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Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue und im „Prosa-Lancelot“

2010
978-3-7720-5376-4
A. Francke Verlag 
Rachel Raumann

Ausgehend von detaillierten Textanalysen der Artusromane Hartmanns von Aue und des ,Prosa-Lancelot' wird in der Studie das interdependente Verhältnis von fictio- und historia-Konzeptionen untersucht und gezeigt, daß die Inanspruchnahme einer von Legitimationsformen freien Fiktionalität mit der Entfunktionalisierung und Verfügbarkeit traditioneller Historisierungsstrategien einhergeht. Während dies im ,Erec' Hartmanns vor allem in Auseinandersetzung mit den verschiedenen Konnotationen des fictio-Begriffes realisiert wird, rückt in Hartmanns ,Iwein' die Auseinandersetzung mit historia-Elementen verstärkt in den Blick, so daß Historizität letztlich für die fiktionale Erzählung verfügbar wird. Auf der Basis dieser literarästhetischen Entwicklung wird sodann gezeigt, daß der ,Prosa-Lancelot' sich mit jener Relativierung und Verfügbarkeit traditioneller Historizitätsmerkmale auseinandersetzt. Der den ,Lancelot' kennzeichnende Anspruch, den Artusstoff zu re-historisieren, wird auf Grund der bereits für fiktionales Erzählen verfügbaren historia-Elemente immer wieder konterkariert und gerät somit zu einer subtilen Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen der arthurischen Erzähltradition.

Rachel Raumann Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue und im »Prosa-Lancelot« Bibliotheca Germanica A. Francke Verlag Tübingen und Basel Bibliotheca Germanica HANDBÜCHER, TEXTE UND MONOGRAPHIEN AUS DEM GEBIETE DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE HERAUSGEGEBEN VON HUBERT HERKOMMER , SUSANNE KÖBELE UND URSULA PETERS 57 A. FRANCKE VERLAG TÜBINGEN UND BASEL Rachel Raumann Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue und im »Prosa-Lancelot« Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. D 82 (Diss. RWTH Aachen University, 2008) Das Buch wurde gedruckt mit freundlicher Unterstützung der RWTH Aachen. © 2010 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Satz: CompArt satz+edition, Mössingen Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 0067-7477 ISBN 978-3-7720-8376-1 Ich hatte nichts und doch genug: Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug (Goethe, Faust I) Kolumne links Überschrift_I Kolumne rechts Überschrift_1 Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2008 von der Philosophischen Fakultät der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde sie geringfügig überarbeitet. Mein Dank gilt zuallererst Prof. Dr. Silvia Schmitz, die die Arbeit angeregt und betreut hat. Für ihre produktive Kritik und ihre Unterstützung, für ihr Interesse an der Arbeit sowie für zahl- und hilfreiche Diskussionen sei ihr herzlich gedankt. Für die Übernahme des Korreferats und für seine Diskussionsbereitschaft danke ich PD Dr. Thomas Neukirchen. Mein Dank richtet sich auch an Prof. Dr. Susanne Köbele, Prof. Dr. Ursula Peters und Prof. Dr. Hubert Herkommer für fachliche Stellungnahmen und für die Aufnahme in die Reihe ‹Bibliotheca Germanica›. Ebenfalls zu danken habe ich für einen Druckkostenzuschuß der RWTH Aachen. Dank gebührt schließlich meiner Familie und meinen Freunden, die zum Gelingen der Arbeit einen wesentlichen Teil beigetragen haben. Aachen, im März 2010 Rachel Raumann Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue . . . . . . . . . . . . . 35 I.1 Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 I.1.1 Überschreitung funktionaler fictio: Erecs Bewirtung durch Koralus und Karsinefîte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 I.1.2 ‹Märchenhafte› Dimensionen des Erzählens: Feimurgans Zauberpflaster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 I.1.3 Fictio als Täuschung: Die Zelt-descriptio in joie de la curt . . . . . 58 I.1.4 Ironisierung der Augenzeugenschaft: Der roc von Enitens Cousine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 I.1.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Exkurs: Fiktionalität im ‹Wigalois›: Die descriptio der Florie . . . . . . . . . 71 I.2 Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 I.2.1 Funktionale fictio im ‹Iwein›: Ein Spiel mit Literarizität . . . . . . . 84 I.2.1.1 Iweins Kampf gegen Gawein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 I.2.1.2 daz wunder das gesach ich nie: I.2.1.2 Iweins und Laudines Herzentausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 I.2.2 Historizität in der fiktionalen Gattung: Die Funktion der adtestatio rei visae im ‹Iwein› . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 I.2.2.1 Prolog und Epilog des ‹Iwein›: I.2.1.2 Res gestae oder res fictae? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 I.2.2.2 Augenzeugenschaft auf der Ebene der histoire . . . . . . . . . . . 107 I.2.2.3 Die Erzählung des Kâlogrenant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 I.2.2.4 Das guote lügenmaere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 I.2.2.5 Augenzeugenschaft auf der Ebene des discours . . . . . . . . . . 119 I.2.2.6 Ich machte des strîtes harte vil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Exkurs: Augenzeugenschaft und Quellenfiktion in der ‹Klage›: Exkurs: Swemmel als Augenzeuge des Burgundenuntergangs . . . . . . . . 128 I.3 Zusammenfassung der Ergebnisse: ‹Erec› und ‹Iwein› . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 II. Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 II.1 Vers und Prosa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 II.2 Quellenkonstrukt und Quellenfiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 II.2.1 Die Verfasserfiktion ‹Walter Map›: non enim mentiur qui recitat, sed qui fingit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Inhalt Inhalt II.2.2 Die Erzählungen der Artusritter als Quelle des ‹Prosa-Lancelot› . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 II.2.3 Lancelots und Ginovers Schweigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 II.3 Täuschung, Schrift und historia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 II.3.1 Die falsche Ginover und Bertelacs Brief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 II.3.2 Das Fräulein von Challot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 II.3.3 Das Grabmal des Garheiß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 II.3.4 Das Grabmal des Artus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 II.4 Re-Historisierung vor dem Hintergrund der Gattungstradition . . . . . 220 Exkurs: Re-Historisierung im Dienste der Heilsgeschichte: Exkurs: Bohorts Versuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 II.5 ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 II.5.1 Ninienne und Morgane: Märchen- oder ‹Berufsfeen›? . . . . . . . . . . 240 II.5.2 Die Befreiung Lyonels und Bohorts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 II.5.3 Die Befreiung der Dolorosen Garde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 II.5.4 Das ‹Tal ohne Wiederkehr› . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 II.5.5 Der Tanzbann im ‹Verlorenen Wald› . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 III. Galeotto fu il libro e chi lo scrisse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Primärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Lexika/ Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Autoren und Werktitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Begriffe und Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 X Inhalt Einleitung Man muß alle straßen ritten, oder die abenture werdent nymer zu ende bracht. 1 Fiktionalität erscheint dem modernen Leser als unabdingbare Qualität, ja als genuines Wesensmerkmal von Dichtung und Literatur. 2 In der (post-)modernen Erkenntnisphilosophie wird Fiktionalität gar als anthropologisches Konstituens betrachtet, insofern jedwedes Erkennen letztlich durch Fiktionalität gekennzeichnet sei, da sich ‹Wirklichkeit› erst im Zusammenspiel von Subjektivität und Kontext konstruiere. Diesem Verständnis gemäß stehen ‹Wirklichkeit› bzw. ‹Faktizität› und ‹Fiktionalität› einander nicht diametral gegenüber, sondern werden interdependent gedacht. Die Frage, ob Literatur denn fiktionale Literatur sei, mag dem heutigen Leser daher obsolet oder überflüssig erscheinen. 3 Problematisch wird dieses moderne hier lediglich skizzierte Fiktionalitäts- und Faktizitätsverständnis allerdings im Hinblick auf die Geschichtswissenschaften, deren Untersuchungsgegenstand, die res facta, zu schwinden bzw. zur res ficta 4 zu werden droht: 5 Während so zum einen im Extremfall Geschichtsschreibung und -dichtung in eins gesetzt werden, 6 gibt es zum anderen 1 Lancelot und Ginover II (Prosalancelot II). Nach der Heidelberger Hs. Cod. Pal. germ 147, hg. von Reinhold Kluge, erg. durch die Hs. Ms. allem. 8017-8020 der Bibliothèque de l’Arsenal Paris. Übers., komm. und hg. von Hans-Hugo Steinhoff. Frankfurt a.M. 1995 (Bibliothek des Mittelalters, 15 / Bibliothek deutscher Klassiker, 123), S. 234. 2 Vgl. Petersen, Jürgen H.: Fiktionalität und Ästhetik. Eine Philosophie der Dichtung. Berlin 1996. 3 Vgl. zur Frage nach der Fiktionalität moderner Literatur ebd., sowie auch Hamburger, Käte: Die Logik der Dichtung. Stuttgart 1957, und dies.: Wahrheit und ästhetische Wahrheit. Stuttgart 1979. 4 Vgl. die schon bei Nietzsche begegnende Kritik an Ranke bzw. der Rankeanischen Geschichtsvorstellung: «Facta! Ja Facta ficta! […] Alle Historiker erzählen von Dingen, die nie existiert haben, außer in der Vorstellung.» Morgenröte, Nr. 307. 5 Vgl. den Sammelband: Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitungen. Hg. Johannes Laudage. Köln u.a. 2003 (Europäische Geschichtsdarstellungen, 1), hier besonders Oexle, Gerhard Otto: Von Fakten und Fiktionen. Zu einigen Grundfragen der historischen Erkenntnis. In: ebd., S. 1-42, und Goetz, Hans-Werner: «Konstruktion der Vergangenheit». Geschichtsbewusstsein und ‹Fiktionalität› in der hochmittelalterlichen Chronistik, dargestellt am Beispiel der Annales Palidenses. In: ebd., S. 225-258. 6 Vgl. White Hayden: Auch Klio dichtet oder Die Fiktion des Faktischen - Studien zur Tropologie des historischen Diskurses. Stuttgart 1986 (Sprache und Geschichte, 10). Mit Einleitung Einleitung Bestrebungen, Faktizität erneut zu objektivieren. 7 Brisant geraten die Aspekte ‹Fiktionalität› und ‹Faktizität› allerdings nicht nur im Hinblick auf die Geschichtswissenschaft, sondern auch in bezug auf ihre Relevanz für mittelalterliche Literatur. Soll hier nicht «grob anachronistisch» 8 verfahren werden, indem (post-)moderne Vorstellungen von Fiktionalität auf mittelalterliche Literatur bzw. Welt- und Wirklichkeitsbegriffe einfach übertragen werden, so gilt es, den Aspekt des Fiktionalen historisch adäquat zu erfassen und einzugrenzen sowie darüber hinaus ein dem Mittelalter entsprechendes Konzept von Historizität zugrunde zu legen. Damit werden Möglichkeiten aber auch Grenzen mittelalterlichen Dichtens angedeutet, die Otto von Freising, Verfasser der ‹Gesta Friderici›, seinem Schüler Baudolino in Ecos gleichnamigem Roman als Rat zu vermitteln sucht: Willst du ein Mann der Schrift werden und womöglich eines Tages auch Historien schreiben, so mußt du auch lügen und Geschichten erfinden können, sonst wird deine Historia langweilig. Aber du mußt es in Maßen tun. Die Welt verurteilt die Lügner, die nichts erzählen als Lügen, selbst über die geringsten Dinge, und sie preist die Poeten, die nur Lügen über die allergrößten Dinge erzählen. 9 Dieser an den Romanhelden gerichtete Grundsatz spiegelt wesentliche Elemente der seit Mitte der achtziger Jahre in der Mediaevistik geführten Fiktionalitäts- und Historizitätsdebatte wider. Waren auch zuvor einige Beiträge zur Fiktionalität der mittelalterlichen Literatur erschienen, 10 so kann doch Walter 2 Einleitung Iser, Wolfgang: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven einer literarischen Anthropologie. Frankfurt a.M. 1991, der Fiktionalität als anthropologische Voraussetzung nicht nur literarischen Ausdrucks, sondern auch jedweden Erkennens von Wirklichkeit bestimmt. 7 Vgl. bes. Oexle, Von Fakten und Fiktionen, S. 1-42, mit weiterer Literatur. 8 Knapp, Fritz Peter: Historie und Fiktion in der mittelalterlichen Gattungspoetik (II). Zehn neue Studien und ein Vorwort. Heidelberg 2005 [Alle Aufsätze Knapps zur Problematik aus den Jahren 1999-2004 sind hier (wieder-)abgedruckt.], hier Einleitung, S. 8. 9 Eco, Umberto: Baudolino. München, Wien 2001, S. 57. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an den Schluß des Romans, wenn der kluge Paphnutios Niketas wie folgt ermahnt: «Glaub nicht, du wärst der einzige Geschichtenverfasser in dieser Welt. Früher oder später wird sie [die Geschichte Baudolinos] jemand erzählen, der noch verlogener ist als Baudolino», ebd., S. 598. 10 Vgl. insbesondere Jauß, Hans Robert: Epos und Roman - Eine vergleichende Betrachtung an Texten des XII. Jahrhunderts. In: ders.: Alterität und Modernität der mittelalterlichen Literatur. Gesammelte Aufsätze 1956-1976. München 1977, S. 310-326, ders.: Theorie der Gattungen und Literatur des Mittelalters. In: ebd., S. 327-358, ders.: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. Frankfurt a.M. 1982, bes. S. 293ff., Gumbrecht, Hans Ulrich: Wie fiktional war der höfische Roman? In: Funktionen des Fiktiven. Hgg. Dieter Henrich und Wolfgang Iser. München 1983 (Poetik und Hermeneutik, X), S. 433-440, Warning, Rainer: Der inszenierte Diskurs. Bemerkungen zur pragmatischen Relation der Fiktion. In: ebd., S. 183-206, Knapp, Fritz Peter: Historische Wahrheit und poetische Lüge. Die Gattungen weltlicher Epik und ihre theoretische Rechtfertigung im Hochmittelalter. In: DVjs 54 (1980), S. 581-635, Kern, Peter: Die Haugs Studie ‹Literaturtheorie im deutschen Mittelalter› von 1985 als Initialzündung der Forschungsdiskussion angesehen werden. 11 Seine These, der ‹Erec› Chrétiens und in seiner Nachfolge die Artusromane Hartmanns seien die ersten fiktionalen volkssprachlichen Romane, hat eine Forschungsdebatte initiiert, die bis heute nicht an Virulenz eingebüßt hat. 12 Aus der an Haug ge- Einleitung 3 Artusromane des Pleier. Untersuchungen über den Zusammenhang von Dichtung und literarischer Situation. Berlin 1981 (PhStQu, 100), Moos, Peter von: Poeta und historicus im Mittelalter. Zum Mimesis-Problem am Beispiel einiger Urteile über Lucan. In: PBB (W) 98 (1976), S. 93-130, Blumenberg, Hans: Wirklichkeitsbegriff und Möglichkeit des Romans. In: Nachahmung und Illusion. Kolloquium Gießen Juni 1963. Vorlagen und Verhandlungen. Hg. Hans Robert Jauß. München 1964 (Poetik und Hermeneutik, I), S. 9-27, sowie Köhler, Erich: Zur Selbstauffassung des höfischen Dichters. In: ders.: Trobadorlyrik und höfischer Roman. Berlin 1962, S. 9-20. 11 Haug, Walter: Literaturtheorie im deutschen Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. 2., überarb. und erw. Aufl. Darmstadt 1992. Die wesentlichen Thesen Haugs zur fictio-Debatte finden sich in überarbeiteter Form in Haug, Walter: Die Wahrheit der Fiktion. Studien zur weltlichen und geistlichen Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Tübingen 2003, bes. S. 113-280. 12 Vgl. Knapp, Fritz Peter: Historie und Fiktion in der mittelalterlichen Gattungspoetik. Sieben Studien und ein Nachwort. Heidelberg 1997 [Der Band versammelt alle wesentlichen Aufsätze Knapps zur Thematik bis zum Jahre 1997], ders.: Historie und Fiktion (II). Vgl. auch die Sammelbände: Fiktionalität im Artusroman. Dritte Tagung der Deutschen Sektion der Internationalen Artusgesellschaft in Berlin vom 13.-15. Februar 1992. Hgg. Volker Mertens und Friedrich Wolfzettel. Tübingen 1993 [alle darin enthaltenen Aufsätze], Historisches und fiktionales Erzählen im Mittelalter. Hgg. Fritz Peter Knapp und Manuela Niesner. Berlin 2002 (Schriften zur Literaturwissenschaft, 19) [alle darin enthaltenen Aufsätze], Ridder, Klaus: Fiktionalität und Autorität. Zum Artusroman des 12. Jahrhunderts. In: DVjs 75 (2001), S. 539-560, Schirok, Bernd: Ein rîter, der gelêret was. Literaturtheoretische Aspekte in den Artusromanen Hartmanns von Aue. In: Ze hove und an der strâzen. Die deutsche Literatur des Mittelalters und ihr «Sitz im Leben». Fs. Volker Schupp zum 65. Geb. Hgg. Anna Keck und Theodor Nolte. Stuttgart, Leipzig 1999, S. 184-211, Singer, Johannes: ‹nû swîc, lieber Hartmann: ob ich es errâte? › Beobachtungen zum fingierten Dialog und zum Gebrauch der Fiktion in Hartmanns ‹Erec›Roman. In: Dialog. Fs. Siegfried Grosse. Hgg. Gert Rickheit und Sigurd Wichter. Tübingen 1990, S. 59-74, Strasser, Ingrid: Fiktion und ihre Vermittlung in Hartmanns ‹Erec›-Roman. In: Fiktionalität im Artusroman, S. 63-83, Fichte, Joerg O.: ‹Fakt› und Fiktion in der Artusgeschichte des 12. Jahrhunderts. In: Fiktionalität im Artusroman, S. 45-62, Grünkorn, Gertrud: Die Fiktionalität des höfischen Romans um 1200. Berlin 1994 (PhStQu, 129), Burrichter, Brigitte: Wahrheit und Fiktion. Der Status der Fiktionalität in der Artusliteratur des 12. Jahrhunderts. München 1996 (Beihefte zur Poetica, 21), Chinca, Marc: History, Fiction, Verisimilitude. Studies in the Poetics of Gottfried’s Tristan. London 1993, ders./ Young, Christopher: Literary Theory and the German Romance in the Literary Field c.1200. In: Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150-1450. Hg. Ursula Peters. Stuttgart u.a. 2001, S. 612-644, Mehtonen, Päivi: Old Concepts and New Poetics. Historia, Argumentum, and Fabula in the Twelthand Early Thirteenth- Century Latin Poetics and Fiction. Tammisaari/ Ekenäs 1996, Green, Dennis Howard: The Beginnings of Medieval Romance. Fact and Fiction 1150-1220. Cambridge 2002 (Cambridge Studies in Medieval Literature), Müller, Jan-Dirk: Literarische und andere übten Kritik 13 entwickelten sich dabei zunächst Bestrebungen, den mittelalterlichen fictio-Begriff in seiner spezifischen Eigenart und seinen Manifestationen genauer zu erfassen. 14 Ferner rückte vor dem Hintergrund der Mündlichkeits- und Schriftlichkeitsdiskussion 15 sowie der expandierenden Forschung zur Narratologie die Figur des Erzählers und ihre Funktion als mögliches fictio- Signal vermehrt in den Blick. 16 Darüber hinaus wurde der Untersuchungsgegenstand, zu Beginn der Debatte zumeist eingeschränkt auf den ‹klassischen› Artusroman, zunehmend erweitert um Werke der sogenannten Nachklassik und um solche Texte, die nicht der arthurischen Gattung zuzuordnen sind. 17 4 Einleitung Spiele. Zum Fiktionalitätsproblem in vormoderner Literatur. In: Poetica 36 (2004), S. 281-311, sowie den jüngst erschienenen Sammelband: Fiktion und Fiktionalität in den Literaturen des Mittelalters. Jan-Dirk Müller zum 65. Geburtstag. Hgg. Ursula Peters und Rainer Warning. München 2009. 13 Vgl. grundlegend zur Kritik an Haugs ‹Literaturtheorie› die Rezensionen von Heinzle in PBB 112 (1990), S. 55-80, und Huber in AfdA 99 (1988), S. 60-68. Vgl. auch die Rezension von Curschmann in GRM 69 (1988), S. 348-350, sowie Kellermann, Karina: «Exemplum» und «historia». Zu poetologischen Traditionen in Hartmanns ‹Iwein›. In: GRM N.F. 42 (1992), S. 1-27. 14 Vgl. insbesondere Knapp, Historie und Fiktion (I) und (II), Grünkorn, Die Fiktionalität, Fichte, ‹Fakt› und Fiktion, und Green, The Beginnings of Medieval Romance, passim. 15 Vgl. Butzer, Günter: Das Gedächtnis des epischen Textes. Mündliches und schriftliches Erzählen im höfischen Roman des Mittelalters. In: Euph. 89 (1995), S. 151-188, Haug, Walter: Mündlichkeit, Schriftlichkeit und Fiktionalität. In: Modernes Mittelalter. Neue Bilder einer populären Epoche. Hg. Joachim Heinzle. Frankfurt a.M., Leipzig 1994, S. 376-397, sowie Ridder, Fiktionalität und Autorität. 16 Vgl. Hübner, Gert: Erzählformen im höfischen Roman: Studien zur Fokalisierung im ‹Eneas›, im ‹Iwein› und im ‹Tristan›. Tübingen u.a. 2003, ders.: Fokalisierung im höfischen Roman. In: Wolfram-Studien XVIII (2004), S. 127-150, Ridder, Fiktionalität und Autorität. Zur Kritik vgl. insbesondere Knapp, Fritz Peter: Subjektivität des Erzählens und Fiktionalität der Erzählung bei Wolfram von Eschenbach und anderen Autoren des 12. und 13. Jahrhunderts. In: Historie und Fiktion (II), S. 61-84. 17 Vgl. Meyer, Matthias: Die Verfügbarkeit der Fiktion. Interpretationen und poetologische Untersuchungen zum Artusroman und zur âventiurehaften Dietrichepik des 13. Jahrhunderts. Heidelberg 1994 (Beihefte zur GRM, 12), Neudeck, Otto: Erzählen von Kaiser Otto. Zur Fiktionalisierung von Geschichte in mittelhochdeutscher Literatur. Köln u.a. 2003 (Norm und Struktur, 18), Klingenböck, Ursula: doch weiz ich es von wârheit niht ... Fiktionalisierung und Historisierung im ‹Alexander› Rudolfs von Ems. Diss. Wien 1994, Hintz, Ralf Ernst: Legal fiction and rhetorical ambiguity in the Nibelungenlied. In: ‹Nu lôn’ ich der gâbe›. Fs. Francis G. Gentry. Hg. Ernst Ralf Hintz. Göppingen 2003 (GAG, 693), S. 25-41, Ridder, Klaus: Mittelhochdeutsche Minne- und Aventiureromane. Fiktion, Geschichte und literarische Tradition im späthöfischen Roman: ‹Reinfried von Braunschweig›, ‹Wilhelm von Österreich›, ‹Friedrich von Schwaben›. Berlin u.a. 1998 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte, 12), Glauch, Sonja: die fabelen sol ich werfen an den wint - Der Status der arthurischen Fiktion im Reflex: Thomas, Gotfrid und Wolfram. In: Poetica 37 (2005), S. 29-64, und Chinca, Marc: Mögliche Welten. Alternatives Erzählen und Fiktionalität im Tristanroman Gottfrieds von Straßburg. In: Poetica 35 (2003), S. 307-333. Die nicht endende Fülle von Beiträgen, die sich auch nach zwanzig Jahren intensiver Forschung mit der Problematik auseinandersetzt, zeugt von der Relevanz der Fragestellung und ihrer Bedeutung für das Verständnis mittelalterlicher Literatur. Gleichzeitig aber ist in der Forschung die Tendenz einer sich verselbständigen Theoriedebatte zu spüren, 18 die den Bezug zu ihrem eigentlichen Gegenstand, dem jeweiligen Text, den es zu untersuchen gilt, verliert. Die vorliegende Arbeit ist darum bemüht, beiden Aspekten Rechnung zu tragen, indem die zu betrachtenden Werke den Mittelpunkt der Überlegungen bilden und die Fiktionalitätsrespektive Historizitätsdebatte lediglich als Grundlage der Untersuchung dient. Nicht das Vorhaben, einen eigenen theoretischen Standpunkt möglichst genau zu begründen, steht somit im Zentrum der folgenden Überlegungen, sondern das Bestreben, anhand der eingehenden Untersuchung vornehmlich dreier Werke, der Artusromane Hartmanns sowie des ‹Prosa-Lancelot›, eine Entwicklung der fictio- und historia-Konzepte zu ermitteln und zu analysieren, deren Darstellung die Fiktionalitätsdebatte erweitern und für weitere Studien nutzbar machen soll. Wenn hier von einer Entwicklung der fictio- und historia-Konzeptionen gesprochen wird, so ist damit keine Linearität gemeint, die sich auf eine Formel ‹je fortgeschrittener die Literaturgeschichte, desto mehr fictio› bringen ließe. Daß eine solche lineare Entwicklung nicht stattgefunden hat, haben nicht zuletzt Haug und Knapp in ihren einschlägigen Beiträgen betont - 19 insbesondere die sogenannten nachklassischen Werke selbst zeugen nicht allenthalben von einer ‹Verwilderung› von Fiktionalität, man denke z.B. an Wirnts ‹Wigalois›, 20 der nicht nur viele heldenepische Momente aufgreift, sondern vor allem durch einen ‹heilsgeschichtlichen› Überbau sich vom ‹klassischen› Artusroman absetzt. Es ist jedoch bereits an dieser Stelle festzuhalten, daß die im ‹klassischen› Artusroman sich manifestierenden Möglichkeiten zu erzählen nicht einfach in der Literaturgeschichte ‹verpuffen›, sondern Konzeptionen und Prinzipien fiktionalen Erzählens bereitstellen, die - sei es indem sie bewußt umgangen oder aber bewußt weitergeführt werden - nicht ohne Einfluß blieben. Mag auch die Zeit für bewußt fiktionales Erzählen noch nicht gänzlich reif gewesen sein, 21 so haben die im Artusroman Chrétienscher und Hartmannscher Einleitung 5 18 Vgl. Knapp, Historie und Fiktion (II), passim, sowie Peters, Ursula/ Warning, Rainer: Vorwort. In: Fiktion und Fiktionalität, S. 9-28, bes. S. 11ff. 19 Vgl. Haug, Literaturtheorie, bes. S. 259ff., und Knapp, Erkenntnis und Fiktion. In: Historie und Fiktion (II), S. 225-256, hier S. 255f. 20 Vgl. Kern, Peter: Die Auseinandersetzung mit der Gattungstradition im Wigalois Wirnts von Grafenberg. In: Artusroman und Intertextualität. Hg. Friedrich Wolfzettel. Gießen 1990, S. 73-83, Schiewer, Hans-Jochen: Prädestination und Fiktionalität in Wirnts ‹Wigalois›. In: Fiktionalität im Artusroman, S. 146-159, sowie Mertens, Volker: ‹gewisse lêre›. Zum Verhältnis von Fiktion und Didaxe im späten deutschen Artusroman. In: Artusroman und Intertextualität, S. 85-106, bes. S. 86-89. Anders wiederum verhält es sich mit Heinrichs ‹Crône› und auch - obgleich auf andere Weise - mit dem ‹Gauriel› Konrads von Stoffeln (? ). 21 Vgl. Knapp, Erkenntnis und Fiktion. In: Historie und Fiktion (II), S. 256. Provenienz sich offenbarenden Möglichkeiten doch ein literarästhetisches Potential bereitgestellt, das weiterhin genutzt werden konnte und wurde. Der heutige Forschungsstand der Fiktionalitätsdebatte läßt sich zunächst durch zwei Positionen, die eng mit Walter Haugs und Fritz Peter Knapps Untersuchungen verknüpft sind, kennzeichnen: 22 Zum einen wird - in mehr oder minder deutlicher Abhängigkeit von Haug - versucht, die Fiktionalität vor allem der Artusromane zu bestimmen und zu erklären, wobei immer wieder neue methodische und theoretische Ansätze bemüht werden. Blieb Haug in seiner Bestimmung des mittelalterlichen Fiktionsbegriffs, den er im wesentlichen über die Kategorie des Erzählstoffes und dessen neue Erzählstruktur (bele conjointure) 23 gegeben sah, zunächst noch merklich vage, so waren die auf Haug folgenden Studien bemüht, die Qualität mittelalterlicher Fiktionalität genauer zu erfassen. 24 Klaus Ridder hat vor diesem Hintergrund versucht, Haugs Thesen dahingehend zu präzisieren, daß «nicht die Fiktionalität [...] im 12. Jahrhundert entdeckt [werde]», sondern «die Reflexion über Fiktionalität», 25 und Chinca/ Young erweitern Haugs Ausgangspunkt um eine soziologische Dimension (in Anlehnung an Bourdieu) und plädieren ferner dafür, nicht ausschließlich «poetological passages» (wie Haug), sondern ebenso «poetologically nuanced sequences», zu lesen. 26 Zum anderen gibt es Bestrebungen, wie sie allen voran in Knapps jüngsten Beiträgen zur Thematik deutlich werden, 27 der (vermeintlich) vorschnellen Bestimmung mittelalterlicher Literatur 6 Einleitung 22 Der folgende Forschungsüberblick erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Anhand der hier dargestellten Positionen sollen lediglich die wesentlichen Elemente der Diskussion exemplarisch nachgezeichnet werden. 23 Vgl. Haug, Literaturtheorie, S. 103ff. 24 Vgl. Knapp, Historie und Fiktion (I), Grünkorn, Die Fiktionalität, Burrichter, Wahrheit und Fiktion. 25 Ridder, Klaus, Fiktionalität und Autorität, S. 539. Ridder geht hier über Haug tatsächlich nur in der Präzisierung der Formulierung hinaus; denn nichts anderes als Reflexion über fictio meint Haug ja, wenn er Autoren wie Chrétien und Hartmann ein Bewußtsein für das Neue ihrer Literatur attestiert (vgl. Literaturtheorie, S. 91). Überdies wird auch in der Antike über fictio (und die damit meist eng verknüpfte Lüge-Wahrheit-Thematik) reflektiert, vgl. Rösler, Wolfgang: Die Entdeckung der Fiktionalität in der Antike. In: Poetica 12 (1980), S. 283-319, sowie Stierle, Karlheinz: Fiktion. In: Ästhetische Grundbegriffe. Bd. II: Dekadent - Grotesk. Stuttgart, Weimar 2001, S. 380-428. Reflexion über fictio ist demnach nicht als Neuerung zu betrachten, sondern allenfalls die bewußte Wiederentdeckung fiktionalen Dichtens ohne Inanspruchnahme einer letztlich historischen oder integumentalen Wahrheit. 26 Chinca/ Young, Literary Theory, S. 613f. und 644. Hier sollte die Tatsache bedacht sein, daß rein poetologische Passagen ohnehin spärlich gesät sind, und daher auch die von Haug untersuchten Stellen eher als poetologisch nuancierte Episoden gelten dürften. Vgl. auch Haugs Kritik an der Position Chincas/ Youngs in Haug, Die Wahrheit der Fiktion (Kap. Die Entdeckung der Fiktionalität), S. 139 (Anm. 29). 27 Vgl. Knapp, Nachwort. In: Historisches und fiktionales Erzählen, sowie ders., Vorwort. In: Historie und Fiktion (II), passim; bereits früher Gumbrecht, Wie fiktional war der als fiktional entgegenzuwirken und sie - gemäß der Aussage des Erzählers im ‹Willehalm›: Diz maere ist wâr, doch wunderlîch (5,15) - als historisch wahre Texte zu rezipieren. 28 Ein wesentlicher Punkt, der dabei von Knapp gegen Haug angeführt wird, ist derjenige der mittelalterlichen Wahrheitsauffassung. 29 Während Haug zwischen einer Wahrheit unterscheidet, die einem vorgegeben ist, und einer Wahrheit, die es erst zu ergründen gilt, die mithin ein offenes Verhältnis zwischen Sinn(-findung) und rezipierendem Individuum darstelle, 30 will Knapp den Wahrheitsbegriff des Mittelalters ausgehend von Isidors fictiobzw. historia-Definition in den ‹Etymologiae› sowie unter Berufung vor allem auf Augustin und Boethius als ausschließlich theozentrisch verstanden wissen, 31 so daß er die von Haug konstatierte fiktional hervorgebrachte Autonomisierung des Dichters bzw. der Wahrheit einschränkt auf die Befreiung «von der Wahrheit des Seins». 32 Jene Befreiung, die zumindest kurzzeitig eine Aufwertung der Sprache evoziere, sei im Mittelalter lediglich von Chrétien und seinen «getreuesten Schülern» umgesetzt worden und habe ansonsten kaum Wirkung zeigen können. 33 Vor diesem Hintergrund sucht Knapp die ästhe- Einleitung 7 höfische Roman? , sowie Schmitt, Stefanie: Inszenierungen von Glaubwürdigkeit. Studien zur Beglaubigung im späthöfischen und frühneuzeitlichen Roman. Tübingen 2005 (MTU, 129). 28 Vgl. Knapp, Subjektivität des Erzählens. In: Historie und Fiktion (II), S. 82, sowie generell die Aufsatzsammlung Knapps zur Thematik, Historie und Fiktion (II), bes. Vorwort, S. 7-14. 29 Vgl. Knapp, Vorwort. In: Historie und Fiktion (II). Zu Haugs Verwendung des Wahrheitsbegriffs vgl. insbesondere ders.: Geschichte, Fiktion und Wahrheit. In: Historisches und fiktionales Erzählen, bes. S. 125. 30 Haug, ebd., S. 125. Präzisiert hat Haug dieses Wahrheitsverständnis erneut in seiner Aufsatzsammlung ‹Wahrheit und Fiktion›, a.a.O., S. 134ff. Vgl. auch Haug, Walter: Literaturtheorie und Fiktionalitätsbewußtsein bei Chrétien de Troyes, Thomas von England und Gottfried von Straßburg. In: Fiktion und Fiktionalität, S. 219-234. Haugs Argumentation gründet auf der Annahme einer literarischen Autonomie des Autors, vgl. ders., Literaturtheorie, S. 126, die vielerorts auf Grund ihrer Nähe zur neuzeitlichen (Genie-)Ästhetik Kritik hervorgerufen hat. Vgl. dazu die Rezensionen von Heinzle und Huber (wie Anm. 13 d. Einl.). Haug steht damit in der (Argumentations-)Tradition von Köhler, Selbstauffassung, und Glunz, Hans: Die Literarästhetik des europäischen Mittelalters. 2. Aufl. Frankfurt 1963. Vgl. auch: Cramer, Thomas: Solus Creator est Deus. Der Autor auf dem Weg zum Schöpfertum. In: Daphnis 15 (1986), S. 261-276. 31 Knapp, Erkenntnis und Fiktion. In: Historie und Fiktion (II), bes. S. 225ff. Zur Kritik an dieser Fokussierung auf die Wahrheitsproblematik vgl. Köbele, Susanne: Ironie und Fiktion in Walthers Minnelyrik. In: Fiktion und Fiktionalität, S. 298-317, hier S. 301. 32 Knapp, Vorwort. In: Historie und Fiktion (II), S. 14. Im Ergebnis seiner Argumentation nähert er sich damit dem von Blumenberg geprägten mentalitätsgeschichtlichen Terminus der ‹garantierten Realität›. Vgl. Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff und Möglichkeit des Romans, S. 9-27. Vgl. zum ma. Wahrheits- und Kunstbegriff auch Assunto, Rosario: Die Theorie des Schönen im Mittelalter. 2. Aufl. Köln 1996 (Klassiker der Kunstgeschichte). 33 Vgl. Knapp, Vorwort. In: Historie und Fiktion (II), S. 14. Wer eigentlich die «getreuen Schüler» Chrétiens sind, bleibt in Knapps Darstellung merklich ungenau, da keine Namen tische Qualität mittelalterlicher fictio entgegen der Forschung, die verstärkt die Figur des Erzählers berücksichtigt, in ihrer dem Märchen vergleichbaren «Denkform» zu erfassen. 34 Die dem Märchen inhärente ‹Denkform› 35 könne im Mittelalter nur als «spielerischer Gegenentwurf», als «Glaube des Als-Ob», mithin als pure Fiktion, die der Wahrheit des Wortes verpflichtet ist, existiert haben. 36 Knapps Insistieren auf einer stärkeren Berücksichtigung des ‹Märchenhaft-Wunderbaren› 37 ist durchaus berechtigt und wird auch in vorliegender Arbeit ein signifikantes Untersuchungskriterium darstellen. Gleichwohl bleibt festzuhalten, daß Knapps Ablehnung der Erzählerrolle als fictio-Signal zu differenzieren ist. Zwar ist ihm beizupflichten, wenn er konstatiert, daß «diese Rollenauffassung [nicht] notwendig Fiktionalität» 38 hervorbringe, doch bedeutet dies noch nicht, daß Ausprägung und Gestaltung der Erzählerrolle g e n e r e l l nicht als Fiktionalitätsanzeige genutzt werden können. 39 Insbesondere in Zusammenhang mit dem Aspekt der ‹Märchenhaftigkeit›, die sich nicht nur im ‹Wunderbaren› manifestiert, sondern auch durch Erzählstrate- 8 Einleitung genannt werden. Während er im einen Fall Chrétiens und Hartmanns Romane gleich zu behandeln scheint, vgl. ders.: Märchenhaftes Erzählen im Mittelalter. In: ebd., S. 191-224, zeugt seine Rezension zu Green, The Beginnings of Medieval Romance, von einer generellen Skepsis gegenüber der Fiktionalität z.B. des ‹Iwein›. Mehr implizit rechnet Knapp wohl auch Heinrich von dem Türlîn zu jenen ‹Getreuen›, vgl. ders., Märchenhaftes Erzählen im Mittelalter. In: Historie und Fiktion (II), S. 212ff. 34 Ebd., S. 206. Knapp argumentiert im Rückgriff auf die grundlegenden Studien von Jolles, André: Einfache Formen. Unveränd., 6. Aufl. Tübingen 1982, und Lüthi, Max: Das europäische Volksmärchen - Form und Wesen. 9. Aufl. Tübingen 1992 (UTB, 312). Ferner bezieht er sich auf Wolfzettel, Friedrich: ‹Märchenhaftes› Erzählen und märchenloses Mittelalter - Eine historische Gewinn- und Verlustrechnung. In: Spurensuche in Sprach- und Geschichtslandschaften. Fs. Ernst Erich Metzler. Hgg. Andrea Hohmeyer u.a. Münster u.a. 2003, S. 569-587. Auch Dennis H. Green widmet ein Unterkapitel seiner Untersuchung ‹The Beginnings of Medieval Romance› dem Aspekt des ‹Märchenhaften›, S. 113ff. 35 Jolles, Einfache Formen, prägte dafür den Begriff der ‹Geistesbeschäftigung›, S. 240. 36 Knapp, Märchenhaftes Erzählen im Mittelalter. In: Historie und Fiktion (II), S. 194, sowie ders., Vorwort. In: ebd., S. 10. 37 Vgl. zur ‹Märchenhaftigkeit› des Artusromans Wagner-Harken, Annegret: Märchenelemente und ihre Funktion in der Crône Heinrichs von dem Türlin. Ein Beitrag zur Unterscheidung zwischen «klassischer» und «nachklassischer» Artusepik. Bern u.a. 1995 (Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700). Zum Begriff des ‹Märchenhaften› vgl. die weiteren Ausführungen der Einl. 38 Knapp, Vorwort. In: Historie und Fiktion (II), S. 11. Knapps Argumentation bezieht sich hier insbesondere auf den Erzähler bei Wolfram. 39 Knapp gibt dies an anderer Stelle selbst zumindest z.T. zu, wenn er die im Erzählerkommentar aufscheinende Ironie als «eine seit jeher dem Märchen inhärente, jedoch großteils latente Gattungstendenz» des Märchens bezeichnet. Knapp, Fritz Peter: «Herr Gawein lacht.» Märchenkomik in den Verserzählungen Das Maultier ohne Zaum von Paien de Maisières und Das Sommermärchen von Christoph Martin Wieland. In: Historie und Fiktion (II), S. 131-149, hier S. 148. gien und Bemerkungen der Erzählerfigur evoziert werden kann, gilt es, die betreffenden Textstellen nicht pauschal zu beurteilen. 40 Obgleich Knapps Überlegungen zum ‹Märchenhaften› überzeugen und der Aspekt des ‹Märchenhaften› auch in der vorliegenden Studie berücksichtigt wird, muß doch darauf hingewiesen werden, daß schon das Attribut ‹märchenhaft› problematisch gerät, da zum einen die Gattung Märchen für das Mittelalter nicht nachzuweisen 41 und zum anderen die Qualität der Begrifflichkeit nicht klar einzugrenzen ist. Weder das Auflisten sogenannter ‹märchenhafter› Motive noch das spezieller narrativer Bauformen reicht aus, das Erzählte als ‹Märchen› zu erweisen. Vielmehr sind es die Erzählweise und die sich über sie realisierende «Geistesbeschäftigung», 42 die darüber entscheiden, das Erzählte als ‹märchenhaft› zu zeigen. Darüber hinaus können Betrachtungen zur Gattung Märchen nicht ohne weiteres auf den Artusroman übertragen werden, da allein die Expansion des Erzählten einen Eins-zu-eins-Transfer nicht zuläßt. 43 Wenn in der vorliegenden Studie auf den Aspekt des ‹Märchenhaften› rekurriert wird, so sind damit insbesondere zwei wesentliche Elemente ange- Einleitung 9 40 Man denke nur an die oftmals abschließenden Erzählkommentare der Grimmschen Märchen, die wie z.B. bei ‹Hänsel und Gretel› auf die Fiktionalität des Erzählten hinweisen: «Mein Märchen ist aus, dort läuft eine Maus, wer sie fängt, darf sich eine große, große Pelzkappe daraus machen.» Zitiert nach Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. 3 Bde. Hier Bd. 1: Märchen Nr. 1-86. Stuttgart 2002, S. 108. Daß hier andere poetische und poetologische Kriterien greifen (z.B. romantische Ironie), steht außer Frage; bedeutsam ist jedoch das Prinzip der Verknüpfung von Märchenstrategie und Erzählerfigur respektive -kommentar. 41 Vgl. dazu grundlegend Wolfzettel, ‹Märchenhaftes› und märchenloses Mittelalter, mit einem umfassenden Forschungsüberblick. Vgl. auch Nolting-Hauff, Ilse: Märchen und Märchenroman. Zur Beziehung zwischen einfacher Form und narrativer Großform in der Literatur. In: Poetica 6 (1974), S. 129-178. Siehe auch Mauritz, Hans-Dieter: Der Ritter im magischen Reich. Märchenelemente im französischen Abenteuerroman des 12. und 13. Jahrhunderts. Frankfurt a.M. 1974 (Europäische Hochschulschriften, Reihe XIII: Französische Sprache und Literatur, 23), Haasch, Günther: Das Wunderbare im höfischen Artusroman. Ein Beitrag zur Motivgeschichte mittelalterlicher Epik und zur Klärung des Verhältnisses von Artusroman und Märchen. Diss. Berlin 1954, der sich gegen die Annahme wendet, die wunderbaren Motive des Artusromans seien aus Märchen entnommen. Anders die Überlegungen von Ehrismann, Gustav: Märchen im höfischen Epos. In: PBB 30 (1905), S. 14-54. 42 Jolles, Einfache Formen, S. 240. Die im Hinblick auf das ‹Märchenhafte› existierende Definitionsunsicherheit läßt sich im Prinzip mit der Problematik bei der Bestimmung des Mythos-Begriffs vergleichen. Vgl. Präsenz des Mythos. Konfigurationen einer Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hgg. Udo Friedrich und Bruno Quast. Berlin, New York 2004 (Trends in Medieval Philology, 2), bes. die Einleitung von Friedrich/ Quast in ebd., S. IX-XXXVII. Überschneidungen hinsichtlich der Definitionsaspekte ergeben sich dabei vor allem im Hinblick auf bestimmte Erzählschemata und -motive, und zwar insbesondere in bezug auf den Artusroman und keltische Mythen. Vgl. dazu Hammer, Andreas: Tradierung und Transformation. Mythische Erzählelemente im «Tristan» Gottfrieds von Straßburg und im «Iwein» Hartmanns von Aue. Stuttgart 2007. 43 Vgl. grundlegend Nolting-Hauff, Märchen und Märchenroman, S. 138ff. sprochen, und zwar zum einen der Aspekt des ‹Märchenhaft-Wunderbaren› und - damit eng verbunden - zum anderen die Frage, inwieweit das Erzählte grundlegenden Gestaltungsprinzipien des Märchens vergleichbar ist. 44 Der Begriff ‹märchenhaft-wunderbar› wird dabei in Anlehnung an Lüthi und Knapp dann verwendet, wenn das Wunder innerhalb des Erzählten erscheint, ohne hinterfragt oder explizit an die Allmacht Gottes geknüpft zu werden, so daß in Lüthischer Terminologie von ‹Eindimensionalität› gesprochen werden kann. 45 Darüber hinaus gilt es zu bedenken, daß das ‹märchenlose› Mittelalter in Form der fabula über eine dem Märchen in vielerlei Hinsicht vergleichbare Gattung verfügte. Gemeinsam ist den fabulae und den Märchen, daß beide als literarische Erfindungen gelten, deren Wahrheitsanspruch von res factae unabhängig ist. 46 Den fabulae kann allerdings eine weitere, übertragene Sinnebene zugesprochen werden, die wie im Falle der nach Äsopischem Vorbild gestalteten Tierfabeln auf eine ethische oder wie im Falle des integumentum auf eine philosophische Wahrheit hindeutet. Voraussetzung dafür ist jedoch, daß die fabula das Lügnerische offen zeigt, keine intentio fallendi aufweist, so daß den Rezipienten die Auslegung des Erzählten sich nahezu ‹aufdrängt›. Fabulae, die diesen Forderungen nach Lehrhaftigkeit und offensichtlicher Fingiertheit nicht gerecht werden, müssen daher dem Verdikt der Lüge und der bloßen delectatio 47 verfallen. 48 Hier liegt denn auch ein Berührungspunkt mit dem Märchen, das sich nach mittelalterlichem Verständnis dieser Täu- 10 Einleitung 44 Im Hinblick auf die besonderen Gestaltungsprinzipien gilt nach wie vor Max Lüthis Studie ‹Das Volksmärchen›, a.a.O., als grundlegend. Seine Darstellung der dem Märchen spezifischen Schreibrespektive Wesensart, genannt seien nur die Stichpunkte ‹abstrakter Stil›, ‹Flächenhaftigkeit, ‹Eindimensionalität›, ‹Sublimation› und ‹Welthaltigkeit›, wird im folgenden als bekannt vorausgesetzt und nicht mehr im einzelnen dargestellt. Eine Übersicht liefert auch Wagner-Harken, Märchenelemente, die im Theorieteil ihrer Dissertation Lüthis Beschreibungskriterien zusammenfaßt, S. 38ff. 45 Vgl. Lüthi, Das Volksmärchen, bes. S. 8ff., sowie Knapp, Märchenhaftes Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), bes. S. 196. 46 Vgl. dazu die etymologische Herleitung von fari (sprechen) bei Isidor, Etymologiae sive Origines, I, xl,1 (Herv. Verf.): «Fabulas poetae a f a n d o nominaverunt, quia non sunt factae, sed tantum loquendo fictae.» 47 Vgl. Isidor von Sevilla, Etymologiae, I, xl,3: «Fabulas poetae quasdam delectandi causa finxerunt, [...] Delectandi causa fictas, ut eas, quas vulgo dicunt.» Zur Problematik der delectatio beim Rezeptionsprozeß von Literatur vgl. Neukirchen, Thomas: Die ganze aventiure und ihre lere. Der ‹Jüngere Titurel› Albrechts als Kritik und Vervollkommnung des ‹Parzival› Wolframs von Eschenbach. Heidelberg 2006 (Beihefte zum Euphorion, 52), bes. S. 333ff. 48 Dies wird noch bei Cervantes in der Rede des Domherrs aufgegriffen, wenn er seine Abneigung gegenüber den Rittergeschichten wie folgt erläutert: «Meiner Meinung nach gehört diese Art zu schreiben und zu erfinden unter die Gattung der sogenannten milesischen Fabeln, Geschichten ohne Hand und Fuß, die nur unterhalten sollen und nicht belehren; im Gegensatz zur Lehrfabel, die zugleich unterhält und belehrt.» Miguel de Cervantes Saavedra: Der geistvolle Hidalgo Don Quijote von der Mancha. Hg. und übers. von Susanne Lange. 2 Bde. München 2008, hier Bd. I, S. 538. schungsabsicht zumindest teilweise verdächtig machen müßte, kann es doch sowohl von sprechenden Tieren - wie in der fabula - als auch von Königen, Kindern und einfachen Menschen handeln, die eben nicht zwangsläufig als Erfindung erscheinen. Greift man nun auf die von Lüthi vorgeschlagene Formulierung zurück, das Märchen verlange «als echte Dichtung […] den Glauben an die innere Wahrheit des Dargestellten», 49 so ist damit genau jener Aspekt der fabula angesprochen, der nach mittelalterlichem Verständnis bedenklich erscheinen mußte, und zwar der Aspekt der nicht legitimierten oder, wie Knapp es ausdrückt, der ‹reinen› Fiktion. 50 Verbunden ist die Gattung Märchen mit den bloß ergötzenden fabulae daher über die Tatsache, daß sie mittels ihrer Worte etwas bedeutet, also eine Wahrheit des dichterischen Konstrukts formuliert, die nach mittelalterlicher Vorstellung eine «Art Skandalon» 51 darstellt. Wenn die Gattung Märchen im Mittelalter also nicht erwähnt wird, mag dies auch darin begründet sein, daß sie unter jene fabulae subsumiert wurde, die der bloßen delectatio zugerechnet wurden. 52 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß der Artusroman im Hinblick auf eine literaturtheoretische ‹Stütze› von seiten der mittelalterlichen Poetik allenfalls den «ergötzenden fabulae» hätte zugerechnet werden können, insofern man den Romanen nicht eine in Lüge gekleidete philosophische Wahrheit im Sinne des integumentum zuzuschreiben gewillt ist. 53 Für Knapp, der - wie Haug - die Inanspruchnahme des integumentum für den Artusroman ablehnt, bleibt daher das Fazit, daß Chrétien jedwede literaturtheoretischen Vorgaben ignoriert habe, folglich der Schulterschluß mit Haug, daß der Sinn des Erzählten nur in der Fiktion selbst liege, sich also über die Symbolstruktur und den narrativen Prozeß entfalte. 54 Über Haug hinausgehend deutet Knapp jedoch an, daß Einleitung 11 49 Lüthi, Das Volksmärchen, S. 85. 50 Knapp, Märchenhaftes Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), S. 194. 51 Wolfzettel, ‹Märchenhaftes› und märchenloses Mittelalter, S. 578. 52 Daß ein solches Verständnis existiert haben könnte, ließe sich auch durch eine Erzählerbemerkung in der ‹Crône› belegen, in der der Begriff dorfspel (V. 17433) fällt, wobei die Deutung der Stelle problematisch ist, vgl. dazu auch Knapp, Fritz Peter: Theorie und Praxis der Fiktionalität im nachklassischen deutschen Artusroman. In: Fiktionalität im Artusroman, S. 160-170, hier S. 166. 53 Vgl. dazu kritisch Knapp, Historische Wahrheit und poetische Lüge, ders., Erkenntnis und Fiktion. In: Historie und Fiktion (II), Haug, Literaturtheorie, bes. 238ff., sowie Wolf, Alois: Erzählkunst und verborgener Schriftsinn. In: Sprachkunst 2 (1971), S. 1-42, der einige Argumentationsmuster Haugs vorwegnimmt. Für die Inanspruchnahme des integumentum-Konzepts plädieren insbesondere Huber, Christoph: Höfischer Roman als Integumentum? Das Votum Thomasins von Zerklaere. In: ZfdA 115 (1986), S. 79-100, Grünkorn, Die Fiktionalität, bes. 193f. Grundlegend vgl. Brinkmann, Hennig: Verhüllung (‹Integumentum›) als literarische Darstellungsform im Mittelalter. In: Der Begriff der Repraesentatio im Mittelalter. Stellvertretung, Symbol, Zeichen, Bild. Hg. Albert Zimmermann. Berlin, New York 1971 (Miscellanea Mediaevalia, 8), S. 314-339. 54 Knapp, Erkenntnis und Fiktion. In: Historie und Fiktion (II), S. 254f. Vgl. auch Schmitz, Silvia: Die Poetik der Adaptation. Literarische inventio im ‹Eneas› Heinrichs insbesondere das ‹Märchenhaft-Wunderbare› dazu beitrage, daß das Erzählte die «religiösen, sozialen und ethischen Fragen der Zeit» gar nicht ernsthaft abhandle, sondern sich vielmehr dem Moment des Unwirklichen nähere. 55 Die von Knapp und Haug abgelehnte integumentum-These 56 ist von Ernst wieder in die Diskussion eingebracht worden, der im Prolog zu ‹Erec et Enide› mehrere auf die integumentum-Theorie hinweisende Elemente zu erkennen meint. 57 Ernst kommt zu dem Schluß, daß «der höfische Roman, sowohl der Antikenals auch der Artusroman, nach dem integumentum-Konzept aus unwahren Geschichten [bestehe], denen eine tiefere Wahrheit innewohnt.» 58 Der Versuch, den Artusroman mittels des integumentum erläutern zu wollen, scheint ‹verführerisch› - bietet er doch die Möglichkeit, dem Artusroman einen Platz innerhalb der mittelalterlichen Theoriebzw. Gattungsdiskussion zuzuweisen, ihn als fabula mit einer verax significatio zu verstehen. Nun mag zwar nicht bestritten werden, daß auch der Artusroman eine ‹Wahrheit› beinhaltet, doch ist m.E. nicht zu ersehen, daß es sich dabei um eine philosophische Wahrheit handelt, wie sie das integumentum eigentlich verlangt. 59 Auch Thomasîn, der in diesem Zusammenhang oft herangezogen wird, zeichnet diesbezüglich ein zumindest ambivalentes Bild: Denn wenn die âventiuren für Kinder und Ungebildete als Exempla dienen, sich die Verständigen aber anderen, 12 Einleitung von Veldeke. Tübingen 2007 (Hermaea, 113), S. 329f. Zur Kritik an der häufig undifferenzierten Verwendung des Begriffs ‹Symbolstruktur› vgl. Schmid, Elisabeth: Weg mit dem Doppelweg. Wider eine Selbstverständlichkeit der germanistischen Forschung. In: Erzählstrukturen der Artusliteratur, S. 69-86. 55 Knapp, Erkenntnis und Fiktion. In: Historie und Fiktion (II), S. 255. 56 Wobei generell zu bedenken ist, daß die strikte (scholastische) Unterscheidung in integumentum (bzw. parabola) und allegoria keine prinzipielle und allgemein akzeptierte Gültigkeit erlangte. Vgl. dazu grundlegend Meier, Christel: Überlegungen zum gegenwärtigen Stand der Allegorieforschung. Mit besonderer Berücksichtigung der Mischformen. In: FMS 10 (1976), S. 1-69. 57 Ernst, Ulrich: Lüge, integumentum und Fiktion in der antiken und mittelalterlichen Dichtungstheorie: Umrisse einer Poetik des Mendakischen. In: Homo mendax. Lüge als kulturelles Phänomen im Mittelalter. Hg. Ulrich Ernst. Berlin 2004 (Das Mittelalter, Perspektiven mediävistischer Forschung, 9.2), S. 73-100, hier S. 93. Dagegen Greiner, Thorsten: Das Erzählen, das Abenteuer und ihre «sehr schöne Verbindung». Zur Begründung fiktionalen Schreibens in Chrétiens de Troyes Erec-Prolog. In: Poetica 24 (1992), S. 300-315. 58 Ernst, Lüge, integumentum und Fiktion, S. 98. Im übrigen erscheint mir auch die partielle Gleichsetzung von Antiken- und Artusroman zweifelhaft, da die Antikenromane doch historische Kerne beinhalten (vgl. den Trojastoff um Eneas als ‹Ahnherr› Roms oder aber die Alexandererzählungen), so daß hier der Legitimationsdruck geringer auszufallen schien. Als unwahre Geschichte kann der Eneasroman doch wohl nicht gegolten haben, zumal der Untergang Trojas durch den ‹Augenzeugen› Dares Phrygius hinreichend bekannt war; zwar wurde gerade Vergil unterstellt, daß er die historischen Fakten gedehnt habe, jedoch galt auch er als poeta et historicus. Vgl. Knapp, Historische Wahrheit und poetische Lüge, S. 621, sowie Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 36ff. 59 Vgl. insbes. Knapp, Historische Wahrheit und poetische Lüge, bes. S. 611f. wahren Erzählungen zuwenden sollen (vgl. ‹Der wälsche Gast›, Vv. 1041ff. und 1079ff.), 60 dann kann dies nicht in Einklang gebracht werden mit der Anforderung, eine philosophisch-tiefgründige Wahrheit aufzudecken; vielmehr scheint es sich bei diesen Ausführungen um eine Simplifizierung des Erzählten - eine Reduktion auf Exemplarität - zu handeln, während doch die integumentale Auslegung hohe Ansprüche an den Auslegenden stellte. 61 Darüber hinaus muß die Verbindung von Struktur und erzähltem Inhalt 62 im Artusroman berücksichtigt werden, die sich als interdependent herausstellt: Die Tatsache, daß die einzelnen Episoden aufeinander bezogen werden, um sich gegenseitig zu erhellen, bedingt eine Einheit von Struktur und Erzähltem, die über einen sensus moralis bzw. eine integumentale Wahrheit insofern hinausgeht, als hier das (erfundene) Erzählte immer auch sich selbst bedeutet 63 und damit offen wird nicht nur für vielfältige Verstehens- und Interpretationsmöglichkeiten, sondern auch für die Schaffung einer eigenen literarischen Welt. Gegen die Inanspruchnahme der integumentum-Theorie sprechen ferner die zahlreichen (zeitgenössischen) Zeugnisse, die den Erzählungen um König Artus gar nichts Positives bzw. keinen Wahrheitswert abgewinnen konnten, 64 oder aber solche Dichter, die sich wie Wace auf jene Fakten verließen, die durch die schriftliche Überlieferung zumindest teilweise als res gestae galten. 65 Diese zeitgenössische Kritik an den Artusromanen bzw. der matière de Bretagne hat eine weitere Richtung der Fiktionalitätsforschung - insbesondere in der angelsächsischen Forschung - etabliert, die hier nur kurz umrissen Einleitung 13 60 Skepsis gegenüber Artus bzw. der matière de Bretagne wird im ‹Wälschen Gast› ebenfalls deutlich (Vv. 3535ff., […] wan er uns materge gît/ grôzer lüge zaller zît, V. 3544). 61 Vgl. auch den Art. ‹Integumentum›. In: Hist. WBdRh, Bd. 4: Hu-K, Spp. 446f., sowie Meier, Allegorieforschung, S. 20, die für Bernardus Silvestris (Bernardus (Silvestris? ): The Commentary of the First Six Books of the ‹Aeneid› of Vergil commonly attributed to Bernardus Silvestris. A New Critical Ed. by Julian Ward Jones and Elisabeth Frances Jones. Lincoln, London 1977, 2,19ff., 1,10ff.) feststellt, daß er «im Prolog seines Aeneis- Kommentars eine Staffelung der Zwecke des Werks in delectatio durch die Erzählung, insbesondere ihren rhetorisch-poetischen Schmuck, in moralische Belehrung […] und in tieferen Erkenntnisgewinn durch die eigentliche Erschließung des integumentum [entwickelt]». 62 Vgl. auch Knapp, Historiographisches und fiktionales Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), S. 24ff. (Anm. 34 und 35). 63 Hier halte ich Haugs Überlegungen - abgesehen von seiner Verwendung des Sinn- Begriffes - nach wie vor für überzeugend. 64 Der Forschung wohlbekannt und besonders aussagekräftig ist die ‹berühmte› Stelle in Jean Bodels ‹Sachsenlied›, in dem die matière de Bretagne schlichtweg als vain et plaisant (V. 9) bezeichnet wird. Die Kritik betraf außerdem nicht nur die Romane, sondern bereits die Geschichtsdichtungen, wenn man an die Kritik Williams von Malmesbury an Geoffreys ‹Historia› denkt. Vgl. dazu Johanek, Peter: König Arthur und die Plantagenets. Über den Zusammenhang von Historiographie und höfischer Epik. In: FMS 21 (1987), S. 346-389, bes. S. 376ff., sowie Wolf, Erzählkunst, S. 4ff. (und bes. Anm. 11). 65 Vgl. dazu Johanek, König Arthur und die Plantagenets. werden soll. Die von Wace in seinem ‹Roman de Brut› geäußerte Kritik an den Fabeln aufnehmend, die sich um die zwölfjährige bzw. neunjährige Friedenszeit der arthurischen Herrschaft ranken, 66 hat die Forschung vermutet, daß es ebendiese erzählerischen Freiräume gewesen seien, die den Verfassern - zuallererst Chrétien - die Möglichkeit geboten hätten, ihre Artusromane zu verfassen. 67 Während also jene Verfasser, die um Historizität bemüht gewesen seien, die Friedenszeiten als ungesicherte ‹Fabeleien› nicht erzählt hätten, hätten andere Autoren diese «narrative gaps» 68 für ihr Erzählen genutzt. Zumindest indirekt belegen läßt sich diese Annahme durch Teile der handschriftlichen Überlieferung, wenn z.B. Chrétiens Werke in den ‹Roman de Brut› eingefügt wurden, und zwar genau an jener Stelle, an der die Friedenszeit thematisiert wird. 69 Zumindest in der (hs.) Überlieferung scheint demnach das Bedürfnis der Schreiber/ Redaktoren bestanden zu haben, jene ‹Erzähllücken› bzw. Aussparungen durch fiktive Erzählungen aufzufüllen, die sich in diese zunächst nicht näher geschilderten Friedenszeiten zu fügen scheinen. 70 Problematisch bei dieser Annahme bleibt freilich, daß Waces Bemerkung über die ‹ausfabulierten› Friedenszeiten von der heutigen Forschung schlichtweg als ‹Tatsache› vorausgesetzt wird, ohne zu unterscheiden, ob das Auffüllen der ‹narrative gaps› tatsächlich zur Produktion der Romane beigetragen hat oder nicht vielmehr erst auf seiten der Rezeption und Konservierung des Erzählten zum Tragen gekommen ist, deren Bemühung darin bestand, ein möglichst umfassendes Zeugnis des Artusstoffes darzubieten. Andererseits lassen die sogenannten nachklassischen Artusromane ein vergleichbares Prinzip erkennen, wenn sie (wie der Pleier, Konrad von Stoffeln (? ) oder aber Wirnt von Gravenberc) ihr Erzählen damit begründen, von einem bisher ‹vergessenen› Artusritter zu be- 14 Einleitung 66 Die Erzählungen von den Friedenszeiten seien «Ne tot mançonge ne tot voir/ Ne tot folor ne tot savoir./ Tant ont li conteur conte/ Et li fableor tant fablé/ Por lor contes anbeleter,/ Que tot ont fet fable sanbler» (Vv. 1253ff.), Wace’s Roman de Brut. A History of the British. Text and Transl. by Judith Weiß. Exeter 1999. 67 Vgl. Putter, Ad: Finding Time for Romance: Medieval Arthurian Literary Theory. In: Medium Ævum LXIII (1994), S. 1-16, bes. S. 3ff. Vgl. auch indirekt Köhler, Selbstauffassung, S. 13, der hier auf die Veränderung des Wahrheitsbegriffes abhebt. 68 Putter, Finding Time for Romance, S. 6. 69 Vgl. dazu die überaus detaillierte Studie von Huot, Sylvia: From Song to Book. The Poetics of Writing in Old French Lyric and Lyrical Narrative Poetry. Ithaca, London 1987, bes. S. 27-32. Allerdings muß hier bedacht werden, daß die ‹auserzählten› Friedenszeiten damit in die historisierende Erzähltradition eingegliedert wurden und somit die Möglichkeit besteht, jene von den Schreibern/ Redaktoren vorgenommenen Ergänzungen insofern als Re-Historisierung dieser fabulösen Erzählungen zu betrachten, als sie dazu dienen, den Artusstoff in seiner Vollständigkeit zu präsentieren. 70 Weiterhin zu untersuchen bliebe dies auch für den ‹Erec›, der ja im Ambraser Heldenbuch den ‹Mantel› eines Anonymus ohne erkennbaren Einschnitt fortführt (vgl. die Faksimile-Ausgabe, Akademische Drucks- und Verlagsanstalt, des Ambraserheldenbuchs, folio 30 rb, ). Vgl. Bumke, Joachim: Der ‹Erec› Hartmanns von Aue. Eine Einführung. Berlin, New York 2006, S. 11f. richten. 71 (Angebliche) Erzähllücken dienen hier folglich als Anlaß des Erzählens, wobei der Aspekt der Vollständigkeit 72 als Argument hinzugezogen wird, um das eigene Erzählen zu begründen. Auch bei diesen sogenannten Nachklassikern lassen sich demnach beide Momente beobachten: Das Erkennen der Möglichkeit, Unerzähltes auszufüllen, 73 und somit zugleich das Bestreben, über das Vervollständigen des bisher Erzählten Historizität zu erreichen. Vor dem Hintergrund der Positionen Knapps und Haugs hat auch Green seine Studie «The Beginnings of Medieval Romance», erschienen im Jahre 2002, verfaßt und versucht, die Genese des Fiktionalitätsverständnisses für den Zeitraum von 1150-1220 herauszuarbeiten. Damit geht seine Studie insofern über Burrichter hinaus, als Green sich nicht auf die Gattung des Artusromans bzw. auf die matière de Bretagne beschränkt, sondern auch Chanson de Geste und Antikenroman in seine Überlegungen einbezieht. Seiner Studie liegt folgende Definition von Fiktionalität zugrunde: Fiction is a category of literary text which, although it may also include events that were held to have actually taken place, gives an account of events that could not conceivably have taken place and/ or of events that, although possible, did not take place, and which, in doing so, invites the intended audience to be willing to make-believe what would otherwise be regarded as untrue. 74 Zunächst fällt auf, daß sich in dieser Charakterisierung die unterschiedlichen Aspekte mittelalterlicher fictio zu vermischen drohen; denn während der zweite Teil der Definition sich auf das argumentum (possible, yet not true, i.e. historical) zu beziehen scheint, werden im ersten Teil Elemente der fabula (events that conceivably could not have taken place) und historia (events that may held to have taken place) parallelisiert. 75 Das führt zu der Problematik, daß Green in der von ihm vorgeschlagenen Definition nicht zwischen einem Eindringen der Fiktion in die Geschichte bzw. der Geschichte in die Fiktion unterscheidet. Es besteht jedoch eine bedeutsame Differenz zwischen der Einleitung 15 71 Vgl. dazu Kern, Die Artusromane des Pleier. 72 Vgl. z.B. den ‹Gauriel›, in dem das Prolog-Ich kundtut, es schmerze ihn, daß jede der ‹Autoritäten› (Hartmann, Wolfram und Gottfried) vergessen habe, von dem Ritter mit dem Bock zu erzählen (Vv. 32ff.). 73 Das Argument ist freilich konstruiert, denn die Protagonisten der späten Artusromane sind ja keine der zumindest namentlich bekannten Ritter (nur Gawein bildet hier eine Ausnahme, es gibt keine Erzählungen von z.B. Segremors oder Dodines), sondern sie werden von den Verfassern eigens erfunden (wobei in der Regel ja auch keine Quelle vorzuliegen scheint). Das Argument der Vollständigkeit dient daher zunächst dazu, die eigene Erfindung zu legitimieren. 74 Green, The Beginnings of Medieval Romance, S. 4. Als gekürzte deutschsprachige Fassung des ersten Kapitels der Studie: ders.: Was verstehen wir unter Fiktionalität um 1200? In: Lit.wiss. Jb 43 (2002), S. 25-37, Definition S. 28. 75 Zur Unterscheidung dieser drei Arten der narratio vgl. die Rhetorica ad Herennium. Lateinisch-Deutsch. Hg. und übers. von Theodor Nüßlein. München, Zürich 1994, hier I,8,13. Ausschmückung historischer Wahrheiten durch fictiones und einem ‹Durchsickern› der Geschichte in die (literarische) Fiktion. 76 Wenn Green z.B. anführt, daß auch Vergil «eine Fiktion, die Didohandlung, in einen historischen Bericht eingebaut» 77 habe, dann bedeutet dies eben nicht, daß die Rezipienten Faktisches (bes. Flucht des Eneas aus Troja und seine Position als ‹Ahnherr› Roms) in der literarischen Fiktion erkannt haben, sondern daß sie einem durch fictiones ausgeschmückten und literarisierten historiographischen Text begegnen. 78 Das Eindringen von faktisch-historischen Elementen in fiktionale Texte 79 bei gleichzeitiger Rezeption des Werks als fiktional kann erst dann erfolgen, wenn a) Fiktionalität als eigenständige Qualität von Literatur etabliert ist und Konsens darüber besteht, Werke als literarische Erfindungen zu rezipieren, und wenn b) historische Elemente im fiktionalen Text eine rein funktionale Dimension erhalten und/ oder dazu dienen, Geschichte zu fingieren. 80 In Greens Definition wird somit eine Entwicklung der fictio- und historia- Konzepte vorausgesetzt, wie sie für mittelalterliche Literatur noch nicht bewiesen ist. 81 Vielmehr kann die im Dienste der Wahrscheinlichkeit (verisimile) stehende Verknüpfung von Wahrem und Falschem zur figura veritatis 82 werden, was z.T. zu einer Gleichsetzung von fictum und verisimile führt (Falsum est ergo quod verum non est, fictum quod verisimile est 83 ). Ebenso können die fictiones antiker Dichter bzw. Historiographen Wahrheit für sich beanspruchen, indem sie im Sinne des integumentum ausgelegt und als ‹lügenhafte› Hülle einer philosophischen Wahrheit gedeutet werden. Obwohl sich Green dieser Unterscheidung bewußt ist, 84 verschwimmt sie in seiner fictio-Definition, so daß ihr Nutzen fragwürdig wird; zwar werden die möglichen Aspekte des mittelalterlichen fictio-Begriffs aufgeführt, doch werden ihre unterschied- 16 Einleitung 76 Green, The Beginnings of Medieval Romance, S. 28f. 77 Ebd. Zum mittelalterlichen Verständnis des Trojastoffes als grundsätzlich historisch vgl. Lienert, Elisabeth: Geschichte und Erzählen. Studien zu Konrads von Würzburg ‹Trojanerkrieg›. Wiesbaden 1996 (Wissensliteratur im Mittelalter, 22), bes. S. 13ff., 33ff. und 326ff., sowie Fochler, Petra: Fiktion als Historie. Der Trojanische Krieg in der deutschen Literatur des 16. Jahrhunderts. Wiesbaden 1990 (Wissensliteratur im Mittelalter, 4), bes. S. 1-10 und 157ff. 78 Vgl. Knapp, Historische Wahrheit und poetische Lüge, S. 593ff., von Moos, poeta und historicus, S. 119f., Schmitz, Die Poetik der Adaptation, bes. S. 73 und 79, Goetz, ‹Konstruktion der Vergangenheit›, bes. S. 233, sowie Worstbrock, Franz Josef: Die Erfindung der wahren Geschichte. Über Ziel und Regie der Wiedererzählung im Trojanerkrieg Konrads von Würzburg. In: Fiktion und Fiktionalität, S. 155-173, bes. S. 158 und 162. 79 Das Beispiel Tolstoi, das Green anführt, mutet nun doch anachronistisch an. Vgl. Green, Was verstehen wir unter Fiktionalität um 1200? , S. 28. 80 Vgl. dazu Knapp, Rezension zu Green, The Beginnings of Medieval Romance, bes. S. 23f. 81 Vgl. die Diskussion zwischen Haug und Knapp: ders.: Nachwort. In: Historisches und fiktionales Erzählen. 82 von Moos, poeta und historicus, S. 119 (Anm. 57). 83 Rhet. Her. I,8,13. 84 Vgl. Green, The Beginnings of Medieval Romance, S. 134ff. (Kap. 6). lichen Konnotationen homogenisiert. Ich halte es daher für sinnvoller, auf Greens Definition zu verzichten und die verschiedenen Schattierungen des mittelalterlichen fictio-Begriffs bei der Interpretation der Texte zu berücksichtigen, um dann genau bestimmen zu können, welche Fiktionalitätskonzepte sich abzeichnen und welchem Zweck sie zu dienen vermögen. Greens Studie überzeugt nichtsdestoweniger angesichts der Fülle ausgewerteter Forschungsliteratur und eigener Textuntersuchungen. Zu kritisieren bleibt jedoch seine (zu) weitgefaßte Definition des fictio-Verständnisses sowie sein Diktum, Fiktionalität nach 1220 könne auf Grund der zum Teil divergierenden Forschungsmeinungen (noch) nicht zufriedenstellend untersucht werden, 85 denn so vernachlässigt er die Möglichkeit, die theoretische Debatte um fictio und historia weiterzuverfolgen und eine Annäherung an die historische Entwicklung der Fiktionalität vom Spätmittelalter bis in die frühe Neuzeit zu thematisieren. Weiterhin ist zu bedenken, daß Studien, die sich z.B. mit der Fiktionalität im ‹nachklassischen› Artusroman befassen, quasi ‹rückblickend› dazu verholfen haben, die fictio-Konzeption des ‹klassischen› Artusromans genauer zu bestimmen. 86 Für eine Berücksichtigung des fiktionalen Status «anderer volkssprachlicher literarischer Texte, beispielsweise solche historiographischer Provenienz», spricht sich Otto Neudeck in seiner Habilitationsschrift aus. 87 Anhand dreier historiographisch ausgerichteter Texte, und zwar ‹Herzog Ernst› (B), ‹Der guote Gêrhart›, ‹Heinrich von Kempten›, untersucht Neudeck mittels eines skalierten Fiktionalitätsbegriffs 88 den Prozeß der Fiktionalisierung in der mittelhochdeutschen Literatur und kommt zu dem Ergebnis, daß Fiktion aus Geschichte gewonnen werde. 89 Volkssprachlich-fiktionales Erzählen lasse sich dabei mittels der drei folgenden Aspekte näher erfassen: Sozialhistorischmedialer Aspekt, intertextueller Aspekt sowie erzähltheoretischer Aspekt. 90 Unter Berücksichtigung dieser Kriterien zeigt Neudeck, daß historisierende Erzähltexte, die die ‹Erinnerungsfigur› 91 Kaiser Otto zum zentralen Thema Einleitung 17 85 Green, The Beginnings of Medieval Romance, S. ix (preface): «Like Knapp, I am convinced that the time is too early for a systematic treatment of this complex problem [...].» 86 Vgl. u.a. Kern, Peter: Bewußtmachen von Artusromankonvention in der Crône Heinrichs von dem Türlîn. In: Erzählstrukturen der Artusliteratur, S. 199-218, Mertens, Volker, ‹gewisse lêre›, sowie Schiewer, Prädestination und Fiktionalität, S. 146-159. 87 Neudeck, Erzählen von Kaiser Otto, hier S. 14. 88 Für einen skalierten Fiktionalitätsbegriff spricht sich auch Müller, Literarische und andere Spiele, bes. S. 295 und 311, aus. Vgl. auch die Fs. ‹Fiktion und Fiktionalität› (wie Anm. 12 d. Einl.). 89 Neudeck, Erzählen von Kaiser Otto, bes. S. 55 und 301ff. Damit pflichtet er Burrichter, Wahrheit und Fiktion, bei, die diese These im Hinblick auf die Entwicklung der matière de Bretagne vertritt. 90 Neudeck, Erzählen von Kaiser Otto, S. 32ff. 91 Ebd. unter Rückgriff auf Assmann, Jan: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität. In: Kultur und Gedächtnis. Hgg. ders. und Tonio Hölscher. Frankfurt a.M. 1988, S. 9-19, bes. S. 12. haben, den sogenannten nachklassischen Artusromanen vergleichbar, «im modifizierenden Rückgriff auf bereits vorhandene ‹erzählte Welten› eine neue literarische Weltvision» 92 schaffen. Dabei seien die «Rückführung des Erzählten auf den Erzählakt» sowie die «fortschreitende Literarisierung und Typisierung der Erinnerungsfigur Kaiser Otto, die zugleich die Entkonkretisierung und Entkontextualisierung des Herrschers ein[schließe]», entscheidend. 93 Ich stimme Neudeck insbesondere darin zu, daß sich fiktionales Erzählen «nicht sprunghaft-dramatisch, sondern eher graduell, in einem gleitenden Übergangsfeld vollzogen haben muß», 94 was u.a. von Burrichter auch für den Artusroman nachgewiesen werden konnte. 95 Jedoch mutet Neudecks indirekte Kritik, für die Ermittlung eines mittelalterlichen Fiktionsbegriffs werde fast ausnahmslos auf die Gattung des höfischen Romans zurückgegriffen, insofern unberechtigt an, als er ihrer selbst für seine Interpretation der Kaiser- Otto-Erzählungen bedarf. 96 Wenn «Fiktionalisierung im Bezug auf vorgängige und verfügbare Formen, Modelle und Praktiken der Sinnstiftung erfolgt», 97 dann bleibt der Artusroman als besonderer Bezugsbzw. poetologischer Mittelpunkt unbestritten. Eine weitere Position der Debatte kann schließlich in bezug auf jene Studien genannt werden, die auch dem Artusroman Fiktionalität absprechen. 98 Jüngst hat insbesondere Stefanie Schmitt diese These vertreten und kritisiert, daß die meisten Studien die Fiktionalität des Artusromans Chrétienscher Prägung schlichtweg voraussetzten, ohne sie zu hinterfragen. In ihrer Untersuchung zur Inszenierung von Glaubwürdigkeit kommt Schmitt zu dem Schluß, daß der Artusroman das Prinzip der (historischen) Wahrheitsbekundung zwar marginalisiere, jedoch Anzeichen für die Fiktionalität des Erzählten auf Ebene der histoire gar nicht bzw. im Bereich des discours allenfalls im ‹Parzival› und im ‹Daniel› zu finden seien. 99 Schmitts Untersuchung zu Beglaubigungsstrategien liefert viele interessante und bemerkenswerte Ergebnisse, insbesondere zu den Prosaromanen der frühen Neuzeit, die hier nicht im einzelnen besprochen werden können. 100 Da in ihrer Studie jedoch nahezu ausschließlich 18 Einleitung 92 Neudeck, Erzählen von Kaiser Otto, S. 328. 93 Ebd., S. 304 und 305. 94 Ebd., S. 30. 95 Burrichter, Wahrheit und Fiktion, S. 11ff. 96 Neudeck, Erzählen von Kaiser Otto, S. 29 und bes. S. 316ff. 97 Ebd., S. 327. 98 Vgl. Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, bes. S. 272ff., sowie Gumbrecht, Wie fiktional war der höfische Roman? 99 Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, bes. S. 32ff., 272 und 159ff. 100 Für bedenkenswert halte ich vor allem ihre Überlegungen zur ‹Melusine› Thürings von Ringoltingen, vgl. ebd., S. 85ff. Obgleich auch hier zu prüfen wäre, ob die Bindung der Erzählwelt an die Realität uneingeschränkt als Wirklichkeitsanspruch gewertet werden darf oder nicht doch Elemente innerhalb der narratio erscheinen, die den intendierten Wirklichkeitsbzw. Historizitätsanspruch unterlaufen. die Prologe und Epiloge herangezogen werden, was aus der Fragestellung der Untersuchung resultiert, wird eine z.T. fragwürdige Homogenität und Linerarität der gängigen Beglaubigungsformeln erzeugt, 101 und es werden insbesondere im Hinblick auf den Artusroman wesentliche Aspekte ‹unterschlagen›, die Schmitts Schlußfolgerungen relativieren könnten (so z.B. die Erzählerbemerkung zum Iwein-Ascalon-Kampf, die auf der Ebene des discours eine Fiktionalitätsanzeige bezeugt und darüber hinaus auch auf die Ebene der histoire ausgeweitet wird, vgl. Kap. I.2.2.6 d.A.). In diesem Zusammenhang wäre auch das von Schmitt in Anlehnung an Worstbrock häufig bemühte Konzept des ‹Wiedererzählens› 102 genauer zu hinterfragen. Zwar konstatiert sie mit Recht, daß auch die Artusromane Hartmanns dem Prinzip der Adaptation verpflichtet sind; jedoch ist es bereits fraglich, wenn Schmitt festhält, daß sich auch «Chrétiens Verfahren […] nicht grundsätzlich vom Vorgehen anderer mittelalterlicher Autoren» 103 unterscheide; denn Chrétiens ‹Wiedererzählen› bezieht sich - im Gegensatz zu den Adaptationen Hartmanns - auf einen noch nicht poetisch geformten Stoff. Das Prolog-Ich betont, aus dem conte d’avanture, eine bele conjointure erst hervorzuziehen (tret, V. 13 104 ), während es die anderen (mündlichen) Erzählungen als zerstückelt geißelt. Damit aber wird deutlich (zunächst unabhängig davon, wie man die umstrittene conjointure übersetzt), daß es hier um mehr geht, als um ‹wiedererzählen›, denn genau dies will der Erzähler angesichts der verderbten mündlichen Erzählungen eben insofern nicht, als er die eigene Leistung diesen ‹verstümmelten› contes gegenüberstellt. 105 Wenn Schmitt bele conjointure mit Gier als «wohlgeordneten Zusam- Einleitung 19 101 Ebd., S. 272. 102 Vgl. Worstbrock, Franz Josef: Dilatatio materiae. Zur Poetik des ‹Erec› Hartmanns von Aue. In: FMS 19 (1985), S. 1-30, und ders.: Wiedererzählen und Übersetzen. In: Mittelalter und Frühe Neuzeit. Übergänge, Umbrüche und Neuansätze. Hg. Walter Haug. Tübingen 1999 (Fortuna Vitrea, 16), S. 128-142. 103 Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 140, vgl. auch Müller, Literarische und andere Spiele, S. 292ff. 104 Vgl. Foerster, Wendelin: Wörterbuch zu Kristian von Troyes’ sämtlichen Werken. Revidiert und neubearb. von Hermann Breuer. 4., unveränd. Aufl. Tübingen 1966, S. 252 (treire). 105 M.E. vernachläßigt Schmitt hier auch die Tatsache, daß in Chrétiens Prolog von mündlichen Erzählungen um Erec die Rede ist, so daß hier nicht ohne weiteres von einer materia, wie sie z.B. Hartmann besitzt, gesprochen werden kann. Hier dient eben keine materia exsecuta als Vorlage, sondern Chrétien scheint sich vielmehr einer materia illibata anzunehmen, die eben noch nicht poetisch geformt wurde. Daß diese poetische Form den contes abgeht, zeigen - neben dem Verweis auf die Mündlichkeit - auch die Verben depecier und corronpre (V. 21) an. Vgl. Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 6, 48, 256 und bes. S. 329. Vgl. auch Worstbrock, Dilatatio materiae, S. 4f., der sich hier auf Mattheus von Vendôme, Ars Versificatoria, III, 3 und 16 bezieht (vgl. Mathei Vindocinensis opera. Hg. Franco Munari. 3 Bde. Hier Bd. 3: Ars versificatoria. Rom 1988 (Storia e letteratura, 171), S. 194 und 202), sowie Kelly, Douglas: Sens and Conjointure in the Chevalier de la Charrete. The Hague, Paris 1966, bes. S. 31-97 und passim. menhang» 106 übersetzt, dann wird damit der Aspekt der poetischen Formgebung nicht deutlich, die Chrétien für seine Dichtung in Anspruch nimmt und die über ein «anspruchsvolles Wiedererzählen» insofern hinausgeht, als hier über diese poetische Strukturierung auch eine dichterische Sinnsetzung geleistet wird. 107 Gerade vor diesem Hintergrund ist dann auch die im ‹Erec›-Prolog fehlende traditionelle Wahrheitsbeteuerung von Bedeutung, die Schmitt zwar ebenfalls bemerkt, in ihr aber nur eine Marginalisierung des ‹Wahrheitsproblems› erkennen will. 108 Im Zusammenhang mit der in Anspruch genommenen neuen Formgebung ist dieser Verzicht auf Verankerung des Erzählten in der traditionellen Beglaubigungspraxis jedoch eher als «Programm» 109 zu sehen, denn Historizität wird für das Erzählte nicht einmal suggeriert, sondern schlichtweg ignoriert, so daß auch hier die Frage nach historischer Wahrheit keine Rolle spielt. 110 Diese ‹Negation› des Historischen wiederum konnten dann auch die mhd. Bearbeiter respektive Hartmann übernehmen, obgleich sie - im Gegensatz zu Chrétien - eine schriftliche Vorlage besaßen. 111 Gerade 20 Einleitung 106 Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 139. In seinem Kommentar zur Stelle weist Gier, der darüber hinaus den Begriff ‹Rohmaterial› (S. 391) verwendet, auch auf Douglas Kelly und den Horazschen Terminus iunctura hin, vgl. Kelly, Douglas: The Source and Meaning of Conjointure in Chrétiens Erec 14. In: Viator 1 (1970), S. 179-200. 107 Insofern zielt die Übersetzung Haugs ‹sinnvermittelnde Struktur›, Literaturtheorie, S. 102, eher auf die Rezeptionsseite; läßt aber auch die Möglichkeit zu, die produktionsästhetische Seite zu berücksichtigen, wenn der Aspekt der dichterischen Sinnsetzung im Begriff der conjointure aufscheint. Der vom Dichter ‹gesetzte› Sinn oder die dichterische Wahrheit wird in der und über die Formgebung den Rezipienten zugänglich. Vgl. auch Greiner, Das Erzählen, der festhält, daß die «Schönheit der ‹conjointure› […] der sichtbare Ausdruck einer Wahrheit [ist], die darin besteht, daß das Erzählte die Form gefunden hat, die ihm zukommt», ebd., S. 313. Vgl. auch Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 71. 108 Vgl. Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 140. Viel eher als die Nennung der bele conjointure ließe sich des Erzählers zweimaliger Verweis auf die estoire als traditionelles vorlagengebundenes Erzählen deuten, das der Erzähler zu Beginn der Krönungsfeierlichkeiten Erecs anführt (vgl. ‹Erec et Enide›, V. 6674 und 6680), da hier zumindest eine (angebliche) Vorlage benannt wird. 109 Knapp, Theorie und Praxis, S. 160. 110 Vgl. Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 141, die dieses fictio-Signal nur für Wolframs ‹Parzival› (Kyot) und Strickers ‹Daniel› (Lamprecht-Zitat) gelten läßt. Gerade im Falle des Strickers ließe sich Schmitts Argumentation ebenfalls umkehren und betonen, daß Rezipienten auf diese Wahrheitsbeteuerung hätten ‹hereinfallen› können. Ähnlich auch Müller, Literarische und andere Spiele, S. 292, der ebenfalls betont, Chrétien gebe die Historizität seines Erzählgegenstandes nicht vollends preis. Vgl. auch Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 80f. 111 Im Vergleich mit Chrétien ist Hartmann dann auch im traditionellen Sinne nicht Erfinder, sondern ‹Auffinder›, konnte jedoch - vorausgesetzt er hat den bewußten Verzicht auf einen Historizitätsanspruch erkannt - diese Qualität seiner Vorlage nutzen, um das Erzählte als fiktional zu erweisen (vgl. Kap. I.1.5 d.A.). Daher kann ich Schmitt nicht zustimmen, wenn sie festhält, daß eine «historische Inkompatibilität von Fiktivität und Wiedererzählen» existiere, Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 274. Konform mit Schmitt ist Müller, Literarische und andere Spiele, bes. S. 292. Für Hartmann vor diesem Hintergrund ist es daher notwendig, nicht ausschließlich die Prologe und Epiloge zur Untersuchung heranzuziehen (was im Falle des ‹Erec› allein auf Grund des fehlenden Prologs gar nicht möglich ist), sondern auch - wie in der Fiktionalitätsforschung geschehen - weitere Passagen auf fictio- Signale und deren Funktion zu befragen. Auf der Basis ihrer Überlegungen zum Artusroman schlägt Schmitt schließlich vor, das von Frank Zipfel vorgestellte Fiktionsmodell zur Untersuchung mittelalterlicher Texte heranzuziehen. 112 Obgleich auch sie auf die Probleme bzw. Grenzen der Übertragung des modernen sprachhandlungstheoretischen Modells hinweist, 113 erachtet sie vor allem die auf Genette zurückgehende Unterscheidung Zipfels in Fiktivität des Dargestellten sowie Fiktionalität des Erzählens 114 für sinnvoll und kommt auf der Basis dieses Modells zu dem Schluß, daß «Fiktion im Mittelalter vor allem auf der Ebene des Erzählens realisiert» 115 werde, da die Texte «auf der Ebene der histoire […] als real verstanden werden [wollen], […] sie jedoch mit fiktionalen Mitteln» 116 erzählt würden. Im Prinzip unterscheidet auch sie also zwischen Fiktionalität als einem Gestaltungsmittel und einem Fiktionsbegriff, der eine eigene literarische Wirklichkeit erzeugt, in der auch die Ebene der histoire als unabhängig von einer wie auch immer gedachten Wirklichkeit gezeigt wird, wobei ihren Ausführungen nicht deutlich zu entnehmen ist, wie denn eine solche ‹Fiktivität des Dargestellten› überhaupt evoziert werden könnte. 117 Einleitung 21 kann demnach geltend gemacht werden, daß für ihn nicht nur «die Poetizität der Vorlage», Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 73, sondern auch deren Fiktionalität zur Herausforderung geriet. 112 Vgl. Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 141ff. 113 Ebd., S. 145f. 114 Ebd., S. 143, sowie Zipfel, Frank: Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität. Analysen zur Fiktion in der Literatur und zum Fiktionsbegriff in der Literaturwissenschaft. Berlin 2001 (Allg. Literaturwissenschaft, Wuppertaler Schriften, 2), bes. S. 19f. und 60ff. Die Begriffe histoire und discours, die sich in erster Linie Todorovs Übersetzung des formalistischen Begriffspaars ‹fabula› und ‹sju z et›, vgl. Tomaševskij, Boris: Theorie der Literatur. Poetik. Wiesbaden 1985, S. 218, verdanken, wird bei Genette zur einer Trias erweitert, in der er Todorovs Begriff ‹discours› in ‹récit› und ‹narration› differenziert. Vgl. Genette, Gérard: Die Erzählung. Übers. von Andreas Knop. München 1994, bes. S. 15ff. und 199ff. 115 Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 146. 116 Ebd. Gegen die Tatsache, daß z.B. Hartmanns ‹Erec› als ‹real› verstanden sein will, spricht deutlich die Aufforderung des Erzählers in der Sattel-descriptio, die Meerwunder doch selbst suchen zu gehen. Zwar sind wir auch hier auf Ebene des discours, aber die merwunder der Satteldecke sind dennoch Teil des Erzählten, also der histoire. Vielmehr wird über den Erzähler und somit die Ebene des discours auch die Wahrheitsindifferenz der histoire erwiesen. 117 Zu einer genauen Unterscheidung bzw. einer differenzierten Betrachtung des Phänomens ‹Fiktionalität› kann jedoch auch ein fictio-Begriff beitragen, wie er sich im mittelalterlichen Diskurs findet, und zwar ohne Zipfel (bzw. Genette) oder auch Iser zu bemühen. Dies hat nichts mit einer Abwertung dieser ‹modernen› fictio-Konzepte zu tun. Gerade der von Iser betonte ‹Als-ob›-Status des Fiktionalen läßt sich z.B. auch in Mit diesen hier skizzierten Möglichkeiten und Grenzen der mediaevistischen Positionen zur Fiktionalitätsdiskussion setzen sich auch die Beiträge der im Jahre 2009 erschienenen Festgabe für Jan-Dirk Müller 118 auseinander. Den meisten dieser Beiträge ist gemeinsam, daß sie in Anlehnung und Auseinandersetzung mit Müllers Thesen 119 von einem graduellen Fiktionalitätsbegriff ausgehen, der «über eine gleitende Skala erschließbar ist […]». 120 Diese Annahme einer skalierten fictio, die als «inszenierter Diskurs» 121 zwischen «‹funktionaler› und ‹autonomer› Fiktionalität» 122 changiert, soll dabei dazu dienen, die Relation zwischen Wahrheitsanspruch und fictio-Bewußtsein sowie die außerliterarischen Formen von Fiktion 123 zu präzisieren. Der Begriff der Skaliertheit versucht also, dem Aspekt der Wahrheitsproblematik mittelalterlicher Literatur zu begegnen, 124 indem er die strikte duale Differenzierung in ‹autonome› 125 Fiktionalität, wie sie ‹(post-)modernen› Texten eignet, und funktionale fictio aufgibt und sie durch eine mehrstellige Dynamik ersetzt, 126 mit deren Hilfe die jeweiligen graduellen Ausprägungen von Fiktionalität erfaßt werden sollen. Diese Auffassung von Fiktionalität tritt damit in Opposition zu den anderen Positionen, insbesondere denen Haugs und Knapps, da sie die Frage nach dem mittelalterlichen Wahrheitsbegriff bzw. der Opposition zwischen res factae und Fiktionalität zugunsten eines «offene[n] Kontinuum[s]» 127 auf- 22 Einleitung mittelalterlicher Literatur nachweisen. Gleichwohl scheint es m.E. geboten, solche Parallelen erst dann zu ziehen, wenn dies in Einklang mit der Konzeption mittelalterlicher Fiktionalität geschieht. 