas Schreibprodukten vor. Dies erfüllt zwar die Funktion, dass die Schülerin nicht sehr fehlerbelastete Abschriften mit nach Hause nimmt, jedoch dürften sich kaum förderliche Effekte auf Katharinas „Rechtschreibbewusstheit“ (Widmer 2019 b : 7) einstellen. Im Rahmen des vorliegenden Beispiels korrigiert Robin mit Bleistift Katharinas Tafelabschrift, jedoch gelingt es ihm in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht, alle Rechtschreibfehler zu identifizieren bzw. die Tafelabschrift vollständig zu korrigieren. Indem von einer klassischen Durchführung von Korrekturen ausschließlich durch die Lehrkraft abgerückt wird, stellt die Umsetzung des Ansatzes der Peer-Korrektur einen ersten Schritt hin zu einem konstruktiven Umgang mit Defiziten im Bereich der Orthographie dar. 9.4.3 Gelenktes und freie(re)s Schreiben Neben rein reproduktiven Schreibanlässen, die vorrangig den Rückgriff auf basale Schreib‐ fertigkeiten verlangen, sind Katharina und ihre Mitschüler: innen im Rahmen von Übungs‐ situationen des Französischunterrichts bzw. schriftlichen Leistungsüberprüfungen mit komplexeren Schreibaufträgen konfrontiert. Diese werden im Folgenden exemplarisch anhand zweier Schreibprodukte Katharinas illustriert und diskutiert: Zum einen hat die Lerngruppe den Auftrag, sich selbst schriftlich einer potenziellen Austauschpartnerin bzw. einem potenziellen Austauschpartner vorzustellen. Zum anderen wurde die beobachtete Unterrichtsreihe durch eine schriftliche Klausur abgeschlossen, die eine Schreibaufgabe zur Beschreibung einer Theateraufführung umfasste. - 9.4.3.1 Unterrichtssituationen: Se présenter Da das Schulprogramm auch die Möglichkeit eines Schüleraustauschs mit einem collège in Frankreich anbietet, nahm dies die Französischlehrkraft zum Anlass, entsprechende Projektvorbereitungen im Rahmen des Französischunterrichts zu treffen. Dazu sollten die Lernenden eine schriftliche Vorstellung ihrer Person verfassen, in deren Rahmen sie Angaben zu Hobbys, Interessen und persönlichem Umfeld machen. Betrachtet man den Arbeitsauftrag zunächst aus fachdidaktischer Sicht, fällt auf, dass dieser eher unter dem anvisierten Sprachniveau der 9. Klasse, also dem 4. Lernjahr Französisch, liegt. Im Folgenden ist Katharinas Schreibprodukt zu sehen, das als Hausaufgabe entstanden ist: Abb. 19: Fall „Katharina“: Schreibprodukt Je me présente-… 9.4 Katharina als Schreibende im Französischunterricht 209 Katharina gelingt es in inhaltlicher Hinsicht in Grundzügen, die geforderte Schreibaufgabe zu bearbeiten: Sie präsentiert Informationen zu ihrer Person, ihren Interessen und Hobbys, ihrem familiären Umfeld und Haustieren und bettet dies in eine angemessene Begrüßung und Verabschiedung ihrer potenziellen Austauschpartnerin ein. Teilweise verbleibt die syntaktische Ausgestaltung auf einer parataktischen Ebene und basale Redemittel zu Namens- (*j’appel → je m’appelle ‚ich heiße‘) und Altersangaben (*je suis 15 âge → j’ai 15 ans ‚ich bin 15 Jahre alt‘) werden von Katharina nicht korrekt abgerufen. In der Mitte des Texts sind jedoch auch komplexere, hypotaktische Strukturen angedeutet („mais *générallement-…“). Auf der Textoberfläche fällt auf, dass der Text graphomotorisch keine Schwächen bzw. keine Streichungen oder Korrekturen aufweist und von Katharina „ins Reine“ geschrieben wurde. Im Rahmen des Interviews gibt die Schülerin dieses Vorgehen als explizite Verschriftlichungsstrategie an und kann diese im Kontext von Hausaufgaben besonders gut umsetzen, da ihr genügend Zeit zur Verfügung steht. Potenzielle Verständnisschwierigkeiten für Rezipient: innen von Katharinas Text, der insgesamt sehr gut verständlich erscheint, entstehen weniger durch orthographische Fehler, sondern an einer Stelle durch Schwierigkeiten im Bereich der Lexik (z. B. *tout les mond animaux → tous les/ mes animaux ‚alle (meine) Tiere‘). Grammatische, lexikalische sowie orthographische Defizite sind im Fall des vorliegenden Texts jedoch insgesamt gering ausgeprägt. Dies kann darin begründet liegen, dass Katharina ohne zeitliche Limitierung an der Aufgabe arbeiten und die Rahmenbedingungen (z. B. Arbeitsort, Pausen etc.) für sich optimal gestalten kann. Noch wichtiger erscheint, dass sie auf Hilfsmittel ihrer Wahl zurückgreifen kann: Sie benennt digitale zweisprachige Wörterbücher, die sie dezidiert zum Nachschlagen von Vokabular einsetze (vgl. Katharina: Zeile 588 f.). Die Fehlschreibungen der Schülerin bei vergleichsweise einfachen Redemitteln (s. o.) deuten darauf hin, dass Katharinas „Rechtschreibgespür“ (Widmer 2019 b : 7) hier nicht aktiviert wird bzw. die Schülerin das Wörterbuch primär als lexikbezogenes Nachschlagewerk nutzt - und weniger zur Absicherung korrekter Schreibungen. Zieht man die Schreibprodukte ihrer Mitschüler: innen hinzu, kann einerseits festge‐ halten werden, dass die meisten Schüler: innen in ausführlicherer Weise auf ihr familiäres und schulisches Umfeld, auf Aktivitäten in Sportvereinen oder Lieblingsfächer in der Schule eingehen und ihren potenziellen Austauschpartner: innen Fragen zu deren Person stellen. Andererseits bearbeiten mit Murat, Nicolas, Susanna und Zara vier Schüler: innen die Haus‐ aufgabe gar nicht und müssen diese in der kommenden Unterrichtsstunde nachreichen. Wie auch der Vergleich zu der folgenden Klausuraufgabe zeigt, liegt mit dem Schreibprodukt „Je me présente …“ ein Text der Schülerin vor, der ihre Stärken im Schreiben betont - die Analyse des folgenden Schreibprodukts stellt demgegenüber eine größere Herausforderung dar. - 9.4.3.2 Klausursituationen: Le théâtre «-Royal de Luxe-» Die beobachtete Unterrichtsreihe wurde mit einer Klassenarbeit abgeschlossen. Wie sich bereits während der Fallanalyse andeutete (vgl. Kap. 9.2), zählen Situationen der Leistungs‐ überprüfung für Katharina zu emotional stark negativ besetzten Situationen (nicht nur) des Französischunterrichts. Auch wenn die Schülerin ihre Emotionen selbst als „Prüfungs‐ angst“ (Katharina: Zeile 145) bezeichnet, schildert sie vielmehr Ängste und Sorgen, die 210 9 Fallanalyse „Katharina“ 69 Auf Deutsch: „Royal de Luxe: Ein Straßentheater. Auf YouTube hast du einen kurzen Film über die Straßentheatergruppe Royal de Luxe entdeckt. Du spricht mit deiner frz. Austauschpartnerin bzw. deinem frz. Austauschpartner darüber, die/ der in der Region um Nantes wohnt. Du beschreibst ihr/ ihm in einer E-Mail von circa 180 Wörtern die Vorstellung, die du gesehen hast, sowie die Reaktionen des Publikums.“ sich auf eine negative Bewertung der Lehrkraft beziehen und aus der Sicht der Schülerin mit sich bringen könnten, erneut eine Klassenstufe wiederholen zu müssen. Diese „fear of negative evaluation“ (Horwitz 1986: 129) schlägt sich für Katharina in psychosomatischen Stressreaktionen nieder, die die Schülerin bereits in Bezug auf das laute Vorlesen schilderte und die sie insbesondere mit den Fächern Englisch und Mathematik in Verbindung bringt, für die Fächer Deutsch und Französisch aber ebenso benennt: Dazu zählen sowohl „zittern“ (Katharina: Zeile 151) als auch „Blackout-Momente“ (Katharina: Zeile 167). Katharina reagiert auf ihre Aufregung und Ängste anhand verschiedener emotionsbezogener Coping- Strategien (vgl. Alexander-Passe 2006: 258), beispielsweise Verabschiedungsrituale mit ihrer Mutter vor Leistungsüberprüfungen oder die Übergabe bestimmter Glücksbringer durch ihre Schwester, bevor sie in die Schule geht - hier kann folglich kein Abgleich mit den Beobachtungsdaten erfolgen. In der Situation der Klassenarbeit selbst, für deren Bearbeitung die Lerngruppe eine Unterrichtsstunde à 45 Minuten Zeit hat, kann eine weitere Stützstrategie beobachtet werden, die sich auf kognitive Dimensionen der Aufga‐ benbearbeitung bezieht: Katharina liest zu Beginn der Bearbeitungszeit alle Aufgaben der Klassenarbeit kursorisch und macht sich am Rand Notizen zu lösungsrelevanten Aspekten, auf die sie dann bei der eigentlichen Bearbeitung der Teilaufgaben zurückkommt. Die Schülerin gibt an, auf diese Weise eine Art Absicherung herstellen zu können, auf die sie im Fall eines gefühlten Kontrollverlusts zurückkommen könne (vgl. Katharina: Zeilen 172-185). Neben der Schreibaufgabe wurden eine Aufgabe zum Hörverstehen und zwei Wort‐ schatzsowie drei Grammatikaufgaben gestellt, die sich unmittelbar auf zuvor im Unter‐ richt behandelte Phänomene beziehen (z. B. die Differenzierung von c’est und ce sont; das Plus-que-parfait bzw. die Anwendung verschiedener Vergangenheitstempora). Insgesamt können die Schüler: innen im Rahmen der Klassenarbeit 93 Punkte erreichen: 30 davon entfallen auf die Schreibaufgabe, 9 auf das Hörverstehen, 21 auf die Wortschatz- und 33 auf die Grammatikaufgaben. Katharina steht gemäß der Regelung des Nachteilsausgleichs eine um ein Drittel, also 15 Minuten verlängerte Bearbeitungszeit zur Verfügung; diese schöpft die Schülerin voll aus, wobei sie die gesamte Viertelstunde für die freie Schreibaufgabe nutzt. Der Schreibauftrag, der direkt zu Beginn der Klassenarbeit an die Hörverstehensauf‐ gabe anschließt, umfasst folgende Aufgabenstellung: Royal de Luxe-: un théâtre de rue Sur YouTube, tu as découvert un petit film sur la troupe de théâtre de rue Royal de Luxe. Tu en parles à ton / ta correspondant(e) français(e) qui habite dans la région de Nantes. Tu lui décris dans un courriel d’environ 180 mots le spectacle que tu as vu et aussi les réactions du public.  69 Die folgende Abbildung zeigt Katharinas Schreibprodukt ohne die Korrekturen der Lehr‐ kraft: 9.4 Katharina als Schreibende im Französischunterricht 211 Abb. 20: Fall „Katharina“: Schreibprodukt Le théâtre Royal de Luxe Gleichen wir Katharinas Schreibleistung zunächst eng mit den im Rahmen der Aufga‐ benstellung geforderten Aspekten ab, kann festgehalten werden, dass die Schülerin we‐ sentliche Merkmale des Schreibauftrags umsetzt: Katharina hält die Zieltextsorte der E-Mail und zentrale Gepflogenheiten des Aufbaus und der Textkomposition ein. Die Schülerin versucht, eine Begrüßung und Einleitung („*Amie Vivi, […] Ça va? “), einen inhaltlichen Hauptteil („Je *voir […] C’est *fantastic! “) sowie eine passende Ausleitung bzw. Verabschiedung („Bonne *weekende …“) für ihre Austauschpartnerin zu formulieren. Auch der geforderte Textumfang wird mit 175 geschriebenen Wörtern erreicht. Der inhaltliche Kern der Aufgabenstellung, also die Beschreibung der Aufführung sowie der Reaktionen des Publikums, ist als relativ freier Schreibauftrag einzuordnen, denn die Schüler: innen können flexibel auf die im Unterricht erarbeiteten Inhalte zu diesem Thema zurückgreifen. Im Rahmen der Aufgabenstellung sind zwei Screenshots des erwähnten Videos abgedruckt, um entsprechende Schilderungen zu unterstützten. In Bezug auf die inhaltliche Erfüllung des Schreibauftrags durch Katharina lässt sich festhalten, dass die Schülerin ernsthaft und ausführlich versucht, wesentliche Merkmale der 212 9 Fallanalyse „Katharina“ 70 Wie auch Kuckartz (2018: 105) vorschlägt, wurde die Zuverlässigkeit der Datenanalyse dadurch erhöht, dass eine weitere Forscherin die vorgenommene Datenauswertung überprüfte, indem sie ebenfalls Kategorisierungen vornahm. So sollen ambivalente Aspekte geklärt und die „intersubjek‐ tive Nachvollziehbarkeit“ (Steinke 2017: 324) der Analyseergebnisse erhöht werden. 71 Auf die inhaltliche Nuance der Aufgabenstellung, dass mögliche Adressat: innen der E-Mail selbst in der Region um Nantes wohnt, nehmen kaum Schüler: innen Bezug; wenn überhaupt in impliziter Form (z. B. Elena: „Tu sais qu’il y a une troupe de théâtre à Nantes.“). Aufführung des Straßentheaters zu verbalisieren. Beispielsweise erwähnt sie die Größe der Theatervorstellung („*gron *spectakl“), den zentralen Aspekt der übergroßen Marionetten und Nachbildungen von Elefanten („*gran *Marionett/ élépant“) sowie weitere Details wie die Personen, die sich auf dem Rücken des künstlichen Elefanten bewegen („*la* élépane a *person dans *un *teras“). Wertet man Katharinas Schreibprodukt mit dem Vorwissen des Unterrichtskontexts aus, gelingt es, wesentliche inhaltliche Punkte des Texts zu erfassen bzw. zu rekonstruieren. Die syntaktischen Strukturen des Texts sowie die hohe Zahl an Fehlern in allen Berei‐ chen der sprachlichen Mittel erschweren das Textverständnis für Leser: innen enorm und durchbrechen insbesondere immer wieder den Lesefluss, da Passagen wiederholt gelesen werden müssen, um verstanden zu werden. Dies wurde besonders bei der Auswertung des Schreibprodukts im Forschungstandem 70 deutlich, was einer authentischen Kommunikati‐ onssituation im Sinne des Arbeitsauftrags nahekommt: Eigentlich wäre eine außenstehende Person in Form einer: s corres Adressat: in der E-Mail und hätte, wenn überhaupt, ein rudimentäres Vorwissen über die Theateraufführung. 71 Wendet man sich vor dem Hintergrund von Katharinas LRS den Fehlerschwerpunkten innerhalb ihres Texts zu, wird deutlich, dass die Schülerin im Zuge der Texterstellung Herausforderungen begegnet, die über eine isolierte Rechtschreibproblematik deutlich hinausgehen. Denn auch auf grammatischer sowie lexikalischer Ebene sind eine Vielzahl an Problemfeldern zu identifizieren: Insbesondere seien hier Schwierigkeiten mit dem Satzbau und Konjugationen (z. B. *je heureux → je suis heureux ‚ich bin glücklich‘; *le elepant alle → l‘éléphant va ‚der Elefant geht‘) sowie beim Abruf passenden Vokabulars genannt (z. B. *tu voie se etro → ? , *avec une Marie (? ) dans duren ça → ? ). In letzteren Fällen verhindert das parallele Auftreten verschiedener sprachlicher Probleme, die tentativen Schreibungen Katharinas anhand des inhaltlichen Kontexts der jeweiligen Textpassagen zu erschließen. Bewertung des Schreibprodukts durch die Lehrkraft Vor dem Hintergrund dieser inhaltlichen und sprachlichen Merkmale von Katharinas Schreibprodukt erscheint interessant, wie ihre Französischlehrerin den Text im Rahmen der Klassenarbeit bewertet. Hier lohnt ein Blick auf die erfolgten Korrekturen im Original: 9.4 Katharina als Schreibende im Französischunterricht 213 72 Katharina gibt im Rahmen des Interviews an, dass diese Farbsystematik in ihrer Wahrnehmung für Übersichtlichkeit sorge. Auch empfindet es die Schülerin als entlastend, wenn nicht ausschließlich rote Korrekturfarbe verwendet wird, die sie mit deprimierenden Gefühlen verbindet (vgl. Katharina: Zeilen 678-688). Abb. 21: Fall „Katharina“: Schreibprodukt Le théâtre Royal de Luxe (mit Korrekturen) Katharinas Französischlehrkraft verfolgt im Rahmen der Klassenarbeit ein Korrektur‐ system, das die direkte Korrektur sprachlicher Fehler im Text mit deren Kategorisierung am Rand des Texts kombiniert. Hier erfolgt eine Unterscheidung verschiedener gramma‐ tikbezogener Korrekturkategorien wie z. B. „Acc“ für „Accord“, „Gen“ für „Genus“ oder „Präp“ für „Präposition“; lexikalische Fehler werden mit „W“ für „Wortschatz“ markiert. Außerdem nutzt die Französischlehrkraft im Fall von Katharinas Schreibprodukt zwei Korrekturfarben: Rot markierte Aspekte betreffen nicht die Rechtschreibung und fließen somit - trotz Umsetzung des Notenschutzes (s. u.) - in die Bewertung des Schreibprodukts ein. Grün werden demgegenüber Rechtschreibfehler markiert, die als solche identifiziert, aber nicht bewertet werden. 72 Die in Grün vorgenommenen Korrekturen umfassen dabei unterschiedliche orthographische Fehlertypen: Beispielsweise sind sowohl Diakritika und Auslassungen von Buchstaben (*teatre → théâtre ‚Theater‘; *troup → troupe ‚Gruppe‘) als auch Wortzeichen und Hinzufügungen von Buchstaben (*weekende → week-end ‚Wochenende‘) betroffen. Zudem finden sich viele Schreibungen, die sich an den deutschen Laut-Buchstaben-Zuordnungen orientieren bzw. eine Annäherung an das französische Lautbild über die Wahl falscher Grapheme darstellen (*fantastic →fantastique ‚fantastisch‘; *teras → terasse ‚Terasse‘; *Marredy → mardi ‚Dienstag‘). Darüber hinaus fällt auf, dass 214 9 Fallanalyse „Katharina“ die Lehrkraft einmalig auch eine Fehlschreibung, die in den Bereich der orthographe grammaticale fällt, als Rechtschreibfehler kategorisiert (*je voir → je vois ‚ich sehe‘). Die Lehrkraft verfolgt in Bezug auf alle Schreibprodukte der Lerngruppe einen exhaus‐ tiven Korrekturstil; in Katharinas Text nimmt sie 106 Markierungen, Streichungen bzw. Hinzufügungen vor, hinzu kommen 59 Kategorisierungen von Fehlern am Rand des Schreibprodukts. Angesichts des Textumfangs von 175 Wörtern und der vielen verschie‐ denen Ebenen des Sprachsystems, auf denen die Fehler zu verorten sind, stellt sich hier ein Bodeneffekt ein: Würde der Notenschutz nicht greifen, hätte die Schülerin im sprachlichen Bereich null Punkte erreicht, die keinen differenzierten Aufschluss über die Schülerleistung geben. Für Katharina selbst stellt die Vielzahl an Korrekturen hinsichtlich der Weiterarbeit mit dem Schreibprodukt eine Überforderung dar: Sie gibt im Zuge des Schülerinterviews an, von ihr verfassten Texten, die im Rahmen schriftlicher Leistungsüberprüfungen entstanden sind, keine weitere Aufmerksamkeit zu schenken (vgl. Katharina: Zeilen 1053-1174), obwohl sich aus der Weiterarbeit mit individuellen Defiziten zahlreiche Perspektiven für die Schreibförderung ergeben könnten (vgl. Kap. 9.4.4). Hinsichtlich der Gesamtklausur zeigt sich, dass Katharina mit der Gesamtnote „mangelhaft plus“ bewertet wurde (38,5/ 93 Punkten), wobei 17,5 der Punkte im Rahmen des freien Schreibauftrags erreicht wurden. Gerade im Fall der Lexik- und Grammatikaufgaben, die sprachliche Phänomene in Form von Lückentexten abfragen, lässt Katharina sehr viele Felder frei, sodass die Maßnahmen des Nachteilsausgleichs und Notenschutzes hier kaum eine Wirkung entfalten. Hinsichtlich des freien Schreibauftrags ist dies anders zu bewerten. Wirkung von Nachteilsausgleich und Notenschutz Wie bereits angedeutet lässt sich hinsichtlich des Notenschutzes festhalten, dass die Nicht- Bewertung von Katharinas Rechtschreibfehlern im Rahmen der Klassenarbeit eine deut‐ liche Wirkung entfaltet: Allein im Fall des vorliegenden Schreibprodukts sind 46 Textstellen identifizierbar, die von dieser Regelung abgedeckt werden und der Schülerin eine Punktzahl im ausreichenden Bereich hinsichtlich der sprachlichen Korrektheit sichern. Auch der Nachteilsausgleich entfaltet in Form der Zeitzugabe in Katharinas Fall die intendierte Wirkung, denn wie bei der Auswertung reproduktiver Schreibprodukte herausgearbeitet werden konnte, nimmt Katharinas Schreibperformanz unter Zeitdruck bzw. bei parallel bestehenden Anforderungen deutlich ab. Die Schülerin bearbeitet auch den vorliegenden Schreibauftrag mit einer im Vergleich zu ihren Mitschüler: innen herabgesetzten Geschwin‐ digkeit, sodass sie die verlängerte Bearbeitungszeit für die Fertigstellung ihres Texts nutzt. Ein weiteres potenzielles Ziel dieser Unterstützungsmaßnahme, die systematische Überarbeitung bzw. Korrektur des bereits geschriebenen Texts, kann Katharina nicht mehr erreichen. Dennoch ist die Verlängerung der Bearbeitungszeit hier als wirksame Maßnahme des Nachteilsausgleichs herauszustellen, die zu einer unmittelbaren Verbesserung der Schreibleistung bei der Klassenarbeit beiträgt, indem der Schülerin eine Vervollständigung des Arbeitsauftrags möglich wird. Demgegenüber fällt auf, dass Katharina während der Klassenarbeit nicht auf ihr einsprachiges Wörterbuch zurückgreift, das ihr ebenfalls zur Verfügung stünde. Wie bereits erste explorative Beiträge zur Wirkung von Nachteilsausgleich bzw. Noten‐ schutz andeuten (vgl. Engelen 2021), stellt sich auch in Katharinas Fall die Frage, inwieweit 9.4 Katharina als Schreibende im Französischunterricht 215 sich Auswirkungen der getroffenen Differenzierungsmaßnahmen auf sozialer Ebene - z. B. in Bezug auf die Akzeptanz der Maßnahmen in der Lerngruppe - ergeben könnten. An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass Katharina im Rahmen des Schülerinterviews diesen Aspekt von sich aus in das Gespräch einbringt. Dies erfolgt im Kontext einer Interviewpassage, bei der es eigentlich um ihre Wiederholung der 6. Klasse ging: K: […] Also ich komme jetzt auch zum Beispiel in der alten Klasse, da hatte ich irgendwie so meine Schwierigkeiten. Da meinten die Jungs halt, weil ich angeblich dann Vorteile hätte, weil ich die Legasthenie habe, dass ich ja länger schreiben darf teilweise, dass ich angebliche Vorteile hätte. Was ja noch nicht mal stimmt, weil ich habe die Zeit länger, weil ich einfach nicht so schnell lesen und schreiben kann, aber das haben die / Das ist bei denen nicht so ganz in den Kopf reingekommen. So, da wurde man dann auch ein bisschen gemobbt, aber das war halt noch so - würde ich jetzt sagen - ertragbar so. Und ähm ja, dann bin ich jetzt in meine Klasse reingekommen. Da habe ich glaube ich auch irgendwie drei Monate lang nicht gesagt, dass ich LRS habe oder Legasthenie, bis ich dann halt da / Da ist halt auch einer in der Klasse, der hat halt auch LRS. Und dann habe ich halt so mit ihm darüber geredet, weil mir das so aufgefallen ist, und man merkte irgendwie so, ok ja, der hat da auch seine Schwierigkeiten. […] So, und dann irgendwann haben das so ein paar Jungs auch mitbekommen und dann habe ich das so erklärt und so, und dann ging das halt auch. Also, weil die haben halt einfach nichts gesagt. Die haben halt gesagt: „Ok, ich nehme das so hin.“ Weil die halt auch verstehen / Die merken ja auch, wenn man zum Beispiel so einen Text vorliest, dass ich so komplett anders vorlese als die anderen. Also ich meine, inzwischen ist es so, dass ich schon flüssiger lese und so, weil ich halt auch viel gelesen habe und lesen war halt auch nie so schlimm bei mir wie halt schreiben. Aber man merkt halt, wenn man so von mir was liest, dass da halt irgendwie schon irgendwas nicht stimmt. Und dann hat man denen das erklärt und die haben halt auch gesagt: „Ja, ist ja auch nachvollziehbar und so.“ Dann die verstehen das besser als die alte Klasse, muss man sagen. (Katharina: Zeilen 209-247) Katharina zieht den Vergleich zwischen ihrer „alten“ und ihrer „neuen“ Klasse heran, also den Lerngruppen, mit denen sie vor und nach ihrer Nicht-Versetzung in die nächste Klassenstufe zusammengearbeitet hat, um Differenzen im Umgang ihrer Mitschüler: innen mit den ihr zugestandenen Maßnahmen des Nachteilsausgleichs darzustellen. Sie erinnert sich, dass insbesondere die männlichen Mitschüler die Rechtmäßigkeit der längeren Bear‐ beitungszeit hinterfragten, auf die sie im Rahmen schriftlicher Leistungsüberprüfungen zurückgreifen kann („angebliche Vorteile“). Nur kurz deutet Katharina an, dass das Ver‐ halten ihrer Mitschüler auch deutlich stärker abwertende und problematischere Züge aufgewiesen habe („so ein bisschen gemobbt“) - was sie jedoch sogleich abschwächt und 216 9 Fallanalyse „Katharina“ 73 Aufgrund eines Wohnortwechsels ist dieser Schüler seit anderthalb Jahren nicht mehr Teil der Lerngruppe. als erträglich darstellt. Vor dem Hintergrund des gesamten Schülerinterviews, das mit einer Länge von 74 Min. im Rahmen der Hauptstudie den größten Umfang aufweist, sei angemerkt, dass hier ein Grundmuster von Katharinas Erzählduktus identifizierbar ist: Sie gebraucht häufig drastische Worte, die unmittelbar mit einer Abschwächung kontrastiert werden (vgl. Kap. 9.2.3). Dies erschwert eine Einschätzung dessen, inwieweit die Schülerin die geschilderten Situationen mit intensiven negativen Gefühlen in Verbindung bringt bzw. ob Katharina - z. B. aus einem Impuls des Selbstschutzes heraus - hier tatsächlich erfolgte Mobbingsituationen verharmlost. Die Schwierigkeiten in Auseinandersetzung mit einzelnen Schülern ihrer alten Klasse kontrastiert Katharina im Folgenden mit ihren Erfahrungen in der neuen Lerngruppe. Als unmittelbare Reaktion auf ihre negativen Vorerfahrungen im Umgang mit Maßnahmen des Nachteilsausgleichs gibt Katharina an, ihre LRS gegenüber ihren Mitschüler: innen der neuen Lerngruppe zunächst nicht transparent gemacht zu haben. Dieses Verhaltensmuster durchbricht Katharina erst, als sie auf einen Mitschüler trifft, der ebenfalls von LRS betroffen ist und den sie ins Vertrauen zieht. 73 In der Folge wurden - so Katharinas Wahrnehmung - weitere Lernende auf die Problematik aufmerksam. Diese zeigten jedoch eine andere Reaktion als die Schüler: innen der vorherigen Lerngruppe und akzeptierten Katharinas Schreibzeitverlängerung ohne weitere Diskussionen. Hinsichtlich Katharinas Fähigkeitsselbstkonzept erscheint interessant, womit die Schü‐ lerin die ihr zugestandenen Maßnahmen des Nachteilsausgleichs legitimiert: Zum einen zieht Katharina das Kriterium der herabgesetzten Lese- und Schreibgeschwindigkeit heran, was diese hohe Relevanz dieser Teilfertigkeit aus Schülersicht erneut betont. Zum an‐ deren begründet sie den Nachteilsausgleich mit der offensichtlichen Wahrnehmbarkeit der Differenz zwischen ihr und ihren Mitschüler: innen insbesondere in den Bereichen des Schreibens und des Vorlesens. Auch dieser Teilaspekt der Lesekompetenz wurde bereits als besonders problematisch herausgestellt (vgl. Kap.-9.3.3). Auch in zwei weiteren Punkten verweist Katharinas Beitrag auf zwei zentrale Analyseergebnisse der Fallstudie: Diese betreffen im Bereich der Lesekompetenz die von der Schülerin wahrgenommene Verbesserung ihrer Leseflüssigkeit durch extensives Lesen auch im Freizeitbereich sowie das „Kompetenzgefälle“, also die schwächere Ausprägung von Lesegegenüber Schreib‐ schwierigkeiten. Letztlich bleibt offen, ob Katharina selbst oder beispielsweise eine Lehrkraft das Gespräch mit ihren Mitschüler: innen gesucht hat, um die Umsetzung des Nachteilsausgleich zu rechtfertigen („Und dann hat man denen das erklärt“). Zentrales Ergebnis ist, dass Katharina eine Verbesserung ihrer Situation in der neuen Lerngruppe wahrnimmt, was sie darin bestärken dürfte, die Schreibzeitverlängerung auch auszuschöpfen. 9.4.4 Zwischenfazit: Perspektiven für die (Recht-)Schreibförderung Die Analyse von Katharinas Teilkorpus hat offengelegt, dass ihre Schreibleistungen im Kontext verschiedener Schreibanlässe divergieren und zudem erheblich von unterrichtli‐ 9.4 Katharina als Schreibende im Französischunterricht 217 chen Rahmenbedingungen beeinflusst werden. Dazu zählen sowohl die ihr zur Verfügung stehende Zeit und - damit einhergehend - die nötige Bearbeitungsgeschwindigkeit, das persönliche Stressempfinden und der Umgang mit Versagensängsten sowie das Lese- und Schreibaufkommen während der Unterrichtsstunde insgesamt bzw. die Parallelität verschiedener Anforderungen und Arbeitsaufträge. Im Vergleich zu ihren Mitschüler: innen macht Katharina eklatant mehr Fehler in allen Bereichen der sprachlichen Mittel, die sich oftmals auch auf die Verständlichkeit des Geschriebenen auswirken. Folglich müsste eine ganzheitliche Schreibförderung im Französischunterricht über eine isolierte Förderung ihrer Rechtschreibkompetenz hinausgehen und weitere Fehlerschwerpunkte im Bereich der Grammatik und der Lexik einbeziehen. Segermann und Wicher (2016) machen bei‐ spielsweise einen konkreten Vorschlag zur Fehlerprophylaxe in diesen beiden Bereichen der sprachlichen Mittel, der auf eine Schulung des lexiko-grammatischen Strukturbewusstseins und damit den Aspekt der „Sprachbewusstheit“ (KMK 2012: 21; vgl. Vollmer 2017) abzielt. Auf einer inhaltlichen Ebene ist Katharina in der Lage, wesentliche Punkte der jeweiligen Aufgabenstellungen zu erfüllen. Dabei gelingt es ihr, auf einer hierarchiehohen Ebene Textsortenkonventionen und Merkmale der Textkomposition einzuhalten. Die Hälfte aller orthographischen Fehler macht Katharina im Bereich der Auslassungen von Buchstaben sowie der Wahl falscher Grapheme. Aus der Perspektive der Rechtschreib‐ didaktik bzw. der LRS-Förderung liegt es nahe, diesen spezifischen Fehlertypen mit einem gezielten Training der Phonem-Graphem-Zuordnungen zu begegnen (vgl. Engelen/ Gerlach 2022: 134 f.). Geeignete Materialien für den Bereich FLE finden sich beispielsweise bei Berger und Abry (2019). Gegen diesen Ansatz spricht, dass Katharina im 4. Lernjahr (bzw. für sie 5. Lernjahr) bereits weit in der Auseinandersetzung mit der französischen Schriftsprache vorangeschritten ist und eine Einbettung derartiger Förderansätze in den Gesamtkontext des Französischunterrichts herausfordernd erscheint. Alternativ könnten Ansätze verfolgt werden, die auf eine Festigung des sogenannten „Sichtwortschatzes“ (Bremerich-Vos et al. 2017: 284), also hochfrequenter bzw. -relevanter Wörter und deren direkten Abruf über das orthographische Lexikon, abzielen. Schließlich wurde deutlich, dass Katharina auch bei der Notation basaler personenbezogener Informationen, die dem Referenzniveau A1 des GER zugeordnet werden, Defizite aufweist. (Nicht nur) vor dem Hintergrund der sehr stark erhöhten Fehlerzahl bei dem Verfassen freierer Texte liegt es nahe, eine gezielte Weiter‐ arbeit mit schwierigkeitsbesetzten Bereichen anzuregen, z. B. indem Fehleranalyseblätter oder -portfolios genutzt werden (vgl. die Vorschläge in Braun 2015: 12; Sellin 2008: 173 ff.). Angesichts der großen Unterschiede in der Fehlerqualität und deren Verortung innerhalb des französischen Sprachsystems bietet es sich an, bestimmte Schwerpunkte besonders zu fokussieren, um an gezielt ausgesuchten Stellen Verbesserungen zu erzielen, die auch für die Schülerin wahrnehmbar sind. 9.5 Katharina als Kämpferin im Französischunterricht Die Analyse von Katharinas Lese- und Schreibkompetenz im Französischunterricht hat offengelegt, dass die Schülerin diverse Schwierigkeiten in der Auseinandersetzung mit Schriftsprache hat. Obwohl Katharina bereits seit Beginn des Schriftspracherwerbs mit 218 9 Fallanalyse „Katharina“ einer starken Defizitorientierung konfrontiert ist und Prozesse des (Fremd-)Sprachenler‐ nens für sie mit intensiven negativen Emotionen behaftet sind, verfolgt sie im Französisch‐ unterricht vorrangig anforderungsbezogene Strategien - nur im Fall des lauten Vorlesens kommen aus Schülersicht Vermeidungsstrategien zur Sprache. In den folgenden Schlusskapiteln der Fallanalyse wird ein Blick darauf geworfen, welche weiteren Perspektiven sich hinsichtlich der Kompensation durch Mündlichkeit im Französischunterricht ergeben und wie ihre LRS Katharina auch außerhalb der Schule beschäftigen. 9.5.1 Kompensation durch Mündlichkeit-- Krisenfall Lexik? Unabhängig von der Thematisierung von Lernschwierigkeiten im Französischunterricht gilt der hohe Wert mündlicher Kommunikation als eine Stärke der „modernen“ Fremdspra‐ chen (vgl. Blume/ Nieweler 2008: 2 f.). Wie die Analyse von Katharinas Beweggründen für die Wahl des Französischen als zweite Fremdsprache zeigte, greift die Schülerin auch auf dieses Argument zurück, um ihre Wahlentscheidung gegen das Lateinische und für das Fach Französisch zu begründen (vgl. Kap. 9.2.3). Aufschlussreich erscheint daher, inwieweit Katharina wirklich von diesem potenziellen Merkmal des Französischunterrichts profitieren kann. Die Unterrichtsbeobachtungen weisen insgesamt auf eine durchschnittliche mündliche Unterrichtsbeteiligung der Schülerin im Plenum hin. Wenn sich Katharina in das Unter‐ richtsgespräch einbringt, äußert sie inhaltlich zielorientierte Beiträge, die sprachlich nicht fehlerfrei, aber verständlich sind. Im Rahmen kleinerer Sozialformen wie der Partnerarbeit begegnet Katharina ihrer Arbeitspartnerin auf Augenhöhe, d. h., sie arbeitet vollumfänglich an den gestellten Arbeitsaufträgen mit. Als Differenzierungsbzw. Fördermaßnahme auf sozialer Ebene ist hier hervorzuheben, dass Katharina immer mit dem leistungsstarken Mitschüler Robin zusammenarbeitet. Im Rahmen eines Vorgesprächs zu der Studie begrün‐ dete dies die Französischlehrkraft damit, dass Katharina durch diese Form der Partnerarbeit eine größere Selbstsicherheit erlange, da sie sich in einem geschützten Raum befinde. Auch die Schülerin selbst bestätigt im Rahmen des Interviews, die ritualisierte Zusammen‐ arbeit mit Robin sehr zu begrüßen (vgl. Katharina: Zeilen 1098-1099). Neben einer festen sozialen Bezugsgröße innerhalb der Lerngruppe erfolgt auch eine routinierte Aufteilung der Arbeitsaufträge: Fertigen die Schüler: innen beispielsweise schriftliche Notizen zu einer dialogischen Sprechaufgabe an, korrigiert Robin diese insbesondere auf orthographischer, aber auch auf lexikalischer und grammatischer Ebene (vgl. Kap.