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Konstruktive Rhetorik

2019
978-3-7398-8007-5
UVK Verlag 
Jürg Häusermann

Nur der Dialog bringt Sie weiter! Wenn Menschen sich angeregt unterhalten, leidenschaftlich diskutieren und sich Antworten auf brennende Fragen geben, ist Kommunikation erfolgreich. Beim Halten einer Rede oder eines Vortrags dominiert aber oft der Monolog. Jürg Häusermann zeigt, dass es auch anders geht: Er ermutigt die LeserInnen seines neuen Buches dazu, auch in Vortragssituationen stets den Dialog zu suchen. Im ersten Teil zeigt er auf, wie sich öffentliches Reden vom alltäglichen Dialog unterscheidet. Im praktischen zweiten Teil geht er auf die konkreten Mittel des Dialogs in Vortragssituationen ein. Zahlreiche Illustrationen und abwechslungsreiche Beispiele machen dies begreifbar. Häusermann verrät, wie Sie mit Ihrer Körpersprache den Raum nutzen können und das Zeitproblem in den Griff bekommen. Er zeigt, wie Sie durch Ihre Stimme eine Rede gestalten und die ZuhörerInnen durch eine lebendige Sprache miteinbeziehen. Auch wie Ihr Publikum beim Einsatz von Präsentationsmedien aufmerksam bleibt, erklärt er praxisnah. Wissenswertes zum Autor und Buch: Das Buch fußt unter anderem auf Häusermanns Erfahrungen in der hochschuldidaktischen Lehre. Er ist seit 20 Jahren Dozent bei didactica, dem hochschuldidaktischen Programm von Universität und ETH Zürich (u.a. mit dem Kurs "Rhetorik für Seminar und Vorlesung"). Viele Beispiele stammen aus dem Kontext wissenschaftlicher Vorträge und Vorlesungen. Probleme der Vorlesung vor großem Publikum werden illustriert und mit praktischen Tipps kommentiert. Mit seinem Schwerpunkt auf Wissensvermittlung und selbstbewusstem Auftreten spricht das Buch Studierende an, die in Seminaren und Übungen Referate halten. Der Autor hat Studierende und DoktorandInnen verschiedenster Fächer (z.B. Chemie, Germanistik, Theologie) in der Vorbereitung und Präsentation eigener Arbeiten unterrichtet.

Mit Tipps und Übungen! ISBN 978-3-7398-3007-0 Nur der Dialog bringt Sie weiter! Wenn Menschen sich angeregt unterhalten, leidenschaftlich diskutieren und sich Antworten auf brennende Fragen geben, ist Kommunikation erfolgreich. Beim Halten einer Rede oder eines Vortrags dominiert aber oft der Monolog. Jürg Häusermann zeigt, dass es auch anders geht: Er ermutigt die LeserInnen seines neuen Buches dazu, auch in Vortragssituationen stets den Dialog zu suchen. Im ersten Teil zeigt er auf, wie sich öffentliches Reden vom alltäglichen Dialog unterscheidet. Im praktischen zweiten Teil geht er auf die konkreten Mittel des Dialogs in Vortragssituationen ein. Zahlreiche Illustrationen und abwechslungsreiche Beispiele machen dies begreifbar. Häusermann verrät, wie Sie mit Ihrer Körpersprache den Raum nutzen können und das Zeitproblem in den Griff bekommen. Er zeigt, wie Sie durch Ihre Stimme eine Rede gestalten und die ZuhörerInnen durch eine lebendige Sprache miteinbeziehen. Auch wie Ihr Publikum beim Einsatz von Präsentationsmedien aufmerksam bleibt, erklärt er praxisnah. Jürg Häusermann Konstruktive Rhetorik Jürg Häusermann Der Dialog als Schlüssel zum erfolgreichen Vortrag Konstruktive Rhetorik www.uvk.de 53007_Haeusermann_Umschlag_174.indd Alle Seiten 13.06.2019 10: 46: 51 Jürg Häusermann Konstruktive Rhetorik Der Dialog als Schlüssel zum erfolgreichen Vortrag UVK Verlag · München Jürg Häusermann, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, gibt seit den 1980er-Jahren Rhetorikkurse für Menschen aus den verschiedensten Berufen. Er zeigt dabei, wie man auch beim Sachvortrag vor Publikum den Dialog betonen kann und damit Rednern und Zuhörenden die Sache leichter macht. Seine Lehrbücher basieren auf seiner Erfahrung in der linguistischen Forschung, der eigenen Vortragstätigkeit und der Arbeit als Radiojournalist. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlag 2019 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Lektorat: Rainer Berger, München Einbandgestaltung: Vanessa Seitz, Tübingen Einbandmotiv: © ComicSans, iStock Strichzeichnungen: © Jürg Häusermann, Tübingen Druck und Bindung: CPI - Clausen & Bosse, Leck UVK Verlag Nymphenburger Str. 48 80335 München Telefon: 089/ 452174-66 Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Dischingerweg 5 72070 Tübingen Telefon: 07071/ 9797-0 www.narr.de ISBN 978-3-7398-3007-0 für Bärbel Prolog: Das Überschreiten der Schwelle it ihren Vorlesungen über Radioaktivität hat Marie Curie Geschichte geschrieben. Sie war die erste Frau auf einem Lehrstuhl einer französischen Universität, und was sie dozierte, waren Ergebnisse aus der Spitzenforschung einer Nobelpreisträgerin. Dennoch kostete es sie jedes Mal Überwindung, vor den Studierenden oder vor einer größeren Öffentlichkeit zu sprechen. Ihr liebstes Medium waren die privaten Gespräche mit ihrem Ehemann Pierre, mit den Studierenden und ihren Kollegen. Die biografischen Quellen lassen es leicht rekonstruieren: Marie Curie war in ihrem Element, wenn im kleinen Kreis ein aktuelles Thema diskutiert wurde - und noch mehr, wenn sie mit ihrem Gatten Pierre zu zweit über „ihr geliebtes Radium“ plauderte. Aber dieselben Gedanken zu präsentieren, bedeutete für sie Stress. So wie es ihr ging, geht es vielen. Ob es sich als Lampenfieber ausdrückt oder einfach als erhöhte Konzentration - wer auch immer sich an ein Publikum wendet, spürt den Unterschied zwischen dem alltäglichen Gespräch und der öffentlichen Rede. Marie Curie war zwar eine gute Rednerin; schon in ihrem zweiten Jahr an der École Normale Supérieure de Sèvres hatte sie sich zu einer sehr beliebten Dozentin entwickelt. Aber sie spürte den Schritt zur öffentlichen Präsentation jedes Mal als große Herausforderung, wie ihre Tochter Eve Curie erzählt: »Montag und Mittwoch ist Marie vom frühesten Morgen an nervös und aufgeregt. Um fünf Uhr hat sie Vorlesung. Nach Tisch schließt sie sich in dem Arbeitszimmer ihrer Wohnung ein. Sie bereitet die Vorlesung vor, notiert sich die einzelnen Abschnitte des Vortrags. Gegen halb fünf Uhr fährt sie ins Laboratorium und schließt sich wieder in dem kleinen Ruheraum ein. Sie ist unruhig, gespannt, unzugänglich. Seit nunmehr fünfundzwanzig Jahren liest Marie. Und doch hat sie unweigerlich jedes Mal Lampenfieber, wenn sie vor ihren zwanzig oder dreißig Schülern in dem kleinen Vortragssaal erscheinen soll.« 1 Wer vor Publikum spricht, überschreitet spürbar eine Schwelle. Er verlässt die Kommunikationsformen des alltäglichen Gesprächs und betritt einen Bereich, in dem andere Regeln gelten. Die Anforderungen an Sprache, Sprechweise und Körpersprache sind grundlegend anders, sobald man sich an eine Gruppe wendet: Es wird eine aufrechte Haltung erwartet, eine deutliche Aussprache, eine strukturierte Rede, bei der man nicht unterbrochen wird - und das sind nur einige Besonderheiten dieser Art des Redens. 8 Prolog Sie ergeben sich aus der einfachen Tatsache, dass die Rollen der Beteiligten klar aufgeteilt sind, in einen Sprecher und eine Gruppe von Zuhörenden. Die „Öffentlichkeit“, vor der Marie Curie Respekt hatte, bestand nicht nur in der Gruppe von zwanzig bis dreißig Studierenden, die sich „alle zusammen erhoben, wenn sie den Hörsaal betrat,“ 2 und die ihr kritisch folgten. Es kam der universitäre Rahmen dazu, der ihre Vorlesungen ermöglichte. Was sie sagte, wurde beobachtet und weiterverbreitet, weit über die Hochschule hinaus. Sie wusste, dass ihr Wort in der ganzen wissenschaftlichen Welt - und darüber hinaus - Aufmerksamkeit fand. Auch dies trug dazu bei, dass ihr der ganz konkrete Schritt vom Labor in den Hörsaal, vom Gespräch zur Vorlesung, schwerfiel. Es ist dieser Übergang von der nichtöffentlichen zur öffentlichen Kommunikation, der die Faszination, aber auch die Schwierigkeiten des Redens ausmacht. Menschen, die sich in der persönlichen Begegnung problemlos behaupten, müssen große Hürden überwinden, sobald sie vor einer Gruppe von Zuhörenden stehen, weil sie fürchten, den Anforderungen, die da an sie gestellt werden, nicht zu genügen. Dieses Buch behandelt dieses Thema in zwei Teilen. Der erste beschreibt die Bedingungen und Herausforderungen des öffentlichen Redens. Der zweite Teil zeigt, wie damit praktisch umgegangen werden kann und dass bessere Resultate erzielt werden, wenn das Reden vor Publikum als Dialog verstanden wird. Inhalt - Prolog: Das Überschreiten der Schwelle ........................................................ 7 - 1. Teil │ Reden in der Öffentlichkeit: Was sich beim Reden vor Publikum verändert - 1 - Eine neue Rolle, ein weiter Raum........................................................ 16 - 2 - Die Zeit ist begrenzt ............................................................................... 20 - 3 - Der Veranstalter spielt mit.................................................................... 23 - 4 - Normen von Kultur und Gesellschaft................................................. 26 - 5 - Reden entstehen geplant........................................................................ 30 - 6 - Das Publikum ist nie passiv .................................................................. 39 - 7 - Das Problem: Monolog statt Dialog .................................................... 45 - 8 - Rhetorik: Die Lehre vom Reden in der Öffentlichkeit.................... 52 - 9 - Das Gegenprogramm: Dialog ............................................................... 54 - 2. Teil │ Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird: Praxis der konstruktiven Rhetorik - Verbal │ Mit Wörtern den Dialog eröffnen................................................... 71 - 10 - Verständlich, attraktiv, transparent................................................... 72 - 11 - Fragen und Antworten als Schlüssel zum Dialog .......................... 73 - 12 - Erzählen intensiviert den Kontakt ..................................................... 83 - 13 - Redeaufbau als Frucht der Zusammenarbeit ................................... 88 - 14 - Beweisen, begründen, plausibel machen........................................ 102 - 15 - Von der geschriebenen Sprache wegkommen .............................. 113 - 16 - Verständliche Sätze ............................................................................. 119 - 17 - Wo sind wir eigentlich gerade? - Transparenz schafft Orientierung ................................................ 136 - 18 - Damit alle dranbleiben: Attraktivität .............................................. 139 - 19 - Freies Formulieren macht den Dialog leichter.............................. 144 - 10 Inhalt Übungen │ Verbal - Portionieren.............................................................................................................. 147 - Frei formulieren....................................................................................................... 148 - Storytelling ............................................................................................................... 149 - Aussagen beleben.................................................................................................... 150 - Metakommunikation einfügen ............................................................................ 151 - Paraverbal │ Wie man Menschen mit der Stimme erreicht ............... 153 - 20 Sprechtraining und seine Grenzen .................................................. 155 21 Wie es klingt: Atem, Stimme, Artikulation ................................... 156 22 So erreichen die Worte die Zuhörenden ........................................ 163 23 Das Geheimnis der Sprechhandlung ............................................... 178 24 Probleme und Lösungen bei der freien Rede................................. 181 Übungen │ Paraverbal - Tätscheln ................................................................................................................... 182 - Befreite Lektüre ....................................................................................................... 183 - Der hilfreiche Korken............................................................................................. 185 - Sinnschritte erkennen ............................................................................................ 186 - Eine Partitur anfertigen ......................................................................................... 187 - Sprechhandlungen nutzen .................................................................................... 189 - Nonverbal │ Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht..................................................... 191 - 25 - Was kommt zurück? Wie die Körpersprache den Dialog unterstützt............................ 194 - 26 - Wie man auf den Raum reagiert....................................................... 198 - 27 - Was heißt Blickkontakt mit einer ganzen Gruppe? ..................... 202 - 28 - Die verräterische Mimik..................................................................... 205 - 29 - Gesten, die Kontakt schaffen............................................................. 208 - Übungen │ Nonverbal - Auseinandersetzung mit dem Raum (Gruppenübung) .................................. 226 - Stehenbleiben (Einzelübung) ................................................................................ 227 - Sightseeing (Gruppenübung) ............................................................................... 228 - Gestik-Repertoire (Einzelübung) ......................................................................... 230 - Inhalt 11 Medial │ Wie Wandtafel, Handout und Beamer den Dialog fördern.................................................. 233 - 30 - Medienverwendung im Alltag .......................................................... 235 - 31 - Wie wir Medien im Vortrag einsetzen............................................ 237 - 32 - So unterstützen Medien die Rede..................................................... 237 - 33 - Wie Vortrag und Bilder zusammenspielen .................................... 245 - 34 - Redner, Publikum und Medium im Raum ...................................... 247 - 35 - Einzelne Medien, und wie man sie im Dialog einsetzt................ 252 - 36 - Vorbereitung auf den Dialog............................................................. 264 - Übungen │ Medial - Texte vereinfachen ................................................................................................. 265 - Choreografie für Flipchart/ Whiteboard/ Tafel.................................................. 266 - Objektpräsentation ................................................................................................. 267 - PowerPoint-Karaoke .............................................................................................. 269 - Epilog......................................................................................................................... 271 - Weiterführende Literatur .................................................................................. 273 - Anmerkungen ........................................................................................................ 275 - Personen- und Sachregister ............................................................................ 295 - Gender-Hinweis Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen zwischen der männlichen und der weiblichen Form abgewechselt. Leserinnen und Leser sind gleichermaßen angesprochen. 1. Teil │ Reden in der Öffentlichkeit: Was sich beim Reden vor Publikum verändert  Reden traditionell Der erste Teil dieses Buchs macht die Herausforderungen des öffentlichen Redens erfahrbar. Im Mittelpunkt stehen die Faktoren, die die Kommunikation für Redner und Publikum erschweren:  räumliche und zeitliche Bedingungen  soziale und kulturelle Vorgaben  sprachliche, sprecherische und körpersprachliche Normen eit dem Jahr 2003 lädt die Universität Münster die Schulkinder der Stadt zu spektakulären Vorlesungen ein - etwa: Wie verklage ich meine Eltern auf Taschengeld? oder: Warum brennt ein Pups? 3 Die Kinder verfolgen die Vorträge fasziniert. Sie schildern ihre Professoren als „schlau, aber nicht allwissend“, als „locker und lustig“. 4 Dennoch sind sie nicht mit allem zufrieden. Was sie unter anderem stört, ist der Raum, in dem die Professoren zu ihnen reden. Es ist gewöhnlich der Hörsaal H1 am Münsteraner Schlossplatz, der 1.142 Sitzplätze umfasst. Pädagoginnen haben sie dazu befragt und herausgefunden: Die Kinder sind zwar von der Größe des Hörsaals beeindruckt, beklagen aber auch, dass es ihnen schwerfällt, sich aktiv zu beteiligen, und dass die Redner in dem Rahmen schlecht auf individuelle Bedürfnisse eingehen können. 5 Abb. 1: Begegnung mit einem traditionellen Redner: Kinder-Uni im großen Hörsaal. Zum einen genießen die Kinder, dass sie Vorträge besuchen können, die sonst Erwachsenen vorbehalten sind. Zum anderen legen sie auch sogleich den Finger auf den wunden Punkt: Zum ersten Mal mit einer öffentlichen Rede konfrontiert, erkennen sie, dass die Rahmenbedingungen die Kommunikation auch erschweren können. Der Einzelne verschwindet in der Masse, die Distanz zum Vortragenden ist größer als zum Lehrer in der Schule, und wenn sich jemand zu Wort meldet, verstehen ihn die anderen Zuhörenden nicht. Die kritischen Reaktionen der Kinder sind also gar nicht überraschend. Interessant ist vielmehr, wie die Autorinnen der Studie, die selbst aus der Universität stammen, damit umgehen: Darauf, dass die Kinder bedauern, dass der Dialog erschwert ist, gehen sie gar nicht ein. Sie kommentieren es mit dem lapidaren Satz: „Dies steht aber bei der Organisationsform einer Vorlesung auch nicht im Vordergrund.“ 16 1. Teil Die Forscherinnen stammen selbst aus der Universität und sind seit ihrem Studium mit der herkömmlichen Form des wissenschaftlichen Vortrags vertraut. Diese ist für sie so selbstverständlich, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, das Feedback der Kinder ernst zu nehmen. Es könnte ja eine berechtigte Kritik sein - nicht an dem Stoff, der hier für sie aufbereitet wird, sondern an den Rahmenbedingungen. Vorträge vor großem Publikum sind gerade wegen ihrer monologischen Anordnung weniger erfolgreich als die Unterrichtsformen, die Kinden aus der Schule kennen und in denen der Dialog zentral ist. Sie macht den Dialog nicht unmöglich, aber sie erschwert ihn. Wer erfolgreich vortragen will, muss die Rahmenbedingungen kennen, die über Jahrtausende hinweg das Reden in der Öffentlichkeit geprägt haben. Und dann geht es darum, ihnen etwas entgegenzusetzen. Die räumlichen Verhältnisse, die Zeitvorgaben, die Zielsetzungen des Veranstalters stehen einer ungezwungenen, fruchtbaren Kommunikation entgegen. Aber das ist nicht unüberwindbar. Es ist möglich, die prinzipiell monologische Situation in eine tendenziell dialogische zu verwandeln. Um dies zu erreichen, muss man aber die Ausgangslage kennen - die Vorgaben des öffentlichen Redens - und erkennen, dass sie Chancen zu einer unkonventionellen Kommunikation bieten.  Bestimmende Faktoren des öffentlichen Redens  Rollenaufteilung Redner - Publikum  Erweiterung des Raumes  zeitliche Begrenzung  formale und inhaltliche Vorgaben des Veranstalters  gesellschaftliche und kulturelle Normen  besondere Produktionsweisen bei Vorbereitung und Formulierung  eingeschränkte Beteiligung des Publikums 1 Eine neue Rolle, ein weiter Raum ffentlich zu reden, bedeutet, in einem größeren Raum zu reden. Dies ergibt sich aus der einfachen Tatsache, dass sich eine einzelne Person an eine Gruppe von Menschen wendet. Sie braucht deshalb einige Meter Abstand und die Zuhörenden brauchen alle ihren Platz. Oft werden diese Bedingungen noch verschärft: Eine Rednertribüne, ein Lehrerpult oder eine Bühne sorgt für die Sicht- und Hörbarkeit. Stühle, Bänke, Sitzreihen richten die Zuhörenden auf die wichtigste Person im Reden in der Öffentlichkeit 17 Raum aus. Auch in informellen Situationen ist es weithin üblich, dass ein Redner sich vom Sitz erhebt und die Menschen, die ihn hören sollen, im Stehen anspricht, auch wenn diese selbst sitzen. Indem er aufsteht und einen besonderen Standort einnimmt, setzt er ein Zeichen. Er erhöht aber auch die Verständlichkeit und zeigt Respekt für die um ihn Versammelten. Wer sitzen bleibt, gilt schnell als unhöflich, auch wenn es als Zeichen der Bescheidenheit oder der Originalität gemeint ist. In vielen Fällen sind für öffentliche Reden spezielle architektonische Räume geschaffen worden. In Parlamentsgebäuden, Gerichtssälen, Kirchen, oder Schulzimmern bestimmen starre architektonische Vorgaben, wo der Redner steht und wo die Zuhörenden sitzen: Es gibt das Podium, die Kanzel, das Katheder. Diese Wörter allein lassen an bestimmte Arten des Redens denken: Podiumsredner, Kanzelwort, Kathederweisheit etc. Dass der Raum sich weitet, hat zu bestimmten Verhaltensformen geführt, insbesondere was die Körpersprache betrifft. Vieles, was Redner intuitiv tun - wie sie sich bewegen, wie sie dastehen, welche Gesten sie ausführen - sind durch die Distanz zum Publikum zu erklären, die zur traditionellen öffentlichen Rede gehört, auch wenn diese in vielen Fällen längst aufgehoben ist. Honoré Daumier hat dies illustriert, als er Mitte des 19. Jahrhunderts Anwälte karikierte. Es war die französische Julimonarchie, eine Zeit der Skandale und sozialen Missstände. In der Serie Les gens de justice zeichnete er zwei Advokaten, die sich noch auf ihren Auftritt vorbereiten. Der eine ordnet seine Halsbinde, der andere schlüpft gerade in den Talar. Die Art ihres Gesprächs ist aus diesen privaten Handlungen, aus der Mimik, aber auch schon allein aus der Nähe der beiden Figuren erkenntlich. Sie werden gleich gegnerische Parteien vertreten; aber eigentlich sind sie Kumpel und vertrauen sich an, was sie wirklich von der Sache denken. Abb. 2: Honoré Daumier: Zwei Anwälte vor ihrem Auftritt in kollegialem Gespräch. 6 18 1. Teil Ein anderes Bild zeigt die beiden in der Hitze des rhetorischen Gefechts. Dem plädierenden Anwalt ist anzusehen, dass er zu einem ganzen Saal spricht. Man ahnt die große Lautstärke, auch die Gestik ist für die Wirkung im Raum ausgelegt. Mit seiner Körperhaltung, leicht nach hinten gedehnt, vergrößert er sogar noch die Distanz zum gegnerischen Anwalt, der den indignierten Kollegen spielt. Abb. 3: Honoré Daumier: Der Anwalt beim Plädoyer. 7 Dieser drastische Unterschied zwischen nichtöffentlicher und öffentlicher Rede gilt auch in vielen anderen Situationen - sogar bei einfachen Vorträgen. Der Redner ist exponiert und weiß um die Sichtbarkeit seines körperlichen Ausdrucks. Das verleitet die einen zu besonders deutlichen Gesten, andere hemmt es. In den meisten Fällen ist das Repertoire aber im Vergleich zur Alltagskommunikation reduziert, auf einige wenige Formen beschränkt. Auch das Verhalten des Publikums wird durch die räumliche Einrichtung geleitet. Die Menschen werden auf eigens angeordnete Sitze verwiesen. Das gibt die Blickrichtung vor und fördert damit die Aufmerksamkeit. Es schränkt aber auch ihre Beweglichkeit ein. Zwischen anderen Zuhörenden eingepfercht, ist man zu einer ruhigen, wenn nicht gar starren Haltung gezwungen. In einem gewissen Sinn isoliert die räumliche Anordnung den Redner; sie verstärkt den Eindruck der Distanz zwischen ihm und dem Publikum. Die Raumverhältnisse beim öffentlichen Reden beeinflussen auch die akustische Gestaltung. In hohen und weiten Räumen entsteht ein starker Hall - ein Effekt, der beim nichtöffentlichen Gespräch in kurzer Distanz kaum eine Rolle spielt. Wer dagegen im Freien redet, spürt, dass der Nachhall fast völlig fehlt und sich die Stimme leicht verflüchtigt. In beiden Fällen ist die sprecherische Kommunikation grundsätzlich erschwert. Deshalb hat sich eine redetypische Sprechweise entwickelt; Menschen klingen anders, sobald sie „öffentlich“ werden. Da lauter gesprochen werden muss, Reden in der Öffentlichkeit 19 sind längere Pausen zwischen Satzteilen oder gar Wörtern erforderlich. Dies führt meistens zu einer gleichförmigen Betonung. Und auch wenn heutzutage Mikrofone und Verstärkeranlagen eingesetzt werden, ist diese typische Festredner-Sprechweise noch immer nicht ausgerottet.  Der Einfluss des Raums  größere Distanz des Redners zum Publikum  reduzierte Bewegungsmöglichkeiten des Publikums  vereinfachte, auf Deutlichkeit ausgerichtete Körpersprache  lautes, gleichförmiges Sprechen Deshalb ist sie auch in weniger offiziellen Situationen erkennbar, sobald jemand die Ebene des nichtöffentlichen Redens verlässt und gleichsam symbolisch den Raum weitet. Körperhaltung und Sprechweise zeigen dies ebenso wie ein Rückgriff auf ein respektableres Vokabular. Ich kauere mit meinem kleinen Sohn im Sandhaufen und wir sprechen unsere vertraute Familiensprache. Rings um uns und mit uns spielen andere Kinder. Da tut Andreas etwas, das meinen Erziehungsprinzipien widerspricht und ein kurzes erzieherisches Gespräch erfordert. Aber ich weiß: Wir stehen unter der Beobachtung aufmerksamer schwäbischer Mütter und Väter. Also richte ich mich auf, erhebe meine Stimme und weise ihn zurecht. Ich werde für alle, die in der Nähe sind, hörbar und ich verwende einige festgefügte Wendungen, die die Gesellschaft für solche Fälle entwickelt hat. „Das tut man nicht! “ - „Reiß dich zusammen! “ - „Wird's bald? “ 8 Dass ich mich aufrichte, lauter rede und solche festen Redewendungen gebrauche, zeigt: Ich rede im Bewusstsein, dass andere Leute zuhören. Ich rede so, als ob das Gespräch von diesen Zuhörenden kontrolliert würde. Die Redesituation wird etwas geöffnet; die Redeabsicht verändert sich, die Rede scheint an Wichtigkeit zu gewinnen. Öffentlichkeit im soziologischen Sinne wird da zwar nicht hergestellt. 9 Für die praktische Rhetorik aber ist das Bild eines konkreten Raums hilfreich, in dem sich die Distanzen zwischen den Beteiligten vergrößern, sobald einer von ihnen die Rolle des Redners annimmt. Unsere Kommunikation wird für andere zugänglich - ein erster Grad des Veröffentlichens. Und generell wird damit gerechnet, dass die Inhalte der Rede weitergetragen werden und über das anwesende Publikum hinaus wirken. Dies gilt für die Kinder-Uni ebenso wie für die Vereinsversammlung. Die Anwesenden werden das Gehörte weiterverbreiten, in der Familie, in anderen sozialen Gruppen. Deshalb werden die Redner in ihrem Verhalten dadurch bestimmt, dass mehr Resonanz möglich ist als im Alltagsgespräch. 20 1. Teil Rhetorik ist die Lehre vom öffentlichen Reden in diesem Sinne: vom Reden, wenn der Raum sich weitet und die Rollen in Redner und Publikum aufgeteilt sind. Man sieht und hört es einem Menschen an, wenn er seine private Redeweise verlässt und - je nach Typ - doziert oder referiert oder predigt. Er begibt sich auf Distanz, nimmt eine neue Rolle an und verhält sich nach anderen Normen. 2 Die Zeit ist begrenzt avid Alexander Day war ein amerikanischer Missionar, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Westafrika tätig war. In einer Missionsstation in Liberia predigte er nicht nur, sondern studierte auch die Sprache und Redepraktiken der afrikanischen Bevölkerung. Auch wenn er sie als uncivilized people betrachtete, war er beeindruckt vom Reichtum ihrer Sprache und ihrer Erzählungen. Er notierte seine Beobachtungen für Zeitschriften in der Heimat, zum Beispiel die folgende über einen Brauch, den er als One-Leg-Talk übersetzte: »Wenn die Zeit knapp ist, wird der Redner oft angehalten, auf einem Bein zu stehen, und er hat nur so lange das Wort, als er in der Haltung bleiben kann.« 10 Day kommentiert dies scherzhaft, indem er sagt: »Die Zuhörer und Gemeinden in der Heimat könnten dies als Hinweis nehmen und diese Regel auf langatmige Redner anwenden. Die Idee ist nicht patentiert, aber ich erwarte, dass alle Gemeinden, die sie umsetzen, uns als kleines Dankeschön eine Schachtel mit Kleidern schicken.« Das amerikanische Publikum hat diesen Bericht dankbar aufgenommen, und es kommt heute noch vor, dass in launigen Reden oder auch in gedruckten Ratgebern darauf angespielt wird, unabhängig davon, wie gesichert diese Behauptung ist. 11 Die öffentliche Rede wird als ein Spiel verstanden, in dem das Publikum dem Redner Zeit und Aufmerksamkeit leihen, aber auch entziehen kann. Viel stärker als in privaten Situationen wird vom Redner ein adäquates Zeitmanagement erwartet. In der Regel gibt es Absprachen über die Rededauer. Dennoch verhalten sich viele so, als ob sie unter Zeitdruck stünden. Sie nehmen ohne Not eine gehetzte Sprech- und Präsentationsweise an, als ob sie Angst hätten, gleich unterbrochen zu werden. Da ist der Mediziner, der zum Thema „Psychiatrische Störungen“ reden soll. Die Studierenden sind schon da, sie warten in einem großen Hörsaal mit nach hinten ansteigenden Sitzreihen. Die ersten Sitzreihen haben sie Reden in der Öffentlichkeit 21 typischerweise leer gelassen. Der Dozent ist noch nicht zu sehen. Sie blicken auf eine weiße Leinwand, die hinter dem Lehrerpult aufgespannt ist. Einige Minuten nach der vereinbarten Zeit eilt der Dozent mit weit ausholenden Schritten durch den Raum auf das Pult zu. 12 Als er die Mitte des Raums erreicht, spricht er, ohne anzuhalten, den ersten Satz: „So! “ Da er noch mitten im Lauf ist, sagt er es geradeaus, mit Blick in Richtung Seitenwand. Beim nächsten Schritt sagt er: „Etwas zu spät! “ Bei „spät“ wendet er den Kopf kurz nach links, wo die Studierenden sitzen, allerdings ohne abzubremsen. Er braucht drei weitere Schritte, um sich von einem Tablar eine Fernbedienung zu greifen. Mit dieser dreht er sich um, sagt „äh“ und macht drei kurze Schritte zurück. Dabei studiert er kurz die Fernbedienung und tippt mit dem Finger darauf herum (was auf der Leinwand keinen Effekt erzeugt). Als er hinter dem Pult angekommen ist, sagt er, noch immer zur Fernbedienung: „Schönen guten Tag! “ Erst bei „Tag“ blickt der Dozent ins Publikum. Danach wird er sich vorstellen und dann wird die Vorlesung wirklich beginnen. Er wird zwar versuchen, seine Zuhörenden mit seinem Thema zu fesseln. Mit dieser kurzen Einleitung hat er aber weder für sie noch für sich selbst eine gute Vorlage geschaffen. Denn in diesen ersten zehn Sekunden hat er so viele Dinge getan, dass er sich und die anderen überfordert:  Betreten des Raums  Durchschreiten des Raums  kurzer Blickkontakt mit den Zuhörenden  Ergreifen der Fernbedienung (mit einem weiteren Blick ins Publikum)  Blick auf die Fernbedienung, Bedienung  Einnahme der endgültigen Redeposition  drei sprachliche Äußerungen:  Ansprechen der Verspätung („etwas zu spät“) - eventuell in der Meinung, dies werde als Entschuldigung verstanden  Überbrücken einer Pause („Äh“)  Begrüßung („Schönen guten Tag! “) 13 All dies ist in einer schwungvollen Bewegung von der Tür bis zum Dozentenpult erfolgt. Für die Veranstaltung stehen 45 Minuten zur Verfügung. Es gibt keinen Grund zur Eile. Ein derart gehetzter Anfang ist nicht notwendig, und dennoch ist er typisch für diese Art Vortrag, gerade an Hochschulen und anderen Lehranstalten: Die Dozenten lassen sich keine Zeit. Sie spurten in den Hörsaal, fangen an, bevor sie richtig angekommen sind, und tun immer mehrere Dinge gleichzeitig. Damit überfordern sie sich und ihr Publikum. Und verpassen die besten Möglichkeiten, mit den Zuhörenden in Kontakt zu kommen. 22 1. Teil Das ist kennzeichnend für den Umgang mit der Zeit in der öffentlichen Rede. Der Ausgangspunkt ist eine harmlose und selbstverständliche Rahmenbedingung des öffentlichen Redens: die Zeitabsprache. Wie geredet werden soll, ist vorgegeben, und es wird erwartet, dass die Person, die vorne steht, die vereinbarte Zeit auch einhält. Dies ist ein wichtiger Unterschied zum Alltagsgespräch. Dort ist ein flexibler zeitlicher Rahmen die Regel. 14 Für öffentliche Debatten und Reden dagegen gibt es nicht nur feste Termine, sondern auch eingehende Absprachen darüber, wer wie lange reden darf. Diese Regelung wird fast in jedem Fall als Einschränkung verstanden, seien es die großzügigen 90 Minuten der universitären Vorlesung oder die fünf Minuten, die den Mitgliedern des Deutschen Bundestags für „Aussprachen zu Themen von allgemeinem aktuellen Interesse“ 15 zuerkannt werden. Es führt in vielen Fällen zu einer unnötigen Hast. „Fasse dich kurz! “ ist eine Maxime, die sich durch sehr viele Bereiche des Lebens zieht, und viele Redner orientieren sich sogar dann daran, wenn ihnen genügend Zeit gegeben ist.  Der Einfluss der Zeit  Zeitmanagement durch die Rednerin (im Gegensatz zum gemeinsamen Zeitmanagement im privaten Dialog)  Tendenz zu vorzeitigem Beginn  Tendenz zu hoher Sprechgeschwindigkeit  gleichzeitiges Ausführen verschiedener Handlungen (z.B. Sprechen und Bedienung technischer Geräte) Wesentlich ist dabei die Tendenz, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Wer sich dem Publikum vorstellen will und gleichzeitig seine Brille zurechtrückt, in sein Manuskript schaut und dabei sagt: „Mein Name ist ...“, verpasst die Chance, Kontakt aufzunehmen, vom Publikum als Gesprächspartner wahrgenommen zu werden - und auch das Publikum selbst wahrzunehmen. Reden heißt Zeit haben. Nicht dass man sich auf eine bestimmte Dauer geeinigt hat, sollte die Leitlinie sein, sondern dass man frei ist, sie mit so vielen oder so wenigen Dingen zu füllen, wie es sinnvoll ist - sinnvoll für die Konzentration des Redners, für die Aufnahmefähigkeit des Publikums und für ihre Interaktion. Reden in der Öffentlichkeit 23 3 Der Veranstalter spielt mit an schreibt das Jahr 1687. An der Universität Leipzig warten die Studierenden gespannt auf die Vorlesung des Juristen und Philosophen Christian Thomasius. Er hat Unerhörtes angekündigt: Er wird deutsch dozieren, nicht mehr lateinisch, wie bis anhin gemeinhin üblich. Zum Skandal aber wird sein Auftritt noch aus anderen Gründen: Thomasius tritt nicht mehr in der Universitätsrobe auf, der langen Amtstracht, die die Professoren, ähnlich wie die Vertreter der Kirche und des Rechts, von der übrigen Bevölkerung unterscheidet. Statt des schwarzen Talars trägt Thomasius ein französisches Seidengewand, goldenen Schmuck und dazu eine passende Perücke. 16 Er folgt damit der Mode der vornehmen Stände und setzt sich von den Vorgaben seiner Hochschule und seines Standes ab. Thomasius zog damals Tadel auf sich - nicht nur von der Universität, sondern auch vom König und von der Kirche. Für ihn als Vorkämpfer der Aufklärung, der unter anderem gegen Vorurteile aller Art, insbesondere aber gegen Hexenprozesse ins Feld zog, war der Protest gegen alte Zöpfe ein wichtiges Symbol. Er war damals noch auf weiter Flur der Einzige, der sich auf diese Weise auflehnte. Das ist kennzeichnend dafür, wie stark der Einfluss der institutionellen Rahmenbedingungen auf das Verhalten von Rednern sein kann. Vieles hat sich seither gewandelt. Aber noch immer brauchen Reden eine öffentliche oder private Einrichtung, die ihnen den Rahmen verleiht: die Schule, das Gericht, das Parlament usw. Diese Einrichtung ist der Veranstalter und schafft den Raum für die Rede. Sie sorgt für ein Publikum und setzt den Redner in Szene. Gleichzeitig gibt sie Regeln vor, die beim Reden einzuhalten sind. Sprache und Kleidung haben dabei meist weniger Gewicht als der Inhalt, auch wenn sie oft den Vorwand für ein Einschreiten des Veranstalters bieten. Einfluss auf die Verbreitung Eine Rede wird von drei Mitspielern bestritten. Nicht nur Redner und Publikum gehören dazu, sondern auch der Veranstalter. Dieser hatte schon in jedem Jahrhundert seine eigenen Möglichkeiten, auf eine Rede und ihre Wirkung Einfluss zu nehmen. Wie dies im 21. Jahrhundert geschehen kann, zeigt das Beispiel der weltumspannenden Vortragsfirma TED. Sie veranstaltet Bühnenprogramme mit Kurzvorträgen, die später im Internet Millionen von Klicks generieren. Die Teilnehmenden müssen sich aber an einen ganzen Katalog von Vorschriften halten. Damit bringt TED immer wieder Redner und Publikum gegen sich auf. So zum Beispiel im Jahr 2012, als im Center Theater im kalifornischen Long Beach der Unternehmer und 24 1. Teil Investor Nick Hanauer auftrat. Sein Vortragsstil fügte sich zwar nahtlos in die Reihe der TED-Vorträge ein. Dennoch führte er zu einer heftigen Kontroverse. Hanauer - Mitte 50, kurzes schwarzes Haar - trägt weder Robe noch Anzug, sondern einen schwarzen Pulli und blaue Jeans. Er ist es gewohnt, vor Publikum zu sprechen, und wirkt dennoch etwas angespannt. Im Scheinwerferlicht sieht er nicht viel weiter als bis zu den ersten Reihen. Er sucht noch seine endgültige Position, als er schon zu sprechen beginnt: »Es ist erstaunlich, wie einschneidend eine einzelne Idee eine Gesellschaft und ihre Politik beeinflussen kann ...« Nick Hanauer gehört zu der Gruppe der gut 600 Milliardäre der Vereinigten Staaten, aber die Botschaft, die er verkündet, ist für Seinesgleichen ungewöhnlich. Seine These: Die Steuervorteile, die reiche Bürger und große Unternehmen genießen, bringen der Gesellschaft keinen Nutzen. Zwar werde üblicherweise behauptet, dass sie die so erzielten Einsparungen für neue Arbeitsplätze nutzten. Aber Hanauer streitet dies vehement ab: »Reiche Leute wie ich schaffen keine Arbeitsplätze; Arbeitsplätze sind die Folge einer Rückkopplung von Kunden und Unternehmen.« Für die Zuhörenden, vor denen er spricht, ist Hanauer ein Nestbeschmutzer. Die zweitägige Veranstaltung ist ein Festival für vermögende und erfolgreiche Persönlichkeiten, die in kurzen Vorträgen die Geheimnisse ihres Erfolgs preisgeben. Hanauer passt da nicht richtig ins Konzept. Vielleicht wirkt er deshalb zu Beginn eher unsicher, fängt zu früh mit Reden an, entwickelt wenig Gestik, lächelt kaum. Im Publikum sitzen genügend reiche Leute, die sich nicht besonders geschmeichelt fühlen. Und es zeigt sich, dass auch der Veranstalter, TED, wenig Interesse hat, die Reichen und Superreichen, die schon viel zu seinem Erfolg beigetragen haben, zu brüskieren. Die Quittung folgt denn auch sogleich. Während andere TED-Vorträge auf der Website der Organisation prominent in Szene gesetzt werden, beschließt der CEO in diesem Fall, das Video von Hanauers Rede nicht zu veröffentlichen. Die Begründung: Die Leistung sei „mittelmäßig“ gewesen, das anwesende Publikum habe gemischte Reaktionen gezeigt und mit der politischen Botschaft könnten sich viele Geschäftsleute angegriffen fühlen. 17 Mitspieler Nummer 3, der Veranstalter, hatte zugeschlagen. In seiner Macht steht es, den Rednern eine Plattform zur Verfügung zu stellen oder auch zu entziehen. Er sorgt dafür, dass die Rede einer weiteren Öffentlichkeit zugänglich wird. Im Fall von Hanauers TED-Auftritt wäre dies die Verbreitung über eine vielbeachtete Internetplattform gewesen, deren Inhalte (oder ebene fehlende Inhalte) von anderen Medien aufgenommen und Reden in der Öffentlichkeit 25 kommentiert werden. Der TED-Internetauftritt ist die Pforte für den öffentlichen Diskurs. Ohne sie fehlt dem Vortrag die Chance, Thesen und Argumente zum Thema auszutauschen - in diesem Fall zum Themenkomplex Steuer, Reichtum und Armut, soziale Ungleichheit. Einfluss auf Inhalt und Sprache Was gesagt werden kann und wie es gesagt werden soll, ist in der öffentlichen Rede Beschränkungen unterworfen. Der Veranstalter kann für die Reden, die in seinem Einflussbereich gehalten werden, eigene Regeln formulieren. Was die TED-Vorträge betrifft, so existiert eine Liste, die angibt, welche Inhalte zulässig sind und welche nicht. Dies geht so weit, dass Behauptungen, die sich „außerhalb orthodoxen wissenschaftlichen Denkens“ 18 bewegen, der Zensur unterworfen werden. 19 Aber auch für die Sprache gibt es Regeln. So ist zum Beispiel „unpräzises New-Age- Vokabular“ verboten. 20 Es ist leicht denkbar, dass es da Redner schwer haben, die eine radikale politische oder philosophische Position vertreten. 21 Als selbständiges Unternehmen hat TED die Freiheit, seine eigenen Regeln aufzustellen, ähnlich, wie es auch für andere Veranstalter gilt, seien es jetzt Ausbildungsstätten, Vereine oder andere private oder öffentliche Einrichtungen. Meistens bleiben die Regeln unausgesprochen, bis daraus Konflikte entstehen. Im Fall von Hanauer kam es bald zu einem Kräftemessen zwischen TED und dem Redner, der immerhin finanzkräftige Partner hinter sich wusste. Er wehrte sich erfolgreich. TED gab klein bei, lud später Hanauer sogar erneut ein, um ihn dann sehr schmeichelhaft auf der TED- Website zu präsentieren. 22 Die Regeln des Veranstalters müssen nicht, wie bei TED, schriftlich festgelegt 23 sein; andernorts hält man sich mehr oder weniger unbewusst an traditionelle Formen. Wie der Pfarrer bei der Taufe spricht (in welcher Kleidung, welchen Worten, an welchem Platz in der Kirche und mit welchen Gesten), ist in der Liturgie des Gottesdienstes festgeschrieben. Was im Parlament möglich ist und was nicht, schreibt die Geschäftsordnung vor. Aber auch wenn Jugendliche einen Debattierclub gründen, stellen sie ad hoc Regeln auf, die nicht sehr von den überlieferten Gebräuchen abweichen, obwohl sie es in der Hand hätten, völlig neuartige Formen auszuprobieren.  Der Einfluss des Veranstalters:  Platzierung der Rede im Programm: im Kontrast zu anderen Reden 26 1. Teil  Regeln zur Form: von der Kleidung bis zum sprachlichen Ausdruck  Festlegung inhaltlicher Grenzen  Entscheidung über die Weiterverbreitung: Kontakt zur Presse, Internetauftritt, Aufnahme in Publikationen Alle diese Formen der Einflussnahme lassen einen wichtigen Grundton des Redens in der Öffentlichkeit erkennen: Es geschieht in einem Kontext der Autorität. Der Rollenunterschied zwischen Redner und Zuhörenden fügt sich ein in das Machtgefälle von Veranstalter und Publikum. Wenn der Redner sich den Vorgaben des Veranstalters fügt, profitiert er von dessen Macht. Wenn er (wie Hanauer) Thesen vertritt, die den Interessen des Veranstalters widersprechen, oder formale Vorgaben unterläuft (wie es gelegentlich bei Oscar-Verleihungen zu beobachten ist), nimmt er einen Machtkampf auf, den er auch verlieren kann. Auf der anderen Seite ist der Erfolg von Reden oft gerade darauf zurückzuführen, dass der Redner in Maßen auf Distanz zum Veranstalter geht, mit dessen Regeln kokettiert oder sie explizit missachtet. In der Fernsehserie Wie man mit Mord davonkommt 24 steht eine Juraprofessorin im Mittelpunkt, die ihre Strafrechtsvorlesung nicht als Theorie von Recht und Unrecht konzipiert hat, sondern als Anleitung, das Gesetz zu umgehen. Damit hebt sie sich explizit von ihren Kollegen ab. Gleichzeitig erzielt sie auf diese Weise einen enormen Zulauf von Studierenden und nützt damit nicht nur ihrem eigenen Renommee, sondern auch dem ihrer Universität. Zu berücksichtigen bleibt, dass institutionelle Vorgaben auch etwas Gutes haben. Auch wenn sie in vielen Fällen lächerlich oder veraltet wirken, erleichtern sie andererseits auch die Kommunikation. Sie unterstreichen die Funktion der betreffenden Person und verleihen ihr damit mehr Autorität. Zur rhetorischen Praxis gehört es, sich zu überlegen, inwieweit es möglich ist, von den Normen des Veranstalters zu profitieren, aber auch von ihnen abzuweichen, um nicht nur als Vertreter einer abstrakten Instanz, sondern auch als Individuum in den Dialog mit dem Publikum zu treten. 4 Normen von Kultur und Gesellschaft Antoine de Saint-Exupéry berichtet in seiner Geschichte vom Kleinen Prinzen über die Entdeckung des Planeten, von dem er stammt. Ein türkischer Astronom habe ihn als erster erspäht. Als dieser aber seine Entdeckung Reden in der Öffentlichkeit 27 beim internationalen Astronomen-Kongress bekannt machte, habe ihm niemand geglaubt, „und zwar ganz einfach seines Anzuges wegen“. Abb. 4: Antoine de Saint-Exupéry: Der Astronom in traditioneller Kleidung. Es dauerte elf Jahre, bis die wissenschaftliche Community den Mann ernst nahm. Dazwischen lagen die Gesellschaftsreformen unter Atatürk, und als der Astronom seinen Vortrag wiederholte, trug er einen Anzug nach westlicher Mode. „Und diesmal gaben sie ihm alle recht“ 25 , berichtet Saint- Exupéry. Abb. 5: Antoine de Saint-Exupéry: Der Astronom elf Jahre später. Die Geschichte erinnert daran, dass Verhaltensnormen sich von Kultur zu Kultur unterscheiden - und dass diese auch für Voraussetzungen des öffentlichen Redens, seiner Organisation und seiner Funktion gilt. Die Vertreter einer vermeintlich überlegenen Kultur verlangten die Unterwerfung unter ihre Normen, um den Redner überhaupt als solchen anzuerkennen. Das Redeverhalten wird oft als Kriterium der Beurteilung der Persönlichkeit missbraucht. Am 6. Dezember, abends, wenn es dunkel war, besuchte uns der Nikolaus. Er hatte einen Sack mit Nüssen, Äpfeln und Lebkuchen bei sich und war ein Vorbote der Bescherung zu Weihnachten. Nur stellte er uns Kinder auch vor eine Aufgabe, die nicht allen leichtfiel. Wir mussten in den Tagen zuvor ein kurzes Verslein auswendig lernen. Am 28 1. Teil Nikolausabend galt es dann, vor diesem Mann, den wir als ziemlich bedrohlich empfanden, und vor der ganzen versammelten Familie dieses Verslein vorzutragen. Wer dies gut hinter sich brachte, wurde als „brav“ gelobt. Nun hat zwar brav zu sein, nichts mit der Fähigkeit zu tun, ein Gedicht auswendig zu sprechen. Aber es ist nicht ganz untypisch dafür, wie im Alltag mit Sprachnormen umgegangen wird. Eine persönliche Eigenschaft, die damit nichts zu tun hat, wird damit verknüpft, wie sich jemand sprachlich äußert. Uns wurde damals mit der Pflichtübung vor dem Nikolaus eingebläut, dass öffentliches Reden etwas Besonderes ist. Was für den kleinen Jungen im Vorschulalter galt, gilt für ihn auch im späteren Leben. Eine rednerische Aufgabe ist zu lösen und das Resultat wird dazu genutzt, den Redner als Gesamtpaket zu beurteilen. Das Reden - die Sprachverwendung überhaupt - dient als Indiz für Charaktermerkmale und Fähigkeiten, die damit wenig zu tun haben. Die rednerische Brillanz oder das rednerische Ungeschick überdeckt alle anderen, wichtigeren Fähigkeiten. Derartige Voraussetzungen lassen sich nicht durch einen einzigen Auftritt torpedieren. Das Spiel muss im Rahmen seiner Regeln gespielt werden. Aber es lässt sich sanft in einer Richtung korrigieren, die es sowohl dem Redner leichter macht als auch die Informationsvermittlung verbessert: in Richtung Dialog. Die Schwerpunkte im praktischen Teil dieses Buchs haben genau dies zum Ziel. Tradition, Ritual, Macht Dass gesprochene Sprache und Ritual eng zusammengehören, wird zu einem gewissen Grad immer so bleiben. Ohne den rituellen mündlichen Vortrag, der noch im Mittelalter weit wichtiger war als der Umgang mit der Schrift, wäre unsere Literatur arm dran. 26 Reden werden gehalten, um Jubilare zu ehren, um Begräbnissen einen würdigen Rahmen zu geben oder auch um an einem politischen Feiertag ein Zeichen zu setzen. Nicht was gesagt wird, sondern dass etwas gesagt wird, ist wichtig. Ohne gesprochene Formeln bei Gründungsakten, Taufen oder Ernennungen könnte die betreffende Handlung gar nicht durchgeführt werden. Einen negativen Einfluss auf den Umgang mit dem Reden hat erst der Umstand, dass in vielen Fällen Äußerlichkeiten, Form und Gehabe wichtiger genommen werden als der Inhalt. Und so lange es das Reden als Ritual gibt, wird man es auch mit Werten verknüpfen, die sich weitab vom Inhalt des Gesagten bewegen. Dies ist in der öffentlichen Rede ständig präsent. Umso wichtiger ist es für den Einzelnen, sich vom sozialen Druck, der daraus entsteht, so weit wie Reden in der Öffentlichkeit 29 möglich zu emanzipieren und nur diejenigen Rahmenbedingungen zu akzeptieren, ohne die man nicht auskommt. Es geht also darum, sich an die Erwartungen der Umgebung so weit anzupassen, dass die Verständigung nicht darunter leidet. Dass der Versuch, den rhetorischen Machtverhältnissen eigene Werte entgegenzustellen, in der klassischen Rhetoriktradition aber bald auf Grenzen stößt, zeigt drastisch auch die Genderproblematik. Das Reden in der Öffentlichkeit galt seit jeher generell als Männerdomäne. Die klassische Rhetorik demonstriert dies sehr gut, deren Vorannahmen und Regeln auf männliche Juristen, Politiker oder Kulturschaffende ausgerichtet waren. Die ideale Rednerpersönlichkeit war der vir bonus, der rechtschaffene Mann. Frauen, die sich in der Antike poetisch oder politisch im männlich definierten öffentlichen Raum äußerten, wurden von männlicher wie weiblicher Seite gleichermaßen kritisch beäugt und ihr Einfluss und Respekt wurden „in der Regel unterminiert.“ 27 Konrad Lienert, Verfasser einer „Einführung in die Redekunst“, die es vor gut hundert Jahren zu sieben Auflagen brachte, setzte dem Buch mit dem Titel Der moderne Redner noch ohne Bedenken die folgenden Zeilen voran: »Das war ein Mann! Sein Schwert hat er geschwungen, Das Schwert des Wortes, männlich, kühn und scharf, Und Jauchzen schallte, wenn dies Schwert erklungen, Wenn es zu Boden jeden Gegner warf.« 28 Da ist alles drin, was zur Verherrlichung der „Macht des Wortes“ gehört, 29 und nicht nur der Führer des Schwertes ist ein Mann, sondern auch das Schwert selbst, das jeden Gegner niederschlägt, ist männlich. Nun hat sich zur Zeit des besagten türkischen Astronomen in Europa einiges getan. Die Frauenbewegung kämpfte für die Gleichberechtigung, Politikerinnen wie Rosa Luxemburg verschafften sich trotz Anfeindungen Gehör. Aber die Normen blieben männliche Normen. Auch die kriegerische Vorstellung, dass öffentliches Reden ein Kampf sei, in dem das stärkere Argument obsiegt, passt zu einer Welt, in der die Männer für Sieg und Niederlage zuständig sind, die Frauen dagegen für den Ausgleich und das Zusammenkehren der Scherben. Es ist zwar ein Topos der praktischen Rhetorikliteratur, dass „Frauen den Beziehungsaspekt in ihrer Rede in den Vordergrund stellen und einen partnerschaftlichen, kooperativen und integrativen Redestil pflegen.“ Männer dagegen bevorzugen angeblich einen Stil der Auseinandersetzung und der Sachlichkeit. 30 Es existieren moderne Rhetorikratgeber für Frauen, die ein Redeverständnis vertreten, „das nicht auf der Unterscheidung von Sieg und Niederlage basiert, sondern das Raum für ein Nebeneinander von souveränen Subjekten lässt.“ 31 Doch dies hat bisher in der öffentlichen 30 1. Teil Rede weder zu einem erkennbaren weiblichen Stil noch zu einem Umdenken männlicher Redner geführt.  Der Einfluss gesellschaftlicher und kultureller Normen  Anwendung von Praktiken der eigenen Gruppe/ Kultur auf andere  Verwechslung rednerischer Fähigkeiten mit persönlichen Qualitäten  Betonung ritueller Funktionen von Reden  Vorgabe „männlich“ besetzter Rede-Ideale Für die Ziele dieses Buchs ist es zunächst wichtig festzuhalten, dass zu den traditionellen Rahmenbedingungen des öffentlichen Redens Faktoren gehören, die sich aus institutioneller, politischer und geschlechtsbezogener Macht ergeben. Der rednerische Auftritt in einem Rahmen über Jahrhunderte entwickelter Machtinstrumente ist nicht möglich, ohne dass auch die Rednerin auf diese zurückgreift. Aber es ist in vielen Fällen möglich, auf Kommunikationsweisen zu verzichten, die nur dem Machterhalt und nicht der Sache dienen, und alternative Formen der Auseinandersetzung zu finden. 32 Hilfreich ist es dabei, die Funktion der einzelnen Rede nicht zu überschätzen, sondern sie als einen von vielen Kommunikationsprozessen in einem größeren Ganzen zu sehen. Nicht der Auftritt der Politikerin in der Gemeindeversammlung ist entscheidend, sondern die Gesamtheit der Arbeitsschritte, die ihm vorangegangen sind und folgen werden. 5 Reden entstehen geplant er Chirurg Ferdinand Sauerbruch hatte keine Probleme damit, seine Kollegen und Mitarbeiter im direkten Gespräch zu beeindrucken. Bevor er aber seine Vorlesung an der Universität Zürich hielt, war er so aufgeregt, dass er um das Hörsaalgebäude laufen musste, um sich zu beruhigen. 33 Loriot, der Humorist, der jede Alltagssituation souverän karikieren konnte, entwickelte vor seinen Bühnenauftritten ein so starkes Lampenfieber, dass er gegen Ende seiner Laufbahn seinen guten Freund Otto Sander bat, für alle Fälle als Ersatz bereitzustehen. 34 Es half weder Sauerbruch noch Loriot, zu wissen, dass ihre Zuhörenden sie fast bedingungslos akzeptierten, wenn sie am Rednerpult oder auf der Bühne standen. Dennoch nahmen sie die Schwelle zum öffentlichen Auftritt immer wieder auf drastische Weise wahr. Lampenfieber und Redeangst bestimmen viele Berichte über das öffentliche Reden. Wenig beachtet wird dabei die Tatsache, dass wir in den allermeisten Redesituationen frei von Lampenfieber sind: beim Reden im Gespräch Reden in der Öffentlichkeit 31 von Gleich zu Gleich. „Im Gespräch mit ihm fühle ich mich wohl“, heißt es oft. Und in den meisten Fällen denkt man nicht einmal darüber nach. Klar, denn im Alltagsgespräch braucht man keine Sorge zu haben, ob das Gesagte „gut“ oder „korrekt“ formuliert ist. Die anderen werden nicht als Publikum verstanden, sondern als Gesprächspartner. Sie helfen bei Bedarf auch aus, vervollständigen einen Satz oder Gedanken und nehmen dadurch der Situation den Druck, den man allenfalls empfinden könnte. Es ist ein dialogisches Sprechen, ein Miteinander. Öffentliches Reden aber behindert Spontaneität. Reden entstehen unter dem Vorzeichen eines zu erreichenden Redeziels und sind deshalb immer zu einem gewissen Grad vorbereitet. Vier wichtige Aspekte, in denen sich die Redeproduktion vom nichtöffentlichen Gespräch unterscheidet, sollen hier behandelt werden:  der psychische Übergang vom Unauffälligen des Alltäglichen zum Exponierten der Ausnahmesituation, der sich in Lampenfieber äußert,  die geistige Vorbereitung, die notwendig ist, damit die Rede ein Publikum verdient,  der Einfluss früherer Texte auf die eigene Sprache und Redeweise,  die Ausrichtung der Rede auf ein einziges Ziel. Vom Nutzen des Lampenfiebers Fast alle berühmten Schauspielerinnen, Musiker, Akrobatinnen, Clowns - die meisten Menschen, die auf irgendeine Weise vor Publikum aufgetreten sind, können vom Lampenfieber erzählen. Genauso gilt es für Rednerinnen in unterschiedlichsten Situationen. Sogar Menschen, die die Angst zu einem gewissen Grad überwunden haben, beteuern, dass ein Respekt für die Aufgabe notwendig sei. Dass sich dieser auch in Nervosität ausdrückt, gilt als normal. Redeangst hat zwei Seiten. Zum einen bedeutet sie ein Hinfiebern auf die Konfrontation mit dem Publikum, also der Zustand vor der Rede. Zum anderen gibt es aber auch die Angst während der Rede. Die körperlichen Symptome - nervöses Zittern, kalte Hände, unkontrollierter Atem usw. - können weiter anhalten. In der Regel verschwinden sie aber in den ersten Minuten oder werden zumindest nicht mehr als bedrohlich empfunden. Die Furcht vor der Reaktion des Publikums, die Angst vor dem Versagen verschwindet nach einiger Zeit größtenteils. Dass es ein „Fieber“ ist, wie die deutsche Sprache suggeriert 35 , lässt es als akute Erkrankung, als Belastung auffassen - wie es ein alter psychologischer Aufsatz drastisch schildert: 32 1. Teil »Der Körper verspürt kalte Schauder in der Kreuzgegend. Er fühlt sich an, als ob ein Tausendfüßler sein Haar durchkämmte. Kalter Schweiß bricht aus und es fühlt sich an, als ob jemand in der Kniegegend die Muskeln durchtrennt hätte. Die Person würde am liebsten die Bühne so schnell wie möglich verlassen.« 36 Claudia Spahn, die eine große Menge an Lampenfieber-Literatur verarbeitet hat, unterscheidet vier Gruppen von Merkmalen des Lampenfiebers:  körperliche: schneller und flacher Atem, trockener Mund, kalte und schweißige Hände usw.  emotionale: Angst und Panik, Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein, Scham usw.  kognitive: Konzentrationsstörungen, angstvolle Beschäftigung mit dem Publikum, Blackout usw.  das Verhalten betreffende: unkontrollierte Körperhaltungen und -bewegungen, stereotype Verhaltensweisen, sozialer Rückzug usw. 37 Solche Beobachtungen haben dazu geführt, dass der Zustand der Rednerin seit jeher mit demjenigen eines Menschen verglichen wird, der mit einer Gefahr konfrontiert ist. Dieser spannt seine Muskeln an und hält nach Fluchtmöglichkeiten Ausschau - wie der Steinzeitmensch auf der Jagd nach dem Säbelzahntiger. 38 Der englische Terminus stage fright - also „Bühnen-Angst“ - unterstreicht deutlich den Zusammenhang des Lampenfiebers mit der Distanz zum Publikum. 39 Die Angst vor der Bühne trennt Rednerin und Publikum deutlich voneinander und betont so die Erwartungen an ein perfektes Auftreten, an einen Monolog. Dies lässt aber auch erkennen: Wer in der Lage ist, frühzeitig dialogische Elemente in den Vortrag einzubauen, hat ein wirksames Mittel gegen die Redeangst in der Hand. Mark Twain berichtet, wie er den Monologcharakter bei seinem ersten öffentlichen Auftritt milderte, indem er eine Handvoll verlässlicher Freunde bat, sich im Publikum zu verteilen und auf lustige Stellen des Vortrags vernehmbar zu reagieren, so dass das Publikum einstimmte. Ein dialogisches Element war damit eingebaut, das den Redner mit Rückmeldungen sicherer machte. 40 Dass Lampenfieber entstehen kann, liegt im Übrigen an einer banalen Tatsache des öffentlichen Redens: es ist vorbereitetes - meist auch explizit angekündigtes - Reden. Angst wird entwickelt, weil die Zeit vorhanden ist, Angst aufzubauen. Dies weist aber auch auf einen erleichternden Aspekt hin: Wer vor anderen reden soll, hat Zeit, um sich vorzubereiten. Reden in der Öffentlichkeit 33  Lampenfieber nutzen In der Praxis geht es nicht darum, das Lampenfieber zu verlieren, sondern es zu nutzen, als Zeichen dafür, dass das Reden vor und mit dem Publikum eine dankbare Aufgabe und nicht eine lästige Pflicht wird. Claudia Spahn spricht denn auch nicht vom Bekämpfen, sondern vom Optimieren des Lampenfiebers. Ein wichtiges Ziel, das sich mit unserem dialogischen Ansatz trifft, ist die Gestaltung einer positiven Beziehung zum Publikum. 41 Für die Redepraxis bedeutet das nicht nur: „Ich habe den Zuhörenden etwas zu geben“, sondern auch: „Ich freue mich auf ihre Resonanz.“ Vorbereitet Als Charles de Gaulle 1967 auf dem Balkon des Rathauses von Montréal stand und die Bürger von Québec gegen die Zentralregierung aufwiegelte, hatte dies alle Anzeichen eines improvisierten Statements. Mikrofon und Verstärkeranlage mussten in aller Eile installiert werden, de Gaulle schien in der aktuellen emotionalen Situation einer plötzlichen Eingebung zu folgen. In Wirklichkeit war es eine klar kalkulierte Rede, und er hatte schon lange zuvor beabsichtigt, ohne Rücksicht auf die französisch-kanadische Beziehungen die Separatisten von Québec zu unterstützen. Sein Ruf: „Vive le Québec libre! “ hatte, isoliert gesehen, den Anschein des Spontanen; in Wirklichkeit reihte er sich in eine längere Folge diplomatischer Affronts ein. 42 Viele Gespräche im Alltag entstehen spontan und laufen ohne eine geplante Struktur ab. Wenn es dabei drunter und drüber geht, liegt darin oft gerade ihr Reiz. Eine Rede für die Öffentlichkeit dagegen hat in der Regel eine längere Entstehungsgeschichte. Sie geschieht oft in Zusammenarbeit mit anderen, mit Rückgriff auf andere Reden und Texte als Quellen. Im Prinzip aber handelt es sich um vorbereitete Reden - um Wortmeldungen, denen eine gewisse Zeit der Überlegung vorausgegangen ist. Diese zerfällt meistens in mehrere Arbeitsschritte. Schon in der Rhetorik des klassischen Altertums stellte die Gliederung der Arbeit in so genannte Produktionsstadien ein wichtiges Hilfsmittel dar. Es waren meist fünf, und sie werden noch heute mit ihren lateinischen Namen bezeichnet. 43 Die ersten vier davon können als Vorbereitungsphasen verstanden werden: Inventio [1] das Auffinden des Stoffs, der Informationen, die seine Botschaft erhellen und stützen 34 1. Teil Dispositio [2] die Anordnung der einzelnen Aussagen so, dass die Rede einen überzeugenden Aufbau erhält Elocutio [3] die sprachliche Gestaltung der Rede Memoria [4] das gedankliche Durchgehen und Sich-Einprägen der Rede Actio [5] der Auftritt, mit der sprecherischen und körpersprachlichen Präsentation der Rede 44 Dass man vorbereitet vor ein Publikum tritt, entspricht auch den Erwartungen an eine Redner: Als Einzelperson zu einer Gruppe zu sprechen, ist ein Privileg. Dazu gehört eine Kompetenz, die es einem weiteren Kreis lohnend macht, zuzuhören und dabei das eigene Wissen zu ergänzen oder in Frage zu stellen. Experte zu sein, bedeutet aber in dem meisten Fällen nicht einfach, aus dem erworbenen Wissen zu schöpfen, sondern recherchieren zu können. Auf keinem Gebiet ist es ratsam, einen alten Vortrag aus der Schublade zu ziehen und ihn so zu halten, wie es vor ein paar Jahren, Monaten oder auch Tagen passend war. Recherche ist eine Schlüsselkompetenz in sehr vielen Berufen; wenn es darum geht, einen Text zu verfassen (und sei es eben auch eine gesprochene Rede), kommt man ohne sie nicht aus. Für die öffentliche Rede ist sie ein wichtiges Merkmal, das sie vom alltäglichen Gespräch unterscheidet. Unsicherheit über einen Sachverhalt gehört zur privaten Konversation. „Lass uns das mal nachschlagen/ googeln/ erfragen“ ist eine gängige Aufforderung, mit der man gemeinsam Informationen ergänzt, um danach weiter diskutieren zu können. In der öffentlichen Rede sind die entsprechenden Handlungen der Actio vorgeschaltet. Jedes, auch das improvisierte Reden geschieht aus einer Kompetenz heraus, die man sich vorher erworben hat und die einen dazu legitimiert, das Wort zu ergreifen. Dies ergibt ein besonderes Merkmal des öffentlichen Redens: inhaltliche Verdichtung. Man hat sich mit recherchiertem Material beschäftigt, den Inhalt auf einen vorgegebenen Umfang reduziert, musste von anderen formulierte Aussagen in die eigene Rede übernehmen - all dies führt zu einer dichten Folge von Informationen, die durch einmaliges Anhören nicht leicht aufgenommen werden. Verständlichkeit und Attraktivität öffentlicher Rede werden durch ihre Vorbereitung beeinflusst. Der Sprachstil nähert sich, trotz des mündlichen Charakters, der geschriebenen Sprache an: Lange, komplexe Sätze, unübersichtlicher Aufbau, abstrakter Wortschatz sind Merkmale dafür. Schriftliche Unterlagen beeinflussen zudem die Art, wie der Redner klingt, und engen seinen Bewegungsspielraum ein. All dies vergrößert die Distanz zum Publikum. Dies bedeutet Reden in der Öffentlichkeit 35 natürlich nicht, dass ein Zuviel an Vorbereitung schädlich wäre. Es bedeutet vielmehr, dass eine Sprache anzustreben wäre, die sich dem Stil der spontanen, einfachen Sprache des Alltags annähert. Das Hauptproblem in der praktischen Rhetorik ist deshalb das Herstellen von Verständlichkeit (→ Kapitel 15—19). Hinzu kommt die Schwierigkeit, die Grenze zwischen eigenen und fremden Aussagen deutlich zu machen. Dies illustriert der folgende Auszug aus einer Zwischenfrage in einer Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag: [Norbert Barthle, CDU: ] »Herr Kollege, es gibt heute eine Nachricht in der FTD [Financial Times Deutschland], da wird gemeldet: ... In dieser Meldung werde ich zitiert mit der Aussage: ... Und das ist genau die Position, die die Koalition vertritt, die die Bundeskanzlerin vertritt; denn die Bundeskanzlerin sagt klipp und klar: ... « 45 Die gesamte Intervention ist aus Zitaten aufgebaut - Zitaten von journalistischen Quellen, Kollegen und dem Sprecher selbst. Es erfordert die Fähigkeit, sich mit Geschriebenem auseinanderzusetzen und klar abzugrenzen, was man selbst meint und inwiefern man fremde Meinung nur referiert, um diese allenfalls später zu kritisieren. Auf der anderen Seite nützt jedem Redner die längere Beschäftigung mit ihrem Thema, indem bewährte Äußerungen entstehen, auf die sich zurückgreifen lässt. Jeder, der sich an ein Publikum wendet, wird möglichst verhindern, dass er aus dem Stegreif reden muss. Und wenn es ihn dennoch einmal kalt erwischt, ist er froh, wenn er auf Redebausteine zurückgreifen kann, die er bereits anderswo erprobt hat oder die zu seiner täglichen Arbeit gehören. Zur Erinnerung an Martin Luther King gehört die berühmte Rede, die er am 28. August 1963 am Ende des großen Marsches auf Washington vor dem Lincoln Memorial hielt. Auf dem Film, der das dokumentiert, wirkt er vor der riesigen Menschenmenge wie in Trance. I have a dream ..., sagt er in der Mitte der Rede und hebt an zu der berühmten Passage, einer Vision von einem Amerika der Einheit und Gleichberechtigung. Aber dies ist weder eine spontane Eingebung noch eine einsame Tat. Hinter ihm auf dem Podium sitzt die Sängerin Mahalia Jackson. Er ist mitten in seinem vorbereiteten Text, als sie ihm zuruft: „Erzähl ihnen vom Traum, Martin! “ 46 Da schiebt King sein Manuskript beiseite, und spricht die unsterblichen Worte: 36 1. Teil »Heute, meine Freunde, sage ich euch: Auch wenn wir uns den Schwierigkeiten des heutigen und morgigen Tags stellen, habe ich immer noch einen Traum. Es ist ein Traum, der tief im amerikanischen Traum wurzelt. Ich träume davon, dass eines Tages diese Nation aufsteht und die wahre Bedeutung ihres Bekenntnisses erleben wird: Wir erachten diese Wahrheiten als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich erschaffen worden sind ...« Und dann erweitert er sein Bekenntnis mit drei Bildern, die diese Sehnsucht illustrieren: »Ich träume davon, dass sich eines Tages, auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne einstiger Sklaven und die Söhne einstiger Sklavenhalter zusammensetzen können am Tisch der Bruderschaft. Ich träume davon, dass eines Tages sogar der Staat Mississippi, ein Staat, der in der Hitze des Unrechts schmort, in der Hitze der Unterdrückung schmort, sich wandelt zu einer Oase der Freiheit und Gerechtigkeit. Ich träume davon, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben, in der man sie nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilt, sondern nach dem Gehalt ihres Charakters.« 47 So spontan King zu dieser unsterblichen Passage kam, so wenig improvisiert war sie. So wohlgesetzte Worte können nicht einer plötzlichen Eingebung entspringen. King konnte auf ein Repertoire zurückgreifen, das er im Lauf der Zeit aufgebaut hatte. Bei mehreren früheren Ansprachen hatte er ähnliche Passagen verwendet. Als Mahalia Jackson rief: „Erzähl ihnen vom Traum“, meinte sie genau das. Vielleicht wäre er auch selbst noch darauf gekommen. Aber auf jeden Fall nahm er die Anregung bereitwillig auf. Eine Mischung zwischen vorformulierten Passagen und spontaner Kreativität machten die Rede zu einem authentischen Produkt.  Vorbereitung kann einengen oder Sicherheit bringen Eine gute Vorbereitung birgt immer die Gefahr, dass man sich zu eng an einem Konzept orientiert. Die Rede kann in Sprache und Tempo zu starr wirken. Gute Vorbereitung kann aber auch als Chance gesehen werden, so weit von ihr abzuweichen, dass die Rede lebendig wirkt - dank spontaner Ergänzungen, Tempoveränderungen, Reaktionen auf Einwände. Je besser dabei die Vorbereitung, desto leichter ist es, von ihr abzuweichen und bei Bedarf wieder zu ihr zurückzukehren. Reden in der Öffentlichkeit 37 Zielgerichtet Eine Gruppe Jugendlicher spielt im Innenhof des Einkaufszentrums Fußball. Kunden, die an ihnen vorbeigehen müssen, fühlen sich gestört und protestieren. Der sportliche Eifer schlägt in Aggression um. Gewalt liegt in der Luft. Da schnappt sich einer der bisher unbeteiligten Passanten den Ball und geht auf die Jugendlichen zu. Er ruft die Streithähne zur Besonnenheit auf und fordert die Jugendlichen auf, ihr Spiel draußen fortzusetzen. 48 Der Mann war eigentlich nur auf einem Einkaufsbummel mit seiner Familie. Das aktuelle Ereignis hat ihn zu einem Rollenwechsel bewegt. Er ist jetzt Redner. Die Szene hat sich für ihn verändert, er spricht nicht mehr mit Frau und Kindern, sondern zu einer Gruppe fremder Menschen. Der Raum hat sich geweitet. Die Zeit, die man ihm zuzuhören bereit sein wird, ist begrenzt. Gleichzeitig ist auch der Inhalt seiner Rede klar fokussiert. Er hat ein einfaches Ziel: die Situation zu beruhigen. Auch wenn seine Worte mehr enthalten - eine Anrede, einen Ausdruck des Verständnisses für beide Seiten, einen Dank - sind sie auf eine einzige Handlung ausgerichtet: auf die Aufforderung, woanders zu spielen. Zu jeder öffentlichen Rede gehört, dass sie einem Zweck untergeordnet ist. Dieser ist meistens von vornherein festgelegt. Es kann zum Beispiel eine neutrale Information sein (z.B. bei einer Stadtführung oder einer Durchsage am Bahnhof) bzw. Belehrung (z.B. bei öffentlichen Vorträgen oder in Unterrichtssituationen). Je nach Tradition - oder nach Übereinkunft von Redner und Publikum - kann das Ziel auch ganz anderer Art sein:  Unterhaltung  Aufklärung  Anleitung  Befehl  Anklage  Verteidigung  Verkündigung  Begrüßung  Nachruf usw. Reden in der Öffentlichkeit ist zielgerichtet. Doch je mehr Zeit zur Verfügung steht, desto eher werden neben dem Hauptziel auch weitere Ziele verfolgt. Ein Sachvortrag über die Klimaveränderung kann neben dem informativen auch werbenden Charakter haben. Eine unterhaltende Erzählung kann auch eine weltanschauliche Botschaft enthalten usw. Dennoch ist die Rede jeweils einem Hauptziel untergeordnet. 38 1. Teil Für die praktische Rhetorik ist es wichtig, auch eine kleinteiligere Handlungsstruktur zu erkennen, die das Hauptziel unterstützt. Ein längerer Vortrag zerfällt zum Beispiel in Hintergrundinformationen, Thesen und Argumente. Zwischendurch werden Hauptaussagen mit Beispielen illustriert, Fragen gestellt, Zusammenfassungen formuliert etc. 49 Typisch für die öffentliche Rede ist, dass alle diese Teile in der Verantwortung des Redners liegen. Je dialogischer die Form, desto eher können sich alle Gesprächspartner an den die Hauptaussage stützenden Elementen beteiligen. In einer abwechslungsreich gestalteten Schulstunde zum Beispiel erarbeiten die Schülerinnen einleuchtende Beispiele. In einem Gespräch mit der Ärztin wird der Patient aufgefordert, die wichtigsten Punkte zusammenzufassen. In einem Verkaufsgespräch sind Fragen der Kundin oft wichtiger als die Behauptungen des Verkäufers.  Sprechhandlungen Jede Rede zerfällt in einzelne Teilhandlungen: Ankündigen, Behaupten, Begründen, Illustrieren, Zusammenfassen usw. Sie ist aber in der Regel einem einzigen Ziel untergeordnet, das als Haupthandlung bezeichnet werden kann: Informieren, Unterhalten, Überzeugen, Auffordern usw. Wir werden unter dem Begriff Sprechhandlung oder Sprechakt darauf zurückkommen (→ Kapitel 23 ∣ Das Geheimnis der Sprechhandlung). Deshalb ist es sinnvoll, auch den Handlungsaspekt der öffentlichen Rede nicht einseitig aus dem Blickwinkel der Rednerin zu sehen. Die Vorstellung, dass Publikum und Organisatoren an der Ausrichtung der Rede mitbeteiligt sind, nimmt viel Gewicht von den Schultern der hauptverantwortlichen Person. Wenn Rednerin und Publikum auf Augenhöhe sind, sich unter dem Zeichen der Gleichberechtigung finden, ist die Gliederung in Teilhandlungen auch eine Gliederung in Rede und Gegenrede.  Typische Merkmale öffentlicher Rede:  vorbereitet: Der Präsentation geht eine Zeit des Vorlaufs voraus, die zu einer (oft mentalen) inhaltlichen und formalen Skizze genutzt wird, oft auch zu einem vollständig formulierten Manuskript.  textbasiert: Reden beruhen sprachlich und inhaltlich auf bereits existierendem Material: auf Quellen, auf bisherigen Reden, auf eigenen und fremden Redebausteinen. Dies verstärkt den offiziellen Charakter des Sprachstils (Schriftsprache). 50 Reden in der Öffentlichkeit 39  zielgerichtet: Öffentliche Reden sind meist deutlich auf einen einzigen Zweck ausgerichtet. 6 Das Publikum ist nie passiv »Ein nasskalter Tag im beginnenden Frühjahr 1828, ein Wetter, bei dem man lieber zu Hause blieb. Doch Hunderte von Menschen strömten in Richtung Singakademie zu einer Vorlesungsreihe eines Mannes, der schon seit dem Dezember des vorangegangenen Jahres die Einwohner Berlins fesselte. ... Obwohl der größte in Berlin verfügbare Raum mit fast achthundert Personen gefüllt war, herrschte in diesem eine Ruhe, wenn auch eine angespannte, als der Gelehrte den Vortragssaal betrat ...« 51 lexander von Humboldts „Cosmos-Vorträge“ waren im Wintersemester 1827/ 28 ein Publikumsmagnet und die Berichte, die wir von Zuhörenden haben, zeugen von der Autorität des Gelehrten. Der Hinweis auf die „angespannte Ruhe“ zeigt, dass die öffentliche Rede nicht nur Rednerinnen und Rednern, sondern auch denjenigen, die zuhören, besonderes Verhalten abverlangt. Sie richten sich auf die Rolle des zu belehrenden und zu unterhaltenden Publikums ein und machen damit den Schritt von der nichtöffentlichen zur öffentlichen Situation ebenso mit wie der Redner selbst. Wer alles zum Publikum zählt, wird wiederum von Rahmenbedingungen bestimmt, die Gesellschaft und Institutionen vorgeben. Humboldt hielt seinen Vortrag bewusst in der Sing-Akademie und nicht an der Universität. An dieser wäre er nur von Studierenden und Kollegen gehört worden, und nur von Männern. Frauen wurde der Zugang zu preußischen Universitäten erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich geöffnet. Humboldt verlangte für seine Vorträge keine Eintrittsgebühr und so kamen Zuhörende „aus den unterschiedlichsten Schichten - von Mitgliedern der königlichen Familie bis zu Kutschern, von Studierenden bis zu Dienstboten, von Gelehrten bis zu Maurern - und die Hälfte waren Frauen.“ 52 So beteiligt sich das Publikum Die klassische Anordnung von Bühne und Zuschauerraum sieht für das Publikum eine passive Rolle vor: Zuhören. Dennoch ist es aktiver, sogar im Extremfall einer derartigen Großveranstaltung. Auch wenn keiner ein Wort sagt, sind die verschiedensten Aktivitäten möglich: geistige wie Mitdenken und Mitschreiben, nonverbale wie Lächeln, Stirnrunzeln, Kopfni- 40 1. Teil cken, paraverbale wie Raunen oder Lachen. Die Anwesenden sind aber auch Multiplikatoren. Sie sind der erste Kreis in einer Reihe von Öffentlichkeiten, die um die Veranstaltung herum entstehen. Die Wirkung der Rede wird weiter vermittelt zu Gesprächspartnern außerhalb des ursprünglichen Publikums und gegebenenfalls in weitere Medien. Bei Alexander von Humboldt waren dies Berichte von Besuchern in Briefen, Zeitungsartikeln und Büchern. 53 Im 21. Jahrhundert sorgen soziale Medien und je nach Art der Veranstaltung die üblichen Massenmedien für Resonanz. Die Vorstellung, dass die Zuhörenden stumm und ohne eigenen gedanklichen Beitrag einem Vortrag folgen, ist in jedem Fall falsch, auch wenn es in Rhetoriktrainings geradezu sprichwörtlich geworden ist, die Rednerin als die darzustellen, die die Zuhörenden „führt“. 54 Die Zuhörenden sind immer aktiv - vorausgesetzt sie stehen noch mit der Rednerin in Kontakt. Die Aufgabe einer dialogischen Rhetorik ist es, diesen Kontakt zu sichern und auszubauen. Wie sie zuhören: rational, emotional, kreativ, orientierend Von David Malan wurde erwartet, dass er eine stinknormale Einführung in die Informatik hielt. Der Kurs im B.A.-Programm der Harvard University war nicht besonders beliebt. Etwa 130 Studierende hatten sich jeweils eingeschrieben; 25 von ihnen hatten daraufhin Informatik als Hauptfach gewählt. Der Rest war für immer abgeschreckt. Malan wollte das ändern. Er tat zwar genau, was man von ihm erwartet hatte: Er führte in die Grundlagen und die Denkweise des Computers ein. Aber er tat es auf eine völlig andere Weise als seine Vorgänger, und wenige Jahre später schrieben sich 700 Studierende ein, und immerhin 50 wählten Informatik als Hauptfach. 55 Ein Grund für den Erfolg dieses Dozenten war, dass er die Aktivität der Zuhörenden richtig einschätzte. Während sich die meisten Menschen, die über ihr Fach vortragen, auf Sachinformationen konzentrieren, wurde hier das Publikum auf mehreren Aktivierungsebenen angesprochen: nicht nur auf der Informationsebene, sondern auch auf der emotionalen, kreativen und orientierenden Ebene. Über Emotionen motivieren Malan beginnt seine Einführung in Computational Mathematics (in Harvard CS 50 genannt) weder mit einer Definition noch mit einem Überblick über die Thematik, sondern mit einer Selbstoffenbarung: »Hallo! Mein Name ist David Malan, und das ist CS 50. Ich liebe diesen Kurs über alles. Für mich ist das mein Traumjob, ehrlich gesagt ...