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Erinnerungsspiele

2008
978-3-7720-5257-6
A. Francke Verlag 
Christine Felbeck

Die Zeit um die Jahrtausendwende ist von einer Epochenschwelle in der Erinnerungs- und Gedächtniskultur geprägt: Während die Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges zunehmend aussterben, suchen sich die Nachgeborenen, die zur Vergangenheit keine biographische Verbindung mehr ha-ben, ihren eigenen Zugang zur Katastrophe. An die Stelle individueller und unmittelbarer Erinnerungen tritt bei dieser Erinnerungsliteratur zweiten Grades eine medial vermittelte, kollektive und kulturelle Form von Memoria.Methodisch im kulturwissenschaftlichen Forschungsfeld der Erinnerungstheorien verortet, untersucht die Studie, mit welchen textuellen Strategien diese Schwellensituation in Dramen der zweiten französischsprachigen Autorengeneration inszeniert und verhandelt wird. Dabei etabliert die Autorin mit dem zugrunde gelegten Dramenkorpus erstmals ein Kompendium zeitgenössischer frankophoner Dramatiker mit dem Fokus Memoria, dessen Einzeltexte bislang nur marginal Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen waren. Ausführliche Präsentationen der Autoren und ihrer Gesamtwerke, ein umfassendes Verzeichnis der Primär- und Sekundärliteratur sowie ein dokumentarischer Anhang aus Briefen und Interviews, in denen die Dramatiker ihre poetologische Konzeption selbst detailliert darlegen, runden vorliegenden Band ab und bilden zugleich eine anregende Grundlage für künftige Forschungsarbeiten.

Felbeck Erinnerungsspiele Die Zeit um die Jahrtausendwende ist von einer Epochenschwelle in der Erinnerungs- und Gedächtniskultur geprägt: Während die Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges zunehmend aussterben, suchen sich die Nachgeborenen, die zur Vergangenheit keine biographische Verbindung mehr haben, ihren eigenen Zugang. An die Stelle individueller und unmittelbarer Erinnerungen tritt bei dieser Erinnerungsliteratur zweiten Grades eine medial vermittelte, kollektive und kulturelle Form von Memoria. Methodisch im kulturwissenschaftlichen Forschungsfeld der Erinnerungstheorien verortet, untersucht die Studie, mit welchen textuellen Strategien diese Schwellensituation in Dramen der zweiten französischsprachigen Autorengeneration inszeniert und verhandelt wird. Dabei etabliert die Autorin mit dem zugrunde gelegten Dramenkorpus erstmals ein Kompendium zeitgenössischer frankophoner Dramatiker mit dem Fokus Memoria, dessen Einzeltexte bislang nur marginal Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen waren. Ausführliche Präsentationen der Autoren und ihrer Gesamtwerke, ein umfassendes Verzeichnis der Primär- und Sekundärliteratur sowie ein dokumentarischer Anhang aus Briefen und Interviews, in denen die Dramatiker ihre poetologische Konzeption selbst detailliert darlegen, runden den Band ab und bilden zugleich eine anregende Grundlage für künftige Forschungsarbeiten. ISBN 978-3-7720-8257-3 Christine Felbeck Erinnerungsspiele Memoriale Vermittlung des Zweiten Weltkrieges im französischsprachigen Gegenwartsdrama 005408 Mainz. For. 38 - Felbeck: 005408 Mainz. For. 38 - Felbeck Umschlag 28.01.2008 16: 00 Uhr Seite 1 Erinnerungsspiele 005408 Mainz. For. 38 - Felbeck: 005408 Mainz. For. 38 - Felbeck Titelei 24.01.2008 14: 27 Uhr Seite 1 Mainzer Forschungen zu Drama und Theater herausgegeben von Wilfried Floeck, Winfried Herget und Friedemann Kreuder im Auftrag des »Interdisziplinären Arbeitskreises für Drama und Theater« der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Band 38 005408 Mainz. For. 38 - Felbeck: 005408 Mainz. For. 38 - Felbeck Titelei 24.01.2008 14: 27 Uhr Seite 2 Christine Felbeck E r innerungsspiele Memoriale Vermittlung des Zweiten Weltkrieges im französischsprachigen Gegenwartsdrama 005408 Mainz. For. 38 - Felbeck: 005408 Mainz. For. 38 - Felbeck Titelei 24.01.2008 14: 27 Uhr Seite 3 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT. © 2008 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier. Internet: http: / / www.francke.de E-Mail: info@francke.de Gesamtherstellung: Laupp & Göbel, Nehren Printed in Germany ISSN 0940-4767 ISBN 978-3-7720-8257-3 005408 Mainz. For. 38 - Felbeck: 005408 Mainz. For. 38 - Felbeck Titelei 24.01.2008 14: 27 Uhr Seite 4 Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 2006/ 07 vom Fachbereich II: Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften der Universität Trier als Dissertationsschrift angenommen. In den unterschiedlichen Phasen von der Konzeption bis zur Drucklegung wurde mir vielseitige Unterstützung zuteil, für die ich mich an dieser Stelle herzlichst bedanken möchte: Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Prof. Dr. Hermann Kleber, und meiner Doktormutter, Prof. Dr. Franziska Schößler, die mir beide - aus ihren unterschiedlichen fachwissenschaftlichen Blickrichtungen - stets hilfsbereite, kompetente und motivierende Ansprechpartner waren. Darüber hinaus bedanke ich mich bei Prof. Dr. Karl-Heinz Bender für die Möglichkeit, im Rahmen seiner Assistentenstelle zu promovieren, sowie bei Prof. Dr. Wolfgang Klooß für seine Unterstützung in einer Grundsatzentscheidung. Unschätzbare Hilfe habe ich auch von Theaterkennern verschiedenster Provenienz erfahren. Gedankt sei an dieser Stelle vor allem Prof. Dr. Bernadette Bost (Université Stendhal Grenoble 3), Prof. Dr. Jean-Pierre Sarrazac (Université Paris III - Sorbonne Nouvelle), Cécile Raphanel (Bibliothèque de la Chartreuse), Florence Roth (Bibliothèque de la SACD), Roland Fichet und Patrice Rabine (Théâtre de Folle Pensée), Émile Zeizig und der Diskussionsgruppe Quéâtre. Daneben gebührt besonders den Dramatikern Dank, die sich meinen Fragen mit Offenheit und großem Interesse stellten und damit in entscheidendem Maße zum Gelingen der Arbeit beitrugen: Gérald Aubert, Jean-Louis Bauer, Bernard Bloch, Gilles Boulan, Bernard Chartreux, Enzo Cormann, Jean Manuel Florensa, Serge Kribus, Arlette Namiand, Yoland Simon und Jean-Paul Wenzel. Ferner gilt mein Dank stellvertretend für die Herausgeberschaft Prof. Dr. Wilfried Floeck für die Aufnahme der Dissertation in die Reihe Mainzer Forschungen zu Drama und Theater, Kathrin Heyng und Karin Burger für die Betreuung im Verlag sowie der VG Wort für die großzügige Unterstützung der Drucklegung. Ohne die vielen anregenden und stets konstruktiven Diskussionen mit meiner Freundin und „Dissertationsgenossin“ Dr. des. Katrin Foldenauer, die mir in allen Stadien der Arbeit Ratgeberin und Stütze war, wäre die Arbeit in dieser Form nicht zustande gekommen: Danke! Darüber hinaus möchte ich mich herzlich bei meinen Freundinnen Dr. Susanne Finke und Katharina Rottenbacher für ihre engagierte Korrektur und wertvollen redaktionellen Hinweise sowie bei Bettina Sander und Ulrike Stepp für ihre nicht minder wichtige mentale Unterstützung bedanken. Vor allem aber gilt mein Dank meiner Familie, die ein promovierendes Mitglied in ihren Reihen (er)tragen musste: meinen Eltern, die mir mit ihrem unerschütterlichen Vertrauen so viel mit auf den Weg gegeben haben, meiner Schwester Stephanie und Sebastian, die mich mit ihrem Interesse und ihrem Rückhalt befördern, sowie meinen Großeltern. Meinem Opa Siegfried Felbeck, der das Entstehen der Dissertation leider nicht mehr miterleben konnte, widme ich dieses Buch. Trier, im September 2007 Christine Felbeck Inhaltsverzeichnis I EINLEITUNG 9 1. U NTERSUCHUNGSGEGENSTAND 9 2. F ORSCHUNGSSTAND 14 3. T EXTKORPUS 20 4. T ERMINOLOGISCHE UND ERINNERUNGSTHEORETISCHE V ORAUSSETZUNGEN 24 4.1 Erinnerung und Gedächtnis: eine Begriffsklärung 24 4.2 Erinnerung und Gedächtnis zwischen Individuum, Kollektiv und Kultur 26 4.2.1 Kollektives Gedächtnis im Rahmen moderner Kulturtheorie: Maurice Halbwachs und Aby M. Warburg 26 4.2.2 Kommunikatives, kollektives und kulturelles Gedächtnis: Aleida und Jan Assmann 31 4.2.3 Das nationale Gedächtnis Frankreichs: Pierre Noras Les lieux de mémoire 36 4.3 Ars memorativa, ars inveniendi und Intertextualität als Gedächtnis des Textes 39 5. V ORGEHENSWEISE 44 II DRAMEN DER ZWEITEN AUTORENGENERATION: SCHREIBEN AUF DER SCHWELLE 49 1. T RILOGIE DER Z EITENSCHWELLEN : J EAN -C LAUDE G RUMBERGS L’A TELIER IM R AHMEN SEINER TRILOGIE J UIVE 49 2. DER B LICK ZURÜCK : E RINNERUNG UND V ERMITTLUNG ALS S CHWELLENDRAMATURGIEN 72 2.1 Sprachschwellen: Schweigen - Befragen - Dialog der Generationen 72 2.1.1 Yoland Simon: Adieu Marion 72 2.1.2 Enzo Cormann: Berlin, ton danseur est la mort 87 2.1.3 Enzo Cormann: Toujours l’orage 110 2.1.4 Serge Kribus: Le grand retour de Boris S. 123 2.2 Ortsschwellen: Reise - Spurensuche - Topographien - lieux de mémoire 132 2.2.1 Gérald Aubert: Le voyage 132 2.2.2 Jean-Paul Wenzel und Bernard Bloch: Vater Land - Le Pays de nos pères 143 2.2.3 Eugène Durif: L’Arbre de Jonas 156 2.2.4 Gilles Boulan: Kinderzimmer 164 2.2.5 Roland Fichet: Plage de la Libération 174 2.2.6 Bernard Chartreux: Violences à Vichy 185 2.3 Bewusstseinsschwellen: Halluzination - Nachtseite - (Alb-)Traum 211 2.3.1 Jean Manuel Florensa: Auschwitz de mes nuits 211 2.3.2 Jean-Claude Grumberg: Rêver peut-être 222 2.3.3 Patrick Kermann: Leçons de ténèbres 230 3. Z YKLUS DER S CHWELLENZEIT : P ATRICK K ERMANNS A IM R AHMEN VON R OLAND F ICHETS T HEATERPROJEKT N AISSANCES 248 III ERINNERUNGSSPIELE 259 IV LITERATURVERZEICHNIS 269 1. P RIMÄR - UND S EKUNDÄRLITERATUR ZU DEN BEHANDELTEN A UTOREN 269 2. W EITERE P RIMÄRLITERATUR 291 3. L ITERATUR ZU ERINNERUNG UND G EDÄCHTNIS 292 4. L ITERATUR ZU D RAMA UND T HEATER 297 5. W EITERE L ITERATUR 304 V ANHANG 309 1. Q UESTIONNAIRE AUX AUTEURS 309 2. A NTWORTSCHREIBEN 310 2.1 Gérald Aubert: Brief vom 24.09.2004 310 2.2 Gilles Boulan: Brief vom 16.09.2004 314 2.3 Bernard Chartreux: Brief vom 14.11.2004 322 2.4 Jean Manuel Florensa: Brief vom 09.01.2005 327 2.5 Serge Kribus: Brief vom 30.11.2004 336 2.6 Jean-Pierre Sarrazac: Brief vom 13.09.2004 339 2.7 Yoland Simon: Brief vom 22.04.2005 342 2.8 Jean-Paul Wenzel: Brief vom 22.09.2004 352 3. E NZO C ORMANN : I NTERVIEW AM 25.04.2000 IN S TRAßBURG 354 I Einleitung 1. Untersuchungsgegenstand Die Zeit drängt. Jeder Tag zählt. Schon in wenigen Jahren wird es niemanden mehr geben, der aus eigener Erfahrung und Anschauung von der Zeit des Zweiten Weltkrieges erzählen kann. Bevor es zu spät ist. In einem Wettlauf gegen die Zeit gilt es, so viele Lebensgeschichten und Erinnerungen wie nur irgend möglich sicherzustellen und für die Nachwelt zu bewahren. Von den skizzierten Leitgedanken getragen, ist seit Ende der 1980er Jahre ein regelrechter Zeitzeugenboom zu verzeichnen. Prominentestes Beispiel dieser Sammeltätigkeit ist das 1994 von Steven Spielberg im Anschluss an seinen Erfolgsfilm Schindlers Liste gegründete, weltweit operierende Video- Archiv von Zeugnissen Überlebender des Holocausts, die Survivors of the Shoah Visual History Foundation. 1 Während Spielbergs monumentale Shoah Foundation ausschließlich Opfer nationalsozialistischer Verfolgung befragt, fängt dessen deutsche Variante, der von Guido Knopp 1998 initiierte Jahrhundert-Bus „Augen der Geschichte“, Stimmen und Originalaufnahmen der Kriegsgeneration allgemein ein. 2 Bei beiden Projekten steht eine zunächst von quantitativen Aspekten geleitete Sicherstellung der lebendigen Au- 1 Vgl. zur Survivors of the Shoah Visual History Foundation die Homepage http: / / www.vhf.org. In der ersten Projektphase von 1994-1998 ist das Aufzeichnen und Sammeln von über 50.000 Interviews (i.d.R. jeweils 30 Min. zur Vorkriegszeit, 60 Min. zur Kriegszeit und 30 Min. zur Nachkriegszeit) - das Material in über 30 Sprachen und aus mehr als 50 Ländern würde für 13 Jahre Dauerfernsehen reichen - zentral. In der zweiten Phase geht es um die Katalogisierung und Indexierung, damit die Zeitzeugenaussagen als Datenbankarchive weltweit zugänglich gemacht und für pädagogische Materialien genutzt werden können. Vgl. dazu auch Henryk M. Broder: Indiana Jones in Auschwitz. In: Der Spiegel, 37/ 1999, S. 246-264. 2 Vgl. dazu die Seiten der ZDF-Redaktion „Zeitgeschichte“, dessen Leiter Knopp ist: http: / / www.zdf.de. Unter dem Motto „Die Zeit läuft - mit Ihrer Hilfe wird sie Spuren hinterlassen“ werden in dem Interviewstudio auf Rädern ca. 5.000 Interviews pro Jahr mit dem Ziel aufgezeichnet, nach einer Laufzeit von rund 10 Jahren zu einem audiovisuellen Archiv der Zeit- und Augenzeugenerinnerungen zu gelangen. Parallel zu diesem Langzeitziel nutzt der ZDF-‛Chefhistoriker’ die Interviews für sein spezifisches Format von Geschichtssendungen, in denen er die Zeitzeugenaussagen mit historischem Bildmaterial und nachgestellten Szenen kombiniert. Vgl. dazu Peter Kümmel: Ein Volk in der Zeitmaschine. In: Die Zeit, 26.02.2004 und Wulf Kansteiner: Die Radikalisierung des deutschen Gedächtnisses im Zeitalter seiner kommerziellen Reproduktion: Hitler und das ‚Dritte Reich’ in den Fernsehdokumentationen von Guido Knopp. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 51 (2003), S. 626-648. I Einleitung 10 genzeugenerinnerungen im Vordergrund, bevor sie unwiederbringlich verloren gehen. Die Fokussierung auf die Zeitzeugen beinhaltet zwei Aspekte: Zum einen ist ihr das Bewusstsein einer gegenwärtigen Epochenschwelle in der Erinnerungs- und Gedächtniskultur in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg immer schon eingeschrieben. Denn sie geht vom sukzessiven Verlust der Erfahrungsgedächtnisse aus, die unter Zeitdruck in medialisierte, kollektive Gedächtnisse der Nachwelt übersetzt werden müssen. Zum anderen stellt die Fokussierung auf die Zeitzeugen als Träger und Vermittler der Erinnerung aber zugleich bereits den Ansatzpunkt dar, mit dem diesem Gedächtniswandel begegnet wird. Der Zeitzeugenboom ist damit zwar eindeutiges Signum der Epochenschwelle, verbleibt aber hinsichtlich seines Ansatzes noch diesseits: 3 Methodisch im Rahmen eines Oral-History- Ansatzes zu verorten, 4 wird am Stellenwert der lebendigen Erinnerung des Zeitzeugen weiterhin festgehalten und diese ‛nur’ qua Medialisierung über die individuellen Lebensgrenzen hinaus für die Nachwelt - jenseits der Epochenschwelle - vermittelbar gemacht. Vor dem Hintergrund, dass damit die Geschichtsschreibung um diesen anders gelagerten Vergangenheitsbezug ergänzt und ausgeweitet werden soll, 5 werfen die umstrittenen Zeitzeugenprojekte von Spielberg und Knopp 6 in der Geschichtswissenschaft die Frage nach dem adäquaten Umgang mit dem Holocaust erneut auf. Bereits Mitte der 1980er Jahre kulminierte diese im so genannten Historikerstreit. 7 3 Vgl. dazu Lutz Niethammer: Diesseits des >floating gap<. Das kollektive Gedächtnis und die Konstruktion von Identität im wissenschaftlichen Diskurs. In: Kristin Platt und Mihran Dabag (Hrsg.): Generation und Gedächtnis. Erinnerungen und kollektive Identitäten. Opladen (Leske + Budrich) 1995, S. 25-50. 4 Als Überblick über die Entstehung und Praxis der Oral History samt ausführlicher Bibliographie vgl. Lutz Niethammer (Hrsg.): Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der >Oral History<. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1985. Spielbergs und Knopps Ansatz ließe sich darüber hinaus noch enger als ‛Oral and Visual History’ fassen, da zu der gängigen Tonbandaufzeichnung das Bildmaterial hinzukommt. 5 Vgl. zur Kernfrage der Historiographie nach ihrer dominant wissenschaftlichen oder dominant memorialen Funktion in der Gesellschaft Jürgen Habermas: Über den öffentlichen Gebrauch der Historie. In: Ders.: Die postnationale Konstellation. Politische Essays. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1998, S. 47-61. 6 So wird in Bezug auf Spielbergs Shoah Foundation von „Schoah Business“ und der „Hollywoodisierung von Erinnerung“ gesprochen und in Bezug auf Knopps Projekt von einer problematischen Verschiebung der deutschen Gesellschaft zur Opfergesellschaft. Beiden Konzepten wird ein ungefilterter, unwissenschaftlicher Sammelwahn vorgeworfen, bei dem weder die Transformationen von Erinnerungen mitbedacht, noch Maßnahmen der Qualitätssicherung vor Aspekten der Quantität getroffen werden. 7 Vgl. etwa Nicolas Berg: Der Holocaust und die westdeutschen Historiker: Erforschung und Erinnerung. Göttingen (Wallstein) 2003 sowie Rudolf Augstein (Hrsg.): „Historiker- 1. Untersuchungsgegenstand 11 Neben ihrem Stellenwert in geschichtswissenschaftlichen Kontroversen ist die Epochenschwelle in der Erinnerungs- und Gedächtniskultur bezüglich der Schoah 8 seit Anfang der 1980er Jahre auch immer wieder Gegenstand politischer und kultureller Debatten. Denn mit dem Gedächtniswandel als komplexem Übergang einer lebendigen Zeitzeugenerinnerung zu einem kollektiv und kulturell geformten Gedächtnis gehen Fragestellungen der Selektion und Medialisierung einher: Zur zentralen gesamtgesellschaftlichen Problematik wird die Frage, wie und was künftighin von der Zeit des Zweiten Weltkrieges erinnert und an die nachfolgenden Generationen weitervermittelt und ex negativo damit auch, was vergessen werden soll. Diese Kontroversen über Inhalte und Formen zeigen sich etwa in den Diskussionen um das Berliner Holocaust-Mahnmal und die Wehrmachts- Ausstellung, um die Neubewertung der Vichy-Jahre anhand der Biographie Mitterrands sowie der öffentlichen Prozesse gegen Barbie und Papon, um die Goldhagen- und Walser-Bubis-Debatte sowie um Filme wie Le Chagrin et la pitié (Ophüls), Le dernier Métro (Truffaut), Schindlers Liste (Spielberg), La vita è bella (Benigni) und Der Untergang (Hirschbiegel). Dabei verdeutlichen die Erregungen, Skandalisierungen und leidenschaftlich geführten Auseinandersetzungen, wie sehr der Gedächtniswandel auch ein Kampf um Wirklichkeitsdeutungen und letztlich um Eingang in die Kulturgeschichte ist. In der Literatur stellt sich der skizzierte Gedächtniswandel als Übergang von Zeugnissen Überlebender zu einer Erinnerungsliteratur zweiten Grades nachgeborener Generationen dar. Autoren der so genannten ersten streit“. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. München et al. (Piper) 1987. 8 Wenn in der vorliegenden Untersuchung - wie in der Regel üblich - die Terminologien Schoah und Holocaust verwendet und unterschiedslos zur Bezeichnung der Gesamtheit nationalsozialistischer Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik eingesetzt werden, dann in dem Bewusstsein, dass eigentlich beide problematisch sind: Die Begrifflichkeiten sind beide - nicht zuletzt aufgrund ihrer Konnotationen - nicht adäquat. So bedeutet zwar das hebräische Wort Schoah Zerstörung und Verschwinden, jedoch in seinem alttestamentarischen Kontext eine gerechte Zerstörung als Strafe Gottes. Holocaust als griechischer Terminus aus der Septuaginta bezeichnet ursprünglich ein in Gänze verbranntes Opfer, das die Juden ihrem Gott bringen, ohne dass vorher ein Anteil für die Leviten abgezweigt wurde. In der Bedeutungsübertragung auf die nationalsozialistische Massenvernichtung ist der Begriff auch als spezifischer verstanden worden, der die anderen Opfergruppen neben den Juden ausschließt. Vgl. dazu das Kapitel „Die Namen des Holocaust: Bedeutung und Folgen“ von James E. Young: Beschreiben des Holocaust. Darstellung und Folgen der Interpretation. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1997, S. 139-163. Neben Schoah und Holocaust stellen Naziterror, Résistance und Kollaboration, Flucht und Vertreibung weitere Referenzpunkte einer memorialen Vermittlung im Kontext dieser Arbeit dar, für die der als eine zeitliche Phase verstandene Terminus vom Zweiten Weltkrieg einen Sammelbegriff darstellt. I Einleitung 12 Generation 9 - etwa Jean Améry, Paul Celan, Rolf Hochhuth, Ruth Klüger, Primo Levi, David Rousset, Jorge Semprún und Elie Wiesel - können als Zeitzeugen aus erster Hand über Erlebtes und individuelle Erinnerungen schreiben. 10 Da sich die Aneignung des Stoffes unmittelbar in der Zeit selbst vollziehen kann, die Autoren also diesseits der Schwelle zu verorten sind, wird ihren Zeugnissen potenziell - vor allem bei expositorischen Textsorten - Authentizität konzediert. Die Autoren der n achgeborenen Generationen hingegen, das heißt der zweiten und sukzessive auch der dritten Generation - etwa Marcel Beyer, Patrick Modiano, Eric-Emmanuel Schmitt, Uwe Timm und gerade aktuell Jonathan Littell 11 -, haben den Zweiten Weltkrieg nicht selbst erfahren, sondern nur vermittelt durch Erzählungen der Zeitzeugengeneration, historische Quellen, Berichte, Dokumentationen und Literatur. Die zweite und dritte Generation steht unter dem direkten Eindruck des Gedächtniswandels und der zahlreichen Debatten um künftige modi memorandi. Mit ihrem eigenen Schreiben sind sie aber bereits jenseits der Schwelle zu verorten: An die Stelle individueller und unmittelbarer Erinnerungen der Zeitzeugen tritt bei den Autoren der nachgeborenen Generationen eine medial vermittelte Form von Memoria. 12 9 Die der Untersuchung zugrunde liegende Generationen-Terminologie orientiert sich an der in der Holocaust-Forschung allgemein üblichen Bezeichnung, die auf die Beobachtungen des Soziologen Karl Mannheim zur generationenspezifischen Erinnerung zurückgeht. Vgl. dazu Karl Mannheim: Das Problem der Generationen. In: Ders.: Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk. Hrsgg. von Kurt H. Wolff. Neuwied/ Berlin (Luchterhand) 1970, S. 509-565. In diesem Sinne nimmt auch Bude eine sozialgeschichtliche Einteilung der Generationen in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg vor, wenn er unter die erste Generation grosso modo die um 1920 Geborenen, unter die zweite Generation die um 1940 Geborenen und unter die dritte Generation die um 1970 Geborenen fasst. Vgl. Heinz Bude: Die Erinnerung der Generationen. In: Helmut König, Michael Kohlstruck und Andreas Wöll (Hrsg.): Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Opladen bei Wiesbaden (Westdeutscher Verlag) 1998, S. 69-85 (Leviathan, Sonderheft 18). 10 Jedoch handelt es sich - nach Husserl - bereits bei der erlebten Erinnerung der ersten Generation um eine Rationalisierung der Ereignisse. Vgl. dazu Klaus Held: „Lebendige Gegenwart“. Die Frage nach der Seinsweise des transzendentalen Ich bei Edmund Husserl, entwickelt am Leitfaden der Zeitproblematik. Köln (Wasmund) 1963. Einschränkend muss darüber hinaus festgehalten werden, dass der Erinnerung zwar immer schon ein Moment der Konstruktion und Künstlichkeit inne ist, jedoch verschieben sich mit dem Wandel der ersten zur zweiten Generation die Grade der Fiktionalität deutlich. 11 Vgl. zur „Sensation des französischen Literaturherbstes“ 2006, für die der 39-jährige Jonathan Littell mit seinem Debütroman Les Bienveillantes über den Zweiten Weltkrieg aus der Täterperspektive eines deutschen SS-Offiziers sorgt, etwa Michael Mönninger: Die Banalisierung des Bösen. In: Die Zeit, 21.09.2006. 12 Wie problematisch und verwoben dieser Prozess von der konzedierten Authentizität der Zeitzeugengeneration zur Medialität von Erinnerung bei den Nachgeborenen aber zugleich ist, verdeutlicht etwa der Skandal um die 1995 erschienene, falsche Holocaust-Autobiographie Bruchstücke von Binjamin Wilkomirski alias Bruno Dössekker. Vgl. weiterführend dazu Bettina Bannasch: F für Fälschung, K für Kitsch oder L 1. Untersuchungsgegenstand 13 Zentral wird damit - so die Ausgangsthese der vorliegenden Untersuchung - das Tradieren und Bearbeiten der Überlieferung der Erinnerungen und Ereignisse. Eine Generation, die die Geschehnisse nicht mehr miterlebt hat und sich deshalb selbst nicht daran erinnern kann, ist auf kollektive und kulturelle Erinnerungen angewiesen. Mit dieser Vermittlungsproblematik sind die Autoren in ihrem eigenen Schreibprozess konfrontiert und thematisieren sie oftmals zugleich im literarischen Diskurs. Im Zuge der erforderlichen multiplen Aneignung rücken Konstruktionsprinzipien und Schreibstrategien in den Vordergrund. Der aktuelle Trend der Erinnerung in der Literatur ist seitens der Nachgeborenen auch als ein Versuch zu verstehen, die eigene Vermittlungsproblematik literarisch zu formen und die poetologischen Grenzen der Augenzeugen - etwa die dominante Poetik des Nicht-Repräsentierbaren - zu überschreiten. Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive stellt sich damit die Frage, was diese vermittelte Form von Memoria bei den Autoren der nachgeborenen Generation konkret für das Schreiben, die Sprache und die Ästhetik bedeutet. Die vorliegende Arbeit untersucht dies auf dem Gebiet der französischsprachigen Dramatik, indem sich ihre zentrale Fragestellung wie folgt fassen lässt: Welche textuellen Strategien memorialer Vermittlung des Zweiten Weltkrieges weisen Dramen der zweiten französischsprachigen Autorengeneration in einer Zeit auf, in der die Generation der Augenzeugen von Nachgeborenen abgelöst wird und ein Wandel von einem individuellen und unmittelbaren zu einem kollektiv und kulturell vermittelten Gedächtnis einsetzt? Gegenstand und Ziel der Arbeit ist damit zu zeigen, wie diese Schwellensituation in den Dramen inszeniert wird und wie sich die Erinnerungs- und Vermittlungsproblematik, mit der die Autoren konfrontiert sind, in der jeweiligen écriture niederschlägt. Nach der Etablierung eines Dramenkorpus (Kapitel I 3.) und der Darlegung relevanter terminologischer beziehungsweise erinnerungstheoretischer Vorraussetzungen (Kapitel I 4.) wird zu diesem Zweck eine Vorgehensweise (Kapitel I 5.) erarbeitet, mit der die vielfältigen Strategien und Schreibweisen in den einzelnen Dramen herausgearbeitet werden können (Kapitel II). Abschließend werden die Erinnerungsspiele unter einer eher gattungstypologischen Perspektive im Hinblick auf die Frage zusammengeführt, ob sich aus den Einzelanalysen generationentypische Schreibweisen und Tendenzen ablesen lassen, wie in der französischsprachigen Gegenwartsdramatik an den Zweiten Weltkrieg erinnert wird, oder ob ihre Heterogenität derartige Schlussfolgerungen nicht zulässt (Kapitel III). für Literatur? Zu Binjamin Wilkomirskis ‚autobiographischem’ Roman „Bruchstücke“. In: Manuela Günter (Hrsg.): Überleben schreiben. Zur Autobiographik der Shoah. Würzburg (Königshausen & Neumann) 2002, S. 179-200 sowie Irene Diekmann und Julius H. Schoeps (Hrsg.): Das Wilkomirski-Syndrom. Eingebildete Erinnerungen oder Von der Sehnsucht, Opfer zu sein. Zürich, München (Pendo Verlag) 2002. I Einleitung 14 2. Forschungsstand Ausgehend vom skizzierten Untersuchungsgegenstand lässt sich der Überblick zum Stand der Forschung in drei Teilbereiche untergliedern, die sich als Forschungsfelder in ihrem Umfang äußerst heterogen präsentieren: Im Folgenden wird zunächst die Literatur zum Themenkomplex Erinnerung und Gedächtnis gesichtet. Daran schließt sich die Darstellung von Untersuchungen an, die von einer mit dieser Arbeit vergleichbaren Fragestellung ausgehen. Abschließend wird die Forschungssituation zum französischsprachigen Gegenwartsdrama dargelegt. Seit Anfang der 1980er Jahren haben Publikationen zum Thema Erinnerung und Gedächtnis Hochkonjunktur. 13 Die Faszination, die diese Thematik ausübt, ist sowohl in politischen, gesellschaftlichen, literarischen als auch in wissenschaftlichen Diskursen von der Informationstechnik über die Kulturbis hin zu den Neurowissenschaften zu beobachten. 14 Dieses Phänomen, das mittlerweile über die Dauer einer Modephase hinausgeht und sich in Form von Fächerentgrenzung und Interdisziplinarität vielfach äußert, ist derart wirkungsmächtig, dass von der Entstehung eines „neue[n] Paradigma[s] der Kulturwissenschaften“ 15 um die Begriffe Erinnerung und Gedächtnis gesprochen wird. Daher kann es im Rahmen der Konzeption der vorliegenden Arbeit weder das Ziel sein, ein Panorama der Begriffs- und Wirkungsgeschichte noch einen vollständigen Forschungsüberblick zum „unendlichen Thema“ Erinnerung und Gedächtnis 16 zu leisten. Vielmehr sollen die hier relevanten Termini, Aspekte und Konzepte im Kapitel I „4. Terminologische und erinnerungstheoretische Vorraussetzun- 13 Als mögliche Ursachen werden in der Forschung, neben der sich verändernden Erinnerung an den Holocaust durch das Sterben der Zeitzeugen, v.a. sich vergrößernde Speicherkapazitäten durch die neuen Medientechnologien und der Eindruck einer „Nach-Kultur“ u.a. als Folge der postmodernen Geschichtsphilosophie angeführt. Vgl. etwa Kai Uwe Hemken (Hrsg.): Gedächtnisbilder. Vergessen und Erinnern in der Gegenwartskunst. Leipzig (Reclam) 1996, S. 3, Astrid Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. In: Ansgar und Vera Nünning (Hrsg.): Konzepte der Kulturwissenschaften. Stuttgart (Metzler) 2003, S. 156-185, hier S. 156-158, Franziska Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft. Eine Einführung. Tübingen (Francke) 2006 (UTB Literaturwissenschaft; 2765), S. 195f. und Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München (C. H. Beck) 1992, S. 11. 14 Vgl. Aleida Assmann: Erinnerungsräume: Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München (C. H. Beck) 1999 (C. H. Beck Kulturwissenschaft), S. 16. 15 Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 11. 16 Den derzeit aktuellsten Überblick über die ständig anwachsende und in ihrer Dichte nicht nachlassende Forschungsliteratur stellt die Habilitation von Manfred Weinberg dar: Das unendliche Thema: Erinnerung und Gedächtnis in der Literatur/ Theorie. Tübingen (Francke) 2006. 2. Forschungsstand 15 gen“ direkt dargelegt und zudem an den entsprechenden Stellen auf die äußerst umfangreiche Literatur verwiesen werden. 17 Nur einige wenige Arbeiten aus den letzten Jahren berühren mit ihrem Fokus die in der vorliegenden Untersuchung aufgeworfene Fragestellung mehr oder minder. In erster Linie geht so der Erforschung von literarischen Texten der zweiten Generation zunächst grundlegend jene von Zeugnissen der ersten Generation voraus. Paradigmatisch für die in den verschiedenen literatur- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen - vor allem im Rahmen der Anglistik, Germanistik und Romanistik - gut dokumentierte und breit erforschte Augenzeugenliteratur soll aufgrund ihrer fachlichen Ausrichtung lediglich Segler-Messners gattungsübergreifende Studie Archive der Erinnerung. Literarische Zeugnisse des Überlebens nach der Shoah in Frankreich angeführt werden. 18 Diesem weiten Forschungsfeld steht das bis dato noch sehr schmale zu den Autoren der nachgeborenen Generationen gegenüber, das Segler-Messner mit ihrem letzten Kapitel „Erinnerungskultur im Wandel“ als Ausblick andeutet. Eine übergreifende, jedoch fachfremde Darstellung dazu bietet etwa der Kolloquiumsband Deutsch-jüdische Literatur der neunziger Jahre: die Generation nach der Shoah. 19 In ihrer in der Romanistik angesiedelten Untersuchung Der „Gedächtnisort“ Roman. Zur Literarisierung von Familiengedächtnis und Zeitgeschichte im Werk Jean Rouauds nimmt Dehne einen Autor der nachgeborenen Generation in den Blick und geht mit der Fragestellung, wie dieser sich in seinem Romanwerk bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges zurückerinnert, von einem vergleichbaren Ansatz aus. 20 Auch Eiglers Vorgehensweise, Generationenromane von Autoren der zweiten und dritten Generation als literarische Inszenierungen von Familiengedächtnissen und als Beiträge zu theoretischen Diskursen über Erinnerung und Gedächtnis zu lesen, ähnelt in Konzeption und Methode der vorliegenden Fragestellung. 21 Ihre in der Germanistik beheimatete Unter- 17 Diese Vorgehensweise führt zwar zwangsläufig dazu, dass der Anmerkungsapparat im Umfang zunimmt. Sie wird um diesen Preis aber dennoch für sinnvoll erachtet, weil auf diese Weise eine Auseinandersetzung jeweils an Ort und Stelle geleistet werden kann. 18 Silke Segler-Messner: Archive der Erinnerung. Literarische Zeugnisse des Überlebens nach der Shoah in Frankreich. Köln et al. (Böhlau) 2005. Vgl. darüber hinaus etwa noch zu Armand Gatti als Dramatiker der ersten Generation Jean-Pierre Sarrazac: Armand Gatti: Une nouvelle adéquation de la guerre et du théâtre. In: Ders.: L’Avenir du Drame. Saulxures (Circé) 1999, S. 141-156. 19 Sander L. Gilman und Hartmut Steinecke (Hrsg.): Deutsch-jüdische Literatur der neunziger Jahre: die Generation nach der Shoah. Berlin (Erich Schmidt) 2002 (Beihefte zur Zeitschrift für deutsche Philologie; 11). 20 Corinna Dehne: Der „Gedächtnisort“ Roman. Zur Literarisierung von Familiengedächtnis und Zeitgeschichte im Werk Jean Rouauds. Berlin (Erich Schmidt) 2002 (Studienreihe Romania; 18). 21 Friederike Eigler: Gedächtnis und Geschichte in Generationenromanen seit der Wende. Berlin (Erich Schmidt) 2005 (Philologische Studien und Quellen; 192). I Einleitung 16 suchung beleuchtet, wie auch diejenige Dehnes, die Epochenschwelle und Vermittlungsproblematik in Bezug auf Familiengedächtnisse im Roman. Liegen somit bereits einschlägige Studien zur Erzählliteratur mit einem grosso modo vergleichbarem Fokus vor, stehen Untersuchung zur Dramatik noch aus. Die Forschungssituation zur französischsprachigen Gegenwartsdramatik stellt sich - anders etwa als diejenige zum zeitgenössischen deutschsprachigen Drama und Theater - insgesamt als äußerst schmal bis defizitär dar. Neben verschiedenen Werken, die auf Organisationsformen und Strukturen des französischen Theaterwesens abzielen 22 oder als Sachwörterbuch beziehungsweise Analysehilfe 23 konzipiert sind, machen literaturgeschichtliche Überblicksdarstellungen in Form von Monographien 24 und Aufsätzen 25 den größten Anteil der Forschungsliteratur zum Drama und Theater nach 1980 aus. Darunter beinhalten insbesondere Werke wie Pavis’ Le théâtre contemporain, Ryngaerts Lire le théâtre contemporain, Knapps French The- 22 Vgl. Robert Abirached: Le Théâtre et le Prince 1981-1991. Paris (Plon) 1992, ders. (Hrsg.): La décentralisation théâtrale (4 volumes, 1945-1981). Paris (Actes Sud-Papiers) 1992-1995, Alain Busson: Le théâtre en France. Contexte socio-économique et choix esthétiques. Paris (La Documentation française) 1986, Raymonde Temkine: Le théâtre en l’Etat. Paris (Éditions Théâtrales) 1992 und Michel Vinaver: Le Compte rendu d’Avignon. Des mille maux dont souffre l’édition théâtrale et des trente-sept remèdes pour l’en soulager. Arles (Actes-Sud) 1987. 23 Vgl. Patrice Pavis: Dictionnaire du Théâtre. Paris (Éditions sociales) 2 1986, ders.: Le théâtre contemporain. Analyse des textes, de Sarraute à Vinaver. Paris (Éditions Nathan) 2002, Jean-Pierre Ryngaert: Introduction à l’analyse du théâtre. Paris (Bordas) 1991, ders.: Lire le théâtre contemporain. Paris (Dunod), 1993 und Jean-Pierre Sarrazac (Hrsg.): Poétique du drame moderne et contemporain. Lexique d’une recherche. Louvain-la- Neuve (Études théâtrales, 22) 2001. 24 Vgl. David Bradby: Le théâtre français contemporain (1940-1980). Lille (Presses universitaires) 1990, ders.: Modern French Drama (1940-1990). Cambridge (University Press) 2 1991, ders. und Annie Sparks: Mise en scène. French theatre now. London (Methuen) 1997, Jacqueline de Jomaron: Le théâtre en France 2. De la Révolution à nos jours. Paris (Colin) 2 1992, Bettina L. Knapp: French Theatre since 1968. New York (Twayne Publishers) 1995, Paul-Louis Mignon: Le théâtre au XX e siècle. Paris (Gallimard) 1986, Sarrazac: L’avenir du drame, ders.: Théâtres du moi, théâtres du monde. Rouen (Éditions Médianes) 1995, Jean-Pierre Thibaudat: Théâtre français contemporain. Paris (Ministère des Affaires étrangères - adapf) 2000 und Nurit Yaari: Contemporary French Theatre 1960- 1992. Paris (SACD) 1994. 25 Vgl. Patricia Duquenet-Krämer: Le théâtre contemporain en France: défier la mise en scène? In: Grenzgänge. Beiträge zu einer modernen Romanistik, Heft 18, 9. Jahrgang 2002, S. 68-93, Frank Heibert: Im Westen was Neues? Ein Streifzug durch die zeitgenössische französische Dramatik. In: Theater heute. Jahrbuch der Zeitschrift Theater heute Nr. 13, 1987, Philippe Henri Ledru: Theaterszene Frankreich. In: Die Deutsche Bühne. Das Theatermagazin 3, März 2000, S. 18-23, Renate Schäfer: F wie Frankreich. Theaterszene Frankreich. In: Die Deutsche Bühne. Das Theatermagazin 3, März 2000, S. 24-29 und Oliver Schmitt: Théâtre: Actualité de la création dramatique française. Parier sur les auteurs vivants. In: Le Monde, 27.05.1993. 2. Forschungsstand 17 atre since 1968 und Bradbys Monographien auch fundierte Einzelinterpretationen. Erste Einblicke in die zeitgenössische Theaterlandschaft bieten ebenso Nachschlagewerke wie das Dictionnaire des œuvres du XX e siècle 26 , Corvins Dictionnaire encyclopédique du théâtre 27 sowie auf deutscher Seite das Dramenlexikon 28 und das Kritische Lexikon der romanischen Gegenwartsliteraturen 29 . Während jedoch diese Lexika bis dato immer nur einen Bruchteil der zeitgenössischen Dramatiker verzeichnen und damit keine hinreichende Orientierung geben, 30 ermöglichen zwei Nachschlagewerke Wissenschaftlern und Theaterpraktikern einen bedeutend umfassenderen Zugang: So bietet das Répertoire du théâtre contemporain de langue française von Claude Confortès eine Präsentation von 422 französischsprachigen Dramatikern von 1945 bis heute, die anhand ihrer Vita, einer Bibliographie und einer Kurzanalyse samt Textauszug vorgestellt werden. 31 In gleicher Weise präsentiert auch Michel Azama in De Godot à Zucco. Anthologie des auteurs dramatiques de langue française 1950-2000 die Autoren und Werke, stellt der alphabetischen Gliederung Confortès’ jedoch eine thematische mit kommentierenden Einleitungen gegenüber. 32 Ebenso bieten die Homepages verschiedener Theaterorganisationen - etwa Le Répertoire des auteurs de théâtre der Chartreuse de Villeneuve-lez-Avignon (Centre national des écritures du spectacle), der Aneth (Aux nouvelles écritures théâtrales) und théâtre-contemporain der Association C.R.I.S. (Centre de Ressources Internationales de la Scène) 33 - sowie Émile Zeizigs CD-ROM Mascarille: répertoire 26 Dictionnaire des œuvres du XX e siècle. Hrsgg. von Henri Mitterand. Paris (Dictionnaires de Robert) 1995. 27 Michel Corvin (Hrsg.): Dictionnaire encyclopédique du théâtre. Paris (Bordas) 2001. 28 Dramenlexikon. Hrsgg. vom Deutschen Theatermuseum. München (Text und Kritik) 1985-2000. 29 Kritisches Lexikon der romanischen Gegenwartsliteraturen. Hrsgg. von Wolf-Dieter Lange. Tübingen (Narr) 1984ff. 30 So verzeichnet etwa das KLRG von den Autoren der Untersuchung nur Grumberg, das Dictionnaire des œuvres du XX e siècle nur Chartreux und Cormann, wobei dessen Einordnung unter die Postmodernisten recht willkürlich ist, und führen Metz und Naguschewski in einem Lexikon, das einen besonderen Schwerpunkt auf jüngere Autoren legt (S. 6), lediglich die hier aufgrund der Fragestellung nicht behandelten Dramatiker Yasmina Reza und Valère Novarina auf. Petra Metz und Dirk Naguschewski (Hrsg.): Französische Literatur der Gegenwart: ein Autorenlexikon. München (C. H. Beck) 2001 (Beck’sche Reihe; 1412). 31 Claude Confortès: Répertoire du théâtre contemporain de langue française. Paris (Editions Nathan) 2000. 32 Michel Azama: De Godot à Zucco. Anthologie des auteurs dramatiques de langue française 1950-2000. Bd. 1: Continuité et renouvellements. Bd. 2: Récits de vie: le moi et l’intime. Bd. 3: Le bruit du monde. Paris (Éditions Théâtrales) 2003 und 2004. 33 Vgl. http: / / www.aneth.net, http: / / www.chartreuse.org, http: / / www.sacd.fr, http: - / / www.theatre-contemporain.net, http: / / www.theatreonline.com, http: / / www.theatre-traduction.net. I Einleitung 18 d’œuvres théâtrales (32.000 pièces analysées) 34 Möglichkeiten der digitalen Suche und Information zu Autoren, Werken und Themen. Wissenschaftliche Einzeluntersuchungen zum zeitgenössischen frankophonen Drama finden sich sowohl als Aufsatzsammlungen 35 als auch als Monographien 36 in der Reihe des Mainzer Graduiertenkollegs Theater als Paradigma der Moderne: Drama und Theater im 20. Jahrhundert (ab 1880). Während die romanistischen Beiträge hier nur eine Teildisziplin darstellen, widmet sich die Reihe des Centre d’études théâtrales der Université Catholique de Louvain und des Institut d’études théâtrales der Sorbonne- Nouvelle ausschließlich französischsprachiger Dramatik. 37 Neben diesen Ergebnissen universitärer Forschungsprojekte zu Drama und Theater allgemein beleuchten weitere Untersuchungen gattungsspezifische Fragestellungen: Während Desrochers in ihrer Dissertation Le récit dans le théâtre contemporain die Tendenz zur Episierung im französischen und frankokanadischen Drama erforscht, Siepmann Eine Positionsbestimmung im modernen französischen Theater mit der Frage Zurück zum „Historischen Drama“? vornimmt, arbeitet Rath über Das zeitgenössische Kurzdrama in Frankreich. 38 Darüber hinaus wird das aktuelle Drama Frankreichs nur 34 Émile Zeizig: Mascarille: répertoire d’œuvres théâtrales. Sainte Foy-lès-Lyon (Espace Marcel Achard) 2002-2004. 35 Vgl. Wilfried Floeck (Hrsg.): Tendenzen des Gegenwartstheaters. Tübingen (Francke) 1988 (Mainzer Forschungen zu Drama und Theater; Bd. 2), ders. (Hrsg.): Zeitgenössisches Theater in Deutschland und Frankreich. Théâtre contemporain en Allemagne et en France. Tübingen (Francke) 1989 (Mainzer Forschungen zu Drama und Theater; Bd. 3) und Konrad Schoell (Hrsg.): Literatur und Theater im gegenwärtigen Frankreich: Opposition und Konvergenz. Tübingen (Francke) 1991 (Mainzer Forschungen zu Drama und Theater; Bd. 7). 36 Während jedoch in den Aufsätzen auch der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegende Autoren Eingang finden, widmen sich die Monographien anderen Dramatikern: Klaudia Knabel: Illusion und Kollision: Film und Montage im französischen Drama der zwanziger Jahre. Tübingen, Basel (Francke) 2000 (Mainzer Forschungen zu Drama und Theater; Bd. 23), Susanne Hartwig: Typologie des Zweiakters. Mit einer Untersuchung der Funktion zweiaktiger Strukturen im Theater Arthur Adamovs. Tübingen (Francke) 2000 (Mainzer Forschungen zu Drama und Theater; Bd. 24) und Ina-Patricia Hatzig: Der moderne Kapitalismus im Theater. Michel Vinaver im Kontext des französischen Gegenwartsdramas. Tübingen (Francke) 2005 (Mainzer Forschungen zu Drama und Theater; Bd. 32). 37 Vgl. v.a. die nachfolgenden Bände, die sich mit verschiedenen Dramatikern der vorliegenden Arbeit beschäftigen: Joseph Danan und Jean Pierre Ryngaert (Hrsg.): Écritures dramatiques contemporaines (1980-2000). L’avenir d’une crise. Louvain-la-Neuve (Études théâtrales, 24-25) 2002 und Luc Boucris, Marcel Freydefont und Anne Wibo (Hrsg.): Arts de la scène, scène des arts. Singularités nouvelles, nouvelles identités. Troisième lieu, troisième temps. Formes hybrides: vers de nouvelles identités. Louvain-la-Neuve (Études théâtrales 30) 2004. 38 Vgl. Nadine Desrochers: Le récit dans le théâtre contemporain. Ottawa (Mikrofiche- Ausgabe, Dissertation) 2002, Christine Rath: Das zeitgenössische Kurzdrama in Frankreich. Eine Untersuchung gattungspoetologischer Elemente aller in L’Avant-Scène Théâtre 2. Forschungsstand 19 noch zum Gegenstand imagologischer Untersuchungen: Entweder als Teil der Deutsch-französischen Fremd- und Selbstbilder im Rahmen eines Freiburger Forschungsprojektes 39 oder als individueller Forschungsschwerpunkt des Düsseldorfer Literaturwissenschaftlers Matthes. 40 Hat sich damit gezeigt, dass neben Überblicksdarstellungen und wenigen Detailuntersuchungen die Forschungslage zum zeitgenössischen französischsprachigen Drama defizitär ist, so ist auch das Gros der hier behandelten Autoren bisher kaum Gegenstand literatur- oder theaterwissenschaftlicher Forschung gewesen. 41 Aus Gründen der Übersichtlichkeit soll die Auseinandersetzung mit der vorhandenen Sekundärliteratur zu den 1980-1992 erschienenen Kurzdramen unter besonderer Berücksichtigung der Autoren René de Obaldia und Guy Foissy. Frankfurt a.M. et al. (Lang) 1997 (Europäische Hochschulschriften: Reihe 13. Französische Sprache und Literatur; Bd. 221) und Helmut Siepmann: Zurück zum „Historischen Drama“? - Eine Positionsbestimmung im modernen französischen Theater. In: Paul Janssen et al. (Hrsg.): Schnittpunkte: komparatistische Studien zur romanischen Kultur - Points de rencontre. Bonn (Romanistischer Verlag) 1994 (Abhandlungen zur Sprache und Literatur; 66), S. 187-197. 39 Joseph Jurt: Deutsch-französische Fremd- und Selbstbilder in der Literatur und Publizistik der Gegenwart. In: Frankreich-Jahrbuch 1995. Opladen (Leske + Budrich) 1996, S. 57-80 und Beate Gamer, Dorothea Schmidt, Wolfgang Reinbold: Selbst- und Fremdbilder in der französischen und deutschsprachigen Publizistik von 1970 bis 1990. Ein Forschungsprojekt: Erste Ergebnisse und methodologische Vorschläge. In: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte 19 (1995), S. 191-224. Zwar wird darauf verwiesen, dass die Dramatiker Deutsch, Florensa, Benoin und Fichet Teil des Forschungsprojektes sind, weitere publizierte Detailstudien sind jedoch seitdem nicht erschienen. 40 Lothar Matthes: Aspects d’un mythe contemporain: le poids du passé dans les images de l’Allemagne du théâtre français de nos jours (1988-1990). In: Daniel Briolet (Hrsg.): Mythes et mythologies en histoire de la langue et de la littérature. Nantes (Université de Nantes) 1991, S. 68-75, ders.: Für eine literarische Imagologie jenseits von Vorurteils-Bekämpfung und diskursanalytischer Genügsamkeit: Von Wessis und Ossis im Brennspiegel französischer Theaterstücke. In: Komparatistik. Mitteilungen, 1997, S. 19-40, ders.: L’Allemagne vue par des auteurs dramatiques français depuis 1989. Plaidoyer pour une imagologie contrastive et contextuelle. In: Allemagne d’Aujourd’hui, no. 128, 1994, S. 96-108, ders.: Licht und Schatten der Vergangenheit. Zur Deutschlandwahrnehmung im Medium des französischen Gegenwartstheaters. In: Joseph Jurt und Rolf G. Renner (Hrsg.): Wahrnehmungsformen/ Diskursformen: Deutschland und Frankreich. Wissenschaft, Medien, Kunst, Literatur. Berlin (Berliner Wissenschafts-Verlag) 2004, S. 217-230 und ders.: Nationalstereotypen im dramatischen Kontext: Bilder und Gegenbilder des Deutschen im Nationalsozialismus am Beispiel jüngerer französischer Stücke über ‛Deutschland 1945’. In: Thomas Höpel und Dieter Tiemann (Hrsg.): 1945 - 50 Jahre danach. Aspekte und Perspektiven im deutsch-französischen Beziehungsfeld. Leipzig (Leipziger Universitätsverlag) 1996, S. 235-246. 41 Hinsichtlich eines konstatierten Forschungsdesiderates zu den aktuellen Dramatikern stellt Ledru zugespitzt die Frage „C’est la faute à Koltès? “. Denn bis weit in die 1990er Jahre gehen wissenschaftliche Untersuchungen nicht über die dominante Figur Bernard-Marie Koltès’ hinaus, der aufgrund der erfolgreichen Zusammenarbeit mit Patrice Chéreau und sicherlich auch wegen seines frühen Todes 1989 im Alter von 41 Jahren einen geradezu mythischen Rang einnimmt. Ledru: Theaterszene Frankreich, S. 19. I Einleitung 20 jeweiligen Autoren aber direkt in den Einzelkapiteln erfolgen. 42 Um das Problem einer unzureichenden Informationsbasis zumindest vom Ansatz her etwas zu relativieren, stützt sich die vorliegende Arbeit zusätzlich auf parawissenschaftliches Material wie Rezensionen, Zeitungsartikel, Internetquellen und Autorenäußerungen. Auch wenn etwa Theaterkritiken mehr wertend als analytisch-interpretatorisch und Autorenaussagen in Interviews, Briefen und auf Homepages immer auch Selbstinszenierungen sind, können sie zumindest - vor allem wenn mehrere zur Verfügung stehen - als Ausgangspunkt eigener Hypothesenbildung dienen. Vor diesem Hintergrund wurde den Dramatikern ein Fragebogen zugesandt und mit Enzo Cormann ein Interview geführt, deren vollständige Transkripte sich im Anhang der Arbeit befinden. 43 Das erhebliche Defizit an Beschreibungsparadigmen und wissenschaftlicher Literatur zum zeitgenössischen französischsprachigen Drama, das der Flut an Forschungsliteratur zur Memoria- Thematik diametral gegenübersteht, macht Reiz und Schwierigkeit der vorliegenden Untersuchung zugleich aus. 3. Textkorpus Aufgrund der defizitären Forschungssituation stellte sich die Etablierung des Dramenkorpus als komplexes Unterfangen dar: In einem ersten Schritt ging es dabei um die Sichtung der zeitgenössischen frankophonen Dramatik in Nachschlagewerken, Theatern, Institutionen, Verlagen und qua Internet. Um nicht von vorneherein die Auswahlkriterien zu eng zu fassen, wurde zunächst ganz allgemein nach Dramen recherchiert, die einen thematischen Bezug zum Zweiten Weltkrieg aufweisen. Die Suche in den gängigen Nachschlagewerken und den wenigen existenten literaturgeschichtlichen Darstellungen war nur mäßig ertragreich. Als problematisch stellte sich zudem heraus, dass diese, wenn sie überhaupt den Themenfokus mit einbeziehen, immer nur auf bereits kanonisierte Autoren zurückgreifen. Gestaltet sich dieser Kanonisierungsprozess bei zeitgenössischer Literatur mangels Distanz ohnehin schwierig, führte dies im konkreten Recherchefall zu der Erkenntnis, dass fast nur Autoren der ersten Generation mit der Thematik aufgeführt werden. 42 Die jeweils vorhandene Sekundärliteratur ist außerdem im Literaturverzeichnis separat für die einzelnen Dramatiker aufgeführt. Um darüber hinaus den benannten Leerstellen in der Forschung entgegenzutreten, wird in dieser Arbeit den Dramenanalysen eine Präsentation des Autors und seines Gesamtwerkes vorangestellt sowie im Literaturverzeichnis eine nach Gattungen unterteilte Übersicht der Primärwerke angeführt. Auf diese Weise hat die Untersuchung auch einen bibliographischen Charakter in Bezug auf die zeitgenössischen frankophonen Dramatiker. 43 Auch wenn der Ertrag der Gespräche und des Interviews erheblich variiert, können sie dennoch Hintergründe und Zusammenhänge aus Autorenperspektive erhellen. 3. Textkorpus 21 Anders stellt sich die Suche im Répertoire du théâtre contemporain de langue française von Claude Confortès dar. Da hier das Spektrum aufgeführter Dramatiker viel größer ist, ließ sich der Autorenkreis ausweiten, jedoch wurde eine thematische Suche durch die Konzeption des Werkes erschwert: Aufgrund der alphabetischen Gliederung und der Detailpräsentation nur eines Stückes lässt sich nicht umfassend herausfinden, welcher Autor in seinem Gesamtœuvre welchen Theatertext mit Bezug auf den Zweiten Weltkrieg verfasst hat. Einzige Möglichkeit ist die Suche über einen „Index des pièces par genres“, da sich Confortès für die Art der gesuchten Dramen der Gattungszuordnung „drame historique“ bedient. Damit werden aber letztlich dann auch nur die Dramen eruiert, die Confortès exemplarisch vorstellt. 44 Da die Suche in dieser literaturwissenschaftlich üblichen Form stagnierte, mussten neue Wege beschritten werden. Neben vielfältigen Hinweisen durch einzelne Theater, Verlage und Institutionen erwiesen sich für eine systematische und stringente Suche vor allem die Bibliothèque de la SACD (Société des auteurs compositeurs dramatiques) und die Bibliothèque de la Chartreuse als besonders wertvoll. Beide Bibliotheken als Organe der Autoren weisen mit ihren Beständen, zu denen publizierte wie unveröffentlichte Werke zeitgenössischer Dramatiker zählen, die umfassendsten Dokumentationen auf. Die benutzerfreundlichen Konsultationsformen - vor Ort, via Homepage und durch Hilfeleistungen der jeweiligen Bibliothekarinnen 45 - sowie die vielfältigen digitalen Recherchemöglichkeiten im Katalog werden darüber hinaus dadurch ergänzt, dass sowohl die Texte der Autoren als auch b(ibl)iographische Informationen zur Verfügung gestellt werden. Zur Vervollständigung wurde das mittlerweile recht umfangreiche Textkorpus durch eine Anfrage im Rahmen der Liste de discussion en francais sur le théâtre (Quéâtre) 46 ergänzt, über die sich französischsprachige Theaterwissenschaftler und -praktiker weltweit austauschen. 44 Die erst 2004 vollständig, d.h. in allen drei Bänden, erschienene Anthologie von Michel Azama konnte damit nur in einem späteren Stadium der vorliegenden Arbeit hinzugezogen werden, diente dann aber der erneuten Absicherung des Textkorpus. In Bezug auf den Themenfokus dieser Arbeit ist v.a. der dritte Band Le bruit du monde von Interesse, in dem es gänzlich um die „œuvres dédiées aux histoires collectives: mémoires de l’Histoire“ geht. Azama: De Godot à Zucco. Bd. 1: Continuité et renouvellements, S. 15. Vgl. dazu auch: „Il s’agit moins d’en revenir au drame historique, au mécanisme d’explication ou d’élucidation des grands personnages que de mettre le spectateurs en présence, par l’imagination et la liberté d’invention, avec les doutes, les incertitudes et les questionnements de l’Histoire [Herv. im Original].“ Azama: De Godot à Zucco. Bd. 3: Le bruit du monde, S. 13f. 45 Für die SADC kann Florence Roth (florence.roth@sacd.fr), für die Chartreuse Cécile Raphanel (repertoiredesauteurs@chartreuse.org) kontaktiert werden. 46 Die Adresse der Mailingliste lautet queatre@uqam.ca. I Einleitung 22 Abgerundet wurde die mühselige Einzelsuche durch die Konsultation von Émile Zeizigs Mascarille: répertoire d’œuvres théâtrales. 47 In einem zweiten Schritt ging es nach der Recherche um Verfahren der Selektion. Aufgrund der Fragestellung war das wichtigste Auswahlkriterium die Angehörigkeit der Dramatiker zur nachgeborenen Generation, so dass alle Texte von Autoren der ersten Generation - wie etwa Alain Bosquet, Armand Gatti, Charlotte Delbo, Liliane Atlan, Claude Prin - herausfielen. 48 Aus quantitativen Gründen, aber auch um eine möglichst einheitliche poetologische Vergleichsperspektive zu erzielen, wurden des Weiteren Texte ausgeschlossen, die den Zweiten Weltkrieg nicht im Modus der Erinnerung in Szene setzen. So sind weder Stücke Teil des Korpus, die direkt in der Kriegszeit situiert sind, noch solche, die auf diese lediglich vorausdeuten. Die verbleibenden Dramen kreisen also in Anbetracht des thematischen Fokus - und damit auch der eigenen Erinnerungs- und Vermittlungsproblematik der Autoren - mit dem Kriterium der Nachzeitigkeit um die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. Texte, bei denen diese Erinnerung nur als Hintergrundfolie für anders gelagerte Konflikte oder Handlung latent präsent, aber nicht dominantes Thema ist, wurden in einem letzten Selektionsschritt aussortiert. Damit ist das Textkorpus schließlich eingeschränkt auf Dramen französischsprachiger Autoren der zweiten Generation, die die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg als Rückblick handlungsrelevant inszenieren. Nach diesen Kriterien ergab sich ein Korpus von 15 Texten, 49 die zwischen 1979 und 1998 publiziert wurden. Während der älteste Dramatiker, Jean-Claude Grumberg, im Jahr des Kriegsbeginns 1939 geboren ist und damit so eben als Autor der zweiten Generation gelten kann, ist der jüngste Dramatiker, Serge Kribus, 1962 geboren und deutet bereits die Schwelle zur dritten Generation an. Zugleich ist der Belgier Kribus auch der einzige nicht in Frankreich geborene Autor. Erstaunlicherweise verblieb nach den Auswahlkriterien auch kein Drama einer Autorin mehr im definitiven Textkorpus: Ob es sich dabei um einen Zufall handelt, weil die ein oder 47 Neben der Möglichkeit der eigenen Recherche mit Hilfe der zu erwerbenden CD- ROM kann man sich auch direkt an den Urheber wenden (zeizig@easynet.fr). 48 In Orientierung an die gängige Unterscheidung von erster und zweiter Generation - vgl. Kapitel I „1. Untersuchungsgegenstand“, Fußnote 9 - wurde in der vorliegenden Untersuchung für diese zweite Generation der Autoren ein Geburtsdatum ab dem Jahr des Beginns des Zweiten Weltkrieges angesetzt, da hier bereits von einer nicht selbst bewusst erlebten Zeit und somit von vermittelten Erinnerungen ausgegangen werden kann. Problematisch bei solchen Grenzziehungen bleibt indes immer die Tatsache, dass damit zeitlich nicht weit von der Schnittstelle entfernte Autoren - wie hier etwa der 1938 geborene Jacques Kraemer oder der 1936 geborene René Kalisky - schematisch nicht mehr betrachtet werden. 49 Darüber hinaus finden sich in verschiedenen Fußnoten noch Verweise und kurze Erläuterungen zu weiteren Dramen zeitgenössischer Autoren, die auch im Literaturverzeichnis unter der Rubrik „Weitere Primärliteratur“ aufgeführt werden. 3. Textkorpus 23 andere Dramatikerin schlichtweg übersehen wurde, oder ob tatsächlich keine Autorin der zweiten Generation existiert, die mit ihrem Drama die Kriterien erfüllt, muss offen bleiben. 50 In diesem Zusammenhang ist aber zu betonen, dass mit dem etablierten Textkorpus ausdrücklich kein Kanon formuliert oder eine vollständige Bestandsaufnahme erreicht werden soll. Ziel ist dagegen vielmehr, einen Ausgangspunkt für die der Arbeit zugrunde liegende Fragestellung zu schaffen. 51 Die Betrachtung der als Rückblicke entworfenen Einzeltexte wird aus konzeptionellen Gründen nochmals untergliedert. So wird die Darstellung von Jean-Claude Grumbergs L’Atelier vorangeschaltet, weil das Stück vom Autor im Rahmen einer Trilogie verfasst wurde. Während L’Atelier die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg als Rückblick inszeniert, präsentiert Dreyfus… als erstes Stück der Trilogie den Zweiten Weltkrieg als Zukunft und Vorausdeutung sowie Zone libre als drittes Stück die Kriegszeit als Gegenwart. Da für Grumberg die Fragmentierung der Zeiten in drei Einzelstücke und zugleich deren Zusammenschau in der Totalen als Trilogie eine Möglichkeit ist, wie der nachgeborene Autor der Erinnerungs- und Darstellungsproblematik begegnen kann, soll die Konzeption auch hier mitbedacht werden. Deshalb wird zwar schwerpunktmäßig das Drama L’Atelier untersucht, daneben aber auch die beiden anderen - die normalerweise durch das Selektionsraster gefallen wären - sowie das sich ergebende Gesamtgefüge beleuchtet. Da mit dieser Einbindung des Rückblickes also eine grundsätzlich andere Herangehensweise vorliegt, wird die Betrachtung von L’Atelier im Rahmen der Trilogie vorangeschaltet (1. Trilogie der Zeitenschwellen: Jean-Claude Grumbergs L’Atelier im Rahmen seiner trilogie juive). 52 Vergleichbares gilt auch für Patrick Kermanns Drama A, das mit seinem dreigliederigen Strukturprinzip „j’étais, je suis, je serai“ die Zeitebenen kombiniert. Vor allem ist dieses Stück aber im Kontext eines Theaterprojektes zur Schwellenzeit des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu verstehen, der Naissances von Roland Fichet. Wegen seiner Einbindung in den Zyklus und des damit einhergehenden Ausblickscharakters wird die Untersuchung des Theatertextes nachgeschaltet (3. Zyklus der Schwellenzeit: Patrick Kermanns A im Rahmen von Roland Fichets Theaterprojekt Naissances). 50 Mit Blick auf das Repertorium von Confortès scheinen Dramatikerinnern tatsächlich noch in der - zumindest dokumentierten - Minderheit zu sein: Unter seinen 422 Dramenautoren befinden sich lediglich 78 Frauen, was einem Prozentsatz von 18,48% entspricht. 51 Damit kommt der Studie gewissermaßen eine anthologische Funktion der Gegenwartsdramatik unter einem bestimmten Themenfokus zu. 52 Zusätzlich wird damit die Übergangsfunktion unterstrichen, die Jean-Claude Grumberg als ältester Autor des Textkorpus einnimmt und die zudem an seiner betont biographischen Schreibweise kenntlich wird. I Einleitung 24 Umrahmt von Grumbergs L’Atelier und Kermanns A, die als Sonderformen jeweils eingebettet in ihrem übergeordneten Zusammenhang präsentiert werden, werden die verbleibenden 13 Dramen nach der dominanten Form untergliedert, wie Erinnerung als Blick zurück auf der Handlungsebene des Dramas vermittelt wird. Die Einteilung nach diesen Vermittlungsdominanten - als Schwelle der Sprache, des Ortes und des Bewusstseins - dient einer ersten inhaltlichen Systematisierung des recht umfangreichen Textkorpus. Keineswegs soll jedoch damit einer Nivellierung der vielschichtigen Strategien der Erinnerungsvermittlung inhaltlicher und formaler Natur Vorschub geleistet werden, die die Dramen aufweisen und die im Rahmen der Einzeluntersuchungen herausgearbeitet werden. 4. Terminologische und erinnerungstheoretische Voraussetzungen 4.1 Erinnerung und Gedächtnis: eine Begriffsklärung In den verschiedenen Gedächtnistheorien wird mit einer Vielzahl kursierender Termini operiert, so dass zunächst eine begriffliche Klärung notwendig ist. 53 Dem lateinischen Begriff memoria und den davon abgeleiteten französischen und englischen Ausdrücken 54 entsprechen im Deutschen Gedächtnis und Erinnerung. Der in der Tradition der antiken Rhetorik stehende Terminus Memoria kann also als Sammelbezeichnung für Ge- 53 Vgl. für die folgenden Darlegungen zu den Gedächtnistheorien v.a. die einschlägigen Artikel in Ansgar Nünning (Hrsg.): Metzler-Lexikon der Literatur- und Kulturtheorie: Ansätze - Personen - Grundbegriffe. Stuttgart, Weimar (Metzler) 1998; Fauser: Einführung in die Kulturwissenschaft, S. 116-138 sowie insbesondere die Orientierung der Ausführungen an Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 195-230 und Astrid Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Stuttgart (Metzler) 2005. 54 Die Übertragung der Begriffe ist jedoch ungenau: Im Französischen verschieben sich die Termini, da die Begriffe mémoire und souvenir miteinander konkurrieren. In der deutschen Übertragung wird mémoire überwiegend mit Gedächtnis übersetzt, seltener mit Erinnerung. Für diese Bedeutung wird der Ausdruck souvenir benutzt. Im Englischen findet sich ein Parallelphänomen: memory bedeutet Gedächtnis und Erinnerung, für die letztere Bedeutung gibt es aber noch weitere Ausdrücke, nämlich remembrance und recollection. Auch in der Philosophie werden die Begriffe uneinheitlich gebraucht. Vgl. Joachim Ritter (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Basel (Schwabe) 1971f.: Hier findet Memoria keinen Eintrag, der Artikel „Gedächtnis“ beschränkt sich auf die moderne Psychologie, wobei die Begriffe in der Rhetorik und Philosophie aufgelöst werden. Der Eintrag „Erinnerung“ fokussiert v.a. die Differenz zum bloß technisch-psychologischen Vermögen des Gedächtnisses. Jacques Le Goff: Histoire et mémoire. Paris (Gallimard) 1988 und Harald Weinrich: Lethe - Kunst und Kritik des Vergessens. München (C. H. Beck) 1997 weisen u.a. darauf hin, dass sich diese begriffliche Verzweigung schon bei Platon und Aristoteles findet. 4. Terminologische und erinnerungstheoretische Voraussetzungen 25 dächtnis und Erinnerung fungieren. Beide Begriffe werden im Folgenden näher aufgeschlüsselt. Ausgehend vom Alltagsgebrauch meint Gedächtnis 55 eine „virtuelle Fähigkeit und organisches Substrat“, 56 einzelne Erinnerungen zu behalten, aber auch zu vergessen, 57 um wieder Neues aufnehmen zu können. 58 Damit stellt das Gedächtnis den „Fundus und Rahmen für einzelne memoriale Akte und Einträge“ 59 dar. Dies wiederum bedeutet, dass das Gedächtnis als Kollektivbegriff und in gewisser Hinsicht als Integrationseinheit höherer Ordnung verstanden wird, da es die einzelnen Erinnerungen in sich versammelt. 60 Erinnerung kann innerhalb dieses Rahmens als gegenwartsbezogener „Vorgang des Einprägens und Rückrufens spezifischer Inhalte“ 61 bestimmt werden. Gemeint sind damit die einzelnen, disparaten Akte, sich im Gedächtnis Gespeichertes bewusst zu machen. Bei dieser Form der Rückholung und Rekonstruktion von Erlebnissen und Erfahrungen kann nicht nur erinnert werden, was zuvor erlebt, 62 sondern auch das, was erlernt oder angelesen wurde. 63 Bei einem solchermaßen erweiterten Erinnerungsbe- 55 Vgl. dazu auch den Artikel „Gedächtnis“ von Jan Assmann in Stefan Jordan (Hrsg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe. Stuttgart (Reclam) 2002, S. 97- 101. 56 Aleida Assmann: Zur Metaphorik der Erinnerung. In: Dies. und Dietrich Harth (Hrsg.): Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung. Frankfurt a.M. (Fischer) 1991, S. 14. 57 Entscheidend ist, dass der Memoria stets ein Moment des Vergessens inhärent ist, d.h. jede Erinnerung und jedes Gedächtnis kann nie eine retrospektive Totalisierung sein, sondern hat immer fragmentarischen Charakter. Vgl. dazu die parallel zur antiken ars memoriae entstandene ars oblivionis, die ihren eigenen Forschungszweig hervorgebracht hat. Siehe dazu bspw. den kulturgeschichtlichen Überblick von Weinrich: Lethe - Kunst und Kritik des Vergessens. 58 Techniken und Verfahren der Steigerung der Gedächtnisleistung hat die Disziplin der antiken Rhetorik entwickelt, die Mnemonik/ Mnemotechnik oder auch ars memorativa. Vgl. zum Weiterleben und zur Modifikation dieser Traditionslinie Frances Amelia Yates: Gedächtnis und Erinnern. Mnemonik von Aristoteles bis Shakespeare. Weinheim (VCH, Acta Humaniora) 1990. 59 Vgl., auch im Folgenden, Aleida Assmann: 1998 - Zwischen Geschichte und Gedächtnis. In: Dies. und Ute Frevert (Hrsg.): Geschichtsvergessenheit - Geschichtsversessenheit: vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945. Stuttgart (Deutsche Verlags-Anstalt) 1999, S. 21-52, hier S. 35. 60 Gedächtnis meint damit memoria in ihren Bedeutungen als facultas und actus/ operatio, während mit Erinnerung die dritte Bedeutung von memoria als operatum/ opus bezeichnet wird. 61 Assmann: Zur Metaphorik der Erinnerung, S. 14. 62 Dies würde man einschränkend als Inhalte des episodischen Gedächtnisses bezeichnen. Vgl. Assmann: 1998 - Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 35. 63 Hierbei handelt es sich um Inhalte des so genannten semantischen Gedächtnisses. Vgl. a.a.O. I Einleitung 26 griff, der den aktuellen Standards der einschlägigen Forschung entspricht, stehen Erlebnis, Erzählung und Lektüreerfahrung gleichberechtigt nebeneinander. 64 Jedes Individuum ist mit seinen einzelnen Erinnerungsprozessen demnach in unterschiedlichen Gedächtnishorizonten verankert, die immer größere Kreise von der Familie über die Generation bis hin zur Kultur ziehen. 65 Aus diesen knappen Ausführungen geht hervor, dass die Begriffe Gedächtnis und Erinnerung keine Opposition darstellen. Sie sind als Begriffspaar anzusehen, „als komplementäre Aspekte eines Zusammenhangs [...], die in jedem Modell gemeinsam auftauchen [Herv. im Original]” 66 und dementsprechend in dieser Arbeit verwendet werden. Die enge Verbindung beider Begriffe zeigt sich ebenfalls in den im Folgenden referierten Memoriatheorien. 4.2. Erinnerung und Gedächtnis zwischen Individuum, Kollektiv und Kultur 4.2.1 Kollektives Gedächtnis im Rahmen moderner Kulturtheorie: Maurice Halbwachs und Aby M. Warburg Der Soziologe Maurice Halbwachs und der Kunsthistoriker Aby Warburg können als ‛Erfinder’ des so genannten kollektiven Gedächtnisses gelten. Zwar geht der Begriff selbst bis in die Antike zurück, doch Halbwachs und Warburg sind die ersten, die in den 1920er Jahren die Beschäftigung mit dem Gedächtnis von der Biologie und Psychologie in den kulturellen Bereich verlagern. Auch wenn die Forschungen beider Wissenschaftler unterschiedlichen Traditionssträngen zuzuordnen sind, besteht ihre Gemeinsamkeit jedoch darin, dass sie das Gedächtnis im Rahmen einer modernen Kulturtheorie systematisch erfassen. Der Ausgangspunkt für die Studien 67 des französischen Soziologen Maurice Halbwachs, Schüler Henri Bergsons und Émile Durkheims, ist die These, dass jede Erinnerung sozial bedingt sei. 68 Für Halbwachs ist die 64 Vgl. hierzu etwa Young: Beschreiben des Holocaust. 65 Vgl. Assmann: 1998 - Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 35f. 66 Assmann: Zur Metaphorik der Erinnerung, S. 14. Vgl. auch Fauser: Einführung in die Kulturwissenschaft, S. 119. 67 Halbwachs hat seine sozial-konstruktivistische Theorie des kollektiven Gedächtnisses v.a. in drei Monographien niedergelegt: Maurice Halbwachs: Les cadres sociaux de la mémoire. Paris (Alcan) 1925, ders.: La mémoire collective. Paris (Presses Universitaires de France) 1950 und ders.: La topographie légendaire des évangiles en terre sainte. Étude de mémoire collective. Paris (Presses Universitaires de France) 1941. 68 Halbwachs entwirft damit ein Gegenkonzept zu den Erinnerung als individualpsychologischen Prozess begreifenden Theorien Freuds und Bergsons. Vgl. dazu das 4. Terminologische und erinnerungstheoretische Voraussetzungen 27 Voraussetzung für jede Form der einzelnen, persönlichen Erinnerung der Rückgriff auf soziale Bezugsrahmen: „Ainsi les cadres de la mémoire collective enferment et rattachent les uns aux autres nos souvenirs les plus intimes.“ 69 Unter diesen cadres sociaux versteht er einen „Vorrat an für das Kollektiv relevanten Erfahrungen und geteiltem Wissen“, die „den umfassenden, sich aus der materiellen, mentalen und sozialen Dimension kultureller Formationen konstituierenden Horizont“ bilden, „in den unsere Wahrnehmung und Erinnerung eingebettet ist.“ 70 Da nach seiner Theorie die sozialen Bezugsrahmen konstitutiv für die Erinnerung sind und Erfahrungen ausschließlich durch einen solchen Wahrnehmungsrahmen in den individuellen und kollektiven Erinnerungsbestand aufgenommen werden können, werden alle Erfahrungen ohne Bezugsrahmen - und damit ohne Semiotisierung - vergessen. 71 Die sozialen Bezugsrahmen „vermitteln und perspektivieren“ also „die Inhalte des kollektiven Gedächtnisses“. 72 Der von Halbwachs stammende Ausdruck der mémoire collective meint zum einen ein Ensemble gemeinschaftlicher Erfahrungen, zum anderen die aus diesem Bestand abgeleiteten Erfahrungen, mit denen die Individuen Vergangenheit rekonstruieren. Halbwachs hat als Soziologe, für den jede Wahrnehmung gruppenspezifisch ist, die mémoire collective vor allem als milieutheoretischen Begriff konzipiert. Sein Konzept zielt auf die Beschreibung der wechselseitigen Abhängigkeit von Individualgedächtnis und sozialen Strukturen des kollektiven Gedächtnisses ab. 73 Erinnerung wird in dem Sinne zu einer sozial Kapitel „Critique du subjectivisme Bergsonien“ in Halbwachs: La mémoire collective, S. 87-92. Charles Blondel und Marc Bloch sehen die Auffassung von Halbwachs, dass selbst persönlichste (Gefühls-)Erinnerungen kein individuelles Phänomen seien, als problematische Form der Kollektivierung an, wie sie für die Durkheim-Schule symptomatisch sei. Vgl. dazu Halbwachs’ Entgegnungen „De la possibilité d’une mémoire strictement individuelle“ (S. 15-28) im 1950 postum und unvollständig erschienenen La mémoire collective. Vgl. auch Blochs Rezension von Les cadres sociaux: Marc Bloch: Mémoire collective, tradition et coutume: A propos d’un livre récent. In: Revue de synthèse historique 11 (Nouvelle série 14) 1925, S. 73-83. 69 Halbwachs: Les cadres sociaux de la mémoire, S. 197. Es handelt sich bei Halbwachs’ Erinnerungsbegriff um einen antipsychologischen. Halbwachs begreift Erinnern als rationale Tätigkeit. Das Subjekt der Erinnerung stellt das Sozialwesen dar, weil er jedes Individuum als Produkt sozialer Strukturen versteht. 70 Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, 2005, S. 15. Vgl. im Folgenden auch ihr Kapitel „Maurice Halbwachs: Mémoire collective“, ebd., S. 14-18. 71 Jedoch ist letztlich auch ein Überschreiten der Bezugsrahmen möglich, wenn eine unwillkürliche Erinnerung auftaucht, die einen Bruch mit dem vorhergehenden Zustand bewirkt. 72 Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, 2005, S. 15. 73 Vgl. dazu auch den Gliederungspunkt „Individuelle Konfiguration der Gruppenmemoria“ bei Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 197f. I Einleitung 28 geprägten (Re-)Konstruktion, die auf dem Modell des Kollektivgedächtnisses basiert. 74 Aus Halbwachs’ Theorie folgt die These eines Generationengedächtnisses, das durch soziale Interaktion und Kommunikation gebildet wird. 75 Der Zeithorizont des Gedächtnisses geht dabei so weit, wie die Erinnerung der ältesten Menschen der sozialen Gruppe reicht. Dieses Generationengedächtnis setzt sich für Halbwachs aus einer Reihe individueller Gedächtnisse zusammen, die durch die sozialen Bezugsrahmen ihrerseits bereits im Horizont des kollektiven Gedächtnisses stehen und darauf ausgerichtet sind. Halbwachs baut eine strikte, aber „nur scheinbar paradoxe Opposition“ 76 von Generationengedächtnis und Zeitgeschichte auf, da diese für ihn letztlich nur zwei Formen des Vergangenheitsbezuges sind, die er in zeitlicher Abfolge anordnet: Nach seiner Theorie wird erst nach dem Ableben der Gruppenmitglieder das noch von diesen abhängige kollektive Gedächtnis in der universalen ‛objektiven’ Geschichtsschreibung aufgehoben. 77 Auch wenn Halbwachs’ Theorien zu den sozialen Rahmen des individuellen Gedächtnisses noch immer richtungsweisend sind, so wurde seine Gedächtnistheorie dennoch vor allem in zweierlei Hinsicht kritisiert: Einerseits spezifiziert Halbwachs den Begriff der Gruppe nicht weiter, so dass dieser vor allem in der (Post-)Moderne undifferenziert erscheint, in der die gemeinsamen Gedächtnisinhalte eines Kollektivs immer stärker reduziert werden. 78 Andererseits ist „der Status des Gedächtnisses zwischen Indivi- 74 Das Konzept der Gedächtnisrahmen impliziert auch, dass Erinnerung stets mit Gegenwartsbezug gebildet wird. Damit ist also nicht mehr die Vergangenheit entscheidend, sondern der (re-)konstruierende Bezug der Gegenwart auf diese Vergangenheit wird zentral. Mit seiner Auffassung von der Erinnerung als Vergangenheitskonstruktion mit deutlichen Spuren der Gegenwart hebt sich Halbwachs entschieden von den meisten Erinnerungstheorien ab. Auf sein Konzept stützt sich in der aktuellen Diskussion die Theorie von Harald Welzer, der verdeutlicht, dass der Rückgriff auf Vergangenes in Form der Erinnerung v.a. der Orientierung in der Gegenwart dient. Vgl. etwa Harald Welzer, Sabine Moller und Karoline Tschuggnall: Opa war kein Nazi: Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Frankfurt a.M. (Fischer Taschenbuch Verlag) 2002 und ders.: „Das kommunikative Gedächtnis“. Eine Theorie der Erinnerung. München (C.H. Beck) 2002. 75 Vgl., auch im Folgenden, Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, 2005, S. 16f. 76 Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 198. 77 In La mémoire collective hat Halbwachs den ‛Gegensatz’ von Geschichte und Gedächtnis explizit ausgeführt. Für ihn beginnt Geschichte da, wo soziales Gedächtnis aufhört: „C’est qu’en général l’histoire ne commence qu’au point où finit la tradition, au moment où s’éteint ou se décompose la mémoire sociale.“ (S. 68). Zu den jeweiligen Merkmalen vgl. v.a. das Kapitel „Opposition finale entre la mémoire collective et l’histoire“, S. 68-74 und S. 74-79. 78 Vgl. dazu auch die Kritik von Borsò: „Die netzwerkartigen und nomadischen Identitäten sowie die pluralisierten Gesellschaften können die von Halbwachs postulierte, 4. Terminologische und erinnerungstheoretische Voraussetzungen 29 duum und Gruppe nicht eindeutig definiert“ 79 , und die Darstellung, wie die Vermittlung und Tradierung gruppenspezifischer Erfahrungsmuster und Erlebnishorizonte funktionieren soll, recht abstrakt gehalten. 80 Hinzu kommt, dass Halbwachs sich nur mit dem gesellschaftlichen Kurzzeitgedächtnis ausführlich auseinandersetzt. Maurice Halbwachs nimmt diese Kritik zum Teil auf und deutet in seiner letzten Monographie La topographie légendaire eine Ausweitung des Begriffes mémoire collective auf kulturelle Überlieferung und Traditionsbildung an - ein Kollektivgedächtnis also mit sehr weitem Zeithorizont. Damit nähert sich der französische Soziologe dem an, was heute allgemein unter dem Begriff des kollektiven Gedächtnisses verstanden wird. Während Halbwachs den ursprünglichen Fokus auf die mündliche Kommunikation als Medium des Kollektivgedächtnisses bereits ausweitet und materiale Phänomene wie etwa Architektur und Gräber stärker berücksichtigt, steht bei Aby Moritz Warburg 81 die materiale Dimension im Zentrum. Der Kunst- und Kulturhistoriker verbindet kunsthistorische Forschung mit einer Theorie des kollektiven Gedächtnisses, indem er das überdauernde Kunstwerk dezidiert als Organ und Speicher des sozialen Gedächtnisses 82 versteht. 83 Warburg liest in diesem Sinne Bilder wie Texte und beobachtet darin eingeschrieben respektive konserviert stets wiederkehrende künstlerische Formen - Bewegungen und Gebärden 84 -, die er „Pathosformeln“ nennt. 85 Diese archetypischen Symbole aus „hoch- und stabilisierende Funktion im Hinblick auf das Gedächtnis nicht mehr ohne Weiteres leisten.“ Vittoria Borsò: Die Normalisierung der Erinnerung durch die Epistemologie des Gedächtnisses. Narrative Deregulierung in der neuesten spanischen und italienischen Romanliteratur. In: Ute Gerhard, Walter Grünzweig, Jürgen Link und Rolf Parr (Hrsg.): (Nicht) normale Fahrten. Faszinationen eines modernen Narrationstyps. Heidelberg (Synchron Wissenschaftsverlag der Autoren) 2003, S. 207-231, hier S. 213. 79 Fauser: Einführung in die Kulturwissenschaft, S. 118. 80 Vgl. Bloch: Mémoire collective, tradition et coutume, S. 78. 81 Vgl. allgemein zu Warburg: Ernst H. Gombrich: Aby Warburg. Eine intellektuelle Biographie. Hamburg (Philo & Philo Fine Arts) 2006; Aby M. Warburg: Ausgewählte Schriften und Würdigungen. Hrsgg. von Dieter Wuttke. Baden-Baden (Koerner) 1979. Aby M. Warburg: Der Bilderatlas der Mnemosyne. Hrsgg. von Martina Warnke und Claudia Brink. Berlin (Akademie Verlag) 2000. 82 Die Ausweitung der noch bei Halbwachs sehr begrenzten Trägerschaft zeigt sich auch im Rahmen der terminologischen Grundlegung, denn Warburg verwendet für seinen Ausdruck vom „sozialen Gedächtnis“ auch den des „europäischen Kollektivgedächtnisses“. Zit. nach Gombrich: Aby Warburg. Eine intellektuelle Biographie, S. 359. 83 Warburgs Verständnis von der Gedächtnisleistung des Kunstwerks beinhaltet psychologische Elemente, da er den Inhalt des Gedächtnisses - im Unterschied zu Halbwachs - als Element des kollektiven Unbewussten versteht. 84 Vgl. etwa Gombrich: Aby Warburg. Eine intellektuelle Biographie, S. 331. 85 Werden zunächst Bilder als Träger des sozialen Gedächtnisses von Warburg untersucht, weitet er seine Studien später medien- und disziplinübergreifend - etwa auf I Einleitung 30 alltagskulturellen Bereichen“ 86 in Kunstwerken verschiedener Epochen, die Warburg in seinem Bilderatlas Mnemosyne dokumentiert und auf die heidnische Antike zurückführt, begreift er als „Engramme“: Die „energetisch aufgeladene[n] Spuren“, „die aus intensiven Urerlebnissen stammen“, 87 können aufgrund des Affektgehaltes ihre mnemische Energie über Orte, Zeiten und ästhetische Transformationsprozesse 88 hinweg speichern und diese wieder entladen. „Die Kunst ist also mnemotisch angelegt und verarbeitet archaische Urerfahrungen in Pathosformeln, die die Erlebnisse konservieren.“ 89 Die Pathosformeln konstituieren somit ein Kollektivgedächtnis, das bildlich codiert und sozial verfasst sowie Aktualisierungen und Veränderungen unterworfen ist. 90 Zur Grundlage seiner kulturhistorischen Theorie des kollektiven, europäischen Bildgedächtnisses macht Warburg damit soziale Speicher, die Halbwachs nur am Rande beachtet. 91 Er überführt dadurch nicht nur „die traditionelle Kunstgeschichte in eine Kulturtheorie des Gedächtnisses“ 92 , sondern leitet auch den „iconic turn“ 93 in den Kulturwissenschaften ein. Die Konzeptionen des kollektiven Gedächtnis von Halbwachs und Warburg unterscheiden sich vor allem dadurch, dass Warburg von der materialen Dimension, das heißt dem sozialen Speicher einer visuellen Kultur im weitesten Sinne ausgeht, wohingegen bei Halbwachs die soziale Dimen- die Betrachtung von Festen und literarischen Quellen - aus. Dergestalt als Theorie von der Gedächtnisleitung des Kunstwerkes im weitesten Sinne verstanden, wird auch deutlich, dass u.a. nicht nur Ernst Robert Curtius mit seinem Konzept der historischen Topik als Ausdruck des literarischen Gedächtnisses in Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter in der Tradition Warburgs steht, sondern gewissermaßen auch Renate Lachmann mit ihrem Intertextualitätskonzept als Gedächtnis der Literatur (vgl. Kap. I 4.3). 86 Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 201. 87 Ebd., S. 200. 88 Warburg spricht dabei von den nur großen Künstlern und Historikern, die als „empfindliche Seismographen“ die „mnemischen“ „Wellen empfangen und weitergeben“, vorbehaltenen Verfahren der „Distanzierung“ und „Sublimierung“. Gombrich: Aby Warburg. Eine intellektuelle Biographie, S. 338-347. Vgl. auch Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 201. 89 Ebd., S. 200. 90 Vgl. Carlo Ginzburg: Kunst und soziales Gedächtnis. Die Warburg-Tradition. In: Ders.: Spurensicherung. Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst. Berlin (Wagenbach) 1993, S. 63-127 und Aby M. Warburg: Der Bilderatlas Mnemosyne. 91 Vgl. Fauser: Einführung in die Kulturwissenschaft, S. 122. 92 Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 201. 93 Heinz Dieter Kittsteiner: „Iconic turn“ und „innere Bilder“ in der Kulturgeschichte. In: Ders. (Hrsg.): Was sind Kulturwissenschaften? 13 Antworten. München (Fink) 2004, S. 153-182. Vgl. auch Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 197 und S. 202. 4. Terminologische und erinnerungstheoretische Voraussetzungen 31 sion der Kultur selbst im Vordergrund steht. 94 Gemeinsam ist beiden Theorien, dass Kultur und ihre jeweiligen Überlieferungen und Überlieferungsformen als Ergebnisse menschlicher Tätigkeit betrachtet werden. In ihren fächerübergreifenden Ansätzen haben beide Theoretiker erstmals gezeigt, dass bei der Betrachtung des kollektiven Gedächtnisses sowohl die Vermittlung durch soziale Interaktion als auch die Einschreibung in materiale Objektivationen - sprich die Verbindung von Medialität und Kollektivgedächtnis - entscheidend sind. In diesem Sinne sind die Theorien von Halbwachs und Warburg grundlegend für alle nachfolgenden Studien zum kollektiven Gedächtnis innerhalb einer Kulturtheorie. 4.2.2 Kommunikatives, kollektives und kulturelles Gedächtnis: Aleida und Jan Assmann Das erinnerungstheoretische Modell von Aleida und Jan Assmann, 95 das in der deutschsprachigen Forschung am stärksten rezipiert wird, integriert durch die eingehende Auseinandersetzung mit Maurice Halbwachs auch weite Teile der Forschung. In Anknüpfung und Weiterentwicklung der Theorien von Halbwachs wird dessen eher unspezifischer Begriff des kollektiven Gedächtnisses durch ein differenziertes Modell ersetzt und auch für Fragen der Medialität geöffnet. 96 Aleida und Jan Assmann erfassen die enge Verbindung von Erinnerung und Gedächtnis, wie im Folgenden erläutert wird, nach Zeitradius und Stabilität. Auf diese Weise machen sie für die Beschreibung des gemeinsamen Bezugsrahmens der Sinnkonstruktion einer Gesellschaft drei Stufen der Verschränkung aus: das Gedächtnis des Individuums, das des Kollektivs und das der Kultur. Der komplexe Gedächtnisbegriff von Halbwachs wird damit in unterschiedliche Gedächtnisformen im Spannungsfeld zwischen Individuum und Kultur differenziert. Mit dem Begriff des kommunikativen Gedächtnisses bezeichnen Aleida und Jan Assmann die individuelle und alltagsinteraktive Weitergabe von 94 Vgl., auch im Folgenden, Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, 2005, S. 21. 95 Bei der Gedächtnistheorie von Aleida und Jan Assmann handelt es sich um dasselbe Modell, das in zahlreichen, sich ergänzenden Arbeiten des Ehepaares weiterentwickelt wurde. Deshalb geht es bei etwaigen namentlichen Nennungen nicht um eine personale Zuschreibung theoretischer Darlegungen, sondern um ein vorrangiges Verweisen auf die Belegstellen. 96 Vgl. Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Wenn Assmann zwar Fragen der Medialität in seine Gedächtnistheorie miteinbezieht, so versteht er „Medien jedoch eher als externe Hilfsmittel der Informationsvermittlung, nicht als Inhalte generierende Instanzen und Störungen, wie Walter Benjamin in seiner Gedächtnistheorie.“ Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 195. Vgl. zur Kritik an Assmanns Medienbegriff die Öffnung und Erweiterung des Modells in Kapitel I „5. Vorgehensweise“. I Einleitung 32 Erfahrungen, die auf die unmittelbare Vergangenheit bezogen sind. 97 Es handelt sich bei diesem „Medium subjektiver Erfahrungsverarbeitung“ 98 um ein einsam-privates, aber doch sozial vermitteltes und gruppenbezogenes Gedächtnis in der Tradition der Halbwachsschen mémoire collective. 99 Da diese Gedächtnisform auf den erlebten oder kommunikativ geteilten Erinnerungen der Zeitgenossen beruht, 100 stellt Assmann fest: „Mit jedem Generationswechsel, der nach einer Periode von ca. vierzig Jahren stattfindet, verschiebt sich das Erinnerungsprofil einer Gesellschaft merklich.“ 101 Die Generationengrenze kann vielfach bereits eine Verstehensgrenze sein. So vollzieht sich, wie Assmann betont, auch beim Übergang von den Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges hin zu den Nachkommen eine merkliche Veränderung: 102 Mit dem nächsten Generationswechsel wird die erfahrungsgesättigte, gegenwärtige Vergangenheit der Zeitzeugen und Überlebenden nicht in eine reine Vergangenheit übergehen, sondern in die gegenwärtige Vergangenheit der Nachgeborenen, die nicht mehr von biographischen Erfahrungen und dafür von Wissen und Werthaltungen untermauert sein wird. [Herv. im Original] 103 Neben diesem wichtigen Zeithorizont von circa 40 Jahren kommt es zu einem zweiten, tieferen Einschnitt nach circa 80 bis allerhöchstens 100 Jahren. „Das ist die Periode, in der verschiedene Generationen - in der Regel sind es drei, im Grenzfall sogar fünf - gleichzeitig existieren und durch persönlichen Austausch eine Erfahrungs-, Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft bilden.“ 104 Der mitwandernde, aber zugleich begrenzte Zeithorizont, der zwischen dem Übergang vom Gedächtnis der Zeitzeugen hin zu dem der Nachkommen sowie dem „Drei-Generationen-Gedächtnis“ anzusiedeln ist, gilt im Anschluss an die Gruppenbezogenheit als wichtigstes Merkmal des kommunikativen Gedächtnisses. Maurice Halbwachs hat die Grenze, an welcher der Bereich der Alltagskommunikation in den Bereich der objektivierten Kultur übergeht - an der 97 Vgl., auch im Folgenden, Jan Assmann: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität. In: Ders. und Tonio Hölscher (Hrsg.): Kultur und Gedächtnis. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1988 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 724), S. 9-19, hier S. 10f. 98 Assmann: 1998 - Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 36. 99 Das bedeutet, dass auch hier wieder davon ausgegangen wird, dass das explizit individuelle Gedächtnis in den weiteren Horizont eines impliziten Generationengedächtnisses eingebunden ist. 100 Diese Alltagsform des Gedächtnisses entspricht in der Assmannschen Auffassung dem Gegenstandsbereich des Forschungsfeldes der Oral History. 101 Assmann: 1998 - Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 37. 102 Zur Verstehensgrenze kommt in diesem spezifischen Fall hinzu, dass sich das so genannte kommunikative Gedächtnis eigentlich als ein inkommunikables Gedächtnis herausstellt: Dies demonstrieren die Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges, wenn sie ihre Erinnerungen an Gräueltaten nicht kommunizieren können oder wollen. 103 Assmann: 1998 - Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 41. 104 Ebd., S. 37. 4. Terminologische und erinnerungstheoretische Voraussetzungen 33 Grenze, wo das „Kurzzeitgedächtnis der Gesellschaft“ 105 in ein Langzeitgedächtnis übergehen muss -, nicht eingehender betrachtet. Während für ihn „mémoire“ in diesem Grenzbereich in zeitlicher Folge zur „histoire“ wird, stellen die Assmanns dagegen heraus, dass auch die objektivierte Kultur mit ähnlichen gruppenspezifischen Bindungen die Struktur eines Gedächtnisses aufweise. Damit kommen sie zu einer Engführung beider, vermeintlich unterschiedlicher Vergangenheitsbezüge. 106 Die knappen Ausführungen zum kommunikativen Gedächtnis haben gezeigt, dass es stets auf ein lebendiges Generationsgedächtnis bezogen ist, in dem sich bereits ein Individualgedächtnis mit einem gruppenbezogenen Gedächtnis kreuzt. Nach der Assmannschen Differenzierung in ein dreistufiges System der Gedächtnisformen meint dies aber noch nicht den Begriff des eigentlich kollektiven Gedächtnisses. Dieses lokalisieren die Assmanns auf der zweiten Stufe, die zeitlich tiefer in die Vergangenheit hineinreicht. Diese Ebene wird erreicht, sobald gewisse Vorkehrungen für seine [des Generationsgedächtnisses] Bestandserhaltung über die natürlichen Zeitgrenzen seines Verfalls hinweg getroffen werden. Das kollektive Gedächtnis ist somit eine Steigerungsform des Generationsgedächtnisses, das sich ohne entsprechende Maßnahmen mit dem Ableben seiner Träger immer wieder von selbst auflöst. 107 Die angesprochenen Maßnahmen beziehen sich auf eine institutionelle Absicherung beziehungsweise Speicherung, indem das Gedächtnis in einem Rahmen situiert wird. In dieser Phase kommt es für eine Gesellschaft darauf an, für die Zukunft Gedächtnisinhalte festzulegen und Erinnerungskonventionen auszubilden. 108 Für diesen Prozess spielen die Phasen der Reduktion, Verdichtung und Symbolisierung der Gedächtnisinhalte eine entscheidende Rolle. Während sich das kommunikative Gedächtnis, wie dargelegt, von selbst herstellt und auch wieder auflöst, wird das kollektive Gedächtnis dagegen von außen geschaffen, indem selektiert, vereinheitlicht, inhaltlich minimiert und symbolisch reduziert wird. 109 Ein sol- 105 So nennt Assmann auch das kommunikative Gedächtnis, vgl. a.a.O. 106 Vgl. Assmann: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, S. 11f. 107 Assmann: 1998 - Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 41. 108 Aufgrund seiner Prozesshaftigkeit wird diese Stufe des kollektiven Gedächtnisses auch häufig nur als „Übergang“ vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis beschrieben. Vgl. etwa Assmann: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, S. 11f. Dementsprechend wird stellenweise auch nur der markante Unterschied zwischen den zwei Gedächtnisrahmen, dem der Alltagskommunikation und dem der symbolträchtigen kulturellen Objektivationen ausgeführt. Vgl. so etwa die tabellarische Gegenüberstellung von kommunikativem und kulturellem Gedächtnis als zwei Register des kollektiven Gedächtnisses in Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 56. 109 Wie schwierig dieser gesellschaftliche Prozess der Herausbildung einer Erinnerungskonvention und wie wichtig zugleich die Sicherheit einer festen Rhetorik des Gedenkens ist, verdeutlichen die zahlreichen Debatten zum Umgang mit dem Holocaust. I Einleitung 34 cher Prozess geht immer auch mit einer politischen Instrumentalisierbarkeit und Instrumentalisierung einher, denn der „Kampf der Erinnerungen ist ein Kampf um die Deutung von Wirklichkeit“. 110 Das Verhältnis zwischen Gedächtnis und Kollektiv besteht hier in einer gegenseitigen Unterstützung: So wie das Kollektiv Träger und damit Bestandserhalter dieses Gedächtnisses ist, stabilisiert das Gedächtnis durch Wirklichkeitsdeutung und Identifikationsmöglichkeiten 111 seinerseits das Kollektiv. Mit dem Begriff des kulturellen Gedächtnisses bezeichnet Assmann die letzte der drei Stufen, die am weitesten in die historische Tiefe hineinreicht und damit einen übergreifenden Zeithorizont darstellt. 112 Im Anschluss an das kollektive Gedächtnis dient auch das kulturelle Gedächtnis dazu, Erinnerungen, Erfahrungen und Wissen über die Generationenschwelle hinweg zu sichern. Im Unterschied aber zur vorangegangenen Stufe ist das kulturelle Gedächtnis von Alltagsferne gekennzeichnet. Gestützt auf Institutionen und externe Medien sind seine hochgradig gestifteten Gedächtnisinhalte an festgefügte Objektivationen und komplexe Überlieferungsbestände gebunden, 113 mit Hilfe derer eine Gesellschaft über den Erfahrungshorizont hinaus ihr Selbstverständnis formuliert. Speichermechanismen 114 und Träger dieser symbolischen und kulturellen Formung können Texte, Bilder, Skulpturen, Denkmäler, Architekturen, Orte, Landschaften, aber auch Feste, Bräuche, Riten und Gedenkrituale etc. sein. Darüber hinaus ist unter dem kulturellen Gedächtnis auch eine „institutionalisierte Kommu- Vgl. dazu etwa die Walser-Bubis-Debatte: Johannes Klotz und Gerd Wiegel (Hrsg.): Geistige Brandstiftung? Die Walser-Bubis-Debatte. Köln (PapyRossa-Verlag) 1999 (Neue Kleine Bibliothek; 59) und Frank Schirrmacher (Hrsg.): Die Walser-Bubis-Debatte. Eine Dokumentation. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1999. 110 Assmann: Erinnerungsräume, S. 82f. Darin zeigt sich zudem, dass Erinnerung immer auch ein Festschreiben von Machtdiskursen im Sinne Foucaults darstellt. Vgl. zur kritischen Beleuchtung des von Assmann homogenisierten Gedächtnisses mit seinen Machtstrukturen auch das Kapitel I „5. Vorgehensweise“. 111 Mit seiner identitätssichernden Funktion ist das kollektive Gedächtnis aber nicht mit Geschichte gleichzusetzen. Während das kollektive Gedächtnis pluralisiert und Veränderungen ausblendet, spezialisiert das historische Gedächtnis Veränderungen und singularisiert. Vgl. Assmann: Erinnerungsräume, S. 131. Wichtig erscheint aber letztlich nicht die Frage ihrer Trennung, sondern wie beide Vergangenheitsbezüge produktiv aufeinander einwirken und an der Identitätskonstruktion einer Gesellschaft beteiligt sind. 112 Vgl. im Folgenden Assmann: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, S. 12-16. 113 Die Aneignung dieses Bestandes erfolgt durch einen künstlichen Rückgriff: durch Lernen mit dem Ziel, sich seiner Identität zu vergewissern. 114 Wie auch schon für die vorangegangene Gedächtnisform des kollektiven Gedächtnisses vermerkt, ist auch hier festzuhalten, dass das kulturelle Gedächtnis Speichermechanismus und zugleich Selektionsapparat ist. 4. Terminologische und erinnerungstheoretische Voraussetzungen 35 nikation (Rezitation, Begehung, Betrachtung)“ 115 zu verstehen. 116 Zusammenfassend definiert Assmann: Unter dem Begriff des kulturellen Gedächtnisses fassen wir den jeder Gesellschaft und jeder Epoche eigentümlichen Bestand an Wiedergebrauchs-Texten, -Bildern und -Riten zusammen, in deren „Pflege“ sie ihr Selbstbild stabilisiert und vermittelt, ein kollektiv geteiltes Wissen vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewusstsein von Einheit und Eigenart stützt. 117 Für das kulturelle Gedächtnis als soziales Gefüge kultureller Normen ergeben sich daraus letztlich drei Dimensionen: 118 Gebunden an mediale Objektivationen (materiale, räumliche Dimension), abgerufen von den Halbwachsschen Trägern (soziale Dimension) diene das kulturelle Gedächtnis einer langfristigen, gemeinschafts- und identitätsstiftenden Sinnüberliefe- 115 Assmann: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, S. 12. 116 Zu einer detaillierteren Beschreibung des kulturellen Gedächtnisses und v.a. in Bezug auf seine diffizile Unterscheidung vom kollektiven Gedächtnis führt Assmann sechs Merkmale an. Ebd., S. 13-16: 1. „Gruppenbezogenheit“ oder „Identitätskonkretheit“ - was auch auf die beiden vorangegangenen Gedächtnisformen zutrifft - meint, dass das Gedächtnis nicht den Wissensvorrat der Gesamtheit der Mitglieder einer Gesellschaft darstellt, sondern immer nur einer bestimmten Gruppe oder Schicht zukommt, die damit ihre Identität festlegt (13). 2. „Rekonstruktivität“ bezeichnet die Veränderlichkeit der Gedächtnisinhalte: Als retrospektives Konstrukt werden sie von der gegenwärtigen Situation aus - identitätsstiftend - den wechselnden Bezugsrahmen angepasst (13). 3. In der „Geformtheit“ drückt sich ein erster Unterschied zum kommunikativen Gedächtnis aus, bei dem es um die Kristallisierung und Objektivierung des Gedächtnisinhaltes durch einen medialen Träger geht (14). 4. Das vierte Merkmal erfasst die „Organisiertheit“ des kulturellen Gedächtnisses durch eine Spezialisierung seiner Träger und Institutionalisierung der Kommunikation (14). 5. „Verbindlichkeit“ bezieht sich erneut auf die soziale Gruppe, die aus dem kulturellen Gedächtnis Werte und langfristig Sinnstiftungen ableitet - oder, wie Assmann sich ausdrückt „eine klare Wertperspektive und ein Relevanzgefälle [Herv. im Original]“ (14). 6. Die „Reflexivität“ des kulturellen Gedächtnisses, die es wesentlich vom kommunikativen Gedächtnis unterscheidet, äußert sich in einem zweifachen Sinne: zum einen in der Praxisreflexivität des Gedächtnisses, denn als bewusstes Produkt gesellschaftlicher Anstrengungen wird festgelegt, was in Bezug auf die Gruppenidentität nicht vergessen werden soll; zum anderen in der Selbstreflexivität des Gedächtnisses, weil es immer wieder neu durch das Prisma der Gegenwart gebrochen und verändert wird und damit kontrollierend auf sich selbst wirkt (15f.). So ist das kulturelle Gedächtnis auch, und hier kommt Assmann detaillierter zu einer dreifachen Unterscheidung, selbstbild-reflexiv. Mit Verweis auf Niklas Luhmann (1975) führt er an: „es reflektiert das Selbstbild der Gruppe im Sinne von ‚Selbstthematisierungen des Gesellschaftssystems’“ (15). Zugleich ist hier mit der Selbstbild-Reflexivität eine Parallele zur Deutschlandbild-Thematik gegeben, wie sie noch Gegenstand der Arbeit sein wird. 117 A.a.O. 118 Vgl. dazu auch Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, 2003, S. 177. I Einleitung 36 rung (mentale, zeitliche Dimension) und sei damit das Fundament jeder Kultur. 119 4.2.3 Das nationale Gedächtnis Frankreichs: Pierre Noras Les lieux de mémoire In der Konzeption seines monumentalen Werks zum französischen Nationalgedächtnis, dem siebenbändigen und in drei Teile (La République, La Nation, Les France) gegliederten Inventar Les lieux de mémoire, 120 geht der Historiker Pierre Nora vom Halbwachsschen Gegensatz zwischen Geschichte und Gedächtnis aus: „Mémoire, histoire: loin d’être synonymes, nous prenons conscience que tout les oppose.“ 121 Während jedoch sowohl Halbwachs als auch die Assmanns 122 die Existenz eines kollektiven Gedächtnisses voraussetzen, manifestiert Nora mit seinem viel zitierten Satz „On ne parle tant de mémoire que parce qu’il n’y en a plus“ 123 das Ende der Gedächtnisgesellschaften. Hatte nach Auffassung Noras das Gedächtnis in der Zeit der III. Republik noch identitätsstiftende, kollektiv-nationale Funktion, sei im 20. Jahrhundert der Bezug zur Vergangenheit als „déchirement“ und „rupture“ 124 zu beschreiben. An die Stelle des verfallenen 125 , ehemals ‛bewohnten’, lebendigen und natürlichen Kollektivgedächtnisses, 119 Ist in diesem Sinne das kulturelle Gedächtnis als Synonym für den Objektbereich der Kulturwissenschaft zu verstehen (vgl. dazu auch Fauser: Einführung in die Kulturwissenschaft, S. 128), wird darüber hinaus die bereits zitierte These Assmanns verständlich, dass sich um den Begriff der Erinnerung ein Paradigma der Kulturwissenschaft entwickelt habe. 120 Philippe Nora (Hrsg.): Les lieux de mémoire. I: La République, II: La Nation, III: Les France. 7 Bände. Paris (Gallimard) 1984-1992. 121 Pierre Nora: Entre Mémoire et Histoire. La problématique des lieux. In: Ders. (Hrsg.): Les lieux de mémoire. I: La République. Bd. 1. Paris (Gallimard) 1984, S. XV-XLII, hier S. XIX. Die strikte Trennung der beiden Vergangenheitsbezüge, die mit den in den 1970er Jahren beginnenden Diskussionen um die Neubewertung der Historiographie hinter den aktuellen Forschungsstand zurückfällt, lässt sich jedoch schwerlich aufrechterhalten und stellt dementsprechend einen großen Kritikpunkt am Konzept dar. 122 Zur Gemeinsamkeit beider Theorien vgl.: „Das Aufspüren von symbolischen Bezirken nebst ihren objektivierten Orten, an denen das Gedächtnis lagert, verbindet Assmanns Theorie mit dem Werk des französischen Historikers Pierre Nora“. Fauser: Einführung in die Kulturwissenschaft, S. 129. 123 Nora: Entre Mémoire et Histoire, S. XVII. 124 A.a.O. 125 Nora bewertet den Prozess, dass im 20. Jahrhundert nicht mehr ein kulturelles Gedächtnis verbindlich ist, sondern vielfältige entstehen, nostalgisch als Verfallsgeschichte des Gedächtnisses. Vgl. v.a. ebd., S. XVIIf. Neben dieser starken Rückwärtsgewandtheit wird damit auch ein homogenisierender Begriff von französischer Kultur und kollektivem Gedächtnis deutlich - so sind in den Lieux de mémoire etwa auch die DOM-TOMs, Immigranten, Muslime etc. ausgeschlossen -, der vielfältig kritisiert wurde. 4. Terminologische und erinnerungstheoretische Voraussetzungen 37 der milieux de mémoire, treten gewissermaßen „künstliche Platzhalter“ 126 , die lieux de mémoire: „Il y a des lieux de mémoire parce qu’il n’y a plus de milieux de mémoire.“ 127 In der Übertragung des rhetorischen Begriffes der antiken Mnemotechnik, der räumlichen Anordnung von Gedächtnisinhalten zu loci memoriae, 128 bezeichnen die lieux de mémoire als Orte im weitesten Sinn Generationen überdauernde Kristallisationspunkte des kollektiven, nationalen Gedächtnisses: 129 Gemeint ist damit ein sehr weites Spektrum kultureller Objektivationen, unter das etwa Gebäude, Denkmäler, Gedenkstätten, Museen und Archive genauso fallen wie Gedenktage, Feiern, Feste, Gegenstände, Symbole, Embleme, Rituale, Menschen, Landschaften, Kunstwerke und Texte diverser Gattungen. Diese Gedächtnisorte 130 fungieren als „Vehikel“, „von denen eine symbolische Wirkung auf die Vorstellungswelt von Geschichte“ 131 ausgeht. Rufen die lieux de mémoire damit einerseits die nationale Vergangenheit wieder auf, verweisen sie andererseits als Relikte immer auch auf den abgebrochenen Zusammenhang von Gedächtnis und Geschichte: „Les lieux de mémoire, ce sont d’abord des restes. La forme extrême où subsiste une conscience commémorative dans une histoire qui l’appelle, parce qu’elle l’ignore.“ 132 126 Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, 2005, S. 23. Vgl., auch im Folgenden, die Orientierung an Erlls Kapitel „Pierre Nora: Lieux de mémoire“, ebd., S. 23-27. 127 Nora: Entre Mémoire et Histoire, S. XVII. Im Detail begreift der Historiker diesen Übergang wie folgt: Die milieux de mémoire, unter denen Nora „les sociétés dites primitives, ou archaïques“ (ebd., S. XVIII), sprich etwa die Welt der „paysans“ als „collectivité-mémoire par excellence“ (ebd., S. XVII) versteht, zerfallen. Da hier externe Speicher nur am Rande relevant sind - in der Assmannschen Terminologie wäre hiermit das kommunikative Gedächtnis gemeint -, kommt es zu einer „matérailisation de la mémoire“ (ebd., S. XXVII). Während diese lieux de mémoire zunächst aber noch in milieux de mémoire im Kontext des Nationalstaates eingebunden sind, zerfällt auch dieser Bezugsrahmen, so dass nur noch losgelöste, ‛unbewohnte’ lieux de mémoire überbleiben (vgl. ebd., S. XIX und S. XXV). 128 Vgl. zur antiken Mnemotechnik den Beginn des Kapitels 4.3 der vorliegenden Einleitung sowie zum Begriff lieux de mémoire, der auf Yates’ Untersuchung zurückgeht: Frances Amelia Yates: Gedächtnis und Erinnern. Mnemonik von Aristoteles bis Shakespeare. Weinheim (VCH, Acta Humaniora) 1990. 129 „Mit seinem Interesse an der nationalen Geschichte stellt sich Nora in die Tradition der französischen Historiographie, gegen die die Schule der Annales mit ihren ‛Alltagsgeschichten’ - mit ihrer Absage an die Konstruktion einer großen Geschichte - angetreten war. Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 205. 130 Auch wenn sich vielfach der Begriff Erinnerungsort durchgesetzt hat, ist der Terminus Gedächtnisort adäquater, da es Nora mit seinem Konzept um überindividuelle Kristallisationspunkte der Memoria, d.h. um eine Integrationseinheit kollektiver Ordnung geht. 131 Fauser: Einführung in die Kulturwissenschaft, S. 129. Vgl. Nora: Entre Mémoire et Histoire, S. XVII. 132 Ebd., S. XXIV. Vgl. zur daraus folgenden „Sakralisierung der Spur“ und deren Aufbewahrung in mächtigen Archiven auch ebd., S. XXVIIf. und Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 206. I Einleitung 38 Damit stellen sie „ambivalent konfiguriert[e]“ Übergangsphänomene „von einer lebendigen Gedächtnisgeschichte zu einer reinen Geschichte jenseits sozialer Verortungen“ dar, 133 die Nora als „lieux en effet, dans les trois sens du mot, matériel, symbolique et fonctionnel, mais simultanément, à des degrés seulement divers“ definiert: Même un lieu d’apparence purement matériel, comme un dépôt d’archives, n’est lieu de mémoire que si l’imagination l’investit d’une aura symbolique. Même un lieu purement fonctionnel, comme un manuel de classe, un testament, une association d’anciens combattants, n’entre dans la catégorie que s’il est l’objet d’un rituel. 134 Nora stellt damit symbolische Überhöhung und Intentionalität als Distinktionsmerkmale der Gedächtnisorte zu anderen kulturellen Objektivationen heraus und betont: il faut qu’il y ait volonté de mémoire. Si l’on abandonnait le principe de cette priorité, on dériverait vite d’une définition étroite, la plus riche de potentialités, vers une définition possible, mais molle, susceptible d’admettre dans la catégorie tout objet virtuellement digne d’un souvenir. 135 Auch wenn Pierre Nora im Zuge seiner sieben Bände und der vielen folgenden Definitionen der lieux de mémoire schließlich genau diese Verwässerung des Konzeptes vorgehalten wird, 136 illustriert die Rezeption des international einflussreichen Begriffes, 137 dass der Historiker mit diesem 133 Ebd., S. 205. Vgl. auch Nora: Entre Mémoire et Histoire, S. XXIV. Vgl. in diesem Sinne auch zu Noras Verständnis der Literatur als lieux de mémoire: „Brisant ist, dass Nora der Literatur eine ähnliche Ausnahmestellung zubilligt wie den Gedächtnisorten, die zwischen Geschichte und lebendiger Erinnerung stehen: Auch der historische Roman, das historische Drama und die persönliche Aufzeichnung garantieren nach Nora ein lebendiges Gedächtnis jenseits der Herrschaft der abstrakten Geschichte.“ Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 206. 134 Nora: Entre Mémoire et Histoire, S. XXXIV. Vgl. zu den „drei Dimensionen der Erinnerungsorte“ auch Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, 2005, S. 24. 135 Nora: Entre Mémoire et Histoire, S. XXXV. 136 Insbesondere etwa mit der Integration von Devisen wie „Mourir pour la patrie“ oder von Verhaltensformen wie der „galanterie“ wachse die Gefahr der Beliebigkeit, so dass alles, was für das kollektive Gedächtnis relevant ist, zum Gedächtnisort wird: „En fin de parcours, le lecteur étranger perd le fil. Qu’est-ce qui n’est pas lieu de mémoire? “ Pim den Boer: Lieux de mémoire et l’identité de l’Europe. In: Ders. und Willem Frijhoff (Hrsg.): Lieux de mémoire et identités nationales. Amsterdam (Amsterdam UP) 1993, S. 11-29, hier S. 17. Siehe auch: „It is hard to think of anything - any word, place, name, event, or idea - that could not qualify.“ Tony Judt: A la recherche du Temps Perdu. In: New York Review of Books 45, 19 (1998), S. 51-58, hier S. 54. 137 Vgl. so etwa die internationalen Pendants zu Nora: Étienne François und Hagen Schulze (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte. 3 Bände. München (C.H. Beck) 2001, Mario Isnenghi (Hrsg.): I luoghi della memoria. 3 Bände. Rom, Bari (Laterza) 1987-1997, Udo Hebel (Hrsg.): Sites of Memory in American Literatures and Cultures. Heidelberg (Winter) 2003, Ingo Kolboom und Sabine Alice Grzonka (Hrsg.): Gedächtnisorte im anderen 4. Terminologische und erinnerungstheoretische Voraussetzungen 39 eine terminologische Leerstelle gefüllt hat. Neuere Untersuchungen schließen in diesem Sinne an Noras Konzept an, indem sie etwa eine Klassifikation der Gedächtnisorte nach der sie umgebenden Aura vornehmen - wie Aleida Assmann in Erinnerungsräume - oder wie Patrick Schmidt eine Trennung der Noraschen lieux de mémoire vorschlagen, je nachdem, ob sie als Medien oder Topoi des kollektiven Gedächtnisses konzipiert werden. 138 Mit der Betrachtung der Konzepte von Maurice Halbwachs, Aby M. Warburg, Aleida und Jan Assmann sowie Pierre Nora wurden die einflussreichsten Erinnerungstheorien aufgeführt, die eine Verortung von Prozessen der Memoriaphänomene im Spannungsfeld zwischen Individuum, Kollektiv und Kultur ermöglichen und die „das kollektive Gedächtnis als identitäts- und kontinuitätsstiftendes Medium begreifen“. 139 Wenn damit zugleich einhergeht, dass „die dynamischen Aspekte sowie die Verwerfungen und Brüche also eher aus[ge]blende[t]“ werden, so hat - wie im folgenden Kapitel thematisiert wird - „die Forschung auch die Umbesetzung, die Verschiebungen in den Gedächtnislandschaften fokussiert sowie die Interaktionen zwischen Bild und Schrift, die den Erinnerungsvorgang prägen.“ 140 4.3 Ars memorativa, ars inveniendi und Intertextualität als Gedächtnis des Textes Der antiken Mnemotechnik liegt eine enge Verknüpfung von Schrift mit Bild und Raum zugrunde. 141 Der in Ciceros De oratore überlieferte Gründungsmythos der Gedächtniskunst, die Legende des griechischen Dichters Amerika. Tradition und Moderne in Québec / Lieux de mémoire dans l’autre Amérique. Tradition et modernité au Québec. Heidelberg (Synchron) 2002, Jacques Le Rider, Moritz Czàky und Monika Sommer (Hrsg.): Transnationale Gedächtnisorte in Zentraleuropa. Innsbruck (Studien-Verlag) 2002. Vgl. darüber hinaus auch Peter Reichel: Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit. München (Hanser) 1995. 138 Vgl. Patrick Schmidt: Zwischen Medien und Topoi: Die Lieux de mémoire und die Medialität des kulturellen Gedächtnisses. In: Astrid Erll und Ansgar Nünning (Hrsg.): Medien des kollektiven Gedächtnisses. Konstruktivität - Historizität - Kulturspezifität. Berlin, New York (Walter de Gruyter) 2004, S. 25-43. Demnach handele es sich bspw. bei Denkmälern, Texten, Bauwerken, Gedenkfeiern und Medaillen um Gedächtnismedien, bei Jeanne d’Arc und der Devise „Mourir pour la patrie“ etwa um Topoi, deren Tradierung wiederum durch verschiedene Medien erfolgt. 139 Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 213. 140 A.a.O. 141 Vgl. dazu allgemein den einschlägigen Sammelband von Anselm Haverkamp und Renate Lachmann (Hrsg.): Gedächtniskunst. Raum - Bild - Schrift. Studien zur Mnemotechnik. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1991. I Einleitung 40 Simonides von Keos, 142 bindet die individuelle Erinnerungsleistung an eine Verräumlichung: Weil sich Simonides zuvor die Sitzordnung während eines Festmahls eingeprägt hat, kann er nach der Katastrophe des Hauseinsturzes die Opfer identifizieren. In diesem Sinne werden in der rhetorischen ars memorativa räumlich angeordnete Vorstellungsbilder genutzt, um das Gedächtnis des Redners zu stützen und somit dem Vergessen entgegenzuwirken. Die Gedächtnislehre wird damit zu einer „‛Raumkunst’ (Topik)“: Der Gedächtniskünstler, der dem Beispiel des Simonides folgt, merkt sich als erstes für seine Zwecke - das ist im Falle der Rhetorik immer die öffentliche Rede - eine feste Konstellation von „Örtern“ (griechisch topoi, lateinisch loci), die ihm gut vertraut sind, etwa sein Wohnhaus oder das Forum. An solchen Örtlichkeiten deponiert er in geordneter Folge die einzelnen Gedächtnisinhalte, nachdem er diese zuvor in „Bilder“ (griechisch phantasmata, lateinisch imagines) verwandelt hat, sofern sie es nicht von Natur aus schon sind. Das ist die Leistung seiner „Einbildungskraft“ (griechisch phantasia, lateinisch imaginatio). Bei seiner Rede braucht der Gedächtniskünstler dann nur noch in Gedanken die Folge der Örter abzuschreiten (lateinisch permeare, pervagare, percurrere) und dabei kann er die Gedächtnisbilder der Reihe nach abrufen [Herv. im Original]. 143 Wird in der rhetorischen Mnemotechnik das Gedächtnis also als topische Landschaft imaginiert, werden damit Interaktionen und Transformationen von Sprache und Bild sowie toposgesteuerte Vertextungsverfahren erforderlich. 144 Die memoria ( mn»mh ) ist aber nicht nur als Vorgang des Einprägens und Abrufens des Gespeicherten im rhetorischen Lehrsystem als vorletzte der officia oratoris ( œrga toà ·»toroj) , der fünf Verarbeitungsphasen zur Herstellung einer Rede, relevant, 145 sondern bereits in der ersten Phase als Ver- 142 Vgl. zur Simonides-Legende auch Weinrich: Lethe - Kunst und Kritik des Vergessens, S. 21-23, Yates: Gedächtnis und Erinnern, S. 11-13 und Anselm Haverkamp: Auswendigkeit. Das Gedächtnis der Rhetorik. In: Ders. und Lachmann (Hrsg.): Gedächtniskunst. Raum - Bild - Schrift, S. 25-52, hier S. 25-29. 143 Weinrich: Lethe - Kunst und Kritik des Vergessens, S. 23. Vgl. dazu auch das wichtigste systematische Lehrbuch der Rhetorik aus der Antike: Quintilian: Institutio oratoria. Hrsgg. und übersetzt von Helmut Rahn. Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 3 1995, Buch XI, 2 sowie den Gedächtnisabschnitt (3, 28-40) in Rhetorica ad Herennium. Hrsgg. und übersetzt von Theodor Nüßlein. München (Artemis & Winkler) 2 1994 (Tusculum Studienausgabe). 144 Vgl. auch Jean-Philippe Antoine: Ars memoriae - Rhetorik der Figuren, Rücksicht auf Darstellbarkeit und die Grenzen des Textes. In: Lachmann und Haverkamp (Hrsg.): Gedächtniskunst. Raum - Bild - Schrift, S. 53-73. 145 In der rhetorischen Tradition werden diese Phasen untergliedert in inventio ( eÛresij ), dispositio ( t£xij ), elocutio ( lšxij ), memoria ( mn»mh ) und pronuntiatio ( ØpÒkrisij ). Vgl. etwa Ciceros De oratore: In Buch II befinden sich umfassende Abhandlungen des Antonius über die Lehre der inventio (114-306), der dispositio (307-349) und der me- 4. Terminologische und erinnerungstheoretische Voraussetzungen 41 fahren der inventio ( eÛresij ): Denn in der Antike 146 werden „memoria, imaginatio und phantasia als Einheit gedacht [...], die als Einheit des kollektiven Gedächtnisses allein den Spielraum rhetorischer inventio absteckt [Herv. im Original].“ 147 Damit greift alle Einbildungskraft auf Elemente des kollektiven Gedächtnisses zurück. 148 Die inventio 149 schafft folglich nichts im eigentlichen Sinne Neues, sondern stellt eine neue Kombination und Variation von alten, tradierten Elementen dar. 150 Damit handelt es sich im Rahmen der ars inveniendi nicht um einen „Schöpfungsvorgang“, ein Erfinden, sondern inventio meint vielmehr ein „Finden durch die Erinnerung“: die für die Rede geeigneten Gedanken sind im Unterbewußtsein oder Halbbewußtsein des Redners bereits als copia rerum vorhanden und brauchen nur durch geschickte Erinnerungstechnik wachgerufen oder durch dauernde Übung [...] möglichst wachgehalten zu werden. Hierbei wird das Gedächtnis als ein räumliches Ganzes vorgestellt, in dessen einzelnen Raumteilen (>Örter<: tÒpoi , loci) die einzelnen Gedanken verteilt sind. Durch geeignete Fragen werden (analog der sokratischen Fragemethode) die in den loci verborgenen Gedanken in die Erinnerung gerufen. - Die generelle Vorgegebenheit der zu findenden Gedanken schließt eine Originalität (ingenium) des Redners und Künstlers nicht aus [Herv. im Original]. 151 moria (350-367). Crassus stellt sodann in Buch III die elocutio und die pronuntiatio/ actio dar (17-227). Markus Tulius Cicero: De oratore - Über den Redner. Hrsgg. und übersetzt von Harald Merklin. Stuttgart (Reclam) 1976. Die officia oratoris stellen auch das Einteilungsprinzip der Rhetorica ad Herennium dar. Vgl. dazu auch Gert Ueding (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bisher 7 Bände erscheinen. Tübingen (Niemeyer) 1992-2004 und Heinrich Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft. 2 Bände. Stuttgart (Steiner) 3 1990. 146 Zwar situiert Aristoteles das Gedächtnis etwas hinter der imaginatio und der phantasia, aber allesamt im selben Teil der Seele. Vgl. die aristotelische Unterscheidung der Seele in eine vegetative, sensitive und intellektuelle. Aristoteles: De anima. Hrsgg. von Horst Seidl. Hamburg (Meiner) 1995, II 3, 414b und Yates: Gedächtnis und Erinnern, S. 38. 147 Uwe Hebekus: Topik/ Inventio. In: Miltos Pechlivanos (Hrsg.): Einführung in die Literaturwissenschaft. Stuttgart et al. (Metzler) 1995, S. 82-96, hier S. 85. Da der Ausgangs- und Endpunkt bei der Kombination von topoi oder endoxa, von ‛fertigen Sprachstücken’ also, der sensus communis ist, ist die Topik im kulturellen Gedächtnis verwurzelt. 148 Vgl. Lothar Bornscheuer: Topik: zur Struktur der gesellschaftlichen Einbildungskraft. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1976, S. 56. 149 Vgl. auch Manfred Kienpoitner: Inventio. In: Ueding (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 4, 1998, S. 561-587. 150 Vgl. dazu Hebekus: Topik/ Inventio, S. 82-96. Hier scheint auch die Verbindung von ars memorativa und ars inveniendi zur Kombinatorik, ars combinatoria, durch, die noch in Kapitel III relevant sein wird. 151 Heinrich Lausberg: Elemente der literarischen Rhetorik. München (Hueber) 3 1967, S. 24. I Einleitung 42 Memoria wird damit also in Verbindung mit topischen Verfahren in der antiken Rhetorik in zweifacher Weise relevant: Einerseits im Rahmen der ars memorativa als (rein reproduktives) Abrufen von zuvor Gespeichertem und als topisches Vertextungsverfahren, andererseits als produktive, generative ars inveniendi in der ambivalenten Konfiguration von (Vor-)Finden und Erfinden durch Variation, Kombination etc. So wird in der Verbindung von Memoria und Topik eine Engführung von ars memorativa und ars inveniendi erzielt, die - in unterschiedlichem Maße - auch kunstgeschichtlich und literaturwissenschaftlich relevant wird. 152 Während in diesem Sinne mit Aby Warburgs Konzept der Pathosformeln bereits das Gedächtnis des Kunstwerkes fokussiert wurde (Kapitel I 4.2.1), stellt Ernst Robert Curtius’ Untersuchung Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter im expliziten Anschluss an den Kunsthistoriker gewissermaßen die Suche nach solchen Formeln in der Literatur dar: Curtius legt damit ein Konzept der historischen Topik als kollektives Gedächtnis der Literatur vor. 153 Indem er künstlerische Tätigkeit als Erinnerungsakt versteht und Kontinuitäten sowie Wandlungen literarischer Formen als Rückgriff auf eine kulturelle Tradition beleuchtet, beschreibt er in seiner Topik-Studie intertextuelle Verfahren als Form literarischer Memoria. Eine dezidierte Konzeptionalisierung der Intertextualität als Gedächtnis der Texte hat die Slavistin Renate Lachmann 154 im Anschluss an das Konzept der Dialogizität von Michail Bachtin sowie an Julia Kristevas Begriff und poststrukturalistischem Modell der Intertextualität 155 vorgelegt. In 152 Vgl. auch die Beschreibung des Weges der „vormoderne[n] Mnemotechnik vom antiquarischen Steckenpferd aus dem Warburg-Stall zum postmodernen Renner.“ Anselm Haverkamp: Hermeneutischer Prospekt. In: Ders. und Renate Lachmann (Hrsg.): Memoria - vergessen und erinnern. München (Fink) 1993 (Poetik und Hermeneutik; 15), S. IX-XVI, hier S. IX. 153 Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Tübingen, Basel (Francke) 11 1993. 154 Vgl. Renate Lachmann: Gedächtnis und Literatur. Intertextualität in der russischen Moderne. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1990. Vgl. auch den von Lachmann und Haverkamp herausgegebenen Sammelband Gedächtniskunst. Raum - Bild - Schrift, in dem die Betrachtung des „Textes als Mnemotechnik“ mit dekonstruktivistischen Modellen der Intertextualität und Intermedialität verbunden wird. Vgl. die Einleitung von Haverkamp und Lachmann: Text als Mnemotechnik - Panorama einer Diskussion. In: Dies. (Hrsg.): Gedächtniskunst. Raum - Bild - Schrift, S. 7-22 und Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 213-215. 155 Weder Bachtins Theorie der Dialogizität und Stimmvielfalt innerhalb eines Textes, noch Kristevas Konzept der Intertextualität als Dialog zwischen den Texten - dem Text als „Mosaik von Zitaten“ -, das sie in Auseinandersetzung mit Bachtin entwickelt, können hier dargelegt werden. Ein Verweis auf die Einflussnahme, die Primärliteratur und auf Überblicksdarstellungen muss an dieser Stelle ausreichen: Vgl. Michail Bachtin: Literatur und Karneval: zur Romantheorie und Lachkultur. Frankfurt a.M. (Fischer Taschenbuch Verlag) 1990 und ders.: Die Ästhetik des Wortes. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1979 (edition suhrkamp 967). Vgl. Julia Kristeva: Le mot, le dialogue et 4. Terminologische und erinnerungstheoretische Voraussetzungen 43 mehrfacher Hinsicht mit Gedächtnis und Kultur verwoben, ist Literatur für Lachmann die mnemonische Kunst par excellence, indem sie das Gedächtnis für eine Kultur stiftet; das Gedächtnis einer Kultur aufzeichnet; Gedächtnishandlung ist; sich in einen Gedächtnisraum einschreibt, der aus Texten besteht; einen Gedächtnisraum entwirft, in den die vorgängigen Texte über Stufen der Transformation aufgenommen werden. […] Die Intertextualität der Texte zeigt das Immer-Wieder-Sich-Neu- und Umschreiben einer Kultur, einer Kultur als Buchkultur und Zeichenkultur, die sich über ihre Zeichen immer wieder neu definiert [Herv. im Original]. 156 Im Sinne der Kultursemiotik 157 begreift Lachmann das Gedächtnis der Literatur als komplexen Zeichenprozess: Im Rahmen der Intertextualität treffen Zeichen zweier verschiedener Codes aufeinander - die des vorliegenden Textes und die des Prätextes -, so dass es zu einer „Doppelkodierung“ 158 kommt. Diese Potenzierung der Bezüge, die jeweils Sinnkonstitution erlauben, wird von Lachmann mit Blick auf deren Überdeterminierung als „Sinnexplosion“ 159 beschrieben. In dieser intertextuellen „Inszenierung von Mehrfachsinn“ liegt schließlich die Gedächtnisleistung des Textes begründet. 160 So fungiert die Intertextualität als Gedächtnis der Texte auch nicht nur als einfacher Speicher, sondern als ‛dynamisches System pluraler Sinnkonstitution’ 161 im fortlaufenden Prozess der „De- und Resemiotisie- le roman. In: Dies.: Semiotiké. Recherches pour une sémanalyse. Paris (Seuil) 1978, S. 82- 112 und dies.: La révolution du langage poétique. Paris (Seuil) 1974. Vgl., auch zur Gegenüberstellung von engem und Kristevas weitem, radikal entgrenztem Intertextualitätsbegriff: Ulrich Broich und Manfred Pfister: Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Tübingen (Niemeyer) 1985, Shamma Schahadat: Intertextualität: Lektüre - Text - Intertext. In: Pechlivanos (Hrsg.): Einführung in die Literaturwissenschaft, S. 366-377, Fauser: Einführung in die Kulturwissenschaft, S. 139-157 und Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 213-216 und S. 219-224. 156 Lachmann: Gedächtnis und Literatur, S. 35f. 157 Vgl. zur kultursemiotischen Verortung ihres Memoriakonzeptes die Darlegung in Lachmann: Kultursemiotischer Prospekt. In: Dies. und Haverkamp (Hrsg.): Memoria - vergessen und erinnern, S. XVII-XXVII. 158 Lachmann: Gedächtnis und Literatur, S. 58. 159 Ebd., S. 65. 160 Fauser: Einführung in die Kulturwissenschaft, S. 151. Vgl. im Folgenden auch, ebd. S. 151-153. Zugleich verweist er darauf, dass sich im Rahmen der Lachmannschen „Sinnexplosion“ „der starke Einfluss des universalen Textbegriffs und der Dekonstruktion“ zeigt, weil sie von einem prinzipiell nicht arretierbaren, „frei flottierenden Sinn“ ausgeht, der sich nur einkreisen lässt. Ebd., S. 151. 161 Vgl. Lachmann: Gedächtnis und Literatur, S. 63. So resümiert auch Schößler: „Lachmann betont also die dialogischen Verschiebungen, Entstellungen und Neukonstruktionen von Sinn, die dynamische Offenheit der Leseprozesse, die durch die intertextuelle Anlage von Literatur forciert wird. Die Gedächtnisakte (der Lektüre) zerstören in ihren Wiederholungen ‛des gespeicherten Sinns dessen Identität’ [Lachmann: Gedächtnis und Literatur, S. 48], zumal die diversen Gedächtnisspiele einzelner Gruppen - Geschichtsschreibung, Archivierung, Musealisierung, Enzyklopädisie- I Einleitung 44 rung kultureller Zeichen.“ 162 Gewissermaßen im produktiven Spannungsfeld von ars memorativa und ars inveniendi begreift Lachmann Literatur als „Weiter-, Wider- und Umschreiben“ 163 : „Das Schreiben ist Gedächtnishandlung und Neuinterpretation der (Buch)Kultur ineins“. 164 In der konstitutiven Verbindung von Memoria und Topik heißt es: Der Raum zwischen den Texten und der Raum in den Texten, der aus der Erfahrung desjenigen zwischen den Texten entsteht, ergibt jene Spannung […], die der Leser auszuhalten hat. Der Gedächtnisraum ist auf dieselbe Weise in den Text eingeschrieben, wie sich dieser in den Gedächtnisraum einschreibt. Das Gedächtnis des Textes ist seine Intertextualität. 165 5. Vorgehensweise In ihren Forschungen haben Aleida und Jan Assmann herausgestellt, dass sich seit Mitte beziehungsweise Ende der 1980er Jahre das Erinnerungsprofil der Gesellschaft deutlich verschiebt, da nach circa 40 Jahren der Übergang vom kommunikativen zum kollektiven Gedächtnis einsetzt. Diese Verschiebung, die sich zwangsläufig als eine Folge der aussterbenden Erlebnisgeneration des Zweiten Weltkrieges vollzieht, stellt sich als Umbruchs- und Schwellenzeit dar, in der ein lebendiges unmittelbares Erinnern eigener Erfahrungen in ein sozial und institutionell ausdifferenziertes Gedächtnis der Nachgeborenen umschlägt. In dieser Phase ändern sich die modi memorandi. Durch Verdichtung und Symbolisierung müssen neue Erinnerungskonventionen herausgebildet werden. Die Autoren der zweiten Generation sind mit dieser „Epochenschwelle in der kollektiven Erinnerung” 166 konfrontiert. Einerseits erleben sie die Diskussionen um neue Erinnerungskonventionen und haben selbst noch persönliche Kontakte zu Zeitzeugen, sind aber andererseits mangels eigener Erinnerungen auf deren Vermittlung angewiesen. Zugleich situieren sie ihr eigenes Schreiben auf der Schwelle: Im Bewusstsein und in der Verantwortung, dass für die nachfolgenden Generationen ein kollektives und kulturelles Gedächtnis zunehmend geformt werden muss, tragen die Autoren der zweiten Generation mit ihren Dramen ebenfalls medial zu einer Sinnüberlieferung bei (Drama als Medium des Gedächtnisses 167 ). Die rung, System- oder Modellbildung etc. - miteinander konkurrieren.“ Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 215f. 162 Lachmann: Kultursemiotischer Prospekt, S. XVIII. 163 Lachmann: Gedächtnis und Literatur, S. 67. 164 Ebd., S. 36. 165 Ebd., S. 35. 166 Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 11. 167 Vgl. zu den drei Grundrichtungen der literaturwissenschaftlichen Beschäftigung mit Gedächtnis, die sich in das ‛Gedächtnis der Literatur’, das ‛Gedächtnis in der Litera- 5. Vorgehensweise 45 Autoren sind damit in der Übergangssituation, selbst aus einem kollektivkulturell vermittelten Fundus zu schöpfen, zugleich aber in diesen wieder einzugehen und als Mediatoren das kulturelle Gedächtnis für zukünftige Generationen zu prägen. Auf diese Weise befinden sie sich im direkten Spannungsfeld zwischen kommunikativem, kollektivem und kulturellem Gedächtnis. Die spezifische Schwellensituation der Autoren der zweiten Generation lässt sich mit der Assmannschen Differenzierung in drei unterschiedliche Gedächtnisformen sowohl terminologisch als auch in der Prozesshaftigkeit der sich konstituierenden Gedächtnisse erfassen. In diesem Sinne wird aus pragmatischen und heuristischen Gründen in der vorliegenden Untersuchung auf die Terminologie der Assmanns zurückgegriffen. Zugleich wird das Modell aber auch an kritischen Stellen geöffnet, modifiziert und durch weitere Ansätze ergänzt, um schließlich eine Vorgehensweise für die einzelnen Dramenanalysen zu entwickeln: Ausgehend von der Annahme einer homogenen Gesellschaft liegt dem Assmannschen - und auch dem Noraschen 168 - Ansatz das Konzept eines singulären kulturellen Gedächtnisses zugrunde, in dem durch Weitergabe der dominanten (Hoch-)Kultur Kontinuität und kollektive Identität ermöglicht wird. 169 Diese Homogenisierung und Verbindlichkeit, die entschieden der immer weiter zunehmenden Pluralisierung kollektiver Gedächtnisse in multikulturellen Gesellschaften widerspricht, wird in der Be- tur’ und ‛Literatur als Medium des Gedächtnisses’ unterscheiden lassen etwa Astrid Erll und Ansgar Nünning: Literaturwissenschaftliche Konzepte von Gedächtnis: Ein einführender Überblick. In: Dies. (Hrsg.): Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft. Theoretische Grundlegung und Anwendungsperspektiven. Berlin (Walter de Gruyter) 2005, S. 1-11. 168 Diese Homogenisierung liegt auch dem Konzept der lieux de mémoire von Pierre Nora zugrunde, wobei dieser bereits vom Verfall des kollektiven Gedächtnisses ausgeht. 169 Vgl. dazu auch: „Jan Assmann interessiert sich für die Außendimensionen des kulturellen Gedächtnisses, für seine institutionalisierten und intersubjektiven Formen, nicht jedoch für die Verwerfungen und Freiräume des individuellen Erinnerns und nur am Rande für die Machtstrukturen eines homogenisierten Gedächtnisses.“ Weiter heißt es in der kritischen Betrachtung von Assmanns Kanon-Begriff: „Den grundlegenden Geltungsverlust des literarischen Kanons im 20. Jahrhundert, der mit dem Niedergang des Bildungsbürgertums einhergeht, reflektiert Assmann allerdings kaum, ebenso wenig die Definitionskämpfe um den Kanon, der auch als hegemoniales Steuerungsinstrument beschrieben werden kann. […] Im Hintergrund dieser holistisch-statischen Memoria-Konzeption Assmanns stehen problematische, biologisch fundierte Vorstellungen vom dominanten Ganzen und dem untergeordneten Einzelnen, also anachronistische Konzepte, die wohl der wissenschaftlichen Disziplin Jan Assmanns, der Ägyptologie, geschuldet sind. In der heutigen Gesellschaft, die zunehmend in Milieus zerfällt und in der die Literatur als kulturelles Leitmedium ausgedient hat, dürfte Jan Assmanns Kanon-Definition kaum mehr Geltung besitzen.“ Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 203f. I Einleitung 46 trachtung der Dramen nicht übernommen. Vielmehr soll in den Analysen auch gezeigt werden, wie die sich überlagernden vielfältigen kollektiven Gedächtnisse zeitgenössischer Erinnerungskulturen inszeniert werden. Damit wird auch dem zweiten, fundamentalen Kritikpunkt Rechnung getragen, der in der mangelnden Berücksichtigung des Verhältnisses von Medialität und Gedächtnis - wie es bereits von Warburg mit seiner Theorie des Bildgedächtnisses fokussiert wurde - besteht. Begreifen die Assmanns in ihrer Gedächtnistheorie Medien rein als externe Träger und Speicher, verweist Vittoria Borsò dagegen auf die prinzipiell „mediale Konstitution des Gedächtnisses“ 170 : Da das kulturelle Gedächtnis immer schon ein mediengestütztes sei und dieses Medium seinerseits die jeweilige Verfasstheit des Gedächtnisses beeinflusse, müsse auch das Medium selbst berücksichtigt werden. Bezogen auf das literarische Medium bedeutet dies, dass - im Rückgriff auf Walter Benjamin und Roland Barthes - die Bedingungen jedes Textes bedacht werden müssen, um so „auch die Einschreibungen der Alterität in die Materialität des Mediums“ 171 erfassen zu können. Auf diese Weise wird auf inhaltlicher und gestalterischer Ebene nicht nur die Herausarbeitung der in den Text eingeschriebenen dominanten Gedächtnis- und Identitätsdiskurse - wie sie sich etwa in den Noraschen lieux de mémoire zeigen - ermöglicht, sondern auch die Erfassung der störenden, widerständig-subversiven und gegen-hegemonialen Dimensionen. Diese Alteritätsdiskurse - etwa intertextuelle Spuren, kulturelle Hybridität, Spuren von Differenz- und Fremderfahrung und, hier besonders wichtig, Spuren von traumatischen Erfahrungen, die sich in diskontinuierlichen und brüchigen Formen, Störungen und Leerstellen in der Narration sowie in unwillkürlichen Erinnerungen und im Traum äußern können - sollen in den Dramenanalysen im Spannungsfeld zu den Identitäts- und Gedächtnisdiskursen beleuchtet und als Text- und Inhaltstrategien produktiv gemacht werden. Die von Borsò geforderte Herangehensweise, Alterität und Gedächtnis im literarischen Medium als Einschreibungen zusammen zu denken, erscheint bei vorliegendem Untersuchungsgegenstand besonders relevant, da Texte von Autoren fokussiert werden, bei denen eine mediale Form von Memoria an den Holocaust und damit ein vermittelter und gebrochener Zugang vorliegt. 170 Vittoria Borsò: Gedächtnis und Medialität: Die Herausforderung der Alterität. Eine medienphilosophische Perspektivierung des Gedächtnis-Begriffs. In: Dies., Gerd Krumeich und Bernd Witte (Hrsg.): Medialität und Gedächtnis. Interdisziplinäre Beiträge zur kulturellen Verarbeitung europäischer Krisen. Stuttgart, Weimar (Metzler) 2001 (M & P Schriftenreihe für Wissenschaft und Forschung), S. 23-53, hier S. 51. Vgl. auch Borsò: Die Normalisierung der Erinnerung, S. 207-231. 171 Vittoria Borsò: Einleitung. In: Dies., Krumeich und Witte (Hrsg.): Medialität und Gedächtnis, S. 9-20, hier S. 12. 5. Vorgehensweise 47 Für die Betrachtungen der Einzeltexte ergibt sich daraus folgende Vorgehensweise: Jeder Dramenanalyse wird zunächst eine kurze Präsentation des Autors und seines Gesamtwerkes vorangestellt. Diese Verortung erscheint in erster Linie vor dem Hintergrund der defizitären Forschungssituation zu den einzelnen Autoren, aber auch zur zeitgenössischen französischsprachigen Dramatik im Allgemeinen hilfreich. Daneben können diese Einblicke bereits hinsichtlich der zentralen Fragestellung der Arbeit verdeutlichen, welchen Stellenwert die Thematiken Memoria und/ oder Zweiter Weltkrieg im Gesamtwerk des Autors einnehmen. Im Rahmen der sich anschließenden Dramenuntersuchungen werden sodann zwei Ebenen relevant: Die eine Ebene betrifft die thematische Analyse der jeweiligen Werke (Gedächtnis im Drama). Auf dieser Mikroebene der Theatertexte stehen Erinnerung, Gedächtnis und Vermittlung als handlungskonstituierende Inszenierungen, so etwa als Teil der Konflikte der Figuren, im Vordergrund. Mit Blick auf die sehr individuellen Konzeptionen der einzelnen Texte soll in rhetorischer Manier danach gefragt werden, wer sich woran, wie und zu welchem Zweck erinnert, und wie Erinnerung und Gedächtnis - wenn überhaupt - kommuniziert, vermittelt und verhandelt werden. Die andere, rhematische Ebene fokussiert die Konstruktionsprinzipien der Dramen (Gedächtnis des Dramas). Untersucht werden auf der Makroebene Gedächtnis, Erinnerung und Vermittlung als Kategorien der Dramatiker qua Offenlegung der Verfahren und Strategien ihrer jeweiligen Erzeugung. Relevant werden dabei - neben den allgemein formalen Aspekten wie etwa Bauformen und Zeitebenen des Dramas - die Fokussierung der Gedächtnisstruktur und des Erinnerungspotenzials der Theatertexte. Ausgehend von Lachmanns Konzept der Intertextualität als Gedächtnis des Dramas werden die Prozesse der Aneignung, Transformation und Aktualisierung - wie sie die Verbindung von ars memorativa und ars inveniendi zeigt und was bei Warburg veranschaulicht wurde - kultureller Prätexte im weitesten Sinne 172 beleuchtet. Dergestalt wird der Text also als Medium gedacht, in den dominante Gedächtnis- und Identitäts-, aber eben auch die von Borsò fokussierten Alteritätsdiskurse als Spuren eingeschrieben sind. Im Rahmen der Beleuchtung der Einschreibungen soll auf eine terminologische Erfassung der Bezüge, wie sie in verschiedenen Intertextualitätstheorien üblich ist, 173 verzichtet werden. Anstelle einer reinen Klas- 172 Unter Text im weitesten Sinne wird auch der Bezug zu Medien und Diskursen verstanden, ein Referenzcharakter also, in den Intertextualität, Intermedialität und Interdiskursivität gleichsam einbezogen werden. 173 So präzisiert etwa Gérard Genette den Referenzcharakter mit einer Untergliederung der „transtextualité“ in die fünf Formen der Bezüge „intertextualité, paratextualité, métatextualité, transtextualité und architextualité“ oder differenziert Lachmann in eine „Kontiguitäts- und eine Similaritäts-Intertextualität“. I Einleitung 48 sifikation steht stattdessen die detaillierte Beschreibung des komplexen Beziehungsgeflechtes eines solchen Text-Text-Bezuges im weitesten Sinne als Strategie im Vordergrund: So wird nicht nur fokussiert, welcher Art der Bezug ist und welchen Umfang er annimmt (etwa Zitat, Topos, Text, Gattung, Medium, Diskurs), sondern auch, wie die Verbindung von Text und Prätext funktionalisiert wird (etwa affirmatives Einschreiben oder spielerisches, satirisches Umschreiben, Authentisierungsstrategie, (nicht-)kanonischer Bezug etc.). Dabei soll vor allem aufgezeigt werden, welche Mehrfachkodierungen durch die aufgerufenen Prätexte mitgelesen werden müssen. 