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Entführung und Gefangenschaft

2021
978-3-7398-8107-2
UVK Verlag 
Mirjam Reitmayer

Gewaltsame Konflikte des Spätmittelalters bargen die Gefahr, dass Personen entführt oder gefangen genommen wurden. Während sich bisherige Arbeiten zu spätmittelalterlichen Gefangenschaften weitgehend auf einzelne Aspekte des Themas konzentrieren, geht die vorliegende Studie von der Annahme aus, dass der Erfahrung von Gefangenschaft dort nachgespürt werden muss, wo sich das (ehemals) unfreie Individuum selbst zu seinen Erlebnissen äußert. Ein aus dem modernen Krisenmanagement adaptiertes 9-Phasen-Modell hilft dabei, die vorliegenden Selbstzeugnisse der intra- und transkulturellen Gefangenschaften vergleichend zu lesen und den Blick für die Mechanismen der Gefangenschaften sowie die subjektiven Erzähl- und Bewältigungsstrategien zu schärfen.

Gefangenschaft Mirjam Reitmayer Erfahrene Unfreiheit in gewaltsamen Konflikten im Spiegel spätmittelalterlicher Selbstzeugnisse Entführung und Entführung und Gefangenschaft Spätmittelalterstudien herausgegeben von Gadi Algazi (Tel Aviv) · David Collins (Washington) · Christian Hesse (Bern) Nikolas Jaspert (Heidelberg) · Hermann Kamp (Paderborn) Martin Kintzinger (Münster) · Pierre Monnet (Frankfurt a.M. / Paris) Joseph Morsel (Paris) · Eva Schlotheuber (Düsseldorf ) Hans-Joachim Schmidt (Fribourg) · Gabriela Signori (Konstanz) Birgit Studt (Freiburg i. Br.) · Simon Teuscher (Zürich) Band 8 Mirjam Reitmayer Entführung und Gefangenschaft Erfahrene Unfreiheit in gewaltsamen Konflikten im Spiegel spätmittelalterlicher Selbstzeugnisse UVK Verlag · München © UVK Verlag 2021 ‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Lektorat: Daniel Rost, Neckargemünd CPI books GmbH, Leck ISSN 1868-7490 ISBN 978-3-7398-3107-7 (Print) ISBN 978-3-7398-8107-2 (ePDF) Einbandmotiv: Die Gefangennahme des Hieronymus Paumgärtner, A 1898-333 Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Herbert Boswank Bildbearbeitung: Helmut Reitmayer, Dortmund Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Von der Fakultät für Geschichtswissenschaften der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen im Jahre 2014. Meinen Eltern Petra und Siegfried Reitmayer 11 13 1. 17 2. 23 2.1. 23 2.2. 29 3. 36 3.1. 36 3.2. 41 4. 52 4.1. 52 4.2. 55 61 63 1. 64 2. 69 3. 70 70 73 73 4. 75 5. 77 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . EINLEITUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstzeugnisse aus Gefangenschaften und der Aussagewert von Erinnerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Gedächtnis und die Grenzen autobiographischen Erinnerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswahl der Selbstzeugnisse in der vorliegenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Untersuchungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Raumkonzepte der Gefangenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Erfahren und Verarbeiten der Gefangenschaften . Das Phasenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Phasenmodell moderner Entführungsfälle . . . . . . Das modifizierte Modell: Die Phasen der mittelalterlichen Gefangenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . HAUPTTEIL I: DIE INTRAKULTURELLEN GEFANGENSCHAFTEN . . . . . . . . . . A. Hintergrundinformationen: Die Gefangenschaft im Mittelalter . . . . . . . . . . . . Kriegsgefangenschaft im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Geisel als Personalpfand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gefangennahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auf dem Schlachtfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Während einer Belagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Innerhalb von Fehdehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Unterbringung der Gefangenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Lösegeldverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. 81 81 83 2. 100 100 103 3. 118 118 119 4. 143 153 1. 153 153 157 2. 181 181 182 3. 197 197 200 4. 210 210 213 5. 234 249 1. 251 251 252 2. 267 267 269 3. 288 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen . . . . . . . . . . . . . . . . Die Straßburger Gesandtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses . . . . . . . b) Der Untersuchungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Georg Reiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses . . . . . . . b) Der Untersuchungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hieronymus Baumgartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses . . . . . . . b) Der Untersuchungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden . . . . . . . . . . Oswald von Wolkenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses . . . . . . . b) Der Untersuchungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Friedrich von Flersheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses . . . . . . . b) Der Untersuchungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Briefe aus dem Schwabenkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses . . . . . . . b) Der Untersuchungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Götz von Berlichingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses . . . . . . . b) Der Untersuchungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Fürsten in Gefangenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johann Friedrich I. von Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses . . . . . . . b) Der Untersuchungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philipp I. von Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses . . . . . . . b) Der Untersuchungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt 295 297 1. 297 2. 299 3. 302 307 1. 308 308 311 2. 331 331 333 3. 350 350 351 4. 360 360 362 5. 378 378 379 6. 400 407 1. 407 407 408 413 2. 433 439 HAUPTTEIL II: DIE TRANSKULTURELLEN GEFANGENSCHAFTEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Hintergrundinformationen: Das Osmanische Reich im späten Mittelalter . . . Die osmanische Expansion vom 14. bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Heerwesen der Osmanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sklaven im Osmanischen Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Militärische Gefangenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Schiltberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses . . . . . . . b) Der Untersuchungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Georg von Ungarn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses . . . . . . . b) Der Untersuchungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg von Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses . . . . . . . b) Der Untersuchungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bartholomej Georgijević . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses . . . . . . . b) Der Untersuchungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Balthasar Sturmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses . . . . . . . b) Der Untersuchungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Gefangenschaft im Zuge eines gewaltsamen Überfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Staden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses . . . . . . . Exkurs: Der Kannibalismus in der „Warhaftige[n] Historia“ . b) Der Untersuchungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ZUSAMMENFASSUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Inhalt 453 453 453 453 459 Quellenverzeichnis und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ungedruckte Quelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Inhalt Vorwort Bei der vorliegenden Veröffentlichung handelt es sich um die überarbeitete und gekürzte Fassung meiner Dissertation, die im Jahr 2014 von der Fakultät für Geschichtswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum angenommen wurde. Zum erfolgreichen Gelingen dieser Arbeit haben zahlreiche Personen in unterschiedlichster Art und Weise ihren Teil beigetragen, denen ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen möchte. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Nikolas Jaspert, der den Forschungsprozess durch sein Vertrauen, seine wissenschaft‐ lichen Anregungen und seinen erfahrenen Rat begleitet hat, ohne dabei je die Freiheit meiner Entscheidung und damit die Eigenständigkeit der Arbeit einzuschränken. Herrn Prof. Dr. Martin Kintzinger danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens und die vielfältigen Hinweise sowie konstruktive Kritik. Das Bischöfliche Cusanuswerk hat die Entstehung der vorliegenden Publi‐ kation mit einem Promotionsstipendium gefördert. Neben der finanziellen För‐ derung ermöglichte dabei vor allem das ideelle Programm einen intellektuellen Austausch jenseits der Disziplingrenzen, der die vorliegende Arbeit in vielfacher Hinsicht bereichert hat. Die Recherchearbeiten an den Selbstzeugnissen und begleitenden Quellen wären ohne die MitarbeiterInnen des Staatsarchivs Berlin-Dahlem, der Staatli‐ chen Kunstsammlungen Dresden, des Staatsarchivs Nürnberg, des Hauptstaats‐ archivs Straßburg, des Hauptstaatsarchivs Stuttgart und des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar nicht möglich gewesen; gerade die Archivaufent‐ halte in Weimar und Nürnberg waren mit die intensivsten und schönsten Forschungsphasen. Frau Prof. Dr. Christine Reinle danke ich für ihr begleitendes Gutachten und für zahlreiche Denkanstöße, die in unterschiedlichen Kontexten in die Arbeit einflossen. Frau Dr. med Rosa Michaelis sorgte mit ihrem fachlichen Wissen im Bereich der Neurologie an den entscheidenden Stellen für eine profunde Präzisierung meiner Ausführungen. Zu herzlichem Dank verpflichtet bin ich zudem Dr. Dirk Jäckel, nicht nur für geduldige Korrekturhilfe, sondern vor allem für seine fachliche Expertise im Bereich der transkulturellen Gefangenschaften. Maßgeblich zum Gelingen der Arbeit trugen zudem liebe Freunde, Wegbegleiter und (ehemalige) Bochumer KollegInnen bei: Dr. Alexander Berner, Ursula und Wilfried Buss, Hartmut Geißler, Dr. Jan Hildenhagen, Dr. Brigitte Flug, Dr. Kathrin Kelzenberg, Prof. Dr. Hiram Kümper, Lukas Raupp, Maria Elena Verdugo Marquez und Prof. Dr. Marc von der Höh danke ich für inspirierende Diskussionen sowie kritische Gegenlektüren. Dr. David Hamann las nicht nur weite Teile des Manuskriptes gleich mehrfach, sondern war jederzeit zur Stelle, um bei Rechercheproblemen weiterzuhelfen oder Gedankengänge zu ordnen. Frau Prof. Dr. Gabriela Signori danke ich als Hauptherausgeberin für die Aufnahme meiner Dissertation in die Reihe „Spätmittelalterstudien“; den Rei‐ hengutachtern Prof. Dr. Hermann Kamp und Prof. Dr. Hans-Joachim Schmidt für die begleitenden Gutachten und wertvollen Anmerkungen. Von Seiten des UVK Verlags wurde ich während des Publikationsprozesses herzlich und kompetent von Uta C. Preimesser betreut. Bei Daniel Rost bedanke ich mich für das umsichtige und akribische Lektorat. Für den vielfältigen Zuspruch und ihr unerschütterliches Zutrauen danke ich schließlich meiner Familie; meiner Oma Hildegard Wistuba, die die Vertei‐ digung der Dissertation noch miterleben konnte und meinem Bruder Dominic Reitmayer. Der größte Dank gilt meinen Eltern, Petra und Siegfried Reitmayer, die meinen Weg bis hierhin liebevoll begleitet und in jeglicher Form unterstützt haben. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet. Von den zaghaften Anfängen erster Fragestellungen bis zur fertigen Publika‐ tion stand mein Mann, Helmut Reitmayer, mir stets als begeisterter, aber auch kritischer Gesprächspartner zur Seite, der zu jedem Zeitpunkt an den Fortgang der Arbeit geglaubt hat. Unsere Tochter Katharina hatte immer Verständnis für „Mamas Buch“ und sorgte für bezaubernde Unterbrechungen zur rechten Zeit. Ich danke euch beiden - für alles. Dortmund und Bochum, im März 2021 Mirjam Reitmayer 12 Vorwort 1 Raphaela B I R R E R , Ex-Geiseln „bezahlten“ Befreiung mit sechs Vorträgen (17.04.2013), in: www.tagesanzeiger.ch/ schweiz/ standard/ ExGeiseln-bezahlten-Befreiung-mit-sech s-Vortraegen/ story/ 10280152 (abgerufen am 22.04.2018); Haji MUJTABA/ Martin de Sa’Pinto: Swiss couple escape from Pakistan Taliban captivity (15.03.2012) (abgerufen am 22.04.2018); S T R O H M , Volker: Taliban lassen entführtes Schweizer Geiselpaar frei (15.03.2012), www.handelszeitung.ch/ politik/ taliban-lassen-entfuehrtes-schweizer-gei selpaar-frei (abgerufen am 22.04.2018). 2 Daniela W I D M E R / David O C H , Und morgen seid ihr tot. 265 Tage als Geiseln der Taliban, Köln 2013. EINLEITUNG Am 17. März 2012 landete das Schweizer Paar Daniela Widmer und Olivier David Och am Flughafen Zürich und beendete damit eine 259-tägige Gefangenschaft in den Händen der pakistanischen Taliban. Sie waren Anfang Juli 2011 auf einer Reise in ihrem Campingbus im Nordosten Belutschistans überfallen und entführt worden. Die Entführer brachten die beiden nach Nord-Waziristan und versuchten sie mithilfe mehrerer Videobotschaften gegen pakistanische Gefangene und Lösegeld auszutauschen. Während ihrer Zeit in Gefangenschaft verarbeiteten die beiden Schweizer ihre Erlebnisse in Tagebüchern, die sie mit eigenhändigen Zeichnungen bebilderten. Zurück in der Heimat schilderten sie der Presse ihre Erfahrungen. Ihr Gefangenschaftsraum sei feucht und dunkel gewesen und sie hätten vor allem am Anfang Hunger und Angstgefühle ertragen müssen. Nach einiger Zeit sei ihnen allerdings erlaubt worden, sich relativ frei zu bewegen. In landesüblicher Kleidung hätte man ihnen auch ermöglicht, tagsüber ein paar Sportübungen zu machen, und sie hätten sogar ein paar Worte Paschtu gelernt. Schließlich gelang ihnen - wie sie selbst angaben - am 15. März 2012 die Flucht und man fand das Paar in der Nähe Miranshahs, von wo aus sie in Sicherheit gebracht wurden. Bereits kurz nach der Befreiung der beiden Berner waren jedoch Zweifel an der Fluchttheorie laut geworden und einige Stimmen forderten die finanzielle Beteiligung der Entführten an den entstandenen Kosten, da sie sich trotz Warnungen in das Krisengebiet gewagt hatten. 1 Die zwei Schweizer nutzten die mediale Aufmerksamkeit, die ihnen zukam und veröffentlichten über ihre Erlebnisse ein Buch, das auf der Grundlage der Tagebucheinträge Daniela Widmers entstand und das in der Schweiz acht Wochen die Bestsellerliste anführte. 2 In unserer heutigen, westeuropäischen Wahrnehmung sind solche Entfüh‐ rungen und Gefangenschaften Einzelfälle, da wir derzeitig weder in Kriegsge‐ bieten leben noch eine allzu hohe Anzahl an Entführungen in unseren Ländern 3 Obwohl es zwischendurch immer wieder aufsehenerregende Fälle gibt, wie z. B. der Piratenüberfall auf das Schweizer Hochseefisch „MV Glarus“ 2018; die Entführung von Zivilisten der Stadt Al-Suweida (Süd-Syrien) durch den IS ebenfalls im Jahr 2018; die Massenentführung von Schülerinnen aus Chibok (Nigeria) durch die Terrorgruppe Boko-Haram im April 2014 oder die Entführung von Gewerkschaftern und Managern in Frankreich vor allem im Jahr 2009. 4 In den letzten Jahren wurden vermehrt Europäer durch die Terrororganisation „Islami‐ scher Staat“ entführt und teils medienöffentlich hingerichtet. Zu den weltweit beson‐ ders gefährdeten Regionen und den Zahlen zu Entführungsdauer und Mortalitätsraten siehe Jörg Helmut T R A U B O T H , Krisenmanagement bei Unternehmensbedrohungen. Präventions- und Bewältigungsstrategien, Stuttgart [u. a.] 2002, S. 77f. und als visuelle Karten zu einzelnen Risikogebieten unter: https: / / www.controlrisks.com/ riskmap/ ma ps (aufgerufen am 21.06.2020). 5 Arnulf N Ö D I N G , „Min Sicherheit si din.“ Kriegsgefangenschaft im christlichen Mittel‐ alter, in: In der Hand des Feindes. Kriegsgefangenschaft von der Antike bis zum Zweiten Weltkrieg, hrsg. v. Rüdiger Overmans, Köln 1999, S. 99-118. erfahren müssen. 3 In zahlreichen Krisengebieten auf der Welt sind jedoch Ent‐ führungen und Gefangennahmen, vor allem bei militärischen Interventionen oder im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, an der Tagesordnung. Ge‐ rade Soldaten und Entwicklungshelfer, aber auch Kriegsberichterstatter, Ärzte oder Urlauber sind gefährdet. 4 Die Gefahr, dass Personen während einer kriegerischen Aktion von der gegnerischen Seite gefangen genommen oder durch Entführungen ihrer Freiheit beraubt wurden und teilweise recht ähnliche Schicksale wie Daniela Widmer und Olivier David Och ertragen mussten, bestand zu allen Perioden menschli‐ chen Zusammenlebens, wenngleich die Gefährdung in früheren Zeiten sicher‐ lich ungleich höher war. Im Mittelpunkt der folgenden Untersuchung sollen Gefangenschaften stehen, die als Folge eines der zahlreichen gewalttätigen Konflikte im Mittelalter auftraten, d. h. Fälle, in denen sich die Gefangennahme während einer Schlacht, einer Belagerung oder innerhalb von Fehdehandlungen sowie nach Überfällen ereigneten. Von einer mittelalterlichen Gefangenschaft und der Behandlung derjenigen, die sie erdulden mussten, kursiert eine Bandbreite von Bildern in unseren Vorstellungen. So gibt es auf der einen Seite das Bild der ritterlichen Gefangen‐ schaft: eine gute Behandlung, die Zusage, sich in einem bestimmten Radius frei bewegen zu können, und allen denkbaren Luxus, da der Sieger auf ein gutes Lösegeld hoffte und sich dem Gefangenen gegenüber einem ‚ritterlichen Ver‐ haltenskodex‘ entsprechend verhielt. 5 Auf der anderen Seite kreieren historische Romane oder Filme Bilder von dunklen Verliesen, Folterszenen und schlechten Unterbringungsbedingungen - von gequälten Körpern und der fehlenden Hoff‐ nung darauf, die Freiheit noch einmal wiederzuerlangen. Angesichts dieser 14 EINLEITUNG 6 Auf die Frage der Sichtweise verweist auch Martin Clauss: „Jedes Reden über den Krieg ist immer eine Frage der Perspektive: Die Sieger erzählen oftmals grundsätzlich andere Geschichten als die Verlierer“, vgl. Martin C L A U S S , Ritter und Raufbolde. Vom Krieg im Mittelalter (Geschichte erzählt 20), Darmstadt 2009, S. 137. 7 Ein intrakultureller Konflikt trifft dann zu, wenn die gegnerischen Parteien mehr ge‐ meinsame kulturelle Merkmale als unterscheidende Merkmale aufweisen. Ausführ‐ lich dazu: Thomas J Ä G E R / Rasmus B E C K M A N N , Handbuch Kriegstheorien, Wiesbaden 2012, http: / / dx.doi.org/ 10.1007/ 978-3-531-93299-6, S. 19; Birte A S M U S S , Strukturelle Dissensmarkierungen in interkultureller Kommunikation. Analysen deutsch-däni‐ scher Verhandlungen (Linguistische Arbeiten 452), Berlin 2002, www.degruyter.co m/ doi/ book/ 10.1515/ 9783110960884, S. 17; Ralf P R Ö V E , Der delegitimierte Gegner. Kriegführung als Argument im Siebenjährigen Krieg, in: Der Siebenjährige Krieg (1756-1763). Ein europäischer Weltkrieg im Zeitalter der Aufklärung, hrsg. v. Sven Externbrink, Berlin 2011, S. 275-282, S. 280. 8 Transkulturelle Konflikte ereignen sich zwischen zwei übergeordneten Kultur‐ räumen, vgl. Stephen M O R I L L O , A General Typology of Transcultural Wars. The Early Middle Ages and Beyond, in: Transcultural Wars from the Middle Ages to the 21st Century, hrsg. v. Hans-Henning Kortüm, Berlin 2006, S. 29-42; Transkul‐ turelle Verflechtungen - Mediävistische Perspektiven, hrsg. v. Netzwerk Transkul‐ turelle Verflechtungen, Göttingen 2016. Zur Entwicklung und zur Problematik des Spannbreite moderner Ansichten von einer mittelalterlichen Gefangenschaft, bleibt zu fragen, wie die Betroffenen ihre eigene Gefangenschaft erlebten. Wie stellte sich die Gefangenschaft dar und wie konnte man von dieser persönlichen Erfahrung in seinem Leben berichten? Hierüber geben Selbstzeugnisse gefangener Personen, die von ihrem kurzen oder langen Aufenthalt in dieser neuen und begrenzten Situation berichten können, eindrucksvoll Auskunft - sie dienen als Quellengrundlage der vorliegenden Untersuchung. Dabei bekommen wir einen Einblick in die Erfahrungen des Individuums und in die Bewertung seiner eigenen Gefan‐ genschaft. Des Weiteren erfahren wir, wie jeweils die Umgebung der Gefan‐ genschaft aussah und wie ‚frei‘ der Inhaftierte sich bewegen und agieren konnte. Was sollte die Außenwelt über die Selbstzeugnisse von diesem geschlossenen Raum erfahren und an welchen besonderen Momenten der Gefangenschaft lassen die Autoren ihre Leser teilhaben? Dadurch, dass die Gefangenen ihre Erlebnisse erzählen, kommen die Verlierer zu Wort, die entweder durch eine verlorene Schlacht oder durch einen Überfall in ihre missliche Lage geraten waren. 6 Um zu klären, inwieweit sich eine Gefangenschaft unterschied, wenn sie in einem bekannten Umfeld oder in der Fremde erfolgte, wird eine Zweiteilung der Quellen, die sich in intrakulturelle Gefangenschaft 7 und transkulturelle Gefangenschaft 8 aufteilt, vorgenommen. Innerhalb der Untersuchung werden 15 EINLEITUNG Transkulturellen Vergleichs: Jürgen O S T E R H A M M E L , Transkulturell vergleichende Geschichtswissenschaft, in: Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, hrsg. v. Jürgen Oster‐ hammel, Göttingen 2 2011, S. 11-45. 9 In den Grenzen um 1400, nördlich der Alpen und ohne die Gebiete Lothringen und Burgund. 10 Zur Fremdheit: Nikolas J A S P E R T , Fremdheit und Fremderfahrung: Die deutsch-spa‐ nische Perspektive, in: „Das kommt mir spanisch vor“. Eigenes und Fremdes in den deutsch-spanischen Beziehungen des späten Mittelalters, hrsg. v. Klaus Herbers/ Nikolas Jaspert (Geschichte und Kultur der iberischen Welt 1), Münster 2004, S. 31- 62; Harry K Ü H N E L , Das Fremde und das Eigene. Mittelalter, in: Europäische Menta‐ litätsgeschichte. Hauptthemen in Einzeldarstellungen, hrsg. v. Peter Dinzelbacher (Kröners Taschenausgabe 469), Stuttgart 2 2008, S. 477-491. 11 Hans Staden wird von den Tupinambá in Brasilien gefangengenommen. folglich zwei Gruppen von Gefangenschaften betrachtet: Zum einen die Ge‐ fangenschaft im römisch-deutschen Reich, 9 die sich innerhalb eines Gewirrs von Fehden, Städtekriegen und Religionskämpfen ereigneten. Wir treffen auf Ritter, Herrscher und Kaufleute, die von ihren Erlebnissen erzählen und von den Orten, die ihre Freiheit beschnitten. Gibt es einen Unterschied, wenn ein Dichter von seinen Erlebnissen berichtet oder ein Kämpfer, den das gleiche, aber vielleicht eher einkalkulierte, Unglück ereilte? Die zweite Gruppe der Gefangenschaften ereignete sich in der ‚Fremde‘. 10 Auf den zahlreichen Handelsfahrten und Kriegszügen in die Länder, Regionen und Orte der ‚Neuen Welt‘ 11 und in osmanische, mamlukische und mongolische Gebiete waren die Menschen weit entfernt von den üblichen Konventionen und Sicherheiten, die das Leben in der Heimat bot. Bevor die einzelnen Gefangenschaftsfälle vorgestellt werden, nähert sich die Untersuchung in einem ersten Schritt dem Quellenmaterial und stellt heraus, warum Selbstzeugnisse für die Veran‐ schaulichung einzelner Schicksale einen wertvollen Beitrag leisten können. Allerdings birgt die Quellenauswahl auch einige Schwierigkeiten, so dass es wichtig sein wird, immer wieder darauf zu achten, ob es sich bei dem vorliegenden Selbstzeugnis um ein unmittelbares Zeugnis handelt oder um einen Bericht, der aus der Retrospektive heraus das Erlebte schildert. Die Schwierigkeit der verschriftlichten Erinnerung muss ebenso beachtet werden wie die subjektive Färbung der einzelnen Zeugnisse, die ein Arbeiten mit autobiographischen Quellen mitunter erschwert, in der Zusammenschau mehrerer Selbstzeugnisse jedoch fruchtbare Ergebnisse ermöglicht. Es werden zwei grundsätzliche Untersuchungsfelder vorgestellt, die die zwei Hauptfragen der Arbeit nach den Bedingungen der Gefangenschaft (Un‐ 16 EINLEITUNG 12 Die gebräuchlichen Bezeichnungen „vengknisse“ oder „gefencknisse“, die uns in den Quellen begegnen, bezeichnen weniger den Ort der Gefangenschaft als den Zustand des „Gefangenseins“. Dies ist auch am lateinischen Begriff „captio“ dem passiven „Ge‐ fangenwerden“ abzulesen, Andrea B O O C K M A N N , Urfehde und ewige Gefangenschaft im mittelalterlichen Göttingen (Studien zur Geschichte der Stadt Göttingen 13), Göttingen 1980, S. 31-33; Ute Monika S C H W O B , Gefängnis, Kerker, Verliesein Ort der nôt, in: Burgen, Länder, Orte, hrsg. v. Ulrich Müller (Mittelalter-Mythen 5), Konstanz 2008, S. 227-244, hier S. 227. tersuchungsfeld ‚Raum‘) 12 und den Erfahrungen des Individuums in seiner un‐ freien Situation (Untersuchungsfeld ‚Gefangenschaftserfahrung‘) widerspie‐ geln. Der detaillierten Untersuchung der einzelnen Gefangenschaftsfälle liegt ein 9-Phasenmodell des modernen Krisenmanagements bei Entführungen und Geiselnahmen zugrunde, das vorgestellt, auf seine Verwendbarkeit geprüft und für die vorliegende Untersuchung abgewandelt werden soll. Mit Hilfe dieses modifizierten Modells werden im Anschluss die einzelnen Schicksale der Gefangenen anhand ihrer Selbstzeugnisse vorgestellt und in einzelne Phasen aufgeteilt: Der erste Punkt beleuchtet die Gefangennahme sowie den Konflikt, in den die Gefangenschaft eingebunden ist, danach werden die verschiedenen Orte der Gefangenschaft und die Verhandlungen für die Freilassung beleuchtet. Mögliche Fluchtversuche und das Ende der Zeit in Unfreiheit werden ebenso thematisiert wie das Leben des Gefangenen nach seiner Gefangenschaft. Mittels der hier vorgestellten Fragen und Überlegungen wird ein Beitrag dazu geleistet, das Thema der militärischen Gefangenschaft im Spätmittelalter als eine Brücke zwischen Antike, frühem Mittelalter und der Frühen Neuzeit für eine Geschichte der europäischen Kriegsgefangenschaft zu verorten. Zum ersten Mal wird ein Quellenkorpus untersucht, der beispielhaft für die Erforschung der Gefangenschaft im Spätmittelalter sein wird, da er eine Kompilation selbstberichtender Quellen aus dem Reich bietet, die von Erfah‐ rungen gewaltsamer Gefangenschaften im intra- und transkulturellen Kontext berichten. 1. Forschungsstand In der Forschung hat der Gegenstand der militärischen Gefangenschaft im Mittelalter lange Zeit kaum Beachtung gefunden und so fehlt für die Epoche des späten Mittelalters in der deutschen Forschung bisher eine monographi‐ sche Übersichtsdarstellung. Die älteren Untersuchungen der Militärgeschichte liefern Antworten auf die Frage nach den militärischen Operationen und 17 1. Forschungsstand 13 Hannelore Z U G T U C C I , Kriegsgefangenschaft im Mittelalter. Probleme und erste For‐ schungsergebnisse, in: Krieg im Mittelalter, hrsg. v. Hans-Henning Kortüm, Berlin 2001, S. 123-140. Ebenso Peter Burschel, Verlorene Söhne: Bilder osmanischer Gefan‐ genschaft in der frühen Neuzeit, in: Kriegs/ Bilder in Mittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. v. Birgit Emich/ Gabriela Signori (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft 42), Berlin 2009, S. 157-182, S. 163. Den Mangel an Vergleichen zwischen Kriegsgefangen‐ schaften in west- und zentraleuropäischen und osmanischen Gebieten beklagt auch: Suraiya F A R O Q H I , Als Kriegsgefangener bei den Osmanen: Militärlager und Haushalt des Großwesirs Kara Mustafa Paşa in einem Augenzeugenbericht, in: Unfreie Arbeits- und Lebensverhältnisse von der Antike bis in die Gegenwart. Eine Einführung, hrsg. v. Elisabeth Herrmann-Otto, Hildesheim 2005, S. 206-234, S. 206f. 14 Zur Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen des 2. Weltkrieges, hrsg. v. Erich M A S C H K E , Kurt B Ö H M E , 15 Bde., München/ Bielefeld 1962-1974. Über die teils sehr heftigen Diskussionen um diese Bände Maschkes und ihre Veröffentlichung, siehe: Rüdiger O V E R M A N S , Ein Silberstreifen am Forschungshorizont? Veröffentlichungen zur Geschichte der Kriegsgefangenschaft. Bibliographischer Essay, in: In der Hand des Feindes. Kriegsgefangenschaft von der Antike bis zum Zweiten Weltkrieg, hrsg. v. Rüdiger Overmans, Köln 1999, S. 483-506, S. 496f. Der Aufsatz bietet eine umfassende Darstellung zur Bibliografie des Themas, vor allem für die neuere Geschichte. 15 Siehe z. B. Karl A U E R B A C H , Die russischen Kriegsgefangenen in Deutschland (von August 1914 bis zum Beginn d. Grossen Sozialist. Oktoberrevolution), Diss. Potsdam 1973; Charles Burton B U R D I C K / Ursula M O E S S N E R , The German prisoners-of-war in Japan 1914-1920, Lanham 1984; Gerald H. D A V I S , Deutsche Kriegsgefangene im Ersten Weltkrieg in Rußland, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 32 (1982), S. 37-49; Gerd T R E F F E R , Die ehrenwerten Ausbrecher. Das Kriegsgefangenenlager Ingolstadt im Ersten Weltkrieg, Regensburg 1990 oder auch Jochen O L T M E R , Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs (Krieg in der Geschichte 24), Paderborn 2006. ihren Abläufen bzw. deren Bedeutung für die Geschichte, weniger nach den Bedingungen für die Menschen nach einer Schlacht. 13 Erste Arbeiten über die Kriegsgefangenschaft behandelten ab den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts fast ausschließlich die Gefangenschaft von Soldaten des Zweiten Weltkriegs. Dabei ist das Werk Erich Maschkes zu erwähnen, in dem Aussagen von ca. 400 000 Heimkehrern ausgewertet wurden und in dessen Folge sich die „Wissenschaftliche Kommission für deutsche Kriegs‐ gefangenengeschichte“ gründete. Am Ende vom Maschkes Untersuchungen stand ein riesiges Gesamtwerk zur Verfügung, das noch heute als eine der großen Studien zur Kriegsgefangenschaft im Zweiten Weltkrieg gilt 14 und auf das weitere Untersuchungen zum Ersten Weltkrieg folgten. 15 In der aktuellen Forschung überwiegen immer noch die Arbeiten zu Gefangenschaften in den 18 EINLEITUNG 16 Exemplarisch angeführt: Svenja G O L T E R M A N N , Die Gesellschaft der Überlebenden. Deutsche Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrungen im Zweiten Weltkrieg, Mün‐ chen 2009; Ute M A N K , Zwischen Trauma und Rechtfertigung. Wie sich ehemalige Wehrmachtssoldaten an den Krieg erinnern, Frankfurt am Main 2011; François C O C H E T , Soldats sans armes. La captivité de guerre: une approche culturelle (Collection His‐ toires), Bruxelles/ Paris 1998; August F R E I T A G / Karl S A T T L E R , Aufzeichnungen aus Krieg und Gefangenschaft (1941-1949), Bochum 1997. 17 Wilhelm D E I S T , Vorwort, in: In der Hand des Feindes. Kriegsgefangenschaft von der Antike bis zum Zweiten Weltkrieg, hrsg. v. Rüdiger Overmans, Köln 1999, S. XI-XII, hier S. XII. 18 Yvonne F R I E D M A N , Encounter between Enemies. Captivity and Ransom in the Latin Kingdom of Jerusalem (Cultures, Beliefs, and Traditions 10), Leiden/ Boston 2002, S. 251. Von ihr auch: Yvonne F R I E D M A N , Women in Captivity and their Ransom during the beiden Weltkriegen, die mittlerweile eine kaum zu überblickende Anzahl an Publikationen aufweist. 16 Das Fehlen interdisziplinär angelegter und epochenübergreifender Darstel‐ lungen zur Geschichte von Militär und Krieg führte dazu, dass sich im Jahr 1995 der „Arbeitskreis zur Militärgeschichte“ gründete, der sich dem Phänomen der Kriegsgefangenschaft jedoch zunächst nur vom 18. bis ins 20. Jahrhundert hinein annahm. Mit Tagungen und Veröffentlichungen wurde das Feld der Kriegsgefangenschaft im Laufe der Zeit nach und nach erweitert und auf neue Fragestellungen hin untersucht, wenn auch der Fokus weiterhin verstärkt auf die Neuzeit ausgerichtet war und ist. So hält auch Wilhelm Deist in dem im Jahr 1999 erschienenen Sammelband des Arbeitskreises: „In der Hand des Feindes. Kriegsgefangenschaft von der Antike bis zum Zweiten Weltkrieg“ fest, dass sich das Thema der Kriegsgefangenschaft „als Gegenstand sozial- und wirtschaftshistorischer sowie alltags- und mentalitätsgeschichtlicher Untersu‐ chungen anbietet und weiterführende Erkenntnisse für umfassende politik- und militärgeschichtliche Untersuchungen verspricht. Darüber hinaus verweist die Thematik auf die dringende Notwendigkeit interdisziplinärer Kooperation, insbesondere mit Rechts- und Medizinhistorikern.“ 17 Einen wertvollen Beitrag zum Thema der mittelalterlichen Kriegsgefangen‐ schaft von Franken in den Kreuzfahrerstaaten liefert Yvonne Friedmann in ihrem 2002 erschienenen Buch „Encounter between Enemies. Captivity and Ransom in the Latin Kingdom of Jerusalem.“ Friedmann beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Muslimen und ihren christlichen Gefangenen. Dabei stellt sie die Frage, inwieweit dieses Zusammentreffen die Einstellungen der Kreuzfahrer gegenüber dem Problemfeld ‚Gefangenschaft’ beeinflusst und ver‐ ändert habe. Friedmann selbst formuliert ihren Leitgedanken auf folgende Weise: „My goal has been to tell the tale of the captive in the Eastern arena, to show the effect of the Christian-Muslim encounter on Frankish society.“ 18 19 1. Forschungsstand Crusader Period, in: Cross Cultural Convergences in the Crusader Period. Essays presented to Aryeh Graboïs, Aryehis on his sixty-fifth Birthday, hrsg. v. Aryeh Graboïs/ Sophia Menache/ Sylvia Schein, New York 1995, S. 75-117. 19 Philippe G O R I D I S , Gefangen im Heiligen Land. Verarbeitung und Bewältigung christli‐ cher Gefangenschaft zur Zeit der Kreuzzüge (Vorträge und Forschungen: Sonderband 57), Ostfildern 2015. 20 Jean D U N B A B I N , Captivity and Imprisonment in Medieval Europe, 1000-1300 (Medieval Culture and Society), New York 2002, S. 3-11. 21 Orte der Verwahrung. Die innere Organisation von Gefängnissen, Hospitälern und Klöstern seit dem Spätmittelalter, hrsg. v. Gerhard A M M E R E R , Leipzig 2010; Thomas K R A U S E , Geschichte des Strafvollzugs. Von den Kerkern des Altertums bis zur Gegen‐ wart, Darmstadt 1999; Falk B R E T S C H N E I D E R , Der Raum der Einsperrung. Raumkonsti‐ tution zwischen institutioneller Stabilisierungsleistung und eigensinnigen Nutzungs‐ weisen. Das Beispiel Sachsen, in: Orte der Verwahrung. Die innere Organisation von Gefängnissen, Hospitälern und Klöstern seit dem Spätmittelalter, hrsg. v. Gerhard Ammerer, Leipzig 2010, S. 103-130; Gwen S E A B O U R N E , Imprisoning Medieval Women. The Non-Judicial Confinement and Abduction of Women in England, c.1170-1509, Farnham/ Surrey/ Burlington 2011; Guy G E L T N E R , The medieval prison. A social history, Princeton 2008. Ende der 1960er Jahre erschien die Studie von Ralph Pugh: Ralph Bernard P U G H , Imprisonment in medieval England, Cambridge 1968. Eine Bibliografie zur Geschichte des Gefängnisses online unter: www.falk-bretschneider.eu/ biblio/ bibli o-index.htm (abgerufen am 22.04.2018). 22 Adam J. K O S T O , Hostages in the Middle Ages, Oxford 2012. Dabei legt sie eine umfassende Studie mit vielen Quellenbezügen vor, die sehr überzeugend darlegt, wie der verstärkte Kontakt zu den Muslimen die eigenen Haltung veränderte und in einem zweiten Teil äußerst anschaulich das Leben der inhaftierten Kreuzfahrer beleuchtet. Zeitlich ähnlich gelagert ist Philippe Goridis’ Studie „Gefangen im Heiligen Land. Verarbeitung und Bewältigung christlicher Gefangenschaft bei den Muslimen zur Zeit der Kreuzzüge, 1096- 1291“, die an der Universität Zürich entstanden ist und ihren Fokus auf narrative, topische und faktische Elemente christlicher Gefangenschaft bei den Muslimen legt. 19 Auf die bisher mangelnde Auseinandersetzung der Mediävistik mit der differenzierten Erforschung der mittelalterlichen Gefangenschaft weist auch Jean Dunbabin in ihrer Arbeit „Captivity and Imprisonment in Medieval Europe, C.1000 - C.1300“ 20 hin, in der sie vor allem die Entwicklungen der Gefängnisse und die Behandlung der Gefangenen untersucht. Daneben sind weitere Arbeiten zur Geschichte der Gefängnisse entstanden. 21 Zu den unterschiedlichen Formen des Geiselschaft im Mittelalter ist eine Studie Adam J. Kostos erschienen, die auch die besondere Stellung von Geiseln innerhalb von Kriegsgefangenschaften aufzeigt. 22 Zur rechtlichen Wahrnehmung des Krieges und der Kriegsgefangen‐ 20 EINLEITUNG 23 Markus S C H R Ö D L , Das Kriegsrecht des Gelehrten Rechts im 15. Jahrhundert. Die Lehren der Kanonistik und der Legistik über De bello, de represaliis et de duello (Rechtsge‐ schichtliche Studien 14), Hamburg 2006; Alfred Vanderpol, La doctrine scolastique du droit de guerre, Paris 1919; Maurice Hugh Keen, The Laws of War in the Late Middle Ages (Modern Revivals in History), Aldershot 1993. 24 Megan C A S S I D Y -W E L C H , Imprisonment in the medieval religious imagination, c. 1150- 1400, Houndmills, Basingstoke, Hampshire/ New York 2011. 25 Elizabeth L A W N , „Gefangenschaft“. Aspekt und Symbol sozialer Bindung im Mittel‐ alter, dargestellt an chronikalischen und poetischen Quellen (Europäische Hochschul‐ schriften I/ 214), Frankfurt a. M./ Bern/ Las Vegas 1977. 26 Joanna S U M M E R S , Late-medieval prison writing and the politics of autobiography, Oxford, New York 2004. 27 Lutz V O I G T L Ä N D E R , Vom Leben und Überleben in Gefangenschaft. Selbstzeugnisse von Kriegsgefangenen, 1757 bis 1814, Freiburg i. Br. 2005. Voigtländer beklagt in seiner Einleitung ebenfalls, dass bei aller Konjunktur, die die Militärgeschichte seit einigen Jahren erfährt, diese Thematik für den Bereich der Frühen Neuzeit nur sehr zurückhaltend aufgearbeitet werde. 28 Zur Gefangenschaft Johanns II. von Frankreich: Neil M U R P H Y , The Captivity of John II, 1356-60. The Royal Image in Later Medieval England and France (The New Middle Ages), New York 2016, http: / / gbv.eblib.com/ patron/ FullRecord.aspx? p=4722657. Be‐ schaft sind vor allem die Arbeiten von Markus Schrödl, Alfred Vanderpol und Maurice Keen anzuführen. 23 Megan Cassidy-Welch widmet sich in ihrer 2011 erschienen Abhandlung „Imprisonment in the Medieval Religious Imagination, c. 1150-1400“ 24 der Gefangenschaft in einem breiten Spektrum religiöser Kontexte und aus Sicht der mediävistischen Germanistik behandelt Elisabeth Lawn das Thema Gefangen‐ schaft. 25 Sie nutzt dafür poetische und chronikalische Quellen und untersucht den Aspekt der geschichtlichen Wirklichkeit, in der Gefangenschaft als ver‐ trautes politisches Mittel verwendet wurde, sowie den symbolischen Aspekt der Gefangenschaft in den literarisch-poetischen Quellen. Joanna Summers analysiert in ihrer 2004 erschienenen Publikation spätmittelalterliche Schriften inhaftierter Autoren und fordert die Berücksichtigung dieser Quellen als eine eigene Textform der autobiographischen Gefängnisliteratur. 26 Einen Beitrag für die Frühe Neuzeit liefert schließlich Lutz Voigtländer in seinem 2005 erschienenen Werk „Vom Leben und Überleben in Gefangenschaft. Selbstzeugnisse von Kriegsgefangenen 1757-1814“. Er behandelt die Gefangen‐ schaft preußischer Soldaten der Reichsarmee im Siebenjährigen Krieg und befragt Selbstzeugnisse aus der Gefangenschaft dahingehend, wie die juristi‐ schen und politischen Rahmenbedingungen von den Soldaten wahrgenommen wurden und wie sich die Normen zur Realität verhielten. 27 Dazu kommen Forschungen zur Kriegsgefangenschaft in speziellen geogra‐ phischen Räumen und Einzelthemen im Kontext von Gefangenschaften. 28 Be‐ 21 1. Forschungsstand reits älter: Adalbert Erler, Der Loskauf Gefangener. Ein Rechtsproblem seit drei Jahr‐ tausenden, Berlin 1978. 29 Hannelore Z U G T U C C I , Prigionia di guerra nel Medioevo. Un’altura in mezzo alla pianura: l’Italia dell’‚incivilimento‘, (Memorie Vol. 142.), Venedig 2016. Leider konnte die Studie Zug Tuccis in der vorliegenden Arbeit nicht mehr ausreichend gewürdigt werden; sie sei aber der Vollständigkeit halber dennoch hier aufgeführt. 30 Andreas B L A U E R T , Das Urfehdewesen im deutschen Südwesten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit (Frühneuzeit-Forschungen 7), Tübingen 2000; Rémy Ambühl, Prisoners of war in the Hundred Years War. Ransom culture in the late Middle Ages, Cambridge 2013. 31 Jarbel R O D R I G U E Z , Captives & their saviors in the medieval crown of Aragon, Wa‐ shington, D.C. 2007; James William B R O D M A N , Captives or Prisoners: Society and Obligation in Medieval Iberia, in: Anuario de Historia de la Iglesia 20 (2011), S. 201-219; James B R O D M A N , Community, Identity and the Redemption of Captives. Comparative Perspectives across the Mediterranean, in: Anuario de Estudios Medievales 36: 1 (2006), S. 241-252; James B R O D M A N , Ransoming Captives in Crusader Spain. The Order of Merced on the Christian-Islamic Frontier, Philadelphia 1986; José Manuel C A L D E R Ó N O R T E G A / Francisco Javier D Í A Z G O N Z Á L E Z , Vae victis. Cautivos y prisioneros en la Edad Media hispánica (Monografías. Derecho 04), Alcalá de Henares 2012. 32 Unfreie Arbeits- und Lebensverhältnisse von der Antike bis in die Gegenwart. Eine Einführung, hrsg. v. Elisabeth H E R R M A N N -O T T O , Hildesheim 2005; André C L O T , L’É‐ gypte des Mamelouks. L’empire des esclaves, 1250-1517 (Collection Tempus 279), Paris 2009; Jacques H E E R S , Esclaves et domestiques au Moyen Âge dans le monde méditerranéen, Paris 2006. Als kleine Auswahl seien zudem genannt: Christopher Leslie B R O W N / Philip D. M O R G A N , Arming slaves. From classical times to the modern age, New Haven 2006; Robert C. D A V I S , Christian slaves, Muslim masters. White slavery in the Mediterranean, the Barbary Coast, and Italy, 1500-1800, Basingstoke 2004; Ransom Slavery along the Ottoman Borders. Early Fifteenth-Early Eighteenth Centuries, hrsg. v. Dávid Géza/ Fodor Pál (Ottoman Empire and its heritage 37), Leiden/ Boston 2007; Joos V E R M E U L E N , Sultans, slaven en renegaten. De verborgen geschiedenis sonders hervorgehoben sei dabei die Studie von Hannelore Zug Tucci, die syste‐ matisch den Umgang mit Kriegsgefangenen in den nord- und mittelitalienischen Kommunen vom 12. bis zum 14. Jahrhundert untersucht. 29 Ebenfalls erwähnt seien die Arbeiten zum Urfehdewesen von Andreas Blauert oder zum Loskauf Gefangener, wie die Studie Rémy Ambühls. 30 Einen breiteren Forschungsansatz gibt es zur Gefangenschaft und zum Loskauf Gefangener auf der iberischen Halbinsel, wie die Untersuchung Jarbel Rodriguez, die Beiträge James Brodmans oder den Sammelband „Vae victis. Cautivos y prisioneros en la Edad Media hispánica“. 31 Ein wichtiger Forschungsansatz, der in dieser Untersuchung im Zuge der transkulturellen Gefangenschaften noch eine gesonderte Einordnung finden wird, ist der Aspekt der Sklaverei. Stellvertretend für wichtige Arbeiten zu diesem Thema seien an dieser Stelle der Sammelband „Unfreie Arbeits- und Lebensverhältnisse von der Antike bis in die Gegenwart“ von Elisabeth Herr‐ mann-Otto sowie die Arbeiten von André Clot, und Jacques Heers genannt. 32 22 EINLEITUNG van de Ottomaanse rijk, Leuven 2001; Gillian W E I S S , Captives and Corsairs. France and Slavery in the Early Modern Mediterranean, Stanford 2013 und Mediterranean Slavery Revisited (500-1800) - Neue Perspektiven auf mediterrane Sklaverei (500-1800), hrsg. v. Stefan H A N S S / Juliane S C H I E L , Zürich 2014. Populärwissenschaftlich und oberflächlich: Egon F L A I G , Weltgeschichte der Sklaverei (Beck’sche Reihe 1884), München 2 2011. An der Universität Trier entsteht unter der Leitung Christoph Cluses eine komparative Homepage: http: / / med-slavery.uni-trier.de/ (abgerufen am 22.04.2018). 33 Krieg im Mittelalter, hrsg. v. Hans-Henning K O R T Ü M , Berlin 2001; Werner R Ö S E N E R , Staat und Krieg. Vom Mittelalter bis zur Moderne (Sammlung Vandenhoeck), Göttingen 2000. 34 Anton S C H W O B , Historische Realität und literarische Umsetzung. Beobachtungen zur Stilisierung d. Gefangenschaft in den Liedern Oswalds v. Wolkenstein, Innsbruck 1979; Gustav B O S S E R T , Die Gefangenschaft des Hieronymus Baumgartner und die Nürnberger vor Haltenbergstetten, in: Würtembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte 11 (1888), S. 207-217. 35 So hält auch Johannes Fried in seinem Werk „Der Schleier der Erinnerung“ fest: „Erinnerung ist stets Gegenwart, nie Vergangenheit. Sie ist Schöpfung, Konstrukt. Alle menschliche Kultur verdankt sich fließenden Erinnerungen, fortgesetzten Neu‐ schöpfungen und gerade nicht starren Gedächtnisblöcken. Das autobiographische Gedächtnis stellt bis heute eine wesentliche Komponente psychologischer und psycho‐ analytischer Forschung dar,“ Johannes F R I E D , Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge Zwei Sammelbände über die Thematik des Krieges, die Gefangenschaft als einen Aspekt desselben behandeln, seien an dieser Stelle ebenfalls erwähnt: Es sind zum ersten der Band von Hans-Henning Kortüm „Krieg im Mittelalter“ und die von Werner Rösener herausgegebene Sammlung „Staat und Krieg: Vom Mittelalter bis zur Moderne“. 33 Wichtig für diese Arbeit sind auch die Studien zu den Gefangenschaften einzelner hier behandelter Autoren, wie die Untersuchung Anton Schwobs zu Oswald von Wolkenstein oder zur Entführung des Hieronymus Baumgartner von Gustav Bossert, die wertvolle Vorarbeiten zu den Selbstzeugnissen der Gefangenen bieten. 34 2. Selbstzeugnisse aus Gefangenschaften und der Aussagewert von Erinnerungen 2.1. Das Gedächtnis und die Grenzen autobiographischen Erinnerns Wer mit autobiographischen Schriften und Selbstzeugnissen, wie in der vorlie‐ genden Studie, arbeitet, muss sich mit dem Erinnern und den Leistungen und Grenzen unseres Gedächtnisses sowie den Einflüssen, die auf das Erinnerte ein‐ wirken, auseinandersetzen. 35 Die neurowissenschaftliche Gedächtnisforschung 23 2. Selbstzeugnisse aus Gefangenschaften und der Aussagewert von Erinnerungen einer historischen Memorik, München 2004, S. 105. Dabei zeige sich jedoch „eine er‐ schreckende Unzuverlässigkeit und Fehlerhaftigkeit aller Erinnerungen.“ Ebd., S. 46. Die Untersuchung Frieds ist in der Geschichtsforschung breit diskutiert worden, vgl. Volker D E P K A T , Rezension zu: Fried, Johannes: Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik. München 2004, in: <http: / / hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/ re‐ zensionen/ 2005-1-113> (abgerufen am 12.07.2018); Marcel M O N I N G , Rezension: Fried, Johannes: Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik. München 2004., in: http: / / kult-online.uni-giessen.de / archiv/ 2005/ ausgabe-05/ rezen‐ sionen/ eine-apologie-des-historismus (abgerufen am 12.07.2018). 36 Zu einer detaillierten Unterteilung der einzelnen Hirnregionen und ihren Aufgaben siehe Rüdiger P O H L , Das autobiographische Gedächtnis. Die Psychologie unserer Lebensgeschichte, Stuttgart 2007, S. 26f.; Astrid E R L L , Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung, Stuttgart 2005, S. 99. 37 Das limbische System hat als ‚emotionales Gehirn‘ die Aufgabe eingehende Informa‐ tionen zu bewerten und steuert unsere Emotionen und Triebe; so ist die Amygdala als Teil des limbischen Systems bei der Entstehung von Angstgefühlen maßgeblich betei‐ ligt; Mathias B Ä H R / Michael F R O T S C H E R / Peter D U U S , Neurologisch-topische Diagnostik. Anatomie - Funktion - Klinik, Stuttgart 9 2009, S. 312-328. 38 Peter F I E D L E R , Dissoziative Störungen und Konversion. Trauma und Traumabehand‐ lung, Weinheim 3 2008, S. 81f. 39 Welzer unterscheidet nicht nur das Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis, sondern nennt auch das Ultrakurzzeitgedächtnis, in dem Informationen über eine Zeitspanne von wenigen Millisekunden bis zu einigen wenigen Minuten erhalten bleiben. Dabei werden die Begriffe des Kurzeit- und des Arbeitsgedächtnis in der Forschung synonym benutzt, Harald W E L Z E R , Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung, München 2 2008, S. 22f.; F R I E D , Schleier (wie Anm. 35), S. 82. zeigt auf, dass das Gedächtnis nicht fest an einem Ort im Gehirn lokalisierbar ist; vielmehr beruht die Erinnerungsleistung auf einem Zusammenspiel unter‐ schiedlichster Hirnregionen. 36 Der Weg der Erinnerung kann mittlerweile gut nachgezeichnet werden: In unserem Kurzzeitgedächtnis werden die eintreffenden Informationen wenige Sekunden bis zu einer Dauer von ein paar Minuten gespeichert. Es kommt zur Aufnahme (encoding) und temporären Speicherung von Informationen im Arbeitsgedächtnis. Durch die Verortung im limbischen System 37 werden die Informationen auf ihre Bedeutung hin geprüft und mit bereits vorhandenem Wissen verknüpft. Dies geschieht durch bioelektrische und biochemische Pro‐ zesse, die schließlich zu einer funktionellen Veränderung im Gehirn führen und so erst eine Langzeitspeicherung (storage) der Erinnerungen möglich machen. 38 Der Abruf (retrieval) holt das gespeicherte Wissen wieder an die Oberfläche und kann dieses dann dem Arbeitsgedächtnis zur erneuten Bearbeitung zur Verfügung stellen. 39 Dabei gilt jedoch in allen drei Stufen (encoding, storage und retrieval), dass die eintreffenden Informationen immer auch bewertet und in bereits bestehendes Wissen eingewoben werden. Deshalb sind die Erinnerungen 24 EINLEITUNG 40 P O H L , Gedächtnis (wie Anm. 36), S. 30; Rolf H A U B L , Die allmähliche Verfertigung von Lebensgeschichten im soziokulturellen Erinnerungsprozess, in: Erinnerung, Reflexion, Geschichte. Erinnerung aus psychoanalytischer und biographietheoretischer Perspek‐ tive, hrsg. v. Margret Dörr/ Heide von Felden/ Regina Klein, Wiesbaden 2008, S. 197-212, hier S. 197. 41 „Trotz der zahlreichen Untersuchungen zur Speicherung unseres Wissens ist eine Definition des autobiographischen Gedächtnisses immer noch schwer zu formulieren, weil das autobiographische Gedächtnis […] im Grunde eine Fiktion ist - in dem Sinne, daß es nicht als Einheit existiert, sondern wiederum als eine synthetisierende Funktionseinheit, die sich in jeder kommunikativen Situation auf jeweils neue Weise realisiert.“ W E L Z E R , Gedächtnis (wie Anm. 39), S. 217. Zu den einzelnen Forschungsströmungen und ihren Problemen siehe P O H L , Gedächtnis (wie Anm. 36), S. 43-48. 42 Genauer dazu P O H L , Gedächtnis (wie Anm. 36), S. 48-52. Welzer versteht das autobio‐ graphische Gedächtnis dabei als Gedächtnissystem, das sich aus fünf verschiedenen Gedächtnissystemen, dem semantischen, dem episodischen, dem perzeptuellen, dem „priming“ (Wiedererkennen von vorher bereits erfahrenen Reizen) und dem proze‐ duralen Gedächtnissystem, zusammensetzt. Diese fünf Systeme speisen ihre Informa‐ tionen in das autobiographische Gedächtnis und haben mit ihm eine wechselseitige Funktion. Es kommt zu einer Interaktion aus bereits vorhandenen Gedächtnisspuren (Engrammen) und eintreffenden Reizen, die ein Abrufen der Engramme möglich macht, W E L Z E R , Gedächtnis (wie Anm. 39), S. 144. 43 Zu diesen emotionalen Erinnerungen gehören auch die sogenannten „Blitzlichterinne‐ rungen“, vgl. P O H L , Gedächtnis (wie Anm. 36), S. 73-75; E R L L , Gedächtnis (wie Anm. 36), und das Erlernte nie objektiv, sondern bereits gefiltert durch unser vorhandenes Wissen, unsere Erfahrungen und die daraus hervorgehenden Motive und emotionalen Konnotationen. 40 Je häufiger dieses ‚neu‘ eingetroffene Wissen genutzt, überdacht oder mit anderem Wissen verknüpft wird, desto ‚besser‘ bleibt es in Erinnerung, da eine wiederholte Nutzung neuronaler Strukturen zu einer Stärkung der zugrundeliegenden synaptischen Verbindungen führt. So kann auf der einen Seite zu einem späteren Zeitpunkt leichter auf das Wissen zurückgegriffen werden, durch die Wiederholung des Erlernten ist es jedoch auch anfälliger dafür, mit Informationen angereichert und interpretiert oder an einigen Stellen modifiziert bzw. rekonstruiert zu werden. 41 Für das Abspeichern der autobiographischen Informationen und folglich das Erinnern an eigene Lebensepisoden ist demnach ein Zusammenspiel mehrerer Bereiche und ein Zusammenführen von Informationen aus verschiedensten Hirnregionen, vor allem des Neokortexes, des Hippocampus und der Amygdala im limbischen System nötig. 42 Erst dieses äußerst komplexe Gedächtnissystem ermöglicht uns die Erinnerung an Ereignisse, die uns widerfahren sind, und ihre Einbettung in einen eigenen Lebenskontext. Besonders gut werden dabei die Erinnerungen gespeichert, die initialisierend auftreten, wie der erste Urlaub, der erste Umzug oder aber auch traumatische bzw. sehr emotionale Erlebnisse. 43 25 2. Selbstzeugnisse aus Gefangenschaften und der Aussagewert von Erinnerungen S. 99; Martina W A G N E R -E G E L H A A F , Autobiographie (Sammlung Metzler 323), Stuttgart 2 2005, S. 87. 44 Jacques L E G O F F , Histoire et mémoire (Collection Folio / Histoire 20), Paris 1988; Janet C O L E M A N , Ancient and Medieval Memories. Studies in the Reconstruction of the Past, Cambridge 1992, https: / / doi.org/ 10.1017/ CBO9780511521331; Katharina S C H M I D T , Trauma und Erinnerung. Dissertation (Heidelberg transcultural studies volume 2), Heidelberg 2011; Patrick J. G E A R Y , Phantoms of Remembrance. Memory and Oblivion at the End of the First Millennium, Princeton, NJ 2 1996; Warum Menschen sich erinnern können. Fortschritte in der interdisziplinären Gedächtnisforschung, hrsg. v. Harald W E L Z E R / Hans J. M A R K O W I T S C H , Stuttgart 2006. 45 Maurice H A L B W A C H S , Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, Frankfurt am Main 1985; Maurice H A L B W A C H S , Das kollektive Gedächtnis, Frankfurt am Main 1991; einen guten Überblick zum Wirken und Werk von Maurice Halbwachs liefert E R L L , Gedächtnis (wie Anm. 36), S. 16-21. 46 Jan A S S M A N N , Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Iden‐ tität in frühen Hochkulturen, München 6 2007, vor allem S. 34-48, E R L L , Gedächtnis (wie Anm. 36), S. 30-36. Zuvor hatte Ende der 1970er bereits der Franzose Pierre Nora sein Konzept der Erinnerungsorte postuliert, die anstelle eines verschwindenden kollektiven Gedächtnisses treten können, um so einen Vergangenheitsbezug zwischen dem Geschehenen und dem Erinnerten schaffen zu können, siehe: Erinnerungsorte Frankreichs, hrsg. v. Pierre N O R A / Étienne F R A N Ç O I S / Michael B A Y E R , München 2005; vgl. auch Jan R U P P , Erinnerungsräume in der Erzählliteratur, in: Raum und Bewegung in der Literatur. Die Literaturwissenschaften und der Spatial Turn, hrsg. v. Wolfgang Auch die Geschichtswissenschaft hat sich in den letzten Jahren vermehrt der Frage nach der Leistung unseres Gedächtnisses und der Speicherung dessen, was erlebt wurde, angenommen. Wiederholt ist dabei die Frage nach der erlebten und der erzählten Wirklichkeit und etwa dem Nutzen von Selbstzeugnissen oder Zeitzeugeninterviews gestellt worden. 44 Relevanz erlangte in diesem Zusammenhang auch die Frage nach dem kollektiven Erinnern. Zentral für die Arbeiten zum Konzept des kollektiven Gedächtnisses sind die Werke des französischen Soziologen Maurice Halbwachs. 45 Er formulierte die Theorie des kollektiven Gedächtnisses innerhalb einer Gedächtnisgemeinschaft, in deren Rahmen sich die individuelle Erinnerung einbettet und so von diesem Erinne‐ rungskollektiv beeinflusst und herausgebildet wird. Dabei spielen für ihn vor allem die sozialen Bedingungen eine Rolle. Für Halbwachs wird die individu‐ elle Erinnerung nicht abgeschlossen in einem einzelnen Subjekt, sondern als Konstrukt mehrerer Individuen in einem gemeinsamen Austausch gebildet. Durch kommunikative Prozesse entsteht ein kollektives Gedächtnis - der soziale Bezugsrahmen kann also entscheidend die Erinnerung bestimmen. Der Einzelne besitzt ein individuelles Gedächtnis, das in der Kommunikation mit den anderen gebildet und von Wahrnehmungen und Beeinflussungen von außen geformt wird. Aufgegriffen und weiterentwickelt wurde Halbwachs’ Theorie unter anderem von Jan und Aleida Assmann. 46 Sie sehen im kollektiven Erinnern 26 EINLEITUNG Hallet/ Birgit Neumann, Bielefeld 2009, S. 181-194; E R L L , Gedächtnis (wie Anm. 36), S. 25-29. 47 P O H L , Gedächtnis (wie Anm. 36), S. 34f. So charakterisiert auch Ralph-Rainer Wuthenow die Unmittelbarkeit von Tagebucheinträgen: „Noch hat das Gedächtnis den Prozess der Auswahl und der Deutung nicht eingeleitet; noch fehlen die Kenntnisse über Folgen und Zusammenhänge, die in Memoiren und Autobiographien von einem späteren Wissen her und vielleicht wiederum auf diese hin erzählt werden, indem sie zugleich das vorher noch Aufgereihte und Ungeordnete der Alltagsnotiz gliedern und strukturieren - und es bewertbar machen.“ Ralph-Rainer W U T H E N O W , Europäische Tagebücher. Eigenart, Formen, Entwicklung, Darmstadt 1990, S. 50. 48 Sally A. M O O R E / Lori A. Z O E L L N E R , The Effects of Expressive and Experiential Suppres‐ sion on Memory Accuracy and Memory Distortion in Women with and without PTSD, in: Journal of Experimental Psychopathology 3 (2012), S. 368-392. Zum Vergessen aus literaturwissenschaftlicher und philosophischer Sicht grundlegend Harald W E I N R I C H , Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens (Beck’sche Reihe 1633), München 2005. 49 Pohl bringt an dieser Stelle unter anderem das Beispiel des vergessenen Namens eines Gegenübers, der uns förmlich auf der Zunge liegt, P O H L , Gedächtnis (wie Anm. 36), S. 39f. Über das Vergessen auch F R I E D , Schleier (wie Anm. 35), S. 112-115. zwei verschiedene Gedächtniskonzepte: Auf der einen Seite das kulturelle Gedächtnis, das sich in der Kommunikation der entwickelten Kultur zeigt, auf der anderen Seite das alltäglichere kommunikative Gedächtnis, welches eine vergegenwärtigte Vergangenheit umfasst. Unabhängig davon, ob das Erinnern als biologischer oder sozialer Prozess erklärt wird, bildet es die Grundlage für alle Selbstzeugnisse, mit denen sich der Historiker beschäftigt. Dabei ist einer der wichtigsten Faktoren die Zeit‐ spanne, die zwischen dem unmittelbar Erlebten und dem Zeitpunkt, an dem das Wissen hervorgehoben wird, vergangen ist. Allgemein kann beobachtet werden, dass die Länge des sogenannten „Retentionsintervalls“ (zwischen dem Zeitpunkt des Ereignisses und dessen Wiedergabe) mit der Nutzung von Rekonstruktionsleistungen des Gehirns korreliert, das jederzeit versucht, die noch vorhandenen Elemente des Erinnerns in eine logische Folge zu bringen und die fehlenden Strukturen aufzufüllen, indem es rekonstruiert oder unwichtigere Informationen tilgt. 47 Gleichzeitig können wir uns nicht darauf verlassen, dass einmal Angeeig‐ netes kontinuierlich abrufbar bleibt. Dabei gibt es verschiedene Formen des ‚Vergessens‘ und ‚Verdrängens‘. 48 Manchmal können wir uns schlicht an etwas nicht erinnern, weil der gegebene Hinweis einen falschen Reiz auslöst. Diese ‚neuronale Hemmung‘ schützt das Gehirn vor einer Überflutung. 49 Die zweite Form des Vergessens ist der Zerfall von Erinnerungsspuren. Je weniger wir eine Information benutzen, desto mehr kann sie verblassen. Dabei gilt, dass Informa‐ tionen, die am besten ‚eingeübt‘ werden, häufig besser abrufbar sind als weniger tief gespeicherte Erinnerungen. Schließlich kann es zwischen bereits Erlerntem 27 2. Selbstzeugnisse aus Gefangenschaften und der Aussagewert von Erinnerungen 50 Ausführlicher dazu P O H L , Gedächtnis (wie Anm. 36), S. 171-182; F I E D L E R , Dissoziative (wie Anm. 38), S. 96-106; E R L L , Gedächtnis (wie Anm. 36), S. 98; Dieter K U N Z K E / Frank G Ü L S , Diagnostik einfacher und komplexer posttraumatischer Störungen im Erwachse‐ nenalter. Eine Übersicht für die klinische Praxis, in: Psychotherapeut 48 (2003), S. 50-70, S. 65. 51 W E L Z E R , Gedächtnis (wie Anm. 39), S. 43. 52 Ingrid Aichinger schreibt dazu: „Immerhin ist mit einiger Wahrscheinlichkeit zu sagen, daß Schilderungen eines Autors von seinen Kriegserlebnissen, den Jahren der Gefangenschaft, Berichte diplomatischer Missionen und Gesandtschaften, von bemer‐ kenswerten Familienereignissen usw. gelegentlich aufschlußreiche autobiographische Dokumente sein können, aber doch immer nur einen relativ kurzen - wenn auch bedeutsamen - Abschnitt und keine Darstellung eines Lebens bieten.“ Ingrid A I C H I N G E R , Probleme der Autobiographie als Sprachkunstwerk (1970), in: Die Autobiographie. Zu Form und Geschichte einer literarischen Gattung, hrsg. v. Günter Niggl, Darmstadt 2 1998, S. 170-199, S. 176f. 53 Mit der Konstruktion eines Ichs in frühneuzeitlichen Selbstzeugnissen beschäftigt sich der Beitrag von Andreas R U T Z , Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion? Selbstzeugnisse als Quellen zur Erforschung des frühneuzeitlichen Menschen, in: <http: / / www.zeiten‐ und neu aufgenommenem Wissen zu Interferenzen kommen. So überlappen sich manchmal neue und alte Informationen und führen dazu, dass Erinnerungen miteinander vermengt werden. Allerdings geht die Forschung davon aus, dass vorhandenes Wissen nicht wirklich vergessen wird, sondern, dass aufgrund eines fehlerhaften Abrufreizes die Informationen nicht mehr wiederhergestellt werden können. Ein weiterer Aspekt sind sogenannte „Scheinerinnerungen“ bzw. das Erzeugen von falschen Erinnerungen (False-Memory-Phänomene) von außen: Neue Informationen erreichen das Gedächtnis und suggerieren ihm, eigene Erinnerungen zu sein, 50 oder es kommt zu Konfabulationen, die das Erlebte ohne das bewusste Wissen des Erzählers mit falschen Informationen anreichern. 51 Die Qualität der abgespeicherten Erinnerung kann also vor allem dann zum Problem werden, wenn sie erst Jahre später herangezogen werden kann, um Sachverhalte zu erläutern, wie dies gerade in Autobiographien, Memoiren oder anderen Erinnerungstexten und auch in den vorliegenden Gefangenschaftsbe‐ richten geschieht, die Jahre oder zumindest Monate nach der eigentlichen Gefangenschaft verfasst wurden. 52 Der zweite Punkt, der berücksichtigt werden muss, ist die Tatsache, dass der Autor das Ende seiner Erzählung bereits kennt und oftmals danach strebt, seinen Erlebnissen nachträglich Sinn zu vermitteln. Das Erzählte wird bewusst ausgewählt und in ein Gesamtkonzept eingefügt; anderes wird weggelassen, weil es sich nicht in die Struktur einfügen lässt, oder aufgrund schlechter Erinnerungsleistungen nicht mehr abrufbar ist. So begegnen wir in allen Selbstzeugnissen einem schreibenden Ich und nicht der unmittelbar erlebenden Person. 53 Dies muss bei der Analyse der vorliegenden 28 EINLEITUNG blicke.historicum.net/ 2002/ 02/ rutz/ index.html>, (abgerufen am 04.07.2018), vgl. auch F R I E D , Schleier (wie Anm. 35), S. 18. Allgemein zum Poststrukturalismus François D O S S E , Geschichte des Strukturalismus, Frankfurt am Main 1999; Stephan M O E B I U S , Die soziale Konstituierung des Anderen. Grundrisse einer poststrukturalistischen Sozialwissenschaft nach Lévinas und Derrida (Campus Forschung 834), Frankfurt/ Main, New York 2003; Stefan M Ü N K E R / Alexander R O E S L E R , Poststrukturalismus (Sammlung Metzler 322), Stuttgart 2000. Kritisch dazu u. a. Johannes A N G E R M Ü L L E R , Nach dem Strukturalismus. Theoriediskurs und intellektuelles Feld in Frankreich, Bielefeld 2007. Gegen die sinnstiftende Instanz des Autors wendet sich der poststrukturalistische An‐ satz von Roland Barthes und Michel Foucault, Roland B A R T H E S , Der Tod des Autors, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, hrsg. v. Fotis Jannidis/ Lauer Gerhard (Universal-Bi‐ bliothek 18058), Stuttgart 2000, S. 185-193; Michel F O U C A U L T , Was ist ein Autor? , in: Schriften zur Literatur, hrsg. v. Michel Foucault/ Daniel Defert/ François Ewald/ Jacques Lagrange/ Martin Stingelin (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1675), Frankfurt am Main 2003, S. 7-31. 54 Sabine S C H M O L I N S K Y , Sich schreiben in der Welt des Mittelalters. Begriffe und Konturen einer mediävistischen Selbstzeugnisforschung (Selbstzeugnisse des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit 4), Bochum 2012, S. 83-85. Ebenso können die Schilderungen durch einen Koautor oder einen Schreiber, dem das Erlebte diktiert wurde, verändert werden. 55 Sabine S C H M O L I N S K Y , Selbstzeugnisse im Mittelalter, in: Das dargestellte Ich. Studien zu Selbstzeugnissen des späteren Mittelalters und der frühen Neuzeit, hrsg. v. Klaus Arnold/ Sabine Schmolinsky/ Urs Martin Zahnd (Selbstzeugnisse des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit 1), Bochum 1999, S. 19-28, hier S. 25. Dem folgt auch Piller: „Selbstzeugnisse - vor allem Autobiographien und Tagebücher - werden gemeinhin als Formen der Selbstthematisierung und damit als Instrument der Individualisierung angesehen. Die Entstehung und stetige Zunahme von Selbstzeugnissen gelten zudem als Charakteristikum der Zeit zwischen dem 16. und - insbesondere - dem 18. Jahrhun‐ dert.“, in: Gudrun P I L L E R , Private Körper. Schreiben über den Körper in Selbstzeugnissen des 18. Jahrhunderts, in: Selbstzeugnisse in der Frühen Neuzeit. Individualisierungs‐ weisen in interdisziplinärer Perspektive, hrsg. v. Kaspar von Greyerz, München 2007, S. 45-60, hier S. 45. Texte immer mitberücksichtigt werden, und deshalb ist die Bewusstmachung von Problemen und Chancen der Selbstzeugnisforschung wichtig. 54 2.2. Auswahl der Selbstzeugnisse in der vorliegenden Untersuchung Unter den Terminus der Selbstzeugnisse fallen alle Schriftstücke, die autobio‐ graphischen Charakters sind und eine Quelle zu der Person darstellen, die sie verfasst hat. Sabine Schmolinsky definiert Selbstzeugnisse folgendermaßen: „Ein ‚Selbstzeugnis‘ ist eine Quelle mit selbstreferentiellem Bezug. Das bedeutet, daß zwischen Urheber(in) und Hauptgegenstand der Quelle Identität besteht, also eine Selbstthematisierung vorliegt.“ 55 29 2. Selbstzeugnisse aus Gefangenschaften und der Aussagewert von Erinnerungen 56 Alle genutzten Begrifflichkeiten sind jedoch neuzeitliche Bezeichnungen, so finden sich erst ab dem späten 18. Jahrhundert die Termini „Selbstzeugnis“, „Autobiographie“ und „Selbstbiographie“; Sabine S C H M O L I N S K Y , Selbstzeugnisse, in: Das dargestellte Ich (wie Anm. 55), S. 20f. Ein Forschungsüberblick bieten: Claudia U L B R I C H / Hans M E ‐ D I C K / Angelika S C H A S E R , Selbstzeugnis und Person - Transkulturelle Perspektiven, in: Selbstzeugnis und Person. Transkulturelle Perspektiven, hrsg. v. Claudia Ulbrich/ Hans Medick/ Angelika Schaser (Selbstzeugnisse der Neuzeit 20), Köln/ Weimar/ Wien 2012, S. 1-19 und Sabine S C H M O L I N S K Y , Selbstzeugnisse finden oder: Zur Überlieferung erinnerter Erfahrung im Mittelalter, in: Self-Fashioning. Personen(Selbst)darstellung, hrsg. v. Rudolf Suntrup/ Jan R. Veenstra (Medieval to early modern culture 3), Frankfurt am Main 2003, S. 23-49. 57 Jacob B U R C K H A R D T , Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch (Kröners Ta‐ schenausgabe 53), Stuttgart 12 2009. 58 Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Wilhelm Dilthey der Autobiographie einen herausragenden Platz als Quellenart eingeräumt; Wilhelm D I L T H E Y , Das Erleben und die Selbstbiografie (1906-1911), in: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Wilhelm Dilthey (Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften 7), Leipzig [u. a.] 7 1927, S. 191-204, hier S. 199. Zur Entwicklung der Forschung s. auch Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur, hrsg. v. Peter J. B R E N N E R , Frankfurt am Main 1989 oder Gunter S C H W E I K H A R T , Autobiographie und Selbstportrait in der Renaissance (Atlas 2), Köln 1998. 59 Georg M I S C H , Geschichte der Autobiographie, 4 Bde. Bern 1949, Frankfurt/ M. 1950- 1969; S C H M O L I N S K Y , Sich (wie Anm. 54), S. 38-44. Die volkssprachige Selbstbiographie ist für den deutschsprachigen Raum erst Ende des 14. Jahrhunderts fassbar, erlebte aber bereits im 15. und 16. Jahrhundert eine Blütezeit, vor allem im Adel und Bürgertum. Neben den Familienchroniken, die immer mehr Raum für einzelne biographische Darstellungen boten, kamen nun vermehrt auch reine Autobiographien auf, die sich aus vielen unterschied‐ lichen Gattungen und Interessengebieten speisten, wie aus den Reiseberichten, dem chronikalischen und genealogischen Schrifttum und den Handels- und Wirtschaftsbüchern. In der mediävistischen Forschung stellen Selbstzeugnisse eine vielseitig diskutierte Quellengattung dar, deren Spektrum immer mehr erweitert wurde. 56 Im Jahr 1860 hatte Jakob Burckhardt die These aufgestellt, dass die Entdeckung der Individualität in die italienische Renaissance des 15. Jahrhunderts falle. Ein Indiz, an dem er diese Beobachtung festmachte, war gerade das Aufkommen der autobiographischen und biographischen Schriften. 57 Georg Misch, ein Schüler Wilhelm Diltheys, 58 folgte der Überlegung, dass die Autobiographie als Aus‐ drucksmittel der entstehenden Individualisierung verstanden werden könne, und erfasste mit seinem vierbändigen Werk „Geschichte der Autobiographie“ die umfangreichste Darstellung autobiographischer Texte von der Antike bis in die Neuzeit. 59 So wirkmächtig die These Burckhardts in den folgenden Jahren für 30 EINLEITUNG 60 So verschieben neuere Publikationen die Entdeckung des ‚Ichs‘ ins 12. Jahrhundert; Giles C O N S T A B L E , Reformation of the Twelfth Century, Cambridge, New York 1998; Michael B O R G O L T E , Europa entdeckt seine Vielfalt 1050-1250 (Handbuch der Geschichte Europas UTB 2298), Stuttgart 2002, S. 345-347; Colin M O R R I S , The Discovery of the individual, 1050-1200 (Medieval Academy reprints for teaching 19), Toronto 1987; Steffen K R I E B , „Unnd maihne, das das kheinem ritter nie wiederfahren sey, als mir.“ Die Briefe Friedrichs von Flersheim als Selbstzeugnisse, in: Kommunikation mit dem Ich. Signaturen der Selbstzeugnisforschung an europäischen Beispielen des 12. bis 16. Jahrhunderts, hrsg. v. Heinz-Dieter Heimann/ Pierre Monnet/ Raphaela Averkorn, Bochum 2004, S. 135-146, S. 135. Heimann warnt jedoch davor: „mittelal‐ terliche Erscheinungsformen der Individualität nur als schlichte Vorläufer heutiger Individualität anzusprechen.“: Heinz-Dieter H E I M A N N , Kommunikationsgeschichte und Selbstzeugnisforschung. Einleitung, in: Kommunikation mit dem Ich. Signaturen der Selbstzeugnisforschung an europäischen Beispielen des 12. bis 16. Jahrhunderts, hrsg. v. Heinz-Dieter Heimann/ Pierre Monnet/ Raphaela Averkorn, Bochum 2004, S. 9-17, hier S. 13. 61 Die ‚Ego-Dokumente-Forschung‘ ist derzeit in vielfältigen Projekten als Ansatz gewählt worden und bewegt sich auf einem hohen theoretischen Niveau. Davon zeugen u. a. die im Jahr 2004 an der FU Berlin eingerichtete DFG-Forschergruppe „Selbstzeugnisse in transkultureller Perspektive“ oder der Forschungsschwerpunkt „Selbstzeugnisfor‐ schung, 1500-1800“ an der Universität Basel. 62 Winfried S C H U L Z E , Ego-Dokumente - Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung ‚Ego-Dokumente‘, in: Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte, hrsg. v. Winfried Schulze (Selbstzeugnisse der Neuzeit 2), Berlin 1996, S. 11-30, hier S. 21. Siehe auch: Kaspar von G R E Y E R Z , Deutsch‐ schweizerische Selbstzeugnisse (1500-1800) als Quellen der Mentalitätsgeschichte. Bericht über ein Forschungsprojekt, in: Das dargestellte Ich. Studien zu Selbstzeug‐ nissen des späteren Mittelalters und der frühen Neuzeit, hrsg. v. Klaus Arnold/ Sabine die Forschung blieb, sie ist in den letzten Jahren stark relativiert worden. 60 In den 1970er Jahren kam ein verstärktes Interesse an anthropologischen Fragestel‐ lungen auf und mit Hilfe von mikrogeschichtlichen und alltagsgeschichtlichen Fragestellungen wurde ab den 1980ern die Quellenbasis der Selbstzeugnisse systematisch zu erweitern versucht. Ausgehend von der niederländischen Sozialgeschichtsforschung entstand durch den Begriff der Ego-Dokumente eine Abgrenzung zur Selbstzeugnisforschung, die auch unfreiwillige Äußerungen einer Person berücksichtigt, welche durch die jeweiligen Umstände erhalten ge‐ blieben sind, wie z. B. Gerichtsakten oder Protokolle. 61 Anfang der 1990er Jahre definierte Winfried Schulze diese Quellengattung: „Gemeinsames Kriterium aller Texte, die als Ego-Dokumente bezeichnet werden können, sollte es sein, daß Aussagen oder Aussagepartikel vorliegen, die - wenn auch in rudimentärer und verdeckter Form - über die freiwillige oder erzwungene Selbstwahrneh‐ mung eines Menschen in seiner Familie, seiner Gemeinde, seinem Land oder seiner sozialen Schicht Auskunft geben oder sein Verhältnis zu diesen Systemen und deren Veränderungen reflektieren.“ 62 Gleichzeitig erfuhr diese Ausweitung 31 2. Selbstzeugnisse aus Gefangenschaften und der Aussagewert von Erinnerungen Schmolinsky/ Urs Martin Zahnd (Selbstzeugnisse des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit 1), Bochum 1999, S. 147-163, vor allem S. 150. 63 Vgl. dazu Martin S C H E U T Z , Frühneuzeitliche Gerichtsakten als „Ego-Dokumente“. Eine problematische Zuschreibung am Beispiel der Gaminger Gerichtsakten aus dem 18. Jahrhundert, in: Vom Lebenslauf zur Biographie. Geschichte, Quellen und Probleme der historischen Biographik und Autobiographik, hrsg. v. Thomas Winkelbauer (Schrif‐ tenreihe des Waldviertler Heimatbundes 40), Horn/ Waidhofen/ Thaya 2000, S. 99-134. 64 Auf die Fülle der Forschungsliteratur kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden; einige Beispielwerke seien jedoch angeführt: Winfried S C H U L Z E , Sozialgeschichte, All‐ tagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion, Göttingen 1994; Kommunikation mit dem Ich. Signaturen der Selbstzeugnisforschung an europäischen Beispielen des 12. bis 16. Jahrhunderts, hrsg. v. Heinz-Dieter H E I M A N N / Pierre M O N N E T / Raphaela A V E R K O R N , Bochum 2004; Das dargestellte Ich. Studien zu Selbstzeugnissen des späteren Mittelal‐ ters und der frühen Neuzeit, hrsg. v. Klaus A R N O L D / Sabine S C H M O L I N S K Y / Urs Martin Z A H N D (Selbstzeugnisse des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit 1), Bochum 1999; R U T Z , Ego (wie Anm. 53). 65 Gabriele J A N C K E , Jüdische Selbstzeugnisse und Ego-Dokumente der Frühen Neuzeit in Aschkenas. Eine Einleitung, in: Selbstzeugnisse und Ego-Dokumente frühneuzeitlicher Juden in Aschkenas. Beispiele, Methoden und Konzepte, hrsg. v. Birgit E. Klein/ Rotraud Ries/ Désirée Schostak (Minima Judaica 10), Berlin 2011, S. 9-26, hier S. 15. 66 W A G N E R -E G E L H A A F , Autobiographie (wie Anm. 43), S. 10-12; Stefan S C H R Ö D E R , Zwi‐ schen Christentum und Islam. Kulturelle Grenzen in den spätmittelalterlichen Pilger‐ berichten des Felix Fabri, Berlin 2009, S. 30f. Zum ‚autobiographischen Pakt‘: Philippe L E J E U N E , Der autobiographische Pakt (Edition Suhrkamp 896: Aesthetica), Frankfurt am Main 1994. der Quellen jedoch auch Kritik, vor allem durch die Nutzung unfreiwilliger Äußerungen der Individuen im Rahmen administrativer, jurisdiktioneller oder wirtschaftlicher Vorgänge. 63 In den letzten Jahren wurde vor allem die Einbindung der Selbstzeugnisse in ihren sozialen Rahmen untersucht. 64 Dazu bemerkt Gabriele Jancke: „Die Bedeutung der Selbstzeugnisse liegt also keineswegs in einer Geschichte der Individualisierung, sondern in einer Geschichte der Sozialität, in deren Rahmen die möglichen sozialen Räume für Individuen bereitgestellt oder verweigert, gestaltet und eingebunden werden. Diese Quellengruppe eröffnet einen Zugang zu den konkreten Ausprägungen von Sozialität in verschiedenen Gesellschaften und Gruppen. Dabei spielen soziale Netzwerke in der Selbstdarstellung eine zentrale Rolle.“ 65 Diese Selbstdarstellung des Autors muss beachtet werden, wenn nach der (dargestellten) Realität in den Selbstzeugnissen gefragt wird. 66 Selbstzeugnisse geben Auskunft über den Entwurf eines eigenen Ichs, mit seinen Lebenszielen und Anschauungen und ermöglichen so den Blick auf tradierte Wertemuster, Handlungs- und Wahrnehmungsräume sowie Lebenswelten be‐ stimmter sozialer Schichten oder Gruppen. 32 EINLEITUNG 67 Bei der Untersuchung ist darauf zu achten, dass Berichtszeit und Geschehenszeit streng abzugrenzen sind: F R I E D , Schleier (wie Anm. 35), S. 374. 68 Andreas Beriger sieht diese Schlüsselerlebnisse sogar häufig als den eigentlichen Ansporn eine Autobiographie zu verfassen: „Jede Autobiographie aus dem ausgehenden Mittelalter und der beginnenden Neuzeit kann auf ein Erlebnis zurückgeführt werden, das dem Leser oder dem Adressaten (kann auch der Autor selber sein) klarmachen will, daß der Autor vom Tod (oft auch im übertragenden Sinn vom ‚Sündentod‘) bedroht war und nur dank einer glücklichen, in der Theologie des Mittelalters natürlich einer göttlichen Fügung überlebt hat.“ Andreas B E R I G E R , Eine unglückliche Geschichte - die Autobiographie des Augustiner-Chorherrn Rutger Sycamber von Venray, in: Das dargestellte Ich. Studien zu Selbstzeugnissen des späteren Mittelalters und der frühen Neuzeit, hrsg. v. Klaus Arnold/ Sabine Schmolinsky/ Urs Martin Zahnd (Selbstzeugnisse des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit 1), Bochum 1999, S. 53-62, S. 55. Zur Schwierigkeit Autobiographien als eine einheitliche literaturwissenschaftliche Gattung festzulegen und die Notwendigkeit den Autor mit seiner Lebensgeschichte wahrzunehmen: W A G N E R -E G E L H A A F , Autobiographie (wie Anm. 43), S. 8f. 69 Problematisiert werden muss unter Umständen die Annahme der Freiwilligkeit bei den Quellen, die meist in Briefform, unmittelbar in der Gefangenschaft entstanden sind. Sie sollen jedoch zu den Selbstzeugnissen gezählt werden, da ein erzwungenes Verfassen der Briefe zunächst nicht ausgemacht werden kann. Folgt man der Definition Krusenstjerns der „Selbstthematisierung“ als Charakteristikum des Selbstzeugnisses, fallen alle untersuchten Quellen unter diese Definition, vgl. Benigna von K R U S E N S T J E R N , Was sind Selbstzeugnisse? Begriffskritische und quellenkundliche Überlegungen anhand von Beispielen aus dem 17. Jahrhundert, in: Historische Anthropologie. Kultur. Gesellschaft. Alltag 2 (1994), S. 462-471, hier S. 463. Noch einmal: Benigna von K R U S E N S T J E R N , Selbstzeugnisse der Zeit des Dreissigjährigen Krieges. Beschreibendes Verzeichnis, Berlin 1997, S. 18. Zur Problematisierung der Definition Krusenstjerns, s. Ralf P R Ö V E , Violentia und Potestas. Perzeptionsprobleme von Gewalt in Söldnertagebüchern des 17. Jahrhunderts, in: Ein Schauplatz herber Angst. Wahrnehmung und Darstellung von Gewalt im 17. Jahrhundert, hrsg. v. Markus Meumann/ Dirk Niefanger, Göttingen 1997, S. 24-42, hier S. 27. Grundlage der vorliegenden Untersuchung sind Selbstzeugnisse von Per‐ sonen, die in einem gewalttätigen Konflikt in Gefangenschaft gerieten. Oft war der Umstand der eigenen Gefangenschaft der ausschlaggebende Grund für das Verfassen der Schriften. Dabei sind ein Teil der Quellen wie Briefzeugnisse direkt aus der Gefangenschaftszeit erhalten, die meisten Selbstzeugnisse entstanden jedoch mit einem zum Teil erheblichen Zeitabstand zum Erlebten. 67 Allen genutzten Quellen gemein ist jedoch, dass die Gefangenschaft einen wichtigen oder sogar den zentralen Punkt der Beschreibung einnimmt und als einschnei‐ dendes Erlebnis für die eigene Person gewichtet wird. 68 Es werden soweit es möglich ist ‚freiwillige‘ Aussagen genutzt, da sie die Wahrnehmung des Individuums auf die eigene Gefangenschaft am besten widerspiegeln können. 69 Parallel werden, sofern vorhanden, weitere Quellen herangezogen, um das Wie‐ dergegebene zu ergänzen oder zu verifizieren. Der Zeitraum der Untersuchung 33 2. Selbstzeugnisse aus Gefangenschaften und der Aussagewert von Erinnerungen 70 Vgl. Einleitung Anm. 7. Diese Auswahl der Quellen bedeutet jedoch auch, dass viele reizvolle Quellen nicht in die Untersuchung integriert werden können. So wäre sicher‐ lich die Autobiographie der Doña Leonor López de Córdoba einschlägig sowie die des Alonso de Monroy, die beide in der Studie Raphaela Averkorns ausgewertet wurden und sich aufgrund der dort geschilderten Haftbedingungen für einen Vergleich angeboten hätten, Raphaela A V E R K O R N , Schreiben als Methode der Krisen- und Problembewälti‐ gung: Untersuchungen zu kastilischen „Ego-Dokumenten“ des 14. und 15. Jahrhunderts, in: Kommunikation mit dem Ich. Signaturen der Selbstzeugnisforschung an europäi‐ schen Beispielen des 12. bis 16. Jahrhunderts, hrsg. v. Heinz-Dieter Heimann/ Pierre Monnet/ Raphaela Averkorn, Bochum 2004, S. 53-98. Ebenso fallen Berichte aus dem Hundertjährigen Krieg nicht mit in die Auswahl. 71 Georgius D E H U N G A R I A / Reinhard K L O C K O W , Tractatus de moribus condictionibus et nequicia Turcorum. Traktat über die Sitten, die Lebensverhältnisse und die Arglist der Türken (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, 15), Köln 1993. 72 Arnulf N Ö D I N G , Kriegsgefangenschaft, in: In der Hand des Feindes (wie Anm. 5), S. 250f. beginnt 1395/ 1396, mit einer entführten Gesandtschaft aus Straßburg und der Gefangennahme Johannes Schiltberger in der Schlacht von Nikopolis, und endet 1555 mit dem Augsburger Religionsfrieden, der als Endpunkt der fürstlichen Gefangenschaft (s. Intrakulturelle Gefangenschaften) bezeichnet werden kann und auch das Jahr der Heimkehr Hans Stadens darstellt (s. Transkulturelle Gefangenschaften). Des Weiteren wird im Vorfeld eine Zweiteilung der Fallbeispiele vorge‐ nommen: In der ersten Gruppe, den intrakulturellen Gefangenschaften, werden Gefangenschaften im Reich untersucht, bei denen in Städtekriegen, Fehden oder Entführungen Individuen von christlichen Gegnern inhaftiert wurden; die Schauplätze der Gefangennahme sind allesamt im Reich anzusiedeln 70 ebenso wie der Entstehungsort der Quellen. In der zweiten Gruppe werden interbzw. transkulturelle Gefangenschaften behandelt, vornehmlich im osmanischen Reich, aber auch in der Neuen Welt. Dabei sind die Selbstzeugnisse der zweiten Untersuchungsgruppe ebenfalls von Personen verfasst worden, die aus dem Reichsgebiet kamen, oder es handelt sich um Werke, die im deutschsprachigen Raum breite Rezeption erfuhren, wie der „Tractatus de moribus, condictionibus et nequicia Turcorum“ 71 des aus Siebenbürgen stammenden Dominikaners Georg von Ungarn, der auch in deutscher Sprache gedruckt und unter anderem von Martin Luther herausgegeben wurde. Die Auswertung der Selbstzeugnisse soll die Untersuchung von Gefangen‐ schaften aus der Opfersicht heraus ermöglichen. Die Schilderungen in Chro‐ niken und anderen Quellen haben das Bild einer ‚ebenbürtigen Gefangenschaft‘ geprägt: 72 Adelige Kämpfer nahmen sich untereinander zwecks einer hohen Lösegeldzahlung auf Ehrenwort hin gefangen und behandelten den Unterle‐ genen seinem Stand entsprechend, auch aus dem Wissen heraus, selber einmal 34 EINLEITUNG 73 Vgl. dazu Bastian W A L T E R -B O G E D A I N , „Je l´ay pris, je l´ay pris“: Die Gefangennahme von Königen auf dem mittelalterlichen Schlachtfeld, in: Martin Clauss u. a. (Hgg.): Der König als Krieger. Zum Verhältnis von Königtum und Krieg im Mittelalter. Beiträge der Tagung des Zentrums für Mittelalterstudien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg (13.-15. März 2013), Bamberg 2015, S. 137-159. in die gleiche Situation gelangen zu können. Diese Schilderungen bergen die Gefahr der Romantisierung der Gefangenschaft. Sie ist besonders gegeben, wenn man ausschließlich Gefangenschaften hochadliger Persönlichkeiten be‐ trachtet, denen oftmals eine eigene Hofhaltung mit mehreren Bediensteten und ein angemessener Haftraum geboten wurde. Anders, so kann man zumindest vermuten, sah die Gefangenschaft ‚normaler‘ Kombattanten oder Angehöriger des niederen Adels aus. Die vorliegende Studie soll deshalb Selbstzeugnisse behandeln, die ausgehend von ‚einfachen‘ Kämpfern z. B. im Schwabenkrieg und ‚Nichtkombattanten‘, wie Gesandten oder Handelsreisenden, bis hin zu den beiden Kurfürsten nach dem Schmalkaldischen Krieg reichen, die zu Gefangenen des Kaisers wurden und von denen man ausgehen kann, dass sich ihre Gefangenschaft bereits deutlich von den anderen abhob. Damit wird ein Un‐ tersuchungsfeld geschaffen, das verschiedenen sozialen Stellungen Rechnung tragen soll, auch wenn einzelne Gruppen herausfallen: Die erste Einschränkung ist durch die Quellen bedingt, da die Selbstzeugnisse fast ausschließlich aus den höheren gesellschaftlichen Sozialgruppen stammen und die meisten Autoren schreibe- und lesekundig waren. Die unteren sozialen Gruppen bleiben in dieser Studie aufgrund der fehlenden Quellen stumm, nur am Rande wird ihr Schicksal thematisiert. Ebenso fehlen Gefangenschaften deutscher Könige und Kaiser, weil davon auszugehen ist, dass ihre Gefangenschaften einer eigenen Betrachtung bedürfen. 73 Die Quellen der Untersuchung besitzen keine formale Homogenität, es finden sich Bittbriefe, Reiseberichte und autobiographische Berichte zu den Erlebnissen der jeweiligen Gefangenschaft. Was alle Texte kennzeichnet, sind die folgenden Merkmale: - Es handelt sich um selbstständig verfasste oder diktierte Schriftstücke, auch wenn es in einzelnen Fällen, wie bei den Briefen aus dem Schwa‐ benkrieg, durchaus eine Zensur oder Einmischung der Gefangennehmer gegeben haben mag. - Der autobiographische Charakter ist in den vorliegenden Texten domi‐ nant. 35 2. Selbstzeugnisse aus Gefangenschaften und der Aussagewert von Erinnerungen 74 Die intertextuell aufeinander aufbauenden Schilderungen von kurzzeitigen Inhaftie‐ rungen, die vor allem in Pilgerberichten auftauchen, werden nicht herangezogen und sollen in einer eigenen Veröffentlichung behandelt werden (dazu gehören die Berichte von Hans Tucher, Sebald Rieter, Arnold von Harff, Daniel Ecklin sowie die Erwähnungen von Gefangenschaften bei Felix Fabri, Georg von Ehingen und Christoph von Tein). - Die Schilderung der Erlebnisse rund um die eigene Gefangenschaft nimmt den größten Raum der Erzählung ein. Eine reine Erwähnung der Gefangenschaft soll hier nicht ausreichen. 74 Die schreibenden Individuen verfolgten mit ihren Berichten unterschiedliche Ziele - sie baten um Unterstützung in ihrer Sache, strebten nach Gewinn durch die Publikation ihrer Erlebnisse oder danach, das Publikum zu unterhalten; manches Mal bleiben die Motivationen jedoch auch gänzlich verborgen. Die Aufgabe dieser Untersuchung ist es, herauszufiltern, von welchen Erfahrungen die Gefangenen berichten und wie sie die Gefangenschaftsräume erlebten. Neben der Darstellung der einzelnen Selbstzeugnisse werden deshalb zwei Untersuchungsfelder näher beleuchtet. Zum einen soll der räumliche Kontext der Gefangenschaft herausgearbeitet werden. Es geht um die Mechanismen der Gefangenschaften und ihre räumlichen Begebenheiten. Zum anderen werden die Quellen auf Äußerungen der Gefangenen zu ihren Erfahrungen, die sie in den Gefangenschaften machten und die sie mit ihrem Adressaten teilen wollten, untersucht. 3. Die Untersuchungsfelder Um den Raum der Unfreiheit und die geschilderten Erfahrungen in den Selbst‐ zeugnissen der Gefangenen im Folgenden bestimmen zu können, müssen Fragen und Hinweise der Raumwissenschaften und moderne Erkenntnisse der Psychologie im Hinblick auf die Quellen berücksichtigt werden. Deshalb werden an dieser Stelle die beiden Untersuchungsfelder der vorliegenden Studie näher beleuchtet. 3.1. Raumkonzepte der Gefangenschaft In den letzten Jahrzehnten wurde die Raumwissenschaft wieder verstärkt in das Blickfeld der Geschichtswissenschaft genommen. Interessant für diese Untersu‐ chung ist vor allem die Vorstellung eines „gelebten Raumes“ in Abgrenzung zum rein physisch-geometrischen Raumverständnis. Anfang des 20. Jahrhunderts 36 EINLEITUNG 75 Zitiert nach: Otto Friedrich B O L L N O W , Mensch und Raum, Stuttgart 1963, S. 20. 76 Grundlegend für das Begriffsverständnis des gelebten Raumes ist die Tatsache, dass Mensch und Raum unlösbar miteinander verknüpft sind. Otto Friedrich B O L L N O W , Mensch und Raum, Stuttgart 11 2010, S. 18-22. 77 Michel F O U C A U L T , Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main 1994. 78 Erving G O F F M A N , Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen, Frankfurt am Main 6 1986. 79 Foucault über Heterotopien: „Die Heteroropien setzen immer ein System von Öff‐ nungen und Schließungen voraus, das sie gleichzeitig isoliert und durchdringlich macht. Im allgemeinen ist ein heterotopischer Plan nicht ohne weiteres zugänglich. Entweder wird man zum Eintritt gezwungen, das ist der Fall der Kaserne, der Fall des Gefängnisses, oder man muß sich Riten und Reinigungen unterziehen. Man kann nur mit einer gewissen Erlaubnis und mit der Vollziehung gewisser Gesten eintreten.“ Michel F O U C A U L T , Andere Räume (1967), in: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Per‐ spektiven einer anderen Ästhetik; Essais, hrsg. v. Karlheinz Barck (Reclam-Bibliothek 1352), Leipzig 5 1993, S. 34-46, hier S. 44. Vgl. auch: Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch, hrsg. v. Stephan G Ü N Z E L , Stuttgart/ Weimar 2010, S. 130. 80 Pierre B O U R D I E U , Leçon sur la leçon, Paris 1982. Mehr zur Raumanalyse Bourdieus und einer möglichen Kritik, s. Markus S C H R O E R , Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums, Frankfurt am Main 2006, S. 82-106; auch bei Martina L Ö W , Raumsoziologie, Frankfurt am Main 2001, S. 179-183. schreibt unter anderem Hermann Minkowsky darüber: „Der Raum reduziert sich für uns nicht auf geometrische Beziehungen, die wir festsetzen, als wenn wir selbst, auf die einfache Rolle neugieriger oder wissenschaftlicher Zuschauer beschränkt, uns außerhalb des Raums befänden. Wir leben und handeln im Raum, und im Raum spielt sich ebenso sehr unser persönliches Leben ab wie das kollektive Leben der Menschheit.“ 75 Dieser subjektive, soziale Aspekt des Raumes bestimmt entscheidend die Idee des ‚gelebten Raumes‘. 76 Ende der 1960er Jahre kristallisierte sich ein verstärktes Interesse an geschlos‐ senen Orten heraus, das sich u. a. in den Arbeiten von Michel Foucault 77 und Erving Goffman 78 ausdrückt. Dabei rückten die sozialen Kräfteverhältnisse der Beteiligten in geschlossenen Räumlichkeiten in den Forschungsfokus. Michel Foucault formulierte die Annahme von räumlichen Heterotopien - Räume, die abgegrenzt in der Gesellschaft ihren eigenen Ordnungsprinzipien folgen. 79 Er untersuchte abgeschlossene Räume im ärztlichen Umfeld der Krankenhäuser, im Milieu der Psychiatrien und schließlich in der rechtstaatlichen Umgebung von Gefängnissen und Zuchthäusern. Ebenfalls als Ergebnis sozialer Aushand‐ lungsprozesse entwickelte Pierre Bourdieu ein Konzept des sozialen Raumes, in dem er den Zusammenhang von Macht und Raum vor allem im Spiegel sozialer Ungleichheit behandelt. 80 37 3. Die Untersuchungsfelder 81 An dieser Stelle wird auf eine umfassende Darstellung der Entwicklung zum spatial turn verzichtet. Es seien nur einige wichtige Stationen genannt. Ein umfangreiches und interdisziplinäres Handbuch zur Raumdebatte in den Kulturwissenschaften liefert G Ü N Z E L , Raum (wie Anm. 79); vgl. aber auch Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, hrsg. v. Jörg D Ö R I N G / Tristan T H I E L M A N N , Biele‐ feld 2008; Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, hrsg. v. Jörg D Ü N N E / Stephan G Ü N Z E L / Hermann D O E T S C H / Roger L Ü D E K E , Frankfurt am Main 2006; zur Bedeutung des spatial turn für die Kulturgeographie Julia L O S S A U , Räume von Bedeutung. Spatial turn, cultural turn und Geographie, in: Kommunikation - Gedächtnis - Raum. Kulturwissenschaften nach dem „Spatial Turn“, hrsg. v. Moritz Czáky/ Christoph Leitgeb, Bielefeld 2009, S. 29-43. Aus Sicht der Soziologie liefern einen umfassenden Überblick zur Raumdebatte S C H R O E R , Räume (wie Anm. 80), L Ö W , Raumsoziologie (wie Anm. 80). Ausgehend von einer Tagung im Kloster Schaan in Liechtenstein entsteht seit 2007 die Buchreihe „Geschlossene Häuser“, deren erster Band geschlossene Räume und ihre inneren Strukturen in Klöstern, Gefängnissen und Hospitälern untersucht, A M M E R E R , Orte (wie Anm. 21). Auch der Deutsche Historikertag 2004 in Kiel zum Thema „Kommunikation und Raum“ bezeugt dieses wiedererstarkte Interesse an historischen Raumanalysen. Zur Kritik am spatial turn s. Merlin A U S T E N , Dritte Räume als Gesellschaftsmodell. Eine epistemologische Untersuchung des Third‐ space (Studien aus dem Münchner Institut für Ethnologie 8), München 2014, 16-20. 82 Henri L E F E B V R E , The production of space. Donald Nicholson-Smith trans., Oxford/ Cam‐ bridge 1991; Jörg D Ü N N E , Übersetzung von Henri Lefebvre, Ausz. aus Kap. 1 von La production de l’espace, in: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, hrsg. v. Jörg Dünne/ Stephan Günzel/ Hermann Doetsch/ Roger Lüdeke, Frankfurt am Main 2006, S. 330-341. 83 G Ü N Z E L , Raum (wie Anm. 79), S. 91. Die vermehrte Auseinandersetzung der Wissenschaft mit dem Raum als Untersuchungsgegenstand führte Ende der 1980er Jahre zum sogenannten „spatial turn“, der auf der Annahme beruht, dass Raum nicht gegeben ist, sondern konstruiert wird. 81 Statt den Raum als einen natürlichen, physikalisch oder durch Wahrnehmungsbedingungen gegebenen ‚Behälter‘ zu betrachten, wird zunehmend untersucht, was ihn kulturell konstituiert und historisch verwandelt. Wegweisend zur menschlichen Produktion des Raumes gelten dabei die Überlegungen des französischen Philosophen und Soziologen Henri Lefebvre, der die menschliche Erschaffung von Raum auf drei Ebenen definiert. Er unterscheidet zwischen dem physikalischen Raum (l’espace perçu), den Repräsentationen eines Raumes, in denen es um das „Gedachte“ und „Mentale“ geht (l’espace conçu), und dem sozialen Raum (l’espace vécu), der von allen Teilnehmern subjektiv belebt und erlebt wird. Dabei stehen diese drei Ebenen in dialektischer Beziehung. 82 Lefebvre sieht den Raum als ein soziales Produkt, das produziert und belebt wird. 83 Weitergeführt wurde dieser Ansatz durch die Arbeit Edward Sojas, der sich sowohl auf die Überlegungen Foucaults und Homi 38 EINLEITUNG 84 Homi K. B H A B H A , The Location of Culture, London 2004, www.loc.gov/ catdir/ enhance ments / fy0668/ 2004018829-d.html. 85 Edward W. S O J A , Thirdspace. Journeys to Los Angeles and other Real-and-Imagined Places, Malden, Mass. 10 2007; weiterführend auch G Ü N Z E L , Raum (wie Anm. 79), S. 101; Jan E N G E L K E , Kulturpoetiken des Raumes. Die Verschränkung von Raum-, Text- und Kulturtheorie, Würzburg 2009, S. 39-59. 86 Selbstzeugnisse räumlich zu lesen ist für die Selbstzeugnisforschung jedoch ein noch recht ungewohnter Vorgang. Dies führte zu einer Tagung im März/ April 2006 in Berlin unter dem Titel: „Räume des Selbst - Transkulturelle Perspektiven der Selbstzeugnisforschung/ Spacing the Self - Transcultural Perspectives in Research on Self Narratives“ und einem daraus entstandenen Sammelband: Räume des Selbst. Selbstzeugnisforschung transkulturell, hrsg. v. Andreas B Ä H R / Peter B U R S C H E L / Gabriele J A N C K E (Selbstzeugnisse der Neuzeit 19), Köln/ Weimar/ Wien 2007. Zur experimentellen Herangehensweise der Tagung und der daraus resultierenden Beiträge s. Andreas B Ä H R / Peter B U R S C H E L / Gabriele J A N C K E , Räume des Selbst. Eine Einleitung, in: Räume des Selbst. Selbstzeugnisforschung transkulturell, hrsg. v. Andreas Bähr/ Peter Burschel/ Ga‐ briele Jancke (Selbstzeugnisse der Neuzeit 19), Köln/ Weimar/ Wien 2007, S. 1-12, S. 10f. Zur Lesart des Raumes im Mittelalter: Peter D I N Z E L B A C H E R , Raum. Mittelalter, in: Europäische Mentalitätsgeschichte. Hauptthemen in Einzeldarstellungen, hrsg. v. Peter Dinzelbacher (Kröners Taschenausgabe 469), Stuttgart 2 2008, S. 695-707. 87 Die Forschung geht davon aus, dass Erinnerungen auch immer räumlich gebunden werden. Wenn wir uns an ein Ereignis zurückerinnern, imaginieren wir auch immer einen vorgestellten Raum. Dieser Raum ist in unseren Gedanken noch einmal erlebbar und wird mehr oder minder zuverlässig in Korrelation zur ‚verfälschten‘ Erinnerung vor unserem inneren Auge wiederkehrend sichtbar, Aleida A S S M A N N , Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999. K. Bhabhas 84 als auch auf die Thesen Lefebvres stützt und vor allem anhand der Trialektik Lefebvres die Idee eines Thirdspace formulierte. 85 Die Thematik der geschlossenen Räume der Gefangenschaft wurde bisher jedoch vor allem anhand des Strafvollzuges und weniger an Fällen militärisch bedingter Gefangenschaften untersucht. Diese Studie hingegen soll sich den ‚abgeschlossenen Räumen‘ nach einer militärischen oder gewalttätigen Ak‐ tion widmen, die zur Gefangenschaft eines Individuums führten und danach fragen, wie sich die räumlichen und strukturellen Bedingungen der erlebten Gefangenschaft in den vorliegenden Zeugnissen niederschlugen. 86 Bei der Sicht auf die verschiedenen Formen von Gefangenschaften kann die Untersuchung des Raumes und seiner Determinanten helfen, die auftretenden Zustände der Unfreiheit sichtbar und bewertbar zu machen. Fest steht jedoch, dass wir nie dem wirklichen Raum begegnen, sondern nur dem noch erinnerten oder in diesem Moment abrufbaren Raumbild. 87 In der vorliegenden Untersuchung wird die Gefangenschaft als Grenzerfah‐ rung verstanden, die mit dem Moment der Gefangennahme eines Individuums eine neue Raumwirklichkeit schafft. Dem Gefangenen wird nicht nur seine 39 3. Die Untersuchungsfelder 88 Hartmut B Ö H M E , Himmel und Hölle als Gefühlsräume, in: Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle, hrsg. v. Claudia B E N T H I E N / Anne F L E I G / Ingrid K A S T E N (Literatur, Kultur, Geschlecht. Kleine Reihe 16), Köln 2000, S. 60-81, S. 60. 89 Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Petra Buchholz in ihrer Arbeit zu japanischen Kriegs‐ gefangenen, die 1949 von der Sowjetunion an die Volksrepublik China ausgeliefert und dort in Lagerhaft gesetzt worden waren, vgl. Petra B U C H H O L Z , Geständnisse japanischer Kriegsgefangener im geschlossenen Raum. Einsicht unter Zwang, in: Räume des Selbst. Selbstzeugnisforschung transkulturell, hrsg. v. Andreas Bähr/ Peter Burschel/ Gabriele Jancke (Selbstzeugnisse der Neuzeit 19), Köln/ Weimar/ Wien 2007, S. 197-216. Wehrhaftigkeit, sondern auch seine Freiheit auf Selbstbestimmung genommen. Er erlebt einen völlig neuen Raum mit fremdbestimmten Regeln und Begren‐ zungen. Diese neuen Räume und ihre Grenzen sind in jeder Gefangenschaft anders definiert und werden von jedem Individuum unterschiedlich wahrge‐ nommen. Dabei gilt, dass es neben dem realen Raum, in dem der Gefangene sich befindet, zugleich einen wahrgenommenen Raum der Gefangenschaft gibt, der nicht rein fiktiv oder imaginiert ist, da er mit dem realen Raum korrespondiert. Der „soziokulturell konstituiert und codierte“ 88 Raum der Gefangenschaft steht also in Wechselwirkung mit den Erfahrungen der Gefangenen und der Darstel‐ lung ihrer Erlebnisse in den vorliegenden Quellen. Mithilfe der Selbstzeugnisse sollen die grundlegenden Fragen nach der Bedeu‐ tung des Raumes für den gefangenen Menschen und seiner Beziehung zum Ort der Gefangenschaft, seiner Interaktionen innerhalb des Raumes und über verschie‐ dene Raumgrenzen hinweg sowie nach etwaigen Ordnungsprinzipien, die das menschliche Zusammenleben beeinflussen, beantwortet werden. Auf den ersten Blick scheint sich die Gefangenschaft in einem hermetisch abgeschlossenen Raum abzuspielen, in dem der Gefangene der Willkür des Inhaftierenden ausgesetzt ist. Der Raum wird von der Außenwelt bestimmt, das Individuum hat sich in der neuen Räumlichkeit zurechtzufinden und häufig wenige bis keine eigenen Möglichkeiten der Modifikation des Gefangenschaftsraumes. Doch spätestens mit der Kontaktaufnahme des Gefangenen, sofern diese ermöglicht wird, entstehen neue Verbindungen zur Außenwelt und es wird im besten Fall eine Rückkehr in alte Räume ermöglicht. In dieser Arbeit sollen daher zwei Raumbereiche behandelt werden. 1. Der neue Lebensraum: Welche Gefangenschaftsorte werden in den Selbst‐ zeugnissen beschrieben? Befindet sich der Gefangene alleine in einem Verlies oder teilt er sich mit mehreren Gefangenen einen Raum? Wie wird er behandelt und welche Einschränkungen muss er erleben? Kommt es zu Fluchtversuchen oder finden sich Anpassungsstrategien? Wie werden die Bedingungen der Haft wahrgenommen und erinnert? 89 Kann 40 EINLEITUNG der Gefangene die Grenzen durchbrechen und Kontakt zur Außenwelt aufnehmen? 2. Rückkehr in alte Räume: Wie wird die Gefangenschaft beendet? Welche Strukturen der Rückkehr werden genutzt (Lösegeldzahlungen, Gefange‐ nenaustausch, gewaltsame Befreiung, Flucht)? Wird im Selbstzeugnis etwas über die erneute Eingliederung in die alte Welt berichtet? Sind finanzielle Konsequenzen für den Gefangenen und seine Familie nach der Gefangenschaft festzustellen? Durch die Auswertung der Selbstzeugnisse der Gefangenen wird auf der einen Seite der unbekannte Raum der Gefangenschaft dargestellt, zum anderen werden die Erfahrungen, die die Autoren während ihrer Gefangenschaft in diesem Raum machten, aufgezeigt und mit den Bildern, die sie für ihre Leser nach außen transportieren, in Korrelation gesetzt. 3.2. Das Erfahren und Verarbeiten der Gefangenschaften Grundlegend wird angenommen, dass die Gefangenschaft eines Individuums von diesem als einschneidendes Erlebnis wahrgenommen wird und sich diese Erfahrungen auch in den selbstbezogenen Äußerungen der Autoren wider‐ spiegeln können. Es ist heutzutage unumstritten, dass der Freiheitsentzug gegen den Willen eines Menschen eine Veränderung seines Charakters und im schlimmsten Fall auch eine Traumatisierung seiner Persönlichkeit nach sich ziehen kann. Diese Traumatisierung kann sich in den unterschiedlichsten Formen und Ausprägungen manifestieren und das Lebens des Gefangenen, während und nach der Gefangenschaft, immer wieder beeinflussen. Einem Historiker, der sich mit den Quellen zu vergangenen Gefangenschaften, wie in dieser Untersuchung mit Selbstzeugnissen, beschäftigt, kommt deshalb die Aufgabe zu, widerspiegelnde Äußerungen in den Zeugnissen richtig zu lesen, vorhandene Ängste und Probleme der Gefangenen wahrzunehmen und diese sichtbar zu machen. Dabei sollen die Erkenntnisse der medizinischen und psycho‐ logischen Forschung dazu beitragen, die Selbstzeugnisse besonders sensibilisiert zu betrachten. Im Anschluss an die Skizzierung des Problems der posttraumatischen Störungen nach einem Extremerlebnis erfolgt die Vorstellung des zweiten Untersu‐ chungsfeldes der Arbeit (die Erfahrung der Gefangenschaft). 3.2.1. Das Trauma der Gefangenschaft und seine Folgen Gewalterfahrung und -anwendung bestimmten stets den Dienst der Soldaten. Die Kämpfenden, ob sie sich nun Soldaten, Ritter, Krieger oder Söldner nannten, waren den höchsten körperlichen und mentalen Belastungen ausgesetzt. Jederzeit 41 3. Die Untersuchungsfelder 90 „Von einem Trauma ist die Rede, wenn Erfahrungen angesichts ihrer extremen emotio‐ nalen Intensität nicht hinreichend verarbeitet, und d. h. narrativiert, werden können. Zu den Mechanismen traumatischer Erinnerungen gehören Verdrängung, Dissoziation von der Erfahrung bereits während der Enkodierung sowie die unfreiwillige und zwanghafte Reproduktion von sinnlichen Erinnerungsfragmenten“ (die sogenannten „flashbacks“), E R L L , Gedächtnis (wie Anm. 36), S. 98. 91 W E L Z E R , Gedächtnis (wie Anm. 39), S. 31. Ein paar Seiten später kommt er zu dem Befund, dass gerade traumatische Erlebnisse mehr montierte und konstruierte Erinnerungsstücke aufweisen würden als weniger belastende Erinnerungen, vgl. ebd., S. 39. 92 „Im Fall des Traumas wird eine lebensbedrohliche Situation und die darauf antwortende Reaktion repräsentiert, die für das Überleben wahrscheinlich funktional war. Nun kann das Besondere von traumatischen Erfahrungen darin liegen, daß sie sich bewußter Erinnerung und intentionaler Beeinflussung deswegen entziehen, weil sie im Moment ihrer Entstehung gar nicht erst in den für die Speicherung deklarativer Gedächtnisinhalte zuständigen Teil des Gedächtnissystems gelangen. Gleichzeitig sind sie aber präsent und verhaltensbestimmend, wenn auch auf eine dem Betroffenen nicht zugängliche Weise.“ W E L Z E R , Gedächtnis (wie Anm. 39), S. 62. 93 P O H L , Gedächtnis (wie Anm. 36), S. 75-78. Fiedler erklärt dies damit, dass durch die freigesetzten Stresshormone in vielen Fällen der Hippocampus und die Amygdala sehr gut miteinander arbeiten würden und so eine emotionale und kognitive Verarbeitung des Erlebten erleichtern würden. Gleichzeitig sei aber auch bei Traumapatienten eine Unmög‐ lichkeit der Erinnerung festgestellt worden, insbesondere dann, wenn der notwendige Erregungszustand nicht ausgelöst werden konnte, F I E D L E R , Dissoziative (wie Anm. 38), S. 94f. Erll betont dagegen, dass es durch Suggestivfragen und Falschinformationen auch zu „unzutreffenden Erinnerungen“ kommen kann, vgl. E R L L , Gedächtnis (wie Anm. 36), S. 98. war das ‚in den Kampf ziehen‘ begleitet von der Auseinandersetzung mit der eigenen physischen wie psychischen Integrität. Neben den Entbehrungen, die ein Kampfeinsatz mit sich bringen konnte, musste jeder Soldat mit der eigenen Angst und der eigenen Endlichkeit umgehen. Dies gilt auch in Ausnahmesituationen wie Gefangenschaften, die jeden Menschen, egal ob Kombattant oder Nichtkom‐ battant, vor individuelle und teils einschneidende Herausforderungen stellten. 90 Zwei Meinungen haben sich in der Forschung herauskristallisiert, wie trauma‐ tische Erlebnisse im Gedächtnis abgespeichert werden und inwieweit die Erinne‐ rungen die Erlebnisse wirklichkeitsgetreu wiedergeben. Harald Welzer widerspricht in seiner Studie zum kommunikativen Gedächtnis der Annahme einer besonders detailgetreuen Erinnerung eines traumatischen Erlebnisses. Nicht immer würden sich die Opfer an das erinnern, was ihnen faktisch passiert ist, sondern in vielen Fällen an das, wovor sie die größte Angst hatten (greatest fear vision). 91 Fest stünde, dass die Erlebnisse sehr oft eine Wirkung auf das Wohlbefinden der Person nach dem Ereignis hätten. 92 Andere Studien haben aufgezeigt, dass sich Menschen, die ein traumatisches Erlebnis erlitten haben, überdurchschnittlich gut daran erinnern konnten, auch wenn mehrere Details nach einiger Zeit weniger gut ins Gedächtnis gerufen werden konnten. 93 So äußert sich der Psychoanalytiker Werner Bohleber 42 EINLEITUNG 94 Werner B O H L E B E R , Editorial, in: Psyche 57 (2003), H. 9/ 10, Sonderheft: Vergangenheit in der Gegenwart. Zeit - Narration - Geschichte, S. 783-788, hier S. 786. Ebenso hält Johannes Fried fest, ein traumatisches Erlebnis könne „in einer Gedächtnis-Krypta seine ursprüngliche Gestalt bewahren. Doch blendet es anderes aus. Wiedererlebtes Entsetzen löst gleichartige Aktivitäten wie bei dem traumatischen Sinneseindruck selbst aus. […] Für das autobiogra‐ phische Gedächtnis spielt derartiges unzweifelhaft eine herausragende Rolle; es gestaltet seine Erinnerung. Doch auch der Allgemeinhistoriker hat die eigentümliche Selektivität und Gewichtung der Erinnerung zu beachten, will er Gedächtnisdaten verwerten, die durch traumatische Erlebnisse gezeichnet sind.“, F R I E D , Schleier (wie Anm. 35), S. 113. 95 „Traumatische Reaktionen treten auf, wenn Handeln keinen Sinn hat. Ist weder Widerstand noch Flucht möglich, ist das Selbstverteidigungssystem des Menschen überfordert und bricht zusammen. Die übliche Reaktion auf Gefahr ist sinnlos geworden, und jedes Element des komplexen Reaktionsgefüges besteht fort, meist in veränderter und übersteigerter Weise, noch lange nachdem die akute Gefahr vorüber ist.“ Judith Lewis H E R M A N , Die Narben der Gewalt. Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden, Paderborn 2003, S. 54f. Ähnlich formuliert es Max Michel: „Eine der Erkenntnisse der Selyischen Versuche ist unumstritten, nämlich die Tatsache, daß schwere Veränderungen entstehen können im Gesundheitsbild eines Menschen, falls die Alarmreaktion zu stark ist, zu lange dauert oder sich dauernd wiederholt und dabei der Adaptionsmechanismus zusammenbricht.“ Gesundheitsschäden durch Verfolgung und Gefangenschaft und ihre Spätfolgen, hrsg. v. Max M I C H E L , Frankfurt a. M. 1955, S. 48. Hans S E L Y E beschrieb in seiner Theorie von 1936 das Allgemeine Anpassungssyndrom (AAS), das er in drei Phasen (Alarmreaktion, Widerstandsphase und Erschöpfungsphase) gliederte, Hans Selye, The stress of life, New York [u. a.] 1978. Eine weitere Untersuchung von Spätfolgen traumatischer Ereignisse auf den menschlichen Körper liefert Wilhelm-Wolfgang H Ö P K E R , Spätfolgen extremer Lebensverhältnisse, Bonn 1982. zur Erinnerung an einschneidende Erlebnisse: „Kognitionswissenschaftliche Unter‐ suchungen von realen Traumen zeigen, daß Erinnerungen an psychische Traumen im allgemeinen dauerhaft und oft erstaunlich genau sind. Der innerste Kern der Erfahrung wird fast immer präzise erinnert, mögliche Gedächtnistäuschungen be‐ treffen in der Regel nur bestimmte Einzelheiten.“ 94 Mittlerweile geht die Forschung davon aus, dass aufgrund des immensen Stresses, der durch eine traumatische Erfahrung auftritt, Erinnerungen nicht als sensorische, kognitive und affektive Einheit, sondern als fragmentarische Erinnerungsspuren abgelegt werden (s. auch Kapitel 2.1.). In Momenten der Bedrohung mobilisieren Menschen ein ganzes Arsenal an Kräften, die ihnen zur Verteidigung oder Flucht verhelfen, jedoch auch unter unglücklichen Umständen zu traumatischen Reaktionen führen können. 95 Dabei sind die Reaktionen auf eine Bedrohung sehr unterschiedlich und eine Kategori‐ sierung des psychischen Traumas kann häufig nicht oder nur schwer getroffen werden. Selbst wenn zwei Menschen das gleiche Trauma erleben, werden sie nicht in der gleichen Form reagieren und auch die möglichen Folgeschäden können unterschiedlich sein. Trotzdem geht die Forschung davon aus, dass grund‐ 43 3. Die Untersuchungsfelder 96 Stefan P R I E B E / Marion N O W A K / Heinz-Peter S C H M I E D E B A C H , Trauma und Psyche in der deutschen Psychiatrie seit 1889, in: Psychiatrische Praxis 29 (2002), S. 3-9, S. 6. Bei Kunzke finden sich folgende Wahrscheinlichkeiten für eine PTSD: nach Gewaltverbrechen erkranken ca. 25 % der Opfer, 20 % der Soldaten nach Kriegseinsätzen und die Wahr‐ scheinlichkeit nach einer politischen oder militärischen Gefangenschaft liegt bei 50-70%, K U N Z K E / G Ü L S , Diagnostik (wie Anm. 50), S. 51. Dabei habe jeder Mensch, so Hermans, seine eigene Grenze, bei deren Überschreitung er breche. Einige wenige Individualisten seien nahezu unverwundbar. Für diese kleine Gruppe gelte jedoch ein Grundsatz: „Besonders belastbare Menschen sind überdurchschnittlich kommunikativ, bewältigen Anforderungen reflektiert und aktiv und sind in hohem Maße davon überzeugt, ihr Schicksal meistern zu können.“ Daneben konnte beobachtet werden, dass Menschen, die in Extremsituationen ein soziales Netz suchen, weitaus besser davor geschützt waren nach der Extremsituation posttraumatische Belastungsstörungen auszubilden, H E R M A N , Narben (wie Anm. 95), S. 86f. Vgl. auch Hans N E U M A N N , Über reaktive Seelenstörungen in der Kriegsgefangenschaft: Psychologische und psychopathologische Erfahrungen in englischer Kriegsgefangenschaft, unter Berücksichtigung der Heimkehrersituation. Ein Beitrag zur Psychopathologie der Massenhaft, Göttingen 1953, S. 4. 97 Unmittelbar während eines Traumas oder danach auftretende Veränderungen: Michael E R M A N N , Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Ein Lehrbuch auf psychoanaly‐ tischer Grundlage, Stuttgart 5 2007, S. 148. 98 F I E D L E R , Dissoziative (wie Anm. 38), S. 84; zum expliziten und impliziten Gedächtnis s. ebd., S. 77-79. 99 K U N Z K E / G Ü L S , Diagnostik (wie Anm. 50), S. 51. Für die breite Bevölkerung in Deutschland ist dieses Thema vor allem im Zuge der Bundeswehreinsätze im Kosovo im Rahmen der KFOR-Mission und in Afghanistan bekannt geworden. Seit Dezember 2001 sind deutsche Soldaten innerhalb der International Security Assistance Force (ISAF) am Hindukusch stationiert. Untersuchungen an Soldaten, die in Kunduz stationiert waren, zeigen ein 6bis 10-fach erhöhtes Risiko für Soldaten im Auslandseinsatz an einer PTBS zu erkranken. An der Diagnose der PTBS wird Kritik geübt, manchen Ärzten und Psychologen geht die Diagnose zu weit und man beanstandet die traumaübergreifende Diagnose, die den einzelnen Traumata nicht gerecht werde, vgl. P R I E B E / N O W A K / S C H M I E D E B A C H , Trauma (wie Anm. 96), hier S. 6; Hans-Ulrich W I T T C H E N , Traumatic experiences and posttraumatic stress disorder in soldiers following deployment abroad: how big is the hidden problem? , in: Deutsches Ärzteblatt International 109 (2012), S. 559-568, G O L T E R M A N N , Gesellschaft (wie Anm. 16), S. 425. sätzlich jeder Mensch nach einem Trauma an einer posttraumatischen Störung erkranken kann. 96 Während unter normalen Umständen das emotionale und das kognitive Gedächtnis gleichzeitig arbeiten und miteinander agieren, kann es bei traumatischen Situationen dazu kommen, dass das explizit-kognitive und das implizit-emotionale Gedächtnissystem unabhängig parallel voneinander arbeiten und so zum Auslöser peritraumatischer Reaktionen 97 werden können. 98 Es kann zu einer somato-psychischen Störung, einer posttraumatischen Belastungsstörung (kurz PTBS oder PTSD) der Betroffenen kommen. 99 44 EINLEITUNG 100 Unterteilt werden die Krankheitsfälle in Typen: Typ I beschreibt Traumata nach einer kurzandauernden, heftigen Traumatisierung, wie Naturkatastrophen oder Unfälle; der TYP-II-Begriff bezeichnet Traumatisierungen langandauernder und komplexer Art, wie langjährigen Kindesmissbrauch, Gefangenschaften, Folter oder Fluchterfahrungen, K U N Z K E / G Ü L S , Diagnostik (wie Anm. 50), S. 52. Aufgrund von auftretenden Härtefällen in der Praxis wird der Begriff „komplexe PTSD“ neben den beiden Typen genutzt, um besonders extreme Störungsbilder zu beschreiben, vgl. ebd., S. 53-55. 101 Das vegetative Nervensystem teilt sich in sympathisches und parasympathisches Nervensystem. Eine neuronale oder hormonelle Hochregulierung des sympathischen Nervensystems geht mit typischen Stresssymptomen einher (Pupillenweitung, stei‐ gendes Herzzeitvolumen, Weitung der Blutgefäße in der Muskulatur, während sich die Blutgefäße in den Verdauungsorganen verengen etc.), die evolutionsgeschichtlich zu einer Steigerung der Selbstverteidigungs- oder Fluchtfähigkeit geführt haben (flight or fight), Paul J. L U C A S S E N / Jens P R U E S S N E R / Nuno S O U S A , Neuropathology of stress, in: Acta Neuropathologica 127/ 1 (2014), S. 109-135; Adrian M. S T A N K I E W I C Z / Artur H. S W I E R G I E L / Pawel L I S O W S K I , Epigenetics of Stress Adaptations in the Brain, in: Brain Research Bulletin 98 (2013), S. 76-92. 102 Eine mögliche Erklärung dafür könnte in einer Veränderung des zentralen Nervensys‐ tems liegen. Anhand von Tierversuchen konnten Wissenschaftler nachweisen, dass sich Gedächtnisspuren bei einer hohen „Konzentration von Adrenalin und anderen Stress‐ hormonen im Blut stärker einprägten.“, vgl. P R I E B E / N O W A K / S C H M I E D E B A C H , Trauma (wie Anm. 96), S. 6. 103 H E R M A N , Narben (wie Anm. 95), S. 65. Judith Lewis Herman unterteilt posttraumatische Störungen in drei große Symptomkategorien. 100 Die erste Kategorie ist die ‚Überregung‘; der ständige Alarmzustand des Körpers wird auch nach Beendigung der Gefahr aufrechter‐ halten und der Erregungszustand nimmt nicht ab. Es scheint, als würde das vegetative Nervensystem dauerhaft stimuliert werden. 101 Einhergehend mit der ständigen Alarmbereitschaft finden sich Symptome wie Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit und Schlafstörungen. Die zweite Oberkategorie ist die ‚Intrusion‘, bei der der Traumatisierte das Erlebte in Alpträumen oder in real empfundenen Rückblenden immer wieder erlebt. 102 Es wird vermutet, dass das Wiedererleben der Situation(en) eine Gelegenheit bietet, das Trauma zu verarbeiten und schließlich bewältigen zu können. Da sich die Opfer gerade vor diesem erneuten Erleben fürchten, wird jeder Versuch unternommen, intrusive Symptome ab‐ zublocken. Dadurch verschärft sich häufig die Störung, auch weil sich die Betroffenen aus ihrer sozialen Umwelt zurückziehen. 103 Die ‚Konstriktion‘ ist die dritte Kategorie, die den Zusammenbruch des Selbstverteidigungssystems beschreibt. Eine Gefahrensituation löst eine Erstarrung, eine distanzierte Ruhe aus, die eine Wahrnehmungsveränderung signalisiert. Das Trauma ist so stark und bedrohend, dass Gefühle vom restlichen Empfinden abgespalten werden. Es kommt zu emotionaler Betäubung oder einer Passivität, die als innere Lähmung empfunden wird. Jede Bereitschaft zum Kampf oder zu einer eigenen 45 3. Die Untersuchungsfelder 104 Ebd., S. 65-67. Herman beschreibt diese Veränderung der Wahrnehmung mit dem Zustand der Hypnose und weist auf die Parallele hin, auf diesem Weg auch das Schmerzempfinden auszuschalten. 105 Ebd., S. 69f. Eine Auflistung der Basissymptome einer PTSB findet sich auch bei Kunzke/ Güls, Diagnostik (wie Anm. 50), S. 52. 106 H E R M A N , Narben (wie Anm. 95), S. 110f. Durch die Todesangst soll in vielen Fällen auch ein Gefühl der Dankbarkeit des Opfers dem Inhaftierenden gegenüber ausgelöst werden, der es am Leben erhält und den Täter schließlich als Retter betrachtet. 107 Dazu gehört auch die immense Bedeutung von „Erinnerungsstücken“, die in die Haft mitgenommen werden konnten und dort oftmals penibel bewacht werden, H E R M A N , Narben (wie Anm. 95), S. 114-116. Initiative geht dem Opfer verloren. 104 Konstriktive Symptome und intrusive Symptome bedingen sich dabei häufig gegenseitig. Während die Konstriktion das Schreckliche vom normalen Bewusstsein fernhält, werfen intrusive Symp‐ tome immer wieder ein ungewolltes Schlaglicht auf das Trauma und kehren als fragmentarische Erinnerungen zurück. 105 Als eines der Ereignisse, die ein Trauma hervorrufen können, wird auch die Gefangenschaft, gerade wenn sie länger andauert, gewertet. In der Gefangen‐ schaft - gleich wie sie sich räumlich oder rechtlich gestaltet - ordnen sich die Gesetzmäßigkeiten für den Inhaftierten neu. Der ‚Täter‘ oder Gegner, der der Person habhaft wird, wird nun zu einer wichtigen Instanz im eigenen Dasein. Sein Willen und seine Regeln bestimmen den neuen Alltag und nicht selten wird der Unterdrücker zum wichtigsten Menschen im Leben des Eingesperrten. Die Ansichten und Handlungsweisen des Überlegenen werden bedeutsam und tangieren die Psyche des Opfers. Dabei kann der Gefangene durch verschiedene Methoden willkürlich anmutender psychischer und physischer Unterdrückung beherrscht und in Angst und Hilflosigkeit versetzt werden. In vielen Fällen muss allerdings so gut wie keine aktive physische Gewalt vom Gefangennehmer angewendet werden, denn allein die Möglichkeit ihres Gebrauchs lässt das Opfer in ständiger Angst leben. Unkontrollierte Gewaltausbrüche oder Drohungen können jedoch den Gefangenen unter einen enormen Druck setzen und das Ge‐ fühl des Ausgeliefertseins und der Über- oder Allmacht des Gefangennehmers stärken. 106 Ebenso wichtig wie die innere Haltung des Inhaftierten während der Zeit in Unfreiheit ist der Kontakt zur Umwelt außerhalb der eingegrenzten Umgebung, der häufig die wichtigste Brücke des Gefangenen zu seinem alten Leben darstellt, in das er unter allen Umständen zurückkehren will. Jede Störung oder jeder Abbruch der Verbindungen nach außen, wie ein Nichtbeantworten von Briefen, wird als großer Verlust registriert. 107 Kommt es gar zu einer Isolation des Gefangenen, stellt diese fast immer einen problematischen Faktor der 46 EINLEITUNG 108 Ebd., S. 116f. 109 F I E D L E R , Dissoziative (wie Anm. 38), S. 6.; P O H L , Gedächtnis (wie Anm. 36), S. 201-213. Eine Definition dissoziativer Störungen ist bei Fiedler zu finden: „Die Dissoziation kann als eine mehr oder weniger strukturierte Separation mentaler Prozesse aufgefasst werden, die zuvor in die ganzheitliche Wahrnehmung integriert waren. Sie kann eine extreme Spannbreite unterschiedlicher Phänomene einschließen.“, F I E D L E R , Dissoziative (wie Anm. 38), S. 54. Kunzke nennt noch verschieden Störungen, wie die dissoziative Amnesie, die dissoziative Fugue oder Identitätsstörungen, K U N Z K E / G Ü L S , Diagnostik (wie Anm. 50), S. 57. 110 Anhand der Strategien ist es ihnen möglich durch Bewusstseinsveränderungen oder Verleugnungen das eigene Ich zu schützen, während man sich den Gedanken, Werten und politischen Ideen der gegnerischen Seite ausgesetzt sah. Manche Gefangenen schaffen es dabei in ihrer Bewusstseinserweiterung bis hin zu einem Trancezustand, in dem auch Hunger und Schmerz ausgeschaltet werden können, H E R M A N , Narben (wie Anm. 95), S. 124. 111 H E R M A N , Narben (wie Anm. 95), S. 87. Gefangenschaft dar. Vor allem in längeren Gefangenschaften, die isoliert von der gewohnten Alltagswelt und in ständiger Todesgefahr stattfinden, kann es zu einer Bindung des Gefangenen an seinen Gefangennehmer kommen, bis hin zur Identifizierung des Opfers mit dem Täter. Dies ist einer der Gründe, warum oftmals beobachtet werden kann, dass ehemalige Geiseln sich nach ihrer Befreiung für die Täter einsetzen oder sie im Gefängnis besuchen. 108 Das Schmieden von Zukunftsplänen oder eine Vorstellung von einem mögli‐ chen Leben nach der Gefangenschaft verschwindet bei längeren Haftdauern fast völlig. Wichtiger sind die kleinen Pläne und Aktionen während der Inhaftierung. Man lebt in engeren Grenzen und muss nach der Befreiung erst wieder ‚lernen‘ mit der wiedererlangten Weite der Freiheit umzugehen. Die chronischen Schädi‐ gungen, die diese Menschen aufgrund ihrer langjährigen Gefangenschaft häufig erlitten haben, lässt auch nach Erlangung der Freiheit den alten Grundzustand von Ruhe und Entspanntheit nicht mehr zu. Viele ehemaligen Gefangenen leiden oftmals an somatischen Störungen, wie Ruhelosigkeit und Unruhe. Akute Belastungsstörungen, die innerhalb eines Monats nach dem traumatischen Er‐ lebnis auftreten, werden vielfach von extremen Angstsymptomen oder weiteren dissoziativen Störungen begleitet. 109 Oftmals wenden Gefangene auch nach ihrer Befreiung Rückzugsstrategien und Anpassungsmechanismen an, die sie während ihrer Gefangenschaft nutzten, um zu überleben. 110 Als geeignete Maßnahmen, mit dem Erlebten psychisch gut umgehen zu können, gelten eine gute Kommunikationsfähigkeit, ein aktives Bemühen Lö‐ sungen für die Situation zu finden, die Nutzung sozialer Netze sowie das Bewusstsein einer „inneren Steuerungsinstanz“. 111 Ein wichtiges Ergebnis der Forschungen zu posttraumatischen Störungen waren die übereinstimmenden 47 3. Die Untersuchungsfelder 112 Ebd., S. 88f. 113 F I E D L E R , Dissoziative (wie Anm. 38), S. 326. 114 Eine wichtige Rolle spielt hierbei die kulturell bedingte Reaktion der sozialen Umwelt auf die Erzählung des Erlebten. Die Forschung ist sich nicht mehr so sicher, ob die externe Deklaration eines Geschehnisses als „potentiell traumatisierend“, z. B. durch psychologische Teams nach einem Terrorangriff, sinnvoll ist. Es scheint tatsächlich keine objektivierende Korrelation zwischen dem Ausmaß eines Traumas und dem Ausmaß der Traumatisierung zu geben - vielmehr beeinflussen individuelle Ressourcen sowie die Bewertung des externen Umfelds die Verarbeitung des Erlebten, Laurence M I L L E R , Psychological interventions for terroristic trauma: Symptoms, syndromes, and treatment strategies, in: Psychotherapy: Theory, Research, Practice, Training 39/ 4 (2002), S. 283-296; Daniela A M I T A L / Howard A M I T A L , Resilience emotions and acute stress reactions in the population of Dimona and the general population of Israel two days after the first suicide bombing attack in Dimona, in: Israel Medical Association Journal Vol. 14 (2012), S. 281-285. 115 H E R M A N , Narben (wie Anm. 95), S. 133. Aussagen von Opfern, die ihre gefährliche Situation überlebt und ihr halbwegs unbeschadet entkommen waren, man habe Glück gehabt. Diese Menschen waren sich der Möglichkeit eines viel dramatischeren Ausgangs ihrer Ge‐ schichte bewusst und schätzten sich selbst begünstigt, dank einer glücklichen Fügung überlebt zu haben. 112 In der Therapie traumatisierter Patienten wird neben Gesprächstherapien, therapeutisch-technischen Methoden, wie der Hyp‐ nose und weiteren Ansätzen, um einen weniger belastenden Umgang mit dem Erlebten zu habituieren und das Erlebte schließlich in das Selbstkonzept zu integrieren, auch das Führen und Nutzen von Tagebüchern, also das schriftliche Fixieren der Vergangenheit empfohlen. Dabei gilt das eigene Niederschreiben von erlebtem Leid als ein wirksames und notwendiges Standbein der Therapie. 113 Neu überdacht und beurteilt werden müssen auch die zwischenmenschlichen Beziehungen des ehemals Gefangenen. Wurde das alte Selbstbild durch das Traume zerrüttet, muss ein neues Selbstbild geschaffen und die Menschen des eigenen Umfelds neu eingeordnet und bewertet werden. Häufig ziehen sich Gefangene in Schweigen zurück, unfähig sich mitzuteilen und die Außenwelt an ihrem Inneren teilhaben zu lassen. 114 Es kann zu einer Depression kommen, die darin wurzelt, dass sich der Gefangene von seiner Umwelt und in einigen Fällen auch von Gott und seinem Glauben verlassen fühlt. 115 Bei all den bedenkenswerten Ansätzen und Überlegungen zur Traumatologie bleibt die Schwierigkeit der Umsetzung dieser Ergebnisse für den Historiker. Problematisch sind die Erkenntnisse für die Geschichtswissenschaft, weil das Konstrukt des ‚Erinnerns‘ Teil der Überlegung und für die Auswertung histori‐ scher Quellen, deren Urheber nicht mehr zu ihren Erlebnissen befragt werden können, relevant ist. Trotzdem sollen, auch wenn wir das Trauma-Konzept nicht 48 EINLEITUNG 116 Reinhart K O S E L L E C K , „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“ - zwei historische Kategorien, in: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, hrsg. v. Reinhart Koselleck (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft), 1989, S. 349-375, hier S. 354. 117 Ebd., S. 351. 118 Eine gute Übersicht zur Forschung aus der Geschichtswissenschaft und der Sozialwis‐ senschaft bietet Paul Münch, Einleitung, in: „Erfahrung“ als Kategorie der Frühneuzeit‐ geschichte, hrsg. v. Paul M Ü N C H (Historische Zeitschrift Beihefte N. F., 31), München 2001, S. 11-27, hier S. 15. 119 Klaus L A T Z E L , Vom Kriegserlebnis zur Kriegserfahrung. Theoretische und methodische Überlegungen zur erfahrungsgeschichtlichen Untersuchung von Feldpostbriefen, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 56 (1997), S. 1-30, hier S. 14. auf die vorliegenden Quellen anwenden können, die Selbstzeugnisse mit Hilfe der psychiatrischen und medizinischen Erkenntnisse auf eventuell versteckte Hinweise der Gefangenen zu Folgen der eigenen Gefangenschaft gelesen und gegebenenfalls ausgewertet werden, um den Erfahrungen der Individuen näher zu kommen. 3.2.2. Die Erfahrung der Gefangenschaft Obwohl eine diagnostische Untersuchung zu erlittenen Traumata anhand von Selbstzeugnissen des ausgehenden Mittelalters nicht möglich ist, sollen die Quellenbeispiele sehr genau daraufhin gelesen werden, welche Erlebnisse und Begebenheiten die größten Spuren in der Wahrnehmung der Gefangenen hinterlassen haben und welche Erfahrungen und psychischen Schwierigkeiten aus ihren Schilderungen herausgefiltert werden können. Ähnlich wie der Begriff des Raumes, muss auch die ‚Erfahrung‘ als Begriff eingeordnet werden, da sie an sich zunächst nicht mehr als eine formale Kategorie ist. Reinhart Koselleck definiert Erfahrung als „gegenwärtige Vergangenheit, deren Ereignisse einver‐ leibt worden sind und erinnert werden können. Sowohl rationale Verarbeitung wie unbewusste Verhaltensweisen, die nicht oder nicht mehr im Wissen präsent sein müssen, schließen sich in der Erfahrung zusammen. Ferner ist in der eigenen Erfahrung, durch Generationen oder Institutionen vermittelt, immer fremde Erfahrung enthalten und aufgehoben.“ 116 So sei Geschichte auch durch die Erfahrung und Erwartungen der handelnden Akteure definiert worden. 117 In der Geschichtswissenschaft ist der Begriff der Erfahrung seit den 1980er Jahren verstärkt in den Fokus gerückt. 118 Im Zuge der Untersuchungen von Selbstzeugnissen der beiden Weltkriege sind zahlreiche Studien entstanden, so auch die Untersuchung Klaus Latzels, der den Erfahrungsbegriff für die Geschichtswissenschaft maßgeblich mitgeprägt hat. Für ihn sind Erfahrungen gelungene Auslegungen eines passiven oder aktiven Erlebnisses. 119 Das er‐ 49 3. Die Untersuchungsfelder 120 Bilanzierend zum SFB mit einer sehr guten Bibliographie Georg S C H I L D / Dietrich B E Y R A U , Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit. Neue Horizonte der Forschung (Krieg in der Geschichte), Paderborn 2009. 121 Nikolaus B U S C H M A N N / Horst C A R L , Zugänge zur Erfahrungsgeschichte des Krieges. Forschung, Theorie, Fragestellung, in: Die Erfahrung des Krieges. Erfahrungsgeschicht‐ liche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg, hrsg. v. Nikolaus Buschmann/ Horst Carl (Krieg in der Geschichte 9), Paderborn/ Mün‐ chen 2001, S. 11-26, S. 15f. 122 Ebd., S. 18. 123 Ebd. Dabei gilt jedoch auch immer die Veränderbarkeit von Erfahrungen, s. ebd., S. 19. So auch Becker, „Erfahrungen stehen in einem dialektischen Verhältnis zwischen handelndem Subjekt und objektiver Wirklichkeit. Die soziale Welt konstituiert sich zum einen aus den subjektiven Erfahrungen ihrer Akteure, die in einem fortlaufenden Ver‐ arbeitungsprozeß Wahrnehmungen, Deutungen und Handlungen koordinieren. Diese akteurszentrierten Erfahrungen finden aber zum anderen eine gesellschaftliche Begren‐ zung durch soziokulturell objektivierte Deutungskategorien wie Sprache, Institutionen, soziale Rollen und Traditionen“, Ernst Wolfgang B E C K E R , Zeiterfahrungen zwischen Revolution und Krieg. Zum Wandel des Zeitbewußtseins in der napoleonischen Ära, in: Die Erfahrung des Krieges. Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von der Franzö‐ sischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg, hrsg. v. Nikolaus Buschmann/ Horst Carl (Krieg in der Geschichte 9), Paderborn/ München 2001, S. 67-95, hier S. 70. starkte Interesse den Erfahrungsbegriff gerade für die Geschichte des Krieges fruchtbar zu machen, zeigte sich auch in dem von 1999 bis 2008 laufenden Tübinger Sonderforschungsbereich 437 „Kriegserfahrung - Krieg und Gesell‐ schaft in der Neuzeit“, aus dem zahlreiche Studien hervorgegangen sind. 120 Dabei stellen alle bisherigen Forschungsansätze heraus, dass der Erfahrungsbegriff keine feste Definition aufweisen kann, sondern immer mehrere Bedeutungs‐ schichten in sich birgt, die historisch unterschiedlich verstanden wurden. 121 Allen Ansätzen gemein ist die Annahme, dass Erfahrung einen permanenten „Verarbeitungsprozeß [darstellt], in welchem Wahrnehmung, Deutung und Handeln miteinander koordiniert werden.“ 122 Die subjektive Wirklichkeit der Akteure ist demnach eine soziale Konstruktion von soziokulturellen und ob‐ jektivierten Rahmenbedingungen und Traditionen, die durch die Erfahrung modifiziert wird. Dabei bildet die Kommunikation eine Schnittstelle zwischen dem Individuum und der Gesellschaft. Während das Erlebnis als subjektiv und einzigartig wahrgenommen wird, liegen dessen Interpretation jederzeit gesell‐ schaftliche Deutungskategorien zugrunde. 123 Zu unterscheiden ist zwischen Erlebnis und Erfahrung: Das Erlebnis ist unmittelbar sowie individuell und kann in seiner Vielschichtigkeit nicht an andere kommuniziert werden, während die Erfahrung die Be- und Verarbeitung des Erlebten ist, die im Nachhinein durch das Einpassen in gesellschaftliche und kulturelle Rahmen eingebunden wird. Durch das Berichten dieser Erfahrungen werden die individuellen Erlebnisse für 50 EINLEITUNG 124 Jörg R O G G E , Kriegserfahrung erzählen - Einleitung, in: Kriegserfahrungen erzählen. Geschichts- und literaturwissenschaftliche Perspektiven, hrsg. v. Jörg Rogge, Biele‐ feld 2016, S. 9-30, S. 13 und Kaspar V O N G R E Y E R Z , Erfahrung und Konstruktion. Selbstrepräsentationen in autobiographischen Texten des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Berichten, Erzählen, Beherrschen. Wahrnehmung und Repräsentation in der frühen Kolonialgeschichte Europas, hrsg. v. Susanna u. a. Burghartz (Zeitsprünge 7), Frankfurt am Main 2003, S. 220-239, hier S. 223. 125 Jörg R O G G E , Kriegserfahrung, in: Kriegserfahrungen erzählen (wie Anm. 124), S. 21. 126 Ebd., S. 19f. 127 Für Greyerz gleichzusetzen mit einem ‚Erfahrungsschatz‘, Kaspar V O N G R E Y E R Z , Erfah‐ rung, in: Berichten, Erzählen, Beherrschen (wie Anm. 124), S. 222. 128 „Fiktionalisierung heißt nicht automatisch Erfindung von nicht Vorgefallenem; Fik‐ tionalisierung kann allein schon durch das Rearrangement einer biographischen Ereignissequenz entstehen.“ Kaspar V O N G R E Y E R Z , Erfahrung, in: Berichten, Erzählen, Beherrschen (wie Anm. 124), S. 230. 129 S. dazu auch Kaspar V O N G R E Y E R Z , Erfahrung, in: Berichten, Erzählen, Beherrschen (wie Anm. 124), S. 220. ein Publikum erzählbar. 124 Doch die Erfahrung enthält neben der Verarbeitung des eigenen Erlebnisses auch immer die Intention des Erzählers von den Adres‐ saten verstanden zu werden, weshalb Erzählmuster und Handlungsschemata verwendet werden und wir es, so Jörg Rogge, mit „Erzählgemeinschaften“ zu tun haben, die als soziale Gruppen „über ein eigenes, bestimmtes Repertoire an Erzählmustern bzw. kulturellen Narrativen verfügen.“ 125 Präsentiert wird die eigene Erinnerung bzw. das eigene Erlebnis in Erzählmustern, die in der Gesellschaft anerkannt und wiedererkannt werden. Bei der Auswertung der Fallbeispiele in den kommenden Kapiteln wird nach dem kulturellen und sozialen Umfeld der Gefangenen und ihrem indivi‐ duellen Hintergrund gefragt, soweit dieser eruiert werden kann. Gleichzeitig werden Topoi und Narrative aufgedeckt, die das Erlebte kommunizierbar ma‐ chen sollten. Die vorliegenden Texte sind dabei Ausdruck eines Prozesses literarischer, kognitiver und emotionaler Verarbeitung des eigenen Erlebnisses durch den Verfasser. 126 Ersichtlich werden neben dem Erlebnis auch die sinn‐ stiftenden Erzählungen und Erzählmuster, mit denen das Erfahrene in die Erzählgemeinschaft getragen wurde. 127 Auch wenn die Darstellungen der ge‐ schilderten Gefangenschaften immer zwischen persönlichen Erfahrungen und autobiographischen Konstruktionen schwanken, heißt das nicht automatisch, dass die geschilderten Erlebnisse fiktional sein müssen. 128 Es darf allerdings in keiner Weise bei der Auswertung um das positivistische Anliegen gehen, eine irgendwie geartete ‚Authentizität‘ der Quellenaussagen ausfindig machen zu wollen. 129 51 3. Die Untersuchungsfelder 130 Dazu auch Sabine S C H M O L I N S K Y , Überlieferung, in: Self-Fashioning (wie Anm. 56), hier S. 46f. 131 Zur Geisel als Personalpfand im Mittelalter vgl. Kap. Hauptteil I,A,2. 132 Nach §239a StGB Erpresserischer Menschenraub und § 239b StGB Geiselnahme. Zur Geiselnahme auch Reiner Z E L L E R , Phänomenologie der Geiselnahme aus der Sicht der Opfer, Berlin 1978. Die Zeugnisse persönlicher Extremsituation sollen sowohl auf Äußerungen zur Verarbeitung der Situation als auch auf Muster und Topoi hin gelesen werden, so dass vorhandene narrative Strukturen und der gesellschaftliche Deutungsrahmen erkannt und erklärt werden können. Gerade weil die Selbst‐ zeugnisse als Quelle so schwer zu fassen sind, muss der jeweilige Kontext, in dem sie eingebunden sind, herausgearbeitet und ausgewertet werden. 130 Die notwendigen Fallanalysen werden mit Hilfe eines Phasenmodells untersucht, um die einzelnen Fallbeispiele vergleichbar zu machen. 4. Das Phasenmodell Bevor die Untersuchung sich den einzelnen Gefangenschaften zuwendet, soll ein aus dem modernen Krisenmanagement stammendes und für mittelalterliche Gefangenschaftsfälle modifiziertes Modell vorgestellt werden, mit dem die vorliegenden Fallbeispiele in einzelne Phasen unterteilt werden können, um eine bessere Vergleichbarkeit der teilweise sehr divergierenden Quellen möglich zu machen. 4.1. Das Phasenmodell moderner Entführungsfälle Eine Entführung liegt im heutigen Verständnis dann vor, wenn ein Täter ein Opfer zur Durchsetzung seiner Ziele gefangen nimmt und an einem unbe‐ kannten Aufenthaltsort versteckt hält. Ist der Ort bekannt, spricht man von einer Geiselnahme. 131 Hier sind die Opfer meist zufällig ausgewählt, während einer gezielten Entführung oft eine Observation der Zielpersonen vorangeht. 132 Gerade für Fach- oder Führungskräfte im Ausland besteht oft ein erhöhtes Risiko überfallen und gekidnappt zu werden. Mehrere Sicherheitsfirmen haben sich auf diesem Sektor spezialisiert und bieten Seminare, Sicherheitsausrüs‐ tungen und ihr Wissen an, um die Geschäftsreisenden und Auslandsdelegierten zu schützen oder im Fall einer Entführung bei möglichen Verhandlungen zu beraten. Kommt es zu einer Entführung, kann man diese laut des ehemaligen Generalstabsoffiziers der Luftwaffe Jörg Trauboth, der als Krisenmanager für 52 EINLEITUNG 133 T R A U B O T H , Krisenmanagement (wie Anm. 4), S. 79. 134 Ebd., S. 80. die Bundesregierung wiederholt in Auslöseverhandlungen bei der Entführung deutscher Staatsangehöriger tätig wurde, in den meisten Fällen in neun Phasen unterteilen: Die erste Phase findet vor dem eigentlichen Überfall mit der Zielaus‐ wahl des Opfers statt. Im Normalfall bereiten der oder die Täter eine Entführung gut vor, dies erfordert häufig eine lange Planungsphase. Danach wird das Opfer observiert (Phase 2), um die Machbarkeit und den besten Zeitpunkt für die Entführung zu bestimmen. Erst danach findet der Überfall statt und dieser Moment birgt das größte Risiko für beide Seiten. Gerade die Reaktion des Opfers fällt dabei häufig unterschiedlich aus. Wenn Gewalt angewendet wird, kann es zu Verletzungen vor allem beim Entführungsopfer kommen. 133 In dieser dritten Phase ist der Stresslevel des Täters besonders hoch, so dass es zu unüberlegten Handlungen kommen kann, wenn z. B. der eigentliche Plan zu scheitern droht. Nach dem eigentlichen Überfall bringt der Täter sein Opfer in ein sicheres Versteck (Phase 4). Manchmal wird das Opfer vorher betäubt oder man verbindet ihm die Augen. Daneben hinterlässt der Entführer bisweilen eine Nachricht direkt am Entführungsort oder leitet anderweitig eine Botschaft weiter, in der über die stattgefundene Entführung informiert wird. Für den Transport des Entführungsopfers ist es wichtig, dass die Wege nicht nachverfolgt werden können, damit eine frühzeitige Befreiung vermieden werden kann. Während diese Phase für den Täter ein erstes Erfolgserlebnis bedeutet, fängt für das Opfer eine Zeit der Ungewissheit an, es muss sich an die neue Situation gewöhnen. Der Täter seinerseits sorgt in der fünften Phase (Verwahren in einem oder meh‐ reren Verstecken) weiterhin dafür, dass das Entführungsopfer nicht aufgespürt werden kann, deshalb nutzt der Entführer manchmal mehrere Verstecke für sein Opfer. In dieser Zeit ist es für den Täter wichtig, dass das Opfer möglichst keine Informationen erhält, die eine spätere Täteridentifizierung erleichtern können. Dies kann dazu führen, dass das Opfer gefesselt oder in Dunkelheit eingesperrt wird, um seine Wahrnehmung zu trüben oder gänzlich zu unterbinden. In den meisten Fällen sind die Haftumstände erträglich, es kann aber auch zu seelischen Torturen der Gefangenen, wie z. B. Scheinexekutionen kommen. 134 Während der Zeit in der Hand des Entführers lassen sich laut Jörg Trauboth Symptome und darauffolgende Reaktionen beim Entführungsopfer aufzeigen: Das Gefühl von Panik schlägt sich vor allem in körperlichen Signalen, wie Schreien oder Krämpfen nieder, es kann aber auch zu irrationalen Fluchtversuchen führen. Eine länger anhaltende Furcht hingegen erzeugt neben den bekannten Angst‐ symptomen manchmal auch einen Anpassungswunsch an die Situation oder den 53 4. Das Phasenmodell 135 Trauboth nennt auch noch das Symptom der Überempfindlichkeit, das zu einem Vertrauensverlust oder einem eigenen Verhandeln mit dem Täter führen kann, da man der Außenwelt nicht mehr traut, T R A U B O T H , Krisenmanagement (wie Anm. 4), S. 88. Zur teilweise für den Außenstehenden unlogisch anmutenden entstehenden Sympathie des Opfers zum Täter s. auch Z E L L E R , Phänomenologie (wie Anm. 132), S. 89-91. Zu möglichen Gefühlen und ihren psychovegetativen Reaktionen der Opfer s. ebd., S. 242-254. 136 T R A U B O T H , Krisenmanagement (wie Anm. 4), S. 81. 137 Ebd., S. 82. Täter, was in das sogenannte „Stockholm-Syndrom“ münden kann. Aber auch eine Wut auf den Täter, die unter anderem in einem unüberlegten Angriff auf den Entführer gipfeln kann, oder aber Zweifel, die das Opfer handlungsunfähig machen, sind zu beobachten. Neben der Ungewissheit kann auch die Sorge um die Angehörigen oder Selbstvorwürfe das Opfer schwer belasten. 135 Nachdem es häufig bereits direkt nach der Entführung zu einer ersten Kontaktaufnahme des Täters kommt, in der er die Entführung anzeigt, stehen in der sechsten Phase die Verhandlungen um die Auslösung des Entführten im Mittelpunkt. Für die Verhandlungen ist es wichtig, dass es bereits zu Beginn ein Lebenszeichen des Entführten gibt. Von der Gegenseite (z. B. der Polizei) ist es ratsam, immer wieder an kritischen Punkten weitere Lebenszeichen einzufordern. In dieser Phase ist manchmal auch ein (brieflicher) Kontakt zwischen den Angehörigen und dem Opfer möglich, auch kleinere Pakete mit Kleidung oder Medikamenten werden akzeptiert, sofern der Täter sicherstellen kann, dass der Gefangene durch diesen Kontakt, der deshalb teilweise über Vermittler abläuft, nicht gewaltsam befreit werden kann. Der Täter seinerseits kann die Gefühle von Angehörigen oder Freunden, wie die Angst um das Opfer oder die verstreichende Zeit, für sich nutzen und seine Forderungen, unter anderem mit Androhungen das Opfer zu töten oder weitere Personen zu entführen, unterstützen. 136 Sofern eine Lösegeldzahlung vereinbart wurde, ist die Übergabe für den Täter der riskanteste Zeitpunkt, da er sich hier oft das erste Mal zu erkennen gibt. Zudem nutzen die Einsatzkräfte die Geldübergabe oftmals für einen Zugriff. Deshalb findet man in dieser siebten Phase (Lösegeldübergabe) häufig sehr genaue und teilweise auch plötzlich ändernde ‚Regieanweisungen‘ des Täters. Die Freilassung, als achte Phase, läuft sehr individuell ab. Eine direkte Freilas‐ sung bei der Lösegeldübergabe erfolgt eher selten, meist sind auch hier noch einmal klare Anweisungen des Täters zu finden. Die letzte Phase betrifft die Rückführung (9. Phase: Repatriisierung) des Opfers in das alte Leben. 137 Problematisch sind bei einigen Opfern die psychischen Schäden nach ihrer Entführung, wobei die Häufigkeit der Erkrankung auch 54 EINLEITUNG 138 Z E L L E R , Phänomenologie (wie Anm. 132), S. 256; T R A U B O T H , Krisenmanagement (wie Anm. 4), S. 88. 139 T R A U B O T H , Krisenmanagement (wie Anm. 4), S. 87. von den Umständen abhängt. Einer der Faktoren ist das Verhalten des Täters: Positiv wirkt sich aus, wenn Versprechen oder Vereinbarungen eingehalten wurden, sich der Täter als professionell und verlässlich erwies. Ein erhöhtes Gewaltpotential des Entführers oder seiner Helfer hingegen verursacht häufig negative Folgen. 138 Aber auch die eigene psychische und physische Belastbarkeit sowie persönliche Hintergründe bestimmen über die Verfassung des Opfers nach der Entführung. Hier spielen in allererster Linie körperliche Verletzungen und Strapazen während des Überfalls und der Haft eine Rolle. Zudem wirken sich auch die Art der Unterbringung und die Verhältnisse im Versteck auf den Zustand aus. Besonders belastend werden fehlendes Licht und fehlende Kom‐ munikation wahrgenommen. Ein direkter Zusammenhang kann auch zwischen der Dauer der Gefangenschaft und ihrer Auswirkung auf das Opfer abgelesen werden. 139 Diese Beobachtungen moderner Entführungsfälle liefern eine aufschluss‐ reiche Matrize zu möglichen Phasen und Angelpunkten, die nicht nur bei Entführungen, sondern bei allen hier untersuchten Fällen von Gefangenschaften mehr oder minder deutlich auftreten. Deshalb wird ein modifiziertes Phasen‐ modell vorgestellt, dass die einzelnen Fallbeispiele dieser Untersuchung leichter vergleichbar macht und auf besonders kritische Momente innerhalb der geschil‐ derten Gefangenschaften hinweist. 4.2. Das modifizierte Modell: Die Phasen der mittelalterlichen Gefangenschaft In modifizierter Form zum modernen 9-Phasenmodell lassen sich die nachfol‐ genden Phasen für die mittelalterlichen Untersuchungsfälle ausmachen. Sie dienen als Raster, um den Ablauf der einzelnen Gefangenschaften, die auch aufgrund der Formen der Selbstzeugnisse sehr unterschiedlich in ihrem Infor‐ mationsgehalt sind, besser vergleichen zu können. Die Dauer der einzelnen Phasen variiert je nach Fall und nicht immer werden die einzelnen Aspekte in allen Selbstzeugnissen wiedergegeben, aber es ist davon auszugehen, dass sich nahezu alle Gefangenschaften in dieser Form strukturieren lassen. Ist die Phasenstruktur in einem Gefangenschaftsfall fest‐ gesetzt, können die Raumstrukturen der Gefangenschaft und die Erfahrungen der Gefangenen innerhalb der Phasen und ihrer Übergänge bestimmt werden. Aufschlussreich sind dabei häufig die Phasenübergänge, die für den Gefangenen 55 4. Das Phasenmodell mit einer Verschärfung oder einem Schwellenmoment innerhalb seiner Haft einhergehen konnten. 1. Phase: Die primäre Motivation / Die Gründe des Konfliktes Diese erste Phase geht der eigentlichen Gefangenschaft voraus und wird vom späteren Opfer nur bedingt wahrgenommen. In dieser Zeitspanne entwickelt sich der eigentliche Konflikt und der Gefangennehmer legt fest, welche ‚Ziele‘ er verfolgt und was durch die Gefangenschaft erreicht werden soll. Je mehr im Fortlauf der Gefangenschaft Abstriche von der ‚Erstforderung‘ des Gefangen‐ nehmers gemacht werden, desto höher steigt das wahrgenommene Risiko und damit der Stresslevel für das Opfer. Auch den ‚klassischen‘ Kriegsgefangenschaften kann diese Phase voraus‐ gehen, etwa in Kriegsordnungen oder klaren Zielsetzungen, wie ein besiegter Gegner behandelt werden soll sowie in der zielgerichteten Intention, eine bestimmte Person innerhalb der Kämpfe gefangen zu nehmen. 2. Phase: Die Observierung / Das Abschätzen der Wertigkeit (kann mit Phase 3 vertauscht sein) Dem klassischen Überfall gehen in der Regel eine Auswahl des Opfers und eine Observation voraus. Die Auswahl des Ziels und die Abwägung der Risiken führen schließlich zu einem Plan, der den Ort und den Zeitpunkt des Überfalls festlegt. Auch hier ist das spätere Opfer in der Regel ahnungslos. Bei der Gefangenschaft in einer kriegerischen Auseinandersetzung kann diese Phase mit der dritten Phase vertauscht sein: Hier wird die Wertigkeit des Gefangenen nach Abschluss der Kriegshandlungen festgestellt, sei es in Form von möglichen Lösegeldern oder der Arbeitskraft. Allerdings kommt es auch vor, dass sich die Teilnehmer der Schlacht bereits im Vorfeld ein bestimmtes Opfer ausgesucht haben - der Grund konnte z. B. ein hohes Lösegeld sein. 3. Phase: Die Gefangennahme (kann mit Phase 2 vertauscht sein) Die eigentliche Gefangennahme ist für beide Seiten oftmals der risikoreichste Moment. Da der Konflikt meist mit Waffengewalt ausgetragen wird, drohen Verletzungen oder die Tötung der Beteiligten. Direkt nachdem der Gefangene überwältigt wurde, wird dieser fast immer in seiner Beweglichkeit, durch Fesselungen oder einen Feldeid noch am Ort des Geschehens, eingeschränkt, um eine Flucht oder eine gewaltsame Befreiung zu verhindern. 4. Phase: Der Transport Der Transport vom Platz der Gefangennahme zum Gefangenschaftsort stellt ein erstes logistisches Problem dar. Der Gefangene wird weiterhin an einer Flucht gehindert, oftmals werden ihm die Augen verbunden, damit er sich 56 EINLEITUNG nicht orientieren kann und der Gefangennehmer trifft alle Vorkehrungen, damit es zu keiner (gewaltsamen) Befreiung von außen kommen kann. Direkt vor dem Transport oder danach kann auch eine Übergabe oder ein Verkauf des Gefangenen stattfinden, z. B. durch Sklavenhändler oder andere Hauptmänner auf dem Schlachtfeld, denen der Gefangene überlassen wird. Die Herausforderung eines Transports kann sich während der Gefangen‐ schaft mehrmals ergeben, vor allem, wenn es verschiedene Verstecke bzw. Aufenthaltsorte während der Haftdauer gibt. 5. Phase: Die Gefangenschaft Die Räume der Gefangenschaft sind sehr unterschiedlich gestaltet, ebenso wie die Dauer der Zeit in Unfreiheit. Der Gefangene erfährt häufig erst in dieser Phase, wie sich die nächste Zeit für ihn gestalten wird, ob er z. B. als Sklave arbeiten muss oder bis zum Ende der Verhandlungen festgehalten werden soll. Diese Phase ist in jeder Gefangenschaft sehr individuell und bietet den größten Raum für Beschreibungen der persönlichen Erlebnisse, da sie in vielen Fällen zum ersten Mal seit der Gefangennahme eine ‚Beruhigung‘ der Situation mit sich bringt. Je nachdem, aus welchem Grund die Gefangenschaft zustande kam, ist in dieser Zeit häufig ein Kontakt zur Außenwelt möglich, der damit zu den Verhandlungen in der nächsten Phase überleitet. 6. Phase: Die Verhandlungen / Das Verbleiben in Gefangenschaft Die Verhandlungsphase ist in vielen Fällen einer der belastendsten Zeiträume für den Gefangenen. Nicht immer wird er in die Verhandlungen miteinbezogen und oftmals erhält er keine oder falsche Informationen zum Fortschritt der Gespräche. Je nachdem, wie diese Phase verläuft, können emotionale Reak‐ tionen beim Gefangenen vermutet werden; dazu gehört auch der Umstand einer fortgeschrittenen Haftdauer, die zermürbend wirken kann. Oft führt auch der Gefangene die Verhandlungen um seine Freilassung; dies geschieht vor allem in Fehde- oder Kriegsgefangenschaften, in denen ein Anerkennen eigener Taten und ein zu bezahlender Geldbetrag von der Gegenseite verlangt wird. Außerhalb des Reiches wird der Gefangene, wenn keine Lösegeldverhand‐ lungen vorgesehen sind, als Sklave oder Kombattant eingesetzt und muss sich bestmöglich mit der gegebenen Situation arrangieren. Begleitet wird diese Phase in beiden Gruppen häufig von Fluchtplanungen, die erfolgreich oder erfolglos in der nächsten Phase umgesetzt werden können. 57 4. Das Phasenmodell 140 Positive oder negative Spannungsgipfel von Emotionen. 7. Phase: Erfüllung der Forderungen / Flucht (kann mit der Phase 8 zusammenfallen) Diese Phase bildet die Voraussetzung für die endgültige Freilassung des Gefan‐ genen. Entweder werden die verhandelten Forderungen beglichen bzw. der Gefangene erkennt die an ihn gestellten Bedingungen an oder der Fluchtversuch ist erfolgreich. In seltenen Fällen kann es auch zu einer Freilassung ohne weitere Forderungen kommen. Der zeitliche Abstand zwischen der Erfüllung/ Flucht und der endgültigen Erlangung der Freiheit kann sich dabei unterschiedlich lang gestalten. 8. Phase: Freilassung / Erlangung der Freiheit Bei den intrakulturellen Gefangenschaften wird die Freilassung in vielen Fällen mit der Unterzeichnung der Urfehde erreicht oder mit dem Begleichen der letzten Lösegelder, die noch zu bezahlen waren. In der Fremde wird dieser Zeitpunkt mit dem Erreichen christlicher Niederlassungen oder dem Verlassen nicht-christlichen Bodens und der Rückkehr in die Heimat markiert. 9. Phase: Das Leben nach der Gefangenschaft Ob Angaben zum Leben nach der Gefangenschaft getroffen werden können, hängt entscheidend von den Quellen ab. Die ehemaligen Gefangenen können häufig nicht nahtlos an ihr vorheriges Leben anknüpfen: Sie müssen Geld‐ beträge begleichen oder juristische Probleme klären. Waren sie außerhalb des Reiches in Gefangenschaft geraten, müssen sie zunächst in ihre Heimat zurückkehren und sich nach den oftmals sehr langen Gefangenschaftsdauern manchmal ein neues Leben aufbauen. Zudem sehen sich die Gefangenen dieser Gruppe häufig zahllosen Fragen ausgesetzt, mit denen sie nach ihrer Heimkehr konfrontiert werden. Nach der eigentlichen Gefangenschaft verfasste Beschreibungen oder lyri‐ sche Bearbeitungen bieten die Möglichkeit, das Erlebte für ein Lesepublikum zu verarbeiten oder aber sich in schriftlicher Form gegen ungerechtfertigte Anschuldigungen und Zweifel zu wehren. Das hier vorgestellte Modell soll helfen, die Selbstzeugnisse vergleichend zu lesen und die Aufmerksamkeit auf bestimmte Momente in den Texten zu lenken. Die Aussagen zu Räumen der Unfreiheit können vornehmlich in den einzelnen Phasen abgelesen werden; Übergänge zwischen den einzelnen Phasen hingegen, die sowohl für den Gefangennehmer als auch für den Gefangenen oftmals (auch wechselseitig) äußerst stressbehaftet sind, können immer wieder emotionale Peaks 140 hervorrufen. 58 EINLEITUNG Die folgenden Fallbeispiele werden deshalb auch in einem einheitlichen Schema geschildert. In einem ersten Schritt werden für jeden Fall zunächst die biographischen Angaben des/ der Gefangenen und der Hintergrund der Selbst‐ zeugnisse vorgestellt. Anschließend werden alle Gefangenschaften (in einigen Fallbeispielen treffen wir auf mehrere Gefangenschaften, die das Individuum erlebt hat) nach folgendem Schema wiedergegeben: 1. Die Gefangennahme 2. Die Gefangenschaft 3. Fluchtversuche (sofern vorhanden) und das Ende der Gefangenschaft 4. Das Leben nach der Gefangenschaft. In einem finalen Schritt werden ein vergleichendes Fazit für die jeweilige Gruppe mit Hilfe des modifizierten Phasenmodells gezogen und eine Einord‐ nung der Ergebnisse in die beiden Untersuchungsgebiete von ‚Raum‘ und ‚Erfahrung‘ vorgenommen. 59 4. Das Phasenmodell HAUPTTEIL I: DIE INTRAKULTURELLEN GEFANGENSCHAFTEN 141 Zur Thematik der Gewalt exemplarisch: Jennifer Vanessa D O B S C H E N Z K I , Von Opfern und Tätern. Gewalt im Spiegel der merowingischen Hagiographie des 7. Jahrhunderts (Wege zur Geschichtswissenschaft), Stuttgart 2015, S. 20f.; Martin K I N T Z I N G E R , Kontakt und Konflikt. Herausforderungen der Diplomatie im Spätmittelalter, in: Bereit zum Konflikt. Strategien und Medien der Konflikterzeugung und Konfliktbewältigung im europäischen Mittelalter, hrsg. v. Oliver Auge (Mittelalter-Forschungen 20), Ostfildern 2008, S. 275-297; Gert M E L V I L L E , Ein Exkurs über die Präsenz der Gewalt im Mittelalter: Zugleich eine Zusammenfassung, in: Königliche Gewalt, Gewalt gegen Könige. Macht und Mord im spätmittelalterlichen Europa, hrsg. v. Martin Kintzinger/ Jörg Rogge (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft 33), Berlin 2004, S. 119-134; Gewalt und ihre Legitimation im Mittelalter. Symposium des Philosophischen Seminars der Uni‐ versität Hannover vom 26. bis 28. Februar 2002, hrsg. v. Günther M E N S C H I N G / Eckhard H O M A N N / Heiner L O H L / Michael S T Ä D T L E R , Würzburg 2003; Religion und Gewalt. Kon‐ flikte, Rituale, Deutungen (1500-1800), hrsg. v. Kaspar V O N G R E Y E R Z / Kim S I E B E N H Ü N E R / Christophe D U H A M E L L E / Hans M E D I C K / Patrice V E I T , Göttingen 2006; Gewalt. Strukturen, Formen, Repräsentationen, hrsg. v. Mihran D A B A G / Bernhard W A L D E N F E L S , München 2000; Ein Schauplatz herber Angst. Wahrnehmung und Darstellung von Gewalt im 17. Jahrhundert, hrsg. v. Markus M E U M A N N / Dirk N I E F A N G E R , Göttingen 1997; Reden von Gewalt, hrsg. v. Kristin P L A T T / Wolfgang M Ü L L E R -F U N K , München 2002. 142 Martin C L A U S S , „Aujourd’huy toutes les guerres sont contre les povres gens“. Gewalt gegen Nichtkombattanten als Mittel der Kriegführung im Hundertjährigen Krieg, in: Saeculum 57/ 1 (2006), S. 77-99. Vereinzelt lassen sich auch Gewaltanwendungen gegen gefangene Gegner feststellen. „Geiseln und Kriegsgefangene umzubringen, galt allgemein als unsaubere Kriegsführung, war aber sowohl bei den Eidgenossen wie bei adeligen Kämpfern Frankreichs durchaus gängige Praxis“, Michael J U C K E R , Die Norm der Gewaltbilder. Zur Darstellbarkeit von Opfern und Tätern kriegerischer Gewaltexzesse in Bilderchroniken des Spätmittelalters, in: Kriegs/ Bilder in Mittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. v. Birgit Emich/ Gabriela Signori (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft 42), Berlin 2009, S. 121-153, hier S. 148. A. Hintergrundinformationen: Die Gefangenschaft im Mittelalter Bevor die Untersuchung sich den einzelnen Fallbeispielen zuwendet, soll ein Überblick zur Entwicklung und zu den Bedingungen der militärischen Gefan‐ genschaft im Mittelalter und ihrer möglichen Abläufe gegeben werden. Die hier behandelten Gefangenschaften stehen immer mit Gewalt im Zusammenhang, 141 da ihnen meist ein kriegerischer oder gewaltsamer Konflikt vorausging, in dessen Kontext die Gefangennahme stattfand und die sowohl Kombattanten als auch Nichtkombattanten bzw. Unbeteiligte treffen konnte. 