118 Fiktion und Fiktionalität (wie Anm. 12 d. Einl.). 119 Vgl. Müller, Literarische und andere Spiele, bes. S. 286 und 311. 120 Köbele, Ironie und Fiktion, S. 299. Vgl. auch Kellner, Beate: ein maere will i’u niuwen. Spielräume der Fiktionalität in Wolframs von Eschenbach Parzival. In: Fiktion und Fiktionalität, S. 175-203, bes. S. 178. 121 Der Begriff, der auf Rainer Warning, Der inszenierte Diskurs (wie Anm. 10 d. Einl.), zurückgeht, meint den zwischen Autor und Rezipienten geschlossenen ‹Vertrag›, das von der Erzählerfigur Geschilderte ohne Referenz zur außerliterarischen Wirklichkeit zu verstehen. 122 Kellner, Spielräume der Fiktionalität, S. 178, mit Bezug auf Müller, Literarische und andere Spiele, S. 286. 123 Vgl. Müller, Literarische und andere Spiele, bes. S. 305ff. Diese Bemühungen auch um die außerliterarischen Erscheinungsformen von fictio (wie z.B. gesellschaftliche und/ oder institutionelle Fiktionen) bergen freilich die Gefahr, etwas überspitzt formuliert alles zur Fiktion geraten zu lassen. Vgl. die weiteren Ausführungen sowie auch die Kritik von Kablitz, Andreas: Kunst des Möglichen. Prolegomena zu einer Theorie der Fiktion. In: Poetica 35 (2003), S. 251-273, bes. S. 257ff. 124 Vgl. die Anm. 29-32 der Einl. 125 Wie bei der an Haug geübten Kritik (vgl. Anm. 30 d. Einl.) meint der Begriff hier ein Autonomieverständnis, wie es insbesondere mit dem Einsetzen der Genieästhetik Einzug in die Literaturgeschichte bzw. in die literaturtheoretische Diskussion erhalten hat. 126 Vgl. Müller, Literarische und andere Spiele, bes. S. 286, 295 und 311, sowie Köbele, Ironie und Fiktion, S. 299 (Anm. 35). 127 Köbele, Ironie und Fiktion, S. 301, vgl. das Vorwort von Peters/ Warning. In: Fiktion und Fiktionalität. gibt. Der Vorteil, den diese Annahme eines skalierten fictio-Verständnisses bietet, besteht zum einen darin, den schon zu Beginn der fictio-Debatte kritisierten Begriff der ‹Autonomie› zunächst umgehen zu können. Zum anderen bietet sie die Möglichkeit, die je unterschiedlichen Ausprägungen und Formen von Fiktionalität, wie sie in den jeweiligen Texten begegnen, detailliert zu erfassen und zu beschreiben. Gleichwohl kann dieses weitgefaßte Fiktionalitätsverständnis auch an dem Punkt problematisch werden, an dem es verbunden wird mit der Frage nach außerliterarischen, gesellschaftlichen bzw. institutionellen Formen von Fiktion: 128 Ohne grundsätzlich bestreiten zu wollen, daß auch das «Phantasieren imaginärer Möglichkeiten außerhalb der Literatur […] mit literarischen Fiktionen eng verwandt [ist]», 129 läuft eine solche Betrachtung Gefahr, Fiktionen und Fiktionalität universell werden zu lassen und damit die Spezifik literarischer fictio aus dem Blick zu verlieren. 130 Ein weiteres prinzipielles Problem, das mit einem skalierten Fiktionalitätsverständnis einhergeht, hängt mit der Konstitution von Gradualität selbst zusammen, worauf auch Köbele in ihrem Beitrag hinweist: Gibt es innerhalb des Kontinuums, d.h.: innerhalb der ‹Skalierung› von Fiktionalität, lediglich ein wertneutral-quantitatives oder auch ein qualitatives ‹Mehr oder Weniger›? Ergibt z.B. die pure Addition von Fiktionssignalen in einem Text etwas das ‹mehr› (‹wert›) ist? 131 Es geht also, anders gewendet, um die Frage, wie die jeweiligen Fiktionalitätsgrade zu definieren und zu beurteilen sind. Damit ist man - wenn auch mehr implizit - wiederum insofern bei dem Aspekt der ‹Autonomie› angelangt, als die Frage nach der Qualität von fictio kaum ohne Bezug zu ihrem jeweiligen Grad auf der Fiktionalitätsskala zu ermitteln ist, 132 der sich zwischen den Polen ‹funktional› und ‹autonom› befindet. 133 Wenn z.B. Kellner fragt, «welche Spielräume es [für die Ausstellung 134 des Fiktionalen] gibt […]», 135 und schließ- Einleitung 23 128 So Müller, Literarische und andere Spiele, S. 306ff. 129 Ebd., S. 306. Müller erläutert dies u.a. mit Blick auf den Minnesang: «Der Minnesang fingiert eine Praxis, in die er eingelassen ist, und er positioniert sich in dieser Praxis.» 130 Vgl. Kablitz, Kunst des Möglichen, S. 257, der hier mit Bezug auf die Erkenntnisphilosophie festhält, daß die Preisgabe der Opposition Wirklichkeit - Fiktion letztlich zu einer «Aufhebung der Wirklichkeit in der Fiktion» geführt habe (Herv. im Zitat). 131 Köbele, Ironie und Fiktion, S. 301. 132 Damit ist freilich nicht gemeint, daß ein Text, der ein qualitatives ‹Mehr› an Fiktionalität aufweist, auch zwangsläufig der (literarisch) anspruchsvollere Text sei; vielmehr ist zu fragen, welcher Grad an Fiktionalität z.B. im ‹Erec› Hartmanns (vgl. Kap. I. d.A.) denn exponiert wird, wenn nicht eine fictio, die zumindest in die Nähe von Autonomie gerät. 133 Vgl. Müller, Literarische und andere Spiele, S. 286, und Kellner, Spielräume der Fiktionalität, S. 178. 134 Die Bezeichnung einer ‹ausgestellten› Fiktionalität geht auf Müller, Literarische und andere Spiele, S. 286, zurück und bezeichnet (vergleichbar dem von Iser verwendeten Begriff der ‹Entblößung›) eine (Selbst-)Anzeige von fictio. 135 Kellner, Spielräume der Fiktionalität, S. 178. lich zu dem Ergebnis gelangt, daß in Wolframs ‹Parzival› der Erzähler die «Geltung des eigenen Textes» 136 als eine «Kunst des Möglichen» 137 exponiere, scheint auch sie implizit auf ein literarisches ‹Autonomieverständnis› sowie auf ein Bewußtsein des Verfassers für ein solches Verständnis abzuzielen. Daher ist es m.E. auch bei der Annahme eines skalierten Fiktionalitätsverständnisses geboten, nicht ausschließlich fließende Übergänge zwischen funktionalen fictio-Graden (die freilich auch begegnen können, vgl. dazu z.B. Kap. I.1.1 und I.2.1.2 d.A.) anzusetzen. Vielmehr sollte zusätzlich davon ausgegangen werden, daß auch eine gezielte ‹Positionierung› auf der Fiktionalitätsskala möglich ist, die fictio nicht nur ‹auszustellen› bestrebt ist, sondern die sie darüber hinaus als unabhängig von traditionellen Legitimationsmustern zu erweisen sucht und in diesem Sinne auch ein «qualitatives Mehr» 138 an Fiktionalität exponiert. Ein solcher Fiktionalitätsgrad wäre dann nicht als «Sonderfall ‹funktionalen› Fingierens» 139 anzusehen, da er ein Bewußtsein des Verfassers über die (mittelalterlichen) Konnotationen des fictio-Begriffes und eine Abgrenzung zu den jeweiligen Formen legitimierter Fiktionalität erkennen läßt, indem deren Funktionalität überschritten oder gar ad absurdum geführt wird. In der vorliegenden Untersuchung wird daher von einem Fiktionalitätsbegriff, der sich am mittelalterlichen gelehrten Diskurs orientiert, ausgegangen; 140 d.h., es wird eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Schattierungen des fictio-Begriffs vorgenommen, indem unterschieden wird zwischen je unterschiedlichen Graden einer funktionalen, legitimierten fictio und solchen Ausprägungen von Fiktionalität, die sich von traditionellen Legitimationsfunktionen freimachen und dies auch signalisieren. Der Fokus ist also gerade mit Bezug auf diese zuletzt genannten Formen von Fiktionalität auf ein zeitgenössisches Verständnis von fictio gerichtet, das nicht zwangsläufig mit dem späterer, ‹moderner› Interpreten identisch sein muß. 141 Dabei gilt es, insbesondere folgendes zu beachten: Auch im Mittelalter bzw. in der mittelalterlichen Poetologie ist der fictio-Begriff nicht mit der Opposition fictio = Lüge 24 Einleitung 136 Ebd., S. 203. 137 Ebd. mit Bezug auf Kablitz, Die Kunst des Möglichen. Dies ist ja auch, was Kablitz, ebd., S. 272, mit dem Begriff der ‹Möglichkeit› zu erfassen bestrebt ist, wenn er das Spezifische von Literatur als das «potentiell Wirkliche», das «durch die Sprache als möglich behandelt wird: eben weil es sich - in der Fiktion - behaupten läßt,» bezeichnet. ‹Autonomie› meint doch in diesem Sinne die Unabhängigkeit des literarischen Textes von einer außertextlichen (Un-)Möglichkeit. 138 Köbele, Ironie und Fiktion, S. 301. 139 Müller, Literarische und andere Spiele, S. 186. 140 Es geht also nicht um eine Fiktionstheorie, die auch die außerliterarischen Erscheinungsformen von Fiktionen zu erfassen bemüht ist, da damit ein anderes Frage- und Erkenntnisinteresse verbunden ist. 141 Es geht also vorrangig darum, eine Ausprägung von Fiktionalität nachzuweisen, die auch der mittelalterliche Rezipient als unabhängig von Legitimationsgebundenheit erkannt haben könnte. und historia = Wahrheit zu erfassen. 142 Vielmehr existieren unterschiedliche Definitionen und Gebrauchszusammenhänge, in denen fictio je anders charakterisiert und beurteilt wird. Für die Untersuchung mittelalterlicher Literatur ist dabei entscheidend, daß sie einen fictio-Begriff erkennen läßt, der sich dem zeitgenössischem Verständnis gemäß traditioneller Legitimationsfunktionen entzieht und damit das Erzählte als (literarische) Erfindung ausweist, sich mithin - wie Strasser formuliert - auf das «Gebiet, das mit ‹Falschem›, ‹Unwahrem› und ‹Gelogenem› abgesteckt» 143 ist, begibt. Die anderen Bedeutungsschattierungen bzw. Grade von Fiktionalität hingegen, die formale Funktionen 144 erfüllen und/ oder an das aus der Rhetorik stammende Postulat der Wahrscheinlichkeit geknüpft sind, 145 verbleiben zumeist im Rahmen einer funktionalen (legitimierten) Fiktionalität und kennzeichnen zwar den poetischen Umgang mit dem Stoff, schließen aber das Verständnis dieses Stoffes als historisch nicht aus. Gleichwohl können auch diese legitimierten fictiones zu einer Reflexion über Fiktionalität führen, wenn sie die ihnen eignende Funktionalität thematisieren und damit implizit auf weitere Möglichkeiten fiktionalen Erzählens verweisen (vgl. z.B. Kap. I.1.1 d.A.). Im Gegensatz zum Aspekt der Fiktionalität läßt die Historizität des Erzählten sich zunächst stofflich bestimmen. Insbesondere Heldenepik und Antikenromane werden dementsprechend als Erzählgattungen verstanden, deren Historizität sich aus ihrem Faktizitätsgehalt herleitet. 146 Die historia vermittelt Einleitung 25 142 Obgleich in der mittelalterlich-christlichen Bewertung von fictio eine deutliche Negativierung zu verzeichnen ist, die von Stierle als «Verlust der Unschuld», Art. ‹Fiktion›, S. 390, bezeichnet wird, bleibt es nicht bei dieser «einsinnigen Entgegensetzung von Wahrheit und Lüge», ebd., da auch den erfundenen fabulae eine verax significatio zugesprochen werden konnte; anders gestaltet sich dies - so Knapp, Historische Wahrheit und poetische Lüge, S. 613 - bei Konrad von Hirsau, der den fabulae jedwede Wahrheitskonzeption abspricht. 143 Strasser, Fiktion und ihre Vermittlung, S. 66. 144 Vgl. von Moos, poeta und historicus, S. 117, Burrichter, Wahrheit und Fiktion, bes. S. 19ff., Knapp, Historie und Fiktion (I) und (II), passim. 145 Vgl. von Moos, poeta und historicus, S. 97f. und 118f., Fichte, ‹Fakt› und Fiktion, S. 50. Vgl. auch den Art. ‹Plausibilität›. In: Hist. WBdRh, Bd. 6: Must-Pop. Hg. Gert Ueding. Tübingen 2003, Sp. 1282-1285, bes. Sp. 1283. Dabei ist festzuhalten, daß die ma. Konzeption der Wahrscheinlichkeit nicht mit dem Aristotelischen Wahrscheinlichkeitsmoment verwechselt werden darf, das Wahrscheinlichkeit auf Philosophisch-Repräsentatives bezieht. Vgl. Aristoteles, Poetik, Kap. 9, S. 29 und Kap. 24, S. 84f., vgl. auch Chinca, History, Fiction, Verisimilitude, S. 86ff. und 102ff. 146 Vgl. das ‹Sachsenlied›, Vv. 6-11, Ertzdorff, Xenia von: Die Wahrheit der höfischen Romane des Mittelalters. In: ZfdPh 86 (1967), S. 375-389, Knapp, Historie und Fiktion (I) und (II), Johanek, Peter: Die Wahrheit der mittelalterlichen Historiographen. In: Historisches und fiktionales Erzählen, S. 9-25. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß die Frage nach den Stoffkreisen im Hinblick auf die Geschichtsdichtung selten in Frage gestellt wird, während die Unverbindlichkeit der matière de Bretagne nicht allein als Fiktionalitätskriterium akzeptiert wurde. Vgl. die Rezensionen zu Haug, Literaturtheorie, a.a.O. Mit Haug und auch Jauß aber denke ich - und dies läßt sich durch Bodels Einres gestae bzw. factae, sie ist magistra vitae sowie lux veritatis, 147 und stets ist sie im Mittelalter gekoppelt an den ordo, ist sie sowohl authentische Quelle als auch nützliches Zeugnis für den Christen. 148 Gebunden an diese wesentlichen, epistemischen Qualitäten sind bestimmte Darstellungskriterien bzw. Erzählstrategien, die dazu dienen, auf die (heils-)geschichtliche und damit faktische Wahrheit des Erzählten zu verweisen. Augenzeugenschaft 149 bzw. der Verweis auf schriftliche auctoritas und besondere Gewährsmänner sind dabei entscheidend, da sie den engen Konnex zwischen res gestae und memoria rerum gestarum betonen: 150 Durch den Verweis auf schriftliche Quellen, in denen das Geschehene durch Augenzeugen oder ihnen an auctoritas gleichkommenden Verfassern konserviert wurde, bleibt die Erinnerung an Vergangenes lebendig und kann für die Gegenwart dienstbar gemacht werden. 151 Darüber hinaus kann der ordo naturalis als literarische Darstellungsform einer historia genannt werden, der im Gegensatz zum ordo artificialis einen chronologischlückenlosen und auf Vollständigkeit 152 bedachten Erzählverlauf bietet. Jedoch bleibt auch in diesem Zusammenhang festzuhalten, daß der «im Mittelalter […] beliebtere Beginn mit dem Anfang der Materie» als «durchaus dichterisch» 153 galt, und eine Einschätzung als nicht oder weniger poetisch nicht angenommen werden darf. 154 Gleichwohl können - wie bereits erwähnt - auch die erzählten res gestae durch uneigentliche Sprachverwendung überhöht und gemäß dem Wahrscheinlichkeitspostulat bearbeitet werden. 155 Diese funktionalen Aspekte von fictio dienen dann jedoch zur Kennzeichnung eines literarischen 26 Einleitung teilung der trois matieres (V. 6) stützen -, daß dem Artusroman tatsächlich eine stoffliche Unverbindlichkeit eignet. 147 Vgl. Cicero: De Oratore. Über den Redner. Lateinisch und deutsch. Übers., komm. und mit einer Einleitung hg. von Harald Merklin. 2., durchges. und bibl. erg. Aufl. Stuttgart 1986 (RUB, 6884), II, 36. 148 Vgl. Knape, Joachim: ‹Historie› in Mittelalter und Früher Neuzeit. Begriffs- und gattungsgeschichtliche Untersuchungen im interdisziplinären Kontext. Baden-Baden 1984 (Saecvla spiritalia, 10), S. 67 und 91. 149 Ertzdorff, Die Wahrheit, bes. S. 377, Kellermann, «Exemplum» und «historia», S. 10f. Bekanntes Beispiel ist Dares, der als angeblicher Augenzeuge mittelalterlicher Auffassung gemäß die Wahrheit über den Untergang Trojas zu erzählen vermochte und Homer vorgezogen wurde. 150 Vgl. Knape, Historie, bes. S. 112f., sowie Johanek, Die Wahrheit der mittelalterlichen Historiographen, S. 16. 151 Vgl. Fichte, ‹Fakt› und Fiktion, S. 51. 152 Vgl. zum Aspekt der Vollständigkeit der res gestae, Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 62f., sowie Lienert, Erzählen und Geschichte, S. 13ff. und 314ff. 153 von Moos, poeta und historicus, S. 95. 154 Die Kanonisierung des ordo artificialis für die Dichtung wird erst in der Neuzeit explizit formuliert und etabliert. Vgl. dazu ebd. 155 Vgl. von Moos, poeta und historicus, S. 112, Fichte, ‹Fakt› und Fiktion, S. 49, sowie Knapp, Fritz Peter: Historiographisches und fiktionales Erzählen in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. In: Historie und Fiktion (II), S. 15-37, bes. S. 17ff. Anspruchs und markieren den poetischen Umgang mit dem Stoff, ohne das Verständnis der materia als historisch auszuschließen. 156 Eine auf diese Weise evozierte Literarizität des Erzählten allein ist demnach nicht mit den Ausprägungen von fictio gleichzusetzen, die zu einer Reflexion über Fiktionalität führen oder fictio gar als unabhängig von Legitimationsfunktionen exponieren. 157 Die Begriffe ‹Literarizität› 158 und ‹Fiktionalität› voneinander abzugrenzen, ist gleichwohl nicht einfach, in einigen Fällen gar unmöglich. 159 Während für (post-)moderne Literatur (‹autonome›) Fiktionalität sicherlich als ein konstitutives Merkmal oder ein genuiner Aspekt von Literarizität angesehen werden kann, 160 so muß dies für mittelalterliche Literatur auf Grund ihres anderen Wahrheits- und Geschichtsverständnisses 161 in Frage gestellt werden. Da auch die Geschichtsschreibung respektive -dichtung funktionale fictio in Anspruch nehmen konnte, können Eigenschaften bzw. Merkmale des Textes, die der ars rhetorica verpflichtet sind, die Literarizität eines Werks bezeugen, ohne dessen Anspruch auf Historizität prinzipiell zu gefährden. Funktionale Fiktionalität ist damit konstitutiv für ein adäquates, mittelalterliches Literarizitätsverständnis, impliziert aber nicht zwingend Fiktionalität im Sinne einer Erfindung, deren Qualität sich aus der bewußten Preisgabe von Legitimationszusammenhängen ergibt und die damit eine literarische ‹Eigenständigkeit› erkennen läßt. Einleitung 27 156 Gemeint ist hier das zeitgenössische Verständnis, das - im Gegensatz zur Einschätzung späterer Interpreten - anderen Maßstäben folgt. Zu dieser Differenzierung vgl. auch Worstbrock, Die Erfindung der wahren Geschichte, bes. S. 162 und 172f. 157 Hier ist zu bemerken, daß die Grenzen zwischen Literarizität/ Poetizität und Fiktionalität ‹fließend› sein mögen und daß Texte, die einen besonders hohen Grad an poetischer Ausgestaltung aufweisen, also ein hohes Maß an funktionaler fictio beinhalten, unter den Verdacht der Lüge bzw. des Erfundenen geraten können. Dies läßt sich wohl nur in der jeweiligen Analyse des einzelnen Werks entscheiden. Dennoch ist eine Differenzierung zunächst wichtig, um keine oberflächlichen Schlüsse zu ziehen. Vgl. Jauß, Hans Robert: Der Gebrauch der Fiktion in Formen der Anschauung und Darstellung der Geschichte. In: Formen der Geschichtsschreibung. Hgg. Reinhart Koselleck u.a. München 1982 (Beiträge zur Historik, 4), S. 415-451, bes. S. 418. 158 Auf den breiten Bereich der Forschungsgeschichte (Formalisten) zur Begrifflichkeit kann hier nicht näher eingegangen werden. Verwiesen sei auf: Jakobson, Roman: Poesie und Sprachstruktur. Zürich 1970, Koch, Walter A.: Poetizität. Skizzen zur Semiotik der Dichtung. Hildesheim, New York 1981 (Studia Semiotica, 9), und Petersen, Fiktionalität und Ästhetik. 159 Vgl. u.a. de Man, Paul: Allegorien des Lesens. Frankfurt a.M. 1988, der Rhetorizität und Literarizität gleichsetzt, S. 40. Die Überlegungen, die Petersen, Fiktionalität und Ästhetik, äußert, sind ungeachtet ihrer Komplexität nicht auf ma. Literatur anzuwenden, da er Wahrheitsindifferenz und mithin Fiktionalität als ein wesentliches Kriterium poetischer Texte/ Rede ansieht und somit den ma. Wahrheits- und Literaturbegriff nicht berücksichtigt. 160 Vgl. Petersen, Fiktionalität und Ästhetik, bes. S. 15ff. 161 Vgl. Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff und Möglichkeit des Romans, Knapp, Fritz Peter: Der Gral zwischen Märchen und Legende. In: Historie und Fiktion (I), S. 133-151, bes. S. 133f., sowie Köbele, Ironie und Fiktion, S. 301. Die Literarizität mittelalterlicher Texte zeigt sich demnach insbesondere in der jeweiligen Inanspruchnahme rhetorischer bzw. poetischer Strategien (uneigentliche Sprachverwendung sowie Plausibilisierungsbemühungen), unter die auch funktionale fictiones subsumiert werden können. Eine in dem oben beschriebenen Sinne ‹unabhängige› Fiktionalität hingegen kann innerhalb dieses Rahmens expliziert und für das Werk geltend gemacht werden, muß aber nach mittelalterlichem Verständnis nicht zwingend ein konstitutiver Bestandteil von Literarizität sein. Sie kann erst dann als Qualität eines Werkes erkannt werden, wenn das Erzählte bzw. Teile des Erzählten - über den poetischrhetorischen Charakter hinaus - auch als (nichtsdestoweniger literarische) Erfindung dargeboten werden, die einen Anspruch auf poetische bzw. dichterische Wahrheit bezeugt. In den sich anschließenden Untersuchungen wird der Begriff der ‹Literarizität› folglich nicht mit ‹Fiktionalität› gleichgesetzt. 162 Der Terminus wird vielmehr als Bezeichnung verstanden, die den Grad an poetischrhetorischer Ausgestaltung und Qualität, mithin auch funktionale Fiktionalität, umfaßt. Literarizität kann demzufolge - wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung - ebenso für den ‹Eneas› wie für das ‹Nibelungenlied›, 163 die Artusromane Hartmanns oder den ‹Tristan› reklamiert werden. Der Begriff ‹Fiktionalität› findet dann Verwendung, wenn das Erzählte als vom Dichter geschaffene Erfindung ausgewiesen wird, die ihre eigene Bedingtheit reflektiert oder sogar über eine funktionale Dimension bewußt hinausgeht und damit ihr Recht außerhalb einer faktischen Realitäts- oder integumentalen Wahrheitsauffassung beansprucht. Die hier vorgenommenen Differenzierungen werden in der Forschung nicht uneingeschränkt akzeptiert. 164 Allerdings bieten sie die folgenden me- 28 Einleitung 162 Die hier angeführten Begriffsbestimmungen wollen keinen endgültigen Anspruch auf Vollständigkeit darstellen, sondern dienen vielmehr dazu, ihre Verwendung in vorliegender Arbeit zu präzisieren. Die Unterscheidung orientiert sich dabei an Burrichter, Wahrheit und Fiktion, und Knapp, Historie und Fiktion (I) und (II), passim. 163 Im Hinblick auf das ‹Nibelungenlied› ist die Frage nach der Literarizität freilich wiederum besonders brisant, da es als ‹lokaler› Sagenstoff eine (fingierte) Mündlichkeit aufweist, die einerseits als Rest einer ursprünglichen Oralität, andererseits als Literarisierungsstrategie interpretiert werden kann. Beim ‹Nibelungenlied› stellt sich mithin die Frage, in welchem Maße Anzeichen von Mündlichkeit als Anzeige von Literarizität gelten können. Vgl. u.a. Butzer, Das Gedächtnis, und Curschmann, Michael: Nibelungenlied und Nibelungenklage. Über Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Prozeß der Episierung. In: Deutsche Literatur im Mittelalter. Kontakte und Perspektiven. Hugo Kuhn zum Gedenken. Hg. Christoph Cormeau. Stuttgart 1979, S. 85-119. 164 Vgl. Greens Darstellung des fictio-Begriffs, sowie - implizite - Ernst, Lüge, integumentum und Fiktion. Vgl. Müller, Literarische und andere Spiele, der den «Übergang zwischen historiographisch fingierendem und fiktionalem Erzählen», S. 295, als fließend bezeichnet. Man wird Müller dahingehend zustimmen müssen, daß die bloße Gegenüberstellung von Faktizität und Fiktionalität auch in mittelalterlichem Verständnis lediglich einen «Teilbereich dessen, was wir als Wirklichkeit erfahren», ebd., S. 297, ausmacht. Wenn er jedoch im folgenden auf die ebenfalls von einem ‹Als-ob› geprägten Rollenprothodischen Vorteile: Eine Differenzierung des fictio-Begriffes findet sich auch im mittelalterlichen Diskurs, der wiederum auf der (spät-)antiken Tradition beruht, 165 und läßt sich überdies auch in den literarischen Werken erkennen, so daß eine Orientierung an den mittelalterlichen ‹Vorgaben› der Gefahr einer anachronistischen Betrachtung entgehen kann. 166 Damit kommt die hier getroffene Unterscheidung dem Bestreben der Arbeit entgegen, die Texte selbst als Ausgangspunkt der Untersuchung zu nehmen. Darüber hinaus liefert diese Differenzierung die Möglichkeit, innerhalb der Untersuchung und bei der Textinterpretation möglichst systematisch vorzugehen. Primäre Textgrundlage der Untersuchung bilden die Artusromane Hartmanns von Aue, Wirnts von Gravenberc ‹Wigalois›, der ‹Gauriel› Konrads von Stoffeln (? ) sowie der anonym verfaßte ‹Lancelot›, 167 Werke, die den Stoffkreis um den britannischen Herrscher als kleinsten gemeinsamen Nenner aufweisen. 168 Die Untersuchung vornehmlich auf die Artusromane Hartmanns und den ‹Prosa-Lancelot› zu beschränken, erscheint insbesondere deswegen sinnvoll, da diese Werke zwei extreme Punkte innerhalb der literarischen Auseinandersetzung mit dem Artusstoff im deutschsprachigen Raum 169 markieren. Die Auswahl der Texte orientiert sich damit an ihrer Relevanz für die Fiktionalitätsrespektive Historizitätsforschung sowie an ihrer literargeschichtlichen Position als Anfangsbzw. Endpunkt der arthurischen Erzählgattung. 170 Da- Einleitung 29 gramme, z.B. die Herrscherrolle, hinweist, die ‹Wirklichkeit› konstruieren, und er somit versucht, den Fiktionalitätsbegriff von seiner Fixierung auf die Literatur zu lösen, geht es auch ihm letztlich um eine Erweiterung des fictio-Begriffes, der auf eine allgemeinere Fiktionstheorie abzielt und damit den gelehrt-mittelalterlichen Diskurs verläßt. Vgl. auch die Beiträge des Sammelbandes ‹Fiktion und Fiktionalität› (wie Anm. 12 d. Einl.). 165 Vgl. Rhet. Her. I,8,13, sowie Isidor, Etymologiae, I, xl,1, I, xli,1, I, xliv,5. 166 Eine vorsichtige Formulierung ist geboten, da sich auch der ‹geneigte› Leser seinen modernen Vorstellungen nur unzureichend entziehen kann und nie vollkommen vor einer Rückprojektion gefeit ist. 167 Zur Berücksichtigung der altfranzösischen Vorlagen vgl. die betreffenden Kap. d.A. 168 Als weitere Vergleichsfolie werden, wo es für die Untersuchung nützlich erscheint, auch die folgenden ‹nachklassischen› Artusromane hinzugezogen: Heinrich von dem Türlîn: Die Krone. (Verse 1-12281). Nach der Handschrift 2779 der Österreichischen Nationalbibliothek nach Vorarbeiten von Alfred Ebenbauer, Klaus Zatloukal und Horst P. Pütz hg. von Fritz Peter Knapp und Manuela Niesner. Tübingen 2000 (ATB, 112), ders.: Die Krone (Verse 12282-30042). Nach der Handschrift Cod. Pal. germ. 374 der Universitätsbibliothek Heidelberg nach Vorarbeiten von Fritz Peter Knapp und Klaus Zatloukal hg. von Alfred Ebenbauer und Florian Kragl. Tübingen 2005 (ATB, 118), Der Stricker: Daniel von dem Blühenden Tal. 2., neu bearb. Ausg. Hg. Michael Resler. Tübingen 1995 (ATB, 92). 169 Zur Diskussion der Frage, ob der ‹Prosa-Lancelot› überhaupt als deutschsprachiges Werk betrachtet werden darf, vgl. Kap. II. d.A. 170 Daß die Gattung ‹Artusroman› ihre (literarhistorische) Wirkung nach dem ‹Prosa- Lancelot› nicht eingebüßt hat, ist selbstverständlich. Daß der P-L jedoch nach dem Artusroman Chrétienscher Prägung der erste Erzähltext ist, der den Artusstoff in Prosa behandelt und überdies den Fokus auf den einzelnen Artusritter zugunsten einer ausgemit ist die Möglichkeit gegeben, Entwicklungslinien der fictio- und historia- Konzeptionen aufzuzeigen, wie sie bei einer ‹synchronen› Betrachtung zwangsläufig unterbleiben muß. Daß diese Eingrenzung angesichts der sich auch auf historisierende Erzählungen ausweitenden Fiktionalitätsforschung ‹rückschrittig› anmutet, sollte nur auf den ersten Blick wundernehmen, da eine solche ‹Übertragung› nur dann stattfinden kann, wenn sich zeigen ließe, daß bereits in der Gattung ‹Artusroman› neue Möglichkeiten auch historisierenden Erzählens augenfällig werden, die sich nicht in einer ‹Negation› jedweder Historizität des Erzählten erschöpfen, sondern historisierende (Erzähl-)Elemente in die Fiktionalität integrieren. Die Möglichkeit, Geschichte zu fingieren bzw. zu fiktionalisieren, bedarf einer Entfunktionalisierung herkömmlicher historisierender narrativer Muster, deren Nachweis zunächst für die Gattung zu erbringen ist, die sich bewußt als fiktional zu erkennen gibt. Daher scheint es meiner Ansicht nach auch vonnöten zu sein, über die Frage nach Fiktionalisierungstendenzen in der historiographischen Literatur hinaus, Historisierungstendenzen in der ‹überzogen› fiktionalen Gattung des Artusromans zu ermitteln und zu hinterfragen. Demnach wäre der These einer «Verfügbarkeit der Fiktion», 171 die auch auf historiographische Erzählungen zu beziehen möglich scheint, die Annahme einer ‹Verfügbarkeit› der historia anbei zu stellen. D.h., über die Frage nach der Verwendung funktionaler Fiktionalität im Historizität beanspruchenden Text hinaus, gilt es auch zu eruieren, wann das Fiktionale eigenständig seinen Status beanspruchen und historisierende Elemente sich einverleiben kann. Nur wenn solche Fiktionalisierungstendenzen eng mit einer Relativierung, vielleicht sogar mit einer Entfunktionalisierung der historia- Konzeption verbunden sind, könnte letztlich gezeigt werden, daß die z.B. von Neudeck ermittelten Fiktionssignale der historisierenden Otto-Erzählungen nicht ausschließlich auf die Literarizität des Erzählten, sondern auf seine Fiktionalität bzw. eine fingierte Historizität hinweisen. 172 Um dies zu verfolgen, erweist es sich daher als bedeutsam, die Textinterpretation nicht auf die Opposition ‹fiktional› oder ‹historiographisch› festzulegen, sondern vielmehr den im Text begegnenden Umgang mit beiden Konzeptionen und die daraus zu induzierenden poetologischen Implikationen zu ermitteln. Dabei gilt es vor allem zu berücksichtigen, daß nicht ausschließlich der Aspekt der Fiktionalität, sondern auch die Konzeption von Historizität verstärkt zu untersuchen ist. Zwar wird in den meisten Untersuchungen zur Debatte auf die enge Verquikkung von fictio und historia hingewiesen, 173 jedoch häufig ohne die genauen Ausprägungen der jeweiligen Konzepte und deren Interdependenz zu unter- 30 Einleitung weiteten Perspektive aufgibt, weist ihn als (vorläufigen) Endpunkt der etablierten Gattung aus. 171 Meyer, Die Verfügbarkeit der Fiktion. 172 Neudeck, Erzählen von Kaiser Otto, scheint die Begriffe ‹Literarizität› und ‹Fiktionalität› oftmals synonym zu verwenden, vgl. S. 15f. 173 Vgl. Burrichter, Wahrheit und Fiktion, Knapp, Historie und Fiktion (I) und (II), passim. suchen. Dies gilt insbesondere für die Gattung Artusroman, bei der Anzeichen, die auf Historisierung verweisen, als bewußte Auseinandersetzung mit dem poetologischen Konzept der historia gewertet werden können. Genau hier liegt m.E. die Schnittstelle, die es erlaubt, die Fiktionalitätsdiskussion auf historisierende Texte auszuweiten; denn im gleichen Maße wie Fiktionalität bewußt als ästhetische Qualität vorgeführt und verfügbar wird, kann auch Historizität in ihren narratologischen und poetologischen Dimensionen verfügbar werden. In der vorliegenden Studie soll dementsprechend verdeutlicht werden, daß die Inanspruchnahme von Fiktionalität und Historizität bereits im ‹Erec› und im ‹Iwein› einige bedeutsame Unterschiede aufweist, die dann im ‹Prosa-Lancelot› eine neue Dimension erlangen: Ausgehend von der These, die Vereinnahmung und Entblößung von fictio im ‹klassischen› Artusroman werde von einer Relativierung historisierender Erzählstrategien begleitet, soll einsichtig werden, daß historisierende Erzählstrategien an Verbindlichkeit einbüßen und somit als Mittel offenbart werden, die zwar Historizität erzeugen und dennoch als literarische Konstrukte erkannt werden sollen. Anhand einer eingehenden Analyse sollen die in den zu untersuchenden Werken sich manifestierenden fictio- und historia-Konzeptionen zunächst ermittelt, interpretiert und miteinander verglichen werden. Folgende Fragen sollen dabei im Zentrum des Interesses stehen: Wie kann das Fiktionale eigenständig seinen Status beanspruchen und historisierende Erzählelemente sich einverleiben, und wann tritt das Gegenteil, die Verwendung fiktionaler Elemente im Historizität beanspruchenden Text, ein? Welche differierenden Möglichkeiten bzw. Strategien können identifiziert werden, mittels derer das Erzählte als fiktional oder historisch ausgewiesen wird? Die Auseinandersetzung mit diesen (Leit-)Fragen erfolgt dabei grundsätzlich anhand textnaher Einzelanalysen. 174 Die Arbeit gliedert sich in drei Kapitel, von denen das erste den Artusromanen Hartmanns von Aue gewidmet ist. Analysen ausgewählter Stellen der beiden ‹nachklassischen› Artusromane ‹Wigalois› und ‹Gauriel› werden dabei, wo es für den Argumentationsgang der Arbeit dienlich erscheint, in das Kapitel integriert. Im zweiten Kapitel wird dann der ‹Prosa-Lancelot› im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. 175 Das dritte Kapitel dient schließlich der ver- Einleitung 31 174 Die Fragestellung der Arbeit führt dazu, daß sich die Untersuchung zunächst auf ausgewählte Einzelstellen und Partien der Werke konzentriert. Insbesondere im Fall des ‹Prosa- Lancelot› bedingt die Fülle des Erzählten diese Selektion. Gleichwohl werden die so gewonnenen Ergebnisse stets auf ihre Funktion innerhalb des gesamten Werks befragt. 175 Die Folge der Kapitel entspricht nicht der (vermutlichen) Chronologie der Werke, die - folgt man der u.a. von Achnitz vorgeschlagenen Spätdatierung des ‹Gauriel› - folgendermaßen sich darstellt: ‹Erec› (um 1180) - ‹Iwein› (um 1190/ 1200) - ‹Wigalois› (1210/ 20) - ‹Prosa-Lancelot› (nach 1230) - ‹Gauriel› (um 1280). In der vorliegenden Studie wird der ‹Prosa-Lancelot› u.a. deswegen an ‹letzter› Stelle besprochen, da er sich vor allem durch die Prosaform von den übrigen Romanen unterscheidet und nicht zuletzt daher eine Sonderstellung einnimmt. gleichenden und zusammenfassenden Auswertung der in den ersten zwei Kapiteln ermittelten Ergebnisse. Die Untersuchung der beiden Artusromane Hartmanns bildet den Ausgangspunkt der Studie. Ausgehend von der Untersuchung einzelner Textstellen des ‹Erec› sollen die im Text begegnenden Möglichkeiten, das Erzählte als fiktional zu erweisen, detailliert besprochen werden. Dabei stehen solche Stellen im Vordergrund, die Hartmann gegenüber seiner Vorlage erweitert und dazu nutzt, auf die Fiktionalität seiner Erzählung aufmerksam zu machen. 176 Der Fokus der Untersuchung ist damit auf digressiones/ descriptiones (Bewirtung Erecs durch Eîntes Eltern, Zelt und Kleidung der Dame in der ‹joie de la curt›-Episode und Wunder-Pflaster) gerichtet, so daß jedes Unterkapitel von einer vergleichenden Textbetrachtung gelenkt wird. Im Hinblick auf den ‹Wigalois› sind für vorliegende Arbeit vor allem jene Textstellen relevant, die unabhängig von der in der Forschung allgemein akzeptierten heilsgeschichtlichen Motivierung des Werks von einer punktuellen ‹Entblößung› von fictio zeugen, die deutlich auf die durch Hartmann geprägten Reflexionen über Fiktionalität zurückgreift. Um dies darzulegen, wird in einem Exkurs die Beschreibung der Florie untersucht. Die Betrachtung einer Episode des ‹Gauriel› wird ebenfalls in das Kapitel aufgenommen. 177 32 Einleitung 176 Mit diesem Zusammenhang zwischen Adaptation und Fiktionalität setzen sich auch die jüngst erschienenen Beiträge von Kellner, Spielräume der Fiktionalität, Worstbrock, Die Erfindung der wahren Geschichte, sowie Hasebrink, Burkhard: Die Ambivalenz des Erneuerns. Zur Aktualisierung des Tradierten im mittelalterlichen Erzählen. In: Fiktion und Fiktionalität, S. 205-217, auseinander. 177 In der Untersuchung des Werks geht es nicht um eine Bestimmung der literarischen Qualität, und auch die hier vorgenommene Klassifizierung soll nicht besagen, daß der ‹Gauriel› Hartmanns oder gar Wolframs Romanen gleichgesetzt werden könne, sicherlich lassen sich Qualitätsunterschiede vermerken. Nichtsdestotrotz weist der ‹Gauriel› gerade im Hinblick auf die Fiktionalitätsdebatte viele Momente auf, die zu untersuchen sich lohnt. Die weitverbreitete Ablehnung und -wertung des Werks scheint oftmals in der Forschungsgeschichte begründet. Vgl. dazu auch den jüngeren Beitrag von Meyer, Matthias: Sô dunke ich mich ein werltgot. Überlegungen zum Verhältnis Autor-Erzähler-Fiktion. In: Fiktionalität im Artusroman, S. 185-202, der im Prinzip bei dem Diktum Friedrich Panzers (Hg.), Merlin und Seifrid de Ardemont von Albrecht von Scharfenberg. In der Bearbeitung Ulrich Füetrers. Tübingen 1902, S. LXXXVIII, endet, daß «das werk Konrads von Stoffeln gegründeten anspruch erheben [darf], für das schlechteste zu gelten». Wenn Meyer z.B. festhält, daß «Gauriel auf seinem Weg Leichen [hinterlaße]», ders., Sô dunke ich mich ein werltgot, S. 193, und er sogar von Gauriels «Totschlägertum», ebd., spricht, an dem sicherlich einige Hörerkreise Interesse gefunden hätten, ebd., Anm. 19, dann diskreditiert er nicht nur die mittelalterlichen Rezipienten, sondern ignoriert darüber hinaus, daß auch in anderen Werken von «fließendem Blut» die Rede ist - erinnert sei nur an das ‹Nibelungenlied›, den ‹Willehalm› oder auch das ‹Rolandslied›. Ohne den ‹Gauriel› überbewerten zu wollen, halte ich auch hier diese Reminiszenzen an die Gattung der Heldenepik für durchaus gewollt eingesetzt. Warum dies nur für den ‹Daniel› oder die ‹Crône› gelten sollte, ist mir nicht einsichtig. Bei der Untersuchung des ‹Iwein› werden zunächst zwei Textstellen besprochen, die das im ‹Erec› begegnende Prinzip, Fiktionalität für das Erzählte in Anspruch zu nehmen, aufgreifen. Hierbei handelt es sich um die Schilderung des Zweikampfes zwischen Iwein und Gawein sowie um den Dialog des Erzählers mit Vrou Minne, die - unter Berücksichtigung von Chrétiens ‹Yvain› - genau betrachtet werden. Ein nächstes Untersuchungskriterium bildet das Prinzip der adtestatio rei visae. Dieser zweite Teil des ‹Iwein›-Kapitels wird mit der Untersuchung von Prolog und Epilog eingeleitet. In einem nächsten Schritt werden die Ebenen des discours und der histoire gesondert betrachtet. Im Hinblick auf die Ebene der histoire stehen die Erzählung des Kâlogrenant sowie das lügenmaere der Zofe im Mittelpunkt. Im Bereich des discours wird die Erzählerbemerkung zum Kampf Iweins gegen Ascalon auf ihre Funktion befragt. In einem Exkurs wird dann abschließend auf die Bedeutung der Augenzeugenschaft für die Konstitution des Erzählten in der ‹Klage› eingegangen, um wesentliche Unterschiede zum ‹Iwein› aufzuzeigen. Bei der Untersuchung des ‹Prosa-Lancelot› werden zuerst die Überlieferungsproblematik sowie die Frage, ob der ‹Lancelot› überhaupt Untersuchungsgegenstand der Germanistik sein kann, umrissen. Die Untersuchung der Vers-Prosa-Thematik knüpft hier an; zum einen, da die Prosaform als wesentlicher Unterschied sowohl zu den ‹klassischen› als auch zu den ‹nachklassischen› Artusromanen gelten kann, und zum anderen, weil die poetologischen Konnotationen der Prosa auf einen Historizitätsanspruch hindeuten. 178 Es wird demnach zu fragen sein, ob die matière de Bretagne bzw. fiktionales Erzählen, wie es im ‹klassischen› und zum Teil auch im ‹nachklassischen› Artusroman begegnet, im ‹Prosa-Lancelot› tatsächlich und konsequent re-historisiert wird. Ist dies der Fall, dann wären damit sowohl produktionsals auch rezeptionsästhetische Veränderungen angesprochen, die es genauer zu betrachten gälte. Ein nächster Untersuchungsschritt ist daher den Ausprägungen der historia-Konzeptionen im ‹Prosa-Lancelot› gewidmet. Neben der Verfasser- und Quellenfiktion stehen hier die Aspekte Schrift, Historizität und Täuschung im Mittelpunkt des Interesses, wobei neben den im Werk zahlreich begegnenden Inschriften und Schriftstücken auch ausgewählte Figurenerzählungen sowie die Lancelot-Ginover-Minne berücksichtigt werden. Ein Vergleich mit den Ergebnissen aus Kapitel I wird dazu dienen, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich der Historizitätskonstitution im ‹Lancelot› und in den Artusromanen Chrétiens und Hartmanns herauszustellen. Angefügt ist Einleitung 33 178 Vor diesem Hintergrund wäre es weiterhin interessant, die Frage zu erörtern, ob die Prosaform dazu beigetragen haben könnte, den altfranzösischen ‹Lancelot en prose› nahezu wörtlich ins Mhd. zu übertragen, ihn also nicht im Sinne einer Adaptation zu bearbeiten - am Rande wird somit auch der Aspekt von Translationsverfahren angesprochen. Im übrigen ist mit Bezug auf die Prosaform festzuhalten, daß sie eine Nähe zu den Prosaromanen der frühen Neuzeit suggeriert, die sich auch auf die Narrativik auswirkt und also Gemeinsamkeiten zwischen den Prosaromanen der frühen Neuzeit und dem ‹Prosa-Lancelot› existieren, die von der Forschung oftmals ignoriert werden. hier ein Exkurs zur heilsgeschichtlichen Dimension des ‹Prosa-Lancelot›. Abschließend werden dann der Aspekt des ‹Märchenhaft-Wunderbaren› und seine Funktionen untersucht; diese ‹märchenhaften› Elemente, die dem ‹Prosa- Lancelot› eignen, sollen dabei punktuell mit jenen ‹Wundern› verglichen werden, die - insbesondere in der ‹Queste› - die heilsgeschichtliche Dimension des Werks hervorheben. Dieses Kapitel, das einen großen Teil der Untersuchung einnehmen wird, soll vor allen Dingen dazu dienen aufzuzeigen, daß auch der ‹Prosa-Lancelot› nicht ausschließlich durch eine Rationalisierung des ‹Märchenhaften› gekennzeichnet ist, sondern ‹märchenhaftes› Erzählen - wie es im ‹klassischen› Artusroman begegnet - aufgreift und den res fictae damit eine Wirkung zubilligt, die über funktionale Dimensionen deutlich hinausgelangt. Die vorliegende Untersuchung reiht sich ein in die Reihe von Beiträgen, die Fiktionalität als einen «Schlüsselbegriff» auch mittelalterlichen «literarischen Erzählens» 179 zu begründen und zu erfassen suchen. Zusätzlich ist sie darum bemüht, das interdependente Verhältnis von fictio- und historia-Konzeptionen deutlicher als bisher geschehen in den Vordergrund zu rücken, um zu zeigen, daß insbesondere die Inanspruchnahme einer von Legitimationsformen freien Fiktionalität mit der Entfunktionalisierung und Verfügbarkeit traditioneller Historisierungsstrategien einhergeht. 34 Einleitung 179 Knapp, Vorwort. In: Historie und Fiktion (II), S. 7. I. Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue Dieses erste Kapitel ist den Artusromanen Hartmanns von Aue gewidmet. Beide Romane und ihre Vorlagen haben als Ausgangspunkt der germanistischen Fiktionalitätsdebatte gedient und nehmen nach wie vor wesentlichen Raum in der Diskussion um fictio und historia ein. 1 Bei der folgenden Untersuchung des ‹Erec› und des ‹Iwein› soll anhand der Interpretation ausgewählter Textstellen dargelegt werden, daß Hartmanns Artusromane von unterschiedlichen Möglichkeiten zeugen, die Aspekte von fictio und historia zu reflektieren und das Erzählte als fiktional zu erweisen. Dazu gilt es zunächst zu bestimmen, auf welche Weise fictio und historia im ‹Erec› thematisiert und bestimmt werden können. Anhand des Vergleichs mit Chrétien wird hier zu zeigen sein, daß der Aspekt der Fiktionalität insbesondere in jenen Passagen des ‹Erec› deutlich hervortritt, in denen Hartmann seine Vorlage erweitert. 2 Die Auseinandersetzung mit Elementen historisierenden Erzählens hingegen spielt im ‹Erec› nahezu keine Rolle und wird lediglich in einigen Erzählerbemerkungen angedeutet, in denen die Erzählerfigur sich ironisch vom Topos der wahrheitsverbürgenden Augenzeugenschaft distanziert. 3 Mit Knapp ist «die fehlende Beteuerung der Historizität und Quellentreue» daher sicherlich als «Programm» 4 von Chrétiens und auch Hartmanns ‹Erec› 5 anzusehen. 1 Vgl. Haug, Literaturtheorie, bes. S. 91ff. und 119ff., ders., Geschichte, Fiktion und Wahrheit, Knapp, Historie und Fiktion (I) und Historie und Fiktion (II), Grünkorn, Die Fiktionalität, passim, Strasser, Fiktion und ihre Vermittlung, Kellermann, «Exemplum» und «historia», Ridder, Fiktionalität und Autorität, Schirok, ein rîter, der gelêret was, Singer, ‹nû swîc›, Kern, Leugnen und Bewußtmachen, Green, The Beginnings of Medieval Romance, Chinca/ Young, Literary Theory. Zu Studien, die sich mit den sogenannten Nachklassikern und Werken anderer Gattungszugehörigkeit befassen, vgl. Anm. 17 der Einl. 2 Vgl. dazu ausführlich die Kap. I.1-I.1.5 d.A. 3 Vgl. Kap. I.1.4 d.A. und die dort angeführte Forschungsliteratur. 4 Knapp, Theorie und Praxis, S. 161. Vgl. auch ders., Historiographisches und fiktionales Erzählen, S. 35, sowie ähnlich Gumbrecht, Wie fiktional war der höfische Roman? , S. 439: «Die frühen Texte der Gattung ‹höfischer Roman› […] setzen eine neue Kommunikationssituation nicht durch Verweise auf den fiktionalen Charakter der Fabel durch, sondern durch ein Repertoire von ‹negativen Signalen› […]», das letztlich zu einer «‹Neutralisierung› der Frage nach dem Wirklichkeitscharakter» führe. Vgl. auch Glauch, die fabelen, S. 39. 5 Im Hinblick auf die Überlieferungslage von Hartmanns ‹Erec› bleibt diese Feststellung freilich spekulativ, da der Prolog des ‹Erec› fehlt und damit nur die narratio selbst Aufschluß über die Gewichtung historisierender Erzählelemente geben kann. Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue Im ‹Yvain› und im ‹Iwein› hingegen werden die Aspekte von fictio und historia so miteinander verwoben, daß ein diffizileres und subtileres Bild entsteht. 6 Zwar läßt sich auch für den ‹Iwein› zeigen, daß das Bedeutungsspektrum von fictio oftmals in jenen Stellen thematisiert wird, die Hartmann gegenüber Chrétien verändert, doch werden darüber hinaus auch Historizitätselemente in das Erzählte integriert. Es bleibt somit nicht - wie im ‹Erec› - beim Ignorieren bzw. bei einer bloßen Distanzierung von historia; 7 vielmehr wird zu zeigen sein, daß im ‹Yvain› und ihm folgend im ‹Iwein› eine bewußte, teilweise spielerische Auseinandersetzung mit historisierenden Erzählstrategien begegnet, die letztlich dazu führt, Historizität zu relativieren und sogar für fiktionales Erzählen verfügbar zu machen. Der ‹Erec› wird nach der Ausgabe Gärtners, 8 der ‹Iwein› nach der Ausgabe Wolffs 9 zitiert. Die im Klassiker-Verlag erschienenen Ausgaben von Scholz (‹Erec›) 10 und Mertens (‹Iwein› nach Hs. B) 11 werden, wo es sinnvoll erscheint, mit entsprechendem Vermerk hinzugezogen. 12 Chrétiens Artusromane werden nach der Ausgabe von Roques zitiert. 13 36 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 6 Vgl. dazu auch Wolf, Alois: fol i alai - fol m’en revinc! Der Roman vom Löwenritter zwischen mançonge und mære. In: Uf der mâze pfat. Fs. Werner Hoffmann zum 60. Geburtstag. Hg. Waltraud Fritsch-Rößler. Göppingen 1991 (GAG, 555), 205-225. Während ich mit Wolfs Überlegungen zum ‹Yvain› übereinstimme, halte ich seine Ergebnisse zum ‹Iwein› für korrekturbedürftig. Vgl. dazu insb. Kap. I.2.2.3 und I.2.2.6 d.A. 7 Vgl. Anm. 4 d. Kap. 8 Hartmann von Aue: Erec. Hg. Albert Leitzmann, fortgeführt von Ludwig Wolff. 7. Aufl. besorgt von Kurt Gärtner. Tübingen 2006 (ATB, 39). 9 Hartmann von Aue: Iwein. Hgg. G. F. Benecke und K. Lachmann. Neu bearb. von Ludwig Wolff. Bd. 1: Text. Bd. 2: Handschriftenübersicht, Anmerkungen und Lesarten. 7. Ausg. Berlin 1968. 10 Hartmann von Aue: Erec. Hg. Manfred Günter Scholz. Übers. von Susanne Held. Frankfurt a.M. 2004 (Bibliothek des Mittelalters, 5 / Bibliothek deutscher Klassiker, 188). Heinzles Kritik an Scholz’ Stellenkommentar (vgl. F.A.Z. vom 3. Mai 2005, Nr. 102) kann ich nicht teilen. Angesichts der Fülle von Forschungsliteratur ist der von Heinzle bemängelte Umfang des Kommentars wohl kaum zu vermeiden. 11 Hartmann von Aue: Gregorius, Der arme Heinrich, Iwein. Hg. und übers. von Volker Mertens. Frankfurt a.M. 2004 (Bibliothek des Mittelalters, 6 / Bibliothek deutscher Klassiker, 189). 12 Übersetzungen, die nicht von mir vorgenommen werden, folgen den Übertragungen Cramers: Hartmann von Aue: Iwein. Text der siebenten Aufl. von G. F. Benecke und Karl Lachmann und Ludwig Wolff. Übers. und Nachwort von Thomas Cramer. Berlin, New York 2001. Übersetzungen von Mertens und Held werden sporadisch (mit entsprechendem Vermerk) hinzugezogen. 13 Les Romans de Chrétien de Troyes. Ed. d’apres la copie de Guiot (Bibl. nat. fr. 794). 4 Bde. Hier Bd. 1: Erec et Enide. Publié par Mario Roques. Paris 1978 (CFMA, 80), und Bd. 4: Le chevalier au lion (Yvain). Publié par Mario Roques. Paris 1978 (CFMA, 89). Neben Albert Giers Übertragung von Chrétien de Troyes: Erec et Enide. Erec und Enide. Afz./ Dt. Übers. und hg. von Albert Gier. Stuttgart 2000 (RUB, 8360), werden auch die Im Hinblick auf die vergleichende Textbetrachtung ergibt sich das methodische Problem, daß die direkten Vorlagen sowohl für Hartmanns ‹Erec› 14 als auch für Hartmanns ‹Iwein› 15 nur unsicher erschlossen werden können, so daß nicht mit Sicherheit zu klären ist, welcher ‹Hartmann› mit welchem ‹Chrétien› verglichen werden kann. 16 Hinzu kommt die vor allem von Joachim Bumke vorgebrachte These, die Überlieferung der höfischen Epik sei von gleichwertigen Parallelfassungen geprägt, deren Qualität und Entstehungszeit - so etwa im Falle der ‹Iwein›-Fassungen A und B - keine Priorisierung zulasse. 17 Die Frage nach den direkten Vorlagenverhältnissen Hartmanns wird somit erweitert um Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 37 Übersetzungen von Kasten: Erec et Enide. Übers. und eingel. von Ingrid Kasten. München 1979 (Klassische Texte des romanischen Mittelalters, 17), und Nolting-Hauff: Yvain. Übers. und eingel. von Ilse Nolting-Hauff. München 1962 (Klassische Texte des romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben), denen Foersters Chrétien- Ausgabe zugrunde liegt, hinzugezogen. 14 Für den ‹Erec› in der Fassung des Ambraser Heldenbuchs wird von der Forschung gemeinhin eine Vorlage angenommen, die Chrétiens ‹Erec›, wie er in den Handschriften C und H bzw. C, H und E überliefert ist, nahesteht. Vgl. dazu Gärtner, Kurt: Der Text der Wolfenbütteler Erec-Fragmente und seine Bedeutung für die Erec-Forschung. In: PBB (W) 104 (1982), S. 207-230 und 359-430, bes. S. 373 (Anm. 30) und 394 (Anm. 78). Ausschlaggebend sind hier insbesondere der in Ms. C fehlende Name des ersten Grafen (Galoein) sowie die nur in C begegnende Formulierung pain et vin (Ausg. Roques, V. 3121). Anders Huby, Michel: L’adaptation des romans courtoise en Allemange au 12 e et au 13 e siècle. Paris 1968, S. 93, der Hartmanns (A) Vorlage innerhalb der Handschriftengruppe PBE bzw. AV situiert. 15 Auf Grund der Jahreszahl, die Kâlogrenant in seiner Erzählung nennt (in den Iwein- Hss. A und B), wurde erwogen, daß Hartmanns Vorlage den Mss. F und/ oder G nahestehen müsse, da diese als einzige die Jahreszahl ‹zehn› überliefern. Vgl. das Nachwort von Cramer, S. 161, sowie Huby, L’adaptation, S. 95ff. Rätsel gibt allerdings die von Hartmann gegenüber Chrétien deutlich erweiterte Erzählung von Ginovers Entführung auf, die in dieser Ausführlichkeit in keiner überlieferten ‹Yvain›-Hs. existiert. Vgl. dazu das Nachwort von Cramer, S. 161, sowie Kern, Peter: Text und Prätext. Zur Erklärung einiger Unterschiede von Hartmanns Iwein gegenüber Chrétiens Yvain. In: Chevaliers errants, demoiselles et l’Autre: Höfische und nachhöfische Literatur im europäischen Mittelalter. Fs. Xenia von Ertzdorff zum 65. Geb. Hg. Trude Ehlert. Göppingen 1998 (GAG, 644), S. 363-373, hier S. 370ff., und Brandt, Wolfgang: Die Entführungsepisode in Hartmanns ‹Iwein›. In: ZfdPh 99 (1980), S. 321-354. 16 Dabei fällt erschwerend ins Gewicht, daß die Frage nach den direkten Vorlagenverhältnissen Hartmanns in der Forschung nicht immer eingehend genug reflektiert bzw. diskutiert wurde: Selbst vergleichend ausgerichtete Studien, wie die von Kuttner, Ursula: Das Erzählen des Erzählten. Eine Studie zum Stil in Hartmanns ‹Erec› und ‹Iwein›. Bonn 1978, oder die von Trimborn, Karin: Syntaktisch-stilistische Untersuchungen zu Chrétiens ‹Yvain› und Hartmanns ‹Iwein›. Ein textlinguistischer Vergleich. Berlin 1985 (PhStQu, 103), nehmen einen Vergleich vor, ohne die Fragen der handschriftlichen Überlieferung und der Vorlagenverhältnisse genauer zu erörtern. Auch in den beiden neuen Ausgaben des Klassikerverlags fehlen unter der Rubrik ‹Quellen, Vorlagen› genaue Angaben, die sich mit der Problematik auseinandersetzen. 17 Vgl. Bumke, Joachim: Die vier Fassungen der ‹Nibelungenklage›. Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte und Textkritik der höfischen Epik im 13. Jahrhundert. Berlin, die Problematik der Zuschreibung des einen Textes an den einen Autor, 18 was im Falle des ‹Erec› durch die ‹neuen› Wolfenbütteler Fragmente 19 und den jüngsten Fragmentfund aus dem Kloster Zwettl eindrücklich bestätigt wird. 20 Damit ist weder für den ‹Iwein› noch für den ‹Erec› mit letzter Gewißheit zu entscheiden, welche Fassung Hartmanns ‹originalen› Wortlaut bzw. eine ihm näherstehende Version überliefert. 21 Um diesem Befund zumindest annähernd Rechnung zu tragen, werden die der Untersuchung des ‹Iwein› zugrundeliegenden Textstellen, die nach der Ausgabe Wolffs zitiert werden, immer mit den von Wolff bearbeiteten Anmerkungen sowie der Lesart von Hs. B in der Ausgabe von Mertens verglichen. 22 Auf den ‹Erec› kann dieses Verfahren nicht angewendet werden, da die zu besprechenden Textstellen weder durch die Wolfenbütteler noch die Zwettler Fragmente belegt sind. 23 38 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue New York 1996 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte, 8), hier bes. S. 3-88. 18 Zur Diskussion um ‹Autor› und ‹Werk› vgl. ebd., bes. S. 33ff., und Wachinger, Burghart: Autorschaft und Überlieferung. In: Autorentypen. Hgg. Walter Haug und Burghart Wachinger. Tübingen 1991 (Fortuna Vitrea, 6 ), S. 1-23, Schmitz, Silvia: Die ‹Autorität› des mittelalterlichen Autors im Spannungsfeld von Literatur und Überlieferung. In: Autorität der/ in Sprache, Literatur, Neuen Medien. Vorträge des Bonner Germanistentages 1997. Hgg. Jürgen Fohrmann u.a. 2 Bde. Bielefeld 1999. Hier Bd. 2, S. 465-483, sowie Schnell, Rüdiger: ‹Autor› und ‹Werk› im deutschen Mittelalter. Forschungskritik und Forschungsperspektiven. In: Wolfram-Studien XV (1998), S. 12-73. 19 Die der Forschung seit Ende des 19. Jahrhunderts bekannten durch Heinemann veröffentlichten Wolfenbütteler Fragmente (W II bzw. W III-VI) überliefern eine ‹Erec›- Version, die weitgehend mit dem Ambraser-‹Erec› (= A) übereinstimmt, während die ‹neuen› Wolfenbütteler-Fragmente (W I bzw. W I-II) eine deutlich von A abweichende ‹Erec›-Version überliefern, die überdies näher an Chrétien steht. Vgl. dazu Gärtner, Der Text der Wolfenbütteler Erec-Fragmente, bes. S. 207-211 und 415ff., sowie Milde, Wolfgang: Zur Kodikologie der neuen und alten Wolfenbütteler Erec-Fragmente und zum Umfang des darin überlieferten Erec-Textes. In: PBB (W) 104 (1982), S. 190-206. 20 Die Zwettler Fragmente wurden erstmals im Jahre 2005 veröffentlicht von Springeth, Margarete/ Ziegeler, Charlotte [unter Mitwirkung von Kurt Gärtner und Ulrich Müller]: Die Stift Zwettler Fragmente: Beschreibung und Transkription. In: PBB 127 (2005), S. 33-61. Zu einer ersten Auswertung der Fragmente vgl. Nellmann, Eberhard: Der ‹Zwettler Erec›. Versuch einer Annäherung an die Fragmente. In: ZfdA 133 (2004), S. 1-21, sowie Gärtner, Kurt: Die Zwettler Erec-Fragmente: Versuch einer ersten Auswertung. In: Literatur als Erinnerung. Fs. Winfried Woesler. Hg. Bodo Plachta. Tübingen 2004, S. 35-50. Die Fragmente K und V bestätigen die im Ambraser Heldenbuch überlieferte ‹Erec›-Version. Vgl. Edrich-Porzberg, Brigitte: Studien zur Überlieferung und Rezeption von Hartmanns Erec. Göppingen 1994 (GAG, 557), S. 30. 21 Im Falle des ‹Erec› tritt erschwerend hinzu, daß auf Grund des geringen Umfangs der ‹neuen› Wolfenbütteler (W I) und Zwettler Fragmente viele Fragen ungeklärt bleiben. 22 Vermerkt werden nur solche Abweichungen, die für die Fragestellung der Arbeit bedeutend sind; Gleiches gilt für die Konjekturen Wolffs. 23 Vgl. den Paralleldruck von A und W in der ‹Erec›-Ausg. Gärtners: Hartmann von Aue: Erec. Hg. Albert Leitzmann, fortgeführt von Ludwig Wolff. 6. Aufl. besorgt von I.1 Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› Während zu Beginn der von Haug initiierten Fiktionalitätsforschung Untersuchungen zur Erzählstruktur und zur Funktion des Wunderbaren im Mittelpunkt der Überlegungen zum Status der Fiktionalität im ‹Erec› Hartmanns standen, 24 sind in den letzten Jahren vor allem die dem Zelter gewidmete descriptio und der dort eingefügte Dialog zwischen Erzähler und fiktivem Hörer in den Mittelpunkt der Betrachtungen gerückt worden. 25 Diese intensive Auseinandersetzung mit dem Hartmannschen Text hat nicht nur wichtige und interessante Einblicke in die poetologischen Dimensionen des Romans ermöglicht, sondern darüber hinaus dazu beigetragen, Unstimmigkeiten der ‹älteren› Forschung zu erhellen. 26 Von großer Signifikanz ist dabei die Entwicklung, Hartmanns Adaptation selbst zu betrachten, ohne ihr die für Chrétiens ‹Erec› entwickelten Ergebnisse einfach ‹überzustülpen›. 27 Nichtsdestominder gibt es weitere im Hinblick auf die Fiktionalitätsrespektive Historizitätsdebatte signifikante Episoden, die von der Forschung bisher gar nicht oder nur unzureichend berücksichtigt wurden. Hierzu gehören u.a. die Wunderpflaster-Passage, 28 die Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 39 Christoph Cormeau und Kurt Gärtner. Tübingen 1985, S. 111-117 (W I), S. 135-143 (W II), S. 147-171 (W III-VI), sowie Gärtner, Der Text der Wolfenbütteler Erec-Fragmente, Springeth/ Ziegeler, Die Stift Zwettler Fragmente, und Nellmann, Der Zwettler Erec. Der geringe Umfang der Fragmente und insbesondere der schlechte Zustand von Z bereiten einem Vergleich überdies prinzipiell Schwierigkeiten. 24 Vgl. Haug, Literaturtheorie, S. 99f., Knapp, Theorie und Praxis, S. 161, ders., Historiographisches und fiktionales Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), S. 32ff., Worstbrock, Dilatatio materiae, S. 26. 25 Vgl. Strasser, Fiktion und ihre Vermittlung, Singer, ‹nû swîc›, S. 63ff., Kern, Leugnen und Bewußtmachen, S. 13ff., Laude, Corinna: Quelle als Konstrukt. Literatur- und kunsttheoretische Aspekte einiger Quellenberufungen im «Eneasroman» und im «Erec». In: «Quelle». Zwischen Ursprung und Konstrukt. Hgg. Thomas Rathmann und Nikolaus Wegmann. Berlin 2004, S. 209-240, bes. S. 217ff., Ridder, Fiktionalität und Autorität, bes. S. 549ff., Schirok, ein rîter, der gelêret was, bes. S. 201f., Haupt, Barbara: Literaturgeschichtsschreibung im höfischen Roman. Die Beschreibung von Enites Pferd und Sattelzeug im ‹Erec› Hartmanns von Aue. In: Fs. Herbert Kolb. Hgg. Klaus Matzel und Hans-Gert Roloff. Bern u.a. 1989, S. 202-219, sowie jüngst Bürkle, Susanne: ‹Kunst›- Reflexionen aus dem Geiste der descriptio. Enites Pferd und der Diskurs artistischer meisterschaft. In: Das fremde Schöne. Dimensionen des Ästhetischen in der Literatur des Mittelalters. Hgg. Manuel Braun und Christopher Young. Berlin, New York 2007 (Trends in Medieval Philology, 12), S. 143-170. 26 Vgl. dazu zusammenfassend den Kommentar von Scholz, bes. S. 581ff. 27 Vgl. Haug, Literaturtheorie, S. 93ff. Haug überträgt seine Überlegungen zur Fiktionalität von ‹Erec et Enide› - insbesondere unter Rückgriff auf die im Prolog genannte bele conjointure - auf Hartmanns Text, ohne irgendwelche Modifikationen vorzunehmen oder den Adaptationsprozeß zu berücksichtigen. Eine grundlegende (z.T. polemisch überspitzte) Kritik an dieser Parallelisierung nimmt Schmid, Weg mit dem Doppelweg, vor. Vgl. auch den Kommentar von Scholz, S. 589. 28 Die Pflaster-Episode wurde innerhalb der fictio-Debatte bisher - soweit ich das überblicke - lediglich von Strasser, Fiktion und ihre Vermittlung, S. 70f. und 72f., sowie Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› Beschreibung von Enîtes Cousine und des Zelts in der ‹joie de la curt›-Episode sowie Erecs Aufenthalt bei Koralus und Karsinefîte. 29 Bislang fehlen überdies Betrachtungen, die diese Textstellen in einen systematischen Zusammenhang bringen und in ihrer Bedeutung für den Fiktionalitätsstatus des ‹Erec› in Bezug zueinander setzen. Dabei wird hier von folgender Annahme ausgegangen: 30 Im ‹Erec› Hartmanns wird das ‹neue› Fiktionsbewußtsein insbesondere über die in den Roman gesetzten descriptiones bzw. digressiones verhandelt, so daß ‹neue› literarästhetische Ausdrucksmöglichkeiten sich innerhalb des ‹klassisch-rhetorischen› Rahmens offenbaren, 31 indem ein enger Konnex zwischen Erzähler, Rhetorisierung und Reflexion der Fiktionalität des Erzählten etabliert wird. 32 Dies läßt sich nicht nur in der ‹berühmten› Zelter-descriptio erkennen, 33 sondern wird im Verlauf des Romans gleichsam vorbereitet, so daß die Rezipienten die in jener Schilderung gipfelnde fictio erkennen können, ohne daß dies von Hartmann respektive dem Erzähler ad hoc vorgeführt wird. «Daß Hartmann [...] für die Vorführung und Einübung gewußter Fiktionalität nicht irgendeine andere Stelle des Romans vorsah [...]», 34 soll daher insofern revidiert werden, als zu zeigen sein wird, daß Hartmann durchaus weitere Stellen seines Romans für eine solche ‹Einübung› nutzt, mithin die Fiktionalität des Erzählten nicht erst «am Ende des ‹Erec›» 35 erweist. Mag es ihm dazu auch an einem konkreten «literaturtheoretischen Instrumentarium» 36 mangeln, so nutzt er doch den 40 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue Kuttner, Das Erzählen, S. 24f., berücksichtigt. Erst Manuela Niesner hat der Episode jüngst wieder einen eigenen Aufsatz gewidmet, vgl. Niesner, Manuela: Das Wunderbare in der conjointure. Zur poetologischen Aussage des Feimurgan-Exkurses in Hartmanns ‹Erec›. In: ZfdA 137 (2008), S. 137-157. Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. I.1.2 d.A. 29 Die Erzählerbemerkung zu Enîtes Cousine behandeln Strasser, Fiktion und ihre Vermittlung, S. 69, Kuttner, Das Erzählen, Schirok, ein rîter, der gelêret was, S. 204, und Niesner, Das Wunderbare, S. 140ff. Die Bewirtungsszene durch Koralus und Karsinefîte wird bisher in der Forschung keiner eigenständigen Beobachtung unterzogen. Vgl. aber Anm. 43 d. Kap. 30 Vgl. Worstbrock, Dilatatio materiae, S. 26f., Strasser, Fiktion und ihre Vermittlung, S. 68, Laude, Quelle als Konstrukt, S. 215f., Ridder, Fiktionalität und Autorität, bes. S. 552, sowie die Einl. d.A. 31 Damit ist nicht der im Rahmen der adaptation-courtoise-Debatte vehement diskutierte Aspekt von Hartmanns ‹Originalität› gemeint, sondern die Möglichkeiten des Dichters, den Rezipienten die neue Gattung und die damit verbundenen poetologischen und literarästhetischen Strukturen zu offenbaren. 32 Vgl. Schmitz, Silvia: (Teil-)Art. ‹Roman›. In: Hist. WBdRh, Bd. 8: Rhet - St, Spp. 276-282, hier Sp. 278, vgl. auch Scholz, Kommentar, S. 588, sowie Kellner, Spielräume der Fiktionalität. 33 Vgl. insbes. Worstbrock, Dilatatio materiae, aber auch Anm. 24 d. Kap. 34 Worstbrock, Dilatatio materiae, S. 27. Wenn die Zelter-descriptio auch das Kernstück einer (impliziten) Reflexion über die Fiktionalität der Erzählung darstellen mag, so scheint es doch wahrscheinlich, daß Hartmann nicht ausschließlich eine Stelle seines Werks zu ihrer Thematisierung nutzt. 35 Schirok, ein rîter, der gelêret was, S. 209. 36 Haug, Literarthurtheorie, S. 106. ihm durch die Poetiken vorgegebenen Rahmen der Adaptation, der dem Dichter trotz bzw. gerade auf Grund seiner Restriktion Freiraum gewährt. 37 In den digressiones respektive descriptiones des ‹Erec› ergreift der Erzähler wiederholt die Möglichkeit, auf das Thema Literaturschaffen aufmerksam zu machen, indem er die zugrundeliegenden rhetorischen Strategien exponiert. Ferner werden diese Einschübe dazu genutzt, über die unterschiedlichen Ausprägungen von fictio zu reflektieren, so daß über die betonte Literarizität hinaus auch Fiktionalität als ‹neue› ästhetische Qualität des Erzählten dargeboten wird. Dieser Annahme wird im folgenden anhand vier ausgewählter Episoden nachgegangen. 38 Auf eine eingehende Untersuchung der Zelter-descriptio wird dabei verzichtet, da hier bereits eine Fülle von erhellenden Forschungsergebnissen vorliegt. 39 Dabei sind neben der von Worstbrock betonten ‹märchenhaften› Dimension, die dem Erzählten über die Herkunft des außergewöhnlichen Pferdes verliehen wird, 40 vor allem die ideale Qualität des Tiers sowie der souveräne Erzähler, der in diversen Einschüben und insbesondere im Dialog mit dem fingierten Hörer hervortritt, als den Fiktionalitätsstatus offenbarende Elemente der Passage hervorgehoben worden. 41 Hinzu kommt der insbesondere von Chinca/ Young, Laude und Bürkle betonte Aspekt des Schöpfungspotentials bzw. -akts von Literatur, der einen weiteren inhaltlichen Schwerpunkt der Beschreibung ausmacht. 42 Bei der Untersuchung der hier ausgewählten Passagen wird die Pferde-Beschreibung immer dann hinzugezogen, wenn sich Parallelen oder aber Unterschiede in den Fiktionalitätsrespektive Historizitätskonzeptionen und deren narrativer Vermittlung erkennen lassen. Die Untersuchung der Textstellen erfolgt chronologisch. Sie nimmt ihren Anfang bei der Bewirtung Erecs durch Koralus und Karsinefîte und widmet sich sodann der (vorläufigen) Heilung Erecs mittels des von Feimurgân hergestellten Wunder-Pflasters. In einem weiteren Schritt werden dann das Zelt in der ‹joie de la curt›-Episode und die Bemerkung des Erzählers zu Mabonagrîns vriundinne näher betrachtet. Abweichungen zu Chrétien werden dann in die Überlegungen einbezogen, wenn sie für die Fragestellung bedeutsam erscheinen. Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 41 37 Vgl. Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 15, 29 und 339. 38 Die Beschränkung auf die vier Passagen erfolgt auf Grund ihrer (z.T. zu beweisenden) Relevanz für die Fragestellung der Arbeit. 39 Einen ausführlichen Überblick der einschlägigen Forschungsliteratur bietet der Kommentar von Scholz. 40 Worstbrock, Dilatatio materiae, S. 26. Vgl. auch die jüngsten Beiträge Knapps zur Thematik des Märchenhaften in Historie und Fiktion (II), bes. S. 204ff. 41 Vgl. insbes. Singer, ‹nû swîc›, S. 63ff., und Ridder, Fiktionalität und Autorität, bes. S. 549ff. 42 Vgl. Chinca/ Young, Literary Theory, S. 628f. und 631f., Laude, Quelle als Konstrukt, sowie Bürkle, ‹Kunst›-Reflexionen, bes. S. 145f. und 153ff. I.1.1 Überschreitung funktionaler fictio: Erecs Bewirtung durch Koralus und Karsinefîte Eine bisher für die Frage nach der Fiktionalität des ‹Erec› überhaupt nicht berücksichtigte Textstelle ist die Bewirtung Erecs durch Enîtes Eltern (Vv. 366f.), die sich in die Beschreibung des Bettes bzw. der Bettausstattung und die eigentliche Bewirtung teilt. 43 Eine genaue Untersuchung dieser Textstelle erscheint jedoch insofern bedeutsam, als hier bei Hartmann zweimal eine Schilderung begegnet, die das beschreibt, was nicht vorhanden ist. Zwar entfernt sich Hartmann nicht inhaltlich von seiner Vorlage, aber er verändert die formale Gestaltung der Szene: 44 Denn gegenüber Chrétien, der kurz die Schlichtheit der Lebensverhältnisse bei Erecs Ankunft schildert (mes molt estoit, povre sa corz, V. 375) und später lediglich von Teppichen und gesteppten Kissen, die auf den Betten ausgebreitet wurden, berichtet (coutes porpointes et tapiz,/ ot estanduz par sor les liz, Vv. 479f.), 45 erweitert Hartmann diese Episode. Formal betrachtet bewegt er sich also in dem von den Rhetoriken/ Poetiken geforderten Rahmen einer Adaptation, da er dort bei der materia exsecuta verweilt, wo der Vorgänger geschwiegen hat. 46 Der Erzähler setzt ein mit der Feststellung, der Gast sei dort so versorgt worden (berâten), wie es der Lage der Gastgeber entsprochen habe (als si des state hâten). Da die Rezipienten ja bereits über die Verhältnisse von Enîtes Familie in Kenntnis gesetzt wurden (V. 286) und der Erzähler den Bezug zu der state ausdrücklich herstellt, erwarten sie folglich eine schlichte, einfache Ausstattung und Bewirtung. So wird im übrigen auch bei der ersten Begegnung Erecs mit Koralus verfahren, wenn es von dessen Rock und Hut heißt, sie seien beidiu alsô guot/ als in sîn state leite (Vv. 283ff.). Während hier jedoch sogleich erläutert wird, wie diese state beschaffen ist: ern [Koralus] phlac niht rîcheite (V. 287), 47 wird diese Erwartung in den folgenden Versen der Bett- 42 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 43 Die Textstelle hat indes rege Beachtung innerhalb der adaptation courtoise-Debatte erfahren; vgl. Huby, L’adaptation, passim, ders.: Zur Definition der «adaptation courtoise». Kritische Antwort auf kritische Anmerkungen. In: GRM 33 (1983), S. 301-322, Wolf, Alois: Die «Adaptation Courtoise». Kritische Anmerkungen zu einem neuen Dogma. In: GRM (1977), S. 257-283, ders.: Kurze Schlußreplik. In: GRM 33 (1983), S. 323-324, Freytag, Wiebke: Zu Hartmanns Methode der Adaptation im ‹Erec›. In: Euph. 72 (1978), S. 227-239. Vgl. auch Jackson, Timothy R.: Typus und Poetik. Studien zur Bedeutungsvermittlung in der Literatur des deutschen Mittelalters. Heidelberg 2003 (Beihefte zum Euphorion, 45), bes. S. 101ff. 44 Vgl. im einzelnen und im Hinblick auf die ‹Vorgeschichte› der eigentlichen Bewirtung Erecs Freytag, Hartmanns Methode, S. 229ff. 45 Vgl. Scholz, Stellenkommentar, S. 640. 46 Vgl. Schmitz, Die Poetik der Adaptation, bes. S. 274ff., vgl. auch Worstbrock, Dilatatio materiae, S. 11f., und Freytag, Hartmanns Methode, S. 231f. 47 Ähnlich verfährt der Erzähler auch bei der zweiten Begegnung des Paares mit Guivreiz bzw. bei der anschließenden nächtlichen Rast im Wald (Vv. 7040ff.), wo der gleiche Wortlaut begegnet: «si wurden dâ berâten,/ als si des state hâten,/ mit vil guotem viure./ daz beschreibung nicht bestätigt - im Gegenteil: guote teppeche, rîchiu bettewât (vgl. V. 368 und 369), bezogen mit Brokat und Gold, und eine herrliche, verzierte Decke werden vor den Augen/ Ohren der Rezipienten ausgebreitet. Diese Erweiterungen beziehen sich also in der Hauptsache auf die bei Chrétien nicht näher ausgeführte Qualität der Ruhestätte, indem den einzelnen Ausstattungsstücken die Epitheta guote, richiu, rîche und gemâle beigefügt werden. Erst jetzt nach dieser - wenn auch kurzen Prachtentfaltung - erfolgt die Einschränkung: diu [guote teppeche, richiu bettewât, kulter] wâren bî dem viure/ des âbendes vil tiure (Vv. 380f.). Der Erzähler spielt hier also mit traditionell üblichen Bewirtungsszenen, indem die hyperbolische Prachtentfaltung dargeboten, aber im Anschluß wieder zurückgenommen wird. Unterstrichen wird dies auf der Wortebene zusätzlich durch die Konnotationen von tiure, das sowohl den Aspekt des Wertvollen und Kostbaren als auch den des Mangels umfaßt. 48 In der Wendung tiure sîn wird gleichsam der Verlauf der Schilderung (vom Kostbaren zum Entbehrten) in eins gesetzt. 49 Mittels dieser der oppositio vergleichbaren Wendung 50 unterstreicht der Erzähler zunächst kontrastiv die Einfachheit der Bettstatt, ja das strô und das Leinenlaken werden vor dem Hintergrund der kostbaren Ausstattung umso eindringlicher dargeboten. Damit wird deutlich, daß die descriptio nicht nur als ein Bilder evozierendes ‹Vor-Augen-Führen› genutzt wird, sondern daß sie eine konkrete Funktion erfüllt: Sie verdeutlicht die schlichten, ärmlichen Verhältnisse, in denen Enîtes Familie sich befindet, obgleich des Bettes prachtvolle Ausgestaltung zunächst in die Irre zu führen scheint. Die eingefügten figmenta poetarum widersprechen jedoch der Forderung nach Wahrscheinlichkeit nur zu Beginn, werden Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 43 enwas in dâ bortiure: / dâ was waldes genuoc,/ der in niuwan an daz viur truoc.» Auch hier besteht ein direkter, kausaler Konnex zwischen erzähltem Sachverhalt - es gab ein gutes Feuer - und implizierter Bedingung - denn dort gab es mehr Holz als genug. Auf elocutioneller Ebene ist jedoch interessant, daß der Erzähler hier abermals mit dem Adverb tiure (in Zusammensetzung mit bor-) operiert, so daß wie im Falle der Bettausstattung die Konnotationen sowohl von Mangel als auch von Übermaß mitschwingen. Die Litotes «das [Holz] war ihnen da nicht weniger als selten» (BMZ I, S. 151) sorgt auch hier für einen humoristisch-ironischen Unterton des Erzählers, den er bereits an früheren Stellen der Erzählung manifestiert hat. 48 Vgl. Gr. Lexer II, Sp. 14, BMZ III, S. 39f. 49 Scholz, Kommentar, S. 641, gibt an, daß die «beliebte ‹mhd. Ironie› oder Litotes» zu erkennen sei (vgl. Anm. 47 d. Kap.) und daß tiure hier, mit Verweis u.a. auf Green, Dennis H.: Irony in the Medieval Romance. Cambridge 1979, S. 192, ‹fehlend› und nicht ‹selten› meine. Dem ist im Grunde zuzustimmen, aber übersehen wird so die Dimension des Kostbaren, die ebenfalls in dem Begriff mitschwingt; gerade durch diese beiden konträren Konnotationen aber, schafft der Erzähler eine enge Verknüpfung zwischen rhetorischer Ausgestaltung und Inhalt, die den Verlauf der Schilderung von erfundener Pracht bis zur erzählerisch entfalteten Tatsache in eins setzt. 50 Vgl. Freytag, Hartmanns Methode, S. 237 (Anm. 42), mit Bezug auf Faral, Edmond: Les arts poétiques du XII e et du XIII e siècle. Recherches et documents sur la technique littéraire du Moyen Age. Paris 1971, S. 84f. sie letztlich doch ex negativo zur Verdeutlichung des Erzählten verwendet. Damit erhält die Schilderung jedoch noch eine weitere Funktion, indem sie eine spielerische Dimension erlangt, die aus der ironisch anmutenden Gegenüberstellung von traditioneller Hyperbolik und dem Sachverhalt angemessener Schlichtheit resultiert: Der Erzähler spielt aber nicht ausschließlich mit der höfischen Konvention und den höfischen Lobschemata, um sie ihrer Idealität zu berauben bzw. sie zu parodieren, 51 sondern er reflektiert zuallererst Möglichkeiten mittelalterlichen Dichtens, indem er den Vorgang des Erweiterns durch seine inhaltliche Unangemessenheit (Pracht statt Schlichtheit) in den Mittelpunkt rückt. In diesen Kontext fügt sich weiterhin, daß der Erzähler bei der Beschreibung des kostbaren Bettzeugs, das allein nicht aufzudecken sei (daz daz bette ein man nie möhte erwegen, V. 374), eine Wahrheitsbeteuerung einfügt (dem daz golt was unerlogen, V. 373): Dem [Brokat] 52 war das Gold ungelogen so [beigefügt], daß das Überbett ein Mann [allein] nicht emporheben/ aufdecken könnte [...]. 53 Die Wahrheitsbeteuerung mutet insofern befremdlich an, als sie sich auf einen Sachverhalt bezieht, der nur acht Verse später als nicht vorhanden expliziert wird; die Beteuerung, das Geschilderte sei ungelogen, wird somit hinfällig, wenn nicht gar paradox. Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß sich in dieser adtestatio veritatis ein ironischer Reflex des Erzählers verbirgt, der hier im Vorgriff auf die Möglichkeit aufmerksam macht, daß das von ihm Erzählte eben nicht der von der narratio geforderten Wahrheit entspricht. Der Rezipient muß diesen Bruch bemerken, ist er doch bereits durch die vorherigen Informationen über die Lebensumstände unterrichtet. Was der Erzähler demnach schildert, ist das, was nicht da ist, ist also erfunden und damit im weitesten Sinne fictio. 54 Doch welche Funktion erfüllen diese figmenta? Zum einen dient diese Schilderung - wie bereits erwähnt - als Kontrastfolie, welche die Einfachheit der Ausstattung umso eindringlicher 44 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 51 Vgl. Pörksen, Uwe: Der Erzähler im mittelhochdeutschen Epos. Formen seines Hervortretens bei Lamprecht, Konrad, Hartmann, in Wolframs Willehalm und in den Spielmannsepen. Berlin 1971 (PhStQu, 58), S. 160f., sowie Scholz, Kommentar, S. 640 und 641. 52 Zur Übersetzung von mhd. samit vgl. Okken, Lambertus: Kommentar zur Artusepik Hartmanns von Aue. Im Anhang: Bernhard Dietrich Haage: Die Heilkunde und der OUroboros. Amsterdam, Atlanta 1993, S. 22 und bes. S. 53f., vgl. auch Scholz, Kommentar, S. 640. 53 Bei Cramer wird unerlogen nicht übersetzt oder aber mit geschmückt wiedergegeben, (er)liegen meint aber erfinden, erlügen bzw. ist hier Part. Adj. Vgl. Gr. Lexer II, Sp. 1823, hier übersetzt mit: dem das geld (? ) nicht anerlogen war, sowie BMZ I, S. 1025. 54 Damit deutet sich bei Hartmann die Möglichkeit von Dichtungsschaffen an, die Haug bei Ficino expliziert sieht: «Im kreativen Denken vermag der Mensch das Universum in sich selber hervorzubringen […], er kann nicht nur das, was ist, reproduzieren, sondern auch nicht Existierendes schaffen, seine Kreativität erfüllt sich in der Möglichkeit des Fingierens in der Sprache und in der bildenden Kunst.» Haug, Walter: Nicolaus Cusanus zwischen Meister Eckhart und Cristoforo Landino: Der Mensch als Schöpfer und der Weg zu Gott. In: ders.: Die Wahrheit der Fiktion, S. 538-556, hier S. 555. zeigt. Vor diesem Hintergrund erhalten die figmenta also eine durchaus funktionale Dimension, indem sie das zuvor in der narratio Dargebotene (die schlichte, ärmliche Behausung und die Kleidung des Koralus und Enîtens) verdeutlichen. Zum anderen aber macht der Erzähler durch die spielerische ‹Kehre› auch auf eine weitere Dimension des Erzählens und somit auf eine Möglichkeit von Literatur aufmerksam: nämlich etwas zu erfinden, dessen Berechtigung unabhängig von einer (vorgegebenen) faktischen bzw. integumentalen Wahrheit existiert. Durch diese Ambivalenz, Verdeutlichung des Erzählten auf der einen und dessen Relativierung auf der anderen Seite, wird der Rezipient aus der narratio ‹herausgenommen›, er rückt in Distanz zu dem Erzählten und sieht sich mit einer Schilderung konfrontiert, die ihm etwas vor Augen führt, was sich punktuell nicht in die erzählte Welt einfügt, ihr widerspricht und letztlich auch als nicht vorhanden dargeboten wird. Dies wird besonders augenfällig, wenn man die descriptio des Bettes mit der im ‹Eneasroman› vergleicht. 55 Das Bett, das Dido dort dem Eneas bereiten läßt (48,36-49,26), bzw. seine Vorzüge und Ausstattung erinnern in einigen Einzelheiten an die Hartmannsche Schilderung. Auch hier finden sich ein «kulter von zendâle» (V. 378, ‹Eneas›,«ein cùlter von zendale», 49,18) und eine mit Samt bezogene Decke (V. 373, ‹Eneas›, 49,10 und 49,25). Während im ‹Eneas› jedoch die prächtige Ausstattung des Bettes (und der Kemenate) in Zusammenhang mit Didos vorbildlichen Herrschertugenden gesehen werden muß (und vermutlich auch auf die sich anschließende Liebesbeziehung hindeutet) und die descriptio mithin gänzlich in ihrem funktionalen Rahmen verbleibt, d.h. auch den Aspekt der Wahrscheinlichkeit konsequent berücksichtigt, 56 spielt Hartmann mit diesem vorgegebenen Rahmen. Im ‹Eneas› fügt sich die descriptio in die Erzählung, da sie sowohl der äußeren Gegebenheit - Dido ist eine reiche Herrscherin, die über eine derartige Ausstattung verfügt - als auch deren inneren Zusammenhang - Dido ist eine vorbildliche Herrscherin, die den ehrenhaften Gast seiner und ihrer Gesinnung gemäß empfängt - angepaßt wird. 57 Erec und seinen Gastgebern hingegen - so resümiert der Erzähler im Anschluß - genügte ein Bett âne vlîz (V. 384), das mit einem lîlachen wîz bedeckt ist (V. 385, vgl. ‹Eneas›, 49,7f.). Bettzeug ohne Besonderheiten - wie Cramer überträgt - ist also ausreichend für die Protagonisten, und das erfordert auch die vorherige narratio. Allerdings hat der Erzähler nichtsdestoweniger sînen vlîz an eine Beschreibung gekêrt, die das Gegenteil impliziert. Das Nomen vlîz erscheint hier insofern ambivalent, als es nicht nur auf die eigentliche Ausstattung des Bettes bezogen werden muß (Bettzeug ohne Besonder- Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 45 55 Vgl. Lerchner, Karin: Lectulus Floridus. Zur Bedeutung des Bettes in Literatur und Handschriftenillustrationen des Mittelalters. Köln u.a. 1993 (Pictura et Poesis, 6), S. 351ff. 56 Vgl. Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 314. Die descriptio ist - worauf Schmitz aufmerksam macht - insbesondere auch auf das aptum hingeordnet (Argumentum ab animae). 57 Vgl. ebd. heiten), wie sie in der erzählten Welt existiert, sondern ebenso die Schilderung der Bettstatt durch den Dichter meinen kann (ihnen genügte ein Bett, das ohne eine sorgfältige Darstellung auskommt). 58 So gelesen nimmt der Erzähler also nicht nur die inhaltliche Ausrichtung der Beschreibung, sondern auch den darauf aufgewendeten deskriptiven Vorgang zurück. Indem der Erzähler seine Schilderung nicht a priori an den den Figuren angemessenen Umständen ausrichtet - und das ist ein Zusatz Hartmanns -, eignet seiner descriptio ein spielerischer Charakter, wie er sich noch deutlicher in der Zelter-Beschreibung zeigt. 59 Auf vergleichbare Weise verfährt der Erzähler auch bei der sich anschließenden Bewirtung: Die ritters spîse (V. 386), von der die Gastgeber die überkraft (V. 390) zu bieten haben, wird schlichtweg nicht aufgetragen; und auch hier liegt es für die Rezipienten nahe, zu erkennen, daß die Gastgeber auf Grund ihrer Verhältnisse über eine volleclîche wirtschaft (V. 391) gar nicht gebieten können, was denn auch von dem nächsten Vers bestätigt wird: in gap der reine wille genuoc (V. 393). 60 Bedeutsam ist hier insbesondere das Verb erdenken (V. 389): Das, was sich ein äußerst Verständiger in seiner Vorstellung ausdenken könnte, davon hatten sie mehr als genug, doch es wurde nicht aufgetragen (vgl. Vv. 387ff.). Auch hier läßt sich eine Parallele zu Heinrichs von Veldeke ‹Eneas› erkennen, wo es bei der Bewirtung des Eneas durch Dido heißt: man enmohte niht gizellen die richte noch daz trinchen. des iemen mohte e r d e n c h e n , des heten si alle gen v ch. g e f v c h l i c h e m a n e z f u r t r v c h. (39,32-36, Herv. Verf.) Auch Heinrichs Erzähler spricht von irdenken, jedoch mit einem entscheidenden Unterschied: Von allem, was auch immer sich jemand ausdenken/ vorstellen konnte, hatten sie dort zur Genüge. Es wurde auf angemessene Weise herbeibzw. aufgetragen. Im Gegensatz zur Hartmannschen Schilderung weist das irdenken dort nicht in eine Sphäre des Nicht-Vorhandenen, Bloß- Vorgestellten, sondern bezeichnet gerade das, was tatsächlich (innerhalb der 46 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 58 Auch im ‹Iwein› spricht der Erzähler davon, seinen vlîz daran gekêrt zu haben, daß die Erzählung gerne gehört werde (Vv. 25ff.), und im ‹Erec› wird bemerkt, daß Gott seinen vlîz an Enîte geleit haben müsse, indem er ihr solche Schönheit verlieh (Vv. 339-341). Ebenso wird auch im Falle des meisters Umbrîz festgestellt, er habe seinen vlîz wol vierdehalbez jâr auf die Herstellung des Sattelzeugs verwandt (Vv. 7470ff.). In diesen Fällen meint vlîz also auch den Prozeß des Gestaltens und nicht nur dessen Ergebnis. 59 Vgl. Kap. I.1.4 d.A. Lerchner sieht die Bett-descriptio im ‹Erec› als «Kontrafaktur» der Bettbeschreibung im ‹Eneas›, Lectulus Floridus, S. 353. 