« 56 Reden in der Öffentlichkeit 41 Er steht vor 400 Studierenden verschiedenster Fächer, die nicht genau wissen, was sie in Informatik erwartet, und er sagt ihnen zuallererst, wie sehr er das Fach liebt. Er erzählt, wie er dazu gekommen ist, es zu studieren, dass er - ebenso wie wohl viele im Hörsaal - eher Angst davor gehabt hat und wie er herausgefunden hat, dass es mit vielen seiner Interessen zusammenhängt. Malan will die Studierenden mitreißen, sein Ziel ist zunächst, dass seine Begeisterung überspringt. Neben dieser emotionalen Aktivierung tritt die strukturierte Vermittlung von Inhalten in den Hintergrund. Als er das Fach vorstellen muss, tut er dies zuerst über Geschichten, die dessen Anwendung illustrieren. Er erzählt: Als Studierender fand er es umständlich, die nächste Busverbindung herauszufinden, die ihn vom Campus nach Hause brachte. Er nutzte die digitalisierten Fahrpläne, um einen Dienst zu entwickeln, der ihm per SMS die gewünschten Abfahrten und Anschlüsse übermittelte - lange bevor es Smartphones und dazu passende Apps gab. Zwar lassen sich über das Erzählen nur einzelne Beispiele vermitteln; Verallgemeinerungen brauchen abstraktere Formen. Aber die Geschichten vermitteln seine Gefühle und motivieren zum weiteren Zuhören, auch wenn es komplexer wird. Die Kreativität der Zuhörenden ansprechen Gibt es eine Methode, um auf rationelle Art zu ermitteln, wie viele Personen im großen Vorlesungssaal versammelt sind? - Eine einfache Frage, die zunächst die Kreativität der Studierenden anregen soll. Mehrere melden sich zu Wort und schlagen mögliche Arten des Zählens oder Schätzens vor. Dann aber schlägt der Dozent eine eigene Methode vor, die das Denken der Informatik erfahrbar macht. Sie besteht darin, dass die Studierenden Zweiergruppen bilden. Einer der beiden setzt sich, der andere bleibt stehen. Derjenige, der noch steht, repräsentiert jetzt zwei Personen. Wieder bilden je zwei der noch Stehenden eine Gruppe; einer setzt sich, der andere repräsentiert jetzt vier Personen. So geht es weiter. Wenn die Letzten, die noch stehen, ihre Summen addieren, ist die Gesamtzahl ermittelt. Es ist ein munteres Treiben, bei dem sich alle körperlich betätigen und dabei erfahren, was binäres Verarbeiten von Informationen bedeutet. Zum Mitdenken anregen Zu jeder Rede gehören auch Informationen, die rationales Denken erfordern. Dazu gehören begründende, verallgemeinernde, zusammenfassende Aussagen, die sich auf einer abstrakteren Ebene als die praktischen Beispiele bewegen. Die Frage ist, wann man sie platzieren soll. Dazu gehören Behauptungen wie: „Informatik macht euch offen für die Möglichkeiten, Probleme effektiver zu lösen.“ 42 1. Teil Wäre der Dozent damit eingestiegen, vor den praktischen Aufgaben und Beispielen, hätte er nur ein schwaches Interesse geweckt. Aber nachdem Emotionen und Kreativität aktiviert wurden, fallen auch die rationalen Aussagen auf fruchtbaren Boden. Orientierung schaffen Zu diesen Appellen an die emotionale, die kreative und die rationale Beteiligung gesellt sich eine weitere Ebene, die orientierende. Dazu gehört Überblick über die Organisation der gesamten Veranstaltung ebenso wie die Orientierung innerhalb des Vortrags: Wo sind wir? Was wird als nächstes kommen? Wie ist die aktuelle Aussage mit den übrigen verknüpft? Es wird eine Struktur für die aktuelle Vorlesung skizziert, und die Studierenden bekommen auch eine erste Idee für die folgenden Wochen. Die orientierende Ebene enthält also mehrere Dimensionen: zum einen Klärungen über den Aufbau und die Gliederung bis hin zum verwendeten Vokabular, zum anderen Informationen über die zeitliche Platzierung der Vorlesung, aber auch über die Rahmenbedingungen, das Biotop, in dem sich diese abspielt. Den Kontakt verstärken David Malan hat eine halbe Stunde lang sehr einfache Beispiele präsentiert, mit denen er in das Denken der Informatik eingeführt hat. Er hat gezeigt, wie sich Boolesche Operatoren, Funktionen und Ausdrücke unterscheiden. Dann verlässt er die Inhaltsebene und stellt das Team vor, das hinter dem Lehrprogramm steckt, die Mitarbeiterinnen, mit denen die Studierenden zu tun haben werden. Dies ist eine einfache Methode, den Kontakt auf Beziehungsebene zu verstärken. Natürlich hat er schon zu Beginn Kontakt aufgenommen, durch die Art der Ansprache, durch Blickkontakt oder Fragen. Aber das Interesse für die Personen, die hinter der Präsentation stecken, ist größer, wenn eine Basis gelegt ist. Nach einem ersten einführenden Teil macht es Sinn, die Assistentinnen kennenzulernen. Deren Namen und Aufgaben können jetzt mit den ersten Erfahrungen verknüpft werden; Informationen auf verschiedenen Ebenen werden nutzbringend miteinander verknüpft. Was sie nachher tun: die Weiterverwendung von Reden Buddha zog ein halbes Jahrhundert lang von Ort zu Ort und verkündete seine Lehre. Eine Gruppe von Mönchen begleitete ihn, und diese Mönche prägten sich ein, was der Meister zu sagen pflegte. Als er 483 v.Chr. starb, konnten sie die Reden und Aussprüche mit großer Genauigkeit aus dem Gedächtnis wiedergeben, und auch in den folgenden Jahrhunderten wurden diese kaum verändert von Mund zu Mund weitergegeben. 57 Es gehört Reden in der Öffentlichkeit 43 zur Tradition des öffentlichen Redens, dass seine Produkte mehr Bestand haben, als es die flüchtige Form vermuten ließe. Die Reden die Buddha vor zweieinhalbtausend Jahren hielt, wurden in einer Form festgehalten, die es leichter machte, sie weiterzugeben. 58 Eine Mnemotechnik, eine Methode, das Gedächtnis zu aktivieren, war entwickelt worden, die der schriftlichen Aufzeichnung ebenbürtig war. 59 Lange bevor die buddhistischen Mönche lesen und schreiben konnten, konnten sie sich auf einen Wortlaut für die Reden berufen, der für sie alle als gesichert galt. Auch in unserer Kultur haftet einer mündlichen Rede noch immer an, dass sie zur Weiterverwendung und Weiterwirkung dienen soll. Sie hat einen bestimmten Wortlaut, ist in gewissem Sinne ein Text, auf den sich Redner und Zuhörende berufen können. Im Parlament oder bei Gerichtsverhandlungen wird mitgeschrieben. Ein Protokoll wird erstellt, aufbewahrt und liegt zur Einsicht vor. Aber auch da, wo Mitschriften nicht üblich sind, wie in der Predigt, oder wo nur unvollständige Aufzeichnungen entstehen, wie bei der Vorlesung, kann der Redner auf seine Worte verpflichtet werden. Das gesprochene Wort ist nicht flüchtig Eine öffentliche Rede hat schon deshalb mehr Bestand, weil die Zuhörenden die Erwartung haben, etwas mitnehmen zu können. Um die Behaltensleistung zu erhöhen und die Wiedergabe zu erleichtern, wird auch im Zeitalter der elektronischen Aufzeichnung besondere Sorgfalt auf die sprachliche Form verwendet. Wer kompliziert redet, kann mit weniger Widerhall rechnen. Wer prägnant formuliert, findet eher Resonanz. Viele große Reden leben anhand von eingängigen Zitaten weiter: In Winston Churchills erster Rede als Premierminister war es die Aussicht auf „Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß“. 60 John F. Kennedy ist in Erinnerung mit seiner Aufforderung: „Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann; fragt, was ihr für euer Land tun könnt.“ 61 Aus Helmut Kohls Rede vor der Knesset 1984 (und vielen anderen Reden) ist es die Formel von der „Gnade der späten Geburt“. 62 Prägnante Formulierungen können eine öffentliche Rede zu einem literarischen Ereignis machen. Rhetorik ist da wie schon im Altertum die Kunst, seine Sache schön und gut zu sagen (lat. ars bene dicendi). Aber den Schwerpunkt auf den stilistischen Schmuck zu legen, ist für den unmittelbaren Dialog nicht relevant. Es demonstriert vielmehr den monologischen, oft propagandistischen Charakter einer öffentlichen Rede. Wer dagegen den Dialog sucht, wird die Schwerpunkte anders setzen. Verstärkt wird die sprachliche Leistung durch den Einsatz weiterer Medien, die Visualisierung mit einer geeigneten Software oder die Diskussion eines Demonstrationsobjekts. Aussagen werden verstärkt, indem mehrere 44 1. Teil Sinne angesprochen werden, nicht nur der akustische. Die Ethnologin projiziert die Flugbahn eines Bumerangs auf ein Panorama der Heimatstadt ihrer Zuhörenden, so dass sie die Aussage: „Flugdistanz 427,2 m“ 63 besser begreifen. Der Zoologe bringt ein Nashorn zum Streicheln mit, um die Dicke der Haut nachvollziehbar zu machen. Die Genetikdozentin verteilt Papiere, die mit der Verbindung PTC getränkt sind, so dass jeder Zuhörende überprüfen kann, ob er das Gen für den bitteren Geschmack hat oder nicht. Die Kombination der Sinne sorgt dafür, dass die gewonnenen Informationen besser behalten und weiterverwendet werden. Denn autonome Weiterverwendung gehört zur Vorstellung von Öffentlichkeit. Die Adressaten bringen, was sie gehört haben, in andere Diskurse ein. Sie übernehmen Fakten und Argumente daraus, sie kommentieren oder widerlegen es. Jede Rede ist deshalb auch nur einer von vielen Bausteinen im thematischen Gebäude, das im öffentlichen Diskurs erstellt wird. In einer modernen Gesellschaft gehört zur Aktivität des Publikums auch, dass es weitere Quellen zur Verfügung hat. Es kann die Fakten anhand journalistischer und wissenschaftlicher Texte überprüfen und sich bei den verschiedensten Medien nach weiteren Informationen und Meinungen erkundigen. Dass Reden zur Weiterverwendung gedacht sind, weist auf die aktive Rolle des Publikums ebenso wie auf die Verantwortung der Rednerin hin. Es kann für diesen aber auch eine Erleichterung bedeuten, zu wissen, dass sein Text nur eine von vielen Wortmeldungen zum Thema ist.  Das Publikum macht immer mit Sogar für klassische Reden gilt: Nicht nur Rednerin und Veranstalter sind aktiv, sondern auch das Publikum. Es beteiligt sich durch:  Mitdenken  emotionale Reaktionen  kreative Mitarbeit  orientierendes Vernetzen  Weiterverwenden Die traditionelle öffentliche Rede kann im Publikum potenziell alle diese verschiedenen Ebenen aktivieren - die inhaltliche, die emotionale, die kreative und die orientierende. Wer sie erkennt und nutzt, tut einen wichtigen Schritt in Richtung konstruktive Rhetorik. Reden in der Öffentlichkeit 45 7 Das Problem: Monolog statt Dialog ls die ketzerische Bevölkerung von Rimini keine Lust zeigte, den Predigten des Heiligen Antonius zu lauschen, begab sich dieser zum Strand und sprach zu den Fischen. Als er sie rief, schwammen sie in dichten Schwärmen herbei und sie blieben, bis er ihnen den Segen erteilte. 64 Dagegen, dass Antonius seine Redebegabung auch der Tierwelt zuteil kommen ließ, ist natürlich nichts einzuwenden. Für die Fische in der Adria war es sicher eine willkommene Abwechslung und es wird ihnen nicht geschadet haben. Merkwürdig ist, dass dieses Wunder die verstockten Leute von Rimini dazu animierte, sich ebenfalls an den Strand zu begeben, vor dem Prediger auf die Knie zu gehen und ihm ebenso brav zuzuhören. Dabei war die Situation so einseitig, wie es nur geht: Einer sprach, die anderen hörten stumm zu - wie die sprichwörtlichen Fische eben. Antonius schien sich auch nicht dafür zu interessieren, was die Tiere zum Thema beizutragen hatten. Ihm genügte, dass sie alle zu ihm hinsahen und sich dabei, wie die Zeitzeugen versichern, verneigten. Aber das Volk war beeindruckt. Und so ist es immer wieder. Reden, die in extremer Weise so angelegt sind, dass einer spricht und die anderen den Mund halten, haben große Anziehungskraft und werden für ihre vermeintliche Wirkung gelobt. Monolog in Reinkultur ist die Grundform öffentlicher Rede und steht weitherum in hohem Ansehen. Menschen, die ein großes Publikum anziehen und überzeugen, werden verehrt - oft, ohne dass ihre Botschaft oder ihre Argumente überprüft würden. Diese Verherrlichung des Monologs kann man den Fischen des Heiligen Antonius nicht vorwerfen, aber von den Ketzern aus Rimini (die ansonsten ganz vernünftige Ansichten hatten) hätte ich mehr erhofft. Monologisches Vorgehen widerspricht den meisten Redezielen, zumindest überall da, wo Redner und Publikum gemeinsam ein Ziel erreichen sollen. Reden des Informierens, des Lehrens, des Zeigens, des Vorführens, des Motivierens sind effektiver, wenn sie einen möglichst hohen Anteil an dialogischen Elementen haben. Zudem machen sie es auch den Rednern leichter. Deshalb führt der Weg vom reinen Dozieren, Präsentieren, Vorführen zu einer ansprechenden, zum Mitreden auffordernden, dialogischen Rede. Die Grenzen monologischer Kommunikation Am aufschlussreichsten ist es, mit dem Beispiel einer missglückten Rede anzufangen, mit einem zwar optimal gestalteten Vortrag, der aber sein Publikum nicht erreicht hat, weil es nicht gelang, den Monolog zu durch- 46 1. Teil brechen. Es handelt sich um eine der berühmtesten Reden aus der jüngeren deutschen Geschichte - die Ansprache des Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger am 50. Jahrestag der Novemberpogrome von 1938. Jenninger, der den Nationalsozialismus in aller Klarheit verurteilte, versuchte nachvollziehbar zu machen, worin dessen Faszination für die Deutschen bestanden hatte und was sie zum Mitmachen motiviert hatte. Die Rede empörte viele, die sie live anhörten, weil es schien, als ob Jenninger die Quellen, die er wiedergab, kritiklos akzeptierte. Jenninger führte sehr ausführlich Texte aus den 1930er-Jahren an, unter anderem eine verstörend lange Passage aus einer Rede von Heinrich Himmler, seines Zeichens „Reichsführer SS“. Es waren Zitate, aber der Tonfall ließ eine Distanzierung nicht erkennen. Verstärkt wurde dieser Eindruck noch durch ein Bild, das um die Welt ging und viele Missverständnisse provozierte: Man sah Jenninger am Rednerpult und daneben die Schauspielerin Ida Ehre, die soeben gesprochen hatte. Sie hatte den Kopf geneigt und hielt sich beide Hände vor das Gesicht. Man nahm das allgemein als Ausdruck ihres Entsetzens über den Inhalt der Rede. In Wirklichkeit war sie einfach erschöpft und, wie später klar wurde, in Gedanken gar nicht bei Jenningers Rede. Viele, die im Publikum saßen und sich ohnehin als die besseren Antifaschisten verstanden, waren nicht in der Lage, Jenningers Bemühungen anzuerkennen. Und Jenninger selbst war es in diesem Rahmen einer Feierstunde nicht möglich, Signale aus dem Publikum wahrzunehmen und zu deuten. Heute wird die Rede, aus der Distanz und aufgrund ihrer schriftlichen Gestalt, durchweg anders beurteilt. An ihrer antifaschistischen Haltung wird nicht mehr gezweifelt, man hebt sogar die Differenziertheit ihrer Analyse hervor. 65 Wenn man sich nur spielerisch vorstellt, dass bei einer solchen Veranstaltung das Publikum einbezogen werden könnte, dann hätten sich die Missverständnisse sofort geklärt. Man hätte zurückgefragt - „Meinst du das wirklich so? “ - und der Redner hätte die Chance gehabt, das Gemeinte zu wiederholen oder zu verdeutlichen. In jeder anderen, nichtöffentlichen Redesituation wäre es normal gewesen, Ida Ehre zu fragen: Wie geht es dir? In diesem Akt des symbolischen Gedenkens aber war ein solcher Einbezug menschlicher Reaktionen nicht vorgesehen. Der Monolog als Symbol Das Schicksal von Jenningers Rede ist ein drastisches Beispiel für das Dilemma, das mit jeder öffentlichen Redeveranstaltung verbunden ist: Man will zwar zum Diskurs beitragen, aber das Modell, das dafür zur Verfügung steht, ist die One-Man-Show. Einer spricht, die anderen hören zu und interpretieren, was sie hören, nach Gutdünken. Und bei einer Gedenkveran- Reden in der Öffentlichkeit 47 staltung ist der Spielraum für eine andere Vorgehensweise minimal klein. Als Vorlesung vor einem Publikum, das mitdenkt und mitdiskutiert, wäre diese Rede wohl möglich gewesen. Dass sie sogar vorgetragen werden konnte, ohne Anstoß zu erregen, demonstrierte ein Jahr später Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er las mit wenigen Abstrichen denselben Text bei einer Veranstaltung in einer Frankfurter Synagoge. Das Resultat: „Keiner hat was gemerkt.“ 66 Dies hat aber wohl nur deshalb funktioniert, weil die Funktion der Rede nicht auf einen symbolischen Akt reduziert war. Es war eine Bereitschaft da, vorurteilsfrei zuzuhören. Je ritueller aber die Veranstaltung ist, desto stärker die Distanz zwischen Redner und Publikum desto ausgeprägter der monologische Charakter. In vielen anderen Fällen, außerhalb der Festrede, lässt sich der Monolog aufbrechen, lassen sich dialogische Elemente einbauen. Das Problem dabei ist nur, dass das symbolische Reden von vielen als Vorbild genommen wird und auch auf andere Redeweisen übergreift, bei denen die abgeschlossene Form und der Verzicht auf den Austausch mit dem Publikum eher nachteilig ist. Reden, ohne zuzuhören Ungeachtet des feierlichen Rahmens versuchten Abgeordnete die Rede mit Zwischenrufen zu stören. Dass dies nicht gelang, gehört auch zur Tragik des extremen Monologs. Jenninger selbst berichtet es so: »Schon nach den ersten fünf Sätzen meiner Rede kam es im Bundestag zu Zwischenrufen der Grünen an mich: „Sie Altnazi! Wie kommen Sie dazu, darüber zu reden! Hören Sie auf,“ hat damals eine Abgeordnete der Grünen gerufen — andere haben ähnliche Beleidigungen von sich gegeben. Ich habe dann die Abgeordneten der Grünen aufgefordert, die Zwischenrufe einzustellen und die Würde dieser Gedenkstunde nicht zu stören. Aber sie hörten nicht darauf.« 67 Zwischenrufe begannen schon zu Beginn, als Jenninger begründete, warum das Parlament der BRD eine eigene Gedenkveranstaltung abhielt. Deutlich zu verstehen war der Satz: „Aber das ist doch alles gelogen! “ 68 Was sollte der Redner tun? Er wusste in der Situation nur eine Lösung: an die Disziplin zu appellieren: „Bitte lassen Sie diese würdige Stunde in dieser Form ablaufen! Ich bitte Sie um Verständnis dafür, dass ich Sie herzlich bitte, jetzt äh sich ruhig zu verhalten.“ 69 Je monologischer die Rede, desto passiver ist die Rolle, die dem Publikum zugeschrieben wird. In der parlamentarischen Feierstunde sind keine Signale für Reaktionen aus dem Publikum vorgesehen, im Gegensatz zur parlamentarischen Verhandlung. Da sind Zwischenrufe zwar üblich, aber nicht als Diskussionsbeitrag, sondern als Signal an den Bürger, vor dem die 48 1. Teil Debatte zelebriert wird. Zwischenfragen werden nur nach strengen Regeln rituell durchexerziert. Problematisch ist, dass dieser Umgang mit Reden oft Vorbildcharakter hat. Man erwartet einen brillanten, ununterbrochenen Vortrag auch da, wo ein gemeinsamer Erkenntnisgewinn nützlich wäre, wo also ein Austausch nonverbaler oder verbaler Art beide Seiten weiterbrächte. Produktiv sind Veranstaltungen, bei denen z.B. eine Unterbrechung durch Fragen aus dem Publikum erwünscht ist und im besten Fall sogar einen fließenden Übergang zwischen Rede und Diskussion möglich macht. Schriftliche Fixierung erschwert den Kontakt Der Dialog wird häufig durch die schriftliche Ausarbeitung erschwert. Dies gilt vor allem, wenn Manuskriptreden Wort für Wort gelesen werden, damit die sprachlichen Feinheiten zur Geltung kommen. Dies erhöht den Schwierigkeitsgrad auf jeder Ebene: Beim Schreiben entstehen leicht längere, kompliziertere Sätze, die durch einmaliges Anhören schwerer zu verstehen sind. Zudem entsteht bei ungeschulten Sprechern oft ein einförmiger Vorleseton. Auf der nonverbalen Ebene ist beim Ablesen der Blickkontakt erschwert und die Gestik meist weiter eingeschränkt. Jenningers Rede enthielt Passagen, die missverstanden werden konnten, weil sie nur mit den dazu gehörenden Satzzeichen eindeutig wurden. Mehrdeutigkeit aber braucht eine Absicherung - entweder durch den Dialog oder, wenn dieser wie in der Feierstunde nicht möglich ist, durch die sprecherische Gestaltung. Beispiele für die Mehrdeutigkeit waren in diesem Fall viele Sätze in Frageform, zudem Rechtfertigungsfloskeln in Anführungszeichen, die Jenninger den Zeitgenossen des Holocaust in den Mund legte (in der 3. Person Plural, was die Distanzierung erschwerte) und zudem nazitypische Diffamierungen. Im Manuskript standen diese in Anführungszeichen. In der mündlichen Rede waren diese nicht mehr zu erkennen. 70 Ein professioneller Sprecher oder eine Schauspielerin hätten stimmliche Mittel zur Verfügung, um sich von Zitaten zu distanzieren. In einem informellen Rahmen würde es mit anderen Mitteln geklärt, es würde mit Blickkontakt überprüft, ob die Distanzierung erkannt wurde. Im Zweifel könnte man gar eine kurze Erklärung einfügen oder auf eine Zwischenfrage reagieren. In einer während der Feierstunde zelebrierten Rede geht dies aber nicht, weil die Tendenz zum Monolog auch die Tendenz zum Perfektionismus ist. In Manuskriptreden spiegelt sich auch der Perfektionismus, der mit monologischen Reden verbunden wird, wider. Rednerin wie Publikum erwarten kunstvoll geformte, grammatikalisch korrekte Sätze. Menschen, die als große Rednerinnen gelten, werden für die stilistischen Kunstwerke gelobt, die später in ihren gesammelten Werken nachgelesen werden können. Das Reden in der Öffentlichkeit 49 erfordert eine perfekte Darbietung. Dafür gibt es aber spezielle Berufe - diejenigen der Schauspielerin und des professionellen Sprechers. Ein Handwerker, der aus seiner Werkstatt berichtet, eine Künstlerin, die ihre Plastiken präsentiert, oder auch ein schwäbischer CDU-Politiker, der über seine historischen Erkenntnisse referiert, ist mit einem zu raffinierten Manuskript überfordert. Fragen, die keine Fragen sind Kennzeichnend für das Angebot einer Interaktion ist traditionsgemäß die Frageform - außer es handelt sich um eine sogenannte rhetorische Frage. Die Zuhörenden sollen sich die Antwort selbst geben; meistens wird sie durch den Kontext insinuiert. Rhetorische Fragen sind auch im Alltag durchaus üblich. Dort ist es aber leicht, mit einer entsprechenden Intonation und Pause zu signalisieren, wie sie gemeint sind - und die Möglichkeit der Antwort oder sonstigen Reaktion ist gegeben. In der öffentlichen Rede demonstriert sie den Verzicht auf den Dialog, wenn sie nicht entsprechend eingebettet ist. Jenninger formulierte gar zehn Sätze in Frageform, die ganz unterschiedliches aussagten. Was fehlte, war die passende sprecherische Ausführung mit Intonation und Pausen, die dazu gehört, will man aus der rhetorischen Frage ein Instrument des Dialogs machen. In den Jahren nach der Gedenkstunde sind unzählige Analysen der Rede erschienen. Die meisten stützen sich auf den Wortlaut. Einige aber weisen auch auf die besondere Stimmung im Saal hin, die von Anfang an ein Verstehen erschwerte. Der Linguist Peter von Polenz spricht von einer „weithin oberflächlichen, unaufmerksamen und neurotischen Rezeptionshaltung,“ 71 Jenninger selbst sprach in einem späteren Interview von der „Eiseskälte“, die er von den Parlamentariern zum Rednerpult hochkommen spürte. 72 All das sind Ausdrücke, die das Destruktive illustrieren, das mit der Verherrlichung des Monologs einhergeht. Die Verherrlichung des Monologs Es gibt viele Gelegenheiten, bei denen man mal die Klappe halten und zuhören sollte. Aber auf Dauer besteht erfolgreiche Kommunikation in Rede und Gegenrede, in wechselseitigem Zuhören. Klassische Monologsituationen werden denn auch selten aufgrund der Fähigkeit des Redners, auf sein Publikum zu hören, beurteilt. Man konzentriert sich stattdessen auf die kurzfristige Wirkung, die er ausübt oder auszuüben scheint. Erfolgreiches Reden wird als „Willensbeeinflussung“ 73 verstanden; es ist „auf Überzeugung ausgerichtet“ 74 - meist ohne zu fragen, ob es wirklich möglich ist, mit einer einzigen Rede die Menschen umzustimmen oder ob dies überhaupt wünschenswert ist. 50 1. Teil Natürlich lassen sich monologische Botschaften am leichtesten inszenieren und je autoritärer der Rahmen ist, desto nachhaltiger wirken sie: Der Diktator ruft zum Krieg auf, die Zuhörenden schreien „Hurra“. Der Kommandant ruft: „Feuer! “, die Soldaten zünden die Geschütze. Als Beispiele für gelungene Überzeugungsreden werden oft spektakuläre Beispiele genannt, die einen momentanen Stimmungswechsel bewirkt haben. In einer Gemeinschaft, die sich unter dem Zeichen der Gleichberechtigung trifft, ist dies jedoch wenig konstruktiv. So bewundern viele die Rede des deutschen Außenministers Joschka Fischer beim außerordentlichen Parteitag der Grünen 1999. Die NATO bereitete sich vor, Serbien anzugreifen, um die Menschenrechtverletzungen, Ermordungen und Vertreibung zu beenden, allerdings, ohne dass der „Bündnisfall“, ein Angriff auf einen NATO-Staat, eingetreten wäre, und ohne UN-Mandat. Die rot-grüne Bundesregierung der BRD sah sich genötigt, bei diesem Krieg mitzumachen, nicht nur aus Gründen der Humanität, sondern auch um der eigenen Machterhaltung willen. 75 In seinen eigenen Worten ging es darum, ob er „gestärkt aus dem Parteitag hervorging“ 76 oder nicht. In einer aufgeheizten Atmosphäre plädierte Fischer für die Unterstützung seiner Parteigenossen. Immerhin war es der erste deutsche Kriegseinsatz nach dem Zweiten Weltkrieg, und die Zeit, als Fischer noch selbst der Bundeswehr kritisch gegenüberstand, war noch nicht lange her. Nach der Rede (mit dem später sprichwörtlich gewordenen Ruf: „Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz; nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus! “ 77 ) wurde seine Position mit 444 zu 318 Stimmen bestätigt. 78 Fischers Taktik wurde später als unredlich bezeichnet, weil er wesentliche Informationen zurückgehalten hatte, die Gegenargumente geliefert hätten. 79 Im Kabinett hatte man eine Entscheidung getroffen; die Meinungen der Basis sollte diese nicht mehr beeinflussen. Ein Angebot zum Dialog war die Rede nicht. Karl-Heinz Göttert, Kenner der Rhetorikgeschichte und Verfasser eines Buchs über „Redemacht“, sieht sie in anderem Licht. Er versteht Fischer als Nachfolger des römischen Populisten Cicero und lobt: „Welche Rede soll besser sein als diejenige, die in fast hoffnungsloser Situation überredet? “ 80 Das Prinzip der Rhetorik ist für ihn „die fixe Idee des Überwältigens durch (Anwendung von) Kunst.“ 81 Wer einen solchen Monolog preisen will, braucht eine Vorannahme, nämlich die, dass „die Grünen“ insgesamt dem Krieg ablehnend gegenüberstanden. „Eine Mehrheit für die nachträgliche Befürwortung des NATO- Einsatzes schien unmöglich.“ 82 Dann kam Fischers Rede. Dann kam die Abstimmung, und die Mehrheit war dafür. „Fischer hatte den Umschwung mit überzeugenden Argumenten herbeigeführt, aber auch mit einer Sprache, die Autorität ausstrahlte,“ so Göttert. 83 Genau dies gehört aber zum Reden in der Öffentlichkeit 51 Mythos von der Macht der Rede: das „Überwältigen“ durch eine in den Saal gebrüllte, leidenschaftliche Rede (mit Pauschalverurteilungen, Halbwahrheiten und abstrusen Vergleichen, die einen zumindest aus der Distanz erschauern lassen können). Wenn es möglich wäre, mit einer Rede allein ein Nein in ein Ja zu verwandeln, wäre es nicht Kommunikation unter Gleichberechtigten, sondern Propaganda, Indoktrination. 84 Monolog ist auf Wirkung fixiert Es sind also zwei Dinge auseinanderzuhalten: Zum einen die sofortige Wirkung einer Rede, und diese wird oft magisch verklärt gesehen. Das Reiz-Reaktions-Schema, das diesem Denken zugrunde liegt, ist eine Illusion. (Die Fischer-Rede hat weder die Entscheidung der Delegierten noch die der Bundesregierung, die sich schon längst entschieden hatte, herbeigezaubert.) Zum anderen gibt es die längerfristige Wirkung. Diese besteht zum Beispiel darin, dass sie später wieder aufgenommen und diskutiert wird, dass sie im Nachhinein selbst zum Mythos wird und in vielen argumentativen Texten behandelt wird. Fischers Ausspruch Nie wieder Auschwitz! aus dieser Rede, Martin Luther Kings I have a dream ..., Angela Merkels Beteuerung: Wir schaffen das! - viele Redeausschnitte sind weiter zitiert und diskutiert worden. Diese Art des Weiterlebens einer Rede mag erstrebenswert sein und sie sogar zu einem literarischen Werk machen. Sie muss nur klar getrennt werden von der angeblichen sofortigen Wirkung. Diese ist in den wenigsten Fällen zu belegen, und wer auch nur ein wenig Sinn für demokratische Auseinandersetzung hat, wird keinen Wunsch nach solchen Reden verspüren. Es könnten noch viele Reden zitiert werden, die deshalb als „erfolgreich“ gelten, weil der Redner sein Privileg, zu einer großen Menge zu sprechen, missbraucht hat, um mit Scheinargumenten, schönen Worten oder Ablenkungsmanövern zu brillieren. Deshalb sind die großen Vorbilder der destruktiven Rhetorik meistens politische Redner, Fernsehmoderatorinnen, Pressesprecher - Menschen, deren Beruf es ist, ihre eigene Position in der Auseinandersetzung mit anderen zu behaupten. Wenn sie aber nicht gerade reden, üben sie ihre Macht auf ganz andere Weise aus als durch rhetorische Kunstwerke. Das Problem ist nicht, dass es Situationen gibt wie Feierstunden oder Wahlkampfveranstaltungen, bei denen eine Rede gehalten wird, um eine Stimmung zu produzieren. Das Problem ist, dass diese Art Rede als Ideal auch auf alle anderen Gelegenheiten des öffentlichen Redens übertragen wird. Dass manchmal versucht wird, dem politischen oder weltanschaulichen Gegner in einer Rede mit Verzicht auf rationale Argumentation eine Niederlage zu verpassen, ist nicht unser Thema, sondern dass diese Art des 52 1. Teil Redens verherrlicht wird und auch als Maßstab für die Ansprache des einfachen Referenten vor seinem Fachpublikum genommen wird.  Daran zeigt sich die Tendenz zum Monolog  Rahmen: Beiträge des Publikums sind nicht vorgesehen. Die Qualität der Rede wird unabhängig von der Redlichkeit ihrer Mittel beurteilt.  Diskurs: Die Rede versteht sich nicht als Beitrag in einem Prozess der gegenseitigen Verständigung, sondern als Wunderwaffe, die den Gegner in einem Zug schachmatt setzt.  Form: Gegenseitiges Zuhören ist erschwert. In der Rede werden keine Dialogangebote gemacht. Der Redner vermeidet den Kontakt mit dem Publikum.  Argumentation: Rationale, plausible und emotionale Argumentation werden austauschbar behandelt.  Wirkung: Rednerin und Publikum rechnen mit einer unmittelbaren, unidirektionalen Wirkung der Rede. Monologische Rhetorik bezieht ihren Nimbus durch die rhetorische Tradition, die einen Typ Rede in den Mittelpunkt stellt: die Überzeugungsrede vor Gericht oder im politischen Forum. Der Erfolg einer solchen Rede misst sich daran, dass die Rednerin die Mehrheit des Publikums auf ihre Seite zieht; es geht um Sieg oder Niederlage, die Mittel heiligen den Zweck. Eine Betrachtungsweise, die diese Art des Redens lehrt, verdient den Namen destruktive Rhetorik. Sie zählt auf den Missbrauch der asymmetrischen Rollenverteilung und auf deren Verherrlichung. Konstruktiv aber spricht, wer akzeptiert und erkennbar macht, dass seine Rede höchsten das zweitwichtigste Ereignis der Kommunikation ist. Ihr übergeordnet ist der Diskurs, in den sie sich einfügt. 8 Rhetorik: Die Lehre vom Reden in der Öffentlichkeit er im antiken Athen als Angeklagter oder als Kläger vor Gericht stand, musste seine Sache selbst vertreten. In der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts vor Christus hatte Athen einen politischen und rechtlichen Wandel erlebt. Das erste demokratische Gemeinwesen war entstanden, und dazu gehörten auch die Gerichte. Eine große Gruppe von Bürgern hörte sich die Verhandlung an und entschied, ähnlich wie in einem Geschworenenprozess, dann über den Fall. Es gab keine Anwälte, Reden in der Öffentlichkeit 53 keinen Staatsanwalt; um sich vor diesen Gerichten zu behaupten, waren die Beteiligten auf ihre rednerischen Fähigkeiten angewiesen. 85 Aber es gab Rhetoriklehrer - Dozenten und Berater, die ihre Kunden darin unterrichteten, ihre Sache vor Gericht und auch in der Politik wirksam zu vertreten. Eine Vorstellung von ihrem Fach geben die Lehren der Griechen Protagoras, Gorgias oder Aristoteles aus dem fünften und vierten Jahrhundert vor Christus. Im antiken Rom, in der mittelalterlichen Gelehrtenwelt und in der Neuzeit entwickelte sich die Rhetorik weiter zu einer Wissenschaft, einem System der Vorbereitung, Planung und Durchführung von „Reden“ im weitesten Sinn. Diese klassische Rhetorik befasste sich längst nicht nur mit Anklage und Verteidigung vor Gericht oder mit politischen Debatten. Sie war aufgefächert in Lehreinheiten zu Recherche, Argumentation, Diskussion, Präsentation usw., und zwar in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens - gleich, ob es um die Welt der Gerichte oder des Handels, der Medizin oder der Kunst gehen mochte. Der Anspruch des Fachs Rhetorik ist immer über den einer Kommunikationslehre hinausgegangen. Sie hat seit dem Altertum Aspekte der Philosophie, Psychologie und Sprachwissenschaft einbezogen, die später von eigenen Disziplinen (z.B. Linguistik, Psychologie, Kommunikationswissenschaft) übernommen wurden. Einige davon sind direkt aus der Rhetorik entwickelt worden, andere zumindest können ihre Verwandtschaft nicht leugnen. Der heutige praktische Rhetorikunterricht umfasst nur noch einen kleinen Teil des klassischen Lehrgebäudes. Das hat aber durchaus seinen Sinn, eben weil es moderne Fächer gibt, die sie entlasten, weil sie Inhalte erforschen, die früher zur Rhetorik gehörten.  Moderne Erben der klassischen Rhetorik  Linguistik  Literaturwissenschaft  Psychologie  Jurisprudenz  Theaterwissenschaft  Medienwissenschaft Auch in diesem Buch wird der Begriff Rhetorik auf einen besonderen Aspekt der Kommunikation konzentriert. Rhetorik wird verstanden als die Lehre vom Reden in der Öffentlichkeit. Dass diese Lehre trotz ihrer klaren Einschränkung immer noch Rhetorik genannt werden soll, hat zwei Gründe. 86 Der eine liegt in der Tradition des Sprachgebrauchs: Im deutschen 54 1. Teil Sprachraum hat Rhetorik sich als Bezeichnung für alle Formen des praktischen Redetrainings eingebürgert. Unzählige Angebote führen den Begriff im Titel, auch wenn sie keinen Zusammenhang zur wissenschaftlichen Rhetorik erkennen lassen. Deshalb sollte ein Buch wie dieses, das den Bezug zur Wissenschaft beibehält, den Begriff nicht über Bord werfen. Der zweite Grund hat mit der Perspektive der Rhetorik zu tun, die sich von der anderer Wissenschaften der Kommunikation unterscheidet. Auch wenn uns in der Rhetorik bewusst bleibt, dass es Sender und Empfänger, Rednerin und Zuhörende gibt, nimmt der Ansatz in erster Linie die Rednerin in den Blick. Zwar ist das Publikum nicht rein passiv und das Gelingen hängt nicht zu hundert Prozent von der Rednerin ab. Dennoch werden wir immer wieder auf die Rednerinnenperspektive zurückkommen, weil es die Rednerin ist, an die sich die Ausbildung richtet. 87 Dieses Buch enthält viele praktische Anleitungen. Aber es geht immer zunächst deskriptiv vor und setzt bei den Merkmalen des Redens in der Öffentlichkeit an, in seinen Unterschieden vom Reden im Alltagsgespräch. Dies ist der Ansatz, der sich in meiner Ausbildungspraxis bewährt hat. 88 Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass das Reden im Dialog nicht nur leichter fällt, sondern dass auch bessere Resultate erzielt werden als in der monologischen Rede. Kooperation führt zu Lösungen, die alle mittragen können. Bei einer Präsentation oder einem Vortrag hilft ein dialogisches Vorgehen zumindest, rechtzeitig zu erkennen, ob die Zuhörenden noch dabei sind und wie weit sie bereit sind, zu folgen und die Botschaften zu akzeptieren. Es ist möglich, die Kommunikation in Präsentationen, Vorträgen oder Vorlesungen zu verbessern, indem man versucht, so viel wie möglich von der dialogischen Kommunikation in die öffentliche Rede zu übernehmen. Ich nenne dies konstruktive Rhetorik. Das nächste Kapitel skizziert dieses Programm. 9 Das Gegenprogramm: Dialog nsere ältere Tochter hat überraschend ihren Besuch angekündigt. Die jüngere ist gestern durch die Fahrprüfung gerasselt. Unser Sohn will heute aus Finnland anrufen. Die Katze frisst schon seit zwei Tagen nichts. - Das sind die Hauptthemen, die meine Frau und mich durch das Frühstück begleiten. Manchmal unterbricht der eine den anderen; manches, was man sagt, ist Kommentar, andere Äußerungen sind ein Lachen oder ein Naserümpfen. Am wichtigsten ist aber der Kontakt: Wir schauen uns immer wieder in die Augen; einmal wird einer lauter, um die Geräusche des Radios zu übertönen; manchmal fragt einer nach. Das ist der formale Kern des Dialogs. Er besteht darin, dass Kontakt gehalten wird und dass dem einen wie Reden in der Öffentlichkeit 55 dem anderen die gleichen Mittel zustehen: Fragen stellen, Pausen setzen, Kommentieren, Gestikulieren, laut oder leise werden. Dialog fühlt sich anders an als Monolog. Dialog bezieht Argumente der Gegenseite mit ein und beteiligt sie aktiv an der Kommunikation. Vor allem ist bei einem dialogischen Ansatz nicht die einzelne, abgeschlossene Rede das Entscheidende, sondern der Prozess, in dem sie und viele andere Beiträge aufeinanderfolgen und sich gegenseitig beeinflussen. Das ist zwar mühsam, aber es erbringt Resultate. Die Aufgabe der Rhetorik ist es, aufzuzeigen, wie der Monolog durchbrochen werden kann, wie Dialog trotz des Zwangs zum Monolog möglich wird. Dialog ist ein gemeinsamer Prozess Ein Dialog ist ein Text, den mehrere Beteiligte (zum Beispiel Redner und Publikum) gemeinsam herstellen. 89 Paradebeispiel ist die Erörterung eines Themas in einem Team. Jeder hat etwas beizutragen; der „Text“, der entsteht, ist eine Abfolge dieser Beiträge. Das gemeinsame Ergebnis ist die Folge des Austauschs zwischen den Beteiligten. Der Begriff „Dialog“ wird in der Öffentlichkeit täglich bemüht. Wenn zum Beispiel in verfahrenen politischen Situationen ein Fortschritt erzielt werden soll, setzt man auf Dialog - zwischen den USA und Russland, zwischen Christen und Muslimen, Fremden und Einheimischen, Gegnern, Experten usw. Dementsprechend gibt es unzählige Modelle für Dialoge in Politik, Philosophie und Theologie. Sokrates führte den Dialog mit seinen Jüngern, um ihnen bei ihrer Erkenntnissuche zu helfen. 90 Hans-Georg Gadamer trat mit alten Texten in einen Dialog, um sie zu verstehen. Martin Buber betonte den Dialog, die Hinwendung zum anderen und dessen Anerkennung, als Bedingung für die Entstehung eines „Wir“. 91 Völlig andere Bedeutung haben technische Dialogbegriffe. Wer sich über Apple TV und iTunes unterhalten lässt und dabei vor sich hinspricht, führt einen Dialog mit der Software SIRI, also in einem recht reduzierten Sinn. Auch wer nur schon in einem einfachen Computerprogramm auf OK klickt, ist aus Sicht der Informatik mitten in einem Dialog. Für die rhetorische Kommunikation ist es zunächst wichtig, den Dialog als einen Prozess zu verstehen. Die Gesprächspartner (bzw. der Redner und sein Publikum) lassen in gemeinsamer Arbeit eine Sequenz von Rede und Gegenrede entstehen. Dialog in diesem Sinne entspricht einer partnerschaftlichen Haltung sowohl auf der Sachals auch auf der Beziehungsebene. Der Schwerpunkt liegt auf Verständigung Ist es nicht merkwürdig, dass wir in der Gesprächsführung mit einer überwältigenden Zahl von Lehrbüchern, Instituten und Autoren konfron- 56 1. Teil tiert sind, die gewaltfreie, auf gegenseitiges Verstehen und Zusammenarbeiten ausgerichtete Kommunikationstechniken vermitteln, weil einen diese weiter bringen als einseitige Manipulationstechniken? Dass aber eine Rede vor Publikum beurteilt wird, als ob es um Sieg und Niederlage ginge? Ist es denn wirklich notwendig, dass wir, sobald wir als Einzelpersonen vor einer Gruppe stehen, unsere Vorstellung von Dialog und Gewaltfreiheit vergessen? Dass Dialog besser ist als Monolog, braucht - außerhalb diktatorischer Kontexte - keine langen Begründungen. Dennoch ist der Zwang zum Monolog so stark, dass man ihn oft auch da befolgt, wo er gar nicht besteht oder wenigstens aufgeweicht werden könnte. Ein gutes Beispiel geben alle Formen von Lehrvorträgen ab - von der kurzen Instruktion im Beruf bis zur Vorlesung an der Universität. Niemand ist gezwungen, einen Sachvortrag als Deklamation zu zelebrieren, ohne Rücksicht auf die fragenden Gesichter und Zwischenbemerkungen der Zuhörenden. Wenn auch für das eigentliche Gespräch oft keine Gelegenheit besteht, gibt es doch überall die Möglichkeit, einzelne dialogische Elemente einzubauen. Noch besser - und gerade in Lehrsituationen leicht durchführbar - ist eine Überführung der monologischen Situation in eine dialogische. Gerade das versuchten die Verantwortlichen von TED ein Jahr nach der Auseinandersetzung mit Nick Hanauer (→ Kapitel 3 ∣ Vorgaben des Veranstalters). Bei einem TEDx-Event in London 92 propagierte der Journalist und Autor Graham Hancock die Legalisierung einer bestimmten bewusstseinserweiternden Droge. Weil die Rede inhaltlich kontrovers war - aus Sicht der etablierten Wissenschaft unsinnig - wollte die Leitung von TED sie zunächst auf ihrer Website unterdrücken. Dann suchte sie nach Wegen, sie so zu kommentieren, dass ihre kontroverse Position erkennbar würde. Statt die Ideen Hancocks nur zu verbreiten, stellten sie sie forumartig zur Diskussion. Das Publikum sollte eigene Kommentare hochladen können. Die Debatte würde im besten Fall dazu führen, dass die Ideen nicht nur hinterfragt würden, sondern dass man gemeinsam weiterdenken würde. Die Verantwortlichen versuchten damit im Nachhinein, die Nachteile des monologischen Konzepts zu beheben. Das Ziel war, aus dem Monolog einen Dialog zu machen. Dummerweise ist eine solche Handlung suspekt, wenn sie von einem Unternehmen kommt, dessen Geschäftsmodell ansonsten darin besteht, allen möglichen Rednern eine Plattform zu bieten. Ins Gewicht fiel zudem, dass das Video eine Zeitlang nicht nur auf der TED-Homepage, sondern auch auf dem YouTube-Kanal von TED zu sehen gewesen war. Dass es damit aus dem leicht zugänglichen sozialen Netzwerk entfernt und in eine weniger beachtete Ecke des Internets gestellt wurde, nahm man TED weitherum übel. Reden in der Öffentlichkeit 57 Monolog eignet sich für reine Propaganda, Dialog für gemeinsames Nachdenken. Monolog ist persuasiv, Dialog ist konstruktiv. Für einen, der eine Glaubensüberzeugung verbreiten will, ist Monolog das Mittel der Wahl. Den Veranstaltern war das in diesem Fall nicht geheuer, und sie hatten Recht. Pech für sie war, dass sie die Marke TED gerade auf monologischen Produkten aufgebaut hatten. Bis sie mit ihrem Forum kamen, hatte die Kritik längst auf anderen Kanälen Fahrt aufgenommen. Dialog in der öffentlichen Ansprache Dialog als Prozess, als ein Text, den alle Beteiligten gemeinsam herstellen: Dies kann auch ein Ansatz für das Reden vor Publikum sein. Zunächst ist es ein Modell, nach dem sich die Rednerin ausrichten kann (und das sich, wenn möglich, auf ihr Publikum überträgt). Das Mantra „Ich bin nicht allein verantwortlich“ kann entlastend wirken und den Einsatz der rhetorischen Mittel vernünftig leiten. In Bezug auf die Rollenerwartungen hilft es, die autoritären Vorstellungen einer übertriebenen Wirkung zurückzuschrauben. Inhaltlich ermöglicht es die offene Planung, weil man während der Rede auf Impulse aus dem Publikum eingeht und dieses Aufbau und Informationsdichte mitgestaltet. Formal betrifft es die Wahl von Mitteln, die auf Anschlussfähigkeit ausgerichtet sind - vom Blickkontakt bis zur verbalen Interaktion. Letztlich ist Dialog eine Eigenschaft der gesamten Rede. Auch wenn sich die Rede dabei nicht in eine lebhafte Diskussion verwandelt, so soll doch kein Zweifel daran gelassen werden, dass jede Rede, jeder Vortrag, jede Vorlesung, jede Präsentation nur der zweitwichtigste Beitrag zum Thema ist und sich immer in weitere Auseinandersetzungen, Gespräche, Debatten einfügt, gerade auch in solche Formen, die für den Dialog offener sind. Formal und inhaltlich ist jede konstruktive Rede ein Angebot zum Dialog. Die Kommunikationsform der Symmetrie Das Prinzip des Dialogs ist die Symmetrie. Alle Gesprächspartner sind gleichberechtigt. Das Prinzip des Monologs ist dagegen die Asymmetrie. Einer spricht, die anderen hören zu. Eine monologische Situation stellt sich ein, sobald einer eine besondere Rolle einnimmt: wenn er etwas zu erzählen hat, wenn er über eine Sache mehr als andere weiß, wenn er seine Macht als Vorgesetzter oder Elternteil ausübt oder wenn er zu einer Motivations- oder Überzeugungsrede ansetzt. Natürlich kommt die reine dialogische Form so wenig vor wie die rein monologische. Auch im Dialog tendiert immer wieder ein Gesprächspartner 58 1. Teil (wie die obigen Beispiele zeigen) dazu, das Heft an sich zu reißen und zu monologisieren. Und auch im Monolog gibt es von jeher dialogische Unterbrechungen: Applaus, Zwischenrufe, Antworten auf Fragen an das Publikum usw. Die grundsätzliche Unterscheidung zu treffen, ist dennoch wichtig, weil intuitiv die reine monologische Form für traditionelle Redeaufgaben häufig als die einzige Lösung erscheint. Man wird z.B. für eine Führung durch ein Museum engagiert und bereitet sich vor wie auf einen klassischen Vortrag, ohne andere Formen überhaupt zu überlegen. 93 Dabei kann man umgekehrt vorgehen und bei der Frage anfangen, was das Publikum beizutragen hat.  Merkmale konstruktiven Redens  Rahmen: Beiträge des Publikums sind möglich. Das Ziel besteht in gemeinsamem Erzielen eines Resultats oder im Lernen und Kennenlernen. Nicht die Qualität einer einzelnen Rede steht im Vordergrund, sondern der Prozess, in dem sie stattfindet.  Diskurs: Die Rede fügt sich in einen Diskurs ein und steht gleichwertig mit anderen Beiträgen da.  Form: Gegenseitiges Zuhören wird angestrebt, ermöglicht und gefördert. Der Redner sucht den Kontakt mit dem Publikum. In der Rede werden Dialogangebote gemacht.  Argumentation: Sachentscheidungen werden mit rationaler Argumentation gestützt.  Wirkung: Gemeinsame Resultate werden aus einer argumentativen Auseinandersetzung erreicht. Einer der Helden meines Studiums war Hans Rudolf Oswald, Ordinarius für Anorganische Chemie an der Universität Zürich. 94 Ich habe seinen Vorlesungsstil bis heute in Erinnerung, obwohl meine Leidenschaft für sein Fach nie so recht erwacht ist. Aber der Kontakt, den er zu seinen Zuhörenden hatte, war beeindruckend. Und wir waren immerhin einige hundert Studienanfänger, für die Chemie nur ein Pflichtfach war, ohne das wir in unserem Hauptfach (teils Medizin, teils Biologie) nicht weiterkamen. Es war eine der ersten Semesterwochen. Man wusste noch nicht so recht, wie eine Uni funktioniert. Zudem war die Arbeitsbelastung hoch, man eilte von einem Fach zum nächsten, von einem Übungslabor ins andere. Alle fühlten sich leicht überfordert. Da saßen wir also und warteten, dass es gleich wieder um Bindungen und Wechselwirkungen gehen würde, und wir waren wenig motiviert. Reden in der Öffentlichkeit 59 Und da tat der Professor etwas Unerwartetes: Er trat einen Schritt auf die Bankreihen zu und schaute uns, die dreihundert Greenhorns, an und dann fragte er mit seinem unverwechselbaren Berner Akzent: „Wie geht es? “ Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Das Stöhnen und die Klagen begannen sofort. Er lachte und nahm das, was ihm zugerufen wurde, auf. In wenigen Sekunden hatte er ein Gespräch mit seinem Publikum angefangen, in dem er auf die Situation der jungen Leute einging und auch ein paar tröstende Worte fand. Zu Beginn einer Vorlesung „Wie geht's? “ zu fragen, ist eine gute Idee. Es funktioniert aber nur, wenn die Frage ernst gemeint ist, wenn man den so Gefragten Zeit lässt, eine Antwort zu geben - sei sie verbal oder nonverbal. Wenn man dies tut, nimmt man ein Element der dialogischen Alltagssprache in die scheinbar monologische Situation herein, verändert die Atmosphäre und stellt eine Beziehung her, die auch den späteren Verlauf der Vorlesung bestimmen kann. Merkmale des Dialogs Dass eine Rede dialogisch ist, lässt sich sowohl anhand ihrer sprachlichen als auch ihrer sprecherischen und körpersprachlichen Merkmale zeigen. Dialogisch im Sinne dieses Buchs ist eine Redeweise, die auf Austausch ausgerichtet ist: auf Austausch von Inhalten und Äußerungen auf jeder Ebene des Ausdrucks, sei es durch Worte, durch die Stimme oder durch Mimik und Gestik. Hinzu gehört immer auch das Zuhören; ohne die aktive Beteiligung des Publikums kann von Dialog keine Rede sein. Dialog beruht auf der Achtung des anderen, unabhängig davon, ob es ein Gesprächspartner in einer alltäglichen Unterhaltung oder das Publikum einer offiziellen Ansprache ist. Und auch diese Haltung gilt idealerweise nicht nur für diejenige, die am Reden ist, sondern auch für die von ihr Angesprochenen. Unabhängig von der sonstigen Rollenverteilung (Lehrer/ Schülerin, Vorgesetzte/ Untergebener, Pfarrer/ Gemeinde etc.) sind die Beteiligten insofern Partner, als sie an einem gemeinsamen Prozess beteiligt sind. Die Information, die die Rednerin gibt, ist nicht wichtiger als das Verstehen des Publikums; ihre Worte wiegen nicht schwerer als die Signale, mit denen das Publikum sie dieses Verstehen erkennen lässt. Die klassische Rhetorik erfordert von der Rednerin, dass sie, wie Josef Kopperschmidt es formuliert 95 , die Zuhörenden „zuhörbereit“ macht. Die konstruktive Rhetorik dagegen erwartet, dass die Rednerin mit den Zuhörenden in den Dialog tritt. Sie wird  die Bereitschaft zum Dialog signalisieren,  Äußerungen des Publikums wahrnehmen,  auf diese Äußerungen reagieren. 60 1. Teil Dialog auf der Beziehungsebene Auf der Beziehungsebene ist das wichtigste Zeichen für einen dialogischen Prozess der Kontakt - der Kontakt trotz der Rollenaufteilung in Redner und Publikum, trotz der unterschiedlichen Anforderungen, denen sie genügen müssen. Zwar wird von dem Redner eine klare Zielsetzung erwartet, eine überzeugende thematische Gestaltung, zudem vollständige Sätze, oder eine angemessene Lautstärke. Dennoch ist auch bei der Rede vor Publikum die erste Aufgabe, Kontakt zu halten, d.h. dafür zu sorgen, dass etwas vom Publikum zurückkommt und darauf zu achten, was von ihm zurückkommt. Eine typische Situation: Die Dozentin betritt den Raum, stellt sich hinter das Podium und will beginnen. Sie bemerkt, dass noch viel Unruhe herrscht, nur wenige sehen zu ihr hin, alle scheinen mit sich beschäftigt oder im Gespräch. Sie könnte jetzt einfach anfangen zu reden und hoffen, dass es allmählich ruhig wird. Aber sie entscheidet sich für etwas anderes: Sie geht nochmals vor die Tür, tritt nochmals ein und schlägt resolut die Tür hinter sich zu. Die Zuhörenden schrecken hoch, blicken zu ihr hin und folgen ihr mit ihren Blicken. Dann steht sie vor ihnen und statt einfach mit Reden zu beginnen, verstärkt sie den Blickkontakt. Das ist das erste Signal für Gemeinsamkeit. Es verpflichtet beide Seiten zum Dialog. Dies ist gemeint, wenn von einer dialogischen Einstellung, einer dialogischen Haltung des Redners gesprochen wird. Sie besteht in der Aufmerksamkeit für das Publikum, in der Achtung vor den Zuhörenden als potenziellen Mitredenden. Die klassische Redelehre wendet sich an den Einzelnen, der mit einem klaren Ziel sein Publikum führen will. „Die Rhetoriktheorie interessiert sich nicht für den Kommunikator in Hinblick auf seine Rolle als Mitspieler im Konzert der kommunikativen Welt, sondern in Hinblick auf seine Rolle als Solist oder Dirigent, falls er den Taktstock ergreifen sollte.“ So beschreibt es Joachim Knape. 96 Dialog dagegen, ebenso extrem verstanden, ist offen in Bezug auf den Ausgang. Die Teilnehmenden sind gleichberechtigt und treffen eine Übereinkunft in Bezug auf den Verlauf und das zu erreichende Ziel. Die Menschen, an die man sich richtet, auch wenn sie „nur“ Publikum sind, werden als gleichberechtigt verstanden. Noch einfacher gesagt, gehört zum Dialog, dass sich der Redner für die Zuhörenden interessiert - nicht nur dafür, wer sie sind und was sie erwarten, sondern auch dafür, was sie zum Vortrag beizutragen haben - zum Thema, zu dessen Aufbereitung, zur Verständlichkeit und Anschaulichkeit. Dialogisch ist eine Rede erst dann, wenn der Redner die Reaktion des Publikums, dessen Zustimmung oder Gegenrede, wahrnimmt. Zum dialogischen Reden gehört also auch, dass auch der Redner zum Zuhörenden Reden in der Öffentlichkeit 61 wird, dass er sich Zeit nimmt, darauf zu achten, wie seine Rede aufgenommen wird. Dialog auf der Sachebene Zwar beginnt jede Rednerin ihre Rede vor Publikum mit einem klaren Ziel. Sie will aufklären, motivieren, instruieren oder missionieren. Auf den ersten Blick ist das ein klares Gegenstück zu den typischen Zielen des dialogischen Gesprächs: Es gibt Gespräche, die nur den gemeinsamen Informationsstand oder den Stand der Beziehung klären wollen. Es gibt Gespräche, die der Lösung eines Problems oder eines Konflikts dienen. Es gibt Streitgespräche, in denen Standpunkte verglichen und gegeneinander abgewogen werden. Für all diese Dinge wird man keine Rede vor Publikum wählen. Was aber Gespräch und Rede eint, ist das Ziel, zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. In der als Dialog verstandenen Rede vor Publikum kann das Ziel genau gleich formuliert werden: zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen. Sogar der Prediger auf dem Marktplatz, der von seinem Erweckungserlebnis berichtet, um die Passanten zur Umkehr zu bewegen, wird gut daran tun, ihnen entgegenzukommen - nicht nur, indem er seine Worte ihrem Alltagswortschatz und seine Satzlängen ihrer Konsumhaltung anpasst, sondern vor allem auch dadurch, dass er ihnen zuhört und in der Reaktion auf deren Verhalten seine Redeziele allenfalls herunterschraubt. Dialog durch visuelle Wahrnehmung Dialogisches Reden zeigt in Körperhaltung, Gestik und Blickkontakt die Bereitschaft, mit den Zuhörenden zu interagieren - und zwar mit allen. Nicht zuletzt zeigt sich dies in der Reaktion auf Unvorhergesehenes. Wenn etwa ein Zwischenrufer die Rede unterbricht, muss der Redner nicht nur entscheiden, mit welchen Worten er darauf eingeht. Er muss auch sicherstellen, dass der Dialog mit allen Anwesenden weitergeht. Zu leicht passiert es sonst, dass sich der Dialog einengt auf Redner und Zwischenrufer, weil er sich diesem körperlich zuwendet und die Mehrheit der übrigen Anwesenden ausschließt. Er muss gerade in einem solchen Fall verhindern, dass er nicht nur diese einzelne Person wahrnimmt. Wenn er darauf achtet, dass er weiterhin auch die Zuschauer in den anderen Teilen des Raums anspricht, wird der Zwischenruf auch nonverbal zum Problem aller und damit leichter zu bearbeiten. Steve Jobs, der Mitbegründer von Apple, hielt seit den 1980er-Jahren beeindruckende Reden. Noch heute, Jahre nach seinem frühen Tod, sind auf YouTube seine zündenden „Keynotes“ so beliebt, dass sie jährlich von Hunderttausenden gesehen werden. Eine davon stammt aus dem Jahr 2007. Steve Jobs präsentierte darauf bei der Macworld-Konferenz 2007 das damals 62 1. Teil neueste Produkt: das iPhone. Millionen Klicks bezeugen, dass eine Werbeveranstaltung für ein neues, aber unterdessen in die Jahre gekommenes Gerät noch immer faszinieren kann, wenn die Präsentation stimmt. Wer aber von Steve Jobs lernen will, achtet nicht auf die großartigen, einstudierten Phrasen, sondern auf Details. Jobs blieb sich selbst treu, wenn er auf der Bühne stand. Er hatte nun einmal das Glück, seinen Berufsweg als dynamische, extravertierte Persönlichkeit zu gehen, und es ist kein Wunder, dass er damit dem Ideal eines überzeugenden, siegbewussten Redners entsprach. Dennoch ließ er sich immer die Zeit, die er brauchte, um sein Publikum wahrzunehmen. Wenn man eine Aufnahme findet, 97 bei der auch festgehalten ist, wie Jobs auf die Bühne oder zum Rednerpult kommt, kann man seine wichtigste Fähigkeit studieren: sich Zeit zu lassen, bevor er zu reden anfängt. Auch in der prestigegeladenen Graduiertenfeier der Stanford University nimmt er sich zuerst einmal Zeit. Er schaut sich um. Er blickt ins Publikum. Er lächelt. Dankt für den Applaus. Dann erst fängt er an. Und die ersten Worte kommen gar nicht so geschliffen daher. Er spricht mit Pausen, tastet sich zunächst voran, als ob er sich noch erst mit dem Publikum synchronisieren müsste. Er mag die Sätze vorbereitet haben und vollständige, klare Sätze sprechen. Aber er erlaubt sich „Ähs“ und Pausen und lange Blicke ins Publikum. Das ist so ziemlich das Gegenteil davon, was man von einem blendenden Redner erwarten würde, der sich als „insanely great“ in Szene setzt. 98 Aber es ist dialogisch - nicht im Sinn von Rede und Gegenrede, sondern dialogisch durch viele kleine Elemente, die in einer solchen Situation möglich sind. Jobs nutzt Pausen, er sieht ins Publikum und spürt, ob da jemand zurückblickt. Er hört auf die Reaktionen der Zuhörenden. Das zeigt, dass auch einer, der als brillanter Redner gilt, nicht einfach als Alleinunterhalter loslegt, sondern sich mit den Menschen, zu denen er redet, abgleicht. Er gibt sich selbst und ihnen die Chance, aufeinander einzugehen. Dialog als Musik Schon die Wahl der Satzmelodie, die Betonung innerhalb des Satzes, das Setzen von Pausen kann als Mittel des Kontakts zum Publikum genutzt - oder auch verspielt - werden. Verspielt hat es 2016 Bernie Sanders, der unabhängige Bewerber um die amerikanische Präsidentschaftskandidatur. Auf seiner Wahlkampftour sprach er in Kirchen afroamerikanischer Gemeinden, in sogenannten Black Churches. Nun erwartete zwar keiner von ihm, dass er etwas anderes täte, als Reden zu halten. Aber man hatte den Anspruch, dass er auf die Anwesenden achtete und auf sie einging. Genau das gelang ihm nicht. Reden in der Öffentlichkeit 63 Schwarze Kirchen leben vom Miteinander: Der Prediger spricht, die Gemeinde reagiert. Die Gläubigen gehen mit, rufen „Amen“ und „Halleluja“. Dies bedeutet für den Prediger, dass er wiederum bereit sein muss, dies aufzunehmen. Er soll seine Stimmkraft, seine Melodie, seinen Rhythmus anpassen. Dem 74-jährigen Bernie Sanders fehlte dies - nicht die verbale Überzeugungskraft, sondern die Fähigkeit, emotional auf das Publikum einzugehen. Man erwartete von ihm nicht, dass er „Halleluja! “ rief, aber man erwartete, dass er nicht nur sprach, sondern auch hinhörte. Oder wie es eine Abgeordnete aus South Carolina ausdrückte: »Ich glaube nicht, dass er schon viel mit Farbigen zu tun hatte. Ich sah ihn sprechen; er kam nicht zur Ruhe. Er ging nicht auf seine Zuhörer ein, auf ihre Körpersprache, die Mimik oder einen gewissen Rhythmus. Kein Langsamerwerden, um eine Bestätigung oder ein Amen da und dort anzunehmen oder zu erwidern. Er war kurz angebunden. Er schien sich nicht wohl zu fühlen -und man konnte es sehen.« 99 Dialog hätte darin bestanden, sich mit dem Publikum zu synchronisieren. Es hätte sich nicht in einem Frage-Antwort-Schema ausgedrückt, sondern „nur“ in der Musikalität, in der Art, wie der Redner mit seiner Stimme und mit der Zeit umgeht und auf die Musikalität der Zuhörenden eingeht. Dialog durch Worte Damit eine Interaktion dialogisch ist, reicht es nicht, dass Rede auf Gegenrede folgt. Es muss eine Ergänzung entstehen - so, wie eine Frage eine Antwort ergänzt, wie ein Beispiel eine These ergänzt oder das Lachen einen Witz. Auf der verbalen Ebene geschieht dies durch Offenheit, durch die Bereitschaft, von den Zuhörenden Neues zu erfahren. Zeichen dieser Offenheit sind sprachliche Handlungen, die weitere Handlungen provozieren.  Sprachliche Handlungen der Offenheit  Fragen, die ernst gemeint sind, d.h. mit einem Interesse für die Antworten  Aufforderungen zu einer gemeinsamen Aktion, d.h. ein Problem lösen, ein Bild interpretieren etc.  Aussagen, die Widerspruch erregen Aber auch eine besondere Formulierungsweise kann diese Beziehung herstellen. Allein schon der Satzbau oder die Wortwahl kann die Rednerin dem Publikum näherbringen. 64 1. Teil  Sprachliche Äußerungen der Offenheit  Sätze, die in ihrer Komplexität der Zuhörsituation angemessen sind  Wörter, die dem Publikum vertraut sind  spontane Äußerungen als Reaktion auf das Publikum Ein Indiz für dialogisches Vorgehen ist der Umgang mit Fragen: „Das ist ziemlich paradox, nicht wahr? “ sagt die Referentin im Vortrag als Kommentar zu ihren bisherigen Ausführungen. Dieses „nicht wahr? “ kann eine reine Floskel sein. Es kann aber auch als Mittel der Verständigung benutzt werden, wenn danach eine Pause folgt, ein Blick ins Publikum, so dass die Möglichkeit besteht, dass sich jemand von den Zuhörenden meldet und einen Kommentar abgibt. Dies wäre eine offene Verwendung der Phrase „nicht wahr? “. Es braucht den Mut zur Pause und die Freiheit, die Worte zu ihrem Nennwert zu nehmen. Für eine Rednerin, die ins Publikum blickt und jeden Satz mit Blickkontakt spricht, darauf achtend, ob die Zuhörenden ihr Tempo mitmachen, ist auch eine derartige Frage eine Aufforderung zum Mitdenken und bestenfalls auch zum Mitreden. Die Kommunikationsform der Bescheidenheit Eine Rede im Zeichen des Dialogs betont die soziale Funktion des Redens. Eine Rednerin ist immer in Beziehung - zu ihrem Thema wie auch zu den Menschen, an die sie sich wendet. Reden vor Publikum bedeutet in Kontakt zu treten. Rede als Dialog verstanden, hilft dabei, das Publikum auf Sach- und Beziehungsebene auf Augenhöhe anzusprechen. Dialogische Elemente helfen, auf das Publikum adäquat einzugehen - mit Stimme, Worten und Gesten. Nur schon dadurch, dass dank der dialogischen Einstellung das Tempo und die Pausensetzung positiv beeinflusst werden, wird gewährleistet, dass das Publikum die Gedankengänge mitmachen und die Rede verstehen kann. Eine Rednerin, die dialogisch vorgeht, wird auch rechtzeitig erkennen, wenn einzelne Ausdrücke oder ganze Passagen der Rede nicht verstanden werden und entsprechend reagieren können. Dialogische Vorträge sind verständlicher und attraktiver. Rednerinnen, die ihre Aufgabe als Dialog verstehen, erzielen kreativere Resultate als reine Performer. Sie erkennen rechtzeitig, ob die Zuhörenden ihnen folgen. Oft führt die gemeinsame Reise an einen unerwarteten Ort, weil Rednerin und Zuhörende aufeinander eingegangen sind. Ein dialogischer Ansatz erlaubt Bescheidenheit. Die Rednerin, die dialogisch vorgeht, gibt genau so viel von sich selbst preis, wie es die Situation erfordert. Dank der Rückkoppelung mit dem Publikum driftet sie nicht in einen Soloflug ab, bei dem alles nur noch Präsentation ist. Sie weiß, dass Reden in der Öffentlichkeit 65 sie nach ihrer Rede wieder eine von ihnen sein wird und die nächsten Beiträge von anderen geleistet werden.  Wege vom Monolog zum Dialog Aus der Tatsache, dass den Menschen das alltägliche, dialogische Gespräch leichter fällt als das öffentliche, monologische Reden, lassen sich folgende Anhaltspunkte für ein konstruktives Vorgehen ableiten. [1] Sorgen Sie dafür, dass Sie sich in der öffentlichen Situation möglichst wohlfühlen. Dies können Sie auf mehreren Ebenen tun. Eine Möglichkeit besteht darin, möglichst viele Elemente des Dialogs einzubauen. Es führt dazu, dass die Leistung des „Solisten“ vom Orchester ergänzt wird. [2] Entscheiden Sie sich zwischen Show und Verständigung. Wollen Sie eine One-Man/ Woman-Show oder den Dialog? Die Show ist das, was uns Martin Luther King, John F. Kennedy oder Barack Obama vorgemacht haben. Ihr Ziel war es, für ihre Sache zu werben, wobei sie einen Stab an Beratern und Freunden hatten, die für sie die wirksamen Worte mit einer passenden Dramaturgie versahen. Der Dialog dagegen ist, was jeder aus dem Alltag mitbringt - ein Reden mit dem Publikum und nicht für oder gegen das Publikum. Wer sich für die dialogische Rhetorik entscheidet, braucht keine Perfektion anzustreben. Er muss nicht um vorbereitete Effekte bangen. Er weiß, dass das Wichtigste nicht darin besteht, die Menschen zu unreflektiertem Jubel zu bringen, sondern etwas mit ihnen zu teilen. [3] Betrachten Sie die anstehende Redeaufgabe nur als Teil eines Diskurses. Es kommt nicht auf diese eine Rede an. Sie gehört zu einem Prozess der Erkenntnis, des Lernens, der Meinungsbildung und führt diesen etwas weiter. Eine Rede ist meistens weniger bedeutsam, als es dem Redner scheint. Dies zu wissen, kann vom Leistungsdruck entlasten und die Freude am Dialog fördern. [4] Lassen Sie sich Zeit. Eine Rede anzufangen, bedeutet, geduldig zu sein. Wenn das Ende naht, ist oft Zeit für eine kurze Pause. [5] Machen Sie Angebote. Geben Sie klare Botschaften. Machen Sie deutlich, was Sie zu bieten haben, und was Sie von den Zuhörenden erwarten. Aber betrachten Sie, was Sie zu sagen haben, als Angebot, nicht als Werbespruch. Wer weiß, dass er etwas zu geben hat, strahlt auch aus, dass dies wichtig ist und beiden Teilen Gewinn bringen wird. 66 1. Teil [6] Lassen Sie die Zuhörenden ihre Plätze so einnehmen, dass Sie leicht in Kontakt kommen und wählen Sie auch für sich selbst den optimalen Platz. Dies ist nicht immer, aber in vielen Fällen möglich. Man muss sich nur trauen und sich die Zeit dazu nehmen. [7] Sorgen Sie dafür, dass etwas zurückkommt: Stellen Sie eine Frage oder lachen mit den Leuten. Seien Sie bereit, die Antworten oder anderen Reaktionen anzunehmen. Sie brauchen sie nicht gutzuheißen, aber Sie sollten sie anerkennen. [8] Beziehen Sie Position. Machen Sie transparent, wie Sie zu der Sache stehen, die Sie präsentieren, auch wenn es sich um gesicherte wissenschaftliche Fakten handelt. Und interessieren Sie sich für die Beziehung, die Ihre Zuhörenden dazu haben. [9] Sprechen Sie das Publikum nicht nur auf der rationalen, sondern auch auf der emotionalen und kreativen Ebene an. Versuchen Sie, Ihre Zuhörenden nicht nur zu „aktivieren“, sondern betrachten Sie auch dies als eine Aufgabe, die gemeinsam gelöst werden kann. [10] Führen Sie, wo immer es geht, monologische Redesituationen in dialogische über. Fragen Sie sich, wie lange Sie den vorgegebenen Rahmen akzeptieren müssen und ab wann es effizientere Möglichkeiten gibt. Oft ist ein Gespräch viel zielführender als eine lange Ansprache. Es liegt nicht immer, aber häufig im Ermessen des Redners, dies zu initiieren. Reden in der Öffentlichkeit bedeutet immer auch, die Rahmenbedingungen kritisch zu hinterfragen. Ein monologischer Auftritt, hinter dem oft unrealistische Vorstellungen der diktatorischen Machtausübung stehen, kann zu einem dialogischen Gespräch unter Gleichberechtigten werden. 2. Teil │ Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird: Praxis der konstruktiven Rhetorik  Rhetorische Mittel - klassisch und dialogisch Sprache, Stimme, Körpersprache und Medieneinsatz haben in der öffentlichen Rede eine andere Aufgabe als im Alltag. Hier werden alle diese Werkzeuge vorgestellt und es wird gezeigt, wie sie sich für eine dialogische Redepraxis nutzen lassen. ie in der öffentlichen Rede Sprache, Stimme, Körpersprache und Medien eingesetzt werden, unterscheidet sich von der Verwendung im alltäglichen Gespräch. Dies ist der Ausgangspunkt für die Praxis einer konstruktiven Rhetorik. Zunächst geht es darum, die Ausdrucksmittel kennenzulernen, die in der öffentlichen Rede eingesetzt werden: von der Gestik bis zur Wortwahl, von der Satzmelodie bis zum Einsatz des Beamers. Zudem müssen die Chancen erkannt werden, diese Mittel dialogisch einzusetzen. Das sind die Ziele dieses zweiten Teils.  Die Ebenen des rhetorischen Ausdrucks: 100  verbal (Sprache: Wortwahl, Satzbau, Textgestaltung)  paraverbal (Sprechweise: Intonation, Rhythmus, Dynamik)  nonverbal (Körpersprache: Mimik, Gestik, Raumnutzung)  medial (Medieneinsatz: physisch, visuell, akustisch) Den Ausgangspunkt bildet der Bereich des Verbalen, also der sprachlichen Formulierung. Das Fragen als klassisches Dialoginstrument macht den Anfang. Es folgen Kapitel zur attraktiven und verständlichen dialogischen Kommunikation, etwa Erzählen, Redeaufbau, Verständlichkeit. Es folgen die Signale auf der sprecherischen Ebene, also alles, was das Reden zu einem akustischen Ereignis macht: Lautstärke, Rhythmus, Intonation usw. Der dafür verwendete Fachbegriff ist paraverbal. An dritter Stelle folgen die nonverbalen Ausdrucksmittel: Körperhaltung, Gestik, Mimik, Bewegung im Raum. Diese Kapitel zur Körpersprache hängen unmittelbar zusammen mit dem Einsatz medialer Hilfsmittel, bei denen der Schwerpunkt meistens auf der visuellen Unterstützung des gesprochenen Wortes liegt. Die Diskussion der einzelnen Ausdrucksmittel wird nicht ohne Überschneidungen gehen, weil wir nie auf nur einer einzigen Ebene kommunizieren. Sprecherische Mittel können nicht losgelöst von den sprachlichen behandelt werden, beim Umgang mit Medien ist die Körpersprache ebenso entscheidend wie beispielsweise die Gestaltung von Folien. Der erste Schritt ist jeweils in jedem Bereich die Beschreibung: Welches sind hier die wichtigsten Merkmale des öffentlichen Redens? Der zweite Schritt zeigt, wie eine konstruktive, dialogische Rhetorik in der Praxis damit umgeht. Vieles wird anhand von Beispielen gezeigt, oft mit einem Verweis auf die Internetquelle, bei der das entsprechende Video gefunden werden kann. Solche Beispiele im Detail beschrieben zu sehen, kann für fachfremde Lese- 70 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird rinnen ungewohnt sein. Ich hoffe aber, dass es auch ein Interesse weckt, gute und schlechte Vorbilder zu analysieren und daraus zu lernen. Wer Auge und Ohr übt und sein entsprechendes Vokabular erweitert, legt eine nützliche Basis für die Verbesserung der eigenen Kommunikation. In einem weiteren Schritt folgen jeweils Kommentare und Tipps aus der Perspektive einer konstruktiven, dialogischen Rhetorik: Welches sind in diesem Bereich die Hindernisse, welches die Möglichkeiten, um dialogisch vorzugehen? Am Ende folgen jeweils einige Anregungen zu Übungen im Einzel- und Gruppentraining, die helfen können, Routinen positiv zu verändern. Verbal │ Mit Wörtern den Dialog eröffnen berlegungen zur Formulierung öffentlicher Reden sind stark von der Tradition des Geschriebenen geprägt. Schriftliches aber ist nicht für den unmittelbaren Dialog geschaffen. Betrachten Sie beispielsweise die Einleitung der folgenden Rede: »Am 18. März 1932, wenige Tage vor Goethes hundertstem Todestag, lauschte in der Preußischen Akademie der Künste eine illustre Festversammlung den Worten eines Redners, der, nach knapper Skizzierung eines intimen und eines großartigen Goethe-Porträts, seinem Publikum vorschlug, weder das eine noch das andere Bild zu akzeptieren, sondern, eine dritte Möglichkeit wählend, den zu feiernden Dichter als Repräsentanten einer Epoche zu begreifen, der bürgerlichen, die vom fünfzehnten Jahrhundert bis zur Wende des neunzehnten reiche und in Goethe ihren Höhepunkt fände.« 101 Sofort ist klar, dass diese feierliche Rede am Schreibtisch entstanden ist und dass es einiger Mühsal und großer Kunstfertigkeit bedarf, einen Satz aus 79 Wörtern zu entwerfen und zu sprechen, der von den Zuhörenden dennoch verstanden wird. Für den Vortrag im Berufsalltag dagegen ist es nützlich, sich von den schriftlichen Medien zu emanzipieren, die ja nicht für den unmittelbaren Dialog, sondern für die zeitlich versetzte Wirkung geschaffen sind. Gerade Elemente des Dialogs (z.B. die Frage) haben in der schriftlichen Tradition eine ganz andere Funktion als in einem live gesprochenen Vortrag. Deshalb ist es wichtig, sich bei einer Rede zu überlegen, ob sich die verwendete Sprache wirklich für den Austausch mit den Anwesenden eignet.  Die verbale Ebene Die Gestaltungsmittel auf der verbalen Ebene sind diejenigen, die man gemeinhin „sprachlich“ nennt: Wörter, Sätze, Texte mit ihren Bausteinen und Regeln. Öffentliche Rede tendiert zu einer schriftorientierten, komprimierten Ausdrucksweise, die die Verständigung erschwert. Das Ziel der konstruktiven Rhetorik besteht darin, dem Publikum das Mitdenken und Mitreden leicht zu machen, indem man sich um eine einfache, attraktive Sprache bemüht, die Offenheit für den Dialog signalisiert. 72 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird In der konstruktiven Rhetorik muss der Schwerpunkt im verbalen Bereich auf den Handlungsformen des Dialogs und auf einem kontaktfördernden, verständlichen Stil liegen.  Die Schwerpunkte im verbalen Bereich  der Umgang mit Fragen und Antworten  Erzählen als Mittel des Dialogs  Verständigung durch verständliche Sprache  Einverständnis durch Transparenz  Attraktivität durch motivierenden Stil  flexibler Aufbau  Argumentation auf beiden Seiten  Kontakt durch freies Formulieren Im Folgenden wird zuerst auf die Besonderheiten der öffentlichen Sprache hingewiesen, bevor dann die wichtigsten sprachlichen Kriterien einer konstruktiven, dialogischen Rhetorik diskutiert werden. 10 Verständlich, attraktiv, transparent ie Sprache der konstruktiven Rhetorik ist persönlich und authentisch. Der ehemalige UN-Generalsekretär Martti Ahtisaari, dessen Stärke mehr im Vermitteln als im Vortragen liegen, hatte eine Rede für eine Großveranstaltung vorbereitet. In einem Riesensaal saß ein mehrheitlich junges Publikum. Als er auf die Bühne trat, hatte gerade sein Vorredner das Publikum in seinen Bann geschlagen. Er war von der Bühne gesprungen, hatte die jungen Leute zu Sprechchören animiert und tosenden Applaus geerntet. Es war Global Dignity Day, an dem jedes Jahr Heranwachsenden in über 70 Ländern Selbstbewusstsein und Verantwortungsgefühl vermittelt werden soll. Und jetzt sollte der oft etwas stockend sprechende und auf sein englischsprachiges Manuskript angewiesene Ahtisaari wichtige Dinge sagen, wie: »Eine Welt, in der Gleichberechtigung die Norm ist und nicht die Ausnahme, wo gleiche Möglichkeiten für alle eine Realität bedeutet, nicht nur einen Slogan, so eine Welt wäre für uns alle ein besserer Ort zum Leben.« Ahtisaari weiß, dass das Feld überhaupt nicht vorbereitet ist für seine ernsthafte Art und seinen trockenen Humor. Wie hilft er sich? - Er lässt Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 73 sich Zeit, greift an seine Brille und schaut sich zunächst im Saal um. Dann sagt er nur einen Satz - aber einen, der zeigt: Ich bin mit euch im Dialog. Er bezieht sich auf das Erlebnis, das alle noch beschäftigt: die brillante Performance seines Vorredners: »Ich weiß nicht, was Sie denken, aber ich fühle mich total unglücklich, wenn ich nach John auf diese Bühne kommen soll.« Dann eine lange Pause. Ahtisaari hat ein Kompliment für seinen Vorredner ausgesprochen und sich selbst als weniger eloquenten Redner eingeführt. Die Zuhörenden lachen und applaudieren. Aber dieses Spiel mit der Bescheidenheit ist nicht einfach ein Gag. Wichtig ist, dass die Zuhörenden jetzt eingestimmt sind auf eine völlig andere Sprechweise, auf einen neuen Rhythmus und einen Redner, der Aufmerksamkeit für ein anspruchsvolles Thema braucht. Ahtisaari hat etwas offenbart, was seiner Persönlichkeit entspricht, und er hat es in zwei kurze Sätze gepackt, in denen ein „Du“ und ein „Ich“ vorkommt. Es ist das Angebot eines Dialogs. 11 Fragen und Antworten als Schlüssel zum Dialog ie frustriert man ein Publikum? - Man beginnt den Vortrag mit einer Frage, die keiner beantworten kann oder will. Etwa so: »Mein Thema ist die gesunde Ernährung. Sagen Sie mir doch bitte: Was haben Sie gestern alles gegessen? Woher stammten die Rohstoffe und wie wurde es zubereitet? « Natürlich wird sich keiner melden. Es ist zu viel aufs Mal. Der Redner wollte einen Denkprozess in Gang setzen. Für das Thema ist das durchaus sinnvoll und anregend, beispielsweise in einer Gruppendiskussion. Aber als Überfall zu Beginn des Vortrags - und dazu in der Form von drei Fragen zusammen - ist es auch für sehr gutwillige Zuhörende eine Überforderung. Fragen sind ein geeigneter Einstieg in den Dialog - wenn sie das Publikum ernst nehmen. Es ernst zu nehmen bedeutet, auch an den Antworten interessiert zu sein und auf diese einzugehen. 74 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird  Ernst gemeinte Fragen Zu einer erfolgreichen Frage-Antwort-Kommunikation gehören:  Planung der Frage  Verständliche Formulierung der Frage  Interesse für die Antworten  Weiterverwendung der Antworten Die Umfrage bricht das Eis Michael Sandel steht auf der Bühne der altehrwürdigen Memory Hall der Universität Harvard. Das Parkett und die Ränge sind dicht besetzt mit jungen Leuten. Es ist die erste Stunde seiner Vorlesungsreihe über Gerechtigkeit (Justice: What's the right thing to do? ). Statt einer langen Vorrede stellt er die Studierenden gleich vor ein Dilemma: »Stellen Sie sich vor, Sie fahren einen Schienenbus mit 50 km/ h den Berg hinunter. Weiter unten arbeiten fünf Männer auf dem Gleis. Sie versuchen zu bremsen, aber es geht nicht. Sie sind verzweifelt, weil Sie wissen, dass Sie in diese fünf Menschen rasen werden. (Nehmen wir an, dass Sie das mit Gewissheit sagen können.) Sie fühlen sich zuerst hilflos, aber dann bemerken Sie, dass es zuvor eine Abzweigung nach rechts auf ein Nebengleis gibt. Dort arbeitet nur ein einzelner Arbeiter. Die Steuerung funktioniert noch. So können Sie Ihr Gefährt auf das Nebengleis lenken und nur den einen töten und die anderen fünf retten.