142 143 Zum griechischen Sklavenwesen s. Hans K L E E S , Sklavenleben im klassischen Griechen‐ land (Forschungen zur antiken Sklaverei 30), Stuttgart 1998; Leonhard S C H U M A C H E R , Sklaverei in der Antike. Alltag und Schicksal der Unfreien (Beck’s archäologische Bibliothek), München 2001; Elisabeth H E R R M A N N -O T T O , Sklaverei und Freilassung in der griechisch-römischen Welt (Studienbücher Antike 15), Hildesheim 2009; F L A I G , Weltgeschichte (wie Anm. 32). Zur Versklavung von Kriegsgefangenen im römischen Reich eine umfassende Studie von Karl-Wilhelm W E L W E I / Gottfried P R A C H N E R , Sub corona vendere. Quellenkritische Studien zu Kriegsgefangenschaft und Sklaverei in Rom bis zum Ende des Hannibalkrieges (Forschungen zur antiken Sklaverei 34), Stuttgart 2000. 144 Rüdiger O V E R M A N S , „In der Hand des Feindes“. Geschichtsschreibung zur Kriegsgefan‐ genschaft von der Antike bis zum Zweiten Weltkrieg, in: In der Hand des Feindes. Kriegsgefangenschaft von der Antike bis zum Zweiten Weltkrieg, hrsg. v. Rüdiger Overmans, Köln 1999, S. 1-39, hier S. 2f. 145 „Item ea, quae ex hostibus capimus, iure gentium statim nostra fiunt: adeo quidem, ut et liberi homines in servitutem nostram deducantur“, Inst. II, I. 17, Okko u. a. B E H R E N D S , Corpus iuris civilis, die Institutionen. Text und Übersetzung (Uni-Taschenbücher 1764), Heidelberg 1993, S. 51. 1. Kriegsgefangenschaft im Mittelalter Sowohl bei den Germanen als auch im römischen Reich wurden Kriegsgefan‐ gene versklavt. 143 Nach römischem Recht durfte der Sieger mit dem Besiegten nach Belieben verfahren, eine Unterscheidung in Kombattanten und Nichtkom‐ battanten fand nicht statt. Wenn Gefangene gemacht wurden, verkaufte man sie in die Sklaverei oder ließ sie gegen Lösegelder wieder frei. 144 So legte der Codex Iustinianus ab dem 6. Jahrhundert fest, dass ein ergriffener Gegner auf dem Schlachtfeld zur Kriegsbeute des Siegers gehörte: „Auch was wir den Feinden wegnehmen, wird nach Völkergemeinrecht sofort unser Eigentum, und zwar so, daß sogar freie Menschen zu unsren Sklaven werden“, 145 Dazu findet sich in den Institutiones des Corpus Iuris Civilis folgende Ein‐ teilung der verschiedenen Wege in die Sklaverei: „Dagegen ist die Sklaverei eine Einrichtung des Völkergemeinrechts, durch die jemand entgegen dem Naturzustand dem Eigentum eines anderen unterworfen wird. Sklaven, servi, sind danach benannt worden, daß Feldherren die Gefangenen verkaufen lassen und sie dadurch in der Regel am Leben erhalten, servare, und nicht töten. Man hat sie auch mancipia, mit der Hand Ergriffene, genannt, weil sie mit der Hand, manus, aus der Mitte der Feinde ergriffen werden. Sklave ist man aber entweder von Geburt an oder man wird es später. Von Geburt an sind Sklaven diejenigen, die von unseren Sklavinnen geboren werden; später wird man Sklave entweder nach Völkergemeinrecht, das heißt durch Kriegsgefangenschaft, oder nach Zivilrecht, nämlich dann, wenn ein freier Mann, der über zwanzig Jahre alt 64 A. Hintergrundinformationen: Die Gefangenschaft im Mittelalter 146 „Servitus autem est constitutio iuris gentium, qua quis dominio alieno contra naturam subicitur. Servi autem ex eo appellati sunt, quod imperatores captives vendere iubent ac per hoc servare nec occidere solent. qui etiam mancipia dicti sunt, quod ab hostibus manu capiuntur. Servi autem aut nascuntur aut fiunt. nascuntur ex ancillis nostris. fiunt aut iure gentium, id est ex captivitate, aut iure civili, cum homo liber maior viginti annis ad pretium participandum sese venumdari passus est. in servorum condicione nulla differentia est.“, Inst. I, III. 2-4, B E H R E N D S , Corpus (wie Anm. 145), S. 6. 147 Pamela K A L N I N G , Kriegslehren in deutschsprachigen Texten um 1400. Seffner, Rothe, Wittenwiler (Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit 9), Münster 2006, S. 35. 148 In die Sklaverei konnte man durch die Geburt (wenn die Mutter bereits unfrei war), durch Selbstversklavung oder durch Kriegsgefangenschaft gelangen, Franz D O R N , Der Unfreiheitsdiskurs in deutschen Rechtsbüchern des Hoch- und Spätmittelalters, in: Unfreie Arbeits- und Lebensverhältnisse von der Antike bis in die Gegenwart. Eine Einführung, hrsg. v. Elisabeth Herrmann-Otto, Hildesheim 2005, S. 167-205, hier S. 169; Susanne H Ä H N C H E N , Rechtsgeschichte. Von der Römischen Antike bis zur Neuzeit, Heidelberg 4 2012, S. 24. 149 H Ä H N C H E N , Rechtsgeschichte (wie Anm. 148), S. 15. 150 I.XII.5, B E H R E N D S , Corpus (wie Anm. 145), S. 23. 151 Inst. I, IV-VI, B E H R E N D S , Corpus (wie Anm. 145), S. 8-12. ist, sich selbst verkaufen läßt, um am Kaufrecht teilzuhaben. In der rechtlichen Lage der Sklaven gibt es keine Unterschiede.“ 146 Der Gefangene wurde zur Sache (res) und war der Willkür des Siegers aus‐ gesetzt. Ohne eigenes Persönlichkeitsrecht durfte der Gefangene getötet oder in die Sklaverei verkauft werden. Im römischen Reich wurde der Kriegsgefangene bis zu seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft Eigentum des Siegers, „seine Rechte wurden suspendiert und seine Ehe annulliert.“ 147 Er unterlag als Sklave der potestas seines Herrn. 148 Durch die Kriegsgefangenschaft verlor man nach römischem Recht automatisch das Bürgerrecht. 149 Das ius postlimium sicherte dem römischen Kriegsgefangenen jedoch nach seiner Rückkehr in die Freiheit die alten Rechte wieder zu. 150 Ebenso wie es unterschiedliche Gründe gab, warum man in die Sklaverei gelangen konnte, einschließlich der Selbstversklavung, führten unterschied‐ liche Umstände zur Beendigung der Sklaverei. Üblich waren unter anderem die Freilassung durch einen Freilassungsbrief oder ein Testament. 151 Daneben kennen die Institutiones auch die Adoption durch den Besitzer: „Wie die alte Rechtsliteratur überliefert, hat Cato vortrefflich dargelegt, daß Sklaven schon dadurch frei werden können, daß sie von ihrem Eigentümer adoptiert werden, belehrt haben auch wir in unserer Konstitution bestimmt, daß auch der Sklave frei sein soll, den sein Herr in einem gerichtlichen Protokoll als seinen Sohn 65 1. Kriegsgefangenschaft im Mittelalter 152 „Apud Catonem bene scriptum refert antiquitas, servi si a domino adoptati sint, ex hoc ipso posse liberari. unde et nos eruditi in nostra constitutione etiam eum servum, quem dominus actis intervenientibus filium suum nominaverit, liberum esse constituimus, licet hoc ad ius filii accipiendum ei non sufficit.“, Inst. 1.11.12, B E H R E N D S , Corpus (wie Anm. 145), S. 21. 153 Kurt-Georg C R A M , Iudicium belli. Zum Rechtscharakter des Krieges im deutschen Mittelalter (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 5), Köln/ Wien 1955, S. 157; Hans M E I E R -W E L C K E R , Art. „Kriegsgefangenschaft“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 1978, Sp. 1202-1205, hier Sp. 1202. 154 Philippe C O N T A M I N E , Art. „Kriegsgefangene. I. Allgemein und westliches Europa“, in: Lexikon des Mittelalters 5, Sp. 1528-1531, hier Sp. 1528; Kay Peter J A N K R I F T , Aus der Heimat in die Fremde. Geiseln und Kriegsgefangene im frühen Mittelalter, in: Radegunde. Ein Frauenschicksal zwischen Mord und Askese, hrsg. v. Hardy Eidam/ Gudrun Noll, Erfurt 2006, S. 50-55, hier S. 52. 155 K A L N I N G , Kriegslehren (wie Anm. 147), S. 38. Des Weiteren wird in Bezug auf ungläu‐ bige Kriegsgefangene weiterhin am Versklavungsrecht festgehalten. Nur bei Kriegen innerhalb der Christenheit kommt es zur Anwendung des Lösegeldrechts. S C H R Ö D L , Kriegsrecht (wie Anm. 23), S. 292. 156 Zum ‚bellum iustum‘ vgl. Martin K I N T Z I N G E R , Bellum iustum - gerechter Krieg oder Recht zum Krieg? , in: Macht und Recht. Völkerrecht in den internationalen Beziehungen, hrsg. v. Ulrich Lappenküper (Wissenschaftliche Reihe / Otto-von-Bis‐ marck-Stiftung), 2010, S. 3-30; Josef S E M M L E R , Bellum Iustum, in: Krieg in Mittelalter und Renaissance, hrsg. v. Hans Hecker (Studia humaniora 39), Düsseldorf 2005, S. 41-63 bezeichnet, obgleich dies für den Sklaven nicht ausreicht, die Rechtsstellung eines Sohnes zu erlangen.“ 152 Auch bei den Germanen war der gefangene Gegner im Fall der Niederlage rechtlos und wurde Eigentum des Siegers, der ihn töten oder versklaven konnte. Es gab auch den Brauch, die Gefangenen nach der Schlacht den Göttern zu opfern. Eine Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten fand ebenso wie im römischen Reich nicht statt. 153 Während in der Antike die Kriegsgefangenschaft in den meisten Fällen direkt in die Sklaverei führte, änderte sich dieser Umstand im frühen Mittelalter allmählich. Zwar galt weiterhin das Recht, den Unterlegenen direkt zu töten oder ihn zu verkaufen, doch bereits unter den Merowingern wurden die militärischen Gefangenen oftmals nach der Zahlung eines Freikaufbetrages wieder in die Freiheit entlassen. 154 Vor allem die Kirche versuchte den Brauch der Gefangennahme dahingehend zu beeinflussen, dass christliche Gefangene nicht mehr versklavt, sondern gegen Lösegeldzahlungen freigelassen wurden. 155 Sofern der Krieg ‚gerecht‘ geführt wurde, waren auch die Kirchenlehrer, wie Thomas von Aquin, der Auffassung, dass Kriegsgefangene gemacht werden durften und sich gegen die Zahlung von Lösegeldern freikaufen sollten. 156 An‐ ders war dies in ‚nicht-gerechten Kriegen‘, dort war sowohl das Gefangensetzen 66 A. Hintergrundinformationen: Die Gefangenschaft im Mittelalter 157 L A W N , Gefangenschaft (wie Anm. 25), S. 148f.; Sven E K D A H L , The treatment of prisoners of war during the fighting between the Teutonic Order and Lithuania, in: Fighting for the faith and caring for the sick, hrsg. v. Malcolm Barber (The military orders 1), Aldershot 1994, S. 263-269, hier S. 265. 158 Vgl. dazu auch Thomas R Ü F N E R , Die Rezeption des römischen Sklavenrechts im Ge‐ lehrten Recht des Mittelalters, in: Sklaverei und Freilassung im römischen Recht. Sym‐ posium für Hans Josef Wieling zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Hans Josef Wieling/ Thomas Finkenauer, Berlin, New York 2006, S. 201-221; Alfred H A V E R K A M P , Die Erneuerung der Sklaverei im Mittelmeerraum während des hohen Mittelalters. Fremdheit, Herkunft und Funktion, in: Unfreie Arbeits- und Lebensverhältnisse von der Antike bis in die Gegenwart. Eine Einführung, hrsg. v. Elisabeth Herrmann-Otto, Hildesheim 2005, S. 130-166, hier S. 140-142. 159 Marlis W I L D E -S T O C K M E Y E R , Sklaverei auf Island. Unters. zur rechtl.-sozialen Situation u. literar. Darst. d. Sklaven im skandinav. Mittelalter. Zugl.: Frankfurt (Main), Diss.: 1976 (Skandinavistische Arbeiten 5), Heidelberg 1978, S. 23f. 160 Rüdiger O V E R M A N S , Kriegsgefangenschaft, in: In der Hand des Feindes (wie Anm. 144) S. 3. So gibt auch Giovanni da Legnano im 14. Jahrhundert noch an, dass nach altem römischen Recht die Versklavung von Kriegsgefangenen zwar noch zu bejahen sei, allerdings sei zu beachten, dass nicht-christliche Gewohnheiten, wie das Gefangen‐ von Kriegern als auch das Erheben von Lösegeldern unzulässig. 157 Trotzdem gab es im Frühmittelalter weiterhin zahlreiche Sklavenmärkte; Zentren befanden sich unter anderem in Mainz und Verdun. Die überwiegende Zahl der Sklaven raubte man nun östlich des Reiches in den noch nicht christianisierten Gebieten. Neben den Gefangenen aus den östlichen Gebieten stammten die Sklaven aus der Ägäis, von den Küsten Afrikas und aus der Region um das Schwarze Meer. 158 Auch die im 8. Jahrhundert beginnenden Wikingerzüge brachten Sklaven - vorwiegend aus England, Frankreich, den irisch-keltischen und slavischen Gebieten - ins Frankenreich, später dann auf die arabisch beherrschte iberische Halbinsel und nach Byzanz. 159 Im Laufe des Hoch- und Spätmittelalters blieb die Sklaverei in Europa weiter erhalten, verlagerte sich jedoch vermehrt in den Mittelmeerraum, vor allem nach Italien, Portugal und Spanien. Das Bestreben der Kirche, keine christlichen Kriegsgefangenen mehr zu versklaven, führte zum endgültigen Verbot der Sklaverei von Christen auf dem Dritten Laterankonzil. So konstatiert Rüdiger Overmans: „Einen wesentlichen Fortschritt für das christliche Abendland stellte erst die Entscheidung des Dritten Laterankonzils (1179 n. Chr.) dar, den Verkauf von Christen durch Christen als Sklaven zu verbieten. […] Lösegeldzahlungen wurden zum zen‐ tralen Aspekt der Kriegsführung, es kam nun nicht mehr darauf an, möglichst viele, sondern nur, möglichst wertvolle Gefangene zu machen. Für die Gefan‐ gennahme, einem stark formalisierten Akt, kamen allerdings nur Ebenbürtige, d. h. Ritter, in Betracht; das Fußvolk wurde niedergemacht, wenn man es nicht laufen ließ.“ 160 Der Reiz des Kriegs lag für die Kombattanten nun vor 67 1. Kriegsgefangenschaft im Mittelalter nehmen von Christen durch Christen, dagegenstünden, womit er sich erneut auf die Bestimmungen des Dritten Laterankonzils berief. Zu den Einschränkungen der Versklavung: „sed secundum mores moderni temporis, et consuetudines antiquitus observatas inter Christianos, quantum ad personas non servatur postliminium, nec venduntur personae, nec servae efficiuntur.“, Tractatus de bello, de represaliis et de duello by Giovanni da Legnano, hrsg. v. Thomas Erskine H O L L A N D / James Leslie B R I E R L Y (Classics of international law 8), Oxford 1917, S. 125; Karl-Heinz Z I E G L E R , Kriegsrechtliche Literatur im Spätmittelalter, in: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Gründe, Begründungen, Bilder, Bräuche, Recht, hrsg. v. Horst Brunner (Imagines Medii Aevi 3), Wiesbaden 1999, S. 57-71, hier S. 64. Legnano folgten in den 1380ern Honoré Bonet (L’arbre de batailles) und um 1410 Christine de Pisan (Livre de fais d’arms et de chevallerie), allerdings findet sich in allen Werken kein rechtlicher Kodex. Dazu und zur Notwendigkeit den rechtlichen Alltag aus den Quellen zu lesen, schreibt Adam Kosto: „Furthermore, none of them represents a formal codification. The customs and the practice of warfare in the Middle Ages are instead best reconstructed from the study of practice, supplemented by rare passages of positive law and records of court cases.“, K O S T O , Hostages (wie Anm. 22), S. 99. Mit direktem Bezug auf Giovanni da Legnano betonen im 15. Jahrhundert Martinus Garatus Laudensis und Juan Lopez, dass unter den Christen keine Versklavung der Gefangenen mehr erfolgen würde, Karl-Heinz Z I E G L E R , Kriegsrechtliche, in: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 160), S. 67-70. 161 Malte P R I E T Z E L , Krieg im Mittelalter, Darmstadt 2006, S. 40. 162 Siehe dazu vor allem die Studie von Yvonne Friedman, F R I E D M A N , Encounter (wie Anm. 18); aber auch Yvonne F R I E D M A N , Jaemmerliche Versager oder romantischer Held? Gefangengenschaft während der Kreuzfahrer-Epoche, in: In der Hand des Feindes. Kriegsgefangenschaft von der Antike bis zum Zweiten Weltkrieg, hrsg. v. Rüdiger Overmans, Köln 1999, S. 119-140; Rüdiger O V E R M A N S , Kriegsgefangenschaft, in: In der Hand des Feindes (wie Anm. 144), S. 3, G O R I D I S , Gefangen (wie Anm. 19). 163 Hans-Henning K O R T Ü M , Kriege und Krieger. 500-1500 (Kohlhammer-Urban-Aka‐ demie), Stuttgart 2010, S. 255f. allem in möglichen Plünderungen oder in den Lösegeldzahlungen vermögender Gefangener, an denen man Anteil hatte. 161 Eine andere Erfahrung traf die abendländischen Christen verstärkt seit den ersten Kreuzzügen, in denen sie nicht nur siegreiche Schlachten schlugen, sondern immer öfter auch gegen die Muslime unterlagen. Die Gefangenschaft der Kreuzfahrer in muslimischer Hand galt zunächst als schmachvoll und führte dazu, dass man sich der gefangenen Mitchristen anfangs wenig annahm. Dies änderte sich jedoch, als immer mehr Kreuzfahrer und Einwohner der Kreuzfahrerstaaten in muslimische Hand fielen und es notwendig wurde, sich um die gefangenen Mitkämpfer zu sorgen. 162 Im Spätmittelalter kam dann zum ersten Mal der Versuch auf, ein ius in bello, ein Kriegsrecht zu schaffen. Inwieweit sich das bereits in der Gewaltan‐ wendung gegen Gefangene niederschlug, ist schwer auszumachen. 163 Gerade mit dem Aufkommen der Söldnerheere im späten Mittelalter wurde der einzelne 68 A. Hintergrundinformationen: Die Gefangenschaft im Mittelalter 164 Rüdiger O V E R M A N S , Kriegsgefangenschaft, in: In der Hand des Feindes (wie Anm. 144), S. 3. 165 Grundlegend zur Geiselschaft im Mittelalter: K O S T O , Hostages (wie Anm. 22); Arnulf Nöding, Kriegsgefangenschaft, in: In der Hand des Feindes (wie Anm. 5), S. 112f. 166 Martin K I N T Z I N G E R , Geiseln und Gefangene im Mittelalter: Zur Entwicklung eines po‐ litischen Instruments, in: Ausweisung und Deportation. Formen der Zwangsmigration in der Geschichte, hrsg. v. Andreas Gestrich/ Gerhard Hirschfeld/ Holger Sonnabend (Stuttgarter Beiträge zur historischen Migrationsforschung 2), Stuttgart 1995, S. 41-59, S. 49. 167 Kay Peter J A N K R I F T , Heimat, in: Radegunde (wie Anm. 154), S. 50. Martin Kintzinger hält für das frühe Mittelalter fest, dass sich „Elemente der Geiselschaft und der Gefangenschaft […] miteinander verbinden und eine der beiden Verfahrensweisen um Bestandteile der anderen ergänzt werden“ konnten, Martin K I N T Z I N G E R , Geiseln, in: Ausweisung und Deportation (wie Anm. 166), S. 48. 168 L A W N , Gefangenschaft (wie Anm. 25), S. 8f.; Bereits bei den Germanen war auch eine Selbstvergeiselung möglich, ebd., S. 9. 169 Kay Peter J A N K R I F T , Heimat, in: Radegunde (wie Anm. 154), S. 50f. Kämpfer bedeutsamer und zu einem „Wirtschaftsgut.“ 164 Die Gefangenschaft konnte vom Sieger auch dazu genutzt werden, dass der Einzelne die Seiten wechselte und in den eigenen Reihen kämpfte. 2. Die Geisel als Personalpfand 165 Immer wieder wurde, gerade für bedeutende Gefangene, auf die Stellung von Geiseln zurückgegriffen, die die Stelle des Gefangenen für einen bestimmten Zeitraum einnahmen. 166 „Die Geiselschaft stellte ein Personalpfand dar, das zur Sicherung von An‐ sprüchen und bis zu deren Ablösung in der Gewalt des Forderungsberechtigten war. Verschwand diese Form der Anspruchssicherung im privaten Rechtsleben bereits im Laufe des frühen Mittelalters, blieb sie im Kriegs- und Völkerrecht weiterhin Gewohnheit.“ 167 Die „Geiselschaft“ hat indogermanische Wurzeln und bezeichnet eine Form der persönlichen Haftung. Dabei war die Geisel während der Inhaftierung vor Misshandlungen geschützt. 168 Dies änderte sich jedoch, wenn der Vertrag nicht erfüllt wurde, dann unterlagen die Geiseln dem Willen des Gefangennehmers, der sie misshandeln, in die Sklaverei verkaufen oder sogar töten konnte. 169 In den meisten Fällen jedoch konnten sich die Geiseln sicher sein, dass die Bedingungen erfüllt und sie selber ausgelöst würden. Dies galt im Besonderen, wenn sich Fürstensöhne oder wichtige Ratgeber als Geisel zur Verfügung gestellt hatten. Insgesamt findet sich bei der Geiselschaft zwar ebenfalls eine 69 2. Die Geisel als Personalpfand 170 Martin K I N T Z I N G E R , Geiseln, in: Ausweisung und Deportation (wie Anm. 166), S. 49. Dazu auch: K O S T O , Hostages (wie Anm. 22), S. 131. 171 Arnulf N Ö D I N G , Kriegsgefangenschaft, in: In der Hand des Feindes (wie Anm. 5), S. 102. 172 Ebd., S. 99 u. 116; L A W N , Gefangenschaft (wie Anm. 25), S. 50f. 173 L A W N , Gefangenschaft (wie Anm. 25), S. 48. Form der Unfreiheit, doch waren sowohl die Dauer als auch der Ausgang im Normalfall klar vorgezeichnet. 170 3. Die Gefangennahme a) Auf dem Schlachtfeld Die genuine militärische Gefangenschaft begann auf dem Schlachtfeld. Nach der Schlacht konnte der Sieger entscheiden, ob er den ergriffenen Verlierer tötete, freiließ oder gefangen nahm. Seit dem Hochmittelalter scheint dabei eine eigenständige Form der Gefangennahme eines Kämpfers zu existieren. Der Brauch des Ergebens galt dabei jedoch nur für Ritter und Adlige: Ein besiegter Kämpfer konnte sich dem Gegner auf dem Schlachtfeld ergeben und auf die Schonung seines Lebens hoffen. Durch die Übergabe eines Handschuhs oder seines Schwertes begab er sich dabei in die Obhut des Siegers. Nöding hebt hervor: „Der Akt der Gefangennahme hat im Mittelalter nichts ehrenrühriges, da die Achtung des Gegners dem Unterlegenen gewiß sein kann. Wenn ein Ritter im Zweikampf unterliegt, dann erfordern die Regeln seines Standes, das kodifizierte Spiel ritterlichen Ehrverhaltens, ein genaues, in weiten Teilen ritualisiertes Vorgehen.“ 171 Auch in der Dichtung und der Chronistik wird die Gefangennahme als eine Art Zeremoniell geschildert. Der Besiegte erkannte seine Niederlage an und begab sich in die Hand des Siegers - dafür schwor er „fianze“ oder „sicherheit“. Allerdings gab es für diesen Schwur wohl keine festgelegte Formel. Dem Sieger konnte bei dem Schwur der „fianze“ auch ein Handschuh, das Schwert o. Ä. übergeben werden. Dies konnte vor Gericht als Beweis dafür dienen, dass der Gefangennehmer der Erste war, dem der Besiegte das Ehrversprechen gegeben hatte. Der Gefangennehmer musste den Gefangenen daraufhin in Sicherheit bringen, damit ihm auf dem Schlachtfeld nichts mehr zustoßen konnte. 172 Beide waren durch das Sicherheitsversprechen gebunden. Gefangene durfte nicht getötet werden und waren gegen Angriffe Dritter geschützt. 173 Da der Gefangene während des Gefechts nicht in sicheren Gewahrsam genommen werden konnte, musste er den ‚Feldeid‘ schwören und zusichern, sich an einen bestimmten Ort zu begeben oder sich nach der Schlacht 70 A. Hintergrundinformationen: Die Gefangenschaft im Mittelalter 174 B O O C K M A N N , Urfehde (wie Anm. 12), S. 26. Knorr nennt diesen Umstand das „Feld-Ge‐ fängnis“, der Besiegte durfte sich zwar ohne Fesseln bewegen, war jedoch bereits in Gefangenschaft, Wilhelm K N O R R , Das Ehrenwort Kriegsgefangener in seiner rechtsge‐ schichtlichen Entwicklung, Breslau 1916, S. 41. 175 K E E N , Laws (wie Anm. 23), S. 25. 176 Ebd., S. 55. 177 Volker S C H M I D T C H E N , Ius in bello und militärischer Alltag: rechtliche Regelungen in Kriegsordnungen des 14. bis 16. Jahrhunderts, in: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Gründe, Begründungen, Bilder, Bräuche, Recht, hrsg. v. Horst Brunner (Imagines Medii Aevi 3), Wiesbaden 1999, S. 25-56, hier S. 37; L A W N , Gefangenschaft (wie Anm. 25), S. 51f. 178 Stefan O E T E R , Die Entwicklung des Kriegsgefangenenrechts. Die Sichtweise eines Völkerrechtlers, in: In der Hand des Feindes. Kriegsgefangenschaft von der Antike bis zum Zweiten Weltkrieg, hrsg. v. Rüdiger Overmans, Köln 1999, S. 41-59, hier S. 43. Ebenso Volker Schmidtchen „Der mittelalterliche Usus, hochrangige Persönlichkeiten in der Schlacht nach Möglichkeit nicht zu töten, sondern zunächst gefangen zu nehmen, um sie dann gegen Lösegeld wieder freizugeben, war primär nicht von merkantilen Gesichtspunkten, sondern von der Achtung gegenüber dem ebenfalls ritterbürtigen Gegner, dem Bruder im Stande und im Glauben, bestimmt, der lediglich aufgrund der Wechselfälle der Politik im Krieg auf der anderen Seite stand und gemäß seiner Ehre für seinen Herrn das Schwert ergriffen hatte, bei anderer Gelegenheit, wie etwa einem Kreuzzug, aber durchaus wieder Kampfgefährte sein konnte“, Volker S C H M I D T C H E N , Kriegswesen im späten Mittelalter. Technik, Taktik, Theorie, Weinheim 1990, S. 64. So werden die gefangenen mayarischen Anführer nach der Schlacht auf dem Lechfeld im Jahr 955 auf Befehl Ottos I. hingerichtet, Philippe C O N T A M I N E / Michael J O N E S , War in the Middle Ages, New York 1984, S. 35. beim Gefangennehmer einzustellen. 174 Im Fall der Gefangenschaft reichten das Ehrenwort des Ritters und der Brief mit dem Versprechen, dass er den Lösegeldbetrag zahlen würde. 175 Keen hält dazu fest: „The right of a captor to dishonour a man in this way, if he defaulted, was often mentioned in letters of obligation to pay a ransom; the prisoner agreed in such case to be held a traitor, false and perjured on his faith, in every court and country in Christendom.“ 176 Dabei konnte es bei wertvolleren Gefangenen Streitigkeiten darüber geben, wem der Gewinn des Lösegeldes zustand. Zeitgleich konnte man einen ei‐ genen Gefangenen aber auch direkt weiterverkaufen und so schneller an Geld kommen, da man nicht auf die teilweise langen Lösegeldverhandlungen warten musste. 177 Das ‚Gebot der Ritterlichkeit‘ galt mit zwei Einschränkungen. Es galt nur für christliche Gegner, und der Besiegte musste ebenbürtig sein. 178 Anders sah es aus, wenn die feindlichen Gegner nicht gleichen Standes waren. Die Möglichkeiten des Fußvolks, das weder gut ausgerüstet war, noch hohe Löse‐ gelder aufbringen konnte, waren gering - es wurde in vielen Fällen entweder 71 3. Die Gefangennahme 179 Arnulf N Ö D I N G , Kriegsgefangenschaft, in: In der Hand des Feindes (wie Anm. 5), S. 102; Peter-Udo R O S E N A U , Wehrverfassung und Kriegsrecht in der mittelhochdeutschen Epik, Bonn 1959, S. 230. Spezialisten wie Armbrust- oder Handbüchsenschützen wurden häufig jedoch gnadenlos niedergemetzelt, Volker S C H M I D T C H E N , Ius, in: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 177), S. 38. 180 C L A U S S , Ritter (wie Anm. 6), S. 128. Dies änderte sich, wenn ein Hauptmann für seine Krieger zuständig war, s. Kap. I C 3. Briefe aus dem Schwabenkrieg in dieser Untersuchung. 181 C L A U S S , Ritter (wie Anm. 6), S. 103. 182 Ebd., S. 98. 183 Mario M Ü L L E R , Besiegelte Freundschaft. Die brandenburgischen Erbeinungen und Erbverbrüderungen im späten Mittelalter (Schriften zur politischen Kommunikation 8), Göttingen 2010, S. 126; Volker S C H M I D T C H E N , Ius, in: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 177), S. 42f. So auch der Friedensvertrag von Großwardein aus dem Jahr 1538. Dort findet sich die Aussage: „Quod omnes captivi propter hostilitatem ultro citroque capti ex nunc libere dimittantur.“, Kirstin S C H Ä F E R , Kriegsgefangenschaft in Friedensvertragsrecht und Literatur, in: www.ieg-mainz.de/ B eihefte-online------_site.site.ls_dir._nav.72_supplement.6_article.29 _likecms.html. Ab‐ schnitt 101 (abgerufen am 24.08.2018). umgebracht oder man ließ es entkommen. 179 Dies lag auch daran, dass es schwieriger war mit dem Umfeld nichtadliger Gefangener in Kontakt zu treten, um Lösegeldverhandlungen zu führen. 180 So war die Lage für das Fußvolk nach einer Schlacht oft wenig günstig. Es finden sich Fälle, in denen Gefangene ver‐ stümmelt oder hingerichtet wurden, um ein Exempel für die gegnerische Seite zu statuieren. 181 Berichtet wird zudem, dass der Sieger nach der erfolgreichen Schlacht das Schlachtfeld nach Verwundeten absuchte. Doch nicht nur nach den eigenen Männern wurde geschaut. Tote Feinde wurden nach Beutestücken abgesucht und noch lebende Kämpfer wurden nach lohnenswerten Gefangenen durchgegangen. 182 Bereits vor einer Schlacht konnten Verträge zwischen den Kriegsparteien oder für die eigenen Kriegsteilnehmer geschlossen werden. Im Vorfeld erho‐ bene Kriegsordnungen konnten Plünderungen und die Verteilung von Beute und Gefangenen regeln. Es kam zu Kodifizierungen des Kriegsbrauchs und die gemeinschaftlichen Ordnungen schufen eine Grundlage, um die eigenen Truppen zu disziplinieren. Dies funktionierte, da die Hauptleute mit der Hals‐ gerichtsbarkeit ausgestattet waren und bei Übertretung an Leib und Leben bestrafen durften. Gerade die Unterschiede im sozialen Status der Gefangenen und des zu erwartenden Lösegeldes machten eine Regelung vor den Kämpfen sinnvoll. 183 Mit den Kriegsgegnern versuchte man so auch, einen möglichen Gefangenenaustausch bereits im Vorfeld zu erleichtern. „Schon im Mittelalter bestand der Brauch, Gefangene gegen Lösegeld (rançon) auszuliefern oder nach Kriegsende auszutauschen. […] Hierzu schlossen die kriegführenden Parteien 72 A. Hintergrundinformationen: Die Gefangenschaft im Mittelalter 184 Hans M E I E R -W E L C K E R , Kriegsgefangenschaft, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (wie Anm. 153), Sp. 1203; s. auch R O S E N A U , Wehrverfassung (wie Anm. 179), S. 184-186. 185 Arnulf N Ö D I N G , Kriegsgefangenschaft, in: In der Hand des Feindes (wie Anm. 5), S. 108f., K E E N , Laws (wie Anm. 23), S. 119-133. Zur Möglichkeit einer schriftlichen Vereinbarung beider Seiten vor den Kampfhandlungen, der lex deditionis, s. Volker S C H M I D T C H E N , Ius, in: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 177), S. 30f. 186 S C H M I D T C H E N , Kriegswesen (wie Anm. 178), S. 60. 187 K O R T Ü M , Kriege (wie Anm. 163), S. 246-248. Ranzionierungs- und Auswechselverträge. Diese boten jedoch noch keinen Rechtsschutz; sie unterschieden auch noch nicht zwischen Kämpfern und Bevölkerung.“ 184 Neben der direkten Begegnung auf dem Schlachtfeld konnte es jedoch auch infolge von Belagerungen oder innerhalb von Fehdehandlungen zu einer Gefangenschaft kommen. b) Während einer Belagerung Im Zuge der Kapitulation einer Burg oder einer Stadt wurde den Insassen innerhalb vertraglicher Vereinbarungen oftmals zugesagt, dass sie abziehen durften oder aber in ehrenvolle Gefangenschaft gerieten. Dieser Vertrag (lex deditionis) musste von beiden Seiten gesiegelt werden und kam nur zustande, wenn es noch zu keinen kriegerischen Handlungen gekommen war. Anders sah es aus, wenn keine Absprache im Vorfeld getroffen werden konnte. Gerade eine vorherige Verweigerungshaltung, die Burg oder die Stadt herauszugeben, war eine schlechte Voraussetzung für spätere Verhandlungen, so konnte die Burgbe‐ satzung, der kein freier Abzug gewährt worden war, auch nach der erfolgreichen Einnahme getötet werden. 185 Vor allem bei angeheuerten Söldnerheeren gab es kaum Erbarmen mit der Burgbesatzung oder den Stadtbewohnern, da sich die Söldner oftmals nicht um ihre Beute etc. bringen wollten. 186 Besonders gefährdet waren aber auch bereits gemachte Kriegsgefangene und Geiseln während eines Belagerungszustands, da sie als Erpressungsmittel, als Schutzschild und zur Demoralisierung des Gegners eingesetzt werden konnten. 187 c) Innerhalb von Fehdehandlungen Eine wichtige Unterscheidung bei einer Fehde war die Festsetzung, ob es sich um eine rechte oder eine unrechte Fehde handelte. So legte der Mainzer Reichslandfrieden von 1235 fest, unter welchen Umständen Fehde geführt werden durfte und knüpfte die gewaltsame Konfliktführung der Fehde an die 73 3. Die Gefangennahme 188 Werner R Ö S E N E R , Fehdebrief und Fehdewesen. Formen der Kommunikation beim Adel im späten Mittelalter, in: Kommunikationspraxis und Korrespondenzwesen im Mittelalter und in der Renaissance, hrsg. v. Heinz-Dieter Heimann/ Ivan Hlaváček, Paderborn 1998, S. 91-101, hier S. 95. Zur Fehde und Fehderecht: Christoph T E R H A R N , Die Herforder Fehden im späten Mittelalter. Ein Beitrag zum Fehderecht (Quellen und Forschungen zur Strafrechtsgeschichte 6), Berlin 1994; Thomas V O G E L , Fehderecht und Fehdepraxis im Spätmittelalter am Beispiel der Reichsstadt Nürnberg (1404-1438) (Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte 11), Frankfurt am Main [u. a.] 1998; Christine R E I N L E , Legitimation und Delegitimierung von Fehden in juristischen und theologischen Diskursen des Spätmittelalters, in: Frieden schaffen und sich ver‐ teidigen im Spätmittelalter, hrsg. v. Gisela Naegle (Pariser historische Studien 98), München, Paris 2012, S. 83-120; Janine F E H N -C L A U S , Erste Ansätze einer Typologie der Fehdegründe, in: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Gründe, Begründungen, Bilder, Bräuche, Recht, hrsg. v. Horst Brunner (Imagines Medii Aevi 3), Wiesbaden 1999, S. 93-138. 189 T E R H A R N , Herforder (wie Anm. 188), S. 52-55; Werner R Ö S E N E R , Fehdebrief, in: Kom‐ munikationspraxis und Korrespondenzwesen im Mittelalter und in der Renaissance (wie Anm. 188), S. 94f.; Volker S C H M I D T C H E N , Ius, in: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 177), S. 40f. 190 T E R H A R N , Herforder (wie Anm. 188), S. 31-46. vorherige Anrufung eines Gerichts. 188 Begonnen wurde die Fehde durch die Feh‐ deankündigung, die Wider-, Ab- oder Aufsage. Der Fehdeführer erklärte dem Gegner die Fehde und nannte oftmals auch den zugrundeliegenden Anlass für sein Handeln und die Namen weiterer Helfer. Normalerweise mussten zwischen dem Fehdebrief und den ersten Fehdehandlungen drei Tage liegen, vereinzelt legten manche Landfrieden im 14. Jahrhundert auch eine verkürzte Frist von einem Tag fest. Diese Regelung wurde jedoch immer wieder umgangen, indem man Daten fälschte oder den Brief nicht rechtzeitig beim Empfänger ankommen ließ. Durch die Absage kam es zu einem Austritt aus der Friedensgemeinschaft, in dessen Rahmen die nachfolgenden Fehdehandlungen ausgeführt werden konnten. Ohne Absage galten die Aktionen als unehrenhafte Verbrechen. 189 Der Gegner sollte innerhalb der Fehde durch Brandschatzen, Raub und Belagerungen - aber auch durch die Gefangennahme und Entführung von Feh‐ degegnern und ihren Verbündeten - möglichst umfassend geschädigt werden. Dabei kam es zumindest in privaten Fehden seltener zu offenen Kampfhand‐ lungen. Meist wurde versucht, den Gegner und seine Ländereien in einzelnen Überfällen zu schädigen. 190 Anders sah das in größeren Fehden zwischen Städten oder Ritterbünden aus. Dort kam es immer wieder auch zu Feldschlachten zwischen den Gegnern. Durch Gefangennahmen von Dritten sollten Ziele erpresst, Lösegelder ein‐ genommen und der Gegner geschwächt werden. Häufig findet sich aber auch die 74 A. Hintergrundinformationen: Die Gefangenschaft im Mittelalter 191 Ebd., S. 80f. 192 Zur Frage, ob Bauern fehdeberechtigt waren: Christine R E I N L E , Bauernfehden. Studien zur Fehdeführung Nichtadliger im spätmittelalterlichen römisch-deutschen Reich, besonders in den bayerischen Herzogtümern (Geschichte 170), Stuttgart 2003. 193 L A W N , Gefangenschaft (wie Anm. 25), S. 41f. 194 T E R H A R N , Herforder (wie Anm. 188), S. 81. 195 „Gentlemen prisoners were usually treated well and allowed to go free on parole. The practice of taking men for ransom also helped to precent unnecessary bloodshed in the field.“ K E E N , Laws (wie Anm. 23), S. 243. 196 „Zwei Eigenarten mittelalterlicher Gefangenschaft greifen hierbei ineinander: der übliche Umgang mit (Kriegs)gefangenen und der Loskauf von Gefangenen, die - gleich auf welche Art - in fremde Gewalt geraten waren.“, Martin K I N T Z I N G E R , Geiseln, in: Ausweisung und Deportation (wie Anm. 166), S. 50; A M B Ü H L , Prisoners (wie Anm. 30), S. 137f. u. 259. 197 Sachsenspiegel, Ldr. II 34 §2, L A W N , Gefangenschaft (wie Anm. 25), S. 18. Begründung, dass man angebliche Verbrecher zur Bestrafung festgesetzt habe. 191 Immer wieder begegnet uns darüber hinaus der Vorwurf der widerrechtlichen Gefangennahme, wie z. B. die Gefangennahme von Bauern, die eigentlich von der Fehde ausgenommen waren. 192 Auch reiche Stadtbürger wurden wiederholt entführt und mussten gegen oft horrende Lösegelder freigekauft werden. 193 Wenn einer der Fehdeführer gefangen genommen wurde und somit die Fehde verlor, musste er nach den Lösegeldverhandlungen Urfehde schwören. Damit wurde formal ausgeschlossen, dass die Fehde nach der Freilassung des Gefan‐ genen weitergeführt wurde. Außerdem wurden die Forderungen des Siegers festgesetzt. Das Geld, das während eines Überfalls und der Gefangennahme innerhalb einer Fehdehandlung geraubt wurde, durfte behalten werden, da auch Raub zu den anerkannten Fehdehandlungen gehörte. 194 4. Die Unterbringung der Gefangenen Nach der Gefangennahme musste der Gefangene, sofern er nicht direkt weiter‐ verkauft oder freigelassen wurde, untergebracht und versorgt werden. 195 Die gute Behandlung eines Gefangenen lag dabei in der Verantwortlichkeit des Gefangennehmers, der in den meisten Fällen auch zunächst für die Kosten der Unterbringung aufkommen musste. 196 So findet sich im Sachsenspiegel die Be‐ stimmung, dass der Gefangennehmer der Familie des Gefangenen Rechenschaft schuldig sei: „Swe so enen man gevangen hevet, de mut antwarden iewelkeme sime herren, unde iewelkeme sime mage (unde sime wive), wert he dar umme gesculdeget, de wile he ene in hafte hevet.“ 197 75 4. Die Unterbringung der Gefangenen 198 K A L N I N G , Kriegslehren (wie Anm. 147), S. 78f.; 227f. 199 Ebd., S. 41., S. 181f. 200 Ebd., S. 179. 201 L A W N , Gefangenschaft (wie Anm. 25), S. 126-128; Otto P I P E R , Burgenkunde. Bauwesen und Geschichte der Burgen zunächst innerhalb des deutschen Sprachgebietes, München 3 1912, S. 529. 202 Ute Monika S C H W O B , Gefängnis, in: Burgen, Länder, Orte (wie Anm. 12), S. 234. 203 Ebd., S. 237. 204 P I P E R , Burgenkunde (wie Anm. 201), S. 529. 205 L A W N , Gefangenschaft (wie Anm. 25), S. 128f.; P I P E R , Burgenkunde (wie Anm. 201), S. 630. Auch Johann Seffner legt um 1440 in seiner Schrift „Ain ler von dem streitten“ fest, dass die Gefangenen gut zu verwahren seien und dass es darüber hinaus die Pflicht eines jeden Christen sei, Gefangene aus ihrer Gefangenschaft zu lösen, damit diese nicht zu Schaden kommen. 198 Im dritten Teil der Reimdichtung „Der Ring“ von Heinrich Wittenwiler aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wird ebenfalls der gute Umgang mit Gefangenen angemahnt. 199 Außerdem wird erläutert, dass es für einen Kämpfer ehrenvoller sei, sich gefangen nehmen zu lassen (wenn man damit sein Leben retten könne), als schmachvoll vom Schlachtfeld zu fliehen. 200 Die Urform des Gefangenschaftsortes war die Grube, in die man von oben hineingestoßen wurde. Es gab verschiedene Orte innerhalb der Burganlagen, wie Verliese oder Türme, in die man Menschen einschließen konnte. Das Burgverlies, das noch sehr an die Grube erinnerte, besaß vielfach eine kleine, erhöhte Tür, die von außen zu verschließen und manchmal mit einer Klappe zum Anreichen von Speisen und anderen Gütern versehen war. 201 War der Einstieg oder die Tür des Verlieses sehr hoch angebracht, wurde der Gefangene mittels eines Seils in den Raum hinuntergelassen; eine Struktur, die häufig noch durch eine trichterförmige Architektur des Raumes verstärkt wurde. Dadurch wurde ein Hinlegen zum Schlafen erschwert oder unmöglich gemacht. Über die Seilwinde konnte auch Nahrung und Wasser herabgelassen werden, manchmal sorgte ein schmaler Abflusskanal am Boden für die Entsorgung von Fäkalien. 202 Ein großes Problem stellten Ungeziefer dar, die den Gefangenen zusetzten, sowie die fehlende Frischluftzufuhr. 203 Andere Verliese wiederum waren nicht einmal überdacht, so dass der Gefangene den Witterungen ausgesetzt war. 204 Daneben konnte es aber auch speziellere Gefängniskammern innerhalb einer Burg geben, so konnte der Gefangene in den sog. „Bohlkasten“ geschlossen werden. Dafür wurde ein Kasten aus starken Balken und Bohlen errichtet, der mit einer kleinen Tür versehen war und den man in einem Raum aufstellen konnte, ohne dass der Raum darüber hinaus gesichert sein musste. 205 76 A. Hintergrundinformationen: Die Gefangenschaft im Mittelalter 206 In den platzmäßig häufig beengten Türmen konnten auch auswärtige ritterbürtige Gefangene untergebracht werden, L A W N , Gefangenschaft (wie Anm. 25), S. 130. Zu den verschiedenen Unterbringungsmöglichkeiten während einer Gefangenschaft s. ebd., S. 129-135. 207 B O O C K M A N N , Urfehde (wie Anm. 12), S. 27. Zu den rechtlichen Grundlagen von Fol‐ terungen: Anja Katarina W E I L E R T , Grundlagen und Grenzen des Folterverbotes in verschiedenen Rechtskreisen. Eine Analyse anhand der deutschen, israelischen und pakistanischen Rechtsvorschriften vor dem Hintergrund des jeweiligen historisch-kul‐ turell bedingten Verständnisses der Menschenwürde (Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 200), Berlin 2009, v. a. S. 68-90. 208 L A W N , Gefangenschaft (wie Anm. 25), S. 125-127. In den Städten waren ebenfalls verschiedene Formen von Gefängnisorten anzutreffen, die jedoch auch vielfach für eine Untersuchungshaft vorgesehen waren. Mögliche Orte für Gefangenschaften waren neben den Türmen vor allem das Rathaus, das oftmals über eigene Räumlichkeiten verfügte, wie z. B. das Lochgefängnis unter dem Nürnberger Rathaus. Aber es gab auch die Möglichkeit, den Gefangenen im eigenen Haus unter Arrest zu stellen oder ihn in Gasthäusern bewachen zu lassen. 206 Nicht immer waren die Haft‐ bedingungen gut; teilweise wurde die schlechte Behandlung der Gefangenen sogar bewusst herbeigeführt, um mehr Druck auf die andere Verhandlungsseite aufbauen zu können. 207 Neben der Möglichkeit Fußeisen, Handschellen oder Armeisen zu verwenden, konnte man die Gefangenen in den Block oder in den Stock schließen, eine Sicherungsmaßnahme aus zwei übereinandergelegten Holzblöcken mit Aussparungen für die Hände und Füße des Gefangenen, die zu einer sehr schmerzhaften Haltung bei fast vollständiger Bewegungsunfreiheit führte. 208 5. Die Lösegeldverhandlungen Ein gefangener Ritter galt „bis zur Einlösung seines Zahlungsversprechens als eine Art vorübergehendes Eigentum desjenigen, dem er sich durch Überreichen seines rechten Handschuhs ergeben hatte. Auch der Feldherr und selbst der König hatte über einen solchen Gefangenen keinerlei Verfügungsgewalt. […] Im Gegensatz zur Flucht bedeutete die Gefangennahme für den Betroffenen auch keine Einbuße an der persönlichen Ehre. Das half ihm aber nicht viel, wenn etwa ein hohes Lösegeld letztlich den wirtschaftlichen Ruin der gesamten Familie bedeutete. Viele in Gefangenschaft geratene Herren waren gezwungen, über ihre eigentliche finanzielle Möglichkeit hinaus, Geld zu leihen, Eigentum 77 5. Die Lösegeldverhandlungen 209 Volker S C H M I D T C H E N , Ius, in: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 177), S. 36. 210 Klare Richtlinien für die Festlegung von Lösegeldern lassen sich in den Quellen nicht ausmachen. Deshalb werden in dieser Studie die Lösegelder, die zu entrichten waren, zwar dargestellt, jedoch nicht weiter problematisiert. Zur Schwierigkeit fehlender Reglementierungen s. auch: Ambühl, Prisoners (wie Anm. 30), S. 148f., 153, 158 f., 263. 211 L A W N , Gefangenschaft (wie Anm. 25), S. 54f. 212 M Ü L L E R , Freundschaft (wie Anm. 184), S. 126; Arnulf N Ö D I N G , Kriegsgefangenschaft, in: In der Hand des Feindes (wie Anm. 5), S. 107. 213 B O O C K M A N N , Urfehde (wie Anm. 12), S. 27; K E E N , Laws (wie Anm. 23), S. 161; M Ü L L E R , Freundschaft (wie Anm. 184), S. 127. 214 L A W N , Gefangenschaft (wie Anm. 25), S. 68f. 215 Adalbert E R L E R , Art. „Loskauf Gefangener“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechts‐ geschichte (HRG), 1984, Sp. 48-55, hier Sp. 50. „Die Gefangenschaft endete erst mit der Zahlung des Lösegeldes; ihre Dauer war von vornherein nicht absehbar.“, Martin K I N T Z I N G E R , Geiseln, in: Ausweisung und Deportation (wie Anm. 166), S. 51. zu verkaufen oder zu verpfänden.“ 209 Die Verhandlungen dauerten häufig sehr lange. Es wurde nicht nur über das Lösegeld, sondern auch über das Verzehr- oder Kostgeld der Gefangenen, also die entstandenen, teilweise hohen Kosten der Gefangenschaft verhandelt. 210 Um das notwendige Geld für die Freilassung zu beschaffen, gab es mehrere Wege. Der Gefangene konnte durch den Gefangennehmer auf eine beeidete Verpflichtung hin zeitweise entlassen werden, verbunden mit dem Versprechen, sich innerhalb einer bestimmten Frist wieder bei dem Gefangennehmer einzufinden. So konnte der Gefangene selbst für die Aufbringung seines Lösegeldes sorgen, durfte jedoch nicht mehr in das Kriegsgeschehen eingreifen. Dafür musste er häufig Sicherheiten in Form von Geiseln oder Sachpfänden stellen, manchmal galt jedoch auch das Ehrenwort. Konnte er innerhalb der festgelegten Frist das Lösegeld nicht auftreiben, musste er sich wieder in Gefangenschaft begeben. 211 Anders sah die Lage bei hochrangigen Gefangenen aus, für die ein sehr hohes Lösegeld zu erwarten war oder bei Gefangenen, die sich des Verrats schuldig gemacht hatten. Diese wurden festgesetzt und in den meisten Fällen nicht freigelassen, bis die Freilassungsbedingungen erfüllt waren. 212 Die meisten Gefangenen konnten sich nicht selbst loskaufen und waren auf die Unterstützung von außen angewiesen. Teilweise mussten die Familien oder Freunde Bürgschaften eingehen, um die Angehörigen loskaufen zu können. 213 Immer wieder war auch der Herrscher oder Heerführer für die Aufbringung des Lösegeldes verantwortlich. 214 Alle Beteiligten, die dem Gefangenen Geld zur Verfügung stellten, hatten nach dem Loskauf einen Anspruch auf die Erstattung der Gelder. 215 Beendet wurde die Gefangenschaft mit dem Versprechen der Urfehde, einer Zusage der künftigen Gewaltunterlassung, die auch schriftlich 78 A. Hintergrundinformationen: Die Gefangenschaft im Mittelalter 216 Zur Urfehde B L A U E R T , Urfehdewesen (wie Anm. 30); B O O C K M A N N , Urfehde (wie Anm. 12), S. 26; T E R H A R N , Herforder (wie Anm. 188), S. 104f. 217 T E R H A R N , Herforder (wie Anm. 188), S. 114-116. 218 Volker S C H M I D T C H E N , Ius, in: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 177), S. 37. 219 Martin K I N T Z I N G E R , Geiseln, in: Ausweisung und Deportation (wie Anm. 166), S. 50. 220 Zur Schwierigkeit der Lösegeldhöhen: A M B Ü H L , Prisoners (wie Anm. 30). 221 L A W N , Gefangenschaft (wie Anm. 25), S. 65f. 222 So auch bei mehreren Selbstzeugnissen in dieser Untersuchung und Volker S C H M I D T ‐ C H E N , Ius, in: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 177), S. 35. 223 T E R H A R N , Herforder (wie Anm. 188), S. 81f. 224 Zum Ehrenwort des Gefangenen, K N O R R , Ehrenwort (wie Anm. 174). Zum Wortbruch M Ü L L E R , Freundschaft (wie Anm. 184), S. 240-242. niedergelegt und unterzeichnet werden musste. 216 Auch dabei wurde oft auf die Bürgschaft durch Dritte zurückgegriffen, um die Urfehde zu sichern. Diese Bürgen hafteten oft mit ihrem eigenen Vermögen. 217 Das Lösegeld hatte eine hohe wirtschaftliche Bedeutung für den Sieger. Sicherlich gehörten zu erwartende Lösegelder mit zu den Gründen, warum Konflikte militärisch ausgetragen wurden, als Refinanzierung oder sogar Ge‐ winnsumme aus einem Krieg. 218 „Dieses Vorgehen versprach politischen Nutzen, indem der Gegner für gewisse Zeit handlungsunfähig war und zu politischen Zugeständnissen genötigt werden konnte - zugleich stellte es einen erheblichen materiellen Gewinn in Aussicht.“ 219 Aussagen zur Höhe des Lösegeldes sind allerdings nur schwer zu treffen. 220 Elisabeth Lawn versucht in ihrer Studie eine Abschätzung und gibt an, dass es unter Adligen üblich war, Lösegelder zu verlangen, die in etwa einem Jahreseinkommen entsprachen. Tendenziell sollte das Lösegeld nicht den Besitz des Gefangenen übersteigen. Dass es in vielen Fällen jedoch sehr viel höher lag und nicht selten Gefangene an den Rand des Ruins gebracht wurden, belegen zahlreiche Beispiele. 221 Teilweise zeigen die Quellen auch, dass die Gefangenen ihre Lösegelder sogar selber festlegten. 222 Gerade die Festlegung von Lösegeldern war jedoch problematisch, da die Zusage des Gefangenen erpresst sein konnte. Die Schwierigkeiten, einen erpressten Eid zu bewerten, finden sich auch in der Rechtsliteratur des Mittelalters wieder. 223 Dabei ging es vor allem um in der Gefangenschaft getätigte Versprechen. 224 So legte der Sachsenspiegel fest, dass Versprechen einzuhalten seien. Der Fall sei jedoch anders zu bewerten, wenn sie unter Zwang und Lebensgefahr entstünden: „Iewelkes gevangenen dat unde gelovede ne scal dorch recht nicht stede sin, dat he binnen venknisse lovet; let men ene aver ledich (gan) oppe sine truwe (oder) riden to dage, he scal dorch recht weder komen (to dage) unde sine truwe ledegen. Gilt he oder wert he ane gelt ledich, swelk orvede he lovet oder sweret, 79 5. Die Lösegeldverhandlungen 225 Sachsenspiegel, Ldr. III 41 §1, L A W N , Gefangenschaft (wie Anm. 25), S. 19. 226 Sachsenspiegel Ldr. III 41 §3., L A W N , Gefangenschaft (wie Anm. 25), S. 19. 227 Hier schrieb der Sachsenspiegel vor, dass der Gefangene, der sein Wort gegeben hatte zum Gerichtstermin zu erscheinen und dies nicht einhalten würde, zwangsweise vorgeführt werden sollte: „Alse hir vor geseget is, also verwint men ok den, de to kampe gevangen unde gegrot is, unde lovet oder borgen sat vor to komene, unde nicht vore ne kumt to rechten degedingen.“Sachsenspiegel, Ldr. I 65 §1, L A W N , Gefangenschaft (wie Anm. 25), S. 16f. de scal he dorch recht lesten, unde anderes nene lovede, dat he binnen venknisse gelovet (oder dut).“ 225 Dahinter steht der Gedanke, dass hinterlistig erzwungene Versprechen, die in der Gefangenschaft gegeben wurden, nicht einhalten werden mussten. 226 Anders verhielt es sich jedoch mit der Zusage, sich zu einem bestimmten Termin vor Gericht wieder einzufinden, ebenso, wie die geschworene Urfehde, die der Gefangene in jedem Fall einhalten musste. Damit sollte nachfolgenden Zwistig‐ keiten begegnet und eine Fortführung der Streitigkeit verhindert werden. 227 80 A. Hintergrundinformationen: Die Gefangenschaft im Mittelalter 228 Karl A L B R E C H T , Art. „Rappoltstein, Bruno von († 1398)“, in: Historische Commission (Hrsg.) 1888 - ADB, S. 306-312, S. 309; Bruno B I S C H O F F , Die Gefangennahme der Straßburger Gesandten durch die Herren von Schwanberg 1395, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen 18 (1880), S. 252-260, S. 253. B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen Die ersten drei Fallbeispiele dieser Untersuchung betreffen Menschen, die durch ihre Gefangenschaft in einen Konflikt hineingezogen wurden, an dem sie zunächst nicht beteiligt waren. Für die Gefangennehmer waren sie geeignete Druckmittel, um Aufmerksamkeit für die eigenen Anliegen zu erhalten und die Verhandlungen voranzutreiben. 1. Die Straßburger Gesandtschaft a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses Der erste Gefangenschaftsfall in dieser Untersuchung betrifft eine Straßburger Gesandtschaft, die sich im April 1395 auf dem Rückweg von Prag nach Straßburg befand, als sie überfallen wurde. Die Abordnung bestand aus den Straßburger Bürgern Hans Bock ( Johannes von Bock) und Andreas Heilmann sowie dem Adligen Heinrich von Mühlheim (Mullenheim). Sie sollten einen Streitfall zwischen der Stadt Straßburg und Ritter Bruno von Rappoltstein vor König Wenzel bringen. Bruno von Rappoltstein hatte 1384 den englischen Ritter John Harleston in seine Gewalt gebracht und erst nach mehreren Jahren in Haft, zunächst auf Hoh-Rappoltstein und später in Burgund, wieder in die Freiheit entlassen. Deshalb verhängte König Wenzel 1388 die Acht über Bruno von Rappoltstein. Da Bruno jedoch seit Oktober 1383 Bürger der Stadt Straßburg war und man sich von Seiten des Rates nicht allzu intensiv mit der Sache befasste, traf auch Straßburg zwei Jahre später die Reichsacht. Während sich Bruno recht schnell durch die Freilassung des Ritters aus der Acht befreien konnte, verhin‐ derten Intrigen am Prager Hof die Lösung Straßburgs. 228 Diese Konstellation und nicht zurückgezahlte Geldforderungen Brunos an die Stadt führten zu einem gereizten Klima zwischen ihm und dem Rat der Stadt Straßburg. 229 Dieser war seit 1392 Hauptmann und Landvogt von Bayern Schwaben und dem Elsass, s. B I S C H O F F , Gefangennahme (wie Anm. 228), S. 254, Anm. 5; Eberhard H O L T Z , Reichsstädte und Zentralgewalt unter König Wenzel 1376-1400 (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 4), Warendorf 1993, S. 149. 230 Zu den Beschwerden Brunos gegen die Stadt Straßburg vgl. Bernhard D I E S T E L K A M P / Ute R Ö D E L , Die Zeit Wenzels: 1393-1396 (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbar‐ keit im Alten Reich 13), Köln [u. a.] 2001, Nr. 22, S. 22f. Die Beschwerdepunkte der Stadt Straßburg gegen Bruno von Rappoltstein ebd., Nr. 23 u. Nr. 24, S. 24. 231 Adam Walther S T R O B E L , Vaterländische Geschichte des Elsasses von der frühesten Zeit bis auf die gegenwärtige Zeit, Vol. 3, Strassburg 1843, S. 44. 232 Später wurde Wenzel auf die Burg Wildberg bei Linz verbracht. Am 2. August 1394 kam er wieder frei. Eine sehr gute Darstellung der ersten Gefangenschaft Wenzels bei Thomas R. K R A U S , Eine unbekannte Quelle zur ersten Gefangenschaft König Wenzels im Jahre 1394, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters (DA) 43 (1987), S. 135-159; vgl. auch H O L T Z , Reichsstädte (wie Anm. 229), S. 155-157; Martin K I N T Z I N G E R , Wenzel (1376-1400, † 1419), in: Die deutschen Herrscher des Mittelalters. Historische Portraits von Heinrich I. bis Maximilian I. (919-1519), hrsg. v. Bernd Schneidmüller/ Stefan Weinfurter, München 2003, S. 433-445, hier S. 443-445. Die Brüder von Schwanberg, die die drei Gesandten gefangen nahmen, gehörten mit zu den Anhängern des Jobst von Mähren, die für Wenzels Gefangenschaft verantwortlich waren: B I S C H O F F , Gefangennahme (wie Anm. 228), S. 253. Zum Markgrafen Jobst von Mähren: Martin K I N T Z I N G E R , Sigmund (1410/ 1437): Mit Jobst von Mähren (1410-1411), in: Die deutschen Herrscher des Mittelalters. Historische Portraits von Heinrich I. bis Maximilian I. (919-1519), hrsg. v. Bernd Schneidmüller/ Stefan Weinfurter, München 2003, S. 462-485. 233 Ferdinand S E I B T , Karl V. Der Kaiser und die Reformation, München 1998, S. 12. Rappolts‐ teinisches Urkundenbuch, 759-1500, hrsg. v. Karl A L B R E C H T (Quellen zur Geschichte der ehemaligen Herrschaft Rappoltstein im Elsass 2), Colmar 1892, Nr. 236, S. 405. Zu den Spannungen zwischen Wenzel und Sigismund: Martin K I N T Z I N G E R , Sigmund, in: Die deutschen Herrscher des Mittelalters (wie Anm. 232), S. 470f. Bruno verbündete sich mit mehreren Adligen, darunter auch Landvogt Bořivoj von Svinaře, 229 gegen Straßburg und belagerte von September 1392 bis Februar 1393 erfolglos die Stadt. 230 Auf Befehl des Königs kam es am 24. Februar 1393 zum Hagenauer Frieden und die Stadt Straßburg wurde aus der Acht entlassen. Doch die Beilegung der Streitigkeiten verzögerte sich weiter, mehrere Treffen konnten keine endgültige Einigung herbeiführen. 231 Deshalb erklärte Straßburg Bruno von Rappoltstein im Herbst 1394 die Fehde. Ein Ende des Konfliktes war nicht abzusehen und führte immer wieder dazu, dass Straßburg Delegierte zum Königshof entsandte. König Wenzel hatte seinerseits mit Problemen in Böhmen zu kämpfen. Er war am 8. Mai 1394 durch Markgraf Jobst von Mähren und einigen Anhängern in Beroun gefangen gesetzt und in Prag inhaftiert worden. 232 Erst nach mehreren Zugeständnissen hatte Wenzel sich schließlich aus der Haft lösen können. Der Konflikt mit dem böhmischen Adel gärte jedoch weiter und nahm die Aufmerksamkeit des Regenten in Anspruch. 233 82 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 234 Andreas Heilmann reiste im Dezember 1393 nach Nürnberg und durch Böhmen: Str. St. A. AA. 115; gedr.: Johannes F R I T Z (Bearb.), Politische Urkunden von 1381-1400 (Urkunden und Akten der Stadt Straßburg, 1. Abt.: Urkundenbuch der Stadt Straßburg VI), Straßburg 1899, Nr. 813, S. 491f.; Hans von Mühlheim berichtete im Februar 1394 als Gesandter von einer Unterredung mit dem Dompropst Burkhard von Lützelstein: Str. St. A. AA. 1420; gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 828, S. 500f. Johann Bock war Mitglied einer Gesandtschaft, die im Dezember 1394 mit Bruno von Rappoltstein verhandelte: Str. St. A. AA. 112, Nr. 143, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 909, S. 543. 235 Der Straßburger Ammeister (Amtmeister) war ein Zunftmeister: Berent S C H W I N E K Ö P E R , Gilden und Zünfte. Kaufmännische und gewerbliche Genossenschaften im frühen und hohen Mittelalter (Vorträge und Forschungen 29), Sigmaringen 1985, S. 327. 236 S T R O B E L , Vaterländische (wie Anm. 231), S. 40; F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), S. 562. 237 Julius V O N K I N D L E R K N O B L O C H , Oberbadisches Geschlechterbuch, Dritter Band, Heidel‐ berg 1919, S. 137. 238 Das Geleitschreiben ist auf den 4. Februar 1395 datiert: Str. St. A. AA. 107, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 916, S. 545f.; H O L T Z , Reichsstädte (wie Anm. 229), S. 159. Dieses Schreiben ließ die Stadt Straßburg noch einmal durch die Notare Zu den drei Gesandten sind nur wenige biographische Informationen überlie‐ fert. Alle drei Männer sind als Vertreter der Stadt Straßburg schon vor dieser Reise in den Quellen des Straßburger Stadtarchivs vermerkt. 234 Der erste Gesandte, Hans Bock (Johannes von Bock), entstammte einem alten elsässischen Rittergeschlecht. Er war mit ‚Ketthrin/ Katharina‘ verheiratet, wie seinen Briefen zu entnehmen ist. Der zweite Abgesandte Andreas Heilmann war mit ‚Elle Wibelin‘ verheiratet und wird 1388 in den Quellen als Altammeister 235 von Straßburg geführt. 236 Heinrich von Mühlheim (auch Müllenheim oder Mullenheim) schließlich stammte aus einem alten Straßburger Patriziergeschlecht. Die Familie lag in ständiger Auseinandersetzung mit der Straßburger Adelsfamilie Zorn, die auch gewalttätig ausgefochten wurde. Heinrichs Briefen können wir entnehmen, dass er mit ‚Benedicte/ Benedicat‘ Schaller verheiratet war. Den Nachnamen seiner Mutter gibt er in einem Brief mit „Zorn“ an. Er kann mit diesen Angaben als Heinrich von Müllenheim von Landsberg identifiziert werden. Seine Mutter war Gertrud, geborene von Zorn-Landsberg. Sein Vater Heinrich von Müllenheim war Vogt von Straßburg. Heinrich selbst ist als Bürgermeister in Straßburg belegt. 237 b) Der Untersuchungsfall Die Gefangennahme Im März 1395 brach die Gesandtschaft mit einem Geleitschreiben König Wenzels nach Prag auf, um die Angelegenheiten der Stadt Straßburg mit Bruno von Rappoltstein zu verhandeln. 238 Unruhen am Hofe verzögerten zunächst jedoch 83 1. Die Straßburger Gesandtschaft Wernher Spatzinger und Johann Werder von Eßlingen bestätigen, vgl. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), S. 545, Anm. 2. 239 Ein erstes Schreiben findet sich vom 7. April; es beschreibt den Fortgang der Verhand‐ lungen und nennt Fürsprecher sowie auftretende Schwierigkeiten: Str. St. A. G. U. P. lad. 22 fasc. 4, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 921, S. 547f.; D I E S T E L K A M P / R Ö D E L , Zeit (wie Anm. 230), Nr. 234, S. 178-180. Unterstützt wurden die Gesandten vor allem durch Herzog Stephan von Bayern, der im Folgenden durch Wenzel auch als Vermittler zwischen der Stadt Straßburg und Bruno von Rappolstein eingesetzt wurde: D I E S T E L K A M P / R Ö D E L , Zeit (wie Anm. 230), Nr. 237, S. 181. Ein weiterer Brief vom 13. April berichtete von stockenden Verhandlungen mit dem König: Str. St. A. AA. 113, Nr. 20, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 923, S. 549. So sei der König wegen der eskalierenden Verhandlungen überstürzt aus Prag nach Karlstein abgereist. Da man nun auf seine Rückkehr warte, würden sich die Verhandlungen verzögern: D I E S T E L K A M P / R Ö D E L , Zeit (wie Anm. 230), Nr. 236, S. 180f. Auch mit weiteren Vertrauensleuten in Prag existierte Briefverkehr, der nach Straßburg weitergeleitet wurde: Str. St. A. AA. 113, Nr. 39, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 928, S. 550; S T R O B E L , Vaterländische (wie Anm. 231), S. 40. 240 Bischoff fügt an, dass diese Zusage Wenzels wahrscheinlich nicht ernst gemeint war, B I S C H O F F , Gefangennahme (wie Anm. 228), S. 255. 241 „zinstag zu mittemtag“, Str. St. A. AA. 113, Nr. 5, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 931, S. 554. Strobel datiert den Tag des Überfalls auf den 27. April 1395, S T R O B E L , Vaterländische (wie Anm. 231), S. 40. 242 Str. St. A. AA. 113, Nr. 5, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 931, S. 553f., hier S. 553. In einem weiteren Brief bot Dietrich von der Weitenmühle am 4. Mai 1395 seine Hilfe bei den Verhandlungen für die gefangenen Gesandten an, vgl. Louis S P A C H , Bruno (Braun) de Ribeaupierre et les délégués de Strasbourg, prisonniers à Schwanberg, Strasbourg 1865, Annexe No. 3, S. 33. Zum Nachrichtenverkehr von Informationen aus Böhmen ins Reich und umgekehrt, der über Nürnberg lief, s. Miloslav P O L Í V K A , Nürnberg als Nachrichtenzentrum in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in: Kom‐ die Beratungen und die Möglichkeit, den König zu sprechen, wie man mehreren Briefen der Gesandten an die Stadt Straßburg entnehmen kann. 239 Schließlich konnte ein halbherziges Ergebnis der Besprechungen mit dem König bestätigt werden, der zusagte zu den Pfingstfeiertagen an den Rhein zu kommen. 240 Mit diesem Ergebnis traten die Gesandten, erneut ausgestattet mit einem Geleitschreiben, den Rückweg nach Straßburg an. Bei Tachau wurde die Gruppe jedoch am 27. April 1395 241 von mehreren Reitern überfallen und verschleppt. Von diesem Überfall informiert das erste Mal ein Brief Hermann Ebners aus Nürnberg an den Straßburger Ammanmeister Claus Bermann vom 2. Mai 1395. Dieser berichtete: „daz her Hainrich von Müllhaim und her Hans Pokk und her Endres Heilman mit allen iren diner aůff gehalten sind worden an dem eritage gen halb Tachow 2 meil wegs. Und daz haben getan die von Swanberk und haben sie gefürt mit allen sachen, alz sie aůff dem feld waren, aůff die vesten gen Swanberk und haben gehebt 22 pfert.“ 242 84 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen munikationspraxis und Korrespondenzwesen im Mittelalter und in der Renaissance, hrsg. v. Heinz-Dieter Heimann/ Ivan Hlaváček, Paderborn 1998, S. 165-178. 243 Zur Rolle des Augenzeugen im Mittelalter s.: Die Figur des Augenzeugen. Geschichte und Wahrheit im fächer- und epochenübergreifenden Vergleich, hrsg. v. Amelie R Ö ‐ S I N G E R / Gabriela S I G N O R I , Konstanz 2014. 244 „an dem nehsten tag dernach gaben sie den dinern urlaub, dann der Rinkell und fridrich, die zwin sind pey den hern beliben.“Str. St. A. AA. 113, Nr. 5, Nr. 931, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), S. 553. 245 Str. St. A. AA. 113, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 932, S. 554. 246 Ebd. Die Gefangennehmer können als Herren von Schwanberg identifiziert werden. Mit insgesamt 22 Reitern hatten sie die Gesandtschaft angegriffen und festgesetzt. Nach dem Überfall seien die drei Gefangenen auf die Burg Schwan‐ berg, dem Stammsitz der Familie, geführt worden. Als erste Informationsquelle wurden mehrere Diener benannt, die am Tag nach der Gefangennahme von den Herren von Schwanberg freigelassen worden seien. 243 Nur zwei Bedienstete der Gesandten seien bei ihren Herren verblieben. 244 Die freigegebenen Knechte wandten sich an Herzog Stephan in Prag und nach Nürnberg, um Unterstützung für ihre Herren zu erhalten. Auf diesem Weg verbreitete sich schnell die Nachricht der Gefangennahme. Hermann Ebner verfasste am selben Tag noch einen zweiten Brief an den Rat der Stadt Straßburg, in dem er erneut die Vorkommnisse des Überfalls schilderte. Dieser zweite Bericht ist fast identisch mit der ersten Schilderung, enthält aber noch einige weitere Angaben. Die größte Sorge Ebners galt den Siegeln der Gesandten, die nun in den Händen der Herren von Schwanberg seien: „sie haben sich der herrn insigel undervunden, die sie pey in hetten, ob imant mit priffen, die mit iren insigeln weren, zu euch hin haim kůmen, do schol man sich nit an keren, wann sie irr insigel niht geweltig sind, daz haben sie iren diner můntlich enpfollen, daz man sie dor an niht ker, daz múgt iriren freuntten wol zu wissen tůn“ 245 Den Gesandten war es demnach gelungen, sich kurz mit den Dienern zu unterhalten, bevor diese aufbrachen, und sie konnten so, über den Brief Ebners, den Rat und den Bürgermeister der Stadt Straßburg vor einem Missbrauch der Siegel warnen. Die andere Information, die der zweite Brief enthält, beziffert eine erste Aussage zur Lösegeldhöhe: „auch sagt man, daz sie (die von Schwanberg) mutten von in sechzik taůsent gulden.“ 246 Diese erste Mutmaßung über die mögliche Höhe des geforderten Lösegeldes bereitete dem Rat der Stadt sicherlich einiges Kopfzerbrechen, fiel die Summe doch sehr hoch aus. Zu diesem Zeitpunkt fehlten jedoch sowohl die genaue Forderung als auch das Motiv hinter der Entführung der Gesandten. Einen ersten Hinweis lieferte jedoch Ebner in seinem Brief: „sie hetten sie dorumb 85 1. Die Straßburger Gesandtschaft 247 Str. St. A. AA. 113, Nr. 5, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 931, S. 553. 248 S T R O B E L , Vaterländische (wie Anm. 231), S. 40; B I S C H O F F , Gefangennahme (wie Anm. 228), S. 255. Strobels Vermutung, dass der Überfall von Bruno von Ribeau‐ pierre veranlasst wurde, kann durch die Quellen nicht bestätigt werden, vgl. S T R O B E L , Vaterländische (wie Anm. 231), S. 43. 249 Str. St. A. AA. 113, Nr. 42 b, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 935, S. 555f., hier S. 555. Gleichzeitig zu diesem Brief gingen mindestens zehn weitere Schreiben mit ähnlichem Inhalt zu verschiedensten Empfängern, um deren Unterstützung der Rat von Straßburg bat, vgl. S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), S. 33. Im Laufe der ersten Wochen herrschte ein reger Briefverkehr, um Unterstützer für die Befreiung der Gesandten zu finden, F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), S. 558; S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), S. 15 und Annexe No. 7, S. 34; Annexe No. 10, S. 36. 250 D I E S T E L K A M P / R Ö D E L , Zeit (wie Anm. 230), Nr. 240, S. 184f.; Nr. 244, S. 187f. Verstärkt wurde die Schwere der Ereignisse durch einen zweiten Überfall auf eine Frankfurter Delegation, die sich ebenfalls auf dem Weg zum König gemacht hatte. Die Frankfurter Gesandten waren in der Nähe von Tirschenreuth überfallen worden, B I S C H O F F , Gefan‐ gennahme (wie Anm. 228), S. 256. Es gab noch weitere Überfälle auf Gesandte aus Worms, Speyer und Mainz, vgl. D I E S T E L K A M P / R Ö D E L , Zeit (wie Anm. 230), Nr. 244, S. 187f. gevangen umb den dinst, den sie underm hern kůnk tůn heten, do wolt man in niht solt geben.“ 247 Die Herren von Schwanberg forderten von Wenzel und seinem Bruder, Herzog Johann, die Begleichung von Schulden, die diese zuvor bei den Schwan‐ bergern gemacht hatten. Deshalb hätten sie die Gesandten entführt, um notfalls über das Lösegeld zu ihrem Geld zu kommen. 248 Die Gefangenschaft Der Rat der Stadt Straßburg verfasste unmittelbar nach Bekanntwerden der Entführung der drei Männer einen Brief an König Wenzel, in dem er sich über den Überfall und die Gefangennahme beschwerte. Dem Bericht über die Vorkommnisse war die Bitte um eine Intervention des Herrschers beigefügt: „sint die herren von Swaneberg sie anekommen und hant sie gefangen und ire habe genummen und uff die vestin Swaneberg gefůrt, alz uns geseit ist. darumbe so bittent wir uwere gnode dienstliche und mit allen flisse, das ir uwer schinbernde gnode miltekliche dar zů keren wellent, daz die vorgenannten unser erber botten lidig und losz werdent geseit und ynen widerkert (werde).“ 249 Die Entführung der Gesandtschaft erregte große Aufmerksamkeit - von allen Seiten erhielt die Stadt Hilfsangebote. 250 Am 23. Mai schrieb einer der freigelassenen Diener, Martin von Schiltikin, an den Rat der Stadt Straßburg, er sei nach seiner Entlassung beim König und seinen Räten gewesen, um diese um die notwendige Unterstützung zu bitten. Wenzel habe Landvogt Bořivoj von Svinaře mit der Sache betraut: „daz der ritet von des kúnigs wegen und minre 86 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 251 Str. St. A. AA. 113, Nr. 34, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 943, S. 558f., hier S. 558. Fritz datiert den Brief auf den 25. Mai, die Datierung „tertia feria post festum Ascensionis“ ergibt jedoch den 23. Mai, da Christi Himmelfahrt auf den 20. Mai 1395 fällt, vgl. auch S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), Annexe No. 8, S. 34f. 252 Der Brief ist auf den 29. Mai 1395 datiert, Str. St. A. AA. 113, Nr. 21, in Ausz. gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 944, S. 559; gedruckt S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), Annexe No. 9, S. 35. 253 Str. St. A. AA., Nr. 16, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 945, S. 559f., hier S. 559; S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), No. 11, S. 36. 254 Str. St. A. AA., Nr. 16, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 945, S. 560. herren wegen zu den von Swanenberg und sol die sache mit in ustragen, daz minre herren lidig werden von des kúniges wegen.“ 251 Allerdings käme es zu Verzögerungen, da der König momentan nicht in Prag weile und man deshalb noch abwarten müsse. Herzog Stephan von Bayern sei als Fürsprecher noch vor Ort und wolle sich ebenfalls für die Sache einsetzen. Schiltikin selbst werde in Prag bleiben, um die Sache weiter zu beobachten. Vom Versuch des Königs durch die Verhandlungen Bořivojs eine Beendigung der Gefangenschaft herbeizuführen, weiß auch Herman Ebner in einem Brief aus Nürnberg zu berichten. Die Unterredung sei jedoch erfolglos verlaufen. 252 Zur Unterbringung der Gefangenen, die sich zu diesem Zeitpunkt weder bei ihrer Familie noch beim Rat der Stadt Straßburg gemeldet hatten, erfahren wir durch einen glücklichen Umstand. Der Tachauer Wirt Wenezlaw Kauffmann schrieb am 4. Juni 1395 an den Rat in Straßburg und berichtete über die Lage der Gefangenen: „[D]az si ein weil in den türen sint gelegen, aber si sint nü ledig dez türenz und gend auf dem haus in einen gemach auz und ein, und man hüt ir noch gar vast.“ 253 Da der Brief des Wirtes Anfang Juni verfasst wurde, können wir davon aus‐ gehen, dass die Bemühungen des Königs und seiner Gesandten insofern Früchte trugen, dass es zu einer ersten Hafterleichterung für die gefangenen Straßburger kam. Während sie die ersten Tage noch in einem Turm eingeschlossen waren, durften sie sich nun freier bewegen. Allerdings seien sie weiterhin streng bewacht worden. Außerdem berichtete der Wirt, dass er den Dienern, die zuvor aus der Gefangenschaft entlassen worden waren, das Zehrgeld gestellt habe. Ebenso sei er bereit gewesen, den gefangenen Gesandten bis zu 200 Gulden zu leihen, wenn sie diese nach ihrer Freilassung benötigen würden. Das Geld könne man ihm dann über einen Freund in Nürnberg zurückzahlen. 254 Auch die Stadt Prag versuchte ihren Einfluss auf den König geltend zu ma‐ chen und den Herrscher zu einem Eingreifen zu bewegen. Eine Gesandtschaft, die man zu Wenzel geschickt hatte, kam mit der Zusage zurück, der König wolle 87 1. Die Straßburger Gesandtschaft 255 Str. St. A. AA., 113, Nr. 4, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 947, S. 560. Auch der Diener Martin von Schiltikin kann keine neuen Informationen in einem Schreiben vom 12. Juni mitteilen. Der König habe den Markgrafen Jobst von Mähren seinerseits gefangen genommen und sei deshalb mit anderen Dingen beschäftigt. Man habe zwar Fürsprecher vor Ort, allerdings würde sich die Sache weiter verzögern: Str. St. A. AA., 113, Nr. 41, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 950, S. 561; S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), No. 13, S. 37f.; D I E S T E L K A M P / R Ö D E L , Zeit (wie Anm. 230), Nr. 246, S. 188-190; auch Deutsche Reichstagsakten unter König Wenzel. Zweite Abtheilung 1388-1397, hrsg. v. Julius W E I Z S Ä C K E R (Deutsche Reichstagsakten 2), München 1874, S. 409-413. 256 Str. St. A. AA., 113, Nr. 22, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 951, S. 561f., hier S. 561. 257 Wahrscheinlich Johann von Görlitz, ein jüngerer Bruder Wenzels. 258 Zu Verletzungen des Geleitrechts: Martin K I N T Z I N G E R , Cum salvo conductu: Geleit im westeuropäischen Spätmittelalter, in: Gesandtschafts- und Botenwesen im spätmittel‐ alterlichen Europa, hrsg. v. Rainer Christoph Schwinges/ Klaus Wriedt (Vorträge und Forschungen 60), Ostfildern 2003, S. 313-364. sich mit aller Kraft für das Schicksal der Gefangenen einsetzen. 255 Diese Versi‐ cherung ist wenig überzeugend, vor allem, wenn man sich vor Augen hält, wie angespannt Wenzel in dieser Zeit versuchte, die eigenen Auseinandersetzungen mit dem böhmischen Adel zu klären. Ein erstes Lebenszeichen der Gefangenen ist erst vom 14. Juni, also fast zwei Monate nach dem Überfall, in den Quellen auszumachen. Vier Briefe sind auf den gleichen Tag datiert, so dass davon auszugehen ist, dass der Zeitpunkt der Nachrichten sehr bewusst gewählt worden war. Der erste Brief wurde gemeinschaftlich an den Rat Straßburgs adressiert. Die Gefangenen berichten von ihrer Ergreifung und von dem Motiv der Herren von Schwanberg: „daz ir wol wissent, wie uns unser herren her Bosko und her Busla von Swanberg gefangen hant, daz hant sú getan der umbe, daz in unser here der kúnig und hertzoge Hans sin brůder schuldig sint, dez sú briefe von in hant, also sú uns das geseit hant und meinen, daz wir pant fur unsern heren den kúnig sin súllent sit dez molles, daz wir in sime geleitte gewesen sint, der súlle uns ouch ledigen.“ 256 So sollte durch die Gefangennahme der Gesandten die Begleichung der Schulden Wenzels und seines Bruders 257 erzwungen werden. Aufschlussreich ist die Begründung der Herren von Schwanberg für die Auswahl ihrer Entfüh‐ rungsopfer: Da die Gesandten mit dem Geleitbrief von Wenzel ausgestattet waren, wären sie ein geeignetes Druckmittel, um den König zum Handeln zu bewegen. 258 Dass gleichzeitig der Rat der Stadt Straßburg und weitere Fürsprecher versuchen würden, die Sache voranzutreiben, war sicherlich ebenso mit eingeplant worden. 88 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 259 Str. St. A. AA., 113, Nr. 22, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 951, S. 561. 260 Eine ähnliche Beobachtung lässt sich bei der Gefangenschaft von König Richard Löwenherz machen. Knut Görich vermutet, dass das Verbringen des englischen Königs in das Verlies auf dem Trifels und das Anlegen von Ketten eine Inszenierung für die englischen Gesandten war, die von der Notwendigkeit einer raschen Lösegelderhebung überzeugt werden sollten, Knut G Ö R I C H , Verletzte Ehre. König Richard Löwenherz als Gefangener Kaiser Heinrichs VI., in: Historisches Jahrbuch 123 (2003), S. 65-91, S. 76f. u. 89. 261 Str. St. A. AA., 113, Nr. 22, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 951, S. 561. Die Beschreibungen der Situation vor Ort für die gefangenen Gesandten lesen sich als Ergänzung zu den Informationen des Wirtes, die bereits im Vorfeld nach Straßburg gedrungen waren: „der uf halten sů uns swerlich in gefengnisse und hant uns zů dem dritten molle uf blóchen geslagen mit henden und mit fúessen und alse úch der botte wol sagende wirt.“ 259 Es scheint so, als seien die Haftbedingungen erneut verschärft worden. Ob das Fesseln der Gesandten eine dauerhafte Bestrafung war oder nur zeitweise angewendet wurde, kann dem Brief nicht entnommen werden. Denkbar ist auch, dass man die drei Gesandten in die Blöcke geschlossen hatte, um den Boten, der als Augenzeuge in Straßburg Bericht erstatten sollte, davon zu überzeugen, wie schlecht die Männer gehalten würden und wie dringend die Entrichtung der Lösegelder sei. Darauf lässt zumindest der Hinweis schließen, den Boten nach dem Wohlergehen der Gefangenen zu befragen. 260 Direkt im Anschluss an die Beschreibung ihrer Raumsituation werden die einzelnen Lösegeldforderungen für die gefangenen Straßburger genannt, auf die sie sich geschätzt hatten: „daz wir uns geschetzt hant umbe 19000 gulden, der sol geben her Heinrich von Múllheim 1000, und Hans Bock 12000, Anderes heilman 6000 und wellent ouch nút anders.“ 261 Die Herren von Schwanberg erwarteten also die Begleichung der Lösegelder durch den Rat der Stadt Straßburg und nicht durch den König. Mit der Gefan‐ gennahme der Gesandten, so der offensichtliche Plan, konnte man dadurch die ausstehenden Schuldbeträge einholen und das Problem auch an die Stadt Straßburg weitergeben, die sich im Folgenden mit dem König über die Verteilung der Kosten einigen sollte. Die Gefangenen gaben dazu an, dass die Höhe des Lösegeldes nicht verhandelbar sei. Deshalb möge sich der Rat der Stadt Straßburg mit der Überweisung des Geldes beeilen: „bitten wir úch, daz ir es durch got dúnt und gedenkent, daz wir in úwerme dienst und in uwer botschaft, die wir gerne zů dem besten geworben hetten, und uns helffen us unserme sweren gefengnisse, wene es uns gar hertte lib. wollten ir aber dez nút důn, dez wir úch doch nút getruwent, so bitten wir uch durch gottes willen und durch unsers ewigen dienstes willen, daz ir unsern wiben und 89 1. Die Straßburger Gesandtschaft 262 Ebd., S. 561f. 263 Ebd., S. 562. 264 Str. St. A. AA., 113, Nr. 27, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 952, S. 562. unsern frúnden, den wir ouch fúrscriben hant, daz sú uns helffent, daz wir in ouch wol getruwent, daz sú f´r koffent, fúrbúrgent und uf bringent uf alles, daz wir hant, daz wir sú ouch erneslichent bittent und wir in ouch dez wolgetruwent, daz sú daz důnt, und daz ir su domitte fúrdern und in beholffen sint.“ 262 Ausdrücklich wiesen die Gesandten darauf hin, dass sich der Überfall ereig‐ nete, als sie sich im Dienst der Stadt befanden. Doch die Angst, dass der Rat von Straßburg den Betrag nicht zahlen würde, ist in den Quellen deutlich greifbar. Deshalb baten die drei Boten die Stadt, sich im Falle eines Nichtzahlens an die Familie und vor allem an die Ehefrauen zu wenden, damit die notwendigen Zahlungen von anderer Seite ausgeführt werden könnten. Das Schreiben spart auch nicht mit einer Androhung möglicher Konsequenzen, die ein Nichtzahlen der Gelder nach sich ziehen würde: „wo daz nút besche, so wissent, daz wir derumbe an armen und beinen erlemet werdent. Derumbe, liben herren, so důnt uwer bestes herzů, daz wir nút also iemerlichent fúrderbent, ouch lieben herren, lon wir úch wissen, daz wir dis in disen nehesten 6 wochen furbúrgen und fertigen múessen, wenne wir nút lenger zil haben mógen, und lont uns uwer genedige entwurtte wissen.“ 263 Es drängte nicht nur die Zeit, da eine sechswöchige Frist für die Zahlungen anberaumt worden war, sondern die drei Inhaftierten machten auf mögliche Spätfolgen ihrer Behandlung aufmerksam. Sie fürchteten ein ‚Erlahmen‘ ihrer gefesselten Gliedmaßen. Ebenso wie die Fesselungen kann auch dieser Hinweis als Druckmittel in das Schreiben eingebaut worden sein oder aber einer echten Befürchtung der Gefangenen entspringen. Neben dem gemeinsamen Brief der drei Gefangenen an den Rat und den Bürgermeister der Stadt Straßburg schrieben diese auch ihren Ehefrauen und baten zusätzlich ihre Familien und Freunde, das Lösegeld zu bezahlen, damit die Gefangenschaft beendet werden könne. Der erste erhaltene Brief ist von Hans Bock an seine Ehefrau Katharina, in dem er ihr kurz seinen Zustand schilderte: „Liebe Kettrin, ich gruiesse dich und also ich getrůwe, dz du wol hest vernomen, wie ich gewangen bin, alse lige ich swerlich und herteklich mit henden fuiesen uf bloecher geslagen und ist mir do fon also we beschehen, daz ich mich geschetzet habe umb 12000 guldin.“ 264 Seiner Frau berichtete er ebenfalls von der schlechten Lage, in der er sich befinde, und von den großen Schmerzen, die er durch die Fesselung seiner Gliedmaßen erleiden müsse. Aus diesem Schmerz heraus habe er der Schätzung von 12 000 Gulden Lösegeld für seine Person zugestimmt. An die Beschreibung 90 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 265 Ebd. 266 Ebd. 267 Ebd. 268 Spach war der Vorname anscheinend unbekannt, er transkribiert „elle“ mit „etle“: S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), No. 17, S. 40. der eigenen Situation folgt hier die dringende Bitte um die zügige Bereitstellung der Gelder: „darumb, liebe Kettrin, bitte ich dich durch alle die fruntschaft und trůwe, die du ie zu mir gewúnne, der ich dích ermane(n) kann, daz du allez, daz wir hant, verkoufest, versetzest und zů barschaft bringest in welen weg dir allermeist werden mag, und daz du ouch daz fúrderlich und on ferzog dun mogest, danne wissest, wo daz nit beschehe, und du mich daran liesest, so wisest, daz du mich niemer me lebendig gesehest, daz ich dir doch nit getrůwe, ich sige dir lieber danne guot, wenne wer ez dir gelegen, also ez mir ist, mir wer kein gůt so liep, ich gebe ez fuir dich.“ 265 Hans Bock betonte die Dringlichkeit, indem er seine Frau daran erinnerte, in einem anders gelagerten Fall das Gleiche auch für sie tun zu wollen. Er bat im Brief inständig darum, alle Freunde mit hinzuzuziehen, um das Geld schnell aufzutreiben. Allerdings solle sich seine Frau nicht von irgendwem beirren lassen: „wollte dich aber unsere fruinde ieman iren, so ruiefe meister und rat an, daz dir die helfent.“ 266 So habe er den Rat gebeten, seiner Ehefrau zu helfen, sollte es Schwierigkeiten geben. Am Ende wird der Brief noch etwas persönlicher und der Gefangene versicherte seiner Frau bei guter Gesundheit zu sein: „wisest ouch, daz ich zů dieser zit dez libez gesunt bin, liebe Kettrin, wisest, ist ez, daz du mir hilfest fúrderlichest, daz ez in disen sehs wochen verbuirget und uzgetragen wert, daz daz gelt uf zil eins deils verbúrget wirt, so hoffe ich, daz mir min herren von Swanberg gnedecklich duon suillent, darumb sume dich nuit deran.“ 267 Auch Andreas Heilmann und Heinrich von Mühlheim schrieben an ihre Ehefrauen und beim Vergleich der drei Briefe verstärkt sich der Eindruck, dass die Inhalte der Briefe von den Herren von Schwanberg diktiert oder zumindest stark zensiert wurden und nur wenig Raum für Persönliches ließen. Andreas Heilmann adressierte seinen Brief an seine Ehefrau Elle 268 Wibelin. Auch er beginnt seinen Brief mit der Aussage, dass er schwer gefesselt und unter Druck dazu gebracht worden sei, sich selbst auf 6 000 Gulden zu schätzen. Auffällig ist hier der fast identische Wortlaut mit Hans Bock: „also lige ich gar swerlichent und hertteklichent mit henden und mit fuessen ingeslagen und ist 91 1. Die Straßburger Gesandtschaft 269 S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), No. 17, S. 40. 270 Ebd. 271 Ebd. 272 Deshalb wird er bei Spach und Fritz nur erwähnt, ohne dass er weitere Beachtung findet: S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), S. 40; F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), S. 562. 273 Str. St. A. AA., 113, Nr. 29. 274 Ebd. 275 Ebd. Ob es Vorlagen oder Formulare für die Lösegeldschätzungen gab, die vielleicht im Vorfeld der Gesandtschaftsreise mit dem eigenen städtischen Rat vereinbart wurden, kann nicht ausgemacht werden. 276 Str. St. A. AA., 113, Nr. 29. mir dovon also we geschehen daz ich mich geschetzet habe umb VI dusend guldein.“ 269 Wie auch Hans Bock betonte er die Freundschaft und Treue zwischen den Eheleuten und bittet seine Frau, dass sie ohne Verzug „daz hus und dazze schire und die farwe und anders was wir hant zu dem besten und fursetze wie du maht allermeist gelttes der us bringen“ 270 Andreas Heilmann appellierte ebenfalls an ihr Mitgefühl und versicherte, dass er ebenso für seine Frau handeln würde. Auch sie solle sich bei Problemen an den Straßburger Rat wenden. Er versuchte seine Frau zu beruhigen, indem er ihr beteuerte, dass er durch Gottes Gnaden zu diesem Zeitpunkt gesund sei; ermahnte sie aber gleichzeitig, ihm innerhalb der nächsten sechs Wochen Hilfe zukommen zu lassen. Sollte sie dies nicht schaffen, so lautet der Ausspruch Andreas Heilmanns an seine Frau Elle Wibelin fast schon seherisch „so wissest daz ich nüt anders weis dene daz du mich niemer me lebendig gesehest.“ 271 Der Brief Heinrich von Mühlheims ist kaum noch zu entziffern und weist viele Lücken auf. 272 Doch man kann davon ausgehen, dass er ähnlich wie die beiden vorherigen Briefe verfasst wurde und ebenfalls gleichlautende Passagen enthielt. Zu entziffern ist in dem Brief Heinrich von Mühlheims an seine Frau Benedicte, dass er „hertteklichent gehalten“ 273 werde und auf Blöcke geschlagen sei, die ihm körperliche Qualen zufügen würden: „ist mir dovon also we.“ 274 Jedoch versicherte er seiner Frau zu diesem Zeitpunkt bei voller Gesundheit zu sein. Er gab ferner an, sich auf 1 000 Gulden geschätzt zu haben: „daz ich mich ge[unleserlich]etzet habe umbe dusen guldin.“ 275 Und deshalb sollte auch seine Frau alles tun, um das Geld zu besorgen, „wie du allen meist gelttest uf bringen (? ) willst.“ 276 Ob die drei Briefe die Ehefrauen überhaupt erreicht haben, ist nicht bekannt. Es lassen sich keine Antwortschreiben der Familien finden und in den folgenden Lösegeldverhandlungen und Zahlungsanweisungen tauchen die Frauen nicht mehr auf. Auffällig ist in jedem Fall die Ähnlichkeit der Briefe, die auf ein 92 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 277 Brief vom 22. Juni 1395 von Herman Ebner an den Rat von Straßburg: Str. St. A. AA., 113, Nr. 37, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 958, S. 564f. 278 So in einem Brief von Herman Ebner an Oertel Mansse zu lesen: Str. St. A. AA., 113, Nr. 31, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 959, S. 565. 279 Vgl. Str. St. A. AA., 108, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 962, S. 565f. sehr gezieltes Eingreifen der Herren von Schwanberg schließen lassen. Die Gefangenen schrieben nicht nur den Brief an den Rat von Straßburg nach einem sehr sorgfältigen Diktat, sondern anscheinend auch die privaten Briefe an ihre Ehefrauen, die vor allem durch die Drohung, in der harten Gefangen‐ schaft zu sterben, falls man das Geld nicht innerhalb der sechswöchigen Frist bezahlen würde, einen psychologischen Druck auf die Familien ausüben sollten. Beschwichtigungen oder liebevolle Worte an die Familien fehlen fast völlig, und dort, wo sie fallen, scheinen sie monoton. Durchgehend ist der Ton der Unsicherheit, wie die Sache für die Gefangenen ausgehen würde. Mit Hilfe des Boten gelangten die Briefe zum Rat nach Straßburg. Es wurde versucht Verbündete und Helfer zu finden, die sich für die Auslösung der Gesandten einsetzen sollten. So entsandte der Nürnberger Rat Gesandte zu einer Fürstenversammlung nach Amberg, die sich dort für die Freilassung der Straßburger stark machen sollten. Gleichzeitig hatte König Wenzel in Prag eine Kommission einberufen, der unter anderem Bořivoj von Svinaře und Herzog Stephan angehörten. Diese sollten erneut mit den Herren von Schwanberg über eine Entlassung der Gesandten verhandeln. 277 Doch auch diese Kommission hatte keinen Erfolg - eine Einschätzung, die sich auch in einer Äußerung des Vetters von Herman Ebner, Albrecht Ebner widerspiegelt, der sich aus Prag bei diesem meldete. Er befürchtet, dass die Unterredung der Gesandten die Freilassung nicht nur verzögert hätte, sondern dass die Gefangenen „mohten anderswo hingefürt werden, wan ez sich gar unfridlich in dem land zu Pehaim anlet.“ 278 Zusätzlich sandte König Wenzel Anfang Juli eine Abordnung zu König Karl VI. von Frankreich nach Taus bei Pilsen, um an einer Fürstenversammlung teilzunehmen. Unter anderem sollte bei dieser Verhandlung auch die Gefangen‐ schaft der Straßburger Gesandten besprochen werden. 279 Fluchtversuche Am 11. Juni 1395 unterbreitete Hermann Ebner der Stadt Straßburg einen möglichen Fluchtplan. Ein im Gebiet der Schwanberger ansässiger Adliger, der unerkannt bleiben wollte und aus Geschäftsgründen freien Zugang zur Burg der Herren von Schwanberg besaß, bot der Stadt an, die Gefangenen nachts aus ihrem Gefängnis zu befreien. Über Herman Ebner und einen weiteren 93 1. Die Straßburger Gesandtschaft 280 Str. St. A. AA., 113, Nr. 32, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 949, S. 561; Spach, Bruno (wie Anm. 242), No. 12, S. 37. 281 S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), Annexe No. 20, S. 41. 282 Ebd. 283 Ebd. Mittelsmann fragte er an, welchen Preis die Stadt zu zahlen bereit sei. 280 Es hat sich jedoch keine Antwort des Rats zu Straßburg erhalten, und auch von dem Fluchtplan findet sich keine Erwähnung mehr in den Quellen. Das Angebot, gegen sicherlich entsprechend hohe Geldzahlungen die Gefangenen gewaltsam zu befreien, wollte die Stadt anscheinend nicht eingehen und so wurde weiter auf eine diplomatische Lösung des Konflikts gesetzt. Das Ende der Gefangenschaft Einen Monat nach den verzweifelten Briefen der drei Gefangenen schrieb Heinrich von Mühlheim am 14. Juli dem Rat der Stadt Straßburg und berichtete von seiner Freilassung. Er sei freigekommen, weil Bořivoj von Svinaře sich für ihn verbürgt habe: „fur tausend guldin. VI hundert guldin die sol ich geben auf sant Gallen und süllent IIII hundert guldin stan an hern Bussihko von Swanberg und an hern wursiboi waz mich die da heizent geben daz sol ich geben zu weichenachten.“ 281 Neben dem Lösegeld von 1 000 Gulden, das er an den zwei festgelegten Terminen bezahlen solle, habe er jedoch auch Schulden beim Tachauer Wirt: „Ouch wizzent daz mir der wirt zu tachau hat gelihen XL guldin wann ich mendert pfenning hon noch nicht hon und die XL guldin sult ir sendern ewerm wirt dem herman Ebner daz erz seinen freunt geb dem flexdorff zu Nüremberg“. 282 Mühlheim gibt an zum König nach Budapest reiten zu wollen, um sich dort für seine Mithäftlinge einzusetzen. Für die restlichen 18 000 Gulden, welche die Schwanberger für die beiden anderen Gefangenen forderten, hätten sich bisher noch keine Bürgen finden lassen, so dass ungewiss sei, wie sich die Angelegenheit weiter entwickeln werde. Deshalb sei auch ein schnelles Eingreifen des Rates in Straßburg notwendig. Ansonsten fürchte er um die Gesundheit der beiden Gesandten. „Nu wizzent daz ich niht anderst waiz denn daz man si herter und herter halten wirt. Do lat mich wizzen ob man ein taiding finden möchte waz gewaltz ich han möchte wann ich niht anderst verstan denn daz si gelt geben müzzen.“ 283 Auch nach seiner Freilassung zeigte sich Heinrich von Mühlheim äußerst beunruhigt über mögliche Konsequenzen, die eine Nichtzahlung des Lösegeldes nach sich ziehen könnte. Dies ist wichtig, da der Brief allem Anschein nach 94 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 284 Ebd. 285 Der Brief ist ohne Datum und Ortsangabe. Da er aber auch die Freilassung von Mühlheims erwähnt und weitere identische Angaben zum Brief an den Rat enthält, kann man davon ausgehen, dass beide Briefe zusammen abgeschickt wurden, vgl. auch Spach, Bruno (wie Anm. 242), Annexe No. 21, S. 42. Fritz hingegen datiert den Brief auf Anfang November 1395, vgl. Str. St. A. AA., 113, Nr. 15, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 1006, S. 589. 286 S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), Annexe No. 21, S. 42. 287 Ebd. 288 Str. St. A. AA., 113, Nr. 3, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 969, S. 568f. Ein jeweils ähnlich lautendes Schriftstück ging am selben Tag auch an Herzog Stephan von Bayern, den Markgrafen Johann von Brandenburg und Pfalzgraf Ruprecht den Jüngeren, vgl. Str. St. A. AA., 113, Nr. 18, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 570f., S. 569. nicht diktiert worden war, sondern einer freieren Einschätzung Heinrichs von Mühlheim folgte. Er nahm die Drohungen der Herren von Schwanberg äußerst ernst und bat inständig um eine Lösung des Problems. Trotz der Sorgen schloss er den Brief mit der Versicherung, dass es ihm und den beiden noch verbliebenen Gefangenen körperlich gut gehe „und laz euch wizzen daz wir all drei gesund seyen uf diesen tag.“ 284 Zusammen mit dem Brief an den Rat in Straßburg schrieb Heinrich von Mühlheim auch seiner Mutter. 285 Er ließ sie und seine Frau zunächst wissen: „daz ich gesunt und frisch pin und wozt auch gern waz ir tetun und die kinder und watz zu unz gehoret und daz ich ledig pin.“ 286 Ebenso wie dem Rat berichtete er ebenfalls von der Auslösung durch Bořivoj von Svinaře. Dann schilderte er seinen Plan, König Wenzel aufzusuchen, um sich für die beiden noch verbliebenen Gefangenen einzusetzen. Er schloss sein Schreiben mit einem Gruß an die Familie und äußerte seine Freude über die Erlangung der Freiheit: „vor meinet wegen da von seit gemelich und froelich wann ich auch zumal fro pin daz ich auz der vanchnitz pin Grüz mir leutolt meinen vetter und sein weib und waz zu unz gehört und ich will kümen so ich erst mag.“ 287 Nun war es dem Rat von Straßburg vor allem wichtig, auch die anderen beiden Gefangenen aus der Haft zu befreien. Anfang August 1395 bedankte er sich in einem weiteren Schreiben bei dem Bürgermeister und dem Rat von Prag für die bisherige Unterstützung; bat jedoch auch um weiteren Beistand in dem Fall. 288 Ende August 1395 kamen Neuigkeiten vom Rat der Stadt Prag. Man sei noch einmal in der Sache vor den König getreten und habe ihn ermahnt, sich der Gefangenen anzunehmen. Dieser habe schließlich seinem Bruder, dem Markgrafen Johann von Brandenburg aufgetragen, sich um eine Lösung des 95 1. Die Straßburger Gesandtschaft 289 Str. St. A. AA., 113, Nr. 6, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 978, S. 571. 290 Str. St. A. AA., 113, Nr. 7, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 980, S. 572; D I E S T E L K A M P / R Ö D E L , Zeit (wie Anm. 230), Nr. 259, S. 201f. 291 Str. St. A. AA., 112, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 983, S. 572. Dazu passt auch ein Brief vom 17. September 1395 des Abtes von Masmünster an Albrecht von Österreich, in dem er seine Hilfe zusagte und dafür sorgen wollte, „daz der vorgenanten von Strazpurg gevangen leute was der noch in leben ist ledig gelassen und Ir hab die In genomen ist widerkeret werd“, S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), Annexe No. 25, S. 43. An dieser Stelle muss deshalb die Angabe bei Diestelkamp berichtigt werden, da Andreas Heilmann nicht erst im November verstorben war, vgl. D I E S T E L K A M P / R Ö D E L , Zeit (wie Anm. 230), S. 202. 292 Wilhelm und Albrecht von Österreich, S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), Annexe No. 28, S. 44; Heinrich von Rosenberg, S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), Annexe No. 29, S. 44. 293 Str. St. A. AA., 113, Nr. 12, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 984, S. 573. 294 Str. St. A. AA., 113, Nr. 9, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 986, S. 573. Problems zu kümmern. 289 Auch Wenzel schrieb am 6. September noch einen Brief nach Straßburg. Er sei zutiefst betrübt „wegen Heinrichs von Molheim und ander ewer mitburgere, die Búschu von Swanberg gefangen hat“ 290 und versprach sich für die Straßburger einzusetzen, sobald er die dringlichen Aufgaben erledigt hätte, um die er sich momentan kümmern müsse. Eine Woche später bat der Straßburger Reimbolt Wetzel die Herzöge von Österreich um ihre Unterstützung. Besonders dringlich wurde die Angelegenheit vor allem durch schlechte Nachrichten, die bis Straßburg gedrungen waren: „darzů so ist derselben unserre erbern botten einre leider in der gefengnisze dot.“ 291 Andreas Heilmann war in der Gefangenschaft zu Tode gekommen, über die genauen Umstände schweigen die Quellen. So lässt sich nicht feststellen, ob ein natürlicher Tod eingetreten war oder die Haftumstände zum Tod des Gesandten geführt hatten. Es ist leicht vorstellbar, wie verzweifelt die Lage des zu diesem Zeitpunkt immer noch inhaftierten Hans Bock war, der weiterhin auf seine Befreiung wartete. Auf jeden Fall verschärfte der Tod Heilmanns die Anstrengungen von außen, die Angelegenheit endlich zu klären. So lassen sich im Oktober und November zahlreiche Briefe zwischen Straßburg und verschiedenen hohen Fürsten finden, die sich alle bemüht zeigten, ohne dass sich wirklich etwas in der Sache bewegten. 292 Allerdings wird auch deutlich, wie verfahren die Situation im Reich war und dass es zahlreiche andere Machtstreitigkeiten gab, die zu weiteren Verzögerungen führten. Über Herzog Albrecht von Österreich versuchte Straßburg im September Markgraf Johann von Brandenburg einzuschalten. 293 Eine Woche später jedoch erhielt der Rat von Straßburg eine abschlägige Antwort vom Markgrafen. Der Markgraf teilte mit, „das uns noch nicht volkomenlich bevoln ist das konigreich czu Beheim unde die schickunge der houbtmanschafft ist ouch noch nicht genezlich vollenbracht.“ 294 96 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 295 Aus diesem Herbst hat sich noch ein weiteres Selbstzeugnis Heinrichs von Mühlheim erhalten, das jedoch keine Informationen zur Gefangenschaft liefert: Am 3. Oktober 1395 berichtete Heinrich von Mühlheim in einem Schreiben dem Meister und Rat von Straßburg von dem Hergang und den Ergebnissen ihrer Gesandtschaftsreise nach Prag vor dem Überfall, ohne weiter auf den Überfall und die nachfolgende Gefangenschaft einzugehen. Man habe mit dem König verhandelt und sich auf einen Gerichtstag nach Pfingsten geeinigt. Dieser sei jedoch nicht zustande gekommen, so dass er jetzt in Prag auf Antwort warte, wann der nächste Gerichtstermin angesetzt werde. Diese Aussage deckt sich mit einem Schreiben Markgraf Johanns von Brandenburg, der am 9. Oktober der Stadt Straßburg mitteilte, dass man die ergangene Ladung vor das Hofgericht auf den nächsten Termin, die folgende Fastnacht, verschoben habe. Der Auftrag, den die Gesandten vor ihrer Gefangenschaft erhalten hatten, verfiel also nicht durch die Ereignisse, sondern wurde nach der Freilassung durch Heinrich von Mühlheim weiterverfolgt: Str. St. A. AA., 113, Nr. 19, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 987, S. 573f.; Str. St. A. AA., 107, Nr. 2, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 988, S. 574f. 296 An den Markgrafen Johann von Brandenburg habe man sich hingegen nicht mehr gewandt, da sich die Machtverhältnisse mittlerweile verändert hätten, so die österrei‐ chischen Herzöge: Str. St. A. AA., 113, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 996, S. 586. Auch ein Antwortbrief eines böhmischen Adligen auf dieses Schreiben hat sich erhalten: Str. St. A. AA., 113, Nr. 8, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 1002, S. 587. Leopold von Österreich scheint jedoch auch Markgraf Johann von Brandenburg geschrieben zu haben, da sich ein Antwortschreiben des Markgrafen erhalten hat: Str. St. A. AA., 113, Nr. 10, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 1001, S. 587. 297 S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), Annexe No. 30, S. 45; Str. St. A. AA., 113, Nr. 23, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 1007, S. 589. 298 Der Trostbrief könnte identisch mit einem Brief eines unbekannten Freundes an Hans Bock im Oktober 1395 sein, in dem er dem Gefangenen Unterstützung zusichert: vgl. S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), Annexe No. 27, S. 43f. Deshalb könne er in dieser Sache noch nicht tätig werden, versprach dies aber in vollem Umfang nachzuholen, sobald alle anderen Dinge geregelt seien. 295 Auch die Herzöge Albrecht und Wilhelm von Österreich setzen sich weiterhin für die Gefangenen ein und teilten dem Rat mit, dass man sich bei Jobst von Mähren und anderen böhmischen Herren stark gemacht habe, die Sache aus der Welt zu schaffen. 296 Am 12. November 1395 erbat Heinrich Mühlheim sich von Buslap von Schwanberg den Geleitbrief, den die Gesandten bei dem Überfall bei sich trugen. Auch andere Briefe seien an ihn zurückzugeben: „ouch bitte ich uch fliszecliche moehte es sin daz ir mir die andern briefe ouch schicken und geben wellent demselben botten die uch mitt dem trostbriefe wurdent.“ 297 Es scheint als habe Buslap Briefe von den Familien oder Freunden, die an die Gefangenen adressiert waren, während ihrer Zeit in Gefangenschaft zurückgehalten - darauf lässt zumindest die Erwähnung eines Trostbriefes 298 schließen. Ende November erreichte den Rat zu Straßburg ein Brief des noch verblie‐ benen Gefangenen. Das Schreiben ist undatiert und erhielt Neuigkeiten von 97 1. Die Straßburger Gesandtschaft 299 S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), Annexe No. 31, S. 45f., hier S. 45; Str. St. A. AA., 113, Nr. 17, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 1010, S. 590. 300 S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), Annexe No. 31, S. 45f., hier S. 45. 301 Ebd. 302 „[H]et er mir enbotten ich suille ime die von Nuerenberg oder von Regensburg zu burgen gen so welle er min burge werden.“, S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), Annexe No. 31, S. 45f., hier S. 45. An dieser Stelle ist Diestelkamp zu korrigieren, da Bořivoj von Svinaře nur die Bürgschaft von Nürnberg oder Regensburg forderte und nicht beide, vgl. D I E S T E L K A M P / R Ö D E L , Zeit (wie Anm. 230), S. 214. 303 S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), Annexe No. 31, S. 45f., hier S. 45. Hans Bock: „lon uich wissen daz ich mich geschetzet han umb zwei dusent guldin und sol die halben gen untze Pfingesten und die andern halben sant Michels Tag und muos daz also versichern zu duonde“ 299 Die Herren von Schwanberg ließen sich auf ein neues Lösegeld ein - statt der geforderten 12 000 Gulden, sollte Hans Bock nun 2 000 Gulden Lösegeld zahlen. Den Grund führt Hans Bock in seinem Schreiben selber an: „hettent sui nuit gefort daz ich in dot were ich vor bi fil zu der schatzunge nuit komen.“ 300 Die Angst davor, dass ihnen noch einer der Gesandten während der Gefangenschaft versterben könne, ließ neue Verhandlungen zwischen Hans Bock und den Adligen von Schwanberg zu. Nachdem Hans Bock sich selbst geschätzt hatte, sei er freigelassen worden, um die Gelder zu beschaffen. Jeweils eine Hälfte der Summe musste am Pfingsttag, dem 21. Mai 1396 und an Sankt Michael, dem 29. September 1396 an die Herren von Schwanberg gezahlt werden. Den Tod seines Mitgefangenen hatte Hans Bock noch nicht überwunden, wie man aus seinem Brief deutlich herauslesen kann. „Lieben heren wisent ouch daz mir faste we ist beschehen ist dez heilmans Dot daz ich vaste krank gewesen und noch eins deils bin doch hoffe ich zu gotte daz mir nun nimme wirt.“ 301 Die dringlichste Sache sei jedoch nun die Bereitstellung der Lösegeldsumme. Bořivoj von Svinaře hätte sich, so Bock, zweimal als Bürge angeboten, sofern sich auch Regensburg oder Nürnberg als Bürgen bereit erklären würden. 302 Svinaře selbst sei zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg nach Bayern und Bock müsse seine Rückkehr erwarten, bevor er Weiteres mit Svinaře besprechen könne. In Prag habe er ihn nicht treffen können, da es Unstimmigkeiten zwischen ihm und dem König gegeben habe. 303 Da er nicht wisse, wie es in dieser Sache weitergehen würde, wolle er nach weiteren Bürgen für sein Lösegeld werben. Könne den Forderungen der Herren von Schwanberg jedoch nicht entsprochen werden, müsse er notgedrungen wieder in die Gefangenschaft zurückkehren: „lieben heren wanne ich mir nuit on uwern rat meine zu tuonde so sehent got und uwer selben er an und enbietent mir zu stunt wie ich mich halten sol danne were uich die schatzunge oder vil anders wider soll ich iemer 98 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 304 Ebd. 305 „[O]uch wissent daz ich ein zil han untze an den nehesten Samstag noch dem Winnaht dage so muos ich mich wider antwurten“, S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), Annexe No. 31, S. 45f., hier S. 45. 306 S P A C H , Bruno (wie Anm. 242), Annexe No. 31, S. 45f., hier S. 45. 307 Fehlt bei Spach. 308 Darüber hinaus weiß Hans Bock von Schiedsverhandlungen des Königs mit den böhmischen Adligen zu berichten und fragt an, ob er als Gesandter vor Ort etwas unternehmen solle; D I E S T E L K A M P / R Ö D E L , Zeit (wie Anm. 230), S. 215. sterben darumb ich antworte mich wider wanne ich mein in den sachen noch uwern willen zu dunde.“ 304 Gerade an dieser Textstelle merkt man die psychische Angespanntheit Bocks. Verzweifelt verpflichtete er sich, wieder in die Gefangenschaft zurückzukehren, sofern dies dem Willen des Rates entspräche und es keinen Ausweg gäbe. Diese Zusage ist sicherlich kein rein rhetorischer Kniff, sondern die greifbare Angst Hans Bocks, sich erneut bei den Herren von Schwanberg einfinden zu müssen und im schlimmsten Fall das gleiche Schicksal wie Andreas Heilmann zu erfahren. Stichtag für sein Wiedereinstellen war der Samstag nach Weih‐ nachten. 305 Deshalb erbat er sich vom Rat bis zum 26. Dezember eine Antwort, wie er sich weiter verhalten solle und wie ihre Antwort auf die Lösegeldfrage sei. Außerdem benötigte der mittellose Bock Geld, da ihm nach der Gefangenschaft nichts geblieben war: „lieben heren wisent daz ich nuit zu zerende han huilfe mir got daz ich min sachen zu gutem bringe so het ich ouch kein pfert darumb bitte ich uich daz ir mir anderhalp hundert guilden oder also fil ir went sendent wisent daz ich untze uf disen dag von keinem lebenden Menschen kein botschaft nie befant darumb besendent her heinrich und erfarn warume gen (kein? ) Kunige geholfen het oder“ 306 „ander.“ 307 Bemerkenswert ist hier neben dem dringenden Wunsch, dass sich alles zum Guten wenden möge, die tiefe Enttäuschung über das mangelhafte Einsetzen für die gefangenen Gesandten seitens Wenzels und anderer Unterstützer. Während ihrer Wochen in Unfreiheit hätten sie keine Informationen zum Fortgang der Verhandlungen erhalten, so dass er erst jetzt über Heinrich von Mühlheim von den Vorgängen erfahre. 308 Das Leben nach der Gefangenschaft Über die Freilassungen der beiden Gesandten hinaus findet sich nicht mehr viel in den Quellen. Beide Männer waren weiterhin für die Stadt Straßburg als Gesandte tätig. Mit der Rückzahlung für Heinrich von Mühlheim gab es zunächst Probleme, wie man einem Schreiben Straßburgs an Nürnberg am 21. Januar 1396 ent‐ 99 1. Die Straßburger Gesandtschaft 309 Str. St. A. AA., 112, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 1026, S. 596f. Die Zusage Nürnbergs über die Hinterlegung der 300 Gulden in Nürnberg, s. ebd., Nr. 1028, S. 597. 310 Diestelkamp/ Rödel, Zeit (wie Anm. 230), S. 259f. Bereits ab dem 3. Dezember 1395 lieferte er auch wieder Informationen über die Vorkommnisse in Prag an den Rat von Straßburg: F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 1011, S. 590. Auch im Juni ist er in Prag als Gesandter tätig und berichtet nach Straßburg von Ereignissen vor Ort und gibt an, dass sich seine Verhandlungen um die Höhe des zu zahlenden Lösegeldes immer noch hinziehen würden: Str. St. A. AA., 112, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 1060, S. 616f. Zum Fortgang des Streits zwischen der Stadt Straßburg und Bruno de Ribeaupierre, s. S T R O B E L , Vaterländische (wie Anm. 231), S. 43f. 311 Auch hier beklagt er sich, dass Hans Bock für die 200 Gulden, die er ihm noch schulden würde, nicht aufgekommen sei: Str. St. A. Abt. IV. Nr. 72, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 1100, S. 630f.; D I E S T E L K A M P / R Ö D E L , Zeit (wie Anm. 230), S. 227. Eine Zahlung durch Hermann Ebner aus Nürnberg über 100 Gulden nach Tachau erfolgte im April 1396, dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass Nürnberg statt Regensburg sich ebenfalls verbürgt hatte, wie es von Borsiboy von Swinare gefordert worden war: Str. St. A. AA., 113, Nr. 25, gedr. F R I T Z , Politische (wie Anm. 234), Nr. 1048, S. 609. nehmen kann. Die erste Rate von 600 Gulden hätte dieser bezahlt, sei jedoch von Bořivoj von Svinaře angemahnt worden, auch die restlichen 400 Gulden zu entrichten. Heinrich von Mühlheim seinerseits gab im Vorfeld an, dass ihm die restlichen 400 Gulden erlassen worden seien. Schließlich habe man sich geeinigt, dass noch 300 Gulden in Nürnberg zu entrichten seien. 309 Hans Bock verblieb nach seiner Freilassung zunächst in Prag, da die Löse‐ geldverhandlungen sich hinzogen und er immer noch nicht ledig gesprochen worden war. 310 Vom 25. Februar schließlich findet sich ein Schreiben des königlichen Hofschreibers Johann von Kirchen, der sich an Hans Bock wandte und von ihm, dem Straßburger Rat, Heinrich von Mühlheim und dem Diener Martin von Schiltigheim die Begleichung der Aufschlagsbriefe forderte. Ein solcher Brief ist von ihm ebenfalls vom 16. Oktober 1396 erhalten. 311 Danach verlieren sich die Meldungen und die Aussagen darüber, ob alle Forderungen durch die Stadt Straßburg erfüllt wurden, die durch den Überfall auf ihre Gesandten entstanden waren. 2. Georg Reiche a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses Im 16. Jahrhundert kam es in Sachsen und Brandenburg zu einer bemerkens‐ werten Fehde, in der der Kaufmann Hans Kohlhase mehrere Jahre lang gegen zwei Fürstentümer kämpfte und dabei so erfolgreich war, dass sein Andenken 100 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 312 Heinrich V O N K L E I S T , Michael Kohlhaas. Aus einer alten Chronik, Stuttgart 1966. 313 Hier soll die Kohlhasefehde nur da anklingen, wo sie zum Verständnis der Reiche-Do‐ kumente genutzt werden kann und ansonsten nur eine notwendige Einbindung in den historischen Hintergrund liefern. Zwei große Arbeiten sind in den letzten Jahren beinah zeitgleich zur Fehde des Hans Kohlhase entstanden. 1997 erschien die Arbeit Müller-Tragins: Christoph M Ü L L E R -T R A G I N , Die Fehde des Hans Kolhase. Fehderecht und Fehdepraxis zu Beginn der frühen Neuzeit in den Kurfürstentümern Sachsen und Brandenburg, Zürich 1997 und zwei Jahre später wurde die Doppelstudie von Malte Dießelhorst und Arne Duncker veröffentlicht: Malte D I E S S E L H O R S T / Arne D U N C K E R , Hans Kohlhase. Die Geschichte einer Fehde in Sachsen und Brandenburg zur Zeit der Reformation, Frankfurt am Main 1999. An älteren Arbeiten sind vor allem zwei zu nennen: Nach der Wiederauffindung der Quellen durch den Archivar Burkhardt in Weimar erschien eine größere Veröffentlichung: Carl August Hugo B U R K H A R D T , Der historische Hans Kohlhase und Heinrich von Kleists Michael Kohlhaas, Leipzig 1864. Eine wissenschaftlich unzureichende Bearbeitung bietet Neheimer aus dem Jahr 1976, Kurt N E H E I M E R / Heinrich V O N K L E I S T , Der Mann, der Michael Kohlhaas wurde. E. histor. Bericht, Düsseldorf/ Köln 1979. 314 Albrecht B E U T E L , Reflektierte Religion. Beiträge zur Geschichte des Protestantismus, Tübingen 2007, S. 4f. literarischen Weltruhm erlangte. Heinrich von Kleist nahm sich des historischen Kohlhase an und benutzte die historische Begebenheit für seine Novelle „Mi‐ chael Kohlhaas“. 312 Von der Inhaftierung Hans Kohlhases, die seine Fehde am Ende beschloss, haben sich keine Selbstzeugnisse erhalten, so dass seine Gefangenschaft in dieser Untersuchung nicht weiter beleuchtet wird. Ins Blickfeld rückt dagegen ein Wittenberger Kaufmann, der zunächst als völlig Unbeteiligter von Hans Kohlhase gefangen genommen und festgesetzt wurde. Da der Überfall auf den Kaufmann Georg Reiche eine Fehdehandlung innerhalb des Kampfes gegen das Kurfürstentum Sachsen darstellte, wird an dieser Stelle kurz auf die sogenannte „Kohlhasefehde“ eingegangen. Es sollen die wichtigsten Stationen der umfassenden Fehde geschildert werden, um die Gefangennahme und die Gefangenschaft des Georg Reiche einbinden zu können. 313 Der Lebensmittelhändler Hans Kohlhase befand sich am 1. Oktober 1532 auf dem Weg von seinem Heimatort Kölln an der Spree nach Leipzig, um auf dem Michaelismarkt seine Waren zu verkaufen, als er unterwegs von den Männern des Landadligen Günther von Zaschwitz zu Schnaditz bei Wellaune angehalten wurde. 314 Kohlhase wurde des Pferdediebstahls bezichtigt und man behielt seine Pferde ein, so dass der Kaufmann zu Fuß nach Leipzig weiterziehen musste, wo er aufgrund der Verzögerung seine Waren nicht wie geplant verkaufen konnte. Auf dem Rückweg forderte Kohlhase seine Pferde erfolglos zurück. Daraufhin versuchte er vergeblich, auf dem Rechtsweg sein Recht zu erhalten und klagte 101 2. Georg Reiche 315 Ekkehard K A U F M A N N , Michael Kohlhaas = Hans Kohlhase. Fehde und Recht im 16. Jahr‐ hundert - ein Forschungsprogramm, in: Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey. Studien zu Grundbegriffen der germanistischen Rechtshistorie: Symposion für Adalbert Erler, hrsg. v. Bernhard Diestelkamp/ Gerhard Dilcher, Berlin 1986, S. 65-83, S. 66f. Man verlangte Futtergeld von Kohlhase für die Unterbringung der Pferde. Dies weigerte sich der Kaufmann zu zahlen. Später war er über den schlechten Zustand seiner Tiere entsetzt und forderte Schadensersatz vom Adligen von Zaschwitz, was dieser ablehnte. Kohlhase verlangte daraufhin bei Kurfürst Friedrich von Sachsen Schadensersatz und dieser betraute den sächsischen Landvogt Hans Metzsch mit der Sache: B E U T E L , Protestantismus (wie Anm. 314), S. 5. 316 D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 40f. Zur Rechtslage der Kohl‐ hase-Fehde im Zuge des Ewigen Landfriedens von 1495 und des Wormser Reichsland‐ frieden von 1521, s. B E U T E L , Protestantismus (wie Anm. 314), S. 6. 317 Auch ein Teil der brandenburgischen Bevölkerung unterstützte Kohlhase: M Ü L L E R -T R A G I N , Fehde (wie Anm. 313), S. 37. 318 M Ü L L E R -T R A G I N , Fehde (wie Anm. 313), S. 43-51. 319 Ebd., S. 58-60. 320 Für Christoph Müller-Tragin steht fest, dass vor allem die Entführung des bran‐ denburgischen Kaufmannes die Niederlage der Fehde für Kohlhase begründete: M Ü L L E R -T R A G I N , Fehde (wie Anm. 313), S. 62 u. 170. 321 Die Angaben Kurt Neheimers, dass Georg Reiche ein Seidenhändler war, können aufgrund der fehlenden Angaben und Literaturnachweise nicht verifiziert werden: N E H E I M E R / K L E I S T , Mann (wie Anm. 313), S. 72. einerseits auf den Ersatz der Pferde und andererseits auf den Ausgleich der finanziellen Schwierigkeiten, die ihm im Folgenden entstanden seien. 315 Am 12. März 1534 erklärte Hans Kohlhase in einem Brief dem Adeligen Zaschwitz und dem Land Sachsen die Fehde. Neben Raub und Brandschatzungen drohte Kohlhase in seinem Brief auch ausdrücklich mit Entführungen, um zu seinem Recht zu gelangen. 316 Der brandenburgische Kurfürst Joachim I. verwei‐ gerte seine Hilfe in der Verfolgung seines Untertanen und so konnte Kohlhase sich zunächst immer wieder in brandenburgisches Gebiet zurückziehen. 317 Im November 1534 starb Günther von Zaschwitz und seine Witwe führte den Streit mit Kohlhase fort. Im Dezember 1534 kam es auf einem Rechtstag zu Jüterbog zu keinem endgültigen Ergebnis. 318 Kohlhase führte daraufhin seine Fehde weiter und auf Geheiß des sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich wurde nun auch intensiv nach Kohlhase und seinen Fehdehelfern gefahndet. Zwei weitere Rechtstage 1537 in Jüterbog und 1538 in Zerbst konnten keine Einigung zwischen den Parteien erzielen. 319 In diese Phase fällt auch die Entführung Georg Reiches. 320 Der Kaufmann Georg Reiche war in Wittenberg ansässig und auf dem Rückweg von der Frankfurter Messe, als er mit seiner Frau von Kohlhase überfallen und entführt wurde. 321 Sein Schwager, Johann Weinleb (Weinlob), war kurfürstlicher Sekretär, später auch Kanzler unter Kurfürst Joachim II. von 102 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 322 D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 49. 323 Signatur: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. Ss. Pag. 360 Nr. 1 b.; Vol. I - Vol. XII. 324 Ekkehard K A U F M A N N , Kohlhaas, in: Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey (wie Anm. 315), S. 71; zur Datierung s. auch D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 249f. 325 Der Augenzeugenbericht ist als Vernehmungsprotokoll der sächsischen Behörden überliefert, das wohl noch am selben Abend angefertigt wurde: Vol. IV, 4r-v; dazu Brandenburg; eine Verbindung, die durchaus mit ein Grund für die Entführung des Kaufmanns darstellen könnte. Die Gefangennahme Georg Reiches war nur eine der Fehdemaßnahmen, die Kohlhase nutzte, um für seine Sache zu streiten. Am Ende, nach einem ge‐ lungenen Überfall auf einen Silbertransport und einer geplanten, aber unausge‐ führten Entführung des brandenburgischen Kurfürsten, führte Hans Kohlhase Fehde gegen Kursachsen und Brandenburg, wurde schließlich aufgegriffen und endete am 22. März 1540 in Berlin auf dem Rad. 322 Die Gefangenschaft Georg Reiches ist bisher in der Forschung nur als Fehdehandlung innerhalb der Kohlhasefehde am Rande thematisiert worden, ansonsten hat der Überfall auf den Kaufmann wenig Beachtung gefunden. Deshalb ist es ein Glücksfall, dass sich in dem Aktenbestand von zwölf Teil‐ bänden im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar auch mehrere Quellen zu dem Kaufmann und seiner Gefangenschaft erhalten haben, unter denen drei Selbstzeugnisse des Georg Reiche in Briefform zu finden sind. 323 Daneben hat sich eine umfangreiche Korrespondenz, die sich der Entführung des Georg Reiche widmet, im Staatsarchiv Weimar angesammelt. Neben Bittschreiben von Angehörigen und Freunden Reiches, melden sich auch Hans Kohlhase und die jeweils zuständigen Behörden zu Wort. Zur Vorgeschichte und zu den Vorkommnissen der Gefangenschaft Georg Reiches bei Hans Kohlhase sollen deshalb auch diese anderen Berichte, die sich in den Quellen erhalten haben, herangezogen werden. b) Der Untersuchungsfall Die Gefangennahme Am 23. Juli 1538 befanden sich der Kaufmann Georg Reiche und seine Ehefrau auf dem Weg von der Frankfurter Messe in Richtung Wittenberg, als sie zwei Meilen vor der Stadt überfallen wurden. 324 Als Bericht für diesen Überfall diente, neben den Aussagen der Eheleute Reiche, vor allem der Augenzeugenbericht des Fuhrmanns Antonius Frenzel 325 aus Wittenberg. Die Angaben zum Überfall 103 2. Georg Reiche D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 240f.; M Ü L L E R -T R A G I N , Fehde (wie Anm. 313), S. 62. 326 Die Palte war ein langer, grober Wollrock oder ein Pilgerkleid, vgl. D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 88 Anm. 256. 327 Das wird auch in dem Brief an den Bürgermeister der Stadt Wittenberg deutlich, der bereits den Namen des Gefangenen enthält. 328 D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 332. 329 HK IV, 4r-v; resp. IV 30r-v, gedr. M Ü L L E R -T R A G I N , Fehde (wie Anm. 313), S. 62. 330 Vgl. D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 88 Anm. 257 u. S. 332. decken sich fast vollständig: Demnach war die Gruppe zwischen ein und zwei Uhr mittags von vier Angreifern auf dem Weg zwischen Zahna und Jüterbog überrascht worden. Zwei Männer hätten ihre Pferde so neben den Wagen gelenkt, dass sie nicht weiterfahren konnten. Die Männer wurden in den Zeugenaussagen vom Fuhrmann beschrieben: Zwei der Reiter hätten graue Mäntel getragen, ein weiterer Räuber einen Paltrock 326 und der letzte schließlich einen Rock in den Farben des Markgrafen. Sie seien jeweils mit Handbüchsen bewaffnet gewesen. Sie übergaben der Ehefrau einen Brief, der an den Bürgermeister und Rat der Stadt Wittenberg übergeben werden sollte, und einer der Männer sprach den Kaufmann namentlich an. Georg Reiche, so ist an dieser Stelle bereits ersichtlich, war kein zufälliges Opfer, sondern wohl bereits im Vorfeld ausgespäht worden. 327 Kohlhase gibt später selber an, dass er den Kaufmann auf den Märkten in Berlin und Frankfurt ausgekundschaftet habe. 328 Der Fuhrmann schildert die Szene folgendermaßen: „Der eyne gesagt, Jorg Reich, do habt yr einen briff, den traget dem burgermeister gegen Wittenpergk, darnach gesagt, du solst mein gefangener sein; der Reich gesagt, wer ehr sey, het er geantwortet, er sey Hans Kohlhase.“ 329 Erst nachdem der Wagen angehalten und die Insassen überwältigt worden waren, hätte sich einer der Männer an Georg Reiche gewandt, sich als Hans Kohlhase zu erkennen gegeben und den Kaufmann als Gefangenen begehrt. Auch die anderen Angreifer lassen sich anhand der Quellen identifizieren. Aus den Verhörprotokollen des Stefan Meiße und des Paul Pfaff wissen wir, dass sie ebenso beteiligt waren, wie „Hensell“ Tölzig. 330 Während Hans Kohlhase mit Georg Reiche sprach, hätten die anderen Angreifer die Taschen und Ladungen auf dem Wagen durchsucht und ein paar Gegenstände entwendet. Der Frau des Kaufmanns zog Hans Kohlhase die Ringe von den Fingern und steckte diese ein. Nach dem Überfall spannten die Helfer Kohlhases ein Pferd vom Fuhrwagen aus und ließen Georg Reiche aufsitzen. Hans Kohlhase trug Sorge dafür, dass die Entführung des Kaufmanns nicht zu schnell gemeldet wurde. Er ließ die Ehefrau Reiches und den Fuhrmann 104 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 331 HK Vol. IV, 31r-32v, gedr. D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 249f., hier S. 250. 332 Bericht des unbekannten Zeugen unter: HK Vol. IV, 6r; M Ü L L E R -T R A G I N , Fehde (wie Anm. 313), S. 62f. 333 Die Kanzlei hält fest, dass der Überfall am 22. Juli zwischen dem Kloster Zinna und Jüterbog geschehen sei und je ein Brief an den Rat von Wittenberg und die Schwägerin Reiches (am 25. Juli, s. u.) übermittelt worden war, vgl. HK Vol. IV, 9; M Ü L L E R -T R A G I N , Fehde (wie Anm. 313), S. 63. 334 Der Hauptmann von Wittenberg Hans Metzsch setzte das Schreiben an den Kurfürsten auf und unterrichtete ihn von den Vorkommnissen, vgl. HK Vol. IV, 32v-33r. Näheres zu dem Briefverkehr zwischen Metzsch und dem Kurfürsten, M Ü L L E R -T R A G I N , Fehde (wie Anm. 313), S. 63f. schwören, zunächst keinen Alarm zu schlagen, sondern sich zuerst nach Wit‐ tenberg zu begeben, wo sie Kunde von der Gefangenschaft geben und den Brief dem Rat zu Wittenberg überreichen sollten. Der Brief an den Rat zu Wittenberg ist erhalten geblieben. Kohlhase schildert zunächst den Ablauf der Ereignisse, die zur Fehde geführt hätten. Er sei zur Fehde genötigt worden, weil man ihm sein Eigentum vorenthalten habe. Bis ihm Recht widerfahre, wolle er deshalb für seine Sache kämpfen und deshalb habe er auch den Kaufmann Georg Reiche entführt: „Ich werde mich aller list gebrauchen, so lange biß ich das meyn erstatet werde. Hieruber ich disen Jorgen Reichen auf gehob(en), bis solang, ich eynen bessern, wils goth, bekome.“ 331 Kohlhase nennt keine weiteren Forderungen an den Rat von Wittenberg, sehr wahrscheinlich wollte er mit der Entführung Reiches das Einschreiten der Wittenberger in seiner Sache anstoßen. Auffällig ist, dass Georg Reiche zwar ein gut ausgekundschaftetes Opfer war, Kohlhase jedoch angibt, sich nach einem anderen und lukrativeren Entführungsopfer umzusehen. Laut Augenzeugenberichten sei die Gruppe mit dem Gefangenen schließlich in Richtung Jüterbog entkommen. Ergänzt wurden die Aussagen von einem weiteren sächsischen Untertanen, der den Überfall auf das Ehepaar Reiche ebenfalls zu Protokoll gab. 332 Schließlich fasste die Kanzlei in Wittenberg die wichtigsten Fakten des Überfalls noch einmal zusammen, so dass abgesehen von den Schilderungen Georg Reiches drei weitere Schilderungen die Gefan‐ gennahme des Kaufmanns bezeugen. 333 Die Gefangenschaft Der Rat der Stadt Wittenberg, der durch den Brief Kohlhases und den Augen‐ zeugenbericht des Fuhrmanns von der Entführung Georg Reiches erfuhr, zeigte sich empört und verärgert über die Gefangennahme des Kaufmanns. Der Rat schaltete den sächsischen Kurfürsten ein und bat diesen um Hilfe in der Sache. 334 105 2. Georg Reiche 335 HK Vol. IV, 9r, D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 241. 336 Ebd. 337 HK Vol. IV, 9r, Unter anderem schulde er dem „Nickel wideman schossen zu pelitz 282ff. “, ohne dass Georg Reiche an dieser Stelle angibt, wofür er sich das Geld geliehen hatte; korrigierend zu: D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 241. 338 HK Vol. IV, 9r, D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 242. 339 Wobei es nicht unüblich war Briefe dergestalt zu beenden, vgl. auch den Brief Hans Kohlhases an die Brüder Birkholtz im August 1538, in dem er sich als der schnelle Hase, der den bösen Wolf (Anspielung auf Wolf von Birkholtz) überlisten werde: vgl. M Ü L L E R -T R A G I N , Fehde (wie Anm. 313), S. 69f. 340 HK Vol. IV, 9r, D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 242. 341 Zu Gregor Bach lassen sich keine weiteren Angaben finden. 342 Staatsarchiv Berlin-Dahlem: Rep. 131 K. 75. O2. 3, 6r. 343 Staatsarchiv Berlin-Dahlem: Rep. 131 K. 75. O2. 3,5r-v. Es hat sich auch eine erste Fassung dieses Schreibens erhalten: ebd. Rep. 131 K. 75. O2. 3,8r. Sehr schnell nach seiner Entführung bekam auch Georg Reiche die Gelegenheit, einen Brief an seine Schwägerin zu verfassen und Auskunft über sein Schicksal in Gefangenschaft zu geben. Der Brief an seine Schwägerin ist auf den 25. Juli, also zwei Tage nach seiner Entführung datiert. Georg Reiches Beschreibungen sind knapp formuliert und er scheint in großer Eile geschrieben zu haben. Er bat darum, dass seine Freunde sich für ihn einsetzen mögen, er selbst bleibe jedoch nicht an einem Ort, sondern werde ständig in Bewegung gehalten: „Ich muss Eylentz weyter, got weis wo hin pittet alle guthe freund daz sie fur mich pitten.“ 335 Als „ein armer gefangener man“ 336 bitte er darum, dass sein Brief durch einen Boten an seine Ehefrau gesendet werde. Diese solle Waren auf dem nächsten Markt verkaufen und den Erlös dafür nutzen Schulden, die er gemacht habe, zu bezahlen. 337 Reiche beendet den Brief an seine Schwägerin, der „auff der heyd In gewildtniss“ 338 verfasst wurde, mit einem Wortspiel, vielleicht als Erkennungsmerkmal für die Nachricht: 339 „Jorg reich an der seelen reich Jezdt arm.“ 340 Der Briefverkehr funktionierte in beide Richtungen. So findet sich ein Schreiben des kurfürstlichen Sekretärs und Schwagers Reiches Johann Weinleb und Gregor Bachs 341 vom 29. Juli 1538 an Georg Reiche. In diesem Schreiben bedauerten sie sein Schicksal und baten ihn, weiter Geduld zu haben. Mehr könnten sie momentan für den Gefangenen nicht tun. Sobald sie jedoch die genauen Bedingungen für seine Freilassung erführen, würden sie sich für ihn einsetzen. 342 Es scheint, als würde das Schreiben auf ein zuvor verfasstes Ansinnen Reiches antworten und ihn nun vertrösten; ein Brief von Reiche an seine Freunde hat sich jedoch nicht erhalten. Ein zweites Schreiben vom 29. Juli von der „freuntschafft Jorg Reichen“ 343 wurde mit sehr viel mehr Nachdruck verfasst und ist an Hans Kohlhase gerichtet. Die Schreiber nennen sich nicht namentlich, es kann davon ausgegangen werden, dass es mehrere Verwandte und Freunde waren, die sich bei Kohlhase für die 106 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 344 Staatsarchiv Berlin-Dahlem: Rep. 131 K. 75. O2. 3,5v. 345 HK Vol. IV, 51r-52v, D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 254ff, hier S. 254f. 346 HK Vol. IV, 51r-52v, D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 254ff, hier S. 255. rasche Befreiung Reiches einsetzen wollten. Sie baten für ihren Freund, dessen Handel durch die Gefangenschaft zum Erliegen gekommen sei. Reiche könne seine Waren nicht verkaufen und seine Gläubiger nicht bezahlen, so dass diese seinen Besitz bereits mit Beschlag belegt hätten. Außerdem habe Kohlhase ihm bereits seinen Besitz abgenommen, weiteres Kapital sei jedoch nicht vorhanden. Deshalb könnte Georg Reiche auch nicht weiter geschätzt werden. Aus diesem Grunde ersuchten sie Kohlhase um die Möglichkeit, ihren Freund freizugeben, damit dieser seinen Handel wieder aufnehmen und seine Frau ernähren könne. Sollte dies nicht machbar sein, möge Kohlhase die genauen Bedingungen für eine Freilassung Reiches nennen. Schließlich würden sich die Freunde aufgrund des „betagte alters“ 344 Sorgen machen und hofften deshalb um mildere Bedingungen seiner Haft. Es ist auffällig, dass die Familie und die Freunde Georg Reiches sich über das eigentliche Motiv Kohlhases, den Wittenberger Kaufmann gefangen zu nehmen im Unklaren waren. Sie fürchteten eine Lösegeldschätzung des Gefangenen und baten aufgrund des hohen Alters und seiner wirtschaftlichen Situation um eine rasche Klärung der Angelegenheit. Dass Hans Kohlhase den Gefangenen als Druckmittel gegen das Kurfürstentum Sachsen einsetzen wollte, klingt in dem Brief nicht an. Am 7. August durfte Georg Reiche einen zweiten Brief an den Rat und die Stadt Wittenberg schreiben und gab darin an, dass man ihn die ersten vier Tage mit verbundenen Augen umher geführt hätte, so dass er nun nicht mehr wisse, wo er sich befinde: „Ir tragt gudt wissen wy Ich armer man izundt von hansen kolhaßen pin gefencklich gefangen angenomen koumet, voll (? ) weges von der Zahne, vnnd pin also gepunden geplendett gefurt werden bis in den iiij tag vnd nacht piss an die stelle do ehr mich izundt hat got weiss aber wu das ist.“ 345 Nach diesen vier Tagen unterwegs sei er schließlich in einen Raum gesperrt worden und dort nun seit 13 Tagen angekettet: „In den 13 tag In des gefengknis bin eingeschlossen vnd angeschmidt ganz Elendt wy Jeder dan zubedrucken hett.“ 346 Er bat den Rat sich mit allen erdenklichen Mitteln für ihn einzusetzen und wiederholte noch einmal seinen bisherigen Verlust von Wertsachen und den Geldern, die bereits entwendet worden seien - zu den Wertgegenständen 107 2. Georg Reiche 347 Zu dem Verlust der Wertsachen, die Reiche in seinem Brief anspricht, erfahren wir ebenfalls etwas aus dem Verhör des Paul Pfaff. Dieser gibt an, dass die Beute von Hans Kohlhase auf 100 Dukaten geschätzt worden sei. Er selber habe den halben, Stefan Meiße einen vollen Beuteanteil erhalten. Dazu habe er auch das Pferd Reiches bekommen. Den erbeuteten Schmuck von Frau Reiche habe man an Frau Kohlhase nach Berlin geschickt und den Schmuck Georg Reiches behalten. Man habe ihm die Ringe nach der Freilassung wieder übergeben wollen, doch seien diese verloren gegangen, als die Birkhöltzer Reiche befreit hätten: D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 302. 348 HK Vol. IV, 51r-52v, D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 254ff, hier S. 255. 349 Korrigiert „meyne“: D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 254ff, hier S. 255. 350 Korrigiert „liebs“: D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 254ff, hier S. 255. 351 HK Vol. IV, 51r-52v, D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 254ff, hier S. 255. 352 ThHStA Weimar, EGA, Reg. Ss, pag. 360 Nr. 1d Vol. IV, Bl. 49r-51r. 353 Vol. IV, Bl. 49v. gehörte auch der Siegelring Georg Reiches. 347 Doch den Angreifern sei es nicht um das Geld gegangen: „Nhun werd ich zussampt aller barschafft vnd geschmyde meyn vnd meyner hausfrawen was wir haben bey vns gefurt alles mit hin wegk genomen das ich die Suma noch nicht weyß, gelt goldt geschmide was alles gewesdt ist sie haben mich auch nicht lassen gehen als sie die beute gehalten haben.“ 348 Sollte Kohlhase nicht zu seinem Recht kommen, wären die Folgen verheerend. Kohlhase würde Helfer um sich scharen, um die Fehde mit aller Macht weiter‐ zutreiben. Deshalb möge man Reiche schnell aus der Gefangenschaft lösen und den Kurfürsten um sein Einschreiten ersuchen: „wollet Euch erparmen meynes gefencknis vnd ansehen meyner 349 vnschuldt vnd mir helffen auß diesser gefengknis, wollet Ir keynen vleis sparen vnd den lohn von got nhemen, Ich Erkenne Euch Ir als mein zuflocht vnd Ich als ein vndertheniger leibs 350 vnd guts Ich hoffe zue Euch vmb hulffe als ein kindt zu seinen Eltern dan an euch hab ich kein zuflucht allein zu gott meyn erloser“. 351 Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Brief von Kohlhase redigiert wurde und somit nicht als unbeeinflusstes Selbstzeugnis Georg Reiches gewertet werden kann. Vor allem die Warnung vor weiteren Maßnahmen Kohlhases, um den Rat zu einer schnelleren Reaktion zu drängen, erinnert an die bisherigen Drohungen, die Kohlhase in seinen Briefen aussprach. Einen weiteren Brief schrieb Georg Reiche ebenfalls am 7. August an seinen Schwager Johann Weinleb mit einem aufschlussreichen Ansinnen: 352 „ich bitte euch lieber herr schwager redt mit dem doctor Martine umb christus willen.“ 353 108 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 354 Ebd. 355 Ebd. 356 Ebd. 357 B E U T E L , Protestantismus (wie Anm. 314), S. 1-20; Albrecht B E U T E L , Luther und Kolhase. Eine Fallstudie zur cura conscientiae des Reformators, in: LUTHER 73 (2002), S. 119-140. Der Kontakt zwischen den beiden führte 1535 sogar zu einer Observierung Luthers, B E U T E L , Protestantismus (wie Anm. 314), S. 12f. 358 B E U T E L , Protestantismus (wie Anm. 314), S. 14-16. Sein Schwager solle sich an Martin Luther wenden, damit dieser zusammen mit anderen Gelehrten der Universität Wittenberg eine Bittschrift für Reiche verfassen könnte: „Zu meinem nhamen eine supplication machen odre machen lassen.“ 354 Weiter unten führt Reiche noch aus, dass er sich nur durch das Einsetzen Luthers und der Supplikation eine schnelle Lösung des Problems erhoffe, damit er endlich freigelassen werden könne: „daz ich […] doch meiner gefencknis erledigt werde und dir mocht vortragen mit dem Cohlhaßen der mich gefencklich heldt, dan sehet dan ein so der doctor sampt allen seine herrn solche sache mochten vermegen, […] will ich glauben daz sie in 10 jaren kein größer zu dinst noch getan haben.“ 355 Die Ansichten seien in der Fehde so festgefahren, dass die kursächsische Seite sich weigern würde, die restlichen 4 Gulden, die Kohlhase noch verlangen würde, zu begleichen: „daz ehr sagt, so sey vermagen sey gewiss piss auff 4 fl. dy solen sy In geben su haben dy es nicht thun.“ 356 Auch dieser Brief ist sicherlich nicht ohne das Mitwirken Hans Kohlhases verfasst worden, wirkt jedoch sehr viel persönlicher und weniger drohend. Einen brieflichen Kontakt zwischen Martin Luther und Hans Kohlhase gab es bereits um 1534. 357 Am Ende missbilligte Luther die Taten Kohlhases vehement. Für ihn war Kohlhase, spätestens nach dem Überfall auf das Dorf Marzahn im November 1538, ein Krimineller und Landfriedensbrecher. 358 Über eine mögliche Verbindung Georg Reiches mit Martin Luther, die über dessen Schwager Johann Weinleb hinaus geht, ist nichts überliefert. Ob das Ansinnen Martin Luther erreichte und eine Supplikation gestellt wurde, ist ebenso wenig bekannt. Am gleichen Tag nutzte auch Hans Kohlhase die Möglichkeit, einen Brief an die Freunde Reiches zu schreiben und damit den Brief vom 29. Juli zu beantworten. Er gab an, dass er zunächst einen noch einflussreicheren Mann hätte entführen wollen, dieser Versuch sei jedoch gescheitert. So habe er Georg Reiche auf sächsischem Gebiet entführt, um an sein Recht zu kommen. Die Barschaft des Kaufmanns würde jedoch nicht ausreichen, seinen Schaden zu begleichen, so dass es nicht in seiner Macht stünde, seinen Gefangenen vor Beendigung des Streites freizulassen. Erst, wenn er sein Recht bekommen habe, sei dies möglich. 109 2. Georg Reiche 359 Staatsarchiv Berlin-Dahlem: Rep. 131 K. 75. O2. 3, 11v-r. 360 Das komplette Verhör abgedruckt bei: D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 298-312. 361 D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 301. 362 Kohlhase gibt an mit seinem Gefangenen durch das Königreich Böhmen gezogen zu sein, vgl. D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 266. 363 Korrigiert „zuuorhalden“: D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 255. 364 HK Vol. IV, 54r-55r, D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 255. Über den möglichen Einfluss der Ehefrauen s. Mirjam R E I T M A Y E R , Handlungsspielräume von Ehefrauen ‚gefangener‘ Männer im Spiegel spätmittelalterlicher Selbstzeugnisse, in: Bis zu diesem Zeitpunkt müsse er Georg Reiche noch weiter festhalten. Deshalb lege er der „Freundschaft Reiches“ ans Herz, sich nun ihrerseits für seine Sache einzusetzen, damit die Angelegenheit rasch geklärt werden könne. Doch solle Reiches Gefängnis angenehmer gestaltet werden, „also das er unss aber nicht entlauffe.“ 359 Auch wenn Georg Reiche nicht beschreiben konnte, wohin er in den ersten Tagen verschleppt wurde, so können diese Tage durch die Zeugenaussage des Paul Pfaff etwas besser rekonstruiert werden. 360 Dieser gab an, dass man mit Reiche nach dem Überfall zunächst die ganze Nacht hindurch geritten und am nächsten Morgen zur Mühle nach Wusterhausen gekommen sei. Dort habe der Müller, ein Schwager Paul Pfaffs, sie bedient, ohne dass er etwas von der besonderen Zusammensetzung der Männer mitbekommen habe. Hans Kohlhase hätte es verstanden, Georg Reiche als einen seiner Helfer auszugeben. Bis zum Essen sei Kohlhase deswegen auch mit Georg Reiche spazieren gegangen, um ein Aufdecken der Situation durch den Müller zu vermeiden. Nach dem Aufenthalt in Wusterhausen sei man weiter in das Gebiet der Brüder Wolf und Christoph von Birkholtz, Lehnsmänner des Bischofs von Lebus, um Storkow gezogen. 361 Auch Kohlhase bestätigte später, dass er mit Reiche die ersten zwei Wochen durch die Niederlausitz gezogen sei. 362 Zeitgleich zu den Versuchen des Wittenberger Rates und den Freunden Reiches setzte sich auch die Ehefrau Reiches für ihren Mann ein und versuchte in einem Schreiben an den Rat zu Wittenberg, die Angelegenheit voranzutreiben. Darin beklagte sie das Schicksal ihres Mannes und unterbreitete, da die Be‐ hörden immer noch keine Anhaltspunkte zum Aufenthaltsort ihres Mannes hätten, einen Vorschlag. Ihr sei bekannt, dass die Frau von Hans Kohlhase die Briefe überbringen würde: „Nhun weiß ich euer e.w. nicht zuvorhalden, 363 das gedachts Kolhasenn weyb eynenn brieff nach Innhalt Innliegennder Copeiy zum Berlin meyner muhmenn vberanthwordt Weyl sie denn aldo noch vorhanndenn, vnnd die Brieffe Ihr vonn Ihrem manne zukommenn, so ist es Ir vormudtlich, sie werde wissenn, wo Iher mahnn sey, auch meynn mahnn Georg Reiche.“ 364 110 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen Gewalt, Krieg und Geschlecht im Mittelalter hrsg. v. Amalie Fößel, Berlin u. a. 2020, S. 303-324. 365 HK Vol. IV, 54r-55r, D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 255. 366 Ebd. 367 D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 95f. Deshalb schlug die Ehefrau Reiches vor, dass man Frau Kohlhase abfangen solle, um sie nach dem Aufenthaltsort ihres Mannes zu befragen. Sie bat auch darum, die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg um Hilfe zu ersuchen, damit ihr Mann schnellstmöglich befreit werden könne. 365 Des Weiteren fürch‐ tete sie um die Waren ihres Mannes, die noch in Berlin liegen würden und nicht abgeholt werden könnten und dass die Gläubiger nervös werden könnten. Aus diesem Grunde erbäte sie die Erlaubnis die Güter in Empfang nehmen zu können und ersuche den Kurfürsten von Brandenburg darum, die Gerichte in Berlin anzuweisen, ihr die Bestände zuzugestehen. Sie hoffe, dass der Kurfürst bewirken könne, dass die Güter sie in sicherem Geleit erreichen würden. In ihrem Brief betont die Ehefrau, dass ihr Mann unverschuldet auf offener Straße angegriffen und entführt worden sei und welche Sorgen sie sich um das Wohlergehen ihres Mannes mache. 366 Der Rat von Wittenberg reagierte und wiederholte die Bitten Frau Reiches in einem Brief vom 30. Juli 1538 an den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen. Auch die Antwort des sächsischen Kurfürsten hat sich erhalten. Dieser sicherte dem Rat zu Wittenberg zu, dass man sich für die Warenbestände der Reiches einsetzen wolle und sicherstellen werde, dass die Güter an Frau Reiche in sicherem Geleit ausgehändigt würden. Der Reichebrief jedoch wird als „Gedichte“ abgetan. Man gehe davon aus, dass der Brief durch Kohlhase beeinflusst, wenn nicht sogar von ihm diktiert worden sei und deshalb könne er das Schreiben nicht als Äußerung des Gefangenen werten. 367 Johann Friedrich schlägt vor, nicht weiter auf den Brief einzugehen, sondern einen anderen Plan zu verfolgen. Über den Schwager Reiches solle ein Schreiben an Reiche aufgesetzt werden, der den Vorschlag enthalten sollte, alle weiteren Verhandlungen nicht schriftlich, sondern mündlich zu führen. Dafür würde man Hans Kohlhase und dem gefangenen Reiche ein persönliches Treffen vorschlagen. Die Antwort Kohlhases auf diesen Vorschlag solle man nach Berlin in das Haus des Ambrosius Seidenstickers schicken. Dieser könne dann den Briefweg und den Übermittler des Schriftstücks ermitteln, so dass man genauere Hinweise erhalten könne, wo Reiche versteckt festgehalten würde. Der Kur‐ fürst, so ist anzunehmen, versuchte mit diesen Maßnahmen die Bedingungen Kohlhases, die ihm bis zu diesem Punkt ein verborgenes Agieren ermöglicht hatten, zu durchbrechen und hoffte durch die veränderten Voraussetzungen der Kontaktaufnahme mehr über mögliche Aufenthaltsorte Reiches zu erfahren. 111 2. Georg Reiche 368 In einem weiteren Brief vom 3. August 1538 schilderte der Kurfürst von Sachsen dem brandenburgischen Kurfürsten noch einmal die Sachlage und die Notwendigkeit Kohlhases und seiner Helfer habhaft zu werden. Dem Brief ist ein sächsischer Maß‐ nahmenkatalog zur Ergreifung der Männer und zur Gefahrenabwehr im Land gegen mögliche Fehdemaßnahmen Kohlhases angeheftet: D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 95-98. 369 Der Bischof ergänzte aus dem Bericht seiner Leute, dass diese zuerst gar nicht gewusst hätten, wen sie aufgegriffen und welches Lager sie gestört hatten. Erst als man der Männer habhaft geworden sei, sei klar geworden, dass es sich um den gesuchten Kohlhase gehandelt habe. Im daran anschließenden Gemenge, habe Hans Kohlhase entwischen können und den Kahn der Birkhöltzer, mit dem sie an das Lager herange‐ fahren waren, zur Flucht genutzt: D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 99. Schon Dießelhorst arbeitet in seiner Darstellung der Befreiungsaktion Reiches heraus, dass es einen Widerspruch in der Darstellung der Ereignisse dieses Abends gibt. Die Schilderungen des Bischofs, wonach die Birkhöltzer die Gruppe um Kohlhase zuerst aufgespürt und angegriffen und danach erst festgestellt hätten, um wen es sich handelte, lassen zwei mögliche Erklärungen zu, sofern das Geschilderte in diesem Sachverhalt sich derart zugetragen hat. Denn entweder hatte sich die unbekannte Gruppe so auffällig oder verdächtig benommen, dass ein Eingreifen der Birkhöltzer aus diesem Grund zu erklären ist oder aber man hatte ohne ein hinreichendes Verdachtsmoment eine fremde Gruppe angegriffen und erst danach festgestellt, dass man den gesuchten Kohlhase aufgespürt hatte: D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 101. Zum Bericht über die Ergreifung Meißes und Reiches aus Sicht des Christoph von Birkholtz, s. D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 263f. Gleichzeitig fahndete der sächsische Kurfürst nach Kohlhase und seinen Helfern und dehnte die Suche auch in die angrenzenden Territorien aus. Man bemühte sich nun verstärkt, Hans Kohlhases habhaft zu werden und den gefangenen Kaufmann zu befreien. 368 Die zweite Gefangenschaft Reiches und das Ende der Gefangenschaft Schließlich erfolgte ein Zugriff auf das Lager Hans Kohlhases, bei dem Georg Reiche und ein Helfer Kohlhases, Stefan Meiße, ergriffen wurden. Die Männer der Brüder Christoph und Wolf von Birkholtz überfielen die kleine Gruppe an einem See in der Nähe Storkows. Während des Handgemenges konnte Hans Kohlhase mit einem Boot fliehen. Georg Reiche wurde indes von den Birkhöltzern, in deren Herrschaftsbereich der See lag, befreit und in ihrer Burg aufgenommen. Bischof Georg von Lebus wusste als Lehnsherr der Brüder Birkholtz in einem an den niederlausitzischen Landvogt Heinrich von Tunckel gerichtetes Schreiben zu berichten, dass der Überfall auf das Kohlhaselager am 11. August gegen 19 Uhr stattfand. 369 Stefan Meiße wurde in den Turm in Storkow gesperrt und der Bischof von Lebus weigerte sich zunächst, eine 112 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 370 Über die Anwendung der Folter bei Meiße hat sich ein Briefwechsel vor allem zwischen dem Bischof Georg Lebus und Landvogt Tunckel erhalten, M Ü L L E R -T R A G I N , Fehde (wie Anm. 313), S. 67-75. Dießelhorst arbeitet das Verhalten des Bischofs im Bezug auf die Folterung Meißes noch weiter heraus, vgl. D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 101-103. 371 Abdruck des Briefes bei: D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 302, S. 267f. Der Brief war dem Bischof am 15. August 1538 während der Messe von einer ihm unbekannten Frau zugesteckt worden - sehr wahrscheinlich von Frau Kohlhase. Im Vorfeld scheint Hans Kohlhase den Bischof bereits persönlich aufgesucht zu haben und dieser war dem Kohlhase anscheinend auch nicht missgünstig gesonnen gewesen. Das Geld, das Kohlhase neben dem gefangenen Reiche beklagt, ist wohl die Fehdekasse, die ebenfalls von den Birkhöltzern erbeutet wurde, vgl. ebd., S. 102f. 372 D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 268f. 373 „Auch hastu gesagt, ich hette bey dem gefangenem Georgen Reich gehandelt, wie ein schelm, vnnd bey seinem weybe desgleichen, hierumb, seinem weybe hette ich selbst die bruste herauss gezogen vnnd abschneyd(en) wollen, vnnd ihnen hett ich mit handt unnd fus(en), wie ein biest zusammen gespannen, also alle tage liegen lass(en), vnnd ihnen zum gross(en) spott, so ehr das essen begehret, das brott vff peinliche Befragung zuzulassen, lenkte jedoch später aufgrund des Drucks von Landvogt Tunckel und Sachsen ein und ließ die peinliche Befragung zu. 370 In den nachfolgenden Briefen wird nun immer wieder die Rolle der Birk‐ höltzer und ihr Festsetzen Georg Reiches thematisiert, der nach dem Überfall auf das Lager keineswegs in die Freiheit gelangte. In einem Brief Hans Kohlhases direkt nach dem Überfall beschwerte sich dieser beim Bischof von Lebus darüber, dass ihm die Birkhöltzer seinen Gefangenen ‚abgejagt‘ hätten und bat den Bischof, sich dafür einzusetzen, dass er seinen Gefangenen und die erbeuteten Güter wieder zurückerhalten möge. 371 Auch sei er sich nicht bewusst gewesen, dass er sich auf dem Gebiet des Bischofs befunden habe, als man ihn und seine Helfer überfallen hätte. Doch der Bischof zeigte sich unzugänglich. Da Kohlhase sein Gebiet betreten habe, sei der Zugriff der Birkhöltzer rechtens gewesen und der Bischof könne nichts mehr für Kohlhase tun. 372 Hans Kohlhase erwiderte auf die Antwort des Bischofs mit je einem Schreiben an den Bischof und an die Birkhöltzer. Dabei ist der Ton gegen die Birkhöltzer ungleich schärfer und er forderte von ihnen seinen Knecht und den Gefangenen zurück. Den Birkhöltzern warf er jedoch nicht nur die unrechtmäßige Entführung seines Gefangenen vor, sondern auch, dass sie bewusst Falschaussagen über Kohlhase gestreut hätten. So habe Wolf von Birkholtz das Gerücht verbreitet, dass Kohlhase Georg Reiche schlecht behandelt habe. Er hätte diesen Tag und Nacht gefesselt und wie ein Tier behandelt. Außerdem habe er bei der Gefangennahme Reiches dessen Frau an die Brüste gefasst und ihr damit gedroht diese abzuschneiden. All dies weist Kohlhase auch mit dem Hinweis, dass Georg Reiche eine andere Sichtweise schildern werde, weit von sich. 373 Gleichzeitig 113 2. Georg Reiche ein spitzig(es) messer gesteckt, Wan ehr darnach greyffen wollen, mit der huy vom messer vff die feuste geschlagen. Dies alles leugestu wie ein erloser, erlogener Dieb, vnnd bosewicht, der gefangener hatt dich ungezweyfelt wohl anders bericht ader du hasts mir zuercleynung aus deynem eygenen kopff erdichtet.“, HK Vol. XII, 95r-96r, gedruckt bei: D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 410-412, hier S. 410. Bei Müller-Tragin nur in Auszügen: M Ü L L E R -T R A G I N , Fehde (wie Anm. 313), S. 69f., hier S. 69. 374 M Ü L L E R -T R A G I N , Fehde (wie Anm. 313), S. 70. In einem Antwortschreiben zeigten sich die Birkhöltzer abschlägig und betonten die Verantwortung ihrem Landesherrn gegenüber: ebd., S. 78f. Ein weiterer Mahnbrief hat sich vom 20. Dezember 1538 erhalten, in dem Kohlhase sich beschwert, dass die Birkhöltzer ihm Reiche geraubt und dafür gesorgt hätten, dass Stefan Meiße gefoltert und getötet worden war, D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 275-277. 375 D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 260. 376 Vgl. die Ausführungen Nürnbergs zum Reichslandfrieden von 1522, Kapitel IX, in: D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 484. forderte Hans Kohlhase die Herausgabe von 1 000 fl., die die Birkhöltzer erbeutet hätten. 374 Die Brüder hatten es alles andere als eilig, den Kaufmann in die Freiheit zu entlassen. Zunächst werden sie mit einer hohen Summe für die Auslösung Reiches gerechnet haben. Andererseits fürchteten sie vielleicht auch einen Angriff Kohlhases und wollten den Kaufmann deshalb als Sicherheit behalten. Auffällig ist jedenfalls, dass sich sowohl der Landvogt als auch der Bischof von Lebus nun verstärkt um die Freiheit Georg Reiches bemühten. Ein erster Brief des sächsischen Landvogts Hans von Metzsch an Hans Birkholtz hat sich vom 15. August 1538 erhalten, der zunächst in einem freundlichen Ton die Herausgabe Reiches fordert. Angefallene Aufwendungen der Birkhöltzer, so sicherte ihnen der Landvogt zu, würden ersetzt werden. 375 Am 24. August äußerte sich der Bischof von Lebus besorgt in einem Schreiben an Landvogt Tunckel, da er Reiche nicht in die Freiheit entlassen könne, solange ihn die Birkhöltzer festhalten würden. Zwei Tage später kamen sächsische Räte aus Berlin nach Storkow und begannen mit dem Verhör Meißes. Gleichzeitig erhielten sie vom Kurfürsten am 3. September die Anweisung, sich um die endgültige Freigabe Georg Reiches zu kümmern. Eine verweigerte Herausgabe des Gefangenen sei als Landfriedens‐ bruch aufzufassen. 376 Da die ersten Verhandlungen jedoch scheiterten, wandten sich die Räte am 5. September an den Landvogt Tunckel und dieser schrieb eindringlich an den Bischof. Auch der Kurfürst schaltete sich erneut ein und forderte die sofortige Freilassung Reiches und wünschte Meldung über den Aufenthaltsort und die Art der Unterbringung des Kaufmanns. Am selben Tag distanzierte sich der Bischof von Lebus von seinen Lehnsleuten und wies nun seinerseits die Birkhöltzer an, Reiche freizulassen. 114 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 377 HK VI, 33r. 378 D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 269-271. 379 Vgl. auch D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 105 Anm. 323. 380 D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 270. 381 HK Vol. IV, 34r-v, hier 34r. 382 Ebd. 383 HK Vol. IV, 34v-35r. Auch Landvogt Tunckel wandte sich in einem Brief vom 9. September 1538 direkt an die Birkhöltzer und stellt ihnen ein unmissverständliches Ultimatum. Bis zum nächsten Freitag sei Reiche unbeschadet nach Lübben in das Schloss des Landvogts zu bringen und dort freizulassen. Bei einer Verweigerung dieser Anweisung seien die Brüder als Landfriedensbrecher zu behandeln und an Leib und Gut zu strafen, da sie sowohl der Goldenen Bulle, dem Reichslandfrieden als auch den Erbeinigungen zuwidergehandelt hätten. Ein Antwortbrief der Birkhöltzer ist zwei Tage später überliefert. 377 In diesem stimmten sie dem Ultimatum zu, forderten allerdings den Landvogt auf, den gefangenen Reiche bei ihnen abzuholen, da ihnen der Weg nach Lübben zu unsicher erschien. Doch diese Forderungen der Birkhöltzer schlug der Landvogt in einem Schreiben am 12. September aus. 378 Allerdings verlängerte er die Frist des Ultimatums. Bis Sonntagabend zum Sonnenuntergang des 15. September 1538 sollte Reiche in sein Schloss nach Lübben in die Hofstube verbracht werden. Auffällig ist, dass Reiche nun in den Quellen als Gefangener der Birkhöltzer tituliert wird. 379 Vom selben Tag hat sich ein weiteres Selbstzeugnis Reiches erhalten. In diesem schrieb er an den Landvogt und äußerte Bedenken, da die Wege nicht frei und sicher seien. Dieser Brief ist sicherlich ein direktes Diktat der Birkhöltzer. 380 Reiche schreibt, er habe Angst vor einem erneuten Übergriff: „und hore das reutter sollen vorhanden sein.“ 381 Deshalb bitte er den Landvogt, dass er sich Reiche annehme, so dass er „ane alle fhar“ 382 nach Lübben gelangen könne. Doch diese Bedenken ließ Tunckel nicht zu und antwortete Reiche in einem Brief vom 13. September 1538, er habe die Wege nachprüfen lassen und könne dem Kaufmann versichern, dass die Wege sicher seien. Dies sei eine Lüge der Birkhöltzer gewesen, mit denen sie Reiche ängstigen und dessen Herausgabe verzögern wollten. Sie hätten den Kaufmann nach der Befreiung aus den Händen Hans Kohlhases ohne einen Befehl ihres Landesherrn erneut zu einem Gefangenen gemacht. Deshalb - und diese Antwort gilt sicherlich eher den Birkhöltzern als Reiche - bliebe das Ultimatum bestehen. 383 Nach diesem Brief vom 13. September reißt der Briefverkehr in Sachen Georg Reiche ab. Man kann davon ausgehen, dass die Birkhöltzer sich an das Ultimatum hielten und 115 2. Georg Reiche 384 Stefan Meiße starb bei der peinlichen Befragung, als man ihn kopfüber in den Turm‐ schacht aufhing und das Seil riss. Nach einem Sturz über zehn Meter in die Tiefe lebte er noch ein paar Tage schwer verletzt, bevor man ihm am 20. September den Gnadentod gewährte, vgl. D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 108f. und Anm. 335. Die Frageartikel zum Verhör Meißes ebd., S. 258f. Zu dem Gerichtsverfahren gegen Kohlhase und seiner Helfer und dem dort angewandten Strafrecht siehe ebd., S. 129-138. 385 D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 132f. u. 289 f. Zur Hinrichtung Paul Pfaffs: M Ü L L E R -T R A G I N , Fehde (wie Anm. 313), S. 86-88. 386 D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 144f. den Gefangenen nach Lübben überstellten, wo Reiche endlich in die Freiheit zurückkehren konnte. Die Entwicklungen in der Kohlhase-Fehde nach der Gefangenschaft des Georg Reiche Über das Leben Georg Reiches nach seiner Gefangenschaft finden sich in den Kohlhase-Akten leider keine weiteren Angaben und es finden sich bisher auch keiner weiteren Quellen, die Auskunft geben könnten. Allerdings haben sich in den Verhörprotokollen der Kohlhasehelfer noch einzelne Berichte über den Hergang der Gefangenschaft Georg Reiches erhalten. Der erste Knecht, der über die Gefangenschaft Reiches Aussagen machen konnte, war der gefangenen Stefan Meiße. 384 Er wurde ebenso wie Paul Pfaff befragt und gab an, dass er 14 Tage vor der Gefangennahme des Kaufmanns von Hans Kohlhase angeworben worden und zu dem Zeitpunkt, als man Georg Reiche abgefangen hatte, in Friedersdorf gewesen sei. Neben dem Beuteanteil habe er auch das Pferd Georg Reiches, sicherlich jenes, auf das man den Kaufmann nach dem Überfall gebunden hatte, erhalten, welches er für fünf Dukaten verkauft habe. Ebenso wusste Meiße zu berichten, dass Kohlhase geplant hatte auch Eustachius von Schlieben gefangen zu nehmen. 385 Aus den Verhörprotokollen Hans Kohlhases und Nagelschmidts ist zudem überliefert, dass man auch die Entführung des brandenburgischen Kurfürsten bei der Jagd geplant hatte, wozu es aber durch die Ergreifung Kohlhases nicht mehr kam. 386 Doch Georg Reiche war nicht der einzige Gefangene, den Kohlhase während seiner Fehde nahm. Obwohl von den anderen Gefangenen keine Selbstzeug‐ nisse überliefert sind, sollen sie an dieser Stelle zumindest noch angeführt werden. Nach der Befreiung Reiches und der Gefangennahme des Stefan Meiße verschärfte sich die Kohlhasefehde. Die wohl aufsehenerregendste Fehdetat Kohlhases war ein Angriff auf das Örtchen Marzahn, noch auf sächsischem Gebiet, jedoch nahe an der brandenburgischen Grenze. Der Überfall fand in der 116 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 387 D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 111. Eine genaue Schilderung der Vorkommnisse ebd., S. 110-118. 388 In einem späteren Brief nach der Freilassung des Pfarrers erinnerte Kohlhase diesen an seinen Eid und die Verpflichtungen, die noch ausstünden. Er solle Kohlhase nicht hintergehen und nicht so handeln, wie der ‚Schelm Reiche‘, der sich seinem Zugriff entzogen hätte, D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 111-113; M Ü L L E R -T R A G I N , Fehde (wie Anm. 313), S. 77. 