174 Unter Berücksichtigung dieser verschiedenen Blickrichtungen sollen im Folgenden die vielfältigen Prozesse zwischen individuellen, kollektiven und kulturellen Gedächtnissen, der Archivierung, Tradierung und De- / Resemiotisierung kultureller Zeichen beleuchtet werden, die in den Texten inhaltlich und formal als Charakteristika der Schreibweise verhandelt werden. 175 Auf diese Weise soll das Phänomen des Schreibens auf der Schwelle der hier zu untersuchenden Theatertexte der zweiten Autorengeneration möglichst vielschichtig erfasst werden. 174 Wenn so mit Lachmanns Konzept der Intertextualität als Gedächtnis der Texte gearbeitet werden soll, dann um die durch die spezifischen Bezüge im Einzelnen erzeugten Ambivalenzen und Polyvalenzen aufzuzeigen, nicht jedoch um im Sinne Kristevas von einer universalen Intertextualität auszugehen. 175 Vgl. dazu Fauser: Einführung in die Kulturwissenschaft, S. 139 und Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 206. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 1. Trilogie der Zeitenschwellen: Jean-Claude Grumbergs L’Atelier im Rahmen seiner trilogie juive - L’auteur? - Avec lui, c’est toujours comme ça. - Vraiment? - L’holocaust. - Voilà, voilà. - A chaque fois l’holocaust! - Absolument. - Ça lui est resté en travers de la gorge. - Charmante soirée. - Cinquante ans après il a toujours pas digéré. - Exactement. - Il ne parle que de ça. - Et même quand il parle d’autre chose. 1 Wie in dem oben zitierten metadramatischen Figurendialog des Stückes Sortie de théâtre, un soir de pluie ironisch herausgestellt, steht das Gesamtwerk Jean-Claude Grumbergs gänzlich unter dem Eindruck der Ereignisse des Holocausts und deren Auswirkungen in der Nachkriegszeit. Als Sohn rumänischer Juden, die vor den Antisemiten nach Frankreich geflohen sind, wird Grumberg am 26.07.1939 in Paris geboren. 2 Wenn sich der älteste der in dieser Arbeit behandelten Dramatiker der zweiten Generation auch nicht an die Kriegszeit selbst erinnern kann - diese unbewussten Jahre beschreibt er im Bild „né en 1939, je fus caché en zone libre, cramponné à la main de mon frère aîné pendant toute la guerre“ 3 -, sind die Ereignisse indirekt, im Spiegel ihrer Folgen, für Grumberg umso präsenter: Seine Kindheit steht im Zeichen des Hoffens und Wartens auf die Rückkehr des Vaters, der 1942 nach einer Razzia in Drancy interniert wurde und dessen Spur sich Anfang März 1943 mit der Deportation nach Auschwitz verliert, 4 bis er 1954 schließlich offiziell für tot erklärt wird. 5 Die Erinnerung 1 Jean-Claude Grumberg: Sortie de théâtre, un soir de pluie. In: Ders.: Sortie de théâtre suivi de quatre pièces courtes. Paris (Actes-Sud Papiers) 2000, S. 9-16, S. 9f. 2 Zur Biographie und zum Gesamtwerk des Autors vgl. Konrad Schoell: Jean-Claude Grumberg. In: Kritisches Lexikon der romanischen Gegenwartsliteraturen, 2003, 20. Faszikel, S. 1-4 und S. A-F. 3 Vorwort Grumbergs zu Zone Libre (17.05.1989). In: Ders.: Dreyfus… - L’Atelier - Zone libre. Arles (Actes-Sud Babel) 1998, S. 245-247, hier S. 246. 4 Dass die Kriegszeit für ihn aber deshalb nicht weniger traumatisierend gewirkt hat, verdeutlicht seine Aussage „Depuis quelques années je retourne souvent sur les lieux II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 50 an diese Zeit findet ihre literarische Projektion in dem der Mutter gewidmeten Drama L’Atelier, die Auseinandersetzung mit dem unbekannten Vater und der Kindheit ohne denselben in der conférence-théâtre Mon Père. Inventaire. Grumberg umreißt das Vorhaben, das sich für den Autor der zweiten Generation zwangsläufig zwischen Autobiographie und Fiktion situiert und paradigmatisch für sein Gesamtwerk steht, mit den Worten: Mon père... Ainsi m’aura-t-il fallu près de soixante ans avant que «mon père» vienne sous ma plume. […] Aujourd’hui, pour cause de centenaire et en guise d’inventaire, je vais tenter de récapituler par écrit tout ce que je sais ou crois savoir sur mon père. […] Je n’ai aucun souvenir physique direct de mon père. 6 Nach einer Ausbildung zum Schneider - dem Beruf der Eltern - wendet sich Grumberg 1961 zunächst als Schauspieler und Regieassistent in der Pariser Compagnie Jacques Fabbri und dann als Dramenautor dem Theater zu. Mit seinem ersten Stück Demain une fenêtre sur rue ist er 1968 auf Anhieb sehr erfolgreich und hält bereits drei Jahre später mit Amorphe d’Ottenburg Einzug in das Repertoire der Comédie Française. In der Folgezeit avanciert Grumberg zu einem der wenigen zeitgenössischen Autoren, dessen Werke in Frankreich kanonisiert und somit auch Gegenstand des Schulunterrichtes sind. 7 Unter der Vielzahl der ihm zugedachten Preise befindet sich nicht nur mehrfach der begehrte Theaterpreis Molière in verschiedenen Kategorien, 8 sondern er erhält auch 1991 mit dem Grand Prix de l’Académie Française und 1999 mit dem Preis der SACD Auszeichnungen für sein dramatisches Gesamtwerk. Neben seinen Theatertätigkeiten als Schauspieler, Regisseur 9 und Dramatiker 10 wird Grumberg einem breiteren Pu- du crime“. Hiermit ist die Wohnung gemeint, aus der Vater und Großvater verschleppt wurden. Jean-Claude Grumberg: Mon père. Inventaire suivi de Une leçon de savoir-vivre. Paris (Seuil) 2003, S. 89. 5 Die Familie erhält „les documents officiels attestant son internement à Drancy, où, dans son ‘ironie obscène’, la République française certifie qu’il est mort le 3 mars 1943, jour de son départ pour Auschwitz.“ Brigitte Salino: Grumberg lit l’enfance et l’absence. In: Le Monde, 12.02.2004. Was in der Zeit nach dem offiziellen Todestermin geschah und was die tatsächlichen Todesumstände waren, konnte die Familie nicht herausfinden. Diese Leerstelle versucht der Autor - auch literarisch - immer wieder mit Spekulationen zu füllen, um sie greifbar und real werden zu lassen. Vgl. Françoise Spiess (Hrsg.): 3 pièces contemporaines. Jean-Claude Grumberg, Philippe Minyana, Noëlle Renaude. Paris (Gallimard) 2002 (La bibliothèque Gallimard, texte & dossier), S. 49. 6 Grumberg: Mon père. Inventaire, S. 11 und S. 18. 7 So ist bspw. sein Drama L’Atelier Stoff der französischen Abiturprüfung. Seit kurzem werden Grumbergs Werke auch für den Französischunterricht in Deutschland erschlossen. Vgl. Hansjörg Bär (Hrsg.): Jean-Claude Grumberg, Jean-Denis Bredin: Pas racistes, mais.... Stuttgart (Klett) 2003. 8 V.a. seine Werke Zone libre, L’Atelier und Rêver peut-être erhalten die Auszeichnung mehrmals. Vgl. http: / / les-molieres.france2.fr/ palmares.php. [Stand: 13.09.2005]. 9 So inszeniert er weiterhin oft seine Stücke und übernimmt auch selbst als Schauspieler Rollen darin. 1. Jean-Claude Grumbergs L’Atelier im Rahmen seiner trilogie juive 51 blikum auch als Verfasser von Kino- und Fernsehdrehbüchern für Filme von Truffaut und Costa Gavras bekannt. 11 Wenn seine ersten Dramen 12 wie Demain une fenêtre sur rue, Mathieu Legros, Michu, Rixe und En r’venant d’l’Expo vordergründig auch die Themen des Fremdseins und der Zerstörung des Anderen 13 fokussieren, so ist ihre Darstellung einer Gesellschaft der Ausgeschlossenen jedoch letztendlich immer auf der Folie der hintergründig omnipräsenten zeitgenössischen Geschichte zu lesen: Selbst wenn Grumberg über etwas anderes oder eine andere Zeit schreibt, scheint in letzter Instanz immer wieder - gewissermaßen in sisyphosscher Manier nach dem Motto Remonter la pente 14 - das Thema Holocaust durch. 15 Dass es damit für ihn im eigentlich Sinne nur ein Thema gibt, verdeutlicht Grumberg mit seinem Selbstverständnis als Dramatiker: „Je me sens écrivain par rapport à mon histoire personnelle: en cassant ma porte et en emmenant mon père, ‛ils’ ont fait de moi un auteur de théâtre.“ 16 In diesem Sinne bilden die Themen Drittes Reich und Verfolgung das Fundament seines in viele Sprachen übersetzten und re- 10 Seine Betätigung als Romanautor mit La nuit tous les chats sont gris führt ihn schließlich wieder zum Theater zurück, da er seinen Roman - wie auch die vieler anderer Autoren - für die Bühne adaptiert. 11 Vgl. dazu die Aufstellung im Literaturverzeichnis. Auch wenn es sich hierbei um ein anderes Genre handelt, bleibt Grumberg in den meisten Drehbüchern seiner zentralen Thematik treu. Truffauts Film Le dernier Métro etwa spielt im besetzten Paris des Jahres 1942 im Theatermilieu und Costa Gavras Film Amen basiert auf Rolf Hochhuths Drama Der Stellvertreter. Die Verfahren ähneln dabei denen der Dramen, wenn Grumberg präzisiert: Die „Filme handeln nie von der Vergangenheit, sondern erzählen mittels eines Stopps im Gestern von der Gegenwart.“ Interview mit Constantin Costa Gavras und Jean-Claude Grumberg. In: http: / / djfl.de/ entertainment/ stars/ c/ constantin_costa_gavras_i_01.html [Stand: 13.09.2005]. 12 Vgl. Bradby: Modern French Drama 1940-1990, S. 230-236, hier S. 231. 13 Vgl. dazu etwa die Dramensammlung mit dem bezeichnenden Titel Les Autres. 14 Das zum Motto für Grumbergs Œuvre stilisierte Zitat entleiht Roy dem Werk Michu und führt aus: „la pente sur laquelle l’Histoire, divinité gâteuse et distraite, avait précipité Jean-Claude ne semblait pas dévaler, a priori, vers une carrière d’auteur dramatique. […] Dans ce ‚cauchemar de l’Histoire’ dont parle Joyce, cauchemar dans lequel il a été jeté à sa naissance, Grumberg va ‚remonter la pente’ en devenant un auteur comique“. Claude Roy: Remonter la pente. In: Jean-Claude Grumberg: Les Courtes. Paris (Babel) 1995, S. 7-10, hier S. 7f. 15 Der Regisseur Philippe Adrien äußert diesbezüglich über Grumberg: „C’est quelqu’un de très conséquent dans sa manière de conduire son combat. Il se bat contre les fantômes du nazisme et de l’antisémitisme.“ Zit. nach Spiess: 3 pièces contemporaines, S. 43f. 16 Zit. nach ebd., S. 48f. In die gleiche Richtung betont auch Lieber, dass Grumberg „acteur par hasard puis auteur par nécessité“ geworden sei. Zit. nach Confortès: Répertoire du théâtre contemporain de langue française, S. 183. Die quasi therapeutische Wirkung des Schreibens entdeckt Grumberg nach eigenen Aussagen bereits früh mit Chez Pierrot, in dem er den Tod seines ersten Kindes literarisch verarbeitet. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 52 gelmäßig inszenierten Gesamtwerkes. 17 Neben der noch detailliert zu betrachtenden Trilogie Dreyfus..., Zone libre, L’Atelier und dem Drama Rêver peut-être seien in diesem Zusammenhang exemplarisch nur Amorphe d’Ottenburg als „Parable of Nazism“ 18 und eines seiner „obras nocturnas“ 19 Maman revient pauvre orphelin genannt. Gerade letzteres Werk verdeutlicht paradigmatisch Grumbergs Ansatz, in einem engen Zusammenspiel von Form und Inhalt die Fraktur zwischen der Welt vor der Katastrophe der Schoah und der nach ihr in seinen Dramen auszustellen. 20 Die Bruchstellen zeigen zugleich auch die Schwierigkeiten und Grenzen einer dem Ausmaß des Zweiten Weltkrieges und seiner Folgen 21 adäquaten Darstellungsform. Insofern als sich also die Frage nach dem Grund der Darstellung dieser Zeit bei Grumberg mit einer quasi naturgegebenen Notwendigkeit beantworten zu scheinen lässt - „’Jusqu’à quand? ’ me demandait-on dans les 17 Auch für die mittlerweile größer gewordene Zahl an Dramen, die allesamt bei Actes-Sud verlegt werden, gilt: „Dans la variété de sa douzaine de pièces Jean-Claude Grumberg tourne et retourne la même histoire, la même question. Il parle toujours de la même chose sans presque jamais se répéter.“ Roy: Remonter la pente, S. 8. Sein Gesamtwerk weist zudem zahlreiche Kurzdramen auf - vgl. etwa Les Courtes, aufgrund derer sich Grumbergs Werk sicherlich in besonderer Weise als Unterrichtsgegenstand eignet - sowie gerade in den letzten Jahren auch verstärkt Kinderstücke. Zu Grumbergs théâtre jeune public, das mit der Behandlung von Faschismus, Antisemitismus etc. ebenso in die Themenfelder seiner anderen Werke eingepasst werden kann, gehören Iq et Ox, Le petit violon, Marie des Grenouilles, Pinok et Barbie, Le Petit Chaperon Uf, Mange ta main. Vgl. Actes du théâtre 20. Paris (Entractes, SACD), janvier 2005-octobre 2005, S. 72. 18 Bradby: Modern French Drama 1940-1990, S. 231. Vgl. darüber hinaus zu den absurden und naturalistischen Zügen des Werkes sowie zum Einfluss von Antonin Artaud und Alfred Jarry ebd., S. 236 und Knapp: French Theatre since 1968, S. 55f., hier S. 55. 19 Irène Sadowska-Guillon: La gran escena del sueño. Conversación con Jean-Claude Grumberg. In: Primer acto, S. 57-59, hier S. 57. Ein damit vergleichbares (Alb-)Traumstück stellt bspw. Rêver peut-être dar, das in Kapitel II 2.3.2 Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist. 20 So konfrontiert der Dramatiker am Ende seines Stückes den 42-jährigen bei der Deportation verstorbenen Vater mit dem 62-jährigen lebenden Sohn. Das umgekehrte Generationenverhältnis steht in diesem Sinne metaphorisch für den Bruch zwischen den beiden Welten. Während in der Welt des jungen Vaters davor der Glaube an Ideale, Fortschritt und Leben vorherrschen, ist die Welt des alten Sohns danach geprägt vom Scheitern aller Bedeutungen und einer allgemeinen „déraison“. In Anlehnung an die Auferweckungsszene des Lazarus besteht die Schlussreplik in der Aufforderung des Vaters, trotz der Last der Geschichte und der Toten in die Zukunft zu blicken: „Alors écoute: oublie le passé, jette ton pyjama, lève-toi et marche pauvre orphelin maman et papa ne reviendront jamais! “ Jean-Claude Grumberg: Maman revient pauvre orphelin. In: Spiess: 3 pièces contemporaines, S. 11-34, hier S. 34. 21 Vgl. etwa die Stücke Hiroshima commémoration, Nagasaki commémoration und Commémoration des commémorations, die die Erinnerung an und die Last der Geschichte in der Gegenwart zeigen. Jedoch werden keine Lehren aus der Geschichte gezogen, vielmehr gefährden etwa in Hiroshima commémoration vorgefertigte, medialisierte Bilder über „écrans-témoins“ als Fernsehshow 50 Jahre nach den Ereignissen die Schärfe der historischen Erinnerung. 1. Jean-Claude Grumbergs L’Atelier im Rahmen seiner trilogie juive 53 années 70. ‚Jusqu’à quand vas-tu parler de ça? C’est de la vieille histoire, oublie tout ça, change de disque.’ Je n’ai jamais cherché ni à oublier ni à me souvenir. C’est là, c’est tout.“ 22 -, steht für den Autor der zweiten Generation nur mehr die Art und Weise der Themenbehandlung zur Disposition. Im Rahmen von Leçon de savoir-vivre 23 , die als Teil von Mon père. Inventaire aus einer Zusammen- und Gegenüberstellung antisemitischer Texte des letzten Jahrhunderts gegen das Vergessen besteht, erklärt Grumberg sein Verfahren: Maintenant une question se pose: pourquoi vous avoir infligé cette leçon de savoir-vivre, pourquoi ce collage de textes ignobles, abjects et ridicules? D’abord parce que ces propos qui nous paraissent délirants eurent force de loi et en conséquence droit de vie et de mort sur moi et les miens […]. Oui, oui, malgré l’angoisse, le dégoût, la boule dans la gorge, faire rire! 24 Den grausamen Ereignissen der Judenverfolgung und -vernichtung, die den inhaltlichen Schwerpunkt seines Werkes ausmachen, setzt der Dramatiker also ein untergründiges „faire rire“ 25 entgegen. Mit dieser auffälligen Formkonstante seiner écriture - einer „protestation par le rire“ 26 - will Grumberg einen Reflexionsprozess beim Rezipienten provozieren und kann zugleich auf eine ‛didaktische Moralkeule’ oder eine eindimensionale Figurenzeichnungen verzichten. 27 Diese für Grumberg charakteristische, auf dem Paradoxon basierende Mischgattung zwischen tragischem Inhalt und komischer Form 28 begründet schließlich Klassifizierungen des Drama- 22 Grumberg: Mon père. Inventaire, S. 113. 23 Wie dieses Werk ist auch Chantier H.H. eine Art Kollage, in der Texte von Heinrich Heine und Heinrich Himmler gegenübergestellt werden, die auf diese Weise miteinander dialogisieren. Vgl. in Bezug auf die Figur Himmler im zeitgenössischen Drama und auf den Titel auch das Stück H von Claude Prin. 24 Grumberg: Mon père. Inventaire, S. 175f. 25 Verschiedentlich wird dies in der Tradition des jüdischen Humors verortet, jedoch nicht weiter ausgeführt. Vgl. etwa Raymonde Temkine zit. nach Simone Balazard: Le guide du théâtre français contemporain. Paris (Syros) 1989, S. 147. 26 Sylviane Bonnerot: Visages du théâtre contemporain. Paris (Masson et Cie) 1971 (Ensembles littéraires), S. 81. In ihrem Kapitel „Comedy: The Ironic Rictus of Pain” deutet Knapp, dass er „uses humor, irony, puns, and distortion rather than rage to cope with his world of sorrows.” Knapp: French Theatre since 1968, S. 55. 27 „Es ist ein kritisches, ein engagiertes Theater, das Konflikte aufzeigt, ohne thesenhaft zu formulieren, ohne einfache Lösungen anzubieten.“ Schoell: Jean-Claude Grumberg, S. 4. 28 Grumberg verweist jedoch zugleich auf die Grenzen bzw. Problematiken des Genres - dessen sich etwa auch Edgar Hilsenrath oder Roberto Benigni in La vita è bella bedienen - im Hinblick auf die Thematik: „Qui a le droit de rire? Pleurer, oui, il y a eu des larmes, bien légitimes, la question ne se pose donc pas. Mais le rire était-il complice ou railleur? Question malheureusement oubliée mais que je continue à me poser, peut-on admettre qu’un non juif à la lecture si terrifiante de ces critères de discrimination raciale, puisse rire, et dans ce cas comment interpréter ce rire? Quelle complexité! “ Was hier für die Rezeption relevant ist, gilt natürlich immer schon für die Produktion. Hinsichtlich der Darstellung des Holocausts stellt sich damit stets die II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 54 tikers als „l’auteur tragique le plus drôle de sa génération“. 29 In diesem Sinne unterstreicht auch das Ende des eingangs angeführten metadramatischen Dialoges Sortie de théâtre, un soir de pluie: - Moi j’ai ri. - Justement! - Est-ce qu’on a le droit de rire sur des sujets pareils? - ? ? ? - Absolument. Absolument. 30 In seiner trilogie juive, die aus den Dramen Dreyfus…, Zone libre und L’Atelier besteht, stellt Grumberg das Schicksal europäischer Juden zwischen 1930 und 1950 dar. Dabei fächert er die Möglichkeiten der Behandlung des Themas in drei einzelne Phasen und Perspektiven auf, die der Autor als Zeitenschwellen des jüdischen kollektiven Gedächtnisses konzipiert. Während Dreyfus... die Zeit vor dem Dritten Reich beschreibt und damit in einer Abwandlung der analytischen Form des Dramas einen Erklärungs- und Entstehungsversuch unternimmt, situiert Grumberg das Stück Zone libre als gewissermaßen historisches Drama direkt in der Zeit während der Besatzung und Judenverfolgung. L’Atelier hingegen liegt eine Struktur des danach zugrunde. Da dies gemäß der Schwerpunktsetzung der vorliegenden Studie den Erinnerungsspielen mit ihrem inszenierten Blick zurück auf die Zeit des Zweiten Weltkrieges entspricht, wird L’Atelier ausführlicher behandelt, während die beiden anderen Dramen als periphere Blicke nur in ihren Verfahren skizziert und als immanenter Bestandteil der Trilogie betrachtet werden. 31 Die Zeit des Zweiten Weltkrieges als Zukunft und Vorausdeutung in Dreyfus... Das 1974 verfasste Drama Dreyfus... 32 , das den ersten Teil der Trilogie darstellt, spielt im Jahr 1930, also neun Jahre vor Grumbergs Geburt. Mit der Beschreibung dieser Zeit rekonstruiert der Autor eine Welt, an die er selbst keine Erinnerungen haben kann, die er jedoch als erfundene Autobiographie - und nicht etwa Biographie - seiner Eltern verstanden wissen möch- zentrale Frage der Legitimität, wer in welcher Weise darüber schreiben darf. Vgl. http: / / www. alliancefr.com/ culture/ grumberg/ [Stand: 13.09.2005]. 29 Roy: Remonter la pente, S. 7. 30 Grumberg: Sortie de théâtre, un soir de pluie, S. 16. 31 Im Folgenden soll in dieser Arbeit der Nachweis der zitierten Stellen aus dem jeweiligen Primärtext nach einer einmaligen vollständigen Nennung in der Fußnote aus Gründen der Übersichtlichkeit direkt nach dem Zitat in Klammern erfolgen. 32 Jean-Claude Grumberg: Dreyfus…. In: Ders.: Dreyfus… - L’Atelier - Zone libre, S. 7- 123. Für das Stück erhält er den Prix Plaisir du Théâtre, den Grand Prix Théâtre de la SACD und den Prix du Syndicat de la Critique de la meilleure création française. 1. Jean-Claude Grumbergs L’Atelier im Rahmen seiner trilogie juive 55 te. 33 Dieser oszillierende Status zwischen individueller und kollektiver Erinnerung sowie Fiktion potenziert sich zusätzlich, indem Grumberg das Dramengeschehen nicht etwa im rumänischen Herkunftsland seiner Eltern stattfinden lässt, sondern in eine polnische Kleinstadt verlagert. Der Bilderfundus dieser „Pologne imaginée [et] mythique“ speise sich zugleich aber gänzlich aus den „récits familiaux et des lectures glanées par l’auteur qui n’y a jamais mis les pieds“. 34 Diese inszenierten Verschleierungstechniken zwischen Erinnerung und Fiktion stellen heraus, dass es hier auch allgemein um die jüdischen Lebensbedingungen jener Zeit gehen soll. Unter diesem Blickwinkel kann das Drama auch als „voie d’acceès au Yiddishland“ 35 des Autors gelesen werden, denn Grumberg thematisiert den Beginn einer sich abzeichnenden antisemitischen Entwicklung: Ausgehend von den Proben einer jüdischen Laienspielgruppe zu einem Stück über die historische Dreyfus-Affäre 36 und den sich daran entzündenden Diskussionen über Bühnenästhetik und die Anlage einzelner Rollen 37 handelt Dreyfus... von der vielschichtig erörterten Frage, was es bedeutet, Jude zu sein. Der Zugang zu diesem Komplex erfolgt gebrochen über ein Analogieverhältnis, indem die gegenwärtige Situation mit der des historischen Stoffes in Form eines Theaters im Theater 38 parallelisiert wird: 39 Wie Dreyfus im Frankreich 33 Vgl. http: / / www.renaissance-theater.de/ rtberlin/ ren_ate1.htm [Stand: 13.09.2005]. 34 Vorwort Grumbergs zu Zone libre (17.05.1989), S. 245. 35 Nachwort von Jean Caune: Le Théâtre de Grumberg: Un lien sensible entre passé et présent. In: Grumberg: Dreyfus… - L’Atelier - Zone libre, S. 363-380, hier S. 373-375. 36 Die Wahl des Binnenstoffes ist insofern signifikant als „le capitaine Alfred Dreyfus est sans aucun doute le personnage de l’époque moderne qui incarne le mieux la manière dont l’identité juive a été instrumentalisée pour devenir l’objet d’un fantasme collectif.“ Ebd., S. 373. 37 Anhand der Dreyfus-Figur werden die Brüche in der Gesellschaft verdeutlicht, da jede Dramenfigur ihre Weltbilder, Erwartungen und Realitäten in sie projiziert. Neben der zentralen Problematik, die in der Differenz Jude vs. Nicht-Jude besteht, geht es zudem um eine Annäherung des Stückes an das traditionelle jüdische Theater. Vgl. zum Zusammenhang zwischen Dreyfus und dem jüdischen Theater das Kapitel Les dernières lueurs du théâtre yiddish in ebd., S. 375-378. 38 Dem Drama, das seinen historischen Stoff bereits im Titel zitiert, liegt eine mise en abyme-Technik zugrunde, da innerhalb des Rahmenstückes ein Binnendrama geprobt wird. Jedoch findet keine Einführung einer weiteren Spielebene in toto statt, denn das Binnenstück kommt nie zur Aufführung. Doch erfolgt auch in den Proben und Diskussionen - v. a. um Identifikationsfragen - eine zeitgenössische Aktualisierung der Dreyfus-Affäre, die vorführt, wie schnell man zum stigmatisierten Anderen werden kann. Vgl. dazu Siepmann: Zurück zum „historischen Drama“? , S. 187-197. Auch in Grumbergs anderen Werken finden sich häufig mise en abyme-Formen, so etwa in der Satire L’indien sous Babylone. Als Spiel im Spiel wird hier am Beispiel des Dramatikers César Bysminski die praktische Lebensuntauglichkeit des Künstlers und die Situation des Theaterwesens in Frankreich vorgeführt. Vgl. zu diesem Stück, das auch als Protest gegen die „Welle der ‚création collective’ und die Vorherrschaft des Regietheaters“ (S. 138) gelesen werden kann, Konrad Schoell: Der Dichter als Sujet im französischen Gegenwartstheater. In: Ders. (Hrsg.): Literatur und Theater im gegenwärtigen II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 56 des Jahres 1895 sehen auch die Schauspieler im Polen der 1930er Jahre selbst zunächst keinen Unterschied zwischen Juden und Nicht-Juden. Damit gehen die Protagonisten des Rahmen- und des Binnenstückes von gleichen Voraussetzungen aus, die auf beiden Ebenen erst durch äußere Ereignisse verändert werden. So wird bei Dreyfus erst durch den Verratsvorwurf eine jüdische Identität und damit Alterität erzeugt, die für ihn zuvor nicht gegeben war, weil er sich selbst vorrangig als französischer Soldat definierte. Auch die Schauspieler realisieren den vorher nicht wahrgenommenen Unterschied zwischen Juden und Nicht-Juden erst, als Antisemiten die Theaterproben stören und sie als Andere stigmatisieren. 40 In beiden Zeitphasen wird das Anderssein somit erst von außen durch Personen und Ereignisse zugeschrieben. Jüdisch-Sein wird damit plötzlich zur Erfahrung, die sowohl in der binnendramatischen Vergangenheit als auch in der Gegenwart der Rahmenhandlung Ausgrenzung und Alterität bedeutet. Obwohl den Schauspielern das Binnenstück eigentlich ‛Lehre’ und Warnung sein könnte, beginnt der Verstehensprozess erst, als sie selbst Opfer werden. 41 Indem die Ereignisse von 1895 aber lediglich die Folie sind, auf der sich das Geschehen von 1930 wiederholt, zeichnet sich eine Geschichtsauffassung ab, die Grumberg noch auf einer weiteren Ebene spiegelt. Am Ende des Dramas 42 steht eine erneut zu optimistische Einschätzung der antisemitischen Vorfälle der Vergangenheit und Gegenwart mit Blick auf die nahe Zukunft: 43 Die nach Deutschland ausgewanderte Kindergeneration wird dort von den Eltern im Jahr 1931 sicher gewähnt, denn Frankreich, S. 131-147, hier S.137-140 und Wilfried Floeck: Vom Regietheater zum Texttheater? Tendenzen und Probleme des französischen Gegenwartstheaters. In: Schoell: Literatur und Theater im gegenwärtigen Frankreich, S. 1-18, hier S. 11 sowie allgemein die Herausstellung von Grumbergs „frequent exploitation of self-conscious theatricality as a way of commenting on character or situation.” Bradby und Sparks: Mise en scène. French Theatre now, S. 116f., hier S. 116. 39 So werden, wie etwa in Maurices Vergleich (24), die beiden Zeiten in der Figurenrede permanent miteinander in Beziehung gesetzt. 40 Grumberg gestaltet diesen ‛Einfall der Realität’ mit satirischen Zügen auf das Theaterwesen als ein quasi ‛In-die-Rolle-Fallen’, wenn der Dreyfus-Darsteller Michel die Aggressoren mit seiner Kostümierung in die Flucht schlägt und so über die gespielte Realität zu der Rolle findet, die ihm vorher unwahrscheinlich und unzugänglich erschien: „J’ai trouvé le personnage! ...“ (111). 41 Vgl. zur paradoxen und inkongruenten Situation, dass die Schauspieler den Antisemitismus der Vergangenheit verstehen wollen, zugleich aber den, der ihnen widerfährt, nicht erkennen, auch Siepmann: Zurück zum „historischen Drama“? , S. 189. 42 Die antisemitischen Auswüchse führen im Drama neben der Aufgabe der Inszenierung des Dreyfus-Stückes zum Beitritt des Spielleiters Maurice zur Kommunistischen Partei, während andere Schauspieler Trost etwa in der Religion suchen. 43 Vgl. Knapp: French Theatre since 1968, S. 56. 1. Jean-Claude Grumbergs L’Atelier im Rahmen seiner trilogie juive 57 les Allemands sont très polis, très corrects avec les juifs, bien sûr, comme partout, il y a des excités mais on doit pouvoir leur causer, ce n’est pas comme avec nos péquenots polonais, là-bas tout le monde sait lire et écrire, tout le monde est instruit, c’est un pays civilisé, quoi... […] Et puis l’Allemagne, la dernière guerre qu’elle a faite, elle l’a perdue; alors ils sont pas près de recommencer, ils ont compris, eux… Ils vont se tenir tranquilles… (121f.) Während die Auslassungspunkte aus Figurenperspektive die proklamierte Gewissheit untermauern sollen, wird diese Technik der Leerstelle - die, wie noch anhand von L’Atelier zu zeigen sein wird, zu einem Stilprinzip des Autors avanciert - seitens des Rezipienten durch dessen Beurteilungsmöglichkeit der Ereignisse aus der Langzeitperspektive ergänzt. So liest letzterer den Pogromversuch der 1930er Jahre und die Figureneinschätzungen aus seiner Perspektive zwangsläufig als Vorverweis auf die Ereignisse im Dritten Reich, die die skizzierten Stigmatisierungen und ihre Folgen wiederholen sowie zugleich deren negativen Höhepunkt darstellen. 44 Durch dieses Spiel mit dem geschichtlichen Wissen 45 eröffnet Grumberg implizit ein drittes Analogieverhältnis: das der Zeit des Holocausts als Zukunft und Vorausdeutung im Drama. 46 Im Gegensatz zu den Figuren erschließt sich somit für den Rezipienten das Dramenende lediglich als ‛neuer Anfang in einer alten Tradition’ und ebnet bereits den Übergang in die Zeit des Zweiten Weltkrieges. 47 44 Vgl. dazu Bradbys Einschätzungen, dass „the play dramatises the murderous incongruity of people struggling to understand the anti-semitism of a previous generation while failing to see the growth of the new, more brutal anti-semitism in their own time” und „Grumberg conveys a kind of amazement that such a group of people can persist in an almost blind idealism in the face of a brutally hostile world.“ Bradby: Modern French Drama 1940-1990, S. 231 und S. 234. 45 Ein weiteres Beispiel findet sich in der vierten Szene im Rahmen der Ausführungen des zionistischen Conferenciers Wasselbaum, wenn der Dramatiker das Wissen des Rezipienten von der Schaffung des israelischen Staates miteinbezieht. 46 Schoell unterstreicht dies, indem er von der eigentlichen „Aussparung“ der dritten Zeitebene spricht, damit sie in „didaktischer Anwendung“ entstehen kann. In dieser Weise „stellt der Autor die Fortdauer des Rassismus-Problems heraus.“ Schoell: Jean- Claude Grumberg, S. 3. Vgl. dazu auch „Although the action of Dreyfus, unlike that of Grumberg’s other two plays on this subject, occupies only a short time frame, its total span is much greater, creating a perspective that provides great poignancy, showing how the innocence of Dreyfus and of Grumberg’s Polish Jews can nevertheless be mocked by political manoeuvres and policies based on racial prejudice.” Brian Pocknell: Jean-Claude Grumberg’s Holocaust Plays: Presenting the Jewish Experience. In: Modern Drama (MD), 1998, Fall, 41 (3), S. 399-410, hier S. 402. 47 Auch wenn sich aus der zyklischen Struktur der Eindruck einer historischen Gesetzmäßigkeit ergibt, geht es Grumberg nicht in erster Linie um ein fehlendes Lernen aus Vergangenheit und Geschichte oder um deren Beurteilung als wiederholbares Ereignis. Wichtiger als die Vermittlung eines bestimmten Geschichtsbildes scheint die Darstellung und Erinnerung an die ‛Tradition’ rassistischen und antisemitischen Gedankengutes vor ihrem eigentlichen Höhepunkt zu sein sowie die Entwicklungsetappen dahin. Vgl. auch zur Neukonstruktion des Historischen im Drama Siepmann: II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 58 Während Dreyfus... noch das Erstarken antisemitischer Tendenzen und damit die Zeit der Judenverfolgung als Vorausdeutung und absehbare Zukunft 48 thematisiert, kommt Grumberg mit Zone libre in der chronologisch nächsten „temps de la conscience juive“ 49 an. Er situiert sein Drama direkt in der Zeit der Besatzung und des Völkermordes. Die Zeit des Zweiten Weltkrieges als Gegenwart in Zone libre Zone libre 50 stellt zwar chronologisch das Mittelstück der Trilogie dar, verfasst wurde es jedoch erst nach den beiden anderen Dramen. 51 Im Vorwort zum Stück beschreibt Jean-Claude Grumberg ausführlich dessen problematische Genese zwischen einer Kenntnis der historischen Fakten, vagen Erinnerungen und der szenisch nicht fassbaren Katastrophe: Ce temps à demi vécu par moi m’échappait [...] la zone libre me semblait inaccessible. […] Il m’a fallu dix ans pour écrire la pièce, il serait plus juste de dire qu’il m’a fallu dix ans pour me faire à l’idée que cette pièce ne sera que ce qu’elle est, qu’elle ne dira pas tout du crime, du chaos, du malheur et de la désolation. Qu’elle restera cet objet hybride, coincé entre le rire et les larmes, la dérision et les souvenirs vécus, chuchotés, confiés par je ne sais trop qui à l’enfant que je fus. 52 Während er in Dreyfus… die Vorkriegszeit als Fiktion der Lebensbedingungen seiner Eltern und in L’Atelier die für ihn sehr reale Nachkriegszeit anhand seiner eigenen Kindheit darstellt, muss Zone libre die Grauzone des Dazwischen ausloten, deren Thematisierung zu einer Art innerem Zwang wird: „Je me mis en aveugle à écrire [...] comme si je devais finir quelque chose d’urgent.“ 53 Auf der Suche nach möglichen und adäquaten Formen, wie das eigentlich nicht repräsentierbare Geschehen während des Zweiten Weltkrieges als zentraler Gegenstand des Dramas thematisiert werden kann, gestaltet Grumberg sein Schreiben letztlich durch verschiedene Strategien doch wieder als Annäherung von den Rändern her: Zurück zum „historischen Drama“? , S. 197. 48 Das skizzierte Modell des vorausdeutenden Erzählens liegt mit Bezug auf den Ersten Weltkrieg auch Grumbergs Drama En r’venant d’l’Expo zugrunde, in dem das Aufkommen nationalistischer Tendenzen zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschildert wird. 49 Caune: Le Théâtre de Grumberg, S. 370. 50 Jean-Claude Grumberg: Zone libre. In: Ders.: Dreyfus… - L’Atelier - Zone libre, S. 243- 360. Für das Stück erhält Grumberg insgesamt drei Molières - einen davon als ‛meilleur auteur de théâtre’ (1991) - und den Prix de l’Académie française (1990). 51 Die zitierte Werkausgabe bildet damit in ihrer Reihenfolge der Stücke den Schreibprozess Grumbergs ab: Dreyfus… (1974), L’Atelier (1979) und Zone libre (1990). 52 Vorwort Grumbergs zu Zone libre (17.05.1989), S. 246. 53 Ebd., S. 245. 1. Jean-Claude Grumbergs L’Atelier im Rahmen seiner trilogie juive 59 Auf der Ebene der sprachlichen Ausgestaltung wählt Grumberg einen Ansatz, Französisch und Jiddisch implizit miteinander zu kombinieren. 54 Zwar finden sich explizit keine eigentlich jiddischen Repliken im Text, die Sprache wird aber dennoch in Form eines als-ob-Verfahrens inszeniert: So werden einige Äußerungen, obwohl sie in französischer Sprache artikuliert werden, für einige Dramenfiguren als unverständlich präsentiert und somit als das sprachliche Andere markiert. Der dramatische Einfall, die textuelle Einheit des Französischen durch diese ‛Integration’ einer weiteren, impliziten Sprache aufzuweichen, stellt zudem die bereits bei Dreyfus... dargelegte Identitätsproblematik zwischen Judentum und französischer Staatsbürgerschaft dar. Die Sprachenproblematik steht des Weiteren in dem Kontext, dass das Jiddische für die Figuren zwar einerseits erinnerungs- und identitätsstiftenden Charakter hat, sie sich andererseits aber durch dessen Verwendung gewissermaßen selbst denunzieren. Deshalb verschleiert Simon - im Unterschied zu dem Protagonisten Apfelbaum - seine Identität 55 und verlangt diese Anpassung auch von anderen: „On ne parle plus yiddisch! On oublie, on tire un trait, on s’habitue...“ (265). Da ein Verleugnen der jüdischen Sprache und Identität zum Schlüssel des Überlebens wird, 56 droht er seiner Schwiegermutter Mme Schwartz, die sich an das Sprachverbot nicht halten will, damit „on en reparlera à Drancy s’ils nous laissent ensemble, hein.“ (265). Auf der Ebene der zeitlichen und örtlichen Ausgestaltung verlagert Grumberg sein Drama zwar in die Zeit während des Zweiten Weltkrieges, wählt jedoch einen Ort, der nicht im Zentrum des Geschehens situiert ist. Die freie Zone beleuchtet die Besatzung Frankreichs nur vom Rand her, denn die Ereignisse und Orte der Grausamkeiten wie etwa Drancy (275) oder der Vélodrome d’Hiver sind weit entfernt. 57 Grumberg präsentiert 54 Im Vergleich dazu beschreibt er Dreyfus… noch als „première pièce traduite du yiddish, écrite directement en français par quelqu’un qui ne sait pas le yiddish et connaît mal le français…“. Dreyfus…, S. 7. 55 Das Kaschieren jüdischer Identität zeigt sich auch in der Namensänderung von Zilberberg zu Girard und in der Aufgabe religiöser Traditionen etwa bei der Geburt eines Kindes oder bei der Unterbringung Henris im katholischen Seminar von Ussel. Vgl. dazu auch „The Zilberbergs […] disguise their Jewishness with a different and acceptable otherness: they say they are Alsatians.“ Pocknell: Jean-Claude Grumberg’s Holocaust Plays, S. 406. 56 Umgekehrt führen die Stigmatisierungen und Zuschreibungen zum Judentum - wie dies durch den Judenstern (279), Häusermarkierungen (338), den Buchstaben ‛J’ (301) etc. geschieht - bei Simon fast schon dazu, dass er sich von der Identität selbst verfolgt sieht. 57 „Es ist kein Stück über den Holocaust, sondern ein Stück über die Rettung einer jüdischen Familie durch die Flucht unter falschem Namen in die nicht besetzte Zone.“ Schoell: Jean-Claude Grumberg, S. 3. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 60 damit die große, unfassbare Geschichte vermittelt über die Geschichten randständiger, kleinen Leute, 58 die vom Holocaust gezeichnet sind. Mit dieser Figurenkonzeption wird der Alltag einer jüdischen Familie im Jahre 1942 zentral, die über die Demarkationslinie 59 in die freie Zone geflüchtet ist und dort leben muss. Durch deren Worte und Ängste sind die eigentlich entfernten Schrecken aber auch in der kleinen Dorfidylle von Corrèze 60 omnipräsent. Ihr Alltag ist geprägt von der statischen Situation eines „attendre [...] que ça cesse! “ (343) und von Reaktionen, die durch äußere Ereignisse hervorgerufen werden. 61 Dabei konzipiert Grumberg die jüdischen Protagonisten nicht philosemitisch, sondern ganz und gar als gemischte Charaktere in „leur courage et leur lâcheté, leur aveuglement et leur clairvoyance.“ 62 Die zunehmende Bedrohung der Juden auch in der freien Zone - das nahe gelegene Internierungslager Nexon und das Lager von Limoges, von dem aus die Deportationen direkt in die Vernichtungslager gehen, wird präsenter 63 - führt schließlich zu Simons Entschluss, der jüdischen Resistancebewegung nahe Toulouse beizutreten. 64 Das Verleug- 58 Auf die Randständigkeit der Figuren verweist Pocknell, indem er Grumbergs Herangehensweise mit Formen der Alltagsgeschichte erfasst: „The characters in all three plays are drawn from ordinary people, the society that interests historians and playwrights as never before, a form of popular history, the history of the non-elite, the masses, with Grumberg’s creations functioning as a metonymy for those masses. There are consequently no major political or military personages here.” Pocknell: Jean-Claude Grumberg’s Holocaust Plays, S. 408f. 59 V.a. in der ersten Szene werden die Umstände der Flucht sowie das frühere Leben in Paris qua Nachholen der Vorgeschichte kurz erinnert. Die Passage der Demarkationslinie, die die freie Zone von der „gueulle du loup“ (286) trennt, gleicht aufgrund der gewählten Bildelemente des Fährmanns und der Unterwelt (257f.) der Fahrt über den Styx. 60 Das kleine Dorf in der Haute Vienne (278) steht damit für den biographischen Ort, an den Grumbergs Mutter ihre beiden Söhne - wie im Stück bei einem Bauern mit Namen Maury versteckt - in Sicherheit brachte. Vgl. Grumberg: Mon père. Inventaire, S. 93-108. 61 „A series of ten scenes shows the day-to-day life of the family in their unfamiliar surroundings and the changes brought about by external events, the result of policies of the German occupiers and the Vichy government. The interaction of these two forces, the Jews’ will to survive and the political measures intended to destroy them, constitutes the basic structure of the play.” Pocknell: Jean-Claude Grumberg’s Holocaust Plays, S. 405. 62 Vorwort Grumbergs zu Zone libre (17.05.1989), S. 246. 63 Dies geht von antisemitischen Gedanken der Bevölkerung im Alltag, wenn der Preisanstieg auf die Juden zurückgeführt wird (320), über Ungerechtigkeiten gegen dieselben (306) bis zu ihrer Denaturalisierung (317) und konkreten Verfolgung durch die Kollaborationspolizei, die die Juden in Nexon oder Limoges interniert (330, 333 und 342). 64 Gemäß der Figurenkonzeption endet sein Widerstand im Rahmen des Maquis auch nicht heldenhaft, denn Simon hat aufgrund seines Alters nur indirekt im Hintergrund, d.h. als Küchenhilfe zur Versorgung der eigentlichen Helden, an der Befrei- 1. Jean-Claude Grumbergs L’Atelier im Rahmen seiner trilogie juive 61 nen der eigenen und Annehmen einer anderen Identität reichen nicht mehr aus, so dass die Juden zum Handeln gezwungen werden. Die konkrete Bedrohung geht jedoch quer zum gängigen Erinnerungsdiskurs nicht von Deutschen aus - deshalb nimmt deren Darstellung auch nur einen minoren Anteil ein 65 -, sondern von innerfranzösischer Seite. Das Gros der Referenzen im Drama bezieht sich auf die im vorauseilenden Gehorsam funktionierende Kollaboration der Franzosen, 66 wobei die vorgebliche Motivation der Vichy-Regierung, das Unglück Frankreichs abzumildern (273), mit den persönlichen Gründen für die Unterwerfung expressis verbis konterkariert werden (263, 306). Auf diese Weise werden auch die Geschichte Frankreichs seit Vercingétorix 67 und die Idylle des ländlichen Frankreichs vom Vichy-Regime zu Propagandazwecken umfunktioniert und kritisch beleuchtet. 68 Auch sein Drama Zone libre stellt Jean-Claude Grumberg in einen größeren Kontext, indem er vom Vorwissen seiner Leser ausgeht: Denn der Rezipient verfügt über die Kenntnis, dass auch die freie Zone am 11.11.1942 besetzt wird und den Juden keinen Schutz mehr bietet. Auf diese Weise kennt er die grausame Wahrheit, während sich die Figur Simon wundert, dass sein alter, blinder Onkel zum Arbeiten nach Deutschland gebracht wird. 69 „As with Dreyfus, as ung von Toulouse mitgewirkt (342). 65 Nur am Ende des Dramas taucht ein Deutscher als Gefangener des Maquis auf, den Maury, wie zuvor die Juden, beherbergt. Dabei handelt es sich jedoch eher um ein eingeschüchtertes, unschuldiges Kind, das unaufhörlich weint, darauf wartet, in sein „Bochelande natale“ (356) zurückkehren zu können und an dem es Simon unmöglich ist, sich zu rächen. Auch werden Deutsche als Kriegsopfer evoziert, wenn der junge Deutsche Angst hat, seine Eltern könnten durch Bombenangriffe ums Leben gekommen sein, weil er keine Nachricht von ihnen hat. 66 Vgl. bspw. die beiden französischen Polizisten sowie die Erwähnungen der „rafle du Vélodrome d’Hiver“, die französische Errichtung eines „Commissariat Général aux Questions Juives“ und des erst 1943 gegründeten „Service du Travail Obligatoire“. Matthes resümiert in diesem Sinne: „L’occupation allemande de la France étant omniprésente d’un bout à l’autre de la pièce, l’accent reste cependant mis sur des aspects peu «glorieux» dans ce chapitre de l’histoire de France, sur le rôle de la Collaboration qui jusqu’à aujourd’hui est encore partiellement occulté [...] ce qui relativise un manichéisme primaire du côté français.“ Matthes: L’Allemagne vue par des auteurs dramatiques français depuis 1989, S. 96-108, hier S. 99. 67 Vgl. den kurzen Abriss der französischen Geschichte von Vercingétorix bis Pétain (mit Integration von Pétain-Zitaten) im Schulbuch (271-273). Der historische Text als Propagandamittel des Vichy-Regimes findet sich in diesem Sinne auch bei Bernard Chartreux (vgl. Kap. II 2.2.6). 68 Im Unterschied zu Léa erkennt Simon, welcher Missbrauch hinter dem idealisierten Bild der ländlichen Natur steckt: „Eh ben, ça! la nature, les arbres, la lune, les étoiles, le firmament, la douceur de l’air, les petites oiseaux, les grosses vaches, la faune, la flore, tout fait partie de leur foutue propagande, leur retour à la terre, tout.“ (262). 69 Vgl. auch „Dis-moi […] à quoi peut servir un aveugle dans le formidable effort de guerre du grand Reich? “ (337) und „Quel pays, quel Etat, quel gouvernement frète des trains spéciaux pour importer des aveugles, incapables de rempailler une chaise II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 62 with L’Atelier, Grumberg exploits the referential resources of the time/ space structure, heightening the effect of the action with the additional information we can bring to the play.” 70 Das Drama Zone libre, das zwar in der zentralen Zeit während des Zweiten Weltkrieges spielt, 71 situiert der Autor dennoch auf verschiedene Weise am Rand: Zum einen handelt es sich mit der freien Zone um einen topographischen Rand, der durch seine Entfernung von den zentralen Orten der Geschichte zugleich auch eine Randständigkeit der Ereignisse impliziert. Hinzu kommen die Protagonisten, die als ‛kleine Leute’ alltägliche Figuren am Rande sind. Zum anderen verdeutlicht der Stil ein Schreiben am Rande des Ausdrucks, mit dem Grumberg das für ihn Unsagbare des Holocausts dennoch thematisieren kann. Die Zeit des Zweiten Weltkrieges als Vergangenheit und Rückwendung in L’Atelier Im 1976 verfassten und 1979 uraufgeführten Drama L’Atelier 72 ist der Stellenwert dessen, was nicht direkt ausgesprochen wird, fast größer als der des Gesagten. Während in Zone libre die Arbeitswelt der Juden analog zum Berufsverbot aus der Darstellung ausgeschlossen wird, ist hier - wie bereits aus dem Titel ersichtlich - das Arbeitsleben konstitutiv. Der vordergründig zentrale Arbeitsalltag in einer Pariser Schneiderwerkstatt von 1945-1952 stellt jedoch nur den Rahmen für Gespräche dar, in denen es hintergründig eigentlich um anderes geht: 73 Denn in diesem Mikrokosmos 74 treffen mit ou d’accorder un de leurs fameux pianos de concert […]? “ (338). 70 Daraus entsteht dann eine bestimmte Form der dramatischen Ironie. Vgl. Pocknell: Jean-Claude Grumberg’s Holocaust Plays, S. 408. 71 Das Modell des gegenwärtigen Erzählens ist eine häufig gewählte Form, den Zweiten Weltkrieg dramatisch darzustellen. Als Beispiele seien nur genannt Lilian Atlans Monsieur Fugue ou le mal de terre, das im Ghetto spielt, Charlotte Delbos im Vernichtungslager angesiedeltes Qui rapportera ces paroles? , Daniel Besnehards Normandiestück L’étang gris, Michel Deutschs Convoi und Alain Bosquets Un détenu à Auschwitz. Vgl. zu Bosquets Konstruktion von Auschwitz als Gegenwart auch Christine Felbeck: „Auschwitz und kein Ende? “ Deutschlandbilder im Spiegel des französischen Dramas nach 1989. In: Karl Hölz und Hermann Kleber (Hrsg.): Literatur und Macht. Festschrift zur Emeritierung von Karl-Heinz Bender. Frankfurt a.M. (Lang) 2005 (Trierer Studien zur Literatur; 43), S. 159-166. 72 In der Uraufführung am Odéon führt Grumberg selbst Regie und spielt zudem die Rolle des Léon. Für sein Drama erhält er 1980 den Prix Ibsen, den Prix du Syndicat de la Critique pour la meilleure création française, den Grand Prix de la Ville de Paris und insgesamt vier Molières (einen für den besten Dramenautor und einen für das beste Stück). Jean-Claude Grumberg: L’Atelier. In: Ders.: Dreyfus… - L’Atelier - Zone libre, S. 125-242. 73 Mit dieser Verknüpfung der Arbeitswelt der ‛kleinen Leute’ und einzelner historischer Phasen, wie hier die Zeit der Verfolgung und Deportation, schreibt sich Grumberg in die Tendenz des Théâtre du quotidien (vgl. dazu Kap. II 2.2.2, Fußnote 408) ein. 1. Jean-Claude Grumbergs L’Atelier im Rahmen seiner trilogie juive 63 ihren unterschiedlichen Schicksalen Überlebende des Krieges zusammen, der faktisch schon zu Ende ist, mental allerdings noch alltagsbestimmend andauert. In Gestalt der Näherin Simone, die allein mit ihren zwei Söhnen so lange auf die Rückkehr ihres deportierten Mannes wartet, bis der offizielle Totenschein zwar ihrem Warten ein Ende setzt, aber keine Gewissheit über sein Schicksal gibt, nimmt Grumberg Bezug auf seine Mutter und die prägenden Erfahrungen seiner Kindheit. 75 Im Unterschied zu Mon père. Inventaire handelt es sich bei dem Drama im eigentlichen Sinne aber nicht um das Pendant „Ma mère“, da der Stellenwert der Elternteile unterschiedlich ist. Während Grumberg seinen Vater nicht kannte - „La figure même de mon père reste une énigme.“ 76 - hat er mit der Mutter zusammen gelebt, kann sich an sie, ihre Lebensumstände und an bestimmte Situationen erinnern. Zu dem grundlegenden Unterschied von (un-)möglicher Erinnerung kommt hinzu, dass auch die Beschreibung des Schicksals der Mutter letztlich wieder zu einer Geschichte über das Fehlen des Ehemanns und Vaters, über ein Leben ohne ihn wird. Zum Hauptthema des Dramas wird damit, was Grumberg einleitend präzisiert: „Plus tard - nous n’attendions plus, ayant appris peu à peu le sens du mot ‘déporté’“. 77 Dieser im Stück nachgebildete Verstehens- und Begreifensprozess bezieht sich Vgl. wegen der Thematisierung der Arbeitswelt auch die vielfache Bezeichnung seines Stils als naturalistisch: Etwa Bradby und Sparks: Mise en scène. French Theatre now, S. 116, Bradby: Modern French Drama 1940-1990, S. 235 und den Vergleich Grumbergs mit Zola in Jean Pierre Althaus: Voyage dans le théâtre. Lausanne (Éditions Pierre Marcel Favre) 1984, S. 165f., hier S. 166. King schreibt der Arbeit in seiner psychoanalytischen Untersuchung mit Liftons Ausdruck des „psychic numbing” eine andere Funktion zu, die für Figuren und Rezipienten gleichermaßen in ihrem Verdrängungspotential bestehe. Vgl. dazu Robert L. King: Psychic Numbing and Grumberg’s L’Atelier. In: Massachusetts Review: A Quarterly of Literature, the Arts and Public Affairs (MR), 1985, Winter, 26 (4), S. 580-594. 74 Zum Stellenwert und zur Konstruktion des Mikrokosmos bei Grumberg vgl. Sarrazac: L’Avenir du Drame, S. 31-34. 75 Vgl. dazu den Vorspann zum Stück sowie die Widmung desselben „pour ma mère, et pour toutes celles et tous ceux que j’ai vus rire et pleurer dans mes nombreux ateliers...“ (125). Dem durch die eigene Biographie zugleich erschwerten Zugang - Grumberg braucht, wie er betont, fünf Jahre für das Drama - kann er durch die Aufführungspraxis begegnen, da das Ehepaar Attoun ihm die Gelegenheit gibt, mit Schauspielern einen Monat in aller Abgeschiedenheit das Stück zu erarbeiten: „La première scène posait un problème parce que, comme personnage central c’était cette femme dont le mari était déporté, j’essayais toujours d’écrire une scène où les autres s’intéressaient à elle. Et une des grosses découvertes des improvisations […] c’est que personne en a rien à foutre qu’une femme ait un mari déporté! “ Grumberg im Gespräch mit Balazard; vgl. auch Barbara Engelhardt: Geburtshelfer für ein Theater von heute. Micheline und Lucien Attoun im Gespräch mit Barbara Engelhardt. In: Theater der Zeit, Oktober 2002, S. 38-40. 76 http: / / www.theatre-contemporain.net/ theatre-ouvert/ journee_pedagogique/ frame. htm [Stand: 18.09.2005]. 77 Vorspann zu L’Atelier, S. 125. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 64 zum einen darauf, dass das abstrakte ‛déporté’ den konkreten Tod des Ehemanns und Vaters bedeutet, sowie zum anderen darauf, dass die Todesumstände eine Bilder-, Erzählungs- und Erinnerungsleerstelle eröffnen. 78 Die Beschreibung der Strategien und Techniken, wie Grumberg diese Leerstellen in seinem Drama aufbaut, bestehen lässt und zugleich unter Einbezug des Rezipienten füllt, wird im Folgenden zentral sein. Im konstitutiven und konstanten Spannungsfeld zwischen Gegenwart und Vergangenheit 79 sind die Figuren und Ereignisse der Nachkriegsgegenwart nur auf der Folie der alles bestimmenden Vergangenheit zu verstehen. Dies wird bereits zu Beginn durch einen dreifachen Wortwechsel verdeutlicht, der das gesamte Drama in nuce darstellt: HÉLÈNE. Ma sœur aussi ils l’ont prise en quarante-trois… SIMONE. Elle est revenue? HÉLÈNE. Non… elle avait vingt-deux ans. (Silence.) Vous étiez à votre compte? (127) Inhaltlich wie formal zeigen sich hier die wichtigsten Konstanten der Dramenstruktur: Einerseits geht es auf einer inhaltlichen Ebene um die omnipräsente Last der Geschichte, die wie selbstverständlich in die Alltagskonversation eingeführt wird und von der aus sodann auch genauso selbstverständlich wieder zu Alltagsproblemen gewechselt wird. Alltag und Geschichte gehen ineinander über und bestimmen die materiellen und psychischen Sorgen der durch vergleichbare Schicksale verbundenen Überlebenden in der Nachkriegszeit. Andererseits wird die Alltäglichkeit der Geschichte 80 formal mit ebensolcher Selbstverständlichkeit in das Drama integriert, indem Grumberg keine erklärenden Zusätze oder Ausführungen gibt. Auf diese Weise werden die Täter nur mit „ils“ bezeichnet. Der Rezipient dekodiert das Personalpronomen mit seinem Vorwissen entweder in Richtung der Deutschen oder der französischen Kollaborationspolizei, durch den Kon- 78 Vgl. dazu Grumbergs Ausführungen: „Pendant très longtemps pour moi l’image du père était celle d’un déporté parmi les déportés. Le chemin a été très long pour transformer ce ‘1 parmi les 6 millions’ en quelqu’un qui me convenait. Vivre avec l’idée que l’on a une histoire commune avec tous les fils de déportés, c’était la norme dans mon enfance“ sowie „ils [les enfants de fusillés et de prisonniers] avaient des récits sur la mort ou sur le retour de leur père, alors que les enfants qui comme moi avaient un père ‘disparu’ n’avaient aucun récit. Cette absence de récit formait entre nous une sorte de récit commun.“ http: / / www.theatre-contemporain.net/ theatre-ouvert/ journee_pedagogique/ frame.htm [Stand: 18.09.2005]. 79 Pocknell präzisiert in dem Sinne: „with L’Atelier, Grumberg gives us a play that depends for its effect on two aspects of time, a memory play about the Jewish experiences in the war and a chronicle of the aftermath“. Pocknell: Jean-Claude Grumberg’s Holocaust Plays, S. 408. 80 Durch seine Figuren, die die große Geschichte in ihrem Alltag erleben, versucht Grumberg „de réinvestir le champ historique par l’autre bout“. Ryngaert: Lire le théâtre contemporain, S. 43. 1. Jean-Claude Grumbergs L’Atelier im Rahmen seiner trilogie juive 65 text aber in jedem Fall zweifelsfrei als feindliche Macht. 81 Ein vergleichbares Vorgehen findet sich in der Verwendung der Auslassungspunkte 82 und Grumbergs Technik des „silence“. Mit Hilfe dieser beiden Strategien des Impliziten wird das Drama auch an den Stellen weitergeschrieben, an denen die Sprache in Erinnerung an die Ereignisse versagt. Denn bei den durch das Schweigen und die Auslassungen provozierten Leerstellen im Text denkt der Autor den Rückgriff des Rezipienten auf Elemente des kollektiven Gedächtnisses bereits mit. Die Tatsache, dass trotz des inflationären Gebrauchs dieser Techniken des Impliziten der Verstehensprozess in Grumbergs Drama dennoch gesichert ist, manifestiert, dass dabei gemeinsame Erfahrungen im Rahmen eines kollektiven Gedächtnisses zugrunde liegen. Indem der Rezipient das Drama zwangsläufig fortschreibt wird das Schweigen zum beredten Schweigen, 83 die Auslassung und Andeutung zur Ausdeutung umfunktioniert. Damit ergeben sich zwei Ebenen der Vermittlung der Vergangenheit in einem Drama, in dem Geschichte mindestens ebenso sehr gedanklich wie wörtlich präsent ist. 84 Zum einen werden allein schon bedingt durch die Einheit des Ortes die Geschehnisse der Gegenwart und Vergangenheit auf Figurenebene durch Erzählen erinnert und vermittelt: „Ces narrations introduisent une première médiatisation: la parole remplace l’action“. 85 Zum anderen kommt eine weitere Vermittlungsebene hinzu, wenn die Figuren die Ereignisse in ihren Erzählungen nicht selbst ausführen, sondern an das Wissen des Rezipienten delegieren. Auf diese Weise funktionieren nicht nur die Techniken des Impliziten, sondern auch Figuren und Orte des Dramas. Damit reichen wenige Elemente aus, um beim Rezipienten einen ganzen Erinnerungshorizont aufzurufen. Diese werden als Kon- 81 Die Verknappungen, Anspielungen und Leerstellen gefährden insgesamt bei Grumberg nie den Verstehensprozess, da der Leser über die passenden kollektiven ‛Entschlüsselungsinstrumente’ verfügt. Die skizzierten Alternativen der Dekodierung des Personalpronomens spiegeln den Verstehensprozess des Autors wider: „’Ils’ furent pour moi, très longtemps les Allemands, ensuite j’appris qu’il fallait dire la Police française“. Grumberg: Mon père. Inventaire, S. 91. 82 Vgl. v.a. die längeren von Auslassungen durchsetzten Ausführungen Simones (etwa 175-178). Als Zeichen der Dekonstruktion geht es hier nicht um einen genauen Bericht der Behördengänge, sondern um eine Kombination verschiedener Eindrücke, auf deren Basis der Leser den Kontext gedanklich rekonstruieren muss. 83 Im Schweigen haben sich die Traumatisierungen der Figuren als Last der Geschichte in die Kommunikation eingeschrieben. 84 Mignon bezeichnet Grumbergs Stil in diesem Sinne als „suggérant autant qu’il exprime“. Mignon: Le théâtre au XX e siècle, S. 214f., hier S. 215. Die Strategien haben die Wirkung, dass „ce non-dit est beaucoup plus émouvant que de grands discours sur le nazisme.“ Spiess: 3 pièces contemporaines, S. 40. 85 Yannick Hoffert: La dramaturgie du temps dans les pièces juives de Jean-Claude Grumberg (Dreyfus, L’Atelier, Zone libre). Université de Nancy 2 (Unveröffentlichtes Manuskript, Mémoire de Maîtrise) 1995, S. 12. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 66 struktionsprinzipien, wie das Folgende zeigt, im Sinne rhetorischer Topoi verwendet und erzeugen im Drama ein umfassendes geschichtliches „réseau virtuel“: „L’Histoire est suggérée à l’aide d’indices évocateurs qui vont à la rencontre du savoir du spectateur. La pièce ne décrit pas l’Histoire, mais se contente de la suggérer dans l’esprit du public.“ 86 Die Figuren des Dramas werden von Grumberg als Träger kollektiver Erinnerungen konzipiert. Da sie jeweils in verschiedener Weise von der Geschichte gezeichnet sind, erhalten sie in der evozierten Nachkriegsgesellschaft en miniature einen „metonymical value“. 87 Auf diese Weise bringt die Schneiderwerkstatt Juden und Nicht-Juden mit ihren unterschiedlichen Schicksalen im Zweiten Weltkrieg zusammen: 88 Die abwesenden Toten, Hélènes Schwester und Simones rumänischer Mann, stehen für die jüdischen Deportierten, die in den Konzentrationslagern umgebracht wurden. Die Figur des jüdischen „premier presseur“ ist auch deportiert worden, hat aber die Konzentrationslager überlebt. Er kann sich nur schwer an die Nachkriegszeit anpassen, ist durch die Erlebnisse verstört und die meiste Zeit nur stumm im Hintergrund präsent. Jedoch fungiert der Bügler an einigen Stellen als Augenzeuge, indem er Simone von den Selektionsprozessen in den Lagern berichtet (181). 89 Während der erste Bügler die Last der Geschichte und Vergangenheit verkörpert, symbolisiert in einer binären Struktur der zweite Bügler als Kommunist die Zukunft. 90 Der cholerische Leiter der Schneiderei, der Pole Léon, wird zur symbolischen Figur des Juden, der sich während der Besatzungszeit versteckt hält (185). 91 Zwischen dem Abfinden mit seiner eigenen unheroischen Rolle beziehungsweise vehement gesuchter Distanz 92 zur Vergangenheit einerseits und der Traumatisierung durch dieselbe andererseits 93 ist er zum 86 Ebd., S. 11f. 87 Pocknell: Jean-Claude Grumberg’s Holocaust Plays, S. 404. 88 „Ce sont les petites histoires dans la grande: ces couturières d’un atelier plus ou moins clandestin représentent la France d’alors. Celle qui préférait les Allemands et le dit à demi-mot, celle dont le mari est déporté et qui attend des nouvelles, en vain, celle dont le mari était fonctionnaire sous Pétain, celle qui se marie, puis est enceinte…“. Azama: De Godot à Zucco. Bd. 3: Le bruit du monde, S. 23-26, hier S. 23f. Vgl. auch Mignon: Le théâtre au XX e siècle, S. 215. 89 Diese nächtlichen Schilderungen der tatsächlichen Umstände in den Lagern zerstören endgültig alle Hoffnungen Simones auf die Wiederkehr ihres Mannes. 90 Der Kommunismus als kollektive Erinnerung steht in der direkten Nachkriegszeit im Drama für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Dies findet sich sowohl bei den Repräsentanten der neuen Generation, d.h. Simones Söhnen, als auch bei Léons Cousins, die 1951 aus Polen kommen, um in Frankreich zu leben (230). 91 Vgl. dazu auch Pocknell: Jean-Claude Grumberg’s Holocaust Plays, S. 404. 92 Diese zeigt sich v.a. im Zynismus etwa, wenn Léon vom deportierten Bügler erst recht harte Arbeit verlangt, denn schließlich habe er sie in den Lagern gelernt: „C’est ça la sélection naturelle“ (162). 93 So kann Léon nie schlafen, da er sich durch die Toten beständig verfolgt fühlt (235). 1. Jean-Claude Grumbergs L’Atelier im Rahmen seiner trilogie juive 67 gnadenlosen Kapitalisten geworden. Während Léon selbst in Paris bleibt, verbringt seine Frau Hélène Teile der Besatzungszeit in der freien Zone. Sie ist im Drama die einzige, die offen über den Holocaust spricht, nicht zuletzt, weil sie sich als Deutsche und Jüdin in doppelter Weise - als Angehörige der Täternation und der Opfergruppe - persönlich betroffen fühlt. 94 Deshalb prangert Hélène auch im Gegensatz zu Léon die Angabe „mort à Drancy“ auf dem Totenschein von Simones Mann als verharmlosende Lüge an. Wenn nämlich nicht der wirkliche Todesort markiert sei, 95 führe dies zu einer Form der Geschichtsverfälschung: „Alors, personne n’est parti là-bas, personne n’est jamais monté dans leurs wagons, personne n’a été brulé; s’il sont tout simplement morts à Drancy, ou à Compiègne, ou à Pithiviers, qui se souviendra d’eux? “ (205). 96 Hélène sieht in der offiziellen Todesurkunde einen nationalen Gedächtnisakt, der, in dieser Form verfälscht, den Nachfolgegenerationen ein falsches Verständnis vermittelt (206), weil damit die in den Vernichtungslagern Getöteten aus den kollektiven Erinnerungen gelöscht werden. Das Leben der Hauptfigur Simone, die durch ihre Heirat zur ‛politischen’ Jüdin wurde, ist ganz und gar vom Holocaust gezeichnet. Zwischen der Hoffnung auf die Rückkehr ihres Mannes und der bürokratischen Jagd nach seinem Totenschein, um eine Rente zu erhalten, ist für Simone der Krieg noch virulent. 97 Am Ende des Dramas steht nach Jahren harter Arbeit und der zunehmenden Einsicht, dass ihre Hoffnungen vergeblich sind, schließlich Simones Zusammenbruch. Ihre beiden Söhne 98 repräsentieren als einzige die neue, zweite Generation. In der Hoffnung auf eine bessere Zukunft sprechen sie bewundernd über den Kommunismus, sind sich aber ihres jüdischen Erbes zugleich sehr bewusst. Die Söhne sind durch Reisen ins Nachkriegsdeutschland gut informiert, 99 in Frankreich wird ihnen als ‛fils d’un déporté’ durch die De- 94 Deutlich wird dies in der dritten Szene, wenn Hélène emotional auf den Deportierten reagiert, ihr Mann hingegen - wenn auch bis ins Extrem übersteigert - rational. 95 Seine hypothetischen Stationen figurieren nämlich auch in der Vermisstenakte (179f.). 96 Vgl. dazu auch die Verwendung des Gedächtnisortes Pithiviers bei Yoland Simon (Kap. II 2.1.1). 97 Obschon für Simone die Erinnerungen sehr präsent sind, deutet sich im Stellenwert der wenigen Fotos aber auch ihre benötigte Materialisierung in unterstützenden Gedächtnismedien an (155). 98 Mit der Trennung von der Mutter und dem Tod des Vaters zeigen sie die Auswirkungen des Krieges auf die Kinder. Darüber hinaus wird der enge Bezug zu Grumbergs eigenem Schicksal verdeutlicht, da die Söhne in der freien Zone auf dem Land versteckt waren. Damit stellt sich der kurze Auftritt von Simones jüngstem Sohn am Ende des Dramas, der den Zusammenbruch der Mutter übermittelt, als Selbstinszenierung des Autors dar (128 und 237-242). 99 So besuchen die Kinder z.B. Ravensbrück. Simone als Repräsentantin der Zeitzeugen hat noch Bedenken und stimmt dem Aufenthalt nur zu, weil er von einem französischen Deportiertenverband organisiert wird (221). II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 68 portiertenverbände gewissermaßen der Rang von symbolischen Gedächtnisorten zugeschrieben. Neben Simone und Hélène arbeiten in der Schneiderei vier weitere Näherinnen. Während Gisèle, Marie und Mimi in einer Mentalität der Gleichgültigkeit vornehmlich mit sich selbst beschäftigt sind und wenig Verständnis für die Juden in Frankreich aufbringen, 100 wird mit Madame Laurence die politisch aktive Seite evoziert. Denn sie ist die Ehefrau eines mit dem Vichy-Regime kollaborierenden Polizisten. Zugleich erweist sich ihre eigene Einstellung jedoch als oberflächlich und inkonsequent, da sie einerseits den gut aussehenden Deutschen nachtrauert, andererseits aber stets beteuert, während des Krieges Juden gerettet zu haben. Allen Figuren ist gemein, dass die Zeit des Zweiten Weltkrieges und der Judenvernichtung schwer auf ihnen lastet. Im Rahmen eines kollektiven Gedächtnisses stehen sie jeweils als Platzhalter für bestimmte Schicksale und Gesinnungen, die durch das Zentralthema der Deportation miteinander verbunden sind. In dem tragisch-komischen Stationendrama geht mit jedem Szenenauch ein Jahreswechsel einher, so dass durch einen Wissenszuwachs der Figuren mit zunehmender Deutlichkeit konturiert wird, was die Deportationen bedeuten: Während in der ersten Szene, die im Jahr 1945 wenige Monate nach der Befreiung von Paris spielt, noch wenig von den Lagern bekannt ist und von der Rückkehr der Deportierten ausgegangen wird, ist am Ende des Dramas den Figuren das Ausmaß der Geschehnisse während des Zweiten Weltkrieges vollständig bekannt und wird der Wissensvorsprung des Lesers quasi eingeholt. Neben den Figuren als Trägern der kollektiven Erinnerungen fungieren auch geographische Angaben als konkrete Gedächtnisorte. Nahezu alle evozierten Orte im Drama sind historisch konnotiert. Stark aufgeladene Ortsreferenzen des kollektiven Gedächtnisses werden dabei zumeist chiffriert dargestellt, so dass sich die Rezeptionsleistung des Lesers erhöht. So werden etwa die Vernichtungslager häufig nicht direkt benannt, sondern weit entfernt in einer Dichotomie von ici vs. là-bas - zum Beispiel „Ceux qui sont revenus d’là-bas ils savent...“ (162) - dargestellt oder nur in Form von Auslassungspunkten (203-206) angedeutet. In diesem Rahmen wird auch auf traumatisierende Kriegsbilder als Bestandteile des kollektiven Gedächtnisses zurückgegriffen: Léon thematisiert, dass sich die Überreste der im Lager Verschwundenen „dans leur réserve de savon noir“ (183) befänden; neue synthetische Textilien aus „des cendres et des cheveux“ (236f.) gemacht seien, von denen er sich in zynischer Umkehrung verspricht, dass sie mit deutscher Pünktlichkeit in Konvois nach Frankreich geliefert werden. 100 Ihr fehlendes Wissen und Unverständnis bezüglich Geschichte und Judentum zeigen sich an verschiedenen Stellen im Drama, kondensiert jedoch in der vierten Szene (v.a. 172f.). 1. Jean-Claude Grumbergs L’Atelier im Rahmen seiner trilogie juive 69 Die in relativer Nähe gelegenen französischen Orte werden hingegen namentlich genannt, wie beispielsweise das Internierungslager Drancy, das Hôtel Lutétia, 101 die Demarkationslinie und die Zone libre. Gehören diese Ortsreferenzen jedoch zum gängigen Inventar des kollektiven Gedächtnisses, so finden sich im Text auch eine Reihe von Abkürzungen, die zwar authentisierend wirken, einem Rezipienten aber, der nicht über ein fundiertes Wissen bezüglich der Okkupationszeit verfügt, in ihrer genauen Bedeutung entgehen. 102 Weitere Bestandteile der historischen Kontextkonstruktion sind andererseits auch in Orten zu sehen, die nicht spezifiziert historisch, aber Teil jüdischer Erfahrung während der Besatzung sind: Diese Funktion nehmen etwa die zertrümmerte Tür zu Simones Wohnung ein, die symbolisch für die Razzien steht (159), oder das Polizeiquartier (158f.). Da Grumbergs Drama beständig zwischen der Nachkriegsgegenwart und der erinnerten Vergangenheit wechselt, finden sich parallele Kontextkonstruktionen auch für die Rahmenzeit: Neben der Evozierung von Nachkriegserfahrungen wie Versorgungsproblemen 103 werden auch konkrete Epochenmarkierungen 104 geliefert. Damit wird auf beiden Zeitebenen die bereits skizzierte Anspielungstechnik relevant, deren Entschlüsselung dem Rezipienten obliegt. Durch Worte, Ausdrücke, Situationen und Figuren kann der Rezipient den historischen Hintergrund und Epochenkontext der Nachkriegs- und Kriegszeit 105 lesen beziehungsweise konstruieren, ohne dass der Autor diese direkt präsentieren muss: „Grumberg […] is able to combine complex cultural references with entertaining dramatic action.” 106 Durch die Einbindung des Rezipienten in die Textkonstruktion geht es zudem genauso sehr um den Nachhall der Geschichte wie um die Ereignisse selbst. Die doppelbödige 101 Das Hôtel Lutétia (176) stellt einen doppelt kodierten Gedächtnisort dar, denn darin befindet sich zunächst die deutsche Regierung und dann das Innenministerium der provisorischen Regierung, in das die zurückkehrenden Deportierten und die wartenden Angehörigen kommen. 102 Vgl. bspw. die verwendete Abkürzung „O.S.E.“ (= Œuvre de secours aux enfants), „U.G.I.F. “ (= Union Génerale des Israelites de France) sowie „J.O.I.N.T.“ (= Archive des American Jewish Joint Destribution Comitee in New York). Renée Poznanski: Etre juif en France pendant la seconde guerre mondiale. Paris (Hachette) 1994, S. 712f. 103 So stellen bspw. das Fehlen von Kohle, Licht und Stoffen, das Schließen von Geschäften und auch die materielle Hilfe der Amerikaner Konsequenzen aus der Geschichte dar (143, 145, 178f. und 240). 104 Diese bestehen z.B. in der Errichtung des israelischen Staates, der DDR, der Konstitution des sowjetischen Blocks und im Kommunismus (etwa 221 und 230). 105 „The spatial references all help to establish the meaning of the play and enhance the picture of the Jewish experience in Paris during and after the war. The time/ space axis makes a further contribution to the presentation of the Jewish experience. The present as shown on the stage draws heavily on the past, not shown but frequently evoked.” Pocknell: Jean-Claude Grumberg’s Holocaust Plays, S. 405. 106 Bradby und Sparks: Mise en scène. French Theatre now, S. 117. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 70 Spannung, die sich aus der Präsenz der Vergangenheit in der Gegenwart ergibt, bezieht sich deshalb nicht nur dramenimmanent auf die direkte Nachkriegszeit, sondern lässt beim zeitgenössischen Leser gleichermaßen eine weiterführende Übertragung zu. 107 L’Atelier illustriert dergestalt in erster Linie die Wirkungsmacht der Zeit 108 und der Erinnerung bezüglich der Ereignisse des Holocausts. Deren eigentliche Vergangenheit stellt sich als eine dar, die auch weiterhin nicht vergeht 109 und die in der Gegenwart zwangsläufig mitgedacht werden muss. Trilogie der Zeitenschwellen: „Les trois temps de la conscience juive“ 110 Jean-Claude Grumbergs jüdische Trilogie ist um die Schoah als zentralem Referenz- und Bruchpunkt eines avant, pendant und après konzipiert. Die Darstellungsproblematik löst der Dramatiker für sich in einer Herangehensweise auf, die die einzelnen Zeitphasen in den Stücken separat-fragmentarisch beleuchtet und zugleich in Form der Trilogie eine totalisierende Perspektive aufbaut. Diese konzeptionelle Spannung zwischen (un-)gleichzeitiger Einheit und Pluralität der Zeiten wird stets aufrechterhalten und zugleich noch dadurch verstärkt, dass jede einzelne Zeitphase dieser „trois temps de la conscience juive“ als Schwelle konzipiert ist, in der die nächste immer schon prospektiv enthalten ist. 111 Dramenimmanent begegnet der älteste Autor der zweiten Generation der spezifischen Darstellungsproblematik mit Techniken des Impliziten, die den durch die Schoah eröffneten „espace vide“ als Rezeptionsleistung des kollektiven Lesergedächtnisses ausfüllen lassen. Diese Schreibweise führt in gewisser Hinsicht zu einer Verlagerung der Vermittlungsproblematik: Der Dramatiker thematisiert mit der Delegierung an das kollektive Gedächtnis des Rezipienten, was der vom kommunikativen Familiengedächtnis sehr stark geprägte Jean-Claude Grumberg selbst im Grunde nicht thematisieren kann. Auf diese Weise lotet die écriture die Schwellensituation zwischen dem kommunikativen Gedächtnis der Zeitzeugen und dem kollektiven Ge- 107 Vgl. dazu auch die psychoanalytische Interpretation Kings, der von einer solchen Übertragung auf den zeitgenössischen Leser ausgeht. King: Psychic Numbing and Grumberg’s L’Atelier, S. 580-594. 108 Hofferts These besteht in diesem Sinne darin, dass die eigentliche Protagonistin und Siegerin des Dramas die Zeit selbst ist. Hoffert: La dramaturgie du temps dans les pièces juives de Jean-Claude Grumberg, S. 146. 109 Vgl. jedoch, ausschließlich zur Prägung des Ausdrucks im Rahmen des Historikerstreits, Ernst Nolte: Die Vergangenheit, die nicht vergehen will. Eine Rede, die geschrieben, aber nicht gehalten werden konnte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.06.1986. 110 Caune: Le Théâtre de Grumberg, S. 370. 111 Dass dies sogar noch über die Konzeption der Trilogie hinausgeht, wird sich im Rahmen der Analyse von Grumbergs Drama Rêver peut-être zeigen, das man in diesem Zusammenhang als vierte Zeitenschwelle der „temps de la conscience juive“ bezeichnen könnte (vgl. Kap. II 2.3.2). 1. Jean-Claude Grumbergs L’Atelier im Rahmen seiner trilogie juive 71 dächtnis der Nachgeborenen aus und überschreitet sie zugleich. Die Dramen, die eine durch die Erinnerung der Zeitzeugen vermittelte Welt darstellen, fungieren somit als Ausdruck der gegenwärtigen Situation: „Dans son théâtre, Jean-Claude Grumberg se livre à un déplacement de point de vue: la référence à des événements passés, occultés dans la mémoire commune, permet d’éclairer l’opacité du temps présent.“ 112 Wenn die Dramen damit bereits zu einem die Gegenwart erklärenden Erinnerungsakt werden, 113 erfolgt in einem Stück wie L’Atelier zudem eine Potenzierung dessen. Denn diese Bauform der Erinnerungsdramen gestaltet den Blick zurück sowohl auf der Figurenals auch auf der Leserebene und führt damit zu einer wechselseitigen Spiegelung der Erinnerungs- und Vermittlungsprozesse in der Gegenwart für die Zukunft. 114 112 Caune: Le Théâtre de Grumberg, S. 366. 113 „Con Dreyfus, L’atelier y Zone libre la historia contemporánea cambia de status dramático [..., y] se convierte en exigencia de testimonio y de memoria.“ Jean Caune: La palabra viva del teatro de Jean-Claude Grumberg. In: Primer acto, S. 60-65, hier S. 63. 114 Dass sich die Gattung Drama für diese Art der Vermittlung von Erinnerungsprozessen und der Teilnahme daran besonders eignet, liegt auf einer weiteren Ebene, die hier nicht betrachtet werden kann, nicht zuletzt auch an der aktualisierenden Macht der Realisierung auf der Bühne und dem Stellenwert des Zuschauens. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 72 2. Der Blick zurück: Erinnerung und Vermittlung als Schwellendramaturgien 2.1 Sprachschwellen: Schweigen - Befragen - Dialog der Generationen 2.1.1 Yoland Simon: Adieu Marion Der 1941 in der Normandie geborene Yoland Simon lebt und arbeitet in Le Havre. 115 Seine Kindheitsjahre mit einem Vater in der Résistance, 116 der dann zum militanten Kommunisten wird, und einer Mutter, die jeder Form von Patriotismus und Doktrin nichts abgewinnen kann, thematisiert er in dem autobiographischen Roman Hier chantaient les lendemains. Nach einem Studium der Sprach- und Literaturwissenschaften an der Universität von Caen arbeitet Simon am IUT Le Havre als Lehrer. Die Anfangsschwierigkeiten dieser Tätigkeit finden ihren literarischen Niederschlag in seinem Roman Un désordre ordinaire. Vielfältige kulturelle Aktivitäten wie die Gründung der Zeitschrift Encrage, des Festivals Terre d’Auteurs, der Rencontres nationales de dramaturgie und der Association des Scènes Nationales, die Mitarbeit an der Sendung Panorama von France-Culture und seine Präsidentschaft der Maisons de Culture bestimmen sein Leben. Neben theoretischen Schriften und Artikeln über das Theater allgemein und über die Dramatiker Armand Salacrou 117 und Michel Vinaver 118 im Besonderen verfasst Simon selbst zahlreiche Dramen. Seine rund dreißig Stücke integrieren ein weites Themenspektrum, in dem sich jedoch zumindest einige Konstanten herausarbeiten lassen: Neben einer sich auch in dieser Gattung äußernden engen Verbundenheit zu 115 Zu den biographischen Angaben vgl. die vom Autor überlassenen Dokumente Notice biographique und Bibliographie sowie den Brief an die Verfasserin vom 22.04.2005 (Anhang, S. 342-352). Vgl. auch Confortès: Répertoire du théâtre contemporain de langue française, S. 371, die Homepage der Chartreuse und http: / / fr.wikipedia.org/ wiki/ Yoland_Simon [Stand: 09.06.2005]. 116 Vgl. auch das vom Vater verfasste Gedicht über Résistance und Vaterland, das am 11.11.1945 zur Einweihung einer Tafel mit den Namen der Toten des Zweiten Weltkrieges in Saint-Siméon (Eure) vorgetragen wurde. Das Gedicht preist das „humble monument que bénit notre amour“, wenn auch „plus dur que le rocher, reste le souvenir.“ Jacques Simon: En ce jour de gloire et de deuil! In: Patrice Buet: Les poètes de l’enseignement. Tome II. Paris (Éditions de la Revue Moderne) 1947, S. 124f. 117 Simon veranstaltet zu Ehren Salacrous ein Kolloquium, dessen Niederschrift er in Armand Salacrou ou les voies du théâtre contemporain: Actes du Colloque International tenu au Havre les 30 novembre et 1 er décembre 1985 editiert. Amiens (Corps-Puce) 1985. Darüber hinaus ist Simon Mitherausgeber von Hommage à Armand Salacrou. En collaboration avec Marie-Françoise Rose et Pierrette Portron. Cherbourg (Éditions Isoète) 1990. 118 Yoland Simon: Le système des oppositions et le jeu des conflits dans «La demande d’emploi» de Michel Vinaver. Le Havre (IUT) 1987. 2.1.1 Yoland Simon: Adieu Marion 73 seiner normannischen Heimat 119 und der Darstellung des Land- und Alltagslebens 120 spielt die Erinnerungsthematik eine große Rolle. Diese erstreckt sich von der rein individuellen Erinnerung mit dem Ziel einer Identitätsfindung in Le Narval und Loin de Marianne bis zu einer Kombination von individueller und kollektiver Erinnerung, wobei der Ausgangs- oder Endpunkt der Erinnerung zumeist in Kriegszeiten fällt. 121 Darüber hinaus verfasst Yoland Simon aber auch Dramen über historische Figuren wie Flora Tristan mit Flora oder geschichtliche Ereignisse wie die Schlacht von Hastings mit Loin de Guillaume und die französische Revolution mit „Dieu! que la philosophie serait jolie, s’il n’y avait les révolutions! “ 122 Zu Dramen über die Literatur sind Werke zu zählen, in denen Figuren aus dem Œuvre Maupassants auf ihren Erfinder treffen wie Le Pourvoyeur und Services compris, das Stück Tout un drame ou La grande querelle über die Bataille d’Hernani oder die verschiedenen Formen des Metatheaters beziehungsweise Theaters im Theater 123 . Des Weiteren finden sich auch konkret soziale Thematiken wie Arbeitslosigkeit in Chute libre, Generationen- und Kulturkonflikte in De mer et de sable und Maroc tristement au cœur sowie (Menschen-)Rechtsfragen in Erreur judiciaire, „Si j’osais, mon petit cœur…“ und Le 21 ème Choix. Neben einem vorrangig von der Dramatik geprägten literarischen Schreiben verfasst Simon aber auch Werke in epischen und lyrischen Gattungen. 124 Sowohl seine Gedichte als auch seine Romane, Novellen und Erzählungen sind zwar von den wiederkehrenden Themen des Alltags- und Familienlebens in der Normandie, der heimatlichen Landschaft und 119 Vgl. etwa die Trilogie Chroniques villageoises, zu der die Stücke Je l’avais de si près tenu, Imprécations und Couleur de cerne et de lilas gehören. 120 Hier steht auch die sprachliche Ausgestaltung im Vordergrund. So arbeitet er in Imprécations mit Dialekten und Neologismen und in Couleur de cerne et de lilas mit familiären Redewendungen des Französischen der 1950er Jahre. 121 Auf diese Weise geht es in Week-end à Memphis um den Koreakrieg, in Couleur de cerne et de lilas um den Indochina- und Zweiten Weltkrieg, in Adieu Marion um den Zweiten Weltkrieg, in Fracas chez Frascati um die Zeit des Entre-deux-guerre, in Paroles de la mer - das in Anleihe an Roger Vercors verfasste Stück stellt zudem bezüglich der dramatischen Konzeption zweier Zeitebenen eine Art Skizze von Adieu Marion dar - um den Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie in Je l’avais de si près tenu um den Ersten Weltkrieg. 122 Verknüpft werden diese geschichtlichen Rahmenbedingungen häufig mit literaturgeschichtlichen Facetten: So wird etwa die Schlacht von Hastings mit der Lyrik der Trouvères angereichert und die französische Revolution mit der Encyclopédie. 123 Wie Le roi des galions, Au théâtre comme au théâtre, Les incertitudes de Sophie, das Marionettenspiel Sozi et Sizo und die Clownsspiele in Auguste Président. 124 Öffentliche Anerkennung erfährt Simon v.a. für sein dramatisches Werk, so bspw. 1991 die Förderung durch das Centre National des Lettres. Neben zahlreichen Preisen für seine Dramatik wird er aber auch für seine Erzähltexte ausgezeichnet. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 74 der Kindheitserinnerungen inspiriert, formal und inhaltlich geht Simon aber über die Ästhetik eines reinen „écrivain de terroir“ 125 hinaus. Das 1995 uraufgeführte Drama Adieu Marion, 126 das formal in neun Tableaux unterteilt ist, inszeniert die abgeschlossene Welt eines Pariser Kabaretts, in dem die Figuren den Zweiten Weltkrieg vergessen oder verdrängen wollen. Der Krieg und seine Folgen dringen allerdings durch die Außen- und Innenwelt in Form von Figuren, Ereignissen und Erinnerungen in diesen „huis clos“ 127 ein, denn „Hélas on n’échappe pas à son époque, et l’Histoire, dans un bruit de bottes, s’invite à votre table, et la tragédie surgit où on ne l’attendait pas.“ 128 Diese unerwartete Tragödie besteht im Selbstmord der Tänzerin Marion am Ende des Dramas. Aufgrund ihrer unglücklichen Liebe zu Soldaten und besonders zu einem deutschen Soldaten, der nach Russland in den Krieg ziehen musste, wird sie selbst zu einer Art verspätetem Kriegsopfer. 129 Während die Einheit des Ortes durch die Verlagerung des Geschehens in das Kabarett und die Innenwelt der Figuren betont aufrecht erhalten wird, setzt Simon dem eine diametrale Uneinheitlichkeit der Zeit entgegen: 130 In den Regieanweisungen summarisch vorgegeben als „L’action se passe [...] en 1939, pendant la guerre ou à la fin de 1945“ (5) wird die Zeitkonzeption für die einzelnen Tableaux separat geregelt. Dabei fungiert die Handlung in der Zeit Ende 1945 als Rahmen, in den Rückblicke eingelagert sind. 131 Nach dem Krieg möchte der Journalist Julien, der bei der Zeitung mit dem vielsagenden Titel „L’Intransigeant“ (6) arbeitet, einen Artikel über das Pariser Kabarett von Monsieur Marcel schreiben und plant deshalb eine Befragung der Augenzeugen. 132 Damit ist er als Figur konzipiert, die 125 Jean-Philippe Mestre: Le goût de l’histoire. In: L’Avant-Scène Théâtre, no. 967, 1995, S. 35f., hier S. 36. 126 Yoland Simon: Adieu Marion. In: L’Avant-Scène Théâtre, no. 967, 1995, S. 3-34. 127 Vgl. dazu auch Sartres Konzeption des „huis clos“. Es wird sich jedoch zeigen, dass die Figuren anders reagieren als im satrischen Drama. 128 Diese Beschreibung ist Teil des Klappentextes der zugrunde liegenden Ausgabe. 129 Der Journalist Julien stellt in Bezug auf Marion heraus, „C’est aussi une victime de la guerre, à sa façon.“ (34). 130 Die unterschiedliche Behandlung der drei Einheiten stellt für Simon in Anlehnung an Salacrou eine Möglichkeit dar, für jedes seiner Stücke eine spezifische Dramaturgie zu entwerfen. Vgl. Brief, S. 351. 131 Das Rahmengeschehen Ende 1945 bilden so die Tableaux I, IV, VI, VII, VIII (genaue Datierung: 31.12.1945) und IX. Das Binnengeschehen ist zum einen in die Zeit im Juni 1940 (Tableaux II und III), zum anderen in eine Zeit während des Krieges (Tableau V) verlegt. 132 Eine vergleichbare Konstruktion findet sich auch in Daniel Benoins Sigmaringen, (France). Der am 24.10.1947 in Mulhouse geborene Schauspieler, Regisseur und Theaterdirektor (1975-2001: Comédie de Saint-Étienne, seit 2002: Théâtre National de Ni- 2.1.1 Yoland Simon: Adieu Marion 75 nicht aus persönlichen, sondern aus professionellen Gründen den Blick zurück in die Vergangenheit evozieren will. Zugleich fungiert er mit dem zu schreibenden Artikel auch als Multiplikator der Erinnerung. Dabei ist Julien sich des fließenden Übergangs von Geschichte zu Geschichten sehr bewusst und relativiert dementsprechend in einer Antiklimax, die eine Geschichtskonzeption im Sinne Hayden Whites ausdrückt, 133 dass er von ce), der nur dieses eine Stück verfasst, aber verschiedene Dramen aus dem Deutschen übersetzt hat, inszeniert es am 20.02.1990 in Saint-Étienne selbst. Auf der Rahmenebene, die in Form eines Prologes und drei Inserts innerhalb des zweiten und dritten Aktes eingelöst wird, sucht ein Journalist im Sommer 1989 den im Schloss von Sigmaringen als Museumsführer tätigen Perreux auf und befragt ihn quasi inquisitorisch nach seiner Vergangenheit. Während dieser seine Rolle in der Kollaboration herunterspielt, seine Reden zugleich aber von einer unveränderten Gesinnung zeugen (58, 69), illustrieren die als Sequenzen konzipierten Binnenszenen Sigmaringen als Exil der Vichy-Regierung in der Zeit von 1944-1945: Neben Perreux als Verbindungsfigur der fließend ineinander übergehenden Zeitebenen werden Protagonisten des Vichy-Regimes, etwa Brinon, Laval, Luchaire, Darnand und Déat, inszeniert - vgl. auch deren Gestaltung in Chartreux’ Theatertext Violences à Vichy (Kap. II 2.2.6) - , die in grotesken Ministerratssitzungen eine Regierung ohne Land aufrechtzuerhalten suchen. Kommt dies bereits einer Inszenierung gleich, wird sie noch potenziert durch das begleitende Filmprojekt Raymond Soubises und des „poète maudit et maudissant“ Louis-Ferdinand Célines über „la vie quotidienne à Sigmaringen“ (23) - dessen Statisten in Anspielung an Leni Riefenstahls Filme Zwangsarbeiter sind (53- 57) -, das in zunehmender Verschachtelung der Fiktionsebenen „Sigmaringen, France“ heißen soll (24) und Sequenzen des Stückes erneut aufgreift (31). Als Karikatur von Vichy mündet die Politfarce Benoins, bei der Pétain nur durch die Geräusche seiner Schritte anwesend-abwesend ist (26, 65, 83), nach einer vorgezogenen Siegesfeier zur Ardennenoffensive in panischen Fluchtszenen der wie Kasperlefiguren verkleideten Politiker - mit Parallelen zu Jarrys Ubu roi - vor der Armee Leclerc. Benoin, der in seinem Vorwort Pourquoi reparler de ces vieilles histoires? (7f.) die noch andauernde kollektive Prägung der französischen Gesellschaft durch Kollaboration und Résistance betont, stellt auf diese Weise in seinem Theatertext das Schloss von Sigmaringen als Ort der Inszenierung (49) und zugleich als Gedächtnisort (Museum und Exil von Vichy/ Kollaboration) in seinem topographischen Vermittlungspotential dar. In Form eines „Avertissement“ (9) präzisiert Benoin die sein Werk mitkonstituierenden Prätexte, zum einen die historische Darstellung von Henry Rousso: Pétain et la fin de la collaboration: Sigmaringen 1944-1945. Brüssel (Éditions Complexe) 1984, zum anderen Louis-Ferdinand Célines Roman D’un château l’autre. Paris (Gallimard) 1986. Vgl. darüber hinaus auch Jean-Paul Cointet: Sigmaringen: Une France en Allemagne (septembre 1944-avril 1945). Paris (Perrin) 2003 sowie zum Stück selbst das Kapitel „Frankreich in Deutschland 1945 - Einladung zur Relativierung stereotyper Deutschlandvorstellungen auf dem Umweg: ‘Deutschlandentlastung’ via Frankreichkritik? “ von Matthes in seinem Aufsatz Nationalstereotypen im dramatischen Kontext, hier S. 243-245 und Matthes: Aspects d’un mythe contemporainSerge Gaubert: Daniel Benoin. In: Corvin (Hrsg.): Dictionnaire encyclopédique du théâtre, 1991, S. 102f. Daniel Benoin: Sigmaringen, (France). Paris (Actes Sud-Papiers) 1990. 133 Vgl. zu Whites Konzeption, der der Ansicht von der Geschichtsschreibung als Rekonstruktion objektiver Epochenabläufe ein Konzept der Geschichte als Konstrukt entgegensetzt und ausgehend von der Betonung fiktionaler Elemente in der Histo- II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 76 der Suche nach „L’Histoire [...], enfin des histoires, disons de la copie“ (9) geleitet sei. Für seine Recherchen über die Rolle des Kabaretts während der deutschen Besatzung sucht er den Ort des Geschehens auf. Hier trifft er auf unterschiedliche Figuren und Ansichten. Durch rückblickende Gespräche, die Julien mit den Worten „Racontez-moi quand même, c’était comment avant? “ (9) initiiert, wird die Welt des Kabaretts zur Zeit der deutschen Besatzung und des Krieges evoziert. Die konkrete Bewegung zurück in die Vergangenheit wird jeweils durch Lieder 134 beziehungsweise durch eine Kabarettvorstellung allgemein eingeleitet und geht dann zunächst tiefer zurück in die Vergangenheit, um sich anschließend wieder der Gegenwart anzunähern. Dabei bleiben die Binnenzeitebenen unberührt vom Rahmengeschehen. Weil sie als ganze, eigenständige Tableaux konzipiert sind, findet keine direkte Verschachtelung der Zeitebenen statt. Zwar deutet sich eine gewisse Verschmelzung der Zeitebenen in der Rahmensituation an, wenn durch singulär eingefügte epische Rückwendungen eine Art zeitliche Potenzierung und Verschränkung erfolgt. 135 Diese erzählend angedeutete Erinnerung auf beiden Ebenen scheint aber nebengeordnet, da der eigentliche Rückblick ohne die Vermittlung durch eine Erzählerfigur erfolgt. Insofern wird die Kategorie der Unmittelbarkeit als primäres Gattungsmerkmal des Dramas letztendlich aufrechterhalten. Mit der Aufsprengung der Zeit in drei unterschiedliche Ebenen verbindet Simon das Ziel, „[de] produire des frottements efficaces entre les trois périodes évoquées (juste avant l’Armistice, pendant l’Occupation, à la Libération)“ 136 und vereint gewissermaßen in einem Drama, was Grumberg mit seiner Trilogie auf drei Stücke verteilt. Simon stellt selbst, wenn auch mit anderem Fokus, den Einfluss Jean-Claude Grumbergs auf sein eigenes Werk heraus. Dabei führt er mit En r’venant d’l’Expo ein für Grumberg typi- riographie die Geschichtsschreibung an die Literatur annähert, Hayden White: Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen: Studien zur Tropologie des historischen Diskurses. Stuttgart (Klett-Cotta) 1986 (Sprache und Geschichte; Bd. 10) und ders.: Der historische Text als literarisches Kunstwerk. In: Christoph Conrad und Martina Kessel (Hrsg.): Geschichte schreiben in der Postmoderne. Beiträge zur aktuellen Diskussion. Stuttgart (Reclam) 1994, S. 123-157. 134 Beim Übergang von 1945 zum Juni 1940 singen Simone und Lilly „Nous irons laver notre linge sur la ligne Siegfried“ (9), beim Übergang von 1945 zur Zeit während des Krieges singt Arlette in einer Retrospektive auf deutsch das Lied „Lilly Marlène“ (20). 135 So erzählen bspw. die Soldaten anlässlich des als Niederlage empfundenen Waffenstillstandes vom Sieg der Väter über die Deutschen (10) und der Caporal Lemonnier in der Art eines Botenbericht an Silvester 1945, wie er die letzten fünf Jahre der Besatzungszeit verbracht hat (31f.). 136 Brief, S. 346. Darüber hinaus verweist Simon für diese Form der Retrospektive in Theater und Kino auf die Rolle Armand Salacrous und seines Stückes L’Inconnue d’Arras. 2.1.1 Yoland Simon: Adieu Marion 77 sches Drama an, das aus Kabarettszenen besteht. 137 Diese Form des Theaters im Theater, die Jean-Pierre Sarrazac im Werk Grumbergs als „caricature de pirandellisme“ 138 gering schätzt, will Simon aber durch eine strikte Einhaltung der Einheit des Ortes in seinem Stück Adieu Marion anders verstanden wissen: Nicht als „une mise en parallèle signifiante comme dans En r’venant d’l’Expo, mais comme un lieu où peuvent se manifester toutes les ambiguïtés de la France de l’époque.“ 139 Aufgrund der Uneinheitlichkeit der Zeitstruktur erscheint auch eine Einheit der Handlung auf den ersten Blick unwahrscheinlich. Dennoch ist diese grosso modo durch die zentrale und auf allen Zeitebenen präsente Frage gewahrt, ob es eine Form der Kollaboration darstelle, das Kabarett - und somit allgemeiner formuliert jegliche Kunstproduktion - für ein deutsches und vichyistisches Publikum weiterzuführen (etwa 15, 19, 21). Die ideologische Grundausrichtung ist dabei nicht zentral, entscheidend ist Simons Fokus auf soziologische und berufliche Dispositionen. 140 Ein weiteres verbindendes Element der Handlung ist deshalb auch die durchgängige Darstellung der Auswirkungen der Außenwelt auf die Figuren. In Adieu Marion sind die Figuren so widersprüchlich gezeichnet wie die Epoche, in der sie leben. Sie sind in ihren Ängsten, Gefühlen, Wertvorstellungen und letztlich auch in ihren Interessen gefangen. Kulturelle, soziale, politische und historische Determinierungen spielen in der Figurenkonzeption eine größere Rolle als die Frage nach existentieller Freiheit und Verantwortung. So sind die Protagonisten weder im Sinne Sartres eindeutig als „salauds“ 141 oder als Opfer ihrer Zeit auszumachen, sondern werden 137 Vgl. a.a.O. 138 Sarrazac: L’Avenir du Drame, S. 33. 139 Nicht nachvollziehbar erscheint hingegen seine sehr weitgehende Betonung, dass die Form des Theaters im Theater in seinem Stück gar nicht existiere. Vgl. Brief, S. 346. 140 So dargestellt an den Kabarettisten in ihrem Alltagsleben (der kleinen Leute), die sich zur Ausübung ihrer Kunst dem jeweiligen Machthaber unterwerfen: Das Publikum wechselt dabei analog zur jeweiligen Präsenz in Paris von Franzosen zu Deutschen und Kollaborateuren hin zu Amerikanern. In der Figurenkommentierung versieht Simon dies mit den gängigen, ernährungsspezifischen Nationenbildern: „les mâcheurs de chewing-gum ont viré les mangeurs de choucroute“ (26). Im Brief stellt Simon diese Frage des Weitermachens bei wechselnden Machthabern sowohl im kulturellen Bereich als auch globaler in Bezug auf Berufssparten wie Lehrende, Juristen etc. und grenzt diese aber von einer ideologisch motivierten, aktiven Unterstützung ab, wie sie z.B. die Literatur der Kollaboration à la Drieu La Rochelle und Céline darstellt. Vgl. Brief, S. 347f. 141 „Ainsi, au nom de cette volonté de liberté, impliquée par la liberté elle-même, je puis former des jugements sur ceux qui visent à se cacher la totale gratuité de leur existence, et sa totale liberté. Les uns qui se cacheront, par l’esprit de sérieux ou par des excuses déterministes, leur liberté totale, je les appellerai lâches; les autres qui essaieront de montrer que leur existence était nécessaire, alors qu’elle est la contingence même de l’apparition de l’homme sur la terre, je les appellerai des salauds.“ Jean- Paul Sartre: L’existentialisme est un humanisme. Paris (Gallimard) 1996, S. 70f. Die Aus- II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 78 in ihren grundsätzlichen „pathétiques ballottements“ 142 vorgeführt: „Les personnages d’ailleurs ne sont ni de parfaite bonne foi, ni de parfaite mauvaise foi. Les idéologies aussi s’annulent et les principes de bien et de mal se neutralisent“. 143 In dieser Ambivalenz führt Yoland Simon etwa die pazifistische und eigentlich unpatriotische Simone vor, deren Vaterlandsliebe aber angesichts der Erniedrigungen entsteht und schließlich sogar wichtiger wird als ihr Pazifismus, wenn sie „à nos petits gars mal armés, mal commandés“ (20) denkt. In einem anderen Beispiel zeigt er den Journalisten Julien, der ehemalige Résistancemitglieder als skrupellose, politisch linksstehende Emporkömmlinge diskreditiert, dies aber in einer nostalgischen Sehnsucht nach Ideologien und nicht aufgrund eines Pessimismus bezüglich der menschlichen Natur tut. 144 Die Sängerin Marion konzipiert Simon als Figur, die sich mit einer fast schon provokant geäußerten Philosophie, dass jeder auf sich selbst gestellt sei und seinen eigenen Krieg führe (15), von der Geschichte befreien will, um ihr letztendlich aber dennoch zum Opfer zu fallen. Monsieur Marcel, dessen Widerstand gegen die Deutschen lediglich darin besteht, dass er ihnen schlechten Schaumwein zum Champagner-Preis verkauft (8), 145 bringt es mit „sa lucidité de petit bonhomme un peu lâche mais assez franc finalement“ 146 auf den Punkt: „Il y a des époques, voyez-vous, Il [sic] faut vraiment beaucoup de qualités pour les traverser sans dégâts. [...] il fallait être assez clairvoyant pour choisir le bon camp, assez désintéressé pour tout sacrifier et assez courageux pour tout risquer.“ (19). Yoland Simon evoziert damit eine in der Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg zum Topos gewordene Frage: Wie hätte man sich selbst in dieser Zeit unter den Bedingungen verhalten - wäre man eher zum Kollaborateur oder zum Widerständler geworden? Für den Dramatiker ist diese Frage in zweierlei Hinsicht symptomatisch: Einerseits wird sie in der Auseinandersetzung der zweiten Generation drängend, weil diese selbst mit der Entscheidungssituation nicht konfrontiert ist. Andererseits resultiert die Frage nach Ansicht Simons in erster Linie aus einer spezifisch nationalen Auseinandersetzung mit dem Thema. Während sich den Deut- einandersetzung mit Sartre scheint an vielen Stellen im Werk durch. Der Journalist Julien ist etwa eine Figur im sartrischen Stil „en quête de transparence, inquiet et manquant aussi un peu d’indulgence.“ Brief, S. 348. 142 Ebd., S. 346. 143 Ebd., S. 348. 144 Vgl. in diesem Zusammenhang auch seine Bewunderung für die Jugendlichen des Lycée Buffon (25). In gleicher Manier betont Julien auch, dass er Vichy eher intuitiv aufgrund von Hass- und Rachegefühlen abgelehnt habe und nicht etwa aus rationalen Gründen (26). 145 Vgl. auch das mittransportierte Bild von den deutschen Besatzern als unkultivierten Banausen, die dies nicht bemerken. 146 Brief, S. 348. 2.1.1 Yoland Simon: Adieu Marion 79 schen, deren „mémoire [...] sans doute terrible à assumer mais [...] sans ambiguïté“ sei, eher die Frage aufdränge „Comment a-t-on pu faire cela? “, gehe es bei den Franzosen angesichts von Vichy und Résistance um die im Drama behandelte Frage „Dans quel camp aurais-je été? “ 147 So wird Adieu Marion nach Meinung Simons zu einem Drama „de la conscience inquiète d’un Français n’ayant pas eu à vivre directement ces événements.“ 148 Dieses Gewissen befragt aus der Perspektive des Nachgeborenen die Komplexität, Gespaltenheit und Widersprüche der Zeit, allerdings nicht in einer „attitude du juge“, sondern in Form „d’un certain désarroi“. 149 In diesem Sinne wird dramenimmanent erneut auf eine Unterscheidung in zwei Modi der Erinnerung verwiesen, wenn die Figur der Lilly Pierre um eine erzählende Vermittlung der Ereignisse bittet, allerdings interessiere sie „La guerre, non. La tienne, oui.“ (12). 150 Die hier getroffene Differenzierung und implizite Möglichkeit zur Kontrastierung zwischen der großen Geschichte und den kleinen individuellen Geschichten „correspond à la volonté d’opposer le décor conventionnel de la guerre avec les tragédies de la vie quotidienne. Toujours le frottement de l’intime et de l’histoire.“ 151 Darüber hinaus sind Simons „goût de l’histoire“ 152 und seine „passion de la remémoration“ 153 auch von dem Bewusstsein der Überlieferungsproblematik getragen. Als Autor der zweiten Generation verweist er auf die möglichen negativen Auswirkungen der Weitergabe des individuellen und des 147 Ebd., S. 347. Dass sich die für einen Franzosen formulierte Verhaltensfrage für Deutsche im Nationalsozialismus genauso gestellt hat, wenn man nicht pauschal jede Form des deutschen Widerstandes vernachlässigt, erscheint offensichtlich. Die Frage, ob an dieser Stelle eine solch national geprägte Unterscheidung wirklich weiterführt oder ob es dabei nicht eher um eine übernationale Differenzierung in Widerstand und Mitläufer gehen muss, sei dahingestellt. 148 A.a.O. 149 Ebd., S. 348. 150 So ist auch Marions unbeteiligte Reaktion auf den verlorenen ‛großen’ Krieg zu verstehen, wenn sie selbst jeden Abend ihren eigenen kleinen über die Soldaten gewinne (15). 151 Brief, S. 345. Siehe diesbezüglich auch die Nähe zur Dramentendenz des Théâtre du quotidien: „Ce frottement de l’histoire et de l’intime est sans doute aussi une thématique forte du «Théâtre du quotidien» qui m’a fortement influencé.“ Ebd., S. 344. Das Spannungsverhältnis stellt zudem das wichtigste Konstruktionsprinzip in Je l’avais de si près tenu und Couleur de Cerne et de Lilas dar. Im Vergleich zu Letztgenanntem schätzt der Autor selbst den historischen Anteil in den analog konzipierten Werken Flora, Paroles de la Mer und Adieu Marion jedoch höher ein. Vgl. a.a.O. Zur Einflussnahme vgl. auch die „frottements“- oder „entrelacs“-Technik des zum Theater des Alltäglichen zugerechneten Autors Michel Vinaver. Hatzig: Der moderne Kapitalismus im Theater, v.a. S. 49. 152 Mestre: Le goût de l’histoire, S. 35. Vgl. auch dessen Beurteilung des Simonschen Schreibimpetus: „Il écrit pour mettre à nu ces fragiles écorchures de l’histoire qui font à l’âme de nos contemporains des balafres toujours cuisantes.“ Ebd., S. 36. 153 Brief, S. 344. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 80 kollektiven Gedächtnisses, die zum Überdruss führen können. Diese Problematik wird dramenimmanent thematisiert, wenn Pierre den Erinnerungsüberdruss - hier bezogen auf die Erzählungen vom Sieg im Ersten Weltkrieg - als quasi pubertäre Revolte gegen die Vätergeneration sogar für die militärische Niederlage verantwortlich macht: Nos pères! Ils nous ont tellement lavé la tête avec leurs victoires. Oui complètement dégoûtés avec leurs combats, leurs batailles, leurs grands faits d’armes et tout le toutim. La Marne au petit déjeuner, Verdun au déjeuner, le chemin des Dames avec la soupe. C’était écœurant à la fin toutes ces victoires, une vraie indigestion, alors fatalement on a voulu goûter à autre chose: la défaite. (10) Auf der Ebene der Dramenkonzeption wählt Simon - auch im Bewusstsein der Gefahren eines solchen Erinnerungsüberdrusses - nicht das bereits besetzte (Bild-)Zentrum der Geschichte: „En effet la seconde guerre mondiale semble marquée par les imageries du Reich d’une part, des forces alliées et soviétiques d’autre part. Tout ici est clair, évident. Donna lieu à une quantité invraisemblable de livres ou de films.“ 154 Stattdessen geht Simon vom Zentrum zum Rand und macht mit den französischen Soldaten von 1939-40 die „oubliés de l’histoire“ 155 zum Thema seines Dramas. Mit dieser betonten Marginalisierung zeitlicher, örtlicher und personeller Natur siedelt er sich in einem vergleichsweise bilderlosen Raum 156 an, den er selbst bereits wenige Jahre zuvor in Anknüpfung an Aragon zu bebildern versucht hat. 157 Neben dieser quasi erinnerungspolitischen Entscheidung bei der Themenwahl kommt für Simon eine biographisch motivierte hinzu. Denn das markanteste Bildzentrum, Auschwitz als pars pro toto, thematisiert Simon auch aus einer gewissen Scham des Nachgeborenen nicht direkt: „certaine pudeur, n’ayant eu de ce côté aucune souffrance familiale ou autre“. 158 Da- 154 A.a.O. 155 A.a.O. 156 Simon verweist darauf, dass es zu dieser ersten Phase des Krieges bisher relativ wenige Werke gibt. Neben Robert Merles Week-end à Zuydcoote, Le Caporal épinglé von Jacques Perret, Les grandes Vacances von Francis Ambrière und Sartres La Mort dans l’Âme nennt er Filmprojekte wie Où est passé la Septième compagnie? , die er allerdings als „colossale bêtise“ bewertet. A.a.O. 157 In Aragons bekanntem Gedicht Il n’y a pas d’amour heureux werden „ces soldats sans armes / Qu’on avait habillés pour un autre destin / Eux qu’on retrouve au soir désarmés incertains“ evoziert, auf die sich Simon in seinem Gedicht Louis Aragon bezieht und die ihm auch für Adieu Marion als Anknüpfungspunkt gereichen: „La vie dévidait des bobines / Où nos pères gentils soldats / Défilaient dans des cinémas / Sur d’étranges chemins d’exil [...]“. Yoland Simon: Louis Aragon. In: Les Heures et les demeures. Amiens (Corps-Puce) 1993, S. 22. 158 Brief, S. 343. Hinzu kommt auch, dass seine Eltern nicht von den Deportationen der Juden gesprochen haben. Simon erklärt sich dies zum einen durch eine lokale Abwesenheit der jüdischen Gemeinschaft in der Normandie, zum anderen durch den allgemein französischen Umgang mit Vichy in der direkten Nachkriegszeit. A.a.O. 2.1.1 Yoland Simon: Adieu Marion 81 mit spricht er ein Argument an, das zu einer Art Rechtfertigungstopos in der ästhetischen Darstellung des Holocausts geworden ist: Mit dem eigenen Erleben der grausamen Ereignisse geht vielfach eine uneingeschränkte und vor allem unverdächtige Thematisierungslizenz einher. Übertragen auf die zweite Generation wäre diese dann, wie von Simon angedeutet, über familiäre Erlebnisse aus zweiter Hand gesichert. Darstellungen jedoch, die nicht von einem individuellen Gedächtnis ersten oder zweiten Grades getragen sind, werden häufig akribisch auf ihre modi memorandi überprüft sowie der Frage ihrer Rechtmäßigkeit unterworfen. Genauso problematisch wäre für Simon jedoch auch ein gänzliches Verschweigen des Bildzentrums. Deshalb entscheidet er sich für eine Thematisierung, die weder im Zentrum steht, noch die Ereignisse ausspart. 159 Die Wahl Pithiviers’ als Wohnort Lemonniers wird also zu einer erinnerungstopographischen Entscheidung: Einerseits als Symbol für La France profonde, steht Pithiviers andererseits als Gedächtnisort für „la cécité française sur le problème du génocide“ 160 , denn hier haben sich Franzosen aktiv an den deutschen Verbrechen beteiligt. 161 Hinzu kommt nur noch eine kurze Anspielung Juliens auf die Konzentrationslager (31). Innerhalb dieser thematischen Randständigkeit ist auch der Verzicht auf sein ursprünglich komparatistisch angelegtes Projekt einer Gegenüberstellung französischer Soldaten von 1940 und deutscher Soldaten am Ende des Krieges an der Ostfront biographisch motiviert: „Ce fut [...] la difficulté de travailler sur cette mémoire des soldats allemands qui n’avait jamais rencontré mon propre vécu.“ 162 In seinen Erfahrungshorizont gehört hingegen durch den Vater die Erinnerung der französischen Soldaten. Das individuelle Gedächtnis des Vaters 163 findet in Simons Drama Eingang, wenn der Gefreite Lemonnier die vom Vater erlebten Ereignisse in Ponts-de-Cée nahe Angers quasi in Form eines Botenberichtes erzählt, als ein Teil der Soldaten zu Gefangenen wurde, der andere Teil über die Loire flüchten konnte. 164 Analoges Konstruktionselement als Teil der erzählten ‛Vater- 159 Weder will er also die Ereignisse verschweigen noch „plaquer artificiellement l’évocation du génocide dans Adieu Marion.“ A.a.O. In Paroles de la mer verfährt Simon analog, indem er, wiederum am Rande, die Reichskristallnacht thematisiert. 160 Ebd., S. 343f. 161 Die Vichy-Regierung hat hier ein Konzentrationslager errichtet, in dem v.a. die Gefangenen der Massenverhaftung der Vélodrome d’Hiver interniert und dann nach Auschwitz deportiert wurden. Vgl. http: / / www.ville-pithiviers.fr/ histoire_locale/ histoire_locale.php [Stand: 10.09.2005]. 162 Brief, S. 345. Spuren des Projektes eines Gedächtnisortes an deutsche Soldaten sind aber in seiner Novelle Elle était jeune et vendait des Brötchen à Garmish Partenkischen [sic] zu finden. In: Et si on arrêtait la Mer? Paris (L’Harmattan) 1994, S. 102-103. 163 Das eigene individuelle Gedächtnis des bei Kriegsende dreieinhalbjährigen Simon gibt nur Umrisse des 14.07.1945 her „avec un hommage traditionnel, enfants des écoles, drapeaux etc.“ Brief, S. 342. 164 Vgl. (31) und Brief, S. 342. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 82 Geschichte’ stellt das immer wiederkehrende Thema dar „selon lequel le Haut commandement français aurait trahi est à la fois fréquemment avancé par de nombreux Français et m’a été constamment répété par mon père.“ 165 Ähnlichkeiten zur Biographie finden sich darüber hinaus auch bis in die Figurenkonzeption, denn der Dramatiker entwirft die Figur der Simone nach dem Bild seiner Mutter. Wenn Simone herausstellt, „La vie c’est déjà assez dur sans y ajouter des guerres“ (20), 166 dann könnten dies nach Aussage Simons die Worte seiner Mutter sein, die eine „relative indifférence pour toutes ces vicissitudes de l’Histoire“ 167 demonstriert. Simons Eltern räumen der Zeit jeweils einen ganz unterschiedlichen Stellenwert in ihrem Leben ein: Contrairement à mon père pour qui la seconde guerre mondiale fut un événement déterminant de sa vie (la défaite à assumer, l’engagement dans la Résistance, l’adhésion au parti communiste, les souvenirs de plus en plus prégnants avec l’âge) la guerre ne fut qu’un épisode de la longue vie de ma mère. 168 Damit stehen beide Elternteile auch paradigmatisch für einen unterschiedlichen Umgang mit der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Während für den Vater Gedenken und Erinnern zentral sind, verabscheut die Mutter hingegen jede Form des Erinnerungskultes. Neben biographisch gefärbten Einflüssen auf die Figurenkonzeption kristallisieren sich auch intertextuelle Montageverfahren im Rückgriff auf Literatur und Geschichte heraus. Die Figur des Jazzliebhabers Pierre, der für diese verbotene musikalische Vorliebe einige Gefahren auf sich nimmt (21f.), 169 ist etwa von einer Figur Marcel Aymés in Chemin des Ecoliers beeinflusst. Weil man ihn daran hindern will, seine Lieblingsmusik zu hören, tritt er der Résistance bei. Des Weiteren sind die Beschreibung Pierres von ‛seiner’ Kriegszeit (12f.) indirektes Zitat des Textes Jean Giraudoux’ Armistice à Bordeaux 170 . Giraudoux skizziert als Erbe für die Kindergeneration 165 A.a.O. Simon fügt jedoch mit dem Verweis auf mögliche Wahrnehmungsverschiebungen im Rahmen der individuellen Erinnerung an, dass es sich dabei auch um eine Erklärung für eine als besonders erniedrigend empfundene Niederlage handeln könne. 166 Vgl. dazu die Schilderungen über seine Mutter im Brief, S. 342f. 167 Yoland Simon erklärt sich dies v.a. aus der Tatsache, dass die 1908 geborene Mutter im Unterschied zu ihrem neun Jahre jüngeren Ehemann beide Weltkriege miterlebt hat. Die Zeit des Zweiten Weltkrieges ist für sie darüber hinaus in erster Linie von der Geburt ihrer drei Kinder (Mai 1939, Juni 1940 und September 1941) und danach von einer schweren Erkrankung geprägt. Vgl. ebd., S. 343. 168 A.a.O. 169 Der Jazz steht auch für das bereits erwähnte charakteristische Stilmittel der Simonschen Schreibweise, für seine „frottements contextuels (ou thématiques [...]) et sémantiques“, die hier historischer Natur sind: Der Jazz ist einerseits Symbol „de décadence pour les tenants de la Révolution Nationale et les Maréchalistes“, andererseits wird er zum Symbol des Amerikanismus und der Befreiung. Ebd., S. 350. 170 Der zitierte Textauszug findet sich in Jean Giraudoux: Armistice à Bordeaux, 23 juin 2.1.1 Yoland Simon: Adieu Marion 83 ein Vaterland, das, obschon von der Niederlage gezeichnet, von seiner landschaftlichen Schönheit nichts eingebüßt hat und aus eigener Kraft wiedererstehen wird. Pierre vergleicht seine ‛Tour de France’ darüber hinaus mit einer bekannten Vorlage, wenn er unterstreicht „j’étais un peu comme ces deux gamins dans le bouquin de nos parents“ (13): dem Schullesebuch Le Tour de la France par deux enfants. 171 Dieses wurde bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges benutzt und beschreibt mit einer analogen Ausgangssituation - hier die Besatzung des Elsass durch Preußen - eine kindliche Entdeckungsreise durch die französischen Provinzen. Die Referenz zu dem bekannten Lehrbuch erscheint vor allem vor dem Hintergrund vielsagend, dass dieses in Frankreich als Medium des Idealbildes einer ländlichen France profonde zum Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses geworden ist. Dergestalt findet es auch Eingang in Noras Kompendium der nationalen Gedächtnisorte. 172 Einen wichtigen Stellenwert nimmt in der Kabarettwelt der Einsatz von - zumeist sehr stereotypen und damit als Gedächtnisorte funktionierenden - Liedern ein, mit denen jeweils spezifische Bilderwelten in das Drama eingelagert sind. Zentral und bedeutungstragend für die Interpretation des gesamten Stückes ist das Lied „Where have all the flowers gone“, das am Ende in englischer, deutscher und französischer Sprache 173 als Nachruf auf die tote Marion und ihre Liebe zu den Soldaten gesungen wird. Damit wird Marion expressis verbis mit Marlene Dietrich in Verbindung gebracht, die das Lied in eben diesen drei Sprachen gesungen hat und ihm zu Weltruhm verhalf. Mit diesem zugleich sehr klischeebesetzten Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses werden antikriegerische Konnotationen ausgestellt, die sich einerseits aus dem Inhalt des Liedes ergeben, andererseits auch mit der Person Marlene Dietrichs verknüpft sind, die sich vehement gegen den Nationalsozialismus eingesetzt hat. 174 1940. In: Chris Marker: Giraudoux par lui-même. Paris (Seuil) 1959, S. 162f. (Collection Écrivains de toujours, no. 8). Neben Armistice à Bordeaux sind v.a. auch die Texte Pleins Pouvoirs und Sans Pouvoirs Giraudoux’ zu nennen, in denen es um die gleiche Thematik geht. Interessant erscheint im Zusammenhang dieser Beschreibungen auch Aragons Wertung: „c’est, je crois, la France que je m’étais mis à aimer en Giraudoux.“ Marker: Giraudoux par lui-même, S. 173. 171 Das Schulbuch erscheint mit der Autorangabe G. Bruno als Pseudonym von Augustine Fouillée in erster Auflage der Éditions Belin im Jahr 1877. Mit einer Maxime zu Beginn jedes Kapitels versehen, zielt es auf geographische, wissenschaftliche, historische und moralische Bildung und Erbauung der Jugend ab. 172 Zudem ist es nicht nur Teil des kollektiven Gedächtnisses, sondern versteht sich in seiner Anlage auch schon selbst als Gedächtniskunst. Vgl. Jacques und Mona Ozouf: Le Tour de la France par deux enfants. Le petit livre rouge de la République. In: Nora (Hrsg.): Les lieux de mémoire. I: La République. Bd. 1, S. 291-321. 173 Mit diesen drei Sprachen sind auch die Nationalitäten der Soldaten erfasst, die Marion liebte. 174 Da sich das Lied mit seiner pazifistischen Ausrichtung im kollektiven Gedächtnis II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 84 In direktem Zusammenhang mit diesem bekannten Antikriegslied steht auch das im Text angeführte, nicht minder stereotype Soldatenlied „Lilly Marlène“ (31), das zwar durch Lale Anderson 175 bekannt, aber auch von Marlene Dietrich als „Das Mädchen unter der Laterne“ beziehungsweise „Lili Marleen“ gesungen wurde. Mit seinem grenzüberschreitenden Thema der Sehnsucht nach dem Geliebten wurde das Lied, das jeden Abend an allen Fronten gespielt wurde, zur inoffiziellen Hymne der Soldaten des Zweiten Weltkrieges und damit zum populärsten Kriegslied überhaupt. 176 In diesem Sinne wird es auch im Text zitiert, verbunden mit seiner Wirkung, sogar die Wehrmacht melancholisch zu stimmen (31). Beide Lieder heben mit ihrem Fokus national-militärische Grenzen auf und binden das Soldatenbild in eine übernational-menschliche Perspektive ein. 177 Weitere Lieder dienen im Rahmen einer imagologischen Betrachtung von Erinnerung und Gedächtnis in erster Linie der Herstellung einer zeittypischen französischen Atmosphäre, wie das Lied „Et tout ça faisait d’excellents Français“ (10) von Maurice Chevaliers, einer zeitgenössischen Karikatur der Umstände, wie Marions Umwandlung der Marseillaise in „le jour du Boche est arrivé“ (17) 178 oder einer stereotypen Evozierung Deutschlands und der Deutschen und zugleich ihrer Konterkarierung, wenn die Lieder „o tannen Baum [sic]“ (31) und „l’heilige Nacht“ (31), einerseits für deutsche Gemütlichkeit, „Heimat“ und „Familie“ - natürlich mit Hund - stehen, sie andererseits aus den Konzentrations- und Kriegsgefangenenlagern tönen. In diesem Spannungsfeld stehen auch die eingestreuten deutschen Wörter mit nationalsozialistischen Konnotationen, wie „raus“ (17), und romantisch-sentimentale Wörter beziehungsweise Satzteile wie etwa „Gretchen“ (17), „Ich liebe Dich, fergiss [sic] mein nicht“ (29), „Vaterland“ und „Eine ganze [sic] nette Familie“ (31). Das dichotome weitgehend von seinem historischen Kontext losgelöst hat, ist es auch sekundär, dass es sich im Drama eigentlich um einen Anachronismus handelt. Denn Marlene Dietrich hat dieses Antikriegslied in den drei Sprachen erstmals 1962 für UNICEF in Paris gesungen; im Stück wird die Parallele zwischen ihr und Marion aber schon für die ‛dramatische Zeit’ Ende 1945 gezogen. Vgl. Brockhaus: Enzyklopädie in 30 Bänden. Hrsgg. von Annette Leipzig und der Brockhaus-Redaktion. (Brockhaus) 21 2006. 175 Vgl. auch Rainer Werner Fassbinders Film Lili Marleen über die Sängerin aus dem Jahr 1981. Fassbinder stellt anhand der Karriere von Lale Anderson im NS-Regime wie Simon in seinem Drama die Frage nach der Verführbarkeit des Künstlers. Vgl. dazu auch das Kapitel „Lili Marleen: Nazinostalgie? ” In: Peter Reichel: Erfundene Erinnerung. Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater. München (Hanser) 2004, S. 107- 114. 176 Vgl. http: / / ingeb.org/ garb/ lmarleen.html [Stand: 07.09.2005]. 177 Relativierend muss dazu sicherlich bemerkt werden, dass realiter die Funktion des Schlagers Lili Marleen in erster Linie in seiner Kriegspropaganda bestand „vom Töten und Sterben für einen Augenblick abzulenken.“ Reichel: Erfundene Erinnerung, S. 114. 178 Neben der pejorativen Bedeutung von „boches“ als Bezeichnung der Deutschen findet sich im Text auch die der „Schleus“ (17). 2.1.1 Yoland Simon: Adieu Marion 85 Deutschenbild wird textimmanent lokal ausdifferenziert, indem sich die Deutschen im Kabarett als romantisch-sentimentale Kulturmenschen gerieren, die nur außerhalb der Kunstwelt zu nationalsozialistischen Bestien werden. 179 Diese janusköpfige Darstellung erscheint jedoch aussagekräftiger für die Rechtfertigungsmechanismen der Kabarettleute in der Konfrontation mit dem Kollaborationsvorwurf, als für ein spezifisches Deutschenbild, das der Autor mittransportieren will. Unterstützt wird dies dadurch, dass der Autor den Deutschen gleichermaßen französische Kollaborateure an die Seite stellt, so dass auch hier eine nationale Färbung in letzter Konsequenz aufgehoben wird. Simon lässt in sein Drama auch Elemente der Alltagsgeschichte unter deutscher Besatzung und der Nachkriegszeit einfließen, die wiederum Teil des kollektiven Gedächtnisses sind: Neben Schilderungen des besetzten Teils Frankreichs und der „zone libre“ (32), dem alltäglichen Anstehen für Lebensmittel 180 wird auch der Demütigungstopos 181 des Kahlrasierens zur äußerlichen Stigmatisierung von Frauen im Nachkriegsfrankreich verwendet, die in den Augen der épuration-Justiz durch ein Liebesverhältnis mit dem deutschen Feind zu Kollaborateurinnen wurden (20). 182 Zwei intertextuelle Quellen zur Konstruktion seines Dramas führt Yoland Simon textimmanent in Form einer Fußnote selbst aus: Dabei handelt es sich zum einen um die Herkunft eines bon-mot, das von einem Sketch des Chansonniers René Paul inspiriert ist (24), zum anderen um die textlich relevanteren Abschiedsbriefe, die auf die zeithistorischen „Lettres de fusillés“ (25) der Schüler des Pariser Lycée Buffon 183 zurückgehen, von Simon jedoch abgewandelt werden. Im nationalen Gedächtnis der Franzosen symbolisieren diese „cinq martyrs“ einen von Schülern ausgehenden Widerstand gegen die deutschen Besatzer. Vor der Hinrichtung der Jugendlichen am 08.02.1943 verfassten diese im Gefängnis von Fresnes Abschiedsbriefe, die einen letzten Widerstandsakt darstellen. Eingeführt mit dem Effekt der Authentisierung dient das historische Ereignis noch einem weiteren Zweck: Juliens Journalistenkollege, der darüber im Zuge des Zeitgeistthemas Erinnerung (25) einen Artikel verfasst, korrigiert Juliens vorei- 179 „Vous savez, ici, ils étaient très différents“ (20). 180 Wobei dies durch den Botenbericht Alfreds amüsant ad absurdum geführt wird, wenn er seine Verspätung dadurch erklärt, dass er den ganzen Tag anstehen musste, weil er Frauen immer vorlässt, außer ihm aber immer nur Frauen anstehen (24). 181 Allgemeiner Natur findet sich das Thema der Demütigung in vielen Werken Simons, so als Hauptthema in Le Cri de Christelle und am Beispiel des Marokkaners in Une Fin de Semaine très ordinaire dans des paysages variés). Vgl. dazu auch Simons biographische Interpretation des Themenschwerpunktes als Reflex seiner Internatszeit im Brief, S. 349. 182 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung des Topos im Rahmen von Fichets Plage de la Libération (Kap. II 2.2.5). 183 Vgl. http: / / pers.wanadoo.fr/ memoire78/ pages/ bu.html [Stand: 10.09.2005]. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 86 lige Brandmarkung des Geschehens als „Typiquement Allemand. Ils ont toujours eu un sens morbide de la mise en scène“ (25) mit dem Verweis, dass die französische Polizei der eigentliche Täter sei, da sie die Schüler ausgeliefert habe. Erneut erzeugt die Simonsche Schreibweise „frottements“ 184 , die ihre Heterogenität hervorheben, sie aber nicht auflösen. 185 Neben dieser Montage und Fiktionalisierung einer historischen Quelle sowie der Einbindung historischer Figuren 186 in sein Drama stellt Simon das Werk des Historikers Henri Amouroux heraus. 187 In Anlehnung daran habe er Simones Beschreibungen des Parademarsches der Deutschen in Dreux (20) konzipiert. Es mag verwundern, dass Yoland Simon für ein Werk mit einem derart breiten historischen Hintergrund nach eigener Aussage insgesamt kaum recherchiert habe. 188 Das augenscheinliche Missverhältnis zwischen geringer historischer Recherche und großem historischen Hintergrund scheint sich jedoch durch die Relevanz einer Vielzahl aufgezeigter Elementen auflösen zu lassen, die sich aus Simons individuellem Gedächtnis speisen - „Le reste de la pièce s’inspire plutôt d’une imprégnation mélangeant souvenirs familiaux […] et connaissances historiques personnelles“ 189 - und solchen, die bereits durch das kollektive Gedächtnis zur Verfügung stehen - „C’est la force et la grandeur de cette écriture que de trouver sa source dans le cours commun de la société française.“ 190 Auf diese Weise trägt das Drama über die journalistischen Befragungen der Augenzeugen einerseits Züge eines Alltagstheaters, andererseits sind ihm ‛Erinnerung und Gedächtnis’ eingeschrieben: Die Dramentendenz des Théâtre du quotidien „se 184 Auch in anderen Dramen Simons findet sich dieses Stilmittel in verschiedenen Ausprägungen, z.B. als „frottements“ zwischen signifiants und signifiés in Chute libre, als Spiel mit historischen Kontexten in Je l’avais de si près tenu und Couleur de cerne et de lilas oder auch als Kontrastierung verschiedener Sprachregister in Imprécations. 185 Für Simon ist dies auch eine Art, der Kolportage von Klischée-Bilderwelten bei der Ästhetisierung zu entgehen. Vgl. dazu seine Warnung: „Les films ont souvent répercuté des clichés discutables. Ainsi du fameux portrait du Maréchal dans les écoles que l’on se croit obligés de mettre dans tous les films. En zone occupée, la plupart des instituteurs ne le mirent pas et ne firent jamais chanter à leurs enfants l’hymne au Maréchal.“ Brief, S. 348. 186 So werden „le Furher [sic]“ (21) und der „Maréchal“ (u.a. 16 und 21) benannt, aber auch die Stimme De Gaulles aus dem off eingespielt, die die Befreiung von Paris verkündet (17). 187 Vgl. Henri Amouroux: La France et les Français de 1939 à 1945. Paris (Armand Colin) 1970. 188 Vgl. Brief, S. 346. Dies sei nicht zu vergleichen mit der umfangreichen Recherchearbeit für sein Stück Flora. 189 Ebd., S. 347. 190 Mestre: Le goût de l’histoire, S. 35. 2.1.2 Enzo Cormann: Berlin, ton danseur est la mort 87 complète d’un acte de mémoire déterminant.“ 191 Dieser Erinnerungsakt vollzieht sich bei Yoland Simon vor allem im Wissen darum, dass die Vergangenheit wesensbestimmend für Gegenwart und Zukunft ist: L’attention […] se dirige donc simultanément vers le temps qui passe et vers ce qui reste ou ne reste pas du temps passé: soit une source de mélancolie, mais aussi une opération de sauvetage dans laquelle, sans aucun doute, l’auteur investit le meilleur de lui-même, lui notre contemporain, placé entre le souvenir des parents et des aïeux, et l’avenir des enfants et de leurs enfants. 192 2.1.2 Enzo Cormann: Berlin, ton danseur est la mort Am 25.04.1953 193 wird Bernard Vergnes, der sich später das Pseudonym Enzo Cormann zulegt, in Sos am nördlichen Pyrenäenrand geboren. Nach einem Studium der Philosophie und diversen beruflichen Tätigkeiten - zum Beispiel als Rockmusiker, Roadmanager, Sozialarbeiter und Journalist - wendet er sich 1979 dem dramatischen Schreiben zu, wovon er hauptberuflich als einer der wenigen französischsprachigen Dramatiker bereits seit 1983 leben kann. 194 Seine rund 35 Stücke, in so namhaften Verlagen wie Minuit publiziert und in zahlreiche Sprachen übersetzt, werden regelmäßig und von bekannten Regisseuren in und außerhalb Frankreichs inszeniert. 195 191 Philippe Ivernel: Scènes d’une mémoire au quotidien. À propos de Chroniques villageoises. In: Couleur de cerne et de lilas. In: L’Avant-Scène Théâtre, no. 985, 1996, S. 37-39, hier S. 37. 192 Ebd., S. 38. 193 In einigen Publikationen wird das falsche Geburtsjahr 1954 geführt, das wohl auf die fehlerhaften Angaben im Verzeichnis der Bibliothèque Nationale und den Artikel Ryngaerts in Corvins Theaterlexikon zurückzuführen ist. Vgl. zu Biographie und Werk die von Cormann selbst gepflegte Homepage - www.cormann.net - Confortès: Répertoire du théâtre contemporain de langue française, S. 97 sowie Christine Felbeck: Die Kategorie der Erinnerung in Enzo Cormanns dramatischem Werk. Eine typologische Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Erinnerung. Trier (Unveröffentlichtes Manuskript, Magisterarbeit) 2001. 194 Vgl. Ingrit Seibert: Enzo Cormann, ein junger französischer Dramatiker. Sich dem Denken verweigern. In: Das Magazin, April 1985, S. 73. Wenn auch v.a. als Dramatiker bekannt und publiziert, so hat Enzo Cormann in seiner rund 25-jährigen Tätigkeit als Schriftsteller auch andere literarische Gattungen bedient: Neben dem 2006 veröffentlichten Roman Le testament de Vénus verfasst Cormann diverse Chansontexte. Die Öffnung hin zu anderen Gattungen vollzieht sich aber immer auch schon dramenimmanent, da seine Stücke starke Tendenzen zur Hybridisierung und Gattungsmischung aufweisen. 195 Offizielle und damit offensichtlichste Wertschätzung erfährt Cormann, als zu Beginn der 1980er Jahre sein Drama Le Rôdeur vom französischen Kultusministerium ausgewählt wird, um in den USA das amerikanische Frankreichbild zu erneuern und als Paradigma für die zeitgenössische französische Dramatik zu stehen. Vgl. dazu die inhaltlich interessante, aber methodisch aufgrund einer allzu simplifizierenden Rezeptionsanalyse nicht unproblematische Arbeit von Ann-L. Williams: La France ‘se II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 88 Darüber hinaus nimmt die Theaterwelt auch in weiteren Facetten - wie dies im Folgenden kurz dargelegt werden soll - einen wichtigen Stellenwert in Cormanns Leben ein. Den Beginn seiner Lehrtätigkeit 196 markieren die Jahre 1995-2000 an der École Supérieure d’Art Dramatique des Théâtre National de Strasbourg. Aus dem von Cormann geleiteten studio d’écriture entstehen mehrere, zur Aufführung gebrachte Stücke. 197 Im Anschluss lehrt er zwei Jahre als professeur associé an der École Normale Supérieure in Lyon sowie derzeit an der École Normale Supérieure des Arts et Techniques du Théâtre, wo er für die Konzeption und Koordination des Fachteils Écriture dramatique verantwortlich ist. Die bühnenpraktische Seite ist Enzo Cormann gleichermaßen durch gelegentliche Arbeiten als Regisseur eigener wie fremder Stücke 198 und als Schauspieler vertraut. Nachdem er seine Theatersozialisation in frühester Jugend als Schauspieler beginnt, 199 pausiert er von 1972 an einige Zeit, um die Bühne erst zu Beginn der 1990er Jahre in veränderter Funktion erneut zu betreten: Bei Jazz-Dramen-Kombinationen der zusammen mit dem Saxophonisten Jean-Marc Padovani gegründeten Jazztheatergruppe La grande Ritournelle übernimmt Cormann selbst die Rolle des Rezitators, das heißt des Vokalisten. Beide Künstler versuchen - jeder aus der ihm eigenen Richtung -, Musik und Theater beziehungsweise Sprache in Form einer Kollision und nicht als Fusion zusammenzubringen. Ausgehend von der Überzeugung, dass Musik allen Dingen, also auch der Sprache, im Wesen zugrunde liege, führe die Musik die Wörter zu ihrem ursprünglichen Sinn zurück, indem sie ihren Zeichencharakter auflöse. 200 Die Stücke, deren présente’ en Amérique: La diffusion interculturelle du théâtre. Northwestern University (Mikrofiche-Ausgabe, Dissertation) 1989. 196 Vgl. allgemein zu seiner Lehrtätigkeit http: / / www.cormann.net/ enzo/ enseignement.htm [Stand: 21.12.2005]. 197 So z.B. die beim Festival d’Avignon aufgeführten Stücke Cabaret chaosmique (1995) und Sorties (1998). Des Weiteren hat er im Rahmen eines atelier de fiction radiophonique mit den Schülern die Stücke Ciascuno a suo modo von Luigi Pirandello (1999) und Die letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus (2000) für Radio France Culture inszeniert. 198 Vgl. allgemein zu seinen Inszenierungen http: / / www.cormann.net/ enzo/ mise_en_scene.htm [Stand: 21.12. 2005]. Auch hier gilt erneut die Einschätzung von der ‛wechselseitigen Erhellung der Künste’: „Et puis le passage à la scène est toujours l’occasion d’éclaircir des zones d’ombre dans ma pratique d’écrivain.“ Jean-François Gallon: Le théâtre d’Enzo Cormann. In: L’Œil de la Lettre, janvier 1992, S. 7. 199 Nach dem Abitur arbeitet Cormann drei Jahre als Laienschauspieler in kleineren Theatern und schreibt ein Buch über Kindertheater. 200 Die Begegnung mit Padovani und die Konzeption ihrer Kollision von Musik und Literatur ist nachzulesen in Enzo Cormann: Comment cette chose est entrée en nous. In: Europe. Revue littéraire mensuelle. Paris, no. 820-821, août-septembre 1997, S. 39-45, hier S. 44. Zugleich bestätigt die Konzeption eine von Ryngaert beschriebene Tendenz: „Il naît sans cesse des spectacles ‘inclassables’, théâtre du mouvement ou du silence, 2.1.2 Enzo Cormann: Berlin, ton danseur est la mort 89 Grundprinzip der Jazz ist und die Cormann selbst als „spectacle vivant“ 201 bezeichnet, haben mit Theater im ursprünglichen Sinne nur noch wenige Gemeinsamkeiten. Es entstehen vielmehr Oratorien, Opern, Performances, Impromptus etc. 202 Diese Kollision von Musik und Wort, wie sie programmatisch für die Stücke der Truppe La grande Ritournelle steht, bestimmt auch maßgeblich die Entwicklung der Cormannschen écriture der letzten Jahre. 203 So strahlt die enge Verzahnung von Theorie und Praxis, Vermittlung und eigener Ausübung auf sein Schreiben aus, 204 Cormann betont in diesem Sinne: „cela a changé mon regard sur mon écriture théâtrale“. 205 danse théâtralisée ou spectacles de formes inanimées qui se mettent à bouger. Le théâtre musical cherche également un chemin original ailleurs que du côté de l’oratorio ou de l’opéra dans des combinaisons qui interrogent la musicalité du langage.“ Ryngaert: Lire le théâtre contemporain, S. 54. 201 Enzo Cormann: Comment cette chose est entrée en nous, S. 44. 202 Vgl. zu den Stücken und ihren jeweiligen Gattungsbezeichnungen http: / / www.cormann.net/ enzo/ musique. htm [Stand: 21.12.2005]. 203 Das Jazz-Oratorium La Révolte des anges verdeutlicht diesen Zusammenhang, indem es ihn metareflexiv thematisiert. Anhand von drei Ausnahmekünstlern, die aus ihrem Leben ein Werk gemacht haben und umgekehrt, entfaltet Cormann eine gewisse Schreibtheorie: Jeder geschriebene Satz weckt bereits vergangene Stimmen, die der Schriftsteller wie ein musikalisches Innenleben verinnerlicht hat. Dabei kann jeder Autor selbst bestimmen, welche Stimmen und in welcher Kombination er sie aufruft. In diesem Stück beansprucht Cormann für sich als vertraute Stimmen diejenigen von Bernard-Marie Koltès, Jean-Michel Basquiat und Chet Baker. Vgl. Enzo Cormann: La Révolte des Anges. In: http: / / www.theatre-contemporain.net/ spectacles/ revolte_des- _anges/ presentation.htm [Stand: 21.12.2005]. Was hier einer Intertextualitätstheorie gleicht, veranschaulicht formal und inhaltlich die Kollision von Musik und Wort. So kann die Jazz-Theater-Truppe mit ihren Stücken zur Bestimmung des Schreibstils Cormanns nahezu metaphorisch eingesetzt werden, der im weiteren Verlauf der Untersuchung noch näher bestimmt wird. 204 Im eigentlichen Sinne impliziert für Cormann bereits die Rolle des Dramatikers die enge Verbindung zu den weiteren Facetten des Theaters: Dieser sei gattungsbedingt einer Dialektik von Einsamkeit am Schreibtisch und kollektiver Aktivität am Theater ausgesetzt, da er - im Unterschied zum Romancier oder Dichter - nicht nur direkt für den Leser, sondern auch für eine Künstlergruppe, bestehend aus Schauspielern, Regisseuren, Dekorateuren, Technikern etc. schreibe. Vgl. das von der Verfasserin am 25.04.2000 in Straßburg mit Enzo Cormann geführte Interview (Anhang, S. 354-377, hier S. 354). Im Bewusstsein dieser Einbindung ins Kollektiv und der handwerklichen Seite seiner écriture ergibt sich für Cormann aus der Dialektik eine ausdrücklich gesuchte, permanente Interaktion von Bühne und Schreibtätigkeit, von Individualität und Kollektiv, letztlich also von den vielfältigen Bereichen, die das Theater in Theorie und Praxis bietet. Vgl. zu dieser Dialektik auch Vinaver: Le Compte rendu d’Avignon, S. 79. 205 Interview, S. 354. Vgl. dazu auch die theaterwissenschaftlich orientierte Untersuchung von Marion Lépine: La représentation dans l’écriture d’Enzo Cormann. Université Paris 8 (Unveröffentlichtes Manuskript, Mémoire de Recherche) 1999. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 90 Im dramatischen Œuvre Enzo Cormanns lassen sich cum grano salis zwei Grundtendenzen ausmachen, zwischen denen seine Dramenkonzeption oszilliert: ein „théâtre paroxystique“ und ein „théâtre de l’explication“. 206 Seine erste dramatische Schaffensphase in den 1980er Jahren steht vor allem im Zeichen eines „réalisme paroxystique“ 207 . Der Begriff, den Michel Leiris für die Malerei Francis Bacons prägt, bezeichnet einen im eigentlichen Sinne nicht-mimetischen Zugang: Denn die Erfassung einer äußeren Realität wandelt sich durch die von ihr ausgelösten Empfindungen zur Repräsentation einer inneren Realität. 208 Die Paroxysmen stellen in ihrer Zuspitzung auf das Innere den subjektiven (Ab-)Grund der Realität und damit „une forme criante, criante de vérité“ 209 dar. Diesen Ausdruck der Realität durch die in ihr verborgenen Paroxysmen findet sich bei Cormann in Anlehnung an Bacon potenziert wieder: Auf der Figurenebene konzipiert er einen Typus, den er als „les âmes en peine“ 210 beschreibt. Dieser an sich schon krisenhaft-fraktale Figurentypus wird darüber hinaus noch in einer Ausnahmesituation - sowie häufig als Figur am Rande der 206 Beide Begriffe werden von Cormann eingeführt, der seine Gedanken über die Bedeutung des Theaters in der (postmodernen) Kultur im allgemeinen und theoretische Überlegungen zu seiner eigenen Dramenkonzeption im besonderen in zahlreichen Vorträgen und Interviews formuliert. Vgl. dazu http: / / www.cormann.net/ gr/ index.html [Stand: 21.12.2005]. Neben diesen beiden Ausprägungen rangieren die aus einer Zusammenarbeit mit Schauspielern und Regisseuren analog zum Mnouchkineschen Konzept der „création collective“ entstandenen Stücke Rêves de Kafka und Ké Voï? . Beide gleichen durch ihre Form einer kollektiven Autorschaft aber eher einem Theaterprojekt. 207 Interview, S. 355. 208 Bacon verleiht seinem Willen zur Deformation im radikalsten Sinne Ausdruck, indem er beschreibt, was sich hinter den Erscheinungen verbirgt: „un réalisme qui tend moins à figurer qu’à instaurer un réel et qui, parfois, peut même passer thématiquement les bornes de la vraisemblance, sans pour autant se teinter d’idéalité.“ Wenn er dort nur Grauen findet, liegt dies sicherlich nicht zuletzt darin begründet, dass der am 28. Oktober 1909 Geborene den Holocaust bewusst miterlebt hat. Michel Leiris: Francis Bacon ou la brutalité du fait suivi de cinq lettres inédites de Michel Leiris à Francis Bacon sur le réalisme. Paris (Seuil) 1996, S. 65 und S. 107. 