« Nach dieser kurzen Schilderung stellt er bereits eine erste Frage: »Das ist unsere erste Frage: Was ist zu tun? Was würden Sie tun? « Knapp tausend Studierende sitzen im Saal. Es ist eher unwahrscheinlich, dass sich hier eine Einzelperson exponiert. Deshalb ergänzt Sandel die Frage mit einem wichtigen Zusatz: »Lasst uns eine Umfrage machen. Wie viele von euch würden den Schienenbus auf das Nebengleis lenken? Heben Sie die Hand! « Jetzt besteht kein Zweifel, dass die Studierenden antworten werden. Sie können vorerst in der Anonymität bleiben. Sie müssen nur die Hand heben, zuerst diejenigen, die das Gefährt auf die Nebenlinie steuern würden, dann diejenigen, die dies nicht täten. Die Umfrage bricht das Eis. Schnell wird deutlich, wie die Meinungen verteilt sind: Eine große Mehrheit würde das Steuer herumreißen, nur eine Handvoll würde geradeaus weiterfahren, in die fünf Arbeiter hinein. Dann fragt Sandel nach Begründungen. Warum würdet ihr dies tun? Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 75 Auch dies geschieht in zwei Schritten: Zuerst sollen die Studierenden antworten, die zur Mehrheit gehören. Erst danach werden diejenigen gefragt, die es anders sehen. Weil man sie langsam aus der Anonymität herausgeholt hat, fällt es ihnen auch in der großen Menge nicht mehr schwer, aufzustehen und laut und deutlich ihre Meinung zu sagen. Mit dem Einstieg über eine Umfrage macht der Dozent von Anfang an klar: Dies wird eine dialogische Veranstaltung. Und mit der Art der Formulierung drückt er aus: Ich bin an euch und eurer Meinung interessiert. Er kann das Resultat konstruktiv weiter behandeln. In diesem Fall baut er darauf auf, indem er eine ähnliche Aufgabe folgen lässt, die das Problem in einem anderen Licht sehen lässt. Aber vor allem hat man dem Publikum gesagt: Ich will etwas von euch wissen. Ich bin interessiert an euch und ich höre euch zu.  Sokratisches Lehren Michael Sandels Art zu lehren, ist als sokratisch bezeichnet worden: Wie Sokrates geht er fragend vor und verwendet die Antworten für seiner weitere Argumentation. Diese Art des Dialogs belässt keinen Zweifel, dass einer im Saal ist, der mehr weiß als seine Studierenden und dass er sie in seine vorbestimmte Richtung führen wird. Aber er macht auch von Anfang an deutlich, dass die Vorlesung ein gemeinsames Werk sein wird. Am Resultat werden alle beteiligt sein. Es muss nicht unbedingt so dramatisch zugehen wie in diesem Beispiel. Der Psychologe Michael Lindenthal beginnt seine Einführungsvorlesung an der Universität Innsbruck mit einer Umfrage, die an Einfachheit kaum zu überbieten ist, und dennoch gelingt es ihm auf die Weise sofort einen Zugang zu den Zuhörenden zu bekommen. Er stellt die folgenden Fragen und zählt die Handzeichen: »... Ich find' die Gelegenheit günstig, mal rauszufinden, mit wem ich's hier eigentlich zu tun hab': Wer kommt denn aus Innsbruck? Innsbruck Stadt, so richtig hier - [schaut sich um] acht oder neun. Wunderbar. Mhm. [Notiert es sich.] Wer kommt denn aus dem restlichen Nordtirol? Also alles außer Innsbruck in Nordtirol? - Elf oder zwölf. Wer kommt denn aus Osttirol? - Drei. Aus Südtirol? - Zehn. Gut und restliches Österreich, also alles ohne Tirol? - Elf. 76 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Gut ähm. Wer kommt denn aus Bayern. [Eine Riesenmenge Hände geht empor. Großes Gelächter.] Ok. - Viele ...« Mit einigen wenigen Fragen gelingt es dem Dozenten, einen dialogischen Rhythmus in die Vorlesung zu bringen, obwohl niemand ein Wort sagen muss. Die Studierenden lachen schon bei der ersten Frage. Die brisante Frage nach dem Verhältnis Österreicher/ Deutsche hebt die Stimmung weiter. Vielleicht dient das Lachen nur dazu, etwas von der Spannung des Studienbeginns abzubauen. Dennoch erfahren die jungen Menschen im Saal, dass sich der Dozent für sie interessiert. Das ist eine Basis für die weitere dialogische Gestaltung der Vorlesung.  Mit einer Umfrage das Eis brechen Stumme Antworten: Fragen mit „Wer ...? “, können mit Handzeichen beantwortet werden. Sie ergeben zum Beispiel:  ein Meinungsbild  demografische Daten  erste Hinweise auf Erfahrungen Wer die Hand hebt, ist ein potenzieller Ansprechpartner für die nächste Frage. Das Resultat kann visualisiert werden (Flipchart, Tafel, Beamer), um später darauf zurückzukommen. Möglichkeit des Kontrasts mit einer weiteren, ähnlichen Umfrage. Einzelantworten:  Fragen nach einem direkten Eindruck („Was sehen Sie alles auf diesem Bild? “)  Fragen nach vielen Beispielen, die nicht bewertet werden müssen („Nennen Sie Hundenamen! “) Gruppenantworten: Eine Frage wird zuerst mit Sitznachbarn oder in einer größeren Gruppe diskutiert. Dann spricht eine Person für die ganze Gruppe. Fragen müssen geplant sein Dialog ist nicht Selbstzweck. Wer eine Frage nur stellt, um die Zuhörenden zu wecken, endet in einer Sackgasse. Das Publikum wird die Alibiübung erkennen und stumm bleiben. Deshalb müssen auch Fragen sorgfältig geplant werden. Die Planung aber beginnt nicht bei der Frage selbst, sondern bei der Antwort: Gefragt wird, um etwas zu hören, das im Verlauf des Vor- Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 77 trags weiterverwendet wird. Nur wenn klar ist, wozu die Antworten dienen, kann die Frage so gestellt werden, dass sie zum Nachdenken und Mitteilen motiviert. Zuhörende wollen etwas zum gemeinsamen Erkenntnisprozess beitragen. Das ist aus ihrer Sicht das Ziel des Fragens.  Was zur Planung von Fragen gehört  Platzierung: An welcher Stelle des Vortrags kann das Publikum etwas beitragen?  Interesse: Wie offen kann die Frage sein, so dass auch aus Rednersicht Unerwartetes genannt wird?  Nutzen: Wie lassen sich die Fragen zusammenfassen/ als Beispiele verwenden/ diskutieren?  Wortlaut: Wie ist die einfachste und klarste Formulierung?  Feedback: Was geschieht mit völlig deplatzierten Antworten? Was können die Antwortenden beitragen? Für die dialogische Kommunikation ist eine Frage dann geeignet, wenn mehr als eine Antwort (oder auch eine längere Antwort) möglich ist. Das heißt: Die Rednerin ist offen für das, was kommt - neugierig, wohlwollend, bereit für Unerwartetes. Solche Fragen, die ein breites Spektrum an Antworten ermöglichen, zielen auf subjektive Aussagen ab. Dazu gehören zum Beispiel Erfahrungen, Schätzungen, Meinungen oder auch einfach ein Wissen, das die Rednerin selbst nicht hat. Das Vorwissen, das ein Zuhörender potenziell einbringen kann, deckt sich nie mit dem der Rednerin. Deshalb bringt es auch nichts, die Frage im Hinblick auf die eigene fachliche Erfahrung zu stellen. („Was glauben Sie, dass wir in einem solchen Fall tun? “) Den Zuhörenden liegt ihr eigener Alltag näher. („Was tun Sie in einem solchen Fall? “) Damit können sie Ideen einbringen, mit denen die Spezialistin nie rechnen würde, die aber den Vergleich untereinander und eine gemeinsame Beurteilung ermöglichen. Wenn eine Frage offen gestellt wird, sind nicht nur die naheliegenden Antworten akzeptabel, sondern auch abwegige, die dann begründet wieder fallengelassen werden. Offene Fragen laden zur Antwort ein Fragen lassen sich offen oder geschlossen Stellen - so, dass eine Vielzahl von Antworten möglich ist, im Gegensatz zur geschlossenen Frage, die auf 78 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird eine präzise Antwort aus ist. Offen zu fragen, bedeutet, dass es kein „Richtig und Falsch“ gibt, dass alle eine Chance haben, etwas beizutragen. Antworten auf offene Fragen sagen nicht zwingend etwas aus, was der Referent schon weiß. Sie brauchen sich nicht auf einzelne Begriffe zu beschränken, sondern können auch kurze Beschreibungen, Erzählungen, Thesen oder Begründungen enthalten. Wer eine sinnvolle offene Frage beantwortet, übt eine eindeutige sprachliche Handlung aus: Er oder sie erzählt, kommentiert, schätzt, vermutet, begründet etc. Solche Antworten können als Bausteine für die Fortsetzung genutzt werden. Für die Rednerin ergeben sich Dinge, die für sie in dieser Zusammensetzung neu sind. Ihre Aufgabe ist es, zuzuhören und die Antworten einzuordnen.  Fragen offen stellen  so fragen, dass mehrere Antworten „richtig“ sind  Beispiele statt allgemeiner Kategorien erfragen  nach Meinungen statt Fakten fragen  nach Erfahrungen statt allgemeinem Wissen fragen  offene Fragepartikel benutzen: Wie? Warum? Antworten sind Bausteine Wenn den Zuhörenden klar ist, dass ihre Antworten weiterverwendet werden und wenn sie verstehen, dass sie Bausteine in der Entwicklung des Inhalts sind, dann werden sie sich auch beteiligen. Viele Verwendungsweisen sind möglich - solange es nicht nur darum geht, eine Leerstelle im Redefluss der Rednerin zu füllen. Es ist möglich, explizit darauf zu verweisen, dass man sich einer Sache zuerst von den persönlichen Erfahrungen her annähert. Ein Beispiel: Das Thema eines medizinischen Vortrags ist Allergie. Da kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Zuhörenden Definition, Verbreitung oder Gefahren kennen. Aber sie sind alle schon mit Allergien in Kontakt gekommen. Wenn die Dozentin nach diesen Erfahrungen fragt, gewinnen die Anwesenden ein Bild davon, auf welche Weise Allergien (oder das, was man dafür hält) im Alltag präsent sind. Später kann die Dozentin die gewonnenen Einsichten verwenden, um dieses Bild zu spiegeln und um anhand einiger Antworten den wissenschaftlichen Begriff zu schärfen. Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 79 Fragen, die als Bausteine dienen, können von mehr als nur einer Person beantwortet werden. Sie aktivieren die ganze Gruppe. Der Einzelne beteiligt sich, weil er weiß, dass nach ihm noch andere reden werden. Natürlich ist es auch möglich, sich dezidiert an eine Teilgruppe zu wenden - an Anwesende mit einer bestimmten Erfahrung, an die Kinder im Saal, an Spezialisten bzw. Laien. Die Voraussetzung ist aber, dass man später den Spieß umdreht und der restlichen Gruppe die Chance gibt, sich zu beteiligen. Antworten konstruktiv nutzen Die Medizinerin steht vor zwanzig Auszubildenden in der Krankenpflege. Ihr Thema ist: „Richtiges Verhalten im Notfall.“ Es ist klar, dass alle schon etwas Erfahrung gesammelt haben, also beschließt sie, mit einer Umfrage zu beginnen: »Sie haben Nachtdienst, sitzen im Dienstzimmer, haben sich gerade eine Tasse Kaffee eingeschenkt; da klingelt das Telefon. Eine Krankenschwester ist dran und sagt: Die Patientin in Zimmer 18 hat einen stark erhöhten Blutdruck - 200/ 100 mmHg. Was tun Sie? « Die angehenden Ärzte haben alle schon Ähnliches erlebt. Sie rufen ihr ganz Verschiedenes zu: »Hingehen! « »Patientin fragen, wie sie sich fühlt! « »Blutdruck überprüfen! « »Puls überprüfen.« »Sauerstoff überprüfen! « »Weitere Symptome abklären! « Für die Auszubildenden ist das ein motivierender Anfang. Sie kennen die Situation im nächtlichen Krankenhaus und sie haben genügend Praxis, um etwas beizutragen. Wer sich nicht traut, braucht sich nicht zu melden. Dass jemand etwas komplett Falsches sagt („Ich trinke erst den Kaffee aus und rufe dann zurück“), ist auszuschließen. Kein Problem also für die Runde. Aber die Dozentin hat eines. Sie bekommt zwar lauter richtige Aktionen genannt, aber garantiert nicht in der optimalen Reihenfolge. Was tut sie damit? Zwei Schritte erleichtern die Weiterverwendung der Antworten: Zuerst schreibt sie zu allen Antworten in der Reihenfolge, in der sie kommen, ein Stichwort auf einen Flipchart (oder auf die linke Seite einer Tafel). Dann kommentiert sie sie und ordnet sie auf einem zweiten Flipchart (oder auf der rechten Tafelhälfte) in der professionell akzeptablen Reihenfolge 80 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird neu an. Dies schärft nochmals die Rollenverteilung: Die Rednerin ist und bleibt die Person im Saal, die die fachlichen Zusammenhänge am besten kennt und die für alle gültige Lösung absegnen soll. Die Zuhörenden liefern dazu das Material. Die Gratifikation besteht nicht darin, dass sie „richtig“ antworten, sondern darin, dass sie die Bausteine zusammentragen, für den Fortgang des Unterrichts notwendig sind.  Antworten als Bausteine Antworten einzubauen, geht am einfachsten, wenn sie  den Teil eines Gesamten (z.B. einer Definition, eines Bildes, eines Rezeptes etc.) ergeben,  sich ordnen lassen (z.B. chronologisch),  als Illustration für die folgende Aussage dienen. Die Umfrage - und auch jede andere Frage, die man seinen Zuhörenden stellt, - signalisiert: Ich will von euch etwas erfahren, das wir dann weiterverwenden können. Dies können Inhalte sein, die aus der Sicht des Redners zu erwarten sind, aber je nach Fragestellung auch andere, überraschende Inhalte, wenn denn die Kreativität der Zuhörenden gefragt ist. Fragen eindeutig formulieren Es ist eine Standardsituation: Der Dozent stellt eine Frage. Es folgen mehrere Sekunden Pause, keiner antwortet. Also wird die Frage nochmals in leicht abgewandelter Form gestellt. Nicht nur für den unaufmerksamen Zuhörenden sind das zwei verschiedene Fragen. Das Antworten wird dadurch nicht leichter, sondern schwerer. Deshalb ist das Prinzip für alle Fragesituationen: Eine klare, eindeutige Formulierung und dann eine Pause, die so lange dauert, bis eine Antwort kommt. Wer sich dennoch gedrängt fühlt, die Frage zu wiederholen, sollte genau dies und nichts anderes tun: den exakten Wortlaut nochmals formulieren. Oft sind Fragen überfrachtet. Es können zu viele Fragen sein. Wenn der Theologe einen Denkprozess in Gang setzen will, sind zwar alle folgenden Fragen relevant: »Was ist für Sie ein Gebet? Wann haben Sie zum letzten Mal gebetet? Glauben Sie, dass Ihr Gebet gehört wird? « Aber er wird nicht alle diese Fragen auf einmal stellen. Eine einzelne reicht zunächst völlig aus. Alles andere würde die Zuhörenden überfordern. Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 81 Fragen einfach formulieren Eine Frage muss auf Anhieb verstanden werden. Da sie im Idealfall nur einmal gestellt wird, ist eine kurze, prägnante Formulierung am nützlichsten. Da ist zum Beispiel die Frage eines Fußballtrainers: »Was verändert sich alles, wenn wir bei einem Rückstand das 4-4-2- System zugunsten eines 4-3-3 aufgeben? « Diese Frage enthält eine ganze Geschichte. Sie setzt voraus, dass ein Spiel bereits läuft und die eigene Mannschaft in Rückstand geraten ist. Sie setzt auch voraus, dass zu Beginn ein 4-4-2-System gespielt wurde, dies aber durch 4-3-3 ersetzt wird. Dies alles braucht nicht in die Frage eingebaut zu werden, sondern kann ihr vorausgeschickt werden: »Wir spielen 4-4-2. Wenn wir aber in Rückstand geraten, wechseln wir zum 4-3-3-System. Was verändert sich da alles? « Auf diese Weise ist die Frage kurz und knapp. Das Verfahren heißt: Information plus Frage. Dies hat den Vorzug, dass man die Information, die man der Frage vorausschickt, je nach Vorwissen erweitern kann. Fragen gehören in einen Kontext »Wo befindet sich jetzt gerade Ihr Mann (Ihre Partnerin/ Ihr Kind/ Ihre Freundin ...)? « Das ist eine Frage, die ohne längere Aufwärmphase kaum auf bereitwillige Auskunftsgeber stößt - auch dann nicht, wenn die Fragestellerin als Vertreterin der Medienwissenschaft und grundseriös auftritt. In einer Vortragssituation ist kaum genügend Vertrauen zur Referentin und den übrigen Teilnehmenden, um diese Frage aus heiterem Himmel zu beantworten. Das kann sich ändern, wenn eine Einleitung deutlich macht: Mein Thema sind soziale Medien. Die Rednerin will demonstrieren, welche Quellen von den Anwesenden genutzt werden, um den Kontakt mit Bezugspersonen aufrechtzuerhalten: Welche sozialen Medien, welche anderen Quellen dies sind, und wie viel Präzision dabei erwünscht ist. Wenn sie vorher um die Brisanz dieser Frage wissen, werden sie darauf anders reagieren. Sie verstehen dann auch, wie die Antworten im Verlauf des Vortrags verwendet werden sollen. Daraus ergibt sich eine Grundregel, die auch für sehr einfache Fragen gilt: Jede Frage muss in einen Kontext eingebettet sein, der zu ihr hinführt. 82 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird  Hilfreiche Fragen  haben eine einfache Form; lange Fragen können meist in den Typ „Information + Frage“ aufgeteilt werden,  sind in direkter Frageform („Welche Instrumente kennen Sie? “) und nicht als indirekte Fragesätze („Ich möchte Sie fragen, welche Instrumente Sie kennen“) formuliert,  ermöglichen die Anknüpfung an das Vorwissen des Publikums,  lassen erkennen, dass die Antworten weiterverwendet werden. Rhetorische Fragen sind keine Fragen »Wünschen Sie sich den dritten Weltkrieg? « »Würden Sie Ihr Kleinkind drei Monate allein lassen? « »Haben Sie keine Fehler? « »Können Sie etwas dafür, mit einem deutschen Pass geboren worden zu sein? « »Wollen wir nicht alle nur geliebt werden? « »Wissen Sie, wie es im Jenseits aussieht? « 102 Der Autor einer Rhetorik-Website zählt diese und andere Fragen auf, um den Begriff „rhetorische Frage“ zu illustrieren: Für ihn sind es Fragen, die vom Publikum ohne Zutun des Redners beantwortet werden. Man kann sie, so sein Argument, nicht hören, ohne „immer ‚Selbstverständlich ja‘ oder ‚Selbstverständlich nein‘“ zu denken. 103 Denn - wie der Autor behauptet: »Diese rhetorische Frage macht betroffen, weil die Antwort sich offenkundig, glasklar von selbst gibt. ... So kann man Menschen auf seine Seite ziehen, weil sich die Antwort automatisch in ihrem Bewusstsein formt. Dagegen kann man sich fast nicht wehren …« Diese Einschätzung passt zu den landläufigen Vorstellungen von brillanter Rhetorik. Man wünscht sich, Menschen auf die eigene Seite ziehen zu können, weil sich in ihrem Bewusstsein etwas „automatisch formt“. Nun ist die Frage eigentlich ein Mittel des Dialogs. Bei dieser Einstellung aber wird sie genutzt, um gerade das Gegenteil von Dialog zu erreichen. Das ist typisch für die Vorstellung, mit Reden müsse eine „drastische Wirkung“ 104 erzielt werden, wie derselbe Autor meint. Das Mittel rhetorische Frage ist nicht an sich böse. Es braucht nicht peinlichst vermieden zu werden. Aber man sollte sich auch nicht zu viel davon versprechen. Was dabei fehlt, ist gerade der dialogfördernde Effekt des Fragens, das Entstehen unerwarteter Antworten. Rhetorische Fragen sind Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 83 keine Fragen in dem kreativen Sinn des vorigen Kapitels. Die oben zitierten Beispiele setzen keinen Prozess in Gang. Man antwortet mit Ja oder Nein, und damit hat es sich. Wer in seinem Repertoire rhetorische Fragen hat, tut deshalb gut daran, sie auf ihre dialogischen Möglichkeiten zu überprüfen. Oft gibt es eine bessere Form als dieses Rollenspiel, das oft die Distanz unterstreicht, die der Redner zum Publikum hat. Eine bessere Form ist die echte Frage, ernst gemeint und mit der Hoffnung auf eine Antwort ins Publikum gestellt. Ähnlich ist es bei humorvollen Bemerkungen oder gar Witzen. Rhetorikratgeber betonen, dass Witze gut erzählt werden müssen. Kein Wunder, denn es kommt auf die Sicherheit, dass der Witz verstanden wird, ebenso an wie auf Präsentationsformen: Tempo, Pausen, präzise Wortwahl. Aber alles, was nur in einer einzigen sprachlichen Form möglich ist, sollte stutzig machen. Wenn eine Rede scheitern kann, weil ein Wort falsch ist oder eine Pause fehlt, ist das ein Zeichen für eine dürftige inhaltliche Basis. Und dafür, dass die Zuhörenden nichts beitragen dürfen. 12 Erzählen intensiviert den Kontakt it dem Schlagwort Storytelling nimmt heute das Erzählen eine wichtige Rolle ein, wenn es darum geht, einen Menschen, ein Unternehmen oder ein Produkt zu vermarkten. 105 „Eine Geschichte zu haben“, gilt unterdessen als wichtigste Voraussetzung, um als Startup, als Nachwuchspolitikerin oder als Künstler erfolgreich zu sein. Im Rahmen einer Rede kann eine Geschichte einen Sachverhalt nachvollziehbar, glaubwürdig, emotional überzeugend darstellen. Erzählen ist ein wichtiges „Prinzip der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Sinnfindung“. 106 Eine Erzählung kann damit ähnliche Funktionen erfüllen wie ein rhetorisches Argument. Sie kann einen Sachverhalt plausibel machen, wenn auch nicht beweisen. Wenn eine Referentin, statt allgemeine Daten zur Ersten Hilfe herunterzubeten, eine Geschichte aus ihrer Erfahrung als Notärztin erzählt, kommt sie ihrem Publikum näher. Auf dieser Ebene ist kein Ausweichen möglich. Natürlich braucht es später objektivere Informationen. Aber die Erzählung kann Türen und Herzen öffnen. Wer erzählt, verändert seine Position im Hinblick auf die Zuhörenden. 84 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird  Vorteile des Erzählens Wer erzählt, mindert die Informationsdichte, nähert sich gesprochener Sprache an, wird konkret und verbindlich. Die Kombination der allgemeinen Informationen mit relevanter Erzählung bringt Redner und Publikum näher zusammen. Abb. 6: Wenn eine Geschichte erzählt wird, kommen sich alle näher. 107 Erzählen ist immer auch ein Rollenspiel. Wer gut erzählt, erinnert sein Publikum an die Erfahrungen mit Märchenerzählern, Großmüttern, Propheten usw., also von klassischen Figuren, die alle schon aus ihrer Kindheit kennen. Allen ist klar, dass das, was jetzt kommt, an einer vertrauten Struktur orientiert sein wird - mit Helden, Erlebnissen, Problemen und Lösungen. Diese neue Rolle des Erzählers betont zunächst das Gefälle zwischen Redner und Publikum. Dass dieses, wie die Redensart sagt, an seinen Lippen hängt, deutet dies eindrücklich an. Dennoch ist die Erzählung eine Möglichkeit, den Dialog zu initiieren. Wenn nach der Erzählung dem Publikum eine Gelegenheit zur Reaktion gegeben wird, wird diese meistens bereitwillig wahrge- Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 85 nommen. Die Erzählung ermöglicht es, sich auf der konkreten Ebene des Ereignisses und der eigenen Erfahrungen zu beteiligen. Die dialogischen Wurzeln des Erzählens Geschichten zu erzählen, ist eine traditionelle Methode der Unterhaltung: Am Abend setzt man sich ans Lagerfeuer und vertreibt sich die Zeit mit alten und neuen Geschichten. Es ist auch ein Element der Erkenntnis und der Überzeugung: Individuelle Erfahrungen werden in eine kollektive Wahrheit umgemünzt 108 und in Zirkulation gebracht. Erzählen ist auch eine alte Form, um das Erinnern zu ermöglichen. Aus komplexen Informationen werden Geschichten entwickelt, die sich besser behalten lassen. Deshalb benötigt es immer eine Erzählerin als präsente Figur im Zentrum. Dialogisch wird die Erzählung durch die Beteiligung dieses Ich:  So bin ich auf das Thema gestoßen …  Deshalb bin ich der Sache nachgegangen …  Diese Schwierigkeiten hatte ich …  Das habe ich herausgefunden … Damit bildet oft die eigene Geschichte den roten Faden, auch wenn das Ziel nicht darin besteht, mit einer Story zu unterhalten, sondern darin, deren Resultat festzuhalten. Die Interaktion mit dem Publikum - nonverbal oder verbal - muss dabei bewusst gesucht werden, aus der Erkenntnis heraus, dass auch die Zuhörenden ihre Erfahrungen als Erzähler haben. Sie können als Menschen mit ihren eigenen Geschichten angesprochen werden und als Zuhörende, die es nachher weitererzählen können. Elemente einer Erzählung Als Leibl die „Drei Frauen in der Kirche“ malte und den Kopf der jungen Bäuerin fertig hatte, fragte er Wilhelm Sperl, auf dessen Urteil er besonders viel gab: „Wie ist er? “ - „Er ist nicht schlecht, könnte aber besser sein.“ Am nächsten Tag kratzte Leibl den Kopf ab und malte ihn noch einmal. Abends kommt Sperl und zögert mit der Kritik. „Nun“, sagt Leibl, „sprich! “ - „Gestern war er besser.“ - „Weshalb hast du mir das nicht gestern gesagt? “ brauste Leibl auf und schüttelte Sperl am Kragen. 109 Eine Erzählung enthält eine erzählenswerte Entwicklung. Sie dreht sich um Menschen und ist, wenn in einer Rede eingebaut ist, auf eine bedeutsame Botschaft konzentriert. Sie enthält: 86 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird  die handelnden Personen  konkrete Ereignisse  eine Entwicklung vom Zustand A zum Zustand B Die Anekdote über den Maler Wilhelm Leibl erfüllt in einer Kurzform alle diese Bedingungen. Und sie endet mit einer überraschenden Pointe, die sie erzählenswert macht. Einer Geschichte, die sich für eine Rede eignet, liegt immer ein recherchiertes, reales Ereignis zugrunde (im Gegensatz zum allgemeinen Typ Geschichte, z.B.: „Was einem Durchschnittsbürger so alles passieren kann“). Solche Pseudogeschichten beginnen zum Beispiel mit den Worten: „Wer kennt nicht ...“ »Wer kennt nicht die Situation, am Samstag im Stau zu stehen? « »Wer kennt nicht die Geschichte von Robin Hood? « »Wer kennt das nicht: Ein Freund ruft an, an den man eben gedacht hat? « Solche typisierten Beispiele enthalten nichts, was die Aufmerksamkeit erregt. Es ist viel glaubhafter und wirkungsvoller, wenn man einen realen Fall hat, der sich durch einige Details von allen anderen Fällen unterscheidet: »Letzten Samstag, an der Abzweigung zu Lidl ...« »Als Robin Hood eines Morgens in den Bumerang-Laden trat ...« »Ich dachte gestern an einen Freund, der ...« Solche Geschichten sind nicht immer selbst erlebt, aber immer eigens recherchiert. Im Juni 1984 sprach US-Präsident Ronald Reagan an der Küste der Normandie zu den Veteranen der Invasion, Überlebenden der Ranger- Bataillone, die mit ihrem Ansturm vierzig Jahre zuvor das Ende des Zweiten Weltkriegs eingeleitet hatten. Er hätte in allgemeinen strategischen Begriffen reden oder die altbekannte Geschichte kurz zusammenfassen können, um dann die aktuelle politische Botschaft daran anzuhängen (und das war sein Ziel: den damaligen Kampf gegen den Faschismus mit dem aktuellen Kampf gegen das aktuelle Feindbild Sowjetunion zu verbinden). Das hätte niemanden aufgerüttelt. Stattdessen ging er näher heran und schilderte die mühseligen und für viele tödlichen Anstrengungen der Rangers: Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 87 »Die Rangers sahen nach oben und sahen die feindlichen Soldaten, die von der Felskante mit Maschinengewehren schossen und Granaten warfen. Und die amerikanischen Rangers begannen zu klettern. Sie schleuderten Strickleitern an den Felsen hoch und fingen an, sich daran emporzuziehen. Wenn ein Ranger fiel, nahm ein anderer seinen Platz ein. Wenn ein Seil durchschnitten wurde, griff ein Ranger nach einem anderen Seil und kletterte wieder los. Sie kletterten, schossen zurück und hielten sich. Einer um den anderen zogen sich die Rangers über die Böschung und indem sie festes Land gewannen, fingen sie an, den europäischen Kontinent zurück zu gewinnen.« 110 Diese detaillierte Erzählung ist eine Frucht der Recherchen, die Reagans Redeschreiberin unternommen hatte. 111 Sie wusste, dass die Rede zur Frühstückszeit im amerikanischen Fernsehen übertragen wurde, und wollte, dass sie die Familien bei Frühstück erreichten. „Ich wollte, dass die amerikanischen Teenager einen Moment lang aufhörten, ihre Rice Krispies zu kauen und etwas hörten über die Größe der toughen jungen Leute von damals, die jetzt ihre Großeltern waren.“ 112 Eine Geschichte profitiert von einer erzählerischen Sprache. Das ist eine Sprache, die die Figuren und ihre Erlebnisse in den Vordergrund stellt. Sie profitiert von einfachen stilistischen Verfahren:  unpersönliche Formulierungen durch verbale, aktive ersetzen  mit allen Sinnen formulieren: Riechen, Schmecken, Tasten, Hören, Sehen usw.  die Spannung beibehalten: später anfangen, früher aufhören Auch stimmlich ist eine Erzählung deutlich von den sonstigen Teilen der Rede abgehoben. Erzählen bedeutet mehr Variation in Rhythmus, Satzmelodie und Dynamik. Wer eine Erzählhaltung einnimmt, klingt immer dialogisch: Wer erzählerisch klingen will, spricht so, dass dank Pausen und Tempoveränderungen seine Erwartung auf die Reaktion des Publikums zu spüren ist. Innerhalb einer längeren Rede hilft eine Erzählung, die Aufmerksamkeit neu zu gewinnen. Eine Rede profitiert, wenn sie nicht alle Informationen auf der gleichen (meistens allgemeinen) Abstraktionsebene präsentiert. Wenn sie hin und wieder durch eine Geschichte gesenkt wird, sind die Zuhörenden empfänglicher für die Rückkehr zur abstrakten, allgemeineren oder zusammenfassenden Information. Auch eine komplizierte Sache kann vorgetragen werden, indem man zuerst von einer Geschichte ausgeht. Nützlich ist es dabei, diese nicht aus den Augen zu verlieren und am Schluss zu ihr zurückzukehren. 88 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird  Fragen an eine eigene Geschichte  In welcher Rolle erzähle ich (Dozentin/ Kumpel/ Fachperson/ Fan etc.)?  Wer ist die Hauptperson?  Wie höre ich auf, um einen Effekt zu erzielen?  Welche Details gehören dazu, welche werden besser weggelassen?  Ist meine Sprache konkret und aktiv?  Wie baue ich die Geschichte in den Ablauf der Rede ein?  Welche Botschaft verknüpfe ich damit (explizit oder implizit)? 13 Redeaufbau als Frucht der Zusammenarbeit in Alltagsgespräch kann einen wunderlichen Verlauf nehmen. Es kann gleichzeitig mehrere Themen behandeln; man kann sich über das Abendessen einigen, die aktuelle Politik diskutieren und daneben den Hund erziehen. Eine typische öffentliche Rede wird dagegen einer einzigen Gattung zugeschrieben, deren Ziel klar festliegt. Sie ist deshalb klarer strukturiert, präziser in der Form und meist dichter im Informationsgehalt. Die Beteiligten erwarten einen klaren Aufbau, dem sie folgen können. Aufbau - das ist die Folge verschiedener Abschnitte, die jeweils unterschiedliche Funktionen haben: Man führt ins Thema ein, präsentiert dann eine These, begründet sie, führt Beispiele an, wiederholt die These. Wenn die Stadtführerin der nordfriesischen Stadt Husum ihre Gäste begrüßt, führt sie sie an den Hafen und zeigt ihnen einen Mast, der von einer Reihe kupferner Ringe umfasst wird, die alle historische Daten enthalten. 113 Sie beginnt deshalb mit einem Aufhänger: »Das ist unser Sturmflutpfahl. Den gibt es in sämtlichen Regionen Deutschlands, also Gebieten, wo es zu Hochwasser kommen kann, und dementsprechend auch hier bei uns in Husum. Für uns aber eher entscheidend dran sind die Zahlen, die drauf stehen. Und zwar der 16.1.1362 - da, unten. Das ist äh für Husum 'ne sehr bedeutende Jahreszahl, weil Husum dadurch eigentlich erst entstanden ist.« Damit hat sie die Aufmerksamkeit auf den Hafen gelenkt, der das Thema dieses Abschnitts der Stadtführung ist. Wie in solchen Fällen oft, beginnt jetzt die Einleitung durch eine historische Hinführung: Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 89 »Husum war damals so 'ne kleine Siedung. Hier gab's ein paar Häuser an der Au. Und das heißt auch der Stadtname: Husum, Hüsem, also „zu den Häusern“ - an der Au gelegen. Durch diese Sturmflut hat Husum Zugang zur Nordsee bekommen. Der Wattstrom, die Hewer, die hat den Weg hier nach Husum reingefunden und hat sich dann mit der Au verbunden. Und dadurch konnten die Friesen, die damals schon an der Westküste entlangschipperten und ihren Handel betrieben haben, auch nach Husum kommen. Und dadurch, dass nun der ganz wichtige Handelsort Rungholt damals unterging, war es so, dass man wieder neue Handelsflächen und -orte schaffen wollte und brauchte. Und das ist dann hier in Husum erfolgt und geschehen. Das ist eigentlich diese erste richtig große Blütezeit, so ab dem 14. Jahrhundert, 15. Jahrhundert, 16. Jahrhundert, da ging's hier in Husum richtig bergauf, da ging's den Husumern richtig gut. Hier entstand 'n Hafen, hier entstand entsprechendes Wirtschaftsleben im Hafen, am Hafen, und äh wir sind hier an der heutigen Schiffsbrücke, das heißt also: Hier wurden die Waren eben umgeschlagen.« Ergänzt wird dies mit einer Illustration. Wie mit einer filmischen Nahaufnahme weist die Stadtführerin auf eine Besonderheit hin. Das ergibt nicht nur eine informative Vertiefung, sondern führt auch zur Hauptaussage: »Wie man heute sehen kann (weist in das Hafenbecken, durch das nur ein Rinnsal fließt), haben wir hier einen gezeitenabhängigen, tidenabhängigen Hafen. Also Ebbe und Flut finden sich hier wieder.« Was das bedeutet, wird mit einer Vertiefung gezeigt: [Zeigt zum Hafen: ] »Das ist der Binnenhafenbereich, und wie du wahrscheinlich schon sehen kannst, ist das so, dass unser Binnenhafen als solches auch eigentlich eher 'e begrenzte Fläche bietet und unser Hafenbecken selbst auch immer wieder verschlickt. Die Husumer Au oder die Mühlenau, die hier mündet, hat wenig Räumkraft.« Als Abschluss eignet sich oft eine Zusammenfassung. Hier wird dagegen die wesentliche Konsequenz als eine Kernbotschaft (neudeutsch auch oft Take-Home-Message genannt) formuliert: »Ja, und das eben ist auch, warum wirtschaftlich gesehen unser Hafen nicht Nummer eins in dem Sinne ist. Hier, für die schleswigholsteinische Westküste ist er aber tatsächlich der wirtschaftsstärkste.« Damit hat die kurze Präsentation von etwas mehr als zwei Minuten Dauer eine einfache Struktur: 90 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird  Schema einer Kurzpräsentation [1] Aufhänger (Sturmflutpfahl) [2] Einleitung (historische Hinführung zum Thema) [3] Hauptaussage (Tidehafen) [4] Vertiefung (Größe, Ablagerung von Sedimenten) [5] Kernbotschaft (wirtschaftliche Bedeutung) Mit dem Aufhänger werden die Zuhörenden für das Thema motiviert. Die Einleitung besteht darin, das Thema zu nennen, was nicht nur eine Informations-, sondern auch eine Orientierungsfunktion hat. Im folgenden Teil wird mit der Hauptaussage die wichtigste Information zusammengefasst, bevor diese in einer oft längeren Vertiefungsphase erklärt, illustriert oder auch kritisch diskutiert wird. Die Kernbotschaft kann die Hauptaussage knapp wiederholen, aber auch (wie im obigen Beispiel) in eine Richtung zuspitzen. Andere Möglichkeiten der Zuspitzung könnten in einem Kommentar, einem Wunsch, einer Aufforderung oder einer anderen wertenden Äußerung bestehen. Als Einstiegsbeispiel habe ich bewusst eine informierende Ansprache gewählt. Die Stadtführung hat als Hauptziel, einige Wissenslücken zu füllen; zusätzliche Ziele, z.B. die Werbung für die Stadt oder einzelne Sehenswürdigkeiten, sind zweitrangig. Es kann natürlich auch umgekehrt sein: Die Werbung oder die Meinungsäußerung ist das Hauptziel. Am Aufbau ändert das weniger als daran, wie die einzelnen Bausteine gefüllt werden.  Grundschema einer Überzeugungsrede [1] Einleitung [2] Hauptaussage [3] Vertiefung [4] Argumentation [5] Wiederholung oder Zuspitzung der Hauptaussage Eine kurze Stellungnahme im Stadtrat von Husum würde etwa so klingen:  Einleitung: Wir alle wissen, wie wichtig für uns Husumer der Hafen ist. Leider lagert sich da immer wieder so viel Schlick ab, der mit Saugbaggern beseitigt werden muss. Das ist enorm aufwändig und teuer. Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 91  Hauptaussage: Jetzt gibt es aber eine neue Technik, die umweltfreundlicher, zeitsparend und kostengünstiger ist: das Wasserinjektionsverfahren.  Vertiefung: Bisher wird bei uns wie vor hundert Jahren mühsam gebaggert, geladen, abtransportiert und wieder entladen. Beim Wasserinjektionsverfahren dagegen wird einfach Wasser in den Grund geleitet. Es entsteht ein Gemisch aus Wasser und Sediment. Das wird dann ins Wattenmeer gespült. Fertig!  Argumentation: Weil dieses Verfahren eine möglichst große Wassermenge nutzt und wenig Druck ausübt, werden die Sedimente weniger stark aufgewirbelt als beim Baggern. Das geht schneller, ist schonender und zudem kostengünstiger.  Hauptaussage, zugespitzt: Deshalb schlage ich vor, dass wir in Zukunft dieses Verfahren anwenden. 114 Rational, emotional, kreativ, metakommunikativ Im klassischen Aufbaumuster fragt die Rednerin: Was tue ich in den einzelnen Abschnitten (also: Behauptung aufstellen, argumentieren, illustrieren)? Es geht also um die Funktionen (oder Sprechhandlungen, → Kapitel 23 ∣ Das Geheimnis der Sprechhandlung) aus der Sicht des Redners. Eine andere Frage ist aber: Was tun die Zuhörenden? Aus ihrer Perspektive ist auch ein ganz anderes Auswahlprinzip nützlich: das Prinzip der Aktivierungsebenen, das in → Kapitel 6 ∣ Das Publikum ist nie passiv vorgestellt wurde. Jeder inhaltliche Bestandteil, d.h. jede These, jedes Beispiel, jede Frage kann die Zuhörenden auf mehreren Ebenen ansprechen. Verständlicherweise beginnt die Planung einer Rede gewöhnlich bei den trockenen Fakten. Man skizziert die abstrakten Aussagen und ihre inhaltliche Beziehung. Das ist zunächst eine Reduktion auf den rationalen Gehalt, also, wie oben gezeigt, auf die Frage, ob behauptet, argumentiert, illustriert wird usw.  Formen der Präsentation und Diskussion des Inhalts  Behaupten  Argumentieren  Illustrieren  Erzählen  Erklären  Fragen zum Inhalt stellen und beantworten 92 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Eine ganz andere Standardfrage bei der Vorbereitung ist: Wie können die kreativen Fähigkeiten des Publikums aktiviert werden? Das Ziel dabei ist, dass die Zuhörenden in der Lage sind, Aussagen oder Begriffe, über die referiert wird, auch selbst anzuwenden. Sie können mit eigenen praktischen Handlungen die Hauptaussagen rekonstruieren, ihr Wissen auf analoge Sachverhalte übertragen und anwenden. So können zum Vortrag auf der kreativen Ebene zum Beispiel Denkaufgaben gehören, für die man dem Publikum kurz Zeit gibt, oder auch Gespräche mit den Sitznachbarn.  Förderung der Kreativität  Aufgaben, Probleme oder Rätsel stellen  gemeinsam singen, beten, rezitieren, inszenieren  Fragen zu eigenen Erfahrungen und Anwendungen stellen und beantworten  zum Zeichnen, Erzählen, Bewegen auffordern Die emotionale Aktivierung wird oft ebenso vergessen. Dabei ist sie eine Voraussetzung für die Motivation der Zuhörenden. Sie ermöglicht ihnen, einen Bezug zu sich selbst herzustellen, sollte ihnen das Lernen schwerfallen. Und oft geht der Weg über einfache Beispiele oder Vergleiche aus ihrem Leben oder auch aus der Erfahrung des Referenten. 115  Förderung der emotionalen Beteiligung  Scherzen  Persönliches, Lustiges, Trauriges usw. erzählen  Erschrecken, Erstaunen, Verblüffung usw. auslösen Schließlich sollte auch die Metaebene geplant werden. Die Zuhörenden sollen sich im Ablauf des Vortrags orientieren können. Sie sollen die Funktionen der einzelnen Informationen erkennen. Sie sollen wissen, an welcher Stelle des Gedankengebäudes sie sich gerade befinden. Übersichten, Ankündigungen, Rückblicke usw. sollten deshalb nicht nur der Spontanität überlassen, sondern schon bei der Vorbereitung eingeplant werden.  Formen der Metakommunikation  Disposition  strukturierende Einführungen  Überleitungen Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 93  Diskussion des Ablaufs  Fragen zum Ablauf stellen und beantworten Die Zuhörenden sind dankbar, wenn sie sich im Lauf des Vortrags orientieren können. Was will die Rednerin? Wo sind wir? Was haben wir bisher getan? Wo geht es jetzt hin? Bestimmung des Redeziels im Dialog Sogar das inhaltliche Redeziel kann im Dialog mit dem Publikum gestaltet werden. Zwar wird es in der Regel vom Veranstalter vorgegeben. Endgültig wird es aber im Dialog zwischen Redner und Publikum ausgehandelt. Es kann sein, dass die vorbereiteten Inhalte die Zuhörenden überfordern. Es kann auch sein, dass sie ihrer eigenen Vorurteile wegen nicht bereit sind, so weit mitzudenken, wie es geplant wäre. Wer darauf eingestellt ist, darauf, dass das Publikum mitwirken kann, hat es leichter. Um das Jahr 1968 herum wurden oft Vorlesungen an den Universitäten zu Diskussionen „umfunktioniert“. Hochschullehrer aus jener Zeit berichten von ihren leidvollen Erfahrungen mit politisch aktiven Studierenden. Diese forderten zum Beispiel, dass die Vorlesung über ein politikwissenschaftliches Thema in eine Diskussion über die aktuelle Bildungspolitik umgebogen würde. In einigen Fällen behielten die Störenfriede die Oberhand, in anderen Fällen gelang es den Dozenten, die Lehre fortzusetzen. Oft erreichten sie das einfach über eine Abstimmung, bei der sich ergab, dass die Mehrheit der Anwesenden dies für vernünftiger erachtete. Dass die radikalen Studierenden aber überhaupt mit der Forderung nach Diskussion den geordneten Unterricht aus den Angeln heben konnten, hat viel damit zu tun, dass der Dialog gar nicht zum Weltbild der damaligen Dozenten gehörte. Wie sich die Struktur entwickelt, hängt in einer konstruktiven Atmosphäre nicht allein vom Redner ab. Wenn sich dieser dafür interessiert, ob seine Zuhörenden die zum Verständnis notwendigen Gedankenschritte mitmachen, wird er ins Publikum hineinsehen und hineinhorchen. Das gilt sogar für die politische Überzeugungsrede. Ohne die Reaktionen aus dem Publikum wahrzunehmen, spricht man gleichsam an eine Wand und weiß nicht, ob die Intentionen erkannt werden. Dabei geht es noch nicht um die Frage, ob die Äußerungen auch positiv aufgenommen werden, sondern nur darum, ob sie überhaupt eine Chance haben. Die gewünschte Wirkung kann so nicht herbeigezaubert werden, aber die Bedingungen dafür können optimiert werden. 94 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Ein Römer führt vor, wie es funktionieren kann Ein berühmtes literarisches Beispiel zeigt, wie sich das eigentliche Ziel einer Rede erst in ihrem Verlauf entwickeln kann: Mark Antons Trauerrede für Julius Cäsar in Shakespeares Tragödie. Sie wird oft als Muster für die Kunst der Persuasion zitiert. Cäsar ist ermordet worden, und die versammelten Bürger haben den Mord noch eben gutgeheißen. Er war aus ihrer Sicht notwendig, um den Bürgern Roms die Freiheit wiederzugeben: »Der Cäsar war ein Tyrann,« sagt ein Bürger. »Ja, das ist sicher,« antwortet ihm ein anderer, »es ist ein Glück für uns, dass Rom ihn los ward.« 116 Dann beginnt Mark Anton zu reden, und am Schluss ist ihre Meinung umgedreht. Sie fordern Rache für Cäsar und gehen hin, um die Verschwörer umzubringen und ihre Häuser niederzubrennen. Dass es Mark Anton gelingt, sein Publikum so zu beeinflussen, ist hier weniger entscheidend, als dass er es zunächst aus einer unsicheren Position heraus in Angriff nimmt. Er weiß nicht, wie die Bürger reagieren werden. In der Tat ist er mit der Absicht zum Forum aufgebrochen, das Volk zu prüfen, „wie dieser blut'gen Männer unmenschliches Beginnen ihm erscheint.“ 117 Deshalb nimmt er zunächst ihre Stimmung auf und sagt: „Begraben will ich Cäsarn, nicht ihn preisen.“ Er achtet auf ihre Reaktionen, erst mit der stärker werdenden Zustimmung wird auch seine Rede eindringlicher und endet in einer Lobrede, die die Rachegelüste der Bürger auf den Höhepunkt bringt. Es wäre ihm durchaus möglich gewesen, den Verlauf der Rede noch umzubiegen, wenn er gespürt hätte, dass die Zuhörenden ihm nicht folgen würden. Nach den berühmten Passagen der Verneigung vor Brutus („... und Brutus ist ein ehrenwerter Mann ...“) flicht er positive Erinnerungen an Cäsar in die Rede ein. Dabei hört er genau auf die Reaktionen der Zuhörenden, so dass er immer mehr und immer eindeutiger Cäsars Tugend und Leistungen betont. In Abstimmung zwischen Redner und Publikum hat sich der Charakter der Rede herausgebildet. Alles andere wäre weniger erfolgreich gewesen: sowohl eine reine Trauerrede wie er sie zunächst angekündigt hat, als auch eine reine plakative Lobrede. Ähnliches ist möglich, wenn das Ziel nicht Überzeugung, sondern Information ist. Ein Vortrag kann sich ausweiten zu einer Diskussion, zu einem gemeinsamen Experiment, zu einer religiösen Andacht usw. Allerdings funktioniert dies nur, wenn die Entwicklung im Dialog geschieht. Je monologischer die Situation, desto befremdlicher kann eine derartige Veränderung des ursprünglichen Charakters der Rede sein. Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 95 Ein Schriftsteller verkennt den Monologcharakter der Rede In Erinnerung ist in diesem Zusammenhang die Rede von Navid Kermani bei der Entgegennahme des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Oktober 2015. Er rief in dieser Rede dazu auf, sich diplomatisch und militärisch entschiedener gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ zu wenden. Gegen den Schluss berichtete er vom Schicksal der vom „IS“ entführten Christen aus der syrischen Stadt Qaryatein und er rief auf, für sie zu beten - hier und jetzt: »Ein Friedenspreisträger soll nicht zum Krieg aufrufen. Doch darf er zum Gebet aufrufen. Meine Damen und Herren, ich möchte Sie um etwas Ungewöhnliches bitten - obwohl es so ungewöhnlich in einer Kirche dann auch wieder nicht ist. Ich möchte Sie bitten, zum Schluss meiner Rede nicht zu applaudieren, sondern für Pater Paolo und die zweihundert entführten Christen von Qaryatein zu beten, den Kindern, die Pater Jacques getauft, die Liebenden, die er miteinander vermählt, den Alten, denen er die Letzte Ölung versprochen hat. Und wenn Sie nicht religiös sind, dann seien Sie doch mit Ihren Wünschen bei den Entführten und auch bei Pater Jacques, der mit sich hadert, weil nur er befreit worden ist.« Zu bewundern ist der Mut, den ein solcher Aufruf braucht. Aber aus Sicht vieler Zuhörender war es eher eine Zumutung, auch wenn sie gläubig waren. Sie wurden nicht gefragt. Sie waren unvermittelt zum gemeinsamen Beten oder „Wünschen“ verdonnert. Dies wäre in einem dialogischen Kontext - außerhalb der Festrede - anders verlaufen. Der Redner hätte dann von Anfang an auf Zeichen aus dem Publikum geachtet und hätte diesen Vorschlag aus der Interaktion gemacht - eventuell mit anderen Formulierungen oder mit einer Aufforderung, die den Teilnehmenden auch die Möglichkeit gegeben hätte, sich anders zu verhalten, als aufzustehen und so zu tun, als ob sie ins Gebet einstimmten.  Im Dialog bleiben, zu einem gemeinsamen Ziel kommen  Den Vortrag als gemeinsame Leistung verstehen: „Was ich heute Abend beizutragen habe ...“, „Was Sie beitragen können ...“  Ziele nennen: Was sollen die Zuhörenden erfahren? Was sollen sie tun? Welche Anschlussaktivitäten wünschen Sie sich? - Dies verschafft dem einen Überblick über die Zielsetzung.  Den Vortrag klar strukturieren: Ich will Sie zunächst über X informieren. Dann haben Sie Gelegenheit zur Aussprache. Schließlich möchte ich, dass Sie an einem Experiment teilnehmen. - Dies ermöglicht nach jedem Abschnitt eine Neuorientierung. 96 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Der Aufbau soll flexibel bleiben Die wichtigste Lehre der herkömmlichen praktischen Rhetorik ist: einen überzeugenden Aufbau zu wählen. Deshalb muss er geplant und zielgerichtet sein. Aus Sicht einer konstruktiven Rhetorik, die dialogisch vorgeht, ist es ebenso wichtig, einen flexiblen Aufbau zu haben. Wie lange und in welcher Reihenfolge man bei einem Thema verweilt, soll nicht allein von der Rednerin abhängen. Wenn sie im Kontakt mit ihrem Publikum ist, wird sie zwar nicht auf eine Disposition verzichten, aber sie wird diese anpassungsfähig lassen. Die Vorlesungen des Philosophen Ludwig Wittgenstein wären anders ausgefallen, wenn er nicht gelegentlich von einem Studierenden mit einer Frage unterbrochen worden wäre. Da konnte es vorkommen, dass er sagte: „Lassen Sie mich kurz nachdenken! “. Die Autoren seiner Biografie schildern, dass er darauf „eine Zeitlang nach vorn gebeugt auf seinem Stuhl saß und in seine offene Handfläche starrte“. 118 Er integrierte das Interesse und die Ideen seiner Zuhörender in den Vortrag. Als Rednerin weiß man natürlich, was in der Rede behandelt werden sollte. Deshalb wird man eingeladen, deshalb ist überhaupt Publikum da. Man wählt also die inhaltlichen Elemente des Vortrags und einen optimalen Aufbau. Dennoch fordert ein dialogisches Vorgehen, dass auch davon abgewichen werden kann. Wenn sich während des Vortrags (oder gleich zu Beginn) herausstellt, dass das Publikum einen anderen Aufbau oder eine andere Schwerpunktsetzung braucht, sollte diese Flexibilität eingebaut sein. Dies ermöglichen Unterlagen, die weniger wie ein fortlaufendes Manuskript und mehr wie ein Zettelkasten organisiert sind. Farbige Markierungen helfen, die Themen zu bündeln und während des Vortrags zu springen oder einzelnes wegzulassen. Eine transparente Gliederung erleichtert den Dialog Zwei Forderungen stellen sich an die Gliederung, damit sie den eigenen Vortrag ebenso unterstützt wie die Orientierung des Publikums. Zum einen muss sie sinnvoll notiert und visuell dargestellt sein. Zum anderen muss sie verständlich präsentiert werden. Oberflächlich gesehen, reicht für den Redner eine abstrakte Struktur aus:  Einleitung  Teil 1  Teil 2  Teil 3  Abschluss Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 97 Das ist das Grundgerüst, an dem der Stoff aufgehängt ist. Aber es fehlt jeglicher Inhalt. In der Praxis akademischer Tagungen trifft man das überraschend häufig an. Es wird mit gängigen Phrasen aufgepeppt und heißt dann etwa »Ich werde nach einer kurzen Einführung unsere Hypothesen vorstellen. Dann werde ich auf die Methoden eingehen, die wir bei unserer Forschung verwendet haben. Dann komme ich auf die Resultate zu sprechen, die ich anschließend im Licht früherer Untersuchungen diskutieren werde. Es folgt die Zusammenfassung der Hauptthesen.« Die Präsentation der Gliederung ist nur dann hilfreich, wenn sie Verweise auf den Stoff enthält. Am besten funktioniert dies in der Form von Handlungsaussagen: „Im ersten Teil werde ich Ihnen zeigen ...“ Oder: „Im zweiten Teil werden wir ...“ Die Präsentation der Gliederung ist ein Gebot der Transparenz (→ Kapitel 16-17). In den besten Fällen gehört dazu auch, dass diese Gliederung flexibel ist: dass die Ausführlichkeit, in der die einzelnen Teile behandelt werden, aber auch die Reihenfolge den Bedürfnissen der Zuhörenden angepasst werden kann. Dies kann man ohne Weiteres verbalisieren. Wenn der Redner die Disposition mit diesem Bewusstsein präsentiert, wird er auch auf Rückmeldungen achten, die signalisieren, dass eine Umstellung notwendig ist. Man kann dies gelegentlich mit Fragen ans Publikum absichern.  Elemente der Präsentation einer Gliederung [1] die beabsichtigte Struktur ankündigen [2] die Struktur zur Diskussion stellen [3] die Struktur zwischendurch thematisieren [4] Rückblick mit Einbezug der Struktur Notwendiger Bestandteil des Anfangs einer Rede ist nur Punkt 1. Alle anderen fließen gelegentlich ein. Der Einstieg kann Kontakt schaffen Der Anfang bietet immer die Gelegenheit, das Publikum zu motivieren und seine Aufmerksamkeit zu bündeln. Es ist auch in den ernsthaftesten Zusammenhängen nicht notwendig, mit einer langen organisatorischen Einleitung anzufangen („Ich freue mich, dass Sie mich zu der 35. Sitzung Ihrer Gesellschaft eingeladen haben ...“). Im Gegenteil: Jeder wird sich freuen, gleich zu Beginn etwas inhaltlich Relevantes zu hören. Der folgende Ab- 98 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird schnitt enthält deshalb einige Hinweise für die Gestaltung eines Einstiegs. Dies als Beispiel für den Übergang von einer attraktiven, konkreten Passage zur meist abstrakten Hauptaussage. Direkt einsteigen Der Referent hat ein aktuelles Thema: „Solarenergie - die Lösung aller Probleme? “ Er spricht vor einer bunt gemischten Zuhörerschaft, die sich aus Sorge um die Zukunft der Menschheit in den Saal bemüht hat. Er hat eine alarmierende Botschaft: »Wir stehen vor einer der größten Herausforderungen der Menschheit. Und die besteht darin, dass wir unser globales Energiesystem, so, wie wir es in den letzten 150 Jahren kennengelernt haben, fundamental und ganz schnell umstellen müssen. Wir haben keine 50 oder 100 Jahre Zeit, wir haben höchsten 10 oder 20 Jahre Zeit, um diese fundamentale Umstellung wirklich in die Wege zu leiten.« 119 Das ist seine Botschaft. Und die trifft jeden im Saal. Aber bevor er sie ausspricht, muss er noch dringend ganz anderes sagen. Er muss nämlich umständlich sagen, was wer am Titel geändert hat, und er muss unbedingt sein Institut vorstellen. Der Vortrag beginnt deshalb nicht mit seiner Hauptaussage, die ihm ein echtes Anliegen ist, sondern mit einschläfernden Nebengedanken, die keinen interessieren: »Heute ist unser Thema die Solarenergie. Und Sie haben es schon gesehen: Ich habe da einen kleinen - den Titel ein wenig geändert. Wir reden nur über die Energieprobleme und nicht über alle Probleme, die wir lösen wollen. Vielleicht ein paar Worte zu unserem Institut; Sie sehen's schon hier auf diesem Foto - das Institut hat jetzt 930 Mitarbeiter, davon sind fast die Hälfte Diplomanden und Doktoranden ...« Warum das alles? - Weil er aus einem Institut kommt, das auf die Finanzierung durch potente Geldgeber angewiesen ist? Weil er stolz ist, dass er in den letzten zehn Jahren die Zahl der Mitarbeiter verdoppeln konnte? - Beides ist durchaus nachvollziehbar, die Werbung und die Selbstdarstellung. Aber es wäre sehr viel effektiver, wenn er es erst sagte, nachdem er die Zuhörenden von seiner Leistung überzeugt hat - also nach den ersten wichtigen Informationen. Hätte der Dozent mit dem Satz von der großen Herausforderung angefangen, so hätte er nicht nur die Aufmerksamkeit des Publikums für die werbenden Passagen gesichert, sondern er hätte auch eine Verbindung zwischen diesem beiden Teilen herstellen können. Etwa so: „An diesen Aufgaben arbeiten wir mit Hochdruck, wir, am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ...“ Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 99 Das hätte man toleriert. Die werbende Botschaft wäre auf die emotionale gefolgt, sie hätte eine Funktion gehabt und überzeugt.  Organisatorische Informationen einpacken Jeder muss im Laufe seines Vortrags unattraktive, organisatorische Mitteilungen machen: Daten, Namen, Organisationen, Publikationen ... Niemand ist aber gezwungen, sie an den Anfang zu stellen und damit das eigene Informationsziel zu torpedieren. Organisatorisches kann sehr gut nach einigen informativen Passagen eingebaut werden. Dann ist es auch möglich, einen Bezug zum präsentierten Inhalt herzustellen (z.B. indem man das eigene Unternehmen nicht nur nennt, sondern zeigt, wie dieser Inhalt mit dessen übrigen Aktivitäten zusammenhängt). Die erste Frage ist immer: Welches ist meine Botschaft? Ihr ist der Einstieg untergeordnet. Die zweite Frage aber ist: Wie stelle ich sofort eine Verbindung zwischen ihr und den Zuhörenden her? Das Thema erfahrbar machen Natürlich ist es sinnvoll, das Thema zu nennen und dann einen Überblick über die beabsichtigte Gliederung zu geben. Aber dies stößt viel eher auf Resonanz, wenn es auf einen konkreten Einstieg folgt, der beide, Redner und Publikum anspricht. Floskeln wie „Mein Thema ist heute ...“ sind unnötig; das Publikum soll nicht über das Thema informiert werden, es soll erfahren, worum es geht. Dies funktioniert am leichtesten auf der Beispielebene: über eine kleine Geschichte, ein Problem, eine ungewöhnliche Behauptung, eine Prognose oder ein Versprechen, so dass das kreative Denken der Zuhörenden, möglichst auch die emotionale Beteiligung aktiviert wird. Daran schließt sich die Formulierung des Titels sehr leicht an. Bill Gates (bzw. seine Berater) hat einen skurrilen, aber persönlichen Weg gewählt. Sein Ziel ist, ein Katastrophenszenario zu zeichnen, das bisherige Vorstellungen überschreitet. Er fängt bei der größten denkbaren und sehr unwahrscheinlichen Katastrophe aus seiner Kindheit an. Damit kann er glaubhaft von sich selbst berichten, aber auch die Katastrophe, um die es ihm wirklich geht, umso deutlicher kontrastieren: 100 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird »Als ich ein Kind war, war das größte Unglück, das wir uns vorstellen konnten, ein Atomkrieg. Deshalb hatten wir ein solches Fass in unserem Keller, voller Lebensmittel und Wasser. (Er zeigt auf ein Blechfass, das er mitgebracht hat.) Wenn ein Atomkrieg ausbrechen würde, wären wir die Treppe hinunter gegangen, hätten uns hingekauert und aus diesem Fass gegessen (Gelächter). Heute sieht das größte Risiko einer globalen Katastrophe nicht mehr so aus. Es sieht vielmehr so aus. (Er zeigt ein Bild mit einer mikroskopischen Darstellung.) Wenn irgendetwas in den nächsten Jahrzehnten über 10 Millionen Menschen umbringt, dann ist es am ehesten ein höchst ansteckendes Virus, eher als ein Krieg.« Er kann damit rechnen, dass sein Publikum schmunzelt oder lacht, wenn es an die Bilder aus der Atomkrieg-Hysterie der 1950er-Jahre erinnert wird. Er kann auf dieser Emotion aufbauen - auch wenn die Emotion, die er in der Folge hervorrufen will, negativ ist. Wesentlich ist nicht, dass einen ganzen Vortrag lang die gleiche Emotionalität durchgehalten wird, sondern dass ein gemeinsamer emotionaler Boden geschaffen wird. Mit einer attraktiven Einzelheit anzufangen, ist ein so alter Trick, dass man sich wundert, wie wenig er im deutschen Sprachraum bei Fachvorträgen genutzt wird. Dabei geht es nur darum, die intuitive Gestaltung: [1] Thema nennen [2] Problem definieren [3] Lösungsweg aufzeigen [4] Lösung illustrieren [5] Zusammenfassung ... so zu ergänzen: [1] mit einer Einzelheit Interesse wecken [2] Thema nennen [3] Problem definieren [4] Lösungsweg aufzeigen [5] Lösung illustrieren [6] Zusammenfassung Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 101 In vielen Fällen ist es möglich, dieses Modell noch abzurunden, indem man am Schluss auf den „Aufhänger“ zurückkommt, mit dem zunächst das Interesse geweckt wurde: [1] mit einer Einzelheit Interesse wecken [2] Thema nennen [3] Problem definieren [4] Lösungsweg aufzeigen [5] Lösung illustrieren [6] Zusammenfassung [7] Anwendung der Lösung auf die Einzelheit unter [1] Das folgende Beispiel aus der Praxis zeigt, dass irgendein Detail herausgegriffen werden kann, um Interesse zu wecken. Das ist auf jeden Fall besser, als mit dem Thema einzusteigen: (Interesse wecken: ) »Wir sind in einem großen Park in einem Vorort von Wuppertal. Zwei Dutzend Kinder und Erwachsene, mit Schutzhandschuhen an den Händen und grünen Müllsäcken unter dem Arm schwärmen aus, über Rasen und Spielplätze. Sie werden Spaß haben und etwas für die Sauberkeit ihrer Stadt tun.« (Thema nennen: ) »Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Programm, das wir vor drei Jahren entwickelt haben. In Wirklichkeit geht es nicht darum, die Parks sauber zu machen, sondern Gemeinsinn zu entwickeln. Sie werden heute Abend erleben, dass ...« Die Zuhörenden „abzuholen“, sie mit einem konkreten Anwendungsbeispiel anzusprechen, bevor man zum Abstrakteren, zur Definition und Einordnung des Themas übergeht, ist ein wichtiges Verfahren. Überzeugungskraft bekommt es dann, wenn die Zuhörenden nicht nur als passives Publikum, sondern als Gesprächspartner angesprochen werden. Es bietet sich ohne Weiteres die Möglichkeit zu einem zyklischen Vorgehen, das heißt, wie oben skizziert, zum Schluss auf den Einstieg zurückzukommen: (Anwendung der Lösung auf die Einzelheit: ) »Bei der Aktion in jenem Wuppertaler Park haben wir uns am Abend alle nochmals getroffen und ...« 102 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Einen nachvollziehbaren Anfang wählen In vielen Fällen fehlt konkreten Anfängen die Überzeugungskraft. Dies ist z.B. daran zu merken, dass eine zu Beginn gestellte Frage (oder kurze Anekdote, persönliche Erfahrung usw.) an der Realität der Zuhörenden vorbeigeht oder ganz einfach zu schnell gesprochen wird und die Pause danach zu kurz ist. Das heißt: Das dialogische Element fehlt trotz allem. Dies muss nicht so sein, aber es kann geschehen, wenn man einseitig auf eine tolle Wirkung bedacht ist, statt auf den gemeinsamen Gedankenprozess. Die Leitfrage dabei lautet nicht: „Mit welchem Einstieg verblüffe ich die Leute am meisten? “ Sondern: „Was werde ich mit ihnen tun? “ Dafür braucht es drei Dinge:  die Zeit, Neugier entstehen zu lassen  die Überprüfung, ob Neugier geweckt wurde  eine Fortsetzung, an der die Zuhörenden beteiligt sind  Das Interesse wecken  kurze Erzählung, Anekdote  Anwendungsbeispiel  Prognose  ernst gemeinte Frage 14 Beweisen, begründen, plausibel machen as klassische Thema der Rhetorik ist die Abfolge von Thesen und Begründungen: die Argumentation. Wer eine Sache vor einem Publikum vertritt, argumentiert. Dafür sind über die Jahrhunderte Verfahren entwickelt worden, die dafür genutzt werden können, eine Aussage zu stützen. Ursprünglich ist Argumentation ein Gebiet der Logik mit ihren Methoden, Thesen anhand überprüfbarer formaler Kriterien zu beweisen; aber daneben gibt es auch rhetorische Verfahren, die sich von der Logik weit entfernen. Ein Blick in die erste Richtung, in die der Logik, lohnt sich, damit klar wird, wie weit weg von einer Beweiskraft man sich im Alltag bewegt. Im Bereich der rhetorischen Argumentation ist es sinnvoll, zu sehen, an welche unterschiedlichen Denkweisen die unzähligen Argumentationstypen appellieren. Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 103 Argumentieren ist ein Verfahren des Dialogs, des Abwägens oder Gegeneinander-Ausspielens von Gründen, die für eine These sprechen, (also im weitesten Sinne: Aussagen, die andere stützen 120 - mit dem wissenschaftlichen Ausdruck Argumente). In der öffentlichen Rede fehlt scheinbar das Gegenüber, das ein Argument unmittelbar überprüft und allenfalls widerlegt. Den Austausch von Argumenten fördern Argumentation ist als Mittel von Rede und Gegenrede entwickelt worden. Dass sie auch in der monologischen Rede einen wichtigen Stellenwert einnimmt, ist nur natürlich. Nur fehlt da die unmittelbare Entgegnung. Das Publikum (oder auch andere Teilnehmer einer Debatte) ist angehalten, mitzudenken, aber nicht, Gegenargumente zu liefern. Typisch für die monologische öffentliche Rede ist deshalb, dass ein Phantom-Gegner bemüht wird. Ein Gegenargument wird zitiert („Nun könnte man einwenden, dass ...“), das dann gleich entkräftet wird. Typisch für öffentliche Rede ist nicht, dass argumentiert wird, sondern dass der unmittelbare Austausch von Argumenten verzögert ist. Das muss nicht schlecht sein; es kann sogar dazu führen, dass man überlegter streitet. Aber eine konstruktive Rhetorik kann das gemeinsame Überlegen, das gemeinsame Entwickeln von Argumenten fördern. Als Rednerin kann man dies fördern, indem man das Publikum anspricht und es vor der eigenen Argumentation nach Argumenten befragt. Zuhörend argumentieren Argumentieren hat zwei Seiten: die der Rednerin, die überzeugen will, und die des Publikums, das kritisch mitdenken und allenfalls mit eigenen Argumenten reagieren soll. Zur überzeugenden Argumentation gehört nicht nur die überzeugende Formulierung, sondern auch die Kommunikation auf allen Ebenen - verbal, paraverbal, nonverbal. Es braucht sprachliche Signale, die dem Publikum sagen: Ich will euch nicht überreden, sondern überzeugen. Deshalb präsentiere ich nicht nur meine Gründe, sondern möchte auch erfahren, wie sie bei euch ankommen. Wenn möglich, möchte ich eure Entgegnungen hören. Das erfordert eine Haltung des Zuhörens, der Wahrnehmung des Publikums. 104 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird  Argumentation im Dialog Das Ziel eines Vortrags kann sein, die Zuhörenden argumentativ zu einer These zu führen. In anderen Fällen kann es ebenso reizvoll sein, Argumente im Dialog auszutauschen:  eine vorgetragene Argumentation überprüfen lassen  Sammeln und Diskutieren von Argumenten zu einer These aus dem Publikum  nach Urteilen über eine Sache fragen und im weiteren Gespräch die Begründungen dafür ermitteln  im Lauf der eigenen Argumentation nonverbale Reaktionen aufnehmen und verbalisieren lassen Argumentiert wird, wenn etwas strittig ist Wer informiert, beschränkt sich sehr oft aufs Berichten, Darstellen, Erzählen. Fakten werden präsentiert, ohne sie mit anderen Sachverhalten zu begründen, zum Beispiel so: »Nachdem man in das Fahrzeug eingestiegen ist, stellt man sich wie folgt den Sitz ein: Als erstes das Kupplungspedal mit dem linken Fuß bis zum Anschlag durchtreten und den Sitz jetzt so nach vorn bzw. nach hinten schieben, dass das Knie leicht angewinkelt ist. Als nächstes wird mit der rechten Hand der Innenspiegel eingestellt. Mit der linken Hand stellt man nun die Außenspiegel ein. ... Jetzt nur noch anschnallen, das Kupplungspedal durchtreten, das Lenkradschloss lösen und den Motor starten. Den Gang einlegen, die Handbremse lösen, links blinken, Außenspiegel, Schulterblick, Kupplungspedal loslassen und losfahren! « 121 Das ist eine Anleitung für Fahranfänger. Da werden keine Thesen begründe. Es wird nur der Ablauf aufeinanderfolgender Handlungen geschildert. Dennoch lässt sich auch hier fragen, was die hier präsentierten Anweisungen stützt. Es ist offensichtlich das Lehrer-Schüler-Verhältnis, die Autorität des einen und der Unterordnung des anderen. Sobald aber Fragen auftauchen, wenn also der reine Monolog durchbrochen wird, wird es anders: Frage: »Sollte man Gas dazu geben oder überhaupt nichts machen? « Antwort: »Also ich hab' das so gelernt: Gang raus, Schlüssel rumdrehen, kein Gas geben, weil man sonst den Kat kaputtmachen kann, und dann sofort losfahren.« 122 Eine liebevolle Antwort von Automobilist zu Automobilist. „Weil man sonst den Kat kaputtmachen kann“, bringt Argumentation ins Spiel. Die Anweisung wird mit einer Warnung vor einer negativen Konsequenz verknüpft und wirkt damit besser. Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 105 Das Beispiel zeigt aber auch, dass bei vielen Sachthemen die Diskussion von Gründen oft zweitrangig behandelt wird. Der Fahrlehrer führt einen Routineablauf vor, den der Schüler einfach beherzigen sollte, und da kommt die Frage: „Warum? “ Das kann einfach nerven. Oder umgekehrt: Die Hobbyastronomin informiert: Morgen Nacht ist eine Chance, Polarlichter zu sehen. Der Zuhörende freut sich, hat aber keine Lust, eine lange Begründung anzuhören. Argumentation braucht zwei Parteien, die sich zuerst einmal einig sind, dass eine Sache nicht selbstverständlich ist, und die dann auch bereit sind, ihr auf den Grund zu gehen. Je nachdem dient das gemeinsame Argumentieren dem näheren Verständnis oder der Bildung einer Meinung. Im Folgenden wird sehr knapp ein Unterschied gemacht zwischen rationaler Argumentation, die Verfahren der Logik anwendet, und rhetorischer Argumentation, die eher an gemeinsame Vorstellungen appelliert. Dies geschieht aus dem Bewusstsein heraus, dass eine erschöpfende Diskussion des Themas hier nicht möglich ist. 123 Es sollen aber einige Hinweise gegeben werden, als Einleitung zum Unterkapitel „Wie man auf Kritik reagieren kann“, das Tipps für die sachliche Auseinandersetzung mit dem Publikum enthält. „Das liegt doch in der Logik“: Rationale und rhetorische Argumentation Wir schreiben das Jahr 1983. Otto Schily, seit Kurzem Bundestagsabgeordneter der Grünen, spricht zum ersten Mal im Bundestag. Es geht um nichts weniger als die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen der USA in der Bundesrepublik. Diese Frage hat kurz zuvor zum Ende der soziallliberalen Koalition und zur ersten Regierung Kohl geführt. Der Grüne Schily wendet sich vehement gegen den Beschluss: »Kann die Anwendung von Massenvernichtungsmitteln unter irgendeinem Umstand gerechtfertigt sein? Unter nur irgendeinem Umstand? Die Antwort - und ich hoffe, dass wir uns wenigstens darin einig sind - die Antwort kann doch nur ein klares Nein sein. Der Einsatz von Massenvernichtungsmitteln ist durch nichts, aber auch durch gar nichts zu rechtfertigen. Der Einsatz von Massenvernichtungsmitteln ist nichts anderes als Massenmord! Völkermord! Er ist ein Verbrechen.« Bis hier wird überhaupt nicht argumentiert. Es wird lediglich eine These wiederholt und dann verstärkt. Die Behauptung »Der Einsatz von Massenvernichtungsmitteln ist Massenmord und damit ein Verbrechen« 106 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Davon, dass diese Prämisse allgemein akzeptiert wird, geht Schily aus. Er rechnet damit, dass auch die Befürworter unter seinen Zuhörenden atomare Waffen nur dann gutheißen, wenn sie lediglich der Abschreckung dienen. Sie sind also für die Androhung des Einsatzes im Verteidigungsfall gedacht, aber keinesfalls für den Einsatz in einem Erstschlag. Unter dieser Voraussetzung fährt Schily fort: »Und deshalb, meine Damen und Herren, und das liegt doch in der Logik, das ist doch einfach durchschaubar, deshalb ist auch die Androhung des Einsatzes von Massenvernichtungsmitteln die Androhung eines Verbrechens.« Jetzt wird argumentiert: Wenn man diese Gleichung akzeptiert: Einsatz von M. = ein Verbrechen, dann muss man auch diese Gleichung akzeptieren: Androhung des Einsatzes von M. = Androhung eines Verbrechens So langsam und so sorgfältig geht man in der politischen Rede selten vor. Schilys Ziel ist es, die Zuhörenden zum Mitdenken zu bewegen und zu einer offensichtlichen logischen Operation ja zu sagen. Dann fährt er fort: »... und insoweit sollte Ihre Logik auch reichen, dass auch die Androhung eines Verbrechens - und soweit sollte Ihr Rechtsbewusstsein reichen - auch die Androhung eines Verbrechens ist selbst ein Verbrechen.« 124 Obwohl hier die Logik nochmals angerufen wird: Dieser letzte Satz verlässt das Gebiet der Logik. Dass auch die Androhung eines Verbrechens ein Verbrechen ist, mag stimmen, aber es ergibt sich nicht aus diesen Sätzen. Der Jurist Schily ersetzt denn auch elegant das Wort Logik durch das Wort Rechtsbewusstsein. Was er sagt, ist nicht mehr logisch, keine formal stichhaltige Beweisführung mehr, sondern ein Verweis auf gemeinsame Grundlagen. In diesem Fall sind diese solide, weil sie immerhin im Strafgesetzbuch festgehalten sind. 125 Zwei verschiedene Arten des Begründens werden hier bemüht: die rationale und die rhetorische Argumentation. Saubere logische Verfahren benötigen Zeit und können in einem komplexen Zusammenhang nie lange durchgezogen werden. Deshalb wird in der Rede entweder auf allgemein akzeptierte Verfahren zurückgegriffen oder auf die Überzeugungskraft der gewählten Worte vertraut. Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 107  Rationale Argumentation 126 Grundlage der rationalen Argumentation ist die Beweisführung mit logischen Mitteln. Ein Beispiel (aus der Harry-Potter-Welt):  Argumentregel: Alle, die auf dem Unterarm das „Dunkle Mal“ tragen, sind Todesser.  Argumentsatz: Lucius Malfoy trägt auf dem Unterarm das „Dunkle Mal“.  These: Also ist er ein Todesser. Rhetorische Argumentation Rhetorische Argumentation ist ein verkürztes Verfahren. Statt auf einen in der Rede entwickelten Gedankengang bezieht man sich auf gemeinsames Wissen, gemeinsame Vorstellungen, gemeinsame Werte. Damit entfernt sich die Rhetorik von der klassischen logischen Denkweise mit ihren Thesen und Beweisen. Dies ist von Außenstehenden oft mit Skepsis beobachtet worden. Aber für diese rhetorische Form der Argumentation spricht, dass man nur so schnell und oft pointiert zu einer Aussage gelangt.  Beispiele für verkürzte Argumentation Die Argumentregel wird als bekannt vorausgesetzt:  Lucius Malfoy trägt auf dem Unterarm das „Dunkle Mal“. Also ist er ein Todesser. Die Beweisführung wird durch überzeugende Anzeichen ersetzt:  Ich habe gesehen, wie Lucius Malfoy vor Voldemort hingekniet ist. Ich sage euch: Der ist ein Todesser! Die klassisch logische Denkweise braucht eine These einen Beweis. Im Alltag benutzt man aber oft einfach einen Einzelfall als Beleg. Hier ein Zitat aus dem Naturschutzdiskurs im Alpenland: »Vor 150 bis 100 Jahren war unsere Großwildfauna viel ärmer als heute. Bei den auffälligen Tieren, den Säugetieren und Vögeln, ist heute der Erfolg der Schutzbemühungen sichtbar. Viele Tiere, die lange Zeit ausgerottet waren, sind zurück. Zum Beispiel der Biber: Die Population dehnt sich aus; der Nager erschließt und gestaltet sich die Lebensräume selbst.« 127 Die Rückkehr des Bibers ist noch kein Beweis dafür, dass die Großwildfauna reicher ist als im 19. Jahrhundert. Es ist nur ein Anzeichen. Aber er macht damit plausibel, dass es auch andere Beispiele geben könnte, und es 108 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird verweist gleichzeitig auf ein Merkmal außerhalb des eigentlichen Sachzusammenhangs: auf die Kompetenz des Redners. Er sagt implizit: Ich wüsste noch mehr, ihr könnt auf mein Wissen zählen. Es gibt eine lange weitere Reihe von Argumentationsweisen, die dazu dienen, von der eigentlichen Thematik weg und auf den Kontext zu verweisen: Die Aussagen bieten keinen schlüssigen Beweis, sondern sind absichtlich vereinfacht:  Sie sind auf die Fassungskraft des Publikums zugeschnitten.  Sie stützen sich auf die Erfahrung des Redners statt auf allgemein gesicherte Tatsachen.  Sie berufen sich auf den „gesunden Menschenverstand“.  Sie zitieren eine von beiden Seiten akzeptierte Autorität.  Sie verwenden pseudo-logische Verfahren und zeigen zum Beispiel, dass das Gegenteil der Behauptung falsch ist. 128 Wesentlich ist in der rhetorischen Argumentation, dass es oft nicht um faktenbasierte, sondern um normative Aussagen geht: Was soll getan werden? Damit begibt man sich automatisch auf unsicheres Terrain, und deshalb gewinnt die Plausibilität mehr Gewicht. Zudem werden ethische Überlegungen einen höheren Stellenwert einnehmen: Aussagen, die auf eine gemeinsame Moral verweisen, werden dafür verwendet, sachliche Argumente zu entkräften. Moral siegt über Vernunft Ein festliches Essen zu Hause. Max hat viel Alkohol getrunken. Die alte Tante Bertha ist zu müde, um noch nach Hause zu laufen. Also schlägt Max, der einzige Autofahrer in der Familie, vor, sie mit dem Wagen hinzubringen. Die übrigen Familienmitglieder protestieren: Du sollst nicht mehr Auto fahren, denn du hast viel Alkohol getrunken. Und wer viel Alkohol getrunken hat, soll nicht Auto fahren. Die These „Du sollst nicht mehr Auto fahren“ ergibt sich aus der allgemeinen Regel: „Wer viel Alkohol getrunken hat, soll nicht Auto fahren“ und deren Anwendung auf den vorliegenden Spezialfall: „Max hat viel Alkohol getrunken.“ - Eine sehr logische Operation. Allerdings geht es nicht um eine Wahrheitsaussage, sondern darum, was zu tun ist. Dies zeigt sich eine Woche später, als sich der Vorfall wiederholt. Max hat viel getrunken; aber Tante Bertha muss nicht nach Hause; sie fühlt sich so schlecht, dass sie so schnell wie möglich ins Krankenhaus gefahren werden muss. Jetzt sagt Max: „Ja, ich habe getrunken, aber das Leben der Tante ist jetzt wichtiger.“ Und keiner traut sich zu widersprechen. Zwar ist die juristische Vorschrift immer noch gültig, aber das Prinzip, dass ein Menschenleben zu Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 109 retten oberste Priorität hat, hat es geschlagen. Die moralische Argumentation siegt über die sachliche. Die Überzeugungskraft der prägnanten Formulierung Im Dezember 2015 erhöhte die US-Notenbank Fed zum ersten Mal seit über neun Jahren die Leitzinsen. Es war eine historische Entscheidung. Sie war aber auch schon längere Zeit erwartet worden, und fast jeder Kommentator hatte sich im Vorfeld bereits dazu geäußert. Bis es endlich so weit war, hatte es in den Presseerklärungen und auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen kaum originelle Kommentare gegeben. Was sollte man auch sagen? Bis dahin war die Bedeutung dieses Ereignisses schon gründlich diskutiert worden. Es gab scheinbar nicht mehr viel zu erklären. Bis am 16. Dezember um 8.33 Uhr der große rhetorische Held die Bühne betrat: Matt Levine. Matt Levine ist ein Investmentbanker, Anwalt für Aktienrecht und ein prominenter Kolumnist für die Agentur Bloomberg Views. Zusätzlich zu seinen Erfahrungen in der Finanzwelt profitiert Levine von einem Studium klassischer Sprachen und Kulturen. Er hat sogar eine kurze Zeit an der Wellesley High School in Massachusetts Latein unterrichtet. Wenn er in die Tasten seines Computers greift, erklärt er die Vorgänge bewundernswert detailliert, unterhaltsam und - literarisch. Matt Levine ist der Jostein Gaarder von Bloomberg, „the Giant over at Bloomberg“ 129 . Levine begann seinen Text mit den Worten: »The essence of finance is time travel.« (Deutsch etwa: »Im Kern ist das Finanzwesen eine Zeitreise.«) Die ganze komplexe Finanzwirtschaft wird auf einen Begriff komprimiert: Zeitreise. 130 Im Englischen ein schöner, schlanker Satz - auf Deutsch fast nicht wiederzugeben, aber leicht nachvollziehbar: Wer spart, bewegt seine Mittel von der Gegenwart in die Zukunft. Wer finanziert, bewegt Mittel von der Zukunft zurück in die Gegenwart. 131 Diese Sprachschöpfung wurde mit einer besonderen Auszeichnung geehrt. 132 Statt lange zu definieren, wird ein ganz anderer Weg gewählt: der Weg über ein intuitives Bild, das an Science-Fiction erinnert. Alle stilistischen Mittel, die traditionellerweise zur Kategorie Redeschmuck (ornatus) gezählt werden, haben auch eine argumentative Potenz. Sie müssen ebenso wichtig genommen werden wie die klassischen Regeln des rationalen Argumentierens, die es erlauben, Schlüsse zu ziehen und Beweise zu führen. Für Praktiker der Didaktik wirft dies ein besonderes Licht auf den Sprachgebrauch des Redners. Zwar bleibt das Ziel, einfach, klar und verständlich zu formulieren, wichtiger, als schöne Phrasen zu finden. Aber einmalige 110 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Formulierungen können Überzeugungskraft haben und gleichzeitig das Verständnis fördern und die Erinnerung an das Gelernte stärken. Wer einmal Galileos einprägsamen Satz über die Sprache der Natur gelesen hat, gewinnt einen bleibenden Zugang zur Naturwissenschaft, weil er sich von vielen wortreicheren Überredungsversuchen wohltuend abhebt: »Das Buch der Natur kann man nur verstehen, wenn man vorher die Sprache und die Buchstaben gelernt hat, in denen es geschrieben ist. Es ist in mathematischer Sprache geschrieben, und die Buchstaben sind Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren, und ohne diese Hilfsmittel ist es Menschen unmöglich, auch nur ein Wort davon zu begreifen.