389 Unklar ist, ob die Familie des Müllers oder aber „herrschaftlich[e] Gönner“ das Lösegeld bereitgestellt hatten, D I E S S E L H O R S T / D U N C K E R , Kohlhase (wie Anm. 313), S. 122 u. 286 f.; B E U T E L , Protestantismus (wie Anm. 314), S. 13. Nacht vom 6. auf den 7. November 1538 statt. 387 Kohlhase fiel mit seinen Helfern zunächst in das Wirtshaus ein und zog dann weiter zum Haus des Michael Hayn. Diesen nahmen sie gefangen und banden ihn an eine Säule, wo er schließlich erstochen wurde. Danach zog die Gruppe weiter zum Haus des Pfarrers Baltasar. Diesen nahm man ebenfalls gefangen, band ihn auf ein Pferd und führte ihn mit sich. 388 Eine weitere Entführung brachte Hans Kohlhase zudem kurzfristig mehr Erfolg. Bei Stangenhagen nahmen er und seine Helfer den Müller des Ortes gefangen. Dieser kam erst einen Monat später nach der Zahlung von 550 Gulden Lösegeld wieder frei. 389 Der Wittenberger Kaufmann Georg Reiche, der durch den Überfall und die Gefangennahme durch Hans Kohlhase als Unbeteiligter in die Fehde mit hineingezogen wurde, hat die Forschung bislang nur am Rande interessiert und ist nur als eines der Opfer Kohlhases wahrgenommen worden. Dabei hatte die von Kohlhase geplante Entführung Reiches für einiges Aufsehen gesorgt. Sie galt als einer der Hauptgründe, intensiver nach Kohlhase zu fahnden und führte schließlich auch dazu, dass zunächst seine wichtigsten Helfer und schließlich Kohlhase selbst aufgegriffen wurden. Neben der Verschärfung der Kohlhase-Fehde nach der Entführung Reiches führte der Bekanntheitsgrad des Wittenberger Kaufmanns auch dazu, dass sich ein breites Briefkonvolut zu seiner Gefangenschaft in den Kohlhase-Akten erhalten hat. Georg Reiche, der nicht nur mit dem Sekretär des brandenburgischen Kurfürsten Johann Weinleb verschwägert war, sondern auch anscheinend Kontakt zu Martin Luther pflegte, hinterlässt einen guten Einblick in die Geschehnisse rund um seine Gefangennahme und die drei Wochen in den Händen Hans Kohlhases. Zu seinem Aufenthalt bei den Brüdern Birkholtz hingegen haben sich keine persönlichen Aufzeichnungen des Kaufmanns erhalten. 117 2. Georg Reiche 390 Victor V O N K R A U S , Art. „Baumgartner, Hieronymus“, in: Allgemeine Deutsche Biogra‐ phie, hrsg. v. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 1875, S. 168-169, S. 168. 391 W. C A S E L M A N N , Eigenhändiger Bericht des Hieronymus Baumgärtner über seine Gefan‐ genschaft bei Albrecht von Rosenberg in den Jahren 1544 und 1545, in: Jahresbericht des Historischen Vereins für Mittelfranken 33 (1865), 103-123, S. 103f. Die Geschichte findet, wenn auch sehr fantasievoll ausgeschmückt, sogar Eingang in die schwedische Kinderliteratur, Cecilia Ulrika Laura Lovisa B ÅÅ T H -H O L M B E R G , I häfdernas hall: verklig‐ hetssagor för de unga, Stockholm 1900, S. 159-204. 392 Victor V O N K R A U S , Baumgartner, in: Allgemeine Deutsche Biographie, (wie Anm. 390), S. 168; Otto P U C H N E R , Baumgartner, Hieronymus, in: Neue Deutsche Biographie hrsg. v. der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1953, S. 664-665, S. 664. 3. Hieronymus Baumgartner a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses Der Patrizier Hieronymus Baumgartner wurde am 9. März 1498 in Nürnberg ge‐ boren. Seine Eltern waren Anna Stengl von Sattelberg und Gabriel Baumgartner, der vor seinem Umzug nach Nürnberg an der Universität in Ingolstadt als Professor der Rechte gewirkt hatte. Hieronymus genoss eine gute Ausbildung und studierte in Ingolstadt, Leipzig und Wittenberg. Nach seiner Ausbildung kehrte er als überzeugter Anhänger des neuen Glaubens zurück nach Nürnberg. Ihn verband eine enge Freundschaft mit Martin Luther, Joachim Camerarius und Philipp Melanchthon, die sich auch in mehreren Briefen nach seiner Gefangennahme für seine Befreiung einsetzten. 390 Hieronymus Baumgartner heiratete die Tochter des bayerischen Rates Bern‐ hard Dichtel von Dutzing, Sibylla. 391 1525 wurde Baumgartner zum Senator ernannt und 1533 zum ältesten Bürgermeister der Stadt Nürnberg. Er wirkte in Nürnberg als oberster Kirchenpfleger und in weiteren kirchlichen Ämtern. Er gründete die Nürnberger Stadtbibliothek und nahm 1525 am Nürnberger Religionsgespräch teil. 392 Baumgartner vertrat den Rat der Stadt Nürnberg auf zahlreichen Reisen und besuchte in dieser Position auch den Speyrer Reichstag im Jahr 1544. Auf der Rückreise vom Reichstag wurde er von Albrecht von Rosenberg überfallen und gefangen gesetzt. Nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft am 3. August 1545 verfasste Hieronymus Baumgartner seinen Bericht zum Überfall und zur Gefangenschaft. Der vollständige Titel seiner Schrift lautet: „Kurzer Begriff wie und welcher‐ gestalt ich Hieronymus Paumgärtner am letzten Tag Mai 1544 gefangen und in meiner gefengnuss gehalten worden bin, so viel mir unvergreiflich meiner 118 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 393 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 105. In Auszügen auch Johann Ferdinand R O T H , Merkwürdiger Auszug aus der eigenhändigen Relation Hieronymus Paumgärtners von der Gefangenschaft, in welcher er von Albrecht von Rosenberg über ein Jahr gehalten wurde, in: Allgemeine Literarische Anzeiger (1800), Nr. 42, S. 409-416. 394 Im letzten Satz seines Selbstzeugnisses bat Baumgartner darum, alle Umständlichkeit und Kosten, die er verursacht habe, zu entschuldigen und versichert, dass dies nie in seiner Absicht gelegen habe: „darumb wöllen E: Wt: bit ich sollichen zulauff mir nit zumessen, dann ich denselben warlich vyl lieber vermitten, dann verursacht haben wolt.“ C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 123. 395 Eine sehr gute Darstellung der außergewöhnlichen Biographie Albrecht von Rosen‐ bergs liefert: Helmut N E U M A I E R , Albrecht von Rosenberg. Ein außergewöhnliches Adelsleben unter drei habsburgischen Kaisern, Münster/ Westf. 2011. 396 N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 69-73. Zur Rolle Albrechts gegen den Schwäbi‐ schen Bund: ebd., S. 16. 397 B O S S E R T , Gefangenschaft (wie Anm. 34), S. 208; Helmut N E U M A I E R / Albrecht V O N R O S E N ‐ B E R G , Ritteradlige Herrschaftsbildung im Schüpfergrund. Das Briefbuch des Albrecht von Rosenberg (1572); Urkundenregesten 1385-1565 und Urkundenanhang 1561-1564 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Geschichte. III. Reihe, Fränkische Urkundenbücher und Regestenwerke 10), Würzburg 2006, S. 21f. Urphed anzuzeigen frey und unverbotten ist, biss vf ○ den 2. Augusti 1545 da ich um 3 Uhr nachmittag zu Schupf unter Mergentheim, meiner pflicht von Albrecht von Rosenberg ledig gezelt, und ich denselben Abend von ihme mit 53 Pferden bis vor die Stadt Mergentheim begleitet worden, alda er von mir einen guten glimpflichen Abschied genommen.“ 393 Baumgartner richtete seine umfassende Niederschrift an den Nürnberger Rat, um sich gegen den Vorwurf, durch eigene Leichtfertigkeit in die Gefangenschaft geraten zu sein, zu verteidigen. 394 Diese Rechtfertigungsschrift Hieronymus Baumgartners und mehrere Briefe dienen als Grundlage für den vorliegenden Untersuchungsfall. b) Der Untersuchungsfall Der Nürnberger Ratsherr Hieronymus Baumgartner war als Gesandter im Auftrag Nürnbergs unterwegs zum Reichstag nach Speyer. Auf dem Rückweg wurde er am 31. Mai 1544 von Albrecht von Rosenberg 395 überfallen und geriet in eine 14-monatige Gefangenschaft. Hintergrund des Überfalls und der Gefangennahme des Nürnberger Gesandten waren Besitzansprüche, die Albrecht von Rosenberg durchsetzen wollte: 396 Bis 1523 war die Burg Boxberg im heutigen Main-Tauber-Kreis im Besitz der Familie zu Rosenberg. In kriege‐ rischen Auseinandersetzungen mit dem Schwäbischen Bund wurde Boxberg vom Bund erobert und an den Kurfürsten von der Pfalz verkauft, der zuvor bereits Lehnsrechte an der Herrschaft Boxberg besaß. 397 Die Familie kämpfte 119 3. Hieronymus Baumgartner 398 N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 69. 399 N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 72. 400 B O S S E R T , Gefangenschaft (wie Anm. 34), S. 209; N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 72. 401 B O S S E R T , Gefangenschaft (wie Anm. 34), S. 209. anschließend vergeblich um Burg Boxberg oder eine Wiedergutmachung des Schadens. Auch Albrecht von Rosenberg war Zeit seines Lebens bemüht den alten Besitz wiederzuerringen und er versuchte im Vorfeld der Entführung mehrfach Fürsprecher für seine Sache zu finden. Aus diesem Grund reiste er zum Speyrer Reichstag, auf dem sich auch der Nürnberger Gesandte befand. Da er jedoch erneut weder beim Kaiser noch beim pfälzischen Kurfürsten mit seinen Forderungen Gehör fand, fasste er den Entschluss, durch die Entführung einer hochrangigen Persönlichkeit eine höhere Brisanz in die Angelegenheit zu bringen. 398 Wie schon Georg Reiche war Hieronymus Baumgartner kein zufälliges Entführungsopfer. Albrechts Wahl fiel auf den Nürnberger Gesandten und Ratsherren Hieronymus Baumgartner, da er mit dessen Entführung nicht nur die Reichsstadt Nürnberg treffen konnte, sondern auch die Reichsfürsten des ehemaligen Schwäbischen Bundes, wie Landgraf Philipp von Hessen. Darüber hinaus war Baumgartner eng mit den Reformatoren seiner Zeit befreundet und so konnte sich Albrecht von Rosenberg einer hohen Wirksamkeit der Kunde seiner Entführung gewiss sein. 399 Die Gefangennahme Hieronymus Baumgartner berichtet, er sei auf dem Reichstag in Speyer von seinem Ratskollegen Erasmus Ebner von der Causa Rosenberg unterrichtet worden und habe erfahren, dass Albrecht von Rosenberg im Kraichgau Leute angeheuert hätte. Ohne dass die Teilnehmer des Reichstages Näheres über mögliche Pläne Albrechts in Erfahrung bringen konnten, schien diese Neuigkeit einiges Unbehagen auszulösen. 400 Um die Anwesenden in Speyer zu beruhigen, ließ Albrecht daraufhin die Nachricht verbreiten, dass er sein Ansuchen auf Schadensersatz nun doch einzustellen gedenke und seine Ansprüche auf Box‐ berg niederlegen werde. Anscheinend ging der Plan auf; Hieronymus Baum‐ gartner zumindest verließ am 30. Mai 1544 Speyer, um über Sinsheim nach Nürnberg zu reisen. 401 Baumgartner gibt in seinem Bericht dem Rat genaue Aus‐ kunft, mit wem er reiste und in welchen Herbergen er Halt machte. So schildert er, heimlich vom Reichstag aufgebrochen zu sein, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und nur einen Reitjungen und drei einspännige Wagen samt Knechten mit sich genommen zu haben. In Sinsheim bat er den Schultheißen des Dorfes ihn bei der Weiterreise ein Stück des Weges zu begleiten. Da dieser jedoch 120 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 402 Unter den Markgräfischen, so erfahren wir von Baumgartner, befand sich auch Götz von Berlichingen: „also wolt er mit mir auch gern reytten, yedoch so het er den Marg‐ gräfischen, welche mit iren wägnen vnnd pferden daruntr auch Götz von Berlingen alda lagen, zugesagt, mit inen biss an den Reyn zu reytten.“, C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 107. Die Erwähnung Götz von Berlichingens zeugt von dem großen Ruf des Reichsritters schon zu Lebzeiten. 403 Gänzlich unbemerkt war der Aufbruch Baumgartners aus Speyer jedoch nicht ge‐ blieben. Der Wirt, bei dem Baumgartner genächtigt hatte, war bereits von der Reise eines Gesandten unterrichtet worden, der an seiner Herberge vorbeiziehen würde. Diese Angabe bleibt jedoch kryptisch und wird nicht näher vom Wirt, bzw. im Bericht Baumgartners erläutert: N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 73. 404 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 215. 405 Bereits 20 Jahre zuvor hatte es in der Causa Rosenberg eine Gefangennahme gegeben, um den Druck auf die Verhandlungen um Boxberg zu erhöhen. 1529 hatte Hans Thoman von Rosenberg, ein Vetter Albrechts, den Sohn des Truchsesses Georg von Waldburg gefangen genommen. In den folgenden Verhandlungen mit den Vormündern des Gefangenen hatte er 1533 insgesamt 8 000 fl. Lösegeld erhalten. Damals hatte sich auch Landgraf Philipp von Hessen in die Verhandlungen mit eingebracht und als Hauptmann des Bundes, dem die Familie von Waldburg angehörte, agiert, vgl. N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 46f. bereits einer märkisch-brandenburgischer Delegation 402 sein Geleit versprochen hatte, musste er die Bitte des Gesandten abschlagen. Er versprach jedoch, nach einem Ersatz zu suchen, der stattdessen die Gruppe begleiten werde. Zunächst blieb Baumgartner deshalb nicht anderes übrig, als in der Herberge in Sinsheim beim Wirt Stumpf einzukehren. Da der Schultheiß jedoch am nächsten Morgen nicht in der Herberge erschien, reiste Baumgartner alleine mit seinen Knechten weiter. Die ausführliche Schilderung dieser Episode erklärt er damit, dass der Rat erkennen möge, dass er alles Menschenmögliche getan habe, sich ausreichend zu schützen, dies könne auch vom Schultheißen bezeugt werden. 403 Kurz nach dem Aufbruch Baumgartners aus Sinsheim erfolgte der Überfall auf die Reisegruppe. „Als wir nun vngeuerlich ain stundt gerytten waren, sein wir von den Rosenbergischen angesprengt vnnd gefanngen worden wie durch die knecht sonnders zweyfels E: Wt: hieruor angezaigt worden. Dabey Albrecht von Rosenberg persöndlich gewest, aber erst als ich vnnd die knecht schon gefangen gewest, auss dem halt zu vnns komen“. 404 Im Wald bei Treschklingen griffen 16 bewaffnete und vermummte Männer den Nürnberger Gesandten und seine Knechte an. In dem Handgemenge wurden einige Knechte Baumgartners verletzt und schließlich fesselte man die Gefangenen an die umliegenden Bäume. Erst zu diesem Zeitpunkt war Albrecht von Rosenberg hervorgetreten und hatte Baumgartner erklärt, man habe ihn gefangen genommen, weil man Albrecht beraubt habe und seine Forderungen bisher nicht ernst genommen wurden. 405 Hieronymus Baumgartner wehrte sich, 121 3. Hieronymus Baumgartner 406 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 108. 407 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 109; N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 73. 408 B O S S E R T , Gefangenschaft (wie Anm. 34), S. 210; N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 73. wie er schildert, dagegen als Unbeteiligter überfallen zu werden: „Als das der von Rosenberg hört, tröstet er mich mit guten Wortn, vnd versprach mir, er wolt mich in kain gefenncknus noch ketten schliessen. Als das die andern hörten gaben sie mir hinfüro auch kain pöss wort mer.“ 406 Aber entgegen des Versprechens führte die Entführung Baumgartners in eine insgesamt 14-monatige Gefangenschaft. Bei dem Überfall findet sich ein fast identischer Ablauf, wie bei der Reiche-Entführung im Kohlhase-Fall. Der eigentliche Entführer blieb zunächst im Hintergrund und gab sich erst nach der erfolgreichen Überwältigung des Opfers zu erkennen. Damit stellte er sicher, dass der Überfall, falls er misslang, weniger leicht nachvollzogen werden konnte. Für die Opfer war der Moment des Überfalls angsteinflößend, vor allem die Tatsache, dass der Täter und seine Motivation zu diesem Zeitpunkt für die Betroffenen völlig unbekannt waren, löste Unsicherheit und Stress bei den Männern aus. Auffällig ist auch, dass beiden Opfern der Grund für die Entführung genannt und ihnen Sicherheit für Leib und Leben zugesagt wurde. Die Gefangenschaft Zeuge des Überfalls auf Hieronymus Baumgartner wurde ein Köhler aus Ehrstädt. Diesen ließ Albrecht von Rosenberg die erste Strecke nach dem Überfall mitgehen und drohte ihm anschließend, ihn zu erstechen, sollte er etwas von dem Geschehenen zur Aussage bringen. Wie schon bei der Entführung Georg Reiches durch Hans Kohlhase kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Albrecht von Rosenberg einkalkuliert hatte, dass der Köhler anschließend nach Speyer fliehen und dort den Nürnbergern und in einer Vernehmung dem Kurfürsten von der Entführung Baumgartners berichten würde. 407 Die Knechte Baumgartners wurden an Bäume gebunden und zurückgelassen; nachdem sie sich befreien konnten, wandten sie sich nach Schwäbisch Hall, wo sie ebenfalls die Entführung Baumgartners anzeigten. 408 Albrecht von Rosenberg hatte es nach der Gefangennahme eilig, den gefan‐ genen Baumgartner außer Reichweite zu schaffen, damit ihm der Nürnberger Patrizier nicht wieder abgenommen werden konnte. Dazu hatte er auch allen Grund; die Gefangennahme Baumgartners wurde als Landfriedensbruch ge‐ wertet und löste eine große Welle der Anteilnahme aus. Martin Luther und Philipp Melanchthon setzten sich sofort für ihren Freund ein und schrieben 122 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 409 B O S S E R T , Gefangenschaft (wie Anm. 34), S. 211. Vor allem Melanchthon schreibt zahlreiche Briefe an die Familie Baumgartner und schließt den Freund immer wieder in seine Gebete mit ein. Briefe, die Melanchthon über die Ehefrau Baumgartners an den gefangenen Patrizier weiterleiten wollte, erreichten Hieronymus Baumgartner jedoch nicht, vgl. Martin J U N G , Frömmigkeit und Theologie bei Philipp Melanchthon. Das Gebet im Leben und in der Lehre des Reformators, Tübingen 1998, S. 180-185. 410 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 109. 411 Insgesamt sind die Ortsangaben, die Baumgartner in seinem Bericht liefert, nur schwer zu identifizieren, vgl. N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 73. 412 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 109. Trostbriefe an seine Gattin. 409 Albrecht von Rosenberg versuchte über die gesamte Gefangenschaft hinweg, sich mit Baumgartner möglichst unbemerkt in der Gegend zu bewegen. Um nicht aufzufallen, reisten sie bevorzugt nachts und immer nur in kleineren Gruppen, die schneller in den Waldgebieten vorankamen. Baumgartner berichtet ausführlich von seinem ersten Tag in den Händen Albrechts von Rosenberg: „Also ward ich denselben ganntzen tag on alle speiss und tranck ganntz eylenndt gefüert. Allain das man mir in ainem wald erdpöer zu ainer labung zu essen gab. Die Wasser, Schlösser, Lanndtschafft, vnnd anndere gelegenhait, möchte mir zum tayl bekannt gewest sein, aber ist mir zu eröffnen in meiner vrfehdt verpotten.“ 410 Der um vier Uhr morgens aus der Herberge aufgebrochene Hieronymus Baumgartner hob hervor, dass er während des ersten Ritts nach seiner Ge‐ fangennahme außer einer Handvoll Walderdbeeren weder zu Essen noch zu Trinken erhalten habe. Obwohl er einige Wegmarken und Gebäude erkennen konnte, wäre es ihm aufgrund der geschworenen Urfehde verboten, die ge‐ naue Bezeichnung der Wege und Orte zu benennen. 411 Keine der Burgen oder Schlösser, in denen Baumgartner einquartiert worden war, wurden von ihm benannt, so dass sich keine Reiseroute seiner Gefangenschaft fertigen lässt. Albrecht von Rosenberg versuchte nach dem Überfall alles, um mit Baumgartner möglichst schnell das Gebiet zu verlassen, deshalb blieb auch keine Zeit den Gefangenen weiter zu versorgen. Erst nach 15 Stunden, die Hieronymus Baum‐ gartner mit verbundenen Augen auf einem Pferd verbringen musste, kam die Gruppe in ein Dorf, wo man sich eine Herberge suchte. Baumgartner musste sich vor dem Wirt verstellen, damit dieser nichts von der Gefangenschaft erfuhr: „da muest ich mich stellen, als wer er [Albrecht von Rosenberg] vnnd die fünff knecht so er noch allain bei sich het, alle meine diener, vnnd ich ir herr.“ 412 Der Plan Rosenbergs, sich und seine Männer als Bedienstete Baumgartners auszugeben, ging auf und man verbrachte die Nacht in der Herberge. Am nächsten Tag wurden drei der Knechte fortgeschickt und sie setzten nur noch zu 123 3. Hieronymus Baumgartner 413 Ebd., S. 74. 414 Ebd., S. 75. 415 Teilweise scheinen die Versuche Nürnberg sich über den Sachverhalt zu informieren recht hilflos, vgl. C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 76. viert die Reise, zunächst in Richtung Gundelsheim, fort. Seinen Bericht gliederte Baumgartner nun sehr gewissenhaft in die Tage seiner Gefangenschaft. Wie ein Tagebuch finden sich immer der Wochentag und oft das Datum, bevor Rei‐ sestrecke bzw. Orte der Gefangenschaft und Einzelheiten dargelegt werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass Hieronymus Baumgartner während der Gefangenschaft tatsächlich ein kleines Büchlein mit sich führte, in dem er seine Erlebnisse niederschrieb, dies würde zumindest die sehr detaillierte Wiedergabe und die Aufteilung in die einzelnen Tage erklären. Denkbar ist jedoch auch, dass er dem Nürnberger Rat im Nachhinein weismachen wollte, dass er sich an jeden einzelnen Tag seiner Gefangenschaft gewissenhaft erinnern konnte. Die erste Zeit war geprägt von einem ständigen Ortswechsel Baumgartners. Unterwegs nächtigte die Gruppe in verschiedenen Burgen und Schlössern oder in Herbergen, in denen sich der Patrizier als ein Mitglied der Gruppe um Albrecht von Rosenberg - eine weitere Parallele zur Reiche-Gefangenschaft - ausgeben musste. Er beklagte mehrfach die spärliche Versorgung und merkte an, dass Albrecht von Rosenberg sich immer wieder von den Aufenthaltsorten entfernte, um Neuigkeiten zur Fahndung und später zu den Verhandlungen zu erhalten. Wenn die Gruppe sich nicht in einer Herberge versorgen konnte, wurden die Vorräte durch einen Bauernknecht geliefert. 413 An seinem ersten Tag in Gefangenschaft wurde Baumgartner der mitgeführte Besitz abgenommen und auch sein Pferd wurde fortgeführt, sicherlich auch, damit niemand ihn an seinem auffällig gescheckten Pferd erkennen konnte. Die Gruppe verbrachte auch die zweite Nacht noch in einem Wirtshaus. Danach bewegten sie sich vor allem in Waldgebieten und Baumgartner musste auch seinen kostbaren Hut gegen einen einfachen grünen Bauernhut eintauschen. 414 Der Rat in Nürnberg indes reagierte geschockt auf die Entführung Baumgart‐ ners. Die Ratsmitglieder mussten zunächst Informationen über den Aggressor sammeln und baten Landgraf Philipp von Hessen und die Bundesstädte um Unterstützung. 415 Bei der Befragung von Zeugen, vor allem des Wirtes Stumpf zu Sinsheim und einer gewissen ‚Anna Weissin‘, die vor dem Überfall acht Männer beherbergt hatte, bekam man einen ersten Hinweis auf Albrecht von Rosenberg. Nachdem der Rat diese Spur aufgenommen hatte, schickte die Reichstadt Boten und Späher in die Umgebung und setzte eine Belohnung für 124 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 416 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 77. Für die Ergreifung des Entführers verspricht der Rat 1 000 fl., für die Festsetzung eines adligen Helfers 600 fl., eines Knechtes 100 fl. und jeder, der den Aufenthaltsort Baumgartners nennen könne, solle mit lebenslangem Dienst entlohnt werden, ebd. S. 80. 417 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 109f. 418 Ebd., S. 110. 419 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 110. Erst mit dieser Meldung erfuhr der Rat zu Nürnberg zum ersten Mal den Namen des Entführers, auch wenn sich im Vorfeld sicher die Hinweise um Albrecht von Rosenberg verdichtet hatten: ebd., S. 77. Der Brief Baumgartners an den Rat zu Nürnberg im Wortlaut ebd., S. 78f. Hinweise aus, die zur Auffindung Baumgartners beitragen würden. 416 Am 4. Juni wurde Hieronymus Baumgartner von Albrecht von Rosenberg noch einmal auf seine Gefangenschaft eingeschworen: „nam er mich von newem zu pflichten das ich von ime od den seinen nit trachten noch fliehen, vnnd ob ich inen wurde abgetrungen, damit meiner pflicht nit ledig, sonnder so ich durch brief od mündtlich geman wurde, da ich mich mit meinem leib an die benennten ort stellen solt vnnd wolt.“ 417 Die Befürchtung, dass der gefangene Baumgartner gewaltsam befreit werde oder fliehen könne und damit der Erfolg der Entführung zunichte gemacht werden würde, veranlasste Albrecht von Rosenberg an das Ehrenwort Baum‐ gartners zu appellieren. Gleichzeitig gab diese Schilderung Baumgartner vor dem Rat die Legitimierung, warum er nicht versucht habe, der Gefangenschaft zu entfliehen. Erneut verließ Albrecht von Rosenberg an diesem Tag die Gruppe und die beiden noch verbliebenen Knechte führten Hieronymus Rosenberg in ein Schloss, wo er eingesperrt wurde: „Da was mir ain gefengknus in ainem Stüblein zugericht da het ich 4 schryt vnd nit mer raum zugeen.“ 418 Die Entführer wollten ihn auch in Ketten legen, doch er konnte sich dagegen wehren, indem er an das Versprechen Rosenbergs erinnerte. Baumgartner gibt an, von Donnerstag bis Samstag in der Stube, deren Ausmaß er anhand der Schrittzahl ausmaß, eingeschlossen worden zu sein. In dieser Zeit habe man ihm auch die letzten wertvollen Habseligkeiten, die er in einer Seitentasche mit sich trug, gestohlen. Nach einer weiteren Woche im Sattel erreichte die Gruppe den nächsten Gefangenschaftsort, wo man Baumgartner erlaubte, die ersten Briefe zu schreiben, die er jedoch um neun Tage vordatieren musste, damit ein Aufspüren des Gefangenen erschwert werde: „alda ich zu morgens die ersten brief hieher schryb, wie wol ich das dat erst auf 21 Junii setzen muest.“ 419 Damit durfte Hieronymus Baumgartner erst am 13. Juni ein erstes Lebens‐ zeichen nach seiner Entführung an seine Verwandte versenden. Die Ehefrau Baumgartners scheint nach Erhalt der Briefe direkt tätig geworden zu sein, denn 125 3. Hieronymus Baumgartner 420 Nikolaus M Ü L L E R , Beiträge zum Briefwechsel des ältern Hieronymus Baumgärtner und seiner Familie, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 10 (1893), S. 241-266, S. 241-266, S. 250f. Er habe ihr zuvor bereits geschrieben und böte ihr jede erdenkliche Hilfe für ihren Mann an. Ein weiterer Brief von ihm ist vom 22. Juli erhalten. In diesem schilderte er, dass man nun wisse, wer der Gefangennehmer sei und dass man sich schnell um die Auslösung Baumgartners kümmern werde: ebd., S. 251f. Ein Brief von Bartholomäus von Schrenck an Sybilla Baumgartner ist auf den 30. Juli 1530 datiert: ebd., S. 253f. Weitere Briefe, die vor allem als Trostbriefe für die Familie Baumgartner gedacht waren, finden sich von Luther, Melanchthon und zahlreichen weiteren Persönlichkeiten, vgl. ebd., S. 256. 421 N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 79. Der Brief Baumgartners an den Rat zu Nürn‐ berg im Wortlaut ebd., S. 78f. Das Schreiben enthält keine persönlichen Äußerungen Baumgartners, dafür ist das direkte Diktat Albrechts von Rosenberg zu erkennen. 422 N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 79f. 423 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 110. bereits vom 8. Juli findet sich ein Brief des Werner von Muckental, der auf ein Schreiben der Ehefrau und zur Gefangenschaft Baumgartners Bezug nimmt. 420 Ein weiteres Schreiben Baumgartners ging an den Rat zu Nürnberg und be‐ gründete die Entführung. Albrecht von Rosenberg ließ den Rat durch den Brief, den er Baumgartner diktierte, wissen, dass er Boxberg für sich beanspruche sowie die Wiedergutmachung des entstandenen Schadens einklage. Sollte dies nicht geschehen, so werde es weitere Aktionen, wie weitere Entführungen, seinerseits geben. Der Brief endet mit einem Appell, dass ein Handel schon allein im Sinne des unschuldigen Baumgartners dringend angezeigt wäre: „und ich [Baumgartner], der wiss Got, unschuldig in diese Lasst kündt, auß verhofft unnd wider zu meinem ellenden verwaisten Weyb unnd klainen Kindlein gelassen mög werden.“ 421 Nürnberg antwortete Albrecht von Rosenberg und wies die Verantwortung für seine Lage von sich. Sollte er Baumgartner jedoch freilassen, so würde man sich für seine Sache einsetzen. 422 Baumgartner berichtete, bis zum 12. Juli in Obhut der Knechte gefangen gewesen zu sein, bevor Albrecht von Rosenberg wieder im Schloss auftauchte. Er brachte gute Neuigkeiten für den Gefangenen mit und versprach Baumgartner, dass seine Gefangenschaft in drei Wochen beendet sein sollte: „vnnd es stünnde allain auf ainer verschreybung, die man zuuor müest hin vnnd wider schicken, welches sich etliche tag möchte verweylen.“ 423 Da die Verhandlungen positiv gelaufen seien, wollte Albrecht von Rosenberg, so fuhr er fort, Baumgartner an einen neuen Ort bringen, der ihn näher an die Heimat führen und wo er eine bessere „fürsehung“ erhalten sollte. Doch Baum‐ gartner misstraute in der Rückschau den Worten seines Gefangennehmers: „Aber sollicher trost wolt mir nit zu hertzen geen, dann es mich vnmüglich 126 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 424 Ebd., S. 111. 425 Erneut beklagte Baumgartner die kärglichen Mahlzeiten: „Hörtte Ayr prot und weyn“, C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 111. 426 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 111. 427 Ebd., S. 112. bedaucht, das ain sollicher wichtiger weytleüfftiger hanndel in so kurtzer zeit zu ennde solt lauffen.“ 424 Man brach noch in derselben Nacht mit dem Gefangenen auf. Allerdings war Baumgartner, wie er schreibt, so schwach, dass sie in einem Schloss einen längeren Zwischenstopp einlegen mussten. Die Weiterreise verlief mit dem geschwächten Gefangenen und aufgrund schlechten Wetters schleppend. 425 In den Unterkünften wurde Baumgartner besser als zuvor behandelt: „Alda der von Rosenberg selbs mir ain peth zugerichtet, mich selbst abzoch vnnd ain hemmet gab, auch selbs vnns zu essen vnnd trincken pracht, da ruheten wir biss wider zu nacht.“ 426 Nach rund einer Woche erreichte die Gruppe das anvisierte Anwesen und wie Baumgartner bereits befürchtet hatte, war das Versprechen Rosenbergs über die nur noch drei Wochen andauernde Gefangenschaft nicht einzuhalten. Fünf Wochen und drei Tage habe er schließlich in diesem Schloss gelegen. Nun kam für Baumgartner eine Phase, in der er länger an einen Ort gebunden war. Auch inhaltlich führte er in seinem Bericht nicht mehr die tageweise Berichterstattung fort, sondern beschrieb nur die wichtigsten Eckdaten und Begebenheiten. Über die Beschaffenheit des Gefängnisses vermerkte er: „vnnd war die stuben erst von newem zu ainer gefenncknus dermassen mit eysen, ketten, verwarung der thüren vnnd fenster zugericht, als solt es ewigklich ain gefenncknus pleyben.“ 427 Ob der Gefangenschaftsraum für den prominenten Gefangenen neu herge‐ richtet wurde, oder ob dies nur ein Zufall war, erfahren wir jedoch nicht. Die Angst aus dem Verlies nicht mehr zu entkommen und die Ungewissheit, wie lange die Zeit des Eingesperrtseins noch andauern könnte, ist in dieser Textstelle auch Monate später noch herauszulesen. Doch neben der Ungewiss‐ heit und Anspannung war zu diesem Zeitpunkt ein Dialog mit der Außenwelt möglich: Hieronymus Baumgartner bekam im August zusammen mit einigen Büchern einen Brief von seinem Bruder Bernhart Baumgartner und seiner Ehefrau zugestellt - eine der wenigen Kontaktaufnahmen, die von außen zu ihm durchdrangen. Wie die Übergabe des Pakets und des Briefes ablief, berichtet Baumgartner nicht; wahrscheinlich nutzte Albrecht von Rosenberg verschiedene Mittelsmänner und Boten, die die Übermittlung von Briefen und Paketen übernahmen. Für den 24. August vermerkte Baumgartner, dass Albrecht 127 3. Hieronymus Baumgartner 428 Ebd. 429 Ebd. 430 Ebd., S. 112f. von Rosenberg die gesetzte und versprochene Frist nicht einhalten konnte. Stattdessen durfte er noch einmal Briefe schreiben. Doch in der Rückschau weiß der Autor auch zu berichten, dass diese Briefe ihr Ziel nicht erreichten. Nach fünf Wochen, die Baumgartner fest an diesem Ort verbracht hatte, ging seine Gefangenschaftsreise weiter: „Auf 25 Augusti bey nacht, als ich gleich wolt schlaffen geen, must ich eylendts auss dem Schloss zu fuss geen, auff ain halbe meyl in ainen wald“. 428 In dem Wald lagerte die Gruppe nach dem überhasteten Aufbruch bis auf den darauffolgenden Tag. Dann erreichten sie ein Schloss, in dessen Garten sich ein Sommerhaus befand. Dort verblieb die Gruppe sechs Tage und Hieronymus Baumgartner gibt erneut Einblicke in seinen Gefangenschaftsraum. Es ist auf‐ fällig, wie wichtig für ihn der Aspekt der ausreichenden Lichtversorgung war; ein Gesichtspunkt, der wie die schlechte Versorgung, die Baumgartner immer wieder anmerkte, auch erwähnt wurde, um seine Lage in der Gefangenschaft zu illustrieren: „ain Summer Heüsslein, darinn wir lagen […] auff ainem Stroe, in der finster, aussgenommen das durch die Klumbsen an den Laden ain wenig liechts eingieng.“ 429 Der überhastete Aufbruch und die Wahl des Gefangenschaftsortes sprechen für eine ungeplante Flucht, vielleicht war der Aufenthaltsort der Gruppe iden‐ tifiziert worden, doch dazu schweigen die Quellen. Nach ein paar Tagen wurde die Reise fortgesetzt und sie erreichten am 5. September eine Burg, die bis zum 17. September zum Haftort für Baumgartner wurde. Seinen Raum beschreibt er folgendermaßen: „da lag ich bis auf 17 dito in ainem kemerlein, on alles liecht, aussgenommen ain klain fennsterlein, einer Hanndt prayt das was dannocht mit ainem Tüechlein verhengkt, das mocht wir so lang Assen hinwegk thun, bey nacht gab man vnns kain liecht.“ 430 Das Fehlen von Licht und damit der Verlust seines Sehsinnes beschwerte die Gefangenschaft von Baumgartner, wie er berichtete, ungemein. Nur zum Essen hätte ein wenig Helligkeit in die Kammer fallen dürfen, ansonsten sei er beinah in völliger Dunkelheit festgehalten worden. Man kann sich unschwer vorstellen, wie sehr der Verlust von Tageslicht sich auf die Psyche des Gefan‐ genen niederschlug. Auch sonst schien die Unterbringung belastend gewesen zu sein, zumal Baumgartner und seine Wächter keinen Lärm machen sollten, um möglichst wenig aufzufallen: „vnnd ward vnns das essen gemainlich erst nach vnndtergang der Sunnen gepracht, das musten wir wie wir mochten in der 128 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 431 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 113. Da die jeweiligen Burgen und Schlösser nicht identifiziert werden können, ist es schwer festzustellen, warum Baumgartner zur Lärmvermeidung aufgefordert wurde. Entweder fürchtete Albrecht von Rosenberg in der Tat aufzufallen, z. B. durch das Dienstpersonal, oder die Knechte setzten Baumgartner psychologisch unter Druck. 432 Dass intensiv nach Baumgartner geforscht wurde, zeigt sein Texteinschub an dieser Stelle: „Item es hetten auch E: Wt: vber die Acht, so zw Weyckersshaym weren nydergelegen, vnnd dieser meiner gefengknus ganntz vnschuldig, alsspaldt geschickt, vnnd sy aufs hefftigst lassen martern, dessgleichen theten sy an allen orten, wo sy erfüern das yemandt wer gefangen worden“: C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 113. Die Männer, die im Verdacht standen mit an dem Überfall auf Baumgartner beteiligt gewesen zu sein, wurden von Graf Wolfgang zu Hohenlohe den Nürnbergern übergeben. Doch auch die Folter brachte keinen der Gefangenen dazu, etwas zu gestehen, vgl. B O S S E R T , Gefangenschaft (wie Anm. 34), S. 211; N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 74. 433 An dieser Stelle entschuldigte sich Baumgartner dafür, in einem Brief diesbezüglich weder Ort noch Datum genannt zu haben; er bat ihm dies nicht zu verübeln, denn „ain gefanngener muess alles thuen, was er gehayssen würdt.“: C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 113. Damit wird hier der direkte Hinweis darauf gegeben, dass die Briefe Baumgartners sicherlich nicht nur gelesen und notfalls zensiert, sondern auch vielfach von Albrecht von Rosenberg diktiert wurden oder dass zumindest Einfluss darauf genommen wurde. Finstern verzern, wir dorfften auch nit in der Cammern vmbgeen, noch vnns reüspern oder husten oder annders thuen, dann in der höchsten still.“ 431 Unterbrochen wurde die Gefangenschaft durch die Rückkehr Albrecht von Rosenbergs, der Baumgartner in der Nacht vom 15. September in seiner Kammer aufsuchte und ihm seinen Unmut über die nicht voranschreitenden Verhandlungen mitteilte. Er fürchtete eine Verzögerungstaktik der Nürnberger, die seiner Niederwerfung oder der gewaltsamen Befreiung von Hieronymus Baumgartner dienen sollte. Rosenberg selber, so erzählte er Baumgartner, würde man nach dem Leben trachten. Außerdem seien bei Weikersheim acht Männer gefangen genommen und als Mitwisser und Verbündete Rosenbergs aufs Ärgste gefoltert worden. 432 Diese Neuigkeiten hatten Baumgartner sicherlich in einen Zwiespalt geworfen. Auf der einen Seite war nun gewiss, dass die Nürnberger und der Bund angestrengt versuchten, den Patrizier freizubekommen - auf der anderen Seite jedoch wurde der erboste Albrecht von Rosenberg, der ein Auffinden seines Gefangenen unter allen Umständen verhindern wollte, zum Handeln gedrängt. Albrecht von Rosenberg versicherte daraufhin Hieronymus Baumgartner, dass er ihn sicher wissen und gewährleisten wolle, dass ihm nichts zustoßen werde und deshalb müsse er noch einmal seinen Gefangenschaftsort wechseln. 433 129 3. Hieronymus Baumgartner 434 B O S S E R T , Gefangenschaft (wie Anm. 34), S. 211f. Zeisolf von Rosenberg, ein Vetter Albrechts und Besitzers von Haltenbergstetten, legte gegen den Angriff der Nürnberger Klage ein, ebd. S. 211. 435 Die Nürnberger verwiesen nach ihrem Misserfolg jedoch darauf, in einem der Keller ein Nachtlager entdeckt zu haben: N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 80; B O S S E R T , Gefangenschaft (wie Anm. 34), S. 212-214. 436 B O S S E R T , Gefangenschaft (wie Anm. 34), S. 213. 437 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 114f.; N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 74. Man führte Baumgartner erneut zu einem Schloss, in dem er in der Nacht auf den 18. September ankam. Von einem Knecht habe er von einem gewaltsamen Vorgehen der Nürnberger in Halberstadt auf der Suche nach ihm erfahren: Die Nürnberger hatten Hieronymus Baumgartner in Halberstadt vermutet, nachdem sie einen Hinweis bekommen hatten, dass der Gefangene im Schloss Haltenbergstetten bei Niederstetten gefangen gehalten würde. Bevor er in das Schloss überführt worden sei, so die Annahme, habe man ihn bei Hans Retz in der Stadt einquartieren lassen. Deshalb griffen die Nürnberger die Stadt mit 600 Männern und vier Geschützen gewaltsam an und durchsuchten das Haus des Hans Retz ohne fündig zu werden. 434 Daraufhin wurden neben zahlreichen Bürgern auch der Burgvogt Jörg Schnerer gefangen gesetzt und zahllose Häuser durchsucht und geplündert. Die gefangenen Bürger mussten Urfehde leisten und man zog, ohne Baumgartner gefunden zu haben, wieder ab. 435 Dieser Überfall der Nürnberger erregte in der Reichsritterschaft großen Unmut und verkomplizierte die laufenden Verhandlungen zwischen dem Bund, Albrecht von Rosenberg und den Nürnbergern. 436 Eine leise Kritik kann auch Hieronymus Baumgartner an dieser Stelle über das gewalttätige Vorgehen der Nürnberger nicht verbergen, er habe dadurch eine deutliche Verschärfung seiner Haftbedingungen erfahren. So wurde ihm ein zwanzig Pfund schweres Eisen gezeigt, in das man ihn zu schlagen gedenke, wenn er fliehen sollte oder es einen gewaltsamen Befreiungsversuch geben würde: „des anndern tags darnach ward mir ain Rüden panndt fürgelegt dessgleichen ich an der schwere nye gesehen, noch gehabt hab, dann es gewisslich über zwaintzigk pfundt schwer vnnd seer enng war, darinn ich nit ain halbe stundt het leben können.“ 437 Entgegen des anfänglichen Versprechens nicht in Ketten geschmiedet zu werden, stand die Drohung nun beständig im Raum und das ‚Eisen‘ wurde immer mitgeführt, um ihn stetig daran zu erinnern. Diese Verschlechterung der Verhandlungen von außen führte auch zu einem höheren Druck auf Baum‐ gartner. Am 1. Oktober 1544 erhielt er erneut ein Päckchen von seiner Frau, aber auch von Albrecht von Rosenberg erhielt er ein Paket: „daneben etliche 130 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 438 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 115. 439 Bossert hält ein Schloss in Lothringen für wahrscheinlicher, vgl. B O S S E R T , Gefangen‐ schaft (wie Anm. 34), S. 210. Auch Neumaier weist darauf hin, dass in Lothringen bereits Hans Thoman von Rosenberg Unterschlupf gesucht hatte: N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 74. 440 Bernhard von Baumgartner schätzte das Vermögen seines Bruders auf höchstens 4 000 fl. und fürchtete, dass hohe Forderungen die Familie in die Armut stürzen könnten: N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 94. 441 N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 94-96. wynntt klaider so der von Rosenberg mir het lassen machen, mich darinn vber das gepürg zuschicken vnnd den Wynntt darinnen zu erhalten“. 438 Da Baumgartner nur die Information erhielt, dass er mit der Winterkleidung für eine Reise über das Gebirge ausgestattet werden sollte, grübelte er über das mögliche Ziel seiner Reise. Die beiden wahrscheinlichsten Ziele seien für ihn der Comer See oder Lothringen gewesen, Orte, zu denen er eine Verbindung Rosenbergs wusste. 439 Der gewaltsame Versuch Nürnbergs Hieronymus Baum‐ gartner aufzuspüren, hatte nicht nur den Stresspegel Albrechts von Rosenbergs erhöht, sondern auch die Gefangenschaft Baumgartners signifikant erschwert. Baumgartner fürchtete nun außer Landes gebracht zu werden, um dem Zugriff der Nürnberger entzogen zu werden und sah aufgrund der Winterkleidung, die er Anfang Oktober erhielt, seine Freilassung in weite Ferne rücken. Ob Albrecht von Rosenberg Baumgartner wirklich außer Landes bringen wollte, muss aufgrund der nachfolgenden Verhandlungen bezweifelt werden. Viel wahrscheinlicher ist es, dass er den Gefangenen für den anstehenden Winter ausreichend ausgestattet wissen wollte. Zur gleichen Zeit hatte sich Eberhart von der Tann, kursächsischer Rat und Mitglied im Schmalkaldischen Bund, als Geisel für Baumgartner angeboten. Dieser war von Baumgartners Bruder Bern‐ hard eingeschaltet worden, der sich von Nürnberg keine Hilfe mehr versprach und sich um die zu erwartenden hohen Lösegeldzahlungen Sorgen machte. 440 Eberhard von Tann setzte sich nun verstärkt, wohl auch in Rücksprache mit dem Landgrafen von Hessen, für Baumgartner ein. 441 Anfang November wurde Baumgartner wieder auf das Schloss geführt, das er bereits am 8. Tag seiner Gefangenschaft kennengelernt hatte. Dort machte ihm Albrecht von Rosenberg Vorhaltungen und Baumgartner erfuhr, dass sich der Schmalkaldische Bund für seine Befreiung einsetzte. Albrecht von Rosenberg drängte seinen Gefangenen, noch einmal dem Bund zu schreiben und einen unparteiischen Unterhändler zu fordern: „derhalb möcht ich an gemeine Pundtsstennde Suppliciren, vnnd an etlich pündtischer fürsten Räthe, so mir bekannt weren schreyben, bey iren Herrn 131 3. Hieronymus Baumgartner 442 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 115f. 443 Ebd., S. 116. 444 Ebd. 445 Ebd. 446 Ebd. 447 Ebd. zu vertrag zu fürdern, item etlichen vnpartheyischen vom Adel, das sie sich zu vndterhenndlern wolten geprauchen lassen.“ 442 Wie Georg Reiche wurde auch Baumgartner aufgetragen weitere Verbündete in die Verhandlungen einzubinden, so sollte er eine Supplikation an mehrere Adlige richten. Die vom Gefangennehmer eingeforderten Supplikationen sind in dieser Phase ein Ausdruck für die stockenden Verhandlungen, die durch das Einbinden Dritter vorangebracht werden sollten. Baumgartner verfasste daraufhin mehrere Briefe. 443 Albrecht von Rosenberg nahm die Schreiben an sich „vnnd damit hinweg Ryt, vngeuerlich zwen tag nach Martini von dannen ich in nit gesehen hab, biss auff 12 Maii 1545.“ 444 Diese lange Zeitpanne von immerhin sechs Monaten, in denen Baumgartner Albrecht von Rosenberg nicht mehr traf, bedeutete für den Gefangenen enorme Ungewissheit. Am 29. November 1544 „als man vnns erst vor zwayen tagen in ein annder gehaimer gemach gelegt het,“ 445 ging die Odyssee für Baumgartner weiter. An dieser Stelle in seinem Bericht zeigt sich aber auch, wie leicht die Psyche des zweifelnden und isolierten Baumgartners beeinflusst werden konnte. In einem Gespräch mit den Knechten, die ihn bewachten, sei ihm aufgezeigt worden, dass der Nürnberger Rat: „sich in allen hanndlungen also erzaigten, als ob sy kainen willen hetten mir zu helffen, dann mit gewalt, derhalb es nit aines yeden vom Adel fueg wolt sein, mich zu halten, vnnd aines sollichen einfals wie zw Halberstetten beschehen, zugewarten etc.“ 446 Die Informationen, die Baumgartner bekam und die ihm von einem schwin‐ denden Rückhalt im Adel für die Politik des Bundes berichteten, ließen den Gefangenen verzweifeln. Erneut stand ihm ein Ortswechsel bevor, in mehreren zehnbis elfstündigen Nachtritten gelangte die Gruppe um Baumgartner an den Fuß eines Berges. Da die Pferde den steilen Pfad nicht emporsteigen konnten, musste die Gruppe zu Fuß weiter: „vnnd gieng der aine knecht vor, der annder füert mich also mit verpunden Augen, an der Hanndt, den Perg auff, ainen schmalen schlupfferigen steyg, daran ich offt ernyder fyel, Also das baide knecht mich auffzuheben genug zu schaffen hetten.“ 447 Dem gefangenen Baumgartner verband man die Augen, damit er den Weg zum Schloss nicht nachvollziehen und sich keine Anhaltspunkte zu seinem Aufenthaltsort merken konnte. Sicherlich kann im Verbinden der Augen und 132 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 448 Ebd. Das Schloss könnte Burg Liebenstein sein, vgl. N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 75. 449 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 117. 450 Ebd. dem Führen Hieronymus Baumgartners auch ein Machtspiel der Knechte, die den Patrizier begleiteten, vermutet werden. Baumgartners Allgemeinzustand scheint von den Strapazen der Gefangenschaft und dem langen Ritt geschwächt worden zu sein. Er fährt fort: „Nachdem ich nun mit den schweren Wynntter‐ klaidern, so man mir auff die weytten rayss gemacht, beladen, auch sonst von kummer ganntz Crafftloss, zu dem das ich lennger dann in vierundzwaintzigk stunden, weder geessen noch getruncken het, ward ich also schwach, als ich gar an das Schloss biss an ain staynene stiege bey dryssigk staffeln hoch kam, die zu ainem haymlichen thürlein in das Schloss geet, das ich in Amacht ernyder fiel, vnd kains glyds mer mechtig war, noch ainich wort reden konnt.“ 448 Der Gewaltmarsch in der schweren und warmen Kleidung forderte seinen Tribut, und so brach Baumgartner beim Erreichen des Schlosses zusammen. Er berichtete unfähig gewesen zu sein, ein Wort zu reden, und dass niemand ihn verstehen konnte, so erschöpft sei er gewesen. Die ‚Ohnmacht‘, die er beschrieb, natürlich auch immer in Hinblick auf die Adressaten seines Berichtes, scheint jedoch nicht nur in der warmen Kleidung und der schlechten Versorgung begründet gewesen zu sein, sondern auch in seiner psychischen Verfassung. Er selbst gibt an, sich kraftlos und erschöpft gefühlt zu haben, und so ereilte ihn in dem Moment der totale Zusammenbruch, als er erkennen musste, dass die kräftezehrende Gefangenschaft so schnell nicht beendet würde. Die Knechte versuchten den Gefangenen hochzuziehen, um Baumgartner möglichst schnell durch die „geheime Tür“ in das Schloss zu bringen, was jedoch misslang. Da sie das Gefühl hatten, dass Baumgartner simulierte, hätten sie ihm gedroht, ihn an Ort und Stelle umzubringen: „betrohet mich also offt, er wolt das schwert durch mich stossen, Dagegen der annder ob ich gleich erstochen, oder selbs also sterben wurde.“ 449 Da man ihn jedoch nicht einfach auf der Erde liegen lassen konnte, besorgten die Knechte zwei Seile aus dem Schloss und banden sie unter die Arme Baumgartners. Rücklings wurde er danach die Treppen hochgeschleift und bis zur Tür gebracht: „da konnten sy mich nit vber das geschwell pringen, wollten derhalben ain pferd an mich gespannt haben, wo nit die pflegerin im Schloss darzu kumen, vnnd mich het vber das geschwell helffen heben.“ 450 Danach ließen sie den immer noch halb bewusstlosen Baumgartner auf dem Rücken im Hof liegen. Baumgartner beschreibt, dass er das Gefühl hatte, zu ersticken, da er den Kopf nicht zur Seite drehen konnte: „Aber die pflegerin kam 133 3. Hieronymus Baumgartner 451 Ebd. 452 Ebd., S. 118. 453 Diese Erklärung gab Rosenberg auch Landgraf Philipp, der sich über nichtbeantwortete Schreiben beschwert hatte, vgl. N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 102. alsspaldt mit Essich vnnd kaltem wasser, Ryss mir die plenndt von den Augen, vnnd labet mich biss mir die red vnnd das gesicht wider kam.“ 451 Der mittlerweile wieder zu sich gekommene und ansprechbare Baumgartner erholte sich zusehends von seinem Schockzustand. Nachdem Baumgartner sich schließlich aufrichten konnte, wurde er im Schloss gefangen gesetzt, in dem er 34 Wochen und drei Tage verblieb. Zunächst schildert er keine weiteren Einzelheiten aus dem letzten Ort seiner Gefangenschaft. Insgesamt werden die Berichtzeiträume jetzt wesentlich länger, zum einen gab es wahr‐ scheinlich weniger Neues zu berichten, zum anderen resignierte Baumgartner augenscheinlich aufgrund des fortwährenden Zustands seiner Gefangenschaft. Am Dreikönigstag 1545 erhielt Baumgartner eine Mitteilung Albrecht von Rosenbergs, in der er ihn aufforderte, erneut ein Schreiben zu verfassen. Besorgt musste sich Baumgartner der Anordnung beugen und schrieb einen Brief an den Bürgermeister von Nürnberg. Dieser sollte sich an den Kaiser wenden, dass der Vertrag schnellstmöglich eingehalten werde. Außerdem seien die 6 000 fl. Schatzgeld bereitzustellen. Bis zum Dienstag nach dem 3. Fastensonntag habe er daraufhin nichts mehr von Albrecht von Rosenberg gehört und in dieser Zeit „in vnglaublicher angst vnnd kumer Gottes gnaden gewarttet.“ 452 Am 10. März erhielt Baumgartner die Nachricht, der Kurfürst habe zuge‐ sichert, dass man Rosenberg das Landgut Boxberg oder ein vergleichbares Landgut zurückgeben werde. Diese Nachricht wurde auch noch einmal am 16. März durch einen Boten bestätigt. Man wolle sich mit Albrecht von Rosenberg einigen und ermunterte den gefangenen Baumgartner erneut, dass alles ledig‐ lich einen weiteren Monat andauern werde. Die einzige Schwierigkeit indes sei es, so wurde ihm mitgeteilt, Albrecht von Rosenberg zu finden. Damit wurde Baumgartner mit allerlei Gerüchten und vagen Andeutungen zuerst wieder in seiner Gefangenschaft allein gelassen. Am 12. Mai 1545 wurde Hieronymus Baumgartner von Albrecht von Rosenberg aufgesucht. Dieser habe sehr tröstend zu ihm gesprochen und erklärt, er sei so lange nicht auffindbar gewesen, da er und seine Knechte erkrankt waren. 453 Baumgartner hätte auch schon längst frei gelassen werden sollen, die schlecht laufenden Verhandlungen mit dem Bund jedoch hätten dieses verhindert. Der bayerische Rat und Kanzler Doktor Leonhard von Eck habe bisher eine schnelle Einigung verhindert und so solle Baumgartner jetzt freikommen: „Doctor Ecken vmb solliche Verhinderung 134 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 454 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 118. 455 N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 83. Zu den Versuchen des Altbürgermeisters seinen Sohn freizubekommen, s. ebd. S. 94f. 456 N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 109. 457 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 118f. Die Entwicklung der Causa Rosenberg hin zu einem reichspolitischen Thema skizziert Neumaier. Diese Entwicklungen nutzten der Kaiser und König Ferdinand, um Zwietracht unter den protestantischen Fürsten des Bundes zu säen, N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 96-105. 458 N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 87-89; B O S S E R T , Gefangenschaft (wie Anm. 34), S. 215. 459 Abdruck des Briefes bei N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 89. Zur Politik des Landgrafen und seinen Absichten, die er Nürnberg gegenüber hegte, s. Ebd., S. 93-95. 460 N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 89f. meiner erledigung zudancken, yetzo aber wolt er mir zusagen, das ich in sechs wochen solt zu Nürmberg in meinem hauss sein.“ 454 Baumgartner schildert nicht, wie er die neuen Nachrichten aufnahm und ob er den neuen Versprechungen überhaupt traute, die zuvor bereits mehrfach gebrochen wurden. Die Sachlage hatte sich verschärft, weil Albrecht von Rosenberg seinerseits im September 1544 noch einen weiteren Gefangenen, Christoph Greter, den Sohn des Altbürgermeisters von Biberach, festgesetzt hatte. 455 Rosenberg fuhr mit der Beteuerung fort, dass er seine Bevollmächtigten, die Brüder Sebastian und Valentin Heinrich von Rüdt, zum Reichstag nach Worms schicken werde, um sich dort mit den Bundesständen zu einigen. 456 Selbst wenn keine Einigung mit den Ständen erzielt werden könne, würde er Baumgartner jedoch freigeben: „Wo aber die sach gleich mit allen Stennden vnuertragen plyb, so wolt er doch mich nit lennger auffhalten, im hette auch Lanndtgraf statlich beuolhen mir zusagen, wo mir ye nyemanndt wollt helffen, so wolt er mich ledig machen etc.“ 457 Vorausgegangen war ein Einsetzen der Reformatoren für ihren Freund. Am 13. Dezember 1544 wurde ein gemeinschaftlicher Brief unter anderem von Luther, Melanchthon und Camerarius unterschrieben und an Landgraf Philipp von Hessen versandt, in dem sie an sein christliches Mitgefühl appellierten und ihn um sein Einschreiten in der Entführungssache Baumgartner baten. 458 Der Landgraf antwortete am 8. Januar 1545 und kündigte an, sich für Baum‐ gartner einsetzen zu wollen. 459 Philipp von Hessen ersuchte daraufhin über Balthasar von Jossa, den Schultheiß zu Crainfeld, Albrecht von Rosenberg um ein gemeinsames Zusammentreffen im Februar 1545 in Spangenberg. Über den Kontaktmann Hans von Egloffstein suchte Balthasar von Jossa Albrecht von Rosenberg auf und überbrachte die Sorge des Landgrafen, dass der Gefangenen nicht in der Haft ums Leben komme und dass Rosenberg sich zu einem Treffen mit dem Landgrafen bereiterkläre. 460 Albrecht von Rosenberg willigte ein und 135 3. Hieronymus Baumgartner 461 N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 91f. Aus dem Protokoll wird auch ersichtlich, dass Baumgartner nicht die erste Wahl Rosenbergs war: „Und wiewol er einen tapffern reichen Mann aus Nürmberg, so unterm Reichstag von Speier gezogenn, wol hett nider zu werfen gewist, so habe er doch denselben ziehenn lassenn. unnd disen Baumbgartner darumb nidergeworffen, dieweil er ein Rahtsfreund zu Nürmberg unnd der Eilfjerigen Pundtnus verwand se.“, ebd., S. 91. 462 N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 92-94. 463 Albrecht von Rosenberg hatte eine Rechnung seiner Ansprüche aufgestellt, die er erfüllt wissen wollte. Man sollte ihm Boxberg zurückgeben und einen Betrag von 100 000 fl. als Entschädigung. Zugleich legte er eine Aufschlüsselung bei, wie viel einzelne Fürsten und Städte an ihn zu zahlen hätten, N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 105f. 464 N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 109. Nürnberg hinterlegte die 10 000 fl. für die beiden Gefangenen in Worms, ebd. S. 110. 465 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 119. reiste am 6. Februar 1545 nach Spangenberg. Über die Verhandlungen hat sich ein Protokoll der Fragen und Antworten Rosenbergs erhalten. Albrecht versicherte, dass er Baumgartner nicht habe schaden wollen und dass der Gefangene in guter Verfassung sei. Er habe im Vorfeld der Entführung lange Zeit vergeblich versucht, angehört zu werden und sich nicht anders zu helfen gewusst. 461 Ohne die Frage um Boxberg klären zu können, einigte man sich in Spangenberg auf ein Lösegeld von 10 000 fl. für Baumgartner. 462 Nach den Verhandlungen von Spangenberg wurden die Entführung Baum‐ gartners und die Causa Rosenberg jedoch zur reichspolitischen Sache erklärt und machten damit die getroffenen Abmachungen des Landgrafen mit Albrecht von Rosenberg zunichte. Kaiser Karl V. und König Ferdinand wollten eine Einigung auf dem Reichstag von Worms erreichen. Dazu hatte man auch Albrecht von Rosenberg geladen, der die Brüder Rüdt nach Worms schickte, um über die Freilassungen der Gefangenen und die Wiedererlangung Boxbergs zu verhandeln. 463 Doch für Albrecht von Rosenberg endete der Reichstag zu Worms nicht so erfolgreich wie erhofft. Man wollte zuerst die Frage der Gefangenen klären und am 20. Juni erging ein kaiserliches Mandat zu deren Freilassung. In einer Zeitspanne von 14 Tagen seien Baumgartner und Greter freizulassen. Für Baumgartner wurden Albrecht von Rosenberg 8 000 fl., für Greter 2 000 fl. zugesprochen. 464 Für Baumgartner indes vergingen die Wochen quälend, vor allem, weil er keine neuen Nachrichten über den Verlauf der Verhandlungen erhielt. In dieser Zeit habe er noch in größter Angst gelebt und dann auch noch am 4. Juli eine „beschwerlichere zeittung fürgepracht, Nemlich das di Pundtstennde vnnd fürnemlich die Stet, auff dem tag zw Wurmbs gar kainer hanndlung stat geben wollten“ 465 Zunächst, so erfuhr Baumgartner weiter, seien die Haupt‐ verhandlungspunkte zu klären, bevor man sich um die Angelegenheiten des 136 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 466 B O S S E R T , Gefangenschaft (wie Anm. 34), S. 215; N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 82f. Albrecht von Rosenberg bestritt eine Mithilfe Christoph von Absberg, ebd. S. 92. 467 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 119. 468 Ebd. 469 Ebd. Nürnberger Patriziers kümmern könne. Vom kaiserlichen Mandat erfuhr er also zunächst nichts. Dass er nicht von Albrecht von Rosenberg unterrichtet wurde, liegt sicherlich auch daran, dass der Reichsritter immer noch versuchte, neue Verhandlungen anzustreben. Schließlich einigte sich Albrecht von Rosen‐ berg mit dem Bund auf einen Austausch von Baumgartner und Greter gegen Christoph von Absberg. Dieser war bereits im September von der Reichstadt Schwäbisch Gmünd festgenommen worden und galt als einer der Helfer bei der Baumgartner-Entführung. 466 Baumgartner beschreibt seinen Gemütszustand, als er von einem möglichen Gefangenenaustausch erfuhr: „Was freüd vnnd kurtzweil ich ab dieser potschafft empfangen ist leichtlich abzunemen, dann ich in sollicher anngst von gemeltem vierdten tag Julii biss auff Freytag den 24 dito gesteckt bin“. 467 Das Ende der Gefangenschaft Die 20 weiteren Tage der Ungewissheit wurden am 24. Juli 1545 durch die Überreichung des Urfehdetextes beendet, den Baumgartner am nächsten Tag eigenhändig unterschrieb. Nun folgt im Bericht Baumgartners eine genauere Beschreibung seiner letzten Tage und Wochen in Gefangenschaft. Das positive Bild der Burgpflegerin wird erneut aufgegriffen: „die pflegerin des orts (dann kain Edelman alda hauss heltet) gegen mir mit speyss vnnd trost ganntz wol gehalten“. 468 Sie habe ihm sogar heimlich geholfen: Die Verstecke seiner Gefangenschaft seien zuvor von den Knechten so abgeschirmt worden, dass er nie die Möglich‐ keit hatte, unbeaufsichtigt mit einem Menschen zu reden oder Nachrichten zu übermitteln. Die Pflegerin habe sich deshalb einen ausgeklügelten Plan ausgedacht, den er detailliert wiedergibt: „Also das sy mir durch ain gar klains Maidlein so vnns ye zutrincken pracht, ye ain briefflein zuschickt darauf ich ir auff ain pletlein so ich auss meiner schreybtafel schnyt, mit ainer stecknadel morgens im peth so main knecht war auffgestanden wideranntwurt schryb vnnd es etwo zwen oder drey tag bey mir mit grosser sorg tragen muest, ehe ich es vor dem knecht dem Maidlein in den pusen pringen mocht.“ 469 Durch die Pflegerin des Schlosses bekam Baumgartner zum ersten Mal die Möglichkeit beinahe freibestimmt mit seiner Außenwelt zu kommunizieren, vor allem jedoch ohne die Zensur und das Wissen der Knechte und damit 137 3. Hieronymus Baumgartner 470 Ebd., S. 120. 471 Ebd. 472 Ebd. 473 Ebd., S. 120f. seines Gefangennehmers. Dafür nutzte er kleine Plättchen, die er beschriftete. Auf diesem Weg erhielt er aber auch wichtige Mitteilungen, die ihm, nicht durch Rosenberg gefiltert, ein weiteres Blickfeld auf die außerhalb seiner Haft geschehenen Dinge ermöglichte. So hatte ihm die Pflegerin der Burg, nach einem Einkauf, den sie unternommen hatte, folgende Nachricht zukommen lassen: „Es weren drey Nürmberger in dem wirtshauss gesessen, vnnd vil von meiner nyderlag geredet etc. darauss sy vernumen wir [sic! ] vnschuldig ich zu disem unfal kumen vnnd was fleiss vnd uncosstens E: Wt: meinethalben fürwenndten vnnd erlitten.“ 470 Die Nürnberger hätten zudem erzählt, dass man versucht habe, Baumgartner zu befreien, er jedoch nach Hohentwiel geführt worden sei. Die Pflegerin wollte nun ihrerseits Baumgartner helfen freizukommen, hatte jedoch Sorge um ihr Leben und ihren Besitz. Die beiden vereinbarten deshalb, dass die Burgpflegerin sich um Baumgartner kümmerte und für die Hilfe bis zu seiner Befreiung versprach ihr Baumgartner: „Tausennt gulden vnnd ir lebenlanng herberg, essen vnnd trincken, so gut als sy mir geben het. Yedoch wollten wir baide sollichs biss auf die höchste vnnd letzte not nit wagen, noch Got versuchen“. 471 Man einigte sich darauf, zuerst nichts aktiv für eine Befreiung zu unter‐ nehmen, sondern die Ereignisse abzuwarten. Bezeichnend ist jedenfalls das Einsetzten Baumgartners für die Pflegerin in seinem Bericht, so beendet er die Darstellung auch mit der Versicherung, sich ihr nach der Beendigung seiner Gefangenschaft sehr verbunden zu fühlen und ihr nur das Beste zu wünschen. In der Nacht des 28. Juli wurde Baumgartner erneut durch zwei Knechte in ein weiteres Schloss verlegt, wo er zwei Nächte untergebracht war. Danach, mit zwei Zwischenetappen, ging es noch einmal in das Hauptschloss Rosenbergs, in dem Baumgartner bereits im Juni und November 1544 untergebracht worden war. Schon im Vorfeld war der Gefangene Greter von Biberach dorthin gebracht worden und Hieronymus wurde „zu ime an das peth gelegt“. 472 Nun war Hieronymus Baumgartner nicht mehr allein in seinem Schicksal, sondern teilte das Gefängnis mit einem Leidensgenossen. Am nächsten Tag wurden beide von Albrecht von Rosenberg geweckt, der in ihre Stube trat: „war seer hitzig vnd zornig, als hette man seinen puben von Wormbs auss vnndterstannden, nyderzuwerffen, vnnd ime alle vrfart am Rayn verlegt etc.“ 473 Albrecht von Rosenberg war so außer sich, weil der Bund, um die Ver‐ handlungen zu beschleunigen, seinerseits nun Wolfgang von Stetten zu Koch‐ 138 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 474 B O S S E R T , Gefangenschaft (wie Anm. 34), S. 215. Man konnte Wolf von Stetten zu Kocherstetten kein Mitwissen an der Entführung Baumgartners nachweisen. Deshalb wurde er später gegen den Schwur der Urfehde wieder freigelassen. Albrecht von Rosenberg warf der Stadt vor, nicht besser zu sein, als er selbst: N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 85; 108. 475 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 121. 476 B O S S E R T , Gefangenschaft (wie Anm. 34), S. 216. erstetten, den Schwiegervater seiner Schwester Anna, gefangen genommen hatte. 474 Beim Essen erfuhren die beiden Männer dann von einem Knecht, dass nun Albrecht von Rosenberg sich nicht mehr gehalten sah, die Gefangenen freizulassen. „Also das ich vnnd Gretter nit annderst wessten, dann vnnser verhafftung wolt sich erst von newem anfahen, vnnd vnns also aller lusst zu essen vnnd trincken vergieng.“ 475 Am Nachmittag suchte Albrecht von Rosenberg noch einmal Baumgartner auf und legte ihm mehrere Schreiben vor, die Baumgartner lesen durfte, unter denen sich auch ein Schreiben befand, das die Freilassung Wolfs von Stetten an‐ kündigte, sobald Baumgartner freikäme. Albrecht von Rosenberg, so behauptet Baumgartner, legte daraufhin offen dar, dass er sich noch nicht sicher sei, wie er sich in der Sache verhalten solle. Die Angelegenheit mit seinem Verwandten sei allein aufgrund der hohen Urfehdeforderung noch nicht erledigt und auch sonst sei er unschlüssig. Baumgartner konnte ihn, so schildert er es, davon überzeugen die Urfehde anzunehmen und der Sache ein Ende zu bereiten. Nach einer kurzen Bedenkzeit habe Albrecht von Rosenberg dem zugestimmt. Diese Stelle im Bericht legt eine interessante Wendung offen: Albrecht von Rosenberg sei, so der Bericht, unschlüssig über sein weiteres Vorgehen gewesen. Aus diesem Grund habe Baumgartner nicht nur die Briefe zu lesen gegeben, sondern seine Bedenken angezeigt. Wenn wir Baumgartners Schilderungen Glauben schenken können, legte von Rosenberg an dieser Stelle sogar Wert auf die Meinung seines Gefangenen. Wahrscheinlicher ist es indes, dass Baumgartner in seiner Rechtfertigungsschrift verdeutlichen wollte, dass er keinesfalls untätig der Ereignisse geharrt, sondern sich aktiv um einen guten Ausgang der Dinge bemüht habe. So endete Anfang August 1545 das lange Tauziehen um die Freilassung des Hieronymus Baumgartner. Ohne dass es im Bericht aufgeführt wird, erhielt Albrecht von Rosenberg für die Freilassung die Summe von 8 000 fl., ohne jedoch den Boxberg bekommen zu haben. 476 Baumgartner zog an dieser Stelle eine erste Zwischenbilanz zu seinen Gefangenschaftsorten und dem Aufwand, der betrieben wurde, um seine Befreiung zu unterbinden: „Bisshiehere bin ich die ganntze zeit meiner gefenncknus so offt ich in die Schlösser vnnd wider herausgefüert alle zeit mit höchstem fleiss verplenndet word. - so lanng 139 3. Hieronymus Baumgartner 477 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 122. 478 Ebd. 479 N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 85f. 480 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 122. 481 Ebd., S. 122f. Am gleichen Tag wird auch Greter freigelassen: Neumaier, Albrecht (wie Anm. 395) S. 86. 482 C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 105. ich die schlösser het mügenm sehen, bin auch alle zeit allain bey nacht vnnd gar nye bey tag geritten etc.“ 477 Noch einmal sei man bei Nacht aufgebrochen. Der Tross bestand aus 16 Reitern: Hieronymus Baumgartner, Albrecht von Rosenberg sowie ein paar unbekannte Männer und vergrößerte sich im Laufe des Ritts. Tagsüber machten sie vor dem Schloss eine Rast und nahmen „prat visch, hühner und weyn“ 478 zu sich, bevor man mit Proviant in Richtung „Nasthhausen“ weiterzog. Bereits unterwegs dorthin traf die Gruppe auf Sebastian und Valentin Hein‐ rich Rüdt, die durch das kaiserliche Mandat mit der Durchführung der Freilas‐ sung beauftragt waren. 479 Sebastian Rüdt verkündete Hieronymus Baumgartner „wie er brief von den Herrn Gesanndten zw Wormbs an mich het, vnnd sagt mir alsspaldt wie vnnd welcher gestalt ich ledig word.“ 480 Man würde ihn, je nachdem wie er entscheide, nach Würzburg oder Wind‐ sheim bringen. Baumgartner entschied sich für Windsheim. Man reiste den Samstag und Sonntag miteinander. Am 2. August erreichten sie Mergentheim, wo Hieronymus Baumgartner endlich von Albrecht von Rosenberg Abschied nehmen konnte: „Suntags nach mittag, vbergab er mir die quittung, zelt mich auch aller meiner pflichten ledig, mit versicherung meiner person“. 481 Diesen Moment hielt er auch im Titel seiner Schrift fest: „Kurzer Begriff wie und welchergestalt ich Hieronymus Paumgärtner am letzten Tag Mai 1544 gefangen und in meiner gefengnuss gehalten worden bin, so viel mir unvergreiflich meiner Urphed anzuzeigen frey und unverbotten ist, biss vf ○ den 2. Augusti 1545 da ich um 3 Uhr nachmittag zu Schupf unter Mergentheim, meiner pflicht von Albrecht von Rosenberg ledig gezelt, und ich denselben Abend von ihme mit 53 Pferden bis vor die Stadt Mergentheim begleitet worden, alda er von mir einen guten glimpflichen Abschied genommen.“ 482 In einer Gefolgschaft von 28 Pferden und den beiden Brüdern Rüdt gelangte Baumgartner am 3. August 1545 nach Windsheim. Von diesem Tag der Ankunft in Windsheim hat sich ein Brief Baumgartners an seine Frau erhalten, der die Ankunft in Nürnberg ankündigen sollte. Ohne Mühe ist die Freude und die Sehnsucht des freigewordenen Patriziers herauszulesen: „ich bin aus gottes millten genaden frisch und gesont bis anher komen und verhoff, mit des selben 140 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 483 M Ü L L E R , Beiträge (wie Anm. 420), S. 256f. 484 B O S S E R T , Gefangenschaft (wie Anm. 34), S. 215. Er selbst habe noch versucht heimlich in die Stadt zu gelangen: C A S E L M A N N , Bericht (wie Anm. 391), S. 123; N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 86. 485 Victor V O N K R A U S , Baumgartner, in: Allgemeine Deutsche Biographie (wie Anm. 390), S. 168. 486 N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 86. 487 Über die nachfolgenden Verhandlungen zu den Lösegeldzahlungen für die Gefangenen und die weiteren Verhandlungen um Boxberg, vgl. N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395) S. 111-121. 488 N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 123. hillf morgen das nachtmal mit freuden mit dir und unsern hertz lieben kindlein zu empfahen, und, so ferr die milaun zeitig, so wollest mir ein gut stuck oder zwey lassen kauffen, daran nit allein wir, sonder auch die kindlein sich mit uns erfreuen mogen.“ 483 Endlich war das Wiedersehen mit seiner Familie in greifbare Nähe gerückt. Neben der Vorfreude scheinen den Ratsherren vor allem die kulinarischen Genüsse gereizt zu haben, über die er nun wieder frei verfügen konnte. Einen Tag später, am 4. August 1545, kehrte Hieronymus Baumgartner in seine Heimatstadt Nürnberg zurück. Dort empfing ihn ein großer Menschenauflauf, der die Heimkehr ausgelassen feierte. 484 Das Leben nach der Gefangenschaft Der Text des Hieronymus Baumgartner nimmt keinen Bezug mehr auf seine Rückkehr in den Alltag nach seiner Gefangenschaft. Am 4. August 1545, wie auch im Bericht angedeutet, kehrte Hieronymus Baumgartner nach Nürnberg zurück. Danach nahm er alte Ämter wieder auf und lebte bei seiner Familie. 1549 wurde er Älterer Herr und war Mitglied des Septemvirats, ab 1558 auch des Triumvirats der Stadt. 485 Wie er die Erlebnisse seiner Gefangenschaft verarbeitete, ist indes nicht bekannt. Wenn man den Äußerungen Albrecht von Rosenbergs Glauben schenken kann, so hatte ihm der Ratsherr die Entführung nicht länger angelastet. Rosenberg berichtet sogar, dass man sich nach der Gefangenschaft noch mehrfach Briefe geschrieben habe. 486 Für den Gefangennehmer hatte die Entführung Hieronymus Baumgartners nicht den erhofften Erfolg. Er kam zunächst nicht in den Besitz Boxbergs; dies änderte sich erst, als er sich der kaiserlichen Seite im Schmalkaldischen Krieg anschloss. 487 1546 hatte der kaiserliche Feldherr Graf Egmont von Büren die Burg, wohl auf kaiserlichen Befehl hin, eingenommen, und der Kaiser übergab Boxberg daraufhin an Albrecht von Rosenberg. 488 Doch dieser Erfolg währte nur kurz, da der Pfalzgraf gegen diese Handlung Protest einlegte. Deshalb wurde 141 3. Hieronymus Baumgartner 489 Ebd., S. 125-127. 490 N E U M A I E R / R O S E N B E R G , Ritteradlige (wie Anm. 397), S. 51f.; B O S S E R T , Gefangenschaft (wie Anm. 34), S. 216f. Zwischendurch war es noch zu einem missglückten Mordkomplott gegen Albrecht von Rosenberg gekommen, vgl. N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 143-153. 491 Albrecht von Rosenberg betitelte Wilhelm von Grummbach als Schwager: Neumaier, Albrecht (wie Anm. 395), S. 9, 67 f., 108. Auch Herzog Johann Friedrich II. der Mittlere von Sachsen-Coburg-Eisenach geriet wegen Landfriedensbruch in lebenslange kaiser‐ liche Haft. Zum Grummbach’schen Händel: Friedrich O R T L O F F , Die Geschichte der Grumbachschen Händel, Jena 1869/ 70. Zu den Entwicklungen, die zur ritterlichen Haft Albrechts von Rosenberg führten und zu seiner Gefangenschaft, vgl. N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 243-318; N E U M A I E R / R O S E N B E R G , Ritteradlige (wie Anm. 397), S. 49. 492 N E U M A I E R , Albrecht (wie Anm. 395), S. 319. die Burg 1548 vom Kaiser sequestriert. 489 1552 nahm der Pfalzgraf Boxberg wieder in Besitz, der erboste Albrecht von Rosenberg besetzte daraufhin Stadt und Dorf der Herrschaft Boxberg. Ab 1555 drängte Karl V. auf eine Einigung in der Boxberg-Frage, die jedoch erst 1561 in einem Vertrag zustande kam, in dem Albrecht von Rosenberg auf seine Rechte auf Boxberg verzichtete. Ihm wurde ein Sühnegeld von 39 000 fl. zugesprochen, abzüglich der zuvor erhaltenen Lösegelder. 490 In den letzten Jahren seines Lebens widerfuhr Albrecht von Rosenberg das gleiche Schicksal wie Hieronymus Baumgartner. Der Ent‐ führer Baumgartners wurde auf dem Augsburger Reichstag 1566 wegen seiner Beteiligung am Grummbach’schen Händel gefangen genommen und auf der Hofburg in Wien sowie in Prag und Preßburg festgehalten. 491 Anders jedoch als für den Patrizier gab es für den Ritter kein gutes Ende. Er starb am 17. Mai 1572 in Haft, ohne die Freiheit wiedererlangt zu haben. 492 Hieronymus Baumgartners Selbstzeugnis liefert mehrfach Einblicke in seine Psyche und seinen körperlichen Zustand und unterstreicht die Rechtfertigungs‐ absichten Baumgartners. Mit dem Bericht an den Nürnberger Rat wollte er nicht nur Mitleid für seine Person und seine Erlebnisse erhalten, sondern sich auch in einem rechten Licht darstellen, so dass ihm keine Versäumnisse oder eine fehlende Mitwirkung unterstellt werden konnte. Wie bei keinem anderen Selbstzeugnis dieser Untersuchung ist es beim Bericht des Hieronymus Baum‐ gartner möglich, als moderner Leser die Ängste und Zweifel eines Individuums nachzuvollziehen, das sich nicht an einem einzelnen Ort den Gegebenheiten anpassen konnte, sondern mehrfach den Gefangenschaftsort wechseln musste, ohne sich jemals richtig orientieren zu können. 142 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen 4. Zusammenfassung Die drei vorgestellten Gefangenschaftsfälle können gut in die einzelnen Punkte des Neun-Phasen-Modells eingeordnet werden; dabei sind die vielen Parallelen zwischen den Entführungen und Gefangenschaften Hieronymus Baumgartners und Georg Reiches besonders augenfällig. 1. Phase: Die primäre Motivation / Die Gründe des Konfliktes In allen drei Fällen waren die späteren Gefangenen am zugrundeliegenden Hauptkonflikt nicht beteiligt und wurden entführt, damit dem Ansinnen der Gefangennehmer mehr Nachdruck verliehen werden konnte. Alle Gefangen‐ nehmer wollten Forderungen, mit deren Erfüllung sie (gefühlt) in einen Still‐ stand geraten waren, beglichen sehen. Deshalb suchten sie nach Opfern, die ihnen die nötige Aufmerksamkeit durch die Entführung garantieren sollten. Die Gründe für die Entführungen der Straßburger Gesandtschaft, Georg Reiches und Hieronymus Baumgartners können anhand der Quellen aufgezeigt werden: Die Herren von Schwanberg forderten eine Schuldbegleichung von König Wenzel und wählten daher eine Gesandtschaft, die mit einem Geleitschreiben des Kö‐ nigs unterwegs war. Hans Kohlhase und Albrecht von Rosenberg hatten Geldbzw. Besitzforderungen, die nicht erfüllt wurden und planten deshalb jeweils eine ‚einflussreiche‘ Person zu entführen, um ihre Ansprüche durchsetzen zu können. 2. Phase: Die Observierung Die primäre Motivation der Gefangennehmer gezielt Personen gefangen zu nehmen, die sich als Druckmittel in ihren Angelegenheiten anbieten könnten, zeigt auch, dass die Männer nicht zufällig in Gefangenschaft gerieten, sondern bewusst ausgewählt worden waren. Die explizite Beschreibung der Gefangen‐ nehmer über die Observierungen findet sich nur in Ausnahmefällen: Hans Kohlhase und Albrecht von Rosenberg geben in den Protokollen und Briefen an, dass sie ihre Opfer im Vorfeld ausspioniert und den Zeitpunkt des Zugriffs sehr genau gewählt hatten. Während Georg Reiche völlig ahnungslos war, hatte Hieronymus Baumgartner bereits auf dem Speyrer Reichstag von möglichen Aktionen Albrechts von Rosenberg erfahren, ohne diese Warnung explizit auf sich zu beziehen. Ebenso muss auch bei der Straßburger Gesandtschaft davon ausgegangen werden, dass die Herren von Schwanberg die Reiseroute der Gesandten und den Zeitpunkt des Aufbruchs aus Prag ausgekundschaftet und im Vorfeld genaustens geplant hatten, wann der Zugriff erfolgen sollte. 143 4. Zusammenfassung 3. Phase: Die Gefangennahme In allen drei Entführungsfällen wurde die Rückreise der Zielpersonen als Zeit‐ punkt für den Überfall gewählt: Die drei Gesandten Straßburgs befanden sich auf dem Rückweg von Prag, der Kaufmann Georg Reiche auf der Rückfahrt von Frankfurt nach Wittenberg und Hieronymus Baumgartner auf der Heimreise vom Speyrer Reichstag. Die Überfälle auf Georg Reiche und Hieronymus Baumgartner sind sehr gut dokumentiert und weisen signifikante Parallelen auf. In beiden Fällen blieb der Haupttäter so lange im Hintergrund, bis die bewaffneten und teilweise vermummten Helfer die Kontrolle über das Opfer und seine Begleiter erlangt hatten. Erst danach gaben sie sich und ihr Anliegen zu erkennen. Georg Reiche und Hieronymus Baumgartner schildern, dass sie sich einer Überzahl bewaffneter Männer gegenübersahen und völlig überrascht von dem Angriff waren. Erst als die Aggressoren sich zu erkennen gaben, hätten sie eine erste Erklärung für den Überfall erhalten. Damit die Entführungen im Sinne der Entführer ablaufen und die jeweiligen Pläne der Gefangennehmer aufgehen konnten, finden sich in allen drei Ge‐ fangennahmen sehr genaue Anweisungen für die Zeugen des Überfalls, die teilweise durch Fesselungen oder Drohungen auch zeitlich aufgehalten wurden, um den Abtransport des Gefangenen sichern zu können. So berichten in allen Fällen am Geschehen beteiligte Personen, wie die Ehefrau, die Diener oder andere Augenzeugen, vom Ereignis und übermittelten häufig auch eine erste Botschaft des Gefangennehmers an die Stadträte, denen so die Gefangennahme angezeigt wurde. Insgesamt zeigt sich jeweils ein durchdachter Ablauf des Überfalls, mit dem die Entführer sicherstellen wollten, dass man der Männer habhaft werden und sie wegführen konnte, bevor eine Befreiung von außen möglich war. Zusätzlich waren bei allen Überfällen Wertgegenstände der Gefangenen entwendet worden, im Falle von gestohlenen Siegelringen finden sich besorgte Berichte über den Diebstahl und mögliche Folgen in der nachfolgenden Korre‐ spondenz. 4. Phase: Der Transport Während wir bei den drei Gesandten keine Einzelheiten zum Transport zwi‐ schen dem Ort der Gefangennahme und der Burg der Herren von Schwanberg erhalten, sind die Angaben zu den sich wiederholenden Gefangenentransporten zwischen den einzelnen Gefangenschaftsorten in den anderen beiden Fällen sehr genau. Charakteristisch ist die Furcht der Gefangennehmer, dass die Gefangenen gewaltsam entrissen oder sie selbst ergriffen werden könnten. Diese Phase ist geprägt durch das Reisen der Gruppen zu unterschiedlichen 144 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen Verstecken, man war vorwiegend nachts und mit wenigen Männern unter‐ wegs, um unbemerkt voranzukommen. In Herbergen und im Kontakt mit Außenstehenden mussten sich Hieronymus Baumgartner und Georg Reiche als Mitglieder der Gruppe ihres Gefangennehmers ausgeben, um nicht aufzufallen. Baumgartner wurde zudem weniger auffällig gekleidet und bekam ein anderes Reitpferd, um eine Identifizierung seiner Person zu erschweren. Georg Reiche und Hieronymus Baumgartner berichten, dass sie unterwegs gefesselt und ihnen die Augen verbunden worden waren. Durch die wechselnden Orte und die fehlenden Informationen gelang es sowohl Hans Kohlhase als auch Albrecht von Rosenberg zunächst unerkannt zu bleiben und sich den wiederholten Zugriffsversuchen zu entziehen. 5. Phase: Die Gefangenschaft Die gefangen genommene Gesandtschaft wurde auf Burg Schwanberg festge‐ halten und lag zunächst gefesselt in einem Turm der Burg. Zumindest am Anfang scheint die Behandlung der Gesandten sehr hart gewesen zu sein, dafür spricht die Einschließung in den Block. Die Fesselung der Gliedmaßen bewirkte eine sehr unbequeme Sitzhaltung und wird schwer zu ertragen gewesen sein. Ob die harten Haftbedingungen der Gefangenen vordergründig für Boten oder Vermittler, die die Gefangenen in Augenschein nahmen, geschaffen wurden und sich die Lage besserte, sobald die Gefangenen nicht von außenstehenden Personen aufgesucht wurden, kann nicht bestimmt werden. Den Turm durften sie offensichtlich nach ein paar Wochen gegen einen anderen Raum innerhalb der Festung eintauschen; zudem wurde ihnen gestattet, dass sich zwei Diener bei ihnen aufhielten. Die drei Männer berichten weiterhin gefesselt und schlecht untergebracht worden zu sein. Erst nach über einem Monat durften sich die Gesandten persönlich bei ihren Dienstherren und ihren Familien melden. Die Briefe erinnern den Leser sehr an moderne Entführungsschreiben. Es konnte gezeigt werden, dass sehr wahrscheinlich alle Briefe einem rigiden Diktat folgten und so gut wie keinen Raum für persönliche Nachrichten der Gefangenen ließen. Der Bote, dem die Briefe mitgegeben wurden, durfte die Gefangenen persönlich in Augenschein nehmen. Da im Schreiben an den Rat der Stadt Straßburg ausdrücklich auf die Augenzeugenschaft des Boten hingewiesen wird, ist eine bewusste Inszenierung der gefesselten Gesandten von Seiten der Herren von Schwanberg denkbar. Auch aus den Briefen nach der Freilassung erfahren wir keine weiteren Angaben zu den Räumen der Gefangenschaft, so dass die Informationen zu den Haftorten recht spärlich bleiben. Allerdings zeigt spätestens der Tod Andreas Heilmanns, dass die Haftbedingungen wahr‐ scheinlich nicht gut waren. Da die Quellen keine Todesursache beschreiben, ist nicht festzustellen, ob die Unterbringung ursächlich für den Tod war oder nur 145 4. Zusammenfassung verstärkend gewirkt hat. Auf jeden Fall hinterließ dieses Erlebnis tiefe Eindrücke bei dem noch inhaftierten Hans Bock. Anders sah es bei den anderen beiden Überfällen aus. Diese waren gekenn‐ zeichnet durch einen permanenten Raumwechsel, um etwaige Verfolger abzu‐ hängen und den Gefangenen orientierungslos zu machen. Die Behandlung während der Gefangenschaft wurde unterschiedlich gestaltet. Bei Baumgartner überwiegen Beschreibungen, die das schlechte Essen, das Fehlen von Licht und die Bewachung durch die Knechte kritisieren. Georg Reiche äußerte sich weitaus weniger negativ über seine Behandlung durch Hans Kohlhase; er versuchte sogar die Sache Kohlhases aktiv voranzutreiben, um schneller aus der Gefangenschaft gelangen zu können. Der Bericht Hieronymus Baumgartners liefert eine Fülle an Inhaftierungs‐ räumen, die er während seiner Gefangenschaft kennenlernte. Charakteristisch für die Gefangenschaft Baumgartners ist, dass er in seiner Rechtfertigungs‐ schrift die einzelnen Orte nicht benennen konnte oder wollte, eventuell unter‐ sagte ihm die unterzeichnete Urfehde eine genauere Bezeichnung der Burgen. Häufig kennzeichnete er die Räume, indem er die Größe, Lichtverhältnisse oder Besonderheiten, wie Schutzvorrichtungen an Fenstern oder Türen, angab. Zusätzlich sei ihm angedroht worden, dass man ihn in Ketten schließen werde, und gerade unter der Bewachung der Knechte scheinen seine Haftbedingungen schärfer gewesen zu sein, als in der Anwesenheit Albrecht von Rosenbergs. Die ersten Briefe, die Baumgartner nach etwa einem Monat verfassen durfte, waren augenscheinlich von Albrecht von Rosenberg diktiert oder zumindest redigiert worden. Später durfte er neben Briefen auch kleinere Pakete von seiner Familie erhalten. Erst durch die Pflegerin der Burg konnte Baumgartner zum Ende seiner Gefangenschaft selbstbestimmt Kontakt mit seiner Umwelt suchen, allerdings haben sich diese Geheimnachrichten nicht erhalten. Nicht nur die detaillierten Raumbeschreibungen fallen dem Leser auf, auch die psychische Verfassung Baumgartners wird mehrfach im Bericht erwähnt. Neben den schlechten Haftbedingungen, die ihren Tribut forderten, waren es vor allem die nicht eingehaltenen Versprechen, die den Gefangenen zermürbten und die angedrohten Strafen, die ihn einschüchterten. Deutlich kann man die Furcht und Verzweiflung sowie die Folgen des Mangels an Licht und Bewegungsfreiheit im Selbstzeugnis festmachen. Die schlechte Behandlung führte bei Baumgartner sowohl zu psychischen als auch zu physischen Folgen, die schließlich in einem völligen Zusammenbruch endeten. Georg Reiches sehr viel spärlichere Informationen zu seinen Gefangen‐ schaftsorten zeigen auf, dass die Gruppe erst nach zwei Wochen an einem festen Ort verblieb, ohne dass er diesen näher habe bestimmen können. Er 146 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen gibt an, gefesselt worden zu sein, wobei diese Angaben auch einem Diktat Kohlhases entspringen könnten, um den Rat in Wittenberg unter Druck zu setzen; jedoch decken sie sich mit den Aussagen des Fehdeführers an die „Freundschaft Reiches“, der er zwar ein milderes Gefängnis für den betagten Kaufmann versprach, jedoch dergestalt, dass Reiche sich nicht befreien könne. Ansonsten scheint die Behandlung Georg Reiches angemessen gewesen zu sein, zumindest erwehrt sich Hans Kohlhase gegen die gestreuten Informationen der Brüder von Birkholtz, die von Gräueltaten am Ehepaar Reiche berichteten, und auch die Briefe Reiches erhalten keine Klagen über eine schlechte Behandlung. Aus der Hand Georg Reiches haben sich keine weiteren Zeugnisse zu den Begebenheiten seiner ‚zweiten Gefangenschaft‘ erhalten, so dass wir über die Zeit bei den Gebrüdern von Birkholtz nicht informiert sind. 6. Phase: Die Verhandlungen Diese Phase fällt in den geschilderten Fällen unterschiedlich aus und ist sehr vom Einzelfall geprägt. Eine Gemeinsamkeit ist, dass erst in dieser Phase erste Nachrichten an die Verwandten, die Hauptmänner oder den Stadtrat geschickt werden durften. So erlaubten die Herren von Schwanberg den gefangenen Gesandten erst nach einem Monat ein erstes Lebenszeichen von sich zu geben. Die vier Briefe wurden allem Anschein nach diktiert und geben vor allem die Lösegeldsummen wieder, auf die sich die Gefangenen geschätzt hatten. Dabei fallen die sehr unterschiedlichen Höhen der vereinbarten Summen auf, die zudem mit sehr engen Fristvorgaben verbunden waren. Während sich Hans Bock zunächst auf 12 000 fl. und Andreas Heilmann auf 6 000 fl. verpflichtet hatten, erbat Heinrich von Mühlheim eine Zahlung von 1 000 fl. für seine Freilassung. Alle drei Männer behaupten in ihren Briefen, dass sie sich selber geschätzt hätten. Diese Behauptung kann nicht belegt werden, da sich nur die vier Briefe aus der Gefangenschaft über die Lösegeldhöhen erhalten haben. Allerdings widerriefen Heinrich von Mühlheim und Hans Bock nach ihrer jeweiligen Freilassung nicht das Geschriebene oder behaupteten, unter Zwang etwas gelobt zu haben. Bei den Lösegeldhöhen fällt ins Auge, dass Heinrich von Mühlheim von Anfang an den niedrigsten Betrag angab. Die beiden bürgerlichen Gesandten lagen mit ihren Beträgen deutlich über seinem Preis. Sofern die Gefangenen sich selbst auf einen Lösegeldbetrag festgelegt hatten, kann spekuliert werden, dass die Männer die Einschätzung getrennt voneinander vornehmen mussten und Heinrich von Mühlheim als ebenbürtiger Gesprächspartner einen besseren Preis festlegen konnte. Eventuell war er auch weniger vermögend als die beiden anderen Gesandten und es wurde doch darauf geachtet, dass jeder der drei Gefangenen sich nach der wirtschaftlichen Lage einschätzte. Oder die Herren von Schwanberg setzten auf diplomatische 147 4. Zusammenfassung Vorteile, indem sie dem Ritter ein niedrigeres Lösegeld anboten. Auf jeden Fall konnte Heinrich von Mühlheim für seine Person wesentlich schneller einen Bürgen finden und so bereits nach etwas mehr als sieben Wochen aus der Gefangenschaft freikommen. Auffällig ist, dass die Briefe an die Familien nicht direkt an die Ehefrauen, son‐ dern über den Rat in Straßburg verschickt wurden. Aufgrund der aufgezeigten Drohkulisse für die Gefangenen kann davon ausgegangen werden, dass sie vor allem als politisches Druckmittel eingesetzt werden sollten, die an den Rat von Straßburg und darüber hinaus auch an König Wenzel adressiert waren. Neben der fehlenden Möglichkeit, sich persönlich an die Familien zu wenden, und der stetigen Bedrohung durch die Herren von Schwanberg, ist vor allem das Gefühl der Unsicherheit fassbar. Gleichzeitig war der Tod Andreas Heilmanns ein Signal, die Verhandlungen voranzutreiben und weitere Fürsprecher zu gewinnen. Die langen Verhandlungen, die sich im Fall Hans Bocks immer weiter verzögerten, und die Furcht aufgrund der stockenden Verhandlungen an einen anderen Ort verlegt zu werden, belasteten das Gemüt des Gefangenen. Ein angebotener Fluchtplan wurde vom Rat der Stadt Straßburg nicht angenommen, da der Rat die Angelegenheit auf diplomatischem Weg beenden wollte. Hans Kohlhase räumte seinem Gefangenen Georg Reiche die Möglichkeit ein, mehrere Briefe zu schreiben und beantwortete auch die Anfragen der Familie und des Rates zu Wittenberg. Die ersten Briefe an seine Familie verfasste Georg Reiche in großer Eile. Der Kaufmann schrieb nur die wichtigsten Informationen nieder und sorgte sich vor allem um sein Geschäft, das er nicht weiter betreiben konnte. Diese Sorge um noch verbliebene Güter und zuvor getätigte Kredite, die bedient werden mussten, prägte auch den restlichen Briefverkehr Reiches mit der Familie und auch die Ehefrau Reiches versuchte ihrerseits die Geschäfte ihres Mannes weiterzuführen. Die Schreiben an den Rat zu Wittenberg sind eindringlicher in ihren Formu‐ lierungen. In diesen beschreibt Georg Reiche seine persönliche Lage weitaus drängender und bittet inständig darum, dass sich der Rat für seine Freilassung und das Anliegen Kohlhases einsetzen möge. Die Briefe an den Rat sind mit großer Wahrscheinlichkeit durch ein direktes Diktat Kohlhases oder zumindest von seinem Einfluss geprägt worden, der mit der Entführung des Kaufmanns vor allem seine eigenen Angelegenheiten weiterbringen wollte, wozu auch die Androhung weiterer Maßnahmen durch Kohlhase passen würde. Allerdings ist in den Äußerungen das Einsetzen für seinen Gefangennehmer, sofern es nicht alleinig dem direkten Diktat Kohlhases entstammte, auffällig, da Reiche eine Unterstützung in einem Brief an seinen Schwager wiederholt, in dem er um eine Supplikation durch Martin Luther und die Wittenberger Universität bat, 148 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen die eine rasche Erledigung des Streitfalls erwirken sollte. Diese Fürsprache für Hans Kohlhase ist verbunden mit der Sorge Reiches um das nicht fortgeführte Geschäft und damit das finanzielle Wohlergehen seiner Familie - ein Hinweis darauf, dass er während seiner Gefangenschaft wahrscheinlich nicht allzu sehr unter den Bedingungen litt. Zu weiteren Verhandlungen und möglichen Forderungen Kohlhases kam es jedoch im weiteren Verlauf der Gefangenschaft nicht mehr, da die Gruppe am Weiher zu Storkow von den Leuten der Brüder von Birkholtz aufgespürt und Reiche aus der Hand Kohlhases ‚befreit‘ wurde. Von langwierigen Verhandlungen, die immer wieder ins Stocken kamen, berichtet auch Hieronymus Baumgartner, der in seinem Bericht ebenfalls von der Furcht spricht, Albrecht von Rosenberg könne ihn über die Alpen führen und ihn damit dem Zugriff seiner Familie und Freunde entziehen. Zeitgleich fällt in diese Phase eine erste Kontaktaufnahme mit der Außenwelt, so erreichten Baumgartner Briefe und Päckchen von seiner Ehefrau und seinem Bruder, später wurden auch Boten zu ihm vorgelassen. Der Bericht zeigt eindrücklich auf, wie sehr die zähen Verhandlungen an den Nerven Albrecht von Rosenbergs und des Gefangenen zehrten. Gleichzeitig waren die Phasen, in denen Albrecht von Rosenberg die Gruppe verließ, um die Verhandlungen voranzutreiben, geprägt durch einen wesentlich schlechteren Umgang der Knechte mit Baumgartner. Deutlich wird dies vor allem, als Baumgartner nach einem kräftezehrenden Marsch und mit verbundenen Augen schließlich einen körperlichen Zusammenbruch erlebte. Dieser Moment war sicherlich der Tiefpunkt der Gefangenschaft für Baumgartner, auch weil er den zuvor getroffenen Versprechungen nicht mehr glauben konnte. Albrecht von Rosenberg indes agierte zeitweise mit größter Umsicht, um die Verhandlungen nicht zu gefährden. So ließ er Briefe vordatieren und appellierte mehrfach an das Ehrgefühl Baumgartners, um einen möglichen Fluchtversuch zu unterbinden. Ein Treffen mit Landgraf Philipp von Hessen im Februar 1545 brachte schließ‐ lich Bewegung in die Angelegenheit und offenbart zeitgleich, wie auch bei den anderen drei Gefangenschaftsfällen, die Sorge der Unterstützer, dass der Gefangene in der Gefangenschaft versterben könne. Der kaiserliche Entschluss die Causa Rosenberg auf dem Reichstag von Worms zu verhandeln, setzte die mit dem Landgrafen getroffenen Abmachungen jedoch außer Kraft und zeigt, wie hoch die Angelegenheit schließlich angesetzt wurde. Baumgartner indes erhielt von dieser neuen Sachlage nur spärliche Informationen; erst der anberaumte Gefangenenaustausch dürfte ihm neue Hoffnung geschenkt haben, dass seine Freilassung unmittelbar bevorstehen könnte. 149 4. Zusammenfassung 7. Phase: Erfüllung der Forderungen / Flucht Heinrich von Mühlheim zahlte nach den langen Verhandlungen 1 000 fl., für die er noch vor seinen beiden Mithäftlingen einen Bürgen hatte finden können. Dies ermöglichte es ihm, sich gezielt für die Freilassung der anderen beiden Gefangenen einzusetzen. Der Tod Heilmanns veränderte jedoch auch für die Herren von Schwanberg die Ausgangslage, so dass sie ihre Lösegeldforderungen für Hans Bock deutlich herabsetzten und ihm gestatteten sich selbst um seine Auslösung zu kümmern. Die Gefangenschaft Georg Reiches ist insofern ein Sonderfall, da er durch die Brüder von Birkholtz aufgegriffen wurde, bevor Hans Kohlhase seine Verhandlungen zu Ende bringen konnte, so dass die Entführung an dieser Stelle missglückte und Kohlhases Forderungen nicht weiterverhandelt wurden. Im Bericht von Hieronymus Baumgartner lässt sich ebenfalls ein eine Fluchtabsicht finden, die nicht weiterverfolgt wurde, stattdessen half ihm die Burgpflegerin Nachrichten an seine Familie und Unterstützer zu schmuggeln. Am 25. Juli 1545 unterzeichnete Hieronymus Baumgartner die Urfehde und verbrachte die letzten Tage bis zu seiner Freilassung mit dem Mithäftling Greter von Biberach. Albrecht von Rosenberg bekam schließlich 8 000 fl. Lösegeld für den Patrizier, die Besitztümer rund um den Boxberg erhielt er nicht. 8. Phase: Erlangung der Freiheit Dem Brief des Ende November 1395 freigekommenen Hans Bock kann sowohl die Erleichterung, wieder auf freiem Fuß zu sein, als auch die Furcht, er müsse sich aufgrund fehlender Bürgen wieder bei den Herren von Schwanberg einfinden, entnommen werden. Bereits im Juli 1395 war Heinrich von Mühlheim in die Freiheit entlassen worden und auch seinen Briefen ist die Freude seiner Freilassung anzumerken. Es zeigt sich, dass allem Anschein nach Briefe an die Gefangenen über die gesamte Gefangenschaft hinweg zurückgehalten worden waren - ein Umstand, den Heinrich von Mühlheim nach seiner Freilassung beanstandete. Über die Beendigung der Gefangenschaft Georg Reiches erfahren wir nur über Dritte; nachdem er in die Hand der Brüder von Birkholtz gelangt war, setzte sich vor allem der Bischof von Lebus für die rasche Freilassung des Kaufmanns ein, so dass dieser wahrscheinlich am 15. September 1538 wieder in sein altes Leben zurückkehren konnte. Sehr viel detaillierter sind indes die Schilderungen Hieronymus Baumgart‐ ners über seine Freilassung. Baumgartner stand ein letzter Ritt mit Albrecht von Rosenberg bevor, wobei die Gruppe der berittenen Männer sich sukzessive vergrößerte und auch von zwei kaiserlichen Gesandten begleitet wurden, die federführend die Rückreise übernahmen. Nachdem man sich in Mergentheim 150 B. Gefangenschaften im Zuge von gewaltsamen Überfällen von Albrecht von Rosenberg getrennt hatte, konnte Baumgartner am 4. August 1545 nach Nürnberg zurückkehren. 9. Phase: Das Leben nach der Gefangenschaft Die beiden überlebenden Gesandten waren weiterhin im Dienst der Stadt Straß‐ burg tätig und noch eine ganze Weile nach ihrer Freilassung mit der Abwicklung der Lösegelder beschäftigt. Auch Hieronymus Baumgartner knüpfte nahtlos an sein altes Leben an; nahm die alten Ämter in Nürnberg wieder auf und verfasste einen Rechtfertigungsbericht über seine Gefangenschaft. Dabei war es ihm wichtig, die eigene Unschuld in der Sache darzustellen; so habe er alles unternommen, um nicht in die Hände Albrecht von Rosenbergs zu fallen. Gleichzeitig stößt man im Bericht Baumgartners jedoch auch immer wieder auf Kritik, vor allem die verschiedenen Versuche ihn gewaltsam zu befreien, aber auch einzelne Aktionen von außen, hätten die Verhandlungen mit Albrecht von Rosenberg und damit auch seine Freilassung verzögert. Von Georg Reiche erfahren wir in den Quellen nichts mehr über die Zeit nach seiner Freilassung. Die hier geschilderten Situationen stellen Entsprechungen zu ‚modernen‘ Fällen von Geiselnahmen dar, die zur Erpressung von Gegenleistungen oder sonstigen Handlungen eingesetzt wurden. In allen drei Fällen setzten die Gefangennahme und die Anzeige der Gefangennehmer über den Grund der Entführung ein Netzwerk in Gang, das sofort in die Verhandlungen oder die Fahndung nach den Gefangennehmern und den Aufenthaltsorten der Entführten eingebunden wurde. Die zähen Verhandlungen konnten bei den Gefangenen Unsicherheiten verursachen und eine Haftverschärfung nach sich ziehen. Alle fünf Gefangenen waren Gewaltopfer nach geplanter, solitärer Tat, ohne dass sie zuvor in den Konflikt verwickelt waren. 151 4. Zusammenfassung 493 Anton S C H W O B (Hrsg.): Die Lebenszeugnisse Oswalds von Wolkenstein, Edition und Kommentar, 3 Bände, Wien [u. a.] 1999-2004; als eigene Einschätzung zu den Selbst‐ zeugnissen auch: Anton S C H W O B / Ute Monika S C H W O B , Die Selbstzeugnisse Oswalds von Wolkenstein, in: Oswald von Wolkenstein. Leben, Werk, Rezeption, hrsg. v. Ulrich Müller/ Margarete Springeth, Berlin, New York 2011, S. 41-50. C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden Während die Gefangenen der vorangegangenen Gruppe als zunächst Unbetei‐ ligte in einen Konflikt hineingezogen wurden, betreffen die nächsten Fallbei‐ spiele Menschen, die selber Aggressoren bzw. Kombattanten innerhalb einer bewaffneten Auseinandersetzung waren. So war die Gefangennahme oftmals weniger überraschend für den Beteiligten, da man sich im Vorfeld einer kriege‐ rischen oder gewalttätigen Aktion immer auch mit dem eigenen möglichen Schicksal konfrontiert sah. Trotzdem stellten die Gefangennahme und die Gefangenschaft einen neuen Lebensumstand für das Individuum dar. Anhand von drei Einzelbeispielen und einem Konvolut von Gefangenschafts‐ briefen aus dem Schwabenkrieg sollen militärische Gefangenschaften innerhalb von Fehden und Kriegen untersucht werden. 1. Oswald von Wolkenstein a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses Unter den Selbstzeugnissen der Gefangenen in dieser Arbeit befinden sich auch Äußerungen eines der größten ‚Liedermacher‘ des mittelalterlichen Rei‐ ches: Oswald von Wolkenstein, der als eine der wenigen Persönlichkeiten des Mittelalters sowohl von der mediävistischen Germanistik als auch von den historischen Disziplinen erforscht wurde und wird. So sind zahlreiche Arbeiten zu seinen Werken und zu seinen begleitenden Lebenszeugnissen entstanden, zum Beispiel durch Anton Schwob 493 oder die Forschungen der ‚Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft‘, die ihre Ergebnisse nicht nur in dem Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft zusammenfasst, sondern auch auf ihrer Homepage einen breiten Fundus an Informationen und Forschungsergebnissen 494 Zu finden unter: www.wolkenstein-gesellschaft.com/ index.php, (abgerufen am 10.07.2018). 495 Auch das germanistische Institut der Karl-Franzens-Universität Graz besitzt einen Internetauftritt, www-gewi.kfunigraz.ac.at/ oswald/ site.php? show=1&_=1, (abgerufen am 10.07.2018). 496 Dieter K Ü H N , Ich Wolkenstein. Biographie (Trilogie des Mittelalters 3), Frankfurt a. M 1996, S 16. 497 Das im Jahr 1416 entstandene Lied KI. 18, 97-98 enthält die Zeile: „Ich han gelebt wol vierzig jar leicht minner zwai mit toben, wüten, tichten, singer mangerlai“, die Forschung ist sich nicht sicher, ob Oswald an dieser Stelle sein 40. oder sein 38. Lebensjahr besingt, vgl. z. B Jürgen R A U T E R , Die Biographie Oswalds von Wolkenstein, in: Oswald von Wolkenstein. Literarische Tradition, Variation und Interpretation anhand ausgewählter Lieder, hrsg. v. Jürgen Rauter/ Elisabeth Höpfner, Roma 2009, S. 15-54, S. 21; Gerhard R U I S S , Sigmund von Luxemburg und Friedrich IV., wer? Geltung und Bedeutung der Lieder Oswalds von Wolkenstein, in: Oswald von Wolkenstein. Leben, Werk, Rezeption, hrsg. v. Ulrich Müller/ Margarete Springeth, Berlin, New York 2011, S. XIII-XVI, S. XIII; Anton S C H W O B , Oswald von Wolkenstein. Eine Biographie, Bozen 3 1977, S. 19. 498 Vgl. K Ü H N , Wolkenstein (wie Anm. 496), S. 500f. 499 Im Jahr 1973 wurde der (angenommene) Schädel Wolkensteins untersucht und im Zuge der weiteren Untersuchungen anhand von Zeichnungen und Schilderungen wurde die bereitstellt. 494 Dabei sind gerade die Arbeiten Anton Schwobs für diese Unter‐ suchung wertvoll, da er in mühevoller Detailarbeit die vielfältigen Urkunden- und Aktenmaterialien zu Oswalds Leben gesammelt, ediert und kommentiert hat. Damit steht der Wissenschaft eine interdisziplinär breit nutzbare Editions‐ sammlung zum Dichter zur Verfügung. 495 Von der gut dokumentierten Biographie Oswalds soll an dieser Stelle nur ein Teil beleuchtet werden, der vor allem den recht streitbaren Draufgänger zeichnet, über den Kühn schreibt: „Oswald von Wolkenstein gehörte zu denen, die eher Feuer legten als Feuer löschten.“ 496 Als Sohn von Friedrich von Wolken‐ stein und Katharina von Vilanders wurde Oswald in eine landadlige Familie hineingeboren. Der Zeitraum seiner Geburt fällt in die Jahre 1376 oder 1378, ein urkundlicher Nachweis fehlt, lediglich ein Lied gibt Aufschluss über sein ungefähres Geburtsdatum. 497 Auffällig sind Darstellungen eines hängenden rechten Auges bei Oswald, z. B. auf dem Portrait aus der Innsbrucker Handschrift von 1432 (Liederhandschrift B) und in zahlreichen Zeichnungen. Dies hat schon früh das Interesse der Wissenschaft geweckt. Entweder handelt es sich um eine angeborene Verklei‐ nerung der rechten Augenhöhle, die zu einer Ptosis des Augenlids, also zu einer Fehlbildung des Muskels führte, 498 oder aber die Ptosis des Augenlids ist in Folge einer traumatischen Verletzung des Auges entstanden, wie es Franz Daxecker in seiner Untersuchung vermutet. 499 Das würde zu der Schilderung Oswalds 154 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden Diagnose der Ptosis gestellt, vgl. Franz D A X E C K E R , Die Ptosis des rechten Auges Oswalds von Wolkenstein, in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft ( JOWG) 9 (1996/ 97), S. 71-79. 500 Max S I L L E R , Die Ausbildung eines jungen Ritters: Kindheit und Jugend Oswalds von Wolkenstein, in: Oswald von Wolkenstein. Leben, Werk, Rezeption, hrsg. v. Ulrich Müller/ Margarete Springeth, Berlin, New York 2011, S. 64-76; Oswald von Wolkenstein, Lieder. Frühneuhochdeutsch - neuhochdeutsch, hrsg. v. Burghart W A C H I N G E R , Stuttgart 2007, S. 401. Schwob vermutet, dass Oswald in der Schule Lesen und Schreiben lernte und im Alter von 10 bis 14 Jahren militärisch ausgebildet wurde, ansonsten wissen wir nicht viel über die ersten 24 Jahre seines Lebens, vgl. S C H W O B , Oswald (wie Anm. 497), S. 22. 501 Anton Schwob schreibt: „Oswald hatte es nicht nötig, zu übertreiben; eher hat er untertrieben und uns etwa seine durchaus mögliche Teilnahme an der Schlacht von Nikopolis verschwiegen.“, S C H W O B , Oswald (wie Anm. 497). S. 26. 502 Jürgen R A U T E R , Biographie, in: Oswald von Wolkenstein (wie Anm. 497), S. 33. 503 Herzog Friedrich IV. hatte Johannes XXIII. zur Flucht verholfen und war daraufhin vom Kaiser geächtet worden. Oswald war zu diesem Zeitpunkt wohl auf einer Gesandt‐ schaftsreise für Sigismund unterwegs; dies könnte ein Grund sein, warum die Ereignisse bei ihm unerwähnt bleiben, vgl. S C H W O B , Oswald (wie Anm. 497), S. 109-112. 504 Diese Reisroute findet man auch in seinen Liedern; außerdem scheint Oswald auch einen Abstecher zum Cap Finisterre unternommen zu haben, vgl. Jürgen R A U T E R , Biographie, in: Oswald von Wolkenstein (wie Anm. 497), S. 34f. passen, der von einem Unfall mit einem Bogen an Fastnacht spricht. Durch die Behinderung kam es zu einer nicht unerheblichen Sehstörung, die das Sichtfeld maßgeblich gehemmt haben dürfte. Über die frühe Kindheit Oswalds ist nicht viel bekannt. Er genoss eine ritterliche Ausbildung und es folgten schon früh erste Reisen des jungen Adligen innerhalb Europas und in den Vorderen Orient. 500 Schwob vermutet weiterhin eine Teilnahme Oswalds an der Schlacht bei Nikopolis im Jahre 1396, 501 in der die Streitkräfte des Sultans Bajezid I. die Truppen des ungarischen Königs Sigismund empfindlich schlugen und in der ein Mann in Gefangenschaft geriet, der in der zweiten Untersuchungsgruppe noch beleuchtet wird - der Knappe Johannes Schiltberger. Auch am Konzil von Konstanz nahm Oswald im Dienst König Sigismunds teil; eine Urkunde spricht Oswald einen Jahressold von 300 ungarischen Goldgulden zu. 502 Das Konzil wurde in Oswalds Liedern wiederholt verarbeitet, allerdings fehlen sowohl die Flucht als auch die Gefangenahme des Gegenpapstes Johannes XXIII. und die Unterwerfung Herzog Friedrichs IV. in seinen literarischen Bearbeitungen. Es wird vermutet, dass Oswald zu dieser Zeit als Teilnehmer einer Abordnung über Heidelberg nach Flandern, England und Schottland reiste. 503 Von dort ging es für ihn über Irland nach Portugal. 504 Oswald will beim erfolgreichen Angriff auf Ceuta 1415 teilgenommen haben und bei Perpignan 155 1. Oswald von Wolkenstein 505 S C H W O B , Oswald (wie Anm. 497), S. 113; Jürgen R A U T E R , Biographie, in: Oswald von Wolkenstein (wie Anm. 497), S. 36-38. Vielleicht nahm er auch schon zuvor an dem Angriff Sigismunds gegen die Republik Venedig 1412 teil, vgl. Heinz Dopsch, Oswald von Wolkenstein und seine Zeit, in: Oswald von Wolkenstein. Leben, Werk, Rezeption, hrsg. v. Ulrich Müller/ Margarete Springeth, Berlin, New York 2011, S. 1-13, S. 6. Mehr zur Reise Oswalds nach Südfrankreich und auf die iberische Halbinsel bei: Michael D A L L A P I A Z Z A / Alessandra M O L I N A R I , Südfrankreich, die iberische Halbinsel und Nordafrika: zur großen Reise Oswalds von Wolkenstein 1415/ 1416, in: Oswald von Wolkenstein. Leben, Werk, Rezeption, hrsg. v. Ulrich Müller/ Margarete Springeth, Berlin, New York 2011, S. 240-250. 506 S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 5. 507 Jürgen R A U T E R , Biographie, in: Oswald von Wolkenstein (wie Anm. 497) S. 39-41; S C H W O B , Oswald (wie Anm. 497). S 160. 508 Über die Schwierigkeiten die lyrischen Werke richtig zu interpretieren und biographi‐ sche Informationen herauszulesen, siehe Gerhard R U I S S , Sigmund, in: Oswald von Wolkenstein (wie Anm. 497), S. XIVf. Eine Übersicht über die Werke Oswalds von Wol‐ kenstein liefert: Hans M O S E R , Die Überlieferung der Werke Oswalds von Wolkenstein, in: Oswald von Wolkenstein. Leben, Werk, Rezeption, hrsg. v. Ulrich Müller/ Margarete Springeth, Berlin, New York 2011, S. 28-40. Die erste und heute immer noch grund‐ reich geehrt worden sein. 505 Durch die Hand Eleonores von Aragonien sei er zum Träger des Kannenordens oder Greifenordens gekürt worden. Neben seinem Dienst beim König findet man Oswald in den Quellen auch als Angestellten des Brixener Bischofs. In dieser Zeit lernte er wohl auch die Tochter des Brixener Schulmeisters Hans Hausmann, Anna Hausmann kennen, die er in seinen Werken als Geliebte ausweist. 506 Vermutlich 1417 heiratete Oswald Margarete von Schwangau und bekam mit ihr sieben Kinder. Mit 67, bzw. 69 Jahren starb er nach einem bewegten Leben in Meran am 2. August 1445. Insgesamt wurde Oswald dreimal in seinem Leben gefangen genommen, zunächst im Jahr 1405 durch seinen älteren Bruder Michael in Folge des sogenannten „Kleinodienraubes“. Hierbei wurde er lebensgefährlich verletzt. Das zweite Mal wurde er aufgrund der Streitigkeiten um den Hauenstein’schen Besitz von Martin Jäger vermutlich im Herbst 1421 gefangen gesetzt und so schwer gefoltert, dass er nachher humpelte. Und das dritte Mal wurde er in glei‐ cher Sache durch den Landesfürsten Herzog Friedrich im Jahr 1427 während des Hofgerichts gefangen gesetzt. Ein weiteres Mal konnte Oswald durch Glück der Gefangenschaft entgehen, als er infolge des von Papst Martin V. ausgerufenen Hussitenkreuzzuges die Burg Wyschehrad bei Prag belagerte. Das Unternehmen scheiterte und die Belagerer konnten nur mit Mühe entkommen. 507 In den Akten lassen sich vereinzelte Briefe und Urkunden zu seinen Ge‐ fangenschaften finden. Darüber hinaus erfahren wir auch Näheres in seinen Liedern, die an dieser Stelle als Selbstzeugnisse untersucht werden sollen. 508 33 156 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden legende Untersuchung zur literarischen Umsetzung der Gefangenschaftserlebnisse Oswalds von Wolkenstein: S C H W O B , Realität (wie Anm. 34). 509 Jürgen R A U T E R , Biographie, in: Oswald von Wolkenstein (wie Anm. 497), S. 19. Zur Überlieferung seiner Lieder s. Karl Kurt K L E I N / Hans M O S E R / Walter S A L M E N / Walter W E I S S / Norbert Richard W O L F / Notburga W O L F , Die Lieder Oswalds von Wolkenstein (Altdeutsche Textbibliothek 55), Tübingen 3 1987, S. XIII-XXV. 510 Anton S C H W O B , Die Edition der Lebenszeugnisse Oswalds von Wolkenstein und neue Funde zum realen Erlebnishintergrund seiner Lieder, in: Ex ipsis rerum documentis. Beiträge zur Mediävistik: Festschrift für Harald Zimmermann zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Klaus Herbers/ Hans-Henning Kortüm/ Carlo Servatius, Sigmaringen 1991, S. 159-172, S. 171f. Diese Einschätzung findet sich auch bei S I L L E R : „OvW stilisiert seine Vita, aber er ‚erfindet‘ sie nicht. Und wo das lyrische Ich gar mit dem Namen des Autors verbunden erscheint, darf man wohl eine besondere ‚biographische Authenzität (Müller 2004,86) annehmen‘, Max S I L L E R , Ausbildung, in: Oswald von Wolkenstein (wie Anm. 500), S. 69. Anton Schwob zieht für seine Studie zur literarischen Umsetzung der historischen Realität bei Oswald insgesamt 33 seiner Werke heran, vgl. S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 23. Diese Untersuchung folgt dem Korpus Schwobs, den er für seine Untersuchung wählt, um die drei Gefangenschaften Oswalds von Wolkenstein zu beleuchten (Kl. 1-4, 7, 23, 26, 44, 55, 59, 60 und 104), S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 26. Lieder zählen hierbei zu den sogenannten „Gefangenschaftsliedern“ Oswalds. Die meisten sind in der Handschrift A gesammelt worden, die Oswald nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft 1423 anfertigen ließ und die 1425 vollendet wurde. 509 Anton Schwob kommt in seiner Edition zu dem Ergebnis: „Historische Daten und Fakten, die Oswald von Wolkenstein in seinen Liedern erwähnt, entstammen dem realen Erlebnishintergrund. Mittels Auswahl und Stilisierung hat der Dichter seine subjektive Sicht der historischen Ereignisse mitgeteilt.“ 510 Aus diesem Grund sind die Selbstzeugnisse Oswalds so wertvoll für diese Untersuchung. b) Der Untersuchungsfall Die 1. Gefangenschaft Die Gefangennahme Die erste Gefangenschaft ereilte Oswald im Zuge des sogenannten „Klein‐ odienstreits“. Durch das Erbrecht gegenüber seinem Bruder Michael benachtei‐ ligt, schloss Oswald sich mit seinem Bruder Leonhard zusammen, um an einen Teil des väterlichen Erbes zu gelangen. Michael von Wolkenstein verwaltete zu diesem Zeitpunkt den Familienbesitz von der Trostburg in Südtirol aus und war mit Anna Suppan verheiratet. Eine gute Auskunft über die Vorgänge des 157 1. Oswald von Wolkenstein 511 Anton S C H W O B , Die Lebenszeugnisse Oswalds von Wolkenstein. Edition und Kom‐ mentar, Wien 2004, Nr. 218, S. 121-126. 512 Mit seinem Knecht verbanden Oswald bereits gemeinsame Erfahrungen von mehreren Kriegsreisen. Dieser wird in späteren Quellen als „Renner“ Oswalds bezeichnet, der den reitenden Ritter auf seinen Reisen begleitete, vgl. S C H W O B , Lebenszeugnisse (wie Anm. 511), Nr. 198, S. 61-63; Ute Monika S C H W O B , Oswald von Wolkenstein als Zeitzeuge spätmittelalterlicher Kriminalfälle, in: Wort unde wîse, singen unde sagen. Festschrift für Ulrich Müller zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Ulrich Müller/ Ingrid Bennewitz (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 741), Göppingen 2007, S. 53-70, S. 58. 513 Ute Monika S C H W O B , Kriminalfälle, in: Wort unde wîse, singen unde sagen (wie Anm. 512), S. 57. 514 Ebd., S. 58; Rudolf V O S S , Adliges Selbst- und Weltverständnis in den Gefangenschafts‐ liedern Oswalds von Wolkenstein, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 134 (2005), S. 45-61, S. 46. Kleinodienraubs und der anschließenden Gefangennahme Oswalds gibt das Protokoll des Bartholomäus von Gufidaun, der den Bericht am 12. Dezember 1430 aus seiner Erinnerung niederschrieb. Die Schilderungen Gufidauns decken sich weitestgehend mit den anderen Quellen, die sich zu diesem Vorfall erhalten haben. 511 Die beiden benachteiligten Brüder nutzten eine Abwesenheit Michaels von der Trostburg, um in die Burganlage einzubrechen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Ehefrau Michaels die Trostburg in Richtung Meran zu einem Verwandten‐ besuch ebenfalls verlassen, so dass Oswald und Leonhard zunächst unbemerkt in die Burg eindringen konnten. Bartholomäus von Gufidaun berichtet, dass die Brüder den Knecht Heinrich Schöberlin mit einem Seil, anscheinend durchs Fenster in den Raum abseilten, in dem sich ein Kästchen mit Geld und Kleinodien der Ehefrau Michaels befand, und dieses entwendet hätten. 512 In der Zwischenzeit, so das Protokoll weiter, habe sich Anna von Wolkenstein jedoch an das Kästchen erinnert und einen ihrer Diener zurückgeschickt, der ihren Ehemann bei seiner Rückkehr bitten sollte, dass er das Kästchen mit den Wertsachen an sich nehmen möge. 513 Als dieser jedoch zur Burg zurückkehrte, waren die Wertsachen bereits gestohlen worden. Michael suchte daraufhin Oswald auf, der ihm eine abenteuerliche Geschichte auftischte und vor dem Bruder angab, dass die Kleinodien von der Ehefrau Anna und einem Liebhaber gestohlen worden seien, und bezichtigte sie damit nicht nur des Raubes, sondern auch des Ehebruchs. Michael reagierte zunächst erzürnt über seine vermeintlich untreue Ehefrau und drohte ihr damit, sie zu erschlagen. Anna Suppan verblieb deshalb zunächst in Meran, um die weiteren Ereignisse abzuwarten. 514 Erst als Michael einige seiner Schmuckstücke bei einem Goldschmied auffand und diesen nach der Herkunft der Stücke befragte, flog der Schwindel auf. Der Goldschmied gab an, die Ringe von Leonhard von Wolkenstein zur Umarbeitung 158 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 515 Bartholomäus von Gufidaun weiß zudem von Misshandlungen der Untertanen zu berichten: S C H W O B , Lebenszeugnisse (wie Anm. 511), Nr. 218, S. 125. 516 Kl. 23, 59-64, K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), S. 82. 517 „Seý In aýnander wúchsen das he(r) Michel den Oswaldt wundet auf der tót vnd vieng In“, S C H W O B , Lebenszeugnisse (wie Anm. 511), Nr. 218, S. 215. 518 S C H W O B , Lebenszeugnisse (wie Anm. 511), Nr. 218, S. 125. erhalten zu haben. Daraufhin kam es zur Aussöhnung zwischen dem Ritter und seiner Frau. Bevor Michael jedoch mehr in der Sache unternehmen konnte, brach er zunächst noch einmal nach Österreich auf. Bei seiner Rückkehr stellte der Ritter fest, dass sich Oswald Einkünfte seines Bruders angeeignet und mehrfach dessen Untertanen bedroht hatte. 515 Daraufhin suchte Michael seinen Bruder auf und stellte ihn zur Rede. In den Darstellungen eskalierte anschließend der Streit unter den Brüdern. Oswald verarbeitete seine Erlebnisse der ersten Gefangennahme lyrisch in einem seiner Lieder. Vor allem der Moment des gewaltsamen Ergreifens durch seinen Bruder Michael hinterließ einen bleibenden Eindruck: „gevangen und ain waise / ward ich all meiner hab. / mein houbt hett volgesungen, / von slegen ward es krank. / auch ward in mich gedrungen/ ain swert nach halbes lanck.“ 516 Nach einer mündlichen Auseinandersetzung, so Oswald, sei man handgreif‐ lich geworden. Schließlich habe ihn sein Bruder in dem Handgemenge mit einem Schwert angegriffen und verwundet. Der lebensgefährlich verletzte Oswald wurde von seinem Bruder ergriffen und gefangen gesetzt. Auch der Bericht des Bartholomäus von Gufidaun erwähnt das Handgemenge, im Zuge dessen Oswald durch seinen Bruder verletzt und schließlich gefangen genommen wurde. 517 Die Gefangenschaft An welchem Ort Oswald seine Gefangenschaft verbrachte, ist nicht überlie‐ fert. Er schien zunächst genesen zu müssen, bevor er verhandlungsfähig war. Eventuell wurde er bis zu seiner Heilung auf Burg Wolkenstein festgehalten, was bedeuten könnte, dass der verwundete Ritter in seinem eigenen Zuhause eingesperrt wurde. Die Quellen schweigen jedenfalls über die Zeitspanne, die zwischen der Ergreifung Oswalds und der Herausgabe des Diebesgutes lag. Laut der Darstellung des Gedächtnisprotokolls wollte Michael die Kleinodien im Beisein von Zeugen von seinem Bruder zurückverlangen. Dafür ließ er Bartholomäus von Gufidaun und einen Nicklaus von Rost zur Burg Wolkenstein kommen. 518 Oswald von Wolkenstein musste vor den Zeugen die Wertsachen zeigen, die er behalten hatte und er gab ebenfalls zu, dass er die Beute mit 159 1. Oswald von Wolkenstein 519 Ebd., S. 122f. 520 V O S S , Adliges (wie Anm. 514), S. 47. 521 S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 34f. und Anton S C H W O B (Hrsg.), Die Lebenszeugnisse Oswalds von Wolkenstein (Band 2: 1420-1428), Wien/ Köln/ Weimar 2001, S. 56f. seinem Bruder Leonhard geteilt hatte. 519 Nach dem Zusammentreffen auf Burg Wolkenstein rief Herzog Leopold IV. als Landesherr ein Schiedsgericht ein, das sich der Angelegenheit annehmen sollte. Das Ende der Gefangenschaft Das Schiedsgericht unter dem Vorstand Ulrich von Säbens entschied, dass Oswald sich öffentlich bei seiner Schwägerin entschuldigen und die Kleinodien zurückgeben musste. Die Gefangenschaft Oswalds endete mit der Übergabe der Kleinodien. Die Verletzung durch den Bruder bei der Gefangennahme hinterließ Spuren, die sich auch in den lyrischen Werken des Autors Wolken‐ stein niederschlugen. Sicherlich war gerade der Ausflug in die literarischen Werke eine Möglichkeit das Erlebte zu verarbeiten und das eigene Bild in das rechte Licht zu rücken, so dass wir von der Gefangennahme, nicht jedoch von der Gefangenschaft Oswalds erfahren. Trotz seiner Verletzung fand die erste Gefangenschaft für Oswald ein mehr als positives Ende. Der anfangs ‚benachteiligte‘ Oswald erhielt nach seiner Freilassung eine Zuschreibung im April 1407 bezüglich eines Anteils des Familienvermögens und versöhnte sich mit seinem Bruder. Außerdem wurde ihm Mitbesitz der Familie Wolkenstein an der Burg Hauenstein und der daraus resultierenden Einkünfte überschrieben. 520 Gerade dieser Mitbesitz an den Hauensteinischen Gütern sollte den Ritter in seine zweite Gefangenschaft führen. Die 2. Gefangenschaft Die Gefangennahme Im Herbst 1421 kam es zur zweiten Gefangenschaft Oswalds. Grund dafür war der seit Mitte des 14. Jahrhunderts schwelende sogenannte „Wolkenstein-Hau‐ ensteinische Erbschaftsstreit.“ 521 Nachdem die Herren von Hauenstein im 14. Jahrhundert wirtschaftlich Bankrott erlitten, verkauften sie Teile des Besitzes an Eckhard von Vilanders, den Schwiegervater Friedrich von Wolkensteins. 1386 ging dieser Besitzanspruch durch Erbfall an Friedrich über. Von Anfang an gab es zwischen den Familien von Wolkenstein und von Hauenstein einen un‐ terschwelligen Konflikt um die Burg. In einem Schiedsspruch von 1397 wurden zwei Drittel der Hauensteinschen Güter Barbara von Hauenstein zugesprochen. 160 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 522 Das Haus ließ Oswald abreißen, um einen neuen Weg anzulegen. Die genaue Auflistung der Schädigungen kann man einer Aufstellung Martin Jägers entnehmen, die dieser anlegte, vgl. S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 112, S. 86-90; S C H W O B , Wolken‐ stein (wie Anm. 521), S. 56f. 523 S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 34-36. 524 V O S S , Adliges (wie Anm. 514), S. 47. 525 Vgl. S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 106, S. 69-74. 526 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), S. 57. Diese war verheiratet mit Martin Jäger, mit dem sie auf Burg Forst bei Meran lebte, da er als Pfleger im Dienst der Familie Starkenberger stand. Nach dem Tod seines Vaters nutzte Oswald das Drittel der wolkensteinischen Besitzrechte an Burg Hauenstein, um nach seiner Heirat mit Margarethe von Schwangau dort seinen Wohnsitz zu beziehen und fortan die Burg als Familiensitz zu nutzen. Der Streit zwischen den beiden Familien um das Erbe eskalierte, als Oswald in der Burg seine neue Wohnstätte einrichtete und ohne Absprachen mit Martin Jäger und dessen Ehefrau Veränderungen vornahm. So ließ er das Haus eines Pächters ebenso abreißen wie den Hof eines Wein‐ bauern, dessen Gewinn er sich aneignete. 522 Barbara von Hauenstein und ihr Ehemann protestierten gegen die Baumaßnahmen Oswalds und versuchten auf rechtlichem Weg gegen Oswald vorzugehen. Allerdings fühlte Martin Jäger sich bald vom Bischof von Brixen und seinem Landesfürsten im Stich gelassen und sah keine Möglichkeit mehr, auf dem Rechtsweg Genugtuung zu erfahren. Er beschloss, die Sache selber voranzutreiben und scharte gleichgesinnte Helfer gegen Oswald von Wolkenstein um sich. 523 Eine der drei Fehdehelfer Jägers war Anna von Hausmann, die Tochter des Brixener Schulmeisters Hans Hausmann. Interessant ist dies vor allem, da die „Hausmännin“, wie Oswald von Wolken‐ stein sie nennt, auch die ehemalige Geliebte des Wolkenteiners war, mit der er sich zu diesem Zeitpunkt in einem Besitzstreit um ein Weingut befand. 524 Daneben werden in den Quellen noch zwei Helfer benannt: ein „Frey“ und ein „Neidhart“, der die restlichen Knechte anführte, die mit an der Gefangennahme beteiligt waren. 525 Vermutlich fand der Überfall auf Oswald Ende September 1421 statt. Die Quellen geben über den Ablauf der Gefangennahme Oswalds wenig Auskunft. Da Oswald im Herbst 1421 zuerst als Hauptmann in Brixen auftauchte und sich danach längere Zeit nicht auf Hauenstein befand, kann laut Schwob vermutet werden, dass er von den geplanten Fehdehandlungen gegen ihn informiert war und sich einer möglichen Konfrontation entzog. 526 Oder aber Oswald von Wolkenstein war völlig ahnungslos, als er überwältigt und ergriffen wurde. Er selber stellt in seinen Liedern mehrfach heraus, in eine Falle gelockt worden zu sein: 161 1. Oswald von Wolkenstein 527 Kl. 23, 73-80, K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), S. 82. Schwob merkt an, dass nicht klar ersichtlich sei, ob an dieser Stelle eine Gefangennahme oder das „Fortführen“ Oswalds von einem Haftort zu einem nächsten gemeint sei: S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 220f. Hinweise auf eine Falle, die ihm Anna Hausmann gestellt haben soll, finden sich auch in Kl. 3, III; Kl. 59, II; Kl. 60 III. 528 Kl. 4, 43-54, K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), S. 13. Der Ort „Fall“ wird in den Liedern immer wieder thematisiert. Zur Schwierigkeit den Ort der „Falle“ eindeutig festzulegen s. S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 154-157, Alan R O B E R T S H A W , Wortspiele und Doppeldeutigkeiten in den Liedern Oswalds von Wolkenstein, in: Oswald von Wolkenstein. Leben, Werk, Rezeption, hrsg. v. Ulrich Müller/ Margarete Springeth, Berlin, New York 2011, S. 144-153, S. 148; Oswald V O N W O L K E N S T E I N / Wernfried H O F M E I S T E R , Das poetische Werk. Gesamtübersetzung in neu‐ hochdeutsche Prosa (De Gruyter Texte), Berlin, New York 2011, S. 19 „Gevangen und gefüret/ ward ich ainst als ein diep, / mit sailen zü gesnüret, / das schüff meins herzen lieb, / von der ich hab erworben/ mein aigen leiden swër. / wer si noch ainst gestorben! / noch ist si mir gevër.“ 527 Ebenso wenig wie die genauen Umstände der Gefangennahme nennen die Quellen die Forderungen Martin Jägers und seiner Helfer. Sicherlich wollte Jäger den ihm entgangenen Gewinn aus den Pachtzinsen zurückerstattet bekommen, die Oswalds für sich beansprucht hatte, vielleicht pochte er aber auch auf den Verzicht seines Gefangenen auf die hauensteinischen Besitztümer. Die Gefangenschaft Direkt nach seiner Gefangennahme verbrachte Oswald die ersten Tage bei den Knechten Jägers, die ihn in ihrer Obhut hielten. Die Quellen deuten darauf hin, dass Oswald auf der Fahlburg bei Prissian, die Martin Jäger gehörte, festgehalten wurde. In seinem Lied „Hör, kristenhait“ gibt es eine stilisierte Beschreibung des Gefangenenraumes, der zur Zeit Oswalds auf die Burg passen könnte. Die Entbehrungen der Gefangenschaft werden in diesem Lied gleichgesetzt mit den Entbehrungen auf dem Weg zur rechten religiösen Andacht: „Fleisch, weines tunst/ Teglichen meid, mässlichen nim die speise,/ das er den hunger ziemlich büss. […] Sein ougen perg, das antlitz blaichen lass, / Den leib mit armüt, frost und hitz/ Bett närlich auf das stro. […]/ Des lig ich Wolkensteiner inn der Fall.“ 528 Die Liedstelle bezieht sich auf die Leiden, die Oswald während seiner Ge‐ fangenschaft erlitten haben will. Dazu gehörten, wie er beschreibt, stetiger Hunger und ein hartes Strohlager. Schwierig wurde darüber hinaus das fehlende Tageslicht, welches zusammen mit den Witterungszuständen seiner Gesundheit zusetzte. Anton Schwob geht davon aus, dass Oswald unter schweren Bedin‐ gungen gefangen gehalten wurde, um seinen Willen zu brechen und, wie er es 162 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 529 S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 122 und 124f. 530 Die Kunde über Folterungen des Gefangenen und auch seine eigenen Beschwerden veranlassten den Burggrafen von Tirol, Hans von Königsberg, eigene Untersuchungen zur Behandlung Oswalds auf Burg Forst anzustellen, verbunden mit der Aufforde‐ rung an Martin Jäger besser mit dem Inhaftierten umzugehen, vgl. S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 47f. 531 Schwob grenzt den Zeitraum auf Anfang bis Mitte Oktober ein: S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 113. 532 Die eigentliche Niederschrift könnte jedoch auch erst nach der Entlassung Oswalds erfolgt sein, also im Frühjahr oder Sommer 1422. Eine endgültige Korrektur wurde wahrscheinlich im Sommer 1423 vorgenommen: S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 114f. 533 Kl 1, 21, K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), S. 1. 534 Kl. 1, 41-54, K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), S. 2f. 535 Kl 1, 96-102, K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), S. 4f. 536 Gegen die Fiktionalität der Schilderungen spricht sich auch Ute Schwob aus: Ute Monika S C H W O B , Gefängnis, in: Burgen, Länder, Orte (wie Anm. 12), S. 237. selber auch immer wieder anklingen lässt, in dieser Zeit gefoltert wurde. 529 Auch andere Quellen nehmen auf Folterungen in dieser Zeit Bezug. 530 In seinem Lied „Ain anefangk“ bezieht sich Oswald auf die Behandlung seiner Person durch die Knechte und die „Hausmännin“. Auch ohne einen direkten Hinweis innerhalb des Liedes kann man die folgenden Schilderungen in den Herbst 1421 datieren. 531 Anton Schwob vermutet, dass Oswald von Wolkenstein erst später auf Burg Forst, dem zweiten Haftort, die Gelegenheit hatte, die Erlebnisse festzuhalten und künstlerisch auszuarbeiten. Als möglichen Entste‐ hungszeitraum des Liedes „Ain anefangk“ vermutet er den Zeitraum von Mitte Oktober bis Mitte Dezember 1421. 532 Im Lied finden wir zwei Thematiken, die die Gefangenschaft betreffen und die für diese Untersuchung ertragreich sind. Zum einen berichtet Oswald von den Folterungen und zum anderen gibt er Einblicke in sein Gefühlsleben. Nachdem er seine frühere Geliebte Anna Hausmann, der er 13 Jahre treu gewesen sein will 533 , als Anstifterin seiner Gefangennahme identifiziert hat, beschreibt er in der sechsten Strophe seine körperlichen Qualen. Er fühlte sein Leben bedroht und könne die Beschwernisse, die ihm die Fesselung durch Seile und Eisen bereitet hätten, kaum wiedergeben: 534 „des wurden mir fünf eisni lätz berait./ Nach seiner ger/ so viel ich in die zween mit baiden füssen,/ in ainen mit dem tengken arm,/ mein daumen müssten büssen,/ ain stahel ring den hals erwarb; / der wurden fünf, als ichs vor hab gesait.“ 535 Nicht nur die fünf Eisenfesseln um Arme, Beine und den Hals bereiten Oswald Unbehagen, er bezichtigt seine Gefangennehmer darüber hinaus, ihn mit Dau‐ menschrauben gequält zu haben. 536 Auch im zweiten Lied der Liederhandschrift bezieht sich Oswald auf die Folterungen, die er 1421 ertragen musste. Er 163 1. Oswald von Wolkenstein 537 Kl 2, 41-78, K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), S. 7f. 538 Kl 2, 43-45, K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), S. 7f. In Kl. 59 heißt es, dass die „Hausmännin“von ihm 4 000 Mark Berner und die Burg Hauenstein verlangt habe, vgl. Kl. 59, 41-42, ebd., S. 173. Diese Angaben Oswalds können nicht näher verifiziert werden, zumal uns die Forderungen der Gegner Oswalds fehlen. Am Ende des Konflikts erhielten Anna Hausmann und ihre Erben einen Weinhof zugesprochen und Martin Jäger den Betrag von 500 Dukaten: Schwob, Realität (wie Anm. 34), S. 181. 539 Kl. 55, 7-8, K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), S. 165. 540 Heinz D O P S C H , Wolkenstein, in: Oswald von Wolkenstein (wie Anm. 505), S. 12. 541 Sieglinde H A R T M A N N , Gerichtsmedizin und mediaevistische Gedichtinterpretation: Der Fall Oswald von Wolkenstein (1376/ 77-1445), in: Primus conventus Austriacus archae‐ ometriae. Scientiae naturalis ad historiam hominis antiqui investigandam MMIX; Tagungsband zum Ersten Österreichischen Archäometriekongress 15. - 17. Mai 2009, hrsg. v. Jan Cemper-Kiesslich (ArchaeoPLUS 1), Salzburg 2010, S. 65-68, S. 65f. beschreibt, dass man ihn zudem einer Beinfolter unterzogen hätte und dass ihm die Schienbeine durch die Misshandlungen gebrochen wurden: „die fraun […]in der gebot man mir zerbricht die schin. […] Und das si mir ain eisen swër/ Von meinen füssen tët […] Der baine sterck/ spannt si mir herter in wann ainem pferde,/ das ich darauf nicht mag gestän./ mit groblichem gevërde/ so ward ich ir gevangen man; […] Mein daumen, arm, darzu den hals/ hat si mir ingesmitt“ 537 Dazu habe ihm seine ehemalige Geliebte mit den Geldforderungen beständig zugesetzt: „An weiplich zucht / kompt si mir selden immer auss den oren,/ wie si die barschafft von mir drung“ 538 Die Knechte hätten ihn kopfüber an einer Stange aufgehängt und so seine Glieder schmerzhaft gestreckt: „seid das si mich mit grossem qual/ hieng mit den füssen lieplich an ain stange“. 539 Die Folterungen, von denen Oswald berichtet, konnten am Skelett Oswalds nachgewiesen werden. 540 An der Begräbnisstelle Oswalds im Augustinerchor‐ herrenstift in Neustift bei Brixen wurde im November 1973 ein Skelettfund gemacht. Anthropologische Untersuchungen im Jahr 1977 und eine gerichts‐ medizinische Untersuchung im Jahr 1978 konnten mit größtmöglicher Wahr‐ scheinlichkeit die aufgefundenen Gebeine Oswald von Wolkenstein zuordnen. 541 Die Knochen des linken Beines sind vollständig erhalten, die des rechten Beines zum Teil. Im pathologischen Bericht wird festgehalten: „Die gut erhaltene linke Tibia besitzt eine beträchtliche Torsion, die Tuberositas tibiae ist ausgedehnt und die Linea poplitea kräftig markiert; demgegenüber zeigt die rechte Tibia eine wesentlich geringere Schweifung der Crista anterior (und eine geringere Torsion). An der medialen Fläche der linken Tibia befindet sich am Übergang vom mittleren zum unteren Drittel eine 108 mm lange und bis 10 mm breite 164 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 542 Ä. K L O I B E R / G. G L O W A T Z K I / Marie-Louise M U L L I S / S. U L R I C H -B O C H S L E R , Zur Identifizie‐ rung der mutmaßlichen Gebeine des „letzten Minnesängers" Oswald von Wolkenstein, in: Anthropologischer Anzeiger Jahrg. 40, H. 4 (1982), S. 285-298, S. 289. 543 Marie-Louise G L O W A T Z K I -M U L L I S / Susi U L R I C H -B O C H S L E R / Georg G L O W A T Z K I / Ämilian K L O I B E R / Linus U L R I C H , Untersuchungen zur Identifizierung der Skelettreste aus Neu‐ stift: Ist es Oswald von Wolkenstein? , in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Ge‐ sellschaft 2 (1982/ 1983), S. 155-191, S. 158. 544 Kl 3, 48, K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), S. 11. Ebenso in Lied Kl. 60, 30-31, ebd., S. 175. 545 Kl 1, 109-120, K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), S. 5. sowie 1,5 mm hohe und lanzettförmige Auflagerung. […] Es haben also auf beide Knochen des linken Unterschenkels samt Weichteilen wesentliche Kräfte eingewirkt, zu einer Ungleichheit der Unterschenkel und Knöchel geführt und damit auch zu einer Gehbehinderung.“ 542 Und in einem weiteren Untersu‐ chungsbericht Ämilian Kloibers heißt es: „Nach Wechselberger handelt es sich dabei um eine reaktive Folge einer Periostitis (Knochenhautentzündung), mit sicherer Verletzung der Knochenhaut, chronischer Entzündung und Eiterung, möglicherweise in Ulcus cruris (Unterschenkelgeschwür) mit Reaktion der Knochenhaut, zweifellos nach einem Trauma (Verletzung).“ 543 Die Untersuchungen zeigen keinen alten Bruch an den Schien- oder Waden‐ beinen, sehr wohl aber eine ausgeprägte Knochenhautentzündung nach einer Verletzung. Dieser Befund passt zu den Folterbeschreibungen Oswalds. Dieser berichtet in seinem Lied „Wenn ich betracht“, dass er nach seiner Gefangenschaft hinken musste, was ebenfalls von den Ergebnissen der anthropologischen Un‐ tersuchung unterstützt wird. 544 Es ist also davon auszugehen, dass die Beinfolter, die Oswald beschreibt, keine lyrische Fiktion darstellt und gerade die Tatsache, dass er diese Verletzung in den lyrischen Werken nicht weiter dramatisiert, stützt die Glaubhaftigkeit der autobiographischen Textpassagen in den Liedern. Die siebte Strophe des Lieds „Ain anefangk“ nutzte Oswald, um dem Pu‐ blikum seine Gefühle zu zeigen, die er während der ersten Zeit in Gefangen‐ schaft durchlebte: „Mein herz das swindt/ In meinem leib und bricht von grossen sorgen,/ wenn ich bedenck den bittern tod/ den dag, die nacht, den morgen -/ ach we der engestlichen not! -/ und waiss nicht, wo mein arme sel hin fert./ O Maria kind! / so ste mir Wolkensteiner bei in nöten,/ da mit ich var in deiner huld; / hilf allen, die mich tötten,/ das si gebüssen hie ir schuld,/ die sie an mir begangen haben hert.“ 545 165 1. Oswald von Wolkenstein 546 Bereits in der ersten Strophe des Liedes ruft der Autor die heilige Katharina um Beistand an. Die heilige Katharina ist eine der vierzehn Nothelferinnen, doch trotz ihres Martyriums zählt sie nicht zu den Gefangenenpatronen, wie z. B. der Heilige Leonhard: S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 117f. Zu den Gefangenenpatronen siehe auch die Studie von C A S S I D Y -W E L C H , Imprisonment (wie Anm. 24). Zur Nähe Wolkensteins zur heilige Katharina und den Gründen sich an die Seite der gefolterten Heiligen zu stellen s. S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 118-121. 547 S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 124. Voss vermutet entgegen der Annahme Schwobs, dass die besseren Haftbedingungen auf Burg Forst von Oswald für eine erste Version seiner Lieder genutzt wurden, in denen er auch die Erlebnisse seiner Gefangenschaften verarbeitete: V O S S , Adliges (wie Anm. 514), S. 51 Anm. 6. 548 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 102, S. 55-62. Das Stoßgebet an das Christuskind spiegelt sowohl die Angst als auch die Erkenntnis des Gefangenen wider, nicht mehr Herr seiner Lage zu sein. Die Bitte für die Peiniger wurde sicherlich erst im Nachhinein in den Bericht eingefügt. 546 Oswald von Wolkenstein wurde nach den ersten Tagen auf der Fahlburg nach Burg Forst bei Meran verbracht, deren Pfleger Martin Jäger war. Besitzer der Burg Forst waren Ursula und Ulrich von Starkenberg, eine Familie, die gut mit den Wolkensteinern bekannt war. Dieser zunächst riskant scheinende Schachzug Jägers deutet an, dass die bisherige Taktik, den gefangenen Oswald durch die Folterungen gefügig zu machen, nicht anschlug, weshalb es zu einer Raumveränderung kam. Dadurch, dass Oswald auf die Burg der Familie Starken‐ berg gebracht wurde, zwang Jäger nun die befreundeten Adligen und die Familie Oswalds zu einer Reaktion. Tatsächlich legten die Brüder Wolkenstein sofort Widerspruch gegen die Gefangenhaltung ihres Bruders ein. Ob der erste Haftort Oswalds unbekannt geblieben war und sich somit erst zu diesem Zeitpunkt Widerstand regte, kann nur vermutet werden. Vielleicht hoffte Martin Jäger jedoch auch, dass die Familie Oswalds Burg Forst nicht sofort angreifen würde, um Oswald zu befreien. Oswald verbrachte hier zunächst mehrere Monate. Er berichtet von der zwar verbesserten, aber immer noch schlechten Unterbrin‐ gung, die nicht standesgemäß gewesen sei. 547 Über die Umstände seiner Haft auf Forst hat sich auch ein Brief Ursulas von Starkenberg erhalten, in dem sie ihrem Landesherrn Herzog Friedrich von der Gefangennahme und Verbringung Oswalds auf Burg Forst berichtete. Das genaue Datum des Briefes fehlt, er wird jedoch im Oktober verfasst worden sein. 548 Ursula von Starkenberg wehrte sich gegen die Verbringung Oswalds auf Burg Forst. Sie schickte, während ihr Mann in Wien weilte, zwei Mittelsmänner, Ludwig von Sparrenberg und Jakob Murrentein, zur Burg, um so die Informationen über die Gefangenschaft Oswalds aus erster Hand zu erhalten. Die von ihr ausgesandten Mittler wurden bis zu Oswald vorgelassen, um die Situation zu begutachten. 166 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 549 Nach Beendigung der Gefangenschaft Oswalds entzogen die von Starkenbergs Martin Jäger die Pflege von Burg Forst, vgl. S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 122 u. S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 104, S. 64-67; Nr. 105, S. 67-69. 550 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), S. 57f. u. 61. 551 Im Falle einer Belagerung durch Herzog Friedrich innerhalb dieser drei Wochen sehe sich Martin Jäger, so das Schreiben weiter, jedoch von den Zusagen entbunden, vgl. S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 40; vgl. auch S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 103, S. 62-64. Aus dieser Zeit hat sich auch eine undatierte Aufzeichnung des Ulrich von Starkenberg erhalten, gedruckt bei Schwob, Realität (wie Anm. 34), S. 273f. 552 Er nahm den herzoglichen Kanzler Propst Heinrich von Millauner auf dem Weg zu einem Rechtstag in Bozen gefangen, ebenso wie einen Neustifter Chorherren. Diesen Entführungen ging keine Fehdeansage voraus, so dass Leonhard exkommuniziert wurde und den Zorn Herzog Friedrichs auf sich zog: Ute Monika S C H W O B , Kriminalfälle, in: Wort unde wîse, singen unde sagen (wie Anm. 512), S. 59f. u. S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 40f. In einem Schreiben an Martin Jäger forderte Ursula von Starkenberg diesen auf, Oswald von Forst wegzubringen. Sie weigerte sich, die Gefangenhaltung des Ritters aufrechtzuerhalten oder Folterungen in ihrem Gefängnis zuzulassen. 549 Doch sie erwähnte auch, dass Oswald seinerseits darum bat, bis zur gerichtlichen Verhandlung auf Burg Forst verbleiben zu können. Er fürchte andernfalls um seinen Besitz und um eine rechtmäßige Behandlung seiner Person. Außerdem gäbe er an, dass die Starkenberger seine Lage nicht verschuldet hätten und er sich wünsche, auf einer der Starkenbergischen Burgen zu bleiben, um seine Freilassung verhandeln zu dürfen. 550 Auch die Brüder Oswalds ersuchten die Familie von Starkenberg, Oswald in seinem Gefängnis auf Burg Forst zu belassen. Mit Martin Jäger einigte man sich schließlich darauf, Oswald noch drei Wochen, ab dem 19. Oktober 1421 gerechnet, auf Burg Forst festzuhalten. In dieser Zeitspanne sollte sich die Familie Oswalds um Schiedsverhandlungen kümmern. Nach Ablauf der Frist jedoch sei es Martin Jäger überlassen, wohin er den Gefangenen führen werde. 551 Während Michael von Wolkenstein während der drei Wochen wohl vorwiegend unterwegs war und von Mailand über Trient zog, nutzte Leonhard die Zeit nicht zur Einberufung von Schiedsverhandlungen, sondern war auf Vergeltung aus und nahm seinerseits Gefangene. 552 Diese Taten richteten sich jedoch nicht gegen Martin Jäger und seine Verbündeten, sondern gegen Vertraute und Günstlinge des Herzogs, da die Brüder Wolken‐ stein in Herzog Friedrich den eigentlichen Drahtzieher der Gefangennahme Oswalds sahen. Zu dieser Annahme kamen sie sicherlich auch deshalb, weil der Fehdehelfer Neidhart, der in den Quellen um Oswald erwähnt wird, zuvor ein Geleitschreiben des Herzogs erhalten hatte. Ein Zusammenhang, zumindest aber das Mitwissen des Herzogs, war also durchaus plausibel. So nahm Leonhard von Wolkenstein unter anderem Propst Heinrich von Millauner gefangen. In 167 1. Oswald von Wolkenstein 553 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 109, S. 80-83. 554 S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 276f. 555 Zum Verhältnis Oswalds zu Friedrich IV. siehe Gustav P F E I F E R , Oswald von Wolkenstein und der Tiroler Adel, in: Oswald von Wolkenstein. Leben, Werk, Rezeption, hrsg. v. Ulrich Müller/ Margarete Springeth, Berlin, New York 2011, S. 89-100, S. 95-99. 556 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 106, S. 69-74. Zur Überlieferung der Quelle vgl. ebd., S. 70. 557 Ebd., S. 72. 558 Ebd., S. 74. 559 Ebd., S. 70f. 560 Ebd., S. 72. 561 Vgl. auch Ebd., S. 71. einem Schriftstück vom 17. Dezember 1421 sicherte daraufhin Michael von Wolkenstein die Freilassung des Propstes zu, sobald Oswald wohlbehalten beim Herzog eintreffe. 553 Auch die Brüder Ulrich und Wilhelm von Starken‐ berg setzten sich bei Martin Jäger weiter für Oswald ein 554 und in weiteren Verhandlungen einigte man sich darauf, dass der Gefangene nicht ohne weitere Angaben an einen neuen und unbekannten Ort verbracht werden durfte. Stattdessen sollte Oswald in die Obhut Herzog Friedrichs überstellt werden, der sich bis zum Gerichtstermin des Wolkensteiners annehmen sollte. 555 Auch von Oswald selbst hat sich zu diesem Sachverhalt ein Selbstzeugnis erhalten, das auf Mitte Dezember datiert werden kann. 556 In seinem Schreiben willigte er in die Überstellung nach Innsbruck ein und auch in ein vom Herzog geleiteten Schiedsgericht. Wichtig war ihm jedoch die Zusage seinen Landesherrn, dass die Behandlung in der Gefangenschaft angemessen sein würde: „Des ersten / daz mich der egen(ant) |9|mein gnediger herr / als ain lanndsfúrst zu seine(n) hannden nehmen sol / Vnd mich |10| halten sol zum Rechten“. 557 Dafür sagte Oswald in einer Loyalitätserklärung Herzog Friedrich zu, dass er den Schiedsspruch anerkennen und alle daraus folgenden Forderungen erfüllen werde sowie den unbedingten Gehorsam. 558 Oswald nennt in seinem Brief zum ersten Mal seine Gefangennehmer namentlich, zu denen auch Anna Haus‐ mann 559 gehörte, die er in seinen Liedern zu seiner Hauptgegnerin stilisierte: „Als mich Martein Jeger |2| die hawsma(n)in / der Neithart / und der freý / zu irn hannden genom(en) vnd geuang(e)n hab(e)n.“ 560 Der mehrmals auftauchende Neidhart ist wohl gleichzusetzen mit dem herzoglichen Sonderbeauftragten, der bereits 1417 in den Quellen auftaucht, ein weiteres Indiz, dass auch Herzog Friedrich bereits von Anfang an von den Plänen informiert gewesen sein könnte. 561 Der „Frey“ kann hingegen in den Quellen weniger gut ausgemacht werden. Der einzige Hinweis auf einen möglichen Hans Frey findet sich in dem Rechnungsbuch Oswalds, in dem dieser insgesamt 168 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 562 Ebd., S. 71. 563 Ebd., Nr. 107, S. 74-77. 564 S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 42; Ute Monika S C H W O B , Kriminalfälle, in: Wort unde wîse, singen unde sagen (wie Anm. 512), S. 59. 565 Der Versuch Oswald gegen den von Leonhard gefangenen Neustifter Propst auszu‐ wechseln misslang, vgl. S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 42. 566 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 111, S. 84-86; Schwob, Realität (wie Anm. 34), S. 46. 567 S C H W O B , Oswald (wie Anm. 497), S. 168f.; Schwob, Wolkenstein (wie Anm. 521), S. 85. dreimal als Schuldner (1419, 1420 und 1426) auftaucht. Die anderen Mithelfer können nicht weiter benannt werden. 562 In einem Schreiben vom 17. Dezember 1421 563 bestätigte der Herzog den Geg‐ nern Oswalds, den Gefangenen zu übernehmen und diesen bis zum Abschluss des Verfahrens bei sich zu behalten. Noch einmal wurde in dem Schreiben herausgestellt, dass die Verbündeten Oswalds darauf gedrängt hatten, dass er nicht von Burg Forst mit einem unbekannten Ziel weggebracht werde, damit man nicht unrechtmäßig Lösegeld von ihm erpressen könne. Der Herzog sicherte die Unterbringung des Gefangenen, die notwendigen Geleitbriefe sowie die Bewachung des Gefangenen bis zum Urfehdeschwur zu. Noch im Dezember wurde Oswald als Gefangener seinem Landesherrn nach Innsbruck überstellt. Oswald befand sich zu diesem Zeitpunkt wohl in einem Wechselbad der Gefühle. Auf der einen Seite war er Neidhart und seinen Knechten nun endgültig entkommen und musste ihre Repressalien nicht mehr fürchten. Aber auf der anderen Seite drohte ihm durch die Verlegung nach Innsbruck neues Ungemach. Schwob hebt hervor, dass Oswald auch den Landesfürsten fürchtete, „gegen den er seit 1415 offen oder versteckt agiert hatte.“ 564 So war der Prozess, dessen Vorsitz der Landesfürst innehatte, sicherlich keine besonders angenehme Aussicht für den Wolkensteiner. 565 Fluchtversuche und das Ende der Gefangenschaft Der Herzog bestellte die Gegner Oswalds in einem Ladbrief vom 31. Januar 1422 zu einem Rechtstag am 8. März 1422. 566 Über den eigentlichen Verhand‐ lungstag haben sich jedoch keine Quellen erhalten. 567 Friedrich ließ sich von den Brüdern Oswalds zusichern, dass sie sich im Falle eines Eingreifens durch König Sigismund nicht gegen ihn stellen würden. Er befürchtete also, dass der König vielleicht noch in das Geschehen um Oswald eingreifen könne und liefert einen weiteren Beleg, dass er keineswegs unbeteiligt an der vorherigen Gefan‐ 169 1. Oswald von Wolkenstein 568 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 114, S. 92-94. Zum Beistand Sigismunds für Oswald von Wolkenstein: Jürgen R A U T E R , Biographie, in: Oswald von Wolkenstein (wie Anm. 497), S. 41. 569 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 115, S. 95f. 570 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 116, S. 97f. Oswald nennt jedoch Hans von Freundsberg nicht als Bürgen, der noch in der Urkunde des Herzogs auftaucht. Neu hinzu traten Leonhard von Wolkenstein und Bartholomäus von Gufidaun, die sich ebenfalls verpflichteten. Auch die Bürgen beurkundeten den Vorgang jeweils in einer eigenen Fassung und sicherten zu, dass Oswald sich fristgerecht wieder in der Gefangenschaft des Herzogs einfinden werde. Sie bestätigten, im Falle der Nichteinlösung dem Herzog innerhalb von drei Monaten die Bürgschaftssumme über 6 000 Dukaten zu zahlen, vgl. Ebd., Nr. 117-119, S. 99-106. 571 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), S. 96. gennahme des Dichters war und sehr wahrscheinlich auch bei der Vorbereitung im Vorfeld mitgewirkt hatte. 568 Am 18. März 1422 stand das Ergebnis der Verhandlungen fest. Es wurde eine Bürgschaft über 6 000 Dukaten ausgehandelt und Oswald kam bis zum 24. August 1422, also für fünf Monate befristet aus der Gefangenschaft frei. Danach sollte er sich erneut zur Gefangenschaft einfinden, sofern er in dieser Zeitspanne den Hauensteinischen Erbschaftsstreit nicht selbstständig beenden könne. Als Bürgen wurden Michael von Wolkenstein, Hans von Vilanders, Hans Velsegger und Hans von Freudsberg bestimmt. 569 Es hat sich eine Urkunde Oswalds vom 18. März 1422 erhalten, in der er die befristete Freilassung bis zum 24. August 1422 anerkannte und zugleich seine Bürgen nannte, die Angabe der Bürgschaftssumme wurde jedoch umgangen. 570 Die Bürgschaftssumme, die das Wiedereinstellen Oswalds nach fünf Monaten zur erneuten Gefangenschaft beim Burggrafen von Tirol sichern sollte, war so hoch, dass der Wolkensteiner seinen gesamten Besitz seinem Bruder und Hans von Vilanders überschreiben musste. 571 Auch darüber hat sich ein Selbstzeugnis Oswalds erhalten. Am 25. März, also sieben Tage, nachdem er die Bürgschaft schriftlich bestätigt und die Bürgen benannt hatte, verschrieb er seine liegende Habe als Pfand. Auffällig ist, dass er die Urkunde nur für seinen Bruder Michael von Wolkenstein und Hans von Vilanders ausstellte. Diese beiden scheinen für die anderen Bürgen die komplette Verpflichtung übernommen zu haben: „Vmb ein svm geldes sechs Tausent guld(en) nach auszweisung des |6| brieffs den sie dar vm(m)b geben haben vnd auch fur ander burg |7| word(e)n sein Also hab ich Inn gelobt vnd in gesaczt alle meine |8| hab die ich yeczund hann oder noch hin ffúr gewinn Es seý leh(e)n aig(e)n |9| hewser oder vest(e)n nicht da von ausz genome(n) Vnd han In das also |10| geantwort aus mein Vnd mein(er) Erben gewalt zcu aine(m) recht(e)n |11| furpfand also Beschaidenlich d<a>s sie 170 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 572 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 120, S. 108. Es hat sich auch eine Bestätigung Hans von Vilanders erhalten, in der er den Erhalt von Zahlungen, einen Pfandbrief und mehrere Schuldbriefe im April anführt, die er von Oswald zur Sicherung der Bürgschaftssumme erhalten hatte, vgl. ebd., Nr. 123, S. 114ff; vgl. auch, S C H W O B , Lebenszeugnisse (wie Anm. 511), S. 16. Erst am 3. August 1431 bestätigte Hans von Vilanders, dass alle Zahlungen getätigt worden seien und gab den Pfandbrief an Oswald zurück, vgl. ebd., Nr. 224, S. 150-152. Warum Oswald seine Bürgschaftssumme in Gulden statt in Dukaten angibt, konnte von der Forschung bisher noch nicht geklärt werden: S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 115, S. 95f. Auch in seinen Liedern nennt er die Summe von 6 000 Gulden: ebd., S. 107. 573 S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 46-48 und 289 f.; S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 121, S. 109-111. Ebenfalls im April 1422 beschlossen die drei Brüder von Wolkenstein ein gegenseitiges Beistandsbündnis, das eine neue Einigkeit innerhalb der Familie stärken sollte: S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 122, S. 112-114. 574 Schwob weist auf die falsche Datierung der Quelle hin, die irrtümlich auf das Jahr 1421 bestimmt war, vgl. S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), S. 126. der Egena(n)t(e)n burgschafft von |12| meine(n) weg(e)n kaýnerleý schad(e)n<s> neme(n)“. 572 Offensichtlich hatte Oswald nach seiner vorübergehenden Freilassung zahl‐ reiche Versuche unternommen, sich mit seiner Gegenseite zu einigen und eine Schiedsverhandlung unter dem Vorsitz Ulrich von Starkenbergs zu erreichen, um nicht wieder unter die Aufsicht des Herzogs zu kommen. 573 Dass diese ersten Versuche, eine friedliche Einigung mit Martin Jäger und seinen Helfern auszuhandeln, nicht ausreichend waren, kann aus einem Schreiben Oswalds vom 28. Juli 1422 574 herausgelesen werden. Vier Wochen, bevor er sich wieder bei seinem Landesherrn einfinden musste, war immer noch kein Übereinkommen in Sicht. Deshalb fasste er in einem Schriftstück noch einmal alle Bestrebungen zu‐ sammen, die er unternommen habe, um zu einem Übereinkommen zu gelangen. Als letzte Lösung, um die verfahrene Situation noch bereinigen zu können, willigte Oswald ein, dass der Bischof von Brixen und Herzog Friedrich den Obmann und die Sprecher für ein weiteres Schiedsgericht bestimmen sollten, um noch vor Ablauf der Frist eine Einigung zu erzielen: „Also daz vns derselb Obman tég secze vnd vns gemeinander verhórn |11| súlle / Mugen sy vns mit der mynn verrichten / oder vber ain pring(e)n / wol |12| vnd gút / Mócht aber des nicht gesein / So sullen Sý das Recht vnu(er)czo‐ genl(ich) |13| auf den Ayd / vnd was Sy vns also mit der Minn oder dem Rechten gesprech(e)n |14| dem sol ich genúg tún vnd das an all awstúg volfúren getréwlich vnd |15| vngeuerdlich / wér aber das / Neithart vnd der frey nicht zu dem Rechten |16| komen / so sol der obman vnd dye sprecher doch zum Rechten erkennen |17| ob Ich nu / icht pilleich hinfúr von In ledig sey vnd 171 1. Oswald von Wolkenstein 575 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 128, S. 128f. 576 Vgl. auch ebd., S. 127. 577 Ebd., S. 129. 578 Vom 28. Juli und 4. August 1422: S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 130, S. 132. 579 Ebd., Nr. 129, S. 129f. sund(er) ob mein egen(anter) gne= |18| diger herr von Osterr(eich) (etc.) seine(m) volschreiben / so er sich gegen In getan hat |19| icht genúg getan hab auch angeúerde“. 575 Oswald wollte den Ausgang des Verfahrens akzeptieren und auch dem Verfahren zustimmen, obwohl seine Gefangennehmer „Neithart vnd der frey“ sich weigerten vor dem Gericht zu erscheinen. Der Zeitdruck, unter dem Oswald stand, ließ ihn Zugeständnisse machen: So musste er darauf verzichten, den Vorwurf der Folterungen durch die Knechte vorzubringen und für sich zu nutzen. 576 Oswald machte deutlich, dass er sich dem Urteil unterwerfen und nach Abschluss der Verhandlungen unverzüglich nach Innsbruck zum Landesfürsten aufbrechen werde. Seinerseits jedoch forderte er die Bürgschaftsbriefe zurück. 577 Die Herausgabe der Briefe war für Oswald bedeutend, um wieder handlungs‐ fähig zu werden. Doch die Hoffnungen Oswalds, die Sache bald abschließen zu können, erfüllten sich nicht. Das beweisen zwei Briefe Oswalds an Herzog Friedrich, in denen er sich über weitere Forderungen der herzoglichen Räte in Meran beschwerte. 578 Die Räte hätten nun zusätzlich eine Verzichtserklärung seiner Bürgen verlangt, die ihre Ansprüche auf den Besitz Oswalds aufgeben sollten. So sei er aufgefordert worden, zuerst zu seinen Bürgen zu reisen, bevor er nach Innsbruck aufbrechen dürfe. Diese Forderungen seien jedoch zuvor in den Verhandlungen nicht benannt worden, weshalb sich Oswald ungerecht behandelt fühlte. Dass er jedoch den Forderungen der Räte Folge leistete, ist aus einem weiteren Dokument des gleichen Tages ersichtlich, das anscheinend ebenfalls für den Herzog bestimmt war. In diesem befreite Michael von Wolkenstein seinen Bruder von allen finanziellen Verpflichtungen, sobald die Bürgschaftsbriefe zurückgegeben würden, und verzichtete auf weitere Forderungen. 579 Oswald bat den Herzog nun seinerseits um Antwort, damit die Unstimmigkeiten schnell geklärt werden könnten und er die Bürgschaftsbriefe zurückerhalte. Mit der ersten Anfrage hatte Oswald anscheinend wenig Erfolg, denn es hat sich ein zweites Schreiben erhalten. Erneut stellte Oswald den Gang der Dinge aus seiner Sicht dar und zeigte an, dass es, nachdem er die Schreiben der Bürgen eingereicht hatte, neue Forderungen gab: „Nu hat mir ewr furstleich gnad durch ewr Ret aberso geantwúrtt |19| Ewr gnad well sich nicht versorgen nach mein(em) Sin / sunder nach dem ew(er)n |20| Vnd ich múss vor allen dingen mein(en) widertail ir leib vnd ir gut versich(er)n |21| vnd was In von mir 172 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 580 Ebd., Nr. 131, S. 134f. 581 Ebd., S. 135. 582 Darauf verweist auch Schwob, der zu bedenken gibt, dass es Herzog Friedrich von Österreich daran gelegen war, die Rechte des Adels in Tirol zu schwächen, vgl. S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), S. 134. 