-9.4.2). Auch im Fall schriftlicher Vokabeltests kann Katharina von ihren Stärken im Bereich der Mündlichkeit profitieren. Dies kann anhand des im Folgenden gezeigten Vokabeltests verdeutlicht werden, der als Zwischenevaluation im Rahmen der beobachteten Unterrichts‐ reihe entstanden ist. Die Französischlehrerin diktierte die deutschen Begrifflichkeiten, die die Schüler: innen mitschreiben sollten. Im Anschluss bestand eine etwa zehnminütige Bearbeitungsphase für die Lerngruppe, um die entsprechenden französischen Vokabeln zu notieren. Abweichend von anderen Formen der schriftlichen Leistungsüberprüfung steht 9.5 Katharina als Kämpferin im Französischunterricht 219 74 Die korrekten Lösungen lauten: 1) un spectateur, une spectatrice; 2) un rendez-vous; 3) un genre; 4) avoir lieu; 5) (une) centaine; 6) étranger, étrangère; 7) un réalisateur, une réalisatrice; 8) en bas ; 9) une marche; 10) un/ une photographe. Katharina bei Vokabeltests kein Wörterbuch zur Verfügung. Die folgende Abbildung zeigt Katharinas Vokabeltest, der bereits mit den Korrekturen 74 der Lehrkraft versehen ist: Abb. 22: Fall „Katharina“: Vokabeltest mit Korrekturen Katharina schreibt die deutschen Begrifflichkeiten auf der linken Seite vollständig, kor‐ rekt und in ausreichender Geschwindigkeit nieder, sodass sie gleichzeitig mit ihren Mitschüler: innen mit der Übertragung ins Französische beginnen kann. Auf der rechten Seite notiert sie die französischen Entsprechungen mit Bleistift. Dabei gelingt es der Schülerin, in allen Feldern tentative Schreibungen vorzunehmen. Übereinstimmend mit den Analyseergebnissen in Bezug auf Katharinas Schreibkompetenz im Französischunterricht insgesamt fällt es der Schülerin sehr schwer, die passenden Laut-Buchstaben-Zuordnungen vorzunehmen und das französische Vokabular orthographisch korrekt zu notieren. An vielen Punkten wird deutlich, dass Katharina eine ungefähre Entsprechung im Französi‐ schen im Kopf zu haben scheint, diese aber nicht in orthographisch korrekter Wortform zu notieren vermag (z. B. *rondevous → rendez-vous ‚Verabredung‘; *march → marche ‚Stufe‘). Analog zu dem in der Klassenarbeit verwendeten, direkten Korrektursystem markiert die Lehrkraft auch im Rahmen des Vokabeltests Fehler in Rot, die in die Bewertung einfließen; in Grün notiert sie die korrekten Wortformen direkt am Text. Hinzu kommt im Fall des Vokabeltests, dass Katharina im Anschluss an die schriftliche Bearbeitung Gelegenheit bekommt, ihre Vokabelkenntnisse in mündlicher Form zu präsentieren. Dazu verlässt die 220 9 Fallanalyse „Katharina“ 75 Analog erscheint plausibel, dass Katharina, im Interview nach einem Beispiel für eine schwierig‐ keitsbesetzte Unterrichtssituation befragt, auf den Bereich des Vokabellernens rekurriert. Französischlehrkraft mit Katharina kurz den Klassenraum und fragt die Vokabeln noch einmal ab. Mit Häkchen ( ✓ ) werden diejenigen Wörter markiert, die Katharina korrekt vorspricht, mit dem Minuszeichen (−) werden halbe Punkte vergeben und mit senkrechtem Strich gänzlich falsche Äußerungen bzw. Schreibweisen markiert (|). Die Gesamtschau der schriftlichen und mündlichen Vokabelabfrage weist auf zwei divergierende Aspekte hin: Erstens wird deutlich, dass Katharina an einigen Stellen Defizite der schriftlichen Form durch die mündliche Präsentation ausgleichen kann (z. B. im Fall von *un septatur → un spectateur ‚ein Zuschauer‘ oder *un potograf → un photographe ‚ein Fotograf ‘). Zweitens zeigt sich, dass für Katharina nicht nur die schriftliche Notation des Vokabulars, sondern auch der korrekte Abruf der Wörter herausfordernd zu sein scheint: In einigen Fällen gelingt ihr auch mündlich keine korrekte Nennung des Worts (z. B. *un resasur → un réalisateur ‚ein Regisseur‘ oder *elante → étranger/ étrangère ‚fremd‘). Dies korreliert mit der Wahrnehmung Katharinas, dass die Memorierung des französi‐ schen Vokabulars eine besondere Herausforderung für sie darstelle. Wie bereits für den Bereich der Orthographie herausgearbeitet wurde, besteht aus Schülersicht die größte Hürde darin, die Lerninhalte in das Langzeitgedächtnis zu überführen und unabhängig von einer persönlichen Tagesform dauerhaft abrufen zu können (vgl. Kap. 9.4.1.3): „Ich lerne zum Beispiel den einen Vo/ Tag die Vokabeln, kann einen Teil davon, also kann die Vokabeln, und am nächsten Tag kann ich die Vokabeln nicht mehr.“ (Katharina: Zeilen 359-361) Wie aus den Gesprächen mit der Lehrkraft, Katharinas Eltern und der Schülerin selbst deutlich wurde, betreibt die Schülerin im Bereich der Lexik den größten Aufwand, um ihre Schwierigkeiten auszugleichen. 75 So verfolgt Katharina ein strukturiertes und multisensorielles Vorgehen, indem sie sich jeweils zehn der zu memorierenden Wörter zunächst anhört und dann nachzusprechen versucht. Anschließend zieht sie das Schriftbild hinzu und liest die französischen Wörter laut vor, bevor sie diese zuhält und aus dem Kopf vorzusprechen und schließlich niederzuschreiben versucht. Oftmals unterstützen sie ihre Eltern oder ihre Schwestern bei der Vokabelarbeit und fragen sie ab. Nicht nur mit Bezug zur Vokabelarbeit, sondern hinsichtlich der Unterrichtsvorbereitungen insgesamt fallen Katharinas große Sorgfalt und ihr großes Engagement auf, um ihre Schwierigkeiten zu bewältigen. Weitere Vorgehensweisen und Lernstrategien Katharinas, die im Rahmen des Interviews thematisiert werden, bestehen beispielsweise in der Einhaltung bestimmter Lernrhythmen mit regelmäßigen Pausen, dem Verfassen von Lernzetteln im Bereich der Grammatik und dem gezielten „Ins-Reine-Schreiben“ selbst verfasster Texte im Rahmen von Hausaufgaben (vgl. Kap.-9.4.3.1). 9.5.2 Schriftsprache als Herausforderung innerhalb und außerhalb der Schule Ein Spezifikum des Falls „Katharina“, das zugleich die starke Ausprägung ihrer Teilleis‐ tungsschwäche verdeutlicht, liegt darin, dass die Schülerin als einzige Forschungspartnerin der Studie von Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben berichtet, die nicht ausschließlich 9.5 Katharina als Kämpferin im Französischunterricht 221 auf eine bewusste Auseinandersetzung mit Schriftsprache im schulischen Kontext bezogen sind, sondern auch Alltagssituationen umfassen. So antwortet Katharina wie folgt auf die Frage nach möglichen Auswirkungen ihrer LRS im Alltag: I: […] Ähm, mich würde noch interessieren, wo du dich vielleicht im Alltag von Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten betroffen oder beeinträchtigt fühlst. Gibt es überhaupt Situationen, ähm außerhalb der Schule? Wo ist es für dich irgendwie vielleicht spürbar? K: Also ich habe / mache jetzt momentan meinen Führerschein. Und man kann halt gucken, egal wo man hingeht, man trifft halt immer wieder auf irgendwelche Sachen so. Zum Beispiel, man schreibt über WhatsApp, hat die ganzen Rechtschreibfehler drin und manche fragen dich immer alle fünf Minuten: „Was meinst du? Was meinst du? Was meinst du? “. [K. erhöht Sprechgeschwindigkeit] Ja, dann äh, man geht raus, liest ein Verkehrsschild, ich brauche halt so / Ich kann relativ gut sehen so. Also ich kann / Zum Beispiel meine Schwester kann nicht so gut sehen und trägt halt keine Brille. Und sie fängt halt erst, also / erschließt zum gleichen Moment wie ich halt, was da jetzt steht. Aber ich fange halt schon irgendwie fünfzig oder sechzig Meter früher an als sie, das zu lesen. Und sie ist dann halt zu dem Zeitpunkt dann schon fertig. Und dann merkt man halt, dass es halt so ist. (Katharina: Zeilen 774-796) Katharina assoziiert Situationen des Lehrgangs zur Führerscheinprüfung, der digitalen Kommunikation sowie des Straßenverkehrs, um zu verdeutlichen, wo sie im Alltag Auswirkungen ihrer LRS verspürt. Genauer geht sie darauf ein, wie sie im Rahmen von Chats wiederholt von ihren Kommunikationspartner: innen gefragt wird, was mit ihren Nachrichten gemeint sei. Dies deutet darauf hin, dass nicht nur im Fall des Französischen als Fremdsprache, sondern auch bei der Alltagskommunikation im Deutschen Recht‐ schreibfehler so gravierend sein können, dass sie die Verständlichkeit beeinträchtigen. Weiterhin assoziiert Katharina eine Situation, im Rahmen derer sie mit ihrer Schwester Auto gefahren ist. Erneut greift Katharina hier auf eine soziale Bezugsnorm zurück, um ihre herabgesetzte Lesegeschwindigkeit zu illustrieren: Zwar habe ihre Schwester eine Sehbeeinträchtigung, nutze aber keine Brille - trotz dieser Ausgangslage gelinge es ihrer Schwester noch zügiger, beispielsweise ein Straßenschild zu entziffern. Vor dem Hintergrund gängiger Modelle des Schriftspracherwerbs entfaltet diese Bemerkung Katharinas eine besondere Tragweite, denn der jeweilige Kontext des Lesetexts und die potenzielle Redundanz des Inputs im öffentlichen Raum stellen Merkmale dar, die die Textrezeption bereits auf frühen Stufen des Schriftspracherwerbs erleichtern und zugänglich machen können (vgl. Kap.-2.1.1.2). 222 9 Fallanalyse „Katharina“ 9.6 Fazit: Der Fall „Katharina“ Die Analyse des Falls „Katharina“ gibt einen Einblick in die individuelle und schulsyste‐ matische Auseinandersetzung mit einer Form von LRS, die sich bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Schriftspracherwerbs in besonders deutlicher Form zeigten. Die aus der Perspektive der LRS-Förderung wünschenswerte frühe Diagnostik in der Grundschulzeit eröffnet für Katharina und ihre Familie einerseits den Zugang zu spezifischen Förderan‐ geboten. Andererseits entwickelt die Schülerin von Beginn des Schriftspracherwerbs an eine Defizitorientierung bei der Wahrnehmung ihrer schriftsprachlichen Kompetenzen - in der Pädagogischen Psychologie wird dies auch als herabgesetztes Fähigkeitsselbstkonzept beschrieben (z. B. Zepter 2015: 22). Auch Kormos und Smith (2012: 13 f.) weisen mit Bezug zu LRS darauf hin, wie häufig betroffene Lernende sich die ihnen zugeschriebenen Diagnosen aneignen und zu dem dominanten Erklärungsmuster für ihr Verhalten erheben („labeling and self-identification“, ebd.). Dies wird besonders deutlich, als Katharina ihre Wahlentscheidung für das Französische als zweite Fremdsprache begründet, die vielmehr eine Entscheidung gegen das Lateinische ist. Denn Katharinas Argumentation ist vorrangig darauf ausgerichtet, in welchem Fach sie weitere (versetzungsrelevante) Schwierigkeiten vermeiden könne, die sie insbesondere in dem Bereich der Grammatik verortet - ohne dass die Schülerin je zuvor mit dem Französischen oder Lateinischen systematisch in Kontakt gekommen wäre. Das einzige Argument der Schülerin, das unmittelbar für das Französische als zweite Fremdsprache spricht, besteht in Kompensationsmöglichkeiten durch mündliche Mitarbeit. Diese werden - wiederum im Kontext einer starken Leistungsorientierung - mit einer besseren Benotung assoziiert und beispielsweise nicht mit einer kommunikativen Handlungsfähigkeit im Französischunterricht oder gar in außerunterrichtlichen Kommu‐ nikationssituationen in Verbindung gebracht. Vor dem Hintergrund der kursinternen, sozialen Bezugsnorm konnte für den Franzö‐ sischunterricht herausgearbeitet werden, dass die Schülerin sowohl im Lesen als auch im (Recht-)Schreiben Schwierigkeiten begegnet, mit denen sich ihre Mitschüler: innen nicht gleichermaßen auseinandersetzen müssen. Hinsichtlich der Lesekompetenz zeigte sich dies insbesondere im Zusammenhang mit hierarchieniedrigen Lesefertigkeiten, also einer herabgesetzten Lesegeschwindigkeit bzw. -flüssigkeit, denen Katharina vorrangig anhand globaler, kognitiv orientierter Stützstrategien begegnet (vgl. Kap. 9.3.1). Im Bereich des Leseverstehens nutzt Katharina die umfangreichen Scaffolding-Angebote, die ihr im Rahmen einer lehrerseitigen Differenzierung „von oben“ (M. Trautmann 2010: 57) zur Verfügung gestellt werden. Hier bietet sich die Perspektive, auch spezifische Strategien des fremdsprachlichen Lesens, die auf komplexere Prozesse des Leseverstehens abzielen, sowie die Möglichkeit eines selbstgesteuerten, schülerseitigen Strategieeinsatzes „von unten“ (ebd.) anzubahnen (vgl. Kap. 9.3.2). Demgegenüber beschränkt sich das laute Vorlesen als systematische Aktivität in dem beobachteten Französischunterricht auf wenige Lesean‐ lässe, die von Katharina nicht als Gelegenheit zur Unterrichtsbeteiligung wahrgenommen werden. Diese Tendenz bestätigt sich aus Sicht der Schülerin: Mit dem lauten Lesen werden starke psychosomatische Stressreaktionen assoziiert, die in Vermeidungsstrategien resultieren. Im Rahmen anderer Unterrichtssituationen, die eine mündliche Mitarbeit verlangen, zeigen sich diese jedoch nicht. 9.6 Fazit: Der Fall „Katharina“ 223 Hinsichtlich Katharinas Schreibperformanz zeigte sich, dass es der Schülerin gelingt, die im Französischunterricht gestellten Schreibaufträge anforderungsbezogen zu bearbeiten und dabei wesentliche inhaltliche Punkte und Textsortenkonventionen zu realisieren. Dem steht entgegen, dass die Schwierigkeiten der Schülerin in allen drei Bereichen der sprachlichen Mittel so umfassend sind, dass sich nicht nur vervielfachte Fehlerwerte im Vergleich zu ihren Mitschüler: innen zeigen, sondern auch die Verständlichkeit ihrer Schreibprodukte deutlich eingeschränkt ist. So glich die Lektüre bzw. Analyse der Texte der Schülerin an vielen Stellen einem regelrechten Rekonstruktionsprozess auf der sprach‐ lichen Textoberfläche. Werden die im Französischunterricht entworfenen, schriftlichen Kommunikationssituationen in ihrer Authentizität und ihrem Adressatenbezug ernst genommen, muss davon ausgegangen werden, dass die Mitteilungsabsichten der Schülerin nicht immer erfüllt werden können (vgl. Kap. 9.4.3). Katharina selbst scheinen ihre umfassenden Schwierigkeiten beim Schreiben im Französischen durchaus bewusst zu sein: „Ich krieg halt einfach keinen sauberen Satz auf die Reihe. So, wenn ich halt manchmal schreibe, korrigiere ich den dreitausend Mal weg, oder manchmal ergeben die dann nicht so ganz Sinn.“ (Katharina: Zeilen 1074-1077) Darüber hinaus gewährt der Fall „Katharina“ einen Einblick in die potenziell umfas‐ senden Auswirkungen von LRS auch abseits des institutionalisierten (Fremd-)Sprachenler‐ nens: So ist für Katharina ihre Teilleistungsschwäche nicht nur beim häuslichen Üben mit den Eltern omnipräsent (vgl. Kap. 9.2.2), sondern auch in alltäglichen Kommunikationssitu‐ ationen wie Chats oder dem funktionalen Rückgriff auf Schriftsprache im Straßenverkehr. Um Katharinas Handeln als Leserin und Schreibende im Französischunterricht zu ver‐ stehen, ist folglich eine Betrachtung der Schülerin als Gesamtperson essenziell, für die das Französischlernen eine Herausforderung unter vielen ist. Die negativen Vorerfahrungen der Schülerin können auch zu einer Plausibilisierung ihrer hohen Emotionalität und der potenziellen Begleitsymptomatik von LRS (z. B. in Form von Leistungsdruck und Versagensängsten) herangezogen werden, die im Interview mit Katharina immer wieder zum Ausdruck kommen. Die hohe Verbalisierungskraft, die Katharina aufbringt, um ihre Situation im Französischunterricht und im Schulkontext insgesamt zum Ausdruck zu bringen, kann folgende Wortwolke verdeutlichen. Diese stellt die Begrifflichkeiten dar, die Katharina im Rahmen des Interviews nutzt, um emotionale Dimensionen ihres Unterrichtserlebens darzustellen (vgl. die inhaltsanalytischen Kategorien 10.3 „negativaktivierende Emotionen“ bzw. 10.4 „negativ-deaktivierende Emotionen“): 224 9 Fallanalyse „Katharina“ Abb. 23: Fall „Katharina“: Wortwolke zum emotionalen Unterrichtserleben der Schülerin Katharinas ausgeprägter Mitteilungsdrang brachte mit sich, dass die Schülerin bereits auf die Einstiegsfrage des Interviews hin ihre LRS in das Gespräch einbezog; die für die Schülerinterviews gewählte Gesprächsstrategie sah eigentlich ein zurückhaltenderes Vorgehen vor (vgl. Kap. 6.4.2). Zur Erklärung von Katharinas Reaktion formulieren Melville und Hincks (2016: 9 f.): Researchers often try to build rapport by starting an interview with general questions […]. However, some respondents have a pressing need to discuss emotional issues immediately, and it is only when they have offloaded that the rest of the interview can proceed […] However, it was clear that some people wanted to talk straight away. Aus forschungsmethodischer Sicht wird an dieser Stelle noch einmal deutlich, wie wichtig ein eindeutiges Rollenverständnis der interviewenden Person gerade im Kontext von Lernschwierigkeiten ist. Denn auch wenn Katharina der Interviewerin hier ein großes Vertrauen entgegenbringt und für diese der Leidensdruck der Schülerin spürbar ist, dient das leitfadengestützte Interview nicht der dialogischen Bearbeitung der Probleme im therapeutischen Sinn, sondern der sachbezogenen, wissenschaftlichen Erhebung der individuellen Lern- und Lebenssituation (vgl. Kap.-5.3.3). Katharina begegnet auch den emotionalen Herausforderungen, die das Französi‐ schlernen für sie mit sich bringt, mit verschiedenen direkten, emotionsbezogenen Coping- Strategien (vgl. Alexander-Passe 2006: 258 f.). Diese bestehen z. B. in Verabschiedungs‐ ritualen mit ihrer Mutter vor Leistungsüberprüfungen oder kognitiv orientierten „Absi‐ cherungsstrategien“ im Rahmen von Leistungsüberprüfungen (vgl. Kap. 9.4.3.2). Jedoch konnten für den psychosozialen Bereich keine schulischen Unterstützungssysteme iden‐ tifiziert werden, auf die Katharina zurückkommt. Nicht nur für diese Dimension von LRS, sondern auch hinsichtlich der umfassenden Schwierigkeiten, die für Katharina in der 9. Klasse für den Umgang mit Schriftsprache (nicht nur) im Französischunterricht fortbestehen, liegt es nahe, externe Fachkräfte wie Lerntherapeut: innen in die LRS-Förde‐ rung und Begleitung der Schülerin einzubeziehen (vgl. Gerlach 2022: 79). Denn trotz des 9.6 Fazit: Der Fall „Katharina“ 225 hohen Engagements, das die Schülerin und ihr familiäres Umfeld beispielsweise bei der Vokabelarbeit zeigen, erreicht sie die Lernziele des Französischunterrichts aktuell nur sehr eingeschränkt. Der beträchtliche zeitliche Aufwand und insbesondere der Zugriff auf entsprechende Fördermaterialien kann im Rahmen des sehr begrenzten Zeitfensters, das für das Franzö‐ sische als zweite Fremdsprache überhaupt zur Verfügung steht, nur noch eingeschränkt durch eine Lehrkraft bewältigt werden. Neben außerschulischen Förderangeboten schlägt auch die Fremdsprachendidaktik im Kontext der Inklusionsdebatte vermehrt das Konzept des Team-Teaching bzw. der Kooperation in multiprofessionellen Teams vor (vgl. Doms 2018: 122 f.). Im Bereich des Englischunterrichts ist dies jedoch einfacher umzusetzen, da das Fach Englisch auch im Rahmen förderpädagogischer Lehramtsstudiengänge gewählt werden kann und somit potenziell eine breitere personelle Basis zur Verfügung steht. Für den konkreten Kontext der LRS im Französischunterricht könnte sich demgegenüber die Herausforderung ergeben, dass Fachkräfte aus dem Bereich der Lerntherapie oder der Schulpsychologie gefunden werden müssten, die des Französischen ausreichend mächtig sind, um Fördermaßnahmen in Bezug auf die französische Schriftsprache gerade in fortgeschritteneren Lernjahren umzusetzen. Darüber hinaus gibt Katharina an, das Französische in der Oberstufe nicht fortführen zu wollen: „Ich werde wahrscheinlich auch nach der Neunten Französisch wahrscheinlich abwählen, weil es mir einfach zu viel wird sonst, glaube ich.“ (Katharina: Zeilen 323-326) Aus schulsystematischer Perspektive schließt hier die Frage an, in welchem Verhältnis die curriculare Obligatorik der zweiten Fremdsprache zu der hohen emotionalen Bürde steht, die die Auseinandersetzung mit einer weiteren Sprache für die Schülerin mit sich bringt. Denn trotz der umfassenden und vielfältigen Förder- und Kompensationsmaßnahmen, die auch im Französischunterricht umgesetzt werden, werden Katharinas Misserfolgser‐ lebnisse in Auseinandersetzung mit dem (Fremd-)Sprachenlernen in Form mangelhafter Benotungen immer wieder aktualisiert. Eine entscheidende Entwicklungsperspektive des Französischunterrichts bestünde (nicht nur) in Katharinas Fall darin, außerschulische Anknüpfungspunkte und „fremdsprachliche Begegnungssituationen“ (Fritz 2020: 295) zu schaffen, die der Schülerin ein individuelles Kompetenzerleben abseits des Schulunterrichts und losgelöst von Bewertungen durch die Lehrkraft ermöglichen (vgl. ebd.). Für Katharina selbst bleibt letztlich der Wunsch nach einem größeren gesellschaftlichen Verständnis gegenüber Menschen mit LRS sowie einer sozialen Akzeptanz ihres Problems bestehen: „Und das ist halt auch, dass man sich einfach wünscht, dass die anderen Menschen es auch einfach besser verstehen und nachvollziehen können.“ (Katharina: Zeilen 1420-1422) Aus Sicht der Fremdsprachendidaktik herrscht Einigkeit, diesem Wunsch gerecht werden zu wollen und wirklich allen Schüler: innen den Zugang zum Fremdsprachenlernen zu ermöglichen (vgl. DGFF 2020: 4). 226 9 Fallanalyse „Katharina“ 10 Fallanalyse „Anna“ 10.1 Kurzporträt und schulische Rahmenbedingungen Anna ist zum Studienzeitpunkt im Frühjahr 2018 18 Jahre alt und besucht die 12. Klasse der gymnasialen Oberstufe einer kooperativen Gesamtschule mit städtischem Einzugsgebiet in Hessen. Ihre Eltern stammen aus Russland, Anna selbst ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Als ihre Muttersprachen nennt sie das Deutsche und das Russische. Im Russischen hat sie jedoch keinen herkunftssprachlichen Unterricht erhalten und gibt an, nur über mündliche Kompetenzen zu verfügen. Anna lernt seit der 3. Klasse Englisch als erste Fremdsprache und Französisch als zweite, neu einsetzende Fremdsprache seit der 11. Klasse. Folglich befindet sie sich zum Zeitpunkt der Datenerhebungen in der Mitte des zweiten Lernjahrs im Fach Französisch. Eine Besonderheit der schulischen Sprachlernbiographie Annas liegt darin, dass sie in der 5. und 6. Klasse bereits einen Orientierungskurs für Französisch an ihrer Schule belegt hat. Dieser diente dem spielerischen Kennenlernen der Sprache und des Fachs. Da Anna nach Abschluss der Orientierungsstufe dem Realschulzweig der Schule angehörte, war die Wahl einer zweiten Fremdsprache ab der 7. Klasse für sie curricular nicht obligatorisch. Nach ihrem Realschulabschluss erfolgte jedoch ein Wechsel in die gymnasiale Oberstufe derselben Schule, der die - vergleichsweise späte - Belegung einer zweiten Fremdsprache ab der 11. Klasse nötig machte. Für ihre weitere schulische Laufbahn ist geplant, am Ende der 13. Klasse die Allgemeine Hochschulreife zu erlangen. Annas schulische Interessen‐ schwerpunkte liegen im naturwissenschaftlichen Bereich, was sich auch in der Wahl der Leistungskurse Mathematik und Physik in der Oberstufe widerspiegelt; fremdsprachliche Fächer werden nicht Teil ihrer Abiturprüfung sein. Anna gibt an, erstmals in der 5. Klasse mit der Diagnose „LRS“ (Anna: Zeile 422) konfrontiert worden zu sein. Diese ging aus einer Testung hervor, die seitens der weiter‐ führenden Schule standardisiert veranlasst wird, wenn bei Schüler: innen der 5. Jahrgangs‐ stufe vermehrte Schwierigkeiten in den Bereichen des Lesens und/ oder Rechtschreibens beobachtbar sind. Falls schulische Förderangebote in Anspruch genommen oder schul‐ rechtliche Maßnahmen wie Nachteilsausgleich bzw. Notenschutz bei Leistungsüberprü‐ fungen umgesetzt werden sollen, muss diese Diagnose jährlich überprüft werden. In der Oberstufe und somit auch im Französischunterricht gilt für Anna, dass sie weiterhin auf Maßnahmen des Nachteilsausgleichs zurückgreifen kann, die ihr bereits in der Sek. I gewährt wurden. Diese bestehen in einer um 25 % verlängerten Bearbeitungszeit bei schriftlichen Leistungsüberprüfungen und der möglichen Nutzung eines einsprachigen Wörterbuchs. Der Notenschutz, d. h. die Nichtbewertung der Rechtschreibleistung, wird demgegenüber nur in bestimmten Teilbereichen schriftlicher Klausuren fortgeführt (vgl. Kap. 10.4.3.2). Annas Französischleistungen wurden im Rahmen der Halbjahresbzw. Abschlusszeugnisse der 11. Klasse jeweils mit der Note „befriedigend plus“ (= 9 Punkte) bewertet. Annas Schule verfügt über ein ausgewiesenes LRS-Konzept, das auf eine frühzeitige Erkennung von Beeinträchtigungen im Bereich schriftsprachlicher Kompetenzen setzt. So ist vorgesehen, dass zu Beginn der 5. Jahrgangsstufe relevante Dokumente wie Zeug‐ nisse und Beurteilungen aus der Grundschulzeit der Schüler: innen systematisch gesichtet werden. Zudem wird in den ersten Wochen des Deutschunterrichts gezielt auf Defizite der Lese- und (Recht-)Schreibkompetenzen geachtet, beispielsweise indem flächendeckend diagnostische Diktate geschrieben werden. Im Verdachtsfall wird auf das etablierte Instru‐ ment der Hamburger Schreibprobe zurückgegriffen, um einen besonderen Förderbedarf in den Bereichen des Lesens bzw. (Recht-)Schreibens zu diagnostizieren. Angesichts der sehr heterogenen Schülerschaft der kooperativen Gesamtschule zielt dieses Vorgehen auf eine zeitnah einsetzende und kontinuierliche Förderung der betroffenen Schüler: innen ab. Sind überdurchschnittliche Defizite im Bereich schriftsprachlicher Kompetenzen der Schüler: innen festzustellen, werden individuelle Förderpläne erstellt und der Besuch eines spezifischen, schriftsprachbezogenen Förderunterrichts im Umfang von zwei Schulstunden pro Woche nahegelegt. Dieser wird für die Schüler: innen obligatorisch, wenn bei Leis‐ tungsüberprüfungen beispielsweise Nachteilsausgleich oder Notenschutz in Anspruch genommen werden. Auch Anna hat von diesem niederschwelligen Förderkonzept profitiert und den Förderkurs im Rahmen des Realschulzweigs ihrer Schule von der 5. bis zur 10. Klasse durchgehend besucht. Inhaltlich ist die schulische LRS-Förderung auf typische, schwierigkeitsbesetzte An‐ forderungsbereiche ausgerichtet. Beispielsweise werden Übungen zur Förderung der Leseflüssigkeit, zur graphomotorischen Verbesserung des Schriftbilds und zu besonders anspruchsvollen Phänomenen der deutschen Rechtschreibung durchgeführt. Außerdem besteht der Anspruch, die Förderangebote so zu gestalten, dass der gezielte Rückgriff auf Hilfsmittel wie Wörterbücher erlernt und sinnvolle Korrekturstrategien erworben, diese also auch im Unterricht und bei der häuslichen Weiterarbeit eingesetzt werden können. Auch werden potenzielle psychosoziale Konsequenzen in dem Förderkonzept der Schule explizit mitgedacht und Maßnahmen formuliert, die auf die Stärkung des Selbstbe‐ wusstseins und der Motivation der betroffenen Lernenden abzielen. Im Bereich möglicher Adaptionen der Leistungsüberprüfung und -bewertung werden typische Maßnahmen des Nachteilsausgleichs und Notenschutzes vorgeschlagen, die in den entsprechenden Rahmendokumenten des Landes Hessen dargelegt werden (vgl. HKM 2017: 24 ff.). Hinsichtlich Annas Rolle im Französischunterricht ist relevant, dass sich in dem LRS- Konzept der Schule keinerlei Hinweise auf den Umgang mit LRS im Fremdsprachenunter‐ richt finden - alle Maßnahmen sind explizit auf den Deutschunterricht bezogen. Dennoch wurde in Vorgesprächen mit der Schulleitung und der Französischlehrerin deutlich, dass der Anspruch besteht, auch im Fremdsprachenunterricht entsprechend sensibel mit LRS umzugehen - die konkrete Umsetzung liegt jedoch in der Hand der jeweiligen Fachlehr‐ kraft. Grundsätzlich sieht das Förderkonzept der Schule vor, dass ab der 11. Klasse nur noch in Ausnahmefällen Nachteilsausgleich bzw. Notenschutz gewährt werden: In Annas Fall wurden beide Maßnahmen bewilligt. In der Abiturprüfung ist eine Abweichung von den Grundsätzen der Leistungsbewertung jedoch ausgeschlossen, d. h., es kann maximal ein Nachteilsausgleich erfolgen. Auch in der Oberstufe steht Schüler: innen mit LRS offen, weiterhin einen spezifischen Förderkurs zu belegen, der inhaltlich u. a. Aspekte des Zeit‐ 228 10 Fallanalyse „Anna“ managements und Korrekturtechniken fokussiert. Im Gegensatz zur Sek. I ist der Besuch des Kurses in der Sek. II jedoch fakultativ. In den folgenden Kapiteln ist das schulische Förderkonzept als organisatorischer Rahmen mitzudenken, der die schulstrukturellen „Eckpfeiler“ für den Umgang mit LRS im Französischunterricht setzt. Annas Französischkurs hat einen Umfang von vier Unterrichtsstunden pro Woche, die auf eine Doppelstunde und zwei Einzelstunden verteilt sind. Insgesamt besuchen nur fünf Schüler: innen den Kurs, der sich ausschließlich an Anfänger: innen der französischen Sprache richtet und deshalb auch „Nullsprachenkurs“ genannt wird. Gearbeitet wird mit den Lehrwerken À plus ! 1 Méthode intensive (Bächle et al. 2007) bzw. À plus ! 2 Méthode intensive (Bächle et al. 2008) aus dem Cornelsen Verlag. Der Analyse des Falls „Anna“ liegen Unterrichtsbeobachtungen im Umfang von vier Wochen zugrunde; dies entspricht 16 Unterrichtsstunden à 45 Minuten. Das abschließende Interview hat eine Länge von 50 Minuten und wurde an einem freien Nachmittag auf Annas Wunsch in den Räumlichkeiten der Schule durchgeführt. 10.2 Französischlernen als Neuanfang: Annas Weg in den Französischunterricht Im Folgenden soll zunächst Annas Weg in den Französischunterricht betrachtet werden. Aus welchen Gründen, zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Motivation erlernt Anna das Französische als zweite Fremdsprache? Mögliche Antworten auf diese Fragen sind in hohem Maße an die jeweiligen Etappen ihrer Bildungsbiographie rückgebunden. 10.2.1 „Einfach nur so ein Schnupperkurs-…“-- Erste Annäherungen zu Beginn der Sek. I In der 5. Klasse absolvierte Anna einen „Schnupperkurs“ (Anna: Zeile 9), der sich an Schüler: innen richtete, die an der französischen Sprache interessiert waren, und der während der Erprobungsstufe flexibel wieder abgewählt werden konnte. Anna schildert dies im Rahmen des Interviews, als sie nach einem möglichen Zusammenhang von LRS und ihrer Fremdsprachenwahl gefragt wird: I: Ah ok. Und du hast ja vorhin gesagt, dass du schon mal Französisch hattest zu Beginn deiner Schullaufbahn hier. Ähm kannst du darüber noch mal ein bisschen mehr erzählen, wie das war dann, als du also falls du dich erinnerst, ist ja schon ein bisschen her ähm, dass du dann Französisch gewählt hast? Gab es da irgendwie zum Bei/ einen Zusammenhang zu LRS, hat das damals eine Rolle gespielt? A: Nee, das hat damals gar keine Rolle gespielt. Das war einfach nur ähm wir konnten halt praktisch / Das war wie so eine AG, würde ich fast schon sagen. Einfach nur so ein Schnupperkurs, wo wir halt reingucken konnten, wie Französisch ist. Und ich habe damals halt 10.2 Annas Weg in den Französischunterricht 229 gedacht: Ach ja, warum nicht? Und habe das dann halt auch gemacht und das hat ja auch total gut angefangen bei mir. Wir haben dann Vokabeltests geschrieben angefangen und sowas. Und dann kam halt in der Sechs kamen dann so die ersten grammatischen Sachen da und da hatte ich Schwierigkeiten. Und da habe ich halt dann gesagt, als ich dann in die Realschule gekommen bin: Nee, ich mache das jetzt erstmal nicht. Und gucke dann, je nachdem, ob ich dann nach der Zehn eine Ausbildung mache oder mein Abitur, kann ich es ja immer noch machen. Und das war dann meine (…) / (Anna: Zeilen 475-497) Anna beschreibt einen unbefangenen und positiven ersten Kontakt mit dem Französischen als Fremdsprache im Rahmen des Orientierungskurses, den sie mit einer „AG“ vergleicht. Arbeitsgemeinschaften werden im schulischen Kontext in der Regel nach persönlichen Interessen und Neigungen gewählt und stellen ein außerunterrichtliches, freiwilliges Zusatzangebot dar. Anna erinnert nicht, dass ihre LRS in die Entscheidung, den Franzö‐ sischkurs zu belegen, einbezogen wurden („gar keine Rolle gespielt“). Allerdings erfolgte die offizielle Diagnosestellung auch erst mit Beginn der 5. Klasse. Anna schildert einen erfolgreichen Beginn des Kurses („total gut angefangen“), der im Verlauf des zweiten Lernjahrs zunehmend von „Schwierigkeiten“ bei „grammatischen Sachen“ begleitet wird. Diese werden zunächst nicht spezifiziert und stellen sich in Annas Schilderungen - neben den Bereichen der Lexik und der Aussprache - als zentrale und rekurrente Motive heraus, wenn es um den Rückbezug auf konkrete Unterrichtssituationen und die Exemplifizierung negativer und positiver Lernerlebnisse geht. Annas erste Begegnung mit dem Französischen führt nicht zu einer weiterführenden Belegung des Fachs im Anschluss an die Orientierungsphase. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, wie Anna die Nicht-Fortführung des Französischen verbalisiert: Erstens deutet ihre Formulierung darauf hin, dass sie sich selbst als Agens, d. h. als handelnde Person sieht, die vor dem Hintergrund der auftretenden Schwierigkeiten eine Entscheidung trifft („Und da habe ich dann halt gesagt […]“, Herv. der Verf.). Zweitens fällt die fünfmalige Verwendung des Modalpartikels „halt“ im Rahmen der Interviewpassage auf: Dieser weist auf eine feststehende und unabänderliche Entscheidung hin, die auch in der Retrospektive keinen weiteren Diskussionsbedarf nach sich zieht. Drittens rekapituliert Anna ihre Entscheidung gegen die Weiterführung des Französischen als zweite Fremdsprache als vorläufig („Nee, ich mache das jetzt erstmal nicht.“, Herv. der Verf.). Dies geht mit einer grundsätzlichen Flexibilität einher, die Anna im Rahmen ihres schulischen Werdegangs für möglich hält: Für sie schien damals noch offen, ob sie einen Realschulabschluss oder das Abitur anstrebt. Die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Bildungsziel bzw. eine bestimmte Schulform erscheint revidierbar und lässt Raum für biographische Diskontinuitäten. Die von Anna wahrgenommene „Durchlässigkeit“ des Bildungswesens - insbesondere hinsichtlich möglicher Aufstiegschancen - gilt bei Analysen des deutschen Schulsystems in der Regel als zu gering ausgeprägt und sollte deshalb in positiver Weise hervorgehoben werden (vgl. Bellenberg 2012). Es wird deutlich, dass von Anna rückbli‐ ckend primär machbarkeitsbzw. schulformbezogene Argumente herangezogen werden, um die Nicht-Fortführung des Französischen nach der Erprobungsstufe zu plausibilisieren. Positive Gegenargumente wie ein persönliches Interesse an der Sprache oder handlungs‐ 230 10 Fallanalyse „Anna“ bezogene Überlegungen, die über den engen schulischen Kontext hinausgehen, werden von der Schülerin nicht aufgerufen. 10.2.2 „Wir lernen ja jetzt alles neu-…“-- (Wieder-)Entdeckung des Französischen in der Sek. II Mit Beginn der 11. Klasse ergab sich für Anna die Gelegenheit und curriculare Notwen‐ digkeit, eine zweite Fremdsprache zu erlernen, um die Anforderungen der Allgemeinen Hochschulreife zu erfüllen. Auch wenn die Schülerin aufgrund der institutionellen Rah‐ menbedingungen in der Oberstufe ihrer Schule keine Wahlmöglichkeiten hatte, ist sie grundsätzlich offen und bereit, die französische Sprache zu erlernen, und wägt im Laufe des Interviews positive wie negative Aspekte der unterrichtlichen Auseinandersetzung mit der neu einsetzenden Fremdsprache ab. Darauf weist auch Annas Reaktion auf die Einstiegsfrage des Interviews hin. Diese ist bewusst offen formuliert und soll der Interviewpartnerin die Möglichkeit geben, individuelle thematische Relevanzsetzungen zu Gesprächsbeginn vorzunehmen: I: […] Und ich würde einfach gerne einmal wissen, wie du / wie das so für dich ist, Französisch zu lernen, welche Erfahrungen du gemacht hast in den vergangenen eindreiviertel Jahren? A: Also für mich ist mittlerweile Französischlernen einfacher als zum Beispiel Englisch oder so. Weil man es halt neu lernt. Aber auch ähm hat aber auch sein halt s/ so seine Nachteile, weil halt die Sprache halt / Es ist meine praktisch meine vierte Sprache. Und äh dadurch habe ich halt manchmal so: Ok, das ist schon wieder was zu lernen, und äh wieder Vokabeln und wieder neu, und wieder neue Grammatik. Deswegen ist das so ein bisschen, also schon anstrengend, aber ist schaffbar. (Anna: Zeilen 19-31) Anna eröffnet im Rahmen ihrer Antwort zu Interviewbeginn zum einen die Dimension der Schwierigkeit des Erlernens des Französischen im Vergleich zu anderen Schulfremdspra‐ chen („einfacher als zum Beispiel Englisch“); zum anderen ordnet sie ihre Erfahrungen in ihre Sprachlernbiographie und damit die Dimension der individuellen Mehrsprachigkeit ein („meine vierte Sprache“). Auf der Ebene des Sprachenvergleichs wird deutlich, dass nicht auf linguistische Merkmale der jeweiligen Fremdsprachen Bezug genommen wird, sondern die Kausalbeziehung, die ihr das Französischlernen leichter fallen lasse als das Englischlernen, allein durch den Neubeginn begründet wird („Weil man es halt neu lernt.