60 Der reine wille, der aller güete ein phant ist, trägt wohl auch moralisch-ethische Konnotation. Indem die Gastgeber trotz ihrer Armut dem Ideal der Freigebigkeit Genüge leisten, stellen sie ihre güete und edle Gesinnung unter Beweis, die hier wichtiger gewertet wird als die materielle Zuwendung. Vgl. Freytag, Hartmanns Methode, S. 231 (Tugendadel). erzählten Welt) existiert und somit auch aufgetragen wird. 61 Der Verweis auf die in der Vorstellungskraft wurzelnde Mannigfaltigkeit der Speisen und Getränke dient im ‹Eneas› dazu, die besondere Exklusivität der Bewirtung zu potenzieren, und erscheint somit hinsichtlich Didos Qualitäten als Herrscherin bzw. des Eneas Auserwähltheit auch als wahr oder zumindest wahrscheinlich. Im ‹Erec› allerdings werden die Produkte des erdenkens - analog zur nicht vorhandenen Bettausstattung - als bloße Erfindung ausgewiesen, die in der erzählten Welt keinen Platz haben. Zwar werden die bescheidenen Verhältnisse des Koralus und seiner Familie so erneut umso eindringlicher hervorgehoben, doch bleibt auch hier eine Diskrepanz spürbar, die aus der kurzzeitigen Umkehrung der von der narratio eigentlich geforderten Erzählaspekte resultiert. 62 Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 47 61 Dazu gehört auch, daß die Verben bei Heinrich und Hartmann unterschiedliche Modi aufweisen, wobei im ‹Eneas› Prät. Ind. und im ‹Erec› Prät. Konj. verwandt werden. Vgl. auch ‹Eneas›, 173,20ff. 62 Daß diese spielerisch-reflektierte Umsetzung einer descriptio, die ex negativo funktioniert, in Hartmanns Werk nicht singulär ist, bezeugt auch der ‹Gregorius› (Vv. 3379ff.). Bei der Auffindung des guoten Sünders durch die von Rom entsandten Boten heißt es, sie sahen: wâ Gregorius waere mit wol geschornem barte, der lebende marteraere: in allen wîs alsô getân ein harte schoene man als er ze tanze solde gân dem vil lützel iender an […] hunger oder vrost schein den envunden sie niender dâ: oder armuot dehein, er mohte wol wesen anderswâ. von zierlîchem geraete Ich sage iu waz si vunden. (Vv. 3377-3403) an lîbe und an der waete, […] daz niemen deheine einen dürftien ûf der erde, von edelem gesteine, ze gote in hôhem werde, von sîden und von golde den liuten widerzaeme, bezzer haben solde ze himele vil genaeme. wol ze wunsche gesniten, Der arme was zewâre der mit lachenden siten erwahsen von dem hâre mit gelphen ougen gienge verwalken zuo der swarte, und liebe vriunt emphienge an houbet und an barte mit goltvarwen hâre, […] daz iuch zewâre nû ruozvar von der arbeit. ze sehenne luste harte (Vv. 3419-3428) Natürlich sind hier die unterschiedlichen Gattungskonventionen zu beachten; vgl. u.a. Wehrli, Max: Roman und Legende im deutschen Hochmittelalter. In: Worte und Werte. Fs. Bruno Markwardt. Hgg. Gustav Erdmann und Alfons Eichstaedt. Berlin 1961, S. 428-443, wesentlich ist jedoch, daß auch hier ex negativo, und zwar in weitaus breiterem Maße, das Eigentliche, die verhärmte Gestalt des Gregorius, verdeutlicht wird, den Rezipienten zuvor jedoch figmenta poetarum dargeboten werden, die ihrer Erwartungshaltung zuwiderlaufen. Vgl. zur Stelle auch Pörksen, Der Erzähler, S. 160, Freytag, Hartmanns Methode, S. 236f., sowie allgemein Jackson, Typus und Poetik, bes. S. 101ff. Im Hinblick auf diese Feststellung ist jedoch weiterhin festzuhalten, daß Hartmann hier nicht nur auf die entsprechende Stelle bei Chrétien (Vv. 485ff.) zurückgreifen konnte, sondern darüber hinaus auch das Festmahl bei Erecs Krönung (Vv. 6858ff.) als Fundus seiner Schilderung zu nutzen vermochte. 63 Dabei rücken weniger inhaltliche Elemente als der formale Verlauf der Schilderung bzw. die Erzählstrategie in den Blick. Nachdem Chrétiens Erzähler die Anzahl der für das Mahl gedeckten Tische genannt hat (.v. c . tables i ot et plus, V. 6860), gesteht er, er wolle seine Hörer nicht glauben machen, schließlich sei diese Lüge zu offensichtlich, die Tische befänden sich aneinandergereiht in einem Saal, dies wolle er nicht behaupten; denn fünf Säle seien mit den Tischen ausgefüllt gewesen (vgl. Vv. 6861-6865). Die Strategien sind insofern vergleichbar, als die Erzähler in beiden Fällen Sachverhalte darbieten, die sie im folgenden präzisieren (Chrétien) bzw. einschränken (Hartmann): Bei Chrétien geschieht dies mit Bezug auf die genaue Verteilung der vielen Tische und bei Hartmann im Hinblick auf die tatsächliche materielle Situation der Gastgeber. Der Unterschied besteht darin, daß Chrétiens Erzähler die Lüge-Wahrheit- Problematik explizit in seine Argumentation einbezieht (angezeigt durch die Verwendung von mançonge und voire, V. 6862) und er somit die Hyperbolik und den Aspekt der Wahrscheinlichkeit zu reflektieren vermag. Gleichwohl gibt sein Erzähler auch zu erkennen, daß er etwas Erfundenes berichtet, denn nur vor diesem Hintergrund erhält die (ironische) Aussage, er wolle eine nicht zu offensichtliche Lüge präsentieren, ihre volle Berechtigung. 64 Bei Hartmann 48 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 63 Daß Hartmann in seinen Beschreibungen nicht nur die entsprechenden Passagen der Vorlage, sondern den gesamten Chrétienschen Roman hinzuzieht, zeigt insbesondere die Zelter-descriptio, in die verschiedene Elemente der Krönungsfeier eingeflochten werden. Vgl. dazu Laude, Quelle als Konstrukt, sowie Wandhoff, Haiko: Das geordnete Weltbild im Text. Enites Pferd und die Funktion der Ekphrasis im Erec Hartmanns von Aue. In: Ordnung und Unordnung in der Literatur des Mittelalters. Hgg. Wolfgang Harms u.a. Stuttgart, 2003, S. 45-60, bes. S. 49ff. 64 Damit gerät die bei Chrétien gebrauchte Wendung ambivalent, da sie zum einen dem Postulat der Wahrscheinlichkeit Rechnung trägt (mehr als 500 Tische in einem Saal seien doch mehr als unglaubwürdig), zum anderen aber darauf verweist, daß es sich bei der Schilderung der festlich geschmückten Tische um ein figmentum poetarum handelt, das des Erzählers bzw. letztlich des Dichters Gutdünken entspringt. Das Argument der Wahrscheinlichkeit wird folglich als ‹Deckmantel› der Fiktion verwendet. Derartige ‹Berichtigungen› lassen sich zwar auch in der sogenannten Bibelkritik des 13. Jahrhunderts auffinden, z.B. bei Jacobus de Voragine, der innerhalb des Kapitels ‹De inventione sanctae crucis› der ‹Legenda aurea› sich hinsichtlich der Frage, ob Konstantin oder aber dessen Vater das Kreuzsymbol erschien, wie folgt äußert: «quod tamen multum authenticum non videtur, […]», Jacobi a Voragine: Legenda Aurea. Hg. Th[eodor] Graesse. Nachdr. der Ausg. 1890. Osnabrück 1969, S. 307. Der Unterschied besteht jedoch darin, daß Chrétiens Erzähler die (Selbst-)Kritik ironisch einsetzt, um den Aspekt der Wahrscheinlichkeit als ‹Tarnung› des Erfundenen zu präsentieren und nicht etwa um wie Jacobus Quellenkritik zu betreiben. Vgl. zur Chrétien-Stelle auch Warning, Rainer: Fiktion und Transgresion. In: Fiktion und Fiktionalität, S. 31-55, hier S. 48. hingegen fällt eine explizite Nennung der Lüge-Wahrheit-Thematik weg; gleichwohl werden die Schilderungen zur Bettausstattung und Bewirtung so gestaltet, daß die hyperbolische Entfaltung (Pracht der Sitzbzw. Ruhegelegenheit und Speisenreichtum) nicht nur präzisiert und plausibilisiert, sondern schlichtweg als dichterische Erfindung präsentiert wird. Zwar stehen seine figmenta im Dienste des Verdeutlichens, doch indem sie ex negativo funktionieren und vom Erzähler zurückgenommen werden, vermögen sie zugleich ihre prinzipielle Qualität des Erfunden-Seins zu offenbaren. Damit unterscheidet sich die Strategie von Chrétien insofern, als Hartmann die Thematisierung von fictio (bei Chrétien mançonge und voire) in den Verlauf seiner Schilderung integriert, das Thema fictio also implizite in die rhetorische Strategie einbindet. Die ‹Kurz-descriptiones› erfüllen in der Hartmannschen Bewirtungsszene also eine doppelte Funktion: Zum einen dienen sie dazu, die schlichten Verhältnisse der Gastgeber und parallel dazu ihre den Möglichkeiten entsprechende Freigebigkeit (und die damit verbundene edle Gesinnung) zu demonstrieren und zu verdeutlichen. Vor diesem Hintergrund sind die figmenta dann in einer funktionalen Dimension zu verstehen, da sie einen gegebenen Sachverhalt der narratio (bzw. materia), nämlich die Armut von Enîtes Familie, verdeutlichen. Zum anderen offenbart sich in ihnen aber auch ein wesentliches Prinzip des im ‹Erec› implementierten Modus des Erzählens: Die enge Verbindung von rhetorischem Gestaltungsrahmen und hervortretender Erzählerfigur bietet die Möglichkeit, den Aspekt der Fiktionalität zu reflektieren bzw. das Erzählte als fiktional zu erweisen. Indem der Erzähler hier schildert, was es nicht gibt, 65 und z.B. das erdenken jedweder Köstlichkeiten gleichsam ins Leere laufen läßt, verweist er immer auch auf den Akt des Erzählens und kann mit diesen impliziten Verweisen auf einer Metaebene demonstrieren, was im Bereich des Möglichen von Literatur liegt, nämlich etwas zu erfinden, das unabhängig von einer Quelle oder überlieferten res factae existiert. 66 Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 49 65 Auch Heinrich von dem Türlîn verfährt ähnlich wie Hartmann, wenn der Erzähler bei der Liebesbegegnung Gaweins und Amûrfînas (Vv. 8489ff.) die Rezipientenerwartungen bezüglich der Leidenschaft der Protagonisten enttäuschen muß: «Jr waent, daz bei der gluote/ Daz stro nahen lage […] Ich will iv mer sagen: / Daz enwas da niht leider […]» (Vv. 8494-8499). Hinzu kommt, daß der Erzähler darüber hinaus nicht bereit ist, die Erzählung von dem über dem Bett hängenden (‹wachenden›) Schwert auf seine triwe zu nehmen, also der Wahrheitsgehalt der gesamten Passage fragwürdig gerät (vgl. Vv. 8504ff.). 66 Vgl. Scholz, Stellenkommentar, S. 640, und Pörksen, Der Erzähler, S. 160. Allerdings wird die von Pörksen benannte Desillusionierung der höfischen Konvention, vgl. ebd., nicht nur zur Vorbereitung auf die Defizienz des ‹Helden› genutzt, sondern sie ist vor allem Anzeige der ästhetischen Möglichkeiten von Literaturschaffen. Zu diesem Aspekt vgl. grundlegend Kablitz, Kunst des Möglichen, bes. S. 268ff., und Kellner, Spielräume der Fiktionalität, S. 203. I.1.2 ‹Märchenhafte› Dimensionen des Erzählens: Feimurgans Zauberpflaster Der Exkurs des Erzählers über das Zauberpflaster, der in Erecs Zwischeneinkehr bei Artus integriert ist, stellt eine neuerliche Erweiterung Hartmanns gegenüber seiner Vorlage dar. Den zwölf bei Chrétien auf ein außergewöhnliches Heilpflaster 67 verwendeten Versen (Vv. 4193-4204) werden hundert hinzugefügt. 68 Die Herkunft dieses Pflasters ([...] un antret/ que Morgue sa [Artus’] suer avoit fet, Vv. 4193f.) und seine enorme Wirksamkeit (Vv. 4197ff.) dienen Hartmann dabei als Basis seiner digressio, wobei er die bei Chrétien gewählte Anordnung - Herkunft und Qualität - umkehrt. Das Pflaster wird schon bei seiner Einführung exponiert, indem Ginover es zusammen mit allen ir vrouwen zu dem verwundeten Erec trägt (Vv. 5129ff.), während das Pflaster bei Chrétien erst nachträglich auf Befehl des Artus herbeigeholt wird (puis fet aporter un antret, V. 4193). Im ‹Erec› wird das Pflaster somit deutlicher in den Mittelpunkt des Erzählten gerückt und der ausführliche folgende Erzählerkommentar vorbereitet. Sogleich konstatiert dann auch der Erzähler in einer Anrede an das (fiktive) Publikum, daß er von diesem Pflaster (V. 5132) bzw. seinen außerordentlichen Heilqualitäten (wie guot ez ze wunden was, V. 5134) Genaueres berichten werde. Schon viele habe das Heilmittel gerettet, und es bereite schnelle Linderung. Auch enheilte [die behandelte Wunde] niht ze sêre/ wan ze rehter mâze genuoc (Vv. 5139f.). Diese mâze wird dann in den folgenden Versen genauer erläutert: Kein weiteres Übel komme mehr hinzu, alles Schlechte (Kranke) werde vertrieben: Was das Pflaster Gutes (Gesundes) vorfinde, dies bleibe erhalten. Während bei Chrétien eher die Spannbreite der Heilungsmöglichkeiten und die ‹korrekte› Anwendung des Heilmittels in den Blick rücken (Sehne oder Knochen/ Glieder könnten binnen einer Woche geheilt werden, wenn sie nur einmal täglich behandelt würden, Vv. 4198ff.), 69 wird in Hartmanns Adaptation mehr die allgemeine Qualität des umfassenden Heilens hervorgehoben. Gleichzeitig verweist der Begriff der mâze bzw. der maßvollen Genesung aber auch auf Erecs weiteren Weg; denn erst auf Penefrec wird er - mit einem weiteren Teil des Pflasters - vollkommen geheilt werden. Mit Bezug auf die übergeordnete narratio von Erec und Enîte wird so verdeutlicht, daß das Pflaster nicht nur «nicht zu plötzlich [und] gerade richtig» (Übers. Cramer) heilt, sondern darüber hinaus der erforderlichen Situation des Protagonisten angepaßt ist: Erecs vorläufige Wundenheilung ist hier in dem Maße angemessen, als er ihrer für den weiteren Verlauf der Erzählung bedarf. 70 Die Wunder- 50 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 67 Förster, Wörterbuch, S. 26, übersetzt ‹Wundpflaster›, Roques, Les romans de Chrétien de Troyes (I. ‹Erec et Enide›), mit ‹onguent› (Salbe), S. 248. 68 Vgl. Strasser, Fiktion und ihre Vermittlung, S. 70, sowie Niesner, Das Wunderbare, S. 143. 69 Vgl. Niesner, Das Wunderbare, S. 146. 70 In der Forschung ist umstritten, ob die Heilkraft des Pflasters bereits an dieser Stelle des Romans relativiert wird. Doch setzt der Erzähler ein weiteres Signal, das die hier vertretene Interpretation zu stützen scheint: Schließlich kommt es Erec bei seinem Aufbruch ja auch nur so vor (in d û h t e er waere gar genesen, V. 5250, Herv. Verf.), als sei er vollkräfte des Heilmittels werden so eng mit der (Symbol-)Struktur des Romans verknüpft, indem es die Genesung Erecs ‹begleitet› (1. Zwischeneinkehr, 2. Penefrec) und somit die narrative Sinnvermittlung unterstützt. 71 Die Vorzüge des Pflasters werden abschließend in einem zusammenfassenden Lob ausgedrückt: Zu keinen Zeiten habe es auf der Welt ein besseres Pflaster gegeben (Vv. 5151f.). Die Exklusivität des Heilmittels und dessen Wirkung werden - dem Beginn der späteren Zelterbeschreibung vergleichbar (daz doch nie dehein man/ dehein schoenerz [Pferd] gewan, Vv. 7278f.) 72 - so aufs höchste gesteigert und bereiten gleichzeitig die sich anschließende Erzählung von der Herkunft des Pflasters vor. Den zweiten Teil der digressio leitet der Erzähler ein, indem er die mögliche Frage eines Rezipienten nach der Provenienz des Therapeutikums vorwegnimmt (wundert nû deheinen man,/ derz gerne vernaeme/ von wanne diz phlaster kaeme, Vv. 5153f.) und sogleich mit der Beantwortung beginnt. 73 Durch das Verb wundern wird angezeigt, daß der Erzähler die Skepsis der Rezipienten angesichts der berichteten ‹Allheilmöglichkeiten› des Pflasters einkalkuliert. Daher verweist er sogleich darauf, daß das Pflaster von des Artus Schwester, der Fee Feimurgân, 74 vor langer Zeit gefertigt worden sei (Vv. 5156f.). Dieses Verfahren der anticipatio 75 begegnet auch bei der Zelter-descriptio, und zwar in der eingeschobenen Erzählung von der Gewinnung des Pferdes durch Guivreiz. Auch hier begegnet der Erzähler dem möglichen Einwand eines Rezipienten (giht ieman: ‹er enhât niht wâr›, V. 7389) mit dem Verweis auf die besondere Herkunft des Tieres: ez enwas dâ heime niht erzogen (V. 7393). Wie bereits Worstbrock, Ridder und Strasser deutlich gemacht haben, weist diese Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 51 kommen geheilt. Dies kann als ein der Gattung Märchen vergleichbarer Aspekt angesehen werden, da hier die Gaben, «Dinge und Situationen [...] scharf aufeinander [passen]» und stets auf die Figuren hingeordnet sind. Lüthi, Das Volksmärchen, S. 32 und 55f. Dies übersieht m.E. Niesner, die das erneute Aufbrechen von Erecs Wunden als Defizienz des Heilmittels deutet, was dazu diene, den Rezipienten zu zeigen, «daß das Pflaster keine ü b e r n a t ü r l i c h e , magische Wirkung [habe]», Niesner, Das Wunderbare, S. 148f. (Herv. im Zitat). 71 Zur Interdependenz von Wunder und Symbolstruktur des höfischen Romans vgl. Knapp, Historiographisches und fiktionales Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), S. 34f., sowie ders., Erkenntnis und Fiktion. In: Historie und Fiktion (II), S. 254ff. Vgl. auch Haug, Literaturtheorie, S. 100. 72 Vgl. zur Exzeptionalität des Pferdes auch Laude, Quelle als Konstrukt, S. 218f. 73 Im ‹Tristan› gibt es eine Stelle, in der Gottfried es den Erzähler ablehnen läßt, die Heilung Tristans durch Isolde eingehend zu kommentieren (Vv. 7935ff.). Dies wird in der Forschung in der Regel als Seitenhieb gegen Wolfram verstanden, der im ‹Parzival› die (vergebliche) Heilung des Anfortas in aller Deutlichkeit beschreibt (vgl. Pz. 481,5ff. und 789,21ff.). Allerdings bietet auch Hartmann Angriffsfläche, und zwar sowohl im ‹Erec› (feenhafter Ursprung des Pflasters und allgemeine Fähigkeiten Feimurgans) als auch im ‹Iwein› (Iweins ‹Salbung›, wobei hier sogar von einer Büchse die Rede ist). 74 Zum Namen der Fee vgl. Scholz, Kommentar, S. 811 (mit weiterer Literatur). 75 Siehe, Lausberg, HbRh, § 855. Erläuterung in den Bereich des ‹Märchenhaften›. Dazu zählen zum einen die inhaltlichen Bestandteile: Guivreiz, der sich auf âventiure 76 befindet, nimmt den Zelter, den ein wilder Zwerg vor einem hohlen Berg an einen Ast gebunden hat, in seinen Besitz. Nicht nur die Figuren (Zwerg und Mann von Zwergengröße) und der Ort (Berg) weisen auf eine ‹märchenhafte› Dimension, sondern auch das narrative Muster - Entwendung des kostbaren Gegenstandes bzw. Tieres, dessen Verlust beim ursprünglichen Besitzer großes Wehklagen auslöst und ihn dazu bewegt, seinen vormaligen Besitz zurückzufordern - ist typisch für die Gattung Märchen. 77 Von besonderer Signifikanz ist jedoch die Tatsache, daß der Erzähler den Verweis auf die ‹märchenhafte› Herkunft und Gewinnung des Pferdes eigens als B e g l a u b i g u n g s s t r a t e g i e anführt. 78 Auf die fingierte Reaktion eines Rezipienten, das Erzählte als Unwahrheit verstehen zu wollen, gibt der Erzähler an, er werde es dezidiert erzählen/ erklären (bescheiden), damit man genau verstehe, warum es sich bei der idealen Gestalt um keine Lüge handeln könne: Dieses bescheiden und das daraus resultierende rehte erkennen bestehen aber nun aus nichts anderem als dem Verweis auf die ‹märchenhafte› Gewinnung. Der bewußte Verzicht auf eine Quellenberufung oder eine eingehende Plausibilisierung des Erzählten wird noch gestützt durch den souveränen Vermerk des Erzählers, er werde berichten, wie das Tier in des Guivreiz Besitz gekommen sei, und verweist somit auf die besondere Qualität des Geschilderten als fiktional. Wird also in der Zelter-Beschreibung «das Wunder dieses Tieres mit seiner Herkunft aus der Märchenwelt der Zwerge erklärt», 79 so geschieht dies im Falle des Pflasters mit dem Verweis auf dessen feenhaften Ursprung. 80 In beiden Episoden wird die Exklusivität und Fragwürdigkeit des Geschilderten also nicht dezidiert widerlegt, wird die res dubia nicht - wie bei Gottfried der Morold-Kampf - 81 mittels einleuchtender Argumente wahrscheinlich bzw. glaubwürdig gemacht (oder mittels eines Quellenverweises oder einer Wahrheitsbeteuerung belegt); vielmehr begnügt sich der Erzähler bewußt mit der Erwähnung des außergewöhnlichen Ursprungs: 52 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 76 Mit dieser Bemerkung verweist die in die Schilderung integrierte narratio von der Gewinnung des Pferdes auch auf die Gattung ‹Artusroman›, indem sie die literarische Figur Guivreiz eine der wesentlichen gattungskonstituierenden Strukturen ausführen läßt. 77 Vgl. Lüthi, Max: Märchen. 9. Aufl. Stuttgart 1996, S. 25f. 78 Vgl. Worstbrock, Dilatatio materiae, S. 26. 79 Worstbrock, Dilatatio materiae, S. 26. 80 Vgl. auch Strasser, Fiktion und ihre Vermittlung, S. 70. 81 Vgl. dazu Chinca, History, Fiction, Verisimilitude, S. 104-108. Bei der Beschreibung Petitcrüs (vgl. ‹Tristan›, Vv. 15796ff.) verhält es sich dagegen anders: Nicht nur Petitcrüs Herkunft von der Feeninsel Avalon (vgl. V. 15798, 15808, 15838), sondern auch die gehäufte Verwendung der Epitheta vremed(e) und wunderlîch bzw. das Substantiv wunder (vgl. V. 15802, 15819, 15838, 15861, 15865, 15867, 15870) zeigt an, daß das Erzählte, dies vremede werc von Avalûn, den Bereich der Glaubwürdigkeit verläßt. Zwar mag Petitcrü allegorisch gedeutet werden, jedoch werden über die zuvor genannten Elemente auch deutliche Bezüge zur ‹märchenhaft›-fiktionalen Erzählwelt des ‹klassischen› Artusromans evoziert. Die wunderbaren Fähigkeiten des Therapeutikums sind das Resultat seiner zauberkundigen Herstellerin; das Verwunderliche wird durch das Wunderbare erklärt. 82 Überdies ist zu bemerken, daß die vom Erzähler antizipierte Skepsis der Hörer sich nicht auf der Figurenebene nachweisen läßt. Keiner der Protagonisten äußert Verwunderung angesichts des Heilmittels; es wird - gerade zur rechten Zeit - hervorgeholt und appliziert und erfüllt somit eine weitere Qualität des ‹Märchenhaft-Wunderbaren›. 83 Die Ausführungen des Erzählers scheinen also darum bemüht, den Rezipienten die Erzählstrategie zu verdeutlichen, indem ihnen vorgeführt wird, wie das Erzählte zu verstehen sei: 84 Es gilt, das Wunderbare hinzunehmen, das Erzählte als Erfindung und deren Wahrheitsindifferenz anzuerkennen. An dieser Stelle sei auch auf die Episode von Iweins Heilung verwiesen, die typisch ‹märchenhafte› Elemente aufweist und in der ebenfalls ein von Feimurgan hergestelltes Therapeutikum zum Einsatz gelangt: Dort erinnern sowohl die formelhafte Dreizahl als auch die Tatsache, daß die Herrin von Narison in Begleitung ihrer Damen gerade zur rechten Zeit am rechten Ort erscheint, an das ‹märchenhafte› Erzählprinzip, und auch hier sind - wie im Falle des Rings, den Iwein von Lunete erhält - 85 die erzählten Geschehnisse und ihre Funktion für die Romanstruktur klar aufeinander bezogen. Das scheinbar Zufällige, also das Erscheinen der Damen, von Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 53 82 Daß Hartmann seinen Erzähler auch anders agieren läßt - z.B. indem er eine Autorität als Absicherung hinzuzieht -, zeigt im Gegensatz zu dieser ‹Erec›-Stelle der ‹Gregorius›, wo der Erzähler als höchste Beglaubigungsinstanz Gott bemüht, dem deheines wunders ze vil ist, und der somit auch fähig ist, den guten Sünder 17 Jahre am Leben zu erhalten (Vv. 3125ff.). Hier zeigt sich das Wunder - der Gattung Legende gemäß - also als göttliches mirabilium, das das menschliche Fassungsvermögen zwar übersteigen kann, nichtsdestotrotz aber die theozentrisch gedachte Wirklichkeit respektive Wahrheit nicht zu sprengen vermag. Damit zeugen diese beiden Passagen aus unterschiedlichen Werken Hartmanns von dem in der Forschung oft vermerkten Unterschied zwischen ‹Märchen›- und ‹Legendenwunder›. Vgl. dazu grundlegend Jauß, Epos und Roman, sowie Knapp, Nachwort. In: Historisches und fiktionales Erzählen, S. 152ff. 83 Vgl. Lüthi, Das Volksmärchen, bes. S. 9, passim, und Knapp, Märchenhaftes Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), bes. S. 196f. und 202. 84 Insofern mag Hartmann ‹lehrhafter› als Chrétien erscheinen, doch muß die Frage gestattet sein, was er denn zu lehren versucht: Wenn der Erzählerkommentar hier darauf abzielt, die Rezeptionsweise zu steuern, so nicht, um eine lêre darzubieten und zu vereindeutigen, sondern um den Rezipienten mit der Qualität von Fiktionalität vertraut zu machen. 85 Hier ist bereits bezeichnend, wie Lunete in die Erzählung eingeführt wird: Sie betritt die vancnüsse, die Iwein vergeblich zu verlassen sucht, da weder Tür noch Fenster vorhanden sind, durch ein türlîn. Auch an jener Stelle wird nicht hinterfragt, warum auf einmal ein Zugang vorhanden ist, sondern es wird von Iwein schlichtweg hingenommen. Auch Lunetes folgende Erzählung, die ihre positive Einstellung Iwein gegenüber begründet, fügt sich durch die auf ein diffuses Irgendwann verweisende Angabe (mîn vrouwe hete mich gesant, V. 1181) in den ‹märchenhaften› Erzählmodus. Als einziger habe Iwein sie einst am Artushof des gruozes für wert gehalten, diese ihr erbotene êre wolle sie ihm nun lônen, und deswegen solle er mit ihrer Hilfe vor schaden sicher sîn. denen eine gerade über das für Iwein richtige Therapeutikum verfügt, ist auf den Protagonisten hingeordnet und notwendig für die Erzählung, insofern es die Heilung Iweins und seinen Ausweg aus der ‹Krise› unterstützt. 86 Was aber zufällig erscheint, ist - und dies ist eben wesentliches Prinzip des Märchens 87 - nicht Zufall, sondern erforderlich für den weiteren Verlauf des Erzählten. Die Salbe und ihre heilenden Kräfte sind notwendige Bedingung für Iweins weiteren âventiure-Weg, der ihn zunächst der Dame von Narison beistehen lassen wird. Die Parallelen zu Erec, der mittels des Zauberpflasters (vorläufig) geheilt wird, sind deutlich: Zum einen ist es auch im ‹Iwein› Feimurgân, die das für den Protagonisten notwendige Heilmittel hergestellt hat, welches genau wie das Pflaster gerade jene Heilung bewirkt, die der Protagonist benötigt. Zum anderen wird das Wundermittel auch im ‹Iwein› an entscheidender Stelle eingesetzt, indem es eine bedeutsame Funktion innerhalb der Symbolstruktur erhält. 88 Im Gegensatz zum ‹Erec› jedoch, greift der Erzähler hier nicht kommentierend ins Geschehen ein, sondern läßt - Chrétien folgend - die Dame von Narison selbst die wesentlichen Eigenschaften der Salbe erläutern (Vv. 3420ff.). Dies hat zum einen zur Folge, daß hier nicht wie in der Pflaster-digressio ein Erzähler-Ich begegnet, das auf spielerisch-ironische Weise den erfundenen Charakter des Heilmittels offenbart. Zum anderen jedoch wird durch die bloße Erwähnung Feimurgâns sowie die kurze Figurenbemerkung zur Qualität der Salbe das Prinzip des ‹Märchenhaften› noch deutlicher, da auch hier das Erzählelement (wie der Zauberring Lunetes) einfach präsentiert wird, ohne daß eine erläuternde oder kommentierende Bemerkung des Erzählers notwendig scheint. Das, was Iwein für seinen weiteren âventiure-Weg benötigt, wird scheinbar zufällig verfügbar und ist überdies durch die bereits im ‹Erec› vorgestellte Figur Feimurgân an das Wunderbare gebunden. 89 Im Falle des Pflasters im ‹Erec› tritt noch hinzu, daß des küneges swester 90 bereits verstorben ist und das Heilmittel lange vor ihrem Tod gefertigt hat 54 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 86 Vgl. Lüthi, Das Volksmärchen: «Daß der Held immer gerade das empfängt, was ihm Not tut, ist an sich schon Wunder genug. Daß Gabe und Aufgabe, Gabe und Notlage einander genau entsprechen, daß alle Situationen aufeinander passen, gehört zum abstrakten Stil des Märchens; das Wunder ist dessen letzter, vollkommenster Ausdruck.», S. 55. 87 Vgl. ebd., S. 51. 88 Wobei das Pflaster im ‹Erec› innerhalb des doppelten Cursus, auf die erste âventiure- Triade folgend, zum Einsatz gelangt, während es im ‹Iwein› den Beginn der âventiuren, also den doppelten Cursus einleitet. 89 Nicht dem ‹Märchenhaft-Wunderbaren› zuzuordnen sind natürlich Iweins Reflexionen nach seinem Erwachen, in denen er sein einstiges Ritterleben als troum betrachtet. Gleichwohl lassen sich selbst in dieser Reflexion ‹märchenhafte› Momente ausmachen, z.B. wenn Iwein sich nur kurz über die ihm bereitgelegten Kleidungsstücke wundert, dann jedoch sogleich feststellt: ich bedarf ir wol: nû sîn ouch mîn (V. 3590), und damit indirekt ein wesentliches Prinzip ‹märchenhaften› Erzählens selbst benennt. 90 Die Tatsache, daß des Artus Schwester über Zauberkräfte verfügt, vaste wider gote lebt (V. 5190) und mit dem Teufel im Bund steht (vgl. V. 5205), hat in der Forschung Anlaß zu Spekulationen gegeben. Die einschlägigen Literaturhinweise bei Scholz, Stellenkom- (Vv. 5157f.). Somit wird es auch in eine zeitliche Struktur eingebunden, die keine konkreten bzw. bekannten Dimensionen erkennen läßt: Wunderbare Herkunft und Situierung in einer unbestimmten Vorzeitigkeit signalisieren so ebenfalls eine ‹märchenhafte› Dimension des Erzählten. 91 Unterstrichen wird dies auch durch den sich anschließenden Ausruf des Erzählers (Vv. 5159f.): Indem er den mit dem Tod Feimurgâns einhergehenden Verlust starker liste und vremder sinne beklagt, 92 macht er implizit auch auf die Tatsache aufmerksam, daß diese nunmehr nicht in der Welt zu finden und mithin nicht mehr zu überprüfen seien. Dieser Aspekt wird noch verstärkt durch das Ende der Pflaster- Episode: Der Erzähler weist dort explizit darauf hin, daß er nicht glaube, man könne - so sehr man auch suchen werde - in irgendwelchen Arztbüchern die Künste entdecken, mittels derer Feimurgân das Heilmittel hergestellt habe (Vv. 5237ff.). Damit wird zum einen die besondere Exklusivität des Pflasters und die Zauberkundigkeit seiner Urheberin 93 unterstrichen. Zum anderen wird aber auch die Möglichkeit ausgeschlossen, das Erzählte an schriftliche auctoritas anzubinden oder über deren Zuhilfenahme zu veribzw. zu falsifi- Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 55 mentar, S. 813ff. Scholz selbst schlußfolgert, daß die Feenfigur entweder dazu genutzt werde, eine implizite Artuskritik zu evozieren, oder aber Feimurgân «im Lichte des prononcierten Hervortretens des Erzählers […] und der immer wieder aufscheinenden erzählerischen Ironie, allesamt deutliche Fiktionalitätssignale […]» viel zu ernst genommen werde, ebd., S. 814f. Hier ist zu ergänzen, daß auch der lange zurückliegende Tod Feimurgâns nicht lückenlos mit des Artus (erzähltem) Leben in Einklang zu bringen ist. Daher könnte der von Scholz konstatierte Hinweis auf die Fiktionalitätsanzeige, die sowohl die Figur der Fee als auch das Pflaster meint (vgl. die weiteren Ausführungen in diesem Kap.), möglicherweise auf die Figur des Königs ausgedehnt werden. Wenn sowohl die Schwester des Artus als auch das von ihr hergestellte Wundermittel in die Sphäre des Fiktionalen gewiesen werden, dann erhält auch die Figur des Königs eine (weitere) enthistorisierte und überdies ‹märchenhafte› Qualität. 91 Zur ‹Zeitlosigkeit› der Gattung ‹Märchen› vgl. Lüthi, Das Volksmärchen, S. 20f., Knapp, Historiographisches und fiktionales Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), S. 32f. 92 Im Hinblick auf die außerordentlichen Fähigkeiten Feimurgâns ist in der Forschung immer wieder diskutiert worden, woher Hartmann sein Wissen, das er augenscheinlich nicht Chrétiens ‹Erec› entnehmen konnte, bezogen haben mag. Vgl. Scholz, Stellenkommentar, S. 812f., sowie Ó Riain-Raedel, Dagmar: Untersuchungen zur mythischen Struktur der mittelhochdeutschen Artusepen. Berlin 1978 (PhStQu, 91), S. 34ff., die Hartmanns Darstellung der Fee mit weiteren Beschreibungen Feimurgâns in anderen Werken vergleicht, die als vermeintliche Nebenquellen Hartmanns gedient haben mögen (vgl. ebd.). Vgl. auch die Bemerkung des Erzählers in der ‹Crône›, der anläßlich des nächtlichen Zusammenseins Amurfinas und Gawains die Macht der minne so kommentiert: «Daz selb wunder begienc,/ Daz ez übel ze gelouben ist,/ Daz sölh chvnst vnd ir list/ Jmmer möht fvnden sein./ Ouch nim ich ez auf di triwe mein/ niht, daz ez war sei.» (Vv. 8511-8516). 93 Der außergewöhnlichen Zauberin kamen nur noch Sibillâ und Erictô gleich (Vv. 5216f.). Zur Stelle vgl. Okken, Kommentar zur Artusepik Hartmanns von Aue, S. 133f., sowie Scholz, Kommentar, S. 815. Die Beteuerung ‹ich waene niemals habe etwas an x herangereicht› begegnet in ma. Dichtung häufig; vgl. z.B. ‹Eneas›, 37,7f., 160,21ff., 251,36ff., ‹Tristan›, Vv. 633ff., Vv. 4972ff., sowie V. 6592. zieren. Daher wird deutlich, daß das Erzählte nicht nur auf Grund seiner zeitlichen Dimension sich der empirischen Überprüfung entzieht, wie Schirok für die Erzählerbemerkung zu Enîtes Cousine annimmt: Der Grund, warum man z.B. die kameraere nicht nach dem Rock befragen kann, liegt darin, daß der Roman in der Vergangenheit spielt und die Figuren deshalb nicht mehr befragbar sind. Er liegt (noch) nicht darin, daß es sich um fiktionale Literatur handelt und die Figuren deshalb generell nicht befragbar sind. 94 Zwar mag der Tod Feimurgâns ihre Befragung ausschließen, doch in dem Hinweis auf die arzâtbuochen, die eine solche krefteclîche liste nicht verzeichneten, wird das Erzählte darüber hinaus der mittelalterlichen Legitimationsstrategie - Beglaubigung über schriftliche auctoritas - enthoben. 95 Auch die Tatsache, daß Hartmann seinen Erzähler innerhalb der ganzen Episode auf jedwede Art der Quellenberufung verzichten und ihn letztlich selbst für das Erzählte einstehen läßt (sô gewan daz ertrîche,/ daz wizzet waerlîche,/ [...] nie bezzer meisterinne/ danne Feimurgân,/ v o n d e r i c h i u g e s a g e t h â n, Vv. 5226-5231, Herv. Verf.), 96 weist darauf hin, daß diese Episode kein Historizitätsanspruch regiert. Es geht also nicht, wie Niesner meint, um eine ironisierende Rationalisierung des wunderbaren Pflasters. 97 Die Aussage, derjenige, dem noch heute ein solches Pflaster zuteil werde, wäre angesichts der von dem Heilmittel berichteten Wunder ein Tor, wolle er an einem solchen Geschenk Anstoß nehmen, gibt vielmehr eine andere Rezeptionshaltung vor: Die Möglichkeit, daß ein solches Wundermittel noch heute zur Verfügung stehe, hat der Erzähler ja bereits durch den Tod Feimurgâns und den folgenden Ausschluß der Arztbücher als Quellen konterkariert; vielmehr wird somit verdeutlicht, daß die Annahme, ein solches Pflaster sei auch in der textexternen Welt aufzufinden, die eigentliche ‹Unweisheit› darstellt. Auf ironische Weise 56 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 94 Schirok, ein rîter, der gelêret was, S. 204, vgl. auch Haupt, Literaturgeschichtsschreibung, S. 214 (Anm. 49). 95 Vgl. dazu Knape, Historie, bes. S. 67, 91, 112 und passim, von Ertzdorff, Die Wahrheit, bes. S. 377, Johanek, Die Wahrheit der mittelalterlichen Historiographen, bes. S. 16f. Diese Interpretation eröffnet zudem die Möglichkeit, die Bemerkung des Erzählers unabhängig von einer (vermeintlichen) Bewertung der Schulmedizin und Schwarzkunst zu lesen. Vgl. Haupt, Barbara: Heilung von Wunden. In: An den Grenzen höfischer Kultur. Anfechtungen der Lebensordnung in der deutschen Erzähldichtung des hohen Mittelalters. Hg. Gert Kaiser. München 1991, S. 77-113, hier S. 105, sowie Lutz, Eckart Conrad: Verschwiegene Bilder - geordnete Texte. Mediävistische Überlegungen. In: DVjs 70 (1996), S. 3-47, hier S. 38. 96 Vergleichsweise wird im ‹Eneas› bei der descriptio der Sibylle sowohl auf die Quelle als auch auf die auctoritas Vergils verwiesen, 84,35 und 84,40. Zur auctoritas Vergils vgl. Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 83f. Zum gehäuften Auftreten von Quellenberufungen in ‹unwahrscheinlichen› bzw. ‹wunderbaren› Passagen vgl. Pörksen, Der Erzähler, S. 66. 97 Vgl. Niesner, Das Wunderbare, S. 151. gibt der Erzähler so zu verstehen, daß derjenige Rezipient wîse ist, der erkennt, daß das von Feimurgân geprüevte Pflaster innerhalb der erzählten literarischen Welt seine Dienste leistet und ausschließlich dort seine Berechtigung erhält. 98 Eine Befragung der zauberkundigen Fee oder die Konsultation vermeintlich ebenbürtiger Textquellen steht demnach für den Erzähler überhaupt nicht zur Debatte; ebenso ist es für ihn auch nicht von Bedeutung, wer Feimurgâns Lehrer war (V. 5172). Ich verstehe die Bemerkung des Erzählers, man solle kein grôz laster an einem derartig hergestellten Pflaster nehmen, daher auch als einen impliziten Verweis darauf, 99 keinen Anstoß an der E r z ä h l u n g über das Pflaster zu nehmen. Über seine Bedeutung für die Struktur des Romans, seine wunderbare Urheberin, den Ausschluß einer (an Schrift orientierten) Überprüfbarkeit und der ironisch gewendeten Rezipientenanrede wird dem Heilmittel also ein von Historizität unabhängiger Raum zugewiesen. Es existiert ausschließlich in der fiktional-literarischen - und nicht in einer historisch gedachten vergangenen 100 - Welt. Die das Pflaster und seine Herstellerin betreffenden fictiones werden als Erfindungen, die im Rahmen des Erzählten gültig und sinnstiftend sind, präsentiert, ohne daß ihnen eine dominante funktionale Rolle im Sinne eines formalen fictio-Verständnisses zugedacht würde. Über einen formalen fictio-Begriff im Sinne eines «écart von der gewöhnlichen Sprache» 101 geht das Erzählte ja in jedem Fall hinaus; und auch das Postulat der Wahrscheinlichkeit wird allenfalls in dem Sinne bedacht, als es wahrscheinlich ist, daß - wenn es überhaupt existiert habe - ein Wunderpflaster von einer zauberkundigen Fee hergestellt werden könne. Diese Funktionalisierung ist aber ausschließlich auf den (literarischen) Konnex von Provenienz und Qualität des Wundermittels beschränkt, wird nicht weiter plausibilisiert und folgt damit weiterhin der Märchenlogik. 102 Die Ironie des Exkurses richtet sich damit nicht gegen «eine Erwartungshaltung bzw. eine Erzählweise, die auf das inhaltlich Sensationelle […]» 103 abzielt, sondern das vom Erzähler implementierte Prinzip ist hier mit demjenigen der Zelter- Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 57 98 Das Epitheton wîse wird auch bei der Zelter-descriptio in dem Dialog zwischen Erzähler und fingiertem Rezipienten in ironischer Funktion verwendet, wenn letzterer fragt, ob ihn sein ‹Gesprächspartner Hartmann› denn für einen wîsen man halte, und dieser - ungeduldig - mit jâ ir antwortet (Vv. 7498f.). Vgl. auch Pörksen, Der Erzähler, S. 187. Laut Pörksen diene der die Wirklichkeitsillusion zerstörende Sprung ins Praktisch-Realistische (ebd.) zur Entkräftung einer möglichen religiösen Kritik (vgl. ebd., S. 149). 99 geprüeven kann in anderen Zusammenhängen ja auch schildern, darstellen oder beweisen meinen; vgl. Gr. Lexer II, Sp. 302, sowie BMZ II, S. 539. Vgl. auch den Morold- Kampf in Gottfrieds ‹Tristan›, wo der Erzähler erklärt, er werde prüeven, daß es sich um einen Kampf zwischen zwei Scharen handle: «ich prüeve ez aber an dirre zît,/ daz ez ein offener strît/ von zwein ganzen rotten was.» (Vv. 6871ff.). Erec, der meister des Sattels, V. 7536. 100 Vgl. Schirok, ein rîter, der gelêret was, S. 204, und Niesner, Das Wunderbare, S. 151. 101 von Moos, poeta und historicus, S. 117f. 102 Vgl. Lüthi, Das Volksmärchen, S. 9ff. 103 Niesner, Das Wunderbare, S. 154. descriptio zu vergleichen: Die Elemente der narratio werden über den ironischen Verweis auf die wîsheit desjenigen, der sich ihrer in der textexternen Welt versichern will, und über ihren feenhaft-wunderbaren Ursprung einer empirisch-faktischen veritas beraubt und in einer fiktionalen Erzählwelt situiert. Damit aber übersteigen das Erzählte bzw. die fictiones ihre Funktion «als Elemente eines Sinnganzen, das sich als poetisch konstruiert versteht […],» 104 mithin die Qualität der Literarizität. Die Erweiterungen der Feimurgân-Passage werden in ihren wesentlichen Einzelheiten (Figur der Fee, Provenienz und Herstellung des Pflasters, Künste Feimurgâns) vielmehr dargeboten als vom Dichter Erfundenes, das einen poetisch-fiktionalen Eigenwert beansprucht. I.1.3 Fictio als Täuschung: Die Zelt-descriptio in joie de la curt Als Erec in den wunderbaren boumgarten reitet, erblickt er ein schönes, aufwendig gearbeitetes Zelt, das den Rezipienten durch Erecs Perspektive vergegenwärtigt wird: «nû sach er vor im dort/ eine pavelûne stân,/ rîch unde wol getân [...]» (Vv. 8901-8903). Hartmann ändert und erweitert hier also seine Vorlage, indem er das lit d’argent/ covert d’un drap brosdé (Vv. 5830f.) bei Chrétien zunächst durch das Zelt ersetzt 105 und dessen Pracht in insgesamt 25 Versen beschreibt. Die Schilderung gliedert sich in allgemeine, die Exklusivität des Zelts betreffende Bemerkungen, auf die das Material und dessen Gestaltung folgen. Abschließend werden die Zeltschnüre beschrieben. Das Zelt ist kostbar und schön, hoch und groß, von zwei Arten Brokat, schwarz-weiß gestreift, sowie aufwendig verziert. Auf dem Zelt sieht man Mann und Frau gezeichnet sowie Vögel, als flögen sie - damit jedoch [mit diesem Eindruck] betrögen sie die Leute -, außerdem wilde und zahme Tiere, über jedem sein Name; die Bilder sind aus Gold. Ein golddurchwirkter Adler schmückt das Zelt. Es zeichnet sich durch Zierde und Funktionalität aus, und die seidenen Schnüre sind nicht einfarbig, sondern rot, grün, weiß, gelb sowie braun gedreht. Interessant ist hier vor allem die Erwähnung der Vögel, die so dargestellt seien, als (sam) flögen sie tatsächlich, was sich jedoch dem Erzähler zufolge als Täuschung ausnehme. Der erste Teil dieser Bemerkung korrespondiert mit der Beschreibung der Satteldecke, auf der sowohl Tier und Mensch 106 als auch Fisch 58 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 104 Worstbrock, Dilatatio materiae, S. 27. 105 Das Bett wird bei Hartmann erst nach der Beschreibung von Enîtes Cousine erwähnt und unterscheidet sich nicht wesentlich von dem bei Chrétien (vgl. Vv. 8954f.). 106 In der 6. und 7. Aufl. der ATB-Ausgabe entscheiden sich Cormeau und Gärtner hier - gegen A und die Lesarten von Haupt (da stùnd die menschlich schafft) bzw. Leitzmann (dâ stuont diu menschlîch geschaft) - für eine ‹verbesserte› Form von K (da stunden tier in islicher schaft). Beide Lesarten haben ihre Berechtigung; für die Entscheidung ‹tier› spricht, das bereits zuvor von ihnen gesprochen wird und die Passage ja überhaupt von den tierischen Geschöpfen der unterschiedlichen Elemente handelt (Fische, Vögel). Für die Verwendung von menschlich schaft bzw. menschlîch geschaft hingegen spricht, daß es «semantisch insofern sinnvoller erscheint, als in dieser Partie dem grammatikalischen und Vogel dâ an stuonden sam si wolden sprechen bzw. leben (Vv. 7605-7612, 7645-7648). Diesen Teil der Sattelbeschreibung hat Laude näher untersucht, wobei sie zu dem Schluß kommt, diese Partie lasse insbesondere zwei Deutungsmöglichkeiten zu: Einerseits könnte hier ein Rekurs auf die Trompe-l’oeil-Lehre [...] vorliegen, welche Plinius d.Ä. in seiner - im Mittelalter vielfach rezipierten - ‹Naturalis Historia› am Beispiel des Wettstreits zwischen den Malern Zeuxis und Parrhasios illustriert [...]. Andererseits jedoch könnte jene ‹Erec›-Partie über die ‹lebensechte› Darstellung gerade der menschlichen Kreatur, welche sich auf der Satteldecke findet, und um die es [...] in der Plinius-Passage nicht geht, eine eher unkonventionelle Kunstauffassung implizieren [...]. 107 Die «Überschreitung der Bildhaftigkeit in Richtung auf wirkliche, autonome Lebendigkeit des menschlichen Artefakts und damit auf tatsächliche creatio durch den menschlichen artifex» 108 werde im ‹Als-ob› (sam) implizit vorgestellt und begründe somit den Status der Kunst «als eigenständige Sphäre zwischen (Ab-)Bild und Leben». 109 Das Besondere jener Passage liege demnach im Bereich zwischen topischem Künstlerlob und creatio-Potential der Literatur. Das ‹Als-ob› 110 (sam) verbindet beide Textstellen, jedoch mit einem entscheidenden Unterschied: Während Laude darauf aufmerksam macht, daß die Bilder auf der Satteldecke als «Ausdruck vollendeter künstlerischer Meister- Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 59 Subjekt ein Sprachvermögen bescheinigt wird». Laude, Quelle als Konstrukt, S. 219 (Anm. 34). 107 Ebd., S. 225f. mit weiterer Literatur. 108 Ebd., S. 227. Zu einem vergleichbaren Ergebnis gelangt Bürkle, ‹Kunst›-Reflexionen, S. 161f. 109 Laude, Quelle als Konstrukt, S. 228. 110 Das sam in jenen Passagen ermöglicht hier tatsächlich die Verbindung mit Isers Thesen, insofern man es als Fiktionalitätssignal - oder mit Iser als ‹Entblößung› - wertet, das den spezifischen Status von (fiktionaler) Literatur offenbart. Vgl. Iser, Akte des Fingierens. Oder: Was ist das Fiktionale im fiktionalen Text? In: Funktionen des Fiktiven, S. 121-152, hier S. 142. Auch in der ‹Crône› begegnet die ‹Als-ob›-Konstruktion, z.B. wenn es bei der Schilderung von Gasoeins Waffenausrüstung bzw. des Schilds heißt, daß ein Löwe darauf zu sehen sei, sam in nataur / Drauf geworht het von golde/ Mit gebaern, sam er wolde/ Di werlt gar verslinden […] Des stimme was starch groz/ Sam er lebt vnd schriuwe da,/ Vnd het sich auf div pein gesmogen,/ Reht sam er stüend ze sprunge […] (Vv. 10544ff.). Vgl. außerdem V. 985 und 1000 (descriptio des wunderlichen Reittiers des Gesandten von König Privre), sowie Vv. 14259ff. und 14413ff. Freilich ist der Gebrauch der ‹Als-ob›-Konstruktion nicht auf die Artusromane beschränkt. Auch im ‹Nibelungenlied› wird sie verwendet, wenn Siegfried und Kriemhild nach dem Sachsenkrieg sich das erste Mal begegnen und der Erzähler vermerkt, daz Sigmundes kint habe so minneclîche dagestanden, sam er entworfen waere an ein permint/ von guotes meisters listen (NL, 286,1-3 B). Auch hier wird durch den Hinweis auf das Pergament und die Fähigkeit des meisters der Aspekt von Kunstfertigkeit aufgeworfen, wobei es hier zuvorderst um das der Kunst inhärente Idealisierungspotential geht, das wiederum dazu genutzt wird, Siegfrieds Schönheit und Tugend umso deutlicher werden zu lassen. schaft» 111 durchaus positiv dargestellt werden, beurteilt der Erzähler die das Zelt schmückenden Vögel weniger wohlwollend; denn sie trüegen die liute. Damit verweist der Erzähler also zunächst einmal auf die Tatsache, daß der Eindruck, die Vögel könnten tatsächlich fliegen, eine Täuschung sei. 112 Von meisterschaft bzw. list ist hier keine Rede. Somit drängt sich die Frage auf, ob der Verfasser seinen Erzähler hier eine Einstellung - liest man die Satteldecken- Passage mit Laude - zurücknehmen läßt, die er gut tausend Verse zuvor angedeutet hat: Dort werde der Aspekt der ‹Lebensechtheit› als meisterschaft, hier negativ als Trug gewertet. Doch denke ich, daß hier vielmehr auf zwei weitere Aspekte aufmerksam gemacht werden soll, und zwar zum einen auf die Tatsache, daß Kunst die sinnliche Wahrnehmung in die Irre führen kann, sowie zum anderen auf die Möglichkeit, daß Täuschung respektive sich als Trug erweisende Erfindung eine weitere Potentialität von Kunst ist. Auch dies läßt sich der Schilderung des gereites entnehmen, wenn der Erzähler darauf hinweist, daß die Beschaffenheit der Steigbügel den Augen verborgen bleiben muß 113 und allenfalls durch den Tastsinn ‹begriffen› werden könne (Vv. 7682ff.). Der Aspekt der Täuschung und des Trugs mag zwar ebenfalls indirekt auf die von Laude angeführte Trompe-l’oeil-Lehre hinweisen, indem ex negativo auf das artificium aufmerksam gemacht wird, weiterhin erinnert er aber auch an ein fictio- Verständnis, wie es sich bereits in Ovids ‹Metamorphosen› findet: Die fictio offenbart sich dort auch als «Sinnestäuschung, deren Medialität vom Erzähler reflektiert wird, vom wahrnehmenden Helden [oder eben von liuten] unbemerkt bleibt». 114 Das fingere bzw. der Akt des Fingierens zeigt sich als Oszillation zwischen forma und trügerischem Vorspielen. 115 Wird also in der Satteldecken-Passage verstärkt auf den Aspekt der künstlerischen forma hingewiesen, so wird in der Zelt-descriptio (und im Falle der Steigbügel) gleichsam die an- 60 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 111 Laude, Quelle als Konstrukt, S. 227. 112 Welche liute werden denn eigentlich durch die vermeintlich fliegenden Vögel getäuscht? Der Logik der narratio folgend können dies ausschließlich diejenigen Ritter sein, die sich an der âventiure versuchten und deren Köpfe nun auf den Pfählen stecken. 113 In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, daß gleich zu Beginn der Schilderung die Möglichkeit ausgeschlossen wird, ein solches Pferd jemals (an-)sehen zu können (V. 7280): Das Moment des ‹Nicht-Betrachten-Könnens› wird auch einige Verse später aufgegriffen, wenn von der Färbung des Zelters die Rede ist. Der Erzähler macht darauf aufmerksam, daß die weiße Färbung der einen Seite des Pferds den ougen widerglaste, so daß ez enmohte nieman vaste/ deheine wîle angesehen (Vv. 7296-7298). Wird somit zu Beginn der Schilderung auf die Tatsache verwiesen, daß ein Pferd von derartig vollkommener Schönheit nicht (mehr) zu finden sei, so wird im folgenden seine überdurchschnittlich glänzend weiße Färbung herangezogen. 114 Stierle, Art. ‹Fiktion›, S. 383. Als Beispiele führt Stierle u.a. den Narziß-Mythos, wo es heißt: «corpus putat esse, quod unda est» (III, 417), sowie Circes Zauber, um an Picus Rache zu üben, an: «Dixit et effigiem nullo cum corpore falsi/ [...]» (XIV, 358) zitiert nach P. Ovidius Naso: Metamorphosen. Lateinisch/ Deutsch. Übers. und hg. von Michael von Albrecht. Stuttgart 2003 (RUB, 1360). 115 Vgl. Stierle, Art. ‹Fiktion›, S. 384. dere Seite der Medaille, nämlich der Aspekt der Täuschung fokussiert. Damit ist zugleich ein bekannter Vorwurf berührt, wie er z.B. von Augustin an die Kunst herangetragen wird, der die Doppeldeutigkeit des lateinischen fingere u.a. im Zusammenhang mit der Übersetzung der griechischen ‹Genesis› wie folgt kommentiert: 116 Sed ambiguitas visa et devitanda eis, qui formavit dicere maluerunt, eo quod in Latina lingua illud magis obtinuit consuetudo, ut hi dicantur fingere, qui aliquid mendacio simulare componunt. 117 Indem Hartmann seinen Erzähler in dieser Passage den Täuschungsaspekt von Kunst thematisieren läßt, wird auch ein Bewußtsein über die verschiedenen Konnotationen des fictio-Begriffs deutlich. Zwar wird kein unmittelbarer Konnex zwischen Geschildertem und dem eigenen Werk expliziert, doch die im Text verwendeten Verben (entworfen, V. 8908, trügen, V. 8911) 118 verweisen auf die unterschiedlichen Bedeutungsschattierungen (Formung und Täuschung) und eröffnen den Rezipienten so die Möglichkeit, diese Konnotationen auf das Erzählte zu transferieren. Wie Erec (und die nicht näher bezeichneten anderen liute) auf der Ebene der narratio durch die bildliche Darstellung der auf dem Zelt dargestellten Tiere zumindest potentiell getäuscht werden kann, so können auch die Rezipienten des Romans, der Erzählung von Erec und Enite in die Irre geführt werden, wenn sie nicht erkennen, daß das Erzählte im Modus des ‹Als-ob›, mithin als erfunden präsentiert wird. 119 I.1.4 Ironisierung der Augenzeugenschaft: Der roc von Enitens Cousine Die Bemerkung des Erzählers zur Kleidung von Mâbonagrîns vriundinne ist vor allem von Strasser, Schirok und Kuttner 120 näher untersucht worden. Die Beurteilungen der Episode erstrecken sich dabei von der Einschätzung als eines Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 61 116 Vgl. ebd., S. 391. 117 Augustinus: De civitate Dei. XIII,24 (CCL, 47/ 48, XIV,1/ 2): «Doch wählten manche lieber das Wort ‹formte›, um eine durch das Lateinische nahegelegte Zweideutigkeit zu vermeiden. Denn in dieser Sprache sagt man ‹fingere› meist von denen, die etwas vortäuschen wollen.» Übers. nach Augustin, Aurelius: Vom Gottesstaat (De civitate Dei). Vollständige Ausg. in einem Band. Buch 1 bis 10. Buch 11-22. Aus dem Lateinischen übertragen von Wilhelm Thimme. Eingel. und komm. von Carl Andresen. München 2007, Buch 2, S. 146. Für Augustin ist es demnach gerade die Verbindung von Kunstfertigkeit und Trug, die das fingere bzw. die fictio problematisch macht. Vgl. Stierle, Art. ‹Fiktion›, S. 391. 118 Siehe BMZ III, S. 736: entwerfen: gestalten, einen plan fassen, und triegen: trügen betrügen, in BMZ III, S. 103. 119 Damit wird zumindest an dieser Stelle implizite die intentio fallendi umgangen, indem das Lügenhafte wenigstens als Möglichkeit thematisiert wird. Vgl. Knape, Historie, S. 337, und Knapp, Historiographisches und fiktionales Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), S. 29. 120 Vgl. Strasser, Fiktion und ihre Vermittlung, S. 69, Schirok, ein rîter, der gelêret was, S. 204, und Kuttner, Das Erzählen, S. 34. «humoristischen Übersehens des Märchenhaften wie des Realistischen» 121 über eine Distanzierung von letztlich historisch verankertem werc und literarisiertem maere 122 bis hin zur bewußten Offenbarung der Fiktionalität des Erzählten. 123 Ungeachtet der Frage, ob die Bemerkung auf die Fiktionalität des Erzählten schließen läßt, ist diesen Überlegungen die Einsicht gemeinsam, daß die Beteuerungen des Erzählers letztlich darauf abzielten, den Blick des Rezipienten über die narratio hinaus auf den Akt des Erzählens zu lenken. 124 Mit Strasser wird im folgenden davon ausgegangen, daß der Kommentar dazu dient, die Fiktionalität des Erzählten zu erweisen; doch soll dies erstmals anhand einer eingehenden Interpretation deutlich gemacht werden. Der Erzähler beginnt damit, die außergewöhnliche Schönheit der Dame, die nur von Enîtes Schönheit noch übertroffen wird, zu preisen (Vv. 8926ff.). Sie sei vil schône gekleit gewesen, gehüllt in einen langen Mantel aus Hermelin und ein Obergewand aus Samt, wie braunes Glas gefärbt und an den Handgelenken mit Zobel besetzt; 125 ihr Haar wird von einem Band zusammengehalten. Damit verfährt Hartmann anders als Chrétien, bei dem die Schönheit des Mädchens (une pucele, V. 5833) mit der Lavinias verglichen wird, der Erzähler sich aber darüber hinaus anschickt, nichts weiteres von dem Mädchen berichten zu wollen (Vv. 5837ff.). Auf den Vergleich mit Lavina wird im ‹Erec› also zugunsten eines Vergleichs mit Enîte bzw. mit anderen ungenannten Damen, diu dô wâren oder noch sint (V. 8934), verzichtet, womit zugleich - durch den Anspruch auf ‹Allgemeingültigkeit› (Früher-Heute) - Enîtes Sonderstellung gefestigt wird. Diese Kleiderschilderung unterbricht der Erzähler, indem er eine fingierte Rezipientenfrage nach der Beschaffenheit des roc[s] der Dame aufgreift. Diesen jedoch könne er nicht schildern, denn er habe ihn noch nie gesehen, da er noch nie vor sie getreten sei; man solle doch ihre Kämmerer fragen (Vv. 8945ff.). 126 Während Strasser in diesem Kommentar einen Appell an die Rezipienten sieht, sich den Rock doch so vorzustellen, wie man wolle, 127 vertritt Schirok die Meinung, daß der Verweis die Verbindung von «(historisch gedachtem) werc und dargebotenem maere», 128 jedoch nicht zwingend die Fiktionalität des Erzählten zum Inhalt habe: «Der Grund, warum man [...] 62 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 121 Ebd. Kuttners Studie erschien im Jahre 1978 und läßt den Fiktionalitätsaspekt daher unberücksichtigt. 122 Schirok, ein rîter, der gelêret was, S. 204. 123 Strasser, Fiktion und ihre Vermittlung, S. 69. 124 Zu vergleichbaren Ergebnissen kommt Kellner für den ‹Parzival›, vgl. Kellner, Spielräume der Fiktionalität. 125 Vgl. die Kleidung Camillas im ‹Eneas› (147,8-12). 126 Diesem Erzählereinwurf vergleichbar ist die Bemerkung des Erzählers im ‹Willehalm›, der bei der Personenschilderung am Abend vor dem Aufbruch der Truppen nach Orléans genaue Personenangaben mit dem Hinweis verweigert, wenn er etwas vergessen habe, solle man doch die Nachbarn der Vasallen fragen (‹Willehalm›, 208,28ff.). 127 Strasser, Fiktion und ihre Vermittlung, S. 69. 128 Schirok, ein rîter, der gelêret was, S. 204. die kameraere nicht nach dem Rock befragen kann, liegt darin, daß der Roman in der Vergangenheit spielt und die Figuren deshalb nicht mehr befragbar sind.» 129 Dieser Zeitabstand zwischen werc und maere bedinge, wie auch in der Sattelbeschreibung, so Schirok, daß der Erzähler nicht Augenzeuge des Geschehens sei und ohne Quelle keine Angaben machen könne. Dem ist im Hinblick auf die Erzählerbemerkung zu Enîtes Cousine zunächst entgegenzuhalten, daß der Erzähler auch keine Quelle bemüht, wenn er den Mantel der Dame beschreibt; wie in der Wunderpflaster-Passage wird hier auf jedweden ‹Beweis› - sei es in Form einer Quellenberufung oder einer Wahrheitsbeteuerung - verzichtet. 130 Folgte man Schiroks Argumentation, so müßte sich der Erzähler ja jeglichen Kommentars zur Kleidung der Dame enthalten, dürfte also auch nicht Mantel und Haarschmuck erwähnen - denn wie hätte er, ohne die Dame jemals gesehen zu haben oder sich auf eine Quelle zu berufen, ihren Mantel, nicht aber ihren Rock beschreiben können? Ferner ist der ironische Unterton der Bemerkung zu bedenken, der sich auf elocutioneller Ebene in der Litotes wan ich niht dicke vür si gie manifestiert. 131 In diesem Zusammenhang - und dies ist der zweite bedeutsame Punkt, den Schirok vernachlässigt - ist zu beachten, daß auch Erec selbst den Rock der Dame nicht erblicken kann (V. 8950), was laut Erzähler wohl daran liege, daß sie sich ganz und gar in den Mantel gehüllt habe. 132 Dies zeigt deutlich, daß Schiroks Erklärung - der Zeitabstand zeichne für die fehlenden Informationen verantwortlich - zu kurz greift. Der Erzähler macht deutlich, daß auch für Erec auf der Ebene der narratio (und ohne jedwede zeitliche Differenz) die Möglichkeit der sinnlichen Wahrnehmung nicht gegeben ist - denn auch Erec kann nur den vom Erzähler geschilderten Mantel sehen. Somit wird auch Erec nicht zum ‹Augenzeugen›, der das Kleidungsstück hätte betrachten können. Der Konnex zwischen den Ebenen der histoire und des discours wird so expliziert: Erec - als Protagonist des Erzählten - kann nicht mehr erkennen als die Rezipienten des Erzählten. Beide sind sie abhängig vom Erzähler, der ihnen die Details über den roc vorenthält, indem er die Rezipienten anweist, die Kämmerer zu befragen, und Erec im wahrsten Sinne des Ausdrucks ‹die Sicht nimmt› und somit aufzeigt, daß auch derjenige, der vür sie gât, nichts zu sehen vermag. Damit gibt sich der Erzähler als Dirigent des Erzählten zu erkennen, der sowohl Einfluß auf Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 63 129 Ebd. In seinem Aufsatz bemerkt Schirok dann etwas später, daß die Episode möglicherweise doch als «eine Vorbereitung des Fiktionalitätsbewußtseins zu sehen» sei, ebd., S. 205. 130 Vgl. Green, The Beginnings of Medieval Romance, S. 85. 131 Vgl. Lausberg, HbRh, § 586, Rhet. Her. IV,50 (deminutio), sowie Paul, Hermann: Mittelhochdeutsche Grammatik. Überarb. von Peter Wiehl und Siegfried Grosse. 24. Aufl. Tübingen 1998 (Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte; A. Hauptreihe, 2), § 436. Vgl. auch Schultz, J[ames] A.: The Shape of the Round Table. Structures of Middle High German Arthurian Romance. Toronto u.a. 1983, bes. S. 165: «For eight thousand lines Hartmann could describe everybody’s attire; suddenly he’s missing a detail […]». 132 Vgl. auch Strasser, Fiktion und ihre Vermittlung, S. 69, sowie Niesner, Das Wunderbare, S. 141f. ‹seine› Rezipienten als auch ‹seine› Figuren ausübt. Der Erzähler ironisiert somit auch das Thema ‹Augenzeugenschaft›, indem er zum einen vorgibt, nichts schildern zu können, was er nicht selbst gesehen (oder gelesen) habe, ihn dieses ‹Gebot› aber im Falle des Mantels nicht zu interessieren scheint. Die Möglichkeit der adtestatio rei visae wird - indem der Erzähler sie punktuell absolut setzt - spielerisch demontiert: Nicht auf Grund einer zeitlichen Diskrepanz bleibt der Rock ‹ungesehen›, sondern ausschließlich deshalb, weil der Erzähler ihn nicht schildert und das Kleidungsstück somit nicht als literarische Erfindung Eingang in das Erzählte erhält. Der Erzähler verweigert auf ironische Weise ein figmentum poetarum und verweist somit auf die Fiktionalität des Erzählten. Auf vergleichbare Weise verfährt der Erzähler auch bei der Schilderung des gereites: Hierzu zählen insbesondere die Bemerkung, es schwäche seine [des Erzählers] sinne [künstlerischen Fähigkeiten], daß er den Sattel niemals gesehen habe (Vv. 7485f.), sowie die Aufforderung an die Rezipienten, die nicht näher bezeichneten, auf der Satteldecke dargestellten merwunder doch selbst suchen zu gehen (Vv. 7613ff.). Die scheinbar wehmütige Bemerkung, den Sattel nie selbst gesehen zu haben (Vv. 7485f.), ist in den ersten Part der Sattelbeschreibung integriert, der sich insbesondere durch die vom Erzähler vorgenommene Differenzierung in die meisterlîche arbeit des Umbrîz (Vv. 7462f.) und die eigene tumbe Knechtsstellung (V. 7480) auszeichnet. Die Fähigkeiten des meister[s] Umbrîz, 133 der gute vier Jahre seinen vlîz auf die Herstellung des gereites verwandt hat, bis es seiner Vorstellung entsprochen habe (Vv. 7474f.), werden vom Erzähler als so außergewöhnlich dargestellt, daß er angesichts dieser meisterlîchen arbeit das Werk nicht schildern könne. Indem sich der Erzähler als tumbe[n] kneht bezeichnet, stellt er also seine (angeblich) geringen Fähigkeiten denen des meisters kontrastiv gegenüber. Dies muß bereits angesichts der schon erfolgten Beschreibung des Zelters verwundern und wird auch sogleich relativiert, denn - so der Erzähler - selbst wenn er zu einer adäquaten Beschreibung fähig sei, würde diese Aufgabe einen einzelnen Sprecher doch überfordern. Dieser Aspekt gewinnt insbesondere im Hinblick auf den folgenden Dialog an Bedeutung, da hier u.a. vorgeführt wird, daß der ‹zweite› Erzähler in Gestalt des Rezipienten, der also aus dem einen mund formal zwei macht, an der Schilderung scheitert. Die Demutsformel wird somit spielerisch überwunden: Indem sich der Erzähler zunächst zum unwissenden Knecht stilisiert und im Anschluß gesteht, die Schilderung des Sattel- und Zaumzeugs überfordere einen einzelnen Sprecher, steigert er die eigene Souveränität und das eigene künstlerische Vermögen. 134 Denn letztlich ist er es, der die meisterlîche arbeit gekonnt 64 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 133 Zum Namen des bei Chrétien unbenannten Elfenbeinschnitzers vgl. Laude, Quelle als Konstrukt, S. 222 (Anm. 50), sowie Scholz, Kommentar, S. 909ff. Vgl. auch Bürkle, ‹Kunst›-Reflexionen, S. 159. 134 Wird wân mit Cramer als Vorstellungsvermögen übersetzt, dann scheint die abfällige Äußerung des Erzählers über die Kurz-descriptio des imaginierten Hörers tatsächlich auf die Qualität des Erfundenen hinzuweisen. beschreibt und somit zeigt, daß allein sein Können ausreicht, das darüber hinaus dem des Umbrîz gleichzusetzen ist. 135 Vor diesem Hintergrund erhält auch die Bemerkung, es schade ihm bzw. seinem sinne, daß er den Sattel nie gesehen habe (Vv. 7485f.), und die sich anschließende Berufung auf den Gewährsmann (Vv. 7487f.), eine subtile Bedeutung. Die Berufung auf denjenigen, von dem er die Erzählung vernommen habe, zeigt nicht ausschließlich die Vorlagengebundenheit der Schilderung an; 136 vielmehr verweist sie auf die Tatsache, daß der Sattel - wie der Rock der Dame in joie de la curt - als ein literarisches Gebilde zu sehen ist. 137 Daß er den Sattel nie mit eigenen Augen gesehen habe, schadet dem Erzähler bzw. seinem sinne also keineswegs, im Gegenteil - er stilisiert sich über den kneht-meister-Kontrast und die zum Scheitern verurteilte descriptio des fingierten Rezipienten gerade zu demjenigen, der als einziger (ausgenommen des nicht näher bezeichneten Gewährsmanns) in der Lage scheint, die Schilderung rehte vollenden zu können. Das Moment der Augenzeugenschaft wird somit durch den narrativen Vorgang und innerhalb der rhetorischen Ausgestaltung als unwesentlich präsentiert. Auf vergleichbare Weise verfährt der Erzähler auch bei der Schilderung der Satteldecke, wenn er die Auskunft über die Namen der zahlreichen merwunder verweigert und er die Rezipienten dazu anhält, sich doch einen anderen ‹Informanten› zu suchen, wenn sie Genaueres erfahren wollten (Vv. 7615ff.). 138 Hier liegt jedoch keine traditionelle nescio-Formel vor, sondern der Erzähler scheint eher darauf aufmerksam zu machen, daß er sich aus Willkür gegen die Nennung der Wesen entscheidet und sie den Rezipienten vorenthält. Er expliziert somit auch seine Funktion zu erzählen, und zwar indem er sie negiert. Jedoch wird in dem sich anschließenden Hinweis, es sei wahrscheinlich (vil lîhte, V. 7621), daß ein über die Tiere unterrichteter Mann nicht zu finden sei, gleichzeitig darauf hingewiesen, daß die Abhängigkeit der Rezipienten vom Erzähler weiter bestehen bleibt. Alles, was er ihnen dann noch raten könne, sei, sich schnell selbst zum Meer aufzumachen und dort die Tiere darum zu bitten, aus dem Wasser an Land zu kommen. Allerdings könne auch dies vermutlich nicht Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 65 135 Vgl. Chinca/ Young, Literary Theory, S. 629: «If previously the source-meister and the saddle-meister relation had merged, now it is the narrator himself who merges into the maker of the exquisite artefact [...]», sowie Bürkle, ‹Kunst›-Reflexionen, bes. S. 156-158. 136 Vgl. Schirok, ein rîter, der gelêret was, S. 204. 137 Das Partizip geprüevet sollte daher auch nicht zwingend mit ‹gefertigt/ hergestellt› übertragen werden, sondern kann auch mit ‹dargestellt/ geschildert› übersetzt werden. Vgl. BMZ II, S. 539. Diese Übertragung macht die Differenz zwischen literarisch erschaffener (dargestellter) und eher materieller Qualität des Sattelzeugs deutlich. 138 Die Frage nach den Namen der Wesen wird in der 6. und 7. Aufl. der ATB-Ausgabe als exclamatio des Erzählers verstanden (nach Hs. K), während Hs. A, der Haupt und Leitzmann hier folgen, der aufweist (vgl. die Übers. bei Cramer: «Wenn mir jemand die Namen sagen könnte, wollte ich sie gern kennenlernen [...].»). Entscheidet man sich für die Lesart von K (wer), sollte jedoch in Erwägung gezogen werden, die Frage - dem vorhergehenden Dialog vergleichbar - als Einwurf des fingierten Hörers zu sehen, und die Antwort des Erzählers, «sucht euch doch einen, der es weiß», als (ironischen) Reflex zu lesen. zum ersehnten Erfolg führen. 139 Als letzte Möglichkeit bleibe dann nur noch der ‹Sprung ins kalte Wasser›: sô suochet selbe den grunt/ dâ werdent si iu dann kunt, und zwar mit grôzem schaden, mit lützelm vrumen (Vv. 7632ff.). Besser sei es - und dies ist der Rat des Erzählers an seine vriunde -, man unterließe die niugerne und bleibe daheim. In diesem Zusammenhang ist abschließend zu bemerken, daß der grunt, den der Erzähler seine Hörer zu suchen auffordert, durchaus auch auf übertragener Ebene verstanden werden kann. 140 Demnach werden die Rezipienten nicht nur (ironisch) dazu aufgefordert, den Grund des Meeres aufzusuchen, sondern es wird ihnen nahegelegt, auch den Grund (die Ursache bzw. den Ursprung) dafür herauszufinden, warum diese empirische Überprüfung wohl in die Irre führen werde: Die Besichtigung des Meergrundes kann deswegen nur zu grôzem schaden führen, da sie einen an Faktizität gebundenen Erkenntniswillen voraussetzt, dem das Erzählte sich verweigert. Daß eine solche Lesart dieser ‹Erec›-Stelle nicht unrecht tut, zeigt nicht zuletzt der ‹Gauriel› von Muntabel: Nach Gauriels Empfang in Frîâpolatûse, des Helden Schönheit ist bereits durch die von Elete aufgetragene Salbe wieder hergestellt (vgl. Vv. 3118ff.), wird auf einer wunderschönen Lichtung ein Fest zu Ehren der siegreichen Ritter gefeiert. Keine Wiese habe jemals ein dach sô wol gezieret empfangen (V. 3153), erklärt der Erzähler angesichts der alles bedeckenden Bäume, die zusammen mit zahlreichen Brunnen/ Quellen, Blumen und lieblichem Vogelgesang den locus amoenus komplettieren. Alles sei so vortrefflich, als ez mit vlîze waere/ in einander gesniten (Vv. 3156f.). Insbesondere durch das Partizip verweist der Erzähler auf die implizierte Konstruiertheit der schönen Lichtung, die eher literarisch zusammengefügt, denn faktisch wirkt. Der Bezug zum ‹Erec› jedoch resultiert vor allem aus den folgenden Versen: Auf dieser wunderschönen Wiese sei, so weiß der Erzähler weiterhin zu berichten, eine ausgezeichnete Bestuhlung aufgestellt worden, deren Herkunft folgendermaßen dargelegt wird: diu künegin hiez machen von wunderlichen sachen ûf den wunderlichen plân ein gestüele wol getân, […] ez [daz gestüele] worhte ein wunderlichez her und was komen ûz dem mer, ez worhten merwunder. dâ enkunde niemen under haben vunden einen spân der als holze waere getân: die tische wâren helfenbein 66 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 139 Verknüpft sind beide Passagen durch das vil lihte, das die Möglichkeit, den Rat tatsächlich in die Tat umzusetzen, ad absurdum führt. 140 Vgl. grunt in Gr. Lexer I, Sp. 1101, sowie BMZ I, S. 581. […] wer [daz] gestüele wolde ûf einen kouf ahten, der kunde niht trahten wie tiure ez waere. (Vv. 3161-3187) Wie in der Zelter-descriptio bzw. bei den Erläuterungen des Erzählers zu Feimurgâns Pflaster wird auch an dieser Stelle des ‹Gauriel› das Außergewöhnliche nicht plausibilisiert oder glaubwürdig gemacht, sondern auch hier wird das Verwunderliche an den Bereich des Wunderbaren gebunden und somit eine ‹märchenhafte›, weil nicht weiter erklärte Dimension des Erzählten eröffnet: Das Wunderbare ist wunderbaren Ursprungs (vgl. Kap. I.1.2 d.A.). 141 Sprachlich ist hier vor allem die Häufung des Adjektivs wunderlich zu vermerken, das sowohl in Zusammenhang mit der Herstellung des gestüeles (V. 3162), der Lichtung (V. 3162) sowie mit den Urhebern des Möbelwerks (V. 3167) verwendet wird. Aus der Zusammensetzung dieses Adjektivs und der Provenienz der Hersteller bzw. der Bestuhlung (mer, V. 3168) wird dann in der Folge die Wesensart der Urheber gewonnen: ez worhten merwunder (V. 3169). 142 Vor dem Hintergrund der Sattelbeschreibung, in der Hartmanns Erzähler explizit darauf hinweist, daß elliu auf der Satteldecke dargestellten merwunder (V. 7613) den Augen der Rezipienten verborgen bleiben müssen, da sie ausschließlich in der Erzählung existieren, mithin fiktional sind, wird somit deutlich, daß der Verfasser des ‹Gauriel› dies erkannt zu haben scheint und ferner dazu genutzt hat, jene Qualität auf seine Schilderung zu übertragen. Die merwunder, die bei Hartmann durch die ironische Erzählerhaltung deutlich als faktizitätsunabhängig dargeboten werden, können nun in die Beschreibung des wunderbaren Ortes und der wunderbaren Begebenheiten als bereits etablierte fiktionale Elemente eingeflochten werden. 143 Daß hier auf die Sattelbeschreibung des ‹Erec› angespielt wird, ist nicht ausschließlich durch die merwunder zu belegen, sondern auch mit Bezug auf die Beschaffenheit der Stühle und Tische, die - ebenso wie der Sattel - nicht etwa aus Holz (wie der fingierte Hörer im ‹Erec› mit Blick auf den Sattel annimmt, V. 7502), sondern - wiederum wie der Sattel - Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 67 141 Gauriels Minneherrin präsentiert diese Sphäre des ‹Märchenhaften› ja bereits von Beginn, da sie durch ihre Feennatur, das (wenngleich auch modifizierte) Tabu und durch das von ihr beherrschte außergewöhnliche Land einer ‹Anderswelt› zugeordnet ist. 142 Auch bei dem späteren Eintreffen der Fee am Artushof (Vv. 5330ff.) befinden sich in ihrem Gefolge merwunder/ von maniger hande geschaft (Vv. 5476f.). Die sich anschließende Beschreibung der verschiedenen wundersamen Wesen (die wohl nicht nur die merwunder, sondern auch das restliche Gefolge umfaßt) geht dabei auf verbreitete mittelalterliche Vorstellungen von Mischwesen zurück (vgl. den Kommentar zur hier verwendeten Ausgabe, S. 557). 143 Damit sind die ‹merwunder› des ‹Erec› tatsächlich aus dem Meer gekommen, jedoch nicht indem sie als ‹faktische› Wesen präsentiert werden, sondern indem sie aus dem ursprünglich fiktionalen Erzählzusammenhang gelöst und in ein neues maere integriert werden, um hier ebenfalls punktuell auf die Fiktionalität des Erzählten zu verweisen. aus Elfenbein (‹Erec›, V. 7528, ‹Gauriel›, V. 3172) hergestellt und überdies mit Edelsteinen (‹Erec›, V. 7529, ‹Gauriel›, V. 3173) bedeckt sind. Auch das dritte von Hartmann erwähnte Element (vgl. V. 7534, von disen mâterjen drin), Gold, wird im ‹Gauriel› genannt (V. 3183), so daß auch über die verwendeten Materialien eine Parallele zu dem Sattel hergestellt wird. Diese Reminiszenzen an die descripito im ‹Erec› werden somit als ‹Zitate› eingesetzt, nicht nur um die Exklusivität der Gegenstände zu betonen, sondern auch indem sie die bereits im ‹Erec› etablierte Distanzierung zu einer faktisch gedachten Bezugsgröße übernehmen, die im ‹Gauriel› durch die Situierung in der Feenwelt zusätzlich angezeigt wird. Daher ist Isolde Neugart sicherlich zuzustimmen, wenn sie festhält, daß der Verfasser des ‹Gauriel› die literarische Tradition als Basis nutzt, um letztlich seine eigene Erzählung zu formen. 144 Jedoch ‹verhüllt› der Autor diese Anspielungen nicht, 145 vielmehr bindet er sie wie in dem untersuchten Beispiel so in seine Erzählwelt ein, daß sie zumindest für den kundigen Rezipienten weiterhin erkennbar bleiben und aus dieser ‹Erkennbarkeit› ihre Funktion erhalten. 146 Gerade die wiederholten ‹Zitate›, die im ‹Gauriel› Verwendung finden, dienen damit nicht nur dazu, einen Bezug zu einer literarischen ‹Vorgeschichte› herzustellen, sondern indem sich der Verfasser (wie in der Beschreibung des gestüeles) gerade solcher Aspekte bedient, die auf die Fiktionalität seiner Vorläufer verweisen, werden sie auch im ‹Gauriel› dazu genutzt, auf die fiktionale Konstruktion seiner Erzählwelt hinzudeuten. I.1.5 Zusammenfassung Alle hier behandelten Textstellen sind Passagen, die Hartmann gegenüber Chrétien mittels der poetisch-rhetorischen Adaptationstechniken ausbzw. umgestaltet hat. Dies gilt auch für die hier nicht näher besprochene Zelter- 68 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 144 Vgl. Neugart, Isolde: Beobachtungen zum ‹Gauriel von Muntabel›. In: Fs. Walter Haug und Burghart Wachinger. Hgg. Johannes Janota u.a. 2 Bde. Hier Bd. 2. Tübingen 1992, S. 603-616, hier S. 607f. Vgl. auch die Einleitung von Wolfgang Achnitz zur hier verwendeten Ausgabe, bes. S. 198ff. 145 Vgl. Neugart, Beobachtungen, S. 606. 146 Erinnert sei hier auch an Erecs ausführliche Warnung vor dem verligen (Vv. 3276ff.), in der Erec die Rolle Gaweins, die er im ‹Iwein› innehat, selbst übernimmt. Auch hier wird der literarische Bezug nicht überdeckt, sondern vielmehr offengelegt, so daß gerade durch die bewußte und nicht-verdeckte Anspielung die Möglichkeit genutzt wird, das Erzählte als Bestandteil einer literarischen Tradition auszuweisen und darüber hinaus neue Akzente zu setzen. Im Fall des hier zitierten verligens wird der literarischen Figur Erec somit ein neues Reflexionsniveau zugestanden, da sie ihre eigene Verfehlung nun selbst benennen kann und keiner Mittlerfigur mehr bedarf. Vgl. dazu auch Kern, Peter: Reflexe des literarischen Gesprächs über Hartmans ‹Erec› in der deutschen Dichtung des Mittelalters. In: Artusrittertum im späten Mittelalter. Ethos und Ideologie. Vorträge des Symposiums der deutschen Sektion der Internationalen Artusgesellschaft vom 10. bis 13. November 1983 im Schloß Rauischholzhausen (Universität Gießen). Hg. Friedrich Wolfzettel. Gießen 1984 (Beiträge zur deutschen Philologie, 57), S. 126-137. descriptio. Jene Tatsache ist zunächst nicht weiter bemerkenswert, entspricht das Vorgehen doch dem mittelalterlichen Dichtungsverständnis. Bedeutsam ist jedoch, daß diese Erweiterungen allesamt dazu genutzt werden, die literarästhetische Dimension des Erzählten zu reflektieren. Die descriptiones und die Pflaster-digressio erschöpfen sich nicht in ihrer Funktion des Verdeutlichens und Plausibilisierens, sondern sie werden auch reflektierend als poetische Verfahren thematisiert. In Kombination mit der souverän auftretenden Erzählerfigur, die stets den Kontakt zu den (fingierten) Rezipienten sucht, kann darüber hinaus die Fiktionalität des Erzählten vorgeführt werden: Die betonte Literarizität bzw. Rhetorizität des Erzählten wird somit gleichzeitig als Möglichkeit genutzt, Fiktionalität für das Erzählte zu beanspruchen, 147 indem die souveräne Erzählerfigur die figmenta ihrer ausschließlich funktionalen Dimension beraubt und sie als Erfundenes, als vom Dichter Geschaffenes einführt. Mag auch die Zelter-descriptio das deutlichste Beispiel für diese Feststellung abgeben, so konnte anhand der untersuchten Textstellen gezeigt werden, das Hartmann an weiteren Stellen seines Romans dieses Verfahren in Gebrauch nimmt und so die Fiktionalität des Erzählten durchweg kenntlich macht. Dabei konnten die folgenden Möglichkeiten isoliert werden, mittels derer auf den fiktionalen Status aufmerksam gemacht wird: Sowohl in der Kleider-Schilderung der Dame als auch in den hier angeführten Passagen der Sattel-descriptio thematisiert der Erzähler die adtestatio rei visae, um sie letztlich zu ironisieren und ad absurdum zu führen. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, daß die z.B. von Ridder abgelehnte «Opposition [der Fiktionalität] zum Faktischen» 148 insofern vorhanden ist, als der Faktizitätsbegriff in den Kontext der historia einzuordnen ist. Ebenso wie die Relativierung der schriftlichen auctoritas, die sich besonders gut in der Zauberpflaster-digressio erkennen läßt, werden signifikante Elemente des historia-Verständnisses, dem immer ein Faktizitätsgehalt (res gestae) eignet, 149 punktuell als unbrauchbar erwiesen. Die Fiktionalität des ‹Erec› beschränkt sich nicht auf diese Opposition, aber nur auf dieser Grundlage können weitere Aspekte des fictio-Konzepts verdeutlicht und erst das Bewußtsein für eine - ‹modern› gesprochen - mangelnde Referenzialisierbarkeit fiktionaler Rede etabliert werden. Darüber hinaus konnte auch der Verzicht auf eine eingehende Plausibilisierung in Kombination mit der Hervorhebung des ‹Märchenhaften› für den ‹Erec› festgestellt werden: Gewinnung des Zelters und Herstellung bzw. Provenienz des Zauberpflasters werden in den Bereich des ‹Märchenhaften› verwiesen, indem das Verwunder- Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 69 147 Für den ‹Parzival› kommt Kellner, Freiräume der Fiktionalität, bes. S. 182 und 202f., zu vergleichbaren Ergebnissen. 148 Ridder, Fiktionalität und Autorität, S. 559. 149 Vgl. Knapp, Der Gral. In: Historie und Fiktion (I), S. 134, und von Ertzdorff, Die Wahrheit. Innerhalb dieser ‹Faktizität› können selbstverständlich auch Elemente, Geschehnisse u.ä. auftauchen, die dem heutigen Leser fiktiv bzw. fiktional anmuten; entscheidend ist also immer die Darbietung oder die literarästhetische Funktion, die sich wiederum nur über den intendierten oder eben nicht-intendierten Faktizitätsgehalt ermitteln läßt. liche nicht mittels glaubwürdiger Argumente erläutert, 150 sondern durch das Wunderbare als gegeben präsentiert wird. Damit unterscheidet sich die Erzählstrategie z.B. von den Partien im ‹Tristan›, in denen der Erzähler (bzw. Gottfried) große Mühe darauf verwendet, Unglaubwürdiges zu revidieren (vgl. z.B. Vv. 8601ff. ‹Schwalbenepisode› und Vv. 18459ff. ‹Tristan als Söldner›) oder aber das Erzählte rhetorisch so zu gestalten, daß es an Glaubwürdigkeit und Wahrscheinlichkeit gewinnt (vgl. z.B. Vv. 6893ff. ‹Morold- Kampf›). 151 Indem Hartmann an den untersuchten Stellen den Aspekt der Glaubwürdigkeit bewußt unterläuft, 152 werden die res fictae nicht nur als solche offenbart, sondern ihnen wird ein (ästhetischer) Eigenwert zugestanden, der den Rezipienten dazu auffordert, das Erzählte als Erfindung wahrzunehmen. Letztlich läßt sich festhalten, daß die Reflexion und Offenlegung der Bedeutungsschattierungen von fictio einen weiteren wesentlichen Bestandteil des dem ‹Erec› eignenden Fiktionalitätskonzepts ausmacht. Während Laude und Chinca/ Young den Aspekt der Kunstfertigkeit respektive des Schöpfungsakts (forma) für die Sattel-descriptio hervorheben, läßt sich im Falle der Zelt-Schilderung (und der Steigbügelbeschreibung) der eng damit verknüpfte Aspekt der Täuschung erkennen. Das sam bzw. ‹Als-ob› verweist auf beide Komponenten und wird so dazu genutzt, den Fiktionalitätsstatus als ästhetisch-eigenwertig und unabhängig von einer faktischen (oder integumentalen) veritas anzuerkennen. 153 Dies zeigt, daß im ‹Erec› ein Bewußtsein für die unterschiedlichen Bedeutungsschattierungen von fictio begegnet, das auf den Roman und seine Rezipienten zurückwirkt. Die Bemerkungen des Erzählers zeugen 70 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 150 Zur Verbindung von ‹Glaubwürdigkeit›, ‹Wahrscheinlichkeit› und ‹Argumentation› vgl. Chinca, History, Fiction, Verisimilitude, S. 86ff. und 104ff. 151 Vgl. Chinca, History, Fiction, Verisimilitude, bes. S. 104-108, Christ, Winfried: Rhetorik und Roman: Untersuchungen zu Gottfrieds von Straßburg ‹Tristan und Isolde›. Meisenheim am Glan 1977 (Deutsche Studien, 31), bes. S. 292ff., sowie Schmitz, Die Autorität, S. 468ff. Freilich bietet auch der ‹Tristan› gegenläufige Tendenzen; vgl. Köbele, Susanne: Mythos und Metapher. Die Kunst der Anspielung in Gottfrieds Tristan. In: Präsenz des Mythos, S. 219-246. 152 Damit soll keineswegs angedeutet werden, daß Hartmann nicht fähig gewesen sei, den Kriterien von Wahrscheinlichkeit respektive Glaubwürdigkeit Rechnung zu tragen; vielmehr scheint er sie bewußt zurückzusetzen, um die Rezipienten auf die fiktionale Qualität des Erzählten aufmerksam zu machen. Strasser hingegen sieht - gleichwohl sie zu ähnlichen Ergebnissen kommt - eine deutliche Bemühung Hartmanns, das Erzählte «glaubwürdiger und wahrscheinlicher als der französische Autor» zu gestalten, Strasser, Fiktion und ihre Vermittlung, S. 73. Allerdings erweisen sich die von ihr gewählten Beispiele zumindest zum Teil als ambivalent. Wenn es z.B. heißt, man solle sich auf Grund der außergewöhnlichen Zauberkräfte Morgaines nicht wundern, daß sie ein schier unglaubliches Heilmittel verfertigt habe, ebd., S. 72f., dann verbleibt die Plausibilisierung erstens innerhalb der Fiktionsanzeige und impliziert zweitens Ironie. Vgl. dazu Kap. I.1.2 d.A. 153 Dazu ist ferner anzumerken, daß hier keine Legitimation über eine mögliche verax significatio der fabula impliziert ist, sondern genau jene fictio, die dem christlichen Gelehrten suspekt und verdammenswert erscheinen mußte. Vgl. Augustinus, De civitate Dei, XIII,24 (wie Anm. 117 d. Kap.). von einem Reflexionsniveau, das zwischen funktionaler fictio und einer Fiktionalität, die sich von ihrer Legitimationsgebundenheit freimacht, zu unterscheiden vermag. Somit zeigt sich, daß im ‹Erec› eine in diesem Sinne ‹freie› Fiktionalität nicht aus funktionaler Fiktionalität (oder Literarizität) entsteht, indem die digressiones/ amplificationes gleichsam ‹ausuferten›; 154 dies konnte allein auf Grund ihres Funktionszusammenhangs nicht geschehen, dessen sich der mittelalterliche Dichter bewußt war. 155 Vielmehr kann Hartmann an jenen Stellen, die er gegenüber Chrétien verändert und/ oder erweitert, den ihm vorgegebenen Rahmen der Adaptationstechniken nutzen, um auf die spezifische Qualität seiner Vorlage aufmerksam zu machen: Während Chrétien im Prolog zu ‹Erec et Enide› den Aspekt der Historizität einfach umgeht 156 und durch den Begriff der bele conjointure 157 auf die neue und besondere Qualität seiner Dichtung aufmerksam macht, muß Hartmann - als Bearbeiter des Werks - andere Wege finden, um auf die Fiktionalität seiner Dichtung zu verweisen. Er bearbeitet einen fiktionalen (Erzähl-)Stoff, ist also nicht Erfinder, sondern im traditionellen Sinne ‹Auffinder› einer materia, und scheint gleichwohl die besondere Qualität des Vorgefundenen, seine Fiktionalität zu thematisieren. Hartmann vermag dies zum einen, indem er die von Chrétien etablierte Struktur und den damit verbundenen Anspruch auf dichterische Wahrheit übernimmt. 