« 133 Das Zitat zeigt: Es braucht keine verschnörkelten Figuren und auch keine Metaphern aus einer phantastischen Vorstellungswelt. Es kann auch nur eine einfache, konsequent durchgeführte Analogie sein. Wie man auf Kritik reagieren kann Während des Vortrags oder im Anschluss daran meldet sich jemand zu Wort: „Sie haben gesagt: ... Aber das kann doch gar nicht sein; denn ...“ Und schon steht man vor der Aufgabe, Argumente zu widerlegen, mit denen man gar nicht gerechnet hat oder die man tunlichst zu umgehen versuchte. Die Reaktion besteht aus zwei Dingen. Da gibt es zum einen die inhaltliche Frage: Welche Art Argumentation wird mir jetzt entgegengebracht? Kann ich sie mit einer anderen Art beantworten? „Das kann doch gar nicht sein ...“ führt oft zu einer moralischen Aussage. Diese kann mit einer noch höheren Moral gekontert werden, aber auch dadurch, dass man den Gedankengang zurück auf die sachliche Ebene führt. Zum anderen gehört dazu aber auch die Frage der Gesprächsführung: Wie reagiere ich, obwohl ich mich überrumpelt fühle? Hierzu als Abschluss dieses Kapitels einige Anregungen.  Aufbau der Reaktion auf eine kritische Frage [1] Reformulieren [2] Zusammenhang herstellen [3] Frage beantworten [4] Antwort validieren [5] Beziehung klären Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 111 Die Überlegung ist zunächst: Es geht um ein Gespräch. Und rein formal gesehen, wird eine Frage gestellt. Als Redner hat man die Chance, diese zu beantworten. Das ist vor allem eine wunderbare Gelegenheit, eine Kernbotschaft aus dem bisher Gesagten nochmals zusammenzufassen. Oft geht es ja beim Beitrag aus dem Publikum nicht um Kritik, sondern um einen anderen Aspekt. Nicht zu unterschätzen ist das Bedürfnis nach Selbstdarstellung. So eine Frage wird oft mit einer persönlichen Bemerkung eingeleitet, etwa:  Dank  Selbstdarstellung  Kritik am Vortrag  Hinweis auf eigene Verständnisschwierigkeiten  Hinweis auf eine Wissenslücke beim Redner Die eigentliche Frage, die darauf folgt, kann sachlich oder persönlich sein, ernst gemeint oder rein „rhetorisch“, also ohne eine Antwort zu fordern. Mögliche Ziele sind dabei:  Füllen einer Wissenslücke  Kritik an einer These  Erklärung aus eigener Erfahrung In jedem Fall, auch wenn die Frage nur pro forma gestellt wurde, ist es geraten, auf sie zu reagieren. Man darf als Redner ohne Weiteres humorvoll, aber sachlich reagieren. Es gibt einige Grundprinzipien für die Antwort. Hauptsache dabei: Zeit gewinnen. Die Person, die die Frage gestellt hat, hat eine halbe Stunde Zeit gehabt, sie sich zu überlegen. Auch als Redner sollte man sich so viel Zeit wie möglich nehmen. Das bedeutet immer zuerst: Reformulieren der Frage. Die Frage reformulieren Die Reaktion auf eine kritische Frage beginnt nicht mit der Antwort, sondern mit dem Quittieren des Gehörten. Das bedeutet, dass die Frage so, wie sie verstanden wurde, nochmals formuliert wird. Dies entspricht zum einen einem Gebot der Höflichkeit gegenüber dem restlichen Publikum, das in den meisten Fällen die Frage nicht mitbekommen hat. Und es schafft Zeit, sie zu verstehen und für sich einzuordnen. Im Übrigen beginnt diese Reaktion mit dem Wort „Sie“ (oder „Du“): „Sie haben bemerkt, dass ...“ / „Sie sind also der Meinung, dass ...“ / „Wie ich Sie verstehe ...“. Mit diesem ersten Satz wird der Kritiker direkt angesprochen. Das hält den Kontakt zu ihm und kommt auf neutrale Weise dem Bedürfnis entgegen, das oft hinter einer kritischen Intervention steht: dem Be- 112 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird dürfnis, gehört zu werden und mit einem eigenen Gedanken ernst genommen (vielleicht auch: als die wahre Kapazität im Saal erkannt) zu werden. Darüber hinaus zu gehen, ist aber nicht notwendig: Eine Bewertung der Frage („That's a very good question“) bringt keinen der Beteiligten weiter. Ein Beispiel: „Sie haben festgestellt, dass ich von der XY-Theorie ausgehe, aber gleichzeitig auf Teile der XZ-Theorie verweise. Sie sehen darin einen Widerspruch und fragen jetzt: ...“ Die Wiederholung der Frage mit direkter Ansprache an die fragende Person sichert auch das Verständnis: Über das „Sie ...“ ist aufgefordert, diese Reformulierung zu akzeptieren oder allenfalls zu korrigieren. Auch dies ist in Ordnung und schafft weiter Zeit. Den Zusammenhang herstellen Die Frage schließt an etwas an, das vorher gesagt wurde. Sie bezieht sich ggf. auch auf eine sehr frühe Aussage, beispielsweise eine, die zu Beginn des Vortrags getroffen wurde. Auf jeden Fall muss dieser Kontext explizit hergestellt werden. Dies macht den Zusammenhang für alle klar, nicht nur für Rednerin und Kritiker. Denn darin besteht immer eine große Gefahr: dass das Frage-und-Antwort-Spiel eine Sache von zwei Menschen wird und die anderen außen vor bleiben. Hier muss aber natürlich „Ich“ gesagt werden: „Ich habe zu Beginn darauf hingewiesen ...“ / „Ich habe gezeigt, dass …“ Eine solche Passage klingt also etwa so: „In der Einleitung zum Thema A habe ich gezeigt, dass ... Deshalb ...“ Dieser Teil ist eine gute Gelegenheit, die mit der Frage verknüpfte eigene These zu wiederholen. Jede auch noch so kritische Bemerkung aus dem Publikum ist eine Chance, die eigenen Aussagen zu verstärken. Die Frage beantworten Bis dahin ist man noch nicht bei der eigentlichen Antwort angelangt. Dennoch ist nur Wesentliches gesagt worden, das nicht als Zeitschinden diskreditiert werden kann. Es ist aber genug Zeit verstrichen, die geholfen hat, sich die Antwort zurechtzulegen. Das meiste Gesagte war ja für die Rednerin Wiederholung. Deshalb konnte sie dabei die Richtung erkennen, in der ihre Antwort gehen wird. Diese Passage muss klar erkennbar den Schwerpunkt der ganzen Äußerung bilden. Es soll dabei für alle kein Zweifel daran bleiben, dass diese Antwort einen direkten Bezug zur Frage hat. Es ist dabei nützlich, mit einer Überleitung klarzustellen, dass dieser Teil von den vorangehenden abgegrenzt ist. Dies klingt etwa so: Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 113 »Also kann ich Ihre Frage so beantworten: ...« Wenn die vorangegangenen Passagen sorgfältig ausgeführt worden sind, ist die Frage erschöpfend beantwortet. Sie darf sich ohne Weiteres auf die sachlichen Aspekte beschränken. Eine Reaktion auf persönliche Kritik oder emotionale Bewertungen, die in der Frage enthalten sind, ist nicht notwendig. Die Antwort bekräftigen Wie jede Kurzansprache erfordert auch diese einen klaren, positiven Schlusssatz: »Das ist die Folgerung aus unserer bisherigen Arbeit. Das bestätigt meine These, nämlich ...« Damit betont die Rednerin nicht nur, dass die Antwort zu Ende ist, sondern auch, dass sie von ihr überzeugt ist. Die Beziehung klären Nach diesem verbalen Schluss sichert die Rednerin nochmals den Kontakt - zum Fragenden und auch zur ganzen Gruppe. Sie zeigt zunächst, dass sie den Fragenden angesprochen hat, indem sie zu ihm hinblickt. Dann aber sichert sie den Kontakt mit dem ganzen Auditorium. Sie sucht Blickkontakt zu jemand anderem im Publikum (oder zum Gesprächsleiter, der eventuell das Wort einer weiteren Fragestellerin gibt). Das ist ein wichtiges Signal, das nonverbal ausdrückt: Es gibt noch andere Menschen mit anderen Anliegen, die auch zu Wort kommen möchten. 15 Von der geschriebenen Sprache wegkommen »Hochgeachteter Herr Landesstatthalter! Hochvertraute, liebe Mitlandleute! Liebe Gäste! « wischen zwei rot und weiß gewandeten Amtsträgern steht Marianne Dürst auf dem Podium. An schmucken Tännchen vorbei sieht sie nieder auf ihre Mitlandleute und auf die Zugereisten. Sie haben sich alle auf der Wiese im Schneisingen, einem Ortsteil von Näfels im Kanton Glarus, eingefunden. Da gedenken sie des Sieges ihrer Vorfahren über die Habsburger und ihre Verbündeten vor über 600 Jahren, im Jahre 1388. Betend wird man später all die Orte abschreiten, an denen 55 Glarner Bauern und Knechte ihr Leben ließen. (Von den 1700 oder 1800 erschlagenen Geg- 114 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird nern aus so fernen Orten wie Rapperswil, Winterthur und Schaffhausen wird dabei weniger Aufhebens gemacht.) Die Anrede ist historisch. Die Rednerin spricht in ihrer Funktion als Landammann, als Vorsitzende der Kantonsregierung. Wie alle ihre Vorgänger seit dem Mittelalter benutzt sie das Adjektiv hochvertraut (glarnerisch: hoochvertruut). Die Gedenkfeier, die Näfelser Fahrt, findet seit 1389 jedes Jahr im April statt. Und so alt wie die Veranstaltung ist auch die Sprache. Auf die Regierungschefin hat vor dem Rathaus eine Kutsche gewartet. Sie hat dort ihre Kollegen begrüßt, die mit ihr zur Festwiese fahren werden. Sie war guter Dinge und scherzte darüber, dass sie ihren schwarzen Schal vermisst: »I ha mine schwarze Schaal nümme: I ha der ander müesen em Tomi uusleie. Chumi halt soo. [Zeigt auf ihren dunkelroten Schal.] Isch nit gschtande: 'Retuur'! « 134 Das war ihre Sprache im fröhlichen Wortwechsel mit den Herren Kollegen: kurze Sätze, einfacher Alltagswortschatz und natürlich Dialekt, weil Dialekt in der deutschen Schweiz Umgangssprache ist. Die Rede aber, die sie zu Ehren der Landsleute hält, die für die Talschaft ihr Leben ließen, hat sie auf Hochdeutsch vorbereitet. Und die klingt so: »Neben der Landsgemeinde ist die Näfelser Fahrt der zweite Großanlass im Jahr, an dem sich die Glarner Gemeinschaft versammelt - und dies bereits seit 622 Jahren! Genauso lange nämlich schreitet das Glarner Volk schon über diese Wege und Stege, um unserer Vorfahren zu gedenken, die hier schwere Not erlitten haben. An diesem Ort haben sie sich in kriegerischer Auseinandersetzung von fremder Obrigkeit befreit ...« 135 In der kurzen Kutschenfahrt hat die Politikerin ihre private Rolle abgelegt und die öffentliche Rolle der Regierungschefin angenommen. Sie spricht laut und deutlich, und, wie bei solchen Anlässen üblich, mit vielen überflüssigen Betonungen (→ Kapitel 22 ∣ Die Betonung schafft Eindeutigkeit). Und die Wortwahl und die Satzkonstruktionen demonstrieren es auch. Es hat schon mit der Anrede an das versammelte Volk begonnen. Und dieses Volk spaziert nicht einfach zum Festplatz; in ihren Worten schreitet es über Wege und Stege. Und man hat damals die Habsburger nicht einfach zum Teufel (bzw. ins 5 km entfernte Dorf Weesen) gejagt; man hat sich in kriegerischer Auseinandersetzung von fremder Obrigkeit befreit. Das Beispiel mag etwas drastisch anmuten; aber es demonstriert die Tendenz des Sprachstils der öffentlichen Rede: am geschriebenen Vorbild orientiert, mit komplexerem Satzbau und einem alltagsfernen Wortschatz. Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 115 Auf der positiven Seite stehen mehr Präzision, erkennbare Formen, weniger Vagheit, weniger Wiederholung. 136 Daraus resultiert aber auch die Gefahr, dass sie schwerer verständlich wird und weniger Kontaktangebote enthält. Nichtöffentliche Sprache: wenig strukturiert, redundant David, Robert und Marie sitzen in der Kneipe und diskutieren über die Todesstrafe. Sie trinken Bier, gelegentlich einen Schnaps, und versuchen ihr Wissen über die Staaten zusammenzubringen, in denen Hinrichtungen noch immer an der Tagesordnung sind: David: »Immer wenn, immer wenn wir sagen äh - wenn wir 'n Staat gefunden haben, wo jemand äh - hingerichtet wird noch, - was ja richtig viele sind, nö? « Robert: »Ja, es sind sehr viele.« David: »Ja, da bin ich ganz überrascht. Ich hätte jetzt gedacht äh, es gibt in Amerika zum Beispiel gibt's nur'n paar Staaten, wo das so ist, 137 aber scheinbar is' -« Robert: »Du hast in vielen afrikanischen Gebieten, im asiatischen Raum - einiges.« Marie: »Russland! Weißrussland! « 138 Robert: »Da! - Ja. - Russland selbst auch? / Ich glaub'/ da is' momentan so äh -« Marie: »/ Ich glaube mal/ - - / ... aber ich glaube ja. Ne. / Und dann/ « Robert: »/ Ich find' das aber echt/ « Marie: »Russland, ne, aber auf jeden - weiß ich doch. Ich weiß das doch: Russland, Weißrussland ...« Dieses Gespräch ist zwar mitgeschnitten und auf YouTube veröffentlicht worden. 139 Dennoch hat es viele Merkmale eines nichtöffentlichen Dialogs: Die Teilnehmer entwickeln das Thema, springen bisweilen von einem Gedanken zum nächsten, helfen einander aus, um ihre Vorstellungen gegenseitig zu ergänzen. Es geht hoch her. In den mehr als 30 Minuten wird oft kein roter Faden zu erkennen sein. Wo genau die Reise hingeht, ist hier, zu Beginn des Gesprächs, noch überhaupt nicht klar. Dies spiegelt sich auch in den Formulierungen wider. Der Stil ist sehr nah an der Sprache, die sie alle auch in anderen Alltagssituationen verwenden würden: umgangssprachliche Ausdrücke, unvollständige Sätze, Wiederholungen usw. Damit ist dies - trotz der medialen Verbreitung - ein typisches Beispiel für den Sprachstil in nichtöffentlichen Situationen. Er ist vom Spontanen, Dialogischen geprägt. Er enthält - unabhängig davon, welche Themen behandelt werden - bei jedem Sprecher Merkmale des Persönlichen. 116 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Tendenziell hat die Sprache des nichtöffentlichen Gesprächs weniger Struktur und geringere Informationsdichte als die Sprache der öffentlichen Rede. Denn Menschen, die im Alltag miteinander sprechen,  schöpfen aus der persönlichen Erfahrung und erzählen;  relativieren einzelne Aussagen, indem sie z.B.: „Ich meine ...“ oder: „Vielleicht“ sagen;  benutzen einen umgangssprachlichen Wortschatz;  kümmern sich wenig um Grammatikregeln und Wohlgeformtheit;  orientieren sich eher am regionalen und persönlichen Sprachgebrauch und an Stilformen, die die Gesprächspartner gemeinsam haben. Besonders typisch für die nichtöffentliche Rede sind gebrochene Strukturen. Sätze werden oft nicht zu Ende gesprochen und sie gehorchen auch nicht allen Regeln der Grammatik. Wie auch auf den anderen Ebenen ist die Informationsdichte geringer. Dafür wird in der Praxis oft der aus der Informatik übernommene Begriff Redundanz verwendet. Das heißt, dass einzelne Informationen oft wiederholt werden, andere werden durch Synonyme oder ähnliche Formulierungen verstärkt. Das ist typisch für Alltagsgespräche. In der zitierten Stammtischdiskussion kann man es gut verfolgen: David berichtet über eine Praxis der Todesstrafe in den USA: »... da gibt's also in manchen Bundesstaaten, da müssen die Leute nachts hingerichtet werden, das heißt, zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang, und der Tote, das heißt, der zum Tode Verurteilte, darf noch seine letzten Worte sprechen. Und da gibt es dann auch wirklich Fälle, und das hab' ich irgendwie nie vergessen, weil es schon 'n paar Jahre her ist, da hat jemand angefangen zu reden und versucht durchzureden, bis die Sonne aufgegangen wär'. Also zehn Stunden am Stück, und dann nach vier, fünf Stunden stoppte der und hat nichts mehr zusammengekriegt, und dann wurde halt das Urteil vollstreckt.« Diese kurze Passage enthält sehr viele Doppelungen. David verstärkt den einfachen Begriff „nachts“ mit: „zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang“. Er berichtigt die missglückte Wortwahl „der Tote“ mit: „der zum Tode Verurteilte“. Er erweitert die eine kurze Information („versucht durchzureden, bis die Sonne aufgegangen wär'“) zu einer ganzen Erzählung. Damit reduziert sich die Informationsdichte, also die Menge neuer Information pro Zeiteinheit, drastisch. All dies ließe sich straffen, kürzen, vereinfachen, wenn es eine vorbereitete Rede wäre. Aber in der spontanen, nichtöffentlichen Situation wird es von den Gesprächspartnern ohne Weiteres toleriert. Es macht die Sache sogar dramatischer, leichter verständlich. Die Wiederholungen helfen aber auch dem Sprecher dabei, weiterzureden und dabei seine nächsten Formulierungen zu planen. Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 117 Öffentliche Sprache: strukturierter, dichter In der öffentlichen Rede dagegen versucht man ökonomischer zu formulieren. Man packt mehr Informationen in Sätze und Abschnitte, wie das in geschriebenen Texten die Regel ist. Dies zeigt eine Parlamentsrede zum Thema „Todesstrafe“. Es ist sofort erkennbar, dass sie recherchiert ist, also auf Fachtexten, Zusammenfassungen und Zitaten beruht. Diese Textbasiertheit beeinflusst den Stil: »Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am heutigen Internationalen Tag gegen die Todesstrafe müsste ein Aufschrei mit der Forderung durch die Welt gehen: Verbietet endlich diese barbarische Strafe und ächtet Regierungen und Verantwortliche, die die Verhängung der Todesstrafe zulassen und die Tötung von Menschen anordnen! Wir dürfen nicht mehr schweigen, wenn wir Regierungsvertreterinnen und Regierungsvertreter treffen, in deren Ländern die Todesstrafe immer noch nicht abgeschafft ist.« Das ist der Beginn einer Stellungnahme von Annette Groth im Deutschen Bundestag bei einer Debatte über zwei Anträge, in denen die Bundesregierung aufgefordert wird, sich international verstärkt gegen die Todesstrafe einzusetzen. 140 Die ganze Rede ist klar strukturiert; sie hat einen Anfang, einen Schluss und dazwischen einen längeren argumentativen Teil. Auch die Sätze haben im Vergleich zur spontanen gesprochenen Sprache eine klarere Struktur. Sie sind abgeschlossen, aber sie sind auch länger und komplexer aufgebaut. Als Beispiel soll der folgende Ausschnitt dienen, in dem sich die Rednerin gegen die ferngelenkte Tötung mutmaßlicher Terroristen durch Drohnen wendet: »Die Ermordung von Menschen durch Staaten und Regierungen ohne Gerichtsurteil nimmt zu. Mit den sogenannten gezielten Tötungen hat sich eine neue Form der Ermordung von Menschen ohne jegliche gerichtliche Prüfung durchgesetzt. Diese Form der Todesstrafe ohne Richter durch Spezialkommandos des Militärs oder mit bewaffneten Drohnen wird auch von engen NATO-Verbündeten Deutschlands praktiziert.« Solche Sätze sind dann möglich, wenn man die Rede schriftlich vorbereitet hat. Und in der Tat zeigt die Videoaufnahme, dass sie immer wieder in ihr Manuskript schaut. In der spontanen Sprache würde man etwa sagen: »Die USA und andere Staaten lassen Verdächtige gezielt töten. Das ist eine neue Form der Todesstrafe ohne Richter. Sie ermorden Menschen ohne gerichtliche Prüfung ...« Die Sätze würden kürzer. Sie würden mehr aktive Verben enthalten und weniger unpersönliche Substantivierungen (Tötung, Ermordung usw.). 118 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Die Rednerin hat viel zu sagen und eine begrenzte Redezeit. Ihre Sprache, orientiert sich an schriftlichen Vorbildern. Sie vermeidet Wiederholungen. Dies erhöht die Informationsdichte und macht die Rede generell weniger attraktiv und weniger verständlich als spontane, private Äußerungen. Da, wo im Alltagsgespräch Themen allmählich entwickelt und Aussagen wiederholt werden, komprimiert die öffentliche Rede die Aussagen. Über die Frage nach Ländern, die die Todesstrafe noch haben, diskutieren die Mitglieder des Stammtisches eine volle Minute lang und kommen dennoch nicht zu einem klaren Resultat. Die Rednerin im Bundestag kann sich eine derartiges Herumeiern nicht leisten; sie muss die Beispiele parat haben und sie korrekt wiedergeben. Dennoch würde sie mit einigen wenigen sprachlichen Veränderungen die Menschen, die ihr zuhören, direkt ansprechen. Persönlicher, erzählerischer Stil als erster Schritt zum Dialog Im gleichen Jahr vertrat im österreichischen Nationalrat ein Abgeordneter einen Antrag, der ebenfalls die Todesstrafe zum Thema hatte. 141 Die Regierung sollte verpflichtet werden, Saudi-Arabien eine menschlichere Justiz nahezulegen. Saudi-Arabien, ein wichtiger Handelspartner, vollstreckt jährlich 150 und mehr Hinrichtungen. 142 Der Abgeordnete Christoph Vavrik hat selbst in Saudi-Arabien gearbeitet 143 und von seinem Büro aus auf den Platz gesehen, auf dem den Verurteilten die Köpfe abgeschlagen wurden. Auch Vavriks Formulierungen zeigen typische Merkmale einer öffentlichen Rede. 144 Dennoch wirkt sein Beitrag völlig anders als das, was sonst im Parlament üblich ist. Dies liegt daran, dass ihr Kern in einem persönlichen Bericht besteht. Vavrik erzählt, was er aus seinem Fenster beobachtet hat: »Ich möchte diese Wortmeldung dazu verwenden, Ihnen das ein bisschen näherzubringen, was eine Hinrichtung wirklich ist. Ich habe drei Jahre lang in Saudi-Arabien gelebt und ich habe ungefähr 60 Hinrichtungen ziemlich hautnah miterlebt. Das möchte ich Ihnen jetzt schildern ...« Sein Anliegen ist, dass Österreich in seinen Kontakten mit Saudi-Arabien diese Praxis deutlich verurteilt. Um dem Nachdruck zu verleihen, erzählt er, was er von seinem Fenster aus beobachten konnte: »... und so nach dem Mittagsgebet hat man plötzlich gesehen, wie die Menschenmengen aus der Moschee herausrannten und auch die Schüler von der Schule herausrannten, um anderen zuvorzukommen, um vorne zu sein, um die öffentliche Hinrichtung besser sehen zu können. Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 119 Dann wird der Hinzurichtende hingeschleppt. Man zwingt ihn, auf diesem Schafott zu knien, und dann kommt ein Typ in einem langen weißen Kleid mit einem riesigen Säbel - so einen Krummsäbel können Sie auf der Fahne von Saudi-Arabien sehen, das Schwert des Propheten. Alle schreien: Ein Schlag, ein Schlag, ein Schlag! - und er köpft ihn. Natürlich ist Saudi-Arabien ein moderner Staat. Da kommt ein kleiner Wagen mit Wasser, und es wird gespritzt, damit das Blut weg ist ...« Mit nur wenigen Sätzen gelangt Vavrik von dieser Erzählung zu seiner Hauptaussage: »Österreich gehört zu Europa, und Europa ist mehr als nur ein geographischer Raum. Europa ist zuerst eine Wertegemeinschaft. Saudi- Arabien tritt diese Werte mit Füßen. Ich glaube, Österreich und Europa müssen hier eine ganz klare Position beziehen.« Damit hat er eine kurze Ansprache gehalten, die auf die Struktur einer Parlamentsrede zugeschnitten ist und dennoch viel Aufmerksamkeit erhielt. 145 Er ergriff damit eine Gegenmaßnahme gegen die sprachlichen Zwänge des öffentlichen Redens, indem er in Passagen seiner Rede persönlich erzählte. 16 Verständliche Sätze Die Soziologie-Vorlesungen von Jürgen Habermas in Frankfurt hatten enormen Zulauf, waren aber für viele Studierende zu anspruchsvoll. Typisch für die späten 1960er-Jahre: Der Stil erregt Missfallen, und ein Student meldet sich zu Wort. Er fragt, „ob er nicht etwas unkomplizierter sprechen könne, es sei so schwer, ihn zu begreifen.“ Wie der spätere Journalist Gunter Hofmann berichtet, der mit im Hörsaal saß, applaudierte die Hälfte der Anwesenden. „Er verspreche, sein Bestes zu tun, erwiderte Habermas, um verstanden zu werden. Darauf buhte die andere Hälfte,“ berichtet Hofmann. Typischerweise nahm Habermas auch diese Reaktion auf, indem er sagte, „denjenigen, die jetzt gebuht hätten, könne er versichern, seine guten Absichten würden ganz gewiss scheitern.“ 146 Diese Geschichte illustriert perfekt das Dilemma eines Fachvortrags. Der Referent versucht, der Sache und gleichzeitig auch dem Publikum gerecht zu werden. Verständlichkeit entsteht durch dieses Abwägen. Es geht nie, ohne den komplexen Inhalt zu vereinfachen und die Fachsprache an die Sprache der Zuhörenden anzupassen. Das geschieht nicht nur in der Vorbereitung. Man kann sich auch mit dem Publikum darüber verständigen, 120 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird wie viel bei ihm ankommt. Dialog bedeutet, sich auch während der Rede mit dem Vorwissen des Publikums auseinanderzusetzen. Das Publikum gibt ständig Feedback darüber, was verstanden wird und was nicht: durch Mimik, durch Zwischenfragen, durch die Antworten auf Fragen des Redners. Nicht jede Rede lässt sich so sehr vereinfachen, dass sie für sämtliche Interessierte verständlich ist. Aber zumindest ein Kriterium bleibt auch beim anspruchsvollsten Publikum: Eine Rede ist an die Ohren gerichtet. Alles, was gesagt wird, muss durch Zuhören aufgenommen und verarbeitet werden. Das ist der erste Grund überhaupt, sich um einfachere Sprache zu bemühen. Er ergibt sich aus der Wahl des Mediums - der live gesprochenen Sprache. In vielen Fällen ist zudem die mündliche Präsentation nur der erste Schritt, und die Interessierten können auf schriftliche Texte verwiesen werden, in denen sie detailliertere Informationen finden und in ihrem eigenen Tempo lesen können).  Bedingungen für eine verständliche Sprache  Vorwissen des Publikums überprüfen  auf die Hörsituation eingehen  auf nonverbale Signale und Zwischenfragen reagieren Was versteht das Publikum? Angenommen, man ist Hundetrainerin und steht vor acht Herrchen und Frauchen mit ihren Hunden. Im Verlauf der Trainingsstunde fällt der Begriff „Konditionieren“. Wie soll die Trainerin sicherstellen, ob der auch allen bekannt ist? In der Praxis kommen folgende Lösungen vor: Sie belässt den Begriff und fährt einfach fort. [1] Sie definiert den Begriff. [2] Sie ersetzt ihn ohne weiteren Kommentar durch einen umgangssprach- [3] lichen Begriff, z.B.: den Hund auf einen Reiz abrichten. Sie erzählt die Geschichte des russischen Forschers Pavlov und seines [4] Hunde-Experiments. Sie schaut die Teilnehmerinnen an und schätzt an den Gesichtsausdrü- [5] cken ab, ob sie den Begriff als bekannt voraussetzen kann. Sie fragt in die Runde: „Kennen alle diesen Begriff? “ und definiert ihn, [6] wenn jemand Nein ruft. Sie bittet einen der Teilnehmenden, den Begriff zu definieren. [7] Alle diese Vorgehensweisen (und viele weitere) führen letztlich zum Ziel: Die Trainerin kann weitersprechen. Sogar in der Version [1] (Verzicht auf Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 121 Erklärung) besteht eine gewisse Chance, dass sich die Bedeutung aus dem Zusammenhang erschließt und alle ungefähr verstehen, was gemeint ist. Nur verpasst sie da die Chance, eine Bedingung für das gemeinsame Lernen zu festigen, nämlich den Kontakt. Version [1]-[4] sind damit nah bei der monologischen Rede. Ganz anders ist es schon bei Nummer [5]: Die Trainerin nimmt Blickkontakt mit den Anwesenden auf und schafft dadurch Zeit für verbale oder auch nonverbale Reaktionen. Eine sichere Methode ist das nicht; immerhin ist es möglich, dass Menschen kein Fragezeichen auf der Stirn haben, obwohl sie einen Begriff nicht kennen. Aber es beeinflusst die Atmosphäre positiv, zusammen mit vielen ähnlichen Signalen (Pausen, Fragen, humorvollen Bemerkungen usw.), die sie über die ganze Stunde hinweg gibt. Letztlich ist es nicht diese isolierte Maßnahme, die dazu führt, dass jemand nachfragt, sondern die gesamte Haltung der Trainerin, zu der diese einzelne Interaktion gehört. Deshalb sind auch Punkt [6] und [7] möglich - solange eine wohlwollende Atmosphäre herrscht. Gerade die Lösung [7] (eine Person aufrufen, die eventuell nicht antworten kann) ist eine klassische Oberlehreraktion. Aber sogar sie wird gemildert, wenn eine gute Stimmung herrscht. Ich persönlich würde Nummer [6] wählen, unter der Bedingung, dass ein gutes Einvernehmen herrscht oder aber eine Erklärung mit erzählerischen Komponenten, auf die Gefahr hin, viele zu unterfordern, weil auch eine bekannte Geschichte, gut erzählt, positiv aufgenommen wird. Unabhängig von solchen einzelnen Fällen würde ich mich um eine möglichst verständliche Sprache bemühen. Dafür gibt es verschiedene Verfahren, die in diesem Kapitel behandelt werden. Aber auch sie gehören nur zu einem übergeordneten Ganzen, das Verständigung heißt: Verständigung über ein gemeinsames Ziel, das im Dialog erreicht werden soll. Wenn der Zusammenhang fehlt Im April 1961 scheiterte die „Invasion der Schweinebucht“, ein Angriff auf Kuba, geführt von Exilkubanern, aber von der CIA unterstützt. Für Präsident Kennedy war dies ein großes Fiasko. Dabei hatten ihm die Vereinigten Stabschefs (Joint Chiefs of Staff) mitteilen lassen, das Unternehmen hätte durchaus eine gewisse Aussicht auf Erfolg, in ihren damaligen Worten „a fair chance of success“. Als klar war, dass der Angriff abgewehrt und die Beteiligten gefangen genommen oder getötet worden waren, empörte er sich über seine eigenen Berater: »Diese Hurensöhne ... saßen nur da und sagten, es würde klappen.« 147 „A fair chance“ ist ein Ausdruck mit einer recht dehnbaren Bedeutung. Die Berater meinten in Wirklichkeit, die Chance belaufe sich auf 1 zu 3. Irgendwo auf dem Weg von der Analyse zur endgültigen Präsentation war die Übersetzung gescheitert. Hätten sie sich in Zahlen ausgedrückt, wäre 122 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird der Sprachgebrauch klar geworden und Kennedy hätte sich vielleicht gegen die Aktion ausgesprochen. Sie hätten damit ein ungenaues Adjektiv durch einen Ausdruck ersetzt, der ein Größenverhältnis ausdrückt. Sie hätten von der absoluten Denkweise des Ja/ Nein (Chance/ keine Chance) abgelenkt auf die relative Denkweise des Vergleichs. Die Aussage wäre damit in einen Zusammenhang gebracht worden. Man hätte die Basis für eine Diskussion gelegt. Verständlichmachen ist ein Übersetzen Wer verständlich spricht, will sein Publikum erreichen. Oft muss aus einer Fachwelt in eine andere, aus einem komplexen Berufsalltag in den Erfahrungsbereich des allgemeinen Publikums übersetzt werden. Wie kreativ man da vorgehen kann, zeigt ein Beispiel, das die Linguistin Susanne Göpfert präsentiert hat. Ihr Thema war die Umsetzung Texte aus anderen Kulturen für ein deutsches Publikum. Der überraschende Titel ihres Vortrags: „Wie aus pochierten Eiern Marmelade wird.“ Göpfert hatte angehenden Übersetzerinnen ein französisches Inserat vorgelegt, in dem ein fortschrittliches Bild der „Frau von heute“ gezeichnet wurde. Eine moderne Frau, so wurde darin gesagt, ist in der Lage, ihre privaten und beruflichen Dinge ohne Stress zu erledigen. Das wurde mit einem Beispiel belegt, das ganz deutlich auf das französische Publikum ausgerichtet war: »Sie [die Frau von heute] macht ebenso selbstverständlich Eier „en meurette“, wie sie ihre Fensterläden streicht.« 148 In Frankreich sind dies offensichtlich zwei schlagende Argumente. Wie aber sollten diese Beispiele für progressive weibliche Fähigkeiten für ein deutsches Publikum übersetzt werden? Was sollen sie mit Œufs en meurette anfangen, einer speziellen Art von pochierten Eiern in Rotweinsauce? Ein Teil der Übersetzerinnen wälzte sofort die Wörterbücher und suchte nach einer möglichst korrekten. Andere aber gingen freier an die Aufgabe heran und versuchten nur den Sinn wiederzugeben. Die überzeugendste Lösung lautete so: »Sie macht nicht nur ihre Marmelade, sondern auch ihren Ölwechsel selbst.« Damit war die Formulierung in jeder Hinsicht ins Deutsche übersetzt. Die Übersetzerin hatte den Sinn erfasst und auf den Punkt gebracht, „dass die Frau das ganze Spektrum vom 'Heimchen am Herd' bis hin zum 'Heimwerker' beherrscht“. 149 Sie machte aus Eiern Marmelade, aus dem Fensterladen ein Auto, um ihr Publikum zu erreichen. Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 123 Fast jede Rede vor Publikum erfordert in gewissem Sinn ein Übersetzen. Die Rednerin spricht ja aus einer Kompetenz heraus, die meistens die ihres Publikums übertrifft. Wichtig ist es, die hauptsächlichen Ursachen des Missverstehens zu kennen und sie zu verhindern. Dies beginnt auf der Ebene des Wortschatzes, geht aber darüber hinaus zur Satz- und Textstruktur. Dies wird in den folgenden Abschnitten gezeigt. Wörter einführen, definieren, Bedeutungen sichern Verständliche Wortwahl beruht auf zwei Überlegungen: 1. Das Publikum kennt ein Wort womöglich noch nicht. 2. Die Bedeutung des Wortes lässt sich aufgrund des bisherigen Wortschatzes erschließen, aber die Vortragssituation erlaubt es nicht, den Gehalt schnell genug zu erfassen. Das eine ist also eine Frage des Wissens, das andere eine Frage des Mediums - insbesondere der gesprochenen Sprache. Ein Beispiel: Am 8. Juni 2011 hält Mario Martini seine Antrittsvorlesung an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. „Wieviel Gleichheit braucht das Internet? “ fragt der Staatsrechtler und hat gleich eine Menge von Begriffen zu definieren, damit er überhaupt verstanden wird. Zentrales Thema ist „Netzneutralität“ - ein Begriff, den er zunächst zusammenfasst als »das Gebot, dass Internet-Service-Provider alle Daten ... gleich behandeln - ohne Rücksicht auf ihren Inhalt, ihren Ursprung und ihr Ziel« 150 Martini will diskutieren, ob Netzneutralität rechtspolitisch überhaupt wünschenswert ist. Und er will überprüfen, wie weit Wettbewerb zur Sicherung von Netzneutralität ausreicht. 151 Die zitierte Definition ist allerdings sehr wortreich - eigentlich zu reichhaltig für einen mündlichen Vortrag. Seine Zuhörenden sind keine Spezialisten. Für sie ist die Definition durch einmaliges Anhören nicht leicht zu erfassen. Deshalb fasst er es nochmals knapper: »Netzneutralität bezeichnet damit die gleichberechtigte Übertragung von Inhalten.« Damit schafft er Redundanz durch eine vereinfachte Wiederholung. Es folgt aber noch eine weitere Verdeutlichung. Er senkt die Abstraktionsebene und stellt die konkrete Auswirkung vor: »Die Provider müssen sich sowohl gegenüber Anwendern als auch Anwendungsinhalten neutral verhalten.« 152 Danach ordnet er den Begriff auch ein, indem er den Gedanken der Netzneutralität vergleicht. Er verweist auf den Begriff der Regulierung in verwandten Bereichen: 124 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird »Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde der Markt nach ähnlichen Prinzipien bei den Eisenbahnen, der Telegrafie, der Elektrizitäts- und Gasversorgung geordnet. Immer ging es darum, dass die Betreiber der Infrastruktur keinen Einfluss auf die Art der transportierten Inhalte haben sollten.« Eine weitere Erklärung bietet dann eine Illustration: »Das Stromnetz unterscheidet nicht danach, ob der transportierte Strom dem Betrieb eines Toasters, eines Bügeleisens oder eines Computers dient. Ähnlich hat die Post Briefe unabhängig von der Werthaltigkeit ihrer Information und der Vertrauenswürdigkeit ihres Adressaten zu befördern.« 153 Dies macht den Begriff der Netzneutralität noch anschaulicher. Der Begriff ist jetzt nicht nur definiert, er ist auch fassbar geworden. Jetzt kann der Jurist anfangen, die Probleme zu behandeln, die sich im Zusammenhang mit der Netzneutralität ergeben. Er stellt dadurch sicher, dass sein Publikum ihm auch weiterhin folgen kann. Die Einführung des Begriffs enthielt also die folgenden Elemente:  Definition  reduzierte Wiederholung der Definition  Anwendung der Definition (Auswirkung für die Provider)  Vergleich  Illustration Es ist selbstverständlich, dass auch eine ganz andere Reihenfolge dieser Elemente zum Ziel geführt hätte. Eine solche Einführung kann je nach Thema ganz verschieden gestaltet werden. Wichtig ist, dass dem Redner diese Aufteilung in verschiedene Elemente bewusst ist. Dabei ist oft angeraten, nicht bei der abstrakten Definition zu beginnen, sondern bei der konkreten Anwendung.  Begriffe einführen Einen Begriff (Beispiel: Bildernagel) zu definieren, bedeutet:  übergeordneten Begriff nennen: „Ein Bildernagel ist ein Nagel ...“  unterscheidendes Merkmal nennen: „... aus Stahl mit einem Messingkopf.“ Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 125 Zusätzlich hilft:  nähere Beschreibung: „Er unterscheidet sich von anderen Nägeln auch durch die zwei Farben des Stifts und des Kopfes.“  Zweck: „Er wird benutzt, um Bilder und andere Objekte an die Wand zu hängen.“  Vergleich: „Für ähnliche Zwecke werden auch einfache Stahlstifte benutzt, die aber meistens kleinere Köpfe haben.“  Erzählung: „Kürzlich diskutierten wir in der Familie darüber, wie wir eine Wanduhr am besten aufhängen sollten ...“ Die Aufteilung in einzelne Elemente bietet die Möglichkeit, sich mit Blickkontakt und Pausen zu vergewissern, ob das Publikum noch dabei ist. Den Zuhörenden ihrerseits ergibt die Wiederholung und Vertiefung auf konkreterer Ebene die Möglichkeit, dem Vortrag zu folgen, auch wenn sie die Definition nicht auf Anhieb verstanden haben. Wörter konsequent benutzen Die Verwendung des präzisen Begriffs ist wichtig (solange die Zuhörenden ihn verstehen bzw. er eingeführt worden ist). Im Hinblick auf die Verständlichkeit ist es ebenso wichtig, den eingeführten Begriff konsequent beizubehalten. Wer zum Beispiel einen einstündigen Vortrag zum Thema Netzneutralität hält, ist leicht versucht, eine Wiederholung des Wortes zu vermeiden und überall da, wo es inhaltlich akzeptabel ist, Wendungen zu verwenden, die das Gleiche ausdrücken - etwa:  „die Gleichbehandlung von Daten“  „die neutrale Datenübertragung“  „der Verzicht auf Überwachung von Datenpaketen“ Das entspricht zwar einer landläufigen Vorstellung von gutem Stil. Viele von uns sind seit der Schulzeit im Einsatz von Synonymen trainiert worden. Wortwiederholung gilt als unfein. In einer Vortragssituation, wo es jedoch um sachliche Information geht, ist dies anders. Die konsequente Verwendung eines einzigen Begriffs garantiert viel mehr Klarheit als die vermeintlich attraktivere Abwechslung in der Wortwahl. Konkretes wird besser erfasst als Abstraktes »Der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien könnte einen Tornado in Texas auslösen.« 126 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Diese Formulierung gibt sehr anschaulich, wenn auch überspitzt, eine Beobachtung wieder, die Meteorologen in den 1960er-Jahren gemacht haben: Als sie anfingen, für die Wetterprognosen Computersimulationen zu nutzen, geschah etwas Überraschendes: Wenn sie den Dateninput um sehr geringe Werte veränderten, erhielten sie drastische Unterschiede in den Wetterprognosen. Eine Folge aus diesen Beobachtungen wäre auch so zu formulieren: »Die Tatsache, dass es Hoch- und Tiefdruckgebiete gibt, lässt sich erklären mit der Instabilität einer gleichförmigen Strömung in Folge einer minimalen Störung.« Das Schlagwort vom Flügelschlag des Schmetterlings ist aber bedeutend griffiger. Je nach Zielpublikum lässt es die damit verbundene Botschaft besser verstehen. Der amerikanischen Mathematiker Edward Lorenz verwendete es (zunächst mit dem weniger spektakulären Bild der Möwe) in Vorträgen und Interviews und machte es und sein Fach damit weitaus populärer, als es eine abstrakte Information getan hätte. 154 Das Bild vom Schmetterling allein sagt natürlich nicht genug aus. Trotzdem regt es die Vorstellungskraft an und hilft dabei, die abstrakten Aussagen in Erinnerung zu behalten. Generell bietet die Verwendung plastischer Vergleiche und Bilder eine zusätzliche Möglichkeit, wie sich Redner und Zuhörende nahekommen. Es geht dabei nicht darum, abstrakte und theoretische Aussagen zu vermeiden, und schon gar nicht darum, sie durchweg mit vereinfachenden Bildern zu ersetzen. Der wichtigste Effekt ist, dass eine weitere Ebene der Verständigung eröffnet wird, die die abstraktere ergänzt: eine Ebene der Verdeutlichung, der Illustration, des Augenzwinkerns.  Konkret und Abstrakt kombinieren Konkret ist nicht besser als abstrakt. Ein Beispiel ersetzt nicht die allgemeine Aussage. Aber in vielen Fällen lässt sich das eine mit Hilfe des anderen verankern. Berichten, was ist: Verben statt Substantive Wer einen Vortrag über soziale Probleme hält, tut dies meistens aus einer echten Sorge heraus und mit dem Ziel, die Öffentlichkeit zum Handeln zu bewegen. Im Zentrum stehen die Menschen. Das sollte auch die Sprache des Vortrags ausdrücken. Oft steht aber im Zentrum der Sätze der Sachverständigen nicht der Mensch. Man formuliert dann etwa so: Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 127 »Das Thema des riskanten Alkoholkonsums von Kindern und Jugendlichen ist in den vergangenen Jahren in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, nicht zuletzt, weil die Zahl der Krankenhauseinweisungen wegen Alkoholvergiftung deutlich zugenommen hat.« 155 In diesem Einstiegssatz, den eine Fachfrau für Prävention und Gesundheitsförderung formuliert, stehen nicht die Kinder und Jugendlichen im Zentrum, sondern ein abstrakter Begriff: „In das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt“ sind nicht Menschen, sondern ein „Thema“ - das „Thema des riskanten Alkoholkonsums.“ Eine konkrete menschliche Not wird zu einem abstrakten Vorgang. „Kinder und Jugendliche saufen“: Das wäre der konkrete Sachverhalt. Die Formulierung „Das Thema ... ist ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt“ macht daraus einen passiven Satz, in dem die Kinder und Jugendlichen nicht mehr vorkommen. Nun sind die Vertreter aller Fächer gezwungen, zu verallgemeinern und damit Aussagen zu treffen, die weniger packend sind, als es eigentlich die Sache erfordern würde. Wer berichten muss, dass ein einzelnes Kind trinkt, kann dies konkret, direkt und drastisch sagen. Wer berichten muss, dass die Kinder und Jugendlichen insgesamt so und so viel trinken, muss notgedrungen eine statistische Aussage machen. Dafür eignen sich abstrakte Substantive (wie Alkoholkonsum) besser und konkrete Verben (wie trinken) weniger. Aber Sätze mit konkreten Verben lassen eher aufhorchen, und man sollte, wenn immer möglich solche Formulierungen bevorzugen. Im Satz „Die Zahl der Krankenhauseinweisungen wegen Alkoholvergiftung hat deutlich zugenommen“ gilt die Sorge nicht den Betroffenen, sondern einer Zahl, die zugenommen hat. Die Menschen sind verborgen im Abstraktum Krankenhauseinweisung. Die Substantivierung (Einweisung) ermöglicht es zwar, mehrere Fälle zusammenzufassen. Dabei verschwindet aber der Mensch (der Jugendliche, der Arzt usw.) aus dem Satz. Man könnte auch sagen: »Mehr Jugendliche als je zuvor trinken so viel, dass der Notarzt sie ins Krankenhaus einweisen muss.« Damit würden aktive Verben verwendet, die sich auf konkrete Substantive beziehen, mit dem Menschen gemeint sind. Wer den Wortbildungsprozess der Substantivierung kennt, wird jedes Mal aufmerken, wenn er einem Wort auf -ung begegnet - in eigenen oder fremden Texten - und überprüfen, ob es geht, den Text anschaulicher zu machen. Eine Möglichkeit ist, das zugrunde liegende Verb zu aktivieren (also statt Einweisung das Verb einweisen zu verwenden). Eine andere 128 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird besteht darin, die Substantivierung zu belassen, die Aussage aber danach mit der Erzählung von einem konkreten Fall zu illustrieren.  Komprimierte Sätze auflösen [1] Substantivierungen erkennen - vor allem: Ableitungen von Verben auf -ung (die Einweisung) Substantivierte Infinitive (das Einweisen) [2] Substantivierung auflösen (wenn es um einen Einzelfall geht, ist das problemlos), zum Beispiel: Eine gut informierte Patientin kann eine Krankenhauseinweisung vermeiden. ⇒ Eine gut informierte Patientin kann vermeiden, dass der Arzt sie ins Krankenhaus einweisen muss. [3] Wenn das nicht geht: Substantivierung belassen, die Aussage aber mit einem konkreten Fall illustrieren: Eine gut informierte Patientin kann eine Krankenhauseinweisung vermeiden. Meine Diabetespatienten messen ihren Blutzucker regelmäßig und wissen, was sie tun müssen, wenn er zu tief oder zu hoch ist. Es gibt weitere grammatikalische und lexikalische Formen, die, ähnlich wie die Substantivierung, konkrete Aussagen komprimieren und den Abstraktionsgrad erhöhen. Oft verbirgt sich hinter ihnen ein einfacher, aktiver Satz. Ein häufiges Beispiel ist die Konstruktion mit Partizip: »Die vom Notarzt ins Krankenhaus eingewiesenen Jugendlichen hatten sich geprügelt.« ⇒ Die Jugendlichen hatten sich geprügelt. Der Notarzt wies sie ins Krankenhaus ein. Im Prinzip sind diese Verfahren des Komprimierens oft hilfreich. Sie dienen der Sprachökonomie, weil sie Dinge nicht nur allgemeiner, sondern auch knapper ausdrücken. In schriftlichen Zusammenhängen kann zwar der so genannte Nominalstil (abstrakte Substantive dominieren und nicht Menschen) Platz sparen. In der gesprochenen Sprache lohnt es sich aber immer, zu überprüfen, ob es möglich ist, dass die Menschen dank einer aktiven, konkreten Sprache sichtbar bleiben. Überflüssige Floskeln vermeiden Nach einer langen organisatorischen Einleitung kommt der Referent endlich zur Sache. Er sagt: Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 129 »Gut! - Kommen wir zur Problematik, die, glaube ich äh, unglaublich ernst ist.« 156 Er machte zu viele Worte. Und damit meine ich nicht das „Äh“, das viele ärgerlich finden, besonders bei der eigenen Rede, das aber, in Maßen verwendet, durchaus toleriert wird. 157 Auch das „Gut! “ hat noch eine gewisse gliedernde Funktion. Es schließt die vorangegangene Einleitung ab und kündigt einen Neuansatz an. Was da genau gut sein soll, erschließt sich aber in solchen Fällen leider meist nicht. Und in diesem Fall wird ja gleich darauf nochmals ausführlich gesagt, dass „wir zur Problematik kommen“. In jedem Fall kontraproduktiv sind aber die Floskeln „glaube ich ...“ und „meines Erachtens ...“ Damit wird die Kernaussage des ganzen Vortrags abgeschwächt. Zwar spricht nichts dagegen, die Subjektivität einer Behauptung zuzugeben. Aber es ist kaum zu vertreten, wenn dem größtmöglichen Superlativ auf diese Weise jede Schärfe genommen wird. Die Tendenz, seine Arbeit durch Bescheidenheitsfloskeln und andere Ausdrücke, die das Gesagte relativieren, zu torpedieren, hat bisweilen etwas Sympathisches. Aber wenn es unabsichtlich geschieht, wenn die Phrase zum Füllsel wird, ist es höchste Zeit, dagegen anzukämpfen. Das Publikum hat es verdient, zu erfahren, ob der Redner wirklich überzeugt ist oder nicht. Und es hätte eigentlich das Recht, dazwischenzufragen, ob denn der Redner das „nur glaubt“.  Floskeln, die eine Aussage oft unnötig abschwächen  „ich glaube“  „meines Erachtens“  „vielleicht“  „ein bisschen“  „ich möchte kurz ...“ Zusammenhänge verdeutlichen Warum ist der Himmel blau? - Eine Antwort könnte folgendermaßen lauten: »Wenn die Sonne auf die Erde strahlt, wird das blaue Licht gestreut, das langwellige rote Licht aber nicht.« In diesem Satz ist eine knappe Begründung dafür enthalten, dass der Himmel blau ist. Dummerweise liegt die Hauptinformation im Wort „langwellig“. Wer damit nichts anfangen kann, versteht den Zusammenhang nicht. (Ich selbst lese jedes Mal „langweilig“ - das macht aber nichts, wenn ich 130 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird ohnehin nicht weiß, was das Ganze mit der Wellenlänge zu tun hat. 158 ) So ist zwar die allgemeine Aussage verständlich, aber nicht die Erklärung dafür. Das ist eine grundlegende Herausforderung der Verständlichkeit: den Zusammenhang zwischen allgemeinen und speziellen Aussagen herzustellen. Studierende, die nach einer ziemlich einfachen Physikvorlesung befragt wurden, zeigten unter anderem, dass die Schwierigkeiten genau da anfingen: Sie verstanden Details, aber nicht, was sie mit der allgemeinen Aussage zu tun hatten, und oft auch umgekehrt. Im schlimmsten Fall wurden aus einzelnen konkreten Informationen, die verstanden wurden, unzulässige Verallgemeinerungen abgeleitet. 159 Für die Praxis bedeutet dies, dass besondere Sorgfalt angewendet werden muss, wenn die Abstraktionsebene gewechselt wird. Gerade wenn man von der Beispielebene auf die allgemeine Ebene übergeht, ist oft ein Kommentar notwendig, der diesen wichtigen Schritt erkennbar macht, und der die allgemeine Aussage betont. Hier macht es Sinn, sich mit einer Frage zu vergewissern, ob die Zuhörenden mitgekommen sind.  Das Wechseln der Abstraktionsebene Fachvorträge leben von der Abwechslung. Allgemeines wird mit speziellen Beispielen anschaulich gemacht; die Rückkehr zur allgemeinen Ebene verankert das gewonnene Wissen. Diese Übergänge müssen sehr sorgfältig gestaltet werden. Es lohnt sich, mehr Wiederholungen einzubauen, als man es selbst für notwendig erachten würde. Satzbau vereinfachen Kai Gehring, diplomierter Sozialwissenschaftler und Bundestagsabgeordneter, ist in der Lage, aus dem Stand heraus die folgende Zwischenfrage zu produzieren. Es geht um Bildungspolitik und um die Unabhängigkeit der deutschen Bundesländer in Bildungsfragen: »Nachdem wir eben Zeuge öffentlicher Verhandlungen innerhalb der Koalition über die Interpretation einer Bund-Länder-Vereinbarung in Bezug auf das Bildungs- und Wissenschaftspaket wurden und Sie für die Unionsfraktion gerade ausgeführt haben, dass Sie unseren Föderalismus sinnvoll finden und die Entscheidungen der Länder achten, möchte ich Sie fragen: Achtet denn die Unionsfraktion die Handlungsfreiheit der 16 Bundesländer, die auf der Basis der gemeinsamen Vereinbarung zum 6-plus-3-Milliarden-Paket jetzt 16 individuelle Bildungs- und Wissenschaftspakete schnüren und genau von dieser Freiheit, die die Vereinbarung lässt, Gebrauch machen? « 160 Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 131 Auf einen Nebensatz von über vierzig Wörtern und einen kurzen Hauptsatz („möchte ich Sie fragen“) folgt die eigentliche Frage, die wohl letztlich rhetorisch gemeint ist. In spontan gesprochener Sprache würden daraus etwa sieben Sätze entstehen: Wir wurden eben Zeuge öffentlicher Verhandlungen innerhalb der [1] Koalition. Es ging darum, wie man die Bund-Länder-Vereinbarung in Bezug auf [2] das Bildungs- und Wissenschaftspaket interpretieren soll. Für die Unionsfraktion haben Sie gerade ausgeführt, dass Sie unseren [3] Föderalismus sinnvoll finden und die Entscheidungen der Länder achten. Nun haben die 16 Bundesländer eine gemeinsame Vereinbarung zum 6- [4] plus-3-Milliarden-Paket getroffen. Auf dieser Basis schnüren sie jetzt 16 individuelle Bildungs- und Wis- [5] senschaftspakete. Sie machen damit Gebrauch von der Freiheit, die diese Vereinbarung [6] zulässt. Achtet denn die Unionsfraktion diese Handlungsfreiheit der Bundes- [7] länder? Das wären sechs einzelne Sätze und zum Schluss eine pointierte Frage. In der Praxis lässt sich jeder Bandwurmsatz in einzelne Stichwörter aufteilen, die man dann in linearer Abfolge anordnet. So würde jede neue Aussage auf den vorherigen aufbauen. Der Fragesatz wäre einfach und wäre nicht mit mehreren Nebensätzen befrachtet.  Satzbau für die Hörsituation  Gedankengang in einzelne Sätze portionieren und neu anordnen  Nebensätze mitten im Satz vermeiden  auf Klammerausdrücke im Satz verzichten  längere Nebensätze als Hauptsätze formulieren Nicht zu viel auf einmal Auch bei vielen kürzeren Sätzen ist den Sprecherinnen oft nicht bewusst, wie viele neue Informationen sie enthalten. Wir sprechen von Informationsdichte, um die Menge an neuer Information pro Satz zu benennen. Hohe Informationsdichte ist in der mündlichen Kommunikation generell ein Problem. Ein Ziel wäre die Reduktion der Informationsdichte oder zumindest eine Auflockerung mit Wiederholungen und illustrierenden Sätzen. 132 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Nehmen wir an, wir werden mit dem folgenden kurzen Satz überfallen: »Die winzigen Finkenfälkchen sind gesellige Räuber.« 161 Wer unvorbereitet damit konfrontiert wird, erfährt vier verschiedene Informationen aufs Mal: »Es gibt Finkenfälkchen.« (wohl eine Vogelart). »Sie sind winzig.« »Sie sind Raubvögel.« »Sie sind gesellig.« Diese verschiedenen Informationen zielen alle auf verschiedene Themen - von der zoologischen Einordnung der Tiere über ihr Aussehen und ihre Ernährungsweise bis zum Verhalten. So aus heiterem Himmel sind das ziemlich viele Informationen auf einmal. Gesetzt den Fall, dass man noch nie von Finkenfälkchen gehört hat (Vögel, die tatsächlich zu der Familie der Falkenartigen gehören, aber nur 14 bis 17 cm lang werden), verdiente schon der Begriff allein einen eigenen Satz. In der Alltagssprache würde das etwa so klingen: »Hast du schon mal von Finkenfälkchen gehört? « Damit würde das Thema eingeführt. Auf eine Pause und einem Schulterzucken des Angesprochenen würde eine nächste Information folgen, die sich daran anschließen lässt. Es ergäbe sich eine Folge mehrerer Sätze, und bei jedem einzelnen wäre zu überlegen, wie der Übergang gestaltet werden soll, damit der Zusammenhang nicht aus dem Blick gerät. In der freien Rede hat eine redundante Formulierungsweise auch einen Effekt für den Sprecher selbst. Gezielt eingesetzt, hilft sie bei der Planung. Indem man in jeden neuen Satz nur eine weitere Information einbaut, wiederholt man viele Wörter aus dem vorangegangenen Satz. Dies entlastet den Kopf von der Erinnerungsarbeit und macht ihn frei für die Planung des weiteren Gedankengangs. Wie dies in der Praxis funktioniert, lässt sich an einem Vortrag des Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen zeigen. Der beginnt so: »Ich möchte heute über den Wandel medialer Kultur sprechen, in den zehn Minuten hier am Anfang, und ich möchte Ihnen zunächst eine kleine Schlüsselgeschichte nennen, eine Schlüsselgeschichte, die mir selbst den radikalen Wandel medialer Kultur im Jahre 2010 eklatant vor Augen geführt hat. Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 133 Im Jahre 2010, im Sommer 2010, um genauer zu sein, um noch genauer zu sein: am 1. Juni 2010 stand, eine Ewigkeit ist's her, Horst Köhler vor der Presse im Schloss Bellevue, schimpfte in einer kurzen Erklärung auf die Medien und trat überraschend zurück. Vorausgegangen war dem ein Interview, ein Interview im Deutschlandradio, das er in einem Flug in der Nacht, von Afghanistan kommend, einem Reporter gegeben hatte, einem Interview, in dem er einen merkwürdigen, seltsam klingenden Satz gesagt hat, den ich Ihnen einmal vorlesen möchte ...« 162 Als Lektüre ist dieser Text Abfolge von Wiederholungen. Als frei gesprochener Anfang eines Vortrags eignet er sich dagegen problemlos, und die Reaktion des Publikums lässt keine Ungeduld erkennen. Dies, obwohl einzelne Informationen ungewöhnlich ausgewalzt werden. Schon in den einleitenden zwei Sätzen kommen die zentralen Worte „Wandel medialer Kultur“ und „Schlüsselgeschichte“ zwei Mal vor. Die dazu gehörende Zeitbestimmung wird sogar fünf Mal ausgedrückt:  im Jahre 2010  im Jahre 2010  im Sommer 2010  am 1. Juni 2010  eine Ewigkeit ist's her Damit ist eine Redundanz erreicht, die ihresgleichen sucht. Aber es fällt nicht auf - zum einen, weil die Rede frei gehalten wird, mit Blick ins Publikum, zum anderen, weil eine Spannung erzeugt wird: Der Redner hat etwas versprochen, er wird eine Geschichte erzählen. Dazu gehört eine gewisse Verzögerung. Für den Redner selbst hat es einen weiteren, entscheidenden Vorteil: Er kann beim Formulieren seine Gedanken sammeln. Vielleicht hat ihn kurz vor seinem Auftritt etwas abgelenkt, vielleicht muss er aus anderen Gründen die Planung nochmals justieren. Das geht, wenn man eine Passage so redundant formuliert. Und weil nicht der gesamte Vortrag in diesem Stil gehalten ist, wird dies auch nicht als schwerfällig empfunden.  Redundanz über mehrere Sätze hinweg ergibt sich durch  Wiederholung  Wiederholung in anderen Worten  Illustration auf konkreterer Ebene  Zusammenfassung  unnötige Nebeninformationen weglassen oder in einem eigenen Satz formulieren 134 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Portionieren schafft aktive Sätze Die redundantere Sprache, die einfachere Formulierung gibt den Zuhörenden die bessere Chance zur Anschlusskommunikation. Das ist die Grundlage verständlicher gesprochener Texte. Sie bestehen aus kurzen Sätzen, die in einer logischen Reihenfolge angeordnet sind. Auf unnötige Nebeninformationen wird verzichtet, oder sie werden in einen eigenen Satz gepackt. Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) möchte, dass Olympische Spiele in Deutschland durchgeführt werden. In München haben ihm die Bürger schon eine Absage für die Winterspiele erteilt. 163 Es bleiben aber noch die Sommerspiele, die in Hamburg oder Berlin ausgetragen werden könnten. In beiden Städten haben sich in einer Meinungsumfrage 80 Prozent der Bevölkerung positiv geäußert. In einem Gespräch mit der Bild am Sonntag sagt der DOSB-Präsident jetzt zuversichtlich: »Die grundsätzliche Zustimmung von nahezu 80 Prozent in Berlin und Hamburg muss nun zu einer mehrheitlichen Zustimmung auch zum konkreten Bewerbungskonzept der gewählten Stadt werden.« 164 Wer diesen Satz nur einmal hört, ist vielleicht beeindruckt vom Wortschwall. Ob er ihn sogleich versteht, ist nicht so leicht zu sagen. Auf den Hauptsatz verkürzt, heißt es: „Die Zustimmung zu X muss zur Zustimmung zu Y werden“. In eine andere Welt transponiert - etwa in die Welt der Wohngemeinschaft, die sich unterhält, wie man den Abend verbringen soll, - wäre etwa dies ein analoger Satz: »Die grundsätzliche Zustimmung zum gemeinsamen Abendessen muss nun zu einer mehrheitlichen Zustimmung auch zu Fondue werden.« Nur kommt da niemandem in den Sinn, so zu reden. Man würde vielleicht sagen: »Wir sind dafür, dass wir gemeinsam zu Abend essen. Jetzt wäre es schön, wenn wir uns auf das vorgeschlagene Essen, nämlich Fondue, einigen könnten.« Worin unterscheidet sich dieser Stil von dem des Obersportlers? Darin, dass Menschen, die etwas tun, auch als aktiv handelnde dargestellt werden. Dafür braucht es ein Verb (zustimmen). Hier wurde aber daraus ein abstraktes Substantiv gebildet: Zustimmung. In einem einfachen Deutsch hätte der OSB-Präsident also auch sagen können. »Nahezu 80 Prozent der Berliner und Hamburger haben grundsätzlich zugestimmt.« 165 Wenn dies gesagt ist, lässt sich eine Pause machen und ein neuer Satz anfangen. Etwa so: Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 135 »Jetzt müssen sie auch zum konkreten Bewerbungskonzept zustimmen.« Das Ganze bestünde also in zwei einfachen Sätzen. Diese Lösung hätte den Vorteil, dass die eher merkwürdige Formulierung umgangen würde, die den Kern des Ausgangssatzes bildet. Es wird deutlich, dass sich der Unterschied zwischen grundsätzlich zustimmen und mehrheitlich zustimmen nicht auf Anhieb erschließt. Und was ist mit der gewählten Stadt? Das kurze Wort „gewählt“ weist auf einen weiteren Prozess hin, der aber damit nur oberflächlich angesprochen wird. Jemand hat die Städte ausgewählt. Aber durch das unauffällige Partizip gewählt braucht das nicht mehr deutlich gesagt zu werden. Es enthält komprimiert eine ganze Information, für die es wieder einen eigenen Satz bräuchte. In alle relevanten Informationen aufgeschlüsselt, wäre eigentlich Folgendes zu sagen gewesen:  In einer Meinungsumfrage wurden je 1.500 Berliner und Hamburger gefragt, ob sie grundsätzlich dafür sind, dass die Olympischen Spiele in Deutschland stattfinden.  In beiden Städten waren ca. 80 Prozent dafür.  Auf die Frage, ob sie die Spiele in ihrer Stadt haben möchten, sagten deutlich weniger Befragte „ja“ (55 Prozent in Berlin, 64 Prozent in Hamburg).  Jetzt sollen sich die beiden Städte mit konkreten Konzepten bewerben.  Danach wird der DOSB eine Stadt auswählen.  In dieser Stadt werden dann die Bürger befragt.  Ich hoffe, dass diese dann auch zustimmen. 166 Gehen wir einmal davon aus, dass der Sprecher dies alles auch sagen wollte (und sich nicht gezielt unklar ausgedrückt hat), dann hätte dieses Verfahren nahegelegen: Komplizierte Aussagen werden in einzelne, kurze Sätze aufgeteilt. Dieses Portionieren von Gedankengängen hat den Vorzug, dass für jede neue Information ein eigener Satz entsteht und die Sätze in einer sinnvollen Reihenfolge angeordnet werden können. Hinzu kommt die Möglichkeit, dem Gedankengang ein passendes logisches Gewand zu verleihen durch Ausdrücke wie: jetzt, danach, diese ... 167 Zu einer portionierten Redeweise gehört daher auch eine sorgfältige Verknüpfung. Wem dieser Stil zu simpel ist, kann ihn zumindest in der Vorbereitung einer Rede nutzen. Jedem ist es freigestellt, später die so entstandenen Sätze zu längeren zu kombinieren oder, je nach Publikum, einzelne wieder wegzulassen. Aber als Instrument der Klärung bewährt sich das Portionieren - übrigens auch immer dann, wenn man unter Druck ist - zum Beispiel beim Beantworten einer kniffligen Frage. Es entstehen mehr Mög- 136 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird lichkeiten, Pausen zu setzen, und der Kopf ist bei der Planung der Sätze weniger durch Speicheraufgaben belastet.  Hauptaspekte des Portionierens  aus langen Sätzen kurze machen  aus Komprimierungen (Substantivierungen, Partizipien) eigene Sätze machen  Sätze sinnvoll anordnen  Sätze mit verbindenden Ausdrücken verknüpfen 17 Wo sind wir eigentlich gerade? - Transparenz schafft Orientierung ährend mit Verständlichkeit die Gestaltung der inhaltlichen Botschaften gemeint ist, geht es beim Stilprinzip der Transparenz um die metakommunikative Klarheit 168 :  Wie ordnet sich die Aussage, die ich jetzt mache, in die gesamte Rede ein?  Wie verdeutliche ich die Gliederung der Rede?  Wie verhält sich die gesamte Rede zum Vorwissen der Zuhörenden oder zu anderen Vorträgen, die sie hören werden? 169 Transparenz ist eines der wichtigsten Hilfsmittel für dialogisches Vorgehen. Sie entsteht nur aus der Aufmerksamkeit für das Publikum. Das Ziel ist, dass die Zuhörenden jederzeit sagen können, wo im Verlauf des Vortrags man sich gerade befindet. Sie sollten zudem die Funktion einzelner Abschnitte nicht aus den Augen verlieren. Und sie sollten das, was sie hier hören und erleben in einen größeren Zusammenhang stellen können. Wie viele Aspekte Transparenz haben kann, demonstriert der Historiker Daniele Ganser, für die einen ein großer Analytiker zeitgeschichtlicher Vorgänge, für andere ein phänomenaler Verschwörungstheoretiker. Mit seinen Vorträgen füllt er große Säle und führt sein Publikum problemlos durch komplexe Themen. Er beleuchtet die Hintergründe aktueller Konflikte, indem er Informationen und Meinungen präsentiert, die in den etablierten Medien eher selten zitiert werden. Sein Vortrag befasst sich mit der politischen Struktur der USA. 170 Er beginnt mit einem Überblick. Er erläutert, dass sein Vortrag zum allgemeinen Thema: „Imperium USA“ gehört und zwei Teile haben wird. Der erste heißt: „Wie erkennt man ein Imperium? “, der zweite: „Die USA sind eine Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 137 Oligarchie.“ Damit kennt das Publikum die Hauptstruktur. Weil sie diesen einfachen Überblick haben (der auch auf der Leinwand visualisiert wird), ist es später möglich, darauf zurückzukommen, also innezuhalten und zu zeigen, wie weit man bisher gekommen ist. Nach 35 Minuten tut Ganser genau dies. Er bringt einen Rückblick auf den ersten Teil: »Da haben Sie vielleicht bis jetzt begriffen: Was ist ein Imperium? Also Sie zählen die Militärstützpunkte, Sie zählen die Flugzeugträger und Sie schauen sich auch die imperiale Kritik im Landesinneren an. Das wäre sozusagen der erste Teil von meinem Vortrag.« Und damit ist er bei der Ankündigung des nächsten Teils: »Der zweite Teil ist jetzt eben Oligarchie. Oligoi bedeutet wenige. Demokratie wäre eine Herrschaftsform, wo das Volk die Macht hat. Und man sagt ja immer: Die USA sind eine Demokratie. Ich glaube, das ist nicht mehr zutreffend, sie sind zu einer Oligarchie geworden, nämlich einem Staat, wo ganz wenige so großen Einfluss haben, dass die Mittel- und die Unterschicht fast keinen Einfluss mehr hat.« Transparenz bedeutet nicht nur Orientierungshilfe bezüglich der Struktur des Vortrags, sondern auch Einordnung dessen, was vermittelt wird. Hier, wo dezidierte politische Meinungen geäußert werden, gehört dazu auch das Relativieren der eigenen Position: »Das ist jetzt eine These - da werde ich natürlich wieder angegriffen dafür, denn da heißt's im nächsten Interview: Sie haben gesagt: Die USA sind eine Oligarchie, ist das nicht eine Verschwörungstheorie etc.? - Nein, ist es nicht! Für mich ist es reale Analyse der Machtverhältnisse. Aber ich möchte auch darauf hinweisen, dass andere Historiker das anders sehen. Es gibt viele Historiker, die weiterhin die USA als Demokratie einschätzen, ich nicht mehr, ich schätze sie als Oligarchie ein.« 171 So polemisch dies klingt - es hilft, zusammen mit dem Offenlegen der Quellen, den Stellenwert der Rede als Gesamtes einzuschätzen. Hinzu kommt aber auch organisatorische Transparenz: Klarheit über die Kommunikationssituation, in der man sich gerade befindet, und über die Interessen, die hinter der Rede stehen. Für wen spricht der Redner? Welchen Organisationen ist er verpflichtet? Zu Beginn pflegt Ganser zu sagen: »Mein Name ist Daniele Ganser, ich komme aus Basel in der Schweiz, ich bin 44 Jahre alt, von Hause aus bin ich Historiker und ich interessiere mich vor allem für die internationale Zeitgeschichte seit 1945, also für die letzten 70 Jahre.« 138 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Wichtiger ist allerdings zu erfahren, in wessen Interesse der Redner spricht. Daniele Ganser positioniert sich mit seinen Interessen klar in einem erkennbaren politischen Kontext: »Da möchte' ich wirklich mal einfach äh Ihnen danken für Ihr Interesse, dass Sie kommen, ich bin ja nur ein kleiner Schweizer Historiker, und ich freu' mich, ich freu' mich sehr. Warum freue ich mich so sehr? Weil ich äh äh die Friedensbewegung bestärken möchte. Ja? Leute, die gegen Angriffskriege sind, Leute, die gegen - Kriegspropaganda sind, in den Medien, …« Auf den Folien, die Ganser zeigt, wird mehrmals das Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER) genannt und damit deutlich gemacht, dass er als Vertreter dieser Institution spricht. Näheres wird darüber nicht gesagt. Dass er einer der Gründer des Instituts ist, das unter anderem dafür da ist, seine Vorträge zu vermarkten, haben die Zuhörenden womöglich mitbekommen. Dennoch trüge eine Information über seine Aktivitäten - ja auch darüber, warum das Institut die bei einem demokratisch orientierten Redner überraschende Rechtsform der Aktiengesellschaft hat - zur Steigerung der Transparenz bei. Zur Transparenz gehört auch, dass ein Ziel seines Auftritts Werbung für sein Buch ist: »Und - ich hab' ein neues Buch geschrieben, es wurde schon gesagt, es heißt: Illegale Kriege, es ist im äh letzten Monat erschienen ... Ich hab' verschiedene Stationen, die ich mit dem Buch so mache, ich bin so wie eine, eine Musikband, die eine neue CD hat, und die geht dann durchs Land, spielt da einen Song und hier einen Song und stellt die neue CD vor, und bei mir ist es jetzt eben ein Buch ...« Transparenz ist eine der wichtigsten formalen Forderungen an die öffentliche Kommunikation. Nur dann ist Dialog möglich, wenn auch die Arbeitsweise und die inhaltliche Position des Redners nachvollziehbar werden.  Aspekte der Transparenz  Wie ist der Vortrag entstanden?  Wie sieht der Redner sein Zielpublikum?  In welchem Zusammenhang steht er zu anderen Informationsquellen?  Welche Interessen vertritt der Redner, welche Ziele verfolgt er?  Wie ist der Vortrag gegliedert?  An welcher Stelle des Vortrags befinden wir uns (Verweis auf die Gliederung, Zusammenfassungen, Ankündigungen)? Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 139 18 Damit alle dranbleiben: Attraktivität s gibt sie noch: Diese Redner, die ihr Publikum mit dem ersten Satz zu fesseln vermögen. Harald Lesch, unter anderem Professor für Astronomie und Astrophysik an der Ludwig-Maximilian-Universität München, ist ohne Frage einer von ihnen. 172 Das schreibt das Göttinger Tageblatt unter dem Eindruck eines Vortrags des Physikers. Er ist in der Lage, komplexe Themen auf einen einfachen Nenner zu bringen. Zum Beispiel macht er in einem seiner unzähligen Vorträge das Wunder des menschlichen Denkvermögens plausibel, indem er für das Gehirn eine besonders drastische Umschreibung findet: (17: 15) »In der Philosophie des Geistes geht es genau darum: Wo ist die Schnittstelle - zwischen unserem Bewusstsein und der Materie. Wir wissen inzwischen natürlich inzwischen 'ne ganze Menge über die Materie ... aber wieso denkt dann ein Klumpen aus Fett und Wasser solche merkwürdigen Gedanken? « 173 „Das ist unser Gehirn“, fügt er noch erklärend hinzu. Aber die Formulierung bleibt haften, und die Diskrepanz zwischen Materie und Geist ist eindrücklich erfasst. Das Beispiel zeigt: Redeschmuck ist kein Selbstzweck. Er muss sich den anderen Zielen - Verständlichkeit, Transparenz, Dialog - unterordnen. Dann kann er die gewünschte Wirkung entfalten, ohne als Blendwerk missbraucht zu werden. Die rhetorische Tradition spricht vom „Stilprinzip des Aptum“, das darin besteht, die Worte nicht nach einem isolierten ästhetischen Prinzip zu wählen, sondern passend - zum Publikum, zum Thema, zur Situation. Das Resultat ist Attraktivität, eine Eigenschaft des Stils, die die Motivation, zuzuhören, stärkt. Sie unterstützt auf diese Weise das Informationsziel, macht es leichter zugänglich und damit wieder verständlicher. Tipps für attraktiven Stil »Wer im Verkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft ...« 174 Alles klar? - Für Juristen überhaupt nicht - solange nicht geklärt ist, was ein Fahrzeug führen bedeutet - und für die Allgemeinheit schon gar nicht. Im Blog strassenverkehrsrecht.net steht es so: »Ein Fahrzeug zu führen, bedeutet, das Fahrzeug in Bewegung zu setzen oder es unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrtbewegung zu lenken.« 175 140 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Der Jurist formuliert es absichtlich so neutral und allgemeingültig wie möglich. Aber im Vortrag vor einer Gruppe möglicher Delinquenten wird er es persönlicher halten. Er wird zum Beispiel sagen: »Sie können sich beruhigt ins Auto setzen, solange Sie die Hände vom Steuer lassen. Wenn Sie nur den Motor anlassen oder das Licht einschalten, ist das für das Gericht erst ein Versuch, und geht straflos aus.« 176 Damit ist er näher bei seinem Publikum und spricht es direkt an. Attraktivität bedeutet oft einfach eine Veränderung auf der Ebene der Grammatik oder des Textaufbaus. In manchen Fällen mag dies unzulässig sein; generell helfen aber einige einfache Regeln.  Regeln für einen attraktiven Stil  Menschen handeln lassen  die Perspektive wählen  konkret, wo es geht  Aktiv, wenn Passiv nicht unbedingt notwendig ist  positiv statt negativ Aktiv statt Passiv Die Autobahnteilstrecke in der Region ist noch nicht ganz fertig. Ein Verein hat sich dafür engagiert, dass eine Strecke von 16 km für einen Laufwettbewerb genutzt werden kann. Jetzt hat es leider wochenlang geregnet, die Arbeiter sind nicht wie geplant vorwärtsgekommen. Der Lauf muss abgesagt werden. Also wird eine kleine Pressekonferenz organisiert. Der Vereinsvorsitzende hat die folgende Vorlage: »Der für Sonntag, 8. November, geplante Lauf auf der Neubaustrecke der Autobahn 4 wurde abgesagt. Begründung: anhaltend schlechte Wetterbedingungen. Die für den Lauf nötigen Vorbereitungen auf der Baustelle konnten witterungsbedingt nicht ausreichend getroffen werden. Dazu gehören Fugenverguss, Markierung und Bankette. Diese Rahmenbedingungen sind schlecht für die Sicherheit der Läufer und erhöhen die Unfallgefahr.« 177 Das kann man genauso vorlesen. Aber es wird niemanden ansprechen. Beim Durchlesen fällt auf: Weder ein „Ich“ noch ein „Du“ kommt vor. Das würde sich ändern, wenn nur schon der erste Satz anders formuliert würde. Statt: „Der Lauf wurde abgesagt“, würde es heißen: „Wir müssen den Lauf absagen“. Passiv wird zu Aktiv. Damit wird aus einem unpersönlichen Vorgang eine konkrete Handlung. Zudem sprechen damit die Organi- Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 141 satoren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Pressekonferenz direkt an. Sie bringen etwas Menschliches in die offizielle Verlautbarung. Indem sie „wir“ sagen, stehen sie auch zur Verantwortung für ihre Entscheidung.  Von Passiv zu Aktiv In einem passiven Satz (Hier wird nicht geraucht! ) fehlen oft das Ich und das Du. Aktiv formuliert (Ich will nicht, dass du hier rauchst), wird die gleiche Aussage persönlich - und beantwortbar. Menschen handeln lassen Gesprochene Sprache wird attraktiver, wenn in den Aussagen Menschen handeln. In allgemeinen Formulierungen lassen auf Menschen, die etwas tun, weitgehend vermissen. Im Satz „Ein Fahrzeug zu führen, bedeutet ...“ ist die Fahrpraxis so stark verallgemeinert, dass der Fahrer selbst nicht mehr erwähnt werden muss. Es ist aber in gesprochener Sprache ohne Weiteres möglich, zu konkretisieren, ohne dass es die Bedeutung verändert: „Ob ein Mensch ein Fahrzeug führt oder nicht, hängt davon ab ...“ Es ist in vielen Fällen auch möglich, die Zuhörenden direkt anzusprechen: „Ob Sie ein Fahrzeug führen ...“  Der Mensch als Subjekt Ein aktiver Satz allein (Die Schulleitung lädt ein) spricht das Gegenüber nicht an. Wenn aber ein Mensch das Subjekt ist (Rektorin Basler lädt ein), kann ein Bild entstehen, Emphatie geweckt werden. Die Perspektive wählen Indem Menschen - nur schon grammatikalisch gesehen - im Zentrum stehen, gewinnt der Text an Perspektive. Die Handlung wird auf Augenhöhe der Betroffenen geschildert. Harald Lesch demonstriert dies, indem er zeigt, wie er eine griffige Formulierung mit einer Aktivierung der Zuhörenden verbindet. Er fordert sie auf, die Resultate der Evolution zu bedenken, in dem sie ihre Sitznachbarn anschauen: 142 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird »Jetzt schauen Sie ruhig auch mal nach links und nach rechts. Alles, was Sie da sehen, sind Erfolgsrezepte, und zwar unglaubliche Erfolgsrezepte. Wenn Sie wirklich mal in die Biologie eines Homo sapiens hineingehen, in die Einzelteile, dann ist alles in uns eine unglaublich überprüfte, immer wieder aufs Neue getestete Variante von Biomolekülen, und das gibt es in der ganzen Natur.« 178 Damit ist das Publikum aktiviert. Es muss aus seiner Reserve herausgehen. Und alle können nachvollziehen, dass es bei der Entwicklung des Homo sapiens auch um sie selbst geht.  Die Perspektive ändern Durchschnittliche Vorträge sind in einem Überflieger-Stil gehalten: immer schön distanziert auf der gleichen Höhe über dem Thema. Viele allgemeine Aussagen können auf die Ebene des Individuums heruntergeholt werden.  Beispiel (allgemein): „Herbstzeitlosen enthalten ein für Kühe tödliches Gift.“  Beispiel (näher): „Kühe, die Herbstzeitlosen fressen, sterben.“ Die Perspektive ist verändert, der Sachverhalt bleibt gleich. Konkret statt abstrakt Wer sich betrunken als Beifahrer in ein Auto setzt, kann sich strafbar machen, nämlich dann, »wenn er versucht, es unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrtbewegung zu lenken.« Klar, dass man sich darunter etwas vorstellen kann. Aber wenn das Publikum bei einem Vortrag nicht aus Verzweiflung über die komplizierte Ausdrucksweise zur Flasche greifen soll, geht es auch plastischer: »wenn er dem Fahrer ins Lenkrad greift oder auf andere Weise versucht, das Auto zu lenken ...« Aus dem Abstraktum „Handhabung ...“ ist ein konkretes Verb geworden. Ein Beispiel („ins Lenkrad greifen“) wird vor der allgemeinen Handlung („Handhabung seiner technischen Vorrichtungen“) genannt und macht sie plastisch vorstellbar. Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 143  Mit konkreten Ausdrücken Bilder wecken Auch wenn die Hauptaussage allgemein und abstrakt ist, kann man mit konkreten Aussagen auf sie hinführen:  Beispiel (konkret: ) „Die ehemalige Adolf-Hitler-Straße heißt jetzt wieder Friedrich-Ebert-Straße.“  Beispiel (allgemein: ) „Straßenumbenennungen richten sich nach dem heutigen Demokratieverständnis.“ Positiv statt negativ Informationstag an der Uni. Aus allen Teilen des Landes strömen Menschen zusammen, die ein Studium beginnen wollen. Sie können aus rund 50 Vorträgen auswählen, in denen ihnen jeweils eine Fachrichtung vorgestellt wird. Die Uni präsentiert zudem stolz studentische Initiativen und Partner aus der lokalen Wirtschaft, lädt zu Stadtrundfahrten ein und zu einem „kulturell-gastronomischen Rahmenprogramm“. Die Mediziner demonstrieren eine Herz-Lungen-Maschine und die Japanologen zeigen, wie man in 45 Minuten zu den ersten Japanisch-Kenntnissen kommt. Die Medien- und Kommunikationswissenschaft hat zu einem Vortrag geladen. Er heißt: „Die Medien von morgen machen! “ 179 Die Dozentin steht vor einer stattlichen Gruppe junger und älterer potenzieller Studienanfänger. Als erstes stellt sie klar: »Also wer jetzt irgendwie feststellt, dass ihn Medien nicht interessieren, der ähm - ist sozusagen hier falsch, hier geht's um die Medien- und Kommunikationswissenschaften.