209 Michel Leiris: Francis Bacon ou la vérité criante. Montpellier (Fata Morgana) 1975, S. 20f. Der Subjektivität stellt Bacon jedoch in Form der Triptychen eine Multiperspektive gegenüber, die „eux-mêmes n’étant souvent qu’une triple vue d’un même personnage, comme si l’artiste avait voulu donner plusieurs vues du même sujet en une relative répétition d’où résulterait, sur le plan mental, l’équivalent d’un effet stéréoscopique ou montrer, analytiquement, plusieurs aspects de la même question“. Francis Bacon ou la brutalité du fait, S. 48. Bei Cormann liegt der verstärkt subjektivierende Zugang ursächlich in der Komplexität der heutigen Welt verankert, die der Diskurs nur als „une énième organisation de la subjectivité“ (Interview, S. 371) durchdringen kann. Die Multiperspektive wird dabei in dem Bewusstsein erzeugt, „que c’est l’addition de nos différentes dramaturgies qui donnera une image exacte d’aujourd’hui“. Aline Gemayel: Enzo Cormann: tant que roule le monde, coule l’écriture. In: http: / / www.dm.net.lb/ orient/ htdocs/ 2-8-19.html [Stand: 21.12.2005]. 210 Cormann zit. nach Gallon: Le théâtre d’Enzo Cormann, S. 9. 2.1.2 Enzo Cormann: Berlin, ton danseur est la mort 91 Gesellschaft 211 - präsentiert, so dass dem inneren ein äußerer Paroxysmus entspricht. Als Übergang zwischen beiden kommt der Sprache eine besondere Rolle zu, die allerdings ihrerseits auch paroxystisch ist: je crois que quand on fait dialoguer des gens sur un plateau, aujourd’hui, ils ne peuvent que se faire mal, s’entrechoquer, parce que les mots sont comme des armes blanches, silencieux, ensanglantés [...]. Les mots n’ont pour fonction que de nous faire nous languir d’une sérénité inaccessible, toute faite de musique et de matières fluides. De nous faire miroiter un possible dressage du séisme, une possible objectivation du désespoir. Opérer le passage de cette fracture originelle à l’irruption d’une fracture mythique, telle est la fonction du théâtre, qui nécessite qu’on se joue des mots comme d’embûches énigmatiques. 212 Der in Texten mit ritualisierter Sprache wie H.P. 213 noch zaghaft zu Tage tretende „réalisme paroxystique“ setzt sich als Beschreibungsparadigma des Individuums in einer komplexer werdenden Welt und ihrer Facetten zunehmend durch. Dabei lässt sich zudem ein thematischer Fokus erkennen, denn Cormann zeigt anhand innerer Realitäten der Figuren auf, welche Nuancen Gewalt im 20. Jahrhundert annehmen kann: Terror in Cabale, Macht in Plumes et Montagnes sowie Wahnsinn, Einsamkeit und Blutrünstigkeit in den Monodramen 214 Credo und Le Rôdeur. Sein Stück Noises, eine Satire der 1970er Jahre, stellt eine Art Endpunkt dieses „théâtre paroxistique“ dar, weil eine Fortführung beziehungsweise Steigerung die Gefahr des Abgleitens in bloßen Zynismus in sich berge. 215 211 Hierin zeigt sich die Wirkung von Deleuze und Guattari, bei denen ein Konzept der Emanzipation sprachloser Minderheiten literatur- und gesellschaftstheoretisch zentral ist. Vgl. Gilles Deleuze und Félix Guattari: L’Anti-Œdipe. Paris (Minuit) 1972. 212 Cormann zit. nach Alex Broutard und Michelle Henry (Hrsg.): Auteurs dramatiques français d’aujourd’hui. Amiens (Trois Cailloux) 1984, S. 24. 213 Vgl. Françoise Séloron: Aller retour en écriture. In: Enzo Cormann: Noises. Paris (Théâtre Ouvert - Enjeux) 1984, S. 7-13, hier S. 9. 214 Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen schreibt Cormann sich nur mit diesen beiden Stücken in die Gattung eines solchen Konfessionsdramas ein. Jedoch ist für die in den 1980er Jahren zu einer Tendenz avancierenden Gattung eine Form des inneren Monologes konstitutiv, die bereits in Cormanns erstem Stück Berlin, ton danseur est la mort angelegt ist und die sich auch in seinen folgenden Werken als Formprinzip wiederholt findet. Als Kategorie des Inhalts wird das Privatistische der Gattung im Werk Cormanns zunehmend gesellschaftspolitisch aufgeladen. Vgl. auch Hans-Peter Bayersdörfer: „Le partenaire“. Form- und problemgeschichtliche Beobachtungen zu Monolog und Monodrama im 20. Jahrhundert. In: Jürgen Brummack (Hrsg.): Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Festschrift für Richard Brinkmann. Tübingen (Niemeyer) 1981, S. 529-563 sowie Sybille Demmer: Untersuchungen zu Form und Geschichte des Monodramas. Köln (Böhlau) 1982 (Kölner germanistische Studien; 16). 215 Cormann verwehrt sich vehement jeder Form postmoderner Resignation und Verfallens in „anything goes“-Positionen: „Un des aspects de l’engagement théâtral est au contraire de cultiver des poches de résistance à la ‘machin(is)ation’ de l’histoire (avec ou sans H majuscule).“ Enzo Cormann: De la plainte à la critique - Non au théâtre-musée, vive le théâtre vivant! In: http: / / www.cormann.net, April 2000. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 92 In einer Neuakzentuierung von bereits im bisherigen Werk latent vorhandenen Fragestellungen vollzieht Enzo Cormann Schritt für Schritt eine Hinwendung zu einem „théâtre de l’explication“. Damit bezeichnet er seine zur Epik tendierende Dramatik, die historische und sozialpolitische Themen in den Vordergrund stellt und sie im Spiegel von Individuen aufgreift: 216 „Comment prendre en compte l’époque dans ses dimensions à la fois personnelles et politiques, c’est-à-dire comment le politique, l’Histoire venaient perforer la vie des individus.“ 217 Der Erklärungscharakter seines Theaters bezieht sich, wie Cormann im Interview anhand der doppelten Bedeutung des Wortes „s’expliquer“ verdeutlicht, 218 zum einen dramenimmanent auf das Verhalten der Figuren, zum anderen auf eine Auseinandersetzung mit (sozio-)politischen und historischen Themen. Auf diese Weise behandelt Cormann beispielsweise Massenentlassungen und Globalisierung in Cairn, Utopieverlust, postmoderne Sinnsuche und Selbstentfremdung in Ames sœurs und Le dit de Jésus-Marie-Joseph, Kriminalität und 216 Die Verknüpfung von politischen und privatistischen Zügen in Cormanns Dramen findet in der Sekundärliteratur nur selten adäquate Beachtung, denn sein Werk wird, wenn es überhaupt betrachtet wird, oftmals einseitig und falsch in der Zuordnung entweder zur einen oder zur anderen Tendenz klassifiziert. So sieht Corvin Cormann lediglich in der Tradition des Worttheaters und beschreibt seine Dramatik als „Eintauchen in die Mäander eines dunklen und von langen Strömen solipsistischen Erzählens gequälten Bewusstseins“. Michel Corvin: „Otez toute chose que j’y voie.“ Vue cavalière sur l’écriture théâtrale contemporaine. In: Floeck (Hrsg.): Zeitgenössisches Theater in Deutschland und Frankreich, S. 14. Sucher geht in seiner einseitigen Einschätzung noch weiter, indem er Cormann explizit die sozialpolitische Dimension abspricht und nur die Komponente seines privatistischen Worttheaters hervorhebt: „Koltès, Vinaver, auch Enzo Corman [sic] und wohl in noch größerem Maße Novarina sind Wortkünstler. [...] Die Fabulierlust und -kunst ist weit stärker ausgebildet als ihr Wille, sich kritisch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen oder der politischen Vergangenheit auseinanderzusetzen.“ C. Bernd Sucher: „Macht kein politisches Theater, sondern macht es politisch.“ Zur Rezeption französischer Dramatiker auf deutschen Bühnen. In: Floeck (Hrsg.): Zeitgenössisches Theater in Deutschland und Frankreich, S. 76. Fragwürdig wird Suchers Beurteilung spätestens in dem Moment, da er Gatti als einzigen herausstellt, der sich in Frankreich mit der Thematik einer Vergangenheitsbewältigung auseinandergesetzt habe (vgl. a.a.O.). Zu diesem Zeitpunkt liegt jedoch bereits seit sechs Jahren in publizierter und auch inszenierter Form Cormanns Stück Berlin, ton danseur est la mort - sowie schon viele der hier untersuchten Dramen - vor, in dem es ausschließlich um die traumatische Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und einen Versuch geht, mit dieser umzugehen. 217 Interview, S. 356. 218 „Un théâtre de l’explication. Je ne sais pas s’il y a l’équivalent en allemand mais en français on dit volontiers: Bon, expliquons-nous. Si on a un conflit: Expliquons-nous. Et c’est le même verbe pour dire s’expliquer le monde, expliquer le monde. Finalement - au bout d’un moment - je ne me suis plus empêché de laisser parler les gens dans le cadre de cette explication; ce qui donne un théâtre où la rhétorique a une très grande part, où des gens peuvent parler longuement pour s’expliquer, pour brasser y compris des concepts, des notions, des opinions, un brave mélange de tout cela, des informations, des chiffres.“ Ebd., S. 356f. 2.1.2 Enzo Cormann: Berlin, ton danseur est la mort 93 Fremdenfeindlichkeit im Pariser Vorstadtmilieu in Furia, den Polizei- und Überwachungsstaat in Ils sont deux désormais sur cette terre immense und Le boursier, den Maquis de Sade und Gilles de Rais als „les grandes figures de l’excès“ 219 in Sade, concert d’enfers, La plaie et le couteau: tombeau de Gilles de Rais und L’Apothéose secrète sowie verschiedene Kriegszeiten in 17, Je m’appelle, Exils, Diktat, und Toujours l’orage. Als „artisan de fiction“ 220 steht bei ihm nicht, wie bei vielen anderen zeitgenössischen Dramatikern, vor allem die Sprache im Vordergrund, 221 vielmehr erzählt Cormann Geschichten, um die Wirklichkeit zu hinterfragen 222 und Bedeutungen in verschiedenen Facetten auszuloten, ohne simplifizierende Antworten zu geben: „Il ne s’agit pas de recopier le monde, mais de le questionner. Suspendre tout jugement moral, le temps d’une pièce, pour poser des questions et examiner un problème sous tous ses angles“. 223 Wenn Cormann schreibt, um etwas aufzuspüren und gewisse Phänomene zu erklären, 224 dann schließt dies auch Themen und Zeiten ein, die er selbst nicht miterlebt hat. So hat er direkt weder markante Familienerfahrungen in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg noch andere autobiographische Bezugspunkte. Die Erinnerung an und die Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg stellt aber dennoch für ihn eine Geschichte dar, die ihn kollektiv betrifft und für die er einen (erklärenden) Zugang finden muss. Auf diese Weise versteht der Geschichtenerzähler Enzo Cormann Theater und sein eigenes Schreiben in einer gesellschaftlichen Relevanz als „méditation interrogative et collective“. 225 219 Jean-Marie Félix: Enzo Cormann - raconteur d’histoire. In: Radio Suisse Romande, Espace 2, Entre les lignes: Scène ouverte, 06.03.1999. 220 A.a.O. Enzo Cormann neigt in den verschiedenen Interviews dazu, auch sein eigenes Leben als Stoff für den „raconteur d’histoire“ zu benutzen. Die von ihm selbst vorgenommene Poetisierung seiner Biographie erscheint damit als formal konsequente Applizierung seines Selbstverständnisses als Autor. 221 Vgl. Ryngaert: Lire le théâtre contemporain, S. 6. 222 Vgl. Enzo Cormann: A quoi sert le théâtre? In: Action Théâtre. Centre Français du Théâtre de l’Institut de Théâtre International-Unesco (Numéro spécial Congres Mondial de l’ITI), 14.- 21. Mai 2000. 223 Gemayel: Enzo Cormann: tant que roule le monde, coule l’écriture. 224 Dabei definiert der Dramatiker seinen Schreibvorgang als Reise in der Bewegung der „grande ritournelle“, die Deleuze und Guattari beschreiben: „La grande ritournelle s’élève à mesure qu’on s’éloigne de la maison, même si c’est pour y revenir, puisque plus personne ne nous reconnaîtra quand nous reviendrons.“ Gilles Deleuze und Félix Guattari: Qu’est-ce que la philosophie. Paris (Minuit) 1991, S. 181. Im Schreiben kann Cormann aus sich selbst heraustreten, um sich ganz und gar in der Unendlichkeit der Wörter zu verlieren. Wenn er sich dann wiederfindet, hat sich alles, auch seine Identität als Schriftsteller, verändert. Das daraus entstandene Werk gleicht einem Reisebericht (vgl. Gallon: Le théâtre d’Enzo Cormann, S. 6), der diesen Vorgang abbildet. Die Reise, die zugleich ein Experiment darstellt, ist zwar ein innerer Vorgang, bedeutet aber keinesfalls zwangsläufig ein autobiographisches Schreiben. 225 Interview, S. 359. Dem Cormannschen Drama kommt mit der Initiation eines Denk- II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 94 Enzo Cormanns Drama Berlin, ton danseur est la mort 226 liegt das Konstruktionsprinzip einer durchgängigen Rückblendetechnik zugrunde. 227 In die Rahmenhandlung, die im Nachkriegs-Berlin des Jahres 1946 spielt, werden 14 Sequenzen in Form einer Binnenhandlung eingelagert, die szenisch die Erinnerungen der Protagonistin Gretl Schüler an die Jahre 1932-1935 vergegenwärtigen. 228 Die Binnenhandlung ist als autonome Handlung von der epischen Rahmensituation abgelöst. Einziges Zeichen der Rahmensituation auf der Ebene der Binnenhandlung stellt ein in Klammern gesetzter, narrativer Vorspann vor jeder Szene dar. 229 Dabei handelt es sich um einen Rückverweis auf den die Szenen eigentlich konstituierenden Modus des prozesses die Aufgabe zu, einer gesellschaftlichen Entwicklung intentional entgegenzuwirken: „Es gibt heute einen Trend, sich dem Denken zu verweigern. Denken heißt heute, sich mit schrecklichen Dingen zu befassen. [...] Der amerikanische Einfluss auf unsere Kultur hat ein Übriges dazu getan, dass das Denken der Zerstreuung, der Unterhaltung gewichen ist.“ Das Zitat ist im französischen Original nicht veröffentlicht: Enzo Cormann: Cormann über Cormann. In: Credo. Dt. Übersetzung von Ewald Presker. Graz (Droschl) 1985, S. 23. 226 Das Drama Berlin, ton danseur est la mort liegt in drei verschiedenen Versionen vor. Die erste ist die Version von 1983, die sich aber aufgrund einer zu großen Figurenzahl und aufwendiger Bühnentechnik als nahezu unspielbar herausstellte: Aus diesen Gründen schreibt Enzo Cormann das Drama dann 1994 und 2005 um. Da es in der folgenden Untersuchung aber nicht auf die konkrete Bühnenrealisierung ankommt, wird die erste Version von 1983 zugrunde gelegt, in der die Konstruktionsprinzipien ohne Rücksicht auf praktische Aspekte deutlicher hervortreten. In grundlegenden Abweichungen und wichtigen Ausnahmeerscheinungen wird auch die Version von 1994 herangezogen, diejenige von 2005 wurde im Vergleich zur letztgenannten indes nur geringfügig modifiziert. Enzo Cormann: Berlin, ton danseur est la mort. Paris (Edilig - Collection Théâtrales, no. 13) 1983, ders.: Berlin, ton danseur est la mort. Paris (Éditions Théâtrales) 1994 und 2005. 227 Auf diese Weise dringt das Medium Film sogar soweit in die Dramenstruktur vor, dass es als großangelegter Flashback die Konstruktion des ganzen Stückes beeinflusst. Der Rückblick wird aber nicht, wie häufig im Film, durch Lichtwechsel, Musik oder ein Motiv angezeigt, sondern auf explizitere Weise durch einen Erzähler. Vgl. dazu auch eine v.a. thematische Verbindung Cormanns zu zeitgenössischen Cineasten wie Rainer Werner Fassbinder und Wim Wenders über die Auseinandersetzung mit den Schatten der Vergangenheit, Erinnerung und Geschichte. Palmier: Berliner Requiem, S. 291 und S. 294. 228 Die Szenen 1-3 bilden die Rahmenhandlung, an die sich die Binnenhandlung von Szene 4-17 anschließt, um wieder in die Rahmenhandlung von Szene 18-19 zu münden. 229 Neben den Flashs stellen diese narrativen Erinnerungsteile den Hauptunterschied zwischen den Versionen dar, da auch dieser Vorspann in der Version von 1994 und 2005 fehlt. Die in dem Stück von 1983 sehr ausführlichen Beschreibungen werden für die nachfolgenden Ausgaben auf kurze Szenenanweisungen aus der Perspektive des Autors reduziert. In den beiden neueren Versionen markiert Cormann darüber hinaus mit der Angabe der Geburtsdaten der Figuren präzise die Generationenzugehörigkeit als Zeitzeugen oder Nachgeborene. 2.1.2 Enzo Cormann: Berlin, ton danseur est la mort 95 Erzählens. Diese narrativen Erinnerungspassagen sind deshalb auch in Vergangenheitsform und Ich-Perspektive verfasst. Gretl beschreibt darin einerseits sehr genau die Situation und die Orte, andererseits werden aber auch ihre subjektiven Erinnerungsfetzen als stream-of-consciousness präsentiert. Cormann erläutert dieses Verfahren ausgehend von den Ortsbeschreibungen: Bon nombre de ces lieux feront l’objet, au fil du texte, de descriptions détaillées, placées entre parenthèses, qui rendent compte du souvenir et donc de la vision particulière qu’en eût Gretl Schüler elle-même, et qui n’ont pour objet que de nourrir, à titre de simple documents, l’imagerie du drame. (15) Zwar wird durch diese Erinnerungseinschübe der Rückbezug auf die Rahmenhandlung hergestellt, dennoch ist die textinterne Organisation der verschiedenen Fiktionsebenen eindeutig: Die Ebenen sind klar voneinander zu trennen, wobei hierarchisch die Rahmenhandlung dominiert. Denn es geht in Form eines analytischen Dramas darum, durch die bewusste Erinnerung an die Zeit zwischen 1932 und 1935 die Erinnerungsleerstelle von 1935-1946 zu füllen, um den Grund für Gretls Traumatisierung 230 herauszufinden und dieselbe aufzulösen. In der Rahmenhandlung weist die Sprache der Protagonistin Gretl zunächst auf deren psychische Beschaffenheit hin: Sprachfetzen in vollständiger Auflösung der Syntax werden mit hysterischen Ausbrüchen gekoppelt. Die Zeitebenen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gehen dabei durcheinander (21). Diese Destruktion der Sprache drückt die zersetzende Wirkung der unwillkürlichen Erinnerungen aus. Die traumatische Erinnerung wird als Extremfall der Memoriaphänomene präsentiert, weil Gretl zwar mit immer wiederkehrenden, unwillkürlichen Erinnerungsfetzen konfrontiert ist, sie sich mit diesen aber nicht identifizieren kann, da die Einzelteile ihrer „mémoire en forme de puzzle“ (28) zu keiner Einheit und personalen Ganzheit zusammenzuführen sind. Den Identitätsverlust als Hiatus zwischen gegenwärtigem und vergangenem Ich stellt sie selbst mit den Worten „j’ai l’impression que mes propres souvenirs sont des mensonges“ (27) heraus. Mit einem Teil der zu Tage tretenden Erinnerungen kann sie sich also nicht identifizieren, andere hingegen sind ganz verschwunden und hinterlassen lediglich ein „souvenir vide“ (27). 230 Während der Begriff der Traumatisierung an verschiedenen Stellen dieser Arbeit in einer eher unspezifischen Bedeutung im Zusammenhang mit schrecklichen Erfahrungen verwendet wird, ist er hier im Freudschen Sinne zu verstehen: „Wir nennen so ein Erlebnis, welches dem Seelenleben innerhalb kurzer Zeit einen so starken Reizzuwachs bringt, daß die Erledigung oder Aufarbeitung desselben in normal-gewohnter Weise missglückt, woraus dauernde Störungen im Energiebetrieb resultieren müssen“. Sigmund Freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Zit. nach Jean Laplanche und Jean-Bertrand Pontalis: Das Vokabular der Psychoanalyse. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 14 1998 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 7), S. 514. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 96 Einerseits ist Gretls Leidensdruck durch die quälenden Erinnerungen so groß, dass sie sich entscheidet, die Erinnerung ‛willkürlich’ zu machen. Auf diese Weise löst sie sich von ihrem Dasein als passive Erinnerungsträgerin - „Je pourrais tout aussi bien n’être qu’une mauvaise photo dans un album de famille. Quelle différence cela ferait-il? “ (1994: 74) - und wird zum aktiven Subjekt der Erinnerung. Andererseits macht die Präsenz ihrer Tochter ihr die Pflicht deutlich, die im Weitermachen, im Verzeihen 231 und in der Vermittlung der Vergangenheit an die nachfolgende Generation liegt. Gretl erhofft sich von einem erneuten, mentalen Durchleben der Vergangenheit eine Befreiung von ihren traumatischen Erinnerungen, die - eingeschrieben in ihren Körper 232 - sie auch nach dem Krieg noch als lebendige Tote in der unterirdischen Schattenwelt eines Kellers im zerstörten Berlin gefangen halten: Mais il y a de la mémoire qui me tient là, prisonnière. De la mémoire … et de l’oubli aussi. Refaire le chemin. Lire ces années, […] comme un livre, c’est ce que je dois faire. Comme peut-être les morts sous la terre, avant dit-on, de ressusciter. (29) Mit dieser Ankündigung wird der Rückblick in Aufhebung der binären Strukturen zwischen Gestern und Heute 233 explizit und programmatisch eingeleitet. Gretls Trauma wird dadurch auf der Ebene der Binnenhandlung sukzessive freigelegt und motiviert: Nationalsozialisten haben Gretl gezwungen, Lincker, den Vater ihres Kindes, eigenhändig zu töten, um sich selbst zu retten. Der Verdrängungsprozess ihres Schuldig-Werdens, der - ab Szene 15 beschrieben - schon kurz nach dem Ereignis einsetzt, weitet sich bis hin zur Konstruktion einer neuen Realität aus: Gretl beharrt darauf, dass der aktive Widerständler Gerhardt, ihr eigentlich toter Geliebter, lebendig und der Vater ihres Kindes sei, und Lincker nicht von ihr, sondern von den Nationalsozialisten erschossen worden sei (90). Zur Erinnerungsdeformation kommen massive Angstzustände vor einem mit „ils“ (91) bezeichneten Kollektiv, das erst am Ende des Dramas als Chiffre für die Nationalsozialisten definitiv zu entschlüsseln ist. Das Personalpronomen stellt die einzige Überleitung zur sonst abrupt einsetzenden Rahmenhandlung dar, weil es dort, in gleicher Weise funktionalisiert, ebenfalls erscheint. 231 Vgl. „A présent, je sais qu’on ne pardonne qu’à soi-même. Pardonner à ses ennemis, à ses tortionnaires, c’est se pardonner de s’obstiner à vivre, de supporter l’idée de survivre à la haine, d’admettre que la haine n’est pas éternelle, que la haine s’use, comme l’amour, comme la vie, au contraire de la mort.“ (1994: 77). 232 Zudem wird die Erinnerung als Körperzeichen noch durch die Vergewaltigung Gretls relevant. 233 „Le flash-back opère selon des dichotomies simples: ici/ là-bas, maintenant/ autrefois, vérité/ fiction.” Pavis: Dictionnaire du Théâtre, S. 171. 2.1.2 Enzo Cormann: Berlin, ton danseur est la mort 97 Die Rekapitulationsversuche der Vergangenheit und die gezielten Fragen der Freundin Nelle zeigen, dass die Erinnerungen narrativ nicht vollständig wiederhergestellt werden können. Im Gegenteil: Gretls Apathie nimmt sogar zunächst noch zu (98). Analog zu psychoanalytischen Verfahren vermag erst ein Rollenspiel, in dem Nelle Linckers Rolle einnimmt, den Bann zu brechen und die latente Erinnerung komplett freizulegen. Das Schuldmotiv, auf Kosten eines geliebten Menschen selbst dem Tode entronnen zu sein, begründet in Berlin, ton danseur est la mort - und auch, wie noch zu zeigen sein wird, in Toujours l’orage - die Ursache für die vorhandene Dialektik von Erinnern und Vergessen beziehungsweise Verdrängen. Die traumatisch gewordene individuelle Erinnerung wird auf der Ebene der Rahmenerzählung in den letzten beiden Szenen noch durch das Trauma einer kollektiven Erinnerung erweitert. Gretl thematisiert die Schuldgefühle der Überlebenden, die irgendwie mit einer solchen Realität des Massenmordes der Nationalsozialisten weiterleben müssen (97). Dieses kollektive Trauma spitzt Cormann in den Versionen von 1994 und 2005 auf eine Sprachkrise zu. Denn nach diesem Ereignis kann Sprache die Welt nicht mehr regeln, ein solches Grauen lässt sich nicht in Worte fassen. Mit Blick auf die Materialität und den Charakter des sprachlichen Zeichens wird deutlich, dass die signifiants nicht mehr für das signifié ausreichen: Le monde est un chaos. Le monde est un chaos, sujet, verbe, complément. Un chaos soigneusement domestiqué par la grammaire. Des millions de juifs sont morts dans les camps. Et cela tient en fin de compte dans une seule phrase. Sujet, verbe, complément. Comment peut-on nommer de telles réalités? Quelle est la langue qui nomme si facilement l’innommable? La même langue qui me permet de dire „je t’aime, je t’aimais, amour, MON amour, des millions de gens se sont aimés, des millions de gens sont morts.“ Cette langue qui nomme toute chose et son contraire avec la même désinvolture est une langue morte. [Herv. im Original] (1994: 72) Die von Gretl aufgeworfene Problematik der Sprache nach Auschwitz, die auf das Diktum Theodor Adornos verweist, bezieht sich zum einen auf die der Schoah inhärenten Unmöglichkeit der Bezeichnung und Vermittlung dieser Ereignisse, zum anderen auf eine individuelle Unfähigkeit ihrer Versprachlichung. Damit wird dramenimmanent präzise die Poetisierungsproblematik des nachgeborenen Autors Enzo Cormann gefasst. Im Zeichen der Cormannschen Suche nach einer adäquaten Sprache wird zunächst der Rückgriff auf Elemente der faktischen Geschichte relevant, wenn er in seinem Drama genau „le moment où l’intime a été perforée par la flèche de l’Histoire“ 234 beschreibt. Die Geschichte, die in das Leben der sich vollkommen apolitisch verhaltenden Gretl gegen ihren Willen einbricht 235 und sie letztlich zur lebendigen Toten macht, wird im Drama 234 Félix: Enzo Cormann - raconteur d’histoire. 235 Gretl will mit Politik eigentlich nichts zu tun haben, so dass sie konsequent jede II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 98 anhand einer Vielzahl von Details dargestellt. Sicherlich resultiert die permanente Behandlung geschichtlicher Einzelaspekte, die auch zu einer Bezeichnung des Dramas als „revue historique“ 236 führen, zwangsläufig aus der Themenwahl, in viel stärkerem Maße ist sie aber Teil der aus der Poetisierungsproblematik resultierenden Cormannschen Schreibweise. Die historischen Details im Drama bewegen sich alle im Rahmen der erzählten Zeit, das heißt in den Jahren 1932-1935 und im Jahr 1946, wobei über die Hälfte der Ereignisse vor 1933 stattfindt. So werden nicht die zentralen Höhepunkte nationalsozialistischer Machtausübung thematisiert, sondern mit der Entstehungsbeziehungsweise Aufstiegsphase und dem Untergang die zeitlichen Ränder in Form seines „théâtre de l’explication“ fokussiert. Obwohl der Krieg selbst als dritte Zeit ausgeklammert ist, wird er dennoch durch die Kombinatorik eines „avant“ und „après“ 237 implizit mitgeliefert. Exakte zeitliche und geographische Situierungen verdeutlichen darüber hinaus die akribische Suche Enzo Cormanns nach Authentisierungsstrategien. 238 Vor allem die in das Drama integrierten, als „Flashs“ 239 betitelten drei Szenen nehmen eine übergeordnete geschichtliche Dimension an. Angelehnt an die Ästhetik des Dokumentarfilms geben sie kurze zeitgeschichtliche Szenen wieder. In den durch extreme Kürze gekennzeichneten Flashs figurieren anstelle der Protagonisten der Haupthandlung bewusst anonym gehaltene Figuren. So wird eine Veränderung der Geschichte durch den Filter des Individuums als irrelevant ausgeschlossen und werden die Flashs mit einem Gestus historiographischer Denotats versehen. Das Drama folgt förmlich der Bewegung einer Kamera, die sich vom Geschehen und den Protagonisten abwendet und auf Straßenszenen schwenkt. Diese blitzlichtartigen Szenen stellen in nuce kollektive Auswirkungen und Spuren historischer Ereignisse im Alltag dar. Da die Flashs vom Leser trotz fehlender zeitlicher Einordnung konkret situiert werden können, eröffnen politische Diskussion abbricht (49, 55, 63). Auch nimmt sie die Politik lange Zeit nicht ernst, was sich erst ändert, als sie deren Auswirkungen am eigenen Leibe zu spüren bekommt. 236 Jean-Michel Palmier: Les larmes amères d’Enzo Cormann. In: Cormann: Berlin, ton danseur est la mort, 1983, S. 7-11, hier S. 7. 237 Gretl verbalisiert diese Zweiteilung in eine Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg selbst andauernd (etwa 21). 238 Cormann lässt so seine Szenen nicht nur allgemein in Berlin spielen, sondern präzisiert bspw. geographisch Kreuzberg (35), Hallesches Tor (73), Ku’damm und „l’église du Kaiser Wilhelm“ (20). 239 Hier besteht ein eklatanter Unterschied der Versionen, da die Flashs nur in der Erstausgabe vorkommen. Im Gegensatz dazu werden in den nachfolgenden Versionen zahlreiche geschichtliche Ereignisse erklärt bzw. konkretisiert. Bezüglich der Darstellung von Geschichte, narrativen Verfahren und des Deutschlandbildes wäre es im Rahmen einer noch ausstehenden Vergleichsuntersuchung, die hier nicht geleistet werden kann, sehr ergiebig, die Versionen untereinander in Bezug zu setzen. 2.1.2 Enzo Cormann: Berlin, ton danseur est la mort 99 sie als Schlaglichter einen großen geschichtlichen Kontext: Der erste Flash (37), der sich zwischen zwei Szenen im Juli 1932 befindet, zeigt einen Plakatierer, der beim Anbringen eines Plakats, das zur Wahl der Kommunistischen Partei aufruft, brutal von zwei SA-Männern 240 niedergeschlagen und getötet wird. Die Szene spielt damit eindeutig auf Ereignisse im Umfeld der Reichstagswahlen am 31.07.1932 an. Im zweiten Flash (68) durchsuchen zwei SA-Männer nachts ein Wohnhaus und führen dann zwei Männer ab. Der Verweis auf den Reichstagsbrand am 27.02.1933 und die darauffolgende politische Verschärfung wird durch den Ausspruch „On a incendié le Reichstag! “ und Cormanns Didaskalie „la déportation massive commence“ expliziert. Stärker verschlüsselt gestaltet sich der Verweis auf das geschichtliche Ereignis im dritten Flash (86), der zwei SS-Männer zeigt, die nach Schreien und Schüssen mit zwei SA-Uniformen in Händen die Szene betreten. Aufgrund der umrahmenden Szenen lässt sich die Erschießung der SA-Männer auf den Juni 1934 datieren, so dass mit diesem Schlaglicht der geschichtliche Kontext der Ereignisse um den Röhm-Putsch am 30.06.1934 eröffnet wird. Da die drei hier präsentierten Momentaufnahmen mit ihrem Verweiskern auf große geschichtliche Ereignisse nicht zuletzt auch immer wieder grosso modo Gegenstand diverser Darstellungen der Epoche sind, lässt sich von motivischen Versatzstücken sprechen, die als Teile des Bildinventars kollektiver Gedächtnisse gelten können. Im Rahmen der im Drama dargestellten Aufstiegsphase des Nationalsozialismus finden aus der Zeit zwischen 1932 und 1935 etliche weitere historische Details Eingang. Der Machtzuwachs der NSDAP zu Beginn der 1930er Jahre wird im Stückverlauf durch eine verstärkte Thematisierung des Nationalsozialismus gespiegelt. Zunächst noch in Form vager Anspielungen auf eine drohende Gefahr, da in Hamburg erneut 19 Menschen Opfer der SA werden (35f.), nimmt die politische Situation immer deutlichere Konturen an. Politische Kabarettveranstaltungen werden von nationalsozialistischen Razzien beendet (51f.), Gewaltausschreitungen der SA bis hin zu Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung (69), woran sich „la vague d’arrestations et d’exécutions sommaires consécutives à l’incendie du Reichstag“ (69) anschließt. Auf den Punkt bringt der Widerständler Gerhardt die politische Situation, wenn er Gretl erklärt: En six mois, depuis l’incendie du Reichstag, ils ont assassiné des centaines de communistes, sociaux-démocrates, anciens du Zentrum, même. […] Ils brûlent les livres, ils bouclent les Juifs, ils persécutent les artistes … Toi-même, interdite de scène, fichée, menacée du camp de concentration. Ton cabaret fermé, Finkl, 240 Cormann bezeichnet diese zu Recht als Angehörige der SA, was sein deutscher Agent und Übersetzer Heinz Schwarzinger fälschlicherweise in SS verändert. Vgl. die deutsche Übersetzung von Heinz Schwarzinger: Berlin, Dein Tänzer ist der Tod. Wien (Sessler) o.J., S. 20. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 100 ton directeur qui se tape les travaux forcés dieu sait où! Fritz, ton pianiste, assassiné … (71) Ein enges Einschreiben der Dramenhandlung in die Geschichte illustriert auch Linckers vorauseilender, opportunistischer Beitritt in die SA „juste après l’interdiction des SA par Hindenbourg. Et deux mois plus tard, nous étions officiellement dissous.“ (78). Auch die spätere Tötung Linckers wird geschichtlich als Folge des Röhm-Putsches motiviert, 241 nach dem Hunderte SA-Mitglieder getötet wurden (78). Hierin zeigt sich aber auch, dass die Flashs insofern einen Bezug zur Handlung haben, als sie die jeweilige politische Situation für die nachfolgenden Szenen abstecken. Neben der vielfältigen, wenn auch zumeist anonymisierten Beschreibung von SA und SS, wird Hitler im Drama nur vermittelt präsentiert. Dies vollzieht sich neben der Darstellung Hitlers ikonographisch über sein Porträt und skriptural als Verfasser von Mein Kampf (24), durch seine charismatische Ausstrahlung auf die einen und durch die von ihm ausgehende Bedrohung für die anderen. 242 Konkreter als die Welt der Nationalsozialisten, wenn auch im Kontext des ganzen Dramas gesehen weniger ausführlich, stellt Cormann den innerdeutschen Widerstand dar. Neben den Möglichkeiten, den Parteien SPD oder KPD beizutreten (40, 71), rückt mit der Figur Gerhardts eine andere Form des organisierten Widerstands in den Vordergrund. Den Andeutungen im Text lässt sich entnehmen, dass sich die Gruppierung „Recommencer“ (71) nennt und im Zusammenhang mit einem Pamphlet steht, dessen Titel „Fascisme et Socialisme. Bases de discussion sur les grandes questions disputées du socialisme“ (71) lautet. Enzo Cormann spielt hiermit auf die Gruppe „Neu Beginnen“ 243 an, die links von der SPD anzusiedeln ist und 1933 unter gleichlautendem Titel der Programmschrift bekannt wird. 244 Darin findet sich unter dem Verfasserpseudonym ‛Miles’ des Berliner Linkssozialisten Walter Loewenheim das Pamphlet Faschismus oder Sozialismus. Als Diskussionsgrundlage der Sozialisten Deutschlands. Die hochent- 241 Röhm selbst wird als historische Person in der Rahmenhandlung angedeutet als „gros lard qui s’est fait trouer la bedaine par ses copains.“ (24). 242 Aufgrund seines Verweischarakters und der starken Einbindung in die Handlung nimmt gerade das Hitlerportrait in Form der Integration von zeitgenössischen Realien einen wichtigen Stellenwert ein. Als sichtbares Zeichen steht es für eine omnipräsente Macht, die zugleich die drohende Gefahr evoziert, aber auch zur gottgleichen Verehrung Anlass allein durch seine Betrachtung gibt: „Avant de le connaître, LUI. Il est absolument irrésistible. Il ne parle pas, il convaint. Il assène des vérités. D’énormes coups de boutoir dans la bérise humaine. Lui, voilà, c’est ...! l’énergie, la puissance. L’orgueil. La fin de l’humiliation [Herv. im Original].“ (56). 243 In der deutschen Übersetzung wird die Gruppierung von Heinz Schwarzinger mit „Neubeginn“ (S. 50) übersetzt, dieser Name ist jedoch historisch nicht zu eruieren. 244 Vgl., auch im Folgenden, Wolfgang Benz und Walter H. Pehle: Lexikon des deutschen Widerstandes. Frankfurt a.M. (Fischer) 1994, S. 269-272. 2.1.2 Enzo Cormann: Berlin, ton danseur est la mort 101 wickelte und streng konspirativ arbeitende Organisation, die unter der Führung Loewenheims die nationalsozialistische Gefahr schon früh adäquat einschätzt, steht für die Aufhebung der Spaltung der Arbeiterklasse und die sozialistische Revolution ein. An dieser Stelle zeigt sich wiederum, wie Cormann mit der Erwähnung einiger Schlüsselworte auskommt, um einen präzisen historischen Hintergrund zu eröffnen. Vielfach stehen in den Debatten nach dem Zweiten Weltkrieg aber nicht diese klar konturierten Einstellungen zum Nationalsozialismus, wie sie in Anhänger- oder Gegnerschaft bestehen, im Zentrum, sondern die Frage nach der Haltung des Großteiles der Bevölkerung. 245 Im Drama wird die große Masse der Bevölkerung als Mitläufer entlarvt, deren Zuschauen und Schweigen als Bestätigung der Politik gewertet werden muss. Für Cormann wird diese Frage besonders wichtig, weil sie im Wesen zugleich die Grundsituation des Theaters spiegelt. 246 Aufgrund ihrer Stellung am Ende der Binnenhandlung und versehen mit der Theaterkonnotierung erhalten Gretls Worte eine besondere Akzentuierung: „Il suffit de savoir applaudir pour faire de la politique aujourd’hui.“ (93) In Anbetracht ihrer sonst eher apolitischen Haltung zeugt dies von einem klaren Situationsbewusstsein und scheint deshalb schon Übergang oder nahezu Teil der Nachkriegshandlung zu sein. Auch die Zeit nach dem Krieg, die sich im Drama auf das Jahr 1946 beschränkt, lässt Cormann mit Hilfe einiger historischer Details entstehen. So werden die Auswirkungen des Krieges nahezu statistisch wiedergegeben: Aufgrund der seit 1943 unaufhörlichen Bombardierung Berlins durch die Alliierten und der circa 22.000 russischen Kanonen ist die Stadt zu drei Vierteln zerstört (18). Ungefähr 342.000 Berliner Wohnungen sind nicht mehr bewohnbar, und es gibt circa 400.000 Obdachlose sowie permanente Plünderungen (18). Die historische Situation hat sich grundlegend geändert: Hitler ist tot (22), die vier Alliierten Mächte verwalten Berlin (20), und die Entnazifizierungsprozesse beherrschen das politische Klima. Dennoch scheint im Zusammenhang mit diesen Prozessen in gewisser Weise eine geschichtliche Kontinuität angedeutet zu werden, wenn Gretl betont: „Voilà, voilà, voilà l’Allemagne, allez-y comprendre quelque chose ... Ils jugent n’importe qui pour n’importe quoi n’importe comment et ils disent ‚Dé-nazi-fions.’“ (97). Das hier von Gretl entworfene negative Bild des neuen Deutschlands spielt auf die oft erfolgreiche Praxis ehemaliger SS- oder Gestapo-Mitglieder an, sich durch Bestechung ihrer früheren Opfer einen 245 Vgl. dazu auch die Zuspitzung dieser Frage nach der Haltung des Großteiles der Bevölkerung in der Debatte um Daniel Jonah Goldhagens Monographie Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust. Berlin (Siedler) 1996. 246 Für Cormann resultiert aus der Frage nach dem ‛Publikum’ im Nationalsozialismus eine problematisch gewordene Rolle des Publikums im Drama. Eingehender wird dieses Analogieverhältnis im Kontext der Analyse von Cormanns Toujours l’orage (vgl. Kap. II 2.1.3) behandelt. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 102 Entlastungszeugen zu kaufen. 247 Diesem negativen Deutschlandbild wird am Ende allerdings ein positives entgegengesetzt: Das Drama schließt mit einem Ausblick auf die hoffnungsreiche Welt der Trümmerfrauen, die im kollektiven Gedächtnis den Wiederaufbau eines neuen Deutschland verkörpern. In Berlin, ton danseur est la mort konstruiert Enzo Cormann mit einer Fülle geschichtlicher Elemente einen historischen Raum. Die geschichtlichen Details werden in Form von Authentisierungsstrategien und vor dem Hintergrund der Poetisierungsproblematik in das Drama integriert, sie konstituieren aber zugleich in entscheidendem Maße die Handlung. 248 Denn Cormann fokussiert das Eindringen und die Auswirkungen der Geschichte auf das Individuum - auch wenn dieses sie insgesamt mehr erleidet, denn selbst gestaltet -, so dass Formen individueller und kollektiver Erinnerung eine kombinatorische Verbindung eingehen. 249 Grundlegend kristallisiert sich damit nicht der autonome Stellenwert realer Ereignisgeschichte heraus, sondern die über die Erinnerung bewusst gebrochene und vermittelte Präsentation von Geschichte als „literarisches Prisma einer fiktionalen Verarbeitung“ 250 . So wie die Ereignisgeschichte einer speziellen Form der Kombinatorik unterworfen wird, finden sich in Berlin, ton danseur est la mort noch weitere Verfahren, die in dem Aufgreifen und der Abwandlung bereits vorgeprägter Elemente bestehen. 251 Auf diese Weise zeugt bereits der Dramenti- 247 In diesem Kontext zeigt sich jedoch, dass aus Rezipientensicht das Verlassen auf die Faktizität der Darstellung einmal nicht funktioniert, wenn der angeführte Kaufpreis von 100 (Reichs-)Mark im Jahr 1946 de facto vollkommen wertlos war. Zur Konstruktion des Deutschlandbildes vgl. auch das Kapitel „Enzo Cormann, Berlin ton danseur est la mort. Historischer Tiefblick - individualisiert. Ein Spektrum unterschiedlichster Haltungen: der apolitische Deutsche als Stereotypenersatz? “ im Beitrag von Matthes: Nationalstereotypen im dramatischen Kontext, S. 240-243. 248 Damit wird relevant, was Koopmann als Kennzeichen von „Zeitromanen“ herausstellt, nämlich, dass sie „mehr beschreiben als das Dasein von Individuen, da diese in ihrer Zeit und Gegenwart eingeschichtet sind.“ Helmut Koopmann: Der klassisch-moderne Roman in Deutschland: Thomas Mann, Alfred Döblin, Hermann Broch. Stuttgart (Kohlhammer) 1983 (Sprache und Literatur; 113), S. 12. 249 Dass sein Hauptinteresse der Verquickung einer individuellen Biographie mit gesellschaftlich-kollektiver Erinnerung bzw. Geschichte gilt, zeigt auch seine vordergründige Intention „d’écrire une pièce de théâtre racontant l’histoire d’une femme berlinoise née avec le siècle et que l’avènement du nazisme surprend en pleine insouciance“. Enzo Cormann: Tu as volé mon rêve, salaud. Préface à la deuxième édition. In: Ders.: Berlin, ton danseur est la mort, 1994, S. 13f., hier S. 13. Vgl. zum eher passiven Erleiden der Geschichte, die sich gegen das Individuum wendet, auch Gretls, v.a. in der 1994er-Version, zugespitzter Schlussmonolog (1994: 73). 250 Matthes: Nationalstereotypen im dramatischen Kontext, S. 235. 251 Jean-Michel Palmier, bei dem Enzo Cormann deutsche Philosophie und speziell den Expressionismus studiert hat, stellt Berlin, ton danseur est la mort ein Vorwort mit dem Titel Les larmes amères d’Enzo Cormann voran. In Abwandlung von Rainer Werner 2.1.2 Enzo Cormann: Berlin, ton danseur est la mort 103 tel von der Kombination heterogener Elemente. Zunächst verweist er nämlich auf eine bildliche Darstellung der Zeitgeschichte, die zu Beginn der 1920er Jahre als Plakat auf Berliner Litfasssäulen zu sehen war: In: Bärbel Schrader und Jürgen Schebera: Die ‛goldenen’ zwanziger Jahre: Kunst und Kultur der Weimarer Republik. Wien et al. (Böhlau) 1987 (Kulturstudien: Sonderband 3), S. 14. Bei diesem Plakat handelt es sich jedoch um eine Warnung der Berliner „Bevölkerung vor den Gefahren der Geschlechtskrankheiten“ 252 und nicht, wie Palmier und Cormann selbst fälschlicherweise annehmen, um ein Revolutionsplakat von 1918. 253 Bekannter als durch dieses Zeitdokument wurde der Text allerdings durch den Berliner Dadaisten Walter Mehring, der ihn zum Beginn und Refrain eines Chansons machte: Fassbinders Filmtitel Die bitteren Tränen der Petra von Kant verdeutlicht der auf die Geschichte und Kultur der Weimarer Republik spezialisierte Palmier Cormanns dramatisches Verfahren und gibt - wenn auch nur äußerst vage - erste Hinweise, wie diese einzelnen Elemente aufgeschlüsselt werden können. Mit dem Folgenden werden diese Andeutungen konkretisiert und Möglichkeiten neuer Aufschlüsselungen dargelegt. Palmier: Les larmes amères d’Enzo Cormann, S. 7-11. 252 Schrader und Schebera: Die ‛goldenen’ zwanziger Jahre, S. 14. 253 Cormann: Tu as volé mon rêve, salaud, S. 14. Cormann zitiert dabei Jean-Michel Palmiers Berliner Requiem. Paris (Galilée) 1976, S. 240: „La célèbre phrase contemporaine de la révolution spartakiste, ‛Berlin, ton danseur est la mort’, recouvrit les affiches gouvernementales sur les murs de Berlin, avant de servir de décors aux revues de Rudi Nelson, avec cette fille nue serrant dans ses bras un squelette.“ Vgl. auch die neue und erweiterte Auflage unter dem Titel Retour à Berlin. Paris (Payot) 1989. Im Folgenden wird, falls nicht ausdrücklich anders erwähnt, die alte Auflage zitiert, die Cormann verwendet hat. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 104 Berlin, dein Tänzer ist der Tod! Berlin, du wühlst mit Lust im Kot! Halt ein! Laß sein! Und denk ein bißchen nach: Du tanzt dir doch vom Leibe nicht die Schmach. Denn du boxt und du jazzt und du foxt auf dem Pulverfaß! 254 Das Lied ist, im Gegensatz zum Plakat, aktiver Bestandteil des kollektiven und kulturellen Gedächtnisses geblieben. So findet sich die erste Zeile in der literarischen Tradition in einem Gedicht von Paul Zahl sowie in Form von Anspielungen in expressionistischen Gedichten von Johannes R. Becher, Alfred Wolfenstein und Walter Hasenclever wieder. 255 Auch Jean- Michel Palmier greift diese in seinem Berliner Requiem auf, in dem ein Kapitel die Überschrift „Berlin, ton danseur est la mort: Berlin, dein Tänzer ist der Tod! “ 256 trägt. Er beschreibt darin die besondere Beziehung zwischen Berlin und seinen Künstlern, die die Zeilen für ihre Kabarettlieder aufgriffen. Der Titel Berlin, ton danseur est la mort ist damit in doppelter Weise programmatisch: Einerseits verbindet er durch seinen Ursprung zeitgeschichtliche mit literarisch-künstlerischen Elementen, was sich formal durch das ganze Stück zieht. Andererseits liegt in der Kombination bereits der inhaltliche Schwerpunkt des Stückes verankert, der in einer Konfrontation von Politik und Kunst besteht. In diesem Sinne verdeutlicht die eindringliche Textzeile das dekadente Leben in den 1920er Jahren zwischen Genusssucht und Sorglosigkeit auf der einen und dem Todestanz auf der anderen Seite, der in der Personifizierung der untergehenden Demokratie und Kulturfreiheit liegt. 257 Das bereits angeführte Berliner Requiem von Palmier bildet auch auf anderen Ebenen den wichtigsten Prätext für Cormanns Drama. Palmier beschreibt in Form von Fragmenten und Schlaglichtern sein eigenes Irren durch Berlin, wobei er sich einem permanenten Verwirrspiel zwischen 254 Zit. nach Saarländisches Staatstheater (Hrsg.): Berlin, Dein Tänzer ist der Tod. Saarbrücken (Programmheft) Mai 1989. 255 In der folgenden Anthologie befinden sich hierzu zahlreiche motivische Parallelen: Kurt Pinthus (Hrsg.): Menschheitsdämmerung. Ein Dokument des Expressionismus. Berlin (Rowohlt) 1996, z.B. S. 44, S. 46 und S. 317. 256 Palmier: Berliner Requiem, S. 127. 257 Damit wird ein literarisches Hauptstadtbild in der Ambivalenz von kosmopolitischer, künstlerisch reger Metropole sowie einer der Apokalypse geweihten Stadt als „Hure Babylon“ gezeichnet (45f.). Vgl. dazu auch Klaus Heitmann: Berlin als Thema und Schauplatz der französischen Literatur seit 1945. In: Klaus Matzel und Hans-Gert Roloff (Hrsg.): Festschrift für Herbert Kolb zu seinem 65. Geburtstag. Frankfurt a.M. et al. (Lang) 1989, S. 220-257. Obwohl Heitmann in seiner Untersuchung sowohl Cormanns Stück (227f.) als auch Palmiers Berliner Requiem (251) fokussiert, zieht er die Verbindung zwischen beiden nicht. 2.1.2 Enzo Cormann: Berlin, ton danseur est la mort 105 Realität und Traum ausgesetzt fühlt. 258 Diese Grenzverwischung, die sich auch in Cormanns Stück in der Liedzeile „ce rêve étrange qu’on nomme vie“ (46) äußert, wird potenziert in Palmiers unentwegter Konfrontation zwischen Vergangenheit und Gegenwart der Stadt: C’est en reconstituant le passé artistique de Berlin, la vie culturelle à l’époque de Weimar et à l’époque hitlérienne que j’ai été frappé par la juxtaposition inconsciente des deux Berlin: celui dans lequel je marchais et celui qui était le point de départ de mes investigations. De cette rencontre, de la violence des contrastes et des oppositions sont nées ces notes, réunies ici. 259 Enzo Cormann übernimmt in seinem Drama Palmiers Konstruktionsprinzip, zwei entfernte Zeiten hermeneutisch miteinander zu verknüpfen und dabei beide gleichermaßen aufrechtzuerhalten. Mit der Kombination der Zeiten 260 scheint sich Cormann zudem in eine allgemein beobachtbare Tendenz einzureihen, denn Reichel stellt heraus: „In den letzten zehn Jahren, und das ist das gegenwärtige Berlinbild der französischen Literatur, wird die Stadt oft als Ort der Gegenwart und der Vergangenheit zugleich evoziert.“ 261 258 Ebd., S. 239. Für die Version von 1994 folgt Cormann, der zuvor noch nie in Berlin war, nicht nur schriftlich der Bewegung seines Lehrers: „Quand je me suis rendu à Berlin, j’ai d’ailleurs, absurdement, refait le parcours impossible qu’il [Jean-Michel Palmier] avait lui-même effectué dans la ville reconstruite, à la recherche des hautslieux artistiques de cette période [Berlin des années 20].” Cormann zit. nach Gallon: Le théâtre d’Enzo Cormann. 259 Palmier: Berliner Requiem, S. 239. 260 Diese enge Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit findet sich in einer Vielzahl der Dramen Cormanns, der die Vergangenheit, gleich ob individuelle oder kollektive, als determinierend für die Gegenwart darstellt. Mit der Akzentuierung dieser beiden Zeitebenen wendet er sich explizit gegen die Grundannahme von Deleuze und Guattari, die in Mille plateaux betonen, dass alle Literatur zwischen zwei Fragen oszilliere: „Qu’est-ce qui va se passer? “ und „Qu’est-ce qui s’est passé? “ Während sie mit der Vernachlässigung der Gegenwart das hier gattungskonstituierende Merkmal übergehen - „Le grand voyage du théâtre, c’est le présent.“ Gallon: Le théâtre d’Enzo Cormann, S. 9 und vgl. Interview, S. 360 - nimmt Cormann in seinem Drama Diktat eine Neudefinition dieser Grundfragen vor, zwischen denen sich zumindest sein Theater bewege: Zu Beginn des Dramas formuliert Val die Frage „QU’EST-CE QUI SE PASSE? [Herv. im Original]“ und am Ende wird die Fiktion mit der Frage Piets abgeschlossen „Que s’était-il passé? “ Diktat. Paris (Minuit) 1995, S. 13 und S. 84. Dieses Zusammentreffen von Gegenwart und Vergangenheit stellt auf einer weiteren Ebene die Grundsituation des Theaters dar, da dem Zuschauer die bereits vergangene Geschichte in Geschehnis zurückverwandelt und unmittelbar vergegenwärtigt wird. 261 Edward Reichel: Der Wandel des Berlinbildes in der französischen Literatur. In: Volker Roloff (Hrsg.): Aspekte der Auseinandersetzung zwischen „Anciens“ und „Modernes“. Essen (Hobbing) 1989, S. 165-187, hier S. 182. Des Weiteren verweist Reichel darauf, dass der „entscheidende Wandel des Berlinbildes in der französischen Literatur [...] abrupt in den zwanziger Jahren [erfolgt]: [...] es entsteht das moderne Berlinbild, das Bild einer kosmopolitischen Stadt ohne sexuelle Tabus, voller politischer und künst- II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 106 Daneben rekurriert Cormann aber vor allem auch in künstlerisch-literarischen Aspekten auf das Werk seines Lehrers. Palmier beschreibt sehr detailliert die Künstlerszene im Berlin der 1920er und 1930er Jahre, insbesondere die Welt des Kabaretts und der so genannten Tingeltangel sowie ihren Untergang im Dritten Reich. 262 Die bei Palmier dominierende Atmosphäre eines sich amüsierenden Berlins, das die drohende Gefahr ahnt, aber zu verdrängen sucht, überträgt Enzo Cormann als übergeordnete Parallele unmittelbar auf sein Drama. In gleicher Weise finden sich auch Bezüge in Einzelaspekten wieder. So schildert Palmier beispielsweise die Geschichte des Berliner Kabarettdirektors Werner Finck, der in Cormanns Drama unter ähnlichem Nachnamen als Herbert Finkel durchscheint, wobei Finkels Schicksal exakt dasjenige Fincks widerspiegelt: 263 Werner Finck nahm die Nationalsozialisten und ihre Politik nicht ernst, nutzte sein Kabarett als Plattform ihrer Verspottung, so dass nach kontinuierlichen Attacken der Nationalsozialisten auch „Die Katakombe“ 1933 im Zuge der groß angelegten Schließungen der Berliner Kabaretts ihren Betrieb einstellen musste. Finck wurde deportiert und starb im Konzentrationslager. Der direkte Vergleich von Palmiers Berliner Requiem und Cormanns Drama macht auch in weniger expliziten Wiederaufnahmen aus dem kollektiven Fundus der Epoche 264 die Cormannsche Figurenkonstruktion deutlich. Die Geschichte der Gretl Schüler, deren Name vermutlich eine Kombination aus dem der Dichterin Else Lasker-Schüler und dem der Gretl Trakl, 265 Schwester des österreichischen Lyrikers Georg Trakl, darstellt, ist Aufnahme einer von Palmier skizzierten Begebenheit: Die Kabarettistin Claire Waldoff, bekannt durch den Vortrag von Liedern wie Heinrich Zilles Das war dein Milljöh 266 , bot eines Abends im Kabarett in Anwesenheit einiger SS-Männer das Spottlied „Hermann“ über Hermann Goering dar, woraufhin sie Auftrittsverbot erhielt. 267 Neben der Tatsache, dass beide lerischer Bewegungen und von großer urbanistischer Modernität [Herv. im Original].” Dieser Wandel ist etwa Giraudoux’ Siegfried et le Limousin eingeschrieben. Ebd., S. 173. 262 Das Kabarett verliert durch den Aufstieg der Nationalsozialisten ab 1933 seinen satirischen, oppositionellen Charakter, da diesem mit der fortschreitenden Einschränkung der Rede- und Meinungsfreiheit seine Grundlage entzogen wird. 263 Die Geschichte von Werner Finck findet sich bei Palmier: Berliner Requiem, S. 39-43 und die Parallele zu Herbert Finkel in Cormanns Drama (71). 264 Vgl. dazu auch erneut die Bedeutung der Rezeptionsleistung: „Sans doute le lecteur non germaniste et non spécialisé dans cette époque sera-t-il peu sensible à ces coïncidences à dessein multipliées mais elles témoignent du jeu constant que pratique Enzo Cormann avec le langage, la fiction, la réalité et le fantasme.“ Palmier: Les larmes amères d’Enzo Cormann, S. 9. 265 Vgl. Jean-Michel Palmier: Situation de Georg Trakl. Paris (P. Belfond) 1972, S. 27. 266 Vgl. Palmier: Berliner Requiem, S. 130. 267 Vgl. ebd., S. 55f. 2.1.2 Enzo Cormann: Berlin, ton danseur est la mort 107 Lieder in Cormanns Drama eine Rolle spielen, ist auch das Auftrittsverbot der Kabarettsängerin Gretl gleichermaßen motiviert (51-53). Die Konstruktion der Figurennamen als subtiles Spiel mit der Epoche lässt sich auch bei den anderen Protagonisten feststellen: Lincker erhält den Namen des Kabarettsängers Paul Lincke, 268 Nelle den der Tochter Gottfried Benns, Nele Benn, der Berliner Dichter Otto Kasner erinnert an Erich Kästner und der Name Elis entstammt den Trakl-Gedichten An den Knaben Elis und Elis. 269 Die figurenimmanente Kombinatorik, die sich in den Namen spiegelt, spielt auch in der Figurenkonzeption eine tragende Rolle. Die selbstverständlich fiktiv individualisierten Protagonisten scheinen durch die vielfältig angewendeten Authentisierungs- und Zitatstrategien real existierende Typen der 1930er Jahre zu repräsentieren. Auf diese Weise nehmen die fiktiven, aber mit Zeitkolorit und geschichtlicher Atmosphäre behafteten Figuren gewissermaßen eine Zwitterstellung ein. Wenn sich auf der Ebene der formalen Konstruktionsprinzipien bis hierhin schon gezeigt hat, dass der Expressionismus eines der zentralen Bezugselemente darstellt, so wird dies noch auf zwei weiteren Ebenen - einer inhaltlichen und einer im Ansatz performativen - relevant. Auf der inhaltlichen Ebene des Dramas situiert Cormann seine Figuren in der Welt des Expressionismus, lässt sie dessen Werke zitieren und künstlerische Debatten führen. Auf diese Weise sind die Figuren nicht nur von dem sie umgebenden Künstlermilieu im Berlin der 1930er Jahre geprägt, sondern thematisieren selbst explizit - etwa mit Claire Waldoff (38), Friedrich Holländer, Walter Mehring (40) - das Revuetheater und politische Kabarett der Zeit sowie expressionistische Literatur und Malerei. Neben Gesprächen etwa über Pechstein, Kokoschka, Nolde, Macke (48) und Tucholsky (40) werden Gedichte Benns (35) und Trakls (70) zitiert oder Gretl in extenso mit der Marzella des gleichnamigen Portraits von Kirchner (61f.) verglichen. Darüber hinaus initiieren die Figuren Gretl und der sich als Maler betätigende, nationalsozialistische Aristokrat Max von Strauss eine heftige Kunstdebatte (47-49, 53-57), die zugleich als Paradigma für das Spannungsfeld von Kunst und Politik gelten kann, in dem sich das gesamte Drama bewegt. 270 Die Debatte wird in der siebten Szene durch die Fokussierung der Künstler eingeleitet, die von Max als „foutus barbouilleurs exacerbés“ 271 (47) diskreditiert werden. Damit meint er die von Gretl vehement vertei- 268 Vgl. ebd., S. 55. 269 Georg Trakl: An den Knaben Elis und Elis. In: Pinthus (Hrsg.): Menschheitsdämmerung, S. 100-102. 270 Wenn nämlich das Spannungsfeld zwischen Kunst und Politik im Stück einerseits zum Thema gemacht wird, schlägt sich dies andererseits formal in der Kombination von Politisch-Zeitgeschichtlichem sowie Literarisch-Künstlerischem nieder. 271 In der Version von 1994 nennt er sie konkreter „des barbouilleurs dégénérés“ (1994: 42). II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 108 digten Expressionisten, mit deren „pratiques dégénérées“ (47), der so genannten ‛entarteten Kunst’, angesichts des neuen Stils abzurechnen sei. Seine klar konturierte Kunstauffassung legt er vor allem in den nationalsozialistischen Diskursen der neunten Szene dar. Analog zu seiner politischen Überzeugung ist Max Maler im Stil eines „réalisme exacerbé“ (53), wie ihn die Nationalsozialisten propagieren. Er tritt für eine faschistische Ästhetik ein, die sich in „La beauté du corps, la force, l’harmonie. Le corps et la puissance“ ausdrückt (54). Auf diese Weise will er mit Gretls Porträt auch den Archetyp der deutschen Frau malen. In den späteren Versionen wird die nationalsozialistische Kunstüberzeugung darüber hinaus detaillierter in einem Exkurs von Max über das Verhältnis von Kunst und Geschichte dargelegt (1994: 49). Diese Auseinandersetzung spiegelt eine Debatte wider, wie sie seit der Nominierung Joseph Goebbels zum ‛Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda’ und zum ‛Präsident der neuen Reichskulturkammer’ am 13.03.1933 und mit dem Beginn der Gleichschaltung aller Massenmedien sowie des Kulturlebens und einer umfassenden Instrumentalisierung der Kunst zu Propagandazwecken virulent wurde. Neben den formalen und inhaltlichen Bezügen nimmt die Auseinandersetzung mit dem Expressionismus in Cormanns Drama noch eine weitere Dimension an, die auf dessen performative Umsetzung als literarische Strategie abzielt: In gewisser Weise schreibt sich Cormann in die Tendenz des Expressionismus ein, wenn er dessen künstlerische Verfahren - wie etwa die Kollage als Kombination von Heterogenem 272 und die kinematographischen Referenzen 273 - als Form- und Inhaltsprinzipien anwendet. Darüber hinaus äußert sich der Autor selbst dahingehend, dass sein gesamtes Drama in struktureller Analogie einem expressionistischen Kunstwerk unterworfen sei. In diesem Sinne präzisiert Cormann in seinem Vorwort zur 1994er-Version den Einfluss des Autoporträts von Georg Grosz: 272 Diese Kombinationen von Heterogenem, bei denen Fremdes aufgegriffen und mit Eigenem verbunden wird, finden sich in Zitierverfahren, in der Verfugung von Fiktion mit zeitgenössischen Realien, tagespolitischer Aktualität, historischen Orten und etwa auch in der Integration von Liedeinlagen, wie sie gerade bei den Expressionisten im Zeichen einer Gattungsmischung sehr geläufig sind. So werden in Cormanns Stück neben dem Titellied noch weitere Lieder relevant, wie das Spottlied über Goering, das Lied Friedrich Hollaenders „Es liegt was in der Luft“ in französischer Sprache, Claire Waldoffs Lied „Das war dein Milljöh“ zu Ehren von Heinrich Zille (alle 38) sowie ein Lied Hanns Eislers, das jedoch nur in den überarbeiteten Versionen enthalten ist (1994: 33). Vgl. zu dieser Kombinationstechnik bspw. Alfred Döblins expressionistischen Roman Berlin Alexanderplatz. 273 Neben den bereits dargelegten filmischen Repliken mittels Flashs und der Gesamtkonstruktion des Rückblicks führt Cormann im Sinne eines expliziten Zitierverfahrens den expressionistischen Filmregisseur Fritz Lang an, um auf die Atmosphäre seiner Filme über das Berlin der 1920er Jahre zu verweisen und sie auf die erzählte Handlung zu übertragen (1994: 8). 2.1.2 Enzo Cormann: Berlin, ton danseur est la mort 109 „Le regard du peintre allait se perdre par une fenêtre dans le terrain vague voisin, où des blocs de béton vérolés semblaient flotter parmi les ronces. Ce regard m’a dicté la structure de la pièce, et jusqu’à son intrigue.“ (1994: 13). 274 Mit dieser expliziten Symbiose von Literatur und Malerei spielt Cormann zugleich erneut auf den Expressionismus an, dessen Maler häufig auch Schriftsteller waren und vice versa. In seinem Drama Berlin, ton danseur est la mort inszeniert Enzo Cormann den schwierigen Erinnerungsprozess der Protagonistin Gretl Schüler, die sich qua Rekonstruktion der Vergangenheit von ihrer Traumatisierung zu befreien sucht. Während letztere die Figur vergleichbar einer Totenstarre im Keller als Grab der Vergangenheit festhält, gibt der auf Vermittlung und Auseinandersetzung abzielende Erinnerungsprozess im Dialog und Rollenspiel die weibliche Hauptfigur schließlich für die Zukunft frei. Die inhaltliche Spurensuche Gretls nach einzelnen Bruchstücken ihrer individuellen Geschichte entspricht der formalen Spurensuche Enzo Cormanns nach der kollektiven Geschichte. Mit dem zentralen Bezugselement Expressionismus kombiniert er in seinem Drama in verschiedenen Perspektiven literarische, künstlerische, topographische und geschichtliche Spuren. Das Vorgehen Cormanns, über Authentisierungsstrategien einen kulturellen und historischen Raum entstehen zu lassen, wird in einer Rezension zur Saarbrücker Uraufführung des Stückes pauschal kritisiert: „Gibt es kein Sujet, das diesem Enzo Cormann aus der Gascogne näher liegt? [...] bei diesem Berlin-Stoff kann es für ihn immer nur um Material aus dritter und vierter Hand gehen.“ 275 Dieser Einwand verkennt jedoch, dass Cormann in seinem Stück eben mit jener Vermittlung spielt, 276 indem er die Konstruktionen durchscheinen lässt, die Bruchstellen der Materialzusammenfügungen und die permanente Oszillationsbewegung zwischen Fiktionalisierung und Authentisierung ausstellt sowie letztlich für seine Dramen- 274 Inwieweit diese manifestierte, strukturelle Analogie zwischen dem Werk der bildenden und dem der dramatischen Kunst tatsächlich zutrifft und welche Schlussfolgerungen sich daraus für die écriture Cormanns ziehen lassen, sprengt den Rahmen der vorliegenden Untersuchung und müsste in einer eigenständigen Betrachtung nachvollzogen werden. 275 Annemarie Buschmann: Erinnerungen aus einem Kellerloch. Cormanns „Berlin, Dein Tänzer ist der Tod“ uraufgeführt. In: Saarbrücker Zeitung sowie Pfälzischer Merkur, 16.05.1989. 276 Interessanterweise ist im Drama mit über 30 Nennungen eine extrem hohe Frequenz des Lexems „jeu“ festzustellen. Das Zentralmotiv des Spiels scheint mit dem Bewusstsein des Konstruktionscharakters von Erinnerung zusammenzuhängen, dem etwa auch durch ein betont fragmentarisches Erzählen Rechnung getragen wird. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 110 konstruktion produktiv macht. 277 In diesem Sinne lässt sich der dramenimmanente Verweis auf den Konstruktions- und Rekonstruktionscharakter als bewusstes Bekenntnis zur Problematik lesen, kollektive und individuelle Erinnerungen in ihrem Vermittlungscharakter zu fassen und zu poetisieren. 2.1.3 Enzo Cormann: Toujours l’orage In dem 1996 verfassten Drama Toujours l’orage 278 steht der Erinnerung zunächst deren Unkommunizierbarkeit gegenüber. Diese war Auslöser dafür, dass die Ereignisse in der Vergangenheit verdrängt wurden, und beschreibt gleichzeitig den gegenwärtigen Zustand der Hauptfigur Theo Steiner. Konkreter Ausdruck dessen ist sein selbst gewähltes Exil auf einem Bauernhof im französischen Morvan fernab jeder Bevölkerung, so dass eine Kommunikation mit anderen Menschen auf das Nötigste beschränkt bleibt. Der Rückzug geht einher mit einer Abwendung von Sprache und einer Hinwendung zur Malerei als einer gänzlich anderen Ausdrucksform. Jedoch bleibt Theo auch auf diesem künstlerischen Gebiet die Aussagefähigkeit versagt (15). Das angedeutete therapeutische Malen kann nicht, wie es Theo selbst zuspitzt, die Gedanken und Erlebnisse ausdrücken, noch gegen sie ankommen: La peinture n’est qu’un prétexte. Il n’y a que la pensée, en définitive. Pensée de la barbarie, et pensée de soumission. Pensée du mal et de l’arrangement avec le mal. Pensée vertigineuse que la pensée de folle application avec laquelle nous avons en définitive coopéré à notre propre extermination. (86) Zu dieser Erkenntnis ist Theo aber erst in der Lage, nachdem er sich in einem schmerzvollen Erinnerungsprozess der Übermacht der Vergangenheit und seines traumatisch gewordenen, schuldhaften Verhaltens gestellt hat. Initiiert wird dieser Erinnerungsprozess von dem sehr viel jüngeren Nathan, so dass mit dieser Figurenkonstellation zugleich der Übergang 277 Palmier spekuliert in seinem Vorwort über die verschiedenen Quellen, die in Cormanns Drama in Form des Palimpsestes durchscheinen könnten: „Il a lu les récits qui évoquaient l’effondrement de Berlin, l’Allemagne année zéro, il a peut-être ...“. Palmier: Les larmes amères d’Enzo Cormann, S. 7. 278 Enzo Cormann: Toujours l’orage. Paris (Minuit) 1996. Eine staatliche Auszeichnung erfährt das Stück dadurch, dass es auf dem Programm des französischen Zentralabiturs steht. Im Kontext der Untersuchung erscheint auch interessant, dass Cormanns Drama in der Lesung durch den Autor 1997 Teil einer Veranstaltungsreihe des Goethe Institutes Toulouse unter der Fragestellung war, wie und ob nachgeborene Künstler am Jahrtausendende die Erinnerung an die Schoah in ihr Werk integrieren können. So wurden im Rahmen der Contes mnémoniques neben einer Ausstellung von Portraits Überlebender der Lager des Multimediakünstlers Edward Hillel u.a. Werke von Weiss, Tabori sowie Toujours l’orage gelesen. 2.1.3 Enzo Cormann: Toujours l’orage 111 von der individuellen Erinnerung des Überlebenden der Schoah hin zur kollektiven und kulturellen Erinnerung einer Generation dargestellt wird, die diese Zeit nur vermittelt kennt. In der Form eines „théâtre intimiste“ 279 wird - in der Metapher des orage - die sprachliche Konfrontation der um Vergangenheit, Erinnerung und Identität ringenden Figuren gezeigt. Auch wenn sie beide auf den ersten Blick als Antagonisten konzipiert zu sein scheinen, 280 stellen sie mit ihrem jeweiligen „moi en miettes“ (46) im eigentlichen Sinne nur zwei Formen eines Verhältnisses zur Schoah mit ihren individuellen wie kollektiven Folgen für Zeitzeugen und Nachgeborene sowie der Frage ihrer Memoria dar. 281 In der Auseinandersetzung um Erinnerung und Identität ist der alternde Schauspieler Theo sowohl Subjekt als auch Objekt des Vergessens: Einerseits will er die eigene Vergangenheit vergessen und verdrängen, andererseits ist er aber zugleich selbst ein Vergessener bis zu dem Zeitpunkt, als der junge Regisseur ihn aufsucht. Bereits mit seinem Rollenangebot, die Figur des König Lear in Shakespeares gleichnamigem Stück zu spielen, weckt Nathan bei Theo unwillkürlich Erinnerungen an vergangene Zeiten. Der Schauspieler wehrt sich zunächst entschieden gegen die Thematisierung seiner Vergangenheit, versucht sie sich aber dann selbst ins Bewusstsein zu rufen, indem er sich in Vergessenheit geratene Fotos als Medien und Träger der Erinnerungen ansieht (25). Die sich anschließende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erfolgt über mehrere Stufen und Formen der Erinnerung. Die Fotos entlarvt Theo indes lediglich in ihrem Stellenwert als Beweise für die Existenz einer Vergangenheit, an der er jedoch zu sehr verzweifelt, als dass die Bilder etwas anderes sein können als „quelques cristaux de sels d’argent brûlés par la lumière, abstraction pure, images de jouets, catalogue imaginaire, ce qu’on voudra, je ne suis pas là-dedans, figurez-vous“ (27). 282 279 Interview, S. 373. 280 Neben ihrer Angehörigkeit zu verschiedenen Generationen, der Teilhabe an anderen Erfahrungen und des Vertretens unterschiedlicher Standpunkte entflieht bspw. der eine dem Theater zwanghaft, während der andere es um jeden Preis sucht. 281 In diesem Sinne unterstreicht Pavis, dass „à travers ces deux figures, Cormann cherche à régler ou du moins à poser la question de la culpabilité, celles des Juifs survivants et de ceux qui refusent toute identité.“ Pavis: Le théâtre contemporain, S. 202. Der Dramatiker inszeniere damit seine eigene und die Betroffenheit aller durch die Katastrophe. Vgl. Pavis: Le théâtre contemporain, S. 209 sowie Interview, S. 373f. Zum psychoanalytischen Ansatz in der Anwendung von Cormanns theoretischem Text Fantasme? Malentendu auf das Drama vgl. das Kapitel 10 „Enzo Cormann Toujours l’orage, ou l’ultime malentendu“ in Pavis: Le théâtre contemporain, S.198-214. 282 Der inflationäre Gebrauch des Ausdrucks „figurez-vous“ (25, 26, 27, 32, 36, 41, 43, 54, 56, 87) verweist auf den permanenten Versuch, das eigentlich Unvor-/ darstellbare vor- und darstellen zu wollen und zu müssen: „Depuis vingt ans, il cherche à se figurer ce qu’il a vu et fait, tout en sachant que ces figures ne sont pas représentables, et que seuls le rêve, le fantasme et l’art ont suffisamment ‛d’égard vis-à-vis de ce qui est II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 112 Einmal angeregt, setzt die Erinnerung auf vielen Ebenen ein. Als unwillkürliche Form wird in erster Linie der Traum relevant. Nachdem Theo im Schlaf das Gesicht seines Vaters vor sich gesehen hat, das er sich im Gegensatz zum Wachzustand plötzlich vorstellen kann und von dem er sagt, dass „je ne me souviens pas d’avoir revu son visage avec une telle acuité depuis sa disparition“ (33), beginnt er Nathan von seiner Kindheit zu erzählen. 283 Cormann trennt in diesem Erinnerungsprozess nicht explizit die unwillkürliche von der bewusst hervorgerufenen Erinnerung, sondern schafft ein Konglomerat beider Formen. Die Sprache in diesem Gemisch aus Interview und einer Form, sich selbst Vergangenes zu erzählen, bleibt dabei syntaktisch intakt und ist weitestgehend nicht von diesem Erinnerungsprozess gezeichnet. 284 Die Rückwendung in die Vergangenheit ist allerdings nicht einseitig, denn auch Theo befragt Nathan nach dessen Judentum und Eltern. In Nathans Kindheit gab es keine Vermittlung von Erinnerung, woraus zu einem großen Teil seine Identitätsprobleme resultieren. Mit dem Satz „Ta pauvre mère a connu l’horreur des camps“ (52) wurde jede Auseinandersetzung im Keim erstickt und führte letztlich zu einer inneren Abwehr bei Nathan. Mit dem Sohn einer Überlebenden schafft Cormann eine Figur, die für den schwierigen Erkennens- und Anerkennensprozess der eigenen, bisher nicht reflektierten jüdischen Identität steht. Zudem trägt Nathan die unbewusste Schuld, sich eben nicht als Jude und so mit den anderen Juden solidarisch zu fühlen. 285 représentable’ (figurable).“ Pavis: Le théâtre contemporain, S. 209. 283 Hier findet sich eine Umsetzung der Gedanken in Traumbilder, ebenso als sprachlose, jedoch nicht willentliche, dafür aber adäquate Ausdrucksform im Vergleich zur Malerei Theos (23). Vgl. zur figurabilité, zur „Rücksicht auf Darstellbarkeit“ als Forderung, der die Traumgedanken unterliegen, auch Laplanche und Pontalis: Das Vokabular der Psychoanalyse, S. 112f. 284 Dennoch wird die Sprache im Drama an verschiedenen Stellen an ihre Materialität, Oralität und Musikalität herangeführt: Vgl. etwa das Spiel mit Lauten und Phonemen, l/ m, elle/ aime (73, 204), sowie den Einsatz von Alliterationen, z.B. Opposition von g und r (67). Hinzu kommt, dass v.a. den Traumsequenzen Züge der Inszenierung als Antizipierung bereits inhärent sind: „Dans ces monologues (sc. 5) de rêve éveillé (sc. 3), de cauchemar (sc. 11), l’écriture est postdramatique: elle s’évade de l’échange dialogué vers une textualité qui progresse de manière associative (et non plus dialectique), par poussées et glissements du signifiant. Or, cela ne se peut qu’en dehors du langage, à des moments où seule la vision fantasmatique est en mesure de figurer le réel.“ Pavis: Le théâtre contemporain, S. 210. 285 Die gesamte Szene elf inszeniert in einem Traum aus Nathans Perspektive das eigene und kollektive Leugnen der jüdischen Identität. Hierbei vermischen sich polyphone Stimmen, Bilder, Motive und signifiants, die die Figur einerseits durchdringen und bestimmen, andererseits steht Nathan aber zugleich im eigentlichen Sinne außerhalb des eigenen geträumten Phantasmas. Mit Verweis auf die ödipalen Referenzen unterstreicht Pavis: „Mais cette culpabilité est annulée, lorsqu’il sauve Steiner du suicide et contribue à sa cure et sa délivrance. Il retrouve en lui un père, mais aussi une mère, 2.1.3 Enzo Cormann: Toujours l’orage 113 Während eines Schachspiels, das weniger einen Schlagabtausch auf dem Spielbrett als auf sprachlicher Ebene darstellt, tritt die Gegenwart dann gänzlich in den Hintergrund. Nur noch die Erinnerung an die Vergangenheit ist relevant. Auf Nathans gezielte Fragen antwortet Theo zunächst in Form einer geschichtlichen Darstellung, hinter deren Faktizität und vorgeblicher Objektivität er sich zu verstecken sucht. Ein weiterer Versuch, die Erinnerung nicht zu einer individuellen Auseinandersetzung werden zu lassen, liegt in der Entsubjektivierung durch die distanzierende Rede von sich als „un dénommé Theo Steiner“ (54). Den Höhepunkt des Erinnerungsprozesses stellt die achte Szene dar, in der die verdrängte Situation aufgebrochen und thematisiert wird. Allerdings wird die Erinnerung an Theos Begegnung mit dem Untersturmführer größtenteils nicht in einem rückblickenden Erzählvorgang beschrieben, sondern in einem Rollenspiel vergegenwärtigend dargestellt. Szenisch verkörpert zunächst nur Theo allein die Erinnerung, indem er sowohl die Worte des SS-Mannes als auch seine eigenen wiedergibt. Als Nathan aber auf diesen Dialog eingeht und die Rolle Theos übernimmt, wird die Erinnerung regelrecht inszeniert (61). Die vertauschten Rollen ermöglichen Theo, sein vergangenes Verhalten aus der Außenperspektive zu beurteilen. Am Ende des Rollenspiels fällt er jedoch jäh aus seiner Rolle als Untersturmführer heraus, als Nathan ihn in seiner Person mit einer Frage konfrontiert, bei der Theo zugeben muss, dass er sich damals nicht getraut habe (63), diese zu stellen: In Theresienstadt vom Untersturmführer vor die Entscheidung gestellt, einen Namen von der Deportationsliste nach Auschwitz streichen zu dürfen, hat Theo seinen Namen entfernt und damit gewissermaßen eigenhändig das Todesurteil für seine Eltern unterschrieben. 286 Nathan hingegen fragt in der gegenwärtigen Situation, ob er nicht auch drei Namen tilgen dürfe. In dem nahezu psychoanalytischen Verfahren wird die traumatische Situation durch ein Wiedererleben im Rollenspiel aufgelöst und die aufgestauten Emotionen entladen sich, so dass sich die angenommene Schuldhaftigkeit bei Theo von seiner anfänglichen Ver‛Steiner’ung in Autoaggression und Raserei wandelt (66). In der gesamten Szene, die bezeichnenderweise mit „I am cut to th’brains (J’ai la cervelle en miettes)“ (61) betitelt ist, wird beständig zwischen den beiden Zeitebenen der Vergangenheit und der Gegenwart gewechselt, Vergangenheitseinschübe unterbrechen permanent die Linearität. Die textinterne Organisation der verschiedenen Fiktionsebenen ist nicht immer eindeutig: Es gibt keine Binnenhandlung, die von der Rahmen- car la femme de son rêve ‛a le visage de Theo Steiner’“. Ebd., S. 207. 286 Den damit verbundenen plötzlichen Übergang von der Opferauf die Täterseite spitzt Theo mit den Worten zu: „cet officier nazi qui avait fait de moi l’exécutant d’Heydrich, de Müller, de Kaltenbrünner [sic] et d’Eichmann, en me contraignant à ratifier d’un trait de plume le sacrifice de mes parents“ (87). II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 114 handlung klar abgesetzt ist, vielmehr lösen sich diese Grenzen in Richtung einer Symbiose der Zeitebenen in der Gegenwart auf. Theo geht in diesem Erinnerungsprozess den inneren Weg nach Theresienstadt zurück und kann sich durch diese Konfrontation von der historischen und existentiellen Belastung freimachen, zum einen Überlebender der Schoah zu sein, zum anderen Schuld auf sich geladen zu haben. Weil damit der Bann der Erinnerungen und die Identitätsproblematik (auf)gebrochen sind, kann er auf Nathans Frage hin auch den Rest seiner Geschichte erzählen, die seine Flucht aus dem Theater ins Exil erklärt. Trotzdem beschreibt er den Besuch des ehemaligen Untersturmführers, der nach 27 Jahren plötzlich in seiner Theatergarderobe erscheint, noch sehr emotional und fühlt sich sofort in jene Zeit zurückversetzt. 287 In Toujours l’orage thematisiert Cormann den schmerzhaften Erinnerungsprozess eines Überlebenden der Judenvernichtung, der mit seinem individuell schuldhaften Verhalten nicht umgehen kann. Theo ist aber auch Schauspieler, der mit dem kollektiven Verhalten eines Publikums nicht mehr zurechtkommt, das nach dem Krieg genauso applaudiert wie davor, als habe sich nichts verändert. Im (passiven) Habitus des Zuschauens wird die Haltung einer Vielzahl von Menschen im Dritten Reich der Geschichte gegenüber - „le public fait l’histoire“ - mit dem für das Theater konstitutiven Verhalten des Rezipienten verbunden. Dem Drama um den Erinnerungsprozess liegt somit wesentlich auch ein Theater- und Geschichtsdiskurs zugrunde, mittels dessen die individuelle Thematik des Stückes zu einer kollektiven ausgeweitet wird. 288 Als Autor der zweiten Generation sieht sich Cormann mit einer Darstellungsproblematik konfrontiert, 289 die sich im Spannungsfeld einer paradoxen Forderung nach Authentizität und Unkommunizierbarkeit bewegt. Narrativ erzielt Cormann, wie gezeigt, eine Form der Authentizität durch die Zeitzeugenschaft und Unkommunizierbarkeit anhand der verdrängten Erinnerung der Figur. Auf der Ebene der Dramenkonstruktion wird Authentizität darüber hinaus - wie im Folgenden zu zeigen sein wird - auch 287 Dies v.a., da der Stift, mit dem er ein Autogramm geben soll, derselbe von damals ist und damit mehr memorial denn skriptural funktioniert. Ein sprachlicher Hinweis für das direkte Zurückversetzen in die Vergangenheit zeigt sich bspw. darin, dass er den alten Mann immer noch in der Hierarchie des nationalsozialistischen Regimes mit „Herr Untersturmführer“ (84) anredet. Die Sprache ist insgesamt aber auch in diesem zweiten Erinnerungsprozess syntaktisch nicht von der Erinnerung gezeichnet. 288 Auf diese Weise arbeitet der Autor mit einem „effet constant de miroirs renversés“: „petit à petit on va croiser la petite histoire, l’histoire des individus, finalement la petite histoire du théâtre avec la grande Histoire c’est-à-dire que cette fracture va nous ramener au camp de Terezín.“ Hélène Kuttner: Toujours l’orage d’Enzo Cormann. In: L’Avant-Scène Théâtre, janvier 1998 und vgl. auch Félix: Enzo Cormann - raconteur d’histoire. 289 Vgl. auch Cormanns Stellungnahme dazu im Interview, S. 373-375. 2.1.3 Enzo Cormann: Toujours l’orage 115 dadurch erzeugt, dass in den Erinnerungen des Zeitzeugen Theo nicht nur individuelle, sondern vor allem auch kollektive Erinnerungen an die Zeit des Dritten Reiches in Form von Elementen der faktischen Geschichte geschildert werden. 290 Die Schlüsselquellen der geschichtlichen Darstellungen bestehen, wie auch im Drama angegeben, vor allem aus den Monographien von Joza Karas 291 und H. G. Adler 292 , die die Geschichte und das kulturelle Leben in Theresienstadt beschreiben. Dabei ist vor allem das erstgenannte Werk Music in Terezín 1941-1945 von Karas grundlegend für nahezu alle dargestellten Fakten und die damit verbundene Konstruktion eines historischen Raumes in Cormanns Drama. Cormann greift auf Karas’ Untersuchung vor allem in Form eines geschichtlichen Einschubes zurück. In der siebten Szene erzählt Theo Nathan von seiner Zeit in Theresienstadt, liefert aber neben der individuellen gleichzeitig die geschichtliche Perspektive mit. Deshalb wird auch nicht nur die Zeit von September 1942 bis zur Auflösung des Lagers im Mai 1945 beleuchtet, die Theo in Theresienstadt verbracht hat, sondern auch der entstehungsgeschichtliche Hintergrund des Lagers. Die Beschreibung, die sich von der Erbauung der Festungsstadt im Jahr 1780 unter Joseph II. von Österreich-Ungarn, den Beschluss im Oktober 1941, darin ein Ghetto zu errichten, bis hin zu den ersten Deportationen nach Theresienstadt im November 1941 erstreckt, hält sich dabei maßgeblich an das Referenzwerk. 293 Theo zieht aus rückwärtsgewandter Perspektive auch die grausame Bilanz des Konzentrationslagers - die Deportation von 140.000 Menschen nach Theresienstadt, von denen 33.000 dort starben und 90.000 in den Osten und vor allem nach Auschwitz deportiert wurden. 294 Im Zentrum dieses bewusst faktisch gehaltenen Rahmens des Dramas, der nahezu wörtlich Karas wiedergibt, steht das Lagerleben in den Jahren 1942-1945. Wiederum wird diese Zeit jedoch nicht primär anhand individueller Ereignisse beschrieben, sondern in Form eines geschichtlichen Exkurses über die Lebensbedingungen im Ghetto. 295 Der einzige Unterschied zu einer rein geschichtlichen Darstellung besteht dabei in der Perspektivierung, die eine Sichtweise des internen Beobachters ist, sich aber trotzdem nur einmal in einem kollektivstiftenden „nous“ (55) niederschlägt. 290 Im Folgenden handelt es sich dabei analog zum Verfahren in Berlin, ton danseur est la mort um ein exemplarisches Aufzeigen der Authentisierungsstrategien und nicht um eine vollständige Aufstellung aller geschichtlichen Fakten. 291 Joza Karas: Music in Terezín 1941-1945. London (Pendragon Press Paperback) 1990. 292 H. G. Adler: Theresienstadt 1941-1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft. Geschichte - Soziologie - Psychologie. Tübingen (J. C. B. Mohr) 2 1960, S. 854. 293 Vgl. Cormann (55), Karas (2, 8f.). 294 Vgl. Cormann (53), Karas (11). 295 Vgl. Cormann (55), Karas (10f.). II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 116 Cormann vermittelt zwar über einen Zeitzeugen die Geschichte im Modus des Erzählens, bleibt dabei aber objektivierend und streng faktisch an das Referenzwerk gebunden. Die Schilderungen des kulturellen Lebens in Theresienstadt 296 werden nur einmal deutlich wertend unterbrochen: Im Rahmen der Fokussierung der Ereignisse von 1944 um den Propagandafilm Der Führer schenkt den Juden eine Stadt, der unter der Gesamtleitung von Kurt Gerron entstand, 297 stellt Steiner diesen Film als eine „bluette propagandiste [...] arborant tous l’étoile jaune, naturellement - et qui connut son épilogue dans des wagons à bestiaux à destination d’Auschwitz“ (56) dar. Er betont dabei deutlich die Perfidität, denn „la caméra de Gerron ne put pas fixer cette apothéose sur la pellicule, en définitive, Gerron luimême faisant malencontreusement partie du convoi.“ (56). Cormann dramatisiert an dieser Stelle die geschichtlichen Ereignisse, um eine Überleitung zu Theos individueller Geschichte im Konzentrationslager herzustellen. Indem sich der Umgang der SS-Offiziere mit Gerron als typisches Verhalten (56) herausstellt, wird Theos Konfrontation mit den Machthabern vorbereitet. Während in der Gerron-Szene das typisierte Bild eines SS-Offiziers als einem der „goûtait fort la musique [...] puis signait sans broncher votre ordre de transfert“ (56) gezeichnet wird, modifiziert Cormann dieses Bild im Anschluss etwas. Zwar zeigt sich in Theos persönlichem Erlebnis auch das Bild der Deutschen als ‛Dichter und Denker, Richter und Henker’, weitet sich aber signifikant aus. Denn Theo wird einerseits vom Transport nach Auschwitz verschont, weil der Nazi ihn als Schauspieler bewundert, andererseits vollzieht sich dies aber in dem makabren Gnadenakt, nur sich selbst retten zu dürfen. Im Rahmen der historischen Darstellungen werden in Cormanns Drama eine Vielzahl von Personen genannt, die real existierten. Beispielhaft seien hier nur die Namen des schon angesprochenen Kurt Gerron (56) sowie diejenige von Karel Svenk (57) und Frantisek Zelenka (57) auf der Seite der inhaftierten Künstler genannt. Auf der Seite der nationalsozialistischen Machthaber, die innerhalb des Lagers eine tragende Rolle spielen, nennt Cormann nur den Lagerkommandanten Karl Rahm (56), die anderen SS- Männer bleiben anonym. Ebenso erwähnt der Autor den für Theos Schicksal verantwortlichen Nationalsozialisten nicht namentlich, dieser existiert lediglich in Form der Anrede qua seines Ranges als „Untersturmführer“ (61ff.). Mit Hilfe externer Quellen, wobei vor allem Adlers Monographie Theresienstadt 1941-1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft aufschlussreich ist, kann dieser Untersturmführer aber eindeutig als literarische Projektion des Nationalsozialisten Fritz Baltrusch identifiziert werden. 296 Vgl. etwa die thematisierten Veranstaltungen der ‛Freizeitgestaltung’: Cormann (55), Karas (14). 297 Vgl. ebd., S. 146. 2.1.3 Enzo Cormann: Toujours l’orage 117 Des Weiteren finden sich im Werk Adlers noch weiterreichende Details, die Cormann als Authentisierungsstrategien zum Teil fabelkonstituierend in seinem Drama verarbeitet. In diesem Sinne lässt sich bei Adler beispielsweise die Bezeichnung Cormanns vom „ghetto des vieillards“ (55) 298 ausmachen, der Verweis, dass Shakespeare 1944 in Theresienstadt gespielt wurde 299 sowie die Praxis der Selektion aus den Deportationslisten. 300 Außerdem wird die fiktive Familie Steiner historisch getreu in die Geschichte Theresienstadts eingebunden: Cormann gibt an, dass die aus Wien stammende Familie im September 1942 in das Lager gebracht wird. Einen solchen Transport aus Wien mit hauptsächlich jüngeren Menschen gab es ebenso 301 wie den besagten Transport von Theos Eltern nach Auschwitz, der seine geschichtliche Entsprechung in dem so genannten ‛Künstlertransport’ am 16.10.1944 hatte. 302 Die herausgearbeitete, verstärkte Orientierung an geschichtlichem Material zur Authentisierung und deren weitestgehend von der individuellen Figurenperspektive losgelöste Darstellung begründet sich auch in der gewählten Hintergrundfolie und ihrer verschärften Darstellungsproblematik. Denn Enzo Cormann thematisiert in Toujours l’orage die konkrete Realität im Konzentrationslager, auch wenn diese nur gebrochen über die Erinnerung des Zeitgenossen und in ihren Auswirkungen auf die Nachkriegszeit vermittelt wird. Zudem wird mit Theresienstadt ein - wenn auch besonders perfides - Randphänomen und ein Grenzfall der Schoah gewählt, der von vorneherein von einer Darstellung Auschwitz’ oder Buchenwalds divergiert. Das so genannte ‛Vorzimmer von Auschwitz’, das dazu diente, die Weltöffentlichkeit über die wahren Ziele der Konzentrationslager zu täuschen, war eine politische Scheinwelt, in der die vorgeschriebene Kunstproduktion eine Fassade der Normalität aufrechterhalten sollte. 303 Als groß angelegte Veranstaltung im Zeichen des „als ob“ - auch Titel eines in Theresienstadt verfassten Liedes von Leo Strauss 304 - glich das 298 Vgl. Adler: Theresienstadt 1941-1945, S. 24. 299 Dabei konnte nicht eruiert werden, ob es auch eine Vorstellung des King Lear gab oder nicht. Vgl. ebd., S. 590, Cormann (53). 300 Vgl. Adler: Theresienstadt 1941-1945, S. 193. 301 Vgl. ebd., S. 24. 302 Vgl. ebd., S. 286. 303 Vgl. zu Theresienstadt als ‛Präsentierlager’ und Täuschungsmanöver für ausländische Delegationen auch Ulrike Migdal (Hrsg.): Und die Musik spielt dazu. Chansons und Satiren aus dem KZ Theresienstadt. München (Piper) 1986. Die Kombination von Konzentrationslager und Stätte der Kunstausübung in der Einheit Theresienstadts verdeutlicht damit auch, dass die Betonung eines janusköpfigen Deutschlandbildes nicht als rein schematische Übernahme eines Topos fungiert, sondern vielmehr bereits in Cormanns programmatischer Ortswahl vorgezeichnet ist. 304 In seinem Lied präsentiert er die Täuschung und das Scheindasein sarkastisch: „Ich kenn ein kleines Städtchen, / Ein Städtchen ganz tiptop, / Ich nenn es nicht beim Namen, / Ich nenns die Stadt Als-ob. / / Nicht alle Leute dürfen / In diese Stadt hinein, II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 118 Konzentrationslager bereits selbst einer (makabren) Theaterinszenierung. Diese wird potenziert zum Theater im Theater, wenn in Theresienstadt ein Stück inszeniert wird, so wie Theo dies mit der King Lear-Inszenierung beschreibt. Die Besonderheit von Theresienstadt ist somit die diesem Konzentrationslager inhärente Verbindung von Geschichte, Theater und Erinnerung, die auch Cormanns Drama ausmacht. Neben der weitreichenden Konstruktion eines historischen Raumes situiert Cormann sein Drama vor allem in einer literarischen Echokammer, einer chambre d’échos im Sinne Roland Barthes’: Denn Toujours l’orage ist vollständig auf der Folie des King Lear Shakespeares verfasst. 305 Der intertextuelle Bezug ist dabei sowohl in Handlungsmustern als auch in Detailanklängen von gewollter Durchsichtigkeit. So verweist bereits der Titel des Stücks auf Shakespeare, da „Storm still“ eine häufige Szenenanweisung vor allem im dritten Akt des King Lear ist. 306 Des Weiteren sind die 13 Szenen jeweils mit Originalzitaten aus Shakespeares Trauerspiel betitelt, die als Szenenresümees fungieren 307 und gleichzeitig die Parallele zum englischen Prätext aufrechterhalten. In Klammern wird das Zitat aber immer auch noch auf französisch übersetzt, so dass sich vor der letzten Szene, die mit / Es müssen Auserwählte / Der Als-ob-Rasse sein. / / Die leben dort ihr Leben, / Als obs ein Leben wär, / Und freun sich mit Gerüchten, / Als obs die Wahrheit wär. / / Die Menschen auf den Straßen, / Die laufen im Galopp - / Wenn man auch nichts zu tun hat, / Tut man doch so als ob. / / Es gibt auch ein Kaffeehaus / Gleich dem Café de l’Europe, / Und bei Musikbegleitung / Fühlt man sich dort als ob. / / Und mancher ist mit manchem / Auch manchmal ziemlich grob - / Daheim war er kein Großer, / Hier macht er so als ob. / / Des Morgens und des Abends / Trinkt man Als-ob- Kaffee, / Am Samstag, ja am Samstag, / Da gibts Als-ob-Haché. / / Man stellt sich an um Suppe, / Als ob da etwas drin, / Und man genießt die Dorsche / Als Als-ob-Vitamin. / / Man legt sich auf den Boden, / Als ob das wär ein Bett, / Und denkt an seine Lieben, / Als ob man Nachricht hätt. / / Man trägt das schwere Schicksal, / Als ob es nicht so schwer, / Und spricht von schöner Zukunft, / Als obs schon morgen wär.“ Leo Strauss: Als ob. Ebd., S. 106. 305 Zur Verwendung des intertextuellen Bezugs auf das Shakespeare-Werk im französischen Gegenwartsdrama vgl. Hélène Kuntz: Réécritures contemporaines du «Roi Lear»: intertextualité comme détour? In: Danan und Ryngaert (Hrsg.): Écritures dramatiques contemporains (1980-2000), S. 125-133. Bei Michel Deutschs pensionierter John Lear-Figur bspw. funktioniert die Referenz dagegen nur als Detailanklang, als „simple clin d’œil“. Ebd., S. 125. Michel Deutsch: John Lear. Paris (L’Arche) 1996. 306 Allein in der vierten Szene des dritten Aktes kommt die Bühnenanweisung „Storm still“ viermal vor. Vgl. William Shakespeare: King Lear/ König Lear. Hrsgg., übersetzt und kommentiert von Raimund Borgmeier und Barbara Puschmann-Nalenz et al. Stuttgart (Reclam) 1997, S. 128-139. 307 Damit begibt sich Cormann in auffällige Nähe zum romantischen Drama: „le drame romantique ou héroï-comique, donne un titre à chaque acte (ou tableau), de sorte que la fable est parfaitement résumée dans la séquence des titres“. Pavis: Le théâtre contemporain, S. 418. Zudem wäre eine Titelgebung in einem Theatertext, der strikt dramatisch organisiert ist, überflüssig. 2.1.3 Enzo Cormann: Toujours l’orage 119 „Storm still“ überschrieben ist, zudem der Titel des Cormannschen Dramas Toujours l’orage als Echo wiederfindet. Das Zitierverfahren wird darüber hinaus auch innerhalb der Einzelszenen relevant, da Cormann analog zu den Überschriften Shakespeare-Zitate - vor allem um das Motivfeld der Schuld - einsetzt, um die Situation pointiert in der Delegierung an externe, kanonisierte Textelemente zu erfassen. Intertextualität wird allerdings nicht nur explizit, sondern auch implizit als ‛ordre poétique’ durch eine Motivspiegelung eingesetzt: Lear hat den kapitalen Fehler begangen, seine geliebte Tochter Cordelia unter Druck zu verstoßen. Danach ist er nur noch ein Schatten seiner selbst und verfällt immer mehr dem Wahnsinn. Auch Theo Steiner wird durch seine Schuld zu einem Getriebenen, da er sich selbst rettet und seine Eltern gewissermaßen eigenhändig in den Tod schicken muss. Durch diese Spiegelung werden beide Protagonisten miteinander in Verbindung gebracht, der „Roi déchu affrontant l’orage sur la lande, semblable à Steiner, juif errant ‛galopant indéfiniment sur cette terre immense’, avec, lui aussi, un orage à ses trousses.“ 308 Kombinatorisch geht durch die Identifizierung Steiners mit der Shakespeare-Figur die Welt des King Lear - als Imaginationsraum des Weltendes - eine Verbindung mit der Katastrophe des 20. Jahrhunderts ein. So findet die stürmische und kalte Nacht im dritten Akt des Shakespeare-Stückes ihr Pendant in einer Nacht im Dritten Reich während der Judenvernichtung: „This cold night will turn us all to fools and madmen.“ 309 Beide Stücke gipfeln im Wahnsinn, der bei Lear individueller Natur ist, bei Theo allerdings den Wahnsinn der Geschichte meint, der auf das Individuum zurückfällt. Neben dieser inhaltlichen und strukturellen Intertextualität wird eine weitere noch auf der Ebene des Theaters im Theater hervorgerufen. Beide Stücke verbindet das durchgängige Zentralmotiv des Theaters als Spannungsfeld zwischen Schein und Sein. In Anlehnung an Shakespeare sieht Theo, der seine Schuld (noch) nicht annehmen kann, im Irrsinn der Realität eine Theaterhandlung und verkörpert den umherirrenden Lear: PERSONNE N’EST COUPABLE, PERSONNE, JE DIS PERSONNE; [...] SI TU VEUX PLEURER MES MALHEURS, PRENDS MES YEUX; / JE VAIS TE FAIRE UN PRÊCHE: ÉCOUTE! / EN NAISSANT, NOUS PLEURONS DE PARAÎTRE SUR CE GRAND THÉÂTRE DE FOUS. [Herv. im Original] (65f.) Diese weitere Potenzierung des Theaters, die die Stücke auch als „perpétuel palimpseste du théâtre“ (40) noch enger miteinander verflicht, wird durch Nathan Goldrings konkretes Angebot an Theo verstärkt, unter seiner 308 Le Temps-Culture. André Steiger joue comme un papillon blessé enfermé dans un ours. In: http: / / www. letemps.ch/ archive/ 1999/ 02/ 02/ culture_2.htm [Stand: 14.09.1999]. 309 Shakespeare: King Lear, S. 132 und vgl. Cormann (74). Vgl. auch die erfolgte Übertragung „De la tragédie du désordre aux désordres de l’histoire“. Kuntz: Réécritures contemporaines du «Roi Lear», S. 126. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 120 Regie den Lear zu spielen. Insgesamt zeigen die Referenzsignale deutlich, dass Cormanns Toujours l’orage das Drama Shakespeares reaktualisiert, es spielt, als Theater ausstellt und sich selbst somit als Metatheater zu erkennen gibt. Neben dieser sehr weitreichenden, dramenkonstituierenden Verflechtung der Shakespeareschen Welt mit der des Konzentrationslagers lassen sich in Cormanns Drama noch weitere intertextuelle Bezüge erkennen. Auch wenn er an keiner Stelle explizit auf eine Auseinandersetzung mit der Parabel Frido Manns Terezín oder Der Führer schenkt den Juden eine Stadt 310 hinweist, so scheint dennoch eine wichtige Parallele gegeben: Manns Parabel zeichnet eine frappierend ähnliche Grundkonstellation der Fabel in Inhalt und Struktur aus, durch die die Erinnerung an die Zeit in Theresienstadt evoziert wird. 311 Auch in Manns Text geht es um zwei männliche Vertreter unterschiedlicher Generationen - der eine Überlebender von Theresienstadt, der andere Journalist -, die sich anlässlich einer künstlerischen Produktion begegnen. Erst nach langer Verweigerung und innerer Abwehr kann sich der Zeitzeuge dazu durchringen, seine verdrängten Erinnerungen an die Schreckenszeit wieder zuzulassen. Dabei treten die Erinnerungen in mehrfach gebrochener Form erneut auf, und mittels überzeitlicher Analogien zwischen gestern und heute wird die Omnipräsenz der Verbrechen deutlich. Auch in Manns Parabel entsteht in der Erinnerung eine Verbindung von Wirklichkeit und Phantasie, von Leben und Theater, wobei er das besondere Verhältnis des Schauspielers zur Wirklichkeit eingehender thematisiert. In beiden Fällen wird durch das Einzelschicksal die realhistorische Künstlerwelt in Theresienstadt und die Kultur als Überlebensmittel geschildert. Die Rekonstruktion des Geschehens in Theresienstadt wird in beiden Texten in der gleichen Grundkonstellation, mit den gleichen Verfahren und Diskursen erzielt. Im intertextuellen Zusammenhang scheint es sich um eine narrative Technik zu handeln, die sich für die Vermittlung von individueller und kollektiver Erinnerung anbietet. 310 Vgl. Frido Mann: Terezín oder Der Führer schenkt den Juden eine Stadt: eine Parabel. Münster et al. (Lit) 1994. 311 Nebenbei sei bemerkt, dass es insgesamt nur eine sehr geringe Zahl fiktionaler Texte gibt, die sich mit Theresienstadt beschäftigen. Vgl. Hajo Jahn (Hrsg.): Letzte Enklave der Poesie. VII. Else Lasker-Schüler-Forum-Dichtung, Musik und Malerei in Theresienstadt. Wuppertal (Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft, Kolloquiumsunterlagen) November 1999. In der französischsprachigen Dramengeschichte ist diesbezüglich das in Theresienstadt verortete und auch die Überlebensschuld thematisierende Stück der Autorin der ersten Generation, Liliane Atlan, Un opéra pour Terezin (In: L’Avant-Scène Théâtre, no. 1007/ 1008, 1997) zu nennen. Vgl. dazu auch Léonard Rosmarin: Les livres de musique de Liliane Atlan. In: Michael Bishop (Hrsg.): Thirty voices in the feminine. Amsterdam, Atlanta (Rodopi) 1996, S. 102-110. 2.1.3 Enzo Cormann: Toujours l’orage 121 Darüber hinaus weist Cormanns Drama eine Vielzahl weiterer intertextueller Bezüge in Detailanklängen auf. 312 Neben Auszügen aus der Bibel 313 und Passagen aus Der yidisher Kenig Lear von Jacob Gordin (73) wird in Form einer Kollage über Referenzen auf Jean-Paul Sartre und Karl Kraus ein Diskurs über das Judentum konstituiert. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass sich beide Protagonisten des Dramas auf unterschiedliche Weise mit ihren jüdischen Wurzeln auseinandersetzen müssen. Auf diese Weise wird ausführlich dargestellt, was es in Vergangenheit und Gegenwart bedeutet, der jüdischen Religion und Tradition anzugehören. Im Nationalsozialismus nimmt das Judentum - gerade auch durch den Zwang, den Judenstern tragen zu müssen - eine Form der zugewiesenen Identität an, so dass es nicht mehr um ein individuelles Bekenntnis geht, sondern darum, dass „Le juif est un homme que les autres tiennent pour juif“ (77). Cormann rekurriert an dieser Stelle auf Sartres Philosophie des „regard d’autrui“: 314 In seinem Essay Réflexions sur la question juive legt Sartre den Antisemitismus als Problem der Anderen dar, da die Existenz als Jude erst durch ihren Blick entstehe. 315 Innerhalb des Dramas wird diese Identitätsproblematik exemplarisch anhand der Person Karl Kraus’ geschildert (58). Der Wiener Intellektuelle, dessen einzige Form der Religion in der deutschen Sprache zu sehen sei (59), ist Beispiel der paradoxen Einstellung eines ‛jüdischen Antisemitismus’. 316 Diese Haltung, die vielfach mit der Theorie des jüdischen Selbsthasses begründet wird, kulminiert in der Zuweisung genau dieser verhassten Identität durch die Nationalsozialisten. Das kombinatorisch angedeutete Problem der Identität stellt auch einen Schlüssel zu beiden Figuren des Cormannschen Dramas dar: Theo wird wegen seiner Zugehörigkeit zum Judentum Opfer der Nationalsozialisten, und Nathan wird mit Identitätsproblemen konfrontiert, weil er sich weigert, sich mit seinen jüdischen Wurzeln und der Geschichte auseinanderzusetzen. Des Weiteren greift Cormann in Form der Kollage auch auf topische Elemente des kollektiven und kulturellen Gedächtnisses zurück. Mit den Stilmitteln der Groteske werden so verschiedene zeitgeschichtliche Erinnerungsorte wie die Kadaverberge in Buchenwald mit den Siegesfeiern über 312 Hier gilt stärker als für die omnipräsente Referenz auf Shakespeare, dass die Präsenz der übrigen intertextuellen Bezüge nur für den Leser durch die Zitatmarkierungen deutlich als in die Textualität verwobener Mehrwert zu erkennen ist. 313 Cormann zitiert in seinem Drama bspw. aus Esther 4,13, um metaphorisch die Judenverfolgung in ihrer langen Tradition darzustellen (59). 314 Vgl. dazu auch den Stellenwert in Simons Drama Adieu Marion (Kap. II 2.1.1). 315 Jean-Paul Sartre: Réflexions sur la question juive. Paris (Gallimard) 1954 (Collection Idées). 316 „Kraus était juif, juif et antisémite - à tout le moins judéophobe. [...] Kraus niait le juif en lui“ (58f.). Vgl. zu dieser Thematik etwa John Theobald: The Paper Ghetto. Karl Kraus and Anti-Semitism. Frankfurt a.M. (Lang) 1996. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 122 das Regime der Nationalsozialisten in der ganzen Welt (64) kombiniert, das übersetzte Adenauerzitat „La grande majorité du peuple allemand a condamné les crimes perpétrés contre les juifs et n’y a pas pris part“ (65) mit der Darstellung eines Polen, der in der Nähe von Treblinka wohnt (65) und Walter Benjamins Worte aus dem spanischen Exil „Même les morts ne sont plus en sécurité“ (65). Indem Cormann diverse Einzelfragmente als Kollage miteinander verbindet, kann er dem eigentlichen Paradoxon der unfassbaren Realität der Kriegs- und Nachkriegszeit einen fragmentarischen Annäherungsversuch entgegenstellen. Die Kombinatorik eröffnet im Cormannschen Drama demnach entweder weitere Diskursebenen, die durch intertextuelle Bezüge als Verstehensangebote in der Handlung verankert sind, oder dient in Form einer Kollage der möglichen Darstellung in Einzelteilen 317 und in der Rezeptionsleistung des Lesers, was in Totalität nicht darzustellen ist. Damit fungieren die vielfältigen Referenzen, allen voran Shakespeare, und die Kollagen im Text nicht nur als literarisches Spiel, sondern sind vor allem im Sinne einer „dramaturgie du détour“ 318 nach Sarrazac zu lesen: Dies bezeichnet eine Strategie des Autors, durch die er „s’éloigne de la réalité, la considère en faisant un écart et d’un point de vue étranger afin de mieux la re-connaître“. 319 In dieser Weise verlagert Cormann das eigentlich Undarstellbare in andere Texte oder einzelne geschichtliche Elemente, kann in Form der externen Vermittlungsinstanzen Intertextualität und Authentisierungsstrategien im Umweg und der Distanz die Ereignisse des 20. Jahrhunderts schildern. Denn die mit der Thematik verbundene Darstellungsproblematik ist für den nachgeborenen Autor Enzo Cormann derart existentiell, dass er seine eigene Zukunft als Dramatiker an ihr Gelingen knüpft: Mais si, au fond, le théâtre ne peut même pas parler de la Shoah qui est vraiment l’événement à partir duquel tout bascule dans le XXe siècle, alors de quoi véritablement pourrait parler le théâtre aujourd’hui? […] J’avais l’impression 317 Für eine derartige Verfahrensweise, heterogene Elemente miteinander kombinatorisch zu verflechten, hat Sarrazac den Begriff der „rhapsodisation“ geprägt. Damit beschreibt er, in Verbindung mit einer Gewebemetaphorik - „la rhapsodie, c’est coudre et découdre à la fois“ -, Tendenzen der zeitgenössischen Dramatik. Jean- Pierre Sarrazac: Une mise en pièce(s) du théâtre? Un entretien conduit par Hélène Kuntz et David Lescot. In: Emmanuel Wallon (Hrsg.): Théâtre en pièces. Le texte en éclats. Louvain-la-Neuve (Études théâtrales, 13) 1998, S. 44-55, hier S. 52. Vgl. auch Jean-Pierre Sarrazac: Du détour et de la variété des détours. In: Danan und Ryngaert (Hrsg.): Écritures dramatiques contemporaines (1980-2000), S. 18-27. 318 Kuntz sieht jedoch im Cormannschen Stück eher eine „dramaturgie de la substitution“ in Form eines Rückgangs in eine andere Zeit wirken als eine regelrechte Strategie des détour. Kuntz: Réécritures contemporaines du «Roi Lear», S. 131. 319 Jean-Pierre Sarrazac: Détour(s). In: Ders. (Hrsg.): Poétique du drame moderne et contemporain, S. 36. 2.1.4 Serge Kribus: Le grand retour de Boris S. 123 que si je n’arrivais pas à faire cela, que ce n’était plus la peine que je continue d’essayer d’écrire du théâtre. 320 Mit Toujours l’orage legt Enzo Cormann ein Drama vor, das seine Darstellungsmöglichkeiten der Schoah im Rückgriff auf Intertextualität und Authentisierungstrategien als externe Vermittlungsinstanzen auslotet. Sein „théâtre de l’explication“ nähert sich dabei - in fast schon essayistischer Form - aus verschiedenen Richtungen vom Rand aus dem Zentralereignis des 20. Jahrhunderts, das im Bewusstsein der inhärenten Undarstellbarkeit gewissermaßen als leere, selbst nicht kommunizierbare Mitte gestaltet ist. 321 Als Autor der zweiten Generation verfolgt Enzo Cormann zudem in Form von Fragen nach Erinnerung, jüdischer Identität und Geschichte die Spuren, die die Schoah auch am Ende des 20. Jahrhunderts noch hinterlässt. 2.1.4 Serge Kribus: Le grand retour de Boris S. Der frankophone Belgier Serge Kribus, 1962 in Brüssel geboren, lebt und arbeitet als Autor und Schauspieler in Paris. Seinen Werdegang im Theater beginnt er mit einer Schauspielausbildung am Conservatoire de Bruxelles. Seit 1980 spielt Kribus regelmäßig in Theaterbeziehungsweise Kino- und Fernsehfilmproduktionen - unter anderem in dem bekannten Film Train de vie von Radu Mihaïleanu - und tritt darüber hinaus als Regisseur eigener und fremder Stücke in Erscheinung. 322 Mit Arloc wendet sich Serge Kribus 1987 auch dem dramatischen Schreiben zu. 323 Sein erstes von rund 15 Stücken inszeniert in der Tradition von Montesquieus Lettres persanes den Blick des Anderen und Fremden auf Fragen der Immigration, Integration und des Rassismus im gegenwärtigen Belgien. 324 Dergestalt verbinden 320 Interview, S. 373. Vgl. dazu auch Franck Bortelle: „Toujours l’orage“. Théâtre et mémoire en harmonie. In: La Dépêche, 06.11.1997. 321 Der Zugang des Autors zur Thematik spiegelt sich dergestalt in dem Erinnerungsprozess der Figur Theo: Auch hier ist das eigentliche Zentrum der Erinnerung durch den Verdrängungsprozess an den Rand gedrängt und wird erst sukzessive wieder von den Rändern her als eigentliches Zentrum eingekreist. 322 Vgl. dazu die Aufstellungen unter http: / / www.theatreonline.com/ indexation/ a/ detail_artiste10177.asp [Stand: 22.04.2006]. 323 Aufgrund seiner Schauspieltätigkeit ist sein dramatisches Schreiben insgesamt geprägt vom Blick und den Maßgaben der Bühnenrealisierung. Dies äußert sich etwa in einem zumeist sehr reduzierten Figureninventar, aber auch - wie Kribus betont - in für Schauspieler und Regisseure eröffneten Leerstellen im Text. Vgl. Cent auteurs à l’écran. Zoom sur les écrivains belges de langue française. In: http: / / www.lamediatheque.be [Stand: 22.04.2006] und den Brief von Serge Kribus an die Verfasserin vom 30.11.2004 (Anhang, S. 336-339). 324 Vgl. zu Arloc, für das er 1996 den Prix triennal de la littérature dramatique der Commission de la Communauté Française de Belgique erhält, etwa die Präsentationen des II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 124 auch Dramen wie Marion, Pierre et Loiseau über Eltern-Kind-Konflikte und La discorde als „création collective“ über Kindererziehung gesellschaftsrelevante Themen mit Zügen des Märchens oder des conte philosophique, während andere - etwa Chargé, Le murmonde, La chanson de septembre und L’Amérique 325 - alltägliche Probleme, Ängste und Aggressionen ausschließlich im Kontext eines großstädtischen Lebens fokussieren. In dem zu betrachtenden Theatertext geht es mit einem Vater-Sohn-Konflikt um ein typisches Themenfeld von Kribus, jedoch inszeniert er diesen im Unterschied zu anderen Stücken vor dem Hintergrund der jüdischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Das Drama liegt in zwei Versionen mit unterschiedlichem Fokus vor: 326 Le grand retour de Boris Spielman 327 aus dem Jahr 1991 stellt die Perspektive des Sohnes ins Zentrum, während Le grand retour de Boris S. aus dem Jahr 2000 den Blick des Vaters inszeniert. Damit löst Kribus ein für ihn bis dato noch ausstehendes Vorhaben ein: „Mais je savais qu’un jour je devrais dire le père. C’est chose faite.“ 328 Die beiden Versionen sind jedoch nicht komplementär, denn in der zweiten Fassung ist die erste als Ausgangsbasis integriert und wird zusätzlich durch weiterführende Erzählungen des Vaters ergänzt. 329 Dramas in Confortès: Répertoire du théâtre contemporain de langue française, S. 214, in Théâtre contemporain Wallonie-Bruxelles. Quelques incontournables. Tome I: 12 pièces contemporaines à (re)découvrir. 12 scènes à lire et à jouer. Hrsgg. vom Centre des écritures dramatiques Wallonie-Bruxelles. Carnières (Éditions Lansman) 2000, S. 59-67 und in Le répertoire des auteurs dramatiques contemporains. Théâtre belge de langue française. Hrsgg. von Nancy Delhalle. In: Alternatives théâtrales 55, 1997, S. 113-115. 325 Das als road movie konzipierte L’Amérique geht, wie auch Éric-Emmanuel Schmitts Monsieur Ibrahim et les fleurs du Coran, auf die Initiative des Schauspielers Bruno Abraham-Kremer zurück. Beide Stücke inszenieren - mit gewissen strukturellen und inhaltlichen Parallelen - Episoden und Erinnerungen aus dessen Jugend. Vgl. dazu auch Comédie des Champs-Elysées (Hrsg.): L’Amérique. Paris (Programmheft) September 2005. 326 Für das Stück wird Kribus hoch dekoriert: Die erste Version erhält 1995 den Prix Beaumarchais und den Prix du public sowie 1996 den Prix Tenue de ville für den besten Autor. Die zweite Version wird 2000 mit dem Prix de la fondation Lucien Barrière sowie im Jahr 2001 mit dem Prix de la Francophonie der SACD, dem Grand Prix de la Critique und einer Nominierung für den Molière in der Kategorie ‛Bester Autor’ ausgezeichnet. 327 Serge Kribus: Le grand retour de Boris Spielman. In: Ders.: Arloc ou le grand voyage. Le grand retour de Boris Spielman. Paris (Actes Sud-Papiers) 1993, S. 105-132. Das Stück wird als Lesung am Pariser Théâtre Ouvert 1991 inszeniert und im November desselben Jahres auf Radio France-Culture im Rahmen des Nouveau Répertoire dramatique ausgestrahlt. 328 Serge Kribus: Le grand retour de Boris S. Paris (Actes Sud-Papiers) 2000. Das Zitat von Kribus ist auf dem Klappentext abgedruckt. Am 05.09.2000 wird das Stück am Pariser Théâtre de l’Œuvre in der Regie von Marcel Bluwal uraufgeführt. 329 Deshalb wird im Folgenden die zweite Version zur Grundlage genommen, jedoch darauf verwiesen, wenn es sich um eine neu hinzugekommene Ergänzung zur Illus- 2.1.4 Serge Kribus: Le grand retour de Boris S. 125 Das Drama inszeniert in Dialogform die konfliktreiche und emotionsgeladene Beziehung zwischen dem Vater Boris Spielman 330 und seinem Sohn Henri, die sich seit dem Tod der Mutter vor einem Jahr nicht mehr gesehen haben (7). Das Wiedersehen steht jedoch von Beginn an unter negativen Vorzeichen, da der Vater den Sohn im falschen Moment mit der Bitte überfällt, für einige Zeit bei ihm wohnen zu dürfen: Während der alternde Schauspieler Boris euphorisch seiner im Dramentitel erwähnten Rückkehr an das Theater durch ein kurzfristiges Rollenangebot entgegensieht, hat sich Henri gerade von seiner Frau getrennt und seine Arbeit verloren (7). 331 Nach missglückten Versuchen seitens des Sohnes, den Vater wieder loszuwerden (15f.), stellt das Stück die verschiedenen Stationen der Konfrontation beider dar: Phasen der Bemühung, des Verständnisses und der Rücksicht schlagen dabei permanent in solche der Missverständnisse, des Streits und der Zurückweisung um et vice versa. Dieses Ping-Pong- Spiel nimmt dabei zeitweilig absurde Züge an, wenn etwa mit Aussagen verletzt und kurz darauf mit deren Gegenteil wieder getröstet wird. 332 In erster Linie illustriert dies, dass es weniger um den Gesprächsinhalt geht, als darum, überhaupt miteinander zu kommunizieren. 333 Im Zuge dieser Dialogsituation kommen sich Vater und Sohn durch die aufbrechenden Konflikte - wenn auch in Sprüngen - unweigerlich näher. In einem ersten tration der Vaterperspektive handelt. 330 Vgl. durch die Namensähnlichkeit auch die Verbindung zum Musiker Władysław Szpilman, dessen Überlebensgeschichte im Zweiten Weltkrieg auf der Basis seiner Autobiographie 2002 von Roman Polanski in Der Pianist verfilmt wird. Darüber hinaus ist in beiden Werken das Motiv der Rettung durch Kunst relevant: So wie Szpilmans Chopinspiel ihn vor den Nationalsozialisten schützt, gibt Boris die Musik von Mozart Kraft und Halt, weiterzuleben (51). Im Kontext des vorliegenden Dramenkorpus findet sich das Motiv auch in Cormanns Toujours l’orage, in dem die Rettung aufgrund des Theaterspiels Theos erfolgt. 331 Vgl. auch die Rezension des Stückes in Joseph Hanimann: Die Antimaterie der Kameliendame als Exportschlager. Pariser Privattheater sind lebendiger denn je: Yasmina Reza spielt in ihrem eigenen Stück mit, Foucault füttert die asexuelle Generation mit Kindernahrung, und die Liebe schillert unfassbar. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.11.2000. 332 So etwa, wenn Henri Boris als schlechten Schauspieler angreift und dies in dem Moment, als Boris es annimmt, wieder dementiert und ihm Mut macht (23). Auf ähnliche Weise vertauschen beide auch ihre Argumente bezüglich des Wodkakonsums: Zunächst untersagt Henri seinem Vater diesen mit Verweis auf den Rat des Arztes, der von Boris als „imbécile“ beschimpft wird (9), etwas später führt Boris dann die Arztmeinung an und Henri beschimpft diesen mit den gleichen Worten (23). 333 Vgl. dazu auch die Ausführungen von Kribus: „Mais à la faveur de ces quelques heures qu’ils vont passer ensemble, à la faveur de cette crise qu’ils ne peuvent éviter, ils vont commencer à se parler, contre leur volonté sans doute avec mauvaise foi, avec peur, mais néanmoins, oui, ils vont se parler. Sans doute la communication n’ira pas très loin, mais elle est établie. Elle est ramenée à sa plus simple expression, mais quels combats pour l’un comme pour l’autre d’arriver à ce simple et dénudé point de départ. Ils vont parler, ils commencent à parler.“ Entretien avec Jean-Jacques Wahl, janvier 2002. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 126 Schritt entlarven sie dabei ihre jeweils eigene Welt als brüchig: So wie Henri seinen Vater zunächst in Bezug auf seine schwierige persönliche und berufliche Situation belügt und ihm dann doch alles erzählt (20), entpuppt sich der „grand retour“ des Vaters als Verlegenheitslösung eines Regisseurs, der einem talentlosen, alternden Schauspieler ein Rollenangebot macht (24). 334 Dieses Angebot aber wird - neben seiner Funktion als Anlass oder vielleicht sogar Vorwand für die Konfrontation zwischen Vater und Sohn und indem es in der Enttarnung seiner Brüchigkeit zu einer ersten Annäherung beider führt - darüber hinaus noch als textuelle Spur relevant: Denn der Vater soll die Rolle des König Lear spielen, der - und diese Szene proben Boris als Lear und Henri als Cordelia bezeichnenderweise miteinander (16-19) - seine Tochter Cordelia verstößt. Wenn Henri und Boris im Anschluss an die Proben diskutieren, ob Lear verrückt sei - so der Sohn - oder verletzt - so der Vater - (19), dann reden sie über den intertextuellen Umweg im eigentlichen Sinne über ihre Vater-Sohn-Beziehung. 335 Wie bereits in Enzo Cormanns Toujours l’orage steht die intertextuelle Verknüpfung mit Shakespeares King Lear zum einen für ein aufbrechendes Miteinanderreden, zum anderen verweist sie in beiden Stücken letztlich auf den Ursprung des Kommunikationsproblems in den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges: „le personnage de Lear se réfère à la quête d’une place dans le monde. Jouer Lear sera se sauver de l’errance, de la marginalité et peut-être l’occasion de dire sa propre histoire.“ 336 Während die Welt des King Lear in Cormanns Stück jedoch durch die strukturelle und formale Intertextualität deutlicher und vielschichtiger in ein kombinatorisches Spiel mit der Welt des Dritten Reiches gebracht wird, steht sie bei Kribus nur am Anfang der dialogischen Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn als noch verborgene und erst post festum zu entschlüsselnde Spur. 337 Wenn damit bereits angedeutet wird, dass dem scheinbar gewöhnlichen Vater-Sohn-Konflikt etwas anderes zugrunde liegt, wird dies durch 334 Dass Boris eigentlich auch eine Fehlbesetzung ist, zeigt sich u.a. daran, dass er, der den Lear spielen soll, zwar Shakespeare rezitiert, aber dann mit „A HORSE, A HOR- SE, MY KINGDOM FOR A HORSE [Herv. im Original]“ (13) das bekannteste Zitat aus Richard III anführt. 335 Im weiteren Verlauf des Dramas wiederholt sich diese Technik an einigen Stellen (etwa 48-50, 62) als Begleitung des Annäherungsprozesses zwischen Vater und Sohn, nimmt aber nicht den übergeordneten Stellenwert eines intertextuellen Netzwerkes an. 336 Azama: De Godot à Zucco. Bd. 2: Récits de vie: le moi et l’intime, S. 111-114, hier S. 111. 337 Der Vergleich mit Enzo Cormanns Toujours l’orage lässt neben der intertextuellen Referenz auf das Shakespeare-Drama noch weitere, ähnliche Strukturmerkmale erkennen: In beiden Stücken wird ein alternder Schauspieler nach langem Pausieren mit der Rückkehr auf die Bühne konfrontiert, was in einem schwierigen Prozess dazu führt, dass ein Reden über die Vergangenheit möglich wird. Anhand der Nachgeborenenfigur wird in beiden Fällen zudem die Frage aufgeworfen, was jüdische Identität am Ende des Jahrtausends bedeuten kann. 2.1.4 Serge Kribus: Le grand retour de Boris S. 127 die einfache Evozierung des Wortes „juif“ zur Gewissheit, die den sich gerade beruhigten Dialog erneut kippen lässt: Ausgehend von der Hoffnung des Vaters, dass Henri eine Jüdin kennen lernen könnte (25), und seinen Ängsten, dass Henris Kinder bei seiner nicht-jüdischen Frau ihre Ursprünge vergessen (26), enthüllt sich sukzessive die eigentliche Problematik zwischen Vater und Sohn, nämlich die Erinnerung und Vermittlung jüdischer Identität und Geschichte. Henris zukunftsorientiertes und dem Judentum keinen Stellenwert einräumendes Leben stellt sich als Reflex seiner Erfahrungen in Kindheit und Jugend dar. Obwohl ihm immerzu gesagt wurde, dass er Jude sei, hat dies mangels Erklärungen und Anhaltspunkten nie den Status einer belastenden Alteritätserfahrung überschritten (27), 338 die er wiederum seinen eigenen Kindern ersparen will. Auf diese Weise resultiert auch Henris Zukunftsorientierung aus der erdrückenden Last der Geschichte und der Erinnerung, 339 die durch den Vater wachgehalten werden (28f.). Dabei kristallisiert sich als grundlegendes Problem nicht deren Präsenz selbst, sondern die Natur der vermittelten Erinnerung und Geschichte heraus. Diese sind nämlich beim Vater nur als kollektive Erinnerungsverantwortung des Zeitzeugen 340 vorhanden: „Boris. […] Pour pas oublier. La mémoire est le garant de… / Henri. …De la liberté, je connais par cœur! Le souvenir pour que ça revienne jamais, nulle part.“ (30). Henri hingegen kritisiert diese Form der kollektiven Erinnerung und ihre Gedenkmechanismen mit dem didaktischen Zweck eines ‛Nie wieder’ zum einen, weil er generell ihre Ziele anzweifelt, 341 zum anderen aber vor allem als Sohn, weil sie ihm den Zugang zum Vater und seinem individuellen Leiden versperren: „Fallait parler. Pas se souvenir.“ (29). Da im Sinne von Henris Kontrastierung Erinnerung nur als kollektive Form veräußerlicht wurde und individuelle Vermittlung vom Vater zum Sohn nicht stattfand, ist die Beziehung der beiden nachhaltig gestört. 342 Wenn sich der Nachgeborene damit in hohem Maße von der Vergangenheit geprägt - oder sogar 338 Die kindliche und auch im Erwachsenenalter andauernde Hilflosigkeit, mit dieser ungefüllten Leerstelle umzugehen, kulminiert in der Bildlichkeit einfordernden, provokativen Aufforderung an seinen Vater: „Dessine-moi un Juif“ (26f.). Zugleich deutet die Referenz auf die Worte des „Petit Prince“ Antoine de Saint-Exupérys jedoch darauf voraus, dass auch hinter der hier mangelhaften Vermittlung des Vaters an den Sohn etwas anderes steckt, das ‛man nur mit dem Herzen gut sieht’, da es als ‛das Wesentliche für die Augen unsichtbar ist’. 339 Diese Facetten sind in der zweiten Version neu eingefügt, während es in der ersten nur um die Problematik der jüdischen Identität geht. 340 Vgl. „Mais si nous on se souvient pas, qui se souviendra, Henri, qui? “ (30). 341 „Alors pourquoi se souvenir? Ça sert à rien. Autant tout oublier […]. Mais ça revient, papa, ça revient partout, avec les mêmes, avec d’autres, quelle importance.“ (30). 342 Den fehlenden Zugang zueinander verdeutlichen nicht nur die Missverständnisse und Gereiztheiten zwischen Vater und Sohn, sondern auch die Tatsache, dass sie eigentlich Angst voreinander haben und ihre gegenseitige Liebe nicht artikulieren können (31). II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 128 traumatisiert, wie Boris ironisch zuspitzt (29) - und erblich belastet sieht, vermag dies darüber hinaus eine auf den ersten Blick paradox erscheinende Äußerung des 1962 geborenen Serge Kribus zu illustrieren: „Je ne suis pas né après la guerre, je suis né pendant la guerre. La guerre dure toujours bien plus longtemps qu’on ne le croit. Et, comme tant d’autres de ma génération, je suis né pendant la guerre.“ 343 So wie sich im Drama die Vermittlungsproblematik vom Vater als Zeitzeugen hin zum nachgeborenen Sohn vererbt, der dadurch seinerseits nicht weiß, was er den eigenen Kindern, sprich der Enkelgeneration, vermitteln soll (46), 344 ist auch der Vater selbst schon ‛Opfer’ einer Vermittlungsproblematik geworden: 345 Den kleinen Jungen Boris, dessen Vater früh verstorben ist (29) und dessen Onkel und Großvater vergast wurden (31), lässt die Mutter während des Krieges allein in einem Versteck zurück (45). So wurden ihm weder die für ihn unerklärlichen Ereignisse (32) noch eine Identität 346 vermittelt. In der Nachkriegszeit hat sich Boris im Prozess der Rekonstruktion und des Verstehens von Geschehnissen, die er sich selbst kaum erklären, geschweige denn weitervermitteln kann, in ein inneres Exil und die noch verbleibende jüdische Welt zurückgezogen (32). Die missglückte, da ausschließlich kollektive Vermittlung von Erinnerung, Geschichte und jüdischer Identität beantwortet die zentrale Frage des Stückes „Peut-on transmettre la mémoire sans transmettre la souffrance? “ 347 deutlich negativ. Mit der Erkenntnis aus dem schwierigen und zähen Dialog zwischen Vater und Sohn, dass es unumgänglich sei, miteinander zu sprechen und die individuellen Geschichten und Leiden (45) erzählend zu vermitteln, wird auch ein Neuanfang in diese Richtung angedeutet. 348 Dieser besteht in einem schrittweisen Aufbrechen der alten, kollektiven Vermittlungsstrukturen, deren bisherige Verwendung Boris pointiert auf die Formel bringt: „J’ai le texte des autres pour parler. Le mien, c’est rien, vide, creux.“ (31). Zum einen zeigt sich hier, dass dem Vater Intertextualität bislang als stratégie du détour für die eigene Unkommunizierbarkeit diente - ein Kompensationsmechanismus, der vor dem Hinter- 343 Brief, S. 338. 344 Vgl. zur Vermittlungsproblematik an die Enkelgeneration und zu den Strukturähnlichkeiten bezüglich des Vater-Sohn-Konfliktes und ihrer dialogischen Annäherung auch Gérard Auberts Le voyage, das jedoch die Vermittlung der Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges viel stärker einlöst. 345 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die fast schon leitmotivische Manifestierung „Les enfants ont pas à payer pour les conneries de leurs parents.“ (48, 55, 57). 346 Die Identitätslosigkeit des kleinen Jungen verdeutlicht sich darin, dass ihm eingeschärft wird, seinen wirklichen Namen nicht zu nennen, die Mutter ihm aber auch keinen anderen als Ersatz gibt (45). 347 Diese Leitfrage findet sich auf dem Klappentext der Ausgabe. 348 Auch dieser ist ein Novum der zweiten Version, während die erste mit den Schwierigkeiten des Sohnes endet, die Liebe zu seinem Vater zu artikulieren, und letztlich in der Erkenntnis ihrer Gemeinsamkeiten mündet (1993: 131, bzw. 2000: 31). 2.1.4 Serge Kribus: Le grand retour de Boris S. 129 grund seines Schauspielerberufes noch eine weitere Verstärkung erfährt. Zum anderen spiegelt sich die Kritik an dieser inadäquaten Vermittlungsstrategie auch performativ auf der Ebene der Dramenkonstruktion wider: Le grand retour de Boris S. inszeniert dergestalt Intertextualität nur am Rande und als Ausgangspunkt für einen angestrebten Dialog ‛in eigenen Worten’ und verzichtet darüber hinaus weitestgehend auf die Integration weiterer Elemente des kollektiven Gedächtnisses. Jedoch kann diese ‛einfache’ dialogische Konstruktion 349 auf der Textebene nicht auch inhaltlich zu einem einfachen Dialog führen: Vater und Sohn müssen erst langsam und im Ansatz ihre internalisierten Strategien ändern und einen neuen Zugang zueinander finden. Das Stück stellt diesbezüglich nur den Beginn des Prozesses dar, der immer wieder auch von Einbrüchen gekennzeichnet ist. Ein solcher Rückfall zeigt sich etwa, wenn der Sohn seinem Vater wieder einmal nicht richtig zuhört (53-55) und vor allem wenn der Vater mit diversen Vermeidungsstrategien versucht, dem Erzählen seiner individuellen Leidensgeschichte zu entkommen: So versucht Boris zunächst, den Gegenstand herunterzuspielen - „Y a rien à dire“, „Y a pas de secrets“, „y a [pas d’] extraordinaire“ -, dann die Art der Vermittlung zu demontieren - „Je sais pas raconter“, „Tu crois que je pourrais raconter à l’aise? ! “ - und erneut auf kollektive Geschichten zu verweisen, anstatt seine individuellen zu erzählen - „Regarde dans les livres, Henri, c’est tout pareil, et là c’est bien dans l’ordre.“ (45f.). Anschließend belegt er das Anliegen Henris, seine individuelle Geschichte hören zu wollen, mit dem Vorwurf der Kommerzialisierung des Holocausts - „C’est à la mode, c’est ça, tu veux en faire un best-seller? “ -, um dann letztlich dem Erinnern das Vergessen entgegenzusetzen - „Je crois qu’il fallait oublier! “ (46). Auch wenn im Stück schon an einigen Stellen die erzählende, individuelle Vermittlung zwischen beiden einsetzt - der Sohn erzählt in Ansätzen von seinen Eheproblemen 350 und der Vater von seiner „petite histoire“ (46) 351 - so handelt es sich hier in erster Linie noch um eine Phase der tastenden Annäherung und des Umkreisens. Entscheidend dabei ist die Er- 349 Vgl. zu dieser einfachen Konstruktion einer direkten écriture ohne sous-texte auch die Rezension des Stückes von Michel Cournot: Michel Aumont et Robin Renucci donnent force et émotion au dialogue d’un père et son fils. In: Le Monde, 28.09.2000. 350 Während Henri Boris seine Geschichte erzählt, erkennt der Sohn, dass er seinem Vater im Grunde sehr ähnlich ist (55). Ein deutliches Indiz im Text findet sich für die Spiegelfunktion, die der eine für den anderen einnimmt, aber schon sehr viel früher: Während sich Henri im Telefongespräch mit seiner Frau beschwert, dass er nie zu Wort komme (7), macht nur kurz darauf Boris Henri mit denselben Worten diesen Vorwurf (15). 351 So beginnt der Vater in einem langsamen Herantasten und mit Zwischenstation in der Zeit des Vietnamkriegs (35-37) vom Kennenlernen der Eltern (44), von seinem Leiden (51-54) und der Zeit, als sein eigener Vater noch lebte (57), zu erzählen. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 130 kenntnis des bisherigen Defizits und die befreiende Wirkung durch ihre bloße Verbalisierung: Boris. […] Je crois que j’ai passé la plus belle soirée de ma vie. Henri. Tant mieux. Boris. J’ai parlé avec toi. Henri. On s’est rien dit, papa. Boris. On s’est dit plein de choses, on s’est dit qu’on s’est pas parlé. Je me sens bien. Je me suis jamais senti aussi bien. Henri. Alors vas-y doucement, t’es pas habitué. (53) Auch wenn die erzählende Auseinandersetzung zunächst eher ex negativo vorhanden ist und noch in ihren Anfängen steckt, ist sie zumindest auf den Weg gebracht. 352 Das Beschreiten des geebneten Weges und das Erreichen des Vermittlungszieles sind in diesem Sinne maßgebliche Aufgaben für die Zukunft: „Je te raconterai, un jours je te raconterai. On va payer, faut que je bouge…“ (46). In seinem Drama Le grand retour de Boris S. fokussiert Serge Kribus die Rahmenbedingungen eines Vermittlungsprozesses zwischen den Generationen, indem der Gegenstand der Vermittlung selbst, sprich die Geschichte und Erinnerungen an die Zeit des Zweiten Weltkrieges, weitestgehend zurücktritt. Wenn Kribus in seinem Stück für eine gelingende Vermittlung und Kommunikation zwischen Zeitzeugen und nachfolgenden Generationen auf die verständnisfördernde Kraft individueller Erinnerung setzt, dann auch auf der Folie seiner eigenen Familiengeschichte: 353 J’ai découvert une partie de l’histoire de mon père très tardivement. Mon père ne parlait pas. Il en était incapable. Je crois qu’il se persuadait de bonne foi qu’il était préférable de ne pas raconter ces histoires à ses enfants. Il voulait les épargner. Mais, bien entendu, ni ma sœur ni moi n’avons été „épargné“. Bien au contraire, le silence de mon père a généré des angoisses d’autant plus importantes qu’elles n’avaient pas d’objets, pas de prises. Je voyais mon père malheureux, et je ne savais pas pourquoi, je ne pouvais rien faire. 354 352 Erste Veränderungen beim Vater zeigen sich etwa darin, dass er stärker in die Zukunft blickt (47) und alte Gewohnheiten ablegt (49, 53, 54). Ein regelrechter Neubeginn schlägt sich dann am Dramenende auch symbolisch im Anbruch eines neuen Tages nieder (60). 353 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Kribus einige Elemente der Geschichte seines Vaters in das Drama übernommen hat - etwa das einsame Verstecktsein während des Krieges und der frühe Tod dessen Vaters -, zugleich betont er aber die Wichtigkeit einer gewissen Distanz für den Schreibprozess: Erst indem er mit der Vater-Sohn-Konstellation in Alter und Beruf die eines jüdischen Freundes inszeniert, kann er über die zentrale Vermittlungsproblematik schreiben: „Je n’écrivais plus sur moi. Mais je pourrais essayer d’évoquer cette souffrance. Celle de mon père et la mienne.“ Entretien avec Jean-Jacques Wahl, janvier 2002. 354 Brief, S. 336f. 2.1.4 Serge Kribus: Le grand retour de Boris S. 131 Als einziges individuelles Erbe aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges wird so ein Schweigen zwischen den Generationen weitergetragen. Aufgrund der fehlenden Vermittlung führt dieses bei den Nachgeborenen dazu, dass - es sei an die bereits zitierte Äußerung des Autors erinnert - der Krieg durch seine Folgen bis in die Gegenwart andauert. Damit zeigt sich deutlich, dass sich die Zeit des Zweiten Weltkrieges auch für den im Rahmen der vorliegenden Untersuchung jüngsten Dramatiker der zweiten Generation nicht als Vergangenheit darstellt, sondern bis heute präsent ist. Diese Präsenz ist jedoch nicht eine, die in den Ereignissen selbst zu finden ist, sondern vor allem in der Vermittlungsproblematik. Einen Weg zu finden, „de sortir du silence“ und das Leiden zu kommunizieren, bedeutet dagegen, die Geschichte neben der omnipräsenten kollektiven Erinnerung auch in der individuellen Erinnerung der Generationen zu verorten und damit die Vermittlung - auch identitätsstiftend - für die Zukunft zu sichern. Was sich auf diese spezifische Weise im Drama nicht zuletzt auch als Übergang auf die der zweiten Generationen Nachfolgenden ankündigt, lässt sich zugleich vor dem Hintergrund eines literarischen Generationenwechsels lesen: So kann der 1962 geborene, biographisch noch der zweiten Generation angehörige Kribus literarisch auch als Nachfolger Jean-Claude Grumbergs gewertet werden. Denn das Drama Le grand retour de Boris S. ähnelt nicht nur im oszillierenden Ton zwischen Schwere und Leichtigkeit, Humor und Tragik dem Grumbergschen Yiddishland, 355 sondern überführt dieses auch - mit zunehmender Distanz zu den Ereignissen und Fokussierung der Vermittlung - in die dritte Generation. Dass Grumberg zudem der Entdecker und Förderer von Serge Kribus ist, 356 verdeutlicht die enge Verschränkung eines literarischen und auch intergenerationellen Vermittlungsprozesses. 357 355 Vgl. die Ausführungen von Kribus über sein „rire cruel mais complice qui raconte la douleur, la dérision et qui préserve la tension“, „seule possibilité à mes yeux, d’évoquer cette tragédie individuelle prise dans les plis de la tragédie Universelle“ (Ebd., S. 338) sowie den Stellenwert des Lachens bei Grumberg (S. 53f.). Vgl. insgesamt dazu auch die Bewertung der Kribusschen écriture durch Bruno Abraham Kremer in Comédie des Champs-Elysées (Hrsg.): L’Amérique. Paris (Programmheft) September 2005. 356 Vgl. etwa das Vorwort Grumbergs Attention: Auteur zu Kribus’ erstem Stück Arloc, in dem er seine Bewunderung für das Talent des Belgiers zum Ausdruck bringt (1993: 7). 357 Vor diesem Hintergrund werden auch biographische Parallelen der ‛Väter’ hier zu einem Generationenbild: Beide erlernen das Schneiderhandwerk und ihre jüdischen Familien, die aus Polen bzw. Rumänien stammen, emigrieren über Berlin nach Belgien bzw. Frankreich. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 132 2.2 Ortsschwellen: Reise - Spurensuche - Topographien - lieux de mémoire 2.2.1 Gérald Aubert: Le voyage Nach einem Studium der französischen und englischen Literatur ist Gérald Aubert seit über 30 Jahren Leiter der Bibliothèque Municipale Georges Perec im Pariser Vorort Seine-Saint-Denis. 358 Zugleich unterrichtet er zukünftige Bibliothekare im Rahmen ihrer Ausbildung in französischer Literatur. Aufgrund des inhärenten „obligatoire investissement social“ sieht Aubert seine hauptberufliche Tätigkeit als Bereicherung und Komplement zur „solitude liée à l’acte d’écrire“, die ihrerseits auch Eingang in seine Werke findet. 359 Neben der Adaptation einiger ausländischer Bühnenstücke 360 schreibt Aubert seit Mitte der 1980er Jahre selbst für das Theater. 361 In seinem Drama Le Différend, das 1986 in der Regie von Arlette Dave auf France-Culture ausgestrahlt wurde, 362 geht es um alltägliche Meinungsverschiedenheiten und deren Regelung zwischen auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen, untergründig doch sehr ähnlichen Nachbarn. Dieses Konstruktionsprinzip einer antagonistischen Figurenkonstellation, bei der die Gegensätzlichkeit der Figuren im Laufe des Dramas aufweicht, wird auch für spätere Stücke wie Entrée de secours, 363 das noch eingehender zu betrachtende Le voyage und Les nuits blanches relevant. Letzteres lässt am Sterbebett des Vaters Sohn und Tochter zusammenkommen, die sich seit 30 Jahren nicht mehr gesehen haben und für ihre gegenseitige Annäherung die jeweilige Lebensgeschichte erzählend erneut durchleben, um letztlich „percer le secret caché au cœur de la mémoire.“ 364 Als Lebensrückblick 358 Vgl., auch im Folgenden, zur Biographie den Brief Gérald Auberts an die Verfasserin vom 24.09.2004 (Anhang, S. 310-314). 359 Ebd., S. 310. Aus diesen Gründen situiert er selbst seine Dramatik im Kontext eines Théâtre du quotidien. 360 So etwa das Stück Partie de Billard des Russen Vladimir Gubariev, Comment j’ai appris à conduire der Amerikanerin Paula Vogel und Paul Wehlers Drama Déceptions. 361 Zwar wurden zuvor bereits fünf seiner Texte aufgeführt - u.a. L’Esprit de famille, eine Version der Molièreschen Femmes savantes -, jedoch stellt Aubert selbst heraus: „J’ai commencé à écrire (sérieusement) pour le théâtre en 1986“. Brief, S. IV. 362 Vgl. dazu die Biographie in Gérald Aubert. Raisons de famille. In: Actes du Théâtre, no. 11, juillet 1999 - janvier 2000, S. 41. 363 Vgl. zur Missinterpretation des Wiedersehensstückes von 1994 als „triomphe de l’égoïsme“ im Kontext eines Anouilhschen Weltbildes Marion Thébaud: Gérald Aubert, l’incorrigible optimiste. In: L’Avant-Scène théâtre, no. 992, 15.06.1996, S. 34f., hier S. 35. 364 Vgl. dazu den Ankündigungstext der 2006er-Inszenierung von Gildas Bourdet mit dem Théâtre de l’Ouest Parisien: http: / / yahoo.carrefourspectacles.com/ manifesta- 2.2.1 Gérald Aubert: Le voyage 133 konzipiert Aubert auch die für den Theaterpreis Molière nominierten Dramen Chambre 108 und Raisons de famille 365 sowie Le détail des choses, deren Protagonisten mit einem Alter von rund 40 Jahren allesamt in der Mitte ihres Lebens stehen. Während in der auch für das Kino verfilmten 366 Krankenhaus-Chambre 108 die Bewusstwerdung des bisherigen Lebens durch den Alterungsprozess und den allgegenwärtigen Tod selbst initiiert wird, ist der Auslöser in Le détail des choses der Geburtstag der Protagonistin, die sich bis zu dem Zeitpunkt nur als Mutter und Ehefrau aufgeopfert hat. 367 In Raisons de famille 368 steht der Lebensrückblick dagegen im Zusammenhang mit der Veröffentlichung eines Familienromans gleichen Titels, anlässlich dessen Erfolgs der in Edinburgh lebende Schriftsteller Charles Dram nach 20 Jahren seine Eltern und den älteren Bruder in Paris wiedersieht. Das Stück über Generationenkonflikte, die Schwierigkeiten des familiären Dialoges 369 sowie der Balanceakt zwischen ausgesprochenen und versteckten Wahrheiten 370 kann als paradigmatisch für eine Grundtendenz der Aubertschen Dramatik gelten, denn: L’histoire, le passé sont d’une importance capitale […]. Vivre, c’est s’accommoder de sa propre mémoire. Il n’y pas d’autre solution. Les personnages de toutes mes pièces ont besoin, à un certain moment, de solder le compte de leur propre histoire. Ils n’en sont peut-être pas transfigurés, leur vie n’en devient pas meilleure, mais au moins tout est plus simple. C’est ça, l’histoire est la chose dite, et quand la chose est dite, on respire mieux. 