158 Zum anderen gelingt es ihm, weil er die Erweiterungen gegenüber seiner Vorlage als Möglichkeit erkennt, den Erzähler die Fiktionalität des Erzählten offenbaren und spielerisch reflektieren zu lassen. Daß diese Reflexionen über fictio und die damit verbundenen erzählerischen Möglichkeiten nicht unbemerkt geblieben sind, läßt sich nicht nur mit der bereits untersuchten Beschreibung im ‹Gauriel› belegen, sondern auch durch Wirnts ‹Wigalois›. Exkurs: Fiktionalität im ‹Wigalois›: Die descriptio der Florie Mit den sogenannten nachklassischen Artusromanen werden bekanntlich neue erzählerische Möglichkeiten ausgelotet, die «zwar vom Material her noch von der arthurischen Tradition dominiert [werden], jedoch sowohl stofflich wie auch strukturell auf andere Gattungen [ausgreifen] und sie in ein arthurisches Rahmenmodell mehr oder weniger [integrieren]». 159 Entgegen den ‹klassischen› Artusromanen Hartmanns oder Wolframs ‹Parzival› lassen sich diese ‹späthöfischen› Romane in der Regel nicht auf eine altfranzösische Vorlage zu- Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 71 154 Vgl. Knapp, Rezension zu Green, The Beginnings of Medieval Romance. Vgl. die Einl. d.A. 155 Vgl. Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 7ff. 156 Siehe Knapp, Erkenntnis und Fiktion. In: Historie und Fiktion (II), S. 254f. 157 Zu dem kontrovers diskutierten Begriff vgl. Haug, Literaturtheorie, S. 102, sowie Worstbrock, Wiedererzählen und Übersetzen, S. 140f. 158 Vgl. Haug, Literaturtheorie, bes. S. 119. 159 Mertens, Volker: Der deutsche Artusroman. Stuttgart 2005 (RUB, 17609), S. 176. rückführen, 160 sondern die Verfasser greifen auf «verschiedene französische und deutsche Anregungen in freier Weise» 161 zurück. Im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit ist dabei vor allem von Bedeutung, ob und wenn ja wie in jenen ‹nachklassischen› Werken mit dem Aspekt der Fiktionalität verfahren wird. Im folgenden soll durch die Untersuchung einiger ausgewählter Textstellen gezeigt werden, daß im deutschen sogenannten nachklassischen Artusroman die Reflexion über die Fiktionalität des Erzählten anhand der Auseinandersetzung insbesondere mit den Artusromanen Hartmanns erfolgt. Hier soll anhand der Beschreibung Flories gezeigt werden, daß die im ‹Erec› begegnenden descriptiones - vor allem die Zelter-Beschreibung - dazu genutzt werden, auf den fiktionalen Status des Erzählten aufmerksam zu machen, indem sowohl inhaltliche als auch in den Beschreibungen aufscheinende poetologische Elemente von den Verfassern aufgegriffen und variiert werden. Wirnts ‹Wigalois›, der die âventiuren des Gawainsohns Gwî von Galois zum Thema hat, zählt auf Grund seiner charakteristischen, obgleich heterogenen Erzählmerkmale 162 zu den ‹typischen› Vertretern des ‹nachklassischen› Artusromans. Insbesondere die «christlich-religiöse Einfärbung der Erzählwelt», 163 die sich nicht zuletzt in der göttlichen Vorsehung zeigt, die Wigalois zum Helden bestimmt, wird dabei als Absage an den Artusroman Chrétienscher Prägung verstanden, da eine «objektiv-verbindliche Sinnsetzung angestrebt» 164 werde, deren Funktion darin liegt, Wigalois als vorbildlichen christlichen Herrscher zu zeigen. 165 Bei der Betrachtung des ‹Wigalois› zeigt sich deutlich, 72 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 160 Vgl. ebd., sowie Kern, Die Artusromane des Pleier, S. 44ff. 161 Mertens, Artusroman, S. 185. 162 Hier seien nur die in der Forschung meistens erwähnten (nicht immer unproblematischen) Elemente genannt: Wegfall der Krise des Helden, bloß äußerliche Übernahme des Schemas des ‹doppelten Cursus›, ohne dessen sinnstiftende Möglichkeiten zu nutzen, Einbindung einer heilsgeschichtlichen Perspektive bei gleichzeitigem Ausbau des Wunderbaren und Phantastischen sowie Öffnung des Erzählten auf Gattungselemente heldenepischen Erzählens. Vgl. dazu das Nachwort der hier verwendeten Ausgabe von Sabine und Ulrich Seelbach, S. 263-284, Haug, Literaturtheorie, S. 259ff., Meyer, Verfügbarkeit der Fiktion, bes. S. 6ff., sowie ders., sô dunke ich mich ein werltgôt, und Heinzle, Joachim: Über den Aufbau des Wigalois. In: Euph. 67 (1973), S. 261-271. 163 Schiewer, Prädestination und Fiktionalität, S. 150. 164 Ebd., S. 152. 165 Diese Tendenz ist in der Forschung z.T. überbewertet worden. Erinnert sei v.a. an Gotzmann, Carola: Wirnts von Gravenberg ‹Wigalois›. In: ABäG 14 (1979), S. 87-136, die in Wigalois den «erwählte[n] Heilsbringer», ebd., S. 128, sieht, der «die Herrschaft Gottes auf Erden nach der Vernichtung der bösen Mächte» etabliere, ebd., S. 133. Werner Schröder hat diese Einschätzung nicht zu Unrecht als «abenteuerlich» eingestuft, vgl. Schröder, Werner: Der synkretistische Roman des Wirnt von Gravenberg. Unerledigte Fragen an den Wigalois. In: Euph. 80 (1986), S. 235-277, hier S. 252. Mit Schröder Wennerhold, Markus: Späte mittelalterliche Artusromane. ‹Lanzelet›, ‹Wigalois›, ‹Daniel von dem blühenden Tal›, ‹Diu Crône›. Bilanz der Forschung 1960-2000. Würzburg 2005 (Würzburger Beiträge zur dt. Philologie, XXVII), S. 121 (Anm. 280). Gleichwohl ist Schröders Einschätzung des Romans, der in seinen Augen immerhin kein derartig daß jene christlich-heilsgeschichtliche Dimension vor allem in der zweiten Hälfte des Werks zum Tragen kommt, wenn sich das Geschehen der zentralen âventiure, dem Kampf Wigalois’ gegen den Teufelsbündler Roaz, nähert. 166 Insbesondere der erste Teil des Werks ist jedoch sowohl über Anspielungen vor allem auf die Hartmannschen Romane als auch durch Bewährungs-âventiuren 167 des Titelhelden deutlich als arthurische Erzählwelt gekennzeichnet. Vor dem Hintergrund der Fiktionalitätsdebatte hat Hans-Jochen Schiewer die These vertreten, daß sich Fiktionalität bzw. eine erzählerische ‹Autonomie› im ‹Wigalois› über «die neuartige Kombination» heterogener Erzählwelten und die «freie Verfügbarkeit über fiktionale, historische und moralisch-exemplarische Erzählmuster» offenbare. 168 Bleibt jedoch - wie Schiewers Resümee lautet - letztlich jene Heterogenität im Dienste der «Vermittlung eines objektivfraglosen Sinns: der göttlichen Erwähltheit von Wigalois», 169 dann folgt die Sinnsetzung nichtsdestominder traditionellen Mustern. Des Wigalois Geschick ist dabei zumindest in der zweiten Hälfte des Werks weniger «das märchenhafte Glück des Helden», 170 sondern eher das Glück des ‹Auserwählten›, dem die göttliche Fügung jedwedes Mittel - erinnert sei an das Wunderbrot und das geweihte Schwert - bereitstellt. Damit rückt auch das ‹Märchenhaft-Wunderbare› in den Hintergrund, da die Wundergaben eben nicht ein- Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 73 «abschreckendes Beispiel» wie die ‹Crône› darstellt, ebd., S. 252, ebenfalls problematisch, da sie das Diktum des Epigonentums nicht hinter sich zu lassen vermag. Die Bemerkung zum «verschenkten Motiv der Vatersuche», ebd., S. 272, soll hier genügen: «Was hätte sich daraus machen lassen! », ebd., S. 273. 166 So findet sich vor dem Kampf mit dem Drachen Pfetan die erste ausführliche Bitte Wigalois’ um Gottes Beistand und Hilfe (Vv. 5079ff.). Der Einbruch ‹heldenepischen› Erzählens wird in der Forschung gemeinhin mit der Aussage Lîons belegt, der auf des Wigalois Erklärung zum Feldzug folgendes äußert: «swaz er prîses hie wil bejagen,/ den muoz er koufen tiure; / h i e e n i s t n i h t â v e n t i u r e ! / die sol er suochen anderswâ.» (Vv. 10180- 10183, Herv. Verf.), vgl. zur Stelle Dietl, Cora: Wunder und zouber als Merkmal der âventiure in Wirnts Wigalois? In: Das Wunderbare in der arthurischen Literatur. Probleme und Perspektiven. Hg. Friedrich Wolfzettel. Tübingen 2003, S. 297-311, hier S. 298, mit der einschlägigen Forschungsliteratur (Anm. 7). Die Forschungsdiskussion zum Feldzug gegen Lîon kann hier nicht ausführlich referiert werden. Die wesentlichen Positionen sind verzeichnet bei Wennerhold, Späte mittelalterliche Artusromane, bes. S. 108ff. Die Meinungen zur Episode schwanken zwischen «Bestätigungsabenteuer», Heinzle, Aufbau, S. 263, und «überflüssige[m] Annex», Schröder, Der synkretistische Roman, S. 245. 167 Der Begriff ist insofern umstritten, als Wigalois von Beginn als Musterritter gekennzeichnet ist, der außer seiner Jugend keine Abweichungen vom positiven Typus zeigt. Gleichwohl kann in einem anderen Sinne von Bewährung gesprochen werden, denn Nêrejâ, Laries Botin, ist schließlich nicht darüber erfreut, Wigalois als Kämpfer zu erhalten (vgl. z.B. Vv. 1812ff., 1885, 2186ff.), da sie seine Unerfahrenheit fürchtet. Insbesondere vor ihr kann sich der junge Ritter in einigen Kämpfen beweisen, so daß auch er sich bewährt, indem er auf Figurenebene seine Fähigkeiten demonstriert. 168 Vgl. Schiewer, Prädestination und Fiktionalität, S. 159. 169 Ebd. 170 Haug, Literaturtheorie, S. 264. fach dargebracht und genutzt werden, sondern als Gottes Hilfe, mithin als miracula gekennzeichnet sind. Lediglich der Zaubergürtel Jorams, der zu Beginn des Werks erscheint, bildet hier eine Ausnahme, da weder sein Ursprung noch sein wunderbares Wesen erklärt werden. 171 Neben der von Schiewer vermerkten Verfügbarkeit heterogener Erzählmuster finden sich jedoch auch im ‹Wigalois› Hinweise auf eine (punktuelle) Reflexion von Fiktionalität, die insbesondere an die hier besprochenen Passagen des ‹Erec› erinnert. Auf Grund ihrer Komplexität wird hier die Beschreibung Flories als Beispiel herausgegriffen, wobei weitere Stellen des ‹Wigalois› zur Verdeutlichung hinzugezogen werden. Nachdem Gawein von Joram nur mit Hilfe des Zaubergürtels besiegt werden konnte (vgl. Vv. 537ff., 565ff., 620ff.) und er ihm in sein Land folgt, befindet Gawein sich sogleich in einer Welt, die außerhalb des eigentlich Erfahrbaren liegt: Sie kommen in ein wilde lant (V. 601) und erblicken eine schier ungeheure Steilwand und Schlucht (Vv. 606f.). Nach der Überquerung des Bergs gelangen sie schließlich in ein Gebiet, das so reich an Freuden ist, daß es aus Gaweins Perspektive einem Traum gleicht (Vv. 640f.). Die Exklusivität des Ortes wird dabei durch die traditionelle Formel ‹niemand habe derartiges jemals gesehen› (Vv. 636f.) betont, während das Traummoment hier zunächst an die Figurensicht Gaweins gebunden ist. Die besondere Schönheit des an einen locus amoenus erinnernden Ortes ist dabei vor allem durch seine außergewöhnlichen Eigenschaften bedingt: Alles, Bäume und Blumen, blüht gleichermaßen, es sind keine Menschen zu sehen und die Szenerie wird durch lieblichen Vogelgesang untermalt (Vv. 638ff., 642ff.). Sowohl die Beschreibung des Ortes als auch die deutliche Fokussierung der Figurenperspektive erinnern dabei an 74 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 171 Während die Fähigkeiten sowohl von Jorams als auch von Flories Zaubergürtel nicht weiter erklärt werden (Vv. 321ff.), wird Wigalois’ Schwert von einem Priester eigens durch einen brief davor geschützt, jedweder Zauberei zu verfallen (Vv. 4427f.), und das Brot läßt ihn sieben Nächte ohne Speise auskommen (Vv. 4470ff.). Darüber hinaus erhält Wigalois von dem toten König Jorel, der in ‹seinem Paradies› jeden Tag für eine Zeitlang den Qualen des Fegefeuers entkommen kann (vgl. Vv. 4673ff.), eine Blüte, die vor allem boesen smac schützt, sowie den Hinweis, daß vor dem Burgtor eine alles zerstechende Lanze stecke, die ein Engel dort plaziert habe (Vv. 4745ff.). Vergleicht man diese Gaben z.B. mit dem Pflaster in Hartmanns ‹Erec›, der Salbe oder Lunetes Ring im ‹Iwein›, so ist auf den ersten Blick zu erkennen, daß die hier genannten Wundergaben für Wigalois letztlich an Gottes Allmacht gebunden sind, so daß das Wunderbare zwar als ein «miraculum quoad nos», Thomas von Aquin, Summa theologica I. q. 110 a. 4 (res.), erscheinen mag, damit jedoch nur anzeigt, daß des Menschen Einsicht in Gottes Wirken nicht vollkommen ist. Das Wunderbare als eigenständiges Moment einer literarischen und fiktionalen Welt wird damit nicht evoziert. Vgl. zur Thematik auch Eming, Jutta: Funktionswandel des Wunderbaren. Studien zum ‹Bel Iconnu›, zum ‹Wigalois› und zum ‹Wigoleis vom Rade›. Trier 1999 (LIR, 19), bes. S. 212f. und 224f., Fuchs, Stephan: Hybride Helden: Gwigalois und Willehalm. Beiträge zum Heldenbild und zur Poetik des Romans im frühen 13. Jahrhundert. Heidelberg 1997 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik, 31), sowie Dietl, Wunder und zouber, bes. S. 297f. und 303ff. Erecs Eintritt in den wunderbaren boumgarten, das ander paradîse. 172 Von dort gelangen Joram und Gawein in einen wünneclîchen walt (V. 653), den sie binnen kurzer Zeit durchqueren, um schließlich an eine Straße zu gelangen, die sie in Jorams Reich führt. In dessen Burg angekommen, wird Gawein gebührend empfangen, gebadet, in neue prächtige Kleider gehüllt und daraufhin zum Essen geführt - Jorams freundliche und ehrbare Gesinnung ist damit bewiesen (vgl. Vv. 713ff.). Bei dem Gastmahl trifft Gawein nun auf Florie, Jorams Nichte, und sogleich entzündet ihre Schönheit ihm herze unde muot (V. 729). Anklänge an die von Lunete aufgelisteten Attribute Laudines (vgl. ‹Iwein›, Vv. 1925ff.) unterstreichen hierbei die Exklusivität Flories sowie die traditionelle Übereinstimmung innerer und äußerer Werte: wan dâ was schoene unde jugent, gewizzen unde ganze tugent, geburt unde sinne; si möhte wol keiserinne von ir tugent sîn gewesen. wer möhte ouch noch von ir genesen diu sô schoene waere? […] (Vv. 731-737) Die sich anschließende Beschreibung der Florie bzw. ihrer Kleidung wird aus dem oben zuletzt zitierten Vers entwickelt, indem die rhetorische Frage des Erzählers aufgegriffen und expliziert wird. Die Schilderung, die gut zweihundert Verse umfaßt, dient damit zum einen dazu, Gaweins ‹spontane› minne zu begründen, indem Flories Vorzüge en detail dargeboten werden. 173 Darüber hinaus aber gerät die descriptio zu einer Reflexion über Möglichkeiten des Dichtungsschaffens, die auch Aspekte von fictio thematisiert. Obgleich hier sicherlich Heinrichs von Veldeke Schilderung von Didos Jagdgewand als «höfisches Vorbild für eine solch prächtige Wortvorstellung eines Gewandes» 174 gesehen werden kann, legen es insbesondere die auf eine Metaebene verweisen- Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 75 172 Vgl. ‹Erec›, Vv. 8896ff. Die Bezeichnung des Gartens als ander paradîse stammt von Mabonagrins vriundinne, V. 9542. 173 Florie ist dergestalt, daß selbst Ovid ihr nicht hätte vollkommen gerecht werden können (Vv. 991f.). Die Feststellung, daß selbst die Autorität Ovid an der Beschreibung gescheitert wäre, erinnert an die Feststellung des Hartmannschen Erzählers, der einem werltwisen man die Fähigkeit abspricht, das Enîte zuteil gewordene Pferd adäquat zu imaginieren bzw. darzustellen (vgl. ‹Erec›, Vv. 7367ff.). Angesichts der zuvor erfolgten aufwendigen Beschreibung erscheint dieser (implizite) Bescheidenheitstopos jedoch als hinfällig. 174 Stellenkommentar Sabine und Ulrich Seelbachs zur verwendeten Ausgabe, S. 289. Vgl. auch Brüggen, Elke: Kleidung und Mode in der höfischen Epik des 12. und 13. Jahrhunderts. Heidelberg 1989, die Heinrichs Beschreibung als «bahnbrechend für die Kleiderbeschreibung in der mittelhochdeutschen Epik» erkennt, ebd., S. 40. Zur Rezeption von Literatur im ‹Wigalois› vgl. Cormeau, Christoph: ‹Wigalois› und ‹Diu Crône›. Zwei Kapitel zur Gattungsgeschichte des nachklassischen Aventiureromans. Zürich, München 1977, S. 116-120 (zur Rezeption des ‹Eneasromans›, vgl. S. 116 und 118). den Erzählerkommentare nahe, Bezüge zu Hartmanns ‹Erec› (vor allem zur Zelter-descriptio und zu der verweigerten roc-Beschreibung) herzustellen. Die Schilderung der Florie wird zunächst nicht nach dem üblichen Schema ‹de capite ad calcem› dargeboten, sondern umfaßt zunächst das Oberkleid und dessen Innen- und Außenfutter, den Gürtel und seine Beschläge, den Mantel sowie sein Pelzwerk und den Schal. Darauf folgen die Beschreibung des Halsausschnitts, der Kopfbedeckung und des Haarschmucks. Die Schilderung des Gesichts (Haar, Stirn, Brauen, Schläfen, Augen, Ohren, Nase, Wangen, Mund, Zähne, Kehle) schließt sich an, so daß hier das traditionelle Schema ‹von Kopf bis Fuß› doch anzitiert wird. Die weitere Gestalt Flories wird lediglich in einer allgemeinen, ihre Schönheit bezeichnenden Wendung erwähnt, so daß - abgesehen von der Kleidung - die descriptio auf die oberen Regionen beschränkt bleibt. 175 Die Beschreibung läßt sich demnach in drei Teile gliedern: 1. Schilderung der Kleidung, 2. Schilderung des Gesichts (die Überleitung erfolgt hier durch die Kopfbedeckung) und 3. abschließende, vage gehaltene Bemerkungen zur Vollkommenheit der Gestalt Flories. Der erste Teil der Beschreibung ist dem Oberkleid Flories gewidmet (Vv. 746-768), die Schilderung des kostbaren Gürtels (Vv. 769-786) schließt sich an. 176 Die Exklusivität sowohl des Oberkleides als auch des Gürtels wird dabei durch die kostbaren Materialien (Edelmetalle und -steine, Vv. 772, 774ff., sowie Stoffe, V. 747, 755, 767) und den implizierten Aufwand der Verarbeitung (vlîze, V. 754, 782) beteuert. Verbleibt die Schilderung hinsichtlich jener Aspekte noch in ihrem traditionellen Bereich, so wird durch die sich der Gürtelschilderung anschließende Erzählerbemerkung eine weitere Dimension eröffnet, die über die funktionalen fictio-Aspekte hinauszugehen scheint: 177 ichn gesach ir nie deheine - geworht âne zungen - diu sô wol bedrungen mit gezierde waere als an disem maere (Vv. 787-791) Was zunächst wie eine traditionelle Betonung der außergewöhnlichen Schönheit der Dame klingt (niemals habe ich etwas gesehen, das an ihre Schönheit 76 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 175 Vgl. den Stellenkommentar Sabine und Ulrich Seelbachs zur verwendeten Ausgabe, S. 289. 176 Die Abfolge scheint sich dabei an der Schilderung von Didos Jagdkleidung zu orientieren (vgl. ‹Eneas›, 59,28-60,10). 177 Zur Stelle vgl. Brinker-von der Heyde, Claudia: Geliebte Mütter - Mütterliche Geliebte. Rolleninszenierungen in höfischen Romanen. Bonn 1996 (Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik, 123), S. 66-73. Gegen ihre Auffassung, Flories Schönheit sei eindeutig auf Gottes Schöpferkraft zurückzuführen, ebd., S. 69, spricht, das in V. 898 verwendete ‹als›: Flories Antlitz ist dergestalt, als hätte Gott die Farben mit Sorgfalt gemischt. Die Kraft des Schöpfergottes dient hier vielmehr als Vergleich, nicht als unmittelbarer Ursprung. heranreicht), 178 wird durch die folgende Einschränkung, ‹es sei denn mit Worten geschaffene [Damen]›, auf eine Metaebene überführt. Der Erzähler verweist hier explizit darauf, daß die besondere Gestalt Flories ihresgleichen ausschließlich in der Literatur bzw. in anderen Beschreibungen finden könne. Das funktionale Element der Schilderung (Plausibilisierung von Gaweins minne angesichts der wunderschönen Dame) wird somit überschritten, indem Flories Schönheit an das Medium Literatur gebunden wird. Da aber auch Florie selbst ausschließlich in einem maere existiert (V. 791), wird durch diesen Vergleich nicht etwa betont, daß Flories Schönheit den von Worten erschaffenen Damen vorzuziehen sei, sondern auch sie wird explizit als Bestandteil eines maere genannt, so daß eine vermeintliche Historizität des Erzählten zugunsten einer an Literatur orientierten Vergleichsbasis zurücktritt. Die traditionelle Überbietungsformel (nie habe ich dergleichen gesehen), erhält somit eine besondere Funktion, indem die in ihr anklingende Augenzeugenschaftsthematik weitergeführt wird: Nicht nur auf Grund der besonderen Schönheit habe man derartiges noch nie sehen können, sondern weil eine solche Dame ‹faktisch› gar nicht gesehen werden kann. Was hier nur angedeutet wird, tritt an einer weiteren Stelle der Schilderung noch deutlicher hervor. Wenn sich der Erzähler dem Kopfputz der Dame zuwendet, unterbricht er sich erneut und bittet seine Rezipienten um folgendes: swer daz nû wolde nîden daz si sô schône was gekleit, daz waer ein michel tôrheit, wand ez ist âne aller ir schaden swaz ich ûf si mac geladen von sîden und von borten und von gezierde, mit worten. (Vv. 856-862) Aus dieser Bemerkung geht deutlich hervor, daß die kostbare Beschaffenheit der Kleidung erst aus Worten entsteht, demnach ein Produkt des Beschreibens/ Dichtens selbst ist, das zu keiner negativen Regung verleiten solle. 179 Da Florie Teil eines maeres ist und damit ihre Schönheit und die Exklusivität ihrer Kleidung allenfalls anderen in der Literatur vorhandenen Damen zu vergleichen sind, weist die hier geschaffene Schilderung nicht in den Bereich der Faktizität. Ähnlich, obgleich deutlicher wird so bei der Schilderung Laries verfahren, wenn es heißt, daß die Spange, die Laries Kleid schließt, ein vom Erzähler geschaffenes Gebilde darstellt: 180 Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 77 178 Thomas, J[ohn] W[esley]: Wigalos. The Knight of Fortune’s Wheel by Wirnt von Grafenberg. Transl., with an Introduction by J. W. T. Lincoln und London 1977, bezieht die Aussage nicht auf Flories Schönheit, sondern auf die Exklusivität des Gürtels, und übersetzt daher: «The belt was covered with glowing pearls and precious stones. I never knew one made by hand - rather than tongue - so ornate as that in this tale», S. 112. Vgl. auch ebd., S. 47. 179 Vgl. auch Brinker-von der Heyde, Geliebte Mütter, S. 70. 180 Vgl. auch Thomas, The Knight of Fortune’s Wheel, der bei diesem und weiteren Beispielen von Erzählereinschüben von «romantic irony», S. 46, spricht. Daß sich hier und in alsus hât gemeistert dar nâch dem wunsche 181 ditze werc mit worten Wirnt von Gravenberc. (Vv. 10574-10576) In beiden Fällen tritt die funktionale Dimension der Schilderung zugunsten der Reflexion über das Beschreiben zurück: Vergleichbar der Zelter-descriptio im ‹Erec› wird auch hier durch die wiederholte Erwähnung der worte darauf aufmerksam gemacht, daß das Erzählte nicht an Faktizität geknüpft ist, sondern eine Sphäre eigenen Rechts für sich beansprucht. Diese Erkenntnis müssen die Rezipienten berücksichtigen, um angesichts solcher Schönheit nicht ‹neidisch› zu werden. Gerade für Florie, die über ihre außergewöhnliche Schönheit hinaus auch durch die Topographie (ein zugleich bedrohliches und wunderschönes Land, das nur mittels des Zaubergürtels erreicht werden kann) 182 an einen außergewöhnlichen Bereich gebunden ist, gilt demnach kein außerliterarischer Wahrheitsanspruch. Florie ist eine durch Worte erschaffene, eine fiktionale Gestalt, die als solche erkannt werden soll. Wenn der Erzähler nicht viel später bei der Beschreibung des Zobelschals darauf hinweist, daß noch heute manic vrouwe einen Schal solcher Art trage (V. 829), so wird zu der zuvor vertretenen Auffassung nun ein gegenteiliger Aspekt geliefert, der ein Element des Geschilderten bewußt an den Erfahrungen des Publikums ausrichtet. Auch daß Florie ihr Kleid nâch der Kärlinge sit (V. 847) mit einer Spange verschließt, verweist somit auf eine historisierende Dimension. Gleichwohl wird damit das zuvor «geschaffene ‹Wort›wesen» 183 nicht etwa neutralisiert, sondern es scheint, als binde der Erzähler diese historisierenden Elemente bewußt und kontrastiv in seine Beschreibung ein. Damit macht er weiterhin deutlich, daß das Erzählte nicht außerhalb des Bereichs des Möglichen liegt, gleichwohl jedoch nicht auf eine faktische Grundlage bezogen werden soll. Vor diesem Hintergrund scheint das horazische Postulat, Wahres und Fal- 78 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue vielen anderen Fällen eine ironische Distanzierung zu dem Erzählten ausmachen läßt, die z.T. an Wolframs Erzählerfiguren erinnert, halte auch ich für ausgemacht; den Begriff der ‹romantischen Ironie› jedoch halte ich - zumindest wenn dies nicht näher erörtert wird - für problematisch. 181 Eine andere Deutung bzw. Übersetzung bietet Mertens, Volker: Iwein und Gwigalois - der Weg zur Landesherrschaft. In: GRM 62 N.F. 31 (1981), S. 14-31, der V. 10575 auf den Auftrag des (unbekannten) Mäzens bezieht, also mhd. wunsch mit dem Begehr des Gönners gleichsetzt. Seine Schlußfolgerung begründet Mertens mit dem beschriebenen Fürspann der Larie, der drei aus Edelsteinen gefertigte Tiere aufweist, und zwar einen Adler und zwei Löwen: «Das Wappen der Andechs-Meranier zeigte einen Löwen und einen Adler», S. 26. 182 Das Schema der gestörten Martenehe, das im ‹Wigalois› anklingt, wird nicht wirklich ausgebreitet. Florie wird nirgends als Fee bezeichnet und auch ein Tabu, das der Held nicht brechen darf, ist höchstens implizit durch den Zaubergürtel vertreten, den Gawein benötigt hätte, um Jorams Land wieder zu betreten. Lediglich der entrückte, nicht für jedermann zugängliche Ort und Flories Schönheit verweisen auf das Feenhafte. 183 Vgl. Brinker-von der Heyde, Geliebte Mütter, S. 69. sches zu mischen (remiscere veris falsae), aufzuscheinen, das dazu anhält, «den platten Realismus des Chronisten wie die bloßen Phantasiegespinste [zu] meide[n]». 184 Doch beläßt es der Erzähler nicht bei den bereits erwähnten Bemerkungen, die auf die Qualität des Erfunden-Seins hindeuten. Wenn er sich dem Halsausschnitt Flories widmet, verweist der Erzähler darüber hinaus auf einen Aspekt, wie er ebenfalls in der Zelter- und der Zeltbeschreibung im ‹Erec› erscheint: An Flories Halsausschnitt nämlich was der herre Âmor/ ergraben meisterlîche,/ rehte dem gelîche/ als ez leben solde (Vv. 830ff.). Auch hier wird somit durch das ‹Als-ob› (als) auf die Bedeutungsschattierungen von fictio verwiesen, wenn suggeriert wird, daß Amor so dargestellt sei, daß er für lebendig gehalten werden könne: Trompe l’oeil-Lehre und der Täuschungsaspekt werden so gleichermaßen aufgerufen. 185 Da hier zusätzlich die Größe des Karfunkelsteines, aus dem das Werk geschnitten wurde, betont wird: kleine als ein bône/ was der selbe stein (Vv. 841f.), wird die besondere Beschaffenheit der Brosche zusätzlich an die Grenze des Wahrscheinlichen getrieben, da die Größe des Steins und seine kunstvolle Bearbeitung in Spannung zueinander treten. Wie im ‹Erec› beobachtet, werden also auch in der Beschreibung der Florie Elemente funktionaler fictio nicht in ihrem funktionalen Rahmen belassen, sondern der Erzähler macht durch den Verweis auf die Tatsache, daß Florie mit Worten, und zwar nach seiner Vorstellung, erschaffen wurde, deutlich, daß sich das Erzählte einer faktischen Grundlage entzieht. Der Verweis auf einen - wenn auch entfernten - historischen Bezug, dient dabei zwar punktuell dazu, Glaubwürdigkeit zu erzeugen, doch stellt er nicht die Qualität des Erfunden-Seins Flories in Frage. Gebrochen wird diese Erzeugung einer fiktionalen Erzählwelt jedoch durch die Tatsache, daß der Erzähler an einer Stelle der Schilderung darauf hinweist, daß Flories Kehle sleht, sinwel und harmwîz (V. 928 und 929) sei, wie derjenige, der die Dame gesehen habe, berichtete (Vv. 929f.). Daß hier ein - obgleich nicht näher bezeichneter - Augenzeuge angeführt wird, läßt angesichts der Erzählerkommentare, die souverän und explizit auf die Fiktionalität des Geschilderten hinweisen, verwundern. Zumal gerade vor dieser Berufung noch vom Erzähler geäußert wird, daß es ihm nicht schade, daß er sich der gedanke alsô verre um Florie noete (vgl. Vv. 922ff.), somit also erneut auf den Akt des Erfindens hingewiesen wird. Diese in der Schilderung singuläre Evokation der traditionellen Beglaubigungspraxis könnte im Hinblick auf die hier untersuchten Einschübe bzw. Reflexionen des Erzählers, in denen er fictio für Fictio und historia in Hartmanns ‹Erec› 79 184 von Moos, poeta und historicus, S. 119. 185 Vgl. Kap. I.1.3 d.A., Laude, Quelle als Konstrukt, S. 225, und Stierle, Art. ‹Fiktion›, S. 383f. Hier muß einschränkend hinzugefügt werden, daß die mythische Gestalt Amor im Gegensatz zu den auf der Satteldecke und dem Zelt dargestellten Lebewesen (Mensch, Fische, Vögel) einen anderen Authentizitätsgrad aufweist, da sie als Allegorie der Liebe gelesen werden kann. Nichtsdestominder wird so einer an Literatur gebundenen Gestalt eine Annäherung an (vermeintliche) Faktizität zugestanden (als), so daß creatio- und Täuschungsaspekt umso deutlicher hervortreten. sein Erzählen beansprucht, als ironisches Einsprengsel gelesen werden: Was zuvor ausdrücklich in den Bereich des Erfundenen gewiesen wurde, soll nun durch Augenzeugenschaft beglaubigt werden, die angesichts der Tatsache, daß es sich hier um ein mit Worten geschaffenes, poetisches Gebilde handelt, wenig wahrscheinlich wirkt. Als Faktizitätsbzw. Historizitätsanspruch kann dieser vage Hinweis auf die adtestatio rei visae sicherlich nicht gelten, so daß die Beglaubigungsstrategie hier tatsächlich eher zu einer bloßen Formel gerät. 186 Die Frage, ob das Personalpronomen ‹er› jenen Knappen bezeichnet, den der Erzähler als Vermittler seiner Erzählung angibt (vgl. Vv. 131ff., 11686ff.), liefert eine weitere Möglichkeit der Erklärung. Jedoch bleibt auch hier eine Diskrepanz bestehen, da der Knappe nicht Teil der erzählten Welt, sondern bloßer Vermittler des maere ist, also die Frage, woher er (und in seiner Folge der Erzähler) an dieser Stelle sein Wissen bezieht, weiterhin offenbleibt. Hinzu kommt, daß die Autorität des Knappen vom Erzähler im Epilog als fragwürdig eingestuft wird, wenn es heißt: Ich will daz maere volenden hie, als michz ein knape wizzen lie der mirs ze tihten gunde. niwan eines von sînem munde enpfie ich die âventiure; dâ von was mir tiure daz maere an mangen enden. (Vv. 11686-11692) Zwar dient diese Aussage des Epilog-Ichs auch dazu, die eigene Vertrauenswürdigkeit insofern zu erhöhen, als mögliche ‹Erzähllücken› auf den vorgeblichen Vermittler ‹abgewälzt› werden; aber nichtsdestominder wirft diese Spielform der Autoritätsberufung im Sinnes eines ‹nieman der enschelte mich: / louc er mir, so liuge ouch ich (Daniel, Vv. 13f.) ein fragwürdiges Licht auf den Knappen. Zum zuverlässigen Gewährsmann und zur glaubwürdigen Autorität wird der Vermittler nicht stilisiert, 187 so daß die Frage nach dem Wahrheitsgehalt des Erzählten für die Rezipienten unbeantwortet bleibt. 188 Die hier untersuchte descriptio weist wesentliche Elemente auf, wie sie auch im ‹Erec› Hartmanns begegnen: Auch im ‹Wigalois› nutzt der Erzähler den Bereich funktionaler fictio dazu, sein Dichtungsschaffen zu thematisieren und über den Aspekt der Fiktionalität zu reflektieren. Die Hinweise auf die durch Worte geschaffenen Konstruktionen (sowohl bei Florie als auch bei Larie) sowie die Anbindung an die literarische Tradition zugunsten einer an Faktizität respektive Historizität ausgerichteten Argumentationsstruktur des Erzählers machen dies deutlich. 80 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 186 Im Ergebnis ähnlich, aber mit anderer Akzentuierung, Mertens, Artusroman, S. 179. 187 Vgl. Mertens, Artusroman, S. 179. 188 Vgl. dazu auch Kap. I.2.2.6 d.A. I.2 Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› Die Fiktionalitätsdebatte hat sich im Hinblick auf den ‹Iwein› Hartmanns und in Auseinandersetzung mit Haugs ‹Literaturtheorie› insbesondere auf den Prolog und die Erzählung des Kâlogrenant konzentriert. 189 Erst in den letzten Jahren sind weitere Textstellen, vor allem Iweins Kampf mit Ascalon, in die Debatte integriert worden. 190 Im Hinblick auf die Überlegungen Haugs und Knapps ist zuallererst festzuhalten, daß sie nicht immer ausdrücklich zwischen Chrétiens und Hartmanns Texten differenzieren, 191 was oftmals dazu führt, die in den Werken begegnende Ausprägung von Fiktionalität in eins zu setzen. Dies ist jedoch nicht ohne weiteres haltbar, da - wie für den ‹Erec› gezeigt werden konnte - insbesondere die Veränderungen gegenüber der Vorlage Signale auf die Fiktionalität des Erzählten liefern. Während der ‹Iwein› im Zuge der Fiktionalitätsforschung zumeist als ‹Fortsetzung› bzw. Steigerung des ‹Erec› angesehen wurde, hat sich Karina Kellermann kritisch mit diesen Thesen auseinandergesetzt und dabei zu zeigen versucht, daß Exemplarität und Didaxe im ‹Iwein› ein größeres Gewicht einnehmen als in der Fiktionalitätsforschung angenommen. 192 Ohne ihr in allen Punkten zustimmen zu wollen, halte ich Kellermanns Überlegungen vor allem aus zwei Gründen für wichtig: Erstens werfen sie die Frage auf, ob Hartmann in seinem zweiten Artusroman tatsächlich das gleiche Konzept wie im ‹Erec› verfolgt oder sich wieder ‹traditionellen› Formen der Dichtung zugewandt hat, indem er lêre und Exem- Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 81 189 Haug, Literaturtheorie, S. 119ff., Schirok, ein rîter, der gelêret was, 188ff., Kern, Leugnen und Bewußtmachen, S. 17f., Chinca/ Young, Literary Theory, S. 619ff., Haupt, Barbara: Das Fest in der Dichtung. Untersuchungen zur historischen Semantik eines literarischen Motivs in der mittelhochdeutschen Dichtung. Düsseldorf 1989 (Studia humaniora, 14), S. 183f. Bereits vor Beginn der Fiktionalitätsdebatte: Mertens, Volker: Imitatio Arthuri. Zum Prolog von Hartmanns ‹Iwein›. In: ZfdA 106 (1977), S. 350-358, Kern, Peter: Der Roman und seine Rezeption als Gegenstand des Romans. Beobachtungen zum Eingangsteil von Hartmanns ‹Iwein›. In: WW 23 (1973), S. 246-252, sowie Wolf, Erzählkunst. 190 Vgl. Schirok, ein rîter, der gelêret was, S. 206f., Ziegeler, Hans-Joachim: Schrift und Wahrheit im deutschen ‹Lancelot›. In: Kultureller Austausch und Literaturgeschichte im Mittelalter = Transfers Culturels et Histoire Littéraire au Moyen Âge. Hgg. Ingrid Kasten u.a. Sigmaringen 1998 (Beihefte zur Francia, 43), S. 201-213, hier S. 205, sowie Green, The Beginnings of Medieval Romance, 181f., und Butzer, Das Gedächtnis, S. 166. 191 Vgl. Haug, Literaturtheorie, S. 124, wo er Hartmanns Text mit Chrétiens ‹Erec› und ‹Lancelot› vergleicht, sowie Knapp, Theorie und Praxis, S. 161. Vgl. auch Knapp, Märchenhaftes Erzählen. In: Historie und Fiktion (II). Zur Kritik an dieser Vorgehensweise vgl. Schmid, Weg mit dem Doppelweg, S. 82ff. 192 Kellermann, «Exemplum» und «historia». Kellermanns Thesen haben in der Forschung kaum Beachtung gefunden oder sind vorschnell zurückgewiesen worden. Kritisch im Hinblick auf Kellermanns Thesen sind Chinca/ Young, Literary Theory, S. 621 (Anm. 48), und Ridder, Fiktionalität und Autorität, S. 560, sowie Green, The Beginnings of Medieval Romance, bes. S. 182ff. Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› plarität betont. Dies führt zweitens zu der Frage, ob Hartmanns ‹Iwein› bereits Tendenzen zu einer ‹Re-Historisierung› der matière de Bretagne erkennen läßt, Hartmann also den als fiktional etablierten Erzählkreis mit dem bekannten historia-Verständnis konfrontiert. 193 Dies ist - in Zusammenhang mit anderen Werken - oft als ‹Rückschritt› gewertet worden. 194 Auf Grund dieser negativen Einschätzung scheint die Auseinandersetzung mit Kellermann wenig populär, da sie dazu anhält, den ‹Iwein› ebenfalls in diesen Kontext einzuordnen. Indes scheint die Frage, ob der ‹Iwein› überhaupt als fiktionaler Text konzipiert ist, unerläßlich, will man die Veränderungen innerhalb der fictiorespektive historia-Konzeptionen erkennen. 195 Haupt und Schirok ziehen weiterhin gegen Haug in Erwägung, den Prolog des ‹Iwein› als Indiz für eine «programmatische Poetizität oder Literarizität» 196 zu werten. Diese Annahme erscheint vor allem insofern interessant, als sie die Frage nach der Verbindung von Fiktionalität und Literarizität/ Poetizität 197 aufwirft bzw. darauf hinweist, daß die spezifische Literarizität eines Textes nicht zwingend seinen fiktionalen Status begründen muß. 198 Für den ‹Erec› konnte gezeigt werden, daß die Momente von Rhetorizität und Fiktionalität - wenn auch nicht gleichzusetzen - so doch eng miteinander verbunden sind, 199 da rhetorische Ausgestaltung und ihre Reflexion den Rahmen bilden, innerhalb dessen die Fiktionalität des Erzählten thematisiert und offengelegt wird. Im folgenden wird daher auch zu untersuchen sein, ob die von Haupt und Schirok konstatierte ‹programmatische Literarizität› tatsächlich in Opposition zu der von Haug betonten ‹Fiktionalität› tritt oder ob Literarizität und 82 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 193 Diese Konfrontation wird in Ansätzen auch für den ‹Prosa-Lancelot› thematisiert, vgl. Haug, Geschichte, Fiktion und Wahrheit, und ders.: Über die Schwierigkeiten des Erzählens in ‹nachklassischer› Zeit. In: Positionen des Romans im späten Mittelalter. Hgg. ders. und Burghart Wachinger. Tübingen 1999 (Fortuna Vitrea, 1), S. 338-365. Ich wähle den Begriff ‹Re-Historisierung›, da u.a. mit Geoffreys ‹Historia› und Waces ‹Brut› und ‹Roman de Rou› auch eine geschichtliche Tradition des Artusstoffes gegeben ist und Chrétiens Leistung ja gerade darin besteht, diese Dimension bewußt (insofern er Kenntnis des ‹Roman de Rou› hatte) auszusparen. 194 Vgl. Knapp, Theorie und Praxis, S. 162, wo er bemerkt, daß auch Chrétien gelegentlich auf eine frühere Stufe des Erzählens zurückfalle, so z.B. im ‹Cligès›. 195 Vgl. dazu auch die Einl. d.A. 196 Schirok, ein rîter, der gelêret was, S. 192f., und Haupt, Das Fest, S. 183f. Zu prüfen wäre in diesem Zusammenhang, ob Haug in seiner Argumentation nicht selbst auf die Literarizität des ‹Iwein› hinweist. 197 Vgl. die Einl. d.A., siehe auch Grünkorn, Gertrud: Zum Verständnis von fiktionaler Rede im Hochmittelalter. Das Verhältnis von lateinischer Kommentartradition und höfischem Roman. In: Fiktionalität im Artusroman, S. 29-44, hier S. 30. 198 Dies läßt sich nicht zuletzt anhand der Antikenromane zeigen, die in ihrem Anspruch, res gestae zu berichten, nicht in Konflikt mit einer rhetorisch-poetischen Ausgestaltung geraten, vgl. Knapp, Historische Wahrheit und poetische Lüge, bes. S. 593ff., sowie Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 73. 199 Vgl. Kap. I.1.5 d.A. Fiktionalität im ‹Iwein› nicht vielmehr eine enge Verbindung eingehen. Damit einher geht die oben angesprochene Frage nach der historia-Konzeption, die im ‹Iwein› (und auch im ‹Yvain›) eine bedeutsame Funktion erhält. Im ersten Teil der Untersuchungen zum ‹Iwein› werden solche Textstellen untersucht, die an das im ‹Erec› begegnende Prinzip, funktionale Fiktionalität als einen wesentlichen Bereich zu nutzen, innerhalb dessen verschiedene Grade und Ausprägungen von fictio für das Erzählte beansprucht werden, erinnern. Hierzu zählt der Dialog des Erzählers mit Vrou Minne sowie der Zweikampf zwischen Gawein und Iwein (vaz-Gleichnis). In einem weiteren Schritt wird dann betrachtet, welche Bedeutung historisierendes Erzählen im ‹Iwein› erlangt und welche Funktionen es erfüllt. Die Untersuchung des ‹Iwein›-Prologs und -Epilogs bildet dabei den Ausgangspunkt der Überlegungen. Ausgehend von der Kritik Kellermanns an Haug soll hier zunächst dargestellt werden, ob und wenn ja auf welche Weise in Prolog und Epilog Signale für Fiktionalität und/ oder Historizität gesetzt werden. Im Anschluß soll dann das Moment der Augenzeugenschaft sowohl auf der Ebene des discours als auch der histoire berücksichtigt werden, wobei hier vor allem die Figur des Erzählers sowie zwei ausgewählte Figurenerzählungen betrachtet werden. Neben der Untersuchung der in der Forschung meist berücksichtigten Passagen (Kâlogrenant-Erzählung und Iwein-Ascalon-Kampf) wird hier ferner das lügenmaere der maget untersucht, die Iwein mit Hilfe der Wundersalbe Feimurgans heilt. Im Hinblick auf die genannten Erzählungen in der Erzählung sollen jedoch nicht die im Rahmen der Erzählforschung aufgeworfenen Fragen nach z.B. der Fokalisierung des Erzählten im Mittelpunkt stehen; 200 es wird vielmehr untersucht, inwiefern der Aspekt des Erzählens im Erzählen auf den Historizitätsrespektive Fiktionalitätsstatus einwirkt. Hier wird zu zeigen sein, daß der Aspekt der Historizität im ‹Iwein› zwar verstärkt thematisiert wird, sich jedoch von der Ebene des discours löst und auf die Ebene der histoire verlegt wird. Dies hat zur Folge, daß Historizität innerhalb des fiktionalen Geschehens implementiert und somit in Ansätzen entfunktionalisiert werden kann, also Historizität in das Erzählte integriert wird, ohne dessen fiktionalen Rahmen selbst zu historisieren. Zum Vergleich wird dazu in einem Exkurs die Erzählerfigur Swemmel und ihre Funktion in der ‹Klage› herangezogen. Abschließend werden dann die Untersuchungen zur narratio den Überlegungen zu Prolog und Epilog des ‹Iwein› gegenübergestellt. Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 83 200 Vgl. für die Mediävistik insbesondere Hübner, Erzählform im höfischen Roman, sowie die von Harald Haferland und Michael Mecklenburg hg. Aufsatzsammlung: Erzählungen in Erzählungen. Phänomene der Narration in Mittelalter und Früher Neuzeit. München 1997 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur, 19). I.2.1 Funktionale fictio im ‹Iwein›: Ein Spiel mit Literarizität Wie in den bisherigen Untersuchungen zum ‹Erec› (und im Hinblick auf die Beschreibung der Florie im ‹Wigalois›) gezeigt werden konnte, geraten oftmals Passagen, die ein hohes Maß an rhetorischer Ausgestaltung, mithin funktionaler Fiktionalität aufweisen, z.B. Schilderungen wie die Zelter-descriptio, gleichsam zu einer (spielerischen) Reflexion, die letztlich darauf abzielt, die Fiktionalität des Erzählten zu exponieren. Ob und wenn ja auf welche Weise dieses Verfahren auch im ‹Iwein› begegnet, soll im folgenden anhand des Kampfes zwischen Iwein und Gawein sowie des Dialogs zwischen Vrou Minne und ‹Hartmann› untersucht werden. I.2.1.1 Iweins Kampf gegen Gawein Iweins Kampf gegen Gawein 201 folgt auf die âventiure der Burg zum schlimmen Abenteuer (Pesme-âventiure) und bildet den Mittelpunkt im Erbstreit der beiden Töchter des Grafen vom schwarzen Dorn. Der eigentlichen Kampfschilderung vorangestellt ist eine ausführliche Erzählerbemerkung, die sich mit der Kampfestüchtigkeit der beiden Ritter und darüber hinaus mit der Problematik des Freundeskampfes auseinandersetzt (Vv. 6939-7014). Daran schließt sich das abstrahierende vaz-Gleichnis (Vv. 7015ff.) an, in das ein Dialog zwischen Erzähler und einem fingierten Zuhörer eingeschaltet wird (Vv. 7027-7041), der des Erzählers Aussage, minne unde haz könnten ein vaz gleichermaßen bewohnen (vgl. Vv. 7017f.), anzweifelt. Diesem Einwand folgt sodann die Deutung des Gleichnisses durch den Erzähler (Vv. 7041-7074). Ab Vers 7075 folgt dann die eigentliche Kampfschilderung, die sich insbesondere durch den extensiven Gebrauch der Borgbzw. Kaufmannsmetaphorik auszeichnet (vgl. z.B. Vv. 7143-7174, Vv. 7185-7227). Ebenso wie im Dialog des Erzählers mit Vrou Minne richtet sich also auch in dieser Passage der Fokus auf die Funktion übertragener Rede, mithin auf funktionale fictio. Auffällig ist zunächst die im ‹Iwein› begegnende Diskrepanz zwischen der die Schilderung einleitenden Erzählerbemerkung und dem rhetorischen Aufwand, der dann bei der folgenden Beschreibung eingesetzt wird: Machte ich diz vehten von disen guoten knehten mit worten nû vil spaehe, waz töhte diu waehe? wand iu ist ê sô vil geseit von ietweders manheit 84 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 201 Vgl. allgemein zu Kämpfen in den verschiednenen Versionen des ‹Iwein›-Stoffes Bein, Thomas: Hie slac, dâ stich. Zur Ästhetik des Tötens in europäischen ‹Iwein›-Dichtungen. In: LiLi 28 (1998), S. 38-58. Vgl. auch Sieverding, Norbert: Der ritterliche Kampf bei Hartmann und Wolfram. Seine Bewertung im ‹Erec› und ‹Iwein› und in den Gahmuret- Büchern und Gawein-Büchern des ‹Parzival›. Heidelberg 1985. daz ich iu lihte mac gesagen daz sie niender zwein zagen des tages gelîch gebârten und daz als ê bewârten daz diu werlt nie gewan zwêne strîtiger man nâch wertlîchem lône. des truogens ouch die krône rîterlîcher êren, die ietweder wolde mêren mit dem andern an dem tage, daz ich ez gote tiure clage daz die besten gesellen ein ander kempfen wellen die iender lebeten bî der zît. (Vv. 6939-6959) Bei der genauen Betrachtung dieses einleitenden Kommentars fallen insbesondere zwei bedeutsame Aspekte auf, und zwar zum einen die Weigerung des Erzählers, den Kampf (diz vehten, V. 6939) zu beschreiben, 202 sowie zum anderen die Anklänge an den ‹Iwein›-Prolog (vgl. Vv. 6952ff.). Obgleich der Eingang der Erzählerbemerkung an eine topische brevitas-Formel erinnert, muß doch bemerkt werden, daß sie über die grundlegende Funktion, das Erzählte abzukürzen und auf Wesentliches zu beschränken, hinausgeht, da es sich hier vielmehr um eine Weigerung des Erzählers, den Kampf zu beschreiben, handelt. 203 Die Erzählerfigur begründet dieses Verweigern mit dem Hinweis auf den Bekanntheitsgrad der hier gegeneinander antretenden Ritter (Vv. 6943ff.): So viel sei schon über die Tapferkeit Iweins und Gaweins erzählt worden, daß sich der rhetorische Aufwand nicht lohne (vgl. Vv. 6941f.) und der Hinweis darauf genüge, daß sich beide Ritter im Kampf nicht wie Feiglinge verhalten hätten (V. 6946). 204 Dem lihte gesagen (V. 6945) steht damit das Bedeutungsspektrum von waehe und spaehe (Vv. 6941f.) entgegen. 205 Diese Erklärung, die Schilderung des eigentlichen Kampfes vorenthalten zu wollen, richtet sich Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 85 202 Diese Verweigerung des Beschreibens wird freilich nur vorgetäuscht, da die descriptio ja im Anschluß an das vaz-Gleichnis geboten wird. 203 Insofern ist diese Erzählerbemerkung derjenigen zum Kampf Iweins gegen Ascalon vergleichbar (Vv. 1029ff.), da der Erzähler sich auch hier weigert, den Kampf näher auszuschmücken. Als Begründung wird hier allerdings auf die Problematik mangelnder Augenzeugen verwiesen, so daß ein Spiel mit der traditionellen Beglaubigungspraxis entsteht, vgl. dazu Kap. I.2.2.6 d.A. 204 Vgl. Ruberg, Uwe: Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters. Mit kommentierender Erstedition spätmittelalterlicher Lehrtexte über das Schweigen. München 1978 (Münstersche Mittelalter-Schriften, 32), S. 222. 205 Vgl. BMZ II, S. 498, spaehe: zierlich, kunstvoll, üppig, und BMZ III, S. 459, waehe: schönheit, kunstvolle ausführung, schöntun. Mertens (Klassiker-Ausg.) übersetzt die Verse (nach Hs. B) 6939ff. wie folgt: «Schmückte ich jetzt diesen Kampf tapferer Ritter mit wunderschönen Worten, was sollte ein solches Prunkstück […].» also zunächst gegen die Rezipientenerwartung, die ja auf die Vorführung der ritterlichen manheit, die im Kampf offenbar wird, gerichtet ist. Dieser Diskrepanz zwischen vermuteter Rezipientenerwartung und Erzählerkommentar entsprechen die folgenden Prologreminiszenzen, die sowohl das Artuslob als auch die laudatio temporis acti anklingen lassen (vgl. Vv. 9f. und Vv. 48ff.): Ebenso wie im Prolog Artus die êren krône zugesprochen wird (V. 10), werden auch Gawein und Iwein als Träger der Krone ritterlichen Ansehens bezeichnet (Vv. 6952f.). Damit wird die Kampfestüchtigkeit und Tapferkeit der beiden Ritter doch noch einmal betont, indem sie in ihrer Ritterlichkeit dem Idealbild des Artus angeglichen werden. Die Anklänge an die laudatio temporis acti hingegen dienen dazu, das eigentliche Thema des sich anschließenden Erzählerexkurses vorzubereiten: Er müsse es Gott klagen, so der Erzähler, daß die besten Ritter jener Zeit gegeneinander antreten wollten (Vv. 6956ff.). 206 Damit wird deutlich, daß der Erzähler nicht die Tapferkeit Gaweins und Iweins ins Zentrum der folgenden narratio rückt - da sie schließlich außer Beweis steht -, sondern daß eine andere Problematik im Vordergrund steht, und zwar der Aspekt des Freundeskampfes. 207 Die Plausibilisierung der Problematik, daß Gawein und Iwein als Freunde gegeneinander antreten müssen und auch antreten werden, steht dabei im Zentrum des folgenden Erzählerkommentars. Interessant ist nun, wie der Erzähler versucht, den Freundeskampf wahrscheinlich zu machen, da er nicht nur auf der Ebene der narratio argumentiert, sondern seine ‹Beweisführung› sich vor allem auf einer poetisch-formalen Ebene bewegt. Narrativ wird die Tatsache, daß Iwein und Gawein gegeneinander antreten, damit begründet, daß sich beide schlichtweg nicht erkennen: Gawein erscheint mit vremden wâfen zu dem Kampf (V. 6892), und Iwein kann nicht als ‹Löwenritter› identifiziert werden, da ern wolt in [den Löwen] niht zem kampfe hân (V. 6904), so daß beide Ritter sich einander ‹namenlos› gegenübertreten. 208 Während diese ‹logische› Erklärung jedoch einige Verse vor Beginn der eigentlichen Kampfschilderung geboten wird, ist der digressio ein Erzählerkommentar unmittelbar vorangestellt, der die Problematik des Freundeskampfes auf eine formale Ebene überführt: man sach sî dort zesame komen/ und vîentlîchen gebâren,/ die doch gesellen wâren (Vv. 7012ff.). Die Zusammenstellung von vientlîch und 86 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 206 Diese Klage über den bevorstehenden Kampf ist für die Schilderung von Freundesbzw. Verwandtenkämpfen typisch. Vgl. Harms, Wolfgang: Der Kampf zwischen dem Freund oder Verwandten in der deutschen Literatur bis um 1300. München 1963 (Medium Aevum, 1). 207 Vgl. grundlegend ebd., zu Hartmann vgl. S. 122-135 (zum ‹Iwein› S. 127ff.). 208 Vgl. Harms, Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten, S. 130. In den Hss. B (hier V. 6903) und u (Vgl. die Ausg. von Mertens) folgt hier ein aus zwölf Versen bestehender Erzählereinschub, in dem sich der Erzähler an die (fiktiven) Zuhörer wendet: Obwohl Iweins vorheriger Gastgeber und sein Gesinde dem Kampf beigewohnt hätten, habe ihnen Iwein das Versprechen abgenommen, seine Identität nicht zu verraten. Damit werde, so Mertens, Kommentar, S. 1044, Gawein deutlicher entlastet. gesellen wird dabei dazu genutzt, auf das sich anschließende vaz-Gleichnis 209 vorzubereiten: Das vîentlîche gebâren verweist auf den Begriff haz, während die Bezeichnung gesellen auf den Aspekt der minne hindeutet. Eingeleitet werden das vaz-Gleichnis und die sich anschließende Deutung durch den Erzähler, der die (möglichen) Zweifel seiner Rezipienten hinsichtlich des Phänomens, Freundschaft und Feindschaft weilten beieinander, aufgreift: Ez dunket die andern unde mich/ vil lîhte unmügelich/ daz iemer minne unde haz/ alsô besitzen ein vaz (Vv. 7015ff.). Noch verstärkt wird dies, wenn sich ein fingierter Hörer einschaltet, der den Erzähler ‹Hartmann› eines Besseren belehren will und ihm nahelegt, die Feststellung, doch wonte in disem vazze/ minne bî hazze (Vv. 7023f.), zu überdenken bzw. zu korrigieren (Vv. 7027- 7040). Diese Unterbrechung des Erzählers durch den fingierten Hörer erinnert insofern an den Dialog zwischen ‹Hartmann› und Vrou Minne, als auch hier eine von der Erzählerfigur abweichende Deutung eingeführt wird. Im Unterschied zu jenem Dialog jedoch ist es hier der Erzähler, der souverän auftritt und die übertragene Rede zu deuten vermag: Er werde nun bescheiden (V. 7041, hier wird das proverai des Chrétienschen Erzählers aufgegriffen, ‹Yvain›, V. 5997), mithin erklären, wie es geschehen könne, daß Feindschaft und Freundschaft in beider Ritter Herzen vorhanden seien. Die Deutung des vaz-Gleichnisses erfolgt: Das vaz sei als Herz zu verstehen, in dem Freundschaft und Feindschaft nur deshalb nebeneinander existieren könnten, weil sie durch eine Wand getrennt seien. Auch diese want sei jedoch nicht wörtlich zu verstehen, sondern bezeichne die unkünde (V. 7055), die wiederum dazu führe, daß beide Ritter mit ‹sehenden Augen› blind seien (V. 7059). Die Unkenntnis von der Identität des anderen, 210 die Hartmann gegenüber Chrétien noch hervorhebt, ist demnach des Erzählers wesentliches Argument, das als Begründung der punktuellen Feindschaft Gaweins und Iweins herangezogen wird. Die Deutung des vaz-Gleichnisses endet mit den das Thema zusammenfassenden Antithesen, die die Lage der Kämpfer nochmals verdeutlichen: Der Gewinner sei mit sige sigelôs (V. 7070), er hazzet, daz er minnet (V. 7073) und verliuset sô er gewinnet (V. 7074). Es bleibt indes nicht allein bei dieser Deutung des Gleichnisses, vielmehr wird die sich anschließende Kampfschilderung, die sich insbesondere durch Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 87 209 Bei Chrétien entspricht dem vaz-Gleichnis die Gebäudemetapher (ostel), in der das ‹Zusammenleben› von amors und haine damit erklärt wird, daß sich amors in einer geheimen Kammer versteckt, haine jedoch die Gemächer zur Straßenseite gewählt habe (vgl. Vv. 6029ff.). Damit wird zugleich deutlich, daß die Freundschaft zwischen den beiden Kämpfern nicht etwa ‹verschwunden›, sondern lediglich - wie amors - ‹versteckt› ist. 210 Vgl. Harms, Der Kampf zwischen dem Freund oder Verwandten, S. 132, sowie Linden, Sandra: Körperkonzepte jenseits der Rationalität. Die Herzenstauschmetaphorik im Iwein Hartmanns von Aue. In: Körperkonzepte im arthurischen Roman. Ergebnisse der Tagung der deutschen Sektion der internationalen Artusgesellschaft 2005. Hg. Friedrich Wolfzettel. Tübingen 2007, S. 247-268, hier S. 264f. den extensiven Gebrauch von Kaufmannsmetaphorik 211 auszeichnet, ebenfalls dazu genutzt, zu veranschaulichen, worin die ‹Tragik› des Kampfes besteht, nämlich in der Tatsache, daß Freund gegen Freund kämpfe. Die Kaufmannsmetaphorik führt der Erzähler dabei wie folgt ein: si entlihen kreftiger slege mê dan ich gesagen mege, âne bürgen und âne pfant, und wart vergolten dâ zehant. (Vv. 7143-7146) Hierbei ist zuallererst interessant, daß die Aussage âne bürgen und âne pfant sowohl das Austeilen der Schwerthiebe als auch die Schilderung des Kampfes selbst meinen kann: «Sie ‹liehen› einander so viele Hiebe aus, daß ich es nicht sagen kann, und dabei verzichteten sie auf einen Bürgen bzw. eine Bürgschaft und gaben das Geliehene gleich zurück», oder «sie ‹liehen› einander so viele Hiebe aus, daß ich [der Erzähler] es ohne Bürgen bzw. eine Bürgschaft nicht zu sagen vermag, und [doch] wurde es gleich ‹zurückgezahlt›». Erkennt man in der Aussage des Erzählers diese Ambivalenz, dann würde sich hier eine spielerische Zurückweisung der traditionellen Beglaubigungstaktik erkennen lassen, da die Metaphorik des Bürgens damit nicht nur auf der Figuren-, sondern auch auf der Ebene des discours für nichtig erklärt würde. Des ungeachtet besteht die grundlegende Funktion der Kampfschilderung jedoch darin, durch die funktionale fictio, mithin durch die Kaufmannsmetaphorik, die Koexistenz von haz und minne bzw. Freundschaft und Feindschaft zu verdeutlichen. Die Verbindung zwischen der Borg-Metaphorik und den Kämpfenden ergibt sich dabei aus der Tatsache, daß sowohl Kaufleute als auch die beiden Ritter Gewinne erzielen möchten; und doch würde - wie der Erzähler am Ende der Deutung des vaz-Gleichnisses bemerkt - der Sieger hier ohne Sieg (vgl. V. 7070), der Kaufmann ohne Gewinn bleiben. Das Bedeutungsspektrum der Kaufmannsbzw. Borg-Metaphorik macht also gleichsam auf kontrastive Weise deutlich, daß ein Sieg - oder um im Bild zu bleiben - ein Gewinn deshalb nicht möglich ist, weil Gawein und Iwein in der Kampfsituation Freunde und Feinde zugleich sind: dehein koufman hete ir site,/ ern verdurbe dâ mite (V. 7179). Darüber hinaus hebt die übertragene Rede natürlich auch auf die Gleichwertigkeit der beiden Ritter hinsichtlich ihrer Kampfestüchtigkeit ab, wenn weder Gawein noch Iwein einander einen Hieb ‹schuldig› bleiben (vgl. Vv. 7165ff.). Neben der traditionellen Funktion der Plausibilisierung des Freundeskampfes kommt der Kampfschilderung also noch eine weitere Bestimmung zu: Funktionale fictio (Borgbzw. Kaufmannsmetaphorik) wird dazu genutzt, eine andere suppletive Fiktionalität (vaz-Gleichnis) zu deuten und zu erklä- 88 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 211 Die Kaufmannsmetaphorik wird vor allem durch die Variation der Verben borgen und gelten erreicht (Polyptoton, figura etymologiae), vgl. die Vv. 7145-7164, 7165-7169, 7185-7224. ren. Damit ist der Einsatz funktionaler Fiktionalität insofern dem Dialog zwischen Vrou Minne und Erzähler zu vergleichen, als sie auch hier implizit dazu genutzt wird, auf die Art und Weise ihrer Verwendung aufmerksam zu machen. Dies wird umso deutlicher, wenn Hartmanns Einsatz der Kaufmannsmetaphorik mit ihrem Einsatz bei Chrétien verglichen wird, der sich ihrer ebenfalls bedient: 212 se je vos ai presté del mien, bien m’en avez randu le conte, et del chetel et de la monte; que larges esïez del rendre plus que je n’estoie del prendre. (Vv. 6252-6256, Herv. Verf.) 213 Während bei Chrétien die Kaufmannsmetaphorik lediglich in der Figurenrede Gauvains zum Einsatz gelangt und dementsprechend weniger Raum einnimmt, weitet Hartmann sie aus und rückt damit die Verwendung dieser Metaphorik selbst in den Mittelpunkt. Die anfängliche Weigerung des Erzählers, den Zweikampf auf kunstvolle Weise zu schildern (Machte ich diz vehten/ von disen guoten knehten/ mit worten nû vil spaehe,/ waz töhte diu waehe? , Vv. 6939ff.), wird damit umso deutlicher konterkariert, da es gerade die Schilderung selbst ist, die den Zweikampf auszeichnet. Wird hier also der Blick des Rezipienten auf die kunstvolle Verwendung von funktionaler fictio gelenkt, so zeugt der nun im Anschluß zu untersuchende Dialog des Erzählers ‹Hartmann› mit Vrou Minne von einer noch weitergehenden Reflexion dieser funktionalen Fiktionalität. I.2.1.2 daz wunder das gesach ich nie: Iweins und Laudines Herzentausch Unmittelbar auf die Darstellung von Iweins als auch Laudines Trauer auf Grund ihrer Trennung (vgl. Vv. 2960f.) setzt der Dialog zwischen Erzähler und Vrou Minne ein: Iwein ist im Begriff - aufgefordert durch Gaweins Rat, sich nicht wie Erec zu verligen (Vv. 2790ff.) -, 214 sein gerade durch die Heirat mit Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 89 212 Es handelt sich hier um das Gespräch zwischen Yvain und Gauvain, das auf den Abbruch des Zweikampfes bei Einbruch der Dunkelheit folgt und in dessen Verlauf sich die beiden Ritter erkennen werden (vgl. ‹Yvain›, Vv. 6237ff.). Mertens vermerkt im Kommentar zu seiner ‹Iwein›-Ausgabe, daß Hartmann mit der «Metaphorik des Geldhandels» seine «Kenntnisse der Geldwirtschaft [zeige], die am Hof der durch den Silberbergbau finanzstarken Zähringer wichtig waren», S. 1046. Es mag sein, daß Hartmann - sofern man die Zähringer als seine Gönner akzeptiert - aus diesem Grund über detailliertes Wissen aus der Geldwirtschaft verfügte, doch bildet dies nicht den Ursprung der bei Hartmann begegnenden Kaufmannsmetaphorik, denn diese ist ja bei Chrétien vorgebildet. 213 Vgl. Förster, Wörterbuch, S. 56 (chatel), 67 (conte), 168 (monte), 201 (prandre), 203 (prester) und 210 (randre). 214 Gaweins Rat kann hier nicht im einzelnen besprochen werden; festgehalten sei, daß Gaweins Deutung des verligens eine deutlich reduzierte Form annimmt, die den insbesondere auch für den ‹Iwein› bedeutsamen Aspekt der Herrschaft ignoriert. Vgl. dazu Laudine erworbenes Land zu verlassen. Iweins Trauer darüber, von Laudine getrennt zu sein, ist so groß, daß er hete geweinet […]/ wan daz er sich müeze schamen (Vv. 2967f.). Diese rede - so der Erzähler - sei ungelogen (V. 2966). Iwein sei mit Artus in dessen Land und Laudine in ihr Reich zurückgekehrt. Jene die Trennung abschließende Bemerkung des Erzählers ist es, die den Dialog zwischen Vrou Minne und Erzähler einleitet. 215 Grundlage für die bei Hartmann eingeschobene digressio bildet der bei Chrétien begegnende Erzählerkommentar, ein solches Wunder, daß ein Leib ohne Herz weiterleben könne, habe noch niemand gesehen (tel mervoille nus hom ne vit, V. 2652), im Falle von Yvain und seiner Gattin jedoch sei es geschehen (Ceste mervoille est avenue, V. 2653). 216 Das Thema des Herzentauschs bzw. die Leib-Herz- Dualität wird also bei Hartmann aufgegriffen, aber auf entscheidende Weise verändert, da der Erzähler mit der Personifikationsallegorie Vrou Minne eine neue Deutungsinstanz einführt, die des Erzählers Ausführungen zur Trennung von Laudine und Iwein berichtigt. 217 Die Souveränität, mit der Chrétiens 90 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue Mertens, Volker: Laudine. Soziale Problematik im ‹Iwein› Hartmanns von Aue. Berlin 1978, sowie ders., Artusroman, S. 80ff. Ich möchte hier zusätzlich auf zwei Stellen von Gaweins Rat hinweisen, die die Problematik der Gaweinschen Interpretation des ‹Erec› verdeutlichen: In seiner lêre (vgl. V. 2800) verlangt Gawein von Iwein explizit, daß sie turnieren [sollten] als ê (V. 2803). Bereits durch das als ê wird deutlich, daß Gawein in seinem Rat einen wesentlichen Aspekt außer acht läßt, da er Iweins neue Rolle als Herrscher bzw. Beschützer des Brunnenlandes ignoriert. Iwein kann nicht wie früher (als ê) handeln, da er nicht mehr ausschließlich Artusritter, sondern nunmehr Landesherr ist. Aber auch eine weitere Formulierung in Gaweins Rat macht die Eindimensionalität der lêre deutlich, und zwar wenn Gawein sagt: «ich rede als ichz erkennen kan.» (V. 2859). Hier wird deutlich, daß der Rat Gaweins eine verengte Perspektive einnimmt, insofern sie ausschließlich an die Figurenebene gebunden ist. Gawein spricht, so wie er es versteht, d.h., den Rezipienten wird bereits hier deutlich (vor allem wenn vorausgesetzt wird, daß sie den ‹Erec› kennen), daß Gaweins rede keine uneingeschränkte Gültigkeit beanspruchen kann. 215 Weit vor Beginn der Fiktionalitätsdebatte hat Dittmann sich eingehend mit der Passage und dem in ihr ausgebildeten Wahrheitsbegriff auseinandergesetzt. Dittmann, Wolfgang: Dûne hast niht wâr, Hartmann! Zum Begriff der wârheit in Hartmanns Iwein. In: Festgabe für Ulrich Pretzel zum 65. Geb. dargebracht von Freunden und Schülern. Hgg. Werner Simon u.a. Berlin 1963, S. 150-161. Vgl. ferner Ridder, Fiktionalität und Autorität, bes. S. 553ff., Kern, Leugnen und Bewußtmachen, bes. S. 19f., Schirok, ein rîter, der gelêret was, S. 208f., sowie Quast, Bruno: Das Höfische und das Wilde. Zur Repräsentation kultureller Differenz in Hartmanns ‹Iwein›. In: Literarische Kommunikation und soziale Interaktion. Studien zur Institutionalität mittelalterlicher Literatur. Hgg. Beate Kellner u.a. Frankfurt a.M. u.a. 2001 (Mikrokosmos, 64), S. 111-128, bes. S. 116ff. 216 Vgl. auch Dittman, Dûne hast niht wâr, Hartmann! , S. 153, sowie Linden, Körperkonzepte, S. 255. 217 Die als Gegenrede bzw. als Umdeutung angelegten Äußerungen der Vrou Minne fallen in den Bereich der sermocinatio. Vgl. Lausberg, HbRh, § 820ff. Vgl. auch Mertens, Kommentar, S. 1015. Erzähler das Wunder des bei der Dame verbleibenden Herzen 218 als geschehen deklariert, wird somit bei Hartmann zunächst auf die allegorisierte Minne übertragen, indem der Erzähler zwar den ersten Teil der bei Chrétien zu findenden Aussage übernimmt, daz wunder daz gesach ich nie (V. 3023, ‹Yvain›, V. 2652), dieses Nichtwissen aber explizit auf sich selbst bezieht und daher den zweiten Teil der Chrétienschen Bemerkung (‹Yvain›, V. 2653) Vrou Minne zuschreibt und überdies zu einem Tausch beider Herzen erweitert: doch ergienc ez nâch ir [Vrou Minnes] rede hie (V. 3024). Der eigentliche Dialog zwischen Erzähler 219 und Vrou Minne wird durch ihre Frage nach dem zuvor Erzählten eingeleitet: Dô vrâgte mich vrou Minne des ich von mînem sinne niht geantwurten kann. sî sprach: ‹sage an, Hartmann, gihstû daz der künec Artûs hern Îweinen vuort ze hûs und liez sîn wîp wider varn? › (Vv. 2971-2977) Die sinne des Erzählers (V. 2972) sind hier das entscheidende Stichwort, denn sie tauchen noch an zwei weiteren signifikanten Stellen des Dialogs auf und verdeutlichen jeweils des Erzählers vorgebliche Unbeholfenheit (V. 2996 und 3012). 220 Der Erzähler gibt zu, auf die Frage von Vrou Minne aus eigenem Verstand (sinne) nichts anderes antworten zu können, als das, was er bereits erzählt habe: Er habe wahrheitsgemäß berichtet, so wie es auch ihm als wahr kundgetan worden sei (Vv. 2979f.). Auch dem scheelen Blick und der erneuten Zurechtweisung durch Vrou Minne (dune hâst niht wâr, Hartmann, V. 2982) kann der Erzähler nur durch eine weitere, hilflos anmutende, Wahrheitsbe- Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 91 218 Im ‹Yvain› handelt es sich nicht um einen Herzentausch, da lediglich Yvains Herz bei Laudine bleibt, vgl. die Vv. 2639ff. 219 Im Gegensatz zu Unzeitig, Monika: Von der Schwierigkeit, zwischen Erzähler und Autor zu unterscheiden. Eine historisch vergleichende Analyse zu Chrétien und Hartmann. In: Wolfram-Studien XVIII (2004), S. 59-81, möchte ich hier am Begriff einer Erzählerfigur ‹Hartmann› festhalten, ohne bestreiten zu wollen, daß mit der Namensgebung auch die Zuordnung des Werks zu (s)einem Verfasser intendiert ist, vgl. ebd., S. 62. Nichtsdestominder scheint mir der Name gerade in diesem Dialog primär zur Stilisierung des Erzählers zu dienen, da seine ‹Unfähigkeit› in eklatantem Kontrast zur Souveränität des Verfassers steht. Vgl. die weiteren Ausführungen des Kap. 220 Dem Dialog in formaler Hinsicht vergleichbar ist das Gespräch des Erzählers im ‹Wigalois› mit seinem Verstand (Vv. 5753-5781). Bereits der Eingang des Dialogs, dô vrâget mich mîn kranker sin (V. 5753), liefert wörtliche Anklänge an Vrou Minnes Zwischenfrage. Der Unterschied der digressiones besteht jedoch darin, daß im ‹Wigalois› der Erzähler den sin mit seiner Argumentation überzeugt. Diese Anklänge an den ‹Iwein› zeigen ferner das Bestreben der sogenannten nachklassischen Verfasser, Elemente der vorhergehenden Literatur aufzugreifen bzw. zu zitieren, um sie für das eigene Erzählen dienstbar zu machen. Vgl. dazu grundlegend Kern, Die Artusromane des Pleier, passim. teuerung begegnen (vrouwe, ich hân entriuwen 221 […], V. 2983). Das angesichts der abschätzigen Bemerkung Vrou Minnes hilflos erscheinende Insistieren des Erzählers auf der Wahrheit des von ihm Berichteten variiert so auf interessante Weise den Aspekt quellengetreuen Erzählens: So wie das Epilog- Ich im ‹Eneasroman› darauf hinweist, nicht gelogen zu haben, sofern Vergil nicht zuvor gelogen habe (ne louch her niht, sô ist ez wâr, ‹Eneas›, 354,25), und sich damit gegen mögliche Lügevorwürfe abzusichern versucht, weist der Erzähler im ‹Iwein› auf die Wahrheit seiner Quelle, 222 wird aber von der Deutungsinstanz Vrou Minne der Lüge bezichtigt. Die traditionelle Wahrheitsbeteuerung verliert folglich an dieser Stelle an Überzeugungskraft, da der Erzähler im folgenden seiner Gesprächspartnerin doch beizupflichten gewillt ist. Nachdem ihn Vrou Minne von der Fehlerhaftigkeit seiner Darstellung überzeugt hat (Vv. 2985f.), werde er nun erklären (bescheiden, V. 2989), wie es zuging, daß Iwein gleichzeitig bei Artus und bei Laudine gewesen sei. Hier nun taucht das Bild des Herzentauschs erstmals auf: 223 sî wehselten beide der herzen under in zwein, diu vrouwe und her Îwein: im volget ir herze und sîn lîp, und beleip sîn herze und daz wîp. (Vv. 2990-2994) Es scheint, als habe der Erzähler seine kurzzeitig durch Vrou Minne gebrochene Autorität wiedererlangt, doch wird dies im folgenden zweiten Teil des Dialogs wiederum revidiert. Neuerlich wendet sich der Erzähler, der hier in der Tat «etwas dümmlich» 224 wirkt, an die Gesprächspartnerin und stellt das, 92 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 221 Die Bekräftigung durch das ‹entriuwen› fehlt in Hs. B (vgl. Ausg. Mertens). Vgl. auch die Anm. zur ‹Iwein›-Ausg. Wolffs, S. 98. Das nachdrückliche, etwas ‹hilflos› anmutende Insistieren des Erzählers auf der Wahrheit des Berichteten erscheint somit in Hs. B etwas gemildert. 222 Wobei das Partizip geseit hier den Aspekt mündlicher Überlieferung ins Spiel bringt. Noch deutlicher spielt das Prolog-Ich im ‹Daniel› mit dem Topos, wenn es den ‹Alexander› des Pfaffen Lamprecht zitiert und so den Lügevorwurf nicht nur bewußt einkalkuliert, sondern auch ironisch auf das eigene Erzählte bezieht: «nieman der enschelte mich: / louc er mir, sô liuge ouch ich.» (Vv. 13f.). 223 Zur Metapher des Herzentauschs und ihrer Entwicklung in der mittelalterlichen Literatur vgl. Ertzdorff, Xenia von: Die Dame im Herzen und das Herz bei der Dame. In: ZfdPh 84 (1965), S. 6-46. Von Ertzdorff untersucht nahezu auschließlich altfranzösische Lyrik und Epik. Zur hier untersuchten Stelle in Hartmanns ‹Iwein› vgl. ebd., S. 40. Vgl. auch Ruberg, Uwe: ‹Wörtlich verstandene› und ‹realisierte› Metaphern in deutscher erzählender Dichtung von Veldeke bis Wickram. In: Sagen mit Sinne. Fs. Marie-Luise Dittrich zum 65. Geb. Hgg. Helmut Rücker und Kurt Otto Seidel. Göppingen 1976 (GAG, 180), S. 205-220, zu Hartmann S. 207f., sowie Quast, Bruno: Literarischer Physiologismus. Zum Status symbolischer Ordnung in mittelalterlichen Erzählungen von gegessenen und getauschten Herzen. In: ZfdA 129 (2000), S. 303-320. 224 Kern, Leugnen und Bewußtmachen, S. 18. Es handelt sich selbstverständlich um eine Stilisierung der Erzählerfigur. Vgl. auch Mertens, Kommentar, S. 1015. was er gerade selbst augenscheinlich souverän erzählt hat, in Frage. Ihm bzw. seinem (Kunst-)Verstand (sinne, V. 2996) scheine es, als sei Iwein nun ohne sein Mut und Kraft spendendes Herz verloren. Zur Ritterschaft tauge er mit einem weiblichen Herz doch jetzt nicht mehr, lieber solle Laudine, die ja nun über ein männliches Herz verfüge, Turniere bestreiten (vgl. Vv. 3000ff.). Daher - so das Resümee des Erzählers - bedauere er ihrer beider Tausch, da sie nun praktisch verloren seien (Vv. 3007ff.). 225 Daraufhin wirft ihm Vrou Minne vor, er sei kranker sinne (V. 3012) und solle den Mund halten. Der Vorwurf der ‹Schwach-Sinnigkeit› 226 bildet damit die Klimax von Vrou Minnes Kritik, da hier des Erzählers Kunstvermögen explizit als schwach bzw. gering bezeichnet wird. Da er nie von ihrer Kraft berührt worden sei, könne er das Beste nicht wissen: Sie, die Minne, habe schon unzählige Male die Fähigkeit verliehen, daß Männer und Frauen ohne das ihnen entsprechende Herz desto mehr Kraft besessen hätten (Vv. 3014-3019). Die abschließende Bemerkung des Erzählers, die scheinbar eingeschüchtert beginnt (do engetorst ich vrâgen vürbaz, V. 3020), läßt die Ausführungen von Vrou Minne dennoch nicht gänzlich uneingeschränkt stehen: Es habe sich hier zwar gemäß ihren Worten zugetragen, er, der Erzähler, habe ein solches Wunder (trotzdem) nie gesehen. Er wisse nichts über den Herzentausch, nur daß, der âventiure 227 zufolge, Iwein ohne Zweifel bereits vorher ein tapferer Kämpfer gewesen sei und nachher ein noch besserer. Bestätigt wird somit vom Erzähler nur die (gesteigerte) Kampfestüchtigkeit Iweins; der Aspekt des Herzentauschs wird nur indirekt als Begründung akzep- Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 93 225 In Wolframs ‹Willehalm› äußert der Erzähler einen ähnlichen Gedanken, wenngleich ohne den bei Hartmann zu findenden ironischen Ton. Dort wird auf die Frage, wer Orange beschützen solle, Willehalms Herz, das bei Gyburc verweilt, angeführt (‹Willehalm›, 109,6-16, vgl. auch ebd., 135,11f.). Die manlîche tât (V. 3004), die der Erzähler im ‹Iwein› auf Grund des Herzentauschs von Laudine erwartet, wird im ‹Willehalm› von Gyburc tatsächlich ausgeführt, da sie sich den verwandten Feinden erfolgreich entgegensetzt. Freilich ist auch hier die Minne zwischen Gyburc und Willehalm die Ursache, doch wird hier die übertragene Rede tatsächlich in die bei Hartmann ironisch gemeinte Schlußfolgerung umgesetzt: Im ‹Willehalm› funktioniert die Metapher vom getauschten Herzen somit sowohl auf übertragener als auch auf wörtlicher Ebene. 226 Cramer übersetzt die Stelle mit ‹nicht bei Verstande sein›, ebenso Mertens. Diese Übersetzung wird gestützt durch die Belege bei BMZ I, S. 873. 227 Cramer übersetzt mit ‹Quelle›. Mertens schließt sich der Übersetzung an, bemerkt aber in seinem Kommentar, daß Hartmann sich hier «fälschlich auf seine Vorlage» berufe, Kommentar, S. 1015, da der Erzähler bei Chrétien an der entsprechenden Stelle des ‹Yvain› (Vv. 2660ff.) auf die Krise vorausdeute, ebd. Dies ist m.E. nicht richtig, da mit der Berufung auf die Quelle nicht jene genaue ‹Yvain›-Stelle, sondern vielmehr das dort im weiteren Erzählte gemeint ist, und zwar die herausragende Kampfestüchtigkeit Yvains! Die Berufung auf die Vorlage ist demnach nicht ‹falsch›, sondern zielt auf ein anderes Moment des Erzählten ab, indem Hartmann die bei Chrétien begegnende Vorausdeutung auf Yvains Krise umwandelt in eine Vorausdeutung auf Iweins Rittertugend. Darüber hinaus ist die Berufung auf die âventiure im Kontext des Vrou-Minne-Dialogs zu deuten, in dem sie dem Herzentausch gegenübergestellt wird. Siehe dazu die weiteren Ausführungen dieses Kap. tiert (doch ergienc ez nâch ir [der Minne] rede hie, V. 3024) und in der Wendung ichn weiz ir zweier wehsel niht (V. 3025) weiterhin offengehalten. 228 Dittmann hat in seiner grundlegenden Interpretation der digressio deutlich gemacht, daß der Begriff der wârheit hier durch die Figur der Vrou Minne thematisiert und verdeutlicht werde, indem sie die höhere bzw. poetische Wahrheit, Laudine und Iwein seien auf Grund ihres Herzentauschs nur im wörtlichen Sinne getrennt, vorträgt und damit eine poetologische Dimension eröffne: wârheit besitzt somit einen doppelten Aspekt; sie heißt Bindung und Freiheit zugleich: Bindung an den tatsächlichen Hergang des maere, den zu korrigieren außerhalb der Möglichkeiten Hartmanns liegt, Freiheit hingegen in der Art der Deutung, Wertung, Beurteilung, also in dem, was jedem Dichter neu aufgegeben ist. Sein Vorrecht und seine Pflicht: er muß Ereignisse r i c h t i g sehen und werten. Diese richtige Erkenntnis empfängt der Dichter hier von Frau Minne […]. 229 Dem ist zunächst zuzustimmen; es stellt sich jedoch die Frage, warum Hartmann den Erzähler an dieser Stelle nicht allein agieren läßt, sondern ihm eine Deutungsinstanz zur Seite stellt, die die Metapher des Herzentauschs erläutert. Ridder vermerkt dazu, daß die «erneute Verdopplung der Erzählinstanz […] auch im Iwein darauf [abziele], dem Hörer/ Leser den Zusammenhang von Fiktionalität und Autorität in einem inszenierten Spiel zu vermitteln». 230 Das «evident fiktive Thema des Herzenstausches» 231 unterlaufe dabei jedweden Gedanken der Rezipienten an die Faktizität dieses Gesprächs und demonstriere so den «Prozeß der Vermittlung von Autorkompetenz und der Einübung von Fiktionsbewußtsein». 232 Daß die digressio einen spielerischen Charakter aufweist, sei unbestritten; wichtig ist jedoch zu fragen, womit hier eigentlich ‹gespielt› wird: «evident fiktiv» 233 ist die Metapher der getauschten Herzen sicherlich, jedoch handelt es sich bei dem Dialog nicht zwangsläufig um eine «Einübung von Fiktionsbewußtsein», 234 sondern zunächst um einen spielerischen Umgang mit funktionaler fictio bzw. der Literarizität des Erzählten. 235 Der Erzähler wird hier gleichsam zu einer zweiten Lavinia, die auf ihre Frage, wie sie denn Turnus lieben solle, von der Mutter die Antwort erhält: ‹mit dem 94 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 228 Vgl. auch Kern, Leugnen und Bewußtmachen, S. 18f. (und Anm. 35), sowie Linden, Körperkonzepte, S. 259. 229 Dittmann, Dûne hast niht wâr, Hartmann! , S. 154. 230 Ridder, Fiktionalität und Autorität, S. 554. 231 Ebd., S. 553. 232 Ebd., S. 554. 233 Ebd. 234 Ebd. 235 Gegen Schmitt, die konstatiert, daß die digressio mit Fiktionalität nichts zu tun habe, vgl. Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 157, muß daher festgehalten werden, daß die Textstelle, die «die Uneigentlichkeit des Sprechens, das Allegorische und die damit verbundene Deutung» hervorhebt, über die bloße Betonung metaphorischen Redens hinausgeht, da die Thematisierung uneigentlichen Sprechens hier selbst zum Zitat gerät. herzen und mit den sinnen.› (‹Eneas›, 261,18), 236 worauf Lavinia weiterhin fragt, wie sie denn leben solle, wenn sie ihr Herz verschenke bzw. weggebe (vgl. ebd., 161,19f.), und darauf die Antwort erhält, so [wörtlich bzw. gar physisch] solle sie es Turnus nun nicht geben (‹Eneas›, 161,21). Das Spiel mit dem Topos des Herzentauschs gerät somit zuvorderst zu einem Spiel mit der literarischen Tradition, die nicht nur durch den ‹Eneas›, sondern auch durch Hartmann, der die Metapher der getauschten Herzen ja auch anderweitig verwendet, 237 etabliert wurde. Damit aber wird nicht nur der Erzähler selbst zum ‹Dümmling› stilisiert, sondern auch die (fiktiven) Zuhörer werden für dumm verkauft: 238 Setzt man ein literaturkundiges Publikum voraus, dann kann der Dialog und insbesondere das naiv-dümmliche Insistieren des Erzählers auf der Wahrheit der Quelle und auf seinem Nichtverstehen der Metapher nur als ironische Distanzierung verstanden werden, 239 die dazu dient, ein Spiel mit dem bereits etablierten Verständnis metaphorischer Rede zu betreiben. Die Deutung der Vrou Minne benötigen weder der Erzähler noch die (fiktiven) Rezipienten, um das Bild des Herzentauschs zu verstehen, und genau aus dieser Diskrepanz, zwischen vermeintlichem Nicht-Wissen und vorhandener Traditionskenntnis, bezieht der Dialog, bezieht die ‹Dümmlichkeit› der Erzähler- Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 95 236 Wobei es interessant ist, zu bemerken, daß es gerade des Erzählers sinne sind, die an der übertragenen Rede zu scheitern scheinen. 237 Vgl. ‹Erec› (Vv. 2365f., 5790) und ‹Gregorius› (Vv. 651ff.) sowie das sogenannte ‹Klagebüchlein›. Siehe auch Ruberg, Metaphern, S. 207. Darüber hinaus gibt es natürlich auch zahlreiche Beispiele aus der (frühen) Minnelyrik, vgl. u.a. Dietmar von Aist: Gedanke die sint ledic frî, MF, 34,24 u. 35,3 und Friedrich von Hausen: Mîn herze und mîn lîp die wellent scheiden, MF 47,9. Auch im ‹Nibelungenlied› läßt sich der Topos erkennen, vgl. z.B. Str. 353,3 (B): er truoc si ime herzen, si was im sô der lîp. Vgl. auch Linden, Körperkonzepte, S. 260ff. Zum Gebrauch der Metapher in der Lyrik vgl. von Ertzdorff, Das Herz bei der Dame. 238 Damit widerspreche ich Ridder, Fiktionalität und Autorität, der in dem Dialog die «Einübung von Fiktionsbewußtsein», S. 554, erkennen will, insofern, als ich das Verständnis jener hier implementierten funktionalen fictio voraussetze. M.E. liefert die digressio an dieser Stelle keinen expliziten Hinweis auf eine ‹nicht legitimierte›, ‹freie› Fiktionalität, auch wenn sie «jedweden Gedanken der Rezipienten an die Faktizität dieses Gesprächs unterläuft», ebd. Was hier geliefert wird, ist ein ironisierendes Spiel mit der Literarizität respektive der literarischen Tradition und damit auch ein Spiel mit den Möglichkeiten ihrer Verwendung. 239 Vgl. Green, Dennis H.: Alieniloquium. Zur Begriffsbestimmung der mittelalterlichen Ironie. In: Verbum et signum. 2. Bde. Hier Bd. 2: Beiträge zur mediävistischen Bedeutungsforschung. Studien zu Semantik und Sinntradition im Mittelalter. Hgg. Hans Fromm u.a. München 1975, S. 119-159, hier S. 141ff. Mit Ruberg, Metaphern, S. 207, möchte ich Green jedoch insofern widersprechen, als ich hier nicht die Distanzierung von dem «Gekünstelten einer höfischen Metapher» im Vordergrund sehe. Hartmann wollte sich bestimmt nicht vom rhetorischen Sprachgebrauch per se distanzieren, sondern es scheint vielmehr, als spiele er mit den ihm gerade durch die rhetorische Ausgestaltung gegebenen Möglichkeiten; Distanz entsteht somit durch die ironisch-reflexive Verwendung der Metapher. figur ihren Reiz. 240 Eine Einübung von (funktionalem) fictio-Bewußtsein wird nicht geboten, dieses Bewußtsein wird vielmehr vorausgesetzt. Dies wird noch unterstützt durch den späteren Erzählerkommentar nach dem Gerichtskampf für Lunete, wenn sich der Erzähler darüber wundert, daz in diu [Laudine] niht erkante/ diu doch sîn herze bî ir truoc/ daz was wunders genuoc (Vv. 5456ff.). Diese Bemerkung des Erzählers ausschließlich als «Reserve» gegenüber Laudines Erkenntnisstand zu werten, wie Ruberg vorschlägt, 241 hieße Hartmanns Fähigkeit zu «rhetorische[r] Spielfreude» 242 und erzählerischer Hintergründigkeit ignorieren. Hier wird das vorherige Spiel mit der Metapher nämlich gleichsam umgekehrt, da nun nicht mehr der Herzentausch als wunder betrachtet, sondern das Nichterkennen als verwunderliche Besonderheit hervorgehoben wird. Somit wird nicht nur der inhaltliche Aspekt (Tausch der Herzen als Signal der engen Verbundenheit Laudines und Iweins) präsent gehalten; denn auch auf sprachlicher Ebene wird durch die wiederholte Verwendung der Bezeichnung wunder ein Bezug zum Dialog zwischen Vrou Minne und Erzähler evoziert: Das Wunder, das der Erzähler angeblich noch nie gesehen hat, wird nun zur Verwunderung darüber, daß Laudine Iwein nicht erkennen kann. Das heißt, hier wird das richtige Verständnis des Herzentauschs auf der Ebene des discours vom Erzähler vorausgesetzt, aber nun auf der Figurenebene nicht eingelöst. Der Herzentausch als Metapher für die enge Verbindung Laudines und Iweins wird somit nicht nur punktuell dienstbar gemacht, sondern auch im weiteren Verlauf des Romans genutzt, so daß sie zu einem wesentlichen Element der «dargestellten Wirklichkeit» 243 gerät. Gleichzeitig aber scheint diese eher formale, handlungsbildende und funktionale Dimension der Metapher zugunsten der spielerisch-ironischen Reflexion zurückzutreten, da das Bewußtsein für die poetische Konstruktion vom Er- 96 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 240 Dies läßt sich auch durch die sich der digressio anschließende Erzählerbemerkung zu Gawein stützen (Vv. 3029-3036). Hier ist ein deutlicher Wechsel im Erzählduktus zu vermerken, da der Erzähler hier wieder souverän auftritt, wenn er erklärt, er wolle das, was noch nie geschehen sei, erzählen. Der Erzähler bezieht sich hier auf die Tatsache, daß derjenige, der sich einen tüchtigen Freund erwählt, davon Unglück erleidet, spielt also auf Gaweins Rolle bei Iweins urloup-Gesuch an. Entscheidend ist, daß der Erzähler hier durchaus in der Lage ist, etwas noch nie Dagewesenes zu berichten (zewâre geschach ez ê nie,/ ez geschach doch im, und sage iu wie, Vv. 3025f.), ohne jedwede Deutungshilfe zu beanspruchen. 