« Anstatt zu sagen, worum es geht, wird zuerst erklärt, worum es nicht geht. Statt dem Zielpublikum zu zeigen, was man ihm zu bieten hat, wird eine negative Aussage an eine kleine Minderheit gerichtet. Wenn es nötig ist, allfällige Irrläufer zu verhindern, kann man das auch positiv tun: „Dieser Vortrag richtet sich an ...“ - Außer natürlich man sieht die Gelegenheit zu einer Pointe, wie es dem Strafverteidiger Udo Vetter ging bei seinem Vortrag zum Umgang mit Polizei und Staatsanwalt. Auch er sprach an einer Veranstaltung, bei der gleichzeitig andere Vorträge angeboten wurden. Als er sich vor einem über Erwarten großen Publikum sah, formulierte er es so: 180 144 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird »Guten Abend! Für alle, die es gerade noch nicht mitbekommen haben: Angesichts der Teilnehmerzahl möchte ich nochmal darauf hinweisen: Die Veranstaltung mit "Pornographie" im Titel findet in einem anderen Saal statt.« In der Regel geht am einfachsten direkt. Statt zu sagen: „Sie können hier falsch sein, wenn Sie sich nicht für X interessieren“, geht es immer auch positiv: „Wenn Sie sich für X interessieren, sind Sie richtig hier.“  Positiv Abgrenzung ist oft wichtig: Worum geht es? Worum geht es nicht? In den meisten Fällen ist es möglich und attraktiver, mit der positiven Botschaft zu beginnen. 19 Freies Formulieren macht den Dialog leichter ie beste Voraussetzung, um mit dem Publikum in Kontakt zu kommen und zu bleiben, ist die freie Rede: Die Sätze entstehen während des Vortrags und werden nicht auswendig wiedergegeben oder vom Manuskript gelesen. Wer aber für jeden neuen Gedanken ad hoc die richtigen Sätze bilden muss, ist gezwungen, mitzudenken, auch wenn er alles schon oft gesagt hat. Dies ist der Grund dafür, dass frei formulierte Rede generell attraktiver klingt als abgelesener Text. Man formuliert den Gedanken, den man vermitteln will, Schritt für Schritt und produziert dabei Pausen, Verzögerungen und Beschleunigungen, die dem Denkprozess entsprechen und die den Zuhörenden zum Mitdenken einladen. Viel schwerer ist - für schauspielerische Laien - das Mitdenken beim Ablesen oder Auswendig-Hersagen eines memorierten Textes. Es wird zum reinen Reproduzieren von Text statt eines Vermittelns von Inhalten. Dennoch ist die Grundlage für das freie Formulieren in jedem Fall eine gute Vorbereitung. Sie führt immer dazu, dass der Redner mehr weiß, als er sagen wird. Die frei formulierten Informationen stellen eine Auswahl aus einer größeren Menge von Informationen da. Das bietet dem Redner Sicherheit und macht das Improvisieren, das Abweichen vom Vorgesehenen und die Reaktion auf Beiträge aus dem Publikum leichter. Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 145  Grundlagen für das freie Formulieren  Ich weiß mehr, als ich sagen werde.  Ich habe den Inhalt schon einmal durchgesprochen.  Ich habe mir Unterlagen hergestellt und probeweise sichergestellt, dass sie funktionieren.  Ich weiß, dass mir das Publikum bei einem Hänger helfen wird. Die Gedächtnisstütze als Absicherung Freie Rede besteht aus zwei Dingen: Vorausdenken und Formulieren. Dies muss irgendwie koordiniert werden. Für das Vorausplanen braucht man Zeit, die idealerweise zwischen den Sätzen und nicht mittendrin liegen. In einer solchen Pause erfasst man den nächsten Gedanken und vermittelt ihn konzentriert. Die Rede profitiert melodisch und rhythmisch von dieser Koordination von Denken und Sprechen („Sprechdenken“ 181 ). Wenn man eine Gedächtnisstütze mit Stichworten vor sich hat, geht dies gut. Man blickt auf den Zettel, erfasst das nächste Stichwort, hebt den Kopf und äußert den dazugehörigen Gedanken. Jede gut vorbereitete Unterlage hilft, den Kopf vom Gedankenablauf zu entlasten, so dass er frei ist für die spontane Formulierung der einzelnen Sätze. Die beste Gedächtnisstütze für freies Sprechen ist eine Serie von Kärtchen, auf denen wenige, groß geschriebene Stichwörter übersichtlich angeordnet sind. Ihre grafische Anordnung unterstreicht die Gliederung des betreffenden Abschnitts. Wichtige Formulierungen (Definitionen, Zahlen, Zusammenfassungen) sind ausgeschrieben und können abgelesen werden. Abb. 7: Beispiel für eine Gedächtnisstütze (Begrüßung in einem Rhetorikseminar). 146 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Dem Satz ein klares Ende geben Freies Formulieren fällt leichter, wenn man sich Pausen erlaubt. Es geht stressfreier, wenn diese gewollt sind und nicht wie Verlegenheitspausen klingen. Man kann sich dann beruhigt eine, zwei Sekunden zum Nachdenken erlauben. Dies ist immer dann der Fall, wenn man die Satzmelodie nach unten führt und damit signalisiert, dass ein Gedankengang seinen Abschluss gefunden hat. Sprecherin und Zuhörender sind dadurch entlastet (→ Kapitel 23 ∣ Die Meoldie zeigt an, ob der Gedanke zu Ende ist). Der Moderatorentrick: Zeitgewinn durch Wiederholung Wer frei formuliert, muss Zeit haben, um den jeweils nächsten Schritt zu planen. Die Arbeit mit der Gedächtnisstütze zeigt, dass kleine Pausen zwischen den Abschnitten dazu ausreichen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, beim Reden selbst zu planen. Während man die erste Hälfte des Satzes formuliert, plant man die zweite. Das mag merkwürdig klingen, funktioniert aber dann, wenn für den ersten Teil wenig Energie aufgewendet werden muss. Wenig Energie bedeutet, dass man nicht darüber nachdenken muss. Darüber nachdenken müsste man, wenn sofort mit etwas Neuem eingestiegen würde. Statt etwas Neues zu sagen, steigt man aber mit einer Wiederholung ein. Die Wiederholung ist es, die einem Zeit verschafft. Sie verschafft Zeit, um die zweite Satzhälfte zu planen. Dies hat der Abschnitt demonstriert, den Sie gerade gelesen haben. Ab „Wenig Energie ...“ begann jeder Satz mit einer Wiederaufnahme. In einem geschriebenen Text ist eine solche Passage nur bedingt tolerierbar. Aber in der frei gesprochenen Sprache fällt den Zuhörenden kaum etwas auf, außer dass sie sehr gut zu folgen vermögen. Diese Art zu sprechen, kennen wir von TV-Unterhaltungsshows. Moderatoren reduzieren hierbei die Informationsdichte, um eine fließende Anmoderation zu produzieren - und keiner merkt's: »Guten Abend und willkommen in Frankfurt! Frankfurt ist heute eine glückliche Stadt. Sie ist glücklich wegen ihres Siegs über Bochum. Dieser Sieg ist der erste seit 2015. Damals, 2015, schien Frankfurt nichts mehr zu schaffen. Geschafft haben sie jetzt ein glattes 3: 0.« Es sei niemandem empfohlen, stundenlang so zu reden. Aber in Stresssituationen - auch wenn eine technische Störung einen Teil der Aufmerksamkeit absorbiert - hilft diese Technik, den Faden nicht zu verlieren. Übungen │ Verbal Portionieren Hintergrund: „Portionieren“ ist die Technik, komplexe Sätze in möglichst viele einzelne Aussagen zu zerlegen. Dies hilft nicht nur, verständlicher zu formulieren, sondern auch die eigenen Gedanken besser zu ordnen. Wer eine portionierte Redeweise trainiert hat, kann gerade in Stresssituationen davon profitieren, indem er/ sie bewusst den Stil wechselt. Portionieren hilft auch bei der Überarbeitung von Texten. Schwierige Passagen lassen sich verständlicher gestalten, wenn man längere Sätze aufbricht. Diese lassen sich dann neu anordnen, um etwa durch eine logische oder chronologische Abfolge die Botschaft zu verstärken. Ziel der Übung Diese Übung hat dann einen Sinn, wenn sie als Training verstanden wird, das man eine Zeitlang regelmäßig wiederholt. Portionieren ist kein Stil-Ideal, aber in vielen Fällen ein Zwischenschritt zu klareren Aussagen und eine Hilfe beim dialogischen Präsentieren von Informationen. Ablauf: Nehmen Sie einen Informationstext aus Ihrem Arbeitsalltag (alternativ auch einen Text von der Nachrichten- oder Wissenschaftsseite einer Tageszeitung). Nehmen Sie sich Satz für Satz vor. Machen Sie aus jedem einzelnen Satz mindestens drei einfache Sätze. Beispiel: Ausgangssatz: „Nach sechs bezüglich der Standortbestimmung diskussionsreichen Jahren wurde 1991 in Manno, Tessin, das Nationale Hochleistungsrechenzentrum der Schweiz (CSCS) eröffnet.“ Portioniert:  „In Manno steht das nationale Hochleistungsrechenzentrum. Es wurde 1991 eröffnet.  Lange war über den Standort diskutiert worden. 148 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird  Es hatte sechs Jahre gedauert, bis man sich für Manno entschied.“ Auswertung: Ein Zeichen dafür, dass die Übung sitzt, ist, wenn man sich auch traut, rein spielerisch simpelste Sätze zu formulieren, zum Beispiel: „Manno liegt im Tessin. Tessin liegt in der Schweiz usw.“ Frei formulieren Hintergrund: Frei zu formulieren, funktioniert leichter, wenn man den Kopf von möglichst viel Speicherarbeit entlasten kann. Dazu dient bei einer vorbereiteten Rede die Gedächtnisstütze, auf die oben hingewiesen wurde. Wenn aber längere Passagen improvisiert werden müssen, braucht es eine zusätzliche Übung darin, einfachere Sätze zu bilden, damit nicht durch die Planungsarbeit, die längere, komplexe Konstruktionen erfordern, Mehrarbeit geleistet werden muss. Dies geht dadurch, dass man konsequent versucht, kurze Sätze zu sprechen und in diesen zudem redundante Passagen einbaut. Ziel der Übung Sie üben sich in einem konsequent linearen Formulieren, bei dem jeder neue Satz nur eine neue Information enthält. 182 Wer dies geübt hat, kann in Stresssituationen darauf zurückgreifen und sich mit diesem einfacheren Stil helfen, den Faden nicht zu verlieren. Ablauf: Sie lesen einen kurzen, abgeschlossenen Text, zum Beispiel eine Nachricht oder Anekdote. Sie geben ihn wieder (er kann ohne Weiteres weiter vor Ihnen liegen bleiben, so dass Sie ihn bei Bedarf konsultieren können). Bedingungen: Jeder Satz besteht aus maximal acht Wörtern. In jedem neuen Satz kommt ein Wort (Substantiv/ Verb/ Adjektiv/ Adverb) des vorangegangenen Satzes vor - aber nicht jedes Mal dasselbe Wort. Auswertung: Die Übung ist bestanden, wenn es Ihnen gelingt, in einem ununterbrochenen Fluss zu formulieren. Dies gelingt, wenn Sie sich trauen, einfachste Sätze zu bilden, in denen wirklich wenig Neues gesagt wird. Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 149 Das Resultat darf maximal sinnfrei sein; wichtig ist es, den Mut zu kurzen, abgeschlossenen Sätzen zu finden. Storytelling Hintergrund: Viele Präsentationen, Vorträge, Vorlesungen enthalten kleine Geschichten. Oft ist sich die Rednerin dessen nicht bewusst. Die Geschichte wird dann nur oberflächlich erwähnt. Man kann sich aber auch bewusst dafür entscheiden, sie zu erzählen (und sei es auch nur in 4-5 Sätzen), so wird Ihr Vortrag attraktiver: Sie verändern die Perspektive, den Rhythmus, Ihr Engagement usw. Ziel der Übung Mit dieser Übung soll eine einfache Geschichte (Nachricht, Anekdote usw.) so erzählt werden, dass die wichtigsten Elemente, die sie hörenswert machen, vorkommen. Wir gehen von der Vorstellung aus, dass im Rahmen der Einführung eines theoretischen Inhalts eine Begebenheit aus der Biografie einer Person erzählt wird, die damit in Verbindung steht (z.B. des Begründers der Theorie). Folgende Hauptelemente einer Anekdote sollen vorkommen:  Held/ Heldin  zu erreichendes Ziel  Hindernis, das zu überwinden ist  Resultat Ein Beispiel:  Ausgangstext: Die erste Bank für Mikrokredite wurde von Muhammad Yunus gegründet. Er hat seine eigenen Ersparnisse für kleinste Kredite mit niedrigen Zinsen verwendet, die er den Armen auf dem Land anbot, so dass diese sich Dinge anschaffen konnten, mit denen sie einem Verdienst nachgehen konnten.  In erzählerischer Form: Muhammad Yunus beobachtete, dass den armen Leuten auf dem Land oft eine kleine Anschaffung helfen würde, einem Verdienst nachzugehen. Aber sie hatten das wenige Geld nicht. Weil sie nicht lesen und schreiben konnten, war ihnen der Zugang zu Bankgeschäften verwehrt. Yunus suchte nach Lösungen und kam zum Entschluss, aus seinem eigenen Geld kleinste Beträge anzubieten, für die die Kreditnehmer nur niedrige Zinsen zahlen mussten. 150 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Ablauf: Suchen Sie in Ihrem eigenen Material eine kleine Geschichte, die Sie als die Überwindung eines Hindernisses oder eine Problemlösung neu strukturieren. Erzählen Sie sie so, dass sie sich in den Zusammenhang Ihres Vortrags einbauen lässt und eine These stützt. Auswertung: Geschichten zu erzählen, bedeutet oft, dass ein Sachverhalt personalisiert wird. Die Grenzen des Storytellings verlaufen da, wo die Geschichte eine ganze Argumentationskette ersetzt, wenn also ein Einzelfall eine rationale Begründung ersetzen soll. Aussagen beleben Hintergrund: Die deutsche Sprache hat - besonders in ihrer bürokratischen Version - die Möglichkeit, Wörter zu bilden, die wie die Dementoren bei Harry Potter aus attraktiven Sätzen das Leben saugen. Ein Beispielsatz: „Die Ernennung des Präsidenten ist umstritten.“ Im Wort „Ernennung“ schlummert das Verb ernennen. Wenn es aktiv benutzt würde, würde sofort ein eigener Satz entstehen, in dem gesagt werden müsste, wer wen ernennt: „Das Parlament ernennt Hans Wurster zum Präsidenten.“ Oder, weil es eben umstritten ist: „Die Fraktion der Demokraten will Hans Wurster zum Präsidenten ernennen. Dies ist umstritten.“ Die Substantivierung ist damit auf ein aktives Verb zurückgeführt. Das aktive „ernennen“ Verb erfordert einen Täter und ein Objekt. Damit werden die Beteiligten genannt, die Information ist präziser. Zudem wird der Satz für den Zuhörenden attraktiver und verständlicher. Weil auch „umstritten“ eine Ableitung eines Verbs ist (ein Partizip) sind übrigens auch hier die Täter verschwunden. Dies wird besonders deutlich, wenn es jetzt durch das Portionieren in einem eigenen Satz steht. Wer auf solche Dinge achtet, wird nachfragen: „Bei wem ist es denn umstritten? “ Sätze zu beleben, bedeutet, klare Position zu beziehen und Dinge und Menschen beim Namen zu nennen. Verbal: Mit Wörtern den Dialog eröffnen 151 Ziel der Übung Komprimierungen zu erkennen und in aktive Ausdrücke umzuformulieren, kann zur Routine werden. Oft stößt man dabei an Grenzen (etwa, wenn es um statistische Aussagen geht), oft wird aber damit der erste Schritt zu einem besseren, einfacheren Stil getan. Das Ziel besteht hier also in einer Sensibilisierung. Ablauf: Lesen Sie einen Satz nach dem anderen. Suchen Sie in jedem Satz Komprimierungen, also:  substantivierte Verben, z.B.: „die Befreiung der Gefangenen“  Partizipialkonstruktionen, z.B.: „das verlorene Werkzeug“ Beleben Sie die Sätze, indem Sie sie aktiv und wenn möglich mit menschlichen Subjekten formulieren. Also: XY hat die Gefangenen befreit. XZ hat das Werkzeug verloren. Auswertung: Die Übung stößt an ihre Grenzen, wenn kein klarer Täter bzw. kein klares Objekt zu eruieren ist. Die Frage ist dann, ob dies durch Ihr Hintergrundwissen und Ihre Recherche behoben werden kann oder ob sich dadurch der Informationsgehalt der Botschaft verändert. Metakommunikation einfügen Hintergrund: Meiner Erfahrung nach fällt es vielen Vortragenden schwer, ihre Informationen mit metakommunikativen Bemerkungen zu gliedern. Oft geht es nur darum, Sprechhandlungen explizit zu kommentieren (in der Art: „Hierzu ein Beispiel ...“). Mehr Klarheit schafft auch die Bewertung der Information: 183 Ist es sehr wichtig? Ist es weniger wichtig? Ist es eine Zusatzinformation, die man wieder vergessen kann? - Wer derartige Bewertungen ehrlich vornimmt, wird als Persönlichkeit präsenter und verstärkt damit den Kontakt zu den Zuhörenden. 152 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Ziel der Übung Diese Übung ist dazu da, die eigene Beziehung zum Thema und einzelnen Teilen zu verbalisieren und damit auch die Begeisterung (oder auch die Skepsis) über den vermittelten Stoff zu zeigen. Ablauf: Wählen Sie einen kurzen Ausschnitt von etwa zwei Minuten Dauer aus der Mitte eines eigenen Vortrags. Bereiten Sie für mindestens vier Aussagen eine Bewertung vor, die zeigt, wie wichtig Sie sie finden bzw. wie sehr es Ihnen am Herzen liegt, dass sie verstanden werden. Auswertung: Dies ist eine Übung, die immer wieder vorgenommen werden sollte, um einzuüben, auch bei „trockenen“ fachlichen Vorträgen die persönliche Beziehung zum Stoff zu vermitteln. Die Aufmerksamkeit der Zuhörenden ist garantiert, wenn es gelingt, mit der gleichen Selbstverständlichkeit „ich“ zu sagen, wie man „du“ sagt. Paraverbal │ Wie man Menschen mit der Stimme erreicht  Die paraverbale Ebene Das Klangbild der öffentlichen Rede ist durch ein Sprechen auf Distanz entstanden. Persönliche Aspekte von Stimme und sprecherischer Gestaltung sind dadurch reduziert. Aber dies lässt sich durch Melodieführung, Pausen und andere Mittel reduzieren. Das Ziel ist auch hier, Reaktionen zu fördern und dem Publikum Anschlussmöglichkeiten zum Mitdenken und Reagieren zu bieten. ffentliche Rede füllt den Raum. Was dies bedeutet, lässt sich an unseren Volksvertretern wunderbar studieren. Solange sie auf ihren Plätzen sitzen, stecken sie die Köpfe zusammen und unterhalten sich in unterdrückter Lautstärke - leise genug, um nicht aufzufallen und vom Präsidenten gemahnt zu werden. („Frau Bundeskanzlerin und Herr Kollege Kauder, dass Sie sich hier vorne unterhalten, das muss so jetzt nicht sein ...“ 184 ). Abb. 8: Private Kommunikation im öffentlichen Raum: Bundestagsabgeordnete während der Rede einer anderen Fraktion. Der erste liest, die zweite hat sich umgedreht und plaudert mit einem Kollegen, eine weitere durchsucht auf dem Handy ihre WhatsApp-Nachrichten. 185 154 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Wenn sie sich in die Debatte einmischen, mobilisieren sie ihr öffentliches Ich. Sie richten sich auf, stellen sich ans Mikrofon, und der gesamte Ton verändert sich: die Lautstärke, das Tempo, die Betonungsweise, die Intonation usw. Abb. 9: Zurück in der öffentlichen Kommunikation: Eine Abgeordnete bei einer Kurzinvention. Sie hat sich erhoben, ist aus der Sitzreihe in den Gang zum Mikrofon getreten und unterstreicht ihre Worte mit einer routinierten Geste. 186 Das sind lauter Veränderungen auf der akustischen Ebene, die beweisen, dass der Übergang zur Öffentlichkeit eine Erweiterung des Raums bedeutet. Am auffallendsten sind Stimmkraft und Lautstärke, doch auch viele andere sprecherische Mittel werden in der öffentlichen Rede anders eingesetzt als im privaten Umgang. Dass der Unterschied öffentlich/ nichtöffentlich gerade für das Ohr deutlich wahrnehmbar ist - etwa in der Lautstärke oder dem Bemühen um deutliche Aussprache -, hat mit den heutigen räumlichen Bedingungen nicht mehr viel zu tun. Im Deutschen Bundestag könnte man am Rednerpult auch flüstern und würde dank der ausgefeilten Technik dennoch verstanden. Dennoch lassen sich Rednerinnen noch immer an traditionelle Ansprüche öffentlicher Rede leiten. Dies gilt auch in vielen Redesituationen außerhalb offizieller Anlässe. Um mit dem Publikum in einen Dialog zu treten, ist es von Vorteil, sich einem nichtöffentlichen Ton, soweit es geht, anzunähern. Die akustischen Signale bei der Gestaltung einer Rede werden in diesem Buch mit dem Begriff paraverbal zusammengefasst. 187 Ein deutscher Ausdruck ist sprecherisch; in der klassischen Rhetorik wird oft der Terminus prosodisch verwendet. Die paraverbalen Gestaltungsmittel machen die sprachlichen Texte hörbar und interpretieren sie. Die deutsche Sprache stellt eine große Bandbreite sprecherischer Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung. Dies ist jedem bewusst, der versucht, einen Text so vorzulesen, dass andere gerne zuhören und mitdenken. Weniger üblich ist es, sich Gedanken über die sprecherische Gestaltung bei der frei formulierten Rede zu machen. Kriterien wie „langweilig“, „zu schnell“ oder „monoton“ sind zwar schnell zur Hand, aber um die akustische Form einer freien Rede bewusst zu gestalten, braucht es ein differenzierteres Vorgehen. Leider ist Sprechunterricht im Gegensatz zum Sprach- Paraverbal: Wie man Menschen mit der Stimme erreicht 155 unterricht kein Schulfach. Deshalb stößt ein Buch hier auch sehr schnell an die Grenzen der Mitteilbarkeit. Aber es ist möglich, auf einige grundlegende Dinge hinzuweisen und zwei, drei hilfreiche Tipps zu geben. Dafür ist es notwendig, einige Begriffe einzuführen, die für die Beschreibung einer Redeleistung ebenso nützlich sind wie für eine verständliche Anleitung zum Training. 20 Sprechtraining und seine Grenzen araverbale Gewohnheiten lassen sich nicht von einem Tag auf den anderen verändern. Während der Umgang mit Wörtern, Sätzen und Texten ein klassisches Objekt der Schule sind, während wir geübt sind, Mimik, Gestik und Körperhaltung mit einem großen Arsenal an Begriffe zu diskutieren, haben sich unsere Stimme und die Voraussetzungen, sie zu nutzen, bei den meisten Menschen ohne spürbare Eingriffe von außen entwickelt. Kaum jemand ist zufrieden mit seiner Stimme, wenn er sie als Aufzeichnung hört, nimmt sie aber als gegeben hin. Wer aber versucht, etwas daran zu verändern, entdeckt, dass es Jahre dauert, bis ein Effekt zu spüren ist. Margaret Thatcher, britische Premierministerin von 1979 bis 1990, hat in der Frühzeit ihrer politischen Karriere viel Energie investiert, um ihre Stimmlage zu verändern, weil sie hoffte, mit einer tieferen Stimme besser anzukommen. Zudem arbeitete sie intensiv an ihrem Akzent, den ihre Kritiker nicht nur mit ihrer Heimat in Lincolnshire, sondern auch mit ihrer Herkunft als Tochter eines Gemüsehändlers in Verbindung brachten. In späteren Aufnahmen, die sie als Politikerin auf nationaler Ebene zeigen, ist ihre Sprechweise von jedem Dialektrest gereinigt. Auf alle, die nicht gerade Fans der Eisernen Lady waren, wirkte ihre Rede allerdings künstlich, posh. 188 Auch viele, die sich nicht durch die englische Klassengesellschaft kämpfen müssen, versuchen, ihre Redeweise in der Öffentlichkeit von persönlichen Färbungen zu befreien. Sie ersetzen die Nähe und das Informelle des nichtöffentlichen Gesprächs durch Mittel der Distanz und die Traditionen einer „wohl gesetzten“ Sprache. Auf der Strecke bleibt dabei aber vieles, was die private Persönlichkeit positiv auszeichnet, insbesondere die Vielfalt des Ausdrucks und die Anpassungsfähigkeit. Ziel: die Variationsbreite erweitern Im privaten Zweiergespräch wird die Lautstärke oft erhöht, um Immissionen zu übertönen (oder aber um anzudeuten: „Jetzt rede ich, jetzt doziere 156 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird ich“ - also um einen Wechsel vom Nichtöffentlichen zum Öffentlicheren zu signalisieren). In anderen Fällen flüstert man, um ein eventuelles Publikum auszuschließen. Auch Tempo, Rhythmus und Pausen variieren. Die Aussprache ist oft verschliffener und weist Merkmale der Umgangssprache aus Stadt und Region auf. Nicht alles daran mag wünschenswert sein. Aber es sorgt für eine Vielfalt an Ausdrucksmitteln, die in der öffentlichen Rede oft fehlt. Das Bewusstsein für die Erweiterung des Raums, die monologische Situation, die Sorge, kontrolliert zu werden - all dies führt zu einer Nivellierung der Sprechweise. Das wichtigste Ziel besteht deshalb darin, die Vielfalt, die den persönlichen Sprechstil im Alltag kennzeichnet, auch in die öffentliche Rede zurückzubringen. Variationen in Tempo, Pausen und Melodiebögen helfen, aus einem Monolog einen Dialog zu machen. Was in einem Buch nur gestreift werden kann, sind die körperbezogenen Grundlagen Atem, Stimme und Artikulation (→ Kapitel 21 ∣ Wie es klingt: Atem, Stimme und Artikulation). Hier können Veränderungen nur in persönlichem Kontakt mit professionellen Sprechausbildern erreicht werden. An den gestalterischen Möglichkeiten dagegen lässt sich leichter arbeiten. Da können auch ohne Atem- und Stimmbildungsübungen dialogischere Formen erarbeitet werden (→ Kapitel 22 ∣ So erreichen die Worte die Zuhörenden). 21 Wie es klingt: Atem, Stimme, Artikulation m zu sprechen, nutzen wir Menschen Organe, die hauptsächlich für andere Dinge da sind: die Lunge, ohne die wir nicht atmen könnten, den Kehlkopf, der Atmung und Nahrungsaufnahme koordiniert, und die Zähne, die wir zum Beißen brauchen. Die Evolution hat dafür gesorgt, dass wir mit diesen Teilen unseres Körpers auch viele unterschiedliche Laute produzieren können. Im Gegensatz zum Essen und Trinken nehmen wir diesen Gebrauch unserer Organe als selbstverständlich hin. Deshalb ist es nützlich, sich einige Grundlagen bewusst zu machen. Paraverbal: Wie man Menschen mit der Stimme erreicht 157  Sprechausbildung Veränderung am Grundmaterial des Sprechens - an Atem, Stimme und Artikulation - sind nur durch intensives körperliches Training möglich. Vieles ist nicht durch die Lektüre eines Buchs zu lernen. Aber ein Einblick in die Zusammenhänge soll helfen, die einzelnen Hinweise nachzuvollziehen, die zeigen, welche Ziele mit einem geringen Aufwand zu erreichen sind. Die Stimme braucht nur wenig Luft Der Mensch atmet nicht, um sprechen zu können. Er atmet, um den Körper mit Sauerstoff zu versorgen. Dass er gleichzeitig die ausströmende Luft benutzt, um Töne zu produzieren, ist ein Nebeneffekt. Die Hauptfunktionen führt die Atmung aus, ohne dass wir dessen gewahr sind. Wenn wir auf unsere Atmung achten, ist dies meistens, weil sich äußere Bedingungen verändern, zum Beispiel, wenn eine Erkältung das Atmen erschwert, eine körperliche Anstrengung zu schnellerem Atmen führt oder ein Meditationslehrer uns anweist, die Aufmerksamkeit auf den Atem zu richten. Stimme produziert der Mensch, indem die ausströmende Luft die Stimmbänder in Schwingung versetzt. Für den so entstehenden Schall braucht es nur sehr wenig Luft - einigen Leuten hilft sogar die Vorstellung, dass sie während des Sprechens einatmen. Es ist hilfreich, dies zu erkennen, weil beim öffentlichen Reden vielen Menschen das Atmen neu bewusst wird. Sie berichten davon, dass ihnen mitten im Satz die Luft wegbleibt. Sie meinen, eine Pause zu benötigen, in der sie tief einatmen können. Wenn sie wüssten, dass sie nur ganz wenig Luft brauchen und dass es unzählige Gelegenheiten zum Einatmen gibt, hätten sie es viel leichter. Den eigenen Atem erkunden Eine Anleitung zu einem funktionell wirksamen Atemtraining würde den Rahmen dieses Buchs (und die Kompetenzen seines Autors) überschreiten. Aber es sei dazu ermuntert, in spezialisierten Lehrbüchern und in der Weiterbildung nach Möglichkeiten zu suchen. Dies wird bei Übungen beginnen, die den Unterschied zwischen Brust- und Bauchatmung erfahrbar machen. 158 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird  Bauchatmung In vielen Entspannungsübungen wird die Aufmerksamkeit auf den Atem gerichtet. Oft geht es dabei nicht darum, den Atemvorgang zu beeinflussen, sondern nur darum, zu spüren, wie „es“ atmet. Eine gute Voraussetzung dafür ist die Beobachtung des eigenen Atmens in entspannten Situationen. Wenn Sie auf dem Rücken liegen und in Richtung Zehen blicken, erkennen Sie, dass sich der Bauch (stärker als die Brust) mit der Atmung hebt und senkt. Um dies zu verdeutlichen, lässt sich ein leichter Gegenstand (ein Aschenbecher, ein Teddybär ...) auf den Bauch legen. Was Sie sehen, ist eine Folge der Tätigkeit des Zwerchfells und der übrigen Muskeln in der Bauchregion, die der sich ausdehnenden Lunge Platz verschaffen. Hinzu kommen das Kombinieren von Atmung und Stimme und der ökonomische Einsatz der Atemluft beim Sprechen. 189 Dabei hilft die Erkenntnis, dass beim Einatmen das Zwerchfell eine wichtige Rolle spielt. Diese Muskelplatte ist an den unteren Rippen befestigt und gegen oben gewölbt. Sie senkt sich, zusammen mit dem sich weitenden Brustkorb, damit sich die Lunge ausdehnen kann. Für die Bewegung des Zwerchfells haben wir zwar kein Gefühl. Aber wir spüren die Bauchmuskeln, die sich mit dem Zwerchfell bewegen. Diese helfen, die Zwerchfellatmung zu kontrollieren.  Stütze Im Stehen oder in einer aufrechten Sitzposition hält man die Faust vor den Bauch, gerade unterhalb des Bauchnabels, und gibt einen leichten Gegendruck. Wenn man dabei seine Stimme ertönen lässt, klingt sie intensiver als ohne diesen Druck. Dies ist ein Schritt auf dem Weg zur sogenannten „Stütze“, einer Technik, die Muskulatur länger im Einatmungsmodus zu halten und so die Stimme zu verstärken. Was ist Stimme? Am Entstehen der Stimme sind mehrere Organe beteiligt. Was wir hören, sind die Schwingungen, die von den Stimmlippen ausgehen, verändert durch z.B. die Öffnung des Mundes und die Stellung der Zunge, unterstützt von der Resonanz des gesamten Oberkörpers. Die Stimmlippen sitzen im Kehlkopf, einem recht komplizierten, äußerst beweglichen Organ, das den oberen Abschluss der Luftröhre bildet. Ein Gefühl dafür, wie wichtig der Kehlkopf ist, erhalten wir, wenn wir beobachten, wie er (bei einer ungeschulten Stimme) seine Lage mit steigender Tonhöhe verändert oder auch Paraverbal: Wie man Menschen mit der Stimme erreicht 159 wie sich unsere Stimme verändert, wenn wir mit der Hand einen leichten Druck auf den Kehlkopf geben. Die Veränderungen in der Stellung des Kehlkopfs werden von Muskeln in der Halsgegend beeinflusst. Vieles am Klang unserer Stimme können wir verändern, indem wir diese Muskeln nicht bedrängen. Deshalb werden gerade auch als Vorbereitung für öffentliche Reden Lockerungsübungen für den Hals empfohlen. Mit der Stimme den Raum füllen Es ist die Aufgabe des Redners, den Raum zu füllen. Wie soll man das tun, wenn einen die Natur nur mit einer schwachen Stimme ausgestattet hat? - Professionelle Sprecher haben gelernt, wie sie durch Koordination von Atem und Stimmgebung ein großes Publikum erreichen, ohne dabei schreien zu müssen. Wenn man diese Fertigkeiten nicht hat, kann man aber immerhin zwei Dinge tun: seine Stimme kennenlernen - und deutlich sprechen. Möglichkeiten, die Stimme zu beeinflussen Wenn es darum geht, in Kontakt zu kommen und in Kontakt zu bleiben, dann ist die Frage sehr einfach: Wie unterstützt dabei die Stimme die Rednerin? Aus rhetorischer Sicht sind Probleme der Verstehbarkeit vordringlich: Bin ich laut genug? Hört man mich auch in den hintersten Reihen? Brauche ich Unterstützung durch Mikrofon und Verstärkeranlage? Die Frage, ob die Stimme schön, hässlich, hoch, tief, klar oder heiser ist, hat dabei wenig Relevanz. Manchmal mag es so sein, dass man sich als Zuhörender an eine Stimme mit überraschender Klangfärbung erst gewöhnen muss. Aber nach einigen Minuten ist das vorbei, und die Zuhörenden achten auf den Inhalt und nicht mehr auf die Stimme. Überhaupt sind wir hier in einem Bereich, in dem Veränderungen nur über längere Zeit und mit professioneller Anleitung (Stimmbildung, Logopädie) möglich sind. Das sei zwar jedem, der mit seiner Stimme unzufrieden ist, empfohlen, aber es überschreitet den Rahmen der Rhetorik und verweist in andere professionelle Kontexte. 160 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird  Ziele des Sprechtrainings Über sprechtechnische Übungen lässt sich erreichen,  dass Atem und Stimme besser koordiniert werden;  dass die Stimme besser „sitzt“, d.h. organisch so produziert wird, dass sie minimalen Aufwand für maximale Leistung braucht;  dass die Lautstärke besser variiert werden kann. Die Voraussetzungen schaffen Ich hatte einen Festvortrag in einem langen Saal zu halten, der bis zuhinterst besetzt war. Ich bereitete mich mit viel Freude vor und hielt eine Rede, die, wie ich glaubte, gut aufgenommen wurde. Die Zuhörenden hatten mitgedacht, gelacht und applaudiert. Aber ein paar Tage später sprach mich ein Bekannter auf den Abend an. Er hatte weit hinten gesessen und vieles, was ich sagte, einfach nicht verstanden. Es war einfach zu leise. Dabei wäre es einfach gewesen. Ich hätte nur das Mikrofon etwas näher zu meinem Mund bringen müssen, eine rein technische Maßnahme. Der Fehler lag nicht in der sprecherischen Leistung, sondern in der mangelnden dialogischen Haltung. Ich hatte keine Möglichkeit gesucht, zu überprüfen, ob meine Rede auch im ganzen Saal ankam. Dadurch war ich nur in Kontakt mit der vorderen Hälfte. Die anderen hatten gar keine Chance, mir ihr Unbehagen zu signalisieren. Die Frage ist: Wann beginnt Ihre Sorge um Ihre Stimme? - Wenn man sich erst dann Gedanken macht, wenn man vor dem Publikum steht, ist es zu spät. Regelmäßiges Üben unter professioneller Anleitung führt dazu, dass man auch unter Stress den Sitz seiner Stimme sicher findet und die Lautstärke mit wenig Aufwand variieren kann, ohne gleichzeitig andere Parameter zu verändern. Wer lauter spricht, tendiert dazu, mit höherer Stimme zu sprechen und den Rhythmus zu verändern (z.B. kürzere Silben länger auszusprechen). Dieses intuitive Verhalten kann durch Sprechtraining erkannt und verändert werden. Aber aus Sicht der konstruktiven Rhetorik ist es manchmal noch einfacher: Auch die Lautstärke ergibt sich aus der Interaktion mit dem Publikum. Paraverbal: Wie man Menschen mit der Stimme erreicht 161  Die eigene Stimme kennenlernen Es ist eine gute Übung, in einem Moment der Entspannung beim Ausatmen den leichtesten Ton zu produzieren, der einem gelingt. Man ermittelt so die „Indifferenzlage“, die Tonhöhe, die einem beim Sprechen am wenigsten Energie abverlangt. Dieser Ton befindet sich nicht etwa in der Mitte des Stimmumfangs, sondern im untersten Drittel. Viele erkennen dabei, dass sie in dieser Stimmlage auch etwas tiefer als sonst sprechen. Der Raum beeinflusst die Stimme Um die Stimme im Dialog optimal einzusetzen, ist eine Auseinandersetzung mit der Akustik des Raums nötig. Wer sich mit einem Raum vertraut macht, wird zunächst überprüfen, wie die Architektur seine Stimme beeinflusst: Gibt es einen Nachhall? Gibt es Einrichtungsgegenstände (z.B. Vorhänge oder Polster), die die Stimme schlucken? Zu beachten ist dabei, dass auch Menschen mit ihren Körpern und Kleidern die Akustik beeinflussen. Die Verhältnisse ändern sich, wenn der Raum voll besetzt ist. Die Stimme wird dann weniger weit tragen; zudem geht von einer Menschengruppe immer ein Minimum an Störgeräuschen aus. Nebengeräusche können auch durch Fenster, durch die Lüftung, durch Apparate im Raum entstehen. Einiges kann behoben werden, wenn man sich rechtzeitig darum kümmert. Fenster können geschlossen, Ventilatoren abgestellt, nicht benötigte Beamer auf Standby geschaltet werden. Auch die technischen Hilfsmittel zur Verstärkung der Stimme müssen getestet werden. Es ist vor allem wichtig, sicherzustellen, dass die Lautstärke auch während der Rede reguliert werden kann. Entweder kümmert sich der Redner selbst darum oder er hat Kontakt zu einer technisch versierten Person, die sofort reagieren kann. Während der Rede geschieht die Überprüfung der akustischen Umgebung am besten im Dialog mit dem Publikum - optimal mit einer Vertrauensperson, die dabei ist und signalisiert, ob die Rede noch verständlich ist. Artikulation ist mehr als nur Aussprache Durch eine Kombination verschiedenster Organe, von den Stimmbändern und der Zunge über den Gaumen bis zu den Zähnen, werden Laute produziert - ein raffinierter Prozess, der Artikulation genannt wird. Er geschieht zum Glück ohne viel Nachdenken, wenn man erst einmal die Sprache erlernt hat. Aus Sicht der Rhetorik sind zwei Aspekte wichtig: Zum einen bedeutet zu artikulieren, die Laute der verwendeten Sprache zu verwenden, so dass z.B. das, was man auf Deutsch sagt, auch als Deutsch erkenn- 162 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird bar ist. Zum anderen bedeutet es auch, für Deutlichkeit zu sorgen, dafür, dass verschiedene Laute auch verschieden klingen. Verständnisschwierigkeiten entstehen oft nicht durch die gewählten Worte, sondern weil zu undeutlich gesprochen wird. Muskeln, die zur Artikulation nötig sind, werden nur nachlässig genutzt. Es klingt, als ob der Redner in sich selbst hineinredete statt aus sich hinaus, zu den Zuhörenden. Zu einer dialogischen Einstellung gehört der Wille, deutlich auszusprechen - oft nach dem eigenen Gefühl überdeutlich. Eine wichtige Übung besteht darin, auf organisatorische Informationen besonders zu achten. Der eigene Name, der Titel des Vortrags sowie Gruß- und Dankesworte kommen dem Redner selbst oft als Nebensache vor. Die Aufgabe besteht darin, sie als persönliche Botschaft zu verstehen und auch so zu vermitteln. Wer Redeteile dieser Art vernachlässigt, indem er sie schludrig ausspricht, verpasst eine wichtige kontaktbildende Aufgabe. Deutlich ist besser als laut Gute Aussprache hilft transportieren. Die Bemühung, Konsonanten deutlich auszusprechen, kann auch die Stimme in eine etwas geeignetere Lage bringen und damit für den Redner die Sprecharbeit, für das Publikum das Zuhören erleichtern. Auch hier ist es wichtig, die Verständlichkeit durch zusätzliche Maßnahmen zu verbessern, die objektiv nichts mit dem Sprechen zu tun haben, aber die Rezeption dennoch erleichtern. Dies ist z.B. möglich, indem man für einen besseren Blickkontakt sorgt. Wenn der Redner besser zu sehen ist, macht ihn das zwar nicht lauter, aber es hilft, seine Mimik besser zu erkennen. Das subjektive Gefühl, ihn zu verstehen, wird erhöht. Zudem werden (abgesehen von der zusätzlichen Möglichkeit, von den Lippen abzulesen) Gesten besser erkennbar, was die gesamte Verständlichkeit der Rede erhöht. 190 Wenn andere Veränderungen nicht möglich sind, kann also eine bessere Ausleuchtung des Redners oder des ganzen Raums etwas bringen. Das Beste für die dialogische Qualität ist die Variation der Artikulation. Genauso wie das Tempo variiert wird, können auch einzelne stützende Ausdrücke, Nebensätze, ja ganze Passagen prononcierter als andere ausgesprochen werden. Ähnlich wie es mit dem Einsatz der Satzmelodie möglich ist, die Emphase zu verändern, ist es möglich, mit der Prägnanz der Artikulation einen Schwerpunkt zu setzen. Paraverbal: Wie man Menschen mit der Stimme erreicht 163 Deutsch und deutlich? Fragen der korrekten Aussprache können in der Praxis von Vortrag, Vorlesung, Seminar und beruflicher Instruktion weitgehend vernachlässigt werden. Solange man nicht als Sprechprofi, sondern als Vertreter eines Fachs oder eines Amts auftritt, braucht man nicht dem Ideal des Burgtheaters nachzueifern. Heutzutage sind die Zuhörenden - nicht zuletzt dank der Medien - eine große Vielfalt an Ausspracheweisen gewohnt. Im Deutschen ist es ohne große Einschränkungen akzeptiert, dass einem die geografische Herkunft anzuhören ist. Was erfahrungsgemäß Probleme bereitet, ist die Unterscheidung langer und kurzer Silben, die für die deutsche Sprache eine wichtige, bedeutungsrelevante Kategorie bildet. Wenn es eine Aussprachebesonderheit gibt, die sich (besonders auch für Fremdsprachige) zu respektieren lohnt, dann ist es die Tatsache, dass die Wörter „Star“ und „starr“ oder in „spuken“ und „spucken“ nur dann unterschieden werden können, wenn die Vokale im einen Fall lang, im anderen kurz ausgesprochen werden. Gerade weil viele Sprachen diesen Unterschied nicht kennen, ist es nützlich, im Deutschen ein Gefühl dafür zu entwickeln.  Artikulation dialogfördernd einsetzen  Deutlichkeit nutzen, um mangelnde Lautstärke zu kompensieren  zentrale Begriffe deutlich aussprechen  bei persönlichen Botschaften (eigener Name! ) immer auf Deutlichkeit achten  Sprachnormen besonders beachten, wenn sie relevant für die Verständlichkeit sind (lange/ kurze Vokale, betonte Silben). 22 So erreichen die Worte die Zuhörenden ie Übung in den Grundelementen Atmung, Stimme, Artikulation ist eine Sache, die Gestaltung des gesprochenen Wortes eine andere. Auch wer eine zu schwache Stimme hat, kann sich um eine abwechslungsreichere Intonation bemühen. Eine gute Gestaltung ist dem Dialog förderlich, weil sie das konzentrierte Mitdenken erleichtert. Das ist die Grundüberlegung für die Themen der folgenden vier Abschnitte. Ausgangspunkt ist der Umstand, dass sich jeder Satz in einzelne Sinneinheiten gliedern lässt. Darin unterscheiden sich Sätze voneinander, und wer die Gliederung erkennt, wird sie auch entsprechend akustisch gestalten. Die Mittel dazu sind zum einen temporal (Tempo, Rhythmus, Pausen), zum anderen melodisch (Intonation). Hinzu kommt die Betonung, mit der die neue Information unterstrichen wird. 164 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Tempo, Rhythmus und Pausen bringen Sinn in den Text »Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde! Es war getan, fast eh gedacht. Der Abend wiegte schon die Erde, Und an den Bergen hing die Nacht; Schon stand im Nebelkleid die Eiche, Ein aufgetürmter Riese, da, Wo Finsternis aus dem Gesträuche Mit hundert schwarzen Augen sah ... « Fritz Stavenhagen rezitiert auf seiner Homepage diese ersten Zeilen des Goethe-Gedichts „Willkommen und Abschied“. 191 Er braucht dafür 23 Sekunden. Das ist ziemlich lange. Er lässt sich Zeit, er verfällt nicht wie andere dem Irrtum, ein Gedicht über einen schnellen Aufbruch müsse auch gehetzt gesprochen werden. Der YouTube-Nutzer smLeft dagegen bringt dieselbe Passage in 14 Sekunden über die Bühne. 192 Zwei völlig unterschiedliche Arten, das Gedicht zu lesen. Und natürlich geht es hier nicht nur um Geschwindigkeit, sondern um viele weitere Arten des Umgangs mit der gesprochenen Sprache. Der Umgang mit dem ist einer der temporalen Beobachtungsbereiche. Hinzu kommen andere Mittel, vor allem Rhythmus, Rhythmuswechsel, Pausen und Zäsuren. Wenn jemand ohne Manuskript spricht, zeigen diese Gestaltungselemente an, dass die Gedanken ad hoc formuliert werden. Es gibt schnellere und kürzere Passagen, Pausen und Dehnungen des Nachdenkens oder Zögerns. Was schneller, was langsamer gesprochen wird, wo Pausen gesetzt werden, all das ist ein Zeichen dafür, wie ein Redner mitdenkt, zum Mitdenken einlädt, aber auch, ob er auf die Reaktionen seines Publikums eingeht.  Beobachtungsbereiche des temporalen Ausdrucks  Tempo, Tempowechsel  Rhythmus  Pausen zwischen Sätzen und Abschnitten  Zäsuren innerhalb von Sätzen Je schneller, desto langweiliger 2013 ist in Bangladesh ein Fabrikgebäude eingestürzt, in dem sich ungefähr 4000 Textilarbeiterinnen und -arbeiter befanden. Sie waren von ihren Arbeitgebern zur Arbeit gezwungen worden, obwohl die Polizei das Gebäude Paraverbal: Wie man Menschen mit der Stimme erreicht 165 wegen seines gefährlichen Zustands hatte schließen lassen. 1.135 Menschen kamen ums Leben, fast 2500 wurden verletzt. Dies führte dazu, dass internationale Firmen, die von der Ausbeutung der Textilarbeiterinnen profitieren, sich stärker als Unternehmen mit sozialer Verantwortung darstellen, die sich um die Arbeitsbedingungen in Niedriglohnländern kümmern. Eine Professorin für Betriebswirtschaft der Universität Linz hat diese Reaktionen untersucht. Sie ist nach Berlin gekommen, um darüber zu berichten. Der Rahmen ist eine Veranstaltung, die nur anderthalb Stunden dauern soll. Sie ist die einzige Frau, die reden wird, und sie ist als letzte Rednerin auf dem Programm. Die Männer, die vor ihr dran waren, haben schon gehörig überzogen. Viele Teilnehmer sehen bereits auf die Uhr. Ihr Thema ist das aktuellste und bewegendste. Man hat ihm eine Viertelstunde eingeräumt. Angesichts der vorgerückten Stunde wäre es aber allen lieber, wenn sie sich kürzer fasste. Es ist zu befürchten, dass einige den Saal vorzeitig verlassen. Wie sollte sie reagieren? Damals in Berlin reagierte die Rednerin, wie man es in öffentlichen Situationen oft tut: mit einem rasanten Sprechstil: Sie versuchte in der kurzen Zeit alles zu sagen, was eigentlich doppelt so lange gebraucht hätte. Das bedeutete: keine Tempounterschiede, kaum Pausen, ein Satz an den nächsten gehängt. Die folgende Mitschrift einer kurzen Passage lässt nachempfinden, dass damit auch die Verständlichkeit litt: »Ja, was haben wir herausgefunden, das eben äh nur ganz kurso äh sorisch, wir stecken wie gesagt noch mitten in der Datenerhebung, wir haben fast alle Interviews mit den Markenunternehmen in den in den Industrieländern abgeschlossen, die Umfragen in Bangladesch sind begonnen worden, wir haben erste Auswertungen und insofern ist das, was ich heut' präsentieren kann, nur ein erster - Eindruck, wir haben zunächst mal im deutschen Team sozusagen, Frau L. und ich, uns angeschaut, was ist denn in Deutschland passiert ... 193 « Die Rednerin setzt in den ersten anderthalb Minuten eine einzige längere Pause. (Sie liegt da, wo der Gedankenstrich steht, zwischen: „kann nur ein erster“ und „Eindruck, wir haben ...“) Alles andere ist eine einzige Sprachkette, die sich so anhört, wie es hier abgeschrieben ist: wie ein einziger Satzbandwurm. Die Sätze und Halbsätze werden alle im gleichen Tempo gesprochen, Längen und Kürzen sind einander angeglichen. Die Rednerin formuliert zwar weitgehend frei, aber sie nimmt sich keine Zeit, ihre Gedanken wirklich mitzuteilen, sie eilt über sie hinweg. Das ist, was oft geschieht, wenn man unter Zeitdruck redet. Man sagt alles, was man sich vorgenommen hat, beschleunigt aber maximal. Das Resultat zeigt sich in einer Gleichförmigkeit von Tempo und Rhythmus. Die frei 166 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird formulierten Sätze, deren unvollständige Formen sonst nicht problematisch wären, werden unattraktiv bis unverständlich, weil die Pausen fehlen, die es erlauben mitzudenken. Die Rednerin hat sich den äußerlichen Zwängen der öffentlichen Rede gebeugt, sie hat sich den Regeln der männlichen Organisatoren unterworfen und versucht, dennoch möglichst viel in der kurzen Zeit zu liefern. Hätte es eine andere Möglichkeit gegeben? Eine erste wäre Metakommunikation: darauf hinweisen, wie die Organisatoren ihre Prioritäten gesetzt haben, und dass damit gerade das politischste Thema Schaden genommen hat. Eine zweite Möglichkeit bestünde darin, radikal zu kürzen, so dass die Hauptbotschaften übrigbleiben. Damit könnte man die verbliebene Zeit so nutzen, dass die Aussagen wieder klare Konturen bekämen. Es verschaffte auch Gelegenheit, auf die Zuhörenden zu achten: Sind sie dabei? Denken sie mit? Haben sie überhaupt die Zeit dazu, meine Gedanken nachzuvollziehen?  Weniger ist mehr Wer unter Zeitdruck reden muss, kommt nicht umhin, beherzt zu kürzen. Auch wenn man viel zu sagen hat: Es ist genug, wenn die Zuhörenden eine Hauptaussage behalten, die mit einem eindrücklichen Beispiel illustriert wurde. Einmal scheint ein dialogisches Zwischenlicht auf. Sie sagt: „Aus Zeitgründen belasse ich es mal dabei“ und lächelt dabei - ganz offensichtlich in die Richtung des Moderators; man ist in Eile, die Veranstaltung soll ja nur 90 Minuten dauern, und die männlichen Vorredner haben bereits überzogen. Dieses Lächeln ist ein einsames Signal der Verständigung mit ihrem Publikum. Es könnte aber auch die Chance für eine Pause sein, für ein weniger gehetztes Weitersprechen, mit weiteren Blickkontakten, die absichern, dass die Zuhörenden mit ihr gehen. Es gibt auch die Gleichförmigkeit im gegenteiligen Sinn: langsam und behäbig statt abwechslungsreich. Das ist die Sprechweise, die aus den traditionellen räumlichen Verhältnissen entstanden ist. Zum einen gehörte dazu oft ein großer Raum mit hohen Wänden: die Kirche, der Gerichtssaal, das Parlament, der Hörsaal - manchmal mit guter, manchmal mit schlechter Akustik, oft mit starkem Hall. Zum anderen gibt es die offiziellen Ansprachen auf offenem Feld, wo die Stimme nicht weit trägt. In beiden Situationen ist es nachvollziehbar, dass die temporale Gestaltung gleichförmiger wird. Man macht in großen Räumen mehr Pausen, um die Stimme zwischendurch verhallen zu lassen. Man erhöht im Freien Lautstärke und Be- Paraverbal: Wie man Menschen mit der Stimme erreicht 167 tonung, um besser zum Publikum durchzudringen, und vernachlässigt dabei die Variation im Tempo. Öffentliche Rede tendiert in allen Bereichen zur Egalisierung der sprecherischen Mittel. In den schlimmsten Fällen ist es eine Kombination von gleichförmiger Melodie, Betonung und Tempo einerseits mit dem Verzicht auf Pausen andererseits, die zur Kontaktsicherung, zum Dialog verwendet werden. Grundlage dafür ist das Bewusstsein für die Sinngliederung eines Textes.  Antwortend sprechen 194 Variation ist auf jeden Fall besser als Monotonie. Hilfreich ist in dieser Hinsicht das „antwortende Sprechen“ - die Vorstellung, man würde beim informativen Sprechen auf Fragen aus dem Publikum reagieren. Wer antwortet, gestaltet die Satzmelodie und auch den Rhythmus unwillkürlich kommunikativer. „Antwortend“ zu sprechen, führt zu einer besseren Planung und damit einer besseren Unterscheidung von Sinnschritten. Kurze Pausen vermitteln den Sinn Wie jeder Text sich in einzelne Abschnitte aufteilen lässt, lässt sich auch jeder Satz in mehrere Sinnschritte aufteilen. Diese können durch Pausen oder Zäsuren voneinander getrennt werden. Diese akustische Gliederung unterstützt das Verständnis des Gedankens. Es lohnt sich, dies anhand eines eigenen oder fremden Textes nachzuvollziehen. Im folgenden Beispiel nehme ich einen kurzen Ausschnitt aus der Erzählung „Tonio Kröger“ von Thomas Mann. »Die blonde Inge, Ingeborg Holm, Doktor Holms Tochter, der am Markte wohnte, dort, wo hoch, spitzig und vielfach der gotische Brunnen stand, sie war's, die Tonio Kröger liebte, als er sechzehn Jahre alt war.« In Sinnschritte aufgeteilt, liest sich der Text so: »Die blonde Inge, Ingeborg Holm, Doktor Holms Tochter, der am Markte wohnte, dort, wo hoch, spitzig und vielfach der gotische Brunnen stand, sie war's, die Tonio Kröger liebte, als er sechzehn Jahre alt war.« 168 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Hier steht jeweils auf einer Zeile, was (aus meiner Sicht) inhaltlich zusammengehört - als Begriff oder Handlung. Am Ende jeder Zeile wäre beim Sprechen eine kurze Pause möglich. Das Beispiel zeigt sofort, dass die Einteilung bis zu einem gewissen Grad individuell ist: Soll denn nicht zum Beispiel der letzte Nebensatz („als er sechzehn Jahre alt war“) auch als einzelner Sinnschritt verstanden werden? Das wäre gewiss möglich; ich habe aber darauf verzichtet, weil ich diesen Nebensatz beim lauten Sprechen wie eine kurze Zeitangabe interpretieren würde. Ich würde also den gesamten Ausdruck: „die Tonio Kröger liebte, als er sechzehn Jahre alt war“ in einem Bogen sprechen. Wenn man dagegen nach „liebte“ eine kurze Zäsur setzte und dann neu einsetzte, würde die Information „als er sechzehn Jahre alt war“ wie ein Zusatz klingen. Es würde ein Kontrast zu den Verhältnissen in der Gegenwart betont: Als er sechzehn Jahre alt war, liebte er sie; heute ist das anders.  Sinnschritte Die Gliederung in Sinnschritte ist eine wichtige Hilfe bei der verständlichen Präsentation eigener und fremder Texte, aber auch beim freien Formulieren:  als Voraussetzung für die Pausensetzung  um unterschiedliche Bedeutungen und Funktionen zu kennzeichnen  um Rhythmuswechsel zu ermöglichen Die erste Frage ist also: Was gehört zusammen und wird durch kurze Pausen oder Zäsuren vom Folgenden getrennt? So ist zum Beispiel „Ingeborg Holm“ eine Erklärung zu: „Die blonde Inge“, sie wird am besten separat gesprochen, mit einer kleinen Unterbrechung davor und danach. Darauf folgt eine Zusatzerklärung, deren Informationen ebenso zusammengehören: „Doktor Holms Tochter, der am Markte wohnte.“ Das würde ich in einem einzigen Bogen sprechen, ohne dazwischen einen Absatz zu machen - obwohl das Komma dies nahelegen könnte. (Kommata sind bei der Einteilung in Sinnschritte oft hilfreich, weil sie der grammatikalischen Struktur folgen. Sie können aber auch dazu führen, dass der Redefluss zu oft unterbrochen wird.) Pausen und Zäsuren unterstützen also die Funktion, die Sätze und Satzteile haben. Sie deuten nicht nur an, welche Aussagen sich aufeinander beziehen, sondern auch, ob einzelne Teile betont werden oder nur kurz aufscheinen sollen. Paraverbal: Wie man Menschen mit der Stimme erreicht 169 Sinnschritte im Gespräch und in der vorbereiteten Rede Der Grünen-Politiker Cem Özdemir sitzt mit dem Moderator Klaas Heuffer-Umlauf zusammen. 195 Die Atmosphäre ist relativ entspannt. Das wird an Özdemirs Sprechweise erkennbar. Er spricht mal schneller, mal langsamer. Er dehnt Ausdrücke, die ihm wichtig sind, in die Länge. Satzteile, die nur unterstützende Funktion haben, rafft er. Damit lässt er das weniger Wichtige „unter den Tisch fallen“ und schafft Konturen, die das Wichtige besser präsentieren. Das Thema des Gesprächs ist Europa. Özdemir meint, dass die Europapolitik in der Gesellschaft lange nicht sehr wichtig genommen wurde. Jetzt sei das aber anders, und die Politiker hätten das auch gemerkt: »Es wurden immer mehr Leute, die hingegangen sind und gesagt haben: Mensch, dieses Europa, da steht ja wirklich was auf dem Spiel. Erst dann haben wir in der Politik reagiert.« Die einleitende Passage („Es wurden immer mehr Leute, die hingegangen sind und gesagt haben“) spricht er sehr schnell. Dann kommt er zur Ruhe, sagt: „Mensch, dieses Europa“ viel langsamer und legt sogar eine kurze Pause ein, bevor er ergänzt: „da steht ja wirklich was auf dem Spiel“. Auch für den Anfang des Folgesatzes („Erst dann“) nimmt er sich mehr Zeit. Man erkennt, dass er kurz nachdenkt, bevor er den Abschluss findet („haben wir in der Politik reagiert“). Wenig später tritt Özdemir beim Parteitag der Grünen auf. Er hält eine Rede, und hier klingt er völlig anders. Der öffentliche Charakter der Rede hat zugenommen. Es ist zwar immer noch seine Stimme, seine Wortwahl. Aber die Rede ist vorbereitet, die temporale Gestaltung ist viel flacher. Dem Rhythmus fehlt jede Spannung. Er ruft immer wieder einzelne Satzteile ins Publikum, mit einer kurzen Pause dahinter. Das klingt dann so (mit lauter kleinen Pausen am Ende der folgenden Zeilen): »Wenn wir! wenn wir die globale Erhitzung! auf diesem Planeten! auf unter 2 Grad begrenzen wollen! dann müssen Kohle! dann müssen Öl und Gas auf Dauer im Boden bleiben! « 196 Der Redner wirkt äußerlich engagiert, klingt aber gleichzeitig monoton. 170 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Das Reden in der Öffentlichkeit orientiert sich an geschriebenen Texten. Die schriftliche Vorbereitung führt zu einer Redeweise, die „abgelesen“ klingt, oft auch dann, wenn man improvisiert. Dieser Vorlese-Ton mag dem Ziel entsprechen, sich seriös und kämpferisch zu geben. Aber anders als ein spontaner, variantenreicher Redefluss verhindert er echten Kontakt mit dem Publikum. Wer so deklamiert, braucht keinen Widerspruch zu fürchten, weil die Redeweise nicht zu Zwischenrufen, nicht zu Entgegnungen animiert. Variation in der temporalen Gestaltung würde das Mitdenken erleichtern. Wenn der Redner auch paraverbal Hauptsätze von Nebensätzen, Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden würde, entstünde eine größere Nähe. Eine Pause schafft Aufmerksamkeit König Lear steht seinen Töchtern Goneril und Regan gegenüber. Sie demütigen ihn, machen ihn lächerlich, bis er sich von ihnen völlig verraten vorkommt. Das Publikum kennt das Stück und weiß, was folgen wird. Lear wird in einem letzten Aufbäumen seine Kinder verfluchen. Wir sind am Anfang des 19. Jahrhunderts. Friedrich Ludwig Schröder, der den Lear spielt, ist einer der berühmtesten Schauspieler seiner Zeit. Er weiß, wie er mit der Spannung spielt. Und er wird diesen Höhepunkt brillant zelebrieren. Aber zur Überraschung des Publikums ist da zuerst nur Stille. Lear spricht nicht, er sieht sich nur hilflos um, schaut seine Töchter an und schweigt. Erst nach einer überlangen Pause hat er sich gefasst. Jetzt donnert er los mit seinen Verwünschungen, die kulminieren im ungestümen Fluch: »Nein, ihr Teufel, Ich will mir nehmen solche Rach' an euch, Dass alle Welt - will solche Dinge tun - Was, weiß ich selbst noch nicht; doch solln sie werden Das Graun der Welt ...« 197 Vor der letzten Konfrontation, die er noch bei Sinnen durchsteht, hat der Schauspieler eine Pause gesetzt - fast unerträglich lang. Diese Pause aber sagt mehr aus als alle seine bisherigen Ausbrüche, sowohl seinen Töchtern als auch den Augenzeugen in der Szene. Auch dem Publikum war es sofort klar, dass diese Pause der Interpretation des Stücks ein besonderes Moment gegeben hatte. Ein Kritiker schrieb am nächsten Tag, „die Genialität des Schauspielers habe sich weder in den Worten seiner Monologe noch in den Gebärden seines Wahnsinns so erschütternd dargetan wie eben in dieser Pause. Es sei wie die plötzliche Stil- Paraverbal: Wie man Menschen mit der Stimme erreicht 171 le in einem Gewitter gewesen, bevor nach dem Grollen und Stürmen der erste krachende Donnerschlag das Unwetter auslöse ...“ 198 Die Pause ist eines der am häufigsten gepriesenen und doch zu selten eingesetzten rhetorischen Mittel - und zwar nicht nur die Pause nach einer wichtigen Botschaft, sondern auch die Pause zu Beginn, bevor das Entscheidende gesagt wird. Auch in viel banaleren Situationen, auch wenn man sein Publikum weder beeindrucken noch verfluchen will, ist eine Pause hilfreich, weil sie Zeit lässt, nochmals den nonverbalen Kontakt herzustellen. Die Geschichte des großen Schauspielers Schröder braucht allerdings noch eine Ergänzung. Einige Zeit später traf ihn der Kritiker in einer Weinstube und bei einem gemütlichen Gläschen wiederholte er die Bewunderung, die er für diese Pause empfand. Schröder konnte nicht umhin, ihm zu erzählen, wie es dazu gekommen war. Er hatte gerade losreden wollen, als er sah, dass in der Kulisse eine Talgkerze umgefallen war und ihre Flamme gerade auf eine Leinwand übergriff. Er brauchte die Zeit, um dem Theatermeister, der verdeckt dastand, zuzuflüstern: „Esel! Siehst du denn nicht die umgefallene Kerze! “ Pausen als Voraussetzung zum Dialog Der Friedensforscher Johan Galtung spricht über Krieg und Frieden im Zeitalter von Irak- und Afghanistankriegen. Sein Thema ist die veränderte Lage für westliche Armeen, seit klassische Kriege vermehrt durch Terrorismus und Staatsterrorismus abgelöst werden. Seine These: Wer gewinnen will, muss sich auf eine lange Zeitdauer einstellen. Er beginnt mit einer Erzählung: 199 »Ich habe in meiner Kiste von Notizen und von E-Mails einen digitalen Brief von einem irakischen General ..., der sagte das Folgende, im Jahre 2003: „Wir werden zuerst einen klassischen Krieg gegen die Amerikaner haben, und die Amerikaner werden gewinnen. Und das müssen wir den Amerikanern geben, denn das haben sie so gern. Sie möchten so gern gewinnen. Dann fängt es an. Dann ziehen wir uns zurück zu Hause, werden alle Uniformen verbrennen, wir werden uns genau wie das gemeine Volk kleiden. Und wir werden dort kämpfen, einen Volkskrieg. Wir haben keinen Dschungel, wir haben Städte, Jungens! Waffen haben wir genügend für die kommenden 100 Jahre. Nach 100 Jahren könnte es ein wenig knapp sein.“ Und ich könnte dazu nur das Folgende sagen: Wer die längere Zeitperspektive hat, gewinnt. 172 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird ... Dann frage ich einen Amerikaner: „Looks to me like you have some problems in Iraq right now. How much time do you need to solve it? “ - „By Thanksgiving.“ - Dann kommt der längerfristige, der sagt: „Christmas.“ Und dann kommt derjenige mit einer wirklich langen Zeitperspektive: Bei Ende dieser Administration. „End of this administration.“ Wer die längere Zeitperspektive hat, gewinnt.« Es ist spürbar, dass die Zuhörenden aufmerksam dabei sind. Sie denken mit, lachen bei sarkastischen Pointen. Galtung hält keine Vorlesung; er ist im Dialog mit ihnen. Und dies ist deutlich zu hören: am Rhythmuswechsel und an der Pausensetzung. Wenn der erste Abschnitt samt den Pausen wiedergegeben werden soll, sieht das so aus: 200 »Ich habe in meiner Kiste von - Notizen und von - E-Mails - - - einen digitalen Brief von einem irakischen General, - der sagte das Folgende, - - - im Jahre 2003: Wir werden zuerst - einen klassischen Krieg gegen die Amerikaner haben, und die Amerikaner werden gewinnen. - Und das müssen wir den Amerikanern geben, denn das haben sie so gern. - Sie möchten so gern gewinnen. - Dann fängt es an. - - Dann ziehen wir uns zurück zu Hause, werden alle Uniformen verbrennen, - wir werden - uns genau wie das gemeine Volk kleiden. Und wir werden dort kämpfen, einen Volkskrieg. - - Wir haben keinen Dschungel, - wir haben Städte, Jungens. - Mit Waffen haben wir genügend für die kommenden 100 Jahre. - Nach 100 Jahre könnte es ein wenig knapp sein. - « Galtung setzt viele Pausen. Zwischen den Sätzen sind sie mal länger, mal kürzer; er nutzt sie, um seine Zuhörenden anzusehen. Hinzu kommen schnellere und langsamere Passagen, die den Rhythmus weiter variieren und beiden Teilen das Mitdenken erleichtern. Alle diese Mittel unterstützen aber die Gliederung in einzelne Sinnschritte. Sie zeigen, dass der Redner nicht nur Text reproduziert, sondern jetzt formuliert und dabei mitdenkt. Verbunden mit dem Blickkontakt, sind der Rhythmuswechsel und die Pausen eine gute Voraussetzung dafür, dass ein Dialog stattfindet. Wenn die Zuhörenden angesprochen, zur Interaktion animiert werden sollen, gelingt dies, indem die temporale Variation reaktiviert wird: Es werden mehr Pausen gesetzt, schnellere und langsamere Passagen wechseln ab. Paraverbal: Wie man Menschen mit der Stimme erreicht 173  Temporale Gestaltung fördert den Dialog Die wichtigsten sprecherischen Merkmale im temporalen Bereich sind Pausen, Tempo und Rhythmus. Alle diese Merkmale drohen in der öffentlichen Rede tendenziell zu verschwinden. Um in einen Dialog zu treten, ist es wichtig, die temporale Gestaltung, die im Gespräch so selbstverständlich ist, auch hier zu nutzen. Das Tempo ist nicht entscheidend „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“ 201 Jeder Fernsehwerbung für Medikamente in Deutschland werden diese Worte angehängt, und jeder kennt die Fortsetzung: Der Satz ist in allen Fällen sehr schnell gesprochen - schneller, als ein Durchschnittsmensch dies hinbekäme. Es ist den werbenden Firmen vorgeschrieben, ihre Spots mit diesem Satz zu beenden. Dass sie möglichst wenig teuer gekaufte Sekunden darauf verwenden wollen, ist leicht nachvollziehbar. Deshalb lassen sie den Satz zunächst normal gesprochen aufnehmen. Danach wird das Tempo elektronisch erhöht. Dennoch ist der Satz optimal verständlich - auch für Zuschauer, die ihn zum ersten Mal hören. Warum eigentlich? Denn wer versucht, den Satz im gleichen Tempo nachzusprechen, bringt nur eine gehetzte, unnatürliche Version zustande. Die Erklärung liegt darin, dass beim sehr schnellen Sprechen Pausen verschwinden und Längen- und Kürzenverhältnisse sich aufheben. Das Beispiel zeigt, dass es möglich ist, das Tempo stark zu erhöhen und dennoch verstanden zu werden, wenn die Gliederung beibehalten wird. Ab einem gewissen Punkt ist dazu aber nur noch der Computer in der Lage. Umgekehrt gibt es Redner, die sehr bedächtig voranschreiten und ihr Publikum dennoch faszinieren. Vom Theologen Karl Barth gibt es eine Aufnahme einer Predigt, die er in der Basler Strafanstalt gehalten hat. 202 Er spricht langsam, mit vielen Pausen, und ist dennoch auf faszinierende Weise präsent. Grundlage für eine gute Gestaltung ist immer das Mitdenken. Redner und Zuhörende sollten die Möglichkeit haben, dem ausgesprochenen Gedanken nachzugehen. 174 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Schnell/ Langsam als Verständnishilfe Tempounterschiede können das Verständnis erleichtern. Wer z.B. in einen längeren Satz einen Klammerausdruck einschiebt, wird diesen schneller sprechen, um anzudeuten, dass es sich um einen Zusatz handelt. Zum Beispiel: »Viele unserer Kunden (aber nicht alle) kaufen dieses Produkt.« Wer diesen Satz langsam und deutlich spricht, wird den Ausdruck in Klammern („aber nicht alle“) gerade um der Deutlichkeit willen schneller sprechen (mit einer deutlichen Pause vor kaufen).  Das Tempo unterstützt die Gliederung Pausen zeigen an, dass ein Satzteil oder Satz mit neuer Funktion folgt. Diese Unterscheidung kann mit einer Tempoveränderung unterstützt werden. Die Intonation lässt die Absicht erkennen Jeder Satz hat seine eigene Melodie oder Intonation. Ihr Verlauf entspricht der Bedeutung der einzelnen Satzteile. Dabei unterstützen sich melodische und temporale Gestaltung gegenseitig. Ein Beispiel hat dies im vorigen Abschnitt gezeigt: „Viele unserer Kunden (aber nicht alle) kaufen dieses Produkt“. Der Einschub („aber nicht alle“) wird als solcher besser erkennbar, wenn er nicht nur schneller, sondern auch etwas tiefer gesprochen wird; das macht den Unterschied zur Hauptaussage deutlich. Die Melodie zeigt an, ob der Gedanke zu Ende ist Die Sprechmelodie ist zunächst dazu da, die grammatikalische Struktur eines Satzes zu unterstützen. Sie zeigt die Funktion von Satzteilen an und macht erkennbar, wie Sätze innerhalb des Textes zusammengehören. Die beiden folgenden Sätze klingen denn auch im Zusammenhang verschieden: »Ich will Ihnen Folgendes sagen: → Die Zeit des Faulenzens ist vorbei. ↘« Da ist zunächst der Abschluss: Bei „Die Zeit des Faulenzens ist vorbei“ geht die Melodie klar nach unten. Das ist die übliche Art, einen Gedankengang abzuschließen und danach eine Pause zu ermöglichen. Beim ersten Satz dagegen („Ich will Ihnen Folgendes sagen“) muss angezeigt werden, dass eine Fortsetzung folgen wird. Die Melodie senkt sich deshalb nicht, sondern wird in der Schwebe gehalten oder geht sogar etwas nach oben. Paraverbal: Wie man Menschen mit der Stimme erreicht 175 In der frei gesprochenen Sprache ist diese Funktion der Sprechmelodie entscheidend, weil man mit ihr am Ende von Sätzen auch oft, ohne es zu wollen, andeutet, dass noch eine weitere Aussage folgt. Wer am Ende eines Satzes die Stimme ganz senkt, schafft für sich selbst eine Pause, um weiter zu planen, für die Zuhörenden, um das Gehörte zu verarbeiten, aber auch um den Redner allenfalls zu unterbrechen. Der Hochschluss als Stressfaktor Wer die Stimme am Ende eines Satzes nicht senkt, setzt ein starkes Signal der Orientierung (in der Praxis oft Hochschluss genannt). Es bereitet nicht nur das Publikum auf eine Fortsetzung vor, sondern sagt auch dem Sprecher selbst, dass der Gedanke noch nicht abgeschlossen ist. Damit kann man sich ungewollt unter Druck setzen. Auch wenn längst die Gelegenheit zu einer Pause wäre, zeigt die Melodie anderes an. Damit fühlt man sich oft genötigt, einen weiteren Satz folgen zu lassen - nur, weil man sprecherisch keinen Abschluss gesetzt hat. Im folgenden Beispiel kann man, wenn man will, alle Sätze mit Hochschluss aneinanderhängen und die Stimme erst im letzten Satz senken: »Mir ist schon oft aufgefallen: → Es gibt kaum mehr Autobahnstrecken ohne Staus. → Und besonders voll sind die Straßen am Freitag. → Diesen Freitag beginnen auch noch die Sommerferien. → Deshalb warnt die Polizei vor besonders langen Staus. → Ich werde dieses Mal schon am Donnerstag losfahren. ↘« In freier Rede entstehen oft lange Passagen dieser Art - lauter Sätze, die am Ende in der Schwebe bleiben. Das ist aber nicht nötig und zeigt der Sprecherin oft unnötig an: Es muss noch weitergehen. In diesem Beispiel wäre es an mehreren Stellen möglich gewesen, die Stimme zu senken: »Mir ist schon oft aufgefallen: → Es gibt kaum mehr Autobahnstrecken ohne Staus. ↘ Und besonders voll sind die Straßen am Freitag. ↘ Diesen Freitag beginnen auch noch die Sommerferien. → Deshalb warnt die Polizei vor besonders langen Staus. ↘ Ich werde dieses Mal schon am Donnerstag losfahren. ↘« 176 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Beim freien Formulieren hilft das planmäßige Abschließen von Aussagen, zu Pausen zu kommen - Pausen, die der Sprecherin beim Planen und den Zuhörenden beim Verstehen der Rede helfen. Letztlich ist in diesem Beispiel ein Hochschluss nur in der ersten Zeile unbedingt notwendig, weil er da dazu dient, den Doppelpunkt zu verdeutlichen. Die Stimme bleibt in der Höhe, um anzudeuten, dass der Gedanke eine Ergänzung bekommt. Im Übrigen kann die Melodie je nach Sprecherin und Publikumskontakt individuell gestaltet werden.  Bögen statt Sätze Wer die Melodieführung positiv beeinflussen will, spricht nicht Sätze (grammatikalisch gesehen), sondern größere Abschnitte. Bildlich gesprochen: Ein Punkt wird erst da gesetzt (also die Stimme gesenkt), wo der Gedankengang zu Ende ist. Das kann am Ende mehrerer Sätze sein. Die Sätze davor spricht man als einen einzigen Bogen, seine Melodieführung ergibt sich aus ihrem Gesamtsinn. Die Betonung schafft Eindeutigkeit Dass man Wörter betonen kann, ist allgemein bekannt. Da im Prinzip jeder einfache Satz eine neue Information enthält, trägt im Deutschen dieses betonte Wort den Hauptton. Im Beispielsatz „Donald hat einen Hund.“ ist dieses Wort „Hund“. Wenn darauf eine Zusatzinformation folgt, wird diese betont. Zum Beispiel: „Der Hund ist neurotisch“. Jetzt wird „neurotisch“ betont, weil dieses Wort die Information aus dem ersten Satz ergänzt. (Wenn auch hier „Hund“ betont würde, geschähe es, um der Erwartung zu widersprechen, dass die Aussage eher auf Donald zuträfe.) Was wir Betonung nennen, ergibt sich aus einer Kombination mehrerer sprecherischer Mittel. Manchmal ist es eine Hebung in der Melodie, zusammen mit einer leichten Dehnung oder auch einer kleinen Zäsur vor oder nach dem Wort. Dabei ist - entgegen häufigen Erwartungen - die Lautstärke viel weniger beteiligt als die Melodie. Die Betonung im Satz gibt den Zuhörenden eine Verstehenshilfe. Dies funktioniert am besten, wenn die Sätze kurz sind, so dass klar wird, welches Wort die neue Information und damit den Hauptton trägt. Bei längeren Sätzen müssen aber oft mehrere Worte betont werden, was eine attraktive Sprechweise schwieriger macht. Nebenbetonungen - also Betonungen mit weniger Emphase - sind dagegen völlig normal, um in längeren Satzgliedern Ordnung zu schaffen. Paraverbal: Wie man Menschen mit der Stimme erreicht 177 Dies illustriert das folgende Beispiel, in dem zunächst nur die Hauptbetonung markiert (unterstrichen) ist: »Wie normale Radler auch genießen E-Bike-Fahrer auf einem Zebrastreifen nur dann Vorrang, wenn sie vorher absteigen.« „Absteigen“ ist der wichtigste Begriff; er trägt den Hauptton. Aber ohne weitere Hilfe ist der Satz kaum zu sprechen. Er benötigt Nebenbetonungen. Diese werden leicht ersichtlich, wenn man den Satz in Sinnschritte unterteilt: »Wie normale Radler auch genießen E-Bike-Fahrer auf einem Zebrastreifen nur dann Vorrang, wenn sie vorher absteigen.« Es wird deutlich, dass in jedem dieser Sinnschritte ein Wort leicht hervorgehoben werden kann: »Wie normale Radler auch genießen E-Bike-Fahrer auf einem Zebrastreifen nur dann Vorrang, wenn sie vorher absteigen.« Allerdings muss bei dieser Sprechweise darauf geachtet werden, dass der Satz dennoch in einem einzigen Bogen gesprochen wird. Zäsuren nach jedem Sinnschritt wären zu viel. Gut möglich sind aber zwei dieser kurzen Unterbrechungen: »Wie normale Radler auch genießen E-Bike-Fahrer auf einem Zebrastreifen nur dann Vorrang, wenn sie vorher absteigen.« Wer den Satz so spricht, wird entdecken, dass sich die Wörter mit Nebenbetonung nur wenig aus dem Kontext hervorheben. Wichtig ist, dass sie sich immer noch in einen einzigen Melodiebogen einfügen. Das Beispiel zeigt umgekehrt auch: Leichte Sprechbarkeit hängt mit einer einfachen sprachlichen Form zusammen. Je länger ein Satz, desto schwieriger wird es, darin nur eine einzige Sache zu betonen, weil einfach mehr Neues hineingepfercht wurde. Auch das ist ein Unterschied zur professionellen Sprechkunst: Ein Schauspieler muss einen Text so sprechen, wie der Autor ihn geschrieben hat. Gewöhnlich Sterbliche sind in der glücklichen Lage, ihre eigenen Texte so zu gestalten, dass sie sie leicht sprechen bzw. frei formulieren können (Kapitel 19: Freies Formulieren macht den Dialog leichter). 178 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird  Die wichtigste Regel für eine ansprechende Betonung Jeder neue Satz hat eine einzige Hauptbetonung. Wenn dies nicht möglich scheint, kann es ein Anzeichen dafür sein, dass der Satz in mehrere einfachere aufgeteilt („portioniert“) werden kann. Auch hier: Gefahr der Gleichförmigkeit Als Papst Urban II in Clermont zum ersten Kreuzzug aufrief, war die damalige romanische Kathedrale für die Menschenmenge zu klein. Er hielt seine Predigt deshalb vor der Stadt ab. 203 Es war der 27. November 1095, und wahrscheinlich froren die Gläubigen ebenso wie der Prediger. Dass sie ihn auf dem freien Feld alle verstehen konnten, ist kaum zu erwarten. Aber der Papst wird sich redlich bemüht haben. Er wird mit vielen Pausen und entsprechend vielen Betonungen in die Menge gerufen haben. Genauso war es noch 900 Jahre später. Ich kenne diese Sprechweise aus Ansprachen zur Schweizer Bundesfeier. Kurz vor dem Abbrennen des Höhenfeuers tritt der Lokalpolitiker vor die Bürger und intoniert: „Liebe Miteidgenossen! Wir sind heute zusammengekommen ...“ Er betont jedes einzelne Wort wie die Eidgenossen früherer Jahrhunderte, ohne Rücksicht darauf, dass auf der Wiese unterdessen Verstärker und Lautsprecher aufgestellt worden sind. Durch diese Sprechweise werden einzelne Satzglieder und Wörter auseinandergerissen, dies auch von Sprechern, die in der Alltagssprache die Regel „Eine Hauptbetonung pro Satz“ meistens spontan befolgen (bis sie in den Dozier- oder Predigt-Modus verfallen). Eine Sprechweise, die der Alltagsform nahe ist, würde nicht nur das Verständnis verbessern, sondern auch die Anschlusskommunikation durch den Zuhörenden erleichtern. 23 Das Geheimnis der Sprechhandlung Ein Referat über das menschliche Nervensystem. Die Entwicklung des Gehirns, so erfahren die Zuhörenden, hängt von zwei Arten von Faktoren ab. Das eine sind die genetischen Faktoren, also, was einer durch seine Erbanlagen mitbekommen hat. Das andere sind die epigenetischen Faktoren: Dabei sind die Gene weniger entscheidend, als was man im Leben erlebt, lernt und tut. Wenn z.B. einer täglich Klavierspielen übt, lässt sich an einer bestimmten Stelle seines Gehirns ein Wachstum feststellen. Paraverbal: Wie man Menschen mit der Stimme erreicht 179 Als Zusammenfassung dient der kurze Satz: »Epigenetische Faktoren verändern das Gehirn.« Bis hierher wurde doziert. Es ist verständlich, dass alles mehr oder weniger gleich klang. Dann sticht den Dozenten der Hafer und er fügt noch einen schelmischen Kommentar an. Er sagt zu seinen Zuhörenden: »Ich bin Ihr epigenetischer Faktor, weil am Ende dieses Vortrags Ihr Hirn anders aussieht.« 204 Das muss er in einem anderen Ton sagen. Man muss seiner Stimme, seinem Sprechtempo (und natürlich auch seiner Mimik) anmerken, dass er scherzt, sonst würde dieser scherzhafte Kommentar verpuffen. So aber lockert er nicht nur den Vortrag auf, sondern schafft auch nochmals eine Brücke zu seinem Publikum. Natürlich denkt er dabei nicht an Betonung, Melodie und Rhythmus. Es reicht, dass er sich bewusst ist, dass er jetzt etwas ganz anderes tut. Seine Sprechhaltung hat sich verändert. Deshalb hat er den ersten Teil als Merksatz gesprochen, den zweiten aber als persönlichen Kommentar. Die wichtigsten sprecherischen Unterschiede haben sich von selbst ergeben. Die bewusste sprecherische Bearbeitung eignet sich gut für geschriebene Unterlagen und für Übungstexte. Aber beim freien Formulieren ist es leichter, wenn man nicht an die paraverbalen Merkmale denkt, sondern sich der Handlungsform bewusst ist, Man geht nicht von der sprecherischen Gestalt der einzelnen Äußerungen aus, die man zu variieren versucht, sondern man geht davon aus, was man mit diesen Äußerungen tun will. Wer zu anderen redet, und sei es auch nur für ein kurzes Votum von wenigen Sätzen, wechselt ständig von einer Sprechhandlung zur nächsten. Dies gilt schon für die folgende Kurzintervention: »Wir sitzen jetzt schon lange genug zusammen. Wir sollten endlich eine Entscheidung treffen.« Das sind zwei gleich lange Sätze. Doch sie unterscheiden sich darin, was die Sprecherin damit tun will: „Wir sitzen jetzt schon lange genug zusammen“ ist eine kritische Feststellung, die als Argument für den folgenden Satz dienen soll. Dieser ist eine Aufforderung: „Wir sollten endlich eine Entscheidung treffen.