371 tion.jsp? codman=NUITB [Stand: 11.03.2006]. 365 Für Chambre 108 wurde Aubert 1991 in der Kategorie ‛Bester Autor’ vorgeschlagen, das Stück Raisons de famille wurde 2000 gleich siebenfach nominiert. 366 La Chambre 108. Regie und Drehbuch von Daniel Moosman, Heideck Productions, 1993. 367 Der Text ist Teil eines Theaterexperimentes in fünf Monologen, die einerseits unabhängig voneinander funktionieren, andererseits aber eine Einheit bilden, da sie ausgehend von einem Familienfoto die Licht- und Schattenseiten verschiedener Lebensentwürfe beschreiben. 368 Vgl. Raisons de Famille de Gérald Aubert. In: http: / / theothea.com.free.fr/ critik34.htm [Stand: 11.03.2006]. 369 Die Unfähigkeit, miteinander zu reden, wird durch die inflationäre Verwendung von Apartes in der Figurenrede mit dem Effekt verdeutlicht, dass diese schließlich zu einer Wendung ad spectatores werden. 370 Vgl. dazu auch Auberts Ausführungen: „Mes personnages tentent de trouver un équilibre (souvent impossible d’ailleurs) entre le besoin de dire les choses et le désir de les cacher. Soit ils s’efforcent de ne pas révéler ce que les autres savent déjà (Raisons de famille), soit ils s’acharnent à trouver le meilleur moment pour dire ce qui leur sera arraché par hasard et au plus mauvais moment (Le voyage).“ Brief, S. 312. 371 A.a.O. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 134 In seinem 1995 verfassten und 1996 uraufgeführten Drama Le voyage 372 ist genau dieses sich der eigenen Erinnerung und Geschichte Stellen Ausgangspunkt und eigentliches Ziel der titelgebenden Reise. Während in den anderen Stücken Auberts der ‛Weg zurück’ also nur gedanklich vollzogen wird, ist er hier als Erinnerungsreise nach Dachau zugleich geographisch und zeitlich umgesetzt. Das Drama bewegt sich auf diese Weise mit seinen neun Szenen, die jeweils einen Ortswechsel markieren, von Paris aus immer mehr auf den deutschen Ort des Geschehens zu, während die Erinnerungen analog dazu von der gegenwärtigen Zeit im Sommer 1995 immer tiefer in die Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges hineinreichen. Als zugleich geographisches Ankommen in Dachau wie auch zeitliches in der familiären Erinnerungsleerstelle der Vergangenheit, verschmelzen am Dramenende beide, zuvor parallelisierten Bewegungen. Darüber hinaus stellt dies den Ort dar, an dem das dramenkonstituierende Moment in letzter Konsequenz aufgelöst wird: der Antagonismus der Hauptfiguren. Die Erinnerungsreise nach Dachau ist zugleich eine der sukzessiven Annäherung zwischen dem über 70-jährigen Vater und seinem noch nicht ganz 50-jährigen Sohn. Während der Vater die Generation der Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges repräsentiert und als eine Figur der Vergangenheit in seinen Erinnerungen verhaftet ist, steht der Sohn Julien als Nachgeborenenfigur für ein Leben in der Gegenwart und für die Auffassung, dass nach 50 Jahren ein Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen werden müsse. 373 Aus dem unterschiedlichen Umgang mit Erinnerung und Vergangenheit resultieren ihrer beider Missverständnisse und Konflikte, 374 die eine Generationenproblematik in Bezug auf den Übergang von Zeitzeugen zu Nachgeborenen und den damit einhergehenden Gedächtniswandel illustrieren. Der Vater, der als Mitglied der Résistance von 1943 bis 1945 in Dachau interniert war, lebt auch 50 Jahre nach den Ereignissen noch ausschließlich in jener Zeit: So singt er Deportations- (12) und Antideutschenlieder (13), 372 Das im Frühjahr 1996 unter der Regie von Michel Fagadau am Pariser Studio des Champs-Elysées uraufgeführte Stück wurde direkt im Anschluss publiziert: Gérald Aubert: Le voyage. In: L’Avant-Scène théâtre, no. 992, 15.06.1996, S. 3-33. Neben einer Vielzahl von Inszenierungen, die seitdem realisiert wurden, ist es 2000 von Barbara Grezgorzewska auch ins Polnische übersetzt (Verlag: Dialog) und im dortigen Fernsehen ausgestrahlt worden. 373 Im Nebentext zur ersten Szene verdeutlicht bereits die Kleidung diesen Gegensatz von einer Figur der Gegenwart und einer der Vergangenheit: Während der Vater in einer „posture plutôt raide, costume démodé et trop étroit“ beschrieben wird, hat der Sohn „l’air encore sportif. Il est en tenue d’été: short long, chemise, sandales.“ (5). 374 Gleichzeitig entsteht daraus die anfängliche Komik des Stückes, „mais à mi-chemin, elle amorce un virage en épingle à cheveu et change de ton. ‛J’ai longtemps hésité avant d’entreprendre ce changement de ton, mais je tenais à parler de ce sujet sous un ton léger d’abord, puis avec douleur.’“ Aubert zit. nach Thébaud: Gérald Aubert, l’incorrigible optimiste, S. 35. 2.2.1 Gérald Aubert: Le voyage 135 stigmatisiert Klima und Landschaft in Deutschland und kolportiert Witze (7) und stereotype Äußerungen über die als „Boches“ bezeichneten Deutschen. 375 Der Sohn unterläuft jedoch die Worte des Vaters, indem er sie als topische Elemente in ihrer Versatzstückhaftigkeit ausstellt und den inadäquaten Kriegsblick des Vaters enttarnt: Das Spannungsverhältnis von Vergangenheit und Gegenwart liegt bereits dem paradoxen Ausgangsvorhaben des Vaters zugrunde, der nach Dachau fahren (7), zugleich aber nicht aus dem Auto aussteigen will, weil er dann deutschen Boden betreten muss (6). Auf diese Weise beginnt er auch im Hochsommer im Land der einstigen Feinde zu frieren, obschon er noch kurz zuvor im französischen Straßburg unter der starken Hitze litt; 376 darüber hinaus kann der Vater die ländliche Idylle nicht erkennen (6), er sieht nur die „idéologie dans la verdure“ (7) und hört schließlich zwanghaft Nachrichten aus Angst, Deutschland könne Frankreich erneut den Krieg erklären (10). Neben der Tatsache, dass der Sohn die väterliche Aufrechterhaltung und Verlebendigung der Vergangenheit in der Gegenwart aufdeckt, spitzt er dessen Blick noch ironisch zu: Etwa, indem er diesen auffordert, „Si tu vois un SS qui traverse la route, ou la veuve d’Hitler qui vient t’offrir une pomme, tu n’hésites pas, tu m’appelles“ (10). Während Julien seinem Vater zu Beginn noch droht, sogleich wieder umzukehren, wenn die Reise ihm nur dazu diene, seine Vorurteile zu artikulieren, 377 kann er dessen Verhalten gegen Ende besser als eine spezielle Art „humour «Seconde guerre mondiale»“ (24) einordnen und fühlt sich davon nicht mehr provoziert. 378 Hinter dieser Form der Rückwärtsgewandtheit des Vaters steckt das Vorhaben, zu keinem Zeitpunkt als Tourist in Erscheinung treten zu wollen, sondern eine bewusste Erinnerungsreise eines Deportierten zu unternehmen. Deshalb erlegt er sich „l’allure d’un vrai témoin“ selbst auf: Aussi longtemps que ton pied meurtri foulera le sol teuton, tu ne boiras pas, tu ne mangeras pas, tu ne dormiras que d’un œil et tu regarderas tout le monde 375 Auf diese Weise wird etwa auch eine stereotype Verbindung von deutscher Präzision, Hitler als Erfinder der Autobahn sowie nationalsozialistischer Expansionspolitik aufgestellt: „Ils sont bons, pour les cartes, les Boches. Ils connaissent les chemins qui vont quelques parts. Surtout chez les voisins. Pour ça, ils ne se sont jamais fait prier.“ (8). 376 „A mon avis, c’est à cause de l’air de ce putain de pays. L’air allemand c’est froid, c’est bien connu. [...] C’est toujours pareil avec les Boches, on…“ (9). 377 „Je te préviens, papa, écoute-moi bien: si tu dois trouver l’air allemand forcément glacial, la nourriture trop grasse, les gens patibulaires et le paysage minable par principe, je te le dis tout de suite, on retourne à Paris.“ (9f.) 378 So reagiert er, für den Vater enttäuschend, auch nicht mehr auf dessen Ausführungen, dass das Zimmer nur sauber sei, da die Deutschen alles, d.h. Staub, Juden, Kommunisten und Zigeuner (23), reinigen. In einer weiteren Stufe nimmt er sogar in gegenseitigem Verständnis ironisch die Parolen des Vaters vorweg: „Mais oui, tu as raison, papa. Quand l’air teuton s’engouffre dans les portes bavaroises déglinguées, ça fait grincer les armoires boches, c’est bien connu.“ (24). II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 136 droit dans les yeux. Comme quelqu’un qui a souffert mais qui n’est pas mort. Tu leur donneras une leçon de courage et d’honneur. (18) Jedoch kann der Vater das Vorhaben zum einen selbst nicht ganz durchhalten, wenn er im Restaurant in touristisch-klischeehafter Manier das landestypische Sauerkraut mit Frankfurter Würstchen verschlingt (17f.), zum anderen geht die bewusste Stilisierung zum Opfer nicht immer auf, so etwa wenn er seine eintätowierte KZ-Nummer zeigen will, die er aber gar nicht hat (19). 379 Erneut enttarnt der Sohn Julien das Verhalten seines Vaters in gewisser Hinsicht, indem er dessen Selbstdefinition und Dasein seit 50 Jahren als „victime professionelle“ bezeichnet und bemerkt: „Au fond, la déportation, c’est un peu ton fonds de commerce personnel, non? “ (24). Wenn der Blick des Sohnes den sich beständig als rückwärtsgewandten „ancien déporté“ gerierenden Vater demontiert, verweist der Vater im Gegenzug auf die Brüchigkeit des als „Européen convaincu“ (13) hoffnungsvoll in die Zukunft blickenden Sohnes: Denn der momentan überarbeitete Julien (5) hat zum einen große Angst vor drohender Arbeitslosigkeit (14) und spricht sich zum anderen vehement dafür aus, dass seine französische Firma französisch bleiben müsse und nicht mit Übernahme durch die Engländer „passer sous contrôle étranger“ dürfe (13). 380 Die topisch ausgestellten Überzeugungen der beiden Generationenfiguren gehen auf einen unterschiedlichen Stellenwert von Geschichte, Erinnerung und Gedächtnis zurück. Dabei spielt deren Vermittlungsproblematik eine entscheidende Rolle. Denn der nahezu fundamentalistische Erinnerungskult des Zeitzeugen, der nichts anderes mehr kennt und die permanente Wiederholung der Geschichten nicht scheut, führt zur Ablehnung bei der Nachgeborenengeneration: Père. [...] j’ai essayé de te raconter quelques menus souvenirs de mon passé glorieux de résistant à la barbarie nazie, tu t’es mis à soupirer, je dis bien soupirer, comme si c’était la fin du monde, et tu m’as dit que ce que tu aimais le moins chez moi, c’était mes souvenirs. 379 Auf diese Weise freut sich der Vater auch einerseits über ein hartes, enges Bett, das ihn eine schlimme Nacht wie im Jahre 1943 erwarten lässt (24), und hat dafür extra einen Sträflingspyjama gewählt (23); andererseits reagiert er zynisch auf jede touristische Konnotation der Reise: „Au fond, ce que tu me proposes, c’est comme une sorte de petit week-end en Suisse avec un léger détour, comme ça, par inadvertance, pour jeter un œil au petit camp de concentration ou j’ai failli laisser ma jeunesse. C’est gentille.“ (11). Wenn am Dramenende jedoch die Erinnerung und die Vermittlung derselben gesichert sind, kann der Vater auch problemlos zum Tourist werden und München erkunden (33). 380 Nachdem der erste Schritt der Reise in der gegenseitigen Entlarvung der Brüchigkeit der Haltungen besteht, prophezeit der Vater als Ziel der Reise den zweiten Schritt, dem positiv umgewerteten Interesse füreinander: „Tu vas voir que je vais finir par avoir l’air de m’intéresser à ta peur de chômage autant que toi tu te passionnes pour mes angoisses d’ancien déporté.“ (14). Vgl. auch den parallelen Prozess in Kribus’ Le grand retour de Boris S. (Kap. II 2.1.4). 2.2.1 Gérald Aubert: Le voyage 137 Fils. Mais tu m’as raconté tout ça des dizaines de fois! Père. Une fois de plus, ça ne fait pas de mal! Fils. (ironique) Imagine-toi, mon pauvre père, que je suis largement au courant que tu es un héros! Ça n’est vraiment pas la peine d’en rajouter, je te remercie! (7) Auf diese Weise zementiert sich über die problematische Vermittlung der Zeit des Zweiten Weltkrieges ein memorialer Generationenkonflikt. Während der Sohn der ständigen Erinnerung des Vaters überdrüssig ist, wirft dieser der Nachgeborenengeneration im Gegenzug Vergessen vor: Ah! La belle génération d’amnésiques! Tout est oublié! Le casque à pointe, les V 1, les restrictions, les rafles, les enfants abandonnés sur les routes de l’exode, l’étoile jaune, le train de la mort, la solution finale, les fusillés. Voici venu le temps de la réconciliation. Embrassons-nous au nom de l’oubli, serrons-nous la main, et attendons calmement la prochaine guerre! (9) Die Frontstellung zwischen Vergessen, das aus der Sicht des Zeitzeugen der Ermöglichung eines neuen Krieges gleichkommt, und Erinnern, das nach Meinung des Nachgeborenen der Forderung nach deutscher Normalität in einem vereinten Europa entgegensteht, 381 scheint so unauflöslich. 382 Ein sich abzeichnender Gedächtniswandel wird jedoch mit dem nahenden Aussterben der Zeitzeugengeneration auch im Drama angedeutet, so dass die auf der Erinnerung und deren Hoheit beharrende Position des Zeitzeugen als eine letzte Geschichtsversessenheit angesichts deren baldiger Vergessenheit 383 durchscheint: Quand je serai mort, ils redeviendront ce qu’ils voudront, Julien. Ils auront tout le temps pour vivre leur vie d’Allemands ordinaires. Et grand bien leur fasse! En tout cas, tant qu’on n’a pas assassiné ma mémoire, moi, je les appellerai comme j’en ai envie. (8) Jedoch verweist der Sohn auch auf die Gefahren, die eine allein durch die Zeitzeugenschaft begründete generelle Legitimierung der Darstellung birgt, und die zu einem Missbrauch der Erinnerung führen kann: „La mémoire, le souvenir, d’accord, mais la mauvaise foi, alors là, je ne suis pas d’accord! “ (9). Im Drama besteht genau in dieser Unterscheidung der zentrale Ansatzpunkt. Während der Sohn zu Beginn des Stückes besonders durch die topische Verbreitung von Stereotypen der Überzeugung ist, dass es dem Vater recht eigentlich nur um dessen kollektive Stilisierung als Opfer geht, weicht dies im weiteren Verlauf der Reise dem Eindruck, dass 381 „Le seul problème, c’est qu’en 50 ans les Boches, comme tu dis, ont gagné, au moins, le droit de redevenir des Allemands normaux.“ (8). 382 „Tes vieilles histoires, ça m’emmerde. […] On n’a pas la même vision de l’histoire. Toi, tu as le compteur bloqué sur la dernière guerre, moi sur l’Europe en train de se faire.“ (9). 383 Siehe dazu den Titel von Assmann und Frevert (Hrsg.): Geschichtsvergessenheit - Geschichtsversessenheit. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 138 für den Vater die direkte Konfrontation mit der Erinnerung eine existentielle Frage ist. 384 Denn der Vater kommt selbst zu der Erkenntnis, dass er die Reise direkt nach dem Krieg hätte unternehmen müssen, er es aber vermieden hat „[d’a]ffronter la mémoire à chaud.“ (11). Weil er sich mit seiner individuellen Erinnerung nicht auseinandersetzen konnte, hat er sich hinter der kollektiven versteckt: „J’en ai profité pour m’oublier moimême. Je me suis perdu dans la mémoire collective. C’était pratique, remarque bien.“ (11f.) Auch wenn ihm die kollektive Erinnerung zunächst ein Weiterleben und ein institutionalisiertes Erinnern ermöglicht, bedeutet sie letztlich ein Vergessen und ein Verlieren seiner selbst: Kollektive Geschichte bietet individuellen Geschichten einen Rahmen, droht sie aber zugleich in sich aufzulösen. In diesem Sinne resultiert auch ein Großteil der Vater-Sohn-Problematik darin, 385 dass sich der Vater dem Sohn bis dato nur im kollektiv-unnahbaren Rahmen des „ancien déporté“ und Résistancehelden präsentiert hat und nie in einer für den Sohn fassbaren Individualität: „Au fond, quand je fais le compte, tu as passé ta vie à me convaincre que j’étais une nullité à côté de ta grandeur, un lâche comparé à ton courage. Que je ne t’arrivais pas à la cheville, quoi.“ (16). 386 Dass sich hinter der pauschal mit den Leiden im Zweiten Weltkrieg begründeten Autorität des Vaters dessen Unfähigkeit verbirgt, die individuelle Seite seiner Erinnerung zuzulassen, zu zeigen und schließlich erzählend zu vermitteln - eine Sprachschwelle also -, ist für den Sohn lange Zeit nicht zu ermessen. Es zeigt sich, dass eine Vermittlung der Geschichte rein über die kollektive Erinnerung unter Aussparung der individuellen Geschichten schwierig ist, da sie der Nachgeborenengeneration aufgrund fehlender Identifikationsmöglichkeiten den Zugang versperren kann. Nicht nur auf der Ebene der Vermittlung wird damit die Wichtigkeit der individuellen Erinnerung deutlich, auch der Vater begreift zunehmend, dass er ihr selbst nicht entkommen kann. So muss er sich spätestens dann mit dem Stellenwert seiner eigenen Erinnerung auseinandersetzen, wenn der kollektive Bezugsrahmen für einen „ancien déporté“, der direkt nach dem Krieg sehr präsent war, mit der Zeit immer schwächer wird. Während „Tout le monde voulait retrouver une existence normale“ wird für ihn immer deutlicher, dass „L’amnésie n’existe pas chez les anciens déportés, 384 Damit geht auch die zunehmende Selbsterkenntnis einher, dass er mehr ein „spécialiste de la mauvaise foi“ (23) gewesen sei, als dass es ihm wirklich um Erinnerung ging. 385 Beide sehen jedoch auch einen anderen Teil im Kontext eines gewöhnlichen Generationenkonfliktes zwischen Vater und Sohn. So verhält sich auch der Sohn seinem eigenen Sohn gegenüber wieder analog: „La copie conforme de ta mauvaise foi. [...] Je t’en voulais tellement que j’ai fini par te ressembler, papa.“ (16). 386 Die Problematik, die mit der Verklärung und Stilisierung der Väter als Résistancehelden für die Kinder einhergeht, wird ausführlicher in Kapitel II 2.2.5 zu Roland Fichets Plage de la Libération Gegenstand der Betrachtungen sein. 2.2.1 Gérald Aubert: Le voyage 139 Julien. La mémoire est notre cancer.“ (20). 387 Dass sich der Zeitgenosse den eigenen Erinnerungen stellen muss, gewinnt noch vor dem Hintergrund des Umgangs seiner Frau mit der Vergangenheit und der Ursache ihres Todes an Schärfe: Denn Juliens Mutter, die sich wie der Vater auch nicht den individuellen Erinnerungen stellen konnte, im Unterschied zu diesem aber nicht mit der Veräußerlichung in die kollektive Erinnerung geflüchtet ist, sondern ihr Leid schweigend verinnerlicht hat, ist kurz zuvor an Krebs gestorben. Auf diese Weise ist der Sohn mit zwei Formen des Umgangs konfrontiert - „un père qui raconte volontiers ses souvenirs et une mère qui les cache“ (28) -, die sich aber beide in einer im Grunde zu kurz greifende „façon de survivre“ (20) den eigentlichen Erinnerungen nicht stellen. Auf der Reise nach Dachau wird deutlich, dass der Vater seiner individuellen Erinnerung nicht entkommen kann: Weder kann er sich hinter kollektiver Erinnerung, einem „humour «Seconde guerre mondiale»“ oder persönlicher Rache 388 verschanzen, noch kann er vergessen oder das Vergessen erlernen. 389 Die Erinnerungen des Vaters, das heißt das Leiden und das Trauma des Überlebenden, äußern sich nachts in seinen Träumen (26) und in der „impression de passer ma vie à être mort [...] Enterré dans ma mémoire“ (26f.). Mit dem Traum und der Figur des quasi toten, in seinen Erinnerungen begrabenen Lebendigen 390 werden zum Topos gewordene Ausdrucksformen der individuellen Erinnerung eingesetzt. Die durch den Traum unterbrochene Nachtstunde markiert in diesem Sinne auch den Moment, in dem der Vater seinem Sohn zum ersten Mal von seinen inneren Leiden und seinem Schmerz erzählt. Die berichteten Erlebnisse beschreiben Elemente und Stationen des Dachauer Lagerlebens, wie die Baracken, das Umschlagen von der Gemeinschaft der Gefangenen hin zum Überlebenskampf des Einzelnen, Hunger und Tod sowie die Situation kurz vor der Befreiung des Lagers, die aber zugleich personalisiert an der Geschichte eines Mitgefangenen und der der Eltern selbst dargestellt werden. Neben seiner eigenen Geschichte in Dachau liefert der Vater so auch die seiner Frau mit. Jedoch wird hier die Unkommunizierbarkeit der individu- 387 Vgl. auch die Formen und Auswirkungen der Amnesie in Gilles Boulans Kinderzimmer (Kap. II 2.2.4). 388 Eine Form, sich als überlebendes Opfer zu Wort zu melden, besteht in dessen „plaisir idiot de la revanche“ (19), den er selbst so einschätzt und der für ihn einen Selbstzweck erfüllt. So erzählt der Vater von einem um Hilfe bittenden Deutschen, der aufgrund einer Reifenpanne „des ennuis“ habe, worauf der Vater repliziert: „Des ennuis? Quelle coïncidence! Comme moi à Dachau en 43! “ Nach diesem, für den Vater vergnüglichen Verweis hilft er aber dann doch dem Deutschen. 389 Während der Sohn zu dem Zeitpunkt, als ihn die Geschichte des Zweiten Weltkrieges noch nicht direkt selbst betrifft, davon überzeugt ist, dass Vergessen auch erlernbar ist, - „Tu parles! Je suis sûr qu’il faut essayer d’oublier“ (16) - begreift er am Ende des Dramas am eigenen Leib, dass dies keine Willensentscheidung darstellt. 390 Vgl. dazu auch das Kapitel II 2.3 und die Verwendung des Topos der lebendigen Toten etwa in Cormanns Berlin, ton danseur est la mort. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 140 ellen Erinnerungen 391 noch zusätzlich durch ein - für Auberts Dramen typisch - zugrunde liegendes Familiengeheimnis verschärft, dem der Sohn selbst sukzessive anhand der Datierungen auf die Spur kommt: Da die Mutter mit dem am 20.01.1946 geborenen Julien bereits vor der Befreiung Dachaus am 29.04.1945 schwanger gewesen sein musste, kann nur der SS- Mann Otto Kreutzwald sein Vater sein, der die Mutter in Dachau vergewaltigt hat (28f.). Mit diesem Umschlagen des Dramas wird zum einen die Geschichte der Eltern und die des Zweiten Weltkrieges auch zur Geschichte eines unmittelbar betroffenen Nachgeborenen - die Vergangenheit holt ihn in der Gegenwart ein -, zum anderen integriert Aubert damit eine weitere Facette in sein Drama: das Erbe der Geschichte in der Verschiebung der Abstammung von der Opferzur Täterseite. Während für Julien als Sohn eines Opfers die Geschichte unproblematisch - sogar bis hin zur Nichtexistenz: „Une vie sans histoire.“ - war, fühlt er sich als „Fils de SS [...] responsable de tout, maintenant. De l’histoire, de l’holocaust, de la barbarie, de la mort.“ (30). 392 Mit seiner neuen Identität als Täterkind und dem damit einhergehenden Hadern um dieselbe, den Fragen und Schuldgefühlen wird auch für ihn die Problematik von Erinnern und Vergessen plötzlich relevant. Damit treffen sich jedoch Opfer und Täterkind - als gleichzeitig unschuldiges Opfer der Taten des Vaters 393 - in der Grundsituation, dass sie, um weiterzuleben, etwas vergessen (lernen) müssen, was sie beide aber eigentlich nicht vergessen können (30). Eine ebensolche Auflösung von Täter- und Opferzuschreibungen in einer humanitären Perspektive findet sich auch in den plädoyerartigen Bezeugungen des Vaters am Dramenende. Dabei stellt er heraus, dass er Julien nicht als den Sohn eines deutschen Täters ansieht und auch keinen Deutschenhass mehr hegt, weil er nun die Menschen eines Landes nicht länger mit dem politischen System und dessen Taten gleichsetzt. 394 In diesem Zusammenhang bezeichnet der Vater, der mit der Reise erkannt hat, dass ‛seine’ Vergangenheit in der Gegenwart so nicht mehr existiert, seine stereotypen Äußerun- 391 Das Ringen des Vaters, die individuellen Erinnerungen zu kommunizieren, äußert sich in zögerlichem, von immer wieder neuen Anläufen oder Aussetzern geprägtem (Um-)Erzählen. Auf diese Weise erfolgt hier ein sukzessives Annähern an das Familiengeheimnis - wohingegen der Vater zuvor relativ flüssig, stringent und ohne Stocken geredet hat - bis dieses letztlich in für ihn befreiender Weise ausgesprochen ist (32). 392 Vgl. auch den ebenso konzipierten Fall von der Geschichtslosigkeit in die Geschichtlichkeit durch die Entdeckung der elterlichen Täterschaft in Boulans Drama Kinderzimmer (Kap. II 2.2.4). 393 Auf diese Weise sieht Julien auch zwischen beiden eine Verbindung: „Ça doit être le côté victime qui rapproche. […] Toi tu vas tranquillement finir par oublier ta blessure, moi je vais commencer à souffrir de la mienne, on se passe le relais, c’est normal.“ (32f.). 394 Vgl. dazu auch das Vorwort zum Stück von Danielle Dumas: Un passé recomposé. In: L’Avant-Scène théâtre, no. 992, 15.06.1996, S. 1. 2.2.1 Gérald Aubert: Le voyage 141 gen über die Deutschen selbst als sinnentleerte „lieux communs“ und praktische Automatismen (32). Als sinnkonstituierend wird dagegen die - nun mögliche (befreiende) - Vermittlung von Geschichte und ihrer Geschichten im produktiven Spannungsfeld zwischen individueller und kollektiver Erinnerung gesetzt: Sei es über den Gedächtnisort 395 selbst (31, 33), ein Buch über diesen (33) oder über die Erzählungen von Nation zu Nation (31) und Generation zu Generation (33). In diesem Sinne will Julien auch seinem eigenen Sohn die Geschichte des Zeitzeugen und des (in der Zeit gezeugten) Nachgeborenen erzählen: „Tel que je le connais il va trouver que c’est une histoire géniale, parce qu’elle a un sens. Historique. Il adore le sens historique des choses.“ (33). In diesem Ausblick auf die dritte Generation löst sich nach langer, von Annäherungs- und Distanzierungsphasen geprägter (Erzähl-)Reise die antagonistische Konzeption einer Figur der Vergangenheit und einer der Gegenwart in eine produktive Einheit mit Blick in die Zukunft auf. In dieser treffen sich verbunden und zugleich unverbundenen individuelle wie kollektive Erinnerung unter dem Fokus der Vermittlung von Geschichte. Das Drama, das nach Aussage seines Autors „avant tout une pièce sur la mémoire de l’histoire“ 396 ist, verdeutlicht in diesem Sinne, wie die vergangen geglaubte große Geschichte auch bis in die Nachfolgegenerationen hineinreichend zu einem Teil der kleinen, individuell direkt betreffenden Geschichten wird und damit ihre Vermittlung gesichert ist. Der Modus des kombinatorischen Potenzials beider Facetten markiert darüber hinaus die Relevanz von Literatur gegenüber rein geschichtlichen Darstellungen bei der Vermittlung einer dem Gedächtniswandel in besonderer Weise unterliegenden Zeit. 397 Die den Dramatiker konzeptionell und inhaltlich beschäftigenden Fragestellungen um Geschichte und Gedächtnis haben für den Sohn Gérald Aubert noch einen weiterführenden Stellenwert, denn der am 28.08.1951 in Paris geborene Autor verortet die Grundzüge seines Theatertextes Le voya- 395 Während der Besuch Dachaus beim Zeitzeugen, der zu der Erkenntnis kommt, „La vraie mémoire, Julien je crois que c’est les hommes qui en ont le secret, pas les pierres“ (31), keine Emotionen, sondern eher Befremden auslöst, sieht der Vater aber dennoch die Funktion von Gedächtnisorten für die Nachgeborenen darin, dass diese sich ein Bild machen können: „Il faut peut-être des images, aujourd’hui“ (31). Aus eben jenem Grund will auch Julien am Schluss das Lager besichtigen (33). 396 Brief, S. 313. 397 Vgl. zum produktiven Spannungsfeld von individueller und kollektiver Erinnerung in der Literatur auch: „L’écriture naît toujours de la mémoire et crée une autre mémoire. Je ne parle pas seulement d’une mémoire personnelle, mais d’un passé collectif. En ce sens l’écriture est toujours liée à l’histoire. En ce sens elle n’est jamais innocente.“ Gérald Aubert, 24.06.2000. In: http: / / www.lafriche.org/ controverses/ 2000- / contributions/ aubert.html [Stand: 11.03.2006]. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 142 ge im Kontext seiner Familiengeschichte: „La pièce est une sorte d’hommage (en creux) à mon père, lui-même résistant et déporté.“ 398 Der Vater Edouard Aubert, der wegen seines Engagements in der Résistance Ende 1943 nach Dachau deportiert wurde und dort bis zur Befreiung des Lagers war, wurde bei seiner Rückkehr als Held des Widerstands gefeiert. 399 Während die Kindheit Gérald Auberts einerseits sehr im Zeichen der kollektiven Erinnerung an die Deportationszeit steht, bleibt ihm die individuelle Erinnerung des Vaters andererseits zugleich verschlossen: Mon enfance a été accompagnée par les réunions, les meetings, les hommages aux anciens déportés. J’étais du bon côté, fils de héros. Mais je ne savais rien de la douleur intime de mon père. Jamais nous n’évoquions les vraies épreuves traversées par mon père. À sa mort, j’ai regretté d’être passé à côté de son histoire. C’est ce que j’ai voulu raconter. 400 Wenn Gérald Aubert diese Auseinandersetzung in seinem Drama Le voyage also quasi als fiktiv gebrochenes Echo seiner Vatergeschichte nachholt, dann im gleichzeitigen Reflex auf die Geschichte des Sohnes: „Je voulais témoigner aussi de la difficulté d’être le fils d’un héros (comment se mesurer à un père vécu comme personnage indépassable, valeureux, inaccessible).“ 401 Über den Tod des Vaters hinaus erfährt Gérald Aubert auch die identitätsproblematischen Auswirkungen der Geschichte des Zweiten Weltkrieges auf den Nachgeborenen: Mon père est mort en 1971 et il a été établi que les causes de sa mort étaient directement liées à la déportation et il a été déclaré „Mort pour la France“. Je suis donc devenu pour quelques mois „pupille de la nation“ c’est à dire pris en charge financièrement et moralement par l’État français, jusqu’à ma majorité (à l’époque 21 ans en France). Ce retour soudain de l’Histoire sur ma propre vie, cette façon d’être rattrapé, 25 ans après une guerre qu’on n’a pas connue, par un passé dramatique, a été une expérience très troublante. 402 Diesen plötzlichen Einbruch der Geschichte in das eigene Leben und die andauernde Aktualität der Vergangenheit streift Aubert damit auch in seiner dramatisch potenzierten Konstruktion der Vaterschaftsproblematik bei der Figur Julien. Während er für sein Drama Le voyage einerseits auf Elemente individueller Erinnerungen im weitesten Sinne zurückgreift, das 398 Brief, S. 312. 399 „Son père […] était bien connu dans les cercles de nos Amicales de camps, de la FNIDRP et des réseaux de la France combattante. Sous l’Occupation, il fut interné à la fameuse centrale d’Eysse où il participa à l’héroïque révolte des détenus. Une rue portant son nom y a même été inaugurée peu après son décès.“ Roger Maria: Pourquoi Dachau? se demande Gérald Aubert. In: L’Humanité, 29.04.1996. 400 Thébaud: Gérald Aubert, l’incorrigible optimiste, S. 35. 401 Brief, S. 313. 402 Ebd., S. 310f. 143 heißt auf die wenigen Erzählungen seines Vaters beziehungsweise nach dessen Tod auf die seiner Freunde sowie auf eigene Kindheitserinnerun gen, 403 hat er seine Darstellungen darüber hinaus auch auf anderen Ebenen ‛abgesichert’. Neben der Hinzuziehung historischer Quellen und Dokumentationen „afin de valider, en particulier la chronologie de la libération du camp“, hat er Zeugnisse und Berichte ehemaliger Deportierter gelesen „en particulier pour la façon dont ces derniers avaient parlé de leur déportation à leurs proches, en particulier leurs enfants.“ 404 Zudem hat er sein Drama vor der Inszenierung und Publikation ehemaligen Deportierten vorgelesen, um ihre Reaktionen darauf zu sehen und Misstöne und -verständnisse zu vermeiden. 405 Mit seiner Biographie, den verschiedenen Stufen seiner ‛absichernden’ écriture und der im Drama dargestellten sukzessiven Übertragung der Erinnerung von den Zeitzeugen auf die Nachgeborenen tritt Gérald Aubert für die gegenwärtige memoriale Schwellenzeit ein. In diesem Sinne versteht er sich selbst und sein Drama auch als ‛verlängerter, vermittelter Arm’ seines Vaters in dem Wissen und in der Verantwortung, dass „Les anciens déportés ont tous plus de soixante-dix ans - un jour il n’y aura plus que la mémoire.“ 406 2.2.2 Jean-Paul Wenzel und Bernard Bloch: Vater Land - Le Pays de nos pères Der Theatertext Vater Land - Le Pays de nos pères ist eine Gemeinschaftsarbeit des vor allem als Dramenautor bekannten Jean-Paul Wenzel und des Schauspielers und Regisseurs Bernard Bloch. Jean-Paul Wenzel, der am 13.07.1947 in Saint-Étienne geboren wird, kommt von der Theaterpraxis zum dramatischen Schreiben: In den Jahren 1966-1969 wird er zunächst an der Straßburger École nationale supérieure d’art dramatique zum Schauspieler ausgebildet und in der Folgezeit für 403 Auf diese Weise führt er bspw. zudem aus, dass er die „épisode (raconté par le père) du couple Allemand en vacances en France, tombant en panne sur la route et «secouru» par mon père“ in seiner Kindheit erlebt hat, wie auch „Certaines expressions qui échappaient parfois à mon père ou à ses amis et qui pouvaient être considérés comme des dérapages verbaux et ‛anti-allemands’.“ Ebd., S. 313. 404 A.a.O. Aubert verweist in diesem Rahmen seiner Rekonstruktionsarbeit zusätzlich auf ein erläuterndes Element der Postproduktion: „un couple de comédiens de la région parisienne a eu l’envie, pour la préparation de la pièce, de faire effectivement le voyage à deux, en voiture de Paris à Dachau (voyage que moi-même je n’ai pas fait). Ce voyage en voiture était filmé et des extraits étaient projetés pendant la représentation. J’ai été frappé de voir que les lieux réels qu’ils avaient filmés ressemblaient à ceux que j’avais imaginés dans la pièce (en particulier dans la dernière partie du texte qui se passe à Dachau).“ Ebd., S. 314. 405 Thébaud: Gérald Aubert, l’incorrigible optimiste, S. 34f. 406 Maria: Pourquoi Dachau? se demande Gérald Aubert. 2.2.2 é J.-P. Wenzel und B. Bloch: Vater Land - Le Pays de nos pères L é II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 144 verschiedene Inszenierungen sowie einige Kinofilme besetzt. Daneben tritt er als Regisseur eigener und fremder Stücke mit einem Schwerpunkt auf der zeitgenössischen Dramatik in Erscheinung. 407 Als Theatergründer und -direktor ist er von 1970-1973 mit Robert Gironès für das Théâtre de la Reprise, 1974 mit Louise Doutreligne für das Théâtre du Quotidien, 408 1976- 2002 mit Olivier Perrier für das Théâtre des Fédérés 409 und seit 2003 mit Arlette Namiand 410 für das Dorénavant Cie verantwortlich. 1974 verfasst Jean- 407 So wird Wenzel bspw. als Theaterschauspieler von Peter Brook und als Kinoschauspieler etwa in dem Film La vie de bohême (1991) von Aki Kaurismäki engagiert. Vgl. dazu http: / / www.theatredelacommune.com/ francais/ wenzel.htm [Stand: 27.05.20- 06] sowie die Aufstellungen zu seiner Schauspiel-, Autor- und Regietätigkeit auf den Seiten der Homepage http: / / www.theatre-contemporain.net. 408 Der Begriff „Théâtre du Quotidien“ ist also zunächst von Wenzel für eine Theatergruppe geprägt worden und wird dann erst zur Bezeichnung einer Strömung der zeitgenössischen französischen Dramatik. Vgl. zur Entstehung und den Charakteristika des Théâtre du quotidien, das neben Wenzel v.a. die Autoren Michel Vinaver, Jean- Claude Grumberg (vgl. Kap. II 1. und II 2.3.2) und Michel Deutsch (vgl. Kap. II 2.3.3, Fußnote 775) repräsentieren, die sehr gute Kurzdarstellung von Bradby: Modern French Drama (1940-1990), S. 241-246. 409 Parallel zum Theater in Montluçon, das 1993 Centre dramatique national (d’Auvergne) wird, begründen sie in den ersten Jahren noch zusammen mit Jean- Louis Hourdin auch das Theaterfestival Rencontres d’Été de Hérisson. 410 Im Brief an die Verfasserin vom 22.09.2004 (Anhang, S. 352f.) erläutert Wenzel die rund 20-jährige Zusammenarbeit mit der ursprünglichen Journalistin Arlette Namiand. Die Autorin von elf Dramen - zu einem großen Teil unter der Regie von Wenzel aufgeführt -, diversen Adaptionen und einem Roman inszeniert häufig Menschen in Extremsituationen und deren problematische Konfrontation mit der Realität. Im Kontext der vorliegenden Untersuchung erscheint ihr Stück Passions interessant, das, ausgehend von einem „faits divers“, den bereits 40 Jahre andauernden Rückzug einer Frau und ihrer zwei Brüder in ein Kellergefängnis thematisiert. Hatte sich die Schwester Augusta als Geliebte eines deutschen Offiziers der Kollaboration schuldig gemacht und wurde deshalb im Juni 1944 zur Strafe geschoren und durch die Stadt gejagt, ist die Zeit in ihrem „huis clos“ seitdem stehen geblieben: In Form eines Theaters im Theater spielen die drei in wechselnden Rollen die Geschichte ritualisiert zur Bewältigung des Traumas immer wieder durch, erinnern sich an die Vergangenheit und imaginieren sie zugleich neu. Während in der Kellersituation und dem Motiv des Exorzismus eines Fehlers durch Wiedererinnern und Durchspielen sowie in der Erwähnung der Berliner Kabarettwelt eine Parallele zu Cormanns Berlin, ton danseur est la mort deutlich wird, verweist die Grundlage eines „faits divers“ sowie das Motiv des Theaters der Schatten bzw. Toten und des Passionsspiels auf Sarrazacs La Passion du jardinier (vgl. Kap. II 2.3.3, Fußnote 752). Zudem zeigt sich hier, wie auch in Fichets Plage de la Libération und in Simons Adieu Marion, der Topos der geschorenen Frau, der spätestens seit Marguerite Duras’ Hiroshima, mon amour prominent ist. Arlette Namiand: Passions. In: Claude Duneton und Evelyne Pieillier (Hrsg.): Cinq Auteurs. Paris (Autrement) 1986. Vgl. hierzu etwa Jean-Jacques Samary: Nouvelles pièces au dossier Saint-Flour. In: Libération, 13.03.1986, in dem auch eine Spalte der Entstehung der Fédérés und Wenzels Rolle gewidmet ist, und Gilles Costaz: Pitié pour les tendues. In: Le Matin, 20.02.1985. Zu Namiand allgemein vgl. die Angaben auf der Homepage der Chartreuse und Azama: De Godot à Zucco. Bd. 3: Le bruit du monde, S. 264-267 und S. 2.2.2 J.-P. Wenzel und B. Bloch: Vater Land - Le Pays de nos pères 145 Paul Wenzel sein erstes Stück Loin d’Hagondange im Rahmen des von ihm mitbegründeten Théâtre du Quotidien. 411 Das Drama über die Banalität des Alltags eines Ehepaares in der Zeit nach der Pensionierung macht Wenzel nicht nur zum Repräsentanten der Strömung, sondern in wenigen Jahren zu einem der meistgespielten französischen Autoren. 412 Während sowohl Faire bleu als Nachfolgestück, das die gleiche Situation 25 Jahre später erneut aufnimmt, als auch das zusammen mit Louise Doutreligne verfasste Stück Marianne attend le mariage 413 über den Kampf von Fabrikarbeiterinnen für Unabhängigkeit dieser Strömung zuzuordnen sind, 414 lässt sich Wenzel mit seinen knapp 15 Stücken jedoch nicht - genauso wenig wie Michel Deutsch - ausschließlich für das Théâtre du quotidien vereinnahmen: Ses textes explorent aussi bien le courant du théâtre quotidien (Loin d’Hagondange) que le théâtre-enquête (Dorénavant, poème futuriste sur le vécu des habitants d’une cité), le théâtre autobiographique (déroute d’un couple: Les Incertains), le drame social (Boucherie de nuit), la convergence de l’Histoire et d’un destin individuel (Vater Land, le pays de nos pères). 415 Der 1949 im elsässischen Mulhouse geborene Bernard Bloch ist als Schauspieler seit 1971 in Theaterinszenierungen namhafter Regisseure sowie in knapp 50 Fernseh- und Kinofilmen zu sehen. 416 Darüber hinaus inszeniert er selbst seit 1978 zahlreiche Stücke und gründet verschiedene Theatergruppen, wie das Attroupement mit Denis Guénoun und Patrick Le Mauff, das Scarface Ensemble mit Elisabeth Marie und 1996 die Pariser Compagnie Le Réseau (théâtre). Als Co-Autor wirkt Bernard Bloch nicht nur in 333. Zu Namiands Stück Sûrtout quand la nuit tombe vgl. Aparna Puri: Marginalia: Voices established on the edge: Hinschberger, Namiand, Duras. In: Bishop (Hrsg.): Thirty voices in the feminine, S. 292-300. 411 Zeitgleich arbeitet Wenzel als Regisseur an Michel Deutschs L’Entraînement du champion avant la Course, das ebenso zum Paradebeispiel für die Strömung wird. 412 Vgl. die Präsentation des Stückes, für das Wenzel in eigener Inszenierung 1976 den Prix de la Critique erhält und das 1977 von Patrice Chéreau aufgeführt sowie anschließend in rund 20 Sprachen übersetzt wird, in Confortès: Répertoire du théâtre contemporain de langue française, S. 406. 413 Für das Drama wird Wenzel 1977 mit dem Prix de la SACD (Talent Nouveau) ausgezeichnet. 414 In Bezug auf diese Stücke führt Bost aus, dass Wenzel dem Theater die Stimme der Minoritäten und Ausgeschlossenen nahe bringen will: „Son objectif est alors de donner la parole, au théâtre, à ceux qui d’habitude ne l’ont pas“. Vgl. auch im Folgenden zur Verortung seiner weiteren Dramen Bernadette Bost: Jean-Paul Wenzel. In: Corvin (Hrsg.): Dictionnaire encyclopédique du théâtre, 1991, S. 879. 415 Azama: De Godot à Zucco. Bd. 3: Le bruit du monde, S. 200-203, hier S. 200. Darüber hinaus lassen sich die beiden unpublizierten Dramen L’homme de main und Simple retour der Gattung der Kriminalstücke zuordnen. 416 Vgl. dazu die Filmographie unter http: / / fr.wikipedia.org/ wiki/ Bernard_Bloch [Stand: 27.05.2006]. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 146 Verbindung mit Wenzel am Stück Vater Land - Le Pays de nos pères mit, sondern übersetzt und adaptiert auch zusammen mit Bernard Chartreux Herlinde Koelbls Jüdische Portraits. 417 Das konstitutive Verbindungsglied, das dem Projekt Vater Land - Le Pays de nos pères zugrunde liegt, ist gewissermaßen in gemeinsamen Wurzeln Wenzels und Blochs zu finden: 418 Als deutscher Soldat der Wehrmacht verliebt sich der in Saint-Étienne stationierte Vater von Jean-Paul Wenzel in eine Französin, desertiert und bleibt in Frankreich. 1953 verschwindet er plötzlich und lässt seine französische Ehefrau und die beiden Söhne ohne Erklärungen zurück. Auch der Vater von Bernard Bloch ist Deutscher, der jedoch als Jude 1934 aus seinem Heimatland über die Schweiz nach Frankreich ins Exil geht. Dort heiratet er eine jüdische Französin aus dem Elsass, kämpft in der Légion étrangère gegen die Nationalsozialisten und entkommt knapp der Deportation. Obschon beide deutsche Väter für unterschiedliche Facetten der Geschichte des Zweiten Weltkrieges stehen und gegensätzliche Wege eingeschlagen haben, stellt sich der Bezug der nachgeborenen Söhne zur Geschichte und zum Land der Väter in vergleichbarer Weise problematisch dar: Beide müssen mit einer Erinnerungsleerstelle umgehen. Während diese bei Wenzel jedoch eine individuelle ist, die der Vater durch seine konkrete Abwesenheit hinterlässt, führt das Schweigen des Vaters bei Bloch bezüglich der Erinnerungsvermittlung zu einer ebensolchen Absenz. 419 In diesem Sinne wird beiden ein konstitutiver Teil ihrer Identität, 417 Im Werk der deutschen Fotografin Koelbl, das Bloch in Chartreux’ (vgl. Kap. II 2.2.6) und seiner eigenen Übersetzung und Adaptation unter dem Titel Lehaïm - à la vie! inszeniert, finden sich 80 kommentierte Portraits von während des Zweiten Weltkrieges emmigrierten Juden in Form einer kollektiven Reflexion: „montrer aux Allemands ceux qu’ils ont chassés“. In: http: / / www.arche-editeur.com/ Catalogue/ K/ koelbl2. htm [Stand: 27.05.2006]. Vgl. zur Genese der Übersetzung und des Theaterstückes auch Nicolas Roméas: Faire du théâtre après Auschwitz? Entretien avec Bernard Bloch. In: http: / / horschamp.org/ article.php3? id_ article=1126 [Stand: 27.05.2006]. 418 „C’est vrai que dans nos deux familles, il y a une occultation de nos origines.“ Anne Laurent: Fils français cherche père allemand. In: Libération, 21.10.1983. Darin führen beide Autoren auch ihre jeweilige Familiensituation sowie den Bezug zu Deutschland aus. Während Wenzel kein Deutsch spricht und einen eher anekdotischen Bezug zum Vaterland hat, da nur die Großmutter ihm klischeehaft davon erzählt, sieht Bloch, dessen Mutter im Gegensatz zum Vater mit ihm deutsch spricht, seine Entdeckung des Landes in dem Moment, als er Goethes Faust inszeniert (vgl. auch im Folgenden den intertextuellen Bezug zu Goethe). Zu den familiären Hintergründen vgl. auch Roméas: Faire du théâtre après Auschwitz? Entretien avec Bernard Bloch, Knapp: French Theatre since 1968, S. 50f. und Arlette Namiand: De pères allemands…. In: Jean-Paul Wenzel und Bernard Bloch: Vater Land - Le Pays de nos pères. Paris (Théâtre Ouvert - Enjeux) 1983, S. 1f. 419 Die weitreichende Tabuisierung zeigt sich auch darin, dass für Blochs Vater das Öffentlichmachen seines deutschen Ursprungs im Kontext der Publikation von Vater 2.2.2 J.-P. Wenzel und B. Bloch: Vater Land - Le Pays de nos pères 147 nämlich der deutsche, nicht vermittelt, gleichwohl fühlen sie sich jedoch davon geprägt. Aus dieser Konstellation erwächst 1981 ein Reiseprojekt mit dem Ziel eines gemeinsamen Werkes: Ces origines communes nous ont poussés à regarder l’Allemagne aujourd’hui. On a fait une série de voyages ensemble en Allemagne, simplement pour aller sur nos origines, gratter. A partir de ce regard il nous a semblé intéressant de parler de l’immédiat après-guerre (celle de 45-49, de la dénazification), période assez méconnue. 420 Auf den drei gemeinsamen Reisen 421 entdecken und dokumentieren Wenzel und Bloch in Form von Mitschriften und Polaroids 422 zum einen Deutschland im Jahre 1982. Zum anderen bedeuten die Reisen von vornherein eine Spurensuche nach den Wurzeln und der Geschichte der Väter in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Auf diese Weise verbinden sich schon im Ansatz zwei Zeitebenen miteinander. 423 Für Wenzel wird die Engführung von Gegenwart und Vergangenheit darüber hinaus nicht zuletzt auch deshalb relevant, weil die Reise zu einer konkreten Suche und dem Wiedersehen mit dem Vater führt. Auf Basis ihrer eigenen Sammeltätigkeit in Deutschland und der literarischen Annäherung an das Nachkriegsdeutschland über die Werke Wolfgang Borcherts, Heinrich Bölls, Edgar Hilsenraths, Max Frischs und Ernst von Salomons verfasst Jean-Paul Wenzel zunächst eine Prosaversion. 424 Diese Reihe von Erzählungen aus der Perspektive jeweils einer anderen Figur 425 bearbeitet Bernard Bloch in einem ersten Schritt im Hinblick auf eine Land derart problematisch war, dass Bernard Bloch in der Folge eine Auseinandersetzung mit seinen deutsch-jüdischen Wurzeln erst nach dem Tod der Eltern möglich erscheint. Dies sieht er schließlich im Rahmen der Arbeit zu Lehaïm - à la vie! (vgl. Fußnote 417) eingelöst: „J’ai eu l’impression d’entendre enfin ce que je n’ai jamais entendu de mon père.“ Roméas: Faire du théâtre après Auschwitz? Entretien avec Bernard Bloch. 420 Jean-Paul Wenzel: Au plus près de ses doutes. In: Broutard und Henry (Hrsg.): Auteurs dramatiques français d’aujourd’hui, S. 103-106, hier S. 105. 421 Zu den verschiedenen Stationen und grundlegenden Ereignissen der Reisen im März, Mai und Herbst 1982 äußert sich Bernard Bloch in seinem Vorwort Une errance calculée. In: Ders. und Wenzel: Vater Land - Le Pays de nos pères, S. 9-11. 422 Diese werden in einem die Polaroids begleitenden „carnet de bord“ (7) festgehalten. Der Auszug aus einem Kapitel findet sich auch dem Werk vorgeschaltet: Jean-Paul Wenzel: Des nuits sans sourires. In: Ders. und Bloch: Vater Land - Le Pays de nos pères, S. 5-7. 423 Vgl. zur Evozierung Deutschlands als Ort der Vergangenheit und Gegenwart zugleich auch Auberts Le voyage sowie Reichels Ausführungen zur Stadt Berlin (Kap. II 2.1.2 zu Cormanns Berlin, ton danseur est la mort, Fußnote 261). 424 Jean-Paul Wenzel: Vater Land. Le Pays de nos pères. Récit. In: Ders. und Bloch: Vater Land - Le Pays de nos pères, S. 13-111, vgl. zur Materialbasis v.a. S. 14. 425 Die Konstruktion des récit, verschiedene Ich-Erzählungen hintereinander zu stellen, wird auch im Drama - in kondensierterer Form - beibehalten. Durch die Episierung im Inneren der Dialoge werden diese gewissermaßen zu Monologen. Vgl. zur Hand- II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 148 dramatische Form und integriert darüber hinaus eigene Facetten. 426 Diese doppelte écriture wird in einem zweiten Schritt mit den Methoden der „création collective“ der Regie- und Schauspielarbeit unterworfen, um Möglichkeiten der Theatralisierung auszuloten: „ensuite seulement la machine-théâtre s’est mise en route“. 427 Schließlich verfasst Wenzel auf der Grundlage dieser kollektiven Verfahren der Theatralisierung und Epitomierung des Stoffes - Vergleichbares wird sich auch bei Chartreux’ Violences à Vichy (Kap. II 2.2.6) zeigen - die definitive Dramenversion. 428 Formaler und inhaltlicher Zugang lassen sich damit parallelisieren, denn Ce livre, textes à l’appui, témoigne à la fois de la double quête de deux hommes partis à la recherche des racines de leur père mais aussi du passage de l’écriture - le récit - à l’écriture dramatique - la pièce. [Herv. im Original] 429 In diesem Sinne wird im Folgenden auch zu zeigen sein, wie sich die Reisebewegung als Spurensuche inhaltlich aber vor allem performativ in der Konzeption der dramatischen écriture niederschlägt. Das den Vätern Hugo Bloch und Harry Wenzel gewidmete Theaterstück Vater Land - Le Pays de nos pères 430 ist in sieben Szenen untergliedert: Während die Ouverture dem Drama die Vorgeschichte in Saint-Étienne im Jahr 1944 einleitend voranstellt, werden die vier Binnenszenen über die Deutschlandreise von 1945-1948 von einem Prologue und einem Epilogue umrahmt, die das gegenwärtige Deutschland von 1982 inszenieren. Die Ouverture (125-133) des Dramas stellt eine zum Verständnis der nachfolgenden Sequenzen wichtige, jedoch relativ losgelöste Szene dar. lungskonstituierung auch „Il y a une personne qui parle d’une année de sa vie, par exemple, en disant des choses, et l’autre personnage superpose et continue l’histoire. Tout ça s’entremêle, s’entrecroise…“. Wenzel: Au plus près de ses doutes, S. 106. Während die perspektivische und - wie sich zeigen wird - essayistische Konstruktion im Drama aufrechterhalten wird, geben Wenzel und Bloch die Kreisstruktur des Erzähltextes mit Beginn und Ende der Reise in Mannheim auf. 426 Vgl. Arlette Namiand: Sous les décombres…. In: Wenzel und Bloch: Vater Land - Le Pays de nos pères, S. 113-119, hier S. 115. 427 Klappentext zu Vater Land - Le Pays de nos pères. 428 Vgl. zur Epitomierung des Stoffes im Sinne von Otto Ludwig auch Wenzel: Au plus près de ses doutes, S. 106 und v.a. die detaillierte Beschreibung und die Stellungnahmen der am Prozess Beteiligten bei Namiand: Sous les décombres…, S. 113-119. Da dem Stück die Dialektik von „écriture“ und „jeu“ konzeptionell zugrunde liegt und mit einem beständigen Umschreiben des Textes einhergeht, wird auch die publizierte Version nur als Momentaufnahme verstanden: „[on] continue à ‛fouiller sous les décombres’ pour ramener à la surface les éclats d’un futur….“ (119). 429 Klappentext zu Vater Land - Le Pays de nos pères. 430 Jean-Paul Wenzel und Bernard Bloch: Vater Land - Le Pays de nos pères. Théâtre. In: Dies.: Vater Land - Le Pays de nos pères, S. 121-180. Das Stück - im Juli 1983 im Rahmen der achten Rencontres théâtrales d’Hérisson in Regie und Rollenbesetzung von Bloch und Wenzel uraufgeführt - wird 1984 mit dem Prix de la Critique (meilleure création française) ausgezeichnet. 2.2.2 J.-P. Wenzel und B. Bloch: Vater Land - Le Pays de nos pères 149 Denn sie beinhaltet als Vorgeschichte aus den verschiedenen Figurenperspektiven die zugrunde liegende ‛unerhörte Begebenheit’, die sich 1944 in Saint-Étienne zugetragen hat: 431 Der frankophile Wehrmachtssoldat Wilhelm Klutz, der sich abends als Franzose ausgibt und unter die Bevölkerung mischt, freundet sich mit dem gleichaltrigen Louis Dutheil an, der die Deutschen hasst. Als Klutz sich ihm nach langem Versteckspiel eines Abends doch als „un Boche, un Schleu, un Fritz, un frisé, un frisou, un vert-de-gris“ (127f.) zu erkennen gibt, kommt es zum Kampf, bei dem Dutheil stirbt. Klutz ergreift die Gelegenheit und macht aus dem Rollenspiel einen Rollentausch. Er zieht dem Toten seine deutsche Uniform an und gibt sich selbst fortan als Franzose Dutheil aus. In dieser Identität beginnt er ein neues Leben, heiratet die Französin Odette und bekommt mit ihr den Sohn Jean. Die Ouverture endet mit dem Aufdecken der falschen Identität, als nach Kriegsende Louis’ Bruder, Henri Dutheil, aus der deutschen Internierung zurückkommt und auf der Suche nach seinem Bruder Odette ein Kinderfoto von diesem zeigt, das sie entsprechend kommentiert: „Ça n’est pas Louis! “ (132). Im Anschluss an diese Vorgeschichte des Jahres 1944 gliedert sich das ‛eigentliche’ Drama in Form einer Rahmen- und Binnenkonstruktion in zwei weitere Zeitebenen auf, deren Verbindungsglied der Sohn Jean darstellt. Auf der Ebene der Rahmensituation - vorwiegend in Form des Prologue (133-136) und Epilogue (179f.) realisiert - wird Jean 1982 in Hamburg am Ziel seiner Reise gezeigt, die ihn auf der Suche nach seinem Vater durch Baden-Baden, Frankfurt und Wuppertal geführt hat. Von den Stationen der Reise zeugen nur noch gestammelte, topische Wortfetzen, 432 die Überreste der umherirrenden und herantastenden Suche im Land des Vaters sind. Die Endstation der Reise stellt aber nicht nur die sukzessiv erreichte Umwandlung kollektiver und kultureller Abwesenheit in Anwesenheit dar, sondern markiert auch das anstehende Wiedersehen mit dem Vater nach jahrzehntelanger Absenz: L’oubli dans la graisse... on se tait sur la guerre... villes amériques, convois militaires, prisons silencieuses trois... troisième génération, trois mois d’Allemagne, trois jours, trois nuits à Hambourg, trois jours, trois nuits à ne pas oser pousser la porte de ce bistrot sur le Bernhardt Nocht Strasse: „le Martin-Pêcheur“; derrière cette porte Wilhelm Klutz, mon père... un vieux bistrotier bedonnant... je te préfère en photo. (135) 431 Stärker als in den nachfolgenden Szenen sind hier noch die ausgeprägten, sich gegenüberstehenden Monologblöcke als Relikte der epischen Version zu erkennen. Die abgebrochenen und ausschnittartigen Einzelperspektiven lassen sich dabei wie Puzzleteile zur Rekonstruktion der Gesamtbegebenheit zusammensetzen. 432 Vgl. etwa die Topoi zu Hamburg „bières… bières… bières… St-Pauli… live show… peepshow… hard core… topless… le port… supertankers… cargos nippons… chantiers géants… le vent du large…“ (179). II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 150 Der Wechsel von einer nur über eine Fotografie vermittelte Existenz hin zu einer physischen wird in der Schlusssequenz als offenes Ende konzipiert, indem nach Fragen zur eindeutigen Klärung der Identität ein erster Kontakt zwischen Vater und Sohn hergestellt ist. Die Ebene der Binnenhandlung stellt sich - im Unterschied zur Konstruktion der Prosaversion - als reines Produkt der Phantasie Jeans dar: 433 Dem expressionistischen Stationendrama ähnlich wird in vier Szenen jeweils eine Etappe der Reise im kontinuierlichen Jahreswechsel geschildert. Jedoch werden hier zwar die Stationen der in der Rahmensituation angedeuteten Reise Jeans durch das Deutschland von 1982 beibehalten, als Imagination oder Traum aber in das Deutschland der Nachkriegszeit von 1945- 1948 projiziert. 434 Zur Suche des Sohnes nach dem Vater kommt nun auch die Flucht des Vaters vor dem Bruder des ermordeten Dutheil hinzu. Die Überleitung vom Rahmenzum Binnenteil gestaltet sich als Befragung des gegenwärtigen Deutschlands auf der Folie des Zweiten Weltkrieges. So will etwa Jean von einem Polizisten wissen, was dieser während des Krieges gemacht habe (135). Vor allem die Figur des Hermann Deutsch steht personifiziert als Sprachrohr für diese Fragen: Sein Monolog, der eine Kombination unverbundener Versatzstücke beider Zeitebenen in deutscher und französischer Sprache ist, 435 verdeutlicht, dass dem Gegenwartsdeutschland die Kriegs- und Nachkriegszeit unauflöslich eingeschrieben ist. 436 Die produktive Spannung einerseits, die aus dem Kontrast der Elemente und ihrer ausgestellten jeweiligen Klischeehaftigkeit resultiert, und explizite Formulierungen wie die nach einem „redécouvrir“ (136) und „wieso kann man Deutschland wieder lieben“ (135) andererseits zeigen zugleich auch, dass diese Einschreibung nicht den Blick für die Gegenwart verstellen muss. Die kollektive Befragung mündet auch hier wieder in eine individuelle, indem mit der Kontrastierung des Vaters 1982 in Hamburg und 1945 in Baden-Baden die Überleitung zum Binnenteil eröffnet wird. Die vier Binnenszenen als verschiedene Stationen der Reise bestehen - wie schon die Gestaltung der Überleitung präjudiziert - aus einer Kombination von Versatzstücken des kollektiven und kulturellen Gedächtnis- 433 Vgl. dazu auch Namiand: Sous les décombres…, S. 117f. 434 Die Phantasiebzw. Traumstruktur hat zur Folge, dass sich - wie noch gezeigt wird - auch auf der Binnenebene Elemente und Figuren der Rahmensituation finden. Das Irren der Figuren durch Deutschland gestern und heute wird derart übereinander gelegt, dass sich die Handlungen, Zeiten und Figuren vermischen und verbinden. 435 Auf diese Weise werden etwa die Juden Blum und Levi, die Zoneneinteilung Deutschlands und Schimpfwörter für die Deutschen mit dem deutschen Wald, Pazifismus und Kapitalismus verbunden und in den Rahmen des kulturellen Gedächtnisses durch Zeilen aus Goethes Heidenröslein gestellt (135f.). 436 Vgl. dazu auch die verborgenen, aber unauslöschlichen Spuren des Krieges im Deutschland von 1982: „La guerre est masquée; on se tait sur la guerre mais il n’y a pas d’oubli.“ Wenzel: Des nuits sans sourires, S. 5. 2.2.2 J.-P. Wenzel und B. Bloch: Vater Land - Le Pays de nos pères 151 ses 437 und analog dazu aus Handlungsbruchstücken der individuellen Irrfahrt des Vaters durch das Nachkriegsdeutschland in Ruinen. 438 Die erste Station Baden-Baden 1945 (137-156) inszeniert Jean zunächst als deutschen Soldaten, der Wilhelm Klutz in Anspielung auf die Entnazifizierungen befragt. Während Klutz in diesem Rahmen jedoch weniger von seiner Involvierung ins Kriegsgeschehen berichtet, 439 sondern mehr seine Rückkehr im August 1945 nach Deutschland thematisiert, wird dies von zwei weiteren Befragungen überblendet. Mit Jeans Befragung von Monica Kempf und Herbert Schulz wird die auf der Rahmenebene leitmotivisch gestellte Frage an den Polizisten, was er während des Krieges gemacht habe, 440 auch hier eingelöst, da beide Figuren als Passanten bereits in der Rahmensituation eine Rolle gespielt haben. Darüber hinaus werden die drei Einzelerzählungen zusammengeführt, weil Monica, die sich für Zigaretten und Essen prostituiert, nicht nur Klutz, sondern auch den gescheiterten Schriftsteller Schulz, der als „petit nazi“ (143) für die UFA über den Ruhm des deutschen Waldes geschrieben hat (142), zu ihren Kunden zählt (141). Die Befragungssituation, die bereits durch die kohärenzlosen Einzelerzählungen unterminiert wird, löst sich schließlich auf, wenn Jean aus dem Abschiedsbrief von Klutz an Odette zitiert. Denn damit wird die Perspektive zusätzlich geöffnet und zahlreiche, weitere Figuren mit ihren Einzeldarstellungen integriert. Dieser Polylog stellt ein Mosaik verschiedener Erzählstränge dar, die um schlaglichtartige Schilderungen des Nachkriegsdeutschlands kreisen und zugleich in einem engen oder weiteren Zusammenhang zur Figur Wilhelm Klutz’ stehen. Damit zwar lose verbunden, sind die einzelnen Repliken des Polylogs untereinander jedoch bezugslos: While a protagonist begins relating certain happenings to a friend or a bystander, he is, so to speak, superimposing his thoughts and impressions on the basically inattentive individual to whom he is speaking, who then mindlessly repeats these statements according to his own fragmented understanding to another, thus continuing the story - or round. So alienated are the protagonists from themselves and from each other that despite their conversions, they are 437 Dies erscheint bereits durch die Wahl der jeweiligen Orte auf einer übergeordneten Ebene vorgezeichnet. Vgl. in diesem Sinne zum imagologischen Stellenwert von hier bereisten Orten wie etwa Mannheim, Hamburg und das Ruhrgebiet Fritz Nies: Paysages mythiques: l’Allemagne des auteurs français de Madame de Staël à François Mitterand. In: Briolet (Hrsg.): Mythes et mythologies en histoire de la langue et de la littérature, S. 55- 67, hier S. 60. 438 Vgl. dazu „The sequences encapsulate a variety of landscapes and events: cities in ruin, people making merry, a man attempting to escape after having accidentally committed a crime, occupation by the French and Americans, the black market, fornications in cellars and elsewhere.“ Knapp: French Theatre since 1968, S. 51. 439 Die relevante Zeit wird dabei ausgeblendet: „J’ai quitté mon pays en 42 au faîte de sa gloire, je le retrouve nu, amnésique, clochardisé, se jetant sur les mégots des vainqueurs.“ (140). 440 Vgl. dazu auch Wenzel: Des nuits sans sourires, S. 6. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 152 never really heard by their interlocutor(s), nor do they really ever listen to what is being said. 441 Einerseits zeigt sich damit die weitreichende Entwurzelung der Figuren, andererseits unterstreicht das stilistische Verfahren auch die Versatzstückartigkeit der im Drama integrierten Elemente. Dergestalt stellt die Sequenz in Baden-Baden im Folgenden Odette dar, die auf der Suche ihres Mannes nach Deutschland kommt, sowie den bei der französischen Militärregierung arbeitenden Henri Dutheil auf der Suche nach dem Mörder seines Bruders. Auf dieser doppelten, fast schon kriminalistischen Spurensuche im Nachkriegsdeutschland kreuzen sich mit den diversen Figuren, die als Träger kollektiver und kultureller Erinnerung inszeniert werden, verschiedene Perspektiven und Versatzstücke: So intoniert Hermann Deutsch Goethes Erlkönig (148). Monica und Schulz integrieren mit ihren Erzählungen etwa Aspekte der hungernden Bevölkerung sowie der daraus erwachsenden Prostitution und der Schwarzmarktgeschäfte (145). Zugleich steht Monica, die bei den Bombardierungen Münchens ihre Familie verloren hat (144), auch für die deutschen Opfer und Schulz mit seinen Hitlerparolen für den der Aktualität nicht hinterherkommenden Mitläufer (142, 144). Lotte Holle, deren Nachname Bestandteil deutscher Literaturerinnerung ist, thematisiert darüber hinaus die Missbräuche in der französischen Besatzungszone (144). Als Repräsentanten der französischen Militärregierung sind Dutheil und sein Freund Vernoux im Bereich der Entnazifizierung tätig: Während für den ehemaligen Deportierten Dutheil der Aufenthalt unter Deutschen noch schwierig und in erster Linie der persönlichen Rache an Klutz geschuldet ist (146f.), vertritt Vernoux die Ansicht, dass Deutschland derzeit seine Schulden bezahle und man den Deutschen wieder Verantwortung übertragen müsse (147, 151). Während Dutheil Klutz auch in den nachfolgenden Sequenzen auf der Spur bleibt, ist Odettes Suche auf diese Szene beschränkt: Konfrontiert mit dem Elend im Nachkriegsdeutschland und mit Dutheils Schilderungen des angeblichen Mordes, gibt sie selbst die Suche nach ihrem Mann auf. Jedoch überträgt sie diese in gewisser Hinsicht auf ihren Sohn Jean, der in dieser Szene bezeichnenderweise schon als eine Art alter ego seiner Mutter konzipiert ist und in Form einer Du-Erzählung zusätzlich ihre Erlebnisse schildert (148). Darüber hinaus zeigt sich, dass Jean als Erzählerfigur die Perspektive anderer Figuren übernimmt und als Vermittlungsfigur zwischen Rahmen- und Binnenteil oszilliert. In dieser Funktion leitet er auch zum nächsten „décor… Francfort… le décor d’après-guerre… Francfort 1946“ (156) über, auf das bereits zuvor in einem Schlaglicht auf den gesuchten Klutz, der sich in Frankfurt befindet, vorausgedeutet wird (153f.). 442 441 Knapp: French Theatre since 1968, S. 51. 442 Wird Klutz hier am Ende schlafend an der Mauer gezeigt, insinuiert dies zugleich Jeans Position im Prologue. Wie Odette und ihr Sohn werden damit auch Klutz und 2.2.2 J.-P. Wenzel und B. Bloch: Vater Land - Le Pays de nos pères 153 Während die Sequenz in Baden-Baden das Nachkriegsdeutschland in der französischen Zone fokussiert, 443 visiert die zweite Station Francfort 1946 (157-166) die amerikanische Besatzungszone an. Unter Beibehaltung der polylogischen Konstruktionsprinzipien werden nicht nur Schwarzmarkt, Elend und Prostitution sowie der beginnende Wiederaufbau der Stadt (159) inszeniert, sondern auch Zigaretten und Schokolade verteilende G.I.s sowie eine polnische Jüdin, 444 die aus Angst vor ihrem eigenen potenziellen Mitläufertum froh über ihren Opferstatus ist. Vergleichbar mit der Rolle von Monica und Schulz wird hier die zweite junge Frau aus der Rahmensituation als ‛Anna’ in die Binnenhandlung integriert: Diejenige, die Jean im Deutschland von 1982 fragt, „Vous ne savez pas où dormir? “ (133), gewährt dem hungernden und obdachlosen Klutz 445 im Nachkriegsdeutschland nicht nur bei sich Unterschlupf, sondern lässt ihn sogar - intertextuell bereits durch ihr Anstimmen von Goethes König in Thule vorgezeichnet - auch in ihr Bett (160). Darüber hinaus fungiert Anna als auslösendes Element der nachfolgenden Sequenz: Denn sie bewegt Klutz nicht nur zur Flucht nach Wuppertal, sondern verrät auch dem bereits resignierenden Dutheil dessen neuen Aufenthaltsort. 446 Als Überleitung zu Wuppertal als nächster Station der Flucht dient erneut eine Vision Jeans, die diesmal von Frau Holle - in der Übernahme der Funktion, die bisher Hermann Deutsch inne hatte 447 - erweitert wird: Wuppertal wird im Gesang als lang gezogene Stadt der Schwebebahn, der Arbeiter und Frühindustrialisierung sowie in einer erneuten Verschmelzung der Zeiten als Stadt von Pina Bausch präsentiert (165f.). 448 sein Sohn gespiegelt. Die Figuren und Zeiten fließen auf diese Weise ineinander. 443 Vgl. insgesamt zum „voyage initiatique“ - hier nach Baden-Württemberg und Frankfurt - auch Blochs Ausführungen in Une errance calculée: „Et puis, on cherche. On trouve l’Allemagne bien sûr, l’Allemagne en pleine déculpabilisation. […] Chercher Harry, ce n’est peut-être même plus essayer de le trouver. Nos voyages deviennent une sorte de quête lyrique dans l’Allemagne de 82.“ (9). 444 An der Polin Mina zeigt sich auch der Funktionsmechanismus der Evozierung von kollektiver und kultureller Erinnerung. Denn als Dutheil sagt, dass er Franzose sei, lässt Mina ihren Assoziationen dazu freien Lauf: „… Voltaire, Rousseau, Léon Blum, Paris… la liberté.“ (163). 445 Darüber hinaus steht auch hier wieder für die enge Verzahnung von Rahmen- und Binnenhandlung, dass Klutz genauso wie Jean gegen die Mauer gelehnt ist (157). 446 Damit ist Anna Garant, dass der Flüchtende weiter flieht und der Verfolger weiter verfolgt. Angesichts der vielen Toten, der Ruinen und der Feststellung, dass Deutschland doch seine Schuld zahle, will gerade letzterer aufgeben und zurück nach Frankreich gehen (165). 447 Frau Holle, die schon zuvor über die Situation im Nachkriegsdeutschland (157f.) singt, hat damit die Rolle Hermann Deutschs im Prolog angenommen, während dieser jetzt stärker zum Aktivisten des Schwarzmarktes wird und „Deutschland, über alles“ anstimmt (162). 448 Die Anspielung zeigt sich etwa im Wortspiel zu „Rita Pausch“ (165). Vgl. zur grundlegenden Charakterisierung Wuppertals auch Bölls Beschreibung als „ungeschminkte II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 154 Mit der dritten Station Wuppertal 1947 (167-172) wird zu Beginn in Anlehnung an Wolfgang Borcherts Draußen vor der Tür 449 ein Kriegsheimkehrer aus sibirischer Gefangenschaft gezeigt. Der von den Nachbarn und der Ehefrau für tot gehaltene und bereits symbolisch Bestattete wird in der Antizipierung seines von der Umwelt proklamierten Zustandes in den Regieanweisungen als „soldat mort“ bezeichnet und zweifelt in der Folge auch selbst an seinem Überleben. 450 Ein parallel konstruiertes Schlaglicht stellt die Suche nach Annas Eltern dar, über deren Selbstmord durch den eigenen Gasofen eine Nachbarin Klutz informiert, denn „Les Anglais avaient découvert son activité [des Vaters] pendant la guerre… Il fallait qu’il paie. Il a préféré de se dénazifier tout seul“ (169). Den Kontext der Entnazifizierungszeit verstärkend, tritt hier auch die Figur des Hermann Deutsch in Erscheinung, der in Anspielung auf die Praxis des Freikaufens als Opfer 451 Tätowierungen mit einem Zertifikat über den Lageraufenthalt feilbietet (170). Nach Jeans Beschreibungen der Stadt mit ihren eng aneinander liegenden Häusern entlang der Wupper und des Industriestandortes mündet die Szene in einer skurrilen Sequenz zum Wuppertaler Karneval, die von Jean als der Moment herausgestellt wird, in dem Klutz seine Familie vergessen habe (171). 452 Wiederum als Überleitung zur nächsten Szene konzipiert, ermuntert Klutz nun paradoxerweise selbst den betrunkenen Dutheil durchzuhalten, da sie schon fast am Ende der Reise in Hamburg angelangt seien (172). Zu Beginn der vierten Etappe und damit der Endstation in Hambourg 1948 (173-178) liefert Jean erneut Landschafts- und Städtebeschreibungen und fungiert auf der Zugfahrt zusammen mit Hermann Deutsch - der Stadt“. Presse- und Werbeamt der Stadt Wuppertal (Hrsg.): Lebendiges Wuppertal: Ein Interview in Bildern. Eingeleitet von Heinrich Böll. Wuppertal (Born) 1960. Darüber hinaus kristallisiert sich eine unterschwellige Konstruktionsfolie für die Stadt Wuppertal und die Reise allgemein heraus: Die Parallelen zu Wim Wenders road movie Alice in den Städten zeigt sich nicht nur im Stellenwert der Polaroids, die ein Journalist von seiner Reise durch die USA mitbringt, sondern v.a. in dessen Suche nach der Großmutter des Kindes Alice in Deutschland, das ihn begleitet. Eine der wichtigsten Stationen stellt dabei Wuppertal dar, das sie - z.T. in der Schwebebahn - durchstreifen, bevor sie im Ruhrgebiet weitersuchen. 449 Neben Borchert ist auch Brechts Trommeln in der Nacht, das Wenzel und Bloch zudem 1971 zusammen gespielt haben, als Folie für den zurückkehrenden Soldaten relevant. 450 Vgl. zur topischen Figur des toten Lebenden oder des lebenden Toten auch Cormanns Berlin, ton danseur est la mort, Kermanns Leçons de ténèbres, Auberts Le voyage und Sarrazacs La Passion du jardinier. 451 Vgl. zum Topos des Entlastungszeugnisses bzw. ‛Persilscheins’ auch Cormanns Berlin, ton danseur est la mort. 452 Vgl. dazu auch: „La deuxième fois, en mai, dans la Ruhr, on en oublie presque le père. Cet absent devient surtout le prétexte à notre présence ici.“ Bloch: Une errance calculée, S. 9. 2.2.2 J.-P. Wenzel und B. Bloch: Vater Land - Le Pays de nos pères 155 darüber hinaus ein Heimatlied vorträgt (173) - als eine Art Reiseführer für Dutheil. Daran schließen sich nahtlos, aber als perspektivische Einheit zu betrachten, Schilderungen von Klutz und Anna an: Anna beschreibt, wie Klutz am Quai sitzt und die Hafenstimmung in sich aufnimmt, und kommt zu dem Schluss, dass sein - innerer - Krieg in Hamburg zu Ende sei. Klutz selbst sieht sich ebenfalls angesichts der Liebe von Anna und der zum Wiederaufbau bereiten Stadt ‛befriedet’ (175). Dementsprechend manifestiert er auch das Ende seiner Flucht, indem er in den Bombenstaub schreibt „Dutheil, je suis là, je serai toujours là“ (176). Zugleich eröffnet sich - im Anschluss an die Rahmensituation - die Zukunftsperspektive, zusammen mit Annas Cousin Rudolph dessen Bistro umzubauen und wieder zu eröffnen (177). Jeans Beschreibung der morgendlichen Aufbruchsstimmung in der Stadt dient der Überleitung zum parallelisierten Fokus auf Dutheil. Wie Klutz hat dieser durch die Stadt und eine Frau - in diesem Fall handelt es sich um die Kellnerin Joanna, die Dutheil analog zu Annas Schilderungen von Klutz darstellt - seinen inneren Frieden gefunden. Weder ist Dutheil noch auf der Suche nach Klutz, noch will er zurück nach Frankreich: „Il n’évoque jamais son passé. Il prononce parfois des phrases étranges…“ (178). Schließlich geht bei beiden Protagonisten die ursprünglich für Dutheil bestimmte Warnung Hermann Deutschs auf (174): Hamburg gibt die Menschen nicht mehr frei. 453 „Ensorcelé“ (175, 178) von der Stadt im Norden und ihren Frauen, bleiben beide dort. Jean-Paul Wenzel und Bernard Bloch inszenieren Vater Land - Le Pays de nos pères, wie gezeigt, auf der Folie ihrer autobiographischen (Initiations-) Reisen durch Deutschland, die eine Suche nach der Kultur und Geschichte im Land der Väter 454 und für Wenzel zugleich auch eine individuelle nach dem Vater darstellen. Der Ausgangspunkt beider Dramenautoren ist eine Abwesenheit, die zu einem Vermittlungsdefizit geführt hat. Diese doppelte Leerstelle soll mit dem Auffinden einzelner Spuren im Rahmen einer „errance calculée“ sukzessive und mosaikartig gefüllt werden. Die suchende Reisebewegung wird sowohl inhaltlich als auch performativ in der Konzeption der dramatischen écriture umgesetzt. Verschiedene Versatzstücke - das heißt topische Spuren kollektiver und kultureller Erinnerung mit Elementen der individuellen Vatergeschichte - werden zu einer Fiktion 453 Eine vergleichbare Konstruktion zeigt sich auch in Cormanns Berlin, ton danseur est la mort mit dem Bild der Stadt als Sündenbabel, das die Menschen verschlingt. Vgl. in diesem Sinne auch Blochs Schilderungen, dass sie in Hamburg Angst hatten, ihre Suche aus den Augen zu verlieren und aufzugeben. Ebd., S. 10. 454 Dabei geht es auch um eine deutsch-französische Perspektive: Denn so wie sich bei den beiden, deren Vaterland Frankreich ist und die eine Reise nach Deutschland, ins Land ihrer Väter, machen, die Nationen vermischen, entdecken sie auch die Ähnlichkeiten beider Länder und ihrer Städte. Vgl. dazu Wenzel: Des nuits sans sourires, S. 5 und (155). II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 156 miteinander kombiniert. 455 Darüber hinaus zeigt sich, dass in der engen Verschachtelung von Gegenwart und Vergangenheit das Vermittlungsdefizit noch stärker gespiegelt wird. Die Konstruktion der zwei ineinander fließenden Zeitebenen, deren Mittlerfigur der nachgeborene Jean ist, unterstreicht auf einer weiteren Ebene das Nachwirken der Nachkriegszeit bis heute: „nous sommes les enfants d’après-guerre, la guerre, l’expérience de nos parents a fondé notre identité d’homme, de femme et d’écrivains.“ 456 2.2.3 Eugène Durif: L’Arbre de Jonas Der 1950 in Saint-Priest bei Lyon geborene Eugène Durif ist nach einem Studium der Philosophie zunächst als Journalist beim Lyoner Le Progrès und beim Pariser Le Matin tätig. 457 Während dieser Zeit verfasst er zahlreiche Artikel und Essais über das zeitgenössische Theater, Lyrik und Philosophie, 458 ab 1986 tritt er zunehmend mit fiktionalen Texten in Erscheinung: Eugène Durif ist nicht nur der Autor von rund 70 Dramen, die ihn vor allem bekannt gemacht haben, sondern hat auch zwei Romane, Novellen und Erzählungen sowie zahlreiche Gedichte geschrieben. 459 Darüber hinaus inszeniert er als Regisseur im Rahmen der 1991 zusammen mit Catherine Beau gegründeten Compagnie L’Envers du décor zeitgenössisches Theater, übernimmt gelegentlich Rollen als Schauspieler und engagiert sich in der Theaterausbildung. Durifs Theatertexte sind vor allem von Formexperimenten geprägt. 460 So wählt er entweder randständige und häufig karnevaleske Formen wie die Sottie und die Burleske 461 oder lässt mittels Synkretismus hybride Gen- 455 Vgl. zur gleichrangigen Behandlung der jeweils vermittelt angeeigneten Elemente als heterogene „collisions d’images“ und „morceaux d’enfance d’exilée“ (Klappentext) auch: „Passionné par la relation dynamique entre destins singuliers et mouvements de l’histoire, il a fait converger les axes individuel et collectif et sa quête dans Vater Land (1983).“ Bost: Jean-Paul Wenzel, S. 879. 456 Brief, S. 353. 457 Vgl. zur Vita und zum Werk Eugène Durifs v.a. die Einträge auf folgenden Homepages: www.aneth.net, www.chartreuse.org und www.théâtre-contemporain.net. 458 Einige Jahre leitet Durif auch die 1986 von ihm in der Éditions Comp’Act gegründete Reihe L’Acte Même und ist, wie u.a. auch Roland Fichet, Redaktionsmitglied der vom Centre national des écritures du spectacle herausgegebenen Zeitschrift Les Cahiers de Prospéro. 459 Zu den vom Autor selbst verfassten Stücken - wozu auch vier Kindertheaterstücke, zwei Radiodramen und zwei Libretti zählen - kommen noch knapp zehn Theateradaptationen hinzu. 460 Vgl. insgesamt Lynda Burgoyne: Eugène Durif: poète dramatique. In: Jeu, 1992, Band 65, Heft 4, S. 101-103 und Azama: De Godot à Zucco. Bd. 3: Le bruit du monde, S. 244-247. 461 Vgl. etwa seine satirische Trilogie, die aus der Komödie Via négativa, der Sottie Nefs et Naufrages und der Farce Les Tigres en papier besteht. Darüber hinaus finden sich Formspiele zwischen Farce, Burleske und Clownsspielen in Il faut que l’une ait raison 2.2.3 Eugène Durif: L’Arbre de Jonas 157 res entstehen. 462 Aber nicht nur in Bezug auf die Überschreitung von Gattungsgrenzen und -konventionen lässt sich seine Dramatik als ein „théâtre transgressif” 463 fassen: Die Formexperimente auf Gattungsebene finden sich auch in der Gestaltung der dramatischen Sprache wieder. 464 Dies wird - neben einer oftmals auch inhaltlichen Problematisierung der Sprache 465 - vor allem in Durifs spezifischer Konzeption des dramatischen Monologes relevant: Zum einen resultieren aus dessen Länge und Prädominanz Formen eines „théâtre-récit“, 466 zum anderen wird der Monolog zugleich auch durch diverse, ihn durchkreuzende Stimmen aufgeweicht. 467 Mit diesen pour que l’autre ait tort (Éloge de la gélodacrye) bzw. dessen neuer Version Ni une, ni deux; Malgré toi, malgré tout; Les irruptés du réel; De nuit, alors il n’y en aura plus (fatrasies); Parades éphémères; Un impromptu de plus ou de moins; Le hasard, vous y croyez? (farce éphémère, légèrement mortifère et néanmoins musicale; Têtes farçues und in Le coup de pied de l’ange. Vgl. dazu auch „on retrouve chez lui [Durif] des formes de théâtre très différentes allant du vaudeville au lyrisme en passant par des modèles archaïques, mais aussi farcesques”. Duquenet-Krämer: Le théâtre contemporain en France, S. 80. Speziell zu Via négativa vgl. Bernadette Bost: Listes et inventaires dans les textes dramatiques contemporains. Faillite ou relance de la théâtralité. In: Danan und Ryngaert (Hrsg.): Écritures dramatiques contemporaines (1980-2000), S. 18-27, hier S. 23 und S. 25f. 462 In diesem Sinne stellt Meutre hors le champ mit intertextuellen Bezügen zu Senecas Elektra eine Gattungsmischung zwischen Tragödie, road movie und Bouffonnerie dar und Pochade millénariste eine Verbindung von klassischer Tragödie und Operette im Stil von Alfred Jarry. Vgl. dazu auch Eugène Durif: Comment j’ai commencé à écrire pour le théâtre. In: Danan und Ryngaert (Hrsg.): Écritures dramatiques contemporaines (1980-2000), S. 171-185, hier S. 171. 463 Duquenet-Krämer: Le théâtre contemporain en France, S. 78. Vgl. dazu auch: „L’exemple de Durif, pour qui le théâtre se doit d’être ‘transgressif’, ne pouvant être ‘actuel’ que s’il est ‘anachronique’, montre à quel point il est difficile, voir impossible ‘d’asseoir’ tel ou tel auteur dans une catégorie, un genre particulier. L’éclatement total des genres constaté dans le paysage théâtral français d’aujourd’hui se retrouve parfois même au sein de l’œuvre d’un seul et même auteur! “ Ebd., S. 80. 464 Der Experimentcharakter zeigt sich darüber hinaus an verschiedenen Stellen auch im Umgang mit dem Stoff: So stellen etwa die Dramen La déploration und Croisement, divagations eine Variation des Mythos von Orpheus, Divertissement bourgeois eine Reaktualisierung von Molières Bourgeois gentilhomme, Autour de l’Electre de Sophocle und Pauvre folle Phèdre die Reprisen und Fortführungen der jeweils im Titel benannten Dramenstoffe sowie La petite histoire einen Rückblick auf Shakespeares Romeo und Julia mit den Mitteln des Theaters im Theater dar. 465 Vgl. dazu etwa die Dramen Les petites heures, Les Soliloquants, Paroles échappées du chœur und Eaux dormantes. 466 Bernadette Bost: Eugène Durif. In: Corvin (Hrsg.): Dictionnaire encyclopédique du théâtre, 1998. 467 Vgl. dazu - häufig in Verbindung mit dem Thema der Kindheitserinnerungen - u.a. die Dramen Le petit bois; Maison du peuple; Comme un qui parle tout seul; Cette fois, sans moi und v.a. die vom Faust-Stoff inspirierte Conversation sur la montagne. An dieser Monologtechnik machen Bradby und Sparks in erster Linie den „essentially poetic tone” von Durifs Werken fest. Bradby und Sparks: Mise en scène. French Theatre now, S. 112. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 158 formalen Strategien als Zugangs- und Transgressionsmöglichkeit verbindet Durif, to reveal a deeper reality: a world in which the unconscious takes on a strange vitality of its own. […] He seeks [...] to discover what lurks within the personal and collective memory of the individual or group and what lies buried in the inarticulated. His monologues, interspersed with seemingly banal conversions, give the impression of accessing everyday reality. Embedded within his imagistic phonemes is a fantasy domain in which a new gestural/ visual and word/ icon language activates perspectives, stirs elusive shadows cohabiting multivalent, conflicting worlds. 468 Während die Dramen B.M.C. und Tonkin-Alger 469 in dieser Monologtechnik den Einfluss politischer Ereignisse auf das Privatleben mit Blick auf den Algerienkrieg fokussieren, 470 stellt sich in L’Arbre de Jonas 471 der Zweite Weltkrieg als zentraler Bezugspunkt dar. Diesen manifestiert Eugène Durif bereits dem Drama vorgeschaltet im Rahmen des Figurenverzeichnisses, indem er zwar das Bedürfnis nach einer präzisen zeitlichen Situierung ironisiert, dann aber doch ein Zeitfenster aufmacht und das Geschehen als eines nach der Katastrophe charakterisiert: Si on voulait absolument préciser la date à laquelle se déroule cette pièce, on pourrait dire que tout ceci se passe une dizaine d’années après la seconde guerre mondiale dans un petit village français, en hiver. (8) In 17 Szenen, deren Betitelungen jeweils die Figurenkonstellation oder eine kurze Situationsbeschreibung liefern, dramatisiert Durif die Konfrontation der Dorfbewohner mit der Erinnerung an die Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Die Auseinandersetzung zehn Jahre nach Kriegsende 472 wird ausgelöst durch die Rückkehr des nur knapp der Deportation entkommenen Jonas. Dabei läuft die Konstruktion des Theatertextes im Wesentlichen 468 Knapp: French Theatre since 1968, S. 52. Vgl. in diesem Sinne auch Burgoyne: Eugène Durif: poète dramatique, S. 102. 469 Vgl. zu diesem Drama die Präsentation in Confortès: Répertoire du théâtre contemporain de langue française, S. 139. 470 „Through these monologues, Durif gives a voice to individuals who suffer the consequences of war but are seldom asked their opinion about it.” Bradby und Sparks: Mise en scène. French Theatre now, S. 113. 471 Das Stück, das im November 1990 vom Théâtre de la Chrysalide in Bourg-en-Bresse unter der Regie von Françoise Coupat uraufgeführt und 1993 von der Convention Européenne du Théâtre prämiert wird, ist in der bilingualen Reihe der Bühnenmanuskripte Tapuscrit erschienen: Eugène Durif: L’Arbre de Jonas - Jonas unter dem Baum. Paris (Tapuscrit - Théâtre Ouvert, no. 66) 1991. 472 Damit ist die inszenierte Zeit - wie etwa auch in Grumbergs L’Atelier und Simons Adieu Marion - noch relativ nah an dem Erinnerungszeitraum des Zweiten Weltkrieges, während in Dramen wie etwa in Cormanns Toujours l’orage oder in Auberts Le voyage die Rahmenhandlung auf das Ende des 20. Jahrhunderts verlagert wird. 2.2.3 Eugène Durif: L’Arbre de Jonas 159 über eine binäre Struktur von Erinnerung und Vergessen. Während auf der Figurenebene für letzteres - wie noch zu zeigen sein wird - die Dorfbewohner stehen, repräsentiert der Heimkehrer Jonas die Erinnerung. Der junge Mann ist nach zehn Jahren nicht nur an den ihm fremd gewordenen Ort zurückgekommen, um sich der Erinnerung zu stellen, sondern auch, um bei den Dorfbewohnern eine Konfrontation mit der Vergangenheit zu provozieren (22). Damit fordert er Erinnerung für sich und andere ein, verkörpert diese aber zugleich in den Augen der Bevölkerung selbst. Allein seine physische Präsenz bedeutet für die Dorfbewohner eine Bedrohung, weil sie verdrängte Erinnerungen hervorruft: „Quelle peur dans leurs yeux… Je leur fais penser à je ne sais quel revenant…“ (13). 473 Jonas sucht die Evozierung der Vergangenheit und die daraus resultierende Angst- und Bedrohungssituation für die Dorfbewohner zudem auch als bewusste Analogie zum damaligen Geschehen, das die Schnittstelle von Erinnern und Vergessen darstellt: Während des Zweiten Weltkrieges werden Jonas und andere aus der Mitte der Bevölkerung heraus deportiert, die sich durch ihr Wegsehen mitschuldig macht. Alors, ils ne me voyaient plus, ils ne nous voyaient plus, nos compagnons de jeux devinrent des étrangers, pas des ennemis, des étrangers, nous n’existions plus, nous étions transparents, et lorsqu’on nous emmène, ils baissent la tête ou la tournent, détournent le regard, ils ne ferment pas les yeux, simplement détournent le regard, et c’est leurs chiens qu’ils lâchent sur nous qui n’existons pas, leurs chiens sur des ombres, à la recherche de ces ombres, des noms au neutre singulier, ceux qu’ils ne connaissent plus comme hommes et qu’ils rassemblent dans une école et accompagnent sans les regarder, sans oser les regarder vers des trains dont ils ne veulent pas connaître la destination. Certaines ombres ont la peau dure […]. Qu’ils tremblent et connaissent un peu de cette crainte. Ils n’auront jamais le pressentiment de ce qu’elle fut. (22) Jonas ist durch das Verhalten der Dorfbewohner sukzessive vom Mitglied der Gemeinschaft zum fremden Anderen, zum Nichtexistenten, zum Schatten und schließlich zum Vergessenen beziehungsweise Verdrängten geworden. 474 Aufgrund dieser Statusänderung respektive -auflösung wird die Rückkehr für ihn notwendig: Durch die Konfrontation mit den Bewohnern, die sich zwangsläufig an ihn und das Geschehen erinnern müssen, will Jonas aus seinem Schattendasein 475 heraustreten, sich wieder lebendig füh- 473 Vgl. dazu auch die Beschreibung auf dem Klappentext: „Sa présence réveille la mémoire de ce qui est tu, a été soigneusement oublié.“ 474 Vgl. hinsichtlich der Statusänderung des Protagonisten auch gewisse Parallelen zur Plotstruktur von Max Frischs Andorra. 475 Das Motiv des Schattens findet sich im Stück aber nicht nur auf die Figur des Jonas bezogen, der nur noch ein Schatten seiner selbst ist bzw. für die Dorfbewohner den Schatten der Geschichte verkörpert. Denn letzterer habe sich längst von der Figur abgelöst: „L’ombre, elle se promenait toute seule, privé du corps qui, d’ordinaire, la précède. Ils avaient fait disparaître le corps, ils l’avaient enterré, ils l’avaient recou- II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 160 len und der Erinnerung zu ihrem Stellenwert verhelfen (26). Der Binarität von Erinnern und Vergessen wird dabei die des Lebendigen und Toten 476 - wenn auch in flottierender Zuschreibung - zur Seite gestellt. So ist Jonas einerseits durch das Vergessen und Verdrängen der Bevölkerung quasi zum Toten geworden, „prenant l’apparence hâve des morts“ (17). Andererseits droht er an seinen Erinnerungen zu ersticken, die bisher ausschließlich in seinem Inneren Raum fanden und nicht nach außen drangen (26). Auf einer weiteren Ebene wird seine Fokussierung auf die Erinnerung und seine vergangenheitsbezogene Unversöhnlichkeit 477 als Verharren im Reich der lebendigen Toten (39f.) bewertet, immer in der Gefahr „à […] devenir ton propre tombeau“ (28). Jonas als der Figur der Erinnerung wird Paul, der „représentant du village“ (8) und damit des Vergessens, gegenübergestellt: „Non, Jonas, tu peux le garder ton paquetage, nous n’en avons que faire.“ (27). Zwar werden in der Stadt die offiziellen, nationalen Gedenkfeiern abgehalten und Erinnerungsmonumente errichtet (27), so dass „Ils ont la conscience pour eux.“ (28), darüber hinaus wird aber das Vergessen gelebt. 478 Teil der auf das Vergessen ausgerichteten Bevölkerung sind auch die Figuren Marthe, Mona und Étienne, die nicht nur als frühere Freundin beziehungsweise als Angehörige von Jonas einen gewissen Sonderstatus einnehmen, sondern vor allem weil sie als ehemalige Opfer für das Vergessen eintreten. 479 Im Unterschied zu Jonas glauben sie, dass ein Weiterleben nur so möglich sei und verleihen damit dem Vergessen einen anderen Stellenwert. Die strukturbildende Binarität von Erinnern und Vergessen baut Durif dabei dominant topographisch auf: Denn der die Erinnerung repräsentierende Jonas geht nicht etwa in das für das Vergessen stehende Dorf hinein, vert de chaux vive, ils avaient répandu sur lui de l’essence pour qu’il brûle plus vite, mais cette ombre continuait à rôder et leur rappelait qu’un jour il y avait eu un corps semblable aux leurs. Mais est-ce qu’on peut sérieusement, sans rire, faire une battue pour chasser une ombre et l’enfouir dans la terre? “ (30). 476 Figurenkonzeptionen zwischen Lebenden und Toten, deren jeweilige Statuszuschreibung jedoch nicht eindeutig geklärt ist, sind darüber hinaus das grundlegende Strukturmerkmal von Durifs Drama Pas loin d’une éternité. 477 Die Unversöhnlichkeit Jonas’ wird so auch als Verrennen in Selbstgerechtigkeit und Racheplänen dargestellt (26, 29). Vgl. dazu Marthes Lied über den kleinen Jungen, der „se prenait pour un juste, / un juste, un justicier.“ (17). 478 „Ils ne veulent rien savoir, leur vie continue, s’écoule, et puis ce n’est plus que du passé, un mauvais souvenir, […] plus personne ne parlera jamais de tout cela, ou alors c’est devenu de l’histoire. C’est autre chose“ (25). Das Vergessen zeigt sich also im individuellen Verdrängen und Schweigen über die Ereignisse, aber auch offiziell darin, dass die Gendarme als ehemalige Täter ihren Beruf weiterhin ausüben dürfen (27). Vor diesem Hintergrund fordert Jonas auch aus Angst vor Kontinuität und Wiederholung die Erinnerung ein (25). 479 Vgl. etwa die Darstellung der vergewaltigten und deportierten Marthe (24) sowie die Erzählungen Étiennes aus dem Konzentrationslager (40f.). 2.2.3 Eugène Durif: L’Arbre de Jonas 161 sondern verbleibt - im Wald versteckt - am Ortsrand. Zwar will er die Erinnerung zurückbringen, kann aber die trügerische Heimeligkeit dort nicht ertragen und bleibt deshalb außen vor (21). Die Randsituation, die topographisch den Ausschluss der Erinnerung aus dem Dorf manifestiert, stellt sich für die Einwohner aber als problematisch dar: Jonas wirkt gewissermaßen als omnipräsenter Störfaktor, der weder verschwinden will (26, 30), noch sich nahtlos ins Dorfzentrum (des Vergessens) integrieren lässt. Das Drama besteht deshalb im kontinuierlichen Versuch seiner Angehörigen und früheren Freunde, diese Marginalsituation und damit die antagonistischen Strukturen von Innen und Außen/ Erinnern und Vergessen aufzulösen. Zu diesem Zweck spüren sie ihn einer nach dem anderen in seinem Versteck auf und versuchen, ihn auf unterschiedliche Weise zur Rückkehr ins Dorf zu bewegen: Während Mona dafür ihre Fürsorglichkeit (19) und Étienne seine Parallelerlebnisse als Überlebender von Deportation und Konzentrationslager (40f., 51) ohne Erfolg einsetzen, gelingt es erst der Jugendliebe Marthe mit ihrer Zuneigung, Jonas nach wiederholten Anläufen zum Einlenken zu bewegen (57-61). Doch nicht nur der Protagonist gibt seine ursprüngliche Position im Rahmen dieses Annäherungsprozesses auf. Denn bereits auf dem Weg zu ihm lassen auch die anderen Figuren, wie hier Étienne, von ihren Prinzipien ab und ihre Erinnerungen zu: J’avais oublié. Je marche. Et je me vois marcher pour la première fois dans un champ qui n’a pas de limites, pas de clôtures. Je me sens porter le poids de cette carcasse vers un autre lieu que je ne connais pas encore, le bout de ce champ. Je ne vois pas. […] Je ne tomberai pas. Je continuerai à marcher, même si mes jambes ne me portent plus. (46) Eine entscheidende Rolle in diesem Prozess spielt auch Jonas’ jüngerer autistischer Bruder Daniel, der als Schwellen- und Mittlerfigur konzipiert ist. So wird er zu Dramenbeginn bereits als derjenige dargestellt, der seit Tagen am Fenster steht und ungeduldig nach Jonas Ausschau hält (9f.). In dieser Schwellensituation zwischen drinnen und draußen gelingt es Daniel „comme un chat“ (10), die Fährte von Jonas aufzunehmen, der zunächst nur wie ein Tier (20) über Spuren präsent ist, die er am Dorfrand hinterlässt. 480 Diese Fähigkeit, die Zeichen der Gegenwart von Jonas in der Natur zu lesen, deutet bereits darauf hin, dass auch das Verständnis und die Kommunikation beider auf einer anderen als der sprachlichen Zeichenebene angesiedelt ist: Während „Les lèvres de Daniel bougent à blanc et son souffle dessine des mots sur la vitre, dessine des lettres avec ses doigts, elles ne sont pas celles de l’alphabet“, stellt Mona bezüglich Daniel aber zugleich heraus „Tu pourrais lui [Jonas] dire tellement de choses, toi, qui n’as pas de mots“ (11f.). 480 Hierin zeigt sich zudem, dass die Opposition zwischen Innen und Außen auch mit den Konnotationen Zivilisation vs. Wald/ Wildnis aufgeladen ist. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 162 Anhand der Schwellenfigur Daniel wird damit eine eng an die Binarität von Erinnern und Vergessen geknüpfte Opposition von „parole“ und „mutité“ illustriert. Auf diese Weise wird Daniel im Inneren des Dorfes, respektive des Hauses als Figur präsentiert, bei der das dominante Vergessen metaphorisch als auferlegtes Verstummen umgesetzt wird, so dass ein Reden nur noch innerlich möglich ist: „Sa bouche fermée, un autre lui a close [sic] et lui a imposé le silence, pour mieux parler au-dedans, d’une voix que nous n’entendons pas, murmure, et parfois du plus profond cela vient par éclats, ô cris du muet et chantonnements pour rien.“ (10). Zugleich verweisen das Verstummen und die äußerlich nur noch als Überreste vorhandene Sprache - eine Schwundstufe in Form ausgestoßener Fragmente und absurder Sprachfetzen - als sichtbares Zeichen bei Daniel aber immer auf die Ereignisse selbst zurück. Obwohl er das allseits Verdrängte selbst nicht miterlebt hat, wird er im pränatalen Stadium nachhaltig davon gezeichnet: Ce que nous avons su au sortir de ventre, jeté dans le jour, et avons perdu aussitôt ouvert les yeux à ce jour, toi tu l’as gardé avec tous les autres secrets. Et un est venu, il a fait ce signe du doigt posé sur la bouche et tu as obéi à cette injonction. Mais un autre revient aujourd’hui… (12) Mit der Ankunft des die Erinnerung verkörpernden Jonas verdeutlicht sich anhand der Schwellen- und Mittlerfigur Daniel die Korrelation von Innen/ Vergessen/ Schweigen und von Außen/ Erinnern/ Reden. Genauso wie Daniel zunächst Projektionsfläche für erstere Trias war, wird er nun zu jener der zweiten: Denn auf der Suche nach Jonas entflieht er der Innenwelt des Dorfes und, so die Überschrift für seinen nun plötzlich langen, sprachlich intakten Erinnerungsmonolog, „Daniel, dans sa marche, il parle“ (35). 481 Auf diese Weise zeigt sich, wie Daniel zu einer Figur zwischen den Gegenwelten wird, der beide Seiten der grundlegenden Fragestellung in Personalunion abbildet: „Comment évoquer la catastrophe de l’Histoire et celle de l’intime? Peut-être par l’affolement de la parole. Ou la mutité.“ 482 Verbinden sich auf diese Weise in der Figur des jüngeren autistischen Bruders Daniel Erinnerung und Vergessen, werden beide Haltungen auch über die markierte, intertextuelle Referenz auf Paul Celan 483 in der dramen- 481 In diesem Monolog Daniels, der auch ein Anreden gegen die ihn umgebende, erschreckende Stille ist, trifft zu, was Schlocker als „esthétique du flot verbal“ beschreibt. In Bezug auf die Figurenkonzeption Durifs stellt er darüber hinaus heraus, dass es sich häufig - wie hier auch für Daniel gültig - um „des marginaux déshabitués de la parole“ handele, „mais en qui elle entre par effraction.“ Georges Schlocker: La parole affolée - La propension au monologue du théâtre français contemporain. In: Cahiers du théâtre Jeu, no. 72, septembre 1994, S. 104-108. 482 Vgl. dazu die Darstellung des Dramas auf dem Klappentext der zweisprachigen Ausgabe. 483 Den Einfluss u.a. der Lektüre Paul Celans auf sein Drama stellt Eugène Durif einleitend expressis verbis heraus (7). Hinsichtlich der Schneemetaphorik scheint in erster 2.2.3 Eugène Durif: L’Arbre de Jonas 163 konstituierenden Naturmetaphorik einer Schneelandschaft miteinander kombiniert. Dabei wird diese einerseits als Ausdruck des Vergessens präsentiert. Der Schnee steht nicht nur für Stille und Schweigen, da er alle Stimmen verschluckt (53), sondern bringt Natur und Menschen auch zum Erstarren und Erfrieren (51) und ist somit zudem als Ort des Todes und der Nicht-Existenz kodiert (48f.). Andererseits wird die Schneedecke für Jonas und Daniel in ihrem Versteck als paradoxe Form der Geborgenheit und des Schutzes inszeniert, denn „cette couverture nous tiendra chaud.“ (43). Nur an diesem Ort außerhalb, inmitten der schneebedeckten Wälder, hat die Erinnerung ihren Platz. Damit inszeniert Durif in L’Arbre de Jonas im Zeichen der Schneelandschaft schließlich eine Kombinatorik von Erinnern und Vergessen, 484 für die resümierend geltend gemacht werden kann, was Franziska Schößler in ihrer Untersuchung zu Elfriede Jelineks Totenauberg ausführt: Diese „Einfachheit der tiefverschneiten Flächen“ lässt Jelinek als tabula rasa erscheinen; der Schnee steht in ihrem Text für ein Vergessen im Zeichen der regenerativen Natur, für ein Vergessen, das zugleich als Todestrieb, als Wunsch nach der eigenen Auslöschung kenntlich wird. In Celans Dichtung markiert der Schnee ganz analog den Ort des Todes, den nicht repräsentierbaren Ort der Katastrophe, der Schoah. Jedoch ist bei Celan in einer paradoxalen ‚(Atem-)Wende’ allein an diesem Nicht-Ort das Zeugnis, das Erinnern möglich. [...] Die Schneemetaphorik verweist bei Celan auf die paradoxe Grundkonstellation, am Ort des Todes, der Nicht-Existenz, auch sichtbar als Leerzeile, zu erinnern und des nicht repräsentierbaren Grauens eingedenk zu sein. Dieser Bedeutung des Schneemotivs setzt Jelinek den Schnee als Medium des Vergessens entgegen, sie zieht antagonistische Konnotierungen zusammen, ruft beide Haltungen, Erinnern und Vergessen auf und lagert sie ineinander ein, Ausdruck ihrer ‚Gleichgültigkeit’ in Linie Celans zentral poetologisches Gedicht Weggebeizt aus dem Zyklus Atemwende relevant zu sein, dessen letzte beiden Strophen lauten: „Aus- / gewirbelt, / frei / der Weg durch den menschen- / gestaltigen Schnee, / den Büßerschnee, zu / den gastlichen / Gletscherstuben und -tischen. / / Tief / in der Zeitenschrunde, / beim / Wabeneis / wartet, ein Atemkristall, / dein unumstößliches / Zeugnis.“ Paul Celan: Weggebeizt. In: Ders.: Die Gedichte. Hrsgg. und kommentiert von Barbara Wiedemann. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 2005 (suhrkamp taschenbuch 3665), S. 180f. sowie den Kommentar S. 725-727. 484 Vgl. zu diesem Spannungsfeld auch „La parole se glace ou se déploie et les corps se pétrifient avec le paysage gelé, minéralisé.“ Klappentext sowie darüber hinaus: „The white-toned, glacial images implanted everywhere in Durif’s text not only lend the work a deeply poetic element but also serve to mask Jonas’s physical whereabouts as well as his inner inextinguishable incandescence. Deftly placed allusions and subtly interspersed sensations yield fragments of an ever-deepening mystery, as Durif invites spectators to glimpse a secret world of memories - a domain they will never be able to understand.” Knapp: French Theatre since 1968, S. 53. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 164 einer geschichtslosen Zeit, deren (antagonistische) Stimmen archiviert werden. 485 Mit L’Arbre de Jonas verfasst Eugène Durifs einen Theatertext, der die für die Vermittlung von Vergangenheit zentralen Kategorien von Erinnern und Vergessen handlungskonstituierend in Szene setzt. Während ihr Antagonismus zunächst für die Struktur und Konzeption der Figuren, der Räume und der Sprache grundlegend ist, 486 wird letztlich ihre Verknüpfungsmöglichkeit zu einer binären Einheit in der Schwellen- und Mittlerfigur Daniel sowie in der omnipräsenten Schneemetaphorik ausgestellt. In diesem Sinne beantwortet Durifs Drama die Vermittlungsfrage - „Comment évoquer la catastrophe de l’Histoire et celle de l’intime? ” - mit Verfahren einer Spannung erzeugenden Kombination heterogener Elemente. 2.2.4 Gilles Boulan: Kinderzimmer Der 1950 in Deauville geborene und eng seiner normannischen Heimat verbundene Gilles Boulan lebt und arbeitet in Caen. Dort kommt er schon in den Jahren 1967/ 68 durch die innovative Theaterpolitik der Maison de la Culture mit einem großen Spektrum zeitgenössischer Theaterstücke von Antoine Vitez über die Europatourneen des Living Theatre und des Piccolo Teatro di Milano bis hin zu Dario Fo in Berührung. 487 Zugleich fasziniert von den Naturwissenschaften beginnt Boulan ein Studium der Geologie und Paläontologie in Paris, das er mit dem Doktor der Paléontologie des vertébrés abschließt. Die Theaterwelt verliert er aber auch während dieser Zeit nicht aus den Augen: Neben Besuchen zahlreicher Pariser Inszenierungen und Erfahrungen in der wissenschaftlichen Theaterforschung beginnt er, selbst Stücke zu schreiben. Mittlerweile ist Gilles Boulan Autor und Bearbeiter von über 40 Theaterstücken, von denen die meisten auf der Bühne und viele als Hörspielversion auf France-Culture im Rahmen des Nouveau répertoire dramatique von Lucien Attoun inszeniert wurden. 488 Seit 485 Franziska Schößler: Augen-Blicke. Erinnerung, Zeit und Geschichte in Dramen der neunziger Jahre. Tübingen (Narr) 2004 (Forum Modernes Theater, Bd. 33), S. 44. 486 Vgl. dazu auch den Interpretationsansatz von Knapp: „The tension in many of Durif’s plays emerges not only from his tremulous and sensation-laden style but also from his very real fear/ need to become involved with words. The dichotomy between the said and the unsaid, soundings and silences, the recalled and the forgotten or repressed, is part of a buried continent of gnawing shame that adults seek to annihilate via speech.” Knapp: French Theatre since 1968, S. 53. 487 Vgl. auch im Folgenden zur Biographie den Brief Gilles Boulans an die Verfasserin vom 16.09.2004 (Anhang, S. 314-322). 488 Gilles Boulan: biographie. In: http: / / famille.magnifique.free.fr/ gilles_boulan_bio.htm [Stand: 28.02.2006]. Auf France-Culture liefen bspw. die Dramen Pretium doloris, Ceux du silence, La cité sans mémoire, Terre d’adoption. 2.2.4 Gilles Boulan: Kinderzimmer 165 Sommer 1995 widmet er sich darüber hinaus zusammen mit dem Regisseur René Paréja und der Compagnie Nord-Ouest dem fahrenden Jahrmarkttheaterprojekt „La Famille Magnifique“ 489 . Für dieses verfasst Gilles Boulan in den letzten zehn Jahren rund 30 Kurzdramen. 490 Im Gesamtkontext seines thematisch sehr breiten Œuvres 491 lassen sich neben gattungsspezifischen Ausprägungen, die zum Beispiel in Märchenneufassungen für ein Théâtre jeune public ihren Niederschlag finden, 492 vor allem die beiden Themenkonstanten Krieg und Gedächtnis beziehungsweise Erinnerung - zumeist in monologischer Form - herausarbeiten: 493 Während Stücke wie Mémoires saturées und Le chemin des grues 494 mehr Fragestellungen in Bezug auf das Gedächtnis fokussieren und Dramen wie Des chantiers et des ruines und La lassitude des clowns stärker solche in Bezug auf den Krieg, kombiniert Boulan die beiden Themen auch miteinander. Vor diesem Hintergrund beleuchtet Le silence des familles die Dichotomie von Verdrängen, Vergessen und Erinnern an den Algerienkrieg; 495 Les moulins de Castille Erinnerungen an den spanischen Bürgerkrieg und La cité sans mémoire den Zusammenhang von Bürgerkrieg und Auslöschen des Gedächtnisses einer Zivilisation. Hinzu kommen Dramen, die den Nexus zwischen Memoria und Zweitem Weltkrieg herausbilden: Ceux du silence behandelt auf diese Weise den normannischen Strandabschnitt, der als Gedächtnisort an die Landung der Alliierten einen besonderen Stellenwert 489 Zur Anlage, Konzeption, Durchführung und Selbstverständnis vgl. die Ausführungen in seinem Brief sowie unter http: / / www.lafriche.org/ manifeste/ 2000/ contributions/ magnifiques.html [Stand: 28.02.2006]. 490 Zu diesen brèves théâtrales von selten mehr als 20 Minuten Spielzeit gehören u.a. die vier Stücke der Contes de l’errance, die neun Dramen der Odyssée magnifique, die sechs Stücke der Songes de Shakespeare, Panne d’ascenseur, La vieille aux chats, Le poids du mot und die Queneau-Hommage Déroutantes pérégrinations d’un chapeau de paille dans un autobus. 491 Zu Stücken, Themen, Inszenierungen etc. vgl. die Homepage der Organisation Écrivains Associés du Théâtre, deren Mitglied Boulan ist. http: / / www.eatheatre.com/ fiche_adherents.php? y=fr&z=6&id=38 [Stand: 28.02.2006]. 492 Darunter fallen z.B. die Contes de l’errance, Le boiteux und Le loup dans le bois. Im Rahmen eines solchen revisité-Konzeptes nähert er sich auch der Mythologie, z.B. in La séparation und in L’Odyssée magnifique, Shakespeare-Stücken in Songes de Shakespeare sowie der Robinsonade in Dernière plage avant l’océan an. 493 Boulan selbst verweist zudem auf Zyklen mit zentralen Themen wie „les douleurs de l’exil, le renoncement, le rapport nature-culture, l’absurdité bureaucratique... Ce n’est pas réellement une stratégie de polyptyques mais plutôt une sorte de fidélité à des thèmes, comme des tentatives de variation et d’épuisement de la question.“ Brief, S. 317. 494 Das hier zentrale Thema der Ermittlung des kollektiven Gedächtnisses in einem Stadtrandbezirk findet sich auch in den als Chroniken ausgewiesenen Racines perdues. 495 Vgl. auch Boulans Aussage über „des événements historiques qui ont indiscutablement influencé le cours de mes engagements. Je citerai tout d’abord le conflit algérien dont j’ai vécu le silence et le malaise en banlieue parisienne, mai 68 bien sûr“. Brief, S. 314. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 166 hat; Oratorio des morts pour les vivants in struktureller Anlehnung an Peter Weiss’ Ermittlung die Welt der Lager damals und im amnestischen Heute sowie La revue Centurie, das den Erinnerungskult um den deportierten Großvater und die Auswirkungen auf die dritte Generation thematisiert. Konzipiert als dramatischer Monolog stellt das Stück damit auch die Frage, ob ein zumindest partielles Vergessen des Grauens für die Überlebenden und Nachgeborenen Bedingung eines möglichen Weiterlebens ist. 496 Während in La revue Centurie das Leben der Protagonistin durch das exzessive Zelebrieren von Erinnerung und ihrer Vermittlung an die nachfolgenden Generationen erschwert wird, kann die Protagonistin des Dramas Kinderzimmer in der Kontrastfolie dazu mit dem Schweigen und Verdrängen der Vergangenheit durch die Zeitzeugen nicht fertig werden. Gilles Boulan verfasst den Theatertext Kinderzimmer 497 1991 als Auftragsarbeit für das seit der Eröffnung des Mémorial de Caen jährlich stattfindende Festival „A Caen la paix“, in dessen Rahmen das Drama 1992 uraufgeführt wird. 498 In 22 Fetzenszenen eingeteilt, deren Betitelung zumeist der Verortung dient, ist das Monologstück als „jeu de piste“ konzipiert „dont chaque séquence est une étape ou comme une case d’un carré de fouilles.“ 499 Jede örtlich markierte Szene kann damit als Puzzleteil jeweils einer Zeitebene und einem Fabelstrang zugeordnet werden: Die am weitesten in die Vergangenheit zurückreichende Geschichte ist die Erzählung eines neunjährigen französischen Mädchens an einem Frühlingstag 1944 in Oradour-sur- Glane, bei der zweiten handelt es sich um die Kindheitserinnerungen eines wiederum neunjährigen deutschen Mädchens aus dem Harz und die dritte, gegenwärtige Zeitebene, beschreibt eine deutsche Journalistin in Oradoursur-Glane. Was auf den ersten Blick als drei separierte, wenn auch in sich wieder fragmentierte Geschichten von einer weiblichen Erzählfigur präsentiert ist, wird zugleich auch wieder zusammengeführt. Denn die drei Erzählungen kreuzen sich, dialogisieren miteinander, erklären sich untereinander und 496 Die durch die Erinnerung lebenden Toten, „les morts vivants“, suchen ein kleines Mädchen in den Albtraumnächten im monströsen Bett seiner Kindheit heim. Wie auch noch in Grumbergs Rêver peut-être (vgl. Kap. II 2.3.2) zu sehen, wird der Erinnerung aber das Vergessen gegenübergestellt: „Il faudrait oublier / Pour grandir et grossir / Et se laisser convaincre / Par les tentations de la vie“. (17f.). Darüber hinaus wird die Realitätsverformung durch die Erinnerung als „Les métamorphoses“ (10) gewertet, wenn der Großvater postum zum Helden der Résistance erklärt wird (11). Gilles Boulan: La Revue Centurie. Unveröffentlichtes Manuskript des Autors. 497 Gilles Boulan: Kinderzimmer. Carnières (Éditions Lansman) 1996 (Nocturnes Théâtre 11). 498 Zum Entstehungshintergrund des Stückes vgl. Boulans Ausführungen im Brief, S. 319. Noch bevor das Drama uraufgeführt wird, wird es im Mai 1992 in einer Hörspielversion von Jacques Taroni auf France-Culture ausgestrahlt. 499 Ebd., S. 321. 2.2.4 Gilles Boulan: Kinderzimmer 167 lösen sich am Ende partiell ineinander auf. Dabei bleibt die gegenwärtige Zeitebene dominant, auf der sich die Journalistin als Erzählfigur an ihre eigene Kindheit in Deutschland und deren Verlust erinnert. Auf diese Weise verschmelzen zwei der Geschichten über die Identität der deutschen Protagonistin miteinander. Darüber hinaus werden die Kindheitserinnerungen des deutschen Mädchens parallel gesetzt mit der dritten Geschichte über die Kindheit des gleichaltrigen französischen Mädchens, das das Massaker 1944 in Oradour-sur-Glane überlebte. Wenn die Erzählung vom französischen Mädchen als Teil der geschichtlichen Dokumentation inszeniert wird, der die Journalistin in Oradour begegnet, treffen individuelle und kollektive Erinnerungen aufeinander. Darüber hinaus verschmelzen sie auf einer weiteren Ebene miteinander, wenn die Journalistin in der Identifizierung mit dem französischen Mädchen die kollektive Geschichte zu ihrer individuellen macht und sie auf sich nimmt: „Celle qui vit aujourd’hui a des comptes à régler avec la mémoire de ses propres parents, elle va s’éloigner d’eux, oublier sa langue (presque son accent) pour écouter, au fond des cendres, une autre histoire et la faire sienne.“ 500 Der Grund dafür liegt im Schuldgefühl, das den in den Szenen 5 und 8 erzählten Erlebnissen in der Kindheit im Harz entspringt. Auf der Ebene der individuellen Erinnerungen wird mit dem Auffinden der väterlichen SS-Uniform während des kindlichen Verkleidungsspiels der Moment beschrieben, in dem die Protagonistin aus dem Paradies ihrer Kindheit vertrieben wird und kindliche Unschuld in Erbschuld umschlägt. 501 Denn die Uniform, die als Erinnerungsträger und Schandmal zugleich fungiert, verortet die vordergründige Geschichtsferne eines „Allemand prospère et sans histoire“ (15) plötzlich inmitten der Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Die meteorologisch verfinsterte Stimmung der Außenwelt im Harz, die spätestens mit der hinzutretenden nationalsozialistischen Komponente und der Verquickung mit deutschen Naturbildern par excellence an Michel Tourniers Le roi des Aulnes erinnert (13), 502 legt sich aus der Sicht der Tochter mit der Entdeckung der Uniform auch auf die Innenwelt im Haus. Die Beschreibung der Eltern funktioniert in gleicher Perspektive über die gesamte Palette stereotyper Beschreibungen des negativen Deutschen (17f.), da sie sich den Fragen der Tochter nicht stellen, sondern in eine „amnésie 500 A.a.O. 501 Von da an kann das Mädchen auch nicht mehr spielen, denn für die Tochter ist es - im Unterschied zu ihren Eltern - „Trop tard / Trop tard pour aller jouer / Dorloter les grosses poupées blondes / Trop tard pour l’innocence / Le temps des distractions futiles“ (18f.). 502 Vgl. auch Nies: Paysages mythiques, S. 55-67 sowie Boulans Ausführungen zum Deutschlandbild im Brief, S. 316f. und 321f. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 168 des crimes d’hier“ (18) verfallen. 503 Das Elternhaus wird zu einem Ort des Schweigens über die Vergangenheit, 504 an dem die Tochter zwar die „lâcheté“ des Vaters und die „vase instable de ses remords“ (19) entlarvt, die Schweigemauer aber nicht niederreißen kann. Für die Protagonistin wird die Auseinandersetzung mit den verdrängten Geschehnissen jedoch zwingend, da die kollektive Geschichte des Zweiten Weltkrieges mit dem Uniformfund zu einem Teil ihrer eigenen Familiengeschichte geworden ist, der sie sich stellen muss: Die abstrakte Geschichte eines „nulle part“ (23) ist damit in ihr Elternhaus eingedrungen und bildlich in dem „officier noir pendu dans leur armoire“ (23) zu fassen. 505 Da in diesem Haus der Geschichte aber mit Schweigen begegnet, kein Platz eingeräumt und kein Versuch gemacht wird, sie zu fassen, fühlt sich die Tochter zunächst in ihrer Familie nicht mehr zu Hause. Aus den unbeantworteten Fragen nach der Vergangenheit des Vaters resultiert für sie ein Identitätskonflikt, nicht mehr zu wissen, wer sie ist, noch woher sie kommt (24). Das familiäre Schweigen zur Geschichte zieht darüber hinaus in einer Steigerungsform auch eine Sprachproblematik mit sich: Wenn die Protagonistin die Sprache in ihrer Kindheit und Jugend zunächst nur durch den mangelnden Gebrauch im Elternhaus unwillkürlich immer mehr verlernt (23), fühlt sie sich während der Studienjahre in der deutschen Sprache so sehr nicht mehr zu Hause, dass sie sie explizit auszumerzen versucht. So wie sie mit der Eliminierung ihrer Muttersprache den deutschen Ursprung vergessen lassen will, versucht sie auch durch den Bruch mit dem Elternhaus alles zu tilgen, was an ihren familiären Ursprung erinnert (32). Indem die Protagonistin ihre sprachliche und genealogische Identität auslöscht, gibt sie ihren Status als Individuum auf. Aus der individuellen Schuld des Vaters wird durch Schweigen und Verdrängen dieser ersten Generation eine kollektive Erbschuld und eine Gedächtnisleerstelle der Nachfolgegeneration. Die neue Identität, die die Figur annimmt, ist eine 503 Die stereotypen, übertriebenen Beschreibungen der Eltern verdeutlichen dergestalt v.a. die Mechanismen des Blickes der Tochter, die bei ihren Eltern plötzlich das wahre Gesicht hinter der Fassade entdeckt. Auf diese Weise funktionieren auch die Deutschenbilder, wenn ein eigentlich positives Bild, wie das des deutschen Gretchens, negativ umfunktionalisiert wird (18). Boulan unterstreicht so „le débordement d’un personnage blessé, meurtri par le silence qui lui est opposé et dont les provocations expriment la colère, la frustration, le mal être. C’est un propos singulier, excessif, douloureux.“ Brief, S. 322. 504 Während hier das Haus des Schweigens belastend und erdrückend ist, hat das Haus der Erinnerung in La revue Centurie, das mit seinen Reliquien als Erinnerungsträgern einem Mausoleum ähnelt (18), die gleiche Wirkung auf die Nachfolgegeneration. Beide Stücke zusammengenommen zeigen, dass der adäquate Umgang mit der Vergangenheit weder im exzessiven Erinnern noch im Verdrängen und Vergessen liegt. 505 Der Soldat in der Garderobe, der zum einen für die Geschichte, zum anderen für das Schweigen über diese steht, verfolgt sie die gesamte Kindheit hindurch, lässt sie nicht mehr los und sucht sie auch in ihren Albträumen heim (29f.). 2.2.4 Gilles Boulan: Kinderzimmer 169 kollektive. In der Dramenkonstruktion Boulans hört deshalb mit der Szene 17 auch die Ebene der individuellen Erinnerung auf und mündet in der gegenwärtigen Situation, 506 die in der kollektiven Spurensuche als Journalistin in Oradour besteht. Außerdem wird die Protagonistin so sehr zur gewollten und angenommenen Projektionsfläche der kollektiven Geschichte, dass die Überlebensgeschichte des kleinen Mädchens in Oradour 1944 als gleichwertiges Parallelgedächtnis neben ihre eigene individuelle Erinnerung gestellt werden kann. Auf der Konstruktionsebene äußert sich genau dieser Übergang von der individuellen zur kollektiven Erinnerung darin, dass in beiden Handlungssträngen im Wesentlichen - wie im Folgenden zu zeigen sein wird - Elemente eines kollektiven Gedächtnisses zum Tragen kommen. Die Journalistin sucht für ihre Konfrontation mit der Geschichte des Zweiten Weltkrieges einen markanten Erinnerungsort auf: Oradour-sur- Glane steht im kollektiven Gedächtnis als Ort deutscher Schuld für die Brutalität und Grausamkeit der SS-Truppen in Frankreich. 507 Nachdem die Vermittlung der Ereignisse via Zeitzeugen individuell gescheitert ist, stellt sich die Protagonistin mit dem Aufenthalt an einem Ort deutscher Taten der Geschichte und der Erbschuld. 508 Weil sie die kollektive Geschichte fassen will, sucht sie nach Spuren, die diese bis hinein in die Gegenwart hinterlassen hat. Derlei Überreste zeigen sich auf verschiedenen Ebenen: So finden sich in Oradour zum einen mentale Spuren der Ereignisse von 1944 bei der Bevölkerung, die sich in Deutschenhass und -feindlichkeit äußern (12). Jedoch gilt dies bezeichnenderweise nicht für die Nachgeborenengeneration, für die der junge und offene Taxifahrer steht (22). Aufgrund der Form des dramatischen Monologes ist darüber hinaus auch nicht zu beurteilen, inwiefern zum anderen die im Geiste hinterlassenen Spuren der Vergangenheit bei der Protagonistin selbst viel ausgeprägter als bei den Einwohnern sind. In diesem Sinne könnte die reservierte Haltung gegenüber Deutschen genauso eine Form der Antizipation aufgrund ihres omnipräsenten Schuldgefühls und des daraus folgenden deutschen Selbsthasses sein. 509 Die mentale Wunde durch die Geschichte ist bei ihr selbst 506 Dabei handelt es sich von der 11. Szene über die 14. bis zur 17. um eine sukzessive Annäherung an die Gegenwart. 507 Weil es bei der Wahl des Ortes nur darum geht, dass an diesem deutsche Schuld kollektiv fassbar ist, spielt auch die individuelle Erinnerung, d.h. die Frage, ob der Vater Teil der SS-Soldaten war, die am 10.06.1944 Oradour zerstörten und nahezu die Gesamtheit der Bevölkerung töteten oder nicht, auf dieser Ebene keine Rolle. Vgl. zu den Ereignissen und Hintergründen von Oradour auch Henri Amouroux: La grande histoire des Français sous l’occupation. Tome 8: Joies et douleurs du peuple libéré. 6 juin - 1er septembre 1944. Paris (Laffont) 1988, S. 159-196. 508 Dieser Handlungsstrang wird auf die Szenen 2, 4, 7, 10, 13, 16 und 19 verteilt. 509 Anzeichen einer solchen Vorwegnahme stellt bspw. die Tatsache dar, dass sie sich wegen ihrer Nationalität Schwierigkeiten bei der Zimmerreservierung ausmalt, diese II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 170 derart tief und fest in das Gedächtnis eingebrannt, dass sie nur noch ein paradoxes Ansinnen kennt: „Faire disparaître enfin cette tache. La tache sanglante qui souille ma mémoire. Et qui ne s’effacera jamais.“ (17). 510 Neben der mentalen Einschreibung der Geschichte in das kollektive Gedächtnis der Figuren zeigen sich konkretere (ruinenhafte) Spuren topographischer Natur. Der im kollektiven Gedächtnis derart dominant gesetzte Gedächtnisort Oradour - der deshalb auch im gesamten Drama nicht namentlich gekennzeichnet, aber dennoch unzweifelhaft zu erkennen ist 511 - splittert sich in verschiedene Bestandteile auf. Dabei werden die Elemente graduell aufsteigend hinsichtlich ihres memorialen Stellenwertes eingeführt: Eine erste Annäherung an den Gedächtnisort erfolgt aus einer Entfernung von vier Kilometern über die dort neu errichtete Stadt, die per nomen et traditionem nur eine trost- und leblose Kopie sein kann, sprich selbst zu einem „long monument“ wird (9). Die Ausrichtung und der Verweis auf die alte Stadt ist der neuen Stadt damit trotz dichotomer Gegenüberstellung inhärent: „Trop peu [d’hôtels], d’allure médiocre et juste assez d’austérité pour convenir aux célébrations.“ (10). Bei der Fokussierung der Ursprungsstadt zeigt sich, dass nurmehr Ruinen und Steine als Spuren einer früheren Existenz übriggeblieben sind, die als stumme Zeugen fungieren: „Toutes les pierres sont les mêmes, vérolées de souvenirs et crevassées d’impacts.“ (31). Auch wenn noch Häuser etc. als Fassaden zu erkennen sind (31), lassen sich aus ihnen vor allem der Tod und das Nichts herauslesen. So führen die Wege nirgendwohin, gleichen die Steine Knochen und zeigt sich „la présence des morts à l’ombre de chaque maison“ (32). Der Leblosigkeit dieses nicht stark besuchten „non-lieu“ wird nur wenig Lebendiges entgegengesetzt, vor allem herumstreunende Katzen (27) und das Wachsen der Natur - was jedoch auch eher gespenstisch-morbide Züge trägt (31). Die alte Stadt wird auf diese Weise als nicht-institutionalisierter Gedächtnisort präsentiert, bei dem die Erinnerung keine ritualisierte Form einnimmt, sondern den Objekten als Zeitzeugen in Form einer écriture morte eingeschrieben ist. Im Gegensatz dazu wird in der letzten Szene dieses Handlungsstranges - „19. Le Monument“ - ein institutionalisierter Gedächtnisort relevant. Das Granitmonument mit der Bronzeplakette (34) stellt eine zum Symbol geronnene, staatlich verordnete Form der Erinnerung dar. Eigentlich als höchste Form der Verdichtung von Erinnerung anzusehen, wird sie hier tatsächlich aber unproblematisch verläuft (12). 510 Wenn sie danach trachtet, sich von der Schuld freizumachen, dann gehen in diesen Momenten individuelle wie kollektive Schuld eine untrennbare Verbindung ein (17). Das Reinwaschen nimmt dabei pathologische Zustände an, indem sie ihre Hände als Kadaver wahrnimmt (16). 511 „L’histoire d’Oradour est connue, la référence n’échappe à personne“. Brief, S. 321. 2.2.4 Gilles Boulan: Kinderzimmer 171 mit Datum, Kreuz, Namen, Alter und Gesamtopferzahl als schlichte, aber effiziente Schwundstufe derselben präsentiert (34). Ausgehend vom Monument wird die Verbindung zur Geschichte des neunjährigen Mädchens aus Oradour gezogen, das, wie der Taxifahrer präzisiert, als einziges überlebt hat. Sein Name erscheint damit als einziger der gesamten Bevölkerung von 1944 nicht auf der Plakette, die der Erinnerung an die 650 Opfer und nicht an die alleinige Überlebende dient. Ihre Geschichte aber ist Teil des individuellen Gedächtnisses der Bevölkerung, so dass der Taxifahrer der Journalistin zeigen kann, wo das Mädchen gewohnt hat. Mit dieser Spur wird zugleich quasi rückwirkend - da ja bereits verwoben mit den anderen parallel eingesetzt - der dritte Handlungsstrang eröffnet (34). 512 Während Gilles Boulan bei den Erinnerungsspuren im gegenwärtigen Oradour neben der Einschreibung ins Gedächtnis der Menschen vornehmlich auf Topographien als Symbole des Geschehens zurückgreift, konstruiert er die Ebene von Oradour 1944 ohne zusätzliche Detailrecherchen über die grundlegenden Bestandteile, die von dem geschichtlichen Ereignis im kollektiven Gedächtnis verhaftet sind. 513 Diese Elemente der Existenz des Massakers werden in bestimmter, noch zu veranschaulichender Weise in Boulans fiktionalisierte Überlebensgeschichte des Mädchens integriert und auf einer weiteren Ebene angereichert mit Bildern einer Reportage über Oradour-sur-Glane. 514 Der Amateurfilm über die Spuren, die das Geschehen bis in die Gegenwart hinterlässt, ist nach Meinung Boulans memorial wirkungsmächtiger als die brutalen Kampfszenen der Vergangenheit: „Toute cette pudeur, toute cette retenue en disaient tellement plus sur la nécessité de ne pas oublier.“ (5). In der Eingangsszene einer Naturidylle am Fluss, deren Bilder der Reportage entstammen, werden filmische Mittel auch für die Perspektivierung zunutze gemacht, indem das Geschehen wie mit einer Kamera zunehmend fokussiert wird (7-9). Jedoch arbeitet Boulan nicht nur mit einer 512 Der Handlungsstrang um die Geschichte des Mädchens aus Oradour umfasst die Eingangsszene sowie die Szenen 3, 6, 9, 12, 15, 18 und 20. 513 Bereits auf dieser Ebene der Erinnerung an das Massaker der Bevölkerung verweist Boulan auf inhärente Kombinationsmomente, die auch für seine Dramenkonstruktion relevant sind: „Sa persistance [du massacre] dans nos mémoires s’enrichit de ces deux aspects imbriqués: réel et imaginaire. C’est ce tissage qui fait sa force dramatique.“ Als zusätzliche Referenzquellen dienen Boulan lediglich die erneute Lektüre des Werkes Naître coupable, naître victime von Peter Sichrovsky sowie „un article pour préciser deux informations capitales (la date, le nombre de victime) cela dans le but de les décaler. Pour qu’il n’y ait pas d’ambiguïté.“ Brief, S. 321. Trotzdem hat sich aber bei der Datierung des Ereignisses auf den 11. statt 10.06.1944 ein Fehler eingeschlichen (34). 514 Vgl. dazu seine Ausführungen im Vorwort A propos de „Kinderzimmer“, das Boulan im Sommer 1991 verfasst hat. An dieser Stelle formuliert er auch den Einfluss der medialen Präsenz des Golfkrieges und dessen schlagartiges Vergessen auf sein Drama (5). II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 172 Verkleinerung des Bildausschnittes. In der Annäherung wird zugleich auch die Naturidylle als eigentlich brennende „surface des choses“ (7) enthüllt. Die Beschreibung von Harmonie und Idylle wird stets mit gegenläufigen Elementen kombiniert, die die Brüchigkeit der Situation manifestieren. 515 Boulan bringt dies selbst am Ende der Szene auf die Formel „Images de l’insouciance dans l’insouciance des temps / Et des bonheurs perdus“ (9). 516 Schließlich lässt sich diese Gesamtkonstruktion von Naturidylle und Entlarvung derselben im Kriegsgeschehen auch als intertextuelle, unterschwellig mitlaufende Referenz auf Rimbauds Sonett Le dormeur du val lesen, das mit analogen Verfahren die Grausamkeiten des deutsch-französischen Krieges von 1870/ 71 ausstellt. Das Spannungsverhältnis von Idylle und Krieg bildet auch im Weiteren das Fundament für die Beschreibung der Geschichte des Mädchens, wobei das Verhältnis - hier erneut mit dem Mittel der Gradation - immer mehr in Richtung Kriegsgeschehen kippt. Während im Kontext der familiären Abendstimmung die Idylle nur in Form von Vorausdeutungen wie „de brefs frissons d’inquiétude“ (11) gestört wird, ist in der Nacht außerhalb des Hauses bereits ein Parallelgeschehen mit Schlüsselbegriffen wie „camion“, „phares éteints“, „chemin du calvaire“, „bâches“ und „fusil“ angedeutet, von dem sie im Haus aber nichts hören (16). Vom repetitiven „Ils n’ont pas entendu“ (16, 20) zum ebenso gebrauchten „il n’y croit toujours pas“ (20f.) werden selbst noch bei der Präsenz der Besatzer auf der Schwelle zum Hausinneren beide Pole aufrechterhalten. Mit dem Eindringen der Soldaten ins Haus verliert die individuelle Idylle ihren Status und die kollektive Geschichte der einzelnen Etappen des Überfalls und Massakers der Oradourer Bevölkerung setzt ein: Zerstörung und Anzünden der Häuser, Trennung der Familienmitglieder, Mehrfachvergewaltigungen der Frauen im Schulhof, Folterungen der Männer und letztlich Erschießungen (27, 30). Auf gleiche Weise wie diese Ablösung der individuellen Erinnerung von der kollektiven Darstellung funktioniert, erfolgt auch die Gegenbewegung weg von der Geschichte hin zur Figur. Dies jedoch mit dem fundamentalen Unterschied, dass nach dem Massaker individuelle Gedächtnisleistung daran unmöglich wird: „L’histoire s’est évadée / Elle n’a plus de mémoire“ (31). Parallel zur übergeordneten Eingangsszene nimmt Boulan mit dem Schlussbild die idyllischen Naturbeschreibungen wieder auf. Da die Natur aber das schwer verletzte, neunjährige Mädchen birgt, das dem kollektiven 515 So werden etwa zunächst Bäume beschrieben, dann Pappeln und am Ende Trauerweiden; wird die Sonne zunehmend aggressiver bis sie „incendiait la cime des saules“ (7) und die Familienidylle im Klee plötzlich durch Schreie unterbrochen, durch ärmliche Kleidung und abgemagerte Kinder unterlaufen (8). 516 Zudem schließen sich daran Flugzeuggeräusche an. Zwar wird dabei die Ambivalenz zwischen Himmelsschauspiel und Bedrohung offengehalten, aber vor dem Hintergrund, dass die Szene als Überleitung zur Geschichte des kleinen Mädchens dient, erscheint ein Kriegsflugzeug wahrscheinlicher. 2.2.4 Gilles Boulan: Kinderzimmer 173 Inferno, „douloureusement sauvée“ (35), entkommen konnte, hat die Bildlichkeit nun mit Gewissheit ihre Unschuld verloren. Zugleich wird damit die Referenz zum Rimbaud-Gedicht, in dem der Schoß der Natur sich am Ende als Grabesstätte des toten Soldaten entlarvt, als Prätext vervollständigt. Die drei Handlungsstränge, die in der labyrinthischen (Puzzle-) écriture Boulans erst sukzessive mit dem Dramenverlauf als separate und doch zusammenhängende Ebenen entschlüsselbar werden, führt der Autor am Stückende in der „chambre des enfants“ (37) 517 zusammen und gibt sie als einen „dialogue au dessus des tombes“ 518 zu erkennen: Wenn sich die Journalistin in der Ruine des Hauses, in dem das Oradourer Mädchen gewohnt hat, symbolisch deren eingeäscherte Puppe aneignet, verschmelzen die beiden Figuren in einem überzeitlichen Nexus zu einer (37). 519 Die Vermittlung der Ereignisse an die nachfolgende Generation, die sich qua Zeitzeugen als problematisch beziehungsweise nicht möglich herausgestellt hat, funktioniert über die vielfältigen, unterschiedlich geschichteten Spuren, die die Zeit in der Gegenwart als topographische Einschreibungen hinterlassen hat. Daher geht es dem Dramatiker der zweiten Generation auch nicht einfach nur um Erinnerung oder die rekonstruierende Suche nach einer nicht miterlebten Zeit, sondern „c’est l’écho de ces événements sur notre quotidien qui m’interroge en premier lieu. Écrire contre l’oubli, certes. Mais avant tout dire notre traumatisme.“ 520 Für den in Caen lebenden normannischen Dramatiker Gilles Boulan ist dieses Nachwirken der Zeit des Zweiten Weltkrieges sicherlich in besonderem Maße omnipräsent, denn „vivre dans une ville détruite à 80% et qui fait une grande partie de sa réputation sur son Mémorial de la Paix c’est vivre dans une sorte d’intimité ‘obsédante, agaçante’ de la Seconde Guerre 517 Damit geht auch das titelgebende und mit der Erbschuld besetzte deutsche Kinderzimmer in dem französischen auf. Die mit Blick auf die Darstellungsproblematik des Stoffes vom Autor bewusst getroffene Einheit des Ortes, die nur über die Erinnerung aufgesprengt wird, steht im vergleichbaren Kontext: „Comme si la réduction de l’espace, resserré à la dimension d’une chambre d’enfant permettait de baliser le sujet, de le ramener à une dimension humaine, voire intime.“ Brief, S. 320. 518 Ebd., S. 321. 519 So findet in der zweiten Generation eine Identifizierung und Verschmelzung der Kinder der Täterseite mit den Opfern statt. Neben der Aufhebung dieser Differenz zwischen Tätern und Opfern sowie zwischen Generationen wird durch den deutschen und französischen Hintergrund auch eine zwischen Nationen relevant. Damit werden letztlich auf allen Ebenen Aussöhnungsgedanken propagiert. 520 Brief, S. 318f. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 174 Mondiale.“ 521 Der Paläontologe Boulan geht seinerseits von den gegenwärtigen, meist fragmentarischen Spuren und Überresten eines vergangenen Lebens aus und versucht den Gesamtzusammenhang zu rekonstruieren, indem er die einzelnen Zeitschichten freilegt. 522 Wenn jede gegenwärtige Zeitschicht damit nur die Oberfläche bildet und in sich weitere Zeitschichten birgt, 523 die als ihr Fundament und zu ihrer Erklärung dienen können, werden die Zeitschichten zu Zeitgeschichten. 524 In Kinderzimmer rekonstruiert Boulan ausgehend von der Echowirkung der Ruinen und der memorialen Funktion der unterschiedlichsten Spuren in der Gegenwart - unter analoger Auflösung der dramatischen Form 525 - zwei Zeitschichten der Vergangenheit. Beide werden jeweils zu Geschichten ihrer Zeit ausgeweitet und zugleich bauen sie - zunächst noch ungeahnt - als Fragmente eines Gesamtzusammenhanges aufeinander auf. Das Drama wird damit für Gilles Boulan zu einem Ort des Dialoges im Bewusstsein „que nous construisons sur des ruines, sur des morts et que nécessairement, ils nous interpellent.“ 526 Die zur Erklärung der Gegenwart notwendige Erinnerung wird vor diesem Hintergrund in ihrer spezifischen Appellfunktion über die semantisierten Topographien relevant. 2.2.5 Roland Fichet: Plage de la Libération Roland Fichet wird am 16.06.1950 in Ménéac im bretonischen Morbihan geboren und wächst in dieser ländlichen Gegend auf. 527 Er studiert Litera- 521 Ebd., S. 315. In dieser, wenn auch unterschiedlich gelagerten Omnipräsenz der Geschichte führt Boulan auch Städte wie Caen, Oradour, Hiroshima und Nagasaki sowie in weiten Teilen zerstörte deutsche Städte eng. 522 Während die Journalistin in Kinderzimmer die vergangene Zeit nur wie eine Archäologin freilegt, ist der Protagonist in La cité sans mémoire von Beruf Archäologe auf der Suche nach dem Gedächtnis einer untergegangenen Zivilisation. 523 So kann hier auch die Lektüremöglichkeit intertextueller Überlagerungen beim Palimpsest auf Lesarten geologisch-paläontologischer Überlagerungen übertragen werden. 524 Vgl. dazu auch seine Ausführungen: „Le paléontologue est à la fois celui qui cherche à lire, strate après strate, le grand livre de l’histoire de la terre et qui tente de reconstituer la vie à partir du reste, du mort. Une démarche passionnante: un minuscule fragment suffit à imaginer l’animal sur pied, à le voir courir, à l’entendre beugler. Et puis ce voyage imaginaire dans les millions d’années...“ Brief, S. 315. 525 Mit dem Zerfall des Dramas in zu rekonstruierende Fragmente und Fetzen wird die inhaltliche Spurensuche - wie gezeigt - auch auf der Formebene umgesetzt. Zudem integriert Boulan in seine écriture „la conscience d’une écoute multiple (en strates) par le public“. Ebd., S. 318. 526 Ebd., S. 316. 527 Vgl. zu Bio- und Bibliographie Fichets sowie zu Inszenierungsübersichten etc. die umfassenden Homepages der Chartreuse, des Théâtre-contemporain und des Aneth. Ausführliche Dokumentationen seines Schaffens finden sich zudem auf den selbst gepflegten Homepages www.rolandfichet.com und www.follepensee.com. 2.2.5 Roland Fichet: Plage de la Libération 175 tur an der Université de Haute-Bretagne in Rennes, verfasst dort eine komparatistische Arbeit zu dramatischen Formen der Region und beteiligt sich am Aufbau der Werkstatt für Theaterstudien. 1978 gründet Fichet in Saint- Brieuc das Théâtre de Folle Pensée, das er heute gemeinsam mit der Regisseurin Annie Lucas leitet und das sich ausschließlich der zeitgenössischen Dramatik und innovativen Formen ihrer Realisierung widmet. In einer ersten Phase von ungefähr 1978-1988 experimentiert die Truppe, bis auf einige wenige Adaptationen, vor allem mit Stücken, die Fichet selbst verfasst. 528 In einer zweiten Phase von etwa 1991-2002 setzt er diesem singulär auf seine eigene écriture fokussierten Blick die Pluralität diverser Schreib- und Inszenierungstechniken entgegen: Zusammen mit seinem Theater initiiert Fichet einen Zyklus zeitgenössischer Arbeiten, die sich mit den Themen Umbruch, Passage und Herkunft auseinandersetzen. Im Rahmen des sich über elf Jahre erstreckenden kollektiven Theaterprojektes Naissances werden insgesamt über 2.500 Mal in 23 Ländern Kurzdramen von knapp 100 Autoren verschiedener Nationen aufgeführt. 529 Auch die weiteren Arbeiten stehen im Zeichen dieser Suche nach neuen theatralen Formen, Sprachen und Inhalten, so beispielsweise das atelier de création rund um die neun Mikrodramen der Petites comédies rurales 530 und in der Zeit von 1999-2003 das Afrikaprojekt Animal. Neben seiner Tätigkeit als Intendant, Autor und Regisseur lehrt Roland Fichet seit den 1970er Jahren an verschiedenen Theaterschulen, Universitäten und Centres Dramatiques, organisiert seit 1990 regelmäßig Veranstaltungen und Arbeitstreffen zur zeitgenössischen Dramatik, bei denen er Theaterleute aus Theorie und Praxis zusammenbringt, fungiert von 1993- 1996 als Redaktionsmitglied der vom Centre national des écritures du spectacle herausgegebenen Zeitschrift Les Cahiers de Prospéro und verfasst auch theatertheoretische und -kritische Texte. 