“). Der skizzierte Vorteil, der sich durch die neu einsetzende Fremdsprache ergibt, wird sogleich mit potenziell negativen Aspekten des Französischlernens kontrastiert. Auch im Kontext dieser Argumentationslinie wird nicht auf konkrete einzelsprachliche Merkmale oder inhaltliche Aspekte des Unterrichts Bezug genommen. Stattdessen scheint sich aus der schieren Quantität der beherrschten bzw. zu erlernenden (Fremd-)Sprachen ein empfun‐ dener „Nachteil“ zu ergeben: Die viermalige Wiederholung des Adverbs „wieder“ deutet auf sprachlicher Ebene darauf hin, dass der Erwerb mehrerer Sprachen eher in isolierend-addi‐ tiver als in vernetzend-integrativer Perspektive gesehen wird. Die potenzielle Nützlichkeit 10.2 Annas Weg in den Französischunterricht 231 vorheriger Sprachlernerfahrungen, die sich für Anna konkret in der Übertragung von Lern- und Arbeitsstrategien und Maßnahmen des Nachteilsausgleichs auf das Französischlernen entfaltet, wird an dieser Stelle nicht verbalisiert bzw. scheint Anna auch im weiteren Interviewverlauf nur eingeschränkt bewusst zu sein. Die ambivalente Einordnung des Französischen wird anhand eines antithetischen Motivs, auf das Anna im Rahmen ihrer Argumentation mehrfach zurückgreift, noch zugespitzt: Der hohe Aufwand bzw. die große Anstrengung, die aus Annas Sicht zu erbringen ist, um das Französische als weitere Fremdsprache auf ausreichendem Niveau zu beherrschen („schon anstrengend“), wird mit einer grundsätzlichen Machbarkeit bzw. Bewältigbarkeit kontrastiert („schaffbar“). Wie bereits deutlich wurde, verknüpft Anna im Verlauf des Interviews den „Nullspra‐ chenkurs“ der Oberstufe wiederholt mit der Idee eines Neuanfangs. Dieser Aspekt wird von Anna aufgegriffen, als danach gefragt wird, inwieweit sie sich über mögliche Auswirkungen ihrer LRS auf das Französischlernen Gedanken gemacht habe: I: Und jetzt praktisch am Ende der zehnten Klasse, wie du gesagt hast, dass du dann Französisch genommen hast im Nullsprachenkurs: Hast du da dann überlegt, also in Bezug auf deine LRS, inwieweit das irgendwie einen Zusammenhang geben könnte oder Schwierigkeiten geben könnte in Französisch? A: Also darüber habe ich mir halt keine Gedanken gemacht, weil ich gedacht habe: Ah ja ok, wir lernen ja jetzt alles neu. Wir lernen die Vokabeln auswendig und Dings. Das wird halt leichter. Also so viele Rechtschreibfehler, würde ich jetzt sagen, mache ich im Französischen ga/ also fast gar nicht, weil ich die Wörter halt praktisch abgespeichert habe, weil ich sie in Erinnerung habe. (…) (Anna: Zeilen 498-511) Auch in Bezug auf die Situation des (Wieder-)Beginns mit dem Französischen in der Sek. II gibt Anna an, dass sie keine Überlegungen zu einem möglichen Einfluss ihrer LRS auf das Französischlernen angestellt habe (vgl. Kap. 10.2.1). Sprachstrukturelle Argumente, die z. B. in Form der orthographic depth hypothesis die Fachdiskussion um eine möglichst „günstige“ Fremdsprachenwahl bei LRS dominieren (vgl. Kap. 3.3.1.3 bzw. Kap. 3.3.2.2), werden von Anna im Rahmen des Interviews nicht verbalisiert. Dies kann natürlich auch dadurch bedingt sein, dass Anna ohnehin keine Wahlmöglichkeit für die zweite Fremdsprache hatte. Damit unterscheidet sich Anna von anderen Forschungspartner: innen, die bereits vor Beginn des Französischunterrichts umfassend über die mögliche Rolle ihrer LRS beim Erlernen einer weiteren Fremdsprache nachgedacht haben und - vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen mit dem Englischen als Fremdsprache - sprachenübergreifende Auswir‐ kungen der Teilleistungsschwäche annehmen. Für Anna scheint jedoch das Merkmal einer „neue[n] Sprache“, das zunächst mit einem geringeren fachlichen Anspruch verbunden wird („Das wird halt leichter.“), eventuelle LRS-bezogene Bedenken zu übertrumpfen. Dies ist insofern überraschend, als Anna ihren ersten Kontakt mit dem Französischen im Rahmen des „Schnupperkurses“ ambivalent bewertet hat (vgl. Kap. 10.2.1). Womöglich stellt die Schülerin zwischen diesen beiden Lehr-Lern-Kontexten keinen unmittelbaren Zusammenhang mehr her; auch da seit ihren Erfahrungen in der Erprobungsstufe einige 232 10 Fallanalyse „Anna“ (Schul-)Jahre vergangen sind, die für sie erfolgreich verliefen und sie mittlerweile ein höheres Lebensalter erreicht hat. Von zentraler Bedeutung ist, dass Anna im Folgenden ihre Erwartungen an den neu einsetzenden Französischunterricht mit dem Erleben ihrer tatsächlichen Kompetenz im Bereich der Orthographie abgleicht: Ihre Selbsteinschätzung, dass sie im Französischen nicht viele Rechtschreibfehler mache, begründet sie ebenfalls mit dem Argument der „neue[n] Sprache“. Konkret bezieht sich Anna auf Memorierungsstrategien, die auf die Ganzwortebene und damit primär auf die orthographe lexicale abzielen: Der Komplexität der französischen Orthographie wird durch „Auswendiglernen“ neuen Vokabulars begegnet - was sie als gut zu bewältigen empfindet. An dieser Stelle eröffnet der Vergleich von Schreibprodukten und Befragungsdaten eine neue Perspektive: In Divergenz zu Annas Wahrnehmung steht, dass ihr individuelles Fehlerprofil eine deutlich höhere Ausprägung von Rechtschreibgegenüber Lexik- und Grammatikfehlern aufweist (vgl. Kap. 10.4.1). Auch legt der Vergleich mit Annas Mitschüler: innen auf der Ebene des Gesamtkorpus offen, dass im Bereich der Orthographie überdurchschnittliche Schwierigkeiten bestehen (vgl. ebd.). In Konvergenz zu Annas Selbsteinschätzung steht jedoch, dass die höhere Anzahl an Rechtschreibfehlern die Realisierung inhaltlicher Dimensionen freier Schreibaufträge nicht verhindert. Als schwierigkeitsgenerierend erweisen sich vielmehr lexikalische Lücken und insbesondere Prinzipien des Satzbaus, die sich auf die Verständlichkeit der schriftlichen Kommunikation und damit ihr Gelingen auswirken können (vgl. Kap.-10.4.3). 10.3 Anna als Leserin im Französischunterricht In Annas Französischunterricht spielt Lesen als Basiskompetenz eine zentrale Rolle: Es wird im Sinne eines reading to learn als instrumentelle Lesefertigkeit (z. B. um Aufga‐ benstellungen oder Tafelanschriften zu verstehen) gefordert (vgl. Kap. 10.3.1) und steht als Zielkompetenz des Leseverstehens im Fokus mehrerer Unterrichtssituationen (vgl. Kap. 10.3.2). Zudem stellt sich das laute Vorlesen - sowohl im Unterricht selbst als auch in Annas Unterrichtserleben - als wiederkehrender und zentraler Anforderungsbereich heraus (vgl. Kap.-10.3.3). 10.3.1 Basale Lesefertigkeiten und instrumentelles Lesen Die Auswertung der Unterrichtsbeobachtungen und des Interviews mit Anna liefert zahl‐ reiche Indizien dafür, dass im Bereich basaler Lesefertigkeiten, die eine Grundvorausset‐ zung für die Realisierung komplexerer Leseprozesse darstellen (vgl. Kap. 2.1.1.1), in Annas Fall keine besonderen Beeinträchtigungen bestehen. In diesem Zusammenhang ist relevant, welche Arten von Schwierigkeiten sich nicht in den Beobachtungs- und Befragungsdaten manifestieren: Anna scheint im Bereich der „Schriftrezeption“ (Bachmann/ Becker-Mrotzek 2017: 28) keine grundlegenden Defizite aufzuweisen, denn sie kann entsprechende Ar‐ beitsaufträge in hinreichender Geschwindigkeit und mit der notwendigen Genauigkeit erfüllen, was auf eine ausreichende Leseflüssigkeit im Französischen als Fremdsprache rückschließen lässt. Darüber hinaus wendet Anna keine Lesestrategien an, die auf hierar‐ 10.3 Anna als Leserin im Französischunterricht 233 chieniedriger Ebene auf die Entschlüsselung der Schrift abzielen: Beispielsweise liest die Schülerin nicht mit dem Finger mit und setzt keine Leseschablone ein, die die visuelle Verarbeitung bzw. Dekodierung des Geschriebenen unterstützen könnte. Mit den Befunden der Beobachtungsdaten in Bezug auf das Leseverstehen konvergiert im Sinne der Perspektiventriangulation, dass Anna auch im Rahmen des Interviews diesen Kompetenzbereich nicht als schwierigkeitsbesetzt beschreibt. So nennt sie auf die offen formulierte Frage, welchen Schwierigkeiten sie beim Französischlernen begegne, nicht das leise Lesen bzw. Leseverstehen, sondern fokussiert die als sehr umfangreich empfundene Grammatik- und Vokabelarbeit bzw. die hohen schulischen Gesamtanforderungen insge‐ samt (vgl. Anna: Zeilen 275-289; Kap. 9.5.2). Im Gegenteil führt Anna den Zugang zu einer schriftlichen Vorlage sogar als Unterstützungsmöglichkeit an, z. B. wenn zur Entlastung von Prozessen des Hörverstehens Transkripte mitgelesen werden (vgl. Anna: Zeilen 224-232). Auch die LRS-Förderkurse, die Anna aktuell besucht, fokussieren kein spezifisches Training des Lesens. Diese Befunde deuten darauf hin, dass basale Entschlüsselungsprozesse in hinreichender Genauigkeit und Geschwindigkeit vollzogen werden können - dies bestätigt sich auch in Unterrichtsituationen, die Leseverstehen als Zielkompetenz setzen. 10.3.2 Leseverstehen Zieht man die soziale Bezugsnorm ihrer Mitschüler: innen hinzu, erweist sich der Kom‐ petenzbereich des Leseverstehens in Annas Fall als nicht überdurchschnittlich schwierig‐ keitsbesetzt: Zwar braucht Anna in der Regel mehr Zeit für die Bearbeitung entsprechender Arbeitsaufträge als die leistungsstarken Schüler: innen Sarah und Julia, jedoch hebt sich ihr Vorgehen nicht grundsätzlich von den leistungsschwächeren Lernenden Nicolas und Marcel ab. Auch eine kriterienorientierte Beurteilung entsprechender Unterrichtssituati‐ onen bzw. Arbeitsergebnisse verdeutlicht, dass Anna Arbeitsaufträge im Bereich des Leseverstehens zufriedenstellend erfüllen kann (s. u.). Um zu verdeutlichen, wie Anna im Bereich des Leseverstehens vorgeht, wird im Fol‐ genden stellvertretend auf eine Unterrichtssequenz Bezug genommen, im Rahmen derer die Schüler: innen verschiedene lesebezogene Aufgabenstellungen zu Bernard Friots Kurzge‐ schichte „Calculs“ bearbeiten. Seitens der Lehrkraft wird eine klassische Herangehensweise gewählt, die activités avant, pendant und après la lecture umfasst (vgl. Kap. 2.1.2.2). Im Rahmen der activités avant la lecture wird in Plenumsarbeit zunächst rekapituliert, welche Merkmale eine Kurzgeschichte aufweist und es werden Assoziationen zum Titel der Kurzgeschichte zusammengetragen. Anna beteiligt sich an dem Unterrichtsgespräch, das auf Deutsch geführt wird, in aufmerksamer und aktiver Weise, beispielsweise indem sie Hypothesen zur Bedeutung des Worts „calculs“ äußert. Die activités pendant la lecture werden in Einzelarbeit umgesetzt. Im Folgenden ist ein Auszug der Kurzgeschichte mit ent‐ sprechenden Markierungen und Notizen zu sehen, die Anna direkt am Text vorgenommen hat: 234 10 Fallanalyse „Anna“ Abb. 24: Fall „Anna“: Bearbeitung eines Auszugs des Lesetexts Calculs Bei der Beobachtung der Lesesituation zeigt sich, dass Anna den Text zunächst vollständig liest, bevor sie beginnt, Markierungen vorzunehmen oder unbekanntes Vokabular im Wör‐ terbuch nachzuschlagen: Für diese Schritte erfolgen dann zwei weitere Lesedurchgänge (vgl. Kat. 17.1.1 bzw. 17.1.2 der Auswertung der Beobachtungsdaten). Annas Arbeitsprodukt zeigt, dass sie relevante Ausdrücke und Passagen, die den Text zeitlich und inhaltlich strukturieren, anhand verschiedener Farben markiert hat: Die Wochentage, die die Kurz‐ geschichte strukturieren und die einzelnen Absätze einleiten, sind pink markiert; gelb unterlegt erscheinen die Namen auftretender Charaktere; orange weist auf Rückbezüge zwischen Titel und Schlussteil der Geschichte hin. Mit Bleistift unterstrichen ist unbe‐ kanntes Vokabular, das teilweise am Rand des Texts mit (in-)korrekten Hypothesen zu dessen inhaltlicher Erschließung versehen ist (z. B. la cartouche → *„Katusche“, aber auch: la joue → „Spiel? “, compas → „Kompass? “); teilweise aber auch im Wörterbuch nachgeschlagen wurde (z. B. comptes → „Rechnung, Zählung“; encre → „Tinte“). Weiterhin nutzt Anna die Arbeitsphase pendant la lecture, um mögliche Vorlesesituationen vorzubereiten: Über einigen Wörtern finden sich Notationen, anhand derer sich Anna die korrekte Aussprache vor Augen führt (z. B. plume → PLÜM ; pique → PIK). Indem sie die Lehrkraft nach der korrekten Aussprache fragt, greift Anna auf eine soziale Lesestrategie bzw. „externe Stützstrategie“ zurück (vgl. Philipp 2015 b : 214 f.). Auch wenn Annas Vorgehensweise als zielführend eingeschätzt werden kann-- denn ihr gelingt im Rahmen der activités après la lecture eine verständliche Aussprache--, schließt sich aus fachdidaktischer Sicht die Frage an, inwieweit ihre Bemühungen um ein korrektes Vorlesen inhaltliche Verstehensprozesse über‐ 10.3 Anna als Leserin im Französischunterricht 235 lagern könnten (vgl. weiterführend Kap. 10.3.3). Die gelingende szenisch-kreative Weiterarbeit mit dem Text im Rahmen der Phase activités après la lecture deutet jedoch darauf hin, dass Anna ein ausreichendes inhaltliches Leseverständnis erlangen kann: Die Aufgabenstellung („Jouez une scène dans la classe avec Aurélie et deux garçons.“), die sich deutlich von der textuellen Vorlage entfernt und im Rahmen des vorliegenden Teilkapitels keiner weiterführenden Be‐ trachtung unterzogen werden soll, bearbeitet Anna zusammen mit ihren Mitschüler: innen Julia und Marcel. Wie für alle Partner- und Gruppenarbeiten beobachtbar war, gestaltet Anna diese aktiv mit und hat keine Hemmungen, die inhaltlich passend umgesetzte Szene mündlich bzw. gestisch vor der Lerngruppe vorzuspielen: Die im Rahmen zahlreicher Didaktisierungen von Leseprozessen vorgesehenen „Anschluss-Kommunikationen“ (Hurrelmann 2002: 13) können hier als gelingend resümiert werden. Anna greift für das Leseverstehen der Kurzgeschichte auf Lesestrategien zurück, die eine entwickelte, rezeptive Schriftkompetenz voraussetzen und über die Auseinandersetzung mit unbekannter Lexik bis hin zu inhaltlichen Erschließungsstrategien auf gesamttextueller Ebene reichen. Diese Strategien werden nicht nur von Anna umgesetzt, sondern wurden in vorherigen Unterrichtsstunden für die ganze Lerngruppe erarbeitet und trainiert, denn sie sind - unabhängig von Beeinträchtigungen des Schriftspracherwerbs - konstitutiver Be‐ standteil der (fremdsprachlichen) Lesedidaktik (vgl. Kap. 2.1.2.2). Auch werden seitens der Lehrkraft keine LRS-spezifischen Differenzierungsmaßnahmen gewählt, die beispielsweise in der visuellen Modifikation der Arbeitsmaterialien, der Bereitstellung von Hilfsmitteln oder inhaltlichem Scaffolding bestehen könnten. Interviewpassagen, im Rahmen derer auf das Leseverstehen und entsprechende Arbeitsaufträge eingegangen wird, fallen seitens Anna dementsprechend resümierend bzw. positiv bilanzierend aus: I: […] Wenn es jetzt darum geht, im Französischen Texte eher leise zu lesen, also Leseverstehen umzusetzen, wie ist das da für dich? A: Ja, ich muss da halt zwei- oder dreimal drüber lesen, dass ich wirklich alles verstanden habe, beziehungsweise mir dann auch Notizen machen und alles. Aber dann geht das auch. (Anna: Zeilen 720-730) Annas Kurzantwort spiegelt mit der Kombination mehrerer Lesedurchgänge und der Visualisierung bzw. Notation wichtiger Aspekte die zentralen Lesestrategien wider, auf die sie tatsächlich bei der Lektüre der Kurzgeschichte zurückgreift. Da Annas Antworten im Rahmen des Interviews insgesamt relativ ausführlich ausfallen, kann ihre Zurückhaltung in Bezug auf das Leseverstehen durchaus als Indiz für die Absenz umfassenderer Schwie‐ rigkeiten betrachtet werden. So ergeben sich für Anna keine „Zugzwänge des Erzählens“ (Kallmeyer/ Schütze 1977: 187), die bei anspruchsvollen oder belastenden Erzählsituationen greifen und ausführlichere Schilderungen triggern könnten. 10.3.3 Lautes Vorlesen Das laute Lesen stellt eine „komplexe Tätigkeit dar, die die parallele Verarbeitung ganz unterschiedlicher Prozesse verlangt“ (Meißner 2013: 40) und die grundsätzlich von einem leisen bzw. sinnentnehmenden Lesen unterschieden wird (vgl. Kap. 2.1.3.2). Vor diesem 236 10 Fallanalyse „Anna“ Hintergrund erscheint bemerkenswert, dass sich - wie sich auch im Kontext der anderen Fallanalysen gezeigt hat - die Schüler: innen mit LRS primär auf die spezifische Kompetenz des Vorlesens beziehen, wenn im Rahmen des Interviews allgemeine, übergeordnete Fragen zum „Lesen“ gestellt werden. Dies kann vor dem Hintergrund der Unterrichtsbe‐ obachtungen auch damit begründet werden, dass in Annas Fall das Vorlesen als Unter‐ richtaktivität omnipräsent ist: Immer wieder werden Aufgabenstellungen, Lesetexte oder Arbeitsergebnisse der Schüler: innen in dieser Form im Plenum präsentiert. Demgegenüber sind Unterrichtssituationen, die dezidiert dem Leseverstehen gewidmet sind, eindeutig in der Unterzahl, auch wenn sie jeweils deutlich mehr Zeit beanspruchen (vgl. Kap.-10.3.2). In Abgrenzung zu Annas insgesamt sehr hoher und aktiver Unterrichtsbeteiligung sinkt ihre mündliche Mitarbeit ausschließlich bei Aufgabenstellungen, die ein lautes Vorlesen von Notizen oder Texten verlangen. Dies bezieht sich insbesondere auf Vorlesesituationen, die für die Schüler: innen nicht antizipierbar sind, die also spontan im Unterrichtsgeschehen entstehen und nicht vorbereitet werden können. Darauf wurde auch im Rahmen des Interviews Bezug genommen: I: Genau ähm wie ist das für dich so eine Situation, ähm wenn du, sage ich mal, laut was vorlesen musst im Französischen vor der Gruppe? A: Also im Französischen finde ich es gar nicht so schlimm, weil halt wir alle noch nicht das perfekte, nicht die perfekte Aussprache haben und äh klar, wie Sarah oder Julia, die können es. Und die anderen werden halt öfters verbessert oder mal weniger, mal mehr und ich meine, dann ist es halt so. Dann werde ich halt mehr verbessert, aber es fällt gar nicht so groß auf. (Anna: Zeilen 694-703) Anna schwächt die Herausforderungen, die Vorlesesituationen im Französischunterricht für sie mit sich bringen, zunächst ab, indem sie diese als weniger „schlimm“ einordnet. Dies wird von ihr jedoch nicht positiv formuliert, sondern stellt eine negativ besetzte Situation nur als „geringeres Übel“ dar - eine semantische Leerstelle des Satzes besteht in dem nicht ausformulierten, aber implizierten Vergleich mit wirklich belastenden Situationen („gar nicht so schlimm [wie]“). Der Kausalzusammenhang, warum das Vorlesen im Französischen weniger belastend bzw. herausfordernd sei, wird über eine soziale Bezugsnorm begründet: Die Lerngruppe wird von Anna als Einheit dargestellt, die dadurch zusammengehalten wird, dass alle Schüler: innen Verbesserungsbedarf im Bereich der Aussprache aufweisen („wir alle“). An dieser Stelle fällt auf, dass das Vorlesen von Anna vorrangig mit der Aussprache assoziiert wird, die als „sprachliches Mittel“ (z. B. KMK 2004 a : 9) nur einen Teil des zugehörigen Kompetenzbereichs darstellt. Innerhalb der Lerngruppe heben sich aus Annas Perspektive lediglich die leistungs‐ stärksten Schülerinnen Sarah und Julia, die auch das Vorlesen gut beherrschen, von den „anderen“ Lernenden ab - mit dieser Untergruppe kann sich wiederum Anna identifizieren. 10.3 Anna als Leserin im Französischunterricht 237 76 Auch wenn die Lehrkraft als korrigierende Instanz hier nicht explizit gemacht wird, deuten die Unterrichtsbeobachtungen darauf hin, dass diese explizite Beziehung hergestellt wird, denn aus‐ schließlich die Französischlehrerin selbst nimmt Verbesserungen im Rahmen von Vorlesesituationen vor. Die Schüler: innen werden von der Lehrkraft in unterschiedlichem Maße korrigiert, 76 was als Fakt und von Anna auch in Bezug auf ihre eigenen Beiträge akzeptiert wird („dann ist es halt so“): Auch wenn die Lehrerin in ihrem Fall vermehrt interveniere, hebe sie dies nicht grundsätzlich von ihren Mitschüler: innen ab. Das wahrgenommene Nicht-Abweichen von der sozialen Bezugsnorm erscheint folglich für eine positivere Einschätzung von Vorlese‐ situationen im Französischen ausschlaggebend. Dies steht in einem gewissen Widerspruch zu der tatsächlich herabgesetzten Unterrichtsbeteiligung Annas bei vorlesebezogenen Aufgabenstellungen, die sich während der Unterrichtsbeobachtungen gezeigt hat. Da bereits anklingt, dass für Anna das laute Vorlesen auch Schwierigkeiten mit sich bringt, stellt die Interviewerin eine Rückfrage zu Annas Vorgehensweise bei entsprech‐ enden Arbeitsaufträgen: I: Gehst du denn auf eine bestimmte Art und Weise dann vor, wenn du einen längeren Text vorlesen sollst, vor einer Gruppe? Also ähm bereitest du das irgendwie besonders vor oder so? A: Ja, ich lese mir den Text dann vorher ein paar Mal durch, dass ich dann halt wirklich sicher bin, ok, jetzt kann ich ihn vorlesen. Und mache mir dann halt auch ähm über die Wörter, die halt anders ausgesprochen werden, mache ich ähm schreibe ich mir halt einfach so, wie man es ausspricht, drüber. (Anna: Zeilen 704-713) Anna gibt an, (wenn möglich) vorzulesende Texte einige Male durch leises Lesen vorzuber‐ eiten, um sich die Aussprache vor Augen zu führen. Anna hat für sich ein Hilfssystem entwickelt, um Schwierigkeiten bei der Buchstaben-Laut-Zuordnung zu begegnen und die jeweilige Aussprache während des Vorleseprozesses für sich zügig abrufbar zu machen (vgl. Abb.-24). Anna nutzt eine eigene, individuell verständliche „Lautschrift“, die sich an den deutschen Phonem-Graphem-Relationen und nicht an den Zeichen des IPA orientiert, z. B. [plüm] für frz. plume [plym] ‚Feder‘. Entscheidend ist hier, dass Anna eine für sich passende Kompensationsstrategie in Form eines Notationssystems gefunden hat, das ihr dabei hilft, zumindest gelegentlich in Plenumssituationen laut vorzulesen. Diese Befunde plausibili‐ sieren zugleich, warum Anna im Rahmen spontaner Vorlesesituationen eine deutlich geringere Unterrichtsbeteiligung aufweist als bei vorbereiteten bzw. antizipierbaren Vor‐ lesesituationen. 10.3.4 Zwischenfazit: Perspektiven für die Leseförderung Anna zeigt als Leserin im Französischunterricht ein vergleichsweise gering ausgeprägtes Schwierigkeitsprofil: Im Bereich basaler Lesefertigkeiten weist Anna keine Defizite auf, denen anhand von Hilfsmitteln oder Differenzierungsmaßnahmen begegnet werden müsste. Im Be‐ reich des Leseverstehens kann sie unter Anwendung bereits bekannter Lesestrategien Texte 238 10 Fallanalyse „Anna“ hinreichend erschließen und diese zur (kreativen) Weiterarbeit im Französischunterricht nutzen. Auch gelingt es der Schülerin, potenzielle Defizite im Bereich der Aussprache bzw. des lauten Vorlesens über verschiedene Strategien weitestgehend zu kompensieren: Diese liegen insbesondere im Bereich sozialer Ressourcen und kommen dann zur Geltung, wenn Anna eine Vorbereitung entsprechender Unterrichtssituationen ermöglicht wird. Gerade hinsichtlich der Übertragbarkeit auf die häusliche Weiterarbeit bzw. außerunterrichtliche Kommunikationssituationen könnte eine noch größere Wirkung entfaltet werden, wenn weitere hilfsmittelbasierte oder sprachbezogene Lern- und Kompensationsstrategien etabliert würden. Spontane bzw. nicht antizipierbare (Vor-)Lesesituationen stellen demgegenüber einen problembehafteten Bereich dar, dem Anna auch anhand von Vermeidungsstrategien begegnet. Hier schließt primär die Frage nach geeigneten Konzepten an, die auf soziale, affektive und motivationale Aspekte der Leseförderung, beispielsweise in Form von „Stütz‐ strategien“ (vgl. Philipp 2015 b : 214 f.), abzielen (vgl. Kap.-2.1.2.2). 10.4 Anna als Schreibende im Französischunterricht Anna konnte als Leserin charakterisiert werden, die anhand unterschiedlicher, vorrangig kognitiver und sozialer Strategien schwierigkeitsbesetzte Lesesituationen des Französischun‐ terrichts bewältigt. Dies bestätigt sich auch für die Teilkompetenz des Schreibens: Zwar weist Anna in allen Bereichen der sprachlichen Mittel im Vergleich zu ihren Mitschüler: innen überdurchschnittliche Schwierigkeiten auf (vgl. Kap. 10.4.1), jedoch kann sie diese - je nach Schreibanlass-- anhand von Kompensationsstrategien (vgl. Kap.-10.4.3) bzw. durch hilfsmittel‐ basierte (Recht-)Schreibstrategien (vgl. Kap.-10.4.4) in einem gewissen Maße ausgleichen. 10.4.1 Schülerleistungen im Bereich des (Recht-)Schreibens Annas Schreibleistung wird zunächst über den Vergleich zum Gesamtkorpus der Schreib‐ produkte aller Schüler: innen betrachtet. Dies erfolgt entlang der Fehlerkategorien „Lexik“, „Grammatik“ und „Orthographie“, was für einen globalen Überblick über besonders schwierigkeitsbesetzte Bereiche sorgt (vgl. Kap. 10.4.1.1). Anschließend wird die Kategorie der Rechtschreibfehler weiterführend analysiert, um Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Teilkorpora zu identifizieren (vgl. Kap. 10.4.1.2) bzw. Besonderheiten von Annas Rechtschreibprofil aufzuzeigen (vgl. Kap.-10.4.1.3). - 10.4.1.1 Fehlerhäufigkeiten im Gesamtkorpus Im Rahmen des Französischunterrichts müssen Anna und ihre Mitschüler: innen Schreib‐ anlässe bewältigen, die in Umfang, Zielsetzung und Komplexität stark divergieren. Neben reproduktiven Schreibanlässen wie Tafelabschriften oder dem Umgang mit Textbausteinen (vgl. Kap. 10.4.2) werden gelenkte und freiere Schreibaufträge im Rahmen von Unterrichts‐ situationen sowie Kontexten der Leistungsüberprüfung gestellt (vgl. Kap. 10.4.3). Diese umfassen beispielsweise die Beschreibung der Lieblingsstadt oder das Verfassen einer Postkarte an französische Freund: innen. 10.4 Anna als Schreibende im Französischunterricht 239 Die folgende Übersicht weist den Umfang der Teilkorpora und die Gesamtzahl der jeweiligen Fehler als absoluten und relationalen Wert (in Form des Fehlerindex) aus: - Wortanzahl Teilkorpora Orthographie/ Fehlerindex Grammatik/ Fehlerindex Lexik/ Fehlerindex Anna 584 60/ 10,3 35/ 6,0 22/ 3,8 Julia 650 17/ 2,6 28/ 4,3 12/ 1,8 Marcel 218 6/ 2,8 8/ 3,7 3/ 1,4 Nicolas 455 11/ 2,4 23/ 5,1 12/ 2,6 Sarah 597 26/ 4,4 21/ 3,5 8/ 1,3 Tab. 9: Fall „Anna“: Übersicht über die Wortanzahlen der Teilkorpora und die Häufigkeiten verschie‐ dener Fehlertypen Die Schüler: innen Julia, Nicolas und Sarah haben wie Anna alle Unterrichtsstunden des Beobachtungszeitraums besucht und entsprechende Schreibaufträge bearbeitet; die Teilkorpora der vier Schüler: innen erscheinen folglich vergleichbar. Der Umfang der Schreibprodukte, der für den Schüler Marcel (218 Wörter) erhoben werden konnte, weicht jedoch deutlich von den Teilkorpora der übrigen vier Schüler: innen ab. Dies liegt vorrangig darin begründet, dass Marcel fast 70 % der beobachteten Unterrichtszeit versäumte und schriftliche Arbeitsaufträge im Unterricht nur eingeschränkt bzw. im Rahmen von Haus‐ aufgaben überhaupt nicht bearbeitete. Bei der globalen Betrachtung der drei Kategorien fällt auf, dass sich die Fehlerprofile der Französischlernenden ganz unterschiedlich darstellen: Beispielsweise sind im Fall der insgesamt sehr leistungsstarken Schülerin Sarah lexikalische und orthographische Fehler vorrangig in zahlreichen tentativen Schreibungen begründet, die sie ausgehend von ihrer Zweitsprache, dem Rumänischen, produktiv ableitet (z. B. *foc d’artifice → feu d’artifice ‚Feuerwerk‘; rumän. foc de artificii). Nicolas weist demgegenüber einen Fehlerschwerpunkt im Bereich der Grammatik auf, der sich insbesondere in Schwierigkeiten bei der Verbkon‐ jugation und präpositionalen Anschlüssen zeigt (z. B. *Sophie demande il a faim […] → Sophie demande s‘il / dit qu’il a faim […] ‚Sophie fragt, ob er Hunger habe‘). Annas Teilkorpus zeigt in allen drei Fehlerkategorien die höchsten absoluten und relationalen Fehlerwerte: Während sich in den Bereichen der Grammatik und Lexik ihre Werte nur gering‐ fügig von denen ihrer Mitschüler: innen unterscheiden, hebt sich Annas Fehlerindex im Bereich der Rechtschreibung besonders deutlich von allen anderen Lernenden ab. Anna macht in allen erfassten Schreibprodukten insgesamt 60 Rechtschreibfehler; dies entspricht einem Wert von 10,3 Rechtschreibfehlern auf 100 Wörter. Dies weist nicht nur auf eine stärkere Ausprägung der orthographischen Schwierigkeiten Annas im Vergleich zu ihren Mitschüler: innen hin, sondern zeigt auch ein Ungleichgewicht innerhalb ihres eigenen Fehlerprofils gegenüber den Bereichen der Grammatik und Lexik. Diese Beobachtung verstärkt sich dadurch, dass Anna aufgrund des Nachteilsausgleichs als einzige Schülerin sowohl in Unterrichtsals auch in Klausursituati‐ onen auf ein einsprachiges, elektronisches Wörterbuch zurückgreifen kann, das sie für eine Verbesserung ihrer orthographischen Leistung nutzt: Dennoch weicht ihre Rechtschreibleistung 240 10 Fallanalyse „Anna“ deutlich negativ von derjenigen ihrer Mitschüler: innen ab. Dies wird insbesondere bei rein reproduktiven Schreibaufträgen im Unterrichtsgeschehen wie z. B. Tafelabschriften deutlich (vgl. weiterführend Kap.-10.4.2). Die detailliertere Analyse freierer Schreibprodukte zeigt jedoch, dass Anna inhaltliche Dimensionen von Schreibaufträgen in der Regel ausreichend erfüllen kann und Schwierigkeiten in den Bereichen des Satzbaus und der Lexik gegenüber ihren Rechtschreibfeh‐ lern weitreichendere Konsequenzen für eine gelingende schriftliche Kommunikation haben (vgl. Kap.-10.4.3). - 10.4.1.2 Orthographische Leistungen der Schüler: innen im Überblick Während im vorherigen Kapitel eine Einordnung der orthographischen Fehlerkategorie im Vergleich zu lexikalischen und grammatischen Schwierigkeiten erfolgte, wird im Folgenden die Kategorie der Rechtschreibfehler genauer untersucht. Auch für Anna stellt sich die Frage, inwieweit sie auf quantitativer bzw. qualitativer Ebene vergleichbare Schwierig‐ keiten wie ihre Mitschüler: innen aufweist: Macht sie im Bereich der Rechtschreibung womöglich mehr und/ oder andere Fehler als ihre Mitschüler: innen ohne LRS? Die folgende Übersicht zeigt, welche orthographischen Fehlertypen in den jeweiligen Teilkorpora der Lernenden wie häufig zu finden sind: - Anna Julia Marcel Nicolas Sarah Gesamt Auslassungen von Buchstaben 9 2 1 1 1 14 Diakritika 10 1 - - 2 13 Elision 5 3 - 4 3 15 Falsches Graphem 8 1 - - 1 10 Fehlerinkonstanz (2) - - - - (2) Groß- und Kleinschreibung 6 - 1 - - 7 Hinzufügungen von Buchstaben 4 - 1 1 4 10 orthographe grammaticale 9 6 2 4 7 28 Phonematische Realisierung 4 3 1 1 5 14 Reihenfolge von Buchstaben 1 1 - - 3 5 Segmentierung 2 - - - - 2 Wortzeichen 2 - - - - 2 Gesamt 60 17 6 11 26 120 Tab. 10: Fall „Anna“: Übersicht über die Häufigkeiten orthographischer Fehlertypen in den Teilkor‐ pora 10.4 Anna als Schreibende im Französischunterricht 241 77 Innerhalb der Kategorie der „Auslassungen von Buchstaben“ stellen Endlaute (*ensuit → ensuite ‚dann‘; *tout le mond → tout le monde ‚alle‘) und komplexere Mehrgraphe (z. B. *pourqoi → pourquoi ‚warum‘) Fehlerschwerpunkte dar. Nähert man sich der Datenbasis deskriptiv, fällt auf, dass die Lernenden sehr unterschied‐ liche Rechtschreibprofile aufweisen. Während einige Fehlertypen wie die Elision (z. B. *que elle va → qu’elle va ‚dass sie geht‘; *nous ne allons pas → nous n’allons pas ‚wir gehen nicht‘), die Auslassung von Buchstaben (z. B. *mond → monde ‚Welt‘; *commet → comment ‚wie‘), die phonematische Realisierung (z. B. *car → quart ‚Viertel‘; *samdie → samedi ‚Samstag‘) und die orthographe grammaticale (z. B. tu *vient → tu viens ‚du kommst‘; *gâteau → gâteaux ‚Kuchen‘) für (fast) alle Lernenden mit Schwierigkeiten verbunden sind, treten andere Fehlertypen bei Anna in vermehrter Form auf, wie im folgenden Kapitel dargelegt wird. Vor dem Hintergrund einer kontrastivlinguistischen Betrachtung des Französischen als Fremdsprache für deutschsprachige Lernende überrascht, dass es kaum zu Fehlschreibungen im Bereich der Segmentierung kommt - Phänomene des gespro‐ chenen Französisch wie die liaison oder das enchaînement hätten dies begünstigen können. Auch treten Fehlschreibungen im Bereich der diakritischen Zeichen (d. h. insbesondere der Akzentsetzung) nur bei Anna vermehrt auf, obwohl diese für alle Schüler: innen der Lerngruppe eine gänzlich neue Anforderung darstellen. - 10.4.1.3 Annas Rechtschreibprofil Annas Rechtschreibprofil kennzeichnet sich durch eine hohe Varianz: Die Schülerin begeht - neben dem höchsten Rechtschreibfehlerwert im Vergleich zu ihren Mit‐ schüler: innen - als einzige in allen orthographischen Bereichen Fehler. Jedoch treten in nur vier von elf Kategorien 60 % der Rechtschreibfehler auf: Im Bereich der diakritischen Zeichen (z. B. *aprés → après ‚nach‘; *ca → ça ‚das‘), der Auslassungen von Buchstaben 77 , der Setzung falscher bzw. zusätzlicher Grapheme (z. B. *bourjour → bonjour ‚Guten Tag‘; *marcredi → mercredi ‚Mittwoch‘) und der orthographe grammaticale (z. B. les *boucle (*dôreille) → les boucles (d’oreilles) ‚die Ohrringe‘). Hinsichtlich der Groß- und Kleinschrei‐ bung (z. B. *maroc → Maroc ‚Marokko‘), der Wortzeichen (z. B. *salons-de thé → salons de thé ‚Kaffeehaus, Teestube‘), der Setzung falscher Grapheme und der Segmentierung (z. B. *dôreille → d’oreille s. o.) zeigt sich zudem, dass Annas Mitschüler: innen in diesen Bereichen signifikant weniger bzw. gar keine Fehler produzieren. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Regeln des Französischen zur Groß- und Klein‐ schreibung vergleichsweise simpel sind (alles wird kleingeschrieben, mit Ausnahme von z. B. Eigennamen oder Feiertagen), erweist sich dieser Bereich für Anna überraschender‐ weise als schwierigkeitsbesetzt. Annas Rechtschreibfehler liegen jedoch nicht im Bereich möglicher Ausnahmefälle, sondern treten meist dann auf, wenn die Großschreibung eines Satzanfangs versäumt wird. Während sich bei Fehlschreibungen im Bereich der Groß- und Kleinschreibung - und meist auch im Fall der diakritischen Zeichen - keine Auswirkungen auf die Verständlichkeit des Geschriebenen ergeben, kann die Setzung falscher Grapheme, die nicht dem korrekten Lautbild des Worts entsprechen, die gelingende Kommunikation zwischen Schreiber: in und Rezipient: in beeinträchtigen: Es bedarf oftmals des Einbezugs kontextueller Kriterien, um zu klären, inwieweit noch ein orthographischer oder bereits 242 10 Fallanalyse „Anna“ ein lexikalischer Fehler vorliegt, z. B. wenn Anna *bourjour statt frz. bonjour ‚Guten Tag‘ oder *marcredi statt frz. mercredi ‚Mittwoch‘ notiert. Sofern - wie in Annas Fall - orthographische Fehler bei der Leistungsbewertung geringer gewichtet werden als lexikalische Fehler, wird der Versuch, bei lexikalischen Unsicherheiten das jeweilige Wort dennoch zu notieren, belohnt: Wird die annähernd richtige Wortform erreicht, handelt es sich „nur noch“ um einen Rechtschreibfehler. Demgegenüber treten Fehler im Bereich der orthographe grammaticale, die einen inte‐ grativen Zugriff auf Grammatik- und Orthographiekenntnisse erfordert, am häufigsten im Gesamtkorpus auf und stellen auch einen Fehlerschwerpunkt in Annas Teilkorpus dar. Die Französischlehrkraft wertet in Annas Fall Fehlerschreibungen wie *les gateau → les gateaux ‚die Kuchen‘ oder *elle as → elle a ‚sie hat‘ ausschließlich als Grammatikfehler. Vergleichbare Fehler werden demgegenüber - sofern das Lautbild adäquat repräsentiert ist-- im Fall „Katharina“ (vgl. Kap.-9) als Rechtschreibfehler kategorisiert und fallen damit auch unter den Notenschutz: Sprachstrukturelle Ambivalenzen des Französischen spiegeln sich hier in konkreten didaktischen Entscheidungen der Französischlehrkräfte. Fehlertypen, die häufig als sogenannte Legastheniefehler bezeichnet werden (vgl. Kap. 3.4.2), sind zwar Teil Annas orthographischer Lernersprache, liegen aber nicht in hoher Anzahl vor. So tritt die Kategorie der Umkehrung der Buchstabenreihenfolge in Annas Schreibprodukten nur einmal auf (*baue → beau ‚schön‘), was auch für Sarah und Julia zutrifft. Überdies liegt in dem Teilkorpus nur eine Fehlschreibung vor, die auf eine fehlerhafte Differenzierung rein visuell ähnlicher Buchstaben zurückzuführen sein könnte (*Qn → On ‚man‘). Auch das Phänomen der Fehlerinkonstanz, das häufig mit LRS in Verbindung gebracht wird, liegt nur zweimal vor - auch wenn es einzig in Annas Teilkorpus zu finden ist (z. B. *carte postele bzw. *carte postal → carte postale ‚Postkarte‘). Mit der korpusanalytischen Annäherung an die Schülertexte und der Ausdifferenzierung unterschiedlicher Fehlertypen in der Kategorie der Rechtschreibfehler geht eine Komple‐ xität einher, die für Annas Französischlehrkraft nicht handlungsleitend ist: Aspekte der französischen Orthographie werden im Rahmen der beobachteten Unterrichtsstunden nur punktuell und mit Bezug zu konkreten lexikalischen Einzelfragen thematisiert. Un‐ terrichtsphasen, die dezidiert einer systematischen Beschäftigung mit der französischen Rechtschreibung gelten, können demgegenüber nicht identifiziert werden und bilden eine inhaltsanalytische „Nullkategorie“ der Unterrichtsbeobachtungen im Rahmen des Falls „Anna“ (vgl. Kat. 2.4.4, Anhang „Beobachtungs- und Kategoriensystem zur Auswertung des Französischunterrichts“). Anna selbst beantwortet die Frage, inwieweit die französische Orthographie für sie schwierigkeitsbesetzt sein könnte, im Interview eher widersprüchlich. Einerseits vermutet sie für sich im Bereich der Rechtschreibung keine besonders hohe Fehlerquote (vgl. Kap. 10.2.2), andererseits benennt sie orthographiebezogene Schwierigkeiten durchaus konkret. Beispielsweise hebt sie die Schreibung unbekannten Vokabulars und die Herstel‐ lung von Phonem-Graphem-Relationen hervor: 10.4 Anna als Schreibende im Französischunterricht 243 I: Ähm noch eine Sache, die ich auch noch gerne wissen würde, wäre ähm, wie du das siehst, wie schwer es ist, im Französischen zu schreiben, also korrekt zu schreiben, auf die Rechtschreibung zu achten? […] A: Also ich glaube, wenn ein neues Wort nicht an der Tafel steht, würde ich es, also ich persönlich würde es mir falsch notieren. Ich würde es halt so notieren, wie sie es spricht. Aber meistens ist ja noch ein R dran oder E N T dran oder sonst was dran. Deswegen im Französischen fällt es mir schwer, vor allem wenn ich das Wort nicht vorher kannte. (Anna: Zeilen 245-262) Eine zentrale Herausforderung aus Sicht der Schülerin besteht darin, über die alphabetische Phase („Schreiben, wie man spricht“, vgl. Kap.-2.1.1.2) hinauszugehen und weiterführende Verschriftungsprinzipien wie die graphische Repräsentation stummer Endlaute zu verin‐ nerlichen. Dies korreliert insbesondere mit der Relevanz der Fehlerkategorien „Auslassung von Buchstaben“ bzw. „phonematische Realisierung“, die für Annas orthographisches Profil als zentral herausgearbeitet wurden. Hinsichtlich einer individualisierten Recht‐ schreibförderung kann festgehalten werden, dass gerade derart konkrete Einsichten in schwierigkeitsbesetzte Bereiche nutzbar gemacht werden können, z. B. durch Formulierung von Korrekturstrategien oder Erstellung von Fehleranalyseblättern. Im Folgenden werden reproduktive (Kap. 10.4.2) und freiere Schreibprodukte (Kap.-10.4.3) der Schülerin anhand exemplarischer Unterrichtssituationen einer genaueren Analyse unterzogen, wobei auch inhaltliche Dimensionen der Schreibaufträge relevant werden. 10.4.2 Basale Schreibfertigkeiten und reproduktives Schreiben Das kopierende bzw. reproduktive Schreiben, also beispielsweise das Abschreiben von der Tafel oder die Übertragung von Sätzen aus dem Lehrbuch in ein Heft, wird im Deutschunter‐ richt der Primarstufe bzw. im frühen Fremdsprachenunterricht dezidiert als Arbeitstechnik zur Entwicklung von Rechtschreibkompetenz eingesetzt (z. B. Lessmann 2008; Mertens 2002; Mordellet-Roggenbuck 2014: 123). Demgegenüber dient es in höheren Jahrgangs‐ stufen meist Zielen wie z. B. der Ergebnissicherung und wird eher beiläufig im Sinne eines instrumentellen Schreibens in den Unterricht eingebunden (vgl. Kap. 2.2.3.3). Dies gilt auch für Annas Französischunterricht der 12. Jahrgangsstufe: Wurden reproduktive Schreibanlässe erfasst bzw. kodiert, erfolgte keine weitere Thematisierung des jeweiligen Schreibauftrags. Im Gegenteil schien vorausgesetzt zu werden, dass die Lernenden diese ohne größere Schwierigkeiten oder Rückfragen zu bewältigen wissen. Die Auswertung des Gesamtkorpus aller Schreibprodukte Annas zeigt, dass im Bereich der „Schriftkompetenz“ (Bachmann/ Becker-Mrotzek 2017: 26 ff.), die eine Grundvorausset‐ zung für die Realisierung komplexerer Schreibprozesse darstellt, keine besonderen Beein‐ trächtigungen bestehen: Anna beherrscht das Schriftsystem und verfügt über die nötigen feinbzw. graphomotorischen Fähig- und Fertigkeiten, um auch im Französischunterricht Schreibaufträge auf dieser Ebene zu erfüllen. In allen erfassten Schreibprodukten sind ihre 244 10 Fallanalyse „Anna“ Handschrift und auch das textuelle Gesamtbild jederzeit sehr gut lesbar; Wortgrenzen werden klar abgebildet und eine Rezeption des Geschriebenen wird nicht durch zahlreiche Streichungen und Korrekturen erschwert. Auch greift Anna nicht auf besondere Stifte oder andere Assistenzsysteme zurück, die ihr im Rahmen des Nachteilsausgleichs bei LRS grundsätzlich zur Verfügung stünden (vgl. Kap. 3.5.2). Demgegenüber stellt die Dimension der Schreibgeschwindigkeit bzw. der Zeit, die für die Fertigstellung von Schreibaufträgen benötigt wird, ein Differenzmerkmal zwischen Anna und ihren Mitschüler: innen dar, das bei reproduktiven Schreibanlässen und im Rahmen der Klausursituation sichtbar wird (vgl. Kat. 9.1.2 der Auswertung der Beobachtungsdaten). - 10.4.2.1 Tafelabschriften Eine typische Sequenz von Annas Französischunterricht besteht darin, dass in Einzel- oder Partnerarbeit Aufgabenstellungen zu verschiedenen Kompetenzbereichen bearbeitet und die Resultate anschließend im Plenum besprochen werden, wobei die Lehrerin Ergebnisse an der Tafel oder auf dem Overheadprojektor notiert, damit die Schüler: innen diese in ihre Hefte übertragen können. Folgendes Schreibprodukt zeigt eine Tafelabschrift Annas, die im Kontext der Arbeit an dem Grammatikthema der direkten (discours direct) und indirekten Rede (discours indirect) als klassische Ergebnissicherung entstanden ist: Abb. 25: Fall „Anna“: Tafelabschrift le discours direct 10.4 Anna als Schreibende im Französischunterricht 245 78 Das Tafelbild bestand aus folgenden weiteren Elementen, die nicht übertragen wurden: „Qu’est-ce que tu vas faire ? - Il veut savoir ce qu’elle va faire. / Qu’est-ce qui t’arrive ? - Il demande ce qu’il m’arrive. / Merken: Ich achte auf die Possessivbegleiter und wandle sie um. Ich achte auf Person und Verb. Aus einer est-ce que-Frage wird ‚si‘ = ‚ob‘.“ Anna gelingt es, circa die Hälfte des Tafelbilds im Rahmen der zur Verfügung stehenden Zeit in ihr Heft zu übertragen. 78 Diejenigen Sätze bzw. Fragen, die sie abschreibt, werden sprachlich relativ korrekt und gut lesbar übertragen. Zählt man den Wiederholungsfehler *pourqoi hinzu, findet sich dennoch in fast jedem Satz ein Rechtschreibfehler, z. B. *Jeremie → Jéremie; faire *attontion → faire attention ‚aufpassen‘ oder *Pourqoi → Pourquoi ‚warum‘. Angesichts des engen Fokus auf der Reproduktion und der hohen Übertragungs‐ genauigkeit, die zur Erfüllung des Schreibauftrags nötig sind, fällt dies aus didaktischer Sicht stärker ins Gewicht als bei freieren Schreibaufträgen, im Rahmen derer stilistische und inhaltliche Kriterien gleichermaßen relevant sind. Vergleicht man Annas Schreibprodukt mit den Abschriften der übrigen vier Schüler: innen der Lerngruppe, werden Unterschiede bei der Aufgabenbewältigung zwi‐ schen Anna und ihren Mitschüler: innen sichtbar: Während es den anderen Lernenden gelingt, das Tafelbild vollständig und praktisch fehlerfrei in ihr Heft zu übertragen, kann Anna den Schreibauftrag nur mit starken Einschränkungen erfüllen. Dabei scheint die verlangsamte Bearbeitungsgeschwindigkeit, die eine Fertigstellung der Aufgabe unmöglich macht, weitreichendere Konsequenzen zu haben als orthographische Übertragungsfehler. Diese liegen auf einer oberflächlichen Ebene und nicht in Bereichen, die im Fokus der vorherigen Unterrichtssequenz standen; sie beeinträchtigen die Verständlichkeit des Ge‐ schriebenen nicht. Kann Anna jedoch das Fazit der Stunde und insbesondere die Merksätze zur Unterscheidung des discours direct und des discours indirect nicht für sich notieren, fehlt ihr die Basis für eine eigenständige inhaltliche Weiterarbeit an dem Thema im Rahmen der Hausaufgaben-- folglich greifen an dieser Stelle Differenzierungsmaßnahmen (s. u.). Mit der Akzentsetzung, der phonematischen Verschriftung von Lauten und Schwierig‐ keiten mit Mehrgraphen sind in der Tafelabschrift Fehlerschwerpunkte vertreten, die für Annas Rechtschreibprofil typisch sind (vgl. Kap. 10.4.1.3). Dies deutet darauf hin, dass auch beim Abschreiben orthographische Wortformen aktiviert und aus dem mentalen Lexikon abgerufen werden, die in Annas Fall nicht immer korrekt angelegt sind. Auch könnte eine Rolle spielen, dass die notierten Sätze bei der Plenumsarbeit auch mündlich verbalisiert werden und sich Anna primär daran orientiert. Die Schülerin selbst führt im Rahmen des Interviews ihre Schwierigkeiten explizit auf ein zeitliches Problem zurück: „Also, wenn man es so so so liest und sowas, das geht ja. Aber wenn man halt / Ich meine es fehlt meistens im Französischunterricht einfach die Zeit, diese diese Dinge aufzuschreiben.“ (Anna: Zeilen 738-741) Die Auswertung der Beobachtungsdaten steht hier in Konvergenz zu den Befragungsdaten, da im Unterricht reproduktives Schreiben stets als parallele Aufgabe zum Unterrichtsgespräch angelegt ist und keine nachgelagerten „Abschreibphasen“ vorgesehen sind. Wie die Analyse der Unterrichtsbeteiligung Annas zeigt, bringt sich die Schülerin in diesen Situationen auch mündlich weniger aktiv in den Französischunterricht ein, als wenn der Fokus auf nur einer Aktivität liegt. Auf die beobachteten Schwierigkeiten Annas bei der Erfüllung reproduktiver Schreib‐ aufträge wird anhand einer medialen bzw. materialbezogenen Binnendifferenzierung 246 10 Fallanalyse „Anna“ reagiert (vgl. Bönsch 2009: 13 f.): Anna ergänzt ihre Tafelabschrift, indem sie entsprechende Overheadprojektorbzw. Tafelanschriften mit ihrem Handy abfotografiert. Bemerkenswert erscheint, dass sich diese Form der Kompensation als habitualisierte Vorgehensweise etabliert hat und nicht mehr explizit von der Lehrkraft oder Anna thematisiert wird. Das Ziel, Anna eine vollständige und sprachlich korrekte Ergebnissicherung zu ermöglichen, die für die individuelle Nachbereitung des Unterrichts konstitutiv ist, kann so erreicht werden. Diese Vorgehensweise wird von Anna als hilfreich bewertet und ebenfalls im Englischun‐ terricht umgesetzt (vgl. Anna: Zeilen 738-745). Mit Bezug zu Annas Französischunterricht stellt das reproduktive Schreiben einen der wenigen Anforderungsbereiche dar, in dessen Rahmen explizite Differenzierungsmaßnahmen überhaupt zur Anwendung kommen. - 10.4.2.2 Reproduktion als Element schriftlicher Aufgaben Bezieht man reproduktive Schreibanlässe in die Analyse ein, die nicht Overheadprojektorbzw. Tafelanschriften, sondern andere Materialien wie Lehrwerke oder Arbeitsblätter als schriftliche Vorlage aufweisen, ergibt sich ein positiveres Bild Annas reproduktiver Schreibkompetenz. Dies kann anhand einer Klausuraufgabe verdeutlicht werden, im Rahmen derer vorgegebene Satzteile, die in Infinitivkonstruktionen vorliegen, in bejahter oder verneinter Form in das futur composé überführt und somit teilweise abgeschrieben werden sollten: Abb. 26: Fall „Anna“: Schreibprodukt le futur composé mit reproduktiven Elementen 10.4 Anna als Schreibende im Französischunterricht 247 79 Es findet sich lediglich ein Rechtschreibfehler bei der Groß- und Kleinschreibung (*maroc → Maroc ‚Marokko‘). Der einzige Punktabzug besteht bei der mangelnden Elision/ Apostrophierung von *ne allons“ zu n’allons im vierten Satz, was nicht zu den reproduktiven Elementen der Aufgabe zählt. Das vorliegende Schreibprodukt zeigt-- stellvertretend für vergleichbare Schreibanlässe-- dass Anna durchaus in der Lage ist, eine schriftliche Vorlage vollständig und korrekt zu übertragen. 79 Dies gelingt der Schülerin auch in der Klausursituation. Besonders deutlich wird dies bei der Abschrift des dritten Satzes: Hier wird ein Fehler, der bereits in den vor‐ gegebenen Textelementen vorhanden ist, mit abgeschrieben (*leurs → leur ‚ihrer‘). Diese Befunde sprechen dafür, dass Anna grundsätzlich auf die instrumentelle Schreibfertigkeit zurückgreifen kann und reproduktive Schreibaufträge nicht per se eine Überforderung darstellen. Dies hätte vermutet werden können, da für die Reproduktion der integrierte Rückgriff auf Lese- und Schreibfertigkeiten vonnöten ist: Vor dem Hintergrund vorlieg‐ ender LRS hätte auch in der hinreichend exakten Entschlüsselung des abzuschreibenden Texts ein grundlegendes Problem bestehen können. Es liegt nahe, dass sich im Fall der Tafelabschriften, die eine höhere handschriftliche Varianz des Ausgangstexts und eine größere visuelle Distanz der Schülerin zu dem abzuschreibenden Text mit sich bringen, die Anforderungen des reproduktiven Schreibens für die Schülerin erhöhen. Die Auswertung aller reproduktiven Schreibanlässe weist darauf hin, dass für Anna in diesem Anforderungsbereich ein zu geringes Zeitfenster bzw. eine hohe Bearbeitungsge‐ schwindigkeit besonders schwierigkeitsgenerierend wirken. Zudem scheint die Parallelität von Anforderungen in Unterrichtssituationen, im Rahmen derer Ergebnisse im Plenum zugleich verbalisiert und abgeschrieben werden müssen, zu Überforderungen zu führen - dies ist wider Erwarten für die anderen Schüler: innen der Lerngruppe nicht beobachtbar. Aus dem Zusammenspiel dieser Faktoren ergeben sich für Anna besonders schwierigkeits‐ besetzte Situationen, die den anderen Schüler: innen der Lerngruppe keine identifizierbaren Probleme zu bereiten scheinen. Mit der medienbzw. materialbezogenen Differenzierung wurde jedoch ein effektives Mittel zur Kompensation gefunden. Entscheidend ist, dass mit dem alternativen Weg der Ergebnissicherung keine reine Vermeidungsstrategie gewählt, sondern ein Training des Abschreibens weiterhin gefordert ist. 10.4.3 Gelenktes und freie(re)s Schreiben Neben rein reproduktiven Schreibanlässen begegnen Anna und ihre Mitschüler: innen im Kontext des Französischunterrichts zahlreichen Schreibaufträgen, die beispielsweise der Bearbeitung von Aufgaben dienen (writing to learn) oder das Schreiben als komplexe Zielkompetenz anvisieren (learning to write). Diese kennzeichnen sich durch graduelle Un‐ terschiede der „Vorlagengebundenheit“ (vgl. Portmann 1991: 475) und eröffnen somit ver‐ schiedene sprachliche und inhaltliche Gestaltungsmöglichkeiten bzw. Herausforderungen. - 10.4.3.1 Unterrichtssituationen: Décrire sa ville préférée Ein Schreibanlass, der exemplarisch für die Analyse des Umgangs mit gelenkten bzw. frei(er)en Schreibaufträgen herangezogen werden kann, besteht in dem Verfassen einer Beschreibung der eigenen Lieblingsstadt. Im Rahmen des Unterrichts wurde in Form einer 248 10 Fallanalyse „Anna“ Plenumsarbeit relevantes Vokabular zum Thema „Stadt“ zusammengetragen und an der Tafel als Mindmap festgehalten. So wurde der folgende Schreibauftrag („Décrivez votre ville préférée en quelques phrases.“) lexikalisch vorentlastet. Eine weitere Anbahnung oder Vor‐ bereitung des Schreibauftrags, z. B. hinsichtlich möglicherweise relevanter syntaktischer Strukturen oder Chunks, erfolgte nicht, sodass die Schüler: innen den Text relativ frei gestalten konnten. Die folgende Abbildung zeigt Annas Arbeitsergebnis: Abb. 27: Fall „Anna“: Schreibprodukt ma ville préférée Anna erstellt im Rahmen der 15-minütigen Einzelarbeitsphase ein Schreibprodukt im Umfang von 41 Wörtern und liegt damit in Bezug auf die Textlänge im Durchschnitt der Lerngruppe. Den relativ offenen Schreibauftrag erfüllt sie anhand basaler, paratakti‐ scher Strukturen: Anna gelingt es, wesentliche Merkmale, die für die Beschreibung einer Lieblingsstadt relevant sein könnten, in ihren Text zu integrieren. Dazu zählen Aspekte wie Natur, Parkanlagen, der botanische Garten oder ein Wochenmarkt; entsprechendes Vokabular wurde jedoch umfassend im Plenum vorentlastet, sodass hier die Eigenleistung im Bereich der Lexik eher gering ausfällt. Die einzelnen inhaltlichen Aspekte werden aufgezählt; auf Konjunktionen oder Nebensatzstrukturen wird verzichtet. Das Gesamtbild der Lerngruppe ist in dieser Hinsicht heterogen: Während Annas Mitschüler Marcel ebenfalls ausschließlich auf inhaltlich unverbundene Hauptsätze zurückgreift, finden sich bei Julia und Sarah komplexere syntaktische und lexikalische Verbalisierungsversuche (z. B. heißt es im einem Schreibprodukt Julias: „Il y a beaucoup de nature, par *example le jardin botanique, mais on peut aussi faire du shopping au […].“). Ausgehend von der relativ geringen Komplexität der sprachlichen Strukturen, die Feh‐ lerquellen auf einer eher basalen sprachlichen Ebene eröffnen, weist Annas Schreibprodukt auf verschiedene schwierigkeitsbesetzte Bereiche bei der Umsetzung des Schreibauftrags hin: Zum einen ist dies auf lexikalischer und syntaktischer Ebene die Differenzierung von frz. être ‚sein‘ und frz. il y a ‚es gibt‘, u. a. im Satz *„marcredi et samdie est un grand marché“. Hier müsste „il y a“ verwendet werden, da der Satz nicht per Subjekt eröffnet wird („Le mercredi et le samedi, il y a un grand marché.“). Zudem bestehen Schwierigkeiten im grammatischen Bereich, wie bei der Artikelverwendung (*le Natur → la nature ‚die Natur‘) oder der Konjugation von Verben (*je préféree → je préfère ‚ich bevorzuge‘). Im Bereich der Lexik greift Anna an fünf Stellen auf Vokabular zurück, das zuvor in Form der Mindmap zusammengetragen wurde (ma ville préférée, une université, la fontaine, le jardin botanique, 10.4 Anna als Schreibende im Französischunterricht 249 un marché). Anna integriert diese lexikalischen Elemente adäquat in ihren Text bzw. nutzt diese im Fall von *la ville d’université (→ la ville universitaire ‚Universitätsstadt‘) produktiv zur Wortbildung. Im Bereich der Orthographie sind Fehlschreibungen zu beobachten, die verschiedenen Kategorien zuzuordnen sind: Dazu zählen sowohl die Großschreibung von *Natur → nature ‚Natur‘, die Verwechslung der Reihenfolge von Buchstaben *baue → beau ‚schön‘ bzw. *samdie → samedi ‚Samstag‘ oder die Wahl falscher Grapheme bei *marcredi → mercredi ‚Mittwoch‘. Während sich die Fehler im Bereich der Orthographie jedoch nicht allzu sehr auf die Verständlichkeit des Geschriebenen auswirken dürften, erscheint die Arbeit an den sogenannten präsentativen syntaktischen Strukturen être und il y a (frz. présentatif; Riegel et al. 2009: 760), die für die französische Sprache konstitutiv sind und im zweiten Lernjahr beherrscht werden sollten, dringlicher. Hinsichtlich der Organisation des Schreibprozesses fällt auf, dass die Französischlehr‐ kraft die Phasen der préparation und der rédaction du texte explizit ankündigt; die correction du texte wird demgegenüber nicht anmoderiert und schließt individuell an die vorherige Arbeitsphase an. Dabei sind die Schüler: innen selbst für das Zeitmanage‐ ment verantwortlich, sodass sich Zeit und Aufmerksamkeit, die für die abschließende Korrekturbzw. Überarbeitungsphase aufgebracht werden, deutlich unterscheiden. Aus den Unterrichtsbeobachtungen geht hervor, dass Anna die vollen 15 Minuten für die Texterstellung benötigt und keinen abschließenden Korrekturdurchgang realisiert. Im Gegenteil geht sie aus der Phase der Textproduktion direkt in das anschließende Plenumsgespräch über, in dessen Rahmen primär übergeordnete inhaltliche Aspekte der Schülertexte im Fokus stehen. Folglich liegt nahe, dass auf der Ebene der sprachlichen Korrektheit ein besseres Ergebnis hätte erzielt werden können, wäre die rédaction du texte als eigene Phase genutzt worden. - 10.4.3.2 Klausursituationen: Écrire une carte postale Ein weiteres Beispiel freien Schreibens wird im Folgenden aus der Klausur bezogen, die den Abschluss der beobachteten Unterrichtsreihe bildet. Im Teil der Textproduktion wird den Schüler: innen die Aufgabe gestellt, eine Postkarte aus dem Urlaub an eine: n französische: n Freund: in zu schreiben („Écris une carte postale de tes vacances à un/ e ami/ e français/ e.“). Die relativ offene Aufgabenstellung bietet den Schüler: innen Gestaltungsmög‐ lichkeiten auf inhaltlicher wie sprachlicher Ebene: Es erfolgt lediglich eine Präzisierung, dass Ereignisse in Vergangenheit, Gegenwart und naher Zukunft thematisiert und das Wetter, drei Aktivitäten und der jeweilige Ort genannt werden sollten (s. u.). Bei offeneren Schreibaufträgen ist zudem gefordert, dem eigenen Text eine angemessene Struktur zu geben und bestimmte Textsortenkonventionen einzuhalten. Die parallelen Anforderungen des „Schreibprozessmanagement[s]“ (Krings 2016: 107) bewirken eine erhöhte Komplexität, die aus didaktischer Sicht anhand einer Phasierung des Schreibprozesses bewältigt werden könnte (vgl. Kap. 2.2.2). Im Folgenden sind Annas carte postale und die Korrekturen der Lehrkraft abgedruckt: 250 10 Fallanalyse „Anna“ Abb. 28: Fall „Anna“: Schreibprodukt carte postale Bewertung des Schreibprodukts durch die Lehrkraft Für die Bewertung der Aufgabe stehen jeweils zehn Punkte für den „Inhalt“ und die „Sprach‐ richtigkeit“ bzw. den „Stil“ zur Verfügung. Legt man die von der Lehrkraft definierten, kri‐ terienorientierten Bewertungsmaßstäbe an, ist hervorzuheben, dass Anna die inhaltlichen Anforderungen des Schreibauftrags vollumfänglich erfüllt, was sich in dem Erreichen der vollen Punktzahl in diesem Bereich widerspiegelt. In Annas Text zeigt sich dies u. a. in der Wahl einer passenden Einleitungs- und Schlussformel und der Schilderung verschiedener Aktivitäten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Hauptteil der Postkarte. Diese inhaltlichen Dimensionen können nur realisiert werden, wenn auf sprachlicher Ebene das Kriterium der Verständlichkeit erfüllt ist und die schriftliche Kommunikation gelingt, d. h. der Text durch die Rezipient: innen entschlüsselt und verstanden werden kann. Diese Grundannahme könnte in Widerspruch zu der Anmerkung der Lehrkraft unter dem Text stehen. Dort heißt es: „19 Aspekte (nicht alles verständlich)“. Da Anna mehr inhaltliche Aspekte niederschreibt als gefordert, kann die Lehrkraft dennoch zehn Inhaltspunkte vergeben - sprachliche Defizite, die sich auch auf die inhaltliche Bewertung auswirken, werden so kompensiert. Bei der Bewertung der inhaltlichen Ebene scheint es unerheblich, dass die einzelnen Aktivitäten und Schilderungen relativ unverbunden anhand basaler syntaktischer Strukturen aufgeführt und die geforderten temporalen Dimensionen des futur bzw. passé composé erst nachträglich hinzugefügt werden (siehe den mit Sternchen markierten Zusatz im unteren Bereich des Schreibprodukts). Der Vergleich mit der sozialen 10.4 Anna als Schreibende im Französischunterricht 251 80 Die Lehrkraft greift zur Bewertung der Schülerleistung auf die lexikalischen Fehlerkategorien „exp“ = expression ‚Ausdruck‘ und „mot“ ‚Wort‘; auf die grammatischen Fehlerkategorien „gr“ = grammaire ‚Grammatik‘, „prép“ = préposition ‚Präposition‘ und „art“ = article ‚Artikel‘ sowie die übergreifende Fehlerkategorie „orth“ für Rechtschreibfehler zurück. Die Fehlerpunkte müssen hier von der reinen Fehlerzahl abgegrenzt werden, denn z. B. Wiederholungsfehler werden nur mit einem halben Fehlerpunkt versehen. Bezugsnorm der Lerngruppe legt offen, dass auch Sarah, Julia und Nicolas die volle Punktzahl im inhaltlichen Bereich erreichen, was für eine relativ großzügige Bewertung spricht; Marcel bearbeitet demgegenüber die Aufgabe nicht. Gleichauf mit der leistungsstärksten Schülerin Sarah verfasst Anna mit 95 Wörtern den umfangreichsten Text. Dabei macht sie - auch unter Anwendung von Nachteilsaus‐ gleich und Notenschutz - im Vergleich zu ihren Mitschüler: innen die meisten Fehler: Hinsichtlich der Sprachrichtigkeit und des Stils erreicht Anna sechs von zehn möglichen Punkten. 80 Annas Text weist insgesamt 13,5 Fehlerpunkte auf, die sich auf die Lexik (sechs Fehlerpunkte), die Grammatik (6,5 Fehlerpunkte) und die Orthographie (ein Fehlerpunkt) verteilen. In der Kategorie der orthographischen Fehler finden sich drei weitere Fehler, die seitens der Lehrkraft als „LRS-Fehler“ markiert und nicht in die Bewertung der „Sprachrichtigkeit“ einbezogen wurden - hier greift die Maßnahme des Notenschutzes (s. u.). Auf der Ebene der Fehlerqualität ist entscheidend, dass nur Annas Schreibprodukt seitens der Lehrkraft mit der Anmerkung „nicht alles verständlich“ versehen wird: Dies könnte sich insbesondere auf Sätze beziehen, bei denen das Hauptverb fehlt und der präpositionale Anschluss nicht korrekt realisiert ist (z. B. *Je natation de mer. → Je fais de la natation dans la mer. ‚Ich schwimme im Meer.‘) oder *Nous balade de pied de le mer la plage. → Nous faisons une balade à pied à la plage. ‚Wir machen einen Strandspaziergang.‘). Weniger wahrscheinlich erscheint, dass die vier Rechtschreibfehler zu der schweren Verständlichkeit mancher Textpassagen substanziell beitragen. Blickt man bei der Analyse der Schülerleistungen im Bereich des freien Schreibens bottom-up auf die Lerngruppe, sticht nicht ausschließlich Anna als Schülerin hervor, die einer vermehrten Förderung in Bezug auf die geforderte Kategorie der Sprachrichtigkeit bedarf. Vielmehr stünden auch Nicolas, dessen Text ebenfalls eine hohe relative Fehlerhäufigkeit aufweist, und Marcel, der die Schreibaufgabe gar nicht bearbeitet, im Fokus potenzieller Schreibförderung. Umsetzung des Nachteilsausgleichs Gemäß dem LRS-Konzept der Schule stehen Anna im Rahmen des Nachteilsausgleichs die Nutzung eines einsprachigen, elektronischen Wörterbuchs und ein Drittel mehr Bearbeitungszeit bei schriftlichen Leistungsüberprüfungen zur Verfügung. Außerdem wird eine Form des Notenschutzes, d. h. die Nicht-Bewertung von Rechtschreibfehlern bei der Schreibproduktion, gewährt. Weitere Maßnahmen wie eine höhere Gewichtung mündlicher Leistungen oder die Erbringung von Ersatzleistungen, die im Kontext des Fremdsprachenunterrichts möglich wären (vgl. Gerlach 2019 a : 77), werden in Annas Fall nicht umgesetzt. Der Einsatz einsprachiger Wörterbücher zielt primär auf die Reduktion orthographischer und lexikalischer Fehler ab. Damit diese Maßnahme des Nachteilsausgleichs ihre Wirkung entfalten kann, bedarf es nicht nur eines ausreichenden Zeitfensters und eines geübten 252 10 Fallanalyse „Anna“ Umgangs mit dem Wörterbuch im Sinne einer Methodenkompetenz, sondern auch eines ausgeprägten „Rechtschreibgespür[s]“ (Widmer 2019 b : 7) seitens der Schüler: innen. Dieses sorgt dafür, überhaupt auf potenzielle Fehlschreibungen in eigenen Texten zu stoßen, diese zu prüfen und ggf. zu korrigieren. Im Bereich der orthographe grammaticale, die für Anna und ihre Mitschüler: innen einen Fehlerschwerpunkt darstellt (vgl. Kap.-10.4.1.2), kann ein Wörterbuch jedoch nicht weiterhelfen: So bestimmen beispielsweise im Fall der Kongruenz von Adjektiven und Nomen lokale grammatische Beziehungen die korrekte Schreibung der Endlaute der Wörter, was nicht im Wörterbuch nachgeschlagen werden kann (z. B. ma ville préférée). Dennoch bewertet Anna die Nutzung des einsprachigen Wörterbuchs als hilfreiche Unterstützung im Rahmen von Klausursituationen: I: In welcher Weise hilft dir das? Oder wie benutzt du das? A: Einfach nur gucken, ob die Wörter äh richtig geschrieben sind. […] Wenn du nicht genau weißt, wie das Wort heißt, aber die Anfangsbuchstaben hast, kannst du es viel schneller im Wörterbuch finden. Aber es ging jetzt auch, in der Klausur ging es jetzt auch. Äh, weil ich halt einfach nur nachprüfen wollte, ob ich es richtig geschrieben habe. […] (Anna: Zeilen 949-968) Dies korreliert mit der Beobachtung der Klausursituation, im Rahmen derer Anna drei‐ zehnmal auf ihr Wörterbuch zurückgreift. Während in der Klausur so Rechtschreibfehler reduziert werden konnten, ist in Unterrichtssituationen Annas Zeitmanagement oftmals unzureichend, um (freie) Schreibprodukte systematisch auf ihre (orthographische) Korrekt‐ heit prüfen zu können. Als weitere Maßnahme des Nachteilsausgleichs steht Anna in der Klausursituation eine um ein Drittel verlängerte Bearbeitungszeit zu (d. h. 120 statt 90 Minuten). Didaktisch wird damit vorrangig auf eine systematische, vorrangig sprachliche Überarbeitung des bereits niedergeschriebenen Texts abgezielt (vgl. die Schreibphase der correction du texte, Kap. 2.2.2.2). Anna kann in der jeweiligen Klausursituation entscheiden, inwieweit sie die verlängerte Bearbeitungszeit in Anspruch nehmen möchte. Dies wird zwischen der Lehrkraft und Anna kommunikativ explizit ausgehandelt: So fragt die Französischlehrerin Anna wenige Minuten vor dem Ablauf der regulären Bearbeitungszeit, ob sie diese Form des Nachteilsausgleichs in Anspruch nehmen möchte („Brauchst du deine Extrazeit? “); dies wird von Anna verneint („Nein, danke.“) und die Klausur von der Schülerin nach anderthalb Stunden abgegeben. Annas Selbsteinschätzung ist also für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs ausschlaggebend, wobei die Frage, welche Rolle die Aushandlung der Situation vor der Gruppe der Mitschüler: innen spielt, für ihre Entscheidung durchaus relevant sein könnte. Auf die Möglichkeit einer Verlängerung der Bearbeitungszeit im Fall schriftlicher Prüf‐ ungen wurde auch in dem abschließenden Interview mit Anna seitens der Interviewerin explizit Bezug genommen: 10.4 Anna als Schreibende im Französischunterricht 253 81 Welch große Rolle soziale Akzeptanz für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs spielen kann, verdeutlicht beispielsweise das Interview mit dem Elftklässler Jan (vgl. Engelen 2021). I: Ähm Frau [Name der Lehrkraft] hat mir auch gesagt, dass dir 30 Minuten mehr Zeit zustehen würden bei den Klausuren. Also sie nannte das „Nachteilsausgleich“, dass du praktisch länger arbeiten kannst an der Klausur als die anderen? A: Das brauche ich meistens gar nicht. Weil ich dann einfach schon nicht mehr / Also ich sage mal, dann kann man sich nicht mehr konzentrieren. Und ich habe dann schon alles hingeschrieben, ich habe noch mal drübergeguckt und dann gebe ich auch ab. (Anna: Zeilen 982-990) Anna gibt im Rahmen ihrer relativ knappen Antwort an, die verlängerte Bearbeitungszeit bei Klausuren im Fach Französisch in der Regel nicht in Anspruch zu nehmen. Dies plausibilisiert sie anhand verschiedener Gründe: Erstens mangele es ihr am Ende der Leistungsüberprüfungen an Konzentration, zweitens genüge die reguläre Zeit zu einer exhaustiven inhaltlichen Bearbeitung der Klausur („alles hingeschrieben“) und drittens sei dann bereits eine Korrektur des Geschriebenen erfolgt - wobei diese eher als flüchtig und wenig strategiegeleitet beschrieben wird („noch mal drübergeguckt“). Hinsichtlich der herabgesetzten Bearbeitungsgeschwindigkeit, die in Annas Fall bei verschiedenen Lese- und Schreibanlässen beobachtbar ist, und des subjektiv empfundenen Zeitdrucks bzw. -mangels, der als rekurrentes Motiv in Annas Schilderungen erscheint, könnte es überraschen, dass die passgenau wirkende Lösung der Zeitverlängerung von Anna nicht in Anspruch genommen wird. Dem steht entgegen, dass - zumindest im Rahmen der beobachteten Französischstunden - die selbstständige Nachbearbeitung eigener Texte und mögliche Korrekturstrategien nicht thematisiert werden. Darüber hinaus könnte - ergänzend zu Annas Perspektive - reflektiert werden, in‐ wieweit eine Klärung der Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs vor der gesamten Lerngruppe eine passende Kommunikationsstrategie darstellt. Im Unterschied zu anderen betroffenen Schüler: innen benennt Anna zwar keine zwischenmenschlichen Differenzen als Grund für die Nicht-Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs und sieht sich trotz ihrer LRS als Teil der Lerngruppe (vgl. Kap. 10.3.3). 