241 Ruberg, Metaphern, S. 208. Ähnlich auch Hahn, Ingrid: Güete und wizzen. Zur Problematik von Identität und Bewußtsein im ‹Iwein› Hartmanns von Aue. In: PBB (W) 107 (1985), S. 190-217, hier S. 216. 242 Vgl. Scholz, Kommentar, S. 574. 243 Tschi z ewskij, Dimitrij: Wiedergeburt des Formalismus? . In: Immanente Ästhetik. Ästhetische Reflexionen. Lyrik als Paradigma der Moderne. Kolloquium Köln 1964. Vorlagen und Verhandlungen. Hg. Wolfgang Iser. München 1966 (Poetik und Hermeneutik, II), S. 297-305, hier S. 300. Tschi z ewskij spricht in diesem Fall übertragener Sprachverwendung von einer ‹realisierten Metapher›; ihm folgend Ruberg, Metaphern, S. 206 (mit weiterer Literatur, Anm. 3, S. 218). zähler bewußt zu erkennen gegeben und - durch die Inszenierung der ‹naiven Dümmlichkeit› - ironisch-distanziert betrachtet wird. Gleichwohl bietet die ‹gespielte› Dümmlichkeit des Erzählers den Rezipienten auch die Option, seine Autorität zu hinterfragen, wenn er vorgibt, nicht zwischen wörtlicher und übertragener Ebene des Erzählten unterscheiden zu können, und sich so in die Nähe eines unzuverlässigen Erzählers rückt, dessen Informationen keine uneingeschränkte Gültigkeit mehr beanspruchen können und dessen Unzuverlässigkeit sich sogar auf seine künstlerischen Fähigkeiten erstreckt. Vor diesem Hintergrund bleibt jedoch weiterhin zu fragen, ob denn die Deutung Vrou Minnes das Kriterium der Gültigkeit erfüllt, anders formuliert, es stellt sich die Frage nach der Beziehung zwischen Herzentausch und dem Terminversäumnis. Wie Mertens überzeugend dargelegt hat, erfüllt die Ringübergabe durch Laudine vor allem die Funktion, Iwein als Herrscher des Brunnenlandes auszuweisen, 244 eine Aufgabe, die Iwein durch seine Überschreitung der Frist, nicht wahrnimmt bzw. nicht erfüllt. Vor diesem Hintergrund erweist sich zwar die Deutung des Herzentauschs durch Vrou Minne als richtig; im Hinblick auf den weiteren Erzählverlauf jedoch bleibt es bei der punktuellen Erhellung eines Sprachbildes - Vrou Minnes Ausführungen reichen weder aus, das Verhältnis von Laudine und Iwein noch die sich im Erzählten entfaltende Problematik zu erfassen. Damit wird auch die Deutungsinstanz Minne dem unzuverlässigen Erzähler insofern vergleichbar, als sie nur den ihr zugewiesenen Bereich der Liebe (und dessen poetischer Darstellung) auszulegen vermag, die Thematik der Herrschaft jedoch völlig unbeachtet läßt. Die Deutung der Personifikationsallegorie ist somit nur auf einen Ausschnitt des Erzählten beschränkt, und auch dies können, ja müssen die Rezipienten erkennen, wenn sie das auf den Herzentausch folgende Erzählte verstehen wollen. Viel eher als «die Einübung von Fiktionsbewußtsein» 245 fordert der Dialog die Rezipienten also auf spielerische Weise dazu auf, selbst nach Deutungsmöglichkeiten zu suchen, indem er ihnen zeigt, daß weder auf den Erzähler noch auf die weiterhin eingeführte Deutungsinstanz Verlaß sein muß. Die digressio erhält demnach zwei wesentliche Funktionen: Zunächst liefert sie ein vom Autor inszeniertes Spiel mit dem Topos des Herzentauschs und daher mit der Literarizität des Erzählten, das es den kundigen Rezipienten ermöglicht, die übertragene Sprachverwendung distanziert wahrzunehmen, und zwar nicht zuletzt durch die scheinbar souveräne Vrou Minne, die Bekanntes deutet und somit selbst ins Komische verkehrt wird und an (‹artistischer›) Autorität verliert. 246 Daran anknüpfend gelangen die Rezipienten über dieses poetische Konstrukt und die evozierte Distanz zu neuen Deutungsmöglichkeiten, wenn sie erkennen, daß sowohl der Erzähler als auch Vrou Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 97 244 Mertens, Laudine, bes. S. 82ff. 245 Ridder, Fiktionalität und Autorität, bes. S. 554. 246 Dies übersieht Linden, Körperkonzepte, bes. S. 259f., die die Autorität der Vrou-Minne- Figur ‹unangetastet› läßt. Minne lediglich begrenzte Auslegungsoptionen bieten. Während der zum Dümmling stilisierte Erzähler vorgibt, nichts mit übertragener Sprachverwendung anfangen zu können, liefert die scheinbar souveräne Vrou Minne eine Deutung, die ausschließlich auf die Minnethematik beschränkt bleibt. 247 Die Tatsache, daß Hartmann die Herrschaftsthematik gegenüber Chrétien bewußt ausgebaut und gegenüber dem Liebesaspekt verstärkt hat, 248 läßt daher aufhorchen. Zwar scheint die von Hartmann vorgenommene Erweiterung bzw. Umdeutung gegenüber dem ‹Yvain› auf den ersten Blick nicht wie im ‹Erec› dazu genutzt zu werden, auch auf eine Fiktionalität aufmerksam zu machen, die sich als frei von ihren Legitimationsfunktionen exponiert (vgl. Kap. I.1.5 d.A.), aber bei genauem Hinsehen weist auch die hier besprochene digressio über ihren funktionalen Charakter hinaus: Hartmann inszeniert ein Spiel nicht nur mit der Tradition metaphorischen Sprechens, sondern er entwirft ein poetisches Konstrukt, das sich mit der Tradition von R e f l e x i o n übertragener Redeweise auseinandersetzt. Damit verknüpft ist die Aufforderung an die Rezipienten, sich von der vermeintlichen Deutungshoheit Vrou Minnes nicht blenden zu lassen und selbst nach einer Deutung des Erzählten zu suchen, indem durch das Terminversäumnis bzw. die Ringübergabe der Minne Deutung an Gewicht verliert. Dieses ironisierende Spiel mit der Reflexion über Literarizität ist daher von besonderer literarästhetischer Relevanz, insofern es die Verwendung funktionaler fictio auf eine Metaebene überführt, indem diese Fiktionalität nicht nur auf herkömmliche Weise genutzt wird, sondern ihr traditioneller Einsatz selbst zum Gegenstand des Erzählten wird. 249 Dies wird nicht zuletzt durch die in dem Dialog begegnenden Deutungs- 98 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 247 Daß der Erzähler ‹Hartmann›, der sich im Prolog als gelêrter rîter bezeichnet, der personifizierten Minne innerhalb des narrativen Rahmens die Erläuterung und Auslegung des Herzentauschs überläßt, entspricht einer generellen Tendenz Hartmannschen Erzählens, in dem die Erzählerfiguren «sich dem Gegenstand anpassen, den sie erzählen», Reuvekamp-Felber, Timo: Autorschaft als Textfunktion. Zur Interdependenz von Erzählerstilisierung, Stoff und Gattung in der Epik des 12. und 13. Jahrhunderts. In: ZfdPh 120 (2001), S. 1-24, hier S. 9. Vgl. dazu auch Ridder, Fiktionalität und Autorität, S. 555. Gleichwohl zeigt insbesondere das Beispiel der Vrou Minne (auch wenn sie nicht als wirkliche Erzählerfigur, sondern als Deutungsinstanz angelegt ist) den inszenierten Rollencharakter dieses Sprechens auf: Gerade auf Grund der Tatsache, daß die Minne nur den ihr bekannten Themenbereich deutet, wird der Blick des Rezipienten von der Thematik der Herrschaftsvernachlässigung weggelenkt und verengt. 248 Vgl. Mertens, Laudine, und ders., Artusroman. Vgl. auch ders., Iwein und Gwigalois, S. 15. Mertens bezieht in seine Überlegungen den Dialog zwischen Erzähler und Vrou Minne nicht ausdrücklich ein und verweist lediglich auf die Minnegemeinschaft bzw. das Herzensbündnis, ebd. 249 Cervantes’ ‹Don Quijote› ist hierfür sicherlich ein noch bedeutsameres Beispiel, wobei allein die Vorrede des Werks ein schier unerschöpfliches Maß an Belegen bietet. Nichtsdestotrotz zeugt auch die hier besprochene ‹Iwein›-Stelle von einem im Grunde vergleichbaren Prinzip, da in der digressio die Reflexion und die zitierte Tradition zu einem Spiel geraten, das Bekanntes zitiert, um es gleichzeitig offenzulegen und zu hinterfragen. instanzen pointiert, wenn Vrou Minne, als Personifikationsallegorie selbst ein ‹Produkt› funktionaler fictio, der vorgeblich unwissenden Erzählerfigur das adäquate Verständnis eines traditionellen Sprachbildes erläutert: Funktionale fictio deutet also funktionale fictio, was gleichzeitig bedeutet, daß die Rezipienten keiner Einübung in das Verständnis dieser Auslegung mehr bedürfen. 250 Die verschiedenen Deutungsinstanzen, die jeweils in ihrer ‹Beschränktheit› vorgeführt werden, halten den Rezipienten vielmehr dazu an, in Distanz zu den gelieferten Deutungsoptionen zu treten. An diesem Punkt scheinen sich die verschiedenen Ausprägungen von fictio dann insofern zu berühren, als über das ironische Spiel mit der Tradition von Reflexion über bildliche Redeweise auch zwei für den Rezipienten erkennbare poetische Konstrukte (Personifikationsallegorie und Erzählerfigur) ironisch gegeneinander ‹ausgespielt› und letztlich als unglaubwürdig präsentiert werden. I.2.2 Historizität in der fiktionalen Gattung: Die Funktion der adtestatio rei visae im ‹Iwein› Wenn uns heute Isidors Definition des Begriffs historia als Bericht/ Erzählung von etwas Geschehenem, hergeleitet von griechisch historein ‹kennenlernen, sehen›, 251 oberflächlich und unzureichend anmutet, ignorieren wir auch unser zeitgenössisches Bedürfnis, glaubwürdige Zeugnisse von jemandem, der ‹dabei› war, zu erhalten und als wahr anzunehmen. Jene insbesondere für das Mittelalter beschworene Formel mundus vult decipi 252 gilt - man denke an gefälschte Bilder vor allem der Kriegsberichtserstattung 253 - daher wohl bis heute. Gleichwohl geht das historia-Verständnis des Mittelalters und die mit ihm eng verknüpfte adtestatio rei visae über die bis heute bekannten Aspekte hinaus, da es sowohl biblische Geschichte als auch Heilsgeschichte 254 meint und somit das Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 99 250 Dies kann m.E. von Hartmann nur spielerisch-ironisch ‹ins Bild gesetzt› worden sein: Wie sonst sollte man erklären, daß die Rezipienten das Bild des Herzentauschs ebenso wie die zum Dümmling stilisierte Erzählerfigur nicht zu verstehen in der Lage sind und gleichzeitig einer Personifikationsallegorie Glauben schenken? 251 Isidor, Etymologiae, I, xli,1: «Historia est narratio rei gestae, per quam ea, quae in praeterito facta sunt, dinoscuntur. [...], id est a videre vel cognoscere. Apud veteres enim nemo conscribebat historiam, nisi is qui interfuisset, et ea quae conscribenda essent vidisset. Melius enim oculis quae fiunt deprehendimus, quam quae auditione colligimus. Quae enim videntur, sine mendacio proferuntur.» 252 Siehe Fuhrmann, Horst: «Mundus Vult Decipi». Über den Wunsch des Menschen, betrogen zu werden. In: Historische Zeitschrift 241 (1985), S. 529-541, sowie ders.: Die Fälschungen im Mittelalter. Überlegungen zum mittelalterlichen Wahrheitsbegriff. In: Historische Zeitschrift 197 (1963), S. 529-554. 253 Als Beispiel sei hier an die Berichterstattung zum Irak-Krieg erinnert. 254 Hinzu kommt, daß schon in der Bibel, genauer in der Offenbarung, das Prinzip der adtestatio rei visae an Bedeutung erlangt, wenn das berichtende Ich das himmlische Jerusalem in seinen Einzelheiten schaut und versichert: «Ich, Johannes, habe dies gehört und gesehen. Und als ich es hörte und sah […]». Offenbarung, 22,8. Zitiert nach Neue Jerurhetorische historia-Konzept (historia als narratio von res gestae/ factae) mit dem christlich geprägten Verständnis von historia verbindet. 255 Als Licht der Wahrheit und Lehrmeisterin des Lebens 256 sind die in einer historia geschilderten Fakten zu deutender Teil der Heilsgeschichte, authentische Quelle sowie nützliches Zeugnis für den Christen. 257 Neben den wesentlichen Stilmerkmalen, Kürze, Luzidität und Wahrscheinlichkeit, 258 diente vor allem die Berufung auf Augenzeugen als grundlegendes Prinzip, Glaubwürdigkeit und Faktizität des Erzählten zu garantieren. 259 Da diese unmittelbare Augenzeugenschaft von den mittelalterlichen Geschichtsschreibern bzw. -dichtern kaum vorgewiesen werden konnte, 260 rückte an die Stelle der eigenen adtestatio rei visae die Berufung auf Gewährsmänner, die selbst Augenzeugen waren 261 oder sich wiederum auf die auctoritas eines anderen berufen konnten, so daß sich «die Perspektive des Historienlesers» 262 durchsetzte. Wie die Berufung auf (schriftliche) Quellen und Vorlagen verlor auch die adtestatio rei visae ihre beglaubigende Funktion nicht, sondern wurde zu einer in der Erzähltradition verankerten Wahrheitsbekundung. (‹Geborgte›) Augenzeugenschaft 263 und 100 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue salemer Bibel. Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel. Neu bearb. und erw. Ausg. Dt. hg. von Alfons Deissler und Anton Vögtle in Verbindung mit Johannes M. Nützel. 13. Aufl. Freiburg u.a. 2005, S. 1808. 255 Vgl. Kellermann, «Exemplum» und «historia», S. 12, Knape, Historie, S. 67 und 91, sowie Knapp, Fritz Peter: Protokoll der Abschlußdiskussion. In: Historisches und fiktionales Erzählen im Mittelalter, S. 133-145, hier S. 134 (Antithese I): «Dem Mittelalter hingegen gelte das Faktische als heilig, das Seiende zugleich als das Wahre und Gute, weil es von Gott ins Sein gebracht wurde.» 256 Cicero, De Oratore, (2, 36): «Historia vero testis temporum, lux veritatis, vita memoriae, magistra vitae, nuntia vetustatis, qua voce alia, nisi oratoris, immortaaitati commendatur? ». Vgl. auch die Einl. d.A. 257 Vgl. Knape, Historie, S. 67 und 91. 258 Vgl. ebd. 259 Vgl. jüngst Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, bes. S. 35ff., sowie Lienert, Erzählen und Geschichte, S. 13f. und 24ff. 260 Vgl. Knapp, Rezension zu Green, The Beginnings of Medieval Romance, S. 24. Vgl. auch Kap. I.2.2.6 d.A. 261 Man denke nur an die ‹Dares/ Dictys-Tradition›, die auf Grund der (angeblichen) Augenzeugenschaft der Verfasser zur wesentlichen Grundlage des historisierenden Erzählens über Troja wurde. Vgl. Lienert, Erzählen und Geschichte, S. 13ff. und 23ff., Fochler, Fiktion als Historie, bes. S. 1-10, sowie Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 36ff. 262 Seifert, Arno: Historia im Mittelalter. In: Archiv für Begriffsgeschichte 21 (1977), S. 226-284, hier S. 234. 263 Diese ‹geborgte› Augenzeugenschaft kann letztlich auch in die Form der göttlichen Inspiration gekleidet werden, vgl. ‹RL›, V. 1-8 (Schephaere aller dinge,/ keiser aller küninge,/ wol dû oberester êwart,/ lêre mich selbe diniu wort./ dû sende mir ze munde/ dîn heilige urkunde,/ daz ich die lüge vermîde,/ die wârheit schrîbe […]). Eine dieser invocatio dei vergleichbare Formel findet sich auch bei Homer, wenn es im zweiten Gesang der ‹Illias› heißt: «Sagt mir nun, ihr Musen, die ihr die olympischen Häuser bewohnt, - denn ihr seid Göttinnen, seid Augenzeugen und wißt alles, wir aber hören nur die Quellenberufung verweisen so auf die der historia immanente Verbindung von res gestae und memoria rerum gestarum, indem durch den Verweis auf schriftliche Quellen, in denen das Geschehene bereits von Augenzeugen oder von in ihrer Folge stehenden auctoritates konserviert wurde, die Erinnerung an Vergangenes lebendig bleibt und für das ‹Hier und Jetzt› dienstbar wird. Bereits bei der Untersuchung des ‹Erec› konnte gezeigt werden, daß im Artusroman mit dem Thema Augenzeugenschaft ‹gespielt› werden kann: so in der Zelter-descriptio, aber auch bei der untersuchten Verweigerung der roc-Beschreibung. Gerade vor dem Hintergrund des ‹Iwein›-Prologs, der, wie zu zeigen sein wird, einige Elemente historisierenden Erzählens aufgreift, scheint es daher lohnend, der Frage nachzuspüren, auf welche Weise in der narratio des ‹Iwein› mit dem Prinzip Augenzeugenschaft verfahren wird und welche Funktion ihm zukommt. I.2.2.1 Prolog und Epilog des ‹Iwein›: Res gestae oder res fictae? Die Opposition zwischen Haugs und Kellermanns Thesen zum Prolog des ‹Iwein› resultiert insbesondere aus der Interpretation der Verse 48-58, in denen eine laudatio temporis acti und das Lob der eigenen Zeit enthalten sind. Während Haug die «Überlegenheit der Literatur über die bloße Faktizität» und damit einhergehend eine «programmatische Fiktionalität» 264 des Erzählten erkennen will, betont Kellermann die Tatsache, daß Literatur den Rezipienten hier auf Grund «ihrer Exemplarität [und nicht mittels des ästhetischen Konzepts der Fiktionalität] genesen» 265 lasse. Die traditio exempli, die Kellermann weiterhin nachzeichnet, lasse vielmehr darauf schließen, daß in Hartmanns ‹Iwein› keine poetologische «radikale Neuerung» sich abzeichne, sondern - im Gegenteil - Vorstellungen und Vorgaben der «horazischen Tradition, [des] Exemplarischen und der historiographischen Beglaubigungspraxis» 266 gegenüber der Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 101 Kunde und wissen nichts -, wer die Führer und Herrscher der Danaer waren.» (V. 484ff.). Übersetzung nach Rösler, Die Entdeckung der Fiktionalität, S. 294. Vgl. auch die Anrufung der Musen im ‹Tristan› (Vv. 4860ff.). Das Anrufen der Musen verweist allerdings - im Gegensatz zur Berufung auf andere Autoritäten - deutlicher auf den Aspekt des Kunstschaffens und betont somit auch die Tätigkeit des Dichtens mehr. 264 Haug, Literaturtheorie, S. 125f. Genau hier entsteht die wiederholt gegen Haugs fictio- Begriff vorgebrachte Kritik, die sich einem von Haug implizierten genieästhetischen Autonomiebegriff entgegensetzt. Haugs Argumentation wird für Chrétiens ‹Yvain› in einigen Punkten vorweggenommen von Uitti, Karl D.: Chrétien de Troyes’ Yvain: Fiction and Sense. In: Romance Philology 22 (1969), S. 471-483, bes. S. 476ff.: «The fiction itself is of overriding importance.» Ähnlich argumentieren auch Mertens, Imitatio Arthuri, und Klare, Andreas: Artuswelt und Wirklichkeit - Überlegungen zum Prolog von Hartmanns ‹Iwein›. In: Ergebnisse der XXII. und XXIII. Jahrestagung des Arbeitskreises Deutsche Literatur des Mittelalters. Greifswald 1990 (Deutsche Literatur des Mittelalters, 6), S. 102-109, bes. S. 107ff. 265 Kellermann, «Exemplum» und «historia», S. 8. Vgl. auch Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 149. 266 Kellermann, «Exemplum» und «historia», S. 17. Vorlage intensiviert würden. Fiktionalität werde demnach - im Gegensatz zu Haugs Annahme - durch die Funktion des Exemplarischen legitimiert. 267 Zunächst ist festzuhalten, daß das von Kellermann konstatierte rhetorische Mittel der Passage, die Antithese, nicht auf die laudatio temporis acti und das Lob der ‹Jetzt-Zeit› beschränkt ist, sondern bereits zu Beginn des Prologs eingeführt wird und somit das Thema ‹Damals-Heute› auch den Anfang des Prologs bestimmt: 268 [...] des gît gewisse lêre künec Artûs der guote, der mit rîters muote nach lobe kunde strîten. er hât bî sînen zîten gelebet alsô schône daz er der êren krône dô truoc und noch sîn name treit. des habent die wârheit sîne lantliute: sî jehent er lebe noch hiute: er hât den lop erworben, ist im der lîp erstorben, sô lebet doch iemer sîn name. [...] nâch rîcher gewonheit ein alsô schoene hôchzît daz er vorders noch sît deheine schoener nie gewan. (Vv. 4-37) In des Erzählers ‹Gegenwart› sind demnach folgende Aspekte präsent: Eine von Artus abhängige lêre (V. 4), der mit seinem Namen verbundene Status als Träger der êren krone, die mündlichen Erzählungen (? ) der lantliute des Herrschers, die besagen, Artus lebe heute noch, sowie die daraus vom Erzähler abgeleitete Feststellung, des Artus Name lebe weiter. Die Tatsache, daß es weder vor noch nach seiner Zeit jemals wieder ein vergleichbares Fest, wie das zu schildernde, gegeben habe, hebt dabei die Lebenszeit des Herrschers als besonders hervor, indem das ‹Davor› und das ‹Jetzt› als defizient ausgewiesen werden (V. 36). In das ‹Damals› fallen des Artus ritterlich-tugendhafte Fähig- 102 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 267 Vgl. ebd., S. 6. Da dem Exemplarischen auch das Didaktisch-Lehrhafte innewohnt, ließe sich somit auch die Brücke zu den erfundenen fabulae schlagen, die auf Grund ihres wahren nucleus eine verax significatio aufweisen und folglich nicht im Dienste des mendacium stehen; was bedeuten würde, daß Hartmann nicht den Weg über die historia, sondern über die mögliche Lehrhaftigkeit der Fabel suchte. 268 Vgl. dazu auch Henning, Beate: mære und werc. Zur Funktion von erzählerischem Handeln im ‹Iwein› Hartmanns von Aue. Göppingen 1981 (GAG, 321), S. 64f., die die Stelle im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Eingangssentenz und Artus-Exempel untersucht. keiten und sein vorbildliches Leben, welche ihm der êren crône zukommen lassen, sowie die Tatsache, daß er gestorben sei, sein Name jedoch weiterlebe. Das Weiterleben des Namens verbindet somit das ‹Damals› und das ‹Jetzt›. In Anlehnung an Chrétien wird hier also der britannische «Volksglaube[ ] an die Wiederkehr des Königs in dem Sinne umgedeutet, daß er durch seinen Ruhm unsterblich sei». 269 Allerdings wird diese ‹Umdeutung› bei Chrétien als opinio communis, die Erzähler und die genannten Landsleute des Artus gleichermaßen teilen, dargestellt (vgl. ‹Yvain›, Vv. 33ff.), während Hartmann eine weitere, zunächst unscheinbare Differenzierung vornimmt: Des Artus lantliute jehent, er lebe noch hiute, d.h., sie erzählen von seinem Weiterleben, während der Erzähler diese wârheit präzisiert, indem er verdeutlicht, daß es des Artus Name sei, der weiterlebe. 270 Die möglicherweise bekannte spes Britonum von des Artus (auch physischer) Unsterblichkeit wird somit ihres wunderbaren Moments noch deutlicher enthoben, indem das Weiterleben auf die fama des Herrschers begrenzt wird. 271 Die bereits entwickelte Antithese gipfelt dann in der laudatio temporis acti und dem Lob der eigenen Zeit. 272 Mit Kellermann bin ich der Auffassung, daß die von Haug konstatierte Opposition zwischen «Leben und Literatur» 273 bzw. eine programmatische Fiktionalität aus der den Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 103 269 Haug, Literaturtheorie, S. 123. 270 Ich würde nach Vers 14 einen ‹Punkt› setzen, denn mit ‹Doppelpunkt› könnten die Verse 15-20 auch als eingefügte Rede der lantliute verstanden werden; dann wäre die vorgenommene Differenzierung hinfällig. Vgl. Kellermann, «Exemplum» und «historia», S. 8, Grünkorn, Die Fiktionalität, S. 120 (Anm. 53), sowie den Kommentar von Mertens in der Klassiker-Ausgabe, S. 977. Im Gegensatz zu Mertens: «Die wârheit ist die richtige Interpretation von Artus’ Schicksal durch seine Landsleute», denke ich, daß die Deutung durch den Erzähler erfolgt. Die Feststellung von Chinca/ Young, Literary Theory, S. 619, dieses Beispiel zeige, daß «truth is not factual, but a matter of interpretation. The Bretons’ claim is factually incorrect, but contains truth», ist sicherlich berechtigt; doch ist sie allein kein Zeichen für Fiktionalität. Die richtige Deutung spielt auch bei der Bearbeitung und Lektüre von Werken mit historischem Kern eine wesentliche Rolle, nicht zuletzt im Antikenroman. Vgl. Knapp, Historische Wahrheit und poetische Lüge, S. 606 und 627f., ders., Historiographisches und fiktionales Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), S. 25, sowie Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 32f. 271 Vgl. auch Dittmann, Wolfgang: Dûne hast niht wâr, Hartmann! , S. 160. Damit wird zumindest implizit der Schluß des ‹Erec› aufgegriffen, wo es heißt, Erecs lop sei - unabhängig von seiner physischen Präsenz - allgegenwärtig (vgl. Vv. 10046ff.) 272 Eine in ihrer Struktur vergleichbare Wende findet sich auch im ‹Tristan› wenn sich an die Klage über die ‹entehrte› Minne (Vv. 12279ff.) des Erzählers Reflexion über die Wirkung seiner Erzählung anschließt: nu gît uns doch daz guoten muot,/ daz uns ze nihte bestât./ swaz ieman schoener maere hât/ von vriuntlichen dingen,/ swaz wir mit rede vür bringen/ von den, die wîlent wâren/ vor manegen hundert jâren,/ daz tuot uns in dem herze wol […] (Vv. 12318ff.). 273 Haug, Literaturtheorie, S. 126. Mit ähnlichen Worten reagiert im übrigen auch Iwein auf Lunetes Bitte, nicht für sie zu kämpfen (Vv. 4320ff.), wenn er antwortet: «wan wir suln beidiu wol genesen.» (V. 4338), was zumindest auf Ebene der narratio den Schluß zuläßt, daß auch werc - hier Iweins ritterliche Befreiungstat - zum wol wesen beitragen können. gesamten Prolog durchziehenden antithetischen Struktur nicht überzeugend hergeleitet werden kann. 274 Das am Artushof stattfindende wunschleben, die Idealität der Artuswelt, bleibt ebenso präsent (und wird durch Vv. 35ff. noch verstärkt, wenn sie idealisiert und aus einer Chronologie ‹Damals-Jetzt› hinausgehoben wird), wie die Tatsache des freudespendenden maere: Eine solche vreude, der man ze den zîten pflac (vgl. Vv. 51ff.) ist für die Jetzt-Zeit verloren, nicht aber das wol wesen durch das maere, das schlichtweg die einzige Möglichkeit ist, an der Vergangenheit teilzuhaben. 275 Daher scheint die Überlegung Haupts, die von einer Überführung von werc in maere, einer «Literarisierung von res gestae», 276 spricht, den poetologischen Aspekt des Prologs eher zu erfassen. Dies wird insbesondere durch die Zeichnung der Erzählerfigur deutlich. Die Angabe des Erzählers, er habe trotz aller Freude nicht zu des Artus Zeit leben wollen, unterstreicht zuallererst auch seine Rolle bzw. Funktion: Hatte er sich zuvor als gelêrter rîter, der auch tihtennes pflac (Vv. 21 und 25), inszeniert 277 und selbstbewußt zugegeben, diese Erzählung in Büchern gefunden und ‹gedichtet› zu haben, so erscheint es nur folgerichtig, daß er dem Erzählen, dem maere näher steht. Er hat sein Können und seine Sorgfalt darauf verwendet, eine Erzählung, die gerne vernommen werde, zu verfassen, und dies macht er in der gewendeten laudatio temporis acti erneut deutlich. Akzeptiert man den Zusammenhang zwischen sich als Verfasser stilisierendem Erzähler und seiner Betonung, dies maere trage zum wol wesen bei, dann wird das Lob der Jetzt-Zeit als implizite und zugleich selbstbewußte captatio benevolentiae genutzt. Die narrative Vermittlung der Taten (werc), die Literarizität des Erzählten, ist die zu schätzende Leistung des Erzählers, der seine Funktion nur im Hier und Jetzt erfüllen kann. Daß das Erzählte damit einen exklusiven Status erlangt, ist unstrittig, jedoch wird hier nicht zwingend die Fiktionalität des Erzählten impliziert; denn im Hinblick auf die Schattierungen der historia kann Kellermann beigepflichtet werden: 278 Hartmann skizziert im Prolog ein historisches Fundament, indem er Artus als (einstigen) Kämpfer vorstellt, 279 104 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 274 Vgl. auch Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 150ff. 275 Vgl. Haupt, Das Fest, S. 183f., sowie Kern, Leugnen und Bewußtmachen, S. 17. 276 Haupt, Das Fest, S. 183. Vgl. auch Schirok, ein rîter, der gelêret was, S. 193. 277 Vgl. zur Erzählerstilisierung Reuvekamp-Felber, Autorschaft als Textfunktion. Als gelêrter Ritter ist der Erzähler derjenige, der den Stoff angemessen erzählen könne. Vgl. auch Butzer, Das Gedächtnis, bes. S. 167f., sowie Ridder, Fiktionalität und Autorität, S. 557f. 278 Ich stehe jedoch einer Überbewertung des Exemplarischen - wie von Kellermann propagiert - skeptisch gegenüber: Auch wenn ein «Appell zur imitatio» der Artusfigur hier nicht abzusprechen ist, erweist es sich als problematisch, diese imitatio-Funktion des Artus zu hoch anzusetzen; denn sie ergibt sich ja nicht nur aus dem Prolog, wo sie eher allgemein umrissen wird, sondern müßte ihre Entsprechung auch in der narratio finden. Dort wird Artus aber nicht als Exempel vorgestellt, sondern vor allem in der Entführungsepisode ambivalent gezeichnet. 279 Im Gegensatz zu dem rex non pugnat, wie er in der narratio der Artusromane und auch im Märchen erscheint, vgl. Jauß, Epos und Roman, S. 321f. Vgl. auch Kellermann, «Exemplum» und «historia», S. 16. im Verfasser-Exkurs auf seine Quelle(n) verweist und überdies die spes Britonum - in Anlehnung an Chrétien - auf die fama des Herrschers eingrenzt, mithin ihres wunderbaren Moments der physischen Unsterblichkeit Artus’ enthebt. 280 Demnach muß aber auch nicht uneingeschränkt von einer Legitimation des Fiktionalen durch den Aspekt des Exemplarischen gesprochen werden, wie Kellermann vorschlägt, denn das Exemplarisch-Lehrhafte eignet der historia sogar deutlicher als einem exemplarischen fictio-Begriff; 281 verfolgte Kellermann ihren Ansatz konsequent, dann müßte sie den Aspekt der Fiktionalität nicht extra bemühen, da fictio dann im Rahmen der historia lediglich eine funktionale Qualität erlangen und somit das Exemplarische an die Historizität des Erzählten gebunden wäre. Vor diesem Hintergrund läßt sich festhalten, daß Fiktionalität im ‹Iwein›- Prolog ausschließlich durch den Stoff impliziert wird, dem Hartmann (hier) die Re-Historisierung der Artusfigur entgegensetzt. Daher scheinen (Erzähl-)Elemente der historia herangezogen zu werden, um sie mit der bereits durch den ‹Erec› als fiktional begründeten Gattung in Bezug zu setzen. 282 Knapps Feststellung, das «Problem der historischen Wahrheit des Erzählten [werde] einfach übersprungen», 283 trifft deshalb auf den ‹Iwein› (im Gegensatz zum ‹Erec›) nicht zu; im Gegenteil: Historizitätssignale werden im Prolog des ‹Iwein› vielmehr bewußt in die fiktionale Gattung eingefügt. Demnach wird so das Problem der Fiktionalität des Erzählten (zunächst) umgangen, 284 indem ein Konnex zwischen Literarizität und Historizität des Erzählten etabliert wird. Dies widerspricht auch nicht einer von Haug und Knapp angenommenen Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 105 280 Damit stehen Hartmann und Chrétien in der Tradition der Kritiker Geoffreys of Monmouth, an dessen figmenta Britonum und den Merlin zugeschriebenen divinationes fallacissimae, zu denen auch der Glaube an des Artus Wiederkehr zählt. Vgl. Johanek, König Arthur und die Plantagenets, bes. S. 376ff. Gleichwohl steht der Mythos des ‹wiederkehrenden Königs› dem Aspekt der Historizität nicht zwangsläufig entgegen, vgl. Kap. II.3.4 d.A. 281 Vgl. die Einl. d.A. 282 Da der Prolog des ‹Erec› nicht überliefert ist, kann freilich nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob und wenn ja wie dort zu der fictio-Konzeption Stellung bezogen wird. Jedoch zeugen die hier und in der übrigen Forschungsliteratur untersuchten Textstellen von einem differenzierten Bewußtsein von fictio, das stets auch die mittelalterlichen Konnotationen des Begriffs thematisiert (vgl. Kap. I.3 d.A.) wie es im ‹Iwein›-Prolog nicht deutlich wird. 283 Knapp, Theorie und Praxis, S. 162. Knapps Einschätzung, Hartmann nutze den Quellenverweis nur, um auf seine Lesekundigkeit zu verweisen, ebd. S. 161, halte ich - insbesondere in Anbetracht seiner sonst kritischen, differenzierten Beiträge zum Fiktionalitätsstatus mittelalterlicher Texte für oberflächlich; warum gerade Wolframs Kyot-Fiktion ernstzunehmen sei, vgl. ders., Subjektivität des Erzählens. In: Historie und Fiktion (II), S. 67ff., Hartmann bzw. sein Erzähler hier hingegen ironisch bzw. ausschließlich souverän handle, erscheint mir nicht einsichtig. Vgl. auch Knapp, Rezension zu Green, The Beginnings of Medieval Romance. 284 Der Prolog bietet - im Gegensatz zu den untersuchten ‹Erec›-Passagen oder Chrétiens ‹Erec›-Prolog keinerlei deutliche Anzeichen für die mittelalterliche Bedeutung von fictio als etwas Erfundenem. Ähnlich Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 34. historischen Unverbindlichkeit der matière de Bretagne; 285 denn nur vor diesem Hintergrund kann die Bemühung des historia-Konzepts in Hartmanns ‹Iwein› überhaupt auffällig erscheinen. Kellermann bemerkt dazu, daß «Hartmann [...] mit seinen Kenntnissen der Grammatik und Rhetorik durch Anwendung auf den falschen Gegenstand [d.h. die fiktionale Gattung, Verf.] ebenso brilliert wie ironisiert». 286 Ob hier tatsächlich von Ironie gesprochen werden kann, muß zunächst offen bleiben; bedeutsam aber ist, daß Elemente historiographischen Erzählens auf die fiktionale Gattung bezogen, aber an keiner Stelle des Prologs die Fiktionalität des zu Erzählenden wirklich offengelegt wird, gleichwohl aber durch die in der Forschung oft vermerkte Gegenüberstellung von werc und maere die Literarizität in den Blick rückt. Der Prolog des ‹Iwein› liefert also zunächst - abgesehen vom Gattungshintergrund - kein eindeutiges Anzeichen für eine ‹programmatische› Fiktionalität. Im Epilog, in dem der Erzähler auf einen nicht näher bezeichneten Gewährsmann (von dem ich die rede habe, V. 8163) verweist, stilisiert sich das Epilog-Ich durch eine nescio-Formel darüber hinaus zu einem zuverlässigen Erzähler, wenn es betont, nicht mehr erzählen zu können, als es von dem Gewährsmann vernommen habe (Vv. 8160ff.). Der Verweis darauf, nicht mehr zu erzählen, als durch den Gewährsmann gesichert sei, findet seine Entsprechung bei Chrétien, wenn es an die Rezipienten gerichtet heißt, daß der Roman del Chevaliers au Lion beendet sei und man nichts weiteres von ihm hören werde, es sei denn, daß Lügen hinzugefügt würden (Vv. 6804-6808). 287 Auch bei Chrétien verweist das Epilog-Ich auf die Tatsache, daß es nicht mehr von Iwein habe erzählen hören (n’onques plus conter nen oï, V. 6806), wobei durch die Verfassernennung und das Possessivpronomen (Chrestïens son romanz […], V. 6805) eine Souveränität evoziert wird, die bei Hartmann bereits im Prolog auftaucht, wenn das Prolog-Ich seine Verfasserschaft proklamiert (er was genant Hartmann, […] der tihte diz maere, V. 28 und 30). Freilich wird das bei Chrétien auf Mündlichkeit verweisende conter bei Hartmann spezifiziert: Zwar kann durch das Nomen rede 288 Mündlichkeit impliziert sein, jedoch liegt es näher, hier die Erzählung von Iwein, die wie im Prolog genannt in buochen festgehalten wurde, zu sehen. Darüber hinaus wird durch die Bitte um saelde und êre im letzten Vers des ‹Iwein› (V. 8166) der Bogen zum Prolog geschlagen (vgl. V. 3), so daß Epilog und Prolog auch auf sprachlicher Ebene eine enge Verbindung eingehen. Die Bitte um diejenigen Eigenschaften, die zu Beginn des Romans mit Artus in Verbindung gebracht werden, läßt somit den Eindruck eines geschlossenen literarischen Gebildes entstehen, wobei zu Beginn des Erzählens Artus als Träger von saelde und êre erscheint und das Ende des 106 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 285 Vgl. Knapp, Theorie und Praxis, S. 162, sowie Haug, Literaturtheorie, S. 92. Kritisch sind Huber, Rezension zu Haug, S. 64f., Heinzle, Rezension zu Haug, S. 62f., und Johanek, König Arthur und die Plantagenets. 286 Kellermann, «Exemplum» und «historia», S. 16. 287 Vgl. dazu auch Kap. II.2.1 d.A. 288 Vgl. BMZ II, S. 594f. Erzählten jene Qualitäten auch für Verfasser und Rezipienten herbeisehnt. Sowohl Prolog als auch Epilog scheinen daher die Inanspruchnahme von Fiktionalität für das Erzählte nicht zu bestätigen. Gleichsam wird aber auch Historizität bzw. werden die zur Beglaubigung dienenden Topoi nur mehr anzitiert, so daß das Thema historische Wahrheit «eine untergeordnete Rolle» 289 spielt. Will Hartmann also - wie Kellermann nahelegt - den Artusroman auf Grundlage der historischen Tradition legitimieren? 290 Prolog und Epilog legen dies, soweit stimme ich Kellermann und auch Schmitt zu, nahe. Jedoch bleibt zu fragen, ob und wenn ja wie Hartmann, respektive die von ihm gestaltete Erzählerfigur, eine solche Re-Historisierung innerhalb der narratio evoziert. 291 Es ist demnach zu verfolgen, ob das Erzählte - wie im Prolog zunächst angedeutet - tatsächlich in den Raum der Historizität gewiesen wird, oder ob die Aspekte von Fiktionalität und Historizität im Romangeschehen in einer von Prolog und Epilog divergierenden Weise dargeboten werden. I.2.2.2 Augenzeugenschaft auf der Ebene der histoire Neben der in der Forschung vielbeachteten Kâlogrenant-Erzählung gibt es im ‹Iwein› noch eine Reihe weiterer Figurenerzählungen, die Iwein und die textexternen Rezipienten mit Informationen versorgen (Lunete und Gaweins Schwager über Ginovers Entführung, die Jungfrauen zur Pesme-âventiure). Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 107 289 Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 34. Hier wäre zu überlegen, ob diese marginalisierte Entfaltung von (historischer) Glaubwürdigkeit nicht ein generelles Charakteristikum der Hartmannschen Werke darstellt; denn auch im ‹Gregorius› wird nicht eindeutig von einer Quelle gesprochen (Vgl. Vv. 172ff. und 3989ff.), lediglich der Vermerk in tiusche getihte (V. 172) könnte hierbei auf eine Vorlage hinweisen. Interessant ist dabei, daß lediglich der ‹Arme Heinrich›, für den man keine Quelle hat ausfindig machen können, von einer deutlichen Thematisierung vorlagengebundenen Erzählens zeugt (vgl. Vv. 1-17 und 29ff.), die explizit an die Autorität der Schrift (V. 17, 29) geknüpft wird. 290 Kellermann, «Exemplum» und «historia», S. 9f. 291 Die Frage beinhaltet eine methodische Problematik, die sich bei der Interpretation von Prologen zwangsläufig ergibt: Liest man den Prolog als Rezipient, der den weiteren Verlauf des Erzählten nicht kennt, oder soll der Prolog vor dem Hintergrund und in Zusammenhang mit dem ‹Gesamttext› untersucht werden. Während Nellmann, Eberhard: Wolframs Erzähltechnik. Untersuchungen zur Funktion des Erzählers. Wiesbaden 1973, S. 11, es für «wirkungsästhetisch bedenklich» hält, der Prologuntersuchung den Gesamttext zugrunde zu legen, zeigt z.B. Haug, daß Thematik des Werkes und literaturtheoretische Äußerungen der Prologe doch enger verknüpft zu sein scheinen, vgl. Haug, Literaturtheorie, S. 7ff. (Kap. I). Während der Prolog des ‹Iwein› in der vorliegenden Arbeit zunächst ohne Rückgriff auf den weiteren Erzählverlauf betrachtet wurde, sollen die hier dargestellten Ergebnisse doch anhand der narratio überprüft werden. Gegen die Annahme, ein (ma.) Rezipient habe die im Prolog auftauchenden Aspekte nicht auch auf die eigentliche Erzählung beziehen können, spricht m.E. auch, daß z.B. die Vorbildlichkeit des Artus im Prolog so deutlich hervorsticht, daß Abweichungen von dieser Typisierung auch den Hörern/ Lesern aufgefallen sein müßten, die das Werk zum ersten Mal rezipieren. Den mit der Gattung bzw. mit dem ‹Erec› vertrauten Rezipienten hätte somit auch die Betonung der Historizität auffallen können. Eine Ausnahme bildet das guote lügenmaere der Zofe der Dame von Narison, da es keine neuen Informationen beinhaltet, sondern dazu dient, auf Ebene der narratio den Verlust der Salbe zu erklären. All jenen Erzählungen in der Erzählung ist jedoch gemeinsam, daß die Protagonisten zu Erzählerfiguren stilisiert werden, die sich traditioneller Formeln bedienen (vgl. die Erzählung von Gaweins Schwager, Vv. 4528ff. und von Lunete, Vv. 4289ff.). Im folgenden soll anhand der Untersuchung der Kâlogrenant-Erzählung und des lügenmaere aufgezeigt werden, welche Funktion dem Prinzip der Augenzeugenschaft im ‹Iwein› zukommen kann und welche Schlüsse sich daraus ziehen lassen. I.2.2.3 Die Erzählung des Kâlogrenant Die kurze Schilderung des Festes (V. 59ff.) am Artushof bereitet die Kâlogrenant-Erzählung vor, wenn neben den anderen Festaktivitäten berichtet wird, daß die einen Ritter von extremer Mühe, die anderen von großer Tapferkeit erzählten. Kâlogrenants maere wird zu jener ersten Kategorie gehören, denn es handelt von grôzer sîner swaere/ und von deheiner sîner vrümicheit (Vv. 94f.). 292 Von der Königin gebeten, trotz Keiîs Spott und Zwischenreden seine Erzählung fortzusetzen, beginnt Kâlogrenant sein eigentliches maere 293 mit den Worten: «ichn wil iu keine liuge sagen./ Ez geschach mir, dâ von ist es wâr 294 [...]»(Vv. 258f.). Die topische Beteuerung, keine Lüge zu erzählen, weil es ihm selbst widerfahren sei, entspringt der mittelalterlichen Beglaubigungspraxis, das Erzählte als faktisch (geschach - res gestae) auszugeben, und es wird hier auch - indirekt - an das Moment der Augenzeugenschaft geknüpft, insofern Kâlogrenant ‹aktiver› Part der zu erzählenden res gestae gewesen ist (geschach m i r ). 295 Darüber hinaus begegnen Anreden des Erzählenden (Kâlogrenant) 108 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 292 Vgl. Schirok, ein rîter, der gelêret was, S. 194, der das maere auf Grund seines negativen Inhalts als gattungsuntypisch bezeichnet. Wie sich im Falle des ‹Prosa-Lancelot› (vgl. Kap. II.2.2 d.A.) zeigen wird, erhält das Moment des Erzählens jedweder Begebenheiten, seien sie für die Ritter positiv oder negativ, ein zentrales Gewicht: Im P-L sind die Ritter nämlich gar verpflichtet, alles zu erzählen, was Lancelot einige Male ignoriert. Vgl. auch ‹Diu Crône›: «Dort warn vier oder drei,/ Dise seiten auentivre.» (Vv. 653f.). Auch in Strickers ‹Daniel› ist diese Sitte bereits etabliert (V. 109ff.). 293 Vorgeschaltet sind die Bemerkungen zur rechten Rezeption des Erzählten, die nicht nur über die Ohren, sondern auch durch das herze erfolgen sollte, da andernfalls sowohl Hörer als auch Erzähler ihre Mühe umsonst aufgeboten hätten (vgl. Vv. 247ff.). 294 Die Lesart entspricht Hs. B sowie den Hss. d, l und z. Hs. A weist ursprünglich daz i t war auf, vgl. die Anm. von Wolff, S. 22. Die Konjektur in der Ausg. Wolffs bzw. die Lesart nach Hs. B (vgl. die Ausgabe von Mertens) ist insofern beachtenswert, als sie nicht nur bloße Wahrheitsbeteuerung ist (im Sinne von ‹das ist wahr›), sondern darüber hinaus ein kausaler Konnex zwischen dem Wahrheitsgehalt der Erzählung und dem Geschehen evoziert wird: Das ‹Es geschah mir, das ist wahr› wird somit zum ‹Es geschah mir, daher ist es wahr›. 295 Bei Chrétien begegnet dieser Aspekt sogar noch deutlicher, wenn Calogrenant darlegt, er wolle weder von Fabeln noch von Lügen (ne de fable, ne de mançonge, V. 172), die manch andere berichteten (V. 173), erzählen, und dann beginnt, von seiner Niederlage an seine Rezipienten (Îwein, Ginover etc.), 296 die sie dazu auffordern, sich das Erzählte zu vergegenwärtigen: seht, dô muose ich von ir (V. 392), seht, dô trouc mich mîn wân (V. 692), nû seht wâ dort her reit (V. 694). Besonders deutlich tritt der Erzählergestus jedoch bei der Begegnung Kâlogrenants mit dem Waldmenschen zutage: Kâlogrenant erreicht die Lichtung und erblickt alle möglichen Tiere, von denen er jemals etwas gehört habe. Diese Tiere (bei Chrétien handelt es sich um tors salvages, ors et lieparz, 297 ‹Yvain›, V. 278) liefern sich fürchterliche Kämpfe (Vv. 403ff.), doch der schreckliche Eindruck, den sie bei Kâlogrenant hinterlassen, wird noch überboten durch die Scheußlichkeit des Waldunholds, die so groß ist, daß ez niemen wol geloubet (V. 429). Der bei Chrétien eingefügte Unsagbarkeitstopos, kein Mund könne von einem solch häßlichen Geschöpf sprechen (Vv. 286ff.), wird bei Hartmann also auf die Ebene der (texinternen und -externen) 298 Hörer verlegt, Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 109 vor sieben Jahren zu erzählen (Il m’avint plus a de set anz, V. 173). Bei Hartmann werden also die Begriffe fable und mançonge in dem Wort lüge zusammengefaßt. Hier von einer bloß «klischeehafte[n] Aussage» Hartmanns zu sprechen, so Wolf, Erzählkunst, S. 16, halte ich für inadäquat. Vgl. zur Thematik auch die Eingangsverse in Wernhers ‹Helmbrecht›, in denen die Verbindung von Augenzeugenschaft und Teilhabe am Geschehen ebenfalls besonders hervorgehoben wird: «Einer seit waz er gesiht,/ der ander seit waz im geschiht, […] hie will ich sagen waz mir geschach/ daz ich mit mînen ougen sach» (Vv. 1ff.). Allerdings ist es hier der Erzähler, der zum Augenzeugen stilisiert wird, und nicht eine Figur des erzählten Geschehens. 296 Ich verzichte hier auf die erzähltheoretischen Begriffe des extra-, intra- und metadiegetischen Erzählers bzw. Erzählens und spreche von der Erzählung des Kâlogrenant bzw. der Erzählung in der Erzählung. Zu den Begriffen vgl. Genette, Die Erzählung, Martinez, Matias/ Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. 3. Aufl. München 2002, S. 76ff., sowie Hübner, Erzählform, und ders.: Fokalisierung im höfischen Roman. In: Wolfram-Studien XVIII (2004), S. 127-150 (mit einschlägiger Forschungsliteratur). 297 Roques hat diese singuläre Lesart der seiner ‹Yvain›-Ausgabe zugrundeliegenden Leiths. (Paris Bibl. nat. 794 / Guiot) entgegen Foerster, der in seiner Ausgabe ebenfalls dem Ms. Paris Bibl. nat. 794 (bei Foerster Sigle H) folgt, beibehalten. Foerster konjiziert unter Rückgriff auf das Ms. Rome Vatican, Christine 1725 (bei Foerster Sigle V): «Quant je trovai an uns essarz/ T o r s s a u v a g e s e t e s p a a r z, […]» (Vv. 279f., Herv. Verf.). Diese Lesart erscheint insofern sinnvoller, als auch im weiteren Verlauf der Erzählung lediglich von den wilden Stieren die Rede ist (Vgl. Vv. 282-285 in der Ausg. von Roques, Vv. 284-287 in der Ausg. von Foerster). Vgl. Roques’ Anmerkungen zu den Varianten in seiner ‹Yvain›-Ausgabe, S. 213. Welchen Wortlaut Hartmanns Vorlage hatte, ist nicht eindeutig zu klären. Auffällig ist aber, daß auch im ‹Iwein› zunächst von allen möglichen Tieren (V. 405 A und B) gesprochen wird und die Präzisierung, Wisente und Auerochsen kämpften dort unter fürchterlichem Gebrüll, erst nachträglich erfolgt (Vv. 409-411 A und B). Diesbezüglich interessant ist auch die in Hs. f überlieferte Lesart: Helffant wi ant vnd manig we X Leebn peern als gemein, da hier weitere Tiere genannt werden, vgl. die Anmerkungen Wolffs, S. 26. 298 Des Kâlogrenant Erzählung hat folglich zwei Adressatengruppen. Zum einen ist sie innerhalb der narratio auf die zuhörenden Protagonisten ausgerichtet, zum anderen liefert sie auch den externen Hörern Informationen, wobei jene Rezipienten jedoch um die Schichtung des Erzählten wissen. indem das (vermeintliche) Unvermögen des Erzählers ersetzt wird durch die (mögliche) Ungläubigkeit der Zuhörer. Daher schließt Kâlogrenant - dem Gestus eines Erzählers folgend - gleich eine Wahrheitsbeteuerung an (zewâre im was sîn houbet, V. 430) und bezieht so die Produktionsseite des Erzählens, also seine eigene, mit ein. Die unvorstellbare Häßlichkeit des walttôren wird allein durch des Kâlogrenant Augenzeugenschaft beglaubigt und seinen Hörern wiederum durch eine Wahrheitsbeteuerung einsichtig. Doch wird das Moment der Augenzeugenschaft noch weiter getrieben: Die konkrete Begegnung zwischen Waldunhold und Ritter besteht aus der gegenseitigen Vorstellung ihrer beider Aufgaben bzw. Unternehmungen (Hüter der Tiere und âventiure-Definition). Der walttôr, den Begriff der âventiure immer noch nicht recht verstehend (Vv. 544ff.), berichtet Kâlogrenant von einem Brunnen, bei dem jener wohl etwas seinen Vorstellungen Entsprechendes vorfinden könne. Damit aber ist eine weitere Ebene gegeben; denn in die Erzählung des Kâlogrenant wird der Bericht einer weiteren Figur eingebunden, und auch der walttôr nähert sich dem Erzählergestus an: doch sag ich dir ein maere (V. 550), waz frumt ob ich dir mêre sage? (V. 561), 299 nû hoere waz sîn reht sî. (V. 565). Im Anschluß weist der Waldmensch Kâlogrenant den Weg, und dieser kommentiert seine Ankunft gegenüber seinen Zuhörern mit den Worten: «ich vuor des endes unde vant/ der rede eine wârheit/ als er mir hete geseit […]» (Vv. 600ff.). Die Erzählung des ungehuiren wird somit durch Kâlogrenant bestätigt, da er sich ihrer als Augenzeuge versichern kann. 300 Er findet und sieht den Brunnen und bezeugt somit die Wahrheit der Waldmensch-Erzählung. Später wird dies von Artus selbst wiederholt werden, wenn er mit seinem Gefolge den Brunnen aufsucht: «und wolde rehte erkunnen/ ob daz selbe maere/ wâr ode gelogen waere/ durch daz er was komen dar» (Vv. 2532ff.). Kellermann hat diese Passage als Möglichkeit gewertet, die «Hartmann das Vehikel für eine Legitimation des Artusromans aus historischer Tradition bietet», 301 während Schirok betont, daß es sich bei der Erzählung in der Erzählung um einen «gestaffelten Vermittlungsprozeß» handle, der darauf verweise, daß Taten nie direkt vorbildhaft wirkten, sondern stets narrativer Vermittlung bedürften. 302 Ungeachtet ihres unterschiedlichen Blickwinkels greifen sowohl 110 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 299 Vgl. V. 778, wo es Kâlogrenant ist, der seinen Rezipienten mit der Formel «nû waz mag ich iu mêre sagen? » begegnet. 300 Die Episode erinnert an Waces Bemerkung, der allerdings das Gegenteil konstatiert: «[…] La alai jo merveilles querre,/ vi la forest e vi la terre,/ merveilles quis, mais nes trovai,/ fol m’en revinc, fol il alai,/ fol i alai, fol men revinc,/ folie quis, por fol me tinc.», ‹Roman de Rou›, Vv. 6415-6420. Vgl. Wolf, fol i alai, hier S. 215. Der Bezug zu Wace, den Chrétien wohl bewußt als Kontrast zu dessen Faktizitätsglauben angeführt hat, war für Hartmann vermutlich nicht zu erkennen. Gleichwohl scheint er - wie die folgenden Ausführungen zu zeigen versuchen - den wesentlichen Aspekt erkannt und in vergleichbarer Funktion verwendet zu haben. Vgl. dazu die weiteren Ausführungen des Kap. 301 Kellermann, «Exemplum» und «historia», S. 10. 302 Schirok, ein rîter, der gelêret was, S. 196. Kellermanns 303 als auch Schiroks Erläuterungen zu kurz, da sie den Modus des Erzählten außer acht lassen. Des Kâlogrenant Erzählung ist die narratio einer Figur, sie ist in das Romangeschehen integriert, und somit verbleibt auch die Beglaubigungsstrategie innerhalb des erzählten Geschehens und kann nicht ohne weiteres auf die übergeordnete Erzählebene übersetzt werden. Die Beglaubigungen, die Kâlogrenant in Form von Wahrheitsbeteuerungen und insbesondere über das Prinzip der Augenzeugenschaft evoziert, erweisen das ihm vom walttôren Erzählte innerhalb des wiederum von Kâlogrenant erzählten Geschehens als wahr. Dies bedeutet aber nicht, daß die Historizität der gesamten ‹Iwein›-Handlung demonstriert wird, sondern zunächst, daß die Erzählung in der Erzählung für sich behauptet, res gestae darzustellen. Schirok hat für den narrativen Vermittlungsprozeß folgendes Schema vorgeschlagen: werc (Kalogrenants Niederlage) mœre (Kalogrenants Erzählung) werc (Iweins Reaktion und seine Taten) mære (Hartmanns Iwein) werc (Umsetzung der Rezipienten) 304 Ich denke nicht, daß die Rezeptionssituation der Protagonisten derjenigen der textexternen Rezipienten ohne weiteres gleichzusetzen ist. 305 Daß die Erzählung eine Spiegelungsfunktion innehat, sei unbestritten; 306 was jedoch die Umsetzung von werc in maere anbelangt, so ergeben sich Schwierigkeiten; denn Schiroks Schema setzt implizit voraus, daß diu werc Kâlogrenants auch auf Ebene der textexternen Rezipienten tatsächlich als res gestae, als historische Taten verstanden werden. Kâlogrenants Erzählung fungiert jedoch vielmehr als innerliterarische und gattungskonforme Provokation, die Iwein dazu veranlaßt, die gleiche âventiure zu bestehen und die Schmach seines Verwandten zu rächen. Damit erfüllt Kâlogrenants maere also zuallererst die Funktion, den Handlungsverlauf, das Geschehen voranzubringen. 307 Für Iwein ist der Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 111 303 Vgl. im Hinblick auf Kellermann Green, The Beginnings of Medieval Romance, S. 183. 304 Schirok, ein rîter, der gelêret was, S. 196. 305 Vgl. auch Wolf, fol i alai, S. 224, der jedoch die Überlegenheit des schriftlichen Erzählers Hartmann betont. Im Hinblick auf die Gewichtung der beiden Erzähler und Ebenen stimme ich Wolf zu; jedoch vermischen sich bei ihm Autor und Erzähler; denn der, freilich schriftlich konzipierte Erzähler im ‹Iwein› bedient sich ebenfalls einer fingierten Mündlichkeit, so daß eher der Status der jeweiligen Erzählerfigur für eine ‹Überlegenheit› verantwortlich zeichnet. Vgl. Butzer, Das Gedächtnis, bes. S. 164f. 306 Vgl. Kern, Peter: Interpretation der Erzählung durch Erzählung. Zur Bedeutung von Wiederholung, Variation und Umkehrung in Hartmanns ‹Iwein›. In: ZfdPh 92 (1973), S. 338-359, hier S. 341. 307 Vgl. auch Wandhoff, Haiko: Künec, vernemt von mir! Zur Problematik des ehrenhaften Erzählens von der eigenen Person im Artusroman. In: Situationen des Erzählens. Aspekte narrativer Praxis im Mittelalter. Hgg. Ludger Lieb und Stephan Müller. Berlin u.a. 2002 (Quellen und Forschungen zur Literaturgeschichte, 20), S. 123-142, hier S. 126. Reaktionsrahmen, in dem er diu werc, an denen Kâlogrenant gescheitert ist, 308 vollbringen kann, also vorgezeichnet: Er muß ausziehen, um die (bereits erzählte) âventiure zu bestehen. 309 Dies aber kann nicht das Ziel der (textexternen) Rezipienten sein; denn ihre Verständnisleistung des übergeordneten maere ist komplexer. Folgte man Schiroks Argumentationsschema, dann müßte die Umsetzung des Erzählten auf eine Haltung hinauslaufen, wie sie im Medium der Literatur von Don Quijote verkörpert wird. Überdies ist in diesem Zusammenhang zu bemerken, daß Kâlogrenants âventiure-Definition und wiederum Iweins folgendes Verhalten der Bedeutung von âventiure nur bedingt gerecht werden. Zwar reagiert Iwein zunächst auf Ebene der narratio adäquat auf das maere, aber für die Rezipienten gelten andere Bedingungen: Ungeachtet der Problematik, daß Iwein alleine und heimlich auszieht sowie Ascalon erschlägt, sind diese werc für die Erzählung konstitutiv, denn ohne sie gäbe es den Roman nicht, gleichwohl zeigt sich demnach, daß auch eine ‹narrative Vermittlung› keinen Garant richtigen Handelns darstellt. Die Rezipienten des Romans hingegen nehmen eine völlig andere Perspektive ein, indem sie das Erzählte, also auch Iweins Taten gleichsam von außen und auf Basis ihres Erwartungshorizonts wahrnehmen und bewerten können. Somit sind sie weniger zu eigenen Taten als vielmehr zu einem interpretatorischen Akt aufgefordert, der sich eben nicht in einer konkreten Handlungsanweisung erschöpfen kann. 310 Hinzu tritt, daß die in der Figurenerzählung begegnenden Wahrheitsbekundungen den Rezipienten dazu auffordern, auf die historia-Elemente zu achten. Die Spiegelungsfunktion der Kâlogrenant-Erzählung besteht folglich weniger in der Vorführung einer narrativen Initialisierung von werc, sondern sie offenbart den Rezipienten die Möglichkeit, sich von den narrativ-inszenierten Wahrheitstopoi, mithin von der Verbindlichkeit des historisierenden Erzählens, zu distanzieren. 311 112 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 308 In den Worten, mit denen Kâlogrenant sein Scheitern zusammenfaßt, werden - in komischer Brechung - zentrale Begriffe des ‹Iwein› aufgegriffen: «mir was der wille harte guot: / done mohten mir diu werc den muot/ an im niht vollbringen: / des muose mir misselingen.» (Vv. 759-762). Die Relation zwischen wille, muot und werc wird nicht nur im Prolog (Vv. 6f.), sondern auch im Gespräch Iweins mit der gefangenen Lunete (Vv. 4320-4322) und in Iweins Herausforderung an Harpin (‹rîter, waz touc disiu drô? / lât boese rede und tuot diu werc›, Vv. 5008f.) thematisiert. 309 Vgl. Butzer, Das Gedächtnis, S. 167. 310 Daß das gebildete Publikum seine Gattungserwartungen miteinfließen lassen konnte, entkräftigt m.E. die Argumentation, daß nur derjenige, der bereits den ganzen Roman kenne, eine differenzierte Bewertung der erzählten Situation vornehmen könne. Vor dem Hintergrund der - wenn auch schmalen - Gattungstradition wirken sowohl Kâlogrenants âventiure-Definition als auch Iweins heimlicher Aufbruch (in dem er sich ja Artus’ Willen, gemeinsam aufzubrechen, widersetzt, vgl. auch Erecs Aufbruch nach dem verligen oder Daniels heimliche Aufbrüche) als deutliche Signale, das Erzählte auf seine Gültigkeit zu hinterfragen. 311 Vgl. Knapp, Historiographisches und fiktionales Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), S. 35. Während Knapp im Hinblick auf Chrétiens ‹Erec› und ‹Yvain› Fiktionalität als (ästhe- Diese Einbindung historisierender Erzählelemente in den fiktionalen Erzählrahmen und die daraus resultierende Entfunktionalisierung von historia ist auch bei Chrétien zu erkennen, wobei hier dem Verweis auf Wace (vgl. ‹Yvain›, Vv. 577-580 und ‹Roman de Rou›, Vv. 6415-6420) entscheidende Bedeutung zukommt: 312 Der ‹berühmte› Ausspruch des Erzählers im ‹Roman de Rou›, er habe in Broceliande keine Wunder finden können und sei letztlich als Tor zurückgekehrt, wird von Calogrenant aufgegriffen und ins Gegenteil verkehrt. 313 Bei Wace heißt es: La alai jo merveilles querre vi la forest e vi la terre, merveilles quis, mais nes trovai, fol m’en revinc, fol il alai, fol i alai, fol men revinc, folie quis, por fol me tinc. (‹Roman de Rou›, Vv. 6415-6420) Bei Chrétien äußert Calogrenant folgendes: Ensi alai, ensi reving; au revenir por fol me ting. Si vos ai conté come fos ce c’onques mes conter ne vos. (‹Yvain›, Vv. 577-580) Zwar bezeichnen sich beide Erzählerfiguren als Toren (fol), jedoch mit einem entscheidenden Unterschied: Während sich der Erzähler im ‹Rou› als Tor bezeichnet, weil er den Fabeleien der Bretonen zunächst geglaubt, sich dieser Glaube aber als falsch herausgestellt habe (vgl. Vv. 6395f.), besteht des Calogrenant Torheit «darin, sich auf ein solches Abenteuer, dem er nicht gewachsen war, eingelassen zu haben». 314 Damit steht bei Chrétien nicht zur Debatte, ob im Wald von Broceliande âventiuren und Wunder existieren, sondern die Frage ist, wer sie innerhalb der literarischen Erzählwelt bestehen kann. Der durch den Erzähler im ‹Rou› eingeforderte Faktizitätsglaube und die sich daraus ergebende Ablehnung der erzählten merveilles wird somit bei Chrétien spielerisch ad absurdum geführt, wenn Calogrenant betont, er wolle weder von Fabeln noch von Lügen (V. 172) berichten, und dann eine Erzählung mit solchen Elementen präsentiert, die im ‹Rou› als Lüge entlarvt wurden. Damit geraten auch die von Calogrenant verwendeten Wahrheitstopoi ambivalent und signalisieren durch den kontrastiven Verweis auf Wace die Fiktionalität der vermeintlichen res gestae, indem sie den im ‹Rou› begegnenden Anspruch auf empirische Überprüfbarkeit ad absurdum führen. Auch wenn Hartmann Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 113 tisches) Merkmal gelten läßt, schränkt er dies jüngst für die Artusromane Hartmanns ein, ders., Rezension zu Green, The Beginnings of Medieval Romance, S. 25, obgleich er diese zehn Jahre zuvor, ders., Theorie und Praxis, S. 161, noch uneingeschränkt sah. 312 Vgl. grundlegend Wolf, fol i alai, bes. S. 215ff. 313 Vgl. ebd., S. 216 (und Anm. 20). 314 Wolf, Erzählkunst, S. 17. dieses ‹Wace-Zitat› vermutlich nicht verstehen konnte, 315 läßt sich dennoch festhalten, daß er die bei Chrétien begegnende Auseinandersetzung mit den historisierenden Elementen innerhalb der Erzählung des Calogrenant aufgegriffen und sogar vorangetrieben hat. Indem Kâlogrenant bei Hartmann als Erzähler auftritt, der ebenso wie der Erzähler im Prolog mit einem topischen Beglaubigungsinventar operiert und als Protagonist zum Augenzeugen wird, beginnt das historia-Konzept auch im ‹Iwein› ambivalent zu werden: Wird im Prolog die fiktionale Gattung mit Elementen der historia verbunden, so wird die Konzeption hier innerhalb der von einer Figur erzählten âventiure implementiert. Keine Quelle, keine auctoritas und auch nicht der eigentliche Erzähler steht für die (faktische) Wahrheit des maere ein, sondern eine Figur des Romangeschehens. 316 Wesentliche Elemente der historia-Konzeption werden somit von der Ebene des discours (und des eigentlichen Erzählers) gelöst, innerhalb der histoire verfügbar und überdies mit dem Begriff der âventiure verbunden, die hier nicht nur durch Kâlogrenants Definition, sondern auch durch die wunderbar anmutenden Elemente (Unhold, Wald ze Breziljân sowie später den Brunnen) präsent ist. Damit aber relativiert sich die Beglaubigungsfunktion der Beteuerung; denn ihre Elemente werden selbst zum Bestandteil des erzählten Geschehens. 317 Die vermeintliche Historizität des Erzählten - wie im Prolog evoziert - wird somit implizit zum Thema. Die Opposition lüge-warheit wird in die narratio verlegt und in sie eingebunden, und so geht ihre Verbindlichkeit auf Ebene des discours verloren. Während dies im ‹Yvain› über den intertextuellen Verweis auf Wace erreicht wird, geschieht dies bei Hartmann nicht zuletzt durch die Gegenüberstellung von Prolog und Figurenerzählung, in der die historia-Konzeption und die mit ihr verbundenen Erzählstrategien selbst zum Gegenstand des Erzählten werden: D.h., es handelt sich nicht ausschließlich um eine Literarisierung von werc, 318 sondern vor allem um eine Relativierung 319 von historia, und zwar auf einer zweiten Erzählebene. Wurde im ‹Erec› die mit dem historia- Verständnis verbundene adtestatio rei visae vom Erzähler auf der Ebene des discours ad absurdum geführt (vgl. die Zelter- und roc-descriptio), so wird sie im ‹Iwein› in die narratio hineingenommen und somit auf subtilere Weise zum Thema. Sie wird (vorerst) nicht mehr ironisch-spielerisch vom souveränen Er- 114 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 315 Vgl. ebd. 316 Vgl. Green, The Beginnings of Medieval Romance, S. 183: «The presence of fictionality in Iwein, admitted by Kellermann in principle, goes further in undermining its apparent historicity than she is prepared to concede.» 317 Dies übersieht m.E. Schmitt, wenn sie dem Beglaubigungsmechanismus eine bis zur frühen Neuzeit ungebrochene Funktion zuschreibt, vgl. Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, bes. S. 272ff. 318 Siehe, Schirok, ein rîter, der gelêret was, S. 193f., und Haupt, Das Fest, S. 183. 319 Vgl. Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 204f. Vgl. dazu auch Genette, Gérard: Fiktion und Diktion. Aus dem Französischen übers. von Heinz Jatho. München 1992, der eine Erzählung zweiten Grades als plausibles Fiktionssignal wertet, S. 79. zähler offengelegt, sondern wird einem Protagonisten der Erzählung zugewiesen, der sie dem Gestus eines Erzählers gemäß verwendet, was wiederum auf die im Prolog etablierte Erzählsituation zurückweist: Indem mit Kâlogrenant eine Figur des erzählten Geschehens als Erzähler auftritt 320 und so demonstriert wird, daß diese Figur über das gleiche narrative Instrumentarium wie das Prolog-Ich verfügt, können die Rezipienten nicht nur ihre Rezeptionssituation gespiegelt sehen, sondern darüber hinaus auch die narrativen bzw. narratologischen Elemente erkennen. Ebenso wie der Protagonist Kâlogrenant, der über das Prinzip der Augenzeugenschaft und die von ihm ‹erlebten› werc ein scheinbar an Faktizität geknüpftes Erlebnis schildert - das als âventiure der Gattung ‹Artusroman› zuzuordnen, mithin das wesentliche Prinzip der als fiktional etablierten Erzählgattung zu bezeichnen ist -, implementiert der Erzähler, der sich zum gelêrte[n] rîter stilisiert, das historia-Prinzip. Somit können die Rezipienten erkennen, daß die Erzählstrategien Teil des narrativen Vorgangs, mithin erzähltechnische Prinzipien sind, die konstruiert und einer Erzählerfigur zugeordnet werden. An dieser Schnittstelle wird dann die Gültigkeit der historia-Konzeption relativiert, da sie als verfügbares Erzählprinzip offenbar wird. Indem einem Protagonisten der bereits bekannten (und im ‹Erec› als fiktional präsentierten) Artuswelt die Möglichkeit, gemäß dem historia-Prinzip zu erzählen, verliehen wird, kann deren Bedeutung als verbindliches ‹Beweismittel› für die Ebene des discours eingeschränkt werden. Gleichzeitig beginnt somit aber der Aspekt der Fiktionalität den der Literarizität zu überlagern, denn wenn in der dem Fiktionalitätsverdacht ausgesetzten Gattung das (Erzähl-)Prinzip der historia als nicht uneingeschränkt gültig präsentiert, sondern Protagonisten der Erzählung zugewiesen wird, die es als Beglaubigung ihrer âventiuren heranziehen, so ist der Hörer/ Leser vor die Aufgabe gestellt, seine Rezeptionshaltung zu hinterfragen: Während Kâlogrenant von seiner âventiure berichtet, als erzähle er res gestae, wird der übergeordnete Erzählverlauf nicht eindeutig als historia etabliert. 321 Im folgenden soll ein weiteres Beispiel, das auf diese Relativierung historisierenden Erzählens deutet, betrachtet werden, und zwar das lügenmaere der maget der Dame von Narison. Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 115 320 Überdies ist mit Kâlogrenant ein Protagonist zum Erzähler geworden, der keinerlei Anspruch auf auctoritas oder Historizität vorzuweisen hat. 321 Hier ist auch ein Unterschied im Vergleich zur ‹Klage›, in der ebenfalls vom Augenzeugen Swemmel erzählt wird, festzuhalten. Während in der ‹Klage› zum einen vor einem historischen Gattungshintergrund argumentiert wird und darüber hinaus die Berichte des Augenzeugen Swemmel mit der Erzählhaltung des Erzählers korrespondieren, fehlt im ‹Iwein› zum einen die im Erzählstoff begründete Historizität sowie eine von der Erzählerfigur konsequent verfolgte Historisierung des Erzählten. I.2.2.4 Das guote lügenmaere Die maget, die auf Geheiß der Dame von Narison Iwein mit der Zaubersalbe Feimurgâns vom Wahnsinn heilen soll, bestreicht den ‹Wahnsinnigen› bekanntlich nicht nur dort, wâ er die nôt leidet (V. 3444), sondern allenthalben (V. 3476), 322 so daß von der Salbe nichts übrig bleibt. Aus diesem Grund muß die maget denn auch eine Lügengeschichte erfinden, um ihre vermeintliche Unschuld am Verlust der Salbe zu begründen. 323 Sie beginnt ihr lügenmaere im Klagegestus (V. 3660), um direkt deutlich zu machen, wie sehr sie der Verlust der Salbe schmerzt und um ihre Herrin gleichzeitig auf die negative Nachricht einzustimmen. In große Mühe sei sie gekommen, als sie eine naheliegende hohe Brücke habe überqueren wollen. Der Ritter habe genau gesehen, wie knapp sie dem Ertrinken entkommen sei - ein Wunder sei es, daß sie überlebt habe. Ihr Roß sei derart ins Straucheln geraten, daß sie sich selbst kaum im Sattel habe halten können. Über ihre Mühen habe sie die Salbe vergessen, die schließlich in die Strömung gefallen sei. Niemals habe sie ein Verlust mehr bekümmert. Vorbereitet durch eine rhetorische Frage schließt sie ihre Erzählung mit der sprichwörtlichen Wendung, daß etwas, das man nicht behalten solle, sich nun einmal verlieren werde. Auffällig an dieser Lügengeschichte ist zunächst zweierlei: Erstens, die maget zieht Iwein als Augenzeugen ihrer vermeintlichen Notsituation hinzu, die so nie stattgefunden hat, und zweitens ist ihre Erzählung durchaus plausibel - wobei die das maere durchziehende Hyperbolik dem Aspekt der Glaubwürdigkeit hier - zumindest auf der Ebene des textexternen Rezeptionsmodus - zuwiderzulaufen scheint. 324 Insbesondere die Tatsache, daß Iwein als Augenzeuge einer erfundenen Geschichte ‹herhalten› muß, ist im Kontext der bisher angestellten Überlegungen von Bedeutung. Iweins Augenzeugenschaft, von der sowohl die Protagonisten (Iwein und maget) sowie die Rezipienten wissen, daß sie nicht stattgefunden hat, weil es das erzählte Ereignis schlichtweg nicht gab, wird hier der traditionellen Beglaubigungspraxis gemäß als Argument bzw. als Wahrheitsbeweis genutzt. Ihre Lüge, die ja auch vom Erzähler explizit als solche gekennzeichnet wird, wird also auf Figurenebene u.a. mit der Augenzeugenschaft Iweins beglaubigt, so daß das grundlegende Beweiselement der historia erneut relativiert wird: Innerhalb der vom Märchen- 116 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 322 Interessant ist hier der Vergleich mit Gauriel, der nach seiner Ankunft und seinen Kämpfen in Fluratrone, auf Befehl seiner Geliebten und zukünftigen Gemahlin ausdrücklich allenthalben von Elete mit einer Salbe bestrichen werden soll, um sein ‹altes› schönes Aussehen wiederzuerlangen (‹Gauriel›, V. 3116 und 3946). Zu den Versen 3473/ 74 des ‹Iwein› vgl. den von Wolff bearbeiteten Kommentar, S. 108f., sowie Bumke, Die vier Fassungen, S. 7f. 323 Bei Chrétien ist es der Erzähler, der die wesentlichen Elemente der Lüge vorbringt (‹Yvain›, Vv. 3082ff.), so daß das Fräulein selbst nicht erzählen wird. Ebenso fehlen die komisch anmutenden Aspekte, die bei Hartmann aus der verwendeten Hyperbolik resultieren, sowie die Tatsache, daß sich die maget eigens auf Iwein als Zeugen ihrer Lüge beruft. 324 Vgl. Lausberg, HbRh, § 579. prinzip gekennzeichneten Episode 325 erfindet eine Figur ein lügenmaere, um die eigene Verfehlung zu verdecken, und zieht als Garant einen Protagonisten der Erzählung hinzu, von dem die Rezipienten wissen, daß er dieses Ereignis nicht gesehen haben kann, weil es in der erzählten Welt nie stattgefunden hat. Das lügenmaere zeigt den Rezipienten somit, was auch in den vorherigen Überlegungen angedeutet wurde: Elemente, die zur Beglaubigung dienen und dem historia-Prinzip zuzurechnen sind, können auch in erfundene, mithin fiktionale Erzählungen eingebaut werden, ohne deren fiktionalen Status zu gefährden. Somit zeigt auch die Erzählung der maget, daß die Möglichkeit des historisierenden Erzählens verfügbar ist, verfügbar auch für ein lügenmaere. Inwieweit jedoch die Adressatin der Lüge, die Dame von Narison, ihr Glauben schenkt, bleibt unklar. Die Bemerkung des Erzählers, daß die Dame, obwohl die Lügengeschichte sehr kunstfertig und daher gut gewesen sei, zornig erschien, kann zweierlei bedeuten: Zum einen, daß die Dame von Narison ihrer maget glaubt, sich aber trotzdem über den Verlust der Salbe ärgert; zum anderen daß sie, der Kunstfertigkeit der Lüge Anerkennung zollend, erzürnt ist über das erfundene maere ihrer juncfrouwe. Genau aus dieser Unsicherheit bezieht das lügenmaere jedoch ebenfalls seinen Reiz; 326 denn während die Rezipienten wissen, daß die Erzählung bloße Erfindung ist, läßt sich dies im Hinblick auf die Herrin nicht eindeutig festmachen. Damit aber erhält auch die das maere kennzeichnende Hyperbolik eine nuancierte Bedeutung. Denn während die übersteigerte Schilderung der Not für die Dame von Narison durchaus glaubwürdig sein kann, wirken die hyperbolischen Elemente auf die Rezipienten, die ja wissen, daß das Erzählte gelogen ist, eher erheiternd. Vor allem die Aussage, 327 kein Verlust als derjenige der Salbe sei jemals schmerzhafter gewesen, zeugt von Komik, wenn man bedenkt, mit welcher Hingabe die maget den gesamten Inhalt der Büchse auf Iweins Heilung verwandt hat. Der Vergleich mit Lunete, die im Sinne Iweins âne schalkheit zu triegen versteht (V. 2184), liegt nahe, wobei der Unterschied jedoch ganz klar darin besteht, daß die maget der Dame von Narison lügt, um sich selbst aus einer mißlichen Lage zu befreien. Nur dies ist ihre Motivation. Nichtsdestominder entspinnt sich aus dem lügenmaere der maget eine der Unterhaltung von Lunete und Laudine vergleichbare Situation, der allerdings eine humoristische Nuance anhaftet. Während nämlich Laudine ihren Gatten und den Herrn des Landes, Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 117 325 Hier sei nur auf die wesentlichen Elemente hingewiesen: Die drei Damen treffen, scheinbar zufällig, genau zur rechten Zeit und am rechten Ort ein und verfügen über das adäquate Heilmittel, das überdies durch seine Herstellerin aus dem ‹Erec› bekannt und an das Wunderbare gebunden ist. Vgl. auch Wolf, Erzählkunst, bes. S. 33ff., der jedwede religiös-allegorische Deutung der Wahnsinnbzw. Heilungsepisode entschieden zurückweist. 326 Wolf, Erzählkunst, S. 41, konstatiert mit Blick auf diese Episode, daß das «Verhältnis Herrin und Zofe […] in lustspielhafter Konstellation» erscheine. 327 Dazu kommen die Bezeichnung des Pferds als Streitroß, vgl. BMZ II, S. 763, sowie die Bezeichnung des Gewässers als wage (V. 3673). den es zu ersetzen gilt, verloren hat, verliert die Dame von Narison eine Salbe, die ihr durch einen Ritter, der ihr Land gegen den Graf von Aliers verteidigen soll, ersetzt wird (ich hân in kurzen stunden/ einen rîter vunden/ und mîn guote salbe verlorn, Vv. 3687ff.). Während Laudine also den Verlust des Gatten und Brunnenschützers beklagt, leidet die Dame von Narison unter dem Verlust der Salbe, und beide Verluste werden durch Iwein ausgeglichen. 328 Niemand solle auf Grund eines verlorenen Guts, das man nicht wiedererlangen könne, leiden, so die abschließende Bemerkung der Dame von Narison, die somit nicht nur die eigene Situation, sondern erneut die Laudines spiegelt. Das lügenmaere erfüllt damit verschiedene Funktionen: Zum einen dient es schlichtweg als komisches Element, das die Rezipienten, die wissen, wie es um den Verlust der Salbe bestellt ist, erheitern soll; so wie die gesamte Heilungsepisode von komisch-burlesken Elementen geprägt ist. 329 Darüber hinaus wird über die Reaktion der Dame auf den Verlust der Feensalbe der Bezug zu Iweins Brunnen-âventiure hergestellt, wobei hier neben das Moment der wehrlosen Landesherrin, insbesondere der Aspekt des Verlusts - noch immer in komischer Funktion - ins Zentrum gerückt wird. Zusätzlich zu diesen Aspekten dient das lügenmaere der maget jedoch dazu, den Rezipienten erneut die Verfügbarkeit historisierenden Erzählens zu verdeutlichen. Zwar ist das maere der Zofe hier explizit als lüge gekennzeichnet, doch wissen dies eben nur die maget, Iwein und die Rezipienten, nicht die Dame von Narison. Was auf Figurenebene eine dem argumentum zuzuordnende Erzählung (erfunden, aber dennoch wahrscheinlich 330 ) sein könnte, 331 ist für den (textexternen) Rezipienten zu durchschauen, da für ihn das Moment der Wahrscheinlichkeit insofern hinfällig ist, als er über den erfundenen und lügnerischen Ursprung des maere informiert ist. Die von der maget angewandten rhetorischen Strategien werden über das Moment der erfundenen Augenzeugenschaft Iweins mit einem wesentlichen Prinzip historisch-wahrheitsgetreuen Erzählens in Verbindung gebracht, dessen Gültigkeit so erneut auf spielerische Weise hinterfragt wird. Damit wird auf Figurenebene eine weitere Möglichkeit zu erzählen eingeführt, welche die auch in der Kâlogrenant-Erzählung begegnenden Historisierungstopoi aufgreift, deren Funktion aber weiterhin relativiert. Wird hier deutlich, daß traditionelle Beglaubigungsformeln an Protagonisten des Er- 118 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 328 Natürlich ist es in erster Linie der Mangel an einem männlichen Kämpfer, der Iwein als Beschützer beider Länder unabdingbar macht. Die Anklänge an Laudines Klage jedoch stellen die Aliers-Episode in ein komisch-erheiterndes Licht. 329 Vgl. dazu Wolf, Erzählkunst, bes. S. 34ff. 330 Die Tatsache, daß gerade der Lügner das Kriterium der Wahrscheinlichkeit beachten müsse, um seiner Darlegung Glaubwürdigkeit und Plausibilität zu verleihen, kann sich auf die rhetorische Tradition stützen. Stierle, Art. ‹Fiktion›, S. 388, führt hier Quintilian als Beispiel an: «Sed utrumcumque erit, prima sit curarum, ut id, q u o d f i n g e m u s, f i e r i p o s s i t» (Ausbildung des Redners, I, 471, Herv. Verf.). 331 Vgl. auch Wolf, Erzählkunst, S. 41: «Eine Reihe konkreter Einzelheiten werden aufgeboten, damit die Wahrheit dieser netten Lüge unumstößlich werde: […].» zählten abgegeben werden können und damit auf der Ebene der histoire verbleiben, so zeigt daß lügenmaere der Zofe darüber hinaus, daß diese narrativen Historisierungselemente als bloße Strategien fungieren können. Das maere der Zofe und die in der Episode begegnenden burlesken Elemente sind damit nicht nur Zeugnis «feine[r] Psychologie und gelungene[r] Darstellungskunst», 332 sondern sie offenbaren dem Rezipienten auf spielerische Weise, daß wahrheitsverbürgende Erzählelemente und das Erzählen von res factae einander nicht zwingend bedingen müssen. Die Prinzipien der Augenzeugenschaft und der Wahrscheinlichkeit werden somit als rhetorisch-erzählerische Konstruktionen zu erkennen gegeben, indem ihre Gültigkeit auf Ebene der narratio relativiert und spielerisch ad absurdum geführt wird. I.2.2.5 Augenzeugenschaft auf der Ebene des discours Auf Ebene des discours bzw. des Erzählers sind die Erzählerbemerkung zum Zweikampf zwischen Iwein und Ascalon sowie der Dialog zwischen Vrou Minne und ‹Hartmann› in zahlreichen Beiträgen erörtert worden. 333 Da der Dialog des Erzählers mit Vrou Minne bereits untersucht wurde (vgl. Kap. I.2.1.2 d.A.), wird hier ausschließlich die Bemerkung des Erzählers zu Iweins Kampf gegen Ascalon im Mittelpunkt des Interesses stehen, wobei das Prinzip der Augenzeugenschaft weiterhin die Textbetrachtung lenkt. Auf der Grundlage der bisherigen Überlegungen zur adtestatio rei visae auf der Ebene der histoire soll nun untersucht werden, welchen Stellenwert der Erzähler dem Prinzip beimißt und wie er es verwendet. Dabei gilt es vor allem zu hinterfragen, ob und wenn ja wie die Ebenen des discours und der histoire in Spannung zueinander treten. I.2.2.6 Ich machte des strîtes harte vil Nach seinem heimlichen Aufbruch durchstreift Iwein walt unde gevilde und trifft alles so an, wie von Kâlogrenant berichtet. Er findet den engen 334 stîc (V. 971), übernachtet in der Herberge (V. 976) und erblickt den griulîchen man (V. 980). Die wesentlichen Stationen der Kâlogrenant-Erzählung werden - wie im Zeitraffer - von Iwein erlebt und den Rezipienten erneut erzählt. 335 Ebenso schnell (vil schiere, V. 989) findet und erblickt Iwein den Brunnen. Durch die asyndetische Reihung ([…] sach her Îwein/ den boum, den brunnen, den stein, Vv. 989f.) wird der Effekt der Raffung hier auch auf sprachlicher Ebene faßbar. Ebenso ist Iweins Verhalten von Hast geprägt: sein twelen - bis zum Begießen Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 119 332 Ebd. 333 Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 205f., Schirok, ein rîter, der gelêret was, S. 206, und Butzer, Das Gedächtnis, S. 166. 334 Hs. B hat den selben stîc, vgl. die Ausgabe von Mertens und die Anmerkungen Wolffs, S. 45. 335 Vgl. dazu auch Hübner, Erzählform im höfischen Roman, S. 133, der Iweins Weg und dessen Erleben als «charakteristisches Muster», das durch «die Alternation zwischen erzählter Wahrnehmung und Psychonarration» erzeugt werde, erläutert. des Steins - [was] unlanc, und es scheint ihm anschließend so, als sei er mit dem Wasserguß zu eilig gewesen (Vv. 992ff.). Damit werden Figurenperspektive und Erzählebene miteinander verbunden, indem Modus des Erzählens (Raffung, Asyndeton) und Empfindung des Protagonisten parallelisiert werden. 336 Nicht nur den Rezipienten wird Iweins Auszug verkürzt im Rekurs auf die Kâlogrenant-Erzählung dargeboten, sondern auch Iwein erlebt die ihm aus des Kâlogrenant Erzählung bekannten Aspekte als rasch aufeinanderfolgend. Iwein wird somit zum Augenzeugen der Kâlogrenant-Erzählung, da er die wesentlichen Stationen der âventiure abläuft bzw. wie erzählt vorfindet. 337 Schließlich erreicht Ascalon den Brunnen, und der Zweikampf beginnt. Nach einer kurzen Schilderung unterbricht der Erzähler und erklärt, er wolle nicht weiter ins Detail gehen, da beide Kämpfer dort allein gewesen seien, also niemand weiteres anwesend gewesen sei, der ihn hätte von dem Kampf unterrichten können: Ich machte des strîtes harte vil mit worten, wan daz ich enwil, als ich iu bescheide. sî wâren dâ beide, unde ouch nieman bî in mê der mir der rede gestê. spraeche ich, sît ez nieman sach, wie dirre sluoc, wie jener stach: ir einer wart dâ erslagen: dern mohte niht dâ von gesagen: der aber den sige dâ gewan, der was ein sô hövesch man, er hete ungerne geseit sô vil von sîner manheit dâ von ich wol gemâzen mege die mâze ir stiche und ir slege. (Vv. 1029-1044) Schirok sieht diese Stelle als «selbstbewußt konsequente[] Demonstration der absoluten Souveränität des Erzählers», 338 der trotz seines Vermögens (ich enwil - nicht: ich enmac) scheinbar willkürlich auf eine Schilderung verzichte. 339 Auch Ziegeler spricht von der «Verfügungsgewalt» 340 des Erzählers, und Butzer betont, daß der Erzähler hier mit «der Möglichkeit eines Übertritts von der Ebene des ‹discours› auf die Ebene der ‹histoire›» 341 spiele. Diesen Feststellungen ist im Grunde zuzustimmen; denn der explizite Verweis der Erzählerfigur auf das, was sie vermag, aber nicht ausführt, sowie die Tatsache, daß der Er- 120 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 336 Vgl. im Hinblick auf den Begriff der Fokalisierung ebd. 337 Vgl. auch Wandhoff, Haiko: Der epische Blick. Eine mediengeschichtliche Studie zur höfischen Literatur. Berlin 1996 (PhStQu, 141), S. 178f. 338 Schirok, ein rîter, der gelêret was, S. 207. 339 Vgl. ebd., S. 206. 340 Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 206. 341 Butzer, Das Gedächtnis, S. 166. zähler nichtsdestominder genaue Angaben zu machen in der Lage ist, zeichnet ein äußerst überlegenes Erzählerprofil. Bedeutsam ist jedoch weiterhin der Verweis des Erzählers auf mangelnde Absicherung des erzählerisch Möglichen (Vv. 1032ff.). Vor diesem Hintergrund hat Green die Passage als Absage an das u.a. von Isidor konstatierte Prinzip der Augenzeugenschaft der historia gesehen, und er führt als Gegenbeispiel eine Episode aus ‹Die Kindheit Jesu› Konrads von Fußesbrunnen an, in der der Erzähler eine Auskunft auf Grund der Tatsache, er sei nicht dabeigewesen, verweigert. 342 Hartmann «has thus turned Isidore’s definition on its head, for he makes it clear that his written version cannot go back to an eyewitness». 343 Dem hat Knapp - insbesondere mit Blick auf die von Green konstatierte Opposition zwischen Konrads ‹Kindheit Jesu› und dem ‹Iwein› - vehement widersprochen: Nun war Konrad natürlich bei den übrigen Geschehnissen, welche er schildert, genausowenig anwesend und behauptet auch nicht das Gegenteil. Umgekehrt lehnt auch Hartmann es im Erec ab, die Kleidung von Mabonagrins Minneherrin zu schildern, weil er sie nicht gesehen habe. Das literarische Spiel mit dem Augenzeugentopos sagt also über den prätendierten, verschleierten oder abgelehnten fiktionalen Status eines Werks nichts aus. Jeder Gebildete wußte zudem, daß Historiker seit der Antike nur in verschwindend geringen Ausnahmefällen aus eigener Anschauung berichteten. Ja, sie nutzten bekanntlich alle möglichen Gelegenheiten für passende dilatationes oder amplificationes, um verisimila wie Reden, die so nie gehalten wurden, descriptiones, Kommentare etc., also «funktionale Fiktionalität», wie Burrichter sie nennt, oder «rhetorische Fiktionalität» in Greens Terminologie (S. 151) einzufügen. 344 Knapps Feststellung hinsichtlich der tatsächlichen Augenzeugenschaft ist sicherlich zuzustimmen; denn natürlich konnten sowohl mittelalterliche Dichter als auch Historiker (fast) nie in Anspruch nehmen, selbst Augenzeugen des Berichteten gewesen zu sein. 345 Doch rückte an die Stelle der eigenen Augenzeugenschaft die Berufung auf Quellen und (vermeintlich) verbürgte auctoritates (die - bestenfalls - wie im Falle des angeblichen Dares selbst Augenzeugen waren), so daß der Aspekt der adtestatio rei visae nicht verloren ging bzw. seine Gültigkeit nicht einbüßte. 