583 Schwob weist darauf hin, dass den Landesfürsten die Auseinandersetzung mit den Starkenbergern sehr viel mehr beschäftigt haben dürfte als die Streitigkeiten um Oswald von Wolkenstein, zumal die Bürgschaftsbriefe weiterhin in der Hand des Herzogs blieben, vgl. S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 132, S. 136. 584 Davon handelt auch das Lied „Wes mich mein bül ie hat erfreut“ (Kl. 55), K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), S. 165f. Oswald beschreibt seine schlechte Unterkunft in Ungarn und die Audienz beim König. gesprochen wird / daz Ich In dasselb vnu(er)czogenlich also |22| awsrichten / auch wolt ir ew an mein(em) sigel allain nicht benugen lassen ~ |23| Sunder es músten mein freẃnd vnd ander leẃt mitsampt mir versig(e)ln“. 580 Oswalds Beschwerde über die neuen Forderungen prallten am Herzog ab, der nun seinerseits Oswald durch seine Räte darauf aufmerksam machte, dass dieser nicht in der Position sei, sich über die Bestimmungen zu beschweren. Deshalb sei auch sein alleiniges Siegel nicht ausreichend. Auffällig ist, wie sehr Friedrich auf die Loyalitätserklärung Oswalds und seiner Familie bestand; die Forderungen waren nicht mehr alleinig durch Oswalds zu begleichen, die beiden Brüder des Wolkensteiners sollten sich ebenfalls dem Herzog verpflichten. Oswald jedoch zeigte sich unversöhnlich und fühlte sich ungerecht behandelt. Er schloss deshalb sein Schreiben mit dem Vorschlag, die Sache vor ein anderes Schiedsgericht zu bringen: „Vnd hiet aber des ewr gnad dhain beswérnúss / so secz Ich all sach |44| nach allem herkom(en) génczlich zu ain(em) Rechten / auf den durleuchtigen hochgeborn(en) |45| Fursten mein(en) gnedigen h(e)rrn herczog Ernsten / vnd auf den durleuchtigen |46| hochgeborn(en) fúrsten mein(en) gnedigen h(e)rnn / h(e)rczog Albrechten vnd auf Ir baider Rétt“. 581 Nach Tiroler Recht wollte Oswald das Anliegen vor die Herzöge Ernst und Albrecht von Habsburg bringen - ein Vorhaben, das sicherlich auf wenig Gegen‐ liebe beim Herzog stieß. 582 Vom 15. August 1422 hat sich ein Antwortschreiben des Herzogs auf die Briefe Oswalds erhalten. Die Antwort des Herzogs ist sehr sachlich und erklärt, dass er erst mit den Räten sprechen könne, wenn diese wieder vor Ort seien und zu Oswalds Forderungen Stellung bezogen hätten. 583 Diesem Vorgehen entzog sich Oswald jedoch durch eine Flucht. Während er den ersten Brief vom 4. August noch auf Burg Neuhaus verfasst hatte, war das zweite Schreiben an Herzog Friedrich bereits ohne weitere Ortsangabe abgefasst worden. Schließlich reiste Oswald zu König Sigismund nach Pressburg. 584 173 1. Oswald von Wolkenstein 585 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 135, S. 141-144. 586 S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 50f. 587 Jürgen R A U T E R , Biographie, in: Oswald von Wolkenstein (wie Anm. 497), S. 28. 588 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 136, S. 144-147. In diesem Brief geht es nicht nur um die Belange Oswalds, sondern auch die des Ulrich von Starkenberg im Zuge der Starkenberg-Fehde. 589 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 137, S. 147-151. Dass Oswald jedoch bei Weitem nicht seine Hauptsorge war, sieht man an einem Schreiben aus dem Dezember 1424, in dem er Oswald zwar die Unterstützung im Gespräch mit Herzog Friedrich zusagt, jedoch auch darum bittet rechtzeitig daran erinnert zu werden, vgl. S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 144, S. 168f. 590 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 138, S. 152-155. Zum Verhältnis König Sigismunds zum Herzog von Mailand, vgl. ebd., S. 152f. Ein weiteres Schreiben erging vom König am 15. Januar 1423 an Herzog Ernst von Österreich, vgl. ebd., Nr. 139, S. 156-158. Dort konnte er den König an das alte Dienstverhältnis erinnern und für sich gewinnen und erhielt zunächst am 21. November 1422 ein Geleitsschreiben vom König, das ihm die Mobilität im Reichsgebiet gewährleistete. 585 Durch dieses Schreiben erwarb Oswald mit seinen Begleitern und all ihrem Hab und Gut freies Geleit zum anstehenden Rechtstag. 586 Es zeigt aber auch die Verzweiflung des Wolkensteiners, der sich erhoffte durch die Verbindung zum König seine Probleme doch noch lösen zu können. Zunächst schienen sich die weiteren Entwicklungen günstig für Oswald zu entwickeln. Es fand sich ein Adelsbund in Tirol zusammen, der sich gegen Herzog Friedrich verbündete. Mitglied in diesem Bund waren auch Ulrich von Starkenberg und sogar Martin Jäger, so dass Oswald auf einen Vorteil durch die Zersplitterung seiner Gegnerschaft hoffen durfte. 587 König Sigismund setzte sich ebenfalls weiter in dem Fall ein. Urkundlich legte er am 6. Dezember 588 fest, dass der Anspruch Herzog Friedrichs auf die Bürgschaft von 6 000 Dukaten nichtig sei und sicherte in einem Schreiben vom 18. Dezember 589 den Bürgen Oswalds seine Unterstützung zu. In weiteren Schreiben im Januar 1423 versuchte Sigismund, auch unter anderem mit Mai‐ länder Unterstützung, 590 gegen den Herzog vorzugehen, der sich nun seinerseits am 16. Januar zu wehren versuchte. Während die Differenzen zwischen König Sigismund und Herzog Friedrich weiter andauerten und der König schließlich der Auflösung des Adelsbundes in Tirol zusehen musste, lässt sich über den Aufenthaltsort Oswalds nicht viel in Erfahrung bringen. Es findet sich lediglich ein Brief vom 5. Oktober 1423 an die Bürgen, in dem der Wolkensteiner 174 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 591 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 140, S. 158-160. Auch von der Gegenseite haben sich aus dieser Zeit Briefe erhalten, wie z. B. das Schreiben Martin Jägers an Herzog Friedrich, in dem er seinen Herrn noch einmal daran erinnert Oswald nicht aus der Gefangenschaft zu entlassen, bevor nicht alle verbliebenen Forderungen erfüllt seien, vgl. Ebd., Nr. 141, S. 161-163. 592 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 145, S. 170-173. 593 Walter R Ö L L , Oswald von Wolkenstein, Darmstadt 1981, S. X. 594 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 145, S. 170-173. 595 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 154, S. 203-206. Auch die Antwort des Wolkensteiners ist erhalten. Hier zeigt sich erneut, wie uneinsichtig Oswald sich verhielt. Immer wieder lässt sich der Vorwurf herauslesen, der Herzog habe sich unkooperativ verhalten und würde sich nicht an getätigte Abmachungen halten, vgl. ebd., Nr. 155, S. 206-209. versichert, dass ihnen kein Schaden durch die Nutzung der Güter entstehen werde. 591 Letztendlich erhielt Oswald am 14. Februar 1425, fast zweieinhalb Jahre nach seiner Flucht zu Sigismund, vom König ein Schreiben 592 , welches ihm Geleit zu einer königlich angesetzten Verhandlung zusicherte. Für den 15. April wurden beide Seiten von Sigismund nach Wien geladen, um die Streitigkeiten endgültig aus dem Weg zu räumen. Alles sah danach aus, als könne Oswald die Dinge für sich entscheiden und endlich aus einem zermürbenden Kleinkampf entkommen, der ihn fast ruiniert und psychisch tief getroffen hatte. Vor allem die Gefangenschaft von 1421/ 22 scheint Oswald dabei persönlich geprägt zu haben: „Zumindest diese Gefangenschaft ist nicht nur ein Datum seiner äußeren, sondern ein Wendepunkt seiner inneren Biographie.“ 593 Das Leben nach der Gefangenschaft Doch die günstigen Vorzeichen für eine rasche Klärung in Oswalds Sinne schlugen um. Am 17. Februar 1425 schlossen Sigismund und Friedrich einen Friedensvertrag und der König änderte seine Haltung gegenüber dem Herzog. Weitere Vorgehensmaßnahmen gegen den Österreicher waren nicht mehr von Interesse und der Tiroler Adelsbund verlor immer mehr an Boden. Oswald sah sich isoliert. Der König hatte sich vom Herzog die Zusage geben lassen, alle noch offenen Streitfragen in Güte zu klären und sich um ein Ende zu bemühen, doch Oswald konnte nun nicht mehr auf die eingreifende Hand Sigismunds hoffen. 594 Davon zeugt auch ein Mahnschreiben Herzog Friedrichs an Oswald 595 , in dem er den Wolkensteiner an den Termin des Schiedstreffens im April 1425 erinnert. Doch auch dieser Termin scheint nicht stattgefunden zu haben; genaue 175 1. Oswald von Wolkenstein 596 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), S. 204. Schwob vermutet, dass Herzog Albrecht von Österreich, der als Vorsitz des Schiedsgerichts fungieren sollte, die Schiedsrichter‐ aufgabe abgelehnt hatte, vgl. ebd., S. 213. 597 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 165, S. 244-247. Dieses Schreiben wurde an alle landsässigen Adligen gesandt. 598 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 166, S. 247-250. 599 Kl. 23, 97-112, K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), S. 83f. 600 Vgl. auch S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 57 u. 60. Gründe für die Absage des Termins finden sich in den Quellen nicht. 596 Im Sommer 1426 hielt sich Oswald auf Burg Neuhaus im Ahrntal auf. Doch Graf Hans Meinhard von Görz, möglicherweise von Herzog Friedrich angestachelt, forderte die Burg zurück und ließ sich von den Bitten Oswalds nicht erweichen. So blieb Oswald nichts anderes übrig, als wieder in Tiroler Gebiet zu ziehen und auf Burg Hauenstein zurückzukehren. Die 3. Gefangenschaft Die Gefangennahme Die letzte Gefangenschaft Oswalds soll als eigenständiger Punkt behandelt werden, obwohl sie noch zum Hauensteinschen Streit gehörte und die Grenzen zur Strafgefangenschaft hier fließend sind. In einem Schreiben Herzog Fried‐ richs von Österreich wurde Oswald im Februar zu einem Rechtstag in Bozen für den 16. März 1427 zitiert. 597 Martin Jäger und Hans Hausmann warnten den Herzog vor einer Flucht des Ritters und baten diesen inständig eine solche zu verhindern. 598 Dass diese Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen waren, zeigt sich an den Quellen und in den Liedern des Dichters. Er selbst stellt seine Flucht als eine Reise dar, auf die er sich begeben wollte, nachdem er schlechte Nachrichten erhalten hatte. Doch der Herzog hätte ihn daran gehindert. Auf‐ fällig ist, dass er selbst das Aufgreifen als Gefangennahme verstand: „Darnach bei dritthalb jaren/ mit trauren ward bekannt,/ von haim so wolt ich varen/ ain rais in fremde land,[…] Ain herzog hochgeporen,/ gehaissen Friderich,/ beweisst mir seinen zoren,/ des ward ich lützel reich./ durch in ward ich gevangen/ an schuld auf meinen leib; / ich wand, es wēr zergangen/ auf dieser erden pleib.“ 599 Oswalds stilisiert sich als Opfer, das nach dreieinhalb Jahren ohne eigenes Verschulden angegriffen und festgesetzt worden sei. Weitere Informationen zur Gefangennahme finden sich nicht. 600 Anscheinend hatte Herzog Friedrich eine berittene und bewaffnete Gruppe ausgesandt, die den Ritter daran hindern sollte, das Land zu verlassen und zu fliehen. Auf jeden Fall hatte Oswald einen Rechtsbruch begangen, da er versucht hatte, der Ladung zum Gerichtsverfahren 176 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 601 Ute Monika S C H W O B , Kriminalfälle, in: Wort unde wîse, singen unde sagen (wie Anm. 512), S. 60. 602 Kl. 26, 24-27, K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), S. 95. 603 Nähere Einzelheiten zu Burg Vellenberg, s. S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 60f.; Ute Monika S C H W O B , Gefängnis, in: Burgen, Länder, Orte (wie Anm. 12), S. 234. 604 Kl. 26, 31-34, K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), S. 95. 605 Kl. 26, 41-48, K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), S. 95f. 606 S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 202. 607 Kl. 26, 61-100, K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), S. 96- 98. zu entkommen. 601 In einem weiteren Lied beschreibt Oswald ebenfalls, dass er sich nachts von Hauenstein nach Wasserburg wegbewegt hätte, als man ihn ergriff. Anschließend habe man ihn wie einen Verbrecher behandelt und nicht standesgemäß abgeführt: „mit baiden sporen seuberlich verslossen./ dieselbig kunst ich nie gesach,/ doch hab ich sei an schaden nicht geleret; / do klagt ich got mein ungemach“. 602 Oswald beschwerte sich über den schmachvollen Ritt, den er gefesselt auf seinem Pferd erleiden musste. Die Gefangenschaft Oswald wurde zunächst nach Burg Vellenberg bei Innsbruck verbracht. 603 Auch zu dieser Gefangenschaft lassen sich Aussagen in dem lyrischen Werk Oswalds finden: „In ainem winckel sach ich dort/ zu Vellenberg zwen boien, eng und swëre./ ich swaig und redt da nicht vil wort,/ ie doch gedächt ich mir nöttlicher mëre.“ 604 Die Räume seien eng und bedrückend gewesen. An der Wand hätten sich zwei „boien“, d. h. zwei Vorrichtungen für Fußfesseln befunden. Anders als zuvor, sei ihm jedoch sein König nicht zu Hilfe gekommen. Stattdessen habe man ihn streng bewacht - sicherlich auch, weil man eine erneute Flucht befürchtete. „Also lag ich ettlichen tagk,/ der römisch küng die sorg mir nicht vergulde,/ das ich nicht wesst, wenn mir der nack/ verschrotten wurd, wie wol ich hett kain schulde./ zwar oben, niden, hinten, vor/ was mir die hüt mit leuten wolbestellet./ ‚wart, Peter Märckel, zu dem tor,/ er ist beschied, das er uns nit entsnellet‘.“ 605 Neben den räumlichen Begebenheiten erwähnt Oswald auch das Personal der Burg, das sich ungebührlich verhielt. „Hans der Kopp“ ist als Pfleger zu Vellenberg und Landrichter zu Sonnenburg historisch nachweisbar. 606 Daneben werden ein Peter Heitzer und seine Frau sowie unbenanntes Personal der Burg, wie ein Stubenheitzer oder ein Schreiber, in den Liedern Oswalds genannt. Diese zeichneten sich für Oswald dadurch aus, dass sie schlechte Manieren an den Tag legten, schnarchten, betrunken waren und schlecht rochen. 607 Diese Darstellungen sollten nicht nur die Gefangenschaft und die Behandlung des 177 1. Oswald von Wolkenstein 608 Kl. 26, 37--40, K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), S. 95. 609 Kl. 7, 37-54, K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), S. 20. 610 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), S. 253. 611 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 167, S. 250-254. Schwob begründet an dieser Stelle auch seine Datierung des Briefes auf den 24. März 1427, die sehr glaubhaft erscheint, ebd., S. 251. ‚unschuldigen‘ Oswalds illustrieren, sondern den Herzog, der den Dichter unritterlich behandelt hatte, verunglimpfen, indem sein Personal diffamiert wurde. Auch seine Gefühlslage stellt Oswald dar: „mein gogelhait mit aller gail geriet vast trauriklich ab in ain keichen; / was ich güt antlas dorumb gab,/ das tet ich haimeleichen.“ 608 Die Angst vor dem, was ihn erwarten wird, habe seine ausgelassene Stim‐ mung in ein Keuchen verwandelt und er behielt seine Rachegedanken für sich. In einem weiteren Lied zu den Bedingungen seiner dritten Haft gewährt Oswald einen noch tieferen Blick in seine Gefühlswelt: „Der sorgen raiss/ Hat meinen leib zesamen vest gebunden,/ von sorgen gross mein herz geswillt,/ forcht, sorg, die hab ich funden; / durch sorg mein houbt genzlich erschillt,/ graussliche sorg mir dick den slauf erwert.[…] Vier mauern dick mein trauren hand verslossen; / O lange nacht, ellender tag/ Eur teit ist gar verdrossen! / Vil mancher schrick kompt mir zuklag/ Dem laider hilf von mir wirt klain beschwert […] O Vellenberg, wie ist dein freud so kalt.“ 609 Der kalte und beengte Raum führte zu Beklemmungsgefühlen und Angstzu‐ ständen. Oswald, der nicht wusste, wie der Herzog mit ihm weiter verfahren würde, spricht von Schlafnot und seiner Schreckhaftigkeit. Gerade vor dem Hintergrund der zuvor erlebten Misshandlungen werden hier die seelischen Folgen der erneuten Gefangenschaft ersichtlich. Oswald von Wolkenstein wurde nach ein paar Tagen auf Burg Vellenberg zum Hof nach Innsbruck verlegt. Erneut band man ihn schmachvoll rücklings auf ein Pferd und führte ihn gefesselt durch die Stadt. Die Familie von Wolkenstein besaß ein Haus in Innsbruck und so war der erniedrigende Einzug, der ihn direkt ins Gefängnis brachte, für Oswald, der es ansonsten gewohnt war standesgemäß die Stadt zu betreten, noch ehrloser. Anton Schwob vermutet, dass man Oswald direkt in den Kräuterturm eingeschlossen hatte, der Herzog Friedrich als Gefängnis diente. 610 Dies führte dazu, dass Michael von Wolken‐ stein dem Herzog einen Absagebrief zustellte. 611 Der Herzog habe Oswald wie einen landschädlichen Mann abführen lassen und jedwede Regeln der würdigen Behandlung vermissen lassen. Von Fehdehandlungen Michaels ist indes nichts bekannt. In Innsbruck scheint Oswald in Dunkelhaft festgehalten worden zu 178 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 612 Kl. 26, 57-60, K L E I N / M O S E R / S A L M E N / W E I S S / W O L F / W O L F , Lieder (wie Anm. 509), 96. 613 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 168, S. 254-259 u. Ebd., Nr. 169, S. 259-262. 614 S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 62. 615 Ute Monika S C H W O B , Kriminalfälle, in: Wort unde wîse, singen unde sagen (wie Anm. 512), S. 61. Dass Oswald sich nach seiner Gefangenschaft nicht im Mindesten an diese Auflagen hielt, zeigt Ute Monika Schwob, ebd., S. 62. 616 S C H W O B , Wolkenstein (wie Anm. 521), Nr. 170, S. 262-266; ebd., Nr. 171, S. 266-269; ebd., Nr. 172, S. 269-271. 617 Schwob schreibt dazu: „Die salomonische Lösung lief darauf hinaus, daß Martin Jäger das moralische und objektive Recht sowie eine Entschädigung, Oswald dagegen der Besitz zugesprochen wurde.“, S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 59. 618 Jürgen R A U T E R , Biographie, in: Oswald von Wolkenstein (wie Anm. 497), S. 43; S C H W O B , Realität (wie Anm. 34), S. 324. sein: „man barg mich vor der sunne schein, / für springen lag ich zwainzig tag verholen. / was ich da auff den knieen zerraiss,/ das spart ich an den solen.“ 612 Die Folgen der Dunkelheit schlugen Oswald schwer aufs Gemüt und erinnern an die Erfahrungen des Hieronymus Baumgartner, der ebenfalls vor allem die Dunkelheit während seiner Gefangenschaft beklagte. Außerdem sei der Raum so niedrig gewesen, dass er sich nicht aufrichten konnte. Das Ende der Gefangenschaft Am 1. Mai 1427 wurden insgesamt fünf Urkunden ausgefertigt, in denen Oswald seine Niederlage eingestand: Neben der Urfehde in einem ersten Schreiben musste er dem Herzog auch seine Teilnahme am Kampf gegen die Hussiten zusagen. 613 Der von der herzoglichen Kanzlei aufgesetzte Text enthält kein Wort zur Gefangenschaft Oswalds und bedeutete endgültig die vollständige Unterwerfung des Wolkensteiners unter den Herzog. Die Bürgschaftsbriefe mit der Summe von 6 000 Gulden sollten beim Herzog verleiben, der somit ein Pfand gegen Oswald in der Hand hatte und ihn so zum Gehorsam zwingen konnte. 614 Gleichzeitig durfte Oswald keinem auswärtigen Fürsten ohne die Zustimmung des Herzogs dienen und sämtliche Rechtsstreitigkeiten sollten in Zukunft nur noch vor herzoglichen Gerichten verhandelt werden. 615 Die anderen Briefe betreffen die gegen Oswald erhobenen Forderungen Martin Jägers und der Familie Hausmann. 616 Den Brüdern Hausmann gab Oswald den Weinhof in Völser zurück, den er sich zuvor angeeignet hatte. Über die schlechte Behandlung Oswalds während seiner zweiten Gefangenschaft wurde nicht mehr verhandelt. 617 Oswald konnte jedoch mit der Bereitstellung von 500 Golddukaten die restlichen Ankäufe an der Burg Hauenstein tätigen, so dass der hauensteinische Erbschaftsstreit endgültig beendet werden konnte und Oswald zumindest Burg Hauenstein in seinen Besitz überführen konnte. 618 179 1. Oswald von Wolkenstein 619 Mehrere Schreiben dazu in: S C H W O B , Lebenszeugnisse (wie Anm. 511), Nr. 180-190, 195-196, 224-226. 620 S C H W O B , Lebenszeugnisse (wie Anm. 511), Nr. 224, S. 150-152. u. Nr. 252, S. 226-228. Zu nachfolgenden Entwicklungen s. ebd., Nr. 269, S. 289-293. Im Jahr 1429 war Oswald einer der Anführer bei der Ergreifung des Brixner Bischofs Ulrich Putsch und schlug diesen mit der Faust nieder, wie der Bischof in seinem Tagebuch schreibt: Heinz D O P S C H , Wolkenstein, in: Oswald von Wolkenstein (wie Anm. 505), S. 13; Jürgen R A U T E R , Biographie, in: Oswald von Wolkenstein (wie Anm. 497), S. 45; Ute Monika S C H W O B , Kriminalfälle, in: Wort unde wîse, singen unde sagen (wie Anm. 512), S. 62 und vgl. auch S C H W O B , Lebenszeugnisse (wie Anm. 511), Nr. 199-201, S. 64-80. Bei dem Streit ging es um Auseinandersetzungen des Bischofs mit dem Brixener Domkapitel um die Einhaltung von Wahlversprechen. Im Zuge dieser Streitigkeiten kam es zu dem Zwischenfall, in den Oswald verwickelt war. Man hielt den Bischof eine Nacht und einen Tag in der Bischofsburg gefangen. Da es sich jedoch in diesem Fall weder um eine Gefangenschaft in einem kriegerischen Kontext noch innerhalb von Fehdehandlungen, sondern eher um einen kirchenpolitischen Vorgang handelt, werden die Erinnerungen des Bischofs in dieser Untersuchung nicht benutzt. Zum weiteren Hergang der Vorfälle finden sich noch weitere Dokumente in S C H W O B , Lebenszeugnisse (wie Anm. 511). 621 S C H W O B , Lebenszeugnisse (wie Anm. 511), Nr. 227-230, S. 158-164 Das Leben nach der Gefangenschaft Die Zeit Oswalds nach seiner Gefangenschaft war vor allem durch den Versuch geprägt, alle Bürgschaftsbriefe zurückzuerhalten. Es kam zu einer weiteren Fehde zwischen Oswald von Wolkenstein, seinen Verwandten und Helfern gegen Hans von Vilanders, nachdem dieser die Bürgschaftsbriefe sowie die gezahlten Geldsummen nicht an Oswald zurückgeben wollte. 619 Da die For‐ derungen jedoch von Hans von Vilanders auch weiterhin unerfüllt blieben, zahlte Oswald von Wolkenstein schließlich im Jahr 1431 insgesamt 600 Mark, um den Pfandbrief zu erhalten. 620 Mit seinem Bruder Michael führte Oswald im Jahr 1431 Streit um noch verbliebene Güter Barbara Jägers, den Herzog Friedrich schließlich bei einem Gerichtstermin im Januar 1432 beilegte. 621 Auf dem Landtag von Meran, an dem Oswald von Wolkenstein teilnahm, verstarb er am 2. August 1445. Den intensivsten Erfahrungsbericht aus der eigenen Gefangenschaft liefert ein Mann, der es gewohnt war, mit seinen Worten zu spielen und der um die Macht der literarischen Bilder wusste. Doch gerade die autobiographischen Mitteilungen in Oswalds lyrischen Werken erlauben einen tiefen Einblick in sein Empfinden und geben häufig detailliert Auskunft über Wendepunkte in seiner Biografie, zu denen zweifelsohne auch die Gefangenschaften zählen. Die Quellenlage zum Leben Oswalds von Wolkenstein ist außergewöhnlich gut, so dass die dichterischen Quellen durch Urkunden und Briefe ergänzt werden können. Albrecht Classen resümiert die Aussagekraft der Lieder Oswalds: „In a way, we may call him a lyrical autobiographer, as he informs us about his 180 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 622 Albrecht C L A S S E N , To Fear or not to Fear, that is the Question: Oswald von Wolkenstein Facing Death and Enjoying Life: Fifteenth-Century Mentalitätsgeschichte Reflected in Lyric Poetry, in: Fear and its Representations in the Middle Ages and Renaissance, hrsg. v. Anne Scott/ Cynthia Kosso (Arizona Studies in the Middle ages and the Renaissance 6), Turnhout/ Cheltenham 2002, S. 274-291, S. 279. 623 Steffen K R I E B , Flersheim, in: Kommunikation mit dem Ich (wie Anm. 60), S. 137. 624 Weitere Angaben zu den Entstehungsumständen der Chronik bei Steffen K R I E B , Flers‐ heim, in: Kommunikation mit dem Ich (wie Anm. 60), S. 138. 625 Otto W A L T Z , Die Flersheimer Chronik: zur Geschichte des XV. und XVI. Jahrhunderts. Zum ersten Mal nach vollständigen Handschriften, Leipzig 1874. 626 Steffen K R I E B , Flersheim, in: Kommunikation mit dem Ich (wie Anm. 60), S. 138, Ulrich A N D E R M A N N , Drei unbekannte Urkunden zur Geschichte der Familie von Flersheim, in: Pfälzer Heimat 30 (1979), S. 16-20, S. 16; Gerhard F O U Q U E T , Pfälzer Niederadel am Königshof und an Fürstenhöfen im späten Mittelalter, in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 108 (2010), S. 399-413, S. 409. personal life, his experiences, his emotions, and concerns in a surprisingly detailed manner that goes far beyond the poetic norm practiced by high medieval courtly love poets.“ 622 2. Friedrich von Flersheim a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses Friedrich von Flersheim erlitt in seinem Leben drei Gefangenschaften, von denen die Flersheimer-Chronik berichtet. Die Chronik wurde 1547 durch Philipp von Flersheim, dem Bischof von Speyer und Enkel Friedrichs von Flersheim, zu‐ sammengetragen und dem Sekretär Laux Fohenstain diktiert. 623 Von der Chronik entstanden zunächst zwei Abschriften: Die erste ergänzte Philipp von Flersheim um kleinere Zusätze und Randnotizen sowie einen Anhang zu Friedrich von Flersheim dem Älteren. Die zweite Kopie ging an den Neffen Philipps, Friedrich von Flersheim, der diese Abschrift wiederum um eine eigene Vorrede erweiterte und die Genealogie bis 1572 fortführte. Weitere handschriftliche Abschriften der drei ersten Handschriften folgten. 624 Von der Chronik existieren heute noch drei Handschriften; als Grundlage dieser Untersuchung dient die Edition von Otto Waltz. 625 Friedrich von Flersheim entstammte dem Geschlecht von Flersheim, einem niederadligen Geschlecht in der Gegend um Nieder-Flörsheim bei Worms. Die Familie stellte ab Ende des 14. Jahrhunderts den kurpfälzischen Amtmann zu Kaiserslautern und gehörte dem pfälzisch-rheinhessischen Ritteradel an. 626 Friedrich wurde als Sohn Bechtolfs von Flersheim und Christinas von Mecken‐ 181 2. Friedrich von Flersheim 627 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 2f. 628 Auf dem Konzil sei er auch bei der Überführung des gefangen gesetzten Papstes Johannes XXIII. nach Mannheim dabei gewesen, W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 108; F O U Q U E T , Pfälzer (wie Anm. 626), S. 408f. 629 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 6 u. 14. 630 F O U Q U E T , Pfälzer (wie Anm. 626), S. 413. 631 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 108-115. 632 Die Behauptung Kriebs, dass der Brief an den neuen Papst Calixt gerichtet war, kann nicht aufrechterhalten werden. Die Neuwahl Calixt war am Absendetag, dem 6. Januar heim geboren und war Soldat der pfälzischen Kurfürsten sowie später auch Amtmann in Kaiserslautern. 627 In der Zeit zwischen 1415 und den späten 1450er Jahren war er sowohl im Dienst beim Pfalzgrafen bei Rhein, bei Kurfürst Ludwig III., den er zum Konzil nach Konstanz begleitete, als auch in den Jahren 1428 bis 1437 bei Sigismund anzutreffen. Er wirkte mehrmals als Gesandter und begleitete den Pfalzgrafen Ludwig III. 1426 auf seiner Pilgerfahrt ins Heilige Land. 628 Auf zahlreichen Feldzügen kämpfte er gegen die Türken und die Hussiten. Friedrich heiratete 1427 oder 1428 Margarete von Randeck und bekam drei Töchter und vier Söhne mit ihr. Friedrich soll außerdem noch einen außerehelichen Sohn gezeugt haben. 629 Am 5. Januar 1477 starb er bei Nancy. 630 b) Der Untersuchungsfall Die Selbstzeugnisse Friedrich von Flersheims, die in die Chronik aufgenommen wurden, können in zwei Gruppen geteilt werden. Zum einen findet sich eine Dienstaufstellung über den Zeitraum seiner Dienstjahre (1412-1455) für die Kurpfalz, die nach dem 14. Februar 1463 vollendet wurde und über Friedrichs treue Dienste unter Kurfürst Ludwig III. von der Pfalz berichtet. Friedrich listete in dieser Aufstellung die ‚Einsatzorte‘ und Schlachten auf, an denen er teilgenommen hatte, und beschreibt teilweise sehr bildreich seine Verletzungen in den einzelnen Gefechten. Während die erste und die dritte Gefangenschaft in dieser Dienstaufstellung erwähnt werden, finden sich keine Angaben zur zweiten Gefangenschaft. 631 Wahrscheinlich stand er zum Zeitpunkt der zweiten Gefangennahme nicht unter pfälzischem Kommando, weshalb er nur die an‐ deren beiden Gefangenschaften erwähnte. Bei den anderen Selbstzeugnissen, die in der Chronik abgedruckt sind, handelt es sich um mehrere Briefe Friedrich von Flersheims, die seine zweite Gefangenschaft betreffen. Sechs der von ihm verfassten Briefe sind an die Mutter Friedrichs, Christina von Meckenheim gerichtet, sowie je einen Brief an den Pfalzgraf Friedrich den Siegreichen und an Papst Nikolaus V. 632 Zeitlich sind die 182 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 1454, noch nicht bekannt, Steffen K R I E B , Flersheim, in: Kommunikation mit dem Ich (wie Anm. 60), S. 142 Anm. 39. 633 Hartmut G E I S S L E R , Friedrich von Flersheim. MILES AVRATUS - ein goldener Ritter aus der Pfalz des 15. Jahrhunderts, Ingelheim, S. 64. Hartmut Geißler danke ich an dieser Stelle dafür, dass er mir sein ungedrucktes Manuskript zur Verfügung gestellt hat. Zum Kampf Sigismunds gegen die Hussiten: P R I E T Z E L , Krieg (wie Anm. 161), S. 189f. 634 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 110. 635 Ebd., S. 29. Briefe an die Mutter Friedrichs in den Jahre 1428-1429 anzusiedeln, während die anderen beiden Briefe später entstanden. Da sich in der Flersheimer-Chronik nur spärliche Informationen zu der ersten und der dritten Gefangenschaft Friedrichs finden lassen, wird in diesem Untersuchungsfall vor allem die zweite Gefangenschaft behandelt. Trotzdem werden die beiden anderen Gefangenschaften an dieser Stelle wiedergegeben, soweit sie sich aus der Dienstaufstellung und den beiden Briefen Friedrichs an Papst Nikolaus V. und den Pfalzgrafen Friedrich den Siegreichen rekonstruieren lassen. Deutet man die Zeitangaben in den Schilderungen Friedrichs richtig, erfolgte die erste Gefangenschaft während des zweiten Hussitenkreuzzuges im Spätherbst 1427. Anscheinend war der Ritter unter dem Kommando des Hauptmanns Heinrich von Metelsko 633 an der Verteidigung der Stadt Tachov/ Ta‐ chau in der westböhmischen Region Pilsen beteiligt. Dabei wurde er gefangen genommen und musste sich freikaufen: „unnd die Hussen uberzogen die statt unnd gewannen sie unnd fiengen, unnd da inn muest ich mich selber lösen.“ 634 In einem Brief an Papst Nikolaus V. schrieb er im Frühjahr 1454 rückblickend: „die Beheim, die mich geschetzt haben fur 10000 hungerischer gulden, unnd ich inen solche summa gelts geben muest, ehe ich von inen ledig wardt ohn mein pferdt, harnisch unnd anndere kleinat, das ich bey mir hette, das ich auch acht wol uff 1000 fl.“ 635 Direkt nach der Schlacht seien Friedrich das Pferd und die Rüstung sowie sämtliche Barschaften, die er bei sich trug, abgenommen worden. Dem Papst gegenüber gab er eine sicherlich überhöhte Lösegeldsumme von 10 000 ungari‐ schen Gulden an, die er habe bezahlen müssen, um sich freizukaufen. Wie der Freikauf organisiert wurde, ist den Quellen nicht zu entnehmen. Nach seiner Gefangenschaft kämpfte Friedrich weiter im Heer des pfälzischen Kurfürsten und begleitete Ludwig III. schließlich 1426 auf seiner Pilgerreise ins Heilige Land. Die dritte Gefangenschaft ereignete sich erneut in kurpfälzischem Dienst im Heer Renés I. d`Anjou. Dieser kämpfte gegen den Grafen Antoine de Vaudémont um das Erbe des Herzogtums Lothringen. Am 2. Juli 1431 kam es zur Schlacht bei 183 2. Friedrich von Flersheim 636 Ebd., S. 110. 637 Ebd., S. 17. 638 Ebd., S. 18. Bulgnéville, die Antoine de Vaudémont für sich entscheiden konnte. Neben René wurde auch Friedrich von Flersheim, wie er berichtet, gefangen genommen: „Item nachdem schickht man unns zu dienst dem hertzogen von Lottringen mehr dann mit 200 pferdten gegen dem herrn von Wedemont, gewanne unns den streitt abe, wardt ich gefanngen unnd hart wundt, also das man meihnet, ich solt sterben; mir wurden auch dazumal alle meine zeen ausgeschlagen, wardt geschetzt für 1000 fl. undt 100 fl. vor mein knecht. Solt mir solchs von meinem gnedigen herrn seligen werden, muest ich uf mein henngst, harnisch, silber unnd was ich da verloren hat, verzeihen, das doch besser wardt, dann 500 fl.“ 636 Erneut habe er Rüstung und Pferd verloren. Friedrich gibt nicht an, wie lange er sich in Gefangenschaft befand oder ob er sich zusammen mit seinem Knecht zeitnah zur Schlacht lösen konnte. Die Dienstaufstellung liefert nur einen kurzen Einblick in die Gefangenschaft Friedrichs und erwähnt seinen finanziellen Verlust sowie die erlittenen Verletzungen. Umfangreichere, wenn auch nicht unkompliziertere, Informationen haben sich zur zweiten Gefangenschaft Friedrichs erhalten. Philipp von Flersheim überlieferte in der Chronik fünf Briefe von ihm sowie einen lose in den zweiten Brief eingelegten Zettel. Die Gefangennahme Die Angaben Friedrichs zum Ablauf seiner zweiten Gefangennahme bleiben kryptisch. Die einzige Information bietet der erste Brief Friedrichs, den die Chronik überliefert: „als er von Hussen gefanngen seiner lieben muetter Christina von Meckhenheim, wittwe, geschrieben und zugeschickht hat.“ 637 Der Brief ist auf den 12. März 1428 datiert und die erste überlieferte Nachricht Friedrichs nach seiner Gefangennahme. Friedrich berichtet rückblickend in seinem Schreiben, dass die Hussiten in Ungarn eingefallen seien und großes Leid angerichtet hätten. Danach seien sie weiter nach Schlesien gezogen und sie „unnderstehen viel schadens zu thuen unnd suechen den streit, wo sie mögen,“ 638 so seine Einschätzung im Brief an die Mutter. Friedrich selbst nennt in seinen Briefen kein Datum der zweiten Gefangen‐ nahme - ein mögliches Datum ist der 11. August 1427. Nach der großen Schlacht von Mies am 4. August 1427 unter der Leitung Andreas Prokops, hatten die Hussiten die Stadt Tachau belagert und schließlich am 11. August gestürmt, 184 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 639 Die Datierung fällt schwer, da sich in der Chronik keine weiteren Angaben finden lassen. Zur Vorgeschichte vom Reichstag im September 1426 in Mainz bis zum Angriff auf Tachau, s. František Š M A H E L / Thomas K R Z E N C K / Alexander P A T S C H O V S K Y , Die hussi‐ tische Revolution (Schriften 43,2), Hannover 2002, S. 1408-1425. Über die Schlacht um Tachau, Š M A H E L / K R Z E N C K / P A T S C H O V S K Y , Revolution (wie Anm. 639), S. 1426f. 640 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 17. 641 Eventuell wurden die wichtigen Informationen jedoch auch den Boten der Briefe mündlich erteilt, so dass fehlende Informationen auch darauf zurückgeführt werden können. 642 Dabei könnte es sich um den mährischen Adligen Smil von Moravany auf Malenovice handeln, František Š M A H E L / Thomas K R Z E N C K / Alexander P A T S C H O V S K Y , Die hussitische Revolution (Schriften 43,3), Hannover 2002, S. 1512, S. 1545f., S. 1606. Außerdem G E I S S L E R , Friedrich (wie Anm. 633), S. 90. Š M A H E L merkt an, dass ein Großteil der Gefangenen, die bei der Eroberung Tachaus gemacht wurden, unter mehreren mähri‐ schen Baronen aufgeteilt wurden - vielleicht war einer dieser Adligen auch Smil von Moravany, Š M A H E L / K R Z E N C K / P A T S C H O V S K Y , Revolution (wie Anm. 639), S. 1426. 643 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 18. dabei waren zahlreiche Verteidiger der Stadt in Gefangenschaft geraten. 639 Die Datierung muss jedoch spekulativ bleiben, Friedrich selbst gibt in seinem Brief an, dass er im Zuge der Kämpfe mit den Hussiten schließlich von einem mährischen Adligen gefangen gesetzt worden sei: „Dann herr Schmil von Morwa, der mich in gefenckhnus hat gehabt zu Brera.“ 640 Auffällig ist die fehlende erste Ankündigung einer Gefangenschaft in diesem Brief, so dass davon ausgegangen werden muss, dass der Familie die Gefangen‐ schaft Friedrichs bereits bekannt war. In die Chronik scheinen nur noch die zu einem späteren Zeitpunkt vorhandenen Briefe Friedrichs Eingang gefunden zu haben; es existierte jedoch vermutlich ein reger Briefverkehr zwischen ihm und seiner Verwandtschaft, so dass von mehreren nicht mehr überlieferten Briefen ausgegangen werden muss. 641 Dies erklärt auch einige Lücken und Deutungsschwierigkeiten, die in der Erzählung der folgenden Ereignisse zu finden sind. Die Gefangenschaft Friedrich wurde nach seiner Gefangennahme zunächst nach Přerov/ Prerau in Mähren gebracht. Über den mährischen Adligen, „Schmil von Morwa“ 642 , teilt er seiner Mutter mit: „Dann mein herr, herr Schmill, der mich in gefenckhnus hat, der hat mich ehrlich gehalten“ 643 Ansonsten schweigt er sich zu seinen Haftbedingungen oder zu den Räum‐ lichkeiten seiner Gefangenschaft aus. Die Feststellung, standesgemäß behandelt worden zu sein, erübrigte für Friedrich offenkundig die Notwendigkeit einer weiteren Beschreibung. 185 2. Friedrich von Flersheim 644 Ebd., S. 17. Zur Möglichkeit sich selbst zu lösen, wenn weder die Familie noch ein Dienstherr etc. die Freilassungsverhandlungen führen konnten: A M B Ü H L , Prisoners (wie Anm. 30), S. 210. 645 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 18. 646 Ebd., S. 17. Flersheim benennt zuvor die Herren („herr von Speyer, mein herr von Hoenloch und mein herr von Weinsperg“), die sich laut Aussage Herzog Albrechts von Österreich, den er zunächst in Wien traf, vor Sigismund eingefunden hätten und deren Anwesenheit der Ritter gerne für die Fürsprache in seiner Sache nutzen wollte, ebd. Die Fürsprecher waren Raban von Helmstatt, Bischof von Speyer; Albrecht der Viel wichtiger war ihm indes die Mitteilung, dass ihm der mährische Adlige die Möglichkeit eingeräumt hatte, Abschied zu nehmen, um für sich selber einen Gefangenenaustausch zu arrangieren: „das mir der [Herr Smil] unnd sein mitbrueder dess veldtthabers gemeinngclich mit einannder tag han geben uff mein glauben, das sie doch iren eigen herrn unnd die in dem lanndt zu Beheim und Mehren sitzen, nicht thuent.“ 644 Smil von Moravany hätte zusammen mit nicht näher benannten „mitbrueder[n] dess veldtthabers“ ihm damit eine Gelegenheit geboten, die den eigenen Leuten nicht eingeräumt würde. So fällt auch die Reaktion des Ritters, der die Ereignisse resümiert, freudig aus: „Dann es ist keinem gefanngnen das glickh beschehen, das man mir ziel geben hat ohne alle burgen; dess freu ich mich gar sehr.“ 645 Über die Motivation der mährischen Männer Friedrich von Flersheim aus‐ tauschen zu wollen und den Gefangenen selbst, ohne das Stellen von Bürgen, mit dem Austausch zu beauftragen, kann nur spekuliert werden. Vielleicht wollte man sich langfristige Verhandlungen sparen und bevorzugte schnelle Ergebnisse, in diesem Fall wäre die Entlassung auf Zeit eine plausible Lösung; vor allem, wenn vielleicht noch weitere Gefangene gemacht worden waren. Unter Umständen war der Austausch von vornherein das Ziel gewesen, um bestimmte Personen aus den eigenen Reihen auszulösen, dann war Friedrich von Flersheim vielleicht als geeigneter und ebenbürtiger Tauschgefangener ausgewählt worden. Die Quellen geben jedenfalls keine weitere Auskunft über die möglichen Gründe. Die Reise Friedrichs von Flersheim zu Sigismund, um seinen Austausch zu organisieren, soll im Folgenden ebenfalls als ein Gefangenschaftsraum verstanden werden. Nach seiner Freilassung, so Friedrich weiter, sei er zunächst bestrebt gewesen, seine Familie aufzusuchen, habe es sich dann jedoch anders überlegt. Um seinen Austausch vorantreiben zu können, sei er direkt nach Wien aufgebrochen: „als meine sachen gelegen sein, es wehre besser, ich ritthe zu meinem gnedigen herrn dem könig, dieweil ich meine gnedige herrn vorgenanndt bey ime fundt, die helffen mir mit bith unnd mit irer person bass, dann mit briefen“ 646 186 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden I. von Hohenlohe-Weikersheim und Konrad IX. von Weinsberg: G E I S S L E R , Friedrich (wie Anm. 633), S. 81f. 647 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 17. 648 G E I S S L E R , Friedrich (wie Anm. 633), S. 91f. 649 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 18. 650 Ebd. 651 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 18. Ein paar Zeilen später wiederholt er die Bitte keinen Boten nach ihm auszusenden: „Unnd schickhet kein botten nach mir mehr…“, ebd., S. 18f. 652 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 19. Er spekulierte darauf, mit der Anwesenheit seiner Fürsprecher vor dem König die besten Ergebnisse erzielen zu können: „Dann mein gnediger herr der könig hat ein gefanngenen, der heist herr Dowitsch, dem haben mich die veldtbrueder geben, den hat herr Bern Michlas in Hungern in gefenckhnus; möchte mir der werden von meinem herrn dem könig, so wer er ledig unnd auch ich.“ 647 Friedrich hatte durch den mährischen Adligen den Auftrag bekommen, sich gegen einen „Herrn Dowitsch“ austauschen zu lassen, der selber als Gefangener im Haus des „Bern Michlas“ in Ungarn festgehalten werde. Hartmut Geißler vermutet, hinter dem nicht näher von Friedrich benannten „Bern Michlas“ den ungarischen Palatin Garai Miklós. 648 Auch aus Österreich bekam Friedrich einen unterstützenden Brief von Herzog Albrecht und seiner Gemahlin Elisabeth, eine Tochter Sigismunds, um den König von dem Plan zu überzeugen. 649 Der eigenen Familie sicherte er im Brief jedoch vor allem zu, dass es ihm gut gehe und ihn Gottes Gnade „gesundt gelassen“ 650 habe. Eine Angelegenheit schien Friedrich jedoch sehr am Herzen zu liegen. Gleich zweimal schärfte er innerhalb des Briefes seinen Angehörigen ein, keine Boten zu ihm zu schicken. „Ir dörffet doch hie zwischen S. Johannes khein botten nicht ausschickhen, das ir mich thuet ausburgen oder wie mirs gehe.“ 651 Ein paar Sätze danach erklärt er auch, warum ihn niemand bis zum 24. Juni 1428 aufsuchen solle und warum er selber auch nicht zuvor zu seiner Familie kommen könne: „dann ich getrau hiezwischen S. Johannestag nicht zu euch zu khommen, mir werde dann ein lenger tag, dann ich hab tag uf S. Johannistag, der nechst khombt.“ 652 Es war ihm also eine Frist bis zum St. Johannestag (25. Juni) gesetzt worden und er wollte den Austausch nicht durch einen Besuch in seiner Heimat gefährden, sondern sich auf die wichtigen Gespräche mit seinen Fürsprechern und dem König konzentrieren. Stattdessen, so berichtet er weiter, würde er die Anwesenheit der Fürsten am Königshof zur Nachrichtenübermittlung nutzen: „Wann dann meine drey vorgenanndten gnedigen herrn einige botschafft heim thuent aus Hungern, so will ich euch allemal lassen wissen, wie mein sachen 187 2. Friedrich von Flersheim 653 Ebd., S. 18. 654 Ebd., S. 19. 655 Ebd., S. 19f. 656 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 19. Auch hoffe er, dass der Bau des Hofes zu Nackh sich entwickeln möge, ebd. 657 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 18. Der Wunsch seine Frau zu sehen sowie die damit verbundene Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen wird im Brief dreimal geäußert. 658 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 18. gelegen seindt, ob mich mein gnediger herr der khönig begnadigen wolt und mir den gefanngenen geben; möchte er mir aber nit werden, das will ich euch auch lassen wiessen, dess doch nit hoffen.“ 653 Diese eindringliche Aufforderung, den Dingen ihren Lauf zu lassen, hatte für Friedrich einen besonderen Grund, wie die Chronik zu berichten weiß, so „haben seine vetter unnd schweger ein anschlage gehabt, inen abzufanngen“ 654 und mit in die Heimat zu nehmen. Dieses Vorhaben seiner Verwandten, ihn gewaltsam aus der Gefangenschaft zu befreien, habe Friedrich, wie er behauptet, jedoch unterbunden und sich dagegen gewehrt, dermaßen unehrenhaft aus der Gefangenschaft befreit zu werden. Auch das Argument, dass er einem ungläubigen Ketzer kein Wort schuldig sei, hätte daran nichts ändern können. 655 Auffällig in diesem ersten Brief und auch in den folgenden Schreiben ist der liebevolle Ton Friedrichs, vor allem seiner Mutter und seiner Ehefrau gegenüber. Mehrfach lässt er neben seiner Frau eine Jungfrau „Ermel/ Irmel“ namentlich und auch die restliche Verwandtschaft und seine Freunde grüßen, immer verbunden mit der Zusicherung, dass er wohlerhalten sei: „unnd gruessent mir junckhfrau Ermel unnd mein liebe hausfrau Margareth gar sehr, dann mich gar sehr verlanngt nach euch unnd nach ir und nach allen meinen gueten freunden.“ 656 In dem Brief an seine Mutter bittet er vor allem darum, seine Frau zu beruhigen: „unnd sagt ir, das ich von gottes genaden gesundt unnd starckh bin an all meinem leib, ich hab sie auch dickh gewunscht zu mir ins gefenckhnus.“ 657 An dieser Stelle erwähnt er das einzige Mal die Zeit zwischen seiner Gefangennahme und dem Moment, als man ihn für den Austausch freiließ. Friedrich fügte den ersten beiden Briefen an seine Familie Zeichen bei, die seine Autorschaft belegen sollten. Im ersten Brief an die Mutter baute er gleich zwei Kennzeichen ein. Das erste nahm Bezug auf eine Aussage, die nur ihr bekannt sein konnte: „Unnd zu warzeichen, das ir diesem brief glauben solt, das ich zu euch sprach unnder dem hagenthorn zu Lammerssheim, der da stehet fur der badtstuben: mein ehr wer mir lieber, wann alles guet, die will ich haben mit der gnade gottes oder will mein haudt darumb geben.“ 658 188 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 659 Steffen K R I E B , Flersheim, in: Kommunikation mit dem Ich (wie Anm. 60), S. 140. 660 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 19. 661 Ebd., S. 24. Laumersheim war der Stammsitz der Familie im 15. Jahrhundert. 659 Möglichst detailliert, sicherlich auch darauf bedacht, dass die Mutter sich durch die genaue Lokalisierung sehr genau an diesen Tag und das Gespräch erinnern kann, legt er ihr sein „Warzeichen“ dar. Das zweite Zeichen ist in die Datierung des Briefes eingewebt: „Geben zu Wien uf S. Gregoritag unnder dem innsigel, das ich hab unnder dem linckhen bain obwenndigen dess knies, das ir wol wist.“ 660 Zu dem vorherigen Zeichen kommt nun ein körperliches Merkmal und er durfte sich sicher sein, dass nicht viele Menschen außer seiner Mutter und der Ehefrau von dem Muttermal am Oberschenkel Bescheid wussten. Auch im zweiten Brief berichtete er von seinem „leinziechen“, das er trage und von dessen Existenz seine Mutter wisse. 661 Mit diesen ‚Zeichen‘ sollten die Aussagen des Briefes verifiziert und ein weiteres Intervenieren der Familie unterbunden werden. Friedrich bat eindringlich darum, dass die Familie die weiteren Entwicklungen abwarten möge. Es könnte mehrere Gründe für das vehemente Einsetzen Friedrichs für die Belange seines Gefangennehmers und das Verbleiben in der Gefangenschaft geben: Zunächst berief er sich wiederholt auf das gegebene Ehrversprechen. Außerdem hatte er angegeben, dass er eine gute Behandlung erhalten und dem Austausch zugestimmt habe. Es wäre jedoch auch möglich, dass es politische Ziele gab, die er in den Briefen nicht weiter ausführte und die den langen Aufenthalt Friedrichs bei Sigismund und die vielen Reisen im Auftrag des Herrschers, die er in den nächsten Monaten tätigte, erklären. Sofern seine Angaben zur zweiten Gefangenschaft korrekt geschildert werden, lag die Motivation den Austausch zu realisieren vielleicht auch darin begründet, hohe Kosten durch ein finanzielles Auslösen seiner Person zu vermeiden. Schließlich kann auch eine Annäherung oder Sympathie gegenüber seinem Gefangennehmer nicht gänzlich ausgeschlossen werden, zumal wir über die erste Zeit in Gefangenschaft nicht gut unterrichtet sind. Das zweite Selbstzeugnis, das von Friedrich stammt, ist ein Brief vom 4. April 1428, also etwa drei Wochen nach dem ersten Brief, der nun sehr ausführlich über die Ereignisse berichtet, die sich am Hof des Königs zutrugen. Dieser Brief bietet einen sehr detaillierten Einblick in die Verhandlungen um den Gefangenenaustausch: Zuerst schildert Friedrich, dass seine Fürsprecher schon vor seiner Ankunft in seiner Sache vor Sigismund getreten seien, jedoch eine abträgliche Antwort erhalten hatten: „Uf dem wege traff ich herr Heinrichen, den hauptmann zu Dachau, unnd sagt mir die bithe, die mein herr von Speyer unnd mein herr von Weinsperg 189 2. Friedrich von Flersheim 662 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 22. 663 „Da ich zu dem könig kam, da entpfieng seine gnaden mich gar genedigclichen unnd sagt mir seine gnaden, er wolt reitten von Turmilwa gehn Heram, das ligt in der Servei unnd stosset an die Turckhen, unnd das ich mit seinen gnaden ritte, er wolt mir ein guete gnedige anntwort geben.“, W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 22. Dieses Treffen fand eventuell in Tyrnau statt. Tatsächlich ist die Anwesenheit Sigismunds vom 14. bis zum 28. März in Tyrnau, dem heutige Trnava, belegt, eine Stadt etwa 50 Kilometer nordöstlich von Preßburg, die 1418 von den Hussiten erobert und bis 1425 von diesen besetzt war, G E I S S L E R , Friedrich (wie Anm. 633), S. 98. 664 „Unnd da ich gehn Heram kham, da was dess blinden keysers sohn von der Thurckey unnd annder viel grosser herrn von den Heiden unnd Turckhen“, W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 22. 665 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 22f. vorgenanndt gethan hatten. Da erschrackh ich unnd sprach doch zu ime, dess heill allein: ‚ich will nit uffhören reittens, ich sey dann bey meinem gnedigen herrn, dem könig.“ 662 Trotz der schlechten Vorzeichen ritt Friedrich weiter, um den König aufzusu‐ chen und von seinem Ansinnen zu überzeugen. Friedrich begegnete auf seinem Weg zum Königshof einem Hauptmann aus Tachau, unter dessen Kommando er allem Anschein nach bei seiner Gefangennahme gestanden hatte. Unterstützung hatte Friedrich von Flersheim unterdessen von seinem Schwager, Friedrich von Greiffenclau, erhalten, der ihn auf seiner Reise begleitete. Die Gründe für den Beistand des Schwagers werden in den Briefen nicht thematisiert, wahrscheinlich hoffte die Familie durch Greiffenclau, Friedrichs Ansinnen besser vorantreiben zu können. Auch von dem gemeinsamen Treffen Friedrichs mit König Sigismund be‐ richtet der Brief. Sigismund wusste den Ritter zunächst für seine eigenen Pläne zu gewinnen, bevor er ihm weitere Hilfen zusagte. 663 So verpflichtete Sigismund Friedrich zur Teilnahme am Kampf gegen die Türken und dem Ritter blieb nichts weiter als das Versprechen zu geben. Erst danach sagte der König einem weiteren Treffen zu: 664 „Da schickht sein gnade den wolgebornnen graven unnd herrn von Bern nach mir, unnd er fuhret mich zu meinem gnedigen herrn dem könig in den garttep. Da gieng mein gnediger herr der könig gegen mir armen ritter. ‚Unns ist viel von euch gesagt‘, unnd laynet mir uff mein achsel unnd liess alle herrn unnd anndere stehen, und name meinen herrn von Bern unnd seinen marschalckh darbey unnd fraget mich nach etlichen stuckhen nach den Hussen. Die bescheide ich sein gnade, dann ime war gesagt, ich wust ir viel.“ 665 190 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 666 Zur Lokalisierung des Gartens in Ofen oder im königlichen Palast Visegrád s. G E I S S L E R , Friedrich (wie Anm. 633), S. 112-114. 667 Identisch mit: „Herr Dowitsch“ 668 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 23. 669 Genealogisch sind vier Brüder Smil von Moravany bekannt, G E I S S L E R , Friedrich (wie Anm. 633), S. 101. 670 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 23. Garai Miklós, der den Gefangenen „Dowitsch“ beherbergte, trat auf Friedrich zu und vermittelte das Gespräch des Königs mit Friedrich im Garten. 666 Dort fragten ihn die beiden Herren zu seinem Wissen über die Hussiten aus. Nach dem Gespräch, bei dem Flersheim sich als sachverständiger Experte hervortun konnte, durfte er schließlich seine Bitte an den Herrscher herantragen. „Darnach hueb ich von meinen Sachen meinen gnedigen herrn zu bitten, unnd bath umb herr Thobus. 667 Da anntworttet mir sein gnade, er gebe mir in nit, dann er hette meines herrn, der mich gefanngen hette, rechten brueder in gefennkhnus sitzen zu der Blindenburg, der solt mich ehe ledig machen, dann der vorgenanndt Thobus, da ich fur gebetten hab.“ 668 Sehr ausführlich schildert Friedrich sein vertrauliches Gespräch mit Sigis‐ mund das nicht das gewünschte Ergebnis brachte. Friedrich musste sich mit der Wahl des Königs zufriedengeben und erhielt den Bruder seines Gefangen‐ nehmers. 669 Da er keine Möglichkeit hatte, diese Planänderung mit seinem Gefangennehmer Smil von Moravany abzusprechen, fürchtete er eventuelle negative Konsequenzen: „Da sprach seine gnade zu mir: ‚magstu nit ledig werden mit dem, so khomme wider zu unns, so wollen wir dich begnaden unnd dich jhe ledig machen, dann ir muesset uunser ritter sein‘. […] Und stunde mein herr der könig selbst bey dem canntzler unnd liess alle herrn stehen biss das der brief geschrieben wardt, so dem hauptman zu der Blindenburg gehört, mir den gefanngenen zu geben, das doch jederman frembt hat.“ 670 Friedrich nahm daraufhin Abschied vom König und begab sich nach Přerov zu seinem Gefangennehmer, um mit diesem den Austausch zu besprechen. Seinen Schwager, der in Wien weilte, ließ Friedrich vor Ort in der Nähe des Gefangenen. Friedrich gibt sich in seinem zweiten Brief erneut zuversichtlich, den Aus‐ tausch schnell zu einem guten Ende bringen zu können. Neben den Versiche‐ rungen, dass es ihm gut gehe und der Sorge um seine Frau ließ er die Familie auch im Namen des Schwagers grüßen. Durch die sehr emotionalen Äußerungen im Brief, die sich erneut an mehreren Stellen wiederholen, dringt auch die Sorge um die wirtschaftliche Lage der einzelnen Höfe der Familie. Dem zweiten Brief beigelegt war noch eine Notiz an seine Mutter, die nicht weiter betitelt oder 191 2. Friedrich von Flersheim 671 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 24. Erneut ließ er seine Familie, die Freunde und das Hofgesinde grüßen und versicherte die eigene Gesundheit; ebd., S. 24f. 672 Bei Krieb finden sich noch nähere Angaben zur Rettung sowie die Angabe, dass Flersheim in der Zeitspanne von 1429 und 1437 siebenmal am Kaiserhof nachge‐ wiesen werden kann, vgl. Steffen K R I E B , Flersheim, in: Kommunikation mit dem Ich (wie Anm. 60), S. 141; vgl. auch F O U Q U E T , Pfälzer (wie Anm. 626), S. 412. unterzeichnet ist. Dort beschrieb der Ritter seine weiterführenden Pläne, die er bis zum St. Jakobstag, also dem 25. Juli, erreichen wollte. Die Gründe für die Fristverlängerung, die einen weiteren Monat umfasste, erklärte er nicht: „so will ich reitten gehn Brerau zu meinem herrn, der mich gefanngen hat, ob er seinen brueder fur mich nemmen wolt, oder nit. Will er ine dann nicht fur mich nemmen, das doch frembt wehre, so will ich ine bitten, das er mich schetze unnd mich von im lass khommen. Unnd wann er mich geschetzt hat, so wolt ich wieder reithen gehn Wien zu meinem schwager unnd wolt seinen brueder auch schetzen, dann sein brueder ist also reich, als ich. Wolt er auch das aber nit thuen, so will ich ine bitten, das er mir ziel gebe, das ich moge eins heimreithen, dann ich sehe euch unnd meine guete freundt gern. Darumb bleibt mein schwager zu Wien unnd warth, was anntwort ich im gebe, dann wir gern beide mit einannder khemen.“ 671 Diese Stelle zeigt, wie unsicher Friedrich war, ob der neue Austauschpartner akzeptiert werden würde. Andernfalls wolle er versuchen, sich auf ein Lösegeld schätzen zu lassen, um so seine Freilassung zu erreichen. Sollte auch dies fehlschlagen, würde er um eine Fristaufschiebung bitten, um seine Familie besuchen zu können. Der nächste Brief im Juli 1428 kündet jedoch keinesfalls von der Freilassung Friedrichs. Augenscheinlich war der Bruder Smils von Moravany nicht ausrei‐ chend für den Gefangenenaustausch gewesen und man hatte offensichtlich weiterhin auf einen Austausch mit ‚Herrn Dowitsch‘ beharrt, so dass Friedrich erneut versuchen musste, Sigismund von der Herausgabe des geforderten Gefangenen zu überzeugen. Außerdem berichtete er von der eigenen Teilnahme und der des Schwagers an der Schlacht bei Golubac an der Donau gegen die Türken. Friedrich hatte also sein Versprechen eingelöst und konnte nun in seinem Brief von einer Heldentat berichten; so habe er Sigismund aus einer ausweglosen Situation retten und zur Flucht verhelfen können. Dieser Einsatz brachte dem Ritter nach der Schlacht die Anerkennung des Herrschers, der ihm einen Trinkbecher, der aus Gold und mit dem Wappen der Grafen von Cilli verziert war, sowie 50 ungarische Gulden schenkte. 672 Von diesen Geschenken weiß auch die Chronik zu berichten: „Unnd als er gefanngen unnd wieder ledig, hat er drey schöne cleinoth zu hauss bracht, ein gulden ring, ein vergults 192 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 673 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 6f. Daneben berichte die Chronik von Wand‐ teppichen, die Friedrichs Ehefrau in Auftrag gegeben hatte, um an das Leben und die Taten ihres Mannes zu erinnern, ebd., S. 14-16. 674 Dabei sei der Schwager zum Ritter geschlagen worden und habe bei der Rettungsaktion des Königs eine kleinere Schussverletzung erlitten, W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 25-27. 675 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 20. Khöpfflein, darauff das wappen Zille, keiser Sigmundts gemahel noch stehet, auch ein seidene hoseckh, in deren weisse reder stehen, mit zobel gefuedert, wie dieselbigen bey dem stamb Flerssheim noch sein ausserthalb dess zobels. Doch ist die schaub oder hoseckh noch verhannden unndt wirdt zur gedechtnus bey den gebruedern noch uf diesen tag ehrlich behalten.“ 673 Auch von der eigentlichen Schlacht und der Standhaftigkeit der beiden Männer an der Seite Sigismunds gibt es eine sehr detaillierte Beschreibung Friedrichs in seinem Brief. 674 Eine Lösung seines Problems hatte er jedoch immer noch nicht erreichen können. Im nächsten erhaltenen Selbstzeugnis vom 10. März 1429 informierte Fried‐ rich seine Familie, dass er in Sandomir gewesen war. Dort habe er ein Schreiben des polnischen Königs Władysław II. Jagiełło und seiner Frau erhalten: „Da hat mich der könig unnd mein gnedige frau die königin ir bith begnadet, unnd haben mir solche bithbrief geben, wiewol das sie mein nit erkhandten, wann ich hatte ein grob mentichel an, unnd haben mir darinn ehr entbothen“ 675 Warum das Königspaar dem Ritter in der heruntergekommenen Kleidung ihre Hilfe anbot, kann nicht geklärt werden. Auch über eine Verbindung Friedrichs zum polnischen Königshof ist darüber hinaus nichts bekannt. Viel‐ leicht nahm Friedrich nicht nur Bittschreiben für seine Angelegenheiten mit, sondern fungierte auch als Bote zwischen Sigismund und dem polnischen König. Dies würde zumindest seine Anwesenheit am polnischen Königshof erklären. Friedrich führt in seinem Brief weiter aus, dass sich Sigismund nach dem großen Fürstenkongress im Januar 1429 bei Luzk immer noch in Litauen befände. Er selbst sei nun, zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Briefes, auf dem Weg, um noch einmal vor dem König sprechen zu können und ihm die Bittbriefe zu überreichen. Deshalb wolle er am 1. März Richtung Ofen aufbrechen und hoffe dort vor Ort die Unterstützung durch vielerlei hohe Herren, wie Herzog Wilhelm von Bayern, für seine Sache und „Herrn Dowitsch“ für den Austausch zu bekommen. Erneut verbot er jeglichen Botenverkehr und versprach sich zu melden, sobald er nach Ostern die Antwort Sigismunds bekommen habe: „Schickht mir khein botten, dann ich will euch wol bottschafft thuen nach Ostern, wie mein herr der könig mir anntwort unnd mein sachen gelegen 193 2. Friedrich von Flersheim 676 Ebd., S. 21. Ein Brief nach dem Osterfest, wie hier angekündigt, hat sich in der Überlieferung nicht erhalten. 677 Ebd. 678 Ebd., S. 28. werden. Dann ich will mein bottschafft selber wol werben, dieweil ich zeit unnd tage habe. Die sach ist auch nit als gross, als Jörg von Ronstorff gesagt hatt unnd herr Heinrich Beyer mir geschrieben hatt.“ 676 Auch diesem Brief ist die Sehnsucht nach seiner Familie zu entnehmen. Wiederum lässt er alle, vor allem aber seine Frau und „junckhfrau Ermel“, grüßen. Und er schreibt: „Ich hab auch die segen gelernet, die ir mir gabt.“ 677 Ob ihm die Gebete oder Segenssprüche in einem Brief durch die Mutter geschickt wurden, oder ob sie ihm bei einem kurzen Besuch in seiner Heimat überreicht wurden, ist nicht bekannt. Ein erneutes Schreiben ist auf den 31. August 1429 datiert. In diesem Brief nun konnte Friedrich davon berichten, von Sigismund den geforderten Gefangenen erhalten zu haben: „Mein gnediger herr der könig, der hatt mir herr Dobitz [sic! ] geben, darumb ich ime lannge zeit bin nachgeritten, unnd hatt mich damit begnadet. Unnd ich will, ob gott will, dess donnerstags nach S. Johannestag, als er enthaupt wirdt, reithen zu meinem herrn, der mich gefanngen hatt, gehn Brerau unnd gegen herrn Dobitzen mich ledig machen, wann er dess also fro wirdt, als ich. Auch so hab ich noch den gefanngen, den mir mein herr mit dem ersten gabe, unnd hat mir mein gnediger herr der könig die grosse gnadt gethan mit wortten unnd mit den zweyen gefanngnen, die er mir baide gegeben hatt, mich damit zu ledigen, das ich und die mein guette freundt, nimmer verdienen, unnd will mir allererst gnedig sein.“ 678 Endlich konnte Friedrich ein Erfolgserlebnis melden und sich hoffnungsvoll zu seinem Gefangennehmer aufmachen, um seine endgültige Freilassung aus der Gefangenschaft zu bewirken. Tatsächlich stand er noch besser da als zuvor erhofft, da er nun zwei Gefangene zur Verhandlung anbieten und sich äußerst sicher sein konnte, den Austausch zu bewerkstelligen. Auffällig ist, dass Friedrich zwar den Austausch ankündigte, sich aber über die genauen Umstände nicht äußerte. Es ist nicht festzustellen, ob er von „Herrn Dowitsch“ direkt nach Přerov begleitet wurde oder am 1. September zunächst allein reiste. Ebenso liefern die Briefe keine Informationen über den Ablauf des eigentlichen Gefangenenaustauschs. Ob Friedrich der Geheimhaltung unterlag und brisante Informationen nicht im Brief, sondern eher einem Boten weitergeben konnte oder aber ob erneut Briefe in der Chronik fehlen, die mehr über den Austausch verraten könnten, bleibt ungeklärt. 194 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 679 Ebd. 680 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 28. Über einen vorhandenen Schriftverkehr mit seiner Mutter, erfahren wir auch schon zu Beginn des Briefes: „Als ir mir geschrieben habt in euern briefen unnd besorget, der könig wolle mich nit ledig machen aus meiner gefenckhnus, da geheiss ich euch das bottenbrott, unnd will euch damit erfreuen unnd alle meine guete freundt.“, ebd., S. 27f. 681 „Auch als ir schreibt, ob mir mein schwager nutz sey, so wolt ir mir den herabschickhen, wann er khombt von Metz aus dem krieg: da lass ich euch wiessen, das ich sein von gottes gnaden zu dieser zeit nit bedarf, dann er wolt selber gern reithen von seinetwegen. Doch dunckhet mich besser sein, er blieb da, biss ich selber heimkheme“: W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 28. 682 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 28. In seinem Brief zeigte sich Friedrich sehr glücklich und er sicherte seiner Familie zu, sich des göttlichen Beistands bewusst zu sein und sich auf die Heimkehr zu freuen. Nun sei auch der Zeitpunkt gekommen, anderen, wie den Bürgern von Lautern, von seiner bevorstehenden Heimkehr zu berichten: „dann ich will baldt, ob gott will, heimkhommen unnd will mit dem knecht unnd euch allen frölich singen unnd leben. Auch last dieses die burger zu Lauthern wissen.“ 679 Zwei Aspekte des Briefes sind hier hervorzuheben: Friedrich bedankte sich mehrfach für ein Schreiben seiner Mutter, das er erhalten habe. Mit diesem Schreiben einhergehend fand sich bei Friedrich auch ein Knecht ein, den ihm die Mutter mitgesandt hatte: „Auch dannckh ich euch dess briefs, den ir mir geschickht habt, unnd auch dess knechts, das ir mich darmit versorgt habt.“ 680 Mit diesem Knecht zusammen, so betonte er, werde er, nachdem er in Přerov war, auch wieder heimkehren. Ein Angebot seiner Mutter, auch noch den Schwager zur Unterstützung zu schicken, lehnte er jedoch ab. 681 Außerdem habe ihn die gute Kunde erreicht: „das last wiessen meine liebe Margareth unnd wunschet ir viel gluckhs, wann ich hab die rede gern gehört, das mich unnser herr gott erhören will, unnd mir ein frucht zugeschickht.“ 682 Diese unscheinbare Stelle im Brief lässt eine erstaunliche Beobachtung zu: Margarethe, die Ehefrau Friedrichs, war schwanger. Obwohl Friedrich von Flersheim am Anfang seiner Gefangenschaft immer wieder hervorhob, dass er keine Boten wünsche und er keine Gelegenheit habe, nach Hause zu kommen, weist diese Textstelle auf mindestens einen Besuch Friedrichs bei seiner Frau zwischen dem 10. März und Ende August hin. Mit diesem Brief enden die Selbst‐ zeugnisse Friedrichs, die unmittelbar aus seiner Gefangenschaft stammen. Die Briefe zeichnen ein Bild seiner Bemühungen um einen Gefangenenaustausch und es ist davon auszugehen, dass Friedrich relativ zeitnah nach diesem letzten Brief wieder heimkehren konnte. 195 2. Friedrich von Flersheim 683 Steffen K R I E B , Flersheim, in: Kommunikation mit dem Ich (wie Anm. 60), S. 139. Für seinen Dienst versprach ihm der Herrscher 40 ungarische Gulden; vgl. Urkunde vom 14. September 1429: A N D E R M A N N , Flersheim (wie Anm. 626), S. 17. 684 F O U Q U E T , Pfälzer (wie Anm. 626), S. 409. 685 Steffen K R I E B , Flersheim, in: Kommunikation mit dem Ich (wie Anm. 60), S. 139. Vgl. auch das Schreiben Kaiser Sigismunds vom 14. September 1429: W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 14-16. 686 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 29-31; F O U Q U E T , Pfälzer (wie Anm. 626), S. 411; Steffen Krieb, Flersheim, in: Kommunikation mit dem Ich (wie Anm. 60), S. 142 u. 145. 687 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 30. Das Leben nach der Gefangenschaft Nach Friedrichs Einsatz für den König, insbesondere nach der Schlacht gegen die Türken, wurde er von Sigismund zum königlichen Diener bestellt. 683 In den nächsten Jahren war er wiederholt im Dienst des Kaisers anzutreffen und wurde bis ins Jahr 1437 als kaiserlicher Gesandter eingesetzt. 684 Im Westen des Reiches sollte er eine Vereinigung der Ritterschaft vorantreiben, die sich der Herrscher nach dem Vorbild der Gesellschaft mit St. Jörgenschild wünschte. 685 Noch einmal ereilte Friedrich von Flersheim das Schicksal einer militärischen Gefangenschaft. In der Schlacht von Bulgnéville im Lothringer Erbfolgekrieg wurde er im Juli 1431 ein drittes Mal festgesetzt. Am Dreikönigstag 1454 schrieb Flersheim an Papst Nikolaus V. In diesem Schreiben bat er den Papst, seinen beiden Söhnen, Bechtolf und Hans, mehrere Pfründen zu gewähren. Als Begründung für sein Ansinnen nannte er seinen Dienst im Kampf gegen die Ketzer und Ungläubigen für den christlichen Glauben, der ihm große finanzielle Verluste eingebracht hätte. Dabei bezog er sich vor allem auf die Verluste, die durch seine beiden Gefangenschaften (erste und dritte) im kurpfälzischen Dienst entstanden seien: 686 „So bin ich auch ritter worden zu dem heiligen grabe, unnd bin sonnst zweymal gefanngen worden, unnd hab über 14000 fl. zu hauff zu schatzung geben muessen, unnd gross dardurch verzehrt unnd das mein verlorn.“ 687 Auch wenn im Brief die Kosten für die Gefangenschaften sicherlich zu hoch angesetzt wurden, zeigt es doch, dass Friedrich sich mit den hohen Verlust‐ summen, die er erlitten hatte, allein gelassen fühlte. Deshalb sollte sein Einsatz im Nachhinein belohnt werden, indem wenigstens seine Söhne versorgt werden würden. Von der zweiten Gefangenschaft erwähnte er in dem Brief nichts. Eine Antwort des Pontifex ist nicht erhalten; der Nachfolger, Papst Calixt III., hatte sich jedoch für die Söhne Flersheims eingesetzt, da Bechtolf als Stiftskustos und Pfarrer nachweisbar ist und sich weitere Pfründe im Besitz der Familie befanden, 196 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 688 Der Papst hatte mit einem Dispens die körperliche Behinderung Bechtolfs als Hindernis für eine geistliche Karriere aus dem Weg geräumt, vgl. Steffen K R I E B , Flersheim, in: Kommunikation mit dem Ich (wie Anm. 60), S. 142-145. 689 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 113-115. 690 Ebd., S. 113. 691 Steffen K R I E B , Flersheim, in: Kommunikation mit dem Ich (wie Anm. 60), S. 146. 692 W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 29. 693 Näheres zum Schwaben- oder Schweizerkrieg bei: Vom „Freiheitskrieg“ zum Ge‐ schichtsmythos. 500 Jahre Schweizer- oder Schwabenkrieg, hrsg. v. Peter N I E D E R H Ä U S E R / Werner F I S C H E R , Zürich 2000. um die Friedrich Flersheim gebeten hatte. 688 Weniger gut war das Verhältnis Friedrichs zum Pfalzgrafen. In seinem Brief an Friedrich den Siegreichen vom 24. Januar 1456 beschwerte er sich, dass er den versprochenen Lohn für seine Dienste nicht erhalten habe. 689 Um dem Herrn seine Treue und seinen Fleiß in Erinnerung zu rufen, listete er seine Dienste im Anhang des Briefes noch einmal auf und verwies auf das Versprechen des verstorbenen Pfalzgrafen, der ihm Dienstgeld zugesagt habe. 690 Ein Antwortschreiben darauf hat sich nicht erhalten, allerdings ist Friedrich von Flersheim in den nachfolgenden Jahren im Dienst des Pfalzgrafen Friedrich des Siegreichen nachweisbar, was auf eine Einigung hindeutet. 691 Am Ende dieses sehr bemerkenswerten Falles einer militärischen Gefangen‐ schaft soll das eigene Fazit Friedrichs zu seinen Erlebnissen stehen, das er im Brief an den Papst 1454 selber zog: „Unnd maihne, das das kheinem ritter nie wiederfahren sey, als mir, das einer der ketzer gefanngen sey gewesen, unnd das er sich in derselben gefenckhnus mit den Thurckhen unnd beiden geschlagen hab, unnd dem Röm. kaiser hinweg geholffen hab.“ 692 3. Briefe aus dem Schwabenkrieg a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses Im Stadtarchiv Konstanz befindet sich in der Abteilung für Kriegswesen eine Sammlung von Briefen aus dem Sommer 1499, die den Schwabenkrieg betreffen. Mit dem Schwaben- oder auch Schweizerkrieg wird eine militärische Ausein‐ andersetzung von Januar bis September 1499 zwischen dem Schwäbischen Bund und den Habsburgern auf der einen und der Schweizer Eidgenossenschaft auf der anderen Seite bezeichnet. 693 Der Konflikt begann jedoch nicht erst im Jahr 1499, sondern bereits im 13. Jahrhundert, als sich um den Vierwaldstätter 197 3. Briefe aus dem Schwabenkrieg 694 Die „Alte Eidgenossenschaft“ bestand im 14. Jahrhundert zunächst aus acht Kantonen: Unterwalden, Schwyz, Uri, Luzern, Zürich, Glarus, Zug, Bern - im späten 15. Jahrhun‐ dert kamen noch Solothurn und Freiburg hinzu. 695 Alois N I E D E R S T Ä T T E R , Der „Schweizer-“ oder „Schwaben-Krieg“ von 1499. Ursachen, Verlauf und Auswirkungen, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein 1999/ 2000 (2000), S. 141-158, S. 141. 696 N I E D E R S T Ä T T E R , Schweizer (wie Anm. 695), S. 141. 697 Adolf G A S S E R , Ewige Richtung und Burgunder Kriege: Zur Klärung einer alten Streit‐ frage, in: Ausgewählte historische Schriften 1933-1983, hrsg. v. Adolf Gasser (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 148), Basel 1983, S. 269-320. 698 N I E D E R S T Ä T T E R , Schweizer (wie Anm. 695), S. 144. 699 Ausführlicher: ebd., S. 145f. See ein Bündnis zusammengeschlossen hatte, das die Reichsunmittelbarkeit anstrebte. 694 Im Zuge des 14. Jahrhunderts begann das Bündnis seine Grenzen auszuweiten und es kam zu verstärkten Auseinandersetzungen um die Gebiete südlich des Hochrheins und des Bodenseeraumes. 695 Es folgten erste Nieder‐ lagen des habsburgischen Heeres gegen die Eidgenossen, wie im Jahr 1315 bei Morgarten oder 1386 bei Sempach. 696 Die Habsburger verloren nach und nach, vor allem aber durch den „alten Zürichkrieg“ in den 1440ern und in den 1460ern infolge des Thurgauer Krieges, ihren Einfluss in den eidgenössischen Gebieten. Eine vorübergehende Entspannung bot die Bedrohung durch den burgundischen Herzog Karl den Kühnen. Beide Seiten schlossen sich gegen den neuen Feind zusammen und handelten einen Freundschaftsvertrag, die „Ewige Richtung“, miteinander aus. In diesem Vertrag von 1474 sicherten sich beide Lager gegenseitige Unterstützung zu und die Habsburger verzichteten auf die eidgenössisch besetzten Gebiete. 697 Auf dem Reichstag in Esslingen am Neckar gründete sich im Februar 1488 unter Kaiser Friedrich III. der Schwäbische Bund. Vor allem die drohenden Angriffe der Wittelsbacher auf schwäbisches Gebiet hatten den Kaiser veranlasst, ein Bündnis zum Schutz der eigenen Rechte und des Landfriedens ins Leben zu rufen. Dem Bund schlossen sich zahlreiche oberschwäbische Reichsstädte, die Ritterschaft, zahlreiche Reichsfürsten und Klöster an. Nach dem Tod seines Vaters nutzte Maximilian I. den Bund weiter, um sein Herrschaftsgebiet zu sichern. 698 Unter Maximilian kam es zu neuen Spannungen zwischen dem Habsburger und den Eidgenossen. Diese weigerten sich, die Beschlüsse des Wormser Reichstages von 1495 anzunehmen und das Reichskammergericht als höchste Gerichtsinstanz für ihr Gebiet anzuerkennen. All dies sorgte für neue Auseinandersetzungen und führte im Frühjahr 1499 zu ersten Interventionen auf beiden Seiten. 699 Die Lage verschärfte sich zunehmend im Februar 1499, und am 20. desselben Monats kam es zu einer ersten großen Schlacht in Voralberg, die die Eidgenossen für sich entscheiden konnten. 198 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 700 Ebd., S. 145ff. 701 Otto F E G E R , Probleme der Kriegsgefangenschaft im Schwabenkrieg, in: Zeitschrift für schweizerische Geschichte 30 (1950), S. 595-601, S. 4. Zur Luzerner Ordnung von 1499: Volker S C H M I D T C H E N , Ius, in: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 177), S. 40. 702 Otto Feger vermutet, dass es sich bei den Gefangenen auf schweizerischer Seite größten‐ teils um verletzte Männer gehandelt haben könnte: Otto F E G E R , Kriegsgefangenschaft im Schwabenkrieg, in: Thurgauische Beiträge zur vaterländischen Geschichte 89 (1952), S. 1-46, S. 4. Zu den teils drakonischen Strafandrohungen bei Zuwiderhandlung: Volker S C H M I D T C H E N , Ius, in: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 177), S. 41f. 703 F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), S. 7f. 704 F E G E R , Probleme (wie Anm. 701), S. 596; F E G E R , Probleme (wie Anm. 701), S. 1. Am 11. April 1499 wurde bei Triboltingen im Kanton Thurgau, in der heutigen Schweiz, die Schlacht von Schwaderloh zwischen den Truppen des Schwäbi‐ schen Bundes und der Schweizerischen Eidgenossenschaft ausgetragen. Die Schweizer Eidgenossen konnten, trotz einer zahlenmäßigen Unterlegenheit, dabei einen entscheidenden Sieg über die kaiserliche Partei erzielen. 700 Wäh‐ rend der Kämpfe kam es zu zahlreichen Gefangennahmen auf beiden Seiten. Darunter waren auch die vier Männer, von denen sich die Selbstzeugnisse dieses Untersuchungsfalls erhalten haben. Sie verfassten Briefe an ihre Familien und ihre Hauptleute, um von ihrer Lage zu berichten. Dabei ist die Tatsache, dass überhaupt Gefangene gemacht wurden, gar nicht so selbstverständlich. Zumindest auf eidgenössischer Seite hatte man nämlich noch am 11. März 1499, also einen Monat zuvor, in der Tagessatzung beschlossen, dass es zu keinen Gefangennahmen kommen sollte: „Jeder Ort sollte die Seinen schwören lassen, im Gefecht oder Streit keine Gefangenen zu machen“. 701 Laut Otto Fegers sollten damit mögliche Söldnermentalitäten unterbunden werden, z. B. der Absicht, in die Schlacht zu ziehen, um Gefangene zu machen und sich nach erhaltener Beute in Sicherheit zu begeben anstatt weiter mitzukämpfen. 702 Überdies war die Gefangennahme mehrerer Gegner im Vorfeld der Schlacht von Schwaderloh nicht die Regel gewesen, nur in zwei Fällen war dies signifikant anders: So nahmen die Eidgenossen bei der Kapitulation von Tiengen und von Maienfeld jeweils eine größere Anzahl an Gefangenen. In Maienfeld nahm man über 400 Mann gefangen und tötete ihre Anführer. In Tiengen wurden Juden, in der Stadt dienende Schweizer Landsleute und 20 Verteidiger der Stadt gefangen gesetzt. 703 Die insgesamt 37 hier vorliegenden Briefe, die auch die Selbstzeugnisse der vier Gefangenen umfassen, wurden erstmals von Otto Feger untersucht und ediert, der seine Ergebnisse 1952 veröffentlichte. 704 Das erste Selbstzeugnis ist auf den 2. Juli 1499 datiert und stammt von Hans Landenberg. Dieser war verheiratet mit Anna Dulbonin. Er kämpfte in den Reihen des Schwäbischen 199 3. Briefe aus dem Schwabenkrieg 705 F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), S. 26. 706 F E G E R , Probleme (wie Anm. 701), S. 599. 707 Ebd., S. 596. Bundes, als er von den Eidgenossen gefangen genommen wurde. Die anderen drei Briefe sind undatiert und es lassen sich jeweils nur die Aussteller und die Empfänger ausmachen. Der zweite Brief ist von Simon von Stuttgart an den Hauptmann Gebhard von Haltbrunn, ebenso wie der dritte Brief, der an den gleichen Hauptmann gerichtet ist und von einem weiteren Simon verfasst wurde, der aus Eßlingen stammte. Das letzte Selbstzeugnis ist von dem Züricher Jacob Leman, der auf Seiten der Eidgenossen kämpfte. Von seiner Familie kann man den Vater Hans Leman ausmachen, dessen Beruf Jacob als Maurer angibt sowie einen Bruder Heinrich und die Ehefrau Jacobs Frenli Seeholtzer. 705 Die Briefe der Gefangenen und die Nachrichten der Eidgenossen sind in ihrer Originalfassung, die Briefe des kaiserlichen Hauptmanns in Konstanz in einer Abschrift der Kanzlei vorhanden. 706 Über die vier Selbstzeugnisse hinaus enthält das Corpus auch Schreiben, die über die Bemühungen beider Kriegslager und der involvierten Familien Auskunft geben, die Gefangenen loszukaufen oder auszutauschen. Die ergänzenden Briefe geben einen interessanten Einblick in die schwierigen Verhandlungen um Lösegeldzahlungen und mögliche Gefange‐ nenaustausche. Dabei beziehen sich die ergänzenden Briefe jedoch nur auf zwei der vier Gefangenen - Hans Landenberg und den auf Seiten der Eidgenossen stehenden Jacob Leman. Simon von Stuttgart und Simon von Haltbrunn werden in den Briefen zum Austausch der Gefangenen nicht weiter hervorgehoben; diese Tatsache zusammen mit den geringeren Lösegeldforderungen (s. u.) weisen auf eine niedrigere Rangstellung der Männer hin, über deren Leben ansonsten wenig bekannt ist. b) Der Untersuchungsfall Die ersten Nachrichten, die sich in dem Aktenkonvolut erhalten haben, be‐ ginnen direkt nach der Schlacht und offenbaren einen recht umfangreichen Nachrichtenaustausch, der im Sommer 1499 geführt wurde. Zunächst bat der Rat der Stadt Konstanz um die Erlaubnis, das Schlachtfeld nach gefallenen Kämpfern abzusuchen, um diese bestatten zu können. 707 Davor datierte Briefe, in denen sich die Eidgenössischen Hauptleute mit dem Bund wohl bereits im Mai über einen Gefangenenaustausch unterrichteten, haben sich nicht erhalten. Danach folgt ein Briefwechsel über sechs Schreiben, in dem sich die Haupt‐ männer der Eidgenossen bei den Hauptleuten des Schwäbischen Bundes über den Verbleib einzelner Gefangener im schwäbischen Lager bei Konstanz erkun‐ 200 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 708 Die Gefangenen, die in den Briefen auftauchen, waren (neben den hier behandelten Männern): auf Seiten des Schwäbischen Bundes: Rudolf Traber, Cunly (Konrad) Tey‐ brúnner, Hans Heckly von Holtzhusen, Peter Glasser, Sigismund Halderer und eine Eblin Loblin aus Ermatingen. Die Eidgenossen hatten Hans Ehinger, einen Schneider „Schlappen“ aus Konstanz, den Vogler, den von Lintz und Conlin Brunwald genannt „Hagenbůch“. 709 Es haben sich Briefe aus den Wochen davor erhalten, die die Bestattung der Toten der Schlacht und die Auslösung eines Gefangenen namens Rudolf Traber, der von den Schwäbischen ergriffen worden war, verhandeln: F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), Nr. 1-4, S. 23f. Zwei weitere Briefe betreffen zwei Gefangene, die von den Eidgenossen gefangen gehalten wurden und ausgetauscht werden sollten, vgl. F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), Nr. 5-6, S. 24f. 710 In den Quellen auch „Annelin Dalbronin“: F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), Nr. 18, S. 34. 711 F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), Nr. 8, S. 26. 712 Ebd., Nr. 9, S. 27. Über die Unterscheidung von Landsknechten und Reisläufern als Söldner im Krieg und ihre Bewertung, s. Hermann R O M E R , Reisläufer und Landsknechte. Strukturelemente des Krieges um 1500, in: Vom „Freiheitskrieg“ zum Geschichtsmy‐ thos. 500 Jahre Schweizer- oder Schwabenkrieg, hrsg. v. Peter Niederhäuser/ Werner Fischer, Zürich 2000, S. 29-50. 713 F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), Nr. 10, S. 28. digten und um Möglichkeiten der Rückgewinnung der Männer verhandelten. 708 In einem Schreiben vom 19. Juni 1499 fragten die eidgenössischen Hauptleute auch explizit nach Jacob Leman aus Zürich. 709 Die Gefangennahme In seinem Brief vom 2. Juli 1499 berichtete Hans Landenberg seiner Frau Anna Dulbonin, 710 dass ihm bei der Schlacht ins Bein geschossen und er danach von den Eidgenossen gefangen genommen worden sei: „Ich lan dich wüssen, das ich geschossen bin durch ein bein, und hant mich gefangen die von Uri und von Winfelden.“ 711 Ohne seine Ehefrau weiter zu beruhigen, schilderte er ihr seine Verwundung während der Schlacht und seine Gefangennahme durch die Knechte aus Uri. Die Beschreibung der Gefangennahme wird in den anderen Briefen nur mit einer kurzen Randbemerkung registriert. Simon von Stuttgart schrieb an den Hauptmann Gebhard von Halbrunn: „ich fůg úch ze wissen, wie ich dan ein gefangener bin us unser widerpardy in der Schwitzern her, und mich die knecht von Uri hant gefangen“. 712 Im dritten Selbstzeugnis klingt die Nachricht über die eigene Gefangennahme ebenso formell: „Zu vor, min lieber houptman Gebhart von Haltbrunn, úch ist wol ze wissen, wie es dan umb mich stat, das ich gfangen lig, […] und mich die knecht von Uri gefangen hant.“ 713 201 3. Briefe aus dem Schwabenkrieg 714 Ebd., Nr. 12, S. 29. 715 Ebd., Nr. 8, S. 27. 716 Ebd., Nr. 12, S. 29. 717 Zur Verantwortung des Hauptmanns Lösegelder für die Gefangenen zu zahlen: A M B Ü H L , Prisoners (wie Anm. 30), S. 232-239. Die kurzen Briefe, die die Gefangenen an ihre Familien oder an ihre Haupt‐ leute schreiben durften, ließen offensichtlich wenig Raum, um detailliert auf die eigene Gefangennahme einzugehen. Sie informierten das eigene Umfeld nur über den Umstand, dass man sich nach der Schlacht in den Händen der Knechte von Uri befand. Da die Briefe sicherlich von den Eidgenossen gelesen wurden, bevor sie an die Familien oder die Hauptmänner verschickt werden durften, fehlten weiterführende Angaben zur Gefangennahme und über den eigenen Zustand der Gefangenen. Ebenso knapp verkündete der Schweizer Jacob Leman in einem Brief von seiner Gefangennahme: „Ich lass úch wissen, dass ich zu Kostentz gefangen bin“. 714 Die Gefangenschaft Über den Ort der Unterbringung informiert das Selbstzeugnis Peter Landen‐ bergs. Er schrieb eine eindringliche Bitte an seine Frau: „O lassent mich nit, won ich ligen hart gefangen zuo Winfelden in dem turn.“ 715 Die beiden anderen Briefe auf der schwäbischen Seite geben keine weiteren Auskünfte über die Unterbringung der Gefangenen. Anscheinend hatte man auf eidgenössischer Seite die Gefangenen oder einen Teil von ihnen nach Weinfelden, östlich von Frauenfeld, gebracht, wo man sie in einem Turm der Stadt einschloss. Die Gefangennehmer sorgten auf diese Weise in einem ersten Schritt dafür, dass die Gefangenen sicher verwahrt wurden. Höchstwahrschein‐ lich wurde dafür ein Kerker in einem der Weinfelder Stadttürme genutzt, wo die Gefangenen nur das Nötigste erhielten, um versorgt zu sein. Auch der eidgenössische Jacob Leman, der nach Konstanz gebracht worden war, macht in seinem Brief keine Angaben zu seinem Gefangenschaftsraum. 716 Alle vier vorliegenden Selbstzeugnisse sind Bittschreiben an die Familien, die Freunde oder den jeweiligen Hauptmann um die Übersendung des Lösegeldes, auf das die Männer von den Gefangennehmern geschätzt worden waren. 717 Alle vier Gefangenen waren sich der schwierigen Lage bewusst, in der sie sich befanden, und fürchteten sich davor, dass die Lösegelder nicht beschafft werden oder die Auslösung misslingen könnte. Die niedrigsten Lösegeldsätze wurden mit je vier Gulden für Simon von Stuttgart und Simon von Haltbrunn festgesetzt, was in etwa einem Monatssold 202 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 718 F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), S. 11. 719 Ebd., Nr. 8, S. 26f. 720 Ebd., Nr. 9, S. 27. 721 F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), Nr. 10, S. 28. 722 Ebd. entsprach. 718 Der eidgenössische Jacob Leman sollte sechs Gulden sowie für jeden Tag noch einen Schilling Zehrgeld bezahlen. Peter Landenberg bat seine Familie sowie Freunde, Gesellen und Helfer, die durch seine Frau von den Forderungen erfahren sollten, um das Lösegeld. Insge‐ samt sei er auf 30 Gulden Gold geschätzt worden. Auffällig ist die hohe Geldfor‐ derung der Eidgenossen, vielleicht hatte er gesonderte Lösegeldverhandlungen geführt oder er hatte einen höheren Rang innerhalb des schwäbischen Heeres. Dies könnte auch ein Hinweis darauf sein, warum Peter Landenberg im fol‐ genden Briefwechsel immer gesondert behandelt wird. Er selbst schreibt: „O min hertz lieber brueder, helf und stür ouch, und min hertzliebe frouw, duo wie du mögest, verkouf bet und alles dz (du) habest, das ich mög gelöst werden. O lieben herren gevaterty, bruoder und al guot gesellen, helfent und sturent, das ich gelöst werde, so will ich yemertz ewenclich gar trülich für üch bitten; wen ich den gelöst wirden, so will ich werchen und bettlen und, was ich kann und mag, duon, dz üch üwer gelt wider wirt.“ 719 Eindringlich bat Landenberg darum, dass seine Forderungen erfüllt würden, und bot sich an nach seiner Freilassung alles zu tun, um die entstandenen Schulden schnellstmöglich, notfalls sogar durch Betteln, wieder zu begleichen. Dieses eindringliche Bittgesuch, mit der Anweisung allen Besitz zu verkaufen, um die Gelder zu besorgen, erinnern an die gefangenen Gesandten des ersten Untersuchungsfalls und die ebenfalls flehenden Lösegeldbitten. Simon von Stuttgart bat in seinem Schreiben den Hauptmann zu Konstanz Gebhard von Haltbrunn um das nötige Lösegeld. Zur Sicherheit solle dieser auch noch den „Venrich Simon von Wäst und Hans von Haltbrun“ 720 anschreiben und sie auch darum ersuchen, sich seiner Sache anzunehmen. Auch er versprach die Gelder möglichst schnell zurückzuzahlen, sobald er die Freiheit zurückerlangt habe. Simon aus Eßlingen wandte sich ebenfalls zuerst an den Hauptmann Gebhart von Haltbrunn: „den umb 4 gulden, hant beschätzt, wan sy der hab mit mir groß gnad hand mit deilt.“ 721 Auch er begehrte vom Hauptmann die Begleichung des Betrages, ebenfalls verbunden mit der Zusicherung alle Schulden zurückzuer‐ statten: „das ich gelöst ward, so will ichs umb üch verdienen mit lib und gut min labtag, di will ich lab, und dar zů als bald ich zu úch kum, so will ich uch das gelt wider karen.“ 722 Außerdem hätte er drei Gesellen Geld geliehen, dem „Marti 203 3. Briefe aus dem Schwabenkrieg 723 Ebd. 724 Zu den Mädchen, die als Boten zwischen den Lagern fungieren, s. F E G E R , Probleme (wie Anm. 701), S. 600f. 725 F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), Nr. 10, S. 28. 726 Für die Entlohnung des Boten würde er nach seiner Freilassung selber aufkommen: F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), Nr. 10, S. 28. 727 F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), Nr. 12, S. 29. 728 F E G E R , Probleme (wie Anm. 701), S. 601. von Gmund“, dem „Michel von Aeberach“ und „Hans Müller“, von denen der Hauptmann sich ebenfalls das Geld vergüten lassen könne: „dann es mir umb min laͤben gat.“ 723 Auch er stellte die unmittelbare Todesangst, die er verspürte, in den Mittel‐ punkt und versprach in dem Brief mehrfach alle Aufwendungen zurückzuer‐ statten. Gleichzeitig ersuchte er um zweierlei Kontaktaufnahmen durch den Hauptmann. Der Hauptmann solle zunächst dem Mädchen, 724 das ihm den Brief überreiche, Bescheid geben, ob er das Geld bezahlen werde. Im besten Falle, so seine fast schon irrationale Bitte, würde der Hauptmann das Geld sofort mit auf diesem Weg überreichen, damit keine längeren Wartezeiten entstünden. Falls er dies nicht tun könne, möge er die Forderungen an die Familie Simons weiterleiten, damit diese das Lösegeld besorgen könnten: „ob ir aber mir das gelt nit wellent schicken, mich ze lösen, so thuent das durch gotz willen und durch miner großen bit willen, und schicken von stund an ein eigenen boten erwäg mir in minen kosten gan Eslingen zů miner frowen und ze minem schwager, das sy lugent und des minen so vil verkouffen, es sy dan bet oder anders, was ich han, und mir das gelt schicken, das ich glost wird; und schribent den ouch inen, wie es umb mich stat.“ 725 Damit Simons Anliegen, im Falle der Nichtzahlung durch den Hauptmann, möglichst schnell seine Familie erreichen konnte, gab er weiter unten noch den Namen seiner Frau, Agnes Waegnitzin, an. Daneben ersuchte er um einen Boten, der vom Hauptmann an seine Verwandten entsendet werden möge und diesen von seiner Lage berichten könne. 726 Der Brief Simons wirkt angsterfüllt und aus diesem Gefühl heraus schlug Simon seinem Hauptmann verschiedenste Wege vor, durch die er sich eine Bezahlung des Lösegeldes erhoffte. Der Schweizer Jacob Leman schrieb drei Freunden, die er bat, seiner Familie Bescheid zu sagen, damit sie ihn aus der Gefangenschaft lösen könnten: „Min fruntlich dienst, lieben frunt, mit namen Maistel Aberlin Hoffman von Zirch und rudolf Seng, finrich, und Kess von Malen.“ 727 Die drei genannten Männer sind namentlich auszumachen: Es waren Jakob Aberlin, der Hauptmann zu Schwaderloh war, Fähnrich Rudolf Seng, der später bei Marignano fiel, und Heini Käs von Meilen, der später französischer Hauptmann wurde. 728 Diese 204 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 729 F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), Nr. 12, S. 29. 730 Ebd., Nr. 8, S. 27. 731 Ebd. 732 Ebd. Männer sollten in Jacobs Namen sicherstellen, dass die Lösegeldforderung rechtzeitig bei der Familie eintraf, um die gegebenen Fristen zu wahren. In diesem Fall ist auch der Name des Gefangennehmers, bei dem Jacob Leman untergebracht war, bekannt: „mer lass ich wissen, dass ich uss kumen wer mitt dem, der mich gefangen hatt, mit namen Jerg Hessler, des Hoffmans knecht, umb 6 gulden und altag 1 ß d. Dar umb ist min bytt lutterlich um gotz willen, ier wellend an rieffen minen vatter und andere mine frund und sunst gutt gesellen, da mit das ich ledig wird.“ 729 Jacob Leman nutzte seine Freunde als Boten, um sicherzustellen, dass die Nachricht möglichst schnell bei seinem Vater und der Familie ankommen konnte. Neben der allgemeinen Furcht, dass das Lösegeld ausbleiben könne, die bei allen Männern herauszulesen ist, befürchtete Landenberg vor allem, dass das Geld zu spät eintreffen würde. Er schrieb an seine Frau: „sint vil lütte, die mich gern kouffent ab den gesellen, die mich gefangen hant, und bietent geld uf mich, dz ich inen werde, so wellent sy mich den döten.“ 730 Als gefährlichsten Zeitpunkt empfand er die bevorstehende Ablösung der Wachen, da ihm nur die gegenwärtigen Knechte die Sicherheit zugesagt hatten, ihn nicht weiterzuver‐ kaufen. Landenberg teilte sowohl die Angabe mit, an wen das Geld zu senden war, als auch eine Frist von sieben Tagen für die Zahlung: „Und als bald ir das gelt zemen bringen oder was üch angelegen sig für mich zuo schreiben, so schribent oder schickent das gelt gen Attlighusen in das Schwarz Hansen hus, da liggent die von Uri, die werdent das gelt enpfan, ret und antwurt geben. Und muos das gelt in 7 tagen komen, den so wellent die (von) Uri enweg und koment den ander núw von Uri, und wellent das selbig gelt in dem zit haben, oder sy schlant mir ander ab min houpt.“ 731 Während die Angaben zum eigenen Gefangenschaftsraum spärlich ausfallen, ist der Ort der möglichen Geldübergabe genau angegeben, verbunden mit der dringlichen Fristvorgabe, die mit dem Wechsel der Wachmannschaft ablaufen würde. Solch eine Fristsetzung findet sich noch in einem anderen Selbstzeugnis. Simon von Stuttgart schrieb an den Hauptmann: „mich beschätzt hant umb ein manet solt, als das istt 4 gold gulden. Nu bit ich uch, lieber houptman, das ir so wol wellent thůn und mir das gelt schicken, das ich mich mag losen, dan es mir umb min lib und läben stat, und hant sy mir 3 tag frist gaben, und ist der tag uff fritag uß, und stat es mir hert und schwaer umb min laeben.“ 732 Ebenso wie 205 3. Briefe aus dem Schwabenkrieg 733 Ebd., Nr. 12, S. 29. 734 Ebd., Nr. 13, S. 30. 735 F E G E R , Probleme (wie Anm. 701), S. 597. 736 F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), Nr. 13, S. 30. 737 Ebd., Nr. 14, S. 30f. Heinrich Vogler und andere seien gegen jeden Kriegsbrauch peinlich befragt und misshandelt worden, deshalb drohte der Schwäbische Bund nach dem Talionsprinzip nun an, mit seinen Gefangenen ebenso zu verfahren. Landenberg fürchtete sich Simon von Stuttgart vor möglichen Konsequenzen, sollte die Frist verstreichen. Wie die Lösegelder scheinen auch die Fristen jeweils individuell verhandelt worden zu sein, so dass Peter Landenberg mehr Tage zur Verfügung standen, um das Lösegeld zu zahlen. In den anderen Selbstzeugnissen finden sich keine genauen Termine für die Lösegeldzahlungen. Allen gemein ist aber die Angst getötet zu werden, wenn das Lösegeld nicht oder zu spät bezahlt würde, denn auch Jacob Leman gibt an: „Dan wan ier mier nit helfend, so muss ich in gefenknus sterben“. 733 Die jeweiligen Antworten auf die einzelnen Briefe haben sich nicht überliefert und die nächsten Nachrichten der beiden Kriegsparteien setzen erst wieder im Juli 1499 ein. Zu diesem Zeitpunkt versuchte man einen Gefangenenaustausch vorzubereiten und die Eidgenossen verlangten in einem Brief vom 11. Juli, dass man sich auf den baldigen Austausch verständige. Sie wollten die Gefangenen Schlappe, Hagenbüch, Peter Landenberg und Hansen von Milsungen gegen Jacob Leman und andere Gefangene eintauschen. 734 Jedoch verlangten sie, da sie sich auf der siegreichen Seite wüssten, zusätzlich 100 fl. vom Schwäbischen Bund für die Gefangenen. 735 Unklar schien immer noch die genaue Anzahl und die Identifizierung der Gefangenen zu sein, da die Eidgenossen sich erneut nach den Namen aller Gefangenen, die in Konstanz lagen, erkundigten. 736 Die Antwort des Schwäbischen Bundes auf den Brief und die Mehrforde‐ rungen kam ohne Verzögerung. Dass die Eidgenossen die unentgeltliche Frei‐ lassung der Gefangenen forderten und die eigenen Gefangenen nur gegen die Summe von 100 Gulden freilassen würden, sei ungebührlich. Außerdem fehle bisher eine Antwort über die jeweilige Schätzung der einzelnen Gefangenen, wie für Peter Landenberg. Im gleichen Schreiben beklagten die bündischen Hauptleute Folterungen an ihrem Gefangenen durch die Schweizer und drohten ihre Behandlungen der Gefangenen ebenso zu verschärfen. 737 Es kann an dieser Stelle nur vermutet werden, dass Peter Landenberg auf eigene Faust mit seinen Gefangennehmern über die Freilassung verhandelt hatte. Dafür spricht, dass die Hauptleute des Schwäbischen Bundes in diesem Brief explizit nach der Höhe des Lösegeldes für ihn fragten. Augenscheinlich 206 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 738 F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), Nr. 15, S. 31f. 739 Ebd., Nr. 16, S. 32. 740 Ebd., Nr. 17, S. 33. Zur Möglichkeit der Spionage von Gefangenen und abgefangenen Boten s. Bastian W A L T E R , Informationen, Wissen und Macht. Akteure und Techniken städtischer Außenpolitik: Bern, Straßburg und Basel im Kontext der Burgunderkriege (1468-1477) (Geschichte 218), Stuttgart 2012, S. 254-263. 741 Von Peter Glasser, dem man ebenfalls einen Brief am 13. August mitschickte, verlangten die Hauptleute von Uri, dass er sich schriftlich bei ihnen verpflichtete, die 30 Gulden zu zahlen, auf die man Peter Landenberg zuvor geschätzt hatte. Erst danach würden sich die Knechte um den Austausch kümmern, F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), Nr. 18, S. 33f. hatte Peter Landenberg nur seine Familie angeschrieben und den Bund außen vor gelassen, vielleicht hatte er sich so eine schnellere Befreiung erhofft. Zwei Tage später, am 15. Juli 1499 antworteten die Eidgenossen, dass sie sich erst versammeln müssten, um über eine Antwort beraten zu können. Man erklärte jedoch ausdrücklich, die Gefangenen nach Kriegsbrauch zu verwahren und nicht zu foltern. 738 An der erweiterten Forderung der 100 fl. für die schwäbischen Gefangenen hielt man aus eidgenössischer Sicht jedoch weiter fest. 739 Schon hier wird deutlich, wie zäh um die Gefangenen gerungen wurde. Eine Wende findet sich in den Nachrichten im August. Am 13. August 1499, also zwei Wochen nach seinem Schreiben an die eigene Familie, ging es in einem Brief der Urner an den Schwäbischen Bund ausdrücklich um Peter Landenberg. Dieser sei der Spionage verdächtigt worden und deshalb hätten die Eidgenossen ihn zuerst zum Tode verurteilt. Die Knechte von Uri, von denen er bewacht wurde und denen er das Lösegeld zugesagt hatte, hätten sich jedoch gegen die restlichen Hauptleute gestellt und sich gegen die Tötung des Gefangenen ausgesprochen. 740 Für Peter Landenberg, der ja am 2. Juli bereits seiner Frau geschrieben hatte und der nun augenscheinlich am 13. August noch in Gefangenschaft saß, ergab sich daraufhin eine völlig neue Situation. Die Knechte von Uri, immer noch bedacht auf das vereinbarte hohe Lösegeld, nutzten den Spionagevorwurf und boten nun ihrerseits einen direkten Austausch Landenbergs gegen den aus Freiburg stammenden Peter Glasser an. Es seien jedoch noch zwei Gulden für Landenberg zu zahlen, da sich die Knechte von Uri sehr unbeliebt bei den Hauptleuten gemacht hätten, als man sich für sein Wohlergehen einsetzte. Überdies würde man Peter Glasser noch selber ein Schreiben zukommen lassen, in dem man von ihm die 30 Gulden Lösegeld, die zuvor Peter Landenberg zahlen sollte, innerhalb von 14 Tagen einfordern werde. 741 Über die Zeitspanne zwischen den beiden Briefen und die Gründe für die neue Ausgangslage erzählen die Quellen nichts und lassen Raum für Spekulationen. Interessant an diesem Briefwechsel ist jedoch die 207 3. Briefe aus dem Schwabenkrieg 742 F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), Nr. 17, S. 32f. 743 Ebd., Nr. 20, S. 34f. 744 Bernhard S T E T T L E R , Reich und Eidgenossenschaft im 15. Jahrhundert, in: Vom „Frei‐ heitskrieg“ zum Geschichtsmythos. 500 Jahre Schweizer- oder Schwabenkrieg, hrsg. v. Peter Niederhäuser/ Werner Fischer, Zürich 2000, S. 9-28, S. 21. 745 N I E D E R S T Ä T T E R , Schweizer (wie Anm. 695), S. 153. 746 F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), S. 20. 747 Ebd., Nr. 39, S. 44f. Uneinigkeit im Lager der Schweizer: Denn die Urner wollten auf ihr Recht an Peter Landenberg und das ausgehandelte Lösegeld nicht verzichten, so dass sie sich gegen die eigenen Landsleute stellten und einen eigenen Handel anboten. 742 Ob der Spionagevorwurf wirklich erhoben worden war oder nur dazu diente einen Austausch zu arrangieren, der ja ebenfalls die Lösegeldhöhe durch Peter Glasser einbringen sollte, bleibt ungewiss. Der Brief der Urner bestätigt jedoch die Angst Landenbergs vor einer möglichen Tötung, sofern das Lösegeld nicht schnell genug übermittelt oder anderweitige Komplikationen auftreten würden. Auf diesen Brief der Schweizer hat sich keine Antwort vom Schwäbischen Bund überliefert, wohl aber ein Brief der schwäbischen Hauptleute vom nächsten Tag, in dem noch einmal der alte Handel aufgegriffen wurde mit der Bitte je fünf Gefangene auf beiden Seiten gegeneinander auszutauschen. 743 Das Leben nach der Gefangenschaft Acht Monate nach den ersten Gefechten kam es in Basel am 22. September 1499 zu einem Friedenschluss zwischen dem Schwäbischen Bund und den Eidgenossen. 744 Unter Mailänder Vermittlung wurden die Grenzen der Herr‐ schaftsgebiete festgelegt. 745 Verbliebene Gefangene sollten ohne weitere Löse‐ geldzahlungen mit sofortiger Wirkung entlassen werden und nur die angefal‐ lenen Zehrungskosten waren zu entrichten, bevor die Gefangenen nach dem Schwur der Urfehde freigelassen werden sollten. Dass diese Abmachungen nicht sofort umgesetzt wurden, zeigen die Verhandlungen über die verbliebenen Gefangenen, die sich bis weit in den Oktober hineinzogen. 746 Immer wieder stand dabei die Behandlung der Gefangenen im Raum, so wie in einem Schreiben des Landvogts Melchior Andacher vom 30. September 1499. Er beklagte die schlechte Behandlung der Gefangenen durch den Schwäbischen Bund, während auf Schweizer Seite die Bedingungen besser gestaltet würden. So habe man gehört, dass die Bündischen die Gefangenen noch in Türmen festhielten, während man selbst den eigenen Gefangenen bereits erlaubt habe, sich auf ein Ehrenwort hin freier zu bewegen. Man fordere deshalb einen weiteren Bewegungsradius für die Gefangenen und besseren Behandlungen innerhalb der Haft. 747 208 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 748 Ebd., Nr. 34, S. 42. 749 Ebd., Nr. 41, S. 46. 750 Die Eidgenössischen Abschiede aus dem Zeitraum von 1500 bis 1520, hrsg. v. Anton Philipp V O N S E G E S S E R (Amtliche Sammlung der Älteren Eidgenössischen Abschiede 3, Abt. 2), Luzern 1839, Nr. 4, S. 13-16, hier S. 15. Otto Feger vermutet, dass Landenberg zwischen dem 14. August und Mitte September freigekommen ist: F E G E R , Probleme (wie Anm. 701), S. 598. Über die Freilassung der vier Gefangenen dieses Untersuchungsfalls haben sich keine Urfehdeurkunden oder anderweitige Mitteilungen erhalten, so dass das genaue Datum ihrer Entlassung nicht bestimmt werden kann. Der eidge‐ nössische Jacob Leman war jedenfalls im September 1499 noch in Haft. Es hat sich ein Brief des Hans Vogler aus Konstanz erhalten, der weitere Auskunft gibt: Dessen Bruder Heinrich Vogler war in eidgenössische Gefangenschaft geraten und Hans Vogler bekam von den Konstanzern den eidgenössischen Jacob Leman zugesprochen, um diesen gegen seinen Bruder auszutauschen. Bis zum geplanten Austausch quartierte er Jacob Leman in seinem Haus in Konstanz ein. 748 Ob es schließlich zu dem Austausch der beiden Männer kam, lässt sich in den Quellen nicht mehr feststellen. Peter Landenberg hingegen wird in einem letzten Brief des Bürgermeisters und des Rates der Stadt Konstanz vom 17. Oktober 1499, in dem es um abschließende Zahlungen für die noch festsitzenden Gefangenen geht, nicht mehr erwähnt. 749 Gesichert ist, dass die Knechte von Uri ihn aus dem Turm in Weinfelden in ein Wirtshaus nach Frauenfeld verlegt hatten, wahrschein‐ lich nachdem man sich mit dem Schwäbischen Bund auf einen Austausch geeinigt hatte. In den Notizen der Eidgenossen aus dem Februar 1500 ist von Rechnungen die Rede, die durch den Aufenthalt Peter Landenbergs im Frauenfelder Wirtshaus noch offen seien. Der Wirt Rosenegger forderte noch 20 fl. Zehrgeld für Landenberg. 750 Demnach kann davon ausgegangen werden, dass die Auswechslung von Landenberg und Glasser stattgefunden hatte, während der allgemeine Austausch der Gefangenen wohl gescheitert war. Über die Lage bei Simon von Stuttgart und Simon aus Eßlingen ist aus den Quellen nichts mehr zu entnehmen. 209 3. Briefe aus dem Schwabenkrieg 751 Weitere Informationen bei: Marianne B E Y E R -F R Ö H L I C H , Aus dem Zeitalter des Humanismus und der Reformation (Deutsche Literatur, Reihe Deutsche Selbstzeugnisse 4), Leipzig 1931, S. 83-105. 752 Helgard U L M S C H N E I D E R , Götz von Berlichingen. Ein adeliges Leben der deutschen Renais‐ sance, Sigmaringen 1974, S. 30f. 753 Ebd., S. 34f. Auf dem Reichstag in Lindau starb der Onkel und Götz musste den Leichnam nach Jagst zum Kloster Schöntal überführen. 754 Diese kurze Inhaftierung wird im Weiteren nicht zu den Gefangenschaften gezählt. Auch Götz behandelt sie in seinem Lebensbericht nur in einer kurzen Erwähnung: Karl-Heinz S P I E S S , Fremdheit und Integration der ausländischen Ehefrau und ihres Gefolges bei inter‐ nationalen Fürstenheiraten, in: Fürstenhöfe und ihre Außenwelt. Aspekte gesellschaftlicher und kultureller Identität im deutschen Spätmittelalter, hrsg. v. Thomas L. Zotz, Würzburg 2004, S. 267-290, S. 267; Karl-Heinz S P I E S S , Adel und Hof - Hof und Adel, in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 108 (2010), S. 415-432, S. 415f.; U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 38f. 755 Zum Raubrittertum: Werner P A R A V I C I N I , Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters, München 3 2011, S. 52f.; Ulrich A N D E R M A N N , Ritterliche Gewalt und bürgerliche Selbstbe‐ hauptung. Untersuchungen zur Kriminalisierung und Bekämpfung des spätmittelalterlichen Raubrittertums am Beispiel norddeutscher Hansestädte, Frankfurt am Main/ , New York 1991, S. 45-52. 4. Götz von Berlichingen a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses 751 Der vor allem durch die literarische Bearbeitung Johann Wolfgang von Goethes bekannte Ritter Götz von Berlichingen konnte ein abwechslungsreiches Leben vor‐ weisen. Geboren um das Jahr 1480 wuchs er auf Burg Jagsthausen auf. Seine Eltern, Kilian von Berlichingen und dessen dritte Ehefrau Margaretha von Thüringen, bekamen zehn gemeinsame Kinder - Götz war das jüngste von ihnen. 752 Im Jahr 1494 kam Götz zu seinem Onkel Konrad von Berlichingen. Dieser begleitete als Hofmeister und Berater den Markgrafen von Brandenburg-Ansbach immer wieder auf seinen Reisen und nahm den Neffen dabei mit. 753 Götz besuchte mit seinem Onkel die Reichstage von Worms (1495) und Lindau in den Jahren 1496 und 1497. Nach dem Tod des Onkels gelangte Götz an den markgräflichen Hof und diente Friedrich II. als Knappe, ohne sich jedoch am Hof einleben zu können. Hier machte er das erste Mal Erfahrung mit einer kurzen Einkerkerung. Nachdem er sich ungebührlich verhalten und mit einem polnischen Edelknaben geprügelt hatte, wurde er zur Strafe in den Turm der markgräflichen Burg gesperrt. Da sich die Fürstensöhne jedoch für ihn einsetzten, durfte Götz den Turm nach einer Viertelstunde wieder verlassen. 754 Um das Jahr 1500 verließ Götz den markgräflichen Hof und wurde zusammen mit seinem Bruder Philipp vom Raubritter Hans Talacker von Massen‐ bach in den Dienst genommen. 755 Nachdem sich jedoch ein Konflikt zwischen dem 210 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 756 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 40f. 757 Ebd., S. 44; Kurt A N D E R M A N N , Götz von Berlichingen (um 1480-1562). Adliger Grundherr und Reichsritter, in: Fränkische Lebensbilder. Neue Folge der Lebensläufe aus Franken, hrsg. v. Erich Schneider (Fränkische Urkundenbücher und Regestenwerke 20), Neustadt a.d. Aisch 2004, S. 17-37, S. 19f. Die eiserne Hand kann noch heute im Museum der Götzenburg in Jagsthausen besichtigt werden. Nachdem Götz durch den Kanonenschuss an der rechten Hand verletzt wurde, konnte die Hand nicht mehr gerettet werden. Nach der Genesungszeit fertigte ein Nürnberger Kunstschmied eine Prothese aus Eisen an. Wie einen Handschuh konnte Götz von Berlichingen die eiserne Prothese über den Stumpf ziehen. Mit Hilfe von Zahnrädern wurden die Finger eingestellt, so dass er weiterhin ein Schwert mit seiner Schwerthand führen konnte. 758 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 54 f. Nachdem er weitere Gefangene gemacht hatte, zahlte die Stadt Köln Götz von Berlichingen 1 000 rheinische Goldgulden, um alle vorliegenden Forderungen in einer Zahlung zu begleichen: ebd., S. 56. 759 Dieser stellte Ansprüche gegen die Nürnberger, da ein Bruder von ihm erstochen worden war. Der zweite Grund, den Götz angab, war die Angelegenheit um Fritz von Lidwachs, der von Nürnberger Söldnern verschleppt worden war. Bezeichnenderweise wehrte sich Lidwachs jedoch gegen diese Darstellung und forderte Götz auf, nichts in dieser Sache zu unternehmen: Frank G Ö T T M A N N , Götz von Berlichingen - überlebter Schwäbischen Bund und Hans Talacker abzeichnete, wurde Götz von seinem Onkel Neidhart von Thüngen auf die Burg Sodenberg bestellt und so vor Schlimmerem bewahrt. 756 Danach folgten abwechslungsreiche und ungestüme Jahre, in denen Götz sich an vielen Fehden, Scharmützeln und Kämpfen beteiligte und im Zuge seiner militärischen Aktionen zweimal in Gefangenschaft geriet: Götz taucht in den Quellen 1502 im Heer des Markgrafen von Brandenburg-Ansbach in der Fehde gegen die Stadt Nürnberg auf, bevor er sich noch ein zweites Mal in die Dienste des Raubritters Talacker stellte. Im Jahr 1504 zog er mit seinem Onkel Neidhart von Thüngen in den Landshuter Erbfolgekrieg, wo es zu einer schwerwiegenden Verwundung Götz’ kam, die ihn den rechten Arm kostete und wahrscheinlich eine frühe traumatische Erfahrung darstellte. Die Armprothese, die er nach der Schlacht tragen musste, brachte ihm den Beinamen „mit der eisernen Hand“ ein. 757 Nach einer achtmonatigen Genesungszeit folgte für Götz von Berlichingen eine Zeit der kleineren und größeren Fehden, an denen er aktiv teilnahm. So beteiligte er sich ab 1508 an der Kölner Fehde auf Seiten württembergischer Adeliger, in deren Zuge er zwei Kaufleute gefangen setzte. Der Versuch von diesen beiden Gefangenen Geld zu erpressen, schlug jedoch fehl, da die vereinbarte Geldübergabe scheiterte. 758 In den folgenden Jahren entführte er wiederholt Menschen, um Lösegelder zu gewinnen oder politische Ziele durchzusetzen. Die zweite große Fehde zettelte Götz 1511 mit den Nürnbergern an. Dort kämpfte er gegen die Mitglieder des Schwäbischen Bundes und trat damit für die Forderungen des Hans von Geislingen ein. 759 Auch bei dieser Fehde nahm 211 4. Götz von Berlichingen Strauchritter oder moderner Raubunternehmer? , in: Jahrbuch für fränkische Landes‐ forschung 46 (1986), S. 83-98, S. 94. 760 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 62-67; Kurt A N D E R M A N N , Götz, in: Fränkische Lebensbilder (wie Anm. 757), S. 21. Nach der Freilassung der Kaufleute wurden ihre Aussagen vom Nürnberger Rat protokolliert: U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 63. 761 Gegen die Zahlung von 14 000 Gulden wurde Götz zunächst aus der Acht entlassen, im Jahr 1518 jedoch erneut mit der Acht belegt: Siegfried B A C H M A N N , Bambergs Streitmacht gegen Götz von Berlichingen 1512, in: Gesellschaft im Übergang. Prozesse soziokul‐ turellen Wandels; kleine Schriften von 1954 bis 1994, hrsg. v. Siegfried Bachmann, Hannover 2009, S. 53-59, S. 54. 762 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 78-92. 763 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 54. In einem späteren Kapitel beschrieb Götz noch einmal die Umstände der Gefangennahme des Grafen und wie sich die Dinge entwickelten. So habe er seinen Knechten bei der Ergreifung des Grafen angewiesen, den Grafen nicht zu verletzen oder zu töten. Ohne weiteren Widerstand habe sich der Graf in seine Gefangenschaft begeben: ebd., S. 67-69 und Ludwig M A Y E R , Götz von Berlichingen in Schweinfurt. Episoden aus den Lebenserinnerungen eines Raubritters, in: Schweinfurter Mainleite 1 (2004), S. 21-26, S. 22f. Ausführlich zum Überfall auf den Grafen und der sich daran anschließenden 20-wöchigen Gefangenschaft, U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 84-92 und Ludwig Bing, Es war eine tolle Zeit. Der Überfall des Ritters Götz von Berlichingen auf Graf Philipp II. von Waldeck, in: Waldeckischer Landeskalender 235 (1962), S. 39-50. er selber Gefangene. Insgesamt wurden 55 Kaufleute gefangen genommen. Davon ließ er einen Teil frei, die anderen ca. 30 Gefangenen brachte er auf mehreren Burgen unter. Offensichtlich wurden die Gefangenen während ihrer Haft gefoltert und in Kellerräumen oder anderen ‚primitiven‘ Unterkünften untergebracht. 760 Kaiser Maximilian verhängte daraufhin die Reichsacht über Götz und seine Helfer und im Jahr 1513 wurde ihm die Fehde durch den Schwäbischen Bund erklärt. 761 In den beiden Jahren 1515 und 1516 führte er schließlich eine Fehde gegen das Mainzer Stift und den Erzbischof Albrecht. 762 Götz unternahm erneut zahlreiche Überfälle und führte einige Männer in Gefangenschaft, so Graf Philipp von Waldeck. 763 Philipp von Waldeck kam erst gegen eine Zahlung von 8.900 Dukaten wieder frei; der Grund für eine erneute Ächtung Götz von Berlichingens durch den Kaiser. Neben diesen drei großen Fehden half Götz von Berlichingen zahlreichen Freunden und Gönnern, wie dem Reichsritter Franz von Sickingen, mit dem Götz in zahlreichen Fehden und Überfällen verwickelt war. Im Jahr 1518 heiratete Götz die aus Illesheim stammende Dorothea Gailing. Insgesamt scheinen der Ehe zehn Kinder entsprungen zu sein, wobei die genaue Zuordnung der Nachfahren Götz’ schwierig nachzuvollziehen ist. Nach dem 212 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 764 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 98. Eine weitere Ehefrau mit dem Namen Dorothea von Sachsenheim, die in der Forschung auftaucht, sei jedoch nicht zu belegen: ebd., S. 241. 765 Götz V O N B E R L I C H I N G E N / Helgard U L M S C H N E I D E R , Mein Fehd und Handlungen, Sigma‐ ringen 1981, S. 52. Zur Lebensbeschreibung: Henry J. C O H N , Götz von Berlichingen and the Art of Military Autobiography, in: War, literature, and the arts in sixteenth-century Europe, hrsg. v. J. R. Mulryne/ Margaret Shewring, Houndmills, Basingstoke, Hampshire 1989, S. 22-40. 766 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 13-15. Daneben finden sich noch zahlreiche Quellenbelege für eine Verbindung zwischen Feyerabend und von Berlichingen, und die Forschung kommt zu dem Schluss, dass die Abfassung der Auto‐ biographie, wie von Götz selbst geschrieben, auf das vehemente Eintreten Feyerabends zurückzuführen ist. Tod seiner Frau scheint Götz ein Verhältnis zu mindestens einer seiner Mägde unterhalten zu haben, dem ebenfalls mindestens zwei Töchter entstammten. 764 Neben einigen Briefen, die sich in den Archiven erhalten haben, dient vor allem die Lebensbeschreibung Götz’ als Selbstzeugnis für diese Untersuchung. In seiner Vorrede widmet Götz sein Werk „herrn Hansen Hoffman burgermeister zu Hailbron, vnd Steffan Feyerabent der rechten litentiaten vnd sindicum daselbst“. 765 Diese beiden hätten ihn, neben anderen Personen, immer wieder bedrängt, seine Geschichte aufzuschreiben. Er selber strebe jedoch nicht nach Ruhm oder materiellem Gewinn, sondern wolle mit seiner Darstellung all jenen begegnen, die ihn verleumden und ihm mit Neid und Hass entgegentreten würden. Mit seinem Vorwort widmete Götz von Berlichingen sein Werk zwei bürgerlichen Männern: Hans Hofmann, dem Bürgermeister zu Heilbronn, mit dem er viel‐ leicht regen Kontakt während seiner ersten Gefangenschaft (s. u.) geführt hatte und dem Syndikus der Reichsstadt Stefan Feyerabend, der als rechtlicher Berater der Kraichgauer-Ritterschaft fungierte und Götz von Berlichingen schon allein aus diesem Grund persönlich kannte. 766 b) Der Untersuchungsfall Die 1. Gefangenschaft Die Gefangennahme Im Jahr 1517 erwarb Götz die Burg Hornberg am Neckar und wurde Amtmann auf Burg Möckmühl bei Heilbronn im Dienst Herzog Ulrichs von Württemberg. Nach einem Überfall Ulrichs von Württemberg auf die Reichsstadt Reutlingen, die er daraufhin zur württembergischen Landstadt erklärte, kam es 1519 zum 213 4. Götz von Berlichingen 767 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 104. 768 Ebd., S. 104f. 769 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 100f. Eine Übertragung ins Neuhochdeutsche bietet: M. A. G E S S E R T / Götz V O N B E R L I C H I N G E N , Lebensbeschreibung. Götz von Berlichingen’s Ritterliche Thaten, Daun 18432008. 770 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 101. 771 Ebd., S. 101f. Kriegsausbruch zwischen dem Schwäbischen Bund und dem Herzog. 767 Als Amtmann unterzeichnete auch Götz von Berlichingen den herzoglichen Absa‐ gebrief und griff damit in den Krieg gegen den Schwäbischen Bund ein. Die bündischen Truppen kamen rasch voran und eroberten sukzessiv das herzog‐ liche Territorium. Götz befand sich zu diesem Zeitpunkt auf Burg Möckmühl. 768 Hier ereignete sich seine erste, viereinhalbjährige Gefangenschaft, die Götz zunächst fast nur beiläufig in der Lebensbeschreibung erwähnt: „Vnnd sturb auch kaiser Maximillianus gleich alßbaldt, da der hertzog fur Reuttlingenn zog. Vnnd bin also, wie ich zu Meckmulnn nider lag, vierthalb jar inn des bundts verhafft zu Hailbronn gelegenn, da mich gott der allmechtig dannocht erhalten vnnd wunderbarlich mit mir gehanndelt.“ 769 Der Bund habe nach und nach die Städte und Festungen im württembergi‐ schen Land eingenommen und Götz selber sei, so kündigte er an, in eine Falle gelockt worden: „Vnnd zog doch nichts destoweniger der bundt herab, dero mainung, das sie mich wollten vbereillenn, vnnd mich auß der meußfallenn zu Meckmull nemmen, wie dann schonn die katzenn fur der meußfallenn wahrenn, vnnd warttenn vff das meußlin, das sie es fressenn wolten, wie auch geschach, vnd ich darober gefangenn wurde.“ 770 Doch nicht nur der Bund spielte ein ‚Katz- und Mausspiel‘ mit Götz, sondern auch die drei Ämter Weinsberg, Neustadt und Möckmühl, die sich vom würt‐ tembergischen Herzog abwandten und zum Bund übertraten. Die Bündischen zogen vor die Stadt Möckmühl und verlangten die Herausgabe von Stadt und Burg. In der daran anschließenden Verhandlung war keine Einigung zwischen Götz und den Vertretern des Bundes zu erzielen: „vnnd thedingtenn vnnd handeltenn lanng mit mir, das ich soltt das hauß vffgebenn“. 771 Am 10. Mai schloss das Bundesheer mit mehreren Geschützen den Belage‐ rungsring um die Burg, um die Verhandlungen zwischen Götz und dem Bund voranzutreiben, durch deren zähen Verlauf die Lage auf Burg Möckmühl immer angespannter wurde: „dann wir hettenn nit noch drey mallter meels im gantzenn hauß, so hettenn die burger inn der statt denn kastenn vnnd keller innenn, das wir nichts mehr 214 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 772 Ebd., S. 102. 773 Noch heute ist diese Art der Vorratslagerung bekannt, so z. B. in Spanien und Portugal unter dem Begriff der Hórreos. Etymologische Erklärung für das Wort „Getreidekasten“ in: Jacob G R I M M / Wilhelm G R I M M / Moriz H E Y N E / Heinrich Rudolph H I L D E B R A N D / Matthias L E X E R / F. L. K. W E I G A N D , Deutsches Wörterbuch, München 1999, Sp. 4482. 774 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 105. Dorothea, die Ehefrau Götz’, soll bereits zuvor verkleidet mit einer Magd nach Heilbronn entflohen sein, vgl. ebd. 775 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 106. zuessenn bekommen mochtenn. Auch hettenn wir noch ettlich schaff, die ich denn burgern vor der statt nam, vnnd ließ sie zusehenn, vnnd trieb sie vff das schloß, dauon wir vnns auch ein weill ennthieltenn. So hettenn wir auch khein kugelnn mehr zuschiessenn, dann was ich auß denn fensternn, thur enngelnn, zin vnnd was es war, zuwegen bracht, das ich dannach wider zu ainem annlauff gefast wahr. Darzu hettenn wir nit wasser, das wir denn pferdenn gebenn mochtenn, vnnd auch khein wein mehr, […] dann die burger wie gemeldt hettenn denn kasten innen, vnnd ich nit, allso das wir onne das hungers halbenn hettenn daruon ziehen vnd entweichen mussenn.“ 772 Die Burginsassen waren aufgrund der knappen Vorräte kurz davor aufzu‐ geben. Da sich die Bewohner der Stadt bereits am 8. Mai den Bündischen angeschlossen hatten, kamen Götz und seine Anhänger auch nicht mehr an die gelagerten Vorräte, die im „Kasten“ lagen, einem Speicher für Getreide und andere Lagerbestände. 773 So kam es schließlich doch zu einer Vereinbarung. Laut Götz’ Bericht wurde ihm und den Seinen freier Abzug mit allem Besitz samt Pferden und Rüstungen zugesprochen. Während Götz dieses Abkommen als eine logische und gleichberechtigte Vereinbarung zwischen ihm und den Bündischen darstellte, berichten weitere Quellen, dass dem Reichsritter keine andere Wahl als die Kapitulation nach der erfolgreichen Belagerung durch den Bund blieb. 774 Vor der Übergabe der Burg wollte Götz sich jedoch davonschleichen und nutzte ein beschlossenes Stillhalteabkommen, um gegen zwei Uhr nachts mit ungefähr 60 Mann einen Ausfallversuch an der Rückseite der Burg zu unter‐ nehmen. Dabei wurde er von einem Wachkontingent aufgespürt und es kam zu einem Gefecht, in dem Götz niedergeschlagen und von einem Knecht als „ehrlicher Kriegsmann in Gefangenschaft“ 775 ergriffen wurde. Diesem habe er 4 000 fl. für die Verschonung seines Lebens angeboten. Doch Götz beschwerte sich in seiner Lebensbeschreibung rückblickend, dass das gegebene Versprechen vom Bund für einen freien Auszug durch seine 215 4. Götz von Berlichingen 776 Inwieweit sein Vorwurf stimmt, kann nicht zweifelsfrei geklärt werden, da das Ver‐ sprechen des freien Geleits nur in seiner Lebensbeschreibung auftaucht. Ulmschneider gibt an, dass es zwar durchaus üblich war, dass während des bündischen Feldzuges den Burgbesatzungen freier Abzug gewährt wurde; Götz erwähnte dieses Versprechen jedoch nicht in den nachfolgenden Verhandlungen: U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 107. 777 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 102. 778 Götz von Berlichingen dankt immer wieder während seines Berichts Gott für die gute Fügung, die er ihm zuteilwerden ließ: „Vnnd wollt dessenn noch woll mehr anntzaigenn, aber es ist nit von notenn vnnd kann auch annderst nit gedenckhenn, dann das der allmechtig gott nit allein inn dem hanndel, sonnder auch in andern meinen sorglichenn geuerligkaittenn, phedenn vnnd kriegs handlungen, gegenn hohenn vnnd nidernn stendenn, da ich viell vnnd offtmalls inngestandenn vnnd gewest bin, sein gottliche gnadt, hilff vnnd barmhertzigkaitt, mir villueltig mitgeteilt hatt, vnd mehr fur mich gesorgt, dann ich selbst. Vnd ist auch die warheitt, das ich durch denn vnglaubenn, so mir wie gemellt begegnet, inn all mein vnngluck, nachteill vnnd schadenn kommenn bin.“: B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 103. 779 Zu Herzog Wilhelm IV. von Bayern: Karl B O S L , Wilhelm IV., bayer. Herzog, in: Bayerische Biographie. 8000 Persönlichkeiten aus 15 Jahrhunderten, hrsg. v. Karl Bosl, Regensburg 1983, S. 847. Gefangennahme gebrochen wurde, so seien er und seine Knechte massiv angegriffen worden: 776 „Wellchs aber nit beschehenn, dann wie sie mir glaubenn gehaltenn, das sicht man vnnd hat es woll gehortt, dann ich lag darob nider, vnnd wordenn meine knecht vnd gesellen erwurgt vnnd erstochen, so feldt es mir auch nit weitt.“ 777 Nach seiner Ergreifung erfuhr Götz, dass der oberste Bundeshauptmann Herzog Wilhelm von Bayern seinen Tod forderte. 778 Die Landsknechte über‐ gaben den Gefangenen an den Herzog von Bayern, der ihn zunächst nach Neckarsulm, in das Zelt Haimerans von Rain bringen ließ. 779 In einem Revers musste sich Götz, da offensichtlich eine Flucht oder eine gewaltsame Befreiung des Ritters befürchtet wurde, als Gefangener des Schwäbischen Bundes zu er‐ kennen geben und das Versprechen unterschreiben, das Zelt nicht zu verlassen. Außerdem machte er die Zusage, dass er sich im Falle einer Befreiung von außen 14 Tage später in der Münchner ‚Neuveste‘, der herzoglichen Residenz, wieder einzufinden hätte. Die Gefangenschaft Der verwundete Götz wurde am 13. Mai nach Heilbronn verbracht und dort in einem Wirtshaus einquartiert. Neben dem ersten Revers, das die unmittelbare Zeit nach der Ergreifung klärte, gab es ein zweites Schreiben, in dem Götz einwilligte, in Heilbronn bei dem Wirt Diez Wagenmann zu verbleiben. Seinen 216 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 780 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 106f. In der Korrespondenz der Städte wird deutlich, wie froh man war, den rebellischen Reichsritter eingesperrt zu haben: ebd., S. 107. Laut Ulmschneider hatte Götz Glück gehabt, dass man ihn nicht nach Nürnberg oder Augsburg überstellt hatte, da die Stimmung dort gegen ihn wesentlich aggressiver war, ebd., S. 108. Eine Haftunterbringung in Wirtshäusern scheint nicht unüblich ge‐ wesen zu sein, wie man auch in der Flersheimer Chronik liest: vgl. W A L T Z , Flersheimer (wie Anm. 625), S. 90f. 781 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 103. In dieser Zeit scheint auch sein Interesse am protestantischen Glauben gewachsen zu sein, vgl. U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 221f. 782 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 103. 783 Schreiben der Versammlung des Schwäbischen Bundes vom 5. Juni 1519: Friedrich Wolfgang Götz (Graf von) B E R L I C H I N G E N -R O S S A C H , Geschichte des Ritters Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand und seiner Familie, Leipzig 1861, Nr. 94, S. 209f.; der Text der vorgelegten Urfehde: ebd., Nr. 94b, S. 210f. und die Verschreibung: ebd., Nr. 94c, S. 211-213; U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 109. 784 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 109f. Haftraum in der Herberge dürfe er bis auf den Kirchgang nicht verlassen: 780 „Vnnd wann ich auß der kirchenn ging, vnnd ettwann leutt mit mir redenn woll‐ tenn, so wolt ich nit bey inen vff der gassenn stehnn, vnnd gienng dennechstenn wider der herberg zu, das thett ich darumb, damit ich mich vnuerdechtlich hiellt.“ 781 Der Kirchgang durchbrach die Haft zumindest temporär, wenn auch nach festgelegten Regeln. In seiner Lebensbeschreibung gibt er an, sich akribisch an die Vorgaben gehalten zu haben, so habe er nicht mit den Menschen auf der Straße geredet, sondern sei nach dem Gottesdienst in der Heilbronner Kilianskirche jedes Mal auf direktem Weg in das Wirtshaus zurückgekehrt. In dem Wirtshaus suchte ein Stadtschreiber Götz auf, der ihm im Beisein von Zeugen den Text der Urfehde verlas: „also das die stubenn voller leut wahr vnnd begerett, ich solt solche schwerenn vnnd annemmen, vnnd wo ichs nit thett, hett der bundt geschribenn, solten sie mich nemmen, vnd inn thurnn legenn.“ 782 Dem Text der Urfehde war eine Versammlung am 5. Juni 1519 in Esslingen mit dem Beschluss vorausgegangen, Götz im Falle eines Verweigerns der Urfehde in den städtischen Turm zu legen. Außerdem wollte man ihm jeglichen Besuch durch Verwandte und Freunde verbieten. 783 Doch die Stadt Heilbronn, die dem Herzog von Bayern das ritterliche Gefängnis für Götz zugesagt hatte, antwortete mit Unbehagen auf das Ansinnen, Götz in den Turm zu sperren. Man einigte sich darauf, dass ein Mittelsmann vom Bund nach Heilbronn gesandt werden sollte, um mit Götz zu verhandeln. Der Syndikus Magister Wolfgang Gröninger war es, der als „Stadtschreiber“, wie Götz ihn definiert, den Gefangenen in der Stube im Wirtshaus Krone aufsuchte. 784 217 4. Götz von Berlichingen 785 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 103. 786 Der Weinschröter war für das Verladen der schweren Fässer in den Städten zuständig. 787 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 103f. 788 Ebd., S. 24 u. S. 104 Anm. 286. 789 Ebd., S. 104. Die Urfehde lautete auf 2 000 fl. Lösegeld, das Götz zahlen sollte, ebenso wie die angefallenen Atzungskosten sowie einem lebenslangen Stillhalten gegenüber dem Bund. Doch Götz schlug das Angebot der Urfehde aus. Lieber wolle er ihn den Turm gehen, als sich den Forderungen zu beugen; überdies habe er in der rechtmäßigen Fehde kein Unrecht begangen, sondern nur seine Pflicht getan. Götz gibt an, dass er zu diesem Zeitpunkt darauf spekulierte, dass man ihn als Ritter, dem ein ritterliches Gefängnis zustünde, nicht in den Turm verlegen würde. Stattdessen gab er zu bedenken, dass er sich in seiner Gefangenschaft bis zu diesem Zeitpunkt gebührlich verhalten habe: „Hett ich mich aber inn meiner gefenngnus vbell gehaltenn, so soltenn sie mirs anntzaigenn, ich wist mich aber nit besser zuhalltenn.“ 785 Doch die Einschätzung Götz’, dass er dem Turm entgehen könne, erwies sich als falsch. Da man sich darauf eingestellt hatte, dass Götz die Urfehde verweigern könne, ließ der Bund vorsorglich zwei Weinschröter 786 der Stadt bei der Herberge positionieren, um Götz zu ergreifen. Dieser versuchte seinen Bewachern mit Waffengewalt zu entkommen. Nur durch das Versprechen, ihn zunächst nur zum Rathaus bringen zu wollen, konnte ein Gefecht abgewendet werden. Götz nutzte seinerseits den Weg zum Rathaus um eine Botschaft zu übermitteln: „vnnd wie sie mich inn der herberg zu der stubenn herrauß furttenn, gienng mein haußfraw gleich die stegenn herrauff, vnnd wahr inn der kirchenn gewest.“ 787 Fast beiläufig erwähnt er an dieser Stelle, dass seine Ehefrau während seiner Gefangenschaft in Heilbronn zugegen war und zeitweise zusammen mit ihren Eltern in dem Wirtshaus wohnte. In dieser Zeit in Heilbronn gebar sie ihrem Mann mehrere Kinder und ihr Vater, der in diesem Zeitraum verstarb, wurde in Heilbronn bestattet. 788 Götz konnte sich von seinen Bewachern losreißen und seine Frau kurz über das Geschehen in Kenntnis setzen. Dann bat er sie, sich an seine Freunde Franz von Sickingen und Georg von Frundsberg zu wenden und von seiner Lage zu berichten, verbunden mit dem Begehr, dass diese sich für ihn einsetzen sollten. Er befürchtete, dass ihm nun die ritterliche Haft nicht mehr gewährt werde, da er nicht bereit sei, die Urfehde zu schwören: „Das thett nun mein weib vnnd furttenn mich die bundischenn vff das rathauß, vnd vom ratthauß inn thurnn, vnnd must dieselbig nacht darin ligenn.“ 789 218 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 790 Der ebenfalls in Heilbronn zu besichtigende „Götzenturm“ wird erst später dem Reichsritter gewidmet und ist nicht identisch mit seinem Haftort. 791 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 111. 792 Nachdem Götz aus dem Turm geholt wurde, schrieb der Rat Heilbronns mehrere Briefe, in denen das eigene Verhalten gerechtfertigt wurde und er ließ den beteiligten Personen als Beschwichtigung Heilbronner Wein zukommen: U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 114. 793 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 104. 794 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 111f.; B E R L I C H I N G E N -R O S S A C H , Geschichte (wie Anm. 783), Nr. 96, S. 214f. u. Nr. 97, S. 215. Bereits im Mai 1519 hatte sich der ansbachische Hofmeister Hans von Seckenheim für Götz auf dem Esslinger Bundestag eingesetzt: Ulmschneider, Götz (wie Anm. 752), S. 108. Der Turm, den Götz hier beschreibt und in dem er die Nacht verbringen musste, ist der Bollwerksturm in Heilbronn, der noch heute besichtigt werden kann. 790 Götz wurde am Pfingstabend in den Turm gesperrt, um dort die Nacht zu verbringen. Am nächsten Morgen wurde er ins Rathaus gebracht, wo ihn einige Ratsmitglieder erwarteten. Da der Gesandte Gröninger bereits abgereist war, kam die Stadt Götz entgegen und verlegte seinen Haftort in die Rathausstuben. Es scheint, als habe der Rat der Stadt vor allem den befreundeten Adel um Götz von Berlichingen gefürchtet - gerade Georg von Frundsberg und Franz von Sickingen, deren mögliche Vergeltungsschläge sicherlich Anlass zur Besorgnis gaben. 791 Die Stadt Heilbronn befand sich in der Zwickmühle; man musste dem Bund gegenüber Rechenschaft ablegen und fürchtete doch gleichzeitig einen Angriff der beiden Heerführer. 792 Da auch Götz’ Frau vor der Ratsstube wartete, konnte er sie erneut sprechen. Er zeigte sich von der Nacht im Turm wenig beeindruckt und überliefert in seiner Lebensbeschreibung, was er seiner Frau im Geheimen ins Ohr geflüstert habe: „Sag zu meinem schwager Frantziscus vonn Sickingenn, vnnd herr Jorgenn vonn Fronßberg, sie habenn mich gebettenn, ich soll für sie bittenn. Aber sag zu inenn, habenn sie was im sin, so sollenn sie furt farenn, ich woll gernn sterbenn vnd erstochenn werdenn, allein das sie all mit mir erstochenn wurdenn.“ 793 Dieses sehr kämpferische Ansinnen Götz’, aus seiner Gefangenschaft ge‐ waltsam befreit zu werden, wurde nicht umgesetzt. Stattdessen verhandelte Georg von Frundsberg mit den Bündischen im Rathaus. Bereits im Vorfeld hatten sich Franz von Sickingen und Georg von Frundsberg in Briefen für den Ritter eingesetzt. 794 Der Rat von Heilbronn gab sukzessive dem Druck von außen nach und die oben zitierte Textstelle lässt eine sehr direkte Einflussnahme Götz’ vermuten. Aus der Haft heraus hatte er seine Freunde benachrichtigen können, so dass diese sich mit allen Mitteln für ihn einsetzten und eine Verschiebung der 219 4. Götz von Berlichingen 795 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 113. 796 Gegen diese Bestimmung des Haftortes konnten zu diesem Zeitpunkt nur Herzog Wilhelm oder die obersten Kriegsräte des Bundes etwas ändern, so etwa durch eine frühzeitige Einigung der Parteien. Deshalb wurde auch gefordert, dass die Familie von Berlichingen zusagte, dass Götz weder entführt noch von Dritten ausgelöst würde: U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 113. 797 B E R L I C H I N G E N -R O S S A C H , Geschichte (wie Anm. 783), Nr. 102, S. 220f., hier S. 220. 798 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 115. Machtverhältnisse erreichten. Die Stadt Heilbronn sah sich immer mehr unter Druck gesetzt und nahm die Gefangenschaft des Ritters als Problem wahr. Solange die Verhandlungen nicht abgeschlossen waren, verblieb der Gefan‐ gene im Rathaus. Dabei scheint es Götz wahrlich nicht schlecht ergangen zu sein. Es lassen sich Rechnungen finden, auf denen neben Wein auch Obst und Gemüse, wie Kirschen und Rettich, für den Gefangenen aufgeführt sind. 795 Nach ersten positiven Verhandlungen durfte Götz nach einer Woche im Rathaus wieder in die „ritterliche Haft“ zurückkehren, die er erneut im Gasthaus Krone absaß. Neben seiner Ehefrau waren erneut auch die Schwiegereltern anwesend und seine Freunde immer wieder zu Besuch. 796 In der Zeit zwischen seiner Rückkehr in das Gasthaus und den abschließenden Verhandlungen schrieb er mehrere Briefe, in denen er sich über die zu harte Behandlung beklagte und Fürsprecher für sich anwarb. Auch an den Rat von Heilbronn verfasste er ein Schreiben, in dem er sich beschwerte, dass man ihn wie einen Dieb behandelt habe und seinem Stand durch die schlechte Unterbringung nicht gerecht geworden war: „und nit unbillig befremt das man mich weiter und herter helt den ein anders vom Adel, auch hiefür mich über dem rytrlich Gefenknis, das mir zugesagt ist, das ich bewysen kann, in ein Dybsthurn gelegt und darneben auch gefenklich enthalten, das ich doch keineswegs verdint hab, sunder mich in meiner Gefenknis wy ich verstrickt bin gewesen gehalten wy eim rytermesigen und frummen vom Adel wol anstat“. 797 Seine Fürsprecher ersuchten weiter um Freilassung oder wenigstens um die Überstellung Götz’ in die Hände Kaiser Karls. Von der Überantwortung zum Kaiser erhoffte Götz sich eine schnellere Abwicklung seines Falls und die Freilassung, da er im Dienste für den württembergischen Herzog Ulrich unverschuldet in Gefangenschaft geraten sei, weshalb sich der Kaiser für ihn stark machen müsse. 798 Doch im Sommer 1520 musste Götz sich eingestehen, dass die Fürsprecher und Freunde keine Lösung für ihn aushandeln konnten. Er hatte die Art seiner Unterbringung durch den Druck von außen verändern können, eine Klärung seiner Probleme bedeutete dies jedoch nicht. Bereits im Februar 1520 hatte er sich in einem Brief an Herzog Ulrich über seine Freunde beschwert, die sich kindisch angestellt hätten, so dass sich in seiner Sache nichts 220 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 799 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 116; der Brief ist abgedruckt ebd., Nr. 1, S. 280. 800 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 121. 801 Ebd., S. 117. 802 HStASt A 153/ 54 Bü 3/ 39. 803 Der Brief war gerichtet an den Herzog Wilhelm von Bayern sowie mehrere Ritter; darunter auch Michael Freiherr von Wolkenstein: U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 119. bewegen würde. 799 Doch der Herzog, der die Schreiben über die Ehefrau Götz’ zugestellt bekam, antwortete auf fast keinen Brief des Ritters. Er setzte sich erst für Götz ein, als die Möglichkeit eines Gefangenenaustausches im Raum stand: Der Ritter Thomas von Ehingen, der zuvor in württembergischem Dienst gewesen war und dann die Seite gewechselt hatte, um für den Bund und gegen den Herzog zu kämpfen, wurde entführt. Der Diener, in dessen Gewahrsam sich der Ritter befand, hatte den Gefangenen in ein Wirtshaus bei Mömpelgard bringen lassen und dem Herzog angeboten. 800 Tatsächlich aber wurde der Ritter wohl auf Bestrebungen derer von Berlichingen gefangen genommen und Herzog Ulrich ausgehändigt, damit dieser einen Gefangenenaustausch organisieren konnte. 801 Den Beweis dafür liefert ein Schreiben Götz’ an seine Tochter Appolonia, das auf den 29. Dezember 1547 datiert ist. In der Rückschau schreibt er: „Wie dann Aßmus Branger Thoman von Ehingen in mein costen und umb meinetwillen niedergeworfen.“ 802 Innerhalb des Bundes war man sich über das herzogliche Ansinnen des Gefangenenaustauschs nicht einig. Auf dem Wormser Tag im Februar 1521 wurde jedoch auch von kaiserlicher Seite auf den Austausch gedrängt. Aus einem Schreiben Kaiser Karls V. im März wird ersichtlich, dass dieser die Freilassung oder Überstellung des Gefangenen in seine Hände wünschte, auch weil Götz als Ritter das schlecht bestückte Reichsheer auffüllen könne. 803 Das Ende der Gefangenschaft Im Juni 1521 wurde vom Bund die Freilassung beschlossen, trotz noch beste‐ hender Diskussionen um die 2 000 fl. Lösegeld und die Atzungskosten des Ritters. Dieser jedoch, immer noch in der Hoffnung auf Beistand, schrieb weiter an den Herzog und versuchte ihn für sich zu gewinnen. Am 18. August 1521 verfasste Götz einen Brief an den württembergischen Adligen Weyerich vom Stein und warb bei diesem um seine Freilassung: „noch dem du weyst, das ich nun in das drit jar gefangen bin und mit großer geferden verhaft, ist mein freuntlich dinstlich bit, du wolst mir als eim freunt in verdrauen zu versten geben, ob du meinst, das meins gn. Hern sach sich schicken, dardurch du 221 4. Götz von Berlichingen 804 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), Nr. 3, S. 281. 805 Ebd., S. 122. 806 Ebd., S. 121 f. 807 Ebd., S. 123. 808 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 104f. vermeinst ich ledich mocht werden, dan mir ie gestalt wy du achten konst, gantz beschwerlich lang zu lyegen.“ 804 Götz, enttäuscht über das langsame Handeln seiner Freunde und vor allem des Herzogs, schrieb auch an Hans von Brandeck und äußerte in dem Brief die Befürchtung, man könne ihn in der Haft vergiften. Das Gefühl, nicht richtig unterstützt zu werden, kommt in den Briefen Götz’ überdeutlich zum Vorschein. Und ganz zu Unrecht stellte sich dieses Gefühl bei dem Reichsritter nicht ein; der Herzog selbst unternahm jedenfalls nach den ersten Versuchen nichts mehr für seinen Diener. Den hochrangigen Gefangenen, den er mit dem schwäbischen Ritter Thomas von Ehingen in seiner Hand hielt, wollte er schließlich für die eigene Sache nutzen. 805 Da Thomas von Ehingen während seiner Verlegung ins herzogliche Schloss Mömpelgard schwer verwundet wurde, fürchtete der Herzog, dass er ihm noch in der Gefangenschaft versterben könne. Um nicht mit leeren Händen aus der Sache zu gehen, ließ er Thomas gegen die Zahlung von 3 000 fl. frei, um wenigstens das Lösegeld für sich behalten zu können. Diese endgültige Wendung erfuhr Götz durch seinen Freund Wilhelm von Habern. 806 Es folgte noch ein Briefwechsel zwischen Götz und dem Herzog, in dem Götz diesen um Hilfe bei den Kosten bittet, die er habe. Mit dem Geld, dass dieser für den gefangenen Thomas erhalten habe, solle der Herzog die Unkosten für Götz’ Unterbringungen im Wirtshaus Krone tragen und für weitere Kosten aufkommen. Der Herzog zeigte sich, nicht sehr überraschend, über dieses Ansinnen wenig erbaut. 807 Im Oktober 1522, nach drei Jahren und sieben Monaten in Gefangenschaft, beschloss Götz von Berlichingen, sichtlich enttäuscht von der fehlenden Un‐ terstützung durch den Herzog und die Freunde, doch noch die Urfehde zu schwören: „Alls mich aber nun der bundt wider auß verhafft thet, must ich inenn liffernn zwey tausenndt gulden inn goldt, die sie den knechten gabenn, die mich gefangenn hettenn. Wiewoll ich dieselbigenn nit hett, so bracht ich sie doch vff bey meinen gutenn herrnn vnnd freundenn wie ich khundt. Die schickht ich inn ghenn Vlm, vnnd ließ sie woll mit lebenn.“ 808 Der Bund fertigte die Urfehde an, die Götz unterschrieb, nachdem ihm diese durch den Ritter Wolfgang von Hürnheim vorgelegt wurde. Neben den Atzungskosten an den Rat von Heilbronn und den 2 000 fl. für den Schwäbischen Bund beeidete er, sich gegenüber dem Bund, Württemberg und den Bundes‐ 222 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 809 Ebd., S. 105. 810 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 124f. So beschwerte er sich am 11. November 1522 beim Rat von Heilbronn über die überzogenen und undurchschaubaren Rechnungsbeträge der Wirtsleute: B E R L I C H I N G E N -R O S S A C H , Geschichte (wie Anm. 783), Nr. 107, S. 224-226; Bernhard Friedrich H U M M E L , Briefe und Urkunden zu der Lebensgeschichte Göz von Berlichingen mit der eisernen Hand: Aus dem Heilbronner Archiv mitgetheilet und nach dem vorgelegten Original genau collationirt, Fürth 1792, Nr. 38, S. 75-79. 811 HStASt A 153/ 54 Bü 3/ 34. städten schadlos zu halten. Als Bürgen für die 2 000 fl., die sich Götz nach eigenem Bekunden leihen musste, wurden die Württemberger Konrad Thumb von Neuburg und Dietrich von Weiler, Wolf Rauch von Winnenden und der aus Heilbronn stammende Patrizier Konrad Erer benannt. 809 Das Leben nach der Gefangenschaft Götz von Berlichingen kehrte auf Burg Hornberg zurück. Innerhalb der gefor‐ derten Jahresfrist zahlte er die 2 000 fl. an den Bund. Bei den Atzungskosten lief die Begleichung jedoch nicht so reibungslos. Götz befand die Rechnung des Wirtes über die dreieinhalb Jahre Gefangenschaft im Wirtshaus, während der ja auch zweitweise seine Frau und mindestens ein Kind, das dort geboren wurde, untergebracht waren, mit 552 fl. für überzogen. 810 Interessant und in dieser Form in den Quellen fast einmalig ist die Rechnung, die Götz nun seinerseits dem Herzog Ulrich von Württemberg präsentierte. Da die Ge‐ fangenschaft in seine Dienstzeit gefallen war, erwartete Götz das Entgegenkommen des Herzogs. Die Aufstellungen im Einzelnen, sahen folgendermaßen aus: „2000 fl. Einkünfte aus vier Dienstjahren 400 fl. Verlust von eigenem Wein, Hafer, Vieh und Hausrat in Möckmühl 200 fl. Verlust von Pferd, Harnisch und Rüstung 120 fl. Verlust von Petschaft, Ring, Siegel und 100 fl. Geld 800 fl. Zehrungskosten in Heilbronn 200 fl. Botenlohn 1000 fl. Kosten für Asmus Branger und andere Knechte 2000 fl. = Zahlung an den Schwäbischen Bund 6720 fl. Umb siebentausendt gulden“ 811 223 4. Götz von Berlichingen 812 Vgl. U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 128f. 813 Zur Entwicklung des Bauernkrieges s. Johannes W A L L M A N N , Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation (Uni-Taschenbücher 1355), Tübingen 5 2000, S. 65-69. 814 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 134-137. Götz gibt an, dass er versucht habe, die Bauern von ihrem Plan abzubringen und seinen Würzburger Lehnsherren gewarnt zu haben; diese Behauptung ist schwer zu beweisen. 815 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 140f. Sehr aufschlussreich ist die geschönte Rechenweise des Ritters: Die Atzungs‐ kosten gab Götz mit 800 fl. an, also über 200 fl. mehr, als er tatsächlich zu zahlen hatte und auch die Kosten für die Entführung des Thomas von Ehingen tauchen in dem Kostenpunkt für Asmus Branger und seine Knechte wieder auf. Und genau auf diese Gefangennahme spielte Götz auch an, als er den Herzog um geldlichen Beistand bat. Er forderte 4 000 fl., fügte jedoch noch an, sich mit den 3 000 fl., die der Herzog für die Freilassung des Thomas von Ehingen erhalten habe, zufrieden zu geben. Der fehlende Beistand des Herzogs und das wiederholte Absenken der eigenen Forderungen trafen Götz’ Stolz auch noch nach seiner Gefangenschaft. Doch der Herzog kam Götz nicht zur Hilfe. Dazu stürmten neue Forderungen auf Götz ein. Aus alten Verstrickungen vor der Gefangenschaft, vor allem von den ehemals gefangenen Kaufleuten der Mainzer Fehde, gab es weitere ausstehende Beträge. Es kam zu mehreren Verhandlungen vor dem Reichskammergericht, Familienstreitigkeiten und zahlreichen weiteren Problemen, so dass Götz von Berlichingen zunächst genug damit zu tun hatte, sein Leben nach der Gefangenschaft zu ordnen. 812 Die 2. Gefangenschaft Die Gefangennahme Zur zweiten Gefangenschaft im Jahr 1525 kam es anlässlich des Bauern‐ krieges. 813 Götz von Berlichingen hatte sich mit seiner Frau auf die Burg Horn‐ berg zurückgezogen. Aktiv wurde er erst wieder, als mehrere Bauernhaufen durch die Gegend zogen. Sehr ausführlich schildert er diese Zeit in seiner Lebensbeschreibung und wie er sich gegen eine eigene Teilnahme an den Aufständen gewehrt hätte. 814 Der schwäbisch-fränkische Adel war sich zu diesem Zeitpunkt nicht ganz einig über das richtige Vorgehen innerhalb des Bauernaufstands: Einige Ritter, wie Sylvester von Schaumberg, traten sofort an die Seite der Fürsten; andere, darunter wohl auch Götz, versuchten die Bauernbewegung mit den eigenen Wünschen eines nicht so starken Landesfürstentums in Einklang zu bringen. 815 Als es jedoch am Ostersonntag, dem 16. April 1525, zu einer Bluttat in Weinsberg 224 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 816 Dazu seien auch noch Gerüchte gekommen, der Pfalzgraf habe sich mit den Bauern ausgesöhnt, U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 79. Der Pfalzgraf hatte geantwortet, der Brief sei Götz jedoch von seiner Ehefrau vorenthalten worden, da diese sich vor dem Bauernhaufen fürchtete und ihren Mann dazu bewegen wollte, sich den Bauern anzuschließen, statt auf den fernen Fürsten zu hoffen. Götz habe gezürnt, sei jedoch aus seinem Versprechen nicht mehr herausgekommen, das er zuvor dem Bauernhaufen gegeben hatte, vgl. ebd., S. 145. 817 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 146f. 818 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 124. an dem Grafen Ludwig von Helfenstein und weiteren Adligen kam, versuchten mehrere Adlige Hilfe von den Fürsten gegen die Bauern zu erhalten. Götz habe, so schreibt er, alle Informationen zu Truppenstärken oder Ausrüstung des Bauernhaufens an Pfalzgraf Ludwig V. weitergegeben und sich erkundigt, wie er sich verhalten solle, da er befürchtete, von den Bauern zum Beitritt gezwungen zu werden. Er habe den Pfalzgrafen um Rat gefragt, jedoch keinen Antwortbrief erhalten. 816 Als schließlich ein Bauernhaufen aus Gundelsheim nach ihm geschickt habe, sei er gezwungen gewesen, sich den Bauern zu stellen. Darüber hinaus seien die Bauern vollgerüstet, er aber ohne wehrhaftes Volk in der Burg gewesen. Unter ihrem Anführer Georg Metzler wurde Götz von Berlichingen verpflichtet, der „christlichen Bruderschaft“ beizutreten. Die Vorladung, nach Gundelsheim zu kommen, erhielt Götz Ende April 1525. Im dor‐ tigen Wirtshaus traf er auf den Mainzer Amtmann Max Stumpf und von diesem habe er erfahren, dass die Bauern ihn wegen seines militärischen Sachverstands zum Hauptmann machen wollten. Im Wirtshaus hätte er zunächst versucht, sich gegen die Ernennung zu wehren, vor allem mit dem Einwand, dass er sich nach seiner letzten Gefangenschaft schadlos gegenüber dem Schwäbischen Bund verhalten müsse. Mit diesem Einspruch habe er zunächst auch die anwesenden Bauern überzeugen können, wurde jedoch genötigt, diese Befreiung von allen Hauptleuten des Bauernheeres, die in kleineren Haufen vor der Stadt lagen, ebenfalls einzuholen. 817 Daraufhin sprach Götz mit den Anführern der einzelnen Rotten, die sich zunächst seinen Einwänden beugten. Als er jedoch zum Haufen der Hohenloher kam, sei er von diesen feindselig umzingelt und genötigt worden, ihr Hauptmann zu werden: „außgenommen bey denn Hoennloischenn, die namen meinen gaull bey dem zaum vnnd vmb ringten mich, mit vermeldung, ich sollt mich gefanngen gebenn, globenn vnnd schwerenn, den andern tag bey inenn zu Buchenn im leger zusein. Da wurde ich sie findenn, vnnd onne irenn wissenn nit abziehenn.“ 818 Sehr auffällig präsentierte Götz sich in seiner Lebensbeschreibung als Gefan‐ gener, der genötigt worden sei, sich dem Bauernheer anzuschließen - ein Bild, das er danach häufiger nutzte. Man gewährte dem Ritter einen Tag Bedenkzeit, 225 4. Götz von Berlichingen 819 Dem Lager der ‚Buchen‘ wird sich Götz widerwillig genähert haben, da er mit diesen bereits vorher eher unliebsame Erfahrungen gemacht hatte: Ein über die Grenzen seines Gebietes hinausgehender Acker hatte im Jahr 1514/ 1515 zu Ärgernissen zwischen Götz und den ‚Buchen‘ geführt, in deren Verlauf Götz mehrere Gefangene nahm; ausführlicher dazu: U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 80. Zur Vorgeschichte Götz von Berlichingens mit den ‚Buchen‘ auch: B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 21f. 820 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 144. 821 So hätte seine Ehefrau sich zu dieser Zeit im Kindsbett befunden: U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 78. 822 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 148. Dieser hält auch fest: „An dem in Buchen von den Bauern geübten Zwang zur Hauptmannschaft ist nicht zu zweifeln; wir kennen zahlreiche Parallelen aus der Geschichte des Bauernkriegs.“: Ebd., S. 192. 823 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 124. 824 Götz will bereits zu diesem Zeitpunkt ein erstes Entschuldigungsschreiben an den Schwäbischen Bund verfasst haben, das jedoch nie dort ankam: U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 149f. 825 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 151. In Amorbach entstand wohl auch unter dem Einfluss Götz’ die „Amorbacher Erklärung“, eine Abwandlung der „Zwölf Artikel“, die eine gültige Ordnung im fränkischen Gebiet regeln sollte: U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 156f. bevor er sich zum Lager der Buchener begeben musste. 819 Der genaue Ablauf der Ereignisse kann nicht rekonstruiert werden, da gesicherte Quellen, zu welchem Zeitpunkt Götz zum Hauptmann der Bauern ernannt wurde, fehlen. 820 Götz zeigte sich in seiner Lebensbeschreibung verzweifelt, so habe er aus Angst um seine Familie nicht gewagt, gegen die Bauern vorzugehen. 821 Diese Befürchtung war zu diesem Zeitpunkt, zu dem die Bauern noch ihre größten Erfolge feiern konnten, sicherlich nicht unbegründet gewesen: 822 „vnnd zog also des andernn tags mit traurigem hertzenn zu inn inn das leger, vnnd wunscht mir vill mal das ich darfur in dem bosten thurn leg der inn der Turckhey wehr, oder vff erdtrich, es wehr wa es woldt, vnnd ging mir wie gott wollt, wie mir gleich gott wider außhulff.“ 823 Als er den Haufen in Buchen schließlich erreicht habe, hätte man sich auf eine zeitliche Frist von vier Wochen geeinigt, nach welcher Götz wieder auf seine Burg zurückkehren dürfe. 824 So ganz passen die Bilder des ‚unschuldigen‘ Götz’ nicht zu den Vorfällen, die sich im Anschluss ereigneten: Zunächst kam es zu einer Verwüstung des Benediktinerklosters Amorbach bei Mainz, an der Götz als Hauptmann teilnahm und mutmaßlich den Abt misshandelte, um an wertvolle Gegenstände zu gelangen. 825 Gegen die Darstellung der Ereignisse im Kloster Amorbach wehrte Götz sich später heftig. Schließlich zogen die Bauern nach Würzburg, um dort den bischöflichen Marienberg einzunehmen. Vielleicht auch aus dem Grund, dass der Bischof Konrad von Thüngen ein Verwandter von 226 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 826 So bezeichnete er sich auch in einem Schreiben vom 11. Januar 1527: B E R L I ‐ C H I N G E N -R O S S A C H , Geschichte (wie Anm. 783), Nr. 134, S. 247-257. U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 163-165. 827 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 127. 828 Ebd., S. 128. 829 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 165f. Götz war, versuchte der Hauptmann seinen Haufen zu mäßigen. Die Bauern ließen seine Einmischung nicht zu und wollten ihn daraufhin als Hauptmann absetzten. Es kam zu ersten Spannungen zwischen den Bauern und Götz: Er merkte in seinem Bericht an, dass er sich ab diesem Zeitpunkt nicht mehr als Hauptmann der Bauern gefühlt habe, sondern endgültig wie ein Gefangener, ohne jegliches Mitspracherecht. 826 Allerdings habe er weder eine Flucht noch ein frühzeitiges Aufbrechen vor Ablauf der vierwöchigen Frist gewagt, da er sich einer Überzahl gegenübersah: „Dem sey nhun wie im wöll, so wust ich weder zu Wurtzburg noch im leger vonn inenn zu khommen, dann wann gott vonn himell zu mir khommen wehr, so hettenn sie ine nit mit mir redenn laßenn, es wehrenn dann zehenn oder zwolff darbey gestandenn die zu gehortt hettenn. So hett ich sorg, wann ich schonn von inn khommen wehr, alle furstenn, grauen, herrnn, ritter vnnd knechtt die hettenn mein entgelltenn mussenn, auß der vrsach, das ich meiner glub vnnd pflicht, die ich ein monat zu inenn gethonn hett, nit nachkommen wehr, vnnd mochten daßelbig fur ein vrsach furgewenndt habenn, damit eß viell vnnschuldigenn leutten vom adell vnd andernn zu nachteill gereicht habenn wurde.“ 827 Götz malt das Bild der Unfreiheit und Angst, die er ausstehen musste, noch weiter aus. Er habe sich in Gefahr begeben, „das ich khein tag wust, das ich sicher wahr, das sie mich nit zu thodtt, oder denn kopff herrab schlugenn.“ 828 Deshalb habe er sich unauffällig verhalten und versucht, die restliche Zeit noch im Haufen zu verbringen, ohne sich weiter einzubringen. So sei er auch bei dem ersten missglückten nächtlichen Sturm der Bauern auf die Stadt Würzburg am 15. Mai 1525 noch vor Ort gewesen. Welche Rolle Götz dabei gespielt hat und inwieweit er überhaupt beteiligt war, ist umstritten. 829 Die Lage änderte sich, als die Bauern vernahmen, dass das schwäbische Bundesheer in die württembergischen Gebiete vorgedrungen war. Sie beschlossen daraufhin Würzburg den Rücken zu kehren und das Heer zu bekämpfen. Götz seinerseits versuchte nun zum Bund zu gelangen und ließ sich von seinen Mithauptleuten in einem Schreiben die aufgezwungene Hauptmannschaft bestätigen. Am 28. Mai verließ Götz die Bauern und machte sich auf den Weg zum Bundesheer. 227 4. Götz von Berlichingen 830 Ebd., S. 167f. 831 Ebd., S. 171. 832 Ebd., S. 176; B E R L I C H I N G E N -R O S S A C H , Geschichte (wie Anm. 783), Nr. 127, S. 238f.; Nr. 130, S. 242f., Nr. 131, S. 243f. 833 Vgl. auch ein Brief an Graf Georg von Wertheim vom 2. August 1526: U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), Nr. 6, S. 283f. 834 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 177f. 835 Kurt A N D E R M A N N , Götz, in: Fränkische Lebensbilder (wie Anm. 757), S. 24. 836 Ulmschneider weist darauf hin, dass diese Niederwerfung in einer Gegend stattfand, in der Götz zu Hause war, so dass Jörg von Eisesheim mit Widerstand der Bauern und Freunde Götz’ rechnen musste. So blieb es erst einmal nur bei der Verpflichtung auf Verfügbarkeit: U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 180; C. M E Z G E R , Über die Haft In einem Brief vom 29. Mai 1525 an den Bauernschulten Hans Reuter von Bieringen gab er seine Gefangennahme durch das Bundesmitglied Dietrich Spät bekannt, dem er versprach sich jederzeit dem Bund zur Verfügung zu stellen. 830 Nach der Gefangennahme Götz’ durch Dietrich Spät kehrte Götz zunächst auf seine Burg zurück. Innerlich konnte er sich in diesen Tagen auf die Anklagepunkte gegen ihn vorbereiten. Vor allem der Vorwurf des Landfriedensbruchs und sein Bruch der geschworenen Urfehde waren schon zu diesem Zeitpunkt als Anklagepunkte gewiss. 