531 Die rund 50 von Fichet verfassten und vorwiegend in den Éditions Théâtrales verlegten Stücke, die in weltweiten Inszenierungen und Über- 528 Vgl. zum Prozedere - aber auch zu seinen verschiedenen Rollen im Theater und der Entwicklung seiner écriture - das Interview Comment ça marche? mit Roland Fichet, das in Écrire le théâtre aujourd’hui. In: Alternatives théâtrales, no. 61, juillet 1999 publiziert sowie unter http: / / www.follepensee.com/ rolandfichet/ webzine.php? page=une&sd=article&ssd=metier&aif=2&rhp=9 [Stand: 18.03.2006], S. 1-6 einsehbar ist. So entstehen etwa die Stücke De la paille pour mémoire, Les sept personnalités de Loulou Goac’h und Le lit. 529 Das Theaterprojekt Naissances wird im Kapitel II 3. noch eigens dargestellt. Fichet selbst verfasst in dessen Rahmen eine Vielzahl von Kurzdramen. Vgl. http: / / www.follepensee.com/ follepensee_html/ texte/ naissance_oeuvres.html [Stand: 18.03.2006]. 530 Vgl. dazu auch den Eintrag in Confortès: Répertoire du théâtre contemporain de langue française, S. 154. 531 Für weiterführende Informationen zu diesen Tätigkeiten vgl. etwa www.theatrecontemporain.net und www.rolandfichet.com. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 176 setzungen Beachtung finden, 532 sind von den Formexperimenten in Zusammenarbeit mit dem Théâtre Folle Pensée geprägt. Traditionelle Gattungsgefüge löst Fichet weitestgehend auf, indem er die Form auf die Sprache als kleinste Einheit herunterbricht und die Syntax beziehungsweise einzelne Worte wiederum zerlegt und neu zusammensetzt: „La comédie est dans le son des mots ou dans le rythme, structure et dynamique rythmiques, et pas dans le sujet; elle est dans la façon dont les mots jouent.“ 533 Auf diese Weise lässt Fichet etwa in Animal die auf ihre sonore Materialität reduzierte Sprache bis an die Grenze des Verstehbaren auseinanderbrechen, 534 erprobt in Kurzformen wie den Bruchstücken der Petites comédies rurales die „fluidités verbales et syntaxiques“ 535 mit Verfahren der Fragmentierung und Rekombination 536 und lässt in den 29 unabhängigen Sequenzen von La Chute de l’ange rebelle ein Thema durch verbale Verrätselungsstrategien nur unterschwellig entstehen: Je travaille essentiellement à partir des mots. Je ne me pose pas la question de ce que j’écris quand j’écris. Je fabrique des séries de phrases puis ça commence à se constituer, à s’articuler. Je ne construis pas la pièce sur un sujet, un centre: c’est plus intéressant de dériver à travers plusieurs. 537 Aus diesem seriellen Schreiben - mit gewissen Parallelen zu essayistischen Verfahren -, das von Rändern und Grenzen ausgeht, entstehen Fragmente einer auseinanderfallenden Welt und Figuren, die in ihrem Inneren deren Analogon bilden. 538 Marginalität äußert sich in der wiederkehrenden Dar- 532 Vgl. dazu v.a. www.rolandfichet.com, aber auch die Kurzpräsentationen der Dramen auf den Homepages der Chartreuse und des Aneth. 533 Table ronde avec Roland Fichet et Michel Corvin «Sur l’écriture des marges». In: Sylvie Jouanny: Marginalités et théâtres. Pouvoir, spectateurs et dramaturgie. Saint Genouph (Nizet) 2003, S. 181-184 und http: / / www.follepensee.com/ rolandfichet/ webzine.php? page=une&sd=article&ssd=acte [Stand: 18.03.2006], S. 1-3, hier S. 2. 534 Vgl. zur Zersetzung und Atomisierung der Sprache einerseits - direkt zu Beginn des Stückes durch den Satz „Qui quoi dans toi glapit comme ça? “ markiert - sowie zu eröffneten Lektüremöglichkeiten anhand „des strates de Bretagne, des strates biographiques, des strates d’intimité. Des strates de mémoire“ andererseits auch Marine Bachelot: Sur les traces de l’histoire dans Animal. In: http: / / www.follepensee.com/ rolandfichet/ univers.php? page=une&sd=animal&ssd=ets [Stand: 18.03.2006], S. 1-5. 535 Comment ça marche? , S. 4. 536 Auf diese Weise stellt auch jede einzelne der „petites comédies rurales“ einen Splitter einer durch Explosion zum Fragment gewordenen, ländlichen Welt dar. Zusammengenommen versuchen sie eine Annäherung an diesen verschwundenen Mikrokosmos. 537 Sur l’écriture des marges, S. 3. 538 Dementsprechend hält Azama über die Dramatik Fichets fest: „C’est un théâtre foisonnant où la langue déraille, décale personnages et situations, où la fable s’interroge sur elle-même, se perd dans un labyrinthe, où les pièces avancent dans un grand charroi de mots qui fait alterner tendresse, cruauté, causticité, cocasserie, métaphysique, psychanalyse, pensée mythique et vision politique.“ Azama: De Godot à Zucco. Bd. 1: Continuité et renouvellements, S. 127. 2.2.5 Roland Fichet: Plage de la Libération 177 stellung eines in der Auflösung begriffenen ländlichen - häufig bretonischen - Lebensraums und seiner Tiere, 539 eines zumeist mit ersterem verbundenen (meta-)physischen Umherirrens nach dem Ende der Welt 540 sowie der Suche nach Liebe und der eigenen Identität im Chaos 541 . Die Stücke Roland Fichets, die zunehmend Phänomene am dramatischen, sprachlichen und thematischen Rand ausloten und fokussieren, was durch den Blick auf das Zentrum verstellt ist, gestalten sich auf diese Weise formal und inhaltlich als eine „écriture des marges“. 542 Auch das 1987 verfasste Drama Plage de la Libération, 543 das als Auftragsarbeit der Édition Théâtrales entstanden ist, situiert sein Autor mit der Ortswahl in der Bretagne am geographischen Rand. Darüber hinaus wird der Fokus noch enger auf eine mikrokosmische Welt zwischen einer „plage bordée d’un côté par la mer, de l’autre par la falaise“ und „De l’autre côté de la falaise, la petite ville d’Ollifaux“ gelegt, deren Verbindung nur über einen kleinen Felstunnel, einen kurzen Steilweg oder bei Ebbe möglich ist (10). Was zunächst als quasi abgeschottete bretonische Welt à part erscheint - paradigmatisch für dieses Ende der Welt kann das Departement Finistère stehen -, wird jedoch direkt zu Beginn des Dramas im Zusammenhang mit einem zentralen Kapitel der französischen Geschichte verortet: „le raidillon abrupt emprunté autrefois par les résistants“ (10). Die Zeit des Zweiten Weltkrieges findet auch in dem sehr ausführlichen Figurenin- 539 So findet sich etwa das Zerbrechen der ländlichen Welt und das Verrücktspielen der Natur in Suzanne, die apokalyptische Ausrottung der Tierwelt als Rebellion anthropomorphisierter Kühe gegen animalisiert-fleischfressende Menschen in La prière des vaches oder die Passage von einer verendeten Welt zu einer neuen im - in der Bretagne spielenden - Stück De la paille pour mémoire, im afrikanischen Animal sowie in dessen bretonischen Palimpsestversionen Famille Huron und Ça va. Vgl. Bachelot: Sur les traces de l’histoire dans Animal, S. 4f. Die Marginalität der Bretagne, des Ländlichen und der Tierwelt funktioniert daneben, bspw. in den Petites comédies rurales, auch in Opposition zu den die Theater bevölkernden „grandes tragédies urbaines“. Sur l’écriture des marges, S. 1. 540 Vgl. dazu bspw. die Stücke Avec vache, Terres promises und Silhouettes et comédie (fin XXème siècle). 541 Dies wird etwa konzipiert als Dialoge auf dem Gang einer Säuglingsstation in Colloques de bébés, als Wortspiele und Subversion eines Boulevardstückes um die Frage, wem das Bett nach der Scheidung gehöre, in Le lit, als Rätsel zwischen Traum und Krankheit, Menschen und Engeln in La chute de l’ange rebelle, als vorgeblich ländliche Alltagschronik aus der Bretagne in L’Africaine sowie als mythische Stimmenpolyvalenz in Quoi l’amour, woraus über Stufen der Transformation die Stücke Pas d’amour und dann Hors d’elle entstehen. 542 Sur l’écriture des marges, S. 1. 543 Roland Fichet: Plage de la Libération. Paris (Éditions Edilig - Collection Théâtrales) 1988. Das Drama wurde in der Regie von Réné Loyon 1989 im Rahmen des Festival des Tombées de la Nuit in Rennes uraufgeführt. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 178 ventar ihren Niederschlag, 544 das durch Unterscheidung der Geburtsjahre nicht nur die Generation der Zeitzeugen derjenigen der Nachgeborenen gegenüberstellt, sondern auch Opfervon Täternation und Widerständler von der Kollaboration Angeklagten trennt. Noch bevor das eigentliche Drama also beginnt, wird der Leser schon in das thematische Zentrum des in 14 Szenen unterteilten Stückes eingeführt: Auch mehr als 40 Jahre nach Kriegsende (28) ist die Erinnerung an die Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges in der Kleinstadt Ollifaux präsenter als die Gegenwart und determiniert diese. So wird etwa aktuellen Konflikten mit damaligen Kriegsstrategien begegnet, 545 es erfolgt weiterhin eine Zweiteilung der Bewohner in Kollaborateure und Widerstandskämpfer (14) und Erzählungen aus früheren Zeiten bestimmen allgegenwärtig das Leben am Ende des 20. Jahrhunderts (29). Aufrechterhalten wird die Erinnerung an die Vergangenheit in erster Linie von dem Bürgermeister Noël Villigan, der sich als ehemaliger „héros de la Résistance“ (25) feiern lässt und seine gegenwärtige Position als Stadtoberhaupt diesem Ruhm verdankt (14, 30). Diese Prädominanz des Erinnerungsdiskurses Résistance wird jedoch, wie im Weiteren zu zeigen sein wird, sukzessive als nostalgische Rückwärtsgewandtheit und Kultivierung entlarvt, die nicht nur den Blick auf die Gegenwart ver-, sondern auch in erheblichem Maße den auf die Vergangenheit entstellt. Auslöser und zugleich wirkungsmächtigster Ausdruck der beginnenden Dekonstruktion des dominanten Erinnerungsdiskurses ist die symbolträchtige Sprengung seiner Materialisierung im „Monument aux morts“. Das den Helden der Résistance gewidmete Totendenkmal stellt eine äußerliche, nationale Objektivation der „mémoire d’un peuple“ dar (28f.), die auf den titelgebenden Strandabschnitt als den im eigentlichen Sinne zugrundeliegenden lieu de mémoire verweist: La plage de la libération, anciennement plage Robespierre, n’est pas une plage ordinaire, elle a le droit au respect le plus absolu. Grâce au courage des habitants de ce pays, en quarante-deux, quarante-trois, quarante-quatre, cent trentehuit aviateurs et résistants ont rejoint l’Angleterre à partir de cette plage. Cette plage est aujourd’hui un symbole de l’héroïsme national [...] c’est notre devoir à tous de nous en souvenir. (29) Die Beschädigung des auf dem „sol sacré“ (29) befindlichen Denkmals stellt zunächst eine Erschütterung der nach Außen gerichteten Kultivierung der Erinnerung an die Résistance dar. Davon ist zum einen das Kollektiv betroffen: So wollen etwa die Witwen aus Angst vor dem Vergessen 544 Dies führt bspw. auch fabelkonstituierende, jedoch nur in den Erzählungen präsente Figuren mit dem Zusatz auf „N’apparaît pas physiquement“ (10). 545 „Surprendre, attaquer, voilà le bon réflexe. Je réponds comme le tonnerre répond à l’éclair; debout sur mon courage. J’aime le danger. Le danger c’est ma force. Je vais construire un bateau comme jadis, me couvrir de cendres, me barbouiller le visage, faire mon discours et partir seul vers l’Angleterre.“ (31f.). 2.2.5 Roland Fichet: Plage de la Libération 179 das Monument sofort wieder neu errichten (35). Zum anderen erhält der Vorgang individuelle Züge: Die bei der Explosion des Denkmals ‛geköpfte’ Statue eines Soldaten ähnelt in ihrer mimischen Gestaltung nicht nur dem Bürgermeister der Stadt (19), sondern die Zerstörung der Résistanceerinnerung erfolgt auch noch durch dessen Sohn Yannick. Indem die Auswirkungen der Kultivierung auf die nachfolgende Generation fokussiert werden, rückt eine Infragestellung des Umgangs mit dem dominanten Erinnerungsdiskurs in den Vordergrund. Dergestalt werden direkt in der ersten Szene die unterschiedlichen Handlungen der beiden Kinder als Reaktionen auf die Erinnerungen des Vaters parallelisiert: Während Yannick den Gedächtnisort in die Luft sprengt, heiratet die Tochter Nicole am gleichen Tag den ‛deutschen Feind’ (13). Es zeigt sich, dass die Präsenz der Erinnerung zu einer Diktatur derselben geführt hat, aus der die Kinder letztlich nur durch ihren jeweiligen ‛Befreiungsschlag’ entkommen können. Nicole präzisiert so mit Blick auf ihren Bruder: „Aujourd’hui il a cassé ton monde.“ (14). Beide setzen der Welt des Vaters Gegenwelten entgegen, die erstere subvertieren: Um sich gegen die in der Erinnerung allzu präsenten antinationalsozialistischen Aktivitäten des Vaters aufzulehnen, agiert der Sohn Yannick als „graine de nazie“ (21). Er sammelt Nazi-Insignien (39) und -Devotionalien (43), liest rechtsradikale Schriften (75) und benennt sich - vom Vater für einen Schwächling gehalten - nach dem der germanischen Mythologie entstammenden Riesen Ymir (39). Die symbolträchtige Sprengung des Monuments ist für ihn ein Erinnerungs- und durch den eigenen Tod schließlich auch ein Selbstmord. 546 Auch wenn der Vater und dessen Anhänger die Entwicklung Yannicks, sprich dessen „croix gammée à la place du cœur“ (29), ausschließlich auf den negativen Einfluss der als „collabos“ bezeichneten falschen Freunde - und damit wiederum nur auf Erklärungsmuster der Vergangenheit - zurückführen, wird deutlich, dass er deren Nähe und Gegengedächtnis nur in Abgrenzung zum Résistancemythos sucht (14): „Quand on a un père comme le sien on fait ça.“ (22). Ebenso wie Yannick vor der Übermacht der väterlichen Erinnerung und Vergangenheit gewissermaßen zum ‛Feind’ überläuft, sucht auch die Tochter Nicole bei diesem Zuflucht (40). Ihre Eheschließung mit dem jungen Deutschen Hans Lübe erscheint so auch nicht als Liebesheirat, sondern als demonstrativer Akt ihrem Vater gegenüber. 547 Während jedoch „Yannick lui, a insisté; il a tellement insisté que tu as fini par lâcher prise“ (14), zeigt sich bei Nicole, dass sie trotz Auflehnung und Abgrenzung noch viel stär- 546 Vgl. dazu auch die von der Schwester beschriebene Todesatmosphäre seines Zimmers: „Sa chambre sent la mort à plein nez: portraits de Mishima, dossiers sur les fils de Syberberg, Joachim Fest... Hitler partout.“ (42). 547 Zu dieser Vermutung kommen nicht nur verschiedene Figuren aus der Fremdperspektive (20, 48, 60), u.a. auch der deutsche Ehemann, sondern v.a. auch Nicole, die sich selbstkritisch fragt: „T’ai-je aimé parce que tu es Allemand? “ (48). II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 180 ker von ihrem Vater beeinflusst ist: 548 „Tu m’as imposé ton regard“ (14). Dass sie sich von der väterlichen Prägung nicht gänzlich lösen kann, wird vor allem anhand ihrer Sicht von Deutschland und den Deutschen deutlich. So heiratet sie zwar einen Deutschen, will aber selbst zunächst unbedingt Französin bleiben (42). 549 Zudem zeugt der Umgang mit ihrem Ehemann von tiefsitzenden Klischeebildern: Auch wenn der frankophile (27) und von Charles de Gaulle begeisterte 550 Hans mit seiner Existenz das typische Bild des Deutschen unterminiert, 551 wird er dennoch auch und gerade von Nicole mit diesen Stereotypen versehen. Dementsprechend beäugt sie skeptisch, ob er sie ausspioniere (46), will sie pauschal keinen Deutschen mehr sehen (47) und mag sie seine Schuhe nebst Krawatte nicht, weil diese, obgleich in Paris gekauft, einen „air prussien“ beziehungsweise „air bavarois“ (47) hätten. Bezeichnenderweise erfolgt diese Bedienung nationaler und antideutscher Klischees in einer Situation, in der sie ihren Vater als Résistancehelden verteidigt, so dass die hervorbrechenden Parolen und das mittransportierte Deutschlandbild zum Bestandteil des rückwärtsgewandten Erinnerungsdiskurses Résistance werden und dieser dadurch als stereotyp und von der Gegenwartsrealität fern entlarvt wird. 552 Der Zusammenhang zwischen der Kultivierung des Résistancemythos und einer damit einhergehenden bornierten Deutschen-, Fremden- und Europafeindlichkeit zeigt sich insgesamt an der Bevölkerung von Ollifaux. 553 Auch hier deckt wieder der deutsche Hans die Diskrepanz des zwi- 548 Während Yannick nämlich die Welt des Vaters rigoros zerstört, versucht Nicole nur zögerliche Bewertungsverschiebungen und ist von den Missfallensäußerungen des Vaters noch betroffen: „Quand j’ai voulu faire glisser tel ou tel d’une case dans une autre tu l’as très mal pris.“ (14). Trotzdem fühlt sich der Vater von beiden Kindern gleichermaßen verraten und nicht respektiert (40). 549 Dies ändert sich in verschiedenen Stufen, die auch von einem zunehmenden Abnabelungsprozess vom Vater zeugen: Während Nicole zunächst in ihrer Ehe auf der eigenen französischen Nationalität beharrt, stellt sie später die Nationalität ihres Mannes in den Hintergrund - „J’ai épousé un homme [...] pas un Allemand.“ (53) - bis sie letztlich auf ihre eigene verzichtet und manifestiert „Je suis Allemande“ (76). 550 Vgl. auch die Integration verschiedener Redeauszüge de Gaulles in das Drama, die vor dem Hintergrund der Résistanceerinnerungen einen besonderen Stellenwert einnehmen (23, 54, 61f., 69). 551 Zur imagologischen Betrachtung von Fichets Drama vgl. die sich weitestgehend entsprechenden Ausführungen von Matthes: Aspects d’un mythe contemporain, S. 73f. und Licht und Schatten der Vergangenheit, S. 221-223. 552 Potenziert wird dies noch, wenn Hans selbst die stereotypen Deutschenbilder - und zugleich ihre französischen Gegenentwürfe - ironisch vorwegnimmt und damit ad absurdum führt (47). 553 In der durch und durch von der Erinnerung an die Résistance geprägten Stadt zeigen sich die Ressentiments gegenüber Deutschen in der selbstverständlichen Verwendung des Wortes „boches“ (16, 40, 49), in einem antideutschen Lied (11, 81), in Gedanken um die Möglichkeit eines neuen Krieges (17), in der Stigmatisierung von Nicole aufgrund ihrer Ehe mit einem Deutschen (53), im Umgang mit diesem (etwa 27) 2.2.5 Roland Fichet: Plage de la Libération 181 schen dem durch die Erinnerung verstellten Blicks der Vergangenheit und der Gegenwart beziehungsweise Zukunft auf: „Tout ce passé que vous tirez. Ça vous plaît de réveiller les morts, de nostalgier avec des cadavres; les vivants se préparent à enjamber l’an deux mille.“ (49). 554 Zudem wird das blinde Verharren in alten Zeiten noch stärker als Bestandteil des Résistancediskurses ausgewiesen und in diesen eingeschrieben, da ein weiteres Gegengewicht in Richtung Versöhnung und Zukunft neben dem Deutschen nur von dem damals der Kollaboration angeklagten Fotografen ausgeht. 555 Wenn sich bisher gezeigt hat, dass der ausschließliche Fokus auf den dominanten Erinnerungsdiskurs Résistance zu einer Form der Kultivierung führt, die sowohl die Vermittlung der Vergangenheit an nachfolgende Generationen unmöglich macht, als auch den Blick für die Gegenwart und Zukunft verstellt, 556 geht Fichet in seinem Drama noch einen Schritt weiter. So stellt er nicht nur die Erinnerungskonvention, sondern die Résistanceerinnerung selbst infrage, indem er sie in ihrer Brüchigkeit dekonstruiert. Auf diese Weise wird im Drama sukzessive enttarnt, was in der ausgestellten, kollektiv dominanten Erinnerung der Résistance zum Zweck ihrer Instrumentalisierung ‛vergessen’ wurde: Der Heldenruhm ist auf einem perfiden Mord am damaligen Pfarrer, Corentin Runavotte, begründet, der auf Befehl des Maquis von Villigan getötet wurde, da er im Rahmen seiner Aktivitäten für die „cause bretonne“ in den Verdacht der Kollaboration geriet (42-45, 53, 55f.). Da dieser Teil der Erinnerung dem Résistancemythos zuwiderläuft, wurde er im kollektiven Gedächtnis der Ortsgemeinschaft an den Rand ge- und verdrängt. Die Figuren, die für diese anderen Seiten der Erinnerung einstehen, werden dementsprechend als selbst randständig präsentiert: so die marginalisiert lebenden Léa und der Fotograf (10, 44, 51) sowie die nur in den Dialogen vermittelt dargestellte Ehefrau und in fremdenfeindlichen Ehedevisen wie „prends ton voisin avec neuf défauts plutôt qu’un étranger“ (26) sowie in einer allgemeinen Europafeindlichkeit (31). 554 Die lediglich nostalgische Störung der Totenruhe steht hier im Gegensatz zum produktiven, die Gegenwart und Zukunft aufklärenden Dialog zwischen Lebenden und Toten in den Dramen Kermanns. 555 Während sogar der erst 1939 geborene Bourgui als Anhänger der Résistants an diesem Diskurs festhält, indem er das „mot de passe: réconciliation“ zugunsten von „libération“ (49) verwirft, setzt der 1930 geborene Fotograf dagegen: „Les Allemands sont nos frères aujourd’hui plus que jamais. [...] Il y eu crime? Partageons-le. Nous sommes héritiers comme eux de la barbarie.“ (69). 556 So steht auch Villigans polemische Anmerkung, „Les chambres à gaz et les camps de concentration c’est de l’invention; bientôt il n’y aura pas eu de guerre du tout et les gosses prendront Hitler pour un héros de bande dessinée.“ (30f.), nicht im Kontext einer Vergessenskritik im Sinne eines in die Zukunft gerichteten, kollektiven Konservierens der Erinnerung für die Nachgeborenen - vielleicht sogar mit dem didaktischen Zweck eines ‛Nie wieder’ -, sondern im Zusammenhang mit Villigans individuellem Zurücksehnen nach alten Zeiten und seinem einstigen Heldentum. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 182 Villigans (42f., 62). Hinzu kommt als Nachgeborener der Sohn Yannick (52), der sich mit dem dominanten Erinnerungsdiskurs nicht zufrieden gibt, 557 sondern auch und gerade mit der Sprengung des Totendenkmals versucht, „à faire sortir au grand jour les fantômes.“ (45). An dieser Stelle deutet sich zudem eine Wiederholung der Exklusionsmechanismen im Prozess der Erinnerungsformung an: So parallelisiert der Fotograf die Erinnerung an die Zeit des Zweiten Weltkrieges und den Umgang mit dem Tod Yannicks. Für den macht er die ‛Résistancemafia’ mit ihrer massiv einseitigen Erinnerungspräsenz verantwortlich (52), jene versucht hingegen, aus ihrem Opfer einen „salaud“ zu machen. Gegen das Bestreben, dass „une fois de plus tout va être enterré“ (52), wird deshalb jetzt der andere, ‛kontraproduktive’ Teil der Erinnerung gesetzt, denn „Ils ont édifié leur trône sur les cadavres de leurs copains et maintenant ils sucent le sang de leurs enfants“ (54). Mit Hilfe eines zeitlichen Kontinuums zeigt sich so, dass die gleichen Dämonisierungsstrategien, 558 die heute Yannick widerfahren, direkt nach dem Zweiten Weltkrieg den mutmaßlichen Kollaborateuren zuteil wurden und immer noch werden. In diesem Zusammenhang werden neben der Ermordung des Pfarrers noch weitere, wenig ruhmreiche Taten der ehemaligen Helden aufgedeckt, was schließlich zu einer Aufweichung der gängigen Erinnerungsdichotomie führt, die Résistants wären die Retter der „honneur de ce pays“, während „d’autres [...] l’ont humilié“ (55). Es zeigt sich nämlich, dass die mit zweifelhaften, wenn auch gängigen Methoden zum Feind und Schandmal stigmatisierten Kollaborateure diesem Bild ganz und gar nicht gerecht werden. Während die 20-jährige Léa in erster Linie deshalb 1945 - unter anderem von Villigan - geschoren und durch die Stadt gejagt wurde, 559 weil sie an die Rathausmauer geschrieben hatte, dass Runavotte kein „collabo“ gewesen sei (60-65), sollte 557 Die Schwester Nicole dagegen hat diesen nie hinterfragt (45), so dass die plötzliche Konfrontation mit der Kehrseite der Erinnerung auch bei ihr zu dem von Yannick intendierten Effekt führt: „Ma jeunesse a explosé“ (80). Die Auswirkungen entladen sich auf dem sie beruhigen wollenden deutschen Ehemann, der einmal mehr allen Stereotypen zuwiderläuft: „Tu m’exaspères avec ton équilibre. Il faut peser de tout le poids de la mémoire. Ce n’est pas un détail la mémoire. Est-ce que Beate Klarsfeld garde l’équilibre? Une Allemande elle aussi! Capable de gifler un chancelier! Goering, Goebbels, Himmler, Rudolph Hess, Klaus Barbie... en voilà des beaux équilibristes qui n’avaient pas peur de jongler avec des millions de morts.“ (48). 558 Vgl. dazu auch „le diable est toujours là, il a ensorcelé mon propre fils...“ (31). 559 Darüber hinaus wird hier durch die Einlagerung einer Liebesgeschichte zwischen Villigan und Léa noch eine zusätzliche Verschärfung der ‛Résistanceerinnerung um jeden Preis’ erzielt. Mittels Gegenüberstellungen der großen Geschichte und der kleinen Geschichten wird Villigan zu einer Figur, die zu spät begreift, dass sie für die Résistance das individuelle Leben, sprich Liebe und Kinder, bereitwillig geopfert hat (64f., 75f.). Vgl. zu „l’histoire de tous et de chacun“ auch das Vorwort des Regisseurs der Uraufführung René Loyon: Plonger dans la mémoire. In: Fichet: Plage de la Libération, S. 5-7. 2.2.5 Roland Fichet: Plage de la Libération 183 der 15-jährige Fotograf zur Rechenschaft gezogen werden, weil er sich in eine Deutsche verliebt hatte und zudem unfreiwilliger Zeuge der Ermordung des Pfarrers wurde (55-58). 560 Wenn auch mit den Geschichten Runavottes, Léas und des Fotografen an verschiedenen Stellen im Drama Elemente eines Parallelund/ oder Gegengedächtnisses aufblitzen, so geht es nicht um die regelrechte Etablierung eines solchen. 561 Vielmehr dienen diese Elemente zunächst dem dominanten Diskurs, um sich in Form der identitätsstiftenden Abgrenzung gegenüber einer Alterität zu manifestieren. In einem weiteren Schritt führt dies bei Fichet jedoch zu einer Dekonstruktion des dominanten Erinnerungsdiskurses, wenn er die festgesetzten Dichotomien mit ihren jeweiligen Zuschreibungen schwinden lässt oder gar eine Verschiebung der Pole vornimmt. 562 Fichets Ansatzpunkt ist damit die Subversion des zum Kult verkommenen, kollektiven Résistancegedächtnisses, das er durch die gegenläufigen Elemente entmystifiziert und auseinanderbrechen lässt. Im Bild des Totendenkmals von Ollifaux gestaltet sich dies dann in der Weise, dass das Symbol für die Résistanceerinnerung zunächst durch die Sprengung in heterogene, neu entstandene beziehungsweise zuvor nicht sichtbare, freigelegte Einzelteile zerfällt. Beim Wiederaufbau des zerstörten, einst unantastbar-abgeschlossenen Gedächtnisses werden die einzelnen Splitter neu zu einem Monument zusammengesetzt, das sich nun als Bild einer Erinnerung mit ihren Sollbruchstellen präsentiert: „Le monument est reconstruit. Des trous par-ci par-là c’est pas si moche. Avec le vent ça fait de la musique.“ (76). Mit Blick auf die Konstruktionsprinzipien zeigt sich, dass der entscheidende Bezugspunkt für das Drama Fichets die Kultivierung der Résistance ist. Die Prädominanz des Erinnerungsdiskurses Résistance funktioniert in der bretonischen Kleinstadt als Spiegel des exkulpatorischen Gründungsmythos Nachkriegsfrankreichs, wonach das kollektive Gedächtnis nach einem Einschnitt, den die kurze, aber heftige Phase der épuration darstellt, 560 Wie die Bestrafung des Fotografen in der Zeit selbst nicht erfolgen konnte und deshalb als ausstehende offene Rechnung von den rückwärtsgewandten Résistants bis in die Gegenwart hinein transferiert wird, - „En quarante-cinq tu t’es tiré d’affaires parce que tu étais tout jeune mais cette fois-ci...“ (21) - besteht auch der Fotograf selbst, wenn auch aus anderer Motivation, auf das Nachholen dieser in Form der Stigmatisierung: Wenn sich der Fotograf am Ende von Nicole scheren lässt, dann, um quasi ‛in aller Form’ zum Kollaborateur zu werden, auch dieser Erinnerung einen Stellenwert zu verschaffen und ein Ende unter die als unabgeschlossen empfundene Vergangenheit zu setzen, um in der Gegenwart anzukommen (73-79). 561 Eine Darstellung des Gegengedächtnisses Kollaboration wird sich im nachfolgenden Kapitel II 2.2.6 zu Bernard Chartreux’ Violences à Vichy zeigen. 562 In diesem Spannungsfeld des innerfranzösischen Gedächtniskampfes zwischen Résistance und Kollaboration erfolgt dann auch - quasi als Nebenprodukt - die von Matthes herausgestellte „Dekonstruktion des Deutschen als der Kriegsverbrecher par excellence [Herv. im Original]“. Matthes: Licht und Schatten der Vergangenheit, S. 221. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 184 vom Bild und lieu de mémoire einer Nation von Widerstandskämpfern geprägt ist. 563 Dieses französische Geschichtsverständnis, das bis weit in die 1990er Jahre staatlich aufrechterhalten wird, 564 stellt Fichet in Plage de la Libération als eine Form von ‛Erinnerungsdiktatur’ aus. Daran schließt sich die sukzessive Dekonstruktion des dominant gesetzten Erinnerungsdiskurses an, wenn dieser nur noch als emotionale Sperre in Bezug auf die Nachfolgegeneration und als präjudizierender bis gänzlich verstellter Blick auf das Gestern und Heute funktioniert. Roland Fichet verfasst damit ein Drama, das sich in erster Linie als Vermittlungs- und Repräsentationskritik versteht. In diesem Rahmen deuten sich dann die Bruchstellen an - ohne hier jedoch ausgefüllt zu werden 565 -, in die auch die Kollaboration als noch jüngeres Kapitel französischer Nationalgeschichte und Erinnerungspolitik 566 integriert werden kann und muss: La mémoire de la guerre et de la Libération continue de nourrir les comportements individuels et collectifs contemporains […]. Qu’il s’agisse du procès Barbie, de l’héritage gaulliste, de la Résistance, etc., nos imaginaires et nos consciences sont sans cesse alertés, questionnés, ébranlés. 567 Dieses omnipräsente Thema der Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges als anhaltend gegenwartsprägende Erinnerung inszeniert Roland Fichet mit seinem Drama Plage de la Libération, fokussiert jedoch in Form der Vermittlungs- und Repräsentationskritik das durch den Blick auf das Zentrum Verstellte und verortet damit zugleich seine écriture erneut am Rande. 568 563 Denn Charles de Gaulle erreicht eine Gleichsetzung des Nachkriegsfrankreichs mit der France libre und nicht mit dem Etat français. Vgl. als allgemeinen Überblick zu Gedächtnisdiskursen in Frankreich: Thomas Höpel: Erinnern und Vergessen: 1945 - 50 Jahre danach. In: Ders. und Tiemann: 1945 - 50 Jahre danach, S. 256-265. 564 Erst am 16.07.1995 spricht Jacques Chirac als erster Staatspräsident anlässlich des Jahrestages der Rafle du Vélodrome d’Hiver die Kollaboration direkt an und räumt damit offiziell eine Mitschuld Frankreichs ein. „Von Charles de Gaulle bis François Mitterrand hatten alle Staatspräsidenten versucht, der Nation eine quälende Debatte über die eigene Rolle während der deutschen Besatzungszeit zu ersparen. So galt bis vor kurzem, Frankreich habe den Krieg gewonnen, die Mehrheit der Franzosen sei in der Résistance und Vichy sei nicht Frankreich gewesen.“ Wolfgang Proissl: Vichy vor Gericht. Der Prozeß gegen Maurice Papon läßt französische Mythen bröckeln und spaltet die Nation. In: Die Zeit, 31.10.1997. 565 Vgl. in diesem Sinne auch das offene Dramenende, wenn das Totendenkmal „à la porte du vingt et unième siècle“ und „Sur le chemin qui mène à la mer“ als „sphinx d’Ollifaux“ lediglich „susurre son énigme: quel nom donner à l’héroïsme après l’héroïsme? “ (82). 566 Vgl. dazu Henry Rousso: Le syndrome de Vichy de 1944 à nos jours. Paris (Seuil) 1990. 567 Klappentext zu Fichet: Plage de la Libération. 568 Auch wenn die Sprachexperimente als formale Realisierung einer „écriture des marges“ in diesem frühen Drama Fichets noch nicht im Vordergrund stehen, finden sich doch über das ganze Stück verteilt zahlreiche sprachspielerische, die inhaltliche Seite unterminierende Stichomythien (etwa 32-34, 61). 2.2.6 Bernard Chartreux: Violences à Vichy 185 2.2.6 Bernard Chartreux: Violences à Vichy Der 1942 im südlothringischen Dombasle-sur-Meurthe geborene Bernard Chartreux kommt von der Bühnenpraxis zum dramatischen Schreiben. 569 Als Leiter der Kindertheatersparte an der Comédie de Caen verfasst er 1972 sein erstes Stück, das Märchen Le Château dans les champs, und 1973 Les aventures d’Albert le renard. Das Jahr 1975, in dem er Jean-Pierre Vincent 570 als dessen Dramaturg an das Théâtre National de Strasbourg begleitet, stellt den Beginn einer bis heute andauernden Zusammenarbeit dar. Zunächst an den kollektiven Theaterarbeiten wie Germinal, projet sur un roman (1975) und Le Misanthrope ou l’Atrabilaire amoureux (1977) beteiligt, nimmt Chartreux immer mehr die „fonction d’auteur à part entière“ 571 ein. Damit entwickelt sich seit Beginn der 1980er Jahre die enge Zusammenarbeit zu der eines Autor-Regisseur-Paares im Stile der erfolgreichen Verbindung von Bernard-Marie Koltès und Patrice Chéreau. In diesem Rahmen verfasst Bernard Chartreux Werke wie Violences à Vichy, Palais de justice und die Daniel Defoe-Adaptation Dernières nouvelles de la peste. Diese Formen einer réécriture von Prätexten, die er bereits Ende der 1970er Jahre zusammen mit dem Autor Jean Jourdheuil erprobt hat, 572 stellen in den 1980er Jahren einen großen Bestandteil seines Werkes dar. So entstehen, auch in Chartreux’ und Vincents gemeinsamer Zeit 1983-1986 an der Comédie- Française und 1989-2000 am Théâtre des Amandiers de Nanterre, Réécrituren der Bibel, wie Un homme pressé nach dem Buch Job, von Shakespeare- Stücken, wie Cacodémon Roi nach Richard III, und der Berichte des Afrikaforschers René Caillié in Rester partir (Une passion sous les Tropiques) sowie die freien Adaptationen von Musset in La mort d’Andréa del Sarto, peintre florentin, von Molière in Les fouberies de Scapin, von Büchner in Woyzeck 573 und von der Orestie des Aischylos in Le tombeau d’Atrée. Dem antiken griechischen Theater wendet sich Chartreux auch mit seiner Trilogie Œdipe et 569 Vgl. auch im Folgenden zu Biographie und Werk des Autors die Homepage der Chartreuse, den Eintrag in Confortès: Répertoire du théâtre contemporain de langue française, S. 81 sowie den Brief Bernard Chartreux’ an die Verfasserin vom 14.11.2004 (Anhang, S. 322-326). 570 Vgl. zum französischen Erfolgsregisseur auch das ihm gewidmete Kapitel in Colette Godard: Le théâtre depuis 1968. Paris (Lattès) 1980, S. 186-197 und Temkine: Le théâtre en l’Etat, S. 133-139. 571 Bernadette Bost: Bernard Chartreux. In: Corvin (Hrsg.): Dictionnaire encyclopédique du théâtre, 1991, S. 163. 572 So entsteht die Romanadaptation über die chinesische Revolution von 1911 Ah Q, tragédie chinoise d’après Lou Sin; das als Monologstück konzipierte, auf der Folie der Rêveries du promeneur solitaire und der Lettre à d’Alembert imaginierte Portrait von Jean- Jacques Rousseau sowie, als weitere Zusammenarbeit mit Jourdheuil, das Revolutionsstück Maximilien Robespierre, tragédie-rêverie. 573 Vgl. dazu Bernadette Bost: Lectures de Woyzeck en France. De la critique à la fiction. In: Recherches & Travaux, no. 60, 2002, S. 161-174. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 186 les oiseaux zu. Diese besteht aus den zwei übersetzten und dann adaptierten Tragödien des Sophokles Œdipe Tyran und Œdipe à Colone sowie aus der Komödie Cité des Oiseaux, die eine Bearbeitung und Aktualisierung von Die Vögel des Aristophanes darstellt. Chartreux’ „particularité de transformer une œuvre antérieure, théâtrale ou non, en un nouveau texte original“ 574 zeigt sich in Form eines intertextuellen Netzes im Stück Hélène et Fred, das als zweiter Teil des Theateressays Karl Marx Théâtre inédit diverse Prätexte miteinander verbindet: Der Konfrontation des Geistes von Karl Marx mit seinem unehelichen Sohn Frederick und seiner Dienerin und Maitresse Hélène Demuth auf dem Friedhof liegen Referenzen auf Shakespeares Hamlet, Derridas Spectres de Marx, Goytisolos La longue vie de Marx sowie auf das erste Kapitel von Marx’ Das Kapital zugrunde. Dergestalt stellen die Dramen Bernard Chartreux’ in ihrer grundlegenden écriture als réécriture - wenn auch mit jeweils anderen Konstruktionsprinzipien - eine littérature au second degré im Sinne Gérard Genettes dar. 575 Zugleich ermöglicht ihm die Palimpsestform „une manière allégorique de parler du monde contemporain.“ 576 In den letzten Jahren ist Chartreux im Rahmen der engen Zusammenarbeit mit Vincent immer seltener als Autor tätig, sondern tritt zunehmend - auch im Rahmen der 2001 gemeinsam gegründeten, unabhängigen Theaterkompagnie Studio libre - als Dramaturg und Übersetzer vorwiegend aus dem Deutschen in Erscheinung. 577 Der Theatertext Violences à Vichy liegt in zwei Versionen vor - eine aus dem Jahr 1980, die andere von 1995 -, die beide von Jean-Pierre Vincent uraufgeführt wurden. 578 Da bereits die jeweiligen Entstehungshintergründe aus- 574 Azama: De Godot à Zucco. Bd. 1: Continuité et renouvellements, S. 59-62, hier S. 59. Chartreux’ Verfahren beschreibt Azama im Weiteren als „rumination obsessionnelle“ und „références sans révérence, si bien que le poète garde tous ses droits et se livre en toute jubilation à ses ‘logorrhées’ délirantes.“ A.a.O. 575 Vgl. dazu auch Chartreux’ Kommentare ausgehend von der Bemerkung „Peut-être devrais-je me dire plus scribe qu’écrivain.“ Brief, S. 324. 576 Bost: Bernard Chartreux, S. 163. 577 Gemeinsame Inszenierungen sind etwa 2002 auf dem Festival d’Avignon Le fou et sa femme ce soir dans Pancomedie von Botho Strauss, 2004 Derniers remords avant l’oubli von Jean-Luc Lagarce und 2006 Antilopes von Henning Mankell. Chartreux legt mit Büchners Théâtre complet, Brechts Un Homme est un homme, Roland Schimmelpfennigs La Femme d’avant und des obengenannten Werkes von Botho Strauss in erster Linie Dramenübersetzungen vor, macht aber daneben auch zusammen mit Bernard Bloch - vgl. dazu Kap. II 2.2.2 - Herlinde Koelbls Interview-Bildband Portraits Juifs französischsprachigen Lesern zugänglich: Herlinde Koelbl: Lehaïm - à la vie (Portraits juifs). Paris (L’Arche) 2003. 578 Auf der Basis der ersten Version wird das Stück am 04.03.1980 unter dem Titel Vichy- Fictions zusammen mit Michel Deutschs Convoi und Ruines - vgl. dazu auch die Fußnote 775 in Kap. II 2.3.3 - am Théâtre National de Strasbourg erstmalig inszeniert. Die zweite Version des Stückes realisiert Vincent am 16.05.1995 im Théâtre des Amandiers de Nanterre. Jeweils parallel zu ihren Uraufführungen werden beide Stücke 2.2.6 Bernard Chartreux: Violences à Vichy 187 sagekräftig und in gewisser Weise auch determinierend für Inhalte, Schreibweisen und zugrundeliegende memoriale wie poetologische Reflexionen sind, sollen diese zunächst eingehender betrachtet werden. Violences à Vichy ist in der ersten Version von 1980 durch das Spannungsfeld gezeichnet, dass es sich zum einen um den eigentlichen Beginn der explizit aufgenommenen Autorentätigkeit Chartreux’ handelt, und dass es zum anderen aber im Kontext einer kollektiven Theaterproduktion entsteht. Dem liegt zugrunde, dass Vincent zunächst seinen Dramaturgen Chartreux beauftragt hatte, eine Art Materialsammlung über die Jahre 1940-44 zu erstellen, aus der dann im kollektiven Prozess Texte für die Bühne extrahiert und mit Epochendokumenten kombiniert wurden. 579 In diesem Sinne ist Violences à Vichy einerseits ein Gemeinschaftsprojekt und fungiert lediglich als Grundlage für die Inszenierung, andererseits stellt Chartreux aber seine eigenen, individuellen Schreibweisen sowie die Autonomie eines bühnenunabhängigen Textes heraus. 580 Offensichtlichstes Zeichen dafür ist die von Chartreux gesetzte Gattungszuweisung „romanthéâtre“ 581 , die sich nicht nur typographisch darin äußert, dass die dominant gesetzten, ausführlichen und weitgehend ununterbrochenen Monologblöcke an eine Kapitelstruktur von Erzähltexten erinnern, 582 sondern sich auch in einer strukturell-inhaltlichen epischen Breite niederschlägt. Der Text bildet die tastende, umherirrende, verschlungene Suche ab, die in immer wieder neuen Anläufen um den lieu de mémoire Vichy kreist. Ohne dessen Kern zielgerichtet fassen zu können, entsteht - diesem Schreibprozess experimentell unterworfen - „Une manière de roman, avec sa durée lente et ses itinéraires rectilignes et croisés“. 583 Erst in einem zweiten Schritt erfolgt dann die Kondensierung dessen unter dem Blickwinkel der Insze- verlegt: Violences à Vichy. Paris (Stock - Théâtre Ouvert) 1980 und Violences à Vichy II. Paris (Éditions Théâtrales) 1995. 579 Vgl. zum Prozedere das Nachwort von Jean-Pierre Vincent: Violences à Vichy. In: Chartreux: Violences à Vichy, 1980, S. 168f. Die Notwendigkeit der Koppelung mit Epochendokumenten sieht Vincent in der Natur der Chartreuxschen Texte, da diese eine Art Kommentar und Ergänzung zum kollektiven Gedächtnis darstellen, es selbst aber nicht mitliefern, sondern als bekannt voraussetzen: „Chartreux pose ici les douloureuses questions d’un mémoire/ oubli historique.“ (1980: 168). 580 Im Sinne der Manifestierung dieser „autonomie du texte théâtral par rapport à la scène“ bezeichnet er seine Texte auch vielfach als „poème dramatique“ (Brief, S. 325). Vgl. auch Bernard Chartreux: Hélène et Fred, mode d’emploi. In: Hélène et Fred tiré du spectacle Karl Marx Théâtre inédit. Paris (Éditions Théâtrales) 1997, S. 11 sowie Chartreux: Du détour. In: Théâtre/ Roman, les deux scènes de l’écriture. Entretiens de St-Étienne I. St-Étienne (Direction régionale d’action culturelle) 1984, S. 23. 581 Bezeichnenderweise erfolgt dieser Zusatz nur in der Version von 1980 (1980: 5). 582 Auf den ersten Blick verbleiben so als Überreste einer dramatischen Form nur die Regieanweisung und die kurzen, zumeist als Voix oder Speaker betitelten Szeneneinschübe. 583 Diese Äußerung Chartreux’ ist auf dem Klappentext der Version von 1980 abgedruckt. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 188 nierung. 584 Die so entstandenen zwei Seiten, „un versant ‚romanesque’ [...] et un versant théâtral“ 585 , finden beide Eingang in die Publikation, indem zwar die ‛romaneske Gesamtsuche’ abgedruckt wird, die für die Bühnenversion der Vichy-Fictions verwendeten Passagen jedoch mit einem Asterisken versehen werden. Während die 1980er-Version demnach sehr geprägt ist von Fragestellungen zu Schreibverfahren zwischen Individuum und Kollektiv beziehungsweise zwischen Roman, Theater und Inszenierung, wird für die 1995er-Version ein anderer Fokus relevant. Fragen nach Gattung und Autorschaft, 586 also solche einer formalen Vermittlung, treten in den Hintergrund, denn der Anlass für die zweite, überarbeitete Fassung von Violences à Vichy ist inhaltlicher Natur. In seinem Vorwort Violences à Vichy I et II 587 führt Bernard Chartreux aus, dass zwar bereits der 1980er-Version die Problematisierung des kollektiven Umgangs mit der Vichy-Vergangenheit zugrunde liege, dass seitdem diese Zeit aber noch stärker zu einer geworden sei „qui ne passe pas“ (7) und Vichy als „douteuse [...] fascination“ und „mauvais rêve [...] a pris de l’embonpoint“: „Bref, nous avions eu le refoulement. Aujourd’hui c’est l’inflation.“ (8). 588 Auch wenn der Bezugsrahmen insgesamt betrachtet derselbe geblieben sei und sich nur innerhalb dessen Verschiebungen ergeben hätten - zum Beispiel dadurch, dass „l’ombre portée d’un mur ô combien célèbre n’est plus là pour distribuer ses zones d’ombre et de clarté“ (8) - solle der Theatertext als offenes Kunstwerk (7f.) diesen Umständen Rechnung tragen. Als Konsequenz daraus habe er etwa die Hälfte der 1980er-Version verändert beziehungsweise durch neue Teile ersetzt. Zugleich sieht er das Entstandene wiederum nur als „provisoire état de lieux“ in der Möglichkeit einer Neufassung in weiteren 15 Jahren an (8). Was der Autor im Vorwort gewisserma- 584 Dies entspricht einem Verfahren, das sich bereits anhand von Vater Land Bernard Blochs und Jean-Paul Wenzels gezeigt hat (vgl. Kap. II 2.2.2). 585 Vorwort von Bernard Chartreux. In: Ders.: Violences à Vichy, 1980, S. 7-12, hier S. 12. 586 Eine veränderte Bewertung der Autorschaft zeigt sich auch beim Regisseur Vincent: Während er in der 1980er-Version die individuelle Stimme Chartreux’ als ‛Materiallieferant’ noch hinter den kollektiven Stimmen zurücktreten lässt (1980: 169), stellt er 1995 dessen innovative Schreibweise in den Vordergrund: „une aventure textuelle d’une rare intensité“ (5). Jean-Pierre Vincent: Chartreux-La Violence. In: Chartreux: Violences à Vichy II, 1995, S. 5f. Vgl. zum Wandel auch Bernadette Bost: Bernard Chartreux et l’écriture fragmentaire: un usage poétique du document. Unveröffentlichtes Manuskript, S. 1-17, hier S. 3-5. Vgl. zum Unterschied auch den Brief, S. 325. 587 Bernard Chartreux: Violences à Vichy I et II. In: Ders.: Violences à Vichy II, 1995, S. 7f. 588 Auch wenn das Vorwort Vincents in erster Linie die Besonderheit der Chartreuxschen écriture herausstellt, erwähnt er ebenso, dass die „récidive“ nicht zufällig, sondern durch die Aktualität bedingt sei: „Au milieu des cacophonies actuelles, nous pouvons tenter d’adopter un nouveau point de vue qui fasse sentir autrement ce phénomène historique à multiples entrées et multiples sorties…“. Vincent: Chartreux- La Violence, S. 5. 2.2.6 Bernard Chartreux: Violences à Vichy 189 ßen mit ‛Widerspiegelungsaspekten’ der Gegenwart begründet, erhält durch seine Stellungnahmen im Brief an die Verfasserin jedoch noch einen anders gelagerten Fokus, nämlich in Bezug auf eine ‛Widerspiegelung’ der Vergangenheit: Peut-être convient-il d’ailleurs de dire ici en quelques mots, le pourquoi de cette seconde version. Eh bien, je dirai que c’est le remords. M’apparut en effet à la relecture que dans la version 1980, je n’avais rien dit des Juifs: rien sur le statut des Juifs qui, comme on le sait, fut promulgué dès le 3 octobre 1940 sur la seule initiative de Vichy, rien sur l’antisémitisme, rien sur les dénonciations, les spoliations, les complicités dont bénéficièrent plus tard les collabos non repentis… […] Il me parut alors de la plus élémentaire décence d’essayer de combler - quinze ans après - cette lacune. 589 Damit zeigt sich, dass der Überarbeitung recht eigentlich eine inhaltliche Vermittlungsproblematik zugrunde liegt. Denn der Autor der zweiten Generation hinterfragt den Stellenwert seines Dramas als adäquater und repräsentativer Erinnerungsträger und -vermittler, aus dem er, so sein Fazit, in der ersten Fassung einen wichtigen Teil ausgeschlossen sieht. 590 Dieses Defizit eines jüdischen Gedächtnisses gilt es für ihn in die 1995er- Version zu integrieren. In Anbetracht dessen wird schließlich auch deutlich, warum Chartreux seinem ‛neuen’ Stück eine Art grobe - jedoch wie eine Absicherung funktionierende - Quellenangabe voranstellt, die die hinzukommenden Texte Le rendez-vous de Megève, Anna R. und Holopherne als auf der Folie von Dokumenten geschrieben ausweist, die er im „Centre de documentation juive contemporaine“ eingesehen hat (9). Aus den skizzierten Bedingungen der Genese beider Versionen lässt sich für die vorliegende Untersuchung die Schlussfolgerung ziehen, dass die zweite Version der maßgebliche - wenn auch nicht ausschließliche - Referenzpunkt sein muss: Zum einen bleibt in der 1995er-Version die formale Seite der Erinnerungsinszenierung als Spezifikum der Chartreuxschen Schreibweise unverändert - wenn auch natürlich die massiv demonstrierte Abgrenzung zur Bühnenversion wegfällt -, zum anderen tritt neben die Reflexion, wie erinnert werden soll, eine Revision dessen, was erinnert werden soll. In Form heterogener Schlaglichter beleuchtet Violences à Vichy den vielschichtigen Komplex eines vichyistischen Bildarsenals, das Chartreux expressis verbis als Gegengedächtnis zum dominant französischen Résistance- und Okkupationsgedächtnis konzipiert. Wenn er damit Vichy und 589 Brief, S. 325. 590 Zugleich geht damit eine Art historischer Schock einher, denn „A ma grande stupeur, je découvrais que, avec pourtant presque quarante ans de recul, je n’avais été guère plus clairvoyant que nos parents, qui eux du moins avaient l’excuse (soyons bon prince) d’avoir le nez collé sur l’événement.“ A.a.O. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 190 nicht den Zweiten Weltkrieg allgemein fokussiert, 591 dann vor dem Hintergrund einer Erinnerungskultur, in der die Kollaboration nach der Maxime „Quatre années à rayer de notre histoire“ 592 weitestgehend tabuisiert wird. 593 Chartreux stellt dabei heraus, dass dieser kollektive Umgang mit der Vergangenheit auch Teil seiner individuellen Geschichte ist, 594 denn „c’est précisément le fait que dans ma famille, on ne parlait pas de Vichy. On parlait de la guerre certes (mon enfance a été bercée d’histoires de „dommages de guerre“ […]) mais pas du régime de Vichy, ni de la collaboration, ni même de Pétain…“. 595 Diese Leerstelle im kollektiven Gedächtnis, die Chartreux individuell erst spät und deshalb schockartig auch als Teil seiner eigenen Geschichte identifiziert, 596 inszeniert er mit Violences à Vichy. Was macht nun aber diesen vielschichtigen, durch die unterschiedlichen Stadien der Genese hoch reflektierten Theatertext aus? Violences à Vichy 591 In diesem Sinne betont er auch die innerfranzösische Perspektive, denn „c’est Vichy et non l’Allemagne qui m’intéressait“. Ebd., S. 324. 592 So der Richter Mornet im Rahmen des Prozesses von Maréchal Pétain. Vgl. auch im Folgenden Jean-Pierre Vincent: Vichy-Fictions. In: Chartreux: Violences à Vichy, 1980, S. 163-167, hier S. 163. 593 Vincent verankert darüber hinaus das Theaterprojekt in nationalen Erinnerungskonventionen und einer Zeit, die er als „charnière historique“ (Ebd., S. 164) bezeichnet: Mit dem Ende der gaullistischen Zeit treten viele ehemalige Résistants von der Macht zurück (Ebd., S. 163), erschüttert ein Film wie Le Chagrin et la Pitié von Marcel Ophüls die französische Nation in ihren Erinnerungskonventionen und ist gleichzeitig ein Wiedererwachen der „bête immonde“ (Ebd., S. 164) als „retour du refoulé“ (Ebd., S. 165) zu verzeichnen. 594 In diesem Sinne manifestiert er: „Violences à Vichy est […] la seule de mes pièces où l’Histoire (avec un grand H) et ma propre histoire sont aussi intimement - je dirais presque subconsciemment - liées“ und „J’ai choisi d’écrire sur Vichy eu égard à ma relation personnelle fantasmatique à Vichy.“ Brief, S. 326. 595 Zur Erläuterung führt er weiter aus: „Mes parents eux-mêmes furent sans doute semblables à cette majorité de Français d’abord très soulagés par la signature de l’armistice (et donc reconnaissants envers Pétain; le ‛vainqueur de Verdun’, particulièrement dans l’est de la France, ça n’était pas rien) puis prenant peu à peu, et à des rythmes divers, leur distance vis-à-vis du vieux Maréchal pour finir plus ou moins gaullistes.“ Ebd., S. 323. 596 „Et ce me fut un véritable choc de me rendre compte, lorsque par exemple je me suis intéressé au matériel iconographique sur Vichy qui commençait à apparaître d’abondance à la fin des années 60, qu’il y avait une étrange parenté, comme une communauté de style entre ce matériel et les albums de photos familiaux que je compulsais depuis toujours. Ainsi donc, c’est seulement en approchant de la trentaine que je m’aperçus que j’étais bel et bien un ‛enfant de Vichy’ […]. Et il m’avait fallu si longtemps pour le découvrir! ! Et on me l’avait caché! ! […] Mais voilà que je découvrais que j’en étais en quelque sorte issu. Certes, cette contemporanéité était le fruit d’un pur hasard, mais le liquide amniotique où j’avais baigné, le lait maternel que j’avais sucé ne pouvaient pas ne pas en être marqués. […] C’est que ses images désuètes et médiocres [de l’iconographique vichyssoise], et qui recouvrirent tant de lâchetés et d’ignominies, exhalent aussi le parfum de mon enfance.“ A.a.O. 2.2.6 Bernard Chartreux: Violences à Vichy 191 gliedert sich in elf, mit thematisch-beschreibenden Überschriften voneinander separierte Einzelteile, denen eine Indication Scénique (11f.) vorangestellt ist. Obschon diese den Text auf den ersten Blick als Drama auszuweisen scheint, wird die ‛Gattung’ Regieanweisung allein schon durch ihre epische Breite im Ansatz gesprengt. Hinzu kommt, dass sie in anderer Form funktionalisiert wird. Die Szenenanweisung besteht aus einer sich über zwei Seiten erstreckenden, äußerst detaillierten Beschreibung einer frühlingshaften Kleinstadtidylle sonntags nach dem Mittagessen: „La place du bourg somnole“ (11), „Les français sont chez eux“ (12). Bereits die Oberflächen- und Außenperspektive in Kombination mit dem Detailreichtum deutet auf eine Beschreibung des französischen Mikrokosmos hin, die von einem Bild, Foto oder einer Kameraeinstellung ausgeht. Diese Spur wird auch im Text durch eine mögliche doppelte Lesart aufrechterhalten. 597 Was einerseits im konkreten Kontext eines Fotogeschäftes als Werbung dient, kann andererseits auf die Szenenbeschreibung selbst übertragen werden: „ici le centre de la France, ici le centre de l’univers - de Kodak“ (11). Zugleich lässt sich die Materialisierung dieser Welt auf einem Foto rückbinden an die Ausführungen Bernard Chartreux’ in seinem Vorwort zur 1980er-Version, in dem er die Bedeutung von Fotos zur Rekonstruktion von Vergangenheit und Identität reflektiert. 598 Jedoch bildet auch das Foto als Erinnerungsträger nur einen kleinen Ausschnitt ab und verweist damit implizit auch auf die nicht fokussierten Leerstellen: „elle n’existe que comme pièce d’un puzzle […] livrée à elle-même elle reste muette“ (1980: 8). Jedes Foto benötigt demnach noch andere Elemente für einen fruchtbaren Dialog über die Vergangenheit. Wenn man die Bildbeschreibung der Indication scénique nun auf dieser Folie liest, wird dem Leser zunächst die Abbildung einer idyllischen Kleinstadt inmitten Frankreichs präsentiert. Daran schließt sich aber unweigerlich die Frage nach den ‛Dialogpartnern’ an, für die nur die elf nachfolgenden Fragmente in Frage kommen und die tatsächlich die ausgeschlossenen Bilder der Zeit beleuchten. Und wie Chartreux in seinem Vorwort auch den Eintritt in diese andere Welt als „passage du charme au dégoût“ (1980: 10) beschreibt - „de se laisser glisser au cœur de cette univers insidieux et envahissant dont les fameuses photos nous avaient ouvert la porte“ (1980: 10) -, wird auch im Drama die Schwelle von der Anfangsidylle der separierten Szenenanweisung hin zum vichyistischen Bildinventar überschritten. Wenn man in diesem Sinne also das 1980er-Vorwort als Theorie und Lektüreanleitung zum Drama liest, erklärt sich die Chartreuxsche Vorgehensweise in seinem Versuch „de rivaliser avec la puissance essentialiste des photos“, indem er Vichy als Universum 597 Vgl. auch Bost: Bernard Chartreux et l’écriture fragmentaire, S. 5f. So verweist Bost auch darauf, dass in der Inszenierung des Stückes 1980 eine Vergrößerung des Fotos Bestandteil des Bühnendekors war. 598 Vgl. das Vorwort von Chartreux (1980: 7-12). II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 192 entstehen lässt „qui parviendrait à n’exister que par la seule force d’une écriture littéraire [...] et dont sa cohérence lui assurerait son autonomie“ (1980: 12). Dergestalt wird die Regieanweisung in ihren ‛Gattungsmerkmalen’ umfunktionalisiert: Sie ist nicht länger eine Anweisung zur Inszenierung, sondern als erstes Bild bereits integrativer und unverzichtbarer Bestandteil des Dramas. Wenn sie trotzdem einen erklärenden und hinführenden Einstieg in das Drama liefert, dann in ihrer Funktion als Kontrastfolie, das heißt nicht als Einstieg in die skizzierte Welt, sondern in deren Parallel- und Gegenwelt. So lässt sich auch erklären, warum weder Ort, Zeit, Situation, noch eine Figur aus der Indication scénique in der Nachfolge erneut relevant werden. Mit seinem Titel Race spielt bereits das erste Schlaglicht 599 (13-21), das auf das Gegengedächtnis Vichy geworfen wird, medias in res auf nationalsozialistisch gefärbtes Gedankengut an. Die ersten Konnotationen in Richtung ‛jüdische Rasse’ beziehungsweise Rassenkunde - durchgängig aufrechterhalten durch die ausgestellte Präsenz des Wortes „RACE“ (13) auf einer Tafel - finden im Folgenden ihre konkretisierende Ausgestaltung in einem Vortrag über die Genealogie einer Familie P., die durch die parallele Skizzierung eines Stammbaums „d’une inquiétante luxuriance“ (13) illustriert wird. Bis auf die in den Regieanweisungen geschilderten vorbereitenden Maßnahmen besteht die gesamte Szene in der durchgängigen Wiedergabe des Vortrages, der an signifikanter Stelle und in signifikanter Weise abgebrochen wird: Der Redner, der mit der Genealogie im Jahr 1691 beginnt und sieben Generationen beleuchtet, ist bei der Namensnennung eines am 24.04.1856 geborenen Sohnes angekommen und will sodann dessen weitere Entwicklung schildern - „qui reçoit les noms de Henri-Philippe-Bénoni-Omer-Joseph P., et qu’on appela Philippe P. et“ (21) - als das Licht plötzlich erlischt, Sirenen aufheulen und ein großes Durcheinander entsteht. In der Klimax wird die seitenlange Genealogie als diejenige Philippe Pétains erkennbar und führt damit zur zentralen Figur, die das Vichy-Regime mithin personifiziert. Was damit - zumindest für Nicht-Spezialisten der Urahnen Pétains - gerade erst aufgedeckt an entscheidender Stelle wieder abreißt, wird zum Fragment mit dialogischer Funktion: Denn die eröffnete Leerstelle erfährt zum einen eine textimmanente Füllung, indem durch das angedeutete Kriegsgeschehen - als erkennbare Gegenwart des Vortrages - die Zeitspanne bis zum Zweiten Weltkrieg und währenddessen mittransportiert wird. Zum anderen, und dies ist auf einer übergeordneten Ebene angesiedelt, wird das abgebrochene Fragment im Rezeptionsprozess weiterentwickelt. Dass Chartreux dabei auf die Delegie- 599 Durch das Anfangsfoto als Erinnerungsträger werden auch die nachfolgenden Teile als Blitzbzw. Schlaglichter in diesem Rahmen situiert. 2.2.6 Bernard Chartreux: Violences à Vichy 193 rung an das historische Wissen des Lesers und seine Urteilsfähigkeit am Ende des 20. Jahrhunderts setzt, erfährt noch eine zusätzliche Verstärkung durch die Tatsache, dass auf der Textebene jede Rezeptionsinstanz ausgeblendet ist. Hier wird das Geschehen nur frontal am Konferenztisch fokussiert; durch die fehlende Potenzierungsebene der Vortragshörer im Text wird der Leser von Violences à Vichy gewissermaßen mit diesen identisch. So sehr dabei auch von einem vorhandenen Wissen über Vichy und Philippe Pétain im kollektiven Gedächtnis vor allem französischer Rezipienten ausgegangen werden kann, gestaltet sich letztlich die anvisierte ‛Entfragmentarisierung’ im Detail natürlich vage und unkontrollierbar. Bereits innerhalb des sich über neun Seiten erstreckenden Vortrages über die Vorfahren Pétains 600 tragen verschiedene Strategien dazu bei, die Genealogie als solche und deren eigentliches, erst fragmentarisch am Ende durchscheinendes Ziel zu unterminieren. Die Ahnenforschung selbst wird konterkariert durch einen bis ins Absurde führenden Detailreichtum. Auf diese Weise besteht der Text aus inflationären Aufzählungen und Aneinanderreihungen - häufig in anaphorischer Form 601 - von beispielsweise historischen Begebenheiten (13, 15), Kindern und Enkelkindern (14-16), Hinterlassenschaften (16) und vorgeblichen Wundern (17) sowie aus exzessiven Erklärungen etwa zur Stadtgeschichte von Cauchy-à-la-Tour, 602 zu den verschlungenen Lebenswegen verschiedener Randfiguren (16-19) und zu diversen Namen in Form abstruser Etymologien. 603 Diese zum Teil seitenlangen Aufzählungen und Erklärungen erfolgen entweder nahtlos in den Text integriert oder werden parenthetisch, seltener mit Absatz, eingefügt. 604 Die in der Konsequenz durch nebensächliche Exkurse aufgeschwemmte, wenig stringente Ahnenfolge wird im Gegenzug dann wieder durch ironisch-lakonische Formen 600 Die Rekonstruktion erfolgt nach Aussagen Chartreux’ auf der Basis von Archivarbeiten. Vgl. Brief, S. 325. 601 Etwa bei der Aufzählung der Kinder, die achtfach mit der Formel „qui sera suivi[e] en […] par […]“ (14) erfolgt, oder bei der vierfachen Aneinanderreihung von Ereignissen nach dem Muster „Elle a vu [...]“ (15f.). 602 Diese Erklärungen bestehen aus halbseitigen Ausführungen zur Stadt, inklusive der Herleitung des Stadtnamens anhand von zwei Theorien „les uns voulant [...] les autres optant“ (15). 603 Diese Etymologien, die in der 1980er-Version noch umfangreicher sind, werden mit „signifie“ (13f.), „qui vient de“ (14), „qui veut dire“ (14) oder etwa „Martin c’est comme si on disait“ (14) eingeleitet und prozedieren im Stil der Erklärung zu François: „franc vient de férocité et il y a en effet dans le caractère françois un instinct de férocité joint à la magnanimité“ (14). Vgl. dazu auch die Unterscheidung der beiden Versionen von Bost: Bernard Chartreux et l’écriture fragmentaire, S. 9f. 604 An einer Stelle werden jedoch auch die stets sehr weitschweifigen Integrationen in Klammern konterkariert, wenn, in Sprengung des Erwartungshorizontes, nur ironisch durch „etc.“ auf das sonst gängige Verfahren verwiesen wird: „Philippe-Michel Lefebvre (l’ex-commisaire, etc.)“ (21). II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 194 der Strukturierung ausgestellt. So finden sich nach den diversen Abhandlungen Wiederaufnahmen des den Gedankenstrom initiierenden Wortes mit einem rückverweisenden, resümierenden Element, etwa „Jean-Baptiste P. donc“ (14, „donc“ auch 15, 18), „C’est là, à Cauchy-à-la-Tour“ (15), „Benoît-Joseph Labre, pour mémoire“ (17) sowie „Omer-Venant dis-je“ (20). Die insgesamt mit ironischen Beschreibungen der Ahnen, Religion und Geschichte 605 angefüllte und damit zugleich überfüllte Genealogie wird darüber hinaus auch in ihrem Zweck subvertiert: Eigentlich hat sie den Nachweis der ‛Herren-Rasse’ und damit der herausragend familiären Determination des als Heilsbringer ironisch-persifliert angekündigten Philippe Pétains zu erbringen, 606 tatsächlich aber leistet sie das Gegenteil: Denn unter den vielen mittelmäßigen Vorfahren Pétains verbirgt sich ein nicht zu kaschierender Schandfleck, als Geschichtsironie noch dazu einer auf militärischem Gebiet: „la grande honte et déshonneur de la famille“ ist „Cyrille-le-déserteur“ (19f.), der Onkel Philippe Pétains väterlicherseits. In Form und Inhalt dekonstruiert Chartreux mit Race also eine von Prädestinationsgedanken motivierte Genealogie - hier neben dem rassenideologischen Kontext auch in Anspielung auf biblische und epische Genealogien - und ironisiert darüber hinaus im Rückgriff auf Inhalte des kollektiven Gedächtnisses den im Text nur als Leerstelle markierten Vichy-Diskurs avant la lettre im Rezeptionsprozess. Der dominante Aufzählungscharakter von Race wird im vierten Blitzlicht La Table des Provinces Françaises (33-44) perpetuiert. Die auf den dritten Teil der Mémoire d’un homme de peuple der 1980er-Version 607 zurückgehende Sequenz besteht im Wesentlichen aus der Auflistung und Beschreibung der zahlreichen Geschenke des französischen Volkes für den Maréchal Pétain sowie dessen Gegengeschenke an die verschiedenen Delegationen anlässlich einer „Grande Réception“ (33). Die als Monolog konzipierten Schilde- 605 Vgl. etwa Beschreibungen der Vorfahren oder ihrer Geschichten mit den Worten „sa fleurissante famille“ (14), „l’odeur des vertus de son plus illustre enfant“ (17), „balbutier les rudiments de la langue de Racine et de Bossuet“ (18), „son tempérament naturellement belliqueux“ (18), „Ensuite c’est le silence.“ (18), „Notre homme quant à lui“ (19), „notre vieille connaissance“ (20) sowie die spöttischen Beschreibungen religiöser Praktiken (17) und der Geschichte etwa mit „Mais la vie va son train. De la charogne d’un roi sort un empereur. Et de celle d’un empereur un autre roi.“ (17). 606 Die ironische Persiflage äußert sich nicht nur darin, dass Pétain ähnlich Jesus in einer „ferme“ geboren wird, sondern auch in der Form der Ankündigung seiner Geburt: „retenons bien cette date, 24 avril 1856, elle ouvre une ère nouvelle - une nouvelle naissance vient mettre son baume sur les cœurs meurtris.“ (20). 607 In der 1980er-Version liefern die ersten beiden Teile der Mémoire d’un homme de peuple (1980: 49-53, 57-61) mit den Schilderungen über Albert Lebrun, den Vorgänger Pétains, und den verschiedenen Regierungsniederlassungen in Vichy den historischen und topographischen Entstehungshintergrund zum dritten Teil (1980: 65-84). Vgl. dazu und zum Unterschied zwischen den beiden Versionen Bost: Bernard Chartreux et l’écriture fragmentaire, S. 6f. 2.2.6 Bernard Chartreux: Violences à Vichy 195 rungen eines vichyistischen Amtsdieners skizzieren eingangs nur kurz die rahmengebenden Feierlichkeiten, die in Form eines Hofzeremoniells im Hôtel du Parc, dem Sitz der Vichy-Regierung, stattfinden, um dann direkt die auf und unter dem titelgebenden Geschenktisch platzierten Präsente zu inventarisieren und auszukommentieren. In strenger, nahezu selbst als Kunstwerk dargestellter Anordnung (34f., 42) finden sich dort über 60 Gegenstände, die einerseits typisiertes Zeichen für den Schenkenden selbst sind, andererseits dem Maréchal huldigen. Die einzelnen, für die Individuen und jeweiligen Mikrokosmen aussagekräftigen Gaben lassen sich als Mosaiksteine ansehen, die zusammengesetzt das Bild eines Vichy verehrenden Frankreichs ergeben. Unter diesem Blickwinkel wird auch relevant, dass Bernard Chartreux die einzelnen Gegenstände aus Archivmaterial zusammengestellt hat: „La recherche de documents est déjà partie prenante de l’écriture.“ 608 Diese Ausgangsprämisse erweist sich als konstitutives Moment für die Konstruktionsprinzipien allgemein, indem die eigentliche Vorstufe der Material- und Dokumentsammlung zur formgebenden Gattung 609 selbst wird. Kann man in diesem Sinne die gesamte, präzise Aufzählung als Bestandsaufnahme einer vichyistischen Gesellschaft fassen, so lassen sich die einzelnen Elemente auch als Illustration der ihr zugrundeliegenden Wertvorstellungen anhand der Devise „Travail, Famille, Patrie“ lesen: „un peu la famille, consacrée par l’Église catholique; davantage le travail, manuel avant tout, à travers les outils offerts et les chefs-d’œuvre d’artisans, beaucoup la patrie“. 610 Dergestalt treffen etwa eine „statue de sainte Geneviève [...] tenant devant elle un petit enfant“ (38), ein „plat à décor de bleuets épis de blé coquelicots peint par Maria Brun meilleure ouvrière de France“ (39) und eine „bourse de soie aux couleurs de la France et brodée de sept étoiles d’or“ (35) sowie zuhauf die den Maréchal selbst verewigenden Gegenstände 611 aufeinander. Indem er auf ironische Kommentare vergleichbar mit den Verfahren in Race weitgehend verzichtet, lässt Chartreux das kritische Potenzial durch die Gegenstände selbst und ihre untereinander dialogisierende Form der Zusammenstellung entstehen. Während sich die Schizophrenie zwischen nationaler Selbstbehauptung und Verbrüderung mit Hitlerdeutschland in der Ambivalenz einiger Geschenke selbst zeigt - etwa einem „drapeau tricolore fait de mouchoirs 608 Brief, S. 324. 609 Die Aufzählung als eigenständige Mikroform - etwa auch bei Georges Perec und Peter Handke zu finden - wird bereits im Fragment Race relevant. Vgl. allgemein dazu Bost: Listes et inventaires dans les textes dramatiques contemporains, S. 18-27. 610 Ebd., S. 20. 611 Bspw. die „abécédaires où chaque lettre est illustrée par un épisode de la vie du Maréchal“ (42f.), die „branche de roses en fer forgé et une petite marmite de cuivre poli dans laquelle le Maréchal s’engagea en riant à faire désormais cuire sa soupe“ (36) oder eine „pipe en merisier, peu faite pour être fumée, avec un long tuyau et un fourneau sculpté rappelant dans ses grandes lignes la tête du Maréchal“ (37). II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 196 grossièrement teints et cousus, ayant flotté sur le stalag XIX de Prenzlau“ (36) oder den wechselnden Repräsentationen mal germanischer mal romanischer Nationalidentität 612 -, stehen provinziell-kitschige Handwerksarbeiten im Widerspruch zu Kulturgütern höchsten Ranges und der zu preisenden historischen Größe Pétains und des Vichy-Regimes. Wenn auf diese Weise die dokumentarische Materialsammlung zu einer die vichyistische Bilderwelt entlarvenden „liste fantasmatique“ 613 wird, können auch analog dazu die ‛unrepräsentablen’ Lebensmittelgeschenke beleuchtet werden. Denn die eigentlich ein regional hohes Identifikationspotenzial besitzenden Konsumgüter werden nicht etwa wegen ihrer vorgeblich schnellen Verderblichkeit - eine Begründung, deren Gültigkeit für Wein- und Champagnerflaschen ohnehin zweifelhaft ist - vom Gabentisch entfernt, sondern weil sie dem zugeeigneten Vichy-Regime nicht wie die anderen Präsente Wertbeständigkeit attestieren. Vielmehr unterstreichen sie nämlich dessen „nature essentiellement finie, transitoire“ (41). Chartreux integriert in seine Blitzlichtbilderwelten des lieu de mémoire Vichy mit den beiden, die Table des Provinces Françaises umrahmenden Voix off (31f., 45-47) auch Dokumente in ‛Reinform’. Als nahezu unveränderte und -kommentierte Zeitdokumente werden die Dekrete zum „Statut des juifs“ vom 03.10.1940 und 02.06.1941 614 in Form sich selbst ausstellender, sonorer Projektionen über das Radio vermittelt. Die stark erinnerungsevozierenden ‛Judengesetze’ haben den Effekt, dass die absurd und übersteigernd wirkenden Aufzählungen der beiden dargestellten Sequenzen quasi schlagartig in die realhistorische, sich zunehmend verschärfende Wirklichkeit zurückgeführt werden. Durch den plötzlichen Abbruch beider Dokumente eröffnet sie erneut eine vom kollektiven Gedächtnis des Rezipienten zu füllende Leerstelle. Zugleich lassen sich die in der 1995er-Version neu erscheinenden Texte 615 aber auch im Zusammenhang mit den weiteren, aufgrund der Vermittlungsproblematik neu hinzugekommen Szenen 6, 7 und 8 lesen. Dergestalt kann man letztere als schlaglichtartige Beleuchtung und szenische Umsetzungen der sich durch die Gesetzestexte radikal veränderten‚ jüdischen Lebenswelt ansehen. Anna R. (57-59) fokussiert so die zum nationalen Interesse (59) stilisierte Rache einer betrogenen arischen Frau, die ihren jüdischen Ehemann - der um das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn bangt - denunziert. Eine solche nicht nur in die privaten Geschichten, sondern sogar bis in das Intimleben eindringende große Ge- 612 Vgl. dazu Bost: Bernard Chartreux et l’écriture fragmentaire, S. 7f. 613 Brief, S. 325. 614 Während das erste Gesetz gänzlich unverändert ist, nimmt Chartreux im zweiten nur einige Umstellungen und Auslassungen vor, die jedoch keinen sinnentstellenden Effekt haben. 615 Dort finden sich mit den „Speaker“- und „Voix“-Szenen nur formal ähnliche Verfahren im Sinne der Stimm- und Textflächen, jedoch mit gänzlich anderen Inhalten. 2.2.6 Bernard Chartreux: Violences à Vichy 197 schichte präsentiert auch Holopherne (61-64). Der Text illustriert - am Ende auf der Folie der alttestamentarischen Errettung der Juden durch Judith im Kampf gegen Holofernes 616 verfasst - die Arbeitsweise George Montandons: Der Anthropologieprofessor im Vichy-Generalkommissariat für jüdische Fragen praktiziert „examens ethno-racial“, die zur Einstufung von Menschen als Juden, Halb-Juden und Nicht-Juden führen. Der Text Le rendez-vous de Megève (49-55) entlarvt seinerseits sukzessive anhand eines an Pétain gerichteten Beschwerdebriefs beziehungsweise einer Eliminierungspetition (14.01.1942) der Bevölkerung des Winterbadeortes und deren gleichzeitigem zügellosen Verhalten, dass die angeprangerten Ausschweifungen und der Immoralitätsvorwurf (50) stärker für die Verfasser selbst als für die stigmatisierten jüdischen und ausländischen „nomades“ und „sédentaires“ (52) gelten. 617 Im Unterschied zu den übrigen Sequenzen von Violences à Vichy stellen die neuen Szenen zum einen verstärkt das Ergebnis umfangreicher Quellenstudien dar, zum anderen zeugen sie hinsichtlich Schreibprozess und -strategien von anderen Verfahren. In seinem Brief an die Verfasserin führt Chartreux dazu aus: J’eus cette fois recours à des documents de première main, de véritables archives telles que lettres, comptes-rendus, „examens ethno-racial“ etc. … et sans renoncer à intervenir en elles (c’est-à-dire sans renoncer à les rendre manipulables par le théâtre) je me suis efforcé de conserver ce que dans leur forme brute et naïve elles avaient à la fois de terrible et d’émouvant. 618 Deutlich zeigt sich dieser ‛respektvoll-konservierende’ Umgang des Autors der zweiten Generation mit den Dokumenten, die zugleich auch Ausdruck der individuellen Erinnerungen der Opfer des Zweiten Weltkrieges sind, auch darin, dass die üblichen, radikalen Verfahren der textlichen Dekonstruktion in den Texten selbst nicht in dem Maße zum Tragen kommen: Die Szenen sind ungleich weniger hermetisch und entfalten eigentlich erst im Kontext der anderen Szenen ihr subversives Potenzial. Auch als Vermittlungsgarant verzichtet Chartreux hier im Unterschied zum gesamten Theatertext weitgehend auf „nicht mehr dramatische“ 619 Konstruktionen 616 Vgl. Buch Judit 13. Die Sekretärin, die am Ende dem Anthropologen Montandon den Kopf abschlägt, wird zudem als Judith in der bekannten Darstellung Caravaggios, Judith enthauptet Holofernes (1598), beschrieben (64). 617 Als coup de théâtre wird ein belebtes Pétain-Portrait eingesetzt, das je nach Situation die Farbe verändert, weint, schielt (51), mit einem Hitler-Bart versehen, zum Neger Banania (53) oder älter wird (54) und als Totenkopf endet (55). Während Pétain in Violences à Vichy immer nur indirekt präsentiert wird, inszeniert Besset eine Konfrontation zwischen De Gaulle und dem gealterten, inhaftierten Maréchal im November 1945: Jean-Marie Besset: Villa Luco. Paris (Actes Sud-Papiers) 1989. Vgl. dazu auch Actes du théâtre 20. Paris (Entractes, SACD), janvier 2005-octobre 2005, S. 44-47 und Azama: De Godot à Zucco. Bd. 3: Le bruit du monde, S. 71-73. 618 Brief, S. 325. 619 Vgl. dazu Gerda Poschmanns Titel Der nicht mehr dramatische Theatertext. Aktuelle II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 198 und bindet diese Szenen stärker an eine Ästhetik des wieder-dramatischen Textes zurück. Im Gegensatz dazu stellen sich die verbleibenden Blitzlichter vergleichbar mit den Mikroformen der Aufzählungsszenen als erneute Aufweichung und Dekonstruktion dramatischer Verfahren dar. Zentral ist dabei jedoch nicht mehr so sehr die dominant gesetzte Integration zeithistorischer Dokumente mit ihren Authentizitätseffekten, sondern nunmehr ein heterogenes Konglomerat verschiedener Diskurse und Elemente des kulturellen Gedächtnisses (etwa Mythos, Literatur und ideologische Diskurse) kombiniert mit der Vichy-Zeit. In dieser Referenzverschiebung liegt der nur am Rande - das heißt in der Überschrift und am Textende oder als vage Konnotation - evozierte Bibelbezug in den eher ‛dokumentarischen’ Stücken Holopherne und Race begründet, wohingegen La ballade du Président Reynaud qui ne parvient pas à trouver le sommeil au Château de Chissay (23-29) zentral über biblische Referenzen funktioniert. Die deskriptive Überschrift erfüllt auch in dieser Sequenz wichtige Funktionen. Zum einen weist sie den nachfolgenden Text in seiner Gattung als Ballade aus. 620 Zum anderen stellt die Überschrift den einzigen Indikator für die Rahmensituation dar. Sie situiert den Text in einem gedankenerfüllten Zwischenstadium von Wirklichkeit und Traum, zugleich eröffnet sie aber den Horizont einer konkreten historischen Situation: Einige Wochen vor der Machtübernahme Pétains im Juni 1940 zieht sich der noch amtierende Ministerpräsident Paul Reynaud, der nach seinem Rücktritt von der Vichy-Regierung verhaftet und nach Deutschland ausgeliefert wird, auf das Schloss von Chissay in der Touraine zurück. Während sich aus der Überschrift somit Reynaud als Erzählerfigur ergibt, präsentieren die Regieanweisungen einzig einen „homme à l’épée“ als Sprecher- und Bühnenfigur. In der Kombination von deskriptiver Überschrift und Regieanweisungen lassen sich die beiden Männer jedoch über die äußerlichen Zeichen ihrer Machtlosigkeit und Verwundung - in Form von Rückzug, Isolation und Schlaflosigkeit beim einen versus Kopfverletzung, zerrissener Kleidung und gebrochenem Schwert beim anderen (23) - miteinander identifizieren. So wie die Figuren zwei und doch eine sind, werden auch im Gegenstand der vorgetragenen Ballade zwei Ereignisse zu einem miteinander verbunden: Auf diese Weise wird die deutsche Invasion Frankreichs über Bühnenstücke und ihre dramaturgische Analyse. Tübingen (Niemeyer) 1997 (Theatron; Bd. 22). 620 Wenn Chartreux in seiner Ballade einen epischen Stoff - der Text ist nichts anderes als ein récit de bataille und erinnert an die chansons de geste - mit einer lyrischer Form, d.h. hier in freien Versen, und einem gesamtdramatischen Kontext kombiniert, dann kann man die Gattung auch nach der traditionellen Definition Goethes als Urei fassen, die die drei Grundarten der Poesie miteinander verbindet. 2.2.6 Bernard Chartreux: Violences à Vichy 199 Paris in Richtung Loire kombiniert mit der im 2. Buch Mose (Exodus) überlieferten Verfolgung der Israeliten durch das Heer des Pharaos. In einer Art apokalyptischen réécriture lässt sich so die jüngste Geschichte Frankreichs auf der Folie des Alten Testaments lesen, der Rückzug der Franzosen wird in Beziehung zum Auszug aus Ägypten gesetzt. Dabei bleibt die Referenz zur Figur Reynaud dadurch implizit bestehen, dass der Ministerpräsident gleichzeitig Verteidigungsminister und somit verantwortlich für das Zurückweichen der französischen Truppen vor den Deutschen nach Bordeaux war. Während es aber Moses durch Gottes Hilfe gelingt, auf der Flucht vor den Armeen des Pharaos sein Volk aus Ägypten zu führen und durch die Teilung des Meeres zu retten (2. Mose 14), stellt sich der Rückzug Reynauds als Apokalypse dar: Die Loire hat keine rettende Funktion, sondern Menschen, Brücken und Flugzeuge (25) gehen in ihr unter. 621 Die Städte stehen in Flammen, 622 die Invasoren tragen den Sieg davon und das Volk unterwirft sich in Gestalt Pétains. Der Engel Gottes, der im Alten Testament nicht nur wegweisend vor dem Heer Israels herzieht, sondern auch an dessen Rettung beteiligt ist, erfüllt hier zwar als „l’ange d’Elohim“ auch erstere Funktion (23), verfällt dann aber angesichts des „blasphème barabare“ (27) weinend und unkundig in Passivität (24f.). Die Strategien der intertextuellen Bezugnahme unter anderem qua Kontrastfolie beschränken sich nicht nur strukturbildend auf die Fabel, sondern wirken sich auch stilistisch aus. In diesem Zusammenhang ist etwa der anaphorische Versbeginn „et“ als Referenz auf den Bibelstil zu sehen, jedoch artet er in Form einer bis ins Unerträgliche gesteigerten Aufzählung des Kriegsgrauens als lyrische Versvariante aus (24f.). 623 Während die intertextuelle réécriture also formal und inhaltlich das barbarische Kriegesgeschehen entlarvt, werden am Textende expressis verbis mehrfach eine Frage und deren Beantwortung formuliert, die sich sowohl auf den intertextuellen Schreibprozess als auch auf die Weltsituation nach dem Einbruch der Barbarei beziehen lassen: „que reste-t-il donc? Rien.“ (27f.). Dies zugleich wieder unterlaufend, findet sich jedoch im finalen Bild (28f.) weder ein Ende der Intertextualität, noch eines der Welt, vielmehr mündet es im Lobgesang „sur tes bord inviolés / ô douce Loire Loire“ (29). 624 Chartreux lässt die Ballade im Flussbett der Loire auslaufen und kulminieren, die Geschichte und Mythos, Kultur und Natur miteinander kombiniert 621 Vgl. dazu auch die Passage in Yoland Simons Adieu Marion (Kap. II 2.1.1). 622 Das rote Meer wird auf diese Weise von den roten Vorstädten und Flammen abgelöst (23). 623 Vgl. bspw. auch die direkte Bibelreferenz mit dem „cœur endurci“ (27) des Pharaos sowie, allgemeinerer Natur, die auf die Bibelstelle und den Psalm 78 zurückgehenden Beschreibungsmodi der Katastrophe. Vgl. dazu auch Bost: Bernard Chartreux et l’écriture fragmentaire, S. 10f. 624 Zuvor wurden die geschichtlichen Momente aufgezählt, denen die Loire schon seit Cäsar getrotzt hat (29). II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 200 und sie zugleich als Symbol der überzeitlichen Einheit überdauert: „le grand jeu de balancier / et la palingénésie et la résurrection et la reviviscence sous l’écorce / fragile, patient fleuve-boue de Loire / vieux sage hors-de-mémoire.“ (25). Vergleichbare Konstruktionsprinzipien finden sich auch in der zehnten Sequenz La fiancée de Jeanne d’Arc (79-89), 625 die in acht monologischen Fragmenten Elemente des Zweiten Weltkrieges, des Algerien- und Vietnamkrieges sowie der terroristischen Attentate in den 1960er Jahre mit Facetten des Jeanne-d’Arc-Mythos beziehungsweise Stoffes, Referenzen auf Rimbaud und einer réécriture von Heiner Müllers Hamletmaschine kombiniert. Chartreux inszeniert hier eine aus der versteinernden Hülle der Erinnerungsstatue heraustretende Jeanne d’Arc, die sich in den ersten drei Fragmenten auch anaphorisch als „Je suis Jeanne d’Arc“ (79, 81) vorstellt, sich im sechsten als „pucelle ivrogne“ (86) noch als diese zu erkennen gibt und im letzten Teil diese Identität wieder mit „Je suis Jeanne d’Arc“ aufnimmt. Unterbrochen wird die Identitätsmanifestierung durch die Leugnung dieser in der fünften Szene mit „Je ne suis pas Jeanne d’Arc“. Daran schließt sich eine Aufzählungen von diversen Verneinungen in Form von „Je ne suis pas...“ an, denen dann mit „Je suis...“ Identitäten gegenübergesetzt werden. Zusätzlich zu diesem verwirrenden Spiel mit Identitäten wird eine Zuschreibung im vierten und siebten Teil offengelassen. Dort geht es plötzlich um Ophelia und Ulrike Meinhof - beide erweisen sich als alter ego Jeanne d’Arcs - und im Unterschied zu den anderen Fragmenten werden sie auch im Verzicht auf die erste Person Singular zu Formen entsubjektivierter Zustandsbeschreibungen. Die Identitätsverwirrungen zeigen sich so auch im erratischen Parcours der weiblichen Figur, in dem sich Ereignisse verschiedener Kriegs- und Gewaltzeiten vom Zweiten Weltkrieg bis zum Terrorismus der 1960er Jahre überlagern. 626 Was als Flucht präsentiert wird, stellt zugleich die Suche nach einem „bien-aimé“ Artus dar, der mal Bruder, mal Liebhaber oder beides zusammen darstellt; sicher ist der „fiévreux jeune homme aux yeux clairs“ aber nur der Sohn „maudit“ des als Pétain dechiffrierbaren „Illustre Villeillard“ (etwa 79, 81). Nach einer solchen Familienkonstellation wäre Jeanne d’Arc einerseits die Tochter Pétains (79), das heißt der Kollaboration, andererseits wird sie aber als Feindin, das heißt Résistante, in seinem Namen, etwa durch die Repräsentanten der Vichy-Miliz Laval und Darnand, verfolgt und gefoltert (79, 81f., 85). 625 In der 1980er-Version hat die Szene, mit nur kleinen Veränderungen und Auslassungen, eine exponierte Stellung am Ende des Stückes (1980: 137-155). 626 Vgl. auch Bost: Bernard Chartreux et l’écriture fragmentaire, S. 11. 2.2.6 Bernard Chartreux: Violences à Vichy 201 Wenn Jeanne d’Arc sowohl als Kollaborateurin wie auch als Widerstandskämpferin dargestellt wird, so spiegelt das die damalige Indienstnahme des Nationalmythos von Politikern und Literaten beider Seiten. 627 Damit kombiniert Chartreux zwei Seiten der Stoffgeschichte unmittelbar miteinander. Am Ende des Fragments kulminiert die Darstellung der ambivalenten Figur im kombinatorischen Bild einer sich selbst durch das Feuer tötenden Jeanne d’Arc, weil sie durch die inzestuöse Vergewaltigung und Schwangerschaft zur - auch äußerlich durch Kahlscheren stigmatisierten - Kollaborateurin geworden ist (89). Neben der intertextuellen Konstruktion über den Mythos und Teile der Stoffgeschichte Jeanne d’Arcs durchziehen unterschwellige Referenzen auf Rimbaud und dessen Gedichte den Text. 628 Während die Identifizierung von Artus mit Arthur Rimbaud in der 1980er-Version durch die Referenz auf dessen frühes autobiographisches Gedicht Les poètes de sept ans in der Formulierung „Le souvenir d’Artus mon frère, le poète de sept ans“ (1980: 137) noch deutlich möglich ist, funktioniert sie in der 1995er-Version nur noch über die vage Namensähnlichkeit Artus-Arthur, über die grundlegende Referenz auf die blasphemischen Züge Rimbauds und vor allem über Paraphrasen und Zitate aus seinen Gedichten. So finden sich etwa im vierten Fragment direkte Bezüge auf Rimbauds Gedicht Ophélie in Formulierungen wie „la pâle Ophélia belle comme la neige“, „ma sœur Ophélia son sein d’enfant brisé par la voix des mers“ und „son bel œil bleu“ (83). 629 Darüber hinaus kann die Abkürzung am Ende der letzten Identitätszuschreibung „Je suis Jeanne d’Arc, la fille etc.“ (89) einerseits als summarisches, aus dem Vorhergehenden Bekanntes voraussetzendes Füllsel gelesen werden, gewinnt aber vor dem Hintergrund des Rimbaud-Gedichtes Age d’or eine weiterführende Bedeutung: Wenn es dort am Ende als Refrain einer unendlichen Fortsetzung funktionalisiert wird, 630 kann dies auch hier als nicht endende Setzung und Entzug von Identität interpretiert werden. 627 Vgl. die Umschreibungen und -wertungen des Mythos in den Darstellungen der Kollaboration, etwa bei Robert Brasillach - und aktueller durch den Rechtsextremisten Jean-Marie Le Pen -, sowie in denjenigen der Résistance, etwa von Louis Aragon und Jules Supervielle. Vgl. dazu Michel Winock: Jeanne d’Arc. In: Nora (Hrsg.): Les lieux de mémoire. III: Les France. Bd. 3: De l’archive à l’emblème, S. 672-733, v.a. S. 719-722 sowie zur Stoffgeschichte den Eintrag Jungfrau von Orleans in Elisabeth Frenzel: Stoffe der Weltliteratur: ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte. Stuttgart (Kröner) 4 1976 (Kröners Taschenausgabe; Bd. 300), S. 380-386. 628 Vgl. auch den Bezug zu Rimbaud bei Boulan (Kap. II 2.2.4). 629 Im Gedicht Ophélie heißt es: „Ô pâle Ophélia! belle comme la neige! “, „C’est que la voix des mers folles, immense râle, / Brisait ton sein d’enfant, trop humain et trop doux“, und „- Et l’Infini terrible effara ton œil bleu! “ Arthur Rimbaud: Ophélie. In: Ders.: Œuvres. Hrsgg. von Suzanne Bernard. Paris (Garnier Frères) 1960, S. 46f., hier S. 47. 630 Vgl. Rimbaud: Age d’or. Ebd., S. 162f., hier S. 163. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 202 Vor allem im dritten Fragment, stärker noch in der 1980er-Version, mehren sich die Rimbaud-Anleihen. Neben einer Formulierung wie „les poings enfoncés dans les poches de son paletot troué“ (82), die auf „les poings dans mes poches crevées; / Mon paletot aussi devenait idéal“ 631 aus dem Sonett Ma Bohème zurückgeht, wird der zentrale Bezug zu den Prosagedichten von Une saison en enfer deutlich. Wie dem Gedicht L’Époux infernal die Komprimierung der „tatouages hideux“ (82) entstammt, 632 dient Mauvais Sang Chartreux auf verschiedenen Ebenen als Referenztext: Chartreux rekurriert etwa über den Ausdruck „sang noir“ (82), der bei Rimbaud für „mauvais sang“ steht, auf das Gedicht, in dem sich das lyrische Ich, wie hier Artus, als „maudit“ und Angehöriger der „race inférieure“ erkennt. 633 Die Rimbaudsche Darstellung eines durch Rassenzugehörigkeit zum Elend prädestinierten Menschen stellt damit das Fundament für Chartreux’ Fragment zur Judenverfolgung dar. So verwundert es auch nicht weiter, dass die zentrale Figur bereits in Mauvais Sang, wenn auch zunächst nur als Vergleich am Rande, zitiert wird: „Comme Jeanne d’Arc! “ 634 Neben diesen eher indirekten Referenzen stellt das dritte Fragment zudem seinen Bezug zum Prätext Mauvais Sang durch Integration eines in Majuskeln hervorgehobenen, direkten Zitates aus: „AH LES PAUMONS BRÛLENT, LES TEMPS GRONDENT! “ (82). 635 Der Verzweiflungsschrei des Artus angesichts der kollektiven Hölle der Judenvernichtung wird damit intertextuell zum Echo der individuellen Saison en enfer Rimbauds. Wie Bernadette Bost umfassend gezeigt hat, ist La fiancée de Jeanne d’Arc des Weiteren auf der Folie von Heiner Müllers Die Hamletmaschine konzipiert. 636 So gestaltet sich bereits die Eingangsformel „Je suis Jeanne d’Arc“ als Echo auf Müllers „Ich war Hamlet“ 637 und weist damit programmatisch auch das Folgende als Referenz auf den Prätext aus: Über eine emblematische Hauptfigur werden „les ruines d’une civilisation“ 638 als geschichtliches Moment - aus Budapest 1956 wird Vichy 1940-44 - mit Kommentaren 631 Rimbaud: Ma Bohème. Ebd., S. 81. 632 In L’Époux infernal aus dem Teil Délires 1 der Saison en enfer, „Je me ferai des entailles partout le corps, je me tatouerai, je veux devenir hideux comme un Mongol“. Rimbaud: L’Époux infernal. Ebd., S. 223-227, hier S. 224. 633 Rimbaud: Mauvais sang. Ebd., S. 213-219, hier S. 213-215. 634 Ebd., S. 216. Stärker wird dieser Bezug, wenn das lyrische Ich für seinen Selbstmord den Feuertod in Erwägung zieht (125), der letztlich seine Realisierung durch innerliches Verbrennen aufgrund der Einnahme von Gift in Nuit de l’enfer (220-222) findet. 635 Rimbaud: Mauvais sang. Ebd., S. 219. 636 Vgl., auch im Folgenden, Bost: Bernard Chartreux et l’écriture fragmentaire, S. 12-15. 637 Heiner Müller: Die Hamletmaschine. In: Ders.: Werke 4. Die Stücke 2. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 2001, S. 543-554, hier S. 545. Schon bei Müller findet sich das Spiel mit der Identität, denn etwas weiter im Text heißt es „Ich bin nicht Hamlet“. Ebd., S. 549. 638 Bost: Bernard Chartreux et l’écriture fragmentaire, S. 13. Sowohl bei Müller (545) als auch bei Chartreux (79f.) wird ein Europa in Ruinen dargestellt. 2.2.6 Bernard Chartreux: Violences à Vichy 203 zur Gegenwart fokussiert. Formal schreibt sich Chartreux nicht nur mit seinem fragmentarischen Ansatz, sondern auch im Zugang der réécriture und der intertextuellen bricolage in die Müllerschen Verfahren der Hamletmaschine ein. 639 Neben Referenzen auf der Makroebene finden sich zudem auch zahlreiche Detailanklänge: Etwa wenn Jeanne d’Arc „s’extirpe [...] de chair et d’os“ (79) zu Beginn und „s’affaisse“ (89) als Kadaver am Ende des Fragments einer Rüstung, die die „leere Rüstung“ 640 Müllers evoziert. 641 Auf diese Weise spricht dann beispielsweise auch aus Chartreux’ Ophelia nahezu wörtlich diejenige Müllers in ihren Ausführungen zum Selbstmord: „Ich bin Ophelia. Die der Fluss nicht behalten hat“ 642 wird bei Chartreux zu „Ophélia [...], flottant sur la rivière qui ne la pas gardée“ (83). Die partizipiale Ergänzung Chartreux’ erscheint jedoch für die Gesamtkonzeption bezeichnend: Während, wie bereits gezeigt, die flottierenden Identitäten der Figuren zum einen auf der inhaltlichen Ebene ausgestellt werden, erhalten sie diese zum anderen auch durch die vielschichtigen intertextuellen Montagetechniken. 643 Auf diese Weise sind die Figuren - bei Müller und noch einmal potenziert bei Chartreux - nurmehr erratische Stimmen aus Geschichte, Mythos und Literatur. 644 Im Zeichen verschiedener Stimmen steht auch die Conversation des suicidés (65-78). Während die letzten beiden Sequenzen jedoch in erster Linie über literarisch-mythische Stimmen funktionieren, ist das Folgende als polyphones und postmortales Diskursdickicht ideologischer Provenienz konzipiert. In Form eines Theaters der Toten - im Unterschied zu den Dramen 639 Während Chartreux’ Text auf diese Weise mit Rimbaud, Müller, dem Mythos und der Geschichte dialogisiert, findet sich bei Müller ein intertextuelles Netz v.a. von Eliot, Hölderlin und Shakespeare. Beide Autoren spielen mit der Brüchigkeit ihrer Texte, indem sie diesen als von anderen Stimmen durchlöcherten - oft auch typographisch durch Majuskeln zugleich als Verweis und Störung - präsentieren. Vgl. dazu auch den etwas zu sehr biographisierenden Stellenwert dieser anderen Stimmen in der Interpretation von Bost: Bernard Chartreux et l’écriture fragmentaire, S. 14f. 640 Müller: Die Hamletmaschine, S. 549. 641 So verweist bspw. auch das siebte Fragment Chartreux’, in dem er eine im Gefängnis Stammheim inhaftierte Ulrike M. inszeniert, die „absolument silencieuse, cotonneuse, aveugle, aveuglante, flottante, seule seule“ in ihrer „cellule entièrement peinte en blanc“ umherirrt (88), auf die bei Müller am Ende allein und „reglos in der weißen Verpackung“ (554) zurückbleibende Ophelia. Vgl. dazu und zu weiteren Referenzen, etwa in Bezug auf die dargestellten Vater-Sohn-Beziehungen, Bost: Bernard Chartreux et l’écriture fragmentaire, S. 12-15. 642 Müller: Die Hamletmaschine, S. 547. 643 Vgl. zur Krise der Figur auch Robert Abirached: La crise du personnage dans le théâtre moderne. Paris (Grasset) 1978. 644 Damit tritt der Realitätseffekt, wie dieser noch durch die Gegenstände auf dem Geschenktisch oder die Ereignisse in der Genealogie im Ansatz gegeben ist, bei den geschichtlichen Elementen oder einer Figur wie Ulrike Meinhof hier gänzlich in den Hintergrund. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 204 Kermanns und Sarrazacs aber ausschließlich eines der sich in der Mehrheit selbst getöteten Täter - versammeln sich hier diverse Protagonisten des Vichy-Regimes, bezeichnet als „Amis de l’Allemagne brune, chacun portant les stigmates de sa mort“ (65): der Kollaborationsschriftsteller Pierre Drieu La Rochelle, der Ministerpräsident und Gründer der Miliz Pierre Laval, der Innenminister Pierre Pucheu, der Erziehungsminister Abel Bonnard, der Industrie-/ Arbeitsminister und Organisator der STO Jean Bichelonne sowie der bereits in Holopherne fokussierte Vichy-Anthropologe George Montandon. Die nächtliche Zusammenkunft zu Füßen der Statuen Joseph Darnands - Milizchef und Sturmbannführer der Waffen-SS - und einer zur nationalistischen Ikone stilisierten Jeanne d’Arc 645 gibt sich nur formal als ‛Konversation’ aus. Denn auch die wenigen, relativ schnellen Sprecherwechsel (66, 68, 71) und die zum Teil inflationären namentlichen Anreden (etwa 68, 72) und Frageformen (etwa 73) innerhalb einzelner Repliken können nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier nur noch ein Dialog in Schwundstufe übrig bleibt. 646 Die langen Repliken (etwa 75-78) demonstrieren vielmehr einen monologischen Selbstbezug und die Situationsabstraktheit der jeweiligen Sprecher, wovon deren ideologisch geprägtes Sprachdelirium zeugt. Weitgehend über eine rein figureninterne Assoziationstechnik 647 entwickelt sich ein ungebremster, inhaltlich wie formal zielloser „verbe-fleuve“. 648 Die Figuren verleihen darin ihren persönlichen Enttäuschungen und ideologischen Überzeugungen Ausdruck. So beklagt Laval seine Todesumstände im Zusammenhang mit der „conjuration qui vise à éliminer les peuples aryens“ (65f.), hängt Montandon den Möglichkeiten ‛medizinischer’ Experimente im Rahmen der Judenvernichtung (68, 71, 73) 649 nach und stilisiert sich Drieu La Rochelle in seiner Kollaborationsposition als unschuldiges Opfer (73-75), „parce qu’il lui revient à l’écrivain, à l’intellectuel, à l’artiste, d’essayer les chemins neufs de l’Histoire“ (72). Bonnard fordert eine Rückbesinnung auf männliche Werte des Faschismus orientiert am Beispiel Darnands (66f.), Bichelonne schildert seine verfilmte Beinoperation während des Untergangs des Drit- 645 Über die Figur der Jeanne d’Arc werden die letzten drei Fragmente miteinander verbunden: Während sie in der Conversation des suicidés noch unbewegte Statue ist, zeigt La fiancée de Jeanne d’Arc ihre Verlebendigung und schließlich ihren Selbstmord, so dass sie in Souvenirs de la milice nur noch als „cadavre carbonisé“ (91) erscheint. 646 In diesem Sinne ist entweder kein Adressat der Parolen oder nur ein unspezifischer zu eruieren: Dies zeigt sich etwa in den undurchsichtigen Adressatenwechseln im Monolog Lavals (68f.) und an der gänzlich bezugslosen Frage Montandons „Alors vous aussi vous êtes pour les pogromes? “ (71), mit der er, in Form eines Kohärenzjokers, die Rede übernimmt und die er sich letztlich dann selbst stellt und beantwortet. 647 Vgl. bspw. die Monologe Lavals (65f. und 68f.). 648 Schlocker: La parole affolée, S. 108. 649 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die eigene intertextuelle Referenz auf zwei vorangegangene Fragmente, wenn in einer gefolterten Frau sowohl „l’Ange de Megève et la Judith du Caravage“ (73) zu erkennen ist. 2.2.6 Bernard Chartreux: Violences à Vichy 205 ten Reiches und der Kollaboration (75-78) und Pucheu sieht, wie besessen von der Idee, eine neue Bewährungsmöglichkeit im Kontext eines kommenden dritten Weltkrieges (69-71). Während sich die Worte der Vichy- Akteure einerseits durch Verzerrungen 650 und ihre Ignoranz der geschichtlichen Situation selbst karikieren - oder wie bei Pucheu bezeichnenderweise Ursache unerträglicher Kopfschmerzen sind (71) -, integriert Chartreux in ihre ideologischen Diskurse andererseits eine entlarvende antizipatorische Dimension. Dergestalt werden die individuellen Phantasmen und Hoffnungen auf ein Wiedererstarken der vichyistischen Welt - wie Phönix aus der Asche (66) - mit einer „manie de la pronostication“ (71) angefüllt, die eine Kontinuität der rechten Kräfte bis zum Ende des 20. Jahrhunderts herstellt. 651 Wenn beispielsweise die Ausführungen Drieu La Rochelles und Bichelonnes über den „retour au totalitarisme total“ (74) oder den „retour à la primordiale tribu“ (76) im Zusammenhang mit dem Kalten Krieg, der Kolonial- und Einwandererpolitik (76-78) und modernen „légions électroniques“ (70) via Computer und Satellit (78) stehen, dann integrieren sie anachronistisch einen nationalistischen Zukunftsdiskurs, dessen Echo in den Parolen Jean-Marie Le Pens und des Front National widerhallt. Einerseits inszeniert Chartreux damit inmitten des Abgesangs eines Chors eigentlich toter Stimmen deren Wiedererstarken, andererseits denunziert er auch diesen Aufgesang erneut: Wie sich der bereits tote Drieu La Rochelle immer wieder umbringt (72, 75), so zersetzen sich auch die Sprache und die Diskurse in dem untrennbaren Stimmenwirrwarr von Gestern und Heute regelmäßig aufs Neue. Von ähnlichen Konstruktionsprinzipien zeugt auch die elfte Sequenz Souvenirs de la milice (91-94), die 50 Jahre nach Kriegsende den gealterten, im Rollstuhl sitzenden Paul Touvier inszeniert: Erneut wird die Ambivalenz der Figur durch ihre Parolen entlarvt, diesmal jedoch, indem sich die eigenen, zynischen Tiraden wechselseitig unterlaufen. Chartreux zeigt den inhaftierten, ehemaligen Chef der Vichy-Miliz in Lyon, der sich ohne Unterlass darüber beschwert, dass man ihn selbst „cinquante ans après“ (91- 94) noch immer mit seiner Vergangenheit konfrontiere und nicht - wie andere Akteure der (Zeit-)Geschichte (91) - vergesse. Das Vergessen seiner Person als Individuum stellt Touvier aber paradoxerweise als Notwendigkeit für die Etablierung eines kollektiven Gedächtnisses und einer Geschichtserinnerung an die Zeit dar, indem er die allgemeingültige, memoriale Beschaffenheit als rhetorische Frage thematisiert: „Pas de mémoire sans oubli hein? “ (91). Von einer ebenso ambivalenten Rhetorik zeugt seine 650 Vgl. etwa auch die stilistischen Kommentare Lavals über seine Formulierung „Je crois à la victoire de l’Allemagne“ (68f.). 651 Diese Kontinuität wird im Text verbunden mit der Ermunterung Marquis de Sades „Français encore un effort“ (76-78) vorangetrieben. Vgl. dazu Bost: Bernard Chartreux et l’écriture fragmentaire, S. 16. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 206 zynische Geschichtsklitterung als arithmetische Übung: Damit nicht nur in Erinnerung bleibe, dass er Menschen getötet habe, macht Touvier eine Rechnung auf, in der die geringe Anzahl ausgelieferter Juden einer Vielzahl geretteter „bons Français“ gegenübersteht (92). In diesem Sinne müsse er auch in der geschichtlichen Betrachtung anders - das heißt als schneller zu vergessende Randfigur - bewertet werden als „les Leguay, comme les Papon, comme les Bousquet“ (92f.). Nachdem Touvier aber just das Bild seiner eigenen Person aufwändig ‛korrigiert’ hat, - damit ‛richtig’ erinnert wird, was eigentlich vergessen werden soll - manifestiert er quasi warnend die Unzuverlässigkeit von Erinnerungen an sich: ces vieilles anecdotes ces vieilles cendres, on y voit de moins en moins claire à mon avis dans toute cette panade, il y a comme de la surcharge pondérale, de la cellulite dans la réminiscence, les reliefs s’aplatissent, les contrastes fatiguent, les couleurs bien tranchées ça vire au gris sale, on banalise [...] tout s’explique tout se comprend tout s’excuse (93). Indem sich diese Aussage zwangsläufig an seine gerade erfolgte, umgewertete Selbstdarstellung zurückbinden lässt, werden sowohl seine Erinnerungen als auch die Figur im Ganzen demontiert. Neben dem Stellenwert von Erinnerung an sich - im Zeichen von Vergessen und Manipulierbarkeit - stellt die sich selbst entlarvende Rhetorik auch Erinnerungsdiskurse überhaupt infrage. Im letzten und für die 1995er-Version neu hinzugekommenen Schlaglicht von Violences à Vichy löst sich Bernard Chartreux von der Darstellung vichyistischer Bilderwelten und verschiebt den Fokus, „cinquante ans après“ (91-94), zugunsten der Erinnerungsproblematik im ausklingenden Jahrtausend. Mit deren Darstellung anhand eines Kollaborateurs lässt sich Souvenirs de la milice zudem als Mikroform zur Konzeption des Gesamtprojektes lesen, das aufgrund der Übermacht des gängigen Résistancediskurses das Gegengedächtnis evoziert. Es hat sich gezeigt, dass Violences à Vichy aus einer Vielzahl disparater Mikroformen von der Genealogie über das Inventarium bis hin zur Ballade besteht. Während jedoch die Texte mit stärkerem Fokus auf die Opfer des Vichy-Regimes auf der Ebene der dramatischen Konstruktion weitgehend intakt und zugleich eng am Dokument orientiert sind, weisen die anderen Sequenzen verstärkt Dekonstruktionsprinzipien auf. Diese führen dazu, dass weder rein dokumentarische Montagen entstehen, noch eine ‛stabile Fiktion’ im Sinne einer Fabelkonstituierung zustande kommt. Beide Eckpunkte werden von der Chartreuxschen Schreibweise konsequent unterlaufen, so dass die einzelnen Stücke beständig dazwischen oszillieren. Im weitesten Sinne stellen primäre Epochendokumente die materielle Aus- 2.2.6 Bernard Chartreux: Violences à Vichy 207 gangsbasis eines „écrivain à archives“ dar. 652 Chartreux belässt es aber nicht bei einem „documentaire rédempteur“, 653 sondern verfährt nach dem Prinzip des „soumettre au travail d’appropriation-manipulation de l’écriture, à charge pour elle d’en extraire et exalter l’essence“. 654 Ebenso wie im Rahmen dieses Schreibprozesses die dokumentarische Basis eine Umschreibung erfährt, werden auch gängige dramatische Kategorien von Chartreux neu aufgeladen: „On écrit pour ré-inventer sa langue.“ 655 Auf diese Weise finden sich zwar unterschiedliche Figuren - von einem dem Rassenwahn verfallenen Vortragenden und Anthropologen, kleinbürgerlichen Denunzianten, einem beflissenen Amtsdiener, noch im Jenseits oder ein halbes Jahrhundert später überzeugten Akteuren des Vichy-Regimes bis zu einer identitätsambivalenten Jeanne d’Arc, für die Kollaboration instrumentalisiert und zugleich dagegen rebellierend -, diese werden aber weder als Subjekte individualisiert, noch sind sie Träger einer Handlung. Vielmehr besteht die einzige Funktion ihrer Existenz in ihrem Dasein als Sprachrohr 656 und Stimmbeziehungsweise Klangkörper. Wie es die ihrem eigentlichen Sinne nach entfunktionalisierte Indication scénique programmatisch einleitet, geht es auch im Folgenden um Stimm- und Textflächen ohne Figurenpsychologie und Fabel. 657 Wenn überhaupt explizit figurale, zeitliche und örtliche Markierungen erfolgen, dann nur peripher und schematisierend am äußersten Textrand, das heißt in voran- oder nachgestellten, kurzen Regieanweisungen beziehungsweise nur durch die Sprechermarkierung. Da es ausschließlich um die Übermittlung der Worte geht, wird auch zum Monolog - wie etwa anhand der Conversation des suicidés gezeigt -, was formal eigentlich als 652 Brief, S. 325. Jedoch wird dies, wie gezeigt, für die einzelnen Teile in unterschiedlichem Grade relevant: Während Chartreux die Dokumente in der Regel als Impuls dienen, „qui me permettra de plonger dans l’imaginaire historique qui m’intéresse“ (a.a.O.), bilden sie in den Passagen über die Opfer des Vichy-Regimes stärker das Fundament. Deshalb erscheint auch die Einordnung des Chartreuxschen Textes in die Rubrik „Théâtre document“, wie sie Azama vorgenommen hat, angebracht. Jedoch erfordert sie zwingend eine Differenzierung für die unterschiedlich gelagerten Einzelteile. Azama: De Godot à Zucco. Bd. 3: Le bruit du monde, S. 60. 653 Vincent: Chartreux-La Violence, S. 5. 654 Chartreux zit. nach Roland Fichet: L’art de fendre. In: Les Cahiers de Prospéro, no. 1, 1994. 655 Chartreux in Vincent: Chartreux-La Violence, S. 5. Sarrazac bewertet dies zugleich als „strictement littéraires et réfractaires à la forme dramatique [Herv. im Original]“. Sarrazac: L’Avenir du Drame, S. 188. 656 In diesem Sinne bezeichnet Soulet die jeweiligen Figuren auch als „guide-témoin de la France des années noires“. Cédric Soulet: La violence du souvenir. In: http: / / w2.amiens.com/ jda/ jda202/ sortir4.html [Stand: 29.03.2006]. 657 Dies geht so weit, dass die Monologe als Textflächen auch nicht immer den Figuren, die sie übermitteln, wirklich zuzuordnen sind. Die inflationären Gedankenströme und gegensätzlichen, sich kreuzenden Stimmen verdeutlichen in diesem Sinne, dass die Figur auf die Funktion eines nicht mehr filternden Übermittlers reduziert ist. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 208 Dialog präsentiert ist. Demnach ist die hier vorherrschende Monologform nicht, was man traditionell unter dieser dramatischen Sprechweise versteht: „qui implique qu’un sujet laisse entrevoir à un spectateur en embuscade les affres de sa vie intérieure, ses joies, problèmes et tourments.“ 658 Chartreux’ Monologe sind „un discours transitif, personnel mais non-intime. En un mot, la parole y était délibérément a-dialogique.“ 659 Wenn die radikalen Monologe vor diesem Hintergrund nach der Sarrazacschen Definition 660 eine rhapsodische Kombination von Heterogenem darstellen, so kristallisiert sich eine Verlagerung der Dialogizität von den Figuren in die écriture selbst heraus. 661 Der Dialoggegenstand dieser einzelnen Redebruchstücke, der sie zugleich zusammenhält, stellt das Gegengedächtnis Vichy dar, 662 „sa présence-absence, sa parole muette“. 663 Während Fichets Drama Plage de la Libération das Gegengedächtnis nur andeutet, wird es hier auf den ersten Blick als alleiniger Gegenstand ausgestellt. Jedoch tauscht Chartreux nicht einfach eine „France résistante“ gegen eine „France unanimement pétainiste“ 664 aus, da dies zu einer analogen Einseitigkeit der Erinnerung führen würde. Vielmehr lässt er auf einer weiteren Ebene die Multiplikation der Kollaborationsperspektiven mit dem dominanten Gedächtnis Résistance dialogisieren, auch wenn dies im Text eine Leerstelle bildet. Gefüllt wird diese aber durch die Delegierung an das kollektive Gedächtnis des Lesers, so dass sich beide Erinnerungsdiskurse nebenein- 658 Brief, S. 326. 659 A.a.O. Vgl. dazu auch: „Il s’agit sans doute d’un exemple limite d’un montage hétérogène de textes auxquels on accorde le statut de monologue parce qu’ils n’entrent pas dans les catégories du dialogue, qu’ils confinent parfois au récit et qu’ils sont plutôt dirigés d’emblée ‛vers’ le lecteur ou le spectateur. […] Dans ce cas, le monologue est la forme par défaut qui traduit le mieux la diversité des paroles […]. Ces monologues traduisent aussi le désir de réintroduire au théâtre une parole technique, socialement exacte, presque photographique.“ Ryngaert: Lire le théâtre contemporain, S. 75. Was Ryngaert dann nach Sarrazac als „monologues-parleries“ bezeichnet, nähert sich auch terminologisch Vincents Beschreibung des Chartreuxschen „théâtre parlant“ an. Vincent: Violences à Vichy, S. 169. 660 Vgl. zur Rhapsodisierung des Theaters Sarrazac: L’Avenir du Drame, S. 194 sowie die Erläuterungen im Kapitel II 2.1.3 zu Cormanns Toujours l’orage, S. 122. 661 Vgl. dazu auch „Le dynamisme pour les dramaturges d’aujourd’hui est ailleurs: il se présente sous forme de tension, dans l’écriture elle-même, et ce dans la mesure même où elle est non théâtrale.“ Michel Corvin: „Otez toute chose que j’y voie.“ Vue cavalière sur l’écriture théâtrale contemporaine. In: Floeck (Hrsg.): Zeitgenössisches Theater in Deutschland und Frankreich, S. 6. 662 Vgl. auch: „Ce type d’écriture ressortit fort bien à la métaphore du tissu, puisque chaque segment a sa texture propre, que seule une thématique rattache aux autres, comme un fil grossier aux nœuds évidents mais efficaces.“ Desrochers: Le récit dans le théâtre contemporain, S. 121. 663 Vincent: Chartreux-La Violence, S. 5 und „the ‛memory/ forgetfulness’ syndrome of history around which the play revolves.” Knapp: French Theatre since 1968, S. 8. 664 Vincent: Vichy-Fictions, S. 164. 2.2.6 Bernard Chartreux: Violences à Vichy 209 ander zu einem Ganzen verbinden. Zugleich muss der Leser auch zwischen dem Dargestellten und dem durch das kollektive Gedächtnis Präsenten vermittelnd tätig werden. Auf diese Weise bezieht Chartreux die Adressierung an den Rezipienten als Spiel mit dem kollektiven Gedächtnis in den Text mit ein; 665 das Engagement situiert sich im Dazwischen, wenn sein Text das kollektive Gedächtnis voraussetzt, ergänzt, kommentiert, unterläuft et vice versa. 666 Daraus ergibt sich der Status des Fragments auf verschiedenen Ebenen: Zum einen sind die einzelnen Sequenzen als Fragmente konzipiert, zum anderen bleibt auch ihre Kombination zum Stückganzen nur Fragment hinsichtlich des noch zu ergänzenden kollektiven Gedächtnisses. 667 Während Violences à Vichy auf diese Weise potenziert fragmentarisch ist, wirkt es sich damit zugleich fragmentarisierend auf den dominanten Erinnerungsdiskurs aus. 668 Bernard Chartreux hinterfragt so den gängigen Erinnerungsdiskurs und die Form, in der das Drama mit einem solchen Stoff umgehen kann, in der radikalen Weitergabe der Vermittlungsproblematik an den Leser. Violences à Vichy kann dergestalt als eine vom gegenwärtigen Ausgangsort geleitete Expedition in die vichyistische Ikonographie gelten, deren Ziel durch die zu beschreitenden Wege des kollektiven Gedächtnisses letztlich von einem unkalkulierbaren Restrisiko geprägt bleibt: 669 So ist das Stück „plutôt un voyage, une plongée (avec risque de péril) au cœur de l’imaginaire (et de l’idéologie) vichyste“ 670 und in diesem Sinne für seinen Autor „le seul moyen qui permette de trouer, de soumettre au salutaire 665 Durch die Leserdelegation läuft die Gegenwart also als Konstruktionsprinzip in allen Fragmenten mit. Darüber hinaus wird sie in der letzten Sequenz Souvenirs de la milice dann noch explizit thematisiert, wenn auch textimmanent eine zeitliche Annäherung an die Gegenwart erfolgt. 666 Mit Blick auf die Inszenierung markiert Vincent die Delegierung an den Rezipienten folgendermaßen: „Un théâtre qui s’adresse à l’oreille et à l’œil séparément, dans une sorte de dyslexie ou de ‛montage des attractions’. Entre le voir et l’entendre, un vide, une béance où l’imaginaire pourrait et devrait s’engager.“ Vincent: Violences à Vichy, S. 169. 667 So wie sich die Einzelsequenzen als Réécrituren erwiesen haben, kann analog auch der Gesamttext als eine solche gelesen werden: Nämlich der réécriture des Gegengedächtnisses ‛Kollaboration’ auf der Folie des dominanten Gedächtnisses ‛Widerstand’. 668 Vgl. dazu auch Vincents Bewertung als „Fragments d’un mémoire qui cherche à se dégager de la confusion, ces textes constituent une France à entendre [Herv. im Original].“ Vincent: Violences à Vichy, S. 168f. 669 Vgl. zur textlichen Bewegung auch: „Cette traversée de la nébuleuse collabo-pétainiste emprunte les voies de la commémoration, de l’exorcisme, du pèlerinage hilarant, du carnaval lugubre...“ (Klappentext 1995) und „une manière - un simulacre - de retour aux sources, rendu comme nécessaire par le pieux silence qui longtemps les environna“ (Klappentext 1980). 670 http: / / www.chartreuse.org/ Site/ Cnes/ RepertoireAuteurs/ pieces.php? piece_id=VI- OLEN04620 [Stand: 29.03.2006]. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 210 travail du négatif, de rendre supportable l’écœurante positivité du monde.“ 671 671 Brief, S. 326. 2.3.1 Jean Manuel Florensa: Auschwitz de mes nuits 211 2.3 Bewusstseinsschwellen: Halluzination - Nachtseite - (Alb-)Traum Nicht, dass ihr sterben - nein, dass ihr das erleben musstet, macht künftig allen Schlaf und allen Tod im Bett zur Sünde. Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit 2.3.1 Jean Manuel Florensa: Auschwitz de mes nuits Jean Manuel Florensa wird im Februar 1940 in Villefranche de Lauragais nahe Toulouse als Sohn von Exilspaniern geboren, die ein Jahr zuvor mit der Massenflucht von knapp einer halben Million Menschen vor dem Franco-Regime nach Frankreich gekommen waren. 672 Nach zahlreichen praktischen Erfahrungen beim Theater - von der Regie über die Kostüm- und Bühnengestaltung -, aber auch im Rahmen von Ballett- und Marionettenaufführungen, gründet Florensa 1971 im südwestfranzösischen Mont-de-Marsan das Théâtre de Feu. 673 Seitdem leitet er das mittlerweile zum Centre Dramatique des Landes avancierte Theater. Florensa hat seit 1971 selbst über 30 Dramen sowie Adaptationen verfasst und tritt als Regisseur eigener wie fremder Stücke in Erscheinung. 674 Nebenbei ist er als Schauspieler in diversen Kino- und Fernsehfilmen zu sehen. Der Dramatiker Jean Manuel Florensa zeichnet sich durch die enge Bindung vieler seiner Stücke an die konkrete Bühnenrealisierung aus: 675 So verfasst er sie nicht nur mit Blick auf die eigene Schauspieltruppe am Théâtre de Feu und den spezifischen Gegebenheiten vor Ort, sondern auch mit dem Ziel, im dünnbesiedelten Departement Landes ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Dergestalt präsentiert sich auch das Themenspek- 672 Zu Biographie und Gesamtwerk vgl., auch im Folgenden, die Angaben der Chartreuse, den Brief Florensas vom 09.01.2005 an die Verfasserin (Anhang, S. 327-336) sowie das mitgeschickte Dokument Françoise Bartolomé: Jean Manuel Florensa - auteur dramatique. 673 Vgl. auch http: / / www.theatre-de-feu.com [Stand: 15.05.2006]. 674 Vgl. zu seinen Dramen, ihren auch weltweiten Inszenierungen sowie zu seiner Regietätigkeit die Aufstellungen der Chartreuse. Für das Theater adaptiert Florensa u.a. Flauberts La Tentation de Saint Antoine, Voltaires Candide, La Bruyères Les caractères. Daneben stellt das Monologstück La Vieille du cinéma die Adaptation einer Novelle von Blasco Ibanez und L’honorable famille Gott die eines ebenfalls von ihm übersetzten Stückes von Stevan Flaminda dar. 675 In diesem Sinne führt er im Brief auch „Les 3 règles de notre XX° siècle“ aus, die seinen Schreibprozess beeinflussen: 1. Regel der Zeit: Damit ein Stück inszeniert wird, darf es 1 ½ Stunden nicht überschreiten. 2. Regel der Schauspieler: Beschränkung der Figurenzahl auf höchstens vier, da es ansonsten eine Großproduktion wird. 3. Regel des Ortes: Konzeption des Ortes mit Blick auf ein einziges bzw. einfach umsetzbares Bühnenbild. Brief, S. 331. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 212 trum seiner Stücke, die zwischenmenschliche Grundkonflikte ebenso fokussieren - etwa in Form von Komödien oder Kindertheaterstücken - wie immanent politische und existenzphilosophische Fragestellungen: 676 En effet, adepte des chemins de contrebande, des provocations buissonnières et des rendez-vous atypiques, son œuvre prolifique empêche toute classification. Naviguant entre les problèmes de société […] et entre la réflexion politique sur les travers de notre société, son écriture est vision poétique où lyrisme et romantisme se font grinçants avec une pincée sulfureuse. Nées d’une blessure originelle, ses pièces possèdent des profondeurs qui mettent à nu l’âme nocturne des hommes. 677 Diese Nachtseite der Menschheit inszeniert Jean Manuel Florensa in seinem 1988 verfassten Drama Auschwitz de mes nuits 678 , wie bereits der Titel herausstellt, in zweifacher Weise: Zum einen wählt er mit der Erinnerung an Auschwitz - wie noch eingehend zu zeigen sein wird - den Ort, der paradigmatisch für die dunkelste Seite der Menschheit und ihrer Geschichte steht. Zum anderen gestaltet er dies in Form einer Dichotomie von Tag und Nacht, in der anfangs der Tag für das Vergessen und die Nacht für das Hervortreten der tagsüber verdrängten Erinnerungen an Auschwitz steht. Die Opposition von Tag/ Vergessen versus Nacht/ Erinnern 679 wird im Prologue des Stückes extern wie auch intern als notwendig aufzulösende Konfliktsituation präsentiert. So dringen über einen Anrufbeantworter von außen Stimmen in die Wohnung des Protagonisten Claude 1, die ihn allesamt zur Behandlung im „Centre Médical pour les victimes de guerre“ aufrufen, denn: „Avec ce traitement, tu peux te débarrasser de l’Auschwitz de tes nuits.“ (11). Daneben illustriert eine schizophrene Doppelung der 676 Vgl. zur Klassifikation sowie thematischen Ausrichtung die Dramenpräsentationen auf der Homepage der Chartreuse. 677 Bartolomé: Jean Manuel Florensa - auteur dramatique. 678 Jean Manuel Florensa: Auschwitz de mes nuits. Paris (Éditions de l’Amandier) 1989. Die Uraufführung des Stückes findet am 14.10.1988 im Théâtre de Feu unter der Regie von Philippe Huguier und Florensa selbst statt, der darüber hinaus auch die Rolle des Psychologen Felpham spielt. 679 Vgl. zum Topos des Redens und Erinnerns in der Nacht auch das Drama La nouvelle Berline six cylindres des 1952 in Paris geborenen und am 11.08.2001 verstorbenen, exilierten Juden Nicolas Peskine: Der Autor von rund 20 Stücken, der ein nomadisches „théâtre mobile“ praktiziert hat, inszeniert hier eine nachgeborene Französin, die einer jungen Deutschen - Angehörige der Enkelgeneration und nahezu nur in ihrer Funktion als Adressatin und Projektionsfläche relevante Figur - die Geschichte ihres von Drancy nach Deutschland deportierten Vaters und seines Umganges mit den Erinnerungen an das Konzentrationslager erzählt. Gewissermaßen explosionsartig entleert sie sich ihrer über Jahre angestauten, zuvor nicht artikulierten Erinnerungen an den Vater und ihre Kindheit, die von schlaflosen Nächten geprägt ist: Zwar erzählt ihr der Vater von Deutschland, aber von seinem Leiden, über das die Eltern des Nachts miteinander reden, erfährt die Tochter nichts (23). Vgl. zu Peskine die Präsentation in Confortès: Répertoire du théâtre contemporain de langue française, S. 302. Nicolas Peskine: La nouvelle Berline six cylindres. In: Revue du hasard, no. 2, avril 1998. 2.3.1 Jean Manuel Florensa: Auschwitz de mes nuits 213 Figur in den das Vergessen suchenden Claude 1 und den die Erinnerung propagierenden Claude 2 die innere Notwendigkeit, die Spaltung in eine einheitliche Identität der jüdischen Figur Claude Cohen zu überführen. Der Widerstreit dieser beiden Teile des Ichs, 680 bei dem nicht zuletzt deutlich wird, dass zwanghaftes, omnipräsentes Vergessen-Wollen Erinnerung immer schon per definitionem und ex negativo mittransportiert, 681 geht auf der Ebene des Prologes zunächst noch unentschieden aus. Da dieser aber zugleich die Überleitung zum Hauptteil darstellt, der aus fünf psychotherapeutischen Erinnerungssitzungen Claudes 1 und 2 beim Psychologen Felpham besteht, hat sich schließlich also Claude 2 mit der Vergangenheitskonfrontation durchgesetzt. Innerhalb dieser Sequenzen stellt sich Claude 1 seinen Erinnerungen, die mit Hilfe einer LSD-Behandlung in Form von Halluzinationen wieder zu Tage treten: J’ai passé ma vie à oublier la planète Auschwitz et voilà que vous [Felpham] me poussez à faire surgir au jour les monstres que j’ai enfouis dans des cavernes souterraines au plus profond d’un labyrinthe dont j’ai oublié le parcours. (15) 682 In den fünf Halluzinationen durchlebt er erneut die verschiedenen Stationen der Hölle von Auschwitz - angefangen von den Transporten über das Lagerleben bis zur Befreiung und Rückkehr nach Frankreich -, um sich schließlich kathartisch davon zu befreien. Im Rahmen des gesamten Erinnerungsprozesses, der durch einen jüdischen Gesang initiiert und ebenso beendet wird (15, 47), tritt der nur selten Präzisierungsfragen stellende Psychologe weitgehend zurück. Seine Funktion übernimmt Claude 2, jedoch mit dem Unterschied, dass dieser als Teil Claude Cohens auch Inneneinsichten hat. So fungiert er nicht nur als externer Stichwortgeber, sondern treibt durch eigene Schilderungen den Erinnerungsvorgang voran 680 Dieser psychologisch hintergründige Dialog zwischen ‛Erinnerungs- und Vergessens- Ich’ wird eingeleitet und beendet durch die Präsenz einer lästigen Fliege (11-13). In Referenz auf Sartres Les Mouches verkörpert diese das schlechte Gewissen und die Überlebensschuld, die den verdrängten Erinnerungen an Auschwitz zugrunde liegen. 681 Auf diese Weise stellt sich die Situation als Teufelskreis dar: Wenn Claude 1 nämlich postuliert „Ce n’est pas si simple de se souvenir. Je ne peux pas revenir en arrière. Il faut oublier. Cela passera“ (12), dann führt das Ausmaß seiner seit 20 Jahren andauernden, quälenden Erinnerungsalbträume, die eben nicht nur die Nacht, sondern auch schon den Tag belasten, sein Ansinnen als naive Hoffnung ad absurdum. Claude 2 enthüllt darüber hinaus, dass Claude 1 in der Angst vor einem möglichen Lähmungszustand durch das Zulassen der Erinnerung übersieht, wie sehr ihn bereits diese Angst selbst lähmt. 682 Dabei handelt es sich jedoch nicht nur um ein bewusstes Vergessen-Wollen der Figur, sondern auch um Reaktionen des Körpers, die eine Erinnerung unmöglich machen: In dieser Weise schnürt es Claude im Rahmen seiner Aussage während des Eichmann-Prozesses den Hals zu, und er fällt in Ohnmacht. Die körperlichen Reaktionen gehen dabei sogar so weit, dass sie zum Leugnen seiner Vergangenheit als deportierter Jude in Auschwitz führen (15). II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 214 und nimmt in Form eines Rollentausches auch die Identität Claudes 1 an. 683 Die Première séance (15-20) besteht zunächst aus der Annäherung an Auschwitz, indem über topisches Bildarsenal, wie den „tas de squelettes“ (16), die Erinnerung evoziert wird. Mit der Beschreibung der Transporte im Zug nach Auschwitz (16f.) erfolgt analog dazu auch sukzessiv eine geographische Näherung. Die sich anschließenden Erinnerungen an die nur allzu bekannten Stationen nach der Ankunft in Auschwitz - Selektion, Entkleidung und Enteignung, Desinfizierung und Verteilung der Deportierten in die Baracken als Topographien der Lagerexistenz - werden mit zahlreichen Details, Gefühlsschilderungen und atmosphärischen Elementen, wie etwa den deutschen Befehlen der Wärter (17f., 25, 30), beschrieben. Wenn hier bereits herausgestellt wird, dass die noch lebenden Gefangenen eigentlich kein Leben mehr führen (19) und ein Gewöhnen an den Tod einsetzt, wird dessen Omnipräsenz in Form von Brutalitäten und Grausamkeiten als Erinnerungsthema der Deuxième séance (21-26) zentral. Obwohl sich hier erneut auch Topoi des „planète Auschwitz“ (15) - wie die Duschen, Krematorien, Latrinen, der Arbeitsdienst, Leichengeruch und Appelle des Blockführers - finden, wird der Überlebenskampf und die Entmenschlichung in Auschwitz darüber hinaus konkreter anhand zweier Individualgeschichten geschildert: So illustrieren das Schicksal Cholems, den SS-Männer mit Marmelade überschütten und einer Meute ausgehungerter Gefangener zum Fraß vorwerfen (22f.), und dasjenige des 13-jährigen Polen, den ein Aufseher aufgrund seines Gesanges als Kunst- und Sexualobjekt mit Nahrung versorgt, bis er ihn selbst verspeist (23), 684 nicht nur die Perversitäten der Nationalsozialisten. Im Vordergrund steht die Animalisierung des Menschen in Auschwitz 685 - hier als Nachtseite der Menschheit - im Sinne der Prämisse von Thomas Hobbes „homo homini lupus est“. Zu Beginn der Troisième séance (27-34) wird angesichts der unbegreiflichen Brutalität in Auschwitz die Vermittlungsproblematik thematisiert: Während diesmal in umgekehrten Rollen Claude 2 aufgrund der Unvor- 683 Auf einer weiteren Ebene tauschen sie nicht nur miteinander die Rollen, sondern nehmen auch die anderer, erinnerter Figuren an, so etwa die des Unterscharführers während der Selektion (17, 27). 684 Wenn hier zunächst das Motiv der Kunst, die das Überleben ermöglicht, relevant wird, so wird dies im Unterschied zur Verwendung bei Kribus und Cormann abgewandelt, indem die künstlerische Bewunderung letztlich zu brutalem Kannibalismus führt. 685 Florensa zeigt auf diese Weise Menschen, die im Überlebenskampf und mit dem Recht des Stärkeren ihr Menschsein aufgeben und zu namenlosen Tieren ohne Vergangenheit und Zukunft werden (25): „Et le dire, c’est tout simplement reconnaître qu’il y a dans l’espèce humaine un barbare, et que ce barbare peut se réveiller en nous selon les circonstances.“ Brief, S. 333. 2.3.1 Jean Manuel Florensa: Auschwitz de mes nuits 215 stellbarkeit des Grauens - „Personne n’a assez d’imagination pour imaginer l’inimaginable! “ (28) - die Erinnerung in Frage stellt, steht Claude 1 nun für ihren Wert und die Wichtigkeit ihrer Artikulation ein (28f.). In diesem Sinne nähert er sich in seinen Beschreibungen immer mehr dem „centre même de la production de mort“ (37) an, indem er, auch anhand individueller Schicksale, von den Geschehnissen in den Krematorien kurz vor den Vergasungen mit Zyklon B erzählt (29-33). In diesem Zusammenhang tritt zu Tage, dass es auch Claude 1 nicht gelungen ist, unter diesen unmenschlichen Bedingungen Mensch zu bleiben: Für eine zusätzliche Essensration arbeitet er als Teil des Sonderkommandos im Krematorium (31f.). Die Quatrième séance (35-40) deckt dabei das ganze Ausmaß der Mittäterschaft Claudes 1 auf, indem er auf die bisher stets unbeantwortete Frage eingeht, was sich hinter der Tür befände (18f., 22, 29f., 33, 35): Denn dahinter ist er zuständig für die Beseitigung der Vergasten beziehungsweise dessen, was von ihnen nach dem grauenhaften Todeskampf übrig bleibt (37). Dergestalt wird er selbst zum „fossoyeur de son peuple“ (47). 686 Einerseits tröstet er sich, dass er überleben müsse, um später darüber - wie auch immer dies aussehen soll - Zeugnis ablegen zu können, andererseits wird er durch seine Mittäterschaft jeden Tag schuldiger. Den Höhepunkt des Erinnerungsprozesses stellt das durch Provokation von Claude 2 erreichte Geständnis dar, dass er Babys und Kleinkinder eigenhändig erwürgt habe, bevor sie ins Krematorium kamen (38f.). Damit zeigt sich, dass hier in erster Linie die enthüllte, weitreichende Mittäterschaft - ähnlich wie in Cormanns Berlin, ton danseur est la mort und Toujours l’orage - zum Vergessens- und Verdrängungsprozess der Geschehnisse in Auschwitz nach dem Krieg führt. Doch die Getöteten, die Claude 1 zu vergessen sucht, lassen ihn nicht los: Als lebende Tote üben sie weiterhin Macht auf ihn aus (33). So sieht er etwa jedes Mal, wenn er seinen kleinen Sohn Emmanuel streichelt, die mit denselben Händen getöteten Kinder vor sich (39). Während damit der Kern der Erinnerung thematisiert ist, beleuchtet die Cinquième séance (41-46) die Zeit nach Auschwitz: die Befreiung des Konzentrationslagers (41), den Zustand der Überlebenden (42) und die Rückkehr nach Frankreich. Während beide Claudes zu Beginn der Nachkriegszeit im Hôtel Lutétia 687 noch Auschwitz erzählend vermitteln wollen (43f.), 686 Zugleich erfolgt, wie Matthes in seiner imagologischen Untersuchung ausführt, mit der Darstellung eines Opfers, das durch die aktive Teilnahme an den Vergasungen seiner Mitleidensgenossen zum Täter wird, keine pauschale Stigmatisierung der deutschen Täter, sondern „L’accent est mis plus exactement sur le caractère contingent du crime.“ Matthes: Aspects d’un mythe contemporain, S. 72. 687 Vgl. auch zum Hôtel Lutétia als Gedächtnisort Grumbergs Drama L’Atelier (S. 69) sowie die topische Verwendung in Peskines La nouvelle Berline six cylindres, S. 27 (vgl. Fußnote 679) und in dessen Familiensaga Voisinage, die als Zeitreise durch das 20. Jahrhundert und durch Europa konzipiert im vierten Tableau auch das Jahr 1945 be- II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 216 setzt sich in der Folgezeit durch das Unverständnis der Menschen und die sich wiederholende Geschichte 688 immer mehr eine zum Schweigen führende Überzeugung durch: „Personne ne pouvait s’approcher de la planète Auschwitz“ (43). Damit verschärft sich für den Überlebenden immer mehr der innere Widerspruch, der auch Ausgangsbasis der LSD-Therapie war, dass Auschwitz zwar seine zentrale Bezugsgröße darstellt, 689 er sie aber nicht vermitteln kann. Pointiert illustriert dies sein Beruf: Claude wird Geschichtslehrer, vermag es letzten Endes aber nicht, die Schoah im Unterricht zu behandeln (45). Der Epilogue (47), in dem die Phase der Erinnerung durch jüdischen Gesang beendet wird, fokussiert die Zeit nach dem erfolgreichen psychotherapeutischen Erinnerungsprozess: Symbolisch tötet Claude 1 Claude 2 und beide werden durch die identitätsstiftende Funktion der Erinnerung zur personalen Einheit Claude Cohens. Zugleich ertönt die Stimme des Sohnes Emmanuel, für den nach dem fehlenden Zugang durch das lange Schweigen des Vaters beziehungsweise seiner nur bruchstückartig artikulierten Erinnerungen die Vermittlungsproblematik nun aufgebrochen ist: „pour la première fois, j’entends son histoire, dans sa totalité“ (47). Sowohl beim Zeitzeugen als auch beim Nachgeborenen wird Auschwitz durch den Erinnerungsprozess dem unbewussten Status eines nächtlichen Albtraums enthoben und zur konkret fassbaren, bewussten Realität im Licht des Tages. Während der Zeitzeuge Claude durch die befreiende Artikulation seiner verdrängten Erinnerung nun nachts friedlich schlafen kann, hat dies beim Nachgeborenen zugleich eine didaktisch-warnende Wirkung, dass die Geschichte als eine begriffen wird „qui n’en finit pas“: „Maintenant, je sais que ce n’est ni Dieu ni Diable qui a crée Auschwitz. C’est l’homme. Et chaque jour, j’ai peur. J’ai peur de vivre à Auschwitz, l’Auschwitz de mes jours.“ (47). Jean Manuel Florensa inszeniert mit seinem Theatertext Auschwitz de mes nuits im Unterschied zu allen anderen Dramatikern der vorliegenden Untersuchung das memoriale Zentrum selbst. 690 Eingebettet in einen Erin- leuchtet. Nicolas Peskine: Voisinages. In: Revue du hasard, no. 3, septembre 1998, hier v.a. S. 37. 688 Auf diese Weise weicht die Ausgangsüberzeugung, „que l’horreur ne pouvait plus se répéter“, der geschichtspessimistischen Einsicht einer möglichen Fortsetzung mit Blick auf Hiroshima und den Gulag (43). 689 Vgl. dazu etwa die nicht nur aus dem Tod aller Angehörigen in Auschwitz resultierende Aussage „Ma maison, mon pays, c’est Auschwitz! … C’est là où chaque nuit je retourne…“ (44). 690 Weiterführend soll auf zwei Dramen französischer Autoren der zweiten Generation verwiesen werden, die ihrerseits Auschwitz als memoriales Zentrum in Szene setzen. So fokussiert der in der Tradition eines „Théâtre chrétien“ stehende Jean-Luc Jeener mit seinem Stück Le Carmel eine Konfrontation von Juden und Christen im lieu de mémoire von 1989 auf der Folie der geschichtlichen Vergangenheit. Jean-Luc Jeener: 2.3.1 Jean Manuel Florensa: Auschwitz de mes nuits 217 nerungsprozess erfolgt eine immer stärker werdende, detailreiche Fokussierung des „planète Auschwitz“ (15, 43), die ihren Höhepunkt im „centre même de la production de mort“ (37) findet. Die Zeit nach dem Konzentrationslager ist zwar als Gegenbewegung zu dieser Annäherung von einer sukzessiven physischen Entfernung vom Zentrum geprägt, geistig bleibt der Fokus aber weiterhin auf Auschwitz - auch in der Vermittlung auf die Nachgeborenen - ausgerichtet. In diesem Sinne gestaltet sich auch der Bezug Florensas zu Auschwitz als ein in erster Linie mentaler und vermittelter. Denn auch wenn er selbst noch über gewisse Kindheitserinnerungen an die Zeit des Zweiten Weltkrieges verfügt, 691 wird für Florensa vor allem eine Erbschaft im konkreten und übertragenen Sinne relevant: […] tous ces rescapés espagnols de Mauthausen qui furent pour moi autant de grands frères, de parrains, de pères, […] et qui m’ont offert tout ce qu’ils auraient pu offrir à leur petit frère ou à leur fils s’ils avaient été là - et surtout parce qu’ils m’ont donné leur héritage de douleurs, sous la forme de manuscrits soigneusement transcrits sur des cahiers d’écolier. 692 Florensa präsentiert sich im Rahmen dieser Wahlverwandtschaft als Erbe der Erinnerung der Zeitzeugengeneration, die er weitergibt. Die Erinnerung ist damit eine über die Generationen gebrochen vermittelte. Doch wählt der Dramatiker nicht etwa die ihm überlieferten, spezifischen Erinnerungen an Mauthausen als Themenzentrum seines Stückes, sondern - gewissermaßen in einer emotionalen Distanzierung und damit in einem weiteren, gebrochenen Bezug - Auschwitz als deren pars pro toto. Zugleich sieht der Exilspanier in der Inszenierung von Auschwitz nämlich Le Carmel. In: Ders.: Théâtre. Regards d’aujourd’hui. Tome I. Paris (Pierre Téqui) 2001, S. 9-68. In La Diva d’Auschwitz inszeniert Jean-Louis Bauer mit intertextuellen Referenzen auf Goethes Faust I - v.a. dem Prolog im Himmel - die auf Unkenntnis basierende Suche Gottes und des Teufels nach 12 Millionen Juden in Auschwitz, die seit geraumer Zeit ihre Steuern nicht mehr zahlen: „Ils ne sont tout de même pas partis en fumée? “. In einem grotesken Spiel mit Wissen und Unwissen, An- und Abwesenheit gestaltet Bauer die Vermittlungsproblematik der Ereignisse des Zweiten Weltkrieges als Konflikt zwischen Dies- und Jenseits. Jean-Louis Bauer: La Diva d’Auschwitz. Unveröffentlichtes Manuskript, 1988. 691 „Mais comment ne pouvais-je pas voir les soldats allemands, ne pas entendre les bombardements, ne pas percevoir l’incertitude, l’angoisse, la peur? “ Darüber hinaus führt Florensa auch spezifischere Erinnerungen aus, etwa an die Maquisards, die seine Eltern versteckten, und an die nächtliche Stunde an der Exekutionsmauer, als dies bekannt wurde, sowie an die Nachricht des Todes seines Großvaters unter Folter, der bis zum Schluss seinen Sohn nicht verrät. Daneben stellt ein prägendes Erlebnis dar, dass Florensa direkt nach der Befreiung eine vor ihm versteckte Ausgabe von „Life“ findet, „dont les photos sont si parfaitement incrustées dans ma mémoire que je pourrais les dessiner avec précision.“ Jean Manuel Florensa: Avant-propos au spectacle. In: Ders.: Auschwitz de mes nuits, S. 7-10, hier S. 8. 692 A.a.O. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 218 die Möglichkeit, die Erinnerungswelt seiner Mauthausener ‛Väter’ mit jener seiner biologischen Eltern in einem anderen Lager kombinieren zu können: En fin de compte, j’ai parlé d’Auschwitz parce que je ne pouvais pas parler d’Argelès. Même si les deux camps sont incomparables, j’y trouvais la même désespérance, la même inhumanité, la même absurdité. Mes personnages sont une image de mon père et de mes «pères» de Mauthausen. Choisir Auschwitz était une facilité, parce que ce camp de la mort possède un caractère indicible et unique. 693 Demnach fungiert die Darstellung von Auschwitz in seinem Drama auch als topischer Stellvertreter für die individuelle Unkommunizierbarkeit Florensas, als Immigrant seinem Gastland Frankreich die Erinnerungsleerstelle Argelès im kollektiven Gedächtnis vorzuhalten und diese selbst dramatisch zu besetzen. 694 Jedoch reflektiert Jean Manuel Florensa in seinem Theatertext die gebrochen-topischen Facetten seines „planète Auschwitz“ (15, 43) nicht mit. Zwar deutet sich durch den Erinnerungsprozess die Darstellung des Konzentrationslagers als grundlegend gebrochen und vermittelt an, dies wird aber innerhalb der fünf Halluzinationen, die zusammengenommen 693 Brief, S. 335. Jean Manuel Florensas Eltern werden im Zuge der Massenflucht nach Frankreich im Februar 1939 zunächst im Internierungslager Argelès aufgefangen, das - neben anderen Lagern in den Pyrenäen und entlang der Mittelmeerküste - provisorisch am Strand und unter inhumanen Bedingungen von der durch den Flüchtlingsstrom überforderten französischen Regierung errichtet wird. Vgl. zur Entstehung und Entwicklung der Lager Christian Eggers: Unerwünschte Ausländer: Juden aus Deutschland und Mitteleuropa in französischen Internierungslagern 1940-1942. Berlin (Metropol) 2002 und Denis Peschanski: La France des camps: l’internement, 1938-1946. Paris (Gallimard) 2002. 