81 Dennoch stellt sich die Frage, inwieweit eine persönliche Adressierung der Schülerin oder eine Absprache außerhalb der konkreten Klausursituation noch angemessener gewesen wäre: So könnte eine eventuelle Exponierung gegenüber ihren Mitschüler: innen abgemildert und vermieden werden, dass sich Anna in der Situation gegen (potenzielle) soziale Erwartungen stellen müsste. Diese wurden im Anschluss an die Unterrichtsstunde deutlich, als Annas Mitschüler Marcel mit der Französischlehrerin in eine rege Diskussion darüber einstieg, warum ihm als Schüler, der fortwährend Probleme mit schriftlichen Leistungsüberprüfungen habe, nicht auch eine längere Bearbeitungsdauer zuteilwerde. Auch im Rahmen des abschließenden Interviews wird darauf Bezug genommen, wie die Umsetzung des Nachteilsausgleichs zwischen Anna und ihren Mitschüler: innen ausgehandelt wird: 254 10 Fallanalyse „Anna“ 82 Bei Aufgabenformaten, im Rahmen derer andere Teilkompetenzen wie z. B. das Hörverstehen geprüft werden und das Schreiben „als Mittel zum Zweck“ eingesetzt wird, gilt für alle Schüler: innen eine Nicht-Bewertung von Rechtschreibfehlern, sofern die Verständlichkeit des Geschriebenen nicht grundsätzlich beeinträchtigt wird. I: „[…] Wie nehmen das [den Nachteilsausgleich] denn so deine Mitschülerinnen und Mitschüler auf? A: Ja, die sind dann halt so: „Hä? Warum darfst du jetzt noch mal drübergucken? “. Aber ich sage dann einfach so: „Ja wegen meinen LRS, ich darf das.“ Und dann sagen die meistens so: „Ah, ok.“ Und / (…) I: Hat es da auch Situationen schon mal gegeben, wo das dich belastet hat, sage ich mal, dass Mitschüler irgendwie einen Kommentar abgegeben haben oder so? A: Nee, ich sage dann immer: „Es ist einfach so.“ Und / Und sage dann da: „Ah ja, denkt, was ihr wollt! “ (Anna: Zeilen 1043-1053) Annas Schilderungen weisen darauf hin, dass ein Nachteilsausgleich kaum ohne Einbezug der Lerngruppe umgesetzt werden kann. Denn was dezidiert der Egalisierung von Nach‐ teilen dient, die im Fall einzelner Schüler: innen durch LRS verursacht sind, ist für andere Lernende zunächst als Abweichung von einem einheitlichen gruppenbezogenen Vorgehen wahrnehmbar und könnte als Einräumen individueller Vorteile missverstanden werden. Folglich überrascht nicht, dass es zu Rückfragen seitens der Mitschüler: innen auch gegen‐ über Anna kommt. Diese scheint sich in derartigen Gesprächssituationen selbstbewusst zu positionieren und den Begründungszusammenhang LRS explizit anzuführen. Auch wenn Anna eine grundsätzliche Akzeptanz seitens ihrer Mitschüler: innen anführt, erscheint die Aushandlung nicht frei von Konflikten und muss von Anna mit Vehemenz vertreten werden, was für betroffene Schüler: innen eine erhebliche Belastung darstellen kann (vgl. Sasse 2009: 301). Wirkung des Notenschutzes Der Notenschutz, d. h. die Nicht-Bewertung von Rechtschreibfehlern, wird in Bezug auf Leistungsüberprüfungen im Fach Französisch in der Oberstufe nur mit starken Einschrän‐ kungen umgesetzt. Er gilt in Annas Fall nicht für Klassenarbeiten bzw. Klausuren insgesamt, sondern wird ausschließlich im Zusammenhang mit Rechtschreibfehlern umgesetzt, die entweder beim reproduktiven Schreiben oder im Rahmen freier Textproduktion auftreten. 82 Dies verdeutlicht, in welchen Anforderungsbereichen die Fachgruppe Französisch der Schule orthographische Korrektheit für besonders relevant hält bzw. wo besondere Auswir‐ kungen von LRS auf das Schreiben angenommen werden. Folglich kommt auch hinsichtlich der carte postale der Notenschutz zur Anwendung. Drei von vier Rechtschreibfehlern werden von der Lehrkraft markiert, jedoch nicht in die Bewertung einbezogen: *boucle d’oreille → boucles d’oreilles ‚Ohrringe‘; *bisis → bisous ‚Küsschen‘ und *je mage → je mange ‚ich esse‘. Während im Fall von *boucle d’oreille die in der gesprochenen Sprache nicht hörbare Pluralmarkierung ausgelassen wird, fällt bei *bisis die Wahl auf ein Graphem, das nicht dem korrekten Laut entspricht - nur der sprachliche Kontext (d. h. die 10.4 Anna als Schreibende im Französischunterricht 255 Schlussformel der Postkarte) ermöglicht für die Lehrkraft überhaupt noch eine Abgrenzung zu einem lexikalischen Fehler. Im Fall von *je mage wird die Auslassung eines Buchstabens im Wortstamm als Rechtschreibfehler betrachtet. Der einzige gewertete Rechtschreibfehler besteht in *la glace de frais statt la glace de fraise (korrekt müsste es heißen: Je mange de la glace à la fraise ‚Ich esse Erdbeereis.‘). Durch die Auslassung des Endvokals wird ein anderes Lexem mit abweichender Aussprache abgebildet (frais [fʀɛ] ‚kühl, frisch‘ → la fraise [fʀɛz] ‚die Erdbeere‘). Da die Fehlschreibung Konsequenzen für die Verständlichkeit des Geschriebenen haben könnte, fällt diese nicht unter den Notenschutz, auch wenn die Lehrkraft eine Kategorisierung als orthographischer und nicht als lexikalischer Fehler vornimmt. Es wird deutlich, dass Rechtschreibfehler von sehr unterschiedlicher Qualität und Auswirkung unter den Notenschutz fallen. Dieser hat in dem vorliegenden Fall der carte postale nur einen sehr begrenzten, wenn auch positiven Effekt auf die Bewertung des freien Schreibprodukts. Dies liegt auch darin begründet, dass Anna in ihrem Schreibprodukt mehr Grammatik- und Lexikals Rechtschreibfehler macht: Durch die Anwendung des Notenschutzes reduzieren sich die Fehlerpunkte innerhalb der carte postale von 16,5 P. auf 13,5 P.; auf der Ebene der gesamten Klausur fallen lediglich vier von zehn Rechtschreibfeh‐ lern unter den Notenschutz. Konkrete Entscheidungen, in welchen Anforderungsbereichen der Notenschutz überhaupt Anwendung findet, werden in Annas Fall, d. h. dem neu einsetzenden Französischunterricht in der Oberstufe, innerhalb der Fachgruppe getroffen. Hier werden das reproduktive und freie Schreiben priorisiert; auf der Ebene der Korrektur schriftlicher Leistungsüberprüfungen durch eine einzelne Lehrkraft kommen sprachstruk‐ turell begründete Entscheidungen über konkrete Rechtschreibfehler hinzu, wie am Beispiel frais/ fraise gezeigt wurde. 10.4.4 Zwischenfazit: Perspektiven für die (Recht-)Schreibförderung Der globale Zugang über den Vergleich der Schreibprodukte aller Lernenden lieferte empirische Evidenz dafür, dass Anna im Vergleich zu ihren Mitschüler: innen überdurch‐ schnittliche Schwierigkeiten im Bereich der sprachlichen Mittel aufweist. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass Art und Umfang dieser Schwierigkeiten stark an verschiedene Schreibanlässe und Zielsetzungen rückgebunden sind. Während die orthographischen Profile der anderen Schüler: innen eher bestimmte Fehlerschwerpunkte aufwiesen, zeigte sich bei Anna - neben der höheren Anzahl an Fehlschreibungen - eine große Breite an Rechtschreibfehlern. Die Betrachtung Annas als Schreibende im Französischunterricht hat zudem gezeigt, dass die Schülerin bereits über angemessene Strategien für den Umgang mit verschiedenen schwierigkeitsbesetzten Unterrichtssituationen verfügt: Wäh‐ rend im Bereich des reproduktiven Schreibens auf typische Kompensationsstrategien zurückgegriffen wird, setzt Anna bei gelenkten und freie(re)n Schreibanlässen vorrangig materialgestützte bzw. hilfsmittelbasierte Rechtschreibstrategien um, indem sie während der Textproduktion auf ihr einsprachiges Wörterbuch zurückgreift. Darüber hinaus könnte Anna vermehrt Strategien der systematischen Textüberarbeitung beim freien Schreiben (Phase der abschließenden correction de texte) anwenden. 256 10 Fallanalyse „Anna“ Weitere mögliche Unterstützungssysteme, wie z. B. eine LRS-Karte, werden von Anna demgegenüber für den Französischunterricht explizit als nicht hilfreich bewertet und ab‐ gelehnt. Mit einer LRS-Karte ist eine Art Leseschablone gemeint, die zu einer Steuerung des Lesebzw. Korrekturprozesses schriftlicher Texte beitragen kann. Indem die unmittelbare Umgebung eines Worts, dessen Schreibung korrigiert werden soll, abgedeckt wird, soll eine Fokussierung der Aufmerksamkeit unterstützt werden. Anna nutzt die LRS-Karte im Deutschen und Englischen, weshalb im Rahmen des Interviews nach einer möglichen Übertragbarkeit dieses Hilfsmittels auf den Französischunterricht gefragt wird: I: Aber würde das nicht im Französischen auch was bringen? A: Ich weiß es nicht, weil, ich meine, im Französischen lernt/ habe ich ja schon dadurch, dass ich halt die Wörter auswendig lerne und gerade neu lerne, denke ich nicht, dass das so viel bringt. Weil wenn ich es da nicht wusste, dann weiß ich auch später nicht, wie es geschrieben wird. (Anna: Zeilen 1033-1038) Anna bezieht sich bei der Thematisierung von Rechtschreibstrategien stark auf die Einzel‐ wortebene und damit die orthographe lexicale. Diese erlernt Anna anhand von Memorie‐ rungsstrategien, die auf die Verinnerlichung ganzer Wortformen abzielen („auswendig lernen“) und kann aus Annas Perspektive entweder unmittelbar bei der Niederschrift des Texts abgerufen werden - oder gar nicht. Dies impliziert im Umkehrschluss, dass Anna keine Möglichkeit sieht, auf metasprachliches Wissen im Bereich der Rechtschreibung zurückzugreifen und übergeordnete Regularitäten bei der Korrektur für sich nutzbar zu machen. Dies böte sich beispielsweise im Fall der Auslassung stummer Endvokale (z. B. *ensuit → ensuite ‚dann‘) der Elision (*de elle → d’elle ‚von ihr‘) oder der Groß- und Kleinschreibung an. Folglich könnten auch sprachsystematische Rechtschreibstrategien intensiver gefördert werden, beispielsweise eine Herleitung von Wortformen aus anderen Sprachen, Ähnlichkeiten bei Wortfamilien oder ein systematischer Zugriff auf Regulari‐ täten der orthographe grammaticale (vgl. Kap.-2.3.1.2). 10.5 Anna als Akteurin im Französischunterricht Wie bereits bei der Analyse von Annas Lese- und Schreibkompetenzen im Französischen herausgearbeitet wurde, zeigt sich die Schülerin als engagierte Unterrichtsteilnehmerin, die sich aktiv mit der französischen Sprache auseinandersetzt und reflektiert und lösungsorien‐ tiert mit individuellen Defiziten umgeht. So bearbeitet Anna zahlreiche Aufgabenstellungen auf inhaltlicher Ebene adäquat, auch wenn sie beispielsweise beim Schreiben im Vergleich zu ihren Mitschüler: innen überdurchschnittliche Defizite hinsichtlich der sprachlichen Mittel aufweist. Aufgrund ihrer ernsthaften und fleißigen Auseinandersetzung mit den Anforderungen des Französischunterrichts fällt Anna jedoch nicht als Schülerin innerhalb des niedrigen Leistungsspektrums auf, sondern erzielt bei vielen Arbeitsaufträgen ange‐ messene Ergebnisse, mit denen im Unterricht zielgerichtet weitergearbeitet werden kann. 10.5 Anna als Akteurin im Französischunterricht 257 10.5.1 Engagement und mündliche Mitarbeit Ihr Engagement spiegelt sich auch in der überdurchschnittlich hohen Unterrichtsbeteili‐ gung Annas wider, auf die die erhobenen Beobachtungsdaten hinweisen. Anna selbst formuliert hinsichtlich ihrer mündlichen Beteiligung am Französischunterricht: „Ich meine, wenn ich mich da nicht so so reinknie, sage ich mal, dann wird das auch nichts.“ (Anna: Zeile 913 f.) Anna erkennt und benennt den großen Einfluss, den sie auf das Gelingen ihres Französischlernens haben kann. Dies steht stellvertretend für Annas Grundhaltung zu schulischen Anforderungen und impliziert nicht nur das Vertrauen in die eigene Selbstwirk‐ samkeit (vgl. Bandura 1997: 116 ff.), der in der kognitiven Psychologie eine Schlüsselrolle für die Bewältigung von Herausforderungen zugeschrieben wird, sondern wird von der Schülerin auch im Sinne eines hohen Engagements beim Französischlernen umgesetzt. Beispielsweise bearbeitet Anna alle Hausaufgaben ernsthaft und lückenlos, sodass eine mündliche Mitarbeit zu Beginn der kommenden Französischstunde immer möglich ist. Lediglich im Bereich des spontanen, lauten Vorlesens zeigt sich Anna vergleichsweise zurückhaltend (vgl. Kap.-10.3.3). 10.5.2 Auseinandersetzung mit der Diagnose „LRS“ Die Beschreibung Annas als Akteurin des Französischunterrichts steht in engem Zusam‐ menhang mit der Frage, welche Aspekte des Französischlernens sie als schwierigkeitsbe‐ setzt wahrnimmt und welche Auswirkungen Anna ihren LRS beim Französischlernen beimisst. Anhand der Inhaltsanalyse des Interviews können zwei argumentative Muster herausgearbeitet werden, auf die Anna rekurriert, um mögliche Ursprünge auftretender Schwierigkeiten in Auseinandersetzung mit der französischen Sprache zu identifizieren. Zum einen benennt Anna ihre individuelle Mehrsprachigkeit bzw. das parallele Erlernen von Fremdsprachen im Schulkontext als besonders herausfordernd. Dies bezieht sie sowohl auf die unmittelbare Abfolge von Englisch- und Französischstunden im Verlauf eines Schultags als auch auf ihre persönliche Auseinandersetzung mit vier (Fremd-)Sprachen (vgl. weiterführend Kap. 10.2.2). Zum anderen identifiziert Anna einen prüfungsbezogenen Leistungs- und Zeitdruck und als (zu) hoch empfundene schulische Gesamtanforderungen als schwierigkeitsgenerierende Faktoren beim Französischlernen. Bei der induktiven Sich‐ tung derjenigen Textstellen, die der inhaltsanalytischen Kategorie „9.1.2 Empfundener Zeitdruck*“ zugeordnet wurden, kristallisierte sich die wiederholte Verwendung des meta‐ phorischen Ausdrucks „Hinterherrennen“ als prägnant heraus: Diesen nutzt Anna einer‐ seits, um die straffe inhaltliche Progression des neu einsetzenden Französischunterrichts zu betonen (z. B. „Ja, weil wir r/ rennen ja praktisch dem Stoff hinterher, sage ich mal.“ Anna: Zeile 164 f.), andererseits um die schnelle Abfolge der Leistungsüberprüfungen zu benennen (z. B. „[…] sind wir ja / rennen wir den Klausuren praktisch hinterher, ja.“ Anna: Zeile 182 f.). In Annas Perspektive kumuliert dies in einem direkten Zusammenhang zwischen der hohen Anzahl an Klausuren und einem negativen Effekt auf bisher im Rahmen ihres LRS- Förderkurses erzielte Lernerfolge. Dies wird anhand Annas Antwort auf die Frage der Interviewerin deutlich, inwieweit ihre LRS bei ihr auch positive Entwicklungen angestoßen haben könnten: 258 10 Fallanalyse „Anna“ I: Und ähm verbindest du m/ mit der LRS, man hat ja immer das Wort „Schwierigkeiten“ da drin, also immer sowas, ja irgendwie negativ Behaftetes. Aber würdest du sagen, ähm dass du auch irgendwie was Positives daraus gezogen hast, aus dieser Diagnose, wenn man das so sagen darf, der LRS? Also hast du da was langfristig draus gelernt, zum Beispiel? […] A: Also ich meine, ich habe halt äh wie gesagt diesen Kurs besucht und sowas. Und das hat halt immer ähm und es wurde immer ein bisschen besser und immer ein bisschen besser. Jetzt ist halt wieder so ein, dadurch, dass wir viele Klausuren haben und sowas dadurch ein bisschen ein Rückfall. Vor allem wenn ich so hektisch bin, dann mache ich Fehler, dann mache ich auch viele Fehler. Weil ich halt einfach nicht drüber nachdenke, was ich tue, was ich schreibe. Ich habe auch grammatikalische Fehler. Und ähm ich habe auch äh zu Hause Übungsmaterial, ich habe ja auch einen externen Kurs, den ich mache. Ähm und äh da arbeite ich halt an dieser Schwäche. Und an den ganzen ähm Fehlern, die passieren, und wie ich das verbessern kann. (Anna: Zeilen 528-549) Entgegen Annas üblichen Verbalisierungsmustern, die gerade nicht von einem krankheits‐ bezogenen, pathologischen Blick auf ihre LRS geprägt sind, nutzt sie den medizinischen Begriff des Rückfalls, um die Auswirkungen des hohen Leistungsdrucks in der Oberstufe auf ihre Fehlerzahl im schriftlichen Bereich zu verdeutlichen - dieser wird in der Regel mit dem Wiederauftreten einer überwunden geglaubten Krankheit assoziiert. Konkret sorge die hohe Anzahl an Klausuren für Unruhe oder Nervosität ihrerseits („hektisch“), was zu einem geringen Monitoring des Schreibprozesses und in weiterer Folge einer deutlichen Erhöhung der Fehleranzahl in ihren Texten führe. Diese Einordnung Annas steht in einem gewissen Kontrast zu den Beobachtungen in der Klausursituation selbst (vgl. Kap. 10.4.3.2): Dort waren keine offensichtlichen körperlichen Reaktionen auf Nervosität oder Stress, wie z. B. ein Kippeln auf dem Stuhl oder zittrige Hände, beobachtbar, die auf eine hohe Anspannung oder gar Prüfungsangst der Schülerin hätten hindeuten können. Annas Arbeitsweise wirkte über den gesamten Bearbeitungs‐ zeitraum ruhig und konzentriert. Auch wurden keine Versuche unternommen, mit der Lehrkraft oder Mitschüler: innen in Kontakt zu treten. Folglich verwundert nicht, dass Anna im Rahmen des Interviews auch keine Strategien der Emotionsregulation benennt, anhand derer sie Art und Intensität ihrer Empfindungen bei Leistungsüberprüfungen zu kontrollieren versuchen könnte (vgl. die „emotion self-regulation strategies“ nach Oxford 2017: 213 ff.). Stellvertretend verweist Annas Aussage zudem auf die Zugriffsmöglichkeiten, die die Schülerin auf ihre Teilleistungsschwäche sieht: Anhand spezifischen Übungsmate‐ rials, des Besuchs eines schulischen Förderkurses und einer schulexternen Lerntherapie kann sich Anna aktiv mit ihren LRS auseinandersetzen - aus Sicht der Schülerin ist eine Verbesserung tatsächlich erreichbar. Anknüpfend an die gewählten Förderstrategien ist besonders relevant, dass Anna nicht primär ihre LRS als Ursache oder Begründung für ihre Schwierigkeiten beim Französi‐ schlernen identifiziert: Sie scheint über andere Wahrnehmungs- und Deutungsmuster für 10.5 Anna als Akteurin im Französischunterricht 259 83 Die Gesprächsstrategie der Interviewerin zielte explizit darauf ab, LRS erst im zweiten Interviewteil anzusprechen, um eine Thematisierung des Französischunterrichts auch unabhängig von schrift‐ sprachlichen Defiziten zu ermöglichen (vgl. Kap. 6.4.2). ihre Schwierigkeiten zu verfügen und nimmt ihre LRS nicht als zentralste Herausforderung und Hemmnis auch beim Fremdsprachenlernen wahr - dies ist an Annas Verständnis des Französischlernens als positiv konnotierter Neuanfang rückgebunden (vgl. Kap. 10.2). Auf narrativer Ebene wird dies dadurch untermauert, dass Anna erst nach 20 Interviewminuten ihre LRS von sich aus in das Gespräch einführt (vgl. Anna: Zeilen 415-428). 83 Auch bei der Beantwortung von Interviewfragen zu demotivierenden Unterrichtssituationen oder persönlichen Misserfolgserlebnissen beim Fremdsprachenlernen stellt Anna keinen Kausalzusammenhang zu ihren LRS her: Wahrnehmung und Thematisierung des Franzö‐ sischlernens abseits auftretender LRS erscheinen möglich. 10.6 Fazit: Der Fall „Anna“ Anna befindet sich als Schülerin mit LRS, die Französisch als neu einsetzende Fremdsprache ab der 11. Klasse erlernt, im Vergleich zu den anderen Forschungspartner: innen der vorliegenden Studie in einer sehr spezifischen Lehr-Lern-Situation: Das Erlernen der zweiten Fremdsprache ist für Anna an ihrer aktuellen Schule alternativlos, denn sie hat in Bezug auf die neu einsetzende Fremdsprache keine Wahlmöglichkeit und benötigt diese, um die Allgemeine Hochschulreife erlangen zu können. Ausgehend von dieser extrinsischen bzw. instrumentellen Motivation (vgl. Kap. 3.3.2.3), die nicht durch ein persönliches, sprach- oder berufsbezogenes Interesse oder außerschulische Anknüpfungspunkte an den frankophonen Kultur- und Sprachraum begleitet wird, wendet sich Anna in pragmatischer und zielorientierter Weise dem Französischlernen zu. Für den Hochschulkontext - dem Anna altersmäßig nahesteht - haben Csizér et al. (2010) ähnliche Befunde herausgearbeitet. Konkrete Überlegungen oder Bedenken, inwieweit sich ihre LRS negativ auf das Französischlernen auswirken könnten, werden von Anna im Rahmen des Interviews nicht verbalisiert. Demgegenüber bringt sie auftretende Schwierigkeiten primär mit ihrer individuellen Mehrsprachigkeit und einem hohen schulischen Leistungs- und Zeitdruck in Verbindung. Annas Positionierung, dass der Anfängerkurs eine Chance auf einen - positiv konnotierten - Neuanfang und einen erfolgreichen Lernprozess insgesamt darstellt, erscheint für die Schülerin maßgeblich und kann hinsichtlich ihres großen Engagements beim Französischlernen als handlungsleitend bezeichnet werden (vgl. Kap. 10.2). Damit geht einher, dass sich Annas Antworten auf die offenen, erzählgenerierenden Fragen des Interviews vorrangig auf ihre gegenwärtige Lebenssituation beziehen. Es wurden jedoch keinerlei Erzählsituationen kodiert, die sich auf Annas Kindergarten- oder Grundschulzeit beziehen (vgl. die inhaltsanalytischen Interviewkategorien 1.1 „Kindergarten & Vorschule“ bzw. 1.2 „Grundschule“), obwohl der Interviewleitfaden explizit auch Fragen mit Bezug zur Vergangenheit der Forschungspartner: innen umfasst (vgl. Anhang „Leitfaden für die Schülerinterviews“). Mit der Fokussierung gegenwärtiger und konkreter Anforderungen 260 10 Fallanalyse „Anna“ des Französischunterrichts verknüpft Anna eine grundsätzliche Bewältigbarkeit, die nicht von negativen Vorerfahrungen mit dem (Fremd-)Sprachenlernen überschattet wird. Dies steht in (erfreulicher) Diskrepanz zu der fachdidaktischen Diskussion um eine mög‐ lichst „günstige“ Fremdsprachenwahl für Schüler: innen mit LRS, die dem Französischen als Fremdsprache auf Basis sprachstruktureller Argumente oftmals sehr kritisch gegenübers‐ teht (vgl. Kap. 3.3.2.2). Vor dem Hintergrund von Annas Bildungs- und Sprachlernbiogra‐ phie rückt der Fokus weg von der Frage, ob Schüler: innen mit Lernbeeinträchtigungen eine zweite Fremdsprache lernen können, hin zu der Überlegung, wann ein geeigneter Zeitpunkt für den Beginn mit einer weiteren Fremdsprache sein könnte. Der nötige Freiraum und das Zugeständnis von Flexibilität in den individuellen Sprachlernbzw. Bildungsbiographien, das Raum für Diskontinuitäten wie den Wechsel von Schulformen, das Revidieren von Sprachwahlentscheidungen und letztlich auch Misserfolgserlebnisse lässt, erscheint hier konstitutiv (vgl. Labede 2019). Zudem deutet sich ein besonderes Potenzial der zweiten Fremdsprachen an, das sich gerade bei einem späten Beginn in der Sek. II entfalten könnte: Anna selbst verbindet mit ihrem höheren Lebensalter ein erweitertes Reflexionsvermögen und greift beim Französischlernen aktiv und bewusst auf Lern- und Arbeitsstrategien zurück, die sie im Kontext des Deutsch- und Englischlernens jahrelang eingeübt hat. Dies betrifft insbesondere das Leseverstehen und laute Vorlesen; orthographische Strategien für das Französische, die über die Nutzung eines Wörterbuchs hinausgehen, könnten in Zukunft weiterentwickelt werden und Annas Rechtschreibleistung weiter verbessern. Die Frage nach dem idealen Alter für das Fremdsprachenlernen ist in der Fremdsprachenfor‐ schung nicht mehr neu: Bereits Grotjahn (2005: 190) weist in seinem Überblickartikel darauf hin, dass insbesondere in gesteuerten Lehr-Lern-Kontexten erwachsene gegenüber jüngeren Lernenden Vorteile haben können, wenn es z. B. um die Aneignung lexikalischer und pragmatischer Kompetenzen geht, da sie über größere kognitive Ressourcen oder ein umfangreicheres Weltwissen verfügen. Eine erfolgreiche Teilnahme am Französischunterricht ist für Anna trotz ihrer LRS möglich: Ihr gelingt es, Lesen und Schreiben als instrumentelle Fertigkeiten beim Franzö‐ sischlernen einzusetzen; die Leistungsbeurteilung durch die Lehrkraft deutet darauf hin, dass Anna im Mittelfeld der nur fünfköpfigen Lerngruppe zu verorten ist. Besondere Schwierigkeiten treten in Annas Fall nicht per se bei der Auseinandersetzung mit der fran‐ zösischen Sprache auf, sondern sind auf spezifische Lese- und Schreibanlässe beschränkt: Beispielsweise erscheint der Bereich des reproduktiven Schreibens besonders schwierig‐ keitsbesetzt, gerade wenn entsprechende Schreibaufträge in hoher Geschwindigkeit und parallel zum Unterrichtsgespräch umgesetzt werden sollen. Kompetenzunterschiede im Vergleich zu den anderen Lernenden werden hier sowohl für Anna selbst als auch für die Französischlehrkraft deutlich, weshalb auf Kompensationsstrategien zurückgegriffen wird, die Anna selbstständig und habitualisiert umsetzt (vgl. Kap.-10.4.2). Anna selbst versteht sich als Teil einer heterogenen Lerngruppe, deren Stärken und Schwächen sie differenziert einschätzt, die gemeinsam den Herausforderungen des Fran‐ zösischunterrichts begegnet und in diesem Zuge auch Maßnahmen des Nachteilsausgleichs grundsätzlich akzeptiert. Dies ist auch vor dem Hintergrund eines früh einsetzenden und ganzheitlichen LRS-Konzepts der Schule zu plausibilisieren (vgl. Kap. 10.1). Obwohl die ge‐ ringe Größe der Lerngruppe ein individualisiertes Arbeiten sehr gut erlauben würde, wird 10.6 Fazit: Der Fall „Anna“ 261 im Unterrichtsgeschehen insgesamt nur selten auf Differenzierungsmaßnahmen gesetzt. Hierin und in der weiterführenden Idee eines selbstgesteuerten Fremdsprachenlernens besteht eine didaktische Entwicklungsperspektive des Französischunterrichts, die über die enge Betrachtung des Phänomens „LRS“ im Rahmen des Falls „Anna“ hinausgeht. 262 10 Fallanalyse „Anna“ Resümee und Ausblick In den folgenden Kapiteln werden zentrale Ergebnisse der empirischen Studie zusammen‐ gefasst und unter Rückbindung an den theoretisch-konzeptionellen Rahmen der Arbeit diskutiert. Die fallübergreifende Ergebnisdarstellung (Kap. 11) rückt Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Schülerinnen „Anna“, „Franziska“ und „Katharina“ in den Fokus. In enger Anlehnung an die Forschungsfragen werden individuelle Motivationen für die Fremdsprachenwahl, schülerseitige Kompetenzprofile in den Bereichen des Lesens und (Recht-)Schreibens sowie angewandte Lern- und Kompensationsstrategien thematisiert. Anschließend werden auf Basis der Ergebnisse der empirischen Studie Implikationen für eine mögliche LRS-Förderung im Französischunterricht formuliert (Kap. 12). Diese erstrecken sich über Fragen der Sprachenwahlberatung vor Aufnahme der zweiten Fremd‐ sprachen über konkrete methodisch-didaktische Entscheidungen im Unterrichtsgeschehen bis hin zu Perspektiven für Leistungsüberprüfungen und den Umgang mit negativen Emo‐ tionen beim Fremdsprachenlernen. Das Schlusskapitel (Kap. 13) dient der Einordnung der Studienergebnisse in die vorhandene Forschungslage sowie in weitere Diskussionslinien des Fachs. Darüber hinaus erfolgt eine abschließende, kritische Reflexion des Forschungs‐ prozesses sowie die Ableitung signifikanter Perspektiven für Anschlussforschungen. 11 Fallübergreifende Ergebnisdarstellung: LRS als Heterogenitätsdimension des Französischunterrichts Sowohl aus der Perspektive der Schulpraxis als auch der Fremdsprachenforschung gilt als sicher, dass Lernende mit LRS auch mit Auswirkungen auf das Fremdsprachenlernen rechnen müssen (vgl. Kap. 3.3). Dieser Befund wird durch die vorliegende Studie zum Französischlernen grundsätzlich bestätigt und mit weiterer empirischer Evidenz versehen. Während jedoch die Diagnose „LRS“ die Assoziation einer vermeintlich homogenen Prob‐ lematik erweckt, zeigen die Lernenden bei der Auseinandersetzung mit der französischen (Schrift-)Sprache sehr unterschiedliche Stärken und Schwächen. Dieses zweiseitige, ambi‐ valente Ergebnis der empirischen Studie wird im Folgenden anhand einer übergreifenden Betrachtung der drei Fälle „Anna“, „Franziska“ und „Katharina“ dargestellt und unter Rückbindung an die in den Kapiteln 2 bis 3 dargestellte Theorie diskutiert. 11.1 Motivationen für die Fremdsprachenwahl Französisch Einen Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit LRS beim Französischlernen stellt die Frage dar, welche Überlegungen und Entscheidungen die betroffenen Schüler: innen überhaupt erst in den Französischunterricht geführt haben. Denn für die romanischen Sprachen als typische Sekundärfremdsprachen ist anzunehmen, dass möglicherweise Alternativen abgewogen und somit eine mehr oder weniger bewusste Entscheidung für das Französische als zweite Fremdsprache getroffen wurde. Die vorliegenden Fallanalysen haben eine hohe Divergenz der motivationalen Ausgangslagen der Französischlernenden mit LRS bzw. der inhaltlichen Argumentationslinien offengelegt, anhand derer sie ihre jeweiligen Auswahlentscheidungen plausibilisieren. Annas, Franziskas und Katharinas Reaktionen auf die Frage der Interviewerin, wie es ihrerseits zu der Wahl des Französischen als zweite Fremdsprache gekommen sei, kenn‐ zeichnen sich durch einen breiten zeitlichen Horizont. Während Katharina ihren schulischen Weg als Misserfolgsgeschichte darstellt und bei ihren Erzählungen bis ins Kindergartenalter zurückgeht, bezieht sich Anna nur punktuell auf vorherige Sprachlernerfahrungen, die an direkte Kontakte mit dem Französischen als Fremdsprache rückgebunden und ebenfalls auf einer institutionellen Ebene verortet sind (Belegung eines „Schnupperkurses“ in der 5. Klasse). Franziskas Schilderungen sind demgegenüber auf den Zeitpunkt der Fremd‐ sprachenwahl am Ende der 5. Klasse und ihre damaligen Überlegungen fokussiert: Die Schülerin nennt sowohl ästhetische Aspekte als auch ein persönliches Interesse bzw. einen lebenspraktischen Nutzen des Französischen und trifft somit eine genuine Positivauswahl des Französischen. Folglich unterscheiden sich auch das Ausmaß der Reflexionstiefe, die der jeweiligen Fremdsprachenwahl zugrunde liegt, und die seitens der Schülerinnen einbezogenen Etappen der jeweiligen Lernerbiographie. Während Katharinas differenzierte Schild‐ erungen auf eine bewusste bzw. retrospektiv begründbare Entscheidung hindeuten, ist Annas Belegung des Fachs Französisch vorrangig an das Sprachenangebot ihrer Schule bzw. die Fremdsprachenobligatorik im Abitur rückgebunden. Auch Franziska trifft - ohne Abwägung von Alternativen, die ihr an ihrer international ausgerichteten Schule zur Verfügung stünden-- eine Entscheidung für das Französische, die sie durch sowohl ästhe‐ tische als auch freizeitbzw. zweckgebundene Argumente begründet. Katharina entscheidet sich demgegenüber eher gegen die anderen Optionen Latein und Spanisch als für das Französische als Fremdsprache. Dies ergibt sich aus einer durchgängig defizitorientierten Argumentation der Schülerin, die in der Identifikation des Französischen als „geringstes Übel“ resultiert: In diesem Fach erscheinen Katharina weitere Misserfolgserlebnisse in Auseinandersetzung mit (Fremd-)Sprachen am unwahrscheinlichsten. Dies verweist auf den hohen Stellenwert, den LRS in Katharinas gesamter Lernbiographie einnehmen: Eine Beschäftigung mit (fremd-)sprachlichem Lernen, das nicht zugleich mit negativen Gefühlen und Misserfolgserwartungen verbunden ist, erscheint aus Sicht der Schülerin nicht (mehr) möglich. Anna und Franziska geben demgegenüber an, potenzielle Auswirkungen ihrer LRS auf das Fremdsprachenlernen bei ihrer Wahlentscheidung nicht bedacht zu haben; aus ihrer Sicht ist folglich eine Begegnung mit dem Französischen unabhängig von ihren Teilleistungsschwierigkeiten möglich. Den Fällen „Anna“ und „Franziska“ ist gemein, dass soziale Einflussfaktoren auf die Fremdsprachenwahl kaum genannt, sondern eher auf einer impliziten Ebene verbalisiert werden. So spielen mögliche Ressourcen für die Unterstützung beim Französischlernen eine Rolle (z. B. beherrschen Geschwister die jeweilige Sprache und können bei den Hausauf‐ gaben helfen, wie es bei Franziska der Fall ist). Katharina zitiert demgegenüber Meinungen und Ratschläge zur Fremdsprachenwahl verschiedener Akteur: innen, die ausschließlich im familiären Bereich verortet werden bzw. auf die Eltern fokussiert sind. Vor dem Hintergrund der hohen Bedeutung sozialer Bezugsnormen für die betroffenen Schülerinnen bei der Einschätzung ihrer eigenen Leistungen im Französischunterricht überrascht es, dass potenziell weitere soziale Faktoren wie die Meinung oder die Wahlentscheidungen der Peers oder auch Präferenzen in Bezug auf die erwartete Lehrkraft in den Schülerinterviews nicht zur Sprache kommen. An die Überlegungen zur Relevanz sozialer Einflussfaktoren auf die Fremdsprachenwahl knüpft die weiterführende Frage an, welche Akteur: innen und Instanzen in der Wahrneh‐ mung der Schülerinnen diese (mit-)bestimmen. Denn das Gewicht sozialer Erwartungen bzw. der Stellenwert, den die Schülerinnen der Meinung anderer Personen in diesem Prozess zuschreiben, unterscheidet sich deutlich: Während für Katharina die Meinung ihrer Familie ein so großes Gewicht hat, dass sie sich selbst rückblickend kaum mehr als aktive, selbst entscheidende Person darstellt, verfolgen Anna und Franziska bei der Explikation ihrer Wahlentscheidungen grundsätzlich ichbezogene Argumentationen. Insbesondere Anna positioniert sich retrospektiv als selbstbestimmte Lernende und reflektierte Akteurin des Französischunterrichts. Obwohl die Schülerin Interessenschwerpunkte im Bereich der Naturwissenschaften hat und die Belegung einer zweiten Fremdsprache sich wesentlich aus dem Wunsch ergibt, das Abitur abzulegen, gelingt es ihr, sich aktiv und konstruktiv 266 11 Fallübergreifende Ergebnisdarstellung 84 Hier wird die Unterscheidung von motivation und investment deutlich, die jüngst von Darvin und Norton (2023) aufgegriffen wurde: Die Absenz (intrinsischer) Motivation für das Fremdsprachen‐ lernen muss nicht bedeuten, dass Lernende nichts in ihren Lernerfolg investieren. Umgekehrt ist möglich, dass sich auch motivierte Lernende in einen bestimmten Unterrichtskontext kaum einbringen. dem Französischlernen zuzuwenden. 84 Dies ist auch daran rückgebunden, dass Anna ihre Beschäftigung mit dem Französischen als - positiv konnotierten - Neuanfang zu Beginn der Sek. II versteht. Die skizzierten Diskussionslinien, die sich aus den empirischen Befunden der vorliegenden Arbeit zu dem Aspekt der Fremdsprachenwahl ergeben, werden hinsicht‐ lich ihrer schulbzw. unterrichtspraktischen Implikationen in Kapitel-13.1 aufgegriffen. 