831 Doch alle Beteuerungen, dass er sich nicht gegen seine Hauptmannschaft bei den Bauern habe wehren können, konnten ihm augenscheinlich nicht die Angst nehmen, und so hat sich eine breite Korrespondenz mit dem Würzburger Bischof Konrad sowie mit Georg Truchsess von Stuttgart erhalten, in der Götz’ Sorgen vor den kommenden Anschuldigungen und ihren Konsequenzen herauszulesen sind. 832 Im Spätsommer 1526 kam eine Vorladung für den Ritter zum Reichstag nach Speyer, wo er sich vor dem Kammergericht verteidigen sollte. 833 Durch einen Spruch des kaiserlichen Fiskals wurde der Prozess gegen Götz am 17. Oktober 1526 für gescheitert erklärt. Doch trotz dieses Freispruchs waren nicht alle Probleme geklärt, da die ausgestellte Urkunde den Passus enthielt, Götz möge sich allen weiteren Klägern, wie dem Schwäbischen Bund, die noch Ansprüche geltend machen konnten, erneut in der Sache stellen. 834 Götz kehrte nach Hause zurück und zunächst blieb alles ruhig; der Bund bemühte sich nicht um den Reichsritter. Götz verfasste mehrere Verteidigungsschriften an die Reichs- und Bundesstände und versuchte seine Teilnahme am Bauernkrieg zu rechtfertigen. 835 Am 7. Mai 1528 befand sich Götz mit zwei Knechten auf der Durchreise nach Stuttgart in Blaufelden in einem Wirtshaus. Dort traf er auf den bündischen Jörg von Eisesheim, der ihn niederwarf. Nachdem er Götz darauf verpflichtet hatte, sich jederzeit auf Wunsch dem Bund zu stellen, reiste er weiter. 836 Tatsächlich 228 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden des Götz von Berlichingen in Augsburg, in: Jahresbericht des Historischen Vereins im Oberdonau-Kreise (1837), Nr. 2, S. 33-40, S. 34. 837 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 130. 838 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 194: M E Z G E R , Haft (wie Anm. 836), S. 35f. 839 Die Verteidigungsschrift ist verlorengegangen, M E Z G E R , Haft (wie Anm. 836), S. 36. Der Schreiber, der den von Götz entworfenen Text ins Reine schrieb, war Johann Hagk: U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 183. 840 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 130f. 841 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 132. 842 Ulmschneider weist darauf hin, dass das Verteidigungsschreiben nicht einmal verlesen worden sei: U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752). S 183f. erreichte Götz im Juli 1528 die Vorladung nach Augsburg. Götz ergab sich seinem Schicksal und reiste im November nach Augsburg, wo er sofort ergriffen und im Heilig-Kreuzer-Torturm gefangen gesetzt wurde: „allein das ich obenn drauff, vnnd nit vndenn im thurnn kham, da lag ich zwey jar vnnd must das mein verzehrenn, das mir lannge zeitt sauer wordenn war.“ 837 Die Gefangenschaft Die großen Anklagepunkte gegen Götz waren der Verstoß gegen die Urfehde, die Plünderung des Klosters Amorbach und seine Hauptmannschaft bei den Bauern, verbunden mit persönlicher Bereicherung und den Angriffen auf Mainz und Würzburg. Die genauen Punkte der Anklage gegen Götz lassen sich in der Klage der Mainzer von 1531 nachlesen, die diese beim Bund gegen den Reichsritter eingelegt hatten. Ulmschneider kommt auf einen Gesamtschaden von 30 340 fl., den man Götz in Rechnung stellte. 838 Im Turm verfasste Götz eine Verteidigungsschrift, die er mit Hilfe eines Schreibers des Augsburger Rates in Reinform brachte. 839 Götz vermerkte in seiner Lebensbeschreibung, dass er viel von seinem Besitz hätte aufwenden müssen, um sich in den zwei Jahren am Leben zu halten. 840 Danach erfährt der Leser Einzelheiten zur Gefangenschaft in Augsburg. Götz hob hervor, dass er sich trotz der Warnung seiner Freunde nach Augsburg begeben habe, da er sich keiner Schuld bewusst gewesen sei, weshalb er sich pflichtbewusst dem Rat in Augsburg gestellt habe: „Das habenn sie gethann, vnd ein feinen man, der freilich zu Augspurg daheim gewest, zu mir geschickt. Da hab ich wie die sachenn geschaffenn, mit meiner aignen handt vffgeschribenn, das es der schreiber wider abschreibenn solt, vnd dem bundt vberannttwurten.“ 841 Doch seiner Verteidigungsschrift sei wenig Glauben geschenkt worden. 842 Er sah sich erneut in der Opferrolle und konnte auch in seiner Rückschau die verzerrte Selbstwahrnehmung nicht ablegen - die eigene Schuld wird in seinem Bericht nicht thematisiert. 229 4. Götz von Berlichingen 843 B E R L I C H I N G E N -R O S S A C H , Geschichte (wie Anm. 783), S. 406f., hier S. 406. Einen weiteren Brief sandte Götz an Jörg Truchsess von Waldburg, in dem er sich ebenfalls über die fehlende Möglichkeit, sich zu verteidigen, beklagte: ebd., S. 405f. 844 B E R L I C H I N G E N -R O S S A C H , Geschichte (wie Anm. 783), S. 406f. 845 Ulmschneider nennt ihn Wolf von Freiberg, vgl. U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 188. 846 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 132. 847 „Dieselbig sein meinung vnnd handlung die schrieb er mir herrab in mein behaußung, wie sein vnd anderer abred mit denn Meintzischenn gewest wehr, vnd das er verhofft es wehr vmb ein gerings zuthun, vmb ein 1000 gulden mehr oder weniger vnngeuerlich, Götz berichtet, dass die Bundesräte ihn im Gefängnis aufsuchten und ihm ein Schreiben vorlegten, das seine Aussagen widerlegte. Daraufhin habe weder das Beteuern, die Wahrheit geschrieben zu haben, noch ein Beschwören der eigenen Unschuld den Bund umstimmen können. In einem Brief an seinen Bruder beschwerte Götz sich über die ungerechtfertigten Vorwürfe gegen ihn. Würde man ihm die Gelegenheit einräumen, könnte er sich mit der Hilfe Gottes erklären, doch im Gefängnis habe er nicht die Möglichkeiten sich zu verteidigen: „Dann wan ich lanng da lig, so kann ich nichts waß mein Notturft erhaischt an tag brinngen, dann ich hab den zwayen Pfaffen ein Bericht gen Ulm zugeschickt, ein durch mein Hanndt geschriben, hab ich jüngst von Euch vermerckt. Ir wist von keiner, darumb wirt mein Unschuldt verdruckt unnd nit ans Licht bracht.“ 843 Götz litt am schlechten Nachrichtenverkehr und an seiner Untätigkeit in der Haft: „Ich hab euch geschriben mir mein Pfaffen zu schicken, ist nit gescheen, möchte leyden das irs noch thett unnd mich bey ime verstenndigen, wie die Sach ein Gestallt hatt, dann ich bekümmer mich meiner Gefengkhnuß. So sicht mich mein Weib unnd Kind an, so geet es zue wie es mag daheimm, und kum in meiner Gefengkhnuß auch in Unrath.“ 844 Anders als zuvor in Heilbronn hatte er seine Ehefrau und die Kinder nicht um sich und musste auf die spärlichen Nachrichten aus der Heimat warten. Götz durfte jedoch auch in Augsburg Besuch empfangen, so vermerkte er, dass sein Freund Wolf von Freiburg 845 ihm nicht nur Briefe schrieb, sondern ihn auch mehrmals im Turm besucht habe: „Inn derselbigenn rechtuertigung schrieb mir ein gutter freundt, Wolff vonn Freyburg der vonn Augspurg haubtman, der mein sach warrlich threulich vnnd gut gemeint, ist auch offtmals bey mir inn meiner gefenngnus ob dem thurn gewest, vnnd sich auß mitleidenn alls ein frummer vom adell alles guts gegenn mir erzaigtt, vnnd nit annderst gespurt, dann er ein groß mitleidenn mit mir hett.“ 846 In den Briefen informiert Wolf von Freiburg Götz, dass er sich zusammen mit anderen für ihn beim Rat eingesetzt habe, um eine Freilassung gegen eine Zahlung von 1 000 fl. zu erwirken. 847 Götz antwortete auf den Brief und schlug 230 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden vnnd wahr sein threuer radt, ich solt solches bedennckhenn, vnd nit abschlagen“, B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 132. 848 Ulmschneider nennt unter anderem Wilhelm von Habern, Jörg von Wertheim, Georg Truchsess oder Hans Konrad Thumb, aber auch Konrad Spät: U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 185. 849 Vgl. U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752) S. 184. 850 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 186f.; Mezger, Haft (wie Anm. 836), S. 38f. den Vorschlag aus, da er sich immer noch nicht schuldig bekennen wollte und das Zahlen des Betrages als Schuldeingeständnis wertete. Neben Wolf von Freiburg setzten sich noch zahlreiche weitere Unterstützer und Freunde für ein rasches Ende seiner Gefangenschaft ein. 848 Fluchtversuche und das Ende der Gefangenschaft Die Chronistik weiß von einem Ausbruchsversuch Götz’ zu berichten, den er jedoch in seiner Lebensbeschreibung nicht erwähnt. Demnach sei Götz am 6. April nur mit Hemd und Wams bekleidet aus seinem Gefängnis entkommen. Er habe versucht durch die Stadttore zu gelangen, wo er jedoch von den Stadtwächtern vertrieben worden sei. Als seine Flucht am nächsten Morgen bemerkt wurde, habe man die Häuser der Stadt durchsucht und ihn im Haus des Barchentwebers gefunden. 849 Man brachte Götz zurück in sein Gefängnis und er musste weiter auf sein Urteil warten. Im Juni 1529 bestimmte der Rat fünf Mitglieder, die ein Urteil über Götz von Berlichingen fällen sollten. Man einigte sich auf eine Urfehde, die dem Ritter vorgelegt wurde. Außer den üblichen Vorschriften gab es weitere ein‐ schneidende Bedingungen für die ‚Freilassung‘: Zum einen musste Götz, wie auch in Heilbronn, die Atzungskosten bezahlen und zusagen, sich eventuellen Forderungen der Mainzer und Würzburger zu stellen. Zum anderen musste er schwören die Gemarkungen seiner Burg Hornberg nie wieder zu verlassen, kein Pferd mehr zu besteigen und jede Nacht in seinem Schloss zu verbringen. Neben der schmählichen Art dieses Hausarrests, brachte diese Bestimmung auch einen wirtschaftlichen Schaden mit sich, da weit entfernte Besitztümer oder Liegenschaften nicht mehr aufgesucht werden konnten. Götz wurden mit dieser Urfehde die Hände oder zumindest die Pferdefüße gebunden, so dass seine Handlungsfähigkeit stark eingeschränkt war. Die aufgestellten Forderungen der Urfehde sollten auch nach einer möglichen Auflösung des Bundes gelten. Für die Missachtung dieser Urfehde musste Götz sich verpflichten 25 000 fl. zu zahlen, die er dem Bürgermeister und dem Rat der Stadt Augsburg für den Bund entrichten müsste. 850 Götz gab sich schließlich geschlagen und unterschrieb am 231 4. Götz von Berlichingen 851 Text der Urfehde, B E R L I C H I N G E N -R O S S A C H , Geschichte (wie Anm. 783), Nr. 171, S. 286-291. 852 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 188f. Die Namen der Bürgen bei: M E Z G E R , Haft (wie Anm. 836), S. 40. 853 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 132. 854 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 194-196. Ulmschneider weist darauf hin, dass dieses milde Urteil wohl vor allem auf die Schwierigkeiten des Bundes zurückzuführen ist, der kurz vor seiner Auflösung stand und für eine härtere Bestrafung des Reichsritters innerhalb der eigenen Reihen nicht mehr die benötigte Mehrheit fand. „Es schien ausreichend, daß Götz - mit 54 Jahren für damalige Begriffe ein alter Mann - durch seine Urfehde, die ja von dem Freispruch vor dem Bundesgericht nicht tangiert wurde, weiterhin in Fesseln blieb, sogar in härteren als zuvor; denn wollte er in Zukunft seine Loslösung betreiben, so hatte er es nicht mehr mit dem zerfallenen Bund, sondern mit all den einzelnen Ständen zu tun, die jenes Dokument von 1530 unterschrieben hatten. Eine nahezu hoffnungslose Aufgabe! “, ebd., S. 196. 4. März 1530 die Urfehde. 851 Er konnte insgesamt 16 Bürgen stellen und hielt damit die geforderte Anzahl von 15 Bürgen ein. 852 Das Leben nach der Gefangenschaft Auch wenn Götz auf eine endgültige Bereinigung seiner Probleme noch warten musste, war der wichtigste Schritt zunächst getan und er konnte in seinem Zuhause wohnen. 853 Die Bestimmungen nach der zweiten Gefangenschaft waren ungleich härter. Obwohl seine Zeit im Turmverlies beendet war, gelangte er nicht in die selbstbestimmte Freiheit zurück. Sein erweiterter Arrest auf Burg Hornberg erinnerte ihn jeden Tag an seine Gefangenschaft und an die Urfehde, die er hatte schwören müssen. Daneben konnte er nie die Angst ablegen, noch einmal wegen seiner Beteiligung am Bauernaufstand von den Mainzern oder Würzburgern belangt zu werden. Gemäß dem Schwur sich nur noch in der Gemarkung seiner Burg aufzuhalten, verbrachte Götz die folgenden Jahre auf Burg Hornberg. Er selbst lässt nicht viel über diese Zeit verlauten. Er nutzte den Zwangsaufenthalt innerhalb seiner Grundstücksgrenzen, um Ausbauarbeiten an seinem Schloss Rossach und in Jagsthausen, wo er ein Haus errichtete, vorzunehmen; außerdem brannte er Schnaps. Ein endgültiges Urteil über die Teilnahme Götz’ am Bauernaufstand und seiner Taten, das zumindest in weiten Teilen seiner Darstellung folgte, erfolgte schließlich am 31. Januar 1534. Die Mainzer Klagepunkte wurden abgewiesen, ebenso wie weitere Forderungen, die an Götz gestellt worden waren. Einzig dem Prälaten von Amorbach sollte Götz das Entwendete zurückgeben und alles, was bereits verkauft oder eingeschmolzen worden sei, erstatten. 854 Erneut fühlte sich Götz ungerecht behandelt und beteuerte zeit seines Lebens in all 232 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 855 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 133. Einige der Richter seien ihm von Anfang an nicht gut gesonnen gewesen und er war sich sicher, dass durch die Personenauswahl eine gerechte Beurteilung seiner Person nie möglich gewesen sei. Doch am Ende seiner Lebensbeschreibung ruderte er zurück und akzeptierte die Rechtskonformität des Urteils: B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 133. 856 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 134. 857 Ebd., S. 234. 858 B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 137. seinen Briefen und seiner Lebensbeschreibung, unschuldig gewesen zu sein. 855 Bemerkenswert an der zweiten Gefangenschaft ist die Tatsache, dass Götz sich in seiner Lebensbeschreibung in so ausführlicher Form mit seiner Teilnahme am Bauernkrieg und den daraus entstandenen Geschehnissen immer wieder auseinandersetzte. Er kämpfte in seinem Selbstzeugnis mit der Rechtfertigung seiner Taten und fühlte sich bis zum Ende missverstanden und diskreditiert. Ulmschneider merkt zum Thema Götz von Berlichingen und den Folgen des Bauernkrieges an: „15 Jahre sollte er, mit härtesten Einschränkungen beladen, für den kurzen Weg bezahlen; geistig bewältigt hat er das Phänomen des Bauernaufstandes bis zu seinem Tode nicht. Es blieb das zentrale Problem, um das all seine Gedanken kreisten; noch als 80jähriger glaubte er, seine Haltung verteidigen zu müssen, wesentlich deshalb hat er, wie wir schon sahen, seine Lebensbeschreibung verfasst.“ 856 Doch Götz wurde noch einmal die Möglichkeit gegeben, an einem Leben außerhalb seines engen Radius teilzunehmen und so gelangte er aus seiner Beengtheit in die vollständige Freiheit. Die Freunde und Gönner Götz von Berlichingens waren in den Jahren seines Hausarrests nicht untätig gewesen. Immer wieder versuchte man die Bedingungen seiner Urfehde zu mäßigen. So setzten sich Landgraf Philipp der Großmütige, mit dem Götz während der Ge‐ fangenschaft einen guten Kontakt pflegte, und die Brandenburger Markgrafen für ihn ein: 857 „Vnd nachdem auch rom. kay. mt. mich verschiner jarnn vff furbitt churfurstenn vnd furstenn vnnd annderer meiner herrn vnnd freundt auß meiner verhafft inn meinem hauß, da ich dann, wie ich hieuor auch gemellt hab, ettlich jar verhafft gewesenn, erledigt, vnnd mich ire mt. in dero schirm vnd geleidts brieff selbs berumbt, das ich mich 16 jarr meiner vrphedt nach, ehrlich vnnd woll gehaltenn“. 858 Im Jahr 1540 wurde er von Kaiser Karl aus der Acht entlassen und für den Kampf gegen die Türken gewonnen. Erneut griff damit der Herrscher in die Geschehnisse ein, vor allem um den schlagkräftigen Ritter für seine eigenen Ziele nutzen zu können. Innerhalb von zwei Wochen stellte Götz ein Heer von hundert Pferden auf, mit dem er nach Wien zog und dem kaiserlichen 233 4. Götz von Berlichingen 859 Er schreibt: „Vnd ging mir auch sehr vbell fur Sanct Desier, da stieß mich mit vrlaub vnd gunst zuschreibenn die rhur ann, die wertt biß in mein behausung, das wahrenn neun wochenn“, B E R L I C H I N G E N / U L M S C H N E I D E R , Mein (wie Anm. 765), S. 138. 860 U L M S C H N E I D E R , Götz (wie Anm. 752), S. 243. Ulmschneider vermutet deshalb, dass vielleicht auch die zweite Ehefrau vor Götz gestorben sei. Der Pfarrer bekam 16 Malter Korn und 10 fl. als Besoldungsgehalt. Heer beistand. Ein letztes wichtiges politisches und gesellschaftliches Ereignis, auf dem Götz anzutreffen ist, war der Speyrer Reichstag im Jahr 1544. Seine Teilnahme wurde unter anderem durch Hieronymus Baumgartner bezeugt, der in seinem Selbstzeugnis über die Begegnung mit Götz schreibt. Im gleichen Jahr machte dieser sich noch einmal auf den Weg, um Kaiser Karl V. in seinem Kampf gegen die Franzosen zu unterstützen. Auf dem Feldzug erkrankte Götz an der Ruhr und zog sich nach dem Frieden von Crépy auf seine Burg bei Hornberg zurück. 859 Pfarrer Georg Gottfried aus Zimmern stand Götz im Alter bei und es ist möglich, dass er dem Geistlichen seine Lebensgeschichte diktierte. 860 Im Jahr 1562, also fast 20 Jahre nachdem er gegen die Franzosen zu Felde gezogen war, starb Götz von Berlichingen. Bestattet wurde er im Kreuzgang des Zisterzienserklosters Schöntal. In Götz von Berlichingen begegnet uns eine spannende Persönlichkeit mit einer bewegten Lebensgeschichte: auf der einen Seite ein geachteter Reichsritter, der auf hohem Niveau die Diplomatie und Verbindungen zu seinen Freunden, Gönnern und den hohen Fürsten nutzte; auf der anderen Seite ein gerissener Raubritter, der viele Gefangene machte und schließlich selbst in zweimalige Gefangenschaft geriet - ein Schicksal, über das er sich bitter beklagte. 5. Zusammenfassung Die geschilderten Gefangenschaften dieser Gruppe zeigen Fälle auf, in denen die Männer als Kombattanten oder teilweise sogar als (Mit-)Verursacher des Kon‐ flikts auftraten. Häufig bescherte ihnen derselbe anhaltende Konflikt auch meh‐ rere Gefangenschaften, bis eine endgültige Beilegung erzielt werden konnte. Gerade die Fälle Oswald von Wolkenstein und Götz von Berlichingen stehen sich dabei sehr nah. Auf der einen Seite sind ihre ständischen wie ökonomischen Situationen vergleichbar, auf der anderen Seite befanden sie sich in einem span‐ nenden Feld diverser Konfliktkonstellationen verschiedenster Dienstherren und Zugehörigkeiten, so dass es zu einer Einmischung unterschiedlichster Akteure in den Verhandlungen um ihre Freiheit und den Ausgang des jeweiligen Kon‐ flikts kam. Auffallend sind zudem die nicht eindeutig zu definierenden Arten 234 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden der Gefangenschaften, die sich zwischen Erpressungsgefangenschaft, Beugehaft und Kriegsgefangenschaft bewegen. Beide Fälle sind wohl nicht repräsentativ für den Adel, aber die detaillierten Berichte - vor allem die außergewöhnliche Dichte der geschilderten Ereignisse bei Oswald von Wolkenstein - zeigen spannende Einzelfälle, sowohl über die Bedingungen der Zeit in Unfreiheit als auch zu den Erfahrungen und Nachwirkungen der erlebten Gefangenschaften. 1. Phase: Die primäre Motivation / Die Gründe des Konfliktes In allen vier Fällen liegen unterschiedliche Gründe für die Gefangennahmen zugrunde, anders als bei der ersten Gruppe konnten sich die Männer jedoch auf eine mögliche Gefangennahme einstellen und waren sich der Ausgangslage des Konfliktes bewusst. Während die erste Gefangenschaft Oswalds von Wolkenstein in einem inner‐ familiären Konflikt in Folge des sogenannten „Kleinodienraubes“ angesiedelt ist, war der Ausgangskonflikt der beiden späteren Gefangenschaften der Streit um die hauensteinschen Besitztümer. Im Vorfeld hatten Barbara von Hauenstein und ihr Ehemann Martin Jäger auf dem Rechtsweg nichts gegen Oswald von Wolkenstein ausrichten können und so scharte Martin Jäger Helfer um sich, um die Fehde gegen den Ritter vorzubereiten. Auch Friedrich von Flersheim berichtet, wie Oswald von Wolkenstein, von drei Gefangenschaften, die er im Laufe seines Lebens erlitt. Zwei Gefangen‐ schaften betrafen seine Zeit im Dienst des Kurfürsten Ludwig III. von der Pfalz, die andere Gefangenschaft ereignete sich im Zuge des zweiten Hussitenkreuz‐ zuges im Spätherbst 1421. Unter dem Kommando des Hauptmanns Heinrich von Metelsko leistete Friedrich bei der Verteidigung der Stadt Tachau Beistand, bei der er von den Hussiten gefangen genommen wurde. Die vorliegenden Briefe aus dem Schwabenkrieg entstammen einer krie‐ gerischen Auseinandersetzung zwischen dem Schwäbischen Bund und der Schweizer Eidgenossenschaft um die Vorherrschaft im habsburgisch-eidgenös‐ sischen Grenzgebiet. Die vier Männer, deren Gefangenschaften in beide Lager des Krieges fallen, wurden am 11. April 1499 in der Schlacht von Schwaderloh gefangen genommen. Dass sich ihre Briefe erhalten haben, ist ein besonderer Glücksfall, da sie als reine Kombattanten ohne hochrangige Stellung im Heer an der Schlacht teilnahmen und wir so einen seltenen Einblick erhalten. Götz von Berlichingen nahm 1519 als Amtmann von Schloss Möckmühl auf der Seite Herzog Ulrichs von Württemberg am Konflikt gegen den Schwä‐ bischen Bund teil. Da er sich weigerte die Burg aufzugeben, kam es zu einer Belagerung Schloss Möckmühls und schließlich zu seiner Gefangenschaft. Auch die zweite Gefangennahme erfolgte durch den Schwäbischen Bund; verschärft 235 5. Zusammenfassung wurde die Lage noch durch die ‚erzwungene‘ Hauptmannschaft Götz von Berlichingens während des Bauernaufstands. 2. Phase: Die Observierung / Das Abschätzen der Wertigkeit Die Gefangennehmer verfolgten in den dargestellten Fällen bei der Gefangen‐ nahme ganz unterschiedliche Ziele, so kann die erste Gefangenschaft Oswalds von Wolkenstein als Beugehaft durch seinen Bruder gewertet werden; Michael von Wolkenstein wollte vor allem die Rückgabe der Wertgegenstände und eine Aufklärung des Raubes erreichen. Ob die Gefangenschaft von vornherein geplant war oder sich im Laufe des hitzigen Gefechts ergab, lässt sich anhand der Quellen nicht aufklären. Bei den anderen beiden Gefangenschaften Oswalds von Wolkenstein gibt es Hinweise darauf, dass er im Vorfeld ausspioniert wurde, bzw. dass seine Gegner versuchten, seine Schritte zu überwachen. Während es Martin Jäger zunächst noch um die entgangenen Gewinne aus den Pachtzinsen oder einen Verzicht Oswalds ging, kam es zur dritten Gefangenschaft, da sich Oswald von Wolkenstein dem angesetzten Rechtstag in Bozen durch Flucht entziehen wollte. Aus der Chronik und den weiteren Selbstzeugnissen Friedrichs von Flersheim erfahren wir nichts zur Abschätzung der Wertigkeit möglicher Gefangener, eventuell war er jedoch gezielt gefangen genommen worden, da man bereits einen möglichen Gefangenenaustausch anstrebte. Das Quellenkorpus aus dem Schwabenkrieg zeigt eindrücklich, wie sehr die beiden gegnerischen Lager nach der Schlacht im Schwaderloh um einen Gefangenenaustausch bemüht waren. Dabei war auf eidgenössischer Seite im Vorfeld der Schlacht versucht worden, das Festsetzen von Gefangenen zu verbieten - eine Vorsichtsmaßnahme, um der Söldnermentalität der eigenen Truppen vorzubeugen. Allerdings hatten bereits die vorherigen Schlachten gezeigt, dass sich dies nicht durchsetzen konnte und so zeigen gerade die späteren Verhandlungen um die Lösegeldzahlungen, wie uneins die Lager untereinander sein konnten. Götz von Berlichingens Ausfallversuch bei der Belagerung Schloss Möck‐ mühls mit rund 60 Männern war der Gegenseite aufgefallen, so dass er ergriffen werden konnte. Die Anklagepunkte seiner zweiten Gefangenschaft waren sein Verstoß gegen die Urfehdeauflagen, die Plünderungen des Klosters Amorbach und seine Hauptmannschaft bei den Bauern, und es darf davon ausgegangen werden, dass seine Schritte durch den Schwäbischen Bund beobachtet wurden. 3. Phase: Die Gefangennahme In den vorliegenden Selbstzeugnissen der zweiten Gruppe wird der Moment der Gefangennahme nicht immer so ausführlich geschildert, wie dies in der ersten 236 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden Gruppe der Fall war; auch begleitende Augenzeugenberichte lassen sich nur vereinzelt finden. Oswald von Wolkenstein gibt an, dass er bei seiner ersten Gefangennahme im Zuge einer Auseinandersetzung mit seinem Bruder schwer verletzt wurde, bevor dieser ihn festsetzte. Die Beschreibungen seiner zweiten Gefangennahme bleiben im Dunkeln. Oswald berichtet, dass er durch Martin Jäger und seine Fehdehelfer in eine Falle gelockt und gefesselt worden sei. Klarer gestaltet sich die dritte Gefangennahme. Es kann davon ausgegangen werden, dass Herzog Friedrich bereits mit dem Versuch Oswalds gerechnet hatte, sich dem angesetzten Rechtstag in Bozen im März 1427 zu entziehen und er deshalb so schnell eine bewaffnete und berittene Gruppe aussenden konnte, um Oswald aufzugreifen und für die Überstellung des Ritters nach Bozen zu sorgen. Die vier Fußsoldaten im Schwabenkrieg gelangten während der Kampfhand‐ lungen in Gefangenschaft und nur von Hans Landenberg erfahren wir, dass er während der Schlacht einen Beinschuss erlitten hatte. Sowohl Friedrich von Flersheim als auch Götz von Berlichingen gerieten während einer Belagerung in Gefangenschaft. Flersheim macht keine näheren Angaben zu seiner Gefangennahme. Er merkt jedoch an, dass man ihm direkt nach der Gefangennahme seine Rüstung, das Pferd und sämtlichen Barschaften abgenommen habe. Götz berichtet, dass er bei seinem Ausbruchsversuch nachts gegen 2 Uhr von einem Wachkontingent des Bundes aufgespürt worden war. Im sich anschlie‐ ßenden Gefecht sei er schließlich niedergeschlagen und festgesetzt worden. Für die Verschonung seines Lebens habe er 4 000 fl. geboten. Nachdem er ergriffen worden war, habe er erfahren, dass der oberste Bundeshauptmann Herzog Wil‐ helm von Bayern zunächst seinen Tod gefordert habe. Nach der Gefangennahme wurde Götz unmittelbar in einem Zelt untergebracht, verbunden mit dem Ver‐ sprechen, sich nicht von dort zu entfernen oder zu fliehen. In dem schriftlichen Revers sagte er zudem zu, dass er sich im Falle einer gewaltsamen Befreiung innerhalb von zwei Wochen in der Münchner ‚Neuveste‘ als Gefangener des Bundes einstellen werde. Seine zweite Gefangenschaft folgte, nachdem Götz sich in Blaufelden dem bündischen Jörg von Eisenheim unterwarf, dem er zugesagte, sich jederzeit dem Bund zur Verfügung zu stellen. Im Juli 1528 erreichte ihn schließlich die Vorladung nach Augsburg, wo er sofort ergriffen und im Turm eingeschlossen wurde, als er in der Stadt ankam. Die Fälle zeigen auf, dass über die eigene Gefangennahme nur ausführlicher berichtet wurde, wenn - wie im Fall Götz von Berlichingen - eine Rückschau auf die Geschehnisse vorgenommen wird. In den vorliegenden Briefen wird der eigentliche Akt der Gefangennahme nur kurz erwähnt. Diese Beobachtung 237 5. Zusammenfassung deckt sich auch mit den Gefangenschaftsfällen der ersten Gruppe. Der Grad der Gewalttätigkeit innerhalb der hier geschilderten Gefangennahmen ist sehr unterschiedlich - dabei löste gerade angewandte Gewalt großen Stress bei den Opfern aus, die mehrfach berichten, dass sie verletzt wurden. 4. Phase: Der Transport Anders als in der ersten Gruppe finden sich in diesen Fällen sehr viel weniger Angaben zu den Transporten. Dies liegt sicherlich auch daran, dass die Ge‐ fangenen häufig an einem Ort verwahrt wurden und die Gefangennehmer weniger mit gewaltsamen Befreiungsaktionen rechnen mussten. Oswald von Wolkenstein berichtet lediglich über Transporte während der beiden Gefangen‐ schaften, die den Hauenstein’schen Konflikt betreffen. So habe er demütigende Fesselungen erlitten, die nicht nur der Fluchtverhinderung dienten, sondern auch der Zurschaustellung seiner Person. 5. Phase: Die Gefangenschaft Während die Räume sowie die Vorkommnisse der ersten Gefangenschaft unbe‐ schrieben bleiben und man nur vage Anhaltspunkte dafür hat, dass Oswald auf Burg Wolkenstein festgehalten wurde, finden sich zu den Haftorten seiner anderen Gefangenschaften mehr Angaben. Einzelne Räume, wie die Fahlburg bei Prissian, werden in den Quellen benannt und in Oswalds lyrischen Werken finden sich Beschreibungen der Innenräume und der Haftbedingungen. Über den Ort seiner dritten Gefangenschaft auf Burg Vellenberg bei Innsbruck berichtet Oswald von engen und dunklen Räumen, in denen er sich nicht aufrichten konnte. Er sei streng bewacht worden und beklagt allgemein eine unritterliche Behandlung während seiner Haft. Nach den ersten Tagen auf der Burg wurde er Ende März nach Innsbruck verlegt und in den Kräuter‐ turm gesperrt, wo er, wie er hervorhebt, schließlich eine längere Dunkelhaft erleiden musste. Dies führte dazu, dass die Familie insistierte und eine bessere Behandlung Oswalds einforderte. Vor allem Oswalds zweite Gefangenschaft war seiner Darstellung zufolge am Anfang durch Gewalttätigkeiten geprägt. Die Knechte, die ihn im Auftrag Martin Jägers gefangen genommen hatten, folterten ihn. Die Misshandlungen hatten seelische und körperliche Folgen, wie die gebrochenen Schienbeine, die an Oswalds Skelett nachgewiesen werden konnten. Die Folgen dieser Erlebnisse spiegeln sich auch in den Reaktionen wider, die er in der dritten Gefangenschaft an sich aufzeigt. Er spricht von Angst- und Beklemmungsgefühlen sowie einer allgemeinen Schreckhaftigkeit, die er 238 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 861 Auch Albrecht Classen betont die Angststörungen Oswalds, die in seinen Liedern immer wieder dargestellt werden: „Because of one set of personal experiences in prison he dramatically reflects his fear of God and his fear of death; because of another set of experiences he vivaciously embraces life to the fullest in highly sensual terms.“ Albrecht C L A S S E N , Fear, in: Fear and its representations in the Middle Ages and Renaissance (wie Anm. 622), S. 291. 862 Laut Voss entdeckte er sein religiöses Gewissen während der Haft, das er jedoch nach der Gefangenschaft wieder verlor, V O S S , Adliges (wie Anm. 514), S. 54f. 863 Dazu bemerkt Voss: „Man muß dem hinzufügen, daß gerade diese Lieder viel zu inten‐ sive emotionale Signale der Betroffenheit geben, um als rein artifizielles Spiel mit einer literarischen Tradition gedeutet werden zu können.“, V O S S , Adliges (wie Anm. 514), S. 53. 864 Z. B. von König Enzio oder Richard Löwenherz, Ute Monika S C H W O B , Gefängnis, in: Burgen, Länder, Orte (wie Anm. 12), S. 239. an sich beobachtete. 861 Auffällig ist auch das religiöse Thema, das Oswald in seinen Liedern aufnimmt. Er berichtet mehrfach von Stoßgebeten und Fürbitten, die er während seiner Gefangenschaft sprach. 862 Gerade in der Kunst war es anscheinend eher möglich eigenen Gefühlen wie Angst und Hilflosigkeit Ausdruck zu verleihen. 863 Während man in Briefen aus der Gefangenschaft seine Familie nicht ängstigen oder den Lehnsherren um Beistand bitten wollte und man sich in großen Lebensbeschreibungen oder Dienstbiographien vor allem selbst darstellen oder das eigenen Verhalten erklären musste, erlaubte die lyrische Darstellungsebene eine tiefe Reflektion über das Erlebte. Dass auch andere hochrangige Gefangene ihre Erlebnisse verarbeiteten, indem sie sich während ihrer Zeit in Unfreiheit lyrisch betätigten, ist überliefert. 864 Gerade nach seiner zweiten Gefangenschaft lässt sich jedoch auch eine zunehmende Opfersicht in Oswalds Selbstzeugnissen feststellen, die entweder auf ein er‐ höhtes psychisches Leiden aufgrund der Erlebnisse hindeuten könnte oder auf bewusste Inszenierungen in den vorliegenden Texten. Gerade weil er für sich selbst in der Zeit zwischen den Gefangenschaften sehr wohl versuchte, das beste Ergebnis zu erzielen, z. B. indem er zu Sigismund reiste und sich wiederholt durch Fluchten der Verantwortung entzog, muss eben auch eine bewusste Inszenierung der eigenen Leiden in Betracht gezogen werden. Die Gefangenschaft Friedrichs von Flersheim verlief, wie er selber anmerkt, einzigartig. Nachdem er die ersten Wochen seiner Gefangenschaft in einem nicht näher beschriebenen Gefängnis in den Händen des mährischen Adeligen Smil von Moravany verbracht hatte, wurde er für seinen eigenen Austausch auf eine bestimmte Zeit aus der Gefangenschaft entlassen. Die Behandlung in diesen ersten Wochen, so gibt er an, sei gut gewesen, ohne dass er weitere Details dieser Zeit bei dem mährischen Adeligen preisgibt. 239 5. Zusammenfassung Der Gefangene aus dem Schwabenkrieg, bei dem sich der Ablauf seiner Gefangenschaft am ausführlichsten rekonstruieren lässt, ist Peter Landenberg. Dieser teilte mit, dass man ihn nach Weinfelden, östlich von Frauenfeld gebracht hatte. Dort lag er zunächst in einem der Türme der Stadt, wo er streng bewacht wurde. Die Knechte von Uri, von denen er gefangen genommen worden war, übernahmen auch seine Bewachung. Noch in diese Zeit im Turm fällt die Kontaktaufnahme Landenbergs mit seiner Familie, die er dringlich um die Zusendung des Lösegelds bat. Da er die ausgehandelte Höhe sowie die Frist für die Zahlung nur mit den Wachen ausgemacht hatte, die ihn zu diesem Zeitpunkt in ihrem Gewahrsam hatten, fürchtete er diese Möglichkeit des Freikaufs durch eine Wachablösung zu verlieren. Wahrscheinlich wurden die vor Ort liegenden Gefangenen der neuen Wachtruppe verkauft, wenn die Männer sich nicht zuvor gegen Lösegelder lösen konnten. Ein Transport der Gefangenen war sicherlich eine zu große logistische Anstrengung, so dass Peter Landenberg durchaus zu Recht eine Truppenablösung fürchtete. Für die beiden anderen Männer, die in der Hand der Eidgenossen waren, und den Züricher Jacob Leman lassen sich weniger Daten finden. Die Männer versuchten die Lösegelder über ihren Hauptmann und die Familien zu erhalten, wenngleich ihre Summen wesentlich niedriger ausfielen. Vermutlich waren sie ebenfalls aus dem Feldlager der Schlacht nach Weinfelden verbracht worden, wobei sich keine genauen Angaben dazu finden lassen, wo sie räumlich untergebracht waren. Ihre Bittbriefe sind sehr eindringlich verfasst; sie weisen zwar inhaltliche Parallelen auf, sind jedoch untereinander nicht so deckungsgleich wie die Briefe der Gesandtschaft aus Straßburg, die sich wesentlich mehr in ihrem Wortlaut glichen. Trotzdem kann auch in diesem Fall davon ausgegangen werden, dass die Briefe von den Gefangennehmern wohl diktiert, zumindest aber kontrolliert wurden. Die Schilderungen der vier Gefangenen, so unterschiedlich sie in ihrer Ausführlichkeit auch sind, haben einen gemeinsamen Kern: In allen Schreiben ist die Angst und die Verzweiflung der Männer erkennbar, die vor allem fürchteten, in ihrem Leid allein gelassen zu werden oder dass sie nicht rechtzeitig ausgelöst werden würden. Die Lösegeldzahlungen waren zunächst der einzige Weg in die Freiheit. Die Angst getötet zu werden war dabei nicht unbegründet. Allen in Erinnerung war sicherlich das Blutgericht von Greifensee geblieben, bei dem mehrere Gefangene hingerichtet wurden, und auch über die Belagerungen von Tiengen und Maienfeld war bekannt, dass einige Gefangenen 240 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 865 Feger zählt an dieser Stelle noch weitere Hinrichtungen in dem Zeitraum auf, vgl. F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), S. 14f. getötet und Rädelsführer nach der Belagerung von Maienfeld hingerichtet worden waren. 865 Götz von Berlichingen erlebte mehrere Gefangenschaftsräume in seinem Leben. In Heilbronn befand er sich zuerst in ‚ritterlicher Haft‘ im Wirtshaus Krone. Interessant ist hier vor allem die soziale Freiheit, die der Gefangene genoss: So durfte er seine Hafträume zum Kirchgang verlassen und seine Verwandtschaft, vor allem seine Frau zu sich holen. Es wurde ein Kind in dieser Zeit gezeugt und Götz von Berlichingen konnte einen regen Briefverkehr mit seinen Freunden und Verbündeten pflegen. Dieser soziale Kontakt riss auch dann nicht ab, als seine Gefangenschaftsbedingungen verschärft wurden und er in die Turmhaft gelangte, die er als ‚unritterliche Behandlung‘ anklagte. Während seiner zweiten Gefangenschaft in Augsburg genoss er ebenfalls noch einige Annehmlichkeiten, die Haftbedingungen waren jedoch nicht mehr so komfortabel wie in Heilbronn. Götz wurde im Heilig-Kreuzer-Torturm inhaftiert und verblieb, vom wahrscheinlichen Fluchtversuch abgesehen, während seiner zweiten Gefangenschaft an diesem Ort. Dabei sei er jedoch in einem oberen Teil des Turmes eingesperrt worden und nicht weiter unten, wo die Bedingungen weitaus schlechter gewesen seien. Die Verpflegung musste Götz selbst aus seinem Vermögen finanzieren. Zwar scheint in Augsburg seine Familie nicht kontinuierlich anwesend gewesen zu sein; er durfte jedoch Besuch empfangen. Auch die Möglichkeit, sich schriftlich zu äußern, wurde ihm eingeräumt, so konnte er einem Schreiber seine Schriften diktieren und bekam auch eigene Schreibutensilien zur Verfügung gestellt. Die hier vorgestellten Fälle zeigen auch auf, dass einige der Gefangenen Misshandlungen oder Haftverschärfungen erlitten, um bereits vor den großen Verhandlungen Zugeständnisse zu erhalten: Im Fall Götz von Berlichingens, der eine ‚Beugehaft‘ im Stadtturm über sich ergehen lassen musste, wurde dafür auch das ‚ritterliche‘ Gefängnis aufgehoben und Oswald von Wolkenstein beschreibt Folterungen, welche bleibende Schäden hinterließen. Auffallend ist, dass er seine Erlebnisse vor allem in seinen lyrischen Werken wiedergab. Dort beschreibt er Folgeschäden und seine Furcht vor erneuten Folterungen, die sich vor allem während der dritten Gefangenschaft manifestierte. Die Werke des Künstlers lassen den Raum für eine tiefere Innenschau zu und machen auch die Folgen der Erlebnisse für die Psyche des Gefangenen deutlich. 241 5. Zusammenfassung 6. Phase: Die Verhandlungen Wie schon bei der ersten Gruppe stellt sich auch hier die Phase der Verhand‐ lungen oftmals sehr vielschichtig dar, mit vielen verschiedenen Akteuren, die in die Geschehnisse eingriffen. Der taktische Schachzug Martin Jägers, Oswald, nachdem die Misshand‐ lungen keine Zusage hatten erzwingen können, auf die Starkenbergische Burg Forst bei Meran zu bringen, führte zu einer räumlichen Veränderung. In den Selbstzeugnissen finden sich keine Beschwerden über die Haftbedingungen auf Burg Forst. Familie und Freunde Oswalds von Wolkenstein schalteten sich ein und Ursula von Starkenberg schickte zwei Mittelsmänner zum Gefangenen, um sich von dessen Gesundheitszustand und seiner Unterbringung zu überzeugen. Oswald seinerseits kämpfte darum bis zur gerichtlichen Verhandlung auf Burg Forst verbleiben zu können, da er sich hier eine bessere Behandlung versprach. Beide Seiten versuchten nun vermehrt, die Gerichtsverhandlung voranzutreiben und gleichzeitig der Gegenseite zu schaden; so nahm Leonhard von Wolkenstein seinerseits Gefangene und zog so auch Herzog Friedrich, hinter dem die Familie den eigentlichen Drahtzieher der Gefangennahme Oswalds sah, direkt mit ins Geschehen. Gleichzeitig bestand jedoch immer die Befürchtung Martin Jäger könne seinen Gefangenen an einen anderen, unbekannten Ort verbringen; des‐ halb einigte man sich auf die Überstellung Oswalds nach Innsbruck in die Hände Herzog Friedrichs, wo er bis zum Schiedsspruch im März 1422 verblieb. Auf dem Rechtstag in Innsbruck wurde Oswald gegen eine Bürgschaft von 6 000 fl. eine Frist von fünf Monaten zugesprochen, in der er den Hauenstein’schen Streit selbst beenden sollte. Trotz intensiver Bemühungen misslangen alle Versuche einer gütlichen Einigung, woraufhin sich Oswald der erneuten Einstellung beim Tiroler Burggrafen durch eine Flucht zu König Sigismund nach Pressburg entzog. Nachdem zunächst alles so aussah, als könne er den Streit doch noch für sich entscheiden, schlug das Blatt um. Zwischen König Sigismund und dem österreichischen Herzog kam es zu einem Friedensschluss und der Tiroler Adelsbund, auf den der Ritter als Opposition gegen den Herzog gesetzt hatte, verlor zunehmend an Bedeutung, so dass Oswald seine Pläne nicht umsetzen konnte. Friedrich von Flersheim wurde, ohne dass er einen Bürgen stellen musste, aus seiner Gefangenschaft auf eine bestimmte Zeit gegen sein Ehrversprechen entlassen, um den eigenen Austausch zu arrangieren. Die folgenden Wochen waren geprägt durch ein ständiges Reisen des Ritters, der mit der Hilfe mehrerer Fürsprecher versuchte, den erwünschten Gefangenen von König Sigismund zu erhalten. Friedrich war in der Zeitspanne zwischen März 1428 und Herbst 1429 ununterbrochen unterwegs und kämpfte im königlichen Heer gegen 242 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden die Türken, bevor es zum endgültigen Austausch kam; auch von einem oder mehreren Besuchen bei seiner Familie kann ausgegangen werden. Räumlich war diese zweite Gefangenschaft bestimmt von einer größtmöglichen Freiheit des Gefangenen, die allerdings durch Friedrichs Ehrgefühl, das er immer wieder in den Briefen herausstellte, und gegebenenfalls weiteren Motivationen begrenzt wurde. Zusätzlich ging er soziale Verpflichtungen Sigismund gegenüber ein, von dem er sich die Herausgabe des „Herrn Dowitsch“ erhoffte. Friedrichs Briefe an seine Familie sind geprägt von einem sehr liebevollen Ton. Immer wieder versicherte er ihnen, dass er bei bester Gesundheit sei und sich die Dinge in seinem Sinne entwickeln würden. Es finden sich sehr persönliche Botschaften an seine Mutter und seine Frau, und er sparte auch nicht mit guten Wünschen für die Familie und Einschätzungen zu den Geschehnissen, von denen ihm berichtet wurde. Anders als in den anderen Briefen dieser Untersuchung konnte Friedrich seine Schreiben ohne Zensur durch seine Gefangennehmer verfassen, leider haben sich nicht alle Schreiben aus dieser Zeit erhalten. Einige versteckte Hinweise in den Briefen lassen die Vermutung zu, dass Friedrich von Flersheim während seiner Zeit in ‚Unfreiheit‘ für Sigismund als Bote tätig war und hinter dem ständigen Reisen vom König zu den Hussiten und nach Polen mehr stand, als der erwünschte Gefangenenaustausch. Friedrich jedenfalls schweigt sich an vielen interessanten Stellen in seinen Briefen über die Umstände seiner Gefangenschaft aus, und bisher ließen sich keine weiteren Quellen finden, die diese Zeitspanne im Leben des Ritters weiter erhellen könnten. Auffällig ist, dass er seine Familie mehrfach bat, keine Versuche zu unternehmen, ihn zu befreien, und seine Absicht wiederholte, das gegebene Ehrversprechen nicht brechen zu wollen. Es folgten Monate der Verhandlungen um den Austausch, da auch seine Fürsprecher zunächst nicht viel bei Sigismund ausrichten konnten. Friedrich, der selbst zum König reiste, wurde von diesem zunächst als Experte zur Thematik der Hussitenkämpfe befragt und der König verpflichtete ihn zur Teilnahme am Kampf gegen die Türken, bevor er über das Ansinnen des Ritters entscheiden wollte. Zwischenzeitlich erhielt Friedrich von Flersheim den Bruder seines Gefangennehmers statt des geforderten Gefangenen und mit diesem Angebot reiste er zurück nach Přerov. Der Gefangenenaustausch kam jedoch nicht zustande und Friedrich berichtete von seiner heldenhaften Teilnahme am Kampf gegen die Türken bei Golubac. Mit einem Empfehlungsschreiben des polnischen Königspaares kehrte er zu Sigismund zurück und erhielt endlich im August 1429 den geforderten Gefangenen. Die Verhandlungen im Schwabenkrieg um die Gefangenen nach der Schlacht von Triboltingen begannen unmittelbar nach Beendigung der Kampfhand‐ lungen. Auffällig ist, dass es mehrfach Bemühungen gab, Informationen über 243 5. Zusammenfassung die Anzahl der Gefangenen und ihrer Identität zu erhalten; ein Anzeichen, dass es gar nicht so einfach war, genaue Angaben zu bekommen. Die Gefangenen wandten sich mit den ihnen auferlegten Lösegeldforderungen zunächst an ihre Hauptmänner; allerdings waren gleichzeitig auch Briefe für die Familien und weitere Bekannte mitgeschickt worden, um alle möglichen Unterstützer anzusprechen. Dass es auch zu kritischen Situationen noch während der Ge‐ fangenschaft kommen konnte, beweisen die Spionagevorwürfe, die die Eidge‐ nossen gegen Landenberg erhoben. Auffällig ist, dass die Knechte von Uri den Gefangenen, der sich auf 30 fl. Lösegeld schätzen ließ, anscheinend schützten, um nicht auf das hohe Lösegeld verzichten zu müssen. Anscheinend ließen sie sich nicht durch den Druck ihrer Hauptleute beeindrucken und so zeigt sich ein recht gutes Bild von Uneinigkeiten selbst im eigenen Lager. Schließlich kam es zum Vorschlag, Peter Landenberg direkt gegen den eidgenössischen Peter Glasser auszutauschen. Tatsächlich scheint der Schwäbische Bund dem Austausch zugestimmt zu haben, so kann zumindest die Verlegung Peter Landenbergs in ein Wirtshaus nach Frauenfeld erklärt werden, wo er vermutlich bis zum Austausch verblieb. In seiner ersten Gefangenschaft wurde Götz von Berlichingen auf ein Lösegeld von 2 000 fl. geschätzt, das er zusätzlich zu den Atzungskosten entrichten sollte. Da Götz die Urfehde zunächst nicht unterschreiben wollte, kam es zu Haftverschärfungen und einer Nacht im Turm. Dabei lässt sich eine eigentümliche Machtverschiebung feststellen. Durch seinen Appell an die Freunde, Georg von Frundsberg und Franz von Sickingen, konnte er aus seiner Gefangenschaft heraus Druck auf den Rat der Stadt Heilbronn ausüben, der sich bereits zuvor nicht glücklich über die strengere Inhaftierung Götz’ gezeigt hatte. Nach nur einer Nacht wurde er ins Rathaus verbracht, da die Stadt ihm nicht länger ein schändliches Gefängnis im Turm zumuten wollte. Durch die Rechnungen erfahren wir, dass die Verpflegung in dieser Zeit äußerst gut war und er sich einige Annehmlichkeiten leisten konnte. Schließlich durfte er die restliche Zeit in Gefangenschaft erneut im Wirtshaus verbringen, ohne dass ihm die bisherigen Privilegien streitig gemacht wurden. Götz’ Bemühungen, in die Hände Kaiser Karls überstellt zu werden, verbunden mit dem Hinweis, dass er im Dienst Herzog Ulrichs von Württemberg unverschuldet in Gefangenschaft geraten sei, brachten jedoch keine Lösung für den Ritter. Auch der Austausch gegen den gefangenen schwäbischen Ritter Thomas von Ehingen schlug fehl. Schließlich musste Götz von Berlichingen sich eingestehen, dass er in seinen Verhandlungen nicht weiterkam. Auch bei seiner zweiten Gefangenschaft zeigte sich Götz zunächst uneinsichtig und wollte den geforderten Lösegeldbetrag von 1 000 fl. nicht begleichen. Erneut setzte er auf seine Freunde und Unterstützer 244 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden und weigerte sich, ein Schuldeingeständnis zu unterschreiben. Der missglückte Fluchtversuch machte schließlich alle Hoffnungen des Reichsritters zunichte und so fügte er sich den Forderungen. Die Lebensbeschreibung und die Briefe Götz’ von Berlichingen geben für beide Gefangenschaften vor allem ein Bild der Handlungsunfähigkeit und der empfundenen Ungerechtigkeit wieder. Götz litt unter seiner ungewissen Zukunft und der fehlenden Möglichkeit, selber in den Konflikt eingreifen zu können. Bereits zuvor war er nie gänzlich zufrieden gewesen, wie sich Freunde und Fürsprecher für ihn einsetzten. Diese Unsicherheit scheint sich in der zweiten Gefangenschaft gesteigert zu haben, auch weil er seine Familie nicht so eng wie zuvor zu sich holen konnte. Gut abzulesen ist an seinen Zeugnissen, dass Zeiten in Unfreiheit, gerade wenn sie lange andauerten, einen Menschen nachhaltig verändern konnten. Nachdem in der ersten Haft noch ein rebellischer Geist ausgemacht werden kann, fehlt dieser Zug in der zweiten Gefangenschaft. Sicherlich spielte auch das Alter eine Rolle: Als das endgültige Urteil zum Bauernkrieg gefällt wurde, war Götz Mitte fünfzig. Doch waren es wohl auch die wiederholte Erfahrung, untätig inhaftiert zu sein, und das Wissen, welche Schwierigkeiten nach einer Haft auf ihn zukommen konnten, die die zweite Gefangenschaft erschwerten. 7. Phase: Erfüllung der Forderungen / Flucht Nach den teils langwierigen Verhandlungen stellte diese Phase den Wendepunkt für die Gefangenen dar. Das von Michael von Wolkenstein angestrebte Schieds‐ gericht verurteilte Oswald von Wolkenstein nach seiner ersten Gefangenschaft nicht nur dazu, die gestohlenen Güter zurückzugeben, sondern sich auch bei seiner Schwägerin zu entschuldigen. Allerdings bekam er im Gegenzug den Mitbesitz seiner Familie an Burg Hauenstein gutgeschrieben - ein Besitz, der sein späteres Leben maßgeblich bestimmen sollte. Sehr viel langwieriger war es, eine Lösung für den Konflikt zu finden, der zur zweiten und dritten Gefangenschaft des Ritters geführt hatte. Am 1. Mai 1427, nach sehr schlep‐ penden Verhandlungen, unterschrieb Oswald schließlich den Urfehdetext, der eine vollständige Unterwerfung beinhaltete. Martin Jäger und den Brüdern Hausmann musste er den Weinhof überschreiben und die Folterungen der zweiten Gefangenschaft wurden nicht weiterverhandelt. Zusätzlich sollte er seine Mithilfe im Kampf gegen die Hussiten zusichern. Lediglich den Ankauf der restlichen Anteile an Burg Hauenstein konnte sich Oswald sichern, so dass der Erbfolgestreit um die Burg beendet werden konnte. Ganz anders sah es für Friedrich von Flersheim aus, der nach langen Verhand‐ lungen im September 1429 nach Přerov reisen und den Austausch vornehmen konnte. 245 5. Zusammenfassung 866 F E G E R , Kriegsgefangenschaft (wie Anm. 702), S. 16. Bei den Gefangenen des Schwabenkriegs ist nicht leicht auszumachen, wie die letzte Zeit ihrer Gefangenschaft verlief. Der am 22. September 1499 geschlossene Frieden von Basel beinhaltete unter anderem den Beschluss, ver‐ bliebene Gefangene freizulassen. Diese sollten die Zehrungskosten zahlen und Urfehde schwören. Die Verhandlungen zogen sich jedoch noch weit über einen Monat hin, so warfen sich beide Kriegslager gegenseitig vor, die Gefangenen schlecht behandelt zu haben. Es lassen sich Anschuldigungen finden, dass die Männer hart gehalten wurden, teilweise auch angekettet in Armeisen, und es stand immer wieder der Vorwurf der gezielten Folterung im Raum. 866 Ob diese Vorwürfe stimmen, lässt sich nicht sicher sagen, da sich die Gefangenen zu den Folterungen selber nicht äußerten. Götz von Berlichingen weigerte sich zunächst die Forderungen, die an ihn gestellt wurden, anzuerkennen. Erst als ihn die Verhandlungen nicht mehr weiterbrachten, willigte er in beiden Gefangenschaftsfällen in die jeweils vor‐ liegende Urfehde ein. 8. Phase: Erlangung der Freiheit Die jeweiligen Urfehdetexte geben - mit einer Ausnahme - einen recht guten Überblick über den Zeitpunkt, zu dem die Gefangenen ihre Freiheit wiederer‐ langten. Während der Spruch des Schiedsgerichtes die erste Gefangenschaft Oswalds beendete und er danach direkt wieder als freier Mann agieren konnte, war dies bei der zweiten Gefangenschaft anders. Kurzfristig hatte er sich zum König retten können, die Freiheit erlangte er dadurch jedoch nicht. Erst als er nach der letzten Gefangenschaft die Urfehde unterzeichnet hatte, konnte er endgültig auf Burg Hauenstein zurückkehren. Nachdem Friedrich von Flersheim seinen eigenen Gefangenenaustausch erfolgreich hatte beenden können, kehrte er zu seiner Familie zurück, die er zudem bat, dass sie die Bewohner von Lautern über seine Freilassung in Kenntnis setzen möge. Von den vier Gefangenen des Schwabenkrieges haben sich keine Urfehde‐ briefe erhalten, ein genauer Zeitpunkt, wann sie die Freiheit wiedererlangten, lässt sich deshalb nicht feststellen. Die Quellen liefern nur noch Angaben zu Peter Landenberg, für den die Kosten im Frauenfelder Wirtshaus noch offen waren, und zu Jacob Leman, der für einen geplanten Gefangenenaustausch bei Hans Vogler in Konstanz einquartiert worden war. Die Namen der anderen beiden Männer finden sich in den vorliegenden Nachrichten nicht mehr. Um aus seiner ersten Gefangenschaft entlassen zu werden, unterzeichnete Götz von Berlichingen nach drei Jahren und sieben Monaten in Unfreiheit die 246 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden Urfehde. Auch in seiner zweiten Gefangenschaft gab sich der Ritter schließlich geschlagen und unterzeichnete die Urfehde mit den auferlegten Forderungen. Damit er sich an die Regelungen des Urfehdespruchs hielt, wurde eine Klausel vereinbart, nach der er 25 000 fl. Strafe zahlen musste, sollte er die Bestim‐ mungen missachten. Der zusätzlich anberaumte Hausarrest, der Götz von Berlichingen nach seiner letzten Gefangenschaft auferlegt wurde, kann als Zwischenphase gewertet werden. Für den zuvor so streitbaren Götz war dieser Umstand sicherlich eine harte Prüfung - zumal er sich zeitlebens ungerecht behandelt fühlte und auch aus diesem Grund seine Lebensbeschreibung anfer‐ tigte. 9. Phase: Das Leben nach der Gefangenschaft Inwieweit Angaben zum Leben der Gefangenen nach ihrer Freilassung gemacht werden können, hängt stark von der Überlieferung ab. So haben sich zu den Männern des Schwabenkriegs keine Quellen erhalten, die Rückschlüsse auf ihre Zeit nach der Gefangenschaft zulassen. Für die anderen vorgestellten Fälle ist die Quellenlage besser: Nach seiner ersten Gefangenschaft konnte Oswald von Wolkenstein zunächst nahtlos an sein altes Leben anknüpfen und nach seiner Heirat mit Margarethe von Schwangau bezog er Burg Hauenstein als Familiensitz. Das Leben nach der Unterzeichnung der letzten Urfehde war zunächst geprägt vom Versuch, alle Bürgschaftsbriefe zurückzuerhalten und damit sämtliche Forderungen gegen ihn aus der Welt zu schaffen, um endlich mit dem Kapitel des hauensteinschen Erbschaftskonflikts abschließen zu können. Friedrich von Flersheim kämpfte nach seiner Freilassung weiter im Heer des pfälzischen Kurfürsten, in dessen Diensten er auch seine dritte Gefangenschaft erlebte. Er begleitete den Kurfürsten zudem auf dessen Pilgerreise ins Heilige Land. Zeitgleich war er in kaiserlichem Dienst als Gesandter anzutreffen und setzte sich für das Fortkommen seiner Söhne ein. Götz von Berlichingen kehrte nach seiner Freilassung auf Burg Hornberg zurück und zahlte innerhalb der gesetzten Frist die 2 000 fl. Lösegeld. Mit den Atzungskosten gab es Probleme, so dass deren Begleichung ihn noch einige Zeit kostete. Auch nach seiner zweiten Gefangenschaft konnte er auf seine Burg zurückkehren, allerdings behinderte ihn zunächst der Hausarrest, dem er sich unterwerfen musste. Er zahlte das geforderte Lösegeld und kämpfte weiter um seinen guten Ruf. Auffällig ist seine verzerrte Selbstwahrnehmung, so betonte er immer wieder, dass man ihm Unrecht getan und ihn unschuldig verurteilt habe. Der Umstand, dass die Plünderung des Klosters Amorbach in seiner Lebensbeschreibung nicht erwähnt wird, zeigt aber auch, dass er sich des Verbrechens, dessen er angeklagt worden war, bewusst war. Seinen Hausarrest konnte er schließlich umgehen, indem er Kaiser Karl Unterstützung im Kampf 247 5. Zusammenfassung gegen die Türken zusagte. Er nahm am Speyrer Reichstag im Jahr 1544 teil und starb im Jahr 1562 auf Burg Hornberg. 248 C. Militärische Gefangenschaften im Zuge von Kriegen und Fehden 867 Gabriele H A U G -M O R I T Z , Der Schmalkaldische Bund, 1530-1541/ 42. Eine Studie zu den genossenschaftlichen Strukturelementen der politischen Ordnung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 44), Leinfelden-Echterdingen 2002; Joachim B A U E R , Johann Friedrich I. der Großmütige (1503-1554). Turnierkämpfer - Mäzen - Lutherischer Kurfürst, in: Verlust und Gewinn. Johann Friedrich I., Kurfürst von Sachsen, hrsg. v. Joachim Bauer/ Birgitt Hellmann, Weimar 2003, S. 9-40, S. 26; Wieland H E L D , 1547, die Schlacht bei Mühlberg/ Elbe. Entscheidung auf dem Wege zum albertinischen Kurfürstentum Sachsen, Beucha 1997, S. 16. Neben Landgraf Philipp von Hessen und Johann von Sachsen unterzeichneten Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg, Herzog Philipp von Braunschweig-Gru‐ benhagen, Wolfgang von Anhalt-Köthen, die Grafen von Erbach und mehrere ober‐ deutsche Reichsstädte den Vertrag. 868 Andreas R A I T H E L , Vor der Schlacht bei Mühlberg: Kaiser Karl V. in Reichenbach: der siegreiche Feldzug gegen den sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich, das Anfallen des Vogtlandes an die Habsburger und der Erhalt des evangelischen Bekenntnisses, in: Sächsische Heimatbläter 53 (2007), Nr. 1, S. 322-330, S. 322; W A L L M A N N , Kirchenge‐ schichte (wie Anm. 813), S. 82-87. 869 Zum Schmalkaldischen Krieg: Jean-Yves M A R I O T T E , Philippe de Hesse (1504-1567). Le premier prince protestant (Bibliothèque d’Histoire Moderne et Contemporaine No. 30), Paris 2009, S. 214-237. 870 Volker S C H M I D T C H E N , Ius, in: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 177), S. 250f. Zum Schmalkaldischen Krieg und zu den Entwicklungen im Reich vgl. Johannes H E R R M A N N / Günther W A R T E N B E R G , Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen. Bd. III: 1. Januar 1547 - 25. Mai 1548 (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philo‐ logisch-Historische Klasse 68), Berlin 1978; H E L D , 1547 (wie Anm. 867), S. 52-99. Zur Vorgeschichte des Schmalkaldischen Krieges s. auch R A I T H E L , Schlacht (wie Anm. 868). D. Fürsten in Gefangenschaft Ende Dezember 1530 trafen sich unter der Leitung des sächsischen Kurfürsten Johann von Sachsen, des Vaters Johann Friedrichs, mehrere protestantische Fürsten zu ersten Verhandlungen, um ein Militärbündnis gegen die antiprotes‐ tantische Politik Kaiser Karls V. und die mit ihm verbündeten katholischen Reichsstände zu besprechen. Am 27. Februar 1531 wurde gemeinsam der Schmalkaldische Bund gegründet. 867 Der Bund gewann rasch an Einfluss und konnte zahlreiche Mitglieder unter der Führung Hessens und Kursachsens vereinen. Im August 1532 verstarb Johann der Beständige; Johann Friedrich folgte seinem Vater und übernahm, neben Philipp von Hessen, auch dessen Führungsrolle im Schmalkaldischen Bund. 868 Im Sommer 1546 kam es schließlich zum Schmalkaldischen Krieg. 869 Der Kaiser verhängte am 20. Juli 1546 gegen den Schmalkaldischen Bund die Reichsacht. 870 Auch Johann Friedrich, der im Jahr 871 Moritz von Sachsen hatte sich Anfang des Jahres 1541 mit der Landgrafentochter Agnes vermählt: H E L D , 1547 (wie Anm. 867), S. 25. Zur Einschätzung des Eingreifens Moritz’ in den Schmalkaldischen Krieg s. Gabriele H A U G -M O R I T Z , Zur Konstruktion von Kriegsniederlagen in den frühneuzeitlichen Massenmedien - das Beispiel des Schmalkaldischen Krieges (1547-1552), in: Kriegsniederlagen. Erfahrung und Erinne‐ rung, hrsg. v. Dieter Langewiesche/ Friedrich Lenger/ Hans-Henning Kortüm/ Horst Carl, Berlin 2015, S. 345-374, S. 345. 872 Zur Uneinigkeit der drei Fürsten von Hessen, Sachsen und Württemberg und zu den Folgen s. M A R I O T T E , Philippe (wie Anm. 869), S. 218-221. 873 Zu Philipp von Hessen hat es bereits Ansätze dazu gegeben: Fritz W O L F F , Der gefangene Landgraf - Der Weg in die Gefangenschaft, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567. Hessen im Zentrum der Reform; Begleitband zu einer Ausstellung des Landes Hessen, hrsg. v. Ursula Braasch-Schwersmann/ Hans Schneider/ Wilhelm Ernst Winterhager, Neustadt 2004, S. 123-137. Eine umfassende Biographie des Landgrafen, die aufgrund des Todes des Verfassers nicht beendet wurde, liefert: M A R I O T T E , Philippe (wie Anm. 869). Zum Archivbestand beider Fürsten: Richard Andrew C A H I L L , Philipp of Hesse and the Reformation (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Ge‐ schichte Mainz, Abteilung für abendländische Religionsgeschichte 180), Mainz 2001, S. 8. zuvor Herzog Heinrich II. von Braunschweig-Wolfenbüttel gefangen genommen hatte, fiel am 19. Juli 1546 unter die Acht. Herzog Moritz von Sachsen, Vetter Johann Friedrichs und Schwiegersohn des Landgrafen Philipp von Hessen, stellte sich auf die kaiserliche Seite und fiel im Oktober in Kursachsen ein. 871 Parallel führten konträre Ansichten über den Fortgang der militärischen Ak‐ tionen zu Auseinandersetzungen unter den protestantischen Hauptleuten: 872 Während Philipp von Hessen mit dem Kaiser diplomatisch verhandeln wollte, zog sich Johann Friedrich im November nach Sachsen zurück, um dort gegen Herzog Moritz und Erzherzog Ferdinand zu rüsten. Durch die unterschiedlichen Fahrweisen und enger werdende Finanzierungen löste sich das protestantische Heer auf. Karl konnte nach und nach Süddeutschland für sich gewinnen und am 24. April kam es zur Schlacht bei Mühlberg an der Elbe, die der Bund verlor. Der Gefangennahme Johann Friedrichs während der Schlacht bei Mühlberg folgte im Juni 1547 auch die Inhaftierung des hessischen Landgrafen. Zur Gefangenschaft der beiden Fürsten hat sich eine beinah unübersichtliche An‐ zahl an Selbstzeugnissen in den Archiven erhalten. Deshalb kann in dieser Studie nur ein erster Einblick in die Gefangenschaften anhand bisher edierter Quellen gewährleistet werden. Es wäre eine Detailstudie zur Gefangenschaft der beiden Fürsten wünschenswert, die das gesamte Archivmaterial sichtet und auswertet. 873 250 D. Fürsten in Gefangenschaft 874 Zur Entwicklung der Forschungsgeschichte zur Person Johann Friedrichs: Gabriele H A U G -M O R I T Z , Johann Friedrich I. und der Schmalkaldische Bund, in: Johann Friedrich I. - Der lutherische Kurfürst, hrsg. v. Volker Leppin/ Georg Schmidt/ Sabine Wefers, Gütersloh 2006, S. 85-100; die Stellung Johann Friedrichs in der Reformation und sein Anteil an ihrer Verbreitung: Gottfried S E E B A S S , Die deutschen Fürsten und die Reformation: Kontext und Hintergrund des kirchlichen Wirkens Johann Friedrichs von Sachsen, in: Johann Friedrich I. - Der lutherische Kurfürst, hrsg. v. Volker Leppin/ Georg Schmidt/ Sabine Wefers, Gütersloh 2006, S. 9-27; zur Stellung des Kurfürsten im Schmalkaldischen Bund und im anschließenden Krieg: Dieter S T I E V E R M A N N , Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen, seine hegemoniale Stellung und der Schmalkaldische Krieg, in: Johann Friedrich I. - Der lutherische Kurfürst, hrsg. v. Volker Leppin/ Georg Schmidt/ Sabine Wefers, Gütersloh 2006, S. 101-125; zu seiner Ausbildung in seiner Kindheit und Jugendzeit s. Joachim B A U E R , Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen und die Bücher, in: Johann Friedrich I. - Der lutherische Kurfürst, hrsg. v. Volker Leppin/ Georg Schmidt/ Sabine Wefers, Gütersloh 2006, S. 169-189, S. 171-177. Zur Haltung des Kurfürsten zur Konzilsfrage: Eike W O L G A S T , Johann Friedrich von Sachsen und das Konzil, in: Johann Friedrich I. - Der lutherische Kurfürst, hrsg. v. Volker Leppin/ Georg Schmidt/ Sabine Wefers, Gütersloh 2006, S. 281-294; zum Beinamen „der Großmüthige“: Michael E N T E R L E I N / Franz N A G E L , Katalog der Darstellungen Johann Friedrichs des Großmütigen, in: Verlust und Gewinn. Johann Friedrich I., Kurfürst von Sachsen, hrsg. v. Joachim Bauer/ Birgitt Hellmann, Weimar 2003, S. 119-291, S. 125. 1. Johann Friedrich I. von Sachsen a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses 874 Johann Friedrich I. von Sachsen wurde in der ersten Ehe des sächsischen Kurfürsten Johann des Beständigen mit Sophie zu Mecklenburg am 30. Juni 1503 in Torgau geboren. Er genoss sowohl eine humanistische Bildung als auch eine angemessene Unterweisung im Fechten, Jagen und Reiten. Zeit seines Lebens besaß er eine große Leidenschaft für Turnierkämpfe. Am 9. Februar 1527 vermählte er sich mit Sybille, einer Tochter des Herzogs Johann III. von Jülich-Kleve-Berg. Der Ehe entstammten vier Söhne, von denen ein Sohn nach der Geburt starb. Im Jahr 1532 übernahm Johann Friedrich nach dem Tod des Vaters das Kurfürstenamt. In religiösen Fragen folgte er seinem Vater und bekannte sich zum reformierten Glauben. Dies änderte sich auch während der Zeit in Gefangenschaft nicht, in die er nach der Schlacht zu Mühlberg geriet. Gemeinsam mit Landgraf Philipp I. von Hessen übernahm er die Führung der protestantischen Fürsten im Schmalkaldischen Bund. Die Aus‐ einandersetzungen mit Kaiser Karl V. führten schließlich zum Schmalkaldischen Krieg und zur Gefangenschaft Johann Friedrichs. Zeitlebens setzte er sich für die Reformation ein und war ein Förderer der Wissenschaften. Er gründete die Hohe Schule zu Jena, die 1558 zur Universität 251 1. Johann Friedrich I. von Sachsen 875 R A I T H E L , Schlacht (wie Anm. 868), S. 328. 876 H E L D , 1547 (wie Anm. 867), S. 84. 877 R A I T H E L , Schlacht (wie Anm. 868), S. 326. 878 Heinz S C H M I D T -F A L K E N B E R G , 1547 - Die Schlacht bei Mühlberg und Falkenberg, Halle (Saale) 2012, S. 5. Held, 1547 (wie Anm. 867), S. 85f. u. 92. Andreas Raithel gibt abwei‐ chende Zahlen an: 4 000 Fußknechte und 2 000 Reiter: R A I T H E L , Schlacht (wie Anm. 868), S. 328. 879 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Korrespondenz (wie Anm. 870), S. 22; Georg M E N T Z (Hrsg.), Johann Friedrich der Großmütige 1503-1554. Festschrift zum 400jährigen Geburtstage des Kurfürsten. Vom Beginn des Schmalkaldischen Krieges bis zum Tode des Kur‐ fürsten; Der Landesherr; Aktenstücke (Beiträge zur neueren Geschichte Thüringens 3), Jena 1908, S. 100-103. Eine genaue Beschreibung der Elbüberquerung und über das Wei‐ terkommen des kaiserlichen Heeres bietet: S C H M I D T -F A L K E N B E R G , 1547 (wie Anm. 878), S. 7-11. erklärt wurde, und war ein Unterstützer der Universität Wittenberg. Im Alter von 50 Jahren verstarb Johann Friedrich am 3. März 1554 in Weimar. Er wurde in der Stadtkirche St. Peter und Paul in Weimar beigesetzt. 875 Während seiner Gefangenschaft führte er seine politischen Aktivitäten mit‐ hilfe seiner Räte und einem regen Nachrichtenverkehr zwischen ihm und seinen Söhnen fort. Den beiden ältesten Söhnen übertrug er die Verwaltung der ernes‐ tinischen Gebiete in der Zeit seiner Unfreiheit. Die Briefe, die während der fünf Jahre in Gefangenschaft verfasst wurden, dienen in diesem Untersuchungsfall als Quellen. b) Der Untersuchungsfall Die Gefangennahme Im Januar 1547 belagerte Johann Friedrich zunächst erfolglos Leipzig, während Kaiser Karl Ende März 1547 nach Sachsen zog und die katholischen Streitmächte in Eger unter seinem Kommando vereinigte. Johann Friedrich hatte sich nach der erfolglosen Belagerung nach Meißen zurückgezogen und ließ am 23. April 1547 die Elbbrücke bei Meißen zerstören, um dem Kaiser das Vorwärtskommen zu erschweren. 876 Das kaiserliche Heer bestand aus 18 000 deutschen und böhmischen Fußknechten, die durch 5 000 spanische Fußknechte sowie 6 000 Reiter verstärkt wurden. 877 Demgegenüber standen ca. 1 000 Reiter, 21 Geschütze und weniger als 8 000 Fußsoldaten im kurfürstlichen Heer. 878 Obwohl der Kurfürst fest damit gerechnet hatte, dass die Zerstörung der Brücke das kaiserliche Heer behindern würde, überquerte der Kaiser mit seinem Heer am 23. April die Elbe an einer Furt und näherte sich so bedeutend schneller seinem Kontrahenten. 879 Herzog Moritz, der mit einem eigenen Kontingent 252 D. Fürsten in Gefangenschaft 880 Lersner konnte der Schlacht bei Mühlberg entkommen und war einer der Augenzeugen, die von den Geschehnissen berichteten: S C H M I D T -F A L K E N B E R G , 1547 (wie Anm. 878), S. 12f.; H E L D , 1547 (wie Anm. 867), S. 87 u. 94; Bericht des Heinrich Lersners an Landgraf Philipp von Hessen vom 27. April 1547: H E L D , 1547 (wie Anm. 867), S. 143-146. 881 R A I T H E L , Schlacht (wie Anm. 868), S. 328. 882 Vom 24. April 1547 der Bericht des kurfürstlichen Kämmerers Hans von Ponickau: H E L D , 1547 (wie Anm. 867), S. 136-141; vom 27. April hat sich die Schilderung Heinrich von Lersners an Philipp von Hessen erhalten: ebd., S. 143-146; ebenfalls noch im April verfasst wurde der Bericht Dr. Ludwig Gremps an Jakob Sturm in Straßburg: ebd., S. 151f. sowie die Schilderung des Blumberger Bauern Georg Dorn: ebd., S. 152f. Von einem unbekannten Autor hat sich ein Bericht von Anfang Mai an Straßburg erhalten: ebd., S. 146-150; ein Bericht Hans Baumanns vom 12. Mai 1547 an den Rat der Stadt Rothenburg o. T.: ebd., S. 130-136; eine Schilderung des kursächsischen Unterfeldmarschalls Wolf von Creutz vom 27. Mai 1547 an Herzog Albrecht von Preußen: ebd., S. 141-143 und ein im selben Jahr gedruckter Bericht des Johannes Bugenhagen, der Anfang August 1547 entstand: ebd., S. 154-157. 883 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Korrespondenz (wie Anm. 870), S. 23. 884 Bericht des Dr. Ludwig Gremps: H E L D , 1547 (wie Anm. 867), S. 151. 885 H E L D , 1547 (wie Anm. 867), S. 97f. Vgl. auch den Augenzeugenbericht des Hans Baumanns: ebd., S. 130-136, hier S. 134f. im kaiserlichen Heer mitzog, versuchte einen letzten Vermittlungsversuch, um Johann Friedrich zur Aufgabe zu bewegen. Er schickte den hessischen Diplomaten Heinrich Lersner mit einem Trompeter ins gegnerische Lager. Doch dieser konnte keine Meinungsänderung beim Kurfürsten erwirken. 880 Nachdem der Kurfürst die Überlegenheit des Kaisers und die Aussichtslosigkeit der Lage erkannt hatte, ließ er seine Truppen den Rückzug nach Wittenberg und Torgau antreten. Die Reiterei floh und das Fußvolk konnte den Kurfürsten nicht mehr schützen. 881 Das kaiserliche Heer kam schneller voran und so kam es in einem Waldstück bei Falkenberg, der Lochauer Heide, zum Zusammentreffen des kurfürstlichen Heeres und ungarischer sowie spanischer Husaren. Von Johann Friedrich selbst hat sich kein Bericht seiner Gefangennahme erhalten, dafür geben aber mehrere Augenzeugenberichte Auskunft über die Ereignisse auf der Lochauer Heide. 882 Johann Friedrich, der sich im Gefecht eine Wunde auf der linken Wange zugezogen hatte, wurde auf seinem Friesen‐ pferd eingeholt und umzingelt. 883 Unter den Kriegern des gegnerischen Heeres entbrannte eine Kontroverse, wer den Kurfürsten gefangen nehmen durfte. Den ungarischen Husaren, die ihn zunächst angegriffen und verwundet hatten, übergab der Kurfürst seine Sporen, einen Dolch und sein Schwert. Nachdem er entwaffnet worden war, bestand er jedoch darauf, sich nur von einem deutschen Landsmann niederwerfen zu lassen. 884 So ergab er sich schließlich dem herzoglichen sächsischen Reiter Thilo von Trotha, dem er auch zwei Halsringe seiner Rüstung gab. 885 Diese Schilderung der Gefangennahme ist die 253 1. Johann Friedrich I. von Sachsen 886 Über die anderen adeligen Gefangenen, die der Kaiser zunächst verarzten ließ s. Dieter S T I E V E R M A N N , Kurfürst, in: Johann Friedrich I. - Der lutherische Kurfürst (wie Anm. 874), S. 114 und H E L D , 1547 (wie Anm. 867), S. 98f., S. 135. 887 S C H M I D T -F A L K E N B E R G , 1547 (wie Anm. 878), S. 20; R A I T H E L , Schlacht (wie Anm. 868), S. 328. Zum Herzog von Alba, Fernando Alvarez: Henry K A M E N / Amado D I É G U E Z , El gran duque de Alba. Soldado de la España imperial, Madrid 2004. 888 Zur Bedeutung des Sieges von Mühlberg für Karl V. und die darauffolgenden Entwick‐ lungen: S E I B T , Karl (wie Anm. 233), S. 167-207. 889 M E N T Z , Johann (wie Anm. 879), S. 104f. 890 S C H M I D T -F A L K E N B E R G , 1547 (wie Anm. 878), S. 21. 891 Ebd., S. 22. 892 H E L D , 1547 (wie Anm. 867), S. 99. einzige Stelle in den vorliegenden Untersuchungsfällen, die vom Überreichen von Waffen und Rüstungsgegenständen nach dem Sieg über einen Gegner berichtet. Johann Friedrich bedachte mit den Gegenständen mehrere Personen, bestand jedoch darüber hinaus darauf, sich von einem ‚Landsmann‘ gefangen nehmen zu lassen. Das bedeutet keineswegs, dass es nur ein Ritual bei der Gefangennahme hochrangiger Fürsten gegeben haben muss, aber da es in den anderen hier untersuchten Selbstzeugnissen nicht erwähnt wird, kann nicht davon ausgegangen werden, dass es bei jeder Unterwerfung eines Gegners zu einer ritualisierten Übergabe von Gegenständen kam. Zusammen mit Johann Friedrich wurden mehrere Herzöge und Grafen, wie der Herzog Ernst IV. von Braunschweig-Grubenhagen, gefangen gesetzt. 886 Der gefangene Kurfürst wurde zunächst zum Herzog Alba, Fernando Álvarez de Toledo, gebracht. Dieser nahm sich des Fürsten an und führte ihn zum Kaiser. 887 Auch von der Begegnung mit Karl berichten die Quellen ausführlich. Der Kurfürst durfte auf seinem Pferd sitzen bleiben, statt des Helmes trug er eine einfache Kappe, die er auch nicht vom Kopf nahm, als er vor dem Kaiser stand. 888 Die Augenzeugenberichte geben daraufhin in leichten Abwandlungen das Gespräch zwischen Johann Friedrich und dem Kaiser wieder. Johann Friedrich grüßte den Kaiser, der dem Gefangenen jedoch ins Wort fiel und ihn zurechtwies, dass seine Ehrerbietung zu spät erfolge und ihm nun nichts mehr nützen werde. Die darauffolgende Bitte um ein ehrvolles Gefängnis habe Karl unbeantwortet gelassen. 889 Nach der Unterhaltung mit dem Kaiser wurde Johann Friedrich zusammen mit Herzog Ernst von Braunschweig-Grubenhagen unter der Obhut des spani‐ schen Oberst Alfonso de Vives auf einem Pferdewagen nach Außig gebracht. 890 Im Haus des Richters Stephan Erdmann wurde die Gesichtswunde Johann Friedrichs von einem Wundarzt versorgt. 891 Der Kaiser kehrte ins Ausgangslager Schirmenitz bei Mühlberg zurück. 892 254 D. Fürsten in Gefangenschaft 893 M E N T Z , Johann (wie Anm. 879), S. 108. 894 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Korrespondenz (wie Anm. 870), S. 25; Held, 1547 (wie Anm. 867), S. 103. 895 Andreas K L I N G E R , Großmütig und standhaft. Zum ernestinischen Bild Johann Fried‐ richs im 17. Jahrhundert, in: Verlust und Gewinn. Johann Friedrich I., Kurfürst von Sachsen, hrsg. v. Joachim Bauer/ Birgitt Hellmann, Weimar 2003, S. 41-60, S. 44f. Klinger stellt heraus, dass es dieses Bild nicht erst im 17. Jahrhundert gab, sondern eine erste Schachszene bereits 1548 in einem vom Kurfürsten selbst in Auftrag gegebenen, wohl von Jan Cornelisz Vermeyen gemalten, Gemälde auftaucht. Enterlein und Nagel weisen darauf hin, dass von diesem Bildnis zwei Gemälde angefertigt wurden. Das eine verschenkte der Kurfürst an seinen ‚Mitspieler‘ Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg und das andere ließ er seiner Familie zukommen: Michael E N T E R L E I N / Franz N A G E L , Katalog, in: Verlust und Gewinn (wie Anm. 874), S. 156f.; Georg S C H M I D T , Der Kampf um Kursachsen, Luthertum und Reichsverfassung (1546-1553) - Ein deutscher Freiheitskrieg? , in: Johann Friedrich I. - Der lutherische Kurfürst, hrsg. v. Volker Leppin/ Georg Schmidt/ Sabine Wefers, Gütersloh 2006, S. 55-85, S. 70f. 896 Karl Erich B O R N , Moritz von Sachsen und die Fürstenverschwörung gegen Karl V (Libelli 340), Darmstadt 1972, S. 4; Alfred K O H L E R , Die Religionsfrage im politischen Kalkül Kaiser Karls V., in: Reformation und Landesherrschaft. Vorträge des Kongresses anlässlich des 500. Geburtstages des Landgrafen Philipp des Großmütigen von Hessen Die Gefangenschaft Sofort nach der Gefangennahme des Kurfürsten wurden Verhandlungen um die Wittenberger Kapitulation in Gang gebracht. 893 Johann Friedrich schlug die vom Kaiser geforderte vollständige Kapitulation aus, woraufhin Karl das Todesurteil wegen Rebellion gegen Johann Friedrich aussprach. 894 Die gefasste Haltung Johann Friedrichs, in der er das Todesurteil am 10. Mai 1547 gleichmütig beim Schachspiel hingenommen haben soll, wurde zur Stilisierung seiner Person immer wieder in den Quellen dargestellt. 895 Trotz seiner anfänglichen Weigerung unterzeichnete Johann Friedrich am 19. Mai 1547, auch um sich Gebiete in Thüringen zu erhalten, die Wittenberger Kapitulation. Das sächsische Kurfürstentum wurde an Moritz von Sachsen übertragen und dies war mit weitreichenden Gebietsabtretungen verbunden. 896 Gleichzeitig drängte Johann Friedrich auf ein souveränes Fürstentum für seine Söhne - am Ende war die Saale Grenzfluss der neugeordneten Gebiete. Alle Län‐ dereien östlich der Saale musste Johann Friedrich an Moritz abgeben, während der Kaiser Wittenberg und die Festung Gotha in seiner Hand behielt. Die west‐ lichen Gebiete bekam Johann Friedrich zugesprochen, der auch die Ämter Cam‐ burg und Dornburg von Moritz erhielt. Seine Söhne unterzeichneten ebenfalls die Kapitulation. Moritz seinerseits musste 100 000 fl. Schulden des ehemaligen Kurfürsten begleichen und außerdem dessen Söhnen ein Einkommen von 50 000 255 1. Johann Friedrich I. von Sachsen vom 10. bis 13. November 2004 in Marburg, hrsg. v. Inge Auerbach, Marburg 2005, S. 177-186, S. 183; R A I T H E L , Schlacht (wie Anm. 868), S. 328. 897 Darüber hinaus ließ Johann Friedrich sämtliche Gefangene frei und löste alle alten Bündnisse auf: H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Korrespondenz (wie Anm. 870), S. 25f. Herzog Ernst von Braunschweig wurde durch die Wittenberger Kapitulation aus seiner Gefan‐ genschaft entlassen: H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Korrespondenz (wie Anm. 870), Nr. 584, S. 412-416, hier S. 413. 898 H E L D , 1547 (wie Anm. 867), S. 109. 899 Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 126. fl. jährlich garantieren. 897 Damit wurde das kaiserliche Todesurteil gegen Johann Friedrich in eine ‚ewige Gefangenschaft‘ umgewandelt. Der wichtigste Punkt für Johann Friedrich war jedoch seine Weigerung, den protestantischen Glauben und dessen Ausübung in seinem Herrschaftsgebiet aufzugeben, eine Haltung, die er während seiner gesamten Gefangenschaft aufrechterhielt. Ebenfalls im Mai suchte Johanns Ehefrau Sybille den Kaiser auf und bat um die Freilassung ihres Mannes. Der Kaiser gewährte Johann Friedrich einen kurzen Urlaub über die Pfingsttage im Beisein seiner Familie auf dem Wittenberger Schloss. 898 In den folgenden Jahren begleitete Johann Friedrich den Kaiser auf seinen Reisen durchs Reich. Zunächst ging es für Johann Friedrich im Juni nach Halle, wo Karl auch Landgraf Philipp von Hessen unterwarf und gefangen setzte. Beim Aufbruch aus Halle nach Süddeutschland präsentierte der Kaiser seine Gefangenen der Öffentlichkeit in einem inszenierten Triumphzug, um seine Machtstellung deutlich zu machen und die Fürsten zu demütigen. 899 Über Naumburg zog das kaiserliche Gefolge nach Augsburg, wo der von Karl einberufene „geharnischte“ Reichstag stattfinden sollte. Anders als Johann Friedrich beugte sich Landgraf Philipp von Hessen dem kaiserlichen Druck und unterwarf sich dem Kaiser auch in Glaubensfragen. Johann Friedrich, der sich gut unterrichtet zeigte, beschwerte sich in einem Brief vom 25. Juli 1547 an seinen Hofrat Gregor Brück über die Untreue des Landgrafen: „mit was grooser vntrev der Landgraff zu Hessen nicht allein gegen uns, sondern auch der gemeinen ainung gehandelt, So ist er doch durch die Handlung des neuen Churfürsten Herzog Moritzen und des Marggrafen mit duppelter untreu wider uns bezalt worden, die inen auch also in der bruhe lassen stecken. Er suchet aber wunderbarliche wege, dadurch er mochte erledigt werden, und scheuet nichts, es gehe mit got und gewissen zu, oder mags sonst durch andere wege erlangen. Dan wir uns die sachen ansehen so wurde er 256 D. Fürsten in Gefangenschaft 900 Johann Karl Eduard S C H W A R Z , Johann Friedrich’s des Großmüthigen Correspondenz mit Brück und Amsdorf vor dem Augsburger Reichstage 1547, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde (1854), S. 395-414, hier S. 398. 901 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Korrespondenz (wie Anm. 870), Nr. 722, S. 505f.; S C H W A R Z , Johann (wie Anm. 900), S. 398-401. 902 S C H W A R Z , Johann (wie Anm. 900), S. 399. 903 Ebd., S. 399f. 904 Ebd., S. 401. 905 M E N T Z , Johann (wie Anm. 879), S. 276. die religion ganz in die schanze schlagen, wan er nur konnte aus iziger seiner verhaftung kommen.“ 900 Doch hätte die Taktik Philipps nicht dazu geführt, dass seine Gefangenschaft leichter zu ertragen sei, denn während Johann Friedrich nun weiter mit dem Kaiser nach Augsburg ziehen würde, müsste Philipp bei seiner spanischen Wache verbleiben. 901 Im selben Schreiben zeigte sich Johann Friedrich besorgt, dass der Kaiser mit Versprechungen einer raschen Freilassung versuchen würde, ihn in der Religionsfrage doch noch zu einem Umdenken zu bewegen. Er hoffe jedoch inständig auf göttlichen Beistand, damit er standhaft bleibe: „Zu unser erledigung gibt man uns guten trost das wir uf vorgehende furbit Churfürsten Fursten und stende des Reichs sollen erlediget werden. Die sachen stehen aber in der hand des almechtigen gottes, der wirdet sie nach seinem gottlichen Willen wol schicken. Wir haben aber grosse beisorge bei uns, das es nicht so gar eben, wie man uns vertrostet, werde zugehen.“ 902 Er werde seine Meinung nicht ändern, auch wenn er länger in Gefangenschaft bleiben müsse, doch fürchte er, dass man mit List und Vorwänden versuchen werde, ihn zu beeinflussen. Außerdem sei es möglich, dass man ihn nach Spanien bringen würde oder aber seine Söhne zum spanischen oder kaiserlichen Hof schicken könnte, um sie im katholischen Glauben zu erziehen. 903 Johann Friedrich nutzte in diesem Brief eine Verschlüsselung, um seine Ausführungen zu chiffrieren und so der ständigen Zensur seiner Wachen zu entgehen. Deshalb gab er im gleichen Schreiben Gregor Brück die Anweisung, das vorliegende Schriftstück in Leipzig dechiffrieren zu lassen, da er vermutete, dass Brück selber den notwendigen ‚Schlüssel‘ nicht besaß. 904 Die Codierungen finden sich in mehreren Schreiben Johann Friedrichs und gewährleisteten für den Zeitraum der Gefangenschaft immer wieder freie Meinungsäußerungen des Fürsten ohne Zensur durch die Wachen. Zeitgleich versuchte Johann Friedrich sich in seiner Gefangenschaft, so geben es die Quellen wieder, möglichst gut mit der Situation zu arrangieren. Er blieb höflich und konnte einige Wachen und Bedienstete am kaiserlichen Hof mit seiner freundlichen Haltung für sich gewinnen, so dass es zu mehreren Hafterleichterungen kam. 905 257 1. Johann Friedrich I. von Sachsen 906 Carl August Hugo B U R K H A R D T , Die Gefangenschaft Johann Friedrichs des Grossmü‐ thigen und das Schloß zur „Fröhlichen Wiederkunft“. Nebst einer Abbildung, Weimar 1863, S. 26f. 907 Bartholomäus S A S T R O W / Gottlieb M O H N I K E / Johann Jakob Meno V A L E T T , Bartholomäi Sastrowen Herkommen, Geburt und Lauff seines gantzen Lebens: auch was sich in dem Denckwerdiges zugetragen, so er mehrentheils selbst gesehen und gegenwärtig mit angehöret hat (2), Greifswald 1824, Cap. II, S. 46f. 908 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Korrespondenz (wie Anm. 870), Nr. 797, S. 565f. Am 26. Juli 1547 erreichte Johann Friedrich mit dem kaiserlichen Hof Augs‐ burg, wo er in einem Haus der Patrizierfamilie Welser untergebracht wurde. Eine spanische Wache beaufsichtigte den Fürsten. Darüber hinaus konnte er jedoch auch sein Gefolge, das aus 20 Personen und zahlreichen Pferden bestand, unterbringen. 906 Seine Räume, so hebt Bartholomäus Sastrow hervor, durften nur von seinen Dienern betreten werden und mit Herzog Alba und anderen hohen Herren pflegte der Gefangene einen guten und herzlichen Umgang. Auch einzelne Spazierfahrten waren ihm unter Bewachung in Augsburg erlaubt. 907 Johann Friedrich wählte nach dem Verlust der Kurwürde Weimar zur neuen Residenzstadt und seine Söhne führten die Regierung kommissarisch für den Vater fort. Dieser nutzte den Nachrichtenverkehr, um möglichst viel Einfluss auf die Politik nehmen zu können. So mahnte er auch am 10. September 1547 seine Söhne Herzog Johann Friedrich den Mittleren und Herzog Johann Wilhelm, sich besser mit Kurfürst Moritz zu stellen, da dieser seine Freilassung verhindern könne. 908 Die Ermahnung alles zu unterlassen, was der Beendigung der Gefangenschaft schaden könne, findet sich in den Briefen mehrfach. Johann Friedrich war darauf bedacht, dem Kaiser keine Gründe zu liefern, die seine Zeit in Unfreiheit verlängern würden. Er konnte in seiner Kammer zumindest die meiste Zeit über seine Privatsphäre erhalten, da ihm zwei seiner Diener zugestanden wurden, außerdem nahm er beständig Einfluss aus der Haft heraus auf die politischen Verhandlungen. Neben den politischen Bescheiden finden sich in den Briefen zahlreiche Infor‐ mationen zu einzelnen Begebenheiten der Gefangenschaft und sehr persönliche Mitteilungen des Gefangenen. So versicherte Johann Friedrich am 5. Februar 1548, dass es ihm gesundheitlich gut gehe. Auch dürfe er das religiöse Buch, mit dem er „Das schöne Cofitemini“ Martin Luthers meinte, offiziell in der Haft lesen, so dass es keiner Geheimhaltung in diesem Fall bedürfe: „Das vns nun Dein Lib. des Pfarrers zu Salueld Buchlein vberschicktt, Daran haben vns Dein Lib zu freundlichem gefallenn gethann, vnnd Ist des vmbschreibens nitt noth 258 D. Fürsten in Gefangenschaft 909 Georg B E R B I G , Neunundzwanzig Briefe des Kurfürsten Johann Friedrich des Großmü‐ tigen aus der Gefangenschaft 1547-1552, in: Zeitschrift des Vereins für thüringische Geschichte und Alterthumskunde 25 (1907), S. 252-290, Nr. III, S. 254. Dass die Einschätzung seiner Gesundheit von Dritten durchaus anders geschildert wurde, zeigen die Briefe des kurfürstlichen Geheimsekretärs Hans Rudolf, der von wechselnden Zuständen Johann Friedrichs berichtete: B E R B I G , Briefe (wie Anm. 909), Nr. II, S. 284f.; Nr. III, S. 285. 910 Johannes H E R R M A N N / Günther W A R T E N B E R G , Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen. Bd. IV: 26. Mai 1548 - Januar 1551 (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 72), Berlin 1992, Nr. 48, Anm., S. 94f., hier S. 95. Nur eine Nürnberger Chronik soll Johann Friedrich zurückerhalten haben: M E N T Z , Johann (wie Anm. 879), S. 287. 911 Der Name des Schlosses rekurriert auf die Heimkehr Johann Friedrichs aus seiner Gefangenschaft. Ein Raum im Schloss soll sogar seinem späteren Gefangenschaftsraum in Brüssel nachempfunden gewesen sein: Michael E N T E R L E I N / Franz N A G E L , Katalog, in: Verlust und Gewinn (wie Anm. 874), S. 124 u. 157; B U R K H A R D T , Gefangenschaft (wie Anm. 906), S. 24f. Auch die weitere Bestückung und Neuordnung seiner Bibliothek ordnete er anscheinend während seiner Gefangenschaft an, vgl. Joachim B A U E R , Kur‐ fürst, in: Johann Friedrich I. - Der lutherische Kurfürst (wie Anm. 874), S. 184. 912 Es sei in der Gegend, in der er sich gerade befinde, üblich ein solches Medaillon am Gürtel zu tragen: Michael E N T E R L E I N / Franz N A G E L , Katalog, in: Verlust und Gewinn (wie Anm. 874), S. 152; Seine Frau Sibylle antwortete ihm und gab an, es lieber um den Hals tragen zu wollen: Wilhelm Junius, Aus der Gefangenschaft des Kurfürsten gewesenn, Dann wir solchs whol habenn konnen lesen. Es gefeltt vns auch gantz whol.“ 909 Da er sich jedoch weiter unnachgiebig in Religionsfragen zeigte, kam es zwischendurch auch zu Haftverschärfungen. So berichtete er am 9. Juli 1548, dass der kaiserliche Oberst Alphonsus de Vives seine Bücher konfisziert habe, um sie überprüfen zu lassen. Fremde Personen würden zudem nicht mehr zu ihm vorgelassen und man habe ihm sowie dem Gesinde untersagt, am Freitag und am Sonnabend Fleisch zu essen. 910 Diese Verschlechterungen wirken wie eine Art Erziehungsmaßnahme, die den protestantischen Gefangenen mit der Weg‐ nahme geistlicher Bücher und dem Auferlegen des katholischen ‚fleischlosen Freitags‘ straften. Johann Friedrich nutzte bereits die ersten Wochen seiner Gefangenschaft, um zahlreiche künstlerische Werke in Auftrag zu geben: Er organisierte in seinen Briefen den Bau und die Inneneinrichtung des Jagdschlosses ‚Fröhliche Wiederkunft‘ in Wolfersdorf 911 und ließ 1548 ein Medaillon für seine Ehefrau anfertigen. Das Kapselmedaillon zeigte ein Brustbildnis des Kurfürsten, auf dem auch die Narbe der Verwundung im Gesicht zu erkennen war. Er hatte es als Neujahrsgeschenk für seine Frau anfertigen lassen und nahm in einem beilie‐ genden Schreiben Bezug auf das Schmuckstück. 912 Neben Besuchen des Malers 259 1. Johann Friedrich I. von Sachsen Johann Friedrich von Sachsen, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde 26 (1926), S. 226-260, S. 236. 913 Enterlein schreibt dazu: „Am sächsischen Hof in Wittenberg war Lucas Cranach d.Ä. seit 1504 Hofmaler. Er war von Friedrich dem Weisen aus Wien berufen worden und blieb bis zu seinem Tod am sächsischen Hof. Nach dem Verlust Wittenbergs begleitete er Johann Friedrich den Großmütigen auch teilweise während dessen Gefangenschaft und ließ sich danach mit seinem Dienstherren in Weimar nieder“, Michael E N T E R L E I N / Franz N A G E L , Katalog, in: Verlust und Gewinn (wie Anm. 874), S. 120. 914 Michael E N T E R L E I N / Franz N A G E L , Katalog, in: Verlust und Gewinn (wie Anm. 874), S. 152-154. Briefe zwischen Johann Friedrich und Lucas Cranach zeigen einen stetigen Nachrichtenverkehr sowie einzelne Besuche des Malers beim gefangenen Fürsten: J U N I U S , Gefangenschaft (wie Anm. 912), S. 231 u. 249 f. Zu den Bildnissen Cranachs vom Kurfürsten und ihrer Nähe zu den Luther-Bildnissen: Edgar B I E R E N D E , Demut und Be‐ kenntnis - Cranachs Bildnisse von Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen, in: Johann Friedrich I. - Der lutherische Kurfürst, hrsg. v. Volker Leppin/ Georg Schmidt/ Sabine Wefers, Gütersloh 2006, S. 327-357. Zur Propaganda der Bilder und zur Stilisierung der Figur Johann Friedrichs: Matthias M Ü L L E R , Bilder als Waffen nach der Schlacht. Die Sti‐ lisierung Kurfürst Johann Friedrichs von Sachsen zur imago pietatis und die Fortsetzung des Schmalkaldischen Krieges in der konfessionellen Bildpropaganda, in: Bereit zum Konflikt. Strategien und Medien der Konflikterzeugung und Konfliktbewältigung im europäischen Mittelalter, hrsg. v. Oliver Auge/ Felix Biermann/ Matthias Müller/ Schultze Dirk (Mittelalter-Forschungen 20), Ostfildern 2008, S. 311-340. 915 B U R K H A R D T , Gefangenschaft (wie Anm. 906), S. 33 f. 916 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Politische (wie Anm. 910), Nr. 196, S. 239-241. 917 Bericht des Franz Kram: H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Politische (wie Anm. 910), Nr. 255, S. 297-300. 918 Ebd., Nr. 269, S. 313. Tizian finden sich auch Auftragsarbeiten des Lucas Cranach, 913 der sowohl 1548 als auch 1550/ 51 den Kurfürsten in Augsburg besuchte. 914 Zahlreiche Bilder, die Johann Friedrich in dieser Zeit in Auftrag gab, zeigen den ehemaligen Kurfürsten in seiner Unfreiheit als ‚standhaften Fürsten‘. Daneben ließ er viele Geschenke für seine Familie sowie Freunde und Fürsprecher anfertigen. Nach über einem Jahr verließ Johann Friedrich zusammen mit dem Kaiser am 12. August 1548 Augsburg. Nach mehreren Zwischenstationen kamen sie am 17. September in Brüssel an, wo Johann Friedrich die nächsten Monate seiner Gefangenschaft verbrachte. 915 Ein weiterer gefühlvoller Brief des Gefangenen hat sich vom 16. Dezember 1548 an Erasmus von Minckwitz erhalten, in dem er die Erkrankung seiner Ehefrau bedauerte und ihre baldige Genesung erhoffte. 916 Die Gefangenschaft in Brüssel scheint wieder leichter für Johann Friedrich gewesen zu sein. So berichten die Quellen von einigen Freiheiten des Gefangenen: Am 15. Januar 1549 durfte Johann Friedrich im Schloss spazieren gehen 917 und am 4. Februar noch einmal spazieren fahren. Der Wagen wurde von einem Spanier begleitet, mit dem der Gefangene redete und scherzte. 918 Am 260 D. Fürsten in Gefangenschaft 919 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Politische (wie Anm. 910), Nr. 320, S. 371. Der Kaiser hatte seinen Sohn in die Niederlande beordert und die Regentschaft in Spanien an Erzherzog Maximilian übertragen: S E I B T , Karl (wie Anm. 233), S. 174f. 920 B U R K H A R D T , Gefangenschaft (wie Anm. 906), S. 38f. Danach ging es über Antwerpen zurück nach Brüssel. 921 Ekkehart F A B I A N (Hrsg.), Gefangenschaftsbriefwechsel Johann Friedrichs I. von Sachsen mit Dr. Gregor Brück (1547-1549), Maschinenschrift/ vervielfältigt/ Heidelberg 1952, S. 24-27, hier S. 26. 1. April 1549 kam Prinz Philipp II. von Spanien zu seinem Vater nach Brüssel, wo ihm zu Ehren ein Schanzenspiel aufgeführt wurde. Inhalt des Schauspiels waren die Schlacht und die ‚schmachvolle‘ Niederlage Johann Friedrichs bei Mühlberg. Der Gefangene nahm an der Aufführung, die den Triumph des Kaisers gegen den protestantischen Fürsten präsentierte, jedoch nicht teil. 919 Nach zehn Monaten in Brüssel ging es für Johann Friedrich am 22. Juli 1549 nach Mecheln, wo er sechs Wochen verblieb. 920 In einem Schreiben vom 24. August 1549 an Gregor Brück beklagte sich Johann Friedrich über die Machenschaften am Hof. Der Kanzler Jobst v. Hain sei ihm in den Rücken gefallen und auch sein Sohn würde nicht in seinem Sinne handeln. Dies erklärt die folgenden Zeilen und zeigt die Machtlosigkeit, der sich Johann Friedrich ausgesetzt sah: „Welchs wir euch zweyerlei ursachen halben anczaigen. Die eine, das ir muget wissen, was uns plagen und martern und gleich der weld mude machen thut. Darumb wir, so es Gottes wille where, von dieser welt liber tod wheren, dan das wir solche beschwerung, unchristliche verfolgung und hendel sehen, fulen und tragen sollen. Aber der almechtige gott wirdets zu seiner zeit zu seinem lobe und wie es ime gefellet machen. Zum andern wirdet nit nachbleiben, di rethe und sonderlich der canczler werden uber uns euch immer clagen, das wir wunderlich und selczam worden.“ 921 Das Gefühl der Einflusslosigkeit setzte ihm zu und ließ ihn in seinen Briefen immer unruhiger erscheinen. Ihm fehlte nicht nur zunehmend das Vertrauen in seine Räte und Söhne, sondern er befürchtete auch, dass man an seinem Ur‐ teilsvermögen zweifeln könne. Deshalb solle Gregor Brück niemandem glauben, der ihm mitteilen würde, dass Johann Friedrich seltsam geworden sei. Nach über zwei Jahren in Unfreiheit zeigten sich erste Anzeichen einer verzerrten Selbstwahrnehmung. Das permanente Angehen gegen seinen protestantischen Glauben und die fehlende Bestätigung seines Umfelds ließen in der Gefangen‐ schaft das Gefühl aufkommen ‚verrückt‘ zu werden; deshalb fürchtete er auch, dass man ihm die geistige Gesundheit absprechen könnte. Auch wenn Johann Friedrich zunächst seine Gefangenschaft in stoischer Ruhe ertrug, zeigte sich mit fortschreitender Dauer die Angst davor, nach Spanien abgeführt zu werden. Er sorgte sich, dass eine Verlagerung der Gefangenschaft nach Spanien seinen 261 1. Johann Friedrich I. von Sachsen 922 M E N T Z , Johann (wie Anm. 879), S. 287. 923 B E R B I G , Briefe (wie Anm. 909), Nr. XI, S. 263f. 924 Ebd., Nr. XV, S. 266-268. 925 Ebd., Nr. XVI, S. 268f. 926 Günther W A R T E N B E R G / Christian W I N T E R , Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen. Band VI: 2. Mai 1552 - 11. Juli 1553 (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 6), Berlin 2006, Nr. 483, S. 556. Der Brief ist auf den 7. Januar 1550 datiert. Einfluss auf die Politik gänzlich unterbinden würde und dass der Kaiser im Reich zudem verkünden könnte, dass Johann Friedrich das Augsburger Interim angenommen hätte. Auch aus der Befürchtung heraus, in der Gefangenschaft den Tod finden zu können, legte er in kodierten Schriften am 20. Januar seine Glaubenssicht erneut dar und ordnete an, diese notfalls nach seinem Tod in Umlauf zu bringen. 922 Zu einem sehr bedrückenden Thema wurde die ernstere Erkrankung seiner Ehefrau, die immer wieder in seinen Briefen thematisiert wurde. Am 11. Oktober 1549 riet Johann Friedrich erneut seinem Sohn, sich die besorgten Nachrichten der Ärzte nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen 923 und am 7. Januar 1550 teilte er mit, dass er die Kopie eines Schreibens seiner Ehefrau an den Kaiser erhalten habe, in dem sie ihren Wunsch geäußert hatte, ihn noch einmal sehen zu dürfen. 924 Auch an Sybille verfasste er eine liebevolle Nachricht, da er selber nicht mit einer raschen Freilassung rechnen könne. Er hoffe jedoch, so versichert er ihr innig, dass er einen Monat nach Ostern wieder daheim sei: „Ich hoffe Du werdest solcher antzeigung erfreuet sein vnd D.L. beclagen vnd bekümmernus fallen lassen vnd die sachen vnserm her gott befehlen, Der wirdet es zu seinem lob vnd ehr zu richten wissen, vnd wollest mit deinem gremen vnd bekümmernus dir selbst auch mir dem solche dein beschwerung nicht weniger dan D.L. selbst zu beschwerung gereichet nicht vrsache geben vnd die Zeit die vnser Her gewislichen schicken wirdet mit gedult erwartenn.“ 925 Da die Erkrankung seiner Frau sich im Januar 1550 jedoch nicht besserte, brachte er über Kurfürst Moritz das Ansinnen an den Kaiser, umziehen zu dürfen, um so näher bei seiner Frau zu sein: „vndter Kay. Maj. Verwahrunge bis an di grenitz sein Herzog Moritzen furstenthumb gebracht mochte werden, So wollte er mir ain Haus einreumen, in seinem Landt, daruff ich vorwharlichen, bei meinem weibe also bleiben mußte vnd sollte, bis Ire Majt. Ain anders meiner erledigung halben beuhelen wurden.“ 926 Obwohl er die Überstellung seiner Person in die Hände des Kurfürsten sicher nicht herbeisehnte, sah er keine andere Möglichkeit Sybille beizustehen. Er stellte besondere Bedingungen auf, die für diesen Fall einzuhalten seien: So dürften weder er noch seine Frau oder das Gesinde wegen der Religion bedrängt werden; auch sei seine Behausung 262 D. Fürsten in Gefangenschaft 927 W A R T E N B E R G / W I N T E R , Politische (wie Anm. 926), Nr. 483, S. 556; August von D R U F F E L (Bearb.), Beiträge zur Reichsgeschichte 1546-1551 (Briefe und Akten zur Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts mit besonderer Rücksicht auf Bayerns Fürstenhaus 1), München 1873, Nr. 380, S. 343-345 u. Nr. 393, S. 370-372. 928 B E R B I G , Briefe (wie Anm. 909), Nr. XVII, S. 269 und Nr. XXII, S. 273. 929 Ebd., Nr. XXIV, S. 274. 930 Ebd., Nr. XX, S. 270. 931 Ebd., Nr. XXVII, S. 275f.; Nr. XXVIII, S. 276f. 932 J U N I U S , Gefangenschaft (wie Anm. 912), S. 251. 933 Carl August Hugo B U R K H A R D T , Briefe der Herzogin Sibylla von Jülich-Cleve-Berg an ihren Gemahl Johann Friedrich den Grossmüthigen, Churfürsten von Sachsen, Bonn 1869. bequem einzurichten. Sehr gerne würde er nach Schloss Schellenberg kommen, dort sei ein Amtmann zu verpflichten, der das Anwesen bewachen solle. Des Weiteren sei es Johann Friedrich zu gestatten, Boten und Diener zu sich zu rufen und einen freien Nachrichtenverkehr zu gestalten. Johann Friedrich würde sich seinerseits verpflichten keine Nacht ohne das Wissen Moritz’ außer Haus zu verbleiben. Wichtig sei ihm, dass man ihn auf die Jagd lasse, er wolle gerne auf die Pirsch gehen können. 927 In den vorliegenden Quellen lassen sich keine weiteren Rückschlüsse auf dieses Ansinnen mehr finden, das offensichtlich nicht weiterverfolgt wurde. Johann Friedrich wurde am 8. Juli 1550 wieder nach Augsburg gebracht. Er‐ neut finden sich zahlreiche Briefe Johann Friedrichs, der auch mit Geschenken, die er an Personen ausliefern ließ, Einfluss nehmen wollte. So ließ er einen Jagdbogen samt Zubehör aufbereiten und nach Augsburg schicken, um diesen an Herzog Albrecht von Bayern zu überreichen. 928 Er selber konnte ebenfalls Präsente empfangen; im Februar 1551 erhielt von seinem Oheim Fürst Wolf von Anhalt einen prachtvollen Ring. 929 Und am 20. September 1550 bekam er ein Paket, in dem Wassernüsse durch seinen Sohn übersandt wurden. 930 Gerade die Geschenke innerhalb der Familie Johann Friedrichs werden in den Briefen immer wieder erwähnt und es scheint zu einem regelmäßigen Austausch von gegenseitigen Aufmerksamkeiten gekommen zu sein. Für Sybille lassen sich zahlreiche Geschenke nachweisen, so schickte Johann Friedrich Wollsocken und -hemden sowie Seidenhemdchen, die er bei einem Kramer erstehen konnte. 931 Auch edle Speisen, Haustiere und Spezialitäten lassen sich unter den Lieferungen finden. 932 Von Sybille hat sich ein breites Briefkonvolut erhalten. Sie schrieb immer wieder in besorgten und liebevollen Tönen, wie sehr sie ihren Mann vermisse, wie es den Söhnen erging und bedankte sich für Geschenke, die sie von ihm erhielt; nutzte aber auch selbst die Gelegenheit ihrem Mann zahlreiche Präsente zu schicken. 933 263 1. Johann Friedrich I. von Sachsen 934 Robert R E B I T S C H , Tirol, Karl V. und der Fürstenaufstand von 1552 (Schriftenreihe Studien zur Geschichtsforschung des Mittelalters 18), Hamburg 2000; S E I B T , Karl (wie Anm. 233), S. 188-202. 935 Johannes H E R R M A N N / Günther W A R T E N B E R G / Christian W I N T E R , Politische Korrespon‐ denz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen. Bd. V: 9. Januar 1551 - 1. Mai 1552, Berlin 1998, S. 33. In einem Schreiben vom 18. Mai 1552 mahnt Johann Friedrich seine Räte, die Pläne seines Sohnes zu unterstützen - er könne Aktionen gegen den Kaiser nicht gutheißen: W A R T E N B E R G / W I N T E R , Politische (wie Anm. 926), Nr. 51, S. 64f. Ein Antwortschreiben hat sich vom 23. Mai 1552 erhalten: W A R T E N B E R G / W I N T E R , Politische (wie Anm. 926), Nr. 72, S. 92-96. 936 M E N T Z , Johann (wie Anm. 879), Nr. 82: 1550 Mai 8, S. 570-575, hier S. 571; vgl. dazu auch M E N T Z , Johann (wie Anm. 879), S. 308f. Ende der Gefangenschaft Am 22. Mai 1551 wurde in Torgau ein Fürstenbund unter der Federführung Kurfürst Moritz‘ gegen den Kaiser geschlossen. 934 Der Hof in Weimar war in zwei Lager gespalten: Erasmus von Minckwitz verweigerte auf direkten Befehl Johann Friedrichs die Teilnahme am Fürstenbund und wollte an einer Opposition gegen den Kaiser nicht teilnehmen. Johann Friedrich der Mittlere jedoch hatte mit Eberhard von der Tann und weiteren Räten ausgehandelt, dass man versuchen würde Johann Friedrich zu befreien und sich gegen den Kaiser mit Moritz zu verbünden. Johann Friedrich der Ältere war von diesem Plan wenig begeistert. 935 Immer wieder hatte er seinen Sohn Johann Friedrich ermahnt, sich nicht gegen den Kaiser zu stellen. Aus seinen Briefen spricht mitunter Verzweiflung, weil er sich zu wenig über die Pläne seines Sohnes informiert fühlte. So schrieb er bereits am 8. Mai 1550 seinem Sohn, da dieser den jüngsten Sohn Johann Wilhelm im Frühjahr 1550 nach Preußen gesandt und den Vater nicht in die Pläne eingeweiht hatte. Der Kurfürst beklagte sich über die Ausflüchte seines Sohnes: „dan das werk an im selbest und die wort D.L. entschuldigung sthimmen mit einander nit uberein, sundern ich bin, got lob, noch so alber und unfersthendick nit, das ich nit merken kann, das ein anders darhinden sthecken mus.“ 936 Johann Friedrich fühlte sich in seiner Gefan‐ genschaft isoliert. Immer mehr entglitten ihm die Handlungsmöglichkeiten und er musste untätig mit ansehen, wie sein Sohn die politischen Entscheidungen selbst in die Hand nahm. Die Angst, als senil und nicht mehr zurechnungsfähig angesehen zu werden, verstärkte sich und ließ das Vertrauen in seine Söhne zunehmend schwinden. Johann Friedrich der Mittlere ließ sich jedoch von weiteren Verhandlungen nicht abbringen und kam im Januar 1552 mit Moritz von Sachsen im Vertrag von Chambord überein, dass die gefangenen Fürsten 264 D. Fürsten in Gefangenschaft 937 Zum Vertrag von Chambord: Rainer B A B E L , Deutschland und Frankreich im Zeichen der habsburgischen Universalmonarchie, 1500-1648 (WBG Deutsch-Französische Ge‐ schichte 3), Darmstadt 2005, S. 47-51. 938 Fragenkatalog des Kaisers an Johann Friedrich zu seiner Bereitschaft im Kampf gegen Moritz: W A R T E N B E R G / W I N T E R , Politische (wie Anm. 926), Nr. 30, S. 38-40. Am 24. Mai 1552 wurde ein weiteres Schreiben Johann Friedrichs übergeben, in dem er genau auflistet, wie viele Gelder, Truppen und Waffen er für einen Schlag gegen Moritz benötigen würde: W A R T E N B E R G / W I N T E R , Politische (wie Anm. 926), Nr. 78, S. 106f. 939 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G / W I N T E R , Kurfürsten (wie Anm. 935), S. 33. 940 Zur Rolle Ferdinands: Alfred K O H L E R , Von Passau nach Augsburg. Zur politischen Emanzipation Ferdinands I. in den Jahren 1552 bis 1555, in: Moritz von Sachsen, hrsg. v. Karlheinz Blaschke (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 29), Stuttgart 2007, S. 42-56. befreit werden sollten, und sie vereinbarten mit Heinrich II. von Frankreich ein Asyl im Falle einer geglückten Flucht. 937 Karl versuchte sich ein letztes Mal gegen die Fürsten zu wehren und führte ab März 1552 Krieg gegen den Fürstenbund, jedoch ohne größere Erfolge. Ab Ende März verhandelte der Kaiser auch persönlich mit Johann Friedrich und wollte seine Haltung zum Fürstenbund in Erfahrung bringen. 938 Johann Friedrich stellte in Aussicht, dass er Kinder und Ehefrau als Geiseln stellen und versuchen würde, Moritz zu entmachten. Außerdem erklärte er sich bereit, alle Pläne des Kaisers erfüllen zu wollen. 939 Diese Antwort Johann Friedrichs könnte aufzeigen, wie sehr er von den politischen Vorgängen außerhalb seiner Gefangenschaft isoliert war, so dass es ihm weder möglich war den Fürstenbund und seine Möglichkeiten einzuschätzen noch die zunehmenden Schwierigkeiten Karls im Reich zu registrieren - schließlich kam dessen Bruder Ferdinand den protestantischen Fürsten immer mehr entgegen. 940 Wahrscheinlicher ist es aber, dass sich Johann Friedrich in seiner Gefangenschaft äußerst gut informiert zeigte und die Veränderungen im Reich für seine Zwecke nutzen wollte. Sein offizielles Agieren gegen den Fürstenbund und Kurfürst Moritz, das sich gut mit der Skepsis früherer Briefe deckte, machte es ihm möglich, sich dem Kaiser, von dessen Niederlage er nicht ausgehen durfte, diplomatisch anzunähern. Auf diese Weise konnte er bei einem Sieg oder einer Niederlage Karls mit der Freiheit rechnen und im besten Fall seine alten Rechte zurückerlangen. Mitte Mai 1552 wurde Johann Friedrich von Karl aus seiner räumlichen Haft entlassen, allerdings unter der Bedingung, zunächst am kaiserlichen Hof zu bleiben. Er versuchte eifrig gegen Moritz zu agieren, um seine Kurfürstenwürde wiederzuerlangen und unterbreitete dem Kaiser mehrfach Angebote, wie er 265 1. Johann Friedrich I. von Sachsen 941 W A R T E N B E R G / W I N T E R , Politische (wie Anm. 926), S. XXX. Johann Friedrich befürchtete deshalb, dass man seine Familie in Sicherheit bringen müsse - Schreiben vom 18. Mai 1552 an seine Räte: ebd., Nr. 51, S. 64f. 942 Im Wortlaut abgedruckt bei W A R T E N B E R G / W I N T E R , Politische (wie Anm. 926), Nr. 246, S. 368-379. Zur Bedeutung des Vertrags: Winfried B E C K E R , Der Passauer Vertrag von 1552. Politische Entstehung, reichsrechtliche Bedeutung und konfessionsgeschichtliche Bewertung (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns 80), Neustadt a. d. Aisch 2003. 943 Auch hier gibt es mehrere bildliche Zeugnisse der Ereignisse, so zum Beispiel das Bild von der „Verabschiedung Friedrich des Großmütigen durch Kaiser Karl V.“ eines unbekannten Malers aus dem Jahr 1552: Michael E N T E R L E I N / Franz N A G E L , Katalog, in: Verlust und Gewinn (wie Anm. 874), S. 157; daneben auch zahlreiche Holzschnitte, die immer wieder die Gesichtsnarbe, die Gefangenschaft und die Entlassung aus der Gefangenschaft thematisieren, vgl. ebd., S. 183-253. 944 W A R T E N B E R G / W I N T E R , Politische (wie Anm. 926), Nr. 293, S. 443f. Die Gegenversiche‐ rung durch Kurfürst Moritz erfolgte am 15. September 1552: ebd., Nr. 309, S. 467-469. 945 W A R T E N B E R G / W I N T E R , Politische (wie Anm. 926), S. XXX. 946 W A L L M A N N , Kirchengeschichte (wie Anm. 813), S. 95-97. 947 Joachim B A U E R / Dagmar B L A H A , Vom Tod Johann Friedrichs und seiner Frau Sibylle, in: Sächsische Heimatblätter 1 (2004), S. 78-84. Truppen anwerben könne, die einen Krieg gegen Moritz führen sollten. 941 Doch dazu kam es nicht mehr. Karl musste sich mehr und mehr aus dem Reich zurückziehen und die Auseinandersetzungen mit den Fürsten vor allem seinem Bruder Ferdinand überlassen. Bereits im Sommer kam es zu verstärkten Verhandlungen, die am 2. August 1552 im Passauer Vertrag mündeten. 942 Der Vertrag zwischen Ferdinand I. und den protestantischen Fürsten besiegelte die Anerkennung des Protestantismus im Reich. Am 27. August 1552, nach dreimonatigem ‚Hausarrest‘ am kaiserlichen Hof, wurde Johann Friedrich endgültig entlassen und kehrte nach Weimar zurück. 943 Das erste Wiedersehen mit seiner Familie fand in Wolfersdorf statt, weswegen das Jagdschloss den Namen ‚Fröhliche Wiederkunft‘ erhielt. Das Leben nach der Gefangenschaft Seine letzten Jahre verbrachte Johann Friedrich in Weimar. Er verpflichtete sich am 31. August 1552 Moritz gegenüber nichts zu unternehmen, was dem Kurfürsten schaden könne. 944 Die Festung in Gotha durfte Johann Friedrich wiedererrichten und er kämpfte die letzten Jahre seines Lebens um den Titel des ‚geborenen Kurfürsten‘, den er in seinem Schriftverkehr selbstbewusst nutzte. 945 Den Augsburger Religionsfrieden 946 im Jahr 1555 erlebte er nicht mehr, er starb, keine zwei Wochen nach seiner Ehefrau, am 3. März 1554 in Weimar und wurde in der Stadtkirche St. Peter und Paul beigesetzt. 947 266 D. Fürsten in Gefangenschaft 948 Eine Auswahlbibliographie, die 2004 anlässlich seines 500. Geburtstags entstand, zeigt die immense Anzahl an Literatur zum hessischen Landgrafen: Philipp der Großmütige, Landgraf von Hessen (1504-1567). Eine Bibliographie zu Person und Territorium im Reformationszeitalter, hrsg. v. Holger Th. G R Ä F / Anke S T Ö S S E R (Untersuchungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte 20), Marburg 2004. Seine Beziehungen zu den Reformatoren, wie Martin Luther oder Martin Bucer, beleuchtet: Martin B R E C H T , Philipps Verhältnis zu den Wittenberger, Schweizer und Oberdeutschen Theologen, in: Reformation und Landesherrschaft. Vorträge des Kongresses anlässlich des 500. Geburtstages des Landgrafen Philipp des Großmütigen von Hessen vom 10. bis 13. November 2004 in Marburg, hrsg. v. Inge Auerbach, Marburg 2005, S. 51- 72. Zur Rolle des Landesfürsten als Reformator s. Gury S C H N E I D E R -L U D O R F F , Der fürstliche Reformator. Theologische Aspekte im Wirken Philipps von Hessen von der Homberger Synode bis zum Interim, Leipzig 2006; Hans S C H N E I D E R , „Das heißt eine neue Kirche bauen“. Die Formierung einer evangelischen Landeskirche in Hessen, in: Reformation und Landesherrschaft. Vorträge des Kongresses anlässlich des 500. Geburtstages des Landgrafen Philipp des Großmütigen von Hessen vom 10. bis 13. November 2004 in Marburg, hrsg. v. Inge Auerbach, Marburg 2005, S. 73-99; C A H I L L , Philipp (wie Anm. 873). 949 Er hatte noch ein zwei Jahre ältere Schwester Elisabeth: Wolfgang B R E U L / Holger Th. G R Ä F , Fürst, Reformation, Land - Aktuelle Forschungen zu Landgraf Philipp von Hessen (1504-1567), in: Archiv für Reformationsgeschichte 98 (2007), S. 274-300, S. 275. In seinen Briefen und in seiner offiziellen Haltung präsentierte sich Johann Friedrich zeit seines Lebens als einen unbeirrbaren Glaubenskämpfer, der sich durch die Gefangenschaft nicht von seiner religiösen Überzeugung abbringen lassen wollte. Diese Inszenierung seiner Person und die standhafte Haltung dem Kaiser gegenüber führten nicht nur zur Anerkennung Karls und der Zeitge‐ nossen, sondern brachten Johann Friedrich über den Tod hinaus den Beinamen „der Großmütige“ ein. Am Ende kann der Betrachter sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass die Darstellung des schachspielenden Fürsten im Angesicht des Todesurteils eine Botschaft ist, die sich durch seine gesamte Gefangenschaft zog: Mit großer charakterlicher Stärke ließ er sich nicht beirren seinen Weg zu gehen und spielte vielleicht des Öfteren taktisch kluge Schachzüge gegen den Kaiser, so dass dieser in ihm einen ebenbürtigen Gegner sah. 2. Philipp I. von Hessen a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses 948 Philipp kam als Sohn Wilhelms II., Landgraf von Hessen und seiner Mutter Anna, eine geborenen Herzogin von Mecklenburg, in Marburg am 13. November 1504 zur Welt. 949 Sein Vater verstarb 1509 und es kam zu einem Streit um die 267 2. Philipp I. von Hessen 950 B R E U L / G R Ä F , Fürst (wie Anm. 949), S. 276-278; C A H I L L , Philipp (wie Anm. 873), S. 18-20. 951 Bernd M O E L L E R , Hessen in Deutschland um 1500, in: Reformation und Landesherrschaft. Vorträge des Kongresses anlässlich des 500. Geburtstages des Landgrafen Philipp des Großmütigen von Hessen vom 10. bis 13. November 2004 in Marburg, hrsg. v. Inge Auerbach, Marburg 2005, S. 1-15, S. 4-6. 952 Ausführlicher dargestellt von: Georg S C H M I D T , Gefangen vor der Gefangenschaft? Landgraf Philipp und der Regensburger Geheimvertrag von 1541, in: Hundert Jahre Historische Kommission für Hessen 1897 - 1997, hrsg. v. Walter Heinemeyer (Veröf‐ fentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 61), Marburg 1997, S. 463-480. 953 Mit Margarethe von der Saale bekam der Landgraf neun Kinder: Manfred R U D E R S D O R F , Dynastie, Territorium und Konfession: Landgraf Philipp, die Fürstenfamilie und das Ringen um die hessische Sukzession, in: Reformation und Landesherrschaft. Vorträge des Kongresses anlässlich des 500. Geburtstages des Landgrafen Philipp des Großmü‐ tigen von Hessen vom 10. bis 13. November 2004 in Marburg, hrsg. v. Inge Auerbach, Marburg 2005, S. 211-229, S. 214-218. Regentschaft des Landgrafentums zwischen Teilen der hessischen Ritterschaft und der Mutter Philipps, die diesen Konflikt schließlich, wenn auch nicht unan‐ gefochten, für sich entscheiden konnte. 950 Im Alter von 13 Jahren wurde Philipp 1518 durch Maximilian I. für mündig erklärt und übernahm die Herrschaft aus den Händen seiner Mutter. 951 1523 heiratete er Christine von Sachsen, mit der er fünf Söhne und fünf Töchter bekam. Eine seiner Töchter, Agnes, heiratete Moritz von Sachsen, was eine Verbindung zwischen den beiden Männern nach sich zog, die die Gefangenschaft Philipps maßgeblich prägte. Im Jahr 1524 traf Philipp auf Philipp Melanchthon, der ihn für den neuen Glauben begeistern konnte. Der Landgraf bekannte sich noch im gleichen Jahr zum evangelischen Glauben und wurde zu einem der eifrigsten Landesfürsten der Reformation. Auf der Homberger Synode 1526 erklärte sich die Landgraf‐ schaft Hessen protestantisch und es kam zur Bildung des Torgauer Bundes mit anderen protestantischen Fürsten. Als erste protestantische Hochschule wurde die Universität Marburg 1527 durch den Landgrafen gegründet. Im Jahr 1529 kam es unter der Moderation des Landgrafen zum Religionsgespräch in Marburg zwischen Martin Luther und Huldrych Zwingli. Die reichspolitische Lage, in der sich Philipp befand, und seine eigene Politik, die ihn zum Gegenspieler Karls V. machte, können hier nur skizziert werden. 952 1540 kam es zu einem Skandal, als Philipp eine Nebenehe mit dem sächsischen Hoffräulein Margarete von der Saale einging 953 - ein Umstand, der die Politik Philipps in eine schwierige Lage brachte. Deshalb versuchte er, sich die Gunst des Kaisers zu erhalten und bot ihm seine Hilfe gegen ausländische Mächte an, was schließlich zum Regensburger Vertrag führte, der am 13. Juni 1541 von Philipp unterzeichnet 268 D. Fürsten in Gefangenschaft 954 Zum Regensburger Vertrag: Georg S C H M I D T , Gefangen, in: Hundert Jahre Histori‐ sche Kommission für Hessen 1897 - 1997 (wie Anm. 952), S. 463-479; H E L D , 1547 (wie Anm. 867), S. 26; Anton S C H I N D L I N G , Philipp der Großmütige und Hessen im Reich und in Europa, in: Reformation und Landesherrschaft. Vorträge des Kongresses anläss‐ lich des 500. Geburtstages des Landgrafen Philipp des Großmütigen von Hessen vom 10. bis 13. November 2004 in Marburg, hrsg. v. Inge Auerbach, Marburg 2005, S. 347-373, S. 362. Zu den Vorteilen, die sich für Philipp durch den Geheimvertrag ergaben, sowie die Tatsache, dass der Geheimvertrag nicht lange geheim blieb, sondern Argwohn erregte, s. Georg S C H M I D T , Gefangen, in: Hundert Jahre Historische Kommission für Hessen 1897 - 1997 (wie Anm. 952), S. 474f. 955 Ausführliche Darstellung auch bei: Johannes M A E N S S , Die Gefangennehmung des Landgrafen Philipp des Großmüthigen von Hessen. Beilage zu dem Programm der Realschule I. O. zu Magdeburg, Magdeburg 1877. Eine sehr detaillierte Studie zu Landgraf Philipp von Hessen von M A R I O T T E , Philippe (wie Anm. 869). 956 M A R I O T T E , Philippe (wie Anm. 869), S. 247. 957 M A E N S S , Gefangennehmung (wie Anm. 955), S. 10. 958 S C H N E I D E R -L U D O R F F , Reformator (wie Anm. 948), S. 213; Ulf S U N D E R M A N N , Land ohne Landgraf, Regierung ohne Regent? Hessen während der Gefangenschaft Landgraf Philipps des Großmütigen und die Frage nach der Landesregierung, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 57 (2007), S. 43-63, S. 46; Elmar B R O H L , Kein anderer Trost als Gott und meine Festungen - Landgraf Philipps Festungsbau, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567. Hessen im Zentrum der Reform; Begleitband zu einer Ausstellung des Landes Hessen, hrsg. v. Ursula Braasch-Schwersmann/ Hans Schneider/ Wilhelm Ernst Winterhager, Neustadt 2004, S. 93-103, S. 96. wurde. 954 Ebenso wie Johann Friedrich wurde auch Philipp nach der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg vom Kaiser gefangen genommen und erst nach fünf Jahren wieder aus der Haft entlassen. b) Der Untersuchungsfall Die Gefangennahme 955 Kaiser Karl V. verlangte, vor allem nachdem Johann Friedrich die Wittenberger Kapitulation unterzeichnet hatte, die völlige Unterwerfung Philipps auf ‚Gnade und Ungnade‘. 956 Der Landgraf sollte sich in kaiserliche Hand begeben und die Kapitulation, die sich aus 24 Artikeln zusammensetzte, unterzeichnen. 957 Insgesamt sollte Hessen 150 000 Gulden für die Kriegskosten an den Kaiser zahlen, die Geschütze seien abzugeben und die Festungen bis auf Zigenheim sollten geschleift werden. 958 Philipp, der sich vor allem vor einer langen Haft fürchtete und vor den möglichen Konsequenzen seiner Unterwerfung, rang mit seinen Räten und Fürsten um die Bedingungen der Kapitulation und verlangte einige Änderungen am Kapitulationstext, den die Räte unterbreiteten. Der Kaiser reagierte jedoch unwirsch auf die Änderungswünsche Philipps 269 2. Philipp I. von Hessen 959 Gustav T U R B A , Verhaftung und Gefangenschaft des Landgrafen Philipp von Hessen, 1547-1550, Wien 1896, S. 80. 960 Zur Mitverantwortlichkeit Moritz’: B O R N , Moritz (wie Anm. 896), S. 5; H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Korrespondenz (wie Anm. 870), S. 15. 961 Die Söhne forderten später in mehreren mahnenden Schreiben, dass sich sowohl Moritz als auch Joachim in Kassel in hessische Gefangenschaft begeben sollten: B O R N , Moritz (wie Anm. 896), S. 6. 962 B O R N , Moritz (wie Anm. 896), S. 5; Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 124; René S O M M E R F E L D T , Der großmütige Hesse. Philipp von Hessen (1504-1567); historisches Urteil und Erinnerungskultur, Marburg 2007, S. 25. 963 B O R N , Moritz (wie Anm. 896), S. 6; vgl. auch M A E N S S , Gefangennehmung (wie Anm. 955), S. 1f. Inwieweit die beiden Fürsten sich dieser Diskrepanz bewusst waren, ist letztlich nicht zu klären: Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 125. 964 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Korrespondenz (wie Anm. 870), S. 29. 965 T U R B A , Verhaftung (wie Anm. 959), S. 63. Der Text der Abbitte Philipps bei seinem Fußfall vor dem Kaiser bei: H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Korrespondenz (wie Anm. 870), Nr. 619, S. 434. und drohte damit die Verhandlungen zu beenden. Auch das Anerbieten der Kurfürsten Moritz von Sachsen und Joachim II. von Brandenburg, statt des Landgrafen beim Kaiser zu haften, lehnte er ab. Gerade Moritz befand sich in einer schwierigen Situation, war Philipp von Hessen doch sein Schwiegervater, so dass er fürchten musste gegen diesen ins Feld ziehen zu müssen. Auf der anderen Seite hatte der Kaiser Moritz jedoch in der Hand: Sollte Karl sich Philipp gegenüber gnädig zeigen, so müsse er dies auch Johann Friedrich gegenüber sein, was für Moritz den Verlust der soeben erhaltenen Kurwürde bedeutet hätte. 959 Deshalb setzte Moritz zusammen mit Joachim von Brandenburg alles daran, den Landgrafen zu einer Kapitulation vor dem Kaiser zu bewegen. Doch Philipp konnte sich zunächst zu keiner Zusage durchringen, dies änderte sich erst, als ihm die beiden Kurfürsten zusagten, dass er nicht gefangen gesetzt werden würde. 960 Erst die Bürgschaft der beiden Kurfürsten sich in Kassel selber in Haft zu stellen, konnte Philipp überzeugen. 961 Sie sicherten ihm freies Geleit bei ihrem Leben und ihrer Ehre für den Hin- und den Rückweg zu. 962 Dies wiederum hatte ihnen der Kaiser nicht zugesagt, sondern lediglich versprochen den Landgrafen nicht in „ewige[m] Gefängnis“ zu halten. 963 Am 4. Juni 1547 stimmte Philipp schließlich den Bedingungen zu. 964 Zwei Wochen später, am 18. Juni kam Philipp nach Halle, kehrte in der Herberge Moritz’ ein und unterwarf sich am 19. Juni 1547 dem Kaiser. 965 Der Saal war mit Menschen gefüllt, als Philipp um 18 Uhr vor den Kaiser trat. Anwesend waren zahlreiche Gesandte, fünf Herzöge aus Braunschweig, Erzherzog Maximilian 270 D. Fürsten in Gefangenschaft 966 T U R B A , Verhaftung (wie Anm. 959), S. 65; Erwin P R E U S C H E N , Ein gleichzeitiger Bericht über Landgraf Philipps Fußfall und Verhaftung, in: Philipp der Grossmütige: Beiträge zur Geschichte seines Lebens und seiner Zeit, hrsg. v. Historischer Verein für Hessen, Marburg 1904, S. 144-154. 967 Erwin P R E U S C H E N , Bericht, in: Philipp der Grossmütige: Beiträge zur Geschichte seines Lebens und seiner Zeit (wie Anm. 966), S. 147. 968 Der überlieferte Wortlaut, s. Erwin P R E U S C H E N , Bericht, in: Philipp der Grossmütige: Beiträge zur Geschichte seines Lebens und seiner Zeit (wie Anm. 966), S. 148. Auch die Antwort des Kaisers verlesen durch den Vizekanzler Dr. Selden ist dort überliefert: ebd., S. 149f. 969 Ebd., S. 152. Auch habe er sich unaufgefordert von den Knien erhoben: Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 125. 970 Zum Akt der deditio: Barbara S T O L L B E R G -R I L I N G E R , Knien vor Gott - Knien vor dem Kaiser. Zum Ritualwandel im Konfessionskonflikt, in: Inszenierung und Ritual in Mittelalter und Renaissance, hrsg. v. Andrea von Hülsen-Esch (Studia humaniora 40), Düsseldorf 2005, S. 263-292; Barbara S T O L L B E R G -R I L I N G E R , Rituale (Historische Einfüh‐ rungen 16), Frankfurt am Main 2013, http: / / search.ebscohost.com/ login.aspx? direct=t rue&scope=site&db=nlebk&db=nlabk&AN=860278, S. 141f.; Gabriele H A U G -M O R I T Z , Kriegsniederlagen, in: Kriegsniederlagen (wie Anm. 871), S. 356f. 971 Antoine de Perrenot de Granvelle war burgundischer Vertrauter Karls V.: H E L D , 1547 (wie Anm. 867), S. 124f. 972 T U R B A , Verhaftung (wie Anm. 959), S. 67. 973 Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 125; H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Korrespondenz (wie Anm. 870), S. 30; Erwin P R E U S C H E N , sowie Prinz Emmanuel Philibert von Savoyen. 966 Der Kaiser saß auf einem Stuhl und der Landgraf, in schwarzem Samt gehüllt, wurde zu ihm geführt. 967 Kanzler Tilman Günderode verlas die Bitte um Vergebung, während der Landgraf vor dem Kaiser kniete. 968 Schon damals wurde der Vorwurf erhoben, dass der Landgraf den Fußfall nicht allzu ernst nahm, zwischendurch spöttisch lächelte und sich siegessicher zeigte. 969 Doch der Akt der deditio  970 verlief völlig anders, als der Landgraf es erwartet hatte. Vom Kaiser kam kein Zeichen der Gnade, er bot dem Landgrafen seine Hand nicht an, sprach auch selber nicht mit Philipp, sondern wandte sich nach der Verlesung aller Texte vom Landgrafen ab. Stattdessen bat Herzog Alba, spanischer General Karls V., den Landgrafen ihn zu begleiten. Ohne mit dem Kaiser gesprochen zu haben, verließen der Herzog, Granvelle 971 und die Kurfürsten mit Philipp den Saal. 972 Man speiste zusammen und danach wollten die Kurfürsten gemeinsam mit Philipp aufbrechen, doch Alba hinderte sie am Verlassen des Raumes und eröffnete Philipp, dass dieser sich ergeben solle. Der Landgraf und die Fürsten protestierten und Herzog Alba ließ spanische Arkebusiere hinzurufen, um die Situation unter Kontrolle zu bringen und den Landgrafen zu seinem Gemach zu begleiten. Die Kurfürsten Joachim und Moritz blieben über Nacht beim Landgrafen, am Schicksal Philipps änderte das jedoch nichts mehr, er war Gefangener des Kaisers. 973 Durch 271 2. Philipp I. von Hessen Bericht, in: Philipp der Grossmütige: Beiträge zur Geschichte seines Lebens und seiner Zeit (wie Anm. 966), S. 150. 974 Der genaue Weg der verschiedenen Aufenthalte Philipps während seiner Gefangen‐ schaft findet sich im Anhang des Begleitbandes: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567. Hessen im Zentrum der Reform; Begleitband zu einer Ausstellung des Landes Hessen, hrsg. v. Ursula B R A A S C H -S C H W E R S M A N N / Hans S C H N E I D E R / Wilhelm Ernst W I N T E R H A G E R , Neustadt 2004. 975 Diese Machtdemonstration Karls wurde bereits in Kapitel I.D.1. Johann Friedrich I. von Sachsen behandelt. Zur Inszenierung Karls V. in der Tradition der antiken Cäsaren: Wim B L O C K M A N S , Politische Propaganda und Selbstdarstellung Kaiser Karls V., in: „Wider den Müßiggang …“. Niederländisches Mittelalter im Spiegel von Kunst, Kult und Politik, hrsg. v. Ulrike Zellmann, Düsseldorf 2004, S. 39-52, Marion P H I L I P P , Ehrenpforten für Kaiser Karl V. Festdekorationen als Medien politischer Kommunikation. Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 2010 (Kunstgeschichte 90), Münster, Westf. 2011. 976 Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 126. 977 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Korrespondenz (wie Anm. 870), Nr. 658, S. 455f. Auch an seine Tochter Agnes verfasste er ein Antwortschreiben, in dem er die Befürchtung aussprach, krank zu werden oder zu sterben, sollte seine Gefangenschaft länger anhalten: ebd., Nr. 728, S. 508. 978 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Korrespondenz (wie Anm. 870), Nr. 664, S. 459. In einem weiteren Schreiben vom 17. Juli befürchtete Philipp nach Italien verbracht zu werden und kritisierte, dass seine Unterbringung härter sei, als die Johann Friedrichs: ebd., Nr. 715 Anm., S. 500f. seine Veränderungen am Text der unterschriebenen Kapitulation, in dem er darauf gedrängt hatte, dass er bei ‚Land und Leuten‘ bleiben werde, hatte er zumindest erreicht, dass er sein Herrschaftsgebiet und seinen Titel behielt - anders als Johann Friedrich -, doch die gefürchtete Gefangenschaft hatte er nicht abwenden können. Die Gefangenschaft Von Halle ging es in Richtung Süddeutschland, zuerst nach Naumburg. 974 Karl ließ die beiden gefangenen Fürsten in einem ‚Triumphzug‘ abführen, um sie zu demütigen und der Öffentlichkeit zu präsentieren. 975 Diese Haltung des Kaisers sollte gegenüber Philipp - anders als bei Johann Friedrich - für die gesamte Zeit in Gefangenschaft andauern. In Naumburg brachte man den Landgrafen in einem Armenhaus unter, in den nachfolgenden Städten schlief er oftmals in einem Feldlager vor der jeweiligen Stadt. 976 Am 4. Juli 1547 schrieb Philipp an Kurfürst Moritz, dass man ihm ein Kästchen mit Barschaften schicken und sich mit allen Mitteln für ein Ende seiner Gefangenschaft einsetzen möge, da er um seine Gesundheit und seinen Verstand fürchte. 977 Diese Bitte wiederholte er in einem Schreiben vom 6. Juli und beschwerte sich über seine Unterbringung. Er werde in „alle stinkenden heusser geschlept und verwart.“ 978 272 D. Fürsten in Gefangenschaft 979 S U N D E R M A N N , Land (wie Anm. 958), S. 47. Vom offensichtlichen Versuch Philipps Nachrichten über seine Diener nach Straßburg und Nürnberg zu entsenden, zeugt ein Briefwechsel zwischen dem Landgrafen und Moritz: H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Korrespondenz (wie Anm. 870), Nr. 776, S 546 f.; Nr. 779, S. 548f. u. Nr. 878, S. 633. 980 M A R I O T T E , Philippe (wie Anm. 869), S. 267. Zur Regentschaft während seiner Gefangen‐ schaft und der sich wandelnden Einstellung zu Fragen der Religion: Ebd., S. 275-278 u. 278-288. 981 Zur Organisation der Politik während der Gefangenschaft Philipps in Hessen s. S U N D E R M A N N , Land (wie Anm. 958), S. 49-52. Weiter noch zum vermehrten Bestreben Wilhelms, die politischen Geschäfte selbstständig zu erledigen: ebd., S. 60f. 982 S C H W A R Z , Johann (wie Anm. 900), Nr. 1, S. 399. 983 S C H W A R Z , Johann (wie Anm. 900), Nr. 1, S. 398. 984 Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 127. Im September 1547 gebar Christine das 10. Kind: M A R I O T T E , Philippe (wie Anm. 869), S. 271. In der Gefangenschaft gab es einen regelmäßigen Nachrichtenverkehr zwi‐ schen dem Landgrafen, seinen Räten und seinem Statthalter in Kassel. Da die Briefe jedoch von den Wachen kontrolliert wurden, finden sich auch einige Geheimbotschaften des Landgrafen in den Akten. 979 Immer wieder wurden Mitteilungen auf kleine Täfelchen geschrieben, die unter anderem in die Man‐ telsäume der Diener eingenäht und so transportiert wurden. 980 Statt des Vaters kümmerte sich nun Wilhelm IV. um die Regierungsgeschäfte. Ihm zur Seite gestellt war ein Regentschaftsrat, der sich aus Landgräfin Christine, dem Kanzler Heinrich Lersner und drei Räten, Wilhelm von Schachten, Simon Bing und Rudolf Schenk zu Schweinsberg, zusammensetzte. 981 Die Verhaftung Philipps und seine Zusage, sich in Religionsfragen den Beschlüssen des Konzils zu unterwerfen, hatten auch den gefangenen Johann Friedrich erreicht, der sich enttäuscht von seinem Mitstreiter zeigte und sich am 25. Juli 1547 in einem Brief an Brück bitter beklagte. Die beiden Kurfürsten hätten Philipp nach seiner Unterwerfung in Halle im Stich gelassen und deshalb würde dieser auf eigene Faust alles versuchen, die Freiheit wiederzuerlangen. So habe er dem Bischof von Arras 10 000 Gulden versprochen, wenn er sich beim Kaiser für ihn einsetzen würde, doch dieser habe heimlich hinter dem Rücken des Landgrafen über diesen gespottet. 982 Die Behandlung Philipps durch die spanische Wache sei nicht gut, ebenso wenig wie das Ansehen des Landgrafen: „So ist Im iedermann am hofe, klein uns gros hansen, heffig feind, und reden ime nichts guts nach.“ 983 Während es für Johann Friedrich nun nach Augsburg gehen würde, müsse Philipp unter Aufsicht der spanischen Wache in Donauwörth bleiben: 984 „Der Lantgrave wirde aber, wie wir bishero vormerken, nicht in augspurg sondern bei 273 2. Philipp I. von Hessen 985 S C H W A R Z , Johann (wie Anm. 900), Nr. 1, S. 399. 986 Wolff betont, dass der spanische Capitán den Titel des Landgrafen nicht anerkannte und sich über den Titel belustigt zeigte: Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 127. 987 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Korrespondenz (wie Anm. 870), Nr. 849, S. 604f. 988 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Korrespondenz (wie Anm. 870), Nr. 886, S. 636. In einem Brief vom 16. November 1547 entschuldigte sich Philipp für seine Ungeduld bei den beiden Kurfürsten: ebd., Nr. 893, S. 643. 989 H E R R M A N N / Wartenberg, Korrespondenz (wie Anm. 870), Nr. 898, S. 646. dem spanischen kriegsvolk, wu dasselb bleiben wirdet, gelassen werden.“ 985 In Donauwörth wurde Philipp in dem Gasthaus „Goldener Löwe“ einquartiert, wo er ständig von der spanischen Wache unter der Aufsicht des Capitán Don Juan de Guevara stand. 986 Im Oktober schrieb Philipp mehrere Briefe an Moritz, in denen er die schlechte Behandlung durch die Spanier in Donauwörth beklagte. Außerdem würden die Spanier vor Ort Truppen mustern, so dass er befürchte, bald außer Landes nach Italien oder in die Niederlande, gebracht zu werden. Da unter seinen Bewachern die Pest ausgebrochen war, fürchte er sich zudem vor einer Ansteckung. 987 Die Krankheitsfälle in den Reihen der spanischen Wache ängstigten Philipp sehr; in einem Brief vom 14. November an Moritz und Joachim, in dem Philipp sich beschwerte, dass die beiden Fürsten sich nicht hinreichend für ihr eingesetzt hätten, macht er seiner Besorgnis Luft: „So bleiben wir dergestalt am Creutz henken und e.l. in vilen nachredenn, als ob sie uns ufs Creutz geopffert hetten.“ 988 Unter dem Wachpersonal, das alle zwei Stunden wechseln würde, sei erneut die Pest ausgebrochen, und es seien Wachen bereits verstorben. 989 Am 12. Oktober 1547 schrieb Philipp an den Kaiser und beklagte sich, dass die Räte nicht in seinem Sinne gehandelt hätten, so dass es zu den unglücklichen Vorfällen gekommen sei. Er habe sicheres Geleit zugesichert bekommen und sei nach Halle gekommen, auch weil man ihm zugesagt hatte, dass ihm keine Gefangenschaft drohen würde. Er habe dem kaiserlichen Wort und den Kurfürsten getraut und sei getäuscht worden. Nach der Unterzeichnung der Kapitulation habe Philipp sich an alles gehalten, was man ihm aufgetragen habe, sogar Gefangene freigelassen und alle Festungen außer der in Kassel seien geschleift worden. Er habe die machbaren Forderungen erfüllt und sei auch bereit einen oder zwei seiner Söhne als Geisel zu stellen oder weitere Beschlüsse des Reichstags auszuführen, doch habe er bisher auf seine Bemühungen keine Antwort erhalten. Philipp lieferte in diesem Schreiben auch eine Rechnung zur Höhe seiner finanziellen Einbußen: 150 000 Gulden Zahlung für die Kriegs‐ kosten an den Kaiser, Geschütze und Artillerie im Wert von 200 000 Gulden seien zerstört worden, für die verlorenen Festungen 300 000 Gulden und der 274 D. Fürsten in Gefangenschaft 990 Eduard D U L L E R , Neue Beiträge zur Geschichte Philipps des Großmüthigen, Landgrafen von Hessen, Darmstadt 1842, LIX, S. 91-98, hier S. 97. 991 D U L L E R , Landgrafen (wie Anm. 990), LIX, S. 91-98, hier S. 97. Auch läge seine Frau krank im Kindsbett: ebd., S. 98. 992 Wolff betont, dass der Kaiser sich missgestimmt darüber zeigte, dass Philipp ihn durch seine wiederholten Stellungnahmen zu seiner Gefangennahme gezwungen hätte, selber noch einmal auf dem Reichstag Stellung zu beziehen. Karl, verärgert über den Landgrafen, ordnete die strenge Isolationshaft an: Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 127. 993 S U N D E R M A N N , Land (wie Anm. 958), S. 48; Friedrich K Ü C H (Hrsg.), Politisches Archiv des Landgrafen Philipp des Großmütigen von Hessen: Inventar der Bestände. Band 1 (Publikationen aus den K. Preussischen Staatsarchiven 78), Leipzig 1904, S. 647. 994 S U N D E R M A N N , Land (wie Anm. 958), S. 49. Krieg habe ihn 600 000 Gulden gekostet, von denen er einen Teil noch bezahlen müsse. Diese Posten zusammen machen „vierzechen hundert thausend gulden schaden“. 990 Noch einmal sichert er zu, alles zu tun, was von ihm verlangt würde und schließt den Brief mit der Bitte: „Bitt derhalben auffs vnderthenigst E. Khay. M. wolle dises alles mit gnaden erwegen vnd demnoch mir one lengeren Verzug widerumb anheim zu meinem Weib kindern vnd obligenden sachen gnedigst erlauben so will ich alles das thun deß ich mich wie obgemelt erpotten […] Bit auffs höchst das ewer Khay. M. mir auffs Furderlichst erlauben wöllen dan ich von heim nach hall zog hab ich nit gewust noch gedacht vilweniger mich versechen das ich so lang vnd nhu mer lenger dan 15 wochen auff gehalten wer worden“. 991 Briefe dieser Art führten zum negativen Bild Philipps, da er sich, anders als Johann Friedrich, bereit zeigte, dem Kaiser sämtliche Zugeständnisse zu machen, um seiner Gefangenschaft zu entkommen. Nach dem Versuch Philipps, seine eigene Freilassung zu beschleunigen, wurden seine Privilegien jedoch merklich eingeschränkt; Karl zeigte sich ermüdet von den fortwährenden Bittgesuchen des Landgrafen. 992 Er schickte den Gefangenen nach Nördlingen, wo er ihn strengstens abschirmen ließ, und forderte im November 1547 die landgräflichen Akten aus Nördlingen; zudem zog er Personal des Landgrafen, wie den Sekretär, den Kammermeister und den Leibarzt, ab. Darüber hinaus verbot er ihm auch beinah vollständig Papier und Tinte in seiner Haft zu gebrauchen, so dass der Nachrichtenverkehr fast völlig zum Erliegen kam. 993 Philipp nutzte nun vor allem Mittelsmänner und Schiefertäfelchen, die heimlich aus dem Gefängnis geschmuggelt wurden, um seine Anweisungen nach Kassel zu schicken. Der umgekehrte Nachrichtenweg, Botschaften zum Landgrafen zu senden, war jedoch fast unmöglich, so dass der Handlungsspielraum Philipps eingeschränkt blieb. 994 In einem Brief an Moritz beschwerte sich Philipp erneut, dass in seiner Herberge in Nördlingen ebenfalls die Pest ausgebrochen sei, sodass der Wirt 275 2. Philipp I. von Hessen 995 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Korrespondenz (wie Anm. 870), Nr. 921, S. 661-663. 996 Ebd., Nr. 921 Anm., S. 663. 997 Brief vom 24. November 1547, H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Korrespondenz (wie Anm. 870), Nr. 904, S. 649. Im Dezember noch einmal eindringlicher: ebd., Nr. 925, S. 665f. 998 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Politische (wie Anm. 910), S. 27. 999 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Korrespondenz (wie Anm. 870), Nr. 983, S. 714f. 1000 Ebd., Nr. 996, S. 726. 1001 Gerhard A U M Ü L L E R / Andreas D O L L / Thomas S T O R M , Medizinische Realität, Fehldiagnose oder politische Propaganda? Die Triorchie Philipps des Großmütigen, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567. Hessen im Zentrum der Reform; Begleitband zu einer Ausstellung des Landes Hessen, hrsg. v. Ursula Braasch-Schwersmann/ Hans Schneider/ Wilhelm Ernst Winterhager, Neustadt 2004, S. 117-121, S. 118. Zum Tertia‐ nafieber s. Michael S T O L B E R G , Homo patiens. Krankheits- und Körpererfahrung in der Frühen Neuzeit, Köln 2003, S. 198. und vier weitere Personen daran gestorben seien. 995 Am 11. Dezember 1547 berichtete er, dass er selber an Katarrh und Husten leide. 996 Der Landgraf fürchtete sich vor einer Ansteckung und gerade die Todesfälle unter den Wachen setzten ihm zu. Die Söhne fürchteten ebenfalls ein Versterben ihres Vaters und forderten deshalb wiederholt seine Freilassung. 997 Auch auf die Kurfürsten Moritz und Joachim versuchten die Söhne Philipps und die hessischen Räte immer wieder Druck auszuüben, damit diese sich mit allen erdenklichen Mitteln für den Landgrafen einsetzten. 998 Doch alle Fürsprecher konnten beim Kaiser keine Erleichterung für Philipp bewirken. Anfang Februar 1548 befürchtete Philipp selber nicht so schnell freizukommen: „Man saget die spanier sollen in Württemberg oder Eßlingen und ich auf den apsberg in das schlos geführt werden. Nue habe ich 34 Wochen gesessen, sollte ich noch lenger sitzen, wollte ich lieber todt sein.“ 999 Zu der empfundenen Aussichtslosigkeit kam die Erschwerung, dass die Gefangenschaft immer länger andauerte und Philipp sich nicht über den Fort‐ gang der nächsten Wochen im Klaren war. Beinah trotzig verwies er auf die lange Dauer seiner bisherigen Gefangenschaft, die ein Ende finden müsse. In einem Brief vom 21. Februar 1548 klagte Philipp, dass er Arbeit gewohnt sei und sich vor gesundheitlichen Schäden seines Müßiggangs fürchte. So würden ihm immer wieder zwei Finger einschlafen und er befürchtete mögliche Gichtanfälle: „Sorg es mocht, so ich also lang inleyge das zypperle ader podagra druß werde.“ 1000 Im Frühjahr 1548 erkrankte er zusätzlich am sogenannten „Tertianafieber“, das Fieber und die Schwächeanfälle waren eventuell eine psychosomatische Reaktion auf seine Gefangenschaft, auf jeden Fall zeigte er sich deutlich geschwächt und labil. 1001 Man gab ihm gebratene Forelle zu den 276 D. Fürsten in Gefangenschaft 1002 Gerhard A U M Ü L L E R , Männliche Krankheitserfahrung im 16. Jahrhundert. Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen (1504-1567) und seine Ärzte, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 56 (2006), S. 19-48, S. 30. 1003 Ausführlich dazu S C H N E I D E R -L U D O R F F , Reformator (wie Anm. 948), S. 215-223; W A L L ‐ M A N N , Kirchengeschichte (wie Anm. 813), S. 93-95. 1004 Das Augsburger Interim wurde 1548 durch Karl V. als Reichsgesetz erlassen und sollte die Wiedereingliederung der Protestanten in die katholische Kirche bis zu einem endgültigen Konzilsbeschluss umsetzen. Zum Interim: Luise S C H O R N -S C H Ü T T E , Das Interim 1548/ 50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 203), Gütersloh 2005. 1005 Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 128. 1006 S U N D E R M A N N , Land (wie Anm. 958), S. 54. Zumal das Interim weiterhin die Priesterehe, die Rechtfertigungslehre und den Laienkelch zuließ: Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 129. 1007 T U R B A , Verhaftung (wie Anm. 959), S. 99; Günther F R A N Z , Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte, 3. Band, 1547-1567; bearbeitet nach Walter Köhler, Walter Sohm, Theodor Sippel und Friedrich Wilhelm Schäfer (Veröffentlichungen der historischen Kommission für Hessen und Waldeck 11), Marburg 1955, Nr. 610, S. 38. 1008 T U R B A , Verhaftung (wie Anm. 959), S. 100. Bereits im Juli hatte Christine Philipp in Heil‐ bronn besuchen dürfen: Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 130; A U M Ü L L E R , Krankheitserfahrung (wie Anm. 1002), S. 30. Mahlzeiten und ließ ihn häufig zur Ader. Dazu kamen Magenbeschwerden und Erkältungen, die ihn bis in den April hinein beschwerten. 1002 Auf dem Reichstag in Augsburg wurde am 15. Mai 1548 das Augsburger Interim beschlossen. 1003 Die Religionsfrage wurde dadurch bis zur Entscheidung des nächsten Konzils geregelt. Philipp wurde zur Umsetzung des Augsburger Interims 1004 in Hessen gezwungen. Nachdem der Landgraf den Text des Interims gelesen hatte, sandte er dem Kaiser im Juni aus Heilbronn, wohin er im März verlegt worden war, die Zusage. 1005 Theologisch bedeutete ihm diese Einwilli‐ gung wenig, wie er vermerkt, da er sich einzig Gott verpflichtet sah. 1006 Am 1. August 1548 erfolgte dann die Anordnung des Landgrafen an alle Untertanen in Hessen, das Interim anzunehmen. Philipp bat über ein Schreiben, dass seine Frau dem Kaiser am 1. September 1548 in Speyer überreichte, um eine Beurlaubung, um das Interim in Hessen umzusetzen. Dafür wollte er seine beiden ältesten Söhne und die Festung Ziegenhain als Sicherheit übergeben. 1007 Aber der Kaiser lehnte ab, gewährte der Landgräfin jedoch Ende August 1548 einen achttägigen Besuch bei ihrem Ehemann. 1008 Im Herbst 1548 wurde Philipp in die Spanischen Niederlande gebracht und der Kaiser ließ ihn auf der Festung Oudenaarde unterbringen. Der gefangene Landgraf soll bei seiner Ankunft in Oudenaarde wie ein Irrsinniger getobt 277 2. Philipp I. von Hessen 1009 A U M Ü L L E R , Krankheitserfahrung (wie Anm. 1002), S. 30. 1010 S U N D E R M A N N , Land (wie Anm. 958), S. 58. Wolff betont, dass man in Kassel nach dem 16. September zunächst wochenlang nichts über den genauen Aufenthaltsort Philipps wusste: Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 130. 1011 M A R I O T T E , Philippe (wie Anm. 869), S. 267. 1012 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Politische (wie Anm. 910), Nr. 142, S. 185-187, hier S. 185. 1013 T U R B A , Verhaftung (wie Anm. 959), S. 101. 1014 Gerhard A U M Ü L L E R / Andreas D O L L / Thomas S T O R M , Medizinische, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 1001), S. 118. 1015 T U R B A , Verhaftung (wie Anm. 959), S. 103. 1016 Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 130. 1017 Immerhin konnte der Sekretär Konrad Zolner Mitte November vermelden, dass es Philipp gesundheitlich gut gehe: Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 130. 1018 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Politische (wie Anm. 910), Nr. 466, S. 535-537, hier S. 535. 1019 M A R I O T T E , Philippe (wie Anm. 869), S. 268. haben und nur schwer zu beruhigen gewesen sein. 1009 Die Kommunikation mit seinen Räten wurde in den Niederlanden noch schwerer, auch Nachrichten von außen wurden seltener. 1010 In Oudenaarde und Mecheln hatte Philipp beständig ein Gefolge aus mindestens zwölf Menschen um sich herum, zu dem neben einem Arzt und einem Koch, mehrere Diener und sein Sekretär Simon Bing gehörten. Außerdem war ein Narr bei ihm, um für Zerstreuung zu sorgen. 1011 Der Landgraf konnte nur zwei Jungen bei sich in der Kammer behalten, die restlichen Diener wurden im Ort untergebracht. 1012 Während seiner Gefangenschaft in den Niederlanden durfte er das Schloss nicht ohne Bewachung verlassen. 1013 Auch aufgrund der fehlenden Bewegung hatte Philipp mit erheblichen Gewichtszunahmen zu kämpfen. 1014 In Oudenaarde waren noch vereinzelt geheime Botschaften möglich, indem der Landgraf durch hessische Fuhrleute, die ihm Proviant brachten, Briefe transportieren ließ. 1015 Auf einer der herausgeschmuggelten Schreibtafeln beklagte sich Philipp, dass ihm und seinem Zahlmeister nur ein Raum zustünde und der hartherzige Hauptmann ihm das Schreiben untersagt habe. 1016 Dieser enge Raum in der Festung in Oudenaarde, die Ende des 14. Jahrhundert erbaut worden war, wurde nach ein paar Wochen um einen weiteren Raum erweitert. Der zweite Raum diente Philipp als Empfangs- und Speisezimmer. Da die spanische Wache jederzeit zugegen war, gab es kaum Möglichkeiten zu persönlichen Nachrichten oder vertraulichen Gesprächen. 1017 Um die Dolmetscher der Wache zu täuschen, habe man die wichtigen Angelegenheiten bei einem Brettspiel besprochen. 1018 Ab September wurde der geistliche Beistand von katholischen Geistlichen übernommen. 1019 Im Oktober 1548 besuchte Philipp zusammen mit dem ihn 278 D. Fürsten in Gefangenschaft 1020 Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 129. 1021 Brief der Statthalter und Räte zu Kassel an Herzog Moritz: H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Politische (wie Anm. 910), Nr. 124, S. 165f. Die Unbeständigkeit des Landgrafen führte zu Missstimmungen des Kaisers, der den Messbesuch als taktisches Kalkül Philipps verstand: Ebd., Nr. 249, S. 291-293. Auch später besuchte Philipp immer wieder die katholische Messe, um seine Mitwirkung zu bekunden: F R A N Z , Urkundliche (wie Anm. 1007), Nr. 689, S. 116. Im August 1550 hatte er jedoch beim Hauptmann der spanischen Wache durchsetzen können, dass er die Messe nicht mehr besuchen musste und zeigte sich erleichtert: „Ich danke aber gott, das ich also dieser messe einmal los bin.“: ebd., Nr. 738, S. 160f., hier S. 161. 1022 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Politische (wie Anm. 910), S. 28. 1023 Ebd. 1024 Ebd., Nr. 323, S. 372-374. 1025 K Ü C H , Archiv (wie Anm. 993), S. 639. 1026 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Politische (wie Anm. 910), Nr. 371, S. 411f. Sehr ausführlich zur Schlaffolter auch: S A S T R O W / M O H N I K E / V A L E T T , Bartholomäi (wie Anm. 907), Cap. II, S. 48f. bewachenden Hauptmann die katholische Messe, um sich beim Kaiser zu empfehlen. Zu einem ersten Messbesuch in Schwäbisch-Hall war er bereits am 8. Juli 1548 angehalten worden. 1020 Zunächst ließ er sich bereitwillig auf die Gottesdienstbesuche ein, beschwerte sich jedoch auch, dass ihm nach einer Messe seine eigene Gefangenschaft nur umso bedrückender erscheine. 1021 Nachdem man Philipp in die Niederlande gebracht hatte, versuchten seine Söhne und Räte verstärkt die Freilassung voranzutreiben. Im Dezember 1548 erfolgte die Forderung der hessischen Söhne an die beiden Kurfürsten sich zum 31. Mai 1549 in Kassel einzustellen, da die Bemühungen der Kurfürsten an der Lage des Landgrafen bisher nichts hatten ändern können. 1022 Moritz seinerseits versuchte über Prinz Philipp von Spanien, dem Sohn Karls, die Freilassung des Landgrafen zu erwirken. 1023 Der Prinz suchte am 1. April 1549 seinen Vater in Brüssel auf, ohne dass seine Fürsprache beim Kaiser Erfolg hatte. 1024 Einen weiteren Schicksalsschlag erlitt Philipp am 15. April 1549, als Christine von Hessen verstarb und er eine wichtige Bezugsperson verlor. 1025 Philipp blieb ein weiteres Jahr in Oudenaarde und wurde am 29. Mai 1550 nach Mecheln verlegt, wo er sich über die schlechte Behandlung der Spanier beschwerte. Spätestens ab diesem Zeitpunkt gingen die Demütigungen der spanischen Wache in Misshandlungen Philipps über, die er nun wiederholt in seinen Briefen anzeigte. Die Wachen hätten sich über seine Trauer lustig gemacht und würden seine Kammerjungen bedrohen. Außerdem lasse man ihn nicht schlafen und reiße immer wieder nachts seine Bettvorhänge auf. 1026 Die Wache würde ihm keine Privatsphäre gewähren, zudem hätten sich einige der Männer mit der 279 2. Philipp I. von Hessen 1027 M A R I O T T E , Philippe (wie Anm. 869), S. 268; Ludwig S C H Ä D E L , Das Martyrium Philipps des Großmütigen in seiner belgischen Haft (Flugschriften des Evangelischen Bundes 44), Leipzig 1890, S. 5. 1028 Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 131. 1029 D R U F F E L , Beiträge (wie Anm. 927), Nr. 303, S. 231. 1030 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Politische (wie Anm. 910), S. 34. 1031 Ebd., Nr. 466, S. 535-537, hier S. 535. 1032 A U M Ü L L E R , Krankheitserfahrung (wie Anm. 1002), S. 31. 1033 T U R B A , Verhaftung (wie Anm. 959), S. 113. französischen Krankheit (Syphilis) infiziert. 1027 Erneut war die Dienerschaft im Ort verstreut untergebracht. Philipp selbst kam in einer Kammer in einem Nebengebäude unter, das zum Haus Margaretes von York gehörte. Er durfte zwei Stunden am Tag im Hof des Gebäudekomplexes spazieren gehen. Ansonsten sei das Essen schlecht und die Haftbedingungen erneut sehr hart. 1028 Am 6. Juni 1549 berichtete auch Franz Kram, kurfürstlicher Rat Moritz’ von Sachsen, dass der Landgraf in zwei engen Kammern gehalten würde. Die Messe dürfe er unter der Aufsicht seiner spanischen Wachen besuchen. 1029 Die Wache tat also erneut alles, um den Gefangenen bestmöglich zu isolieren. Gerade die Schlaffolter wurde in den Briefen Philipps immer wieder thematisiert. Fluchtversuche und das Ende der Gefangenschaft Da man keine weiteren Möglichkeiten sah, Philipp aus der Gefangenschaft zu lösen, wurde in Hessen eifrig an einem Fluchtplan gearbeitet. Moritz unter‐ stützte die Fluchtvorbereitungen finanziell, zunächst mit 1 000 fl. im November 1549 und weiteren 600 fl. im Mai 1550. 1030 Vom 13. November 1549 war Franz Kram für drei Tage beim Landgrafen. Von ihm hat sich eine Beschreibung Philipps erhalten: Er sei „fast Graw unnd ungestalt, nehmen wol am leibe sehre zue, Aber an dem angesicht und der gestalt augenscheinlich abe.“ 1031 Trotz der monatlichen Abführbehandlung, die der Landgraf von seinen Ärzten vor Ort erhielt, sah man dem Landgrafen seine gesundheitliche und psychische Verfassung an. Die drastischen Abführmaßnahmen hätten bei ihm, so schreibt Philipp, sogar zu Bluthusten geführt. 1032 Erste Pläne für eine Flucht, die allesamt scheiterten, aber auch nicht publik wurden, gab es spätestens seit Herbst 1549. Im Dezember 1549 versprach Philipp demjenigen, der ihn in die Freiheit entführe, 30 000 Gulden oder ein Amt. Die Räte versuchten zeitgleich in Frankreich und in Königsberg Bündnisse zu schaffen. 1033 Vor allem Moritz erwirkte bei König Heinrich II. die Zusage, dem 280 D. Fürsten in Gefangenschaft 1034 Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 131. Zu den diplomatischen Beziehungen zwischen Moritz und dem französischen König: Thomas N I C K L A S , Das Wagnis reichsfürstlicher Außenpolitik. Moritz von Sachsen zwischen Habsburg und Frankreich, in: Moritz von Sachsen, hrsg. v. Karlheinz Blaschke (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 29), Stuttgart 2007, S. 25-41. 1035 Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 131. 1036 T U R B A , Verhaftung (wie Anm. 959), S. 84. 1037 W A R T E N B E R G / W I N T E R , Politische (wie Anm. 926), Nr. 809, S. 942-944. Die falsche Kunde, dass die Flucht des Landgrafen geglückt sei, verbreitete sich parallel zu den Meldungen des Misslingens. Es kam im Vorfeld zu Wettgeschäften, ob die Flucht Philipps gelingen würde, vgl. ebd., Nr. 815, S. 956. Eine sehr blumige, aber schlecht nachzuvollziehende Schilderung bei: S C H Ä D E L , Martyrium (wie Anm. 1027), S. 15-18. 1038 Die bewaffneten Männer waren im Vorfeld durch den Kasseler Zeugmeister Hans Rommel angeheuert worden: Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmü‐ tige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 132f. 1039 H E R R M A N N / W A R T E N B E R G / W I N T E R , Kurfürsten (wie Anm. 935), Nr. 36, S. 95f. befreiten Landgrafen Asyl zu gewähren. 1034 Nachdem Philipp im Mai 1549 erneut nach Mecheln verlegt worden war, bestand seine größte Befürchtung darin, nach Spanien verschleppt zu werden. 1035 Anders als Johann Friedrich fürchtete er die Verlegung nach Spanien sicherlich vor allem deshalb, weil er dort der Behandlung durch die Spanier noch mehr ausgeliefert sein könnte als zuvor. Am 22. Dezember 1550 kam es in Mecheln schließlich zu einem gewaltsamen Befreiungsversuch, der jedoch scheiterte. Mehr zur Fluchtabsicht und ihrer Aufdeckung beschreibt Franz Kram in einem Bericht an Kurfürst Moritz: Der Fluchtplan wurde aufgedeckt, als die spanische Truppe zu Postzwecken getarnte Pferde aufspürte, die für eine mögliche Flucht zwischen Hessen und Nürnberg sowie Straßburg bereitstanden. Drei spanische Wachen wurden daraufhin wegen Mithilfe festgenommen. 1036 Verraten hatte sich jedoch auch der Landgraf durch einige Handlungen im Vorfeld: Philipp hatte seine Diener ausgezahlt und der Kammerjunge hatte sich verdächtig gemacht, da er zunächst den Hauptmann belogen hatte und darauf häufiger in den Garten gegangen war. Nachdem man ihn aufgegriffen hatte, fand man bei ihm einen nachgemachten Pfortenschlüssel. Philipps Diener Antonius von Wersabe, genannt Bremer, wurde eindringlich befragt und gestand den Fluchtplan. 1037 Der Hauptmann entdeckte schließlich im Garten vier bewaffnete Männer, zwei der Reiter starben in dem folgenden Gefecht, während die anderen beiden verwundet fliehen konnten. 1038 Ebenso wurde enthüllt, dass Philipp bewaffnete Männer positionieren ließ, die etwaige Verfolger aufhalten sollten, tatsächlich sei die mögliche Ermordung von Wachleuten in Kauf genommen worden. 1039 Eine weitere Quelle war der Wirt der Herberge in Mecheln, in der der Hofnarr 281 2. Philipp I. von Hessen 1040 „Cette mesure ne peut passer inaperçue, d’autant que le bouffon alla vendre ses vêtements de travail dans une taverne en annonçant bruyamment son départ proche.“ M A R I O T T E , Philippe (wie Anm. 869), S. 274. 1041 Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 132. 1042 Die Diener hatte man im Brüsseler Gefängnis Vilforde inhaftiert: Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 132. 1043 Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 132. 1044 M A R I O T T E , Philippe (wie Anm. 869), S. 275. 1045 Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 132. 1046 S U N D E R M A N N , Land (wie Anm. 958), S. 59. 1047 Ebd., S. 61. 1048 A U M Ü L L E R , Krankheitserfahrung (wie Anm. 1002), S. 32. Philipps einquartiert war. Dieser hatte in der Taverne versucht, seine Kleidung zu verkaufen mit dem Hinweis, dass er die Stadt verlassen werde. 1040 Der Wirt alarmierte die Wache und berichtete ihr von dem Vorfall. Philipp selbst hatte während des Ereignisses nicht einmal seine Kammer verlassen können. Der Zorn des Kaisers traf ihn nach dem gescheiterten Fluchtversuch mit voller Wucht: Der Brüsseler Rechtsgelehrte Vigilius van Zuichem wurde von Karl mit der lückenlosen Aufklärung des Falles beauftragt, der auch ausdrücklich die peinliche Befragung der Helfer zuließ. 1041 Philipp durfte keine Diener mehr um sich haben und wurde stattdessen von der spanischen Wache versorgt. 1042 Die Fenster zur Straßenseite wurden zugenagelt, so dass er zwischenzeitlich in völ‐ liger Dunkelheit ausharren musste. Er berichtete auch von Hinrichtungen seiner Helfer, die er aus seinem Fenster heraus beobachten musste. 1043 Außerdem wurde der Nachrichtenverkehr untersagt und das Bargeld konfisziert, um weitere Versuche des Gefangenen zu unterbinden, sich mit Geldleistungen die Freiheit zu erkaufen. 