694 „Comme je n’ai vraiment jamais pu dire à ma patrie d’accueil (à laquelle je suis infiniment redevable) qu’elle s’était mal comportée, je n’ai toujours pas écrit ce que je veux (et dois) écrire, à savoir la manière dont les autorités françaises réceptionnèrent des centaines de milliers de réfugiés espagnols. Je veux raconter le camp d’Argelès, cette vaste plage vide qui se remplît des orphelins de la République; je veux dénoncer l’ignominie; je veux dire la souffrance et le désespoir. Mille et une choses qui ne feront pas plaisir à mes compatriotes français. Je me tais encore. Je ne suis pas prêt. Mes frères aussi ne sont peut-être pas prêts à écouter. J’aimerais ouvrir leurs yeux sur cette page misérable de leur histoire, mais je ne veux pas blesser leur amour-propre. Je voudrais seulement les confronter avec leur passé. […] Plonger dans l’extrême [Auschwitz] me permettait de dire ce que j’avais besoin de crier tout en retenant l’intime dans le respect que je dois à la France.“ Wenn Florensa in diesem Zusammenhang ausführt, dass „La mémoire française oublie des pans d’histoire, à l’avantage de sa glorieuse image chauviniste“, so moniert er dies nicht nur in Bezug auf Argelès, sondern auch für die Erinnerung an die Zeit des Zweiten Weltkrieges: Hier stellt er zum einen die problematische, da selektive Dominanz der Résistanceerinnerung heraus, zum anderen, dass die für Frankreich gefallenen Ausländer erst 1997 eine nationale Würdigung erfahren. Brief, S. 335. 2.3.1 Jean Manuel Florensa: Auschwitz de mes nuits 219 einen autonomen Stellenwert einnehmen, nicht aufrechterhalten: Die Innensicht von Auschwitz präsentiert sich vielmehr in Form der verschiedenen Stationen, Geschichten und Eindrücke im Lager als nahtlos und unvermittelt. Florensa stellt so auch nicht seine verschiedenen Referenzen zur Konstruktion dieser Innenwelt dar, sondern macht sie sich - wie er für die Mauthausener Erinnerungsdokumente ausführt - in einem literarischen Identifikationsprozess bruchlos zu eigen: Quelle étrange exigence m’a poussé à exprimer cet héritage, cette mémoire qui est devenue la mienne? Il m’a fallu attendre quarante années pour que, dans un littéraire processus d’identification, je réanime le passé et délire ce besoin irrépressible de transmettre la douleur d’un deuil que mon âme vient à peine d’assumer. 695 Dergestalt ist der Umgang des Dramatikers der zweiten Generation mit Lagererinnerungen von Vorgängen des Wiedererlebens 696 und der Empathie 697 geprägt, ohne dass er diesen Verfahren der Einfühlung im Text selbstreflexive Komponenten zur Seite zu stellt. 698 Eine Schreibweise, die in dieser Form weitgehend auf Sollbruchstellen und Vermittlungsverfahren verzichtet, bietet natürlich Angriffsflächen, die dem Autor selbst bewusst sind. 699 Daher versucht Florensa seine Darstellungsweise durch ein „comité d’honneur“ von Zeitzeugen 700 absichern 695 Florensa: Avant-propos au spectacle, S. 9. 696 „Ces manuscrits, dont je repoussais toujours la lecture, il a fallu que je les recherche cet été 87. Dans la sérénité solaire de ma campagne, j’ai «revécu» l’épouvante, et je suis devenu enfin l’héritier de ceux qui m’appelaient «Jeannot» et pour qui je le suis resté. Fils de votre tendresse, je suis devenu fils de votre désespoir, pour vous poursuivre, pour vous expliquer, et quelque part vous venger.“ Ebd., S. 8. 697 Diese, von der Überzeugung, „il fallait que je dise leur souffrance“ (Ebd., S. 9) geleitete Empathie verortet Florensa folgendermaßen: „Il existe des hommes - et l’écrivain peut s’y assimiler - qui portent la souffrance des hommes avec eux. L’antique tradition juive parle des «lamed-waf», les trente-six justes sur lesquels repose le monde. Sans leur réceptacle, la douleur inonderait le monde [Herv. im Original].“ Brief, S. 330. In J’ai aimé les hommes spitzt er diese Haltung noch weiter zu: „Plus que ma douleur, je sens celle des autres / plus que ma vie, je sens la mort des autres / et ce malheur n’a qu’une explication / le fait d’aimer les Hommes / et seulement les aimer.“ Jean Manuel Florensa: J’ai aimé les hommes. Unveröffentlichtes Manuskript, S. 1-55, hier S. 53. 698 So wird seine Einschätzung „Je compris que pour un certain milieu je n’avais pas le droit de m’approprier intellectuellement d’Auschwitz“ (Brief, S. 330) insofern problematisch, als dass sich Florensa eben nicht über reflexive, sondern über das emotionale Verfahren der Empathie Auschwitz nähert. 699 Vor diesem Hintergrund ist das erläuternde Vorwort zu verstehen: „C’est la première fois que j’ai besoin de faire précéder une de mes pièces d’un avant-propos. C’est que [...] j’ai peur de ce que nous allons «raconter» là, au public.“ Florensa: Avant-propos au spectacle, S. 7. 700 Dieses Komitee setzte sich u.a. zusammen aus „des Amicales des Déportés d’Auschwitz, de Mauthausen, de Ravensbrück, de Blechhammer-Auschwitz III, du II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 220 zu lassen und sendet das Drama Claude Lanzmann „afin qu’il y décela les erreurs historiques qui auraient pu échapper à ma vigilance ou qui auraient pu être provoquées par des témoignages douteux“. 701 Wie angesichts der grundlegend verschiedenen Vorstellung beider Künstler hinsichtlich einer adäquaten Vermittlung nicht anders zu erwarten, übt Lanzmann in massiver Form Kritik: Er beschuldigt Florensa sogar aufgrund unmarkierter, sprich nahtloser Integration von Elementen aus seinen eigenen Dokumentationen des Plagiats. 702 Was hier von Lanzmann als Montage- und Zitierproblem beanstandet wird, geht jedoch weit über die Ebene der Bezugnahme auf externe Quellen hinaus: Denn die Herangehensweise ist im Rahmen der Florensaschen Empathieverfahren Ausdruck der Überzeugung der Authentizität seiner Erinnerung „par procuration“ 703 und damit Teil der Gesamtkonzeption. Dies verdeutlicht er nochmals umfassend in seinem dramatischen Gedicht J’ai aimé les hommes, das sich zwar als literarische Stellungnahme zum Wilkomirski-Skandal präsentiert, aber zugleich auch eine Verteidigung der eigenen Darstellungsverfahren ist: Die gefälschte Holocaust-Autobiographie Binjamin Wilkomirskis alias Bruno Dössekkers - deren Titel Bruchstücke im Hinblick auf die Konstruktion eigentlich so bezeichnend ist - und die Schreibweise Florensas in Auschwitz de mes nuits gleichen sich trotz evidenter Unterschiede nämlich insofern, als beide Nachgeborene den Status der Medialität ihrer Erinnerung nicht mitvollziehen. 704 Camp de Drancy, des Déportés Juifs de France, de Neuengamme, et leur présidente et président respectif dont je citerai l’aimable M.-Claude Vaillant-Couturier, Henry Bulawsko, Mme Geneviève de Gaulle, et le grand rabbin de France Joseph Sitruk, Serge Klarsfeld ou Simone et Jean Lacouture.“ Brief, S. 328. 701 Ebd., S. 329. 702 Vgl. zur Schilderung der Ereignisse um die Gerichtsprozesse die Ausführungen im Brief, S. 329. Florensa beschreibt sein Verfahren der Dramenkonstruktion folgendermaßen: „Dans ma fiction, j’avais tenu à ce que les références d’Auschwitz de mes nuits soient le plus véridiques possibles, or les témoignages nombreux de sources diverses que j’avais piqués pour étoffer mon propos et que j’avais entremêlés pour façonner ma dramaturgie“. Jedoch verkehrt sich seiner Meinung nach der Sachverhalt, wenn „celui qui m’avait apporté des témoignages historiques que je considérais irréfutables et sur lesquels, pourtant, je n’avais pas droit de m’appuyer“. A.a.O. 703 Ebd., S. 330. 704 Während Florensas Drama aufgrund seiner bruchlosen und unvermittelten Schreibweise jedoch ‛lediglich’ riskiert, eher als Zeugnis individueller Erinnerung eines Zeitgenossen, denn als kollektive (Re-)Konstruktion des Nachgeborenen rezipiert zu werden, intendiert Dössekker - wenn man seinen Fall nicht psychologisch als komplexe Einbildungsgeschichte mit einem Identitätswandel zum Opfer wertet - von vornherein mit seiner pseudo-autobiographischen Schreibweise eine solche Lektüre. In diesem Kontext ist auch die Frage nach der Rolle des Erinnerungsmediums bei der Suggestion von Authentizität relevant. So zielt Dössekker mit der Gattungswahl der Autobiographie deutlich darauf ab, wohingegen sich dies bei Florensa ambivalenter gestaltet: Denn einerseits führt er in seinem Vorwort die Vermittlungsproblematik 2.3.1 Jean Manuel Florensa: Auschwitz de mes nuits 221 In der aus 107 Strophen bestehenden Elegie J’ai aimé les hommes radikalisiert Florensa unter dem Motto „Rien n’est vraiment clair. L’histoire, la mémoire, la fiction“ 705 seine auf Empathie gründende Schreibweise von Auschwitz de mes nuits: Pour mieux exprimer cet «héritage» qui tombe sur la tête de certains et qui fabrique des affabulateurs aussi empathiques qu’un écrivain, je ne me suis pas documenté […] et je me suis dit: Tu vas tout inventer. Tout. De A à Z. […] J’ai inventé les odeurs d’Auschwitz. J’ai façonné des récits d’atrocités. J’ai souffert, j’ai pleuré. Le résultat est hallucinant: plus vrai que toutes les documentations que j’aurais pu réunir, que tous les témoignages que j’aurais pu recueillir. Plus vrai que le vrai. Dans les moindres détails. Mon imaginaire et ma sensibilité étaient allé fouiller là où les témoignages laissent des imprécisions. [Herv. im Original] 706 Für Florensa liegt demnach der von Einfühlung getragenen Fiktion als adäquater Darstellungsweise ein erweiterter Erinnerungsbegriff zugrunde: Erinnerung ist in diesem Sinne nicht mehr an ein äußeres, situatives Erleben gebunden, sondern speist sich allein aus einem inneren Durchleben, aus einer Form der Halluzination. 707 In dieser Ausdehnung einer individuellen Form der Erinnerung, die Florensa mit beiden Stücken verdeutlicht und die für ihn aufgrund des Generationenwechsels eine Notwendigkeit darstellt, 708 sieht er die Möglichkeit, die Exklusivität der Darstellung durch die Zeitzeugen aufzubrechen, diesen aber weiterhin gerecht zu werden aus, andererseits benutzt er die Gattungszuweisung „témoignage“, die Zeitzeugenschaft insinuiert. Florensa: Avant-propos au spectacle, S. 8. 705 Florensa: J’ai aimé les hommes, S. 2. Florensa verteidigt in seinem dramatischen Gedicht expressis verbis den zwar nicht namentlich gekennzeichneten, aber unschwer auszumachenden Autor der Bruchstücke als „lamed-waf“ gegenüber dem Journalisten, der die ‛Fälschung’ enttarnt hat. 706 Brief, S. 330. 707 Zur Verdeutlichung führt er u.a. aus: „Oui, je me souviens parfaitement des camps de la mort, pas du tout de la bataille d’Alésia. Pourquoi? [...] Oui, je me souviens de la traversée des Pyrénées vers le camp d’Argelès de mes parents même s’ils ne me l’ont jamais racontée. Pourquoi? Je peux porter témoignage sur certains points de l’histoire. Des autres, je ne m’en souviens pas, je ne les ai pas vécus. Je veux dire que je ne les ai pas vécus dans mon imaginaire qui n’a ni frontière temporelle ni géographique.“ Ebd., S. 331. Jedoch vermerkt Florensa zugleich einschränkend: „N’ayant pas vécu les camps, je ne peux en dire l’exacte vérité. D’ailleurs elle dépasse mon imagination qui pourtant fertile, se bloque devant les blessures de la sensibilité.“ Florensa: Avant-propos au spectacle, S. 9. 708 Vgl. „Lorsque les survivants ne seront plus, aucun autre écrit n’apparaîtra-t-il sur l’Holocauste? Qui en parlera, qui aura le droit d’en parler? de sensibiliser? …“. Brief, S. 331. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 222 und die essentielle Vermittlung für die Zukunft zu sichern. 709 Die Florensasche écriture setzt damit gewissermaßen in empathischer Übernahme die individuelle Erinnerung der Zeitzeugen fort, indem sie als Halluzination bruchlos und unvermittelt darstellt, was für einen Autor der zweiten Generation selbst aber geprägt von Brüchen und Formen der Vermittlung sein muss. Jean Manuel Florensa entscheidet sich für eine Schreibweise, die die Medialität der Erinnerung des Nachgeborenen formal und inhaltlich weitgehend nicht umsetzt. Vor dem Hintergrund der potenziellen Angreifbarkeit einer solchen écriture wird nicht zuletzt deutlich, warum die anderen, der Untersuchung zugrundeliegenden Dramatiker den Generationenwechsel von den Zeitzeugen hin zu den Nachgeborenen in ihren Dramen auf verschiedenen Ebenen viel stärker mitinszenieren und -reflektieren. 2.3.2 Jean-Claude Grumberg: Rêver peut-être Das 1996 erschienene Rêver peut-être 710 des bereits präsentierten Autors Jean-Claude Grumberg weist seine zentralen Bezugspunkte und Konstruktionsprinzipien bereits im Titel aus. In einer intertextuellen Lesart lässt sich dieser als ins Französische übertragenes Zitat „perchance to dream“ 711 aus Shakespeares Hamlet erkennen. Zu einer autobiographischen Lesart des Titels, die sich auf Grumbergs eigenes Träumen bezieht, führt der Autor selbst den Leser mit seiner dem Drama vorangestellten Widmung: Ce père inconnu de moi [...] aurait eu cent ans en 1998, qu’il me soit permis en cette occasion de lui dédier cette œuvrette; en ces temps commémoratifs et de repentance des corps constitués, qu’il prenne cela comme un monument funéraire que son fils déficient lui aurait dressé en dormant. 712 Während die intertextuelle Folie des Shakespeare-Stückes von inhalts- und strukturbildender Funktion für das Drama ist, kann der autobiographische Hintergrund vielmehr der Skizzierung der Dramengenese und dem Auf- 709 Florensa erscheint die Vermittlung der Ereignisse besonders wichtig, denn „Pour la plupart de ceux qui sont nés après 1945 […] et même ceux qui étaient enfants à la découverte des camps de concentration (comme moi), les camps nazis d’extermination restent une vue de l’esprit.“ (7). In diesem Sinne verfasst er sein Stück in erster Linie für die Nachgeborenen seiner Generation und der nachfolgenden (9), damit zum einen die Erinnerung an das, wozu der Mensch fähig ist, nicht verloren geht und zum anderen „pour empêcher la répétition de ce péril“ (7): „il faut nécessairement [...] que je passe mon héritage en ces moments où l’horizon de l’Europe se couvre de menaces fascistes.“ (9). Florensa: Avant-propos au spectacle, S. 7 und S. 9. 710 Das Drama erhält den Prix du Syndicat de la critique pour la meilleure création française. Jean-Claude Grumberg: Rêver peut-être. Paris (Actes Sud-Papiers) 1998. 711 William Shakespeare: Hamlet. Hrsgg., übersetzt und kommentiert von Holger M. Klein. Stuttgart (Reclam) 1984, S. 160. 712 Jean-Claude Grumberg: Notes (26.07.1998). In: Ders.: Rêver peut-être, S. 65. 2.3.2 Jean-Claude Grumberg: Rêver peut-être 223 zeigen der Elemente dienen, die der Autor als selbst erlebt oder erfahren in seinem Drama exponiert. Dies jedoch mit der Implikation, dass der dramatischen Integration seiner eigenen Träume zugleich und in hohem Maße eine Selbstinszenierung zugrunde liegt. Wie bereits in der trilogie juive Grumbergs bildet auch in Rêver peut-être das Schicksal seines im Zweiten Weltkrieg deportierten Vaters den Hintergrund der Handlungsstruktur. Vergleichbar mit L’Atelier geht es dabei um den Umgang der Überlebenden mit der Absenz, jedoch nicht mehr in zeitlicher Nähe zu den Ereignissen mit dem mühevollen Prozess des Begreifens, Nachvollziehens und Auseinandersetzens. Grumberg beschreibt hier gewissermaßen die nächste Stufe, die im weiter leben 713 der Hinterbliebenen und Nachgeborenen mit diesen (fehlenden) Erinnerungen besteht: „moi aussi je voulais vivre et même - horreur, horreur - vivre heureux, et pour cela il me fallait tenir ce père assassiné à distance, dresser entre lui et moi des remparts infranchissables.“ 714 Eine mögliche psychologische Konsequenz des Ausschlusses der Erinnerungen aus dem Alltag besteht, wie dies Eingang in Rêver peut-être findet, in deren unwillkürlicher Verlagerung durch (Alb-)Träume in die Nacht. 715 Die in der Widmung evozierte Unzulänglichkeit, die in der bewussten Aufgabe der Erinnerung und damit in „l’oubli d’un père disparu, non cherché, non pleuré, non vengé“ 716 besteht, führt zu Schuldgefühlen des Sohnes. Diese werden im Bild des Traumgerichts als höchster Instanz zum Ausdruck gebracht: Wenn die nächtlichen Albträume Grumberg für den am Tag durch Verdrängen und Vergessen begangenen ‛Erinnerungsmord’ am Vater zur Rechenschaft ziehen, findet dies im Drama seine Spiegelung, indem sich die Hauptfigur Gérard B. für die in seinen Träumen begangenen Morde verantworten muss. 717 Neben dieser allgemeinen autobiographisch grundierten (Alb-)Traumstruktur 718 integriert der Autor ganz konkret zwei eigene Träume in das 713 Vgl. den Titel der Autobiographie von Ruth Klüger: weiter leben. München (Deutscher Taschenbuchverlag) 9 1999. 714 Grumberg: Notes, S. 65. 715 „Un jour ou plutôt une nuit tout s’éclaira, et je compris ce qui m’avait irrésistiblement poussé dans ce salmigondis de rêves enchevêtrés, ce qui m’avait conduit puis laissé au cœur de ce labyrinthe: l’oubli! […] Aussi ne trouva-t-il [le père] pour se manifester que ces heures blêmes et moites où le sommeil vous offre à la merci des spectres sans sépultures“. A.a.O. Die eigenen (Alb-)Träume Grumbergs von der Erinnerung an den Vater bzw. vom Vergessen des Vaters finden auch Eingang in seine anderen „obras nocturnas“ wie Maman revient pauvre orphelin und Amorphe d’Ottenburg. 716 A.a.O. 717 Neben der Mordanklage wird ihm v.a. Unmenschlichkeit wegen mangelnder Reue vorgeworfen (15). 718 „Muchos de esos sueños tenían relación con la muerte de mi padre, con mi responsabilidad filial, con mi sentido de culpa por consentir el olvido organizado hacia los muertos que fueron víctimas de los nazis.” Sadowska-Guillon: La gran escena del sueño, S. 58. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 224 Drama, die eben diese Schuldgefühle widerspiegeln: 719 Dabei handelt es sich zum einen um den Afrika-Traum (44-46), in dem die Frage „Qui a tué mon père” in grotesker Weise ausschließlich zu einem Grammatikproblem bezüglich Possessivpronomina mutiert; zum anderen um den am Dramenende dargestellten Traum vom Krieg und den Hilfe suchenden Menschen auf der anderen Straßenseite, während der Protagonist selbst auf der Sonnenseite bleibt. Den Straßen-Traum sieht Grumberg selbst als Metapher für eine bestimmte Lebensphase, in der er durch Verdrängen der vermittelten Kriegserlebnisse ein Weiterleben versucht: „Je continue à monter ma rue en pente en tentant d’oublier le trottoir en face.“ (62). 720 Die Form der Auseinandersetzung und des Umgangs mit der individuellen Erinnerung an den Vater wird an dieser Stelle expressis verbis in den Kontext eines kulturellen Gedächtnisses gestellt, denn der Schauspieler Gérard kommt zu dem Schluss, dass er die Rolle des Hamlet in Shakespeares gleichnamiger Rachetragödie nie spielen können wird. Während Hamlet nämlich als „fils des fils“ seinen Vater rächt und das Erinnerungsgebot erfüllt, dominieren bei Gérard Vergessen und Verdrängen. Die Lesart eines kommunikativen Gedächtnisses erfährt durch die enge Verknüpfung mit der intertextuellen Lesart eines kulturellen Gedächtnisses eine Spiegelung beziehungsweise Kontrastierung. Rêver peut-être ist in weiten Teilen auf der Folie von Hamlet verfasst, bei dessen Autor sich Grumberg am Ende seines Dramas auch bedankt (66). Zur Einbindung des Prätextes führt der Dramatiker aus: Durante el trabajo me di cuenta de que la relación con Hamlet casi me obligaba a esa idea de venganza y que si en mi inconsciente había elegido ese tema y lo había esbozado ya en las primeras escenas era porque existía en mí ese sentimiento de haberme desentendido de la suerte de mi padre. 721 Die intertextuellen Bezüge werden dabei, auf den verschiedenen Fiktionsebenen, verbunden mit der Form des Spiels im Spiel wirksam. 722 Auf der 719 Vgl. zu beiden Träumen auch Grumbergs Deutungen im Gespräch mit Sadowska- Guillon, a.a.O., sowie deren Darstellungen im autobiographischen Werk Mon père. Inventaire, S. 54-56. 720 Erinnert sei hier auch an das zum Motto stilisierte Zitat „Remonter la pente“ (S. 51). Im Traum wird dieser Verdrängungsprozess verbildlicht, indem die Menschen zu gesichts- und stimmlosen Geistern werden, die in Analogie zum Prozedere der Deportationen in den Zügen abtransportiert werden. Die Judenvernichtung und die Verdrängungsversuche in der Gegenwart werden in der Parallelisierung auf eine Ebene gestellt. Dass Vergessen gleichbedeutend mit Kollaboration ist, wird durch den Auftritt Pierre Lavals am Ende verstärkt, der das Vergessen anordnet und Gérards Bett pfändet, weil dieser sich im Traum dennoch erinnert. 721 Sadowska-Guillon: La gran escena del sueño, S. 58. 722 Hinzu kommt, dass Hamlet selbst durch die Verwendung von Theatermetaphern, Formen des Spiels im Spiel und Theaterdiskursen als schauspielbewussteste Tragödie Shakespeares gelten kann. 2.3.2 Jean-Claude Grumberg: Rêver peut-être 225 primären Dramenebene ist der Protagonist Gérard B. ein Schauspieler, der die Rolle des Hamlet einstudiert. 723 So lässt Gérard entweder in seine Repliken Shakespeare-Zitate einfließen, gibt den Text in Form einer Probe zusammen mit seinem Regisseur 724 wieder oder diskutiert mit ihm über verschiedene Rollen. 725 Außerdem werden in diesen Rahmen dramatis personae integriert, die der Leser über die Namensgebung als Entlehnungen aus dem Hamletschen Figureninventar erkennen kann: So soll Gérard vor Gericht von Rozencrantz verteidigt werden, der zusammen mit Guildersten eine Kanzlei hat. Die dubiosen Vertrauten des Königs bei Shakespeare, Rosencrantz und Guildenstern, funktionalisiert Grumberg in seinem Stück um; anhand von Rozencrantz exemplifiziert er ein jüdisches Schicksal während des Zweiten Weltkrieges. 726 Die intertextuellen Bezüge zur Hamletfigur werden im Drama durchgängig aufrechterhalten, so dass sie auch auf der zweiten, potenzierten Fiktionsebene, die sich durch die Integration der zumeist den Vater betreffenden Traumsequenzen in einer Parallelform zum Spiel im Spiel eröffnet, relevant werden. 727 723 Auf dieser Ebene finden auch die Überwachung der Träume, die Anklage, die Gerichtsverhandlung und Gérards Gespräche mit dem Anwalt statt. 724 Die Funktion des Regisseurs ist, wie auch die der weiblichen Hauptfigur oder die des Richters, ambivalent. Dieser füllt in Gérards Wachleben die Aufgabe des Regisseurs aus, erscheint aber auch oft in den Träumen, die er zugleich inszeniert. 725 Anklänge an Shakespeare-Dramen finde sich z.B. in dem eingestreuten Zitat „un cheval pour mon empire“, das aber aus dem Shakespeare-Stück Richard III stammt, so dass es, da kontextlos, verstörend auf den Anwalt wirkt (27), in Gérards Antwort, dass er „dormir, rêver peut-être“ gehen wolle (28) und in dem Ausspruch „Naître ou ne pas naître...“ (31), mit dem ein bekanntes Hamlet-Zitat spielerisch abgewandelt wird. Vgl. auch die Gespräche über das Theater, Stücke und Rollen, die im Rahmen der Probe mit Kostümierung stattfinden. Hier fließt darüber hinaus in Bezug auf den Stellenwert der Figur des Polonius die Szene „Un ducat que c’est un rat“ (33) ein, die sich auf Hamlet, III, 4, S. 202 bezieht. An dieser Stelle wird zudem das Motiv des Richters relevant, der das Theater so sehr liebt, dass der gefangene Schauspieler aufgrund seines Berufes eine mildere Strafe erhält. Vgl. zu diesem Topos der Strafmilderung aufgrund künstlerischer Bewunderung auch die ebenfalls auf einer Intertextualität mit Shakespeare-Stücken beruhenden Dramen Toujours l’orage von Cormann (Kap. II 2.1.3) und Le grand retour de Boris S. von Kribus (Kap. II 2.1.4), in dem sich zudem dieselbe ‛Fehlzitierung’ von Richard III findet (Fußnote 334). 726 Wenn bereits die Nennung ihrer jüdischen Namen sogar noch in der Nachkriegszeit einen latenten Antisemitismus auslöst (32), dann ist für die Zeit während des Zweiten Weltkrieges klar, „ils n’ont pas le choix: ils changent de nom ou ils changent d’air“ (51). Deshalb versteckt Rozencrantz seine Kinder in England. 727 So werden die primäre und die potenzierte Dramenebene zum einen durch die Hamletfigur, zum anderen durch die Tatsache, dass Gérard auf der ersten Fiktionsebene für seine Morde in der zweiten Fiktionsebene zur Rechenschaft gezogen wird, miteinander verknüpft. Die Verschachtelung geht dabei stellenweise so weit, „that it becomes very difficult to draw the line between what is ‛reality’ and what is ‛dream’.“ Bradby und Sparks: Mise en scène. French theatre now, S. 117. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 226 Die Referenz auf den Shakespeare-Text dient vor allem der Motiv- und Handlungsspiegelung, die über Gérards voranschreitende Identifizierung mit Hamlet aufgrund ihrer ähnlichen Schicksale aufgebaut wird. Beider Söhne Väter wurden ermordet und beide leiden unter einer Last, die sie weder tragen noch ablegen können. Die eigentliche Rolle des Hamlet verliert jedoch zunehmend ihren Spielstatus 728 und geht in Gérards eigener Person und seinem Leben auf. Die Form des Spiels im Spiel weitet sich immer mehr zu einer Art Theatrum mundi 729 aus. Am Ende wird jedoch dieses Ineinanderlaufen beider Figuren, wie bereits erläutert, in Gérards Erkenntnis ihrer Alterität bezüglich Erinnerung, Vergessen und Rache wieder aufgebrochen. Zu Beginn des Stückes deutet sich die intertextuelle Relation zunächst nur in Bezug auf die Vorlage des Hamlet als Ganzschrift an, die Gérard als Rechtfertigung für den Mord anführt, da er nur ausübe, was geschrieben steht. Dieser Übergang von der Dramenfiktion Grumbergs auf ein externes - hier literarisches - doppelt funktionierendes Element wird zudem durch die Bemerkung des Anwalts verstärkt, der den Rechtfertigungsversuch zwangsläufig in den kollektiven Kontext der ‛Befehlsausüber’ im Dritten Reich stellt: 730 „J’obéis aux ordres: c’est ça votre système de défense, parfait, mais il est de mon devoir […] de vous mettre en garde: ça ne marche pas à tous les coups, rememberg [sic] Nuremberg...“ (23). Wenn hier bereits eine Verquickung von Stückfiktionssowie externen Fiktions- und Geschichtsebenen in Bezug auf Gérard, Hamlet und die Zeit des Zweiten Weltkrieges vorliegt, wird diese immer enger in der schon angedeuteten, hier aber fortschreitenden Identitätsverschmelzung von Gérard mit der Hauptfigur Hamlet. 731 Ausgangspunkt dafür ist die Vergangenheit beziehungsweise die Thematisierung des Vaters. Das Bett fungiert dabei in zweifacher Weise als Erinnerungsträger, denn zum einen ist es als Auslöser „tout ce qui nous reste de ton père“ (30) relevant, zum anderen repräsentiert es den Ort der Erinnerung schlechthin: „Tiens lit maudit qui ne permets pas l’oubli! “ 728 Während zu Beginn des Dramas nur eine spielerische Verwechslung, die der Richter als solche entlarvt, vorliegt und Gérards distanziertes Verhältnis deutlich wird - „C’est écrasant Hamlet“ (14) - vermischen sich im weiteren Verlauf immer mehr Aspekte im Leben beider bis hin zur kompletten Identitätsverschmelzung Gérards mit Hamlet. 729 Dem Drama liegt damit eine doppelte Referenz auf Calderón zugrunde: Einerseits wird an dieser Stelle auf El gran teatro del mundo verwiesen, andererseits scheint in der Verbindung von Drama und Traum allgegenwärtig La vida es sueño durch. 730 Das tertium comparationis beider besteht in ihrer Inhumanität. Das Motiv des blinden Gehorsams findet sich erneut im Afrika-Traum, wenn selbst Gérard nach erfolgtem Befehl ohne nachzudenken in die Menge der Pygmäen schießt (45). 731 Dass diese überhaupt möglich wird, liegt auch darin begründet, dass über Erinnerung immer auch Identität konstituiert wird; Vergessen bedeutet so zugleich einen Verlust an Identität. 2.3.2 Jean-Claude Grumberg: Rêver peut-être 227 (30). 732 Sein Stellenwert wird zudem noch dadurch erhöht, dass es als einzig wirklicher Ort im Drama alle weiteren surrealen Orte eröffnet. In den Traumsequenzen zur Vergangenheit wird die Familienkonstellation Gérards 733 zu jener Hamlets: Eingeleitet durch die Shakespeare-Referenz „Naître ou ne pas naître...“ (34) inszeniert 734 beispielsweise der Traum Gérards von seiner eigenen Geburt während des Zweiten Weltkrieges (49) 735 die ehebrecherische Verbindung zwischen der Mutter Gertrud(e) und dem Onkel, während sich der Vater - hier noch nicht ermordet - im Krieg befindet (34-37). Die Bewertung der Schwere der Geburt wird zudem auf die Ebene des Shakespeare-Stückes gebracht, wenn die Entscheidung zu einer zwischen „sauver la reine ou sauver le prince héritier“ (36) wird. Ein Kindheitstraum fokussiert die Konstellation darüber hinaus psychoanalytisch gefärbt, da der Onkel als Vaterersatz und neuer König von Gérard nicht akzeptiert wird und dies unter anderem auch in ödipalen Motiven begründet liegt (51-53). 736 Die Identitätsverschmelzung mit Hamlet geht so weit, dass ihm in abstrahierter Form der die Söhne zur Rache aufrufende väterliche Geist erscheint (56). Gleichzeitig wird jedoch im Unterschied zu Hamlet deutlich, dass die Söhne, die als totum pro parte für Gérard stehen, mit der geforderten Rache nicht umgehen können. Das letztendliche Ausbleiben der Rache und das Verdrängen bedeutet aber zugleich ein Schuldigwerden gegenüber dem Vater. An der Stelle wird verständlich, warum Gérard als Mörder beschuldigt wird beziehungsweise sich in erster Linie selbst als solcher fühlt. 737 Die fehlende Rache und das Vergessen werden als (Erinne- 732 Vgl. dazu auch die umfangreichen Beschreibungen der Funktionen des Bettes, die unter Le Décor dem Drama vorangestellt werden (6). 733 In dem Zusammenhang wird auch Ophelia (Ophélie) thematisiert, die bei Grumberg jedoch nicht in der Parallele zu Shakespeare als Geliebte funktionalisiert wird, sondern als kindliche Spielgefährtin, durch deren Puppen- und Doktorspiele sich Gérard bedrängt fühlt (50f.). 734 Denn am Endes des Traumes stellt sich in einer unauflöslichen Verquickung der Fiktionsebenen heraus, dass es sich um eine Inszenierung des Regisseurs zur Frage nach dem Ursprung bzw. dem ‛Sein und Nicht-Sein’ handelt, bei der Sein und Schein durcheinander gehen (37f.). 735 Zwar wird die Zeit des Zweiten Weltkrieges in Form des Traumes einerseits direkt dargestellt, so dass in der Konsequenz Gérard zum Baby bzw. Kind und die Frau zur Mutter wird, andererseits wird dies jedoch gebrochen. Denn es bleibt ein Rest an Vermittlung bestehen, wenn auch der gegenwärtige, erwachsene Gérard in den Träumen auftaucht. 736 Vgl. zum Stellenwert der Psychoanalyse bei Grumberg auch Sadowska-Guillon: La gran escena del sueño, S. 58. So leitet er etwa auch sein ihm zur Verfügung stehendes, umfangreiches Trauminventar aus der langen Psychoanalyse her, der er sich unterzogen hat. 737 Der Zusammenhang wurde schon zuvor vom Anwalt durchschaut: Während der ahnungslose Gérard davon ausgeht, dass alles nur im Traum geschehe, der wiederum „n’a pas de rapport avec le fond de l’affaire...“, sieht der Anwalt, dass die Fra- II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 228 rungs-)Mord am Vater aufgefasst, was - vergleichbar mit dem der eigentlichen Täter - zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit wird. 738 Die Ebene der Anklage entpuppt sich damit als Gérards eigenes Gewissen, dem er sich jede Nacht stellen muss. Deshalb hilft ihm auch die absurde Auflösung am Ende nicht weiter, aufgrund der Lebensdaten faktisch unschuldig am Vatermord zu sein, 739 denn über die Folie der Hamletfigur wird letztlich deutlich: „Estamos obligados a recordar. Cuando quieres olvidar, te vuelve a atrapar la historia misma.” 740 Neben der dominant gesetzten Intertextualität über den Hamlet-Text erstreckt sich noch ein Netzwerk weiterer, nicht explizit ausgewiesener Texte über das Drama. Auf diese Weise erinnert der im Stück angedeutete totalitäre Überwachungsstaat, der sogar Träume kontrolliert, an George Orwells 1984. Darüber hinaus können im Ansatz kafkaeske Züge im Drama verortet werden: Der Protagonist „wakes up one morning to a knock on the door from a strange police-woman who accuses him of murder. In the plot which follows, it emerges that he committed this ‘murder’ in a dream and his attempts to clear himself become as convoluted and elusive as those of K in Kafka’s The Trial.” 741 Die durchgängigen Referenzen auf Kafka und Orwell, die mit ihren Werken gemeinhin auch für eine Warnung vor Faschismus und Totalitarismus stehen, werden zudem noch durch eine Detailreferenz ergänzt: In der Präzisierung, um welchen Krieg es sich handle, zitiert der Anwalt nahezu wörtlich den Refrain des Liedes La guerre de 14- 18 von Georges Brassens mit den Worten „Moi celle que je préfère c’est celle de 14-18.“ Auf diese ironische und sarkastische Verkomplizierung durch das kulturelle Gedächtnis antwortet Gérard analog mit dem familiären Ausdruck, dass er allergisch auf die „poilus“ reagiere, die für die Veteranen des Ersten Weltkrieges stehen (55). Das Drama Rêver peut-être ist mit den verschiedenen, zumeist untrennbar verwobenen Ebenen des Spiels und Traums auf der Schwelle zwischen Fiktion und Wirklichkeit, zwischen Erinnerung und Vergessen angesiedelt. Die Schwellensituation ist jedoch nicht von einem definitiven Übergang geprägt, sondern von einem umherirrenden „va-et-vient“ des verwaisten und orientierungslosen Sohnes, der sie als Niemandsland begreift. Dies findet symptomatisch für den gesamten Text, der in Form eines „journal de ge „Qui a tué mon père“ die eigentliche Motivation ist und den Nexus zwischen Traum und Wirklichkeit herstellt (47). 738 Vgl. auch „En la imposibilidad de llevar a cabo esa venganza, la vuelves contra ella misma”, Sadowska-Guillon: La gran escena del sueño, S. 58. 739 Der im Traum Getötete wird als Geist des Vaters entlarvt. Da Gérard bei dessen Tod aber noch ein Baby war, sei er somit am Mord unschuldig (57). 740 Sadowska-Guillon: La gran escena del sueño, S. 59. 741 Bradby und Sparks: Mise en scène. French theatre now, S. 117. 2.3.2 Jean-Claude Grumberg: Rêver peut-être 229 bord” die nächtlichen Irrfahrten ohne Kompass 742 inszeniert, - sowie für die eigene Dilemmasituation Grumbergs - im Folgenden seinen Ausdruck: Il m’est interdit de rester dans le no man’s land, je dois choisir entre l’oubli et le souvenir. Je me dirige vers la frontière de l’oubli qui m’a tout l’air d’être un joli pays. Hélas on n’y accepte pas les fils d’apatrides sans papiers. Je vais alors à contrecœur vers le souvenir. Là je lis sur la banderole qui domine la porte: „Vous qui entrez ici perdez toute espérance.“ (48) 743 Die Hoffnungslosigkeit individueller Erinnerung und die Unmöglichkeit des Vergessens münden in einem intimen Traumtheater Grumbergs, das sich auf der Folie eines kulturellen Gedächtnisses und verschiedener Spielebenen zu vermitteln sucht. Stärker als in den Dramen der Trilogie rangieren Bedingungen, Funktionsweisen und Umgang mit der Memoria als Echo beziehungsweise Resonanzen der untergründig omnipräsenten Geschichte vor den Ereignissen selbst. 744 Nur an einer Stelle am Ende des Dramas wird vermittelt über den Traum - diesmal jedoch der Frau, die sonst nie träumt - mit einem „tas de corps“ (60) ein Bild direkt aus den Vernichtungslagern transportiert. Jedoch steht auch dies wiederum in erster Linie im Kontext der Erinnerungs- und Vergessensthematik, da Gérard daneben „comme si de rien n’était“ für ein Erinnerungsfoto posiert. In seinem Wachleben argumentiert er andersherum, allerdings mit dem gleichen Blick auf die Nachwelt: Man müsse die Körper verstecken, das heißt die Erinnerung tilgen, denn „il faut cacher à l’humanité son inhumanité sinon l’humanité ne sera plus vivable.“ (61). Mit Rêver peut-être verdeutlicht Jean-Claude Grumberg in Erweiterung seiner Trilogie, dass die Schoah für ihn auch am Ende des 20. Jahrhunderts und Jahrzehnte nach den Ereignissen noch den zentralen Bezugs- und Bruchpunkt im Erinnern und Vergessen markiert. So liefern die vier analysierten Stücke eine fragmentarische dramatische Erinnerung mit unterschiedlichem zeitlichen Fokus und stehen paradigmatisch für das vermittelnde Schreiben einer Geschichte, deren Spuren zwar immer weniger verfügbar sind, die aber zugleich dennoch nichts an Relevanz und Aktualität verloren hat. 742 Klappentext zu Rêver peut-être. 743 Mit der integrierten Referenz auf Dantes Divina Commedia weist Grumberg das ‛Land der Erinnerungen’ als Höllenort aus. Siehe dazu die Inschrift über der Pforte zur Hölle: „Lasciate ogne speranza, voi ch’intrate’.“ Dante Alighieri: La Divina Commedia. Hrsgg. und kommentiert von Tommaso Di Salvo. 3 Bände. Zanichelli (Bologna) 1993, Bd. 2: Inferno, canto III, Vers 9, S. 57. 744 Die Beobachtung, dass Grumberg die Verbrechen des Zweiten Weltkrieges nicht explizit präsentiert, sondern nur am Alltag der Hauptfigur illustriert, d.h. an den albtraumhaften, immer wiederkehrenden Erinnerungen daran, kann auch als Variation der Prinzipien eines Théâtre du quotidien gelten. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 230 2.3.3 Patrick Kermann: Leçons de ténèbres 1959 wird Patrick Kermann in Straßburg geboren. 745 Nach einem mit der Agrégation abgeschlossenen Deutschstudium an der ENS ist er als Lektor bei Gallimard tätig und übersetzt diverse Sachbücher zur Ästhetik, Romane und Theaterstücke - vor allem von Thomas Bernhard - ins Französische. 746 Anfang der 1990er Jahre beginnt er, selbst Theatertexte und Opernlibretti 747 zu verfassen. Dabei kreisen die rund 20 Stücke, 748 die Kermann in den knapp zehn Jahren bis zu seinem Selbstmord am 29.02.2000 in Villeneuve-lez-Avignon verfasste, allesamt um die Darstellung des Lebens nach Auschwitz. 749 Angesichts dieser Welt in Bruchstücken geht Kermann in seinen Theatertexten ausschließlich fragmentarisch vor: In Form einer Suche in den Ruinen der zerstörten Welt stellt er die verbleibenden Überreste als Schatten und Spuren gegen das Vergessen sowie eine von der Schoah gezeichnete Sprache aus. Auf diese Weise wird sein ‛Theater nach der Katastrophe’ gewissermaßen auch zu einer Arbeit über den archäologischen Stellenwert von Gattungen und Sprache, deren Relikte zum Ausdruck bringen, was von den „grands récits“ übrig bleibt. 750 Zugleich lässt sich damit der enge Zusam- 745 Zu Biographie, Gesamtwerk und Inszenierungsübersicht vgl. die Homepages www.aneth.net, www.theatre-contemporain.net und die Präsentation in Confortès: Répertoire du théâtre contemporain de langue française, S. 208. 746 Vgl. zu den Übersetzungen auch die bibliographische Aufstellung seines Gesamtwerkes in Patrick Kermann: Leçons de ténèbres. Paris (Éditions L’Inventaire) 1999, S. 97- 109. 747 Zu den Operntexten zählen das zusammen mit Daniel Lemahieu verfasste Du Diktat, das Madrigal La blessure de l’ange und das mit chorischen Formen experimentierende Vertiges. 748 Als Theaterautor erhält Kermann vielfältige, offizielle Förderung: So wird ihm 1996 für Suaires ein Aufenthalt in der Chartreuse de Villeneuve-lez-Avignon zuerkannt, 1998 bekommt er ein Auftragsstipendium des Kultusministeriums für Thrène und 1999 neben dem Beaumarchais-Stipendium für Leçons de ténèbres auch ein Sabbatjahr vom Centre National du Livre gewährt. 749 „Patrick Kermann était talonné nuit et jours par les camps. Chaque œuvre de lui […] se débat contre l’oublie d’Auschwitz, de Treblinka, de tous les camps. Dominique Darzacq nous rappelle que, quelques jours avant son suicide, il disait: ‘Le rapport à la mort est le moteur de mon écriture. C’est un rapport que je n’ai pas réglé et ne réglerai jamais, sauf…’.“ Michel Cournot: Un hommage à Patrick Kermann. In: Le Monde, 20.07.2000. 750 Vgl. dazu auch: „Patrick Kermann écrit sans contraintes de situations et de personnages, de caractères et de conflits codés, sans dramaturgie traditionnelle et immédiatement lisible, c’est la langue qui parle, la langue-corps qui s’exprime. Une langue impérieuse, irrésistible qui lorsqu’elle commence à s’écrire, définit une forme rythmique. Pour l’auteur, ‘la langue est toujours celle d’un corps rythmique, une langue étrangère qui ne dit pas le monde mais sa distance irréconciliable au monde’ [Herv. im Original].“ 2.3.3 Patrick Kermann: Leçons de ténèbres 231 menhang von Sprache und Tod verorten, der in Kermanns Gesamtwerk omnipräsent ist und den er selbst folgendermaßen fasst: Le théâtre est le territoire de la mort, ce lieu rituel où les vivants tentent la communication avec l’au-delà. Sur scène, dans une balance incessante entre incarnation et désincarnation, matériel et immatériel, visible et invisible, apparaissent des fantômes qui portent la parole des morts, pour nous encore et tout juste vivants. / De là l’importance dans mon écriture de la recherche des formes fortes qui approchent au plus près cette essence du théâtre: déambulation dans un no man’s land entre terre et enfer (De quelques choses vues la nuit ou Les tristes champs d’asphodèles), voix d’outre-tombe (The Great Disaster ou La Mastication des morts), installation sonore (A) ou livret opératique (La Blessure de l’ange) qui évacuent le corps pour ne garder que la parole défunte. / De là aussi ce qui fait à mon sens la seule légitimité de l’écriture contemporaine, le travail sur/ de/ contre la langue: du monde des morts ne surgissent que des voix des spectrales, des sons d’une autre langue, de cette langue des morts qui se fait chair et s’incarne en l’acteur. / Ne m’intéresse donc que ce dialogue fragile avec les morts, ces souffles ténus recueillis auprès des morts qui témoignent de leur avoir été à l’histoire et au monde. 751 Dergestalt auch als ‛Theater der lebenden Toten’ 752 zu beschreiben, inszeniert Kermann etwa in Les tristes champs d’asphodèles Figuren, die wie zwei Seiten der - nicht nur - sprachlichen Prägung durch die Schoah in einem http: / / www.theatre-contemporain.net/ auteurs/ aut-patrick-kermann-123.html [Stand: 15.06.2006]. 751 http: / / www.chartreuse.org/ Site/ Cnes/ RepertoireAuteurs/ auteurs.php? auteur_id=- KERMANN00564 [Stand: 15.06.2006]. 752 Ebenso als ‛Theater der lebenden Toten’ bzw. der toten Lebenden lässt sich das Drama La passion du jardinier des am 30.03.1946 in Ermont geborenen Sorbonner Professors für Theaterwissenschaften und Autors von rund 15 Stücken, Jean-Pierre Sarrazac, beschreiben. In Form eines „dialogue d’outre-tombe“ (Azama: De Godot à Zucco. Bd. 2: Récits de vie: le moi et l’intime, S. 237) zwischen einer toten alten Dame und ihrem Mörder, einem als toten Lebenden im Gefängnis sitzenden Gärtner, werden die verschiedenen Stufen ihrer Beziehung - vom Angestelltenverhältnis über Freundschaft bis zur Ermordung - in einer permanenten Verschachtelung der Zeitebenen aufgerollt und erneut durchlebt. Die alte Dame ist dabei als Widergängerin konzipiert, die ihren Mörder heimsucht, weil sie die Tat verstehen will. Sarrazac liefert in seinem postmortalen Erinnerungsdialog zwar die geschichtliche Folie der Deportationserfahrung der alten Dame mit, konzipiert den Mord aber - ausgehend von einem „fait divers“ - als antisemitisches Verbrechen eines Neonazis an einer Jüdin 40 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Vgl. dazu auch den Brief Sarrazacs vom 13.09.2004 (Anhang, S. 339-342). Jean-Pierre Sarrazac: La passion du jardinier. Les inséparables. Paris (Théâtrales) 1989. Vgl. darüber hinaus Sur mes cinq premières pièces, en écrivant la sixième (De Lazare… à La Passion du jardinier) und La Passion du jardinier: un dialogue des morts in Sarrazac: Théâtres du moi, théâtres du monde, S. 283-304 und S. 305-307; die Präsentationen in Confortès: Répertoire du théâtre contemporain de langue française, S. 353; Azama: De Godot à Zucco. Bd. 2: Récits de vie: le moi et l’intime, S. 226f. und S. 237-241; Ryngaert: Lire le théâtre contemporain, S. 95f.; www.chartreuse.org, www.aneth.net, www.theatre-contemporain.net sowie Pierre-Étienne Heymann: Préface. In: Sarrazac: La passion du jardinier. Les inséparables, S. 1f. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 232 (nächtlichen) Schwellenort zwischen Leben und Tod umherirren: „Et Lun parle. Lautre non: il ne se tait pas, Lautre, voudrait dire, et apparemment peut pas.“ 753 In De quelques choses vues la nuit 754 führt ein „guide“ durch die auseinander gebrochene Schatten-/ Totenwelt 755 und dient vielfältig als Vermittlungsfigur. 756 So wacht er nicht nur über den ruinenhaften Ort der Katastrophe selbst sowie über das Sprechen und Schreiben 757 davon (57), sondern befragt auch die Zeugen (73) und hinterfragt den Stellenwert ihrer Aussagen: vous le savez les témoignages sont sujet à caution peu fiables après tant de temps / est-ce la mémoire ou l’imagination qui projette / des images / auxquelles nous ne voulons désormais croire / et pourtant certains ont vu / vu des choses que jamais personne n’aurait / osé voir / produites comme en l’absence de l’homme / si incommensurablement petit qu’il n’a rien vu / rien voulu voir / étrange cette faculté d’oubli qui nous habite / mais je ne suis pas là pour donner des leçons / non / le passé parle tout seul / à qui sait l’entendre (31) Auf diese Weise ertönen auch die Stimmfetzen in A - wie im nachfolgenden Kapitel eingehender ausgeführt - demjenigen, der sich den Lautquellen nähert. Ebenso wird das inszenierte Umhergehen auf einem kleinen Landfriedhof als dem Ort der Erinnerung in La mastication des morts 758 zum postmortalen Polyphonieerlebnis, 759 da die Toten aus den Gräbern heraus 753 Patrick Kermann: Les tristes champs d’asphodèles. Paris (Phénix Éditions) 1999, S. 11. Das Spannungsfeld zwischen dem Willen zu reden, dies zugleich aber nicht zu können, zeigt sich nicht nur im existierenden Gestus der Rede, auf die dann aber keine folgt (etwa ebd., S. 80), sondern auch in der durchgängigen Zersetzung der Sprache in einzelne Bruchstücke. 754 Patrick Kermann: De quelques choses vues la nuit. Paris (Tapuscrit - Théâtre Ouvert, no. 77) 1994. Vgl. auch die Präsentation des Stationendramas in Confortès: Répertoire du théâtre contemporain de langue française, S. 208. 755 Vgl. zur Beschreibung dieser „monde en pleine déréliction“: „Comme le mauvais rêve de notre siècle peuplé d’ombres qui hantent la cité déserte et à qui il ne reste que la parole. Comme l’écho sourd de voix lointaines ou perdues qui surgissent des ruines d’un univers jonché de cadavres. Comme un état de lieux après la catastrophe. Comme une recherche de formes possibles de la survie et de l’écriture.“ http: / / www.chartreuse.org/ Site/ Cnes/ RepertoireAuteurs/ pieces.php? piece_id=QUELQU- 07250 [Stand: 15.06.2006]. 756 Vgl. dazu auch die Funktion Vergils als Führer durch die topische Gedächtnislandschaft in Dantes Divina Commedia. 757 Die produktionsästhetische Frage „comment en écrire après la tragédie / qui s’est déroulée ici“ wird stückimmanent mit dem Verweis auf die Adäquatheit der Form der Anekdote beantwortet (72f.). Vgl. zum Redemodus der Anekdote auch Gabriele Brandstetter: Geschichte(n) Erzählen im Performance/ Theater der neunziger Jahre. In: Erika Fischer-Lichte, Doris Kolesch und Christel Weiler (Hrsg.): Transformationen - Theater der neunziger Jahre. Berlin (Theater der Zeit) 1999 (Recherchen 2), S. 27-42. 758 Kermanns Oratorio in progress, so die selbst gewählte Gattungsbezeichnung der Kollage verschiedenster Lebenswege, erscheint 1999 in der Édition Lansman. Vgl. dazu auch Schäfer: F wie Frankreich, S. 26. 759 Die hier relevante strukturbildende Binarität der Stadt als Ort des Schweigens und 2.3.3 Patrick Kermann: Leçons de ténèbres 233 ihre Vergangenheit in einer Vielzahl nebeneinander gestellter Anekdoten wiederkäuen: 760 „Un retour au pays, une visite aux champs des morts, et voici tout un petit monde de l’ombre qui se met à se raconter, à râler, à invectiver le passant… jetant peu à peu une lumière singulière sur la vie d’un village tout au long d’un siècle.“ 761 Der Theatertext Leçons de ténèbres 762 ist in 22 Sequenzen gegliedert, die der Anzahl der Buchstaben des hebräischen Alphabets entsprechen und diese auch in ihrer jeweiligen Titelgebung von Alef bis Tav nachbilden. Im Rahmen dieses Konstruktionsprinzips setzt jede Sequenz aufs Neue mit dem paradoxen Versuch an, die Auswirkungen der Katastrophe und zugleich die Unmöglichkeit ihrer sprachlichen Vermittlung auszuloten und zu fas- dem außerhalb gelegenen Friedhof als Ort des Redens und der Erinnerung findet sich als Opposition Stadt vs. Wald auch in Durifs L’Arbre de Jonas (Kap. II 2.2.3). 760 Beiden Theatertexten ist eine Dramaturgie der „déambulation“ eingeschrieben, die auf einer Rollenzuweisung an den Zuschauer basiert. Denn erst durch seine Bewegung im Performance-Raum werden die einzelnen Fiktionsbruchstücke miteinander verbunden: „Dans La Mastication des morts, c’est dans un cimetière qu’il [le spectateur] est transporté; les moments les plus significatifs sont ceux où il est agrippé par le regard d’un personnage (ou plutôt d’un acteur), seul dans son cercueil car sans spectateur et qui semble implorer qu’on vienne le voir. Le malaise qui atteint alors le spectateur est de nature double: peut-il abandonner l’acteur au risque d’en faire un comédien sans spectateur? La position est d’autant plus délicate qu’elle évoque l’abandon dans lequel sont laissés les morts à l’écart dans leurs cimetières. Il s’agit là d’un mouvement profond: pris entre dramatisation et métaphorisation, le spectateur contemporain ne saurait s’en tenir au confort du regard purement extérieur. Sur un certain mode, il se voit appelé à expérimenter.“ Vgl. auch allgemein zum Konzept der „déambulation“: Luc Boucris: S’installer ou divaguer? Déambuler! In: Ders., Freydefont und Wibo (Hrsg.): Arts de la scène, scène des arts, S. 72-83, hier S. 78. 761 Klappentext zu La Mastication des morts. Carnières (Lansman) 1999. Aus der Vielzahl der individuellen Geschichten und Konfessionen formiert sich so sukzessive ein Chor, der die kollektive Geschichte der Stadt über mehrere Generationen hinweg zu spiegeln vermag: „dans La Mastication des morts de Kermann, la parole chorale est celle des morts qui peuplent le cimetière d’un village et qui reconstruisent, fragment après fragment, la mémoire d’une communauté disparue.“ Mireille Losco und Martin Mégevand: Chœur / Choralité. In: Sarrazac (Hrsg.): Poétique du drame moderne et contemporain, S. 25-27, hier S. 26. 762 Patrick Kermann: Leçons de ténèbres. Paris (Éditions L’Inventaire) 1999. Der Theatertext, der eine Auftragsarbeit des Panta-Théâtre Caen ist, wird im Juni 1999 in der Regie von Guy Delamotte im Rahmen des 2 e Festival des Écritures contemporaines uraufgeführt. Wie bereits die Kurzpräsentation des Gesamtwerkes verdeutlicht, wären für die Detailanalyse im Rahmen der hier vorliegenden Untersuchung auch einige andere Theatertexte Kermanns in Frage gekommen. Zum einen fiel die Entscheidung, - neben der Situierung von Kermanns A im Rahmen des Theaterprojektes Naissances (vgl. Kap. II 3.) - nur einen Text eingehender zu fokussieren, da sich, cum grano salis, die entscheidenden Strukturmerkmale wiederholen. Zum anderen wurde Leçons de ténèbres als repräsentativer Text ausgewählt, weil sich hier in Ergänzung zu A die wesentlichen Paradigmen am besten verdeutlichen lassen. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 234 sen. Als Texteinheit zusammengenommen versteht Kermann diese Ansätze damit auch als „une tentative de lecture des catastrophes de notre monde après Auschwitz, d’un état de lieux d’un univers en pleine déréliction.“ 763 Die Darstellung einer Welt nach der Katastrophe sowie der ausgewiesene hebräische Bezug lassen den Theatertext darüber hinaus als Form der Jeremiade erscheinen. Wie im Folgenden noch anhand des Mauermotivs konkretisiert wird, inszeniert Kermann seine Leçons de ténèbres über die Welt nach der Auschwitz-Zäsur als aktualisierte Form auf der Folie der alttestamentarischen Klagelieder Jeremias nach der Zerstörung Jerusalems. Während in Kermanns Titulatur die biblischen Klagen und Gebete tendenziell zu einer didaktisierenden Lehreinheit werden - was jedoch einziges Anzeichen einer derartig intentionellen Haltung bleibt -, stellt sich „ténèbres“ als direkte Referenz auf den Prätext dar: Dabei verdeutlicht eine Bibelstelle wie etwa „Er hat mich in Finsternis versetzt wie die, die längst tot sind.“ 764 nicht nur die wörtliche Anleihe, sondern evoziert ferner das für Kermanns Werk konstituierende Konzept der lebenden Toten. In Leçons de ténèbres verknüpft der Dramatiker die Finsternis grundlegend mit einer Struktur von Tag und Nacht. So wird im Rahmen der ersten beiden Buchstaben des Alphabets Alef (11f.) und Beith (12-17) das Nachfolgende in die Zeit der hereingebrochenen Nacht verortet, während die letzten beiden Buchstaben Shin (90-94) und Tav (94f.) das Ende der Nacht und den mit dem Morgengrauen beginnenden Tag ankündigen. Nicht zuletzt auch durch den formal und inhaltlich parallelen Aufbau entstehen ein zum Binnenteil hinführender Prolog sowie ein auf die Rahmenebene zurückführender Epilog: Als Monologe konzipiert und mit einer Augenmetaphorik des Sehens in der Nacht 765 verbunden, erstehen im ersten Buchstaben immer deutlicher „figures issues du tout là-bas de la nuit noire“, „parlant enfin“ mit „leur haleine âpre […] leur souffle de mort“ (12), die sich im letzten Buch- 763 Kermann zit. nach: http: / / www.chartreuse.org/ Site/ Cnes/ RepertoireAuteurs/ pieces.php? piece_id=LECONS 07260 [Stand: 15.06.2006]. 764 Die Klagelieder des Jeremias 3, 6. Zit. nach der Lutherbibel mit Apokryphen in der revidierten Fassung von 1984. Hrsgg. von der Evangelischen Kirche in Deutschland. Stuttgart (Deutsche Bibelgesellschaft) 1985. 765 Dies wird in Alef als Lernprozess beschrieben: Während zunächst ein Sehen in der „très sombre“ „nuit noire“ sowohl bei geschlossenen als auch bei geöffneten Augen nicht möglich ist - verdeutlicht an der Wiederholungsstruktur von „mes yeux ne voient rien“ -, wandelt sich dies über die Stufe des Erkennens von Schatten alsbald zu einem Sehvermögen bei geschlossenen Augen in der Nacht: „mes yeux voient“ (11f.). Tav verdeutlicht hingegen die erreichte Verfestigung des sehenden Zustandes in der Nacht und im Umkehrschluss das Unvermögen, nun die Augen am Tage offen zu halten: Denn am Ende des Theatertextes heißt es „C’est fin de nuit bientôt. Et mes yeux ouverts sur les ténèbres, mes yeux ouverts sur la nuit, se ferment. Mes yeux se ferment. C’est jour bientôt. Mes yeux se ferment. Oh la lumière crue. Mes yeux se ferment. L’aube point.“ (95). 2.3.3 Patrick Kermann: Leçons de ténèbres 235 staben schließlich wieder auflösen, „s’en vont les figures juste entrevues dans l’obscurité, et s’en vont les paroles juste entendues dans les ténèbres. (Vers où, vers où donc dites? ).“ (95). Das nur in der „si douce agonie de nuit“ (95) 766 mögliche Sehen der Körper und Hören der Stimmen stellt sich letztlich als Erinnerung dar. 767 Im Umkehrschluss bedeutet dies: „L’aube point. C’est l’oubli des peines.” (94). Dergestalt erfolgt im Rahmenteil in erster Linie eine topische Koppelung von Erinnerung und Nacht mit ihren Attributen der Finsternis und Obscuritas 768 : „Figures aussi vues et entrevues dans les épaisses ténèbres de notre mémoire.“ 769 Der zweite und der vorletzte Buchstabe sind als aus einzelnen Satzfragmenten bestehende Polyloge zwischen Chören und fünf bezifferten Chorführern gestaltet: Dabei leitet Beith die Erinnerungsthematik der Welt nach der Katastrophe in einem Spiel mit der paradoxen Feststellung ein, dass sich nichts geändert habe, aber nichts mehr so sei wie zuvor (12-17). 770 Shin führt indes gewissermaßen als Fazit, dass „rien n’a changé“ (92) und „rien ne changera“ (92f.), in einer Kreisbewegung wieder zum ersten Buchstaben als „début et fin“ (90) zurück, woran sich innerhalb dieser vorletzten Sequenz eine Aufzählung der hebräischen Buchstaben als potentielles ad finitum anschließt. Die verbleibenden 18 Buchstaben stellen Fragmente einer auseinandergebrochenen Welt nach Auschwitz dar: „On entend aussi des bribes d’anglais, de lamentations ‛bibliques’, des réflexions, des allusions aux mythes grec. C’est une déclinaison de formes cherchant à convoquer le tragique d’aujourd’hui.“ 771 Der Buchstabe Noun (65-69) enthält dabei - in enger Verbindung zum skizzierten Rahmen, da die Konzeption von Chor und den Chorführern 1-5 wiederholt wird - den zentralen Ansatz und zugleich die Essenz des Textes: CORYPHEE 1 bon comment continuer CORYPHEE 2 réponse CHŒUR on ne peut pas 766 Im Kontext des Klageliedes findet sich hier - versehen mit Anleihen aus der Alba - auch die Klage darüber, dass die Nacht und damit dann ebenso die Erinnerung zu Ende ist. Vgl. etwa „Ici c’est fin des ténèbres, c’est fin de nuit noire, c’est fin de tout ça. Oh! […] Oh ma nuit qui me fut aimante, oh ma nuit.“ (95). 767 So lässt sich auch das Dunkel der Nacht mit der von Barthes eingeführten Metapher der „chambre d’échos“ beschreiben, in der die Stimmen der Vergessenen widerhallen. Roland Barthes: Roland Barthes par Roland Barthes. Paris (Seuil) 1975, S. 78. 768 Stellt sich hier die Obscuritas zunächst nur als inhaltliche Beschreibungskategorie dar, so wird sie - wie sich noch zeigt - auch zum formalen Prinzip einer zu hermetischen Strukturen tendierenden écriture Kermanns. 769 Patrick Kermann zit. nach http: / / www.theatre-contemporain.net/ spectacles/ lecons- _de_tenebres/ presentation.htm [Stand: 15.06.2006]. 770 Vgl. auch die Gegenbewegung dazu: „plus rien jamais ne sera comme avant / plus rien / nous sommes rentrés / et tout était pareil.“ (14). 771 Azama: De Godot à Zucco. Bd. 1: Continuité et renouvellements, S. 224-226, hier S. 224. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 236 CORYPHEE 3 réponse bis CHŒUR on peut (65) Stellen die Bruchstücke in diesem Sinne immer neue Anläufe dar, die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Schreibens nach Auschwitz auszuloten, kristallisieren sich dabei gewisse Gruppierungen - von der Inszenierung auf der Folie des Dramas, der Mythologie, des Judentums, der Maieutik etc. - heraus. Bereits mit der Verwendung von Chor und Koryphaios in Beith, Noun und Shin hat sich eine Referenz auf das antike Drama gezeigt. Diese wird ebenso relevant in Hé und Tsadé, die mit Teichoskopie und Botenbericht spielen, sowie in Zayin und Ayin, die auf die Form der Parabase aus der attischen Komödie rekurrieren. In den Sequenzen Hé (22-26) und Tsadé (76-81), in denen neben dem „MESSAGER“ vier nummerierte Stimmen - die auch zusammen als Chorstimme sprechen - figurieren, vollziehen sich sukzessive Entfunktionalisierungen von Teichoskopie und Botenbericht. Kann der Berichterstatter in beiden Sequenzen seiner Aufgabe schon allein durch den Sprachtick eines inflationären Gebrauchs des Wortes „pouf“ kaum gerecht werden, ist in Hé die Teichoskopie 772 zur Schilderung der zerstörten Stadt aufgrund der vernichteten Mauer - hier als Motiv der Mauer ex negativo - aufgeweicht: où est mon mur rendez-moi mon mur où est mon mur rendez-le moi […] ma ville est en ruine ma ville est en cendres les murs sont tombés rendez-moi rendez-moi mon mur […] ô mon peuple disparu […] j’ai marché sur les cadavres de mes amis sur les pierres de ma ville oïe oïe j’ai marché sur des enfants calcinés dans les murs fumant de nos maisons oïe oïe et mon mur qui me rendra mon mur le beau mur de ma cité oïe oïe qui me rendra mon peuple et mes amis (25f.) Im Rahmen des Zitats zeigt sich bereits, wie aus der ursprünglich ein synchron stattfindendes Ereignis vermittelnden Mauerschau als ‛Schau ohne Mauer’ ein ein bereits vergangenes Geschehen schildernder Botenbericht wird. Dieser wird in Tsadé schließlich wiederum selbst demontiert. Tritt der Berichterstatter hier zwar expressis verbis als Bote auf, der seine Tätigkeit mit „j’ai vu et j’ai couru“ (79) beschreibt, werden die Berichte dieses „l’importunant conteur“ (76) jedoch nicht nur nicht mehr erwartet, sondern er wird seiner Funktion gänzlich beraubt: Während er als Überbringer der schlechten Nachrichten in Hé gesteinigt wird (26), wird er in Tsadé schon mit Steinen beworfen, noch bevor er überhaupt mit seinen Erzählungen richtig ansetzen kann (80). Seine Funktion als Berichterstatter übernehmen 772 Da im Folgenden der Bezug zur griechischen Mythologie und speziell zu den Sagen um Troja relevant sein wird, unterstreicht die Wahl der Teichoskopie diese Referenz bereits immanent, da sie „urspr. Bz. e. Szene von Homers Ilias 3, 145ff.“ ist, „in der Helena dem Priamos und anderen trojan. Greisen die griech. Helden schildert“. Teichoskopie. In: Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart (Kröner) 7 1989 (Kröners Taschenausgabe; Bd. 231), S. 924f. 2.3.3 Patrick Kermann: Leçons de ténèbres 237 die vier nummerierten Stimmen, da sie die Leidensbotschaften der Welt nicht mehr hören wollen. In einer Konterkarierung werden diesen abstruse Berichte über das jeweilige „merveille propre“ (80) entgegengesetzt, die mit einer Bedeutsamkeit für das Weltgeschehen aufgeladen werden. Während die dramaturgischen Hilfsmittel Teichoskopie und Botenbericht im Rahmen der Sequenzen also dekonstruiert werden, dient die Folie der Parabase aus der attischen Komödie der formalen Konstruktion von Zayin (29f.) und Ayin (71-73). Die als „Parabase 1“ (29) und „Parabase 2“ (71) bezeichneten Sequenzen stellen ihrer ursprünglichen Wortbedeutung gemäß eine ‛Abschweifung’ beziehungsweise ein ‛Danebentreten’ dar. So präsentiert sich Zayin als Einschub in Gestalt einer „launig ernste[n] Ansprache“ an das Publikum, die traditionell „unliebsame Zeitgenossen […] angriff, kritisierte und verspottete (polit.-soz. Satire)“. 773 Die erste Parabase fokussiert in diesem Sinne den italienischen Philosophen Giorgio Agamben und dessen Werk Mezzi senza fine 774 : Dabei stellt die Erzählerstimme zunächst generalisierend heraus, „je n’aime pas tout ce qu’écrit Agamben“ (29). Nach einer wortgenauen Auseinandersetzung mit drei Sätzen der politisch-staatsrechtlichen Betrachtungen des Philosophen über das Lager sowie einem Exkurs zu Heidegger - womit quasi en passant dessen Einlassungen mit den Nationalsozialisten karikiert werden, 775 auch wenn „je con- 773 Vgl., auch zur Wortbedeutung, den Eintrag Parabase. In: Ebd., S. 654f. 774 Gorgio Agamben: Mezzi senza fine. Turin (Bollati Boringhieri) 1996. 775 Mit Michel Deutschs Sit venia verbo liegt ein Theatertext mit genau diesem Fokus vor. Der 1948 in Straßburg geborene Autor, Regisseur und Mitbegründer des Théâtre du quotidien - von dem er sich aber zunehmend entfernt - verfasst ein Stück, das die Kontroverse um Victor Farías’ historisierende Darstellung über Heidegger und den Nationalsozialismus aufgreift (Heidegger et le nazisme. Paris (Verdier) 1987) und zugleich auch vor dem Hintergrund der Heidegger-Rezeption in Frankreich zu lesen ist, in Zusammenarbeit mit dem Philosophen Philippe Lacoue-Labarthe. Das Drama inszeniert mit Referenz auf die Entnazifizierungskommissionen - vgl. diesbezüglich auch die topische Verwendung in Wenzels und Blochs Vater Land - Le Pays de nos pères (Kap. II 2.2.2) - verschiedene Stadien einer mit Formen des Theaters im Theater aufgeladenen Befragungssituation zwischen dem leicht als Heideggerfigur zu entschlüsselnden Erwin Meister und seinem ehemaligen Schüler Wolfgang Lerner als Vertreter der Siegermächte im Winter 1945/ 46. Lerner konfrontiert seinen früheren Mentor und Lehr-Meister mit dessen damaligen Schriften, um die Verstrickungen mit Blick auf die Philosophie zu erhellen und diese letztlich begreifen zu lernen, während Meister kategorisch jede persönliche Involvierung negiert - wobei die autonomen, geistigen Höhen des akademischen Elfenbeinturms in einer Metaphorik des Bergsteigens gespiegelt werden - und schweigt. Insgesamt mit diversen Bezügen zu Paul Celan versehen, mündet das Theaterstück schließlich in dem durch eine off-Stimme verkündeten Selbstmord Lerners, der die Konsequenz seines Scheiterns darstellt: „j’avais l’espoir fou que vous m’apprendriez à penser l’impensable...“ (88). Michel Deutsch: Sit venia verbo. Paris (Christian Bourgois) 1988. Vgl. dazu Bernadette Bost: Michel Deutsch. In: Corvin (Hrsg.): Dictionnaire encyclopédique du théâtre, 1991, S. 250; Anna Mohal: Theater der Erinnerung. Ein Gespräch mit dem französischen Dramatiker Michel Deutsch. In: Theater heute 9 (1989), S. 30; Confortès: Répertoire du théâtre contempo- II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 238 nais peu Heidegger, je le trouve trop suspect Heidegger, en fait je n’aime pas non plus Heidegger“ (29f.) - kommt die Sprecherinstanz dann schließlich zu dem lakonischen Fazit: „Voilà […] deux phrases que j’aime bien“, wohingegen er beim dritten Satz nur mit dessen erstem Teil einverstanden sei „et c’est déjà beaucoup.“ (30). Während die launig-ernsten Betrachtungen von durchaus polarisierenden Erinnerungsdiskursen in Zayin keiner konkreten Stimme zugeordnet werden können, verdeutlicht Ayin die Funktionalisierung der Parabase „als Sprachrohr des Dichters“. 776 Was mit der Schilderung einer Szenerie von Frauen und Kindern mit Arm- und Kopfverbänden vor einem Haus einsetzt, entpuppt sich rasch als Beschreibung eines Fotos, dessen Beschriftung auf der Rückseite das Geschehen in den Juli des Jahres 1936 in Minsk- Mazowieck verortet (72). Die weitere Präzisierung, „Je suis tombé sur cette photo en écrivant Leçons de ténèbres, le spectacle, la pièce, enfin cette choselà que vous voyez, que vous entendez.“ (72), lässt nicht nur die für die Parabase charakteristische Hinwendung zum Publikum erkennen, 777 sondern die Aussprache vor allem durch die metatextuelle Bezugnahme zu einer des Autors selbst werden. Des Weiteren werden konkret Vermittlungsfragen zwischen Autor, Text, Inszenierung und Publikum thematisiert: Auch wenn das Foto mit dem Theatertext im Grunde nichts zu tun habe, wollte Kermann es unbedingt integrieren, weil es für ihn aufgrund der Verwundungen eine Traurigkeit transportiert (72). Während die Einbindung und Vermittlung des Fotos über Beschreibung funktioniere und deshalb Eingang gefunden habe, seien Möglichkeiten der Projektion im Rahmen der Inszenierung zwar mit dem Regisseur des Stückes Guy Delamotte diskutiert, aber schließlich verworfen worden (72f.). Hat damit die Folie der Parabase als launig-ernste Abschweifung sowie als ‛Danebentreten’ des Autors der Konstruktion der Sequenzen Zayin und Ayin gedient und sind Teichoskopie sowie Botenbericht in den Sequenzen Hé und Tsadé dekonstruiert worden, erfolgt die Konzeption der weiteren Sequenzen nicht mehr spezifisch über Kategorien des antiken Dramas, sondern über allgemeinere Aspekte der Form. Sequenzimmanent erfolgt die Abgrenzung und Überleitung in Samekh (69-71), das eine Spielform „comme du vrai guignol“ inszeniert, bei der die Tradition nur noch den bedeutungslosen Hintergrund abgibt: „loin, très loin derrière, comme un écho de vieux théâtre“ (71). Als bezugslose Kombination einzelner Sätze, die an das verbale Delirium in Ionescos - vom guignol beeinflussten - The- rain de langue française, S. 119; Ryngaert: Lire le théâtre contemporain, S. 13-15; Knapp: French Theatre since 1968, S. 43-47; Matthes: Aspects d’un mythe contemporain, S. 71f. und das Kapitel Heidegger auf der Anklagebank: Idealistischer Absolutheitswahn als gemeinsamer deutscher Nenner? In: Matthes: Licht und Schatten der Vergangenheit, S. 223- 225. 776 Parabase. In: Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur, S. 654. 777 Vgl. a.a.O. 2.3.3 Patrick Kermann: Leçons de ténèbres 239 aterstück des Absurden La cantatrice chauve erinnern, lässt sich Samekh an den Aufzählungscharakter von Guimel (17-20) anschließen. Als Schwellenerfahrung zwischen Leben und Tod wird hier eine männliche Figur inszeniert, die sich nach einer Aneinanderreihung verschiedenster Danksagungen erhängt, deren Stimme aber auch noch im Prozess der Ablösung vom Körper mit weiteren Aufzählungen fortfährt. In einem zweiten Teil werden diese Ausführungen zwischen Leben und Tod durch die Stimmen namenloser „divers-là“ ergänzt, die in Form von „bribes de quoi donc de rien“ (18) Aneinanderreihungen zu den Wortfeldern „vie“ respektive „mort“ und deren Kombination „vivant la vie morte” (18) oder „mort là dans l’agonie vivante“ (19) liefern. In vergleichbarer Weise wird auch Daleth (21f.) als Polyphonie eines „something is rotten“ (21) - in Referenz auf Shakespeares Hamlet 778 - mit dem Formprinzip konstruiert, dass es gänzlich in englischer Sprache und über rhetorische Figuren des Sinnspieles und der Satzkonstruktion verfasst ist. 779 Die Sequenz Yod (41-45) inszeniert in Monologpartien der Stimmen 1, 2 und 3 den Zustand der Überlebenden der Katastrophe, indem deren Reden von Figuren der Wortwiederholung durchsetzt sind. So wird die Kontinuität des Leidens im Rahmen der ersten Stimme nicht nur formal durch die inflationäre Verwendung der Struktur „d’un[e] […] à l’autre“ verdeutlicht, sondern inhaltlich noch dadurch potenziert, dass der Ausdruck zwar Bewegung andeutet, aber Variation ausschließt. Damit wird das Überlebensleid zu einer Endlosschleife und die zu Beginn beschriebene „nuit douloureuse“ (41) am Ende nur zu „une nuit dans les autres nuits“ (43). Mit der zweiten Stimme wendet sich ein Überlebender zu einem mit „vous“ bezeichneten Gegenüber und legt diesem mit nahezu einhämmerndem, auf Wiederholung basierendem Gestus gewissermaßen Regeln für das weitere Überleben nahe: Der „vrai survivant“ müsse gegen die innere „terreur“ ankämpfen - „Battez-vous“ -, sich nicht beschweren - „Ne vous plaignez pas“ - und sich beständig sagen, dass das Leben schön sei und man leben wolle - „Ditez-vous, la vie c’est bon / je veux vivre“ (43f.). Auch die dritte Stimme strukturiert das Weiterleben, hier als Schwundstufe inszeniert, über die Repetition: Während alle einzeln aufgezählten Körperteile mehrfach wiederholt nicht mehr zur Verfügung stehen, „il / elle n’est plus / pas ici“ - weil sie sich in einem nebulösen „là-bas“ befinden - bleiben dem „survivant“ einzig „ma bouche“ und „mes mots“, was insi- 778 Vgl. Hamlet, I, 4, S. 96: „Something is rotten in the state of Denmark.“ Siehe insgesamt auch die zahlreichen, zum Teil strukturbildenden Referenzen auf Shakespeare-Texte, so etwa in Grumbergs Rêver peut-être (Kap. II 2.3.2), in Cormanns Toujours l’orage (Kap. II 2.1.3) und in Kribus’ Le grand retour de Boris S. (Kap. II 2.1.4). 779 Vgl. etwa den mit der Figura etymologica spielenden Chiasmus zur Verdeutlichung einer Antithese „only apparitions disappear - only disparitions appear” (21) oder auch die chiastischen Konstruktionen „the death of the life ist [sic] not the life of the death“ und „no story of the end - no end of the story“ (22). II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 240 nuiert, die den Menschen zersetzende Katastrophe verbal zu vermitteln (44f.). Die Stimmen 1, 2 und 3, die in Yod konkret das Leben der Überlebenden fokussiert haben, tauchen in Mem (62-64) erneut auf, werden hier jedoch anders funktionalisiert. Die Sequenz stellt in Persiflage auf die sokratische Elenktik 780 - und damit schließlich auch auf die literarische Formung des Verfahrens im philosophischen Dialog - 13 Stufen der Erkenntnissuche aus. Dabei weist die Frage- und Antworttechnik grosso modo die einzelnen Schritte des elenktischen Verfahrens im Rahmen einer als Maieutik verstandenen Philosophie auf: Durch prüfendes und widerlegendes Fragen - die nachfolgende Frage greift immer einen wesentlichen Bestandteil der vorangegangenen Antwort auf und stellt diese erneut in Frage - wird das Scheinwissen der Figuren erschüttert und bis an den Punkt herangeführt, an dem die Erkenntnis des Nichtwissens steht: „A tellement chercher qu’il [le sens] gîte partout où se trouve pas.“ (63). Aus dieser Aporie resultiert schließlich die Neuaufnahme der Frage - „Encore un tour du tout? / Continuons à recommencer. / […] Je pose donc le premier toujours même“ (63) -, die jedoch dann nicht in der Suche nach wahrer Einsicht und schließlich zur Klugheit führt. Das sokratische Verfahren wird schließlich ad absurdum geführt, wenn aus der Neuaufnahme der Fragestellung am Ende nur die ‛Erkenntnis’ steht, dass „A bien retenir jamais tout ne finit comme a commencé? / Non. / Oui.“ (64). Die Maieutik als Dialogtechnik des Sokrates verkommt so zu einem absurden Spiel von Fragen und Antworten, die für die Erkenntnis der Ereignisse nichts hergeben. Damit demonstriert die Persiflage die Sinnentleertheit der Welt nach der Katastrophe, der man mit dem Logos nicht mehr beikommen kann. Scheitern philosophische Fragestellungen angesichts der Katastrophe, fokussiert die Sequenz Kaf (45-61) eine Hinwendung zur Religion mit Trost spendender Funktion: Erneut auf einer Gattungsfolie konzipiert, wird in Kaf das jüdische Gebet der Trauernden, das Kaddisch, zu einem Rezitativ von zehn einzelnen Männern und deren chorischem Kollektiv über den Tod, das Vergessen und die Erinnerung, aufgeladen mit Echometaphern aus einem beständig wiederholten „tout fond / bord d’oubli“. Die nachfolgende Sequenz Lamed (61f.) inszeniert „pendant ce kadish“ (61) die Erscheinung eines Toten als Geist, der in einer Kritik an Erinnerungsorten als ungenaue Platzhalter darauf besteht, dass sein Körper sich recht eigentlich nicht in dem für ihn geschaffenen Grab als Trauerstätte befände, sondern am Todesort „dans le paysage grisé par la bruine glaciale d’une plaine de Haute-Silésie“ (62). 780 Vgl. dazu Bernhard Waldenfels: Maieutik. In: Ritter (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, 1980, Bd. 5, S. 638 und Dimitri Liebsch: Sokratik, Sokratismus. In: Ritter (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, 1995, Bd. 9, S. 1000-1004. 2.3.3 Patrick Kermann: Leçons de ténèbres 241 Neben diesen formalen Konstruktionsparadigmen lassen sich die verbleibenden Sequenzen über die Gestaltung der Stimmen aufschlüsseln, die sich durch eine namentliche Profilierung zumindest graduell von den anonymen Einzelstimmen und Chören abheben. Auf diese Weise präsentiert sich in H’eith (30-33) eine Stimme 13 Mal mit „je suis Ajax“ (30-33) und tötet sich am Ende immer wieder selbst. Bezug nehmend auf den Heerführer der griechischen Mythologie, der vor Troja dem Wahnsinn verfallen Selbstmord begeht, 781 inszeniert sich Ajax in den ersten sechs, im Umfang sukzessive zunehmenden Ausführungen zwischen Vorstellung und Selbstmord als tapferer und starker Held, der Feind, Freund und seine ganze Armee nachts brutal tötet. Die siebte und ausführlichste Erläuterung stellt ein Umschlagen dar, da Ajax hier als ruheloser, im Lager der Getöteten umherlaufender Geist erscheint, der nicht mehr schlafen kann. Im Rahmen der achten Erläuterung - die Umfänge nehmen nun sukzessive wieder ab - wird sein Schlafmangel darauf zurückgeführt, dass „CE SONT MES RÊVES QUI ME TUENT [Herv. im Original]“ (32). Am Ende erscheint damit der einstige, skrupellose Held als ein von seinen begangenen, des Nachts wieder ‛hochkommenden’ Grausamkeiten Verfolgter und schließlich Getöteter. Während durch die beständigen Selbsttötungen und Neubelebungen des Ajax in H’eith sowie durch die mythologische Verbindung Assoziationen mit der Selbstverbrennung und Wiederauferstehung des Phönix aus der Asche einhergehen, werden die Sequenzen Vav (26-29) und Pé (73-76) von den Monologen einer eben daraus bestehenden „femme de cendres“ getragen. So stellt Vav das Leiden der Aschefrau über die zerstörten Körper, die Gewalt und den Tod dar - wobei durch die anglophonen Elemente, die Skizzierung der Engländer als Feinde (28) und den verbrannten Körper auch latent die Folie der Jeanne d’Arc 782 und des Hundertjährigen Krieges durchscheint. Der Aschefrau gelingt es jedoch nicht, ihre Trauer und die Schmerzen zu artikulieren, „je dis jamais rien“, obwohl sich das Verschweigen, „Comment taire ça“, eigentlich als problematisch erweist (29). Als Bild und zugleich Eigenbestrafung für diesen Umgang mündet die Sequenz in einer grotesken Fressorgie mit dem selbst auferlegten, mehrfach wiederholten Imperativ „mange“ (28f.). Infolge dieses ‛In-sichhinein-Fressens’ wird die Aschefrau in Pé als „femme grosse de cendres“ (73) - wobei sich gewisse Assoziationen zu der Golem-Figur einstellen 783 - 781 Vgl. dazu „Der Tod des großen Aias“ im fünften Kapitel des zweiten Teils „Die Sagen Troias von seiner Erbauung bis zu seinem Untergang“ in Gustav Schwab: Die schönsten Sagen des klassischen Altertums. Stuttgart (Reclam) 1986, S. 610-618. 782 Vgl. auch die Integration von Jeanne d’Arc in Chartreux’ Violences à Vichy (Kap. II 2.2.6). 783 Die Verbindung zwischen der Aschefrau und dem nach menschenähnlicher Gestalt aus Lehm und Ton künstlich gebildeten Geschöpf der jüdischen Golem-Legende erfolgt nicht allein über die Körperbeschaffenheit und die Unfähigkeit zu sprechen. Die Refe- II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 242 eingeführt. Zugleich findet hier eine Gegenbewegung statt: Die Trauer und das Leiden kanalisieren sich im belastenden Traum - vergleiche in diesem Sinne auch die ‛Tötung’ von Ajax durch den Traum -, der den Körper innerlich derart aufbläht, ausfüllt und beschwert, dass daraus ein ständiges sich Entleeren resultiert. 784 Beide Sequenzen zusammengenommen illustrieren gewissermaßen einen bulimischen Umgang mit Trauer, Leid und Schmerz, der letztlich nur zu „une vie sans vie“ (74) führt. Im Kontext einer Darstellung der Welt nach Auschwitz verweist die Asche immer auch auf die Krematorien in den Vernichtungslagern. So wird der von Trauer zerstörte Körper der „femme de cendres“ in Qof (81f.) zu zwei, bereits zersetzten Körpern inmitten eines „tas de cendres“ (81). In der kurzen, den Zustand der Leichen beschreibenden Sequenz werden am Ende beide, sich an den Händen haltende Körper - bei dem mit der Nummer 178 versehenen Leichnam handelt es sich um einen männlichen Erwachsenen, „partiellement décomposé“ (81); die Nummer 179 ist eine weibliche Erwachsene, „décomposition avancée“ (82) - wiederbelebt. Im Zeichen des hier charakteristischen Theaters der lebenden Toten inszeniert Reish (82-90) sodann die Auferstandenen. Die abwechselnden, monologischen Hasstiraden der ehemals Geliebten aufeinander sowie ihr gemeinsamer Chor gipfeln letztlich darin, dass sie ihn ersticht. Ihre Worte, die eine Klage der Sterblichen angesichts der Unsterblichkeit der Götter sind (83f.), „ont fait apparaître les Dioscures, comme une citation d’eux-mêmes.“ (84). Die Zwillingsbrüder Castor und Pollux, die hier für ein Schwellendasein zwischen Lebenden und Toten stehen - denn nach dem Tod des Castor durften die unzertrennlichen Dioskuren, von denen nur Pollux unsterblich war, abwechselnd tot und lebendig sein 785 - kommentieren in einem sich ergänzenden Schlagabtausch den Mord aus Liebe und Hass, um die Frau zugleich vor der Rache der nahenden Erinnyen zu warnen. Der getötete renz wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass in der ersten schriftlichen Erwähnung aus dem 12. Jahrhundert, einem in Worms verfassten Kommentar zum Buch der Schöpfung, einem Text der Kabbalah, „Zahlenmystik um die zehn Urziffern, die Sephiroth, und“ - hier entscheidender - „die 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets eine Rolle spielen. In diesem nur fragmentarisch erhaltenen Text wird ein Ritual erwähnt, das durch bestimmte Kombinationen dieser Buchstaben und Zahlen unbelebte Materie zum Leben erwecken sollte.“ http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Golem [Stand: 15.06.2006]. Vgl. darüber hinaus auch die nachstehende Untersuchung des jüdischen Religionshistorikers Gershom Scholem, den Kermann mit einem Zitat auch seinem gesamten Theatertext voranstellt (vgl. dazu S. 245): Gershom Scholem: Zur Kabbala und ihrer Symbolik. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 9 1998 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 13) sowie den Eintrag Golem in Frenzel: Stoffe der Weltliteratur, S. 248-250. 784 Vgl. dazu die Frequenz von Wörtern wie „pesante“ (73), „lourd[e]“ (74f.), „grosse“ (73-75), „s’emplir“ (73-75) bzw. „se désemplir“ (73) und „se vider“ (73-76). 785 Homer: Odyssee. Auswahlausgabe Griechisch und Deutsch. Hrsgg. von Rainer Nickel, übersetzt von Anton Weiher. München (Artemis & Winkler) 2000 (Tusculum Studienausgabe), 11. Gesang, Vers 298-304. 2.3.3 Patrick Kermann: Leçons de ténèbres 243 Mann erhebt sich jedoch, erschießt die Dioskuren, um mit seiner Geliebten unter dem Motto „Recommençons“ (89) und „Reprenons“ (89f.) ihre Geschichte immer wieder aufs Neue durchzuspielen. Während die Zwillingsbrüder in der um die Themenfelder ‛Wiederbeginn’ und ‛Auferstehung’ zentrierten Sequenz Reish für eine Existenz zwischen Leben und Tod stehen, wird in Teith (33-41) zwar auch ein männliches Zwillingspaar inszeniert, der Fokus aber zugunsten der Binarität von ‛Verbindung’ und ‛Trennung’ verschoben. Dies verdeutlicht nicht nur als Januskopf die Figurenkonzeption der siamesischen Zwillinge, die in der identitätsstiftenden Betonung des Individuums immer zugleich den anderen und die Gemeinsamkeit mitdefinieren (33-35, 38-41), sondern wird auch im Zusammenhang mit ihren Liebesgeschichten relevant: So wird im Rahmen der verbindenden Liebesnächte mit Renate am 13.08.1961 in Berlin (35f.) und mit Ruth am 16.11.1940 in Warschau (36-38) der Kontext der Trennung durch Mauern evoziert: die Berliner Mauer, deren Bau an eben jenem Augusttag 1961 beginnt, und die Umfassungsmauern, mit denen das Warschauer Ghetto in der Nacht vom 15. auf den 16.11.1940 hermetisch abgeriegelt wird. Schließlich wird damit dann auch das Motiv der zerstörten, respektive nur ex negativo vorhandenen Mauern - wie dies mit der Assoziation der Klagemauer als Überreste des Tempels durch die Folie der alttestamentarischen Klagelieder Jeremias nach der Zerstörung Jerusalems anklingt und auch mit der Dekonstruktion der Teichoskopie aufgrund der nicht mehr existenten Mauer deutlich wird - ergänzt: Den zerstörten Mauern werden damit die intakten Mauern des Warschauer Ghettos und des so genannten ‛antifaschistischen Schutzwalls’ in ihrer Funktion „de la division, de l’exclusion, de la séparation“ 786 entgegengesetzt. Haben die Betrachtungen der 22 Einzelsequenzen einerseits die Heterogenität der Ansätze des Kermannschen Theaters nach der Katastrophe verdeutlicht, kristallisierten sich andererseits bereits in diesem Rahmen verbindende Strukturelemente heraus. Auf zentrale, übergeordnete Kategorien, wie Figurenkonzeption, Handlung und Sprache, soll im Folgenden nochmals zusammenführend eingegangen werden: Die Einteilung des Theatertextes in 22 Buchstaben mit einer Rahmenkonstruktion bestehend aus den ersten und letzten beiden Buchstaben, in der eine Verortung in die Zeit der Nacht vorgenommen wird, lassen die 18 Sequenzen des Binnenteils als Erinnerungsbruchstücke erscheinen. Aus der Tiefe der nächtlichen Finsternis und Erinnerungen dringen „les voix du tout lointain“ (93) herauf. 787 Diese Stimmen exponieren Facetten der Nacht- 786 Patrick Kermann zit. nach: http: / / www.chartreuse.org/ Site/ Cnes/ RepertoireAuteurs/ pieces.php? piece_id=LECONS07260 [Stand: 15.06.2006]. 787 Vgl. auch Kermanns Äußerung: „J’aime les voix issues de la nuit de temps qui nous parlent de notre temps et nos nuits.“ http: / / www.theatre-contemporain.net/ spectacles/ lecons_de_tenebres/ presentation.htm [Stand: 15.06.2006]. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 244 seite der Menschheit mit Referenz auf die antike Mnemotechnik als ein Irren durch die nächtlichen Erinnerungs- und zugleich Höllenlandschaften, eine „marche dans les paysages ruinés de ton souvenir“ (28). In einer Ästhetik des Erscheinens und Verschwindens melden sich die Stimmen lediglich zu Wort, um in unterschiedlichen Formen und Arten über die Katastrophe der Welt zu sprechen. Beschränkt auf diese Funktion sind die Stimmen weder Träger einer dramatischen Handlung noch als Figuren konzipiert. Vielmehr gleichen sie sich, weil sie alle als Zeugen von dem Ereignis gezeichnet sind. Auf diese Weise erscheinen sie als „revenants“ 788 , die nicht nur als lebende Tote eine Schwellenfunktion 789 einnehmen, sondern zugleich auch Erinnerungsträger und Echo einer Welt vor der Katastrophe sind. Ihre Vermittlungen weisen so Relikte der Welt davor - wie die intertextuellen Referenzen auf Mythologie, Philosophie, Religion und Literatur verdeutlichen - aus, die aber im Brennglas eines Danach Deformationen unterworfen sind. Mit der Konzeption von Stimmflächen anstelle von individualisierten Figuren geht zugleich der Ansatz einher, Formen der individuellen Erinnerung weitestgehend auszuschalten und eine Verlagerung auf die Vermittlung kollektiver und kultureller Erinnerung vorzunehmen. In diesem Zusammenhang wird zudem der Stellenwert der chorischen Stimmgestaltung in Kermanns Werk relevant: Eignen sich bereits die im Wesentlichen anonymen Stimmen - denn auch Namensgebungen erweisen sich nur als scheinbare Profilierungen - zur Vermittlung kollektiver und kultureller Erinnerung, kann der Chor diese quasi par excellence darstellen. Gleichwohl unterzieht Kermann auch den Chor einer zeitgenössischen Hinterfragung: 790 Quel corps constitué peut encore parler d’une voix en notre siècle, ce chœur peut-il se maintenir ou n’est-il pas condamné à éclater, quelle langue convient à cette voix qui dit la cité d’aujourd’hui, en même temps que son impossibilité. Ce chœur, à la fois commentaire et action, joue le jeu de la cohésion et de la dislocation, se brise pour tenter sans cesse de se reformer en une unité de langue. 791 788 Kermann zit. nach a.a.O. Vgl. auch seine weitere Erläuterung „Surgis d’où? De quelle mort encore ressuscités à seule fin de rejoue du jeu toujours joué sur la scène même de notre nuit? De nos nuits aussi: ces espaces intimes de nos peurs et nos rêves, ces lieux extimes des cauchemars de notre temps. De l’histoire de notre siècle agonisant.“ 789 Vgl. in diesem Zusammenhand auch seinen Text Seuils, der die in seinem Werk omnipräsente Schwellenmetaphorik nicht nur im Titel hervorhebt, sondern dessen dramatische Bewegung als Serie von Mikroereignissen auch die Schwelle zwischen einer männlichen und weiblichen Perspektive auslotet. 790 Vergleichbare Arbeiten zum Chor finden sich auch in Kermanns La mastication des morts, Thrène und in dem Operntext Vertiges. 791 Kermann zit. nach: http: / / www.chartreuse.org/ Site/ Cnes/ RepertoireAuteurs/ pieces.php? piece_id=LECONS 07260 [Stand: 15.06.2006]. 2.3.3 Patrick Kermann: Leçons de ténèbres 245 Analog zur thematischen Inszenierung von ‛Wiederbeginn’ und ‛Neuformierung’ wird also eine chorische Stimmgestaltung relevant, deren Einheit immer wieder auch in die Einzelstimmen zerfällt, aus denen die anonyme Masse besteht. Sind damit Chor und Einzelstimmen im Grunde nichts anderes als zwei, sich permanent ablösende und ineinander übergehende Modi der Vermittlung kollektiver und kultureller Erinnerung, so steht auch die sprachliche Ausgestaltung im Zeichen des Vermittlungsmodus. Dabei geht es um das Spannungsfeld einer grundsätzlichen Unmöglichkeit und zugleich Notwendigkeit, diese Erinnerungen qua Sprache weiterzugeben. Zwei Zitate, die auf dieses eingeschriebene Paradoxon abzielen, stellt Kermann seinem Theatertext voran, so dass sie sich zugleich als Hintergrundfolie seiner écriture nach der und über die Fraktur lesen lassen. Dabei handelt es sich einerseits um das Zitat des jüdischen Religionshistorikers Gershom Scholem Impossible donc de l’oublier, impossible de s’en souvenir. Impossible aussi, quand on en parle, d’en parler - et finalement comme il n’y a rien à dire que cet événement incompréhensible, c’est la parole seule qui doit le porter sans le dire. (9) und andererseits um die ins Französische übersetzten Schlussverse von Paul Celans Tübingen, Jänner aus dem dem Andenken Ossip Mandelstamms gewidmeten Zyklus Die Niemandsrose S’il venait, / s’il venait un homme, / s’il venait un homme au monde, aujourd’hui, avec / la barbe de clarté des / patriarches: il lui faudrait, / parlerait-il de ce / temps, il / lui faudrait / bégayer et bégayer / toujours, toujours / toutoujours. / / („Pallaksch, Pallaksch“) (9) Verweisen beide Zitate darauf, dass die Vermittlung der Erinnerung über eine Sprache läuft, die selbst von Brüchen gezeichnet ist, so wird dies in Kermanns Theatertext eingelöst. Vergleichbar mit der Ästhetik des Erscheinens und Verschwindens, die für die Konzeption der Stimmen relevant ist, erscheint auch die Sprache als eine, die sich erst in dem Moment erfindet, in dem sie gesprochen wird. 792 Zugleich wird diese aber dekonstruiert: Denn die Sprache, die ‛erfunden’ wird, um die Welt nach der Katastrophe zu beschreiben, setzt nicht nur geltende Grammatik außer Kraft, sondern besteht darüber hinaus in weiten Teilen nur noch aus Stottern, Lallen, endlosen Wiederholungen und einzelnen Sprachfetzen: 793 „La 792 Schäfer verweist darauf, dass sich Kermanns Werk der Tendenz des Worttheaters zuordnen lässt, da seine ‛Figuren’ einen „regelrechten Wortschwall“ produzierten. Vgl. dazu Schäfer: F wie Frankreich, S. 25. 793 Auf diese Weise bezeichnet Kermann die inszenierten Stimmen auch als „écervelés“, als „types d’humanité brisée à la langue appauvrie, des aphasiques ou logorrhéiques qui ressassent la misère et la peur d’être au monde; des monomaniaques qui surgissent au bord de l’abîme, à la lisière de la vie et de la mort, pour témoigner de leur destin et de leur détresse.“ http: / / www.chartreuse.org/ Site/ Cnes/ RepertoireAu- II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 246 langue est ainsi brisé, cassée, réduite“. 794 Der Regisseur der Uraufführung, Guy Delamotte, beschreibt die verstörende und bis zu ihrer materiellen Auflösung zerstörte Sprache in Kermanns Werk zusammenfassend als „Une matière parlante un peu étrangère à notre grammaire, qui invente et créé [sic] le monde. Au commencement était le verbe…“. 795 Patrick Kermanns Leçons de ténèbres präsentiert sich als Theatertext, bei dem die dramatische Form in einer Schwundstufe nur noch als Folie vorhanden ist: Gezeichnet von der durch die Katastrophe bewirkten Fraktur werden etwa die Figuren zu Stimmen, der antike Chor zu einer anonymen Masse, die einheitliche Handlung zur heterogenen Fragmentarität und die Sprache auf ihre Materialität reduziert. Dennoch löst Kermann die Bestandteile des Dramas vor der Zäsur nicht gänzlich auf, sondern lässt sie, neben den gleichzeitigen Deformationen dieser Elemente danach, noch weiterhin als Relikte bestehen. Mit den aus dieser Kombinatorik resultierenden Friktionen zielt der Autor im Rahmen seiner formalen Konzeption auf eine Schwellendramaturgie ab, die er auch auf einer inhaltlichen Ebene einlöst: Mit der Konzeption eines Theaters der lebenden Toten als Träger und Vermittler der kollektiven und kulturellen Erinnerung beleuchtet Kermann die zerstörte Welt nach der Katastrophe auf der Kontrastfolie der Welt davor. Da sowohl auf der formalen als auch auf der inhaltlichen Ebene die verlorene Welt als Erinnerungsspur 796 immer wieder durchscheint, lässt sich seine écriture mit der Form des Palimpsestes beschreiben. Der „guide“, der im Theatertext De quelques choses vues la nuit durch die verschiedenen Erinnerungsorte lotst, ließe sich vor diesem Hintergrund gewissermaßen auch als Führer durch Patrick Kermanns „théâtre de la réminiscence“ 797 verstehen: teurs/ pieces.php? piece_id=LECONS07260 [Stand: 15.06.2006]. 794 Kermann zit. nach http: / / www.theatre-contemporain.net/ spectacles/ lecons_de_tenebres/ presentation.htm [Stand: 15.06.2006]. Vgl. darüber hinaus: „La langue, les mots, les lettres, la bouche deviennent donc la matière de la pièce, une matière multiple, nue, voluptueuse, dense, magnifiquement sonore. Les sons et les inventions formelles se bousculent. […] Patrick Kermann se permet toutes les ruptures, toutes les cassures, nous déroute sans jamais pourtant nous lasser. Il nous invite en fin de compte à proférer sa langue, à la dire à haute voix, comme une sorte de chant rituel.“ Leçons de ténèbres. In: Le matricule des anges, no. 30, mars-mai 2000. 795 http: / / www.theatre-contemporain.net/ spectacles/ lecons_de_tenebres/ presentation. htm [Stand: 15.06.2006]. 796 Zum Zusammenhang der „dramaturgies de la mémoire“ (57) Patrick Kermanns, Jean-Christophe Baillys und Didier-Georges Gabilys mit dem Fragment vgl. Sophie Lucet: Mémoires et fragments. In: Danan und Ryngaert (Hrsg.): Écritures dramatiques contemporains (1980-2000), S. 49-58. 797 Kermann zit. nach http: / / www.theatre-contemporain.net/ spectacles/ lecons_de_tenebres/ presentation.htm [Stand: 15.06.2006]. 2.3.3 Patrick Kermann: Leçons de ténèbres 247 venez je vous conterai des choses qui vous / divertiront de votre pesanteur / oh ce n’est pas une histoire / le temps des fables est hélas révolu / nos écrivains n’en ont plus le goût / comment en écrire après la tragédie / qui s’est déroulée ici / [...] / aussi vous lirai-je des fragments d’un parchemin / retrouvé ici-même / enterré à quelques pieds sous terre / l’humidité et le vers l’avaient rongé / mais il fut reconstitué par une savante patience 798 798 Kermann: De quelques choses vues la nuit, S. 72. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 248 3. Zyklus der Schwellenzeit: Patrick Kermanns A im Rahmen von Roland Fichets Theaterprojekt Naissances Abschließend soll mit Patrick Kermanns A 799 ein Theatertext beleuchtet werden, dessen Verfahren und Strategien sich nicht nur an bereits fokussierte Strukturmerkmale seines Œuvres anschließen lassen, sondern der sich im erweiterten Kontext eines Theaterprojektes situiert, dessen Ansatzpunkt die für die Untersuchung relevante Vermittlungsproblematik in ihren Grundzügen aufgreift. Bereits der Titel A liefert in Bezug auf Konzeption und Inhalt des Textes wichtige, hier noch verdeckte Hinweise. So lässt sich die Überschrift einerseits - vor allem für Kenner des Kermannschen Werkes - als Chiffre für Auschwitz lesen. 800 Andererseits bezeichnet sie den ersten Buchstaben des Alphabets, 801 womit eine Art Inventarium von A bis Z eingeleitet wird, das sich zugleich als werkinterne Referenz auf die aus den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets bestehende Konstruktion von Leçons de ténèbres lesen lässt. Unter das Motto „Regarde, regarde bien, il faut prendre des leçons d’abîmes“ (2) aus Jules Vernes’ Voyage au centre de la terre gestellt und über den Lehrcharakter erneut mit einem werkinternen Bezug versehen, versammelt der Theatertext in zeitlich markierten Abständen von jeweils 30 Sekunden 40 Sätze in englischer Sprache mit ihren französischen Übersetzungen. Die kurzen Sätze, die nur selten aus mehr als 20 Wörtern bestehen, basieren allesamt auf einer dreigliedrigen Aussage nach dem Strukturprinzip „j’étais, je suis, je serai“. 802 In diesen einzelnen Fragmenten lässt Kermann unterschiedlichste Zeugen der Vernichtung als minimalistisches Oratorium zu Wort kommen: 803 799 Patrick Kermann: A. In: Récits de Naissance. Saint-Brieuc (Théâtre de Folle Pensée) 1997. Die Uraufführung des Theatertextes findet unter Leitung von Joël Fesel 1998 in Toulouse statt. 800 Vgl. diesbezüglich auch eine analoge Konzeption des Titels: Der 1932 geborene französische Dramatiker Claude Prin, in dessen Gesamtwerk der Zweite Weltkrieg - wie bei Kermann - einen dominanten Stellenwert einnimmt, betitelt sein Monologstück über Heinrich Himmler und den Holocaust mit H. Claude Prin: Concert d’apocalypse suivi de H. Paris (Actes Sud-Papiers) 1993. 801 Vgl. so auch den Titel der Erzählungen von Jorge Luis Borges: El Aleph. Madrid (Alianza Ed.) 2000. 802 Kermann verweist selbst darauf, dass „la structure ternaire s’inscrit dans un héritage gréco-judaïque (l’inspiration tragique du poète chez Hésiode, in ‛Théogonie’, et un récit d’Armand Gatti, in ‛L’aventure de la parole errante’) [Herv. im Original]“ (4). 803 Dies weist gewisse Strukturähnlichkeiten mit Perecs Je me souviens auf, das aus einer Aneinanderreihung von Erinnerungsfragmenten und Alltagsbruchstücken besteht, an die sich Personen gleichen Alters erinnern können. Georges Perec: Je me souviens. Paris (Sorbier) 1997. Kermanns A im Rahmen von Fichets Theaterprojekt Naissances 249 • Hauptakteure des Naziregimes und der französischen Kollaboration: Hitler (13), Goebbels (7), Göring (10), Eichmann (8), Speer (5), Mengele (14) und Pétain (13) • Regimenahe Künstler und Intellektuelle: Riefenstahl (10), Benn (9), Gründgens (12) und Heidegger (11) • Sympathisanten, Mitläufer und Nutznießer aus der (Mitte der) deutschen Bevölkerung (6, 8, 10f., 14) • Gott und den Papst (9) • Vielfältige ‛stumme Zeugen’: Pflasterstein (5), Zyklon B (6), deutscher Adler (7), Rampe (7), V1 (11), Rotes Kreuz (10), Reichsbahn (13), Hund in Treblinka (9), deutsche Sprache (11) sowie Orte der Zerstörung und Vernichtung (12, 14) bzw. politischer Entscheidungen (12) Die einzelnen Stimme erhalten dabei gewissermaßen einen Rahmen durch das erste und das letzte Fragment: Während sich zu Beginn die „peste brune“ selbst als „celle à qui nul n’échappe“ (5) vorstellt, endet der Theatertext mit einer Aufzählung der Lager „Kulmhof Treblinka Sodibor Lublin Belzec Auschwitz“ (15) im Rahmen der dreigliedrigen Struktur von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Mit dieser Konstruktion als Grammatikspiel wird letztlich Kontinuität insinuiert, so dass die Fragmentsammlung in Form eines implizit warnenden Lehrsatzes abbricht. 804 Explizit auf Kommentierungen verzichtend, exponiert der Theatertext Kermanns diverse Topoi der kollektiven und kulturellen Erinnerung als „matériaux délicats […] dans l’essence crue“ 805 und damit eine auf essentialistische Grundelemente reduzierte écriture. Die einzelnen Fragmente und Reinszenierungen von Auschwitz bilden dabei, als Inventarium zusammengestellt, gewissermaßen den Versuch einer Totalen. 806 Dem kurzen, fraktierten Text über die Schoah stellt Kermann darüber hinaus die zweiseitigen Notes pour la réalisation spectaculaire de A (3f.) voran, in denen er drei Punkte als conditio sine qua non (4) für die Inszenierung festlegt: So sieht er erstens als Ort eine enge Nische vor, deren Ausgänge verschlossen werden und in der der vom Licht angestrahlte Zuschauer „n’est pas libre de sa déambulation: il est piégé par une ‛épreuve impo- 804 Diesbezüglich präzisiert Kermann, dass er A nicht als „écrit visionnaire“ im Zeichen einer „mise en garde militante devant une apocalypse fasciste“ verstanden wissen will, sondern als politische Kritik und Befragung des zukünftigen Lebens in Form eines „traité d’éthique spéculative et artistique“ (4). 805 Joël Fesel zit. nach http: / / www.chaoid.com/ etant_donne/ scene/ merci.html [Stand: 15.06.2006]. 806 Grundlegend für diese Herangehensweise in A sind als „son modeste enjeu, mais sa seule raison d’être“ - wie Kermann unterstreicht - das „questionnement d’Adorno et de Derrida d’une part (et ceux qui travaillent à penser l’impensé) [Herv. im Original]“ und die „analyses de Debord d’autre part“ (4). II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 250 sée’.“ (3). 807 Zweitens verbreiten darin Fernsehgeräte „en discontinu et sur un rythme non agressif des plans quasi fixes: paysages naturels (forêts, déserts, mers etc.) et paysages urbains (rues, gratte-ciel, pavillons de banlieue, usines, gares etc.) [Herv. im Original].“ (3). So wie auf dieser Ebene die Sicht auf den menschlichen Körper ausgeschlossen ist, manifestiert Kermann auch drittens, dass die 40 englischen Sätze des Stücks als „basse continue“ (3) nur durch verschiedene Lautsprecher verbreitet werden. Die Lautstärke ist derart reduziert, dass die Zuschauer nahe herankommen müssen, wenn sie den Text verstehen wollen. Dennoch bleiben in der Betonung des Ausschnitthaften in der Rezeption immer nur Teile wahrnehmbar. Die elektronischen Stimmfetzen werden durch die Abwesenheit von Körpern 808 und durch ihr verhallendes Gemurmel zu Reminiszenzen vergangener Leben. Die einzig anwesende Figur stellt ein Schauspieler, jedoch quasi ex negativo „en apparence non spectaculaire“ (3) dar, der den Rezipienten die französische Übersetzung zuflüstert. Durch die enge Festlegung der Inszenierungsprämissen setzt Patrick Kermann gewissermaßen seine écriture im zeichenhaften Theaterraum fort. 809 Der Theatertext A, dessen Nähe zu bildenden Künsten bereits in der Gattungswahl als installation sonore expliziert ist, umfasst damit simultan mehrere ‛Text’-Ebenen. Während deren Kombination grundlegender und projizierter Bestandteil der Gesamtkonzeption ist, findet sich im Inneren von A in gewisser Hinsicht eine ungesteuerte, freie Kombinierbarkeit der einzelnen Fragmente: 810 Denn der Rezipient, der nicht nur vom Zuschauer zum Zuhörer wird, sondern auch weitgehend die Rolle eines verknüpfenden, vermittelnden Akteurs 811 einnimmt, hat seine eigenen Bewegungen und sein Zirkulieren im Raum zu wählen, wobei er manche Stimmen hört und sich zuflüstern lässt 807 Vgl. zum Konzept der „déambulation“ auch die Ausführungen in der Fußnote 760 im Rahmen des vorangegangenen Kapitels zu Kermanns Leçons de ténèbres. 808 Vgl. zur Dissoziation von Stimme und Körper sowie zur Dissemination der Stimmen die Ausführungen von Hans-Thies Lehmann: Postdramatisches Theater. Frankfurt a.M. (Verlag der Autoren) 3 2005, S. 271-283. 809 Daran lassen sich die Beobachtungen von Bruno Tackels anschließen, der - in Anwendung der Kategorien Lehmanns - auch in Frankreich eine sukzessive Auflösung der Tradition des Literaturtheaters und eine Neuplatzierung des Textes im Rahmen aller verfügbaren Zeichen feststellt. Bruno Tackels: An der Bruchstelle zwischen Text und Performance. Momentaufnahmen im französischen Theater (Insert Frankreich). In: Theater der Zeit, Heft 9, September 2005, S. 3-8. 810 Wenn A auf diese Weise eine kombinatorische Theaterform darstellt, stehen die Verfahren nicht zuletzt in der Tradition von Brechts Fatzer-Fragmenten. Bertolt Brecht: Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer. Bühnenfassung von Heiner Müller. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1996 (Edition Suhrkamp 3332). Vgl. insgesamt auch Bertrand Tappolet: Vers un théâtre combinatoire. In: Théâtre public, Oktober 1999. 811 In diesem Sinne werden auch Ansätze eines Verfahrens deutlich, das sich in der Hyperliteratur findet. Kermanns A im Rahmen von Fichets Theaterprojekt Naissances 251 und andere nicht. Im Sinne eines Performance-Textes 812 will Kermann diese „double geste“ zwischen Konzeption und Perzeption zusammengenommen als seine Antwort auf das von Roland Fichet initiierte Theaterprojekt Naissances verstanden wissen (4). Anstelle der bislang dominierenden Generationenproblematik bildet der anstehende Jahrtausendwechsel den Hintergrund, vor dem Roland Fichet im Jahr 1991 zusammen mit seiner Compagnie Folle Pensée einen Zyklus zeitgenössischer Arbeiten begründet, die sich mit den Themen Umbruch, Passage und Herkunft auseinandersetzen. 813 Zunächst nur bis zum 31.12.1999 geplant und dann doch bis ins Jahr 2002 verlängert, liegen dem Schwellenzeitprojekt zwei inhaltliche Zielrichtungen der Vermittlung zugrunde: Einerseits ist der Fokus auf einen individuellen Zugang gerichtet, bei dem das Schreiben der eigenen „naissance“ im Vordergrund steht, 814 andererseits ist mit Blick auf den Jahrtausendwechsel ein kollektiver, universeller Zugang zentral. 815 Fichet und seine Theatergruppe beauftragen nationale und internationale Dramenautoren, ein Kurzstück zu den Komplexen Écrivez votre naissance, Écrivez les mondes qui naissent, l’homme qui vient und Écrivez le chaos du nouveau zu verfassen. In den über zehn Jahren der Projektlaufzeit entsteht daraus ein Korpus von 155 Texten, deren 99 Autoren aus 23 verschiedenen Ländern stammen. 816 Das Korpus 812 Vgl. dazu Lehmann: Postdramatisches Theater, S. 145f. 813 Vgl. zu Roland Fichet und dem Théâtre Folle Pensée auch das Kapitel II 2.2.5 dieser Untersuchung sowie zur gesamten Dokumentation des Naissances-Projektes http: / / www.follepensee.com [Stand: 20.03.2006]. 814 Hierbei sehen sich die Autoren mit einer vergleichbaren Problematik konfrontiert, die sich auch für die Dramatiker der zweiten Generation stellt, wenn sie über den Zweiten Weltkrieg schreiben: die erinnernde Vermittlung eines Gegenstandes, an den sie keine Erinnerung haben können. Dem Naissances-Projekt als Grundkategorie von vorneherein eingeschrieben, gehen die Autoren mit dieser Widersprüchlichkeit unterschiedlich um: „répéter inlassablement qu’on ne se souvient pas (Catherine Anne), faire remonter la mémoire à la vie intra-utérine (Serge Valetti, Yves Reynaud), mêler le très ancien et le supra nouveau, les mythes de la Grèce Antique et la fécondation in vitro (Michel Azama), écrire les balbutiements du nouveau-né (Sylvie Chenus), faire intervenir Dieu et Saint-Pierre (Paol Keineg). „Me souviens pas…“ Récits de naissances, Scènes de naissances: résumé des épisodes précédents. In: Journal du Théâtre de Folles Pensées, no. 2, Februar 1995, S. 9. 815 Dabei geht es v.a. um Verstehen und Wiederherstellung - so auch Philippe Minyanas Titel Reconstitution - der Vergangenheit: „les textes thématisent plus ou moins explicitement l’expérience historique du XXème siècle, à savoir la chute des idéologies, l’effondrement du christianisme et la mise en question de la notion d’individu sur laquelle repose la culture occidentale depuis la Renaissance.“ Kerstin Hausbei: Écritures en fragments, fragments d’écriture. Quelques réflexions à propos de «Naissances et chaos» de Roland Fichet. In: Danan und Ryngaert (Hrsg.): Écritures dramatiques contemporaines (1980-2000), S. 43-48, hier S. 46. 816 Dazu zählen Theatertexte von in der vorliegenden Untersuchung behandelten Autoren - Durif, Fichet, Kermann - genauso wie u. a. von Albert Ostermaier, Lothar Trol- II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 252 weist neben Kermanns Theatertext noch drei weitere Stücke französischsprachiger Autoren auf, die um die Darstellung des Zweiten Weltkrieges kreisen: 817 Inszeniert Kermann in seinem Theatertext A ausschließlich Topoi der kollektiven und kulturellen Erinnerung der Geschichte des 20. Jahrhunderts, wählen die Autoren Michel Simonot, 818 Jean-Marie Piemme 819 und Yves Reynaud 820 für ihren Beitrag zum Naissances-Projekt einen Zugang, der die Grenzen der individuellen Erinnerung an die eigene Geschichte im 20. Jahrhundert auslotet. Dementsprechend steht auch bei den hier als Dreiergruppe zusammengenommenen Autoren eine Vermittlungsfrage im Vordergrund, die sich auf die Schilderungsproblematik der Herkunft - so in Simonots Suffit qu’il y ait la mer 821 - und der eigenen Geburt - so in le, Elfriede Jelinek, Marlene Streeruwitz, Felix Mitterer, Urs Widmer, Rodrigo Garcia und Jon Fosse. 817 Auf Anfrage wurden mit Brief vom 08.04.2002 von den Leitern des Theaterprojektes, Roland Fichet und Patrice Rabine, diese vier Theaterstücke als für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand relevant an die Verfasserin gesandt. 818 Vgl. zu Simonot, der nicht nur als Autor von knapp 15 Dramen und als Regisseur in Erscheinung tritt, sondern auch als Theaterkritiker, in verschiedenen Kulturinstitutionen, als Produzent bei France-Culture und maître de conférences an der Universität Rouen arbeitet, Confortès: Répertoire du théâtre contemporain de langue française, S. 372. 819 Der Autor von über 20 Dramen und drei Abhandlungen zum Theater ist auch in der Bühnenpraxis als Dramaturg am Théâtre Royal de la Monnaie und für mehrere Theatergruppen in Brüssel tätig. Darüber hinaus lehrt er Geschichte der Dramaturgie am Institut national supérieur des arts du spectacles. Zu Leben und Werk vgl. die Homepages des Theatre-contemporain und des Aneth, Confortès: Répertoire du théâtre contemporain de langue française, S. 307 sowie die Kapitel zu Piemme in Le répertoire des auteurs dramatiques contemporains. Théâtre belge de langue française, S. 154-156, Théâtre contemporain Wallonie-Bruxelles, S. 103-112 und Azama: De Godot à Zucco. Bd. 3: Le bruit du monde, S. 163-166 und S. 334. 820 Vgl. zum Leben und Werk des zum Schauspieler ausgebildeten Reynaud, der daneben als Regisseur und Autor von Romanen, Gedichten, Kurzfilmdrehbüchern und knapp 20 Stücken tätig ist, die Homepage der Chartreuse, Confortès: Répertoire du théâtre contemporain de langue française, S. 334 sowie Azama: De Godot à Zucco. Bd. 2: Récits de vie: le moi et l’intime, S. 204-207. 821 Innerhalb dieser Trias ist der 1943 in Mauvezin (Gers) geborene Simonot der älteste Autor, der in seinem Stück auch konkreter als die beiden anderen die Situierung in der Zeit des Zweiten Weltkrieges vornimmt: In Form eines Stakkato-Erinnerungsmonologes gibt die Protagonistin Sarah Einblicke in die Heimatlosigkeit und die Ursprungsproblematik einer jüdischen Familie, die zu Beginn der 1940er Jahre ihre Identität aufgeben muss, um zu überleben. So werden Geburt und Ursprung als Leerstelle inszeniert, da sie aufgrund der Geschichte verschwiegen werden mussten: „Comment parler de ce qui n’a pas eu lieu.“ (3). Die verschiedenen Imaginationsversuche, dieses Herkunftsdesiderat zu füllen, kulminieren schließlich in der paradoxalen Kombination von Geburtsstunde und Massenmord durch Vergasung: „Peut-être que je suis née dans la mort de tous les autres. […] Naître en fumée“ (6). Michel Simonot: Suffit qu’il y ait la mer. In: Récits de Naissances, 1993. Die Uraufführung am 12.05.1994 in Saint-Brieuc unter der Leitung von Adel Hakim ist eingebettet in die In- Kermanns A im Rahmen von Fichets Theaterprojekt Naissances 253 Piemmes Récit de ma naissance 822 und in Reynauds La dent noire 823 - bezieht, an die sich die Autoren nicht erinnern können. Die Erinnerung und Vermittlung des Zweiten Weltkrieges, in dessen Zeit die „naissance“ fällt, ist dabei nur von nebengeordnetem Charakter, wohingegen sie bei Kermann - wie gezeigt - den zentralen Gegenstand ausmacht. 824 Mit dem Konzept der Etablierung dieses Naissances-Korpus werden von Anfang an zugleich auch Überlegungen verbunden, die von Lyotards postuliertem Verlust der „grands récits“ aus alternative Vermittlungsformen suchen: „Est-ce que le grand récit ne pourrait pas être constitué d’une mul- szenierungen der Naissances 3: Actes de Naissances. 822 Während Simonot in der Erinnerungsleerstelle der eigenen Herkunft Entstehung und Vernichtung zur Zeit des Zweiten Weltkrieges engführt, inszeniert der am 16.11.1944 im wallonischen Jemeppe-sur-Meuse geborene Piemme in seinem Stück konkret die eigene Geburt. In grotesker Überspitzung präsentiert der belgische Autor den Säugling als Erzähler- und Sprecherfigur, der nicht nur den Geburtsvorgang schildert, sondern sich auch von Anbeginn der Zeugung an die Zeit der Schwangerschaft zurückerinnert. Dabei schildert er von „Là où j’étais“ aus (2) die sich im Kriegszustand befindende Außenwelt und die Konflikte der Eltern hinsichtlich des unerwünschten Kindes. Vgl. auch Piemmes Ausführungen zu seinem Theatertext: „Écrire c’est inventer des formes pour explorer un mot. Ici le mot naissance. Mon premier texte [Récit de ma naissance] consista à m’en inventer une, une qui soit à moi, une qui soit la mienne. Après tout, ce sont les autres qui vous voient naître. Moi, je voulais une naissance à moi, quelque chose de sérieux et de grotesque dont je puisse revendiquer la propriété.“ Zit. nach Roland Fichet (Hrsg.): Un centre de création/ Fabrique de théâtre. Saint-Brieuc (Théâtre de Folle Pensée) 2003 (Dokumentation des Gesamtprojektes). Als Bühnenmanuskript ist der Text erschienen in Récits de Naissances, 1991 und darüber hinaus publiziert in Jean-Marie Piemme: Pièces d’identités. Rouen (Médianes) 1997. Neben Robert Cantarellas Uraufführung am 26.05.1993 in Saint-Brieuc im Rahmen der Naissances 2: Récits de Naissances wird das Stück auch im Kontext der Naissances 4: Scènes de Naissances (1995) und der Naissances 7: Nouveaux mondes (1998) gespielt. 823 Wie Piemme fokussiert auch der 1947 in Straßburg geborene Reynaud in seinem Stück die Zeitspanne zwischen dem Vorgang der Zeugung bis zur Geburt aus der Position der Erzählerfigur im Uterus heraus. Der Moment der Geburt wird dabei als Vergessensmoment inszeniert: „Puisque nous ne nous souvenons pas de nos vies antérieures, il doit forcément exister un mécanisme d’oublie, qui efface toute trace à la naissance […] … Comme une page blanche… Délivrés de toute mémoire inutile…“ (5). Da jedoch hier der Mechanismus nicht funktioniert, erkennt er in seinem Vater den für die Zeugung Verantwortlichen und erinnert sich an die Turbulenzen zurück. Weil er diese nicht vergessen kann (6), ermordet er seinen Vater mit 15 Jahren, so dass sich die Szene am Schluss als Erinnerungsmonolog eines Geständigen vor Gericht herausstellt. Das Stück ist als Bühnenmanuskript erschienen in Récits de Naissances, 1991 und darüber hinaus veröffentlicht in Yves Reynaud: Marie, Marie. La dent noire. Paris (Théâtrales) 1994. Die Uraufführung Jean-Louis Jacopins am 26.05.1993 fand - wie auch Piemmes Stück - im Rahmen der Naissances 2: Récits de Naissances in Saint-Brieuc statt. 824 Aus diesem Grund wurde auch die Trias hier nur am Rande vorgestellt, während Kermanns Stück eingehender betrachtet wurde. II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 254 titude de petits récits qui résonneraient d’autant plus les uns avec les autres qu’ils auraient une unité de fond, de structure, une impulsion commune? “ 825 Wenn auf diese Weise „kohärenzbildende[n] Makrostrukturen“ 826 gewissermaßen im Rahmen des Gesamtprojektes noch aufrechterhalten bleiben, vollzieht sich die Hinwendung zum „Geschichte(n) Erzählen“ 827 im Einzelnen in der bruchstückhaften Pluralität der Mikroformen dieser Récits de Naissances - so der programmatisch gewählte Gattungsname: Récits de Naissances renoue avec l’utopie d’une œuvre collective construite comme un archipel. Une œuvre qui travaille la notion de communauté tout en garantissant l’identité de chacun, sa signature. Récits de Naissances fait le pari d’une partition collective de textes dont les sens articulés produiront un sens qui excédera l’addition des sens individuels. 828 Auf der Ebene des Gesamtprojektes werden damit Formen der Vermittlung geschaffen, die sich aus dem Wechselspiel und dem Übergang vom Projektganzen zu den Teilen und vice versa ergeben. 829 Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Schwellenzeit, der sich innerhalb der Theatertexte über einen individuellen und/ oder kollektiven Zugang genähert wird, findet sich damit performativ auf der Konzeptionsebene des Gesamtprojektes umgesetzt und potenziert. Schließlich wird mit dem prinzipiellen Nebeneinander von heterogenen Einzeltexten und einer offen konzipierten Einheit auch eine Ästhetik des Fragments deutlich. 830 825 Fichet in Conversations de Plougrescant - 10 et 11 août 1996. In: http: / / www. follepensee.com/ follepensee_html/ texte/ n_conv96_08_archipel.html [Stand: 20.03. 2006]. 826 Schößler: Augen-Blicke, S. 20f. Mit Blick auf die das Korpus konstituierenden einzelnen ‛kleinen Geschichten’ stellt sich aber - wie noch gezeigt wird - heraus, dass Kategorien wie Ganzheit und Geschlossenheit unzutreffend sind. Vielmehr handelt es sich dabei, wie Schößler hinsichtlich deutscher Theaterstücke der 1990er Jahre ausführt, um „narrative Splitter“: „Kehrt also das Erzählen auf die Bühne zurück, so ist mit einer fragmentarischen Rede zu rechnen, die mit literarischen Topoi spielt, pathetische Zitate banalisiert, sich selbst ironisiert und sich selbstreferentiell als Splitter, als Fragment, ausweist.“ Franziska Schößler: Albert Ostermaier - Medienkriege und der Kampf um Deutungshoheit. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Theater fürs 21. Jahrhundert. München (Text + Kritik) 2004, S. 81-100, hier S. 82. 827 Vgl. dazu Brandstetter: Geschichte(n) Erzählen, S. 27-42. 828 Roland Fichet in Conversations de Plougrescant - 10 et 11 août 1996. Im Kontext einer kollektiven Sinnstiftung findet sich auch die Beschreibung des Theaterprojektes als „l’épopée locale, nationale et internationale des récits de naissance“. Fichet (Hrsg.): Un centre de création/ Fabrique de théâtre. 829 Dies vollzieht sich unter beständiger Aufrechterhaltung des Ganzen und der Teile: „L’objectif n’est pas de fondre les différents univers dans une œuvre collective, mais d’aboutir à une mosaïque. Chaque élément, sans pouvoir prétendre à une autonomie absolue, doit être perceptible à l’intérieur d’un ensemble discontinu et hétéroclite“. Hausbei: Écritures en fragments, fragments d’écriture, S. 45. 830 Vgl. zur Ästhetik des Fragments die Darstellung von Hausbei, ebd., S. 43-48. Kermanns A im Rahmen von Fichets Theaterprojekt Naissances 255 Auf der Ebene der Einzeltexte wird der inhaltliche Naissances-Ansatz ebenfalls auf die formale Gestaltung appliziert. Deshalb geben Fichet und das Théâtre Folle Pensée für die Auftragsarbeiten eine Kurzform von etwa 20 Minuten vor, aus der eine Kondensierung des Stils und ein erhöhter Experimentcharakter resultieren soll. Die Suche nach neuen Formen der Vermittlung setzt so beim internen Aufbrechen 831 einer auf Ganzheit und Geschlossenheit abzielenden Dramenform an: L’éclatement du drame en mille petites formes, c’est la chance de l’écriture dramatique/ théâtrale d’aujourd’hui. Grâce à cet éclatement, grâce à ce jeu vertigineux de la fragmentation, grâce aux multiples petits noyaux de dramaticité qu’elle élabore, l’écriture dramatique/ théâtrale française a repris pied dans la modernité. 832 Die Polyphonie der daraus entstehenden kurzen Theatertexte, bei denen es „sich fast immer eher um einen narrativen >spot> als um einen plot [Herv. im Original]“ 833 handelt, kann daneben auch - als Panorama - zeitgenössische, „nicht mehr dramatische“ Schreibweisen illustrieren. 834 Was sich auf der Textebene als Einladung zum Experimentieren mit Formen der Vermittlung gestaltet und damit als Passage im Überschreiten der Dramenform mit den Grenzen des Theaters spielt, 835 wird auch auf der Bühne realisiert: In den Inszenierungsvorgaben der Récits de Naissances wird die Konzeption des Gesamtprojektes umgesetzt, da festgeschrieben ist, dass jedes Einzelstück nur im Verbund mit anderen funktioniert. 836 Während damit zwar die Aufführung mehrerer Stücke zusammen und die Einbindung, respektive der Dialog mit dem vorangegangenen und nachfolgenden Stück fester Bestandteil der Dramaturgie ist, kann innerhalb dieses Bezugsrahmens frei kombiniert werden. 837 Auch bezüglich des Ab- 831 Vgl. die Ausführungen Fichets zur „explosion de la pièce de théâtre“ und seiner Forderung „il faut détruire pour faire surgir du nouveau“. Roland Fichet: L’Art de fendre. In: Les Cahiers de Prospéro 1, 1994, S. 43f. 832 Roland Fichet: Disputes, première lettre. In: Les Cahiers de Prospéro 10, 2000. 833 Brandstetter: Geschichte(n) Erzählen, S. 29. Unter diese kurzen, narrativen Splitter fällt dann eben auch, was Brandstetter „mit dem Rede-Modus der Anekdote zu beschreiben“ sucht. 834 Vgl. http: / / www.follepensee.com/ follepensee_html/ texte/ naissance_epopee.html [Stand: 18.03. 2006] und Gerda Poschmann: Der nicht mehr dramatische Theatertext. 835 Vgl. http: / / www.follepensee.com/ follepensee_html/ texte/ naissance_epopee.html [Stand: 18.03. 2006]. 836 Titel solcher Gruppierungen verschiedener Stücke sind dann etwa Nuits des Naissances, Actes de Naissances oder Scènes de Naissances. Zugleich werden die Inszenierungen häufig von Kolloquien zum zeitgenössischen Theater begleitet. 837 Auch in diesem Sinne weist das Naissances-Projekt postdramatische Züge auf, da nicht mehr der dramatische Text den Verlauf des Geschehens vorgibt, sondern die Vielzahl kombinierter Mikrogeschichten. Aufgrund der freien Kombinierbarkeit der einzelnen Teile, die sich, wie gezeigt, analog zur Konzeption des Gesamtprojektes auch in derjenigen von A gespiegelt hat, lassen sich die Stücke des Theaterprojektes II Dramen der zweiten Autorengeneration: Schreiben auf der Schwelle 256 laufs liegt eine dramaturgie de passage/ du seuil vor, denn die Zuschauer gehen als „promeneur“ in kleinen Gruppen mit einem „guide“ an die verschiedenen ‛Theaterstationen’ - hier werden ebenfalls konventionelle Aufführungslokalitäten aufgebrochen und Örtlichkeiten vom Keller bis zur Scheune als neue Spielorte besetzt -, an denen die Stücke unterschiedlicher Autoren inszeniert werden. Das Bewegungskonzept des Umherlaufens der Zuschauer, das mit dem Schlagwort „déambulatoire“ versehen wird und, wie bereits bei Kermann gezeigt, einem performativ umgesetzten Stationendrama gleicht, bewirkt nicht nur ständig wechselnde Stückabfolgen, sondern auch, dass die Theatertexte - zumeist von unterschiedlichen Regisseuren umgesetzt - an einem Abend mehrmals aufgeführt werden. Schließlich zeigt sich damit insgesamt, auf wie vielen verschiedenen Ebenen - von der Gesamtkonzeption, über Inhalt und Form der Einzelteile, bis zur Inszenierungspraxis - Naissances mit seinen Dramaturgien der Schwelle und Passage im Zeichen der Vermittlungsproblematik verortet werden kann. Récits de Naissances präsentiert sich als Theaterprojekt, dessen Ausgangspunkt eine Schwellenerfahrung und die daraus resultierende Vermittlungsproblematik darstellt. Damit erfasst beides auch die Grundsituation der der Gesamtuntersuchung zugrunde liegenden Dramatiker der zweiten Generation, wobei sich hier die Schwelle auf den Generationenwechsel, die Vermittlungsproblematik eingeschränkter auf den Zweiten Weltkrieg bezieht. Während jedoch beide Aspekte für jeden der hier versammelten Dramatiker individueller Ausgangspunkt und Herausforderung der eigenen écriture sind, die erst mit der Konstituierung des vorliegenden Korpus gewissermaßen induktiv mit einem Rahmen versehen werden, vollzieht sich die Bewegung im Rahmen von Fichets Theaterprojekt diametral: Konstituieren Schwellenerfahrung und Vermittlungsproblematik als Parameter ante quem den Rahmen der Récits de Naissances, wird in Form dieses kollektiven Projektes eine écriture du seuil/ de passage erzielt, die dann quasi deduktiv in den einzelnen Schreibweisen und auf den verschiedenen Ebenen ihre Realisierung findet. Was den Texten der Dramatiker der zweiten Generation mehr oder minder inhärent ist und in den einzelnen Analysen herausgearbeitet wurde, stellt sich somit bei Fichet als von vorneherein anvisierter und expressis verbis formulierter Gegenstand der Auftragsarbeiten dar. So wie nämlich Fichets Naissances-Projekt eine von der Anlage her offen konzipierte Einheit ist, können auch die hier versammelten Theaterstücke der Autoren der zweiten Generation - jedes für sich und zugleich als Korpus zusammengenommen - nur ein noch zu erweiterndes als „spectacles kaléidoscopiques“ beschreiben. Hausbei: Écritures en fragments, fragments d’écriture, S. 43. Kermanns A im Rahmen von Fichets Theaterprojekt Naissances 257 Panorama der Schreibweisen dieser „Epochenschwelle in der kollektiven Erinnerung” 838 abbilden. 838 Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 11. III Erinnerungsspiele La scène obscure est donc une scène où vous êtes devant un choix, et c’est cette scène-là que j’appelle la scène du portail, du seuil: j’ai tiré cette image de la topographie d’Auschwitz, par référence à l’entrée même de la chambre à gaz. J’ai eu cette vision d’une femme obligée de porter son enfant à l’intérieur d’une chambre à gaz: que fait-elle? Elle raconte à l’enfant une histoire… 1 Der Dramatiker Edward Bond fasst seine Autorposition zur Geschichte im Bild einer „scène du portail, du seuil“, an der die Frage nach dem ästhetischen Umgang mit den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges kristallisiert. In den dieser Untersuchung zugrunde liegenden Dramen der zweiten Autorengeneration werden Erinnerung und Vermittlung als ein ebensolches Schreiben auf der Schwelle ausgelotet und verhandelt. Während dies bei Grumbergs L’Atelier und bei Patrick Kermanns A insbesondere in der formalen Einbindung verwirklicht ist, durch die die Einzelstücke als Bestandteile eines übergeordneten Zusammenhangs konzipiert sind, ist in den weiteren 13 Dramen des Korpus eine Schwellendramaturgie in die Texte verlagert. Mit Blick auf die dominante Form, über die in diesen Dramen die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg als Plotstruktur vermittelt wird, konnten drei Grundrealisierungen herausgearbeitet werden: Sprachschwellen - Ortsschwellen - Bewusstseinsschwellen. Den Sprachschwellen wurden Yoland Simons Adieu Marion, Enzo Cormanns Berlin, ton danseur est la mort und Toujours l’orage sowie Serge Kribus’ Le grand retour de Boris S. zugeordnet, da in den Dramen Erinnerung und ihre Vermittlung im Wesentlichen als Problematik der Sprache inszeniert sind. So wird das Schweigen über die Erinnerungen an die Zeit des Zweiten Weltkrieges sukzessive aufgebrochen, das Reden ermöglicht und damit die Vermittlung der Ereignisse auf den Weg gebracht. Während in Adieu Marion die Befragungssituation der Kabarettmitglieder durch einen Journalisten als professionelle Figur der Erinnerungsvermittlung einen kollektiven Status hat, ist sie in Berlin, ton danseur est la mort individueller Natur: Nele befragt ihre Freundin Gretl nach den sie traumatisierenden Erinnerungen, um durch die Konfrontation ein Weiterleben und eine Vermittlung an die nachfolgende Generation zu ermöglichen. Formen der intergenerationellen Vermittlung stehen in Toujours l’orage und in Le grand 1 Edward Bond: Le sens du désastre. In: Registres no. 6, 2001, S. 146. Vgl. auch Azama: De Godot à Zucco. Bd. 3: Le bruit du monde, S. 21. III Erinnerungsspiele 260 retour de Boris S. im Vordergrund. Während Toujours l’orage ausgehend von einer professionellen Beziehung zwischen Regisseur und Schauspieler die Generationenkonstellation von Zeitzeuge zu Nachgeborenem fokussiert, ist diese auch für Le grand retour de Boris S. relevant, indem sie als Vermittlung vom Vater zum Sohn inszeniert wird. Hierbei geht es auch sehr viel allgemeiner um den Beginn eines Dialoges der Generationen in statu nascendi. Dem steht bei Simon und bei beiden Dramen Cormanns die sprachliche Vermittlung konkreter Ereignisse gegenüber, die die Figuren zunächst nicht kommunizieren können, die schließlich aber doch freigesetzt werden. Auffällig bei allen Dramen der Sprachschwellen, die Vermittlung im Zeichen (in)kommunikativer Erinnerung inszenieren, ist ihre Affinität zur theatralischen Selbstthematisierung und damit zur Hervorhebung der Spielsituation. So sind die Protagonisten nicht nur im Theatermilieu situiert - Adieu Marion und Berlin, ton danseur est la mort thematisieren die Kabarettwelt, Toujours l’orage und Le grand retour de Boris S. einen gealterten Schauspieler mit Rückkehrmöglichkeiten auf die Bühne -, das Umschlagen von Verdrängen und Schweigen in Erinnerung und Vermittlung erfolgt darüber hinaus qua Rollentausch. In der Rolle des Augenzeugen bringt die Perspektivfigur gewissermaßen als Regisseur - im Fall von Nathan in Toujours l’orage auch ganz konkret als solcher - die Erinnerung und Vermittlung der Vergangenheit durch die richtigen Fragen oder die richtige Inszenierung dialogisch in Gang. Die Überwindung der Sprachschwelle, die zunächst der Erinnerung und Vermittlung der Zeit des Zweiten Weltkrieges gegenübersteht, erfolgt in den Texten damit nicht als episierende Rückwende, sondern mit den Mitteln des Dramas ganz konkret als inszeniertes Erinnerungsspiel. Als Ortsschwellen lassen sich Gérald Auberts Le voyage, Jean-Paul Wenzels und Bernard Blochs Vater Land - Le Pays de nos pères, Eugène Durifs L’Arbre de Jonas, Gilles Boulans Kinderzimmer, Roland Fichets Plage de la Libération und Bernard Chartreux’ Violences à Vichy fassen. Die Verknüpfung von Erinnerung und Vermittlung mit einem Ort im weitesten Sinne nimmt dabei verschiedene Formen an: In Le voyage und Vater Land - Le Pays de nos pères ist diese Verbindung als Reise konzipiert, bei der die Bewegung durch den Raum mit einer Bewegung durch die Zeit korreliert. In Auberts Drama handelt es sich dabei um die individuelle Erinnerungsreise eines Zeitzeugen zum Gedächtnisort Dachau. Die Annäherung an das Reiseziel und an die erinnerte Zeit wird zudem mit einer zwischen den Generationen parallelisiert: Durch die gemeinsame Reise wird die Sprachschwelle zwischen Vater und Sohn überwunden, so dass Erinnerung und Vermittlung an die Zeit des Zweiten Weltkrieges im wörtlichen und im übertragenen Sinn auf den Weg gebracht werden. Während sich die individuelle Erinnerungsreise bei Aubert III Erinnerungsspiele 261 einem konkreten örtlichen Ziel und einem bestimmten Erinnerungszeitraum annähert, an dem dann plötzlich die Vater(schafts)geschichte hervorbricht, gestaltet sich die Reise bei Wenzel und Bloch anders: Als erratische Suche nach dem Vater und seiner Geschichte im Nachkriegsdeutschland ist die Reisebewegung von Ort zu Ort zugleich eine kollektive topische Spurensuche in Deutschland als dem Land der Väter Blochs und Wenzels. So wie Le voyage und Vater Land - Le Pays de nos pères den literarischen Topos des Zusammenhangs zwischen Reise und Auseinandersetzen mit der Vergangenheit inszenieren, verknüpfen L’Arbre de Jonas und Kinderzimmer Erinnerung und Vermittlung mit spezifisch semantisierten Topographien. Zum individuellen Gedächtnisort des Verbrechens wird dergestalt in L’Arbre de Jonas das Heimatdorf für den Protagonisten Jonas, das jedoch, als Ort des Vergessens inszeniert, die Erinnerung an den topographischen Rand drängt. Auch in Kinderzimmer wird das Elternhaus als Ort der individuellen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg zur Heimstätte des Vergessens, diesem wird aber ein kollektiver Gedächtnisort an die Verbrechen gegenübergestellt: Oradour-sur-Glane als Chiffre für die Brutalität und Grausamkeit der SS-Truppen in Frankreich. Erinnerung und Vermittlung werden dabei nicht nur allein qua Ortsbegehung und -besichtigung durch den institutionalisierten Gedächtnisort ermöglicht, sondern vielmehr durch die memoriale Funktion von Ruinen und Spuren, die die Vergangenheit in der Gegenwart als ‛wildwüchsige’ topographische Einschreibungen palimpsestartig hinterlassen hat. Die Dramen Plage de la Libération und Violences à Vichy fokussieren zwar auch konkrete Orte des Gedächtnisses, relevant werden jedoch darüber hinaus Gedächtnisorte in einem weiteren Sinne als lieux de mémoire nach der Definition Pierre Noras. Auf diese Weise steht in Plage de la Libération der Strandabschnitt mit Denkmal für das materialisierte Gedächtnis der Résistanceaktivitäten in der Region, mehr noch werden aber der Bürgermeister und mit ihm als Sprachrohr das gesamte Dorf zu Trägern des lieu de mémoire Résistance. Während in Fichets Drama das französische Kollektivgedächtnis Résistance in seiner die Erinnerung entstellenden und der Vermittlung entgegenstehenden Wirkung subvertiert und dekonstruiert wird, führt die Gedächtnisreflexion bei Chartreux zur Inszenierung des Gegengedächtnisses und damit der Erinnerungsleerstelle Kollaboration. Violences à Vichy stellt in diesem Sinne nicht nur den konkreten Ort als Sitz der Kollaborationsregierung Pétains aus, sondern versammelt diverse Sequenzen und Schlaglichter um den non-lieu de mémoire der Kollaboration. Mit der Darstellung des fragmentierten und fragmentarisierenden Gegengedächtnisses wird die über den lieu de mémoire festgefügte Erinnerung und Vermittlung des Zweiten Weltkrieges einer Repräsentations- und Gedächtniskritik unterzogen. III Erinnerungsspiele 262 Zu den Dramen, die Erinnerung und Vermittlung des Zweiten Weltkrieges als Bewusstseinsschwellen inszenieren, gehören Florensas Auschwitz de mes nuits, Grumbergs Rêver peut-être und Kermanns Leçons de ténèbres. Die Texte gehen dabei von der Dichotomie zwischen Tag und Nacht, Bewusstsein und Unterbewusstsein aus. Während die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg am Tag durch Verdrängen und Trauma ausgeschlossen beziehungsweise gestört und nur in Form von Indizien präsent ist, Vergessen herrscht und jede Vermittlung unmöglich ist, kommen die Erinnerungen des Nachts unwillkürlich hoch. So begleitet der Holocaust den Menschen sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinne als dessen Nachtseite. Auschwitz de mes nuits fokussiert das Aufbrechen dieses Spannungsfeldes von Bewusstsein und Unterbewusstsein, indem der Zugang zu den verdrängten Erinnerungen über Halluzinationen erfolgt, die durch eine LSD-Behandlung in psychotherapeutischen Sitzungen hervorgerufen werden. Das konfrontatorische Wiedererleben der Ereignisse führt schließlich zu einer Aufhebung der Dichotomie: Die Erinnerungen werden nicht nur ihres unbewussten Status eines nächtlichen (Alb-)Traums enthoben und zur konkret fassbaren, bewussten Realität im Licht des Tages, auch die einst schizophrene Spaltung der Figur wird zu einer einheitlichen Identität zusammengeführt und die Vermittlung für die Nachgeborenen gesichert. Im Gegensatz dazu beleuchten Rêver peut-être und Leçons de ténèbres nicht die finale Aufhebung der Dichotomie, sondern das endlose va-etvient auf der Bewusstseinsschwelle. In der topischen Koppelung von Erinnerung und Nacht wird das Durchschreiten der (Alb-)Traumlandschaft in Rêver peut-être zunächst als individuelle Erinnerung an den Vater - zum Teil durch einen Regisseur regelrecht - inszeniert, die erst mit der intertextuellen Verschmelzung des Protagonisten mit der Figur des Hamlet einen kollektiven Status erreicht. Leçons de ténèbres stellt hingegen ausschließlich Facetten einer von der Katastrophe der Schoah gezeichneten kulturellen Erinnerung aus, so dass seine nächtliche (Alb-)Traumlandschaft eine rein kollektive ist. Mit graduellen Unterschieden wird in allen drei Stücken jenseits des Bewusstseins ein nächtliches Theater der lebenden Toten - gewissermaßen als negative Mnemonik - entworfen, die die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg verkörpern und mit ihrer unauslöschlichen Präsenz zugleich einfordern. Mittels dieser onirisch-halluzinatorischen Konzeptionen werden in die Dramen der Bewusstseinsschwellen, wie bereits bei denjenigen der Sprachschwellen, ganz konkret inszenierte Erinnerungsspiele eingelagert. Neben diesen drei dominanten Konzeptionen der Erinnerung und Vermittlung als Schwellendramaturgien über die Sprache, den Ort und das Bewusstsein lassen sich aus den Einzelanalysen der Dramen übergreifende III Erinnerungsspiele 263 Konstanten der Textstruktur extrapolieren. Wenn dies im Folgenden unter dem Blickwinkel der Familienbeziehungsweise hier adäquater der Generationenähnlichkeiten 2 in Form einer knappen Zusammenführung der Schreibweisen erfolgt, dann in der gleichzeitigen Betonung und Aufrechterhaltung der zentralen formalen und inhaltlichen Heterogenität der Dramen. Die dem Korpus zugrunde liegenden Texte sind alle - mehr oder minder explizit - als erinnernde Rückblicke konzipiert. 3 Daraus ergibt sich ein Spannungsfeld und oszillierendes Spiel zwischen verschiedenen Zeitebenen, die sich als Gegenwart und evozierte Vergangenheit zugleich entgegenstehen und ineinanderlaufen. 4 Mit diesem doppelten Zeitbezug wird eine „Rhetorik-des-Damals-und-Heute“ 5 in den Dramen relevant, die auch dann aufrechterhalten wird, wenn - wie in L’Atelier, Adieu Marion, Berlin, ton danseur est la mort und L’Arbre de Jonas - die erinnerte Zeit noch sehr nah an der Erinnerungszeit ist. Schließlich wird die „Rhetorik-des-Damalsund-Heute“ auch in Theatertexten wie Violences à Vichy und Leçons de ténèbres inszeniert, bei denen zunächst kein figurenbezogener Rückblick erkennbar ist: Durch eine spezifische Wirkungsästhetik wird unter Einbezug des Rezipienten entweder die gegenwärtige Zeitebene erzeugt oder aber der Rezipient muss die Einschreibungen des doppelten Zeitbezugs in die Diskurse herauslesen. Auch wenn diese beiden Stücke hinsichtlich der 2 Zurückgegriffen wird damit im Rahmen dieser gattungstypologischen Betrachtung auf den Wittgensteinschen Begriff der „Familienähnlichkeiten“, der zum Terminus der Generationenähnlichkeiten abgewandelt wird, um den diachronen Aspekt einer Familiengeschichte auf den synchronen Aspekt einer Generationenerfahrung zu reduzieren. Vgl. zur Übertragung und Anwendung der von Wittgenstein beschriebenen Familienähnlichkeit auf den literarischen Gattungsbegriff Hermann Kleber: Die französischen Mémoires: Geschichte einer literarischen Gattung von den Anfängen bis zum Zeitalter Ludwigs XIV. Berlin (Erich Schmidt) 1999 (Studienreihe Romania; 14), v.a. S. 28-31. 