11.2 Stärken und Schwächen im Bereich des Lesens Gemäß den primären Herausforderungen, die mit LRS in Bezug auf das Fremd‐ sprachenlernen assoziiert werden, standen die Teilkompetenzen des Lesens und des (Recht-)Schreibens im Fokus der vorliegenden Arbeit. Aus fallübergreifender Perspektive lässt sich festhalten, dass die rezeptive Teilkompetenz des Lesens im Französischunterricht weniger schwierigkeitsbesetzt erscheint als die produktive Teilkompetenz des Schreibens, die orthographische Fertigkeiten als nur einen Anforderungsbereich umfasst. Denn zum einen können insbesondere Anna und Franziska im Rahmen der beobachteten Unterrichts‐ stunden Aufgabenstellungen zum Leseverstehen ausreichend erfüllen, sodass sich kaum eine Abweichung von einer sozialen oder kriterialen Bezugsnorm ergibt. Lediglich in Katharinas Fall waren systematische quantitative und qualitative Differenzierungsmaß‐ nahmen beobachtbar, die die „Leselast“ der Schülerin im Vergleich zur Lerngruppe senkten bzw. das zum Nachweis des Leseverstehens nötige „writing to learn“ (Manchón 2011 b : 3) entlasteten. Zum anderen wendeten die Schülerinnen beim Lesen tendenziell ähnliche Lesestrategien an wie Schüler: innen ohne LRS. Aus fachdidaktischer Perspektive kann dies auch damit erklärt werden, dass das Schreiben als produktive Teilkompetenz als noch komplexer gilt, da angesichts der Parallelität zahlreicher, verschiedener Anforderungen und Fertigkeiten ein umfangreiches „Schreibprozessmanagement“ (Krings 2016: 107) nötig ist, um Schreibaufträge in der Fremdsprache zu bewältigen. Demgegenüber erlaubt das Lesen in der Fremdsprache als rezeptiver Vorgang den noch unmittelbareren und effizienten Rückgriff auf bereits erworbene (Fremd-)Sprachenkenntnisse und den Einsatz inferierender Lesestrategien bzw. Hypothesenbildungen. Dieser Befund steht grundsätzlich in Einklang mit aktuellen Ergebnissen der LRS-Forschung, die eine tendenziell stärkere Ausprägung der Schwierigkeiten im (Recht-)Schreiben über die sequenzielle Entwicklung der Lese- und Schreibkompetenz begründen (vgl. Mayer 2016: 49). Auch wenn die betroffenen Schülerinnen im Rahmen der Interviews lesebezogene Anforderungen in deutlich geringerem Umfang thematisieren, beschäftigen sie sich vor dem Hintergrund ihrer LRS mit den Herausforderungen, die das Lesen im Französischun‐ terricht für sie mit sich bringt. Hinsichtlich der für Leseprozesse (nicht nur) im Fremdspra‐ chenunterricht relevanten Teilfertigkeiten zeigen sich Unterschiede zwischen den Fällen: Während bei Anna Lesestrategien eher auf hierarchiehöhere Ebenen des Leseverstehens 11.2 Stärken und Schwächen im Bereich des Lesens 267 abzielen (z. B. Struktur des Texts erkennen, Hypothesen zu unbekannten Lexemen bilden), wird bei Franziska die Unterstützung des Leseprozesses vor allem auf hierarchieniedriger Ebene sichtbar. Denn die Schülerin greift auf eine Leseschablone zurück, die aus dem Primarbereich bekannt ist und vorrangig auf eine visuell orientierende Unterstützung des Lesens abzielt. Gleiches gilt für Katharina, die sowohl beim Leseverstehen als auch beim lauten Vorlesen den Text mit dem Finger verfolgt, um nicht die passende Zeile zu verlieren. Fallübergreifend lässt sich festhalten, dass deutlich häufiger Lesestrategien zu be‐ obachten sind, die für das Entschlüsseln und Verstehen fremdsprachlicher Lesetexte insgesamt, d. h. nicht nur bei LRS gefordert sind. Dazu zählen insbesondere kognitive Strategien wie der Rückgriff auf ein- oder mehrsprachige Wörterbücher, die Markierung unbekannten Vokabulars und besonders relevanter inhaltlicher Aspekte von Lesetexten oder auch der Einsatz verschiedener Lesestile (vgl. Bimmel 2002: 118 ff.; Schmidt 2007). Nehmen die Lernenden im Rahmen der Interviews auf Herausforderungen beim Lesen Bezug, werden oftmals Unterrichtssituationen rekapituliert, die ein Vorlesen von Aufgaben, Texten oder Arbeitsergebnissen verlangen. Es werden primär zusätzliche He‐ rausforderungen im Bereich der Aussprache assoziiert; auf weitere relevante Aspekte wie die Leseflüssigkeit gehen die Lernenden nicht ein. Die Sicht der Lernenden auf ihren Französischunterricht spiegelt hier wider, was aus fachdidaktischer Perspektive vielfach angemerkt wurde: Das laute Lesen stellt Fremdsprachenlernende vor kognitiv so umfassende Herausforderungen, dass ein paralleles Leseverstehen nicht möglich ist und beide Aktivitäten in ihren unterschiedlichen Zielsetzungen klar differenziert werden sollten (vgl. Hermes 2017: 229). Situationen des lauten Vorlesens werden von den Forschungspartner: innen der vorlie‐ genden Studie auch deshalb als besonders herausfordernd empfunden, weil diese unmit‐ telbare Vergleiche mit der klasseninternen, sozialen Bezugsnorm der Mitschüler: innen triggern bzw. ein besonderes Potenzial bergen, schwächere Lernende vor der Lerngruppe zu exponieren. Insbesondere Katharina brachte diese emotionale bzw. affektive Dimension zum Ausdruck, indem sie Versagensängste sowie psychosomatische Stressreaktionen in Form von Zittern schilderte. In weiterer Folge zeigte sich nicht nur in Bezug auf das laute Vorlesen, sondern auch beim rezeptiven sowie produktiven Umgang mit Schrift‐ sprache insgesamt ein sehr stark ausgeprägtes Vermeidungsverhalten entsprechender Unterrichtssituationen. Hinsichtlich des lauten Vorlesens ergab sich eine Diskrepanz zu anderen Situationen mündlicher Kommunikation im Französischunterricht, die Katharina in ausreichendem Maße erfüllen konnte (in Bezug auf die Verständlichkeit der Aussprache, Sprechgeschwindigkeit etc.). In Annas Fall ist für das laute Vorlesen ein vorentlastendes, kompensatorisches Vorgehen beobachtbar, das - wenn möglich - im Vorfeld der jeweiligen Unterrichtsstunde angesiedelt ist: Die Schülerin nutzt als Strategie der Aussprachevorbereitung ein eigenes Lautsystem, das ihr eine Bewältigung derartiger Unterrichtssituationen ermöglicht. Dazu greift sie auf verschiedene Ressourcen wie z. B. ein elektronisches Wörterbuch oder die Kenntnisse ihrer Französischlehrerin zurück. Bei Franziska sind demgegenüber nur unspezifische Vorlesestrategien identifizierbar, die in der jeweiligen Unterrichtssituation selbst zum Tragen kommen: Die Schülerin versucht, das laute Vorlesen durch murmelndes Vorspre‐ chen einzelner Wörter vorzuentlasten. Dieser Vorgang verläuft in der Regel parallel zu 268 11 Fallübergreifende Ergebnisdarstellung anderen Anforderungen und lenkt die Schülerin folglich davon ab, ihren Mitschüler: innen zuzuhören oder sich auf inhaltliche Aspekte des Lesetexts zu konzentrieren. Katharina ist demgegenüber beim lauten Vorlesen vorrangig damit beschäftigt, durch Ausgleichsbewe‐ gungen ihre körperlichen Stressreaktionen so gering zu halten, dass sie den Vorleseauftrag überhaupt noch bewältigen kann - hier kommen affektive Lesestrategien zur Geltung, die auch als „Stützstrategien“ (Philipp 2015 b : 214 f.) bezeichnet werden. 11.3 Stärken und Schwächen im Schreiben und Rechtschreiben Während sich hinsichtlich des Lesens im Französischunterricht für die einzelnen Fälle eher divergente empirische Erkenntnisse ergeben, zeigen sich in Bezug auf das (Recht-)Schreiben mehrere übergeordnete Befunde: 1. Sowohl für die Datenerhebung als auch für die Bewertung von und Weiterarbeit mit den Schreibprodukten im Unterricht spielte eine zentrale Rolle, ob bzw. in welchem Umfang die Schüler: innen überhaupt geschriebene Texte im Französischunterricht produzieren: Denn wie bereits Alexander-Passe (2006) herausgearbeitet hat, greifen Schüler: innen mit LRS häufig auf Vermeidungsstrategien zurück („Avoidance-Based Coping“), d. h., es werden Aufgaben und Situationen vermieden, bei denen sich ihre Schwierigkeiten zeigen könnten. Während Franziska bei schriftlichen Leistungsüberprüfungen zahlreiche Lücken lässt bzw. wenig tentative Schreibungen, also Lösungsversuche vornimmt, setzt Anna die umfangreiche Gestaltung ihrer Schreibprodukte als bewusste Strategie ein, um sprachliche Mängel zu kompensieren und auf inhaltlicher Ebene dennoch eine ausreichende Leistung zu erzielen. Auch Katharina bearbeitet fleißig alle Schreibaufträge, obwohl sie mit massiven Herausforderungen in sämtlichen Bereichen der sprachlichen Mittel zu kämpfen hat. 2. Die quantifizierenden Fehleranalysen zeigen fallübergreifend für die Teilkorpora der Schülerinnen mit LRS jeweils deutlich mehr Rechtschreibfehler als für diejenigen ihrer Mitschüler: innen. Zudem hat die Kategorie der Orthographiefehler innerhalb der Fehlerprofile der Schülerinnen mit LRS einen deutlich größeren Umfang als die Kategorien der Lexik- und Grammatikfehler. Damit kann der Aspekt einer deutlich ausgeprägten Rechtschreibproblematik, der im Sinne von Alltagsbeobachtungen meist primär mit LRS assoziiert wird (vgl. Kap. 3.4), mit empirischer Evidenz in Bezug auf den Französischunter‐ richt versehen werden. 3. Eine weitere Problematik, die sich auf einer quantitativen Ebene verorten lässt, besteht in einer herabgesetzten Schreibbzw. Bearbeitungsgeschwindigkeit der Schülerinnen mit LRS, die in den drei Fällen auf unterschiedliche Weise deutlich wurde. Beispielsweise hat Anna beträchtliche Schwierigkeiten, reproduktive Schreibaufträge wie Tafelabschriften hinreichend zügig umzusetzen, um das weitere Unterrichtsgeschehen verfolgen zu können. Demgegenüber hat Franziska insbesondere dann Probleme mit einer ausreichenden Be‐ arbeitungsgeschwindigkeit, wenn im Unterricht verschiedene Teilkompetenzen parallel eingesetzt werden müssen (z. B. wenn die Beteiligung an einem Unterrichtsgespräch gefordert ist und parallel Notizen angefertigt werden sollen). Katharinas Umsetzung von Schreibaufträgen ist derart verlangsamt, dass sie die verlängerte Bearbeitungszeit, die ihr bei Leistungsüberprüfungen im Rahmen des Nachteilsausgleichs zukommt, de facto nicht 11.3 Stärken und Schwächen im Schreiben und Rechtschreiben 269 für Überarbeitungen und Korrekturen nutzen kann, sondern für die Fertigstellung ihrer Texte nutzen muss. 4. Ein weiterer zentraler Befund der vorliegenden Arbeit, der sich aus den qualitativen Fehleranalysen ergibt, besteht darin, dass keine fallübergreifende LRS-spezifische Ausprä‐ gung bestimmter orthographischer Fehlertypen festgestellt werden konnte. Typische „Le‐ gastheniefehler“, die beispielsweise in der Verwechselung visuell ähnlicher Buchstaben oder sogenannten Buchstabendrehern bestehen könnten (vgl. Kap. 3.4.2), tauchen in den Teilkorpora sowohl der Schülerinnen mit LRS als auch denjenigen der Schüler: innen ohne LRS nur in Einzelfällen auf. Im Gegenteil stellt gerade die breite Streuung von Fehlertypen innerhalb der Rechtschreibprofile eine Herausforderung für eine potenzielle Rechtschreibförderung dar, die wiederum nur einen Teil der Schreibförderung im Fran‐ zösischunterricht ausmachen kann. In Katharinas Fall zeigte sich jedoch ein spezifisch ausgeprägtes Fehlerprofil im Bereich der Orthographie: Während der für die Lerngruppe identifizierte Fehlerschwerpunkt der orthographe grammaticale nicht für Katharinas Recht‐ schreibprofil gilt, produziert die Schülerin überproportional viele Rechtschreibfehler in den Kategorien „Auslassungen von Buchstaben“, „falsches Graphem“ oder „Hinzufügungen von Buchstaben“. Damit hebt sich Katharinas Rechtschreibprofil eindeutig in qualitativer und quantitativer Hinsicht von denjenigen ihren Mitschüler: innen ab - obwohl die Schülerin bereits ein Schuljahr wiederholt hat. Ein weiterer aufschlussreicher Befund ergibt sich aus fallübergreifender Perspektive in Bezug auf die orthographische Fehlerkategorie der „phonematischen Realisierung“: Während innerhalb der Gesamtkorpora der Fälle „Franziska“ (drittes Lernjahr) und „Katharina“ (viertes Lernjahr) dieser Fehlertyp kaum präsent ist, tritt er im Fall „Anna“ (zweites Lernjahr) bei mehreren Schüler: innen auf. Dies könnte darin begründet sein, dass eine voranschreitende Auseinandersetzung mit der französischen Sprache zu einer Festigung grundlegender Phonem-Graphem-Relationen führt und ein „Schreiben nach Gehör“, das sich an Merkmalen der deutschen Sprache orientiert, zunehmend ablöst. 5. Alle Forschungspartner: innen der vorliegenden Studie zeigen nicht nur bei der Rechtschreibung, sondern auch in den Bereichen der Grammatik und Lexik grundlegende Probleme. Für eine gelingende schriftliche Kommunikation (d. h. die inhaltliche Erfüllung von Aufgabenstellungen bzw. die Verständlichkeit des Geschriebenen) ergaben sich durch Fehler in den Bereichen der Grammatik und der Lexik tiefgreifendere Auswirkungen als durch die vermehrt auftretenden Rechtschreibfehler. Nur im Fall „Katharina“ waren die Schwierigkeiten der Schülerin in allen Bereichen der sprachlichen Mittel deutlich stärker ausgeprägt als bei ihren Mitschüler: innen. 6. Hier schließt die Frage an, wie mit hohen Fehleranzahlen in den verschiedenen Bereichen des Schreibens umzugehen ist. Streicht die Lehrkraft wie im Fall „Katharina“ alle formalen Fehler auf der Ebene der Mikrostruktur des Texts an (d. h. Grammatik, Lexik, Rechtschreibung, Zeichensetzung), entsteht ein nahezu nicht mehr lesbarer Text mit derart umfangreichen Markierungen und Korrekturzeichen, dass de facto ein neuer Text verfasst werden müsste, um die Verbesserungen umsetzen zu können. Hier ergibt sich ein Decken‐ effekt bei der Korrektur schriftlicher Leistungsüberprüfungen. Rückmeldungen zur Makro‐ struktur des Texts und inhaltlichen Aspekten sind zudem nur schwierig wahrnehmbar, sodass bezüglich einer zielführenden Weiterarbeit mit dem Text starke Einschränkungen 270 11 Fallübergreifende Ergebnisdarstellung bestehen. Gerade da herausgearbeitet werden konnte, dass auch Schüler: innen mit LRS im Französischunterricht durchaus in der Lage sein können, geforderte Schreibaufträge auf einer inhaltlichen Ebene in ausreichendem Maße zu erfüllen, repräsentieren die lehrer‐ seitig vorgenommenen Korrekturen oftmals nur mit Einschränkungen die tatsächlichen Leistungen der Lernenden. Phasen der Textkorrektur werden vor diesem Hintergrund von den Forschungspartner: innen der Studie vorrangig dazu genutzt, um Korrekturen auf einer Mikroebene des Texts vorzunehmen (d. h. zum Beispiel der Orthographie oder der Lexik anhand eines Wörterbuchs) - was Franziska sehr gut gelingt. Katharina hingegen nutzt entsprechende Schreibzeitverlängerungen im Rahmen des Nachteilsausgleichs nicht im Sinne einer separaten Phase der correction du texte, sondern um ihre Schreibprodukte zu vervollständigen. 7. Unabhängig von LRS zeigt sich bei der Betrachtung der Gesamtkorpora, d. h. der Schreibprodukte aller Schüler: innen, für diese angesichts des Umfangs der beobachteten Unterrichtsstunden eine nur sehr geringe Größe. Beispielsweise ergibt sich im Fall „Anna“ ein Durchschnittswert von ca. 500 geschriebenen Wörtern pro Schüler: in im Rahmen von 16 Unterrichtsstunden. Damit wird eine Diskrepanz zwischen der geringen Anzahl umfas‐ senderer Schreibaufträge zu Übungs- und Förderungszwecken und dem nach wie vor hohen Stellenwert schriftlicher Leistungsüberprüfungen in den Französischkursen deutlich, die im Rahmen der Studie beobachtet wurden. Wie bereits zuvor festgehalten manifestieren sich bei Überlegungen zu einer angemessenen LRS-Förderung im Französischunterricht auch immer wieder grundsätzliche Zielkonflikte des Fremdsprachenunterrichts. 11.4 Emotionale Dimensionen der Schwierigkeitsbewältigung und Coping-Strategien Wie Alexander-Passe (2006: 258 ff.) darstellt, greifen Schüler: innen mit LRS häufig auf fol‐ gende drei Typen von Strategien zurück, um mit auftretenden Schwierigkeiten umzugehen: (1) Vermeidungsstrategien („Avoidance-Based Coping“), anhand derer potenziell schwie‐ rigkeitsbesetzten Situationen ausgewichen wird, (2) unmittelbar anforderungsbezogene Strategien („Task-Based Coping“), die zumeist auf einer kognitiven Ebene verortet sind und von den Forschungspartner: innen der vorliegenden Studie insbesondere für das Lesen und Schreiben im Französischen verwendet werden - und darüber hinaus spielt für Anna, Franziska und Katharina (3) der Umgang mit negativen Emotionen wie Unsicherheit oder Frustration (nicht nur) beim Französischlernen eine wesentliche Rolle („Emotional-Based Coping“, vgl. ebd.). Denn wie alle drei Fallanalysen offenlegen, stehen die drei Schülerinnen vor der Herausforderung, nicht nur mit Misserfolgserlebnissen in Bezug auf das Fremd‐ sprachenlernen, sondern mit „kritische[n] Lebensereignisse[n] in der Bildungsbiographie“ (Schröder/ Wilmanns 2016: 110) insgesamt umzugehen. Dies gewinnt im Kontext des Inklusionsdiskurses an Bedeutung: Denn Schüler: innen mit Lernschwierigkeiten begegnen in einem - nach wie vor sehr leistungsorientierten - deutschen Schulsystem immer wieder Lehr-Lern-Situationen, in deren Rahmen sie Anforderungen nicht in ausreichendem Maße entsprechen und infolgedessen mit Selektions- und Gliederungsmechanismen konfrontiert werden (vgl. Werning 2014: 614 f.). 11.4 Emotionale Dimensionen der Schwierigkeitsbewältigung 271 In Annas Fall sind zwei kritische Lebensereignisse zu identifizieren: Dies ist zum einen ihr Schulformwechsel nach der Erprobungsstufe vom gymnasialen Zweig zum Realschulzweig ihrer Schule („Abstiegsmobilität“), zum anderen der Übertritt in den Bildungsgang zum Abitur im Anschluss an die 10. Klasse („Aufstiegsmobilität“). Während die Schülerin diese Ereignisse konstruktiv in ihre (Sprach-)Lernbiographie einordnet, indem sie ihrer persönlichen sowie intellektuellen Entwicklung eine größere Flexibilität und Dynamik zuspricht, führen bei Katharina verschiedene prägende Negativerlebnisse im schulischen Kontext zu einer starken Misserfolgsorientierung. Die wohl kritischsten Ereignisse bestehen für sie erstens in der initialen LRS-Diagnostik, mit der Katharina vorrangig eine signifikante Abweichung von der sozialen Bezugsnorm bzw. eine negative Exponierung gegenüber ihren Mitschüler: innen in Verbindung bringt, zweitens in der unabwendbaren Wiederholung der 6. Klasse, die maßgeblich durch mangelhafte Noten in den (fremd-)sprachlichen Fächern zustande kam und zu einem fortwährenden Gefühl des Andersseins bei der Schülerin beiträgt - ihre grundlegenden Schwierigkeiten, in diesen Fächern ausreichende Leistungen zu erzielen, jedoch nicht gelöst hat. Vor dem Hintergrund der aktuellen Forschungsdiskussion um affektiv-emotionale Di‐ mensionen des Fremdsprachenlernens (vgl. Burwitz-Melzer et al. 2020), können auf Basis der empirischen Studie hinsichtlich des Französischlernens mit LRS folgende sechs Aspekte besonders hervorgehoben werden: 1. Werden im Rahmen der Schülerinterviews mit dem Französischlernen verbundene Emotionen zum Ausdruck gebracht, sind diese meist negativ: Es werden Versagensängste, Überforderung oder Hilflosigkeit verbalisiert. Die eingänglichen Schilderungen der Schüler: innen verdeutlichen, dass vorrangig „Leistungsemotionen“ gegenüber „Lernemoti‐ onen“ (Sann/ Preiser 2008: 215) im Fokus stehen, d. h., dass insbesondere Leistungsüberprü‐ fungen und Situationen, in deren Rahmen Lernerfolg einen besonders großen Stellenwert hat, mit negativen Emotionen verbunden werden. Hier dominieren „negativ-aktivierende Emotionen“ (Götz et al. 2007: 15), die auch körperliche Reaktionen auslösen können. Zwischen den verschiedenen Fällen bestehen jedoch große Unterschiede: Während sich Katharina kaum von einer Misserfolgsorientierung beim Fremdsprachenlernen lösen kann und negative Erlebnisse im Rahmen des Interviews praktisch noch einmal durchlebt, finden Anna und Franziska eine eher distanzierte Haltung im Umgang mit Misserfolg bzw. ordnen diese negativen genauso wie positive Erlebnisse in ihre Sprachlernbiographie ein. 2. Negative Emotionen werden zwar im Kontext aktueller und konkreter Situationen des Französischlernens geschildert, retrospektiv jedoch oftmals mit Lernerlebnissen der Vergangenheit verbunden. Vor dem Hintergrund, dass Emotionen als Voraussetzung sowie Ergebnis von Lernprozessen gelten, stellt sich gerade für die zweiten Fremdsprachen die Frage, wie mit negativen Vorerfahrungen beim (fremd-)sprachlichen Lernen umgegangen werden kann. Denn relevante bildungspolitische Rahmendokumente stellen in der Regel einen positiven Zusammenhang zwischen der ersten und der zweiten Fremdsprache her: In dem Kernlehrplan Französisch für NRW wird dieser beispielsweise mit „einer gezielten Anbahnung grundlegender Sprachlernkompetenz, welche Lernenden helfen soll, die französische Sprache unter Einbeziehung fremdsprachlicher Vorerfahrungen bewusster und effizienter zu erlernen“ (KLP NRW 2019), begründet. 272 11 Fallübergreifende Ergebnisdarstellung 3. Der Faktor „Angst“ bzw. die foreign language anxiety ist seit Jahrzehnten als rele‐ vante Variable anerkannt, die das Fremdsprachenlernen unmittelbar beeinflusst. Auch neuere Beiträge fokussieren insbesondere die Sprechangst als fremdsprachenspezifisches Phänomen (vgl. Blum/ Piske 2021). Die erhobenen Daten weisen jedoch darauf hin, dass es die Schüler: innen weniger mit Sprechangst zu tun haben als mit Ängsten, die an den Umgang mit geschriebener Sprache rückgebunden sind, d. h. insbesondere das Lesen und Schreiben und damit für sie besonders schwierigkeitsbesetzte Bereiche betreffen. 4. Negative Emotionen und Versagensängste werden von den Schüler: innen sehr häufig in Bezug auf eine lerngruppeninterne, soziale Bezugsnorm formuliert, d. h., sie ergeben sich durch ein Gefühl des defizitären Abweichens von den jeweiligen Mitschüler: innen. Weitere relevante Vergleichspunkte wie eine individuelle (Wo habe ich mich verbessert oder verschlechtert? ) oder eine kriteriale Bezugsnorm (Welche inhaltlichen Aspekte beherrsche ich gut oder schlecht? ) spielen demgegenüber nur nachgeordnete Rollen. Ebenfalls erwähnens‐ wert erscheint, dass die Lernenden mit LRS keine Fremdattribuierung ihrer Misserfolge, z. B. über eine angeblich unfaire Bewertung durch ihre Lehrkräfte, vornehmen. 5. Allen Forschungspartner: innen ist gemein, dass sie medizinisch-pathologische Dimen‐ sionen bzw. Konnotationen, die die Diagnose „LRS“ unweigerlich für sie mit sich bringt, aushandeln und in ihr (Fähigkeits-)Selbstkonzept integrieren müssen. Dies wird insbeson‐ dere im Rahmen der Interviews deutlich, wenn die Schülerinnen immer wieder Vokabular aus dem medizinischen Diskurs rezitieren, so z. B. „Rückfall“ (Anna: Zeile 541), „das überlebt man“ (Katharina: Zeile 284 f.) oder „sowas mal testen lassen“ (Franziska: Zeile 255 f.). 6. Vor dem Hintergrund der skizzierten Anforderungen, die sich für Lernende bei der Bewältigung ihrer LRS auch auf emotional-motivationaler Ebene ergeben, werden im Kontext des beobachteten Französischunterrichts kaum Angebote sichtbar, die auf eine psy‐ chosoziale Unterstützung abzielen. Lediglich in Katharinas Fall wurde seitens der Lehrkraft dezidiert auf die gezielte Unterstützung der Schülerin durch feste Arbeitspartner: innen auf Peer-Ebene geachtet. Als weitere Herausforderung stellt sich folglich heraus, vermehrt „positiv-aktivierende Emotionen“ (Götz et al. 2007: 15) wie z. B. Freude oder Stolz im Französischunterricht hervorzurufen. 11.4 Emotionale Dimensionen der Schwierigkeitsbewältigung 273 12 Impulse zu einer LRS-Förderung im Französischunterricht Im vorherigen Kapitel wurden zentrale Ergebnisse der empirischen Studie dargestellt und fallübergreifend unter Rückbezug auf die Theorie diskutiert. Auch wenn die Fälle jeweils spezifischen schulischen Rahmenbedingungen unterliegen und gerade die große Hetero‐ genität und Individualität der Kompetenzprofile innerhalb des diagnostischen Spektrums „LRS“ in Erinnerung bleibt, sollen im Folgenden empiriegestützt zentrale und übergreifende unterrichtspraktische Implikationen formuliert werden. Diese sind nicht als „Rezeptologie“, sondern vielmehr als didaktisches Repertoire zu begreifen, auf das bei der Gestaltung eines inklusiven Französischunterrichts mit besonderem Fokus auf LRS zurückgegriffen werden könnte. Von zahlreichen Ideen und Ansätzen könnten insofern sicherlich auch Schüler: innen ohne LRS profitieren, als grundlegende Gestaltungsprinzipien und Schwer‐ punktsetzungen des Französischunterrichts berührt werden. 12.1 Sprachenwahlberatung als Element der LRS-Förderung Eine zentrale Frage im Umgang mit LRS nicht nur in den fremdsprachlichen Fächern lautet, wann Fördermaßnahmen bestenfalls einsetzen sollten. Im Rahmen des Theorieka‐ pitels wurde ein Spektrum skizziert, das im positiven Sinn der Prävention bereits in der Kindergarten- und Grundschulzeit beginnt und im negativen Sinn bei einer Haltung des „wait-to-fail“ (vgl. Huber/ Grosche 2012: 313) endet, d. h., Ressourcen der Förderung werden so lange zurückgehalten, bis eine deutliche Abweichung von einer sozialen oder kriterialen Bezugsnorm sichtbar wird. Vor dem Hintergrund der empirischen Studie kann für den Französischunterricht festgehalten werden, dass eine mögliche LRS-Förderung in den zweiten Fremdsprachen bereits vor deren Beginn einsetzen sollte. Damit ist nicht nur gemeint, dass Fördermaßnahmen in der Regel deutlich früher im Kontext des Schriftspra‐ cherwerbs im Deutschen beginnen (also bestenfalls in der Grundschule), sondern dass eine Sprachenwahlberatung bereits als Teil einer angemessenen Begleitung von Schüler: innen mit LRS verstanden werden sollte. In Ergänzung zu Beiträgen, die eine Beratung der Eltern betroffener Schüler: innen fokussieren (vgl. von Suchodoletz 2007), weisen die vorliegenden Fallanalysen auf das hohe Potenzial hin, das in der Perspektive der Lernenden selbst liegt. Denn diese waren durchaus in der Lage, fremdsprachenbezogene Entscheidungsprozesse (retrospektiv) zu begründen bzw. zu rekonstruieren und Argumente für oder gegen bestimmte Fremdsprachen abzuwägen, die sie explizit mit Aspekten der Lernmotivation verknüpften. LRS können dabei als ein mögliches Kriterium, das für oder gegen die Wahl einer Fremdsprache sprechen kann, bei Auswahlentscheidungen Berücksichtigung finden. Die individuelle Gewichtung sprachstruktureller, ästhetischer, nützlichkeitssowie erfolgsbezogener Überlegungen sollte während des Beratungsprozesses respektiert und wertgeschätzt werden; nicht direktive Beratungsansätze können hier wichtige Impulse liefern (vgl. Rogers 1972 als Ausgangstext, auf den vielfach Bezug genommen wird). Keinesfalls angelegt werden sollten demgegenüber Beratungsstrategien, die ausschließlich auf Basis von Überlegungen zu der hohen Intransparenz der französischen Orthographie argumentieren. Denn eine höhere Komplexität des französischen Sprachsystems wurde lediglich von Katharina in die Auswahlentscheidung einbezogen; für Anna und Franziska waren andere Aspekte wie der prospektive Nutzen der Fremdsprache oder ein persönliches Interesse an der Sprache deutlich gewichtigere Argumente, die darüber hinaus einen unbefangenen und nicht schwierigkeitsorientierten Neubeginn mit dem Französischen als Fremdsprache anbahnen könnten. Der Fall „Anna“ ruft darüber hinaus die Frage nach günstigen Zeitpunkten des Fremd‐ sprachenbeginns in Erinnerung. Diese wurde bislang vorrangig in Bezug auf Vor- und Nachteile eines Frühbeginns im Rahmen der Primarstufe diskutiert (z. B. Kötter/ Rymarczyk 2011). Wenn Schüler: innen nicht gymnasiale Schulformen besuchen und somit eine größere zeitliche Flexibilität bei der Aufnahme der zweiten Fremdsprache besteht, könnte bei Teilleistungsschwierigkeiten wie LRS ein späterer Beginn mit einer zweiten Fremdsprache als gezielte Strategie in Erwägung gezogen werden - auch wenn dann eine zügigere Progression des Französischunterrichts zu erwarten wäre. Denn wie Annas Fall offenlegt, könnte dies sowohl hinsichtlich der schulischen Gesamtanforderungen als auch für die Aus‐ einandersetzung mit strukturell komplexeren Sprachen bzw. Orthographien implizieren, dass Schüler: innen mit LRS bereits über umfassendere Lern- und Kompensationsstrategien sowie emotional-motivationale Bewältigungsmechanismen verfügen, auf die sie bei der Aufnahme der zweiten Fremdsprache zu Beginn der Oberstufe zurückgreifen. In beson‐ ders schwierigkeitsbesetzten Fällen wäre dies eine konstruktive und potenzialorientierte Antwort auf die - nach wie vor nicht selten deterministisch gestellte - Frage: „Kann ich als Legastheniker Französisch lernen? “ (Mendez 2013). Darüber hinaus lassen sich Rückschlüsse auf die hohe Relevanz des strategiegeleiteten Fremdsprachenlernens ziehen: Von einem gezielten und systematischen Strategietraining würden alle Schüler: innen - und nicht nur in Bezug auf die zweite Fremdsprache Französisch - profitieren (vgl. Martinez 2016 b : 374). 12.2 Differenzierung als methodische Reaktion auf LRS im Französischunterricht „Ein pragmatisches Mittel zur Individualisierung des Lernens im schulischen Kontext stellen Maßnahmen differenzierten Unterrichtens dar.“ Haß’ (2017: 45) Resümee in einem Handbuchartikel bestätigt sich auch in den Daten der vorliegenden Studie. Denn in allen Fallstudien sind Maßnahmen der Binnendifferenzierung präsent, die die Schüler: innen mit LRS während des Französischunterrichts unterstützen sollen. Aus fallübergreifender Perspektive lässt sich festhalten, dass der Einsatz verschiedener Formen von Differenzie‐ rung meist dazu beiträgt, dass die Lernenden schwierigkeitsbesetzte Unterrichtssituationen überbrücken oder Aufgabenstellungen zielführender bearbeiten können. Beispielsweise kann Anna ihre stark herabgesetzte Schreibgeschwindigkeit beim reproduktiven Schreiben durch bereitgestellte Tafelabschriften kompensieren („Differenzierung durch variablen Einsatz von Medien“, Wolff [2010: 55]); Katharina wird durch die feste Zusammenarbeit mit 276 12 Impulse zu einer LRS-Förderung im Französischunterricht 85 Im Kontext des Inklusionsdiskurses bezeichnet der Begriff der Zieldifferenz den Umstand, dass bei der gemeinsamen Beschulung von Lernenden mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf mit unterschiedlichen curricularen Zielsetzungen unterrichtet wird (vgl. Trautmann 2016). Diese Situation tritt im Unterricht der zweiten Fremdsprachen in der Regel nicht ein und ist in Deutschland vorrangig im Englischunterricht zu finden. einer Mitschülerin im Sinne des peer tutoring auf inhaltlicher sowie emotional-motivatio‐ naler Ebene unterstützt („Differenzierung nach Unterrichtsformen“, ebd.: 54 f.). Dennoch ergeben sich verschiedene Implikationen für die zukünftige Realisierung von Differenzierungsansätzen bei LRS im Französischunterricht: Im Rahmen der beobachteten Fälle wurden Differenzierungsmaßnahmen vorrangig mit dem Ziel der unmittelbaren Kom‐ pensation und kurzfristigen Überbrückung schwierigkeitsbesetzter Aufgabenstellungen umgesetzt. Auch wenn diese Ansätze in den jeweiligen Unterrichtssituationen eine zielge‐ richtete Wirkung entfalten, könnten sie um längerfristige Maßnahmen ergänzt werden, die auf eine nachhaltige Verbesserung in problematischen Kompetenzbereichen bzw. im Sinne einer Öffnung des Unterrichts perspektivisch auf die Etablierung von Lernerautonomie abzielen (vgl. Wolff 2010). Im Rahmen der beobachteten Unterrichtsstunden zeigt sich nämlich auch, dass ausschließlich die Lehrkräfte entscheiden, wie, zu welchem Zeitpunkt und in Bezug auf welche Zielkompetenz Differenzierungsmaßnahmen Eingang in den Französischunterricht finden. Hier wäre - ganz im Sinne der Lernerorientierung - ein konsequenter Einbezug der Schüler: innen als „Expert: innen ihres Problems“ wünschens‐ wert: Folgt man der Argumentation, dass individualisiertes Lernen eine Weiterentwicklung differenzierten Unterrichtens darstellt (vgl. Haß 2017: 45), böte es sich insbesondere im Bereich des Schreibens an, das selbstständige Lernen von Schüler: innen mit LRS weiter zu stärken. So könnte eine lehrerseitige Differenzierung „von oben“ durch eine schülersei‐ tige Umsetzung der Differenzierungsmaßnahmen „von unten“ (M. Trautmann 2010: 57) abgelöst werden. Denn gerade komplexere Schreibaufträge verlangen ein umfassendes „Schreibprozessmanagement“ (Krings 2016: 107), das nur von der schreibenden Person selbst geleistet werden kann. Im Rahmen der vorliegenden Fallstudien zeigen dies Situati‐ onen der Leistungsüberprüfung besonders deutlich: In der Phase der correction de texte wird ein zielgerichtetes und selbstgesteuertes Vorgehen umso nötiger, wenn das Zeitmanage‐ ment bei der Bearbeitung von Schreibaufträgen optimiert und auf einer metakognitiven Ebene Distanz zum eigenen Schreibprodukt aufgebaut werden muss. Dies gelingt allen Forschungspartner: innen nur mit großen Mühen bzw. starken Einschränkungen. Im Kontext eines lernzielgleichen Französischunterrichts 85 sollte die Frage, wo genau Differenzen zwischen Schüler: innen tatsächlich unterrichtsrelevant werden, jeglicher Umsetzung von Differenzierungsmaßnahmen vorangehen. Denn LRS können, müssen aber nicht zwangsläufig im Unterricht des Französischen als zweite Fremdsprache ein Distinktionsmerkmal zwischen Schüler: innen mit und ohne LRS sein. Entscheidend ist, sich die jeweilige Bezugsnorm zu vergegenwärtigen, vor deren Hintergrund ein potenzieller Lernrückstand oder Förderbedarf identifiziert wird: Wird beispielsweise eine Abweichung vom Leistungsstand der Lerngruppe, also der sozialen Bezugsnorm, oder von inhaltlichen Zielen des Französischunterrichts, also der kriterialen Bezugsnorm, festgestellt? Für die Lehrkräfte ist damit die Entwicklung einer Reflexionskompetenz bzw. Sensibilisie‐ rung für die hohen zuschreibungsbezogenen Erwartungen vonnöten, die mit der Diagnose 12.2 Differenzierung als methodische Reaktion auf LRS im Französischunterricht 277 „LRS“ verknüpft sein können. Denn auch im Rahmen der vorliegenden Studie begegnen die Französischlehrkräfte der Herausforderung, angemessen mit einer bereits vorliegenden LRS-Diagnostik umzugehen, die mit Bezug zur deutschen Sprache gestellt wurde und in der Regel nur wenig konkrete Hinweise auf den Umgang mit LRS in fremdsprachlichen Fächern enthält. Einerseits liegt es natürlich im Interesse der betroffenen Schüler: innen, dass ihre Beeinträchtigung von Beginn an ernst genommen und dieser förderlich begegnet wird. Andererseits entsteht so eine Ausgangssituation, die mögliche Differenzen zwischen Schüler: innen mit und ohne LRS in einer Weise betonen könnte, die dem tatsächlichen Unterrichtsgeschehen nicht gerecht wird. Denn wie die Fallanalysen zeigen, begegnen alle drei Schülerinnen zwar spezifischen Schwierigkeiten wie z. B. einer überdurchschnittlich hohen Fehlerzahl im Bereich der Orthographie, Vermeidungsverhalten bei schriftlichen Leistungsüberprüfungen oder emotionalen Unsicherheiten, verfügen aber auch über indivi‐ duelle Stärken wie z. B. besonders ausgeprägte Lern- und Kompensationsstrategien (Anna), eine intensive mündliche Mitarbeit im Unterricht (Franziska) oder Bewältigungsstrategien im emotional-motivationalen Bereich (Katharina). Auch hinsichtlich einer kriterialen Leistungsbewertung, die in allen drei Fällen traditi‐ onell über Schulnoten zum Ausdruck gebracht wird, stehen die Schülerinnen innerhalb ihrer Lerngruppe keineswegs alleine da. Würde innerhalb der jeweiligen Französischkurse ein „within-class grouping“ (Trautmann 2016: 24) vorgenommen, das leistungsschwächere und -stärkere Schüler: innen zu vermeintlich homogeneren Lerngruppen vereint, stünden gleich mehrere Schüler: innen an Franziskas und Katharinas Seite, die ebenfalls mangelhafte Leistungen im schriftlichen Bereich aufweisen. Da es Anna in der Regel gelingt, befriedi‐ gende Leistungen im Französischunterricht zu erreichen, ordnet sich die Schülerin trotz ihrer LRS im Mittelfeld der sehr kleinen Lerngruppe ein und weicht sogar positiv von ihrem Mitschüler Marcel ab, der große Schwierigkeiten hat, den schulischen Anforderungen der Oberstufe insgesamt gerecht zu werden. Bei der Umsetzung von Differenzierungs- und Fördermaßnahmen ergibt sich folglich ein Kontinuum zwischen einer angemessenen, spezialisierten und präventiv angelegten Förderung und einer didaktischen Differenzkonstruktion zwischen Schüler: innen mit und ohne LRS, die folgenreich sein und nicht zuletzt als sozialer Mechanismus innerhalb der Lerngruppe wirken kann. So erläutert Martens (2015: 212) im Kontext der schulpädagogi‐ schen bzw. erziehungswissenschaftlichen Diskussion um Praktiken des Unterscheidens (Doing Difference): Seit den 1970er Jahren wird auf der Grundlage von Forschungsbefunden allerdings auch diskutiert, dass durch einen differenzierenden Umgang mit SchülerInnen Differenzen erst hervorgebracht und stabilisiert werden; die eingangs postulierte Tatsächlichkeit von Heterogenität erscheint aus dieser Perspektive als Ergebnis sozialer Konstruktionen in Schule und Unterricht […]. Die hier skizzierte Position ergänzt die aktuelle Grundannahme (nicht nur) des Fremdspra‐ chenunterrichts, dass Lerngruppen per se durch bestimmte Heterogenitätsdimensionen strukturiert werden, um eine weitere Perspektive. Überdies kann sie zu einer Reflexion des „Allheilmittels“ Differenzierung als methodisch-didaktische Reaktion auf verschiedene Lernausgangslagen von Schüler: innen anregen. Denn kritische Gedanken in Bezug auf Differenzierung bzw. Individualisierung sind auch in der Inklusionsdebatte präsent: Dort 278 12 Impulse zu einer LRS-Förderung im Französischunterricht stellt sich die Frage, inwieweit diese Ansätze Zielsetzungen des gemeinsamen Lernens entgegenlaufen können (z. B. Feuser 1998), insbesondere wenn psychosoziale gegenüber kognitiven Lernzielen im Fokus stehen. Reid (2020: 4) präzisiert mit Bezug zu spezifischen Fördermaßnahmen bei LRS: But support does not necessarily equate with inclusion. A group or individual can be supported and still not feel fully included in the mainstream curriculum. Indeed in the case of dyslexia much of the effective support that has taken place has been in the form of specialized help and that has actually promoted the practice of exclusion rather than inclusion. Eine mögliche Lösung dieses Dilemmas kann auf der konkreten Ebene der Unterrichts‐ praxis nur erreicht werden, indem eine LRS-Diagnose als Indiz für überdurchschnittliche Schwierigkeiten in den Bereichen des Lesens und (Recht-)Schreibens ernst genommen, je‐ doch auch hinsichtlich ihrer Aussagekraft für den Französischunterricht kritisch reflektiert wird. Dies kann beispielsweise anhand von Beobachtungsbögen und -strategien erfolgen, die speziell auf den Fremdsprachenunterricht zugeschnitten sind und eine individuelle Förderdiagnostik ermöglichen (z. B. Gerlach 2015 b : 147). 