1044 Trotz des Schreibverbots, das nur dann gelockert wurde, wenn der Landgraf nach Kleidung oder Nahrungsmittel schicken lassen musste, wurde der Nachrichtenverkehr mit geheimen Botschaften zumeist über Mechelner Bürger weiter aufrechterhalten. 1045 Allerdings war kaum noch Raum für größere Anordnungen Philipps, der weitestgehend von der Außenwelt isoliert blieb. Die Räte waren in ihren Entscheidungen nun vor allem auf sich selbst gestellt und betrieben vorrangig eine Politik, die zur Aussöhnung des Landgrafen mit dem Kaiser führen und so die Freilassung Philipps vorantreiben sollte. 1046 Man reduzierte die Kontaktaufnahmen mit dem Landgrafen zunehmend, was diesem missfiel, da er sich immer handlungsunfähiger fühlte. 1047 Zusätzlich fiel er in eine tiefe Depression, weil er keine Möglichkeit mehr sah, durch einen Fluchtversuch befreit zu werden. 1048 282 D. Fürsten in Gefangenschaft 1049 Ebd., S. 30f. 1050 Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 133. 1051 Friedrich Albert V O N L A N G E N N , Moritz, Herzog und Churfuerst zu Sachsen: eine Darstellung aus dem Zeitalter der Reformation, 2. Theil, Leipzig 1841, S. 326. 1052 Ebd., S. 326f. Ein Brief, den Philipp im August 1551 schrieb, enthielt einen Zettel mit seinem Tagesablauf: „Was mein thun hie Ist, denn morgen bethe, vnnd lese Ich, vnnd singe, In disser stunde, gehe anderthalb stunde Inn disser Cammer hin, vnnd wider, darnach Esse Ich zu morgenn, darnach spiell ich zwo stunde, oder drey Centum tres, heißt dies spiell, darnach gehe ich widder ein stunde Inn der Cammern, vnnd singe, darnach lysse Ich ein halbe stunde, darnach esse ich, darnach uber ein stunde leße Ich widder, vnnd gehe dann schlaffen.“ 1049 Möglichen Auswirkungen seiner Isolationshaft in Mecheln versuchte Philipp aktiv entgegenzuwirken: Er lief in seiner Kammer am Tag mehrmals auf und ab, las, sofern er Lesestoff bekam oder schrieb, wenn er die Möglichkeit dazu hatte; ansonsten sang oder spielte er. 1050 Ein Brief vom 17. März 1551 verdeutlicht erneut die Angst Philipps nach Spanien gebracht zu werden: „Ich hab sorg man werde mich Inn Hispanien furen, dan es ist einer hie der Castillus gnant, der gehet stets zum Hauptman, hat mir selbst gesagt, er soll schiffung bestellen zu 26 Buchssen die Sollten in Sicilien, Ich glaube aber daß er schiffung vor mich bestelle, dann diesser nie mit schiffung oder geschütz zuschaffen gehapt, sondern alleweg uf mein sachen gesehen, darumb glaub ich das mirs gelte. […] Ob ich aber hinweg gefurt, erschrick nit“ 1051 Deshalb solle sein Sohn die beiden Kurfürsten verpflichten und sich nicht beirren lassen, weder durch Drohungen noch durch irregeleitete Informationen. Dem Brief beigefügt war ein Zettel an die Räte, Diener und seinen Sohn, in dem Philipp erneut auf die Festsetzung der beiden Kurfürsten drängte. Da der Inhalt sehr persönlich gehalten ist, muss davon ausgegangen werden, dass der Brief verschlüsselt war, auch wenn Friedrich von Langenn in seiner Edition nicht darauf hinweist: „Man will mich vor Ende des Concilii nit ledig lassen, da gehen wol zehen Jar zu, das kann ich nit erleben. […] Will lieber todt sein, dan lenger gefangen […] und verlast mich nit, ob ich ein anderst schreiben must, glaubets nit, haltet euch dieses beuelhs.“ 1052 Bevor es zu einer Entlassung in die Freiheit kam, verschlechterte sich seine Gefangenschaft noch einmal dramatisch. Eine seiner Geheimbotschaften war abgefangen worden und der Bote Michael hätte zum Vorgang vor dem Haupt‐ mann der spanischen Wache Antonio de Esquivel aussagen müssen. Davon berichtete Philipp in einem Brief vom 2. Januar 1552 an seinen Sohn und die 283 2. Philipp I. von Hessen 1053 D U L L E R , Landgrafen (wie Anm. 990), CX, S. 210f. 1054 Er sagte ihr 1 000 Pferde und Reiter, die er einen Monat lang besolden würde, sowie bis zu dieser Erfüllung seinen Sohn Ludwig als Geisel zu, damit sie seine Entlassung beschleunige: D U L L E R , Landgrafen (wie Anm. 990), CXLVIII, S. 263-265. 1055 D U L L E R , Landgrafen (wie Anm. 990), CXLIX, S. 265-270, hier S. 265f. 1056 M A R I O T T E , Philippe (wie Anm. 869), S. 275. 1057 D U L L E R , Landgrafen (wie Anm. 990), CXLIX, S. 266. Räte. Er behauptet aber, dass nichts Wichtiges in dem Brief gestanden hätte. Doch man würde ihn seit geraumer Zeit deswegen noch härter behandeln und seine Haftbedingungen seien verschärft worden: „Dieser Hauptman halt mich herter vnd vbeler dann voriger keiner. Der Snyder darf nit zu mir die feinster seindt zugeschloßen bis umb x vren der morgen vnd den Abent vor vier vren zugeschloßen“ 1053 Diese Verschärfung war so massiv, dass der Landgraf sie noch in seinem Briefkontakt mit Königin Maria von Ungarn, der Schwester Karls, im Sommer 1552 thematisierte. Am 24. August bat er um ihre Hilfe für seine Freilassung. 1054 In seinem Schreiben entlädt sich die Frustration über die verzögerte Entlassung, so habe er bisher Geduld bewiesen und „woldt auch von nach volgenden dingen geswygen habben dye weyl ych aber vffs Hochst Sorge das ych noch lenger yn der gefengnys bleyben müsse vnd mir das wasser yn mundt gehet kann vnd mag ich nyt vnderlassen ewer ko. Mn. Anzuzeigen wye myrs die theit die weyl disser Heubtman als vngeferlich tzehen monat mych yn Seiner Gewaldt gehabt […] erstlich wye er ken mechel komen hat er da ich Seyn Capelan nyt woldt zu lassen das er das geldt vor die armen gebe von stundt an avgeschafft das Ich den Armen nyt zum fenster aus geldt geben Soldte […] gesagt worden Ich hett Bryffe zum fenster aus gewurffen oder empfangen.“ 1055 Der Hauptmann habe ein Fenster in seine Kammer machen lassen, von dem aus man den Landgrafen immerzu beobachtet habe. 1056 Sein Diener Michael sei befragt worden, so dass er auch geheime Informationen verraten habe. Daneben beschreibt Philipp aber auch psychische Misshandlungen, die er erleiden musste: „So doch etliche wochen die fenster vorslossen myr Sagen lassen die fenster geoffnet Ich Soldt hyn naws Sechen Ichs wolde aber nyt thun dysse obgemelte ding mocht er vorandtwordten er hat Sye Seyns amptes halben gethan.“ 1057 Die verschlossenen Fenster mit dem wiederholten Hinweis, dass diese ge‐ öffnet seien, führten nicht nur zu einem Sinnesverlust und zur Desorientierung Philipps durch das fehlende Tageslicht, sondern zermürbten ihn zusehends. Doch die Beschwerden des Landgrafen gingen noch weiter, so habe man Philipp gedroht, ihn in Eisen zu schlagen, da er sich zu viel mit den Landsknechten 284 D. Fürsten in Gefangenschaft 1058 Ebd., S. 268. 1059 Ebd., S. 266f. 1060 Ebd., S. 267f. Immer wieder finden sich in den Briefen Hinweise darauf, dass Philipp, wie auch Johann Friedrich, Lebensmittel, Geld und Bücher in seiner Gefangenschaft erhielt, vgl. K Ü C H , Archiv (wie Anm. 993), S. 644f. 1061 D U L L E R , Landgrafen (wie Anm. 990), CXLIX, S. 268. 1062 Ebd., S. 269. Diese Geldforderungen fielen in die Zeit, als man in Mecheln aufbrach, um mit Philipp nach Brüssel zu reisen. Die spanische Wache hatte die Bürger der Stadt u. a. dadurch gegen sich aufgebracht, dass man die Schulden nicht begleichen wollte: Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 133. 1063 D U L L E R , Landgrafen (wie Anm. 990), CXLIX, S. 270. unterhalte, um Informationen zu erhalten. Nach dieser Drohung durften nur noch die zwei Wachen, die ihn tagsüber bewachten, bei ihm sein. Anderen Landsknechten wurde unter Todesandrohung untersagt den Gefangenen auf‐ zusuchen. Philipp berichtet überdies erneut von Folterungen in der Nacht: „vnd wye Sye alle nacht miessen vor meynem bette sytzen mych am Slaff vorhyndern hab ych nu vyll zeyt gelytten.“ 1058 Zeitgleich habe der Hauptmann der Wache auf Glückspiele mit seinem Gefangenen bestanden. In der Hoffnung diesen milder gegen sich zu stimmen, habe Philipp sich auf das Spielen eingelassen. Nach einem verlorenen Spiel sei der Hauptmann jedoch ausfallend gegen den Landgrafen geworden: „er woldt gewonnen habben vnd ych Sagt yr kondtes nyt gewynnen […] Lyff er auß der kamer vnd sagt zweymal du mußt in der kamer sterben.“ 1059 Philipp zeichnete in seinem Brief einen sehr jähzornigen und willkürlichen Hauptmann, der ihn nicht nur drangsalierte, sondern auch mit dem Tode bedrohte. Auch die Lebens‐ mittel, die Philipp sich hatte liefern lassen, habe er nicht vollständig erhalten, so habe sich die Wache an seinen Fleisch-, Fisch- und alkoholischen Lieferungen bedient. 1060 Da sie ihm statt Wein Wasser in die Flaschen gefüllt hatten, sei er krank geworden, nachdem er Kirschen und anderes Obst zusammen mit dem Wasser verspeist hätte. 1061 Das schlechte Wasser führte anscheinend mit dem Steinobst zu Magenkoliken beim gefangenen Landgrafen. Darüber hinaus hätten der spanische Zahlmeister und der Hauptmann der spanischen Wache Philipp zu einer Geldzahlung aus seiner privaten Schatulle gedrängt, so dass Philipp dem Zahlmeister 2 000 Gulden, dem Hauptmann noch etwas mehr als die 2 000 Gulden versprach. 1062 Deshalb erbat Philipp sich von Königin Maria einen anderen Hauptmann für die restliche Zeit, die er in Gefangenschaft verbleiben würde; alles sei besser als der Zustand, den er ertragen müsse. Er würde lieber „ynn hochsten oder dyffesten Dorme auch yn eyssern fesseln zu Sitzen dan yn dysser gefar.“ 1063 Zumindest aber begehre er einen Pfennigmeister für sein Geld 285 2. Philipp I. von Hessen 1064 Ebd., S. 270. 1065 Ebd., CXII, S. 212f.; H E R R M A N N / W A R T E N B E R G / W I N T E R , Kurfürsten (wie Anm. 935), Nr. 422 Anm., S. 746. 1066 D U L L E R , Landgrafen (wie Anm. 990), CXVIII, S. 218f. 1067 W A L L M A N N , Kirchengeschichte (wie Anm. 813), S. 94f. 1068 Im Wortlaut abgedruckt bei: W A R T E N B E R G / W I N T E R , Politische (wie Anm. 926), Nr. 246, S. 368-379. 1069 Ebd., Nr. 183 Anm., S. 275. 1070 Ebd., S. XXXIII. 1071 Der spanische Capitán weigerte sich zunächst ohne den schriftlichen Befehl des Kaisers Philipp ziehen zu lassen: Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 133. und zwei Diener, die sich um die Mahlzeiten und den Ausschank verantwortlich zeigen könnten, damit sein Leben sicherer sei. 1064 Am 16. März 1552 ersuchte Philipp seinen Sohn und die Räte um die Zusendung von 3 000 Gulden, Wein und Bier. Er nahm betroffen wahr, dass sein Sohn sich gegen die Aussprache mit dem Kaiser gestellt hatte und einen Anschlag auf Karl plante. Er bat von dem Vorhaben abzurücken, da er seine Freilassung durch diesen Schritt gefährdet sah. 1065 Dieses Ansinnen wiederholte er vier Wochen später, am 16. April 1552, erneut. 1066 Die Verschwörung der Fürsten gegen den Kaiser unter der Leitung Moritz’ von Sachsen 1067 führte am 2. August 1552 zum Abschluss des Passauer Ver‐ trages. 1068 Philipp hatte sich bereits am 1. Juli 1552 bereit gezeigt den Vertrag zu ratifizieren, seinem Sohn Wilhelm schrieb er hoffnungsvoll: „die weil es gut vnd Kay. Mt. Zu frieden, aus disser elenden Gefangcknys helfen vnd mych nycht lenger vffziehen.“ 1069 Der Termin der Freilassung wurde jedoch immer wieder hinausgezögert. 1070 Für Philipp ging es aus Mecheln Anfang August auf Schloss Tervuren bei Brüssel, wo er jedoch nicht mehr in einen Raum gesperrt, sondern, ähnlich wie Johann Friedrich, als ‚unfreier‘ Gast einquartiert war. Er blieb bis zum 5. September im Schloss, bevor er nach Jülich weiterreisen durfte. 1071 Am 10. September 1552 endete die Gefangenschaft Philipps schließlich in Marburg. 286 D. Fürsten in Gefangenschaft 1072 Über die Reichspolitik des Landgrafen nach seiner Entlassung aus der Haft siehe den Beitrag von: Ernst L A U B A C H , Die Reichspolitik Philipps des Großmütigen in seiner letzen Dekade (1556-1567), in: Reformation und Landesherrschaft. Vorträge des Kongresses anlässlich des 500. Geburtstages des Landgrafen Philipp des Großmütigen von Hessen vom 10. bis 13. November 2004 in Marburg, hrsg. v. Inge Auerbach, Marburg 2005, S. 187-209; M A R I O T T E , Philippe (wie Anm. 869), S. 290-294; S O M M E R F E L D T , Hesse (wie Anm. 962), S. 26f. 1073 Die Forschung hat viel darüber debattiert, ob Philipp als gebrochener Mann aus der Haft zurückgekehrt sei. So schreibt Schmidt: „Nach seiner Entlassung 1552 scheint Philipp ein gebrochener Mann, der zwar noch 14 Jahre regierte, sich aber aus der vordersten Linie der Reichspolitik zurückzog“, Georg S C H M I D T , Gefangen, in: Hundert Jahre Historische Kommission für Hessen 1897 - 1997 (wie Anm. 952), S. 463. Dagegen stellt sich Kersten Krüger, Philipp habe mit starker Hand sofort wieder angefangen zu regieren: Kersten K R Ü G E R , Die Konsolidierung des hessischen Territorialstaats 1552-1567, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567. Hessen im Zentrum der Reform; Begleitband zu einer Ausstellung des Landes Hessen, hrsg. v. Ursula Braasch-Schwersmann/ Hans Schneider/ Wilhelm Ernst Winterhager, Neustadt 2004, S. 139-144, S. 140 und auch: Fritz W O L F F , Landgraf, in: Landgraf Philipp der Großmütige, 1504-1567 (wie Anm. 873), S. 133f. 1074 W A R T E N B E R G / W I N T E R , Politische (wie Anm. 926), Nr. 392 Anm., S. 604f. 1075 A U M Ü L L E R , Krankheitserfahrung (wie Anm. 1002), S. 43f. Das Leben nach der Gefangenschaft Philipp nahm nach seiner Entlassung seine Regierungsgeschäfte wieder auf. 1072 Anders als bei Johann Friedrich waren ihm noch fast 15 Jahre in Freiheit gegeben. 1073 Dabei beschäftigten ihn in den letzten Jahren jedoch zahlreiche körperliche Gebrechen. So schrieb er am 28. Dezember 1552 an Moritz, dass er nach der Entlassung kaum länger als 14 Tage gesund gewesen sei, er leide an Kopf‐ schmerzen, Magenschmerzen und Fieber. Auch habe er Fluss im Ohr, so dass es ihm nicht möglich sei zu reisen. 1074 Daneben führten Knochen-, Gelenk- und Hautbeschwerden zu langen Zeiten, in denen Philipp bettlägerig war oder unter Gehbeschwerden litt. Auch seelische Schwierigkeiten, wie Probleme in der Ver‐ wandtschaft oder der Tod seiner zweiten Ehefrau, führten zu körperlichen Sym‐ ptomen, so dass er immer häufiger unpässlich war an Ereignissen teilzunehmen. Auch eine Wesensveränderung im Alter war zu beobachten - er wurde gereizter und gefühlskalt. Dazu kamen Verarmungsangst und Anflüge von Geiz. Ende 1566 kam es zu psychomotorischen Schwierigkeiten, die sich in verwaschener Sprache, krakeligem Schriftbild und fehlender Gesichtsfarbe äußerten. 1075 Vor allem die Unpässlichkeiten direkt nach Philipps Freilassung sprechen dafür, dass er sich in einer längeren Phase von seiner Gefangenschaft erholen musste und die Wesensveränderungen könnten Ausdruck einer psychosomatischen Erkrankung nach seinen Erlebnissen, vor allem den Misshandlungen sein. Ob all 287 2. Philipp I. von Hessen 1076 Gabriele H A U G -M O R I T Z , Kriegsniederlagen, in: Kriegsniederlagen (wie Anm. 871), S. 345. diese feststellbaren Erkrankungen tatsächlich eine Folge seiner Gefangenschaft waren, ist schwer zu deuten und aus heutiger Sicht nicht mehr eindeutig zu klären. Philipp erlebte den Augsburger Religionsfrieden im Jahr 1555, dessen Frie‐ denschluss unter dem Leitgedanken ‚cuius regio, eius religio‘ seine Haltung im Kampf gegen die kaiserliche Politik zusammenfassen konnte. Er starb am 31. März 1567 in Kassel, acht Monate nach dem Tod Margarethes von der Saale, und sein Land wurde unter den vier Söhnen seiner ersten Ehe aufgeteilt. 3. Zusammenfassung Die beiden gefangenen Fürsten stellen einen Sonderfall innerhalb der Unter‐ suchungsbeispiele dar, da ihre Abwesenheit strukturelle, politische und herr‐ schaftliche Folgen für die Bewohner ihrer Herrschaftsgebiete hatte. Gerade der erzwungene Wechsel der Kurwürde bei Johann Friedrich gibt ein eindrucks‐ volles Beispiel für die politischen Folgen fürstlicher Gefangenschaften, die eben nicht nur die Individuen und ihre Familien trafen. 1. Phase: Die primäre Motivation / Die Gründe des Konfliktes Der Gefangenschaft der beiden hier vorgestellten Reichsfürsten liegt mit dem Achtexekutionskrieg Karls V. gegen den Schmalkaldischen Bund derselbe Kon‐ flikt zugrunde. 1076 Die Motive Kaiser Karls für die Gefangennahmen von Johann Friedrich und Philipp waren vielschichtig; neben der Gefangennahme eines Glaubensgegners und Heerführers lassen sich weitere politische Ziele und die Ambition des Kaisers, die eigene Machtstellung zu demonstrieren, vermuten. 2. Phase: Die Observierung Kaiser Karl V. zeigte sich in beiden Fällen gut unterrichtet über seine Gegner und die Schritte, die sie gegen ihn unternahmen. Einen Sonderfall stellt in dieser Phase Philipp von Hessen dar: Nach der Gefangennahme Johann Friedrichs und der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes verhandelte dieser mit Karl über das weitere Vorgehen. Philipp von Hessen sollte sich dem Kaiser auf ‚Gnade und Ungnade‘ ergeben und der Kaiser verlangte eine vollständige Unterwerfung des Landgrafen. Obwohl dieser sich anfänglich weigerte, unterzeichnete er schließlich die Kapitulation in der Hoffnung darauf, nicht gefangen genommen 288 D. Fürsten in Gefangenschaft zu werden. Es ist davon auszugehen, dass der Kaiser zu keinem Zeitpunkt ernsthaft darauf verzichten wollte, Philipp zu inhaftieren. 3. Phase: Die Gefangennahme Zu den fürstlichen Gefangennahmen sind die Quellen sehr ausführlich, aller‐ dings werden beide Fälle nicht in den Selbstzeugnissen geschildert, sondern von mehreren Augenzeugen beschrieben. Johann Friedrichs Ergreifung auf der Lochauer Heide zeigt ein Ritual der Gefangennahme auf: Nachdem er darauf bestanden hatte, sich nur einem deutschen Adligen zu ergeben, gab er den Männern, die ihn überwältigt hatten, seine Sporen, die Waffen und schließlich auch die Halsringe. Dann ließ er sich durch den sächsischen Reiter Thilo von Trotha gefangen nehmen und wurde vom Herzog von Alba vor den Kaiser geführt. Dieser empfing ihn ungnädig und ließ den gefangenen Fürsten abführen. Nach der Schlacht und der Begegnung mit dem Kaiser wurde Johann Friedrich in einem Pferdewagen nach Außig gebracht, wo seine Gesichtswunde, die er sich in der Schlacht zugezogen hatte, verarztet wurde. Philipp, in der Meinung der Kaiser würde sich ihm gegenüber gnädig er‐ weisen und das zugesicherte freie Geleit einer Rückkehr ermöglichen, unterwarf sich im Akt der deditio dem Kaiser in Halle, ohne dass Karl in seinem Sinne reagierte. Während des Abendessens beim spanischen Herzog Alba wurde Philipp am Verlassen der Räumlichkeiten gewaltsam gehindert, festgesetzt und in sein Gemach begleitet. 4. Phase: Der Transport Nach seinem Fußfall vor dem Kaiser in Halle gelangte Philipp von Hessen, wie Johann Friedrich von Sachsen in eine rund fünfjährige Gefangenschaft. Kaiser Karl V. nutzte den Transport der beiden Protestanten, um sie in der Öffentlichkeit schmachvoll als seine ‚persönlichen‘ Gefangenen und so seine eigene Überlegenheit zu präsentieren. 5. Phase: Die Gefangenschaft Während der Gefangenschaft begleiteten die Fürsten Kaiser Karl V. auf seinen Reisen. Die verschiedenen Hafträume dienten auf der einen Seite der sicheren Verwahrung der Gefangenen, auf der anderen Seite aber auch der kaiserlichen Machtdemonstration. Johann Friedrich war während der Reisen häufig mit dem Kaiser im gleichen Anwesen oder zumindest standesgemäß in größeren Anwesen untergebracht. Er durfte sich von seinen eigenen Bediensteten begleiten lassen und einen ausgiebigen Nachrichtenverkehr mit seiner neuen Residenz in Weimar führen. Die Zensur der spanischen Wachen umging Johann mit chiffrierten Botschaften, 289 3. Zusammenfassung so dass sich einige sehr freie Meinungsäußerungen des Fürsten erhalten haben. Da es ihm seine umgängliche Art leicht machte, sich mit den Wachen und höher gestellten Persönlichkeiten am kaiserlichen Hof zu verständigen, wurden ihm einige Hafterleichterungen gewährt - so berichten die Quellen von wie‐ derholten Spazierfahrten oder Besuchen von außen. Johann Friedrich nutzte die Möglichkeit des umfänglichen Nachrichtenverkehrs vor allem, um seine Politik aus der Haft fortzuführen. Neben den direkten Handlungsanweisungen an seine Söhne und die Räte, ließ er auch Künstler, wie Tizian oder Lucas Cranach, zu sich rufen und begann während der Gefangenschaft mit dem Bau des Schlosses, das später zum Ort seines Wiedersehens mit der Familie werden sollte. Die angefertigten Bilder ließ er teilweise direkt in seine Residenzen liefern oder nutzte sie als Geschenkgaben. Vor allem seiner Ehefrau schickte er zahlreiche Präsente. Seine Familie übersandte ihm ebenfalls zahlreiche Gaben, um ihm seine Haft zu erleichtern. Seine standhafte Haltung in Glaubensfragen brachte ihm zwischenzeitlich eine Haftverschärfung ein, die jedoch im Laufe der Zeit wieder gelockert wurde. Gleichzeitig gewann er zunehmend Anerkennung durch die spanische Wache, die kaiserlichen Räte und schließlich den Kaiser für seine Charakterstärke. Karl ließ ihn zwar weiterhin streng bewachen, ordnete aber offenbar keine weiteren Repressalien gegen den Fürsten an. Der ausgiebige Schriftverkehr zeigt jedenfalls eine durchweg gute bis sehr gute Behandlung Johann Friedrichs während seiner Gefangenschaft. Auffallend ist der liebevolle Schriftverkehr mit Sybille, der von beiden Eheleuten mit einer großen Intensität betrieben wurde. Bei den Gefangenschaften der beiden Kurfürsten fallen gerade in dieser Phase markante Unterschiede in der Behandlung der Gefangenen auf. Während sich Karl von Johann Friedrichs Haltung beeindruckt zeigte und ihm ein angemes‐ senes Gefängnis gewährte, verfuhr er mit Philipp völlig anderes. Nach zahllosen Zugeständnissen Philipps an den Kaiser und sein zähes Ringen um die Kapi‐ tulation in Halle, musste er zahlreiche Drangsalierungen und Demütigungen erfahren. Nach seiner ersten Nacht in Halle ging es für den Landgrafen zunächst nach Naumburg, wo er in einem Armenhaus untergebracht wurde. Immer wieder war er zwischen den größeren Städten in Feldlagern einquartiert und beklagte sich oftmals über die schlechte Unterbringung. Als Karl sich nach Augs‐ burg begab, wurde Philipp im Gasthaus zum Goldenen Löwen in Donauwörth beherbergt, wo er durch teilweise erkrankte Wachen streng bewacht wurde. In dieser Zeit hatte er eine ständige Anzahl an Bediensteten um sich und hielt seine Regierungsgeschäfte durch Briefe und Boten bestmöglich aufrecht, während sein Sohn in Hessen seine Rolle stellvertretend übernahm. Landgräfin Christine durfte bis zu ihrem Tod zweimal ihren Mann besuchen; ein Urlaub Philipps, um 290 D. Fürsten in Gefangenschaft 1077 Vgl. H E R R M A N N / W A R T E N B E R G , Politische (wie Anm. 910), Nr. 8, S. 46f.; ebd., Nr. 18, S. 63. das Interim in Hessen durchzuführen oder seiner erkrankten Frau beizustehen, wurde vom Kaiser nicht gestattet. 1077 Da Philipp von Hessen fortwährend versuchte, durch Schmeicheleien, Bittbriefe oder Erklärungsversuche seine Lage zu verbessern und neben der spanischen Wache auch den Kaiser gegen sich aufbrachte, wurde er im November 1547 in Isolationshaft gebracht. Ihm wurden alle Bediensteten und die Möglichkeit des öffentlichen Nachrichtenverkehrs untersagt. Im Herbst 1548 wurde der gefangene Landgraf in die Spanischen Niederlande nach Oudenaarde gebracht, weshalb seine Kommunikationsmög‐ lichkeiten noch stärker eingeschränkt wurden. Er durfte jedoch weiterhin zwölf Bedienstete mitführen. So finden sich ein Narr, zwei Knaben, die direkt bei ihm wohnten, und andere Bedienstete, wie der Sekretär und ein Leibarzt, die zum Teil in der Stadt einquartiert wurden. Philipp bekam schließlich eine zweite Kammer als Empfangs- und Speisezimmer zugeteilt, die von der spanischen Wache jederzeit einsehbar war. In den Briefen Philipps kann eine aufsteigende Angst vor den spanischen Wachen beobachtet werden. Befürchtete er anfangs noch eine Ansteckung durch das an der Pest erkrankte Wachpersonal, entwickelte sich im Zuge der Misshandlungen eine regelrechte Furcht vor den Wächtern, so dass er flehentlich um die Auswechslung der Wachmannschaft bat. 6. Phase: Die Verhandlungen Die langen Verhandlungen zeigen, so unterschiedlich sich die Gefangenschaften auch gestalteten, in beiden Fällen sehr anschaulich auf, wie sehr eine zuneh‐ mende Gefangenschaftsdauer die Gefangenen zermürben konnte. Nachdem das Todesurteil gegen Johann Friedrich durch die Unterzeichnung der Wittenberger Kapitulation am 19. Mai 1547 aufgehoben wurde, weigerte er sich zeit seiner Gefangenschaft beharrlich, den protestantischen Glauben aufzugeben. Die Erkrankung seiner Frau stellte für Johann Friedrich eine enorme Belastung dar und er versuchte mit allen Mitteln, die in seiner Macht standen, ihr zu helfen. Obwohl ihn der Umstand der Gefangenschaft zunächst nicht weiter bekümmerte, machte ihm mit zunehmender Dauer der Unfreiheit die eigene Machtlosigkeit zu schaffen. Während er anfangs, noch ganz Herr seiner Lage, auf die Urteilskraft seiner Räte und Söhne baute und auch selber ein großes Gottvertrauen in den Briefen darlegte, führten die eigene Ohnmacht und die anhaltende Gefangenschaft zunehmend zu einem Vertrauensverlust gegenüber seinem Umfeld. Er fürchtet sich davor, dass man ihm sein geistiges Urteilsvermögen absprechen und ihn aus der aktiven Entscheidungsfindung ausschließen könne. Vor allem in den letzten zwei Jahren seiner Gefangenschaft fühlte er sich immer öfter hintergangen und verlor das Zutrauen in seine Räte 291 3. Zusammenfassung und Söhne. Ob am Ende eine fehlende Informationspolitik dazu führte, dass er politisch desorientiert war und sich gegen den Fürstenbund auf die Seite des Kaisers stellte oder ob sein Angebot an den Kaiser politisches Taktieren war, ist schwer zu beurteilen. Große Sorge bereitete Johann Friedrich überdies das Gerücht, dass der Kaiser ihn nach Spanien verlegen lassen werde und man ihm nachsagen könnte, dass er von der eigenen Glaubensüberzeugung abgefallen sei, ohne dass er sich gegen dieses Gerücht zur Wehr hätte setzen können. Denn ge‐ rade in der Religionsfrage wich der Fürst keinen Schritt von seiner Überzeugung ab und ließ sich auch, trotz der Druckmittel, vor dem Kaiser auf keine weiteren Zugeständnisse ein. Zusätzlich zu seiner anhaltenden Glaubenshaltung führte der gescheiterte Fluchtversuch zu kurzfristigen Haftverschärfungen, die jedoch wesentlich milder als bei Philipp ausfielen. Philipp war während seiner Gefangenschaft jederzeit bemüht, die Befreiung seiner Person voranzutreiben. Er ersuchte wiederholt zahlreiche Fürsprecher um ihren Beistand und mahnte sein Umfeld, sich in seinem Sinne für ihn ein‐ zusetzen. Dass er dabei auch Zugeständnisse in Religionsfragen machte, wurde genutzt, um seine Person zu diskreditieren und ihn unglaubwürdig zu machen. Obwohl er durch geschicktes Paktieren bei den Verhandlungen der Kapitulati‐ onsschrift erreichen konnte, dass er seinen Titel und das Herrschaftsgebiet behalten konnte, traf ihn die Gefangenschaft wesentlich härter. Gerade die wankelmütige und taktierende Haltung Philipps scheint dabei ein maßgeblicher Grund für die Ungleichbehandlung der beiden Gefangenen gewesen zu sein. Eine der größten Sorgen, die Philipp während seiner Haft umtrieb, war eine Ansteckung mit diversen Krankheiten oder gar das Versterben während der Gefangenschaft. Immer wieder schreibt er in seinen Briefen von körperlichen Beschwerden, an denen er während der Zeit litt. Dazu kamen die Krankheitsfälle bei den Wachen und den Wirtsleuten in Donauwörth, so dass er sich vor einer Pesterkrankung fürchtete. Die Immobilität machte ihm zu schaffen, dazu litt er an Hustenanfällen und Katarrhen und wiederholt an Fieberschüben. Je länger die Gefangenschaft andauerte, desto öfter beklagte sich Philipp, wie auch Johann Friedrich, über die zunehmende Einflusslosigkeit, die ihm die Gefangenschaft bescherte. Er fühlte sich der Regierung seines Sohnes und der Räte ausgeliefert und tadelte die Alleingänge seiner Söhne. Verstärkt wurde das Gefühl dadurch, dass die Fürbitten von außen keine Erleichterungen seiner Gefangenschaft oder eine Freilassung herbeiführten. Nach seinem missglückten Fluchtversuch im Dezember 1550 wurden endgültig sämtliche Privilegien eingeschränkt. Einge‐ sperrt in einer einzelnen Kammer versuchte er während der Isolationshaft selbst für genügend Abwechslung für seinen Geist und seinen Körper zu sorgen. Wie Johann Friedrich fürchtete er, dass der Kaiser eine Verlegung nach Italien oder 292 D. Fürsten in Gefangenschaft Spanien anordnen könnte, was eine Verschlechterung der Kommunikations‐ möglichkeiten und eine fehlende Einflussnahme seiner Fürsprecher hätte nach sich ziehen können. Es kam zu groben Misshandlungen durch die spanische Wache, so berichtete Philipp von Schlaf- und Dunkelfolter. Außerdem habe er keinen Freiraum mehr für sich gehabt und sei gezwungen gewesen, der Hinrichtung von Mitwissern eines gescheiterten Fluchtversuchs beizuwohnen. Trotzdem gelang es Philipp immer wieder Geheimnachrichten auf Täfelchen und ähnlichen Schreibutensilien durch bestochene Wachen oder auch, wie in Mecheln, durch die Stadtbevölkerung nach Hessen zu senden. Nachdem sich die Haftbedingungen im Laufe der Zeit anscheinend wieder besserten, sorgte ein erneuter Eklat zu einer letzten Verschärfung der Gefangenschaft. Philipp selbst berichtet, dass einer seiner Boten mit einer geheimen Nachricht abgefangen worden war und dem Hauptmann der Wache die Botschaft aushändigen musste. Daraufhin seien erneut die Fenster seiner Kammer vernagelt worden und man habe ihm nur zwischen 10 Uhr morgens und 16 Uhr am Nachmittag Tageslicht gegönnt. Über die Bedingungen seiner Gefangenschaft beschwerte sich der Landgraf in einem Brief Ende August 1552 bei Königin Maria, die er um Fürsprache ersuchte. Er berichtet von korrupten Wachen und einem gewalttätigen und spielsüchtigen Hauptmann, der ihn bestohlen und mehrfach bedroht habe. Schließlich kam es durch die Bildung des Thorgauer Bundes und durch die zunehmend schwindende Einflussmöglichkeit des Kaisers im Reich für beide Fürsten zu Veränderungen in den Verhandlungen. 7. Phase: Erfüllung der Forderungen / Flucht Mitte Mai 1552 wurde Johann Friedrich aus der räumlichen Haft entlassen, musste jedoch noch am kaiserlichen Hof verbleiben; ganz ähnlich erging es Philipp von Hessen, der auf Schloss Tervuren bei Brüssel unter ‚Hausarrest‘ gestellt wurde. Doch die endgültige Freilassung beider Fürsten rückte näher, als am 2. August 1552 von den gegnerischen Parteien der Passauer Vertrag unterzeichnet wurde. 8. Phase: Erlangung der Freiheit Nachdem er noch drei Monate am kaiserlichen Hof unter Arrest stand, gelangte Johann Friedrich am 27. August 1552 in Freiheit. Das erste Wiedersehen mit seiner Familie fand im Schloss „Zur fröhlichen Wiederkunft“ in Wolfersdorf statt. Ein paar Tage später durfte Landgraf Philipp von Hessen am 5. September 1552 Schloss Tervuren als freier Mann verlassen und gelangte über Jülich am 10. September 1552 nach Marburg. 293 3. Zusammenfassung 1078 Rainer M A U S F E L D , Foltern ohne Spuren. Psychologie im Dienste des „Kampfes gegen den Terrorismus“, in: Wissenschaft & Frieden Heft 1: Intellektuelle und Krieg (2010), S. 16-19; Rainer M A U S F E L D , Psychologie, ,weiße Folter’ und die Verantwortlichkeit von Wissenschaftlern, in: Psychologische Rundschau 60 4 (2009), S. 229-240. 9. Phase: Das Leben nach der Gefangenschaft Sehr gut dokumentiert sind in den Akten die Umstände, die nach der Heimkehr der protestantischen Fürsten herrschten. Während Philipp von Hessen in sein altes Leben zurückkehren konnte und sich wieder in die hessische Politik einbrachte, kämpfte Johann Friedrich vergebens um die Erlangung der alten Kurfürstenwürde und starb weniger als zwei Jahren nach seiner Freilassung am 3. März 1554. Landgraf Philipp von Hessen hatte dagegen Titel und die kurfürstliche Würde behalten können, allerdings litt er unter zahlreichen Gebrechen nach seiner Freilassung. Dass seine gesundheitlichen Beschwerden Spätfolgen der physischen und psychischen Folterungen seiner Gefangenschaft waren, darf durchaus vermutet werden. 1078 So könnten die beschriebenen Schlafstörungen, Kopf- und Magenschmerzen sowie Fieberschübe ein Hinweis auf posttraumati‐ sche Störungen sein. Die beiden gefangenen Fürsten, die im Zuge des Schmalkaldischen Krieges in kaiserliche Gefangenschaft gerieten, zeigen, wie unterschiedlich sich Gefangen‐ schaften im selben Konflikt gestalten konnten. Beiden Gefangenen wurde eine völlig andere Behandlung zuteil, die sich auch aus den jeweils unterschiedlichen Bewältigungsstrategien der Männer erklären lassen, auch wenn dies sicherlich keine singuläre Begründung sein kann. 294 D. Fürsten in Gefangenschaft HAUPTTEIL II: DIE TRANSKULTURELLEN GEFANGENSCHAFTEN 1079 Hintergründe zur Gefangenschaft Hans Stadens, der nicht von den Osmanen gefangen genommen wurde, werden im dazugehörigen Kapitel vorgestellt. 1080 Zur Interkulturalitätsforschung und ihren Ansätzen s. Andreas R A U H , Fremdheit und Interkulturalität. Aspekte kultureller Pluralität (Edition Kulturwissenschaft 137), Biele‐ feld 2017, https: / / ebookcentral.proquest.com/ lib/ gbv/ detail.action? docID=4938853; In‐ tegration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter, hrsg. v. Michael B O R G O L T E / Julia D Ü C K E R / Marcel M Ü L L E R B U R G / Bernd S C H N E I D M Ü L L E R (Europa im Mittel‐ alter 18), Berlin 2011; Nikolas J A S P E R T , Fremdheit, in: „Das kommt mir spanisch vor“ (wie Anm. 10); Almut H Ö F E R T , Den Feind beschreiben. „Türkengefahr“ und europäisches Wissen über das Osmanische Reich 1450-1600 (Campus Historische Studien 35), Frankfurt am Main, New York 2003. Eine gute Übersicht zum Forschungsstand liefert Hans-Werner G O E T Z , Die Wahrnehmung anderer Religionen und christlich-abendlän‐ disches Selbstverständnis im frühen und hohen Mittelalter (5. - 12. Jahrhundert), Berlin 2013, S. 13-22. A. Hintergrundinformationen: Das Osmanische Reich im späten Mittelalter Im folgenden Kapitel sollen der Aufstieg des Osmanischen Reiches, seine militärische Binnenstruktur sowie der Umgang mit der Sklaverei skizziert werden, da die Selbstzeugnisse der Gefangenen in der Regel nur wenige oder sogar fehlerhafte Informationen zu den geschichtlichen Ereignissen und den fremden Strukturen des osmanischen Staates geben. Zu bedenken ist, dass die Selbstzeugnisse eine subjektive Sicht der Ereignisse und der geschilderten Erfahrungen wiedergeben. 1079 Transkulturelle Gefangenschaften bedeuteten für die Individuen die Begegnung mit dem ‚Fremden‘; dabei erfolgten die Wahr‐ nehmung und die Zuschreibung von ‚Fremdheit‘ immer im Rahmen eigener kultureller Deutungsmuster. 1080 Deshalb konnten auch die Erfahrungen, die die Gefangenen in der ‚Fremde‘ machten, nur dann an ein Publikum vermittelt werden, wenn sie auf Grundlage der eigenen Wirklichkeit rückvermittelt wurden. 1. Die osmanische Expansion vom 14. bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts Im Jahr 1326, zwei Jahre nach dem Tod Osmans, der als Begründer des Osma‐ nischen Reiches gilt, eroberte ein osmanisches Heer die Stadt Prusa in der heutige Türkei, die in den folgenden Jahren unter dem Namen „Bursa“ zur 1081 Thomas K O L N B E R G E R , Dynamik des modernen Krieges, in: Im Zeichen der Kanone. Islamisch-christlicher Kulturtransfer am Beginn der Neuzeit, hrsg. v. Gottfried Liedl/ Manfred Pittioni/ Thomas Kolnberger (Expansion, Interaktion, Akkulturation 2), Wien 2002, S. 21-42, S. 37. 1082 Josef M A T U Z , Das Osmanische Reich. Grundlinien seiner Geschichte, Darmstadt 6 2010, S. 37f. 1083 Klaus K R E I S E R , Der osmanische Staat, 1300-1922, München 2 2008, S. 20. 1084 K R E I S E R , Staat (wie Anm. 1083), S. 21. 1085 Zu Timur: Tilman N A G E L , Timur der Eroberer und die islamische Welt des späten Mittelalters, München 1993; Felicitas S C H M I E D E R , Europa und die Fremden. Die Mon‐ golen im Urteil des Abendlandes vom 13. bis in das 15. Jahrhundert, Sigmaringen 1994, S. 39-41, 180-195, 240-243; M A T U Z , Osmanische (wie Anm. 1082), S. 44-48. 1086 F L A I G , Weltgeschichte (wie Anm. 32), S. 89. 1087 Studies in Ottoman social and economic history, hrsg. v. Halil İ N A L C I K , London 1985, S. 21; M A T U Z , Osmanische (wie Anm. 1082), S. 44-48. neuen Hauptstadt des Reiches wurde. Orhan, der Sohn Osmans, erweiterte sukzessive sein Gebiet und begann ab der Mitte des 14. Jahrhunderts auch damit seine Truppen gegen Südosteuropa zu lenken. 1081 Mit einem einzigartigen Militärsystem, das vor allem darauf aufgebaut war, ein Berufsheer aus ver‐ sklavten Männern zu unterhalten, eroberte das osmanische Heer immer mehr Gebiete. Mit Gallipoli (Gelibolu) wurde 1354 die erste Stadt auf „europäischem“ Boden erobert und nachdem die Osmanen 1362 das byzantinische Adrianopel für sich hatten gewinnen können, wurde „Edirne“ die neue Hauptstadt des osmanischen Reiches. Am 15. Juni 1389 kam es zur Schlacht am Amselfeld zwischen einem serbisch-bosnischen Bündnis unter der Führung des Fürsten Lazar Hrebeljanović und dem osmanischen Sultan Murad I. Die Schlacht endete ohne einen eindeutigen Sieg, da beide Anführer fielen. 1082 Im selben Jahr trat Bajezid I., der Sohn Murads, als neuer Sultan an die Spitze des osmanischen Staates. 1083 1398 kam es zu einer verheerenden Niederlage der Christen bei Nikopolis. Das christliche Heer unter Sigismund floh über die Donau und es wurde befürchtet, dass der Sultan seine militärische Kraft daraufhin gegen das restliche europäische Festland richten würde. 1084 Doch der Siegeszug der Osmanen wurde unterbrochen durch den asiatischen Eroberer Timur Lenk. 1085 Im 14. Jahrhundert waren die Herrscher der westlichen Khanate der Mongolen zum Islam übergetreten und hatten ihr Herrschaftsgebiet vergrößert. 1086 Timur zog in seinem Feldzug von Indien bis nach Zentralanatolien und stellte sich schließlich in einer großen Feldschlacht Sultan Bajezid. In der Schlacht von Ankara im Jahr 1402 trafen Bajezids Heer, das sich vor allem aus osmanischen Janitscharen und daneben aus verschiedenen Kontingenten früherer anatoli‐ scher Fürstentümer sowie Hilfstruppen des serbischen Fürsten Stefan Lazarević zusammensetzte, und das Reiterheer Timurs aufeinander. 1087 Der Sultan wurde 298 A. Hintergrundinformationen: Das Osmanische Reich im späten Mittelalter 1088 Thomas K O L N B E R G E R , Dynamik, in: Im Zeichen der Kanone (wie Anm. 1081), S. 38f. 1089 Nikolas J A S P E R T , Die Kreuzzüge (Geschichte kompakt), Darmstadt 52010, S. 57; M A T U Z , Osmanische (wie Anm. 1082) S. 55. 1090 M A T U Z , Osmanische (wie Anm. 1082), S. 58-62. Zur Bedeutung des Falls von Konstan‐ tinopel für die „Türkengefahr“: H Ö F E R T , Feind (wie Anm. 1080), S. 56-61. 1091 M A T U Z , Osmanische (wie Anm. 1082), S. 118; Suraiya F A R O Q H I , The Ottoman Empire and the world around it (The library of Ottoman studies 7), London [u. a.] 2011, S. 76f. 1092 Unter Orhan (1326-1360) wurde aus dem Emirat ein Sultanat: Manfred P I T T I O N I , Die neue Feldarmee: Das Beispiel der Osmanen, in: Im Zeichen der Kanone. Isla‐ misch-christlicher Kulturtransfer am Beginn der Neuzeit, hrsg. v. Gottfried Liedl/ Man‐ fred Pittioni/ Thomas Kolnberger (Expansion, Interaktion, Akkulturation 2), Wien 2002, S. 85-122, S. 88. geschlagen und gefangen gesetzt. Timur verwüstete das Land, so auch Bursa, und zog in einem groß angelegten Feldzug gegen China. Nach seinem Tod 1405 zerfiel sein erobertes Gebiet und es kam zum Bürgerkrieg. Erst unter Mehmet I. gelang es des Osmanen, das Reich neu zu ordnen. Die Ungarn, die in Südosteuropa zunehmend in Bedrängnis gerieten, konnten sich unter János Hunyadi zunächst der Osmanen erwehren und eine erste Belagerung Belgrads 1440 abwenden. 1088 Im Jahr 1444 erlitten die Ungarn in der Schlacht bei Varna jedoch eine große Niederlage. 1089 Mehmed II., der 1451 den Sultansthron bestieg, konzentrierte seine Erobe‐ rungsbestrebungen auf die Reste des Byzantinischen Reiches: 1453 fiel Konstan‐ tinopel in osmanische Hand. Die eroberte Stadt wurde neue Hauptstadt des Osmanischen Reiches. 1090 Unter Sultan Selim I. (1512-1520) wurde das osmani‐ sche Reich nach Osten ausgeweitet; Selim zerschlug das Mamluken-Reich in Ägypten und unterwarf sich Syrien (1516) sowie Teile der arabischen Halbinsel. Sultan Süleyman der Prächtige eroberte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts Belgrad und Buda. Unter seiner Führung standen die Osmanen 1529 das erste Mal vor Wien. 1541 wurde Ungarn zu einer osmanischen Provinz und bereits 1522 hatte Süleyman die Johanniter von Rhodos vertrieben. 1091 Seine Herrschaft wird häufig als der Höhepunkt des Osmanischen Reiches beschrieben. Als er 1566 starb, hatte er den Osten Kleinasiens erobert, die Habsburger waren tributpflichtig und das Reich hatte seine größte geographische Ausdehnung erreicht. 2. Das Heerwesen der Osmanen Als oberster Herrscher gebot der Sultan über alle Bereiche seines Staates. 1092 Der Herrscherhof war Dreh- und Angelpunkt der politischen Entscheidungen 299 2. Das Heerwesen der Osmanen 1093 M A T U Z , Osmanische (wie Anm. 1082), S. 102f. 1094 Dazu kam im 15. und 16. Jahrhundert noch die Seeflotte, deren Aufbau in die Regie‐ rungszeiten Mehmets II. (1451-1481) und Süleymans II. (1520-1566) fiel. 1095 Ralf C. M Ü L L E R , Franken im Osten. Art, Umfang, Struktur und Dynamik der Migration aus dem lateinischen Westen in das Osmanische Reich des 15./ 16. Jahrhunderts auf der Grundlage von Reiseberichten, Leipzig 2005, S. 100f. Höhere militärische Ränge hatten Ansprüche auf Großpfründe (ziamet): M A T U Z , Osmanische (wie Anm. 1082), S. 40. Zur Untergliederung der Provinzialtruppen: Manfred P I T T I O N I , Feldarmee, in: Im Zeichen der Kanone (wie Anm. 1092), S. 91. 1096 Die Anzahl der Kämpfer war vom Vermögen des Timar-Inhabers abhängig: M A T U Z , Osmanische (wie Anm. 1082), S. 100f.; İ N A L C I K , Studies (wie Anm. 1087), S. 27. 1097 M A T U Z , Osmanische (wie Anm. 1082), S. 101. 1098 Ebd., S. 98f. 1099 Für die Hilfe bei der Orthografie danke ich Herrn Dr. Dirk Jäckel an dieser Stelle. 1100 Im 16. Jahrhundert bis zu 20 000 Mann, s. Manfred P I T T I O N I , Feldarmee, in: Im Zeichen der Kanone (wie Anm. 1092), S. 89. und Ausgangsort der osmanischen Feldzüge. Die Kriegszüge wurden meist in den Sommermonaten durchgeführt, während man in den Wintermonaten im eigenen Land verblieb, um eine gute Versorgung des Heeres gewährleisten zu können. 1093 Aufgeteilt war das osmanische Heer in Provinzialtruppen und die zentralen Truppen. 1094 Bei der Provinzialtruppe gab es eine schwere Reiterei, die sipahis, die jedoch keinen Sold, sondern eine Art Pfründe (timar) erhielten. 1095 Ein Timar-Inhaber musste neben der eigenen Person auch mehrere bewaffnete Reiter ausrüsten und diese im Krieg zur Verfügung stellen. 1096 Eine leichtere Kavallerieeinheit (akɪncɪ) wurde als wendige Einheit eingesetzt, die ebenfalls nicht besoldet war, sondern ihren Lohn aus der eroberten Beute zog. 1097 Neben den Truppen in den einzelnen Provinzen, die das Heer im Falle eines Konflikts unterstützen sollten, gab es ein stehendes Heer, die sogenannten „Pfortensklaven“ (kapukulu), die gut ausgebildet und ausgerüstet waren. Die Mitglieder waren kaserniert und fest besoldet. 1098 Vermutlich unter Sultan Murad I. entstand Ende des 14. Jahrhunderts zusätzlich die Gruppe der Jani‐ tscharen. Diese Eliteeinheit, die als yeniçeri - als „neue Truppe“ - bezeichnet wurde, bildete den Kern der Pfortensklaven. Sie unterstanden einem Anführer (yeniçerağa) 1099 und umfassten eine Truppenstärke von höchstens 10 000 bis 12 000 Mann. 1100 Die Janitscharen waren in drei größere Abteilungen unterteilt: Etwa zwei Drittel gehörten der cemaat (Gruppe) an, die zu je 60 bis 70 Mann eine Einheit bildeten. Daneben gab es die „Hundewächter“ (seğban), die zunächst die Bewachung der Jagdhunde am Sultanshof übernahmen und aus denen sich später die persönliche Leibgarde des Sultans entwickelte. Dazu kam noch eine kleinere Gruppe, die als orta direkt dem yeniçerağa zur Verfügung 300 A. Hintergrundinformationen: Das Osmanische Reich im späten Mittelalter 1101 Manfred P I T T I O N I , Feldarmee, in: Im Zeichen der Kanone (wie Anm. 1092), S. 89f. 1102 Gerade ausländische Kanonengießer wurden von den Osmanen als Spezialisten in ihre Reihen aufgenommen. Unter Murâd II. und Mehmed II. wurde Geschütz am Ort des Geschehens gegossen: K R E I S E R , Staat (wie Anm. 1083), S. 59; Manfred P I T T I O N I , Feldarmee, in: Im Zeichen der Kanone (wie Anm. 1092), S. 100. 1103 K R E I S E R , Staat (wie Anm. 1083), S. 57. 1104 Ebd., S. 57. 1105 Ferenc M A J O R O S / Bernd R I L L , Das Osmanische Reich. Die Geschichte einer Großmacht, 1300-1922, Regensburg 1994, S. 18-20. 1106 Die Janitscharen trugen einen Suppenlöffel an ihren Hauben: Manfred P I T T I O N I , Feld‐ armee, in: Im Zeichen der Kanone (wie Anm. 1092), S. 90. 1107 Zum islamischen Recht, nichtmuslimische Gefangene zu töten, schreibt der Gelehrte Ibn Abi Zaid al-Qairawani: „Es spricht nichts dagegen, weiße Nicht-Araber zu töten, die gefangen genommen wurden. Aber keiner darf getötet werden, nachdem man ihm den Aman (sicheres Geleit) gewährt hat. Mit ihnen getroffene Vereinbarungen dürfen nicht gebrochen werden. […] Der vom niedrigsten der Muslime gewährte Aman muß von den andern als gültig anerkannt werden. Eine Frau und ein (minderjähriges) Kind können auch den Aman gewähren, wenn sie sich dessen Tragweite bewußt sind. Aber nach einer anderen Meinung gilt dieser nur, wenn der Imam ihn bestätigt.“: Bat Y E ’ O R / Heribert B U S S E , Der Niedergang des orientalischen Christentums unter dem Islam. 7.-20. Jahrhundert: zwischen Dschihad und Dhimmitude, Gräfelfing 2002, S. 316. 1108 M A T U Z , Osmanische (wie Anm. 1082), S. 56; İ N A L C I K , Studies (wie Anm. 1087), S. 25f. Die Knabenlese wurde unter Murad II. systematisiert, war aber bereits von Bajezid I. genutzt worden: M Ü L L E R , Franken (wie Anm. 1095), S. 235. standen. 1101 Neben den berittenen Einheiten gab es spezialisierte Kräfte wie Kanoniere 1102 , Mineure, Waffenschmiede oder Zeugmacher. 1103 Als eine weitere Einheit, parallel zu den sipahis in den Provinzen, besaß auch das Zentralheer eine berittene sipahi-Truppe. Die Soldaten der Janitscharen wurden nicht nur gut ausgebildet, sie erhielten einen hohen Sold und wurden als Truppe geschlossen in Kasernen untergebracht. 1104 Die einzelnen Mitglieder des Korps durften nicht heiraten und mit ihrer besseren Ausstattung und Verpflegung setzten sie sich als Eliteeinheit vom übrigen Heer der Osmanen ab. Wie bei allen Infanterieein‐ heiten der Osmanen herrschte eine hohe militärische Disziplin, doch war in der Gruppe der Janitscharen neben dem militärischen Drill auch besonders oft ein religiöser Eifer festzustellen, der innerhalb der Truppe gefördert wurde. 1105 Eine große Bedeutung für das Gemeinschaftsgefühl hatte zudem der gemeinsame Suppentopf - ein Brauch, der noch aus den Zeiten als Nomadenvolk stammte. Dieser wurde nicht nur in der Kaserne genutzt, sondern auch mit auf die Feldzüge genommen. 1106 Rekrutierten sich die Janitscharen anfangs noch vor allem aus Kriegsgefan‐ genen, 1107 kam es ab 1438 zur devširme (Knabenlese). 1108 Mit der devširme ist die Einziehung junger Knaben gemeint, die meist im Alter von ungefähr acht Jahren aus den Reihen der christlichen Untertanen - größtenteils auf dem 301 2. Das Heerwesen der Osmanen 1109 M A J O R O S / R I L L , Reich (wie Anm. 1105), S. 11f. und 17 f. K R E I S E R , Staat (wie Anm. 1083), S. 57. 1110 Manfred P I T T I O N I , Feldarmee, in: Im Zeichen der Kanone (wie Anm. 1092), S. 90. 1111 Felix K O N R A D , Soziale Mobilität europäischer Renegaten im frühneuzeitlichen Osmani‐ schen Reich, in: Religion und Mobilität. Zum Verhältnis von raumbezogener Mobilität und religiöser Identitätsbildung im frühneuzeitlichen Europa, hrsg. v. Thomas Weller/ Henning P. Jürgens, Göttingen 2010, S. 213-234, S. 230. 1112 Felix K O N R A D , Mobilität, in: Religion und Mobilität (wie Anm. 1111), S. 232. 1113 İ N A L C I K , Studies (wie Anm. 1087), S. 37. 1114 B R O D M A N , Captives (wie Anm. 31), hier S. 205; M Ü L L E R , Franken (wie Anm. 1095), S. 457-462. 1115 Salvatore B O N O , Piraten und Korsaren im Mittelmeer. Seekrieg, Handel und Sklaverei vom 16. bis 19. Jahrhundert. Aus dem Italienischen von Achim Wurm, Stuttgart 2009, Gebiet des Balkans - den Familien entrissen wurden. 1109 Danach wurden sie in Adrianopel (Edirne), Konstantinopel (Istanbul) oder Bursa in speziellen Ausbildungsakademien (acemi ocaği) geschult, im muslimischen Glauben er‐ zogen und anschließend je nach Fähigkeit in administrativen oder militärischen Bereichen eingesetzt. 1110 Neben den Jungen, die man aus der Knabenlese für den militärischen Dienst heranzog, wurden auch junge Kriegsgefangene, wie Johannes Schiltberger, in die militärischen Gruppen eingegliedert. 1111 Aber auch Gefangene mit spezialisierten Fähigkeiten, wie Büchsenmeister oder Kanonen‐ gießer, konnten in die militärischen Reihen aufsteigen. 1112 3. Sklaven im Osmanischen Reich Während der osmanischen Eroberungszüge gelangten unzählige Menschen in Kriegsgefangenschaft. Konnten die Gefangenen sich nicht freikaufen, wurden sie als Sklaven verkauft oder als Spezialkräfte direkt in die militärischen Truppen des Osmanischen Reiches eingegliedert. Bedeutende Sklavenmärkte gab es in Bursa, Edirne, Istanbul und Üsküb (Skopje). 1113 Sklaven wurden quer durch die Gesellschaft eingesetzt - im Handwerk, auf dem Feld, im Militär oder im Haushalt. Dabei galten sie als Mensch und Sache gleichermaßen: Der Koran legte fest, dass Sklaven anständig zu behandeln seien, allerdings waren sie vererb- und verkaufbar. Wer jedoch im karitativen Sinne (Zakāt) einen Sklaven freigab, durfte diese Freilassung nicht wieder rückgängig machen. Ebenso war es dem Gefangenen gestattet, sich selbst loszukaufen, wenn er seinen eigenen Kaufpreis bezahlen konnte. 1114 Dies hatte zur Folge, dass der Sklave mit der Erlaubnis seines Herrn oftmals ein eigenes Gewerbe oder Handwerk betreiben und sich mit Hilfe der Einkünfte loskaufen konnte (kitāba). 1115 Ebenso war es 302 A. Hintergrundinformationen: Das Osmanische Reich im späten Mittelalter S. 262. Durch das Geld konnte sich der Besitzer einen neuen Sklaven kaufen, so „verlängerte sich die Ausbeutungszeit“, F L A I G , Weltgeschichte (wie Anm. 32), S. 27. 1116 M Ü L L E R , Franken (wie Anm. 1095), S. 254. 1117 Ebd., S. 458. 1118 Ebd., S. 354; B R O D M A N , Captives (wie Anm. 31), hier S. 204. 1119 M Ü L L E R , Franken (wie Anm. 1095), S. 238; S. 442-451. Zur Möglichkeit der Wieder‐ eingliederung von Renegaten nach ihrer Rückkehr in die alte Heimat: Michael K E M P E , Piraterie, Sklaverei, Konversion. Zur Frage nach der Relevanz von Religion im mediterranen Kaperkrieg (17.-18. Jahrhundert), in: Seeraub im Mittelmeerraum. Piraterie, Korsarentum und maritime Gewalt von der Antike bis zur Neuzeit, hrsg. v. Nikolas Jaspert/ Sebastian Kolditz (Mittelmeerstudien 3), Paderborn 2013, S. 105-114, S. 112f. 1120 Felix K O N R A D , Mobilität, in: Religion und Mobilität (wie Anm. 1111), S. 218f. 1121 B O N O , Piraten (wie Anm. 1115), S. 263; Felix K O N R A D , Mobilität, in: Religion und Mobilität (wie Anm. 1111), S. 228. 1122 Felix K O N R A D , Mobilität, in: Religion und Mobilität (wie Anm. 1111), S. 214. 1123 M Ü L L E R , Franken (wie Anm. 1095), S. 355. möglich mit dem Besitzer einen Vertrag über den Zeitpunkt der Freilassung aufzusetzen. In diesem wurden oftmals auch Geldsummen ausgehandelt, die vom Sklaven durch Lohn oder eigenen Gewinn zu erwirtschaften waren. 1116 Gleichzeitig diente der Vertrag, der häufig eine Zeitspanne bis zur Freilassung vereinbarte und dem Kadi vorgelegt wurde, als Versicherung für den Sklaven, der danach nicht erneut weiterverkauft werden durfte. 1117 Trotz dieser rechtli‐ chen Regelungen war es dem Sklaven nicht gestattet vor Gericht als Zeuge aufzutreten, Eigentum zu besitzen oder zu erben und ohne die Zustimmung seines Besitzers Verträge abzuschließen. 1118 Der Glaubensübertritt nichtmuslimischer Sklaven zum Islam wurde wahr‐ scheinlich sehr häufig vollzogen. Neben dem freiwilligen Übertritt aus so‐ zialen, wirtschaftlichen oder politischen Gründen muss auch immer wieder von einem unfreiwilligen Glaubenswechsel ausgegangen werden. Gerade Kriegsgefangene wurden sicherlich vielfach gezwungen, zu konvertieren, sei es durch sozialen Druck oder durch Gewalt. 1119 Manche Gefangene erhofften sich durch den Übertritt vielleicht auch eine günstigere Ausgangsituation, um wieder in Freiheit zu gelangen. 1120 Als äußeres Zeichen wurde das öffentliche Aussprechen des islamischen Glaubensbekenntnisses (šahāda) genutzt. 1121 Nach dem Übertritt zum Islam war zwar ein sozialer Aufstieg möglich, 1122 dabei führte die Annahme des islamischen Glaubens jedoch nicht zwangsläufig in die Freiheit, da es nicht sofort zu einer Freilassung durch den Besitzer kommen musste. 1123 Neben der Freilassung mit Hilfe eines Vertrags zwischen dem Gefangenen und seinem Besitzer, der gelungenen Flucht oder dem selbst erwirtschafteten 303 3. Sklaven im Osmanischen Reich 1124 B O N O , Piraten (wie Anm. 1115), S 275-278. 1125 Ebd., S. 266-269. Zum Loskauf von Christen aus islamischer Gefangenschaft, der in den hier vorliegenden Selbstzeugnissen nur eine untergeordnete Rolle spielt, exem‐ plarisch: Nikolas J A S P E R T , Gefangenenloskauf in der Krone Aragon und die Anfänge des Mercedarierordens: Institutionelle Diversität, religiöse Kontexte, mediterrane Ver‐ flechtungen, in: Gefangenenloskauf im Mittelmeerraum. Ein interreligiöser Vergleich, hrsg. v. Heike Grieser/ Nicole Priesching (Sklaverei - Knechtschaft - Zwangsarbeit 13), Hildesheim 2015, S. 99-121; R O D R I G U E Z , Captives (wie Anm. 31); Géza P Á L F F Y , Ransom Slavery along the Ottoman-Hungarian Frontier in the Sixteenth and Seventeenth Cen‐ turies, in: Ransom Slavery along the Ottoman Borders. Early Fifteenth-Early Eighteenth Centuries, hrsg. v. Dávid Géza/ Fodor Pál (Ottoman Empire and its Heritage 37), Leiden/ Boston 2007, S. 35-83; F R I E D M A N , Encounter (wie Anm. 18); La liberazione dei captivi tra cristianità e Islam. Oltre la crociate e il Gihad: tolleranza e servizio umanitario: atti del congresso interdisciplinare di studi storici, hrsg. v. Giulio C I P O L L O N E (Collectanea Ar‐ chivi Vaticani 46), Città del Vaticano 2000; Alan John F O R E Y , The Military Orders and the Ransoming of Captives from Islam, in: Studia monastica 33 (1991), S. 259-279, B R O D M A N , Ransoming (wie Anm. 31). Zum Freikauf im östlichen Mittelmeerraum: Georg C H R I S T , Transkulturelle Pirateriebekämpfung? Venezianisch-Mamlukische Kooperation und Gefangenenbefreiung im östlichen Mittelmeerraum im Spätmittelalter, in: Seeraub im Mittelmeerraum. Piraterie, Korsarentum und maritime Gewalt von der Antike bis zur Neuzeit, hrsg. v. Nikolas Jaspert/ Sebastian Kolditz (Mittelmeerstudien 3), Paderborn 2013, S. 363-376. 1126 F L A I G , Weltgeschichte (wie Anm. 32), S. 85. Militärsklaven wurden als „kul“ oder „ghulām“ bezeichnet: M A T U Z , Osmanische (wie Anm. 1082), S. 88; İ N A L C I K , Studies (wie Anm. 1087), S. 25. 1127 Während Michel Fontenay den Begriff „captifs du guerre“ präferiert: Michel F O N T E N A Y , Esclaves et/ ou captifs: pre’ciser les concepts, in: Le commerce des captifs. Les intermé‐ diaires dans l’échange et le rachat des prisonniers en Méditerranée, XVe-XVIIIe siècle, hrsg. v. Wolfgang Kaiser (Collection de l’École française de Rome 406), Rome/ Paris 2008, S. 15-24, bleibt Robert Davis bei der Begrifflichkeit der „faith slavery“: D A V I S , Christian (wie Anm. 32), S. 9-28. Siehe auch: Nikolas J A S P E R T / Sebastian K O L D I T Z , Seeraub im Mittelmeerraum: Bemerkungen und Perspektiven, in: Seeraub im Mittelmeerraum. Piraterie, Korsarentum und maritime Gewalt von der Antike bis zur Neuzeit, hrsg. v. Nikolas Jaspert/ Sebastian Kolditz (Mittelmeerstudien 3), Paderborn 2013, S. 11-37, Freikauf gab es weitere Möglichkeiten die eigene Gefangenschaft zu beenden. So konnte die Freilassung auch im Testament des letzten Besitzers festgelegt werden, in diesem Fall durfte der Sklave nicht neu versklavt werden. 1124 Zudem bildeten sich auch christliche Organisationen heraus, die den Austausch oder Loskauf christlicher Gefangener vorantrieben. In diesem Zusammenhang sind vor allem christliche Orden, wie die Trinitarier oder Mercedarier zu nennen. 1125 Das osmanische Heer führte in seinem Expansionsbestreben beständig Krieg und so wurden immer neue Sklaven für das Reich, das völlig auf die Sklaven‐ haltung ausgerichtet war, gewonnen. 1126 Dass die begriffliche Unterscheidung zwischen „(Kriegs)Gefangenem“ und „Sklaven“ schwer zu treffen ist, wurde in den letzten Jahren wiederholt festgestellt 1127 und unter anderem auch auf 304 A. Hintergrundinformationen: Das Osmanische Reich im späten Mittelalter S. 20; Fodor P Á L , Introduction, in: Ransom Slavery along the Ottoman Borders. Early Fifteenth-Early Eighteenth Centuries, hrsg. v. Dávid Géza/ Fodor Pál (Ottoman Empire and its Heritage 37), Leiden/ Boston 2007, S. XI-XX, S. XIV; Youval R O T M A N , Captif ou esclave? Entre marché d’esclaves et marché de captifs en Méditerranée médiévale, in: Les esclavages en Méditerranée. Espaces et dynamiques économiques, hrsg. v. Fabienne Guillén P./ Salah Trabelsi (Collection de la Casa de Velázquez 133), Madrid 2012, S. 25-46. 1128 H A N S S / S C H I E L , Slavery (wie Anm. 32). 1129 Gefangenenloskauf im Mittelmeerraum. Ein interreligiöser Vergleich, hrsg. v. Heike G R I E S E R / Nicole P R I E S C H I N G (Sklaverei - Knechtschaft - Zwangsarbeit 13), Hildesheim 2015. Dazu: Tagungsbericht Gefangenenloskauf im Mittelmeerraum. Ein interreligiöser Vergleich. 19.09.2013-21.09.2013, Paderborn, in: H-Soz-u-Kult, 13.11.2013, <http: / / hsoz‐ kult.geschichte.hu-berlin.de/ tagungsberichte/ id=5106>. 1130 Bis auf Hans Staden wurden alle Männer im Zuge eines gewaltsamen Konflikts zwischen der muslimischen und der christlichen Seite gefangen genommen. Eine Einordnung der Gefangenschaft Hans Stadens bei den brasilianischen Tupinambá findet gesondert statt. der Tagung „Transcultural Perspectives on Late Medieval and Early Modern Slavery in the Mediterranean“ 2012 in Zürich 1128 und im September 2013 in Paderborn auf der Tagung „Gefangenenloskauf im Mittelmeerraum. Ein interreligiöser Vergleich“ 1129 diskutiert. Da allen hier genutzten Selbstzeugnissen jedoch ein gewaltsamer Konflikt, entweder durch einen Überfall oder innerhalb von Kriegshandlungen, vorausging, wurden die folgenden Fälle für diese Un‐ tersuchung herangezogen. 1130 Erneut werden die Selbstzeugnisse zunächst in einzelne Phasen unterteilt und auf ihre Aussagen zum Gefangenschaftsraum und den Erfahrungen der Gefangenen hin untersucht. Stärker als im ersten Untersuchungsteil ist jedoch mit Stereotypen und narrativen Mustern in den Berichten zu rechnen, da die vorliegenden Quellen in der Retrospektive und für ein entsprechendes Publikum verfasst wurden. 305 3. Sklaven im Osmanischen Reich 1131 Felix K O N R A D , Mobilität, in: Religion und Mobilität (wie Anm. 1111), hier S. 215; zu den muslimischen Beutefahrern: Andreas R I E G E R , Die Seeaktivitäten der muslimischen Beutefahrer als Bestandteil der staatlichen Flotte während der osmanischen Expansion im Mittelmeer im 15. und 16. Jahrhundert (Islamkundliche Untersuchungen 174), Berlin 1994; Kristine T. U T T E R B A C K , Pirates and Pilgrims on the Late-Medieval Journey to Jerusalem, in: Medieval Perspectives 12 (1997), S. 123-133. Für die Frühe Neuzeit: Magnus R E S S E L , Zwischen Sklavenkassen und Türkenpässen. Nordeuropa und die Barbaresken in der Frühen Neuzeit (Pluralisierung & Autorität 31), Berlin 2012. Die ‚Barbareskenstaaten‘ waren vor allem: Algier, Marokko, Tunis und Tripolis. 1132 Felix K O N R A D , Mobilität, in: Religion und Mobilität (wie Anm. 1111), hier S. 215. 1133 B O N O , Piraten (wie Anm. 1115), S. 13 B. Militärische Gefangenschaften Die Gefangenschaften der ersten Gruppe ereigneten sich ausnahmslos innerhalb kriegerischer Auseinandersetzungen und die Männer waren selbst als Kombat‐ tanten in die Auseinandersetzungen eingebunden. Die Gefangennahme erfolgte nach einem Gefecht, einer Belagerung oder im Fall Balthasar Sturmers nach einem Piratenangriff. Die muslimischen Beutefahrer, von denen in den Quellen immer wieder mit großem Schrecken berichtet wird, nahmen Christen entweder mit Zustimmung der osmanischen Seekriegsführung oder auf eigene Faust gefangen. 1131 Die Anzahl der erbeuteten Menschen ist nicht mehr zu ermitteln, aber vom 16. bis ins 17. Jahrhundert hinein kann von über hunderttausend verschleppten Menschen ausgegangen werden. 1132 Die gefangenen Christen dieser Gruppe wurden nach ihrer Gefangen‐ nahme als Mitglieder des osmanischen Heeres, als Fachkräfte oder als Sklaven genutzt. Bei allen Selbstzeugnissen sollte bedacht werden, dass sie erst nach der Heimkehr verfasst wurden und mit ihren Darstellungen noch viel stärker als in den Zeugnissen der intrakulturellen Gefangenschaften ein Ziel erreicht werden sollte; sei es Mitleid zu wecken, die eigene Geschichte zu vermarkten oder möglichen Vorwürfen zu begegnen. 1133 Gerade bei den Berichten Georgs von Ungarn und Hans Sturmers sowie im letzten Kapitel auch beim Selbstzeugnis Hans Stadens darf deshalb auch die Gattungsnähe 1134 Als Hauptfigur dient dabei der pícaro, der episodenhaft seine Lebensgeschichte er‐ zählt und dabei aus der Beobachterperspektive einen kritischen, oftmals satirischen Blick auf die Gesellschaft wirft. Als Außenseiter und moralisch zweifelhafter Held begibt er sich häufig freiwillig oder unfreiwillig auf Reisen und schlägt sich mit List und Gaunereien durch, so dass er jeder gefährlichen Situation durch glückliche Fügungen und unerwartete Wendungen entkommen kann, vgl. Matthias B A U E R , Der Schelmenroman (Sammlung Metzler 282), Stuttgart 1994; Hans Gerd R Ö T Z E R , Der europäische Schelmenroman (Reclams Universal-Bibliothek 17675), Stuttgart 2009; Gregor S C H U H E N , Vir inversus. Männlichkeiten im spanischen Schelmenroman, Bielefeld 2018, https: / / content-select.com/ de/ portal/ media/ view/ 5a82a9f6-4200-411 7-a990-0e08b0dd2d03. 1135 An dieser Stelle merkt Ulrich Schlemmer an, dass Schiltbergers Abenteuer 33 Jahre währte, und zieht damit Parallelen zu den 33 Lebensjahren Jesu - ein Umstand, den er als literarischen Griff Schiltbergers wertet. Da die eigentliche Gefangenschaft jedoch nur 31 Jahre oder 32 Jahre dauerte und die ersten beiden Jahre dem Kriegsleben im Heer Sigismunds geschuldet waren, ist diese These wohl eher anzuzweifeln, vgl. Hans S C H I L T B E R G E R , Als Sklave im Osmanischen Reich und bei den Tataren. 1394-1427, hrsg. v. Ulrich Schlemmer, Wiesbaden 2008, S. 13 und Hans Schiltbergers Reisebuch nach der Nürnberger Handschrift, hrsg. v. Valentin L A N G M A N T E L (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 172), Tübingen 1885, S. 112. 1136 Markus T R E M M E L , Art. „Schiltberger, Hans (Johann)“, in: Neue Deutsche Biographie (NDB) (22), Berlin 2005, S. 773-774. Kritisch dazu Michael W. W E I T H M A N N , Ein Baier unter "Türcken und Tataren". Hans Schiltbergers unfreiwillige Reise in den Orient, in: Literatur in Bayern 21 (2005), S. 2-15, hier 2 f. und 8-10. Er glaubt, dass Schiltberger eher einer Burgpfleger-Familie entstammt, da das alte Marschal‐ zum Schelmenromanen nicht unbeachtet bleiben, der ab dem 16. Jahrhundert in Spanien aufkam. 1134 1. Johannes Schiltberger a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses Die erste Quelle dieser Gruppe stammt aus der Feder Johannes Schiltbergers, der im Jahre 1396 am Kreuzzug König Sigismunds von Ungarn gegen die Türken teilnahm und in Gefangenschaft geriet. 1426 konnte er sich nach Konstantinopel flüchten und nach insgesamt 31 Jahren - Schiltberger selbst spricht von 32 Jahren - in Gefangenschaft wieder seine Freiheit erlangen. 1135 Zur Biografie Schiltbergers ist bekannt, dass er als Knappe im Gefolge des bayerischen Adligen Leonhart von Reichartinger diente. Er wurde im Jahr 1380 oder 1381 in Freising oder München geboren und gehörte wahrschein‐ lich zum Geschlecht der Marschalken von Schiltberg. 1136 Aufgewachsen war 308 B. Militärische Gefangenschaften kengeschlecht ausgestorben sei und sich die Burghüter-Familien nach der Burg benannten, die sie verwalteten. S C H I L T B E R G E R , Sklave (wie Anm. 1135), S. 13 f. 1137 Markus T R E M M E L , Schiltberger (wie Anm. 1136), S. 9. 1138 Die Edition Valentin Langmantels dient auch als Textgrundlage für diese Arbeit. Für Langmantel ist die „Nürnberger Handschrift“ geeigneter, um dem Urmanuskript näher zu kommen, da er sie für vollständiger und systematischer hält. Auch sei die Lesart der Eigennamen weitaus besser, vgl. Valentin L A N G M A N T E L (Hrsg.), Hans Schiltbergers Reisebuch nach der Nürnberger Handschrift, Tübingen 1885, S. 149. Dem Urteil schließt sich auch Weithmann an, vgl. W E I T H M A N N , Baier (wie Anm. 1136), S. 7. 1139 Es gibt eine Diskussion um die eigentliche Datierung dieser Handschrift. Schlemmer folgt der Datierung Neumanns, der die Handschrift auf das Jahr 1443 datiert: Johannes Schiltberger, Reisen des Johannes Schiltberger aus München in Europa, Asia und Afrika von 1394 bis 1427, hrsg. v. Karl Friedrich N E U M A N N , München 1859, S. 14 und S C H I L T B E R G E R , Sklave (wie Anm. 1135), S. 34. Demgegenüber stellt sich Karin Zimmermann. Sie datiert die HSS aufgrund des Wasserzeichenbefunds um das Jahr 1480 und führt Schlemmers und Neumanns Irrtum auf, vgl. Karin Z I M M E R M A N N , Cod. Pal. germ. 216, Hans Schiltberger: Reisebuch, in: Die Codices Palatini germanici in der Universitätsbibliothek Heidelberg (Cod. Pal. germ. 182-303) bearb. von Matthias Miller und Karin Zimmermann (Kataloge der Universitätsbibliothek Heidelberg 7), Wiesbaden 2005, S. 108-109, hier S. 108. Markus Tremmel gibt ebenfalls Langmantel Recht und nimmt seine Edition als Grundlage für seine Bearbeitung, Hans Schiltberger, Johann Schiltbergers Irrfahrt durch den Orient. Der Aufsehen erregende Bericht einer Reise, die 1394 begann und erst nach über 30 Jahren ein Ende fand, hrsg. v. Markus T R E M M E L (Bayerische Abenteurer), Taufkirchen 2006, S. 9f. er wohl zunächst auf dem Gut Hollern, das heute in der Gemeinde Eching bei München liegt. 1137 Das Urmanuskript, das um 1430 - also sehr nahe an seine Rückkehr angesie‐ delt - entstand, ist heute nicht mehr erhalten und es ist davon auszugehen, dass Schiltberger seinen Bericht nicht selbst verfasst, sondern einem Schreiber diktiert hat. Es gibt drei vollständige Handschriften aus dem 15. Jahrhundert. Die wichtigste, der auch die Edition Valentin Langmantels 1138 folgt, ist die sogenannte „Nürnberger Handschrift“, die 1935 durch einen Tausch in die Staatsbibliothek München gelangte und davor in der Staatsbibliothek Nürn‐ berg lag. Die zweite Handschrift ist die „Donaueschinger Handschrift“ in der Landesbibliothek Stuttgart. Die dritte, niederalemannische Handschrift liegt in der Universitätsbibliothek Heidelberg 1139 und eine vierte in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe. Eine letzte Handschrift aus dem 15. Jahrhundert in der Stiftsbibliothek St. Gallen blieb fragmentarisch. Weitere Fragmente befinden sich außerdem in Straßburg und in der Berliner Staatsbibliothek. Über den ei‐ gentlichen Schreiber des Berichts, dem Schiltberger seine Erlebnisse diktiert hat, herrscht ebenfalls keine Klarheit. Man kann wohl Weithmanns Vermutungen folgen, dass der Schreiber humanistisch gebildet war und die Schilderungen Schiltbergers um Textzusätze von Marco Polo, den Pilgerberichten John Man‐ 309 1. Johannes Schiltberger 1140 W E I T H M A N N , Baier (wie Anm. 1136), S. 7f. und Anmerkung 7. Weithmann zählt zu den Kapiteln, die genuin auf Schiltberger zurückgehen, Kapitel 1-3; 30 und 67. Sicherlich gibt es noch mehrere Einschübe, die sich auch innerhalb des Werkes finden lassen, aber in weiten Teilen kann man dieser Überlegung folgen. Mit dieser Begründung können auch die vielen Textparallelen zu anderen mittelalterlichen Werken erklärt werden. 1141 S C H I L T B E R G E R , Sklave (wie Anm. 1135), S. 29. 1142 Hans Joachim S C H I E W E R , Art. „Schiltberger, Hans“, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Berlin 2 1992, Sp. 675-679, hier Sp. 676f. devilles und aus anderen Werken erweiterte. Auch die Aufteilung Weithmanns, alle ‚Ich‘-bezogenen Stellen des Werkes, die sich auf die Gefangennahme, die Ge‐ fangenschaft und die Flucht beziehen, als Schiltbergers Teil zu identifizieren und die eher ethnographischen Stellen dem unbekannten Gelehrten zuzuschreiben, ist überzeugend. 1140 Schiltbergers Reisebericht war sogleich ein großer Erfolg beschieden. Es lassen sich mehrere Inkunabeln Ende des 15. Jahrhunderts finden, die neben dem Text auch Holzdrucke, teils koloriert, enthielten. 1141 Der Prolog und die ersten sechs Kapitel sind vor allem biographische Erzählungen Schiltbergers, die von der Schlacht in Nikopolis, der Gefangennahme und der misslungenen Flucht berichten. Die zwei großen Handschriften folgen dann jedoch jeweils einem anderen Kapitelablauf. Während die Nürnberg-Münchner Handschrift, die auch Valentin Langmantel für seine Edition heranzieht, die Flucht aus der Gefangenschaft als 30. Kapitel nutzt, danach den zweiten Teil des Berichts über die Eigenarten der Länder und ihrer Bewohner anfügt und am Ende die erfolg‐ reiche Heimkehr Schiltbergers berichtet, setzt die Heidelberger Handschrift Flucht und Heimkehr zusammen an das Ende. Ansonsten ist der Aufbau der Kapitel gleich. Zuerst berichtet Schiltberger über seine Gefangennahme, die er‐ folglose Flucht und die Eroberungszüge unter Sultan Bajezid sowie seine zweite Gefangenschaft unter Timur Lenk nach der Schlacht von Ankara. Danach folgt ein systematischer Teil, der seinen eigentlichen Reisebericht enthält und nur noch wenige Informationen zu seiner Gefangenschaft bereitstellt. Schließlich endet der Bericht mit der glücklichen Heimkehr nach Freising. 1142 Schiltbergers Berichterstattung ist deshalb so interessant, weil es der erste deutschsprachige Bericht über eine Gefangenschaft in dieser Zeit ist und weil Schiltberger mit seinem autobiographischen Bericht sowohl Zeugnis für die Gefangenschaft bei den Osmanen als auch bei den Mongolen gibt. 310 B. Militärische Gefangenschaften 1143 Weiterführend zur Schlacht von Nikopolis: Aziz Suryal A T I Y A , The crusade of Nicopolis, New York 1978; Jörg K. H O E N S C H , Kaiser Sigismund. Herrscher an der Schwelle zur Neuzeit, 1368-1437, München 1996, S. 82-87. 1144 M A J O R O S / R I L L , Reich (wie Anm. 1105), S. 123. 1145 Schiltberger gibt in einem späteren Kapitel an, dass er sich, bevor es zur Schlacht kam, zehn Monate in Ungarn aufgehalten habe und er erzählt über die Gegenden, durch die er in der Zeit vor der Schlacht von Nikopolis kam. Valentin L A N G M A N T E L (Hrsg.), Hans Schiltbergers Reisebuch nach der Nürnberger Handschrift, Tübingen 1885, S. 76. b) Der Untersuchungsfall Die 1. Gefangenschaft Die Gefangennahme Johannes Schiltberger beschreibt in den ersten Kapiteln seines Berichts, dass er sich im Kreuzfahrerheer des ungarischen Königs Sigismund, des späteren Kaisers, befand, als dieser 1396 bei der bulgarischen Stadt Nikopolis durch Sultan Bajazed I. eine vernichtende Niederlage erfuhr, die viele christliche Ritter und Knechte in türkische Gefangenschaft geraten ließ. 1143 Schiltberger selbst gehörte zum Heer Leonhards von Reichartinger, dem er als Schildknappe diente. Im christlichen Heer schlossen sich der Markgraf von Mähren, die österrei‐ chischen Herzogtümer, Bayern und Böhmen sowie weitere deutsche Adlige zusammen, zusätzlich setzte sich eine Seeflotte aus Venezianern und Franzosen zusammen, um zur Donaumündung zu segeln. 1144 Burgundische Kämpfer ver‐ einten sich unter dem Kommando des Johann von Nevers, besser bekannt als Johann ohne Furcht, dem Sohn Herzog Philipps des Kühnen, und Jean II. Boucicaut führte den französischen Arm des Heeres. In der ungarischen Königsstadt Buda wurden die einzelnen Heere mit dem ungarischen Flügel Sigismunds vereint. Unter ihnen waren auch viele deutsche Edelleute mit ihrem Gefolge. Schon zu Anfang scheint es Zwischenfälle in den einzelnen Heerlagern gegeben zu haben, so war es den unterschiedlichen Teilnehmer nicht möglich sich auf einen gemeinsamen Angriffsplan zu verständigen. 1145 Die ersten Tage im osmanischen Kampfgebiet waren siegreich. Die Christen gewannen zahlreiche Städte an der Donau und plünderten diese, obwohl die Bevölkerung vor allem aus bulgarisch-orthodoxen Christen bestand. Schließlich kam es am 25. September 1396 zur entscheidenden Schlacht von Nikopolis. Sehr genau berichtet Schiltberger von der Aufstellung des Heeres und den einzelnen Heeresführern mit ihren Motivationen. Er beschreibt den chaotischen Angriff der christlichen Streitmacht, der mit zum katastrophalen Ausgang der Schlacht 311 1. Johannes Schiltberger 1146 Enikö C S U K O V I T S , Miraculous Escapes from Ottoman Captivity, in: Ransom Slavery along the Ottoman Borders. Early Fifteenth-Early Eighteenth Centuries, hrsg. v. Dávid Géza/ Fodor Pál (Ottoman Empire and its Heritage 37), Leiden/ Boston 2007, S. 1-18, S. 1. Zum Ablauf der Schlacht s. auch Klaus K R E I S E R , Der osmanische Staat, 1300-1922 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 30), München 2 2001. 1147 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 4. Ob diese Heldentat von den Feinden wahrgenommen wurde und Schiltberger zum tapferen Kämpfer macht, wie Weithmann es vermutet, muss bezweifelt werden: W E I T H M A N N , Baier (wie Anm. 1136), S. 3. 1148 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 4. 1149 Wahrscheinlich eher „mayst“. 1150 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 5. Sowohl Johann von Burgund als auch der Marschall Boucicaut wurden durch hohe Lösegeldzahlungen aus der Gefan‐ genschaft freigekauft, vgl. S C H I L T B E R G E R , Sklave (wie Anm. 1135), S. 234f. Mehr zu den Lösegeldverhandlungen findet sich bei: A M B Ü H L , Prisoners (wie Anm. 30), S. 220; Jean R I C H A R D , Les prisonniers de Nicopolis, in: Francs et orientaux dans le monde des croisades, hrsg. v. Jean Richard (Variorum collected studies series 770), Aldershot, Hampshire / Burlington, VT 2003, Tl. IX S. 75-83, S. 77f. beitrug. 1146 Er schildert dabei die Schlacht aus seiner persönlichen Perspektive und dem, was er vom Hörensagen wusste, ohne dass er die genauen Abläufe der Schlacht wiedergibt. So kann er von einer mutigen Tat berichten, mit der er während des Kampfes seinem Herrn das Leben rettete: „Und in dem streytt ward mein herre Linhart Reycharttinger von seinem pferd geschossen; das ersach ich, Hans Schiltperger, sein renner und raytt zu im hinein in das here und pracht in auff mein pfert und ich kam auff ain anders pferdt, das war ains Türcken gewesen, und raytt wider zu den andern renneren.“ 1147 Doch die Freude über die ritterliche Tat währte nur kurze Zeit, das christliche Heer verlor die Schlacht und Sigismund floh mit mehreren Kämpfern über die Donau. Allerdings konnten die wenigen Schiffe nicht alle Fliehenden aufnehmen und so ertranken, laut Schiltbergers Bericht, viele der Christen in den Fluten des Flusses. 1148 Leonhard von Reichartinger wurde zusammen mit anderen Adligen er‐ schlagen. Viele andere Christen gerieten in Gefangenschaft, unter ihnen war auch Johannes Schiltberger. Den eigentlichen Akt der eigenen Gefangennahme erwähnt Schiltberger fast beiläufig: „Ain tayl wart erschlagen und der maynst 1149 tayl ward gefangen und ich wardt auch gefangen; es wardt auch gefangen der hertzog von Burguny und herre Hans Putzukards und auch ein herre was genant Centumaranto, das waren zwen herren von Franckreych; und der groß graff von Ungeren und ander vil mächtiger herren, ritter und knecht, die auch gefangen wurden.“ 1150 312 B. Militärische Gefangenschaften 1151 W E I T H M A N N , Baier (wie Anm. 1136), S. 10. 1152 Das Bild Schiltbergers findet sich auch in anderen zeitgenössischen Aussagen zum Sultan. Er sei zwar ein brillanter Heerführer, ansonsten aber „eitel, jähzornig und arrogant“ gewesen: S C H I L T B E R G E R , Sklave (wie Anm. 1135), S. 19. 1153 Schiltberger bezeichnet Johann in seinem Bericht, den er ja erst nach seiner Freilassung verfasste, bereits als Herzog von Burgund. 1154 Die Quellen nennen den französischen Ritter Jacques de Helly, der für Bajezid die Reihen der gefangenen Christen nach potentiell hochrangigen Adligen durchsuchte, Klaus-Peter M A T S C H K E , Das Kreuz und der Halbmond. Die Geschichte der Türkenkriege, Düsseldorf 2004, S. 94. 1155 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 6. Ob Schiltberger auch aufgrund seiner Tapferkeit und seines Heldenmuts geschont wurde, wie es Weithmann vermutet, muss an dieser Stelle angezweifelt werden, vgl. W E I T H M A N N , Baier (wie Anm. 1136), S. 3. Auch vom märtyrerhaften Verhalten des Hans Greiff aus Bayern, der kurz vor seinem Tod seine eigenen Männer ermahnte und mit ihnen betete, bevor er und die anderen geköpft wurden, weiß Schiltberger nach der Gefangennahme zu berichten: L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 6. Schiltberger reiht seine Gefangenschaft also in die Aufzählung großer Herren mit ein, die vom Leser alle als Teilnehmer des Kreuzzuges identifiziert werden konnten und zusammen mit der Schlachtbeschreibung dem Bericht Authenti‐ zität verleihen sollte. 1151 Als Sultan Bajezid nach der Schlacht die Anzahl der getöteten Kämpfer erfuhr, die er verloren hatte, wurde er, wie Schiltberger schildert, rasend vor Trauer und schwor alle eigenen Verluste an den Christen zu rächen. 1152 Aus diesem Grund sollten seine Männer am nächsten Tag alle Gefangenen vor den Sultan bringen. Ob Schiltberger schon zum Zeitpunkt seiner Gefangennahme und nicht erst in der Retrospektive von den Rachegedanken des Sultans wusste, erwähnt er nicht. Er selbst sei am nächsten Morgen mit zwei anderen Christen gefesselt an einem Seil vor den Sultan gebracht worden. Bajezid sei in einen Blutrausch verfallen und habe zahlreiche Gefangene köpfen lassen. Johann von Nevers, dem späteren Herzog von Burgund, 1153 gewährte Bajezid jedoch, zwölf seiner Männer und sich selbst zu retten. Sie wurden nicht erschlagen, sondern in Gefangenschaft geführt. Anhand der Schilderung kann davon ausgegangen werden, dass die Gefangenen von den Osmanen inspiziert worden waren und sie die vermögenden und ranghöheren Männer im Vorfeld herausgesucht hatten, von denen sich der Sultan eine hohe Lösegeldzahlung erhoffen konnte. 1154 Die beiden Männer, mit denen Schiltberger an einem Seil gefesselt war, wurden erschlagen, er selbst aber aufgrund seines Alters verschont: „und do es an mich ging, da ersach mich des chönigs sun und schueff das man mich leben ließ und do furt man mich zu den anderen knaben, wann man nymandts tötet unter XX jaren; do was ich kaum XVI jar alt.“ 1155 313 1. Johannes Schiltberger 1156 Siehe Kap. II.A.2. Das Heerwesen der Osmanen. 1157 Zur Hinrichtung der Gefangenen nach der Schlacht und der Schwierigkeit die Anzahl der getöteten Kämpfer festzulegen: Kelly D E V R I E S , The Effect of Killing the Christian Prisoners at the Battle of Nicopolis, in: Crusaders, Condottieri, and Cannon. Medieval Warfare in Societies around the Mediterranean, hrsg. v. Donald J. Kagay/ L. J. Andrew Villalon (History of Warfare 13), Leiden, Boston 2002, S. 157-172. 1158 Enikö C S U K O V I T S , Miraculous, in: Ransom Slavery along the Ottoman Borders (wie Anm. 1146), S. 2. 1159 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 7. Dass Schiltberger an dieser Stelle geschont und ihm als 16-jähriger kein Leid angetan wurde, ist nicht allzu verwunderlich, da man ihn in die eigenen Reihen des Heeres eingliedern konnte. 1156 Schiltberger berichtet, dass das Blutvergießen bis zum nächsten Morgen andauerte; nur auf Zuspruch seiner Männer war der Sultan vom Töten abzubringen. Die noch lebenden Gefangenen wurden dem Sultan und seinen obersten Führern zugeteilt. Die Zahl der Enthaupteten schätzt Schiltberger auf 10 000 Mann, eine Zahl, der, wie bei allen nummerischen Angaben in den vorliegenden Selbstzeugnissen, mit großer Skepsis begegnet werden sollte. 1157 Die Übertreibung kann jedoch als Ausdruck des Entsetzens interpretiert werden, das ihn angesichts der Hinrichtungen sicherlich erfasste. Die Gefangenschaft Johannes Schiltberger wurde mit den anderen Gefangenen des Sultans nach Adrianopel, das heutige Edirne gesandt, von wo aus sie nach Gallipoli geführt wurden: 1158 „do lagen wir gefangen XV tag; darnach fürt man uns zu dem mer in ein stadt bey die do hayßt Kalipoli und das ist die stat do die Türcken über mere faren; und do lagen wir zway monadt in ainem thuren, da lagen unser III hundert und der hertzog vonn Burguny lag auch gefangen oben in dem thuren mitt den, die er erledigt hett.“ 1159 In Gallipoli seien die 300 Gefangenen, unter denen sich Johannes Schiltberger befand, in einen Turm gesperrt worden. Dabei wurden die bedeutenden Gefan‐ genen, wie Johann von Nevers und seine Begleiter, in den oberen Teil des Turmes eingeschlossen, während Schiltberger im unteren Turm einsaß. Der Heeresteil um Sigismund, dem die Flucht gelungen war, wurde von venezianischen Galeeren an Bord genommen und wandte sich nach Konstanti‐ nopel, wo Sigismund mit dem byzantinischen Kaiser zusammentraf. Von dort ging es über Rhodos mit Hilfe der Venezianer zurück ins Reich. Dabei kamen die venezianischen Schiffe an Gallipoli vorbei und Schiltberger beschreibt sehr anschaulich, wie die Türken diese Begebenheit für sich nutzten: 314 B. Militärische Gefangenschaften 1160 Ebd., S. 7. Zum Zusammenhang zwischen dem öffentlichen „Zurschaustellen“ und dem Schamgefühl beim erniedrigten Gegner s. K O R T Ü M , Kriege (wie Anm. 163), S. 210. 1161 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 8. „Und die weyl wir do lagen, fürt man chönig Sigmundt für die stadt, da wir innen gefangen lagen und wolt in füren in windische landt; und do das die Thürcken hörten, da namen sie uns auß dem thuren unnd fürten uns zu dem mere und stelten ainen nach dem anderen dem chönig Sigmundt zu tratz und schrien in an, das er herauß tret auß der galein und löset sein volck, und das thetten si im zu ainem gespötte; und sie scharmutzelten lang mit eynander auff dem mere, sie mochten im aber nichts angewynnen noch schaden thun; und do fur er dahin.“ 1160 Die Muslime stellten die Gefangenen ans Ufer, um sie Sigismund vorzuführen. Schiltberger beschreibt ein anschließendes kurzes Gefecht Sigismunds mit den Osmanen, das dieser jedoch erfolglos abbrechen musste. Die Osmanen nutzten die Zurschaustellung der Gefangenen, um den christlichen Gegner zu demütigen und zu verhöhnen. Doch nicht nur Sigismund und seine Truppe wurden damit bloßgestellt, auch für den christlichen Gefangenen am Ufer war diese Präsentation ihres Elends erniedrigend. Den gefangenen Feind als Zeichen des eigenen Triumphes vorzuführen, findet sich auch in der ersten Gruppe dieser Untersuchung: Kaiser Karl V. hatte nach seinem Sieg über den Schmalkaldischen Bund Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen in einem Triumphzug mit sich geführt und der Öffentlichkeit präsentiert. Nach dem letzten Aufeinandertreffen mit Sigismund entschwanden die unbedeutenderen Gefangenen in eine ungewisse Zukunft, aus denen die meisten gar nicht, und einige, wie Johann Schiltberger, erst nach 30 Jahren wiederauf‐ tauchten. Johannes Schiltberger gelangte von Gallipoli nach Bursa. An dieser Stelle berichtet er, dass er in der Schlacht zuvor verwundet worden war und drei Verletzungen zu beklagen hätte, die so gravierend waren, dass er für längere Strecken nicht transportfähig war: „da was ich hart gewunt, wann ich het drey wunden, das sie sich besorgten, ich würd sterben auff dem wege; darumb pleyb ich pey dem thürckischen chönig.“ 1161 Für den weiteren Verlauf seiner Gefangenschaft hatte seine Verwundung weitreichende Folgen. Da er zunächst verarztet werden musste, gehörte er nicht zu einer Abordnung von jungen Sklaven, die Bajezid als Geschenk an 315 1. Johannes Schiltberger 1162 Von den christlichen Gefangenen, die nach der Schlacht unter anderem an den ägyptischen Sultan verschenkt wurden, berichtet auch der venezianische Kaufmann Emmanuelle Piloti: Kenneth Meyer S E T T O N , The Papacy and the Levant, 1204-1571 (Memoirs of the American philosophical society 114), Philadelphia 1976, S. 356. Weiteres zum Bericht und Leben des Emmanuele Piloti: Norman H O U S L E Y , Emmanuele Piloti and Crusading in the Latin East, in: The Hospitallers, the Mediterranean and Europe. Festschrift for Anthony Luttrell, hrsg. v. Karl Borchardt/ Nikolas Jaspert/ Helen J. Nicholson, Aldershot 2007, S. 139-150. 1163 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 8. 1164 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 8f. Dass diese Angaben Schiltbergers zur Dienstzeit bei Bajezid nicht stimmen können, hat bereits Langmantel angemerkt. Bajezids Herrschaft endete mit der Niederlage in der Schlacht von Ankara. 1165 Jean R I C H A R D , Les prisonniers de Nicopolis, in: Annales de Bourgogne 68, 3 (1996), S. 75-83, S. 79. Dazu auch W E I T H M A N N , Baier (wie Anm. 1136), S. 12. Schiltberger wurde wohl der Kavallerie des Sultans zugeordnet. Die Kavallerie - die sogenannten „Kapikuli“ - war für den persönlichen Schutz des Sultans abgestellt und begleitete den Herrscher: M A J O R O S / R I L L , Reich (wie Anm. 1105), S. 21. andere Herrscher sandte, sondern blieb zunächst am Hof des Sultans und musste anschließend im osmanischen Heer kämpfen. 1162 Schiltberger kann auch noch weitere Informationen zu Johann von Nevers geben, der ebenfalls mit nach Bursa gebracht wurde. Er schreibt: „und do er in die stat cham, da nam er den hertzogen von Burguny mitt den, die er erledigt hett, und leget sie pey seinem palast in ein hauß.“ 1163 Der hohe Adlige, der gutes Lösegeld zu bringen versprach, wurde also zu‐ sammen mit seinen Männern in eine bessere Unterkunft auf dem Palastgelände gebracht. Schiltberger indes wurde ins osmanische Heer eingegliedert: „Und da nam man mich an des thürkischen chönigs hoff; da must ich VI jare vor im zu füessen lauffen, wo er hin zog mitt den anderen, wann es gewonheit ist, daß man vor den herren zu füessen muß lauffen, woe er hin zeucht; und nach den VI jaren verdynet ich, daß man mir zu reytten gab, und dornach raytt ich sieben jare mitt im.“ 1164 Diese beinahe unscheinbare Textstelle verrät viel über die Aufgaben und das Leben Schiltbergers in den ersten Jahren seiner Gefangenschaft, auch wenn die Zeitangaben nicht stimmig sind, da er keine sechs Jahre beim Sultan verblieb. In den Reihen der Janitscharen war er zunächst fußläufig verpflichtet, später bekam er ein Pferd und wurde in die Kavallerie der Janitscharen aufge‐ nommen. 1165 Da er im Folgenden mehrfach davon schreibt, dass er zusammen mit 60 anderen Christen im Heer zusammen kämpfte, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Christen zusammen eine cemaat (Gruppe) innerhalb der Janitscharen bildeten. 316 B. Militärische Gefangenschaften 1166 W E I T H M A N N , Baier (wie Anm. 1136), S. 4. 1167 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 16. 1168 Ebd., S. 21. 1169 Schiltberger nennt sie „Sewast“, vgl. L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 16. 1170 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 16-20. Insgesamt finden sich hier einige Fehler in der Darstellung Schiltbergers, der wohl einiges im Nachhinein aus seinen Erinnerungen falsch diktierte oder aus fehlerhaften Darstellungen zusammentrug. Johannes Schiltberger schildert in seinem Bericht von den Eroberungszügen Bajezids und Michael Weithmann hält fest, dass ihm ein möglicher Gewissens‐ konflikt erspart blieb, da sich die Expansionszüge nach der Schlacht von Nikopolis vor allem gegen Kleinasien wendeten. 1166 Mehrfach erwähnt Schilt‐ berger Herrscher, die von Bajezid gefangen wurden, als ihre Stadt oder ihr Herrschaftsbereich erobert wurde. Er schildert jedes Mal kurz ihr Schicksal, ohne jedoch weiter zu werten, was er erfährt. So berichtet er von der Einnahme der Stadt Samsun durch Bajezid, der daraufhin den Herrscher und seinen Sohn gefangen setzte. Während der Vater im Gefängnis verstarb, habe sich der Sohn zum Islam bekehrt, um am Leben bleiben zu können. Er sei daraufhin als Statthalter für die eroberten Gebiete eingesetzt worden. 1167 Im elften Kapitel berichtet Schiltberger von der Unterwerfung der weißen Tataren. Auch im Zuge dieser Kriegshandlungen wurden ein Herrscher und zwei seiner Gefolgsleute gefangen genommen. Nachdem der Tatarenfürst sich unterworfen hatte, nahm Bajezid alle drei Gefangenen mit in seine Hauptstadt. Über das weitere Schicksal der Männer berichtet Schiltberger nicht mehr. 1168 Ähnlich wie beim Herzog von Burgund behandelte Bajezid also hochrangige Gefangene besonders und ließ sie in seine Hauptstadt bringen. Sie wurden nicht ins Heer eingegliedert. In vielen einzelnen Beispielen zeichnet Schiltbergers Bericht ein Bild des Sultans und seines Umgangs mit beherrschten Gebieten und anderen Herrschern, die ihm untertänig wurden. Bei einem der Heereszüge war auch Johannes Schiltberger selbst vor Ort: Die Stadt Sebaste 1169 hatte Bajezid um Hilfe gebeten, da sie durch den türkischen Fürsten Osman belagert wurde. Bajezid schickte seinen Sohn mit einem Heer in die Stadt. Unter den Kämpfern war auch Schiltberger und er berichtet von mehreren Kämpfen, die schließlich eine Niederlage Osmans herbeigeführt hätten. Die Stadt ersuchte daraufhin den Sultanssohn, in die Stadt einzureiten, doch dieser schickte nach seinem Vater. Bajezid kam nach Sebaste, nahm die Stadt von den Bürgern in Empfang und machte einen seiner Söhne zum Herrscher über das „Königreich von Sebaste“. 1170 Nachdem Sebaste eingenommen war, sei auch die Stadt Angury, das heutige Ankara, erobert worden. Danach habe Bajezid dem Sohn des verstorbenen ägyptischen Sultans ein Hilfsheer gesandt, um die Nachfolge zu regeln, die 317 1. Johannes Schiltberger 1171 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 22. Schiltberger nennt den Sultanssohn Joseph. Diese Zuordnung kann jedoch nicht stimmen. Der Sohn des verstorbenen ägyptischen Sultans Barchoch hieß Faradsch und regierte, nachdem er den Thron erlangen konnte, von 1399 bis 1412, vgl. N E U M A N N , Schiltberger (wie Anm. 1139), S. 46. 1172 L A N G M A N T E l, Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 65. Sultan Faradsch war, laut Langmantel, 1412 im Gefängnis letztlich durch einen Assassinen ermordet worden, der ihm die Halsschlagader durchtrennte, vgl. ebd., Anmerkung 2. 1173 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 73. 1174 Ebd., S. 22f. Bei der Eroberung von Sebaste wurde auch einer der Söhne Bajezids, Ertogrul, gefangen genommen, den Timur hinrichten ließ: M A J O R O S / R I L L , Reich (wie Anm. 1105), S. 127. 1175 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 13. dieser gegen einen aufständischen Diener durchsetzen musste. Auch hier erzählt Schiltberger, dass er mit nach Ägypten ziehen musste. 1171 Im zweiten Teil seines Werkes berichtet Schiltberger, dass er acht Monate beim ägyptischen Sultan war. 1172 In dieser Zeit sei er auch nach Jerusalem gekommen, ohne jedoch die Heiligen Stätten besuchen zu können. Zweimal lag Schiltberger nach eigenen Angaben mit dem 30 000 Mann starken Heer vor Jerusalem, er konnte aber über die Stadt nur das berichten, was er von anderen erfahren hatte. 1173 Nach seinem Aufenthalt beim ägyptischen Sultan gelangte Schiltberger zurück zu Bajezid, der erneut um die Stadt Sebaste kämpfte. Nach seiner Niederlage hatte der vertriebene Fürst Osman den Tatarenfürsten Timur Lenk, dem er untertänig war, um Hilfe gegen Bajezid ersucht. Schiltberger berichtet, wie Timur Lenk die Stadt Sebaste zurückeroberte. Die Besatzer der Stadt ließ er nicht sofort hinrichten, sondern lebendig eingraben. Zahlreiche Bewohner der Stadt seien getötet worden, 9 000 Jungfrauen, so Schiltberger, und weitere Bewohner wurden gefangen genommen. 1174 Bajezid musste Sebaste an Timur Lenk abgeben, eroberte dafür aber die Provinz und die Stadt Erzincan, die zuvor in das Herrschaftsgebiet Timurs gehört hatte, und kehrte nach Bursa zurück. Fluchtversuch und das Ende der Gefangenschaft Johannes Schiltberger wurde mit seinem Trupp ebenfalls wieder nach Bursa berufen, wohin er aus Ägypten zurückkehrte und zunächst verblieb. In diese Zeit fiel auch eine versuchte Flucht der 60 Christen, mit denen Schiltberger zusammen im Heer seinen Dienst verrichtete: „und also machten wir ain ainigung unter uns und schwuren und ui ainander, das wir pey ainander wollten sterben und genesen; und da namen wir uns ain zeitt für, und das sich ain ydlicher berayttet auff die zeit, als wir dann mitt ainander verlassen hetten; und do wurff wir zwen hauptman unter uns auff, und was die täten und schüffen, des sollten wir untertänig sein.“ 1175 318 B. Militärische Gefangenschaften 1176 Damit ist eine Talenge oder ein Flussbett gemeint, also ein verengtes geographisches Tal. 1177 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 13. 1178 Ebd., S. 13f. Die Gefangenen, die anscheinend die Gelegenheit hatten, ungestört mitein‐ ander zu kommunizieren, kamen überein, zwei Anführer untereinander auszu‐ machen und einigten sich auf einen Treffpunkt, an dem sie sich um Mitternacht einfinden wollten. Zunächst konnten sie unbemerkt Richtung Gebirge fliehen, das sie zum Tagesanbruch erreichten. Dort, so Schiltberger, legten sie eine Rast für die Pferde ein und eilten danach noch den Tag und eine Nacht weiter, ohne dass es zu Zwischenfällen kam. Nachdem ihre Flucht bemerkt worden war, schickte der Sultan Reiter aus, um die Geflohenen zurückzubringen. Schiltberger gibt die Zahl mit 500 Mann an, die sich aufmachten, um die 60 entflohenen Christen einzufangen. Vor der Gebirgskette in einem Tal wurden die Flüchtigen eingeholt und umstellt. Schiltberger schildert die aussichtlose Lage, in der sich die Geflohenen befanden: „und also erritten sie uns pey ainer clausen 1176 und schrien uns an, das wir uns gefangen geben; und des wollten wir nicht thun, und also stunden wir ab von den pferden und giengen zu füessen gegen in und stalten uns zu were und schussen ein weyl gegen ainander; und do der hauptmann sach, das wir uns zu wer hetten gesatzt, do tratt er herfür und rufft ein frid auff ein hor.“ 1177 Den Waffenstillstand nutzten beide Seiten zu einer Unterredung, in der der Hauptmann, so Schiltberger, die Männer bat, sich wieder gefangen zu geben, er würde ihnen seinerseits das Leben zusichern. Die Christen berieten sich untereinander und gaben zur Antwort, dass man sich nicht gefangen geben könne, da das eigene Leben durch die Flucht verwirkt sei. Deshalb würden sie lieber in Freiheit und im christlichen Glauben kämpfend sterben: „Do der hauptman sach, das wir also bestät waern, do sprach er uns wider zu und pat uns, das wir uns gefangen geben, so wolt er pey seinem aide verhayssen, das er uns pei dem leben wolt behalten, und ob das wär, das der chönig also zornig were, das er uns töten wolt, so wolt er sich am ersten lassen töten.“ 1178 Die Christen, die sich einem ausweglosen Kampf gegenübersahen und keine erneute Möglichkeit einer Flucht erkannten, ließen sich auf das Versprechen des Hauptmanns ein und begleiteten ihn zurück zum Sultan. Wie es die Gefangenen bereits befürchtet hatten, befahl Bajezid in seinem Zorn die wiedereingefan‐ genen Christen zu töten. Doch der Hauptmann hielt, so Schiltberger, seinen Eid; er erzählte dem Sultan von seinem Schwur und bat um das Leben der Gefangenen. Der Sultan gewährte, nachdem er in Erfahrung gebracht hatte, dass die entflohenen Männer, auf ihrer Flucht keinen Schaden angerichtet hatten, 319 1. Johannes Schiltberger 1179 Ebd., S. 14. 1180 Ebd., S. 14. den Christen das Leben. Als Strafe jedoch für die Flucht wurden die Männer eingesperrt: „da lagen wir neun monadt gefangen, und in der zeitt sturben zwelff auß uns.“ 1179 Die Bedingungen der Einkerkerung im Turm waren anscheinend nicht günstig, denn Schiltberger berichtet davon, dass zwölf der 60 Männer während der Haft starben. Ob sie dort aufgrund der schlechten Behandlung erkrankten und starben oder ob es sich vielleicht um Verletzungen aus den Scharmützeln der Flucht handelte, die nicht gut behandelt wurden, bleibt unbeantwortet. Nach neun Monaten ersuchte der älteste Sohn des Sultans um Gnade für die Gefangenen und der Sultan ließ sie daraufhin am Tag des islamischen Opferfestes, dem höchsten islamischen Festtag, frei: „und dornach fürt man uns für den chönig; dem musten wir verhayssen, das wir nymmer mere wollten von im komen noch stellen; darnach gab er uns wider ze reytten und mert uns den solt.“ 1180 Nach ihrer Freilassung mussten die verbliebenen Christen schwören, nicht mehr zu entfliehen. Als Gegenzug wurden sie nicht nur aus der Haft im Turm entlassen, sondern der Sultan vermehrte auch ihren Sold. Schiltberger wurde daraufhin erneut in das Heer des Sultans eingegliedert. Es ist eine bemerkenswerte Textstelle, die aufzeigt, dass die Konsequenzen der Flucht für die Christen, die die Zeit im Turmverlies überlebten, glimpflich waren. Die Osmanen versuchten sie im Heer zu halten und steigerten sogar noch den Anreiz; so erhielt Schiltberger auch sein Reitpferd wieder. Von weiteren Fluchtversuchen in der langen Gefangenschaft erwähnt Johannes Schiltberger nichts in seinem Bericht. Ob das Fehlen wei‐ terer Fluchtversuche auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass ihm guter Sold gezahlt wurde und er im Gefolge des jeweiligen Heeres weit reisen und seine Abenteuerlust stillen konnte, ohne allzu sehr von Repressalien eingeschränkt zu werden, kann an dieser Stelle nur vermutet werden. Schiltberger berichtet zudem an keiner Stelle davon, dass er in Versuchung oder Bedrängnis geriet, den islamischen Glauben anzunehmen. Auch zwischen den Zeilen seines Berichts können keine Glaubenszweifel oder Begeisterungen für den fremden Glauben ausgemacht werden. Ob er dies bewusst aus seinem Werk herausließ und vielleicht im Dienst des Sultans doch mit dem Gedanken spielte, zu konvertieren, ist ungewiss. Dass viele seiner Landsleute jedoch übertraten, blieb auch ihm nicht verborgen, und so findet sich im hinteren Teil des Buches auch ein Kapitel über die Übertrittsriten für einen Christen. Schiltberger berichtet, dass ein 320 B. Militärische Gefangenschaften 1181 Ebd., S. 93. Schiltberger gibt auch gleich eine ungenaue deutsche Übersetzung: „War Got almächtiger und der Machmet sein warer pot.“, ebd. 1182 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 93. 1183 Ebd., S. 94. Schiltberger beschreibt auch die Riten für den Übertritt einer Frau. 1184 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 93f. 1185 W E I T H M A N N , Baier (wie Anm. 1136), S. 4. Weithmann führt an, dass es sich bei der Schlacht von Ankara um die größte Schlacht des Mittelalters handelte. Mehr zu Timur, einem türkischen Emir aus Transoxanien, der selbst nie den Titel eines Khans führte s. S C H M I E D E R , Europa (wie Anm. 1085), S. 39-41. Christ, der konvertieren wollte, innerhalb einer Menschenansammlung seinen Finger heben und folgende Worte sprechen musste: „La illach illalach Machmet rasul ullach.“ 1181 Der Konvertit bezeugte also vor einer Gruppe den neuen Glauben, indem er sich zu Mohammed bekannte. Daraufhin wurde der Christ vor den obersten Priester geführt, vor dem er nochmals die Wortformel sprechen und seinem alten Glauben abschwören musste. Danach wurde er neu eingekleidet und tauschte seinen vorher blauen Turban, der ihn als Christ zeichnete, gegen einen weißen Turban. 1182 Die Priester setzten den Konvertiten auf ein Pferd und geleiteten ihn in einer festlichen Prozession durch die Stadt. Darauf folge die Beschneidung „und dornach, ist er arm, so samen sie im groß gut und die grossen herren eren in besunder und machen in reych und das thun sie dorumb, das sich die Christen dester gerner vercheren in iren glauben.“ 1183 Schiltberger beschreibt, wie aus seiner Sicht Christen dazu gebracht würden zu konvertieren. So würden die Muslime es ihnen einfach machen, den Glauben zu wechseln, und den Neuankömmling in ihrer Gemeinschaft gut aufnehmen. 1184 Die Beschreibung Schiltbergers lässt nicht darauf schließen, ob er das Geschil‐ derte nur aus Hörensagen kennenlernen konnte oder selber eine Konversion gesehen hatte. Auch hier spricht eher eine neutrale Beobachterrolle aus ihm als ein gekränkter Christ. Selbst die Christen, die übergetreten waren, wurden von ihm im Bericht nicht negativ konnotiert. Die 2. Gefangenschaft Die Gefangennahme Johannes Schiltberger, der wieder in die Reihen des osmanischen Heeres eingegliedert worden war, erlebte an der Seite des osmanischen Sultans die Schlacht von Ankara, die am 27. Juli 1402 zwischen Bajezid und dem Großkhan der Tataren, Timur Lenk, geschlagen wurde. 1185 Über die Vorkommnisse der Schlacht lässt Schiltberger viel weniger verlauten als zur Schlacht von Nikopolis. Bajezid unterlag Timur und wurde von diesem gefangen genommen; das gleiche 321 1. Johannes Schiltberger 1186 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 24. 1187 Sultan Bajezid. 1188 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 24. Zur Begrifflichkeit „Tataren“ (bei Schiltberger „Thattern“) vgl. S C H M I E D E R , Europa (wie Anm. 1085), S. 22f. 1189 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 24. 1190 M A J O R O S / R I L L , Reich (wie Anm. 1105), S. 129. Weithmann glaubt nicht, dass der Tod aufgrund schlechter Haftbedingungen erfolgte: W E I T H M A N N , Baier (wie Anm. 1136), S. 4. Schicksal ereilte Schiltberger: „Und ich wardt von dem Themurlin gefangen und wardt mitt im gefüret in sein landt; und dornach pleyb ich pei dem Themurlin und raytt mit im.“ 1186 Auch über die Überlegenheit des tatarischen Fürsten in der Schlacht weiß er zu berichten: „und der Weyasit 1187 hett von den weyssen Thattern XXX thausent man pei im und die hett er vor an hin geschafft und die schlugen sich zu dem Themurlin; und da deten sie zwai vechten, das ainer dem anderen nichts an mocht gewinnen. Und do hett der Thermulin XXXII elevanten, die beraytt waren an den streyt und hin nach mittem tag schueff er, das man sie an den streyt füratt.“ 1188 Bajezid floh mit seinen Männern, als er die Elefanten erblickte. Vor einem Gebirgszug wurde das Heer Bajezids von Timur umzingelt und dieser nahm den Sultan gefangen. Nach Schiltbergers Angaben war Timur daraufhin noch acht Monate im Land und besetzte nach und nach die östlichen osmanischen Herrschaftsgebiete. Im Beisein Bajezids fiel Timur in dessen Hauptstadt ein und führte, so Schiltberger, auf tausend Kamelen so viel Gold und Silber weg, wie die Tiere tragen konnten: „Und der Thermurlin wolt den Weyasit mitt haben gefürt in sein landt; do starb er auff dem weg.“ 1189 Etwa ein Jahr nach der Schlacht starb der Sultan in der Gefangenschaft - ein Tod, um den sich viele Legenden und Mythen ranken. Vor allem zur eigentlichen Todesursache finden sich zahlreiche Varianten vom natürlichen Tod über Selbstmord bis hin zum Mord. 1190 Schiltberger selbst gelangte in seine zweite Gefangenschaft und wurde mit anderen Gefangenen in das Reich des Tatarenherrschers geführt. Da sich durch die zweite Gefangennahme an seinem Alltag wenig veränderte - die besiegten Gegner wurden ebenfalls ins tatarische Heer eingegliedert -, beschreibt Schilt‐ berger seine Gefangennahme nicht näher. Die Gefangenschaft Im Heer Timurs erhielt Schiltberger erneut ein Pferd und begleitete nun den tatarischen Khan auf dessen Kriegszügen. Dabei hatte er reichlich Gelegenheit, fremde Sitten und Bräuche kennenzulernen: „Auch han ich gesehen und han 322 B. Militärische Gefangenschaften 1191 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 64. 1192 Ebd., S. 25f. Den Tempel in Damaskus beschreibt Schiltberger für seine Leser sehr ausführlich. 1193 Wahrscheinlich ist die Omayyaden-Moschee gemeint. 1194 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 26. 1195 Ebd., S. 26f. 1196 W E I T H M A N N , Baier (wie Anm. 1136), S. 14, Anmerkung 5. es selber gethan, wann sie in ainer rayß eylen so nehmen sie ein fleisch und schneyden es thün und thun es in ain laines tuch und legens dann unter den satell und reytten dorauff; wann sie dann hungert, so nehmen sie auß dem satell und essen es dann also rochs; und sie saltzens am ersten, wann sie mainen, es sey nicht schad, wann es wirt trucken von der werm deß roß und würdt auch mar, wann der sattell trückentz an dem reytten das der safft dorauß geet; und das thun sie, wann sie eylen in ainer rayß und nicht zeitt haben die speyß zu beraytten.“ 1191 Schiltberger berichtet verwundert von der Art Fleisch zu konservieren, die heute noch unserem ‚Tatar‘ den Namen gibt; er selbst konnte sich während der Kriegsfahrten auf diese Weise ernähren und liefert so ein Stück Kulturge‐ schichte hautnah. Auffällig ist, dass sich Schiltberger nicht über die Behandlung beschwert; teilweise berichtet er eher anerkennend über die Sitten der Tataren. Ob er auch im tatarischen Heer Sold erhielt, verrät er nicht. Schiltberger schildert die Eroberungszüge Timurs: Zuerst war Aleppo erobert worden, danach mehrere Städte im heutigen Syrien, bevor sich das Heer Timurs nach Damaskus wandte, zunächst jedoch ohne die Stadt einnehmen zu können. Schiltberger begründet dies damit, dass der ägyptische Sultan außerhalb der Stadt die Weideflächen und Flüsse vergiften ließ und somit Timurs Reihen schwächte. 1192 Timur belagerte ganze drei Monate die Stadt und erst nach tagelangen Gefechten erbaten sich die Truppen, die innerhalb der Stadtmauern stationiert waren, freies Geleit vom Tatarenfürsten und verließen die Stadt. Daraufhin nahm Timur Damaskus ein. Laut dem Bericht Schiltbergers ging Timur dabei äußerst grausam mit der Bevölkerung um. Die „Priester“ und ihre „Familien“, die sich in den „Tempel“ 1193 geflüchtet hätten, habe er umgebracht, indem er die Tore des Tempels verschließen und die Mauern in Brand setzen ließ. Von der restlichen Bevölkerung ließ er über drei Tage hinweg alle Männer enthaupten. 1194 Anschließend eroberte das tatarische Heer die Stadt Bagdad oder „Babilon“, wie Schiltberger sie nennt. 1195 In einem der beschreibenden Kapitel berichtet Schiltberger von den Sehenswürdigkeiten und Besonderheiten der Stadt, die er jedoch wahrscheinlich nie gesehen hat, da die Eroberungen Bagdads in die Jahre 1393 und 1401, also vor die Schlacht von Ankara, fallen. 1196 323 1. Johannes Schiltberger 1197 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 30f. 1198 Ebd., S. 99. 1199 Ebd., S. 109-111. 1200 Ähnliche Hinweise liefert auch R I C H A R D , prisonniers (wie Anm. 1165) S. 81. 1201 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 31f. Schiltberger nennt China „Chattey“. 1202 Ebd., S. 32. Schiltberger berichtet hier also etwas, das er vom Hörensagen erfahren hatte oder das erst später in seinen Bericht eingefügt wurde. Auch von Timurs grausamen Kriegszügen gegen die Stadt Isfahan im Jahr 1387 und weitere Feldzüge nach Indien und Georgien erzählt er. 1197 Schiltberger vermischt diese Feldzüge, die vor seiner Gefangennahme lagen, mit den Kriegszügen, an denen er teilnahm, und lässt nur selten biographische Informationen aufblitzen. So berichtet er, dass er unter Timur und später unter dessen Sohn Schah Rukh mehrfach, vor allem im Winter, nach Armenien zog. Über die Wintermonate, die das Heer in Karabach verbrachte, konnte Schiltberger sich erstaunlich frei bewegen, und er beschreibt ein fast freundschaftliches Verhältnis mit einigen Armeniern, bei denen er wohnte: „und zu den Armenigen hett ich alleweg mein wonung, wann sie sein den Theutzschen gar holt und darumb, das ich ein Theutzscher was, do heten sie mich schön und lerten mich ir sprach; sie hayssen die Theutzschenn Nimitzsch.“ 1198 Neben einem interessanten Ausflug in die Kultur und Sitten der Armenier findet sich hier eine sehr aussagekräftige Textpassage. Schiltberger hatte nicht nur Kontakt mit der armenischen Bevölkerung, sondern er war so frei in seinem Bewegungsradius, dass er sich regelrecht unter das Volk mischen konnte. Er durfte bei den Armeniern eine Wohnung beziehen und lernte ihre Sprache. 1199 Schiltberger nutzte diesen Kontakt jedoch nicht für einen weiteren Fluchtversuch, zumindest berichtet er davon nicht. Sei es, dass es diese Möglichkeit vielleicht nicht gab, weil die Armenier ihm aus Angst vor Repressionen nicht geholfen hätten, er sich fürchtete nicht unerkannt in dem fremden Gebiet unterwegs sein zu können oder weil er sich zwischenzeitlich mit dem Leben im Heer gut arrangiert hatte. 1200 Die letzte Aktion Timurs, die Schiltberger beschreibt, ist der Zug des Tataren gegen China. 1201 Timur war dem Kaiser von China tributpflichtig - ein Umstand, den der Tartarenfürst nicht länge hinnehmen wollte. Mit seinem Heer brach er nach China auf, um den chinesischen Kaiser seinerseits untertänig zu machen, doch die klimatischen Bedingungen zwangen Timur zur Umkehr, der auf seiner Rückreise bei Otrar verstarb, so dass ihm sein letztes großes Ziel verwehrt blieb. 1202 Schiltberger gelangte nach dem Tod Timurs zu Schah Rukh, dem Sohn Timurs. Dieser versuchte mit seinem Bruder Miran Schah die Nachfolge im mongolischen Reich 324 B. Militärische Gefangenschaften 1203 Ebd., S. 35 1204 Ebd., S. 36f. 1205 Ebd., S. 39. Später nennt er ihn allerdings auch „Czeggra“, vgl. ebd., S. 42. 1206 Diese Stelle ist in der Forschung vielfach angemerkt worden als erste Nennung Sibiriens: W E I T H M A N N , Baier (wie Anm. 1136), S. 6. 1207 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 39 nach dem Tod Timurs zu regeln. Zusammen besetzten die Brüder Armenien und Miran Schah sollte das neu eroberte Gebiet regieren. Er erhielt 20 000 Mann aus dem Heer Schah Rukhs und Schiltberger teilt mit: „und pey dem pleyb ich auch pei dem Miranschach.“ 1203 Doch die Kämpfe gingen weiter; vor allem der turkmenische Herrscher Qara Yusuf, der der Stammesförderation Qara Qoyunlu vorstand, versuchte, Miran Schah das erworbene Land wieder abzuringen. Miran Schah wurde daraufhin von Qara Yusuf im Jahr 1408 in einer Schlacht um die Stadt Täbris getötet und Schiltberger kam, wie er selber berichtet, zum Sohn Miran Schahs, Abu Bekr. Bei diesem blieb er vier Jahre, ohne dass er viel von dieser Zeit berichtet. Er erwähnt lediglich den Mord Abu Bekrs an seinem Bruder Mansur und von der großen Körperkraft seines neuen Herrn. 1204 Im Umfeld Abu Bekrs hielt sich ein „Königssohn“, wie Schiltberger ihn betitelt, des Turkvolks der Kyptschaken auf, der in sein Heimatreich zurückkehren wollte. Dieser brach mit mehreren Männern auf. Auch Schiltberger und drei weitere Männer aus dem Heer Abu Bekrs gehörten mit zu dem neuen Trupp, und so wechselte er abermals seinen Herrn. Der Königssohn, den er weiter unten noch namentlich mit „Tzeggra“ 1205 betitelt, wollte um sein Erbe als Herrscher der Goldenen Horde kämpfen. Als Gefolgsmann Tschekras durchreiste Schiltberger nun mehrere Länder und Landstriche im zentralasiatischen Hochland. Danach war er in Georgien, zog zum Kaspischen Meer und listet schließlich sogar Sibirien als Reiseetappe des Heeres auf. 1206 Schiltberger traf in Sibirien, das er „Wissibur“ 1207 nennt, auch Schlittenhunde an, die vor die Karren und Schlitten gespannt wurden, und er beschreibt die Bräuche der Nomaden, die in Jurten lebten. Nach seinen Ausführungen über die Reise durch die große Tatarei erzählt er von den Thronstreitigkeiten innerhalb der Goldenen Horde. Diese Kapitel, in denen man wenig über Schiltbergers alltägliches Leben und seine Gefan‐ genschaft erfährt, zeigen, wie das einst so gefürchtete mongolische Reich in verschiedenen Auseinandersetzungen um Macht und Erbfolgen nach und nach auseinanderbrach. Wenn sicherlich auch manche zeitlichen Angaben falsch und geographische Gegebenheiten unsicher wiedergegeben werden, kann in diesem fast zeitgenössischen Zeugnis der Zerfall einer Großmacht aus der Sicht eines christlichen Autors miterlebt werden. 325 1. Johannes Schiltberger 1208 Ebd., S. 42. 1209 Ebd., S. 43. 1210 Ebd., S. 45. Schließlich endet der erste Teil des Ereignisberichts Schiltbergers mit dem Tod seines letzten Herrn Tschekra, der in einer Schlacht durch die Hand „Ma‐ chamets“ fiel. 1208 Schiltberger schildert, wie es für ihn nach dem Tod Tschekras weiterging: „Da der Czeggra unterlag und erschlagen wardt, do cham ich zu ainem herren und der was genandt Mannstzuch und was deß Czeggra rottherre gewesen und der must weichen und zoch in ein stadt, die ist genant Kaffa, und in der stat sein Christen und ist ein mächtige stat; es sey auch sechserlay glauben in der stat; und do pleyb mein herre V monadt.“ 1209 Schiltberger berichtet hier von seinem letzten Herrn Manschuk, mit dem er nun fliehen musste. Das Ende der Gefangenschaft Mit Manschuk gelangte Johannes Schiltberger zum ersten Mal seit seiner Gefangennahme wieder in eine spürbar christlich vertraute Umgebung. In Kaffa auf der Krim konnte er wieder ein wenig Heimatnähe spüren, vor allem, weil es eine christliche Gemeinde gab. Ob er hier direkten Kontakt mit Christen hatte, erwähnt er nicht. In jedem Fall verblieb er zunächst bei seinem Herrn und nach diesem kurzen Aufenthalt von fünf Monaten in Kaffa ging es für Schiltberger zuerst noch einmal weiter. Über das Schwarze Meer gelangte er in das heutige Karatschai-Tscherkessien im Nordkaukasus; doch auch hier verblieb die Gruppe nicht lange und floh weiter nach Georgien. In Mingrelien, einem Küstenabschnitt, der zum westlichen Georgien gehört, kamen Schiltberger und einige Christen, die noch im Heer verblieben waren, erneut zu dem Entschluss eine Flucht zu planen: „Und do er in das lant cham, do wurden unser V Cristen überain, wie wir auß der haydenschafft chämen wider zu lande, da wir dann auß pürtig waren, wann wir von dem land nur drey tagweyd hetten an das schwartz mer.“ 1210 Schiltberger und mit ihm die anderen vier Christen nutzten also einen Zeitpunkt, der sie mit der Hoffnung nahe ans Schwarze Meer führte, dort schnell mit christlichen Schiffen, dem tatarischen Heer und möglichen Häschern, die sie hätten einfangen können, zu entkommen. Auffällig ist, dass die Nähe zu christlichen Schiffen oder Ansiedlungen die nötige Orientierung boten, um eine Flucht zu planen. Ob die Christen aber wirklich fliehen mussten oder ob Manschuk sie nach den Wirren der Flucht nicht einfach gehen ließ, lässt die 326 B. Militärische Gefangenschaften 1211 Ebd., S. 44. 1212 Ebd. 1213 Ebd. folgende Auskunft Schiltbergers zumindest offen: „Und dornach als wir überain wurden, da schied wir von dem landßherren Mannstzuch“. 1211 Das, was sich zuerst nach einer Flucht anhört, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein mögliches friedliches Abschiednehmen. In jedem Fall aber verließen die Christen das mongolische Heer und wandten sich zuerst nach Batumi, von wo aus sie versuchten auf ein Schiff zu kommen. Da dies misslang, verließen sie die Stadt: „Dornach ritt wir auß der stadt und ritten pey dem mer hin und chamen in ein pirg, da ritt wir vier tag inn; und dornach chamen wir auff ein perg und do sach wir ein kocken in dem mer sten wol pei acht meylen verre von dem gestadt.“ 1212 Nachdem sie in der Stadt gescheitert waren, wandten sie sich Richtung Gebirge. Dabei erzählt uns Schiltberger jedoch auch, dass die Christen zu Pferd unterwegs waren. Sie hatten sich also nicht zu Fuß auf die ‚Flucht‘ begeben, sondern ihre Pferde, wohl die, auf denen sie vorher innerhalb des Heeres geritten sind, mitgenommen. Sie gelangten ins Gebirge und konnten eine Kogge ausmachen, die acht Meilen von der Küste entfernt ankerte: „und also do pliben wir auff dem perg, piß die sunn unterging. Und dornach, do es tunckell wardt, da machten wir ein feur auff dem perg und das feur sach man auff der kocken; und dornach schickt der schiffman knecht auff ein tzillen zu dem perg, das sie schauten, wer auff dem perg wer.“ 1213 Die Schiffbesatzung, die in dem kleinen Boot heranfuhr, wurde von den Männern begeistert empfangen. Auf die Frage, mit wem man es zu tun habe, erzählten die fünf Christen ihre Gefangenschaftsgeschichte und baten darum, mitgenommen zu werden, um endlich in Freiheit gelangen zu können. Doch die Bootsmänner blieben misstrauisch und ließen die fünf Männer zunächst das Vaterunser und ein Glaubensbekenntnis aufsagen, um sicherzugehen, dass sie es wirklich mit Christen zu tun hatten. Nachdem die Gebete aufgesagt waren und alle Fragen geduldig beantwortet wurden, fuhren die Männer auf dem Boot zu ihrem Kapitän zurück, um Bericht zu erstatten. Dieser erlaubte schließlich, die fünf Männer an Bord zu bringen, und zum ersten Mal waren die Christen in Sicherheit. Auffällig ist, dass vor der ‚Wiedereingliederung‘ die Rechtgläubigkeit mit Hilfe christlicher Gebete überprüft wurde. Dass diese neugewonnene Freiheit allerdings sehr gefährdet war und noch lange nicht alle Gefahren ausgestanden waren, mussten die Christen auf der nachfolgenden Schiffsfahrt schnell erfahren: 327 1. Johannes Schiltberger 1214 Langmantel hat an dieser Stelle wohl einen Tippfehler, er schreibt: „geren“, es sollte aber wohl „gerne“ heißen. 1215 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 44. 1216 Türkische Hafenstadt an der Küste des Schwarzen Meeres: S C H I L T B E R G E R , Sklave (wie Anm. 1135), S. 228. 1217 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 45. 1218 Ebd. „Und do wir trey tag furen auff dem mere, do chamen drey galein und do waren Thürcken auff und die raubten auff dem mere und chamen an die chocken, do wir auff waren, und hettens gerne 1214 beraubt und eylten der kochen nach drey tag und zwo nacht und sie mochten der kocken nichts an gewynnen.“ 1215 Das christliche Boot konnte sich nach Samastria, wohl gleichzusetzen mit der Küstenstadt Amasra 1216 , retten und die türkischen Piraten gaben ihr Vorhaben auf. Die christliche Besatzung verblieb vier Tage in der Stadt und wollte sich danach nach Konstantinopel richten. Nachdem die Kogge wieder abgelegt hatte, wurden die Christen von einem Unwetter heimgesucht und in die Küstenstadt Sinop abgetrieben, wo man sich wegen des Sturms fünf Tage aufhalten musste. Das schlechte Wetter blieb ihnen auf der Weiterfahrt erhalten und so brauchten sie drei Monate bis zur Ankunft in Konstantinopel. 1217 Schiltberger blieb mit den anderen befreiten Christen in Konstantinopel und sie wurden mehrfach nach ihrer Herkunft befragt. Sie gaben bereitwillig Auskunft über ihre Erlebnisse und ihr Begehr die eigene Heimat wiederzusehen. Auch Kaiser Johannes VIII. Palaiologos wollte die ungewöhnliche Gruppe treffen und bat sie in einer Audienz von ihren Erlebnissen zu berichten. Er erhielt einen ausführlichen Bericht von den Jahren, die die Christen in Gefangenschaft in der fremden Welt zugebracht hatten und ihrem Wunsch die Heimat wiederzusehen. Der Kaiser zeigte sich gerne bereit zu helfen: „Und do er das vernam, da sprach er, wir sollten nicht sorgen, er wölt uns wol zu land pringen; und dornach schickt er uns zu dem patriarchen, der auch in der stadt sitzt, und hyeß uns do wartten, wann er ein pruder hett, der was bei dem chönig Sigmundt von Ungeren, und dem wolt er ein galein schicken, so wolt er uns auff der galein heraußwärtz schicken in die Walachei.“ 1218 Für die Männer hatte sich mit dem Moment, in dem sie durch das Stadttor von Konstantinopel schritten, alles verändert. Man wollte ihre Geschichte hören und der unglaubliche Augenzeugenbericht der Männer fand auch bei den großen Fürsten Gehör. Mehr noch, man wollte den gestrandeten Christen helfen, die völlig mittellos einen Weg in die alte Heimat suchten. Schiltberger erzählt, dass sie noch drei weitere Monate in der Stadt blieben. Sie wurden 328 B. Militärische Gefangenschaften 1219 Ebd., S. 47. 1220 1422 war es zu einer ersten, erfolglosen Belagerung Konstantinopels unter Murad II. gekommen. 1221 Bei Weithmann findet sich die Diskussion, ob Schiltberger wirklich aus dem Bistum Freising stammte oder aus München, ohne jedoch in diesem Fall ein Ergebnis vorweisen zu können, vgl. W E I T H M A N N , Baier (wie Anm. 1136), S. 9f. 1222 L A N G M A N T E L , Schiltberger (wie Anm. 1145), S. 112. im Haus des Patriarchen einquartiert, also fernab von billigen Unterkünften oder Gasthäusern. Schiltberger nutzte den Aufenthalt in der Stadt, um einen sehr genauen Bericht der Befestigungsanlagen und Besonderheiten der Stadt anzufertigen und die Stadt ausgiebig zu erkunden. Allerdings scheint eine offene Besichtigung der Stadt nicht möglich gewesen zu sein: „aber man wolt mich und mein gesellen nicht umbgeen lassen in der stat, wann sie forchten, die haiden würden uns erkennen und würden uns dann vodern an den chayser. Darumb mocht ich die stadt nicht recht geschauen, wann der chaiser hett uns auch verpoten, das wir nicht außgiengen; aber pyßweylen gingen wir mitt deß patriarchen dynern auß spacirenn.“ 1219 Die Furcht, dass die ‚flüchtigen‘ Christen wiedererkannt werden und den by‐ zantinischen Christen damit Schwierigkeiten bereiten könnten, ist aufschluss‐ reich. 1220 Es spricht aber auch dafür, dass man den Schilderungen der ehemaligen Gefangenen vielleicht nicht vollen Glauben schenkte und lieber Vorsicht walten ließ, für den Fall, dass hinter ihrem Bericht doch mehr stecken könne und jemand nach den plötzlich aufgetauchten Christen suchen könnte. Nach drei Monaten schließlich bestiegen die ehemaligen Gefangenen die Galeere, von der der Kaiser erzählt hatte, und traten ihre Heimreise an. Die Galeere führte sie nach Kilija, eine ukrainische Stadt an der Donau gelegen, und hier löste sich die Gruppe auf. Schiltberger schreibt, dass er mit Kauf‐ leuten weiterreiste. Es ging über Weissenburg nach Lemberg, wo Schiltberger erkrankte und für drei Monate pausieren musste. Über Eger, Regensburg und Landshut erreichte er schließlich seine Heimatstadt Freising. 1221 Danach endet der Bericht und Schiltberger schweigt über seine Heimkehr. Er sagt nichts über sein Willkommen in der Heimat oder darüber, wie er sich einlebte. Die letzten Sätze seines Berichts, sind eine Danksagung des Autors an die göttliche Führung, die ihn heil wieder nach Hause brachte: Gott dem [almächtigen] sey gedanckt, das mir der macht und chrafft gegeben hat und mich behüett und beschirmet hatt zwai und dreyssig jar, die ich, Hanß Schiltbegrer, inn der haidenschafft gewesen pin und alles, was vorgeschrieben stet, erfaren und gesehen han“. 1222 329 1. Johannes Schiltberger 1223 W E I T H M A N N , Baier (wie Anm. 1136), S. 7 und S. 11. 1224 Ebd., S. 10f. 1225 Ebd. 1226 Ebd., S. 5. 1227 Hans R A L L , Art. „Albrecht III., der Gütige“, in: Neue Deutsche Biographie 1 (1953), S. 156 f., hier S. 157. Weithmann gibt noch zu bedenken, dass Schiltberger, sofern er nicht aus adligem Hause stammte, durch seine Stellungen am Hofe in den erblichen Adelsstand erhoben worden sein dürfte; weitere Vermutungen, dass Schiltberger geheiratet habe und eine Familie gründete, bleiben ungewiss, W E I T H M A N N , Baier (wie Anm. 1136), S. 11. Weithmann führt ein späteres Familiengeschlecht der Schiltberger an, die im Wappen einen „Türkenkopf “ mit Turban und Säbel führten - ein Hinweis, der vielleicht wirklich dafürsprechen könnte, dass es Nachkommen gab. 1228 W E I T H M A N N , Baier (wie Anm. 1136), S. 8 und 11. Das Leben nach der Gefangenschaft Viele Informationen lassen sich in den Quellen nicht mehr finden. Schiltberger kehrte nach München zurück und wurde Kämmerer des späteren Herzogs Al‐ brecht III. und Befehlshabers der herzoglichen Leibwache, wie der Historiograph Johann Turmair-Aventin berichtet. 1223 Der herzogliche Schreiber Martin Prätzl, Kammerschreiber und Rentmeister des Herzogs, schreibt in einer handschriftlichen Notiz über Schiltberger: „Einen wahrhafftigen und frommen edelmann, der ain diener ist gewesen des fürsten und Herren Albrechts III. des Gütigen.“ 1224 Daneben erhält ein Codex über Schilt‐ berger folgenden Eintrag: „Item Hans Schildberger, ain warhafftiger frumer Edlmann, der unser zeyt gelebt hat und ain Diener ist gewesen des durchleuch‐ tigsten Fürsten und Herrn Albrechten, Pfalzgraven bei Rein, hertzog in oberen und niederen Baiern, den man nennt den guetigen Hertzog Albrecht.“ 1225 Es ist davon auszugehen, dass Schiltberger mit vielen Sprachen im Gepäck wieder zurück nach Freising kehrte. Er hatte in seiner Gefangenschaft die persische, türkische, arabische und tatarische Sprache erlernt und viele fremd‐ sprachige Begriffe in seinem Werk eingearbeitet. 1226 Dass er nach seiner Heim‐ kehr eine so gute Anstellung bei Albrecht III. erhielt, ist sicherlich seinen Erlebnissen geschuldet. Johannes Schiltberger selbst äußert sich nur versteckt zu seiner Motivation die Erlebnisse seiner Gefangenschaft aufzuschreiben. Der 16-jährige Knappe, den die Gefangenschaft ans gefühlte andere Ende der Welt verschlug, hatte so viel erlebt, dass es sich nahezu aufdrängte, seine Erlebnisse niederzuschreiben. Begünstigt von einem kunstliebenden und gönnerhaften Herrn, bei dem er nach seiner Gefangenschaft angestellt wurde, entstand ein Novum im deutschen Sprachraum. 1227 Aus den gemachten Beobachtungen heraus wurde in der Forschung bereits häufiger gefragt, wie unfreiwillig und gezwungen er diese Geschehnisse wirk‐ lich erlebte. 1228 Letztendlich bleibt jedoch als Ergebnis: Schiltberger bezeichnet 330 B. Militärische Gefangenschaften 1229 Vgl. K A M E N / D I É G U E Z , Alba (wie Anm. 887), S. 254. 1230 Günter Prinzing vermutet, dass es sich um Johannes Kloor handelt, Günter P R I N Z I N G , Zu Jörg von Nürnberg, dem Geschützgießer Mehmets II., und seiner Schrift „Geschicht von der Turckey“, in: Sultan Mehmet II. Eroberer Konstantinopels - Patron der Künste, hrsg. v. Neslihan Asutay-Effenberger/ Ulrich Rehm, Köln 2009, S. 59-75, S. 61. 1231 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 16f.; K A M E N / D I É G U E Z , Alba (wie Anm. 887), S. 254; Enikö C S U K O V I T S , Miraculous, in: Ransom Slavery along the Ottoman Borders (wie Anm. 1146), S. 6. sich für seine Leserschaft als Gefangener; und wie weit er sich auch in seinem Alltag im Heer dem Islam und seiner Umwelt angenähert haben wird, auf dem Schlachtfeld von Nikopolis war er ein gefangener 16-Jähriger, der sich zweifellos gewünscht hätte, mit den anderen glücklich über die Donau entkommen zu sein. 2. Georg von Ungarn a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses Die einzige lateinische Quelle dieser Untersuchung stammt von dem in der Forschung mittlerweile als Georg von Ungarn benannten Dominikaner, der in osmanische Gefangenschaft geriet. 1229 Über seine Biographie finden sich die meisten Angaben in seinem Bericht. Er selbst erzählt in seinem prologus, im 16. Kapitel und in der ratio testimonialis, dem Schlusskapitel, über sein Leben. So sei er bei der osmanischen Eroberung des siebenbürgischen Ortes Mühlbach, dem rumänischen Sebęs, 15 oder 16 Jahre alt gewesen. Durch eine handschriftliche Glosse (de ramos) aus dem 16. Jahrhundert, die am Rand seines Berichtes steht, ist ersichtlich, dass er aus dem 50 km südwestlich gelegenen siebenbürgischen Ramosch (das rumänische Rumęs) stammte und entweder ein Ungar oder ein siebenbürgischer Sachse war. 1230 Georg nutzt in seinem Bericht ungarische und deutsche Äußerungen nebeneinander. 1231 Geboren wurde er um das Jahr 1422 und er hielt sich in Mühlbach auf, um zu studieren. Da er später dem Dominikanerorden angehörte, besuchte er wohl die Schule des Mühlbacher Dominikanerklosters. Der Dominikaner Georg scheint seinen Bericht selber verfasst zu haben. Der lateinische Urtext war um das Jahr 1480 entweder unmittelbar vor oder direkt nach der Landung der Türken in Otranto im Juli 1480 geschrieben worden. Allerdings wurde Mehmed II. von Georg noch als lebender Herrscher geschildert, so dass der Tod Mehmeds am 3. Mai 1481 und die Zeitspanne bis zur Bekanntwerdung des Todes als letztes Datum zum Entstehungszeitraum gelten können. Klockow vermutet als Entstehungszeitraum die Spanne von August 331 2. Georg von Ungarn 1232 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 30f. 1233 Eine sehr genaue Auflistung der Drucke, Nachdrucke und Übersetzungen findet sich bei Klockow, vgl. G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 52-57 und 61-72 sowie einige Angaben zur Anzahl der Drucke bei K A M E N / D I É G U E Z , Alba (wie Anm. 887), S. 255 und B A B E L , Deutschland (wie Anm. 937), hier Sp. 1204. 1234 Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri. Unverän‐ derter Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1530 sowie fünf weiterer „Turkendrucke“ des 15. und 16. Jahrhunderts, hrsg. v. Carl G Ö L L N E R (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens 6), Köln 1983. 1235 András F. B A L O G H , Die deutschsprachigen Flugschriften des frühen 16. Jahrhunderts als Kontaktmedien zu Ungarn, in: Deutschsprachige Literatur des Mittelalters im östlichen Europa. Forschungsstand und Forschungsperspektiven, hrsg. v. Ralf G. Päsler/ Dietrich Schmidtke (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte), Heidelberg 2006, S. 503-517. 1480 bis Mai 1481. 1232 Das zuerst in Rom entstandene Werk war ein sofortiger Erfolg und wurde in lateinischen und auch deutschen Auflagen veröffentlicht. Das eigentliche Autograph hat sich nicht erhalten. Es gab bereits ein Jahr nach der Erstausgabe des Drucks in Rom einen Nachdruck im schwäbischen Urach und es folgten zahlreiche Nachdrucke in Köln, Paris, Basel und Nürnberg. 1233 Ab 1530 folgten auch mehrere deutsche Übersetzungen, unter anderem durch Sebastian Franck, der den „Tractatus“ jedoch vor allem für seine eigenen Ideen in seinem „Weltbuch“ nutzte. Bekanntgeworden ist das Werk vor allem in der lateinischen Ausgabe, die eine Vorrede von Martin Luther enthält. Dort befand der Reformator, der den Schreiber als Anonymus angab: „Der [gemeint ist Georg] greyfft die hauptstück jrs glaubens an / Do sie am besten seind / Dadurch er ein grossen glauben und ansehen bey mir erlangt hat / Das ich gentzlich glaub / als der lauter onuermischt die warheyt sage.“ 1234 Luther bescheinigte dem Werk Objektivität, da der Autor alles mit eigenen Augen gesehen habe. Er nutzte den „Tractatus“ des katholischen Dominikaners, um sich gegen die katholische Kirche auszusprechen und einige Passagen für seine „Heerpredigt“. Übersetzungen wurden ab dem 16. Jahrhundert „Türken‐ büchlein“ genannt; ein Begriff, der zuerst nur den „Tractatus“ bezeichnete, nachher als Anlehnung an den Text Georgs von Ungarn jedoch eine „Textgat‐ tung“ meinte und Ende des 19. Jahrhunderts als Terminus in die Forschung einging. 1235 Georg von Ungarn verfasste sein Werk in 23 Kapiteln, davon sind das Anfangskapitel und das Schlusskapitel autobiographisch angelegt, während die anderen Kapitel ein Bild der osmanischen Kultur wiedergeben sollen. Die ersten acht Kapitel geben einen nicht immer völlig stimmigen geschichtlichen Überblick zur Geschichte und Expansion des osmanischen Reiches sowie zur Behandlung der Sklaven durch ihre Herren und auf den Sklavenmärkten. Die darauffolgenden Kapitel legen ausführlich dar, auf welche Weise die Türken einen Christen verführen könnten und weshalb ihre Gebräuche zunächst so ma‐ 332 B. Militärische Gefangenschaften 1236 Bereits Martin Luther nennt in seinem Vorwort, das er eigens für die Drucklegung dieses Werks im Jahr 1530 verfasst hatte, die Problematik, dass man den Autor nicht namentlich kenne; gleichwohl sei das Buch jedoch von so hohem Wahrheitsgehalt, dass der Autor ein sehr guter Christ und ein Vorbild für die Leser sein müsse, vgl. G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 11. 1237 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 17. 1238 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 150-152. Die Zusage, dass die Bewohner Mühlbachs wieder in ihre Heimat zurückkehren konnten, scheint eingehalten worden zu sein, vgl. Ebd., S. 153, Fußnote 11. kellos wirken würden. Georg gab, aufgrund seiner eigenen Beobachtungen, eine sehr detaillierte Darstellung der Kultur und der Gebräuche der Osmanen, ebenso von ihren religiösen Riten und vom Leben der Derwische. Im dritten Hauptteil entlarvt der Autor dann die Vorbildlichkeit der ‚Anderen‘ als Werkzeug des Teufels und erklärt schließlich in einem vierten Teil, wieso die vorgetäuschten Tugenden der Türken in Wirklichkeit doch nicht so vorbildlich seien und wie sie sich selber immer wieder enttarnen, indem sie untereinander uneins und widersprüchlich seien. Im letzten Teil seiner Ausführungen zeigt Georg schließlich auf, warum die christliche Religion, die einzig heilbringende sei und warum es sich lohnte an ihr festzuhalten. b) Der Untersuchungsfall Die 1. Gefangenschaft Die Gefangennahme Georg von Ungarn gelangte um das Jahr 1437 bei der Belagerung von Mühlbach in Gefangenschaft. 1236 Er beschreibt sich selbst als wilden Draufgänger, der sich den Widerständlern der Stadt Mühlbach anschloss, als diese von den Osmanen belagert und schließlich eingenommen wurde. 1237 Zu diesem Zeitpunkt, so gibt Georg an, sei die Stadt nicht gut befestigt und dazu noch stark übervölkert gewesen, so dass sie nicht lange der türkischen Belagerung standhalten konnte. Der Walachenfürsten Vlad II. Dracul wurde als Schlichter herbeigerufen, und man einigte sich darauf, die Stadt den Türken kampflos zu übergeben und so das Leben der Bevölkerung zu schützen. Die Bewohner Mühlbachs sollten in das Land der Belagerer geführt werden und dort Land zugewiesen bekommen. Nach einer Frist sei es ihnen jedoch gestattet, in ihr Land zurückzukehren. 1238 Es wurde eine Waffenruhe vereinbart, die den Familien Zeit gab, die notwendigen Besitztümer zusammenzupacken und die Stadt zu verlassen. Ein adliger Stadt‐ herr jedoch wollte sich nicht kampflos ergeben und versammelte mit seinem 333 2. Georg von Ungarn 1239 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 153. „Cum hiis igitur et ego turrim intraui et expectabam cum magno desiderio magis mortem quam vitam.“, ebd., S. 152. 1240 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 152f. 1241 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 155. „Tantus erat clamor pugnantium et fragor armorum et strepitus currentium, ut celum et terra concuti uiderentur in momento“, ebd., S. 154. Klockow nennt die Turmbesetzung an dieser Stelle einen aussichtslosen Heroismus. 1242 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 155. „Submisso igitur igne nos, quasi sicut decoquuntur panes in furno, decoxerunt“, ebd., S. 154. Bruder eine Schar kampfwilliger Männer um sich. Sie schafften Waffen und Lebensmittel in einen Turm und befestigten das Gebäude, um dem Angriff möglichst lange standhalten zu können. Auch Georg war unter den jungen Widerständlern, die sich verschanzten, um lieber zu sterben als unter türkischer Hand zu leben: „Mit diesen Menschen zog auch ich in den Turm und erwartete mit großem Verlangen mehr den Tod als das Leben.“ 1239 Am nächsten Morgen wurden alle Familien, die freiwillig die Stadt verließen, registriert und unter sicherem Geleit weggeführt. Danach kam es zum Kampf um die Stadt, der von den türkischen Soldaten hart geführt wurde, da sie sich, wie Georg verlauten lässt, durch die frühzeitige Kapitulation um die Beute gebracht sahen. 1240 Letztendlich sammelten sich alle Angreifer um den Turm, in dem sich die Widerständler aufhielten. Georg beschreibt die wütenden Angreifer, die das Mauerwerk mit Pfeilen und Steinen beschossen und versuchten den Turm zu besetzen. „So laut war das Gebrüll der Kämpfenden, der Lärm der Waffen und das Getöse des Ansturms, daß es schien als stießen Himmel und Erde auf einmal zusammen.“ 1241 Er selbst sei trotz des gewaltigen Angriffs todesmutig und standhaft gewesen. Um die Mauern vollends zum Einbruch zu bringen, schichteten die Angreifer Holz um den Turm und zündeten es an: „Dann legten sie Feuer an und buken uns gewissermaßen wie Brote in einem Backofen.“ 1242 Am späten Nachmittag sei der Kampf gegen die türkischen Angreifer aus‐ sichtslos geworden und die Flammen hätten ein Entkommen aus dem Turm und ein Weiterkämpfen unmöglich gemacht. Nachdem sich im Turm kein Widerstand mehr regte, drangen die Soldaten in den Turm ein und holten diejenigen heraus, die noch am Leben waren. Sie nutzten die Schwäche der Eingesperrten nicht, um sie zu töten, sondern wie Georg beschreibt, um die Überlebenden ins Freie zu tragen und dort zunächst zu versorgen. Auch Georg war unter den Lebenden: „Als sie nun sahen, daß sich im Turm niemand mehr regte und anscheinend alle tot waren, da schoben sie das Feuer auseinander und 334 B. Militärische Gefangenschaften 1243 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 155. „Et iam quasi omnibus mortuis cum uidissent amplius neminem in turri moueri, distrahentes ignem irruerunt per hostium, et si forte aliquos semiuiuos inuenissent, reucillatos extraxerunt. Me quoque eodem modo extrahentes mercatoribus venditum tradiderunt, qui me cum ceteris captiuis positum in cathena transito Danubio usque in Edrenopolim, ubi est sedes ipsius Turci Magnis, deduxerunt“, ebd., S. 154. 1244 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 147. „et tamen, ut inferius declarabo, de igne semiuiuus extractus et vite redditus per successum temporis detentus in manibus eorum veveno erroris eorum quasi infectus de fide Christi non modicum dubitaui et, nisi misericordia dei mihi affuisset et me custodisset, turpiter eam negassem“, ebd., S. 146. drangen durch die Tür in den Turm ein; und wenn sie dort auf jemanden stießen, der noch nicht ganz tot war, brachten sie ihn wieder zu sich und zogen ihn ins Freie. Auch mich zogen sie auf diese Weise aus dem Turm und verkauften mich an Händler. Diese schlugen mich zusammen mit den übrigen Gefangenen in Ketten und brachten mich über die Donau bis nach Edrenopolis, wo die Residenz des Großtürken ist.“ 1243 Bereits in seinem Prolog hat Georg den Umstand, halbtot aus den Flammen im Turm gezogen worden zu sein, erwähnt. Er wurde direkt nach der Versorgung durch die Osmanen an Sklavenhändler verkauft, die wahrscheinlich mit dem osmanischen Heer mitgezogen waren und auf Christen warteten, die in den Kämpfen um die Stadt erbeutet wurden. Georg beschreibt, dass er mit den an‐ deren Gefangenen in Ketten geschlossen und danach nach Adrianopel (Edirne) gebracht wurde. „und dennoch: als man mich, wie ich später darstellen werde, halbtot aus dem Feuer gezogen und ins Leben zurückgeholt hatte, da ließ ich mich in ihrer Gefangenschaft im Laufe der Zeit vom Gift ihrer Irrlehren gleichsam anstecken und begann am christlichen Glauben nicht wenig zu zweifeln. Und wenn mir nicht Gottes Barmherzigkeit beigestanden und mich beschützt hätte, hätte ich meinen Glauben schimpflich verleugnet.“ 1244 Diese Stelle kann als Klappentext seines Werkes verstanden werden, der den Leser am Anfang ködern sollte und bereits sehr deutlich die Argumentations‐ weise des Autors und den Aufbau seines Werkes anzeigt. Georg von Ungarn, der spätere Dominikaner, charakterisiert sich selbst als 15-jähriger Draufgänger, der sich den Widerständlern anschloss und sich nicht ergeben wollte. Doch selbst dieser todesmutige Mann erlag, wie er bereits hier hervorhebt, im Laufe seiner Gefangenschaft fast den Fallstricken des islamischen Glaubens und den türkischen Versuchungen, aus denen ihn schließlich nur Gott in seiner Allmacht retten konnte. 335 2. Georg von Ungarn 1245 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 162f. Über Timur schreibt Georg auch noch an anderer Stelle. In Kapitel 22 beschreibt er einen angeblichen Attentatsversuch Timurs auf Mehmed II. Allerdings vermerkt Klockow bereits, dass dies zeitlich nicht stimmen kann, da Timur bereits 1405 verstarb: ebd., S. 382-385 und S. 383, Anmerkung 185. 1246 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 298f. Georg von Ungarn und Johannes Schiltberger waren zum Zeitpunkt ihrer Gefangennahme fast im selben Alter und doch nehmen die weiteren Verläufe bereits direkt nach der Gefangennahme ganz unterschiedliche Richtungen an. Beide Autoren beschreiben die Abläufe der Schlachten sehr ausführlich und an einzelnen Stellen beinahe detailverliebt. Der Akt der Gefangennahme ist letztlich nur ein logischer Schluss der verlorenen Kämpfe und wird nicht gesondert herausgehoben. Um beide Gefangenen kümmerten sich die Osmanen nach der Ergreifung notdürftig, bevor sie an andere Orte verbracht wurden. Da Georg von Ungarn anscheinend nicht schwerer verletzt war, wurde er sofort verkauft und zog einer sehr ungewissen Zukunft entgegen. Die Gefangenschaft Nachdem Georg sich in seiner Vorrede ausführlich mit den Begebenheiten seiner Gefangennahme auseinandersetzt, erzählt er erst wieder im Kapitel 16 und in seinem Schlusskapitel Weiteres über sein persönliches Schicksal. Die dazwischenliegenden Kapitel nutzt er, um die Kultur und Religion der Türken zu beschreiben und eine kurze Geschichte der machtvollen Expansion des osmanischen Reiches zu bieten. Dabei erwähnt er auch die Schlacht von Ankara, in der Timur über Bajezid 1402 siegreich war und bei der Johannes Schiltberger in seine zweite Gefangenschaft geriet. 1245 Insgesamt, so Georg, sei er 20 Jahre in Gefangenschaft bei den Osmanen gewesen. Nachdem er nach Adrianopel gelangt war, sei er von den Sklavenhänd‐ lern verkauft worden. Ob er auch über einen Sklavenmarkt angeboten wurde, den er genauer beschreibt und der sich ihm sehr eindrücklich eingebrannt hat, lässt sich nicht ausmachen, ist jedoch anzunehmen. Zunächst sei er nach seinem ersten Verkauf in die Hände eines osmanischen Bauern gelangt. Dieser habe ihn äußerst grausam und mit aller Härte behandelt, und Georg gibt an, dass er ihm mit aller Macht entfliehen wollte. 1246 Fluchtversuche und das Ende der Gefangenschaft Insgesamt unternahm Georg während seiner Gefangenschaft acht Fluchtver‐ suche, von denen er schildert, dass jeder der acht Versuche ausgereicht hätte, einen Menschen in die Verzweiflung und den Irrsinn zu treiben. Bevor er 336 B. Militärische Gefangenschaften 1247 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 203, „Et sicut dominorum magna est auiditas seruos possidendi, ita et seruorum magnum est desiderium manus eorum euadendi. Nam nihil aliud inter se tractant, non aliud cogitant et locuntur, nisi quomodo et quo fugiant et euadere possint“, ebd., S. 202. 1248 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 203 u. 205, „Sed cum ispi domini eorum perpendunt et considerant hoc ex assidua et mutua collocutione, statim incipiunt eis negare copiam alimentorum, ne ex superfluitate sibi ad fugam viaticum preparare possent.“, ebd., S. 202 u. 204. 1249 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 205, „Nam alii eos cibo et potu negato et vestimentis permittunt mori, alii massam ferri in pedibus apponunt, alii colla cathenis constringunt, alii combustis neruis eos claudos reddunt, alii abscisis auribus et naso inutiles et deformes reddunt et notabiles, alii etiam crudeliter gladiis occidunt et interimunt“, ebd., S. 204. jedoch über seine eigenen Fluchtversuche berichtet, gibt er Auskunft über die Lebenswirklichkeit der Sklaven, die vor allem aus Gier in solch einer Anzahl gehalten würden. Deshalb hätten sie auch ein großes Verlangen ihren Herren zu entkommen: „Wie die Herren eine große Gier nach dem Besitz von Sklaven haben, so haben die Sklaven ein großes Verlangen, den Händen ihrer Herren zu entkommen. Denn nichts anderes bereden sie untereinander, an nichts anderes denken und von nichts anderem sprechen sie, als wie und wohin sie fliehen und entkommen können.“ 1247 Sobald die Herren jedoch von diesen Gesprächen erführen, würden sie bestraft und an der Flucht gehindert: „Aber wenn das ihre Herren an den ständigen Gesprächen untereinander merken und sich klarmachen, beginnen sie sofort, ihnen die Lebensmittelrationen zu kürzen, damit sie sich nicht von dem, was sie übrig haben, Proviant für die Flucht zurücklegen können.“ 1248 Obwohl es vielfältige Möglichkeiten zur Flucht gäbe, habe kaum jemand Erfolg mit seinem Fluchtversuch, da die Türken viele Möglichkeiten hätten, die Geflohenen aufzuspüren und zurückzubringen. Und die, die ein oder zweimal geflohen wären, würden nur ihr Leid verdoppeln, wenn sie nach ihrer Flucht gefasst werden würden. Schlimmer ergehe es noch denen, die zum Wiederho‐ lungstäter werden und nach mehrfacher Flucht aufgegriffen würden. Über die muslimischen Besitzer, die einen Geflohenen nach dem Wiedereinfangen zu‐ rückerhalten, sagt er: „Die einen verweigern ihnen Speise, Trank und Kleidung und lassen sie sterben. Andere legen ihnen Gewicht aus Eisen an die Füße. Manche schlagen ihnen den Hals in Ketten, manche brennen ihnen die Sehnen durch und machen sie zu Krüppeln. Manche schneiden ihnen Ohren und Nase ab und machen sie durch diese Entstellung wertlos und kenntlich, und manche töten sie gar brutal mit Schwerthieben.“ 1249 Georg von Ungarn beschreibt das Schicksal der Sklaven aus einer Beobach‐ tungsperspektive und nur an einigen Stellen blitzt das eigene Erleben hervor. 337 2. Georg von Ungarn 1250 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 207, „et si quos inuenerint magis aptos, faciunt cum eis pactum, et postquam ter aut quarter isto modo uendiderint, liberos cum litteris permittunt abire“, ebd., S. 206. 1251 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 207, „Cum igitur hoc, quod in pacto est, persoluerit, iudex eum auctoritate imperiali perpetua donat libertate cum instrumento solempni, quod nemini aliquatenus licet infringere“, Ebd. Doch sei es seit neustem so, dass der Freigelassene angehalten werde, das Land nicht zu verlassen. Dieses verschärfte Verbot, dass Freigelassene nicht mehr auswandern dürften, merke man vor allem in den Häfen des Landes. 1252 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 206-209. Die Perspektive von außen als Beobachter, die in seinem Bericht immer wieder anzutreffen ist, erleichterte das Beschreiben der eigenen Erlebnisse, auch um sich vor kritischen Nachfragen nach der geglückten Heimkehr zu schützen. Georg kann zwei Arten der Flucht ausmachen: Zuerst gebe es die Möglichkeit, dass der Gefangene Geld anspare und von einem ortsfremden Wandergeistli‐ chen einen Freibrief erkaufe, mit dessen Hilfe er sich heimlich davonstehlen könne. Daneben sei es bekannt, dass es Betrüger gäbe, die sich als Sklaven‐ händler ausgeben würden und Sklaven, die fliehen wollten, in ihren Bestand aufnehmen könnten. Mit sehr geschickten Sklaven würden sie dann einen Vertrag schließen: „Und wenn sie welche finden, die besonders geschickt sind, schließen sie mit ihnen einen Vertrag, verkaufen sie drei oder viermal auf diese Weise und lassen sie dann mit einem Freibrief laufen.“ 1250 Ein weiterer und der beste Weg wäre es jedoch mit einem verständigen und klugen Herrn einen Freilassungsvertrag aufzusetzen. Dieser werde in der Gegenwart eines Richters und Zeugen festgelegt und urkundlich besiegelt. Der Gefangene erhalte durch den Vertrag eine Garantie auf Freilassung, sobald er die Bedingungen der Vereinbarung erfüllt habe: „Wenn nun der Gefangene die Bedingungen des Vertrags erfüllt hat, gewährt der Richter ihm kraft kaiserlicher Vollmacht die immerwährende Freiheit mit einer feierlichen Urkunde, die niemand in irgendeiner Form antasten darf.“ 1251 Allerdings würden nur die allerwenigsten von denen, die freikommen könnten, in ihre Heimat zurückkehren. Entweder weil es generell schwierig sei aus dem Land zu kommen oder weil sie in der Türkei bereits private Verbin‐ dungen eingegangen seien. 1252 Georg von Ungarn zeigt sich so gut unterrichtet, dass davon auszugehen ist, dass er alle Formen der dargestellten Fluchten selber erlebt hat, auch wenn er sie nur aus der Beobachtersicht wiedergibt. Die ersten drei Fluchtversuche während seiner Gefangenschaft unternahm Georg bereits bei seinem ersten Herrn, den er als grausamen Bauern kenn‐ zeichnet. Die erste Flucht scheiterte und obgleich der Herr ihn nicht bestrafte, drohte er ihm mit aller Härte gegen einen erneuten Fluchtversuch vorzugehen. 338 B. Militärische Gefangenschaften 1253 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 299. „De his autem, que mihi post fugam secundam fecerit, hoc solum dico, quod non solum ea, que minatus fuerat, perfecit, sed omnia, que citra mortem possunt fieri, sine aliqua misericordia crudeliter peregit“, ebd., S. 298. 1254 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 18. 1255 Ebd., S. 300f. 1256 Ebd., S. 18f. Auch hier zeige sich, so Klockow, wie geschickt Georg war, da die Händler diesen Betrug nicht mit jedem Gefangenen durchführen konnten. Georg hatte sich jedoch durch die erfolgreiche Flucht von seinem ersten Herrn bewährt. 1257 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 409. „Quater quoque post fugam precio redemptus, septies pro pecunia uenditus et totidem emptus fui“, ebd., S. 408. Doch Georg habe sich nur noch mehr darin bestärkt gesehen seine Fluchtpläne in die Tat umzusetzen. Nachdem der zweite Fluchtversuch ebenfalls misslang, setzte der Bauer seine Drohungen gegen Georg um: „Von dem aber, was er mir nach der zweiten Flucht antat, sage ich nur soviel, daß er nicht nur seine Drohungen in die Tat umsetzte, sondern all das, was unterhalb der Schwelle des Todes möglich ist, ohne alles Erbarmen grausam an mir vollzog.“ 1253 Wie bereits Schiltberger beschreibt auch Georg, dass ein Fluchtversuch geahndet werden konnte. Während der erste Versuch noch glimpflich ausging, beschwor die zweite missglückte Flucht den Zorn des Bauern herauf. Für Georg war die Erfahrung von Gewalt ein Wendepunkt in seiner ersten Gefangenschaft. So wurde er nach der eigentlichen Bestrafung in Ketten geschlossen und nur durch die Fürbitte der zwei Schwestern seines Herrn nach einiger Zeit von den Ketten gelöst. 1254 Sich der Gefahr bewusst, dass ein weiterer Misserfolg ihm den sicheren Tod bringen würde, floh er ein drittes Mal und konnte dem Bauern entkommen, indem er sich einem Sklavenhändler anschloss, der mit ihm Betrugsgeschäfte durchführte. Die Geschäftsidee dahinter beschreibt Georg, wie gesehen, im siebten Kapitel: Insgesamt wurde Georg durch den Händler dreimal innerhalb von vier Monaten verkauft und schließlich in einer entlegenen Gegend ausgesetzt. 1255 Dafür bekam er einen Freibrief, der vom Händler gefälscht wurde und ihm eine Sicherheit bieten sollte, sobald er auf Muslime traf, die ihn womöglich wieder einfangen wollten. 1256 Über die genaue Anzahl seiner Fluchten im Rahmen dieser Betrugsgeschäfte kann nur spekuliert werden. Georg selbst gibt dazu an: „Viermal wurde ich nach der Flucht zurückgekauft, siebenmal um Geld verkauft und ebenso oft gekauft.“ 1257 Da er angibt, noch mehrmals zurückgekauft worden zu sein, hatte er die Erfahrungen von gefälschten Fluchten und falschen Händlern wohl häufiger gemacht. Doch inwieweit er diesen Betrug vielleicht sogar professionell betrieb, kann über diese Zeitspanne nicht gesagt werden. 339 2. Georg von Ungarn 1258 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 252f. 1259 Ebd., S. 372-383. Das Leben nach der Gefangenschaft Nach dieser ersten Gefangenschaft auf dem landwirtschaftlichen Hof seines ersten Sklavenhalters folgt eine Zeitspanne zwischen 1439 und 1443, also immerhin ein Zeitraum von vier bis fünf Jahren, von der Georg nicht viel berichtet. Auf jeden Fall gelang es ihm nicht, mit dem Freibrief in seine Heimat zu entkommen und es ist durchaus zu vermuten, dass er die großen Kenntnisse über die Einheimischen und die Begeisterung für den Derwischkult, von der weiter unten noch die Rede sein wird, in dieser Zeit gesammelt hat. Und so ganz verschwiegen, wie Klockow es festhält, scheint der Autor dann doch nicht zu sein. Denn wenn er in seiner Ratio testimonialis festhält, dass er die osmanische Literatur und ihre Gebräuche erlernte, so sehr, dass er seine eigene Muttersprache vergaß, erfährt der Leser doch etwas mehr zwischen den Zeilen. Erst für die Zeit ab dem Jahr 1443, als er von seinem letzten Herrn berichtet, werden die Abläufe in seinem Bericht wieder greifbarer. Die 2. Gefangenschaft Die Gefangennahme Georg von Ungarn teilt nicht mit, wie er in seine zweite Gefangenschaft geriet und wohin genau es ihn verschlug. Bei seinem letzten Herrn war er insgesamt 15 Jahre, von 1443 bis 1458. Dem Anschein nach erlebte er auch in dieser Zeit, vor allem, weil er keine Chance mehr für eine Flucht sah, eine tiefe Glaubenskrise und drohte, wie er angibt, in seinem Glauben zu scheitern und zum Islam überzutreten. 1258 Ob diese Glaubenskrise wirklich real erlebt oder als Klimax für seinen Bericht dienen sollte, bleibt unklar. Die Gefangenschaft In seiner Darstellung erwähnt Georg einige geschichtliche Episoden, die sich in den 40er Jahren des 15. Jahrhunderts zutrugen und die seine Zeit in der zweiten Gefangenschaft belegen könnten. So sei Sultan Murad II., der seine Regierung bereits an seinen Sohn Mehmed II. vermacht hatte, kurzfristig auf den Thron zurückgekehrt, als es 1445 zu einem Aufstand der Janitscharen kam. 1259 Nach dem Tod Murads im Jahr 1451 übernahm sein Sohn Mehmed II. die Regierung und Georg schildert eine Szene, die er erlebt habe, als er in Bursa am Sultans‐ palast weilte, und an der deutlich erkennbar ist, wie frei Georg sich in einem bestimmten Radius bewegen konnte. „Eines Tages saß ich im Morgengrauen 340 B. Militärische Gefangenschaften 1260 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 387. „Una enim dierum diluculo post ortum solis contra aulam regis propter frigus ad solem cum pluribus aliis diuersi generis et habitus hominibus et pauperibus sedendo ad spectaculum curie et principum, quorum multi ad regem, qua de causa nescio, tunc uenerant, transacta hora iam sexta incaute remansimus“, ebd., S. 387. 1261 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 300. „Uere, si deo placuisset illa religio, quam hactenus tenuisti, utique te non dereliquisset isto modo, sed auxiliotibi fuisset, ut liberatus ad eam reuerti potuisses. Sed quia omnem uiam liberandi tibi obstruxit, forte magis sibi placet, ut illa derelicta illi secte adhereas et in ea saluus fias.“, ebd., S. 301. 1262 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 21. gleich nach Sonnenaufgang gegenüber dem Königspalast in der Sonne, um mich aufzuwärmen, zusammen mit einer Reihe von anderen Menschen und armen Leuten unterschiedlicher Art und Kleidung. Wir wollten uns den Aufzug des Hofes und der Fürsten ansehen, von denen damals viele - weshalb, weiß ich nicht - zum König gekommen waren. Wir bleiben unvorsichtigerweise bis über die sechste Stunde hinaus sitzen.“ 1260 Der Sultan wurde der ärmlich gekleideten Leute ansichtig und ließ sie von seinen Männern vertreiben. Die Gruppe floh in alle Himmelsrichtungen und Georg konnte, wie er schildert, der Prügel entgehen, unterließ es aber zukünftig, mit arm gekleideten Menschen in der Nähe des Sultans gesehen zu werden. Der großen räumlichen und sozialen Freiheit Georgs in seiner Unfreiheit stehen seine geschilderten Gefühle gegenüber. Er gibt an, wie gottverlassen er sich in der Gefangenschaft empfand und wie sehr ihn die gefühlte Gottferne zum Zweifeln animiert hätte. So legt er sich im sechzehnten Kapitel selber in den Mund: „Wahrlich, wenn die Religion, an der du bis jetzt festgehalten hast, Gott wohlgefällig wäre, hätte er dich doch nicht so im Stich gelassen, sondern hätte dir geholfen, freizukommen und zu ihr zurückzukehren. Aber weil er dir alle Wege der Befreiung verbaut hat, gefällt es ihm wohl besser, wenn du diese Religion aufgibst und dich jener Sekte anschließt und in ihr selig wirst.