“ Eine Aufforderung will mit einer anderen Energie gesprochen werden als eine Feststellung. Sie klingt deshalb auch anders - wenn sich die Sprecherin dessen bewusst ist, dass sie zu einer neuen Sprechhandlung wechselt. Dies gilt auch für längere Passagen: Eine Referentin präsentiert ihre politischen Thesen. Dann, um sie zu illustrieren, lässt sie eine Geschichte fol- 180 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird gen. Es ist völlig klar, dass sie damit etwas völlig anderes tut. Während sie noch eben Behauptungen aufgestellt hat, wird sie jetzt zur Erzählerin. Wenn sie mit dem Kopf und dem Herzen dabei ist, wird ihre Stimme nun weniger intensiv klingen, der Rhythmus und die Betonungen werden persönlicher - erzählerisch eben. Danach, bei der Zusammenfassung der Rede, wird der Klang wieder anders, vielleicht kategorischer, lauter, mit anderer Pausensetzung. Die Referentin ist dann zurück im Ton der Überzeugungsrede. Dass diese großen Abschnitte unterschiedlich klingen sollten, ist leicht nachvollziehbar. Wichtig ist aber, dass es auch innerhalb längerer Redeteile so ist, wie es das obige Beispiel gezeigt hat. Jede Rede ist eine Folge unterschiedlicher Sprechhandlungen, z.B.:  Erklären  Definieren  Behaupten  Begründen aber auch:  Einleiten  Zusammenfassen  Illustrieren  Erzählen Diese Handlungen unterscheiden sich zwar innerhalb eines Vortrags sehr stark in ihrer Bedeutsamkeit. Aber sie haben eines gemeinsam: Als Rednerin kann man sich bei jedem Übergang vorstellen, dass man etwas Neues tut, dass man die Haltung zum Publikum ändert: Ich erkläre jetzt nicht mehr, sondern fasse zusammen. Ich definiere nicht mehr, sondern illustriere. Ich behaupte nicht mehr, sondern begründe. Dabei verändert sich ja jedes Mal auch die Rezeptionshaltung der Zuhörenden: Sie werden aufmerksam. Sie versuchen zu verstehen. Sie lernen Theoretisches anwenden. Sie werden unterhalten. Sie sind bewegt, irritiert oder wachen auf, um mitzukriegen, was folgt. Dies alles, weil jede neue Sprechhandlung anders klingt.  Die Sprechhandlung bewusst wechseln Jede neue Handlungsform ist ein neuer Anfang. Dies drückt sich immer auch paraverbal aus, weil zu jeder Handlungsform ein eigener Sprechstil gehört: ein neuer Rhythmus, eine Tempoveränderung, eine eigene Melodieführung. Wem dies bewusst ist, der erfasst auch jeden Übergang von einer Handlungsform zur nächsten als Chance, die Redeweise zu verändern. Paraverbal: Wie man Menschen mit der Stimme erreicht 181 24 Probleme und Lösungen bei der freien Rede as Üben des paraverbalen Ausdrucks geht oft über die Arbeit mit geschriebenen Texten. Die Realität des Vortrags besteht aber in den meisten Fällen in der freien Rede - anhand von Stichworten - oder in einer Mischform. Wenn auch zentrale Teile vom Manuskript abgelesen werden, löst man sich immer wieder davon und formuliert frei. Freie Rede kann sich mühsam anhören, wenn erkennbar wird, dass mitten in einem Satz (durch eine unangebrachte Pause) oder gar einem Wort (durch eine Dehnung) eine Planungsphase eingebaut werden muss. Einzelne Tipps wurden in → Kapitel 19 ∣ Freies Formulieren macht den Dialog leichter genannt. Hier zeigt eine Tabelle die wichtigsten Probleme und Lösungen im paraverbalen Bereich der freien Rede. So hört es sich an: Dies kann Abhilfe schaffen: unklare Gliederung: Sinneinheiten werden nicht verknüpft (kurze Einheiten mit gleicher Intonation) klare Denkpausen zwischen den Sätzen; kurze Sätze statt Haupt- und Nebensatzkonstruktionen Aufzähl-Ton: lauter gleichförmige Einheiten mit Hochschluss einzelne Passagen bewusst abschließen, Pause anfügen Festredner-Ton: zu viele Wörter werden betont antwortend sprechen, eine Hauptbetonung pro Satz. eintönig: gleichförmiges Tempo Rhythmus variieren, Klammerausdrücke, Ergänzungen schneller Übungen │ Paraverbal Tätscheln Hintergrund: In der deutschen Sprache werden (wie u.a. im Englischen und anderen germanischen Sprachen) die Konsonanten P, T und K stark aspiriert ausgesprochen. Diesen Lauten wird also immer eine geringe Menge Atemluft nachgeschickt (im Gegensatz etwa zum Französischen oder Italienischen, wo dies nicht der Fall ist). Überraschenderweise hilft diese Art der Aussprache bei der Sprechatmung. Wer „p“, „t“ oder „k“ sagt und dabei den Mund offen hält, wird spüren, dass daraufhin, durch einen Reflex des Zwerchfells, wieder ein Quäntchen Luft in die Lunge zurückströmt. Man kann deshalb ohne Weiteres eine lange Reihe von Ps, Ts oder Ks hintereinander sprechen, ohne zwischendurch um Atem zu ringen. Bedingung ist allerdings, dass man der Luft eine Chance gibt, nachzuströmen, also dass man den Rachen öffnet und nicht schließt. Horst Coblenzer und Franz Muhar haben diese und andere Geheimnisse des Atmens untersucht und eine Vielzahl von verblüffend einfachen Übungen dazu entwickelt. 205 Bezeichnenderweise ist ihre Rhetorik auch eine Rhetorik des Kontakts: Sie konnten z.B. auf einfache Weise demonstrieren, dass man den Gesprächspartner leichter erreicht, wenn der Mund nach einem Satz oder Statement offen bleibt. Dies bewirkt nicht nur, dass Luft in die Lunge zurückströmt, sondern auch, dass der Ton ausklingt, während beim sofortigen Schließen des Mundes der Eindruck entsteht, dass man die Verbindung unvermittelt abbricht. Als Vorübung eignet sich die von ihnen beschriebene Übung des Spiels mit dem Ball. 206 Ziel der Übung Der Umgang mit einem imaginären Ball lässt zunächst einfach erfahren, dass das Luftholen ein automatischer Prozess sein kann. Ablauf: Stehen Sie mit leicht gegrätschten Beinen und halten Sie Ihre Hände mit den Handflächen nach unten vor sich - als würden Sie einen Basketball oder einen Wasserball prellen wollen. Führen Sie jetzt rhythmische Tätschel-Bewegungen aus, als ob Sie wirklich einen Ball in Bewegung halten müssten. Bleiben Sie dabei elastisch in den Beinen und sagen sie im Rhythmus: „Hopp! Hopp! Hopp! “ Sprechen Sie das „P“ möglichst stark aspiriert aus und schließen Sie den Mund nicht. Tun Sie dies etwa eine Minute lang - oder auch länger. („Sie können das bis heute Abend tun“, pflegte Coblenzer bei seinen Seminaren zu sagen.) Auswertung: Das Ziel ist erreicht, wenn Sie die Übung länger durchführen, als Sie erfahrungsgemäß zum Luftholen brauchen. Die reflektorische Luftergänzung 207 ergibt sich auch bei ganzen Texten, wenn eine Phrase auf einen aspirierten Konsonanten endet. (Vgl. dazu die nächste Übung „Befreite Lektüre“.) Befreite Lektüre Hintergrund: Der oben beschriebene Atemreflex kann weiter zu einem organischen Wechsel von „Arbeitsspannung und Abspannung“ 208 ausgebaut werden. Dazu ist allerdings professionelle Anleitung nötig, die dieses Buch nicht leisten kann. Dennoch ist es ein hilfreicher Schritt auf dem Weg zu einer ökonomischeren Sprechatmung, wenn Phrasen gesprochen werden, die auf aspirierte Konsonanten enden. Ziel der Übung Viele Sprecherinnen holen am Ende von Sinnschritten oder Sätzen tief Luft. Dies ist jedoch nicht immer notwendig ist. Ein Text aus lauter Phrasen, die auf -p, -t oder -k enden, kann dies zeigen, falls diese Endkonsonanten sehr deutlich ausgesprochen werden. Ablauf: Lesen Sie die folgenden Zeilen laut und mit klar aspirierten Endkonsonanten. Es handelt sich um einen Text von Victor Auburtin (1870-1928), den ich für diese Aufgabe stark verändert habe. 209 Nur den letzten Absatz habe ich belassen, wie er war. Versuchen Sie, ihn im gleichen Sinn zu lesen, nämlich mit einer Öffnung des Mundes und Kehlkopfs am Zeilenende. »Es gibt Dinge, die sind alt, so wie es neue und junge Dinge gibt. Und sehr häufig scheint, dass die alten Dinge die angenehmsten sind. Wir wissen, dass mancher den Herbst Paraverbal: Wie man Menschen mit der Stimme erreicht 1 83 184 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird viel lieber als den Frühling mag, weil der Herbst alt, besonnen und silberhaarig ist, der Frühling aber ein halbwüchsiger Bub, der nur Dummheiten macht. Und dass alter Käse besser als neuer ist, weiß man in der ganzen Welt. Wie Alfons der Heilige von Kastilien zu sagen pflegt, sind vier gute Dinge in der Welt - altes Holz, mit dem man Feuer macht, alter Wein, den man am Feuer trinkt, alte Bücher, in denen man gerne liest, und alte Freunde, denen man vertraut. Daher machen viele Mittel, die der Mensch erfunden hat, neue Dinge künstlich alt. Man macht eine Kommode künstlich alt, indem man sie mit Schrot beschießt, man macht neuen Käse künstlich alt, indem man ihn in Urin legt, und was dergleichen mehr ist. Und jetzt hat ein französischer Professor ein Mittel entdeckt, das künstlichen alten Wein produziert. Der erstbeste saure Saft wird einem Strom von hunderttausend Volt ausgesetzt, sodass dieser Saft das feine, schwere Gehalt einer alten Edelmarke annimmt. „Oberkellner! “ ruft der Gast, „Sie haben mir einen miserablen neuen Wein gebracht; ich hatte doch 1911er bestellt! “ „Einen Augenblick! “ erwidert der Kellner, indem er die Flasche fortnimmt. „Wir haben eine elektrische Batterie parat, in zwei Minuten ist er um zwanzig Jahre gereift.“ Aber ein Mittel, neue Freunde alt zu machen, ein solches Mittel gibt es bis jetzt noch nicht. Man mag einen neuen Freund mit Schrot beschießen, so viel man mag. Oder man mag ihn in Urin legen, er wird dadurch nicht älter und nicht vertrauenswürdiger. Alte Freunde lassen sich nicht künstlich herstellen. Deshalb gibt es auch so wenige.« Auswertung: Die Übung sollte den Effekt haben, dass dank der starken Aspiration am Ende der kurzen Zeile genügend Luft in die Lunge strömt, um die darauffolgende Zeile zu lesen. Wesentlich wäre, dass man eine Einstellung entwickelt, die auch beim freien Formulieren auf die Öffnung des respiratorischen Kanals ausgerichtet ist. Der hilfreiche Korken Hintergrund: Die Aussprache der Konsonanten geschieht in der Muttersprache meistens unreflektiert. Mühe gibt sich oft nur, wer entdeckt hat, dass er schlecht verstanden wird. Die Übung, die hier vorgestellt wird, ist alt und nicht unumstritten. Sie soll helfen, die Gewohnheiten über das Erlebnis einer verbesserten Artikulation und ihrer Wirkung zu verändern. Ziel der Übung Hier geht es darum, überdeutlich zu artikulieren. Wer deutlich artikuliert, wird besser verstanden. Zudem unterstützen die Muskeln, die bei deutlicher Artikulation benutzt werden, in vielen Fällen die Stimme, so dass sie besser bis in die hinteren Reihen trägt. Ablauf:  Lesen Sie einen kurzen Text halblaut, für sich, um sich über den Inhalt zu informieren.  Lesen Sie den Text daraufhin nochmals - laut, für einen imaginären Zuhörenden, der in 1 ½ Meter Abstand gegenübersitzt.  Nehmen Sie einen Korkzapfen zwischen die Schneidezähne. Lesen Sie den Text trotzdem so deutlich wie möglich.  Sprechen Sie danach einige Wörter nochmals ohne Korken. Auswertung: Die ersten Worte, die ohne Korken gesprochen werden, zeigen deutlich, dass sich einiges verändern kann - nicht nur die Klarheit der Aussprache, sondern auch die Leichtigkeit, mit der die Stimme zum Klingen gebracht wird. Alfred Rademacher, bei dem ich diese Übung zum ersten Mal machte, versicherte, dass er mit diesem einfachen Instrument schon Rednern geholfen habe, deren die Stimme zu versagen drohte. Paraverbal: Wie man Menschen mit der Stimme erreicht 1 8 5 186 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Sinnschritte erkennen Hintergrund: Zum Lesen eignen sich Manuskripte mit großer Schrift und breiten Rändern, so dass Sie mit ein bis zwei Ruhepunkten den Inhalt einer Zeile erfassen. Die Zeilenenden sind Enden von Sinnschritten. Das Seitenende fällt zusammen mit einem Satzende. Wer einen eigenen Text so darstellt, bereitet sich damit automatisch auch auf das Sprechen vor. Das folgende Beispiel 210 ist so gestaltet. Sie werden erkennen, dass einzelne Sinnschritte noch weiter unterteilt werden könnten (z.B. in der zweiten Zeile beim Komma, das Haupt- und Nebensatz trennt). Ob dies hilfreich ist, muss jeder intuitiv entscheiden, wenn er sein Manuskript gestaltet: »Der Stern von Sierra Leone ist der drittgrößte Diamant, der je gefunden wurde. Als der edle Rohling von fast 1.000 Karat 1972 entdeckt wurde, war das kleine westafrikanische Land schon lange für seinen Reichtum an besonders reinen Diamanten berühmt und von Diamantenhändlern umworben. Diamanten sind der Schlüssel zum Verständnis des zehnjährigen brutalen Bürgerkriegs, in dem 75.000 Menschen getötet und 30.000 verstümmelt wurden und der zwei Millionen zu Flüchtlingen machte - die meisten dieser Opfer Frauen, Kinder und Alte.« Ziel der Übung Sie machen sich mit dieser Übung bewusst, dass Ihre gesprochenen Texte in Sinnschritte aufgeteilt sind und die Sinngrenzen viele Möglichkeiten bieten, den Dialog zu verstärken: Pausen zu setzen, Blickkontakt aufzunehmen und zu atmen. Ablauf: Verwandeln Sie einen eigenen Text in ein sprechbares Manuskript:  Wählen Sie einen weiten Zeilenabstand und beenden Sie jede Zeile, wenn ein Sinnschritt zu Ende ist.  Erleichtern Sie sich die Arbeit, indem Sie beim Schreiben den Text halblaut vor sich hinsprechen und auch dabei auf sinnvolle Pausen achten. Auswertung: Lesen Sie den Text und nutzen Sie die Zeilenenden zu kurzen Zäsuren oder Pausen. Überprüfen Sie dabei, ob die Sinngrenzen richtig gesetzt sind. Lesen Sie ihn ein zweites Mal und heben Sie den Kopf, sobald Sie die Zeile ganz erfasst haben. Auf diese Weise wird das Manuskript zu einer Gedächtnisstütze, die einzelnen kurzen Zeilen funktionieren wie Stichwörter. Eine Partitur anfertigen Hintergrund: Das Geheimnis einer kommunikativen Sprechweise besteht in Variation: Variation der Satzmelodie, des Rhythmus und der Lautstärke. Professionelle Sprecher, die sich einen Text erarbeiten, machen sich Zeichen ins Manuskript, die sie beim Vortrag daran erinnern, Betonungen zu setzen, das Tempo wechseln, die Sprechmelodie zu heben oder zu senken. Das folgende Abbild eines Manuskripts 211 zeigt illustriert eine von vielen Möglichkeiten, sich auf diese Weise zu helfen. Abb. 10: Beispiel für ein zum Sprechen bearbeitetes Manuskript. Paraverbal: Wie man Menschen mit der Stimme erreicht 1 87 188 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird In diesem Manuskript fallen zunächst die Unterstreichungen auf. Sie zeigen das betonte Wort im Satz (oder auch Satzglied) an. Auch wenn jedes diese Wörter in eine Sinneinheit gehört, die als Gesamtheit gesprochen werden will, hilft diese Hervorhebung (etwa im letzten Satz, wo der Gegensatz Medien/ Wissenschaft deutlich werden muss). Die Pfeile an den Zeilenenden zeigen an, ob ein Gedanke als abgeschlossen zu sprechen ist oder ob angedeutet werden muss, dass er noch weitergeht und die Stimme deshalb nicht ganz gesenkt werden soll. Dass dies auch über Satzgrenzen hinaus gelten kann, zeigt die 8. Zeile, in der mit der Melodieführung die Nennung des Japaners Wadati vorbereitet wird. Die Klammern deuten an, dass ein Nebengedanke eingeschoben ist und deshalb anders zu sprechen ist als der ihn umgebende Text. In der Praxis würde ein Relativsatz wie in Zeile 5 („den er 1935 in den USA publizierte“) mit leicht gesenkter Melodie gesprochen. Beim Einschub „egal wo“ dagegen (Zeile 2) ist vor allem die Abgrenzung wichtig. Es wird wie eine Entgegnung oder Ergänzung gesprochen, ein dialogisches Element innerhalb der eigenen Rede. Einige weitere Grenzen zwischen Sinnschritten, die als Pause gesprochen werden müssen, sind mit Apostroph gekennzeichnet (Zeilen 10, 14, 15). Solche Markierungen sind vor allem da wichtig, wo eine kurze Zäsur oder Pause mitten in einer Zeile nötig ist. Ziel der Übung Diese Praxis hilft als Übung auch Sprechern, die es gewohnt sind, Vorträge frei zu halten. Man macht einen Text zur Partitur und versucht, die Betonungen und anderen paraverbalen Merkmale so zu übernehmen, wie sie eingezeichnet sind. Ablauf: Wählen Sie einen eigenen Text, den Sie als Manuskript (weiter Zeilenabstand, Zeilengrenzen den Sinngrenzen entsprechend) geschrieben haben. Sprechen Sie ihn halblaut vor sich hin. Bezeichnen Sie dabei mit einem Stift in jedem Satz das betonte Wort und fügen Sie weitere Markierungen hinzu. Beachten sie vor allem Passagen, die Ihnen beim ersten Lesen Schwierigkeiten bereiten oder die sich ungewöhnlich anhören. Scheuen Sie sich nicht davor, Sätze, die sich als schwer sprechbar erweisen, neu zu formulieren. Auswertung: Auch in dieser Übung muss individuell getestet werden, ob einem die so erstellte Partitur hilft. Wer seine Texte regelmäßig auf diese Weise bearbeitet, wird schließlich zu einer persönlichen Notation kommen, die sich in seiner eigenen Praxis bewährt hat. Sprechhandlungen nutzen Hintergrund: Für Nichtprofis, die nicht vorlesen, sondern frei sprechen müssen, ist es oft schwierig, bewusst in eine schnellere oder langsamere Gangart zu wechseln oder den passenden Intonationsbogen zu wählen. Hilfreicher ist eine allgemeine Erkenntnis: dass es für verschiedene Teilhandlungen verschiedene akustische Instrumente gibt - dass man also anders spricht, sobald man sich bewusst ist, dass man von einer Funktion zur nächsten übergeht, etwa von einer Behauptung zur Erklärung dieser Behauptung. Ziel der Übung Mit dieser Übung sollen verschiedene Teilhandlungen bewusst im Kontrast zueinander gesprochen werden. Versuchen Sie, einen neuen Abschnitt so zu sprechen, dass Sie dessen Funktion gerecht werden. Dabei sollen Sie auch sich selbst zuhören: Lassen Sie erkennen, dass Sie jetzt nicht mehr behaupten, sondern erklären, nicht mehr aufzählen, sondern erzählen? Ablauf: Wählen Sie einen kurzen, leicht sprechbaren Text bzw. die Unterlagen zu einem eigenen Statement. Teilen Sie ihn nach Funktionen ein, deren Bezeichnung Sie an den Rand schreiben, also etwa:  These  Beispiel  Persönliches  Wunsch Leiten Sie jeden Abschnitt explizit ein, etwa so:  „Ich stelle folgende These auf ...“  „Hierzu ein Beispiel ...“  „Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung erzählen ...“  „Das bringt mich zur Schlussfolgerung ...“  „Und ich habe da eine Hoffnung ...“ Auswertung: Diese Übung fällt meiner Erfahrung nach den meisten nicht besonders leicht. Manche, die nicht gewohnt sind, so variationsreich zu sprechen, halten diese Art der lebendigen Rede für übertrieben. Aus meiner Sicht geht es um etwas anderes: Diese Art zu sprechen, ist individueller, sie of- Paraverbal: Wie man Menschen mit der Stimme erreicht 1 89 190 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird fenbart mehr von der eigenen Persönlichkeit. Dies ist aber eine Bedingung für die konstruktive, dialogische Kommunikation mit den Zuhörenden. Deshalb lohnt sich ein Versuch. Nonverbal │ Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht  Die nonverbale Ebene Die Körpersprache der öffentlichen Rede ist im Vergleich zum Alltagsverhalten reduziert. Sie konzentriert sich auf die Möglichkeiten der redenden Person, die in einer gewissen Distanz zum Publikum steht. Eine Voraussetzung für den Dialog ist ein Bewusstsein für die Vielfalt der nonverbalen Mittel. Ausgangspunkt ist das Verhalten zum Raum. ur Konferenz sind die namhaftesten Vertreter der experimentellen und der theoretischen Physik gekommen. Ernest Solvay, Chemiker, Unternehmer und Mäzen, hat sie nach Brüssel eingeladen. Im Hotel Metropole verfügen sie über einen Versammlungsraum mit einem gewaltigen Tisch, an dem alle 24 Teilnehmer Platz finden. Am Rande des offiziellen Teils bespricht sich Marie Curie mit Albert Einstein. 212 Sie sitzen nebeneinander am Tisch. Während sie spricht, zeichnet sie in ein Buch, schiebt es dem Kollegen hin, stützt dann ihren Kopf ab. Wenn einer spricht, sucht er den Blickkontakt mit dem anderen. Der mit Marie befreundete Paul Langevin beugt sich über sie, stützt sich auf die Lehne von Einsteins Stuhl und kommentiert ihre Bemerkung. Alles entspricht einen Moment lang dem Bild eines intensiven Gesprächs unter Gleichberechtigten. Jeder hört den anderen zu: aufmerksam, nah. Die Gesten unterstreichen das gemeinsame Bemühen um Klärung. Mit ihrer Körperhaltung, Gestik und Mimik bilden die drei eine abgeschlossene Gruppe. Eine abschließende Totale zeigt, dass der Raum um sie herum keine Rolle mehr spielt. So jedenfalls setzt der französische Spielfilm Marie Curie in Szene. 213 Diese Szene des ungezwungenen, konzentrierten Miteinanders (wie hier beispielhaft anhand → Abb. 11 verdeutlicht) steht in scharfem Kontrast zum Eindruck, den Marie Curie bei ihrem Vortrag im selben Raum geweckt hat. 192 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Abb. 11: Nähe: nichtöffentliches Gespräch: wenige Gesprächspartner, aufeinander konzentriert. Als sie vor den versammelten Koryphäen der Physik sprach, saßen alle aufrecht in ihren Sesseln. Sie selbst stand, blickte abwechselnd zu den Zuhörenden und in ihre Notizen, die sie wohl nicht brauchte, die ihr aber Sicherheit zu geben schienen. Mit beiden Händen hielt sie einen Stift, den sie nur dann losließ, wenn sie mit der Linken eine Geste machte, um ihre Worte zu betonen. 214 Abb. 12 Distanz: Konferenzteilnehmer, um einen Tisch versammelt; die dritte Person von links hat sich erhoben und referiert. Während der gesamten Redezeit ist sie an dem ihr zugewiesenen Platz verharrt. Ihr Blick, wenn er nicht auf das Manuskript, sondern auf ihre Zuhörenden gerichtet ist, wirkt eher suchend als zielgerichtet. Die Gestik ist im Vergleich zum unbefangenen Gespräch reduziert; es fehlen die Gesten der Selbstoffenbarung, es fehlt die Selbstverständlichkeit, mit der sie den Ellbogen aufgestützt hat, sich durchs Haar gefahren ist. Im privaten Gespräch schaffen die wenigen Beteiligten ihren eigenen Raum. Aber beim Vortrag muss die Herausforderung des gemeinsamen Raums angenommen werden, in dem sich Rednerin und Publikum notgedrungen platzieren mussten: Wie gehe ich mit der Distanz zum Publikum um, wie damit, dass ich höher (oder, wie bei klassischen Hörsälen, tiefer) positioniert bin als sie? Soll ich auf- und abgehen oder stehen bleiben? Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 193  Körpersprache - ein weites Spektrum  Raum schaffen: Platzierung und Distanz zum Publikum  Raum nutzen: Schritte, Haltung, Gestik  Gesten einsetzen: zeigen, auffordern, betonen usw.  Mimik und Blickkontakt: das Gespräch suchen Typischerweise führen die räumlichen Verhältnisse bei der öffentlichen Rede zu einer Reduktion in der Körpersprache. Konventionelles Reden beschränkt sich auf wenige Gesten und starres Stehenbleiben. Vortragende, die, nur um ihrem Bewegungsdrang nachzugeben, vor dem Publikum auf- und abgehen oder mit einem Stift oder Zeigegerät spielen, senden eher unerwünschte Signale aus. Dies weist darauf hin, dass mit der Reduktion des Bewegungsspektrums eine Erwartung des Publikums verbunden ist: Es erwartet Funktionalität. Zwar ist vieles möglich: Schritte im Raum, Gesten, Blicke. Aber es muss immer zu erkennen sein, was es soll. Wenn dies nicht der Fall ist, wenn man nicht erkennt, warum ein Redner seinen Platz verlässt, zu einem Gegenstand greift oder in eine Ecke schaut, irritiert das. Als Konsequenz für die Praxis ergibt sich daraus das Ziel, jeder Bewegung einen für das Publikum erkennbaren Sinn zu geben (→ Kapitel 29 ∣ Gestik braucht eine Funktion). Die Rednerin ist im Vergleich zur privaten Kommunikation zwar eingeschränkt, doch längst nicht so wie ihre Zuhörenden. Für sie sind fast alle Gesten tabu: Wer sich einem Nachbarn neben oder gar hinter sich zudreht, fällt schnell auf. Wer die Hand hebt, sendet bereits ein klares Signal, das die Rede unterbricht. Als Rednerin hat man aber die Möglichkeit, den Bewegungsspielraum auszuloten - zu testen, was trotz der räumlichen Vorgaben möglich ist. Die Erfahrung in der rhetorischen Ausbildung zeigt, dass sich in öffentlichen Situationen die für eine Person natürliche Körpersprache dann entwickelt, wenn es ihr in der Situation einigermaßen wohl ist. Das Ziel ist es, die Bedingungen dafür zu schaffen und mit einem guten Körpergefühl vor die Zuhörenden zu treten. 194 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird 25 Was kommt zurück? Wie die Körpersprache den Dialog unterstützt einer Hoffmann, Gewerkschaftsvorsitzender, ist zu einer Tagung über die Zukunft der Arbeit eingeladen. Beim Vortrag, den er hält, spricht er frei. Wenn er sich konzentriert, um den Faden nicht zu verlieren, führt er gerne die Hände zusammen, fast in Gebetshaltung, Handfläche auf Handfläche oder auch so, dass sich nur die Fingerspitzen berühren. Zu dieser Geste kommt er oft zurück, wenn er zwischendurch die Arme weiter ausgebreitet hat, um einen betonten Satz zu begleiten. Er weist mit dieser Geste bisweilen auch mal auf einen Vorredner, der im Publikum sitzt. 215 Abb. 13: Eine von vielen möglichen Ausgangsgesten: konzentriert, aber noch ohne eine Aussage zu unterstützen. Mittendrin fehlt ihm plötzlich ein Name: [03: 14] Ich erinnere mich nur an die Debatten, die wir in den 70er- und 80er-Jahren geführt haben. „Zukunft der Arbeit“ haben wir häufig denn mit einem Fragezeichen versehen - ein Stückweit auch durchaus inspiriert durch Hannah Ahrendt oder Ralf Dahrendorf oder ähm ... Die Nennung großer Theoretiker wird das Publikum zweifellos beeindrucken, in dem namhafte Forscher sitzen. Bei jedem Namen hat er die Hände auseinander- und wieder zusammengeführt, als ob er die Betonung damit verstärken wollte. Abb. 14: Während des Vortrags: Die Gestik öffnet sich; die Hände begleiten eine Erklärung. Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 195 Jetzt aber scheint ihm sein Gedächtnis einen Streich zu spielen. Wer war dieser dritte Theoretiker? Er blickt vor sich nach rechts unten. Dann sieht er ins Publikum und klopft ungeduldig die Fingerkuppen aufeinander. Er hebt die linke Hand und zählt mit Daumen und Zeigefinger bis zwei. Der Zeigefinger ist noch erhoben, als er nach 6 Sekunden Pause sagt: „... nicht Oskar Negt äh, äh komm' ich gleich drauf äh ...“ Er sucht Blickkontakt im Publikum, das längst gemerkt hat, wo das Problem liegt. Als Hinweis nennt er einen Buchtitel: „Abschied vom Proletariat! “ Dann kommt die Erlösung. Ein Zuhörender aus der vordersten Reihe ruft ihm zu: „André Gorz! “ Sein Lächeln ist jetzt noch breiter geworden. Erleichtert nimmt den Namen auf: „Äh André Gorz. Danke! “ 216 Jetzt geht der Vortrag in der gleichen Lockerheit wie am Anfang weiter. Dass der Redner diese Passage überwunden hat, verdankt er dem Publikum. Es hat mitgedacht, mitgelitten, und zumindest einer war in der Lage, die notwendige Lücke zu füllen. Die Verständigung darüber war zu einem großen Teil nonverbal. Die suchende rhythmische Handbewegung, die zählende Geste, das Lächeln, der Blick ins Publikum: lauter Körpersignale, die auf das Gedächtnisproblem hinwiesen und schließlich zur hilfesuchenden Geste wurden. Das ist nur eines von vielen Beispielen dafür, wie Körpersprache in der öffentlichen Rede den Dialog unterstützt. Sie war in dieser Situation ebenso wichtig wie die akustischen, die Pausen und Äh-Laute und die verbalen Floskeln („Komm' ich gleich drauf ...“; „Abschied vom Proletariat! “). Nonverbale Signale haben dem Redner geholfen, die Monologhaltung aufzugeben und dazu zu stehen, dass es für den erfolgreichen Vortrag nicht nur einen Redner, sondern auch ein mitdenkendes Publikum braucht. Es geht nicht um Selbstpräsentation Wenn das Ziel der Dialog ist, braucht Körpersprache nicht eingeübt zu werden. Zwar schicken viele Trainer und Rhetorikratgeber die Leute vor den Spiegel: »Üben Sie Gesten vor dem Spiegel. Wenn Sie beispielsweise eine Rede oder eine Präsentation halten sollten, können Sie Teile davon vor Ihrem Schlafzimmer- oder einem anderen großen Spiegel einüben. 217 Üben Sie vor seiner vertrauten Person und zu Hause vor dem Spiegel, dann kommt Ihr Auftritt auch vor Publikum gut. 218 Üben Sie den Auftritt in vier Phasen vor dem Spiegel: ... Eröffnung mit einer deutlichen Geste als visuelles Zeichen des Beginns. 219 Es hat nichts mit Eitelkeit zu tun, wenn Sie Ihre Rede vor dem Spiegel üben, in voller Lautstärke und mit allen Gesten ...« 220 196 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Aber das setzt einen falschen Schwerpunkt. Die Frage: „Wie wirke ich optisch auf mein Publikum? “ ist viel weniger relevant als die Frage: „Wie festige ich den Kontakt? “ Klassische Vorstellungen von der Rolle des Redners gehen davon aus, dass Gesten und andere körperliche Signale der Rede quasi als Zusatz aufgepfropft werden müssten. Das kann zu einem komödiantischen Getue führen, wie es historische Figuren zur Genüge vorgeführt haben. So weiß man zum Beispiel aus der Umgebung Adolf Hitlers: »Hitler stand vor dem Spiegel, der seine ganze Gestalt wiedergab, und sprach Satz für Satz, sich selbst genau beobachtend. Er studierte seine Bewegungen, seinen Gesichtsausdruck. Er wiederholte Sätze und Gesten so lange, bis er mit dem Geleisteten zufrieden war ...« 221 Es gibt genügend Filmbeispiele aus vergangener Zeit, die zeigen, zu welchen Verrenkungen diese Trainings geführt haben - und dass man mit einer solchen Auffassung der Funktion von Körpersprache das Gegenteil eines Dialogs erreicht. Auch Redner, die die non- und paraverbale Inszenierung ihrer Rede im Manuskript notieren, leisten sich keinen guten Dienst. Da heißt es dann bei der einen Bemerkung: „Blick ins Publikum! “, bei der anderen: „Nachdenklich ans Kinn fassen! “ Wer so vorgeht, überschätzt damit nicht nur seine schauspielerischen Fähigkeiten, sondern baut eher eine Wand zwischen sich und dem Publikum auf. Wenn die Körpersprache von vornherein festgelegt ist, kann sie nicht aus der Interaktion entstehen, sondern wird zur Amateur-Schauspielerei. Diese ist auf Liebhaberbühnen gut aufgehoben. In die Welt der Faktenvermittlung gehört dagegen die Offenheit, die es erlaubt, auf das Publikum einzugehen. Im Übrigen zeigen Untersuchungen anhand von Politikerreden, dass für das Publikum der Kontakt wichtiger ist als die Inszenierung. Auch wenn sich die Bürger sympathische und überzeugende Politiker wünschen, erkennen sie die Trugkunst und erwarten „mehr als nur Schauspielerei.“ 222 Körpersprache kommt von innen In Heinrich von Kleists Text „Über das Marionettentheater“ begegnet der Erzähler einem „Herrn C.“, den er als „ersten Tänzer der Oper“ kennengelernt hat. Sie sprechen darüber, dass die Marionetten, die an Fäden hängen und nur wenige Gelenke haben, sich ganz natürlich zu bewegen scheinen. C. hat dafür eine Erklärung, die er in jahrelanger Erfahrung mit den Tänzern in der Oper gewonnen hat: Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 197 »Jede Bewegung, sagte er, hätte einen Schwerpunkt; es wäre genug, diesen, in dem Innern der Figur, zu regieren; die Glieder, welche nichts als Pendel wären, folgten, ohne irgendein Zutun, auf eine mechanische Weise von selbst.« 223 Das Gleiche, sagt er, würde auch für einen menschlichen Tänzer gelten. Die Linie, die sein Schwerpunkt vollführt, sei „nichts anderes als der Weg der Seele des Tänzers“. 224 Das Ziel, auf der Bühne eine „anmutige (wahre)“ Bewegung zu vollführen, könne man nicht erzwingen. Sie sei „nicht willentlich von außen zu erzeugen (etwa durch Üben vor dem Spiegel ...), sondern nur dadurch, dass sie unmittelbar aus der 'Bewegung des Schwerpunkts', der 'Seele', folgte.“ 225 In unser Thema übersetzt, bedeutet dies, dass es nichts bringt, sich auf die äußerlichen nonverbalen Signale zu fixieren. Die Körpersprache des Redners ergibt sich aus einer inneren Haltung und nicht aus angelernten Bewegungen. Der Schwerpunkt des Körpers liegt viel tiefer als der Kopf. Dafür haben viele Redner kein Gefühl, oder, wie es der Pädagoge Ken Robinson über eine diesbezüglich besonders beratungsresistente Gattung sagt: »Meiner Erfahrung nach haben Professoren etwas Merkwürdiges - nicht alle, aber die meisten: Sie leben in ihrem Kopf. Sie leben da oben - und etwas seitwärts. Sie sind körperlose Wesen, ganz wörtlich genommen. Sie sehen ihren Körper als ein Mittel zum Transport ihres Kopfes an. Er ist dazu da, ihren Kopf zu den Sitzungen zu tragen.« 226 Wer ein Gefühl für den Schwerpunkt hat, wird seine Rede nicht auf einem Bein stehend beginnen, weil er so unnötigerweise die Balance halten muss. Er wird auch nicht das Rednerpult dazu benutzen, sich abzustützen, weil er damit den Schwerpunkt auf einen Punkt außerhalb des Körpers verlagert. Reden erfordert Energie; sie sollte nicht unnötig verschwendet werden, um sich im Gleichgewicht zu halten. Mit einer sicheren Ausgangsposition auf beiden Beinen entwickelt sich eine Körpersprache, die der Persönlichkeit entspricht und der Sache angemessen ist, eine Körpersprache, die nicht den Redner vorzuführen, sondern ihn mit dem Publikum in den Dialog bringen soll. 198 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird 26 Wie man auf den Raum reagiert ie Anforderungen an die Körpersprache ergeben sich zum einen aus den räumlichen Rahmenbedingungen, zum anderen aus der Aufgabe, trotz der Rollenverteilung und der Distanz zwischen Redner und Publikum in Kontakt zu bleiben und sich verständlich zu machen. Auch hier besteht der Ausgangspunkt darin, dass die Rede ein Austausch ist und nicht nur ein einseitiges Liefern von Information und Meinungen. Das Wichtigste dabei sind nicht etwa die Gesten. Das Wichtigste ist der Bezug zum Raum. Dies ergibt sich schon aus der Definition der Rhetorik als Lehre vom Reden in der Öffentlichkeit: Die Rednerin befindet sich zusammen mit den Zuhörenden in einem erweiterten Raum. Dessen muss er sich bewusst sein, auf dessen Voraussetzungen muss er eingehen. Dies lässt sich sehr einfach an der Körperhaltung zeigen. Ich versuche es anhand von zwei Skizzen darzustellen. Im linken Bild demonstriert die Rednerin Reserviertheit, Inaktivität. Mit der nach vorne gebeugten Haltung scheint sie in ihrem Anzug zu hängen. Die Füße, die eng beieinanderstehen, bieten keinen sicheren Halt. Auf dem Bild rechts hat sie durch einen sichereren Stand und das Heben der Arme bereits eine andere Präsenz. Sie ist sich des gesamten Raums bewusst, in dem sie sich befindet. Sie signalisiert allen, die vor ihr sitzen, Interesse. Wer vor einem Publikum steht, hat im Prinzip viel mehr Raum zur Verfügung, als diejenigen, die im Publikum sitzen. Dies gilt für den Instruktor, der seinem Team die Benutzung einer neuen Maschine erklärt, ebenso wie für die Pressechefin, die eine Gruppe von Besuchern durch den Betrieb führt, oder die Referentin, die sich einen Standort vor den Seminarteilnehmern sucht. Sie alle sind frei in der Wahl der Distanz zu den Angesprochenen und in ihrer Raumnutzung, z.B. durch Schritte und Körperdrehungen. In vielen Fällen ist man sogar frei, mitten durch das Publikum durch zu gehen. Dass z.B. ein Lehrer die Bankreihen abschreitet, ist eine traditionsreiche Geste, dass ein Referent vor den Zuhörenden auf und abgeht, wird ebenfalls akzeptiert. Alle diese Dinge muss man nicht tun (und einige können auch kontraproduktiv sein); aber zu wissen, dass man es tun könnte, ist ein guter Ausgangspunkt. Es betont die Freiheit der Gestaltung. Dieses Bewusstsein für den Raum wird zu einem guten Ausgangspunkt für den körpersprachlichen Ausdruck. Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 199 Abb. 15: Passive Haltung: Füße nahe beieinander, Oberkörper ohne Spannung. Abb. 16: Aktive Haltung: Füße in etwa schulterbreitem Abstand, Oberkörper aufgerichtet. Den Raum wahrnehmen Die erste Aufgabe vor dem Reden besteht also immer darin, den Raum wahrzunehmen. Oft ist genügend Zeit da, um sich vor der Rede in aller Ruhe mit dem Saal vertraut zu machen. Wer sich vor Beginn der Rede in eine der hinteren Zuschauerreihen setzt, wird später die Perspektive des Publikums besser einschätzen können. Dies erleichtert auch die Aufgabe, den besten Standort zu wählen, sofern da ein Spielraum besteht. Dieser befindet sich oft nicht da, wo man den Zuhörenden am nächsten steht, sondern da, wo man am besten gesehen und gehört wird. Aber auch wenn keine Gelegenheit besteht, den Raum vorher zu erkunden, kann man ein paar Sekunden dafür einsetzen. Man wird zum Beispiel unverhofft zu einer Sitzung gerufen und steht plötzlich vor den versammelten Abteilungsleitern - gefühlt zur falschen Zeit und ohne genügend Vorbereitung. Niemand wird sich daran stören, wenn die Rednerin sich erst ein paar Sekunden Zeit nimmt und sich umsieht, um mit dem Raum vertraut zu werden: mit seinen Dimensionen, den Sitzreihen und schließlich den Zuhörenden in ihrer Erwartungshaltung. Der Raum wird eine Zeit lang ihr Raum sein, und das bedeutet, auch körperlich die Rednerinnen-Rolle zu akzeptieren. Wenn es gelingt, dieses Gefühl schon beim Betreten des 200 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Raums zu entwickeln, an der Tür kurz innezuhalten und sich umzuschauen, umso besser. Wenn dies nicht möglich ist, tut man es in der Redeposition, während einer kurzen Pause vor den ersten Worten, zusammen mit dem ersten Blickkontakt. Der Raum fordert Zeit Den Raum und die Menschen, die darin versammelt sind, wahrzunehmen, erfordert Zeit. Manchmal sitzt man in der vordersten Reihe, nur ein paar Schritte vom Podium entfernt. Der Moderator spricht ein paar Worte, dann geht's nach vorne. Hierbei ist es hilfreich, etwas langsamer zu gehen, aus der Rednerposition die Größe des Raumes und seine Beschaffenheit zu registrieren und gleichzeitig die Menschen darin aus der neuen Perspektive wahrzunehmen. Diese sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Raum schafft nicht nur einen besseren Kontakt. Sie hilft auch auf einer rein technischen Ebene. Man wird sich dem Raum ja in der Redeweise anpassen müssen: in Stil, Lautstärke, Gestik und anderen Äußerungsformen. Zudem stellen jedes Rednerpult und jede Projektionsanlage ihre eigenen Anforderungen an das technische Geschick der Vortragenden. Hinzu kommt ein mentaler Effekt: Wer sich auf den Raum einlässt, stimmt sich auf die Öffentlichkeit ein, die hergestellt wird, auf die Weitung des Geltungsraums, die das Reden erst zum rhetorischen Akt macht. Ohne ein Bewusstsein für diese Weitung werden Inhalt und Ausdrucksweise nicht zusammenpassen.  Die Annäherung an den Raum Vor dem Beginn der Veranstaltung:  Suchen Sie den Raum auf und machen Sie sich mit seiner technischen Einrichtung vertraut.  Setzen Sie sich auf einen Zuschauerplatz, um ein Gefühl für den Eindruck zu bekommen, den man von dort aus vom Redner und dessen Umgebung hat.  Wählen Sie (wenn möglich) Ihren späteren Standort. Gibt es mehrere Möglichkeiten? Sollten Sie Ihre Position während der Rede wechseln? Unmittelbar vor der Rede:  Nähern Sie sich Ihrer Redeposition bewusst. Erkennen Sie, wie sich Ihr Spielraum vergrößert.  Nehmen Sie den Raum und Ihr Publikum aus der Position des Redners wahr. Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 201 Nach der Rede:  Verlassen Sie Ihre Redeposition und akzeptieren Sie, dass „Ihr“ Raum wieder kleiner wird und nicht mehr alle Blicke auf Ihnen ruhen. Große Säle erfordern besondere Sorgfalt Wenn man Vorträge oder gar Seminare in großen Hörsälen halten muss, ist es schwierig, mit 100, 200 oder mehr Menschen so Kontakt aufzunehmen, dass auch etwas zurückkommt. Man merkt das spätestens bei einer Frage ans Publikum, wenn dann die Mehrzahl der Leute passiv bleibt. Oft herrscht am Anfang der Veranstaltung noch höfliche Aufmerksamkeit. Dann verliert man langsam den Kontakt zu den Leuten in den hinteren Reihen. Am Schluss sind nur noch zwei, drei Getreue in unmittelbarer Nähe, die zuhören oder auch mal aus Erbarmen eine Antwort geben. Dennoch gibt es immer wieder Beispiele von Dozentinnen, denen es gelingt, auch Großveranstaltungen dialogisch zu gestalten. Was tun sie? - Sie bemühen sich um Eindeutigkeit. Weil sie den Raum vorher erkundet haben, wissen sie, dass vieles im Raum die Aufmerksamkeit ablenken kann. Wer seine Redeposition dezidiert, vielleicht sogar demonstrativ einnimmt, hilft, die Konzentration auf sich zu lenken. Auch dass der Vortrag dialogisch sein wird, muss von Anfang an deutlich werden. Wer will, dass das Publikum mitmacht, muss dies zu Beginn signalisieren, nicht erst nach zehn Minuten (→ Kapitel 11 ∣ Fragen und Antworten als Schlüssel zum Dialog). Während der Rede ist es wichtig, für Feedback zu sorgen, also dafür, dass regelmäßig etwas zurückkommt, und zwar auf allen Ebenen. Werkzeuge hierfür sind beispielsweise Fragen, Humor oder Gruppenaktivitäten. Dabei ist es wichtig, den Dialog ständig mit dem gesamten Publikum zu führen. Auch wer zwischendurch mit einer Einzelperson interagiert (z.B. nach einem Zwischenruf), muss erkennen lassen, dass dies für alle eine Bedeutung hat. Er geht eher einen Schritt zurück, um auch die anderen körpersprachlich einzubeziehen, wiederholt die Frage, formuliert sie so, dass der Anschluss an den eigenen Vortrag deutlich wird (oder verweist auf später).  Tipps für Reden in großen Sälen  Eindeutigkeit in der Körpersprache  eine Handlung auf einmal (Umgang mit Geräten, Manuskript, Bewegung im Raum etc.)  das Publikum in Sektoren aufteilen, um die Blickrichtung zu wechseln 202 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird  den Dialog mit Einzelnen (Beantwortung von Fragen) für alle öffnen: ▶ einen Schritt zurückgehen, um den Sektor zu öffnen ▶ Frage für alle vernehmbar wiederholen ▶ inhaltlichen Anschluss an den Vortrag herstellen ▶ Frage für alle verständlich beantworten 27 Was heißt Blickkontakt mit einer ganzen Gruppe? er erste Austausch geht über die Augen: Der Redner hat seine Redeposition erreicht, steht auf beiden Füßen und sieht in die Runde. Menschen aus dem Publikum sehen zurück. Ihre Augen treffen sich. Blickkontakt zwischen Menschen ist über Jahrzehnte immer wieder erforscht worden. So ist längst gesichert (und wird niemanden überraschen), dass Referenten, die kontinuierlichen Blickkontakt mit ihrem Publikum haben, besser ankommen. Ihnen wird mehr Glaubwürdigkeit zugeschrieben, 227 man lässt sich von ihnen eher überzeugen. 228 Was aber bedeutet eigentlich Blickkontakt mit dem Publikum? - In der direkten Begegnung zweier Menschen ist es eine relativ klare Sache. Zwar werden die Augen des Gegenübers nicht starr fixiert. Vielmehr werden neben den Augen verschiedene weitere Partien des Gesichts in kurzer Folge gescannt. Dennoch unterscheidet der Gesprächspartner sehr klar, ob er das als Blickkontakt wahrnimmt oder ob der andere an ihm vorbeisieht. 229 Ja, es scheint, dass wir sogar unwillkürlich spüren, wenn uns ein Gesprächspartner in die Augen sieht, aber in Gedanken ganz woanders ist (Blickkontakt des Verstellens: „Die Augen sind auf dich gerichtet, aber in Gedanken ist er in Hawaii am Strand.“ 230 )  Blickkontakt für Anfänger Blickkontakt fällt nicht allen leicht. Manch einer hat den Eindruck, als einziger Introvertierter unter lauter Extravertierten zu leben, die alle so tun, als ob Blickkontakt kein Problem sei. Wenn man zusätzlich eine Sehbehinderung hat, wird das noch schwieriger. Ich selbst sehe von Kindesbeinen an doppelt. Mir hat im Alltag nur der Trick geholfen, dass ich Gesprächspartnern zwischen die Augen sehe, also auf die Nasenwurzel. Das ist viel gescholtene Technik 231 ; aber damit war ein für alle Mal die Frage vom Tisch, ob ich mich aufs linke oder aufs rechte Auge konzentrieren soll ... Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 203 In der Interaktion von Redner und Publikum dagegen ist die Sache etwas anders. Man kann nicht allen Menschen gleichzeitig in die Augen sehen. Aber eine Gruppe fühlt sich dennoch angesprochen, wenn man eine einzelne Person ansieht (im Gegensatz zum Versuch, den Blick über die Gruppe schweifen zu lassen). Es ist ohne Weiteres möglich, sich einen Menschen herauszusuchen, bei dem dies leichtfällt, weil er subjektiv wohlwollend scheint (auch wenn der Schein trügt und oft die missmutigsten Zuhörenden am aufmerksamsten sind). Die Distanz ist in den meisten Fällen so groß, dass die Menschen im Umkreis der anvisierten Person noch erfasst werden und sich zumindest mitgemeint fühlen. Dies entspricht der Realität des menschlichen Gesichtsfeldes. Allen Beteiligten ist klar, dass ein Blick ins Publikum einen größeren Ausschnitt erfasst. Nur sind es nicht die annähernd 180 Grad, die das Gesichtsfeld einer Person mit uneingeschränktem Sehvermögen umfasst. Sonst würde ja ein starrer Blick nach vorn genügen, und alle Menschen, die der Redner auf diese Weise „sieht“, würden sich einbezogen fühlen. Also muss man das Auditorium in mehrere Sektoren aufteilen. Direkt ansprechen - bzw. mitmeinen - lassen sich diejenigen Zuhörenden, die sich in einem Ausschnitt von etwa 60 Grad befinden. 232 Ein Gefühl für die Weite dieses Sektors bekommt man natürlich nicht durch geometrische Verfahren. Aber es ist eine nützliche Übung, vor einer größeren Gruppe auf die vorderste Reihe zuzugehen und zu beobachten, wie mehr und mehr Menschen aus dem Blickfeld verschwinden, während der Winkel gleich groß bleibt.  Alle Zuhörenden einbeziehen Je größer das Auditorium, desto wichtiger ist die Einteilung in Sektoren und der bewusste Wechsel des Blickkontakts. Drei Sektoren sind für einen Saal von 100 Personen ein guter Richtwert. Wenn der Saal größer ist oder die Zuschauerreihen in die Höhe gehen, ist es notwendig, auch zwischen näheren und entfernteren Gruppen abzuwechseln. Hilfreich sind auch Beobachtungen im Alltag. Man findet sich im Gespräch mit einer kleinen Gruppe von Freunden, und einer der Anwesenden wirkt besonders präsent, als ob er den anderen viel stärker zugewandt wäre. Dieser Mann, so scheint es, bezieht bei längeren Wortmeldungen alle anderen ein. Dabei wendet sie sich zwar an einen Hauptadressaten, richtet aber gelegentlich ohne Hast den Blick auch auf jemand anders. Nonverbal bekommt jeder das Signal: Ich bin noch bei euch, seid ihr auch noch bei mir? Genau dies bewirkt auch einen Wechsel der Blickrichtung im Vortrag. 204 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Am Blickkontakt sind nicht nur die Augen beteiligt Am Nominierungsparteitag der Demokratischen Partei 2012 spricht Bill Clinton 50 Minuten lang. Die Rede ist ein Meisterstück politischer Wahlkampfrhetorik. Sie bietet auch eindrückliche Beispiele für gelungenen Blickkontakt mit einem riesigen Publikum. 233 Clinton steht hinter einem ziemlich einsamen Podium auf einer Bühne, die eine große Distanz zu den Tausenden von Zuhörenden herstellt. Aber er hat sie alle im Blick. 234 Wie schafft er das? Was wir Blickkontakt nennen, beruht nicht nur auf der Bewegung der Augen. Dies mag in der Zweierkommunikation ausreichen. Wenn ein Einzelner eine Gruppe anspricht, gehört aber mehr dazu. Dass Clinton sofort Kontakt zu seinem Publikum findet und die Verbindung nicht unterbricht, auch wenn er fast eine Stunde lang redet, liegt daran, dass er den Blickkontakt zur Sache des ganzen Körpers macht. Er setzt sich aus drei Komponenten zusammen: aus der Blickrichtung, der Kopfrichtung und der Richtung des Oberkörpers. Bei Clinton ist oft zu beobachten, dass die Augen schon eine neue Richtung ansteuern, dann erst der Kopf folgt, während der Oberkörper noch in der alten Position verharrt. Manchmal lässt er sogar eine Geste stehen, die zur linken Hälfte des Publikums orientiert ist, während sich sein Gesicht bereits zur rechten wendet. Man könnte allgemein sagen: Ein Element des Blickkontakts (meistens Augen und/ oder Kopf) übernimmt die Führung, die anderen folgen etwas später. Er nimmt schon ein neues Segment des Publikums in den Blick, aber seine Hände oder sein Oberkörper sagt noch in die andere Richtung: Ich lasse euch nicht los. Es lohnt sich, zu beobachten, wie jemand, der pantomimisch kommuniziert, mit dem Blick umgeht. Die Musikerin Amanda Palmer demonstriert dies in ihrer TED-Rede, in der sie von ihren Anfängen erzählt. Bei ihrem Vortrag mimt sie nochmals die Straßenkünstlerin von damals. 235 Sie beugt sich vor, sucht Blickkontakt mit dem Vorübergehenden, und während dieser unbeirrt weitergehen will, folgen ihm nicht nur Augen und Gesicht, sondern auch die Arme und der gesamte Oberkörper. Nur die Füße bleiben an Ort und Stelle. Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 205  Wie der Blickkontakt den Dialog fördert  einem Einzelnen in die Augen sehen: Da Blickkontakt nur mit einer Einzelperson hergestellt werden kann, sollte man dies auch konsequent tun.  die Blickrichtung wechseln: Wechseln Sie gegen Ende eines Satzes oder Abschnitts die Blickrichtung, um abwechselnd auch die Personen in anderen Bereichen des Saals anzusprechen.  mit dem Körper dem Blick folgen: Verstehen Sie Blickkontakt als Leistung des gesamten Körpers. Ein Wechsel des Blickkontakts wird vom Oberkörper unterstützt.  Blickkontakt auch bei manuellen Tätigkeiten: Zur Vorführung von Demonstrationsobjekten oder zur medialen Präsentation gehört die Frage: „Wem zeige ich dies? “ Entsprechend gehören dazu Unterbrechungen mit Blickkontakt.  Zweierkommunikation vermeiden: Durch intensiven Blickkontakt mit einer einzelnen Person kann das restliche Publikum ausgeschlossen werden. Jede Äußerung ist eine Botschaft für alle; jeder Blickkontakt gilt auch für die anderen. Auch beim Blickkontakt geht es also nicht um ein isoliertes Merkmal, sondern um die Einbettung in der gesamten Körpersprache. Genauso, wie man auf der Straße einem Menschen nicht nur mit den Augen nachsieht, ist Blickkontakt beim Reden eine Sache der Bewegung des ganzen Menschen. 28 Die verräterische Mimik er Theologe Heinz Eduard Tödt hört an der Universität Basel Vorlesungen von Karl Barth. Er genießt es, wenn sich Barth mit den Ansichten des Philosophen Karl Jaspers auseinandersetzt - und manches nur aus den Gesichtszügen ablesbar ist: 206 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird »Der Vortrag ist konzentriert, lebendig, voller Humor, viele Anspielungen, aber nie grobe und wohl auch kaum direkte Polemik unter Namensnennung; aber kleine, nur dem Eingeweihten bemerkbare Seitenhiebe machen ihm ein diebisches Vergnügen. Er begleitet sie mit einem spitzbübischen Lächeln. Manchmal fällt der Name Jaspers. „Mein verehrter Herr Kollege Jaspers meint, Jesus könne das Wort, er sei als Schwert in diese Welt gekommen, um zu scheiden, nicht gesprochen haben. Ich fürchte - doch.“ Die Mimik sagt dann dabei alles. Die Hörer schmunzeln.« 236 Mimik gibt der Rede eine Zusatzinformationen. Sie verstärkt eine Pointe, mildert eine Kritik, unterstützt die Bedeutung einer Aussage. An der Mimik erkennen die Zuhörenden auch leicht, ob der Redner bei der Sache ist. Im Jahr 2011 veränderte der Internetanbieter Netflix die Kostenberechnung für seinen Streaming-Dienst, und zwar so gründlich, dass die Preise für die Endkonsumenten drastisch anstiegen. Dabei wurde versäumt, diese Verteuerung rechtzeitig zu kommunizieren, und die Abonnenten waren verärgert. Dann trat der CEO an die Öffentlichkeit und sagte: „I'm sorry.“ Leider lächelte er dabei. Hunderttausende von Kunden, die diese Diskrepanz wahrgenommen hatten, kündigten daraufhin ihre Abos. 237 Seine Mimik hatte etwas anderes ausgedrückt als seine Worte. Das Beispiel zeigt, dass Mimik mehr ist als ein mechanisch angewandter Code. Mimik ist die Bezeichnung dafür, dass das Gesicht erkennen lässt, wie wir zu unseren Mitmenschen und zu unseren Worten stehen. Ein Lächeln kann dem Publikum einfach mitteilen: „Ich freue mich, euch zu sehen.“ Es kann aber ebenso gut sagen: „Was ich jetzt sage, ist nicht so ernst gemeint.“ Oder es kann eine ernsthafte Aussage ironisch konterkarieren. Und wie das Lächeln entwickelt sich auch die übrige Mimik dadurch, wie der Redner bei der Sache und bei seinem Publikum ist. Gerade bei sorgfältig vorbereiteten, zu ausgeklügelten Präsentationen kann es geschehen, dass sich Redeabsicht und Mimik widersprechen. Das Publikum kann darauf, wie das Beispiel zeigt, empfindlich reagieren. Die Mimik als Spiegel Mimik begleitet die Gedanken. Mimik drückt Emotionen und Affekte aus. Oft sagt sie einfach etwas über die körperliche Verfassung aus, was der Redner lieber für sich behielte (Müdigkeit durch Gähnen, Übelkeit durch Verkrampfung etc.). Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 207  Mimik Die Mimik eines Redners setzt sich aus vielen Elementen zusammen, z.B.:  Stirnrunzeln  Augen öffnen, schließen, zukneifen  Lippen schürzen  Zähne blecken  Zunge zeigen Wie bei anderen Mitteln der Gestaltung hängt die Mimik nicht nur vom Thema und der Interaktion mit dem Publikum ab, sondern auch von den Konventionen der Redegattung. In vielen Fällen - zum Beispiel bei akademischen Reden - ist Zurückhaltung üblich, auch wenn die Sache und die Stimmung ganz anderes erlauben würden. Da wirkt die Tradition der Mimik-Kontrolle nach, die schon in der römischen Antike als angemessen galt (und wo es bereits selbstverständlich war, den Ausdruck des Gesichts im Zusammenhang mit dem des übrigen Körpers zu sehen 238 ). Vor einem vergnügten Kabarett-Publikum hält Heinz Erhardt eine „Festrede“. Sie verdankt ihre Effekte genau dieser Tradition. 239 Er gibt den pflichtbewussten, humorlosen Redner. Ohne mit der Wimper zu zucken, deklamiert er: »... Das ist aber noch lange kein Grund, Trübsal oder ähnliche Instrumente zu blasen. Denn wie sagt schon Fritz Nietzsche in seinem Buch Na also, sprach Zahnarzt Dustra - er spricht also: „Freunde! Zähne hoch! Beißt den Kopf zusammen! Es hat keinen Sinn, die Stirn zu fletschen oder die Zähne zu runzeln, nee, denn Rom ist nicht an einem Tag von der Wölfin gesäugt worden.“« Das Publikum freut sich über die Wortspiele und lacht immer wieder hell auf. Erhardt bleibt freundlich, verzieht aber keine Miene. Er ist der klassische Festredner, der seine Mimik am Ernst der Aufgabe, nicht den aktuellen Reaktionen der Festgemeinde orientiert. Wer das Video aus dem Jahr 1963 sieht, erkennt, dass es gut eingespielter Routine bedarf, so wenig auf die Emotionen im Publikum einzugehen. Für alle nichtkabarettistischen Situationen dagegen gilt, sich auf die Stimmung im Saal einzulassen. Denn Mimik hat nicht nur eine Ausdrucksseite, sie ist auch ein Spiegel dessen, was man wahrnimmt. Wer das Lächeln im Publikum bemerkt, wird mitlächeln. Wer merkt, dass seine Heiterkeit keine Resonanz hat, den verlässt die Heiterkeit. 208 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Lässt sich Mimik steuern? Während also Rednerinnen in der Öffentlichkeit traditionell dazu tendieren, die Mimik zu reduzieren, empfiehlt eine konstruktive Rhetorik, bei der Sache und dem Publikum zugewandt zu bleiben. Dazu gehört nicht nur eine gute inhaltliche Vorbereitung, sondern auch das Bewusstsein, dass die Rede eine gemeinsame Leistung von Rednerin und Publikum ist. In einer als dialogisch verstandenen Kommunikation zeigen die Gesichter der Zuhörenden, wie gut diese den Gedankengang der Rednerin verstanden haben und ob sie emotional mit ihm mitgehen. Wer auf die Mimik von Zuhörenden achtet, wird erkennen, dass sie ihn in seiner Aufgabe unterstützen, ja gelegentlich auch, dass sie ihn durch einen positiven Gesichtsausdruck ermuntern, die Aufgabe lockerer anzugehen. 240  Mimik dialogisch  Eine freundliche Einstellung ist der Schlüssel zu einer Mimik, die vom Publikum positiv aufgenommen wird.  Sehen Sie Ihr Publikum an, lassen Sie sich Zeit, um sich nonverbal mit Ihren Zuhörenden auszutauschen.  Denken Sie mit. Es ist nicht möglich, zu lächeln, wenn man vorformulierte Aussagen mechanisch von sich gibt. 29 Gesten, die Kontakt schaffen ch habe einen Freund. Der ist so groß wie ein Baum, mit Schultern so breit wie ein Kleiderschrank ...“ Wir saßen im Landhaus im Neuen Park in Bornheim zwischen Köln und Bonn. Der Rhetoriktrainer Alfred Rademacher hatte uns den Text verteilt. Man stellte sich vor den anderen Lernbegierigen auf, nahm all seinen Mut zusammen und fing an. Die Aufgabe war, den Vortrag so ausgiebig wie möglich mit Gesten zu begleiten. »Ich habe einen Freund, der ist so groß wie ein Baum mit Schultern so breit wie ein Kleiderschrank. Der baut begeistert Flugzeugmodelle - kleine, mittlere und große. Des Sonntags nimmt er seine Kinder bei der Hand, die Modelle unter den Arm und geht hinaus vor die Stadt. Dort lässt er seine Flugzeuge steigen. Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 209 Die kleinen heben leicht vom Boden ab, machen ein paar Hupfer und setzen wieder auf. Die mittleren steigen schräg hoch, wenden ein paar Mal und gleiten elegant zur Erde zurück. Aber die großen, rasanten steigen steil hoch, kreisen in der Luft und stürzen im Sturzflug zur Erde hinunter, wo sie zerschellen. Das ist bitter, sehr bitter. Aber mein Freund macht sich nichts draus. Er sammelt die Trümmer wieder auf, nimmt seine Kinder bei der Hand und geht nach Hause. Dort baut er neue, viel schönere Flugzeugmodelle.« Die meisten Kursteilnehmenden machten mit Begeisterung mit. Sie gingen in die Knie oder bewegten sich im Raum. (Damit erweiterten sie automatisch den Spielraum, den das moderne Wort Gestik meint, das oft nur für Arm- und Handbewegungen gebraucht wird. In historischen Texten bedeutet das Wort eher die Gebärde und schließt den restlichen Körper mit ein. 241 ) Der Text vom Modellflugzeugbauer - er wird unter Redelehrern ohne Quellenangabe von Generation zu Generation weitergegeben - eignet sich hervorragend für raumgreifende Armbewegungen, ja sogar Schritte und Kniebeugen. Die Übung hilft, sich mehr Freiheit zu verschaffen, Mut für einen lebendigeren Ausdruck zu fassen. Sie macht Spaß und reißt oft auch schüchterne Kursteilnehmer aus der Reserve. Ein solch spielerischer Umgang mit der eigenen Gestik kann ein Anfang sein, um das große Spektrum an gestischen Möglichkeiten kennenzulernen, über das jeder verfügt. Dies kann dazu anregen, sich auch nonverbal vielfältiger auszudrücken - nicht um vor dem Publikum wild zu gestikulieren, sondern um Ausdrucksformen zu aktivieren, die man bisher vernachlässigt hat. Die Übung fördert allerdings vor allem eine einzelne Dimension der Körpersprache: die visuelle Darstellung. Man symbolisiert mit den Händen die Konturen des Baums oder Kleiderschranks, man zeichnet die Bewegungen der Modellflugzeuge nach. Diese Art Gestik wird in der Redepraxis nicht sehr häufig gebraucht. Viele andere, wichtigere sind einem meist gar nicht bewusst. 210 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird  Wie Gesten wirken, die die Rede vor Publikum begleiten Gesten ohne Worte:  pragmatisch: z.B. Gruß, Anerkennung  informativ: z.B. Zustimmung, Verneinung  emotional: z.B. Anerkennung, Ablehnung Redebegleitende Gesten:  strukturierend  simulierend  zeichnend: analoge Formen  abwesend: völlige Ruhe In den folgenden Abschnitten wird deshalb auf einzelne Typen von Gesten hingewiesen, die beim Reden vor Publikum vorkommen. Das Ziel ist es, Neugier auf die Vielfalt der Körpersprache zu wecken und auch die Lust, das eigene Repertoire zu ergründen. Gesten, die Worte ersetzen Der US-Präsident spricht zu seinen Kumpels der National Rifle Association. Sie haben seinen Wahlkampf mit 20 Millionen Dollars unterstützt und empfangen ihn mit Applaus und Sprechchören. Noch bevor er zu Wort kommt, signalisiert er ihnen nonverbal seine Sympathie. Er klatscht in die Hände, hebt dann die Rechte zum Gruß, klatscht nochmal, ballt dann beide Fäuste auf Schulterhöhe, lächelt, als der Sprechchor „USA! USA! “ beginnt, und unterstützt dies wie ein Dirigent mit beiden Händen. 242 Das mag man für widerliches „Machotum“ halten. Aber es zeigt deutlich, wie viel Zeit verstreichen kann, ohne dass eine einzige verbale Äußerung getan wird. Dies ist möglich, weil es nicht nur Gesten gibt, die Worte begleiten, sondern auch solche, die für sich stehen. Sie wirken auch dann, wenn der Redner stumm bleibt. Auch wer kein populistischer Politiker ist, verfügt über konventionelle Signale der Begrüßung oder der Bestätigung. Im mitteleuropäischen Kulturkreis kennen wir das Kopfnicken mit der Bedeutung „ja“ oder das Schulterzucken mit der Bedeutung: „Ich weiß nicht.“ Bei einer Rede vor Publikum ist das Repertoire an stummen Gesten zwar stark eingeschränkt; aber dennoch bleibt einem Redner sehr oft nichts anderes übrig, als nonverbal zu agieren. Dies kann etwa sein, wenn er bereits vor dem Publikum steht und von einem anderen Redner eingeführt wird. Während der Rede kann es vorkommen, dass sich das Publikum so laut äußert (weil es lacht oder applaudiert), dass man stumm agieren muss. Da bleibt oft nichts anderes, als durch spontane Gesten Dankbarkeit, Freude oder Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 211 Ratlosigkeit auszudrücken. Dazu dienen oft individuelle Formen, die ad hoc entstehen und außerhalb der Situation mehrdeutig wären.  Gesten ohne Worte  können sich auf kulturelle Codes beziehen, z.B. das Zählen mit den Fingern oder das Heben des Daumens  können dem individuellen Ausdruck von Gefühlen und Meinungen dienen, beispielsweise wenn man sich streckt oder mit der Hand durchs Haar fährt Von der Rede losgelöst sind auch oft Gesten, die einem rein emotionalen Ausdruck dienen - vom In-die-Hände-Klatschen bis zum Hängenlassen der Schultern. Solche nichtsprachlichen emotionalen Signale können Worte begleiten, sie können aber auch ohne Worte eingesetzt werden. Zwar sind aus rhetorischer Sicht die redebegleitenden Gesten wichtiger. Aber für die persönliche Entwicklung als Redner ist es nützlich, sich der Möglichkeit stummer Gestik bewusst zu sein. Es ist ein Teil der Technik, die einem hilft, sich Zeit zu lassen, um die Gedanken zu sammeln und sich erneut auf das Publikum einzustellen. Gesten, die die Rede begleiten Steve Wozniak, Mitbegründer von Apple, erzählt Geschichten aus seiner Studentenzeit. Er steht auf einer Bühne an der Universität Berkeley, wo er selbst studiert hat, 243 und erinnert sich an das abenteuerliche Leben, das er und seine Mitstudenten führten. Er will bei diesem Auftritt nichts verkaufen. Er erzählt einfach, was er erlebt hat, und was ihm damals Spaß gemacht hat. Wozniak ist ein eifriger Gestikulierer. In der linken Hand hält er ein paar kleine Zettel, an denen er sich immer wieder orientiert. Dies hindert ihn aber nicht, mit den Armen allerlei Bewegungen auszuführen. Mal mit der Rechten, mal mit der Linken, oft mit beiden Händen malt er ganze Welten in die Luft. Das Video mit Steve Wozniak ist eine Fundgrube für die verschiedensten Arten von Gesten. Es soll hier als Einführung in die Bandbreite der Gestik dienen - immer im Hinblick darauf, das eigene gestische Repertoire zu studieren und allenfalls lustvoll zu erweitern. Hintergrund ist immer das Wissen, dass eine bemühte oder übertriebene Körpersprache kontraproduktiv ist, dass aber die Kenntnis der eigenen Möglichkeiten zu einem freieren Umgang damit führen kann. 212 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Im hier verwendeten Ausschnitt erzählt Wozniak vor allem von den Streichen, die er seinen Mitmenschen immer und überall gespielt hat. Von Berkeley aus beschaffte er sich jenseits der mexikanischen Grenze Feuerwerk, um damit die arglosen Uni-Angehörigen zu erschrecken. Wozniak springt von einem Erlebnis zum anderen. Oft bricht er auch Sätze ab. Dennoch erkennt man den roten Faden, und die Moral (etwa, dass er dankbar ist für die Gastfreundschaft der Familien seiner Freunde oder dass er seinen Eltern nicht zur Last fallen wollte) ergibt sich unaufdringlich nebenbei: »Ich hatte ein Auto. Ich hatte ein Jahr frei genommen, um das Geld zu verdienen, das ich brauchte, um nach Berkeley gehen, um meine Eltern nicht zu belasten. Ich hatte auch ein Auto gekauft, einen Pinto, und jedes Wochenende war ich es, der uns in Zweiergruppen runterfahren musste nach - Harvey kam von - äh Taft, Kalifornien, und wir fuhren nach Rosemead zum Haus von Phil Double, und sie bewirteten uns so gut und - und ich fuhr zu meinen Eltern und ich fuhr nach Tijuana. Diese Hunde [die Drogenhunde am Grenzübergang] konnten kein Schießpulver riechen; so kaufte ich jeweils große M-80s und Cherry bombs [Knallkörper, die in den USA verboten waren] und fuhr zurück zum Wohnheim und wir - Unser Teppich war voll zugedeckt während der ganzen Fahrt, der einzige, der geschnappt wurde, war, wie ich schon sagte, ein Typ vom oberen Stock. Einmal beschlossen wir, eine Popcorn-Bombe zu machen, eine Tüte voll Popcorn mit einer Cherry bomb mitten drin, und wir ließen sie runtersausen an dieser 40-Pfund-Angelschnur, die ich hatte, mit der Steve Jobs und ich einen Streich gespielt hatten, vom Flur im siebten Stock der Norton Hall über dem Garten zur äh Ida Sproul Hall, über dem Flur im ersten Stock. Und wir - es war der Garten der Hausverwalterin - und wir rechneten all die Physik aus, um zu berechnen, wie lang die Zündschnur sein musste, an der Wandtafel im Flur in unserem siebten Stock. Bin richtig stolz darauf.« Dieser Ausschnitt dauert nur gerade eine Minute. Dennoch sind über zwanzig verschiedene Gesten zu erkennen. Zum Teil dauern sie sehr kurz, zum Teil begleiten sie einen ganzen Satz. Es sind zum Teil ganz einfache universelle Formen, die sich selbst erklären, etwa wenn er ein Jahr sagt und dazu den Zeigefinger hebt. Andere sind kulturell bedingt und nur zu verstehen, wenn man in den USA aufgewachsen ist, etwa wenn er Zeigefinger und Daumen zu einer so genannten Ringgeste schließt, die „außergewöhnliche Qualität“ (des Angebots in Tijuana) bedeutet. Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 213  Gesten können hilfreich sein  Gestischer Wortschatz: Kulturell kodierte Gesten, die Redner und Publikum aufgrund ihrer gemeinsamen Kultur teilen.  Situative Gestik: Spontane Gesten, die aus der Situation heraus entstehen und nur im Kontext verstanden werden. Andere Gesten entstehen ad hoc, etwa als Wozniak über seine Einkaufsaktionen im mexikanischen Supermarkt spricht: Er greift mit der offenen Hand nach rechts, schließt sie, zieht sie dann an sich, als ob er sich in den Regalen bediente. Um diese situativen Gesten zu verstehen, muss man dabei sein; die Gesamtbedeutung ergibt sich aus der Kombination von Wort und Bild. Damit vollführt Wozniak ein Potpourri von Gesten mit sehr unterschiedlicher Herkunft. Für uns sind fünf verschiedene Gruppen 244 wichtig, die zeigen, dass nonverbale Kommunikation nicht nur hilft, „etwas mit seinen Händen zu tun“, wenn man fürchtet, ansonsten zu statisch zu wirken. Sie macht auch die Botschaft verständlicher und bringt damit den Redner näher zu seinem Publikum. Dies wiederum erhöht seine Sicherheit. Strukturieren und zeigen Eine bewusste Gliederung geschieht oft mit strukturierenden Gesten (Regulatoren). Sie kann die nächste Sprechhandlung vorbereiten: Man hebt eine Hand, um anzuzeigen, dass gleich eine entscheidende Botschaft folgt, oder man zählt mit den Fingern die einzelnen Thesen in einer Reihe von Aussagen. In vielen Fällen bekommen die Gesten rhythmische Funktion: Die Rednerin gibt sich selbst den Takt vor, indem sie eine Hand erhebt und ihre Rede mit gleichförmigen Schlägen quasi dirigiert. Abb. 17: Rhythmische Gestik: „Diese Hunde konnten kein Schießpulver riechen! “ Die rechte Hand schlägt den Takt - ein Schlag für jedes Wort. In der linken hält der Redner seine Gedächtnisstütze. 214 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Neben Gesten, die eine Rede unterteilen oder den Takt unterstreichen, gibt es viele weitere Gesten, die sich auf die Struktur und nicht auf den Inhalt der Rede beziehen. Nah verwandt ist eine Gruppe der gedanklichen Gesten: Jede Hauptaussage wird auf einer anderen Höhe im Raum „fixiert“ (z.B. zu den Worten: „Auf der einen Seite ..., auf der anderen Seite ...“) Eine große Gruppe von Gesten hat Zeigefunktionen (deiktisch). Man weist auf Dinge und Personen im Raum hin, aber auch auf imaginäre Orte. Wozniak hat eine gedankliche Landkarte Kaliforniens vor sich und „zeigt“ darauf, wie er von Berkeley zur Kleinstadt Taft gefahren ist. Abb. 18: Deiktische Gestik: „Harveys kam von Taft, Kalifornien“: Die rechte Hand zeigt, wo sich das Haus auf der imaginären Landkarte des Redners befindet. Den Kontakt verstärken Viele Gesten zeigen nichts, sondern haben kontaktbildenden Charakter. Man sieht oft Redner, die eine Hand in die Richtung des Publikums führen, ohne damit auf Publikum zu zeigen. Ohne explizites verbales Korrelat unterstreicht die Geste, dass das, was gesagt wird, ans Publikum gerichtet ist. Abb. 19: Kontaktgeste: Die erhobene Hand zeigt an: „Ihr seid gemeint“ und interpunktiert gleichzeitig die Rede. Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 215 Eine ähnliche Funktion haben die emphatischen Gesten, die das Gesagte besonders betonen oder auch relativieren. Man erhebt zum Beispiel die Hand, um die Wichtigkeit der Botschaft (und seiner selbst als ihres Verkünders) zu unterstreichen. Viele Beispiele aus dieser Gruppe zeigen, dass sich keine klare Grenze zwischen Gesten für den Redner und Gesten für das Publikum ziehen lässt. Was auch immer ein Redner mit seinem Körper tut - er beeinflusst damit sich selbst und vermittelt gleichzeitig Informationen. Das ist es, was die nonverbale Kommunikation dialogisch macht. Der Redner unterstreicht eine Aussage mit einer Geste, weil er nicht anders kann. Das Publikum spürt, dass ihm diese Aussage wichtig ist. Handlungen simulieren Manchmal werden Handbewegungen, von denen die Rede ist, mit Gesten simuliert. Die Aussage wird also gleichsam auf der nonverbalen Ebene verdoppelt. Wozniak erzählt, dass er „M 80s“ und „Cherrybombs“ gekauft hat. Er greift dabei in die Luft und zieht imaginäre Produkte aus dem Regal: „Ich kaufte große M-80s und Cherry bombs und fuhr dann zurück …“. Bei „fuhr“ hebt er beide Hände hoch und bewegt sie simultan auf und ab, als ob er ein Steuerrad in der Hand hielte. Abb. 20: Simulierende Gestik: Der Redner am Steuer. Diese Gesten können simulierend genannt werden, weil sie eine Handlung nachzeichnen, bei der genau die gleichen Handbewegungen benutzt werden. In einem anderen Fall schreibt Steve Wozniak mit seiner rechten Hand auf eine imaginäre Wandtafel. Oder er spricht von Berechnungen, die er mit Papier und Bleistift ausführte, und begleitet dies mit Schreibbewegungen. Als er eine große Schleuder erwähnt, zieht er an einer unsichtbaren Gummischnur, um sie zu spannen. Diese Art der Inszenierung ist im ungezwungenen Gespräch überraschend häufig. Man illustriert eine einfache Tätigkeit - nicht, weil sie sonst nicht 216 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird verstanden würde, sondern aus Freude. Steve war stolz, ein Auto zu haben und Tausende von Meilen damit zu machen, was er aus der zeitlichen Distanz humorvoll kommentiert. Deshalb spielt (und übertreibt) er die Manipulation am Steuerrad. In Alltagsgesprächen kann man beobachten, dass jemand zu den Worten: „Er grüßte mich“ die Hand an die Stirn führt und die nonverbale Geste des „An-den-Hutrand-Tippens“ nachvollzieht. 245 In didaktischen Situationen werden solche Gesten schließlich auch genutzt, um eine Tätigkeit, die normalerweise mit den Händen vollzogen wird, realitätsnah anzudeuten. Die Geste wird Thema: Der Fußballtrainer demonstriert, wie der Ball gehalten wird, wenn man ihn aus dem Aus einwirft. Die Cellistin zeigt, wie sie in einer schwierigen Passage den Bogen hält, der Priester führt die korrekte Form der Segnung bei der Taufe. Diese Beispiele zeigen, dass ein Nutzwert dabei sein muss, wenn simulierende Gesten wirken sollen. Beim Beispiel „Autolenken“ liegt der Nutzwert in der humorvollen Distanz, beim Beispiel „Einwurf“ liegt er in der Vorbildfunktion. Ein einfaches Nachbilden der Realität aus rein choreografischen Gründen wirkt dagegen eher merkwürdig. 246 Viele Gesten, die wir täglich vollführen, sind nicht mehr simulierend, sondern geben eine Tätigkeit in reduzierter Form wieder. Mit ihnen zeigt man nicht mehr, was gemeint ist, sondern bedeutet es. Dies geschieht zum Beispiel, wenn man von einem Telefongespräch berichtet und dabei die Hand mit gespreiztem Daumen und kleinem Finger zum Kopf führt. Dabei wird nicht nur das Halten eines Telefons dargestellt, sondern auch das Telefon selbst symbolisiert - in einer Form, die weit weg ist von den heute üblichen Geräten. Auch hier ist der Nutzwert für den Gesprächspartner minimal, für den Redner aber oft hilfreich. Bilder, Formen, Größen und Bewegungen andeuten Solche Reduktionen führen zu analogen Gesten, die eine Form oder andere Eigenschaft andeuten. Der Redner nennt z.B. eine bestimmte Form und zeichnet sie in der Luft nach: eine geometrische Figur oder einen Kurvenverlauf. Steve Wozniak zeichnet den Verlauf der Angelschnur nach, mit der die Freunde eine Seilbahn fabrizierten: Er führt die rechte Hand von links oben nach rechts unten, im ungefähren Neigungsgrad der damaligen Konstruktion. Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 217 Abb. 21: Analoge Gestik: Die rechte Hand fährt der imaginären Angelschnur entlang. Analoge Gesten können auch Dimensionen und Ausmaße von Gegenständen mit den Händen bezeichnen. „Die Tür ist etwa so breit“, sagt man und hält die Hände entsprechend auseinander oder: „Das Kind ist so groß“. Damit ist oft eine Übertreibung verbunden. Man breitet die Arme aus und sagt: „Ein riesiges Stück Torte“, ohne dies auch so zu meinen. Man unterstreicht die Geschwindigkeit einer Handlung durch eine Handbewegung, die so schnell ist, dass sie dem gemeinten Tempo nicht mehr entspricht. Verständlich ist es dennoch - und es ist erkennbar, dass der Redner bei der Sache ist. Wenn Gestik fehlt In den ersten Sekunden auf der Bühne steht Steve Wozniak einfach mit herunterhängenden Armen da. In seinem riesigen Gestik-Repertoire befindet sich offenbar auch der Typ keine Gestik. Es gibt Menschen, die eine sehr lange Zeit reden, ohne sich aus ihrer Position heraus zu bewegen. Für Wozniak ist dies nur ein kurzer Moment, in dem er eine Pause und einen neuen Einsatz unterstreicht. In diesen gestenfreien zwei Sekunden sagt er: „I had a car.“ Und weil er dennoch ständig den Kontakt mit den Zuhörenden sucht, blickt er ins Publikum, hebt seine Augenbrauen und betont das Wort „car“, indem er seinen Kopf etwas nach vorne schiebt. Es ist mindestens so überzeugend wie all die anderen Dinge, die er sagt und mit seiner lebhaften Gestik unterstreicht. Es gibt andere gute Gründe, auf Gestik zu verzichten. Als Barack Obama in der Westminster Abbey zu den Mitgliedern des britischen Parlaments spricht, beginnt er mit einer scherzhaften Überlegung, ohne sie auch nur mit einer Geste zu begleiten. Er hält sich zunächst am Rednerpult fest, löst die Hände dann ein wenig davon. Aber er bewegt seine Arme nicht: 218 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird »My Lord Chancellor, Mr Speaker, Mr Prime Minister, my Lords and members of the House of Commons! Ich kenne wenig größere Ehrungen als die Gelegenheit, vor der Mutter aller Parlamente in Westminster Hall zu sprechen. Man sagte mir, die letzten drei Redner seien der Papst, ihre Majestät die Königin und Nelson Mandela gewesen. Das ist entweder eine sehr hoch gesetzte Hürde oder der Anfang zu einem sehr lustigen Witz.« 247 Die versammelten Honoratioren lachen, applaudieren, und Obama lässt ihnen dazu zehn Sekunden Zeit. Er hat keinerlei Gestik eingesetzt; aber mit seinem Blick und mit Kopfbewegungen hat er den Kontakt mit dem gesamten Publikum bewahrt. Alles andere wäre in dieser Situation und an diesem Ort eher kontraproduktiv gewesen und hätte der Pointe geschadet.  Reden ohne Gestik ist genauso erlaubt wie Reden mit exzessiver Gestik. Beides muss der Persönlichkeit und der Sache entsprechen. Wesentlich ist, sich bewusst zu sein, dass dann der Dialog stärker über den Blickkontakt läuft, den man deshalb besonders beachten muss. Gesten helfen Redner und Publikum Wie bereits erwähnt, helfen Gesten dem Redner. Sie tun dies auf verschiedene Weise: Sie können die Selbstsicherheit stärken, sie können aber auch den Prozess des Formulierens unterstützen. 248 Manchmal ist die Gestik auch einfach eine Erinnerungshilfe für den Redner. Wozniak hat offensichtlich die Orte, in denen die Erzählung spielt, bildhaft vor sich. Mit seinen Gesten bewegt er sich im Raum, indem er etwa auf ein Fenster oder eine Tür zeigt und sie gestisch öffnet und schließt. Ja, er lässt sogar seine Hand auf einer imaginären Landkarte durch ganz Südkalifornien wandern. In der Forschung wird dabei von Adaptoren oder Ableitungsgesten gesprochen - von Gesten, die dazu dienen, „bestimmte körperliche oder emotionale Bedürfnisse zu befriedigen bzw. ihrer irgendwie Herr zu werden.“ 249 Dennoch kann auch dies eine positive Wirkung auf den Dialog haben. Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 219 Abb. 22: Adaptor: Die Hand an der Stirn hilft beim Nachdenken. Wenn Steve Wozniak sich an die Stirn greift, weil er nach einem Namen sucht, der ihm nicht einfallen will, denkt er nicht ans Publikum, es geht ihm nur um eine Pause für die mentale Arbeit. Aber gleichzeitig erklärt es den Zuhörenden, weshalb diese Pause entsteht. In einer guten Atmosphäre findet sich schnell jemand, der ihm den Begriff zuruft (→ Kapitel 25 ∣ Was kommt zurück? Wie die Körpersprache den Dialog unterstützt). Die Geste ist also ein Zeichen der Sprechplanung und dient damit auch der Verständigung auf einer Metaebene. Den Spielraum für den Dialog nutzen Bernard Baruch war schon 49 Jahre alt und Berater des US-Präsidenten Wilson, als er beim Reden noch immer schnelle, heftige Gesten machte. Der Präsident höchstpersönlich nahm ihn zur Seite, um ihm eine passendere Gestik nahezubringen: »Während der Friedenskonferenz in Paris nahm er sich eines Abends die Zeit, mir zu zeigen, wie man langsame Gesten statt abrupter macht. „Sehen Sie, so“, erklärte er und machte mit der Hand eine langsame Bewegung, „nicht so“, und er streckte die Hand mit einem Ruck aus.