12.3 Alte und neue Überlegungen zur Förderung orthographischer Kompetenz im Französischunterricht Die Auseinandersetzung mit LRS im Französischunterricht verweist zurück auf Grundsatz‐ fragen des Fremdsprachenunterrichts: Welcher Stellenwert sollte sprachlichen Mitteln wie der Orthographie in einem kommunikativ orientierten Fremdsprachenunterricht zukommen? Reicht es aus, sie auch im Fall komplexerer Orthographien als Teilfertigkeit der funktional kommunikativen Kompetenz des Schreibens unterzuordnen? Und wie können Fremdsprachenlehrkräfte reagieren, wenn die Rechtschreibung einer gelingenden schriftlichen Kommunikation gerade nicht dient, sondern diese behindert (vgl. KMK 2004: 14)? Orthographische Kompetenz, wie sie im Begleitband des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen unter dem Stichwort der „Beherrschung der Orthographie“ (Europarat 2020: 160) konzeptualisiert wird, bedarf einer systematischen Entwicklung im Fremdsprachenunterricht. Für komplexe Orthographien wie das Französische gilt dies ganz besonders. Die beobachteten Unterrichtsstunden weisen darauf hin, dass nur selten systematisch an der französischen Orthographie gearbeitet wird. Dem steht entgegen, dass nur eine sehr geringe Fehlertoleranz gegenüber Rechtschreibfehlern besteht, d. h., diese werden de facto immer, wenn sich Lehrkräfte oder Lernende einem fremden Schreibprodukt zuwenden, anhand einer rigiden linguistischen Norm korrigiert bzw. bewertet. Die hohe Individualität der Rechtschreibprofile, die die Analysen der Lernerkorpora ergeben haben, weist darauf hin, dass sich auch bei der Aneignung der französischen Rechtschreibung individuelle „orthographische Lernersprachen“ (Weth 2011 a : 104) herausbilden, die in ihrer großen Heterogenität im Unterricht wahrgenommen werden sollten. Bislang wird diesen Lernersprachen, die analog zu der Idee einer Interlanguage als ein natürlicher und erwünschter Entwicklungsschritt verstanden werden und verschiedene Phasen des Schrift‐ 12.3 Förderung orthographischer Kompetenz im Französischunterricht 279 spracherwerbs auch in der Fremdsprache widerspiegeln, jedoch kaum Wertschätzung zuteil. Dies könnte auch darin begründet sein, dass Fehler in Unterrichtskontexten anders wahrgenommen werden als in außerschulischen Kommunikationssituationen, in deren Rahmen die Verständlichkeit von Äußerungen einen noch höheren Stellenwert hat. Für das Französische könnte hinzukommen, dass-- auch vor dem Hintergrund soziolinguistischer Aspekte wie dem hohen Stellenwert schriftsprachlicher Korrektheit in Frankreich selbst (vgl. Kap.-3.3.1) - eine deutlich geringere Fehlertoleranz als z. B. für das Englische besteht, das weltweit als Lingua franca noch verbreiteter ist. Jüngere Entwicklungen im schulischen Kontext wie die weitestgehende Abschaffung des Fehlerquotienten in allen Bundesländern bieten jedoch Anlass, die Relevanz orthographischer Korrektheit im Kontext verschiedener Kommunikationssituationen zu hinterfragen bzw. immer wieder neu zu bestimmen. Eine wesentliche Frage hinsichtlich der Förderung orthographischer Kompetenz im Französischen als Fremdsprache besteht folglich auch darin, welchen Stellenwert ortho‐ graphische Korrektheit im Französischunterricht haben sollte und wie entsprechend mit Fehlschreibungen umgegangen wird. Die Daten der vorliegenden Studie weisen darauf hin, dass die Korrektur bzw. Bewertung von Rechtschreibfehlern meist auf einer quantitativen Ebene verbleibt: Fehlschreibungen der Lernenden werden durch Unterstreichen markiert und mit Fehlerpunkten versehen. Wenn wie im Fall „Katharina“ ein Notenschutz umgesetzt wird, fließen die Rechtschreibfehler nicht in die Bewertung ein, was sich jedoch nur in geringem Maße auf die Gesamtbewertung der Schreibprodukte auswirkt. Es liegt nahe, dieses Vorgehen in Zukunft um eine weiterführende Arbeit auf Basis qualitativer Fehler‐ analysen zu ergänzen, die offenlegen, welche orthographischen Prinzipien die Lernenden noch nicht beherrschen. Entsprechende Ansätze könnten auch im Rahmen des begrenzten zeitlichen Umfangs des Französischunterrichts umgesetzt werden, indem die Schüler: innen beispielsweise zu einer individuellen Weiterarbeit mit Rechtschreibfehlern anhand von Fehleranalyseblättern oder Fehlerportfolios angeleitet werden (vgl. die Vorschläge in Braun 2015: 12; Sellin 2008: 173 ff.). Außerdem kann eine weiterführende Ausdifferenzierung orthographischer Fehlertypen, wie sie im Rahmen der Analyse der Schreibprodukte für die vorliegende Arbeit vorgenommen wurde, dazu beitragen, noch gezielter an individuellen Fehlerschwerpunkten zu arbeiten. Beispielsweise legen Fehlschreibungen im Bereich der orthographe grammaticale andere Zugänge nahe als das Weglassen von Akzenten oder das Hinzufügen von Buchstaben. An der orthographe lexicale könnte beispielsweise über eine Automatisierung und eine Fokussierung des „Sichtwortschatzes“ (Bremerich-Vos et al. 2017: 284), also die Konzentration auf die wichtigsten Wörter einer Fremdsprache und deren direkten Abruf über das orthographische Lexikon gearbeitet werden (vgl. Leloup 2018: 212 ff.). Demgegenüber könnte dem Zusammenhang von Orthographie und Grammatik eher über die Schulung metakognitiver (Überarbeitungs-)Strategien begegnet werden, da dieser je nach konkretem syntaktischen Umfeld immer wieder neu hergestellt werden muss (vgl. Engelen/ Gerlach 2022: 134 f.). Vor dem Hintergrund rechtschreibdidaktischer Ansätze für das Französische als Erstsprache erscheint zudem sinnvoll, die Prinzipien der orthographe grammaticale entlang einer stärkeren Systematik zu entwickeln und sich ausgehend von den weniger komplexen Singular- und Pluralmarkierungen über Genusmarkierungen hin zu der deutlich komplexeren Flexionsmorphologie vorzuarbeiten (vgl. Laparra 2010: 43 f.). 280 12 Impulse zu einer LRS-Förderung im Französischunterricht Auch vor dem Hintergrund der Schülersicht auf den bei LRS schwierigkeitsbesetzten Bereich der Orthographie bleibt die Frage, wie sich die Lernenden selbst zu dem Stel‐ lenwert der Rechtschreibung bzw. dem Umgang mit Fehlern positionieren. Denn wie Régine Delamotte-Legrand für den französischen Kontext erläutert, kann insbesondere die Konzentration auf bzw. die intensive Auseinandersetzung mit der Rechtschreibung dazu beitragen, dass die Lernenden sich selbst gegenüber eine große Strenge entwickeln und das orthographisch korrekte Schreiben übermäßig fokussieren: Encore et toujours, apprendre à lire et à écrire, c’est rencontrer l’orthographe. Le pénible accès à la maîtrise orthographique, avec ses bonheurs et ses malheurs, marque chaque individu. Car, au fond, apprend-on l’orthographe pour la respecter ou pour s’en servir ? La réponse n’est pas simple et ce ne sont pas forcément ceux qui ont le plus de difficultés à la maîtriser qui penseront que c’est pour s’en servir qu’ils l’ont si durement acquise. (zit. nach Honvault-Ducrocq 2006: 7) Nicht zuletzt sollte deshalb die Entwicklung einer orthographischen Kompetenz im Fran‐ zösischunterricht-- nicht nur, aber gerade bei LRS-- auch von einer Reflexion des Stellen‐ werts der Rechtschreibung innerhalb des Sprachsystems bzw. in Bezug auf die Erfüllung sprachlicher Korrektheit begleitet sein. Nicht umsonst sehen die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache die „Sprachbewusstheit“ als ebenso zentrale wie transversale Kompetenz vor, die „Einsichten in Struktur und Gebrauch der Zielsprache“ als gezieltes Instrument der Lernenden vorsieht, „um mündliche und schriftliche Kommunikationspro‐ zesse sicher zu bewältigen“ (KMK 2012: 21). 12.4 Perspektiven für Leistungsüberprüfungen Die vorliegende Studie liefert empirische Evidenz dafür, dass schriftliche Leistungsüber‐ prüfungen Schüler: innen mit LRS vor besondere Herausforderungen stellen können. Im Rahmen der analysierten Fälle zeigen sich diese Schwierigkeiten jedoch auf sehr unter‐ schiedliche Weise: Während beispielsweise Franziska umfassende Vermeidungsstrategien anwendet und Vokabeltests und Klassenarbeiten kaum bearbeitet, gelingt es Katharina, sich trotz eingehender Schwierigkeiten in allen relevanten Teilbereichen der Schreibkompetenz weiterhin mit Schreibaufträgen auch im Rahmen von Leistungsüberprüfungen auseinan‐ derzusetzen. Der Fall „Katharina“ ist zugleich der einzige Datensatz, in dessen Rahmen die - bei LRS oftmals empfohlene - Strategie, schriftliche Leistungsüberprüfungen im Sinne des Nachteilsausgleichs um mündliche Ersatzbzw. Ergänzungsleistungen zu erweitern, konsequent umgesetzt wird. Hier wird nicht nur die Gewichtung der mündlichen Mitarbeit im Rahmen der Fachnote erhöht, sondern es werden auch die Leistungsüberprüfungen selbst angepasst: Indem beispielsweise ein schriftlicher Vokabeltest um eine mündliche Vokabelabfrage ergänzt wird, kann die Schülerin zumindest einige zusätzliche Teilpunkte erreichen (vgl. Kap. 9.5.1). Noch wichtiger ist jedoch, dass überhaupt eine Form der Leistungsüberprüfung gefunden wird, die die lexikalischen Kenntnisse der Schülerin auch unabhängig von einer schriftlichen Form und damit orthographischer Korrektheit abfragt. Denn auf das sprachliche Mittel der Lexik wird nicht nur in schriftlichen, sondern genauso in mündlichen Kommunikationssituationen zurückgegriffen. 12.4 Perspektiven für Leistungsüberprüfungen 281 In diesen Punkten liegt eine wesentliche Entwicklungslinie für die Umsetzung adap‐ tierter Leistungsüberprüfungen im Fremdsprachenunterricht insgesamt: Das große Poten‐ zial der modernen Fremdsprachen, bei Beeinträchtigungen im Bereich der Schriftsprache Kompensationsmöglichkeiten über mündliche Kommunikation zu schaffen, könnte noch konsequenter ausgeschöpft werden. In diesem Zuge müssen auch etablierte Mechanismen der Leistungsüberprüfung im Fremdsprachenunterricht hinterfragt werden: In jüngerer Vergangenheit ist dies bereits in zahlreichen Bundesländern erfolgt, z. B. indem mündliche Kommunikationsprüfungen in der Oberstufe eine Klausur verpflichtend ersetzen (z. B. HKM 2020). Und auch in der Sek. I bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, monologisches und dialogisches Sprechen zu einem festen Teil des Französischunterrichts sowie von Leistungsüberprüfungen werden zu lassen: Stellvertretend sei hier auf die konzeptionellen Überlegungen sowie unterrichtspraktischen Vorschläge bei Küster (2020) verwiesen. Eine weitere Implikation für die Schulpraxis, die sich aus den vorliegenden Fallanalysen ergibt, besteht in der Stärkung von Verfahren der Selbst- und Peer-Evaluation im Franzö‐ sischunterricht. Denn in nur wenigen beobachteten Unterrichtssituationen hat eine andere Person als die Lehrkraft einen korrigierenden bzw. bewertenden Blick auf Arbeitsergeb‐ nisse der Schüler: innen mit LRS geworfen. Typische Instrumente der Eigenevaluation, denen eine positive Wirkung auf das selbstständige Lernen zugeschrieben wird, liegen beispielsweise mit der Portfolioarbeit, Lerntagebüchern, Bögen zur Selbsteinschätzung oder auch Lernverträgen vor (vgl. Wilkening 2013). Diese sollen dabei helfen, einen analytischen Blick auf eigene Stärken und Schwächen zu entwickeln, der nicht zuletzt bei Korrektur- und Überarbeitungsphasen von Schreibprodukten (oder anderen Aufgabenstellungen) eine positive Wirkung entfalten könnte. Mit diesen Ansätzen geht einher, dass bei der Einschätzung des Lernfortschritts von Schüler: innen der individuellen Bezugsnorm eine größere Bedeutung zukommt: Die aktuellen Leistungen der Lernenden werden hier in Relation mit vorherigen Leistungen gesetzt und bereits erreichte Zielsetzungen sowie Entwicklungsbedarfe identifiziert, sodass der Vergleich mit anderen Lernenden bzw. lern‐ gruppenbezogenen Kriterien um eine persönliche Entwicklungsperspektive ergänzt wird. Dies ist auch deshalb zu befürworten, da Schüler, deren Lehrer eine individuelle Bezugsnorm und die dazugehörigen Unterrichtspraktiken zeigen, haben ein stärker ausgeprägtes Erfolgsmotiv, während Schüler, deren Lehrer eine soziale Bezugsnorm bevorzugen, im Vergleich ausgeprägt misserfolgsorientiert sind. (Holodynski/ Oerter 2002: 572; zit. nach Zepter 2015: 23). Gerade wenn innerhalb heterogener Lerngruppen entwicklungs- oder leistungsbezogene Unterschiede noch deutlicher hervortreten und die Dimension der Lern- und Bearbeitungs‐ geschwindigkeit immer wieder relevant wird, könnte der Einbezug einer individuellen Bezugsnorm sowie formativer Verfahren der Leistungsevaluation im Französischunterricht eine noch entscheidendere Rolle spielen. 282 12 Impulse zu einer LRS-Förderung im Französischunterricht 12.5 Umgang mit fremdsprachenbezogenen Ängsten Nicht zuletzt wirft die vorliegende Arbeit die Frage auf, welche Implikationen sich für den Umgang mit (negativen) Emotionen in einem inklusiven Französischunterricht ergeben könnten, der auch Schüler: innen mit LRS gerecht werden möchte. Vor dem Hintergrund, dass Motivation und Sprachlerneignung als bedeutendste Faktoren für ein erfolgreiches Fremdsprachenlernen gelten (vgl. Schlak 2008: 4), sollte die Rolle von Emo‐ tionen für das Fremdsprachenlernen - die zwangsläufig mit der Sprachlernmotivation zusammenhängen - niemals unterschätzt werden. Im Vergleich zur Sprachlerneignung ergibt sich jedoch der Vorteil, dass auf emotionale und motivationale Dimensionen des Fremdsprachenlernens vergleichsweise gut eingewirkt werden kann. Dies ist insbesondere für den Zusammenhang von Lernschwierigkeiten und einem herabgesetzten schulischen bzw. akademischen Selbstkonzept relevant, wie Burden (2008: 194) betont: „Although the bulk of evidence gathered so far is strongly indicative of a clear relationship between being dyslexic and having a low academic self-concept, there are also signs that this relationship is by no means immutable.“ Doch wie könnte konkret auf die Entstehung und Lenkung von Emotionen gerade beeinträchtigter Lernender im Französischunterricht eingewirkt werden, ohne persönliche Grenzen der Lernenden bzw. professionelle Grenzen der Lehrkräfte zu überschreiten? Antworten auf diese Frage können nicht mehr nur aus der Fremdsprachendidaktik ge‐ neriert werden, sondern bedürfen des Rückgriffs auf andere Disziplinen und Ansätze wie z. B. der Positiven Psychologie: Diese wird auch in der Fremdsprachendidaktik als Alternative zu einer eher defizitorientierten Sicht auf Emotionen vorgeschlagen, indem nicht nur der Abbau negativer Emotionen, sondern ebenso der gezielte Aufbau positiver Emotionen beim Fremdsprachenlernen angestrebt wird (foreign language enjoyment; vgl. auch Marx 2020: 137). Wesentlich ist dabei, dass Lernenden der Aufbau interpersonaler Beziehungen sowie das Erleben von Sinnhaftigkeit, Erfolgen und Zielerreichung ermöglicht und somit der Blick auf das gerichtet wird, was gelingt - und nicht auf das, was nicht gelingt (vgl. ebd.: 138 ff.; Deci/ Ryan 2012). Neben den bereits skizzierten Aspekten einer Wahlberatung für die zweite Fremdsprache können beispielsweise Lernverträge dazu dienen, individuelle Zielsetzungen festzulegen, diese anhand konkreter Ressourcen und Handlungspläne realisierbar und erreichte Erfolge vor allem spür- und sichtbar zu machen bzw. zu honorieren; diese finden sich häufig in Begleitmaterialien von Lehrwerken. Ansätze der Sprachlernberatung, deren Übertragung auf den Schulkontext vermehrt diskutiert und auch hinsichtlich einer Verankerung in der Lehrkräfteausbildung konkretisiert wird (vgl. Martinez 2021), könnten hier wichtige Impulse liefern. Denn das, was Lernende letztlich als positiv, sinnstiftend und gewinnbringend empfinden, bleibt immer sehr individuell. Sprachlernberatung bietet Lernenden - sofern sie an nicht direktive Ansätze anknüpft (vgl. Rogers 1972) - die Möglichkeit, sich selbst auf die Suche danach zu begeben, was beim Fremdsprachenlernen als motivierend empfunden wird und wo Stärken, Schwächen und Entwicklungsperspektiven liegen könnten. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die oftmals diskontinuierlichen Lernbiographien der Forschungspartner: innen der vorlie‐ genden Studie, so wird deutlich, dass es nicht nur, aber gerade im Fall von Schüler: innen mit LRS umso wichtiger ist, Lernenden auch einen Raum zu bieten, um über vorherige Erfolgs- 12.5 Umgang mit fremdsprachenbezogenen Ängsten 283 sowie Misserfolgserlebnisse beim (Fremd-)Sprachenlernen zu reflektieren. Nur dann ist das Potenzial der zweiten Fremdsprachen, als positiv konnotierter Neuanfang verstanden zu werden, auch abrufbar. Eine weitere Perspektive für den Umgang mit fremdsprachenbezogenen Ängsten bei LRS im Französischunterricht könnte sich durch die Proactive Coping Theory ergeben, die in der Psychologie der Konzeptualisierung von Stress-, Emotions- und Handlungsregulation dient (vgl. Aspinwall/ Taylor 1997). In Abgrenzung zum reaktiven Coping, das sich auf den konstruktiven Umgang mit bereits eingetretenen Negativerlebnissen bezieht, betont das präventive bzw. proaktive Coping den antizipierenden Umgang mit möglicherweise bzw. wahrscheinlich auftretenden Schwierigkeiten. Dies könnte auch Schüler: innen mit LRS in potenziell schwierigkeitsbesetzten Unterrichtsituationen entlasten und zeigt sich beispielsweise im Fall von Anna, die individuelle Strategien der Unterrichtsvorbereitung relativ konsequent umsetzt. Beispielsweise bereitet sie die Lektüre von Lektionstexten, die Teil der kommenden Unterrichtsstunde sein sollen, zu Hause vor, indem sie Notizen zu unbekanntem Vokabular anfertigt und ein individuelles Notationssystem zur Ausspra‐ chevorbereitung einsetzt. Gerade vor dem Hintergrund von Annas herabgesetzter Bearbei‐ tungsgeschwindigkeit bei der Auseinandersetzung mit Schriftsprache bietet der häusliche Rahmen einen geschützten Raum, um anspruchsvolle Arbeitsaufträge individuell vorzu‐ entlasten. Dies bedarf in letzter Konsequenz einer längerfristigen Unterrichtsplanung durch die Lehrkräfte, damit entsprechende schülerseitige Vorbereitungen überhaupt getroffen werden können. Im Rahmen der beobachteten Unterrichtsstunden wurden vergleichsweise wenige Ideen umgesetzt, die musisch-künstlerische Handlungsfelder integrieren, z. B. in Form dramapä‐ dagogischer Ansätze. Diese haben das Potenzial, den „Formalitätsgrad“ von Unterrichts‐ aktivitäten zu reduzieren, den Fokus von schriftsprachlicher Korrektheit wegzurücken und Dichotomien von entweder richtigen oder falschen Lösungen zu relativieren. Mit der Möglichkeit des individuellen und kreativen Arbeitens wird nicht zuletzt das Potenzial verbunden, „positiv-aktivierende Emotionen“ (Götz et al. 2007: 15) bei den Lernenden zu evozieren. Diese etablierten Ansätze der Fremdsprachendidaktik, die darüber hinaus zahlreiche Anknüpfungspunkte zu typischen Konzepten der LRS-Förderung im Bereich des multisensorischen Arbeitens aufweisen, können folglich auch für eine Lese- und Schreibförderung nutzbar gemacht werden, von der die ganze Lerngruppe profitieren kann (vgl. Gerlach 2015 a ). 284 12 Impulse zu einer LRS-Förderung im Französischunterricht 13 Kontextualisierung der Studienergebnisse und Ausblick Die vorliegende Arbeit schließt im Folgenden mit einer Einordnung in weitere Diskussi‐ onslinien des Fachs, einer rückblickenden Reflexion des Forschungsprozesses und einem Ausblick auf mögliche Anschlussforschungen. 13.1 Status quo: LRS im Französischunterricht zwischen Bagatellisierung und Pathologisierung Nach einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit Lernbeeinträchtigungen publiziert Richard L. Sparks 2016 den Beitrag „Myths about Foreign Language Learning and Learning Disabilities“. Darin deckt er regelrechte Traditionen des gegenseitigen Zitierens innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses auf, die dazu geführt haben, dass Grundannahmen der Forschung zu learning disabilities nicht kritisch hinterfragt und kaum mehr nach empirischer Evidenz für bestimmte Zusammenhänge gesucht wurde. Ein typisches Bei‐ spiel ist der Mythos, dass sich als lernbeeinträchtigt diagnostizierte Lernende in ihren kognitiven und intellektuellen Fähigkeiten grundlegend von allgemein leistungsschwachen Schüler: innen unterscheiden müssen (vgl. Sparks 2016: 256 f.). Inwieweit könnte auch für LRS im Französischunterricht ein Prozess der „Mythenbildung“ vorliegen, den für die deutschsprachige Fremdsprachenforschung bereits Königs (2010) beschreibt? Die nicht selten aufgeheizte und von spezifischen Fachtraditionen geprägte Debatte um das „Konstrukt Legasthenie“, wie es die Erziehungswissenschaftlerin Renate Valtin (2004) formuliert hat, führt mitunter dazu, dass LRS zu Unrecht als selbstverschuldetes Problem vermeintlich „fauler“ Schüler: innen bagatellisiert oder auch als spezifisches Stö‐ rungsbild pathologisiert werden. Die vorliegende Studie konnte aufzeigen, dass LRS auch im Französischunterricht eine ernst zu nehmende Teilleistungsschwierigkeit darstellen, die für betroffene Lernende Herausforderungen mit sich bringen kann, denen Schüler: innen ohne LRS nicht gleichermaßen begegnen. Diese weisen jedoch sehr unterschiedliche Ausprägungen auf, die von individuellen Lernervariablen, aber auch den konkreten Gege‐ benheiten des jeweiligen Lehr-Lern-Kontexts abhängen. Darüber hinaus sind konkrete Schwierigkeiten meist anhand bereits etablierter fremdsprachendidaktischer Konzepte und Theorien erklärbar und in weiterer Folge Förderansätze ableitbar, die an den Französischun‐ terricht anschlussfähig sind. Was sich also in der (medizinischen) Diagnostik als eindeutiges Symptombild zeigt, kann in dem konkreten Setting des Französischunterrichts durchaus weniger trennscharf erscheinen: LRS stellen schließlich keine singuläre Disposition dar, die das Erlernen des Französischen - und weiterer Fremdsprachen - per se möglich oder unmöglich machen. Dieses Ergebnis der vorliegenden Arbeit kann einen Beitrag zu der Entpolarisierung der Debatte bzw. der Demystifizierung des Phänomens LRS im Franzö‐ sischunterricht leisten. Die für die Mythenbildung charakteristischen „Zuschreibungen, die sich durch häufige und flächendeckende Wiederholungen verfestigen“ (Königs 2010: 160) stellen nicht nur in Bezug auf auftretende Schwierigkeiten der Schüler: innen, sondern auch hinsichtlich der Formulierung möglicher Förderansätze eine Hürde dar. Denn die Fallanalysen haben gezeigt, wie schwierig die Suche nach adäquaten Fördermaßnahmen ist, deren Wirksamkeit nicht nur von einer methodisch-didaktischen Passung, sondern von zahlreichen weiteren organisatorischen Faktoren wie einer zeitlichen und räumlichen Organisation an der Schule, der fächerübergreifenden Zusammenarbeit oder der sozialen Akzeptanz durch die Mitschüler: innen bzw. die betroffenen Personen selbst abhängt. 13.2 Rückblick: Kritische Reflexion des Forschungsprozesses Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, Zugänge zu dem aktuellen Umgang mit LRS im Französischunterricht zu gewinnen und dabei den „Grad der Invasivität“ (Ricart Brede 2014: 138) der Datenerhebungsmethoden möglichst gering zu halten. Somit soll ein Beitrag zu einer unterrichtsbezogenen Grundlagenforschung im Bereich des Fremdsprachenlernens mit LRS geleistet werden, die auch die Perspektive der Lernenden berücksichtigt. Vor dem Hintergrund dieser Prämisse - und forschungsethischen Schlussfolgerungen, die aus der Pilotstudie gezogen wurden - erschien die Wahl eines analogen Verfahrens zur Unterrichtsbeobachtung anhand teilstrukturierter Beobachtungsbögen gegenstandsange‐ messen (vgl. Kap. 7.2). Rückblickend lässt sich festhalten, dass anhand dieser Methode umfassende und relevante Daten erhoben werden konnten, die einen globalen Überblick über die fremdsprachlichen Kompetenzprofile der von LRS betroffenen Schüler: innen im Französischunterricht ermöglichten. Natürlich hätten videographisch gestützte Unter‐ richtsbeobachtungen große Potenziale sowohl hinsichtlich einer weiterführenden Analyse der Unterrichtsstunden selbst als auch jeglichen Verhaltens der Forschungspartner: innen eröffnet: Dies betrifft zum einen Aushandlungsprozesse mit der Lehrkraft, zum anderen Interaktionen mit den Mitschüler: innen oder lernersprachliche Äußerungen, deren Merk‐ male wie Aussprache, Zögern oder Fehlerkorrekturen ein iteratives Verfahren präziser hätte analysieren können. So hätten die oftmals quantifizierenden Analysen, die im Rahmen des gewählten Settings auf die Erhebung „manifeste[r] Variablen“ (ebd.: 143) beschränkt waren, um noch tiefergehende Auswertungen der Unterrichtsdiskurse auf qualitativer Ebene ergänzt werden können. Der Ansatz, den Französischunterricht und in diesem Kontext entstehende Schreibpro‐ dukte möglichst ungefiltert zu erfassen (und nicht gesteuert zu erheben, vgl. Caspari 2016) führt zu einem positivistischen Zugang zu den stattfindenden Unterrichtsstunden, deren Ablauf von der Forscherin weder mitbestimmt noch beeinflusst wurde. Einerseits kann dies einen realitätsnahen Fokus der Fremdsprachenforschung auf die Schulpraxis befördern. Andererseits fließen so externe und gezielt gesetzte Impulse nicht in den Französischun‐ terricht ein, die dem Erkenntnisinteresse der Studie hätten zuträglich sein können bzw. in den beobachteten Unterrichtsstunden so nicht präsent waren. Diese hätten beispielsweise in kreativeren oder umfassenderen Schreibaufträgen in Form von Lernaufgaben, Verfahren der Selbst- und Peer-Korrektur oder im gezielten Einsatz mündlicher Ersatzleistungen (wie z. B. Referate oder Partnerprüfungen) bestehen können. Ein vergleichbares Vorgehen wurde von Siemann (2016, 2020) mit Bezug zum Spanischunterricht gewählt: Anhand von Diktaten wurde ein Vergleich der Rechtschreibleistungen von Schüler: innen mit 286 13 Kontextualisierung der Studienergebnisse und Ausblick und ohne LRS vorgenommen, was für eine einheitliche Korpuserstellung und eine hohe Vergleichbarkeit der Schreibprodukte sorgt, jedoch kaum Rückschlüsse auf den Umgang mit freieren Schreibaufträgen zulässt. Eine weitere Etappe des Forschungsprozesses, die rückblickend reflektiert wird, besteht in der Akquise von Forschungspartner: innen zu Beginn des Projekts. Dieser lag bereits eine wesentliche Sampling-Entscheidung zugrunde: Es wurden ausschließlich Schüler: innen in die Studie aufgenommen, für die eine aktuelle und offizielle Diagnose der „Lese- und Rechtschreibstörung“ nach ICD-10 (vgl. Dilling et al. 2018) vorlag. Dies sorgte zum einen für die Sicherung einer gemeinsamen diagnostischen Ausgangslage sowie für eine Vergleichbarkeit in Bezug auf eine potenziell zu erwartende Symptomatik und schulrecht‐ liche Rahmenbedingungen. Zum anderen wurde so die deutlichste Ausformung von LRS fokussiert, die am Ende eines Kontinuums von Verzögerungen und Beeinträchtigungen im Bereich des Lesens und Schreibens steht. Denn wie bei der Aufarbeitung der Terminologie herausgestellt wurde, existieren verschiedene Begriffe von LRS, die die Schwere der Ausprägung oder die Persistenz der Beeinträchtigung in ganz unterschiedlicher Weise abbilden (vgl. Kap. 3.1). Mit der Wahl des engen diagnostischen Kriteriums der „Lese- und Rechtschreibstörung“ wurde eine Personengruppe fokussiert, die trotz sehr deutlich ausgeprägter LRS einen Bildungsgang erreicht hat, der das Erlernen einer zweiten Fremd‐ sprache curricular vorsieht - den (potenziellen) Weg zum Abitur. Vermeintlich schwächere Formen von LRS, die entweder nicht ausgeprägt genug waren, um die Kriterien einer medizinischen Diagnostik zu erfüllen bzw. dieser gar nicht erst zugeführt worden waren, wurden demgegenüber nicht in die Studie einbezogen. In der Schulpraxis stehen jedoch gerade Lernende mit vermeintlich schwächer ausgeprägten Schwierigkeiten oft vor dem Problem, nicht in gleichem Maße Zugang zu Fördermaßnahmen zu erhalten - dies wird auch mit den Begriffen „Etikettierungs-Ressourcen-Dilemma“ (Moser/ Dietze 2015: 79) bzw. „labeling und funding“ (ebd.: 88) bezeichnet. Vor dem Hintergrund eines weiten Inklusionsbegriffs bestünde hier die Möglichkeit, den Blick auf Lernbeeinträchtigungen freizugeben, die bei den Lehrkräften als „Verdachtsfälle“ (Engelen 2019: 134) eingestuft werden oder im Zuge weniger formalisierter Verfahren festgestellt wurden. Dazu zählen insbesondere lehrerseitige Einschätzungen in Form von „Eigendiagnose[n]“ (ebd.: 135), die nicht selten eine Reaktion auf eine eher unübersichtliche Diagnostik im Bereich der Fremdsprachen darstellen. 