“ 1261 Diese Zweifel seien in eine Zeit gefallen, in der er sich intensiv mit der Lehre des Islam auseinandergesetzt habe, vor allem dem Derwischkult habe er sich genähert. In mehreren Kapiteln im gesamten Werk kann man die Vertrautheit Georgs mit den Brauchtümern der Muslime erkennen. So erzählt er, dass er die Moschee besuchte, und vom Tanz der Mevlevi-Derwische. Ebenso gibt er genaue Schilderungen von den rituellen Waschungen. Dem Eindruck Klockows, diese Darstellungen verweisen „auf eine durch eigene Praxis erworbene Ver‐ trautheit“ 1262 , kann wohl in jedem Fall zugestimmt werden. Dabei hatte Georg nicht nur Gebete und Sitten erlernt, sondern ihm sei auch ein hohes Amt angetragen worden: „einer ihrer höheren Geistlichen trug mir deshalb sogar ein 341 2. Georg von Ungarn 1263 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 409, „sacerdos eorum unus de maioribus ad beneficium ecclesie sue non modicis redditibus dotatum, quod ipse michi obtulit, me sufficientem et idoneum estimaret“, ebd., S. 408. 1264 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 22. mit beträchtlichen Einkünften ausgestattetes Amt an seiner Kirche an, weil er mich dazu fähig und geeignet glaubte.“ 1263 Er sei mit den Gedichten und Reden, die er bei den Derwischen kennenge‐ lernt hatte, so bekannt gewesen, dass nicht nur Nachbarn, sondern auch die Derwische selbst ihn aufsuchten, um von Georg zu lernen und von seinem erworbenen Wissen zu profitieren. An keiner anderen Stelle des Berichts ist die Annäherung des Dominikanerschülers, der in so jungen Jahren in die Gefangenschaft geriet, an die islamische Welt so sehr zu greifen wie hier. Georg hatte sich augenscheinlich für ein Leben im Osmanischen Reich entschieden. Er hatte als ‚Lehrer‘ eine Möglichkeit gefunden, eigenes Geld zu verdienen und verschweigt anscheinend aus gutem Grund den genauen Ablauf seiner Erlebnisse zwischen den geschilderten Gefangenschaften. Georg beteuert in seiner Darstellung, dass die Zeit seines Zweifelns und seiner Hinwendung zum Islam nur sechs bis sieben Monate der Gefangenschaft angedauert hätte. Mit Gottes Hilfe habe er schließlich zu seinem Glauben zu‐ rückgefunden. Diesen Punkt macht er dann auch für sein christliches Publikum zum Dreh- und Angelpunkt seines Werkes. Er, der durch die Türken in ihrer vermeintlichen Vollkommenheit in Versuchung geführt wurde und schließlich widerstanden hat und umkehrte, erkannte ihr wahres Wesen. Es ist jedoch sehr zu vermuten, dass er entweder, wie Klockow anfügt, nie gezwungen war ‚offiziell‘ zum Islam überzutreten 1264 oder er aber in Wirklichkeit übergetreten war, ohne dass ihm dieses nach seiner Rückkehr zum Verhängnis wurde. Die Frage, ob eine Beschneidung bei einem Mönch unerkannt bleiben konnte, anders als vielleicht bei einem Kaufmann oder Pilger, der zu seiner Ehefrau zurückkehrte, ist nicht zu klären. Dieses sehr offene Statement Georgs über die eigenen Glaubenszweifel und seine Annäherungen zum Islam mutet im ersten Moment überraschend an, unterstreicht in seinem „Tractatus“ aber natürlich die Wirkmacht der osmanischen Kultur auf ihre freiwilligen oder unfreiwilligen Besucher und zeigt die Tragik einer Gefangenschaft auf, in der sich ein Christ gottverlassen fühlen konnte und auf Befreiung wartete. Letztendlich scheiterte Georg zumindest in seinem Bericht für das christliche Publikum natürlich nicht und fand vor allem durch Gottes Barmherzigkeit zurück zu seinem wahren Glauben. Deshalb kann man die Einschätzung Klockows sicherlich verschärfen: „was der Tractatus selbst berichtet, läßt vermuten, daß die curiositas [gemeint ist die Glaubenskrise, die Georg beschreibt] des Autors seinerzeit doch erheblich 342 B. Militärische Gefangenschaften 1265 Ebd., S. 21. 1266 Das führt auch zu einer sehr harten Verurteilung der Renegaten in Georgs Bericht: „Turci neminem omnino cogunt fidem suam negare, nec multum instant de hoc alicui persuadendo, nec magnam estimationem faciunt de his, qui negant.“ - „Dabei zwingen die Türken überhaupt keinen, seinen Glauben zu leugnen; sie bemühen sich auch nicht sonderlich, jemanden dazu zu bringen, und haben auch keine große Hochachtung vor denen, die leugnen“, G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 244f. und noch einmal ebd., S. 304f. 1267 Dass es in Wirklichkeit bei Georg anders ausgesehen haben könnte und er vielleicht mehr als einmal die Glaubenslager gewechselt haben könnte oder zumindest in Versu‐ chung gekommen ist, merkt auch Klockow an, vgl. G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 303, Anmerkung 140. 1268 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 224f. weiter ging, als er sich nachträglich eingestehen will.“ 1265 Es ist nicht nur so, dass Georg sich nicht eingestehen wollte, wie weit sein Sympathisieren mit der islamischen Religion ging; er konnte gar nicht zugeben, wie weit er in der fremden Religion aufgegangen war. 1266 Nach seiner Glaubenskrise war er, wie er behauptet, noch mehrere Jahre bei seinem letzten Herrn. In dieser Zeit, so gibt er an, habe er nie wieder an seinem Glauben gezweifelt. 1267 Sein letzter Herr behandelte ihn sehr menschlich und er veranlasste, dass Georg sich nach einem letzten erfolglosen Fluchtversuch auf einen Freilassungsvertrag einließ, der notariell beglaubigt wurde. Nach einer bestimmten Frist sei Georg von Ungarn durch den Vertrag somit die Möglichkeit eingeräumt worden, sich freizukaufen und sein Besitzer bekam die Chance sich einen neuen Sklaven zu kaufen. Dazu passen dann auch Georgs Angaben, dass er ein hohes Amt bekleidet habe und als ‚Lehrer‘ Geld verdienen konnte. Über diesen letzten Herrn erzählt Georg insgesamt mehr als über seinen ersten Besitzer. Es war ein älterer Mann, der Georg nachher fast wie seinen Sohn behandelt habe. Als Zeichen dafür darf man vor allem die Tatsache werten, dass Georg zusammen mit der Familie, zu der auch Ehefrau und Kinder gehörten, die Mahlzeiten zu sich nahm. Georg beschreibt auch, dass sein Verhältnis zur Ehefrau seines Herrn ein ebenso vertrauensvolles gewesen sei. Der Ort seiner letzten Gefangenschaft ist schwierig zu bestimmen. Der Hof war in einer dörflichen Struktur angesiedelt, eventuell in der Nähe von Bursa, da Georg, wie oben geschildert, sich zuweilen am Sultanspalast aufhielt. Darüber hinaus schildert Georg, dass er den Trauerzug anlässlich der Beerdigung Emine Hatuns, der Mutter Murads II., beobachten konnte. 1268 Diese Randnotiz ist sehr aufschlussreich, denn die Beerdigung kann auf den Monat September des Jahres 1449 in Bursa datiert werden. Der Grabbau, die sogenannte „Türbe“, die für die 343 2. Georg von Ungarn 1269 Die Türbe befindet sich nahe der Muradiye-Moschee, vgl. G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 24. 1270 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 188., „Bevor sie aufbre‐ chen, verbreiten sie Gerüchte über Wege und Ziele ihres Zuges, die aber gar nicht stimmen. Das tun sie, um etwaige Spione zu täuschen.“, ebd., S. 189f. 1271 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 190-193. Mutter des Herrschers errichtet wurde, erhält noch heute eine Inschrift, die die Beisetzung belegt. 1269 Während seiner Zeit in Gefangenschaft arbeitete Georg als Hirte und im Weinberg sowie im Haushalt der Familie. Georg scheint also auf einem Hof beschäftigt worden zu sein, der sowohl Landals auch Viehbesitz aufwies. Er spricht davon, längere Reisen außerhalb des Hofes unternommen zu haben. Bei diesen Aufenthalten konnte er viel über die Kultur des fremden Landes lernen und sich ausgiebig mit den Sitten und Gebräuchen der Bevölkerung, vor allem der Derwische, auseinandersetzen. Zu den Kapiteln, in denen wir etwas zu seinem persönlichen Erleben und seinem Schicksal erfahren, fügt Georg in seinen Bericht auch Kapitel ein, die noch genauere Auskunft über das Rauben von Christen durch die Muslime, das Verkaufen auf den Sklavenmärkten und die Behandlung ihrer Sklaven geben. Er schildert sehr ausführlich die Vorgehensweise der akıncı  1270 und zeichnet die Verzweiflung der Christen nach, die sich einem solch gut ausgebildeten Feind gegenübersahen und gefangen genommen wurden. 1271 Die Gepflogenheit, Gefangene zu machen und diese umzusiedeln oder zu verkaufen, hatte Georg ja am eigenen Leib erfahren als die Stadt Mühlbach eingenommen und die Bewohner nicht getötet, sondern ins Osmanische Reich abgeführt wurden. Im sechsten Kapitel beschreibt er schließlich, wie die Gefangenen gekauft und verkauft wurden, und er gibt ein sehr anschauliches Bild der Sklavenmärkte wieder. Georg erwähnt, dass sich in jeder Stadt Sklavenhändler befanden, die sich mit herrschaftlichen Privilegien ausgestattet um die Verwahrung und den Verkauf der Gefangenen kümmerten: „Diese haben wie Händler mit anderen Waren königliche Privilegien, die ihnen erlauben, jeden beliebigen Gefangenen, gleichgültig, wer ihn gefangen hat, zu kaufen, zu verkaufen, zu verpfänden oder auszulösen, gemäß den Verordnungen, die der König hierzu erlassen hat, und ohne Behinderung durch irgend jemanden. Das tun sie nicht nur in den Städten, sondern sie ziehen auch 344 B. Militärische Gefangenschaften 1272 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 195, „qui sicut et mercatores aliarum rerum habent priuilegia a rege, ut possint captiuos quoscunque et a quocunque captos emere, uendere, inpignerare, redimere secundum statuta regalia super hoc decreta sine alicuius uel aliquorum impedimento. Non enim hoc solum in ciuitatibus faciunt, sed etiam uadunt in campum cum exercitu portantes cathenas, ut emant captiuos de manibus rapientium“, ebd., S. 194. 1273 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 196f. mit dem Heer ins Feld und führen dabei Ketten mit, um die Gefangenen direkt aus den Händen ihrer Häscher zu kaufen.“ 1272 Die türkischen Kämpfer auf dem Feld würden ihre Gefangenen an die Händler verkaufen, da sie sie auf dem Kampffeld nicht bei sich behalten könnten. Jeweils zehn oder zwölf Gefangene würden von den Händlern an einer Kette festgebunden und diese schätzten ihre Gefangenen mit sachkun‐ digem Blick. Auch würden nicht nur wehrfähige Männer gefangen genommen, sondern Männer und Frauen jeden Alters, sogar Kinder verschleppt. Sofern nötig, würden die jüngsten Gefangenen sogar noch aufgezogen, bevor man sie gewinnbringend verkaufen könne. 1273 Hier offenbarte sich eine völlig andere Praxis als im Reich und die Verwunderung Georgs an dieser Stelle ist sehr gut herauszulesen. Aus dem gewohnten christlichen Umfeld war ihm vertraut, dass vor allem hochrangige Gefangene als wertvoll erachtet wurden. Zähe Lösegeldverhandlungen waren oft die Folge, und der Wert eines Gefangenen wurde teils langwierig bestimmt. Ganz anders erschienen die Gefangenen der Türken, die ohne Anerkennung ihres Standes eher als Handelsware betrachtet und wie Vieh verkauft wurden. So zeichnet er auch ein sehr ausführliches Bild der Sklavenmärkte, auf denen die Gefangenen gefesselt zur Schau gestellt wurden: „Dort werden sie begutachtet und entblößt. Dort wird das vernunftbegabte, nach dem Bilde Gottes gestaltete Geschöpf wie ein unvernünftiges Tier zum schäbigsten Preis verkauft und erworben. Dort werden - man schämt sich, es zu sagen - die Schamteile von Männern und Frauen vor aller Augen betastet und öffentlich zur Schau gestellt. Nackt müssen die Gefangenen auch vor aller Augen gehen und laufen, schreiten und springen, damit offenkundig wird, ob sie krank oder gesund, Mann oder Frau, jung oder alt, Jungfrau oder nicht sind. Und wenn sie jemanden schamrot werden sehen, dann treiben sie ihn nur umso 345 2. Georg von Ungarn 1274 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 197, „Ibi examinantur, denudantur, ibi rationalis creatura ad ymaginem die facta sicut animal irrationale uilissimo precio uenditur et comparatur; ibi, quod pudor dictu, masculorum et femi‐ narum pudenda coram omnibus contractantur et manifesto ostenduntur. Nudi etiam compelluntur coram omnibus incedere, currere, ambulare et saltare, ut manifeste appareat, utrum infirmus uel sanus, masculus uel femina, senex an iuuenis, uirgo an corrupta, et si quos uiderint erubescere, circa illos magis instant impellendo, uirgis cedendo, collaphisando, ut sic coacte faciat, quod sponte erubuit coram omnibus facere“, ebd., S. 196. 1275 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 199, „Ibi uenditur filius inspiciente et dolente matre. Ibi emitur mater in confusionem et despectum filii. Ibi marito erubescente uxor ut scortum deluditur et alio uiro traditur. Ibi paruulus a sinu matris rapitur et commotis totis uisceribus mater ab eo alienatur. Ibi non defertur dignitati nec parcitur statui. Ibi sacerdos et plebus una pecunia taxantur. Ibi miles et rusticus eadem statera ponderantur“, ebd., S. 198. 1276 „Denique uidet se inclusam perpetuis carceribus et omni spe frustratam libertatis. Demum videt se derelictam a deo et traditam in manus diaboli. Certe, si optio daretur, magis eligeret mori quam viuere“, G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 200. „Zudem sieht sie sich in ein ewiges Gefängnis gesperrt und um jede Hoffnung auf Freiheit gebracht. Und schließlich sieht sie sich von Gott verlassen und dem Teufel in die Hände geliefert. Wahrhaftig, wenn sie die Wahl hätte, würde sie lieber den Tod als das Leben wählen.“, ebd., S. 201. 1277 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 200f. 1278 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 210. „Außerdem erhält der Großtürke von jeder Beute und allem Raubgut den Zehnten, und wenn er erfährt, daß es eine große Menge Gefangene gibt, ordnet er an, daß ihm als Teil des ihm zustehenden mehr an mit Stößen, Rutenhieben und Fausthieben, damit er schließlich unter Zwang tut, was freiwillig vor aller Augen zu tun er sich schämte.“ 1274 „Dort wird der Sohn verkauft vor den Augen seiner jammernden Mutter. Dort wird die Mutter gekauft zur Beschämung und Erniedrigung des Sohnes. Dort wird vor dem schamroten Gatten die Gattin wie eine Hure verhöhnt und einem anderen Mann überlassen. Dort wird der Säugling von der Mutterbrust gerissen, und bis ins innere Mark erschüttert wird die Mutter von ihm getrennt. Dort respektiert man nicht die Würde und achtet nicht den Stand. Dort werden Priester und Pöbel mit gleicher Münze gehandelt. Dort werden Ritter und Bauer auf derselben Waage gewogen.“ 1275 Und er schließt letztendlich seine Ausführungen mit der fehlenden Aussicht auf Trost für die Seele der gefangenen Christen, so dass sie sich eher den Tod wünschen würden. 1276 All dies täten die Türken, weil ihre Gier nach Sklaven unersättlich sei und der Status eines Mannes von der Anzahl seiner Sklaven abhänge. 1277 Neben dieser sehr ausführlichen Schilderung der Sklavenmärkte zeigt sich Georg als ebenso guter Kenner anderer Themen, wie den Janitscharen und der Knabenlese, die er dem Leser genau erklärt. 1278 Georg erkennt, dass die 346 B. Militärische Gefangenschaften Zehnten alle Jünglinge bis zum 20. Lebensjahr überlassen werden. Aber es gibt auch überall in seinem ganzen Herrschaftsbereich noch viele alte Griechen und Menschen anderer Nationalitäten. […] Alle fünf Jahre läßt der König durch Boten den Befehl ergehen, ihre Söhne bis zum 20. Lebensjahr zu ihm zu bringen.“, ebd., S. 211. 1279 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 210-215. 1280 „Denique domino meo ita carus eram, ut sepius in collocutione plurium plus quam filium suum, quem unicum habebat, me diligere asseret, et propter hoc post adeptam libertatem promissionibus et precibus me omnibus modis retinere attemptabat“, G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 410. „Schließlich war ich meinem Herrn so lieb geworden, daß er des öfteren im geselligen Gespräch versicherte, er liebe mich mehr als seinen Sohn, den einzigen, den er hatte. Deshalb versuchte er mich auch nach meiner Freilassung mit Versprechungen und Bitten auf alle erdenkliche Weise festzuhalten.“, ebd., S. 411. 1281 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 27. Männer ihren Sklavenstatus im Reich weiterhin innehatten. Die herausragende Machtstellung des Sultans in diesem System bleibe erhalten, da er jederzeit über sie verfügen könne und bei Zuwiderhandlung die sofortige Absetzung und im schlimmsten Fall auch die Hinrichtung des Sklaven anordnen könne. 1279 Das Ende der Gefangenschaft Wie oben bereits angemerkt, verbrachte Georg die letzten 15 Jahre bei einem Herrn, mit dem ihn ein fast freundschaftliches Verhältnis verband. Letztlich, so sagt Georg, sei das Verhältnis der beiden Männer eher das einer Vater-Sohn-Ver‐ bindung gewesen und so wollte der betagte Herr auch nicht, dass Georg die Familie verließ, nachdem er die Freiheit gemäß des Freilassungsvertrags zurückerhielt. Deshalb habe er seinen letzten Besitzer schließlich anlügen müssen, um in die Heimat zurückkehren zu können. 1280 Unter dem Vorwand, religiöse Studien betreiben zu wollen und dafür im Land umherreisen zu müssen, habe sich Georg letztendlich von der muslimischen Familie entfernen können. Verbunden war die Erlaubnis des Besitzers jedoch mit dem Versprechen wiederzukommen. Georg von Ungarn jedoch habe sich auf schnellstem Weg in die Heimat begeben. Das Leben nach der Gefangenschaft Sofern man der Forschung folgt und Georg von Ungarn für den Verfasser des Berichts hält, lassen sich für die Zeit nach der Gefangenschaft einige Angaben zum ehemaligen Schüler aus Mühlbach finden. Zuerst gelangte er nach Pera, eine genuesische Kolonie unter osmanischer Oberhoheit an der Nordseite des Goldenen Horns, wo sich ein Dominikanerkloster befand. Danach ging es nach Chios und hier sei Georg von Ungarn, so Klockow, spätestens dem Dominikanerorden beigetreten. 1281 Von seiner Zeit auf der 347 2. Georg von Ungarn 1282 Ebd., S. 358-361. 1283 Georg führte mit der Gesandtschaft, wie er berichtet, einen Glaubensdisput über ausgestellte Bilder in der Dominikanerkirche St. Maria de Castro: G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 232f. 1284 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 26. Es gibt eine Urkunde König Albrechts aus dem Jahr 1439 über die Rückkehr der Menschen in ihre Stadt, vgl. ebd., S. 26 Anm. 61. 1285 Vgl. G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 371. 1286 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 371 u. 373. „Nam cum in primis annis Sixti Quarti legatio, que contra Turcos missa fuerat per mare, plurimos eorum Romam detulissent, quorum meliores pape presentati, reliqui aliorum prelatorum curiis deputati, omnes fere baptisati sunt. Quorum aliquos ego familiares habui, qui magnam deuotionem ad fidem Christi ostendentes me interpretante etiam confessionem, et communionem petierunt“, ebd., S. 370 u. 372. genuesischen Insel weiß Georg ebenfalls eine Besonderheit zu erzählen. So sei er auf einen Anhänger der Hurufiye-Sekte gestoßen, deren Riten und Lehren er im 20. Kapitel beschreibt. 1282 Der Anhänger der türkischen Sekte, den Georg kennenlernte, war anscheinend im Zuge einer osmanischen Gesandtschaft vor Ort. 1283 Die Gesandtschaft wollte Tributzahlungen von Chios in Empfang nehmen, welche seit der osmanischen Eroberung Konstan‐ tinopels zu zahlen waren. Klockow vermutet, dass Georg vielleicht noch einmal in seine Heimat zurückgekehrt sein könnte. Denn Georg schreibt, dass er mit eigenen Augen gesehen habe, dass die Übergabebedingungen, die bei der Einnahme der Stadt Mühlbach mit den Osmanen geschlossen worden waren, auch wirklich eingehalten wurden und die Familien nach einer Zeit zurückkehren konnten. 1284 Den Angaben aus dem 21. Kapitel des „Tractatus“ ist zu entnehmen, dass er sich spätestens ab dem Jahr 1473 in Rom aufhielt. Er war zugegen, als der Befehlshaber der päpstlichen Flotte, Kardinal Carafa, siegreich von einem Kriegszug gegen die Osmanen zurückkehrte. Der Kardinal, der am 23. Januar 1473 in Rom eintraf, hatte als Beute unter anderem 25 türkische Kriegsgefangene dabei. 1285 Georg schreibt über dieses Ereignis: „So waren bei der See-Expedition gegen die Türken in den ersten Amtsjahren von Papst Sixtus IV. eine Reihe türkischer Gefangener nach Rom gebracht worden. Die Vornehmsten wurden dem Papst überstellt, die übrigen auf die Höfe der anderen Würdenträger verteilt, und fast alle ließen sich taufen. Mit einigen von ihnen pflegte ich vertrauten Umgang. Sie legten eine große Hingabe für den christlichen Glauben an den Tag und begehrten über mich als Dolmetscher sogar Beichte und Kommunion.“ 1286 Georg wurde Priester und 1473 eingesetzt, um den konvertierten Türken die Sakramente zu spenden. Dabei war er vor allem als Dolmetscher für beide Seiten wertvoll. Er beschreibt, dass er einem der Gefangenen zwar die Beichte 348 B. Militärische Gefangenschaften 1287 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 372f. Klockow merkt an, dass sich in den vatikanischen Auszahlungsbüchern nichts über gezahlte Renten finden lässt, vgl. ebd., Anmerkung 175. 1288 H Ö F E R T , Feind (wie Anm. 1080), S. 204; G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 29. 1289 Bei Klockow findet sich der Wortlaut der Chronik, G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 14. 1290 G E O R G I U S D E H U N G A R I A / K L O C K O W , Tractatus (wie Anm. 71), S. 14. abnahm, dem Priester, in dessen Aufsicht der Gefangenen sich aufhielt, jedoch davon abriet, diesem die Kommunion zu spenden, da er der Konversion nicht recht glauben konnte. Man kann eine Art von Genugtuung aus dem Bericht heraushören, wenn Georg beschreibt, dass alle 25 Gefangenen flohen, obgleich ihnen am päpstlichen Hof eine gute Rente gezahlt wurde. 1287 Für ihn und damit für sein Lesepublikum waren die Vorkommnisse der Beweis, dass man einen Muslim nicht zum Christentum bekehren könne. Es ist anzunehmen, dass Georg von Ungarn während seiner letzten Lebens‐ jahre in Rom auch Jörg von Nürnberg kennenlernte. Beide Autoren weilten zeitgleich in Rom und in die Türkenchronik des Jörg von Nürnberg, die 1482/ 83 in Memmingen erschien, sind Passagen des „Tractatus“ eingegangen, der erst über 20 Jahre nach der Heimkehr Georgs aus der Gefangenschaft erschienen war. 1288 Als Todesdatum für Georg von Ungarn findet man in der Chronik des Dominikaners Sebastian de Olmeda den 3. Juli 1502. Zu diesem Zeitpunkt muss Georg etwa 80 Jahre alt gewesen sein. Begraben wurde Georg in der Hauptkirche der Dominikaner in Rom, direkt neben dem Maler Fra Angelico, der 1455, also fast 50 Jahre vor ihm, dort beigesetzt worden war. Das Volk nahm großen Anteil an der Beerdigung und verabschiedete den Verstorbenen während seiner dreitägigen Aufbahrungszeit in der Kirche, so lässt es die Chronik Olmedas verlauten, die auch von Wundern am Grab des Georg von Ungarn spricht. 1289 Während das Grab des Fra Angelico immer noch in der Kirche in Rom besucht werden kann, ist das Grab Georgs mittlerweile nicht mehr auszumachen. 1290 349 2. Georg von Ungarn 1291 J Ö R G V O N N Ü R N B E R G , Ayn Tractat von den Türck, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1530 sowie fünf weiterer „Turkendrucke“ des 15. und 16. Jahrhunderts, hrsg. v. Carl Göllner (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens 6), Köln 1983, S. 107-120, hier S. 107. 1292 Ebd., S. 111. 1293 Volker H O N E M A N N , Art. „Georg ( Jörg) v. Nürnberg“, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 1980, Sp. 1202-1204. 1294 Günter P R I N Z I N G , Jörg, in: Sultan Mehmet II (wie Anm. 1230). Dieser Aufsatz Prinzings, der auch eine neue Edition der Schrift Jörgs von Nürnberg ankündigt, gibt den aktuellen Forschungsstand zum Werk wieder und fragt sowohl nach dem Quellenwert des Traktats als auch nach dem Bild Mehmeds in der Schrift Jörgs von Nürnberg. 1295 Peter J O H A N E K , Art. „Jörg von Nürnberg“, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 1983, Sp. 867-869. 3. Jörg von Nürnberg a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses Der Autor dieses Untersuchungsfalls bezeichnet sich in seinem Bericht zuerst als „maister von Nurnbergk“ 1291 und zwei Blätter später zweimal als „maister Jorg“ 1292 . Ob er identisch ist mit dem „maister Jorg … von Nurmbergk“, der als Lehrer in Venedig ein deutsch-italienisches Wörterbuch im frühen 15. Jahr‐ hundert schrieb, ist nicht zu klären. 1293 Jörg von Nürnberg war zur Zeit der Gefangennahme verheiratet und hatte mehrere Kinder. Vor der Gefangenschaft arbeitete er als Büchsenmeister für den Großwoiwoden Stjepan Vukčić Kosača. Als dessen Sohn das Gebiet des Vaters an die Osmanen verriet, kam es zur Gefangennahme Jörgs durch Mehmed II., der von 1451 bis 1481 das osmanische Reich regierte. 1294 Wie Johannes Schiltberger wurde Jörg als Gefangener schnell in die Reihen des Heeres integriert und bekam Sold durch den Sultan. Zurückgekehrt in seine Heimat, verfasste er einen kurzen Bericht über seine Gefangenschaft. Der Bericht wurde in verschiedenen Inkunabeln 1295 überliefert und enthält, vornehmlich bei der Beschreibung des Sklavenmarktes, Textteile des Gefange‐ nenberichts Georgs von Ungarn. Sogar einige lateinische Passagen Georgs von Ungarn blieben im Bericht enthalten. Das Datum der Veröffentlichung liegt direkt vor der europaweiten Bekanntwerdung des Todes Mehmeds II., der am 3. Mai 1481 verstarb, und so gilt dieser Zeitpunkt, wie auch schon bei Georg von Ungarn, als spätestes Datum der Abfassung. Da Jörg bereits den Text Georgs kannte und somit zumindest ein handschriftliches Manuskript Georgs vorliegen musste, kann man den Entstehungszeitraum sehr genau eingrenzen. Der Titel 350 B. Militärische Gefangenschaften 1296 J Ö R G V O N N Ü R N B E R G , Tractat, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1291), S. 107 und Günter P R I N Z I N G , Jörg, in: Sultan Mehmet II (wie Anm. 1230), S. 61. 1297 Alexander Aleksandrovic V A S I L I E V , Jörg of Nuremberg, a writer contemporary with the fall of Constantinople (1453), in: Byzantion 10 (1935), S. 205-209, S. 207; Günter P R I N Z I N G , Jörg, in: Sultan Mehmet II (wie Anm. 1230), S. 60. Prinzing merkt an, dass zu dieser Zeit neben den beiden hier untersuchten Werken auch die Erinnerung des Serben Konstantin Mihajlović und das Memorandum des Bischofs von Dulcigno erschienen. 1298 J Ö R G V O N N Ü R N B E R G , Tractat, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1291), S. 107. 1299 Vgl. auch Günter P R I N Z I N G , Jörg, in: Sultan Mehmet II (wie Anm. 1230), S. 64. des Werkes „ayn Tractat von den Türck“ wurde nachträglich über den Druck geschrieben. Ob die Handschrift dem Erstbesitzer oder Rubrizisten des Werkes gehörte, ist nicht bekannt. 1296 Der älteste Druck ist wohl in Memmingen um das Jahr 1482/ 83 entstanden. 1297 In seinem Vorspann liefert Jörg eine knappe Inhaltsangabe seines Werkes: Zuerst stellt er den Ursprung und die Geschichte der Osmanen vor. Danach gibt er einen Abriss zu den großen Eroberungen der einzelnen Sultane, und der Leser erfährt Wissenswertes zu ihren Gebräuchen, Sitten, ihrer Religion und ihren Gepflogenheiten. Das letzte Kapitel schließlich gibt die Behandlung und den Verkauf von Gefangenen wieder. Die Dauer seiner eigenen Gefangenschaft gibt Jörg folgendermaßen an: „wann er bey .XXX. iaren dar inn gewondt hat.“ 1298 Diese Angabe scheint nicht ganz zu stimmen. Wenn man sich die Daten des Textes anschaut, kommt man eher auf eine 20-jährige Gefangenschaft. 1299 Die 30 Jahre stehen wohl eher zwischen dem Moment der Gefangennahme und dem Datum der Abfassung des Textes. Biographische Angaben finden sich direkt zu Beginn des Traktats in den einleitenden Worten und dann wieder im zweiten Teil, in dem Jörg chronolo‐ gisch die Erfolge der Sultane aufführt. Mit den Eroberungen Mehmeds II., den er „Ottmanogel Emhemmet“ nennt, setzt auch der Bericht über das persönliche Erleben der Gefangennahme durch den Sultan ein. Nach weiteren Angaben zu Mehmeds Eroberungen und Kämpfen, erfährt der Leser Einzelheiten zur Flucht Jörgs und zur Heimkehr in die christliche Welt. b) Der Untersuchungsfall Die Gefangennahme Jörg von Nürnberg liefert auf insgesamt 13 Druckseiten einen Bericht, der die Gefangennahme eines Fachspezialisten und die nachfolgende Gefangenschaft 351 3. Jörg von Nürnberg 1300 J Ö R G V O N N Ü R N B E R G , Tractat, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1291), S. 111. 1301 Senahid H A L I L O V I C , Sarajevo, in: Handbuch der Südosteuropa-Linguistik, hrsg. v. Uwe Hinrichs/ Uwe Büttner (Slavistische Studienbücher 10), Wiesbaden 1999, S. 413-428, S. 413f. 1302 Stjepan Vukčić Kosača führte ab 1448 den Titel ‚Herzog von St. Sava‘ und beanspruchte das Gebiet Herzegowina und Teile Bosniens: Günter P R I N Z I N G , Jörg, in: Sultan Mehmet II (wie Anm. 1230), S. 67; zur Entwicklung der Gebiete und zur Eroberung durch die Osmanen bis ins Jahr 1470 s. Markus K O L L E R / Konrad C L E W I N G , Vom christlichen Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert, in: Bosnien-Herzegowina, hrsg. v. Agilolf Keßelring (Wegweiser zur Geschichte), Paderborn, München [u. a.] 2 2007, S. 13-19, hier S. 13-16. 1303 Zum Krieg zwischen dem Herzog und seinem ältesten Sohn: Noel M A L C O L M , Geschichte Bosniens, Frankfurt am Main 1996, S. 40f. 1304 J Ö R G V O N N Ü R N B E R G , Tractat, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1291), S. 111. 1305 Ebd. beleuchtet. Über die Ausgangssituation seiner Gefangennahme schreibt er: „Item in dem .lvi. iar ward ich maister Jorg gesandt zu herczog Steffan in Bossna dem gosse ich ettlich buchsenn und stund ettlich iar by im.“ 1300 Der angesprochene Herzog ist der bosnische Großwoiwode (Herzog) Stjepan Vukčić Kosača, 1301 zu dem Jörg im Jahr 1456 durch den Grafen Ulrich von Cilli gesandt worden war. Jörg zog nach Bosnien und blieb für mehrere Jahre am Hof des Herzogs, um ihm mit seinem artilleristischen Fachwissen beizustehen. Das Herzogtum musste sich den beständigen Anfeindungen der Osmanen erwehren, doch dem Herzog drohten, wie Jörg schreibt, nicht nur die Gefahren von außen. 1302 Der eigene Sohn Vladislav Hercegović fiel dem Vater in den Rücken und verbündete sich mit den Osmanen, die den Herzog angriffen und in einer Schlacht besiegen konnten: 1303 „Item in dem .lx. iar do hete herczog Steffan ain son mit namen Ladislasua der was ein rechter haide und was albeg wider sein vatter und gesellt sich zu den turken und in kurczen zeyten kam er mit .xl. tausendt mannen und furte vil volks seinem aigen vatter hinweg.“ 1304 Jörg von Nürnberg datiert seine Gefangennahme in das Jahr 1460, weitere Angaben lassen sich nicht verifizieren: „In dem wart ich maister Jorg mit weib und kinden gefangen und gefurt fur den turcken und do er erhort das ich ein buchsenmaister was liess er mich leben und macht mir guten soldt.“ 1305 Jörg wurde, wie er schreibt, vor den Sultan geführt, der sich nach seinem Beruf erkundigte. Nachdem sich Jörg als Büchsenmeister hatte identifizieren können, gewährte ihm der Sultan das Leben und stellte ihn als Spezialist für das osmanische Heer ein. Er ist darüber hinaus der einzige Gefangene dieser Untersuchung, der davon berichtet, dass er zusammen mit seiner Familie 352 B. Militärische Gefangenschaften 1306 Zur Ähnlichkeit der Textstellen bei Georg von Ungarn und Jörg von Nürnberg vgl. auch G Ö L L N E R , Chronica (wie Anm. 1234), S. XV. 1307 J Ö R G V O N N Ü R N B E R G , Tractat, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1291), S. 120. gefangen genommen wurde. Diese hatte ihn zuvor anscheinend nach Bosnien begleitet, als er in den Dienst des Herzogs trat und war deshalb auch bei der Eroberung durch die Osmanen anwesend. Allerdings ist die Gefangennahme die einzige Stelle in dem Selbstzeugnis Jörgs, in der er etwas über seine Familie mitteilt. Von dem weiteren Schicksal der Familienmitglieder ist im Traktat nicht mehr die Rede. Die Kinder wurden wahrscheinlich direkt durch Sklavenhändler weiterverkauft oder wie andere junge Gefangene am Hof des Sultans oder im Heer für passende Ämter eingebunden. Jörg von Nürnberg lässt den Leser in seinem Bericht vordergründig an keiner Gefühlsregung teilhaben. Auffällig sind seine Textpassagen, die er direkt dem Traktat Georgs von Ungarn entnahm. 1306 Unter diesen Textteilen befindet sich auch die Schilderung Georgs über den Verkauf von Christen auf den Sklavenmärkten. Beinah wortwörtlich übernimmt Jörg die Darstellung Georgs: „Item das sie aber die gefangenen dester bas behalten mugen sie habenn aigen kauff lewdt und merkt zu anderen guttern. Item sie tragen die ketten in das velt dar an sie offt x oder xii vassen an ein ketten und furen die zu marck. Auch pringen sie die kinder in den secken. Item sie pringen offt der menschen so vil das sie einen verkauffen umb einen hute. Item es ist nit ain arczt oder phisicus der in gleychen mach in erkantnus der Complexion der menschen als pald er den menschen an sicht so erkennt er sein aigenschafft. Und wenn sie die gefangen zu marckt pringen so ziehen sie die aus als sie got geschaffen hat do mussen sie dan vor in umb tanzen springen und lauffen sie wollen oder nidt und beschauen alle ir glider frawen und mann jungk und alt als die unvernunfftigen tyer. Do wirt die fraw schentlich angesicht ihres mannes und kinder umb gezogen und einem anderenn mann gegeben. Do helt den Rytter als den Bawren on untterschaid. Inicium autem malorum die quid sequitur. Darnach so er verkaufft wirt so wirt im alle arbeyt eins ganczen hauses gesins auff sein hals geladen darnach ist im kein rue mehr auch kein trost der erlosunge oder gar klein und wenn die zeit kompt das er nymmer arbeyten mag als ein Esel wirdt er geslagen. Von anderem laide will ich swigen hunger durst und ploshait. Ach was thut dann die arme sele die geschaidenn mus sein von der Christlichen kirchen.“ 1307 Und um die Dramatik zu steigern, als hätte er es selber nicht besser aus‐ drücken können, übernimmt er am Ende die lateinische Aussage Georgs zur 353 3. Jörg von Nürnberg 1308 Bei Georg von Ungarn findet sich folgende Äußerung: „Certe, si optio daretur, magis eligeret mori quam vivere.“ - „Wahrhaftig, wenn sie die Wahl hätten, würden sie lieber den Tod als das Leben wählen.“, J Ö R G V O N N Ü R N B E R G , Tractat, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1291), S. 120. 1309 Prinzing listet sehr genau auf, welche Texte von Jörg stammen können und welche teilweise großen Abschnitte genuin wohl nicht von ihm stammen. Ob er für diese chronikalische Darstellung beim Abfassen seines Werkes später Vorlagen, wie byzan‐ tinische Kurzchroniken, Truppenregister oder Itinerare nutze, kann nicht beantwortet werden, Günter P R I N Z I N G , Jörg, in: Sultan Mehmet II (wie Anm. 1230), S. 68. 1310 Jörg datiert die Eroberung fälschlich in das Jahr 1451, J Ö R G V O N N Ü R N B E R G , Tractat, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1291), S. 111. 1311 Neben diesem negativen Bild finden sich zwischen den Zeilen auch immer wieder positiv konnotierte Äußerungen zum Sultan. Dieses ambivalente Herrschaftsbild findet Verzweiflung der Gefangenen: „Certe si optio daretur unusquisque plus eligerer mori quam vivere.“ 1308 Diese Reproduktion der Sklavenmarkt-Schilderung kann in einem direkten Zusammenhang mit dem Schweigen Jörgs über den Verbleib seiner Familie stehen. Es ist davon auszugehen, dass seine Frau und die Kinder von ihm getrennt und in die Sklaverei verkauft wurden, ohne dass er jemals wieder etwas über ihr Schicksal erfuhr. Vielleicht war die Übernahme der Darstellung Georgs eine Möglichkeit, das eigene Trauma auszudrücken, ohne selber dafür Worte finden zu müssen. Ob ihn Schuldgefühle plagten oder er das Erlebte spätestens nach seiner Rückkehr in die Heimat abschließen konnte, überliefern die Quellen nicht. Allerdings hat diese Passage in seinem Bericht eben auch das höchste appellative Gewicht für das Publikum. Die Gefangenschaft Als Fachmann in den Reihen des osmanischen Heeres berichtet Jörg von den Eroberungszügen des Sultans und den Angriffen der Venezianer auf die Osmanen. 1309 Zunächst schildert er dabei Ereignisse, wie die Eroberung von Konstantinopel, die vor seiner Gefangennahme lagen. 1310 Dabei fällt auf, mit welchem Sachverstand die Belagerungen und Kriegstaktiken durch Jörg erklärt werden. Es finden sich Angaben zu Mauerlängen und Daten, die für die richtige Anwendung im Einsatz von Kanonen bei Eroberungen erforderlich waren. In den nachfolgenden Textabschnitten, die die osmanischen Kriegszüge nach seiner Gefangennahme beschreiben, nutzt er weiterhin den chronikalischen Stil, der zwar viele Angaben zu den mehr oder minder erfolgreichen Belagerungen und Eroberungen des Sultans macht, jedoch wenig persönliche Angaben zum Schicksal Jörgs von Nürnberg enthält. Das Bild Mehmeds II. ist dabei wiederholt negativ konnotiert, etwa bei der Eroberung von Trapezunt im Jahr 1461: 1311 354 B. Militärische Gefangenschaften sich auch in der heutigen Forschung zu Mehmed II. wieder: Auf der einen Seite sei er herrschsüchtig, triebgesteuert und exzessiv gewesen, auf der anderen Seite habe ihn das akademische Gespräch mit Fachleuten und Gelehrten interessiert und er wird als Bewunderer der griechischen Antike und der Astronomie gesehen, der insgesamt sechs Sprachen beherrschte, M A J O R O S / R I L L , Reich (wie Anm. 1105), S. 154f. 1312 J Ö R G V O N N Ü R N B E R G , Tractat, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1291), S. 111. Zur Eroberung von Trapezunt: M A J O R O S / R I L L , Reich (wie Anm. 1105), S. 173. 1313 J Ö R G V O N N Ü R N B E R G , Tractat, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1291), S. 112. 1314 Zur Rolle Skanderbegs: Oliver Jens S C H M I T T , Skanderberg. Der neue Alexander auf dem Balkan, Regensburg 2009; M A J O R O S / R I L L , Reich (wie Anm. 1105), S. 169f. „Darnach in dem .lvi. iar do zog der turck uber den konig von Trapisonda. und gewan im an sein landt und fing in mit weib und kinden und todt die eines schnoden todts nach drew iaren.“ 1312 Die Angabe, dass Mehmed wiederholt Gefangene ohne Unterscheidung ihres Geschlechts oder Alters töten ließ, findet sich noch mehrmals im Text. Auffällig ist, dass Jörg die eigene Teilnahme an der Eroberung Trapezunts, von der auszugehen ist, nicht weiter erwähnt. Eine umfangreiche Schilderung im Traktat Jörgs von Nürnberg nimmt der Kampf Mehmeds gegen Skanderbeg, den albanischen Fürsten Gjergj Kastrioti, ein. 1313 Skanderbeg war 1423 durch die Niederlage seines Vaters Gjon Kastrioti, der dem Sultan tributpflichtig wurde, zusammen mit seinen drei Brüdern Geisel am osmanischen Hof in Edirne geworden. Er konvertierte zum Islam und nahm den Namen „Iskender“ an, woraus sich später sein Beiname ableitete. Skanderbeg konnte jedoch bei einem siegreichen Feldzug der Ungarn die Gele‐ genheit nutzen, um zusammen mit einigen anderen albanischen Gefangenen zu fliehen und sich wieder den Christen anzuschließen. Er konvertierte erneut und kämpfte fortan erfolgreich gegen die Osmanen. Dass Jörg in seinem Traktat der Geschichte um Skanderbeg und seinen erfolgreichen Kampf gegen die Osmanen relativ viel Platz einräumte, hat neben der sicherlich historischen Bedeutung, die dieses Zusammentreffen für beide Seiten hatte, auch noch einen anderen Grund: Skanderbeg war nicht nur ein albanischer Volksheld, dessen Ruhm sich auch im Reich verbreitete, sondern er wurde auch vom Heiligen Stuhl im Kampf gegen die Osmanen zu Propagandazwecken genutzt. 1314 Eingebettet in den Bericht um Skanderbeg ist der Kampf um die Burg Jajce in Bosnien: 1463 das erste Mal von den Osmanen erobert, wurde die Festung im Dezember 1463 durch König Mathias Corvinus von Ungarn wieder in christlichen Besitz gebracht. Mehmet II. zog 1464 erneut nach Bosnien und belagerte die Festung vom 10. Juli bis zum 24. August 1464: „In dem iar do gewann der ungerisch konig wider die stat 355 3. Jörg von Nürnberg 1315 J Ö R G V O N N Ü R N B E R G , Tractat, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1291), S. 112. 1316 M A J O R O S / R I L L , Reich (wie Anm. 1105), S. 170f. 1317 J Ö R G V O N N Ü R N B E R G , Tractat, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1291), S. 112. 1318 Ebd., S. 113; Majoros/ Rill, Reich (wie Anm. 1105), S. 173. 1319 J Ö R G V O N N Ü R N B E R G , Tractat, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1291), S. 114; M A J O R O S / R I L L , Reich (wie Anm. 1105), S. 173f. Geucza in Bossna der turck zog wider vor die stat und gosse vier grosse buchsen vor der Stat und bestreyte die er mocht der nit gewinnen.“ 1315 Jörg schildert hier die versuchte Belagerung durch Mehmed II. und die Anwendung von vier großen Büchsen während der Belagerung, an deren Herstellung er sicherlich beteiligt war. Als Sultan Mehmed erkannte, dass er gegen das ungarische Heer nicht gewinnen konnte, ließ er die Büchsen in die Fluten des Flusses Pliva - Jörg nennt sie „Trina“ - werfen, damit sie den Siegern nicht in die Hände fallen konnten. Doch die Ungarn konnten die Geschütze im Nachhinein aus dem Fluss bergen. 1316 Der Sultan „zog wider haim do volgt im nach ein Cristen haubtmann mit namen Sekenderbeg und was er der Turcken an der lecz fand die erslug er und zog in Sophya und nam vil riche.“ 1317 Nach dem Bericht über die Ereignisse um Skanderbeg erzählt Jörg von wei‐ teren Schlachten, an denen er teilnahm, wie gegen den Fürsten in Karaman 1318 oder gegen Sultan Ussun Hazan in der Schlacht von Otlukbeli am 11. August 1473. Über diese Schlacht notiert er: „dar zu kom der Turck mit seinem volk do geschach ein solch schiessen mit pfeulen das der sonnen schein ob inn bedeckt ward und ein sollich geschray und lautkrachung der vaffen das nymandt sein aigen wort mocht horen auff das letzt do nam der usunhasson die flucht.“ 1319 Ussun Hazan verlor die Schlacht gegen Mehmed II. und Jörg berichtet weiter, dass die Osmanen 6800 Gefangene nahmen, von denen 500 erschlagen wurden. Die meisten Eroberungen oder Kämpfe, die Jörg unter Mehmed II. aufzählt, endeten mit der Versklavung oder viel häufiger mit der Hinrichtung der Bevölkerung oder ihrer Fürsten. Sicherlich nutzte Jörg die Möglichkeit, gerade das Schicksal gefangener Gegner darzustellen, für seinen Bericht sehr bewusst. Nach der Schlacht von Otlukbeli wandte Mehmed sich nach Indien. Wie Jörg berichtet, habe der Sultan eine Delegation an den indischen Khan „Cim‐ simisoldan“ entsandt, der möglicherweise gleichzusetzen ist mit Bahlul Khan Lodi (1451 bis 1489), um mit diesem Freundschaftsgeschenke auszutauschen. Dafür habe Mehmed seinen Hauptmann „Mamatpassa“ bestimmt, der mit einem Heer, in dem sich auch Jörg als Kanonengießer befunden habe, nach 356 B. Militärische Gefangenschaften 1320 J Ö R G V O N N Ü R N B E R G , Tractat, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1291), S. 115. 1321 Jörg von Nürnberg benennt die Insel noch mit dem mittelalterlichen Namen „Nig‐ ropont“, der heute noch in Italien als „Negroponte“ gebräuchlich ist. Zur Zeit des osmanischen Angriffs auf die Insel bestand noch die sogenannte „Herrschaft von Negroponte“, einer der Kreuzfahrerstaaten, der von der Republik Venedig regiert wurde und mit der Eroberung der Osmanen 1470 endete. Zur Eroberung der venezianischen Kolonie Negroponte: M A J O R O S / R I L L , Reich (wie Anm. 1105), S. 175. 1322 J Ö R G V O N N Ü R N B E R G , Tractat, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1291), S. 115. Indien zog. Vom indischen Fürsten hätten die Osmanen Elefanten und Kamele erhalten, während diese 26 Büchsen als Geschenke überreichten. Bei seinen Beobachtungen stellt Jörg fest, dass die Inder keine Kanonen kannten. Deshalb wurde zu den Kanonen sicherlich auch das notwendige Wissen vermittelt - eine Aufgabe, die vielleicht auch von Jörg von Nürnberg übernommen wurde. Neben dem Erstaunen über die Unkenntnis der Inder in Bezug auf die Kanonen findet sich in den folgenden Zeilen des Traktats eine große Faszination des westlichen Büchsenmeisters für die Elefanten, die er wohl zum ersten Mal in seinem Leben von Nahem bestaunen konnte, so dass die Überlieferung einer Legende über diese riesigen und faszinierenden Tiere nicht überraschen kann: „und schenckte im die buchsen mit den wegen wann vermals was nie kain puchs in dem landt gehort noch gesehen worden. Und zog wider haim. Item der Elefand ist der natur wenn sein haubt verwundt wirt als pald er an sicht die die sternn an dem himel so ist er heyl.“ 1320 Den nächsten Kriegszug datiert Jörg in das Jahr 1470. Sultan Mehmed wollte die venezianisch-griechische Insel Euböa erobern. 1321 Um die Stadt Histiaea kam es zur entscheidenden Schlacht, nachdem ein Hauptmann der Osmanen auf dem Meer bereits die venezianischen Galeeren bekämpft hatte und sie in die Flucht schlagen konnte. Zur gleichen Zeit zog der Sultan mit einem Heer gegen die Stadt. „darnach pald kam der turck und legt fur die stat mit .x. grosser puchsenn und morser und vil cleyner. Und do er die stat sturmen und gewinnen wollten do gaben die aus der stat den venedigerenn zaichen das sie in zu hilff kommen sollten die venediger theten des laider nit und heten das wol mugen thun auch besorg sie der turck gros. Also gewan er die stadt und ertodt vil volks iemerlich und verkaufft vil prister munich unnd Nunnen die ertod er in er kirchen sie tryben unmenschlich sund mit den frawen.“ 1322 Neben einer unverhohlenen Kritik an den Venezianern, die aus Furcht der Insel und der Stadt Histiaea nicht zu Hilfe kamen, waren es vor allem die Gräueltaten, von denen Jörg an dieser Stelle zu berichten weiß. Fast scheint 357 3. Jörg von Nürnberg 1323 Ebd., S. 116. 1324 Ebd. 1325 Ebd., S. 117. Zum Kampf der Venezianer mit den Osmanen und dem teuren Friedens‐ schluss: M A J O R O S / R I L L , Reich (wie Anm. 1105), S. 169. 1326 Die Spionage war für die osmanischen Herrscher kein unbekanntes Mittel. Gerade unter der Herrschaft Mehmeds II. wurden viele Spione an anderen Königshöfen, wie auf der iberischen Halbinsel und in Ungarn, oder auf Reichstagen für den osmanischen „Geheimdienst“ tätig: M A J O R O S / R I L L , Reich (wie Anm. 1105), S. 82-84. 1327 J Ö R G V O N N Ü R N B E R G , Tractat, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1291), S. 119. es, als seien die klerikalen Opfer, die er hier hauptsächlich hervorhebt, als besondere Freveltaten für sein Publikum in Rom ausgewählt worden. Diese Schauergeschichten verbergen die Rolle Jörgs von Nürnberg bei der Eroberung der Stadt, denn wenn man seinem Bericht Glauben schenkt, war die Einnahme der Stadt erst durch die guten Geschütze möglich, an deren Herstellung er maßgeblich beteiligt war. Er nimmt in seinem Bericht jedoch nur eine Beobach‐ terrolle ein und erscheint ähnlich teilnahmslos wie am Anfang seines Berichts über die osmanischen Taten. Genauso distanziert verbleibt er auch in den folgenden Schilderungen: Die Stadt Kaffa (Feodossija) konnte Mehmed im Jahr 1475 einnehmen. Jörg schreibt, dass Mehmed die Versprechen, die er zuvor der Bevölkerung gegeben hatte, nicht eingehalten habe. 1323 Danach eroberte der Sultan das Schloss in der Stadt Soldaia (Sudak) und dort habe er drei tatarische Königssöhne befreit, die er für seine politischen Ziele einsetzte. 1324 Es folgen noch mehrere Beschreibungen von Aktionen Mehmeds gegen die Ungarn und die Venezianer, und Jörg erwähnt den teuer erkauften Frieden, den die Venezianer mit der Zahlung von „hundertmaltausendt ducaten“ 1325 begleichen mussten. Das Ende der Gefangenschaft Jörg muss sich während seiner Gefangenschaft vor dem Sultan mehrfach bewährt haben, denn zum Ende berichtet er von einem brisanten Auftrag, den er vom Sultan erhielt. Als Spion wurde er nach Alexandria geschickt, um dort die Gegebenheiten vor Ort auszukundschaften und die besten Voraussetzungen für eine Belagerung und erfolgreiche Einnahme der Stadt zu bestimmen: 1326 „Dar nach in dem .lxxx. iar do sandt aus der Turck drew here. Eins fur Rhodis. Das ander in Naplae. Das dritt in Allexandria. Do sandt mich d Turck in Alexandriam das ich beschauen solt das landt ob ich das gewynnen mochte und was dar zw bedorfft das wolt er mir schicken.“ 1327 Mehmed, der Überlegungen anstellte, seine Kriegsheere gegen Rhodos, Naf‐ plio und Alexandria zu wenden, entsendete Spione, die zuvor die Schwachstellen 358 B. Militärische Gefangenschaften 1328 Ebd. 1329 Ebd. 1330 Ebd., S. 107. für den Sultan eruieren sollten. Jörg wurde, sofern seine Angaben stimmen, ermächtigt, sich nach Alexandria zu wenden, um dort den Auftrag im Namen des Sultans auszuführen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war er keineswegs mehr nur einer unter vielen Büchsenmeistern im osmanischen Heer, sondern Mehmed II. vertraute ihm eine heikle Aufgabe an und traute ihm das nötige Fachwissen zu, die Angriffsstärke der Stadt einzuschätzen. Dabei war er sicherlich mit einer kleineren Gruppe unterwegs, von einem größeren Heer ist nicht auszugehen. Ob Jörg wirklich von Mehmed dafür ausersehen worden war nach seiner Erkundung den Angriff auch zu leiten, wie es in seiner Textstelle durchklingt, ist zweifelhaft. Jörg von Nürnberg jedenfalls nutzte, wie er schildert, diesen Auftrag, um aus seiner Gefangenschaft zu fliehen. Er wandte sich an die Franziskaner in Alexandria und ließ sich von ihnen bei seiner Flucht helfen: „also fandt ich geystlich bruder in Allexandria sandt Franciscen orden den peychtet ich. Die hulffen und rieten mir mit sampt anderen kauff leuten von venedig das ich dar von kam und kome gen venedig mit den kauff leuten.“ 1328 Als Moment des Wiedereintritts in die christliche Welt beschreibt Jörg die Beichte, die ihm abgenommen wurde, und der sicherlich auch eine Glau‐ bensbefragung durch die Franziskaner folgte. Danach brachten sie ihn mit venezianischen Kaufleuten zusammen. Mit diesen fuhr Jörg von Nürnberg auf einem Handelsschiff nach Venedig. Das Leben nach der Gefangenschaft Jörg kehrte nach seiner Ankunft in Venedig nicht in seine fränkische Heimat zurück, sondern wandte sich, wie er selber noch schreibt, nach Rom. Papst Sixtus IV. empfing ihn und ließ sich seine Geschichte erzählen. Das Insiderwissen Jörgs aus seiner Zeit in Gefangenschaft verschaffte ihm eine hohe Anstellung am päpstlichen Hof: „Darnach ward ich gesandt zu unserem hailigen vatter dem babst Sixto quarto des buchsenmaister ich worden pin.“ 1329 Bereits zu Anfang beginnt der Traktat mit der Einführung: „Es ist zewyssen das maister von Nurnbergk ycz unnwers hailigen vatters buchsenmaister diese her nach geschrybne geschichte von der Turckey hat gemacht. Wann er bey .xxx. iaren dar inn gewondt hat.“ 1330 Jörg von Nürnberg hatte durch sein berufliches Fachwissen nicht nur erreicht, sein Leben zu erhalten und einem schlimmeren Schicksal zu entgehen, er konnte sein Wissen und sein Können auch am päpstlichen Hof gewinnbringend 359 3. Jörg von Nürnberg 1331 Bartholomaeus G E O R G I E V I T S , Türckey Oder Von yetziger Türken kirchen gepräng. Verdeutscht durch Joannem Herold, (Basel, Erben Andr. Cratandi 1545), in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri. Unveränderter Nach‐ druck der Ausgabe Nürnberg 1530 sowie fünf weiterer „Turkendrucke“ des 15. und 16. Jahrhunderts, hrsg. v. Carl Göllner (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens 6), Köln 1983, S. 165-227, S. XIX. für sich nutzen. Dabei halfen ihm auch der ‚abenteuerliche‘ Bericht seiner Gefangenschaft im osmanischen Reich und die sprachlichen Fähigkeiten, die er sich, auch wenn er sie nicht explizit erwähnt, sicherlich während seines Aufenthalts angeeignet hatte. Deshalb verwundert auch der teilweise ungenaue Bericht Jörgs keineswegs, denn dieser musste nicht nur einem christlichen Publikum entsprechend verfasst werden, sondern sich auch in die päpstliche Propaganda gegen die Osmanen einfügen. 4. Bartholomej Georgijević a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses Die genauen Lebensdaten von Bartholomej Georgijević sind unbekannt. Ge‐ boren ist er vor 1510 und gestorben nach 1566. Er ging in die Schule beim Bischof von Esztergom und späteren Primas von Ungarn Szalkai László. Mit ihm zog er auch in die Schlacht von Mohács, wo er gefangen genommen wurde, während sein Herr auf dem Schlachtfeld starb. 1331 Insgesamt sollen in dieser Untersuchung zwei Werke aus seinem Schriften‐ kanon untersucht werden. Nach seiner Befreiung verfasste er in den Nieder‐ landen seine Erzählungen zur Gefangenschaft: Die erste Schrift „De captivitate sua apud Turcas“, die er 1544 niederschrieb, war in ihrer lateinischen Urfassung nicht in andere Sprachen übersetzt oder verlegt worden. Damit bildet sie eine Parallelschrift zum Werk Georgs von Ungarn, das zuerst ebenfalls nur auf Latein erschien, bevor es dann jedoch auch in anderen Sprachen herauskam. Auch wenn von Georgijevićs Gefangenschaftsschrift keine Übersetzung angefertigt wurde, soll sie hier aufgenommen werden, da ihre Rezeption im ‚deutschen‘ Sprachraum als gesichert gelten kann. Ein Vorwort für das Gefangenschaftsbuch wurde von dem aus Aarhus stammenden Jacob Jespersen, der als Lehrer für Griechisch in den Niederlanden tätig war, verfasst. Unter anderem lehrte Jespersen auch im Umfeld Marias von Ungarn, die nach dem Tod ihres Mannes 360 B. Militärische Gefangenschaften 1332 Bartolomej G E O R G I J E V IĆ / Reinhard K L O C K O W , De captivitate sua apud Turcas. [1526-1538] = Türkiye'de esir iken = Gefangen in der Türkei, Berlin 2000, S. 12f. 1333 N. Melek A K S U L U , Bartholomäus Georgievićs Türkenschrift „De Turcarum ritu et caeremomiis“ (1544) und ihre beiden deutschen Übersetzungen von 1545. Ein Beitrag zur Geschichte des Türkenbildes in Europa (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 417), Stuttgart 2005. 1334 „Bartholomeus Georgewyts ein Vnger vnd heilgen Grabs bilger“: Bartholomaeus G E O R G I E V I T S , Türckey, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1331), S. 167. Es sind verschiedene Namensschreibungen überliefert, so auch ‚Bartolomej Đurđević‘, vgl. Irmgard L E D E R , Nachrichten über die Osmanen und ihre Vorfahren in Reise- und Kriegsberichten. Analytische Bibliographie mit Standortnachweisen; 1095 - 1600, Budapest 2005, S. 106-109. Wahrscheinlich entstammte er einer kroatischen Familie, die in Ungarn lebte. 1335 Bartholomaeus G E O R G I E V I T S , Türckey, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1331), S. 167. 1336 Das Traktat ist in zwei Bände aufgeteilt und den zweiten Band widmet Georgijević Kaiser Karl V., Bartholomaeus G E O R G I E V I T S , Türckey, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1331), S. 205. Außerdem fügt er seinen beiden Werken Vokabellisten in ungarischer, persischer und türkischer Sprache bei: G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 82; Bartholomaeus G E O R G I E V I T S , Türckey, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1331), S. 177f. 1337 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 7. Ludwig II. von Böhmen und Ungarn ab 1531 Statthalterin der Niederlande war. 1332 Das zweite Werk ist ein Traktat, dessen Urfassung ebenfalls auf Latein verfasst wurde, der aber 1545 durch Johannes Herold auch in die deutsche Sprache übersetzt wurde und in Nürnberg und Basel erschien. 1333 Georgijević selbst betitelt sich als Ungar und Pilger des Heiligen Grabes. 1334 Dort hatte er vielleicht auch den Johanniterorden kennengelernt, dem er das erste Buch seines Traktates widmete. Namentlich nennt er einen Ritter des Ordens: „Dem aller dapffersten gestrengenn des Ordens S. Johanns Ritter […] Herren Ludwig von Braët Keys. Maiest. Cammerling vnd Rhat“. 1335 Ihm dankt er für die gute Unter‐ stützung, die er durch den Edelmann in den Niederlanden erhalten habe. 1336 In seinem Gefangenschaftsbüchlein nennt er sich „Bartholomaei Georgius Pannonius,“ 1337 die Ortsbezeichnung Pannonien weist ebenfalls darauf hin, dass er aus Ungarn stammt, dem heutigen Transdanubien, einer Region in Ungarn südwestlich der Donau. Mit zu dieser Region gehörte auch das Bistum Gran (Esztergom). Heute liegen auch das Burgenland und Teile Kroatiens in dieser Region. 361 4. Bartholomej Georgijević 1338 Der Traktat enthält zwei Bücher; das erste über die Sitten, Kriegstaktiken und die religiösen Bräuche der Türken und das zweite zum Schicksal der unter den Türken unterjochten Christen. 1339 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 22, „Wie ich als Gefangener in die Türkei gebracht wurde.“, G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 23. 1340 M A J O R O S / R I L L , Reich (wie Anm. 1105), S. 221f. 1341 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 23, „inter reliquos captiuos quorum pars minima fuit, ego quoque unus extiti“, ebd., S. 22. 1342 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 23, „cum reliquis captiuis per aspera et montosa loca, nunc nudis pedibus, nunc unica solea ima uestigia tantummodo praetegente, ducebar: quam superne tenijs reuinciunt, ipsi sua lingua Tsaroch dicunt.“, ebd., Captivitate (wie Anm. 1332), S. 22. b) Der Untersuchungsfall Die Gefangennahme Das Gefangenschaftsbuch Georgijevićs dient im Folgenden als Grundlage, da es die Informationen zur Gefangenschaft in chronologischer und detaillierterer Form enthält; als Ergänzung wird auch der Traktat „Türckey Oder Von yetziger Türcken kirchen gepräng“ herangezogen. 1338 Die Überschrift des ersten Kapitels seines Gefangenschaftsbuches nimmt den Leser bereits mit hinein in die Ge‐ schichte seiner Gefangennahme: „Quomodo captiuus deductus in Turciam“. 1339 Georgijević erzählt von der Einnahme Belgrads durch Süleyman den Prächtigen im Jahr 1521 und den Vormarsch des Sultans über die Donau in Richtung Ungarn. Am 29. August 1526 kam es zur Schlacht von Mohács zwischen den Osmanen und dem ungarischen Heer unter König Ludwig II. von Böhmen und Ungarn. 1340 Der Sultan war siegreich und Georgijević betont, dass dieser den Sieg nicht durch Stärke, sondern durch Hinterlist erlangt habe. Der König ertrank im nahegelegenen Bach Csele und der Großteil der christlichen Kämpfer wurde erschlagen oder starb auf der Flucht in den anliegenden Sümpfen der Gegend: „Unter den verbliebenen Gefangenen, deren Zahl verschwindend gering war, befand auch ich mich, ganz alleingelassen“. 1341 Der junge Georgijević, der seinen Gönner und Lehrer, den Erzbischof von Gran und Primas von Ungarn Ladislaus Szalkai, in die Schlacht begleiten durfte, musste nun vom Tod des Mentors berichten, der auf dem Feld blieb. Er selbst wurde gefangen genommen und mit den anderen Gefangenen verschleppt: „und so wurde ich mit den übrigen Gefangenen durch rauhe Gebirgsgegenden weggeführt, bald barfuß, bald nur in Sandalen, die gerade eben die Fußsohlen schützen und oben mit Riemen festgeschnürt werden - in ihrer Sprache Tsaroch genannt.“ 1342 362 B. Militärische Gefangenschaften 1343 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 23, „manus autem mihi in tergum retortae, et nel uel motus ullus liber à tergo esset, baculum transuersum per dorsum inter cubitos inserebant, ea res magis uinctum quàm nodi cruciabant.“, ebd., S. 22. 1344 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 25, „credunt enim in silentio captiuos excussis uinculis, aufugisse: quamobrem quandiu audiunt complorationes, iacturam mancipiorum non formidant, ita per septem dies miserrime habitus sum.“, ebd., S. 24. 1345 Bartholomaeus G E O R G I E V I T S , Türckey, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1331), S. 211. Durch die notdürftige Bekleidung der Füße dürfte der lange Marsch eine Tortur für die Gefangenen gewesen sein, die auch an den Händen gefesselt waren und nicht geschont wurden, wie Georgijević zu berichten weiß: „Die Hände aber hatten sie mir auf den Rücken gedreht, und damit ich auch hinten nicht die geringste Bewegungsfreiheit hätte, schoben sie mir einen Stock quer über den Rücken zwischen die Ellenbogen, und das bereitete mir in meiner Fesselung mehr Qualen als die Knoten der Stricke.“ 1343 Die Fesselung der Arme hinter dem Rücken, die die Gefangenen mehrere Tage ertragen mussten, brachte starke Schmerzen mit sich und machte eine Selbstbefreiung der Gefangenen unmöglich. Dass die Osmanen die Flucht ihrer Gefangenen auf alle Fälle verhindern wollten, erfahren wir von Georgijević, der aussagt, dass die Fesseln nachts keineswegs gelockert wurden. Die Osmanen hätten den Gefangenen in den Nächten auch die Beine gefesselt, was eine ruhige Liegeposition und das Entspannen der Gliedmaßen unmöglich machte. Georgijević, der diese Maßnahme nicht verstand, vermutete, dass sie das Wehklagen der Sklaven in Kauf nahmen, um eine mögliche Flucht schneller zu bemerken: „denn wenn es still ist, glauben sie, die Gefangenen hätten sich von ihren Fesseln befreit und seien geflohen. Solange sie Wehklagen hören, fürchten sie keinen Verlust von Sklaven. So ging es mir sieben Tage lang ganz elend.“ 1344 Die Fesselungen würden jedoch nicht nur zur Schikane der Gefangenen genutzt, sondern auch, damit die osmanischen Wächter nicht durch die Gefan‐ genen verletzt werden konnten: „Sy kupplen die gefangnen mit den kettinen nit allein aneinander sonder legen inen auch handysen an die händ daz thuont sy das sy nit von den gefangnen versteinigt werden so ist ye zwischen einem vnd dem anderen eins schrits weyt weg daz keiner den andern trätte. […] Wo sy sich zuo nacht legeren do legt mann die gefangnen auch die füß an müssen am rucken ligen die gantzen nacht vff blosser erd im feld.“ 1345 Doch nicht nur die Fesselungen seien nachts schlimm gewesen. Georgijević berichtet von Vergewaltigungen, die an den Frauen oder an kleinen Kindern verübt wurden, deren Geschrei er häufiger vernommen habe. Außerdem hätten die Osmanen beständig versucht, die Christen mit Schmeicheleien und mit 363 4. Bartholomej Georgijević 1346 Bartholomaeus G E O R G I E V I T S , Türckey, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1331), S. 209. Zur Frage des islamisch-rechtlich legitimierten Sklavinnenkonkubinats siehe Dirk J Ä C K E L : „Wie viele Schöne wurden Besitz […]“. Sklavinnenkonkubinat und Gender im Kontext von Jihâd und Kreuzzug, in: Gewalt, Krieg und Geschlecht im Mittelalter hrsg. v. Amalie Fößel, Berlin u. a. 2020, S. 343-377. 1347 Bartholomaeus G E O R G I E V I T S , Türckey, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1331), S. 210. 1348 Ebd., S. 207. 1349 Ebd., S. 204. 1350 Ebd., S. 212. Vor allem den Frauen gehe es schlecht, da ihnen oft auch noch mehr der soziale Kontakt zu möglichen Mitknechten fehle. Edelleute würden sie gerne auch mit ihren Familien nehmen und diese zu Dorfmeiern ernennen. Diese könnten auch im Glauben bleiben und nach einer gewissen Zeit, in der sie dem Willen ihres Herrn unterworfen sind, könnten sie mit Nahrung ausgestattet wieder nach Hause ziehen. Wer den christlichen Glauben ablege und zum Renegaten werde, sei ebenfalls noch in Drohungen zur Konversion zu drängen. 1346 Jene, die sich nicht verführen und beschneiden lassen würden, würde in der Gefangenschaft ein schlimmes Los zufallen. „Was sich nit beschneiden lassen will die werden schnöd gehalten jämerlich tractiert wölchen jamer ich 13. jar lang versuocht hab vnnd doch nit beschreyben mag was grausamen ellends dieser dienst vff jm tragt.“ 1347 Die Gefangenschaft Direkt nach der Schlacht war Georgijević von Sklavenhändlern übernommen worden, die den Weg ins Osmanische Reich mit den Gefangenen übernahmen. Diese Vorgehensweise beschreiben auch Georg von Ungarn und Jörg von Nürnberg. In seinem Traktatus schreibt Georgijević über die Händler: „Wo jme der Türkisch Keyser einnzug wider die Christen fürgenomen so zeücht under anderen kauffleüten ein zaalbare roth fürkäuffer vnnd leüt verkäuffer auff Camelthieren dem läger nach die selbige seind der hoffnung daz sy vil gefangne bekomen wöllen, füren gar lange kettinen mit jnen an deren eine man etwo leichtlich ein fünfftzig sechtzig menschen schmiden mag.“ 1348 Mit den Sklavenhändlern gelangte er nach Gallipoli (Gelibolu), wo er auf dem Sklavenmarkt angeboten wurde. Insgesamt sei er während seiner 13 Jahre in Gefangenschaft siebenmal verkauft worden. 1349 Auch bei Georgijević findet sich eine genaue Beschreibung des Sklavenmarktes und der Behandlungen der Gefangenen vor Ort. Alle Menschen „sey fraw oder man zeucht man aus das es sein künfftiger herr wol schawen mag, alle glider werden im griffen vnnd beschawet ob es yender en prästen hab. Gefalt es dem kauffman nit gibt mans dem fleyschkeüffer wider daz muos es so offt lyden bis es etwo einer kaufft: gefält es dem kauffmann so fürt man es zuo schwärem dienst.“ 1350 364 B. Militärische Gefangenschaften Gefangenschaft, nach Beendigung des Dienstes jedoch frei und müsse nur dem Sultan den Zehnten entrichten. 1351 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 25, „is me emit quadraginta ducatis, sed ea lege, ut si eius rei de qua me iactaueram imperitus essem, mancipium redhiberet“, ebd., S. 24. Zu den geforderten Preisen auf den Sklavenmärkten s. Halil İ N A L C I K , Servile Labor in the Ottoman Empire, in: Studies in Ottoman Social and Economic History, hrsg. v. Halil İnalcık, London 1985, S. 25-52, S. 43f. 1352 Bartholomaeus G E O R G I E V I T S , Türckey, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1331), S. 210. 1353 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 26, „Vbi iam coeperam de hoc ministerio domino placere, initur pactum inter nos, ut si ex illis lucellis triplum corraderem, quàm pro meo capite datum fuit, liber abirem cum ipsis utribus.“, ebd., S. 27. Auf dem Sklavenmarkt in Gelibolu interessierte sich ein Renegat für den Christen und fragte Georgijević, ob er wisse, wie man Wasser verkaufe. Da Georgijević sich nichts mehr wünschte, als den Sklavenhändlern zu entkommen, bejahte er die Frage: „Er kaufte mich also für vierzig Dukaten, allerdings unter der Bedingung, den Sklaven (also mich) zurückgeben zu können.“ 1351 Dass das Beherrschen eines Handwerks die Gefangenschaft nicht unwesent‐ lich beeinflusste, erfuhr Bartholomej Georgijević in seiner Gefangenschaft mehrfach. Weil bei den Osmanen Handwerker in höchsten Ehren stünden, würde es Gefangenen, die handwerklich nicht versiert seien, besonders schlecht ergehen. Dies träfe vor allem Gelehrte, Edelleute und Priester äußerst hart. Genauso hart sei es für alle, die krank wären, da man nicht auf ihre Gesundung warten und sie auf den Gewaltmärschen ohne Pausen vorwärtstreiben würde. Sollte jemand auf dem Marsch sterben, so würde er entkleidet und seine Leiche in den Graben geworfen. 1352 Georgijević erlernte bei seinem neuen Herrn recht schnell das Wasserver‐ kaufen. An einem Esel waren zwei Wasserschläuche befestigt, mit denen er durch die Straßen zog und das Wasser lautstark feilbieten musste. Anfangs, so berichtet er, liefen die Geschäfte schlecht, doch nach und nach sei es ihm gelungen, die Ware besser zu verkaufen. Da er so erfolgreich im Verkauf ge‐ wesen sei, habe ihm sein neuer Herr nach einiger Zeit einen Freilassungsvertrag angeboten: „Als ich allmählich mit meiner Arbeit Anklang bei meinem Herrn fand, schlossen wir folgenden Vertrag: Wenn ich aus meinen kleinen Einnahmen das Dreifache dessen zusammenbrächte, was er für meinen Kopf bezahlt hatte, wäre ich frei und dürfte die Wasserschläuche behalten.“ 1353 Da er die Wasserschläuche behalten durfte, bestand die Möglichkeit, nach seinem Freikauf die Tätigkeit weiter auszuüben und Geld zu verdienen. Geor‐ gijević berichtet jedoch, dass der Vertrag nicht zustande gekommen sei, da er sich weiter an die christlichen Feiertage und Bräuche gehalten habe, so 365 4. Bartholomej Georgijević 1354 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 28, „ Sed quia soli domini tentoria habent quae de loco in locum transferunt: serui autem sub dio cubant, saepe uel obrutus niue, uel pluuia madidus, hybernas noctes toleraui, saepe non minus uliginis infrà corpus, quàm superne niuium sustinens, nam ubi desunt frondes, nudae telluri incubandum est“, ebd., S. 29. dass sein Herr ihn wieder an die Sklavenhändler verkauft habe. Ob der Herr versucht hatte, den Gefangenen zum Islam zu bekehren und er ihm deshalb nicht mehr die Möglichkeit des Freilassungsvertrags bot, lässt sich aus dem Text nicht herauslesen, kann aber angenommen werden. Georgijević berichtete nun in den folgenden Kapiteln den Fortgang seiner Gefangenschaft. Dabei ist auffällig, dass er an den entscheidenden Punkten sehr ungenau wird, bzw. das Dargestellte sehr konstruiert wirkt. Häufig scheinen Informationen übertrieben oder schlichtweg falsch zu sein, sicherlich immer auch im Hinblick auf sein christliches Lesepublikum, dem er nach seiner Heimkehr glaubhaft versichern musste, sich jederzeit ‚christlich‘ verhalten zu haben. Von den Sklavenhändlern sei Georgijević nach Bursa gebracht und erneut verkauft worden. Dieses Mal habe ihn ein Schafhirte aus Karaman erworben. Sein neuer Besitzer hätte schnell gemerkt, dass er keine Erfahrung als Hirte besaß, da er die Schafe züchtigte, um mit der Herde fertigzuwerden. Dieser wollte daraufhin seinen Sklaven zurückbringen und sein Geld zurückfordern, doch Georgijević habe ihn davon überzeugen können, ihn zu behalten und ihn das rechte Hüten zu lehren. Nach einer Weile als Schafhirte sei er jedoch von einem Mitgefangenen verraten worden, der beobachtet hatte, wie Georgijević sich die Namen der Landstriche auf Baumrinden notierte, um sich in der fremden Landschaft zurechtfinden zu können. Wegen der Fluchtgefahr sei er deshalb erneut an die Sklavenhändler zurückgegeben worden. Diese hätten ihm aufgrund seiner Fluchtabsichten gedroht, ihn in ein Zuchthaus zu sperren, wo er verhungern und verdursten müsse. Trotzdem wurde er noch ein weiteres Mal verkauft. Da man ihn aufgrund der besseren Fähigkeiten erneut als Schafhirten verkaufen konnte, betrug der Kaufpreis nun 50 Dukaten. Bei dem neuen Schaf‐ herdenbesitzer lebte er unter einfachsten Bedingungen und musste, während sein Herr und die Familie in Zelten wohnten, draußen nächtigen: „Weil aber nur die Herren Zelte haben, welche sie von Ort zu Ort mit nehmen, die Sklaven hingegen unter freiem Himmel schlafen, verbrachte ich die Winternächte oft von Schnee bedeckt oder vom Regen durchnäßt, oft mit ebensoviel Morast unter mir wie Schnee auf mir; denn wo es keine Blätter gibt, muß man auf dem nackten Boden schlafen.“ 1354 In beiden Werken beschreibt Georgijević, dass die Sklaven, die als Hirten arbeiten mussten, einsam mit den Herden umherzogen und dass nur ihre 366 B. Militärische Gefangenschaften 1355 Bartholomaeus G E O R G I E V I T S , Türckey, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1331), S. 213. 1356 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 31, „Accessere et aliae aerumnae, nam et lignandum erat pro dominis, et lauandum, et nendum, usque in mediam noctem muliebri more, ac pro tantis laboribus exiguum quiddam pulmenti esitandum“, ebd., S. 30. 1357 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 31, „Huic de meo grege multa corpora uendebam, circiter uiginti, partim precio, partim ut assatarum carnium parti‐ ceps essem“, ebd., S. 30. Besitzer ein Dach über dem Kopf haben. 1355 Sieben Monate sei er als Schafhirte bei dem neuen Herrn gewesen und habe es tunlichst vermieden die Fehler, die er zuvor begangen hatte, zu wiederholen: Er zeigte nicht, dass er lesen und schreiben konnte; habe die christlichen Gebete nur noch gesprochen, wenn er alleine war und an den Fastentagen vorgegeben, dass ihm unwohl sei, so dass er nicht essen musste. An dieser Stelle präsentiert er sich dem Leser zum ersten Mal als kluger Stratege und ‚braver‘ Christ, der es selbst in der unwirtlichen Einöde nicht versäumte, sich an die christlichen Fastentage zu halten. Neben der fehlenden Unterbringung beschwerten ihn aber auch die Arbeit mit den Schafen und weitere Aufgaben, die er nur schlecht mit seinem Bild von sich vereinbaren konnte: „Hinzu kamen noch andere Plagen; denn man mußte auch Holz sammeln für den Herrn, man mußte auch bis Mitternacht nach Weiberart waschen und weben, und für all diese Mühen gab es nur ein kümmerliches bißchen Brei zu essen.“ 1356 In den sieben Monaten musste Georgijević nicht nur unter freiem Himmel nächtigen und niedere Arbeiten verrichten, auch die Ernährung war denkbar schlecht. Dies sei der Grund gewesen, warum er sich gegen den Besitzer gestellt und hinter seinem Rücken dessen Besitz veruntreut habe. Einem Sarazenen im Dorf seiner Gefangenschaft, der der Gemeindehirte war, verkaufte er, wie er angibt, Vieh aus der Herde seines Herrn: „Dem verkaufte ich viele Stücke aus meiner Herde, ungefähr zwanzig, teils für Geld, teils um etwas von dem gebratenen Fleisch abzubekommen.“ 1357 Der Viehdiebstahl erscheint unglaubwürdig: Selbst wenn der Herdenbesitzer nicht vor Ort gewesen war und der Gefangene die Gelegenheit gehabt haben sollte, sich unbemerkt mit dem Gemeindehirten zu treffen, muss doch vermutet werden, dass der Verkauf mehrerer Tiere ein sehr hohes Risiko darstellte, da der Herdenbesitzer sicherlich die genaue Anzahl seiner Tiere kannte und einen Sklaven nicht unkontrolliert die Herde hüten ließ. Vielmehr wirkt es, als wolle Georgijević eine Erklärung bieten, woher er das nötige Geld hatte, um die spätere Flucht zu finanzieren. Doch bevor es zu einem Fluchtversuch kommen 367 4. Bartholomej Georgijević 1358 Eine mögliche Erkrankung des Besitzers verbunden mit einer Bettlägerigkeit könnte eine Erklärung für den gelungenen Viehdiebstahl darstellen, aber dies ist anhand des Berichts nicht nachzuvollziehen. 1359 Damit hatte er nicht das Glück, das er im Traktat beschreibt, wenn ein Verstorbener in seinem Testament all seine Knechte und die Gefangenen freigab: „Etlich vermachen das mann die gefangne vnnd knechte dormit ledige.“, Bartholomaeus G E O R G I E V I T S , Türckey, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1331), S. 182. 1360 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 30, „sed ego nactus conseruum ex animi sententia, statim cum eo de fuga consultabam“, ebd., S. 31. 1361 Bartholomaeus G E O R G I E V I T S , Türckey, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1331), S. 214. konnte, starb sein Herr 1358 und Georgijević gelangte zunächst zu einem anderen Herdenbesitzer. 1359 Den neuen Besitzer beschreibt er als noch reicher und noch geiziger, als den zuvor verstorbenen Herrn. Fluchtversuche und das Ende der Gefangenschaft Auch bei seinem neuen Besitzer plante Georgijević weiter seine Flucht. Zu seinen Mitgefangenen gehörte ein weiterer Deutscher, der laut Georgijević aus Wien stammte und mit dem er zusammen zum Schafe hüten eingeteilt wurde. In der Gemeinschaft eines Leidensgenossen, dem er offensichtlich vertraute, wurden die Fluchtpläne schnell konkret. „Ich aber hatte nun einen Mitsklaven ganz nach meinem Herzen gefunden, und sofort beriet ich mich mit ihm über die Flucht“. 1360 Mit dem Geld, das Georgijević durch die angebliche Unterschlagung erhalten habe, kauften sich die beiden Salz, Stricke, ein Beil und Eisengeräte zum Feuerschlagen. Georgijević gibt an, dass sie diese Sachen von einem Kalabrier erhielten, der selbst zuvor ein Gefangener gewesen war. Den Namen des Mannes nennt er nicht. Dafür findet sich aber im Traktat eine Gebrauchsanleitung, wofür die Gegenstände, die die beiden Christen erstanden hatten, zu gebrauchen waren: „Die so sy fliehen wöllen nemmen sy ain axt ettlich strick vnd saltz mitt jnen. Also hauwen sya etliche höltzer an vnnd machen es zuo einem bischelin oder flötzen. Nachts legen sy sich uff ire gemachte flöß haben sy dann glücklichen wind vnnd stille des mhörs so faren sy jnn drey oder vier stunden leychtlich hinüber.“ 1361 Hier findet sich eine weitere Motivation Georgijevićs für das Abfassen seiner Schrift: Er wollte auch eine Anleitung für künftige Gefangene geben, die eine Flucht wagen würden. Auch für das Scheitern des Plans gibt er Tipps: So müssten Flüchtende, wenn sie auf dem Wasser durch den Wind an ein falsches Ufer getrieben würden, schnell im Wald Schutz suchen, um nicht erkannt zu 368 B. Militärische Gefangenschaften 1362 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 33-35, „Tandem uenimus ad mare Hellesponticum, ibi materia caesa, et funibus colligata, ratem facimus, quicquid erat uestium pro uelo expanditur, ac iam dimidium itineris emensi eramus, cum uentus coepit ex aduerso flare, atque inde factum ut in ea iactatione et à luce et à Turcis Constantinopolim nauigantibus, deprehensi simus“, ebd., S. 32-34. 1363 Bartholomaeus G E O R G I E V I T S , Türckey, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1331), S. 214. 1364 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 35, „ac uincti in carcerem recluderemur, ibidemque detenti sumus tribus mensibus, done cab hero superueniente agnosceremur“, ebd., S. 34. werden. Das Salz sei für die Wurzeln, die als Nahrung dienen könnten. Nach diesen Anweisungen berichtet Georgijević von der Flucht der beiden Sklaven: Nachdem sie nachts aufgebrochen waren, seien sie neun Tage durch die Einöde geirrt, bevor sie das Meer erreicht hätten. Endlich dort angekommen, hätten sie sich sofort daran gemacht, ein Floß zu bauen: „Endlich kamen wir zum Hellespont. Dort schlugen wir Baumstämme, banden sie mit Stricken zusammen und bauten ein Floß; alles, was wir an Kleidung hatten, breiteten wir als Segel aus. Schon hatten wir die Hälfte der Strecke durchmessen, da schlug der Wind um. So kam es, daß wir in dieser schwankenden Lage vom Tageslicht und von Türken überrascht wurden, die nach Konstantinopel segelten“. 1362 An dieser Fluchtbeschreibung kann man gut die Schwierigkeiten ablesen, vor der ein Gefangener in der Fremde stand, wenn er einen Fluchtversuch wagte. Die erste Hürde war sicherlich, die gekauften Fluchtmittel zu erhalten und zu verstecken, ohne dass die Flucht aufgedeckt werden konnte. Plante man einen nächtlichen Aufbruch, führten schlechte Sichtverhältnisse und selbst am Tag die Ortsunkundigkeit dazu, dass die Flüchtigen nicht wussten, wohin sie sich wenden mussten. 1363 Das notdürftig zusammengezimmerte Floß konnte der Strömung und dem Wind auf der Wasserfläche nicht viel entgegenbringen, und so fuhren die beiden Flüchtlinge recht hilflos bei Nacht über das Meer. Schließlich fielen sie türkischen Seeleuten in die Hände, die auf dem Weg nach Konstantinopel waren und die Flüchtigen sofort wieder einfingen. So gelangten die beiden Flüchtlinge auf dem Meer erneut in Gefangenschaft und Georgijević beschreibt, wie es für sie weiterging: „Wir wurden gefesselt in ein Gefängnis gesperrt und dort drei Monate lang in Haft gehalten, bis unser Herr kam und uns als seine Sklaven identifizierte.“ 1364 Während der dreimonatigen Haft der beiden wäre der Besitzer der Entflo‐ henen ausfindig gemacht worden und sei angereist, um seine Sklaven zu identifizieren. Die Unterbringung im Gefängnis nach der Flucht sei so hart gewesen, dass Georgijević sich gebrochen fühlte. Er bat seinen Herrn nach 369 4. Bartholomej Georgijević 1365 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 35, „Frustra igitur suscepta tanta molitione, rogaui dominum ut me uel uenderet uel occideret, ne dennuò in eum peccarem, me enim esse tali ingenio, ut ad primam quanque occasionem non essem omissurus fugae consilium. “, ebd., S. 34. 1366 „Grosse harte marter müssen die flüchtigen leyden dann ettlich hencken sye bey den füssen auff geyßlen sy vnerbärmlich. Etlichen schneydt man vil wunden in die soln vnnd reybt jnen saltz dorein etlichen macht man ein eysinen halßring doruff ein eysner galgen den muoß er tag vnd nacht etwo lange zeyt an tragen.“, Bartholomaeus G E O R G I E V I T S , Türckey, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1331), S. 215. der missglückten Flucht, ihn zu töten oder zu verkaufen. Der Kampf- und Überlebenswille, der am Anfang des Fluchtversuchs noch geschildert wird, war nicht mehr vorhanden, auch wenn Georgijević dem Leser ein anderes Bild vermitteln will: „Als ich nun diesen gewaltigen Aufwand umsonst unternommen hatte, bat ich meinen Herrn, mich entweder zu verkaufen oder zu töten, damit ich mich nicht von neuem an ihm verginge, denn mein Charakter sei nun einmal so, daß ich bei der erstbesten Gelegenheit meine Fluchtpläne sicher verwirklichen würde“. 1365 Trotz der rebellischen Androhung einer erneuten Flucht lässt der fatalisti‐ sche und mutlose Zug in der Darstellung Georgijevićs die Verzweiflung nach der missglückten Flucht deutlich werden. Ob die Darstellung Georgijevićs, dass die Osmanen, die die Gefangenen auf dem Meer aufgriffen, den Besitzer ausfindig machten, eher der Dramatik seines Berichts dient, kann nicht bestätigt werden, ist jedoch zumindest denkbar. Der Besitzer habe seinen Sklaven schließlich für 57 Dukaten an einen Bauern verkauft und damit, so ist im Traktat zu lesen, habe Georgijević noch großes Glück gehabt, denn andere Flüchtlinge seien härter bestraft worden. 1366 Bei seinem nächsten Be‐ sitzer erlernte Georgijević Fertigkeiten im Landbau und wurde zur Feldarbeit eingesetzt. Er verblieb damit im landwirtschaftlichen Raum, musste jedoch keine Schafe mehr hüten. Nach der Einarbeitungszeit, die Georgijević nah bei seinem Herrn auf dem Feld verbringen musste, habe er schließlich ein eigenes Stück Acker erhalten, das er mit der Anweisung eine bestimmte Fläche innerhalb einer gesetzten Frist zu bepflügen und unter Androhung von möglicher Strafe bearbeiten sollte. Dabei ist es, so die Beschreibung Georgijevićs, zur Mittagszeit zu einem Unglück gekommen. Da die Ochsen nicht schnell genug waren, habe er sie so hart angetrieben, dass eines der Tiere gestorben sei: „Ich war hilf- und ratlos, und da ich den Zorn des Herrn fürchtete, dem sein Ochse weitaus lieber war als ich, ergriff ich die Flucht. 370 B. Militärische Gefangenschaften 1367 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 35-37, „Caeterum appetente meridie boues feruore aestuantes, ad proximum fluuium cum aratro contendunt. Ibidum renitor ne abeant, et rursum summa ui à flumine reduce, plurimum temporis abijt, nec iam opera absolui poterat, quamobrem impatientius boues stimulo, quorum alter sinsistra fortuna in uomerem impegit, et ex uulnere mutilates cepit animam agree, inops consilij, herilem iram permetuens, qui longè habebat chariorem bouem suum quàm me, fugam intend: sed herus subito reuersus fugienti instat, BRE TUT GIAURI: id est, apprehende Christianum, clamans“, ebd., S. 34-36. 1368 „ego respondi me ad ueterem herum iturum, unde me emerat, ne illi sui nummi peri‐ rent, nam elabendi in illis locis nulla omnino spes affulgebat.“, G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 38, „Ich erwiderte, ich wolle zu meinem alten Herrn gehen, von dem er mich gekauft hatte, damit er nicht sein Geld verlöre; denn Hoffnung auf Entkommen gab es in dieser Gegend überhaupt nicht“, ebd., S. 39. 1369 Für den Hinweis der Amnestie beim Übertritt zum islamischen Glauben danke ich an dieser Stelle Dirk Jäckel. (Als Grundlage s. u. a. Sure 5, 72-74.) Aber da kam mein Herr plötzlich zurück und setzte dem Flüchtenden nach, wobei er schrie: Bre tut giauri, d. h. Haltet den Christen.“ 1367 Aus Angst vor der Rache seines Besitzers sei er geflohen. Georgijević fährt fort, dass er dem direkten Zugriff seines Herrn entwischen konnte und sich die anwesenden Männer ihm nicht in den Weg stellten, sondern ihn angefeuert hätten. Er überquerte den Fluss und wartete dort auf seinen Herrn, um ihn notfalls mit dem Ochsenziemer totzuschlagen. Doch der Besitzer hütete sich vor der direkten Auseinandersetzung mit seinem Sklaven. Allerdings war Georgijević trotzdem in einer schwierigen Lage, wie er zu bedenken gibt, da er die Gegend nicht kannte und bereits einmal erfahren musste, dass die fehlende Ortskenntnis eine Flucht unmöglich machte. 1368 Georgijević befand sich in einer Pattsituation. Der Herr bot ihm daraufhin an, dass er ihn straffrei zurücknehme, doch der Sklave glaubte ihm nicht und fürchtete weiterhin seinen Jähzorn, vor allem nach dem Tod des Ochsen. Der Hinweis auf den Straferlass deutet auf das Angebot einer Konversion zum Islam hin, da der Übertritt mit einer automatischen Amnestie verbunden war. 1369 Die Männer hätten sich schließlich darauf geeinigt, dass Georgijević zu seinem alten Besitzer zurückkehren könne. Daraufhin sei er erneut zu seinem vorherigen Herrn gekommen und dieser erstattete dem letzten Besitzer den Kaufpreis von 57 Dukaten zurück. Es ist sicherlich sehr viel wahrscheinlicher, dass Georgijević zurückgebracht und der Kaufpreis zurückgefordert wurde, da er als Sklave wertlos war, wenn er fortdauernd davonlief. Dazu passt auch, dass er sofort wieder, hart in Fesseln gelegt, auf dem Sklavenmarkt verkauft wurde. Erneut kam der Gefangene zu einem Bauern, bei dem es ihm aber deutlich besser ging: „Und trotzdem konnte ich auch in dieser milden Knechtschaft mein 371 4. Bartholomej Georgijević 1370 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 39, „Non tamen in molli seruitute patriae aut libertatis obliuisci potui, nam me post quinquennium rursum in fugam conieci, sed nullo successu“, ebd., S. 38. 1371 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 43, „respondi me hactenus durissima ob religionem Christianiam retinendam tolerauisse, et malle adhuc duriora pati, quàm Dei cultum abnegare“, ebd., S. 42. In seinem Traktat beschreibt er die Beschneidung eines Christen, der freiwillig zum Islam übertrat, und dass viele der ehemals gefangenen Knechte den Namen „Seremmeth“ erhalten würden, wenn sie konvertierten: Bartholomaeus G E O R G I E V I T S , Türckey, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1331), S. 175f. Vaterland oder die Freiheit nicht vergessen, denn nach fünf Jahren ergriff ich wieder die Flucht, aber ohne Erfolg.“ 1370 Der Abstand zu seiner nächsten Flucht von fünf Jahren war wesentlich länger als die Zeitspannen davor. Ob dies nur mit der besseren Behandlung in der Gefangenschaft zu tun hatte, oder ob er nach der letzten missglückten Flucht erst wieder seinen Überlebenswillen finden musste, ist schwer abzuschätzen. Auffällig ist jedoch, dass er diese Jahre in seiner Beschreibung beinahe aus‐ spart. Er schildert nichts über eine Tätigkeit oder seine Unterbringung und nichts von Mitgefangenen oder Ereignissen in dieser Zeit - eine Parallele zur Darstellung Georgs von Ungarn, die ebenfalls eine Lücke aufweist und damit diametral der eloquenten Beschreibung der vorherigen Gefangenschaftsräume gegenübersteht. Wie Georg von Ungarn wollte er die Zeit, in der es ihm augenscheinlich besser ging, mit dem Publikum nicht teilen. Schließlich habe er auch bei diesem Herrn eine letzte erfolglose Flucht versucht, die erneut mit dem Aufgreifen des Sklaven durch den Herrn endete, der ihn wiederum auf dem nächsten Sklavenmarkt verkaufte. Hier gelangte er an einen Herrn aus Anatolien, dem sich Georgijević als Wissenschaftler zu erkennen gab und der ihn daraufhin zum Übertritt bewegen wollte. Dafür hätte er ihm einen hohen Posten als Pferdeknecht angeboten, nur die Beschneidung sei unabwendbar gewesen. Gegen eine Beschneidung und den Übertritt zum fremden Glauben habe sich Georgijević jedoch standhaft gewehrt, wie er wiederholt betont: „Ich antwortete, ich hätte bisher die größten Härten erduldet, um an der christlichen Religion festzuhalten, und wolle lieber noch Härteres erleiden, als dem Gottesdienst abschwören.“ 1371 Daraus, so Georgijević, habe sich ein theologischer Disput der beiden Männer ergeben. Nachdem ihm der Muslim vorgeworfen habe, dass die Christen in Gott, Christus und Maria drei Götter anbeten würden und Georgijević ihm daraufhin die Trinitätslehre darlegen konnte, hätte ihn der Anatolier gekauft und ihn bei einem Koranlehrer in die Lehre gehen lassen: „Immerhin erreichte ich damit, daß er mich höchst begierig kaufte und danach gleich zu einem Korangelehrten gab, damit ich 372 B. Militärische Gefangenschaften 1372 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 45, „hoc certe obtinui, ut me auidis‐ sime emeret, emptumque adiungeret perito Alcorani, ut leges Mahumeticas condiscerem, aiebat enim facile futurum ut Muslemannus fierem, si ipsorum institute rectè persiperem“, ebd., S. 44. Der Muslim sei sich der Sache so sicher, da sein Großvater selbst noch Christ gewesen und nach dem Unterricht in den rechten Lehren des Islams ebenfalls zum Glauben übergetreten sei und als Renegat eine große Karriere erlebt hätte. 1373 Ebd., S. 46. 1374 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 48. die mohammedanischen Religionsgesetze lernte; er sagte nämlich, ich würde ganz leicht zum Muslim werden, wenn ich ihre Lehren erst begriffen hätte.“ 1372 Der theologische Disput war wahrscheinlich ein literarischer Topos, den Georgijević für seine Leser bewusst inszenierte. Er habe nicht nur einen Glaubensdiskurs gewinnen können, sondern habe ganz im christlichen Glauben verhaftet sogar den Unterricht der muslimischen Religionstexte überstanden, ohne in seiner Überzeugung zu wanken. In seinem Bericht schreibt Georgijević nichts Genaueres über den Unterricht bei dem Korangelehrten und seine Gefangenschaft bei dem neuen anatolischen Herrn. Einige Zeit, nachdem er von dem Muslim gekauft wurde, habe Georgijević erfahren, dass der osmanische Sultan Süleyman I. einen Kriegszug gegen die Ungarn vorbereitete und sein Herr mit in diese Schlacht ziehen wollte. Da Georgijević immer noch nicht beschnitten gewesen sei, habe sich sein Herr davor gefürchtet, ihn mitzunehmen und so nah seiner christlichen Heimat mit einem Pferd auszustatten, mit dem er leicht hätte fliehen können. Deshalb sollte der christliche Sklave zurückbleiben und auf dem Anwesen des Muslims weiter seinen Sklavendienst verrichten. Als er jedoch gesehen habe, wie sehr Georgijević selbst in diesem Moment weiter in seinem Glauben verharrte, versprach er ihm, ihn freizulassen, sobald er ein erstes Kind geschenkt bekommen würde. 1373 Erneut tragen alle Aussagen in der Textpassage Sorge den Gefangenen als rechtschaffenden Christen zu charakterisieren, der selbst der größten Versuchung widerstehen konnte und dadurch seinem Glauben treu blieb. Für Georgijević war die Abreise des Herrn, wie er es darstellt, schwer zu verar‐ beiten, zog dieser doch an die Grenze der christlichen Welt ohne seinen christlichen Gefangenen. Über seine Zeit bis zur Rückkehr des Herrn lässt er nichts verlauten und so beginnt sein Bericht erst wieder mit der Heimkehr des Muslims vom unga‐ rischen Feldzug. Georgijević erzählt, dass er seinen Herrn nach dessen Heimkehr auf mehreren Reisen begleitete, bei denen dieser Steuern eintrieb. Entweder hatte der Herr zu seinem Gefangenen mehr Vertrauen geschlossen oder aber er fürchtete die Flucht auf einer Steuerreise weniger als im Kampfgetümmel, jedenfalls habe Georgijević ihn nun auch nach Asien und Europa begleitet. 1374 Natürlich kann an dieser Stelle spekuliert werden, dass Georgijević in der Zwischenzeit konvertiert 373 4. Bartholomej Georgijević 1375 Einen erneuten Angriff auf das Reich der Perser nach dem Winter sei durch den Angriff Karls V. auf Tunis verhindert worden. Die Perser nahmen das bereits besetzte Gebiet wieder ein und töteten Nachhuten der Osmanen, wie Georgijević zu berichten weiß, G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 50. 1376 In seinem Traktat berichtet er, dass ein osmanischer Heerzug immer auch von gefangenen Dienern begleitet wurde. Die Herren seien dabei sehr genügsam gewesen und hätten die gleiche Speise wie alle anderen gegessen und sich mehr um die Pferde als um die Menschen gesorgt. Allerdings habe man darauf geachtet, dass es zu keiner Unordnung und Aufruhr kam, damit die gefangenen Knechte dies nicht zur Flucht nutzen konnten: „Wo sy sich gelegert haben do ist es so still daz sy auch die gfangenen dormit nit etwa ein lerman entstande enpfliechen lassen.“, Bartholomaeus G E O R G I E V I T S , Türckey, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1331), S. 189. 1377 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 53-55, „ubi triginta septem diebus herbis me et syluestris alebam, noctu in arboresconscendens, ne à feris dilacerarer“, G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 52-54. 1378 Bartholomaeus G E O R G I E V I T S , Türckey, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1331), S. 214. war und er deshalb das Anwesen seines Besitzers verlassen durfte, auch wenn er diese Möglichkeit immer wieder von sich weist. So war er bemüht, den Feldzug der Osmanen gegen die Perser, an dem er im Gefolge seines Herrn teilnahm, so darzustellen, dass der Leser sein bedauernswertes Schicksal nicht vergaß: Er habe den großen osmanischen Herren als Diener zur Verfügung gestanden und schrecklichen Hunger und Durst gelitten. Außerdem erzählt er, wie die Truppen von den Persern ausgehungert wurden, indem der persische Feind sich immer weiter ins Landesinnere zurückzog, wohin ihm die Osmanen folgten. Schließlich hätte der Wintereinbruch, dem man aufgrund fehlenden Brennmaterials nicht trotzen konnte, die osmanischen Truppen zur Umkehr gezwungen. 1375 Georgijević nutzte, wie er beschreibt, das Durcheinander der Truppen bei ihrem Abzug zur Flucht. 1376 Dabei habe er - ganz im Topos des leidenden, aber standhaften Christen - Gott und Maria um Hilfe angerufen und gelobt eine Pilgerfahrt nach Jerusalem und Santiago de Compostela im Falle seiner Errettung zu unternehmen. Zuvor habe er einen Becher, Salz und ein Beil aus den Habseligkeiten seines Herrn stehlen können - alles Utensilien, die er bereits bei der ersten Flucht genutzt hatte. Schließlich sei er unbemerkt in die armenischen Berge entkommen: „Dort ernährte ich mich Siebenundreißig Tage lang von Kräutern und Waldfrüchten; nachts kletterte ich auf einen Baum, um nicht von den wilden Tieren gefressen zu werden.“ 1377 Erneut teilt er seine Erkenntnisse mit dem Leser: So sei es einfacher im Sommer zu fliehen, wenn man genügend Nahrung in der Natur finden könne. 1378 Wie angstbesetzt eine Flucht war und wie groß die Befürchtung wiederaufge‐ griffen zu werden, kann man am Ende des Traktats lesen. Georgijević beschreibt 374 B. Militärische Gefangenschaften 1379 Ebd., S. 216. 1380 Ebd., S. 215. für das Lesepublikum Zauberpraktiken der Muslime, mit denen sie versuchen würden, die entlaufenen Sklaven zur Rückkehr zu bewegen: „Sy hencken ein zedelin auff in der kammer oder wonung des knechts dorinnen stat des flüchtigen namen geschryben. Dornach so haben sy einn segen do sy mitt grausamen flüchen vnnd vermaledeyungen den knecht verzauberen das er ein teüfflisch gespenst vor jm sicht vnnd vermeint ymmer jme begegnen lewen drachen die jne fressen wöllen oder das grosse wasser vnd weyttes mhör gegen jhm anlauffe oder wie das überal einn finsternuß vmm jn sey. Derwegen er vor schrecken wider zuo seinem herren kompt.“ 1379 Diese Passage soll den ‚Aberglauben‘ der Muslime bloßstellen, der an dieser Stelle diametral zu der Wirkmacht des christlichen Glaubens steht, die ihn aus der Gefangenschaft befreien konnte, während die Mittel der Osmanen machtlos bleiben würden. Nachdem Georgijević sich sicher sein konnte, dass sein Herr mit seinen Männern weit genug weggezogen war, verließ er seine Zuflucht in den Bergen. Zu seinem Leidwesen sei er ziemlich schnell in bewohnte Gegenden gelangt und von Hirten aufgegriffen worden. Völlig entkräftet und krank, wie er berichtet, konnte er sich trotz des Beils nicht lange der Hunde und der Hirten, die ihn umringten, erwehren und ergab sich. Mit Hilfe des silbernen Bechers und seiner Versicherung, kein Sklave, sondern ein griechischer ‚Freier‘ zu sein, habe er sich aus der gefährlichen Lage retten können. Dass diese Situation von ihm als äußerst bedrohlich eingeschätzt wurde, wird anhand seiner Tipps für eine erfolgreiche Flucht deutlich: In seinem Kapitel zu den Fluchtmöglich‐ keiten der gefangenen Christen findet sich eine breitere Darstellung über das Verhältnis der Gefangenen zu den Schafhirten. So rät er den Christen, die zu mehreren eine Flucht wagen würden, einsam hütende Hirten anzugreifen und zu ermorden. So hätte man recht leichtes Spiel, an ihre Habseligkeiten zu kommen. Gleichzeitig warnt er jedoch auch vor den Hirten, denn viele der Entflohenen würden von Hirten aufgegriffen und getötet oder aber zu ihren alten Herren zurückgebracht werden. Die Gruppe der Hirten, die er ja während seiner Gefangenschaft am besten kennenlernen konnte, sei neben den anderen Gefahren, wie wilde Tiere, Hungertod oder Ertrinken in den Fluten, ein schlimmer Feind aller Flüchtenden. 1380 Georgijević berichtet, dass man ihn nach der Ergreifung untersucht habe und feststellen wollte, ob er beschnitten sei: „Das 375 4. Bartholomej Georgijević 1381 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 55, „id crediderunt, quia me inspectis membris, incircuncisum deprehenderunt: mancipia enim ferè omnia recutita sunt “, ebd., S. 54. 1382 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 55-57, „neutrum creditum fuit, inspectis igitur denuo membris ex praeputio didicerunt me Musulmannum non esse“, ebd., S. 54-56. 1383 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 57, „Ibi benigne alitus sum et uestitus iam fruens libertate, et cum Christianis Christiane uiuens, et ne deprehenderer non Graecus eße, omnes illorum mores et ritus imitatus sum“, ebd., S. 56. glaubten sie mir, nachdem sie meinen Körper untersucht und festgestellt hatten, daß ich unbeschnitten war; denn die Sklaven sind fast alle beschnitten“. 1381 Diese Textstelle soll in ihrer Darstellung nicht nur erklären, warum er nicht erneut in eine Gefangenschaft gelangte, sondern auch allen Zweifeln des heimi‐ schen Publikums begegnen. Die Hirten, so fährt er fort, hätten ihn in die nächste Stadt gebracht, wo er Kleidungsstücke gegen Nahrung eintauschen konnte. In der Stadt sei er von Männern bedrängt worden, die wissen wollten, woher er stammt und wer er sei. Georgijević erzählte ihnen die gleiche Geschichte, wie den Hirten, und gab an, dass sein Herr ihn zurückgelassen habe, da er krank geworden sei und im Heer nicht weiter hätte mitziehen können. Die Türken jedoch hätten seiner Geschichte nicht geglaubt und so sei er erneut untersucht worden: „Man glaubte mir nichts davon, stellte aber nach erneuter Untersuchung meines Körpers an meiner Vorhaut fest, daß ich kein Muslim war.“ 1382 Doch es blieb nicht bei der körperlichen Untersuchung. Auch ein griechischer Priester wurde herbeigerufen, der prüfen sollte, ob Georgijević der griechischen Sprache mächtig sei, wie er behauptete. Diese Prüfung habe er bestanden, da er in Thrakien und Makedonien die Sprache erlernt habe. Der Priester erklärte ihn zum Griechen und so durfte Georgijević mit dem Geistlichen wegziehen. Auch diese Schilderung einer zweifachen Überprüfung kann in Zweifel gezogen werden, sie dürfte vor allem der Abwehr eines möglichen Renegatenvorwurfs gedient haben. Da Georgijević auch noch die griechische Schrift beherrschte habe, sei er zur Behausung eines Eremiten geschickt worden, wo er zum Lehrer der Knaben wurde. Die Erleichterung, der Gefangenschaft entkommen zu sein und endlich wieder als christlicher ‚Gelehrter‘ zu wirken, kann man aus den nächsten Zeilen herauslesen: „Dort wurde ich freundlich verköstigt und gekleidet, und ich genoß wieder die Freiheit und lebte als Christ unter Christen, und damit sie nicht merkten, daß ich kein Grieche war, ahmte ich all ihre Sitten und Gebräuche nach.“ 1383 Georgijević scheint sich unter den orthodoxen Christen frei gefühlt zu haben und auch die weitestgehende Erfüllung ihrer Gebräuche, um nicht aufzufallen, stellte für ihn offensichtlich kein Problem dar. Vor dem Verzehr von Fleisch an 376 B. Militärische Gefangenschaften 1384 Georgijević schreibt über die Taufe, die Liturgie, die Festtage und das Fasten, aber auch von Tieropferungen. Und er gibt Auskunft über die Sitten und Gebräuche der Armenier, die er ebenfalls erlernen konnte. 1385 Bartholomaeus G E O R G I E V I T S , Türckey, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1331), S. 192. 1386 Ebd., S. 215. 1387 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 82. 1388 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 83, „Ego autem ab Hierosolymis soluens in Hispaniam nauigaui, ac tandem liber inter liberos Christianos cepi agere, nec destiti quin uota illa uisitandorum locorum sacrorum, quibus me obligaui, adimplerem“, ebd., S. 82. falschen Tagen habe er sich erneut retten können, indem er vorgab einem Gelübde zu folgen. 1384 Wie oder wann er die Griechen verließ, erklärt er nicht. Erst als er von den Armeniern und ihren Sitten berichtet, erwähnt er, dass sie entlaufene christliche Sklaven gut behandeln würden und dass er mit ihnen ins Heilige Land gereist sei. Zudem habe er Damaskus auf seiner Reise von Armenien ins Heilige Land gesehen. 1385 Sowohl über die Griechen als auch über die Armenier und ihren Umgang mit entlaufenen Sklaven äußert er sich in seinem Traktat positiv. Beide würden die Flüchtigen verstecken „vnd füeren sy verkleidt auff die Venediger schiff oder wo sy ander Christen kauff leütten wissen sy beweisen inen alle frey mildte helffen inen mit narung vnd zörung für sagen mann thüe jnen hierussen so sy gen Rhom oder gon Compostel wandlen auch vil guots.“ 1386 Das Leben nach der Gefangenschaft Mit den Armeniern gelangte er, gemäß seinem Gelübde im Falle einer Befreiung, nach Jerusalem. Er konnte sich im Franziskanerkloster auf dem Zionsberg einquartieren und blieb etwa ein Jahr in der heiligen Stadt. Den Minderbrüdern erzählte er nichts von seiner Gefangenschaft, da es für diese lebensgefährlich gewesen sei, einen entlaufenen Sklaven aufzunehmen. 1387 Die letzten Angaben, die sich im Gefangenschaftsbuch finden lassen, betreffen die Rückreise Geor‐ gijevićs. Er gibt an, vom Heiligen Land aus, wie gelobt, nach Santiago de Compostela gereist zu sein: „Ich aber reiste aus Jerusalem ab und segelte nach Spanien und begann endlich wieder als freier Mann unter freien Christen zu leben. Und ich versäumte es nicht, jene Gelübde zu erfüllen, durch die ich mich verpflichtet hatte, die heiligen Stätten zu besuchen.“ 1388 Mit einem Schiff des Franziskanerordens gelangte er schließlich nach Holland, wo er seine ersten Aufzeichnungen begann. Parallel reiste er als vielgefragter Kenner der türkischen Kultur und Lebensart durch das Abend‐ 377 4. Bartholomej Georgijević 1389 Bartholomaeus G E O R G I E V I T S , Türckey, in: Chronica unnd Beschreibung der Türckey mit e. Vorrhed Martini Lutheri (wie Anm. 1331), S. XX. 1390 G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 3. 1391 Klockow listet die Gründe auf, die seines Erachtens dafürsprechen, dass der Autor diesen Bericht nicht weiter benutzte. Die erste Unstimmigkeit, die der Bericht aufweist, ist die Tatsache, dass sich die angegebenen 13 Jahre der Gefangenschaft nicht nach‐ vollziehen lassen. Man kommt auf neun Jahre in Gefangenschaft und diese scheinen, so Klockow, bis auf die Anfangszeit auch nicht so dramatisch verlaufen zu sein. G E O R G I J E V IĆ / K L O C K O W , Captivitate (wie Anm. 1332), S. 4. 1392 Ernstpeter R U H E , L’aire du soupçon. Les récits de captivité en langue allemande (XVIe- XIXe siècles), in: Récits d’Orient dans les littératures d’Europe. XVIe-XVIIe siècles, hrsg. v. Anne Duprat/ Emilie Picherot (Recherches actuelles en littérature comparée), Paris 2008, S. 185-200, S. 191. 1393 Anne R I T T E R , Balthasar Sturmer. Ein deutscher Sklave als Augenzeuge bei der Erobe‐ rung von Tunis (1535). Untersuchung und Edition eines unbekannten Reiseberichts aus dem Jahr 1558, in: Europas islamische Nachbarn. Studien zur Literatur und Geschichte des Maghreb, hrsg. v. Ernstpeter Ruhe, Würzburg 1993, S. 187-231, S. 192. land. 1389 1552 fasste er seine wichtigsten Schriften in seinem „Türkenbüchlein“ zusammen. Klockow vermutet, dass er bereits zu diesem Zeitpunkt in Italien gelebt hat. Hier verlieren sich ab 1566 weitere Spuren zu seinem Leben. 1390 Georgijević wies einen ungeheuren Eifer auf, seine Erfahrungen immer wieder zu veröffentlichen. Meist veränderte er den Inhalt kaum noch, sondern stellte seine ersten Werke neu zusammen. Seine Erzählung „De captivitate sua apud Turcas“, die alleinig seine Gefangenschaft betraf, wurde von ihm jedoch kein weiteres Mal bearbeitet oder herausgegeben. 1391 5. Balthasar Sturmer a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses Als Kaufmann im Getreidehandel verließ Balthasar Sturmer 1532 seine Heimat‐ stadt Danzig in Richtung Lissabon. Dort wurde er aufgrund schlechter Geschäfte Gehilfe eines Büchsenmeisters an Bord eines italienischen Schiffes. Später diente er in gleicher Stellung in spanischen Diensten und gelangte bei einem Angriff türkischer Korsaren in Gefangenschaft. 1392 Über einige Umwege kam Balthasar Sturmer nach seiner Flucht zurück nach Danzig, wo er 1538 seinen Bericht zu seinen Erlebnissen beendete. Ob er identisch mit einem Danziger Pfarrer namens „Balthasar Sturm“ ist, der am 21. November 1562 einen Brief unterzeichnete, kann nur vermutet werden. 1393 378 B. Militärische Gefangenschaften 1394 Ebd., S. 194. 1395 Ebd. 1396 Unter die erste Gefangenschaft sollen alle Momente als Rudersklave fallen, auch wenn er in dieser Zeit mehrfach verkauft wurde. Die Orte seiner Gefangenschaft und die Bedingungen änderten sich aber nur unwesentlich. Auch scheint sich Sturmer selber nicht mehr an alle Orte und Besitzer zu erinnern; deshalb soll diese Zeitspanne als eine einzige Gefangenschaft gewertet werden. 1397 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 194. 1398 Ebd., S. 195. Sturmer widmete sein Werk in seinem Vorwort einem „Herr Frantz“, dem er die Geschichte seiner Gefangenschaft erzählen wolle: „Achbahr lieber Herr Frantz, nachdeme ich letzlich von Eurer Achbarkeitt verstendigett bin, Ihr gerne von mir hören woltett, wie ich gefenglich genommen vndt erlösett bin worden, habe ich derwegen nicht vnterlassen können, dasselbige Eurer Achtbarkeit durch die feder zu wissen thun.“ 1394 Die danach folgende Betrachtung seiner Gefangenschaft und die Errettung, die er nur durch Gottes Allmacht erreicht habe, lässt die Vermutung, dass Sturmer später das Priesteramt ausübte, wahrscheinlicher werden. Darüber hinaus finden sich im Bericht weitere religiöse Betrachtungen zur Strafe Gottes und über das Leid im christlichen Leben, die sich nicht in den Duktus eines Kaufmanns einordnen lassen, der am Beginn seines Berichtes noch über die Preise von Warenlieferungen nachdachte. 1395 b) Der Untersuchungsfall Die 1. Gefangenschaft 1396 Die Gefangennahme Balthasar Sturmer beginnt seinen Bericht über seine Erlebnisse, wie er von „den Turcken vndtt Mooren gefangen vndtt entlichen wunderbarlicher Weise erlösett worden“ 1397 , mit einer Beschreibung von den Handelsaktivitäten, die er als Kauf‐ mann in Lissabon tätigte. 1532 sei er von Danzig nach Lissabon gesegelt, um Weizen zu verkaufen. Dort angekommen habe er jedoch ein großes Verlustgeschäft gemacht und die Hilfe eines deutschen Büchsenmeisters vor Ort nutzen müssen, um den Weizen überhaupt verkaufen zu können. Da er dem Büchsenmeister nach dem Abwickeln der Geschäfte Geld schuldete und die Nahrung, wie er schreibt, in Lis‐ sabon überteuert war, verbrauchte Sturmer sein gesamtes eingenommenes Geld. 1398 Der deutsche Büchsenmeister bot Sturmer deshalb an, mit ihm auf einem Schiff anzuheuern. Sturmer nahm das Angebot an und wurde Diener des Büchsenmeisters 379 5. Balthasar Sturmer 1399 Sturmer erhielt zwei Dukaten Sold, dem Büchsenmeister wurden vier Dukaten pro Monat versprochen, Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 195. 1400 Zur Person des genuesischen Admirals Andrea Doria: Wolfgang K A I S E R , Why not I? Gewaltökonomie im Mittelmeerraum in der frühen Neuzeit, in: Kriegswirtschaft und Wirtschaftskriege. Economie de guerre et guerres économiques, hrsg. v. Valentin Groebner/ Sébastien Guex/ Jakob Tanner (Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialge‐ schichte - Societe suisse d’histoire economique et sociale 23), Zürich 2008, S. 39-50, S. 42; M A J O R O S / R I L L , Reich (wie Anm. 1105), S. 233. 1401 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 196. 1402 Zur Möglichkeit des Malteserordens auf eigene Rechnung eine Kaperfahrt auszurüsten s. B O N O , Piraten (wie Anm. 1115), S. 79-83. 1403 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 198. Die Herren von Rhodos, die Sturmer hier benennt, sind der Malteserorden ( Johanniter‐ orden); ab 1530 hatte der Orden, der 1522/ 23 von Rhodos vertrieben worden war, seine Niederlassung auf Malta gefunden, was Sturmer ein paar Seiten weiter in seinem Bericht auch noch einmal richtigstellt. Zur Eroberung Rhodos im Jahr 1522: M A J O R O S / R I L L , Reich (wie Anm. 1105), S. 220f. Vgl. auch Theresa V A N N , Hospitallers and Piracy on Rhodes, 14th -16th centuries, in: Seeraub im Mittelmeerraum. Piraterie, Korsarentum an Bord eines Schiffes, das mehrere italienische Häfen ansteuerte und schließlich in Neapel anlandete. 1399 In Neapel trennte sich Sturmer von dem Büchsenmeister und reiste weiter nach Messina. Dort hörte er, dass eine kaiserliche Armada zusammengestellt werden sollte, um die Stadt Coron zu befreien. Das heutige Koroni war ab dem Jahr 1206 in Besitz der Venezianer, wurde durch die Osmanen unter Sultan Bajezid II. im Jahr 1500 erobert und unter türkische Herrschaft gestellt. 1532 sollte die Stadt durch die Habsburger zurückerobert werden, weshalb sich unter der Befehlsgewalt des genuesischen Admirals Andrea Doria eine Flotte zusammenstellte: 1400 „Da kame nu Andreas Doria von Genua mitt 24 seiner Galleÿen vndt sonsten beÿ 30 grosse Schiffe, mitt Geschütze vndt Victualien woll zugerichtett. Alda war ich auch mitte für ein Büxemeister.“ 1401 Sturmer blieb also seinem neuen Berufsfeld, der Büchsenmacherei, treu. Er ging mit an Bord und machte sich auf den Weg mit der Flotte nach Koroni. Die Schlacht konnte von den Christen gewonnen werden und man kehrte triumphierend nach Messina und anschließend nach Neapel zurück, wo Sturmer seinen Sold erhielt. Doch Sturmer berichtet auch, dass die Osmanen Koroni später wieder in ihren Besitz bringen konnten. Er selbst war zu diesem Zeitpunkt in Messina und erfuhr dort, dass die Malteser ein weiteres Schiff gegen die Osmanen rüsten und eine Besatzung rekrutieren wollten: 1402 „Mittler Zeitt wardt in Messina durch einen Rodieser Herren vmbgeschlagen mitt Namen Freÿ Lison, wer auff die Turcjen oder Abentheur siegellen wollte, der sollte sich zu Sankt Francisco finden.“ 1403 380 B. Militärische Gefangenschaften und maritime Gewalt von der Antike bis zur Neuzeit, hrsg. v. Nikolas Jaspert/ Sebastian Kolditz (Mittelmeerstudien 3), Paderborn 2013, S. 251-261. 1404 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 198. 1405 Zur Unterscheidung von Piraten und Korsaren s. B O N O , Piraten (wie Anm. 1115), S. 20f. Zur Piraterie allgemein: S A L I C R Ú I L L U C H , Roser, Luck and Contingency? Piracy, Human Booty and Human Trafficking in the Late Medieval Western Mediterranean, in: Seeraub im Mittelmeerraum. Piraterie, Korsarentum und maritime Gewalt von der Antike bis zur Neuzeit, hrsg. v. Nikolas Jaspert/ Sebastian Kolditz (Mittelmeerstudien 3), Paderborn 2013, S. 349-362. 1406 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 200. 1407 Ebd., S. 201. Auch Sturmer wollte sich der Schiffsbesatzung anschließen und versuchte einen Platz zu erhalten. Zuerst fürchtete er, zu spät zu kommen, doch er schaffte es noch rechtzeitig auf das Schiff: „Ich meinete, ich wurde zu spatt kommen. Lieff baltt hin. Zu meinem Vnglücke wardt ich fur einen Büxemeister genommen vndt hatte 3 Solde oder 3 Partte was zur Beute kommen wurde. Welche wir baltt bekamen, wahren aber nicht lange Herren darüber.“ 1404 Wie Sturmer berichtet, lief die Fahrt gegen die Türken zuerst gut, man besiegte Schiffe mit reicher Ladung. So wurde unter anderem ein mit türkischen Waren geladenes Schiff, das sich auf dem Weg nach Konstantinopel befand, erobert und man erbeutete Wollladungen und Perlen. 1405 Sturmer schätzte umgehend die Ladung, und man kann den Kaufmann in seinen Ausführungen herauslesen, der den Blick für mögliche Gewinnspannen nicht außer Acht lassen konnte. 1406 Die Christen entschlossen sich, nach Nizza zu segeln und dort die Bezahlung und den Beuteanteil einzuziehen. Sturmer machte mit seinen Kameraden an Bord bereits Pläne, wie das Geld auszugeben sei: „Den Tag aber zuuorn hette ich mitt meinen Gesellenn Ratth, was wir mitt dem grossem Gelde thun wolten, wan wir es zu Nicea empfangen hetten. […] dan einem jederen mehre auffs wenigste woll kommen über 2000 Ducaten, dan die Beutte wahr in sich woll vber 15000 Dukaten wertth. Da antwortett ich: ‚Was wollen wir bereitt nach Hause? Wir wollen nun ersten das Glücke besser versuchen vndtt wiederumb nach Sicilien siegelen. Alda eine Galleÿen kauffen oder bawen lassen vndt das Weges einziehen vndt mehr holen. Alsdan triumphierende nach Hause kommen! ‘ Der Wille wahr gutt vndtt so auch beschlossen. aber ballt verkehrett, wie man sagett: Homo proponit, Deus disponit.“ 1407 Sie machten sich schwer beladen auf den Weg nach Nizza, doch bei Vulcano, einer der Liparischen Inseln, trafen sie auf drei Galeeren: „Wie wir nun für der 381 5. Balthasar Sturmer 1408 Ebd., S. 200. Zur Problematik der Begegnung auf hoher See und der Unterscheidung in ‚Freund oder Feind‘: B O N O , Piraten (wie Anm. 1115), S. 171. 1409 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 200. 1410 Ebd., S. 201. 1411 Ebd. 1412 Ebd. Insull über gesiegeltt sein, da ersehen wir ettwa 3 Meilen von vns 3 Galleÿen, wusten nicht, ob es Freunde oder Feinde wahren.“ 1408 Die Christen versuchten zu wenden und sich in Richtung Sizilien in Sicherheit zu bringen: „Aber der Windtt wahr vns contrari vndt ihnen zu vnserm Vnglücke mitte. Dazu hetten wir die Galleÿen so gantz überladen, das sie nicht woll behüettet wahr, vndt wie sie immer zu vns naheten, erkanten wir, das es turkische Galleÿen wahren. Da wahr das Hertz allenn von vns hinweg, dan wir wahren von ihnen übermannett“. 1409 Sturmer beschreibt sehr eindringlich das verzweifelte Kämpfen der Männer und die ausweglose Lage, in der sie sich befanden. Die ersten beiden Angriffe konnten noch abgewehrt werden. Doch alles Beten und Wehren half am Ende nichts und die Osmanen eroberten das Schiff der Christen: „Zum dritten Mahll kamen sie zu vns zugleich an Bortt, überfielen vns vndtt eroberten vnser Schiff samptt allem so darinnen wahr.“ 1410 Die Osmanen enterten das Schiff und nahmen alle, die nicht schon während des Gefechts umgekommen waren, gefangen. Auf christlicher Seite starben bei dem Überfall 23 Männer; 17 Christen, die verletzt waren, wurden nach dem Kampf über Bord geworfen. Sturmer gehörte mit zu den Verletzten, hielt sich aber tapfer, um nicht ebenfalls ins Wasser geworfen zu werden: „lch aber wahr hartt gewundett, jedoch hieltte ich mich stercker als ich wahr; mir wahr leide, ich solte auch mitt in aquam kommen.“ 1411 So gelangte er mit den anderen Christen in osmanische Gefangenschaft und wurde zunächst als Galeerensklave angeboten. Die Gefangenschaft Direkt nach seiner Gefangennahme wurde Balthasar Sturmer für 40 Dukaten verkauft. Wo genau der erste Handel mit dem Sklaven stattfand, kann er nicht sagen, da ihm die genaue Lokalisierung des Ortes nicht gelingt: „Nun siegelten sie mitt vns in eine wüste Insell, deren Namen ich vergessen habe. […] Da wurden wir an Landt gebracht vndt daselbst vnter ihnen verkauffett, auff eines jederen Antheill seines Parttes. Ich wartt pro 40 Ducaten geben.“ 1412 Nachdem Sturmer das erste Mal verkauft wurde, ging die Reise weiter nach Djerba, wo er direkt ein weiteres Mal veräußert wurde, da sein erster Herr nach 382 B. Militärische Gefangenschaften 1413 Ebd. 1414 „Da teileten sie ihren von vns genommenen Raub aus.“, Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 201. 1415 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 202. Zur Piraterie unter den Muslimen: Albrecht F U E S S , Muslime und Piraterie im Mittelmeer (7- 16. Jahrhundert), in: Seeraub im Mittelmeerraum. Piraterie, Korsarentum und maritime Gewalt von der Antike bis zur Neuzeit, hrsg. v. Nikolas Jaspert/ Sebastian Kolditz (Mittelmeerstudien 3), Paderborn 2013, S. 175-198. 1416 Vor allem das Leben auf den christlichen Schiffen beschreibt B O N O , Piraten (wie Anm. 1115), S. 145-158; Wolfgang K Ö B E R E R , Schwimmende Gefängnisse, in: Vom Guten, das noch stets das Böse schafft. Kriminalwissenschaftliche Essays zu Ehren von Herbert Jäger, hrsg. v. Herbert Jäger/ Lorenz Böllinger/ Rüdiger Lautmann, Frankfurt am Main 1993, S. 196-207. 1417 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 188f. Zum osmanischen Korsaren ‚Barbarossa‘, türkisch ‚Barbaros Hayreddin Paşa‘: B O N O , Piraten (wie Anm. 1115), S. 7-10, S. 32f., S. 185f.; M A J O R O S / R I L L , Reich (wie Anm. 1105), S. 233f.; Konstantinopel weiterfuhr und ihn nicht mitnahm. Der zweite Verkaufspreis für Sturmer lag bei 32 Dukaten. 1413 Es ging zuerst nach Tripolis, wo die türkische Truppe, in deren Besitz sich Sturmer nun befand, die Beute untereinander aufteilte. 1414 Nach dem Verkauf arbeitete Sturmer jedoch nicht als Sklave und er diente auch nicht wie andere Gefangene im osmanischen Heeresverband, sondern wurde als Rudersklave eingesetzt - ein ungleich härteres Los: „Baltt nach deme wardt ich auff eine turckische Galleÿen geschmiedett, muste alda die lange feder ziehen, vndt siegelten wiederumb auff Abentheur. Gott gab dem Turcken viell Glücke“. 1415 Während Gott also den Christen nicht half, schien er für Sturmer auf Seiten der Türken zu stehen. Sturmer selbst wurde, wie er beschreibt, an die Galeerenbank gekettet, um das Ruder zu betätigen. Doch ein weiteres Klagen über die schlechten Bedingungen findet sich an dieser Stelle nicht. Dass das Leben als Rudersklave an Bord der osmanischen Schiffe kräftezehrend war, ist in anderen Quellen belegt. 1416 Sturmer gibt an zuerst nur drei Wochen an Bord der Galeere gewesen zu sein, bevor er mit der Besatzung wiederum nach Djerba segelte. In Djerba wurde Sturmer zum dritten Mal als Galeerensklave verkauft, ohne jedoch diesmal den Kaufpreis für seine Person zu nennen. Kurz nachdem er in Djerba zum zweiten Mal anlandete und verkauft wurde, kam es zur Schlacht um Tunis unter dem Kommando Kaiser Karls V. Sturmer gibt in seinem Werk zuerst die Vorgeschichte zur Schlacht um Tunis wieder und dann sehr detailliert den Ablauf der Ereignisse der ersten Eroberung der Stadt durch die osmanische Seeflotte unter dem Kommando von Khair ad-Din Barbarossa, der seit 1519 im Dienst der „Hohen Pforte“ stand und 1534 Tunis für Sultan Suleiman II. einnahm. 1417 Auch das Schiff, auf dem Sturmer als Rudersklave 383 5. Balthasar Sturmer M A T U Z , Osmanische (wie Anm. 1082), S. 121; Manfred P I T T I O N I / Gottfried L I E D L , Eine Re‐ naissance islamischer Seeherschaft, in: Im Zeichen der Kanone. Islamisch-christlicher Kulturtransfer am Beginn der Neuzeit, hrsg. v. Gottfried Liedl/ Manfred Pittioni/ Thomas Kolnberger (Expansion, Interaktion, Akkulturation 2), Wien 2002, S. 123-158, S. 133; Albrecht F U E S S , Muslime, in: Seeraub im Mittelmeerraum (wie Anm. 1415), S. 194. 1418 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 203. 1419 B O N O , Piraten (wie Anm. 1115), S. 33. 1420 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 204. 1421 Die Kriegsflotte des Kaisers umfasste 30 000 Mann und mehr als 400 Schiffe, B O N O , Piraten (wie Anm. 1115), S. 33. eingesetzt war, kam der Flotte Barbarossas zur Hilfe. Die Stadt sei schließlich durch einen geschickten Schachzug Barbarossas eingenommen worden. Nach der Eroberung wurde die Beute unter den Kämpfern verteilt: „Nun wahr ich mitt den Turcken ettwan 2 Monatt lang. Darnach thaten wir wieder eine Reise vndt holeten gutte beutte, dan ein gefangener Christ, der da rudett, hatt eben so viell Partte an der beutte als sein Herr. Aber wan es zur Austheilung kommet, so nimmet es sein Herr für ihn; mus also die Arbeitt vmb sonst gethan haben.“ 1418 Sturmer erhielt also rein rechtlich einen Anteil an der Beute und somit eine Art Sold für seine Dienste. Er sagt jedoch auch, dass er bei der Aufteilung der Beute leer ausging, da sein Herr das Geld für sich selbst nahm. Von einem vereinbarten Freikauf durch den zurückbehaltenen Erlös spricht er nicht. Der Kaufmann, der zuvor auf den christlichen Schiffen gute Beute machen konnte, fühlte sich ungerecht behandelt und um seinen Anteil gebracht. Ein Jahr nach der Eroberung von Tunis durch Barbarossa machte sich Karl V. 1535 mit einer eigenen Armada nach Tunis auf. 1419 Bei Sardinien, so berichtet Sturmer, sei ein kaiserliches Schiff von den Osmanen erobert und mitsamt der Besatzung nach Tunis verbracht worden: „Wie die Gefangenen nun zu Lande gebracht wurden, wurden sie für den Obersten gebracht mitt Namen Casso Diaboli. Da wardt gefragett durch einen Tholmetschen, wie strack Keÿserliche Maÿestett mit seiner Armade wehre vndt wie baltt er woll kommen wurde. - Ich drange mich ein, hörett zu, welches mir ein liebe Zeittunge wahr.“ 1420 Mit Hilfe eines Dolmetschers seien die neu gefangenen Christen von den Osmanen zur Taktik Karls befragt worden, um sich auf den drohenden Angriff besser vorbereiten zu können. Sturmer konnte, wie er sagt, das Gespräch belauschen und freute sich über die Nachrichten aus seiner alten Heimat. Die Christen gaben laut Sturmer an, dass die christliche Flotte 40 000 Mann stark sei und man bald mit der Landung der Schiffe rechnen könne. 1421 Ein alter Osmane, der bei der Befragung dabei war, sagte zu den Umstehenden: „Wollacheÿ billacheÿ Spanien gauor kolckmas, Italian gauor kolckmas, Ilman 384 B. Militärische Gefangenschaften 1422 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 204. 1423 Ebd., S. 204f. 1424 Ebd., S. 205. gauor kolckmas iauis kopecke.“ 1422 Und wir erhalten von Sturmer auch die Übersetzung der Rede des alten Mannes: „Wir sollen vns so viell für den Spaniern nicht fürchten, desgleichen für den Welschen, aber die Teuttschen wehren starcke Hunde; er hette es in Vngern woll erfahren.“ 1423 Hier müssen Sturmers Ausführungen sicherlich angezweifelt werden. Zu sehr scheinen die Worte für ein Lesepublikum gefärbt zu sein, wenn von der Gefährlichkeit der „Teuttschen“ die Rede ist. Der alte Osmane, der sich hier an die Kampfkraft der Christen erinnert, soll in Sturmers Darstellung womöglich auf die Schlacht von Mohács anspielen, die am 25. August 1528 zwischen Sultan Suleiman II. und König Ludwig II. von Böhmen und Ungarn geschlagen wurde. Damals verlor das christliche Heer gegen die Osmanen, jedoch, so können wir es hier als Botschaft lesen, lag die Niederlage nicht am Unvermögen des deutschen Truppenkontingents. Sturmer erzählt, er sei, nachdem er die Informationen erlauscht hatte, sofort zu seinen christlichen Mitgefangenen gegangen und habe ihnen von den Neuigkeiten berichtet. Daraufhin sei jedoch sein Herr zu ihnen gekommen und es habe sich ein Gespräch zwischen ihm und Sturmer entwickelt: „Nach deme baltt kommett mein Herr in die Galleÿen, fordert mich für sich vndt sprichtt: ‚Du solst wissen, das dein Vatter vndt alle sein Geschlechte kommet hieher. Aber wir wollen sie „Willkommen“ heissen vndt sie fangen, damitt du mehr Geselschafft bekommest.‘ Ich antwortett ihme: ‚Es stehet alles in Gottes handtt.‘ Er sprach: ‚Deine Götter werdenn dir nichtt helffen.‘“ 1424 Acht Tage nach den Beobachtungen Sturmers sei die kaiserliche Flotte, die aus 1 000 Galeeren und 500 weiteren Schiffen bestanden habe, angekommen. Das Heer habe sich aus Kontingenten aus Italien, Spanien und des Johanniterordens zusammengesetzt. Diese Zwischenepisode, die Sturmer vor den eigentlichen Angriff der Christen auf Tunis setzt, liest sich sehr nach einem dramaturgischen Kunstgriff des Autors, um einen Spannungsbogen für den Leser zu erzeugen. Auch wenn man ihm nicht mit letzter Sicherheit eine rein fiktionale Szene unterstellen kann, so muss doch mit größter Vorsicht an die Informationen herangegangen werden. Dass Sturmer unbemerkt ein so brisantes Gespräch belauschen und sich so frei außerhalb der Galeere bewegen konnte, ist an sich schon zweifelhaft. Auch die Bemerkung des Osmanen über die Deutschen klingt für ein Lesepublikum arrangiert und letztlich auch die Unterhaltung zwischen Sturmer und seinem Herrn in der Galeere. 385 5. Balthasar Sturmer 1425 Ebd. 1426 Ebd. 1427 Ebd., S. 206. Zur Eroberung Tunis: M A J O R O S / R I L L , Reich (wie Anm. 1105), S. 235. Fluchtversuche und das Ende der Gefangenschaft Die abenteuerliche Darstellung Balthasar Sturmers geht weiter und er berichtet von einer ersten verpassten Fluchtmöglichkeit. So habe er die Ankunft der kai‐ serlichen Schiffe und auch die Möglichkeit versäumt, unbemerkt zu entkommen: „Nicht eine halbe Stunde dafür wahr ich nach Wasser gegangen ettwa ein Vierteill Weges von der Golletta. Vndt wehre ich nur die zeitt verschienen lenger ausblieben, so hette ich die Galleÿen sehen ankommen. Hett mich alda verkrochen vndt den Abendt zu Keÿserliche Maÿestett kommen vndt alle Gelegenheitt angezeigett.“ 1425 Sturmer war also auf dem Weg aus der Hafenstadt La Goulette, um Wasser zu holen - eine Aufgabe, die sicherlich von den Rudersklaven übernommen werden musste - und verpasste, versetzt um eine halbe Stunde, die Ankunft der christlichen Schiffe, so dass er trotz des erweiterten Bewegungsrahmens keine Möglichkeit der Flucht geboten bekam. Er berichtet weiter, dass er die christlichen Schiffe erst sah, als er die Wasserbehälter im osmanischen Lager wieder von der Schulter ablud. Die 20 Galeeren steuerten La Goulette, den Ort, an dem sich die Gefangenen befanden, an. Deshalb beschlossen die Osmanen die Gefangenen nicht vor Ort zu belassen: „Von Stunden ann wurden wir gefangene Christen nach Tunis geführett vndtt alda hin vndt wieder vertheilett vndt in Ketten gespannen; dan vnserer wahren woll 15000 von allen Nationen.“ 1426 Die Rudersklaven und sicherlich auch andere gefangene Sklaven wurden bei Ankunft der christlichen Flotte aus der weniger befestigten Hafenstadt genommen und nach Tunis verbracht und dort, wie Sturmer schreibt, in ver‐ schiedenen Behausungen angekettet, um eine Flucht zu verhindern. Neben der Fluchtgefahr wollte man sich sicherlich auch vor einer Revolte der Sklaven in der Hafenstadt La Goulette schützen. Die allein logistisch nicht nachvollziehbare Anzahl der 15 000 Gefangenen muss sicherlich nach unten korrigiert werden. Nach einer dreimonatigen Belagerung konnten die Christen schließlich am 21. Juli 1535 die osmanische Hafenstadt einnehmen: „Es geschahe auff einen Tag, ettwa 3 Tage für Jacobi, wahren vnser gefangen Christen beÿ 50 in vnserm Losamente los gemachett, Wasser zu holen vns selbest zu trencken. Wir wahren nicht weitt gegangen, erhebett sich so ein grausam Schiessen. Des Morgens vmb die Glocke 3 da sturmett Keÿserlicher Maÿestett die Golletta. Die Turcken trieben vns zu rucke vndt schmiedeten vns viel fester in die Ketten, als wir vorhin gewesen wahren.“ 1427 386 B. Militärische Gefangenschaften 1428 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 206. 1429 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 206. 1430 „Da belobet mir mein Herr, ich solte ihme noch 2 Jahr dienen, se solte ich freӱ sein. Aber ich hielte ihme keinen Glauben.“, Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 206. 1431 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 206f. Drei Stunden später sei die Stadt von den Christen erobert worden, die Gefangenen jedoch wurden noch besser bewacht und, wie Sturmer anmerkt, stärker angekettet. Danach lässt Sturmer wieder hinter die Kulissen seiner Ge‐ fangenschaft blicken, so habe er des Öfteren mit der Dienerschaft seines Herren diskutiert: „Nun pflag ich offte mitt meines Herren Dienern zu argumentieren. Die Turcken sprachen stetes: ‚Wan die Christen neher kommen, wollen wir sie alle zu Thodt schlagen vndt gefenglich nemen.‘ Ich aber hielte Wiederpartt, das Keÿserliche Maÿestet also starck kommen wurde vndt die Golletta sturmende beschiessen, das man nichtt wissen sollte, wor die Mauer gestanden hette.“ 1428 Als der Herr des Hauses am Abend zurückkehrte, hätte ihm der Diener von dem gefangenen Christen erzählt, der den siegreichen Angriff der kaiserlichen Armee voraussagte: „Da kommett nun mein Herr zu seinem Hause zu Tunis, lest mich aus dem Gefengnüsse holen. […] Worauff mich mein Herr fragett: ‚Was dunckett dich nun weitter in der Sache zu thun? Weren wir auch Tunis erhalten können? ‘ Da antwortete ich meinem Herren, er möchte nur seine Sachen also bestellen, das er sich nur auff die Reise machett, weg zu fliehen. Dieweill Tunis keine feste Stadtt ist, dar man sich innen finden mag lassen.“ 1429 Der Herr hätte zwar seiner Prophezeiung nicht geglaubt, ihm jedoch die Freilassung gelobt, sofern Sturmer ihm noch zwei Jahre dienen würde - ein Versprechen, dass Sturmer jedoch, wie er selber schreibt, anzweifelte. 1430 Danach schildert Sturmer die Schlacht um Tunis zwischen der kaiserlichen Armee und Barbarossa und seinen Truppen. Interessant ist vor allem die Beschreibung der osmanischen Kriegstaktik um das Schloss von Tunis: „Das Schlos wardtt mitt 600 Turcken besetzett. Undt ihnen befohlen, so sie sehen wurden, das der Barbarossa das Feldt verlieren wurde, so sollten sie das Schlos mitt samptt den gefangenen Christen in Brant stecken.“ 1431 Sturmer selbst war nicht bei den gefangenen Christen im Turm, da er, wie er sagt, mit seinem Herrn im Feld stand und gegen seine eigenen Glaubensbrüder kämpfen musste. Gleichzeitig zu dem Plan der Osmanen berichtet er jedoch auch von der Verbrüderung der gefangenen Christen mit den Mamluken innerhalb des Schlosses: 387 5. Balthasar Sturmer 1432 Ebd., S. 207. 1433 Ebd. „Wie nun der Anschlag gemachett ist, sindt vnter den 600 Turcken ettwan 100 Mammelucken, verleugnete Christen. Die giengen zu den Gefangenen vndt sprachen zu ihnen: ‚Dies Vhrteill ist über euch gangen, so ferne der Barbarossa das feldtt verlieren wirdtt. Aber wollett ihr vns das angeloben, das ihr vns beÿ Keÿserliche Maÿestet mit vnserer Haabe vndt Gutt befreÿen wollet, so wollen wir euch heutte freÿen vndt loss machen, vndt die turcken sämptliche erschlagen.‘ Das wahr ihnene anzunemen, gelobeten es beÿ Trew und Ehren, beÿ Keÿserliche Maÿestet zu erhalten.“ 1432 Gemeinsam wollte man den Turm unter Kontrolle bringen und dem kaiser‐ lichen Heer übergeben. Für die Freilassung der gefangenen Christen sollten diese für die Mamluken beim Kaiser ein gutes Wort einlegen. Sturmer ist es wichtig, seinen Lesern begreiflich zu machen, wie wenig selbst die Mamluken an einen Sieg der Osmanen glaubten; woher er jedoch die Informationen bezog, obwohl er selbst ja nicht im Turm war, verschweigt er an dieser Stelle. Der Verrat glückte und die befreiten Christen konnten zusammen mit den Mamluken das Schloss einnehmen. Ohne dies zu ahnen, wollte Barbarossa, der sich gegen das kaiserliche Heer nicht behaupten konnte, zum Schloss zurückkehren und dort den Plan ausführen, die gefangenen Christen zu töten, um den Kaiser zu reizen und ihn zum Abbruch der Kämpfe zu zwingen: „Aber wie man sahe, das er zu Schlosse eilete, wurden die Thore aufgethan; gutes Geschütze eingestellett, Opffer mang sie geschossen vndt die beÿ den christlichen Fänlein fliegen lassen. Da sahe er, wie es ihme gienge. Ich wahr mitt vnter dem Hauffen wider meinen Willen […].“ 1433 Sturmer befand sich innerhalb des Heeres Barbarossas, als die Schlossin‐ sassen den Kampf auf ihre ehemaligen Herren eröffneten. Nachdem Barbarossa seinen Plan der Inbrandsetzung des Schlosses nicht umsetzen konnte, zog das kaiserliche Heer ebenfalls vor das Schloss. Doch die Christen, so berichtet Sturmer, hätten auch die kaiserlichen Truppen erst in das Schloss gelassen, nachdem sie die Zusage erhalten hatten, die Mamluken zu schonen, die ihnen die Freilassung ermöglicht hatten. Der Kaiser sagte die Schonung zu und so einigte man sich darauf, dass alle Christen und Mamluken mit einem weißen Tuch um den linken Arm gebunden das Schloss verlassen sollten, damit man sie von den Osmanen unterscheiden konnte. Erst danach zog die kaiserliche Flotte ins Schloss ein. Doch für Sturmer wendete sich das Blatt nicht zum Guten: Er verblieb im Heer, das unter Barbarossas Führung den christlichen Streitkräften entkommen konnte. Sturmer selbst bedauert, nicht auf der anderen 388 B. Militärische Gefangenschaften 1434 Ebd. Die Frage, woher Sturmer vom Aufenthaltsort der Schätze weiß, wird nicht geklärt. 1435 Sturmer schreibt: „Wehre aber des Keÿsers Volck nichtt müde gewesen vndt vns nachgefolgett, sie hetten vns alle erschlagen, dan da wahr nur ‚fliehen wer da kuntte‘.“, Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 208. 1436 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 208. 1437 Ebd. 1438 Ebd. Ritter fügt an, dass der Ruf des Herrn „Almân gâvur“ heißen müsste, vgl. ebd. Anmerkung 100. Seite gewesen zu sein, doch vor allem beklagt er, dass ihm die Schätze im Schloss verwehrt blieben, die die Osmanen dort zurückließen, als sie von den christlichen Gefangenen überrascht wurden: „ich wehre auch zu der Zeitt reich worden, dan die meisten Schätze der Turcken verblieben da. […] Da wurden viell gefangener Christen reich, dan der Turckenn meister Schatz blieb da. Wehre ich da geblieben, ich wollte nebenst mit viele reich gemachet haben, dan ich von dem allem gutte Kundschafft hatte, wo ichs suchen sollte.“ 1434 Das osmanische Heer sei nach Bizerte geflüchtet, wo noch neun osmanische Galeeren vor Anker lagen. Sie seien jedoch nicht weiter durch die christliche Armee verfolgt worden. 1435 Außer den Handwaffen hätten die Flüchtenden nichts mitgenommen und einige von ihnen seien auf der Flucht gestorben. Sturmer aber habe die Unordnung des Heeres und die neue Bewegungsfreiheit nutzen können, um dem Heer Barbarossas zu entkommen. Am dritten Tag habe er den Entschluss gefasst, eine Flucht zu wagen: „Wie ich nun ettwa mitt ihnen in den dritten Tag gewandertt hatte, gedachte ich beÿ mir, köntestu dich wor vnter wegen im Pusche verkriechen, du wollest Fleis fürwenden. Ich bedachte es kurtz vndt name vnsern Herr Gott zu Hülffe“. 1436 Der Plan sich bei der Verrichtung der Notdurft in die Büsche zu schlagen und dort so lange zu verharren, bis er nicht mehr gesucht würde, wurde ihm ermöglicht, weil ihm sein Besitzer mehr Bewegungsfreiheit ließ: „wie ich nun im Lager ab vndt zugehen mochte. Den Zulas hatte ich, dieweill er mich auff 2 Jahre gefreÿett hette zu dienen; wie vor gedachtt. Als wir nun im Zuge sein, thue ich einen Abtritt, gleich wollte ich mein Behuff thun. Vndt wandere immer ins Gebirgte hinein vndt kroche in einen Pusch.“ 1437 Doch Sturmer berichtet nicht nur aus der Perspektive seiner Fluchtsituation, sondern gibt auch Einblicke in das Geschehen innerhalb des Lagers, nachdem seine Flucht bemerkt worden war: „Wie mich nun mein Herr missett, spricht er zu seinen Dienern […] wo ich wehre. Da sprach einer: ‚Jetzundt ist er in den Waldtt gangen, wirdtt vielleicht sein Behuff thun.‘ Wie sichs aber verlengertt, vndt ich nicht zu Lichte kam, ruffet mich mein Herr: ‚Olyman gauor‘ Ist auff teutsch: ‚Vngerechter deutscher‘ […]. Aber der Olyman Gauor lag stille vndt betete zu Gott.“ 1438 389 5. Balthasar Sturmer 1439 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 210. 1440 Ebd. Erneut fühlt man sich an einen Schelmenroman erinnert. Sturmer liefert Informationen, die er selbst nicht bekommen haben kann. Dass er während seiner Flucht einen so nahen Busch wählte, dass er die Gespräche zwischen seinem Herrn und den Dienern mithören konnte, ist mehr als unwahrscheinlich. Allerhöchstens die lauten Rufe nach ihm könnte er vernommen haben. Doch so bleibt eher der Eindruck der bewussten Inszenierung seines Werkes für den Leser, der natürlich unterhalten werden sollte. Sturmer zeichnet eine abenteuerliche Flucht und schafft eine spannende Szenerie, die den heimischen christlichen Leser mit notwendigen Sachinformationen wie dem landessprachli‐ chen Ausspruch versorgen soll, ohne jedoch die Plausibilität der Vorkommnisse allzu ernst zu nehmen. Die Fluchtszene geht noch weiter und Sturmer beschreibt sehr anschaulich, wie er im Gebüsch lag und die Osmanen weiter nach ihm suchten, ohne ihn jedoch zu finden. Nachdem die Suche erfolglos blieb, reiste die Gruppe weiter und ließ Sturmer zurück. Das Leben nach der Gefangenschaft Der in der unbekannten Wildnis zurückgelassene Balthasar Sturmer war zu‐ nächst froh, dass die Flucht gelungen war, bald schon plagten ihn jedoch großer Hunger und Durst, die er, wie er schreibt, mit warmem Wasser aus einer Pfütze sowie Brot und Datteln stillte. Doch neben der Schwierigkeit, an etwas Essbares zu gelangen, war es vor allem die fehlende Ortskenntnis, die ihm jetzt gefährlich wurde. Um nicht aufzufallen, verließ er nur nachts das Versteck und irrte so vier Tage und Nächte umher. Schließlich aber musste er seine guten Vorsätze nachts zu reisen aufgeben, da er sich in der Dunkelheit nicht ausreichend orientieren konnte: „Ich wahre nicht sehr gesundt von dem stinckenden Wasser, so ich vnter Wegens habe trincken mussen.“ 1439 Er fasste deshalb den Entschluss, sich tagsüber auf den Weg zu machen, auch auf die Gefahr hin, erkannt zu werden. Dabei hoffte er, wie er schreibt, von den kaiserlichen Soldaten aufgegriffen zu werden: „Kommett aber des Barbarossen Volck an dich, so wiltu sprechen, ich seÿ ein ‚Gerechter‘. Fragen sie dich dan, wo du hinaus wiltt, so wiltu sprechen, du hast dem Hauffen nicht folgen können, bist kranck vnter wegens worden.“ 1440 Sturmer beschreibt, dass er noch nicht lange unterwegs gewesen sei, als er auf 60 osmanische Reiter traf, die ihn nach seinem Ziel fragten. Da er türkisch gekleidet war und ihnen in ihrer Sprache antworten konnte, sei er zunächst nicht verdächtig gewesen und die Männer hätten ihm geglaubt, dass er ein Renegat 390 B. Militärische Gefangenschaften 1441 Ebd. 1442 Ebd., S. 211. sei. Da er kein Ziel angeben konnte, habe er aussagen müssen, dass er sich verirrt hatte, worauf die Reiter ihn mit zu ihrem Lager nahmen. Damit war Sturmer wieder zurück in dem Umfeld, dem er eigentlich entkommen wollte. Noch auf der Reise zum Lager der Osmanen wurde er ausgefragt, seit wann er den rechten Glauben angenommen habe: „Ich antwortet ihnen, ich wehre lengest gerechtt worden […] Aber dieweill ich sprach, ich wehre ein Gerechter, habe ich meinen Glauben gegenst Gott nicht verleugnett: dan wir sind ja gerechtt in vnserem Glauben, dan der rechte Gerechtmacher ist Christus, vnser Herr.“ 1441 Hier kommt Sturmer in seinem Bericht an eine schwierige Stelle, denn er musste dem heimischen Lesepublikum auf der einen Seite die Dramatik seiner Flucht und seiner Angst vor einer neuen Ergreifung bieten, auf der anderen Seite stand aber jederzeit der Vorwurf im Raum, Renegat geworden zu sein. Wie konnte er aus den Händen der Muslime entkommen, ohne zu ihnen übergetreten zu sein? Deshalb bezog er sich auch ausdrücklich darauf, nichts Unwahres gesagt zu haben, als er zu den Osmanen sprach, dass er vor längerer Zeit bereits zu einem Gerechten geworden wäre. Doch diese Taktik war schwer beizubehalten, denn die Osmanen seien misstrauisch geblieben. Sie hätten einen Halt in der Nähe der Stadt Rafraf eingelegt, wo die Osmanen ein Lager aufschlugen und sich über Sturmer beratschlagten. Nach der Unterredung kam ein Geistlicher zu Sturmer und erzählte ihm vom Misstrauen der Männer. Um sich zu vergewissern, dass er wirklich übergetreten sei, forderte er Sturmer auf, ihn zu begleiten, damit er ihn abseits auf die Beschneidung hin untersuchen könne. Hier kommt es wohl zu der abenteuerlichsten Stelle im gesamten Bericht. In dieser ausweglosen Situation, die Sturmer, wie er betont, nur durch Gottes Fü‐ gung bestand, habe er sich einer List bedient. Als ihn der Geistliche untersuchte, sei er nämlich in der Tat beschnitten gewesen: „Ich erschrack der rede gar sehr, lies mich aber nicht mercken, dan ich hatte einen Hinterhaltt, wie dan offters ein böses Werck zum Gutten gereichett. Also gienge mir es auch, dan für ettlichen Jahren wahr ich in Hispanien von einem bösen zweÿ füssigem Wurme gebissen an der Fürhautt, da sich die Türken beschneiden lassen. […] Also verblendett ihme Gott die Augen durch das Mittell.“ 1442 Dieses „Mittel“ rettete ihn zunächst einmal und er konnte sich, nachdem die Gruppe ihn zuvorkommend behandelt hatte, in der nächsten Stadt Constantine im Osten Algeriens von der Gruppe verabschieden und sich wiederum etwas freier bewegen. In Constantine wurde er von dem Priester der alten Gruppe, der sein Fortgehen bedauerte, an eine osmanische Truppe von Männern weiterverwiesen. Er erklärte den Männern, 391 5. Balthasar Sturmer 1443 Ebd., S. 212. 1444 Den Mann beschreibt Sturmer sehr bewusst als Mohren und gibt als Erklärung für die Unterscheidung die Spannungen zwischen den Türken und den Mohren an: „Dan die Moren wahren den Turcken nicht allzu gutt, weill sie der Barbarossa so eingefürett hatte.“, Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 213. 1445 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 213. dass er Sturmer untersucht habe und er zu den Gerechten gehöre. In dieser neuen Gruppe konnte Sturmer zuerst die Stadt besichtigen und zog dann weiter nach Beja in der Hoffnung so nach Tunis zu gelangen. Er blieb mehrere Tage in der Gruppe und wurde in Dienst genommen: „Ich aber wahr der Jüngste vnter ihnen, ich muste ihnene alles holen, was sie bedurfften.“ 1443 Um nicht aufzufallen und seine Situation nicht noch zu verschlechtern, habe er sich in sein Schicksal gefügt und sei bei der Gruppe geblieben, für die er nun die körperlichen Dienste verrichtete. Die 2. Gefangenschaft Die Gefangennahme Bei einem Gang zum Brunnen, um Wasser für die Gruppe zu holen, wurde Sturmer von einem „Mohren“ 1444 aus Tunis angesprochen, der ihn erkannte und richtig vermutete, dass er seinem ersten Herrn in Tunis entlaufen sei. Sturmer gab sich zu erkennen und bat den Mann, ihn nach Tunis zu führen. Man schloss einen Handel, wonach Sturmer sich für das Geleit nach Tunis im Gegenzug für den gefangenen Vater des Muslims einsetzten sollte, damit dieser aus der Gefangenschaft befreit werden würde, wenn Sturmer sicher in Tunis bei den Christen angekommen sei. Die beiden Männer verabredeten sich für den Abend, um gemeinsam nach Tunis zu ziehen. Erneut schildert Sturmer aus einer Erzählerperspektive, dass der Gruppe sein Wegbleiben aufgefallen sei und sie sich nach seinem Verbleib erkundigt hätten. Er und sein Weggefährte hätten gerade noch rechtzeitig aus der Stadt ziehen können, seien jedoch auf dem Weg von zwei „Mohren“ angehalten worden und diese hätten den Christen ergriffen, ohne dass ihm sein Reisegeselle zu Hilfe gekommen sei. So wurde Sturmer erneut gewaltsam, wie er schreibt, in die Stadt zurückgebracht. Dort angekommen, wollten die beiden Männer Geld von Sturmer erbeuten, der ihnen jedoch nur seinen Rock anbieten konnte. Beim Ablegen des Rockes sei es jedoch erneut zu einem unglücklichen Zwischenfall gekommen, da ihm auch der Schurz vom Körper fiel. Daraufhin hätten die Männer überprüft, ob Sturmer auch wirklich beschnitten sei, wie er vorgegeben hatte. So erkannten sie den angeblichen Schwindel, „dieweill das Signum zu groß war.“ 1445 392 B. Militärische Gefangenschaften 1446 Ebd., S. 215. 1447 Ebd. 1448 Ebd. Anders als im Fall des Geistlichen, dem Sturmer zuerst vorgaukeln konnte, beschnitten zu sein, konnte er, wie er beschreibt, die beiden Männer nun nicht mehr täuschen. Diese Einschätzung, die er nun dem Leser präsentiert, passt natürlich sehr gut zu dem Plan, die Beschneidung nur als Mittel der Verblendung darzustellen, da Sturmer dem christlichen Publikum ja nicht die Möglichkeit einer echten Beschneidung darlegen konnte. Es entstand ein großer Auflauf, man bewarf Sturmer mit Steinen und wollte ihn vor der Stadt im Feld umbringen. Doch dort traf er auf zwei Männer der vorherigen Gruppe, die bezeugten, dass der Geistliche Sturmer als Gerechten befunden hatte und diese setzten sich für ihn ein. Sturmer wurde daraufhin nicht weiter belangt, sondern verblieb in der Stadt und wurde von einem Mohren aus Granada, mit dem er sich auf Spanisch verständigen konnte, an einen nordafrikanischen Nomaden verwiesen, der ihn mit nach Tunis nehmen wollte. Auf zwei Pferden begann die Reise, doch Sturmer kamen bald Zweifel an dem vorgegebenen Reiseziel: „ich meinte, ich sollte nach Tunis kommen. So führet er mich in seine Behausunge, wahren Gezehlte.“ 1446 In dem Lager bekam er zu essen und wurde von einem Priester angesprochen, mit dem er sich auf Türkisch unterhalten konnte: „Der hub an vndtt sprach zu mir: ‚Du Gavor‘ - ist in vnser Sprache: ‚Du Vngerechter‘, - ‚Du vermeinest, du wollest also nach Tunis kommen wie man es dir fürgeben hatt! ‘ Da merckte ich baltt, das ich verrahten wahr.“ 1447 Schnell merkte Sturmer, dass es dem Stamm vor allem darum ging, Geld mit dem Gefangenen zu machen. Man räumte Sturmer die Möglichkeit ein, sich für 100 Dukaten freizukaufen - eine Option, die er zunächst nicht wählen konnte, da ihm nicht genügend Geld zur Verfügung stand. Deshalb bekam er die Gelegenheit, Briefe mit Hilfe eines Boten an die Christen im Umland von Tunis zu übermitteln, in denen er um die Summe bat. Nach Übergabe des Geldes wollten die Nomaden Sturmer frei geben: „Ich muste ihnen also zusagen beÿ guttem Glauben, das ich anders nicht schreiben wollte, wie vorgemeldett. Da machte ich nun meine Brieffe, den einen in hispanischer, den andern in deutscher Sprachen. Da gaben sie mir einen Moren, der die Brieffe da überantworten sollte auff der Golletta.“ 1448 Sturmer erhielt also die Gelegenheit Briefe mit einem Boten zu übermitteln. Zum ersten Mal wurde ihm so eine direkte Kontaktaufnahme ermöglicht. Dass dabei vor allem die sprachlichen Hürden ein Problem darstellten und man in diesem Fall dem Gefangenen ein außergewöhnliches Maß an Vertrauen 393 5. Balthasar Sturmer 1449 Ebd., S. 215f. Sturmers Beteuern, in seinen Briefen um das Geld und nicht darum, gebeten zu haben, den Boten gefangen zu nehmen, kann an dieser Stelle wohl geglaubt werden, da ihm der gefangene Bote keine Verbesserung einbringen konnte. 1450 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 216. entgegenbringen musste, berichtet er ebenfalls. Die Nomaden, die noch nicht einmal alle, wie Sturmer erwähnt, des Türkischen mächtig waren, konnten noch viel weniger seine Briefe in deutscher oder spanischer Sprache überprüfen und verstehen. Trotzdem durfte er an seine Landsleute schreiben und so das erhoffte Lösegeld erbitten. Der Bote erreichte, wie Sturmer fortfährt, die Hafenstadt. Vor Ort waren die kaiserlichen Truppen bereits abgezogen. Zurückgeblieben war eine Besatzung bestehend aus 2 000 Spaniern und ein paar deutschen Büchsenmeistern. Nach der Rückkehr des Boten führte der Nomadentrupp Sturmer als Gefangenen bis auf eine halbe Meile an die Stadt Tunis heran, um eine Übergabe so schnell wie möglich abzuwickeln. Doch die Übergabe scheiterte, da der Bote gefangen genommen wurde: „Wie nun die Alarben die Zeittunge erfuhren, meineten sie anders nicht, ich hette so geschreiben, das sie den Moren gefencklich sollten nehmen. […] Wie der Botte da bliebe, füreten sie mich wieder zu rucke. Wer wahr auff den übelsten daran als ich? Den Moren oder den Botten liessen sie da sitzen vndtt bunden mich auff einen Maullesell, führten mich wieder ins Gebirgte.“ 1449 Balthasar Sturmer gelangte nun gefesselt auf einem Maulesel in eine zweite - längere - Gefangenschaft; dieses Mal nicht als Rudersklave, sondern als Gefangener bei einem nordafrikanischen Nomadenstamm. Die Gefangenschaft Sturmer wurde zurück ins Lager geführt: „Wie ich nun mitt ihnen ankommen bin, binden sie mir die Beine zusamen an einen Stock vndt wardt von zween Kerls auff der Axsell - an den Beinen hangende - mitt einem Stecken auff die Sohlen geschlagen. Mich dauchte, die Augen wollten mir aus dem Kopff springen, aber ich litte es vnschuldig.“ 1450 Die Bestrafung des vermeintlichen Verrats mutet hart an und Sturmer erklärt, dass sich seine Situation erst nach zwei Monaten verbesserte. Trotzdem ging die Situation für den gefangenen Christen noch glimpflich aus, da man ihn am Leben ließ und ihn wohl für einen eventuellen Austausch mit dem Boten behalten wollte. Sturmer wurde als Arbeitssklave gehalten und musste das Mehl für die Getreidemühle schleppen, die täglich bestückt wurde. Etwas verwundert stellt er fest, dass die Nomaden nur so viel produzierten, wie sie an einem Tag backen konnten und dies nicht in Backöfen, sondern in großen Pfannen täten, in denen sie die Fladen auch wenden könnten. Außerdem sollte Sturmer die 394 B. Militärische Gefangenschaften 1451 Ebd. 1452 „Des Tages gieng ich freÿ ledig, des nachts wardt ich in eine Ketten mitt einem Stichschlosse gespannen.“, Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 216. 1453 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 216. Kamele beladen, wenn das Lager weiterzog. Die Mahlzeiten musste er, wie er es beschreibt, zusammen mit einem Hund einnehmen: „Wan die gessen hatten, so gaben sie mir mein Partt auff die eine Seitten vndt dem Hunde sein Partt auff die ander Seitten der Schüsselln. Der Hundt hatte baltt das Seine auff, darnach bisse er mir nach den Händen, hett das Meine auch gern dazu gehabett. Daran hatten sie einen Wollgefallen.“ 1451 Die Demütigungen hielten in der ersten Zeit unter den Nomaden an, nur langsam besserte sich seine Lage. Während der Arbeitszeit am Tag konnte Sturmer sich frei bewegen, abends jedoch sei er eingeschlossen worden, um nicht entfliehen zu können. 1452 Einige Zeit später wurde dem christlichen Gefangenen die Möglichkeit eingeräumt, eine Frau des Lagers zu ehelichen und so seinen Stand zu verbessern. Für das christliche Lesepublikum musste Sturmer diese Absicht weit von sich weisen. „Nun wollten sie mir da ein Weib freÿen, wo ferne ich ihren Glauben wollte annemen, dan meines Herrn Vater wahr ein Priester, hatte zweÿ Töchter. Ich aber sprach: ‚Wie sollte ich ewern Glauben annemen, dieweill ich noch nicht recht ewer Sprache verstehe? ‘ Da ich mich so weitt einlies, meineten sie, es wurde ihnen angehen. Da wardt ich auch besser gehalten.“ 1453 An dieser Stelle erklärt er die Haftverbesserung erneut mit einer List: So habe er sich zum Schein auf Religionsgespräche mit den Muslimen eingelassen, um seinen guten Willen zu zeigen und die Nomaden auf diese Weise getäuscht. Ehe‐ mals gefangene Christen, die, nachdem sie den islamischen Glauben annahmen, eine islamische Frau heirateten, auch um ihren Lebensstand zu verbessern, waren keine Seltenheit im osmanischen Herrschaftsgebiet und die Verheiratung stellte eine übliche Methode dar, um sie in die Gesellschaft einzugliedern. Nicht jeder dürfte unfreiwillig den neuen Glauben angenommen und eine Familie in der Fremde gegründet haben. Wie bereits oben angesprochen und durch die Schilderungen Sturmers zum Thema der Beschneidung ebenfalls aufgeworfen, kann ohnehin davon ausgegangen werden, dass Sturmer bereits zum Islam konvertiert war und die abenteuerlichen Geschichten um seine Gefangenschaft nutzte, um sein Publikum nach seiner Heimkehr in die ‚christliche Welt‘ von der angeblichen Treue im christlichen Glauben zu überzeugen. Inwieweit er sich jedoch auf den islamischen Glauben in dieser Zeit einließ, kann nur spekuliert werden. 395 5. Balthasar Sturmer 1454 Ebd. 1455 Ebd., S. 217. Das Ende der Gefangenschaft Seine Schilderung der Flucht beginnt Sturmer wiederum mit dem Hinweis auf die Vorsehung Gottes: „Wie es nun der barmhertzige Gott nicht haben wollte, das ich mich lenger beÿ den Vnchristen verhalten sollte.“ 1454 Es war schließlich eine Frau seines Herrn, die ihm zur Flucht verhalf. So sei sein Herr mit einer weißen und einer schwarzen Frau verheiratet gewesen und die schwarze Frau hätte sich während seiner Gefangenschaft gottesfürchtig und mitleidsvoll ihm gegenüber gezeigt. Zur Fluchtmöglichkeit kam es, als er abends von dieser Ehefrau in seine Ketten geschlossen werden sollte: „Als mich die schwartze Frawe des Abents in die Ketten schliessen will, ruffett sie mein Herr. In deme vergiesset sie den Schlüssel. […] Da es nun benachttet, neme ich aus einem Sacke, der mir zum Heupte stunde, ein par Hände voll Weitzen thu es in mein Pündelein. Mein Mittgeselle, der Hundt, lag stets beÿ mir, dan es wahr mein Tafelbruder vndt auch mein Schlaffgeselle. Wie ich nun vermercke, das sie alle schlaffen, krieche ich unter dem Gezehltt herfür. […] Mein Mittgeselle, der Hundt, mir hernacher. Da falle ich nun auff meine Knie, bitte Gott den Herrn hertzlich, er wollte mir aus meinem gefengnüs forttan helffen. […] Nach geschehenem Gebette gabe ich mich auff die Reise. Wie ich nun weiter gieng, als meiner der Hundt gewohnet wahr, bellet er vndt hebet an zu heulen. Lauffett nach dem Gezelte, heulet immer zu, das alle das Volcke erwachet so im Gezehlte wahr.“ 1455 Vom Bellen des Hundes geweckt, bemerkten die Nomaden die Flucht und verfolgten Sturmer. Er konnte jedoch entkommen, auch wenn die Flucht erneut sehr abenteuerlich ausgeschmückt wird: Sturmer habe immer wieder zum Gebet innehalten müssen, um sich von Gott lenken zu lassen, da er sich nicht orientieren konnte. Nach einigem Umherirren sei er auf Bauern mit mehreren Ochsen gestoßen, die ihn jedoch ungehindert vorbeiziehen ließen. Auf dem Weg nahm er eingeweichten Weizen zu sich und nach zwei Tagen kam er um drei Uhr nachts nach Tunis. Die Tore der Stadt waren jedoch noch geschlossen. So musste er bis zum Morgen warten, bevor er in die Stadt eingelassen wurde. Da Sturmers Kleidung heruntergekommen wirkte und vieles eher notdürftig zusammengebunden war, fiel er bei den Stadteinwohnern als „Ungerechter“ auf, er konnte sich jedoch zu zwei spanischen Söldnern retten, die gerade von ihrer Nachtwache kamen. Er begrüßte die beiden auf Spanisch und wurde von ihnen zu einem Glas Branntwein eingeladen. Die Spanier fragten ihn, was er für ein 396 B. Militärische Gefangenschaften 1456 Ebd., S. 219. 1457 B O N O , Piraten (wie Anm. 1115), S. 8f. 1458 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 219f. 1459 Ebd., S. 220. Landsmann sei: „Ich sagte, ich wehre ein Deutscher. Da antworteten sie: ‚Gott gebe, du bist derselbige, der den Moren mitt den Brieffen an vns geschickt hatt.‘ Ich antwortete: ‚Ja‘, wehre derselbige. Sie sagten: ‚Der Botte sitzett noch, da wirstu nun einen schlauen haben. Dan vnser Oberster, Capitan Sperea, wirdt deiner Zukunfft sich sehr erfrewen, weill du ihme ehemals gedienett hast.‘“ 1456 Erneut fügen sich die Erzählungen Sturmers zu einem etwas zu konstruierten Bild. Man hätte ihn in die Hafenstadt zum Oberst gebracht, der ihn freudig begrüßt und ihm drei spanische Dublonen vermacht hätte. Dann sollte er über das Schicksal des Boten bestimmen, den er als „Schlauen“, also als Diener behalten oder begnadigen durfte. Sturmer ließ den Boten frei, gab ihm Zehrgeld und angeblich auch ‚Grüße‘ für den alten Herrn im Nomadenlager mit. Das Leben nach der Gefangenschaft Der spanische Kapitän in Tunis nahm Sturmer in seinen Dienst und so habe er in der Flotte Andrea Dorias gegen die Osmanen gekämpft. 1457 Vor allem die Kämpfe um die Stadt Bizerta werden ausführlich dargestellt. So erklärt Sturmer, dass er bei einer Schlacht auf dem Feld vor der Stadt auf seinen letzten Herrn, dem er zuletzt entlaufen war, traf. Nachdem ihn dieser aufgrund seiner neuen Kleidung zuerst nicht identifizieren konnte, bat er Sturmer, nachdem er ihn erkannt hatte, um Gnade. Laut der Schilderung des Kaufmanns Sturmer hätten die beiden ausgehandelt, dass er die Hälfte der Beute des Nomaden erhalten sollte, wenn er ihn nicht an die Christen verrate. Die Spanier konnten die Stadt erobern und die flüchtenden Türken fielen den Nomaden in die Hände. Nach der Schlacht sei der Nomade zu Sturmer gekommen und habe diesem seine Beute angeboten. Schließlich sei man im Guten voneinander geschieden. 