3 Die strukturell evidenteste Form liegt dabei in einem eindeutigen Übergang von einer Rahmenhandlung hin zu einer eigenständigen Binnenhandlung, die am Ende des Dramas wieder in die Rahmenhandlung mündet (etwa in Auschwitz de mes nuits und Berlin, ton danseur est la mort). In anderen Fällen wird der Zeitensprung durch Momente des rückwendenden Erzählens passagenweise markiert (etwa Le voyage und Plage de la Libération) oder gehen Gegenwarts- und Vergangenheitsebene eine nahezu unauflösliche Verbindung ein (etwa in Kinderzimmer und Leçons de ténèbres). 4 Gegenwart und Vergangenheit stehen in den Dramen in einem dialektischen Verhältnis. Auf der einen Seite resultiert die Gegenwart aus der Vergangenheit, auf der anderen Seite fällt die Gegenwart immer zurück auf diese Vergangenheit. Die Vergangenheit löst sich also nicht zugunsten der Gegenwart auf, sondern dringt im Gegenteil permanent in letztere ein und nimmt dort einen immer größeren Stellenwert ein. So erfolgt nach Walter Benjamin eine Fixierung des Gewesenen im Gegenwärtigen. 5 Peter Demetz: Der historische Roman: Skizze eines Modells. In: Ders.: Formen des Realismus: Theodor Fontane. Kritische Untersuchungen. München (Hanser) 1964, S. 17-50, hier S. 18. III Erinnerungsspiele 264 Zeitebenen eine formspielerische Radikalisierung der Rezipientenintegration darstellen, ist - worauf am Ende noch eingegangen wird - die Delegierung an das kollektive und kulturelle Gedächtnis der Leser insgesamt der prägnanteste Zug der Erinnerungsspiele. Mit dem Blick zurück auf die Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges weisen die Dramen - wie in erster Linie die zum Teil ausufernden Monologpassagen verdeutlichen - Episierungstendenzen auf. 6 Dem stehen gleichermaßen Störungen und Widerstände einer erzählenden Vermittlung der Erinnerung gegenüber, die - was besonders die Sprach- und Bewusstseinsschwellen zeigen - in einem gespielten Zugang zu den Erinnerungen inszeniert werden: Rollenspiele, Traumeinlagen und eigenständige Binnenhandlungen bewirken eine szenische Vergegenwärtigung der Vergangenheit. 7 Aus dieser Verbindung resultiert letztlich ein Erzählen, das von Abbrüchen und Neuansätzen, das heißt von einer Aufsprengung der Fabel in Bruchstücke und Fetzen geprägt ist. 8 Die organisatorische Geschlossenheit und Ganzheit zerfällt in disparate und dissoziative Erinnerungsakte und Einzelhandlungen, deren Teile zwar beziehungsreich, aber nicht organisch verwoben sind. Einheit, Linearität und kohärenzbildende Makrostrukturen werden damit aufgebrochen. 9 6 Im französischen Drama findet seit den 1980er Jahren insgesamt eine prononcierte Hinwendung zum Erzählen statt. Während jedoch in der Tendenz eines Monologbzw. Bekenntnistheaters privatistische Bewusstseins- und Erinnerungsprozesse im Vordergrund stehen, wird die Erinnerung hier mit einem kollektiven und kulturellen Substrat versehen. 7 In diesen Fällen werden Verfahren der Autoreferentialität deutlich, mit denen der Spielcharakter hervorgehoben und reflektiert wird. Während so die Spielebenen potenziert werden, weisen verschiedene Dramen auch weniger umfassende Formen der Selbstreferentialität auf, wie sie etwa in einer rein inhaltlichen Thematisierung des Theaters bestehen. 8 Vgl. zu diesem Erzählen, das „keine Rückkehr zu ‛großen Erzählungen’“ ist, sondern „seine eigene Kontingenz ausstellt, sich unterbricht, sich nicht innerhalb eines übergreifenden historiographischen oder biographischen Zusammenhangs situiert“ auch Schößler: Augen-Blicke, S. 20f. Vgl. auch Brandstetters Aufsatz Geschichte(n) Erzählen. 9 Bereits auf der Ebene der formalen Gliederung der Dramen zeigt sich dies in einer oft nur fragmentarischen und disparaten Reihung von Tableaux. Auch wenn Akteinteilungen und Szenenfolgen vorliegen, dann handelt es sich mehr um eine lose, vorläufige Grobgliederung des Textes als um regelrechte Etappen einer Gesamthandlung. Um diese Auflösungstendenzen, die darüber hinaus insbesondere die innere Struktur der Dramen betreffen, adäquat zu beschreiben, lässt sich, wie Schößler in der Einleitung zu ihrer Monographie Augen-Blicke zeigt (vgl. Schößler: Augen-Blicke, v.a. S. 14- 21), auf die theaterwissenschaftliche Kategorie des Postdramatischen von Lehmann zurückgreifen (Lehmann: Postdramatisches Theater). In diesem Sinne wird auch im Folgenden auf einige Beschreibungskategorien Lehmanns rekurriert, um die spezifische Absage an die traditionelle dramatische Form in den vorliegenden Texten zu verorten. Poschmann reagiert ihrerseits auf diese Entwicklung, die von einer dramatischen Organisation weg- und zur Entwicklung einer immanenten Theatralität hinführt, mit der Problematisierung des Gattungsbegriffs Drama und führt stattdessen III Erinnerungsspiele 265 Die Memoria als Inhaltskategorie wird mit ihrer bruchstückartigen Beschaffenheit und dem diskontinuierlichen Evokationsprozess auch zum dominanten Strukturprinzip der dramatischen Organisation. Zugleich steht der charakteristische Fragmentarismus, der eben nicht als bloß äußere Abgebrochenheit zu verstehen ist, sondern als eine innere, strukturelle Bruchstückhaftigkeit, im Zusammenhang mit dem spezifischen Verlust einer Kontinuitätserfahrung nach Auschwitz und der problematischen ästhetischen Repräsentation. In den Dramen liegt ebenso eine Zersetzung des dramatischen Antagonismus und damit des Konflikts vor. Noch in Ansätzen vorhanden ist ein Spiel gegensätzlicher Kräfte in den Dramen, die eine Figur als Erinnerungsträger 10 mit biographischem Erfahrungsgedächtnis einer Figur gegenüberstellen, die die Erinnerungszeit nicht miterlebt hat. 11 Bei letzteren handelt es sich entweder um Zeitgenossen - wie etwa in L’Atelier, Adieu Marion und Berlin, ton danseur est la mort - oder um Nachgeborenenfiguren 12 - wie etwa in Toujours l’orage, Le grand retour de Boris S., Le voyage und Plage de la Libération. Schon problematischer gestaltet sich ein Antagonismus, der als Polaritätsverhältnis in eine einzelne Figur hineinverlagert ist und damit zumindest äußerlich schwindet. 13 Dieser figurenimmanente Konflikt nimmt bereits in Cormanns Stücken einen wichtigen Stellenwert ein und wird in Auschwitz de mes nuits und Rêver peut-être zur dominanten Konzeption. Schließlich funktioniert auf der dramatischen Ebene der Antagonismus und Konflikt in Stücken wie Violences à Vichy, Leçons de ténèbes und A nicht mehr. Die Auflösung der Figuren 14 zu Stimmflächen führt dazu, dass die Bezeichnung Theatertext ein. Poschmann: Der nicht mehr dramatische Theatertext, v.a. S. 38-42. 10 So werden die Figuren zwar aufgrund ihrer Zeitzeugenschaft als potentielle Erinnerungsträger und Garanten ihrer Vermittlung präsentiert, stellen sich aber vielfach - im Gegensatz etwa zu Orten als Gedächtnisträgern - als unzuverlässig heraus, weil sie sich gegen ihre Erinnerungen wehren, traumatisiert sind etc. 11 Der Antagonismus besteht so im Konflikt der Generationen bzw. einer Erinnerung einfordernden vs. einer diese verhüllenden oder schweigenden Figur. 12 Mit ihrer Integration in die Dramen wird auch in Bezug auf das Figureninventar die Epochenschwelle in der Erinnerungs- und Gedächtniskultur, mit der die Autoren konfrontiert sind, überschritten. Die Protagonisten, die selbst an einer Zeitwende stehen, lassen sich auch mit dem Terminus von Blumenberg als „Limesfiguren“ bezeichnen. Hans Blumenberg: Aspekte der Epochenschwelle. Cusaner und Nolaner. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 2 1982, S. 21. 13 Das entscheidende Kräftespiel liegt damit in der Polarität einer gegenwärtigen Figur mit ihrem Figuren-Ich der Vergangenheit, mit dem Unterbewusstsein oder der Widerständigkeit von Erinnerung und Vergessen selbst. 14 Die Figuren, die schon in den anderen Dramen aufgrund ihrer Identitätskonfusionen und schizophrenen Spaltung in ein vergangenes und gegenwärtiges Ich keine feste Größe darstellen, lösen sich hier gänzlich auf. Zurück bleiben lebendige Tote, Chöre und nicht an Körper gebundene Stimmen, deren Unterscheidung nur formal durch die Kennzeichnung über Namen, Zahlen oder Buchstaben im Nebentext möglich ist. III Erinnerungsspiele 266 ein dramatischer Konflikt nurmehr noch als Zitat und in der Delegierung an den Rezipienten vorhanden ist. Insgesamt liegen krisenhaft-fraktale, labile Figuren bis hin zu ihrer Auflösung vor, die von der Last der individuellen und kollektiven Erinnerung an die Schoah immanent gezeichnet sind. Der Status der Sprache als ordnende Einheit, mimetisches Repräsentationssystem und Ausdrucksmittel wird demontiert. Die ohnehin schon fragmentierte Sprache der Erinnerung ist so vom Schweigen als ihrer Negation durchsetzt, gestört von der Gegenrede des Vergessens oder wird zum Ort und Sammelbecken unterschiedlichster (Fremd-)Diskurse. 15 Im Zuge dieser Konzeption werden Monologe und Dialoge nicht als unterschiedliche Formen der dramatischen Sprache eingesetzt, sondern in ihrer Zersetzung aneinander angenähert: Ebenso wie Monologe durch integrierte Adressierungen, Kommentierungen der eigenen Worte, verschiedene Fremddiskurse und eingeflochtene Wechselreden in Richtung Dialoge aufgeweicht werden, mutieren formale Dialoge zu lediglich alternierenden Monologen, mit denen sich die Figuren oft in Form eines stream-of-consciousness regelrecht entleeren. 16 Die Sprache als primär physische Manifestation - ohne jedoch dabei zwangsläufig an einen konkreten Körper gebunden zu sein - dominiert ihre referentielle Dimension: Unkommunizierbarkeit und Inadäquatheit des Ausdrucks sind dem „ausgestellten Objekt“ 17 Sprache immer schon als unüberbrückbare Differenz eingeschrieben. Die Sprache der Dramen - und dies bezeichnet schließlich das signifikanteste Merkmal der Schreibweisen - präsentiert sich in unterschiedlicher Radikalität als Archiv und Einschreibungsort des kollektiven und kulturellen Gedächtnisses. Zugleich werden durch kombinatorische Verfahren in die sprachliche Textur auch widerständige Diskurse eines Gegengedächtnisses eingelagert. Die formale Kombination und Überlagerung dieser verschiedenen Bruchstücke ist in den zahlreichen intertextuellen, in- 15 Im Sinne Lehmanns wird ein „Spiel mit der Dichte der Zeichen“ relevant: „Es gibt entweder ein Zuviel oder ein Zuwenig.“ Lehmann: Postdramatisches Theater, S. 151. So schweigen die Figuren, tragen nicht zur sprachlichen Vermittlung ihrer Erinnerungen bei und ersticken gleichzeitig fast daran, oder sie entleeren sich der Erinnerungen in einem hysterischen, obsessiven und wildwüchsigen Anreden als gleichzeitige Manifestation ihrer Existenz. Darin mehren sich dann anstelle eigener Erinnerungen Fremddiskurse, so dass unklar ist, wer oder was aus den Figuren spricht und woher es kommt: „‛es spricht’, durchaus im Foucaultschen Sinne“. Schößler: Augen-Blicke, S. 21. Vgl. auch Lehmanns Bestimmung des physischen Körpers, der sich durch seine Präsenz „als Einschreibungsort kollektiver Geschichte manifestiert [Herv. im Original].“ Lehmann: Postdramatisches Theater, S. 166f. 16 Auf diese Weise werden ein Wechselspiel und eine gegenseitige Durchdringung von Multiperspektive und Subjektivierung erzeugt, die den fragmentarischen Status des Erzählens unterstreichen. 17 Schößler: Augen-Blicke, S. 18. III Erinnerungsspiele 267 termedialen und interdiskursiven Verfahren realisiert, 18 die ein Gedächtnis der Texte konstituieren sowie Einschreibungen und auch produktive Umschreibungen zulassen. Im Rahmen des dichten Beziehungsgeflechtes medialisierter Erinnerungen wird der Text zur Textur, bei dem die verwobenen Einzelteile in einer unterschiedlichen Akzentuierung der Nahtstellen sichtbar gehalten werden. Diese Verflechtungen heterogener Elemente werden in den Texten - einzige Ausnahme stellt hierbei die empathische Schreibweise Florensas dar 19 - eben nicht harmonisiert, sondern von den Autoren der zweiten Generation vielmehr in ihrer Bruchstückhaftigkeit und Medialität inszeniert. Im Rahmen dieser Kombinatorik werden unterschiedliche Funktionalisierungen relevant: Sie erstrecken sich von Authentifizierungsstrategien - etwa bei historischen Einschüben - oder einer Einschreibung in kanonisierte Gedächtnistexte als stratégie du détour - wie dies etwa Referenzen auf Celan, Rimbaud und besonders auf verschiedene Shakespeare-Stücke 20 verdeutlichen - bis hin zu Strategien der Kollisionen oder frottements, die etwa als Repräsentationskritik zu einer Umschreibung des dominanten Gedächtnisdiskurses Résistance führen. Während diese Strategien bereits auf eine erhöhte Leistung des Rezipienten setzen, der nicht nur die Bruchstücke, sondern auch ihre funktionalisierte Kombinatorik erkennen muss, weisen die Dramen noch eine weitergehende kombinatorische Textstrategie auf. Techniken des Impliziten und der Leerstellen erfordern, dass vorhandene Bruchstücke auch eine Fügung mit innerdramatisch nicht vorhandenen Elementen eingehen müssen. In Form eines potenzierten Fragmentarismus wird der Rezipient so zu Erinnerungsprozessen gebracht, die im Text prospektiv mitgedacht sind. Während auf der textuellen Ebene nur Andeutungen, Schweigen, Abbrüche oder Ellipsen vorhanden sind, 21 erfolgt die Ausdeutung, Fortsetzung oder Füllung ausschließlich durch das kollektive und kulturelle Gedächtnis 18 So werden in den Dramen intertextuelle Verfahren im weitesten Sinne in unterschiedlichen Ausmaßen von der einfachen unmarkierten Referenz in Form einer Anspielung und nicht explizierten, sich kontextuell und assoziativ einstellenden Parallele bis hin zur ausgewiesenen, für den gesamten Text funktionierenden Folie relevant. Damit werden in die Texte etwa Zitate, Topoi, Gedächtnisorte, Medien, geschichtliche Fakten integriert und entstehen bspw. durch Kombinationen mit Musik, Film oder Zeitdokumenten Gattungsmischungen und hybride Genres. 19 Bezeichnenderweise ist er auch der einzige, der mit Auschwitz das memoriale Zentrum direkt inszeniert, während dies zwar in den meisten anderen Dramen auch den unsichtbaren Fluchtpunkt darstellt, aber als eigentliches Zentrum ausgespart bleibt. 20 Vgl. die umfassenden Konzeptionen auf der Folie von Shakespeare-Stücken in Toujours l’orage, Le grand retour de Boris S. und Rêver peut-être. 21 „Écrire, raconter revient à monter en images clés un patchwork de silences, un amas d’interstices que les mots ne font plus qu’encadrer.“ Broutard und Henry (Hrsg.): Auteurs dramatiques français d’aujourd’hui, S. 20f. III Erinnerungsspiele 268 des Rezipienten. 22 So wird der Dramentext gewissermaßen im kollektiven und kulturellen Gedächtnisraum weitergeschrieben und illustriert dabei zugleich die Funktionsweisen der Memoria. Die Verfahren der Kombination heterogener Elemente des kollektiven und kulturellen Gedächtnisses, mit denen die Autoren der zweiten Generation der Epochenschwelle in der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg begegnen, 23 stellen einen Synkretismus dar, der sich gegen die Totalität des einen Textsinns wendet. Im Vordergrund stehen aber nicht nur plurale Lektüren und Mehrfachkodierungen, sondern in einer prinzipiellen Inszenierung der Bruchstellen bereits deren Konstituierungsprozesse: Die Texte legen die Verfahren der Destruktion und Konstruktion als De- und Resemiotisierung kultureller Zeichen offen und reflektieren diese mit. 24 Dabei sind weder postmoderne Formspiele nach dem Ende aller Neuerungen noch postdramatische Spielformen nach dem Ende des Dramas der zentrale Fokus der hier untersuchten Texte: Die Erinnerungsspiele der Autoren der zweiten Generation sind als Inszenierungen vermittelter Erinnerungen, deren Medialität und (Re-)Konstruiertheit sie gerade ausstellen, und zugleich als Spiele mit den kollektiven und kulturellen Erinnerungen des Rezipienten zu verstehen. 22 Chartreux baut in Violences à Vichy darauf sogar seine Gesamtkonzeption auf. Die Dialogizität, die im Drama nicht funktioniert, wird damit auf die Ebene Drama-Rezipient verlagert. Mit diesen Schreibweisen am Rande des Textes findet ansatzweise auch eine Inversion von Zentrum und Peripherie statt: Das non-dit wird wichtiger als das Gesagte oder das im Text Vorhandene. Vergleichbare Techniken des Unvollständigen finden sich auch im Théâtre du quotidien, bei dessen Beschreibung Corvin eine ähnliche Schwellenmetaphorik benutzt wie sie dieser Untersuchung zugrunde liegt: „L’écriture de l’inachevé ouvre un ‛accès vers le réel’: au spectateur, par un travail complémentaire d’écoute et de construction, d’en franchir les portes.“ Corvin: Une écriture plurielle. In: Jomaron (Hrsg.): Le théâtre en France, S. 447. 23 Treffen diese Schreibweisen auch ganz generell auf (post-)moderne Vertextungsverfahren zu, geht es hier jedoch weniger um experimentell-ironische Spiele im Sinne von anything goes-Konzepten, sondern um ästhetische Strategien, der grundlegenden medialen Vermittlungsproblematik beizukommen. 24 Als spezifischer, hybrider ‛Gedächtnisort’ wird damit in den Texten nicht nur ein bewahrender, sondern auch ein reflexiver und transformierender Modus relevant. IV Literaturverzeichnis Das nachfolgende Verzeichnis ist aus Gründen der Übersichtlichkeit und der Möglichkeit einer separaten Nutzung in verschiedene Rubriken untergliedert. An erster Stelle steht eine Übersicht über die Primär- und Sekundärliteratur zu den in der Untersuchung behandelten Autoren. Die Aufstellungen zur Primärliteratur, die nach Gattungen unterteilt 1 und jeweils chronologisch angeordnet sind, bieten - trotz unvermeidlicher Lücken und einiger Unbestimmtheitsstellen - eine auf Vollständigkeit abzielende Gesamtschau des jeweiligen Œuvres. Im Rahmen der Sekundärliteratur, die im Gegensatz zu den Primärwerken alphabetisch geordnet ist, werden nur solche Darstellungen angeführt, die sich auch expressis verbis mit den jeweiligen Autoren auseinandersetzen. Werke allgemeiner Natur zum französischen Gegenwartsdrama finden sich in der untenstehenden separaten Rubrik, der Literatur zu Drama und Theater. An zweiter Stelle wird die weitere Primärliteratur angeführt, also fiktionale Texte, die in der Untersuchung betrachtet werden und unter denen sich auch eine Vielzahl weiterer, bisher wenig untersuchter zeitgenössischer französischer Theatertexte befindet. Danach folgt an dritter Stelle die Literatur zu dem Themenkomplex Erinnerung und Gedächtnis, an vierter Stele die zu Drama und Theater und abschließend die weitere Literatur. 1. Primär- und Sekundärliteratur zu den behandelten Autoren 1.1 Gérald Aubert Primärliteratur: Dramen: Le voyage. In: L’Avant-Scène Théâtre, no. 992, 15.06.1996, S. 3-33. Raisons de famille. Paris (Actes Sud-Papiers) 1999. Chambre 108. Paris (Actes Sud-Papiers) 2003. Unveröffentlichte Dramen: Entrée de secours - Etc. la vie - Le détail des choses - Le différend - Le messager - Le Pantalon - Les nuits blanches - L’Esprit de famille - L’offre et la demande - Sentiments provisoires. Sekundärliteratur: D UMAS , D ANIELLE : Un passé recomposé. In: L’Avant-Scène Théâtre, no. 992, 15.06.1996, S. 1. Gérald Aubert. Die Reise. In: Dramenlexikon. Hrsgg. vom Deutschen Theatermuseum. München (Text und Kritik) 1996/ 423, S. 194f. 1 Im Rahmen der Gattung Drama wird zudem zwischen veröffentlichten und unveröffentlichten Dramen unterschieden, wobei letztere insofern einen Öffentlichkeitscharakter haben, da sie als vervielfältigte Bühnenmanuskripte im Theatermilieu kursieren und darüber hinaus in der Mehrzahl bereits inszeniert wurden. IV Literaturverzeichnis 270 Gérald Aubert. Raisons de famille. In: Actes du Théâtre, no. 11, juillet 1999 - janvier 2000, S. 41. M ARIA , R OGER : Pourquoi Dachau? se demande Gérald Aubert. In: L’Humanité, 29.04.1996. T HEBAUD , M ARION : Gérald Aubert, l’incorrigible optimiste. In: L’Avant-Scène Théâtre, no. 992, 15.06.1996, S. 34f. Internetquellen: Gérald Aubert, 24.06.2000. In: http: / / www.lafriche.org/ controverses/ 2000/ contributions/ aubert.html [Stand: 11.03.2006]. Raisons de Famille de Gérald Aubert. 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Paris (Éditions des Quatre-vents) 2003. Une fille à croquer. Grands et petits. In: Contes de l’errance 2. Carnières (Éditions Lansman) 2004. Unveröffentlichte Dramen: Cellules - Ceux du silence - Des chantiers et des ruines - Houlgate - Ici est né le poète aveugle - La cité sans mémoire - La lassitude des clowns - La nuit des régisseurs - La nuit immobile - La revue Centurie - La séparation - Le boiteux - Le chapiteau des tentations - Le chemin des grues - Le loup dans le bois - Le silence des familles - Les martinets noirs - Les moulins de Castille - Le sourire de l’obéissance - L’Odyssée magnifique - Maman, je t’aime, quand même - Mémoires saturées - Oratorio des morts pour les vivants - Panne d’ascenseur - Pension Lamartine - Songes de Shakespeare - Tapage nocturne - Terre d’adoption - Ubu et la guerre des pantins. Erzähltexte: Racines perdues. Evreux (Théâtre Méga Pobec) 1994. Caen (avec Michel Desaunay). Condé-sur-Noireau (Charles Corlet Éditions) 1997. 1. Primär- und Sekundärliteratur zu den behandelten Autoren 271 Des rivages sous la pluie. Aigues-Vives (HB Éditions) 1999. Vorworte: A propos de „Kinderzimmer“. In: Ders.: Kinderzimmer. Carnières (Éditions Lansman) 1996 (Nocturnes Théâtre 11), S. 5. Sekundärliteratur: Internetquellen: Gilles Boulan: biographie. In: http: / / famille.magnifique.free.fr/ gilles_boulan_bio.htm [Stand: 28.02. 2006]. http: / / www.eatheatre.com/ fiche_adherents.php? y=fr&z=6&id=38 [Stand: 28.02.20- 06]. http: / / www.lafriche.org/ manifeste/ 2000/ contributions/ magnifiques.html [Stand: 28.02.2006]. 1.3 Bernard Chartreux Primärliteratur: Dramen: Le Château dans les champs. Paris (Stock - Théâtre Ouvert) 1973. Ah Q, tragédie chinoise d’après Lou Sin (avec Jean Jourdheuil). Paris (Christian Bourgois) 1975. Jean-Jacques Rousseau (avec Jean Jourdheuil). In: L’Avant-Scène Théâtre, no. 636, 1978. La mort d’Andréa del Sarto, peintre florentin. Straßburg (TNS) 1978. Maximilien Robespierre II, tragédie-rêverie (avec Jean Jourdheuil). Paris (Hachette) 1979 (Le Théâtre, l’artiste, l’état). Violences à Vichy. Paris (Stock - Théâtre Ouvert) 1980. Les aventures d’Albert le renard. Paris (ATEJ) 1982. Rester partir (Une passion sous les Tropiques). Paris (Éditions Théâtrales) 1982. Dernières nouvelles de la peste. Paris (Éditions Théâtrales) 1983. Cacodémon Roi. Arles (Actes Sud) 1984. Le Tombeau d’Atrée. Poitiers (Théâtre de Poitiers) 1985. Un homme pressé. Paris (Éditions Théâtrales) 1987. Œdipe et les oiseaux (Œdipe Tyran - Œdipe à Colone - Cité des oiseaux). Paris (Éditions Théâtrales) 1989. Mise en scène des fouberies de Scapin (avec Jean-Pierre Vincent). Paris (Éditions Théâtrales) 1990. Woyzeck (avec Eberhard et Jean-Pierre Vincent). Paris (L’Arche) 1993. Violences à Vichy II. Paris (Éditions Théâtrales) 1995. Hélène et Fred. Paris (Éditions Théâtrales) 1997. Unveröffentlichte Dramen: Le Palais de Justice (avec Jean-Pierre Vincent) - Le Roi de Patagonie - Maximilien Robespierre I, tragédie-rêverie (avec Jean Jourdheuil). Vorworte: Préface. In: Ders.: Violences à Vichy. Paris (Stock - Théâtre Ouvert) 1980, S. 7-12. IV Literaturverzeichnis 272 Violences à Vichy I et II. In: Ders.: Violences à Vichy II. Paris (Éditions Théâtrales) 1995, S. 7f. Hélène et Fred, mode d’emploi. In: Hélène et Fred tiré du spectacle Karl Marx Théâtre inédit. Paris (Éditions Théâtrales) 1997, S. 11. Aufsätze: Du détour. In: Théâtre/ Roman, les deux scènes de l’écriture. Entretiens de St-Étienne I. St- Étienne (Direction régionale d’action culturelle) 1984, S. 23. Sekundärliteratur A ZAMA , M ICHEL : De Godot à Zucco. Anthologie des auteurs dramatiques de langue française 1950-2000. Bd. 1: Continuité et renouvellements. Paris (Éditions Théâtrales) 2003 und Bd. 3: Le bruit du monde. Paris (Éditions Théâtrales) 2004. B OST , B ERNADETTE : Bernard Chartreux. 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In: Les Cahiers de Prospéro, no. 2, 1995, S. 47-51. Comment cette chose est entrée en nous. In: Europe. Revue littéraire mensuelle. Paris, no. 820-821, août-septembre 1997, S. 39-45. Roland Blanche. In: Feuilles volontes, septembre 1999. Critique(s). In: Feuilles volontes, mars 2000. De la plainte à la critique - Non au théâtre-musée, vive le théâtre vivant! In: http: / / www.cormann.net, avril 2000. A quoi sert le théâtre? In: Action Théâtre, Numéro spécial Congrès Mondial de l’Institut de Théâtre International - Unesco, mai 2000. A quoi sert le théâtre? Sélection d’articles et de conférences, écrits entre 1987-2003. Besançon (Les Solitaires Intempestifs) 2003. Chansontexte: Chiens. Chansons von Jean Guidoni, 1988. Babelsberg. Chansons von Anna Prucnal, 1992. Ad absurdo. (Chansons von Chris Gonzales, 1999). Musiktheatertexte: Le Rôdeur. Label Thélonious, 1991. Mingus, Cuernavaca. Label Bleu, 1992. Sud. Production AFAA, K617, 1992. Da Capo. Unveröffentlichtes Manuskript, 1993. 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IV Literaturverzeichnis 276 -----: Von vielem etwas, doch am Ende bleibt Leerlauf. Uraufführung in Saarbrücken: Lothar Trautmann inszeniert Enzo Cormanns „Berlin, Dein Tänzer ist der Tod”. In: Darmstädter Echo, 24.05.1989. G ALLON , J EAN -F RANÇOIS : Le théâtre d’Enzo Cormann. In: L’Œil de la Lettre, janvier 1992. G OETHE I NSTITUT T OULOUSE ( HRSG .): Enzo Cormann. Toulouse (Internes Material) 1997. H., B.: Toujours l'orage. In: Le Point, 13.12.1997. H EITMANN , K LAUS : Berlin als Thema und Schauplatz der französischen Literatur seit 1945. In: Matzel, Klaus und Roloff, Hans-Gert (Hrsg.): Festschrift für Herbert Kolb zu seinem 65. Geburtstag. Frankfurt a.M. et al. (Lang) 1989, S. 220-257. H ELIOT , A RMELLE : De l’utopie à la réalité théâtrale. In: L’Avant-Scène Théâtre, no. 777, 1985, S. 4-7. I NSTITUT F RANÇAIS DE V IENNE ( HRSG .): Französisches Theater heute. Wien (Programmheft), Mai 1992. -----: Rencontres avec Enzo Cormann. Wien (Programmheft) April 1991. 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In: Acteur, no. 38/ 39, 1986. Le Chien. Sudbury (Prise de Parole) 1988. Tonkin-Alger. Paris (Tapuscrit - Théâtre Ouvert, no. 52) 1988. L’absente. In: Revue Passe, no. 2, 1990. L’Arbre de Jonas - Jonas unter dem Baum. Paris (Tapuscrit - Théâtre Ouvert, no. 66) 1991. B.M.C.: bordel militaire de campagne. Chambéry (Comp’Act) 1991. Le petit bois. Chambéry (Comp’Act) 1991. Les petites heures. Paris (Tapuscrit - Théâtre Ouvert, no. 71) 1992. Croisement, divagations. Chorégraphie à blanc (La Déploration. La logique du pire. L’Absente). Paris (Actes Sud-Papiers) 1993. Les muses orphelines. Paris (Théâtrales) 1994. Paroles échappées du chœur. Grigny (Paroles d’Aube) 1994. Maison du peuple. Tonkin-Alger. Paris (Actes Sud-Papiers) 1995. Eaux dormantes. Les petites heures. Paris (Actes Sud-Papiers) 1996. Intermède bouffon: les pandores marionnétiques. Paris (Actes Sud-Papiers) 1996. Nefs et naufrages (sotie). Paris (Tapuscrit - Théâtre Ouvert, no. 85) 1996. Via négativa (Comédie). Paris (Actes Sud-Papiers) 1996. Monologue de l’attaché de presse - Intermède bouffon. In: Théâtre contre l’oublie, 1996. De si peu se souvenir. In: Lyon, ville écrite. Paris (Stock) 1997. Meurtres hors champ. Paris (Tapuscrit - Théâtre Ouvert, no. 88) 1997. Comme un qui parle tout seul. In: L’adieu au siècle. Grigny (Paroles d’Aube) 1998. La petite histoire. Paris (L’Ecole des Loisirs) 1998. Le coup de pied de l’ange. In: La Polygraphe, no. 2/ 3, 1998. Pochade millénariste. Paris (Actes Sud-Papiers) 2000. Têtes farçues. Paris (L’Ecole des Loisirs) 2000. Divertissement bourgeois. Paris (Actes Sud-Papiers) 2001. Maison d’hôtes. Paris (Théâtre ouvert - Enjeux) 2001. Ni une ni deux. Les irruptés du réel. Paris (Actes Sud-Papiers) 2002. Le plancher des vaches. Paris (Actes Sud-Papiers) 2003. Les placebos de l’histoire. Paris (Actes Sud-Papiers) 2004. Mais où est donc Mac Guffin? Paris (L’Ecole des Loisirs) 2004. Hier, c’est mon anniversaire (Sur une seule main). Paris (Actes Sud-Papiers) 2005. 1. Primär- und Sekundärliteratur zu den behandelten Autoren 279 Unveröffentlichte Dramen: Autour de l’Electre de Sophocle - Attention travaux - A tue-tête, la java des déjetés - Bloody girl (poupée charogne) - Blouses - Bout du monde - Cabaret mobile et portatif - Cette fois, sans moi - Ce que j’aime dans l’amour - Couples, variations - De nuit, alors il n’y en aura plus (fatrasies) - Deux temps, trois mouvements - En route vers la cité radieuse (d’après Andreï Platonov) - Emboîte le pas - Expédition Rabelais (d’après François Rabelais) - Il faut que l’une ait raison pour que l’autre ait tort (Éloge de la gélodacrye) - La nuit des feux - Le baiser du papillon - Le banquet des aboyeurs - Le chien (d’après Jean- Marc Dalpé) - Le hasard, vous y croyez? (farce éphémère, légèrement mortifère et néanmoins musicale) - L’enfant sans nom - Les Aquariophiles - Les Bostoniennes (d’après Henry James) - Les clampins songeurs (Amorces pour un cabaret utopien) - Les grenouilles qui volent sur l’eau ont-elles des ailles? (d’après Jean-Pierre Brisset) - Les masochistes aussi peuvent souffrir - Les Soliloquants - Les tigres en papiers (farce) - L’harmonie du monde - Maintenant que nous éveillons - Malgré toi, malgré tout - Ma mère musicienne est morte (d’après Louis Wolfson; avec Alain Neddam et Patrick Pineau) - Même pas mort - Ouaouarons, maudits ouaouarons - Pas loin d’une éternité - Pauvre folle Phèdre - Parades éphémère - Petit homme de bois - Quand les oiseaux auront des ailes - Quel est ce sexe qu’ont les anges? (d’après Jean-Pierre Brisset) - Traversées d’Ulysse (d’après James Joyce) - Un impromptu de plus ou de moins. Musiktheatertexte: Filons vers les îles Marquises. Paris (Actes Sud-Papiers) 1999. La Presse (Oratorio industriel). Erzähltexte: Une manière noire. Lagrasse (Verdier) 1986. Sale temps pour les vivants. Paris (Flammarion) 2001. De plus en plus de gens deviennent gauchers. Paris (L’Ecole des loisirs) 2004. Lyrik: L’Étreinte, le temps. Poésie 1980-1985. Chambéry (Comp’Act) 1987. Salomé, les yeux tus. Chambéry (Comp’Act) 1989. Enclos. Lyon (Michel Chomarat) 1992. Aufsätze: Comment j’ai commencé à écrire pour le théâtre. In: Danan, Joseph und Ryngaert, Jean- Pierre (Hrsg.): Écritures dramatiques contemporaines (1980-2000). L’avenir d’une crise. Louvain-la-Neuve (Etudes théâtrales, 24-25) 2002, S. 171-185. Sekundärliteratur: A ZAMA , M ICHEL : De Godot à Zucco. Anthologie des auteurs dramatiques de langue française 1950-2000. Bd. 3: Le bruit du monde. Paris (Éditions Théâtrales) 2004. B OST , B ERNADETTE : Eugène Durif. In: Corvin, Michel (Hrsg.): Dictionnaire encyclopédique du théâtre. Paris (Bordas) 1998. -----: Listes et inventaires dans les textes dramatiques contemporains. Faillite ou relance de la théâtralité. In: Danan, Joseph und Ryngaert, Jean-Pierre (Hrsg.): Écritures dramatiques contemporaines (1980-2000). L’avenir d’une crise. Louvain-la-Neuve (Etudes théâtrales, 24-25) 2002, S. 18-27. B RADBY , D AVID UND S PARKS , A NNIE : Mise en scène. French Theatre now. London (Methuen) 1997. IV Literaturverzeichnis 280 B URGOYNE , L YNDA : Eugène Durif: poète dramatique. In: Jeu, 1992, Band 65, Heft 4, S. 101-103. C ONFORTES , C LAUDE : Répertoire du théâtre contemporain de langue française. Paris (Éditions Nathan) 2000. D UQUENET -K RÄMER , P ATRICIA : Le théâtre contemporain en France: défier la mise en scène? In: Grenzgänge. Beiträge zu einer modernen Romanistik. Heft 18, 9. Jahrgang 2002, S. 68-93. K NAPP , B ETTINA L IEBOWITZ : French Theatre since 1968. New York (Twayne Publishers) 1995. S CHLOCKER , G EORGES : La parole affolée - La propension au monologue du théâtre français contemporain. In: Jeu, 1994, Band 72, septembre, S. 104-108. Internetquellen: http: / / www.aneth.net. http: / / www.chartreuse.org. http: / / www.théâtre-contemporain.net. 1.6 Roland Fichet Primärliteratur: Dramen: De la paille pour mémoire. Le lit. Paris (Éditions Théâtrales) 1985. Plage de la Libération. Paris (Éditions Edilig - Collection Théâtrales) 1988. Terres promises. Paris (Éditions Théâtrales) 1989. La chute de l’ange rebelle. Paris (Éditions Théâtrales) 1990. Colloques de bébés. In: Brèves d’auteurs. Paris (Actes Sud-Papiers) 1993. Suzanne. Paris (Éditions Théâtrales) 1993. Égalité - L’homme futur sera jetable - L’instituteur et l’animal - Sur le dos les morts. In: Les Cahiers de Prospéro, no. 6, 1995 (Revue du CNES La Chartreuse). Petites comédies rurales [composées de: Question d’odeur - Les voix de Jeanne - Le petit manteau - Plus personne - Fissures - Mon combat - Antipodes - La lune et le chaos - Fesses maigres - La 404 rouge - L’instituteur et l’animal - L’homme futur sera jetable - Au-delà os et chair - Avec vache]. Paris (Éditions Théâtrales) 1998. Le petit manteau. In: Petites pièces d’auteurs. Paris (Éditions Théâtrales) 1998. Quoi l’amour. Paris (Éditions Théâtrales) 1999. Jouir de ta mort. In: 7 Pièces courtes. Paris (Pocket) 2000. Tombeau chinois. In: Petites pièces d’auteurs 2. Paris (Éditions Théâtrales) 2000. Terrain de foot. Paris (L’Arche) 2004. Animal. Paris (Éditions Théâtrales) 2005. Unveröffentlichte Dramen: 1911-1991, Cent millions qui tombent - Ça va - Dans la peau- Famille Huron - Fenêtres et fantômes - Hors d’elle - La Déclaration - L’Africaine - La Petite Aboyeuse de Camors - La prière des vaches - Les sept personnalité de Loulou Goac’h - Ne t’endors pas/ Crucifiction - Petites histoires (renaître) [composées de: Sur le dos les morts - L’homme nu - Dans la paille - Istanbul - Le saut dans l’eau - Mathilde Forêt - Prénom? - Apocalypse - Doigts - La mouette - Trahison] - Silhouettes et comédie (fin XXème siècle). 1. Primär- und Sekundärliteratur zu den behandelten Autoren 281 Aufsätze: L’Art de fendre. In: Les Cahiers de Prospéro 1, 1994, S. 43f. Disputes, première lettre. In: Les Cahiers de Prospéro 10, 2000. Un centre de création/ Fabrique de théâtre. Saint-Brieuc (Théâtre de Folle Pensée) 2003. Sekundärliteratur: A ZAMA , M ICHEL : De Godot à Zucco. Anthologie des auteurs dramatiques de langue française 1950-2000. Bd. 1: Continuité et renouvellements. Paris (Éditions Théâtrales) 2003. B RADBY , D AVID UND S PARKS , A NNIE : Mise en scène. French Theatre now. London (Methuen) 1997. Comment ça marche? Écrire le théâtre aujourd’hui. In: Alternatives théâtrales, no. 61, juillet 1999. C ONFORTES , C LAUDE : Répertoire du théâtre contemporain de langue française. Paris (Éditions Nathan) 2000. D ESROCHERS , N ADINE : Le récit dans le théâtre contemporain. Ottawa (Mikrofiche-Ausgabe, Dissertation) 2002. H AUSBEI , K ERSTIN : Écritures en fragments, fragments d’écriture. Quelques réflexions à propos de «Naissances et chaos» de Roland Fichet. In: Danan, Joseph und Ryngaert, Jean-Pierre (Hrsg.): Écritures dramatiques contemporaines (1980-2000). L’avenir d’une crise. Louvain-la-Neuve (Etudes théâtrales, 24-25) 2002, S. 43-48. L OYON , R ENE : Plonger dans la mémoire. In: Fichet, Roland: Plage de la Libération. Paris (Éditions Edilig - Collection Théâtrales) 1988, S. 5-7. M ATTHES , L OTHAR : Aspects d’un mythe contemporain: le poids du passé dans les images de l’Allemagne du théâtre français de nos jours (1988-1990). In: Briolet, Daniel (Hrsg.): Mythes et mythologies en histoire de la langue et de la littérature. Nantes (Université de Nantes) 1991, S. 68-75. -----: Licht und Schatten der Vergangenheit. Zur Deutschlandwahrnehmung im Medium des französischen Gegenwartstheaters. In: Jurt, Joseph und Renner, Rolf G. (Hrsg.): Wahrnehmungsformen/ Diskursformen: Deutschland und Frankreich. Wissenschaft, Medien, Kunst, Literatur. Berlin (Berliner Wissenschafts-Verlag) 2004, S. 217-230. „Me souviens pas…“ Récits de naissances, Scènes de naissances: résumé des épisodes précédents. In: Journal du Théâtre de Folles Pensées, no. 2, Februar 1995, S. 9. Roland Fichet. Strand der Befreiung. In: Dramenlexikon. Hrsgg. vom Deutschen Theatermuseum. München (Text und Kritik) 1988 / 469, S. 202. Table ronde avec Roland Fichet et Michel Corvin «Sur l’écriture des marges». In: Jouanny, Sylvie: Marginalités et théâtres. Pouvoir, spectateurs et dramaturgie. Saint Genouph (Nizet) 2003, S. 181-184. Internetquellen: B ACHELOT , M ARINE : Sur les traces de l’histoire dans Animal. In: http: / / www.follepensee.com/ rolandfichet/ univers.php? page=une&sd=animal&ssd=ets [Stand: 18. 03. 2006], S. 1-5. http: / / www.aneth.net. http: / / www.chartreuse.org. http: / / www.follepensee.com. http: / / www.rolandfichet.com. http: / / www.theatre-contemporain.net. IV Literaturverzeichnis 282 1.7 Jean Manuel Florensa Primärliteratur: Dramen: Auschwitz de mes nuits. Paris (Éditions de l’Amandier) 1989. Le rendez-vous de la maison jaune. Mont-de-Marsan (Éditions InterUniversitaires) 1993. Les joyeuses et horrifiques farces du père Lalande. In: L’Avant-Scène Théâtre, no. 851, 1989. Unveröffentlichte Dramen: A bâtons brisés - Ainsi va le monde - Aquarius dream - Au dernier étage du Chihuahua Hôtel - Christophe Colomb, choc de deux mondes - Hier sera un autre jour - Ircadon - J’ai aimé les hommes - La nuit de l’espoir - La part du fou - La Vieille du cinéma - Le labyrinthe de Crète - Le rêve inventé - Les chaises longues - Les égouts du paradis - Les fêtes secrètes ou Les mythologies d’un peintre - Les forains - Les nanas (Tulipes noires, marguerites et roses qui piquent) - Les plumes de l’ange - L’extraordinaire cas de Michel K. - L’honorable famille Gott - L’ombre du grand oiseau - Louis Bambille, le surineur de Romorantin - Pas vous ni moi - Txirimiri - Un sourire en enfer - Vers la cité de l’étoile (avec Gérard Levoyer) - Vie d’ange ou vidange - Willy et le robot. Vorworte: Avant-propos au spectacle. In: Ders.: Auschwitz de mes nuits. Paris (Éditions de l’Amandier) 1989, S. 7-10. Sekundärliteratur: B ARTOLOME , F RANÇOISE : Jean Manuel Florensa - auteur dramatique. Unveröffentlichtes Dokument des Autors. M ATTHES , L OTHAR : Aspects d’un mythe contemporain: le poids du passé dans les images de l’Allemagne du théâtre français de nos jours (1988-1990). In: Briolet, Daniel (Hrsg.): Mythes et mythologies en histoire de la langue et de la littérature. Nantes (Université de Nantes) 1991, S. 68-75. Internetquellen: http: / / www.chartreuse.org. http: / / www.theatre-de-feu.com. 1.8 Jean-Claude Grumberg Primärliteratur: Dramen: Demain une fenêtre sur rue. In: L’Avant-Scène Théâtre, no. 405, 1968. Michu. Rixe. Paris (Stock) 1969. Amorphe d’Ottenburg. Paris (Stock) 1970. Entre nous. Rixe. In: L’Avant-Scène Théâtre, no. 485, 1971. Chez Pierrot. Paris (Stock) 1974. Dreyfus.... Michu. In: L’Avant-Scène Théâtre, no. 543, 1974. En r’venant d’l’Expo. Paris (Stock) 1975. L’Atelier. In: L’Avant-Scène Théâtre, no. 659, 1979. 1. Primär- und Sekundärliteratur zu den behandelten Autoren 283 Les Autres. (Michu, Rixe, Les Vacances, Les Rouquins, Les Gnoufs). Paris (Actes Sud- Papiers) 1985. L’Indien sous Babylone. Paris (Actes Sud-Papiers) 1985. Mort d’un commis voyageur (adapté d’Arthur Miller). Paris (Actes Sud-Papiers) 1987. Les Trois Sœurs (adapté d’Anton Tchekhov). Paris (Actes Sud-Papiers) 1988. Le Chat botté (adapté de Ludwig Tieck). Paris (Actes Sud-Papiers) 1988. Demain une fenêtre sur rue. Chez Pierrot. Paris (Actes Sud-Papiers) 1990. Zone libre. Paris (Actes Sud-Papiers) 1990. Linge sale. Maman revient pauvre orphelin. Paris (Actes Sud-Papiers) 1993. Maman revient pauvre orphelin. Quatre commémorations (Hiroshima commémoration - Nagasaki commémoration - Commémoration des commémorations). A qui perd gagne. Paris (Actes Sud-Papiers) 1994. Les Courtes. (Michu, Rixe, Les Vacances, Les Rouquins, Les Gnoufs, Maman revient pauvre orphelin, Hiroshima commémoration, Nagasaki commémoration, Commémoration des commémorations, A qui perd gagne, Guerre et paix, Job, La vocation, Un jardin public, Pied de lampe). Arles (Actes Sud - Babel) 1995. En cas de meurtre (adapté de Joyce Carol Oates). Paris (Actes Sud-Papiers) 1996. Sortie de théâtre, un soir de pluie. In: Du théâtre, no. 13, 1996. Adam et Ève. Paris (Actes Sud-Papiers) 1997. Dreyfus… - L’Atelier - Zone libre. Arles (Actes Sud - Babel) 1998. Rêver peut-être. Paris (Actes Sud-Papiers) 1998. Le petit violon. Paris (Actes Sud-Papiers - Heyoka Jeunesse) 1999. Encore une histoire d’amour. Paris (Actes Sud-Papiers) 2000. Sortie de théâtre suivi de quatre pièces courtes. (Une vie de «On», Un nouveau Job, Bon saint Etienne, priez pour nous…, Mystère de Noël et du Jour de l’an). Paris (Actes Sud-Papiers) 2000. Conversation avec mon père. Paris (Actes Sud-Papiers) 2002. Le duel (adapté d’Anton Tchekhov). Paris (Actes Sud-Papiers) 2002. L’enfant do. Paris (Actes Sud-Papiers) 2002. Iq et Ox. Paris (Actes Sud-Papiers - Heyoka Jeunesse) 2003. Marie des grenouilles. Paris (Actes Sud-Papiers - Heyoka Jeunesse) 2003. Pinok et Barbie. Paris (Actes Sud-Papiers - Heyoka Jeunesse) 2004. Le petit chaperon Uf. Paris (Actes Sud-Papiers - Théâtre jeune public) 2005. Unveröffentlichte Dramen: Mathieu Legros. Erzähltexte: Thérèse Humbert/ Laurence Oriol. Paris (J’ai lu) 1985. Music-Hall. Paris (Le Pré aux Clercs) 1986. La nuit tous les chats sont gris. Paris (Calmann-Lévy) 1987. Mon père. Inventaire suivi de Une Leçon de savoir-vivre. Paris (Seuil) 2003. Drehbücher: Le dernier Métro. Film von François Truffaut, 1980. Le plus beau pays du monde. Film von Marcel Bluwal, 1999. Faits d’hiver. Film von Robert Enrico, 1999. Amen. Film von Costa Gavras, 2002. Le Couperet. Film von Costa Gavras, 2005. Julien l’apprenti. Fernsehfilm von Jacques Otmezguine. IV Literaturverzeichnis 284 La peau du chat. Fernsehfilm von Jacques Otmezguine. La petite Apocalypse. Film von Costa Gavras. Le miel amer. Fernsehfilm von Maurice Frydland. Les années sandwichs. Film von Pierre Boutron. Les lendemains qui chantent. Fernsehfilm von Jacques Fansten. L’Huissier. Fernsehfilm von Pierre Tchernia. Miles. Film von Sébastien Grall. Music-Hall. Fernsehfilm von Marcel Bluwal. Thérèse Humbert. Fernsehfilm von Marcel Bluwal. Vorworte: Zone Libre (17.05.1989). In: Ders.: Dreyfus… - L’Atelier - Zone libre. Arles (Actes-Sud Babel) 1998, S. 245-247. Notes (26.07.1998). In: Ders.: Rêver peut-être. Paris (Actes Sud-Papiers) 1998, S. 65. Sekundärliteratur: Actes du théâtre 20. Paris (Entractes, SACD), janvier 2005-octobre 2005, S. 72. A LTHAUS , J EAN P IERRE : Voyage dans le théâtre. Lausanne (Éditions Pierre Marcel Favre) 1984. A ZAMA , M ICHEL : De Godot à Zucco. Anthologie des auteurs dramatiques de langue française 1950-2000. Bd. 3: Le bruit du monde. 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Unveröffentlichte Dramen: Je vous - La vie des bêtes - Le dit de la nuit - Le fil du temps No 1: chronique des sept Vallées et de quelques autres - Le jardin des reliques (pièce inachevée) - Merci - Naufrage (avec Jean-Claude Rousseau) - Prédelle Divertissements orphique - Suaires (Les petites morts et La dolence des vivants) - Vie et mort de A.F. - Wilson & co. Operntexte: Du Diktat (avec Daniel Lemahieu) - La blessure de l’ange - Vertiges. Sekundärliteratur: A ZAMA , M ICHEL : De Godot à Zucco. Anthologie des auteurs dramatiques de langue française 1950-2000. Bd. 1: Continuité et renouvellements. Paris (Éditions Théâtrales) 2003. B OUCRIS , L UC : S’installer ou divaguer? Déambuler! In: Ders. und Freydefont, Marcel und Wibo, Anne (Hrsg.): Arts de la scène, scène des arts. Singularités nouvelles, nouvelles identités. Troisième lieu, troisième temps. Formes hybrides: vers de nouvelles identités. Louvain-la-Neuve (Études théâtrales 30) 2004, S. 72-83. C ONFORTES , C LAUDE : Répertoire du théâtre contemporain de langue française. Paris (Éditions Nathan) 2000. C OURNOT , M ICHEL : Un hommage à Patrick Kermann. In: Le Monde, 20.07.2000. Leçons de ténèbres. In: Le matricule des anges, no. 30, mars-mai 2000. 1. Primär- und Sekundärliteratur zu den behandelten Autoren 287 L OSCO , M IREILLE UND M EGEVAND , M ARTIN : Chœur/ Choralité. In: Sarrazac, Jean-Pierre (Hrsg.): Poétique du drame moderne et contemporain. Lexique d’une recherche. Louvain-la-Neuve (Études théâtrales 22) 2001, S. 25-27. L UCET , S OPHIE : Mémoires et fragments. In: Danan, Joseph und Ryngaert, Jean-Pierre (Hrsg.): Écritures dramatiques contemporains (1980-2000). L’avenir d’une crise. Louvain-la-Neuve (Études théâtrales 24-25), S. 49-58. S CHÄFER , R ENATE : F wie Frankreich. In: Die deutsche Bühne 3/ 2000, S.24-29. Internetquellen: http: / / www.aneth.net. http: / / www.chartreuse.org. http: / / www.theatre-contemporain.net. 1.10 Serge Kribus Primärliteratur: Dramen: Arloc ou le grand voyage. Le grand retour de Boris Spielman. Paris (Actes Sud-Papiers) 1993. Antonin et Mélodie. Paris (Actes Sud-Papiers) 1996. Remboursez Max et Gilberte. In: Ruptures. Brüssel (Groupe Aven) 1996. Comment s’en servir? In: Brèves d’ailleurs. Paris (Actes Sud-Papiers) 1997. Le murmonde. Chargé. Paris (Actes Sud-Papiers) 2000. La chanson de septembre. Paris (Actes Sud-Papiers) 2000. Le grand retour de Boris S. Paris (Actes Sud-Papiers) 2000. Arloc ou le grand voyage. Paris (Actes Sud-Papiers) 2004. Marion, Pierre et Loiseau. Paris (Actes Sud-Papiers - Heyoka Jeunesse) 2004. L’Amérique. Paris (Actes Sud-Papiers) 2005. Unveröffentlichte Dramen: La discorde (avec Olivier Dutaillis, Myriam Tanant) - Cagoul - Bokary Koutou - Le petit poucet. Drehbücher: Le grand retour de Boris S. Film von Marcel Bluwal, 2001. Sekundärliteratur: A ZAMA , M ICHEL : De Godot à Zucco. Anthologie des auteurs dramatiques de langue française 1950-2000. Bd. 2: Récits de vie: le moi et l’intime. Paris (Éditions Théâtrales) 2004. C OMEDIE DES C HAMPS -E LYSEES (H RSG .): L’Amérique. Paris (Programmheft) September 2005. C ONFORTES , C LAUDE : Répertoire du théâtre contemporain de langue française. Paris (Éditions Nathan) 2000. C OURNOT , M ICHEL : Michel Aumont et Robin Renucci donnent force et émotion au dialogue d’un père et son fils. In: Le Monde, 28.09.2000. Entretien avec Jean-Jacques Wahl. Janvier 2002 (Dokument des Autors). G RUMBERG , J EAN -C LAUDE : Attention: Auteur. In: Kribus, Serge: Arloc ou le grand voyage. Le grand retour de Boris Spielman. Paris (Actes Sud-Papiers) 1993, S. 7. IV Literaturverzeichnis 288 H ANIMANN , J OSEPH : Die Antimaterie der Kameliendame als Exportschlager. Pariser Privattheater sind lebendiger denn je: Yasmina Reza spielt in ihrem eigenen Stück mit, Foucault füttert die asexuelle Generation mit Kindernahrung, und die Liebe schillert unfassbar. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.11.2000. Le répertoire des auteurs dramatiques contemporains. Théâtre belge de langue française. Hrsgg. von Nancy Delhalle. In: Alternatives théâtrales 55, 1997, S. 113-115. Théâtre contemporain Wallonie-Bruxelles. Quelques incontournables. Tome I: 12 pièces contemporaines à (re)découvrir. 12 scènes à lire et à jouer. Hrsgg. vom Centre des écritures dramatiques Wallonie-Bruxelles. Carnières (Éditions Lansman) 2000. Internetquellen: Cent auteurs à l’écran. Zoom sur les écrivains belges de langue française. In: http: / / www.lamediatheque.be [Stand: 22.04.2006]. http: / / www.theatreonline.com. 1.11 Yoland Simon Primärliteratur: Dramen: Auguste Président. Rouen (L’Écharde) 1981. Le Pourvoyeur. Le Havre (Encrage) 1981. Paroles de la mer. Le Havre (Encrage) 1985. Territoires du temps. Le Havre (Encrage) 1985. Une fin de semaine très ordinaire dans des paysages variés. Paris (Actes Sud-Papiers) 1985. Chute libre. Paris (Actes Sud-Papiers) 1986. Chroniques villageoises: Je l’avais de si près tenu. Imprécations. In: L’Avant-Scène Théâtre, no. 826, 1988. Chroniques nostalgiques: Maroc tristement au cœur. Le Narval. Loin de Marianne. Amiens (Corps-Puce) 1989. «Dieu! que la philosophie serait jolie, s’il n’y avait les révolutions! ». Le Havre (Linéa) 1989. Le 21 ème Choix. Le Havre (Linéa) 1989. A l’ombre des lumières: Les incertitudes de Sophie. «Dieu! que la philosophie serait jolie, s’il n’y avait les révolutions! ». In: L’Avant-Scène Théâtre, no. 884, 1991. Au théâtre comme au théâtre. Paris (Éditions des Quatre-vents) 1992. L’Histoire provinciale. In: L’Avant-Scène Théâtre, no. 946, 1994. Adieu Marion. «Si j’osais, mon petit cœur…». In: L’Avant-Scène Théâtre, no. 967, 1995. Couleur de cerne et de lilas. In: L’Avant-Scène Théâtre, no. 985, 1996. 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Et si on arrêtait la mer? Paris (L’Harmattan) 1994. Contes et légendes de Normandie. Paris (Nathan) 1998. Un désordre ordinaire. Paris (Le Mercure de France) 2001. Fichue Météo. Nîmes (H.B. Éditions) 2003. L’homme qui parlait à la mer. Les animaux de bon conseil. In: Les Contes et légendes de la nature enchantée. Paris (Nathan) 2003. Le moine du Val-de-Saire. In: Les Contes et légendes des fantômes et des revenants. Paris (Nathan) 2004. Histoires simples, brefs récits. Paris (Éditions Quartier libre) 2005. Lyrik: Histoire de famille. Le Havre (Encrage) 1984. Territoires du temps. Le Havre (Encrage) 1985. Cartes postales. Le Havre (Encrage) 1986. Le bonheur à Yport. Le Havre (Linéa) 1989. Les heures et les demeures. Amiens (Corps-Puce) 1993. Jef Friboulet. Fécamp (Éditions des Falaises) 2004. Monographien und Herausgebertätigkeiten: Armand Salacrou ou les voies du théâtre contemporain: Actes du Colloque International tenu au Havre les 30 novembre et 1 er décembre 1985. 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Unveröffentlichte Dramen: Dorénavant - Honte à l’humanité (avec Olivier Perrier, Jean-Louis Hourdin) - Je tue donc… - L’homme de main - Simple retour. Aufsätze: Au plus près de ses doutes. In: Broutard, Alex und Henry, Michelle (Hrsg.): Auteurs dramatiques français d’aujourd’hui. Amiens (Trois Cailloux) 1984, S. 103-106. Vorworte: B LOCH , B ERNARD : Une errance calculée. In: Ders. und Wenzel, Jean-Paul: Vater Land - Le Pays de nos pères. Paris (Théâtre Ouvert - Enjeux) 1983, S. 9-11. W ENZEL , J EAN -P AUL : Des nuits sans sourires. In: Ders. und Bloch, Bernard: Vater Land - Le Pays de nos pères. Paris (Théâtre Ouvert - Enjeux) 1983, S. 5-7. Sekundärliteratur: A ZAMA , M ICHEL : De Godot à Zucco. Anthologie des auteurs dramatiques de langue française 1950-2000. Bd. 3: Le bruit du monde. Paris (Éditions Théâtrales) 2004. B OST , B ERNADETTE : Jean-Paul Wenzel. In: Corvin, Michel (Hrsg.): Dictionnaire encyclopédique du théâtre. Paris (Bordas) 1991, S. 879. 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En vue de la biographie personnelle au sens large (familiale, amicale etc.) y a-til des expériences spécifiques autour des événements de la deuxième guerre mondiale? (p.ex. origine juive, expérience de prisonnier de guerre, déportation, résistance, collaboration…) 3. Quel rôle joue l’Allemagne dans votre vie? (voyages personnelles/ professionnelles, parler/ lire l’allemand etc.) Concernant votre écriture… 1. Pourriez-vous décrire un peu la façon dont vous écrivez, c’est-à-dire votre situation d’atelier? Comment procédez-vous? Quel est le statut de la recherche? 2. Comment voyez-vous l’influence de la pratique de la scène sur votre écriture? 3. Quel est le statut de la parole dans vos drames? 4. Que pensez-vous des catégories de l’historie, de la mémoire et du souvenir dans votre œuvre? Voyez-vous en général dans le théâtre français contemporain une tendance vers cette direction? Concernant votre pièce XXX… 1. Quelle est la position de la pièce dans votre œuvre? 2. Pourquoi en tant qu’auteur né après la guerre abordez-vous un tel sujet? 3. Comment peut-on vraiment traiter un tel sujet? 4. Comment est-ce que vous pouvez vous souvenir en tant qu’auteur d’une époque sans l’avoir vécue et donc sans en avoir vraiment des souvenirs? 5. Avez-vous fait des recherches avant d’écrire la pièce? Lesquelles? 6. Pourriez-vous préciser la relation entre la fiction et les éléments de réalité (p.ex. historique, littéraire, lieu de mémoire etc.) dans votre pièce? 7. Où et comment est-ce que la catégorie de la médiation y joue un rôle? (contenu, structure, auteur etc.) 8. En tenant compte plus précisément du choix du sujet et du lieu: Pour vous, y aurait-il une différence si vous écriviez sur cette même époque située en Allemagne nazie ou en France de Vichy? Est-ce que le regard de l’autre, l’image de l’Allemagne/ des Allemand(e)s et de la France/ des Français(es) joue un rôle? Pour finir… L’écriture dramatique signifie pour moi… 1 Den in der Untersuchung behandelten Autoren wurde der vorliegende Questionnaire zugesandt. Im Fall von Enzo Cormann kann auf ein umfangreicheres Interview zurückgegriffen werden, das die Verfasserin am 25.04.2000 mit Cormann in Straßburg geführt hat. V Anhang 310 2. Antwortschreiben 2 2.1 Gérald Aubert: Brief vom 24.09.2004 Biographie 1. Je suis né en 1951 à Paris. J’ai fait des études supérieures (littérature française et anglaise). Je suis depuis 30 ans directeur d’une Bibliothèque Municipale de la banlieue parisienne. Je donne également des cours de littérature française aux futurs bibliothécaires, dans le cadre de leur formation professionnelle. J’exerce ce métier parallèlement à celui d’auteur dramatique. Malgré la difficulté de mener de front ces trois activités, je trouve, à l’usage, qu’il y a un certain avantage à avoir, hors du métier d’écrivain, une activité salariée. En effet il existe une vraie complémentarité entre la solitude liée à l’acte d’écrire et le l’obligatoire investissement social que représente l’exercice d’un travail salarié «ordinaire». Cela se ressent dans ma façon de concevoir l’écriture et de choisir mes personnages. On pourrait ranger mes œuvres dans ce que pourrais appeler un «théâtre du quotidien». Mes personnages ont des problèmes moraux, psychologiques ou autres mais aussi des soucis domestiques ordinaires (argent, enfants, travail). Je suis issu également d’un milieu communiste (vécu comme une tradition et une histoire familiale). Non communiste moi-même (mais sans animosité avec les idées), je n’en reste pas moins très marqué par cette enfance vouée à l’attente d’un monde meilleur et d’un bonheur partagé. Mes pièces de théâtre se font parfois l’écho de cette espérance originelle et de l’amertume liée à l’écroulement de cet espoir. 2. Ma famille, dans sa grande majorité, a fait partie, très tôt, des réseaux de Résistance pendant la deuxième guerre mondiale. Mon père et mon oncle ont été déportés dans des camps de concentration de la fin 1943 à la libération des camps en 1945. Mon père était à Dachau (cela nous ramène au Voyage) et mon oncle à Buchenwald. Tous deux en sont revenus. Mon oncle vit toujours. Mon père est mort en 1971 et il a été établi que les causes de sa mort étaient directement liées à la déportation et il a été déclaré «Mort pour la France». 2 Aufgrund ihrer semantischen Wertigkeit werden die von den Autoren gesetzten Zeilenumbrüche und die unterschiedlichen Formen der Hervorhebung beibehalten. 2.1 Gérald Aubert: Brief vom 24.09.2004 311 Je suis donc devenu pour quelques mois «pupille de la nation» c’est à dire pris en charge financièrement et moralement par l’Etat français, jusqu’à ma majorité (à l’époque 21 ans en France). Ce retour soudain de l’Histoire sur ma propre vie, cette façon d’être rattrapé, 25 ans après une guerre qu’on n’a pas connue, par un passé dramatique, a été une expérience très troublante. C’est d’ailleurs un des thèmes abordés obliquement dans la pièce Le Voyage. 3. Pendant mon enfance, l’Allemagne n’était l’objet d’aucun ostracisme dans ma famille. Mon père et ma mère ont toujours professé l’idée «qu’il n’y avait en eux aucune haine envers le peuple allemand». Et puis il y avait leur profonde sympathie pour la RDA (DDR). Ma découverte de l’Allemagne s’est faite de deux façons: Par quelques voyages (vacances et professionnels) en RDA - la ville où j’habitais à l’époque était jumelée avec Bernau, à côté de Berlin. Par la littérature et la culture. Je me rappelle encore des chocs que m’ont procuré la lecture de Goethe, de Henrich [sic] Böll, de Günther Grass, la vision des premiers films de Wim Wenders ou de Volker Schloendorff. Et bien sûr je n’oublie pas une représentation de L’Opéra de Quat’sous de Brecht au Berliner Ensemble au début des années 70, qui a été un des grands moteurs de ma volonté d’écrire pour le théâtre. Écriture 1. Pour moi l’écriture est liée au désir. J’ai donc du mal à programmer des plages d’écriture régulière (sauf dans la phase finale de production d’un texte). J’écris sur ordinateur (Mac) dans un bureau dédié. Mon processus d’écriture est toujours le même. Chaque projet fait l’objet d’une lente maturation non écrite. Je «pense» à un texte ou à un sujet de façon informelle, sans prise de notes. L’idée est de sentir «habité» petit à petit par le désir d’écrire ou par l’envie de dire quelque chose. Tout cela doit venir de l’intérieur. Cette période peut être longue ou courte. En général elle se fait pendant l’écriture active d’un autre texte. Avant la phase d’écriture proprement dite, j’établis, à côté du sujet de ma pièce, une sorte de «cahier des charges» pour le travail à venir. Je me fixe, des objectifs techniques, c’est à dire l’utilisation, pour le texte, de figures de styles ou de contraintes d’écriture (l’utilisation de l’aparté pour «Raisons de familles», le changement de lieu pour chaque scène du Voyage, la figure de la répétition dans «Sentiments provisoires» etc. Ces «contraintes» d’écriture, loin de freiner mon travail lui donne une sorte de moteur secret et aident, à mon sens, le processus créatif. L’écriture de mes textes se fait par vagues. J’ai besoin de relire et éventuellement de modifier ce que j’ai déjà écrit avant de continuer la suite. Cela prend un peu de temps mais me place dans une vraie dynamique du texte. Tous les 15 jours où à peu près, je sauvegarde ce qui devient alors une version de l’évolution du texte. Je peux donc à tout moment me référer à une de ces versions. V Anhang 312 Mon métier de Bibliothécaire (et la documentation dont je dispose) m’aide, bien sûr, dans les recherches dont je pourrais avoir besoin au cours de l’élaboration du texte. J’ai souvent recours à une documentation. Lorsque le texte est terminé, j’ai autour de moi des lecteurs privilégiés (des amis, mon agent littéraire…) qui donnent leur avis. Il n’est pas rare que je réécrive certaines parties du texte en fonction de leur avis. D’autres modifications sont faites au moment du passage à la scène, en général après une première lecture par les comédiens. C’est l’instant décisif ou l’écriture glisse vers ce qui sera la représentation. 2. J’ai décidé de n’être qu’auteur dramatique, c’est à dire que je ne souhaite ni mettre en scène, ni jouer mes pièces. Mais je suis très attentif à la façon dont mes textes évoluent lorsqu’ils sont représentés. J’en tire des leçons d’écriture essentielles. De la même façon, j’aime aller écouter les textes des confrères ou revoir des classiques. Pour moi il n’y pas d’écriture en dehors de l’écriture des autres, et pas de création sans admiration. 3. La parole est dans mes pièces une arme dangereuse. Mes personnages tentent de trouver un équilibre (souvent impossible d’ailleurs) entre le besoin de dire les choses et le désir de les cacher. Soit ils s’efforcent de ne pas révéler ce que les autres savent déjà (Raisons de famille), soit ils s’acharnent à trouver le meilleur moment pour dire ce qui leur sera arraché par hasard et au plus mauvais moment (Le voyage). 4. L’histoire, le passé sont d’une importance capitale dans mes œuvres. Vivre, c’est s’accommoder de sa propre mémoire. Il n’y pas d’autre solution. Les personnages de toutes mes pièces ont besoin, à un certain moment, de solder le compte de leur propre histoire. Ils n’en sont peut-être pas transfigurés, leur vie n’en devient pas meilleure, mais au moins tout est plus simple. C’est ça, l’histoire est la chose dite, et quand la chose est dite, on respire mieux. Le Voyage 1. Le Voyage a été écrit en 1995 et représenté à Paris en 1996. (J’ai commencé à écrire (sérieusement) pour le théâtre en 1986 et 5 autres de mes textes avaient été montés avant) Une adaptation télévisée polonaise a été proposée en 2000. Depuis sa création, elle est ma pièce la plus jouée par des troupes d’amateurs ou de semi-professionnels en France. 2. La pièce est une sorte d’hommage (en creux) à mon père, lui-même résistant et déporté. 2.1 Gérald Aubert: Brief vom 24.09.2004 313 Je voulais témoigner aussi de la difficulté d’être le fils d’un héros (comment se mesurer à un père vécu comme personnage indépassable, valeureux, inaccessible). Mais la pièce est avant tout une pièce sur la mémoire de l’histoire. Il n’y pas de réconciliation sans mémoire. Le père se réconcilie avec le lieu (en découvrant que Dachau est devenu un lieu de Mémoire - autant (et même peut-être plus) à l’usage des Allemands que des non Allemands), le fils se réconcilie avec le père parce qu’il découvre que la vie de ce dernier ne se limite pas à l’époque de la guerre. 3. Je pense que la littérature (le théâtre donc) a le devoir de se confronter à tous les sujets. Le seul danger est peut-être de vouloir tout dire dans un seul texte, et de transformer une pièce en une sorte d’essai documentaire. Je crois donc beaucoup à la multiplicité des approches. Et puis souvent, choisir un sujet, c’est choisir un cadre, qui permet à partir d’éléments donnés d’être plus universel. Ainsi, en ce qui concerne Le Voyage, je suis persuadé qu’on pourrait, sans grandement modifier le sens de la pièce, la situer au Vietnam, en Argentine, en Bosnie etc. 4, 5, 6 & 7. Tout l’essence de l’écriture est là: dans la recomposition de ce qu’on n’a pas connu. Pour Le Voyage, j’ai eu accès à un certain nombre de documents afin de valider, en particulier la chronologie de la libération du camp, qui avait une importance capitale pour la pièce. J’ai également lu des témoignages d’anciens déportés, en particulier pour la façon dont ces derniers avaient parlé de leur déportation à leurs proches, en particulier leurs enfants. Bien entendu je me suis aussi servi des souvenirs de mon père (soit racontés par lui-même soit relatés par certains de ses amis après sa mort). Je me suis servi aussi de souvenirs personnels vécus avec mon père dans l’enfance (l’épisode (raconté par le père) du couple Allemand en vacances en France, tombant en panne sur la route et «secouru» par mon père). Certaines expressions qui échappaient parfois à mon père ou à ses amis et qui pouvaient être considérés comme des dérapages verbaux et «anti-allemands». Dans la pièce ils mettent toujours le fils très en colère contre son père. Mais j’avais surtout besoin de penser, d’être «habité» par mon texte, pour raconter ce double voyage auquel je tenais tant: le voyage du père pour se rapprocher de son passé et qui constate que tout ce qu’il pensait inchangé n’existe plus (il ne reconnaît pas Dachau, et la visite des restes du camp ne lui fait pas l’effet escompté), et l’autre voyage, celui du rapprochement du père et fils (qui sera effectif quand le fils découvrira sa vraie paternité -son autre paternité). Lorsque le texte a été terminé, je l’ai fait lire à d’anciens déportés pour avoir leur réaction. Mais il y a d’autres épisodes à ce texte, qui sont postérieurs à l’écriture. V Anhang 314 Par exemple un couple de comédiens de la région parisienne a eu l’envie, pour la préparation de la pièce, de faire effectivement le voyage à deux, en voiture de Paris à Dachau (voyage que moi-même je n’ai pas fait). Ce voyage en voiture était filmé et des extraits étaient projetés pendant la représentation. J’ai été frappé de voir que les lieux réels qu’ils avaient filmés ressemblaient à ceux que j’avais imaginés dans la pièce (en particulier dans la dernière partie du texte qui se passe à Dachau). 8. Je crois que l’Allemagne a fait un vrai travail en profondeur pour comprendre son passé nazi. En revanche la France n’a «presque rien» fait par rapport à son propre passé Vichyssois. Si j’écrivais une pièce sur la période française de Vichy, son sujet serait sûrement celui ci: Pourquoi les Français ont-ils tant de mal à regarder leur passé en face? La question que vous posez pourrait d’ailleurs s’appliquer aux metteurs en scène et comédiens allemands: monteraient-ils ou joueraient-ils de la même façon, des textes allemands et français parlant de la France de Vichy et de l’Allemagne nazie? Comment ressentent-ils les textes de théâtre français parlant de l’Allemagne nazie? Qu’en attendent-ils? Les trouvent-ils légitimes? Pour finir… L’écriture dramatique est une matière. Aussi solide le texte soit-il, aussi fragile est-il sur la scène. Ecrire pour le théâtre c’est trouver des mots fixes qui ne peuvent exister que dans un univers mouvant, celui de la représentation. L’enjeu créatif est tout entier là. 2.2 Gilles Boulan: Brief vom 16.09.2004 Concernant ma biographie 1. C’est une question assez difficile et à laquelle je répondrai dans le débraillé de la plume sans chercher à organiser ma pensée ni à hiérarchiser les éléments de ma réponse. Disons qu’il y a, comme dans le cours de chaque existence, des événements historiques qui ont indiscutablement influencé le cours de mes engagements. Je citerai tout d’abord le conflit algérien dont j’ai vécu le silence et le malaise en banlieue parisienne, mai 68 bien sûr, puis l’échec général des tentatives socialistes: les renoncements, les abandons, le sentiment de trahison qui sont le lot de toute avancée en âge. 2.2 Gilles Boulan: Brief vom 16.09.2004 315 Mais pour répondre avec plus de pertinence à votre question, je dirai qu’il y a trois aspects de ma biographie qui peuvent permettre d’appréhender la direction, somme toute chaotique, de mon travail d’écrivain: -ma rencontre très jeune avec le théâtre -mes études de géologie et de paléontologie -le fait de résider à Caen. J’ai donc eu la grande chance de découvrir le théâtre à l’adolescence dans la petite ville de province où je demeure depuis une quarantaine d’années et d’assister à l’âge de l’éveil à des spectacles dramatiques de grande qualité: novateurs, surprenants comme autant de bulles de liberté dans un paysage culturel jusqu’alors très restreint. C’était entre 1967 et 1968 et la Maison de la Culture de Caen vivait une sorte d’état de grâce qui permettait pour des sommes modiques d’assister aux premières créations d’Antoine Vitez (Electre, Les bains de Maïakovski) aux tournées européennes du Living Theater (Five easy pieces, The Brig) du Piccolo Théatro de Milan (Arlequin valet de deux maîtres) ou de Dario Fo (Les archanges ne jouent pas au billard électrique): toute la diversité du théâtre. Il y avait en outre des foyers constamment ouverts où se donnaient rendez-vous les jeunes gens qui comme moi fuyaient la pratique du sport ou des virées en Solex. Mes études de géologie et de paléontologie ont été conduites par une vocation enfantine depuis ma découverte du squelette de Diplodocus au Museum d’Histoire Naturelle. Je les ai menées au plus loin, tout en gardant un lien étroit avec l’écriture et avec le théâtre (je mettais à profit mes trajets aller-retour en train de Caen à Paris pour écrire, je participais à une expérience de théâtre de recherche universitaire, j’assistais à de nombreux spectacles...). Je crois que Levi Strauss comparait le travail du psychanalyste à celui du géologue. Le paléontologue est à la fois celui qui cherche à lire, strate après strate, le grand livre de l’histoire de la terre et qui tente de reconstituer la vie à partir du reste, du mort. Une démarche passionnante: un minuscule fragment suffit à imaginer l’animal sur pied, à le voir courir, à l’entendre beugler. Et puis ce voyage imaginaire dans les millions d’années.... Bien sûr, il ne s’agit pas de plaquer une approche scientifique sur une démarche littéraire mais d’une certaine manière, plusieurs de mes pièces tiennent de la paléontologie même si au demeurant, mes études supérieures en devenant de plus en plus pointues et techniques m’ont finalement déçu puisque éloigné du vrai sujet. J’en garde néanmoins une sorte de fascination pour les chantiers de fouilles, les ruines et les mythes fondateurs touchant de près ou de loin à la question des origines. Vivre à Caen, vivre dans une ville détruite à 80% et qui fait une grande partie de sa réputation sur son Mémorial de la Paix (je vous invite à le visiter, nous aurions ainsi l’occasion d’échanger de vivre voix) c’est vivre dans une sorte d’intimité «obsédante, agaçante» de la Seconde Guerre Mondiale. C’est prendre conscience tous les jours de l’importance de ce conflit au niveau de ses effets locaux (50000 victimes civiles en Normandie à la Libération) et de mesurer que ses propres parents ont vécu une épreuve dont ils ont eu le bon goût et l’intelligence de vous préserver. Le sort des villes normandes est somme toute V Anhang 316 assez comparable à celui d’Oradour, de nombreuses villes allemandes pilonnées en 45, des cités japonaises d’Hiroshima et de Nagasaki et de tant d’autres villes et villages du proche Orient ou des Balkans. La mémoire de la Seconde Guerre Mondiale y est sans doute beaucoup plus active que dans d’autres régions mais je dirai que j’ai plus envie de parler de Beyrouth ou de Sarajevo, de Sabra et Chattila, de Bagdad. Car au delà de la mémoire des événements euxmêmes et dans la mesure où j’ai longuement habité dans un immeuble dit de «la reconstruction» le sentiment qui me pousse à écrire, c’est la conscience que nous construisons sur des ruines, sur des morts et que nécessairement, ils nous interpellent. Et puis le théâtre n’est-il pas un lieu où l’on fait dialoguer les morts? 2. Il y a effectivement dans mon histoire familiale, un de ces empoisonnants secrets de famille liés à l’époque de la Libération. Il n’a jamais été caché ni passé sous silence, simplement évité comme un souvenir désagréable avec lequel on finit par composer. Et je dois à la vérité de dire qu’il ne m’a jamais obsédé. Les faits: mon grand père paternel tenait une charcuterie dans un village du Pays d’auge. Homme d’engagement (radical socialiste) il était associé à l’équipe municipale en place et devait logiquement se connaître quelques adversaires politiques. A l’heure des règlements de compte, il a été victime d’accusation pour collaboration à la Libération et il a même purgé quelques jours de prison. J’ai très peu connu mon grand-père, je ne l’ai jamais tenu pour un héros ni pour un salaud. Il semble que cette piteuse affaire soit le fruit d’une animosité locale. Mais la question demeure ouverte, elle est posée dans Kinderzimmer. De quel côté est-on dans de telles situations? Il est très facile de juger quand on est à l’abri de la menace.... Cela dit, je ne pense pas qu’il y ait eu le moindre résistant avéré dans mon environnement familial. Seulement quelques garçons frondeurs comme mon père qui se ferait un malin plaisir de passer outre le couvrefeu et se verrait amputer de plusieurs orteils à la suite de l’explosion d’un obus. 3. En mai 68, entre révisions de bac et assemblées générales, nous étions quelques amis à nous rassembler le soir pour écouter de la musique. Parmi le programme éclectique où Brel côtoyaient les Beatles et Coltrane, il y avait très régulièrement la voix envoûtante de Barbara chantant Göttingen. La mélancolie de cette chanson et son message de fraternité correspondent assez bien à la relation que j’entretenais alors avec l’Allemagne. J’avais tenté d’apprendre la langue allemande (en deuxième langue) mais découragé par les absences régulières de mon professeur victime d’un cancer, je m’étais orienté vers une option scientifique avec latin. En revanche, l’Allemagne a été le premier pays «étranger» où j’ai mis les pieds dans le cadre d’un échange entre deux petites villes jumelles. C’est ainsi que j’ai passé une quinzaine de jours dans le Harz avec un groupe de jeunes français tout aussi peu germanophones que moi (j’avais quinze ou seize ans peut-être). Cette Allemagne montagneuse, rugueuse et paradoxalement très joyeuse et hospitalière reste associée à des émois de premières surprises-parties et à ma découverte du Coca Cola.... Un souvenir en gris et vert, doux et maternel, étrangement musical. Pour le reste, la lecture de 2.2 Gilles Boulan: Brief vom 16.09.2004 317 Michel Tournier jouerait beaucoup dans mon sentiment vis à vis d’un pays où je ne suis jamais retourné. Concernant mon écriture 1. Il n’y a pas de règles strictes concernant ma pratique d’atelier sinon que je travaille directement sur un clavier et à des heures assez régulières (le matin et l’après midi). J’écris, j’ai écrit beaucoup et dans différents genres théâtraux et littéraires (chroniques, nouvelles). Tout dépend des sujets et de «la forme adaptée». Certaines œuvres sont plus nécessaires, elles m’habitent longuement, quelquefois des années, avant de trouver leur forme juste et sont généralement écrites assez vite (sans plan, sans notes et d’un même souffle). D’autres me sont imposées dans la pression de l’immédiat soit qu’elles fassent l’objet de commandes (directes ou indirectes) soit qu’elles répondent à un nécessité de l’instant. Elles se construisent alors de manière plus structurée: avec recherche de documents, plan de construction et échéances. En tout état de cause, chaque pièce fera l’objet d’une écriture en deux temps distincts: une première version «d’enrichissement» et une seconde version «de resserrement» séparées par un délai de mûrissement de quelques mois voire de plusieurs années. En général, la pièce ne sort pas de mes archives avant son polissage définitif mais il m’arrive de faire lire les premières versions à des amis de confiance et à des bureaux de lecture. Ou à des associations comme A mots découverts qui travaillent plus spécifiquement sur l’écriture en cours. Mais tant qu’elles n’ont pas été jouées ou éditées, mes pièces ne sont à mes yeux que des brouillons susceptibles de retouche. C’est la médiation théâtrale qui les fige dans leur forme définitive. J’ai l’habitude de distinguer ce qui appartient à mon travail de dramaturge: œuvres de commande et de circonstances (pour faire vite) et ce qui constitue mes œuvres d’initiative: mon travail personnel d’écrivain. Ces pièces d’initiative s’inscrivent dans de grands cycles thématiques comme la mémoire, les douleurs de l’exil, le renoncement, le rapport nature-culture, l’absurdité bureaucratique.... Ce n’est pas réellement une stratégie de polyptyques mais plutôt une sorte de fidélité à des thèmes, comme des tentatives de variation et d’épuisement de la question. Ma recherche porte surtout sur la forme et la construction. Depuis plusieurs années, j’ai la volonté de défendre une certaine éthique de la ligne claire: écriture soignée, compréhension immédiate de l’intrigue, familiarité affective des personnages mais structure travaillée, parfois labyrinthique, complexe. Jamais naturalistes, mes pièces mettent en scène des personnages simples et proches de nous placés dans des situations qui glissent vers l’étrange, vers un certain fantastique. L’univers est souvent sombre, gris normand et humide, souvent très météorologique mais également assez paisible. Les passions sont rentrées, elles minent, elles n’écorchent pas. La violence est douce et la musique de la pièce a quelque chose de sensuel. Ça ne m’empêche pas de travailler sur des formes burlesques et des clowneries. En cela, je rejoins la majorité des écri- V Anhang 318 vains de théâtre de ma génération. Je me sens plus proche d’un Durif ou d’un Azama que des auteurs qui travaillent spécifiquement sur le langage. 2. Depuis que j’écris pour le théâtre, j’ai eu la chance d’être associé à la vie du théâtre et de travailler régulièrement avec plusieurs compagnies régionales. Non pas sur des commandes ponctuelles mais réellement sur des projets à plus ou moins long terme et empruntant diverses formes. Deux expériences m’ont plus particulièrement fait progresser. Racines perdues, la première, se déclinait en un important travail d’investigation sur la mémoire d’un quartier périphérique d’Evreux (rencontres avec les habitants, rédaction de chroniques, lectures publiques, spectacles en forme...). La seconde aventure est toujours en cours. Il s’agit de l’expérience foraine et itinérante de la Famille Magnifique. Depuis dix ans, j’écris aussi pour cet outil-là: un camion théâtre qui se déplace sur les marchés et sur les places publiques. Plus encore, j’en suis toutes les tournées, je participe aux répétitions et assume quelques menues tâches de régie accessoire. De ces deux expériences décisives, de cette fréquentation régulière de la scène et du public, je pense que mon écriture a intégré la nécessité de l’adresse au public, la conscience d’une écoute multiple (en strates) par le public et une certaine exigence de concision (les spectacles de la famille Magnifique durent 15 à 20 minutes et s’adressent à un public familial). 3. Bien sûr, je ne suis pas spécialiste mais je garde en mémoire que le drame se construit autour de l’idée d’action tandis que la tragédie serait plutôt de l’ordre du chant, de la parole proférée. En cela, j’écrirais donc plutôt des tragédies abâtardies. Je ne crois pas au quatrième mur du théâtre naturaliste et à force d’être dehors, je ne crois pas non plus aux trois autres (à l’exception du mur réel de la mairie ou de l’école dont l’aide acoustique est précieuse.) Il me semble que le récit et la parole adressée ont plus que jamais leur place dans les dramaturgies actuelles à une époque où nombreux sont ceux qui rêvent de se raconter en public (un des filons de la télévision). Mais raconter une histoire, faire parler un personnage, ce n’est pas non plus se priver du plaisir ludique de l’interprétation ni de l’importance rythmique du dialogue. Cela étant, je ne travaille pas sur le langage ni sur un mimétisme du parler commun. La parole est centrale dans la mesure où elle demeure un acte poétique et où elle génère des images, des situations.... La parole théâtrale est une écriture. 4. La mémoire et l’histoire occupent une place prépondérante dans mon travail d’écrivain. Outre Kinderzimmer, j’ai écrit entre autre une pièce autour de la guerre d’Espagne, Les moulins de Castille. Sur la déportation: La revue centurie. Sur le conflit algérien: Le silence des familles.... Dans ces œuvres, le plus souvent monologiques, les événements ne sont pas traités directement en tant que situation mais sous l’angle du souvenir, du récit rapporté. J’aimerais ajouter que je me sentirais mal à l’aise dans une tentative (plus ou moins scrupuleuse) de reconstitution théâtrale d’événements aussi dramatiques et mes détours théâtraux pour évoquer ces événements tiennent moins à une conscience de l’impuissance du théâtre à saisir la réalité et à la représenter qu’à des scrupules liés au caractère intime des violences exercées et au respect des victimes. Plus encore, c’est l’écho de ces événements sur notre quotidien qui 2.2 Gilles Boulan: Brief vom 16.09.2004 319 m’interroge en premier lieu. Ecrire contre l’oubli, certes. Mais avant tout dire notre traumatisme, car c’est lui que nous supportons et qui revient sans cesse tirer notre bonne conscience par les pieds. Les titres évoquées en témoignent et disent cette attitude. Du conflit espagnol, je conserve les moulins (ceux d’une génération perdue qui s’est rêvée comme Don Quichotte). De la déportation, ce cabaret sinistre de l’exhibition. Et de la guerre d’Algérie, le silence et le secret qui ont entouré le retour des appelés. Contrairement aux propos communément versés au dossier de la bêtise et de la désinformation, le théâtre français contemporain est très riche de tentatives tous azimuts qui le rendent par ailleurs difficilement lisible. Dans les années quatre-vingt, beaucoup d’auteurs semblent avoir déserté la scène du sens et de l’engagement politique pour explorer l’horizon complexe des formes. Mais il y a un retour, je pense. Un retour à la fiction dramatique, à un théâtre du témoignage social. Et les frémissements d’un théâtre qui se pencherait sur notre passé récent. En tout cas, hormis le conflit palestinien, il me semble que les guerres récentes (Yougoslavie, Tchétchénie, Guerre du Golfe) ont donné matière à de nombreuses pièces. Maintenant, j’ai l’impression que les metteurs en scène en vue n’ont pas très envie de les monter, ces pièces. Comme si finalement, l’idéologie du divertissement et de la distraction avait fini par faire recette. D’autres metteurs en scène jouent au contraire la carte d’un réalisme désespérant, d’une provocation violente. Mais que nous disent-ils? Concernant Kinderzimmer 1. C’est une pièce que j’ai écrit en 1991 dans des circonstances précises. La ville de Caen organisait depuis l’ouverture du Mémorial, un festival annuel nommé A Caen la Paix et une compagnie de théâtre avait proposé d’y créer un spectacle. C’est ainsi qu’à la suite du refus d’un auteur de céder ses droits, il m’était proposé d’écrire dans ce cadre une pièce pour une comédienne seule. Presque un hasard donc. Une commande. Je me suis expliqué dans la préface du livre dans quel état d’esprit j’ai écrit cette pièce et je n’y reviens pas. Même si certains de mes propos répondent à plusieurs de vos questions. Pour situer plus précisément Kinderzimmer, j’ai envie de dire que c’est une œuvre de maturité, longtemps désirée et mûrie et qui trouve sa juste place dans un mouvement de pièces entamé quelques années auparavant et qui n’est pas achevé, je pense. Ce n’est donc pas une pièce exceptionnelle à mes yeux. En revanche, ce qui est exceptionnel, c’est sa carrière dramatique. Avant même d’être jouée à Caen, elle était déjà diffusée sur France Culture et depuis sa publication, de nombreux projets de création et de lecture ont eu lieu en France, en Belgique, en Gaspésie... (un jour, j’espère, en Allemagne). C’est une pièce que j’ai donc vu jouer dans des mises en scène radicalement différentes (par une actrice, par un groupe de jeunes comédiens, sans décor, dans une scénographie très élaborée, avec ou sans accent...). Et elle m’attache beaucoup du fait de la diversité de ces regards multiples qui ont été portés sur elle, des rencontres qu’elle a provoquées, des émotions qu’elle a engendrées et V Anhang 320 du profond engagement qu’elle suscite chez les comédiennes qui ont accepté de l’interpréter (parmi elles, il se trouve que trois sont d’origine allemande). 2. Les circonstances particulières de l’écriture de la pièce (la commande) évacuent une partie de la légitimité de la question dans la mesure où je n’ai pas vraiment choisi d’écrire sur la Seconde Guerre Mondiale. En revanche, elles donnent tout son sens à la troisième question, puisque c’est bien à elle que j’ai été directement confronté. Malgré cela, cette question aurait-elle la même pertinence si j’avais décidé d’écrire une pièce sur les guerres napoléoniennes ou sur un dictateur romain? Je n’ai pas très envie de vous faire une réponse de normand (mais je le suis, normand). La Seconde Guerre Mondiale appartient à mon environnement mais (à l’image de bien d’autres garçons de ma génération qui ont tout fait pour être exempté des obligations militaires) je demeure assez peu sensible à l’aspect guerrier des choses: aux armements, aux uniformes, à la stratégie, aux faits d’arme héroïques. Mes questions sont plutôt celles que se pose un civil. Comment vit-on sous les bombes? Comment fait-on pour rester un homme? C’est ça le véritable sujet. Je l’aborde parce qu’il ne peut être abordé que par ceux qui ont échappé aux bombes. A quelques hectomètres près, à quelques années près. (Mais ils ont entendu leur souffle. Et leur vacarme est toujours là, et pas toujours très loin de nous.) Et puis il y a un autre sujet, plus essentiel encore pour moi: celui de l’innocence et de la culpabilité. 3. On ne peut évidemment pas traiter un tel sujet de plain pied. C’est la raison (parmi d’autres) qui m’a fait choisir de placer ma pièce dans un territoire limité: celui d’un village, d’une journée particulière, d’une action dramatique simple et absurde. Respect des règles classiques et des trois unités. Comme si la réduction de l’espace, resserré à la dimension d’une chambre d’enfant permettait de baliser le sujet, de le ramener à une dimension humaine, voire intime. Il y avait aussi le choix de ce village, Oradour sur Glane: un symbole avec ce qu’il implique de valeur exemplaire et d’imaginations autour. (Je me souviens des polémiques révisionnistes de l’époque. Avant d’accepter de venir à Caen pour la première du spectacle, le maire d’Oradour avait exigé de lire le texte). Mais même dans cet état d’esprit, je n’aurais jamais pu traiter le sujet de manière objective et satisfaisante. Il me fallait faire intervenir une subjectivité: le personnage de cette jeune allemande à la recherche d’un passé qu’elle n’avait pas connu. Un personnage proche de ma situation qui dirait mes incertitudes et rapprocherait la pièce de mes vraies intentions sans l’enfermer dans le carcan de la reconstitution historique. Démarche d’un archéologue, cherchant à reconstituer un chemin de vie dans un dédale de ruines, volontairement préservées entre la nécessité du souvenir et la fatalité à terme de l’oubli. 4. En pénétrant dans la chambre d’enfant, en s’emparant de la poupée des cendres, la journaliste allemande rapproche soudain son parcours de la fillette rescapée du drame. Il se produit alors une sorte de collusion entre les deux personnages comme s’ils devenaient un seul. Comme si toutes les épreuves de la jeune femme (la fille du bourreau) devaient aboutir à sa confusion avec la victime. Son souvenir est de cette nature, celui de l’auteur aussi. Il ne dispose 2.2 Gilles Boulan: Brief vom 16.09.2004 321 que de quelques images (celles d’un vieux film d’amateur sur une journée de printemps au bord de la Glane, celles des photos du village massacré). Et d’un mouvement irrationnel, tout le scénario se reconstitue. Mais la vieille Mercedes klaxonne et le rappelle à la réalité. Il s’agit donc moins de se souvenir que de rassembler des images éparses et de leur trouver une raison d’interpeller votre quotidien. 5. Non! Assez peu de recherches. Je n’ai même jamais mis les pieds à Oradour sur Glane. L’idée même me terrorisait. J’ai seulement relu l’ouvrage Naître coupable, naître victime de Peter Sichrovsky et un article pour préciser deux informations capitales (la date, le nombre de victime) cela dans le but de les décaler. Pour qu’il n’y ait pas d'ambiguïté. 6. L’histoire d’Oradour est connue, la référence n’échappe à personne et il existe une abondante documentation à son sujet. La pièce ne reprend en compte que deux éléments à son histoire: l’existence du massacre et celle du village en ruines. En dehors de ces éléments, Kinderzimmer est une fiction. Les lieux décrits sont inventés, les actions imaginées et aucun de ces personnages n’a jamais existé. Rien n’est exact mais tout est vrai. Comme les pays où nous vivons ne sont pas uniquement peuplés par des historiens scrupuleux, un événement comme le massacre d’un village engendre son lot de spéculations, de récits plus ou moins vérifiables, de légendes.... Sa persistance dans nos mémoires s’enrichit de ces deux aspects imbriqués: réel et imaginaire. C’est ce tissage qui fait sa force dramatique. Outre la référence générale, la pièce emprunte qu’un seul élément à la réalité: la démarche d’une association allemande qui, je crois, doit s’appeler Amitiés au dessus des tombes. Et puis les images de la Glane.... 7. La pièce s’organise comme une sorte de jeu de piste dont chaque séquence est une étape ou comme une case d’un carré de fouilles. A chaque lieu correspond un élément de trois histoires distinctes: le récit de la fillette rescapée, les souvenirs de la fillette allemande, la visite de la journaliste. Les trois temps s’entremêlent, les trois histoires se tissent au point de se confondre. On est loin d’une pièce historienne, plus proche d’une pièce historicisée. C’est un dialogue au dessus des tombes qui s’écrit. Celle qui vit aujourd’hui a des comptes à régler avec la mémoire de ses propres parents, elle va s’éloigner d’eux, oublier sa langue (presque son accent) pour écouter, au fond des cendres, une autre histoire et la faire sienne. 8. Il y a Brecht bien sûr et une très riche dramaturgie allemande. Poussés par la nécessité immédiate de la résistance ou par l’envie d’en découdre avec leur histoire, les auteurs allemands ont su avec talent nous parler de la dictature nazie. Je ne crois pas que j’aurais envie de traiter ce sujet car il n’est pas le mien. Le mien c’est celui de la France brune, de cet extrême droite qui mène habilement sa barque entre discours franchouillard, bon sens populaire et coups de gueule médiatisés. De la même façon, la France de Vichy me semble très éloignée de mes préoccupations actuelles. La dimension du village correspond d’avantage à mon tempérament. Il dit l’absurdité, la violence et la barbarie d’un V Anhang 322 malheur qui s’abat, sans raison apparente sur une communauté tranquille. Il raconte Caen, ma propre ville, propulsée tout soudain au premier rang des hostilités, hostilité dont les impacts criblent aujourd’hui encore les murs. Du moins ceux qui demeurent debout. Le regard sur l’Allemagne et sur les Allemands. D’une manière générale, la pièce est assez bien reçue dans ses diverses mises en scène mais plusieurs fois est revenu un commentaire critique la taxant de germanophobie. Il y a de l’outrance bien sûr et une violence verbale «gênante» dans la description de ses parents par la jeune fille allemande. Certains parlent même de stéréotypes comme s’il s’agissait d’une maladresse de l’écriture ou d’un ressentiment vénéneux de l’auteur. Bien sûr, l’explication est ailleurs: dans le débordement d’un personnage blessé, meurtri par le silence qui lui est opposé et dont les provocations expriment la colère, la frustration, le mal être. C’est un propos singulier, excessif, douloureux. En aucun cas, une position idéologique, une pensée structurée. J’ai rencontré plusieurs femmes allemandes (dont l’actrice qui a joué le texte à Colombes) qui vivent actuellement en France et qui se sont reconnues dans le personnage, dans ses inquiétudes sur la participation de leur père au conflit, dans sa nécessité de prendre de la distance avec son pays. En écrivant Kinderzimmer, j’avais envie de traiter un sujet universel. Mais je crois qu’il est impossible de demeurer abstrait et le poids de l’Histoire est un élément considérable de la compréhension. Cela dit, je ne voulais pas faire comme ces censeurs pudibonds qui traquent le mot Boches dans les poèmes d’Eluard et qui aimeraient le faire changer au nom de la pureté de la poésie et du respect de l’autre. Respecter l’autre, c’est accepter de parler de ses erreurs, de ses crimes, de ses peurs. Comme il est juste de parler de ses propres erreurs, de ses propres crimes (la France n’est pas un parangon de vertu) et de ses peurs. Je ne vois derrière cette évidence aucune envie de vengeance (se venger de quoi au juste? ), juste un désir de compréhension mutuelle. Parce qu’on se ressemble. L’héroïne de Kinderzimmer accomplit ce chemin. L’écriture dramatique Je suis déjà très long et il me paraît difficile de traiter cette question sans me répéter. Permettez-moi de ne pas y répondre. Je crois que les éléments de réponse sont déjà tous en place. 2.3 Bernard Chartreux: Brief vom 14.11.2004 Biographie 1. Je suis originaire de cette partie (sud) de la Lorraine (St Nicolas de Port, près de Nancy) qui ne fut pas annexée par l’Allemagne entre 1870 & 1918. Dans ma famille - et dans la région -, suite aux trois guerres, on n’aimait pas les «Boches», ni les Lorrains du nord qui parlaient allemand et étaient eux-mêmes à nos yeux des quasi allemands. Professionnellement, je suis dramaturge au double sens du terme: auteur dramatique et observateur-philosophe du théâtre. Je travaille depuis une trentaine d’années avec le metteur en scène Jean-Pierre 2.3 Bernard Chartreux: Brief vom 14.11.2004 323 Vincent que j’ai accompagné au Théâtre National de Strasbourg (1975-1983), à la Comédie-Française (1983-1986), au Théâtre des Amandiers de Nanterre (1989-2000). Nous sommes actuellement une compagnie de théâtre indépendante («Studio libre»). 2. Ce qui explique, entre autre, mon intérêt pour Vichy (et non pour la IIe guerre mondiale en général) c’est précisément le fait que dans ma famille, on ne parlait pas de Vichy. On parlait de la guerre certes (mon enfance a été bercée d’histoires de «dommages de guerre»; un de mes tous premiers souvenirs d’enfance se situe en 1944 - j’avais 2 ans - alors que les Américains bombardaient la retraite des troupes allemandes: mes parents venaient nous réveiller dans la nuit et à la lueur des bougies nous descendions, avec d’autres voisins, nous réfugier à la cave) mais pas du régime de Vichy, ni de la collaboration, ni même de Pétain… Bref, comme dans la grande majorité des familles françaises, on préférait se taire sur ses «quatre années à rayer de notre histoire» comme disait je ne sais plus qui. Mes parents eux-mêmes furent sans doute semblables à cette majorité de Français d’abord très soulagés par la signature de l’armistice (et donc reconnaissants envers Pétain; le «vainqueur de Verdun», particulièrement dans l’est de la France, ça n’était pas rien) puis prenant peu à peu, et à des rythmes divers, leur distance vis-à-vis du vieux Maréchal pour finir plus ou moins gaullistes. Je pense que c’est le film de Marcel Ophüls Le Chagrin et la Pitié qui m’a fait prendre conscience que les années 40, ces années que je n’avais pas connues mais où j’étais né, n’étaient pas seulement les années de la guerre. Et ce me fut un véritable choc de me rendre compte, lorsque par exemple je me suis intéressé au matériel iconographique sur Vichy qui commençait à apparaître d’abondance à la fin des années 60, qu’il y avait une étrange parenté, comme une communauté de style entre ce matériel et les albums de photos familiaux que je compulsais depuis toujours. Ainsi donc, c’est seulement en approchant de la trentaine que je m’aperçus que j’étais bel et bien un «enfant de Vichy» (si, dans ma famille, on n’était pas pétainiste militant, on était par contre catholique très pratiquant; et l’on sait que l’Etat français avait la bénédiction de l’Église). Et il m’avait fallu si longtemps pour le découvrir! ! Et on me l’avait caché! ! Car Vichy, depuis la fin de mes études secondaires, je connaissais. Je savais politiquement ce que c’était et je détestais cordialement ce régime. Mais voilà que je découvrais que j’en étais en quelque sorte issu. Certes, cette contemporanéité était le fruit d’un pur hasard, mais le liquide amniotique où j’avais baigné, le lait maternel que j’avais sucé ne pouvaient pas ne pas en être marqués. D’ailleurs, l’iconographie vichyssoise ne me procure-t-elle pas toujours le même honteux et pourtant inentamé plaisir? C’est que ses images désuètes et médiocres, et qui recouvrirent tant de lâchetés et d’ignominies, exhalent aussi le parfum de mon enfance. 3. Comme dit plus haut, l’Allemagne a toujours été présente dans l’univers familial (une de mes arrières grands-mères maternelles avait quitté Saverne en 1870 pour ne pas devenir allemande); et pour l’enfant que j’étais, l’Allemand faisait un peu figure de croquemitaine. Je me souviens très bien par exemple, V Anhang 324 qu’à la fin des années quarante ou au début des années cinquante, un correspondant allemand de mon frère aîné vint à la maison. Tout le monde était assez curieux-anxieux de savoir à quoi aller ressembler ce descendant direct de l’ennemi héréditaire. Je crois me souvenir qu’il fut trouvé très correct mais très prussien et le pain noir qu’il avait amené dans ses bagages nous plongeait dans des abîmes de stupeur. L’autre élément déterminant dans ma relation à l’Allemagne fut le choix de l’allemand comme langue vivante (ma seule langue vivante puisque j’étais helléniste). Le choix avait été le même pour mon frère et ma sœur aînés: la proximité de l’Allemagne avec la Lorraine, disaient nos parents, faciliterait voyages et échanges. A la réflexion le seul argument géographique me semble un peu court; même si jusqu’alors il s’était manifesté surtout négativement, il y avait une sorte de tropisme familial entre ma famille et l’Allemagne: la branche familiale qui avait quitté Saverne devant l’envahisseur ne venait-elle pas ellemême lointainement de Verden? Quoiqu’il en soit, cela ne facilita pas mon apprentissage de l’allemand qui, pendant tout le période scolaire, demeura assez médiocre. La langue me paraissait opaque, tourmentée, rébarbative, blessante, en un mot hostile. C’est le théâtre qui modifia mon attitude vis à vis de la langue, grâce à Brecht of course. Et le fait d’avoir passé dix ans à Strasbourg (au TNS donc, à une époque où la «grande» Schaubühne était pour nous le modèle théâtral par excellence) me permit d’entrer largement en contact avec le répertoire dramatique allemand, de le trouver d’une magnifique richesse et d’en être aujourd’hui, à ma modeste place, devenu traducteur (Théâtre complet Büchner, Un Homme est un homme Brecht, Le Fou et sa femme ce soir dans Pancomedia Botho Strauss, Portraits Juifs Herlinde Koelbl, La Femme d’avant Roland Schimmelpfennig). Et même si, je l’ai dit, c’est Vichy et non l’Allemagne qui m’intéressait lorsque j’écrivis Violence à Vichy, c’est le cinéaste allemand Hans-Jürgen Syberberg et son Hitler, un film d’Allemagne qui m’aidèrent à concevoir la forme de mes deux Violences. Écriture 1. J’écris entouré de livres, de documents divers, dans une caverne de papiers (l’ordinateur en a certes diminué la masse mais le mode de fonctionnement reste le même). Rien de plus éloigné de moi que la volonté de produire de l’absolument neuf; de l’inouï jamais dit jamais écrit (après tout notre alphabet ne dispose que de 26 lettres! ). Peut-être devrais-je me dire plus scribe qu’écrivain. Me semble qu’en réalité l’écriture est toujours peu ou prou de la réécriture. Ou que l’écrivain est un lecteur juste un peu plus maniaque (en ce que son stylo ne lui tombe jamais des mains) qu’un autre. Adepte de l’écriture-palimpseste en somme; ce n’est pas pour rien que mon nom de famille est un nom de moine (même si les Chartreux sont plus connus comme fabricants de liqueurs que comme copistes). La recherche de documents est déjà partie prenante de l’écriture. Me souviens, par exemple, de la façon dont, au cours du travail sur Violences, est née la séquence intitulée La Table des provinces françaises. Au départ, il s’agissait, dans un 2.3 Bernard Chartreux: Brief vom 14.11.2004 325 premier temps, de mettre de l’ordre dans des matériaux que j’accumulais un peu au hasard. Comme le chantier de travail que JP Vincent avait ouvert sur Vichy (au TNS donc) concernait toute la troupe, chacun, comédiens compris, devait apporter sa pierre à l’édifice (au final - le titre général du spectacle fut Vichy-Fiction -, restèrent deux auteurs pour tenir la plume: Michel Deutsch et moi-même, chacun de nous écrivant une partie de ce spectacle bicéphale); c’est donc pour rendre compte à mes collègues de l’état d’avancement de mon travail que je leur donnai à lire cette recension. Mais, sous cette forme - une liste fantasmatique qui, sous ses allures de blague, s’efforçait de restituer l’imaginaire d’une idéologie - l’objet retint l’attention et il fut décidé qu’il serait conservé (à peu près) tel quel. Je suis certes un écrivain à archives, mais pas exhaustif, pas «scientifique» pour un sous. Dans un document, je cherche surtout le point de départ, l’impulsion qui me permettra de plonger dans l’imaginaire historique qui m’intéresse. Mais pour les nouveaux textes de Violences à Vichy II, ma façon de procéder fut un peu différente. (Peut-être convient-il d’ailleurs de dire ici en quelques mots, le pourquoi de cette seconde version. Eh bien, je dirai que c’est le remords. M’apparut en effet à la relecture que dans la version 1980, je n’avais rien dit des Juifs: rien sur le statut des Juifs qui, comme on le sait, fut promulgué dès le 3 octobre 1940 sur la seule initiative de Vichy, rien sur l’antisémitisme, rien sur les dénonciations, les spoliations, les complicités dont bénéficièrent plus tard les collabos non repentis…. A ma grande stupeur, je découvrais que, avec pourtant presque quarante ans de recul, je n’avais été guère plus clairvoyant que nos parents, qui eux du moins avaient l’excuse (soyons bon prince) d’avoir le nez collé sur l'événement. Il me parut alors de la plus élémentaire décence d’essayer de combler - quinze ans après - cette lacune.) J’eus cette fois recours à des documents de première main, de véritables archives telles que lettres, comptesrendus, «examens ethno-racial» etc.… et sans renoncer à intervenir en elles (c’est-à-dire sans renoncer à les rendre manipulables par le théâtre) je me suis efforcé de conserver ce que dans leur forme brute et naïve elles avaient à la fois de terrible et d’émouvant. 2. A l’époque du premier Violences, j’écrivais qu’il s’agissait moins d’une pièce que d’un poème dramatique, voulant par là affirmer l’autonomie du texte théâtral par rapport à la scène. J’entendais que mon texte soit autant un texte à lire qu’à jouer. Pour cela, je déclarais hautement que je n’avais pas à tenir compte des contraintes de la scène, et qu’à l’inverse, le texte ne portait pas en lui sa mise en scène comme Zeus sa fille Athéna; autrement dit que c’était au metteur en scène, à l’ensemble de l’équipe artistique, de mettre en spectacle, de faire spectacle de ce matériau en le traitant avec la plus grande liberté. Bref, entre le texte et les acteurs les relations n’avaient plus à être conjugales; elles relevaient plutôt de l’union libre. Avec Violences à Vichy c’est donc plutôt l’écriture qui influait sur la pratique de la scène (à nouveau type d’écriture, nouveau type de jeu) que l’inverse. Aux acteurs et au metteur en scène à trouver comment s’emparer de ces proses qui, à l’époque, par leur forme même, paraissaient assez bizarres (le modèle, depuis, comme on sait, a fait florès). V Anhang 326 3. Violences à Vichy marqua la prééminence du monologue au théâtre. M’empresse de dire que le mot «monologue» ne convient d’ailleurs pas du tout, qui implique qu’un sujet laisse entrevoir à un spectateur en embuscade les affres de sa vie intérieure, ses joies, problèmes et tourments. Rien de tel dans Violences qui fonctionnait plutôt sur le mode de la (fausse) conférence, du (faux) témoignage, de l’ode patriotique, de la confidence idéologique post mortem, soit, à chaque fois, un discours transitif, personnel mais non-intime. En un mot, la parole y était délibérément a-dialogique. Comme je l’écrivais alors, l’enjeu, pour moi, n’était que de restituer l’odeur, délicieuse et vénéneuse et fascinante, de cette époque, pour mieux, une bonne fois s’en débarrasser (même si les gens de ma génération n’avaient certes pas été gaullistes, le giscardisme triomphant d’alors nous apparaissait comme une reviviscence de Vichy et nous avions décidé de le combattre). Pour cela nul besoin de l’agaçant ping-pong du dialogue. Un amoncellement rhapsodique - comme le définissait alors Jean-Pierre Sarrazac - faisait bien mieux l’affaire. 4. Pour tout dire, je ne comprends pas bien le sens de cette question. Les catégories que vous mentionnez (histoire, mémoire, souvenir…) sont plus ou moins présentes dans mes pièces selon les cas. Je peux toutefois dire que Violences à Vichy est - et pour cause (on ne nait qu’une fois) - la seule de mes pièces où l’Histoire (avec un grand H) et ma propre histoire sont aussi intimement - je dirais presque subconsciemment - liées. Dans, par exemple, Dernières nouvelles de la peste (d’après Le Journal de l'année de la peste de Daniel Defoë), même si je m’intéressais aussi à un événement historique (La grande Peste de Londres de 1664) et même si j’y utilisais aussi une forme rhapsodique, il est clair que mon implication subjective n’était pas de nature aussi immédiate et intime. Violences à Vichy I & II J’ai le sentiment d’avoir déjà répondu à vos 7 premières questions. 8. Impression que c’est une question que vous pourriez poser à un universitaire. Pas à un auteur. J’ai choisi d’écrire sur Vichy eu égard à ma relation personnelle fantasmatique à Vichy. Parce que c’était lui et parce que c’était moi, comme dit l’autre. Bien sûr que si j’écrivais sur l’Allemagne nazie ce serait différent mais à quoi bon le dire puisque je n’ai pas écrit, ni n’ai l’intention d’écrire cette pièce. Chaque sujet génère sa forme. Pour finir… Pour celui à qui toute forme de transcendance semble n’être que la manifestation d’une déficience morale-psychique, l’œuvre d’art est le seul moyen qui permette de trouer, de soumettre au salutaire travail du négatif, de rendre supportable l’écœurante positivité du monde. De ce point de vue, l’écriture dramatique ne se distingue pas des autres formes d’art. 2.4 Jean Manuel Florensa: Brief vom 09.01.2005 327 2.4 Jean Manuel Florensa: Brief vom 09.01.2005 En 1971, j’ai fondé le Théâtre de Feu, centre dramatique des Landes. J’ai toujours écrit pour une équipe, selon ses désirs, ses envies, ses préoccupations. En 1980, j’avais engagé un acteur, Didier Roset. Il avait hérité de l’Histoire le fait d’être le fils d’une rescapée de Ravensbrück, Marcelle Dudach-Roset, bellesœur d’une autre rescapée, Charlotte Delbo. Dès que nous nous sommes rencontrés dans le vaste paysage théâtral, nous avons trouvé notre fraternité d’esprit et de cœur, dans les souffrances qui venaient nous labourer à l’improviste - au coin d’une coulisse, sur un fauteuil lors d’une répétition ou plus imprévisiblement au restaurant lors d’une discussion qui devenait grave. Nos regards ont plus parlé que nos bouches. Pour la plupart de ceux qui sont nés après 1945, comme Didier, et même ceux qui étaient enfants à la découverte des camps de concentration (comme moi), les camps nazis d’extermination restent une vue de l’esprit. Outre l’Europe, l’autre moitié du monde, incapable d’en mesurer l’ampleur, considère cette monstruosité comme un épisode, entre autres, de la Seconde Guerre mondiale. A la libération, j’ai feuilleté un numéro de LIFE, imparfaitement caché au fond d’une armoire, et dont les photos sont si incrustées dans ma mémoire que je pourrais les dessiner avec précision. Ma famille et moi-même avons été mêlés - de près et de loin - à la seconde guerre mondiale et à sa répétition générale, la guerre civile d’Espagne. Fils unique, né en février 40, dans la misère qui était celle des réfugiés, des exilés, des républicains espagnols si mal traités par la république française, mon père et ma mère m’ont protégé dans un cocon d’affection absolue. Mais comment ne pouvais-je pas voir les soldats allemands, ne pas entendre les bombardements, ne pas percevoir l’incertitude, la peur, l’angoisse? On ne pouvait pas me cacher la mort de mon grand-père, horriblement mutilé par la torture franquiste pour ne pas dénoncer son fils - mon père -; on ne pouvait pas me cacher le pistolet que mon père tenait à portée de main dans un tiroir du bureau, au cas où. Et ces réfugiés que mes parents accueillaient, et ces évadés dont on m’interdisait l’approche pour que je n’aille rien raconter. Et cette nuit où, à moitié endormi, j’ai eu le loisir d’examiner pendant une interminable heure, le mur d’exécution avec ma petite amie, Marie-Carmen, sous la menace froide des canons-mitrailleurs, parce qu’on avait caché des maquisards qui ne furent pas par bonheur découverts sous la paille. Et puis, à la Libération, tous ces rescapés espagnols de Mauthausen qui furent pour moi autant de grands frères, de parrains, de pères, soignant à la maison, qui leur tuberculose, qui leur solitude, qui leur désarroi - et qui m’ont offert tout ce qu’ils auraient pu offrir à leur petit frère ou à leur fils - et surtout parce qu’ils m’ont donné leur héritage de douleurs, sous la forme de manuscrits soigneusement rédigés sur des cahiers d’écolier. Ces manuscrits, dont je repoussai toujours la lecture, il a fallu que je les recherche un été 1987. Dans la sérénité solaire de ma campagne, j’ai «revécu» l’épouvante, et je suis devenu enfin l’héritier de ceux qui m’appelaient «Jeannot» et pour qui je le suis resté. Fils de leur tendresse, je suis devenu fils de leur désespoir, pour les poursuivre, pour les expliquer, et quelque part pour les V Anhang 328 venger. Il m’a fallu quarante années pour que, dans un littéraire processus d’identification, je réanime le passé et délivre ce besoin de transmettre la douleur d’un deuil que mon âme venait à peine d’assumer. C’est pour Didier, c’est pour moi et surtout pour eux que j’ai écrit. Car il fallait que je dise leur souffrance - un autre jour, peut-être, écrirai-je leurs illusions. Toutefois Auschwitz de mes nuits s’adresse moins aux anciens détenus qui peinent à vivre un intolérable silence, qu’aux hommes mûrs de ma génération et à nos enfants. S’il fallait que je n’oublie pas mes frères et pères de Mauthausen disparus, il fallait nécessairement que mes enfants sachent la barbarie nazie, que je passe mon héritage le plus fortement possible en des moments où l’horizon de l’Europe se couvre de menaces fascistes. N’ayant pas vécu les camps, je ne peux en dire l’exacte vérité. D’ailleurs elle dépasse mon imagination qui, pourtant fertile, se bloque devant les blessures de la sensibilité. Afin que les camps de la mort ne soient pas qu’un symbole tragique, qu’une dalle de plus dans le cimetière de l’Histoire, j’ai essayé de comprendre - et de faire comprendre - l’horreur subie et l’horreur donnée. Je souffre à accepter que ces horreurs soient le produit de l’homme. Et pourtant les camps de la mort sont bien l’expression de la nature humaine. Les circonstances ont fait des victimes et des bourreaux. La logique des circonstances m’a conduit à faire partie des victimes; Didier aussi. En tant que victimes nous avons fraternisé. Nés ailleurs, d’autres parents, les circonstances auraient pu faire de nous des bourreaux sans conscience. Notre morale aurait pu être façonnée d’une autre manière, et on aurait pu éveiller en nous tout ce qui éloigne de l’Homme. Sachant combien d’honnêtes hommes sont devenus féroces, l’un ou l’autre aurait pu être victime ou bourreau. Le Hasard a joué en notre faveur. Mais est-ce une chance d’être victime? Je ne suis personne pour dire Auschwitz, il n’était personne pour porter mon texte. Nous n’étions ni Marcelle, ni nos oncles, ni…. Personne. Et pourtant, j’ai assumé ce qu’ils furent. Je ne suis personne et ma voix n’est peut-être rien, mais j’espère qu’elle s’ajoutera à toutes les autres, pour qu’elles atteignent les sentinelles qui viendront après moi. Auschwitz de mes nuits a pu être monté grâce à de nombreuses personnalités morales ou politiques, amis ou spectateurs qui ont très vite reconnu dans cet acte théâtral ma volonté de marquer l’Histoire à ma façon, pour que jamais plus il n’y ait des bourreaux et des victimes. Pour que nos enfants ne puissent jamais le devenir. Un comité d’honneur a soutenu la démarche. Il était composé entre autres des Amicales des Déportés d’Auschwitz, de Mauthausen, de Ravensbrück, de Blechhammer-Auschwitz III, du Camp de Drancy, des Déportés Juifs de France, de Neuengamme, et leur présidente et président respectif dont je citerai l’aimable M.-Claude Vaillant-Couturier, Henry Bulawsko, Mme Geneviève de Gaulle, et le grand rabbin de France Joseph Sitruk, Serge Klarsfeld ou Simone et Jean Lacouture. 2.4 Jean Manuel Florensa: Brief vom 09.01.2005 329 Ils ont fourni les conditions optima au spectacle. Et pourtant, une ombre est venue s’inscrire au tableau. Ce ne furent pas les alertes à la bombe de l’Opéra de Lille, ni quelques menaces de çi de là de l’extrême-droite qui m’assombrirent. L’auteur de la Shoah à qui j’avais envoyé ma première mouture afin qu’il y décela les erreurs historiques qui auraient pu échapper à ma vigilance ou qui auraient pu être provoquées par des témoignages douteux comme ceux de Christian Bernadac, Silvain Reiner et Jean-François Steiner, se manifesta qu’un ou deux mois après la création pour m’accuser de plagiat. Avant chaque représentation, mon équipe dut affronter des référés. Le combat changea d’objectif. Nous nous bagarrions contre celui qui m’avait apporté des témoignages historiques que je considérais irréfutables et sur lesquels, pourtant, je n’avais pas droit de m’appuyer. L’Histoire appartenait exclusivement à celui que nous ne pouvions plus respecter. Je n’avais pas le droit de parler d’Auschwitz parce que je ne l’avais pas vécu et que, de surcroît, je n’étais pas juif! Ma pièce pouvait servir à alimenter les thèses révisionnistes! Dans ma fiction, j’avais tenu à ce que les références d’Auschwitz des mes nuits soient le plus véridiques possibles, or les témoignages nombreux de sources diverses que j’avais piqués pour étoffer mon propos et que j’avais entremêlés pour façonner ma dramaturgie n’appartenaient qu’à un seul, celui qui les avait recueillis! J’ai eu le sentiment qu’il s’était approprié des pans entiers d’histoire et qu’aucun auteur pourrait à son tour se servir de ces documents pour alimenter son œuvre. Que faire alors? et comment? … Par ailleurs, je peine à accepter la confusion entre la méthode rigoureuse et scientifique de l’historien et celle de la fiction. Les historiens se bataillent entre eux pour imposer leurs thèses et leur conception de travail. Nous savons que les analyses les plus objectives, c’est-à-dire les plus fiables sur le plan scientifique, sont souvent les moins neutres, en tout cas celles qui remettent en cause les idées dominantes, celles qui apparaissent les plus «engagées». Au bout du compte, on s’aperçoit que tout historien fait nécessairement des choix personnels, dans sa façon d’aborder l’histoire. Et pourtant, face à lui, le romancier et l’auteur dramatique qui travaillent sur l’art de faire passer des idées et des émotions, ne peuvent être considérés que comme des traîtres à la «vérité historique», des falsificateurs, des affabulateurs. Ils deviennent tous des Alexandre Dumas. En fait, qui que nous soyons, chacun, avec la meilleure foi du monde, ne peut faire autrement que de voir la réalité à travers les lunettes plus ou moins déformantes, plus ou moins transparentes, de ses convictions, de ses préjugés, de sa culture politique, etc.… Nous n’avions pas monté cette pièce pour passer nos journées dans le tribunal des villes qui nous avaient programmés. L’auteur de la Shoah ne gagna aucun procès. Ce qu’il gagna, c’est que nous abandonnâmes les tournées et notre profond et honnête désir de sensibiliser toutes les régions de France ou d’Europe. Nous formulâmes même de très mauvaises réflexions qui frisèrent l’anti-sémitisme. Nous étions malheureux. V Anhang 330 J’ai gardé longtemps en travers de la gorge cette attaque qui se serait, m’avait-ton suggéré, dissipée si les droits d’auteur avaient été répartis… Tout ceci me sembla mesquin et injuste. Je compris que pour un certain milieu je n’avais pas le droit de m’approprier intellectuellement d’Auschwitz. Cette exclusivité défendue par certains trouva un écho par ce que je découvris, un jour, à la télévision. Cela déclencha la pièce que je couvais depuis longtemps: J’ai aimé les hommes. L’information racontait l’histoire d’un falsificateur qui faisait la une de la presse, après avoir fait celle du box-office. En 1995, un livre bouleversa le public du monde entier. Il racontait l’histoire d’un enfant rescapé des camps. Couronné de prix, l’auteur devint un porte-parole. En1999, un journaliste affirma que toute son histoire était un simulacre. Celui qui fut accusé de mythomanie continue à l’heure actuelle d’affirmer et de croire qu’il a été un enfant d’Auschwitz. Je formulais donc la question qui me taraudait en tant qu’homme et auteur: a-ton le droit de «vivre par procuration» l’holocauste? Ne le doit pas, au nom des mémoires perdues et au nom d’un devoir de vigilance? J’ai abordé avec une certaine excitation le problème: jusqu’où peut-aller la sensibilité créatrice et l’amour des hommes? Il existe des hommes - et l’écrivain peut s’y assimiler - qui portent la souffrance des hommes avec eux. L’antique tradition juive parle des «lamed-waf», les trente-six justes sur lesquels repose le monde. Sans leur réceptacle, la douleur inonderait le monde. Je fis donc de mon affabulateur un Juste. Pour mieux exprimer cet «héritage» qui tombe sur la tête de certains et qui fabrique des affabulateurs aussi empathiques qu’un écrivain, je ne me suis pas documenté. J’ignorai le livre de ses «faux» souvenirs, et je me suis dit: Tu vas tout inventer. Tout. De A à Z. Je suis devenu Pitou, un gamin perdu dans le camp d’Auschwitz et j’ai décrit tout ce que je voyais, entendais, sentais. J’ai inventé les odeurs d’Auschwitz. J’ai façonné des récits d’atrocités. J’ai souffert, j’ai pleuré. Le résultat est hallucinant: plus vrai que toutes les documentations que j’aurais pu réunir, que tous les témoignages que j’aurais pu recueillir. Plus vrai que le vrai. Dans les moindres détails. Mon imaginaire et ma sensibilité étaient allé fouiller là où les témoignages laissent des imprécisions. Les lectures publiques faites de ce poème dramatique ont fortement impressionné l’auditoire. Un témoignage m’a consolidé dans ma position d’écrivain: une jeune dame est venue me raconter qu’il en était également de son père. A partir d’un moment, ce français sans histoire s’est mis à porter dans son cœur les souffrances d’un rescapé de Dachau. Il est devenu un rescapé qui avait besoin de grands soins psychologiques que les médecins lui procurèrent sans se douter une seule seconde de cette «vie par procuration.» Ce cas tient peut-être de la psychiatrie, comme celui de l’affabulateur dont je m’étais inspiré. Ce n’était pas cela qui m’intéressait. «Plus que ma douleur, je sens celle des autres / plus que ma vie, 2.4 Jean Manuel Florensa: Brief vom 09.01.2005 331 je sens la mort des autres / et ce malheur n’a qu’une explication / le fait d’aimer les Hommes / et seulement les aimer.» On peut craindre les risques de récupération révisionniste. Je ne pense pas que les pseudo-souvenirs de Martin Gray (Au nom de tous les miens) ou de Benjamin Wilkomirski (Fragments) font réellement tort aux survivants en rendant suspects tous les souvenirs sur l’Holocauste. Lorsque les survivants ne seront plus, aucun autre écrit n’apparaîtra-t-il sur l’Holocauste? Qui en parlera, qui aura le droit d’en parler? de sensibiliser? … Il a fallu attendre soixante ans pour que l’Espagne parle de sa guerre civile. Ce ne sont pas ceux qui l’ont faite qui témoignent, ce sont leurs petits-fils. Par procuration. J’ai une certitude: la vérité historique est bonne pour les historiens, un écrivain brasse l’émotion historique. Celle qui parle au cœur des hommes. Qui d’autre qu’un historien serait incapable d’accepter ce que l’empathie avec le monde peut féconder avec l’imaginaire? Oui, je me souviens parfaitement des camps de la mort, pas du tout de la bataille d’Alésia. Pourquoi? Oui, je me souviens parfaitement des tortures de mon grand-père, celles du Christ, pas du tout celle des deux larrons ni celles de Marsyas. Pourquoi? Oui, je me souviens de la traversée des Pyrénées vers le camp d’Argelès de mes parents même s’ils ne me l’ont jamais racontée. Pourquoi? Je peux aussi bien raconter le génocide rwandais qu’une odyssée boat-people. Les sacrifices Incas et les délires existentiels d’Héliogabale. Les amours d’Orphée et celles d’une péruvienne dans un bidonville de Lima. Je peux porter témoignage sur certains points de l’histoire. Des autres, je ne m’en souviens pas, je ne les ai pas vécus. Je veux dire que je ne les ai pas vécus dans mon imaginaire qui n’a ni frontière temporelle ni géographique. C’est pour cette raison que je suis écrivain. Je ne peux raconter que ma vérité. Tous les auteurs seraient-ils atteints d’une schizophrénie à tendance paranoïde? Qui sait? Mais est-ce un problème? Voilà, comment j’écris. J’expire ce que j’ai inspiré de lectures, de vécus, d’observations, de voyages, d’émotions, de rencontres. Rapidement et violemment. Sur des pages et des pages. Après commence le travail. Le premier: obéir aux règles contemporaines. La durée d’une pièce. J’aurai une tendance à faire des pièces de trois heures. Cinq heures, serait idéal pour moi. Mais nous ne sommes plus au XVII° siècle, en France, en Angleterre ou en Espagne. Dépasser une heure et demie condamne une pièce à ne pas être jouée. A quelques exceptions qui confirment la règle. Le nombre des personnages est limité: avec quatre acteurs, une pièce devient une hyper-production. Le décor unique est aussi à souhaiter. Règles de temps, de lieu et d’acteur. Les 3 règles de notre XX° siècle. L’artiste devient artisan. Il faut formater l’imaginaire, de sorte que l’aspect visuel du spectacle est amenuisé pour laisser une place de plus en plus importante à la Parole. Le Verbe doit se faire rarement chair. Le monologue narratif a plus de chances d’être interprété par intermittence par un intermittent dans un petit théâtre temporaire. Ou dans les «lectures publiques» si à la V Anhang 332 mode aujourd’hui, afin de pallier l’absence de productions. On lit un texte pour qu’il se donne l’illusion d’exister. Le théâtre devient radiophonique. On peaufine la parole au détriment du théâtre qui reste un spectacle. (Dois-je rappeler le sens de «spectare»? ) Je me suis donné les moyens de travailler avec des équipes permanentes d’acteurs. Le texte se peaufinait avec eux, sur le plateau, se dégraissait au fil des répétitions, se corrigeait sur le plateau lui-même. Le procédé possède sa faille: mes pièces s’arrêtaient là où commençaient les limites des acteurs. Des passages de valeur émotionnelle et littéraire ont été supprimés alors qu’un autre acteur eut vaincu la difficulté et porté à son summum l’intensité de la scène ainsi que la complexité du personnage. Parallèlement à ce travail sur le vivant (in vivo) dans une troupe fixe, j’ai écrit des textes difficiles, dérangeants, qui exigent d’un comédien de très grandes qualités. Comme il est demandé à un chanteur d’Opéra ou à n’importe quel danseur classique. (Mais je ne vais pas m’épancher sur la formation et la mentalité du comédien français de base.) Actuellement, j’ai besoin d’infiltrer dans le réalisme théâtral ambiant, un univers poétique. Ce n’est pas à la mode. Pas encore…. C’est dans ces espoirs qu’un auteur poursuit sa route, envers et contre tous. Avec son style et avec des sujets qui ne sont pas «commerciaux». Egalement, je travaille sur des textes qui marient à l’art dramatique les nouvelles technologies. L’avancée est poursuivie par des metteurs en scène, mais il n’existe pas réellement des auteurs qui écrivent dans cette nouvelle voie. Comme beaucoup, j’ai écrit aussi sur commande et sur mesure. L’artisan est venu à la rescousse de l’artiste. Je ne suis pas trop mécontent des résultats. Mais ces pièces sont loin de me ressembler. L’Allemagne? … Ce pays joue un rôle important dans ma vie. Malgré quelques difficultés d’apprentissage, j’adorais parler allemand… Une théorie explique la valeur gustative des langues parlées. Dans la langue allemande, je retrouve - curieusement - le même plaisir gustatif que lorsque je parle espagnol. Si je pratique fréquemment cette seconde, il n’en est plus de même de la première. Je le regrette. (Pour information, le goût de l’Anglais ne parle pas à mon palais.) L’Allemagne est aussi liée à de nombreux voyages, touristiques et surtout professionnels. Pendant plus de six années, j’ai tourné mes mises en scènes dans plusieurs villes allemandes. La rencontre avec le public a toujours été fabuleuse. J’ai découvert la qualité d’écoute du public germanique et la chaleur de ses applaudissements. Le professionnalisme des structures d’accueil m’a toujours favorablement impressionné. Par ailleurs, j’ai eu le plaisir d’avoir une relation particulière avec l’Opéra de Hambourg, ses danseurs et son chorégraphe, John Neumeier. Je suis très intéressé par l’excellente qualité des compositeurs et par de nombreux peintres de ce pays. J’aime ce pays et j’aimerais y travailler (surtout à Berlin), voire y vivre. Question de certaines affinités. 2.4 Jean Manuel Florensa: Brief vom 09.01.2005 333 Question 8: Mon statut de fils d’exilé a dû me conférer un regard différent. Un beau jour, l’armée nazie a occupé mon école. La grande cour de récréation fut interdite. Nous n’avions plus que notre petite classe où nous entrions par une porte autre que l’habituelle. La grande porte-vitrée qui donnait sur deux salles de jeux était condamnée par une grande armoire. Les vitres colorées avaient été brisées. En cachette, je pus observer comment les Allemands avaient utilisé les lieux. Des soldats dormaient à même le parquet. Silencieux, alors que nous chantions «Frère Jacques, dormez-vous? …» Silencieux, fatigués, mornes, tristes et, à mon sentiment, désespérément seuls. Je n’ai eu qu’un élan: j’ai eu envie de pleurer devant un tel désastre: les jolies vitres cassées, les hommes abattus, nos terrains de jeux occupés et l’apparition de l’absurdité de la guerre qui dès ma naissance m’avait fait différent des autres. Jamais nous n’avions tant chanté «Frère Jacques». Toute la journée. «Ding! Dèng! Dong! » Plus tard, en pleine nuit, ils me braqueront avec leurs armes. Le lendemain, ils m’offriront un pot de confiture. Je n’y ai rien compris. Sinon que beaucoup d’hommes sont autre chose que ce qu’on leur ordonne. Et que les gens dangereux sont surtout ceux qui ordonnent. Lorsque mes camarades traitaient les occupants de «boches», j’étais gêné. De toutes manières, de mon côté je faisais partie des «étrangers indésirables», j’étais «un espagnol de merde.» et je venais bouffer le pain des Français. Alors, il existait bien une certaine ressemblance avec ces soldats égarés comme moi dans une catastrophe incompréhensible voulue, décidée et organisée par quelques fous gesticulants au sommet de la pyramide. Je ne veux pas dire que je m’identifiais à ces soldats qui ont été capables d’atrocités comme à Oradour-sur-Glane, ou en Russie, en Ukraine, en Biélorussie, etc.… où villes et villages furent détruits. La Wehrmacht a participé à toutes sortes de crimes aux côtés des SS. Il en va de même du peuple allemand: si le gouvernement a fait des efforts pour signifier sa culpabilité et demander pardon, il n’en est pas de même de la société allemande. La partie du peuple qui a souffert ne l’exonère pas de sa responsabilité. On reste toujours maladroit à dire que ces soldats qui étaient prêts à me tuer, le lendemain voulaient me gâter. Maladroit à penser que Hitler aussi monstrueux qu’il fût, était un homme. Staline, Franco, Pol-Pot ont fait partie de l’espèce humaine. Ils n’étaient pas des tigres ou des loups, ou des hyènes; ils étaient des personnes. Des humains. Et le dire, c’est tout simplement reconnaître qu’il y a dans l’espèce humaine un barbare, et que ce barbare peut se réveiller en nous selon les circonstances. Un soldat bien entraîné, nazi ou pas, trouve au bout d’un mois un plaisir certain à tuer. Sans poussée raciste ni volonté de dominer le monde. Une arme donne du pouvoir. Alors, quand on tient en main toute une armée… Il suffit de regarder autour de nous pour déceler cette puissance de barbarie détenue par l’espèce humaine. A quelque niveau qu’on l’étudie. Mais là où elle prend une dimension horrifiante, c’est lorsqu’elle se couvre du masque des religions ou des idéologies. Quand on donne à l’homme la permission de tuer avec bonne conscience, on nie la dimension humaine de l’homme. A moins que, comme des animaux primaires, nous soyons sur terre pour nous V Anhang 334 tuer les uns les autres. Ce n’est pas encore très évident. En tout cas «tuer ou être tué» ne fait pas partie de mon programme. La dimension humaine est présente aussi, fragile sans doute; et c’est par elle que nous pouvons fraterniser. J’étais certes «un étranger indésirable», mais j’ai vécu tout autant la solidarité. Cela réconforte sur l’espèce humaine. Il ne faut pas oublier que j’habitais la région de Toulouse qui connut le réseau le plus dense de camps de concentration français: en juin 1941 sur 20 000 internés, 12 000 étaient des juifs étrangers qui partageaient les baraques avec des milliers d’espagnols présents dès février 1939. Il faut savoir également que de 1942 à 1944 les camps d’internement du Midi de la France étaient les antichambres d’Auschwitz. Mon statut de fils de désespérés m’a conféré un autre regard sur la France. La France occupée s’est mal comportée avec juifs, communistes, socialistes, anarchistes, francs-maçons, homosexuels et sénégalais… tout comme elle s’était mal comportée vis à vis de ceux qui luttaient depuis 1936 contre le fascisme en Espagne. De toutes les manières, elle se comportait avec la même logique. En 35, on avait laissé Hitler violer un traité et envahir la Rhénanie. Une intervention de l’armée française avec la bénédiction de la Société des Nations aurait mis un terme définitif au Nationalsozialismus: Français et Anglais ont préféré se faire peur avec le bolchevisme. Ils ont eu une vision bien myope de leurs intérêts, cachés derrière de grandes lettes: LPDH, c’est-à-dire: Liberté, Patrie, Droits de l’Homme. A la fin de la guerre, on a présenté tous les Français comme de glorieux résistants…. Même dans les actualités tous les flics de Pétain avaient libéré Paris, combattu contre les «chleuhs», les avaient faits prisonniers. Flics de Pétain devenus des héros, on voulait oublier que vous aviez arrêté, tabassé et livré à l’armée allemande. On avait épuré les mauvais Français… il ne fallait pas s’en faire: traîtres, délateurs et collabos avaient été châtiés! J’ai vu ces prétendus héros tondre les femmes, les humilier et les exclure de la communauté. J’étais gamin: je n’ai rien compris. Une fois encore. Plus tard, j’ai appris qu’en Allemagne, de manière plus radicale, plus germanique sans doute, on avait mis à mort les français et les femmes allemandes qui s’étaient aimés. J’étais plus grand, je n’ai toujours pas compris. L’amour ne m’a jamais apparu signe de collaboration. Il m’a toujours semblé comme pouvant dépasser classes sociales, nationalités, couleurs des peaux et opinions politiques. Cette vision romantique m’a toujours paru comme une évidence. Mais, gamin et surtout fils de républicains espagnols, il fallait se taire. J’ai dû garder le silence pendant très très longtemps. J’ai laissé la vague de paillettes de la Résistance étinceler au-dessus de ma tête dans l’impossibilité de dire «Que ceux qui n’ont pas collaboré, lèvent le doigt… Vous aussi avez été des salauds. Vous êtes des fils et des petits-fils de salauds.» Aujourd’hui, il n’est toujours pas facile de le jeter au visage des hypocrites, de ceux qui auraient pu faire autrement. De la même manière, il n’est toujours pas facile de révéler les turpitudes des victimes dans les camps. Elles ne furent pas toutes héroïques. Elles n’avaient pas à l’être. Survivre dans ces conditions était déjà une tâche incommensurable. Les vérités ne sont pas toutes bonnes à dire… dit-on… Moi, je considère que oui. L’Histoire se trouverait éclairée d’une autre manière… et 2.4 Jean Manuel Florensa: Brief vom 09.01.2005 335 la nature double de l’homme également. Les leçons que nous pourrions en tirer s’avèreraient sans doute plus efficaces. Je crois qu’on a voulu leurrer… qu’on a falsifié et qu’on continue à falsifier l’Histoire… et par conséquent la vision de l’Homme. Or l’Homme social a besoin de s’améliorer. Si on corrige les faussetés historiques, peut-être, entre autres réformes, avancerons-nous dans l’éducation de l’homme à l’image de l’Homme. Comme je n’ai vraiment jamais pu dire à ma patrie d’accueil (à laquelle je suis infiniment redevable) qu’elle s’était mal comportée, je n’ai toujours pas écrit ce que je veux (et dois) écrire, à savoir la manière dont les autorités françaises réceptionnèrent des centaines de milliers de réfugiés espagnols. Je veux raconter le camp d’Argelès, cette vaste plage vide qui se remplît des orphelins de la République; je veux dénoncer l’ignominie; je veux dire la souffrance et le désespoir. Mille et une choses qui ne feront pas plaisir à mes compatriotes français. Je me tais encore. Je ne suis pas prêt. Mes frères aussi ne sont peut-être pas prêts à écouter. J’aimerais ouvrir leurs yeux sur cette page misérable de leur histoire, mais je ne veux pas blesser leur amour-propre. Je voudrais seulement les confronter avec leur passé. J’aimerais aussi rencontrer ce «brave père de famille» qui, alors que j’étais un gamin, m’a fouetté en pleine rue parce que j’étais espagnol. Il s’est bien amusé, entouré de sa famille nombreuse, à me voir ne pas broncher sous les coups: la fierté espagnole doit avoir quelque réalité. Il s’est fatigué, je me suis éloigné en l’insultant, et quand il ne m’a plus vu, je me suis effondré en larmes et douleurs. Il n’y a rien de plus difficile de révéler ce que les Français ne veulent pas savoir sur eux-mêmes. Il faudra bien que je m’y mette. J’attends un feu vert que je ne m’autorise pas. En fin de compte, j’ai parlé d’Auschwitz parce que je ne pouvais pas parler d’Argelès. Même si les deux camps sont incomparables, j’y trouvais la même désespérance, la même inhumanité, la même absurdité. Mes personnages sont une image de mon père et de mes «pères» de Mauthausen. Choisir Auschwitz était une facilité, parce que ce camp de la mort possède un caractère indicible et unique. (En espérant qu’Auschwitz ait été un extrême et qu’on ne puisse pas aller plus loin.) Plonger dans l’extrême me permettait de dire ce que j’avais besoin de crier tout en retenant l’intime dans le respect que je dois à la France. La mémoire française oublie des pans d’histoire, à l’avantage de sa glorieuse image chauviniste. La France oublie les Polonais, les Italiens, les Espagnols et les Allemands qui luttèrent à côté des Français contre le nazisme et le fascisme. On oublie les guérilleros résistants, plus de 100000 réfugiés espagnols qui participèrent à la libération du pays. On oublie ceux qui crièrent «Vive le France» avec un drôle d’accent. Même l’Histoire a semble-t-il une mémoire sélective; des ouvrages très importants sur l’Histoire de la Résistance en France ne mentionnent même pas les FTP-MOI. Il a fallu attendre le 25 août 1997 pour qu’une cérémonie célèbre les étrangers morts pour la France pendant la 2° guerre mondiale. Il a fallu attendre 2001 pour que, sur l’initiative des fils et petits-fils des réfugiés espagnols, la plage d’Argelès retrouve sa mémoire. Action dont la presse nationale n’a pas tenu compte. V Anhang 336 Et par conséquent…. L’écriture dramatique consiste pour moi à dénuder la nature humaine de tous ses oripeaux de camouflage. De mettre le doigt sur les plaies et LA plaie pour qu’une prise de conscience collective puisse avoir lieu. Les plaies sont visibles dans chaque société; ses défauts sont liés à ceux de la nature humaine. En dénonçant les faiblesses de notre fonctionnement social, j’ai l’impression (l’illusion? ) de signaler les failles de l’homme et d’activer le besoin d’une réforme dont le monde a besoin. Les moyens de cette réforme se trouvent entre les mains de ceux à qui on a confié le pouvoir parce qu’ils souhaitaient le prendre. Est-ce sur ce point-là que le bât blesse? … Peut-on changer le monde sans prendre le pouvoir? …. L’écriture dramatique idéale serait d’avoir toutes les audaces - autant dans la forme que dans le fond. Un auteur livre un combat parce qu’il a quelque chose à dire, ou parce qu’il ne sait pas bien le dire, ou parce que ce qu’il a à dire est si nouveau qu’il lui faut tout inventer. Sinon quel motif aurait-il à écrire? Il lui faut imposer son univers, et pour cela il doit combattre contre ce qui a déjà été écrit, contre toutes les formules, contre la tradition, contre tous les dogmatismes, pour mieux trouver sans doute l’essence même du théâtre. Lutter contre les systèmes, les conventions, les tabous, la sclérose des habitudes mentales, bref contre tout ce qui emprisonne le théâtre. Et surtout il doit lutter contre luimême. Car, souvent sans le savoir, l’auteur habille sa force créative des drapés universels de la création afin de séduire, de s’inscrire dans une reconnaissance, convaincre à travers ses concessions, oubliant sa véritable mission. L’art n’a de sens que s’il montre l’autre face du monde. En ce sens il ne peut être que dérangeant, révolté et révoltant, hérissé de cauchemars, d’indécences, de grossièretés, de désespoirs et de violences. Le monde se cache une face, ne la voit pas ou se refuse à la voir pour garder sa bonne conscience. En comparaison à d’autres arts comme la peinture ou la musique, le langage du théâtre est très en retard. En fait, si Ionesco écrivait du théâtre parce qu’il le détestait, j’écris du théâtre parce que ce que je vois sur scène ne me satisfait pas, et je continue à écrire, parce que ce que j’écris ne me satisfait pas non plus. Il faut être robuste pour affronter les échecs. Mais l’auteur est prodigue. Sans arrêt, en dehors des codes, il tire vers la cible. Peu importent les balles perdues. Le jour où je réussirai, je m’arrêterai. 