13.3 Ausblick: Potenziale für Anschlussforschungen Anknüpfend an die Reflexion zur retrospektiven Optimierung des Forschungsprozesses ergeben sich folgende weiterführende Desiderate zum Themenfeld des Französischlernens mit LRS: Ein großes Potenzial für Anschlussforschungen besteht nicht nur in einer engeren Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten und außerschulischen Fachkräften, sondern auch in der systematischen Erhebung der Perspektive der Lehrkräfte auf ihren Umgang mit Schüler: innen mit LRS im Französischunterricht. Dies wurde beispielsweise bei der Auswertung von Schreibprodukten deutlich, die (teilweise unter Anwendung des Notenschutzes) von den Französischlehrkräften korrigiert worden waren. Gerade bei 13.3 Ausblick: Potenziale für Anschlussforschungen 287 86 Indem das „Verhältnis von allen im Text vorkommenden unterschiedlichen graphischen Wörtern (Types) und allen im Text vorkommenden Wörtern (Tokens)“ errechnet wird, könnten diese eine „Vorstellung von der Größe des im ausgewählten Text(ausschnitt) verwendeten Wortschatzes“ (Gerstenberg 2013: 91) vermitteln. Zweifelsfällen oder Entscheidungen, die innerhalb eines legitimen Ermessensspielraums getroffen wurden, hätte eine weitere Möglichkeit der Perspektiventriangulation bestanden. Gleiches gilt für die Plausibilisierung der Auswahl und konkreten Umsetzung spezifi‐ scher Fördermaßnahmen, die sich nicht immer anhand der Unterrichtsbeobachtungen erschließen ließ. Die gewählten Datenerhebungsmethoden beziehen auf der Ebene der Unterrichtsbeob‐ achtungen und der Schülerinterviews eine Prozessperspektive des Lernens ein, während bei der Analyse der Schülertexte die Produktperspektive im Fokus steht. Hier bieten sich Anknüpfungspunkte für weiterführende Forschungsarbeiten, die beispielsweise anhand der introspektiven Methode des Lauten Denkens Zugänge zu Prozessebenen (nicht nur) des Schreibens generieren könnten (vgl. Heine/ Schramm 2007). Dabei wäre jedoch zu be‐ denken, dass nicht nur für jüngere Lernende, sondern gerade für Schüler: innen mit LRS der bewusste Zugriff auf Problemlöse- und Lernprozesse während der Handlungsausführung sehr herausfordernd sein könnte (vgl. Börnert/ Grubert/ Wilbert [2016] zur Umsetzung des Lauten Denkens in inklusionspädagogischen Kontexten). Folglich könnten retrospektive Verfahren, die eine metakognitive Reflexion dem Prozess der Texterstellung nachschalten, eine methodische Alternative darstellen - auch wenn die Simultaneität der Erhebung so verloren ginge. Die Sammlung bzw. Erfassung der Schreibprodukte der Schüler: innen erfolgte aus‐ schließlich entlang didaktischer Kriterien, d. h., es war maßgeblich, welche Texte, No‐ tizen etc. im Französischunterricht geschrieben wurden. Zukünftige Forschungsprojekte könnten - im Sinne einer noch engeren interdisziplinären Verzahnung von Linguistik und Fremdsprachendidaktik - bereits bei der Zusammenstellung, insbesondere aber auch bei der Analyse der Schreibprodukte korpuslinguistische Überlegungen stärker berück‐ sichtigen (vgl. Gerstenberg 2013: 85 ff.). Beispielsweise wurden die jeweiligen type-tokenrelations  86 nicht in die vorliegende Studie einbezogen. Diese könnten abbilden, inwieweit Schüler: innen, die einen größeren Wortschatz einsetzen und z. B. in Form von Hypothe‐ senbildungen auf lexikalischer Ebene mehr „wagen“, auch mehr Fehler begehen. Weiterhin würde so auch das didaktische Kriterium der Wiederholungsfehler anhand linguistischer Auswertungsmethoden repräsentiert. Die jeweiligen Unterrichtsreihen stellen-- auch wenn sie als in sich kohärente Etappen eine sinnvolle Beobachtungseinheit bilden - nur einen sehr kleinen Ausschnitt einer mehrjährigen Auseinandersetzung der betroffenen Schüler: innen mit der französischen Sprache dar. Folglich könnten longitudinale Studiendesigns eine weiterführende Perspektive über Jahrgangsstufen, Lehrerwechsel und Entwicklungsschritte der Adoleszenz hinweg eröffnen (vgl. Ortega/ Iberri-Shea 2005). Derartige Großprojekte wären aber im Rahmen der begrenzten Ressourcen individueller Qualifikationsprojekte kaum umsetzbar, weshalb sich auf konzeptioneller Ebene das weiterführende Desiderat einer systematischen Vernetzung relevanter Forschung zu Sonderforschungsbereichen oder Verbundprojekten anschließt. 288 13 Kontextualisierung der Studienergebnisse und Ausblick Wie in der Einleitung dieser Arbeit formuliert wurde, ist das Themenfeld des Fremdspra‐ chenlernens mit LRS stark an aktuelle Diskurse der Fremdsprachendidaktik rückgebunden. Diese werden nicht selten durch bildungspolitische Richtungsentscheidungen gelenkt. Herbert Christ (2020: 276) nennt dies in seinen Vorlesungen zur Geschichte des Fremd‐ sprachenunterrichts die „tagespolitische Motivation des Fremdsprachenunterrichts“. Es bleibt eine weiterführende Aufgabe der Fremdsprachendidaktik, auch unabhängig von ex‐ ternen Impulsen und dem aktuellen „Boom“ der Inklusionsdebatte heterogenitätsbezogene Themen fortwährend zu verfolgen. Denn für den Französischunterricht führt die Studie zu der Frage zurück, für welche Zielgruppen der Unterricht der zweiten Fremdsprachen tatsächlich zugänglich ist - und perspektivisch sein sollte (vgl. Caspari 2021 zur Diskussion der „Krise des Französischunterrichts“). Die historische Perspektive erinnert uns an einen zunehmenden Abbau gesellschaftlicher und bildungssystematischer Barrieren, die den Zugang insbesondere zu vermeintlich elitären Fremdsprachen wie dem Französischen verbauen können (vgl. Christ 2020: 99 ff.). Nicht nur mit Blick auf die seit Jahren sinkenden Lernerzahlen, sondern auch hinsichtlich der Forderung des Europarats, dass alle Menschen die Möglichkeit haben sollten, neben ihrer Muttersprache zwei Fremdsprachen zu erlernen (M+2), liegen große Entwicklungsmöglichkeiten in einer systematischen Öffnung der zweiten Fremdsprachen für Personengruppen, die beispielsweise von Lernschwierigkeiten betroffen sind oder kein Abitur bzw. Hochschulstudium anstreben. In diesem Sinne wirft die empirische Studie implizit auch ein Schlaglicht darauf, welch großes Privileg ein unbelasteter Schriftspracherwerb nicht nur hinsichtlich des Fremdspra‐ chenlernens, sondern in Bezug auf Schul- und Bildungserfolg und somit gesellschaftliche Teilhabe insgesamt darstellt. Deshalb schließt die vorliegende Arbeit mit dem Appell an Wissenschaft und (Schul-)Praxis, niemals aufzuhören, sich Lernenden mit LRS ernsthaft, respektvoll und lösungsorientiert zuzuwenden - und ihre Stimmen in den Diskurs aufzu‐ nehmen. 13.3 Ausblick: Potenziale für Anschlussforschungen 289 Literaturverzeichnis Albert, Ruth & Marx, Nicole (2016). Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachlehrforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht (3. Aufl.). Tübingen: Narr Francke Attempto. Alexander-Passe, Neil (2006). How dyslexic teenagers cope: an investigation of self-esteem, coping and depression. Dyslexia, 12(4), 256-275. Aguado, Karin (2013). Die Qualitative Inhaltsanalyse in der Fremdsprachenforschung: Grenzen, Potentiale, Desiderata. In Karin Aguado, Lena Heine & Karen Schramm (Hrsg.), Introspektive Verfahren und Qualitative Inhaltsanalyse in der Fremdsprachenforschung (S. 119-135). Berlin: Peter Lang. Aguado, Karin (2015). 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Journal of experi‐ mental child psychology, 86(3), 169-193. 312 Literaturverzeichnis Anhang Schriftlicher Fragebogen der Vorstudie Kurzfragebogen: Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischunterricht Nehmen an Ihrem Französischunterricht Schüler: innen teil, die eine diagnostizierte Lese- Rechtschreib-Schwäche oder Legasthenie haben? Wenn ja, in welcher/ n Jahrgangsstufe/ n? Wenn ja, … … welche (sprachlichen) Anforderungen des Französischunterrichts stellen die betroffenen Schüler: innen vor besondere Herausforderungen (z. B. bestimmte Teilkompetenzen, Auf‐ gabenformate, Vokabel- oder Grammatikarbeit etc.)? … inwiefern sind sonstige Auffälligkeiten beobachtbar (z. B. Selbstbewusstsein, Motivation, Konzentration etc.)? … zeigen die betroffenen Schüler: innen im Französischunterricht besondere Stärken oder Leistungen (z. B. Begabungen, Einsatz von Lern-, Kompensationsstrategien oder Struktu‐ rierungstechniken etc.)? … gehen Sie in besonderer Weise auf die betroffenen Schüler: innen ein (z. B. bei der Unterrichtsgestaltung oder der Materialauswahl, durch Nachteilsausgleich/ Notenschutz etc.)? … an welchen Vorgaben zum Umgang mit und/ oder der Diagnostik von LRS orientieren Sie sich (z. B. landesspezifische oder schulinterne Regelungen)? Folgende Fragen können auch beantwortet werden, wenn aktuell keine betroffenen Schüler: innen an Ihrem Französischunterricht teilnehmen: Wird der Umgang mit Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischunterricht in Ihrer Fachgruppe thematisiert? Haben Sie sich während Ihrer Ausbildung oder Berufstätigkeit (Studium, Referendariat, Fortbildungen) mit Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten in Bezug auf den Französischunter‐ richt beschäftigt? Wünschen Sie sich Weiterbildungsmöglichkeiten in diesem Bereich? Ergänzungen und Anmerkungen: Wenn Sie einer weiterführenden Kontaktaufnahme im Rahmen meiner Studie zustimmen, geben Sie bitte hier Ihre E-Mail-Adresse und/ oder Telefonnummer an: […] Bitte senden Sie den ausgefüllten Fragebogen an: […] Sie können Ihre Zustimmung jederzeit widerrufen. Leitfaden für die Schülerinterviews 1. Einleitung und erneute mündliche Aufklärung Vielen Dank für deine Bereitschaft, mit mir heute über deine Erfahrungen mit dem Französischlernen zu sprechen. Wie du weißt, wird das Interview aufgezeichnet. Das, was du sagst, wird anonym behandelt, d. h., deine Aussagen können nicht mit deiner Person in Verbindung gebracht werden. Wenn du auf bestimmte Fragen nicht antworten möchtest oder kannst, ist dies kein Problem; dann gehen wir direkt zur nächsten Frage. Für mich sind alle deine Gedanken und Ideen von Interesse; du kannst gerne ausführlich auf meine Fragen antworten; es gibt keine „richtigen“ oder „falschen“ Antworten. Hast du noch Fragen zum weiteren Vorgehen? 2. Offene Einstiegsfrage und Warm-up Du lernst nun seit […] Jahren Französisch. Wie ist das so für dich? Erzähle mir doch bitte von deinen Erfahrungen. 3. Motivation und Beweggründe für die Wahl des Fachs Versetze dich doch bitte noch einmal in die Situation vor […] Jahren, als es um die Wahl der zweiten Fremdsprache für dich ging. Wie kam es eigentlich dazu, dass du das Französische als zweite Fremdsprache gewählt hast? 4. Erleben des Französischlernens bzw. -unterrichts Du hast mir gerade von deinen Erwartungen und Zielen erzählt, die du vor […] Jahren bei der Wahl des Französischen hattest. Inwiefern haben sich deine Erwartungen erfüllt? Inwieweit kannst du deine Ziele erreichen? 5. Erfolgserlebnisse Wenn du auf deinen Französischunterricht und dein Französischlernen zurückblickst, erzähle mir doch bitte von einer Situation, in der dir das Französischlernen besonders leichtgefallen ist, in der du ein Erfolgserlebnis hattest. 6. Negative Erlebnisse und Schwierigkeiten Wenn du auf deinen Französischunterricht und dein Französischlernen zurückblickst, erzähle mir doch bitte von einer Situation, in der dir das Französischlernen schwergefallen ist, in der du Schwierigkeiten oder Probleme hattest. 7. Motivation für das Französischlernen Wenn du auf deinen Französischunterricht und dein Französischlernen zurückblickst, könntest du mir bitte von einer Situation erzählen, in der du dich besonders motiviert gefühlt hast? 8. Demotivation im Kontext des Französischlernens Erinnerst du dich demgegenüber an eine Situation, in der du wenig motiviert oder unmotiviert warst? Erzähle mir doch bitte davon. 314 Anhang 9. Außerschulische Beschäftigung mit der französischen Sprache Ich würde gerne noch einmal darauf zu sprechen kommen, wie du dich außerhalb der Schule mit der französischen Sprache beschäftigst. Welche Berührungspunkte gibt es im Alltag für dich mit der französischen Sprache? 10. Häusliche Beschäftigung mit der französischen Sprache a) Du hast gerade erwähnt, dass du [z. B. mit Karteikarten Französischvokabeln lernst, einen Wochenplan aufstellst etc.]. Erzähle doch bitte noch einmal genauer, wie du zu Hause Französisch lernst. b) Wenn wir noch einmal ans Französischlernen denken: Erzähle doch mal, wie du zu Hause Französisch lernst. 11. Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten im Französischen: Überleitung und Diagnostik a) Du hast vorhin deine Schwierigkeiten beim Lesen und Rechtschreiben erwähnt. Darauf würde ich gerne noch einmal zurückkommen. Wie kam es eigentlich dazu, dass Lese- Rechtschreib-Schwierigkeiten bei dir festgestellt wurden? b) Wie du weißt, geht es in meiner Studie darum, wie Schüler: innen mit Lese-Rechtschreib- Schwierigkeiten Französisch als Fremdsprache lernen. Mich würde interessieren, wie es eigentlich dazu kam, dass Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten bei dir festgestellt wurden. 12. LRS im Alltag Würdest du mir vielleicht erzählen, wo du dich im Alltag von deinen Lese-Rechtschreib- Schwierigkeiten betroffen fühlst? 13. LRS in der Schule Erzähle mir doch bitte davon, wo du dich in der Schule von deinen Lese-Rechtschreib- Schwierigkeiten betroffen fühlst. 14. LRS im Französischunterricht Würdest du mir vielleicht erzählen, wo du dich konkret im Französischunterricht von deinen Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten betroffen fühlst? 15. LRS mit Schwerpunkt Lesen a) Wenn wir noch einmal an den Bereich des Lesens denken: Fällt dir vielleicht eine Situation oder Aufgabenstellung ein, bei der du das Lesen im Französischen besonders schwierig fandst? b) Du hast gerade erwähnt, dass es dir manchmal schwerfällt, [z. B. längere Texte zu verstehen, einen Text laut vorzulesen etc.]. Hättest du ein Beispiel dafür, damit ich mir das genauer vorstellen kann? 16. LRS mit Schwerpunkt (Recht-)Schreiben a) Wenn wir noch einmal an den Bereich des Schreibens denken: Fällt dir vielleicht eine Situation oder ein Schreibauftrag ein, den du im Französischen besonders schwierig fandst? Leitfaden für die Schülerinterviews 315 b) Du hast gerade erwähnt, dass es dir manchmal schwerfällt, [z. B. einen zusammenhän‐ genden Text zu verfassen, die Wörter im Französischen korrekt zu notieren etc.]. Hättest du ein Beispiel dafür, damit ich mir das genauer vorstellen kann? 17. LRS im Kontext von Hausaufgaben Denken wir noch einmal daran, dass du zu Hause Französisch lernst und zum Beispiel Hausaufgaben für die nächste Stunde machst. Würdest du mir vielleicht erzählen, wo du dich beim Französischlernen außerhalb der Schule von deinen Lese-Rechtschreib- Schwierigkeiten betroffen fühlst? 18. Unterstützung und Hilfen a) Du hast vorhin erwähnt, dass dich [z. B. deine Eltern, dein Nachhilfelehrer etc.] beim Französischlernen unterstützen. Könntest du dies noch einmal genauer erläutern? b) In welcher Form wirst du denn beim Französischlernen unterstützt? Erzähle doch mal, wie das abläuft. 19. LRS mit Schwerpunkt Leistungsüberprüfungen Wir haben bislang vor allem über Situationen gesprochen, in denen du [z. B. Französisch geübt hast, Hausaufgaben bearbeitet hast etc.]. Wie hast du denn [z. B. die letzte Klassenar‐ beit/ Klausur oder den letzten Vokabeltest] im Französischen erlebt? 20. Nachteilsausgleich und Notenschutz a) Du hast vorhin erwähnt, dass du [z. B. in Klausuren ein einsprachiges Wörterbuch benutzen darfst, mehr Zeit zur Verfügung hast etc.]. Könntest du mir etwas mehr darüber erzählen? b) Von [Name der Lehrkraft] habe ich erfahren, dass bei Klassenarbeiten im Fach Französisch für Schüler: innen mit Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten [Maßnahmen des Nachteilsausg‐ leichs bzw. Notenschutzes] gelten. Könntest du mir etwas mehr darüber erzählen? 21. Ausblick und Wünsche an den Französischunterricht Welche Wünsche hast du an deinen Französischunterricht? Was erhoffst du dir in Zukunft von deinem Französischunterricht? Hast du schon eine Idee, wie es für dich mit dem Französischlernen weitergeht? 22. Abschluss Damit sind wir am Ende unseres Gesprächs. Möchtest du noch etwas hinzufügen? Habe ich etwas nicht angesprochen, was dir wichtig ist? Welche Frage hättest du noch gestellt? Ich danke dir herzlich, dass du dieses Gespräch mit mir geführt hast. Dies ist für meine Forschung eine große Hilfe! Solltest du im Nachhinein noch Fragen dazu haben, kannst du dich jederzeit an mich wenden. 316 Anhang Beobachtungs- und Kategoriensystem zur Auswertung des Französischunterrichts Diejenigen Auswertungskategorien, die im Sinne einer „kodierenden Beobachtung“ nach Pauli (2012) bereits während der Unterrichtsbeobachtungen ausgewählt wurden, werden mit * markiert. Hier erfolgte eine Auswahl der passenden Kategorie per Dropdown-Menü auf dem Tablet (vgl. Kap. 6.2.2). Die Angaben zu den Häufigkeiten der Kategorien in MAXQDA beziehen sich auf die Kodierungen der drei Fälle der Hauptstudie. Die Angaben in eckigen Klammern […] stellen jeweils die Summe der Unterkategorien dar. Basismerkmale der Unterrichtsituationen [660] 1. Materialien & Medien* 1.1 Lehrwerk 1.1.1 Lehrbuch 1.1.2 Cahier d’activités 1.1.3 Arbeitsblatt 1.1.4 Grammatikheft 1.2 Tafel/ Whiteboard 1.3 Computer & Beamer 1.4 Overhead-Projektor [256] [169] 102 33 24 10 49 26 12 2. Zielkompetenzen der Unterrichtssituationen* 2.1 Hör- & Hör-Sehverstehen 2.2 Lesen 2.3 Schreiben 2.4 Sprachliche Mittel 2.4.1 Aussprache 2.4.2 Grammatik 2.4.3 Lexik 2.4.4 Orthographie 2.5 Sprachmittlung 2.6 Sprechen [253] 9 40 58 [84] 11 46 23 46 56 3. Unterrichtskontexte & Sozialformen* 3.1 Lernsituationen 3.1.1 Einzelarbeit 3.1.2 Gruppenarbeit 3.1.3 Partnerarbeit 3.1.4 Unterrichtsgespräch im Plenum 3.2 Leistungsüberprüfungen 3.2.1 Vokabeltests 3.2.2 Klassenarbeiten/ Klausuren [124] [120] 16 8 22 74 [4] 22 4. Arbeitsatmosphäre & Unterrichtsstörungen* 4.1 Ruhige Arbeitsatmosphäre, keine Unterrichtsstörungen 4.2 Gelegentliche Unterbrechungen durch einzelne SuS 4.3 Unruhe & hoher Geräuschpegel im Klassenraum [124] 94 23 7 Beobachtungs- und Kategoriensystem zur Auswertung des Französischunterrichts 317 Fokus auf Schüler: innen mit LRS: Aktivitäten & Verhalten in Unterrichtssituationen [476] 5. Unterrichtsbeteiligung & Verhalten im Plenum* 5.1 S. bringt Redebeitrag ein 5.2 S. meldet sich, wird aber nicht aufgerufen 5.3 S. beteiligt sich nicht aktiv am Unterricht 5.4 S. ist abgelenkt und verfolgt Unterrichtsgespräch nicht [74] 44 7 21 2 6. Mitarbeit & Verhalten bei Partner- & Gruppenarbeiten* 6.1 S. beteiligt sich aktiv an Partner- & Gruppenarbeiten 6.2 S. initiiert & strukturiert Partner- & Gruppenarbeiten 6.3 S. wirkt nicht an Partner- & Gruppenarbeiten mit [30] 25 41 7. Verhalten in Einzelarbeitsphasen & Prüfungssituationen* 7.1 S. arbeitet ruhig & konzentriert 7.2 S. ist unruhig oder stört andere SuS 7.3 S. verlässt den Raum [25] 20 32 8. Sprachverwendung im Rahmen der Redebeiträge* 8.1 S. spricht auf Deutsch 8.2 S. spricht auf Französisch 8.3 S. nutzt andere Sprache [122] 23 98 1 9. Dimensionen der Bearbeitung von Arbeitsaufträgen 9.1 Umfang der Bearbeitung 9.1.1 Vollständige Bearbeitung des Arbeitsauftrags 9.1.2 Unvollständige Bearbeitung des Arbeitsauftrags 9.1.3 Keine Bearbeitung des Arbeitsauftrags 9.2 Zeitliche Organisation der Bearbeitung 9.2.1 Schöpft Zeit voll aus 9.2.2 Wird vorzeitig fertig 9.2.3 Nutzt verlängerte Bearbeitungszeit [153] [80] 40 33 7 [73] 69 22 10. Rückgriff auf Differenzierungsmaßnahmen 10.1 Quantitative Differenzierung 10.1.1 Reduktion des Materialumfangs 10.1.2 Vergabe von Zusatzaufgaben 10.2 Qualitative Differenzierung 10.2.1 Adaption der Aufgabenstellung 10.2.2 Visuelle Modifikation des Unterrichtsmaterials 10.2.3 Mediale Unterstützung der Unterrichtssituation 10.2.4 Anpassung der Sozialform [72] [24] 11 3 [48] 71 27 13 Fokus auf LRS-Schüler: innen: Prozesse der Aufgabenbearbeitung im Bereich des Schreibens [299] 11. Arten von Schreibanlässen 11.1 Reproduktives Schreiben 11.2 Instrumentelles Schreiben (note taking) 11.3 Gelenktes und freies Schreiben [112] 28 54 30 12. Phasen von Schreibprozessen (bei gelenktem & freiem Schreiben) 12.1-Vorbereitung der Schreibaufgabe im Unterrichtsgespräch 12.2 Individuelle Vorbereitung des Textes 12.3 Individuelles Verfassen des Textes 12.4 Individuelle Überarbeitung des Textes 12.5 Peer-Feedback/ Peer-Korrektur 12.6-Besprechung der Schreibprodukte im Unterrichtsgespräch [110] 30 24 30 88 10 318 Anhang 13. Schülerseitige Bewältigungsstrategien im Umgang mit Schreibaufträgen 13.1 Kognitive Strategien 13.1.1 Nutzung eines Wörterbuchs 13.1.2 Rückgriff auf das Grammatikheft 13.1.3 Anfertigen von Notizen zur Texterstellung 13.1.4 Vornahme von Korrekturen nach Beendigung des Texts 13.2 Metakognitive Strategien 13.2.1-Diskussion einzelner Schritte der Schreibprozessorganisation 13.2.3 Thematisierung des Zeitmanagements 13.3 Sozio-affektive Strategien & Stützstrategien 13.3.1 Adressieren der Lehrkraft 13.3.2 Einbezug von Mitschüler: innen 13.3.3 Einlegen einer Pause während des Schreibprozesses [77] - [36] 16 488 [10] 37 [31] 13 16 2 Fokus auf LRS-Schüler: innen: Prozesse der Aufgabenbearbeitung im Bereich des Lesens [168] 14. Art der Lesesituation 14.1 Leseverstehen 14.2 Vorlesen vorliegender Materialien 14.3 Vorlesen eigener Notizen/ Arbeitsergebnisse [40] 7 25 8 15. Phasen von Leseprozessen (bei Leseverstehensaufgaben) 15.1 Vorbereitung des Lesetexts im Unterrichtsgespräch 15.2 individuelle Lektüre des Texts 15.3 Bearbeitung von Aufgaben zu dem Lesetext 15.4 Anschluss-Kommunikationen [26] 7775 16. Lautes Vorlesen als eigenständiger Fertigkeitsbereich 16.1 Einbettung in das Unterrichtsgeschehen 16.1.1 Vorlesen als spontane Aktivität 16.1.2 Vorlesen als vorbereitete Aktivität 16.2 Performanz der Schüler: innen mit LRS 16.2.1 Der vorgelesene Text ist verständlich 16.2.2 Der vorgelesene Text ist nicht verständlich 16.2.3 Wort-für Wort-Lesen/ stockendes Lesen [43] [33] 29 4 [10] 424 17. Schülerseitige Bewältigungsstrategien im Umgang mit Leseaufträgen 17.1 Kognitive Strategien 17.1.1 Nutzung eines Wörterbuchs 17.1.2 Markieren relevanter Textstellen 17.1.3-Notieren von Informationen zur Aussprache von Wörtern 17.1.4 Formulieren von Hypothesen zu unbekanntem Vokabular 17.2 Metakognitive Strategien 17.2.1 Diskussion der Relevanz des Lesetexts 17.2.2 Thematisierung des Zeitmanagements 17.3 Sozio-affektive Strategien/ Stützstrategien 17.3.1 Adressieren der Lehrkraft 17.3.2 Einbezug von Mitschüler: innen 17.3.3 Unterstützung der visuellen Orientierung im Text [59] [27] 5976 [8] 26 [24] 42 18 Beobachtungs- und Kategoriensystem zur Auswertung des Französischunterrichts 319 Kategoriensystem zur Auswertung der Schülerinterviews „In-vivo-Codes“ (Hülst 2013: 286; vgl. Kap. 7.1) werden mit * gekennzeichnet. Die Angaben zu den Häufigkeiten der Kategorien in MAXQDA beziehen sich auf die Anzahl der kodierten Interviewstellen im Rahmen der drei Fälle der Hauptstudie. Zentrale Bezugspunkte der Redebeiträge [338] 1. Zeitliche Dimensionen 1.1 Kindergarten & Vorschule 1.2 Grundschule 1.3 Weiterführende Schule 1.4 Aktuelle Lehr-Lern-Kontexte 1.5 Zukünftige Lehr-Lern-Kontexte [72] 35 12 48 4 2. Räumliche Dimensionen 2.1 Schule & Unterricht 2.2 Außerschulische Lehr-Lern-Kontexte 2.3 Privater Rahmen & Alltagsleben 2.4 Auslandsaufenthalte & Reisen [72] 51 786 3. Fachliche & didaktische Dimensionen 3.1 Unterrichtsfächer 3.1.1 Französischunterricht 3.1.2 Deutschunterricht 3.1.3 Englischunterricht 3.1.4 Nicht sprachliche Fächer 3.2 Lern- und Übungssituationen 3.3 Situationen der Leistungsüberprüfung [102] [51] 38 463 34 17 4. Kompetenzbezogene Dimensionen 4.1 Funktional-kommunikative Kompetenzen 4.1.1 Hör- & Hör-Sehverstehen 4.1.2 Lesen 4.1.3 Schreiben 4.1.4 Sprachmittlung 4.1.5 Sprechen 4.2 Sprachliche Mittel 4.2.1 Aussprache 4.2.2 Grammatik 4.2.3 Lexik 4.2.4 Orthographie [92] [43] 5 13 15 28 [49] 14 18 13 14 Motivation & Beweggründe für die Wahl des Fachs [27] 5. Sprach- und interessensbezogene Argumente 5.1 Ästhetik der französischen Sprache 5.2 Sprachstruktureller Vergleich des Fremdsprachenangebots [5] 23 6. Zweck- und unterrichtsbezogene Argumente 6.1 Erfüllung sozialer Erwartungen 6.2 Kommunikation außerhalb der Schule 6.3 Erreichen einer guten Note* [7] 223 7. LRS-bezogene Argumente 7.1 Ressourcen & Unterstützungsmöglichkeiten 7.2 Kompensationsmöglichkeiten durch Mündlichkeit 7.3 Bewältigbarkeit schwierigkeitsbesetzter Bereiche 7.4 Empfehlungen von Expert: innen [15] 7332 320 Anhang Erleben des Französischunterrichts & des Französischlernens [85] 8. Schilderung positiver Lernerlebnisse 8.1 Anhand einer individuellen Bezugsnorm 8.1.1 Erreichen selbst gesetzter Ziele 8.1.2 Beobachtung eines persönlichen Lernfortschritts 8.1.3 Erfüllung eines persönlichen Interesses 8.2 Anhand einer kriterialen Bezugsnorm 8.2.1 Erzielen kommunikativer Erfolge 8.2.2 Erreichen einer guten Bewertung 8.3 Anhand einer sozialen Bezugsnorm 8.3.1 Erhalt positiven Feedbacks durch andere Personen 8.3.2 „Mithalten-Können“ mit anderen Lernenden [24] [7] 232 [7] 25 [10] 46 9. Schilderung negativer Lernerlebnisse 9.1 Anhand einer individuellen Bezugsnorm 9.1.1 Verpassen selbst gesetzter Ziele 9.1.2 Empfundener Zeitdruck* 9.1.3 Überforderung mit schulischen Gesamtanforderungen 9.2 Anhand einer kriterialen Bezugsnorm 9.2.1 Scheitern der Kommunikation 9.2.2 Erhalten einer schlechten Bewertung 9.2.3 Scheitern des parallelen Erlernens von Fremdsprachen 9.3 Anhand einer sozialen Bezugsnorm 9.3.1 Bemerken von Defiziten durch andere Personen 9.3.2 Erleben eines Lernrückstands gegenüber Mitschüler: innen [30] [8] 233 [11] 272 [11] 38 10. Verbalisierung von Emotionen 10.1 Positiv-aktivierende Emotionen 10.2 Positiv-deaktivierende Emotionen 10.2.1 Erleichterung 10.3 Negativ-aktivierende Emotionen 10.3.1 Aggressionen* 10.3.2 Angst*, Prüfungsangst* & Versagensangst* 10.3.3 Panik* & Panikattacke 10.3.4 Psychosomatische Stressreaktionen 10.4 Negativ-deaktivierende Emotionen 10.4.1 Blackout-Momente* 10.4.2 Enttäuschung & Traurigkeit 10.4.3 Hoffnungslosigkeit 10.4.4 Laut-Lese-Blockade* [31] [0] [2] 2 [20] 3728 [9] 3222 LRS als Teil der Bildungsbiographie der Schüler: innen [41] 11. Erinnerungen an die initiale LRS-Diagnostik 11.1 Anlass zur Diagnostik 11.2 Art der Diagnostik 11.3 Auswirkungen der Diagnostik [11] 326 12. Lernschwierigkeiten als „kritische Lebensereignisse“ 12.1 Abwahl eines Unterrichtsfachs 12.2 Nicht-Versetzung in die nächste Jahrgangsstufe 12.3 Wechsel der Schulform 12.4 Rückfall* in umfassendere Schwierigkeiten [12] 3252 13. LRS als Herausforderung außerhalb der Schule 13.1 Alltagsbezogene Schwierigkeiten im Bereich des Lesens 13.2 Alltagsbezogene Schwierigkeiten im Bereich des Schreibens 13.3 Schwierigkeiten auf sozialer Ebene [18] 468 Kategoriensystem zur Auswertung der Schülerinterviews 321 Auseinandersetzung der Schüler: innen mit der frz. Sprache [148] 14. Auseinandersetzung mit Schreibanlässen und -aufgaben 14.1 Schilderung von Schwierigkeiten 14.1.1 Im Bereich der Schreib-/ Bearbeitungsgeschwindigkeit 14.1.2 Im Bereich der Phonem-Graphem-Zuordnungen 14.1.3 Im Bereich der sprachlichen Mittel 14.1.4 Im Bereich der inhaltlichen Erfüllung von Aufgabenstellungen 14.2 Umgang mit Schwierigkeiten im Bereich des Schreibens 14.2.1 Kognitive Strategien 14.2.2 Metakognitive Strategien 14.2.3 Sozio-affektive Strategien/ Stützstrategien [53] [36] 86 17 5 [17] 746 15. Auseinandersetzung mit Leseanlässen und -aufgaben 15.1 Schilderung von Schwierigkeiten 15.1.1 Im Bereich der Lese-/ Bearbeitungsgeschwindigkeit 15.1.2 Bei der visuellen Orientierung in Texten 15.1.3 Im Bereich der Graphem-Phonem-Zuordnungen 15.1.4 Im Bereich der sprachlichen Mittel 15.2 Umgang mit Schwierigkeiten im Bereich des Lesens 15.2.1 Kognitive Strategien 15.2.2 Metakognitive Strategien 15.2.3 Sozio-affektive Strategien/ Stützstrategien [30] [19] 7543 [11] 524 16. Unterstützungssysteme im Französischunterricht 16.1 Rückgriff auf Fördermöglichkeiten 16.1.1 LRS-Kurse* innerhalb der Schule 16.1.2 Lerntherapeutische Angebote außerhalb der Schule 16.1.3 Nutzung familiärer Ressourcen 16.2 Multisensorisches Arbeiten & Strukturierungshilfen 16.2.1 Vokabelarbeit anhand von Karteikarten 16.2.2 Festlegung von Lernrhythmen 16.2.3 LRS-spezifische Hilfsmittel 16.2.4 Digitale Tools 16.3 Nachteilsausgleich & Notenschutz 16.3.1 Verlängerung der Bearbeitungszeit 16.3.2 Nutzung eines Wörterbuches 16.3.3 Nicht-Bewertung von Rechtschreibfehlern 16.4 Bewertung der Unterstützungssysteme 16.4.1 Als hilfreich 16.4.2 Als ineffizient [65] [15] 528 [17] 5264 [13] 463 [20] 14 6 322 Anhang Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Literale Kompetenzen nach Bachmann und Becker-Mrotzek (2017: 28) 27 Abb. 2: Schreibprozessmodell nach Hayes (2012: 371) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Abb. 3: Vierfelderschema nach Koch und Oesterreicher (1985: 17) . . . . . . . . . . 57 Abb. 4: Homophonie - Heterographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Abb. 5: „Orthographische Fehleranalyse und -therapie“ (Börner 1977: 80) . . . . 62 Abb. 6: Ansätze und Empfehlungen beim Umgang mit LRS im Fremdsprachenunterricht (Gerlach 2020: 417) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Abb. 7: Zielsetzungen der Vorstudie und Samplingprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Abb. 8: Übersicht über die Datenerhebungsmethoden der Hauptstudie . . . . . . 118 Abb. 9: Ablaufschema einer inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018: 100) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Abb. 10: Auszug aus dem Kategoriensystem zur Inhaltsanalyse der Schülerinterviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Abb. 11: Fall „Franziska“: Leseschablone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Abb. 12: Fall „Franziska“: Schreibprodukt Moi, Elias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Abb. 13: Fall „Franziska“: Resümee des Films De l’autre côté du périph . . . . . . . . 167 Abb. 14: Fall „Franziska“: Test de vocabulaire no. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Abb. 15: Fall „Franziska“: Test de vocabulaire no. 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Abb. 16: Fall „Katharina“: Differenzierte Aufgabenstellungen zum Leseverstehen (Bruckmayer et al. 2015, Lehrermaterialien, o. S.) . . . . . 193 Abb. 17: Fall „Katharina“: Tafelabschrift l’impératif avec un prénom . . . . . . . . . . 207 Abb. 18: Fall „Katharina“: Auszug aus der Tafelabschrift exemples : aller + infinitif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Abb. 19: Fall „Katharina“: Schreibprodukt Je me présente-… . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Abb. 20: Fall „Katharina“: Schreibprodukt Le théâtre Royal de Luxe . . . . . . . . . . . 212 Abb. 21: Fall „Katharina“: Schreibprodukt Le théâtre Royal de Luxe (mit Korrekturen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Abb. 22: Fall „Katharina“: Vokabeltest mit Korrekturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Abb. 23: Fall „Katharina“: Wortwolke zum emotionalen Unterrichtserleben der Schülerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Abb. 24: Fall „Anna“: Bearbeitung eines Auszugs des Lesetexts Calculs . . . . . . . 235 Abb. 25: Fall „Anna“: Tafelabschrift le discours direct . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Abb. 26: Fall „Anna“: Schreibprodukt le futur composé mit reproduktiven Elementen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Abb. 27: Fall „Anna“: Schreibprodukt ma ville préférée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Abb. 28: Fall „Anna“: Schreibprodukt carte postale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Tabellenverzeichnis Tab. 1: Bogen zur Unterrichtsbeobachtung I: Basismerkmale der Unterrichtssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Tab. 2: Bogen zur Unterrichtsbeobachtung II: Fokus auf LRS-Schüler: innen . . . . 123 Tab. 3: Kategoriensystem zur Erfassung verschiedener orthographischer Fehlertypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Tab. 4: Übersicht über die erhobenen Datensätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Tab. 5: Fall „Franziska“: Übersicht über die Wortanzahlen der Teilkorpora und die Häufigkeiten verschiedener Fehlertypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Tab. 6: Fall „Franziska“: Übersicht über die Häufigkeiten orthographischer Fehlertypen in den Teilkorpora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Tab. 7: Fall „Katharina“: Übersicht über die Wortanzahlen der Teilkorpora und die Häufigkeiten verschiedener Fehlertypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Tab. 8: Fall „Katharina“: Übersicht über die Häufigkeiten orthographischer Fehlertypen in den Teilkorpora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Tab. 9: Fall „Anna“: Übersicht über die Wortanzahlen der Teilkorpora und die Häufigkeiten verschiedener Fehlertypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Tab. 10: Fall „Anna“: Übersicht über die Häufigkeiten orthographischer Fehlertypen in den Teilkorpora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 BUCHTIPP Etwa 20 Prozent aller deutschen Schüler: innen zeigen - in unterschiedlichen Graden - Lese- Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS) und erleben damit bei Texterschließungsaufgaben wie auch bei Textproduktion in allen Fächern massive Nachteile. Im Fremdsprachenunterricht zählen Lesen und Schreiben zu den zentralen funktional-sprachlichen Kompetenzen, die damit Lernende mit LRS sowie ihre Lehrkräfte vor große Herausforderungen stellen. Bislang fehlten jedoch konkrete, praxisorientierte und vor allem umfassend empirisch abgesicherte Empfehlungen zur Förderung lese-rechtschreib-schwacher Schüler: innen im Fremdsprachenunterricht. Der narr STARTER-Band Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS) im Fremdsprachenunterricht schließt diese Lücke und führt neben den Ursachen und der Symptomatik von LRS im Fremdsprachenunterricht ein in unterrichtspraktische Formen von Diagnose und Förderung. Darüber hinaus werden Aspekte der Lehrmittelgestaltung sowie schulrechtliche Maßnahmen wie Notenschutz und Nachteilsausgleich diskutiert. David Gerlach Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS) im Fremdsprachenunterricht narr STARTER 1. Auflage 2019, 90 Seiten €[D] 12,99 ISBN 978-3-8233-8262-1 eISBN 978-3-8233-9262-0 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Haben Schüler: innen Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS), wirkt sich dies häufig auch auf das Fremdsprachenlernen aus. Dennoch ist wenig darüber bekannt, welchen Schwierigkeiten Lernende mit LRS im Fremdsprachenunterricht konkret begegnen, welche Lern- und Kompensationsstrategien sie anwenden und welche Stärken sie in Auseinandersetzung mit der Fremdsprache entfalten. Die vorliegende Arbeit bietet anhand mehrerer Fallstudien erstmals detaillierte Einblicke in Lernprozesse von Schüler: innen mit LRS im Französischunterricht der Sekundarstufen I und II. Das qualitative Forschungsdesign kombiniert Unterrichtsbeobachtungen, die inhaltliche und sprachliche Analyse schriftlicher Lernendentexte sowie Schülerinterviews. Die Untersuchung leistet damit einen Beitrag zur fremdsprachendidaktischen Grundlagenforschung in den Bereichen LRS und Inklusion. ISBN 978-3-8233-8618-6