346 Wenn Konrad in einer vollkommen in die Heilsgeschichte eingeordneten Erzählung, die - wie Knapp selbst bemerkt - als historia verstanden wurde, 347 die adtestatio rei visae thematisiert, so ist Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 121 342 Green, The Beginnings of Medieval Romance, S. 84ff. 343 Ebd., S. 86. 344 Knapp, Rezension zu Green, The Beginnings of Medieval Romance, S. 24. 345 Eine Möglichkeit bestünde jedoch darin, auch diese Augenzeugen zu erfinden, man denke nur an den Boten Swemmel, der - als Augenzeuge - in der ‹Klage› den Untergang der Burgunden schildert. Vgl. dazu den sich an das Kap. anschließenden Exkurs zur ‹Klage›. 346 Vgl. Johanek, Die Wahrheit der Historiographen, bes. S. 11, Knape, Historie, S. 56ff. Andernfalls wäre der Verweis auf die nicht vorhandene Augenzeugenschaft ja auch für Konrad von Fußesbrunnen vollkommen überflüssig! 347 Knapp, Rezension zu Green, The Beginnings of Medieval Romance, S. 24. doch ein Unterschied im Vergleich zur matière de Bretagne, der ein anderer Faktizitätsgehalt eignet, zu vermerken. 348 Demnach wäre auch ein Unterschied zwischen dem literarischen Spiel mit dem Augenzeugentopos im Artusroman und in der (heils-)geschichtlichen Dichtung zumindest denkbar. Des Erzählers Aussage, er könne den Streit mit Worten ausschmücken, wolle dies aber auf Grund mangelnder Zeugen nicht, läßt sich auch nicht als - wie Knapp anführt - «passende dilatatio (oder amplificatio)» charakterisieren; denn eine breite Schilderung des Zweikampfes, die ja auch in Ansätzen vom Erzähler geboten wird (und sich auch bei Chrétien findet, vgl. ‹Yvain›, Vv. 813ff.), wäre ja der Forderung nach Wahrscheinlichkeit des Erzählten nicht abträglich oder im Rahmen der narratio unpassend, mithin vitiös gewesen, sondern hätte vielmehr die Stärke und Tugend der Kämpfer verdeutlichen können. 349 Der Erzähler hebt in seiner ‹Zwischenrede› vielmehr ein Verfahren des Dichtungsschaffens hervor, das er gleichwohl nicht ausführt, und distanziert sich somit punktuell von dem rhetorischen Rahmen, indem er ihn als solchen offenbart: Damit schließt er in diesem Moment des Erzählens die Inanspruchnahme einer funktionalen Fiktionalität geradezu aus. Der Vergleich mit der Szene des ‹Erec›, in der sich der Erzähler weigert, den Rock (nicht die ganze Kleidung, wie Knapp bemerkt) der Dame zu schildern, spricht daher auch gegen Knapps Argumentation. Dort läßt Hartmann den Erzähler den Mantel der vrouwe en detail schildern, um anschließend zu bemerken, eine Beschreibung des Rockes müsse ausbleiben, da er die Dame noch nie gesehen habe - man könne jedoch versuchsweise ihre Kammerdiener befragen. Die in jener Szene sich zeigende Ironie, die deutlich in der abschließenden Wendung des Erzählers zutage tritt, 122 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 348 Den Unterschied zwischen den Stoffkreisen vermerkt Knapp im übrigen in seinen Aufsätzen von 1993 und 1999 selbst; vgl. ders., Theorie und Praxis, S. 161f. Allerdings scheint mir der von Green angeführte Text als Beispiel wenig überzeugend, jedoch aus anderen Gründen, als Knapp sie anführt. Die ‹Kindheit Jesu› ist schon auf Grund ihrer Überlieferungslage ein äußerst ambivalenter und schwieriger Text, der viele Fragen aufwirft. Vgl. die Einleitung Fromms und Grubmüllers in Konrad von Fußesbrunnen: Die Kindheit Jesu. Kritische Ausg. von Hans Fromm und Klaus Grubmüller. Berlin, New York 1973. Darüber hinaus begegnet dort (folgt man der Leiths. der Ausgabe) in Prolog und Epilog ein äußerst souverän anmutendes Erzähler-Ich, das z.B. angibt, eine Episode aus Marias Leben verschweigen zu wollen, da dies bereits ein anderer ausgeführt habe und dies seiner Kunst somit abträglich sei (Vv. 127-134). Auch der Hinweis des Erzählers im Epilog, Vv. 326f., solle er von einem Freund darauf hingewiesen werden, daß er an Stellen zu säumig oder nicht maßvoll erzählt habe, so wolle er etwas Besseres ‹snüeren›, zeigt, daß es zuallererst der Erzähler selbst ist, der Verbesserungen anzubringen gedenkt, und nicht, wie traditionell zu erwarten wäre, andere, neue Verfasser. 349 Vgl. Knapp, Rezension zu Green, The Beginnings of Medieval Romance, S. 24, und Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 277f. Allenfalls könnte die angekündigte Auslassung als praeteritio, vgl. Lausberg, HbRh, § 882ff., verstanden werden, die durch «Kundgabe der Auslassung einerseits, [und] der aufzählenden Nennung andererseits» ironisch wirkt (vgl. ebd., § 884, S. 436f.). Nichtsdestotrotz wird durch die Betonung mangelnder Augenzeugenschaft das rhetorische Moment überschritten, da das Beglaubigungsprinzip in den Mittelpunkt der Argumentation gerückt wird (vgl. Kap. I.2.1.1 d.A.). auch Erec habe den roc nicht sehen können, da die Dame vollständig in den Mantel gehüllt gewesen sei, trifft auch auf den Zweikampf zu; denn hier scheidet Ascalon als Augenzeuge aus, da er im Kampf bzw. auf der Flucht erschlagen wurde (Vv. 1037f.), Iwein jedoch zu hövesch sei, um über seinen Erfolg viel zu berichten (Vv. 1040ff.). 350 Die beiden möglichen Augenzeugen (Protagonisten der Erzählung) fallen also weg, da sie zum einen tot, zum anderen ihrer êre zu sehr verhaftet sind. 351 Die Tugend bzw. êre Iweins ist es denn letztlich, die den Erzähler die Qualität des Kampfes zumindest einschätzen läßt (Vv. 1043f.); dieses gemâzen fällt jedoch im folgenden so genau aus, daß der vorherige Kommentar sich als hinfällig erweist. 352 Gleichzeitig ist es genau jene êre, die Iwein dazu veranlaßt, Ascalon zu jagen, da dâne was der liute niht (V. 1070), die Iwein wiederum den Sieg hätten attestieren können. Genau dies ist ja auch der zweite - neben der überwältigenden minne zu Laudine - bedeutsame Grund, der Iwein daran hindert, Laudines Land zu verlassen, wan er befürchtet man geloubet es [seinen Sieg über Ascalon] im niht (V. 1730). 353 Damit aber ist jene Crux, die Knapp als Realitätsauffassung bezeichnet, implizit angesprochen: Der mittelalterliche Autor bzw. der von ihm geschaffene Erzähler verweist seine Rezipienten hier (und auch in der Kâlogrenant-Erzählung oder der Rock-descriptio im ‹Erec›) auf die Tatsache, daß das Erzählte erfunden, mithin nicht im Rahmen der ‹üblichen› Beglaubigungspraxis zu verankern ist. Indem der Erzähler die beiden Protagonisten des Romans als für ihn mögliche Augenzeugen und darüber hinaus eine funktionale Fiktionalität im Dienste der Plausibilität und des Verdeutlichens ausschließt, zeigt er, daß das Prinzip ‹Augenzeugenschaft› auf der Ebene der histoire funktionieren (so für Kâlogrenant und wenn auch nicht zwingend für Iwein), jedoch auf der Ebene des discours keine eindeutige Geltung mehr beanspruchen kann. Während Kâlogrenant Augenzeuge der Waldunhold-Erzählung werden und wiederum Iwein Augenzeuge der Erzählung des Kâlogrenant sein kann, gibt es für den Erzähler niemanden, der ihm die rede gestê, was ihn trotz allem nicht daran hindert zu erzählen: Die Beglaubigungsstrategie der adtestatio rei visae gilt allenfalls noch Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 123 350 Allerdings nicht hövesch genug, Ascalon nicht zu erschlagen. 351 Im übrigen stellt sich die Frage, ob dem Erzähler die beiden Protagonisten überhaupt als Berichterstatter hätten dienen können. Wenn er selbst nicht Augenzeuge war, Ascalon gestorben und Iwein zu hövesch ist, woher nimmt er dann seine Kenntnis? Wird das Erzähler-Ich des Prologs hinzugezogen, das ausdrücklich auf einen beträchtlichen Zeitabstand insistiert, so wird die logische Diskrepanz noch größer: Dort stehen die buoch zumindest als Quelle ein, während sie bei der Schilderung des Zweikampfes scheinbar irrelevant zu sein scheinen. 352 Somit gerät «die Schilderung des eigentlich Nicht-Erzählbaren wiederum [zur] Fiktion», Reuvekamp-Felber, Autorschaft als Textfunktion, S. 8. 353 Daß diese Problematik für Kâlogrenant nicht zu gelten scheint, läßt aufhorchen: Will man hier keine Inkonsistenz oder Unlogik erkennen, so liegt die Vermutung nahe, daß die Thematik der Augenzeugenschaft bzw. der Beglaubigungsstrategie in dem Erzählten einen eigenen - zugegeben ‹kleinen› - Komplex bildet, der sowohl auf der Ebene der histoire als auch auf der Ebene des discours greift. für die Protagonisten des Romans - der Erzähler bedarf, dies macht er deutlich, da er erzählt, ihrer nicht. Im übrigen muß hier auffallen, daß ein Verweis auf die Quelle bzw. auf die im Prolog erwähnten buoche ausbleibt; eine Möglichkeit, die zur Absicherung des Erzählten ebenfalls hätte bemüht werden können. Daß dann im Anschluß auch der Protagonist Iwein, getrieben von der Sorge, keine Zeugen seiner Tat vorweisen zu können, sich einer unrühmlichen Verfolgung hingibt, 354 verleiht dem Aspekt der Absicherung eine zusätzlich pejorativ anmutende Dimension. Natürlich lebt der Aspekt der êre bzw. der fama von Öffentlichkeit, dem Sichtbarwerden und eben auch von Bezeugung, und dies ist auch jener Punkt, den Chrétien in Zusammenhang mit dem Ascalon- Kampf herausstellt (vgl. Vv. 898f.) 355 und den Hartmann wiederum als Basis seines Kommentars genutzt haben dürfte; 356 in Verbindung mit dem vorhergehenden Erzählerkommentar im ‹Iwein› jedoch wird bei Hartmann auch eine poetologische Dimension erkennbar: 357 Der Wille, Augenzeugen für die erfolg- 124 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 354 Die heftig umstrittene Frage, wie Iweins Verhalten zu beurteilen ist, hängt nicht zuletzt von der Übersetzung von âne zuht ab. Vgl. den Kommentar von Mertens zur Stelle, S. 994. Indes läßt sich nicht bestreiten, daß Iweins Verhalten negative Reaktionen zuläßt und insbesondere im Vergleich mit Chrétien weniger neutral gefaßt ist. Daß âne zuht nicht ausschließlich als terminus technicus verstanden werden muß, zeigt auch der ‹Gauriel von Muntabel›, in dem Gauriels vorbildliches Verhalten gegenüber Geldipant mit folgenden Worten kommentiert wird: «her Gauriel durch sîne zuht/ an dem künige sich niht vergaz.» (Vv. 5134f.). Da der Verfasser des ‹Gauriel› sich nicht nur inhaltlich, sondern durchaus auch in ‹Zitaten› der Romane Hartmanns bedient (erinnert sei hier nur an den Prolog des ‹Gauriel›), darf eine solche Stelle als punktuelle Wertung gelten. 355 Vgl. Wandhoff, Haiko: Âventiure als Nachricht für Augen und Ohren. Zu Hartmanns von Aue ‹Erec› und ‹Iwein›. In: ZfdPh 113 (1994), S. 1-22, hier S. 1ff. Vgl. auch die ‹joie de la curt›-Episode, in der Mâbonagrîns vriundinne darauf besteht, daß die Kämpfe vor ihren Augen ausgetragen werden, damit sie sich von einer potentiellen Niederlage ihres Gesellen überzeugen kann (vgl. Vv. 9560f.). 356 Überdies entsteht so ein impliziter intertextueller Verweis, indem hier das Moment des nicht öffentlich gewordenen Siegs dem der öffentlich gewordenen Schande im ‹Erec› (präsent durch das Gerede der liute in der verligen-Szene) gegenübergestellt wird, das zum Ende des Romans in der Wendung aufgehoben wird, Erecs lop sei überall gewesen, und das waz von diu, schein der lîp nû dâ/ sô was sîn lop anderswâ (Vv. 10050f.). Ein weiterer kontrastiver Vergleich wird gezogen, wenn es im Hinblick auf Gaweins und Iweins Rittertaten heißt, swâ man mit worten hie gesaz,/ diu rede was wan von in zwein (Vv. 3080f.). Auch der auf Ritterschaft isolierte Aspekt der fama reicht demnach nicht aus, da Iwein seine Herrschaft (Verteidigung des Brunnens und triuwe zu seiner Gattin) trotzdem vernachlässigt. 357 Diese Funktion spricht Wandhoff, Der epische Blick, S. 179 (und ebd., Anm. 30), dem Erzählerkommentar in Auseinandersetzung mit Green, Dennis Howard: Medieval Listening and Reading. The Primary Reception of German Literature 800-1300. Cambridge 1994, ab und stellt ihm den Zweikampf zwischen Erec und Îders gegenüber, den der Erzähler schildere, weil er sich «vor der versammelten Hofgemeinschaft» abspiele und daher «durch hinreichend viele Augenzeugen verbürgt» sei. Damit setzt Wandhoff implizit voraus, daß Augenzeugenschaft auf Ebene der narratio gleichbedeutend sei mit der adtestatio rei visae textexterner Autoritäten. Dies vereinfacht bzw. reiche Tat zu erhalten, läßt auf der Figurenebene für Iwein kein Erzählen zu, den Erzähler jedoch (und auch Kâlogrenant) 358 hindert es nicht. Überdies ist interessant, daß Keiî bei der Ankunft der Artusgemeinschaft am Wunderbrunnen die Thematik erneut aufgreift und dabei sogar Worte des Erzählers zum Ascalon-Kampf zitiert. 359 Sich zu Kâlogrenant hinwendend, stellt Keiî Iweins Sorge bezüglich mangelnder Bezeugung dar und kommentiert den Kampf wie folgt: «ouwî wie er sluoc und stach! » (V. 2462). Indem er die Worte des Erzählers (V. 1029) aufgreift und jene schilt, die alsô vil gesprechent/ von ir selber getât,/ sô ins nieman gestât (Vv. 2474ff.), erscheint Keiî auf der Figurenebene als ironisierende Personifikation von Iweins Sorge. Vor dem Hintergrund der Tatsache, daß sich der Erzähler jedoch zuvor geweigert hatte, den Kampf zu schildern, und zwar ebenfalls aus Mangel an Augenzeugen, verweist Keiîs Spottrede zusätzlich auf eine Metaebene: Vergleichbar der im ‹Erec› verweigerten ‹Rock-Informationen›, wirkt sich auch hier des Erzählers Auslassung von figmenta poetarum (Kampf-Schilderung) auf die Ebene der histoire und auf die Protagonisten aus. Ebenso wie Erec den Rock nicht erblicken kann, spiegeln die Protagonisten (Iwein und Keiî) in ihren Handlungen des Erzählers Verweigerung wider, indem der eine sie ironisch bestätigt und der andere sie zu beheben sucht. Somit wird durch die Verknüpfung der Themen von Augenzeugenschaft und Erzählen ein enger Konnex zwischen den Ebenen der histoire und des discours etabliert, 360 der letztlich darauf hinweist, daß das Erzählte nicht dem historia-Prinzip zuzuordnen ist. 361 Der Erzähler kann - trotz mangelnder Augenzeugen - das Geschehen berichten (und auch über Details verfügen, vgl. Vv. 1045ff.) und läßt die Protagonisten gleichsam die Folgen seines ‹Nicht-Erzählens› ertragen. Für die Rezipienten ist dies dann ein Hinweis, den vermeintlichen Historizitätsanspruch des Prologs zu hinterfragen: Das Erzählte als res gestae auszuweisen, fällt letztlich den Protagonisten Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 125 ignoriert m.E. das bei Hartmann begegnende Spiel mit dieser Differenzierung der beiden Erzählebenen. 358 Hier wäre weiterhin der Frage nachzuspüren, ob die Erzählung negativer Geschehnisse keiner Zeugen bedarf - wie im Falle Kâlogrenants -, während Iweins Sieg diese Zeugen zu benötigen scheint, um geglaubt zu werden. Erzählen von der (eigenen) Niederlage bedarf der Zeugen - gemäß des sich hier manifestierenden Standpunkts - also nicht, während erfolgreiches, êrenhaftes Handeln die Zeugen benötigt, um die fama zu verbreiten. 359 Nicht nur das: Hartmann läßt seinen Erzähler überdies ein Redeelement und dessen Funktion übernehmen, das bei Chrétien Kes zukommt, wenn er konstatiert, daß es dem Tapferen Qual bereite, wenn ein anderer seine (ritterlichen) Tugenden aufzähle (Vv. 2193ff.). Hartmanns Erzähler macht sich somit den Kommentar Kes’ zu eigen und bindet ihn - mit neuer Funktion - in seine Erzählung ein. 360 Vgl. dazu auch Butzer, Das Gedächtnis, S. 166. 361 In diesem Punkt stimme ich mit Green, The Beginnings of Medieval Romance, überein. Allerdings bleibt seine Feststellung, die historia-Konzeption werde ‹auf den Kopf gestellt›, zu vage; vielmehr wird das Prinzip der Historisierung, indem es auf der Ebene der narratio angewendet wird, aber auf der Ebene des discours nicht greift, als unzulänglich vorgeführt. zu, d.h., sie sind dazu aufgefordert, ihre âventiuren (so unzureichend sie den Begriff auch zunächst definieren oder erfüllen mögen) zu beglaubigen, doch dies kann nicht auf die Ebene des discours übertragen werden. 362 Damit aber verbleibt die Historisierungsstrategie zunächst auf Ebene der Protagonisten und ist an unterschiedliche Perspektiven gebunden. Interessant ist, daß sich eine ähnliche Erzählerbemerkung auch in Wirnts ‹Wigalois› findet, 363 und zwar nach der Niederlage Gaweins gegen Joram, wenngleich dessen Sieg aus dem Besitz des Zaubergürtels resultiert (vgl. Vv. 592ff.). Der Erzähler vermerkt hier, daß die Artusrunde Gaweins vermeintlichen Tod beklagt, da keiner bei dem Zweikampf zugegen gewesen sei und somit auch niemand Gaweins Schmach habe sehen können. Daher, so der Erzähler, wäre die Erzählung von Gaweins Niederlage auch niemals über seine Lippen gekommen, hätte ihm nicht ein Knappe die Wahrheit davon erzählt: ezn kaeme ouch nimmer vür mîn munt, hêt mirz ein knappe niht geseit zeiner ganzen wârheit, wider den ich alle wîle streit. (Vv. 595-598) Auch hier wird eine Diskrepanz zwischen erzählter Begebenheit (Gaweins Niederlage) und dem Thema Augenzeugenschaft hergestellt, indem der Erzähler darauf verweist, daß niemand dem Kampf beigewohnt habe und daher ein Erzählen der Niederlage eigentlich nicht möglich sei. Hier allerdings wird dann - im Gegensatz zur Erzählerbemerkung im ‹Iwein› - ein Gewährsmann hinzugezogen, der für die Wahrheit von dem Ausgang des Zweikampfes einsteht. Die Erwähnung des Knappen deutet hier auf die im Epilog des ‹Wigalois› erwähnte Herkunft des maere, die das Epilog-Ich niwan eines von sînem [des Knappen] munde (V. 11689) erfahren habe. Die Betonung der mündlichen Überlieferung wird im Epilog zwar auch als Rechtfertigung für eventuelle Mängel bzw. Lücken des Erzählten genutzt (vgl. Vv. 11691ff.), 364 jedoch bleibt im Hinblick auf die eingangs erwähnte Bemerkung des Erzählers eine Inkongruenz bestehen, da das Wissen des Knappen nicht weiter plausibilisiert wird: Weder wird erläutert, wie der Knappe den Erzähler zu überzeugen vermag, 365 noch wird deutlich, woher der ‹Gewährsmann› sein Wissen bezieht; denn Augenzeugenschaft wird auch von ihm nicht beansprucht. Durch die Betonung der 126 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 362 Vgl. auch Kern, Leugnen und Bewußtmachen, S. 18. 363 Auch im ‹Gauriel› beenden Walwein und Gauriel ihren Zweikampf bei Einbruch der Nacht, damit der Kampf bzw. die Niederlage nicht ohne Zeugen bleibe (Vv. 870ff.). Auf die Ebene des discours wird die Thematik der Augenzeugenschaft hier allerdings nicht übertragen. 364 Vgl. dazu auch Thomas, Neil: Wirnt von Gravenberg’s Wigalois. Intertextuality and Interpretation. Cambridge 2005 (Arthurian Studies, LXII), S. 24f. 365 Wird hier der Vergleich zum Vrou-Minne-Dialog ins Auge gefaßt, so fällt auf, daß im ‹Wigalois› keinerlei Argumente dargebracht werden, die zur Überzeugung des Erzählers dienen. mündlichen Tradierung (sowohl an dieser Stelle als auch im Epilog) 366 und die angedeuteten Zweifel des Erzählers wird somit betont, daß die (faktische) Glaubwürdigkeit des Erzählten nicht gesichert ist. Die Tatsache, daß niemand Zeuge des Zweikampfes gewesen ist, Gaweins Niederlage aber dennoch berichtet wird, kann auch durch den Gewährsmann nur unzureichend legitimiert werden. Knapps Auffassung, daß «das literarische Spiel mit dem Augenzeugentopos […] über den […] fiktionalen Status eines Werkes nichts» 367 aussage, kann ich daher nicht teilen, im Gegenteil: Gerade im Umgang mit den traditionell zur Wahrheits- und Faktizitätsbekundung bemühten narrativen Elementen kann ein mögliches Signal für die Bewußtmachung des fiktionalen Status des Werkes erkannt werden; 368 denn wenn «die autonome Fiktion gerade an der vom Autor intendierten Erkennbarkeit ihrer Signale hängt,» 369 dann bieten gerade die traditionellen Beglaubigungselemente eine geeignete Grundlage, anhand derer der Fiktionalitätsrespektive Historizitätsstatus des Erzählten reflektiert werden kann. 370 Mag auch Chrétiens Weg, sich «wenigstens ex negativo» 371 von der Historizität zu distanzieren, zunächst eindeutiger erscheinen, allein die Tatsache, daß Hartmann eine schriftliche Vorlage aufzuweisen hatte, verlangt - vorausgesetzt er hat Chrétiens Leistung verstanden - eine andere Auseinandersetzung mit den Aspekten der Fiktionalität und Historizität des Erzählten: Er kann sich nicht als Erfinder einer bele conjointure bezeichnen, aber er bewahrt und präsentiert die Besonderheit seiner Quelle, die eben auch in ihrer Fiktionalität besteht. 372 Während dies im ‹Erec› zuallererst innerhalb des Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 127 366 Im ‹Wigalois› überwiegen auf Mündlichkeit verweisende Berufungen, vgl. z.B. die Vv. 131ff., 176, 595ff., 1732 und 8239. Interessant ist ferner, daß die vom Erzähler dargestellte Tradierung des Erzählstoffes in der Forschung oftmals als ‹real› betrachtet wird, so z.B. Knapp, Theorie und Praxis, S. 164, wenn er festhält, daß die Vermittlung «vermutlich bloß einen tatsächlichen Sachverhalt» beschreibe. Dafür, daß auch der Knappe eine ‹Quellenfiktion› darstellt, sprechen m.E. die hier betrachtete Passage sowie die Beschreibung Flories. Siehe auch Thomas, Wirnt von Gravenberg’s Wigalois, S. 25. 367 Knapp, Rezension zu Green, The Beginnings of Medieval Romace, S. 24. Im übrigen führt Knapp, Theorie und Praxis, S. 161, selbst an, daß Hartmanns Verweis auf die buoche im ‹Iwein›-Prolog ausschließlich dazu diene, seine Gelehrsamkeit zu betonen - wie läßt sich diese Erklärung mit der Haltung zum Augenzeugentopos in Einklang bringen? 368 Daß hier weitere Elemente hinzukommen, steht außer Frage. 369 Knapp, Rezension zu Green, The Beginnings of Medieval Romace, S. 25. 370 Der Einwand, derartige Details hätten nur den Gelehrten bzw. Gebildeten aufgefallen sein können, läßt sich auch ins Gegenteil verkehren: Auch die Erzählungen von Eneas oder Alexander konnten sicherlich nur delectationis causae vernommen werden, ohne sie als historische Dichtung wahrzunehmen. 371 Knapp, Rezension zu Green, The Beginnings of Medieval Romance, S. 25. 372 Dadurch unterscheidet sich seine Bearbeitungstechnik im wesentlichen nicht von anderen Dichtern seiner Zeit. Jedoch liegt die Besonderheit darin, daß er mit einem unter dem Verdacht der Lüge stehenden Stoff und einer sich als fiktional offenbarenden Vorlage zu arbeiten hat. rhetorischen Rahmens geschieht, in dem der souveräne Erzähler die verschiedenen Bedeutungsschattierungen von fictio thematisiert, dabei das Thema Augenzeugenschaft ad absurdum führt und eine ‹märchenhafte› Dimension des Erzählten evoziert, 373 verfolgt der Erzähler im ‹Iwein› ein subtileres und gleichzeitig virtuoseres Programm. Wie anhand der bisherigen Interpretation der ‹Iwein›-Passagen gezeigt werden konnte, verlegt Hartmann (Chrétien folgend) die Thematisierung des Fiktionalen respektive der Historizität zunehmend in die eigentliche narratio und auf die Ebene der Protagonisten, so daß der Begriff der Augenzeugenschaft sogar auf Figurenebene zu schillern beginnt. Somit wird Fiktionalität hier nicht mehr ausschließlich durch die Absenz von historia-Signalen impliziert: Indem die Beglaubigungspraxis der Augenzeugenschaft für den Erzähler nicht mehr vorhanden ist bzw. als nicht gegeben präsentiert wird und gleichzeitig zum Problem für die Protagonisten avanciert, wird Historizität in ihrer Gültigkeit hinterfragt und als narratologisches Prinzip erkenn- und verfügbar: Während auf der Ebene der Protagonisten erzählt wird, als berichteten sie res gestae, erscheint das Erzählte selbst im Modus des Unwirklichen. Erkennt der Rezipient diesen Schritt, so ist die Frage, wer für den Ursprung des Erzählten einzustehen hat, nicht fern - ist die Figur des Erzählers gelöst von der Forderung nach Tatsachenwahrheit, um sie an die Protagonisten weiterzugeben, so bleibt als Ursache und Ursprung des Erzählten letztlich die Größe des Dichters und seiner Erfindung. Historizität wird demnach in das Erzählte integriert, ohne den fiktionalen Rahmen des Erzählten zu ‹sprengen› respektive zu historisieren. Exkurs: Augenzeugenschaft und Quellenfiktion in der ‹Klage›: Swemmel als Augenzeuge des Burgundenuntergangs Der ‹Iwein› ist selbstverständlich nicht das erste mhd. Werk, in dem Figuren respektive Protagonisten erzählen 374 und in dem das Prinzip der Erzählung in der Erzählung eine poetische oder gar poetologische Dimension erhält. 375 Entscheidend ist jedoch, wie dieses Prinzip zum Einsatz gelangt und welche Funktion es innerhalb des Werkes einnimmt. Im Hinblick auf den ‹Iwein› ist 128 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 373 Vgl. die Kap. I.1.2 und I.1.5 d.A. 374 Daß das Prinzip der ‹Erzählung in der Erzählung› nicht neu ist, sondern Tradition hat, steht ohnehin außer Frage - man denke nur an die ausführlichen Figurenreden respektive -erzählungen in Vergils ‹Aeneis› (vgl. insb. II,3ff.) und in deren Folge auch im ‹Eneasroman› (vgl. Vv. 1231ff.). Auch das ‹Rolandslied› kennt ausführliche (Boten-)Berichte (vgl. Vv. 711ff.), im ‹König Rother› erzählen sowohl ein spilman als auch ein recke (vgl. Vv. 1714-1731 und 4306-4328 sowie 3719ff.), auch Tristan erzählt diverse (Lügen-) Geschichten (vgl. Vv. 3092ff., 9517ff.) und wird als Bote eingesetzt, und nicht zuletzt der ‹Prosa-Lancelot› erhebt das Erzählen im Erzählen zu einem das Werk bestimmenden Prinzip (vgl. dazu Kap. II.2.2 d.A.). 375 Vgl. zum ‹König Rother› Schmitz, Silvia: War umbe ich die rede han ir hauen - Erzählen im ‹König Rother›. In: Situationen des Erzählens, S. 167-190. dabei zweierlei hervorzuheben: Erstens, das Moment der Gattungstradition respektive des Erzählstoffes, und zweitens, die Beziehung zwischen den Ebenen der histoire und des discours. Um die besondere Qualität des im ‹Iwein› begegnenden Umgangs mit der adtestatio rei visae und dessen Folgen für das Erzählte zu veranschaulichen, soll hier als Vergleichsbasis die anonym verfaßte ‹Klage› herangezogen werden. In der ‹Klage› erhält Swemmel, ein Bote Etzels, der bereits im ‹Nibelungenlied› auftritt, den Auftrag, die Nachricht vom Untergang der Burgunden zu verbreiten (Vv. 2592ff.). Somit «trägt [er] die Konsequenzen seiner ersten Botschaft an den Ausgangsort zurück - und das ist keine angenehme Botschaft». 376 Allerdings wird Swemmel und den ihn begleitenden Mannen von Dietrich aufgetragen, die furchtbaren Nachrichten nicht überall bekanntzumachen, da sie sonst ständig belästigt würden und überdies das Leid - insbesondere über den Tod Rüdigers - ins Unermeßliche gesteigert werde (vgl. Vv. 2669ff. und 2676ff.). Vor allem das heln der Nachricht bereitet den Boten Schwierigkeiten, wie sich an Gotelinds und Rüdigers Hof herausstellt: Der ganze Habitus der nahenden Männer verrät Gotelind und ihrer Tochter, daß etwas nicht stimmt, denn ninder nâh ir alten siten/ gebârten dô die knehte (Vv. 2920f.). So lassen sich die lügelîchen maere von Rüdigers vermeintlichem Auftrag auch nicht lange aufrechterhalten - und Swemmel berichtet der Königin, daß ihr Gatte in der Schlacht gefallen sei und niemals wiederkehren werde (Vv. 3102ff.). In Passau schließlich wird Swemmel zu Pilgrim gerufen, dem er schwören muß, alles - so wie er es gesehen habe - zu berichten, da der Bischof beabsichtige, die Ereignisse chronologisch festzuhalten (wie ez sich huop und wie ez quam/ und wie ez allez ende nam, Vv. 3467f.); darüber hinaus wolle er selbst Boten in Etzels Reich senden, um dort weitere Informationen einzuholen (Vv. 3471ff.). 377 Dies alles geschehe mit dem Ziel, diese groezeste geschiht aufzuschreiben. 378 Endlich in Worms angekommen, berichtet Swemmel dann, nachdem die Kunde bereits bekannt und der Beschluß gefaßt ist, Brünhilds Sohn zum König zu krönen, wie ez ergangen waere (V. 3774). Er beginnt seinen Bericht mit einer Art summa facti, die sentenziösen Charakter hat sowie einen stark verkürzten Kausalzusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, mithin auch zwischen Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 129 376 Müller, Stephan: Datenträger. Zur Morphologie und Funktion der Botenrede in der deutschen Literatur des Mittelalters am Beispiel von ‹Nibelungenlied› und ‹Klage›. In: Situationen des Erzählens, S. 89-120, hier S. 107. 377 Zu Rolle und Funktion des Boten im Mittelalter und ma. Literatur vgl. ebd., bes. S. 89-95 (mit weiterer Literatur). 378 Die Problematik von Mündlichkeit und Schriftlichkeit sei hier nur am Rande erwähnt. Das Bestreben, die mündlich kursierenden Erzählungen schriftlich zu fixieren, deutet auf die Autorität und den größeren Historizitätsanspruch der Schrift. Zur Thematik vgl. u.a. Müller, Jan-Dirk: Der Spielmann erzählt. Oder: Wie denkt man sich das Entstehen eines Epos? In: Erzählungen in Erzählungen, S. 85-98, Curschmann, Nibelungenlied und Nibelungenklage, a.a.O., Butzer, Das Gedächtnis, bes. S. 151ff., sowie Haug, Mündlichkeit, Schriftlichkeit und Fiktionalität, S. 377ff. beiden Werken bietet: Auf Grund der Tatsache, daß Siegfried erschlagen wurde, seien nun alle tot (V. 3778). Der Bericht Swemmels ist durchzogen von Formeln und Wendungen, die ihn als Erzähler ausweisen: So verwendet er Unsagbarkeitstopoi, z.B. um die Dimension von Kriemhilds Haß zu verdeutlichen (Vv. 3788f.), er streicht die Exklusivität seines Erzählgegenstands heraus (vil michel wunder dâ geschach, V. 3832), er liefert Zusammenhänge und Erläuterungen und bedient sich Wahrheitsbeteuerungen (V. 3914), um die Authentizität seines Berichts zu verstärken. Darüber hinaus beachtet er das aptum, wenn er sich auf seine Zuhörer einstellt und den Burgunden erklärt, daß Gunther und Hagen Dietrich niemals unterlegen gewesen wären, hätten sie nur die Möglichkeit gehabt, sich auszuruhen (vgl. Vv. 3900ff.). So unterstützt er - trotz des negativen Faktums ‹Gunther wurde von Dietrich erschlagen› - Ansehen und Ruf des getöteten Königs und dessen Bruders. Seine Erzählung ist also auf den Hörerkreis ausgerichtet. Das Ende der ‹Klage› berichtet dann von der Verschriftlichung der Augenzeugenberichte Swemmels und weiterer Personen, die von Pilgrim eingeholt und von einem meister Kuonrât geprüft und niedergeschrieben werden. Lediglich Auskünfte über den Verbleib Etzels werden im Epilog mittels einer nescio- Formel als nicht zuverlässig dargestellt; während die einen erzählten, der Herrscher sei erschlagen worden, grassierten ebenso viele Meinungen, die das Gegenteil behaupten (Vv. 4328ff.). Der Erzähler maßt sich hier nicht an, eine der beiden Varianten als ‹wahre› Version auszusondern, da in beiden Fällen Zweifel bestehen blieben (Vv. 4330ff.). Jene Zweifel werden sodann in den verschiedensten Möglichkeiten konkretisiert, die das Epilog-Ich eine nach der anderen anführt (Vv. 4334ff.). Insbesondere durch die eher unwahrscheinlichen Optionen, Etzel habe sich einfach in die Lüfte erhoben (V. 4336) oder sei in Löchern in den Steinwänden verschwunden (Vv. 4340f.), wird so dargelegt, daß konkrete, vermeintlich wahre Angaben hier nicht geleistet werden können. Gerade durch die Auflistung von z.T. unglaubwürdigen Möglichkeiten unterstreicht das Epilog-Ich seine Zuverlässigkeit und gibt weiterhin zu verstehen, daß «die Fortsetzbarkeit der Erzählung, sobald sie den Status der ‹Wahrheit› erlangt» 379 habe, also ‹wahre›, zuverlässige Berichte über Etzel dargebracht würden, bestehen bleibe. Fragt man nun nach den Parallelen zwischen den in der ‹Klage› und den im ‹Iwein› auftretenden Erzählungen in der Erzählung, so lassen sich vor allem zwei Punkte festhalten: Erstens, die textinternen Erzähler werden durch die ihnen zugewiesenen Kommentare und Beglaubigungen als Erzählerfiguren ausgewiesen, und zweitens, die Funktion des Erzählenden als Augenzeuge seiner Erzählung bzw. das beglaubigende Prinzip der Augenzeugenschaft wird deutlich hervorgehoben. 380 Worin aber unterscheiden sich die Funktionen 130 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 379 Vgl. Müller, Datenträger, S. 116, sowie Müller, Der Spielmann erzählt, S. 98. 380 Der zweite Aspekt trifft allerdings nicht auf Lunetes kurze Erzählung von der Entführung Ginovers zu. Zwar ist nicht eindeutig auszumachen, wer Lunete von der Entfühjener eingebetteten Erzählungen? Zum einen im Hinblick auf ihren Gattungshintergrund und zum anderen mit Bezug auf ihre Verbindung zur Erzählebene des discours. Swemmels Bericht wiederholt auf Figurenebene das, was die textexternen Rezipienten bereits aus der eigentlichen narratio und auch z.T. aus dem ‹Nibelungenlied› wissen, und er berichtet nicht von âventiuren, sondern sein Bericht besteht - so wie das ‹Nibelungenlied› und natürlich die ‹Klage› selbst - aus einem historischen Kern, der in der memoire collective verankert und bereits durch das ‹Nibelungenlied› gefestigt ist. Swemmels Berichte werden denn auch als Grundlage der ‹Klage› vorgestellt, die auf Geheiß Pilgrims verschriftlicht wird. 381 Dem gegenüber stehen die im ‹Iwein› erscheinenden Figurenerzählungen eher isoliert. Zwar dienen auch sie, wie im Falle der Ginover-Entführung, die von Lunete und dem Grafen erzählt wird, primär als Informationsfundus, jedoch wird die von ihnen implementierte Wahrheitsthematik auf der Ebene des discours nicht mehr eindeutig eingelöst, indem die Beglaubigung des Erzählten den Figuren allein zukommt. Während jedoch in der ‹Klage› die Erzählungen Swemmels zum einen über den Aspekt der Verschriftlichung und zum anderen über den historischen Gattungshintergrund Historizität evozieren, wird der Autorität der Schrift im ‹Iwein› in den Erzählungen der Figuren keinerlei Bedeutung beigemessen, 382 da der Erzähler - so deutlich in seiner Bemerkung zum Ascalon-Kampf - ‹seine› Protagonisten als Gewährsmänner seiner Erzählung geradezu ausschließt. In der ‹Klage› ist es gerade die Kongruenz zwischen den Ebenen des discours (Erzähler) und der histoire (Swemmel), die dazu dient, den Anspruch auf Historizität des Erzählten zu unterstreichen, indem Swemmel als Vermittler des in der ‹Klage› Berichteten auftritt. Dies jedoch kann für den ‹Iwein› Hartmanns nicht mehr behauptet werden, denn hier stehen die beiden Erzählebenen einander gegenüber: Während der Erzähler wiederholt darauf aufmerksam macht, daß er für sein Erzählen keine Absicherung (insbesondere über das Prinzip Augenzeugenschaft) in Anspruch nimmt (oder zu nehmen gewillt ist), vertreten die Figuren, allen voran Kâlogrenant, das gegenteilige Prinzip. Auf der Figurenebene wird das Erzählte beglaubigt, wie es traditionell auch dem eigentlichen Erzähler zukäme, welcher wiederum den Rezipienten aufzeigt, daß diese Art, ‹historisch› zu erzählen, nicht in seinem Interesse liegt. Während also in der ‹Klage› Swemmels Augenzeugenbericht als Absicherung des Erzählten erscheint, der über die (lateinische) Verschriftlichung Glaubwürdigkeit und Historizität evozieren soll, 383 geraten die Wahrheitsbe- Fictio und historia in Hartmanns ‹Iwein› 131 rung berichtet, der Text legt jedoch nahe, daß sie die Erzählung am Artushof auf Grund der allgegenwärtigen Trauer nach der Entführung vernommen habe (vgl. Vv. 4289ff.). 381 Vgl. auch Wandhoff, Der epische Blick, S. 178. 382 Dies wird dann im ‹Prosa-Lancelot› geändert, wenn es heißt, daß auf Geheiß des Artus aus den âventiure-Erzählungen der Ritter Bücher gemacht worden seien. Vgl. Kap. II.2.2 d.A. 383 Daß auch Swemmel eine fiktive Figur ist, tut der geforderten Historizität keinen Abbruch, denn die Figur ist sowohl über den Stoff als auch über andere Akteure (Bischof Pilgrim, Rüdiger, Attila) in ein historisch-faktisches Erzählnetz eingebunden. Vgl. auch teuerungen eines Kâlogrenant oder auch der maget zu einem Spiel mit der gängigen Beglaubigungspraxis, das letztlich dazu führt, Historizität auf Ebene der Figuren verfügbar zu machen, ohne daß dies auf der Ebene des discours seine Entsprechung findet. Vielmehr wird über die Bemerkungen des Erzählers das Geschehen weiterhin als ‹freie› Erfindung jenseits historisierenden Erzählens offenbart: Die Verwendung historisierender Erzählelemente geht damit insofern über eine Geschichtsfiktion - wie Geoffreys ‹Historia› - hinaus, als im ‹Yvain› und noch deutlicher im ‹Iwein› eine fiktionale Historizität 384 exponiert wird. I.3 Zusammenfassung der Ergebnisse: ‹Erec› und ‹Iwein› Der ‹Iwein›, dies haben die Untersuchungen zu zeigen versucht, zeugt von einer bewußten Auseinandersetzung mit den Aspekten von Fiktionalität und Historizität, die an den ‹Erec› anknüpft und z.T. über ihn hinausgeht. Ausprägungen historisierenden Erzählens werden im ‹Iwein› nicht ausschließlich von einer souveränen Erzählerfigur ad absurdum geführt, sondern sie avancieren auch auf der Figurenebene zu einem Thema, das den fiktionalen Erzählrahmen des Werkes jedoch nicht historisiert. Dazu dienen insbesondere die Erzählungen von Figuren, die traditionelle Beglaubigungsstrategien (adtestatio rei visae, Wahrheitsbeteuerungen) aufgreifen, um das Erzählte als vermeintliche res gestae auszuweisen. Diese Figurenerzählungen werden jedoch nicht - wie im Vergleich mit Swemmels ‹Augenzeugenbericht› aus der ‹Klage› verdeutlicht wurde - dazu genutzt, die gesamte Erzählung als historia auszuweisen, sondern sie werden, indem sich der Erzähler an zahlreichen Stellen von den gängigen Beglaubigungsstrategien distanziert, verfügbar auch für die erfundene Erzählung. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß die erste Erzählung in der Erzählung von einer (gescheiterten) âventiure handelt, die durch ihre ‹märchenhaften› Elemente deutlich den historisch zu verortenden Raum verläßt. Das Prinzip der âventiure - bereits durch den ‹Erec› bekannt - stiftet damit den Gattungs- und auch den Erwartungshorizont, der den Rezipienten keinerlei Anhaltspunkte (sei es topographischer oder zeitlicher Natur) von Historizität liefert. Darüber hinaus gibt es im ‹Iwein› keinen direkten Zusammenhang zwischen den Ebenen des discours und der histoire, wie er etwa in der ‹Klage› durch den von Pilgrim initiierten Verschriftlichungsprozeß geliefert wird. Wird in der ‹Klage› Historizität gerade dadurch evoziert, daß Swemmels (Augenzeugen-)Bericht zusammen mit weiteren Erzählungen über den Untergang der Burgunden als Grundlage einer - auch durch das Lateinische aufgewerteten - Darstellung 132 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue die Figur König Rother, die in ein fiktives Genealogieverhältnis zu Kaiser Karl gestellt wird (KR, Vv. 4784ff.) 384 Anders Glauch, die fabelen, S. 41, die dies für mittelalterliches Erzählen prinzipiell ausschließt. Zusammenfassung der Ergebnisse: ‹Erec› und ‹Iwein› von res factae erscheint, 385 so unterbindet der Erzähler im ‹Iwein› genau diese Verbindung von histoire und discours, indem das Prinzip der Augenzeugenschaft auf die Ebene der Protagonisten beschränkt wird. Damit aber wird nicht etwa das «Dargestellte auf dieser Ebene als real ausgegeben», 386 vielmehr wird eine fiktionale Erzählwelt konstituiert, innerhalb derer sich die Protagonisten historisierender Erzählelemente bedienen. 387 Allein die Anklänge an historisierendes Erzählen in Prolog und Epilog scheinen dieser Feststellung zu widersprechen, wenn man den Prolog entgegen Haug nicht als Plädoyer für ‹programmatische› Fiktionalität liest. Aber auch die von Kellermann konstatierte Historisierung läßt sich durch die Ergebnisse zur narratio nicht bestätigen. Daher liegt es nahe, die im Prolog aufgerufenen Elemente historisierenden Erzählens auf eine weitere Bedeutung zu befragen: Zumindest den kundigen Rezipienten konnte bewußt sein, daß eine Erzählung aus dem Bereich der matière de Bretagne einem Fiktionalitätsverdacht ausgesetzt war und mit dem ‹Erec› bereits eine Erzählung vorlag, die Fiktionalität für sich reklamierte. Wenn im Prolog somit traditionelle Beglaubigungsmechanismen aufgerufen werden, dann kann dies auch auf ein Spiel mit der Erwartungshaltung hindeuten, 388 das darauf abzielt, auf das Thema Historizität und dessen narrative Entfaltung aufmerksam zu machen. Demnach würden die Elemente traditioneller Beglaubigungspraxis nicht als bewußte (Re-)Historisierungselemente genutzt, sondern als Signal verwendet, das den Rezipienten dazu anhält, auf die bewußte Einbindung historisierender Erzählstrategien innerhalb der fiktionalen Gattung zu achten. Hier erhält dann auch die Kâlogrenant- Erzählung ihre besondere Funktion: Da sie unmittelbar auf den Prolog folgt und sich in ihr das im Prolog nur angedeutete Beglaubigungspotential nun vollends entfaltet, wird es zugleich an die Figurenebene gebunden. Aus der Gegenüberstellung von skizzierter Historizität (Verweis auf die buoche, auf Artus als Kämpfer sowie die Einschränkung auf das Weiterleben von des Artus fama, vgl. Kap. I.2.2.1) auf der Ebene des discours und bewußter Entfaltung der Beglaubigungsstrategien auf der Ebene der histoire wird der Rezipient also zum einen auf die auch von Schmitt bemerkte Marginalisierung der Wahrheitsbeteuerungen aufmerksam, zugleich wird ihm jedoch bewußt, daß diese Zusammenfassung der Ergebnisse: ‹Erec› und ‹Iwein› 133 385 Vgl. Müller, Der Spielmann erzählt, bes. S. 98, sowie Müller, Datenträger, S. 116. 386 Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 146. 387 In Schmitts bzw. Zipfels Terminologie hieße dies, daß eine fiktive Geschichte, die faktual erzählt wird, «[…] zu einem fiktionalen Erzähltext [führt], weil das faktuale Erzählen im fiktionalen Rahmen stattfindet». Ebd., S. 144. 388 Daß Hartmann zu einem Spiel mit unterschiedlichen, gattungsbedingten Erwartungen fähig war, zeigt m.E. auch der ‹Gregorius›, in dem Legendenmuster und arthurische Erzählstruktur miteinander verbunden werden, so daß letztlich eine eindeutige Gattungszuordnung schwerfällt. Vgl. Wehrli, Roman und Legende, und Hirschberg, Dagmar: Zur Struktur von Hartmanns Gregorius. In: Befund und Deutung. Zum Verhältnis von Empirie und Interpretation in Sprach- und Literaturwissenschaft. Hgg. Klaus Grubmüller u.a. Tübingen 1979, S. 240-267. Beteuerungen, (historisch) Wahres zu erzählen, verfügbar werden. Damit zeugt der ‹Iwein› eher von einer graduellen Entfaltung der Historizitätsrespektive Fiktionalitätsthematik als von einer in den Prolog integrierten ‹programmatischen› fictio. Das Prolog-Ich spielt hier vielmehr mit den Erwartungshaltungen, die ein kundiges Publikum an die Gattung stellte, indem historisierendes Erzählen im Prolog aufgegriffen, im Anschluß jedoch an die Figurenebene weitergegeben wird. Indem sich der Erzähler dann im Verlauf der narratio von den Möglichkeiten historisierenden Erzählens distanziert (Iwein-Ascalon- Kampf) und ferner vorführt, daß auch ein lügenmaere topische Beglaubigungselemente beinhalten kann, macht er darauf aufmerksam, daß das Erzählte - entgegen der im Prolog evozierten Historisierungselemente - keinerlei Anspruch auf Historizität erhebt, gerade weil jene Erzählstrategien an die Protagonisten abgegeben werden. Ebenso wie in den untersuchten Passagen des ‹Erec› sind auch die besprochenen Stellen des ‹Iwein› nahezu allesamt dadurch gekennzeichnet, daß sie deutlich von Chrétien abweichen. Somit kann auch für den ‹Iwein› gelten, daß Hartmanns Erweiterungen nicht im Rahmen des ‹üblichen› Adaptationsprozesses verbleiben, sondern dazu genutzt werden, die Fiktionalität des Erzählten offenzulegen und zu reflektieren. Konnte jedoch für den ‹Erec› gezeigt werden, daß diese Art der Fiktionalitätsanzeige zumeist dadurch erreicht wird, daß funktionale Fiktionalität erweitert, ja gar überschritten wird, indem sie ihre Legitimationsfunktionen preisgibt, wenn z.B. im Falle der Bewirtung Erecs eine descriptio aufhört, bloße ‹Beschreibung› zu sein, indem sie zeigt, was nicht vorhanden ist, so tritt im ‹Iwein› ein entscheidendes Moment hinzu: Eine verstärkte Auseinandersetzung mit traditionellen Beglaubigungselementen, in Prolog und Epilog und insbesondere der wiederholte Einsatz von Augenzeugenschaft innerhalb der Figurenrede und in den Erzählerbemerkungen, zeigt, daß Fiktionalität hier nicht mehr ausschließlich über eine ‹Negation› von Historizität erreicht wird. Vielmehr werden Aspekte historisierenden Erzählens in die narratio eingebunden und gleichzeitig ihrer beglaubigenden Funktion beraubt. Im Vergleich zum ‹Erec›, in dem das historisierende Erzählen eine eher untergeordnete Rolle spielt, zeugt der ‹Iwein› also von einem bewußten Einsatz von Historizität, der - indem er nur auf der Ebene der histoire respektive der Figurenerzählungen ‹lückenlos› erfolgt - den fiktionalen Erzählrahmen nicht sprengt. Als Ergebnis sei daher zunächst folgendes festgehalten: Hartmanns Artusromane thematisieren und reflektieren den Aspekt der Fiktionalität nicht auf eine identische Weise, sondern es läßt sich im Vergleich beider Werke eine Veränderung feststellen, die aus der bewußten Inanspruchnahme historisierender Erzählelemente im ‹Iwein› resultiert. Indem im ‹Iwein› die Möglichkeiten historisierenden Erzählens ausschließlich an die Protagonisten gebunden werden, wird eine Verfügbarkeit historisierenden Erzählens erreicht, wie sie im ‹Erec› nur in den descriptiones des Zelters und des rocs aufscheint. Wie im ‹Erec› verdankt sich das wesentliche Prinzip auch hier der Chrétienschen Vorlage. Doch während Chrétien die Ambivalenz seines Erzählens insbesondere aus dem in- 134 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue tertextuellen Verweis auf Wace (‹Yvain›, Vv. 577ff.) gewinnt, baut Hartmann den Aspekt der Augenzeugenschaft sowohl auf der Ebene des discours als auch auf der Ebene der histoire zu einem Prinzip aus, dessen deutlicher Bezug zur narratio neue Möglichkeiten zu erzählen beinhaltet. Augenzeugenschaft bzw. deren Mangel können bei Hartmann sowohl zur Fiktionalitätsanzeige genutzt werden als auch dazu, einen wesentlichen Aspekt des Romans voranzutreiben, so z.B. Iweins Dilemma, keinen Zeugen für seinen Sieg über Ascalon benennen zu können. Dabei ist zuallererst von Bedeutung, daß die traditionelle Beglaubigung des Erzählten nicht mehr Aufgabe des Erzählers ist, sondern den Protagonisten zugewiesen wird, so daß die Möglichkeit historisierenden Erzählens zwar auf der Ebene der histoire eingelöst wird, aber auf der Ebene des discours keine Entsprechung findet. Damit aber entsteht Historizität nur scheinbar und allenfalls auf der Ebene der Protagonisten, während der Erzähler den Rezipienten ein solches Erzählen als unmöglich vorführt. Lediglich Prolog und Epilog lassen die Möglichkeit zu, auch auf der Ebene des discours Historizität für das Erzählte zu beanspruchen. Doch wird auch dies auf Ebene der narratio nicht mehr eingelöst. Was Schmitt als Marginalisierung von «Historizität als Wahrheitsanspruch» 389 kennzeichnet, läßt sich im Hinblick auf die gesamte Erzählung eher als Spiel mit Historizität deuten, dessen Möglichkeiten vor allem im ‹Iwein› auf der Ebene der histoire ausgelotet werden: Die Figuren sind bemüht, ihre Erzählungen als res gestae auszuweisen, wobei der Erzähler ihnen widerspricht, indem er diese Art zu erzählen für sich ausschließt und damit den bei Chrétien in bezug auf Wace vorgebildeten Irrglauben an Faktizität weiter ausbaut, so daß der Erzähler das historisierende Erzählen den Figuren zuweisen kann, ohne es für sich selbst in Anspruch zu nehmen. Die in dem vorliegenden Kapitel nur punktuell betrachteten sogenannten nachklassischen Werke ‹Gauriel› und ‹Wigalois› scheinen dabei insbesondere die im ‹Erec› und ‹Iwein› vorgebildete Möglichkeit zu nutzen, Passagen, die ein großes Maß an rhetorisch-poetischer Ausgestaltung erfordern, dafür zu verwenden, das Erzählte als fiktional zu erweisen (Beschreibung Flories und Laries im ‹Wigalois› sowie des gestüeles im ‹Gauriel›). Im Gegensatz zu den ‹klassischen› Artusromanen jedoch geschieht dies nicht über Erweiterungen einer Vorlage, sondern über den gezielten Einsatz von Reminiszenzen an die literarische und insbesondere arthurische Erzähltradition. 390 Daß hier vor allem die Zelterschilderung immer wieder als Fundus genutzt wird, zeigt deutlich, daß auch den ‹zeitgenössischen› Verfassern die besondere Qualität ihrer Vorläufer nicht verborgen blieb und sie die Möglichkeit erkannten, durch eine gezielte Auswahl von Anspielungen ihr eigenes Erzählen mit der fiktionalen Erzähltradition zu verknüpfen. Zusammenfassung der Ergebnisse: ‹Erec› und ‹Iwein› 135 389 Schmtt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 137. 390 Natürlich dienen auch andere Werke bzw. Gattungen als ‹Zitatfundus›. Insbesondere im ‹Wigalois› lassen sich auch zahlreiche Bezüge zu Wolframs ‹Willehalm› erkennen. Vgl. dazu den minutiösen Vergleich von Schröder, Der synkretistische Roman. Hinsichtlich der Einbindung historisierender Erzählelemente ergibt sich jedoch ein anderes Bild: Was im ‹Iwein› zu einem Spiel mit der Historizität und Fiktionalität des Erzählten gerät, wird im ‹Wigalois› nur mehr in der Erzählerbemerkung zur Verläßlichkeit des Gewährsmannes zitiert. Im weiteren Verlauf des Romans von Gwî von Galois hingegen zeichnet sich mehr und mehr ein Kontrast zwischen arthurischer Erzählwelt und einer Welt der göttlichen Vorsehung und damit Heilsgeschichte ab, so daß die Ausprägung von fictio - wie sie in der Beschreibung Flories aufscheint - zugunsten einer übergeordneten, heilsgeschichtlich orientierten Erzählung aufgegeben wird. 391 Es bleibt indes zu fragen, ob mit einer solchen Entwicklung, wie sie sich im ‹Wigalois› abzuzeichnen beginnt, tatsächlich das Ende fiktionalen Erzählens erreicht ist 392 oder ob sich aus ihr nicht vielmehr neue Möglichkeiten zu erzählen ergeben, ja ergeben müssen. Gerade die für den ‹Yvain› und insbesondere den ‹Iwein› festgestellte Entfunktionalisierung von Historizität könnte hierfür ein Zeichen sein, da sie deutlich macht, daß auch traditionelle Historisierungsstrategien für fiktionales Erzählen verfügbar werden. Während so z.B. die ‹Crône› oder der ‹Gauriel› als Werke gelesen werden können, die in Anlehnung an den ‹klassischen› Artusroman eine bewußte Entscheidung für fiktionales Erzählen bezeugen, wäre zu fragen, ob jene Werke, die eine mehr traditionell-funktionale fictio offenbaren, nichtsdestominder dazu beitragen, historisierendes Erzählen auf Basis der literargeschichtlichen Tradition neu zu bestimmen. Insbesondere vor diesem Hintergrund scheint es lohnend, die Untersuchung auf den ‹Prosa-Lancelot› auszudehnen, da in diesem Werk Historisierungselemente bewußt aufgegriffen und mit der als fiktional etablierten arthurischen Erzählwelt konfrontiert werden. 136 Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue 391 Wobei auch im Falle des ‹Wigalois› erst nach einer eingehenden Untersuchung zu entscheiden wäre, ob die Einbindung heldenepischer Erzählmomente, wie sie im Namûr- Feldzug oder auch in der âventiure um den verlorenen Schönheitspreis begegnen (Hojîr-Kampf), tatsächlich zu einer Historisierung arthurischen Erzählens beitragen oder nicht ebenfalls ihrer historisierenden Funktion beraubt werden. Dies ist m.E. gerade im Hinblick auf die Figur des Grafen Hojîr bedeutsam, der zwar mit einem ‹historischen› Namen aufwartet, ansonsten aber eher an den Mabonagrin aus Hartmanns ‹Erec› (oder Wolframs ‹Roten Ritter›? ) erinnert und somit deutlich in einer eher literarischen, denn historischen Erzähltradition steht. 392 Vgl. Knapp, Erkenntnis und Fiktion. In: Historie und Fiktion (II), S. 256. II. Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› Der Prosaroman von ‹Lancelot› 1 hatte es sowohl «in der französischen wie in der deutschen Literaturgeschichte, bis vor kurzem schwer». 2 Die Erschließung und Erforschung des umfangreichen Werks, deren Beginn - abgesehen von einigen Ausnahmen 3 - sich auf die Mitte des 20. Jahrhunderts datieren läßt, 4 hat erst in den letzten Dezennien verstärkt zugenommen. In ihren Anfängen 5 hat sich die Forschung zum ‹Lancelot en prose› 6 zunächst mit der Frage nach der Einheit der überlieferten Textgestalt und damit 1 Wenn der mhd. Text gemeint ist, spreche ich vom ‹Prosa-Lancelot›, vom ‹Lancelot en prose›, wenn sich die Überlegungen auf das altfranzösische Werk beziehen. Die Bezeichnung ‹Lancelot› verwende ich dann, wenn eine Differenzierung nicht beabsichtigt ist. Der mhd. Text wird zitiert nach der fünfbändigen Ausgabe Steinhoffs, die auf Kluges Edition (Hs. P) des ‹Prosa-Lancelot› basiert. Es gelten folgende Abkürzungen: LG I = Lancelot und Ginover I, LG II = Lancelot und Ginover II, LGr. I = Lancelot und der Gral I, LGr. II = Lancelot und Gral II, ‹Tod des Artus› = Die Suche nach dem Gral u. Der Tod des Königs Artus. Zitate aus dem ‹Lancelot en prose› richten sich mit entsprechendem Vermerk nach den Ausgaben Michas bzw. Pauphilets, Frappiers und Sommers. 2 Wyss, Ulrich: Ein neuer hoher Stil? In: Lancelot. Der mittelhochdeutsche Roman im europäischen Kontext. Hgg. Klaus Ridder und Christoph Huber. Tübingen 2007, S. 93-104, hier S. 93. 3 Vgl. u.a. Lot, Ferdinand: Étude sur le Lancelot en prose. Paris 1918 (Bibliothèque de l’École des Hautes Étdues, 227), Bruce, J. Douglas: The Composition of the Old French ‹Prose Lancelot›. In: Romanic Review IX (1918), S. 241-268 (353-395), ders.: o.T. In: Romanic Review X (1919), S. 48-66 (97-122). 4 Die neunbändige Ausgabe Alexandre Michas entstand in den Jahren 1978-1983; Kluges dreibändige Ausgabe des ‹Prosa-Lancelot› datiert aus den Jahren 1948, 1963 und 1974. Zur Forschungsliteratur vgl. Pauphilet, Albert: Sur la composition du Lancelot-Graal. In: ders.: Le legs du Moyen Age. Melun 1950, S. 212-217, sowie Frappier, Jean: Étude sur La Mort le Roi Artu. Roman du XIII e siècle. Paris 1936, ders.: Plaidoyer pour l’»Architecte», contre une opinion d’Albert Pauphilet sur le Lancelot en prose. In: Romance Philology 8 (1954), S. 27-33. 5 Vgl. Bruce, The Composition, S. 241-268 (353-395), ders., o.T. In: Romanic Review X (1919), S. 48-66 (97-122), Pauphilet, Sur la composition du Lancelot-Graal, S. 212-217, Lot, Étude, sowie Frappier, Étude sur La Mort le Roi Artu, ders., Plaidoyer pour l’»Architecte», S. 27-33. 6 Der ‹Lancelot en prose› wurde nachträglich um die ‹Estoire del Saint Graal› und die ‹Estoire de Merlin› erweitert, die nicht ins Mhd. übertragen wurden. Im Hinblick auf diese fünfteilige Komposition wird in der Forschung gemeinhin vom ‹Lancelot-Graal›- Zyklus bzw. vom ‹Vulgata›-Zyklus gesprochen. Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› Kolumne rechts Überschrift_1 zusammenhängend mit der Frage nach der inhaltlichen Kohärenz des Werkes beschäftigt. Die beiden extremsten Positionen, die das Werk entweder als defiziente Kompilation 7 oder als genuine Leistung eines einzelnen Verfassers 8 verstehen, wurden schließlich in Frappiers vermittelnder These zusammengeführt, ein Autorenkollektiv habe den von einem ‹Architekten› entworfenen narrativen Bauplan selbständig umgesetzt. 9 Frappiers These, die u.a. von Vinaver 10 und Kennedy 11 aufgegriffen wurde, wird in der aktuellen Forschung 12 zum ‹Lancelot en prose› gemeinhin akzeptiert, und es steht außer Zweifel, daß diese Idee einer ‹Lancelot-Werkstatt› 13 dazu geeignet ist, die im Werk begegnenden Widersprüche mit der ebenfalls deutlich hervortretenden einheitlichen Konzeption in Einklang zu bringen. 14 Gleichwohl läßt sich gerade angesichts der Fülle und Komplexität des ‹Lancelot› auch Lots Annahme, ein einziger Verfasser zeichne für das Werk verantwortlich, nicht eindeutig widerlegen, so daß die Frage nach dem bzw. den Verfasser(n) des ‹Lancelot› letztlich nicht entschieden werden kann. Im Gegensatz zu diesen kompositorischen Fragen konzentrierte sich die Forschung im Hinblick auf das mhd. Werk, das gemeinhin als «eine in allen wesentlichen Belangen getreue Übersetzung eines französischen Originals» 15 betrachtet wurde (und wird), zunächst auf die Überlieferung und auf die Entstehungsbedingungen sowie die Verbreitung der hss. Fassungen. 16 Hier stand ins- 138 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 7 Vgl. Bruce, The Composition. 8 Vgl. Lot, Étude. 9 Frappier, Étude sur La Mort le Roi Artu, S. 142. 10 Vinaver, Eugène: The Rise of Romance. Oxford 1971. 11 Kennedy, Elspeth: Lancelot and the Grail. A Study of the Prose Lancelot. Oxford 1986, bes. S. 253ff. 12 Vgl. Voß, Rudolf: Der Prosa-Lancelot. Meisenheim am Glan 1970 (Deutsche Studien, 12), Unzeitig-Herzog, Monika: Jungfrauen und Einsiedler. Studien zur Organisation der Aventiurewelt im Prosalancelot. Heidelberg 1990 (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte), Steinhoff, Kommentar zu LG I und LG II, S. 761. 13 Vgl. den Begriff der ‹Nibelungenwerkstatt›, Bumke, Die vier Fassungen der Nibelungenklage, bes. S. 590ff., sowie Heinzle, Joachim: Die Nibelungen. Lied und Sage. Darmstadt 2005, S. 55f. Im Gegensatz zur ‹Architektenthese› Frappiers bezieht sich der Begriff ‹Werkstatt› in der NL-Forschung jedoch nicht ausschließlich auf die Herstellung eines Werks, sondern vielmehr auf die Genese der verschiedenen NLbzw. Klage-Fassungen. 14 Neben kleineren Ungereimtheiten ist es vor allem die Frage nach der Beziehung zwischen ‹Lancelot propre› und ‹Queste›, welche die Forschung beschäftigt hat. Diese Bezüge zwischen den unterschiedlichen Werkteilen wurden von Lot mit dem Begriffspaar esprit courtois und esprit mystique belegt, vgl. Lot, Étude, S. 86. 15 Voß, Der Prosa-Lancelot, S. 3, sowie Steinhoff, Kommentar zu LG I und LG II, S. 764f. 16 Vgl. Tilvis, Pentti: Prosa-Lancelot-Studien I-II. Helsinki 1957, ders.: Ist der mhd. Prosa- Lancelot II (= P II) direkt aus dem Afrz. übersetzt? In: Neuphilologische Mitteilungen 73 (1972), S. 629-641, Steinhoff, Hans-Hugo: Zur Entstehungsgeschichte des deutschen ‹Prosa-Lancelot›. In: Probleme mittelalterlicher Überlieferung und Textkritik. Hgg. Peter F. Ganz und Werner Schröder. Berlin 1968, S. 81-95, Keinästo, Kari: Zu Infinitivkonstruktionen und Übersetzungsschichten im mittelhochdeutschen Prosa-Lancelot. In: besondere die Frage nach den Vorlagenverhältnissen sowie damit eng verbunden die Frage nach einer niederländischen Zwischenstufe im Vordergrund der Untersuchungen. 17 Während durch das älteste erhaltene Textfragment (M) des ‹Prosa-Lancelot› aus der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts gesichert ist, daß die mhd. Übertragungsarbeit bereits unmittelbar nach der Fertigstellung des ‹Lancelot en prose› einsetzte, 18 bleibt das Verhältnis der ersten nahezu vollständigen Handschrift (P) 19 zur französischen Überlieferungslage immer noch unklar: Zum einen bietet die komplexe Überlieferungslage des altfranzösischen ‹Lancelot› hier keine konkreten Anhaltspunkte, 20 zum anderen ist nach wie vor nicht zu entscheiden, wie die Entstehung der ursprünglich aus drei selbständigen Teilen 21 bestehenden Hs. P zu beurteilen ist. Während der erste Teil von Hs. P Tilvis’ These einer niederländischen Zwischenstufe zu bestätigen scheint, 22 legen die beiden nachfolgenden Partien diese Annahme nicht nahe; 23 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 139 Wolfram-Studien IX (1986), S. 90-101, Steer, Georg: Der Heidelberger ‹Prosa-Lancelot›-Codex Pal. germ. 147. Fragen seiner Entstehung, Sprache und Herkunft. In: Wolfram-Studien IX (1986), S. 10-16. 17 Vgl. Tilvis, Prosa-Lancelot-Studien, und Steinhoff, Entstehungsgeschichte. Den Anlaß für die Vermutung, zumindest ein Teil des mhd. ‹Lancelot› sei aus dem Niederländischen übersetzt worden, geben zum einen «Niederlandismen, die sich in dem frühen Fragment M, vereinzelt aber sogar bis in die Handschrift P erhalten haben, sowie eine Reihe von Übersetzungsfehlern, die sich am besten als Mißverständnisse einer niederländischen Vorlage erklären lassen», Steinhoff, Kommentar zu LG I und LG II, S. 767, mit Bezug auf Tilvis, Prosa-Lancelot-Studien. Darüber hinaus liefert ein in dem Fragment k überliefertes Textstück (entst. um 1476) einen konkreten Hinweis auf eine niederländische Zwischenstufe, vgl. Steinhoff, Kommentar zu LG I und LG II, S. 766. 18 Vgl. ebd., Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 12, sowie Klinger, Judith: Der mißratene Ritter. Konzeptionen von Identität im Prosa-Lancelot. München 2001 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur, 26), S. 17. 19 Die Handschrift P (Cod. pal. germ. 147), die Kluges respektive Steinhoffs Edition zugrunde liegt, wird heute - entgegen Kluge, der als Entstehungsjahr 1430, LK I, XIV, vorschlug - auf die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts (1455 bzw. gegen 1475) datiert. Zu dieser späteren Datierung vgl. Steer, Der Heidelberger ‹Prosa-Lancelot›-Codex Pal. germ. 147, bes. S. 10-16, sowie Steinhoff, Kommentar zu LG I und LG II, S. 764. 20 Vgl. die Ausgaben von Micha, Bd. I, S. XIII, und von Kennedy, Bd. II, S. 11, sowie Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 13. 21 Der Codex pal. germ 147 (P) wurde erst nachträglich zusammengebunden, Steinhoff, Kommentar zu LG I und LG II, S. 764; er besteht aus Teil I: Lancelots Kindheit - Karrenritter, Teil II: letztes Drittel des ‹eigentlichen Lancelot› (= sog. Agravain), Teil III: Gralsuche und Tod des König Artus, vgl. ebd. 22 Vgl. ebd., Tilvis, Prosa-Lancelot-Studien, Reil, Cornelia: Liebe und Herrschaft. Studien zum altfranzösischen und mittelhochdeutschen Prosa-Lancelot. Tübingen 1996 (Hermaea, 78), S. 9f., sowie jüngst Rothstein, Katja: Der mittelhochdeutsche Prosa-Lancelot. Eine entstehungs- und überlieferungsgeschichtliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Handschrift Ms. allem. 8017-1820. Frankfurt a.M. 2006 (Kultur, Wissenschaft, Literatur - Beiträge zur Mittelalterforschung), hier S. 24ff. 23 Steinhoff, Entstehungsgeschichte. Darüber hinaus bleibt auf Grund der Nähe von P zum Fragment M, das - wie A - ebenfalls aus dem 13. Jahrhundert stammt, die Versie liefern jedoch Hinweise darauf, daß der zweite Teil von P (P II), also das letzte Drittel des ‹eigentlichen Lancelot›, jünger sein könnte als die ‹Gralsuche› und der ‹Tod des König Artus› (P III). 24 Darüber hinaus weist P eine beachtliche Lücke («gut ein Zehntel des ‹eigentlichen› Lancelot» 25 fehlt) auf, die für die ‹Prosa-Lancelot›-Überlieferung des fünfzehnten Jahrhunderts typisch zu sein scheint. 26 Eine erste wirklich vollständig erhaltene Übertragung, Hs. a, 27 datiert aus dem sechzehnten Jahrhundert (1539-1576). Gleichwohl muß dieser Textbefund nicht zwangsläufig darauf hinweisen, daß der ‹Lancelot en prose› erstmals im sechzehnten Jahrhundert vollständig ins Deutsche übertragen wurde und zuvor lediglich Teilübersetzungen existierten, 28 da somit nicht nur «Manuskript- und Textdatierung […]», sondern auch Überlieferungslage und Rezeption «umstandslos in eins gesetzt» 29 werden. Während also die Überlieferungslage des ‹Prosa-Lancelot› und ihre Beziehung zu den altfranzösischen Textbefunden noch ungeklärt ist, herrscht in der Lancelot-Forschung größtenteils Einigkeit darüber, den ‹Prosa-Lancelot› als wörtliche Übersetzung des französischen ‹Originals› 30 zu betrach- 140 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› mutung naheliegend, daß P die Abschrift eines älteren Textes darstellt und damit keine direkte Übersetzung aus dem Französischen ist. 24 Vgl. Keinästö, Infinitivkonstruktionen, S. 287ff., und Steinhoff, Kommentar zu LG I und LG II, S. 764ff. 25 Ebd. 26 Ebd. 27 Die Hs. a wird in der Ausgabe Steinhoffs dazu genutzt, die Lücke in P zu schließen (LG II, S. 428 - LGr. I, S. 226). Kluge verwendete zur Überbrückung dieser Überlieferungslücke die Hs. k, die allerdings selbst eine Lücke aufweist, welche Kluge durch eine Nacherzählung in Anlehnung an den afz. Text ergänzte. Eine erste ausführliche Untersuchung der Hs. a bietet die jüngst erschienene Studie von Rothstein, Der mittelhochdeutsche Prosa-Lancelot. 28 Der ‹Prosa-Lancelot› befindet sich diesbezüglich in guter Gesellschaft. Obgleich der ‹Erec› nur in einer Handschrift aus dem 16. Jahrhundert (nahezu) vollständig vorliegt und lediglich die älteren Fragmente ins Hochmittelalter weisen, scheinen innerhalb der Germanistik kaum Skrupel zu bestehen, ‹Hartmanns› normalisierten ‹Klassiker› zu lesen, und es wird wohl kaum angenommen, daß der gesamte ‹Erec› erst im 16. Jahrhundert entstanden sei. Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. I. d.A., sowie mit ähnlicher Argumentation Klinger, Der mißratene Ritter, S. 17 (Anm. 33). 29 Ebd. Hinzu kommt, daß die Überlieferung des ‹Prosa-Lancelot› mit zehn (z.T. fragmentarischen) Textzeugnissen «nicht so dürftig [ist], wie man es gewöhnlich hinstellt [...]». Heinzle, Joachim: Der Durchbruch der Prosa. In: ders.: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit. 3 Bde. Hier Bd. II,2: Wandlungen und Neuansätze im 13. Jahrhundert (1220/ 30-1280/ 90). Königstein 1984, S. 205-228, hier S. 224. 30 Schon die Bezeichnung des afz. Werks als ‹Original› wird dabei zumeist undifferenziert verwendet. Hier wäre zunächst einmal zu klären, welche Kriterien herangezogen werden sollen, um ein Werk, das in nahezu 100 Hss. und unterschiedlichsten Redaktionen anonym überliefert ist, als ‹Original› zu begreifen. Da auch der ‹Lancelot en prose› auf die bereits etablierte Tradition des Artusromans zurückgreift, und zwar sowohl im Hinten. 31 Bei einem ersten Vergleich der Ausgabe Kluges/ Steinhoffs mit den ‹Lancelot en prose›-Editionen wird diese Vermutung bestätigt, obgleich eine grundlegende Problematik bestehen bleibt: Da weder die Frage nach der oder den Vorlage(n) von P (bzw. den anderen Überlieferungsträgern) 32 noch das Beziehungsverhältnis der französischen Handschriften untereinander geklärt ist, müssen Aussagen über den Übertragungsmodus zwangsläufig spekulativ bleiben. Darüber hinaus erschwert die Länge des Werks eine umfassende Untersuchung der Abweichungen des ‹Prosa-Lancelot› vom ‹Lancelot en prose›. Eine Arbeit, die den gesamten mhd. Text mit dem ‹Lancelot en prose› vergleicht und über den Zustand einer mehr oder minder umfassenden ‹Stichprobe› hinausgeht, fehlt daher bis heute. Einen ersten Ansatz bieten die Studien von Buschinger und Hennings aus den Jahren 1986 und 2001, 33 deren Ergebnisse nicht hätten unterschiedlicher ausfallen können: Während Buschinger, die sich in ihrer Untersuchung vor allem auf die Liebesthematik stützt, zu dem Fazit gelangt, der ‹Prosa-Lancelot› gehöre als «Nachschöpfung in die deutsche Literatur», 34 lautet das Resümee Hennings, die germanistische Untersuchung des ‹Prosa-Lancelot› habe bei der Stilanalyse zu enden. 35 Zwar sind insbesondere Hennings Ergebnisse zu der engen Beziehung zwischen ‹Prosa-Lancelot› (P I) und ‹Lancelot en prose› in der Fassung der bisher unedierten Hs. O 36 bemerkenswert, aber ihre Schlußfolgerungen im Hinblick Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 141 blick auf kleinere Details und Motive sowie im Hinblick auf ganze Passagen einzelner Werke (z.B. Karrenritter-Episode - Chrétiens ‹Chevalier de la Charrete›), müßte der Begriff ‹Original› - zumal im Hinblick auf das mittelalterliche Verständnis - genauer definiert werden. 31 Vgl. dazu Steinhoff, Kommentar zu LG I und LG II, S. 764, ders.: Lancelot in Germany. In: A Companion to the Lancelot-Grail Cycle. Hg. Carol Dover. Cambridge 2003 (Arthurian Studies), S. 173-184, hier S. 179, Voß, Der Prosa-Lancelot, S. 3, Hennings, Thordis: Altfranzösischer und mittelhochdeutscher Prosa-Lancelot. Übersetzungs- und quellenkritische Studien. Heidelberg 2001, dies.: Der erste Teil des mittelhochdeutschen ‹Prosa-Lancelot› - eine Übersetzung für den Hof des Pfalzgrafen bei Rhein? In: PBB 123 (2001), S. 379-396, Huber, Christoph/ Ridder, Klaus: Einleitung. In: Lancelot. Der mittelhochdeutsche Roman im europäischen Kontext, S. 1-9, hier S. 1, Pérennec, René: ‹Lancelot en prose›/ ‹Prosa-Lancelot›. Übersetzungsanalyse als Mittel des Lexikvergleichs. Einige Bemerkungen. In: Lancelot. Der mittelhochdeutsche Roman im europäischen Kontext, S. 29-42. 32 Eine Ausnahme bietet hier die erste vollständige Übertragung, wie sie in Hs. a überliefert ist, vgl. Rothstein, Der mittelhochdeutsche Prosa-Lancelot, S. 13. 33 Vgl. Hennings, Altfranzösischer und mittelhochdeutscher Prosa-Lancelot, und Buschinger, Danielle: Zum Verhältnis des deutschen Prosa-Lancelot zur altfranzösischen Vorlage. In: Wolfram-Studien IX (1986), S. 46-89. 34 Buschinger, Zum Verhältnis des deutschen Prosa-Lancelot zur altfranzösischen Vorlage, S. 89. 35 Hennings, Altfranzösischer und mittelhochdeutscher Prosa-Lancelot, S. 438, vgl. auch Knapp, Fritz Peter: Rezension zu Steinhoff, Hans-Hugo (Hg.): Lancelot und Ginover (Prosa-Lancelot). In: Lit.wiss. JB 38 (1997), S. 331-336. 36 Hennings, Altfranzösischer und mittelhochdeutscher Prosa-Lancelot, bes. S. Vff. und 425ff. auf die Übertragungsleistung des Verfassers von P I erscheinen dann doch oftmals voreingenommen. Wenn Hennings z.B. die Abweichungen des mhd. Werks gegenüber Hs. O und anderen hinzugezogenen französischen Überlieferungsträgern auf Grund ihrer Ergebnisse einer «nicht erhaltenen direkten frz. Vorlage von PL, also einem frz. ‹Bearbeiter›» 37 zuschreibt, kann diese Schlußfolgerung lediglich innerhalb von Hennings’ These eindeutige Gültigkeit beanspruchen. Die Möglichkeit, ein mhd. Verfasser habe diese Änderungen vorgenommen, bleibt somit weiterhin bestehen und läßt sich nur dann als vollends abwegig bezeichnen, wenn man von einer «doch nicht gerade […] überragenden Qualität des PL-Übersetzers» 38 überzeugt ist. Nicht zuletzt für die von Buschinger bemerkte Positivierung der Liebe zwischen Lancelot und Ginover, die in der Forschung größtenteils akzeptiert wird, 39 könnte daher doch von einem Gestaltungswillen gesprochen werden, der über eine bloße Übersetzung hinausgeht. 40 Auch wenn der ‹Prosa-Lancelot› dem ‹Lancelot en 142 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 37 Ebd., S. 426. 38 Ebd., S. 428. Obgleich Hennings Aussagen bezüglich des Verfassers des ‹Prosa-Lancelot› nicht an allen Stellen ihrer Studie explizit negativ konnotiert sind, lassen vor allem die Bemerkungen in ihrer Schlußfolgerung auf eine pejorative Haltung gegenüber dem mhd. ‹Übersetzer› schließen, vgl. ebd., S. 422-438, bes. S. 422 und 428. 39 Vgl. Steinhoff, Kommentar zu LG I und LG II, S. 774, sowie ders., Lancelot in Germany, S. 179. Anders Wyss, Rezension zu Schröder, Werner (Hg.): Wolfram-Studien IX (1986). In: PBB 111 (1989), S. 481-488, hier S. 483, sowie Reil, Liebe und Herrschaft, S. 10. 40 Mit der Idealisierung, die im Bereich der Liebe begegnet, ist indes ein wesentliches Element der ma. Adaptationstechniken aufgerufen, da der Bearbeiter einer Vorlage dazu verpflichtet war, die Figuren «so zu typisieren, daß [ihnen] dies zum Lob gereicht.» Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 326. Während die Umgestaltung der Minnekonzeption z.B. im ‹Iwein› (Laudine als Minne- und Landesherrin) als eine wesentliche Leistung des Bearbeiters Hartmann gedeutet werden kann, wird die Positivierung der Liebe zwischen Lancelot und Ginover oftmals als eher unbedeutend gewertet, obwohl die Minne zwischen den Protagonisten einen grundlegenden Bestandteil des Werks ausmacht. Auch andere nicht unbedeutende Abweichungen geraten oftmals in Vergessenheit, z.B. wenn die Rezipienten in der Episode der ‹falschen Ginover› bereits kurz nach dem Verlesen des Briefs erfahren, daß er von Bertelac selbst verfaßt (LG II, 54,55) wurde, sie also den Verrat und die Täuschung besser durchschauen können und gegenüber der Figurensicht einen Erkenntnisvorsprung erhalten. Eine andere bedeutsame Stelle spricht von Merveldt, Nikola: Translatio und Memoria. Zur Poetik der Memoria des Prosa- Lancelot. Frankfurt a.M. (Mikrokosmos, 72), S. 92f., an: In Hs. P wird die ‹berühmte› Szene des in Gefangenschaft malenden Lancelot verändert, da Lancelot hier ausdrücklich nur seine âventiuren malt und nit [die] von den andern (LGr. II, 50), während die französische Überlieferung ausdrücklich betont, daß Lancelot nicht nur seine Geschichte, sondern auch die der anderen male (mes des autres, Micha, Bd. V, S. 54). Will man hier keinen Übersetzungsfehler annehmen, dann handelt es sich um eine bewußte Veränderung gegenüber dem altfranzösischen Werk, die Einfluß auch auf die Deutung des Erzählten nimmt. Ebenso verweisen die Kürzungen bei der ersten ausführlichen descriptio personae auf ein grundlegendes Adaptationsprinzip, da sie Überflüssiges, wie die Bemerkung, Lancelots Arme seien gut mit Nerven und Knochen ausgestattet, ‹beschneiden›, ohne das Wesentliche, die ‹perfekte› Beschaffenheit von Lancelots Armen prose› größtenteils nahezu wörtlich folgt, gibt es immer wieder Hinweise auf ‹typische› Adaptationstechniken, 41 die ebenso wie die unterschiedlichen Ergebnisse Buschingers und Hennings’ belegen, daß auch in der Frage nach den Bearbeitungsbzw. Übersetzungstechniken des mhd. Werks von Eindeutigkeit bislang keine Rede sein kann. Den ‹Prosa-Lancelot› als bloße «Redaktion» 42 des ‹Lancelot en prose› zu bezeichnen, entbehrt demnach weiterhin einer gesicherten Grundlage, die erst ein umfassender Vergleich beider Werke liefern könnte. 43 Der germanistischen Ausrichtung der Arbeit entsprechend wird daher der ‹Prosa-Lancelot› und nicht der ‹Lancelot en prose› als Ausgangspunkt der Überlegungen dienen, wobei die französische Vorlage in die Betrachtungen einbezogen wird. Gerechtfertigt scheint dieses Vorgehen nicht nur im Hinblick auf die noch immer nicht abschließend geklärte Frage nach den Übertragungsmodi, sondern auch im Hinblick auf die Position des ‹Prosa-Lancelot› innerhalb der deutschen Literaturgeschichte, ein Aspekt, auf den Heinzle bereits 1986 hingewiesen hat: Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 143 auszulassen, vgl. LG I, 106 und Micha, Bd. VII, S. 73. Vgl. dazu auch Schmitz, Die Poetik der Adaptation, bes. S. 308f. 41 Wenn Hennings festhält, daß das «Ausmaß der Kürzungen den Rahmen einer Übersetzertätigkeit» sprenge, gleichzeitig aber auch der «Arbeitsweise eines dt. Adaptateurs frz. höfischer Versromane» zuwiderlaufe, «da diese […] ihre jeweilige frz. Quelle (im allgemeinen beträchtlich) ausweite[ten]», und sie daher auf einen frz. Bearbeiter schließt, Hennings, Altfranzösischer und mittelhochdeutscher Prosa-Lancelot, S. 429, ist dies nur bedingt richtig. Zwar ist es in der Tat so, daß die Bearbeitungen z.B. Hartmanns gegenüber der Vorlage erweitert wurden, aber auch Hartmann kürzt und läßt ganze Passagen der französischen Vorlage aus (vgl. die Krönungsfeier in ‹Erec et Enide›), um Umdeutungen vorzunehmen oder aber Überflüssiges auszulassen. Ebenso zeigt die Bearbeitung Herborts von Fritzlar (um 1200) die Tendenz zur Kürzung, wenn die 30316 Verse der Vorlage Benoîts de Saint Maure auf 18456 Verse reduziert werden. Daher müssen die im P-L begegnenden Kürzungen den Adaptationstechniken nicht unbedingt zuwiderlaufen, wenn sie z.B. im Rahmen einer Reduktion von ‹Überflüssigem› erscheinen. Vgl. Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 308ff. 42 So Reil, Liebe und Herrschaft, S. 10, Waltenberger, Michael: Das große Herz der Erzählung. Studien zu Narration und Interdiskursivität im ‹Prosa-Lancelot›. Frankfurt a.M. u.a 1999 (Mikrokosmos, 51), S. 17, und vergleichbar Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 12. 43 Die Arbeit von Hennings, Altfranzösischer und mittelhochdeutscher Prosa-Lancelot, bietet trotz z.T. überzeugender Ergebnisse m.E. hier noch keine Lösung, da sie von der Annahme ausgeht, Änderungen, die selbst in ihren Augen dem mhd. Bearbeiter/ Übersetzer zuzuschreiben sind, seien entweder sinnentstellend oder marginal. Für heikel halte ich ebenfalls Waltenbergers Vorgehensweise, der auf Grund der Tatsache, daß sich seine Überlegungen «beinahe ausschließlich auf die gelehrte lateinische Kultur», Das große Herz, S. 17, beziehen, davon ausgeht, daß «etwaige Differenzen zwischen französischem und deutschem (Kon-)Text in den Hintergrund treten können», ebd. Damit gerät nicht nur der zu untersuchende Text aus dem Blick, sondern das eigentliche Problem wird schlichtweg umgangen. […] Es tauchte sogar die Frage auf, ob der deutsche ‹Lancelot› als bloßes Übersetzungswerk überhaupt interpretierbar sei. Nun wird gewiß niemand kalten Blutes behaupten wollen, die Übersetzung sei kein Gegenstand unserer Literaturgeschichte: schließlich ist sie über vier Jahrhunderte hin im Horizont der deutschen Literatur tradiert worden - abgeschrieben, ergänzt, überarbeitet und doch wohl auch gelesen. Dennoch war es gut, daß diese Frage gestellt wurde. Sie hat deutlich gemacht, daß sich die Forschung mehr als bisher darum bemühen muß, die eigentümlichen Umstände zu erfassen, unter denen das Werk in Deutschland existiert hat, das heißt: es dezidiert als d e u t s c h s p r a c h i g e n Text im Zusammenhang mit der Entwicklung der d e u t s c h e n Literatur zu begreifen. 44 Obgleich auch diesbezüglich eingewendet werden kann, daß der ‹Prosa-Lancelot› in Deutschland nahezu keine literarische Wirkung habe entfalten können, 45 muß bedacht werden, daß eine solche Wirkung nicht nur in ‹Zitaten› oder Bearbeitungen des Lancelotstoffes selbst, sondern auch in der Übernahme narrativer und poetischer Verfahren sich manifestieren konnte. Eine solche ‹poetologische Rezeption› könnte vor allem im Hinblick auf die Prosaromane der frühen Neuzeit vermutet werden, obgleich die Forschung weitgehend der Meinung ist, daß der ‹Prosa-Lancelot› mit den Prosaauflösungen 144 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 44 Heinzle, Joachim: Einleitung. In: Wolfram-Studien IX (1986), S. 7-9, hier S. 8 (Herv. im Zitat). 45 Über die Ursache dieser fehlenden Rezeption ist viel spekuliert worden. Vgl. dazu Blank, Walter: Zu den Schwierigkeiten der Lancelot-Rezeption in Deutschland. In: Chrétien de Troyes and the German Middle Ages. Papers from an International Symposium. Ed. with an Introduction by Martin H. Jones and Roy Wisbey. Cambridge 1993 (Arthurian Studies), S. 121-136. Die meisten von Blank angeführten Punkte, mit denen er die «seltsame Isolation und Wirkungslosigkeit des Lancelot in Deutschland», ebd., S. 134, zu erklären versucht, laufen jedoch bei näherer Betrachtung ins Leere: Was die Überlieferungszeugnisse betrifft, steht der ‹Prosa-Lancelot› mit seinen insgesamt 10 Hss./ Fragmenten immerhin wesentlich besser da, als Hartmanns ‹Erec› (obgleich dieser natürlich durch Reaktionen in anderen Werken häufig bezeugt ist). Die Argumente, die Blank im Hinblick auf die Figurenrespektive Themengestaltung gewinnt, müssen ebenfalls nicht zwangsläufig überzeugen, was sich u.a. im Hinblick auf seine Erläuterung zum ‹Parzival› begründen läßt: Die Antwort darauf, warum Parzival in Deutschland als «religiöse Leitfigur», ebd., S. 135, unangefochten bleibt, in Frankreich jedoch durch Lancelot bzw. Galaad ersetzt werden konnte, bleibt Blank schuldig. Zwar mag der Hinweis auf Wolframs ingeniösen Einfluß hier geltend gemacht werden, doch ist auch Chrétien in Frankreich ein Dichter besonderen Ranges, so daß eine Unterscheidung, wie Blank sie vornimmt, letztlich auf eine mentalitätsbedingte Begründung hinausläuft. Vgl. auch Wolf, Jürgen: Lancelot - kein Held für deutsche Höfe? In: Lancelot. Der mittelhochdeutsche Roman im europäischen Kontext, S. 267-279, der Blanks «besetzte Felder»-Hypothese ebenfalls kritisiert, dann jedoch selbst auf eine auf Mentalitäten gegründete Erklärung zurückgreift: «[dann] ließe sich das deutsche Publikum zwischen dem ‹kühlen, sachlichen› Norden, der von Lancelot gar nichts wissen wollte, und dem ‹heißblütigen, freizügigeren› Süden, der Lancelot […] verehrte, verorten […]», ebd., S. 279. bzw. -romanen der frühen Neuzeit kaum etwas gemein habe. 46 Dies müßte nicht nur mit Bezug auf die Überlieferung (Hs. a), sondern auch unter Berücksichtigung der für den ‹Prosa-Lancelot› und die Prosaauflösungen festgestellten Rationalisierungs- und Plausibilisierungsstrategien sowie für die in den Werken begegnende Anlehnung an die Geschichtsschreibung überprüft werden. 47 Während die jüngere Forschung zum ‹Lancelot› vornehmlich darum bemüht gewesen ist, die poetische Konstitution des Romans zu erhellen, wobei sich die «Frage nach der Einheit und Kohärenz des riesigen Werkes […] dabei teilweise verschoben [hat] zur Frage nach dem Nebeneinander divergenter Handlungs- und Erzählmuster im gesamten Roman», 48 ist der ‹Prosa-Lancelot› bisher eher sporadisch in die Fiktionalitätsdebatte einbezogen worden. 49 Detailliert mit der fictiorespektive historia-Konzeption des Werks haben sich insbesondere Haug, Wild, Ziegeler und Knapp auseinandergesetzt. 50 Die Beobachtungen und Ergebnisse dieser Untersuchungen spiegeln im Prinzip die bereits in der Einleitung der Arbeit 51 dargestellten Positionen der fictio-Debatte wider: Während Knapp die Ansicht vertritt, im ‹Prosa-Lancelot› fülle Erfundenes lediglich den historischen Rahmen (funktionale oder suppletive Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 145 46 Vgl. Steinhoffs Kommentar zu LG I und LG II, S. 768. 47 Erste Ansätze dazu finden sich bei von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 300ff., bei Rothstein, Der mittelhochdeutsche Prosa-Lancelot, sowie bei Unzeitig-Herzog, Monika: Zu Fragen der Wirkungsäquivalenz zwischen der altfranzösischen Queste del Saint graal und den deutschen Fassungen der Gral-Queste des Prosa-Lancelot. In: Wolfram- Studien XIV (1996), S. 149-170. 48 Ridder/ Huber, Einleitung. In: Lancelot. Der mittelhochdeutsche Roman im europäischen Kontext, S. 4. 49 Es existiert natürlich eine Reihe von Studien, die sich mit den Änderungen des ‹Lancelot› gegenüber dem arthurischen Versroman auseinandersetzt, so daß einige Elemente der fictio-Debatte mehr oder weniger explizit angesprochen wurden. Vgl. u.a. Voß, Der Prosa-Lancelot, Ruberg, Uwe: Raum und Zeit im Prosa-Lancelot. München 1969 (Medium Aevum, 9), Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, Reil, Liebe und Herrschaft, Remakel, Michèle: Rittertum zwischen Minne und Gral. Untersuchungen zum mittelhochdeutschen ‹Prosa-Lancelot›. Frankfurt a.M. u.a. 1995 (Mikrokosmos, 42), Klinger, Der mißratene Ritter, von Merveldt, Translatio und Memoria, sowie Burns, E. Jane: Arthurian Fictions. Rereading the Vulgate Cycle. Ohio 1985, passim. 50 Haug, Walter: ‹Das Land, von welchem niemand wiederkehrt.