2.5 Serge Kribus: Brief vom 30.11.2004 Concernant votre biographie… 1. Voir entretien Jean Jacques Wahl. 2. J’ai découvert une partie de l’histoire de mon père très tardivement. Mon père ne parlait pas. Il en était incapable. Je crois qu’il se persuadait de bonne foi qu’il était préférable de ne pas raconter ces histoires à ses enfants. Il voulait les épargner. Mais, bien entendu, ni ma sœur ni moi n’avons été «épargné». Bien au contraire, le silence de mon père a généré des angoisses d’autant plus im- 2.5 Serge Kribus: Brief vom 30.11.2004 337 portantes qu’elles n’avaient pas d’objets, pas de prises. Je voyais mon père malheureux, et je ne savais pas pourquoi, je ne pouvais rien faire. Je me sentais impuissant. J’avais envie de vivre et de mordre dans l’Expérience. Mais dès que j’essayais, le chagrin de mon père me laissait un goût amer dans la bouche. Et je ne pouvais plus rien entreprendre, ou alors au prix d’une culpabilité étouffante. Je crois pouvoir dire sans exagérer que je n’ai pas connu l’insouciance. Difficile aussi de résumer ces évènements brièvement, alors que j’ai mis tant de temps pour les découvrir et les comprendre. Mon père avait onze ans quand il a perdu son père ainsi que ses deux frères. Je ne vous raconte pas les circonstances, ce serait trop long. Il s’est retrouvé seul avec sa mère. Par la suite, il a été caché au sein d’une famille belge que sa mère connaissait parce qu’ils faisaient les marchés tout comme elle. Mon père a retrouvé sa mère après la guerre. Il est tombé gravement malade, mais il a néanmoins survécu. Il a appris le métier de tailleur et il a commencé à travailler avec sa mère sur les marchés avant d’ouvrir son magasin. 3. Ma grand-mère est née comme mes autres grands-parents en Pologne à Gvertz. Elle a quitté son village à dix-huit ans, en 1918 et elle s’est rendue à Berlin où elle a retrouvé un homme qu’elle connaissait de la grande ville voisine, Lodsz, et avec qui elle s’est mariée. Elle a vécu une petite dizaine d’années à Berlin, ensuite, avec son mari et son premier enfant, ils ont émigré en Belgique. En ce qui me concerne, je ne connais pas l’Allemand. Je parle un tout petit peu Yiddish et donc parfois il m’arrive de comprendre aussi un tout petit peu d’Allemand. Je n’ai pratiquement jamais été en Allemagne. Je n’y suis que passé. Je me souviens que lorsque j’étais enfant, (je ne savais donc encore rien de l’histoire familiale), je partais avec l’école en vacances de neige. Nous partions en Autriche. Nous partions en train et nous faisions le voyage de nuit. Mais, malgré mon jeune âge, je ne dormais pas. Quand tout le monde s’était endormi dans le compartiment, je me levais, je sortais du compartiment des couchettes, je restais debout dans le couloir, je regardais au travers des vitres du train, je ne voyais que la nuit et, par moments, mon propre reflet, et je me disais, voilà, c’est là, c’est ici que tout ça s’est passé. Je savais que quelque chose s’était passé, mais je ne savais pas quoi. Vers dix-ans, j’ai découvert l’opéra. J’ai écouté L’Enlèvement au Sérail de Mozart. J’ai découvert aussi les messes de Bach. Je me souviens que je pleurais. La musique, bien sûr, mais la langue aussi me semblaient magnifique. J’avais honte. Je ne pouvais pas le dire. Mais j’aimais ça. Ça fait quelques années que je veux me rendre sur les traces de ma grand-mère. Je veux aller à Berlin. J’irai, je ne sais pas quand, mais j’irai. Concernant votre écriture… 1. C’est très difficile de parler de tout ça. Il faudrait prendre le temps. 2. Cette influence est énorme. Elle est en partie constitutive de mon écriture. 3. Je ne sais pas. C’est trop difficile de répondre. Beaucoup de choses m’échappent. Je crois que peut-être la parole transpire l’impossibilité de dire, V Anhang 338 de se dire et la douleur de vivre. Mais même impuissante, même imparfaite, même ridicule, même débordante, même grotesque, elle témoigne malgré tout de la vie. Et c’est cette vie que j’essaie de raconter. 4. Je ne sais pas. Concernant votre pièce Le grand retour de Boris S. … 1. Il s’agit de ma troisième pièce. Il m’a fallu beaucoup de temps avant d’accepter l’idée que je pouvais parler de «ça» et de m’y autoriser. 2. Je ne suis pas né après la guerre, je suis né pendant la guerre. La guerre dure toujours bien plus longtemps qu’on ne le croit. Et, comme tant d’autres de ma génération, je suis né pendant la guerre. 3. Je ne sais pas. 4. Je raconte, dumoins je crois, j’essaie de raconter ce que je connais. La pièce raconte l’affrontement entre un fils et un père autour précisément de la question de la transmission. Le fils semble vouloir faire table rase du passé, mais ce n’est pas vrai. Il fuit. Il voudrait connaître l’histoire de son père. Mais, de même que le père est incapable de parler, le fils n’est pas beaucoup plus téméraire, ni capable de poser des questions. Il a peur. On pourrait parler longtemps de la nature de cette peur. De ce qu’elle dissimule, de ce qu’elle révèle, de ce qu’elle empêche. 5. Pendant des années, j’ai tenté d’interroger mon père, ainsi que de très rares autres personnes. Encore une fois, c’est moins la nature de ce qu’a vécu mon père que le fait qu’il n’ait pas été capable de dire son histoire que j’ai voulu raconter. Et comment ce silence a pesé sur le fils jusqu’à l’étouffer et comment le fils a essayé de se battre pour sortir du silence et faire en sorte de vivre sa vie. 6. Tout est vrai, et ce qui ne l’est pas a été conçu par peur ou par pudeur, ou par incapacité de raconter toute la vérité ou pour mieux construire le théâtre et révéler la vérité des enjeux. Mon père n’est pas et n’a jamais été comédien. Je ne suis pas dessinateur industriel. Le personnage de Boris est bien plus drôle que ne l’est mon père… Mais c’est le travail d’élaboration de la pièce que j’ai voulu trempée dans le rire, (un rire cruel mais complice qui raconte la douleur, la dérision et qui préserve la tension) seule possibilité à mes yeux, d’évoquer cette tragédie individuelle prise dans les plis de la tragédie Universelle. 7. Je ne sais pas. 8. Je vis en France mais je ne suis pas Français, je suis Belge. La pièce se déroule de nos jours et à Bruxelles. Bien sûr que si l’on transpose dans un autre lieu, (pas une autre époque, ça n’a pas de sens) il y aurait des différences. Et bien sûr qu’au delà des différences, la nature du propos serait probablement identique. Comme Henri le dit dans la pièce. «C’est important, ça fait des souvenirs, mais c’est que le décor…» 2.6 Jean-Pierre Sarrazac: Brief vom 13.09.2004 339 Pour finir… Je ne sais pas. Beaucoup de choses. Probablement le goût du jeu, du théâtre, de la vie. Probablement le désir d’apporter un témoignage. Probablement le désir de crier. Probablement le désir d’affirmer une liberté même limitée, même dérisoire. 2.6 Jean-Pierre Sarrazac: Brief vom 13.09.2004 Ma vie! Je suis né en 1946, dans une famille modeste (père petit employé puis ouvrier). 1946: c’est-à-dire au retour d’Allemagne de mon père, prisonnier 5 ans en Poméranie, dans des conditions assez dures. Malgré ces origines, études littéraires, jusqu’à un Doctorat et une Habilitation sous la direction de Bernard Dort, grand critique et spécialiste de Brecht en France. Enfant unique, avec mes petits soldats j’invente quotidiennement, les faisant parler, beaucoup parler, des pièces de théâtre... Et cela a continué lorsque je suis devenu un adulte! L’Allemagne fut longtemps celle qui avait fait prisonnier mon père - et mis un cousin résistant en camp de concentration. Puis elle fut lointaine patrie de musique et de théâtre. Puis elle se rapprocha grâce à ces intermédiaires extraordinaires: Brecht, Buber, Benjamin, Bloch, notamment. Cela dit, je ne lis pas l’Allemand. Et je le regrette. Je ne vais pas très souvent en Allemagne (quelques conférences, tout de même) - où je compte cependant quelques amis - et je le regrette... J’aimerais être joué en Allemagne, je dois l’avouer. Sur l’écriture. J’écris une pièce généralement sur deux ans. Une première version écrite en un été dans le Lot, où j'ai une maison. Je laisse reposer un an, puis en général la version définitive l’été suivant. En amont, je constitue une petite bibliothèque sur la pièce. Pour La Passion..., n’étant pas juif, je me documente sur cette culture que je trouve passionnante et aussi héla! sur la «pensée» antisémite nazie. Je suis moi-même metteur en scène (j’ai monté du Strindberg, du Novarina et aussi du Sarrazac). Toutefois, je n’écris pas en pensant au spectacle. Je me contente d’écouter ce que j’écris en l’écrivant. Ainsi une part d’abstraction - à laquelle je tiens - entre dans l’écriture. De toute façon, il ne faut pas écrire pour mais contre le théâtre, tout contre... Jouer de la tension entre le moi et le monde, l’intime et le politique, l’historique et le quotidien, voilà l’objectif. Quant au couple mémoire/ histoire, c’est une affaire compliquée. L’histoire oublie bien souvent ce qui fait le grain de la mémoire; et la mémoire tire quelquefois l’Histoire vers le religieux. Y remédier. Quand j’écrivais La Passion, ma mère - morte en 68 à 53 ans - aurait eu, si elle avait vécu, le même âge que «ma» Vieille Dame. Pur hasard? J’ai écrit la pièce, parce que j’ai été frappé par le fait divers - authentique - sur lequel je me suis rigoureusement appuyé. J’étais au Portugal en train de finir V Anhang 340 d’écrire Les Inséparables, j’ai trouvé le fait divers dans un journal français. Tout de suite j’ai su que j’écrirais - plus tard, deux ans après environ - une pièce à partir de ce fait divers. Et que cette pièce se limiterait à deux personnages se confrontant dans un «Dialogue des morts» à la façon de Lucien de Samosate. Je n’ai pas écrit cette pièce comme historique: elle porte sur les regains actuels d’antisémitisme. Elle est dirigée contre l’antisémitisme, le néonazisme et plus largement la xénophobie dans nos sociétés d’aujourd'hui. Photomaton J’ai cinq ans, peut-être six. Ce jour-là, j’accompagne ma mère dans les grands magasins. Au «Printemps» l'idée lui vient de faire photographier son fils. Je connais les photographes ambulants qui vous mitraillent avec ou sans pellicule dans leur appareil, mais pas ce réduit obscur où l’on vous enferme pour vous tirer le portrait et qu’on appelle déjà - nous sommes dans les années cinquante - Photomaton. Je ne suis pas plus tôt installé sur mon tabouret dans le noir que je fonds en larmes. Je viens de faire cette «micro-expérience de la mort» dont parle Barthes à propos de la photographie; une «petite mort», en quelque sorte... Mais, surtout, j’ai eu très peur d’être abandonné. Non: j’ai été abandonné. Le fait que ma mère ait renoncé en cours d’exécution à son projet ne change rien à l’événement tel que je l’ai vécu... De cet épisode d’enfance, il me reste deux clichés noir et blanc: le premier où je suis seul le visage baigné de larmes; sur le second, joue contre joue avec ma mère, j’arbore le pâle sourire du rescapé. Mon théâtre, c’est l’enfant du Photomaton qui l’écrit. Mes pièces sont toutes constituées d’histoires de petits poucets morcelées, concassées. Dans la deuxième, L’Enfant-roi, c’est flagrant. Récit picaresque en négatif: l’Enfant ne se retrouve seul au monde que parce qu’il a été trop entouré, trop protégé, trop choyé. La fugue, la fuite, l’errance comme dernier recours pour répondre présent... En fait, de ma première pièce, Lazare, à la dernière à ce jour, Néo, je n’ai jamais mis en scène que des enfants en train de se perdre et qui, de la jeunesse à la mort, vont d’errance en errance. Dans Néo, tous les personnages sont réduits à l’état de créatures abandonnées qui désespèrent de retrouver leur route et d’effectuer quelque «retour» que ce soit dans un univers désormais sans repaire, sans maison, sans foyer. Un monde où il n’est plus question de se frayer un chemin - son chemin -, plus question non plus d’être un passant, un flâneur à la Walter Benjamin, mais où on est emporté malgré soi sur des trajectoires anonymes, indifférentes, soidisant «productives». Dans Néo, seuls les morts parviennent encore à tracer leur route. Pour mes personnages comme pour moi-même, le théâtre est ce lieu-labyrinthe où nous n'en finissons jamais de chercher notre Ariane. D’ailleurs, faut-il continuer à la chercher? Ne vaudrait-il pas mieux couper le fil, définitivement? * Voilà ce qu’a rendu présent à mon esprit la commande, par Alternatives théâtrales, de mon «autoportrait». Je me suis aussitôt souvenu qu’il y avait dans 2.6 Jean-Pierre Sarrazac: Brief vom 13.09.2004 341 L’Enfant-roi une scène de Photomaton. Mais, dans la fiction, c’est la Mère qui se trouve à l’intérieur de la cabine. Et, lorsque la machine se met soudain «à vibrer et à ronfler», l’enfant s’éloigne tout en déchirant et dispersant autour de lui ses propres photos-portraits. Il se met définitivement hors d’atteinte. Dans cette scène de théâtre et, plus encore, dans celle, vécue dans ma petite enfance, que la proposition de Joseph Danan a sortie de l’oubli, j’ai l’impression que tout le dispositif de mon théâtre est contenu. La cabine de Photomaton, comme espace vivant, espace matriciel de toutes les apparitions et disparitions. La tanière de l’Ogre si l’on veut, qui ne cesse d’avaler et de recracher des personnages toujours entre deux vies-entre deux mort. Puis la Mère, personnage-paradigme de l’intime. L’intime qui, pour moi, ne signifie pas le domestique, le privé, le for intérieur mais, dans toute sa fragilité, notre lien au monde, le monde en soi-même et soi-même projeté dans le monde. Le Grand Magasin, enfin, qui sert de cadre à ce petit récit d’origine, à ce petit mythe personnel, figure l’univers objectif, matériel, réel, dans toute son extension (une pièce que j’avais commencé d’écrire dans les années soixante et dont le titre devait être Conte occidental prétendait faire «vivre» littéralement un grand magasin; aujourd’hui ce serait peut-être un hypermarché, un mega centre commercial). J’essaie dans les fictions de mes pièces de mieux conjuguer que dans la réalité ces deux dimensions de la vie: le proche et le lointain. La Meseta de Lazare, l’autoroute de L’Enfant-roi, l’appartement vide du Mariage des morts ou celui partagé, dédoublé des Inséparables, le jardin-prison de La Passion du jardinier, la chambre-théâtre d’Harriet, l’île-atelier de La Fugitive, l’Europe-Jeu de l’Oie de Plein Emploi..., les lieux de mes différentes pièces sont tout en lignes de fuite. Des espaces où se perdre pour se retrouver. Ou l’inverse. Les personnages de mes pièces, le langage qu’ils parlent - pour autant que je l’entende moi-même - me sont à la fois familiers et étrangers. Comme la Vieille Dame juive assassinée de La Passion du Jardinier, une apparition d’outre-tombe, mais à laquelle j’avais donné sans m’en apercevoir l’âge qu’aurait eu, au moment où j’écrivais la pièce, ma propre mère si elle avait vécu. Comme ce Vieil Homme dans la Chambre et ce Vieil Homme dans la Cuisine des Inséparables, qui, tout en étant des Figures ou des Masques, ressemblent si fort à des proches et, en particulier, à mon propre père. L’intime tel que je l’entends ce n’est pas celui du cocon, c’est celui de l’effroi. De cette délicieuse peur d’être abandonné, c’est-à-dire livré au monde. L’intime tel que je le pratique, tel que je l’écris dans mes pièces, tend invariablement vers l’épique. Et réciproquement. Comme si, par l’écriture, le petit homme du Photomaton voulait préserver à jamais son double lien avec le monde et avec sa propre enfance. Et cela à travers la parole la plus singulière: si directe et, pourtant, si détournée. La parole de l’auteur dramatique, présent et absent à la fois. La parole de quelqu’un qui se met en plusieurs dans ce réduit d’obscurité qu’est le théâtre. V Anhang 342 De quelqu’un qui, perdu dans l’infinité invisible de la scène, voudrait embrasser le monde en son enfance. 2.7 Yoland Simon: Brief vom 22.04.2005 Ma famille et la seconde guerre mondiale Comme beaucoup de travaux littéraires, La pièce Adieu Marion a de multiples origines. Sur le plan familial mon père fut soldat en 1939-40, démobilisé en juin 1940. L’épisode rapporté par le caporal Lemonnier dans Adieu Marion (p.31) sur les soldats qui sont faits prisonniers aux Ponts-de-Cé près d’Angers alors que d’autres passent la Loire, a été vécu par mon père qui aimait beaucoup la raconter. D’autre part, le thème récurrent dans la pièce selon lequel le Haut commandement français aurait trahi est à la fois fréquemment avancé par de nombreux Français et m’a été constamment répété par mon père. Il y a là sans doute une part de vérité, une part aussi d’explication facile et consolante d’une défaite vécue par les soldats de l’époque comme particulièrement humiliante. Pendant la guerre mon père fut instituteur et secrétaire de mairie dans un petit village du département de l’Eure (27), Saint-Siméon, entre Pont-Audemer et Lieurey. Non loin de là sont des maquis plutôt communistes (Front National mais rien à voir avec le parti de Jean Marie Le PEN). Vite les gaullistes enverront leurs hommes avec à leur tête un certain Leblanc intégré au maquis Surcouf. Comme secrétaire de mairie mon père aide les maquisards en détournant des tickets de rationnement. Il a aussi appris l’Allemand au collège de Valognes dans sa jeunesse et a servi d’intermédiaire avec des prisonniers allemands du maquis ou de traducteur de textes. Très rapidement cependant les relations entre communistes et gaullistes tournent à l’aigre, conflits qu’avive le caractère brutal et dominateur de Leblanc. Plus tard, mon père fulminait contre Henri Amouroux (historien) qui voyait les Français comme largement pétainistes, (au moins juste après l’armistice) et contre tous ceux qui minimisaient le rôle de la résistance intérieure. De même il était scandalisé par l’attitude méprisante du Général de Gaulle pour les chefs de la Résistance intérieure (notamment la froideur qu’il manifesta pour Rol-Tanguy à Paris et pour le chef de la résistance de la région de Toulouse dont le nom m’échappe aujourd’hui.) Pour finir sur ce chapitre mon père adhéra, en 1943, au parti communiste, après avoir été plutôt anarchiste et pacifiste dans sa jeunesse. Il suit là un courant dominant malgré une personnalité peu adaptée à la discipline de ce parti, au moins en ce temps là. En 1945, il consacrera un poème à la Résistance récité le 11 novembre 1945 pour la pose d’une plaque portant mention des noms des morts de 1939 à 1945 à Saint-Siméon, dans l’Eure (document joint). Le seul souvenir qui me reste de la guerre, serait celui d’un 14 juillet 1945, je pense, avec un hommage traditionnel, enfants des écoles, drapeaux etc. Ma mère, née en 1908 est toujours vivante et a cependant neuf ans de plus que mon père. Elle était absolument opposée à la guerre et m’a inspiré le personnage de Simone (Adieu Marion p.20). Elle considérait l’esprit belliciste comme 2.7 Yoland Simon: Brief vom 22.04.2005 343 propre aux hommes et sans doute avec optimisme pensait que, sans eux, il n’y aurait pas de conflits. Elle méprisait aussi tous les colifichets du patriotisme, drapeaux, médailles etc. et avouait, sans se faire prier, qu’elle avait reçu la nouvelle de l’armistice avec soulagement et avait avec inquiétude entendu parler d’un de Gaulle qui voulait renvoyer les hommes à la guerre. Cependant, elle n’aimait guère Pétain que détestait son père, né en 1851, vieux républicain qui assimilait un peu Pétain à Napoléon III qu’il appelait toujours Badinguet, d’après le nom pris par l’Empereur, lors de sa tentative d’évasion du fort de Ham. Contrairement à mon père, les événements ne conduisirent pas ma mère vers le patriotisme et elle professait par ailleurs bien peu d’estime pour les Résistants qui, à ses yeux, jouaient un peu les petits coqs et n’avaient fait qu’aggraver les choses. Elle détesta aussi plus tard les émissions de télévision (sur Arte notamment) qui évoquaient la seconde guerre mondiale et qui passionnaient mon père. De tout cela, à l’inverse de mon père, ma mère ne faisait guère un corps de doctrine. Elle assumait ce qui peut apparaître comme contradictoire sans se soucier de cohérence, n’aimant curieusement ni Pétain, ni les Allemands, ni les Résistants, ni le soi-disant patriotisme et n’évoquant la Collaboration qu’à travers quelques commerçants qui avaient fait fortune avec les Allemands mais sans s’en scandaliser beaucoup. Contrairement à mon père pour qui la seconde guerre mondiale fut un événement déterminant de sa vie (la défaite à assumer, l’engagement dans la Résistance, l’adhésion au parti communiste, les souvenirs de plus en plus prégnants avec l’âge) la guerre ne fut qu’un épisode de la longue vie de ma mère. Elle avait connu, il est vrai, la première (10 ans en 1918) et cela explique sans doute sa relative indifférence pour toutes ces vicissitudes de l’Histoire. De surcroît cette période fut celle de la naissance coup sur coup de ses trois enfants (mai 39, juin 40 et septembre 41) puis d’une grave maladie, et sans doute elle aurait pu dire comme la Simone d’Adieu Marion (p.20) «La vie c’est déjà assez dur sans y ajouter des guerres» Etrangement ni mon père ni ma mère ne parlaient du problème juif. Cela peut s’expliquer par l’inexistence de cette communauté, donc de sa tragédie, dans les petits villages de Normandie. Il y eut aussi le large silence sur ce problème dans l’immédiat après-guerre. On en connaît les causes: volonté de considérer Vichy comme une malheureuse parenthèse, souci du général de Gaulle de s’opposer aux communistes en remettant en selle la Haute administration plus ou moins compromise dans cette horreur, souci des communistes d’unité nationale et d’exaltation de la Résistance populaire. Affirmation par le parti du rôle prédominant des communistes dans la Résistance et mise en avant du tribu payé par ses militants, en somme l’affirmation d’un certain monopole dans la victimisation, (le thème du parti des fusillés) qui conduit à ne guère évoquer l’holocauste. Après la guerre froide, le thème ne présentait également guère d’intérêt idéologique ou politique pour aucun des deux camps obnubilés l’un par l’Amérique, l’autre par la Russie. Je n’ai donc pas souhaité plaquer artificiellement l’évocation du génocide dans Adieu Marion. Peut-être aussi par une certaine pudeur, n’ayant eu de ce côté aucune souffrance familiale ou autre. Il y a cependant le choix de Pithiviers comme ville où vivait le caporal Lemonnier. Symbole sans doute de la France profonde mais aussi de la cécité française sur V Anhang 344 le problème du génocide puisque Pithiviers fut un des lieux où des Français participèrent à ces crimes. Enfin une brève allusion aux camps par Julien (p.31). Il se peut aussi que j’aie inconsciemment pensé qu’il y eût eu quelque indécence à introduire le thème du génocide dans l’univers futile d’un cabaret. En effet, j’évoque le problème juif, notamment la nuit de cristal, dans Paroles de la mer. Les sources littéraires et cinématographiques d’Adieu Marion Sur un plan personnel, comme le souligne la préface de Jean-Philippe Mestre, je suis passionné d’histoire. Thème sans doute lié chez moi à l’obsession de la mort et à la passion de la remémoration. Ainsi Philippe Ivernel note dans sa préface à Couleur de Cerne et de Lilas que dans cette pièce «la remontée dans le temps vers les origines fondatrices bute non seulement sur le spectre du vieillissement et de la mort éternelle mais encore et avant tout sur celui de la violence historique rôdant à l’arrière-plan…» (Avant-Scène n°985 pp.37, 38). Ce frottement de l’histoire et de l’intime est sans doute aussi une thématique forte du «Théâtre du quotidien» qui m’a fortement influencé. Il est très net dans Je l’avais de si près tenu, (Avant-Scène N° 826) qui évoque la vie de villages normands après la guerre 14, dans Couleur de Cerne et de Lilas qui évoque la vie de ces mêmes villages pendant la fin de la guerre d’Indochine et incidemment la seconde guerre mondiale dans un contrepoint historique un peu ironique où on évoque l’aide apportée par un prisonnier allemand (Avant-Scène N° 9, bas de la page 22). Trois pièces sont cependant plus totalement historiques, d’une part Flora (éditions de l’Harmattan) qui évoque exclusivement la figure de Flora Tristan, Paroles de la Mer qui évoque largement la seconde guerre mondiale et sur laquelle je reviendrai et Adieu Marion. En ce qui concerne Adieu Marion, j’avais depuis longtemps l’envie de parler des oubliés de l’histoire à savoir les soldats français de 1939-40. En effet la seconde guerre mondiale semble marquée par les imageries du Reich d’une part, des forces alliées et soviétiques d’autre part. Tout ici est clair, évident. Donna lieu à une quantité invraisemblable de livres ou de films. Peu d’œuvres au contraire sur cette première partie de la guerre. On peut relever Week-end à Zuydcoote de Robert Merle, Le Caporal épinglé de Jacques Perret, Les grandes Vacances de Francis Ambrière, et La Mort dans l’Âme de Jean-Paul Sartre. Je ne parle pas évidemment de la colossale bêtise de films comme Où est passé la Septième compagnie? Cet intérêt pour les oubliés de l’histoire ne m’a jamais quitté. En ce qui concerne les soldats de 39-40, il fut renforcé par le contexte familial dont j’ai déjà parlé. Je pense aussi à l’évocation d’Aragon dans le fameux poème «Il n’y a pas d’amour heureux» je cite: Ma vie elle ressemble à ces soldats sans armes Qu’on avait habillés pour un autre destin Eux qu’on retrouve au soir désarmés incertains… C’est à ces soldats que je pense dans le poème que je dédie à Aragon: La vie défilait des bobines Où nos pères gentils soldats Défilaient dans des cinémas Sur d’étranges chemins d’exil… 2.7 Yoland Simon: Brief vom 22.04.2005 345 (in Les Heures et les demeures. Editions Corps-Puce, 1993, p.22. épuisé. Document joint.) Dans un premier temps j’avais eu l’idée de mettre en parallèle les soldats français de 40 et les soldats allemands à la fin de la guerre sur le Front de l’Est. Parallèle qui n’eût pas manqué de choquer beaucoup de gens. Ce n’est pourtant pas ce qui me conduisit à y renoncer. Ce fut plutôt la difficulté de travailler sur cette mémoire des soldats allemands qui n’avait jamais rencontré mon propre vécu. Il reste une trace de ce projet dans une de mes nouvelles. «Elle était jeune et vendait des Brötchen à Garmish Partenkischen» [sic] (in Et si on arrêtait la Mer, éditions de l’Harmattan, 1994.) L’évocation des soldats allemands célébrés à la Gedächtniskirsche [sic] de Garmish se trouve pp. 102-103. Elle correspond à la volonté d’opposer le décor conventionnel de la guerre avec les tragédies de la vie quotidienne. Toujours le frottement de l’intime et de l’histoire. De façon anecdotique, le thème de cette nouvelle m’est venu lors de vacances à Garmish, en 1993, et c’est encore à Garmish, en février 1994, que j’ai écrit l’essentiel d’Adieu Marion. Après Aragon, il me faut évoquer l’influence de Jean Giraudoux. J’ai toujours été fasciné par cet auteur, injustement décrié, me semble-t-il, par la critique universitaire actuelle et par ce qu’on appelle le milieu de la décentralisation (des grands metteurs en scène du théâtre subventionné). J’avais eu le projet de m’intéresser aux textes Pleins Pouvoirs (Gallimard 1939) Sans Pouvoirs, (Le Rocher 1946) et Armistice à Bordeaux. (Le Rocher 1945) L’extrait que je vous joins d’Armistice à Bordeaux a directement influencé les paroles prêtées à Pierre (Adieu Marion fin de la page 12, début de la page 13). Dans les deux cas, il y a l’héritage de la France à faire fructifier malgré la défaite, avec l’allusion par Pierre de l’école et du fameux manuel de l’école de la fin du dix-neuvième siècle: Le Tour de France par deux Enfants. Pour finir sur Giraudoux, il est intéressant de constater qu’Aragon avec la guerre, l’occupation déclara «qu’il s’était mis à aimer tout ça», c’est à dire Giraudoux. (Cité par Chris Marker, Giraudoux par lui-même collection Ecrivains de toujours, N° 8 aux éditions du Seuil) imprimé en 1959 dans mon édition. Pour finir avec les œuvres qui ont exercé une influence déterminante, il me faut citer François Truffaut et Jean Claude Grumberg. J’ai une très vive admiration pour François Truffaut. A ma connaissance il évoque L’Allemagne et les deux guerres dans deux œuvres Jules et Jim d’une part (évocation de la première guerre mondiale par le personnage d’Albert parlant d’un soldat, probablement une version romancée du poète Guillaume Apollinaire, d’autre part la villégiature en Allemagne des deux héros Jules et Jim et de Catherine et d’Albert. (cf. aussi l’ouvrage éponyme de Pierre Henri Roché, collection Folio.) L’autre œuvre est évidemment Le Dernier Métro, dont le scénario est de Jean Claude Grumberg. L’influence de Grumberg est évidemment importante pour moi. Découverte avec l’Atelier du Théâtre du quotidien, sur une pièce traitant justement de la guerre de 39/ 45. Découverte aussi d’En r’venant d’l’Expo, qui est une des pièces où Grumberg met en œuvre des scènes de cabaret, comme on en trouve dans Adieu Marion. Je dois tout de même considérer que Le Dernier Métro V Anhang 346 me paraît plus convaincant. Sans doute je ne serai pas aussi sévère que Jean- Pierre Sarrazac qui à propos de formes de théâtre dans le théâtre dans l’œuvre de Grumberg parle de «caricature de pirandellisme» (in l’Avenir du Drame, l’Aire théâtrale, 1981, pp.34-36). Cependant j’ai cherché à éviter cette forme du théâtre dans le théâtre dans Adieu Marion en respectant scrupuleusement l’unité de lieu, le cabaret, non pour une mise en parallèle signifiante comme dans En r’venant d’l’Expo, mais comme un lieu où peuvent se manifester toutes les ambiguïtés de la France de l’époque. A cette unité de lieu s’oppose dans Adieu Marion la pluralité des temporalités. Il ne s’agit pas d’une construction extrêmement savante, seulement devant produire des frottements efficaces entre les trois périodes évoquées (juste avant l’Armistice, pendant l’Occupation, à la Libération). Bien que ce type de rétrospectives au théâtre ou au cinéma soit devenu très banal je voudrais rappeler le rôle d’Armand Salacrou dans ce genre de recherches et notamment dans L’Inconnue d’Arras qui mit en œuvre (inventa? ) ce procédé. Aux dires de Salacrou cette pièce aurait inspiré les flashbacks d’Orson Welles dans son Citizen Kane. Le personnage de Pierre quand il est attaché au jazz malgré les interdits et prenant pour cette chose apparemment futile quelque risque a pu m’être inspiré par un personnage du Chemin des Ecoliers de Marcel Aymé qui entre dans la Résistance parce qu’on l’empêche d’écouter sa musique préférée. Il y a encore la pièce d’Armand Salacrou Les Nuits de la Colère que j’ai lue qui ne m’a cependant guère influencé, étant assez manichéenne, ce qui se comprend dans le contexte de la libération, d’une part, des philosophies sartriennes de l’engagement d’autre part. Je voudrais pour finir signaler la grande admiration que j’ai pour Le Silence de la mer de Roger Vercors, sans que je puisse voir en quoi il aurait influencé de façon directe le texte d’Adieu Marion, mais de façon évidente le titre de Paroles de la mer et les deux personnages de la jeune fille et son père demeurés ensemble pendant l’occupation. Paroles de la mer est un peu l’ébauche d’Adieu Marion. Elle joue aussi sur deux temporalités (avant et après la guerre). Elle joue aussi sur la valeur symbolique des paquebots comme le montre de façon éclatante le sort du paquebot Normandie symbolisant le naufrage aussi de la France en 1940. La pièce cependant me paraît moins ambiguë et donc moins riche, moins troublante qu’Adieu Marion avec notamment un personnage principal que l’on croit pétainiste et qui se révèle un peu par un coup de force dramaturgique un Résistant. Plus vrais me paraissent les pathétiques ballottements des personnages d’Adieu Marion, pris entre leurs peurs, leurs intérêts, leurs restes de valeurs, leurs sentiments. Les sources documentaires d’Adieu Marion Paradoxalement, pour un ouvrage historique, je n’ai pas eu un grand travail de documentation à faire. (Très différent par exemple du travail à faire sur Flora Tristan pour ma pièce Flora). L’essentiel de ma source documentaire est l’ouvrage d’Henri Amouroux paru dans la collection Kiosque, Armand Colin éditeur. Je me suis inspiré de l’ouvrage pour la description du défilé des soldats allemands à Dreux fait par Simone (Adieu… p.20). Les autres références sont citées pour le chansonnier René Paul (bas de la page 24) et pour les lettres de 2.7 Yoland Simon: Brief vom 22.04.2005 347 fusillés (bas de la page 25). Les lettres sont inspirées des lettres des élèves fusillés du Lycée Buffon qui ont leur rue dans le quartier de Montparnasse. (Rue des martyrs, je crois, du lycée Buffon.) Le reste de la pièce s’inspire plutôt d’une imprégnation mélangeant souvenirs familiaux, (films comme La Bataille du rail de René Clément ou Lacombe Lucien de Louis Malle, livres de Modiano ou de Pascal Jardin) et connaissances historiques personnelles. Les thèmes d’Adieu Marion Je dirai qu’Adieu Marion est avant tout une pièce de la conscience inquiète d’un Français n’ayant pas eu à vivre directement ces événements. En effet, la mémoire allemande est sans doute terrible à assumer mais elle est sans ambiguïté. Je ne voudrais pas imposer mon point de vue là-dessus aux Allemands mais il est facile d’imaginer qu’ils se posent la question: Comment a-t-on pu faire cela? Pour un Français la question est plutôt: «Dans quel camp aurais-je été? » Angoissante question induite par la confusion créée par Vichy, par la permanence de l’Etat français et par le maintien des activités de cet appareil d’état. Police, justice, enseignement… A cet égard, il est intéressant de noter que la poursuite de ces activités renvoyait une image contrastée. Si l’on ne reprocha guère aux enseignants d’avoir continué à enseigner, il n’en fut pas de même des juges qui prêtèrent serment au régime et pour certains acceptèrent l’infamie des lois d’exception qui permirent d’exécuter des Lucien Sampaix et autres prisonniers déjà jugés au nom de lois promulguées après les faits reprochés aux accusés, au mépris de l’élémentaire principe de non rétroactivité des lois... Je ne parlerai pas ici des policiers, impliqués pour certains dans la rafle du Vel d’Hiv ni des préfets qui prêtèrent tous serment à Pétain à l’exception notable de Jean Moulin. Quant aux gens du monde culturel, ils continuèrent à écrire, jouer, faire des films (et de grands films à l’époque) et à chanter dans les cabarets. Charles Trenet donna sa Romance de Paris sur les ondes de Radio-Paris, Suzy Solidor faisait pleurer le gratin de l’État-major allemand avec Lilly Marlène. Gaston Gallimard confiait la N.R.F. à Drieu la Rochelle, soucieux avant tout de continuer à éditer, Sartre acceptait que l’on sollicite l’accord des autorités d’occupation pour que l’on joue Les Mouches au théâtre de Charles Dullin, Colette donnait des nouvelles dans des feuilles de la Collaboration, Simone de Beauvoir publia également des textes, Jean Cocteau délira sur le talent d’Arno Brecker. Tous ces gens ne furent en rien, à part peut-être Suzy Solidor, des «collabos». Je ne les compare pas à ceux qui firent «le voyage d’automne» à Weimar, je crois: Jouhandeau, Chardonne, Drieu et Brasillach qui dans Je Suis Partout, journal de la Collaboration n’hésita pas à écrire «Les Enfants d’abord» pour inciter à l’extermination des juifs. Je n’évoque aussi que pour mémoire le voyage en Allemagne des comédiens, Danielle Darieux, l’inévitable Suzy Solidor et le voyage des peintres et sculpteurs Vlaminck ou Belmondo, le père de Jean-Paul. Il n’est pas très facile d’être passé dans cette période sans en vivre les terribles contradictions. Ce qui me frappe aussi c’est le rôle que joua le hasard de sa position sociale dans le comportement adopté. On l’a vu pour les policiers, les magistrats, les gens de la Haute-administration, sans parler des patrons comme Louis Renault des usines du même nom. A l’inverse, les petites V Anhang 348 gens furent relativement peu amenées à collaborer avec Vichy ou les autorités d’occupation. On le voit les raisons idéologiques ne furent peut-être pas aussi importantes qu’on l’estime généralement. Les pesanteurs sociologiques, les cultures propres à certaines professions, prédisposées à servir les pouvoirs en place quels qu’ils soient, furent souvent déterminantes. Comment dès lors être sûr que l’on aurait fait dans ces circonstances le bon choix? C’est peut-être avec sa lucidité de petit bonhomme un peu lâche mais assez franc finalement, ce que dit M. Marcel: «Il y a des époques, voyez-vous, il faut vraiment beaucoup de qualités pour les traverser sans dégâts» et plus loin: «… Il fallait être assez clairvoyant pour choisir le bon camp, assez désintéressé pour tout sacrifier et assez courageux pour tout risquer.» (Adieu Marion p.19) A cet égard, Adieu Marion s’éloigne beaucoup des problématiques sartriennes. D’abord par son refus de désigner clairement des salauds, selon le terme sartrien. Par l’importance accordée surtout au contexte culturel social, politique et historique dans la détermination des actions des personnages, bien plus présents qu’une liberté existentielle ou que le thème de la responsabilité cher au philosophe français. Les personnages d’ailleurs ne sont ni de parfaite bonne foi, ni de parfaite mauvaise foi. Les idéologies aussi s’annulent et les principes de bien et de mal se neutralisent (les hommes politiques issus de la Résistance qui deviennent ambitieux et assez peu scrupuleux. Marion, à l’inverse, qui devient victime d’une Histoire dont elle voulait s’affranchir avec une philosophie du chacun pour soi affirmée de façon plutôt provocatrice. Julien, le journaliste serait le personnage dans le style sartrien, en quête de transparence, inquiet et manquant aussi un peu d’indulgence.) Je ne crois pas cependant que l’on puisse lire la pièce comme l’œuvre d’un anarchiste de droite (style Marcel Aymé, Antoine Blondin). Ceux-ci en effet font l’apologie des sceptiques un peu cyniques et dénoncent avec certaines facilités les penseurs idéalistes, disons de gauche. Julien même s’il dénonce aussi l’arrivisme des politiciens de gauche issus de la Résistance, le fait avec la nostalgie de certains idéaux et non par pessimisme sur la nature humaine. (Voire son admiration pour les jeunes du lycée Buffon). Je crois en fait qu’Adieu Marion témoigne d’un certain désarroi de son auteur, incapable de renoncer totalement aux idéaux vaguement égalitaires dont sa jeunesse fut imprégnée, incapable en même temps de prendre contre les hommes tels qu’ils vivent l’attitude du juge et plus enclin à l’indulgence qu’à une quelconque rigueur doctrinale ou à des condamnations au nom de la morale. C’est peut-être là l’œuvre d’un Normand, gens dont le Président Senghor évoquait le lyrisme modéré. Pour revenir à l’aspect historique, il nous est aussi assez difficile de connaître le véritable comportement de la masse des Français dans cette période. Les films ont souvent répercuté des clichés discutables. Ainsi du fameux portrait du Maréchal dans les écoles que l’on se croit obligés de mettre dans tous les films. En zone occupée, la plupart des instituteurs ne le mirent pas et ne firent jamais chanter à leurs enfants l’hymne au Maréchal. On conçoit d’ailleurs que les autorités allemandes se moquaient totalement de ce problème. 2.7 Yoland Simon: Brief vom 22.04.2005 349 Rôle joué par l’Allemagne dans ma vie Je n’ai jamais étudié l’Allemand. Je le jargonne horriblement car, du fait de ma femme, professeur d’Allemand, je suis souvent allé en Allemagne. Des amis à Stuttgart, dans le Harz. Comme je l’indique plus haut des voyages à Garmish, un faible pour Gottingen, un séjour organisé en 1975 en R.D.A. sur le système éducatif, un stage linguistique à Lubeck… Peu de compétences sur la littérature allemande sauf en théâtre une certaine influence de Archtenbush [sic] (pas très sûr de l’orthographe). Il est arrivé à Claude Yersin, metteur en scène de La Comédie de Caen, de trouver quelque ressemblance entre Ella d’Achtenbush et ma pièce (jointe) Chute libre. Beaucoup d’admiration aussi pour Fassbinder. Lu très jeune tout Schiller, sans savoir exactement ce qu’il m’en reste, sinon peut-être ce goût toujours pour l’histoire. Enfin je retrouve là Giraudoux et son Siegfried et le Limousin. Ma propre vie Je joins une bio. Ce qui compte pour moi. Le rêve d’être un écrivain dès mon enfance. Comme beaucoup d’auteurs j’étais très attaché à réussir mes rédactions. Beaucoup moins intéressé par les dissertations et autres exercices académiques de notre enseignement. Paralysé, comme beaucoup de gens de ma génération par le courant structuraliste des années 70, plutôt castrateur et dont il fallut me libérer (début des années 80). Ai abordé tard le théâtre en n’y connaissant pas grand chose, ce qui paradoxalement m’a conduit à des écritures peu soucieuses de la scène et peut-être novatrices pour cela. Enfin peut-être. Dans ma vie, les années d’internat furent une grosse épreuve (1952-1959). La petite péninsule de la Hague, mon petit paradis (cf. Le Pays dans les nouvelles et la pièce Je l’avais de si près tenu). Ma femme fut et demeure «la compagne absolue». Je n’arrive à concevoir ni l’existence de Dieu ni à accepter le scandale de ma propre mort. Ma rencontre avec Armand Salacrou eut pour moi une certaine importance. Moins par affinité pour son œuvre (encore que Boulevard Durand m’émut aux larmes quand j’étais adolescent) que parce qu’il m’encouragea à écrire. Plus tard, ce fut le soutien d’Anne Ubersfeld, incontestable théoricienne du théâtre et qui me préfaça Chute libre. Sur un plan plus personnel je crois que je suis obsédé par le thème de l’humiliation (souvenir peut-être des humiliations de l’internat). Ce thème se retrouve dans nombre de mes écrits et très évident dans Le Cri de Christelle, et avec le personnage du Marocain, dans Une Fin de Semaine très ordinaire dans des paysages variés. Dans Adieu Marion, il y a l’allusion au sort des femmes tondues, (p.20) l’humiliation aussi de la défaite qui devient plus importante pour Simone que son pacifisme avec l’évocation émue «à nos petits gars mal armés, mal commandés» (p.20). Petit jeu de j’aime - j’aime pas J’aime En littérature: Musset, Apollinaire, Giraudoux, Tcheckhov, Paul Jean Toulet, Salinger, Lorca et Machado, René Guy Cadou, Aragon (comme poète), Jean Follain, Michel Vinaver. V Anhang 350 En cinéma: Truffaut, Rohmer, les premiers Godard, enfin la Nouvelle vague qui fut une des grandes découvertes de mes vingt ans. En peinture: Les primitifs flamands, Ver Meer, Constantin Guys, Vuillard, l’école de Barbizon, Edward Hopper…. En musique: Chopin, Ellington, Charlie Parker. En chanson: Mano Solo, Manu Tchao, Alain Souchon et les nouveaux chanteurs français, Bénabar surtout. J’aime les églises romanes, les châteaux de la Loire, (les plus modestes Azay-le- Rideau plutôt que Chambord), Salamanque, Bruges, Honfleur, Cabourg, LA HAGUE! Je crois bien que j’aime les demi-teintes, les demi-saisons (je suis de septembre). Je déteste commander, noter, juger. Je déteste ma distraction, le désordre de mon bureau, la confusion de mes démarches, ma vulnérabilité en toutes choses. Je ne crois pas à la notion d’Avant-garde qui a transformé le marxisme en stalinisme et dans les arts produit de nouveaux académismes: la poésie hermétique, le théâtre dominé par la mise en scène, la peinture abstraite, le nouveau roman et ses succédanés, tous les refus faciles du sens et de l’émotion. Je ne crois pas pour autant au retour à de vieilles formes (mots d’auteurs au théâtre, formes versifiées en poésie, retour du romanesque psychologique même dans ses avatars post-modernes (Houellebecq par exemple). Ma devise est: Seul, le mépris est méprisable. Concernant mon écriture J’écris le théâtre dans une certaine hâte, car le dialogue vous porte, crée dans une certaine dynamique des frottements contextuels (ou thématiques si l’on préfère) et sémantiques. Voire, comme c’est surtout évident dans Chute libre, entre les signifiants et les signifiés. Pour des pièces comme Je l’avais de si près tenu ou Couleur de Cerne, l’écriture se propose de mettre en relation les éléments contextuels de l’histoire (le soleil, les chiens, les vaches et le lait, la mer et ses joies, les fêtes, la maladie, les chevaux, les tracteurs, la guerre d’Indochine, la tuberculose) soulignant ainsi leurs valeurs symboliques et contradictoires dans la vie des personnages. L’écriture là est donc très préparée par la recherche et la construction de ces éléments. Dans Adieu Marion, la valeur symbolique est plus connotée historiquement (le jazz par exemple, symbole de décadence pour les tenants de la Révolution Nationale et les Maréchalistes, devient le symbole de l’américanité et des valeurs de la libération). La recherche Elle est importante dans les pièces de type historique. Adieu Marion, et je l’ai dit surtout Flora. Importante aussi dans les pièces évoquant l’histoire du théâtre ou le XVIIIéme siècle Les Incertitudes de Sophie, Tout un drame, Au théâtre comme au théâtre. Dans mes pièces plus proches du théâtre du quotidien, il s’agit plus de souvenirs. C’est aussi dans ces pièces que le travail sur le vocabulaire est important. Travail sur les dialectes et les néologismes dans Imprécations. Travail sur les tournures familières du Français des années 50 dans Couleur de Cerne. Au total, je me rallierais assez volontiers à la phrase d’Armand Salacrou qui 2.7 Yoland Simon: Brief vom 22.04.2005 351 disait que dans le théâtre moderne l’auteur dramatique devait inventer une dramaturgie par pièce (notamment par le traitement du temps, des lieux, de l’action pour reprendre des vieilles catégories mais qu’il faut reprendre en l’absence de tout a priori et selon une logique consubstantielle à l’œuvre comme l’a fait Michel Vinaver). L’influence de la scène Dans mes travaux, la scène m’a peu influencé. Je crois que les courants actuels privilégiant la scène ont une approche contradictoire. D’une part, ils mettent en avant le protocole de la représentation (le jeu des acteurs, l’espace scénique, les éléments techniques et bien entendu le metteur en scène). D’autre part, ils ne peuvent ignorer que la scène s’est affranchie, qu’elle n’est plus là pour être l’icône (décor etc.) de la fiction ou servir, si l’on préfère, l’illusion dramatique, mais qu’elle est devenue une sorte d’espace poétique où se déploie le génie créateur des acteurs de la représentation. C’est dire que parler pour les acteurs des contraintes de la scène est vrai pour les responsables de la représentation mais n’a plus de sens pour le créateur de la fiction, en tout cas pour ce qui concerne les problèmes évoqués plus haut (temps, lieu et action). Donc le discours dominant qui veut que l’auteur soit d’abord un praticien de la scène n’est cohérent que si on entend le passage à chaque fois différent d’une fiction à une représentation, voire de son écriture en cours de recherche sur la représentation. Ce qui revient tout de même à redire que le matériau textuel garde une souveraine autonomie que les règles de sa production sont à chaque fois à redéfinir et qu’il n’est pas confronté à de prétendues nécessités théâtrales mais au contraire laisse toute liberté à une autre souveraine autonomie, celles des acteurs de la représentation et qu’il n’a guère dans son travail en amont de la représentation à s’en soucier. Si on ne s’en tient pas là, dans un cas on revient à la prééminence littéraire (celle du texte) et aux conventions poussiéreuses du théâtre dit d’auteurs (Vaudeville, voire aujourd’hui le café théâtre). Dans l’autre cas on instrumentalise pour la représentation la parole du poète, en hypostasiant le fameux acte théâtral et en diluant le théâtre dans le spectacle. La place de la parole La parole est pour moi fondamentale. Elle est l’acte spécifique où s’affirme l’art du dramaturge. Il écrit en effet ce que j’ai appelé les palimpsestes de la parole. Le théâtre en effet renverse l’évolution de l’humanité qui a fait passer de la civilisation orale à la civilisation de l’écrit, de la préhistoire à l’histoire. Au théâtre, au contraire l’auteur écrit ce qui deviendra du dit. Ecrit du pérenne qui deviendra de l’éphémère. Des signes abstraits s’adressant au décodage intellectuel (cf. les thèses de MacLuhan) qui deviendront du sonore et du gestuel. Mais je dis bien qui deviendront, par la représentation. A cet égard, l’a priori qui veut que la parole soit de l’énergie, du cri primal de la violence artaudienne, me paraît un a priori, justement. L’Alexandrin de nos souvenirs scolaires est autant de la parole que le cri primal. De même, me paraît stupide l’idée d’un classement sociologique (la fameuse et illusoire distinction langue parlée, langue écrite). Pour ma part j’ai au contraire mélangé les registres, les effets sono- V Anhang 352 res, les jeux signifiants, signifiés sans me soucier du fameux langage théâtral, qui est bien en bouche comme disent les comédiens qui en l’occurrence ont des critères de comédiens à l’antienne (pré stanislavskien si l’on veut). 2.8 Jean-Paul Wenzel: Brief vom 22.09.2004 Je pense que la question que vous posez aux auteurs nés après la seconde guerre mondiale est tout à fait intéressante à savoir comment aborde-t-on par l’écriture une époque que nous n’avons pas vécue sinon par médiation. Pour ma part (je ne sais pas ce que Bernard Bloch répondrait), je dirai que vivre l’immédiat après-guerre dans nos familles qui ont vécu souvent de plein fouet la guerre d’une manière ou d’une autre, nous a profondément marqués, du moins à marqué nos écritures. Je travaille depuis une vingtaine d’années avec la dramaturge Arlette Namiand qui a elle aussi écrit sur ce sujet et nous avons ensemble travaillé sur des œuvres telles que Croisade sans croix d’Arthur Koestler où il est question d’un jeune hongrois communiste torturé par les Allemands qui s’échappe de prison, se cache dans les cales d’un navire et arrive à Lisbonne en pleine guerre très affaibli mais avec l’intention de prendre des contacts pour rejoindre la résistance alliée en Angleterre. Mais à Lisbonne affluent les réfugiés de toute l’Europe en partance pour l’exil en Amérique. Il tombe amoureux d’une Française et se trouve déchiré entre son désir de la suivre en Amérique et son désir de continuer le combat. Très beau livre que nous avons adapté et joué à Paris au Théâtre de la Colline et en province entre 1998 et 1999. Par ailleurs, nous avons adapté pour le théâtre (pour un Festival de théâtre au Centre de la France) l’œuvre de Primo Lévi Maintenant ou Jamais. Cette bande de jeunes juifs, hommes et femmes, venus des ghettos de biélo-russie, qui ont marché deux ans, en croisant souvent le Front, en vivant comme des jeunes loups dans les forêts aux abords des villages, en combattant aussi quand il le fallait, en faisant aussi des fêtes. Ils ont traversé l’Europe jusqu’en Italie, où ils sont arrivés à Milan le jour où la bombe atomique a été lâchée sur Hiroshima et où l’une des filles du groupe a accouché d’un enfant, avant que certains d’entre eux ne s’embarquent pour Israël. J’ai mis en scène (en 1996) ce spectacle avec trois acteurs professionnels et 14 jeunes comédiens de l’école du TNB de Rennes dont j’étais, à l’époque directeur pédagogique. Une façon pour nous de transmettre par le théâtre cette histoire aux jeunes gens. Et puis en 1991 j’ai mis en scène la magnifique pièce de l’auteur serbe Lioubomir Simovic Le théâtre ambulant Chopalovitch que j’ai joué au Théâtre de la ville à Paris et partout en Province. L’histoire d’une troupe de théâtre de Belgrade qui se voit contrainte de partir sur les routes pendant la seconde guerre et arrive dans un petit village où ils s’apprêtent à jouer Les Brigands de Shiller [sic] sur la place quand ils se font arrêter. Le malentendu entre ce qu’ils sont et ce qu’ils jouent va provoquer des drames et des choses magnifiques. Au milieu des années 80, Arlette Namiand a écrit Passions selon St-Flour que j’ai mis en scène, une pièce à partir d’un fait divers qui a mobilisé les médias à 2.8 Jean-Paul Wenzel: Brief vom 22.09.2004 353 l’époque en France: Une femme et ses deux frères vivaient reclus dans leur maison dans une ville d’Auvergne à St-Flour depuis la Libération, époque où, jeune fille, elle avait été tondue en place publique, accusée d’avoir «dansé» avec un allemand. Ses parents, humiliés, mis au banc de la ville, l’avaient ensuite enfermée dans la cave d’où elle ne sortait que la nuit et en laisse. A la mort des parents, ses frères ont continué à la maintenir cloitrée en vivant aussi là, avec elle. Finalement les gendarmes les ont sortis un petit matin en 1983, presque quarante ans après la fin de la guerre... ça a fait la une des journaux. Par conséquent comme vous pouvez le voir nous sommes les enfants d’aprèsguerre, la guerre, l’expérience de nos pères a fondé notre identité d’homme, de femme et d’écrivains. Mon père était un soldat allemand stationné à St-Etienne en France et qui a déserté. Le père d’Arlette Namiand, quant à lui, était dans la Résistance Lyonnaise, il fut arrêté par la Gestapo et déporté à DACHAU. Je suis en pleine écriture en ce moment et il m’est difficile de répondre correctement à toutes vos questions, toutefois je me permets de vous faire parvenir l’édition française de Vater Land qui retrace assez fidèlement la genèse du travail effectué avec Bernard Bloch. Une partie des réponses à vos questions se trouve dans ce livre. Je vous laisse le lire et me recontacter ensuite. Je vous l’envoie par courrier aujourd’hui. V Anhang 354 3. Enzo Cormann: Interview am 25.04.2000 in Straßburg 3 Christine Felbeck: Pour approcher au début un peu plus du personnage Enzo Cormann: Comment définiriez-vous les différents rôles que vous incarnez en tant que metteur en scène, acteur, fondateur de La grande Ritournelle, professeur au TNS et surtout en tant qu’auteur? Enzo Cormann: Bon, c’est ... C.F.: C’est beaucoup ... E.C.: Non, non, je crois que la particularité d’un écrivain de théâtre est qu’il y a une dialectique entre la solitude et une activité très sociale. Un romancier ou un poète écrit directement pour le lecteur. Un écrivain de théâtre écrit, en fait, d’abord pour une équipe de gens, une équipe artistique composée de comédiens, de metteurs en scène, de décorateurs, de gens qui font la lumière, du son etc. Donc, il a un côté artisanal. Au théâtre, je ne crois pas qu’un individu puisse dire: je suis un artiste. En définitive, l’artiste est collectif et il est composé d’un collectif d’artisans. L’écrivain de théâtre a donc cette dimension artisanale de son travail ce qui fait qu’il y a un peu deux attitudes possibles: soit il le subit c’est-à-dire qu’il se dit moi, je suis à ma table de travail, je n’en bouge pas et puis, ma foi, advienne que pourra; soit il participe au collectif c’est-à-dire qu’il va au théâtre, il rencontre les gens, il collabore avec eux. Et moi, je me suis toujours - enfin en tout cas depuis une dizaine d’années - efforcé vraiment d’allier les deux positions: la solitude et puis les rencontres. C’est-à-dire ne pas subir l’aspect collectif du théâtre, mais au contraire, en faire une activité volontaire. Alors du coup, il y a eu d’une part l’enseignement, depuis maintenant une dizaine d’années, auquel j’attache beaucoup d’importance, qui me permet de rencontrer de jeunes acteurs et d’essayer des tas de choses. Je ne sais pas si j’ai tellement à leur apprendre mais, en tout cas, je peux leur transmettre un certain nombre de questions, d’interrogations. Et puis aussi une forme de passion. Il y a un deuxième aspect qui peut être la mise en scène. La mise en scène, je ne la pratique que sur invitation. Je n’ai jamais cherché à réunir une production. Il arrive que de temps en temps un théâtre me dise: Si tu veux venir faire une mise en scène chez nous ... Alors, si cela m’intéresse, je le fais et j’ai beaucoup de plaisir à le faire. Je crois que cela a changé mon regard sur mon écriture théâtrale. Et puis le troisième aspect est venu un peu des circonstances. Je suis un musicien frustré, enfin un musicien raté et j’ai toujours l’impression qu’un certain nombre de mes textes s’écrivaient avec de la musique en tête. Le hasard, les circonstances ont fait que j’ai rencontré de grands musiciens de jazz qui avaient eux-mêmes l’envie de collaborer avec un écrivain. Alors, les choses se sont faites petit à petit et puis - de façon inattendue - cela m’a permis de renouer avec la scène puisqu’en fait j’avais arrêté de jouer sur scène à l’âge de 3 Der vorliegende Text, der eine verkürzte Fassung des Gesprächs darstellt, wurde weitgehend im code oral belassen, einerseits um die Natürlichkeit und Lebendigkeit der Cormannschen Diktion zu vermitteln, andererseits um die Authentizität zu erhalten. 3. Enzo Cormann: Interview am 25.04.2000 in Straßburg 355 21/ 22 ans. Et là, je suis revenu sur scène mais dans une toute autre position: en position de récitant, de vocaliste. Cela m’a aussi évidemment beaucoup intéressé et cela continue de m’intéresser. Mais c’est une activité qui n’a presque plus rien à voir avec le théâtre si ce n’est que c’est du spectacle vivant. C’est une activité qui m’amène à être programmé sur des scènes de jazz, des festivals, des clubs de jazz beaucoup plus que dans le cadre de programmation théâtrale. C.F.: C’est en tant qu’écrivain de théâtre que vous êtes publié. Avez-vous déjà abordé d’autres genres littéraires? E.C.: Oui, mais que je n’ai pas publié. Cette année - enfin plus exactement la saison prochaine - je compte me consacrer presque exclusivement au roman. C’est lié au fait que cela fait maintenant 20 ans que j’écris pour le théâtre. C.F.: De même, j’ai appris que vous avez écrit des chansons. C’est bien aussi un autre genre. E.C.: Oui, oui, j’ai toujours fait plusieurs choses comme ça et puis alors, le fait de travailler avec la musique et tout cela m’a amené à écrire d’autres choses, bien sûr; mais cela est, en fait, plus une affaire de priorité. Je crois que j’ai envie, en ce moment, d’arrêter un peu d’écrire pour le théâtre et de me consacrer au roman. Peut-être parce que [Pause] je ne sais pas, la production théâtrale est devenue très lourde et très longue. C’est devenu plus difficile de réagir à l’époque dans une telle rapidité, comme c’était le cas en France il y a 15 ans: on pouvait très bien écrire une pièce au printemps et puis la jouer l’été ou l’automne. Maintenant les théâtres font leurs programmations presque deux ans à l’avance. Tout cela est devenu un peu lourd et je ressens plus durement le poids justement du collectif, de la production, le poids économique du théâtre. Le préalable économique est plus lourd. Il est certain que le roman a un avantage: c’est qu’il n’y a pas d’intermédiaire - enfin sauf l’éditeur d’une part. D’autre part, j’ai l’impression qu’un certain nombre de mes textes pour le théâtre se mettent à ressembler de plus en plus à des romans. [Lachen] C.F.: Oui, je l’ai constaté aussi. Et j’aurai plus tard une question à ce sujet. E.C.: Donc, voilà. C.F.: Pour parler plus précisément de votre théâtre que vous qualifiez vousmême de «paroxystique», qu’est-ce que cela signifie pour vous? E.C.: Ça, c’est une expression que j’employais il y a une dizaine, une quinzaine d’années. Je parlais de «réalisme paroxystique». [Pause] Aujourd’hui, je ne suis pas sûr que [Lachen]. Non, mais c’est un peu une expression comme ça. En réalité, c’est Michel Leiris qui avait employé cette expression pour qualifier la peinture de Bacon. Et il y avait une chose dans laquelle je me retrouvais bien chez Bacon, c’est sa façon de rendre le réel à son étrangeté. Il peint un homme assis et il y a quelque chose de terrifiant qui se passe. Donc, cela m’intéressait beaucoup. Mais je me suis rendu compte par la suite qu’en définitive, c’était encore un peu vers autre chose que j’allais. Aujourd’hui, je ne sais pas du tout comment le qualifier d’une seule expression. Je ne le sais pas du tout. C.F.: Oui, c’est toujours comme un classement, trop fixe. V Anhang 356 E.C.: Oui voilà, je ne sais pas ce que je pourrais dire. Ce qui est certain, c’est que je pratique un théâtre narratif, que je pratique un théâtre en réaliste. C’est tout à fait exact. Pour moi, je suis quelqu’un qui raconte des histoires. Je suis un artisan de fiction. C’est assez curieux, il y a toujours eu, dans les sociétés même primitives, des gens dont la fonction est de raconter des histoires, d’autres faisaient du pain, d’autres fabriquaient des maisons ou chassaient. Et il y a toujours eu un ou une - souvent un - qui était chargé d’inventer des histoires et de les raconter. C’est ce que je fais, ce que j’essaie de faire. Donc sorti de là, je n’ai pas énormément de certitudes. C.F.: Dans la préface de Noises vous avez commencé à esquisser votre histoire de la littérature dramatique personnelle jusqu'à cette pièce mentionnée. Pouvez-vous la continuer? E.C.: Oui, je crois c’est justement après Noises ... Noises, il y a eu un malentendu en France. C’est une pièce qui a eu du succès, et en fait on y a rarement vu ce que moi, j’y avais mis. Noises était en fait une violente parodie des années 70, enfin d’un certain aspect des années 70. Une espèce de volontarisme du discours qui faisait fi des difficultés objectives auxquelles sont confrontés des individus du mal-être, de la demande, enfin du besoin, en tout cas de sécurité, d’amour, des pudeurs, des blocages, des incertitudes, des angoisses etc. Il y avait un discours sur la révolution sexuelle qui sortait les gens d’eux-mêmes, d’une façon qui m’a toujours paru une farce et en même temps tragique parce que cela rendait les gens en même temps aussi très malheureux. Les gens n’étaient jamais à la hauteur du portrait révolutionnaire qu’ils dressaient d’euxmêmes. C.F.: Farce tragique, cela fait penser à Eugène Ionesco, n’est-ce pas? E.C.: Oui, mais le spectacle de cela je le percevais comme ça. Après j’en ai fait quoi? J’en ai fait une espèce de chronique assez méchante et déjantée. Bon. Et puis après, j’ai eu le sentiment que cet aspect de critique sociale - enfin de critique d’un théâtre du comportement - avait une limite, que cela ne m’amènerait finalement qu’à une position de satiriste peut-être. Et cela ne m’intéressait pas. Il y avait quelque chose de l’ordre du ricanement dans cette écriture qui me déplaisait aussi profondément. Donc en fait après, il y a eu une espèce de retour, c’est-à-dire: Qu’est-ce qui - au moment où j’écrivais - pouvait m’importer, de quoi j’avais envie de parler etc. Et notamment: Comment prendre en compte l’époque dans ses dimensions à la fois personnelles et politiques, c’est-à-dire comment le politique, l’Histoire venaient perforer la vie des individus. Alors, il y a eu des tâtonnements et puis - petit à petit - je me suis rendu compte qu’il y avait quelque chose qui pointait son nez, qui avait l’air de ressembler à ce que moi, je voulais faire sans pour autant que j’en fasse d’ailleurs la théorie. P. ex., je suis fasciné par la position dans laquelle se mettent les gens de s’expliquer. Un théâtre de l’explication. Je ne sais pas s’il y a l’équivalent en allemand mais en français on dit volontiers: Bon, expliquons-nous. Si on a un conflit: Expliquons-nous. Et c’est le même verbe pour dire s’expliquer le monde, expliquer le monde. Finalement - au bout d’un moment - je ne me suis plus empêché de laisser parler les gens dans le cadre de cette explication; ce qui donne un théâtre 3. Enzo Cormann: Interview am 25.04.2000 in Straßburg 357 où la rhétorique a une très grande part, où des gens peuvent parler longuement pour s’expliquer, pour brasser y compris des concepts, des notions, des opinions, un brave mélange de tout cela, des informations, des chiffres. Comment s’approprier le monde qui échappe par tous les bouts? C.F.: Oui, parce que le monde est devenu trop compliqué. E.C.: Oui voilà, au moment où je le saisis par les chiffres il s’en va par l’affectif. Au moment où je le saisis par l’affectif il s’en va par les conflits d’intérêt, par l’économique etc. Donc voilà, cela est devenu - petit à petit - le champ sur lequel je me suis balancé en tant qu’écrivain. Et là, je crois que c’est mon jardin. C’est ça! Alors, maintenant j’ai presque un point de vue extérieur par rapport à cela. Mais je serai bien incapable d’en faire la théorie. Je veux dire: je lutte très fort contre une certaine attitude qui semble prévaloir aujourd’hui, en tout cas en France: qui est de, au fur et à mesure qu’on produit du théâtre, d’en produire également la théorie qui vaut comme une indication générale sur ce que devrait être l’écriture théâtrale. Moi, je crois que l’écriture théâtrale doit surtout être singulière et ressembler à son auteur. [Lachen] Bon, et je crois que c’est justement par une différence très marquée entre les différentes dramaturgies qu’on arrivera aujourd’hui à rendre compte qu’une génération d’écrivains pourra arriver à rendre un tout petit peu compte du niveau de complexité de l’époque. Je crois qu’elle est devenue très complexe. Donc voilà, si je devais dire après Noises, c’est ça: c’est un retour au politique ou à l’historique, en tout cas, progressif. Grosso modo, les pièces qui sont venues par la suite étaient marquées un peu de cette intention - pas toujours réussie - mais en tout cas qui visaient cela. C.F.: En analysant vos pièces, j’ai essayé de révéler certaines catégories qui me semblent constitutives de votre théâtre. Je me rends bien compte de la problématique des catégories en littérature mais, néanmoins, cela me paraît nécessaire pour établir une typologie de votre théâtre. J’aimerais bien que vous me disiez dans quelle mesure les catégories suivantes jouent un rôle dans votre théâtre et comment vous les entendez. Premièrement, il y a la dissolution des genres traditionnels qui mène aux genres mixtes comme p. ex. le drame musical ou souvent à une épicisation du théâtre, comme le dit Patrice Pavis. E.C.: En même temps ... bon, la question du drame musical, je veux dire notamment avec Brecht, enfin il y a quelque chose de très [Pause] Cela appartient à une tradition théâtrale en définitive. Aujourd’hui, on est placé dans une position qui est très curieuse: c’est qu’on voit bien qu’au niveau des formes pratiquement tout a été expérimenté. Pratiquement tout. Aujourd’hui, la seule chose peut-être de nouveau - je ne suis pas du tout persuadé que ce soit si nouveau que ça - consiste, éventuellement, à mélanger des technologies nouvelles aux arts de la scène. Voilà, c’est effectivement nouveau parce que la vidéo n’existait pas il y a quelques années. Pour autant, je veux dire que ce mélange entre les arts plastiques, même si ce sont des images animées, et les arts de l’interprétation, les arts proprement de la scène ont toujours existé. Le mélange ballet et pièce de théâtre a toujours existé. V Anhang 358 C.F.: En tout cas depuis Molière ... E.C.: Voilà! Donc l’intervention de chant, de chanson, de partie chantée ou de song a - on peut le dire - toujours existé. Moi, je navigue là-dedans [Pause]. Je disais au départ qu’il y a un peu deux attitudes possibles. Face à cela, soit on adopte une attitude qu’on pourrait qualifier de postmoderne qui consiste à dire qu’en définitive, tout ce que nous pouvons faire aujourd’hui de nouveau consiste en une citation ironique ou décalée de ce qui s’est déjà fait. C’est-à-dire au fond, reproduire du marivaudage en le décalant aujourd’hui et porter un regard sur le fait que la modernité est une ère terminée. Il n’y a aucun effet de rupture qui soit possible. Soit, et ce serait mon attitude, c’est précisément de bien marquer le fait que l’attitude postmoderne même si elle est confortable d’un point de vue esthétique ... C.F.: Pourquoi confortable? E.C.: Confortable parce qu’elle est élégante. Elle est élégante, elle est érudite, elle est convenable, elle ne risque pas le ridicule, elle ne laisse pas place à des émotions qui mettent l’auteur finalement à nu et, par conséquent, elle est une position commode. Je constate qu’au plan philosophique et politique elle correspond aussi à des engagements complexes. C’est-à-dire qu’elle consiste à dire que la finance internationale, le grand capitalisme a gagné dans le débat qui l’opposait à d’autres analyses de l’évolution de la société. Elle consiste à dire que l’Histoire est finie en tant que composition de forces contraires, que définitivement le marché l’a emportée. Et cela se retrouve au plan esthétique. Enfin, je veux dire que, pour moi, l’attitude postmoderne est un acquiescement, que je pourrais qualifier, de cynique au monde tel qu’il est. Le monde tel qu’il est ne me convient absolument pas, mais absolument pas! [Lachen] Alors à partir de là, tout ce que je peux faire c’est me couvrir de ridicule, c’est-à-dire continuer à protester. Continuer à pointer justement tout ce qui ne me convient pas. C.F.: Les défauts alors? E.C.: Voilà, et j’ai à ma disposition toutes les formes qui ont été utilisées par le théâtre. C’est-à-dire à un moment donné, si j’éprouve le besoin de chanter à ce moment-là, il y a une chanson. Musique ou pas, film ou pas, je n’en sais rien, je m’en fiche. Je veux dire: je n’ai pas du tout l’impression qu’en apportant mélanges de formes, déstructuration etc., je n’ai pas du tout l’impression que c’est là que se joue le degré de radicalité de mon théâtre. Je pourrais très bien faire des didascalies, où des cohortes de comédiens nus, qui iraient devant des images vidéos avec un orchestre, avec un DJ qui ferait ... bon. Ce serait facile mais cela n’aurait aucune espèce d’importance, cela n’aurait de la pertinence que, dans la mesure où cela pourrait servir sincèrement le rapport que j’entretiens avec le réel, et le regard critique que je veux porter sur ce réel. [Pause] C’est pour cela que, pour moi, le débat sur la forme est - pour l’instant - vraiment entre parenthèses. C.F.: Que dites-vous de la réflexivité au niveau des personnages mais aussi comme mise en abyme? 3. Enzo Cormann: Interview am 25.04.2000 in Straßburg 359 E.C.: Bon, pour moi quelque chose que j’ai envie de pratiquer de plus en plus, c’est une forme de complicité. Complicité avec le public qui serait peut-être, pour moi, une alternative à un certain type de distanciation. C’est-à-dire au contraire: introduire un degré d’intimité ou de complicité qui fait que, au fond, un certain niveau de convivialité avec le spectateur évite la manipulation. Cela joue, bien sûr, sur un effet de charme, cela peut jouer sur un effet de charme et, par conséquent, un effet un peu captivant. Mais d’un autre côté, si c’est fait sincèrement - je veux dire - je pense que l’auteur peut, à un moment donné, par l’intermédiaire d’un acteur venir à l’avant-scène et, au fond, faire l’aveu, p. ex., de sa difficulté à continuer de raconter une histoire qu’il a commencé à raconter. C’est quelque chose qui me touche beaucoup et qui, à mon avis, joue de plus en plus avec [Pause]. Il faudrait remonter un peu plus loin: je crois vraiment à la dimension politique du théâtre parce que je crois vraiment à la dimension d’assemblée. L’assemblée se produit dans un lieu public qui est dans les villes et qui a la forme d’un forum, enfin qui est vraiment un édifice public. Edifice public, assemblée, il y a là tout, vraiment toutes les composantes de ce qui, en principe, peut faire débat. Et cela se passe dans l’instant. On n’est pas venu consommer une œuvre qui est reproduite. Donc, il y a cette dimension politique. Cette dimension politique, à mon sens, elle existe, étant donné que c’est un auteur qui a la parole et que cet auteur est en quelque sorte implicitement délégué par le public. Il y a une demande implicite qui est: toi dont le rôle est de raconter une histoire, nous sommes venus en écouter une, alors vas-y raconte, on t’écoute. Et l’auteur, il parle pour quelqu’un. Il ne parle pas à la place du public mais il parle pour le public. Simplement, à mon sens, il ne peut le faire valablement que si justement, à un moment donné, il peut parler aussi de lui et de sa position de conteur. Et dire aussi parfois qu’une histoire aujourd’hui peut être un leurre parce qu’aucune histoire au monde aujourd’hui ne peut embrasser le monde, ne peut dire: voilà, c’est ce qu’est le monde. Donc, soit on donne la parole directement à l’auteur par l’intermédiaire d’un acteur, soit on amène les personnages à réfléchir sur eux-mêmes un peu comme un auteur qui réfléchirait à voix haute. Cela me paraît être participer de ce que j’appelle de mes vœux: qui serait de l’ordre d’une méditation interrogative. On parlait de comment je caractériserais mon théâtre: une méditation interrogative et collective. C.F.: Et c’est forcément ça, ce que vous avez fait dans Toujours l’orage avec le théâtre dans le théâtre? E.C.: Oui, ou dans Diktat, p. ex., lorsqu’un des acteurs vient dire «Il se trouve qu’en ce moment celui qui est en train de raconter l’histoire il ne sait plus». C.F.: Oui, c’est ça, d’accord. L’époque d’une seule vue du monde où on pouvait parler d’une totalité est définitivement passée. Au niveau de la littérature, cela se reflète dans la multiperspectivité. Mais celle-ci est toujours de même une subjectivité car la réalité se transforme en un phénomène de conscience de chaque personnage. Que pensez-vous de ce problème qui se pose, au fond, au niveau de la narration? V Anhang 360 E.C.: [Pause] Moi, je pense que le problème [Pause] On a beaucoup parlé, p. ex., d’un théâtre fragmentaire qui aurait été mieux à même de rendre compte d’un monde où justement l’unité de perception était explosée. D’un seul coup, on recevait des informations en temps réel pendant qu’on en vivait d’autres en temps décalé etc. Par conséquent, il n’y avait plus la possibilité, comme vous le dites, de forger un récit sur un mode linéaire. Mais, en même temps, je trouve que c’est faire fi d’une fantastique richesse de la subjectivité de tout un chacun, et donc, y compris des protagonistes d’une histoire. Le problème est de faire affleurer ces niveaux différents. C’est pour cela que le pari, en quelque sorte, sur lequel je fonctionne est, sans doute, plus sensible dans les pièces comme Diktat ou Toujours l’orage: pour moi, il n’y a pas de différence de valeur entre un discours économique, un discours politique, un discours affectif, un discours amoureux, un discours sexuel etc. C’est-à-dire que tous ces niveaux se mélangent. Alors, ce n’est pas forcément commode mais [Pause], pour moi, l’explosion est un peu cela. Si on reprend un schéma d’une pièce de Marivaux, le discours aujourd’hui ne serait plus uniquement amoureux, ne serait plus uniquement de l’ordre de la séduction etc. Il serait criblé d’un certain nombre d’autres discours et d’une forme de rhétorique. Une rhétorique parfois difficile, empruntée, malhabile etc. qui est celle de tout un chacun mais qui essaye en quelque sorte, comme dans un procès, de donner les attendus de la démarche amoureuse. Alors là, je crois qu’il me reste énormément de chemin à faire. Mais peut-être que je n’ose pas encore le faire. Il y a quelque chose dans la scène européenne qui résiste énormément à cela, énormément. On voit bien qu’aujourd’hui les gens sont beaucoup plus réceptifs à un théâtre, je ne sais pas, du type de Sarah Kane, p. ex., où l’événement est donné dans sa brutalité où la dramaturgie est pensée comme une bombe à fragmentation, qu’à un théâtre du discours et de l’explication. Et c’est peut-être cela qui me retient. Peut-être ai-je encore trop tendance à amener les choses en douceur. Mais l’âge venant je pense que je vais devenir de plus en plus insupportable [Lachen]. Bon, pour marquer cela parce que je crois à cela, je crois que des éléments extraordinairement hétéroclites composent le discours, composent la façon dont je me présente à l’autre. Et c’est cela qui devrait sans arrêt venir, émerger dans la parole et peut-être de façon brouillonne, et peut-être de façon explosive ou explosée. Mais deux personnes aux prises sont bel et bien en train d’essayer de comprendre quelle est l’histoire qui les relie. Elles sont bel et bien en train d’essayer de dire «Il était une fois nous deux»: ennemis, amants, parents, enfants, peu importe. «Mais c’est quoi nous deux? C’était quoi et cela va devenir quoi nous deux? » Et le théâtre est au présent, il a une main comme ça dans le passé, il essaie d’envisager les choses dans l’avenir mais la question qu’il pose c’est: Qu’est-ce qui se passe maintenant? C.F.: L’immédiateté. E.C.: Voilà. Et je crois que le discours est à même de montrer qu’un individu posé sur une chaise comme je le suis derrière un bureau est une bombe à fragmentation. Les niveaux de conscience sont d’une complexité absolue et je suis traversé d’informations contradictoires dans divers domaines, cela m’intéresse 3. Enzo Cormann: Interview am 25.04.2000 in Straßburg 361 au fond. Ce seraient des situations relativement simples, stables mais qui généreraient un discours multiple. C.F.: Un thème caractéristique est, comme vous le dites vous-même, les âmes en peine. Est-ce qu’il s’agit grosso modo d'une crise du moi des personnages due à une perte d’identité? E.C.: Je crois que c’est aujourd’hui de moins en moins uniquement sur un terrain psychologique. L’âme en peine est aussi l’expression du mal-être de l’exclu. C.F.: Alors, ce n’est pas seulement le psychodrame? E.C.: Oui, je veux dire qu’il y a des dimensions économiques, sociales, politiques, géographiques. Au fond, l’âme en peine du dix-neuvième siècle est vraiment le mal-être. C’est Tchekhov. Mais beaucoup de choses sont advenues depuis. Je crois que même dans le fond de l’angoisse - l’angoisse simple en tant que symptôme - il y a un morceau de la Shoah, p. ex., mais quelque chose de la Shoah qui est là et qu’on ne croit plus défaire du corps de l’angoisse. L’angoisse pure, c’est-à-dire une peur sans objet, une espèce de confrontation brutale, envahissante et vertigineuse à un vide ressenti qui pouvait être celui des âmes en peine du dix-neuvième siècle. Aujourd’hui ce vide est peuplé d’images. Il y a un certain nombre de ... C.F.: C’est devenu plus concret. E.C.: Voilà, et sa dimension historique, même si elle est mystérieuse, même si elle est presque indicible, elle existe. Même si elle est confuse, elle existe. Et puis, d’autre part, il y a énormément de gens qui se trouvent déracinés, repoussés, exilés, exclus, balayés de la scène économique par des jeux qu’on ne peut même plus dire aisément en quelques phrases. Avant, on pouvait dire: un patron licencie 25 ouvriers parce que la productivité a augmenté et, par conséquent, pour maintenir son bénéfice, son niveau de plus-value, il faut qu’il se débarrasse d’un certain nombre d’ouvriers. Ça, c’était simple. Il y avait une lutte à mener là-dessus. Des gens savaient pourquoi ils étaient éjectés même si c’était absolument injuste. Aujourd’hui, on ne sait même pas pourquoi: restructuration etc. Qui est-ce qui frappe? Une force qui est la finance, le marché. Le marché a trois caractéristiques: il est omniprésent, il est invisible et il est une force immanente, enfin qui nous est présentée comme telle. C’est quand même curieux parce que ce sont exactement les trois caractéristiques de Dieu. Finalement, l’individu qui est terrassé aujourd’hui, l’âme en peine, enfin l’âme en souffrance, le malheureux aujourd’hui est confronté à Dieu qui n’est plus Dieu qui est le marché. [Lachen] Voilà, ce n’est même plus un Dieu aimant je veux dire ce n’est même plus un Dieu à qui on peut adresser une prière. C’est un Dieu imbécile, totalement crétin, imbécile, aveugle qui avance, qui grossit la sphère financière qui vite augmente comme l’univers qui est en expansion. Personne ne peut le maîtriser et c’est pourquoi, une fois de plus, pour moi, les âmes en peine ne sont pas seulement des malaises au plan psychologique. Ce sont vraiment des [Pause], c’est dans le positionnement même de l’individu, dans le monde qui est le sien qu’il y a quelque chose au plan économique, géo- V Anhang 362 graphique, sociologique, psychologique aussi. Une série de dérèglements qui fait que [Pause]. Voilà là encore, on retrouve bien le fait que pour exprimer quelque chose il faudrait qu’il le dise dans une infinité de langues: économique, politique, géographique, historique, culturelle etc. C.F.: Quel est le statut de la parole dans votre théâtre? On en a déjà un peu parlé. E.C.: Le statut de la parole est d’abord, pour moi, une chose importante sur scène. Le statut de la parole naît dans l’adresse et l’écoute. Par conséquent, il faut un interlocuteur. Moi, j’ai écrit des monologues mais je n’y crois plus du tout. C.F.: Ah, c’est vrai? E.C.: Plus du tout. Parce que je pense que ce qui fonde la parole c’est précisément l’interlocution. Alors, c’est vraiment un problème spécifiquement lié au statut de la parole. Sans cette interlocution je n’aperçois plus aujourd’hui la validité de la parole théâtrale. Une parole qui est comme ça, dans un espace, qui ignore le public, enfin qui, naturellement, est indirectement adressée au public, mais qui est censée être sur elle-même de cette façon. Je ne vois pas du tout où elle fonde sa nécessité. Je crois qu’il y a un danger de faire de la parole théâtrale une ornementation, un art décoratif, une espèce de supplément décoratif de la littérature. Et je crois que cela me paraît assez grave parce qu’à ce moment, je pense qu’on est en train de saper les fondements mêmes de ce qui légitime encore le théâtre aujourd’hui. Bon, c’est un des aspects et sinon pour le reste: pour moi, le théâtre est d’abord un lieu de parole, je m’en aperçois; quelque chose qui me frappe dans la façon dont souvent mon théâtre est perçu c’est-à-dire: oui, on dit c’est un théâtre de paroles, où le corps est absent, mais parce que les gens ont souvent une relation très abstraite avec les idées. Pour moi, les idées sont des pulsions organisées. Je veux dire: il y a un appétit dans les idées. Un appétit d’appropriation du monde. Il y a des idées qui sont des coups de poings, il y a des idées qui sont des caresses, il y a des idées qui sont des coups de griffes, il y a des idées qu’on mastique, il y a des idées qu’on embrasse. En français, on dit ‘on embrasse une cause’. Il y a des idées qu’on étreint, il y a des idées qu’on pousse. Pour moi, c’est très très physique et j’ai eu le plaisir - enfin mais trop rare - de rencontrer des acteurs qui tout de suite captent cela; pour qui le fait d’émettre des idées est quelque chose de très physique, très engagé au plan physique. Mais c’est trop rare en fait. Paradoxalement, on m’accuse d’être un auteur cérébral mais je pense que ce sont ceux qui le disent qui sont trop cérébraux, qui placent la philosophie à un endroit où elle ne devrait pas être. La philosophie, pour moi, n’a rien de désincarné, enfin je veux dire mes maîtres ce sont Deleuze et Guattari. J’ai eu le plaisir de travailler avec Félix Guattari pendant des années. C’était quelqu’un pour qui la philosophie était un exercice charnel, sensuel. Il adorait la musique. Je veux dire: pour lui, il n’y avait pas de rupture entre la musique et les idées. C.F.: Comme l’a déjà constaté Ryngaert, on trouve dans le roman et le drame contemporain une réanimation du mythe et du rêve certainement adaptée à 3. Enzo Cormann: Interview am 25.04.2000 in Straßburg 363 l’actualité. Est-ce que c’est ainsi parce que le mythe et le rêve présentent l’autre face de la raison en constituant une réalité supplémentaire? E.C.: Oui, ça c’est [Pause] C.F.: C’est certainement surtout le rêve dans votre théâtre. E.C.: Oui, mais, pour moi, le rêve est du réel. C.F.: C’est un peu le caractère freudien. E.C.: Oui, mais enfin le rêve fait partie de l’expérience. Pour moi, il n’y a pas de rupture. Il n’y a pas de cassure entre l’expérience onirique et l’expérience vécue. Je veux dire: si on passe huit heures toutes les 24 heures, c’est-à-dire le tiers de notre temps à dormir et à rêver - enfin on rêve beaucoup moins que cela - bon, en situation de rêveur, ce n’est pas pour le mettre ensuite entre parenthèses dans une catégorie qui serait à part l’expérience. Je veux dire: dormir est aussi une expérience. Donc moi, c’est vrai, souvent j’en appelle au rêve avec une grande aisance et facilité. Pour moi, c’est naturel. Je trouve que c’est tout à fait difficile pour la scène. Je vois bien la résistance que marquent un certain nombre de metteurs en scène, p. ex., à des scènes qui sont marquées directement oniriques, qui résistent énormément à introduire dans des échanges qui sont très régulés à l’état de veille de faire surgir un moment de rêve qui nécessite une assez grande invention scénique, des moyens etc. Mais moi, je rêve d’un théâtre où, précisément, on puisse passer de l’un à l’autre. C’est-à-dire une scène où, pendant un quart d’heure, deux personnes sont assises et se parlent à un moment où tout cela s’affole. Bon, c’est un peu une anecdote sur le rêve. Quant aux mythes, je veux dire: C’est quoi le mythe contemporain? Œdipe, c’est un mythe contemporain. [Lachen] Il est contemporain parce qu’il est actuel. C.F.: Oui, c’est ça. Et Prométhée? E.C.: Oui aussi. On peut le revisiter. Moi, très honnêtement, j’ai essayé de le faire de façon un peu ludique etc., mais je ne crois pas que cela ait été très pertinent. Enfin, cela m’a plutôt bloqué qu’autre chose. Je crois qu’on a assimilé les grands mythes fondateurs. Il y a, p. ex., un mythe qui me bouleverse plus que les autres parce qu’il est absolument énorme et je ne sais absolument pas quoi en faire. Mais simplement, j’ai l’impression qu’il nourrit notre façon de parler du monde. C’est le mythe d’Ouranos. Ouranos qui allait devenir le ciel, Gaia, l’esprit de la terre. Ouranos, amant insatiable, qui enlace Gaia comme ça, ne lui laisse aucun instant de répit, la féconde; mais comme il est en rapport sexuel constant avec elle, il empêche les enfants de sortir de la matrice. Alors, au bout d’un moment, il faut que Chronos, à l’intérieur du ventre de Gaia, se saisisse d’une serpe, tranche le membre d’Ouranos lequel, fou de douleur, se réfugie à l’autre bout de l’univers, c’est-à-dire très haut [Lachen] - et c’est depuis qu’il y a un espace - dit le mythe - entre le ciel et la terre. Je trouve cela absolument extraordinaire. [Lachen] Quelle est l’actualité de ce mythe? Je n’en sais rien. L’actualité de ce mythe est que le ciel - jusqu’à preuve du contraire - il est làhaut. Il y a une certaine distance [Lachen]. Voilà, alors là-dessus je veux dire: Qu’est-ce qu’un analyste pourrait dire sur le fait que l’espace vital est créé par V Anhang 364 une castration? Bon, cela n’est peut-être pas indifférent? Mais qu’est-ce que j’en fais moi, j’en sais rien. Cela nourrit les choses. Je constate qu’en fait, il y a eu un moment où on a douté vraiment, où on a dit qu’aujourd’hui au milieu du vingtième siècle, il n’y a plus de tragédie. On ne peut plus écrire de tragédie. On ne peut plus écrire de tragédie parce qu’on ne croit plus au destin. Donc, s’il n’y a plus de destin il n’y a plus de structure tragique. Et moi, je ne crois pas du tout à cela. Je veux dire: pour moi, le Sida est comme un destin. Il y a quelque chose qui vient frapper comme ça. Simplement, beaucoup de gens répugnent à s’emparer de cela parce qu’on est beaucoup plus à l’aise dans le fait de manier des figures anciennes. On est beaucoup plus à l’aise pour mettre en scène Lear: l’errance de l’amour paternel, l’aveuglement paternel chez Lear qui signe le début de l’errance et de la folie. C’est quelque chose avec lequel on est très à l’aise. Aujourd’hui mettre le mot ‘Sida’ dans un dialogue, je veux dire s’en emparer pour raconter une histoire, ce serait obscène. Moi, je trouve Lear très obscène! Ce roi qui demande à chacune de ses filles de faire un discours sur l’amour qu’elles lui portent etc., c’est très très obscène pour moi! Vraiment, c’est très ridicule et très obscène. Et je trouve beaucoup moins obscène le fait de parler des gens qui sont confrontés à des problèmes de guerre ethnique ou à des partitions de territoires ou à des endemies comme le Sida etc. Je veux dire que ça ce sont des choses, et il me semble que là, il y a effectivement la façon dont l’histoire vient percuter comme cela l’intime: c’est vraiment, pour moi, une structure tragique. Je veux dire que deux demi-frères se trouvent séparés par une guerre dont il ne maîtrisent ni les tenants ni les aboutissants, pour moi, c’est une structure tragique. Absolument! Le fait qu’aujourd’hui, cinquante ans après la Shoah, certaines des circonstances dans lesquelles elles se sont déroulées pour les individus, continuent de produire ses effets, c’est une structure tragique. Le fait qu’en Autriche, aujourd’hui, les gens de la deuxième, voire de la troisième génération après la Shoah, qui sont nés dans les années 50 ou 60 voire 70, sont obligés de se situer - et Dieu sait que c’est compliqué - par rapport à ce qu’ont fait leurs géniteurs ou leurs grands-parents ou voire leurs arrière-grands-parents, c’est quelque chose qui est hallucinant. Là, il y a une véritable structure tragique. Il y a un potentiel tragique dont on n’a pas fini de mesurer les effets, dont on n’a pas fini de tirer du théâtre. C.F.: L’écriture a-t-elle pour vous un caractère d’expérimentation et de possibilité dans la manière qu’elle ne décrit pas ce qui est mais qu’elle cherche ce qui pourrait être? Ce serait donc la transition du réel au possible. E.C.: Oui, en même temps moi, je suis quelqu’un de très [Pause] c’est-à-dire comme je disais tout à l’heure le monde ne me convient pas. Bon, une fois que j’ai dit cela, c’est à la fois tout et ne rien dire mais la question que cela pose tout de suite derrière est sorti de cette réaction première: C’est quoi le monde et qu’est-ce qui dans le monde ne te convient pas? C’est quoi le réel déjà? C’est quoi ce qui existe? C’est fait comment? Comment cela marche? C’est une question qui est une question de philosophe mais je pense que ce qu’on peut marquer au théâtre, c’est comment les gens essayent, enfin c’est marquer le caractère d’urgence et de nécessité de [Tonbandwechsel]. Bon, c’est le premier point, 3. Enzo Cormann: Interview am 25.04.2000 in Straßburg 365 et le deuxième point, ensuite, c’est l’aspiration. La première question serait: [Pause] Qu’est-ce que c’est ce monde? La deuxième est: Qu’est-ce qui se passe? Et la troisième est: Qu’est-ce que je veux? ou Qu’est-ce que je désire? ou Quel est mon besoin? Bon, là-dessus il y aurait à dire. Mais, en tout cas, il y a: À quoi j’aspire? Pour moi, c’est cela un personnage: il est déstabilisé par une situation. En situation d’équilibre, il n’a rien à dire. Voilà, on pourrait le regarder, il serait assis sur une chaise immobile. La situation est équilibrée et il ne se passe rien. On déstabilise la situation et il se passe un truc, quelque chose: un refus, une guerre, quelque chose. A partir de là, d’un seul coup, il est obligé de faire un retour sur le monde. Et puis il est obligé de bouger, il est obligé de se lever de sa chaise, il est obligé d’avancer. Et avançant, il est quand même obligé de se demander vers quoi il avance, c’est-à-dire à quoi il aspire. Donc, le réel lui a posé une question et il va s’efforcer de répondre à cette question en essayant, au fond, d’obtenir justice du monde. La façon dont il a été jeté hors de sa chaise il le vit comme une injustice, comme quelque chose qui l’a arraché à sa quiétude. Et après il erre dans le monde, comme Lear sur la lande, à la recherche d’une nouvelle situation d’équilibre mais qu’il puisse regarder comme une situation d’équilibre, c’est-à-dire en particulier de justice. Qu’on rende justice à son désir dans la mesure où ce désir est légitime. Donc cela, c’est de l’ordre du possible. En effet, c’est de l’ordre du prospectif mais on crée vraiment dans ce qui est. C.F.: Mais pour les monologues cela n’est plus vraiment valable car c’est plutôt à l’intérieur des personnages et il n’y a pas vraiment de situation? E.C.: J’ai l’impression que chez moi, les monologues sont plutôt du retour sur soi. C’est-à-dire de réappropriation du réel. J’ai cru que j’avais compris le monde qui m’avait vu grandir. En fait, si je regarde mieux, je relis telle histoire d’amour, je relis telle relation avec mes parents ou je relis tel épisode de mon passé qui fait que je m’aperçois que je n’avais pas perçu que ce qui m’arrive aujourd’hui était en germe là-dedans. Le monologue comme retour sur soi, comme confession. Moi, j’aime bien la confession, peut-être, parce que j’ai été élevé par des ecclésiastiques que je détestais. Mais, en tout cas, la confession c’était un sport [Lachen]. Oui, la confession: le fait de trouver quelqu’un qui, à un moment donné, est disposé à entendre ce qu’on n’arriverait pas à penser. C’est parce que, précisément, on parle et qu’on s’adresse à quelqu’un que d’un seul coup, c’est-à-dire ce qui se passe en analyse, enfin je veux dire: c’est parce qu’il y a quelqu’un qui est là dans un statut particulier, dans une écoute particulière, dans un certain type d’écoute qui fait que, à un moment donné, on tombe sur des idées qu’on n’aurait pas eues en réfléchissant en son for intérieur. J’ai l’impression qu’à chaque fois que je déclenche un monologue au théâtre, c’est un peu ça. C’est, alors tout bêtement, faire le point. Il fait le point. Comme le marin au milieu de l’océan. [Lachen] C.F.: L’écriture moderne se caractérise par la fragmentation comme phénomène de style et par la défabulation en ce sens qu’on n’y trouve plus de linéarité. De surcroît, l’influence cinématographique y joue sans doute un rôle. Qu’est-ce que vous en pensez? V Anhang 366 E.C.: Je pense que je ne suis pas du tout à la mode. [Lachen] C.F.: Bon d’accord, mais sincèrement je crois qu’au niveau du style il y a, p. ex., dans les structures de la mémoire, de la fragmentation là-dedans. E.C.: De toute façon, quand on lit, p. ex., Le Bruit et la Fureur de Faulkner, cela n’a pas été écrit il y a cinq ans. Et d’ailleurs, c’est très très curieux qu’il connaissasse beaucoup mieux la Bible que l’œuvre de Freud. Simplement, ce sur quoi je m’appuie énormément en déformant une expression de Witkiewicz: c’est la logique interne du devenir fictionnel. Lui, il disait scénique. Logique interne de devenir scénique. Moi, je dirais logique interne de devenir fictionnel. C’est-àdire vraiment quelqu’un qui avance comme ça dans un effort de conscience du personnage sur ce qu’il est en train de vivre, sur ce quoi il aspire à vivre, cela m’a percuté dans tous les sens. Il y a, p. ex., dans Le Bruit et la Fureur, le personnage de Benji. Il confond les moments etc. Oui, puisqu’il est donné comme un idiot, mais au fond cet idiot, on a bien l’impression que c’est quand même lui qui est au centre du récit. L’écrivain est un peu dans la position de Benji. Il voit les images et il les décrit, il les vit au premier degré. Et nous, nous sommes presque aveuglés par le réel, c’est-à-dire que nous nous suivons dans les récits qu’il fait - pourtant qui sont très détaillés - et nous nous disons: «Mais qu’estce qu’il vient de me décrire? » Et puis on est obligé de prendre un peu de distance, de le remettre comme ça, de l’enrober psychologiquement pour dire: «Ah, mais oui, en fait, il nous parle d’une dispute entre ses parents» ou «Ah, oui là, il nous parle de ...» enfin «Là, sa grand-mère est morte en fait.» Il ne l’a pas du tout compris mais simplement il nous a quand même décrit le cadavre, les préparatifs de l’enterrement et tout cela. Donc, je veux dire que ce sont des innovations qui n’en sont pas enfin! [Pause] Je ne crois absolument pas qu’une écriture volontariste qui pratiquerait le fragment comme une espèce de sport obligé ne serait plus pertinente par rapport à l’époque. Je veux bien croire au fragment dès l’instant qu’on s’efforce de comprendre de l’intérieur, c’est-à-dire dans le cadre d’une logique interne du devenir de la fiction. Comment les choses se ... Mais je donne toujours cet exemple aux élèves: [er nimmt ein Blatt Papier] en réalité bien sûr, voilà, c’est fait comme ça, une fiction ce n’est jamais comme ça [er zeigt das glatte Blatt Papier], c’est fait comme ça [er zerknüllt das Blatt Papier] alors, il se passe ça, d’ailleurs ce point-là touche ce point-là. Bon, effectivement, c’est bizarre parce qu’il y a de la distance. Pourquoi ces deux points se touchent? Parce que la feuille a été chiffonnée. Alors, la question, ce n’est pas de savoir si je fais des petites scènes avec un fragment-là et un fragment-là, en tant que tel, cela n’a pas d’intérêt puisque, précisément, cela les remet à distance. Mais ce qui est intéressant c’est la façon dont ils se percutent; si j’arrive à un moment donné à trouver une forme à la fois pertinente qui participe de la logique de la fiction que je suis en train d’écrire et - pour moi, c’est très important - compréhensible, c’est parce que j’ai envie de pratiquer un théâtre qui n’exclut personne. Je n’ai pas envie qu’il y ait quatre personnes qui disent «C’est génial! » et puis trois cents qui disent «Alors, moi, dis-donc, ça se voit bien que je n’ai pas fait d’études! » Bon, si j’arrive à faire simplement cela, alors là, c’est une grande avancée. Seulement, cela nécessite une appropriation, 3. Enzo Cormann: Interview am 25.04.2000 in Straßburg 367 une intériorisation énorme parce qu’il faut le faire comme si de rien n’était. Comme si de rien n’était! Voilà comme ça, de chic. C.F.: Mais de toute façon, moi, j’ai senti aussi que vous pratiquiez de temps en temps de l’énigmatisation. Mais cela ne va pas trop ensemble, n’est-ce pas? E.C.: Oui, dans quoi p. ex.? C.F.: P. ex. dans Exile. Dans cette pièce, on est toujours en train de deviner qui parle à un moment et dans quelle situation ce personnage se trouve à ce moment. Et aussi parce que vous avez tendance à partager un seul personnage en différents âges p. ex. Et souvent cela n’est pas du tout marqué et il faut vraiment conclure: bon alors, maintenant, il s’agit de ce personnage dans cet entourage, maintenant il vit à Paris, alors est-il adulte ou petit? Je veux dire qu’il y a tout ce travail de détective. E.C.: Oui, alors, je dirais deux choses. C’est vrai mais p. ex. Exile est une pièce qui date d’il y a quinze ans et je ne la ferais peut-être plus de la même manière aujourd’hui. D’une part et d’autre part - je dirais - il y a des choses qui sont plus difficiles à lire que - j’espère - à voir. C.F.: Oui, c’est ça aussi. E.C.: Voilà! Donc, c’est vrai que dans le livre, bon, on est un petit peu perdu, mais parce que je fonde beaucoup d’espoir aussi sur la scène. C’est une question d’équilibre. Il y a quinze ans, je fondais des espoirs insensés sur la scène. Je pensais que la mise en scène permettait de tout éclaircir. Mais maintenant, je sais que ce n’est pas vrai. [Lachen] Alors, maintenant j’essaie d’éclaircir davantage au plan de l’écriture. Voilà, cela a évolué, c’est vrai. Moi, j’ai un rapport très critique par rapport à certains textes anciens. Enfin, anciens? Pour moi ... C.F.: Qui datent ... E.C.: Oui, voilà. Aujourd’hui j’ai vraiment envie de faire en sorte que les choses soient lisibles. Je ne sais pas, p. ex., dans une pièce comme Sang et eau, il me semblait qu’il y avait quelque chose qui se passait assez simplement, qui consistait à convoquer des événements [Pause]. P. ex., deux personnes parlent d’un événement qui a eu lieu dans le passé et cet événement surgit immédiatement. C’est-à-dire: on est en train de parler et puis, moi, j’étais un des protagonistes de l’événement et la personne avec qui s’est produit cet événement apparaît sur le plateau et j’ai juste à faire ça pour, paf, revivre l’événement devant mon interlocutrice qui, du coup, devient spectatrice. Bon, ce sont des choses qui peuvent devenir très claires sur le plateau, tandis qu’elles sont un peu inquiétantes sur le papier mais bien faites, bien faites, elles peuvent devenir très lisibles. Cela peut présenter un intérêt parce que, p. ex., cela permet de marquer que dans une discussion entre deux protagonistes, il y a ce background qui vient constamment frapper à la porte dans l’échange. C’est vraiment une idée très simple à laquelle des générations et des générations de psychologues ou de psychanalystes se sont [Pause], bon. Et puis partant de cette idée, qui était plutôt psychologique, je parle avec quelqu’un et naturellement les rapports que j’ai eus avec mon père comptent dans la discussion. Donc, cette discussion que j’ai comme ça peut être criblée de moments que j’ai vécue V Anhang 368 quinze ans auparavant avec mon père, c’est une dimension psychologique et au fond ce que j’ai en tête maintenant. Ce qui m’intéresserait, ce serait de pouvoir le faire mais au plan économique ou, je ne sais pas, politico-géographique. Que cela vienne percuter comme ça, que dans le milieu d’une discussion il puisse y avoir de l’information qui vient d’ailleurs, qui organise ça. Mais bon ... C.F.: On verra bien. En utilisant beaucoup de citations marquées et nonmarquées dans vos pièces vous jouez sur l’effet de l'intertextualité. Y avez-vous lié une certaine intention? E.C.: Moi, je trouve que la lecture fait partie de mon expérience. Même les études, je veux dire: études au sens large. Celles qu’on fait seul, celles qu’on fait à l’université. Et par conséquent, j’ai tendance à m’intéresser à ce que savent, à ce qu’ignorent mes personnages, mes protagonistes. Je ne vois pas pourquoi parce qu’ils sont sur scène, d’un seul coup, ils oublieraient qu’ils ont lu Shakespeare, Freud et Marx, et Dieu sait qui d’autre encore. Donc, cela vient naturellement dans la discussion. En effet, ils se servent de ça pour atteindre l’autre, pour lui parler. Et alors, de façon générale, je préfère qu’ils nous disent qui a dit quoi et où. [Lachen] Donc, après avoir tergiversé comme ça [Lachen], maintenant j’ai tendance à faire très simplement dire à quelqu’un «comme le dit je ne sais pas qui», «voilà, dans tel poème.» Et cela me plaît bien. [Lachen] C.F.: J’ai l’impression que la catégorie de la mémoire et du souvenir se manifeste comme primordiale dans toutes vos pièces. Pourquoi y a-t-il une telle prédominance d’un sujet et d’une technique qui, à l’origine, font plutôt partie de la narration? E.C.: En fait, pour répondre au dernier aspect de la question, je crois vraiment à un théâtre de l’évocation. Et l’évocation ce n’est pas si loin de la narration. Finalement, j’aspire à une forme de théâtre où on passerait à un certain moment carrément du côté du narratif, du conteur. C’est-à-dire où un des protagonistes ou peut-être un conteur qui sera intégré dans la troupe viendrait faire renaître la pièce. Une face publique qui dirait: «Voilà, ça se passait là et puis ensuite il se passait ça, voilà, il était une fois etc.» C’est un côté très enfantin que j’aime beaucoup, que j’ai peu pratiqué dans le théâtre - par pudeur sans doute - mais dont je sens bien que c’est à cela que j’aspire en tout cas. C’est-à-dire de pouvoir mélanger des aspects de narration, des choses qui ne pourraient être jouées que par des marionnettes aussi. Enfin, c’est à ce type de mélange que j’aspire. Ne pas passer uniquement par l’incarnation et la représentation. Pouvoir se permettre par moment même de rallumer une salle et de dire: «Bon, il y a une partie de la suite qu’on ne va pas vous jouer mais qu’on va vous raconter.» 4 Et puis au bout d’un moment, on arrête de raconter et puis cela se remet à jouer p. ex. C’est sur l’aspect ‘narration’ et je suis tout à fait conscient que ce n’est pas vraiment dans l’air du temps mais je m’en soucie peu. [Lachen] Cela ne me fait 4 Bei diesem Beispiel handelt es sich um eine literarische Referenz auf La puce à l’oreille von Georges Feydeau. Dieses Verfahren der Zuschauerimplikation wurde bspw. zum Strukturmerkmal der Inszenierung des Cartoon Sardines Théâtre unter der Regie von Philippe Car am 11.02.1997 in Tours. 3. Enzo Cormann: Interview am 25.04.2000 in Straßburg 369 pas tellement souci. D’un autre côté, au fond, [Pause] c’est un peu une expérience personnelle. C’est un peu lié à mon histoire personnelle, à un moment, les protagonistes d’une fiction, on les place comme ça au cœur de l’enfer, au cœur de l’action, ils sont vraiment concentrés sur leur affaire et ils parlent, et ils s’expliquent, et ils essayent etc. Finalement, ils ont l’impression, eux, d’avoir un peu fait le tour de la question parfois sans très bien savoir quelle était la question. Du coup, nous aussi, au bout d’un moment, on a l’impression de savoir un peu tout de leurs histoires, de leurs désirs, de leurs difficultés, de leurs limites, de leurs caractères. Je pars de l’idée qu’il y a toujours un secret. Je les découvre au fur et à mesure que je les écris. Il y a ce mouvement curieux qui est que moi, je les découvre au fur et à mesure que j’écris; mais eux, ils parlent de cela comme s’ils le savaient de toute éternité. Il y a deux temps. Je mets en scène mes propres découvertes en les dotant d’une espèce de connaissance du personnage sur lui-même bien sûr, mais moi, je suis en train de découvrir. Ce que je cherche ce n’est pas forcément ce que cherche le personnage. Ce que je cherche c’est où est le secret. Il y en a un. Il y en a un parce que sinon ce petit bonhomme-là ne serait pas venu comme ça. Alors: Qu’est-ce qu’il est en train de me cacher? Je lui ferai raconter toute sa vie, toute son expérience, cent trucs mais il y a toujours quelque chose qu’il me cache et qu’il se cache à lui-même, enfin qu’il ignore lui-même. Et moi, j’ai vécu comme ça il y a fort longtemps - il y a 25 ans - j’ai fait pendant trois ans une psychanalyse et j’avais l’impression d’avoir vraiment découvert des tas de choses. 5 C’était très important pour moi. Et [Lachen] en fait, c’est dix ans après avoir quitté le divan, en quelque sorte, que j’ai découvert qu’à ma naissance ma mère m’avait abandonné un an. C.F.: Ah bon, c’est vrai? E.C.: Voilà, ce qui est un événement considérable. C’était ça, le secret! C’était ça qui existait dans la famille que je n’avais jamais su et que je n’avais jamais même découvert sur le divan. Et évidemment découvrant cela, cela m’a permis de relire un certain nombre de choses sur moi-même, sur ma mère, sur la façon que j’avais d’envisager le monde qui était tout à fait fondamentale. Finalement, c’était beaucoup plus important qu’une masse de choses que j’avais brassées et que je considérais comme primordiales. Quel est le secret? C’est pour cela qu’il y a sans arrêt ce retour sur soi avec toujours une part à la libre association qui fait qu’à un moment donné justement dans le cadre de cette logique interne du devenir fictionnel, au détour d’une phrase, je vais hé [Lachen] tomber sur le truc. C’était ça. C’est ce qui m’est arrivé dans Diktat, p. ex., de façon beaucoup plus anodine; mais enfin [Pause] sur le fait que le frère aîné avait rejoint l’armée de l’ethnie dont était originaire son père, il s’en explique, il explique pourquoi il était adolescent, totalement, il voulait ci et ça etc. Je l’ai bien laissé s’expliquer bien bien bien bien bien bien s’expliquer jusqu’au moment où j’ai trouvé la vraie raison. Une déception amoureuse! Et cela m’a paru beaucoup plus juste. 5 Im Interview mit Gallon äußert Cormann: „j’étais profondément déprimé: Quelque chose est remonté de l’enfance, comme un vieux rêve, une lueur ...“. Jean-François Gallon: Le théâtre d’Enzo Cormann. In: L’Œil de la Lettre, Januar 1992. V Anhang 370 [Lachen] C’est-à-dire d’un seul coup c’était pour ça, c’était pour ça, véritablement pour ça! Même si cela paraît scandaleux! C.F.: Oui, au niveau du texte, si on le lit c’est vraiment un peu choquant! E.C.: Oui, mais d’un seul coup, au fond, là, il parlait vrai. Là, il disait la vérité. Il ne parlait pas comme les journaux: Où est le secret? Alors effectivement, c’est pour cela qu’on disait tout au début que, d’un certain côté, mes pièces ressemblent aussi beaucoup à des romans. Mais oui, puisque j’en tiens aussi pour des moments de pure narration, puisque j’en tiens aussi pour un art de l’évocation, c’est ça, le roman. Je décris les décors d’une pièce pour créer un climat, faute de pouvoir construire le décor et mettre des acteurs dedans qui nous jouent la scène. Donc là, on est en plein roman. Au fond, j’en tiens donc pour un théâtre qui aurait vraiment des aspects romanesques et peut-être au fond, j’en tiens pour un roman qui aurait des aspects très liés au théâtre, en définitive. C.F.: Pensez-vous à d’autres critères constitutifs de votre œuvre? E.C.: C’est déjà écrasant! Non, ce serait plus des choses très concrètes qui sont liées à la pratique de la scène. Je trouve finalement assez peu de metteurs en scène qui saisissent, p. ex., que justement, pour moi, les idées, l’explication est quelque chose qui engage la totalité de la personne. C’est quelque chose qui peut être à la fois très charnel et très rapide. Cela se vit dans l’instant, dans une forme d’impatience, de fébrilité. Donc là, où il y a souvent des malentendus, c’est qu’en fait les metteurs en scène ont tendance à insister sur la façon dont les protagonistes développent leur rhétorique. Alors, qu’en réalité, c’est vécu dans un flux, c’est la pulsion qui est derrière. Donc pour moi, c’est rapide, c’est vif, c’est charnel, c’est [Pause] et il y a de la perte. Pour moi, ce n’est pas grave. Je veux dire dans une conversation normale entre individus, ou prenons deux amoureux qui vont passer une journée ensemble, ils vont se promener, ils vont aller au restaurant, ils vont discuter etc. Ils se disent énormément de choses mais il y a énormément de perte. Pour autant qu’ils n’aient pas vécu l’instant, ce n’est absolument pas la question. Par moment, le discours n’est que prétexte de présence à l’autre. Je ne fétichise pas du tout le discours. Mais le discours, la langue c’est ce qu’il nous reste. C’est ce qu’il nous reste pour marquer la présence à l’autre et le désir au sens large, c’est-à-dire le désir d’être présent à l’autre. Au fond même, d’ailleurs, un appel à l’écoute. Au fond, c’est ce geste-là qui m’importe le plus - à la limite - plutôt que le contenu en détail de ce qui se dit. C.F.: Croyez-vous que votre théâtre est en quelque sorte représentatif de notre temps? E.C.: Moi, ce que j’espère qu’il est ... C.F.: Car avant vous avez parlé aussi de postmodernisme? E.C.: En tout cas, moi j’essaie de me situer par rapport à mon époque. Et j’essaie de le faire de façon pertinente et j’essaie de le faire de façon sincère. Voilà, c’est vraiment - je crois - tout ce que raisonnablement on peut dire. Je ne me sens pas du tout missionné pour révolutionner la langue ou révolutionner le théâtre. Ce n’est pas du tout le problème. Le problème est d’essayer de jouer mon rôle 3. Enzo Cormann: Interview am 25.04.2000 in Straßburg 371 d’artisan en fiction de façon sincère et véritable. Donc, raconter des histoires qui aient à voir avec notre époque. Maintenant, il se peut que ma pratique d’écrivain soit complètement anecdotique et qu’elle soit tout à fait intermédiaire, balayée, qu’elle participe à une génération qui n’est là que pour préparer la venue d’une génération qui sera plus forte, plus pertinente, je n’en sais rien du tout. C.F.: Mais vous voyez-vous donc vous-même dans une certaine tradition littéraire ou philosophique? E.C.: Bien sûr. Oui, oui, bien sûr. On parlait de Deleuze et Guattari. Bon, il est certain que je fais partie de la génération post-psychanalytique. Cela a, p. ex., une certaine importance. On en plaisantait avec Guattari un jour que je sortais une banalité sur la troisième topique freudienne. Il disait: «Ah, tu fais encore partie des gens qui croient que l’inconscient est comme la peinture en bâtiment. Il y a trois couches. Ah non, ce n’est pas comme ça que cela marche.» Et moi j’ai dit: «Evidemment tu as raison, bon, c’est un vieux réflexe.» Oui, en effet, je fais partie d’une génération qui est tout à fait persuadée que cela ne marche pas en trois couches. Qu’il n’y a pas le ça, le moi et le surmoi. [Lachen] Bon, mais tout cela n’était qu’une façon de dire une hypercomplexité où tout est rhizome, où tout prolifère et où l’hypercomplexité a sa place. Et par conséquent, il faut que le discours tranche dedans à un moment donné. Il n’est jamais qu’une énième organisation de la subjectivité. Cela donne du recul. Je trouve que cela donne, y compris, du recul sur la pertinence de ce qu’on fait. C’est-à-dire on ne devrait plus être en situation de dire: Voilà, comment aujourd’hui il faut parler du monde. On devrait toujours dire: Voilà, comment moi, je m’exprime dans le monde. C.F.: Maintenant j’aimerais parler plus précisément de la relation entre mémoire et Histoire dans les pièces Berlin, ton danseur est la mort et Toujours l’orage. On a l’impression que vous faites beaucoup de recherches historiques pour rapprocher la mémoire individuelle à l’Histoire, à savoir la mémoire culturelle? E.C.: Oui, c’est vrai, je dirais que c’est un peu le fait qu’avant d’écrire pour le théâtre j’étais journaliste. Alors, j’aime bien cela. Mais au fond, l’écriture est une pratique de vie. En réalité, cela m’amène à lire des ouvrages que je ne lirai pas autrement. Finalement, cette quête, cette circulation dans l’époque au sens large, dans son passé ou dans son actualité, c’est quelque chose qui m’intéresse et puis j’ai le goût du détail. Cela me plaît. J’avais un professeur en faculté qui est malheureusement décédé aujourd’hui. Il s’appelait Jean-Michel Palmier et était un spécialiste en philosophie allemande. J’adorais ses cours parce qu’il était passionné par l’expressionnisme allemand, et tout cela, mais il avait une vision philosophique très pénétrante et, en même temps, il fourmillait d’anecdotes. Il racontait cela vraiment comme un pêcheur à la ligne. Et j’ai aussi ce goût de l’anecdote, du petit détail, cela me plaît. C.F.: Sylvie Faire qui a joué dans la mise en scène de Berlin à Besançon a dit: «Gretl Schüler, ce n’est pas qu’elle ne se souvient pas du passé. Au contraire. Seulement avec le souvenir, elle n’arrive pas à faire le lien entre SON passé et LE passé. Entre son histoire et l’Histoire. Entre ce qu’elle sait de son histoire et V Anhang 372 ce que le monde a fait de l’Histoire. Elle se condamne elle-même à revivre son passé avec ce qu’elle sait à présent du passé du monde.» Partagez-vous son point de vue? E.C.: Qui l’a dit? C.F.: Sylvie Faire, je crois qu’elle a joué la Gretl Schüler dans la mise en scène de Ghislain Montiel à Besançon. E.C.: Ah, d’accord. Je ne sais pas. En tout cas, c’est bien formulé. [Lachen] Oui, tout à fait, c’est un peu d’ailleurs le cas dans Diktat. [Pause] En réalité, l’expérience est souvent aveuglante. On est au cœur des choses mais précisément parce qu’on est au cœur des choses, on se noie. Et c’est cela aussi qui est intéressant - enfin intéressant - c’est ce qui m’occupe. C’est la façon dont l’Histoire vient percuter l’intime et en même temps de façon mystérieuse. Evidemment, avec le recul, la montée du nazisme est une chose très claire. Mais de l’intérieur elle le vit comme un gigantesque cafouillis, bouleversement. On ne sait pas où se situer, on ne sait pas où on va, on ne sait pas qui on est. On sait un peu qui on peut haïr mais pour autant qu’est-ce que cela raconte? Effectivement, toujours cette histoire de retour, s’expliquer le monde. Et pour s’expliquer le monde il faut l’expliquer à quelqu’un. Et pourquoi l’expliqueraiton à quelqu’un? C.F.: Camus a écrit: «Ceux qui ne se souviennent pas du passé sont condamnés à le revivre.» Pourriez-vous me parler plus précisément de cette relation entre mémoire et oubli et le rôle du théâtre? E.C.: C’est ce qu’on a vu dans les débats récents sur la Shoah, c’est ce qu’on appelle ici le devoir de mémoire etc. Pour autant [Pause] cela n’y suffit pas. On pourra autant qu’on voudra raconter dans le détail, avec la plus grande précision possible l’histoire de la Shoah aux générations qui ne l’ont pas vécue, ce serait trop simple! Ce serait trop simple si cela permettait d’éviter complètement que les composantes s’en renouvellent. On voit bien le populisme qui, à un moment donné, prend le relais d’idées plus anciennes, et qui finalement laisse la porte grande ouverte à des thèmes qui étaient, en réalité, chers au nazisme. Donc, c’est pour cela que le théâtre a un rôle véritablement à jouer parce que cela veut dire qu’à un moment donné il faut aussi une dimension émotive mais au sens de réappropriation subjective. C’est-à-dire ce que fait, au fond, l’écrivain de théâtre: il se place du point de vue de ses personnages. La compassion est de se placer de son point de vue devant un poste de télévision en disant «Ah, les pauvres! » Mais ce n’est pas de se placer du point de vue de celui qui se trouve déporté. Le théâtre est la possibilité de vivre de l’intérieur tout en méditant pas à pas cette expérience. Là, il y a quelque chose qui, au plan collectif, est très fort, enfin je veux dire que par l’intermédiaire du corps d’un acteur qui est dans le même espace collectif que nous, il y a quelque chose qui est revécue de l’intérieur. C’est très important. L’autre chose est que le théâtre permet ce que ne permet pas, d’une certaine façon, un ouvrage même historique parce qu’il est prisonnier de l’événement dans une large mesure. Le théâtre permet de prendre l’événement comme je prends ce briquet. C’est-àdire d’aussi faire ça [er dreht das Feuerzeug in alle Richtungen] et d’essayer de 3. Enzo Cormann: Interview am 25.04.2000 in Straßburg 373 voir ce qui se passe. C’est-à-dire qu’en effet je peux créer un personnage de nazi. Et je peux l’activer aussi de l’intérieur et faire en sorte qu’on assiste à un processus mental de l’intérieur et pas seulement chiffré de l’extérieur. Il y a quelque chose qui me paraît très important, c’est qu’au théâtre on puisse également intégrer une dimension qui est très difficile à admettre: c’est comment nous-mêmes nous aurions pu nous retrouver dans la peau de cet officier SS? Cela veut dire: qu’est-ce qu’il y a en germe chez nous d’hostilité, de crainte du désordre, d’attachement aux valeurs traditionnelles, de haine, de haine de l’autre et de haine de soi qui fait que nous avons largement nombre de composantes qui pouvaient forger les mentalités d’un certain nombre de gens que nous avons trop tendance à considérer comme des monstres. C.F.: Oui, parce que c’est le plus facile. E.C.: Voilà! Puisque le théâtre est quelque chose qui met un peu les mains dans le cambouis, oui quand même mais on est au cœur de la machine, et en particulier parce qu’on peut mêler des composantes économiques, politiques, des parcours de l’affectif, du sexuel. Enfin voilà, tout cela est une tambouille. C.F.: Vous avez dit vous-même que c’était tout à fait décisif pour vous d’écrire Toujours l’orage. Pourquoi? E.C.: C’était décisif parce que c’est un sujet que je ne pensais jamais pouvoir traiter. Parce que la Shoah est un sujet, enfin comment faire une pièce de théâtre sur l’extermination de six millions de juifs d’Europe? Aucune scène au monde ne peut contenir un tel événement. C.F.: Oui, c’est un peu ce qu’a dit Adorno. E.C.: Oui, comment écrire un poème après Auschwitz? Mais en fait, c’était justement l’idée presque inverse que j’activais. Je me disais: Mais si, au fond, le théâtre ne peut même pas parler de la Shoah qui est vraiment l’événement à partir duquel tout bascule dans le vingtième siècle, alors de quoi véritablement pourrait parler le théâtre aujourd’hui? Il y avait cela d’une part, et d’autre part l’idée de se dire: [Pause] Est-ce que cela peut se faire aussi dans le cadre d’un théâtre intimiste? Enfin, c’est-à-dire: Est-ce qu’avec deux personnages je peux faire ça? C’est-à-dire: Est-ce que véritablement je suis capable de rendre compte - bien sûr de parcours singuliers mais qui eux-mêmes rendraient un écho plus large de cet événement. J’avais l’impression que si je n’arrivais pas à faire cela, que ce n’était plus la peine que je continue d’essayer d’écrire du théâtre. Que véritablement derrière il manquerait toujours quelque chose. Alors, comme j’ai eu l’occasion de le dire, forcément d’une certaine façon c’est raté; c’est-à-dire raté dans le sens que la pièce ne saisit, bien sûr, pas la Shoah et ne la montre pas. Là, bien sûr, elle est complètement imprégnée de cela et puis qu’est-ce qu’elle fait? Elle fait cela et en fait, elle ne saisit que quelques poussières, quelques bribes. Du viole aussi. C.F.: Mais alors le ratage est positif? E.C.: Voilà! Voilà, et en fait ce dont témoigne la pièce c’est précisément dans l’élan, c’est dans l’élan de la parole que se situe vraiment toute la part d’humanité que peut transmettre le théâtre. Un tel événement ne se saisit pas. V Anhang 374 Cela se rate. Il y en a un seul qui ne l’a pas raté, c’est Hitler. Lui, il a vraiment tué six millions de juifs d’Europe. C.F.: Oui ça, c’était vraiment, entre guillemets, efficace. E.C.: Voilà lui, il a vraiment tué six millions de juifs d’Europe. Mais après, on est condamné au ratage parce que l’événement est trop considérable. Mais c’est dans la façon de rater que la différence se fait. De la même façon, la mondialisation aujourd’hui on ne peut que la rater. Mais il y a une façon de la rater qui précisément nous est utile. Il y en a une autre qui ne nous sert à rien. C.F.: Alors, ce n’est pas dû à une certaine note biographique que vous abordez l’Allemagne nazie? E.C.: Non, vous voulez dire ... Je ne suis pas d’origine juive et personne dans ma famille n’a été déporté etc. C.F.: Oui, c’est ce que j’ai lu à propos de Toujours l’orage. C’était Henri Bornstein qui voulait aborder le sujet à cause de sa biographie. E.C.: Oui, absolument, mais pour moi pas du tout, pas du tout. Et même d’ailleurs c’était intéressant puisque lui, il partait vraiment d’une toute autre démarche, en fait. C.F.: Et en plus dans ce contexte, on peut le soupçonner à cause de votre pseudonyme qui paraît d’origine italienne et juive-allemande. E.C.: Oui mais non. J’ai appris qu’Enzo en hébreu veut dire ‘ce n’est pas’. C.F.: Ah bon, mais vous l’avez appris avant ou après? E.C.: Après, après. C.F.: Bon après, d’accord. Pourriez-vous préciser quelle image vous avez de l’Allemagne et des Allemands et si celle-ci diffère de celle que vous dressez dans vos pièces? Parce qu’en Allemagne, il y a un universitaire qui a écrit quelque chose sur votre image de l’Allemagne et c’est pour ça que j’aimerais bien savoir si des expériences personnelles etc. y jouent un rôle, s’il y a une relation ou pas du tout? E.C.: Non, [Pause] d’abord, je ne parle pas allemand et je ne le lis pas non plus. Non, c’était très lié à la seconde guerre mondiale. Au fond, je crois que je serais plus embarrassé, p. ex., d’écrire sur cette époque-là en France, encore pour l’instant. Il me semble que cela me paralyserait davantage. Mais j’avais vraiment envie de comprendre la problématique très complexe de ma génération, enfin des allemands de ma génération. C’est-à-dire de cette difficulté dont on a énormément parlé d’intégrer cet héritage. C.F.: Oui, et on y est toujours et partout confronté. E.C.: Oui, tout à fait, tout à fait. Bon voilà, c’est parti de là et puis - mais simplement de façon plus anecdotique par le fait qu’on parlait de Palmier tout à l’heure - par le fait que je me suis énormément intéressé aux années 20, en particulier au mouvement expressionniste. Il y a quelque chose qui m’a beaucoup intéressé, sur laquelle j’ai beaucoup travaillé à l’université, donc je l’ai étudié, et puis je n’imaginais pas qu’il y en aurait une trace autre qu’uni- 3. Enzo Cormann: Interview am 25.04.2000 in Straßburg 375 versitaire. Puis à la faveur d’un voyage à Berlin, il y a quelque chose qui s’est mis à me parler différemment, de façon plus subjective. Et puis voilà, mais je ne suis pas du tout sûr [Pause] c’est très intuitif, en définitive, tout cela. [Pause] Au fond, en France, il y aurait un peu le même travail à faire mais - c’est toujours pareil - on n’écrit pas une pièce de théâtre comme on écrirait un essai sur la France de Vichy. Il faut qu’il y ait un élément déclencheur. Chez moi, l’événement déclencheur était esthétique. C’était l’expressionnisme allemand qui était porteur de l’idée d’apocalypse sans très bien savoir de quoi il était question; si ce n’est qu’effectivement la première guerre mondiale a été une espèce de boucherie absolument effroyable, et qu’une partie de ce mouvement semblait conscient mais une conscience poétique, que cela n’était que le prélude à un carnage peut-être plus important encore. Ce qui était quand même une position assez rare. Au fond, c’est ça. C’est en essayant de voir quel avait été le parcours de ces gens. Cet esprit berlinois tellement caustique. Cette chose absolument sidérante de la déferlante nazie ensuite. Et là encore le poids du politique, le poids du chômage, tout cela est absolument fascinant. C.F.: Vous avez révélé dans la préface de Noises la question de savoir quelle urgence il y a à écrire aujourd’hui et si on est capable de raconter une histoire vraiment contemporaine au théâtre. Avez-vous trouvé des réponses pour vousmême? E.C.: Plutôt des questions. [Lachen] Oui, les années passent et on change un peu de point de vue. J’étais très péremptoire quand j’ai écrit Noises et puis maintenant un peu moins. [Pause] Mais p. ex. là, j’ai terminé récemment - enfin récemment, au mois d’octobre - une pièce qui s’intitule Cairn et qui raconte l’histoire un peu impossible d’un militant ouvrier confronté à une liquidation d’usine. Pour moi, c’est une histoire très contemporaine. Mais c’est tout une question de point de vue. Pour tout un tas d’auteurs, c’est une histoire vieillotte. C’est une petite fable qui essaie de montrer qu’on a beau dire qu’il n’y a plus de rapport ... que la lutte des classes c’est terminé. J’ai essayé dans une fable de dire mon sentiment sur la question qui est que tout cela c’est de la foutaise, c’est ce qu’on veut bien nous raconter. Pour moi, une histoire contemporaine, ce serait une histoire qui méditerait un peu sur cette escroquerie qui consiste à dire: l’instauration de la démocratie dans l’entreprise est le fait que les salariés deviennent actionnaires de l’entreprise parce que, comme ça, ils exercent le pouvoir sur leur entreprise. Ce qui est une escroquerie intellectuelle monumentale puisque la démocratie est un homme une voix. Là, c’est un dollar une voix. [Lachen] Alors, nous faire croire que lorsque l’ouvrier possédera cinquante actions de son entreprise, on sera dans un monde démocratique parce qu’il pourra parler d’égal à égal avec les grands capitaux, les grands, les fonds, les pensions américaines, voilà un sujet qui m’intéresserait. Alors, il y a quelques anecdotes qui pourraient venir constituer la pièce. Ces retraits ..., enfin non justement non, ces actionnaires, ces employés d’une entreprise américaine sont salariés de l’entreprise, ils sont actionnaires, petits actionnaires, et puis ils ont un petit club d’actionnaires. Et alors un jour, ils apprennent que l’action vient de monter de trente pour cent alors ils font un repas au res- V Anhang 376 taurant, ils débouchent le champagne, ils sont vachement contents etc. Et en réalité, le lendemain, ils trouvent chez eux une lettre de licenciement et c’est la raison pour laquelle le cours avait tellement monté en bourse; c’est qu’ils avaient appris que l’entreprise avait supprimé 1500 postes. Voilà, le genre de choses qui m’intéressent. Pour moi, aujourd’hui raconter une histoire contemporaine ce serait raconter une histoire de … j’ai beaucoup de mal avec le théâtre de Sarah Kane p. ex. Bon, il n’y a d’ailleurs aucune raison de … enfin, je veux dire: je respecte tout à fait la personne et puis, en plus, elle a terminée tragiquement. Mais je veux dire: pour moi, les histoires contemporaines, ce ne sont pas les histoires de junk, de truc, de machin. Enfin, tout cela je l’ai vécu dans les années 70, les années 80. Pour moi, l’histoire tout à fait contemporaine est p. ex. l’histoire de ce petit actionnaire madrilène. En 1987, il y a un mini-crack boursier, il est ruiné, il ne lui reste que quelques économies, il consacre tout le reste de ses économies à acheter des billets de la loterie nationale et il dit «Si Dieu existe il me sauvera! » Voilà, il perd et il se pend à un arbre dans un parc de Madrid. Bon, pour moi, c’est une histoire contemporaine parce qu’elle montre bien le caractère totalement irrationnel du rapport à la sphère financière qui est vendu par la presse. Qui fait qu’à un moment donné, au fond, le recours à Dieu n’est pas loin. On parle de mini-crack boursier mais on espère que Dieu va venir. Ce sont des histoires très contemporaines, vraiment très très contemporaines. C’est de ça dont il faut parler. La vie des gens. Là, je suis en plein dans Karl Kraus mais finalement le rôle de la presse aujourd’hui: Qu’est-ce qu’on nous vend dans les médias? La mondialisation, la globalisation, le triomphe du marché, la fin de l’Histoire etc. Si le théâtre a un rôle à jouer au plan politique, c’est bien de montrer que tout cela ce sont des fadaises, ce sont des fictions qui avaient véritablement quelque chose que l’on refuse de voir, de dire, de commenter, d’activer. Je suis frappé, p. ex., de voir que dans des sites internet, des points com, enfin des sites commerciaux, les conditions de travail sont infernales, infernales. Les types travaillent dix heures par jour devant un écran et sont surveillés par des contremaîtres qui sont de vrais chiens. Mais tout ça, c’est ‘the new economy’. Alors, c’est emballé et ils sont censés tous être modernes, joyeux, sportifs, ils ne fument pas, ils ne boivent pas. [Lachen] En fait, ce sont des nouveaux esclaves! Voilà des histoires contemporaines! Seulement ça on ne l’entend pas comme étant des histoires contemporaines. L’histoire contemporaine, c’est sex and drugs and rock’n’roll! Mais sex and drugs and rock’n’roll c’est la fin des années 70 pour moi et les débuts des années 80. Après c’est les années fric, les années réussite, les années carrière, et pour finir le discours qu’on nous sert, aujourd’hui, sur la victoire définitive du marché dans le débat d’idées. Ça ce sont des histoires contemporaines. C.F.: Pour reprendre à la fin une de vos questions: Et si on vous empêche de faire du théâtre ...? E.C.: Alors, cela ne pourrait arriver que dans une seule circonstance: le retour du fascisme, je ne sais pas. Non, personne ne m’empêche de faire du théâtre. Economiquement, cela devient difficile. En France, cela devient très difficile de faire du théâtre. De le faire bien aujourd’hui. [Pause] Donc, c’est une des rai- 3. Enzo Cormann: Interview am 25.04.2000 in Straßburg 377 sons pour lesquelles je me pose quand même un certain nombre de questions. En France, cela devient de plus en plus difficile d’éditer du théâtre, de jouer des textes d’aujourd’hui. Donc, ce n’est pas très facile mais on peut faire du théâtre, on peut aussi écrire du roman ou de la poésie. Mais indépendamment de ça, je veux dire, pour détourner un peu la question, il se pourrait aussi que demain je ne me sente plus du tout d’écrire de la fiction, que je n’en ai plus envie. C’est une chose à laquelle je suis totalement préparé et je ne le vivrais pas du tout comme une déchéance parce que je me suis toujours pensé comme un artisan. Je suis un petit artisan. Je peux aussi changer d’activité sans que ce soit déchoir. Je peux très bien, je ne sais pas, devenir guide de moyenne montagne dans le massif de la Chartreuse. Cela m’irait très bien. J’aime marcher, j’aime la nature, je pourrais aussi très bien décider d’emmener des groupes en montagne. Je n’aurais pas l’impression de déchoir. Ce n’est pas un privilège d’être écrivain. Ce n’est pas du tout un privilège. C’est un travail - enfin moi, je le vis comme ça en tout cas. Felbeck Erinnerungsspiele Die Zeit um die Jahrtausendwende ist von einer Epochenschwelle in der Erinnerungs- und Gedächtniskultur geprägt: Während die Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges zunehmend aussterben, suchen sich die Nachgeborenen, die zur Vergangenheit keine biographische Verbindung mehr haben, ihren eigenen Zugang. An die Stelle individueller und unmittelbarer Erinnerungen tritt bei dieser Erinnerungsliteratur zweiten Grades eine medial vermittelte, kollektive und kulturelle Form von Memoria. Methodisch im kulturwissenschaftlichen Forschungsfeld der Erinnerungstheorien verortet, untersucht die Studie, mit welchen textuellen Strategien diese Schwellensituation in Dramen der zweiten französischsprachigen Autorengeneration inszeniert und verhandelt wird. Dabei etabliert die Autorin mit dem zugrunde gelegten Dramenkorpus erstmals ein Kompendium zeitgenössischer frankophoner Dramatiker mit dem Fokus Memoria, dessen Einzeltexte bislang nur marginal Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen waren. Ausführliche Präsentationen der Autoren und ihrer Gesamtwerke, ein umfassendes Verzeichnis der Primär- und Sekundärliteratur sowie ein dokumentarischer Anhang aus Briefen und Interviews, in denen die Dramatiker ihre poetologische Konzeption selbst detailliert darlegen, runden den Band ab und bilden zugleich eine anregende Grundlage für künftige Forschungsarbeiten. ISBN 978-3-7720-8257-3 Christine Felbeck Erinnerungsspiele Memoriale Vermittlung des Zweiten Weltkrieges im französischsprachigen Gegenwartsdrama 005408 Mainz. For. 38 - Felbeck: 005408 Mainz. For. 38 - Felbeck Umschlag 28.01.2008 16: 00 Uhr Seite 1