1458 Sturmer präsentiert sich dem Lesepublikum hier als verzeihenden Christen, der die Möglichkeit der Rache nicht genutzt habe. Von Bizerta aus ging es für Sturmer mit der spanischen Flotte nach Neapel, wo er seinen Sold erhielt. Statt sich jedoch über seine wundersame Errettung zu freuen und mit dem Lohn sparsam umzugehen, fiel er in alte Muster zurück. Das erhaltene Geld wollte er vermehren: „Lebett nach der Weltt Lust, gedache nicht mehr, wie mich mein getrewer Gott erlösett hatte. Aber der Herr sahe woll zu, kerbett flucks an, kam zu seiner Zeitt, da das Register voll wardtt, Rechznunge zu halten vndt staupett gar weidiglich.“ 1459 397 5. Balthasar Sturmer 1460 Ebd., S. 223. 1461 Ebd. 1462 Ebd., S. 223f. 1463 Die Textstelle des Lukasevangeliums erzählt das Gleichnis vom verlorenen Sohn, vgl. Lukas 15, 11-32. Doch bevor er die Rechnung begleichen musste, zog es ihn zuerst nach Sizilien, dann nach Sevilla und auf die kanarischen Inseln. Er half bei der Eroberung türkischer und französischer Schiffe und erhielt schließlich guten Sold in Sevilla. Danach nahm er als Constabel, wie er schreibt, an einer Fahrt nach Peru teil, die Gold aus Peru beschaffen sollte. Man fand reichlich von dem Edelmetall und Sturmer berichtet ausführlich von seinen Fahrten nach Mittel- und Südamerika. Zurück in Sevilla fand Balthasar Sturmer endlich die Zeit seinem Vater zu schreiben und von seinem Schicksal zu erzählen. Er beschloss in seine Heimat zurückzukehren und machte sich nach Danzig auf. „Aus Sicilien siegelte ich wieder zu rucke per Mare Mediterraneum oder durchs Mittel Meer nach Sicilien für einen Buxemeister.“ 1460 Es ging über Kreta nach London und schließlich mit einem englischen Schiff von London aus nach Danzig. Von hier aus konnte Sturmer direkt zu seinem Vater nach Marienburg reisen. Nach seiner Ankunft in Marienburg erhalten wir von Sturmer einen erstaunlich detaillierten Bericht über seine Heimkehr und sein Einleben in seiner alten Heimat. Dabei herrschte zunächst eine bewun‐ dernde Haltung, die dem Abenteurer von den Daheimgebliebenen, besonders von seinem Vater entgegengebracht wurde. So heißt es schon zu dem Brief, den Sturmer seinem Vater von Sevilla aus schickte: „Es wahr ihme aber unmüglich zu glauben, das ein Mensch so viell sollte ausstehen.“ 1461 Als Sturmer schließlich in Marienburg bei seinem Vater ankam, hatte er sich nach den vielen Jahren in Gefangenschaft äußerlich stark verändert. Dann „zog ich nach Marienburg zu meinem Vatter, welcher micht nicht kante, bis ich mich ihme offenbarte. Baltt den vierden Tag darnach liess er Gastgebott anrichten, dieweill der verlohrne Sohn zu Hause kommen wahr, sich meiner Zukunft zu frewen.“ 1462 Sturmer nutzt die beschriebene Wiedersehensfreude für ein biblisches Bild und setzt sich mit dem verlorenen Sohn der Bibel gleich, über dessen Ankunft der Vater sich so sehr freut, dass er nicht nach den Vergehen des Sohnes fragt, sondern ihm ein Festmahl ausrichtet und ihn erneut in die Gemeinschaft aufnimmt. 1463 Mit dem Bibelgleichnis des heimkehrenden Sohnes, der sich reumütig wieder zu seinem Vater begibt, kann an dieser Stelle natürlich auch das reumütige Heimkehren Balthasar Sturmers zum christlichen Glauben gesehen werden. Beim Festmahl bat der Vater ihn von seiner Gefangenschaft zu erzählen und Sturmer berichtete von seinen Erlebnissen. Doch die Wiedersehensfreude seiner 398 B. Militärische Gefangenschaften 1464 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 225. 1465 „Da wahr kein Freundt mehr verhanden. Der eine deutett es also, der ander anders“ Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 225. Seelsorgerischen Rat scheint die Ehefrau Sturmers bei dem Pfarrer Joachim Mörlin gefunden zu haben, der Pfarrer von Königsberg und Danzig, ab 1554 Superintendent von Braunschweig und seit 1566 auch Bischof von Samland war, vgl. ebd., S. 225 Anmerkung 173. 1466 Anne R I T T E R , Balthasar, in: Europas islamische Nachbarn (wie Anm. 1393), S. 226. Angehörigen konnte ihn nicht halten und Sturmer fuhr direkt nach seiner Ankunft in Marienburg wieder mit seinen Geschäften fort und führte ein Schiff mit einer Ladung Weizen mit nach Lissabon. In den nächsten vier Jahren trieb Sturmer fleißig Weizenhandel auf dem Mittelmeer. Dabei störten ihn auch nicht die Beschwörungen seines Vaters, der ihn bat, sein heimatliches Geschäft zu übernehmen und endlich zu heiraten. Als Geschäftsmann war er jedoch nicht so erfolgreich, wie gehofft. Zu dem wirtschaftlichen Schaden kam auch der persönliche Verlust durch den Tod des Vaters, den Sturmer vor seinem Ableben nicht mehr sah, und der nun, wie er es beschreibt, ein erstes Umdenken mit sich brachte. „Da bedachte ich mich hin vndt wieder, was für ein gottseliges Leben ich mittler Zeitt geführett hette, seidt ich aus meinem Gefengnüs kommen wahr; das mich eine Angst ankame.“ 1464 Er kehrte in seine Heimat zurück und ehelichte in Königsberg eine Witwe, mit der er gut von seinem Vermögen leben konnte. Doch bald traten erneut Reintegrationsschwierigkeiten bei Sturmer auf, der weit über seine finanziellen Mittel lebte und sich durch seine Art erneut in Probleme stürzte. Nachdem sein Vermögen aufgebraucht war, fiel er umso tiefer, verlor alle Freunde und es scheint zu übler Nachrede gekommen zu sein, so dass sich seine Umgebung und auch seine Ehefrau zweitweise von ihm abwendeten. 1465 Erst an dieser Stelle sei ihm die Umkehr gelungen und so beschließ er seinen Bericht mit der Bitte um das Gebet seiner Leser: „Ich befehle mich hiermitt in Eurer Achbarkeit fleissiges Gebett. Der wolle vns hier zeittlich vndt dort ewiglich durch Jesum Chrsitum seinem lieben Sohn stetts erhaltten. Amenn.“ 1466 Mit dieser Bitte endet der Bericht Sturmers und mit ihm auch die längste Darstellung der Zeit nach der Gefangenschaft in den hier vorliegenden Selbst‐ zeugnissen. Niemand sonst hat so detailliert die Zeit in der neu gewonnenen Freiheit beschrieben und so ehrlich auch die Schwierigkeiten und Probleme aufgezeigt, mit denen die Heimkehrer zu kämpfen hatten. Die abschließende Frage, was mit Sturmer nach dem Abfassen seines Werkes geschah, kann letztendlich nicht beantwortet werden. Es gibt die Vermutung, dass er identisch sein könne mit einem Braunschweiger Pfarrer, der als Mitun‐ terzeichner eines in der Stadt Danzig ausgestellten Briefes unter dem Namen Balthasar Sturm auftaucht; doch beweisen lässt sich dies nicht. Dafür sprächen 399 5. Balthasar Sturmer 1467 Ebd., S. 191. Der Brief wurde am 21. November 1562 abgefasst. zum einen die sehr theologischen Einflüsse im Werk, die für einen rein aben‐ teuerlustigen Kaufmann auffällig sind; zum anderen ist der Brief an Joachim Mörlin adressiert, der als Pfarrer von Sturmers Gattin im Bericht auftritt. 1467 6. Zusammenfassung 1. Phase: Die primäre Motivation / Die Gründe des Konfliktes Bei den militärischen Gefangenschaften können, wie schon bei den transkultu‐ rellen Gefangenschaften, häufig die im Vorfeld stattgefundenen Konflikte und die genauen Umstände ausgemacht werden, in denen die Gefangennahmen stattfanden. Johannes Schiltberger geriet als 16-jähriger Schildknappe bei der Schlacht von Nikopolis in Gefangenschaft, Jörg von Nürnberg wurde in die Kämpfe der Bosnier mit den Osmanen um das Herzogtum Herzegowina im Jahr 1465 verwickelt und Bartholomej Georgijević wurde während der Schlacht von Mohács gefangen genommen. Georg von Ungarn lieferte sich als junger Widerständler, wie er berichtet, ein aussichtsloses Gefecht mit den Osmanen bei der Belagerung der Stadt Mühlbach. Balthasar Sturmer indes wurde auf See von osmanischen Piraten gefangen genommen und in die Sklaverei geführt. 2. Phase: Die Observierung / Abschätzen der Wertigkeit In den Gefangenschaften nach Belagerungen oder Gefechten ist diese Phase meist austauschbar mit der Phase der Gefangennahme und beinhaltet dann das Aufteilen der Gefangenen nach ihrem Nutzwert: Johannes Schiltberger beschreibt ausführlich die Bewertung der Gefangenen durch den Sultan, ebenso wie Jörg von Nürnberg. Von Interesse waren Personen, die einen hohen Löse‐ geldwert hatten, als (militärische) Fachkräfte genutzt werden konnten oder, wie Georg von Ungarn und Johannes Schiltberger, noch jung genug waren, um in das osmanische Heer eingebunden zu werden. Großes Entsetzen spiegelt sich dabei vor allem in der Schilderung Schiltbergers wider, der die Hinrichtung christlicher Gefangener mitansehen musste. Die Auswahl ‚geeigneter‘ Gefangener führte vielfach dazu, dass die Christen sich davor fürchteten, nicht in das Raster zu passen - was den Tod zur Folge haben konnte. So schildert auch Balthasar Sturmer seinen Versuch nicht als Verletzter aufzufallen, um nicht über Bord geworfen zu werden. 400 B. Militärische Gefangenschaften 1468 Suraiya F A R O Q H I , Augenzeugenbericht, in: Unfreie Arbeits- und Lebensverhältnisse von der Antike bis in die Gegenwart (wie Anm. 13), hier S. 211. 3. Phase: Die Gefangennahme Die eigene Gefangennahme wurde vor allem dann detailliert wiedergegeben, wenn von einer eigenen Heldentat berichtet werden konnte oder aber, um eine Verletzung, die man sich zugezogen hatte, zu erwähnen. Die eigene Verwundung zu betonen, sollte sicherlich auch dem möglichen Vorwurf des heimischen Publikums begegnen, dass man nicht genug gekämpft und die Gefangenschaft leichtfertig in Kauf genommen habe. 1468 Eine Verletzung konnte jedoch auch, wie bei Johannes Schiltberger, die weitere Gefangenschaft entscheidend beein‐ flussen; so verblieb er im Heer des Sultans und wurde nicht an andere Herrscher verschenkt. Direkt nach seiner Gefangennahme in der Schlacht von Nikopolis berichtet Johannes Schiltberger von der ersten Turmhaft in Gallipoli, wo man die gefan‐ genen Christen unterbrachte. Während hochrangige Gefangene, die ein gutes Lösegeld versprechen konnten, im oberen Teil des Turmes eingesperrt wurden, kamen die anderen Gefangenen in den unteren Teil des Turmes. Bei Johannes Schiltberger findet in der Übergangsphase zwischen der Gefangennahme und dem Transport, ähnlich wie bei den gefangenen Fürsten (Kap. I.D. Fürsten in Gefangenschaft), eine Zurschaustellung des Gefangenen statt, um den Gegner und den Gefangenen zu demütigen und Stärke zu demonstrieren. Während der Vorbeifahrt venezianischer Schiffe unter der Führung König Sigismunds ließ man die Gefangenen aus dem Turm holen und stellte sie ans Ufer, um den christlichen Herrscher bloßzustellen. 4. Phase: Der Transport Die Gefangenen, die nach einem Gefecht von den Osmanen weggeführt wurden, geben an, dass sie in der Regel zunächst gesammelt und dann weiter ins Osmani‐ sche Reich verbracht wurden. Vielfach sind sie direkt nach der Gefangennahme an Sklavenhändler weiterverkauft worden. Gerade dieser Gefangenentransport wird dabei sehr detailliert geschildert, da er durch die Fesselungen und kräf‐ tezehrenden Fußmärsche zu zahlreichen Beschwerden bei den Gefangenen führte. Die eigene Hoffnungslosigkeit und Angst, die die Christen auf dieser Strecke sicherlich empfanden, wird in den Quellen selten erwähnt und wenn dann eher aus einer Beobachterperspektive. Eine Übergangsphase findet sich in den Quellen zur osmanischen Gefangenschaft bei der Schilderung der Sklaven‐ märkte, auf denen sich häufig das weitere Schicksal der gefangengenommenen Christen entschied: Der erste, der diese Märkte in den vorliegenden Fällen beschrieb, war Georg von Ungarn, der sehr detailliert die Leiden der Christen vor 401 6. Zusammenfassung Ort schilderte. Jörg von Nürnberg und auch Bartholomej Georgijević nahmen sich seine Darstellung zum Vorbild; Jörg von Nürnberg kopierte diese sogar fast wortwörtlich. Er befand sich an diesem Phasenübergang mit dem Verlust seiner Familie in einer emotionalen Extremsituation. So könnte das Reproduzieren der Textstelle über den Sklavenmarkt ein Hinweis darauf sein, dass auch die Familie Jörgs von Nürnberg in die Sklaverei verkauft worden war; ob sein diesbezügli‐ ches Schweigen auf Schuldgefühle oder ein ‚Nichtredenkönnen‘ hindeutet oder der Verweis auf das Schicksal seiner Familie nicht in die Erzählstruktur seines Berichtes passte, kann nicht geklärt werden. 5. Phase: Die Gefangenschaft Die Gefangenschaften nach den kriegerischen Auseinandersetzungen führten entweder in ein Arbeitsverhältnis als Sklave oder als Kämpfer im osmanischen Heer. Kennzeichnend für diese Phase ist vor allem der große räumliche Bewe‐ gungsrahmen: Sowohl Jörg von Nürnberg und Johannes Schiltberger im osma‐ nischen Heer als auch Balthasar Sturmer, Georg von Ungarn und Bartholomej Georgijević bei unterschiedlichen Sklavenbesitzern benennen wiederholt Orte, an denen sie sich mehr oder minder frei bewegen konnten. Schiltberger gibt nach seiner Gefangennahme vordergründig einen Überblick über die osmanische, später auch tatarische Politik- und Expansionsgeschichte, in deren Ablauf er immer wieder mit seinem persönlichen Schicksal auftaucht, vor allem dann, wenn er seine Teilnahme bezeugen oder die Standortwechsel bzw. die eigene Augenzeugenschaft darstellen will. Auch der Wechsel in das tatarische Heer nach der Schlacht von Ankara wird von Johannes Schiltberger lediglich erwähnt, ohne dass er die Situation weiter wertet. Er scheint eine große Freiheit innerhalb der militärischen Verbände besessen zu haben. Immer wieder hatte er Raum, sich innerhalb des Heeresverbands frei zu bewegen, so z. B. bei den Armeniern, deren Gastfreundschaft er beschreibt. Georg von Ungarn und Bartholomej Georgijević berichten über die schweren Bedingungen der Unterbringung unter freiem Himmel oder in kargen Räumen, während Beschreibungen der Quartiere bei den Gefangenen im Heer fast vollständig unterbleiben. Balthasar Sturmer erlebte sehr wechselnde Räume der Gefangenschaft, die ihn von den anderen Gefangenen unterscheiden. Zuerst war er Rudersklave auf einer Galeere und besaß angekettet an eine Ruderbank zunächst nur wenig Freiraum. Dies änderte sich im Laufe der Zeit; so konnte er sich in einem bestimmten Radius bewegen und die Gruppe auch zeitweise verlassen, wenn er z. B. Arbeiten, wie das Wasserholen, erledigen musste. Beim drohenden Angriff auf Tunis wurden die Gefangenen, wie er berichtet, in steinernen Behausungen in Tunis untergebracht, dort jedoch ebenfalls ange‐ 402 B. Militärische Gefangenschaften kettet, um eine Flucht zu verhindern. Balthasar Sturmer habe deswegen im osmanischen Heer gegen die kaiserlichen Truppen kämpfen müssen. Die geschilderten Gefühle der Gefangenen hängen maßgeblich von der Behandlung durch ihren jeweiligen Besitzer ab. Dabei dominierte die Angst vor Gewalttätigkeiten und vor der Ungewissheit, wie das Leben in der Fremde weitergehen würde. Denn trotz der teilweise auffallend großen Bewegungsfrei‐ räume, waren die Gefangenen in ihrer Gefangenschaft eng gebunden. Die Sklaven wurden nachts eingesperrt und die Gefangenen im Heer waren durch die sozialen und militärischen Strukturen eingeschränkt, die eine Flucht nahezu unmöglich machten. 6. Phase: Die Verhandlungen / Das Verbleiben in der Gefangenschaft Ein grundlegender Unterschied zu den transkulturellen Gefangenschaftsfällen findet sich in dieser Phase. Da die meisten Gefangenen den Kontakt in ihre Heimat nicht aufrechterhalten konnten und in den hier untersuchten Fällen, mit Ausnahme eines missglückten Verhandlungsversuchs bei Balthasar Sturmer, auch keine Lösegelder verhandelt wurden, ist diese Zeitspanne gekennzeichnet durch die andauernde Gefangenschaft und die Erkenntnis oder Befürchtung des Individuums, dass dieser Zustand nicht beendet werden könne. Begleitet wird diese Phase häufig von einem wiederholten Besitzerwechsel, den Balthasar Sturmer, Georg von Ungarn und Bartholomej Georgijević schildern. Für die Gefangenen war dabei die Behandlung durch den jeweiligen Besitzer wichtig, die auch darüber entschied, wie viel von der eigenen Wahrnehmung der Gefangenschaft berichtet wurde. Während der langen Haftdauer erlernten die Christen die Sitten und vor allem die Sprache ihrer Umgebung. Die Annäherung an die muslimische Bevölkerung oder die wachsende Freundschaft Sturmers mit einem Hund im Lager der Nomaden konnte die gefühlte Einsamkeit lindern. Allen Gefangenen gemein war die Sorge, dass sie ihr Leben in Unfreiheit beenden müssten. Dies führte zu Verzweiflung und Resignation und in diese Phase fällt auch der wiederholte Anklang einer Annäherung der Christen an den Islam. Ob Schiltberger in seiner Gefangenschaft zum Islam konvertierte und dies in seinem Bericht nachher absichtlich überging, kann nur diskutiert werden. Es hat den Anschein, als habe niemand im Heer seine Konversion erwartet, auch wenn er eine sehr detaillierte Anleitung zum Übertritt zum Islam bietet. Schiltberger verliert an keiner Stelle ein negatives Wort über die islamische Religion, und auch Polemik findet sich in seinem Werk nicht. Während Johannes Schiltberger keinen Verdacht aufkommen lässt, beschreibt Georg von Ungarn sogar selbst seine Glaubenskrise und seine Annäherung an die muslimische Religion. Schließlich nutzt er die Glaubenskrise in seinem Bericht dafür, die 403 6. Zusammenfassung gefährliche Verführung des Islams zu stigmatisieren und seine eigene Rückkehr zum christlichen Glauben stark zu machen. Gleichzeitig wurden in dieser Phase mögliche Fluchten geplant und vorbereitet. Auch gescheiterte Fluchtversuche, die nicht in die endgültige Freiheit führten, fallen in diese Übergangsphase. Tatsächlich finden sich in allen hier geschilderten Fällen missglückte Fluchtversuche, die häufig an der Orientierungslosigkeit im fremden Land scheiterten. Gibt es anfangs noch viele dieser Fluchtversuche, so schwindet ihre Anzahl mit dem zunehmenden Verbleib in der Gefangenschaft, auch weil fehlgeschlagene Fluchten teils drakonisch bestraft wurden. So berichtet Johannes Schiltberger, dass die Christen nach ihrer missglückten Flucht unter harten Bedingungen in ein Turmverlies gesperrt wurden. Diese Zwischenphasen sind die einzigen Schilderungen, zusammen mit der kurzen Turmeinkerkerung am Anfang seiner Gefangenschaft, die bei Schiltberger und Bartholomej Georgijević in einen dauerhaft geschlossenen Raum führten. Auffällig ist, dass Johannes Schiltberger den Tod seiner Mithäftlinge, von denen zwölf innerhalb von neun Monaten starben, nur notiert. Erneut fällt das Schweigen auf, das auf einen emotionalen Tiefpunkt hinweisen könnte. Bartholomej Georgijević zeigt in seinen Anweisungen für mögliche Fluchtversuche dabei mitunter erfundene Passagen in seinem Text: So kann der Verkauf der Weidetiere zumindest bezweifelt werden und es lässt sich eine Parallele ziehen zu den sehr abenteuerlichen Fluchtbeschreibungen, die im Bericht Baltasar Sturmers zu finden sind. Im Bericht Georgs von Ungarn dominiert das harte Leben eines Sklaven, das geprägt sei von Angst und dem beständigen Wunsch zu fliehen. So seien es schließlich auch vor allem missglückte Fluchtversuche, die einen Gefangenen zur Verzweiflung bringen würden - ein Aufruf des Autors an seine Leserschaft, alle gefangenen Christen schnellstmöglich auszulösen, da man sie sonst an den Islam verlieren könnte. Die Fluchterzählungen bieten zudem auch den Raum, sich ausgiebig mit dem Vorwurf der eigenen Konversion auseinanderzusetzen. Am auffälligsten schildern Balthasar Sturmer und Bartholomej Georgijević ihre Erlebnisse. Dabei wurde die angedeutete Konversion zunächst als Erklärung dafür benutzt, warum die Christen fliehen oder sich aus heiklen Situationen retten konnten, um daraufhin doch erneut als falsche Konvertiten entlarvt zu werden. Die offensichtlichste Konstruktion bietet dabei sicherlich die Beschreibung Balthasar Sturmers zu seiner ‚nicht‘ erfolgten Beschneidung. Den Versuch eine Freilassung gegen Lösegeldzahlung zu verhandeln, er‐ wähnt Balthasar Sturmer: Nach einer missglückten Flucht wurde er von einem Nomadenstamm verschleppt, der ihn gegen Lösegeld eintauschen wollte. Er durfte über einen Boten schriftlich Kontakt zu den Christen in Tunis aufnehmen, doch die Lösegeldzahlung scheiterte, so dass Sturmer von den Nomaden zurück ins Lager mitgenommen wurde. Dort wurde er zunächst schlecht behandelt 404 B. Militärische Gefangenschaften 1469 Ein weiterer neuralgischer Punkt, der eher durch sein Verschweigen auffällt, ist das Thema der Frauen. Nur Balthasar Sturmer gibt an, dass ihm eine Ehefrau angeboten wurde. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass es dieses Angebot häufiger gab, z. B. bei Georg von Ungarn oder auch bei Hans Staden. Die Autoren blenden das Themengebiet einer Hochzeit mit einer muslimischen Frau ansonsten aber völlig aus, da es ihre Konversion beinhalten würde. und musste in den ersten Wochen vielfachen Spott ertragen. Tagsüber durfte er sich zur Verrichtung der Arbeit relativ frei bewegen, abends jedoch wurde er eingesperrt und angekettet. Er freundete sich mit einem Hund im Lager an und nach und nach wurde Sturmer zum festen Bestandteil der Lagergruppe, so dass man ihm, laut seiner Schilderung, die Möglichkeit einer Heirat innerhalb des Lagers anbot. 1469 Sturmer bestreitet sowohl dieses Angebot angenommen zu haben, das eine Konversion vorausgesetzt hätte, als auch während seiner Gefangenschaft beschnitten worden zu sein. Stattdessen habe er beständig auf die Möglichkeit gewartet, unbemerkt davonzulaufen. 7. Phase: Erfüllung der Forderungen / Flucht Schiltberger selbst klassifiziert sich in seinem Bericht als Gefangener, der letztlich zurück in seine alte Heimat fliehen konnte. Dass diese letzte Flucht sehr wahrscheinlich keine klassische Flucht war, sondern ein Verabschieden vom letzten Besitzer, ist bereits angemerkt worden. Vielleicht ist ihm nach den sieg- und ruhmreichen Jahren unter osmanischer und tatarischer Expansionspolitik wirklich nicht der Gedanke gekommen, noch einmal eine Flucht zu versuchen. Der Sold sowie die bunten Eindrücke und Erfahrungen haben möglicherweise seine Abenteurerseele so befriedigen können, dass ihn nicht mehr viel an dem Gedanken reizte in seine Heimat zurückzukehren. Es kann aber auch sein, dass die Bestrafung der ersten Flucht, die ihn neun Monate in ein Turmverlies brachte und wo er den Tod einiger Mitgefangener erleben musste, so sehr geprägt hatte, dass er sich zunächst keinen weiteren Fluchtversuch mehr zutraute. Auch die anderen Selbstzeugnisse berichten von der Möglichkeit, durch einen Frei‐ lassungsvertrag oder eine Entlassung durch den Besitzer freizukommen. Diese Fälle führten häufig dazu, dass der letzte Besitzer weitaus positiver geschildert wurde als die vorherigen. Als Gegenbild zu seinem ersten Besitzer beschreibt Georg von Ungarn seinen letzten Herrn, dem er auf dem landwirtschaftlichen Anwesen beim Weinanbau und in der Tierzucht half und mit dem ihn zuletzt ein fast familiäres Verhältnis verband, sehr positiv. Ihm sei durch seinen Herrn ein regulärer Freilassungsbrief angeboten worden, der ihm in die Freiheit verhalf. Aber auch die erfolgreiche Flucht konnte die Gefangenschaft beenden, so geben Jörg von Nürnberg und Balthasar Sturmer an, dass sie letztendlich aus ihrer Gefangenschaft fliehen konnten. Beide berichten, dass sie sich an den 405 6. Zusammenfassung Franziskanerorden gewandt hätten, der sie zunächst aufnahm und danach ihre Rückreise organisierte. Wichtig war die ‚Wiedereingliederung‘ in die christliche Gemeinschaft, die einen Übergang zwischen einer Flucht oder Freilassung und dem endgültigen Erlangen der persönlichen Freiheit darstellte, und die auch in beinah allen Selbstzeugnissen thematisiert wird: Sei es das Trinken von Alkohol, das Aufsagen christlicher Gebete oder die gemeinsame Sprache - all dies diente als Erkennungsmerkmal für die christlichen Gefangenen. 8. Phase: Erlangung der Freiheit Die endgültige Freiheit erlangten die Gefangenen erst zu dem Zeitpunkt, an dem sie wieder auf christlichem Boden angekommen waren und nicht mehr fürchten mussten, wieder eingefangen oder z. B. auf dem Seeweg neu versklavt zu werden. In einigen Selbstzeugnissen kann die Erleichterung über die gewonnene Freiheit herausgelesen werden, die Gefühlsäußerungen werden jedoch nicht sehr ausführlich geschildert. Gelübde, die aufgrund der Freilassung geschworen worden waren, wurden in dieser Zeit erfüllt; so berichtet Bartholomej Georgijević von einer Pilgerfahrt nach Jerusalem und Santiago de Compostela. 9. Phase: Das Leben nach der Gefangenschaft Von der Rückkehr in die Heimat wird in den meisten Selbstzeugnissen berichtet. Oftmals bot sich für die Heimkehrer die Möglichkeit, ihre Geschichte der Gefangenschaft öffentlich zu präsentieren. Nachdem das Erlebte in vielen Fällen vor einem heimischen Publikum einen ersten Zuhörerkreis fand, wurde es in schriftlicher Form festgesetzt. Auch wenn das Vermarkten des Erlebten sicherlich die vordergründige Motivation hinter den Schriften darstellt, kann vermutet werden, dass das Niederschreiben bei der Bewältigung der widerfah‐ renen Gefangenschaft(en) half. Jörg von Nürnberg und Georg von Ungarn gelangten nach ihrer Rückreise beide nach Rom, wo der eine im Dominikanerorden wirkte und der andere Büchsenmeister des Papstes wurde. Geschrieben hat Jörg, der mit seinem Fach‐ wissen zuerst den Sultan und später auch den Papst hatte überzeugen können, da er für beide Seiten jeweils das Wissen der ‚Fremdwelt‘ mitbrachte, sein Traktat als Büchsenmacher des Papstes. In Rom musste er seine Gefangenschaftsge‐ schichte sicherlich immer wieder erzählen und die Karriere am päpstlichen Hof brachte allein schon die Notwendigkeit mit sich, einen stark gefärbten Bericht zu verfassen. Auch Balthasar Sturmer und Bartholomej Georgijević kehrten nicht sofort in ihre Heimat zurück, sondern waren weiterhin auf Reisen und verfassten über ihre Zeit in Unfreiheit teils mehrere Berichte, mit denen sie ein breites Publikum erreichten. 406 B. Militärische Gefangenschaften 1470 Hans S T A D E N , Hans Stadens Wahrhaftige Historia, herausgegeben und übertragen von Reinhard Maack und Karl Fouquet, Marburg an der Lahn 1964, S. 32. 1471 Gene Rhea T U C K E R , The Discovery of Germany in America: Hans Staden, Ulrich Schmidel, and the Construction of a German Identity, in: Traversea - Journal of C. Gefangenschaft im Zuge eines gewaltsamen Überfalls Der letzte Gefangenschaftsfall behandelt zugleich den einzigen Gefangenen, den es in die Neue Welt zu den brasilianischen Tupinambá verschlug. „Hans Staden von Homberg aß Hessen“, wie er sich selber in seinem Werk betitelt, verfasste mit seiner „Warhaftige[n] Historia und beschreibung eyner Landtschafft der Wilden Nacketen, Grimmigen Menschfresser-Leuthen in der Newenwelt Ame‐ rica gelegen“ einen Reisebericht, der sich einerseits wie ein Abenteuerroman liest und gleichzeitig eine der wichtigsten frühen historischen und ethnogra‐ phischen Quellen Brasiliens darstellt. Das mit über 50 Holzschnitten reich bebilderte Werk erhielt die wissenschaftliche Reputation über Johannes Eich‐ mann, alias Dr. Dryander, Professor für Mathematik und führender Mediziner seiner Zeit, der ein Vorwort verfasste und dem Bericht anerkannte „wahrhaftig“ zu sein. Hans Staden erlitt eine über neun Monate andauernde Gefangenschaft bei den brasilianischen Tupinambá und beschreibt eindringlich seine Furcht in dieser Zeit vor den kannibalistischen Riten der Tupinambá. 1. Hans Staden a) Biographie und Hintergrund des Selbstzeugnisses Die Familie Staden findet sich in den Quellen zuerst in Wetter bei Marburg. Der Vater Gernand Staden wuchs hier auf und zog 1528 nach Homberg an der Efze. Er war mit dem späteren Professor Johannes Dryander, der für den Bericht Hans Stadens nach dessen Heimkehr eine große Rolle spielen sollte, befreundet. 1470 Hans Staden wurde vermutlich um das Jahr 1525 geboren und scheint dann in Homberg eine standesgemäße Schulausbildung erhalten zu haben. Er war Protestant; das lutherische Bekenntnis war 1528 auf der Homberger Synode für Hessen eingeführt worden. 1471 Im Schmalkaldischen Krieg war Staden Söldner Transatlantic History Vol. 1 (2011), S. 26-45, S. 28. Zur Homberger Synode, die vom 21. - 23. Oktober 1526 stattfand: Hans S C H N E I D E R , Formierung, in: Reformation und Landesherrschaft (wie Anm. 948), hier S. 76-80; W A L L M A N N , Kirchengeschichte (wie Anm. 813), S. 72f. 1472 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 46. 1473 Bernhard J A H N , Raumkonzepte in der frühen Neuzeit. Zur Konstruktion von Wirklich‐ keit in Pilgerberichten, Amerikareisebeschreibungen und Prosaerzählungen, Frankfurt am Main/ New York 1993, S. 236. und nach der Gefangennahme Philipps von Hessen in Halle suchte er neue Aufgaben. Wohl aus diesem Grund reiste er nach Portugal, um ein Schiff Richtung Indien zu nehmen. Da er bei seiner Ankunft im Hafen Setúbals jedoch kein Schiff mehr antraf, das ihn mit nach Indien nehmen konnte, heuerte er in Lissabon mit zwei anderen Landsmännern aus Deutschland - er nennt Hans von Bruchhausen und Heinrich Brand von Bremen - auf einem Schiff an, das sich auf den Weg nach Brasilien machen wollte. Über seine insgesamt zwei Reisen und die Gefangenschaft verfasste er zusammen mit Johannes Dryander einen ausführlichen Bericht in zwei Bänden. Die Erzählung beginnt nach zwei Vorwörtern, einem Inhaltsverzeichnis und einer kurzen Vorgeschichte: „Ich, Hans Staden von Homberg in Hessen, name mir vor, wens Gott gefellig were, Jndiam zubesehen; zoge der meynung von Bremen nach Holandt. Zů Campen kam ich bei schiffe, die wolten in Portugal saltz laden.“ 1472 Das Werk Stadens, das 1557 erstmals erschien, wurde zu einem Bestseller der deutschen ‚Americana‘. Im ersten Jahr folgten dem Erstdruck bereits drei weitere Auflagen und noch fünf weitere Drucke im 16. Jahrhundert sowie rasche Übersetzungen ins Lateinische, Holländische und Französische. 1473 Exkurs: Der Kannibalismus in der „Warhaftige[n] Historia“ Die „Warhaftige Historia“ Hans Stadens von 1557 als eine der ersten landes‐ kundlichen Beobachtungen über Brasilien hat in der Forschung viel Beachtung gefunden und zahlreiche Debatten um die Glaubwürdigkeit des Werkes und den Wert der Beobachtungen Stadens angefacht. Dabei war vor allem der geschil‐ derte Kannibalismus immer wieder eine der zentralen Fragen. Wiederholt ist diskutiert worden, ob die Schilderungen der Wahrheit entsprächen oder nur eine überkommende Darstellung der indigenen Kulturen sei, die immer weiter tra‐ diert und umgestaltet wurde. Die eine Seite der Wissenschaftler merkt an, dass alle Schilderungen einzelner Autoren zum Kannibalismus sich nur in wenigen Details veränderten und es sich bei der Beschreibung der Anthropophagie um 408 C. Gefangenschaft im Zuge eines gewaltsamen Überfalls 1474 Wolfgang S C H I F F N E R / Eckhard E. K U P F E R / Franz O B E R M E I E R / Sven-Hinrich S I E M E R S , Unter Menschfresser-Leuthen. Hans Stadens Brasilienbuch von 1557, Wolfhagen 2007, S. 64. 1475 Bereits Felicitas Schmieder weist in ihrem Aufsatz zum Vorwurf der Menschenfresserei bei den Mongolen darauf hin, dass der Kannibalismus eine Urangst und Urphantasie befriedigt, die das schrecklichste der eigenen Vorstellungskraft auf das Andere, das Fremde projiziert: Felicitas S C H M I E D E R , Menschenfresser und andere Stereotypen ge‐ walttätiger Fremder - Normannen, Ungarn und Mongolen (9. - 13. Jahrh.), in: Gewalt im Mittelalter. Realitäten, Imaginationen, hrsg. v. Manuel Braun/ Cornelia Herberichs, München 2005, S. 159-179, S. 172. Vgl. auch: Valentin G R O E B N E R , Ungestalten. Die visuelle Kultur der Gewalt im Mittelalter, München 2003, S. 155. Dass es den Vorwurf des Kannibalismus auch z. B. gegen schweizerische Kriegsknechte gab, zeigt: Volker S C H M I D T C H E N , Ius, in: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 177), S. 39. 1476 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 8. 1477 Roger B A R T R A , Wild men in the looking glass. The mythic origins of European otherness, Ann Arbor 1994. 1478 William A R E N S , The man-eating myth. Anthropology & Anthropophagy, Oxford/ New York 1980. ein „erfundenes Negativ-Bild über Indianer“ 1474 handele, welches voneinander abgeschrieben und so verbreitet wurde. 1475 Dabei spielt vor allem der Aspekt des „Wilden“, dem kannibalistische Praktiken zugeschrieben werden konnten, eine Rolle. Auch im Fall der „Warhaftige[n] Historia“ Stadens wird bereits im Titel auf diesen Zusammenhang hingewiesen: „Warhaftige Historia und beschreibung eyner Landtschafft der wilden, nacketen, grimmigen menschfresserleuthen […]“. 1476 Hans Staden reiste sicherlich bereits mit entsprechenden Bildern an die brasilianische Küste und die Zeit vor seiner Gefangennahme durch die Tupinambá, die er unter portugiesischen Christen verbrachte, dürfte diese Bilder über die ‚Wilden‘, wie kannibalistische Riten, noch weiter angereichert haben. Deshalb müssen die Darstellungen Stadens auch immer vor dem Hintergrund gelesen werden, dass er als Europäer von den vermeintlich ‚Wilden‘ gefangen genommen wurde. Auch Roger Bartra weist darauf hin, dass der Mythos des ‚Wilden‘ als Bestandteil und Entwicklung der europäischen Kultur gelesen werden muss und nicht als Antwort auf neu entdeckte Völker. 1477 Einer der ersten, der sich 1979 gegen die Kannibalismusschilderungen Sta‐ dens wandte und sie als reine Nacherzählung älterer Berichte klassifizierte, war William Arens in seinem Werk „The Man-Eating Myth“. 1478 Annerose Menninger folgt ihm und resümiert zur Darstellung Stadens, „daß jene Form des Exokannibalismus - die als gewohnheitsmäßig beschriebene Kollektivtat des Tötens und kompletten Verzehrs gefangener, stammesfremder Menschen und deren in der Gefangenschaft gezeugten Nachkommen - in unserem geographi‐ 409 1. Hans Staden 1479 Annerose M E N N I N G E R , Die Macht der Augenzeugen. Neue Welt und Kannibalen-My‐ thos, 1492-1600, Stuttgart 1995, S. 279f. 1480 Heidi P E T E R -R Ö C H E R , Mythos Menschenfresser. Ein Blick in die Kochtöpfe der Kanni‐ balen, München 1998, S. 145. 1481 S C H I F F N E R / K U P F E R / O B E R M E I E R / S I E M E R S , Menschfresser (wie Anm. 1474), S. 64. Tatsäch‐ lich sei die These der Nichtexistenz der Anthrophagie ebenso unmöglich aufrechtzuer‐ halten: Mark M Ü N Z E L , Vier Lesarten eines Buches: Zur Rezeption von Hans Stadens Warhaftige Historia, in: Martius-Staden-Jahrbuch 53 (2006), S. 9-22, S. 19; Wolfgang H A L F A R , Hans Staden. Ein hessischer Landsknecht bei den wilden, nacketen, grimmigen Menschenfresser Leuten in Brasilien 1548-1555 (Museumsführer 12), Kassel 1997, S. 52f. Auch Bernhard Jahn ist, obwohl er keine endgültige Position in der Kannibalis‐ musdebatte einnehmen möchte, eher bereit eine rituelle Anthrophagie anzunehmen, statt von einer reinen „Erfindung“ Stadens auszugehen, vgl. J A H N , Raumkonzepte (wie Anm. 1473), S. 239. 1482 Staden erwähnt jedoch nur am Rande, dass der Gefangene einer Frau des Stammes zugeordnet wurde, die für ihn sorgte und in deren Umgebung er sich aufhielt: Franz O B E R M E I E R , Bilder von Kannibalen, Kannibalismus im Bild. Brasilianische Indios in Bildern und Texten des 16. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für Geschichte Lateinamerikas 38 (2001), S. 49-72, S. 63. schen und zeitlichen Untersuchungsraum nicht existiert hat.“ 1479 Auch Heidi Peter-Röcher fasst als Untersuchungsfazit zum Thema des Kannibalismus bei Staden zusammen: „Es ist nicht einfach zu beurteilen, was Staden tatsächlich beobachtet hat, was seinem Vorwissen und seiner Phantasie zugeschrieben werden muß […]. Augenzeuge kannibalischer Handlungen war Staden jeden‐ falls nicht; möglicherweise glaubte er selbst jedoch daran, daß seine Gastgeber oder Gefangenenwärter Menschenfresser seien.“ 1480 Das Argument, dass viele Berichte zur etwa gleichen Zeit zu kannibalisti‐ schen Riten und Gebräuchen verfasst worden seien, nutzte die andere Seite der Wissenschaftler zum Gegenargument. Das Kopieren fremder Texte sei übliche Praxis gewesen und kein Argument dafür, dass die Autoren identische Praktiken nicht beobachtet haben könnten. 1481 Laut Franz Obermeier habe bisher nur Hans Staden die Begrüßung der ankommenden Gefangenen im Dorf durch die Frauen erwähnt, eingenommen der Schläge und des Rasierens der Haare. Die Wegnahme der Haare sei eine Integrationszeremonie der Tupinambá, die selbst vollständig rasiert waren. 1482 Für Obermeier stellt es sich klar dar, dass es eine Form des rituellen Kannibalismus bei den brasilianischen Ureinwohnern gegeben habe. Das Argument Menningers, dass gegenseitige Rezeption darauf schließen lasse, dass niemand etwas gesehen habe, sei für ihn nicht schlüssig, da mit diesem Argument der gegenseitigen Rezeption „keine methodisch korrekte 410 C. Gefangenschaft im Zuge eines gewaltsamen Überfalls 1483 Der rituelle Kannibalismus sei sicherlich nicht so häufig vorgekommen, wie es uns die Schilderungen glauben machen wollen, doch müsse man beachten, dass die häufige Schilderung kannibalischer Riten vor allem an der Faszination des Unbekannten gelegen habe. „Verständlicherweise haben die zeitgenössischen Autoren den Kanni‐ balismus in ihren Berichten stark fokussiert, da sie sich sicher für dieses Thema auch interessierten und die Übersetzer durch Nachfragen und persönliches Erleben zahlreiche genauere Informationen zu dem Ritus erlangen konnten.“ O B E R M E I E R , Bilder (wie Anm. 1482), S. 71f. 1484 O B E R M E I E R , Bilder (wie Anm. 1482), S. 71f. 1485 S C H I F F N E R / K U P F E R / O B E R M E I E R / S I E M E R S , Menschfresser (wie Anm. 1474), S. 28. 1486 So Annerose Menninger, die zwar keine Korrespondenz oder Berichtsmanuskripte ausmachen kann, jedoch sehr nachdrücklich eine Autorschaft Dryanders vermutet: M E N N I N G E R , Macht (wie Anm. 1479), S. 183. 1487 Annerose Menninger arbeitet in ihrer Untersuchung als mögliche Vorlagen die Be‐ schreibungen Ludovicos di Varthema und des jesuitischen Missionars Manuel da Nóbrega heraus. Dies führt dazu, dass sie nicht nur die kannibalischen Riten, sondern auch die Gefangenschaft an sich in Frage stellt, vgl. M E N N I N G E R , Macht (wie Anm. 1479) S. 167-182. 1488 Die warhaftige Historia: das erste Brasilienbuch. Akten des Wolfhager Kongresses zu 450 Jahren Hans-Staden-Rezeption [9. bis 11. März 2007], hrsg. v. Franz O B E R M E I E R (Reihe Forschungen / Regionalmuseum Wolfhager Land 11), Kiel 2008; Donald W. F O R S Y T H , Three Cheers for Hans Staden: The Case for Brazilian Cannibalism, in: Ethnohistory Vol. 32, No. 1 (1985), S. 17-36. Aussage über den Wahrheitsgehalt des Dargestellten“ 1483 getroffen werden könne. 1484 In seinem zweiten Teil des Buches schildert Staden auf fünf Seiten die Vorgehensweisen bei der rituellen Tötung und dem Verspeisen der Menschen‐ opfer. Dem Werk beigefügt sind mehrere Holzschnitte, die das Geschriebene veranschaulichen und sicherlich auch den Voyeurismus der Leser befriedigen sollten. Dabei habe das Verzehren der Menschen für die Tupinambá weniger den Glauben an übertragbare Kräfte dargestellt als vielmehr ein Mittel der Rache für ebenfalls gefangene oder getötete Stammesangehörige. 1485 Vielleicht war auch dies ein Grund, warum Staden nie als „echtes“ Opfer in Betracht kam. Auch die Mitautorschaft des Medizinprofessors Johannes Dryander schürte den Zweifel, ob Hans Staden sein Werk überhaupt selbstständig verfasst habe. Vor allem Annerose Menninger vermutet, dass Johannes Dryander, der literarisch bewanderte Universitätsprofessor und Verfasser zahlreicher Schriften, den Bericht geschrieben und in Stadens Namen veröffentlicht hat. 1486 Als mögliche Vorlage könnte eventuell der Briefbericht des Amerigo Vespucci, der Anfang des 16. Jahrhunderts in mehrere Sprachen übersetzt worden war, gedient haben. Selbst wenn Staden die Schrift nicht gekannt habe, sei davon auszugehen, dass Dryander dieses Werk bekannt war. 1487 Gegen die Studie Annerose Menningers stellt sich die neuere Stadenforschung. 1488 Obermeier bringt an, dass die Angaben 411 1. Hans Staden 1489 O B E R M E I E R , Bilder (wie Anm. 1482), S. 71. 1490 Hans S T A D E N / Karl F O U Q U E T , Zwei Reisen nach Brasilien. 1548-1555. In die Sprache der Gegenwart übertr., mit einem Nachw. und mit Erl. vers. von Karl Fouquet, Marburg an der Lahn 51995, S. 169f. Obermeier findet Stadens Erwähnung der Zahlen bis fünf, die den Tupinambá bekannt waren, bemerkenswert, da bis heute „das auf die Indianersprache zurückgehende Guaraní nur Ausdrücke für die Zahlen bis vier [kennt], während für höhere Zahlen erst in neuester Zeit Kunstwörter geschaffen wurden“, O B E R M E I E R , Bilder (wie Anm. 1482), S. 70. 1491 A R E N S , Anthropophagy (wie Anm. 1478), S. 12. 1492 F O R S Y T H , Staden (wie Anm. 1488). 1493 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 205-210. 1494 M E N N I N G E R , Macht (wie Anm. 1479), S. 188f. Stadens zu seinem Leben in der Gefangenschaft viel detaillierter waren, als es sich durch die Vorlage vorhandener Berichte erklären lassen würde. 1489 Neben dem Pass, den Staden bei seiner Rückkehr nach Europa erhalten hat und den er am Ende des Werkes erwähnt, sind es vor allem die Wörter und Sätze auf Tupi, die den Bericht glaubhaft machen würden. Die Forschung hat Staden lange Zeit für die nicht korrekte Verwendung der Tupiwörter kritisiert, ohne jedoch zu erkennen, wie schwierig es für europäische Ohren gewesen sein musste, die fremden Laute zu erfassen und ein Jahr später zu Papier zu bringen. 1490 Während William Arens 1979 betonte, dass Staden nicht lange genug unter den „Indianern“ gelebt habe, um ihre Sprache erlernt haben zu können, 1491 wendet sich Donald Forsyth dagegen und hält den Zeitraum des Aufenthalts für ausreichend, um die Worte und Sätze, die er wiedergibt, zu verstehen. 1492 Maak stellte insgesamt 150 Sprachproben zusammen, die für die linguistische Vielfalt Stadens sprechen. 1493 Letztendlich lässt sich jedoch nicht klären, wie viel Anteil Staden an der Niederschrift seines Werkes hatte. Gerade aber die Schilderungen seiner Gefangenschaft mit den häufig sehr persönlichen Einblicken in sein Gefühlsleben können sicherlich als authentischster Teil seines Werkes gesehen werden. Einem weiteren Urteil kann man sich ebenfalls sicher anschließen: Menninger erwähnt den Umstand der stark protestantischen Färbung des Werkes. 1494 Staden beschreibt sich in seinem Bericht immer wieder als gottesfürchtigen Menschen, der nicht nur durch Gottes Hilfe errettet wurde, sondern auch wiederholt seine eigene Frömmigkeit in Gebeten und Riten zum Ausdruck brachte. Verstärkt wurde dieser Aspekt sicherlich auch durch den protestantischen Leserkreis am Hof des Landgrafen Philipp von Hessen, den man primär als Publikum gewinnen wollte. 412 C. Gefangenschaft im Zuge eines gewaltsamen Überfalls 1495 Nähere Informationen zu dieser Reise: S T A D E N / F O U Q U E T , Reisen (wie Anm. 1490), S. 22- 32. Sie führten auf dem Schiff auch einige portugiesische Strafgefangene mit sich, mit denen man neu erschlossene Siedlungen sichern wollte. In Pernambuco wurden die mitgeführten Gefangenen an den Kommandanten, Duarte Coelho, des Ortes übergeben. Von ihrem Schicksal berichtet Staden jedoch nicht weiter. 1496 An Bord der Schiffe befanden sich 250 Männer, 50 Frauen und ein paar Kinder: M E N N I N G E R , Macht (wie Anm. 1479), S. 69. 1497 S T A D E N / F O U Q U E T , Reisen (wie Anm. 1490), S. 160-162. 1498 Zu den Schwierigkeiten auf See und den gesunkenen Schiffen: S T A D E N / F O U Q U E T , Reisen (wie Anm. 1490), S. 161; M E N N I N G E R , Macht (wie Anm. 1479), S. 69. 1499 Horst P I E T S C H M A N N , Deutsche und imperiale Interessen zwischen portugiesischer und spanischer Expansion im 15. Jahrhundert, in: Portugal und das Heilige Römische b) Der Untersuchungsfall Die Gefangennahme Während seiner ersten Reise im Jahr 1547 segelte Staden von Lissabon als Büchsenmeister an Bord eines Schiffes nach Brasilien. 1495 Nach seiner Rückkehr im Oktober 1549 fasste er erneut den Entschluss zu einer Reise aufzubrechen, diesmal jedoch unter spanischem Kommando. Im Frühjahr 1550 startete Staden von Sevilla im Expeditionstrupp des Don Diego de Sanabria, einem spanischen Edelmann. 1496 Vom Hafen San Lucar de Barrameda ging es im April 1550 unter dem Oberbefehl des Kapitäns Juan de Salazar über Lissabon, La Palma und über das Kap Verde in die neue Welt. Die Berichte über seine zwei Reisen sind teilweise äußerst detailliert geschrieben und mit erstaunlich guten nautischen Angaben, die jedoch auch sehr gut Ergänzungen Dryanders sein können. Fou‐ quet liefert genauere Reiserouten zur zweiten Reise. Er weist auch auf manche Unstimmigkeiten Stadens hin, doch sind die Angaben Stadens größtenteils deckungsgleich mit der Reiseroute und den Problemen während der Seereise, wie sie auch in anderen Quellen zu dieser Expedition berichtet werden. 1497 Auf der Reise hatte die Expedition mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen, so dass sich der Konvoi auflöste und mehrere Schiffe sanken. 1498 Schließlich erreichte Stadens Schiff die Insel S-o Vicente im heutigen Bundesstaat S-o Paulo. Staden berichtet ausführlich von der Insel, die eine portugiesische Siedlung beherbergte. Sowohl die Spanier als auch die Portugiesen versuchten die neu entdeckten Gebiete zu besiedeln und trieben lebhaften Handel mit den Einhei‐ mischen; dabei wurde durch die Demarkationslinie des Vertrags von Tordesillas von 1494 Brasilien unter den beiden Mächten aufgeteilt. Dazu kamen noch die Bestrebungen der Franzosen, die ebenfalls versuchten Handelsbeziehungen zu den einheimischen Stämmen aufzubauen und Kaperfahrten, vor allem gegen die portugiesischen Schiffe, unternahmen. 1499 Staden berichtet zudem von den 413 1. Hans Staden Reich (16.-18. Jahrhundert). Portugal e o Sacro Império (séculos XVI-XVIII), hrsg. v. Alexandra Curvelo/ Madalena Simões (Studien zur Geschichte und Kultur der iberischen und iberoamerikanischen Länder 15), Münster 2011, S. 15-30, S. 15; M E N N I N G E R , Macht (wie Anm. 1479), S. 70f. 1500 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 74. Schon hier berichtet Staden von der Grausamkeit der Tupinambá. Bei der Eroberung eines anderen Stützpunktes hätten sie ihre Gefan‐ genen getötet und zerstückelt, ebd., S. 76. 1501 Der Bericht Stadens geht nun im portugiesischen Lager weiter und er erzählt nichts mehr von den übrigen Teilnehmern der Sanabria-Expedition. Zu diesem Zeitpunkt lebten noch rund 60 Männer, die aus Spanien aufgebrochen waren. Einige schafften es tatsächlich bis zum Rio de la Plata und auch zwei der spanischen Kapitäne, Juan de Sa‐ lazar und Juan Sánchez, überlebten die Fahrt: S T A D E N / F O U Q U E T , Reisen (wie Anm. 1490), S. 161f. 1502 Da Staden nicht zu den Spaniern gehört, die neben den Portugiesen ihre eigenen Siedlungen aufbauen wollten, war er als Deutscher sehr willkommen. Die Deutschen kamen eher als Söldner nach Brasilien, um dort ihr Glück zu suchen und Geld zu verdienen: S T A D E N / F O U Q U E T , Reisen (wie Anm. 1490), S. 178f. 1503 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 78. 1504 Staden berichtet den Vertrag direkt mit dem brasilianischen Generalgouverneur Tomé de Souza geschlossen zu haben, der sich gerade auf Inspektionsreise befand. Dieser versicherte ihm die Heimkehr und das Privileg des Königs, wie es sonst nur die königlichen Büchsenschützen bekämen: S T A D E N / F O U Q U E T , Reisen (wie Anm. 1490), S. 162. indigenen Einwohnerstämmen der Tupiniquins und den Tupinambá, von denen er später gefangen genommen wurde. 1500 Der Insel S-o Vicente, auf der sich das portugiesische Lager befand, war eine weitere Insel, Santo Amaro, vorgelagert. 1501 Dort hatte man einen Stützpunkt errichtet, der als Bollwerk gegen Einfälle der Tupinambá auf S-o Vicente dienen sollte. Die Portugiesen warben Staden, von dem sie gehört hatten, dass er Deutscher sei 1502 und als Büchsenschütze gedient hatte, für die Stellung an: „Ich ward mit jnen eyns, das ich vier monat in dem haus dienen solt. Darnach wuͤrde eyn oberster von des koͤnigs wegen da ankommen mit schiffen vnd eyn steynen blochhaus dahin machen, welches dann stercker sein wuͤrde; wie auch geschahe.“ 1503 Er wechselte in die lukrativen Dienste bei den Portugiesen und baute ab Ende des Jahres 1552 den Stützpunkt aus. Nachdem Staden seine vier Monate absolviert hatte, ließ er sich auf zwei weitere Jahre verpflichten, um danach erneut nach Portugal aufzubrechen und dort seinen Lohn vom König zu erhalten. 1504 Während seines Dienstes als Kommandant der Festung erledigte ein eigener Sklave anfallende Aufgaben für Staden, wie das Jagen von Tieren. 414 C. Gefangenschaft im Zuge eines gewaltsamen Überfalls 1505 Friedrich Wilhelm B A U T Z , Art.: Helius Eobanus Hessus, in: Biographisch-Bibliographi‐ sches Kirchenlexikon, 1990, Sp. 791-793. 1506 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 80-82. 1507 Neben Heliodorus Hessus wird von Staden ein nicht näher benannter Spanier erwähnt, der evtl. mit dem Kapitän Juan Sánchez identifiziert werden kann: S T A D E N / F O U Q U E T , Reisen (wie Anm. 1490), S. 162. 1508 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 81. Das Recht desjenigen am Gefangenen, der diesen zum ersten Mal berührte, wird in anderen Quellen erwähnt: Hans S T A D E N / Franz O B E R M E I E R , Warhaftige Historia. Zwei Reisen nach Brasilien (1548-1555), hrsg. v. Franz Obermeier (Fontes Americanae 1), Kiel 2007, S. 188. In diese Zeit (Ende 1553 oder Anfang des Jahres 1554) fiel auch ein Treffen mit Heliodorus Hessus, dem Sohn des berühmten Humanisten Eobanus Hessus: 1505 „Es begab sich aber auf eyn zeit, das eyn Hispanier aus der Insel Sancte Vincente zu mir kam in die Insel Sancte Maro, welchs 5. meilen von dannen ist, in das bolwerck, darinne ich wonete, vnd noch eyn Teutscher, hies mit namen Heliodorus Hessus, Eobani Hessi seligen Son. Derselbige war in der Insel Sancte Vincente in eynem Jngenio, in welchen man den zucker machet […]. Mit demselbigen Heliodoro hatte ich zuuor mehr kuntschaft gehabt, dann do ich mit den Hispaniern den schiffbruch da vnter lande leyd, inen da in der Jnsel sancte Vincente fand vnd er mit freundtschafft bewiese: Er kam zů mir, wolte sehen, wie mirs gieng.“ 1506 Für Staden war der Besuch des bekannten Europäers eine erfreuliche Ab‐ wechslung. 1507 Da er seinen Sklaven bereits einen Tag zuvor zum Jagen geschickt hatte, eilte er ihm am gleichen Tag in den Urwald nach, um Wildbret für die Gäste abzuholen. Plötzlich wurde der unbewaffnete Staden von Indigenen um‐ zingelt, die mit Pfeilen und großem Geschrei aus dem Gebüsch hervorbrachen. Staden, vom Angriff überrascht, blieb keine Zeit mehr sich zu wehren oder zu fliehen: „sie schlůgen mich zur erden, schossen vnnd stochen uff mich. Noch verwun‐ deten sie mich (Gott lob) nit mehr dann in eyn beyn und rissen mir die kleyder vom leib, der eyne die halskappen, der ander den hůt, der dritte das hembd vnd so vortan. Fiengen da an vnd kieben sich umb mich: Der eyne sagt, er were der erste bei mir gewesen, der ander sagte, er hette mich gefangen. Dieweil schlugen mich die andern mit den handtbogen. Doch zum letzten hůben mich zwen auf von der erden, da ich so nacket war. Der eyne name mich bei eynem arm, der ander bei dem andern und etliche hinter mich und etliche vor mir her und lieffen so schwinde mit mir durch den waldt nach dem meer zů.“ 1508 Die Krieger der Tupinambá, die sich um den gefangenen Staden stritten und ihm die Kleider vom Leib zerrten, werden wie wilde Tiere dargestellt - die den Christen seiner schützenden Kleidung beraubten. Bei dem Handgemenge 415 1. Hans Staden 1509 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 82. 1510 Staden gibt an, dass die Tupinambá ihn fast auf der Stelle erschlagen hätten, sich dann jedoch darauf besannen, ihn bei einem gemeinsamen Ritual hinzurichten. Er selbst habe in dieser Zeit gebetet und sich ruhig verhalten: S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 84. 1511 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 86. 1512 Ebd., S. 86. verletzten sie ihren Gefangenen und schleppten ihn nackt zum Ufer. Dort legten sie ihn in ein Boot und Staden berichtet, dass er auf dem Weg dorthin noch ein paar Mal mit Faustschlägen malträtiert wurde. Außerdem sei er überzeugt davon gewesen, dass sie ihm gedroht hätten, ihn zu fressen: „waren geziert mit feddern uff iren gebrauch und bissen in ire arme und dreweten mir, also woͤlten sie mich essen.“ 1509 Die Tupinambá hielten Staden für einen Portugiesen und nahmen ihn, wie er später erfuhr, aus Rache für die vielen Opfer gefangen, die ihrem Stamm von Seiten der Portugiesen zugefügt worden waren. Im Boot wurden Staden die Hände gefesselt und es gab einen erneuten Streit um den Besitz des neuen Gefangenen. 1510 Der Versuch einiger Portugiesen, die die Gefangennahme mitbe‐ kommen hätten, Staden mit Waffengewalt zu befreien, schlug fehl. Im Gegenzug nutzten die Tupinambá diese Möglichkeit, um die Portugiesen zu verspotten, denn als das Boot der Indigenen vorüberfuhr, ließ man den gefesselten Staden im Boot aufstehen, um ihn den Portugiesen zu zeigen: „Und wie wir so voruber fuhren, muste ich in dem nachen uffstehn, das mich meine gesellen gesehen konten. Da schossen sie aus dem bolwerck zwei grober stuͤck ab uff uns, aber sie schossen zu kurtz.“ 1511 Den Gegner durch das Vorführen des Gefangenen zu verhöhnen, ist in dieser Untersuchung bereits mehrfach, wie bei Johannes Schiltberger und den gefangenen Kurfürsten, festgestellt worden. Die Tupinambá entkamen den Verfolgern und brachten Staden außer Reichweite für die portugiesischen Boote. Die Gefangenschaft Auf dem Weg ins Dorf der Tupinambá legten die Boote unterwegs zu einem Halt an, um dort die Nacht zu verbringen. Staden, der verletzt war, wurde trotz seiner Wunden zunächst im Sand liegengelassen und weiterhin bedroht: „Als ich auff das landt kam, konte ich nit sehen, dann ich unter dem angesicht zerschlagen war, auch nicht wol gehen. Muste inn den sant leigen der wunden halben, so ich im beyn hatte. Sie stunden umb mich her und draweten, wie sie mich essen woͤlten.“ 1512 Aus Angst, so Staden, flehte er zu Gott und erinnerte sich an den Psalm „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“, den er rezitierte - ein Umstand, der ihm Hohn und 416 C. Gefangenschaft im Zuge eines gewaltsamen Überfalls 1513 Ebd., S. 86-88. 1514 Das Dorf Ubatuba liegt etwa 100 Kilometer westlich von Rio de Janeiro: S T A D E N / F O U Q U E T , Reisen (wie Anm. 1490), S. 162. Spott eingebracht habe. Da die Tupinambá sich aber anscheinend mit Staden auf der Insel nicht sicher genug fühlten, brachen sie ihr Nachtlager noch einmal ab und fuhren ans Festland, wo sie ein Lager errichteten: „Und sie zohen die nachen auffs landt und machten fewer und leyteten mich darnach darbei. Da muste ich in eynen netze schlaffen, welchs sie in jrer sprach Jnni heyssen […] die stricke, so ich an dem halse hatte, bunden sie oben an eynen baum, und sie legten sich die nacht umb mich her, verspotteten mich und hiessen mich auf ire spraache: Schere inbau ende = Du bist mein gebundenes Tier.“ 1513 An dieser Stelle ist die Konstruktion des Textes sehr offensichtlich. Staden schreibt aus der Retrospektive seinen Bericht und gibt darin an, dass er die Sprache der Tupinambá zum Zeitpunkt seiner Gefangennahme bereits verstehen konnte. Dies kann sicherlich als reine Fiktion abgetan werden. Sehr viel wahrscheinlicher ist es, dass er zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht wusste, was mit ihm passieren würde und dass er bestenfalls eigene Schlüsse über sein weiteres Schicksal ziehen konnte. Er sei in der Nacht nah ans Feuer in eine Hängematte gelegt und zusätzlich mit einem Strick um den Hals am Baum befestigt worden, so dass er jederzeit beobachtet werden konnte und eine Flucht unmöglich gewesen sei. Am nächsten Morgen habe die Gruppe ihren Weg fortgesetzt. Als ein großes Unwetter heraufzog, seien die Indigenen an Staden herangetreten und hätten ihn gebeten, bei seinem Gott eine Wetterberuhigung zu erbitten. Daraufhin habe sich das Wetter beruhigt. Auch ohne den Hinweis der fehlenden Sprachkenntnis, kann an dieser Stelle von einer reinen Konstruk‐ tion Stadens ausgegangen werden; zu leicht ist die Leserführung auszumachen, die Staden auch als gottgefälligen Christen darstellen sollte. Sein standhafter Glauben wird im Bericht mehrfach thematisiert und der ‚göttliche Beistand‘ funktioniert an einigen Schlüsselstellen in seiner Darstellung als Erklärung. Nach einer dreitägigen Reise sei die Gruppe schließlich im Lager ange‐ kommen. Sehr detailliert schildert Staden die Geschehnisse der Ankunft. Das Dorf mit dem Namen Ubatuba 1514 bestand aus sieben Hütten mit Maniokfeldern in der unmittelbaren Umgebung. Als Staden gefesselt an den Feldern vorbei‐ gekommen sei, habe er den Frauen zurufen müssen, dass er ihr ‚Essen‘ sei. Daraufhin seien alle Einwohner zusammengelaufen und hätten den Gefangenen umringt. Man führte ihn ins Dorfinnere, wo er den Frauen überlassen wurde, während die Männer sich zur Beratung zurückzogen: „dieselbigen namen mich zwischen sich und giengen etliche vor mir und etliche hinter mir her, sungen vnd tantzten an eynem singen […]. Wie ich nun 417 1. Hans Staden 1515 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 88-90. Im zweiten Buch (Kapitel 29) geht er noch einmal näher darauf ein, dass man die Gefangenen zuerst den Frauen und Kindern überließ. Diese durften ihn verhöhnen und schlagen, waren aber auch dafür zuständig, dass er zu essen bekam und vor dem Festakt geschoren und geschmückt wurde. Wenn eine Frau ein Kind mit einem Gefangenen bekam, so sei es großgezogen und später ebenfalls getötet und verzehrt worden. 1516 Hier gibt Staden auch an, dass er den Ausdruck damals nicht verstand. 1517 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 90-92. Staden wurde rituell geschoren, aber seiner Angabe nach durfte er den Bart, der ihn auf den Holzschnitten, die dem Werk beigefügt sind, immer erkennbar macht, behalten. 1518 Ebd., S. 90. hinein kam, lieff das frawen volck zů mir und schlůgen mich mit feusten und raufften mich bei dem bart und sprachen in irer spraach: Sche innamme pepike a e., das ist so vil gesagt: Den schlag reche ich an dir von meines freunds wegen, den die, darunter du gewesen bist, getoͤdtet haben. Darnach furten sie mich in die huͤtten; da muste ich in eyn inni leigen. Da kamen die weiber vor vnd nach schlugen vnd raufften mich und draweten mir wie sie mich essen woͤlten.“ 1515 Staden gibt an, dass er daraufhin in einer Hütte lag und darauf wartete, verspeist zu werden. Diese Hütte diente Staden während seiner Gefangenschaft als Unterkunft. Aus seinen Schilderungen geht hervor, dass er die Hütte alleine bewohnte, jedoch ständig unter Aufsicht stand. Auch wenn er im Weiteren angibt, zu diesem Zeitpunkt alle Aussprüche der Tupinambá auf Tupi verstanden zu haben, kann dies sicherlich bezweifelt werden. Vielleicht waren ihm erste Sprachausdrücke in der Zeit als Kommandant beigebracht worden, doch aus den hier angeführten Sätzen, die er dem Leser mitteilt, um diesen durch die Geschichte zu leiten, spricht der spätere Autor des Berichts. Kurz nachdem die Männer des Dorfes von der Beratung zurückgekehrt waren, sei Staden zum Tanz, den die Einheimischen „Poracé“ nannten, geführt worden. 1516 Er sei hart gefesselt und auf einen Haufen frischer Erde gesetzt worden, bevor die Frauen damit begannen, ihm die Augenbrauen abzuscheren: „und wolte mir den bart vom maul auch abschneiden. Solchs wolt ich nit leiden und sagte, sie solten mich mit dem bart toͤdten. Da sagten sie, sie woͤlten mich noch nicht toͤdten unnd liessen mir den bart.“ 1517 Staden gibt an, dass er sich mit dem Gedanken an die Leidensgeschichte Christi selber getröstet habe, um geduldig das Ritual zu überstehen. 1518 Nach der Scherprozedur wurde Staden mit Federn sowie Rasseln geschmückt und die Frauen begannen einen Kreis zu bilden und um den Gefangenen herum zu tanzen: „und gleich wie ir thon lautet, so muste ich mit dem beyne daran sie mir die rasseln gebunden hatten, nider tretten, uff das es rasselte und zusammen 418 C. Gefangenschaft im Zuge eines gewaltsamen Überfalls 1519 Ebd. 1520 Ebd. 1521 Ebd. 1522 Ebd., S. 92-94. 1523 Zu dem Franzosen: S T A D E N / O B E R M E I E R , Warhaftige (wie Anm. 1508), S. 191. 1524 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 96. stimmete. Und das beyn darin ich verwundet war thet mir so wehe, das ich kaum stehen kunte, dann ich war noch nit verbunden.“ 1519 Mit großen Schmerzen aufgrund des verletzten Beines, musste sich Staden dem rituellen Tanz fügen und im Takt mit den Rasseln aufstampfen. Nach dem Tanz sei er zu einem Mann gebracht worden, der Staden zum gegebenen Zeitpunkt töten sollte, um so einen neuen Beinamen 1520 zu erhalten. „Wie nun der tantze eyn ende hatte, ward ich dem Jpperu Wasu uberliffert. Daselbst hatten sie mich in gůter bewarung. Da sagte er mir, ich hette noch etlich zeit zuleben“. 1521 Aufschlussreich an dieser Schilderung ist, dass der Indigene, dem Staden übergeben wurde, ihm mitteilte, dass er keinen schnellen Tod zu befürchten habe. Auch die nächste Szene wirkt erneut konzipiert: Im Anschluss an den Tanz hätten die Bewohner ihm die ‚Götzenstatuen‘ des Stammes gezeigt und ihm von Weissagungen erzählt, die dem Stamm prophezeit hatten, dass sie einen Portugiesen fangen würden. Daraufhin habe er sich als Deutscher zu erkennen gegeben. Doch die Indigenen hätten ihm nicht geglaubt, da er in portugiesi‐ schem Dienst stand, als sie ihn ergriffen. 1522 Während die Portugiesen, die sich mit den Tupiniquins verbündet hatten, als Feinde galten, wurden die Franzosen als Freunde der Tupinambá bezeichnet, mit denen sie häufig Handel betrieben. Da die Tupinambá noch keine Erfahrungen mit den Deutschen gemacht hatten, hätte er sie nicht von seiner Nationalität überzeugen können. Auch ein weiterer Sklave des Dorfes, der einem anderen Stamm angehörte und zuvor einige Zeit bei den Portugiesen als Sklave gelebt hatte, bevor er von den Tupinambá in der portugiesischen Kolonie entführt wurde, habe Staden nicht helfen können. Er erinnerte sich zwar an die Ankunft der spanischen Schiffe bei den Portugiesen, aber das reichte nicht aus, um Staden als ‚Nicht-Portugiesen‘ zu identifizieren. So blieb Staden, wie er schreibt, streng bewacht im Dorf. Ein Franzose, der in der Gegend lebte und als Übersetzer zwischen den Fran‐ zosen und den Tupinambá agierte, verschlimmerte die Lage Stadens zusätzlich, denn bei seiner Ankunft im Dorf befragten ihn die Tupinambá zu den neusten Ereignissen. 1523 Staden war zunächst erfreut und überzeugt: „er ist ye eyn Christ, er wird wol zum besten reden.“ 1524 Doch der Franzose fiel ihm in den Rücken: 419 1. Hans Staden 1525 Ebd. Auch können fehlende Sprachkenntnisse zu Verständnisproblemen mit dem Franzosen geführt haben: S C H I F F N E R / K U P F E R / O B E R M E I E R / S I E M E R S , Menschfresser (wie Anm. 1474), S. 20. 1526 Auf den Zweck des Werkes, den katholischen Glauben zu diffamieren und den eigenen protestantischen Glauben als wirkungsmächtiger darzustellen, weist auch Peter-Röcher hin: P E T E R -R Ö C H E R , Mythos (wie Anm. 1480), S. 143. 1527 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 96. 1528 Es ist der bekannte Häuptling Konyan Bebe, über den auch André de Thévet schreibt: S T A D E N / F O U Q U E T , Reisen (wie Anm. 1490), S. 178. 1529 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 100. 1530 Ebd. „Totet vnd esset inen, den boͤsewicht, er ist eyn rechter Portugaleser, ewer und mein feindt“. 1525 Dass es diesen Vorfall mit dem Franzosen gab, darf sicherlich angezweifelt werden. Auch die Tatsache, dass die Schrift Stadens an mehreren Stellen, wenn auch wohl erst nach der Bearbeitung Dryanders, an eine protestantische Propagandaschrift erinnert, stärkt die Vermutung, dass hier ein negatives Franzosenbild geschürt werden sollte oder diese Schilderung dem weiteren Lauf seiner Erzählung geschuldet war. 1526 Staden jedenfalls berichtet, dass ihn der Verrat des Franzosen in eine tiefe Verzweiflung gestürzt und ihm die Aussichtslosigkeit seiner Lage vor Augen geführt habe. 1527 Nach der Begegnung mit dem Franzosen, so Staden, verschärfte sich die Bewachung und auch die Verspottung durch die Tupinambá riss nicht ab. Da sich die Kunde von der Gefangennahme des Christen verbreitet hatte, wollte auch der höchste Häuptling der Tupinambá „Cunhambebe“ 1528 Staden persönlich sehen und so führte man ihn in ein benachbartes Dorf. Dort habe man ein großes Fest veranstaltet und den gefangenen Christen zum Häuptling geführt, der ihn zu den Plänen der Portugiesen ausfragte und erneut seine ‚deutsche‘ Identität in Zweifel stellte. 1529 Da er auch den Häuptling nicht von seiner Identität überzeugen konnte, sei er abermals in Verzweiflung geraten. Schließlich sei er erneut vorgeführt und verspottet worden: „band mir die beyne dreimal ubereynander. Darnach muste ich eben fusses durch die huͤtten herhuͤppen. Des lachten sie und sagten da kompt unser essekost her huͤppende.“ 1530 Staden musste den Spott über sich ergehen lassen und nachdem er Lieder vorgesungen hatte, durfte er wieder mit seinem Herrn in das Dorf Ubatuba zurückkehren. Auf dem Heimweg habe ihm sein Herr nochmals versichert, dass er nicht so bald getötet werden sollte. Hier wird bereits ersichtlich, dass die Tupinambá wohl vor allem mit der Angst Stadens spielten. Eventuell kannten sie durch den Kontakt mit den Franzosen oder Portugiesen die Vorstellungen der 420 C. Gefangenschaft im Zuge eines gewaltsamen Überfalls 1531 Ebd., S. 106. Europäer, die sich vor den kannibalistischen Riten der brasilianischen Indigenen fürchteten. Mit dieser Furcht, die auch Staden scheinbar in sich trug, konnte er ‚misshandelt‘ werden. Vielleicht gab ihm sein Herr deshalb mitleidsvoll immer wieder die Auskunft, dass er nicht so schnell sterben würde. Ein paar Tage nachdem sie wieder ins Dorf Ubatuba zurückgekehrt waren, trug sich eine besondere Situation zu: Während Staden weiteren Spott über sich hätte ergehen lassen müssen, habe er in den Sternenhimmel geblickt. Auf die Nachfrage, warum er dorthin schaue, habe er geantwortet, dass der Mond über die Taten des Häuptlings von Ubatuba wütend sei. Nach einem kurzen Wortgefecht mit den Indigenen, habe er diesen Vorfall jedoch vergessen. Dieser ‚Vorfall‘ änderte jedoch, laut seinem Bericht, vieles und verbesserte auf lange Sicht Stadens Verhältnisse im Dorf. Eine Delegation unter dem Häuptling „Jeppipowasu“ von Ubatuba war auf Kriegszug in benachbarten Gebieten und erkrankte dort an einer Seuche. Der Häuptling schickte nach Staden und bat ihn bei dem christlichen Gott Heilung zu erflehen. Staden nutzte, wie er berichtet, die Gunst der Stunde: „Ich solte mit meinem Gott machen, das sie moͤchten widerumb gesundt werden. Und sagte: Mein brůder leßt sich beduncken, das dein Gott müsse zornig sein. Ich sagt im: ja, mein Gott ist zornig, das er mich wolte essen und gen Mambuckebe gezogen were vnd zůrueuͤstete. Und sagte im: Ihr sagt ich sei eyn Portugaleser und bins nicht, und sagte im: Gehe hin zů deinem brůder, das er wider herkomme in seine huͤtten, so woͤlle ich mit meinem Gott redene er solle gesundt werden. Da sagt er, er were zu kranck, konte nicht kommen, er wuste wol vnd hette vermerckt, wenn ich nur woͤlte, er wuͤrd daselbst auch gesunt. Und ich sagte jm: er solte wol so starck werden, das er solte heym gehn in seine huͤtten, dann solte er recht gesunt werden.“ 1531 Schließlich sei die Gruppe zurückgekehrt; der Häuptling habe Staden sofort für ein Gespräch aufgesucht und erzählte ihm von der Krankheit, die alle befallen hätte. Er hätte sich an das Gespräch erinnert, in dem Staden ihm erzählt hatte, dass der Mond den Tupinambá zürnen würde, weil sie damit drohten ihn zu verspeisen. Staden wiederholte seine Darstellung und der Häuptling versprach ihm das Leben, sofern er alle gesund machen könne. Staden, der nichts über die Krankheit und die Möglichkeit ihrer Heilung wusste, habe aus Verzweiflung allen die Hände aufgelegt und sie gesegnet. Die meisten Krieger des Dorfes seien in den nächsten Tagen an der Seuche gestorben und der Häuptling habe deshalb nochmals eindringlicher um sein Leben und das Leben seiner Frauen gefleht. Diese Möglichkeit habe Staden genutzt, um sich noch 421 1. Hans Staden 1532 Ebd. 1533 Ebd., S. 108. 1534 Ebd., S. 114. 1535 Der Heimweg verzögerte sich aufgrund schlechten Wetters. Staden wurde erneut aufgefordert, bei seinem Gott für bessere Witterung zu sorgen. Er habe wiederum einmal sein Leben zusichern zu lassen. 1532 Das Versprechen ließ er sich noch von zwei weiteren Häuptlingen geben, die ebenfalls von seinen Wunderkräften geträumt und um ihr Leben gefürchtet hätten. Staden sagte auch ihnen die Heilung zu, hätte aber den letzten Häuptling gewarnt: „es solte keyn not haben, das er nur keyn menschen fleysch mehr esse.“ 1533 Mit diesem neuen Status, den der Gefangene nun als eine Art Schamane oder Wunderheiler bei den Tupinambá besaß, änderte sich seine Lage grundlegend. Nach der Gesundung der Häuptlinge sei er nicht mehr verspottet, jedoch wei‐ terhin streng bewacht worden, ohne die Möglichkeit, sich vom Lager entfernen zu dürfen. Doch in diese Zeit sei auch ein Erlebnis gefallen, bei dem Staden zum ersten Mal, wie er schreibt, hautnah beim Verspeisen eines Menschen anwesend war. Er sei auf ein Fest mitgenommen worden, das anlässlich des rituellen Tötens eines Sklaven ausgerichtet werden sollte. Dafür fuhren die Bewohner seines Dorfes mit Staden in ein anderes Dorf, das geladen hatte, und Staden berichtet sehr akribisch, welche Getränke für das Trinkgelage vor der Tötung zubereitet wurden. Er selbst habe im Vorfeld mit dem Sklaven geredet, der sich unerschrocken und zuerst fröhlich zeigte, was Staden nicht begreifen konnte. Aus Mitleid habe er sich mit dem Mann unterhalten und sei so doch noch zum Seelsorger geworden, indem er ihm das ewige Leben des christlichen Glaubens in Aussicht stellte, „und sagte ime: Ich bin auch eyn gefangener so wol als du und bin nicht her kommen, das ich von dir essen woͤlle, sondern meine herren haben mich mitbracht. Da sagte er, er wuste wol das wir leut keyn menschenfleysch essen. Weitter sagte ich ime, er solte getrost sein, dann sie würden ime das fleysch alleyn essen, aber sein geyst wuͤrde auff eynen andern ort fahren, da unser leuth geyste auch hin fahren, da were vil freude. Da meynte er, ob das auch wahr were. Da sagte ich ja. Ja sagte er, er hette Gott nie gesehen. Ich sagte, er wuͤrde inen im andern leben sehen. Wie ich nun die rede mit ime geendet hatte, gieng ich von ime.“ 1534 Der Gefangene sei nach ihrem Gespräch in der Tat getötet und verspeist worden. Auf dem dreitägigen Heimweg zurück ins Dorf Ubatuba führten die Tupinambá noch Reste des gebratenen Fleisches mit und ein kleiner Junge nagte an einem Beinknochen des Sklaven. Auf Stadens Bitte an den Jungen, den Knochen wegzuwerfen, hätten die Umstehenden böse reagiert und gesagt, dass diese Nahrung ihr richtiges Essen sei. 1535 Ob diese Episode im Bericht vollständig 422 C. Gefangenschaft im Zuge eines gewaltsamen Überfalls versucht das schlechte Wetter auf die kannibalistischen Sitten zu schieben. Doch dieses Mal habe er niemanden damit beeindrucken können -auch nicht als das Wetter sich in dem Moment aufklärte, sobald der Junge den Knochen fortwarf: S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 116. 1536 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 122-124. frei erfunden ist, um mit der Angst und der Phantasie des Lesepublikums zu spielen und Staden als Seelsorger darzustellen, ist nicht zu klären. Sie bietet aber auf der einen Seite eine Erklärung für das Publikum, warum Hans Staden nicht getötet worden war, und auf der anderen Seite hielt sie das Thema des Kannibalismus auf diese Weise weiterhin präsent. Einige Zeit später, nachdem Stadens Behandlung durch die Tupinambá sich nochmals verbessert hatte, wurde der Sklave, der ihn vormals nicht erkannt hatte, schwer krank. Man bat Staden um ein Urteil, ob der Mann nochmals gesund werden würde. Nachdem eine Heilung aussichtslos schien, sei der Gefangene getötet und vom Dorf verspeist worden, obwohl Staden vor den Folgen gewarnt habe, krankes Menschenfleisch zu essen. Der Kopf mit nur noch einem Auge und die Gedärme wurden daraufhin zwar nicht mehr zum Essen genutzt, die restlichen Teile des Körpers jedoch zerschnitten und die Bewohner teilten sie unter sich auf. Staden habe die Gelegenheit genutzt, um sich gegen die früheren Verleumdungen des ehemaligen Sklaven zu wehren: „Da sagte ich inen, wie das der Cario den sie da brieten und essen wollten, hette mich alle zeit belogen und gesagt, ich hette ewerer freund etlichen dieweil ich bei den Portugalesern gewesen were, erschossen; und es were erlogen, dann er hette mich nie gesehen. Nun wisset ir wol, das er ist etliche jar vnter euch gewesen und nie kranck worden, yetzt aber der luͤgen halben so er auff mich gelogen hat, ist mein Gott zornig worden und inen gekrencket und euch in den sinn geben, das ir inen getoͤdtet habt und inen essen solt. Also wirt mein Gott mit allen schelcken thun, so mir leydt gethon haben und thun werden. Für solchen worten erschracken ir vil, das dancke ich dem allmechtigen Gott, das er in allen so gewaltig und genedig sich mir erzeygte.“ 1536 Erneut inszeniert Staden für das protestantische Lesepublikum die Darstel‐ lung der Ereignisse und seine eigene Drohung, dass der christliche Gott ihn machtvoll rächen werde, gleichzeitig stellt er immer wieder den heidnischen Aberglauben der Tupinambá in den Vordergrund und beschreibt ihr kannibalis‐ tisches Verhalten, dass sie wie Tiere erscheinen lässt, die wider die ‚christliche Vernunft‘ agieren. 423 1. Hans Staden 1537 Ebd., S. 102. 1538 Ebd., S. 104. Fluchtversuche und das Ende der Gefangenschaft Mehrfach versuchte Staden seiner Gefangenschaft zu entfliehen oder erhielt die Aussicht auf eine Befreiung von außerhalb. Das erste Mal wollte er den Angriff der Tupiniquins, von dem er dem Häuptling Cunhambebe berichtet hatte, als Fluchtmöglichkeit nutzen und im Kampfgetümmel zu den Angreifern überlaufen. Am Tag des Angriffs war er mit den Frauen allein im Dorf und ließ sich, unter dem Vorwand beweisen zu wollen kein Portugiese zu sein, eine Waffe zur Verteidigung des Stammes aushändigen. Doch der Fluchtversuch Stadens wurde vereitelt, da seine Bewachung auch während des Kampfes nicht abriss und sich keine Gelegenheit zu Flucht bot. Ebenso schlug der Angriff der Tupiniquins fehl und so verblieb Staden im Dorf. 1537 Auch die Portugiesen versuchten Staden zu befreien. Ein Schiff aus Bertioga, der portugiesischen Siedlung, erkundigte sich nach Staden. Diese Aussage ist insofern interessant, weil sie beweist, dass man außerhalb des Dorfes nicht damit rechnete, dass Staden kannibalistischen Riten zum Opfer gefallen war, sondern noch am Leben sein könnte. Die Besatzung des portugiesischen Schiffes gab sich mit einem Kanonenschuss zu erkennen und bat um eine Aussprache mit den Tupinambá: „Wie sie irer nun gewar wurden, sagten sie zu mir, da sein deine freunde die Portugaleser und wollen villeicht hoͤren, ob du auch noch lebest, woͤllen dich etwan kauffen. Da sagte ich, es wirt mein brůder sein, dann ich mich des vermůtete, das die Portugalesischen schiffe, so vor dem ort landes uberfůhren, nach mir fragen wuͤrden. Darmit die Wilden nicht meynen sollten, ich were eyn Portugaleser, sagte ich inen, ich hette noch eynen brůder, welcher auch eyn Frantzose were, unter den Portugalesern.“ 1538 Die Tupinambá fuhren für die Unterredung zum Schiff hinaus und die Por‐ tugiesen forderten zunächst ein Lebenszeichen von dem Gefangenen, mussten sich jedoch mit der Zusicherung zufriedengeben, dass Staden am Leben sei. Augenscheinlich wurde den Tupinambá ein Angebot durch die Portugiesen unterbreitet, um Staden loszukaufen. Ob die Tupinambá diesen Weg bereits zuvor bedacht hatten oder sich erst hier mit der Möglichkeit eines Loskaufs konfrontiert sahen, ist nicht zu klären. Staden zeigte sich besorgt über den Einsatz der Portugiesen und versuchte sich mit der Behauptung noch einen französischen Bruder auf dem portugiesischen Schiff zu haben als Franzose auszugeben. Die Portugiesen kehrten um und verließen die Indigenen, ohne mit dem Gefangenen gesprochen zu haben. An dieser Stelle gewährt Staden einen 424 C. Gefangenschaft im Zuge eines gewaltsamen Überfalls 1539 Ebd. 1540 Ebd., S. 111. Einblick in seine Gefühlswelt: „Vnd das schiff fůhr wider hin, meynten villeicht ich were todt. Wie ich das schiff sahe hin faren, was ich gedachte weyß Gott wol. Sie sagten unternander: Wir haben den rechten man, sie senden gereyd schiffe nach ime.“ 1539 Während die Tupinambá das Zusammentreffen mit den Portugiesen als Erfolg feierten, musste Staden das christliche Schiff ziehen lassen, ohne sich mit den Europäern austauschen zu können. Die nächste Möglichkeit zur Beendigung der Gefangenschaft erhielt Staden, nachdem er im Dorf den Status des Heilers erhalten hatte. Der Franzose, der ihn anfangs in Schwierigkeiten gebracht hatte, kehrte zu den Tupinambá zurück, um Handel zu treiben. Er war überrascht, als er auf Staden traf, von dem er annahm, dass er bereits tot sei. An den folgenden Zeilen zeigt sich, wie sehr sich Stadens Stellung im Dorf im Laufe seiner Gefangenschaft verändert hatte: „und ich rieff ime alleyn auff eynem Ort, auf das die Wilden nicht hoͤreten waß ich redete, sagte zu im er sehe wol, das mir Gott noch hette das leben gesparet, auch were ich keyn Portugaleser, ich were eyn Teutscher und mit den Hispaniern schiffbruch halben unter die Portugaleser kommen: Das er doch den Wilden nun wolle auch sagen, wie ich ime gesagt hette, wie das ich von seinen freund verwanten were und das er mich wolte da mit hin nehmen, da die schiffe ankamen.“ 1540 Der gefangene Staden bat den Franzosen zu einer Unterredung unter vier Augen, was für eine gelockerte Bewachung und einen größeren Bewegungsra‐ dius Stadens im Dorf spricht. Der Franzose bereute sein früheres Verhalten und versprach, sich für Staden einzusetzen und den Indigenen zu erzählen, er hätte ihn beim ersten Mal nicht als Deutschen erkannt. Erneut wollte sich Staden als Verwandter der Franzosen ausgeben lassen, um der Gefangenschaft zu ent‐ kommen. Doch die Tupinambá wollten ihren Gefangenen nicht so einfach gehen lassen und forderten, dass seine Verwandten selbst nach Ubatuba kommen und ihnen eine Warenladung Spiegel, Äxte, Messer, Kämme und Scheren mitbringen sollten, um Staden auszulösen. So musste der Franzose ohne ihn abziehen, jedoch mit dem Versprechen, mit den geforderten Waren wiederzukehren. Die Tupinambá, die sich der Identität Stadens immer noch nicht sicher waren, wollten sich das ‚Lösegeld‘ für ihren Gefangene nicht entgehen lassen und forderten deshalb nun auch von den Franzosen Warenladungen ein. Fünf Monate nach seiner Gefangennahme versuchten die Portugiesen, Staden freizukaufen. Das portugiesische Schiff kündigte sich, wie schon zuvor, mit 425 1. Hans Staden 1541 Der ehemalige Kamerad sei ein Mann namens Claude Mirande gewesen: S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 118. 1542 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 118. 1543 Ebd. einem Kanonenschuss an und erneut fuhren die Tupinambá hinaus. Den fragenden Christen wurde die Antwort übermittelt, dass der Gefangene am Leben und wohlauf sei. Die Portugiesen gaben einen ehemaligen Kameraden 1541 Stadens an Bord als französischen Bruder aus und verlangten persönlich mit ihm sprechen zu dürfen: „Und sie kamen wider von dem schiffe an landt und sagten mir, mein brůder were noch eyn mal kommen und braͤchte mir eyn kisten voll wahr und wolte mich gerne sehen. Da sagte ich: Fuͤhret mich so von ferrem hinbei, ich wil mit meinem brůder reden, die Portugaleser verstehn uns nicht und ich wil im sagen, das er vnserm vatter anzeyge wann er heym komme, das er mit eynem schiff kommen und bringe vil gezeuges mit und hole mich.“ 1542 Die Tupinambá waren mit Stadens Vorschlag einverstanden und wollten ihn mit den Christen reden lassen. Zuvor musste er versprechen, nichts über die bereits geschmiedeten Angriffspläne gegen die Portugiesen zu verraten. Danach fuhren sie ihn, wie bisher auch unbekleidet, zum Schiff. Zum ersten Mal seit seiner Gefangennahme konnte er wieder in bekannte Gesichter blicken und sich mit ihnen unterhalten: „Da sprach ich sie an in dem schiff und sagte: Gott der Herr sei mit euch lieben bruͤder. Eyner rede mit mir alleyne und lasset euch ander nicht hoͤren, dann das ich eyn Frantzose sei. Da hůb eyner an, Johann Senches genant, eyn Bosckkeyer, welchen ich wol kennete und sagte zů mir: Mein lieber brůder ewert halben sein wir her kommen mit dem schiffe und haben nicht gewust, ob ir lebend odder todt sein gewesen. Dann das erste schiff brachte keyne zeittungen von euch. Nun hat uns der Hauptman Brascupas zû Sanctus befolhen, zuforschen, ob ir noch beim leben weren, wann wir solches vernemen, das ir noch lebten, solten wir zum ersten hoͤren, ob sie euch auch verkeufen woͤlten, wo nicht solten wir sehen, ob wir etliche fangen konten die euch quittirten.“ 1543 Staden konnte sich spätestens ab diesem Moment gewiss sein, dass die Portugiesen mit aller Macht versuchten, ihn freizubekommen - nicht nur durch einen möglichen Freikauf, sondern wenn nötig auch mit einer Entführung seiner Person. Er habe ein paar Waren für die Tupinambá bekommen und von den An‐ griffsplänen gegen die portugiesische Siedlung erzählt, während die Portugiesen von einem geplanten Angriff der Tupiniquins auf die Tupinambá zu berichten wussten. Darauf hätten die Tupinambá jede weitere Unterhaltung Stadens mit den Portugiesen unterbunden und sich von ihm die Waren aushändigen lassen. Danach gefragt, was er mit den Christen besprochen habe, antwortete er: 426 C. Gefangenschaft im Zuge eines gewaltsamen Überfalls 1544 Ebd., S. 120. 1545 Ebd., S. 124. 1546 Ebd., S. 124. „Ich hette meinem brůder befolhen, er solte sehen, das er den Portugalesern entkoͤme und zoͤge in vnser vatterlandt und braͤchten schiff mit vilen guͤtern vnd holete mich dann ir weret from und hiltet mich wol, das woͤlte ich euch dann belohnen wann das schiff koͤme und muste also alle zeit das beste vorwenden und das gefiel inen wol.“ 1544 Nach der Unterredung am portugiesischen Schiff hätten ihm die Tupinambá geglaubt, dass er kein Portugiese sei und behandelten ihn, wohl auch in der Aussicht auf die kommenden Güter, merklich besser. Er durfte ihnen bei anfal‐ lenden Waldarbeiten zur Hand gehen und musste keine weiteren Repressalien fürchten. Doch Staden versuchte auch selbst noch einmal aus dem Dorf zu fliehen. Kurz vor dem Kriegszug der Tupinambá gegen die Portugiesen kam ein französisches Handelsschiff. Über den Händler der Franzosen, der das Schiff verließ und ins Dorf kam, habe Staden versucht an Bord des französischen Schiffes zu kommen. Doch die Tupinambá, so Staden, hielten ihn zurück und wiesen seine Beteue‐ rungen, dass dies seine Brüder wären, angeblich mit dem aussagekräftigen Argument zurück, dass die Franzosen Staden angekleidet hätten, wenn er von ihnen erkannt worden wäre. Da er jedoch noch nicht mal ein Hemd bekommen habe, würden ihn diese Franzosen nicht kennen. 1545 Er aber habe versucht aus seiner Hütte zu flüchten, um das Schiff vor dessen Abfahrt doch noch erreichen zu können. Da sich sein Status im Dorf verändert hatte, konnte er sich ohne Fesseln und freier bewegen. So entkam er auch den Häschern, die ihm direkt nachstürmten. Er konnte einen Tupinambá niederschlagen und gelangte ins Wasser, um zum Schiff zu schwimmen: „Wie ich nun in das bott steigen wolt, stiessen mich die Frantzosen wider hinwegk, meyneten, wo sie mich wider der Wilden willen mit nemen , moͤchten sie sich auch gegen sie erheben und auch ire feind werden. Da schwam ich betruͤbt wider nach dem land zů und dachte nun sehe ich, das es Gottes wil ist das ich lenger im ellend bliebe“. 1546 Staden berichtet, dass die Franzosen sich keine Probleme mit ihren Handels‐ partnern hätten bereiten wollen, indem sie den für sie unbekannten Staden an Bord ließen. So sei ihm nichts weiter übriggeblieben, als sich zurück zu den Tupinambá zu begeben, die ihn mit Spott und Hohn empfingen. Zornig widersprach er ihrer Darstellung einer Flucht und stellte sein Vorgehen als 427 1. Hans Staden 1547 Als Staden von dem letzten Kriegszug zurückkehrte, hatte das französische Schiff bereits abgelegt und die Heimreise angetreten. Von den letzten Bewohnern, bei denen er seine Gefangenschaft verbrachte, erfuhr Staden, dass das Schiff die Maria Bellete aus dem Heimathafen Dieppe gewesen war. Sie hatte Meerkatzen, Papageien, Federwerk, Brasilholz und andere Güter geladen und den Franzosen, der sich zuvor für Staden eingesetzt hatte, an Bord gehabt. 1548 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 128. 1549 Fouquet hält fest, dass Stadens Darstellung der einzige Bericht über einen Kampf dieser Art ist, S T A D E N / F O U Q U E T , Reisen (wie Anm. 1490), S. 162. 1550 Über die christlich getauften Brüder Diego und Domingos de Praga schreibt Staden bereits in Kapitel 15. Diese waren Söhne einer brasilianischen Mutter und eines portugiesischen Vaters und werden von Staden als Mamluken bezeichnet: S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 75 1551 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 132. Gesprächsversuch mit den Franzosen dar, in dem er um noch mehr Waren für die Tupinambá gebeten habe. 1547 Im August 1554 zogen die Tupinambá in den Krieg gegen die Tupiniquins, den Staden sehr detailliert beschreibt. Dieses Mal wollte Staden, der mit auf den Kriegszug ging, seine Ortskenntnisse in der Nähe der portugiesischen Siedlung nutzen, um die Seiten zu wechseln und in Freiheit zu gelangen: „und bei den selbigen Boywassu Kange, war mein meynung wolte ich inen entlauffen sein, wan wir weren dahin kommen. Dann da sie mich gefangen hatten, war nur sechs meil wegs von dem selbigen ort.“ 1548 Doch auch diesen Plan konnte er nicht umsetzen und so erlebte Staden das Seegefecht bei Boiçucanga zwischen den Tupinambá auf der einen Seite und den Tupiniquins mit den Portugiesen auf der anderen Seite, ohne die Möglichkeit einer Flucht zu haben. 1549 Die Tupinambá konnten einige ihrer Feinde töten und nahmen ein paar Tupiniquins und einige Portugiesen sowie ein portugiesisches Brüderpaar gefangen, das Staden kannte. 1550 Auf dem Rückweg ins Dorf Ubatuba seien die verwundeten Gefangenen getötet und verzehrt worden; wohl auch, um sich nicht mit den Verletzten weiter aufzuhalten. Staden konnte sich frei im Nachtlager bewegen und tröstete die verbliebenen Gefangenen, die Angst davor hatten, ebenfalls getötet zu werden. Er betont, dass sich an dieser Stelle die Möglichkeit der Flucht geboten hätte, er aber aus Rücksichtnahme nicht geflohen sei, da die Tupinambá sonst aus Rache die anderen getötet hätten: „Gieng also alleyne und hatte niemandt keyn achtung auff mich. Hette das mal wol koͤnnen entlaufen, dann es bei eyner insel war, Meyenbipe genant, moͤchte ungeferlich zehen meil wegs von Brickioka sein. Aber ich underließ es umb der gefangenen Christen willen, welcher noch vier lebendig waren. Dann ich gedacht: Entlauf ich inen, so werden sie zornig und schlagen die selbigen von stund an zu todte“. 1551 428 C. Gefangenschaft im Zuge eines gewaltsamen Überfalls 1552 Die Zerteilung der Gegner auf dem Schlachtfeld ist in der Forschung bekannt: Markus Klaus S C H Ä F F A U E R , Die Vision der Gegessenen: Hans Staden, Autor des Kannibalismus, in: Portugal und das Heilige Römische Reich (16.-18. Jahrhundert). Portugal e o Sacro Império (séculos XVI-XVIII), hrsg. v. Alexandra Curvelo/ Madalena Simões (Studien zur Geschichte und Kultur der iberischen und iberoamerikanischen Länder 15), Münster 2011, S. 105-126, S. 126. 1553 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 138. Domingos de Brage taucht in den Quellen z. B. 1567 im Kampf um Rio de Janeiro auf: S T A D E N / O B E R M E I E R , Warhaftige (wie Anm. 1508), S. 200. 1554 „Der Koͤnig hieß mich sohn, und ich gieng mit seinen soͤhnen aufs weydwerck.“, S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 138. Auch sein Versuch sich für die Christen einzusetzen und diese ebenfalls gegen Lösegelder austauschen zu lassen, sei fehlgeschlagen. So habe er das erste Mal miterleben müssen, wie Christen gegessen worden seien: Die Tupinambá hätten zwei schwerverletzte Mamluken noch vor Ort erschlagen und die Körperteile anschließend gebraten. 1552 Dann seien sie in die Dörfer zurückgekehrt, wo die gebratenen Leichenteile während eines Festmahls verspeist wurden. Dem Brüderpaar, das noch im Dorf gefangen war, konnte Staden helfen, indem er ihnen angeblich Verhaltensregeln an die Hand gab und Ratschläge für eine Flucht, die sie später auch nutzten, wie er zu berichten wusste. 1553 Deutlich wird an dieser Stelle Stadens angebliche Sonderstellung. Er gehörte, wie er beschreibt, nicht zu den ‚erbeuteten‘ Christen, an denen Rache verübt werden sollte, sondern war als Gefangener wertvoll, da den Indigenen reiche Warenladungen für seinen Austausch versprochen worden waren. Er grenzte sich auch, wie er schreibt, räumlich ab, indem er sich einen eigenen Raum markierte: So habe er ein Kreuz vor seine Hütte gestellt und als die Einwohner das Kreuz herausrissen, habe das Dorf eine schlimme Regenplage ereilt, die sich erst legte, als das Kreuz wieder stand und die Hütte als ‚christlichen‘ Raum Stadens ausgab. Schließlich sei Staden von den Tupinambá in ein anderes Dorf gebracht und dort dem Häuptling „Abbati Bossange“ mit dem Hinweis geschenkt worden, Staden gut zu versorgen, da ihn die Franzosen mit vielerlei Waren des nächsten Schiffes freikaufen würden. Der Häuptling behandelte Staden daraufhin wie ein eigenes Kind und schickte ihn mit den übrigen Söhnen auf die Jagd. 1554 Bei dem Häuptling blieb Staden noch vierzehn Tage, bevor ein französisches Schiff eintraf, das Staden endgültig in die Freiheit führen sollte. Warum die Tupinambá aus Ubatuba Staden am Ende so dringend verschenken wollten, erfährt der Leser nicht. Vielleicht wollten sie dafür sorgen, dass Staden bei der Ankunft der Christen in ihrem Dorf nicht vor Ort anzutreffen war, um einer möglichen gewaltsamen Befreiung Stadens zuvorzukommen und auf diese Weise sicherzustellen, dass sie den Zeitpunkt der Übergabe festlegen konnten. 429 1. Hans Staden 1555 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 140. 1556 S T A D E N / F O U Q U E T , Reisen (wie Anm. 1490), S. 162-164. Das französische Schiff Catherine de Vatteville kündigte sich bei seiner Ankunft, wie die anderen Handelsschiffe zuvor auch, mit einem Kanonenschuss an. Trotzdem dauerte es noch ein paar Tage, bevor eine Gesandtschaft des Schiffes, die aus zwei Christen und einigen Häuptlingen bestand, zu dem Dorf kam, in das man Staden gebracht hatte. Staden hörte von der Ankunft der Gruppe und ging ihnen entgegen. Er begrüßte sie auf Tupi und man gab sich zu erkennen: „Wie sie mich nun so elende sahen gehen, hatten sie eyn mitleiden mit mir und teyleten mir irer kleyder mit. Ich fragte sie, warumb die kommen weren. Sie sagten, meinet halben, ihnen were befolen, das sie mich mit zů schiff braͤchten, des solten sie alle anschlege brauchen.“ 1555 Die mitleidigen Christen, als Gegenentwurf zu den rohen und unzivilisierten Indigenen, gaben Staden zunächst etwas zum Anziehen. Das Ankleiden mit europäischen Kleidungsstücken war der erste Schritt zur Rückkehr in das europäische Leben in Freiheit. Doch noch blieb das Problem, dass die Tupinambá den gefangenen Staden nicht gehen lassen wollten. Staden konnte jedoch mit den Christen ausmachen, dass sich einer aus der Gesandtschaft als sein Bruder ausgab. Die Franzosen versprachen reiche Gütergeschenke, handelten aber aus, dass Staden und der Häuptling des Dorfes mit ein paar Männern mit an Bord des Schiffes kommen sollten, um die Kisten abzuladen. An Bord des Schiffes versprach Staden dem Häuptling wieder mit an Land zu gehen, sobald alle Kisten fertig verpackt seien, und dort bis zur Wiederankunft des französischen Schiffes im nächsten Jahr weiterhin ihr Gefangener zu sein. In dieser Zeit wolle er Pfeffer und andere Waren für die Franzosen sammeln und so lange auch im Dorf verbleiben. Der eigentliche Plan, den die Franzosen mit Staden ausgemacht hatten, war jedoch, den Häuptling so lange hinzuhalten, bis das Schiff zur Abreise bereit sei und man Staden mitnehmen konnte. Der Häuptling wurde nach fünf Tagen an Bord ungeduldig und Staden musste ihn beruhigen, indem er ihm sagte, dass schon allein die Wiedersehensfreude an Bord die ganze Aktion verlangsamen würde. Am 10. Oktober 1554 war das Schiff schließlich reisebereit und die Männer versammelten sich an Deck. 1556 Dort habe sich der französische Kapitän mit Hilfe der Dolmetscher bei dem Häuptling dafür bedankt, dass man Staden am Leben erhalten habe und man ihn bis zur Wiederkehr des Schiffes im nächsten Jahr beherbergen wolle. Er versprach ihnen reiche Waren als Belohnung. Nach den Worten des Kapitäns traten zehn Männer der Schiffsbesatzung vor, die sich recht ähnlich sahen und den Wunsch vorbrachten, Staden als ihren Bruder mit nach 430 C. Gefangenschaft im Zuge eines gewaltsamen Überfalls 1557 „Da ließ inen der Capitan wider sagen, er were ir oberster im schiff und hette gern das ich wider mit inen an landt zoͤge, aber er were nur eyn mensch und meiner bruͤder weren vil, er kuͤnte nicht wider sie thun.“, S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 142. 1558 S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 142. 1559 Ebd. 1560 Staden gibt an, dass es das Schiff der Portugiesen war, das ihn ebenfalls mit einer reichen Warenladung befreien sollte: S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 144. 1561 Staden erzählt, dass er dem „obersten Admiral“ in Honfleur Bericht erstattete, der ihm daraufhin den Pass ausstellte. Genau identifiziert werden kann dieser Admiral nicht; Fouquet bringt mit Gaspard de Coligny und Nicolas Durand de Villegaignon zwei Namen ins Spiel, die am wahrscheinlichsten seien: S T A D E N / F O U Q U E T , Reisen (wie Anm. 1490), S. 164 u. 174. Groebner fügt an, dass man um 1460 zum ersten Mal von „obligatorischen, zwingend vorgeschriebenen Identitätsbescheinigungen“ reden kann, die vor allem für aus dem Krieg heimkehrende Soldaten, Pilger, arme Menschen und Händler galten. „Damit wurde Reisen zur Frage der richtigen Papiere“, Valentin G R O E B N E R , Erasmus Bote. Wer braucht wieviel Individualität im 16. Jahrhundert? , in: Selbstzeugnisse in der Frühen Neuzeit. Individualisierungsweisen in interdisziplinärer Perspektive, hrsg. v. Kaspar von Greyerz, München 2007, S. 157-172, S. 161. Hause zu nehmen, da der Vater im Sterben läge und seinen Sohn noch einmal sehen wolle. Unter dem Vorwand keine Meuterei anzetteln zu wollen und als Einzelner nicht gegen seine Mannschaft anzukommen, habe der Kapitän den Häuptling daraufhin gebeten, Staden freizugeben. 1557 Der Häuptling klagte laut und wurde zornig, „dann er hette mich fuͤr seinen sohn gehalten und were sehr zornig uber die von Uwattibi, das mich die herren woͤllen essen.“ 1558 Dieses Bild des ‚guten letzten Besitzers‘, der ihn wie einen Sohn behandelte und ihn nicht gehen lassen wollte, wurde bereits von Georg von Ungarn genutzt. Schließlich habe der Häuptling eingewilligt, jedoch gegen das Versprechen Stadens, mit dem nächsten Schiff wiederzukehren, nachdem er seinen Vater gesehen hatte. Danach wurden die Waren im Wert von fünf Dukaten ausge‐ tauscht und Staden habe an Bord des Schiffes bleiben dürfen. Der nun befreite Christ zeigt sich in seinem Bericht erleichtert und resümiert: „So half mir der allmechtige Herr, der Gott Abraham, Isaac und Jacob, aus der gewalt der tyrannen.“ 1559 Bevor das Schiff zur Abfahrt bereit war, lag es noch ein paar Tage im Hafen von Rio de Janeiro und die Besatzung richtete alles für den langen Heimweg her. In dieser Zeit trafen sie auf ein kleineres portugiesisches Schiff, das ebenfalls in dem Gebiet Handel trieb. 1560 Es kam zu Kampfhandlungen und etliche Franzosen wurden getötet oder verwundet. Auch Staden wurde durch einen Schuss schwer verletzt, konnte aber kuriert werden. Ende Oktober 1554 brach Stadens Schiff Richtung Frankreich auf und lief im Februar 1555 den französischen Hafen von Honfleur an. Staden half noch, die Güter vom Schiff zu laden und ließ sich dann einen Pass ausstellen. 1561 Da der 431 1. Hans Staden 1562 Dort erkundigte er sich nach dem französischen Schiff, das aus Dieppe stammte und rund drei Monate vor Staden Brasilien verlassen hatte. Doch die Maria Bellete war nicht im Hafen von Dieppe angekommen. 1563 S T A D E N / F O U Q U E T , Reisen (wie Anm. 1490), S. 164. 1564 M E N N I N G E R , Macht (wie Anm. 1479), S. 32. 1565 T U C K E R , Discovery (wie Anm. 1471), S. 28; M E N N I N G E R , Macht (wie Anm. 1479), S. 40. 1566 M E N N I N G E R , Macht (wie Anm. 1479), S. 71. Kapitän ihn nicht überreden konnte, noch weiter mit zur See zu fahren, gab er Staden Zehrgeld und dieser reiste weiter nach Dieppe. 1562 Von Dieppe ging es zunächst mit dem Schiff nach London, wo er durch den Kapitän des Schiffes mehreren Geschäftsmännern der niederländischen Börse vorgestellt wurde, die ihm Geld für die weitere Reise gaben und ihn in London beherbergten. Danach reiste Staden nach Seeland und Antwerpen, wo er den Kaufmann Jaspar Schetz traf, der eine Zuckerfabrik auf S-o Vicente hatte und von dessen Faktor Peter Rösel Staden berichten konnte, ebenso wie von dem missglückten Angriff der Franzosen auf seinen Faktor. Auch von Jaspar Schetz erhielt Staden Geld, mit dem er endgültig nach Hause reisen konnte, wo er wohl im Sommer 1555 eintraf. Man kann davon ausgehen, dass Staden zu diesem Zeitpunkt recht mittellos war. Er hatte auf seinen beiden Reisen keine Reichtümer gefunden und auch keinen Sold bei seiner Rückkehr erhalten. 1563 Darauf weist auch das Zehr- und Reisegeld hin, das er unterwegs erhielt. Das Leben nach der Gefangenschaft Ziemlich schnell nach seiner Heimkehr im Sommer 1555 muss Staden, dessen Erlebnisse sicher eine große Zuhörerschaft fanden, auch seinem Landesherrn, dem Landgrafen Philipp von Hessen und seinem Hof von den Erfahrungen berichtet haben. Der Landgraf habe ihn daraufhin ermutigt, das Erlebte nieder‐ zuschreiben. 1564 Und so begann Staden direkt nach seiner Ankunft in Hessen mit dem Schreiben des Buches, denn das Vorwort ist bereits auf den 20. Juni 1556, also etwa ein Jahr nach seiner Rückkehr, datiert. Anfang März 1557 erschien sein Buch bei Andreas Kolbe in Marburg. Für die Druckkosten kam Hans Staden wohl selber auf. 1565 Einige Schriftquellen lassen darauf schließen, dass Staden nach Veröffentli‐ chung seines Buches das Salpetersieden erlernte. Eine Schuldmahnung von 1558 bestätigt, dass ein Hans Staden ein Jahr zuvor das Sieden bei dem Marburger Pulvermacher Hans Kampffer erlernt hatte. 1566 Außerdem findet sich eine Urkunde, die 1555 die Errichtung einer Pulvermühle bei Wolfhagen gestattete. 432 C. Gefangenschaft im Zuge eines gewaltsamen Überfalls 1567 S C H I F F N E R / K U P F E R / O B E R M E I E R / S I E M E R S , Menschfresser (wie Anm. 1474), S. 34, H A L F A R , Staden (wie Anm. 1481), S. 9 u. 26. Noch ungewisser sind die Namensangaben zu der Familie Stadens. Einige Aktenfunde deuten darauf hin, dass er mit seiner Frau Trina die Kinder Michael, Margreth und Weintraut gezeugt hatte. Eventuell starben Staden und seine Frau 1576 an der Pest; so findet sich im Kirchenbuch von Wolfhagen der Eintrag, dass am 7. September 1576 der „Seiffensieder“ und am 20. August bereits die „Seiffensiedersche“ bestattet worden seien: H A L F A R , Staden (wie Anm. 1481), S. 9. So kann man davon ausgehen, dass Staden nach seiner Rückkehr und der Buchveröffentlichung als Pulvermacher und Salpetersieder wirkte. 1567 2. Zusammenfassung Hans Staden verfasste in Zusammenarbeit mit Johannes Dryander eine Erzäh‐ lung, die sich gut verkaufen ließ und die Neugierde und sicher auch die Erwar‐ tungen der Adressaten befriedigte. Vielleicht hatte er nach seiner Rückkehr beim Vortrag vor Landgraf Philipp von Hessen bemerkt, wie gut sich seine Erlebnisse vermarkten ließen bzw. der Humanist Dryander hatte dementsprechend auf eine Vermarktung des Stoffes gedrängt, so dass es sehr schnell nach der Rückkehr Stadens zum Druck des Buches kam. Es ist davon auszugehen, dass Johannes Dryander nicht nur das Vorwort verfasste und für die Endredaktion des Textes verantwortlich war, sondern sicherlich an einigen Stellen Einfluss auf den Text nahm. Doch es konnte noch keine reine Autorenschaft des Professors aus Marburg festgestellt werden, so dass Hans Staden vor allem bei seinen Gefangenschaftserfahrungen weiterhin als alleiniger Autor gelten kann. Vieles, das er berichtet, erzählt er vor seinem christlich-europäischen Hintergrund und es lassen sich einige Konstruktionen im Text ausmachen - ein Umstand, der ihm immer wieder Kritik in der Forschung einbrachte. Letztendlich lässt sich nicht feststellen, wie genau Staden die Kultur der Tupinambá beobachtet hatte und wie gut er ihre Sprache beherrschte, einzelne detaillierte Beobachtungen und Vokabelüberlieferungen lassen den Schluss zu, dass er nach seiner Heimkehr aus der Gefangenschaft sein Bestes gab, den erworbenen Wissensschatz zusammen mit dem gelehrten Professor aus Marburg der Nachwelt näherzubringen. Gleich‐ zeitig stellte er seinen christlichen Glauben als überlegen dar und präsentierte ihn dem Lesepublikum als Handhabe, die eigene Position in Unfreiheit zu verbessern und unter den Indigenen einen Sonderstatus zu erhalten, der ihn als ‚Schamanen‘ einstufte und letztendlich die einzige Möglichkeit bot, seine Gefangenschaft zu überleben. 433 2. Zusammenfassung 1. Phase: Die primäre Motivation / Die Gründe des Konfliktes Die Tupinambá, die Staden zunächst für einen Portugiesen hielten, gaben seinem Bericht zufolge Rache für einen durch Portugiesen getöteten Indigenen als Motivation der Gefangennahme an. 2. Phase: Die Observierung / Abschätzen der Wertigkeit Ob Hans Staden im Vorfeld in seinem Stützpunkt observiert worden war oder die Gefangennahme zufällig stattfand, kann nicht bestimmt werden, da Aussagen der Gefangennehmer dazu fehlen. Ebenso ist unklar, ob die Tupinambá von Anfang an eine Lösegeldzahlung für ihren Gefangenen erreichen wollten oder diese Möglichkeit sich erst im Laufe der nächsten Wochen für sie ergab (vgl. Phase 6). 3. Phase: Die Gefangennahme Hans Staden berichtet, dass er von den Tupinambá überfallen wurde, die mit Pfeil und Bogen bewaffnet waren. Im Handgemenge sei er mit einem Pfeil am Bein und später durch mehrere Schläge verletzt worden, bevor ihn die Indigenen ergriffen. Gleich zu Beginn seiner Gefangenschaftserzählung charakterisiert er die Tupinambá als ‚wilde Tiere‘, die sich nach seiner Gefangennahme um ihn gestritten hätten, da ihn alle als ihren persönlichen Gefangenen beanspruchen wollten. Eine Übergangsphase findet sich bei Staden, der sich nach seiner Er‐ greifung durch das erzwungene Entkleiden und das spätere Rasieren der Haare sukzessive in einen ‚Wilden‘ verwandelte - eine Beschreibung, die er später bei der Übergangsphase zwischen den Verhandlungen und dem endgültigen Freikauf wieder nutzte, um sich für die Leser in einen Christen zurück zu verwandeln. 4. Phase: Der Transport Der Transport Stadens nach der Gefangennahme erfolgte zunächst per Boot und Staden beschreibt die Vorkehrungen, die die Tupinambá nachts trafen, um ihn fluchtunfähig zu machen. Die Verspottung der Portugiesen durch die Zurschaustellung Stadens auf dem Boot weist eine Parallele zu mehreren Fällen in dieser Untersuchung auf. Die Ankunft im Dorf Ubatuba ist in dieser Phase ein Übergang zur sich anschließenden Gefangenschaft. Hans Staden schildert das Ankommen im Dorf der Tupinambá, die von ihm verlangten sich selbst als ‚Essen‘ zu präsentieren, und ihn weiter verhöhnt hätten. Die angebliche Sprachkenntnis, die er in seinem Text angibt und die er sehr wahrscheinlich erst am Ende seiner Gefangenschaft besaß, konnte er zu diesem Zeitpunkt unmöglich nutzen, um das Geschehen korrekt zu interpretieren. Auch die angebliche Aufforderung, den christlichen Gott um Hilfe gegen schlechtes Wetter zu bitten, diente als Einleitung für nach‐ 434 C. Gefangenschaft im Zuge eines gewaltsamen Überfalls 1568 Im vierten Kapitel des zweiten Buches heißt es, dass alle Stämme untereinander Krieg führten und man Feinde, die man fing, anschließend verzehrte. Und die Indigenen würden die Menschen nicht aus Hunger essen, sondern aus Hass oder um Rache zu üben, 2. Buch, Kap. 26: S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 180. folgende Entwicklungen, in denen er sich als ‚Wunderheiler‘ der Tupinambá beschreibt. 5. Phase: Die Gefangenschaft Der Gefangenschaftsraum Stadens ist dadurch gekennzeichnet, dass die persön‐ liche Einschränkung aufgrund von Fesselungen und Drangsalierungen durch die Dorfbewohner sukzessive abnahm. Eine eigene Hütte, die er alleine be‐ wohnte, war sein Haftort und später sein Rückzugsraum. Zunächst konnte er die Holzhütte nur verlassen, wenn man es ihm gestattete und er wurde immer wieder gefesselt. Die strenge Bewachung und das unbekannte Terrain machten eine Flucht für Staden unmöglich. Allerdings erweiterte sich sein Bewegungsradius spürbar und am Ende markierte Hans Staden sogar seinen persönlichen ‚christlichen‘ Raum, indem er seine Hütte mit einem aufgestellten Kreuz zu einem eigenen Territorium machte. Dominiert wird das Selbstzeugnis durch die Angst des Autors vor den kannibalischen Riten und Staden lässt uns mehrfach an seiner Furcht vor dem ‚Gegessenwerden‘ teilhaben. Für ihn war der Kannibalismus wohl realer Bestandteil der Kultur der Tupinambá und die Befürchtung, Opfer dieser Riten zu werden, konnte er bis zum Ende nicht ablegen. 1568 Dabei konnte die Untersuchung der neuralgischen Punkte offenlegen, dass die Drohung des ‚Gegessenwerdens‘ vielleicht eher dazu diente, Staden zu ängstigen und ihn zu verspotten. Immer wieder wurde er vorgeführt und musste zur Belustigung der Tupinambá beitragen. Denkbar ist, dass die Tupinambá durch den Han‐ delskontakt mit den Franzosen von den Vorstellungen der Europäer wussten und diese gegen ihren Gefangenen einsetzten. Ob Hans Staden tatsächlich während seiner Gefangenschaft anthropophagische Riten mit eigenen Augen gesehen hat, kann nicht geklärt werden. Wahrscheinlich ist vieles für das Publikum ausgeschmückt worden, aber eines darf nicht außer Acht gelassen werden, es gab eine reale Vorstellung von ‚menschenfressenden Wilden‘ in den Köpfen vieler Europäer. Und Hans Staden, der sich einer Gefangenschaft eben unter jenen wilden und gänzlich fremden Menschen ausgesetzt sah, hatte wohl eine ‚leibhaftige‘ Angst verspürt, mit den Schreckensbildern konfrontiert zu werden. Er beschreibt mehrere Tötungsszenen anderer christlicher und nichtchristlicher Gefangener, denen er beigewohnt haben will und die für ihn immer wieder die eigene Gefährdung sichtbar gemacht hätten. Dabei scheinen 435 2. Zusammenfassung 1569 2. Buch, Kapitel 8: S T A D E N , Hans (wie Anm. 1470), S. 160. Das beträfe jedoch nicht nur den Fischfang, sondern alle Dinge des täglichen Gebrauchs, vgl. Kap. 15: ebd., S. 168. diese Schilderungen vor allem für das heimische Publikum erzählt worden zu sein, das die beständig empfundene Lebensgefahr, in der Staden sich zu befinden glaubte, nachvollziehen sollte. Als Erklärung für seine Unversehrtheit dient ihm sein christlicher Glaube, der ihm nicht nur Trost gespendet, sondern schließlich auch als ‚Waffe‘ gegen die abergläubischen Tupinambá geholfen habe. Religiöse Sitten der Tupinambá beschreibt Staden vor allem dort, wo er sie als vermeintliche ‚Blendwerke‘ aufzudecken glaubt. Nur wenige positive Bilder werden dagegengestellt: So würden die Einheimischen teilen, wenn einer beim Fischfang mehr fangen würde als ein anderer. 1569 6. Phase: Die Verhandlungen / Das Verbleiben in der Gefangenschaft Spätestens nach dem ersten Kontakt mit dem portugiesischen Schiff, das sich nach dem Verbleib Stadens erkundigte, muss für die Tupinambá die Möglichkeit des Freikaufs im Raum gestanden haben. Ab diesem Zeitpunkt änderte sich sicherlich das Leben Stadens im Dorf, auch wenn er dies falsch deutete und mit seiner Sonderstellung als ‚Schamane‘ erklärte. Allerdings ist gerade dieser Kontakt mit den Portugiesen und Franzosen, der zu Hans Staden nie gänzlich abriss, ein Alleinstellungsmerkmal in den hier vorliegenden Fällen transkultureller Gefangenschaften. Die ersten Kontaktmög‐ lichkeiten zur christlichen Außenwelt erhielt Staden durch einen Franzosen, der das Dorf Ubatuba aufsuchte, aber die Lage für den gefangenen Staden zunächst noch verschlimmerte. Stadens Beteuerungen, kein Portugiese, sondern ein Freund der Franzosen zu sein, sorgte jedoch für Verwirrung und dies sei, laut Stadens Darstellung, mit ein Grund für die Aufschiebung seines Todes gewesen. Im Folgenden gab es mehrere Versuche der Portugiesen und der Franzosen, sich über den Verbleib Stadens zu erkundigen und ihn freizukaufen. Nachdem ein erstes Schiff zum portugiesischen Stützpunkt zurückkehren musste, ohne mit Staden selbst gesprochen zu haben, bestanden die Christen beim nächsten Kontakt auf ein persönliches Treffen mit dem Gefangenen. 7. Phase: Erfüllung der Forderungen / Flucht Auch die Verlegung in ein anderes Dorf am Ende seiner Gefangenschaft führte Hans Staden nicht zurück in die frühere Enge, sondern diente allem Anschein nach der Verhütung einer gewaltsamen Befreiung. Dabei habe ihn der letzte Häuptling wie ein Familienmitglied behandelt - ein narratives Bild, das wir aus den anderen Gefangenschaftsfällen bereits kennen. 436 C. Gefangenschaft im Zuge eines gewaltsamen Überfalls Die Franzosen lieferten schließlich die für Hans Staden geforderten Waren, es erfolgte also ein Loskauf des Gefangenen. Markant in der Schilderung ist, dass eine der ersten beschriebenen Handlungen auf dem Weg in die Freiheit das Ankleiden Stadens mit ‚europäischer‘ Kleidung war. Er wurde wieder zu einem zivilisierten Christen und konnte sich der ‚Wildheit‘ entledigen. 8. Phase: Erlangung der Freiheit Staden berichtet von einer Taktik der ‚Verwandtschaftssolidarität‘, die seine Freilassung erst ermöglicht habe: Wiederholt hatten sich die Europäer als direkte Verwandte Stadens ausgegeben, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen und Staden als Franzosen darstellen zu können, so dass dieser schließlich durch seine ‚Brüder‘ an Bord des französischen Schiffes ausgelöst werden konnte. Hans Staden schildert, dass er erst nach einer langen Abschieds‐ zeremonie an Bord des Schiffes und der Behauptung zu seinem sterbenskranken Vater zurückkehren zu müssen, durch den Häuptling freigelassen wurde. Der Hinweis, mit einer erfundenen Geschichte über ein krankes Familienmitglied vom letzten Herrn geschieden zu sein, findet sich auch im Bericht Georgs von Ungarn. Nur durch das Versprechen wiederzukehren, ließ der Häuptling Staden ziehen. Auffallend ist, dass nicht nur Staden die Tupinambá kennenlernen musste und ihn die Bilder der ‚Wilden‘ keine Möglichkeiten ließen, den Kanni‐ balismusvorwurf differenziert zu betrachten - auch die Tupinambá mussten den ‚Deutschen‘ zunächst für sich identifizieren und abschätzen, wie er als Gefangener zu behandeln war und welchen Wert er mitbrachte. 9. Phase: Das Leben nach der Gefangenschaft Hans Staden kehrte über Honfleur, Dieppe und Antwerpen nach Hessen zurück. Er musste zwar keine Lösegeldzahlungen zurückerstatten, doch durch den Untergang der Schiffe südlich von S-o Vicente und seine Gefangenschaft hatte er weder Gold gefunden noch Lohn für seine Dienste erhalten, so dass er recht mittellos zurückkehrte. Am Hof des mittlerweile selbst aus der Gefangenschaft zurückgekehrten Landgrafen Philipp von Hessen fand seine Geschichte großen Anklang und ermutigt durch seinen Landesherrn schrieb Hans Staden mit Hilfe des Universitätsprofessors Johannes Dryander seinen Bericht nieder, der von Andreas Kolbe in Marburg verlegt wurde. Während dem Buch ein großer Erfolg beschieden war, erlernte Hans Staden das Pulvermachen und Salpetersieden. Von weiteren Reisen des ehemaligen Landsknechtes sprechen die Quellen nicht. 437 2. Zusammenfassung ZUSAMMENFASSUNG Diese Untersuchung ist von der Annahme ausgegangen, dass der Erfahrung von Gefangenschaften innerhalb gewalttätiger Konflikte dort nachgespürt werden muss, wo sich das (ehemals) unfreie Individuum selbst zu seinen Erlebnissen äußert. Als Quellengrundlage dienten hierfür Selbstzeugnisse von Gefangenen, die im Idealfall durch begleitende Quellen erweitert werden konnten. Doch die Textgattung der Selbstzeugnisse birgt einige immanente Probleme, die bei der Auswertung mitbedacht werden müssen. Vor allem die Ausführungen zum au‐ tobiographischen Gedächtnis und den Problemen sowie Grenzen des biographi‐ schen Erinnerns haben gezeigt, wie anfällig vermeintlich eigene Erinnerungen sind und wie schon innerhalb der physiologischen Prozesse des Erinnerns das Erlebte verändert und modifiziert wird. So finden sich Gedächtnisinhalte nicht an einem fest lokalisierbaren Ort im Gehirn, sondern das Erinnern erfordert jedes Mal ein Zusammenspiel verschiedenster Hirnareale. Dabei ist die ursprüngliche Erinnerung durch jedes erneute Erinnern gefährdet, da bei der Rekonstruktion der Ereignisse das Erlebte mehr oder minder vollständig abgerufen wird und mit anderen Informationen verknüpft werden kann, so dass es zu Umdeutungen, Verdrängungen oder sogar zu einem Vergessen von Ereignissen kommen kann. Durch die Anreicherung der abgerufenen Erinne‐ rung mit zusätzlichen Informationen und den Wegfall von Inhalten, die beim Abruf weniger wichtig erschienen, kommt es also fast automatisch zu Erinne‐ rungsverfälschungen. Diese Verfälschungen sind vor allem dann zu erwarten, wenn das Geschehene nicht unmittelbar, sondern in einem größeren zeitlichen Abstand erinnert wird, was in dieser Studie vor allem Lebensbeschreibungen, Verteidigungsschriften, lyrische Verarbeitungen und sämtliche Texte, die von den Gefangenen nach der Rückkehr in die Heimat verfasst wurden, betrifft. Neben den physiologischen Gründen für das ‚eingeschränkte‘ Erinnern begegnet uns in den vorliegenden Selbstzeugnissen zudem immer eine narra‐ tive Selbstpräsentation des Autors. Die geschilderten Erlebnisse werden dabei durch intertextuelle Bezüge, fiktionale Elemente und Stilmittel angereichert und folgen zugleich kulturellen und gesellschaftlichen Erzähltraditionen und Erinnerungsdiskursen, welche die Erfahrungen in bestehende Traditionen ein‐ fügen und für ein Publikum oder einen Adressatenkreis erzählbar machten. Die Erlebnisse der Gefangenschaft, so wie sie in den Selbstzeugnissen präsentiert werden, unterliegen demnach sowohl spezifischen Erinnerungsprozessen als auch einer narrativen und medialen Selbstpräsentation für eine antizipierte Leserschaft. Deshalb wurden, auch um auf einer möglichst breiten Grundlage Einblicke in die Erlebnisse und Erfahrungen der gefangenen Individuen zu erhalten, Selbstzeugnisse sowohl im intrakulturellen als auch im transkultu‐ rellen Bereich analysiert. In den neun Gefangenschaftsfällen der ersten Unter‐ suchungsgruppe äußern sich insgesamt 14 Individuen, die sich in folgende Personengruppen einordnen lassen: Neben den beiden protestantischen Fürsten sowie drei Reichsrittern finden sich aus dem städtischen Umfeld ein Nürnberger Patrizier und ein Händler aus Wittenberg, die beide durch eine Entführung in Gefangenschaft gerieten. Gleiches erlebten die drei Gesandten aus Straßburg, die auf der Rückreise von Prag überfallen wurden. Das Quellenkonvolut zum Schwabenkrieg beleuchtet in vier Fällen die Gefangenschaft von Landsknechten beziehungsweise eines Kämpfers auf eidgenössischer Seite. Die Dauer der jeweiligen Gefangenschaft fiel sehr unterschiedlich aus; während Georg Reiche nur etwas mehr als zwei Wochen von Hans Kohlhase und danach noch etwa einen Monat von den Birkhöltzern festgehalten wurde, mussten Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen ihre Gefangenschaft über fünf Jahre ertragen. Ebenso ist die Anzahl der Gefangenschaften, die die Männer in ihrem Leben durchstehen mussten, verschieden: Hieronymus Baumgartner, die Gesandten aus Straßburg und die Fürsten waren nur ein ein‐ ziges Mal gefangen. Oswald von Wolkenstein erlebte und beschrieb insgesamt drei Gefangenschaften, ebenso Friedrich von Flersheim, der jedoch nur eine Gefangenschaft in seinen Selbstzeugnissen ausführlicher darstellt. So kommt diese Untersuchung auf insgesamt zwölf intrakulturelle Gefangenschaften, zu denen sich die Verfasser in ihren differierenden Selbstzeugnissen äußern: Die Bittbriefe von Gefangenen für die Zahlung der geforderten Lösegeldsummen waren meist die ersten Lebenszeichen nach der Gefangennahme und wurden noch während der Gefangenschaft als unmittelbares Zeugnis verfasst. Oftmals ist jedoch davon auszugehen, dass diese Briefe von den Gefangennehmern diktiert oder beeinflusst wurden, sodass stellenweise eher die Motivation des Gefangennehmers und weniger eine direkte Äußerung des Gefangenen zu erwarten ist. Die Lösegeldforderungen sollten demnach neben den offensichtli‐ chen Appellen, Lösegelder zu zahlen oder Fristen einzuhalten, auch häufig dem Ansinnen des Gefangennehmers einen größeren Rahmen bieten. So nutzte Hans Kohlhase dieses Medium, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, und auch die Herren von Schwanberg ließen im gemeinsamen Brief der gefangenen Gesandten an den Rat von Straßburg ihr ‚erlittenes Unrecht‘ deutlich machen. Der Briefverkehr, sofern er gestattet wurde, konnte jedoch auch von den Gefangenen genutzt werden, um Geschäfte und Regierungsangelegenheiten, 440 ZUSAMMENFASSUNG wie im Fall der protestantischen Fürsten, fortzuführen oder die Angehörigen zu beruhigen und zu informieren. Bei Oswald von Wolkenstein finden sich Urkunden und Briefe, die zeitnah zur Gefangenschaft verfasst wurden, sowie ein lyrisches Œuvre, das erste Be‐ arbeitungsansätze sicherlich während seiner Zeit in Unfreiheit erfuhr, endgültig jedoch erst mit einem zeitlichen Abstand zur Gefangenschaft ausgearbeitet wurde. Sowohl die Lebensbeschreibung Hieronymus Baumgartners als auch die des Götz von Berlichingen sind mit einem größeren Abstand zum Geschehen geschrieben worden und zeigen deutlich, wie sehr die Motivation des Autors das Geschriebene beeinflusste. Bei den Selbstzeugnissen aus transkulturellen Gefangenschaften zeigt sich ein gänzlich anderes Bild, da die Einzelschicksale in den Selbstzeugnissen dieser Untersuchungsgruppe weit weniger gut zu fassen sind. Dies ist zum einen durch die Entstehungsumstände bedingt. So wurden die Texte oft in der Retrospektive verfasst und es finden sich weniger begleitende Quellen aus dem Umfeld der Gefangenschaften. Zum anderen richteten sich die Selbstzeugnisse - viel mehr als in der ersten Gruppe - an ein heimisches Lesepublikum, dem die Geschichte der eigenen Gefangenschaft präsentiert werden sollte und vor dem sie sich, so die Befürchtung der ehemaligen Gefangenen, auch nach ihrer Heimkehr rechtfertigen mussten. In dieser zweiten Gruppe der vorliegenden Untersuchung finden sich insgesamt sechs Gefangene, die von ihren Erlebnissen berichten: Balthasar Sturmer war Händler, bevor er sich zumindest zeitweise dem kriegerischen Handwerk zuwandte. Als Kombattanten traten Johannes Schiltberger, Jörg von Nürnberg und Hans Staden in Erscheinung, die immer wieder vor und während ihrer Gefangenschaft als ‚Fachkräfte‘ charakterisiert werden. Georg von Ungarn und Bartholomej Georgijević lassen sich eher dem gebildeten Umfeld zuordnen; während Georg von Ungarn seinen Bericht als Dominikaner verfasste, bezeichnet sich Georgijević in seinen Selbstzeug‐ nissen als Gelehrter. Anders als in der ersten Gruppe werden keine weiteren Gefangenschaften als die dargestellten Fälle erwähnt. Die Anzahl der geschil‐ derten Gefangenschaften ist dennoch unterschiedlich, wenn auch nicht jeder Besitzerwechsel in den Selbstzeugnissen als erneute Gefangenschaft gewertet wurde: Hans Staden, Jörg von Nürnberg und Bartholomej Georgijević erlebten jeweils eine Gefangenschaft, Balthasar Sturmer und die beiden sehr jungen Gefangenen Johannes Schiltberger und Georg von Ungarn schildern je zwei Gefangenschaften. Durch die Unterschiedlichkeit, in der die untersuchten Gefangenschaftsfälle beider Gruppen in den Selbstzeugnissen präsentiert werden, ist ein verglei‐ chendes Lesen und Bewerten der Schilderungen zunächst schwierig. Allen 441 ZUSAMMENFASSUNG Zeugnissen gemein sind jedoch bestimmte Abläufe, die sich zwischen der Gefan‐ gennahme der Männer und ihrer Rückkehr in die Freiheit feststellen lassen. Um die Entwicklungen der Einzelfälle zusammenführen und der unterschiedlichen Aussagedichte sowie den jeweiligen Überlieferungsumständen gerecht werden zu können, nutzt die vorliegende Studie ein modifiziertes 9-Phasen-Modell, das auf ein Phasen-Modell des modernen Krisenmanagements für Entführungsfälle zurückgeht. Dabei zeigt sich, dass vor allem die Schwellenmomente zwischen den Phasen von großer Relevanz sind, da sie als Weichenstellungen in den Erzählungen fungieren und auf kritische Momente hinweisen können. An diesen Stellen können zudem besondere Stressmomente (Peaks), bedingt durch eine wechselseitige Beeinflussung von Gefangennehmer und Gefangenem, vorliegen. In den Selbstzeugnissen können sich diese Weichenstellungen sowohl in starken emotionalen Reaktionen niederschlagen als auch in Textkonstrukti‐ onen, wie einem Verschweigen von Sachverhalten oder Gefühlen, oder einem sichtbar aktiven Gestalten der Zeugnisse, bei dem der Fortgang der Erzählung massiv beeinflusst wird. Mit Hilfe des modifizierten Phasenmodells konnten für das Untersuchungs‐ feld des Gefangenschaftsraumes die Bedingungen und Mechanismen der Gefan‐ genschaft in einzelnen Phasen und Übergängen beleuchtet sowie das Agieren des Individuums in dieser neuen Raumwirklichkeit bestimmt werden. Im Fol‐ genden sollen übergreifende Beobachtungen beider Gruppen in den Phasen zusammengefasst werden, bevor das zweite Untersuchungsfeld der Gefangen‐ schaftserfahrung beleuchtet wird: Die ersten beiden Phasen (1. Phase: Die primäre Motivation / Die Gründe des Konfliktes und 2. Phase: Die Observierung / Das Abschätzen der Wertigkeit) bestimmen einen Zeitraum, der noch außerhalb der eigentlichen Gefangenschaft liegt und in welchem sich der zugrunde liegende Konflikt sowie die Motivation des Gefangennehmens entwickelten. In den untersuchten Fällen der intrakulturellen Gefangenschaften waren die auszumachenden Motive der Gefangennehmer vielfältig und reichten von Erbstreitigkeiten und diversen politischen Zielen bis hin zu Machtdemons‐ trationen. So konnten auch am eigentlichen Konflikt unbeteiligte Personen gefangengenommen werden, um dem Gefangennehmer als Druckmittel für seine Forderungen zu dienen, die er bereits vorher erfolglos durchzusetzen versucht hatte. Als Opfer kamen daher einflussreiche Persönlichkeiten in Betracht oder besondere Personengruppen, die in einem Dienstverhältnis zu einem der Akteure der Gegenseite standen. Gerade in diesen Fällen können in beiden Untersuchungsgruppen Anzeichen für eine Observierung im Vorfeld der Gefangennahme ausgemacht werden. 442 ZUSAMMENFASSUNG Bei den Kämpfen im Rahmen von Fehden und kriegerischen Auseinander‐ setzungen, in denen unmittelbar Beteiligte gefangen genommen wurden, war dem Individuum die Ausgangslage des Konfliktes bewusst und es konnte sich auf eine Gefangennahme der eigenen Person einstellen. Dies galt auch für die Männer der transkulturellen Gefangenschaften, bei deren Gefangennahmen ausnahmslos konkrete kriegerische Auseinandersetzungen zugrunde lagen. In all diesen Fällen kann zudem die Motivation, gezielt Gefangene zu machen, vermutet werden. Für die Gefangenen in der Fremde stellte diese Phase, in der es zeitgleich auch um ihre ‚Wertigkeit‘ ging, einen bedeutsamen Moment dar. So hatten Spezialisten, junge Männer und bedeutsame Persönlichkeiten, die ein hohes Lösegeld versprachen, die besten Chancen, nicht an Ort und Stelle getötet zu werden. Ausführliche Schilderungen der eigenen Gefangennahme (3. Phase: Die Ge‐ fangennahme) finden sich bei den intrakulturellen Gefangenschaften vor allem in den Verteidigungsschriften und in Schilderungen im Zuge von Überfällen. In diesen Fällen waren die Gefangennehmer bei der Planung mit äußerster Sorgfalt vorgegangen. Eine bewaffnete und teilweise vermummte Gruppe, bestehend aus mehreren Angreifern, ergriff das Opfer, bevor sich der eigentliche Initiator zu erkennen gab. Augenzeugen des Überfalls erhielten Anweisungen, wie sie sich verhalten sollten, damit die Entführung im Sinne des Gefangennehmers publik gemacht werden und dieser mit dem Gefangenen zunächst sicher ent‐ kommen konnte. Die Wegnahme von Barschaften, Rüstungen oder Pferden wurde thematisiert - problematischer war die Entwendung des Siegelringes aufgrund möglicher unbefugter Benutzung. Für die anderen Untersuchungsfälle beider Gruppen gilt, dass die eigene Gefangennahme nur dann detailliert wiedergegeben wurde, wenn von einer eigenen Heldentat oder einer Verwun‐ dung berichtet werden konnte. Damit sollte in den Berichten dem möglichen Vorwurf, schändlich in Gefangenschaft geraten zu sein, begegnet werden. Zugleich konnten erlittene Verwundungen in den Briefen an die Familie oder im Nachhinein für ein Publikum benannt werden, um sich als Opfer der Ereig‐ nisse zu charakterisieren. Von einer ritualisierten Form der Gefangennahme berichten die Quellen lediglich bei den protestantischen Fürsten, vor allem bei Johann Friedrich von Sachsen. In beiden Gruppen werden Übergangsphasen beschrieben; so wurden die ergriffenen Gefangenen medizinisch versorgt und in Zwischenstationen untergebracht, bevor es zu einem Weitertransport kam; wertvollere Gefangene konnten zudem separiert werden. Auch die Zurschau‐ stellung der Gefangenen, um den unterlegenen Gegner oder die Gefangenen selbst zu verhöhnen und die eigene Stärke zu demonstrieren, findet sich in beiden Gruppen. 443 ZUSAMMENFASSUNG Nach der Gefangennahme wurde in der Regel der Transport zum künf‐ tigen Gefangenschaftsort (4. Phase: Der Transport) vorgenommen. Für die Überführung ins Osmanische Reich konnten die Gefangenen direkt nach ihrer Gefangennahme an Sklavenhändler verkauft werden, die den Rücktransport übernahmen. Bei den intrakulturellen Gefangenschaften finden sich mehrfach Schilderungen, dass Gefangene beständig in Bewegung gehalten wurden, damit sie nicht von außerhalb befreit werden oder selbstständig fliehen konnten. In diesen Fällen wurden die Wegstrecken auch in den Selbstzeugnissen verstärkt behandelt. Dabei versuchten sich die Gruppen vorwiegend nachts und möglichst unauffällig zu bewegen; wenn die Gefangenen auf Außenstehende trafen, mussten sie sich als Mitglieder der reisenden Gruppen ausgeben, um nicht identifiziert werden zu können. Das ‚Ankommen‘ an einem ersten festen Gefangenschaftsort und damit verbunden das Erkennen, wie dieser Ort der Unfreiheit aussah und welche Bedingungen sich für den Gefangenen boten, stellen den nächsten Schwellen‐ moment dar. In den Quellen wird dieser Zeitpunkt häufig detailliert thematisiert, sicherlich auch, weil er nach der eigentlichen Gefangennahme den ersten Mo‐ ment für die Wahrnehmung der eigenen Handlungsunfähigkeit darstellte. Die Gefangenen im Reich konnten sich nun im neuen Raum der Unfreiheit (Phase 5: Die Gefangenschaft) zurechtfinden; oftmals erfolgte zu diesem Zeitpunkt auch eine direkte Reaktion des eigenen Umfelds auf die Gefangennahme. Diese Möglichkeit eröffnete sich den Christen in der Fremde nicht. Sie mussten sich zwar auch im neuen Raum zurechtfinden, doch waren die Hürden und die Ungewissheit wesentlich höher als für die erste Gruppe. Zur Beendigung der Gefangenschaft boten sich hier oft nur begrenzte bis keine Möglichkeiten durch Verhandlungen von außen. Die beschriebenen Räume der intrakulturellen Gefangenschaften lassen sich einteilen in weniger komfortable Unterkünfte wie Turm- und Burgverliese, Feld‐ lager oder Armenhäuser, und in bessere Quartiere, wie Wirtshäuser, mehrere Kammern in Schlössern und Burgen sowie Privathäuser in den Städten. Erleich‐ tert wurde die Haft, wenn es die Möglichkeit gab, aus eigenen monetären Mitteln die Verpflegung und weitere Annehmlichkeiten in der Haft zu realisieren oder Geschenke zu empfangen. Die transkulturellen Gefangenschaften führten in der Regel entweder in die Sklaverei oder in ein Arbeitsverhältnis als Kämpfer innerhalb des osmanischen bzw. mongolischen Heeres. Während die Aufnahme in den Heeresverband gekennzeichnet war durch eine recht große räumliche Freiheit, die sich auch in einem ‚Nichtbeschreiben‘ räumlicher Unterkünfte zeigt, berichten die ehemaligen Sklaven dem christlichen Publikum von den schweren Bedingungen, denen sie sich ausgesetzt sahen. So hätten sie unter 444 ZUSAMMENFASSUNG freiem Himmel schlafen müssen, in behelfsmäßigen Räumen bei schlechter Versorgung oder sie berichten vom harten Los der Galeerensklaven, das ihnen, angekettet an einer Ruderbank, wenig räumliche Freiheit zugestand. Die Zwei‐ teilung der Quellen hat gezeigt, dass die Unfreiheit in der Fremde weniger aus einer physischen Begrenzung durch Mauern bestand, sondern durch soziale Strukturen, mit ihren gesellschaftlichen, politischen, religiösen und kulturellen Differenzen, und durch die Ortsunkundigkeit bedingt wurde. Entscheidend war in beiden Gruppen, neben den Anweisungen des Gefangennehmers, vor allem das Verhalten der Wachen, da diese beständig vor Ort und zuweilen alleinig für die Versorgung, manches Mal aber auch für die Bestrafung des Gefangenen zuständig waren. Darüber hinaus hing die Behandlung der Gefangenen stark von ihrem Status und von den Motivationen und den Zielen der Gefangen‐ nehmer ab. So durften adlige Gefangene der intrakulturellen Gefangenschaften ihre Dienerschaft auch in der Haft behalten und bekamen Möglichkeiten, mit ihrem Umfeld in Kontakt zu treten. Allerdings gab es für diese Privilegien keine Garantie; wiederholt haben sich in den Fällen Ausnahmen gezeigt - kurze Haftverschärfungen während einer ‚ritterlichen‘ Gefangenschaft oder sogar das völlige Missachten von Stand und Vermögen, wie bei Philipp von Hessen und Oswald von Wolkenstein, die nicht nur Repressalien, sondern auch massive psychische und physische Misshandlungen erleiden mussten. Auch bei den transkulturellen Gefangenschaften zeigt sich deutlich, dass die im Vorfeld bestimmte Wertigkeit des Gefangenen unmittelbare Auswirkungen auf sein Leben in Unfreiheit hatte. So besserte sich Hans Stadens Gefangenschaft merklich, nachdem die Christen den Tupinambá einen Austausch gegen Waren in Aussicht gestellt hatten. Die Phase der Verhandlungen (6. Phase: Die Verhandlungen / Das Verbleiben in Gefangenschaft) ist die Zeitspanne, die in den beiden Gruppen die größten Unterschiede aufzeigt: Im Reich war diese Phase meist geprägt von einem lebhaften Nachrichtenverkehr und oftmals einer sukzessiven Zunahme an Akteuren, die sich in die Verhandlungen einschalteten. Bei den ausgehandelten Lösegeldzahlungen fällt eine hohe Schwankung hinsichtlich der Summen auf. Eine Bemessungsgrundlage der Beträge ist nur schwer auszumachen, vor allem wenn es zu Selbstschätzungen kam oder die Verhandlungen aufgrund der schlechten Quellenlage nicht nachzuvollziehen sind. Während adlige Gefangene häufiger Bürgen stellen konnten, finden sich in den Briefen weniger betuchter oder einflussreicher Gefangener flehende Bitten an die Familien, allen Besitz zu verkaufen, um die Lösegelder aufzubringen; dabei zeigt sich, dass trotz eines möglichen Diktats durch die Gefangennehmer diese Bitten durchaus einer echten Verzweiflung entspringen konnten. Die wichtigsten Verhandlungs‐ 445 ZUSAMMENFASSUNG partner waren Dienstherren, Stadträte sowie Familien und Freunde, die sich als Fürsprecher für den Gefangenen einsetzten. Immer wieder jedoch entwickelten sich die Gefangenschaftsfälle zu einem größeren Politikum, so dass sich auch Herrscher einschalteten. Besonders gute Chancen hatten dabei einflussreiche Patrizier, gut vernetzte Reichsritter oder wichtige Bedienstete, bei denen König oder Kaiser Einfluss nahmen - wenn auch, wie immer wieder aufgezeigt werden konnte, um eigene Ziele und Pläne durchzusetzen. Auch Familien und Unterstützter der Gefangenen konnten den Druck erhöhen, indem sie ihrerseits Gefangene nahmen oder andere Akteure in die Verhandlungen involvierten. Häufig wurde in dieser Phase eine Flucht durch den Gefangenen selbst oder von außen geplant. Die Gefangenen der transkulturellen Gefangenschaften konnten in den hier untersuchten Fällen nicht auf ein bekanntes Netzwerk aus Freunden oder Familien zurückgreifen. Sofern über Verhandlungen und eine Unterstützung durch örtliche Christen berichtet wird, erfolgt die Betonung des Solidaritäts‐ gedankens unter Christen, der eigentlich immer die indirekte Aufforderung beinhaltet, gefangene Christen nicht ihrem Schicksal zu überlassen, sondern loszukaufen, auch um sie nicht an die fremden Kulturen und Religionen zu verlieren. Während ihres Verbleibs in Gefangenschaft lernten die Gefangenen viel über die Sitten und Gepflogenheiten ihres Umfelds, eigneten sich Sprachen an und wiederholt kann eine Akkulturation festgestellt werden, die in der Regel auch mit einer dünneren Beschreibung längerer Zeitspannen einhergeht. In diese Phase fallen auch viele der abenteuerlich anmutenden Fluchtversuche, die in den Beschreibungen vor allem an der Orientierungslosigkeit und dem ‚Fremdsein‘ scheiterten, so dass die Männer wiederholt eingefangen und zurück in die Sklaverei geführt wurden. Auch dem Vorwurf einer möglichen Konversion zum Islam wird in dieser Phase Raum gegeben. Dabei reicht die Spannbreite von sehr freimütigen Schilderungen eigener Glaubenskrisen bis zu gewagten Konstruktionen, um dem heimischen Publikum eine mögliche Beschneidung zu erklären. Mit der Erfüllung gestellter Forderungen oder einer erfolgreichen Flucht endeten die Gefangenschaften (7. Phase: Erfüllung der Forderungen / Flucht und 8. Phase: Freilassung / Erlangung der Freiheit). Bei den intrakulturellen Gefangenschaften wurden die Konflikte durch die Zahlung von Lösegeldern, das Unterschreiben der Urfehde und die Annahme der in ihr vereinbarten Folgen, oder durch einen Gefangenenaustausch beigelegt. Ein Phasenübergang kann dort festgemacht werden, wo ein Hausarrest angeordnet wurde. Dies betraf die beiden Fürsten und Götz von Berlichingen, die vor Erlangung der individuellen Freiheit unter Hausarrest gestellt wurden und sich weiter in 446 ZUSAMMENFASSUNG kaiserlicher Obhut beziehungsweise in relativ engen Gemarkungen der eigenen Burg befanden. Bei den transkulturellen Gefangenschaften hingegen fällt ein Erzählmuster besonders ins Auge: Der letzte Besitzer wird häufig als besonders freundlich, fast schon familiär beschrieben. Um sich dann letztlich lösen zu können, hätten die Gefangenen einen dringenden persönlichen Fall in ihrer Heimat angebracht, immer verbunden mit dem Versprechen wiederzukehren. Erst danach hätte der Besitzer, der im Vorfeld Waren erhalten oder einen Freilassungsvertrag mit dem Gefangenen ausgehandelt hatte, den Gefangenen ziehen lassen. Daneben werden aber auch erfolgreiche Fluchten beschrieben, die meist dann funktionierten, wenn sie näher an christlichen Niederlassungen abliefen, so dass die Gefangenen nicht so schnell wiederaufgegriffen werden konnten. Dabei spielte mehrfach der Franziskanerorden eine wichtige Rolle, der zunächst Zufluchtsstätte für die ‚Gefangenen‘ war und teilweise auch für Rückreisemöglichkeiten sorgte. Anders als bei den intrakulturellen Gefangen‐ schaften erlangten die Gefangenen der zweiten Gruppe erst mit der Ankunft in ihrer Heimat als dem Moment, ab dem sie eine erneute Gefangennahme nicht mehr fürchten mussten, endgültig ihre Freiheit zurück. Die Rückreise nimmt deshalb einen breiten Erzählraum ein, in dem die vielen Zwischenstationen der Heimreise und die ‚guten Werke‘ diverser Christen, die sich hilfsbereit des ehemaligen Gefangenen annahmen und seine Rückkehr ermöglichten, geschil‐ dert werden. Die Wiederaufnahme in die christliche Gemeinschaft wird in den Quellen häufig als Schwellenmoment thematisiert. Die ehemaligen Gefangenen mussten sich den Christen erst zu erkennen geben, indem sie Gebete aufsagten, die Beichte ablegten, Alkohol tranken oder mit ihren Sprachkenntnissen über‐ zeugen konnten. Bei Hans Staden findet sich hier die stärkste Konstruktion: Die Christen gaben ihm Kleidungsstücke, mit denen sich der entkleidete ‚Wilde‘ wieder bedecken und damit auch visuell wieder zum Christen werden konnte. In mehreren Fällen der intrakulturellen Gefangenschaften lassen sich in den Quellen auch Informationen zur Reintegration nach der Gefangenschaft (Phase 9: Das Leben nach der Gefangenschaft) finden: Häufig kehrten die Männer in ihre alten Stellungen und Ämter zurück. Viele waren noch über einen längeren Zeitraum mit der Begleichung monetärer Forderungen, dem Rückerhalt von Bürgschaftsbriefen oder gerichtlichen Auflagen beschäftigt. Die Heimkehrer der transkulturellen Gefangenschaften kamen als exotische Spezialisten zurück, die auf der einen Seite spannende Geschichten zu erzählen hatten und auf der anderen Seite über wertvolle Informationen verfügten. So ist es nicht verwunderlich, dass sie teilweise von Herrschern und Päpsten als Experten eingeladen und ihnen Stellungen an der Kurie oder an Herrscherhöfen angeboten wurden. Die erlebnisreichen Berichte der Heimkehrer wurden zudem 447 ZUSAMMENFASSUNG einem interessierten Publikum präsentiert und dies führte, wenn der Plan nicht schon zuvor gefasst worden war, zum Entschluss, das Erlebte niederzuschreiben und zu ‚vermarkten‘. Die zweite Frage der Untersuchung zielte auf die Auswirkungen, die die Gefangenschaftserfahrung auf das Individuum hatte und wie es diese mit seinem Umfeld teilte. Aufgrund des modernen medizinischen und psychologischen Forschungsstands wurde davon ausgegangen, dass auch für den vorliegenden Untersuchungszeitraum Erfahrungen von Gewalt und Unfreiheit Folgen unter‐ schiedlicher Art für die einzelnen Gefangenen haben konnten. Die schriftlichen Quellen lassen psychische Spätfolgen der Gefangenschaft an einige Stellen ver‐ muten, belegen lassen sich diese jedoch anhand der Quellen nicht. Gleichwohl konnten physische und psychische Reaktionen der Gefangen auf ihre Zeit in Unfreiheit konkretisiert werden. Dabei weisen die Quellen auf, dass eine lange Zeit in Unfreiheit oder aber eine erneute Gefangenschaft, vor allem wenn in den vorherigen gewaltsamen Erfahrungen gemacht worden waren, die stärksten psychischen Belastungen hervorriefen. Für beide Gruppen ist festzuhalten, dass eine Korrelation zwischen der erlebten Gefangenschaftsdauer und einem in den Selbstzeugnissen erfassbaren Peak feststellbar ist, an dem emotionale Auffälligkeiten in den Quellen geschildert werden. Dieser Zeitpunkt ist jedoch individuell und kann nicht pauschal bestimmt werden. Fast alle Selbstzeugnisse thematisieren verschiedene Ängste der Gefangenen: Kritisch waren vor allem Momente der Machtlosigkeit oder wenn Versprechen nicht eingehalten wurden. Sofern ein beständiger Wechsel des Gefangenschafts‐ raumes stattfand, durch einen wiederholten Besitzerwechsel oder das Verlegen des Gefangenen an verschiedene Orte, gab es für den Gefangenen kaum Anpassungsmöglichkeiten, was in beiden Gruppen mit einer Desorientierung und dem Gefühl des Ausgeliefertseins einhergehen konnte. Hinrichtungen von Mitgefangenen oder Helfern sowie die häufig drakonischen Bestrafungen nach missglückten Fluchtversuchen, wie Isolationshaft oder die Streichung sämtlicher Privilegien und Kontaktmöglichkeiten, werden ebenfalls in beiden Gruppen als einschneidende Erlebnisse beschrieben. Gewaltsame Befreiungs‐ versuche von Obrigkeiten oder Familienmitgliedern konnten deshalb von den Gefangenen begrüßt werden oder die eigenen Sorgen bestärken. Ebenso trau‐ matisch konnten unerwartete Erlebnisse während der Haft empfunden werden, wie plötzlich aufkommende Spionagevorwürfe oder der Tod von Mithäftlingen - ein Umstand, der auch in den begleitenden Quellen immer wieder zur Sprache kam, da gerade bei längerer Haftdauer die Sorge zunahm, dass vor allem ältere oder verletze Gefangene versterben könnten. In den Selbstzeugnissen der intra‐ kulturellen Gefangenschaften finden sich zudem Berichte, dass die Bedrohung, 448 ZUSAMMENFASSUNG außer Landes geführt und so dem Zugriff des heimischen Umfelds entzogen zu werden, schwere Krankheiten naher Verwandter oder aber erkrankte Wachen im Umfeld des Gefangenen eigene Befürchtungen und negative Emotionen verstärken konnten. Beiden Gruppen gemein ist die Tatsache, dass ein längerer Verbleib in Haft oder stockende Verhandlungsverläufe einen immensen Einfluss auf die Psyche der Gefangenen hatte. Sobald die Informationen von außen ausblieben oder über längere Zeit keine Ergebnisse in den Verhandlungen erzielt werden konnten, fühlten sich die Gefangenen allein gelassen oder hatten das Gefühl von den Vertrauten verraten worden zu sein. Dies konnte mitunter zu irrationalen Befürchtungen führen, etwa dass der Gefangene nicht mehr ernst genommen und seine Aussagen ins Gegenteil verkehrt werden könnten. Während sich dies bei den intrakulturellen Gefangenschaften vor allem in einer allgemeinen Hilflosigkeit und einem Vertrauensverlust ausdrückte, wird bei den transkulturellen Gefangenschaften in dieser Phase wiederholt von einer Anpas‐ sung und Annäherung an die fremde Kultur berichtet. Aber auch neuralgische Punkte, die auf die emotionale Verletzlichkeit der Gefangenen schließen lassen, finden in den transkulturellen Selbstzeugnissen ihren Niederschlag. So wechselt der Erzählstil mancher Texte an besonders heiklen Passagen in die Beobachter‐ perspektive, aus der heraus allgemein das Schicksal von christlichen Sklaven oder eigene Erlebnisse, etwa Schlachtbeschreibungen gegen christliche Heere, an denen der Gefangene teilgenommen hatte, thematisiert werden. Dadurch konnte das Individuum seine Erlebnisse abstrahieren und musste sich nicht mit der eigenen Verletzlichkeit oder Integrität auseinandersetzen. Auf diese Weise konnte der Perspektivwechsel auch an Stellen in den Berichten genutzt werden, an denen sich der Autor vor Anschuldigungen in der Heimat fürchten musste. Darüber hinaus finden sich an mehreren Stellen in den vorliegenden Selbst‐ zeugnissen Erklärungsmodelle, nach denen die Wirkmacht des christlichen Gottes den Gefangenen aus der Bedrängnis half und zu glücklichen Fügungen führte. Dem Publikum wurde der leidende und dennoch standhafte Christ präsentiert, der letztendlich allen Anfeindungen und Verlockungen widerstehen konnte. In diesem Kontext müssen auch die Darstellungen von gelungenen Täuschungen oder (angeblichen) Religionsdisputen mit Gefangennehmern oder lokalen Herrschern gelesen werden. Diese Beobachtungen zeigen, dass für das Untersuchungsfeld der Gefangenschaftserfahrung eine gewichtige Unter‐ scheidung zwischen intrakulturellen und transkulturellen Gefangenschaften gemacht werden kann: Während in der ersten Gruppe die neuralgischen Punkte vordergründig eine emotionale Auswirkung haben, zeichnet sich bei den transkulturellen Gefangenschaften eine Tendenz der konstruierten Erzähl‐ passagen ab. Dies wird dadurch begünstigt, dass die Gefangenschaftsberichte 449 ZUSAMMENFASSUNG der transkulturellen Gruppe fast ausschließlich in der Retrospektive und für ein Lesepublikum verfasst wurden. Gerade die Vermarktung der eigenen Ge‐ fangenschaftsgeschichte führte bei den transkulturellen Gefangenschaften sehr viel stärker zur narrativen Beschreibung der eigenen Erfahrungen. Es wurden bekannte Topoi bedient und Erzählmuster benutzt, um den Adressaten die eigenen Erfahrungen erklärbar zu machen. Dass die Rückkehrer, die eine Anstellung bei der Kurie in Rom innehatten oder ihren Bericht mit Hilfe eines Universitätsprofessors verfassten, subjektive Färbungen und Erzählstrategien in ihre Berichte miteinfließen ließen, überrascht dabei nicht. Zugleich ist der appellative und legitimierende Charakter der Beschreibungen sicherlich vor dem Hintergrund der neu aufflammenden Konflikte im östlichen Mittelmeer zu lesen. Deshalb sagen die Selbstzeugnisse der transkulturellen Gefangenschaften an vielen Stellen auch mehr darüber aus, was die christlichen Zeitgenossen über die Muslime und das Fremde lesen wollten, als darüber, was sich im Einzelfall tatsächlich ereignet hatte. Neben den subjektiven Erzählstrategien lassen sich weiterhin Bewältigungs‐ strategien innerhalb beider Untersuchungsgruppen ausmachen, die die Gefan‐ genen nutzten, um ihr Schicksal zu meistern: Wichtig war der Kontakt zu Familie und Freunden, sofern er gestattet wurde und möglich war. Hilfreich war es für die Gefangenen, wenn sie selbst Einfluss auf die Gefangenschaft beziehungsweise die Verhandlungen nehmen konnten. In mehreren Briefen finden sich Gesuche um Fürsprache oder Hafterleichterungen sowie Supplika‐ tionen, die die Klärung der Streitigkeiten vorantreiben sollten. Auffällig ist, dass nicht nur bei den fürstlichen Gefangenschaften der Versuch im Vorder‐ grund stand, die Regierungsangelegenheiten weiter mitzubestimmen, sondern auch in anderen Selbstzeugnissen Sorge um das eigene Geschäft und noch zu tätigende Zahlungen thematisiert wurden. Ansonsten wurde die freie Zeit mit Selbstbeschäftigung verbracht. Dazu gehörte, sofern die Umstände und die Gefangennehmer es erlaubten, neben dem Kirchgang, der aus den engen Mauern herausführte, vor allem das Lesen und Schreiben, das Empfangen und manchmal auch Versenden von Geschenken und bei den Fürsten das Brettspiel. Die Fürsten chiffrierten zudem ihre Schriftstücke, um freie Äußerungen nach außen bringen zu können. Gebete und die religiöse Erbauung waren in vielen der vorliegenden Fälle beider Gruppen wichtige Mittel, die Erlebnisse der Gefangenschaft zu ver‐ arbeiten. Gerade bei den transkulturellen Gefangenschaften stellen christliche Gebete die vordergründige Bewältigungsstrategie in fast allen Selbstzeugnissen dar. Dabei zeigt die Schilderung über den Gebrauch der bekannten Lieder und Stoßgebete, dass sie oftmals das Einzige waren, das die Gefangenen aus ihrer christlichen Heimat mit in die Gefangenschaft nehmen konnten. Gleichzeitig 450 ZUSAMMENFASSUNG liegen gerade hier Schilderungen aus der Retrospektive vor, die, wie bereits festgestellt wurde, oftmals funktionalen Gesichtspunkten im Erzähltext folgen. Einer der emotional bedeutsamsten Momente war in den meisten Fällen die Bekanntmachung der wiedererlangten Freiheit: Bei den intrakulturellen Gefangenschaften wurde der Familie und den Freunden die Freilassung in der Regel in einem Brief mitgeteilt, der meist das erste freie Zeugnis nach der Gefangennahme darstellt und häufig die Zusicherung enthielt, dass man körperlich gesund sei. Neben der Freude über die eigene Freilassung lässt sich in manchen Quellen auch der mit Spannung erwartete Augenblick des Zusammentreffens ablesen. Daneben wurden vereinzelt Vorwürfe an Verant‐ wortliche, die sich nicht genug um den Fortgang der Verhandlungen gesorgt hätten, vorgetragen. Ein weiterer Streitpunkt waren oftmals die erhobenen Zehrungskosten oder Vorwürfe von Folterungen in der Gefangenschaft. In der Retrospektive stigmatisierten sich die Gefangenen häufig als Opfer und fühlten sich missverstanden, gerade dann, wenn die eigenen Versuche ein gutes Ergebnis in den Verhandlungen zu erzielen, fehlgeschlagen waren und eine harte Urfehde unterzeichnet werden musste. Nach ihrer Freilassung mussten die Gefangenen beider Gruppen in ihr altes Leben zurückkehren. Je nach Gefangenschaftsdauer und körperlicher Verfassung war dies mehr oder minder gut zu erreichen. Nachfolgende Erkrankungen, die Folge der traumatischen Erlebnisse gewesen sein können, werden in den Quellen der Folteropfer erwähnt und geben einen Anhaltspunkt dafür, wie bedrohlich und einschneidend das Erlebnis der eigenen Gefangenschaft sein konnte. Auch ohne letztendlich eine diagnostische Antwort auf mögliche (Spät)Folgen der Gefangenschaft für das einzelne Individuum geben zu können, zeigt sich in den vorliegenden Selbst‐ zeugnissen eine Vielzahl physischer und psychischer Folgeerscheinungen. So berichten die Männer auf der einen Seite von akuten gesundheitlichen Schäden wie Schreckhaftigkeit, körperliche Zusammenbrüche, Atemnot und Schlafstö‐ rungen; auf der anderen Seite finden sich psychische Anpassungsstörungen, die sich in einer verzerrten Selbstwahrnehmung, depressiv-missgestimmten Zuständen und Reintegrationsschwierigkeiten äußerten. Diese beschriebenen Auswirkungen der Gefangenschaften schlagen schlussendlich den Bogen zu‐ rück zu den Symptomkategorien der modernen Traumaforschung (s. Kapitel 3.2.1.), so dass diese Stellen als Anzeichen einer Überregung gelesen werden können, die als dauerhafte Alarmbereitschaft das vegetative Nervensystem beeinflusst und in selteneren Fällen auch eine Konstriktion, die unter anderem durch eine lähmende Passivität und Wahrnehmungsveränderung charakteri‐ siert wird, verursacht haben. Die Schilderung intrusiver Symptome, bei denen das Erlebte unfreiwillig als (fragmentarische) Erinnerung zurückkehrt, findet 451 ZUSAMMENFASSUNG sich in den vorliegenden Quellen nicht - vielleicht auch, weil wir nicht mehr viel aus dem Leben nach der Gefangenschaft aus den vorliegenden Quellen erfahren. Und so zeigt gerade die Gesamtschau der verschiedenen Gefangenschaftsfälle eindrücklich, wie wichtig das sorgfältige Lesen der Selbstzeugnisse in Hinblick auf mögliche physische und psychische Folgen der Gefangenschaft ist. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie sollen künftige Arbeiten mit (mit‐ telalterlichen) Selbstzeugnissen zu Gefangenschaften innerhalb gewalttätiger Konflikte erleichtern. Die Analyse von autobiographischen Zeugnissen bietet dazu reichhaltige Möglichkeiten, auch weil sie es wie kaum eine andere Quel‐ lengruppe schafft, den interessierten Leser „lebensnah“ an die Erfahrungen von mittelalterlichen Gefangenen zu bringen. Wir begegnen den Männern mit ihren Sehnsüchten, Sorgen und Hoffnungen sowie ihrer Auseinandersetzung mit fremden Sichtweisen und Kulturen, die trotz der narrativen Selbstpräsenta‐ tionen, die in den Quellen bedient werden (mussten), eben oft mehr preisgeben, als auf den ersten Blick offensichtlich ist. Vor allem aber hat diese Arbeit gezeigt, wie wichtig es ist - bei allem Bemühen vergleichbare Aspekte herauszuarbeiten -, generalisierende Aussagen in Bezug auf intra- oder transkulturelle Gefangen‐ schaften zu vermeiden: Jede Gefangenschaft stellte eine individuelle Erfahrung für den Betroffenen dar und fand ihren ganz persönlichen Niederschlag in den überlieferten Quellen. 452 ZUSAMMENFASSUNG Quellenverzeichnis und Literaturverzeichnis Abkürzungsverzeichnis EGA Ernestinisches Gesamtarchiv f. Nachfolgende Seite fl. 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Prekäre Ökonomien Schulden in Spätmittelalter und Früher Neuzeit 2014, 270 Seiten €[D] 39,00 ISBN 978-3-86764-521-8 5 Gabriela Signori Schuldenwirtschaft Konsumenten- und Hypothekarkredite im spätmittelalterlichen Basel 2015, 186 Seiten €[D] 29,00 ISBN 978-3-86764-588-1 6 Andrea Berlin Magie am Hof der Herzöge von Burgund Aufstieg und Fall des Grafen von Étampes 2016, 308 Seiten €[D] 44,00 ISBN 978-3-86764-635-2 7 Tobias Hodel Schriftordnungen im Wandel Gebrauchs- und Aufbewahrungspraktiken von klösterlichem Schriftgut in Königsfelden (1300-1600) 2020, 317 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-7398-3060-5 8 Mirjam Reitmayer Entführung und Gefangenschaft Erfahrene Unfreiheit in gewaltsamen Konflikten anhand spätmittelalterlicher Selbstzeugnisse 2021, 489 Seiten €[D] 59,00 ISBN 978-3-7398-3107-7 uistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprach senschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik schaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Stat \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ anagement \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschicht Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ acherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidakt DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus F \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourism \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ WL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanist Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft ologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissensc \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ nguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenscha Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ orische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechn Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissen hematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwiss schaft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ aft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenscha Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ orische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechn Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissen hematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwiss schaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen aft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwe \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik emdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinav \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ WL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilolog Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ rt \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosoph ien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissensc Peter Hilsch Das Mittelalter - die Epoche 4. Auflage 2017, 256 Seiten €[D] 19,99 ISBN 978-3-8252-4806-2 e ISBN 978-3-8385-4806-7 BUCHTIPP Eine präzise und übersichtliche Einführung in die wichtigsten historischen Abläufe und Zusammenhänge des gesamten Mittelalters. Der Band folgt einem chronologischen Aufbau und stellt eine solide Basis für das Grundwissen der politischen Geschichte bereit. Schwerpunkt der einzelnen Kapitel sind die zentralen Abschnitte der mittelalterlichen Geschichte. Dabei werden aus dem Blickwinkel der deutschen Geschichte die gesamt- und gegebenenfalls außereuropäischen Zusammenhänge berücksichtigt. Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 9797-0 \ Fax +49 (0)7071 97 97-11 \ info@narr.de \ www.narr.de Spätmittelalterstudien Gewaltsame Konflikte des Spätmittelalters bargen die Gefahr, dass Personen entführt oder gefangen genommen wurden. Während sich bisherige Arbeiten zu spätmittelalterlichen Gefangenschaften weitgehend auf einzelne Aspekte des Themas konzentrieren, geht die vorliegende Studie von der Annahme aus, dass der Erfahrung von Gefangenschaft dort nachgespürt werden muss, wo sich das (ehemals) unfreie Individuum selbst zu seinen Erlebnissen äußert. Ein aus dem modernen Krisenmanagement adaptiertes 9-Phasen-Modell hilft dabei, die vorliegenden Selbstzeugnisse der intra- und transkulturellen Gefangenschaften vergleichend zu lesen und den Blick für die Mechanismen der Gefangenschaften sowie die subjektiven Erzähl- und Bewältigungsstrategien zu schärfen. Mirjam Reitmayer arbeitet als stellvertretende Geschäftsführerin der Fakultät für Geschichtswissenschaften an der Ruhr Universität Bochum. Sie studierte Geschichte und Germanistik und wurde mit vorliegender Studie im Bereich der spätmittelalterlichen Geschichte promoviert. ISBN 978-3-7398-3107-7 www.uvk.de