› Mythos, Fiktion und Wahrheit in Chrétiens ‹Chevalier de la Charrete›, im ‹Lanzelet› Ulrichs von Zatzikhoven und im ‹Lancelot›-Prosaroman. Tübingen 1978, ders.: Das Endspiel der arthurischen Tradition im ‹Prosalancelot›. In: Das Ende. Figuren einer Denkform. Hgg. Karlheinz Stierle und Rainer Warning. München 1996 (Poetik und Hermeneutik, XVI), S. 251-266, ders., Geschichte, Fiktion und Wahrheit, bes. S. 130f., Wild, Gerhard: Erzählen als Weltverneinung. Transformation von Erzählstrukturen im Ritterroman des 13. Jahrhunderts. Essen 1993 (FORA, Studien zur Literatur und Sprache, 1), Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 201-213, sowie Knapp, Fritz Peter: Erzählen, als ob es Geschichte sei. Antifiktionalität und Geschichtstheologie im Prosa-Lancelot. In: Historie und Fiktion (II), S. 169-189. 51 Vgl. die Einl. d.A. fictio), 52 kommt Haug zu dem Schluß, daß sich «beim Einbau von Fakten in die Fiktion die Fiktionalität durchgesetzt» 53 habe. Ziegeler hingegen hat sich vor allem mit der im ‹Prosa-Lancelot› begegnenden Verbindung von Wahrheitsanspruch und Schrift auseinandergesetzt und ist dabei zu dem Schluß gekommen, daß der ‹Prosa-Lancelot›, «dieses ‹enzyklopädische Erzählexperiment›[,] eine Problematisierung der Wahrheit der historia [biete], wie sie radikaler kaum zu denken» 54 sei. Ziegelers Resümee, in dem er dem ‹Prosa-Lancelot› (‹autonome›) Fiktionalität 55 zugesteht, ist wiederum von Knapp kritisiert und als vorschneller Triumph der Literaturüber die Geschichtswissenschaft bezeichnet worden. 56 Insbesondere aus dieser letzten Kritik Knapps geht hervor, daß die Frage nach der Fiktionalitätsbzw. Historizitätskonstitution implizite immer auch mit einer (Be-)Wertung des zu untersuchenden Werks verbunden ist: Die Abkehr von der ‹bewußten, programmatischen› fictio des Artusromans Chrétiens/ Hartmanns erscheint dabei als ‹Rückschritt›, das Festhalten an bzw. die Weiterentwicklung von dieser dort begegnenden nicht legitimierten fictio als besondere Leistung des Verfassers. Wenn der ‹Prosa-Lancelot› demnach als das ‹Ende› des Artusromans verstanden wird, 57 dessen «eigentliches Thema nichts anderes als die Zerstörung und Verabschiedung eines bestimmten literarischen Typus» 58 sei, dann bedeutet eine solche Etikettierung zumeist eine literarästhetische Abwertung des Werks selbst. 59 146 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 52 Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 176. Vergleichbar auch Heinzle, Der Durchbruch der Prosa, bes. S. 227f. 53 Haug, Geschichte, Fiktion und Wahrheit, S. 128f. Nichtsdestominder hat Haug den ‹Prosa-Lancelot› an anderer Stelle auch als Absage an das arthurische Erzählmodell verstanden, vgl. ders., Das Endspiel der arthurischen Tradition, so daß Knapps Kritik an Haug ihre Berechtigung hat. Die Erklärung dafür, wie die von Haug postulierte Fiktionalisierung der geschichtlichen Tradition, vgl. Haug, Geschichte, Fiktion und Wahrheit, S. 128f., sich vollzogen habe, bleibt Haug schuldig. 54 Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 208. 55 Ebd., S. 212. Ziegelers Resümee hat sich mir nicht gänzlich erschlossen. Wenn er den Begriff ‹Fiktion› mit ‹widersprüchlicher Wahrheit› gleichsetzt, ist erstens nicht klar, welchen Wahrheitsbegriff er zugrunde legt, und zweitens bleibt undeutlich, warum gerade Fiktion die einzige Möglichkeit sein soll, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden; denn gerade die Problematisierung von traditionellen historia-Elementen trägt m.E. eher dazu bei, eine solche Unterscheidung zu erschweren. Ferner ist mir nicht ganz einsichtig geworden, ob mit Fiktion hier Fiktionalität gemeint ist. 56 Vgl. Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 174. 57 Vgl. Haug, Das Endspiel der arthurischen Tradition, S. 251ff., Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 173ff., Wild, Erzählen als Weltverneinung, Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 175ff. 58 von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 13. 59 Gegen eine solch pejorative Bewertung sprechen sich insbesondere die jüngeren Arbeiten zum ‹Lancelot› aus; vgl. ebd., Klinger, Der mißratene Ritter, Waltenberger, Das große Herz, Reil, Liebe und Herrschaft. Siehe auch Burns, Arthurian Fictions. Es ist freilich nicht zu bestreiten, daß der ‹Prosa-Lancelot› sich in vielerlei Hinsicht von den arthurischen Versromanen absetzt, und es liegt nahe zu vermuten, daß ein besonderes Anliegen des Verfassers 60 darin besteht, die matière de Bretagne wieder in die Historizität zu überführen. Insofern das Insistieren auf fictio ein grundlegendes Gattungsmerkmal des ‹klassischen› Artusromans darstellt, kann demnach der Versuch der Re-Historisierung als ein wesentliches Kennzeichen des ‹Prosa-Lancelot› gelten, diese ‹Gattungsabsage› voranzutreiben. 61 Im Vergleich zum ‹Yvain›/ ‹Iwein›, der historisierende Erzählelemente in die Fiktion einbaut und sie ihrer Funktion beraubt (vgl. Kap. I.3 d.A.), begegnet demnach im ‹Lancelot› genau das gegenteilige Prinzip, wenn versucht wird, diese bereits relativierte Historizität wieder ihrer traditionellen Beglaubigungsfunktion zuzuführen. Gleichwohl muß diese Re-Historisierung nicht zwangsläufig als literarästhetischer ‹Rückschritt› gewertet werden, vielmehr gilt es zu untersuchen, wie diese Re-Historisierung sich vollzieht und welche produktionsbzw. rezeptionsästhetischen Bereiche sie betrifft. Ein wesentliches Anliegen dieses Untersuchungsteils ist es daher, grundlegende im ‹Prosa-Lancelot› erkennbare Re-Historisierungsstrategien, mit denen der fiktionalen Erzähltradition begegnet wird, aufzudecken und auf ihr Verhältnis zum traditionellen historia-Konzept sowie dessen spielerischer Relativierung innerhalb der arthurischen Erzähltradition zu befragen. 62 Dabei wird insbesondere darauf zu achten sein, ob das Bestreben, den ‹klassischen› Artusroman zu re-historisieren, Umakzentuierungen oder gar Neustrukturierungen des bekannten historia-Verständnisses hervorbringt. 63 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 147 60 Im folgenden wird immer der Singular verwendet; dies geschieht im Hinblick auf die angenehmere Lesbarkeit und soll nicht darauf hinweisen, daß in der vorliegenden Studie prinzipiell von nur einem Verfasser ausgegangen wird. 61 Die narrativen Strategien, die zu einer solchen Re-Historisierung eingesetzt werden können, sind natürlich vielfältig und können sowohl auf formal-struktureller Ebene (z.B. Prosa, Aufgabe des ‹doppelten Cursus›) als auch inhaltlicher Ebene (z.B. Umdeutung der Artusfigur) greifen. 62 Da der ‹Prosa-Lancelot› in der vorliegenden Studie lediglich einen Teilbereich der Untersuchung bildet, können nur für die Fragestellung der Arbeit bedeutsame Textpartien berücksichtigt werden. Zwar wird eine ‹Gesamtdeutung› des ‹Prosa-Lancelot› im Hinblick auf die Frage nach der fictiobzw. historia-Konzeption angestrebt, doch bedeutet dies zwangsläufig, daß der Komplexität des Werks nicht in all ihren Facetten recht getan werden kann. Die in der folgenden Untersuchung berücksichtigten Textstellen beschränken sich nicht auf einen Teil des ‹Prosa-Lancelot›, sondern sind dem ‹eigentlichen Lancelot›, der ‹Gralsuche› sowie dem ‹Tod des König Artus› entnommen. Die Textbelege wurden nicht chronologisch, sondern im Hinblick auf ihre Relevanz für die übergeordnete Fragestellung des jeweiligen Kapitels ausgewählt. 63 Ich hebe hier nicht darauf ab, dem Verfasser des ‹Lancelot› die Propagierung einer neuen Geschichtsideologie zu unterstellen, vgl. Haug, Walter: Das erotische und das religiöse Konzept des ‹Prosa-Lancelot›. In: Lancelot. Der mittelhochdeutsche Roman im europäischen Kontext, S. 249-263, hier S. 251. Es geht mir vielmehr darum, aufzuzeigen, wie mit den traditionell-narrativen Historisierungsstrategien und -elementen umgegangen wird, wie sie eingesetzt werden und welche Funktionen sie erhalten. Dies soll in den folgenden Kapiteln der Arbeit unter Berücksichtigung der zuvor ermittelten Ergebnisse geleistet werden. Dazu werden zunächst sowohl ausgewählte formale als auch inhaltliche Re-Historisierungsstrategien, die dem ‹Prosa-Lancelot› eignen, näher untersucht. Das besondere Interesse gilt in diesem Untersuchungsbereich zunächst der Vers-Prosa-Problematik und sodann dem Aspekt der Quellenfiktion sowie seiner Konstitution (Verfasserfiktion, Erzählungen der Artusritter bzw. insbesondere Lancelots Erzählungen). In dem darauf folgenden Kapitel wird es zuvorderst darum gehen, das Spannungsverhältnis zwischen intendierten Re-Historisierungsstrategien und narrativ-gattungsbedingten Elementen zu diskutieren. Die Textbetrachtung ist daher den Aspekten Täuschung, Schrift und Historizität gewidmet, wobei vor allem aufzuzeigen sein wird, daß Elemente, die traditionell in den Bereich der Beglaubigung des Erzählten gehören, im ‹Prosa-Lancelot› beständig als unzuverlässig oder gar trügerisch entlarvt werden. Der Vergleich mit den Ergebnissen zu Hartmanns ‹Erec› und ‹Iwein› sowie der ‹Klage› wird abschließend wesentliche Gemeinsamkeiten und Differenzen im Hinblick auf den Aspekt der Historizitätskonstitution herausstellen. Ein Exkurs zu einer Episode aus der ‹Gralsuche›, in dem die geistliche (Um-)Deutung der âventiuren sowie die heilsgeschichtliche Einordnung des Erzählten im Mittelpunkt der Betrachtungen steht, wird hier angeschlossen. In einem weiteren abschließenden Schritt sollen sodann die Ausprägungen von fictio innerhalb des ‹Prosa-Lancelot› im Hinblick auf den Aspekt des ‹Märchenhaften› genauer untersucht werden. Dabei soll anhand der Analyse ausgewählter Textpartien gezeigt werden, daß die im Werk begegnenden arthurischen ‹Märchenelemente› insbesondere im ‹eigentlichen Lancelot› nicht stringent der so oft vermerkten Rationalisierung unterworfen werden, sondern dazu dienen, die im ‹Prosa-Lancelot› begegnende Auseinandersetzung mit der Tradition des ‹klassischen› Artusromans noch deutlicher offenzulegen und den bemühten Re-Historisierungsstrategien entgegenzuwirken. II.1 Vers und Prosa Die Entstehung der frühneuzeitlichen Prosaromane im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts führte in der germanistischen Forschung zu der Annahme, erst in der frühen Neuzeit habe sich die deutsche Literatur von der «Allmacht des Reimverses» 64 befreien können. Die Ablösung von der bis dahin in der volkssprachlichen Literatur vorherrschenden Versform, galt in der Forschung für geraume Zeit als ‹Verfall›, die Prosaromane und -auflösungen wurden allen- 148 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 64 Vgl. Besch, Werner: Vers oder Prosa? Zur Kritik am Reimvers im Spätmittelalter. In: Fs. Hans Eggers. Hg. Herbert Backes. Tübingen 1972 (PBB Sonderheft, 94) S. 745-766, hier S. 745 und 766. Vers und Prosa falls als schlechte Kopien der höfischen Romane betrachtet. 65 Auch der ‹Prosa- Lancelot› wurde bis zu der Entdeckung und Datierung des Amorbacher-Fragments (A) 66 in die ‹Gattung› der frühneuzeitlichen Prosaromane eingereiht. Dieser ‹Durchbruch› der Prosa 67 wurde in der Forschung unterschiedlich begründet, wobei insbesondere sozio-kulturelle Umbrüche (Vers/ Adel vs. Prosa/ aufstrebendes Bürgertum), neue Rezeptions- und Produktionsbedingungen (mündlicher Vortrag vs. Lektüre) sowie sprachgeschichtliche Aspekte geltend gemacht wurden. 68 Aus dem literarästhetischen Blickwinkel schließlich wurden die drei angeführten Begründungen um einen weiteren für die vorliegende Studie bedeutsameren Aspekt komplettiert, und zwar um die Bestimmung des Verses als Medium der Lüge. Insbesondere Erich Köhler hat jenen an die Versdichtung herangetragenen Lügevorwurf als das Kriterium betrachtet, welches den (französischen) Prosaroman habe entstehen lassen. 69 Schnell hat dieser bei Köhler begegnenden Opposition von Vers und Lüge auf der einen sowie Prosa und Wahrheit auf der anderen Seite widersprochen Vers und Prosa 149 65 Vgl. ebd. Hier sei als Beispiel nur die Aussage Wilhelm Scherers zitiert: «Verlange nur niemand, daß ich mich in diesen ‹Geist› der Zeiten versetzen und im XVI. Jahrhundert schön finden solle, was ich im XIX. für häßlich erkläre. Künstlerische Logik muß man immer fordern, vernünftige Oekonomie, Einheit und Mannigfaltigkeit, Sparsamkeit im großen, Reichtum im kleinen.» Scherer, Wilhelm: Die Anfänge des deutschen Prosaromans und Jörg Wickram von Colmar. Eine Kritik. Straßburg, London 1877 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Culturgeschichte der germanischen Völker, XXI), S. 46. 66 Schröder, Edward: Fragment eines mittelhochdeutschen prosaromans aus dem anfang des 13. Jahrhunderts. In: ZfdA 59 (1922), S. 161-162. 67 Nach Heinzle, Der Durchbruch der Prosa, S. 205. Das Entstehen der Prosaromane weist allerdings nicht auf eine generelle Abkehr von der Versform hin, die neben der Prosa weiterhin, z.B. in den Minnereden, existierte. Ebenso gibt es ein Nebeneinander von Prosa- und Versfassungen, z.B. in den ‹Lancelot›-Bearbeitungen von Ulrich Füetrer. Vgl. Schnell, Rüdiger: Prosaauflösung und Geschichtsschreibung. Zum Entstehen des frühneuhochdeutschen Prosaromans. In: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Symposion Wolfenbüttel 1981. Hgg. Ludger Grenzmann und Karl Stackmann. Stuttgart 1985 (Germanistische Symposien Berichtsbände, V), S. 214-248, hier bes. S. 228, vgl. auch Schmitz, Silvia: Die Pilgerreise Philipps d.Ä. von Katzenelnbogen in Prosa und Vers. München 1990 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur, 11), S. 237. 68 Vgl. dazu Schnell, Prosaauflösung, hier S. 214ff. Zur Kritik an den oben skizzierten Positionen vgl. ebd. Vgl. auch Müller, Jan-Dirk: Kommentar. In: ders.: Romane des 15. und 16. Jahrhunderts, S. 989-1011, hier S. 990f., sowie Besch, Vers oder Prosa, bes. S. 760ff., Stierle, Karlheinz: Die Verwilderung des Romans als Ursprung seiner Möglichkeit. In: Literatur in der Gesellschaft des Spätmittelalters. Hg. Hans Ulrich Gumbrecht. Heidelberg 1980 (Begleitreihe zum GRLMA, 1), S. 253-313, hier S. 260f., sowie Haug, Literaturtheorie, S. 247ff. 69 Köhler, Erich: Zur Entstehung des altfranzösischen Prosaromans. In: ders., Trobadorlyrik und höfischer Roman, S. 213-223, vgl. auch Spiewok, Wolfgang: Der deutsche Prosa- Lancelot - Ein Meilenstein auf dem Wege zu einer deutschen Kunstprosa. In: König Artus und der heilige Graal. Studien zum spätarturischen Roman und zum Graals-Roman im europäischen Mittelalter. Greifswald 1994 (WODAN, 32), S. 189-196, bes. S. 193ff. und darauf verwiesen, daß die vermehrte Entstehung von volkssprachlichen Prosatexten in Zusammenhang mit der Erschließung neuer literarischer Gattungen aus dem lateinischen Literaturbereich zu sehen sei. 70 Die Opposition Wahrheit (Prosa) - Lüge (Vers) sieht Schnell insbesondere von dieser Konkurrenz zwischen lateinischen Prosavorlagen und volkssprachlichen Bearbeitungen überlagert. Wird vor diesem Hintergrund der Reim-Prolog des ‹Lucidarius› 71 herangezogen, dann läßt sich erkennen, daß Köhlers These zunächst insofern ihre Entsprechung zu finden scheint, als hier ein direkter Konnex zwischen Wahrheitsanspruch und Prosaform manifestiert wird; darüber hinaus bestätigt sich aber auch Schnells These, die auf eine Anbindung zwischen lateinischer Quelle und volkssprachlicher Bearbeitung abzielt, insofern die Prosa hier ausdrücklich auch Nähe zur Autorität des Lateinischen bedeutet: 72 vnd bat, daz f ie [die capellane] ez tichten an rimen wolden, wan f ie en f olden nicht f chreiben wan die warheit, als ez zv latine f teit. (Vv. 14ff.) Der Konnex zwischen Wahrheitsanspruch und Prosa scheint demnach nicht allein in der Prosaform selbst begründet zu sein, er resultiert vielmehr aus der Tatsache, daß die Versform erkannt wird «als Gefahr, den Wortlaut der Vorlage zu verfälschen». 73 Die Prosaform wird damit lediglich zur besseren Mög- 150 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 70 Schnell, Prosaauflösung, bes. S. 219 und 235. Vgl. auch Heinzle, Der Durchbruch der Prosa, zum ‹Lancelot›, S. 222ff. 71 Ich zitiere nach folgender Ausgabe: Der deutsche Lucidarius. Bd. 1: Kritischer Text nach den Handschriften hg. von Dagmar Gottschall und Georg Steer. Tübingen 1994 (Texte und Textgeschichte, 35), S. 103*. Der sogenannte A-Prolog wird von den Hss. K1, B2, Wi3, B4, H1 und Be1, die Gottschall/ Steer der Überlieferungsgruppe y respektive der Textform y15 zuordnen, geboten, vgl. ebd. S. 25*ff. und 98*ff. Auf die komplexe Überlieferungslage des ‹Lucidarius› kann hier nicht näher eingegangen werden. Interessant ist jedoch, daß jene Hss., die den A-Prolog aufweisen (also auch den Bezug zwischen Prosaform und Wahrheitsanspruch thematisieren) - mit Ausnahme von B2 aus der Mitte des 14. Jh.s - auf den Anfang (H1 1418, K1 1417) bzw. auf die Mitte des 15. Jh.s datiert werden können (B4 1447, Be1 1464, Wi3 1459). Das Auftauchen der Prosa-Wahrheits- Diskussion im A-Prolog dieser Überlieferungsgruppe fällt damit zusammen mit der allgemein zunehmenden Thematisierung der Vers-Prosa-Diskussion. 72 Vgl. Schnell, Prosaauflösung, S. 219, sowie Schmitz, Die Pilgerreise, S. 239f. Darüber hinaus begegnet auch hier indirekt der Verweis auf die größere Kunstfertigkeit, die der Vers dem Verfasser abverlangt, wenn das Prolog-Ich darauf hinweist, hätte man es dem meister nicht versagt, hätte er keine Schwierigkeiten damit gehabt, das Werk in Reimen zu verfassen (vgl. Vv. 24f.). Vgl. auch Haug, Literaturtheorie, S. 243ff. 73 Unger, Helga: Vorreden deutscher Sachliteratur des Mittelalters als Ausdruck literarischen Bewußtseins. In: Werk - Typ - Situation. Studien zu poetologischen Bedingungen in der älteren deutschen Literatur. Hugo Kuhn zum 60. Geb. Hgg. Ingeborg Glier u.a. Stuttgart 1969, S. 217-251, hier S. 225 (mit Bezug auf den ‹Lucidarius› und das ‹Buch Sidrach›). lichkeit, die warheit (V. 17) der Vorlage einzuhalten, erklärt; gebunden bleibt diese warheit jedoch weiterhin an die (lt.) Quelle, sie resultiert nicht aus der Prosaform selbst. Im Epilog der ‹Melusine› Thürings von Ringoltingen läßt sich der Verweis auf die Vorlagentreue in abgeänderter Form ebenfalls feststellen, er wird hier jedoch dazu verwendet, die Prosaform in einen anderen Begründungszusammenhang zu rücken: Vnd hab auch dises b v ch schlecht vhnd on reÿmen nach der substancz so beste vnd ich kund geseczt. (‹Melusine›, S. 175) 74 Der Hinweis auf die Beibehaltung der substancz, der sich auch in der Vorrede der ‹Melusine› (11,23-12,1) findet, zeigt an, daß trotz der Auflösung in Prosa das der Versvorlage Wesentliche nicht verändert wurde. Nähe zur Vorlage wird demnach nicht über die Redeweise, sondern ausschließlich über den Gehalt der materia (substancz der materÿ, 75 ebd.) evoziert. Ein Anspruch auf Historizität indes wird hier in Zusammenhang mit der Prosaform nicht erhoben; der Unterschied zwischen Versvorlage und Prosaform der Bearbeitung wird vielmehr durch die Formulierung schlecht vhnd on reÿmen charakterisiert. Überträgt man sleht hier mit Müller als ‹kunstlos›, 76 so zeigt sich, daß das Epilog-Ich der ‹Melusine› vor allem auf eine qualitativ-ästhetische Unterscheidung zwischen Vers und Prosa abzielt, indem es die eigene, formal ‹schlicht› gestaltete Bearbeitung mit der kunstvoll in Versen geformten Quelle kontrastiert. 77 Vers und Prosa 151 74 Ich zitiere nach der folgenden Ausgabe: Die Romane des 15. und 16. Jahrhunderts. Nach den Erstdrucken mit sämtlichen Holzschnitten hg. von Jan-Dirk Müller. Frankfurt a.M. 1990 (Bibliothek der Frühen Neuzeit, 1 / Bibliothek deutscher Klassiker, 54) [‹Melusine›, S. 9-176 / Stellenkommentar, S. 1012-1087]. 75 Vgl. den Eintrag im Grimmschen WB, Bd. 20, Spp. 819-821.: «im philosophischen sinne, der dem ursprunge des wortes und begriffes gemäsz auch im dt. am ältesten und am breitesten entwickelt ist, bedeutet substanz das den wechselnden phänomenen ‹unterliegende›, das als beharrlich, zugleich meist als träger der eigenschaften, als selbständig für sich seiendes gedacht wird,[…]. a) im gefolge der aristotelischen auffassung wird substanz gefaszt als ein einzelnes, einer bestimmten erscheinung als wesentlich zugrunde liegendes; die mittelalterliche vorstellungsart veranschaulicht der vergleich, den die person der ewigen weisheit dem menschen vorlegt […]». 76 Dies bedeutet nicht, daß Prosa (provorsa/ proversa = ‹nach vorne gekehrte Rede›, Lausberg, HbRh, S. 789) generell kunstlos sein mußte. Auch sie kann bekanntlich geformt werden, indem z.B. lange und kurze Silben einer Regelmäßigkeit unterworfen werden (vgl. Lausberg, HbRh, §§ 977ff.). Einen Beleg für den Zusammenhang zwischen Rhetorizität und Prosa liefert Besch, Vers oder Prosa, S. 759, wenn er auf die Vorrede des Leopold Stainreuters zu seiner Übersetzung des ‹Rationale divinorum officiorum› (ca. 1385) verweist: «Ich will auch mein teutsch nicht reimen vnd will ez doch beflizzen, so ich peste mag mit chunste flozzen, die da haizzet rethorica, […]». Zitiert nach Unger, Sachliteratur, S. 242 (wie Anm. 73 d. Kap.). 77 Ich schließe mich hier der Übersetzung Müllers (schlecht = kunstlos) an, wobei gerade im Hinblick auf die Vers-Prosa-Thematik nicht ausgeschlossen werden darf, daß frnhd. schlecht das Bedeutungsspektrum von mhd. sleht einbezieht, so daß auch im Epilog der In ähnlicher Weise argumentiert auch der Erzähler in der Vorrede bzw. im Epilog des ‹Wigoleis›, 78 wenn er darauf hinweist, daß er die in reymen gar hübschlichen furbracht[e] Erzählung Wirnts auf Wunsch eines nicht näher bezeichneten Personenkreises in Prosa aufgelöst habe: 79 Als man zalt von der geburt Christi. MCCC vnd LXXII. Jar bin ich vngenant. Durch etlich edel vnd auch ander personen/ mann vnd frawen gebetten worden/ inen zuo lieb die history/ von dem hochberiempten riiter herren Wygoleis vom Rad/ aus rymen in vngerymbt beschriben […]. (‹Wigoleis vom Rade›, Vorrede) Also habendt ir in kurtze den anfang annd das ende der hystory des hochpreißten riiters herren Wigoleysen vom rade von den der erwirdig vom grafenperg geschriben vnd in die reymen gar hübschlichen furbracht hat. Aber als ich vngenantt in der vorrde vornen am anfang berüret hab die history durch gebete aus den reymen zuo schreyben […]. (‹Wigoleis vom Rade›, Epilog) Auch hier wird durch die Gegenüberstellung von der in reymen gar hübschlichen furbracht[en] Vorlage und der eigenen Prosabearbeitung der Aspekt der größeren Kunstfertigkeit der Versform hervorgehoben. Im Hinblick auf die ‹Melusine› und den ‹Wigoleis› läßt sich somit festhalten, daß (hier) nicht die Opposition Lüge/ Vers - Wahrheit/ Prosa als ausschlaggebend für die Wahl der Redeweise angegeben wird, sondern die Auflösung der Versform vielmehr als impliziter Bescheidenheitsgestus genutzt wird, indem die Prosabearbeitung der ‹wohl geformten› Versvorlage gegenübergestellt wird. Hinzu kommt im 152 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› ‹Melusine› noch die Konnotationen von ‹gerade, geradeaus› mitschwingen, die wiederum auf die Qualität der Prosa als ‹nach vorne gekehrter Rede› (vgl. Anm. 76 d. Kap.) verweisen. Bei Baufeld, Christa: Kleines Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Lexik aus Dichtung und Fachliteratur der Frühen Neuzeit. Tübingen 1996, findet sich die Übersetzung mit ‹kunstlos› nicht, wohl aber die Bedeutungsgruppe «schlicht, einfach, leicht verständlich», S. 207. Dieses Bedeutungsspektrum scheint auch in Wittenwîlers ‹Ring› auf, wenn Henritze Nabelreiber sein Schiedsurteil folgendermaßen begründet: «I 1 r habt gereimet und geticht: / Chluogeu sach will reimens nicht; / […] Dar umb so setz ich mich da hin/ Und sag euch s c h l e c h t l e i c h minen sin: » (Vv. 3519ff., Herv. Verf.). Gleichzeitig meint schlechtleich hier wohl auch das besonnene, ernsthafte Reden, das dem ‹ad hoc›-Gerede der Dorfgemeinschaft gegenübergestellt wird. Vgl. Schmitz, Die Pilgerreise, S. 241f. 78 Zitiert nach dem Abdruck des Exemplars der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel (Sig.: Lo 2241.1): Wigalois. Mit einem Vorwort von Helmut Melzer. Hildesheim, New York 1973 (Deutsche Volksbücher in Faksimiledrucken, Reihe A, 10). Aufgelöst wurden Nasalstriche, Superskripte, diakritische Zeichen, das er- und das-Kürzel sowie das Schaft-s. 79 Der Hinweis des Erzählers auf den Wunsch dieser Männer und Damen/ Frauen muß natürlich nicht zwingend ‹wörtlich› genommen werden und kann daher auch als topische Rechtfertigung des Erzählens dienen. Neben dem hier und in der ‹Melusine› begegnenden Bescheidenheitsgestus, könnte der Hinweis auf den ‹Prosa-Wunsch› dieses nicht näher bezeichneten Personenkreises demnach auch dazu dienen, die Verwendung der Prosa zu legitimieren. Falle der frühneuzeitlichen Prosaromane sicherlich auch eine durch Gewohnheit gesteigerte Akzeptanz (volkssprachlicher) Prosa, ein Aspekt, den u.a. der Erzähler des ‹Prosa-Tristan› als Begründung heranzieht. Er habe die Prosaform gewählt der leüt wegen, die soellicher gereymter buecher nicht genad haben. auch etlich, die die kunst der reymen nit aigentlich versteen kündet hab jch Vngenannt diese Hystorij in die form gebracht. (‹Prosa-Tristan›, S. 372) 80 Allein die Sichtung der hier angeführten Textbelege zeigt demnach, daß Schnells Kritik an Köhler insofern berechtigt ist, als die Entscheidung für die Prosaform nicht primär an einen gesteigerten Wahrheitsanspruch gebunden sein muß, sondern in verschiedenen Begründungs- und Funktionszusammenhängen erscheinen kann. Die Differenzierung zwischen Wahrheit und Lüge ist dabei nur ein mögliches Unterscheidungskriterium, das um die anderen Funktionen, wie z.B. Quellentreue sowie Ernsthaftigkeit oder Schmucklosigkeit der Redeweise, ergänzt wird. Nichtsdestominder ist ein von Köhler herangezogener Beleg im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Wahl der Redeform und der Opposition Lüge - Wahrheit überzeugend bzw. eindeutig 81 und für die vorliegende Studie besonders relevant, da hier explizit auf den ‹Lancelot en prose› rekurriert wird: Gemeint ist die ‹Histoire de Philippe-Auguste› (entstanden kurz nach 1226), von der nur der Reimprolog erhalten ist: Issi vos an feré le conte Non pas rimé, qui an droit conte, Si con li livres Lancelot Ou il n’a de rime un seul mot, Por mielz dire la verité Et por tretier sans fauseté, Quar anviz puet estree rimee Estoire ou n’ait ajostee Manconge por fere la rime. 82 (Vv. 99-107) Vers und Prosa 153 80 Tristrant und Isalde. Prosaroman. Faksimile-Ausgabe des ältesten Druckes von Augsburg aus dem Jahre 1484. Hgg. Danielle Buschinger und Wolfgang Spiewok. Greifswald 1993 (WODAN, 22 / Texte des Mittelalters, 6). 81 Vgl. Schnell, Prosaauflösung, S. 217, sowie Köhler, Zur Entstehung des altfranzösischen Prosaromans, S. 215. 82 Text nach Woledge, Brian/ Clive, Harry P.: Répertoire des plus anciens textes en prose française depuis 842 jusqu’aux premières années du XIII e siècle. Genf 1964 (Publications romanes et françaises, 79), S. 30. Vgl. auch Französische Literaturästhetik des 12. und 13. Jahrhunderts. Hg. Ulrich Mölk. Tübingen 1969 (Sammlung romanischer Übungstexte, 54), Nr. 80 (Vv. 99-107). Übersetzung nach Köhler, Zur Entstehung des Prosaromans, S. 295 (Anm. 10): «Daher werde ich, wie es sich für einen Erzähler gehört, meine Erzählung nicht in Reime fassen, wie z.B. das Buch Lancelot, in dem kein einziges Wort im Reime steht, um besser die Wahrheit zu sagen und ohne Verfälschung zu berichten; denn schwerlich kann eine Geschichte gereimt sein, in die keine Lüge um des Reimes willen Der ‹Lancelot en prose› wird hier als Muster wahrheitsgetreuen Erzählens angeführt, das aus der Wahl der Redeweise resultiere. Die Aussage des Prolog- Ich, ohne Reime könne die Wahrheit besser gesagt/ erzählt werden, erinnert zwar an den Argumentationsgang des ‹Lucidarius›-Prologs, steht hier jedoch nicht in Zusammenhang mit dem Aspekt der Quellentreue, sondern meint den Konnex zwischen Redeweise und Wahrheit/ Historizität selbst. Ob der Verfasser der ‹Histoire de Philippe-Auguste› damit dem ‹Lancelot en prose› «eine Absicht unterstellt, die dieser gar nicht gehabt hat», 83 ist das eine, deutlich aber wird, daß die Prosaform hier tatsächlich, und zwar im Bereich der dem Fiktionalitätsverdacht ausgesetzten matière de Bretagne als Historizitätskriterium anerkannt wird. 84 Daß gerade durch den Hinweis auf den ‹Lancelot en prose› ein expliziter Zusammenhang zwischen Prosaform und Wahrheitsbzw. Historizitätsanspruch deutlich wird, könnte demnach auch mit der Gattung der arthurischen Versromane in Verbindung gebracht werden, die sich - wie bei Chrétien - vom historisierenden Erzählen über Artus (wie es noch bei Geoffrey und auch Wace begegnet) entfernt hatten. Einen solchen Zusammenhang zwischen Erzählstoff und Wahrheitsanspruch stellt auch Hugo von Trimberg in seinem ‹Renner› 85 her: Swer gar sich flîzet an seltsên rîm, Der will ouch, sînes sinnes lîm Ûzen an schoenen worten klebe Und lützel nutzes dâr inne swebe. Alsô sint bekannt durch tiutschiu lant Êrec, Îwan und Tristrant, Künic Ruother 86 und her Parcifâl, Wigalois, der grôzen schal Hât bejaget und hôhen prîs: Swer des geloubt, der ist unwîs. (Vv. 1217-1226) 154 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› eingefügt ist.» Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), schlägt hier die Übersetzung ‹Geschichte› anstelle von «eine Geschichte» vor, S. 175, um den Bezug zur historia deutlich zu machen. 83 Schnell, Prosaauflösung, S. 217. 84 Dies übersieht Schnell, Prosaauflösung, S. 231, wenn er festhält, daß «Versromane mit ‹historischem› Inhalt zuerst in Prosa aufgelöst» wurden. Zugegebenermaßen handelt es sich beim ‹Lancelot› nicht um eine Prosaauflösung im engeren Sinne; da aber auch hier die Tradition des ‹klassischen› Artusromans sowie insbesondere Chrétiens ‹Karrenritter› als Vorlage dienten, zeigt sich im ‹Lancelot› gerade das gegenteilige Bestreben (die im ‹Lancelot› begegnende ‹Karrenritter-Episode› kann im Vergleich mit Chrétien als Prosaauflösung en miniature gelesen werden). Vgl. auch Haug, Literaturtheorie, S. 253. 85 Hugo von Trimberg: Der Renner. Hg. Gustav Ehrismann. Neudr. der Ausg. Tübingen 1908-1911. Mit einem Nachwort u. Ergänzungen von Günther Schweikle. 4. Bde. Berlin 1970. Hier Bd. 1. 86 Die Erwähnung des ‹König Rother› läßt stutzen, da dort nicht zuletzt durch die Einbettung in die Karlsgenealogie ein Anspruch auf Historizität erhoben wird (vgl. KR, Vv. 4764ff.). Zwar ist dieser ‹Artusstoffschelte› 87 nicht eindeutig zu entnehmen, daß Reime generell der Lüge zuzurechnen seien, doch wird vor den äußerlich-formal durch Reime aufgewerteten, aber gleichzeitig inhaltsleeren bzw. nutzlosen Erzählungen um Erec und die anderen Artusritter gewarnt: Die äußere Form bzw. der auf die Form verwendete künstlerische Aufwand (flîzet, V. 1217) kann der Nutzlosigkeit und Inhaltsleere des Erzählten nur ‹oberflächlich› begegnen, vermag sie aber nicht essentiell zu erhöhen. Die fiktionale Erzähltradition wird somit zumindest implizit in Zusammenhang mit der Versform gebracht, die dadurch in den Verdacht gerät, Medium der Lüge zu sein. Die Wahl der Prosaform im ‹Lancelot› scheint - dies legt zumindest die Argumentation des Prolog-Ich der ‹Histoire de Philippe-Auguste› nahe - gerade diesen oftmals an die matière de Bretagne herangetragenen Vorwurf der Inhaltsleere und bloßen fictio zu entkräften. 88 Die Frage nach der Historizität respektive Fiktionalität des ‹Prosa-Lancelot› ist damit natürlich nicht zufriedenstellend beantwortet, gleichwohl läßt Vers und Prosa 155 Möglicherweise ist es gerade diese fiktive Genealogie (Rother - Pippin - Karl), die Kritik hervorruft. Im Hinblick auf den Erzählstoff jedoch, steht der KR in der Aufzählung Hugos von Trimberg isoliert. Zu den Historisierungsstrategien des KR vgl. Schmitz, Erzählen im ‹König Rother›, bes. S. 172-177, vgl. auch Schnell, Rüdiger: Zur Karlsrezeption im ‹König Rother› und in Ottos ‹Eraclius›. In: PBB (W) 104 (1982), S. 345-358, hier S. 346ff. Ein vergleichbares Prinzip begegnet auch im Epilog der ‹Melusine›, in dem das Epilog-Ich seine Erzählung auf der Folie anderer hÿstori vnd buecher hervorhebt, S. 176,3. Interessant ist hier allerdings die Begründung, die sich nicht nur auf den Wahrheitsgehalt, sondern auch auf den Aspekt des Wunderbaren bzw. Außergewöhnlichen bezieht (ebd.). 87 Eine Binnendifferenzierung innerhalb der matière de Bretagne (Artus-, Tristan- und Gralerzählung) wird hier eindeutig nicht vorgenommen. Weder die im ‹Wigalois› begegnende Einbindung der ‹chanson de geste›-Tradition noch die dort und im ‹Parzival› vorhandene heilsgeschichtliche Dimension scheint das Erzählte vom Fiktionalitätsvorwurf zu entlasten. Vgl. Knapp, Historische Wahrheit und poetische Lüge, S. 603. Bezeichnenderweise spricht Knapp in diesem Zusammenhang von der «nutzlosen Reimerei und inhaltslosen Fabelei von Erec, Iwein, Tristan und a n d e r e n» (Herv. Verf.). Daß hier auch der ‹Parzival› unter jene Fabeleien subsumiert wird (V. 1223), hat Knapp dann auch in seinen späteren Ausführungen zur Historizität des ‹Parzival› ignoriert; vgl. Knapp, Subjektivität des Erzählens, S. 61f. Dort plädiert Knapp vehement dafür, den ‹Parzival› als historia zu lesen, ein Verdikt, das zum einen mit Blick auf die Bemerkung Hugos von Trimberg zu überdenken wäre. Zum anderen müßte Knapps Votum auch im Hinblick auf Albrechts ‹Jüngeren Titurel› überdacht werden, dessen Versuch, «der Nachwelt einen gezähmten Wolfram zu hinterlassen», Neukirchen, Die ganze aventiure, S. 92, bezeugt, daß der ‹Parzival› das historia-Konzept sprengt. 88 Der Aspekt der Nichtigkeit begegnet - selbstredend unter anderen Bedingungen - noch bei Goethe, wenn er gegenüber Eckermann feststellt: «Um Prosa zu schreiben, muß man etwas zu sagen haben; wer aber nichts zu sagen hat, der kann doch Verse und Reime machen. wo denn ein Wort das andere gibt und zuletzt etwas herauskommt, d a s z w a r n i c h t s i s t, a b e r d o c h a u s s i e h t, a l s w ä r e e s e t w a s.» Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Hg. Fritz Bergmann. Frankfurt a.M., Leipzig 1962, S. 209 (Herv. Verf.). die mögliche Opposition Wahrheit (Prosa) und Lüge (Vers) vor dem Hintergrund der Stofftradition darauf schließen, daß die Redeweise als Möglichkeit verstanden werden konnte, einem Fiktionalitätsverdacht zu begegnen: Die ‹Histoire de Philippe-Auguste›, in der schon durch das Erzählen über den französischen König der Anspruch auf geschichtliche Wahrheit, auf res factae gegeben ist, unterstreicht diese ihr eignende thematische Faktizität, indem sie auf ein Werk rekurriert, das auf Grund seiner Stofftradition nun gerade nicht der Geschichtsschreibung bzw. -dichtung zuzuordnen ist. 89 Indem also eine Erzählung aus dem Stoffkreis, der gemeinhin nicht als Muster historisierenden Erzählens galt, 90 durch die Wahl der Redeweise als wahrheitsverbürgend gekennzeichnet wird, wird somit ebendiese Prosaform zu einem ausschlaggebenden Wahrheitskriterium erhoben. 91 Dem entspricht im ‹Lancelot› auf inhaltlicher Ebene die heilsgeschichtliche Perspektive, welche vor allem die ‹Queste› dominiert. Nicht zuletzt auf Grund dieser innerhalb der ‹Gralsuche› begegnenden Gestaltungsprinzipien, die allegorische und typologische Auslegungsprinzipien implementieren, 92 konnte der ‹Lancelot› von der Forschung als ein geschichtlicher, ja gar ‹sakraler› Text, 93 verstanden werden, dessen Entstehung in Zusammenhang mit der geistlichen Prosa insbesondere der Zisterzienser in Verbindung gebracht wurde. 94 Der inhaltlichen Ausrichtung des Werks - sofern man die ‹Queste›/ ‹Gralsuche› als bestimmende Ausgangsbasis der Textdeutung ansieht 95 - korrespondiert nach dieser Meinung die Wahl der Redeweise. Dieser Auffassung ist entgegenzuhalten, daß die Prosaform sich nicht in der Anzeige von Historizität erschöpfen muß, sondern auch von narrativen 156 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 89 Schnells Annahme, Erzählungen, in denen ein historischer Stoffkreis behandelt wurde, seien von der Entscheidung ‹Vers oder Prosa› weniger berührt worden, Prosaauflösung, S. 230, wird damit durch den Prolog der ‹Histoire de Philippe Auguste› nicht bestätigt; vielmehr ist hier das Gegenteil der Fall. 90 Vgl. dazu bes. die Einl. d.A. 91 Vgl. auch Knapp, Historische Wahrheit und poetische Lüge, S. 602f. Diese Tatsache kann dann wiederum als Beleg für die These fungieren, daß Werke, die ein hohes Maß an poetischer Ausgestaltung aufweisen - insofern man die Versform hierzu rechnet -, dem Verdacht der Lüge eher ausgesetzt waren. 92 Vgl. u.a. Heinzle, Der Durchbruch der Prosa, S. 226f., Steinhoff, Hans-Hugo: Artusritter und Gralsheld: Zur Bewertung des höfischen Rittertums im Prosa-Lancelot. In: The Epic in Medieval Society. Aesthetic and Moral Values. Hg. Harald Scholler. Tübingen 1977, S. 271-289, Voß, Der Prosa-Lancelot, S. 14ff., sowie Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 178ff. 93 Vgl. Heinzle, Der Durchbruch der Prosa, S. 227. 94 Vgl. ebd., sowie Freytag, Wiebke: Mundus fallax. Affekt und Recht oder exemplarisches Erzählen im Prosa-Lancelot. In: Wolfram-Studien IX (1986), S. 134-194, Freytag, Hartmut: Höfische Freundschaft und geistliche amicitia im Prosa-Lancelot. In: Wolfram- Studien IX (1986), S. 195-212, und Steinhoff, Kommentar zu LG I und LG II, S. 768f. 95 Vgl. ebd. Kritisch Stellung zu dieser einseitigen Lesart bezieht bereits Ehlert, Trude: Normenkonstituierung und Normenwandel im Prosa-Lancelot. In: Wolfram-Studien IX (1986), S. 102-118. Vgl. auch den Exkurs d.A. zur heilsgeschichtlichen Perspektivierung des ‹Prosa-Lancelot›. Freiräumen begleitet sein kann, die über den Faktizitätsanspruch hinausweisen. Darauf hat insbesondere Stierle hingewiesen, 96 wenn er konstatiert, daß die im Artus-Prosaroman begegnende kompilatorische Stoffülle dazu beitrage, «eine unübersehbare Pluralisierung der Personen, Handlungsstränge und Handlungen» 97 zu manifestieren. Dabei geht er von der eingangs erwähnten Dichotomie von Vers/ Vortrag und Prosa/ Lesen aus, die in den Prosa-Artusromanen 98 zugunsten der Lesesituation entschieden und dabei bis an ihre Grenzen ausgelotet werde. Im ‹Prosa-Lancelot› wird der Rezeptionsaspekt des Lesens denn auch selbst thematisiert, 99 und zwar in einem Vermerk der Hs. P, der auf Blatt 224 r den Botenbericht von Claudas Spionen mit dem Verweis auf Blatt 221 v abkürzt: 100 und sagten im [Claudas] alles das, wie es im [Brumal] ergangen was und beschriben stet an dem allerersten blat diß qwinternen by dem datum mit grober schrifft geschriben. (LGr. II, 446) 101 Neben der Tatsache, daß hier explizit mit einem Leser gerechnet wird, der den Codex vorliegen hat und selbständig zurückblättern kann, ist weiteres bemerkenswert: Zum einen, darauf hat von Merveldt hingewiesen, 102 wird die Erzählung um «eine wesentliche ästhetisch-poetische Dimension verkürzt», indem die Erzählung aus Figurenperspektive der Boten zugunsten eines bloß abkürzenden Berichts entfällt. Der Schreiber der Hs. P habe sich mit dieser Bemerkung einen (aus seiner Sicht) überflüssigen bzw. unnötigen Arbeitsaufwand ersparen wollen. 103 Der ersten Beobachtung von Merveldts ist zuzustimmen, ihre andere Bemerkung bedarf jedoch einer eingehenden Betrachtung. Zwar ist es verlockend, die Aussage dem realen Schreiber der Hs. zuzusprechen, und sie ist auch nicht unbegründet, zumal die Bemerkung und auch das fett hervorgehobene Datum tatsächlich von einer Hand stammen und die Kenntnis nicht nur der Erzählung, sondern konkret der Hs. P geboten wird, 104 doch Vers und Prosa 157 96 Stierle, Die Verwilderung des Romans, S. 260f. 97 Ebd. 98 Stierles Argumentation bezieht sich auf die altfranzösischen Texte. 99 Vgl. dazu Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 208, der gegenüber Knape, Historie, S. 235, richtigstellt, daß mit dem Verweis auf das Quinternio nicht die Vorlage, wie Knape, ebd., meinte, sondern die mhd. Hs. selbst gemeint ist. Vgl. zur Stelle auch von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 295ff. 100 Die Hs. P (Cod. pal. germ. 147) ist im Internet einzusehen unter: http: / / www.ub.uniheidelberg.de/ helios/ digi/ codpalgerm.html. 101 Die Zeile befindet sich ungefähr in der Mitte zwischen den beiden Initialen. Der Hinweis auf Blatt 224 r findet sich im zweiten durch Initiale hervorgehobenen Absatz in Zeile 10-11 (Anfang der Zählung bei Beginn des Absatzes). 102 von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 296. 103 Ebd., S. 295. Wobei dann zu fragen wäre, warum der Schreiber dieses Mittel des Verweisens nicht an einigen der zahlreichen anderen Stellen des ‹Prosa-Lancelot›, in denen bereits Erzähltes (aus Figurensicht) wiederholt wird, anwandte. 104 Vgl. Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 208. müßte einmal genauer betrachtet werden, wer hier zu wem spricht, denn das bisher Erzählte ist ja auf Ebene des discours auch nicht dem Schreiber der Hs., sondern einer - wenn auch nicht deutlich ausgeprägten - Erzählerfigur zuzuordnen. Der Übergang vom Erzähler zum Schreiber ist jedoch weder durch den Erzählverlauf noch in der Hs. selbst angezeigt, 105 er erfolgt vielmehr sprunghaft innerhalb eines Satzes, und sofort nach der Bemerkung nimmt die Erzählerfigur ihr ‹Erzählgeschäft› wieder auf. Nimmt man nun mit von Merveldt an, daß hier der Schreiber von P sich selbst in das Erzählte einschalte, dann bedeutet dies nicht nur eine Verkürzung einer poetisch-ästhetischen Dimension, sondern vielmehr deren absolute Preisgabe: Die Rezipienten werden durch den Verweis, bei Bedarf doch bitte zurückzublättern, und zwar bis zu dem Blatt, auf dem das fettgeschriebene Datum stehe, in Distanz zu dem zuvor Erzählten gesetzt, indem sich textinterne und textexterne Welt berühren. 106 Die Rezeptionsbzw. Lesedirektive führt somit auch dazu, den Rezipienten auf die Instanz des Vermittlers des Erzählten aufmerksam zu machen, die hier zwischen Erzähler und Schreiber oszilliert. Nicht eine topische brevitas-Formel des Erzählers wird als Rückverweis genutzt (vgl. als ich iu gesaget han), sondern der Erzähler wird zum ‹Sprachrohr› des Schreibers, der nicht nur den Erzählstoff, sondern auch dessen materielle Einrichtung zu überschauen vermag. Auf der Ebene des discours entsteht somit für den Rezipienten aber auch ein Bruch im Hinblick auf die verschiedenen Vermittlungsinstanzen des Erzählten, da der Erzähler zu ‹verschwinden› und durch den Schreiber ausgetauscht scheint, und so die Rede der Boten schlichtweg unterbrochen und durch den Hinweis auf das bereits schriftlich fixierte Erzählte ersetzt wird, wobei Autorität nicht der Vorlage, sondern dem bereits Erzählten selbst zukommt. 107 Hier begegnet folglich eine neue Vermittlungsinstanz, die Huot als 158 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 105 Der redaktionelle Verweis ist ja in das Erzählte, in den Ablauf der narratio integriert, und steht nicht als Randvermerk neben der erzählten Handlung. 106 Die jüngere Hs. a, die als erste eine vollständige Fassung des ‹Prosa-Lancelot› bietet und in der Ausgabe Steinhoffs dazu genutzt wird, die Lücke in P (Abbruch vor dem Ende der Karrenritterepisode, Wiedereinsetzen bei der Suche nach Lancelot) zu schließen, hebt in einem Erzählerkommentar ebenfalls auf den Aspekt des Lesens ab (LGr. I, 82): «[…] und Mordres der was der 4., welcher hernaher den könig Artus biß uff den todt verwunndet, wie dann hernaher gehört wirdet, der dieß buch außließet.» Die Vorausdeutung auf das kommende Geschehen wird hier explizit an den Lesevorgang und damit an den Rezeptionsmodus geknüpft: Derjenige, der das Buch auslese, werde von des Artus Tod [erzählen] hören. Was in der Hs. a jedoch fehlt, ist das in P begegnende ‹Verschwinden› der Erzählerrolle, die in Hs. a konsequent beibehalten wird. Hier gibt sich der Erzähler lediglich als derjenige zu erkennen, der die ganze Geschichte, die dem Rezipienten in Buchform vorliegt, überblickt, während in Hs. P durch die Rolle des Schreibers bzw. die eines vorgängigen Rezipienten ein Bruch in der Erzählwelt evoziert wird. Zum Schreiber in der Rolle des Erzählers vgl. Huot, From Song to Book, S. 29ff. 107 Auch hier zeigt sich im übrigen - zumindest für die Hs. P -, daß die Vorlagentreue des ‹Prosa-Lancelot› nicht immer konsequent durchgeführt wurde. «the scribal narrator» 108 bezeichnet. Durch diese weitere Erzählerfigur, deren Präsenz innerhalb des Werkes erkennbar wird, indem sie ihre Beteiligung an der Komposition des Textes deutlich macht, 109 wird somit zuvorderst der Leser in seiner Rezeption des Erzählten gestört und auf den schriftlich-fixierten Charakter der Geschichte verwiesen. (Historische) Wahrheit verbürgende Prosa und die Einrichtung als Leseliteratur scheinen sich im Falle des ‹Prosa- Lancelot› zu ergänzen und den «Anspruch des Romans auf Wahrheit der res gestae» 110 zu unterstützen: Die Prosa rückt das Erzählte - so legt es die Argumentation im Prolog der ‹Histoire de Philippe-Auguste› nah - in die Nähe von historia, und die auf die Lektüre gerichtete Rezeptionssituation - so veranschaulicht es die Hs. P - unterstützt das der Prosa innewohnende Wahrheitsargument, indem die Autorität der Schriftlichkeit des Erzählten exponiert wird. Zugleich aber bedingt die Wahrheit und mithin Historizität signalisierende Prosa und das mit ihr einhergehende Bestreben des ‹Lancelot›, den Artusstoff nicht nur wie im ‹Perceval›/ ‹Parzival› um die Gralsthematik, sondern um weitere Erzählstoffe zu explorieren, eine nahezu unüberschaubare Fülle des Erzählten, so daß mit Stierle von einem «entfesselten Roman» 111 gesprochen werden kann. Im Vergleich zum sogenannten nachklassischen Artusroman in Versen wird somit nicht versucht, eine Erzähllücke von einem bisher ‹vergessenen› Ritter der Tafelrunde zu finden, 112 um wiederum die Geschichte eines Protagonisten zu erzählen; die ehemals mehr oder weniger disparaten Erzählungen werden vielmehr zusammengeschmolzen und um bisher der Chronistik, 113 aber auch der ‹Chanson de geste›-Tradition vorbehaltene Elemente ergänzt. Damit einher geht auch die verstärkte Inanspruchnahme eines auf die Erzählstruktur gerichteten Organisationsprinzips, für das sich in Folge der Untersuchungen Kellys und Lots die Begriffe der disjointure 114 und des entrelacement 115 durch- Vers und Prosa 159 108 Huot, From Song to Book, S. 31. 109 Ebd.: «[The scribal narrator’s] implicit presence throughout the book transcends the boundaries of the individual text, contributing to the unification of the whole.» 110 Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 208. 111 Stierle, Die Verwilderung des Romans, S. 260; vgl. auch ders., Art. ‹Fiktion›, S. 400ff. 112 Vgl. den ‹Gauriel›, und dazu Kap. I. 1.4 d.A., sowie Kern, Die Artusromane des Pleier. 113 Vgl. dazu Burrichter, Wahrheit und Fiktion, bes. S. 162ff., zur arthurischen Geschichtsschreibung allgemein, vgl. ebd., bes. S. 29ff., Johanek, König Arthur und die Plantagenets, sowie Mertens, Artusroman, S. 9ff. 114 Vgl. Kelly, Douglas: Disjointure and the Elaboration of Prose. The Example of Seven Sages of Rome Prose Cycle. In: The Spirit of the Court. Hgg. Glyn S. Burgess und Roberta A. Taylor. Cambridge 1985, S. 208-216. Kelly definiert den Begriff als «the abrupt breaking off of a given matière, usually to insert a new matière […].» Ebd., S. 210. 115 Siehe Lot, Étude, S. 17ff. (Kap. 2). Lots Ansatz wurde wiederholt aufgegriffen und erweitert, u.a. von Frappier, Étude sur La Mort le Roi Artu. Vgl. auch Vinaver, The Rise of Romance, bes. S. 68ff. (Kap. V ‹The poetry of interlace›). Vinaver untersucht hier insbesondere die Figur Morgane, S. 86ff., den der Episode der ‹falschen Ginover› zuzurechnenden Kampf Lancelots mit Gaweins Schwert Excalibur, S. 84f., sowie die Episode(n) gesetzt haben. 116 Die narrativen Möglichkeiten dieser Erzähltechnik, die vor allem die Prosaromane kennzeichnet, 117 sind in der Erforschung des ‹Prosa- Lancelot› und des ‹Lancelot en prose› im Hinblick auf die verschiedensten Gesichtspunkte untersucht worden und können hier nicht im einzelnen dargelegt werden. 118 Für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist vor allem bedeutsam, daß die vielfältige Verschachtelung einzelner Erzählstränge durch das entrelacement und die Integration unterschiedlicher Erzählstoffe auch ein narratives Potential freisetzen, das dem in der Prosa angelegten Anspruch auf historische Wahrheit nicht immer widerspruchslos unterzuordnen ist. Als mögliche Strategie zur Historisierung der matière de Bretagne bietet die wahrheitsverbürgende Prosaform somit gleichzeitig durch das sie gestaltende Strukturprinzip die Option, den Anspruch auf Historizität im narrativen Prozeß zu konterkarieren: 119 Aus dem zahlreichen Nebeneinander verschiedener Erzählstränge, die immer wieder aufgegriffen, variiert und erweitert werden, entsteht eine narrative Komplexität, die nicht nur auf der Figurenebene den jeweiligen Artusritter, sondern vor allem den Rezipienten stets aufs neue herausfordert und ihn letztlich dazu anhält, das Erzählte als eine eigenständige literarische Welt wahrzunehmen. 120 Diese Erzählmöglichkeiten lassen sich freilich am eindrucksvollsten an der im 15. Jahrhundert entstehenden Gattung des italienischen romanzo aufzeigen, dessen Höhepunkt «mit Ariosts Orlando furioso (1516) erreicht ist». 121 Gleichwohl sind jene narrativen und poetologischen 160 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› um den chevalier navré, S. 83f., im ‹Lancelot en prose›. Vgl. auch Kennedy, Elspeth: Variations in the Patterns of Interlace in the Lancelot-Grail. In: The Lancelot-Grail-Cycle. Text and Transformations. Hg. William W. Kibler. Austin 1994, S. 40-50. 116 Vgl. auch von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 135ff., Stierle, Die Verwilderung des Romans, S. 271ff., vgl. auch ders., Art. ‹Fiktion›, bes. S. 400f., Wild, Erzählen als Weltverneinung, bes. S. 184ff. 117 Stierle, Die Verwilderung des Romans, bes. S. 271ff. Dies bedeutet freilich nicht, daß die entrelacement-Technik nur die Erzählungen in Prosaform betrifft, vgl. auch ebd. So hat Bumke die Erzähltechnik «der nachträglichen Information und Erklärung» detailliert für den ‹Parzival› herausgearbeitet, Bumke, Joachim: Die Blutstropfen im Schnee. Über Wahrnehmung und Erkenntnis im ‹Parzival› Wolframs von Eschenbach. Tübingen 2001 (Hermaea, 94), bes. S. 147ff., hier S. 148. 118 Vgl. die in Anm. 114, 115 und 116 d. Kap. angeführte Literatur. Siehe auch Waltenberger, Das große Herz, bes. S. 22f., Burrichter, Wahrheit und Fiktion, S. 164ff., und Wild, Erzählen als Weltverneinung, S. 185 (Anm. 1). 119 Vgl. Haug, Literaturtheorie, S. 257: «Es werden nun die eigenen literarisch-künstlerischen Möglichkeiten der Prosa entdeckt, und damit ist eine Perspektive eröffnet, in der man sich dann sehr schnell von der Geschichtsidee des Anfangs und dem Ernst ihres Wahrheitsanspruchs entfernt und sich genauso im Fiktionalen verliert wie der nachchrétiensche Artusroman.» 120 Vgl. auch Wyss, Ulrich: Erzählstrukturen im Prosaroman. In: Erzählstrukturen der Artusliteratur, S. 257-273, sowie von Merveldt, Translatio und Memoria, bes. S. 120ff. 121 Stierle, Art. ‹Fiktion›, S. 400. Stierle weist für diese Gattung nach, daß sie ihre besondere ästhetische Konstitution nicht zuletzt aus dem Umgang mit fictio bezieht, vgl. ebd., S. 400ff., sowie ders., Die Verwilderung des Romans, bes. S. 271ff. und 297ff. Strukturen und Möglichkeiten, die den romanzo auszeichnen, zumindest z.T. vorgebildet in den frühen (französischen) Prosaromanen wie dem ‹Lancelot› und bezeugen somit das ihnen eignende literarästhetische Potential. Zwar begegnet im ‹Lancelot› kein Erzähler, der sich in ironischer Brechung über seine Erzählung erhebt, doch liefert der ‹Prosa-Lancelot› auf Ebene der histoire und in zahlreichen Figurenreden Elemente, die die ihm zugrundeliegende Erzähltradition parodieren und sich somit selbst hinterfragen. 122 Damit einher geht die Etablierung der Erzählung als einer «Instanz eigenen Rechts», 123 die nicht mehr ausschließlich die Historizität des Erzählten, sondern dessen Divergenz und Deutungsmöglichkeiten sowohl durch die Protagonisten als auch durch den Rezipienten in den Mittelpunkt treten läßt. Durch die Verknüpfung unterschiedlichster Erzählstoffe und -stränge, durch die repetitive Episodenhäufung und deren Variation entsteht somit ein «Modell erzählerischer Pluralität und Unübersichtlichkeit», 124 das nicht nur für die Protagonisten des Romans, sondern auch für die Rezipienten zum Labyrinth geraten kann: «[…] wann sie sint so gare inn dißen abenturen verlorn als weren sie versuncken.» 125 Diese Bemerkung von König Bandemagus spiegelt damit auf der Figurenebene ein wesentliches Element der entrelacement- Technik wider, die dazu führt, daß sich der Rezipient stets auf neue Erzählstränge und -welten einlassen muß. Nicht zuletzt durch diesen Erzählmodus, der dem Prinzip der diversitas verpflichtet scheint, 126 entfernt sich der ‹Lancelot› auch formal von zumindest zwei Charakteristika historisierenden Erzählens Vers und Prosa 161 122 So etwa in der Episode, in der Gawein auf Hector und den Zwerg Grohadaim trifft (LG I, 866ff.): Als Grohadaim die Nachricht seiner Herrin erhält, er möge Gawein als Kämpfer gegen den sie bedrängenden Segurates herbeiholen, beginnt er zu fluchen und äußert vor den Augen bzw. Ohren Gaweins, der sich nicht zu erkennen gibt, folgendes: «So ist auch myn herre Gawan als gut nit zu finden […]. In funff jarn ist er nit zwirnat in syns öheims hof, er durchfert alle die werlt durch starck abentúr zu suchen […]» (ebd.). Die aus dem Artusroman bekannte, traditionelle Abwesenheit Gaweins (zumeist, wenn man ihn braucht, vgl. ‹Yvain›, ‹Iwein›, ‹Wigalois›, ‹Crône›) wird somit implizit ironisiert, indem die Figur Gawein im ‹Lancelot› Zeuge der ihr eigenen Erzähltradition wird: Am Artushof befindet sich Gawein tatsächlich nicht, aber er ist nun gerade dort, wo er gebraucht wird, allerdings ohne erkannt zu werden bzw. ohne sich zu erkennen zu geben. 123 Stierle, Die Verwilderung des Romans, S. 275. 124 Wolfzettel, Friedrich: Der Lancelot-Roman als Paradigma. Vom geschlossenen symbolischen Stil des Chrétienschen Versromans zur offenen Welterfassung der Prosa. In: Lancelot. Der mittelhochdeutsche Roman im europäischen Kontext, S. 13-26, hier S. 16. 125 Diese Bemerkung Bandemagus’ fällt, als Lancelot im Anschluß an seine Gefangenschaft in Morganes Gefängnis nach dem Verbleib der Artusritter fragt (LGr. II, 72,31f.). Eine vergleichbare Aussage trifft auch der Ritter auf der Roßbahre, dem Lancelot unmittelbar nach seinem Ausbruch begegnet: «Und als ich da hien [an den Artushof] kam, da fand ich den konig zu Carduel inn Gales zu mal zornig durch hern Gawin und Lancelots willen und auch der gesellen von der tafelronde, die verlorn sint, als man saget […]» (LGr. II, 68,32ff.). 126 Vgl. Stierle, Die Verwilderung des Romans, S. 262. bzw. einer historia, und zwar von Luzidität und Kürze. 127 Insbesondere das Stilmerkmal der brevitas, das sich sowohl auf die Länge des Werks als auch auf die Darstellungsmittel bzw. -weise beziehen kann, 128 steht demnach in deutlichem Kontrast zu der im ‹Lancelot› begegnenden Erzählweise. Ähnlich verhält es sich auch mit der für die historia häufig geforderten Darstellungsform des ordo naturalis, der sich orientiert an der chronologischen Abfolge der Ereignisse: 129 Diese Forderung nach einem linearen und möglichst lückenlosen Erzählverlauf wird durch das den ‹Lancelot› bestimmende entrelacement nahezu unablässig umgangen. 130 Die so entstehende Komplexität, die dem Inhalt und der Form des Erzählten gleichermaßen eignet, läßt sich nicht auf eine einseitige (historisierende) Deutung festlegen; vielmehr werden im ‹Lancelot› verschiedene und zum Teil divergente Deutungsmuster, wie sie im ‹eigentlichen Lancelot›/ ‹Lancelot propre› und in der ‹Gralsuche›/ ‹Queste› begegnen, einander gegenübergestellt, ohne eine eindeutige Hierarchisierung vorzunehmen. 131 Daher sei zunächst folgendes festgehalten: Obgleich die Prosaform, wie es der Prolog der ‹Histoire de Philippe-Auguste› nahelegt, dazu geeignet scheint, dem der matière de Bretagne anhaftenden Fiktionalitätsverdacht zu begegnen, reicht sie doch als Historizitätsmerkmal allein nicht aus: 132 Sowohl die Argumentations- und Begründungszusammenhänge, in denen die Funktion und Wahl der Redeweise reflektiert wird, als auch die aus der Prosaform resultierenden neuen Möglichkeiten, zu erzählen und das Erzählte zu strukturieren, sind zu vielfältig, um sie ausschließlich auf Historizität festzulegen. Die Prosaform wird im ‹Lancelot› vielmehr von einer ‹Erzählfreude› begleitet, die nicht 162 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 127 Vgl. Rhet. Her. I,9: «Tres res convenit habere narrationem, ut brevis, ut dilucida, ut veri similis sit; […]«. Vgl. auch Cicero, De Inventione, I, 28: «Oportet igitur eam tres habere res: ut brevis, ut aperta, ut probabilis sit.» Weitere Belege bei Knape, Historie, S. 64. 128 Vgl. ebd., S. 91. 129 Vgl. ebd., bes. S. 82 und 360, sowie passim. 130 Vgl. auch von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 116. Gleichwohl muß festgehalten werden, daß die Gegenüberstellung von ordo artificialis (= poetische Darstellungsweise) und ordo naturalis (= historisierende Darstellungsweise) erst in der Neuzeit wirklich etabliert wurde: «Der im Mittelalter übrigens beliebtere Beginn mit dem Anfang der Materie, […] galt im Gegenteil als durchaus dichterisch», von Moos, poeta und historicus, S. 95. Die Verwendung des ordo naturalis kann demnach Anzeichen dafür sein, eine historia zu schreiben; eine Charakterisierung als nicht oder weniger poetisch kann allerdings nicht ohne weiteres angenommen werden. 131 Vgl. dazu auch Ehlert, Normenkonstituierung, S. 102-118, Klinger, Der mißratene Ritter, S. 443ff., sowie von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 116f. 132 Dies vereinfacht Besamusca, wenn er konstatiert, daß die Prosaform «schließlich seit ca. 1200 gleichgesetzt [wurde] mit dem Erzählen der Wahrheit und mit historiographischen Werken.» Besamusca, Bart: Der Reiz der Versform. In: Lancelot. Der mittelhochdeutsche Roman im europäischen Kontext, S. 77-92, hier S. 82. Vgl. dazu auch Knape, Historie, S. 63: «Die Versform wird zwar von zahlreichen Schriftstellern abgelehnt, insgesamt aber wird die Prosa nicht eindeutig favorisiert.» an Klarheit und Kürze, sondern am Potential der narratio, mithin an erzählerischen Möglichkeiten selbst interessiert scheint. Nicht zuletzt aus diesem Grund kann eine eindeutige Etikettierung des ‹Prosa-Lancelot› als historia, wie sie zuletzt von Knapp vertreten wurde, 133 nur partiell überzeugen, da sie allzu apodiktisch verfährt und die schon in der Prosaform begegnenden Widersprüche und Ambivalenzen in ein (historisierendes) Korsett zwingt. An diese Überlegungen anknüpfend wird im folgenden Unterkapitel eine weitere, vielleicht sogar die interessanteste Re-Historisierungsstrategie des ‹Prosa-Lancelot› genauer untersucht, und zwar die im Werk begegnende Quellenbzw. Verfasserfiktion. Die Elemente dieser «illusion of historical veracity» 134 sollen auf ihre Ausprägung und ihre Funktionen befragt werden. II.2 Quellenkonstrukt und Quellenfiktion Eine der wohl prägnantesten Formen der im ‹Prosa-Lancelot› begegnenden Re-Historisierungsstrategien ist die Hervorbringung einer Quellenfiktion bzw. eines Quellenkonstrukts, 135 das auf den angeblichen Augenzeugenberichten der Artusritter am Hofe des Königs fußt und von vier namentlich genannten Schreibern aufgezeichnet wird. 136 Mit der adtestatio rei visae (gegeben durch die Artusritter) verbindet sich also der Aspekt der Verschriftlichung. Hinzu kommen die Übertragung ins Lateinische (durch die Schreiber und/ oder ‹Map›) 137 sowie die Verfasserfiktion ‹Walter Map›. Ebenso wie die ‹Klage› vereinigt der ‹Prosa-Lancelot› damit grundlegende Elemente des traditionellen historia-Verständnisses und macht sie sich als Historisierungsstrategie zunutze. Diese Instrumentalisierung der ‹Augenzeugenberichte› sowie deren Verschriftlichung steht damit zunächst Chrétiens und Hartmanns Bestreben Quellenkonstrukt und Quellenfiktion 163 133 Vgl. Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II). 134 Burns, E. Jane: 1209? Death of Walter Map, a Scholar at the Court of Henry II. Arthurian Romance in Prose. In: A New History of French Literature. Hg. Denis Hollier. Cambridge (Mass.), London 1989, S. 66-70, hier S. 68. 135 Vgl. Burns, Arthurian Fictions, bes. Kap. 1 und 2, dies., 1209? , sowie Brandsma, Frank: The Eyewitness Narrator in Vernacular Prose Chronicles and Prose Romances. In: Text and Intertext in Medieval Arthurian Literature. Hg. Norris J. Lacy. New York, London 1996, S. 57-69, hier S. 64ff. Zu der im ‹Prosa-Lancelot› begegnenden ‹realistischen› Zeitstruktur vgl. Ruberg, Raum und Zeit, passim. Im Hinblick auf den afz. Vulgata-Zyklus gestaltet sich die Quellenfiktion noch komplexer; da die ‹Vorgeschichten› des Grals und des Artusreiches nicht ins Mhd. übertragen wurden, vgl. Kap. II. d.A. (Anm. 6), kann diese Textgenese hier nicht weiter berücksichtigt werden. Vgl. dazu Schmid, Elisabeth: Buchstabenwunder, Leseabenteuer und die Bedürftigkeit des Leibes. Das Vorspiel zur ‹Estoire Saint Graal›. In: Fiktionalität im Artusroman, S. 117-134. 136 Vgl. LG I, 1288: Es handelt sich um Arodion von Koln, Tantamides von Vernaus, Thomas von Dolete und Sapiens von Budas. 137 Zur Problematik vgl. Kap. II.2.1 d.A. Quellenkonstrukt und Quellenfiktion entgegen, das Erzählte demonstrativ als fiktional auszuweisen. 138 Die einzelnen Elemente dieser komplexen Beglaubigungsstrategie werden in den folgenden Unterkapiteln genauer betrachtet. Dazu soll zunächst die im ‹Lancelot› begegnende Verfasserbzw. Gönnerfiktion, wie sie insbesondere zu Beginn des ‹Tod des König Artus› erscheint, näher untersucht werden. Der Schwerpunkt liegt hier vor allem auf der Frage nach den Funktionen, die ‹Map› als angeblichem Verfasser bzw. ‹Heinrich II.› als vermeintlichem Gönner des Werks zugesprochen werden. Im Anschluß an die Überlegungen zur Verfasser- und Gönnerfiktion wird das Fundament dieser Quellenfiktion, werden die Erzählungen der Artusritter sowie die Erzählungen Lancelots näher untersucht. II.2.1 Die Verfasserfiktion ‹Walter Map›: non enim mentiur qui recitat, sed qui fingit 139 Walter (Gautier) Map, Archidiakon von Oxford und Gelehrter am Hofe Heinrichs II. Plantagenêt, 140 wird an insgesamt vier Textstellen des ‹Lancelot› als Verfasser des Werks genannt (LGr. II, 718, ‹Tod des Artus›, 141 540, 544 und 1028): 142 Die erste Erwähnung Maps erfolgt vor Beginn der Gralsuche, die durch die Aufnahme Galaads in die Tafelrunde initiiert wird (vgl. ‹Tod des Artus›, 10ff.). Map wird hier ‹rückblickend› als Verfasser des Erzählten genannt, der das Buch (den ‹eigentlichen Lancelot›) an dieser Stelle beenden und nun zur ‹Gralsuche› übergehen wolle (Hie endet das buch Meyster Ganthier und hebt an der grale, LGr. II, 718). Die nächsten beiden Nennungen des Gelehrten folgen unmittelbar aufeinander, und zwar zum Ende der ‹Gralsuche› sowie zu Beginn des ‹Tod des Artus›. Im Unterschied zur ersten Erwähnung fallen sie deutlich umfangreicher aus und führen überdies eine weitere Person, Hein- 164 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 138 Vgl. die Kap. zu Hartmanns ‹Erec› und ‹Iwein› d.A. sowie die dort angeführte Forschungsliteratur. 139 Walter Map: De nugis curialium. Courtiers’ Trifles. Ed. and transl. by M. R. James. Oxford 1983 (Oxford Medieval Texts), Dis. i, c. 25 (S. 112). Die Sammlung ‹De nugis curialium›, die in nur einer Handschrift aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts überliefert ist, versammelt satirische Anekdoten des Hoflebens und darüber hinaus Elemente der englischen Geschichte sowie Erzählungen mythischer bzw. ‹märchenhafter› Natur. In dieser Sammlung befinden sich auch zwei Erzählungen, die mit dem ‹Melusinen›-Stoff verwandt sind (Henno cum dentibus/ Henno mit den [großen] Zähnen), siehe Müller, Kommentar zur ‹Melusine›, S. 1023. 140 Vgl. den Eintrag im LMA VIII, Spp. 1997f., sowie Bihrer, Andreas: Walter Map. In: BBKL Bd. XXIII, Nordhausen 2004, Spp. 1550-1555. 141 Da die ‹Gralsuche› und der ‹Tod des Artus› in der Ausgabe Steinhoffs in einem Band erscheinen, werden die untersuchten Passagen der ‹Gralsuche› hier unter der Angabe ‹Tod des Artus› zitiert. 142 Die Hs. a des ‹Prosa-Lancelot› bietet keinen der Hinweise auf Map, vgl. dazu Unzeitig- Herzog, Wirkungsäquivalenz, S. 158, was im Hinblick auf die Konzeption von Fiktionalität und Historizität möglicherweise insofern bedeutsam ist, als somit bewußt auf die auctoritas des Gelehrten verzichtet wird. rich II., in das Erzählte ein. Die Erwähnung am Ende der ‹Gralsuche› liefert die Begründung für die Entstehung dieses Erzählteils, den Map aus Liebe zu seinem Herrn, konig Heinrich, verfaßt habe, und gibt ferner Auskunft über die Quellenvermittlung: Map habe die Berichte Bohorts, des einzigen Überlebenden der drei Gralsritter, die auf Geheiß des Artus aufgeschrieben und in Salisbury gelagert wurden, als Vorlage für sein Buch verwendet. 143 Die sich unmittelbar anschließende dritte Nennung Maps gerät nun noch ausführlicher und konzentriert sich auf die Genese des letzten Erzählteils, den ‹Tod des Artus›, welchen Map auf Wunsch König Heinrichs hinzugefügt habe (vgl. ‹Tod des Artus›, 544,1-7), um das ende von dem das er zuvor geredet hett und von wem das er die fromkeyt gesaget hett (ebd.), zu berichten. Die letzte Erwähnung des Klerikers am Ende des Werks hebt auf die Autorität des Erzählten und seines Verfassers ab: Nachdem Map nun alles berichtet habe, könne sich kein anderer an der Erzählung versuchen, es sein denn er must zu mal daran liegen (ebd., 1028,35). Diese Textstellen könnten als ‹Glücksfall› der mediaevistischen Literaturwissenschaft betrachtet werden, da sie sowohl den Namen des Autors als auch des Gönners liefern und damit Einblick in die Spezifik des mittelalterlichen Literaturbetriebs gewähren. 144 Allerdings erweist sich diese Annahme als unhaltbar; denn die Zuschreibung des ‹Lancelot› an Walter Map gerät bereits im Hinblick auf die Chronologie zum Problem: Map verstarb im Jahre 1209/ 1210, der ‹Lancelot en prose› hingegen entstand (vermutlich) zwischen 1215 und 1230, also frühestens fünf Jahre nach dem Tod des Klerikers. 145 Diese zeitliche Diskrepanz wird durch den Tod Heinrichs II. Plantagenêt im Juli 1189 noch vergrößert, 146 da Map den Hof nach dem Tod des Königs verließ. Den Auftrag zum Verfassen des Werkes hätte Map demnach spätestens im Jahre 1189 erhalten müssen, so daß die übliche Datierung des ‹Lancelot en prose› um weitere sechsundzwanzig Jahre vorverlegt werden müßte. 147 Dem steht die Annahme Quellenkonstrukt und Quellenfiktion 165 143 Zur Frage, ob Map die Berichte der Artusritter ins Französische übersetzt oder ein lateinisches Buch verfaßt habe, vgl. die weiteren Ausführungen des Kap. 144 Vgl. Bumke, Joachim: Mäzene im Mittelalter. Die Gönner und Auftraggeber der höfischen Literatur in Deutschland. 1150-1300. München 1979, bes. S. 9-11 und 21ff. 145 Vgl. Lot, Étude, S. 126ff., Frappier, Ètude sur La Mort le Roi Artu, S. VIII, Burns, 1209? , S. 69, sowie den Kommentar von Steinhoff zu LG I und LG II, S. 747. Erinnert sei hier auch an den Reimprolog der ‹Histoire de Philippe Auguste›, der ungefähr auf das Jahr 1226 datiert werden kann, vgl. Kap. II.1 d.A. Stimmt diese Datierung, dann müßte zumindest der ‹Lancelot propre› vor 1226 existiert haben. 146 Vgl. den Eintrag zu Heinrich II. im LMA IV, Sp. 2050. 147 Dieses Datierungsproblem wäre selbst dann nicht gelöst, wenn man die Möglichkeit in Betracht zöge, Map als Verfasser einer lt. Vorlage des ‹Lancelot en prose› zu identifizieren, die er - wie es im französischen Werk heißt - seinem Herrn zuliebe verfaßt habe: «dont MESTRE GAUTIER MAP les trest a fere son livre del Seint Graal por l’amor del roi Henri son seignor, qui fist l’estoire translater de latin en françois.» (Pauphilet, La Queste, S. 280). Auch hier impliziert der letzte Nebensatz, daß Heinrich II. den Auftrag erteilt habe, das Werk Maps in die Volkssprache zu übertragen. entgegen, der ‹Lancelot› (insbesondere die ‹Queste›) setze Roberts de Boron ‹Roman du Saint Graal› voraus, 148 der gemeinhin auf die Zeit um 1212 datiert wird. Damit ist ein weiterer terminus post quem gegeben, der eine Datierung des ‹Lancelot en prose› auf die Zeit vor 1212 nahezu unmöglich macht. Vor allem auf Grund dieser chronologischen Diskrepanzen herrscht in der Forschung Einigkeit darüber, Walter Map als Verfasser bzw. Redaktor des ‹Lancelot› auszuschließen; 149 Gleiches gilt auch für das Mäzenatentum Heinrichs II., 150 das - wie die fiktive Autorschaft ‹Maps› - als Gönnerfiktion bewertet werden muß. Auch wenn wir demnach über den tatsächlichen Auftraggeber und den Verfasser des ‹Lancelot› nichts wissen, bleibt gleichwohl zu fragen, welche Funktionen der Verfasserbzw. Gönnerfiktion im ‹Lancelot› zukommen. Dazu ist zunächst festzuhalten, daß die Überlegung, Heinrich II. Plantagenêt habe ein Werk wie den ‹Lancelot› in Auftrag gegeben, nicht verwunderlich anmutet, da gerade Heinrich II. «die Figur König Arthurs seinen politischen Zielen dienstbar gemacht» 151 hat. Die (fiktive) Verortung des Werks am Hof Heinrichs II. Plantagenêt fügt sich demnach in die gut bezeugte Auseinandersetzung des Königs mit der Artusfigur und den mit ihr verbundenen Möglichkeiten, die eigene Herrschaft (nicht zuletzt auch über Schottland) zu festigen und zu legitimieren. 152 Hinzu kommt natürlich das schon bei den Zeitgenossen ‹legendäre› (obgleich historisch nicht belegte) Interesse Eleonores von Aqui- 166 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 148 Die Priorität des ‹Roman du Saint Graal› Roberts de Boron wird vor allem auf Grund der dort begegnenden Identifikation des Grals mit dem Abendmahlskelch Christi angenommen, die dann im ‹Lancelot en prose› aufgegriffen wurde. Sowohl bei Boron als auch im ‹Lancelot› ist der Gral überdies das Gefäß, in dem Joseph von Arimathia das Blut des Gekreuzigten aufgefangen haben soll. Vgl. den Kommentar von Steinhoff zu LG I und LG II, S. 753ff., und seinen Stellenkommentar zu LGr. I und LGr. II, S. 768f., sowie Mertens, Artusroman, S. 147. 149 Vgl. den Stellenkommentar von Steinhoff zum ‹Tod des Artus›, S. 1169f., Mertens, Artusroman, S. 148, sowie Baumgartner, Emmanuèle: L’arbre et le pain. Essai sur la ‹Queste del Saint Graal›. Paris 1981, S. 23ff., sowie Kluges Einleitung, in LK I, S. LIIIff. Natürlich fällt hier auch der vermutliche Entstehungsort Nordfrankreich ins Gewicht. Gegen die Verfasserschaft Maps spricht ferner, daß sein Name erst sehr spät im Werk (LGr. II, 718) erscheint, und Map erst nachträglich als Verfasser des ganzen ‹Lancelot› genannt wird. Vgl. dazu auch Loomis, Roger Sherman: The Grail. From Celtic Myth to Christian Symbol. Princeton 1991, S. 146f. 150 Vgl. auch Carman, J. Neale: A Study of the Pseudo-Map Cycle of Arthurian Romance. Lawrence 1973, der allerdings Eleonore von Aquitanien als Gönnerin des ‹Lancelot› betrachtet, ebd., S. 97ff. 151 Johanek, König Arthur und die Plantagenets, S. 389. Heinrichs II. Instrumentalisierung der Artusfigur und des Mythos des rex perpetuus/ futurus zeigt sich am eindrucksvollsten in dem fingierten Briefwechsel zwischen Heinrich II. und Artus, der letztlich Heinrich II. als Lehnsmann des Arthurus magnus inszeniert und somit Heinrichs Herrschaftsanspruch verdeutlicht. Vgl. dazu ebd., bes. S. 387ff. , sowie Leake Day, Mildred: The Letter from King Arthur to Henry II: Political Use of the Arthurian Legend in Draco Normannicus. In: The Spirit of the Court, S. 153-157. 152 Johanek, König Arthur und die Plantagenets, bes. S. 387ff. tanien an der ‹modernen› höfischen Literatur. 153 Handelt es sich bei der Gönnernennung Heinrichs II. also um eine Fiktion, so muß doch festgehalten werden, daß sie in die bekannten mäzenatischen Interessen des englischen Hofes der Plantagenêts eingepaßt wird und vor diesem Hintergrund plausibel erscheint. 154 Die Gönnerfiktion wird folglich nicht nur dazu genutzt, die Entstehung des ‹Lancelot› in einem historisch greifbaren Raum zu verorten, vielmehr kann sie darüber hinaus insofern als Strategie zur Re-Historisierung der matière de Bretagne betrachtet werden, als sie gerade den englischen König als Auftraggeber nennt, der für sich reklamierte, die Gräber bzw. Gebeine des Artus und seiner Gemahlin gefunden zu haben. 155 Dementsprechend dient auch die Verfasserfiktion ‹Walter Map› zuallererst dazu, dem Werk einen Verfasser zuzuordnen, 156 der mit der auctoritas des Gelehrten den Anspruch auf Glaubwürdigkeit des Erzählten unterstreicht. ‹Walter Map› und ‹Heinrich II.› werden daher - ebenso wie ‹Bischof Pilgrim› in der ‹Klage› - als poetologisches Konstrukt 157 dazu genutzt, diesen erzählerischen Ambitionen Glaubwürdigkeit und Nachdruck zu verleihen. Unterstrichen wird die Dignität des Erzählten und dessen Anspruch auf Glaubwürdigkeit im französischen ‹Lancelot› dabei noch durch die Tatsache, daß ‹Map› als Verfasser einer lateinischen Erzählung erscheint, die ‹Heinrich› in die Volkssprache habe übertragen lassen: dont MESTRE GAUTIER MAP les trest a fere son livre del Seint Graal por l’amor del roi Henri son seignor, qui fist l’estoire translater de latin en françois. (Pauphilet, La Queste, S. 280) Die auctoritas des Gelehrten, der sein Buch vom Gral aus Liebe zu seinem Herrn anfertigt, wird potenziert durch die Abfassung des Erzählten in lateinischer Sprache, und die von König Heinrich in Auftrag gegebene Übertragung in die Volkssprache durch einen Anonymus reiht sich in diese angeblich durch ‹Map› begründete gelehrte Tradition ein. Quellenkonstrukt und Quellenfiktion 167 153 Vgl. den Eintrag ‹Eleonore› im LMA III, Spp. 1807f., sowie Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. 2 Bde. München 1986, hier Bd. 2, S. 574ff. und 668. 154 Vgl. auch Wild, Erzählen als Weltverneinung, S. 260f. Erinnert sei auch an den ‹Roman de Rou›, den Wace im Umkreis Heinrichs II., vielleicht sogar in dessen Auftrag verfaßte. 155 Burns, 1209? , S. 69: «What better way to assert the historicity of Arthurian adventure than to make it flow from the pen of a master storyteller who had rubbed shoulders with the very king reputed to have found the tombs of Arthur and Guenevere at Glastonbury? » 156 Auch hier sei darauf hingewiesen, daß Maps Verfasserschaft erst am Ende des Erzählten eindeutig auf das ganze Werk bezogen wird (‹Tod des Artus›, 1028f.), während zu Beginn und am Ende der Gralsuche bzw. am Anfang des ‹Tod des Artus› Map explizit lediglich mit den Erzählungen um den Gral und dem Untergang des Artusreiches in Verbindung gebracht wird (LGr. II, 718, sowie ‹Tod des Artus›, 540, 544 und 1028). 157 Vgl. Mertens, Volker: Konstruktion und Dekonstruktion heldenepischen Erzählens. Nibelungenlied - Klage - Titurel. In: PBB 118 (1996), S. 358-378, hier S. 368, sowie Wild, Erzählen als Weltverneinung, S. 264. Im ‹Prosa-Lancelot› hingegen heißt es, daß «Meyster Gatiers machen begund das buch von dem heiligen grale von latin zu welisch, umb konig Heinrichs willen synes herren, den er ser lieb hette» (‹Tod des Artus›, 540). Damit wird ‹Map› nun eindeutig als Ve r f a s s e r des volkssprachlichen Werks etabliert, 158 indem die zwei Vorgänge, die im ‹Lancelot en prose› von einander getrennt stattfinden, in eins gesetzt werden: 1. dont MESTRE GAUTIER MAP les trest a fere son livre del Seint Graal por l’amor del roi Henri son seignor und 2. qui fist l’estoire translater de latin en françois (Pauphilet, La Queste, S. 280). Diese Änderung des mhd. Textes gegenüber dem ‹Lancelot en prose› hat in der Forschung zu einiger Verwirrung geführt: Während z.B. Steinhoff im Kommentar seiner Ausgabe mit Knapp dahingehend übereinstimmt, daß ‹Heinrich› das (lateinische) Buch ‹Maps› von einem Anonymus ins Französische habe übersetzen lassen (also ‹Map› als volkssprachlichen Übersetzer ausschließt), ist er entgegen Knapp der Meinung, erst ‹Map› habe die am Artushof verschriftlichten âventiuren ins Lateinische übertragen. 159 Von Merveldt hingegen, die in ihrer Arbeit grundsätzlich die französische und die deutsche Überlieferung berücksichtigt, 160 folgt in ihrer Darstellung dem mhd. Text ohne Bedenken und ohne die Abweichung gegenüber dem ‹Lancelot en prose› zu vermerken. Sie stimmt allerdings mit Knapp gegen Steinhoff darin überein, daß bereits des Artus Schreiber die âventiuren auf Latein festgehalten haben. 161 Gleiches findet sich bei Ziegeler, der konstatiert, ‹Map› habe die lateinischen Berichte der Schreiber in die Volkssprache übersetzt. 162 Auch Wild, der sich ausschließlich mit dem ‹Lancelot en prose› auseinandersetzt, sieht in ‹Map› den Übersetzer in die Volkssprache. 163 Diese Unstimmigkeiten lassen sich 168 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 158 Allerdings erscheint Map auch hier explizit nur als Verfasser der ‹Gralsuche› (machen begund das buch von dem heiligen grale). 159 Steinhoff, Kommentar zu LG I und LG II, S. 759: «[…] und diese (angeblich von Walter Map ins Lateinische übersetzten) Aufzeichnungen bilden die unmittelbare Grundlage für den Roman.» Dabei ist auch Steinhoff in seiner Einschätzung nicht eindeutig; so bezeichnet er im Kommentar zu LGr. I und LGr. II, S. 932, ‹Map› als den Übersetzer, der zum Ende der Suche nach dem Gral genannt werde. 160 Von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 24 und 111: «Ihn [‹Map›] hat König Heinrich, an dessen Hof die matière de Bretagne zuerst schriftlich geformt und zum Roman wurde, dazu beauftragt, die Quellen aus dem königlichen Archiv zu übersetzen: l’estoire translater de latin en françois […].» 161 Ebd., S. 36: «Das unmittelbare Erlebnis der aventiure wird von den Klerikern in schriftliche, lateinische Berichte übersetzt, zu Büchern gebunden und ins Archiv der Kathedrale von Salisbury gebracht, um dort seiner Wiederentdeckung durch Map zu harren, einem Kleriker im Dienst Heinrichs II., der die historischen Dokumente aus den Archiven hervorholt und sie ins Französische übersetzt.» 162 Vgl. Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 206. Diesbezüglich ist hier zu bemerken, daß Ziegeler nahezu ausschließlich den mhd. Text berücksichtigt und auf Abweichungen zum ‹Lancelot en prose› selten eingeht. Dies mag daraus resultieren, daß er den ‹Prosa-Lancelot› als Adaptation auffaßt, vgl. ebd., S. 203, allerdings ohne dies näher zu begründen. 163 Wild, Erzählen als Weltverneinung, S. 259ff. und 263. Ebenso Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 186. zum einen damit erklären, daß es der französische Text selbst ist, der ‹Map› nicht konsequent als Vermittler bzw. Verfasser einer lateinischen Vorlage darstellt, sondern ebenfalls den Eindruck erweckt, ‹Map› komme als Verfasser des volkssprachlichen Texts in Frage (vgl. Frappier, La Mort, S. 1). 164 Zum anderen scheint hier die so oft konstatierte Nähe des ‹Prosa-Lancelot› zum ‹Lancelot en prose› verantwortlich zu zeichnen, so daß die Forschung dieser ‹wörtlichen deutschen Übersetzung› bedenkenlos zu folgen scheint, ohne die Änderung gegenüber dem Altfranzösischen zu berücksichtigen. Knapp hat im Hinblick auf diese Abweichung festgehalten, daß der deutsche Übersetzer die im französischen Werk geschilderte Textgenese «wie so vieles mißverstanden» 165 habe. Auch diese Feststellung basiert letztlich auf der Annahme, der ‹Prosa- Lancelot› sei eine wörtliche Übersetzung, deren Abweichungen vom Altfranzösischen lediglich als ‹Übersetzungsfehler› beschrieben werden könnten. Dagegen läßt sich vielmehr von einer Vereindeutigung der Vorlage ausgehen: Die im ‹Lancelot en prose› inszenierte Textgenese wird im ‹Prosa-Lancelot› um zwei Elemente gekürzt (die lt. Fassung ‹Maps› und deren volkssprachliche Übersetzung durch einen Anonymus werden ausgespart) und in einen Entstehungsschritt gefaßt, so daß ‹Map› im mittelhochdeutschen Text konsequent als Verfasser eines volkssprachlichen ‹Lancelot en prose› dargestellt wird und die Verfasserfiktion kohärent erscheint. Will man dem deutschen Verfasser diese ‹Eigenständigkeit› nicht zugestehen, dann bliebe immerhin noch zu überdenken, ob der im ‹Lancelot en prose› begegnende Hinweis auf ‹Map› überhaupt auf eine genaue Unterscheidung zwischen lateinischer und volkssprachlicher Fassung des Werks abhebt, denn ungeachtet dieser Differenzierung bleibt die grundlegende Funktion, die mit dem Namen Gautier Map verbunden wird, bestehen: nämlich dem Werk einen Verfasser zuzuordnen, der mit der Aura des Gelehrten und seiner auctoritas den Anspruch auf Glaubwürdigkeit des Erzählten unterstreicht. ‹Maps› Buch (son livre) kann demnach durch die lateinische und die ihr folgende volkssprachliche Version eine dem Antikenroman vergleichbare Argumentation präsentieren: 166 Die Übertragung ins Altfranzösische, ob sie nun wie im ‹Lancelot en prose› als von einem Anonymus oder wie im ‹Prosa-Lancelot› Quellenkonstrukt und Quellenfiktion 169 164 Aprés ce que mestres Gautiers Map ot mis en escrit des Aventures del Seint Graal assez soufisanment si com li sembloit, si fu avis au roi Henri son seigneur que ce qu’il avoit fet ne devoit pas soufire, s’il ne ramentevoit la fin de ceus dont il avoit fet devant mention et comment cil morurent dont il avoit amenteües les proesces en son livre ; et por ce commença il ceste derrienne partie. Et quant il l’ot ensemble mise, si l’apela LA Mort le Roi Artu, por ce que en la fin est escrit conment li rois Artus fu navrez en la bataille de Salebieres et comment il se parti de Girflet qui si longuement li fist compaignie que aprés lui ne fu nus hom qui le veïst vivant. Si commence mestres Gautiers en tel maniere ceste derrienne partie. Hier bleibt offen, in welcher Sprache ‹Map› den letzten Erzählteil verfaßt. 165 Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 174. 