« 250 Im englischen Original lautet die Bezeichnung übrigens nicht langsame Gesten machen, sondern: to gesture graciously - also freundlich, huldvoll zu gestikulieren. Sein Anliegen war also, eine gewisse Eleganz in die Bewegungen zu bringen. Das ist generell die Ansicht, die auch Rhetoriktrainer vertreten: Gestik ist gut, aber moderat soll sie sein. Ein Ratschlag lautet zum Beispiel: »Sie sollten mit offenen und ruhigen Gesten signalisieren, dass Sie nichts zu verbergen haben ...« 251 220 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Die Frage ist nur, was man mit solchen Tipps anfangen soll, wenn sie ins Detail gehen, etwa so: »Grundsätzlich sollten sich die Arme oberhalb der Hüftlinie, im so genannten Positiv-Bereich, befinden.« 252 »Ballen Sie eine Faust und bewegen Sie sie hin und her, um eine wichtige Aussage zu unterstreichen.« 253 Diese Ratschläge stammen aus durchaus gut gemeinten, zum Teil empfehlenswerten Ratgebern. Die Erkenntnis, dass eine moderat eingesetzte Gestik hilfreich ist, kann nur bestätigt werden. Aber wie soll das erreicht werden? Die Lösung scheint entweder darin zu bestehen, es bei solchen allgemeinen Formulierungen zu belassen, oder eine detaillierte Liste von Regeln aufzustellen, „die jede Haltung und Bewegung penibel erfasst und auch z.B. auf die Finger ausgedehnt ist,“ wie es Karl-Heinz Göttert mit Blick auf die antike Rhetorik formuliert. 254 Es ist klar, dass man sich damit genau so auf Äußerlichkeiten fixiert, wie es schon Kleist kritisierte.  Gestik ist individuell Die persönliche Gestik entwickelt sich im Lauf des Lebens. Gestik entwickelt sich im Lauf einer Rede. Es ist normal, wenn man zu Beginn weniger stark gestikuliert. Gesten sollen nicht als persönliche Kunststücke verstanden werden, sondern als Teil der an das Publikum gerichtete Botschaft. Die Ratlosigkeit in Bezug auf die Gestik hängt auch damit zusammen, dass es in der westlichen Redekultur wenig Normen gibt, die sagen, was ein Redner mit seinen Armen und Händen tun sollte. Das Gute daran: Die Regeln des Alltags und des öffentlichen Auftritts haben sich so stark angenähert, dass ein großer persönlicher Spielraum besteht. Die Art und Häufigkeit der Gestik wird von Rednern sehr stark mit der Persönlichkeit und ihrem Herkommen in Verbindung gebracht. Erklärungen wie: „Diese Gestik gehört zu mir“ oder auch: „Gesten sind nicht mein Fall“ sind in Rhetorikseminaren an der Tagesordnung. Das sollte auch der Ausgangspunkt sein. Für die individuelle Verbesserung gilt es nicht, einen Stil durch den anderen zu ersetzen, sondern den persönlichen Stil weiterzuentwickeln. Für den Redner besteht die Aufgabe zunächst darin, sich nicht zu sehr um die Gestik zu sorgen. Als Zweites gehört allerdings dazu, Gestik als Teil eines kommunikativen, auf Dialog ausgerichteten Sprechens zu sehen. Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 221 Persönliche Gestik entsteht aus einer sicheren Haltung Gerald Hüther, Neurobiologe, leitet ein zweitägiges Seminar zum Thema „Was Kinder brauchen“. Es ist der Morgen des zweiten Tages, und er spricht sich warm. Zunächst verspricht er, dass er sich gleich den Seminarteilnehmern vorstellen werde („... damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben ...“). Dann unterbricht er sich, weil ihm bewusst ist, dass ihn wohl viele vom Vortag schon kennen. Also fängt er einen neuen Satz an: „Darf ich erst mal fragen, wer gestern schon dabei war? “ 255 Abb. 23: Hände in den Hosentaschen: Auch so kann man in Kontakt mit dem Publikum bleiben. Das Bemerkenswerte daran: Bis jetzt hatte er beide Hände in den Hosentaschen. Jetzt, bei der Frage, nimmt er eine Hand heraus, hebt sie empor und bewegt sie im Rhythmus des Fragesatzes. Fast alle im Saal melden sich. Da entfährt ihm ein Stoßseufzer: „Ach, du lieber Gott! “ Er blickt etwas ratlos in die Runde, bis er sagt: „Ja, das ist nicht weiter schlimm ...“ Ein schallendes Gelächter ist die Quittung. Eigentlich wollte er zu einer Erklärung ansetzen. Wieder hat er die rechte Hand aktiviert, ist aber nicht weitergekommen, sondern muss mitlachen. Eine lebhafte Gestik entwickelt sich erst nach über fünf Minuten. Bis da hat Hüther ständig eine oder beide Hände in den Taschen. „Pfui! “ ruft da das Rhetorik-Handbuch und prangert das als ungezogenes Verhalten an: »Es ist dem Publikum gegenüber respektlos, beide Hände während des Sprechens in die Hostentaschen zu stecken.« 256 »Versteckte Hände - in den Hosentaschen oder hinter dem Rücken - werden immer als negativ empfunden.« 257 222 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird »... dies ist die Botschaft der Hand in der Hosentasche: Das Gegenüber wird nicht für voll genommen.« 258 „Nimm die Hände aus den Taschen! “ ist eine der beliebtesten Erziehungsregeln, wenn es um nonverbale Kommunikation geht. Die Begründung liegt oft in erfundenen Lehren aus der Kulturgeschichte: „Wer die Hände in die Hosentaschen steckt, hat etwas zu verbergen.“ (Ein einleuchtendes Argument nennt Gudrun Fey: „... Außerdem birgt die Hand in der Hosentasche die Gefahr, dass man mit Gegenständen, die man darin verstaut hat - Schlüssel Taschentuch, Kleingeld -, herumspielt. So etwas kann wirklich peinlich wirken.“ 259 ) Das Dumme ist nur: Auf den konkreten Fall trifft das alles meist nicht zu. Die Hände in den Hosentaschen hindern den Redner nicht am Reden und erschweren nicht seinen Kontakt zum Publikum. Mit seinem herzlichen Lachen hat es Hüther gezeigt, dass es von Anfang an mitgeht. Es empfindet das Gesamtpaket offensichtlich nicht als negativ, und darüber hinaus scheint sich auch der Redner selbst in dieser Haltung wohl zu fühlen. Locker dazustehen und die Hände in den Taschen zu haben, ist für ihn eine Ausgangsposition, die ihm Sicherheit verschafft. Auch bei ihm entwickelt sich aus dieser Haltung dann allmählich eine freiere Gestik, die bis zum Ende des Vortrags anhält. Die hilfreiche Ausgangsposition Die Erfahrung zeigt, dass eine Gestik, die zur Persönlichkeit und zur Aussage passt, sich am leichtesten entwickelt, wenn man aus einer Grundposition heraus agiert, in der man sich wohlfühlt. 260 Für viele Sprecherinnen ist ein erster Schritt schon getan, wenn sie lernen, auf beiden Beinen zu stehen, bevor sie mit Sprechen beginnen, und wenigstens die ersten Worte aus sicherem Stand heraus zu sprechen. Dies bedeutet also, dass man sich als Rednerin nicht auf die Hände oder Arme konzentriert, sondern auf einen sicheren Stand. Wer auf beiden Beinen steht und den Schwerpunkt seines Körpers in der Körpermitte (also im unteren Bauchbereich) spürt, schafft sich eine gute Ausgangslage. Die Arme können ohne Weiteres zunächst hängen gelassen werden. Dies erhöht die Chance, dass sich eine Gestik entwickelt, die für einen selbst natürlich ist. Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 223  Eine sichere Ausgangsposition  Beine leicht auseinander  auf beiden Füßen stehen  den Schwerpunkt des Körpers in der Körpermitte spüren  Arme hängen lassen Gestik entsteht aus dem Bezug zum Publikum Gestik entwickelt sich nicht nur aus der körperlichen Sicherheit, sondern auch aus der dialogischen Einstellung heraus. Wenn Vinh Giang - Gründer eines erfolgreichen Internet-Startups für Zauberlehrlinge - erzählt, was er als Jungunternehmer gelernt hat, 261 sind keine seiner Gesten „sinnvoll“, indem sie das gesprochene Wort verdeutlichen würden. Sie sind aber immer auf das Publikum ausgerichtet. Das braucht nicht einstudiert zu werden. Es entspricht einfach einer Grundeinstellung: Ich habe dem Publikum etwas zu geben. Auch Desmond Tutu, Erzbischof und Nobelpreisträger aus Südafrika, der die einfache und doch schwierige Botschaft von der Vergebung überbringt, 262 bewegt seine Hände, ohne damit irgendwelchen Regeln zu folgen. Aber er drückt mit jeder Geste aus, dass er die Verbindung zu seinen Zuhörenden sucht, um seine Erfahrung mit ihnen zu teilen.  Den gestischen Bezug zum Publikum unterstützen Dialogische Gesten entstehen leichter aus der Einstellung heraus: „Ich habe dem Publikum etwas zu geben.“ Oft hilft es dabei, die Zuhörenden häufiger explizit anzusprechen und Wörter wie ich, ihr, Sie zu verwenden. Ein Redner, der diese Einstellung betont und gleichzeitig daran interessiert ist, was die Zuhörenden zu geben haben, zeigt das, was die deutsche Sprache treffend Zuwendung nennt. Dieses Wort hat ja nicht nur eine übertragene Bedeutung, sondern meint auch ganz konkret eine körperliche Bezugnahme auf andere Menschen. 224 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Gestik braucht eine Funktion Sobald die Zuschauer die Funktion erkennen, hat die Gestik ihren Sinn. Eine Handbewegung, die auf eine Sache hinweist, stellt eine Beziehung zwischen Rednerin, Publikum und dieser Sache her. Eine Handbewegung, die entsteht, weil der Redner etwas auf dem Pult sucht, aber nicht findet, irritiert eher. Sie irritiert aber nur so lange, wie er weiter über etwas ganz anderes spricht. Das Problem ist gelöst, wenn er innehält und thematisiert, was er gerade tut. Eindeutige Gesten entstehen, wenn der Ablauf der Rede geplant ist und die Unterlagen, die Requisiten und die Medien im Voraus so arrangiert sind, dass man sich während der Rede zurechtfindet.  Planung des Ablaufs  Wo sind die Geräte, die ich einsetzen werde?  Wer hilft mir bei den technischen Abläufen? Wo befindet sich diese Person?  Wo werde ich stehen? Kann ich meine Position verändern, um die Gliederung des Vortrags zu unterstreichen? Wer sich beim Reden vor Publikum befangen fühlt, hält sich mit Gesten meistens zurück und beschränkt sich auf Planungsgesten - solche, die die eigene Formulierungsarbeit begleiten und möglicherweise fördern. Man hebt gelegentlich eine Hand oder man hält die Hände vor dem Bauch gefaltet und öffnet und schließt sie wieder. Manchmal korrelieren diese Gesten mit Betonungen im Satz, manchmal ist erkennbar, dass sie dabei helfen, die Zeit, die es zum Nachdenken braucht, zu überbrücken. Es ist wichtig, auch diese Anfänge einer persönlichen Gestik positiv zu werten und sie als Einstieg in ein freieres Verhalten zu sehen. Leider sind in Stresssituationen Gesten, die den Bezug zum Gesprächspartner herstellen, in der Regel seltener. Dabei wären sie gerade da nützlich. Dies gilt für kontaktbildende Gesten (also mit einer Bewegung zum Publikum hin, oder auf das Publikum zeigend). Aber auch verständnisfördernde, illustrative oder simulierende Gesten zeigen sich vielfach erst nach einer Zeit des Sich-warm-Redens. Wer dies weiß, wird sich um Ruhe und Sicherheit bemühen, um Entspannung vor der Rede, aber auch durch eine rechtzeitige inhaltliche und technische Vorbereitung. Zudem ist es nützlich, sich übungshalber sein persönliches Repertoire an Gesten bewusst zu machen: Was kann ich mit meinen Händen und Armen ausdrücken? Was tue ich automatisch, wenn ich mich im Gespräch wohlfühle? Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 225  Sicherheit ist die beste Voraussetzung für die Körpersprache  Orientierung im Raum: Machen Sie sich mit den Raumverhältnissen und Gegenständen, aber auch möglichst mit einigen Menschen im Raum vertraut.  Atemübung: Halten Sie im Sitzen Ihren Oberkörper aufrecht und lassen Sie die Arme hängen. Spüren Sie, dass sich Ihr Schwerpunkt in Ihrer Körpermitte befindet. Unterstützen Sie dies, indem Sie Ihren Atem auf die Körpermitte (unterhalb des Bauchnabels) richten. Stehen Sie mit diesem Gefühl auf und behalten Sie es auch im Stehen bei.  Blickkontakt: Stellen Sie Blickkontakt her, bevor Sie zu reden beginnen! Übungen │ Nonverbal Auseinandersetzung mit dem Raum (Gruppenübung) Hintergrund: Die Auseinandersetzung mit dem Raum, den sich Rednerin und Zuhörende teilen werden, braucht Mut. Immerhin geht es darum, die Körpersprache so zu entfalten, dass für alle zu erkennen ist: Das ist mein Raum; ich werde ihn nicht nur mit Worten, sondern auch mit Schritten, Gestik und Mimik füllen. Wie das jeder Einzelne tut, lässt sich leicht erkunden - insbesondere, wenn man eine größere Gruppe ist, die zu einem Experiment bereit ist. Ziel der Übung Die Rednerinnen sollen erkunden, wie sie auf den Raum reagieren und die verschiedenen persönlichen Arten, sich mit dem Raum auseinanderzusetzen, vergleichen. Ablauf: Die Gruppe steht vor der Tür. Eine Person (die Übungsleitung) sitzt bereits im Seminarraum und markiert das Publikum. Ein erster Übender öffnet die Tür, betritt den Raum, schließt die Tür wieder und stellt sich vor das Publikum. Er grüßt und sagt ein paar einleitende Worte (was genau, ist vorher vereinbart worden. Es können zum Beispiel die ersten Sätze zu einem Vortrag sein oder zu einer Sitzungseröffnung). Er erhält einen Applaus und setzt sich ins Publikum. Das Klatschen ist das Signal für die Wartenden, dass die nächste Person an der Reihe ist. Die Folge von Auftritten wird auf Video aufgenommen; die Kamera ist so positioniert, dass sie den ganzen Weg von der Tür bis zur Redeposition erfasst. Auswertung: Diskussion: Anhand der Videoaufnahme werden die unterschiedlichen Lösungen verglichen. Erfahrungsgemäß zeigt sich: Jeder vollführt diese wenigen Aufgaben auf seine Weise. Es gibt welche, die stramm durchmarschieren, als ob die Tür kein Hindernis wäre. Sie fällt hinter ihnen ins Schloss, während sie schon längst beim Rednerpult angekommen sind. Andere öffnen die Tür sehr behutsam, nehmen die innere Klinke in die Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 227 eine Hand, sobald sie die äußere losgelassen haben und lösen sich nur langsam, um den Raum vorsichtig zu erkunden. Es sind lauter verschiedene, persönliche Anfangsszenen. Es gibt keine optimale Lösung, sondern lauter persönliche Arten, dem Raum und dem Publikum zu begegnen. Allerdings erkennen alle Beteiligten, dass sie sich der Aufgabe nicht entziehen können und den Schritt zur Einstellung: „Dies ist mein Raum“ bewusst tun müssen. Darin soll sie diese Übung unterstützen. Stehenbleiben (Einzelübung) Hintergrund: Für den nonverbalen Teil des Redens ist das Wichtigste nicht der bewusste Einsatz einzelner mimischer oder gestischer Mittel, sondern die Voraussetzung dafür zu schaffen - für eine Körpersprache, die der eigenen Persönlichkeit entspricht. Dies gilt natürlich nicht nur für eine Rhetorik, die sich als dialogisch versteht. Aber die Erfahrung zeigt, dass die Bereitschaft, überhaupt auf den Redner einzugehen, mit der Lebendigkeit von Körperhaltung, Mimik und Gestik wächst. Ziel der Übung Diese und viele ähnliche Übungen sollen helfen, durch eine feste Grundposition die Rede mit einem sicheren Gefühl zu beginnen und bei Bedarf wieder zu dieser Position zurückkehren zu können. Im Rahmen dieses Buchs kann dies nur angedeutet werden. Für das Training von Entspannung, Atmung, elastischem Stehen usw. lohnt es sich, im Weiterbildungsbereich dezidierte Angebote außerhalb der eigentlichen Redeschulung wahrzunehmen. Ablauf: Stellen Sie sich neben einen Tisch. Auf dem Tisch befindet sich ein beliebiger Gegenstand, den Sie beschreiben und erklären können. Stellen Sie sicher, dass Sie auf beiden Füßen stehen, die Beine ungefähr in Schulterbreite auseinander, so dass das Gleichgewicht in Ihrer Körpermitte ist. Lassen Sie Ihre Beine elastisch (Knie nicht durchgestreckt). Atmen Sie in den Bauch, so dass Sie Ihren Atem in der Körpermitte spüren. Lassen Sie die Arme locker hängen. 228 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Stellen Sie Ihrem (echten oder imaginären) Publikum den Gegenstand vor. Beschreiben Sie ihn. Erklären Sie einzelne Details. Sie werden sich dabei sowohl dem Gegenstand als auch dem Publikum zuwenden. Achten sie regelmäßig darauf, ob Sie noch auf beiden Beinen stehen. Kehren Sie, wenn nötig, in die Grundposition zurück. Auswertung: Die Übung sollte Ihnen helfen, bei Bedarf selbst zu einem ruhenden Pol zu werden. Dass Sie diese Ausgangsposition verlassen, sobald Sie zu reden begonnen haben, ist normal. Sie können aber jederzeit in diese Position zurückkehren, innehalten und neu beginnen, wenn es im Laufe der Rede nützlich ist, sich zu sammeln. Ähnliche Übungen lassen sich auch im Alltag durchführen, indem man seinen Stand und seine Haltung kontrolliert, während man z.B. an einer Fußgängerampel wartet, im Supermarkt an der Kasse steht oder in der Straßenbahn keinen Sitzplatz gefunden hat. Sightseeing (Gruppenübung) Hintergrund: Der Standort der Rednerin in den wenigsten Fällen auf einen Punkt festgelegt. Zwar gibt es Situationen, in denen das Rednerpult fest verschraubt ist und die Stuhlreihen nicht verrückt werden können. Oft lassen sich aber die Verhältnisse beeinflussen - zum Beispiel indem man die Zuhörenden bittet, in die vorderen Reihen aufzuschließen (oder selbst zu ihnen geht, wenn sich alle nach hinten verkrümelt haben). In ungezwungeneren Situationen, gerade bei Instruktionen am Arbeitsplatz oder bei Führungen, können alle Parameter ad hoc verändert werden:  die Position des Publikums (stehend, sitzend, liegend)  die Blickrichtung des Publikums (Sonne, Schatten, mit Blick auf das zu besprechende Objekt)  die Position der Rednerin, ihre Distanz zum Publikum und zum Objekt  die Blickrichtung der Rednerin Die aktive Gestaltung dieser Choreografie ist die Voraussetzung für den Dialog. Viele Redeschülerinnen brauchen zunächst Überwindung, wenn sie eine Menschenschar anders gruppieren müssen, als diese es von sich aus tut. Wer aber Betriebs- oder Stadtführungen kennt, weiß, wie wichtig dies sein kann. Die erste Anordnung, die sich automatisch ergibt, erbringt meistens keine gute Voraussetzung für die dialogische Kommunikation. Einige sind von der Gruppe abgespalten, so dass sie bald miteinander reden werden, andere sind so weit weg, dass sie die Rednerin nicht verstehen. In vielen Fällen findet auch die Rednerin selbst keinen optimalen Platz, um Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 229 beide Blickpunkte - das Objekt und die Zuhörenden - adressieren zu können. Die Gestaltung der räumlichen Anordnung von Rednerin und Publikum sollte zur Selbstverständlichkeit werden. Ziel der Übung Diese Übung soll für die Aufgabe sensibilisieren, die Gruppierung selbst zu verantworten und die Choreografie aktiv zu gestalten. Wichtig ist, dass damit die Bereitschaft eingeübt wird, auch in völlig anderen Situationen mit der Steh- und Sitzordnung flexibel umzugehen. Ablauf: Die Gruppe geht durch ein Gebäude, eine Straße oder einen Garten und hält an möglichen Aussichtspunkten an - zum Beispiel vor einer Tür, an einem Fenster, gegenüber einer Fassade, bei einem Baum usw. (Oft ergibt sich ein neues Objekt, indem man sich um 90 oder 180 Grad dreht.) Ein Mitglied spielt den Reiseleiter. Bei jedem neuen Objekt übernimmt jemand anders diese Rolle. Die Aufgabe besteht jeweils darin, der Gruppe den entsprechenden Gegenstand als Sehenswürdigkeit zu beschreiben, wobei der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind. Für den jeweiligen Redner bedeutet dies:  eine Position für das Publikum und für sich selbst zu wählen, so dass er sowohl die Zuhörenden als auch die Aussicht im Blick hat;  den Zuhörenden zu berichten, was er sieht. Sie kann immer weiter ins Detail gehen oder auch die Beschreibung mit Hintergrundinformationen ergänzen. Folgende Ideen können helfen:  Benennen Sie das Objekt. (Was sehen Sie? Wie heißt es? )  Erklären Sie das Objekt. (Wo kommt es her? Wozu ist es gut? )  Kommentieren Sie es. (Wie gefällt es Ihnen? Was täten Sie, wenn ...? ) Dauer der Übung pro Redner: 2 Minuten. Auswertung: Auch wenn der Schwerpunkt der Übung auf der räumlichen Anordnung liegt, ist es zugleich eine Redeübung. Wichtig ist, sich nicht unter Druck setzen zu lassen und sich mit klaren melodischen Abschlüssen und Pausen Zeit zu verschaffen. Gelungen ist die Übung insgesamt, wenn vom Redner klare Direktiven ausgehen und die Gruppe sich während der gesamten Dauer angesprochen fühlt. 230 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Gestik-Repertoire (Einzelübung) Hintergrund: Die persönlichen Gestik-Repertoires unterscheiden sich von Rednerin zu Rednerin. Gerade im deutschsprachigen Kontext sind viele der Meinung, sie würden eher wenig gestikulieren. Da aber das Ausführen sinnvoller Gesten die Kommunikation unbestritten erleichtert, ist es nützlich, dieses Vorurteil zu überprüfen. Oft entdeckt man dabei, dass das eigene Spektrum breiter als erwartet ist. Ziel der Übung Sie machen sich vertraut mit dem großen Spektrum an Gesten, über das Sie verfügen: z.B. redeunabhängige, redebegleitende, simulierende und zeigende Gesten. Ablauf: Führen Sie zu jeder der folgenden Kategorien mindestens drei Gesten aus:  Simulieren Sie eine Tätigkeit (Telefonieren, Autofahren, Malen).  Beschreiben Sie die Form eines Gegenstandes oder eine gemessene Größe (Länge, Breite, Höhe).  Geben Sie den Takt: Unterstreichen Sie die Betonungen in einer Parole (z.B.: „Das ist der entscheidende Moment! “, „Niemand wird in dieser Sache leer ausgehen! “, „Zukunft braucht Persönlichkeiten! “).  Zeigen Sie mit dem Zeigefinger oder der offenen Hand auf Dinge in der Nähe und in der Ferne. Sprechen Sie dazu entsprechende Pronomina oder Adverbien („dies“, „jenes“, „da drüben“, „dort hinten“).  Grüßen Sie mit Kopf und Händen.  Fragen Sie mit Ihrem Körper, zeigen Sie sich ratlos, ungläubig oder verwundert.  Befehlen Sie mit einer Geste. Auch diese Übung ist nur sinnvoll, wenn man sie mit Humor ausführt und übertreibt, untertreibt, kurz: sich von alten Routinen freischwimmt. Es geht nicht darum, Gesten einzuüben, sondern seinen eigenen Spielraum zu erkennen, der meistens größer ist, als man erwartet. Auswertung:  Gelingt es Ihnen, die Gesten aus einer sicheren Position heraus entstehen zu lassen (klare Position, Schwerpunkt in der Körpermitte)? Nonverbal: Wie man mit dem Körper auf den Raum und die Menschen eingeht 231  Gelingt es Ihnen, die Gesten in Bezug auf ein Publikum (und nicht im leeren Raum) auszuführen?  Gelingt es Ihnen zu unterscheiden, welche Gesten zu Ihrer alltäglichen Körpersprache gehören und welche auf Sie eher gekünstelt wirken? Medial │ Wie Wandtafel, Handout und Beamer den Dialog fördern apoleon hat auf dem Feldzug ein Schlösschen requiriert, um mit seinem Adjutanten die nächste Schlacht zu besprechen. Die Karte ist auf dem Teppich ausgebreitet. Napoleon, den Kopf aufgestützt, liegt da und markiert mit Fähnchen die Positionen der eigenen und fremden Einheiten. Über die Schulter schaut ihm der Adjutant zu, wirft gelegentlich etwas ein. Sie führen ein Gespräch mit Medieneinsatz. Die Karte hilft ihnen, sich die Verhältnisse vorzustellen. Gleichzeitig gestalten sie sie, indem sie die geografischen Daten mit ihren eigenen Symbolen ergänzen. Abb. 24: Mediengestütztes Gespräch: Napoleons Schlachtenplan. Gemälde von Emanuel Bachrach-Barée. 263 Das ist der Prototyp der Verwendung von Medien im nichtöffentlichen Gespräch: das gemeinsame Betrachten und Gestalten eines Bildes, eines Plans oder eines Textes. Zum dialogischen Vorgehen gehört oft die Phrase: „Komm, ich zeichne es dir auf! “ oder auch: „Lass uns gemeinsam ein Modell bauen! “ In vielen Fällen tragen alle Beteiligten zur Herstellung bei. Aber auch wenn nur eine Person eine Formel notiert und die anderen zusehen, dient das dazu, sie gemeinsam zu interpretieren, zu ergänzen und für weitere Erkenntnisse zu nutzen. 234 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Das visuelle Hilfsmittel - die Karte, die Zeichnung oder die mathematische Formel auf Tafel, Bildschirm, Papier (landläufig „Medium“ genannt 264 ) - erweitert die Zweierkommunikation.  Der Begriff des Mediums ist in didaktischen Kreisen sehr dehnbar Er meint praktisch jedes Gerät, das im Vortrag zum Einsatz kommt, von Kreide und Wandtafel bis zu den „multi- und telemedialen Lernumgebungen (CBT, Internet, Videokonferenzen etc.)“ 265 Am einen Ende des Spektrums sind „Medien“ Geräte, die das gesprochene Wort mit einer schriftlichen Darstellung unterstützen. Am anderen Ende stehen die Elemente einer multimodalen Lernplattform. Diese Erweiterung verändert die gesamte Orientierung im Raum. Während das Gespräch mit Blickkontakt noch mit einer einzigen Linie dargestellt werden kann, wird diese Strecke zu einem Dreieck erweitert, sobald ein Medium beteilig ist. Abb. 25: Architektin und Bauleiter beim Kaffee: Direkte Zweierkommunikation. Die Gesprächspartner richten dann ihren Blick nicht nur aufeinander, sondern auch auf ein weiteres Objekt: auf die Karte, auf den Text oder auf das Bild. Medial: Wie Wandtafel, Handout und Beamer den Dialog fördern 235 Abb. 26: Architektin und Bauleiter auf dem Bauplatz: Mediengestützte Kommunikation. Redner vor Publikum missachten diese Erweiterung oft. Dabei ist sie für die nonverbale Kommunikation ähnlich entscheidend, wie wenn eine weitere Publikumsgruppe im Raum wäre. Der Redner wendet sich nicht nur an die Zuhörenden vor ihm, sondern hat eine weitere „Ansprechperson“: einen Bildschirm, einen Flipchart oder eine Wandtafel oder auch einen beliebigen Gegenstand, der zu Demonstrationszwecken dient. Die Nutzung eines solchen Mediums sollte immer etwas Verbindendes behalten: das gemeinsame Anschauen, das Kommentieren, das eventuelle Weitersenden - wie das auch im Alltag üblich ist: „Schau, ich habe da ein Video gefunden. Lass es uns anschauen.“  Es gibt nicht nur visuelle Medien Auch akustische Ereignisse, Gerüche, Geschmäcker und andere sinnliche Ereignisse können das Gespräch bereichern. Im Gespräch über Weine z.B. hat das gemeinsame Tasting eine ähnliche Funktion wie die gemeinsame Betrachtung eines Bildes bei der Wahl einer neuen Frisur. Man nimmt wahr und vergleicht, drückt damit Dinge aus, die sich ohne die gemeinsame sinnliche Erfahrung viel schwieriger sagen lassen. 30 Medienverwendung im Alltag chon im Alltagsgespräch gibt es verschiedene Arten, ein Medium einzusetzen und es in die Rede einzubauen. Ein Blick darauf lohnt sich, weil wir recht souverän damit umgehen, ohne uns dessen gewahr zu sein. 236 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Das Medium als Orientierungshilfe Elektrikerinnen skizzieren im Gespräch, wie in einer Küche die elektrischen Leitungen gelegt werden. Verkäufer und Kunde eines Wollgeschäfts beugen sich über ein Strickmuster. Eine Gruppe von Radfahrerinnen folgt dem Weg, der auf der Tourenkarte eingezeichnet ist. Das mediale Produkt hilft ihnen bei der Orientierung und strukturiert den Ablauf der Handlungen. Oft ist sind das verbale Informationen, wie beim Navigationsgerät im Auto, oft sind es geschriebene Texte, zu denen eine bestimmte grafische Form gehört - vom Kochrezept bis zur To-do-Liste. Sie geben mehr als nur einen kurzen Input, sie begleiten ihre Nutzer. Das Medium als Stütze Mit einem Foto lässt sich zeigen, was man auf der Reise entdeckt hat. Eine Audiodatei hilft, die Melodie eines vergessenen Liedes zu finden. Der Medieneinsatz ergänzt oder ersetzt, was mit Worten nur ungenau beschrieben werden könnte. Er veranschaulicht, schafft Klarheit, Verständlichkeit, Detailtreue und unterstützt eine Erklärung oder eine Argumentation. Deshalb dienen mediale Produkte auch dazu, eine Entscheidung zu rechtfertigen, eine Behauptung zu stützen, ein Vorgehen zu begründen. Gerade Abbildungen von Sachverhalten haben oft diese argumentative Funktion. „Ich zeige dir, dass das geht“, sagt der eine Hobbyhandwerker zum anderen und zeigt ihm ein Bild. Aber ebenso üblich ist es mit akustischen Beispielen: „Du wirst sehen, das kann man hinkriegen“, sagt die eine Musikerin zur anderen und führt ihr eine Aufnahme vor. Die sinnliche Wahrnehmung lässt die Sache nachvollziehen und überzeugt. Das Medium in der Hauptrolle Ein Bild, ein Film, ein Musikstück hat für kurze Zeit die ganze Aufmerksamkeit. Man gibt die Rednerrolle an das Smartphone, die Zeitung oder das Radio ab. Dieses übernimmt die Aufgabe der Unterhaltung oder der Information, bevor das Gespräch weitergeht. Das mediale Objekt ist also hier die Hauptperson; dann geht der verbale Austausch weiter. Unterhaltung ist eine von vielen Arten, die Alltagskommunikation mit Medien zu unterstützen. Dynamik Gemeinsam ist vielen dieser Beispiele die Dynamik: Das mediale Produkt ist nicht sakrosankt, sondern wird im Gespräch hergestellt oder verändert. Es wird als Basis für den Dialog benutzt und in Rede und Gegenrede besprochen oder sogar weiterentwickelt. Eine Zeichnung wird vervollständigt, eine Mannschaftsaufstellung wird verändert, eine Einkaufsliste wird zusammengestrichen. Medial: Wie Wandtafel, Handout und Beamer den Dialog fördern 237  Das Medium beeinflusst die Choreografie  Der Blickkontakt wird unterbrochen zugunsten einer gemeinsamen Blickrichtung.  Rede und Gegenrede werden ergänzt durch gemeinsame visuelle Eindrücke und den verbalen Austausch darüber.  Das gemeinsame Betrachten des Objekts erfordert Pausen. 31 Wie wir Medien im Vortrag einsetzen m Gegensatz zum Alltagsgespräch werden Medien in Vortragssituationen sehr bewusst eingesetzt. Wer seine Präsentation durch visuelle Hilfsmittel unterstützt, tut in erster Linie etwas für die Verständlichkeit: Abstrakte Aussagen werden in Bildsprache übersetzt, quantitative, örtliche oder zeitliche Verhältnisse werden grafisch dargestellt: in Schriftform, als Zeichnung oder in einer abstrakten grafischen Darstellung. Das Publikum, das eine Aussage nicht nur hört, sondern auch in gut visualisierter Form präsentiert bekommt, kann sie nicht nur besser verarbeiten, sondern auch leichter erinnern. In vielen Fällen wäre es gar eine Überforderung für die Zuhörenden, wenn die abstrakten Informationen nur mündlich vermittelt würden. Paradebeispiel ist die Darstellung komplexer mathematischer Aussagen. Hier ist die schriftliche Form Bedingung für die Kommunikation. Die Darstellung an der Wandtafel oder auf einem anderen geeigneten Medium hilft, weil man sich auf konventionelle Symbole stützen kann. Die Sprechweise wird verlangsamt; das flüchtige Wort wird gestützt durch eine sich an der Tafel entwickelnde Darstellung, die stehenbleibt und auf die man sich in der Diskussion beziehen kann. Diese Art der Visualisierung zwingt zudem auch den Redner dazu, schrittweise vorzugehen. 32 So unterstützen Medien die Rede ie klassische Volksschullehrerin weiß, wann sie etwas anschreiben muss, so dass die Tafel das gesprochene Wort kommentiert. Sie weiß auch, wann es sinnvoll ist, ein großes Tafelbild vorzubereiten, das sie dann mit ihren Informationen ergänzt. Es scheint, dass der typische Redner eines Fachvortrags viel weniger bewusst vorgeht. Er transponiert die Hauptinformationen auf PowerPoint-Folien, ohne sich zu überlegen, auf welche Art sie sich mit den gesprochenen Worten verbinden. 238 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Dazu gehört auch die Überlegung, dass Folien auch störend oder ablenkend wirken können. Was leisten denn Folien? - Am Beispiel einiger einfacher Folien aus meiner eigenen Praxis sollen deshalb die wichtigsten Funktionen vorgestellt werden. Sie stammen aus einem Vortrag zum Thema Mediengeschichte. Das Publikum bestand aus Studierenden der Medienwissenschaft. Sie interessierten sich für Film, Musikstreaming, Nachrichtenportale, WhatsApp und andere aktuelle Medien. Für eine einzelne Stunde war ich eingeladen, ihnen etwas über die historische Dimension des Fachs zu vermitteln. Ich wählte als Beispiel die Geschichte des Radios, die relativ gut zu überblicken ist. Allerdings kam ich nicht ohne allgemeine Überlegungen aus, z.B. darüber, was in diesem Zusammenhang mit Geschichte oder Medium gemeint ist. Anhand der Folien, die dabei entstanden sind, sollen einzelne Typen des Medieneinsatzes illustriert und kommentiert werden. Die Folie als Orientierungshilfe Visuelle Hilfsmittel helfen bei der Orientierung. Sie gehen dem Vortrag voran und geben die ersten organisatorischen Hinweise zum Thema und Rahmen des Vortrags. Während der Rede erleichtern sie den Überblick, indem sie die Gliederung ankündigen oder in Erinnerung rufen. Abb. 27: Orientierung: Die Überschrift in Form einer These. Dazu der Name des Referenten. Als Andeutung weiterer organisatorischer Informationen das Datum des Vortrags. Diese erste Folie enthält den Titel des Vortrags und den Namen des Referenten. Da die erste Folie erfahrungsgemäß oft lange vor Beginn zu sehen ist, wurde der Titel als einprägsamer Slogan formuliert, der auf eine Hauptaussage hinweist. Mediengeschichte ist Zeitgeschichte Jürg Häusermann 15.11.2018 Medial: Wie Wandtafel, Handout und Beamer den Dialog fördern 239 Die These „Mediengeschichte ist (Teil der) Zeitgeschichte“ wird später aufgegriffen. Er wird zeigen, dass es zugleich ein Vorteil und Nachteil ist, dass Historiker, die sich mit Zeitung, Radio, Fernsehen und Internet befassen, so nah am Geschehen sind. Der Orientierung dienen auch Folien, die in der Art eines Inhaltsverzeichnisses den Aufbau abbilden. Mittendrin können solche Folien erneut gezeigt werden, um zu klären, wo man sich gerade befindet. Am Schluss können sie eine Erinnerungshilfe darstellen, indem sie auf die wichtigsten Inhalte zurückweisen oder die Hauptaussagen zusammenfassen. Abb. 28: Ausführliche Gliederung. Die hier abgebildete Folie war ursprünglich zur Orientierung gedacht. Sie enthält alle Teile des Vortrags mit ihren Überschriften: Zuerst (1.) sollte eine Aufnahme aus dem Jahr 1933 vorgespielt werden, dann (2.) sollte erklärt werden, dass den Medienhistoriker vieles interessieren könnte, wir uns aber auf die Institutionen des Rundfunks konzentrieren. Das hätte zwar dem Ablauf des Vortrags entsprochen; aber als Begleitung einer mündlichen Präsentation würde es das Publikum überfordern. Man kann sich zwar damit helfen, dass das Inhaltsverzeichnis schrittweise präsentiert wird, so dass jeweils nur eine neue Zeile zu lesen ist, die erklärt wird, bevor die nächste erscheint. Am Schluss stehen sie aber dennoch alle zusammen da und bieten keine rechte Orientierung. Deshalb wäre eine knappere Form sinnvoller: Mediengeschichte 1. Ein Dokument aus der Vergangenheit 2. Vom Medienangebot zur institutionellen Ebene 3. Die Kontrolle des Rundfunks 1933 4. Die Vorgeschichte 1923-1932 5. Der Fokus: Institutionen 6. Alternative Ansätze: z.B. Sozialgeschichte 7. Theorien der Mediengeschichte 8. Medien- oder Kommunikationsgeschichte 240 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Abb. 29: Vereinfachte Gliederung. Hier weist jede Überschrift auf einen Gedankengang. Dieser wird mündlich ausgeführt: 1. Wir konzentrieren uns auf das Medium Radio, und zwar seine Institutionen und seine Hörer. 2. Der Schwerpunkt wird zunächst auf dem Verhältnis Staat/ Rundfunk liegen: Wie kontrolliert der Staat das Medium Rundfunk? 3. Ein anderer Aspekt: Wie konnten sich die Hörer dadurch artikulieren? 4. Ein Rückblick bringt uns zur Frage nach der Theorie der Mediengeschichte (die auch im Titel des Vortrags angesprochen wurde).  Die Folien sind für das Publikum da „Orientierungshilfe“ bedeutet nicht Erinnerungshilfe für den Referenten. Folien sind für das Publikum da. Wenn sie dem Redner gleichzeitig Stichworte für den frei gesprochenen Vortrag liefern sollen, konkurrieren zwei verschiedene Funktionen. Das Resultat: Der Blick des Redners klebt zu lange an der Projektionsfläche. Blickkontakt und Vortragsfluss werden unnötig gehemmt. Eleganter ist es immer, eine Gedächtnisstütze vor sich zu haben (was auch die Präsentationssoftware ermöglicht). Dann ist man frei, sich der Projektion dann zuzuwenden, wenn es nötig ist: gemeinsam mit dem Publikum. Die Folie als Stütze des gesprochenen Wortes Die gängigste Form der Visualisierung besteht in Stichworten. Sie heben zentrale Begriffe hervor und stellen sie grafisch in einen Zusammenhang. Ein Beispiel dafür ist die folgende Folie, die im Zusammenhang mit der Einführung des Begriffs „Medien“ verwendet wird. Statt einer komplizier- Mediengeschichte 1. Unser Fokus: Das Radio 2. Staatliche Kontrolle des Rundfunks 3. Hörerbeteiligung damals und heute 4. Was heißt jetzt „Geschichte der Medien“? Medial: Wie Wandtafel, Handout und Beamer den Dialog fördern 241 ten Definition werden vorerst nur vier verschiedene Ebenen genannt, die von wissenschaftlichen Medienbegriffen berührt werden. Abb. 30: Folie mit Schlüsselbegriffen. Hier konzentriert sich also die visuelle Darstellung auf ein verbales Element - einen Schlüsselbegriff (in anderen Fällen auch einen Namen). Sollte später noch eine ausformulierte Definition wiedergegeben werden, dann wird sie im Wortlaut auf eine eigene Folie geschrieben („parallele Verstärkung“). Folien zum Mitlesen In vielen Fällen ist es notwendig, ganze Textpassagen zu projizieren. Die Rednerin formuliert zum Beispiel eine Definition oder eine Hauptthese, bei der es auf den Wortlaut ankommt. Sie projiziert den Text gleichzeitig an die Wand. Damit werden zwei modale Ebenen gleichzeitig genutzt: die akustische und die visuelle. Die Zuhörenden lesen mit. Dies erleichtert das aufmerksame Zuhören. Allerdings muss das Lesen auch ermöglicht werden. Als Beispiel ist hier eine Aufgabe ausgewählt, die sehr häufig vorkommt und meistens unbefriedigend gelöst wird: das wörtliche Zitat. Im Vortrag über Mediengeschichte soll ein klassischer Satz aus dem Jahr 1953 diskutiert werden, der von Zeithistorikern oft angeführt wird. Das Problem: Der Satz besteht aus 38 Wörtern und lässt sich, aus dem Zusammenhang gerissen, nicht auf Anhieb erfassen. Die einfachste Lösung: Man kopiert den Satz aus dem ursprünglichen Text und beamt ihn so an die Wand. Das sähe in diesem Fall so aus: 266 Medien-Kompaktbegriff Zeichensysteme Medientechnik Institutionelle Einrichtungen/ Organisationen Medienangebote 242 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Abb. 31: Zitat, direkt aus Artikel kopiert. Das wirkt zwar authentisch, erschwert aber die Orientierung und die Lektüre stark. Besser funktioniert es, wenn der Satz isoliert auf die Folie geschrieben wird: Abb. 32: Zitat, zum Lesen bearbeitet. Hier ist das Zitat grafisch aufbereitet: Jeder Sinnschritt steht in einer neuen Zeile. Die wichtigen Begriffe sind zudem unterstrichen. Trotz der grafischen Aufbereitung müssen die Zuhörenden Zeit haben, um den Inhalt zu erfassen. Dazu gibt es verschiedene Lösungen.  Die traditionelle Version: Die Rednerin spricht den Text laut. Die Zuhörenden haben die Möglichkeit, mitzulesen. Dies hat meistens den Bonuseffekt, dass sie das Sprechtempo drosselt und damit einen Rhythmuswechsel produziert. Auf jeden Fall wird dadurch der Hauptfehler vermieden: dass sich der geschriebene und der gesprochene Text unterscheiden und damit das Verstehen erschwert statt erleichtert wird. Zudem entspricht es der Idee des Dialogs, eine Sache (und sei sie noch so unspektakulär) gemeinsam mit dem Publikum zu tun.  Die mutige Version: Die Rednerin schweigt und lässt die Zuhörenden den Text selbst stumm lesen. Das bedeutet, dass sie abschätzen muss, wann diese mit Lesen fertig sind. Dies kann eine Aktivierung bedeuten Was bedeutet Zeitgeschichte? Wenn Zeitgeschichte hier als Epoche der Mitlebenden und ihre wissenschaftliche Behandlung verstanden werden soll, so in dem Sinne, dass es sich für uns um ein Zeitalter krisenhafter Erschütterung und einer eben darin sehr wesentlich begründeten universalen Konstellation handelt Hans Rothfels (1953). Zeitgeschichte als Aufgabe Medial: Wie Wandtafel, Handout und Beamer den Dialog fördern 243 oder einfach einen Moment der Peinlichkeit. Ein positives Resultat ergibt sich eigentlich nur, wenn auf diese stille Lektüre Kommentare oder Fragen aus dem Publikum kommen.  Die kontrollierte Version: Ich habe jahrzehntelang Seminare an Universitäten geleitet, bei denen Studierende kurze Referate hielten. Darin wurden immer einzelne Definitionen oder Zitate an die Wand gebeamt. Eines Tages, als hätten sich alle abgesprochen, lasen die Referenten diese Texte nicht mehr selbst vor, sondern forderten jemanden aus der Zuhörerschar auf, sie vorzulesen. Das hat jedes Mal die Rednerrolle zur Lehrerrolle verwandelt. Die Stimmung gehoben hat es selten, weil der Vorleser nichts Eigenes beizutragen hatte und zudem gegenüber dem Referenten im Nachteil war, die sich auf das Vorlesen hätte vorbereiten können. Die Folie als Argument In vielen Vorträgen ist es notwendig, Dinge zu zeigen. Sie stehen für sich, bevor man in die Einzelheiten geht, die dann oft die Funktion eines Arguments haben: Weil das Objekt so aussieht, ist meine These plausibel. Meistens ist es so die Evidenz, die für sich sprechen soll, es kann aber auch die empirische Grundlage für eine Aussage dokumentieren. Das sind dann Grafiken, histologische Befunde, Abbildungen archäologischer Artefakte usw. Sie zu zeigen, unterstützt zum einen die Glaubwürdigkeit der eigenen Forschung und verlangsamt zum anderen den Vortrag, macht Schilderungen und Resultate besser nachvollziehbar. Es ist allerdings unbedingt notwendig, das Publikum durch die Darstellung zu führen, also nicht nur die darin enthaltenen Informationen wiederzugeben, sondern auch die grafische Umsetzung zu erklären. 2008 Radionutzung im Tagesverlauf Abb. 33: Grafische Darstellung, von Hand überarbeitet. 244 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Dieses Beispiel zeigt in einer scheinbar einfachen grafischen Darstellung die Tagesnutzung des Mediums Radio in Deutschland im Jahr 2009. Es ist zu sehen, wie sich die Zahl der Zuhörenden über den Tag entwickelt. Es lässt sich relativ leicht sagen, dass sich die größte Spitze am Vormittag befindet und sich die Zahl danach verringert, mit einigen nennenswerten Verzögerungen zu den Zeiten der Hauptnachrichten bzw. des Feierabendverkehrs. Aber auch bei so einer einfachen Darstellung muss dem Publikum die Möglichkeit gegeben werden, sich zu orientieren: Was zeigen die beiden Achsen? Was bedeutet „Nutzung“? Warum fehlen die Daten für die Zeit vor 5 und nach 23 Uhr? Es darf bei dieser Darstellung auch nicht angenommen werden, dass die klein gedruckten Zahlen für alle lesbar sind. Deshalb müssen die Zuhörenden zuerst durch die Darstellung geführt werden. Dann allerdings können sie den Sachverhalt mit eigenen Erfahrungen und Informationen über frühere oder spätere Jahre vergleichen und diskutieren. Die Folie in der Hauptrolle Eine Möglichkeit, in einen historischen Vortrag einzusteigen, besteht darin, dass man ein Dokument aus früherer Zeit vorführt. In meinem Fall war es ein Ausschnitt aus einer Direktreportage vom Jungfraujoch, die im Jahr 1932 vom Deutschschweizer Radio ausgesendet wurde und von der einzelne Teile auf Schallplatte erhalten sind. Da es ein rein akustisches Dokument war, das konzentriertes Zuhören erforderte, suchte ich ein Bild, das möglichst wenig davon ablenkte. Ich wählte schließlich eines vom Ort des Geschehens, einer historischen Aufnahme der Bahnstation der Jungfraubahn. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, ein Radiogerät aus der Zeit zu zeigen - oder auch gar nichts (was in so einem Fall nicht das Schlechteste ist, weil es keine neutralen Lösungen gibt, also Bilder, die keine Interpretation nahelegen). Die Vorstellung, dass so ein Dokument „für sich spricht“, ist natürlich problematisch. Es weckt Assoziationen und Fragen, die nicht stehengelassen werden können. Wenn man im Lauf des Vortrags nicht darauf zurückkommt, wird die Attraktion mit einem Informationsdefizit erkauft, das der Redner selbst geschaffen hat. Wenn ein Medienbeispiel die Hauptrolle übernimmt, kann das auch einfach ablenken. In Vorträgen von Medizinern sind praktisch standardmäßig Karikaturen oder andere auflockernde Bilder eingebaut, bzw. am Schluss angehängt. Dazu spornen sogar einzelne Rhetoriktrainer an (auch mit einer allgemeinen Lebensweisheit aufzuhören, ist nicht unbedingt ratsam 267 ). Hier ist vor einem Klarspüleffekt zu warnen: Die lustige, vom sonstigen Zusammenhang losgelöste Karikatur lässt die Hauptsache vergessen. Man bleibt beim Witz hängen, die Hauptinformation tritt in den Hintergrund. Medial: Wie Wandtafel, Handout und Beamer den Dialog fördern 245 33 Wie Vortrag und Bilder zusammenspielen Bilder leuchten an einer weißen Wand auf. Sie sind vorgefertigt und werden während der Präsentation häufig nicht mehr verändert. Bezeichnenderweise werden sie anhand ausgestorbener Techniken als Folien, Dias oder Slides bezeichnet. Dass sie Rednerin und Publikum die Chance für ein gemeinsames Handeln bieten, wird meist vergessen. Dabei bestünden auch hier Chancen für die Dynamik, die die Medienverwendung im Alltagsgespräch hat (→ Kapitel 30 ∣ Medienverwendung im Alltag). Was dominiert - das Wort oder das Bild? Der Einsatz eines Mediums, z.B. einer Beamer-Projektion, ergänzt die gesprochene Rede um eine weitere Ausdrucksebene. Gesprochene und visuelle Informationen erreichen das Publikum parallel. Deshalb muss bei der Planung rechtzeitig überprüft werden, wie sich die Informationen der verschiedenen Ebenen zueinander verhalten. Dabei wird man immer wieder auf einen Aspekt zurückkehren: auf die Frage nach der dominanten Ebene: Was ist gerade wichtiger - das Bild oder das gesprochene Wort?  Fragen zur Funktion einer Folie  Welche Ebene trägt die Hauptinformationen, welche die unterstützenden Informationen?  Was muss die Rednerin tun, um das Zusammenspiel visueller und gesprochener Information zu unterstützen?  Was fordert die Kombination gesprochener und visueller Information dem Publikum ab? Typ 1: Rede primär, Bild sekundär Wenn die Hauptinformation in dem gesprochenen Text ist, hat die Folie oder das einzelne Bild unterstützende Funktion. Es sollte dies auch durch sparsame Gestaltung erkennen lassen.  Wenn die gesprochene Rede die Hauptinformation trägt Die Folie …  veranschaulicht  illustriert 246 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird  beweist  konkretisiert  emotionalisiert  strukturiert  unterstreicht örtliche, zeitliche, quantitative Verhältnisse Typ 2: Bild primär, Rede sekundär Bilder enthalten Informationen, die verbal nur umständlich oder gar nicht ausgedrückt werden können. Damit liegt die Aufmerksamkeit des Publikums ganz auf der visuellen Darstellung. Die Botschaft der Rednerin lautet: „So sieht mein Objekt aus“. Dies braucht Zeit, um das Bild zu erfassen und es im Kontext einzuordnen.  Wenn das Bild die Hauptinformation trägt  Das Bild enthält die Fakten, z.B. eine Statistik. 268  Das Bild ist ein Beispiel, das beschrieben oder gedeutet werden will (z.B. Kunstgeschichte; Biologie).  Das Bild aktiviert Vorwissen.  Das Bild aktiviert Assoziationen.  Das Bild fasst eine längere Geschichte zusammen.  Das Bild dient zur Überprüfung des vermittelten Wissens. Ein klassisches Beispiel bietet der Einstieg in einen Fachvortrag. Forschungsgegenstand ist zum Beispiel ein exotisches Tier. Dieses wird in seinem Habitat abgebildet, ohne dass damit bereits eine Folgerung für die wissenschaftlichen Aussagen verbunden wäre. Gemeinsames Betrachten Ausgangspunkt kann das Dreieck Redner - Publikum - Medium sein. Es legt eine Ausgangshaltung nahe, die das Bild nicht instrumentalisiert, sondern als dritte Person im Raum versteht: Redner und Publikum betrachten es zusammen. Wer sich mit dieser Voraussetzung an die Aufgabe macht, wird seinen Vortragsstil verbal, paraverbal und nonverbal verändern. Er wird sich woanders hinstellen und auch verbal und paraverbal den Dialog suchen. Ein Beispiel: Wer zu einem allgemeinen Publikum spricht, nutzt Bilder nicht selten dazu, Wissen zu aktivieren, das die Zuhörenden mitbringen. Das Bild, das für den Referenten alltäglich ist, muss vom Publikum zuerst Medial: Wie Wandtafel, Handout und Beamer den Dialog fördern 247 erkannt werden: Was ist zu sehen? Wie erklären sie sich einzelne Besonderheiten darauf? - Das braucht eine entsprechende Aufforderung, aber auch Zeit, und eine Position des Redners, die es ihm erlaubt, Publikum und Bild zugleich zu sehen. Eine solche Haltung bietet auch dem Redner selbst eine Chance. Die Radiologin zeigt den Mitarbeitern das Röntgenbild eines Handgelenks und fragt: „Was sehen Sie? “ - Mit weiteren Fragen und Kommentaren weist sie auf Details hin, die sich nicht so leicht erschließen. Einige Anwesende sehen vielleicht auch etwas, das für sie nicht wichtig ist, das aber auf Klärungsbedarf hinweist. Das Resultat ist eine gemeinsame Beurteilung, die mehr erbracht hat als eine reine Beschreibung durch die Chefin. 34 Redner, Publikum und Medium im Raum in Lokalpolitiker steht vor interessierten Bürgerinnen und referiert über den Nutzen des Wildschweins für den örtlichen Tourismus. Die Anordnung ist nicht weit vom Frontalunterricht im Schulalltag: Ein Mensch, leicht erhöht, steht vielen Menschen in ihren Sitzreihen gegenüber. Die Distanz zur ersten Reihe beträgt mehrere Meter, was die Rollenverteilung deutlich betont. Kein Medieneinsatz lenkt vom Redner ab; Redner und Publikum sehen sich in die Augen. Abb. 34: Der Referent vor seinem Publikum. Seine einzigen Medien sind Stimme und Körpersprache. 248 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Sobald ein visuelles Medium - eine Wandtafel oder eine Beamer- Projektion - hinzukommt, erweitert sich die räumliche Konstellation. Redner und Publikum stehen sich nicht mehr nur frontal gegenüber, sondern wenden ihre Aufmerksamkeit einem weiteren Objekt zu. Es ist eine Dreiecksbeziehung. Die lineare Verbindung Redner - Zuhörende erweitert sich zum Dreieck Redner - Zuhörende - mediales Objekt. Die Position des Redners - oft intuitiv gewählt - muss in diesem Fall gewährleisten, dass er sowohl Blickkontakt mit dem Publikum als auch eine gute Sicht auf das präsentierte Bild hat. In gewissen Fällen wird er sogar seinen Platz verlassen und sich in die Reihen der Zuhörenden stellen. Damit ist zumindest sichergestellt, dass das Bild gemeinsam betrachtet werden kann. Redner und Publikum haben zwar keinen Blickkontakt mehr, aber einen gemeinsamen Blickpunkt. Abb. 35: Referent und visuelles Medium: zwei Bezugspunkte für Redner und Publikum. In manchen Fällen wird das Dreieck zu einem Viereck erweitert. Bei naturwissenschaftlichen und technischen Themen genügt oft eine einzelne Projektion nicht mehr. Sie wird ergänzt durch eine zweite Projektion, durch eine weitere Tafel oder auch ein Demonstrationsobjekt. Der Redner muss dafür sorgen, dass sein Publikum zur rechten Zeit in die richtige Richtung blickt - auf die Visualisierung, auf das Objekt oder auf ihn selbst. Medial: Wie Wandtafel, Handout und Beamer den Dialog fördern 249 Abb. 36: Referent, PowerPoint und Demonstrationsobjekt: Drei Bezugspunkte Redner und Publikum. - Wohin sollen die Zuhörenden schauen - zum Pendel, zur Leinwand, zum Referenten - oder vielleicht vor sich auf ihre Notizblätter (einen weiteren Bezugspunkt)? Rednerin und Publikum sehen gemeinsam hin Es ist keine triviale Aufgabe, sich und das Publikum so zu positionieren, dass alle gemeinsam zum medialen Objekt sehen können und sich dennoch nicht aus den Augen verlieren. Es lohnt sich, zu überlegen: Wo sollen die Zuhörenden, wo das Objekt, wo die Vortragende platziert sein? Es geht nicht nur darum, dass das Objekt für alle sichtbar ist. Mindestens so wichtig ist, dass die Interaktion von Dozentin und Publikum ungehindert weiter klappt. Drastisch sind die Fälle von Fachvorträgen, die in abgedunkelten Sälen gehalten werden. Die Rednerin steht irgendwo im Dunkel neben der Leinwand, die PowerPoint-Show lenkt das Interesse des Publikums an ihm vorbei. Natürlich können auch da gesprochene und gezeigte Information harmonieren. Häufiger ist allerdings, dass die wichtigste Person, die Rednerin, kaum mehr wahrgenommen wird. Sie wird zur Nebensache. Am Ende des Vortrags weiß niemand, wie sie aussah. 250 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Abb. 37: „Beachtet mich nicht, ich bin nur die Referentin! “ Das Publikum starrt auf die Leinwand. Die Referentin verschwindet im Dunkel des Saals. Schon durch die räumliche Anordnung sind die Möglichkeiten zum Dialog eingeschränkt. Blickkontakt ist nicht vorgesehen. Und wenn sich die Rednerin zur Leinwand wendet, um mit dem Publikum zusammen hinzusehen, findet sie sich gar nicht zurecht, weil sie zu nah davorsteht. Oft besteht die „Konkurrenz“ nicht in einer Leinwand, sondern in einem anderen Objekt im Raum - etwa, wenn bei einer Führung ein Gemälde erklärt oder in einem Ausbildungsvortrag eine neue Apparatur vorgestellt werden soll. Da schart sich oft die ganze Gruppe um den Dozenten und das vorzuführende Objekt. Dies ergibt zwar ein Gemeinschaftsgefühl, aber es gibt welche, die nur den Rücken des Dozenten sehen. Eine Alternative ist die Installation einer Videokamera, die die Manipulationen über den Beamer auf die Leinwand bringt. Auch dafür ist die Bedingung, dass der Dozent für sich einen Ort auswählt, von dem er nicht nur seine Geräte, sondern auch die Leinwand im Blick hat und damit überprüfen und kommentieren kann, was man sieht oder allenfalls nicht sieht. Auch der Vortrag vor Lernenden in einem Labor bringt meistens wenig Spielraum. Die Auszubildenden sitzen reihenweise da, zum Teil vis-à-vis, zum Teil mit dem Rücken zueinander. Sie müssen sich notgedrungen immer wieder den Instrumenten zuwenden, die vor ihnen stehen. An einer Stirnseite ist Platz für eine Tafel und eine Ausbilderin. Medial: Wie Wandtafel, Handout und Beamer den Dialog fördern 251 Abb. 38: Auszubildende im Labor an ihren Mikroskopen. Wie positioniert sich die Dozentin, um alle zu erreichen? Auf den ersten Blick gibt es für sie keinen optimalen Platz, an dem sie von allen gesehen wird. Wenn sie spricht, müssen einige sich um die eigene Achse drehen. Das tut nicht jeder gerne und schon gar nicht spontan. Deshalb gibt es hier nur eine Lösung: Die Ausbilderin muss einen klar definierten Punkt im Raum haben, zu dem sie immer zurückkehrt, wenn sie sich an alle richtet. Und sie muss die Aktionen klar trennen. Entweder wird doziert und alle wenden sich der Dozentin zu; oder es wird gearbeitet und die Dozentin hält sich dann mit Wortmeldungen an alle zurück. Das Grundthema bleibt auch hier wie bei allen ähnlichen Fällen: Blickkontakt ist nicht immer möglich; aber es ist möglich, einen gemeinsamen Blickpunkt zu haben. 252 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird 35 Einzelne Medien, und wie man sie im Dialog einsetzt er Einsatz von Medien im Vortrag erfordert eine Entscheidung zwischen zwei Wegen: mediale Unterstützung oder Show. Show würde heißen: Der Vortrag ist durchkomponiert, als „Ein- Personen-Theaterstück“ 269 . Die medialen Elemente - Tonaufnahmen, Videoaufnahmen, PowerPoint-Folien, Experimente usw. - fügen sich an einer genau berechneten Stelle ein. Sie unterstützen den Vortrag oder übernehmen die Hauptrolle; aber der Übergang geht fließend, ohne dass eine umständliche Ankündigung oder gar ein Bruch stört. Der Redner geht nach einem Drehbuch vor, das er einstudiert hat. Das führt unter Umständen zu einem höchst vergnüglichen Erlebnis, bei dem die Zuhörenden eine Inszenierung verfolgen, die mehrere Sinne anspricht und sie ähnlich fesselt wie eine gute TV-Doku. Es ist Monolog pur, und die Verantwortung liegt zu hundert Prozent beim Vortragenden. Es ist das Gegenteil von dialogischer Kommunikation. Man kann solche geschliffenen Präsentationen bei den schon öfter erwähnten TED-Talks verfolgen. Nicht von ungefähr arbeitet da ein ganzes Team an den gelungenen Auftritten der prominenten Redner. Ein ganz anderer Ansatz heißt mediale Unterstützung: Das Ziel ist nicht, mit einer durchkomponierten Abfolge von Wort, Bild und Ton zu brillieren, sondern mit einer Botschaft ins Gespräch zu kommen. Die Frage ist nicht: Wie beeindrucken Sie die Zuhörenden mit Ihrem Medieneinsatz? Sondern: Was tun Sie und Ihre Zuhörenden - auch mit den Medien? Mediennutzung darf nicht zufällig sein Eine Standardsituation: Die Dozentin steht vor den Zuhörenden und führt einen Begriff ein. Bei der Nennung wird ihr bewusst, dass sie ihn besser anschreibt. Sie dreht sich zur Wandtafel, einer Fläche von 3,6 mal 1 Meter. Da, wo sie gerade steht, schreibt sie auf Kopfhöhe das betreffende Wort hin. Dann dreht sie sich um und spricht weiter. Wenn es später wieder etwas zu schreiben gibt, gibt dieses zufällig platzierte erste Wort vor, wo noch Platz ist. Im Lauf der Zeit füllt sich die Tafel - erst rechts von der ersten Aufschrift, dann unten dran, schließlich auch darüber und links davon. Es stehen viele Dinge zusammenhangslos beisammen. Nun ist es oft praktisch, ein Wort da zu notieren, wo man gerade steht. Es spart Zeit und erfüllt den Zweck. Aber ideal wäre es, wenn dabei im Laufe der Stunde eine sinnvolle Darstellung entstünde, die auch rückblickend die Orientierung ermöglichte. Dieses Beispiel zeigt, dass zwei Entscheidungen oft sehr beliebig getroffen werden: die Wahl des Mediums und die Art seiner Nutzung. 270 Wer Medial: Wie Wandtafel, Handout und Beamer den Dialog fördern 253 überlegt schon, ob seine Botschaft wirklich mit PowerPoint am besten unterstützt wird? Wer entscheidet sich aus Gründen der Didaktik und nicht der Bequemlichkeit dafür, einen Prozess auf einem Handout zu illustrieren, statt an der Wandtafel (oder umgekehrt)? Oft braucht es nicht viel mehr als die rechtzeitige Überlegung, welche Funktionen durch welche Visualisierungen erfüllt werden sollen. Ein Beispiel: Zu vielen Themen gehört die Einführung neuer Fachbegriffe. Diese müssen so eingeführt werden, dass man sie später wiedererkennt. Das heißt: Sie müssen schriftlich präsent sein. Dafür könnte im Voraus ein eigener Ort gewählt werden. Separat von den übrigen Medien wird ein Flipchart (oder auch eine Sektion der Wandtafel) platziert. Dahin begibt sich die Rednerin jedes Mal, wenn ein neuer Terminus fällt, und notiert ihn. Zum Schluss haben alle eine übersichtliche Liste mit den neuen Begriffen vor sich. Dieses Vorgehen nutzt die Tatsache, dass man sich in einem Raum befindet, der durch die Positionierung verschiedener Informationsflächen die Orientierung im Inhalt erleichtert. Einige Hinweise zu drei häufig genutzten Medien sollen im Folgenden dazu anregen, auch mit einfachen Geräten kreativ umzugehen. Wandtafel, Whiteboard und Co.: Dynamisch und kreativ Die Idee, Zeichen an der Wand zur visuellen Unterstützung zu nutzen, liegt auf der Hand, sobald sich der Unterricht im Innern eines Hauses abspielt. Sokrates, der mit seinen Schülern in der freien Natur zu parlieren pflegte, war ganz auf das gesprochene Wort angewiesen. Aber vielleicht zeugen schon die Höhlenmalereien, die jagdbare Tiere in ihren Einzelheiten darstellen, davon, dass erfahrene Jäger ihren prähistorischen Kollegen Vorträge hielten und sie mit Wandgemälden illustrierten. Von kleinen, tragbaren Tafeln, die als Aufschreibemedium verwendet wurden, wird schon in der Antike berichtet. Die Wachstafeln der Römer waren darauf ausgerichtet, dass man mit einem Griffel Worte und Zahlen einritzen und später wieder löschen konnte, indem man sie glattstrich. (Cäsar verteidigte sich mit seinem Schreibgriffel gegen seine Mörder; es war der einzige spitze Gegenstand, den er bei sich trug.) Das Prinzip ist auch in der kleinen Schiefertafel, die in den Schulen bis ins 20. Jahrhundert verwendet wurde, das gleiche. Große schwarze Tafeln, die für alle sichtbar an der Wand angebracht waren, wurden seit Beginn der Neuzeit in Schulen verwendet. 271 Da sie einen großen Kontrast bietet - Weiß auf Schwarz oder auch Weiß auf Grün -, eignet sie sich auch in großen Räumen. Unterdessen ist der Redner vor der Tafel, meist mit einem Zeigestock in der Hand, zum stereotypen Abbild des Dozenten geworden. 254 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Abb. 39: Der Physiker an der Tafel wendet sich, wenn immer möglich, dem Publikum zu. Das einfachere Medium gewinnt Das Unterrichtsmedium Wandtafel hat einen Vorteil: Sie eignet sich für eine dynamische Verwendung. Typischerweise entsteht während einer Schulstunde oder einer Vorlesung allmählich ein „Tafelbild“. Es enthält wichtige Begriffe, Formeln, Ableitungen, Schemata, Zeichnungen usw. Die Schüler und Studierenden können verfolgen, wie es entsteht; im Idealfall beteiligen sie sich an der Herstellung, indem sie Antworten geben, Vorschläge machen. Oder sie werden selbst zur Tafel gerufen, um mit einer Rechenoperation oder einer Skizze oder einzelnen Begriffen zur Visualisierung beizutragen. Die Wandtafel ist seit Jahrhunderten das Medium für diese Vorgehensweise. Ganz ähnliche Möglichkeiten ergeben Whiteboard, Flipchart und schließlich auch neuere elektronische Mittel wie das interaktive Whiteboard. 272 Letztere ermöglichen es, vorproduzierte Präsentationen zu ergänzen und zu verändern. Bei den archaischen Versionen (Wandtafel, Flipchart etc.) fängt man typischerweise mit einer leeren Fläche an, die eine gewisse Planung erfordert, es aber auch ermöglicht, kreativ und spontan auf die Redner-Zuhörender-Interaktion zu reagieren. Die Wandtafel demonstriert noch einmal deutlich die zwei Herausforderungen, die der Medieneinsatz vor Publikum stellt: den körperlichen Umgang mit dem Raum und die grafische Darstellung. Während andere Geräte sich verschieben lassen und der Dozent auch neben oder hinter sie treten kann, markiert die fest fixierte Wandtafel immer einen Bezugspunkt hinter dem Dozenten. Er muss sich öfters der Tafel zuwenden und damit dem Publikum den Rücken zukehren. Medial: Wie Wandtafel, Handout und Beamer den Dialog fördern 255  Tipps zu Wandtafel und Whiteboard Eine Tafel bzw. ein Whiteboard eignen sich für die folgenden Aufgaben:  Festhalten z.B. von Begriffen, Formeln, um ▶ ihre Bedeutung zu unterstreichen ▶ die Schreibweise mitzuteilen ▶ mehrere Begriffe in einem Zusammenhang darzustellen  Dokumentieren der Entwicklung von Gedankengängen, z.B.: ▶ Argumentation ▶ Lösungsweg einer Aufgabe ▶ die einzelnen Schritte einer zeitlichen Entwicklung  Visualisierung von Sachverhalten durch grafische Darstellungen (einfache Zeichnungen, Pläne etc.)  Mitschreiben von Beiträgen aus dem Publikum (als Liste, MindMap etc.) Grafisch  an das Gesamtbild denken (Tafelbild soll den Ablauf des Vortrags nachvollziehbar machen)  großschreiben  links oben beginnen, rechts unten aufhören Nonverbal Choreografische Besonderheiten der Wandtafel:  Nähe des Redners zur Tafel: Gefahr, den Blickkontakt zu verlieren  Blickkontakt ist reduziert, aber ein gemeinsamer Blickpunkt ist gewährleistet  Gesten (etwa um Details an der Tafel zu bezeichnen) sollten deutlich sein  nicht hetzen (so schnell schreiben, dass es lesbar bleibt - auch wenn die Zuhörenden nicht mitschreiben) Paraverbal  auf deutliche Aussprache achten  möglichst viel ins Publikum sprechen  keine Angst vor Pausen, die beim Schreiben entstehen Verbal  einzelne Schritte kommentieren  Neues (Namen, Begriffe, Zahlen) aufschreiben  Begriffe, die angeschrieben werden, laut lesen 256 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Der Flipchart bringt Bewegung ins Spiel Dass man statt einer Wandtafel einen großen Schreibblock auf eine Staffel montieren kann, ist eine recht alte Idee. Der Oxford English Dictionary belegt den Gebrauch des Ausdrucks ab dem Jahr 1956; aber ähnliche Konstruktionen sollen schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts verwendet worden sein. 273 Der Flipchart (und andere Formen kleinerer, beweglicher Tafeln) gibt dem Redner mehr Bewegungsfreiheit. Das Dreieck Redner-Tafel-Publikum lässt sich je nach Bedürfnis verändern. Der Flipchart macht es nie notwendig, sich ihm ganz zuzuwenden und den Zuhörenden den Rücken zu zeigen. Zudem kann man mit einiger Übung auch von der Seite, mit angewinkeltem Stift schreiben. 274 Der Flipchart hat Plakatformat und eignet sich für großflächige Darstellungen, die man schnell von Hand hinbekommt. Wer viel schreiben muss, wählt dagegen die Wandtafel, die für gut lesbare, längere Anschriften unschlagbar ist. Der Flipchart hingegen ist ein Notizblock und sollte auch so aufgefasst werden. Wie ein Notizblock hält er fest, was zusammengetragen, illustriert, erklärt wird. In Seminaren mit überschaubarer Teilnehmerzahl teile ich die Studierenden oft in Gruppen von zwei bis sechs Personen. Sie bekommen den Auftrag, über eine einfache Frage zu diskutieren und die Resultate grafisch darzustellen. Sie suchen sich dann einen Platz in einem der freien Räume nebenan, in der Cafeteria oder irgendwo auf dem Boden vor der Bibliothek. Jeder Gruppe gebe ich ein Flipchart-Blatt und ein paar dicke Filzstifte mit. Nach zwanzig bis dreißig Minuten (ich sage: „Nehmen Sie sich 20 Minuten Zeit“ und weiß, dass ich ihnen danach noch etwas Nachspielzeit geben muss) kommen sie zurück und bringen ihre Blätter mit Klebestreifen gut sichtbar an der Wand an. Darauf haben sie die wichtigsten Begriffe in großen Buchstaben aufgemalt, mit einzelnen einfachen Symbolen (Kreisen, Pfeilen). Diese Darstellungen können dann in der Diskussion ergänzt und erweitert werden. Die Bögen mit den Darstellungen aus den Gruppenarbeiten nehme ich oft mit ins Büro und benutze sie als Grundlage für eine weitere Einheit oder für ein Kapitel im Skript. Manchmal fotografiere ich sie noch im Seminarraum und lade sie auf der elektronischen Lehrplattform hoch. Es ist ein Produkt der Studierenden, und sie sollen die Frucht ihrer Arbeit nochmals betrachten und auswerten können. Medial: Wie Wandtafel, Handout und Beamer den Dialog fördern 257  Tipps zur Flipchart Der Flipchart eignet sich für:  großflächige, einfache Darstellungen, Listen  nicht für detaillierte Darstellungen (im Gegensatz zur Wandtafel)  die Weiterverwendung beschriebener Blätter, die sichtbar bleiben sollen (z.B. an einer Pinnwand) Nonverbal Choreografische Besonderheiten des Flipcharts:  geeignet für kleine und mittelgroße Räume  größerer Bewegungsspielraum für Redner  Platzierung (Distanz, Winkel) variabel, aber: Winkel zum Publikum beachten!  Blickkontakt Redner-Publikum fällt leichter  einmal geschriebene Blätter können weiterverwendet (z.B. an eine Wand geheftet) werden Paraverbal (vgl. auch Wandtafel)  auf deutliche Aussprache achten  möglichst viel ins Publikum sprechen  keine Angst vor Pausen, die beim Schreiben entstehen Verbal  geringer Platz eignet sich für knappe Ausdrucksweise  Vorsicht vor zu komprimierten Formulierungen/ Abkürzungen Grafisch  Farbgestaltung nutzen; aber Vorsicht mit hellen Farben (gelb, orange), die schlecht lesbar sind  für Umrandungen und Unterstreichungen Kontrastfarben nutzen  großflächig arbeiten: große Buchstaben, einfache Symbole  vor dem Vortrag überprüfen, ob der unterste Bereich für die Zuschauer noch sichtbar ist. 258 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Handout: Outsourcing von Aufschrieben Als Rednerinnen entdeckten, dass es Vervielfältigungsapparate gab, begannen sie, ihre Aufschriebe auf Blätter zu verlagern, die sie den Zuhörenden in die Hand drücken konnten. Neudeutsch heißen sie Handouts. In den besten Fällen ergänzen sie die übrigen medialen Produkte:  Sie bereiten die Mitschrift der Zuhörenden vor, indem sie Hauptbegriffe und leere Flächen enthalten, auf denen ergänzende Notizen Platz haben.  Sie halten fest, was die Zuhörenden nicht mitschreiben können, z.B. bibliografische Angaben, Zeichnungen, Überblicksdarstellungen.  Oft enthalten Handouts auch Zusatzbotschaften, etwa Werbung für weitere Veranstaltungen. Da die Zuhörenden selbst entscheiden, wie lange sie sich mit dem Handout beschäftigen, geschieht es relativ schnell, dass sie sich dadurch ablenken lassen. Das Medium wird von der Unterstützung des Vortrags zur Konkurrenz. Dies trifft vor allem dann zu, wenn es für ergänzende Informationen benutzt wird. Diese Konkurrenzsituation kann nur verhindert werden, wenn das Handout eine einfache Funktion erfüllt, die man auch klar deklarieren soll: Dient es nur zur Unterstützung eines bestimmten Abschnitts der Rede? Enthält es die Hauptthesen und soll nur jeweils die Zusammenfassungen verstärken? Führt es eine Literaturliste auf, die die Zuhörenden gleich wegstecken können? Auf jeden Fall soll das Handout, sobald es verteilt ist, wie eine weitere Informationsquelle behandelt werden, ähnlich wie etwa Leinwand, Wandtafel und Flipchart, deren Inhalt gelöscht wird, wenn er nicht mehr benötigt wird. Da das Handout eine Quelle der Ablenkung darstellt, muss für vermehrten Blickkontakt gesorgt werden. Weil Zuhörende aus einem Orientierungsbedürfnis oder aus Langeweile aufs Blatt sehen, braucht es Anreize, um den Blickkontakt der Rednerin zu erwidern: explizite Ankündigungen und Aufforderungen („Jetzt kommt etwas Entscheidendes ...“/ „Sehen Sie sich dieses Bild an ...“), Fragen, Erzählungen, informativ gestaltete Tafel- oder Power- Point-Einheiten. Wenn ein Handout während des Vortrags mehrmals benutzt wird, muss das Layout so sein, dass die einzelnen Abschnitte leicht aufzufinden sind, auch wenn man es in der Zwischenzeit aus der Hand gelegt hat. Eine Gelegenheit zum Dialog Es ist vielerorts üblich, vor der Veranstaltung einfach einen Stapel Blätter auf die vordersten Stühle zu legen. Eine mehr oder weniger direkte Auf- Medial: Wie Wandtafel, Handout und Beamer den Dialog fördern 259 forderung macht die hereinkommenden Zuhörenden darauf aufmerksam. Sie bedienen sich, ohne den Wert dieses Geschenks zu erkennen. Ob es ein Handout ist oder irgendeine andere Kleinigkeit, die man als Rednerin verteilt: Damit verbunden ist immer die Geste des Gebens und Nehmens. Wenn die Rednerin selbst die Verteilung vornimmt, hat sie eine Chance zur direkten Begegnung mit den einzelnen Zuhörenden. Wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, die Handouts direkt zu übergeben oder wenigstens in einem Stapel in jede Reihe zu bringen, ist das eine klare Geste, die mit einer verbalen Äußerung unterstrichen werden kann, die ausdrückt: „Das habe ich für Sie vorbereitet. Das ist mein Geschenk an Sie.“  Tipps zum Handout Das Handout eignet sich für:  Gliederungen (zur Orientierung während des Vortrags: Wo sind wir? Was erwartet uns noch? )  ausführliche Informationen (vor allem für die Nachbereitung)  dennoch darauf achten, dass sich die Zuhörenden nicht im Text verlieren können  Texte, wörtliche Zitate Grafisch Orientierung in der Gestaltung des Handouts erleichtern durch:  Zwischenüberschriften  Bildlegenden  Quellenangaben  allenfalls Ausschnitte des Handouts auf die Leinwand projizieren, damit klar wird, worüber gesprochen wird Nonverbal  die Art des Verteilens der Blätter und die dafür benötigte Zeit planen  ein eigenes Exemplar behalten und bei der Besprechung benutzen  für Blickkontakt sorgen Paraverbal  Zeit zum Lesen einräumen  laut mitlesen, um sicherzugehen, dass alle dabei sind 260 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Verbal  Funktion des Handouts beim Vortrag deklarieren  deutlich ankündigen, wenn es benötigt wird und wenn es aus der Hand gelegt werden soll  bei Fragen aus dem Publikum sicherstellen, dass alle dabeibleiben („Bei welchem Punkt des Handouts sind wir? “), eventuell durch Beamer unterstützen PowerPoint und Co.: Zwischen Vielfalt und Stumpfsinn In der Regel werden einer PowerPoint-Datei (und allem, was darunter subsummiert wird), zu viele Aufgaben aufgebürdet:  Visualisierung verbaler Aussagen  Dokumentation von Beobachtungen  Präsentation von Forschungsresultaten  Ersatz für eine sinnvollere Gedächtnisstütze  Ersatz für ein Vorlesungsskript usw. Zunächst ist es deshalb sinnvoll, diese Aufgaben zu reduzieren und zu erkennen, was alles bei einem anderen Medium besser aufgehoben ist: im gesprochenen Wort, in einem Handout, auf einer Wandtafel oder auf einem Flipchart etc. Viele kurze Präsentationen leiden darunter, dass die Präsentationssoftware entweder nichts Wesentliches enthält (so dass ein einfacher Vortrag mit Blickkontakt effizienter ist), oder dass sie überfrachtet ist, weil sie alle Details der Unternehmensstruktur, des Projekts oder des eigenen Lebenslaufs enthält (Dinge, die in ein anderes Medium gehören). 275 Eine gute PowerPoint-Präsentation braucht Zeit und Können. Wie die Beispiele weiter oben gezeigt haben, wird in diesem Buch eine möglichst einfache, übersichtliche Gestaltung empfohlen. Die folgenden Tipps sollen einen ersten Einstieg ermöglichen. Medial: Wie Wandtafel, Handout und Beamer den Dialog fördern 261  Tipps zu Präsentationssoftware Präsentationssoftware wie PowerPoint, Keynote oder Impress ermöglicht es, eine Vielzahl unterschiedlicher Texte, Bilder und Bewegtbilder an die Wand zu projizieren. Diese Vielfalt ist eine große Chance, führt aber oft zu unbefriedigenden Resultaten. Hier soll den vielen speziellen Handbüchern keine Konkurrenz gemacht werden; Hinweise auf den Umgang mit Textfolien und die Kombination von Projektion und Präsentation sollen genügen. PowerPoint und Co. eignen sich:  für die begleitende Visualisierung  für die Unterstützung der inhaltlichen Gliederung  für Bilder, Grafiken  für einzelne Begriffe, knappe Definitionen Grafisch Anleitungen zum Gebrauch von PowerPoint könnten so missverstanden werden, dass es Titel-Folien, Text-Folien und Grafik-Folien gäbe. In Wirklichkeit setzt sich fast jede Folie aus diesen drei Elementen zusammen. Auch wenn es „nur“ Text ist, ist dieser grafisch ansprechend gelayoutet. Auch wenn es „nur“ ein Bild oder eine Grafik ist, braucht diese Beschriftungen. Und jede neue Folie braucht eine Überschrift, die die wenigen Begriffe oder Darstellungen einordnet. Die Grundlage für jede PowerPoint-Präsentation ist Einfachheit: einfache Bilder, einfache Grafiken, knappe Worte und Sätze. Lehrbücher empfehlen, eine Folie auf maximal sechs bis sieben Punkte zu beschränken; aber schon das kann zu einer Überforderung für den Betrachter führen. Folien nicht überladen! Wenn es scheint, dass eine Folie eine Vielzahl von Begriffen oder Bildern erfordert, sollte man versuchen, diese Dinge zu gruppieren und klar voneinander getrennt anzuordnen. In einem zweiten Schritt lässt sich fragen, ob die Gruppen nicht besser auf einzelne Folien verteilt werden, jede mit ihrem eigenen Titel. 262 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Große, einfache Schrift wirkt in der Projektion am besten. Am leichtesten handhabbar und lesbar sind Grotesk-Schriften, also solche ohne Serifen (wie Helvetica oder Arial). Die Schriftgröße soll, den Raumverhältnissen angepasst, so groß wie möglich gewählt werden. Für einen großen Raum empfiehlt sich eine Schrift von 28 Punkt für die kleinsten Begriffe. Das scheint zwar immer noch groß, hilft aber auch, eine zu große Textfülle zu vermeiden. Farbe hilft, Wichtiges zu betonen und verschiedene Typen von Informationen zu unterscheiden. Allerdings sollte das Farbschema konsequent angewendet werden - für gleichwertige Informationen die gleichbleibende Farbe. Wer sich an diese Regeln hält, wird herausfinden, dass er je nach Thema mit PowerPoint allein nicht auskommt. Komplexere Informationen können ausgelagert werden - auf Handouts. Nonverbal Die Hauptaufgabe bei einer PowerPoint-Präsentation besteht darin, präsent zu bleiben. Wann immer möglich, soll das Dreieck Redner- Publikum-Medium ausgenutzt werden. Je nach Zusammenhang von Bild und Rede kann der Standpunkt gewechselt werden. Wenn Redner und Publikum das Bild gemeinsam interpretieren sollen, ist eine Zuwendung zu beidem besonders wichtig. Die beste Taste bei PowerPoint Wer mit PowerPoint oder Keynote vorträgt, kann auf einfache Weise Blickkontakt mit dem Publikum garantieren: mit einem Fingerdruck auf die B-Taste auf der Tastatur („B“ für black). Der Bildschirm wird sofort schwarz und die Zuhörenden fokussieren ihren Blick wieder auf die Rednerin. Erneutes Drücken von „B“ setzt die Präsentation fort. Alternativ funktioniert auch „W“ (wie white): Die Präsentation wird unterdrückt und die Leinwand wird weiß. Es bringt nie etwas, unmittelbar vor oder unter dem projizierten Bild zu stehen. Redner und visuelle Information sind dann vor dem Publikum vollständig voneinander losgelöst. Es ist zudem nicht ratsam, die Projektion mit dem Publikum zusammen anzusehen oder mit Gesten auf Bilder oder Worte zu verweisen. Medial: Wie Wandtafel, Handout und Beamer den Dialog fördern 263 Technische Handlungen von der inhaltlichen Wiedergabe trennen: Wenn der Redner sich dem Notebook zuwenden muss, um dort eine Taste zu suchen, ist das Aktion genug. Es bringt nichts, gleichzeitig weiterzureden. Das Publikum hält die paar Sekunden Pause aus, der Stress ist allerseits geringer. Paraverbal Folien sollten nicht als Gedächtnisstütze missbraucht werden. Wenn es aber nicht anders geht, sollte man sich regelmäßig von den Folien lösen und ins Publikum sprechen. Dies führt zu einer anderen Pausensetzung, zu einer dialogischeren Sprechweise. Sämtliche Formulierungen, die auf der Folie vorkommen, sollten auch ausgesprochen werden. Das Publikum muss Zeit haben, die Texte auf den Folien zu lesen. Ähnlich wie bei Wandtafel und Flipchart sollte besonders dann auf deutliche Aussprache geachtet werden, wenn man sich mit dem Publikum der Projektion zuwendet. Verbal Auf die Folien gehören nur Ausdrücke, die auf einen Blick erfasst und verstanden werden. Lange Sätze sind tabu. Konkurrenz zwischen dem geschriebenen und dem gesprochenen Wort vermeiden: Oft ist es notwendig, eine Information einzuschieben, für die keine Folie vorhanden ist. Dann sollte auch auf eine Folie verzichtet werden (Taste B für einen schwarzen Bildschirm). Orientierende Informationen nicht vergessen. Dies benötigt zum einen Folien mit Inhaltsverzeichnissen, Zwischenüberschriften usw., zum anderen gesprochene Kommentare: „Ich habe für Sie die folgenden Punkte vorbereitet ...“ / „Damit kommen wir zu ...“ / „Jetzt die Resultate aus unserer Untersuchung ...“ 264 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird 36 Vorbereitung auf den Dialog er Einsatz von Medien im Vortrag bringt uns nochmals zurück zu Hauptproblemen des Redens in der Öffentlichkeit. Es erfordert eine Vorbereitung - oft von langer Hand - und diese erfolgt anhand schriftlicher Quellen. Die Gefahr besteht, dass man diese so verdichtet, wie man es auch für einen Aufsatz oder eine Informationsbroschüre täte. Die Situation des Publikums, das den Inhalt in kurzer Zeit erfassen und gleichzeitig dem Vortrag folgen muss, gerät aus dem Blickfeld. Auch dass die vorbereiteten Texte und Bilder zum Schluss im Dialog verwendet werden, wird leicht vergessen. Ideal wäre es, bei der Vorbereitung eines mediengestützten Vortrags frühzeitig das gesprochen Wort einzubeziehen: bei der Erstellung von Folien zu einem imaginären Publikum zu sprechen und zu erkennen, in welche Schritte die Information aufgeteilt werden muss und welche Formulierungen sich am besten eignen. Die beste Vorbereitung auf den Vortrag ist die Praxis: die Übung in den verschiedensten Teilschritten - verbal, paraverbal, nonverbal. Das ist dann möglich, wenn man rechtzeitig die schriftliche Vorbereitung verlässt und mit dem, was man erarbeitet hat, in freier Formulierung und mit einer dialogischen Haltung spielt. Übungen │ Medial Texte vereinfachen Hintergrund: Folien, die Text enthalten, sind in der Regel überladen. Eine Menge an Informationen und komplizierter Satzbau, zusammen mit einer unübersichtlichen Darstellung, machen es schwer, sich zurechtzufinden. Es sollte grundsätzlich mit Stichworten verfahren werden, deren Zusammenhang aus einer einfachen grafischen Aufbereitung deutlich wird. Ziel der Übung Die Übung soll dazu anspornen, in den Folien nur das Notwendigste verbal auszudrücken. Sie soll dafür sensibilisieren, was in Schriftform und was als gesprochener Kommentar vermittelt werden soll. Ablauf: Eine beliebige fremde Folie mit Fachinformationen, die sich an Laien richten, wird ausgewählt, auf Papier ausgedruckt und überarbeitet. Folgende Überlegungen sollen die Arbeit leiten:  Reicht eine Folie aus oder gehören die Informationen auf mehrere Folien?  Lassen sich ganze Sätze auf Stichworte reduzieren?  Helfen grafische Symbole (Pfeile, Umrandungen usw.) bei der Vereinfachung?  Sollen die Informationen einer Folie schrittweise präsentiert werden? Beispiel: Kontext: Ein Wettbewerb für Jugendliche soll sie davon abhalten, sich mit Alkohol zu berauschen. 276 Parallel dazu wurde der Erfolg der Aktion untersucht. Die folgende Folie stammt von der Präsentation dieser Untersuchung: 266 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Abb. 40: Folie mit den Resultaten einer Umfrage. Kommentar: Der Text enthält Stoff für zwei Folien (Beurteilung des Wettbewerbs / eigenes Trinkverhalten). Vereinfachung durch Umwandlung der Sätze in Frage-Antwortbzw. Doppelpunkt-Konstruktionen, z.B.:  Schulnote für den Wettbewerb: gut / sehr gut  Erfahrung mit Rauschtrinken: 32 Prozent Der Unterschied zwischen Wettbewerbsteilnehmern („32 Prozent“) und Vergleichsgruppe („53 Prozent“) könnte z.B. durch verschiedenfarbige Texte dargestellt werden. Auswertung: Diese Übung ist am effizientesten, wenn zwei Kolleginnen die Präsentation der jeweils anderen bearbeiten. Hier kann die Fremdkritik mit der Eigeneinschätzung abgeglichen werden. Choreografie für Flipchart/ Whiteboard/ Tafel Hintergrund: Die meisten, die vor Publikum eine senkrechte Schreibfläche benutzen, halten es für ein Problem, dass sie sich von den Menschen abwenden müssen, zu denen sie reden. Das ist allerdings nicht zu vermeiden, und das ist auch den Zuhörenden bewusst. Zudem gibt es immer den gemeinsamen Blickpunkt: Beide konzentrieren sich auf ein und dasselbe Objekt - auf die Worte, die Zeichnung oder die mathematische Formel, deren Entstehen sie verfolgen. Das an sich ist schon etwas Gemeinsamkeit. Es ist also nicht nötig, während des Schreibens in Richtung Tafel zu sprechen. Man kann ruhig schweigen und seinen Kommentar für später bewahren, wenn man Der Erfolg unseres Wettbewerbs 2018 Zwei Drittel der befragten Jungen und Mädchen haben dem Wettbewerb die Schulnote „sehr gut“ oder „gut“. Für 43 Prozent der Teilnehmer trägt der Wettbewerb nach eigener Einschätzung dazu bei, dass jugendliche vernünftig mit Alkohol umgehen. Jungen und Mädchen sind seltener vom Rauschtrinken betroffen, wenn Se am Wettbewerb teilgenommen haben: 32 Prozent der Teilnehmer geben an, sie hätten schon mal Rauschtrinken praktiziert. In der Vergleichsgruppe waren es mit 53 Prozent deutlich mehr. Medial: Wie Wandtafel, Handout und Beamer den Dialog fördern 267 sich von der Schreibfläche gelöst hat und wieder ins Publikum sieht. Wer sich darin nicht sicher fühlt, sollte es üben. Ziel der Übung Diese Übung hat ein Hauptziel: die Trennung von Schreiben und Sprechen. Dazu kommt die Disziplin darin, groß und leserlich (also für die meisten: langsam) zu schreiben. Ablauf: Wählen Sie eine einfache Zeichnung, die Sie problemlos auf dem Flipchart wiedergeben können und die Sie mit wenigen Worten beschreiben können (z.B. ein Strichmännchen, dessen Anatomie Sie erklären). Sprechen Sie eine Einleitung ins Publikum. [1] Drehen Sie sich zum Flipchart. [2] Zeichnen Sie das erste Element (z.B. den Kopf). Sprechen Sie den [3] Kommentar bzw. die Erklärung ins Publikum. Wiederholen Sie diese Schritte für die weiteren Elemente. [4] Sprechen Sie einen Abschluss ins Publikum. [5] Auswertung: Wenn es gelingt, diese Schritte getrennt voneinander und ohne Eile auszuführen, ist ein erstes Ziel bereits erreicht. Hinzu kommt die Aufgabe, sich zudem so im Raum zu bewegen, dass ein Medien-Dreieck entsteht, in dem Sie das Geschriebene oder Gezeichnete mit dem Publikum zusammen betrachten (ohne es für einen Teil des Publikums zu verdecken). Objektpräsentation Hintergrund: Anschauungsobjekte zu präsentieren, ist eine besondere Gelegenheit, um mit dem Publikum in Kontakt zu kommen. Abgesehen davon, dass die Verständlichkeit erhöht und die emotionale Beteiligung verstärkt wird, entsteht immer die Möglichkeit, etwas gemeinsam zu tun: den Gegenstand zu betrachten, zu beschreiben oder zu bedienen. Sich darin zu üben, bedeutet, seinen Bewegungsspielraum zu erweitern und die verschiedenen Ebenen des Kontakts (v.a. Blick, Anrede, Lautstärke) zu pflegen. 268 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Ziel der Übung Als Übung fordert das Demonstrieren zunächst die nonverbalen Fähigkeiten: die Verbindung zwischen dem Publikum, dem Objekt und dem Redner selbst herzustellen. Hinzu kommen sprachliche Aufgaben: Wie und in welcher Reihenfolge werden die Teile des Objekts und die auszuführenden Handlungen beschrieben? Ablauf: Diese Übung lässt sich am leichtesten vor einem kleinen Publikum vollziehen. Sie ist aber auch als Einzelübung möglich, wenn man sich das Publikum an einem konkreten Ort im Raum vorstellt. Folgende Möglichkeiten stehen zur Verfügung:  Austeilen von Handouts oder beispielhaften Gegenständen (z.B. Blüten in der Botanik, Steine in der Mineralogie, Wolle in der Handarbeit)  Aufstellen und Erklären einer Maschine, eines Modells, einer Landkarte usw.  Degustation eines Getränks, einer Speise, eines Parfüms usw. Vorbereitung: Weisen Sie dem Publikum, dem Objekt und sich selbst eine klare Position im Raum zu. Ihr eigener Standort wird sich vom üblichen Rednerstandort unterscheiden: Wie und warum? Die Handlungsschritte lauten:  Einleitung (positives Vermitteln: „Ich habe etwas für euch ...“)  Benennung des Objekts (und jedes einzelnen Teils davon - auch wenn es als bekannt vorausgesetzt werden kann)  Erklärungen  Aktivierende Fragen (Weglassen, wenn kein Publikum vorhanden; dennoch lohnt es sich zu überlegen, welche Teilhandlungen ans Publikum abgegeben werden können).  Abschluss und Übergang zum Rest des Vortrags Auswertung:  Ist das Objekt so präsentiert, dass es alle sehen?  Gelingt es, das Objekt zu präsentieren, ohne sich dabei von der Gruppe abzuwenden? Medial: Wie Wandtafel, Handout und Beamer den Dialog fördern 269  Gelingt es, das Objekt als „Geschenk“ zu präsentieren - als ein zusätzliches Highlight der gesamten Rede, das für das Publikum die Information vertiefen wird und den Unterhaltungswert verstärkt?  Werden alle Aspekte des Objekts benannt? Wird erklärt, was zu erklären ist? PowerPoint-Karaoke Hintergrund: PowerPoint-Karaoke lernte ich als Zeitvertreib bei Studentenpartys kennen. Man wählte eine beliebige PowerPoint-Präsentation aus dem Internet. Einer nach dem anderen muss sich hinstellen und die Bilder, Charts und Textelemente kommentieren. Natürlich hat der Betreffende jeweils keine Ahnung, was er da auf der Leinwand sieht. Er versucht, dennoch einen möglichst flüssigen Vortrag hinzulegen. Das Resultat kann umwerfend komisch sein. 277 Ziel der Übung Die Rednerin erprobt eine geeignete Choreografie: Medien-Dreieck, Blickkontakt, Gestik. - Sie unterscheidet klar die Sprechhandlungen (Erklären der projizierten Bilder/ Information des Publikums/ Metakommunikation). Ablauf: Eine beliebige PPT-Präsentation wird ausgewählt und über den Beamer an die Wand geworfen. Die Versuchsperson bekommt die Fernbedienung (und, wenn vorhanden, einen Laser-Pointer oder Zeigestock). In einer verschärften Variante bedient ein außenstehender Spielleiter die Fernbedienung und entscheidet damit, wie lange ein einzelnes Bild sichtbar bleibt. Vorausgesetzt ist, dass die Versuchsperson die Bilder bei der Präsentation zum ersten Mal sieht. Sie spricht, möglichst überzeugend und zusammenhängend. Zeitlicher Rahmen: Am besten wird eine Zeit vereinbart, die die Versuchsperson durchstehen muss. Bei kurzen Bildfolgen (unter 10 Folien) kann auch so lange gesprochen werden, bis die Präsentation zu Ende ist. In Seminarübungen eignet sich ein schneller Wechsel der Rednerinnen, z.B. immer nach zwei Folien.) 270 2. Teil: Wie aus dem Vortrag ein Dialog wird Die folgenden Schritte helfen bei der Übung: Die folgenden Schritte helfen bei der Übung: [1] Kurze Orientierung über das Thema (aufgrund der ersten Folie). [2] Begrüßung und Einleitung (Blick ins Publikum). [3] Orientierung in der einzelnen Folie: Gliederung der Darstellung erken- [4] nen; Entscheidung, in welcher Reihenfolge die Elemente präsentiert werden. Die gewählten Elemente der Folie beschreiben, erklären, kommentie- [5] ren. Wenn einzelne Botschaften erkannt werden, diese ins Publikum spre- [6] chen. Zeit gewinnen durch metakommunikative Botschaften und Wiederho- [7] lungen: „Ich werde jetzt ...“ - „Wie bereits betont ...“ - „Dies erhellt die folgende Illustration ...“ usw. Auswertung: In einer Partysituation wird man die Stimmung nicht mit einer Feedbackrunde verderben wollen. Für die persönliche Aufarbeitung und die Auswertung in einem Seminar sind in erster Linie die folgenden Kriterien hilfreich:  Klare nonverbale Botschaften (Blickkontakt, Zeigegestik)  Pausen (klare Satzenden zur Planung des Folgesatzes)  Redundanz im verbalen Ausdruck (zur leichteren freien Formulierung)  Vermeiden von Text-Bild-Scheren durch schrittweises Vorgehen Epilog Es muss etwa 1982 gewesen sein, als mich ein Freund anrief und fragte, ob ich Lust hätte, Abendkurse in „Redeschulung“ zu geben. Ohne viel zu überlegen, sagte ich ja. Ich hatte mich kurz zuvor selbständig gemacht als Dozent für alles, was mit Sprache zu tun hatte, und nahm begierig jeden Auftrag an. Der Anruf führte mich zur damaligen Schule für Erwachsenenbildung der Stadt Zürich und zu ihrem Leiter Paul Baillod, der mir aus unerfindlichen Gründen sofort vertraute. Ich sah mich wenig später einer bunten Gruppe von Kursteilnehmern aus den verschiedensten Berufen gegenüber, einem Maurer, einer Sekretärin, einem Optiker, einer Finanzberaterin - lauter Menschen, die ihr Redeverhalten verbessern wollten: bei Betriebsführungen, in Vereinsversammlungen, in politischen Gremien. Sie wollten dabei erfolgreich sein, und ich sollte ihnen beibringen, wie das geht. Ich hatte zuvor deutsche Sprache und Literatur studiert und mit einer sprachwissenschaftlichen Dissertation abgeschlossen. Als Germanist sitzt man ständig in Seminaren und beteiligt sich an mehr oder weniger gescheiten Debatten. Später hatte mich Peter Schulz in das Ausbildungsteam von Radio und Fernsehen DRS geholt, meine Adressaten waren da vor allem Journalistinnen und Journalisten. Ich hatte es bisher also mit lauter Menschen zu tun gehabt, für die die Sprache das wichtigste Handwerkszeug war und denen das Schreiben und Reden mehr oder weniger leichtfiel. Aber bei diesen Abendkursen war alles anders. Jetzt stand ich auf einmal vor Leuten, die nicht primär mit Sprache arbeiteten, vor Leuten, die zugaben, dass ihnen das Reden vor anderen schwerfiel. Ich musste zuerst verstehen, worin das Problem bestand. Ich hatte mir ein bisschen klassische Rhetoriktheorie erarbeitet und viel Tipps aus praktischen Ratgebern. Damit kann man gut eine Serie von Abendkursen füllen. Aber die Bedürfnisse des Rhetorikschülers erfasst man damit nicht. Es dauerte Jahre, bis ich das zu verstehen glaubte und meinen eigenen Ansatz entwickelt hatte. Es brachte mich zu einer etwas anderen Definition von Rhetorik und zu einer sehr einfachen Botschaft an alle, die bessere Redner werden wollen: Reden ist Dialog mit dem Publikum. Seither habe ich für Menschen aus den verschiedensten Berufen Rhetorik- Trainings geleitet - für Gewerkschafter und Manager, Lehrer und Dozentinnen, Pressesprecher der Polizei, Pferdetrainerinnen, Prediger, Politikerinnen Natürlich hatten manche von ihnen den Drang, die Menschen von einer Meinung zu überzeugen. In den meisten Fällen bestand aber ihre 272 Epilog Grundaufgabe nicht darin, etwas zu propagieren, sondern einfach darin, zu informieren. Die hauptsächliche Form war der Vortrag, der anderen etwas beibringen und sie dann zu selbständigem Denken anregen soll. Dies hat mich zur konstruktiven Rhetorik geführt, zu einer Rhetorik des Dialogs. Dies stellt nicht die Inhalte einer Jahrtausende alten Disziplin in Frage. Aber es nimmt eine völlig andere Gewichtung vor. Dazu gehört nicht zuletzt, dass sich die vortragende Person selbst weniger wichtig nehmen muss. Es geht nicht darum, andere von sich zu überzeugen. Es reicht, von seiner Sache überzeugt zu sein und das Ziel zu haben, mit den anderen ins Gespräch zu kommen. Dieses Buch will zeigen, wie das geht, und dazu beitragen, dass Menschen, die ihr Alltag dazu zwingt, vor anderen zu reden, diese Herausforderung weniger dramatisch sehen. Sie sollen es leichter haben, weil sie wissen, dass sie ihre Aufgabe gemeinsam mit den Zuhörenden bewältigen werden. Ich bin den Teilnehmerinnen und Teilnehmern meiner Rhetorikseminare dankbar, die mich immer wieder darauf hingewiesen haben, wo die eigentlichen Probleme der Verständigung bestehen. Und ich habe meinen Lehrerinnen und Lehrern, Kolleginnen und Kollegen sehr viel zu verdanken, von denen ich lernte, auf Menschen zuzugehen, Redeweisen zu analysieren, Übungsformen zu entwickeln und konstruktives Feedback zu geben. Namentlich nennen möchte ich Alice Brüngger und Gerhard Schmid als Vorbilder in Methodik und Didaktik, Peter Schulz, der meine ersten Schritte als Lehrer begleitete, Ruedi Christen, der einst den Anstoß gab, Heiner Käppeli, ohne den mir vieles nicht gelungen wäre, Wolfgang Wellstein, mit dem der kollegiale Austausch immer noch anhält. Gewidmet aber ist das Buch meiner Frau Bärbel, die meine Arbeit daran seit ihren Anfängen in einem Cottage in Irland geduldig begleitet und mich schließlich liebevoll zu einem Abschluss gedrängt hat. Weiterführende Literatur Coblenzer, Horst / Muhar, Franz (1979: 2002): Atem und Stimme. Anleitung zum guten Sprechen. Wien: öbv&hpt. Der Klassiker mit leicht umzusetzenden Trainingseinheiten in den Grundlagen des Sprechens. Ecker, Malte W. (2006): Kritisch argumentieren. Aschaffenburg: Alibri. Eine praktische Einführung in kritisches Denken und Argumentieren. Fuhrmann, Manfred (1984): Die antike Rhetorik. München und Zürich: Artemis. Eine gut lesbare, knappe Einführung in die traditionellen Grundlagen des Fachs. Geißner, Hellmuth (1981): Sprechwissenschaft. Theorie der mündlichen Kommunikation. Köngistein/ Ts.: Scriptor. Eine immer noch aktuelle praxisnahe, alternative Einführung in Rhetorik und Argumentation. German, Kathleen M., Gronbeck, Bruce, E., Ehninger, Douglas, Monroe, Alan H. (2010): Public Speaking. Seventeenth Edition. Eine aktuelle Einführung in die Lehre vom öffentlichen Reden aus USamerikanischer Sicht mit vielen Beispielen und praktischen Ratschlägen. Häusermann, Jürg / Käppeli, Heiner (1994): Rhetorik für Radio und Fernsehen. Aarau und Frankfurt/ Main: Sauerländer. Die meisten Regeln zur Verständlichkeit und Attraktivität stammen aus diesem Buch. Es ist auch online abrufbar auf: www.rhet.de. Herrmann, Markus/ Hoppmann, Michael/ Stölzgen, Karsten/ Taraman, Jasmin (2011: 2012): Schüsselkompetenz Argumentation. Uni Tipps. Paderborn: Schöningh. Eine übersichtliche Einführung in die alle Aspkete Argumentation 274 Weiterführende Literatur Knape, Joachim (2000): Was ist Rhetorik? Stuttgart: Reclam. Eine Einführung in die klassische Rhetorik aus heutiger Sicht. Kopperschmidt, Josef (2018): Wir sind nicht auf der Welt, um zu schweigen: Eine Einleitung in die Rhetorik. Berlin und Boston: de Gruyter. Eine Weiterführung der historischen Rhetorik mit einem Schwerpunkt auf ihrem philosophischen Gehalt. Ein grundsätzlich anderer Ansatz, und deshalb wärmstens empfohlen. Tannen, Deborah (1998): The Argument Culture. Changing the Way We Argue and Debate. New York: Random House. Eine Kritik an der öffentlichen Streitkultur, die auf ihre Weise für besseren Dialog plädiert. Winkler, Maud und Commichau, Anka (2005): Reden. Handbuch der kommunikationspsychologischen Rhetorik. Reinbek: Rowohlt. Ein Lehrbuch mit dialogischem Ansatz und vielen Ratschlägen aus psychologischer Sicht. Anmerkungen 1 Curie, Eve (1937: 2003): Madame Curie. Aus dem Französischen von Maria Giustiniani. Frankfurt/ Main: Fischer Taschenbuch Verlag, S. 319. 2 Ebenda. 3 100 Vorlesungen in zehn Jahren. Kinderuni feiert Jubiläum. Westfälische Nachrichten, 5. April 2018. 4 Bergs-Winkels, Dagmar, et al. (2006): Die Uni in der Kinder-Uni: eine Begleitstudie zur Münsteraner Kinder-Uni. Münster: LIT, S. 47. 5 Bergs-Winkels, Dagmar, et al. 2006, S. 50. 6 Les gens de justice 14, Le Charivari 287, 13. 10. 1845. Universitätsbibliothek Tübingen, Signatur Zf583. 7 Les gens de justice 6, Le Charivari 111, 21. 4. 1845. Universitätsbibliothek Tübingen, Signatur Zf583. 8 Vgl. hierzu: Hirsch, Eike Christian (1979): Mehr Deutsch für Besserwisser. Hamburg: Hoffmann und Campe, S. 57. 9 Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist der öffentliche Raum ein Ort der Debatte, der nicht mit einem physischen Raum übereinstimmen muss. 10 David A. Day (1890): West African Idioms. The African Repository LXVI, Januar 1890, No. 1, S. 21-23. [Abdruck aus dem Lutheran Missionary Journal] Hier: S. 22. - Eine afrikanische Quelle habe ich für diesen Brauch nicht gefunden. 11 „Ich wurde gebeten, Ihnen von den Märkten Afrikas zu berichten, was zu einem eher längeren Vortrag führen könnte. Ich bin jedoch eines Brauchs gewahr, der von einem der eingeborenen afrikanischen Stämme praktiziert wird, der mit öffentlicher Rede zu tun hat. Sie sind der Meinung, dass lange Ansprachen schädlich sind sowohl für den Redner als auch sein Publikum. Um beide zu schützen, gibt es ein ungeschriebenes Gesetz, dass jeder Redner auf einem Bein stehen muss, wenn er seine Zuhörer anspricht. Sobald der andere Fuß den Boden berührt, wird seine Rede beendet, wenn nötig gewaltsam. Es ist wahrscheinlich ein Glück für mich, dass dieser Brauch hier nicht herrscht; doch auf jeden Fall beginne ich jetzt auf dem rechten Fuß.“ - Aus einem Bericht von Harry M. Sweeny in: Proceedings of the Annual Gettogether Meeting 42 (1959). New York: Export Managers Club of New York, S. 135. - Ein neueres Beispiel: Lorayne, Harry (2005): The Secrets of Mind Power. Hollywood, Florida: Frederick Fell, S. 132. 12 Gerhard Gründer: Schizophrene Störungen, RWTH Aachen, 11. 1. 2013, https: / / www.youtube.com/ watch? v=ELBbKDu0A6Y (10. Oktober 2014). Ich habe das Beispiel nicht mit der Lupe gesucht. Es ist keine didaktische Katastrophe, sondern der Normalfall einer inhaltlich überzeugenden Lehrveranstaltung. Wer die ganze Aufnahme verfolgt, wird sehen: Es handelt sich rein 276 Anmerkungen inhaltlich um eine informative, sorgfältig konzipierte Vorlesung. 13 Zumindest ist auf der Aufnahme, auf der man die Zuhörenden nicht sieht, aber hört, keine Veränderung zu hören. 14 Mir ist bewusst, dass es viele private Gesprächssituationen gibt, in denen eine Uhr tickt. Andere (etwa beim Kassenarzt, bei Audienzen, bei Gefängnisbesuchen) zeigen, dass die Grenze Öffentlich/ Privat nicht von der physischen Anwesenheit eines Publikums abhängt. 15 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags vom 2. Juli 1980, Änderung vom 23. April 2014, Anlage 5. 16 Bombek, Marita (2005): Kleider der Vernunft. Die Vorgeschichte bürgerlicher Präsentation und Repräsentation in der Kleidung. Münster: LIT. S. 98-99. - Der neue Brockhaus, Band 18. Leipzig: Brockhaus, 1934, S. 638. 17 Berman, Jillian (2012): Nick Hanauer's TED Talk On Income Inequality Deemed Too 'Political' For Site. https: / / www.huffingtonpost.com/ 2012/ 05/ 17/ nick-hanauer-tedtalk_n_1524435.html Klein, Ezra (2012): Nick Hanauer's TED talk on taxes. https: / / www.washingtonpost.com/ blogs/ ezra-klein/ post/ nick-hanauers-tedtalk-on-taxes/ 2012/ 05/ 17/ gIQAXCncWU_blog.html? utm_term=.7bdf3c2685ac Pareene, Alex (2012): Why TED is a Massive, Money-Soaked Orgy of Self- Congratulatory Futurism. https: / / www.alternet.org/ story/ 155527/ why_ted_is_a_massive%2C_moneysoaked_orgy_of_self-congratulatory_futurism 18 https: / / blog.ted.com/ the-debate-about-graham-hancocks-talk/ 19 Dies gilt für die von dritter Seite organisierten, unter dem Label TEDx laufenden Veranstaltungen. 20 „Claims made using scientific language should not ... include imprecise new age vocabulary. (Phrases like „quantum consciousness“, personal „energy fields“, „crystal healing“, and the like, should be considered major red flags.)“ http: / / storage.ted.com/ tedx/ manuals/ tedxcontentguidelines.pdf 21 Vgl. unten, → Kapitel 9 ∣ Der Schwerpunkt liegt auf Verständigung. 22 https: / / www.ted.com/ talks/ nick_hanauer_beware_fellow_plutocrats_the_pitc hforks_are_coming#t-17606 23 https: / / www.ted.com/ participate/ organize-a-local-tedx-event/ before-youstart/ tedx-rules 24 How to Get Away with Murder, ABC ab 2014. 25 Saint-Exupéry, Antoine de (1950): Der Kleine Prinz. Düsseldorf: Karl Rauch, S. 21-22. 26 Havelock, Eric A. (1973): Poetry as preserved communication. In: Disch, Robert (Hg.) (1973): The Future of Literacy. Englewood Cliffs: Prentice Hall, S. 21-31. 27 Glenn, Cheryl (1997): Rhetoric Retold. Regendering the Tradition from Antiquity Through the Renaissance. Carbondale - Edwardsville: Southern Illinois Anmerkungen 277 University Press, S. 37. 28 Lienert, P. Konrad (1933): Der moderne Redner. Eine Einführung in die Redekunst nebst einer kurzen Geschichte der Beredsamkeit und einer Sammlung vollständiger Reden aus neuester Zeit zum Gebrauche in Schulen und zum Selbstunterricht. Siebente Auflage. Einsiedeln etc.: Benziger, S. 10. - Zitiert wird offensichtlich Johannes Baptista Diel, der so des 1874 verstorbenen Zentrumspolitikers Hermann von Mallinckrodt gedachte. 29 Vgl. dazu unten → Kapitel 7 ∣ Die Verherrlichung des Monologs 30 Tonger-Erk, Lily (2010): Selbst-Herrlichkeits-Training. Populäre Rhetorikratgeber für Frauen. In: Jahrbuch Rhetorik, Band 29, S. 35-50. Hier: S. 37. - Für den historischen Aspekt vgl. auch die Einleitung von Doerte Bischoff und Martina Wagner-Engelhaaff, S. VII-XV. 31 Tonger-Erk 2010, S. 50. 32 Tannen, Deborah (1998): The Argument Culture. London: Virago. 33 Werner Wachsmuth (1985): Ein Leben mit dem Jahrhundert. Berlin etc.: Springer-Verlag. S. 86. 34 Lukschy, Stefan (2013): Der Glückliche schlägt keine Hunde. Ein Loriot Porträt. Berlin: Aufbau-Verlag, S. 210. 35 Auch das Italienische febbre della ribalta. Laut Kluge, Röhrich und anderen ist der deutsche Ausdruck auf das französische fièvre de la rampe zurückzuführen oder zumindest davon beeinflusst; der erste deutsche Beleg scheint aus dem Jahr 1855 zu stammen; heute ist im Französischen le trac geläufiger. 36 Journal of Education; 10/ 10/ 1907, Vol. 66 Issue 14, S. 384-387. 37 Spahn, Claudia (2012): Lampenfieber. Handbuch für den erfolgreichen Auftritt. Grundlagen, Analyse, Maximen. Leipzig: Henschel, S. 11-20. 38 Hollingworth, Harry L. (1935): The Psychology of the Audience. New York, Cincinnati etc.: American Book Company. 39 Auch auf Französisch (fièvre de rampe) bezieht sich der Begriff die Rampe, die den Redner vor dem Publikum erhebt. Entsprechend kann man auch auf Deutsch Rampenfieber sagen. 40 Twain, Mark (1906): Remarks, American Concert Debut of Clara Clemens, Eldridge Gymnasium, Norfolk, Connecticut, September 22, 1906. In: Fatout, Paul (ed.) (2006): Mark Twain Speaking. Iowa City: University Of Iowa Press, S. 528-529. 41 Spahn 2012, S. 84-86. 42 Vgl.: https: / / fr.wikipedia.org/ wiki/ Vive_le_Québec_libre_! 43 Es gibt für einzelne Produktionsstadien mehrere Bezeichnungen, je nachdem, auf welchen Autor man sich beruft. Die hier verwendeten gehören zu den gebräuchlichsten. 44 Ottmers, Clemens (1996): Rhetorik. Sammlung Metzler 283. Stuttgart / Weimar: Metzler. S. 13-15. 45 Hubertus Heil (SPD) in der Haushaltsdebatte vom 24.11.2011 - 278 Anmerkungen https: / / www.bundestag.de/ service/ opendata 46 Clarence B. Jones - http: / / www.wsj.com/ video/ martin-luther-kingspeechwriter-recounts-march-on-washington/ 7DBC8B15-7F5E-4265-8861- F1AB7598183D.html 47 Meine Übersetzung ist dem deutschem Sprachgebrauch angepasst. Original: „I say to you today, my friends, so even though we face the difficulties of today and tomorrow, I still have a dream. It is a dream deeply rooted in the American dream. I have a dream that one day this nation will rise up and live out the true meaning of its creed: „We hold these truths to be self-evident: that all men are created equal.“ I have a dream that one day on the red hills of Georgia the sons of former slaves and the sons of former slave owners will be able to sit down together at the table of brotherhood. I have a dream that one day even the state of Mississippi, a state sweltering with the heat of injustice, sweltering with the heat of oppression, will be transformed into an oasis of freedom and justice. I have a dream that my four little children will one day live in a nation where they will not be judged by the color of their skin but by the content of their character ...“ 48 Süddeutsche Zeitung, Stadtausgabe, 24.10.2014. 49 Da Redner und Publikum dabei jeweils etwas anderes tun, nenne ich derartige Abschnitte Sprechhandlungen. Vgl.: Austin, Lohn Langshaw (1962: 1972): Zur Theorie der Sprechakte (How to do Things with Words). Deutsche Bearbeitung von Eike von Savigny. Stuttgart: Reclam. 50 Häusermann, Jürg (1994: 2011): Journalistisches Texten. Konstanz: UVK, S. 11- 12. 51 Richter Thomas (2015): Alexander von Humboldt. E-Book Monographie. Reinbek: Rowohlt. 52 Wulf, Andrea (2015: 2016): Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur. München: C. Bertelsmann, S. 246. 53 Erdmann, Dominik und Thomas, Christian (2014): Neue Materialien zu den „Kosmos-Vorträgen“ von Humboldts. Internationale Zeitschrift für Humboldt- Studien XV, 28 (2014), S. 34-45. 54 „Wer redet, führt“, ist nachzulesen z.B. auf http: / / www.jarocco.de/ karriere/ berufsbilder/ redenschreiber.php 55 Jim Ryan an der Einführungsvorlesung zur Master Class der Harvard Graduate School of Education 2014 - https: / / www.youtube.com/ watch? v=cfCs7smUJbY 56 David J. Malan: Computer Science 50. Introduction to Computer Science. Harvard College 57 Grimm Georg (1915: 1988): Die Lehre des Buddha. Die Religion der Vernunft und der Meditation. Hg. von Maya Keller-Grimm und Max Hoppe. Freiburg Anmerkungen 279 im Breisgau: Aurum, S. XLIV. 58 Bhikkhu Analayo (2006): Oral Dimensions of Pali Discourses: Periscopes, other Mnemonic Techniques and the Oral Performance Context. Canadian Journal of Buddhism Studies, Number Three, S. 5. 59 Michaels, Axel (1998: 2006): Der Hinduismus. Geschichte und Gegenwart. München: C.H. Beck, S. 68. 60 „I have nothing to offer but blood, toil, tears and sweat.“ (Unterhaus, 13. Mai 1940) 61 „And so, my fellow Americans, ask not what your country can do for you; ask what you can do for your country.“ (Inaugurationsrede, 20. Januar 1961) 62 „Ich rede vor Ihnen als einer, der in der Nazizeit nicht in Schuld geraten konnte, weil er die Gnade der späten Geburt und das Glück eines besonderen Elternhauses gehabt hat.“ (Jerusalem, 24. Januar 1984) 63 https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Bumerang 64 Cesari, A. (1860) (ed.): Fioretti di San Francesco. Capitolo XL. Livorno: Giovanni Mazzajoli, S. 88-90. 65 Vgl. z.B. den Beitrag von Wolfgang Benz auf der Website der Bundeszentrale für Politische Bildung: Wolfgang Benz, Unglücklicher Staatsakt - Philipp Jenningers Rede zum 50. Jahrestag der Novemberpogrome 1938, in: Deutschland Archiv Online, 04.11.2013 - http: / / www.bpb.de/ 171555 - Vgl. auch: http: / / buecher.hagalil.com/ lang/ jenninger.htm 66 Berliner Zeitung, 01.12.1995 - http: / / www.BerlinOnline.de/ wissen/ berliner_zeitung/ archiv/ 1995/ 1201/ kultur / 0098/ index.html 67 Philipp Jenninger im Interview mit Jan C. L. König: „Wenn du einmal im Sarg liegst, kommst du nicht mehr raus.“ Nach Vorlage genehmigte Niederschrift des Gesprächs mit dem Bundestagspräsidenten a.D., Dr. Philipp Jenninger, am Dienstag, 16. Mai 2006, Monatshefte 100, Nr. 2, 2008, S. 179-190. Hier S. 183. 68 Die Wortmeldung war sehr viel länger und bezog sich auf die aktuelle unmenschliche Haltung der Bundesregierung gegenüber Flüchtlingskindern. Im Mitschnitt ist vieles nicht verständlich, weil Jenninger weitersprach. - Eine Analyse mit Hinweisen auf weitere Untersuchungen von Holger Siever ist zu finden bei: http: / / buecher.hagalil.com/ lang/ jenninger.htm - Ausführlich: Siever Holger (2001): Kommunikation und Verstehen. Der Fall Jenninger als Beispiel einer semiotischen Kommunikationsanalyse. Bern und Frankfurt/ Main: Lang. 69 Meine eigene Transkription, abweichend von der im Internet zirkulierenden Version des Bundespresseamtes. 70 Zum Beispiel: Gewiss, einige „querulantische Nörgler“ wollten keine Ruhe geben und wurden von Sicherheitsdienst und Gestapo verfolgt, aber ... Ausdrücke wie querulantische Nörgler mitten im eigenen Satz, waren natürlich als Zitat gemeint. Aber, dass sich der Redner davon distanzierte, kam in der Präsentation nicht deutlich zum Ausdruck. 280 Anmerkungen 71 Nach Holger Siever, vgl. Fußnote 56. 72 NDR-Reportage, ebenda zitiert. 73 Trotha, Thilo von (1998): Reden professionell vorbereiten. Regensburg und Düsseldorf: Fit for Business, S. 16. 74 Bartsch, Tim-C. und Rex, Bernd F. (2008): Rede im Studium! UTB 2976. Paderborn: Fink, S. 10. 75 „Der politische Lebenstraum der rot-grünen Generation hing plötzlich an ihrer Bereitschaft zum Krieg.“ Geis, Matthias (2009): Der linke Krieg. Zeit Online, 19. März 2009. 76 Eine der Formulierungen am Ende von Fischers Rede. 77 Video: https: / / www.youtube.com/ watch? v=7jsKCOTM4Ms - Von Wolfgang Näser transkribierter Text: https: / / www.staff.uni-marburg.de/ ~naeser/ kosfisc.htm 78 https: / / www.gruene.de/ ueber-uns/ 35-gruene-jahre-35-gruene-geschichten/ 35gruene-jahre-22-kosovo-sonderparteitag-in-bielefeld-1999.html 79 taz, 12.04.1999 - https: / / www.taz.de/ ! 1293555/ 80 Göttert, Karl-Heinz (2015): Mythos Redemacht. Eine andere Geschichte der Rhetorik. Frankfurt/ Main: S. Fischer, S. 175. 81 Göttert 2015, S. 483 und S. 484. 82 Göttert 2015, S. 171. 83 Göttert 2015, S. 175. 84 Die Verherrlichung dieses Monologs ist nicht nur eine Verbeugung vor einer angemaßten Autorität, sondern auch die Erfindung von Zahlenverhältnissen. Im Fall der Fischer-Rede: Möglicherweise war die Stimmung bei „den Grünen“ im März 1999 großenteils gegen den Einsatz. Aber dies sagt nichts über die Delegierten aus, die beim Parteitag abstimmen durften; denn immerhin waren schon in der Debatte mehr Stimmen für als gegen Fischer lautgeworden. - Vgl.: Der Tagesspiegel, 15. Mai 1999 - https: / / www.tagesspiegel.de/ politik/ fischer-redet-gruenen-erfolgreich-insgewissen-parteitag-billigt-kosovo-kurs-der-regierung/ 78022.html 85 „The need to address a large jury coherently on a single appearance encouraged the composition of speeches that were carefully reasoned, clearly arranged, and also appealed to the emotions ...“ (Vickers, Brian (1998): In Defence of Rhetoric. Oxford: Clarendon Press, S. 7) 86 Im englischen Sprachgebrauch wird das Praxis-Fach konsequenterweise nicht Rhetoric, sondern Public Speaking genannt. 87 Die gleichzeitige Ausbildung von Redner und Publikum, so reizvoll dies auch wäre, scheitert in der Rhetorik aus rein praktischen Gründen - im Gegensatz etwa zur gemeinsamen Ausbildung von Medienschaffenden und ihrem Publikum. 88 Als von der Einstellung ähnlich, wenn auch in der Methode verschieden, ist mir einzig das Buch von zwei Psychologinnen bekannt: Winkler, Maud und Anmerkungen 281 Commichau, Anka (2005): Reden. Handbuch der kommunikationspsychologischen Rhetorik. Reinbek: Rowohlt. 89 Den Begriff Text benutze ich für abgeschlossene sprachliche Sequenzen, auch wenn sie mündlich sind oder mehrere mediale Formen nutzen. 90 In literarischer Form dienen Dialoge, wie Platon sie verfasst hat, als unveränderliche Lehrtexte. Zwischen diesen fiktiven Inszenierungen und den eigentlichen Lehrer-Schüler-Dialogen findet sich in der didaktischen Literatur auch der Dialog unter Vortragenden: Zwei oder mehr Fachleute diskutieren vor den Lernenden ein aktuelles Thema und geben so einen Einblick in ihre Arbeitsweise und in Fragen der Planung, Methodik oder Interpretation der aktuellen Forschung. Auch hier wird also Dialog inszeniert - es besteht aber die Möglichkeit, die Studierenden einzubeziehen (das braucht allerdings eine gewisse Übersicht und wird am besten erreicht, wenn jemand das Ereignis moderiert). Der Philosoph Heinrich Beck, der diese Unterrichtsform empfiehlt, betont denn auch, für die teilnehmenden Studierenden bestehe dabei „jederzeit die zwanglose Möglichkeit, durch Fragen, Thesen und Antithesen sich einzuschalten und so die Vorlesung aktiv mitzugestalten.“ Vgl.: Beck, Heinrich (2009): Die Dialog-Vorlesung. Ein neues hochschuldidaktisches Experiment. In: Beck, Heinrich: Dialogik - Analogie - Trinität: Ausgewählte Beiträge und Aufsätze. Hg. von Erwin Schnabel. Frankfurt: Peter Lang, S. 113-130. 91 Astrid Steinmetz fasst als Kennzeichen der dialogischen Beziehung nach Buber zusammen (Steinmetz, Astrid (2015): Nonverbale Interaktion mit demenzkranken und palliativen Patienten. Wiesbaden: Springer, S. 26-28.): Hinwendung zum anderen; Innewerden; Verantwortung; Anerkennung der Andersartigkeit; Gegenseitigkeit; Gleichheit und Umfassung. 92 Eine von TED lizenzierte Veranstaltung, die von dritter Seite organisiert wird. In diesem Fall war es TEDx Whitechapel, eine Konferenz mit New-Age- Thematik. Vgl. http: / / www.lifeartsmedia.com/ visions-for-transition-tedxwhitechapel-london 93 Natürlich gibt es auch den umgekehrten Fall - dass jemand ein Ziel mühsam im Dialog zu erreichen sucht, wo eine kurze, knappe Ansprache effektive wäre. Aber das ist hier nicht unser Problem. 94 Es war Hans-Rudolf Oswald war 1966 bis 1998 Direktor des Instituts für Anorganische Chemie an der Universität Zürich. Es gehörte zu den Spielregeln in den naturwissenschaftlichen Fächern, dass die Einführungsvorlesungen von den erfahrenen Lehrstuhlinhabern gehalten wurden, die inhaltlich den Überblick hatten und das Sprechen in überfüllten Hörsälen gewohnt waren 95 Kopperschmidt, Joseph (2009): Was interessiert eigentlich die Philosophie an Rhetorik? - Vorlesungen an der Universität Tübingen. Hier: Zu Beginn der 2. Vorlesung. - http: / / timms2005.uni-tuebingen.de 96 Knape, Joachim: Was ist Rhetorik? Stuttgart: Reclam, 2000, S. 34. 97 Zum Beispiel die Ansprache bei der Graduiertenfeier der Stanford University oder auch seinen Vortrag vor dem City Council Meeting von Cupertino vom 7. Juni 2010. 98 Gallo, Carmine (2010): The Presentation Secrets of Steve Jobs. How to Be 282 Anmerkungen Insanely Great in Front of Every Audience. New York: McGraw-Hill. 99 Washington Post, 5. Juni 2016 - https: / / www.washingtonpost.com/ politics/ how-bernie-sanders-missed-hischance-to-beat-hillary-clinton/ 2016/ 06/ 05/ 5dc4c12e-28ec-11e6-a3c4- 0724e8e24f3f_story.html? tid=pm_politics_pop_b 100 Ich folge damit einem didaktischen Prinzip von Gerhard Schmid. Vgl.: Schmid, Gerhard (1971): Überzeugen durch Reden. Ein Schallplatten-Seminar zur Sprecherziehung und Rednerschulung mit Handbuch. Freiburg i. B.: Christophorus 101 Walter Jens: Der letzte Bürger: Thomas Mann. Rede aus Anlass des hundertsten Geburtstags von Thomas Mann, Lübeck 1975. In: Jens, Walter (1979): Republikanische Reden. st 512. Frankfurt/ Main: Suhrkamp, S. 123-141. 102 http: / / www.rhetorik-homepage.de/ rhetorische-frage/ 103 Ebenda. 104 Ebenda. 105 Barker, Randolph T. und Gower, Kim (2010): Strategic Application of Storytelling in Organzisations. International Journal of Business Communication 47 (2010). S. 295-312. 106 Perrin, Daniel et al. (2009): Public Storytelling in Convergent Media: Die journalistische Schlüsselqualifikation Schreiben umfassend prüfen. Zeitschrift Schreiben, 7. September 2009. www.zeitschrift-schreiben.eu 107 Grusliche Geschichten. Holzschnitt von Ludwig Richter (1803-1884). 108 J. Bruner nach Nünning, Ansgar (2013): Wie Erzählungen Kulturen erzeugen. In: Strohmaier, Alexandra (Hg.) (2013): Kultur - Wissen - Narration. Perspektiven transdisziplinärer Erzählforschung für die Kulturwissenschaften. Bielefeld: transcript, S. 15-54. 109 Wilhelm Büring: Das goldene Buch der Anekdoten. Nach: Ruckstuhl, Hans (1955): Lasst uns reisen zu Narren und Weisen. St. Gallen: Fehr'sche Buchhandlung, S. 62. 110 https: / / www.reaganlibrary.gov/ research/ speeches/ 60684a 111 Noonan, Peggy (1990): What I Saw at the Revolution. A Political Life in the Reagan Era. New York: Ballantine Books, S. 86-93. 112 Ebenda, S. 88. 113 Mit Stadtführung durch Husum.http: / / www.nordfrieslandanalle.de/ videopool/ https: / / www.youtube.com/ watch? v=VwuAg1vqDBE 114 Nordfriesland Tageblatt: Mit sanftem Druck zurück ins Watt. shz.de, 31. März 2010. - Diese Meinung ist nicht unbedingt zukunftsweisend. Vgl. z.B.: WIR IN HUSUM. SPD-Informationen für die Bürgerinnen und Bürger - Juni 2016 https: / / docplayer.org/ 72923957-Wir-in-husum-spd-informationen-fuer-diebuergerinnen-und-buerger-juni-2016.html 115 Sanjoy Mahajan: Teachting College-Level-Science. MIT Open CourseWare, Spring 2009 - https: / / www.youtube.com/ watch? v=S9uGFKoRGUU - Vgl. Anmerkungen 283 auch seinen Satz: Meaning must be constructed by the learner. 116 William Shakespeare: Julius Cäsar III, 2. 117 William Shakespeare: Julius Cäsar III, 1. 118 Nedo, Michael/ Ranchetti, Michele (1983): Ludwig Wittgenstein. Sein Leben in Bildern und Texten. Frankfurt/ Main: Suhrkamp, S. 384. 119 Weber, Eicke: Solarenergie die Lösung aller (Energie-)Probleme? Studium- Generale-Reihe „Klimawandel und Energiewende“, Universität Tübingen, Sommer 2010, http: / / timms.unituebingen.de/ List/ List01.aspx? rpattern=UT_20100615_001_rv energie_0001. 120 Eine hilfreiche Formulierung (englisch backing) von Toulmin, Stephen E. (1958: 2003): The uses of argument. Cambridge und New York: Cambridge University Press. 121 onlinefahrschule24: Starten und Abstellen eines Fahrzeuges. https: / / www.youtube.com/ watch? v=3zfqG6rXmLk 122 https: / / www.mercedes-forum.com/ threads/ wie-auto-starten.372/ 123 Auf vertiefende Lektüre zur Argumentation sei deshalb ausdrücklich verwiesen. Zum Beispiel: Herrmann, Markus; Hoppmann, Michael; Stölzgen, Karsten; Taraman, Jasmin (2011: 2012): Schüsselkompetenz Argumentation. Uni Tipps. Paderborn: Schöningh. - Kopperschmidt, Josef (2000): Argumentationstheorie zur Einführung. Hamburg: Junius. Kopperschmidt, Josef (2018): Wir sind nicht auf der Welt, um zu schweigen: Eine Einleitung in die Rhetorik. Berlin und Boston: de Gruyter. 124 Otto Schily im Deutschen Bundestag, 6. Mai 1983 (meine Mitschrift; einige Nebenbemerkungen habe ich weggelassen). 125 StGB §241, 1: Wer einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. 126 Terminologie anhand: Schmidt-Faber, Werner (1987): Argument und Schein- Argument. Grundlagen und Modelle zu rationalen Begründungen im Alltag. München: Fink. 127 Ein Beispiel aus: Heiner Käppeli/ Jürg Häusermann (2008): Unterlagen zum Kurs Argumentation, [Ms.]: Luzern, MAZ. 128 In der klassischen Rhetorik: Argumentum ad hominem; argumentum a posteriori; argumentum ad iudicium; argumentum ad verecundiam; argumentum e contrario. 129 https: / / www.youtube.com/ watch? v=KwPP2pUXOJQ 130 „Das Wesen der Finanzwirtschaft besteht in Zeitreisen“, klingt umständlich; aber wir haben für finance kein prägnantes Wort. Time travel - das Zeitreisen - gibt es nicht als Abstraktum. Über das philosophisch aufgeladene Wort essence verlieren wir lieber keine weiteren Worte. 131 Levine: „Saving is about moving resources from the present into the future; financing is about moving resources from the future back into the present.“ 284 Anmerkungen 132 von der Redaktion von Planet Money: Our Valentines, NPR, 12. Februar 2016. http: / / www.npr.org/ sections/ money/ 2016/ 02/ 12/ 466602146/ episode-683-we-3u 133 So zitiert bei: Fischer, Ernst Peter (2001): Die andere Bildung. Was man von den Naturwissenschaften wissen sollte. München: Econ Ullstein List, S. 69. 134 Übersetzung: „Ich habe meinen schwarzen Schal nicht mehr. Ich musste den anderen dem Tomi ausleihen. Komm' ich halt so. Stand nicht drauf: 'Retour'.“- Nach dem Video Näfelser Fahrt 2010 von Jürg Knobel: https: / / www.youtube.com/ watch? v=nC6bLT5vK9A 135 Text nach: Die Südostschweiz, 9. April 2010, S. 4. 136 Am meisten Hilfe geben die Untersuchungen zur Sprache der Distanz (Koch, Peter und Wulf Oesterreicher (1985): Sprache der Nähe, Sprache der Distanz. In: Romanistisches Jahrbuch 36, Berlin und New York: de Gruyter, S. 15-43, aber auch zur gesprochenen und geschriebenen Sprache: Schwitalla, Johannes (1997: 2003): Gesprochenes Deutsch. Eine Einführung. Berlin: Erich Schmidt. 137 Laut der Website https: / / www.deathpenaltyworldwide.org haben 2018 erst 20 der 50 US-Bundesstaaten die Todesstrafe abgeschafft. 138 Die Russische Föderation hat die Todesstrafe de facto, wenn auch nicht de iure, abgeschafft (im Gegensatz zu Belarus/ Weißrussland, wo sie immer noch Gesetz ist und praktiziert wird. Vgl. https: / / www.deathpenaltyworldwide.org. 139 Crime Stammisch vom 14. März 2014, https: / / www.youtube.com/ watch? v=tdTyXkf_d-w 140 Deutscher Bundestag - 18. Wahlperiode - 58. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Oktober 2014 141 am 26. März 2014 142 Zeit Online, 31.12.2017: „Mehr als 150 Hinrichtungen in Saudi-Arabien im Jahr 2016“. http: / / www.zeit.de/ news/ 2016-12/ 31/ saudi-arabien-mehr-als-150hinrichtungen-in-saudi-arabien-im-jahr-2016-31175807 143 Vavrik war Marketing Director für Procter & Gamble. - https: / / www.parlament.gv.at/ WWER/ PAD_83126/ 144 https: / / www.youtube.com/ watch? v=BjFu5M7jw4E 145 Der Antrag wurde bei der Abstimmung mehrheitlich angenommen. 146 Gunter Hofmann: Denken in der Arena. Die Rolle des „öffentlichen Intellektuellen". Die Zeit, 16. 6. 1989. Zitiert nach: Müller-Doohm, Stefan (2014): Jürgen Habermas. Eine Biografie. Berlin: Suhrkamp, S. 155-156. 147 „Those sons-of-bitches ... just sat there nodding, saying it would work.“ Press, Daryl G. (2007): Calculating Credibility. How Leaders Assess Military Threats. Ithaca and London: Cornell University Press, S. 126. - Mit Dank an Rolf Signer! 148 Elle fait elle-même les œufs en meurette, la peinture des volets ... - Göpferich, Susanne (2004): Wie aus Eiern Marmelade wird. In: Göpferich, Susanne und Engberg, Jan (Hg.) (2004): Qualität fachsprachlicher Kommunikation. Tübin- Anmerkungen 285 gen: Narr, S. 3-30. Hier: S. 9. 149 Ebenda, S. 10. 150 Martini, Mario (2011): Wie viel Gleichheit braucht das Internet? Netzneutralität zwischen kommunikativer Chancengleichheit und Infrastruktureffizienz. Antrittsvorlesung. Speyer: Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften, S. 19. 151 Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Definitionen lasse ich hier weg. Vgl.: Martini Mario (2011): Wie viel Gleichheit braucht das Internet? - Netzneutralität zwischen kommunikativer Chancengleichheit und Infrastruktureffizienz, Speyerer Vorträge, Heft Nr. 96. 152 Martini 2011, S. 19-20. 153 Martini 2011, S. 21. 154 Vgl. z.B.: Lorenz, Edward N. (1963): „The Predictability of Hydrodynamic Flow“ (PDF). Transactions of the New York Academy of Sciences. 25 (4): S. 409-432. 155 Kolip, Petra: Einführungsvortrag. In: Jugendliche im Vollrausch - mehr Prävention wagen. S. Forum Sucht, Band 43, Münster: Landschaftsverband Westfalen-Lippe, LWSL-Koordinationsstelle Sucht, S. 14-17. 156 Vgl. Fußnote 119. 157 Äh (englisch: er, amerikanisch: uh, finnisch: tuota) ist ein Planungslaut. Er füllt Pausen und zeigt an, dass der Sprecher nachdenkt und den Gedanken gleich zu Ende führen wird. 158 Nämlich, dass das kurzwellige blaue Licht an den Partikeln in der Atmosphäre gestreut wird. (Anmerkung des Setzerlehrlings.) 159 Hrepic, Zdeslav, Zollman, Dean A., Rebello, N. Sanjay (2007): Comparing Students' and Experts' Understanding of the Content of a Lecture. Journal of Science Education and Technology 16, 3, S. 213-224. 160 Deutscher Bundestag - 18. Wahlperiode - 58. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Oktober 2014. 161 Rubrik Schon gewusst? - de.wikipedia.org am 22. März 2018 162 Bernhard Pörksen: Skandale sind allgegenwärtig. Vortrag am Fritz-Erler- Forum der Friedrich Ebert Stiftung, Esslingen, 2. Juni 2014. https: / / www.youtube.com/ watch? v=I3KQE32R_ms 163 In einem Bürgerentscheid vom 10.11.2013 über die Austragung der Winterspiele 2022. 164 Bild am Sonntag, 02.11.2014. 165 Es ist halt auch inhaltlich schwierig. Die meisten Befragten fänden es nicht schlecht, wenn die Spiele in Deutschland stattfänden, sind aber geteilter Meinung in Bezug auf den Austragungsort. In der Zusammenfassung des Meinungsforschungsinstituts: „Über 80 Prozent der Berliner und der Hamburger würden es begrüßen, wenn wieder einmal Olympische Spiele in Deutschland stattfänden. Doch für eine Bewerbung ihrer Stadt um die Austragung der 286 Anmerkungen Olympischen Spiele im Jahr 2024 sind deutlich weniger Bürger: in Berlin 55 und in Hamburg 64 Prozent.“ - Meinungen der Bürgerinnen und Bürger in Hamburg und Berlin zu einer Bewerbung um die Austragung der Olympischen Spiele. 4. März 2015, forsa Politik- und Sozialforschung GmbH, Berlin, S. 15. 166 Am 29. November war es dann so weit: Die Bürger der Hansestadt Hamburg stimmten zu 51,6 Prozent gegen eine Bewerbung ihrer Stadt. 167 Wolfer, Sascha; Held, Uli; Hansen-Schirra, Silvia (2015): Verstehen und Verständlichkeit von populärwissenschaftlichen Texten: Das Projekt PopSci - Understanding Science. Information, Wissenschaft & Praxis 66, S. 111-119. Hier: S. 116. 168 Jawohl, deshalb ist die Überschrift auch am Rande der stilistischen Vernunft. Wurde aber dem Durchblick zuliebe belassen. 169 Transparenz als wichtiges rhetorisches Ziel haben Heiner Käppeli und ich in Rhetorik für Radio und Fernsehen (Aarau und Frankfurt/ Main: Sauerländer, 1986) zunächst als Ziel journalistischer Texte eingeführt. 170 Vortrag im Leuchtturm Landau e.V. im Gloria-Kulturpalast Landau, 20.11.2016. - Quelle: NachDenkSeiten, 171 Im Video ab 42 Min. 172 Aus Sternenstaub entstanden. Göttinger Tageblatt, 4. März 2010. 173 Physikalisches Kolloquium, Universität Bayreuth, 22.07.2011, bei ca. 17'15". 174 §316 StGB 175 kanzlei-heskamp.de/ strafverteidigung/ straftatbestaende/ trunkenheitsfahrt 176 In Anlehnung an die Erklärungen der Website umformuliert. 177 Informationen zu diesem Jahrhundertlauf auf: http: / / www.pummpaelz.de/ index.php? id=155029000455&cid=155029000180 178 Physikalisches Kolloquium, Universität Bayreuth, 22.7.2011, bei ca. 17'45". 179 Studieren in Halle: Medien- und Kommunikationswissenschaften (Vortrag HIT 2015) - https: / / www.youtube.com/ watch? v=yyhdWzh6hDo 180 Sie haben das Recht zu schweigen. Vortrag am 23. Chaos Communication Congress, 27.-30. Dezember 2006. - https: / / www.youtube.com/ watch? v=3Tn1KH2GXU 181 Begriff bei Bühler, Karl (1934: 1965): Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Stuttgart: Gustav Fischer. 182 Dass dies rein informationstechnisch nicht zutrifft, sei hier zugestanden. Man möge mir um der Übung willen aber diese Vereinfachung erlauben. 183 Vgl. Schlüter-Kiske, Gabriele (1987): Rhetorik für Frauen. München: Langen- Müller/ Herbig, S. 133. 184 Bundestagspräsident Norbert Lammert in der Bundestagsdebatte vom 6. September 2016 185 Einige grüne Abgeordnete während der Debatte zu Cannabis-Modellprojekten Anmerkungen 287 vom 22. Februar 2018. 186 Zwischenfrage in der derselben Debatte. 187 Ich benutze die vielfach übliche Dreiteilung nonverbal (körpersprachlich) - paraverbal (sprecherisch) - verbal (sprachlich), obwohl sie terminologisch nicht besonders zufriedenstellend ist. 188 http: / / www.telegraph.co.uk/ news/ politics/ margaret-thatcher/ 8999746/ How- Maggie-Thatcher-was-remade.html. Vgl. auch: Thatcher, Margaret (1993: 2011): The Path to Power. London: Harper Collins, S. 286-287. 189 Vgl. z.B.: Coblenzer, Horst, und Muhar, Franz (1976: 2002): Atem und Stimme. Anleitung zum guten Sprechen. Wien: öbv&hpt. 190 Sumby, W.H., Pollack, I. (1954): Visual contribution to speech intelligibility in noise. Journal of the Acoustical Society of America 26, S. 212-215; Summerfield, Q. (1992): Lipreading and audio-visual speech perception. Philosophical Transaction of the Royal Society B 335 (1273), S. 71-78. Beebe, Steven A. (1976): Effects of Eye Contact, Posture and Vocal Inflection upon Credibility and Comprehension. Ms. Miami: University of Miami. 191 https: / / www.deutschelyrik.de/ index.php/ willkommen-und-abschied.540.html 192 https: / / www.youtube.com/ watch? v=qrAiqYLdJpE 193 Prof. Dr. Elke Schüßler (Johannes Kepler Universität Linz): Entwicklungen in der Textilindustrie. Vortrag am Institut für die Geschichte und Zukunft der Arbeit. Veröffentlicht am 2.8.2017 veröffentlicht https: / / www.youtube.com/ watch? v=ZyYOekaH_1g (bei 07: 35-09: 02) 194 Diese und viele andere Erkenntnisse verdanke ich Alice Brüngger. 195 Ein Mann, eine Wahl, ProSieben, 18.9.2017 - https: / / www.youtube.com/ watch? v=TWyv9QS4Tns 196 Parteitagsrede, 19: 45-20: 00. 197 William Shakespeare: König Lear, 2. Akt, 4. Szene. 198 Wilhelm Schäfer: Hundert Histörchen. Nach: Ruckstuhl, Hans (1955): Lasst uns reisen zu Narren und Weisen. St. Gallen: Fehr'sche Buchhandlung, S. 123. 199 Leicht gekürzt und behutsam grammatikalisch überarbeitet. 200 Je nach Dauer der Pause mit einem bis drei „-“ angezeigt. 201 Gesetz über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens (Heilmittelwerbegesetz - HWG), § 4, Abs. 3. 202 Barth, Karl (1964: 1975): Aber seid getrost! Weihnachtspredigt in der Strafanstalt. 2 Tonbandkassetten. Zürich: Theologischer Verlag. 203 Ueding, Gert (2009): Volksrede. In: Ueding, Gert (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Band 9, Sp. 1171-1189. 204 http: / / timms.unituebingen.de/ Player/ PlayerFlow/ UT_20150511_001_neuro_0001 (08: 45) 205 Coblenzer, Horst, und Muhar, Franz (1976: 2002): Atem und Stimme. Anleitung zum guten Sprechen. Wien: öbv&hpt. 288 Anmerkungen 206 Coblenzer/ Muhar 2002, Übung 48 207 Coblenzer/ Muhar 2002, 70. 208 Ebenda. 209 Das Original ist zu finden in: Victor Auburtin: Einer bläst die Hirtenflöte. München: Albert Langen, 1928. 210 Nach einem Beitrag in der Sendung Echo der Zeit, Radio DRS, 12. 7. 2000. 211 Nach einem Beitrag in SWR 2, 3. Mai 2005. 212 Eine Szene des Films Marie Curie von Marie Noelle (Partisan Film 2016, nach ca. 50 Min.). 213 Gespielt von Karolina Gruszka. 214 Auch die allererste Szene des Films ist für eine nichtöffentliche Situation erhellend. Sie zeigt Marie und Pierre Curie in ihrem Labor. Er ist über den Schreibtisch gebeugt, sie steht am Fenster und nimmt ein Reagenzglas aus einem Halter und hält es gegen das Licht. Pierre spricht vor sich hin: „Tu as vu, le thorium ne produit pas de fluorescence appréciable …“, sagt er zu seiner Frau, ein paar Sekunden bevor diese aufstöhnt und sich unter Schmerzen krümmt. Die Wehen haben eingesetzt, es wird in aller Eile nach der Hebamme schickt. Auch das ist nonverbale Kommunikation im persönlichen Gespräch. Eine Bezogenheit ist kaum erkennbar. Jeder erlaubt dem anderen, sich mit seiner Körpersprache seiner Beschäftigung zuzuwenden und dennoch das Gespräch aufrecht zu erhalten 215 Zum Beispiel bei der Auftaktveranstaltung „Sozialpartner Arbeitgeber im Dialog“, Berlin, 1. Februar 2017 - https: / / www.youtube.com/ watch? v=O5XGci-zWU 216 Reiner Hoffmann: Vortrag bei der Veranstaltung Entwicklungen in der Textilindustrie, Institut für Geschichte und Zukunft der Arbeit, Berlin, 17.07.2017 - https: / / www.youtube.com/ watch? v=8KXmiO4o1Oc 217 Schmid-Egger, Christian, und Krüll, Caroline (2014): Körpersprache - Das Trainingsbuch. München: C.H. Beck. 218 Rohr, Patrick (2008: 2016): Reden wie ein Profi. Zürich: Ringier Axel Springer Schweiz. 219 Flume, Peter (2003): Reden-Trainer. Freiburg: Haufe, S. 55. 220 Nöllke, Mathias (2015): Reden aus dem Stand. München: C.H. Beck. 221 Knopp, Guido (1995): Hitler. Eine Bilanz. München, Siedler, S. 40. 222 Citizens dislike fakery yet they insist their political leaders project warmth, strength, likeability and relaxed sincerity. Political leaders and actors learn how to connect with their respective audiences. Politics is full of stagemanaged events, yet we rightly want much more than just acting from political leaders. Cronin, Thomas (2008): „All the world's a stage ...“ acting and the art of political leadership. The Leadership Quarterly 19 (2008), S. 459-468. Hier: S. 459. 223 Kleist, Heinrich von [1810]: Über das Marionettentheater. In: Sämtliche Wer- Anmerkungen 289 ke und Briefe, Band 2. München: Hanser, 1977, S. 338-345. Hier: S. 339. 224 Daselbst, S. 340. 225 Weigel, Alexander (2007): „Unmaßgebliche Bemerkungen“. Strategien Kleists im Kampf um das Nationaltheater in den 'Berliner Abendblättern' 1810. Kleist Jahrbuch 2007, S. 133-151. Hier: S. 151. 226 „There's something curious about professors in my experience - not all of them, but typically, they live in their heads. They live up there, and slightly to one side. They're disembodied, you know, in a kind of literal way. They look upon their body as a form of transport for their heads, don't they? It's a way of getting their heads to meetings.“ Ken Robinson (2006): Do Schools Kill Creativity? TED, Februar 20016. http: / / www.ted.com/ talks/ ken_robinson_says_schools_kill_creativity 227 Beebe, Steven A. (1974): Eye Contact a Nonverbal Determinant of Speaker Credibility. Speech Teacher 23, 1, S. 21-24. 228 Kreysa, Helene/ Kessler, Luise/ Schweinberger, Stefan R. (2016): Direct Speaker Gaze Promotes Trust in Truth-Ambiguous Statements. PLoS ONE 11(9): e0162291. - Für die 2er-Kommunikation gibt es allerdings auch Untersuchungen, die das Gegenteil nachweisen. - Vgl.: Chen, Frances S. etc al. (2013): In the Eye of the Beholder: Eye Contact Increases Resistance to Persuasion. Psychological Science 24,. S. 2254-2261. 229 Knapp, M., Hall, J., T. Horgan (2014): Nonverbal Communication in Human Interaction. Belmont, California: Wadsworth Publishing, 2014, S. 296. 230 „My friend Marie Forleo has referred to this phenomenon as a 'pretend gaze - their eyes are on yours, but their mind is on a Hawaiian beach.'“ - Ellsberg, Michael: How It Works. Clinton's Reality Distortion Field Charisma. www.evancarmichael.com/ Author/ partnerLeads.php 231 „Einige Verkaufstrainer empfehlen, die Zuhörer an der Nasenwurzel, der Stelle zwischen den Augen, zu fixieren. Bitte machen Sie das nicht. Wollten Sie so Ihren Hund anstarren, würde dieser sich entweder furchtsam unter das Sofa verkriechen oder aber Sie in die Wade beißen.“ Fey, Gudrun und Fey, Heinrich (1993: 2008): Redetraining als Persönlichkeitsbildung. Praktische Rhetorik zum Selbststudium und für die Arbeit in Gruppen. Regensburg: Walhalla. 232 Den Winkel abzuschätzen, ist relativ einfach: Man setzt sich ins Publikum, sieht einem durchschnittlichen Redner zu, der den Blick immer wieder von der linken zur rechten Ecke des Publikums bewegt, und notiert, ab wann man sich mitgemeint fühlt und ab wann nicht mehr. Dies ergibt die Eckpunkte des Blickbereichs. Daraus kann man einen Winkel ermitteln, der größer als der normale gaze angle ist, wie ihn die Augenheilkunde ermitteln würde ..., aber auch kleiner als die breite des Auditoriums, ja sogar etwas kleiner als die Hälfte davon. Die Schätzung von 60 Grad entspricht meinen eigenen Beobachtungen, die ich anhand von Videoaufnahmen aus der Zuschauerperspektive überprüft habe. - Es gibt wissenschaftliche Messungen für zwei sich gegenüberstehende Personen. Da ist der Winkel (bei einer Distanz von 5 m) mit 9 Grad viel kleiner, aber dennoch viel weiter, als zu erwarten wäre. Vgl. 290 Anmerkungen Gamer, Matthias, und Hecht, Heiko (2007): Are You Looking at Me? Measuring the Cone of Gaze. Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance, 33, 2007, S. 705-715. 233 https: / / www.youtube.com/ watch? v=uzDhk3BHi6Q 234 Einen starken Gegensatz bietet die Rede von Clint Eastwood beim Nominierungsparteitag der Republikaner nur wenige Tage zuvor. (https: / / www.youtube.com/ watch? v=3DGl-4gByV4) Abgesehen von vielen Problemen der Inszenierung, die sich der alte Hollywood-Schauspieler schuf, hält er den Blickkontakt vor allem mit den Augen statt mit dem ganzen Körper. Dies trägt vielleicht sogar mehr zu seiner Isolierung auf dem Podium bei als seine Probleme mit dem memorierten Text. 235 Amanda Palmer: The Art of Asking. https: / / www.youtube.com/ watch? v=xMj_P_6H69g 236 Tödt, Heinz Eduard (2012): Berichte aus Basel. In: Tödt, Heinz Eduard (Hg.) (2012): Theologie lernen und lehren mit Karl Barth. Briefe Berichte, Vorlesungen., S. 87-100. Hier: S. 88. 237 ten Brinke, Leanne und Adams, Gabriele S. (2015): Saving face? When emotion displays during public apologies mitigate damage to organizational performance. Organizational Behavior and Human Decision Processes 130 (2015), S. 1-12. 238 Kalverkämper, Hartwig (2001): Mimik. Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Band 5, Tübingen: Niemeyer, Sp. 1327-1360. 239 https: / / www.youtube.com/ watch? v=hxXB56KqP2Y 240 Kaukomaa, Timo ; Peräkylä, Anssi ; Ruusuvuori, Johanna (2015): How Listeners Use Facial Expression to Shift the Emotional Stance of the Speaker's Utterance. Research on Language & Social Interaction 48, S. 319-341. 241 Vgl. die Beispiele bei Barnett, Dene (1996): Gestik. In: Ueding, Gert (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Band 3, Tübingen: Niemeyer, Sp. 972-989. 242 Donald Trump: NRA Speech, 28. April 2017 - https: / / www.youtube.com/ watch? v=JoLpC-sgnqo 243 Steve Wozniak: The early days. TEDx Berkeley, 2015 https: / / www.youtube.com/ watch? v=PwSyjz1off4 244 Dies ist eine Auswahl; eine ausführliche Darstellung findet sich z.B. bei: Müller, Cornelia et al. (eds.) (2014): Body - Language - Communication. An International Handbook on Multimodality in Human Interaction. Vol. 2, Berlin etc.: Mouton, 296 ff. - Dene Barnett unterscheidet für die klassische Gestik (1) andeutende Gesten, (2) nachahmende Gesten, (3) Ausdrucksgesten, (4) Gesten der Anrede und (5) emphatische Gesten. - Barnett, Dene (1996): Gestik. In: Ueding, Gert (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Band 3, Tübingen: Niemeyer, Sp. 972-989. 245 Mir hat es vor gut 40 Jahren aber großen Spaß gemacht, solche Gesten bei Schlagersängern zu beobachten. Vgl. Häusermann (1978): Und dabei liebe ich euch beide ... Unterhaltung durch Schlager und Fernsehserien. Wiesbaden: Breitkopf&Härtel. Anmerkungen 291 246 Oder es erinnert an Singspiele, bei denen in jeder Strophe eine Tätigkeit genannt und mit dem Körper nachgebildet wird, wie Zeigt her eure Füße oder Savez-vous planter les choux. 247 http: / / www.bbc.com/ news/ uk-politics-13549927 248 Literatur bei Argyriou, Paraskevi; Mohr, Christine; Kita, Sotaro Kita (2017): Hand Matters: Left-Hand Gestures Enhance Metaphor Explanation Journal of Experimental Psychology 43, S. 874-886. 249 Hübler, Axel (2001): Das Konzept „Körper“ in den Sprach- und Kommunikationswissenschaften. Tübingen und Basel: Francke, S. 24. - Zitiert nach Jaskolski, Ernst und Pabst-Weinschenk, Marita (2004): Körpersprache. In: Pabst-Weinschenk, Martia (Hg.) (2004): Grundlagen der Sprechwissenschaft und Sprecherziehung. München und Basel: Reinhardt, S. 48-57. 250 Baruch, Bernard (1957: 1963): Gute 88 Jahre. Autobiographie. München: Kindler, S. 32-33. 251 Bilinski, Wolfgang; Bruno, Tiziana und Adamczyk, Gregor (2016): Körpersprache und Rhetorik: Ihr souveränder Auftritt. Freiburg etc.: Haufe, S. 53. 252 Pohl, Elke (1010: 2014): Keine Panik vor Blackouts. Wie Sie Bewährungsprobem meistern. Wiesbaden: Springer Gabler, S. 55. 253 https: / / www.wikihow.com/ Use-Hand-Gestures-Effectively 254 Göttert, Karl-Heinz (1991): Einführung in die Rhetorik. UTB 1599. München: Fink, S. 74. 255 https: / / www.youtube.com/ watch? v=F5esui5C09Q - Vgl. auch Hüthers Homepage: http: / / www.geraldhuether.de/ content/ mediathek/ populaerwissenschaftlichebeitraege/ inhaltliche-uebersicht/ erziehung-und-bildung/ 256 Ebeling, Peter (2010): Reden ohne Lampenfieber. Regensburg: Walhalla, S. 117. 257 Focus Money Online [2006]: Was Hände preisgeben. https: / / www.focus.de/ finanzen/ karriere/ management/ koerpersprache/ koerper sprache/ gestik_aid_5461.html 258 Jessen, Jens (2009): Lässig oder respektlos? Zeit Online, 29. 1. 2009. http: / / www.zeit.de/ 2009/ 06/ Gesellschaft-06 259 Fey, Gudrun (2014): Reden macht Leute. Regensburg: Wahlhalla u. Praetoria, S. 51. 260 Diese Grundeinstellung kommt in manchen Ratgebern vor, geht aber bisweilen angesichts der vielen Detailtipps oft unter. Als positives Beispiel sei Lenny Laskowski angeführt: http: / / www.ljlseminars.com/ gesture.htm 261 https: / / www.youtube.com/ watch? v=DxesXwttz80 262 Desmond Tutu: Reconciling Love. University of California Television, 2008, https: / / www.youtube.com/ watch? v=iV2LURTu3eQ (ab 46'50") 263 Aus der Zeitschrift Über Land und Meer, Band 98 (1907), S. 101. 264 Für einen Überblick über die Entwicklung des Medienbegriffs vgl. Hickethier, Knut (2010): Einführung in die Medienwissenschaft. Stuttgart: Metzler, S. 18- 292 Anmerkungen 20. Für eine ernsthafte Auseinandersetzung: Schmidt, Siegfried J.; Zurstiege, Guido (2007): Kommunikationswissenschaft. Systematik und Ziele. re 55697.Reinbek: Rowohlt 265 Kerres, Michael (2013): Mediendidaktik: Konzeption und Entwicklung mediengestützter Lernangebote. 266 Rothfels, Hans (1953): Zeitgeschichte als Aufgabe. Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1, Heft 1, 1-8. 267 http: / / www.rhetorik-netz.de/ powerpoint-praesentation-tipps/ 268 Sachs-Hombach, Klaus (2013): Bilder in der Wissenschaft. In: Liebsch, Dimitri; Mößner, Nicola (Hg.) (2013): Visualisierung und Erkenntnis. Bildverstehen und Bildverwenden in Natur- und Geisteswissenschaften. Köln: von Halem, S. 31-42. 269 Lobin, Henning (2012): Die wissenschaftliche Präsentation. Konzept - Visualisierung - Durchführung. Paderborn: Schöningh. 270 Einen guten Überblick über den Gebrauch der Wandtafel im Schulunterricht bietet: Aus: SITTE, W. und H. WOHLSCHLÄGL, Hrsg. (2001: 2006): Beiträge zur Didaktik des „Geographie und Wirtschaftskunde“-Unterrichts. Wien, 564 Seiten (= Materialien zur Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde, Bd. 16), ISBN: 978-3-900830-62-5. Wien: Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien (4. unveränderte Auflage 2006), S. 531-544. http: / / www.univie.ac.at/ geographie/ fachdidaktik/ Handbuch_MGW_16_2001/ Seite531-544.pdf 271 Wich, Franz (2008): Das große Buch der Schultafel. Halle: Projekte-Verlag Cornelius. 272 Je nach Hersteller sind auch Markennamen im Umlauf: SMART Board, Star- Board, ActivBoard usw. 273 Als ersten Benutzer geben verschiedene Quellen John Henry Patterson an, Generaldirektor von NCR und Gründer einer Schule für Verkauf, der ähnliche Konstruktionen schon 1912 benutzt haben soll. 274 Dieser und andere hilfreiche Tipps finden sich bei Paul Levy: https: / / rationalmadness.wordpress.com/ 2016/ 05/ 21/ the-real-art-of-flipcharting/ 275 Viele Hochschuldozenten bieten ihre Folien zum Download an. Die Studierenden drucken sie aus und bringen sie mit in die Vorlesung. Sie haben damit eine Mischung zwischen Skript (das aber als Lehrbuch zu wenig ausführlich ist) und Handout (das wiederum zu umfangreich ist). Allgemein wäre die Regel: für jede Funktion ein eigenes Medium verwenden. Also würde man den Studierenden eine als Handout geeignete Datei hochladen, für die Vorlesung eine PowerPoint-Präsentation vorbereiten und um selbst nicht davon abhängig zu sein, geeignete Redenotizen mitbringen. Drei verschiedene Zwecke, drei verschiedene Medien. 276 Abgewandeltes Beispiel von: https: / / www.dak.de/ dak/ leistungen/ bunt-stattblau-1187104.html 277 Ernsthafte Hintergrundinformationen finden sich auf Wikipedia: Anmerkungen 293 https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Powerpoint-Karaoke Noch ernsthafter, mit Tipps: http: / / www.powerpointkaraoke.com/ Personen- und Sachregister A Abfolge lineare 131 Ableitungsgesten 218 abstrakt 125-128, 142-143, 237 Abstraktionsebene 87, 123, 130 Achtung des anderen 59 Actio 34 Adaptoren 218 Ahtisaari, Martti 72 Aktiv statt Passiv 140 aktive Verben 117, 127 Aktivierung emotionale 41, 92 Aktivierungsebene 40, 91 akustische Gestaltung 18 Alltagsgespräch 19, 22, 54, 88, 116, 235 Anfang 97, 99, 102 Ankündigung 137 Anschauungsobjekt 267 Anton, Mark 94 Antonius (Heiliger) 45 Antworten 80, 167 stumme 76 Argument 243 Argumentation 102-104 rationale 105 rhetorische 105 verkürzte 107 Artikulation 156, 162-163, 185 Atem 156-157, 182 Bauch 158 Reflex 183 Übung 225 Attraktivität 139 Auburtin, Victor 183 Aufbau 88, 90-91, 96 Aufforderung 37, 179 Aufhänger 88 Aufmerksamkeit 170 Ausgangsposition 222-223, 228 Aussage 77 Äußerungen bewährte 35 Aussprache 161-163, 182, 185, 255, 263 Austausch 59 Autorität 26 B Barth, Karl 173 Barthle, Norbert 35 Baruch, Bernard 219 Bauchatmung 158 Bausteine 78 Begriffe einführen 124 Bescheidenheit 64, 129 Betonung 176, 178 Bilder 245 Blickkontakt 202, 204-205, 225, 248, 251 Bonaparte, Napoleon 233 Brüngger, Alice 272 Bubis, Ignatz 47 Buddha 42-43 C Cäsar, Julius 94, 253 Choreografie 228-229, 237, 255, 257, 266, 269 Christen, Ruedi 272 Churchill, Winston 43 Clinton, Bill 204 Curie, Marie 8, 191 296 Personen- und Sachregister D Daumier, Honoré 17 Day, Alexander 20 de Gaulle, Charles 33 Definition 124 Dialog 31-32, 45, 54 -60, 64-65, 71, 95 Beziehungsebene 60 Blickkontakt 205 Merkmale 59 Sachebene 61 verbal 63 visuell 61 Vorbereitung 264 Diskurs 65 Diskussion 91 Dispositio 34 Dürst, Marianne 113 Dynamik 236 E Einordnung 137 Einstein, Albert 191 Einstieg 97 Eisbrecher 76 Elocutio 34 Erhardt, Heinz 207 erzählen 83-84, 85 Erzählung 118 Elemente 85 F Feststellung 179 Fey, Gudrun 222 Fischer, Joschka 50 Flipchart 254, 256, 257 Floskeln 48, 99, 128-129, 195 der Bescheidenheit 129 Folien 238-240, 244 als Argument 243 Aufbau 239 in der Hauptrolle 244 parallele Verstärkung 241 zum Mitlesen 241 formulieren frei 144, 148, 181 prägnant 109 Frage 73-78 offene 77 Planung 76 rhetorische 82 formulieren 80 Frontalunterricht 247 G Galilei, Galileo 110 Galtung, Johan 171 Ganser, Daniele 136 ganze Gruppe 79 Gates, Bill 99 Gebärde 209 Gedächtnisstütze 145 Gehring, Kai 130 Genderproblematik 29 geplante Struktur 33 Gestik 208-213, 217, 223 Ableitungsgesten 218 analoge 216 emphatische 215 kontaktbildende 214 fehlende 217 gedankliche 214 kontaktbildende 224 persönliche 220 Planungsgesten 224 Repertoire 230 Ringgeste 212 situative 213 strukturierende 213 Übung 230 Wortschatz 213 Giang, Vinh 223 Gleichförmigkeit 178 Gliederung 97 transparente 96 Goethe, Johann Wolfgang von 71 Personen- und Sachregister 297 Göpfert, Susanne 122 Göttert, Karl-Heinz 50, 220 Groth, Annette 117 H Habermas, Jürgen 119 Hanauer, Nick 24-25, 56 Hancock, Graham 56 Handlungen Form 179 simulieren 215 Struktur 38 Handout 258-259 Hauptaussage abstrakte 98 Heuffer-Umlauf, Klaas 169 Hitler, Adolf 196 Hochschluss 175 Hoffmann, Reiner 194 Hofmann, Gunter 119 Hörsituation 131 Humboldt, Alexander von 39 Hüther, Gerald 221 I Impress 261 Indifferenzlage 161 Informationsdichte geringe 116 Inhalt 25 inhaltliche Verdichtung 34 Intonation 174 Inventio 33 J Jackson, Mahalia 35-36 Jaspers, Karl 205 Jenninger, Philipp 46-49 Jobs, Steve 61, 212 K Kampf 29 Käppeli, Heiner 272 Kennedy, John F. 43, 65, 121-122 Kermani, Navid 95 Keynote 261 King, Martin Luther 35-36, 51, 65 Klarheit 136 Kleist, Heinrich von 196, 220 Knape, Joachim 60 Kohl, Helmut 43, 105 komprimieren 118, 128, 135-136, 151 konkret 125 statt abstrakt 142 und abstrakt 126 konstruktive Rede 58 Rhetorik 67 kontaktbildende Gesten 214, 224 Kopperschmidt, Josef 59 Körpersprache 17, 191, 193-194, 225 Kreativität 41, 92 Kritik Reaktion auf 110 Kurzpräsentation Schema 90 L Lampenfieber 7, 31, 33 Langevin, Paul 191 Lesch, Harald 139, 141 Levine, Matt 109 Lienert, Konrad 29 Lindenthal, Michael 75 linear 131 Lorenz, Edward N. 126 Loriot 30 M Macht 26, 29, 51 Malan, David 40-42 Mann, Thomas 167 Manuskript 48, 96, 186-188 298 Personen- und Sachregister Martini, Mario 123 medial 69, 233 Medien 233-240 im Gespräch einsetzen 237 Orientierungshilfe 236 Stütze 236 Verwendung 235 Wahl 252 Mehrdeutigkeit 48 Melodie 174 Memoria 34 Menschen handeln lassen 141 Metakommunikation 92 metakommunikativ 136, 151 Mikrofon 19, 154, 159-160 Mimik 207 dialogisch 208 verräterische 205 Mitdenken 41, 44, 71, 103, 144, 163-164, 172-173 Moderatorentrick 146 Monolog 45, 95, 156, 252 Tendenz zum 52 Verherrlichung 45, 49 Moral 108 Musikalität 63 N Napoleon 233 Nebenbetonung 177 nonverbal 69, 191 Normen 26 O Obama, Barack 65, 217-218 Objektpräsentation 267 Offenheit 64 Öffentlichkeit 19 One-Leg-Talk 20 organisatorische Informationen 99 Orientierung 225 Oswald, Hans-Rudolf 58 Özdemir, Cem 169 P paraverbal 69, 153 Partitur 187-188 Pausen 164, 167, 170-171 Persönlichkeit 27 Perspektive 54, 141-142 Phantom-Gegner 103 Polenz, Peter von 49 Pörksen, Bernhard 132 portionieren 131, 134-136, 147, 150 positiv statt negativ 143 PowerPoint 260-261 Folie als Argument 243 Folien 237, 240-241 Karaoke (Übung) 269 Präsentation Formen 91 Software 261 Predigt 45, 173, 178 Produktionsstadien 33 Publikum 39, 44, 66, 120, 201, 210, 249 gestischer Bezug 223 Q Quellen 33 R Rademacher, Alfred 185, 208 Rahmenbedingungen 16, 23, 29, 30, 39 Raum Annäherung 200 Bezug 198 größerer 16 mit Stimme füllen 159 Orientierung 225 Wahrnehmung 199 Reagan, Ronald 86-87 Personen- und Sachregister 299 Recherche 34 Rede freie 181 Medieneinsatz 237 Überzeugung 90 Redebausteine 35 Reden 33 kontruktiv 58 öffentliche 16 Redeschmuck 109 Redeziel 31, 93 Redner 248 Redundanz 116, 133 Regulatoren 213 Rhetorik Definition 20 konstruktive 67 rhetorische Frage 82 rhetorische Mittel 67 Rhythmus 164 Ringgeste 212 Ritual 28 Robinson, Ken 197 Rolle 16, 18-20 Rollen 8 Erwartungen 57 Rollenspiel 84 Rückblick 137 S Saint-Exupéry, Antoine de 26-27 Sandel, Michael 74-75 Sander, Otto 30 Sanders, Bernie 62-63 Satzbau 131 Sätze aktive 134 komprimierte 128 kurze 179 verständliche 119 Sauerbruch, Ferdinand 30 Schily, Otto 105-106 Schmid, Gerhard 272 Schröder, Friedrich Ludwig 170 Schulz, Peter 272 Schwerpunkt 197, 222-223 Selbstpräsentation 195 Seminar 226, 243, 256, 269-270 Seminare 201 Shakespeare, William 94, 170 Show 65, 252 Sightseeing (Gruppenübung) 228 Sinneinheiten 163 Sinnschritte 168, 186 Sokrates 55, 253 Solvay, Ernest 191 Spahn, Claudia 32-33 Spiegel 195 Sprache 25 aktive 88 geschriebene 113 gesprochene 28 Sprachgebrauch 53 Sprechausbildung 157 Sprechhandlung 38, 91, 151, 178- 180, 189, 213, 269 Sprechmelodie 174 Sprechtraining 155, 160 Stammtisch 116, 118 Stavenhagen, Fritz 164 Stil (persönlicher) 118 Stimme 156, 158 Storytelling 83 Übung 149 Struktur abstrakte 96 Stütze 158 Substantive abstrakte 127 Substantivierung 127-128 Symmetrie 57 T technischen Ebene 200 TED 56-57, 204, 252 TEDx 56 300 Personen- und Sachregister Teilgruppe 79 Tempo 164, 173-174 temporale Gestaltung 173 textbasiert 38, 117 Thatcher, Margaret 155 Thomasius, Christian 23 Tödt, Heinz Eduard 205 Tradition 15, 17, 25, 27-30, 37, 43, 52-53, 155, 166, 207 Transparenz 97, 136, 137 Aspekte 138 organisatorische 137 Tutu, Desmond 223 U Überzeugungskraft 109 Überzeugungsrede 90 Übungen Medieneinsatz 265 nonverbaler Bereich 226 paraverbale Bereich 182 verbaler Ausdruck 147 Umfrage 76 Urban II (Papst) 178 V Vavrik, Christoph 118 Veranstalter Einfluss 25 verbal 69, 71 Verknüpfung 135 Verständigung 65 Verständlichkeit 119-122, 125, 130 Wortwahl 123 Vetter, Udo 143 Vorbereitung 33-34, 36, 92, 135, 144, 264 Vorleseton 48 Vorlesung 23, 75, 96, 119, 123, 130, 149, 205, 254 W Wandtafel 253, 255 Weiterverwendung autonome 44 Wellstein, Wolfgang 272 Whiteboard 253-255 Wiederholung 133 Wittgenstein, Ludwig 96 Wort und Bild 245 Wortschatz abstrakter 34 Wortwahl 125 Wozniak, Steve 211, 215-217, 219 Z Zäsur 167-168, 176 Zeit 20-22, 65 Zeitdruck 20, 165-166 Zeitmanagement 20 Zuhörend 103 Zuhörender 248 Zusammenarbeit 33 Zusammenfassung 180 Mit Tipps und Übungen! ISBN 978-3-7398-3007-0 Nur der Dialog bringt Sie weiter! Wenn Menschen sich angeregt unterhalten, leidenschaftlich diskutieren und sich Antworten auf brennende Fragen geben, ist Kommunikation erfolgreich. Beim Halten einer Rede oder eines Vortrags dominiert aber oft der Monolog. Jürg Häusermann zeigt, dass es auch anders geht: Er ermutigt die LeserInnen seines neuen Buches dazu, auch in Vortragssituationen stets den Dialog zu suchen. Im ersten Teil zeigt er auf, wie sich öffentliches Reden vom alltäglichen Dialog unterscheidet. Im praktischen zweiten Teil geht er auf die konkreten Mittel des Dialogs in Vortragssituationen ein. Zahlreiche Illustrationen und abwechslungsreiche Beispiele machen dies begreifbar. Häusermann verrät, wie Sie mit Ihrer Körpersprache den Raum nutzen können und das Zeitproblem in den Griff bekommen. Er zeigt, wie Sie durch Ihre Stimme eine Rede gestalten und die ZuhörerInnen durch eine lebendige Sprache miteinbeziehen. Auch wie Ihr Publikum beim Einsatz von Präsentationsmedien aufmerksam bleibt, erklärt er praxisnah. Jürg Häusermann Konstruktive Rhetorik Jürg Häusermann Der Dialog als Schlüssel zum erfolgreichen Vortrag Konstruktive Rhetorik www.uvk.de 53007_Haeusermann_Umschlag_174.indd Alle Seiten 13.06.2019 10: 46: 51