166 Auch hier werden etwa Vergils ‹Aeneis›, der ‹Roman d’Eneas› und Veldekes ‹Eneasroman› in eins gesetzt, vgl. dazu Schmitz, Die Poetik der Adaptation, bes. S. 66ff. als von ‹Map› selbst vorgestellt wird, fußt auf einer lateinischen Vorlage und erhält dadurch zusätzliche Autorität. Zumindest implizit können daher sowohl der ‹Lancelot en prose› als auch der ‹Prosa-Lancelot› als ‹Maps› Buch (son livre) gelten, insofern sie die eigentliche estoire bzw. das maere nicht verändern. Profil gewinnt der Verfasser ‹Map› hauptsächlich in den letzten beiden Erwähnungen zu Beginn und am Ende des ‹Tod des König Artus› (‹Tod des Artus›, 544 und 1028f.). Diese beiden Stellen seien im folgenden näher betrachtet, da sie im Hinblick auf die Frage nach der Historizitätskonstitution auch inhaltlich Aufschluß geben. Nach dem das meyster Gatiers Map hett geseyt von den abenturen von dem heiligen grale genung, als yn ducht, da meynte der konig Heinrich syn herre das mit dem das er gemacht hett nit genug were, er sagete dann das ende von dem, das er zuvor geredet hett und von wem das er die fromkeyt gesaget hett in synem buch. Und darumb so wolt er das letste teyl an heben. Und da er es hett zuhauff gemacht, da nante er es «Des Konig Artus Dott», umb des willen das er an dem ende diß buchs saget wie das der konig Artus wunt wart in dem stryt von Salaberis und wie das er schied von Gyflet, der im als lang gesellschafft det das nach dem nÿmands was der yn ye lebendig gesehe. Und in der wyse so hub meyster Walther das letst teyl an von dem buch. (‹Tod des Artus›, 544,2-14) 167 Im Vergleich zu den übrigen Teilen des ‹Prosa-Lancelot› fällt hier zunächst auf, daß dem ‹Tod des Artus› eine prologähnliche Einleitung, eine Art ‹Binnenprolog› vorangestellt wird, 168 der nicht nur die Beziehung zwischen angeblichem Verfasser und fiktivem Mäzen, sondern damit einhergehend auch die (freilich ebenfalls fingierte) Komposition bzw. die Genese des Werks thematisiert. Hervorzuheben ist zuallererst die hier suggerierte Einflußnahme des angeblichen Auftraggebers ‹Heinrich› auf den Verfasser ‹Map› - denn während dieser glaubt (yn ducht), mit den Erzählungen vom Gral bzw. der Gralsuche an das Ende des Erzählten gelangt zu sein, belehrt ihn sein ‹Gönner› eines Besseren: Genug wäre es erst dann, wenn er auch das Ende von dem Geschehen, das er zuvor erzählt habe, und von den Protagonisten, deren Vortrefflichkeit er geschildert habe, berichte. Der implizite Vorwurf, nicht hinreichend, also unvollständig erzählt zu haben, wird somit zum Anlaß stilisiert, auch den letzten Werkteil, den ‹Tod des Artus› zu verfassen (Und darumb so wolt er das letste teyl an heben. […] da nante er es «Des Konig Artus Dott», ebd., 544). Damit fordert der ‹Gönner› ein wesentliches Historizitätskriterium ein, indem er auf der Vollständigkeit des Berichteten besteht, also das Erzählen aller (angeblichen) 170 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 167 Im Anschluß an diesen ‹Binnenprolog› (vgl. Anm. 168 d. Kap.) folgt alsbald ein erneuter Hinweis auf die Verschriftlichung der âventiuren von dem heyligen gral (‹Tod des Artus›, 544,20f.). 168 Gleiches gilt selbstverständlich auch für die ‹Mort Artu›, vgl. Frappier, S. 1. Den Begriff ‹Binnenprolog› verwende ich insofern, als es sich hier ja nicht um den Beginn des Werks, sondern lediglich um einen neuen Werkteil handelt. res factae von ‹Map› verlangt. 169 Der ‹Tod des Artus› erscheint folglich nicht als ‹überflüssiger Anhang›, wie Waltenberger meint, 170 sondern er wird zu einem grundlegenden Bestandteil der historisierenden Erzählstrategie stilisiert. 171 Das so entworfene Gönnerbild zeigt den ‹Mäzen› folglich als eine am dichterischen Schaffensprozeß beteiligte Person, 172 in deren Auftrag das Erzählen vom Tod des Artus und seiner Ritter ‹nachgeliefert› wird. Aus dieser fingierten Beteiligung des ‹Mäzens› ergibt sich die Funktion der Gönnerfiktion, das historisierende Erzählen von der matière de Bretagne zusätzlich zu legitimieren: Der vom ‹Auftraggeber› geforderte historisierende Erzählmodus dient somit gleichsam ergänzend der Plausibilität der Gönnerfiktion, da er in Einklang mit den historisch belegten mäzenatischen Interessen Heinrichs II. sich darstellt. Nichtsdestominder wird durch das Insistieren des ‹Mäzens› auf den zu erzählenden Tod des Artus und der anderen Protagonisten auch ein Gegensatz zu der Meinung des ‹Verfassers› deutlich, der glaubt, genug erzählt zu haben und den Untergang des Artusreiches und der Protagonisten lediglich anzudeuten gewillt ist (‹Tod des Artus›, 544,2). Waltenberger hat diese «Differenz der im Prolog formulierten Interessenlagen» 173 als narrative Reflexion einer im ‹Prosa-Lancelot› angelegten doppelten Intention gedeutet, die darin bestehe, zugleich Chronik des Artusreiches als auch Biographie Lancelots zu sein. 174 Diese Deutung wird weder durch den Text noch durch das mittelalterliche Verständnis von vita und historia/ chronica eingelöst, das - wenn überhaupt - nur in den seltensten Fällen von einer eindeutigen Differenzierung in Biographie und Chronik zeugt. 175 Im Text heißt es dementsprechend auch, daß der ‹Mäzen› Quellenkonstrukt und Quellenfiktion 171 169 Vgl. die Einl. d.A., sowie Schmitz, Die Poetik der Adaptation, S. 62f., Lienert, Geschichte und Erzählen, S. 13ff. und 314ff., und Müller, Romane des 15. und 16. Jahrhunderts, S. 994. 170 Waltenberger, Das große Herz, S. 142: Der vermeintliche Autor wälze, so Waltenberger, die Verantwortung der Fortsetzung auf den ‹Auftraggeber› ab und führe den letzten Teil des ‹Lancelot› als «im Grunde redundante[n] Appendix» ein. 171 Die Diskrepanz zwischen den im Binnenprolog angekündigten Informationen zu des Artus Tod und ihrer narrativen Umsetzung wird an späterer Stelle ausführlich diskutiert, vgl. Kap. II.3.4 d.A. 172 Zur Einflußnahme der Gönner auf die literarische Gestaltung des zu dichtenden Werkes vgl. Bumke, Mäzene, bes. S. 65ff. Bekannte Beispiele sind Heinrich der Löwe (‹Lucidarius›) und Marie de Champagne (‹Lancelot›/ ‹Le Chevalier de la Charrete›), vgl. ebd., S. 66f. Zur Gönnerrolle Maries im ‹Lancelot› vgl. auch Kelly, Sens and Conjointure. Kelly sieht die drei grundlegenden Aspekte des von Marie vermittelten san (vgl. V. 26) in der Entfaltung der Liebesthematik begründet, ebd., S. 69. Es ist freilich auch möglich, diese Stilisierung der Gönnerin als impliziten Bescheidenheitsgestus des Prolog-Ich zu verstehen, wenn ihr die Deutung der materia (vgl. V. 26) obliegt und der Dichter diese Vorgaben lediglich umsetzt. Zur möglichen Fiktivität genannter Gönner vgl. Curtius, Ernst Robert: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. 11. Aufl. Tübingen, Basel 1993, hier S. 95. Vgl. auch Neukirchen, Die ganze aventiure, S. 264. 173 Waltenberger, Das große Herz, S. 143. 174 Vgl. ebd., S. 142. Ähnlich auch Klinger, Der mißratene Ritter, S. 442. 175 Vgl. Knape, Historie, bes. S. 165ff., 193, 196 und 447ff. sowohl das Ende von dem, was erzählt wurde, als auch das Ende von denjenigen, über die berichtet wurde, einfordere (das ende von dem […] und von wem […], ‹Tod des Artus›, 544,5f.). Es wird damit das vom ‹Mäzen› geforderte historisierende Erzählen, das vita und historia gleichermaßen einschließt, reflektiert: Die Re-Historisierungsstrategie des Erzählens ‹vom Anfang bis zum Ende› 176 wird somit punktuell selbst zum Thema, da sie - so suggeriert es der Text - vom ‹Verfasser› nicht per se vorgesehen ist, sondern erst nachdrücklich vom ‹Auftraggeber› eingefordert werden muß. Implizite scheint in dem Binnenprolog somit auch verhandelt zu werden, auf welche Weise von Artus und seinen Rittern erzählt werden soll. Dies erhellt insbesondere vor dem Hintergrund der fiktionalen arthurischen Gattungstradition, in der das Erzählen von des Artus Tod bzw. vom Untergang des Artusreiches prinzipiell ausgeblendet wird. 177 In der Auffassung ‹Maps›, mit dem Ende der Gralsuche auch an das Ende des Erzählten gelangt zu sein, wird damit zumindest in Ansätzen an aus dem ‹klassischen› Artusroman bekannte Erzählschlüsse erinnert, die nicht die Vollständigkeit vermeintlicher res factae betonen, sondern sich deutlich als geschlossenes literarisch-fiktionales Werk zu erkennen geben. 178 Erst mit der Aufforderung des ‹Mäzens› an ‹Map›, das Erzählte um das Ende zu vervollständigen, wird demnach dem Aspekt der Re-Historisierung explizit Rechnung getragen. Erneut expliziert wird diese Tendenz zur Re-Historisierung in einer Erzählerbemerkung am Ende des Werks, die den Wahrheitsanspruch des Erzählten exponiert: Und nu saget uns Meyster Gacziers Map nit men von Lanczelots leben, wann er hatt es alles wol zu ende erzalt nach dem das es geschah. Und hier nÿmet syn buch ein ende alsomit all, wann nach dem kúnde nÿmant nicht erzelen, er must zu mal daran liegen./ / Hie hatt ein ende das letste buch von hern Lanczelot und von konig Artus tode und von Hector und herrn Gawin und von allen den es sagt und sagt nit men da von. Darumb sy der gebenedit der da lebet und herschet úmmer ewiglichen. Amen. (ebd., 1028,31ff.) Mit dem Verweis darauf, alles erzählt zu haben, also jedwedes weitere bzw. abweichende Erzählen von Lancelot, Artus und den übrigen Artusrittern dem Bereich der Lüge zuzuordnen, verbinden sich der Anspruch auf Wahrheit und 172 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 176 Das gleiche Prinzip begegnet auch in der ‹Klage›: «wie ez sih huob und ouh began,/ und wie ez ende gewan, […]» (Vv. 4303f.). Vgl. auch die Verse 3464-3468. Auch hier ist es in beiden Passagen der vermeintliche Auftraggeber, ‹Pilgrim›, der darauf achtet, daß Anfang und Ende des Geschehens aufgezeichnet werden. 177 Hier ist zu bemerken, daß im ‹Yvain›/ ‹Iwein› auf die bekannte Idee des rex futurus eingegangen und die Frage, ob Artus wiederkehre, negativ beantwortet wird, vgl. Kap. I.2.2.1 d.A. Nichtsdestotrotz wird dieser Aspekt nicht in die narratio aufgenommen, in der die Frage, ob Artus tatsächlich gestorben sei, überhaupt nicht relevant scheint. Die ‹utopische› Idealität des Artus und seines Hofes verbietet letztlich die narrative Entfaltung vom Tod des Königs. 178 Vgl. dazu Kap. I.2.2.1 d.A. Autorität des Erzählten, indem mögliche andere Erzählungen (prophylaktisch) als Lügen deklariert werden. 179 Diese auctoritas, evoziert durch den angeblichen Verfasser ‹Map› und den Modus des vom ‹Mäzen› eingeforderten ‹Erzählens bis zum Ende›, wird dabei als uneingeschränkt gültig präsentiert. Der mittelalterliches Dichten traditionell kennzeichnende Topos, ein anderer möge das Werk verbessern, 180 ist somit im ‹Lancelot› aufgegeben. 181 Doch ist auch dieser Verweis auf die Lügenhaftigkeit denkbarer Ergänzungen des Erzählten nicht auf historisierendes Erzählen beschränkt, wenn man z.B. an den ‹Yvain› Chrétiens 182 denkt, in dessen Epilog es heißt: Del Chevalier au lyeon fine Chrestïens son romans ensi; n’onques plus conter n’en oï, ne ja plus n’en orroiz conter, s’an n’i vialt mançonge ajoster. (‹Yvain›, Vv. 6804-6808) Auch hier hebt das Epilog-Ich auf die Autorität der von ihm erzählten Geschichte ab, indem es seine Erzählung durch die Vorausdeutung auf zu erwartende ‹unwahre› Ergänzungen profiliert. 183 Allerdings muß für den ‹Yvain› die Quellenkonstrukt und Quellenfiktion 173 179 Vgl. auch Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 174. 180 Vgl. dazu Schmitz, Die Autorität, S. 466. Inwiefern diese Autorität geachtet bzw. auf welche Weise sie gedeutet wurde, steht dabei auf einem anderen Blatt: Schon der ‹Lancelot en prose› wird ja um die Vorgeschichten ‹L’Estoire del Saint Graal› und ‹L’Estorie de Merlin› ergänzt, und auch in der mittelniederländischen ‹Lancelot-Compilatie› sind «zwischen Lancelot propre und Queste zwei und zwischen Queste und Mort Artu noch fünf weitere Artusromane eingeschaltet» worden. Waltenberger, Das große Herz, S. 186 (Anm. 536). Vgl. auch von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 252ff. Nichtsdestominder sagt die Rezeption bzw. das Entstehen anderer Werke respektive Werkfortsetzungen nicht zwangsläufig etwas über die im ‹Lancelot› begegnende Intention aus. 181 Die Abkehr von der Vorstellung des für Verbesserungen offenen Textes begegnet freilich auch anderorts und läßt sich in ihrer Entwicklung - Verschiebung der auctoritas von der Quelle auf den Dichter - nachzeichnen. Vgl. Schmitz, Die Autorität. Trotzdem wird diese traditionelle Vorstellung auch im weiteren Verlauf der Literaturgeschichte nicht vollends preisgegeben und bleibt auch in Werken der frühen Neuzeit greifbar. Vgl. Thürings ‹Melusine›, in deren Epilog der Erzähler ausdrücklich darauf hinweist, daß ein jeder, der sich besser auf diese Arbeit verstünde, das Erzählte «bessern reformieren vnd corrigieren [solle] wo das notdürfftig sey» (175,23f.). Eine weitere Spielart des Topos begegnet in der ‹Kindheit Jesu› des Konrad von Fußesbrunnen, wenn das Epilog-Ich Änderungen des Erzählten zwar einräumt, diese aber nur selbst durchzuführen gewillt ist (Vv. 326ff., vgl. auch Kap. I.2.2.6, Anm. 348). 182 In Hartmanns ‹Iwein› wird der Aspekt der Lügenhaftigkeit nicht übernommen; das Epilog-Ich verweist hier nur darauf, nicht mehr erzählen zu können, weil es in der Quelle nichts Weiteres vorgefunden habe (Vv. 8162f.). Zum einen wird so die Tradition vorlagengetreuen Erzählens aufgerufen, die den Erzähler als zuverlässig erweist; zum anderen aber rückt der Erzählschluß damit in die Nähe ‹typischer› Märchenschlußformeln, indem er das Ende der Protagonisten in eine zeitlose Dimension überführt (vgl. Vv. 8166f.). 183 Dies erinnert dann wiederum an den Prolog zu ‹Erec et Enide›, in dem der Erzähler auf die verderbten, zerstückelten contes anderer Sänger hinweist. Möglichkeit in Betracht gezogen werden, die Anspielung des Erzählers ‹Chrétien› auf andere erlogene Erzählungen als ironischen Verweis auf die Fiktionalität des ‹Löwenritters› zu verstehen. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem Begriff mançonge, der schon innerhalb der narratio bei der Erzählung des Calogrenant Signalwirkung entfaltet: Vergleichbar der Calogrenant-Erzählung, in der durch den intertextuellen Verweis auf den ‹Roman de Rou› deutlich gemacht wird, daß die erzählten merveilles Bestandteil einer erfundenen literarischen Welt sind und nicht ‹empirisch› erfahren werden können, 184 muß auch im Epilog der Begriff mançonge im Hinblick auf seine Ambivalenz verstanden werden. Vor dem Hintergrund des gesamten Werks können die Rezipienten erkennen, daß auch der ‹Löwenritter› insofern dem Bereich der Lüge zugerechnet werden kann, als er eine Fiktionalität für sich reklamiert, die nicht an Legitimationsfunktionen gebunden ist. Gleichzeitig aber wird mit dem Verweis auf andere ‹Lügengeschichten› die eigene Erzählung exponiert, die ungeachtet ihrer Fiktionalität eine literarisch-dichterische Wahrheit für sich beansprucht. Dieses Spiel mit den Konnotationen des fictiobzw. mançonge-Begriffs, das auch die Deutungshoheit des Erzählers einschließt, steht damit in Kontrast zu der Erzählerbemerkung im ‹Prosa-Lancelot›, die ausschließlich auf die Autorität des Erzählten abhebt. 185 Dieser Anspruch auf auctoritas des Erzählten wird im ‹Prosa-Lancelot› bereits an früherer Stelle und in einem anderen Kontext hervorgehoben, und zwar am Ende der ‹Gralsuche›, wenn es im Anschluß an Galaads Gralsschau bzw. die Entrückung des Grals, die auch Parceval und Bohort beobachten, heißt, daß nye man sitthere so kúne wart der da möchte sprechen das er hett sitthere den heyligen gral gesehen (‹Tod des Artus›, 538,32-34). Mit dieser Aussage des Erzählers wird der ‹Augenzeuge› Bohort nicht nur zum einzigen überlebenden Berichterstatter stilisiert, sondern auch seine am Artushof vorgetragene Erzählung vom Gral, die wiederum zu ‹Maps› Vorlage werden wird, erhält autoritativen Charakter: 174 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 184 Vgl. dazu Kap. I.2.2.3 d.A. 185 Auch im ‹Yvain› wird freilich die Autorität des Verfassers ‹Chrestiens› verdeutlicht, wenn das Erzählte mit dem Verfassernamen verbunden und somit die Deutungshoheit des Dichters suggeriert wird. Vgl. dazu auch Unzeitig-Herzog, Monika: Überlegungen zum Erzählschluß im Artusroman. In: Erzählstrukturen der Artusliteratur, S. 233-253, hier S. 234f. Damit steht auch der Epilog des ‹Yvain› dem Prinzip des für Veränderungen offenen Textes entgegen, vgl. Anm. 181 d. Kap.; wenn Unzeitig-Herzog, in diesem Fall von einem «intentionalen Akt», ebd., spricht, bleibt jedoch im Hinblick auf ihre Fragestellung undeutlich, was sie genau meint: Die Betonung der Verfasser-Autorität läßt sich sicherlich als Intention verstehen, in bezug auf die narrative Gestaltung des Erzählschlusses selbst aber zeigen auch diejenigen Verfasser die Absicht, das Erzählte zu Ende zu führen, die ihr Werk als verbesserungsoffen präsentieren. Und da Bohort hett erzalt die abenture von dem heyligen gral, <384> in der wise als er es gesehen hett, und die wurden beschriben und behalten in der abtey von Salaberis 186 . Da von meyster Gatiers machen begund das buch von dem heiligen grale […]. (‹Tod des Artus›, 540,23-27) Damit wird der Gral innerhalb der narratio endgültig aus der ‹diesseitigen, erzählten› Welt entfernt, und darüber hinaus scheint gleichzeitig jedwedes weitere Erzählen vom Gral, das nicht der Version Bohorts folgt, in den Bereich der Lüge verwiesen zu werden. Die Aussage, niemand außer Bohort könne so kühn sein, zu behaupten, er habe den heiligen Gral seit jener Entrückung gesehen, gerät somit implizite zu einer ‹Drohung› gegen diejenigen, die weiterhin von ihm zu erzählen gedenken. Damit wird nicht nur das Erzählen von Artus und den âventiuren seiner Ritter, sondern auch das Erzählen vom Gral, das die Möglichkeit bot, den Artusstoff heilsgeschichtlich zu überhöhen, 187 an sein Ende geführt. Der besondere Wahrheits- und Glaubwürdigkeitsanspruch des von ‹Map› Erzählten speist sich, wie aus diesem Beispiel ersichtlich wird, also nicht ausschließlich aus der auctoritas des Gelehrten und den mäzenatischen Interessen des ‹Gönners›, sondern darüber hinaus auch aus der spezifischen Qualität der von ‹Map› verwendeten Quelle: Indem suggeriert wird, ‹Maps› Gralserzählung gehe auf den Augenzeugenbericht Bohorts zurück, wird der aus der Geschichtsschreibung bekannte Faktizitätsanspruch der adtestatio rei visae auch für ‹Maps› Erzählung geltend gemacht und damit die Vertrauenswürdigkeit des Gelehrten und seiner Erzählung zusätzlich erhöht. Durch die an dieser Stelle explizierte Verbindung der beiden Erzählebenen wird den Rezipienten folglich nahegelegt zu glauben, daß auch die Erzählungen der anderen Artusritter, welche auf Geheiß des Artus aufgeschrieben und in Salisbury gelagert werden, als Quelle(n) von ‹Maps› Erzählung dienen. Zu der auf Glaubwürdigkeit und Plausibilität abzielenden Verfasser- und Gönnerfiktion tritt also ein weiteres Moment, und zwar die Berichte der Artusritter von ihren âventiuren, die ebenfalls dazu beitragen, das Erzählte zu profilieren, indem sie als ‹Augenzeugenberichte› die Historizität des Erzählten unterstreichen. Die Funktion dieser Figurenerzählungen soll im folgenden genauer untersucht werden. Quellenkonstrukt und Quellenfiktion 175 186 Der Hinweis auf Salisbury fehlt Hs. P, Steinhoff ergänzt nach Sommer, vgl. den Kommentar zu ‹Tod des Artus›, S. 1167. Pauphilet, La Queste, S. 280: l’almiere de Salebieres: in der Bibliothek von Salisbury. Die konsequente heilsgeschichtliche Einbettung findet sich erstmals bei Robert de Boron, der den Gral mit dem Kelch des Abendmahls bzw. mit dem Gefäß, in dem Joseph von Arimathia das Blut Christi aufgefangen habe, gleichsetzt. Vgl. Steinhoff, Kommentar zu LG I und LG II, S. 753ff. 187 Vgl. Loomis, The Grail, Mertens, Volker: Der Gral. Mythos und Literatur. Stuttgart 2003 (RUB, 18261), bes. S. 83-103, Knapp, Der Gral. In: Historie und Fiktion (I), sowie Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 148f. Vgl. auch den Exkurs d.A. zur heilsgeschichtlichen Perspektivierung des ‹Prosa-Lancelot›. II.2.2 Die Erzählungen der Artusritter als Quelle des ‹Prosa-Lancelot› Im ‹Prosa-Lancelot› wird insgesamt an sieben Textstellen auf die Tatsache hingewiesen, daß Artus die âventiure-Erzählungen seiner Ritter habe aufschreiben lassen. 188 Dem korrespondiert der Schwur, den die Artusritter vor Verlassen des Hofes leisten müssen und der sie dazu verpflichtet, alles, was ihnen widerfährt, zu erzählen: Die [gewonheit] 189 was also, das kein ritter uß des konig Artus hof fure, er must zum ersten schwern off den heiligen, das er alles das seyte das im geschehe als ferre als im, gedechte es were syn laster oder syn ere. Schw v r ers nicht so er hinweg fure, so must er schwern so er herwiedder kam, man glaubt es im anders nit des er gesyt. (LG I, 690) Dieser «Erzählvertrag», 190 den die Ritter der Tafelrunde im ‹Prosa-Lancelot› mit Artus eingehen, erfüllt dabei vor allem die Funktion, 191 die âventiure-Berichte der Artusritter zu verschriftlichen und somit eine Quelle für den ‹Lancelot› zu schaffen, sie bilden damit die (fiktive) Grundlage der Quellen- und letztlich der Verfasserfiktion. Damit werden zwei zunächst disparate Traditionen zusammengeschmolzen, und zwar zum einen die aus dem ‹(spät-)höfischen› Artusroman bekannte Verpflichtung bzw. Tugend, âventiuren am Hofe zu berichten, 192 sowie zum anderen das der Historizität verpflichtete Bestreben, Augenzeugenberichte als Grundlage des Erzählten zu präsentieren, um über die adtestatio rei visae Glaubwürdigkeit beanspruchen zu können. 193 Der ‹Lancelot› hebt sich dabei also insofern von der Kâlogrenant-Erzählung des ‹Iwein› bzw. des ‹Yvain› ab, als er nicht bloß das Erzählen von âventiure thematisiert, sondern darüber hinaus den Aspekt der Verschriftlichung dieser Rit- 176 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 188 Vgl. LG I, 1288, LG II, 484 und 726, LGr. I, 808 und 810ff., LGr. II, 462 und ‹Tod des Artus›, 544. 189 Mit dem Begriff gewonheit, der das fz. costume wiedergibt, wird damit eine weitere Verbindung zwischen dem ‹klassischen› âventiure-Verständnis (âventiure als gewonheit, Prinzip, das nur der (auserwählte) Ritter besteht) und dem sich verändernden âventiure- Begriff des ‹Lancelot› etabliert, indem gewonheit nicht mehr nur das der âventiure zugrundeliegende Prinzip, sondern eben auch das sanktionierte Erzählen von âventiure meint. 190 von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 37. 191 Zu den anderen Funktionen, die sich aus der Pflicht zu erzählen ergeben, vgl. Ruberg, Beredtes Schweigen, S. 224f., und von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 37. 192 Vgl. ‹Erec et Enide›, Vv. 6414ff., ‹Yvain›, Vv. 53ff.‹ ‹Iwein›, Vv. 94f., Strickers ‹Daniel›, Vv. 109ff., Heinrichs ‹Crône›, Vv. 653f. In diesen Kontext des Erzählens fügt sich auch die in der arthurischen Erzähltradition häufig begegnende Sitte Artus’, nicht zu speisen, ehe sich eine âventiure ereignet habe. Vgl. dazu von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 37 (Anm. 58), sowie Ruberg, Beredtes Schweigen, S. 223f., und Wandhoff, künec, vernemt von mir! , S. 123f. 193 Vgl. zu diesem Element Kap. I.2.2 d.A., sowie Mertens, Konstruktion und Dekonstruktion, bes. S. 368, von Ertzdorff, Die Wahrheit, bes. S. 377f., und Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, bes. S. 35-38, passim. tererzählungen einführt. 194 Das Erzählen der âventiuren wird damit in einen neuen Kontext gestellt, da es weder eine primär handlungsauslösende noch eine gar spielerische Funktion - wie z.B. im ‹Yvain›/ ‹Iwein› - erhält, sondern nun dazu genutzt wird, eine vorgebliche Quelle des Erzählten selbst darzustellen. 195 Damit wird gleichzeitig erreicht, daß der âventiure als einem grundlegenden Gattungsmerkmal des Artusromans eine neue Funktion zugesprochen wird, da sie weder als sinnkonstituierendes Strukturmerkmal noch als innerliterarischer Reflex des Erzählten selbst fungiert: 196 Die âventiuren der Ritter oder genauer das Erzählen dieser Ritter von ihren âventiuren wird vielmehr als neue Möglichkeit, historisierend von der matière de Bretagne zu erzählen, eingeführt, indem die âventiuren auf der Figurenebene zu Augenzeugenberichten avancieren und deren Inhalt auf der Ebene des discours zu Berichten von res gestae funktionalisiert wird. Diese ‹neue› 197 Möglichkeit, dem Erzählen von Artus (wieder) ein historisches Fundament zu verleihen, wird noch im 15. Jahrhundert von dem nordenglischen Chronisten John Hardyng aufgegriffen, der in seiner Verschronik folgendes zu berichten weiß: And euery knight his auenture that stounde Had tolde the kyng as his order was founde; Which aduentures the kyng made all be written In his register, euer to be knowen and weten. (S. 131) 198 Quellenkonstrukt und Quellenfiktion 177 194 Vgl. dazu allgemein Strohschneider, Peter: âventiure-Erzählen und âventiure-Handeln. Eine Modellskizze. In: Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter. Hgg. Gerd Dicke u.a. Berlin, New York 2006, S. 377-383. 195 Vgl. dazu auch Wandhoff, künec, vernemt von mir! , S. 139ff. 196 Damit ist freilich nur ein wesentliches Element des veränderten âventiure-Begriffs angesprochen: Allein die Fülle der âventiuren, wie sie Lancelot, Gawein und auch den anderen (Artus-)Rittern begegnet, sowie deren narrative Organisation, führt im Zusammenhang mit diesem dem Prosaroman eignenden Strukturprinzip des entrelacement dazu, die Funktion und Bedeutung von âventiure - wie sie im ‹klassischen› Artusroman erscheint - zu transformieren. Gleichwohl muß festgehalten werden, daß die Umstrukturierung des âventiure-Prinzips bereits im sogenannten nachklassischen Artusroman sich zeigt und somit kein alleiniges Merkmal der Prosa-Artusromane darstellt. Vgl. Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 171f., Klinger, Der mißratene Ritter, bes. S. 51ff., Haug, Das Endspiel der arthurischen Tradition, ders.: Paradigmatische Poesie. Der spätere Artusroman auf dem Weg zu einer ‹nachklassischen› Ästhetik. In: DVjs 54 (1980), S. 204-231, hier S. 212f., Cormeau, ‹Wigalois› und die ‹Crône›, bes. S. 49ff., Mertens, Artusroman, bes. S. 176ff. 197 ‹Neu› ist diese Funktionalisierung von (vermeintlichen) Augenzeugenberichten selbstredend ausschließlich im Hinblick auf die Gattung des fiktionalen Artusromans, wie er sich in der Folge von Chrétien bzw. Hartmann etabliert hatte. Vgl. dazu auch Kap. II.4 d.A. 198 The Chronicle of John Hardyng. Hg. Henry Ellis. Nachdruck der Ausg. London 1812. New York 1974, S. 131. Den Beleg verdanke ich Johaneks Aufsatz, König Arthur und die Plantagenets, S. 357. Auch hier präsentiert die Erzählerfigur das Erzählen und Aufzeichnen der âventiuren in des Artus Auftrag als Option, die matière de Bretagne «heraus aus dem Bereich des Unverbindlichen und Fiktiven auf die Ebene der Historizität» 199 zu heben. Im ‹Prosa-Lancelot› wird die aus dieser Instrumentalisierung resultierende Verbindlichkeit noch dadurch unterstrichen, daß die Ritter vor Verlassen des Hofes bzw. bei ihrer Rückkehr einen Schwur auf Reliquien leisten müssen (er must zum ersten schwern off den heiligen […] so must er schwern so er herwiedder kam, man glaubt es im anders nit des er gesyt (LG I, 690)), der die Glaubwürdigkeit ihres Erzählens noch zusätzlich hervorhebt. Der Wahrheitsanspruch der adtestatio rei visae wird somit um eine dem Bereich des Rechts entstammende Wahrheitsversicherung 200 ergänzt und exponiert. Die ‹Augenzeugenberichte› der Artusritter im ‹Lancelot› haben in der Forschung konträre Deutungen hervorgerufen, deren extremste Positionen in dieser Konstitution der Quellenfiktion entweder eine Fiktionalitätsanzeige 201 oder aber ein eindeutig traditionelles Historizitätssignal 202 erkennen möchten. Vertreter des ersten Standpunktes argumentieren dabei insbesondere mit der spezifischen Qualität der ‹Quellen›, die sich zum einen durch ihre Perspektivierungsstrategie 203 sowie durch den Umstand der Unvollständigkeit bzw. des Fragmentcharakters auszeichne. Dieser zuletzt genannte Aspekt bezieht sich dabei zuvorderst auf die Erzählungen Lancelots, in denen er den Schwur zu erzählen insofern umgeht bzw. bricht, als er wesentliche Aspekte seiner âventiuren verschweigt: er ertzehlet ettliche, er verhelet aber viel (LG II, 484,19f.). Was genau Lancelot verschweigt, wird nicht gesagt, es liegt jedoch nahe, daß seine Minne zu Ginover bzw. das Beilager mit der Königin in Gorre gemeint ist. 204 Lancelot 178 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 199 Ebd. 200 Vgl. den Art. ‹Eid› im LMA III, Spp. 1673ff., bes. Sp. 1675f. und 1677f., Wenzel, Horst: Hören und Sehen - Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter. München 1995, bes. S. 356-370, sowie Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 187. 201 Vgl. Waltenberger, Das große Herz, bes. S. 178ff. Vgl. auch Klinger, Der mißratene Ritter, bes. S. 441ff., und von Merveldt, Translatio und Memoria, bes. S. 42ff. Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 212, mit Bezug auf die im ‹Herzog Ernst› B begegnende Quellenfiktion ähnlich auch Neudeck, Erzählen von Kaiser Otto, S. 185ff. Ähnlich auch Burns, Arthurian Fictions, sowie Brandsma, The Eyewitness Narrator, S. 66: «With regard to the Prose Lancelot, however, I would like to believe that it [the fictitious claim of truthfulness, Verf.] may have been a challenge for a perspicacious medieval audience to see through - and enjoy - the hoax.» 202 Vgl. Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 174. 203 Vgl. insbes. Klinger, Der mißratene Ritter, S. 445ff. Im Hinblick auf die Quellenfiktion muß der Aspekt der Perspektivierung nicht zwingend der Historisierungsstrategie entgegenwirken, wenn bedacht wird, daß durch die verschiedenen Erzählungen, die angeblich von Map in schriftlicher Form vorgefunden werden, dem vermeintlichen Verfasser so gleichsam die Möglichkeit geboten wird, Quellenkritik zu betreiben. 204 Die hier zitierte Stelle folgt auf den ‹Karrenritter›, also auf Ginovers Befreiung aus dem ‹Land ohne Wiederkehr›. Auch das zweite Verschweigen Lancelots resultiert aus der Minne zu Ginover, zielt hier jedoch darauf ab, die Königin nicht zu erzürnen, wenn selbst gestaltet seine âventiure-Berichte also als Fragmente; sein «minnebedingtes Schweigen» 205 ist damit innerhalb des Erzählverlaufs die logische Konsequenz seiner Beziehung zu Ginover. Im Hinblick auf das im ‹Lancelot› fingierte Quellenkonstrukt jedoch ergibt sich ein logischer Widerspruch, insofern die verschriftlichten âventiure-Erzählungen als Quelle ‹Maps› fungieren und somit weder die Aufzeichnungen aus Salisbury noch ‹Maps› Buch die von Lancelot verschwiegenen Elemente enthalten dürften. 206 Der fingierte Autoritäts- und Glaubwürdigkeitsanspruch der Verfasserbzw. Gönnerfiktion wird damit zumindest punktuell unterlaufen. Im Gegensatz zu jenen Meinungen, die diesem ‹Bruch› innerhalb des Quellenkonstrukts eine dekonstruierende oder gar fiktionalisierende Funktion zuschreiben, sieht Knapp in dieser Inkonsistenz lediglich eine «nicht ganz konsequente Legitimationsstrategie» 207 und hält weiterhin fest, daß nur den wenigsten Lesern dieser ‹Bruch› überhaupt aufgefallen sei. 208 Diese vereinzelten Rezipienten, die den Gegensatz dann doch bemerkt hätten, «mochten […] sich den Widerspruch mit der Annahme weiterer Quellen Maps, schriftlicher wie mündlicher, oder aus dessen ingeniösen Konjekturen erklären. Mit der Nase wurden sie jedenfalls auf den Widerspruch nicht gestoßen […]». 209 Diese Annahme liegt zwar nicht jenseits des Möglichen, 210 doch stellt sich die Frage, warum der Erzähler eigens (wie Knapp auch bemerkt) darauf hinweist, daß Lancelots Erzählungen unvollständig sind und somit der ‹Bruch› innerhalb des Quellenkonstrukts vom Erzähler selbst expliziert wird. 211 Nun Quellenkonstrukt und Quellenfiktion 179 Lancelot die Zeugung Galaads mit der Tochter des Pelles am Artushof nicht berichtet (LGr. I, 810,28ff.): «Aber er erzalt nit furbaß wie er betrogen was worden von der schönen jungfrauwen, des konigs dochter. Er ließ es nit zu sagen syner schand halb, aber er ließ es umb syner frauwen der konigin willen, das er da mit ir lieb nit verlure wo sie die warheit wust.» Es ist demnach nicht die Angst vor möglicher Schande, die Lancelot davon abhält, zu erzählen (wie es der Erzählvertrag ja auch ausdrücklich einfordert, vgl. LG I, 690), sondern es ist die Furcht davor, Ginover zu verlieren. Auch vor dem Krieg in Flandern verschweigt Lancelot bei seinem ausführlichen âventiure-Bericht (LGr. II, 456,27-462,15) die Prophezeiung des von Mordred getöteten Einsiedlers (LGr. II, 274ff.). 205 Ruberg, Beredtes Schweigen, S. 228f. 206 Vgl. von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 42 und 111ff., Burns, Arthurian Fictions, S. 54, Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 209, Waltenberger, Das große Herz, S. 145, Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 154f., sowie Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 187. 207 Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 174. 208 Vgl. ebd. 209 Ebd. 210 M.E. scheint Knapps Einschätzung der mittelalterlichen Rezipienten hier zu negativ - rechnet man mit einem (mehr oder minder) gebildeten Adressatenkreis, so kann man durchaus vermuten, daß die ‹Zeitgenossen› in der Lage waren, jene Inkonsistenz zu durchschauen, und zwar erst recht dann, wenn man dem widersprüchlichen Quellenkonstrukt eine vom Verfasser intendierte Funktion zuschreibt. 211 Besonders deutlich wird dies auch, wenn Lancelot im Anschluß an das Turnier in Camelot (LGr. I, 756ff.) von Artus ausdrücklich dazu verpflichtet wird, nachträglich zu schwören, muß man darin nicht zwingend, hier ist Knapp sicherlich zuzustimmen, ein raffiniertes Fiktionssignal erkennen, aber zwischen der Deutung als einer bloß in sich unstimmigen Historisierungsstrategie und einer subtilen fictio-Anzeige existieren unter Umständen weitere Erklärungsoptionen, die es ermöglichen, sich der Funktion der widersprüchlichen Quellenfiktion zu nähern. Um dies zu verdeutlichen, sei im folgenden ein Blick auf jenen âventiure-Bericht Lancelots geworfen, der auf Bohorts erste Begegnung mit dem Gral auf Burg Corbenic folgt und dem Krieg zwischen Artus und Claudas vorangestellt ist. II.2.3 Lancelots und Ginovers Schweigen Der hier zu untersuchende âventiure-Bericht Lancelots vollzieht sich im Anschluß an die Suche nach jenen Rittern, die auf Grund der zuvor initiierten Suche nach Lancelot nicht von ihrer Mission zurückgekehrt waren; diese ‹Folgesuche› begann also im Anschluß an das Turnier in Camelot (LGr. I, 816). 212 Artus fordert Lancelot als ersten der Ritter auf, zu erzählen, darumb das er eyn anfenger der abenturen gewest were (LGr. II, 456,26). 213 Der Bericht Lancelots, der die wesentlichen Stationen des zuvor Erzählten zusammenfaßt, ist eine der ausführlichsten Erzählungen der Artusritter am Hof des Königs, und gerade auf Grund seiner Detailtreue fallen die Auslassungen umso deutlicher auf, obgleich der Erzähler hier nicht wie im Anschluß an die ‹Karrenritter›- Episode 214 eigens auf sie hinweist. Von besonderer Bedeutung ist dabei, daß Lancelot die Prophezeiung des Eremiten bzw. den Inhalt des Briefes verschweigt, 215 den er diesem nach der Ermordung durch Mordret abgenommen hatte. Lancelot wird nur Ginover in einem späteren ‹privaten› Gespräch von der Prophezeiung berichten, wobei er allerdings auch ihr einen wesentlichen Aspekt vorenthält, wenn er ihr verschweigt, daß Mordret des Artus Sohn ist (ebd., 472,31ff.). Gerade diese ‹private› Unterredung zwischen Lancelot und Ginover ist ein Beleg dafür, daß die Rezipienten entgegen Knapps Auffassung wohl doch auf die Diskrepanz zwischen der Eindeutigkeit des Quellenkonstrukts und seiner narrativen Darstellung aufmerksam gemacht werden sollen, 180 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› die Wahrheit zu sagen und nichts zu verschweigen («[…] und keyn abentur die uch zukomen ist verhalten sollent», LGr. I, 810,6f.). Obgleich Lancelot diesen Eid leistet, bricht er ihn bei seiner sich unmittelbar anschließenden Erzählung. Daß dies den Rezipienten nicht hätte auffallen sollen, halte ich für fraglich. 212 Vgl. den Kommentar Steinhoffs zu LGr. I, 838 sowie zu LGr. II, 896. 213 Der mhd. Text scheint sich hier ausschließlich auf Lancelots Rolle bei der ‹Folgesuche› zu beziehen, die er ja als erster antritt (vgl. LGr. I, 816,14ff.), da er sich selbst als Ursprung der eigentlichen Suche erkennt («[…] wann es wol recht und billich ist das ichs thu [d.h. die bisher von der Suche nach Lancelot nicht zurückgekehrten Artusritter finden], dann sie umb mynent willen uß gezogen sint», ebd.). 214 Vgl. LG II, 484,19f. 215 Der Inhalt des Briefes richtet sich an Mordret selbst («Ach du, Mordret, […]», LGr. II, 278), obgleich es Lancelot ist, der ihn heimlich liest. zumal hier ausdrücklich auch die Konsequenzen des Verschweigens thematisiert werden. 216 Der Eremit, den Lancelot und Mordret auf ihrem Weg zum Turnier von Pennigne (LGr. II, 280ff.) antreffen, eröffnet Mordret - sobald er von dessen und Lancelots Zugehörigkeit zum Artushof erfahren hat -, daß er me ubels solt thun werden dann eynich man inn der welt, da er die Tafelrunde ins Verderben führen sowie seinen Vater töten werde und letztlich den Tod durch seinen Vater erleiden müsse (ebd., 274,9-15). Mordret reagiert auf diese Prophezeiung zunächst beschämt und irritiert, da er von seiner tatsächlichen Herkunft nichts weiß und daher die Aussage des Einsiedlers mit der Begründung zurückweist, sein Vater, Lot von Tarquanie, sei bereits gestorben (ebd., 274, 19-23). 217 Diesen Einwand aufgreifend, erklärt der Eremit, nicht Lot sei Mordrets Vater gewesen, sondern ein anderer, edlerer König (ebd., 274,28). Zum Beweis seiner Behauptung berichtet er von einem Traum, den dieser König in der Zeugungsnacht geträumt habe und den er zu seiner ständigen Erinnerung an die Wand des Stephansmünsters habe malen lassen (ebd., 274,30-276,5): Und desselben nachts als er dich gewanne da kam im fur in dem schlaff das ußer synem lib ging ein trach, der im al syn lant verbrant und im all syn volck erdott. 218 Und als er sin lant underbrecht und sin lut getöt hatt, da lieff er yn ane, er wolt yne zurrißen und auch zum tot bringen. aber er weert sich so sere das er den trachen zu tot schlug, und er was doch so sere vergifft, das er des sterben must. Dißer traum kam im fur im schlaff. Und das du mir dester baß glaubest, so findestu es zu Camlot gemalet in Sant Steffans kirch, und din <600> vatter dete es malen im all syn leptag des ein gedechtniß zu haben. (ebd., 274f.) Der Eremit beendet seine Rede mit der Deutung des Traums bzw. des Drachen (Du bist derselb trach furwar, ebd., 276,6f.) und prophezeit weiterhin, daß er nun von Mordrets Hand den Tod finden werde. Diese letzte Weissagung erfüllt sich sogleich, da Mordret, erzürnt über die vermeintlichen Lügen des Einsiedlers und ohne Lancelots Warnung zu befolgen, sein Schwert greift und Quellenkonstrukt und Quellenfiktion 181 216 Vgl. auch Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 209. 217 Ob Mordrets Einwand auch den Kenntnisstand der Rezipienten widerspiegelt, ist unklar, da nicht eindeutig zu erkennen ist, inwieweit das Motiv von des Artus Vaterschaft bekannt war, vgl. den Kommentar Steinhoffs zur Stelle sowie den Artikel von Thompson Raymond H.: ‹Mordred›. In: The New Arthurian Encyclopedia. Hg. Norris J. Lacy. New York, London 1991, S. 328f. 218 Der hier geschilderte Traum «ist dem Traum der Mutter von Judas in der seit dem 12. Jahrhundert in Frankreich überlieferten Judaslegende vergleichbar», Steinhoff, Stellenkommentar zu LGr. I und LGr. II, S. 875. Vgl. auch den Traum Herzeloydes im ‹Parzival› (103,25ff., bes. 104,10-17). Der Traum weist aber auch Parallelen zu dem Traum Hecubas auf, die vor der Geburt des Paris und der Kassandra träumt, eine Fackel zu gebären, die ganz Troja in Brand setzt. Zum Fackeltraum der Hecuba und seiner Verbreitung vgl. Lienert, Geschichte und Erzählen, S. 34-36. den alten Mann enthauptet (LGr. II, 276,18ff.). 219 Lancelot, der daraufhin erkennt, daß der Getötete einen Brief in der Hand hält, nimmt diesen heimlich an sich, wann er nit wolt das Mordret des gewar wurd (ebd., 278,1f.), 220 um ihn später - ebenfalls heimlich - zu lesen. Erst in diesem Brief, der an Mordret adressiert ist, wird Artus explizit als sein Vater genannt und auch erneut der Tod des Königs prophezeit. Dies erfahren jedoch ausschließlich Lancelot und die Rezipienten, die somit gegenüber den Protagonisten einen Erkenntnisvorsprung erhalten. Wie bereits erwähnt, verschweigt Lancelot die Episode bei seinem âventiure- Bericht am Artushof und erzählt lediglich Ginover, ein Eremit habe vorausgesagt, daß Mordret Artus töten werde (ebd., 472,21ff.). Daß er Ginover von der Prophezeiung berichtet, hat seinen Ursprung im Besuch des Stephansmünsters nach der Einkehr am Artushof. Hier sieht Lancelot das Drachenbildnis und erkennt so, daß es war were das er [der Eremit] im gesagt hett (ebd., 410,1f.). Der bildliche ‹Beweis› der Prophezeiung, auf den der Einsiedler vor seinem Tod ja selbst hingewiesen hatte (ebd., 274,30f.), wird daher sowohl für Lancelot als auch für den Rezipienten bestätigt. 221 Während der Messe schweift Lancelots 182 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 219 Dies verweist natürlich schon implizit auf Mordrets spätere Missetat und bestätigt ferner die Wahrheit der Prophezeiung, insofern die Tat unmittelbar auf das zuletzt Vorausgesagte folgt. 220 Warum Lancelot nicht möchte, daß Mordret den Brief findet, ist nicht eindeutig zu erklären. Ist es die Furcht vor einer weiteren Missetat Mordrets oder lediglich Neugierde, die Lancelot so handeln läßt? Interessant im Hinblick auf die spätere Katastrophe ist jedoch, daß Lancelots Heimlichkeit, die ihre Parallele in seinem Verschweigen am Hof findet, zu einer weiteren Differenzierung innerhalb der Schuldfrage führt, da sein Handeln, ebenso wie Mordrets oder Ginovers, das ‹Ende› des Artusreiches mitverantwortet. Völlig unkommentiert bleibt hier auch, ob Mordret durch die Hinweise des Eremiten den edlen König mit Artus identifiziert oder ob er tatsächlich ahnungslos bleibt. 221 Einen vergleichbaren ‹Bildbeweis› liefern später natürlich auch Lancelots ‹Gemälde›, die jedoch ebenfalls nur den Rezipienten und zwei weiteren Protagonisten, Artus und Morgane, zugänglich sind (vgl. ‹Tod des Artus›, 642,3ff.). Zusätzlich zu den Bildern und den Inschriften fordert Artus hier jedoch noch Morganes bestätigendes Urteil ein, das die ‹Wahrheit› der Bilder belegt (ebd., 644,13ff.). Vgl. dazu Kolerus, Alexander: Aula memoriae. Zu Gestalt und Funktion des Gedächtnisraums im Tristan Gottfrieds von Straßburg und im mittelhochdeutschen Prosa-Lancelot. Frankfurt a.M. 2005 (Mikrokosmos, 74), bes. S. 246ff., sowie Ruberg, Uwe: ‹Lancelot malt sein Gefängnis aus› - Bildkunstwerke als kollektive und individuelle Memorialzeichen in den Aeneas-, Lancelot- und Tristan- Romanen. In: Erkennen und Erinnern in Kunst und Literatur. Kolloquium Reisenburg, 4.-7. Januar 1996. In Verbindung mit Wolfgang Frühwald hg. von Dietmar Peil u.a. Tübingen 1998, S. 181-194. Vgl. auch die Episode der ‹Crône›, Vv. 8853ff., in der Gawein, der sich bei Amurfîna aufhält, durch die bebilderte und mit Inschriften versehene Schüssel sich an seinen Namen und seine Aufgaben erinnert. Eine besondere Parallele zum Drachenbildnis im ‹Prosa-Lancelot› besteht darin, daß Amurfînas Vater die Bilder von seiner Niederlage gegen Gawein in die Schüssel gravieren (ergraben, V. 8853) ließ, um bis zu seinem Tod an sie erinnert zu werden (Vv. 8886ff.). Die Wirkung, die das Besehen der Bilder und das Lesen der Inschriften bei Gawein auslöst (vgl. Vv. 8936-9055), erinnert Blick fortwährend zwischen Mordret, Artus und dem Drachenbildnis hin und her, was Ginover beobachtet und letztlich dazu führt, daß sie Lancelot nach seinem Verhalten im Münster fragt (LGr. II, 472,22f.). Aber auch ihr verschweigt Lancelot, das der konig Mordreth gemacht hett; er wolt ir keyn wise schand sagen, wann er es nit eigentlich wúst o b e s a l s o w e r e (ebd., Herv. Verf.). Damit aber wird deutlich, daß Lancelot nur der eigentlichen Prophezeiung des Eremiten Glauben schenkt, den Inhalt des Briefes jedoch, der ja die Information von des Artus Vaterschaft nachliefert, weiterhin in Frage stellt, obgleich dieser Bezug zwischen Artus und Mordret ja über das Drachenbildnis bzw. den vom Eremiten geschilderten Traum des Artus gegeben ist. Lancelots Zweifel an der Gültigkeit der im Brief gelieferten Informationen 222 werden noch potenziert durch Ginovers Verhalten, die nit glaubt das er [Lancelot oder der Eremit? ] die warheit davon wißen mocht und daher Artus nichts von Lancelots Bericht erzählt (ebd., 474,1f.). 223 Dieses Schweigen Ginovers gibt dem Erzähler Anlaß zu einem der eher seltenen ausführlichen Erzählerkommentare, wenn er beklagt, daß die Katastrophe hätte verhindert werden können, hätte Ginover gegenüber Artus nicht geschwiegen: […] da schweig sie still, das manchem menschen zu großem schaden kam. Dann hett sie es dem konig gesagt das ir Lancelot zu versteen geben hett, der konig hett Mordreth uß sym hoff vertriben, wann im der sachen wol gedacht des er manche zeychen gesehen hett. Und so wer der groß mortlich stryt underwegen bliben, der syt was in dem schlechten zu Salebiere. (ebd., 474,3-9) Ginovers Schweigen und Mordrets Verrat 224 werden durch diese epische Vorausdeutung zur primären Ursache des bevorstehenden Untergangs erklärt. Es ist gerade dieser Verweis des Erzählers auf die Abwendbarkeit der Katastrophe, der - eingebettet in den Kontext der Quellenfiktion und der Frage, ob den Prophezeiungen, Figurenerzählungen und Schriftstücken Glauben zu schenken ist - zeigt, daß den Rezipienten sogar deutlich bewußt werden konnte, wie Quellenkonstrukt und Quellenfiktion 183 dann wiederum an Iweins Erwachen aus seinem Wahnsinn. Freilich stehen auch diese ‹Bildbeweise› in einer langen Tradition, erinnert sei hier an die Sage der Philomela, die die Vergewaltigung und Verstümmelung durch ihren Schwager Tereus kenntlich macht, indem sie das Geschehene mit Purpurfäden in ein weißes Gewand stickt. 222 Somit wird bereits hier deutlich, daß die Protagonisten nicht zwingend «uneingeschränkt [von der Autorität der Schrift] überzeugt sind», Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 188. 223 Es ist daher nicht ganz richtig, wenn von Merveldt festhält, daß Ginover es nicht wage, «Artus an das Memorialbild zu erinnern», Translatio und Memoria, S. 47. Folgt man der Erzählererläuterung, dann unterläßt sie es, Artus zu unterrichten, weil sie an der Wahrheit von Lancelots Bericht zweifelt. Es scheint Ginover daher weniger um eine negative Reaktion Artus’ zu gehen, als vielmehr um Zweifel an der Prophezeiung des Einsiedlers bzw. Lancelots Erzählung. Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 172, bemerkt zwar Ginovers Zweifel, schreibt ihnen aber keine Funktion zu und verzichtet auf eine Deutung. 224 Vgl. LGr. II, 474,13. groß die Diskrepanz zwischen dem entworfenen Quellenkonstrukt und seiner Relation zu den âventiure-Berichten der Ritter, insbesondere Lancelots, sich darstellt. Dies liegt auch daran, daß der Erzähler in seinem Kommentar eine deutlich begrenzte Interpretation des Geschehens bietet, insofern er die Lancelot-Ginover-Minne, die ja ebenfalls einen wesentlichen Bestandteil des folgenden Untergangs des Artusreiches liefert, vollkommen ignoriert. 225 Die monokausale Erklärung, die der Erzähler hier liefert, erfaßt also nur einen Aspekt der später erzählten Katastrophe, indem er die Entdeckung von Lancelots und Ginovers minne durch Artus und deren Folgen unberücksichtigt läßt. 226 Aber entsteht mit dieser eindimensionalen Erklärung des Erzählers tatsächlich ein «Freiraum fiktionalen Erzählens», der letztlich dadurch gebrochen wird, daß «Artus sein memento mori [das Gemälde im Stephansmünster] vergißt, weil er das Medium der Schrift nur als Abenteuerspeicher nutzt […]»? 227 Auch dies scheint - zumindest im Hinblick auf die hier besprochene Stelle - zu kurz gegriffen, denn Artus kann auf Grund der ihm von Lancelot und Ginover vorenthaltenen Informationen das Bildnis gar nicht richtig deuten und es also in Beziehung zu Mordret setzen (vgl. LGr. II, 474,4f.). 228 Das Artusreich - so wird es zumindest in der hier untersuchten Textstelle suggeriert - geht vielmehr auch an Lancelots und Ginovers Zweifel an der Wahrheit einer Prophezeiung bzw. eines Schriftstücks zugrunde. Hätte also Lancelot der Vorhersage des Eremiten und Ginover wiederum der Erzählung Lancelots geglaubt, dann wäre es nicht zur Katastrophe gekommen. 229 Warum aber zweifelt Lancelot an der Wahrheit des Briefinhalts und warum stellt Ginover Lancelots Bericht in Frage? Neben der Unsicherheit Lancelots, ob es also were, wie es der Eremit gesagt bzw. aufgeschrieben habe, gibt der Erzähler auch an, Lancelot habe Ginover nichts Unehrenhaftes erzählen wollen 184 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 225 Dies übersieht m.E. Ziegeler, Schrift und Wahrheit, der gerade hier den Erzähler als Garant der erzählten Wahrheit erkennt, S. 209. Durch die einseitige Deutung des Erzählers werden vielmehr die «Zweifel an der Wahrheit der historie», ebd., noch verstärkt, wenn die Rezipienten bemerken, daß auch der Erzähler nur einen Aspekt zu seiner Deutung heranzieht. 226 Ebenso wird auch das Ende der Suche nach dem Gral, das gleichzeitig das Ende der âventiuren bedeutet, als Bestandteil des Untergangs ausgespart. Vgl. dazu auch Unzeitig- Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 148. 227 Von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 47f. 228 Vgl. Klinger, Der mißratene Ritter, S. 448: «Das geheime Wissen um Artus’ Tod gelangt indes nicht an die Öffentlichkeit, und die Bruchstücke der verschlüsselten Geschichte fügen sich nirgends zu einem kohärenten Ganzem zusammen.» 229 Ebenso Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 209. Das Verhalten Lancelots und Ginovers spiegelt damit die auch bei Augustin begegnende Problematik wider, daß Belehren durch Worte allein nicht ausreicht, sofern nicht eine innere Einsicht diese Lehre durch Worte komplettiert: «Ergo ne hunc quidem doceo vera dicens vera intuentem; docetur enim non verbis meis, sed ipsis rebus deo intus pandente manifestis.» Augustinus, De magistro, 12,40. (LGr. II, 472,32f.); 230 und doch ist dies bloß ein Zusatz, der aus dem Zweifel des Protagonisten an der Wahrheit des Vorhergesagten resultiert. Damit aber wird den Rezipienten vor allem deutlich gemacht, daß weder das Berichten von Selbst-Gesehenem noch Schriftlichkeit (hier präsent in Form des Briefes) von den Protagonisten als verbindlich erachtet werden. 231 Ginover und Lancelot desavouieren folglich genau jenes Prinzip, das den Grundstein der im ‹Lancelot› begegnenden Quellenfiktion ausmacht, indem sie genau dann an dem ihnen Berichteten zweifeln, wenn sie ihm Gauben schenken sollten. 232 Damit ist zumindest für Lancelot festzuhalten, daß er als Augenzeuge und damit als verläßlicher Bestandteil der Quellenkonstruktion nicht taugt. Das Prinzip des Erzählens von âventiure scheitert also schon auf Ebene der narratio zumindest punktuell und fordert somit den Rezipienten nachgerade dazu auf, die «Problematisierung der Wahrheit von historia» 233 zu erkennen und auf die Quellenkonstruktion zu übertragen. Dieses Scheitern des Erzählens von âventiure legt nahe, das Verhältnis von Fiktionalität und Historizität im ‹Prosa-Lancelot› nicht allzu vorschnell zu beurteilen, zumal Lancelot nicht der einzige Protagonist ist, dessen Erzählen sich als unzuverlässig erweist. Dazu sei hier zusätzlich auf die Figur Dagenot verwiesen, von dem der Erzähler zu berichten weiß, daß er reyt dick aventur suchen, und als er wiedder kam, so seyt er, er hett zwen ritter dot geschlagen oder dry (LG I, 620,36f.). 234 Dagenots Erzählen seiner âventiuren steht damit dem Erzählvertrag zwischen Artus und seinen Rittern insofern entgegen, als sowohl auf der Ebene des discours sowie auf der Figurenebene offensichtlich wird, daß den Erzählungen des schnudels kein Glauben geschenkt werden Quellenkonstrukt und Quellenfiktion 185 230 Daß Lancelot schweigt, weil «er den König zu sehr liebt, als seine Schande aufdecken zu können», Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 172, steht so nicht im mhd. Text, der im Gegensatz zum ‹Lancelot en prose› ([…] car il amoit tant le roi que en nule manniere il ne volsist dire sa honte, Micha, Bd. VI, § 14, S. 60) auch hier Ginover in den Vordergrund rückt, indem der Eindruck erzeugt wird, Lancelot habe Ginover die Erzählung von der Schande ihres Gatten ersparen wollen. 231 Hier sei auch an Giflets Nachfrage erinnert, die die Wahrheit der Sarkophag-Inschrift anzweifelt, vgl. dazu ausführlich Kap. II.3.4 d.A. 232 Es gibt natürlich auch den entgegengesetzten Fall, wenn falschen Schriftstücken (vgl. die Episode um die falsche Ginover, Brief Bertelacs) oder Schriftzeichen (Inschriften) geglaubt wird. Vgl. dazu Kap. II.3.1 und II.3.2 d.A. 233 Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 208. Zieglers Zusatz, die Problematisierung sei radikaler kaum zu denken, ebd., möchte ich an dieser Stelle nicht übernehmen, da die untersuchte Textpassage ja eher auf die falsche Deutung der Figuren abhebt, die hier daran scheitern, daß sie Prophezeiung und Brief eben nicht trauen. Vgl. auch Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 188. 234 Dies sind typische Elemente wie sie sonst Keie beigefügt werden, der als quâtspreche (‹Erec›, V. 4664) nicht nur beleidigt, sondern auch Falsches über seine Taten erzählt (swaz er valsches gevüegen/ mit allem vlîze kunde/ mit werken und mit munde: / daz riet elliu sîn ger, Vv. 4651ff., vgl. auch ‹Erec et Enide›, Vv. 3964ff.). Vgl. auch ‹Iwein›, bes. Vv. 2454ff. sollte. Freilich wird damit keine explizite Demontage der Quellenfiktion geboten, deutlich aber wird, daß das Erzählen von âventiure auch ironisch gebrochen werden kann, wenn Dagenot als notorischer Lügner bzw. Prahlhans vorgeführt wird, dessen Berichte als unglaubwürdig klassifiziert werden. Seine Erzählungen laden also nicht zum Aufzeichnen, sondern zum Lachen ein, und zwar sowohl auf der Figurenebene als auch auf der Ebene der (textexternen) Rezipienten. Dagenot erscheint somit als Replik des Protagonisten Keiî, wie er im Artusroman Chrétienscher und Hartmannscher Prägung vorgeführt wird; denn wie Dagenot nutzt auch Keiî jedwede Gelegenheit, sich Taten zu rühmen, die er nicht begangen hat, oder andere Artusritter - so im ‹Iwein› 235 - fälschlich der Lächerlichkeit preiszugeben, 236 und auch er erzielt mit seinen Erzählungen zumeist eine komische Wirkung, die sich im Gelächter seiner Zuhörer offenbart (vgl. ‹Iwein›, V. 2504). Mit der Figur Dagenot und ihren Prahlereien scheint so kurzfristig auch ein Erzählen von âventiure auf, das innerhalb der im ‹Prosa-Lancelot› begegnenden Quellenkonstitution völlig unbrauchbar erscheint, da die Lügen des schnudels alles andere als zuverlässig sind: Man glaubt ihm selbst dann nicht, wenn er die Wahrheit sagt. 237 Für die Rezipienten aber, die das Erzählte überschauen, ergibt sich somit auch ein weiterer Hinweis auf die Instabilität der Quellenkonstitution selbst: Wenn derjenige, dessen Glaubwürdigkeit uneingeschränkt vorausgesetzt wird, bewußt schweigt, und dem vermeintlich Unglaubwürdigen, der die Wahrheit sagt, nicht geglaubt wird, dann geraten auch die traditionell zur Beglaubigung herangezogenen Strategien in Gefahr, ihren Anspruch auf Eindeutigkeit zu verlieren. Indes bleibt weiterhin zu fragen, ob diese Unstimmigkeiten innerhalb des Quellenkonstrukts tatsächlich dazu dienen sollen, das Erzählte in den Bereich einer Fiktionalität zu weisen, die ihre Legitimationsfunktion preisgibt. 238 Um dies genauer herauszuarbeiten, werden im folgenden die Aspekte Schriftlichkeit und Täuschung sowie ihr Bezug zur Historizitätskonstitution genauer untersucht. Dieses Kapitel soll vor allem dazu dienen, den Zusammenhang zwischen dem inkongruenten Historizitätsanspruch des Quellenkonstrukts und der Ausprägung traditioneller Beglaubigungselemente, wie sie innerhalb der narratio begegnen, aufzudecken und nach ihrer Funktion zu fragen. 186 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 235 Vgl. die Vv. 108ff. und 2454ff. 236 Vgl. Wandhoff, künec, vernemt von mir! , S. 126ff. 237 So bei Iweins Erzählung über Lancelots Kampf gegen zwei Riesen, während der Dagenot dreimal demonstrativ darauf aufmerksam macht, daß er derjenige gewesen sei, der den vortrefflichen Ritter gefangengenommen habe (LG I, 628,25f., 630,16f. und 630,22f.), was wiederum zu großem Gelächter bei der Hofgesellschaft führt (ebd.). 238 Vgl. Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 212. II.3 Täuschung, Schrift und historia «Doch vertraue nicht Blättern deine Sprüche an, damit sie durcheinandergewirbelt fortfliegen, ein Spiel für raffende Winde. Weissage, bitte, du selber! » 239 Diese Bitte, die Aeneas an Sibylle richtet, ist insofern bemerkenswert, als sie gerade den Aspekt von Schrift(lichkeit) bzw. Verschriftlichung widerlegt, der ein Gemeinplatz zu sein scheint: Die Möglichkeit zur Fixierung und zur Akkumulation von Berichtetem, Erzähltem bzw. von Wissen 240 wird hier gleichsam ad absurdum geführt, da die Blätter, auf denen die carmina festgehalten werden, in Unordnung geraten und somit die Fixierung des Geweissagten nichtig wird; zwar bleibt die Prophezeiung ‹gespeichert›, aber sie ist unverständlich geworden 241 und «läßt die Auskunft Suchenden ratlos davonziehen». 242 Das unmittelbare Hören wird dem tolle, lege 243 vorgezogen, und dem Glauben an die Verbindlichkeit sowie an die Autorität und damit Wahrheit von Schrift, Täuschung, Schrift und historia 187 239 ‹Aeneis›, VI,74ff. «[…] foliis tantum ne carmina manda,/ ne turbata volent rapidis ludibria ventis,/ ipsa canas oro.», vgl. auch ebd., III,441ff.: «quaecumque in foliis descripsit carmina virgo,/ digerit in numerum atque antro seclusa relinquit,/ illa manent inmota locis neque ab ordine cedunt; / verum eadem, verso tenuis cum cardine ventus/ inpulit et teneras turbavit ianua frondes,/ numquam deinde cavo volitantia prendere saxo/ nec revocare situs aut iungere carmina curat: [...].» 240 Vgl. Rösler, Die Entdeckung der Fiktionalität, bes. S. 303ff., vgl. auch Eric A. Havelock: Schriftlichkeit. Das griechische Alphabet als kulturelle Evolution. Weinheim 1990 (Acta humaniora). Zur Schriftkritik Platons (Phaidros) vgl. Szlezák, Thomas Alexander: Platon und die Schriftlichkeit der Philosophie. Interpretationen zu den früheren und mittleren Dialogen. Berlin, New York 1985, bes. S. 7-47. Vgl. auch den bei Johanek, Die Wahrheit der mittelalterlichen Historiographen, angeführten Beleg, aus der ‹Fundatio Biburgensis›: «Omnia tollit aetas […], litterae solae suffragantur memoriae.» Zitiert nach ebd., S. 17 (Anm. 34). 241 Natürlich muß bedacht werden, daß diese Äußerung des Aeneas innerhalb eines komplexen schriftlich konzipierten Werks geäußert wird, und sie darf daher natürlich nicht überbewertet werden. Trotzdem scheint mir diese Figurenrede insofern von Bedeutung, als sie auf ein grundlegendes Problem der Schriftlichkeit hinweist, das darauf abzielt, zu zeigen, daß auch das vermeintlich ‹Festgeschriebene› nicht zwangsläufig konsistent sein muß. 242 Ernst, Ulrich: Formen der Schriftlichkeit im höfischen Roman des hohen und späten Mittelalters. In: FMS 31 (1997), S. 252-369, hier S. 269. 243 Augustinus, Confessiones/ Bekenntnisse, VIII, 12,29. Freilich steht die an Augustin gerichtete Aufforderung ‹Nimm, [und] lies› in einem völlig anderen Kontext, insofern sie nicht eine Prophezeiung meint, sondern sich auf die historia sacra bezieht, somit nach mittelalterlich-christlichem Verständnis einen absoluten Wahrheitsanspruch verkündet und überdies rhetorisch stilisiert ist. Und doch besagt dies nicht, daß Worte bzw. Schrift generell nicht täuschen oder gar lügen könnten bzw. nicht der Auslegung und des richtigen Verständnisses bedürften. Der Autorität der Schriftlichkeit korrespondiert also stets eine besondere Interpretationsbedürftigkeit. Vgl. Ohly, Friedrich: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter. In: ders.: Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung. Darmstadt 1977, S. 1-31, bes. S. 2f. und 6f., sowie Knapp, Erkenntnis und Fiktion. In: Historie und Fiktion (II), bes. S. 229ff. Täuschung, Schrift und historia wie sie u.a. für das christliche Mittelalter beobachtet werden kann, 244 wird kritisch begegnet. 245 Für das mittelalterliche Verständnis hingegen gilt, daß «[d]ie Bibel als das Wort Gottes […] der Schrift eine Bedeutung [verleiht], die weit über die eines bloßen Überlieferungsträgers hinausgeht. Sie ist selbst Autorität». 246 Dieser Verbindlichkeit des schriftgewordenen Wortes Gottes 247 korrespondiert dabei das Bestreben, sich innerhalb der volkssprachlichen Literatur «den Normen der etablierten lateinischen Schriftkultur, die vom literarischen Text Übereinstimmung mit der historischen Tradition und, eng damit verbunden, Wahrheit fordert», 248 anzupassen. Die der Schrift inhärent gedachte auctoritas verbindet sich demnach mit dem Anspruch der (meisten) mittelalterlichen Dichter, ihr Werk in einen schriftlichen Traditions- und Überlieferungszusammenhang zu stellen, der die Wahrheit des Erzählten exponiert. 249 Diese ‹Autoritätshörigkeit› des Mittelalters und insbesondere der Glaube an die Autorität der Schrift 250 sollte freilich auch nicht zu eindimensional betrachtet werden; denn schon Augustin weist eindringlich darauf hin, daß Wörter «mißverständlich, irrtümlich, falsch lügnerisch und betrügerisch verwendet werden» 251 können. Die Bereitschaft, Schrift per se als Kriterium von 188 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 244 Vgl. Hagenlocher, Albrecht: Littera Meretrix. Brun von Schönbeck und die Autorität der Schrift im Mittelalter. In: ZfdA 118 (1989), S. 131-163, sowie Fuhrmann, ‹Mundus vult decipi›, bes. S. 535ff., Wehrli, Max: Literatur im deutschen Mittelalter. Eine poetologische Einführung. Stuttgart 1998 (RUB, 8038), bes. Kap. V, Kellermann, «Exemplum» und «historia», S. 10f., Ernst, Formen der Schriftlichkeit, S. 258. 245 Vgl. dazu grundlegend Rösler, Die Entdeckung der Fiktionalität. 246 Hagenlocher, Littera Meretrix, S. 132. 247 Vgl. ebd., S. 132ff., Knapp, Erkenntnis und Fiktion. In: Historie und Fiktion (II), bes. S. 230f., sowie Wehrli, Eine poetologische Einführung, bes. Kap. III, S. 50f. In der Bibel selbst wird dieser Autoritätsanspruch exponiert, so in der Offenbarung des Johannes 22,18-19: «Ich bezeuge jedem, der die prophetischen Worte hört: Wer etwas hinzufügt, dem wird Gott die Plagen zufügen, von denen in diesem Buch geschrieben steht. Und wer etwas wegnimmt von den prophetischen Worten dieses Buches, dem wird Gott seinen Anteil am Baum des Lebens und an der heiligen Stadt wegnehmen, von denen in diesem Buch geschrieben steht.» Zitiert nach Neue Jerusalemer Bibel, S. 1808. Vgl. auch Dtn. 4,2, 13,1, Spr. 30,6 und Koh. 3,14. 248 Butzer, Das Gedächtnis, S. 167. 249 Vgl. Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, bes. S. 19ff., Ernst, Formen der Schriftlichkeit, S. 258f., sowie Schmitz, Die Autorität, S. 477, und dies., Die Poetik der Adaptation, S. 63f. 250 Vgl. dazu das zwar plakative und dennoch nicht per se abzulehnende Urteil Beumanns dem Mittelalter habe «Originalität nichts, Autorität alles bedeutet». Ders.: Die Historiographie des Mittelalters als Quelle für die Ideengeschichte des Königtums. In: Historische Zeitschrift 180 (1955), S. 449-488, hier S. 472. 251 Knapp, Erkenntnis und Fiktion. In: Historie und Fiktion (II), S. 230, mit Bezug auf Augustinus ‹De magistro›, 10,33. Vgl. auch Flasch, Kurt: Augustin. Einführung in sein Denken. 3., bibl. erg. Aufl. Stuttgart 2003, bes. S. 80-86. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, daß nach Augustin «den Menschen die Sprache nicht gegeben ist, damit Autorität und damit Glaubwürdigkeit anzunehmen, darf demnach als gängige (literarische) Legitimationsstrategie nicht unterschätzt, gleichwohl für den gelehrt-mittelalterlichen Diskurs nicht überbewertet werden. Insbesondere im Hinblick auf die Scholastik muß bedacht werden, daß das Hinterfragen der auctoritates bzw. deren unterschiedlicher Annahmen und Äußerungen (etwa bei Abaelard) dazu führte, Widersprüche aufzudecken und somit Autoritätskritik zu betreiben. 252 Dies darf natürlich nicht dazu verleiten, den philosophischen/ theologischen Diskurs einfach auf das ‹System› (volkssprachliche) Literatur zu übertragen, zumal bereits die frühe volkssprachliche Dichtung bemüht ist, den Wahrheitsanspruch der lateinischen (christlichen) Literatur zu übernehmen; und dennoch bleibt festzuhalten, daß die Gleichung Autorität/ Schriftlichkeit = Wahrheit auch hinterfragt werden konnte. Während also im Bereich der Literatur auf der einen Seite die Autorität von Schrift den «Zwang zur Quellenangabe» bedingt, da «Tradition, Autorität und Wahrheit zusammengedacht werden», 253 bezeugen auf der anderen Seite der sich spielerisch-distanzierende Umgang einiger Verfasser mit der traditionellen Quellenbzw. Autoritätsberufung 254 sowie solche Textpassagen, in denen die Verläßlichkeit und/ oder Ambiguität von Schrift implizit oder explizit thematisiert wird, ein diffizileres Bild. 255 Täuschung, Schrift und historia 189 sie sich gegenseitig täuschen, sondern damit sie einander ihre Gedanken mitteilen. Wer also die Sprache zur Täuschung mißbraucht, mißbraucht die Sprache und das ist Sünde.» Weinrich, Harald: Linguistik der Lüge. Heidelberg 1970 (Kann Sprache die Gedanken verbergen? Antwort auf die Preisfrage der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung vom Jahre 1964), S. 9f. Es handelt sich demnach nicht nur um eine Kritik sprachlicher Zeichen, sondern auch um eine Kritik an deren Verwendung. 252 Vgl. Flasch, Kurt: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli. 2., rev. und erw. Aufl. Stuttgart 2006 (RUB, 18103), bes. S. 88 und 221ff., ders.: Einführung in die Philosophie des Mittelalters. Darmstadt 1987, bes. S. 83. Auch bei Abaelard muß gleichwohl betont werden, daß die Gegenüberstellung konträrer Autoritäten bzw. deren Hinterfragung nicht dazu führt, das schriftgewordene Wort Gottes, die Bibel, anzugreifen, ebd., S. 221. 253 Butzer, Das Gedächtnis, S. 155. 254 Vgl. dazu bes. Kap. I.2.2.2 d.A., sowie Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, passim. Schmitt weist zwar zu Recht darauf hin, daß Quellenberufungen auch «im späten 12. Jahrhundert grundsätzlich ernst genommen werden können und nicht vorschnell als unernst oder formelhaft abgetan werden dürfen», ebd., S. 10f., doch darf gleichwohl auch die Ernsthaftigkeit einiger Wahrheitsbeteuerungen nicht überwertet werden. Wenn der Erzähler in Strickers ‹Daniel› Lamprechts ‹Alexander›-Prolog zitiert und darum bittet, daß ihn niemand schelten möge, wenn er lüge, da er in diesem Fall nur die Lüge meister Albrichs wiedergebe (Vv. 13f.), dann ist diese vermeintliche Absicherung eben mehr als ‹Autoritätshörigkeit› und Quellentreue: Die Lüge ist nicht nur von vornherein einkalkuliert, sondern sie wird über den intertextuellen Verweis sowohl auf Lamprecht als auch auf den ‹Iwein› (vgl. Vv. 23ff.) geradezu exponiert. 255 Es geht zweifelsohne nicht darum, einen direkten Einfluß des philosophischen Diskurses, wie er im 12. und 13. Jahrhundert begegnet, auf die volkssprachliche Dichtung zu propagieren. Was allerdings beobachtet werden kann, ist - so z.B. bei Gottfried von Straß- Wenn im ‹Lancelot› z.B. an zahlreichen Stellen vorgeführt wird, daß Schrift nicht verläßlich sein muß, ja sogar bewußt täuschen kann und daß die Protagonisten der (schriftlichen) Lüge glauben und die Wahrheit verwerfen, dann liegt es nahe, mit Ziegeler anzunehmen, daß «am Ende auch die Entstehungs- und Rezeptionsbedingungen des eigenen Mediums, die Konstituenten von ‹Roman› und ‹Geschichte› reflektiert werden». 256 Während also die eingangs zitierte Figurenrede aus der ‹Aeneis› auf eine Unterscheidung zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation und deren Gelingen abhebt, verweist die Frage Giflets beim Anblick von Artus’ Grabstätte im ‹Prosa-Lancelot› auf einen weiteren Aspekt: « ‹Herre, umb got, ist diß schrifft ware? › » (‹Tod des Artus›, 1008), indem sie den Wahrheitsgehalt einer Inschrift anzweifelt und damit auf die Problematik ihrer Verläßlichkeit hinweist (vgl. Kap. II.3.4 d.A.). Daß die Nachfrage Giflets gleichzeitig auch die Zweifel der Rezipienten an der Wahrheit der inscriptio widerspiegeln kann, erklärt sich aus der Tatsache, daß der ‹Prosa-Lancelot› eine Reihe von Episoden bietet, in denen die Aspekte Wahrheit und Autorität von Schrift der Reflexion übereignet und problematisiert werden. Auf diese Verbindung von Schrift und Wahrheit auf der einen und Täuschung und Lüge auf der anderen Seite hat vor allem Ziegeler aufmerksam gemacht, wenn er festhält, daß im ‹Prosa-Lancelot› «nicht allein die Wahrheit der Schrift, sondern auch ihre Fälschungen und die mit ihr möglichen Verfälschungen in den Blick [geraten]». 257 Es bleibt allerdings zu fragen, ob diese Problematisierung von historia es den Rezipienten tatsächlich - wie Ziegeler meint - ermöglicht, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden, 258 oder ob sie nicht vielmehr dazu anhält, eine solche Unterscheidung noch zu erschweren. Im folgenden soll dies anhand der Untersuchung der Episode der ‹falschen Ginover› 259 und des Fräulein von Challot sowie im Hinblick auf weitere ausgewählte Inschriften näher beleuchtet werden. 190 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› burg oder (obgleich auf wiederum andere Weise) bei Wolfram - ein anderer Umgang mit dem Prinzip der Vorlagen- und Autoritätsberufung und der mit ihr verbundenen Schriftlichkeitsthematik. Wenn der Erzähler im ‹Tristan›-Prolog angibt, er wolle - in der Folge des Thomas von Britanien und seines eigenen Quellenstudiums - rehte von Tristan erzählen (vgl. Vv. 131ff.), dann ist auch hier «die Objektivität [der Quelle, Verf.] als Aufgabe gedacht […]», Flasch, Das philosophische Denken, S. 221. 256 Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 203. 257 Vgl. ebd., vgl. auch Waltenberger, Das große Herz, bes. S. 144ff. und 178f., Burns, Arthurian Fictions, Reil, Liebe und Herrschaft, bes. S. 254, Klinger, Der mißratene Ritter, bes. S. 445ff. 258 Vgl. Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 213. Ich kann Ziegelers Argumentation, der ‹Prosa- Lancelot› habe an der Fiktion und ihrer widersprüchlichen Wahrheit festgehalten, da sie die einzige Möglichkeit biete, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden, nicht ganz folgen. Mir ist nicht einsichtig, warum gerade Fiktion (oder Fiktionalität? ) die einzige Möglichkeit bieten sollte, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Ferner ist unklar, ob Fiktion per se durch eine widersprüchliche Wahrheit gekennzeichnet ist. 259 Die Überlieferungslage der Reise nach Sorelois und der in sie integrierten ‹falschen Ginover›-Episode ist im Afz. äußerst komplex: Es scheint drei Fassungen zu geben (1. version II.3.1 Die falsche Ginover und Bertelacs Brief Zeitgleich mit Galahots Boten, die Artus einen Brief des schönen Joianden s v ne überbringen sollen, in dem Galahot um einen erfahrenen Traumdeuter bittet (LG II, 30,29ff.), trifft auch eine weitere Botin mit einem prächtig ausgestatteten Gefolge am Artushof ein (ebd., 32,5ff.). Die junge Dame ist aufwendig gekleidet, in edle orientalische Seide und Hermelin gehüllt und von so schöner Beschaffenheit, daß alle sie zu wunder bestaunen. Sie tritt vor Artus und grüßt ihn, schränkt jedoch ihre Ehrerbietung sogleich ein: « ‹[…] den besten konig der nu lebet und den edelsten, ob ein dat nit were! › » (ebd., 32,20f.). Als Artus daraufhin fragt, womit er diese Schmähung verdient habe, willigt die Botin sogleich ein, ihm ihre Rede zu erklären: « ‹[…] Ich kam her umb ein die wunderlichsten abenture die ie kein ritter gehort; alles das sol erschrecken das in dem hof ist, wann ich’s uch sagen, und ir allermeist! › » (ebd., 32,30ff.). Die Ankündigung der Botin ist aus zweierlei Gründen bedeutsam: Zum einen macht sie direkt auf die Ungeheuerlichkeit ihrer Nachricht und auf deren vermeintliche Wirkung aufmerksam. Zum anderen bezeichnet sie ihre erschreckenden Neuigkeiten als die wunderlichsten abenture, die jemals am Artushof vernommen worden seien. Zwar scheint âventiure hier mit ‹Begebenheit› 260 bzw. ‹Angelegenheit›, wie Steinhoff übersetzt, passend übertragen, und doch wird auch an den ‹traditionellen› bzw. dem ‹Prosa-Lancelot› eignenden âventiure- Begriff erinnert, da der Aspekt des Erzählens von âventiure am Hof (die ie kein ritter gehort) aufgegriffen wird. Die sich anschließende Denunzierung Ginovers gerät folglich auf Figurenebene auch zur Provokation des Artushofes bzw. wird zu einer Herausforderung der arthurischen Gemeinschaft stilisiert. 261 Die Botin läßt sich einen versiegelten Brief reichen und bittet Artus um Sicherheit, da das, was sie berichten wolle, ihm und auch dem Hof nicht gefallen werde (ebd., 34,5ff.). Artus sichert dies zu, und die Botin erklärt, daß die Begründung für ihre Schmähung Artus’ alhie geschriben stett in dißem brieff den ich uch bracht han (ebd., 34,14f.). Ehe der Brief aber verlesen werden solle, müßten alle Angehörigen des Hofes (arm und riche) versammelt werden, um den Inhalt des Briefes zu erfahren. Dieses Insistieren auf der öffentlichen Verlesung des Briefes verleiht der Nachricht im Hinblick auf die bereits angedeuteten ‹erschreckenden› Aspekte umso mehr Nachdruck, da die folgende Anschuldigung der Botin somit rechtlichen Charakter erhält. 262 Artus leistet auch Täuschung, Schrift und historia 191 longue, 2. version courte, 3. version spéciale), wobei der ‹Prosa-Lancelot› «einer Mischredaktion aus ‹version longue› und ‹version courte›», Steinhoff, Kommentar zu LG II, S. 963, folgt. Vgl. dazu Kennedy, Elspeth: The two Versions of the False Guinevere Episode in the Old French Prose Lancelot. In: Romania 77 (1956), S. 94-104 (zum P-L, S. 104). 260 Vgl. BMZ I, S. 67. 261 In dieser Funktion weist die Rede bzw. Erzählung der Botin Parallelen zur Kâlogrenant-Erzählung auf. Vgl. auch die Herausforderung des Artus durch Matûr im ‹Daniel›, Vv. 439ff. 262 Vgl. den Art. ‹Öffentlichkeit› im LMA VII, Sp. 318f., sowie Wenzel, Hören und Sehen, passim. Ernst, Formen der Schriftlichkeit, weist darauf hin, daß fingierte Briefe häufig diesem Wunsch Folge, und nach kurzer Zeit ist der ganze Hof voller Menschen, und der Brief kann verlesen werden. Den ersten Schreiber, der mit dieser Aufgabe betraut wird, verläßt nach Überfliegen des Briefinhalts der Mut (LG II, 34,32ff.), und auch der zweite Schreiber weigert sich, den Inhalt des Briefs wiederzugeben (ebd., 36,14ff.); 263 er beginnt bitterlich zu weinen und klagt Artus, daß er sich eher den Kopf abschlagen lasse, als eine solche untruwe zu berichten. Mit dem Begriff untruwe ist damit auf Figurenebene implizit der Aspekt des Betrugs 264 angesprochen, der den Inhalt des Briefs zwar richtig erfaßt, aber auf Figurenebene ohne Wirkung bleibt. Erst der nun von Artus hinzugezogene Kaplan erklärt sich bereit, den Inhalt des Briefes vorzutragen, freilich erst nachdem auch er versucht hat, sich der Aufgabe zu entziehen und sie an einen jungen pfaffen zu delegieren (ebd., 36,34f.). Der Inhalt des Briefes, den der Kaplan wiedergibt, wird der Ankündigung der Botin vollends gerecht: Königin Ginover von Tamelirde beschuldigt Ginover, sie um ihren Platz an der Seite Artus’ betrogen zu haben. Sie sei die rechtmäßige Königin, Ginover eine Betrügerin, die man Artus untergeschoben habe (und wart diße Genuvere, die du iczunt hast, an myn stat gelegt; das enweiß ich ob es din rádt were oder nit, ebd., 38,31f.). Artus solle ihr, der vermeintlich ‹echten› Ginover, Recht widerfahren lassen, indem er sie wieder zur Gemahlin nehme, und er solle die ‹falsche› Ginover ihrer Tat gemäß verurteilen (ebd., 40,9ff.). Schließlich ergänzt die Botin den Brief um weitere Details, insbesondere um den Hinweis auf die ‹berühmte› Tafel, die Artus von Leodagan, dem Vater der vorgeblich ‹echten› Ginover, erhalten habe (ebd., 46,17ff.). Der Brief und die Rede der Botin verfehlen ihre Wirkung nicht - Artus ist so bestürzt, das er sins sinnes ein gut teil da mit verlose und siner wißheit (ebd., 46,29f.) 265 und sogleich Zweifel an der Unschuld seiner Frau hegt. 266 Der 192 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› «an der höfischen Öffentlichkeit teilhaben», S. 320f. Vgl. auch die Erzählerbemerkung im ‹Wälschen Gast›, die - in Auseinandersetzung mit Walthers von der Vogelweide ‹Papstsprüchen› - auf deren Glaubwürdigkeit aufmerksam macht, indem der Erzähler konstatiert: «wan ich bin dâ gewesen/ da ich hôrt offenlîchen lesen/ sînen brief […]./ des babstes bote den brief las/ dâ manic biderbe man was» (Vv. 1183ff.). 263 Ein vergleichbares Beispiel aus ‹Mai und Beaflor› nennt Ernst, Formen der Schriftlichkeit, S. 322ff: «er [der kapellân] brach in [den Brief] ûf und nam sîn war./ heimlîch er in überlas./ dô er besach waz dar an was,/ ûz der hant er in warf» (141,29ff.). 264 Vgl. Gr. Lexer II, Sp. 1945, und BMZ III, S. 108. 265 Diese Einschätzung des Erzählers verweist zugleich auf Artus’ spätere Entscheidung, die falsche Ginover entgegen dem Urteil, das zu Ginovers Gunsten ausfällt, als Königin bei sich zu behalten (LG II, 140f.). Schon während des Artus Gefangenschaft bei der falschen Ginover wird dies deutlich, wenn Artus ihr so zugetan ist, daß er synes rechten wibes ein gut teil da mit vergaß, die biß da lieber was gewesen dann sinselbes lip (ebd., 114,9ff.). 266 Interessant ist Ginovers Reaktion auf Artus’ Vorwurf, da sie ihm entgegnet, sie werde, so Gott wolle, für immer von dem Vorwurf frei bleiben, eine Dame oder ein Fräulein betrogen zu haben (LG II, 48,1-3). Den Betrug an ihrem Gatten, also die Liebe zu Lancelot, nimmt sie damit aus. Was hier auf der Figurenebene wie die bloße Reaktion Betrug geht also auf: Artus setzt einen Gerichtskampf auf Maria Lichtmeß fest, bei dem beide Parteien anwesend sein sollen. Neben den Folgen dieser Episode für die Lancelot-Ginover-Minne und Lancelots Bindung an den Artushof ist für die Fragestellung der Arbeit von besonderer Bedeutung, wie der Betrug Bertelacs und der falschen Ginover inszeniert wird. Die Rezipienten des ‹Prosa-Lancelot› erfahren unmittelbar nach der Anschuldigung davon, daß es sich bei der Verleumdung Ginovers um eine Intrige handelt, 267 die von Bertelac eingefädelt wurde (LG II, 52,16ff.). 268 Im Gegensatz dazu steht die Unwissenheit der Figuren, die geneigt sind, dem Betrug auf Grund seiner besonderen Konstitution Glauben zu schenken: Sie forchten das sie [die ‹echte› Ginover] unrecht hett durch die w u r t z e i c h e n die die jungfrau dem konig gesagt hett, und wusten nit des Bertelac der Alt die verretniß alle gemach het. Ich will uch sagen wie das were: […]. (ebd., 52,16-19, Herv. Verf.) Die wurtzeichen 269 sind also das ausschlaggebende Moment, das die Zweifel an Ginovers Unschuld auf der Figurenebene evoziert. Diese wurtzeichen, also im engeren Sinne die Worte der Botin und der Wortlaut des Briefes, werden demnach auf Figurenebene als Bürgen der (vermeintlichen) Wahrheit verstanden, «ihnen eignet der Charakter von ‹Wahrzeichen›». 270 Zusätzlich zu dem Brief Täuschung, Schrift und historia 193 auf die Anschuldigung klingt, ist also für die Rezipienten ein impliziter Hinweis auf den Betrug Ginovers an Artus, dessen sie sich tatsächlich schuldig gemacht hat. Vgl. auch Schmid, Elisabeth: Wahrheitsspiele in der Mort Artu. In: GRM N.F. 49 (1999), S. 373-389, hier S. 377f. 267 Die Intrige besteht darin, die Tochter eines Truchsessen König Leodagans (= Vater der ‹echten› Ginover), die Ginover zum Verwechseln ähnlich sieht, König Artus ‹unterzuschieben›. Als der Plan entdeckt wird, wird die Tochter verbannt, Bertelac holt sie jedoch zurück und fädelt den neuen, hier erzählten Plan ein. Unklar bleibt dabei allerdings, warum Artus sich nicht an diesen bereits vereitelten Betrug erinnern kann. 268 Vgl. Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 210. Im ‹Lancelot en prose› wird dieser an die Rezipienten gerichtete Hinweis erst unmittelbar vor dem Gerichtskampf gegeben. Vgl. ebd., sowie Steinhoff, Kommentar zu LG I und LG II, S. 971 und 982. Ob es sich hierbei um eine bewußte Änderung des ‹Prosa-Lancelot› gegenüber der Vorlage handelt, kann auf Grund der komplexen Überlieferungsverhältnisse des afz. Werks nicht eindeutig erschlossen werden (vgl. Anm. 259 d. Kap.), ist aber auch nicht per se abzulehnen. 269 Vgl. Kellner, Beate: ‹Wort› - ‹Wortzeichen› - ‹Schrift›. Formen von Herrschaftssicherung, Sicherheitsleistung und Rechtsbindung im ‹Friedrich von Schwaben›. In: Gespräche - Boten - Briefe, S. 154-173, bes. S. 161-168, sowie den Eintrag wârzeichen/ wortzeichen in BMZ III, S. 864. Vgl. auch wortzeichen in Gr. Lexer III, Sp. 980: «zeichen das die stelle der worte vertritt od. in worten gegeben wird.» Vgl. auch die Rede von Morganes Botin, LG II, 284,21-25, in der sie Lancelot für tot erklärt und Ginover - diesmal wahrheitsgemäß - der Untreue bezichtigt. Vgl. zur Thematik auch die von Wenzel, Hören und Sehen, angeführten Abbildungen zur Beglaubigung durch Zeugen bzw. Schriftstücke, S. 362 und 363 (Abb. 46 und 47). 270 Kellner, ‹Wort› - ‹Wortzeichen› - ‹Schrift›, S. 161. Zur Semantik von wurt- und wârzeichen vgl. ebd., bes. Anm. 9 und 10. und der Rede der Botin 271 fungieren darüber hinaus auch die Begleiter der Botin insofern als Wahrzeichen der Anschuldigung, als sie - vor allem Bertelac selbst, den Artus nicht zuletzt auf Grund seines Alters als vertrauenswürdig einstuft (LG II, 42,21-24) 272 - die Rede der Botin beglaubigen und damit deren Wahrheit verbürgen sollen (ebd., 40,24f.). Diese drei Komponenten dienen demnach als Zeichen der (vermeintlichen) Wahrheit dazu, den Betrug glaubwürdig erscheinen zu lassen. 273 Insbesondere der Brief und die Erzählung der Botin sind hier von Interesse, da sie - als bewußte Lügen 274 - den Aspekt der Unzuverlässigkeit, ja Manipulierbarkeit von Schrift bzw. Erzählen thematisieren. Der Brief, der in groben Zügen dem von der Rhetorik geforderten Aufbau entspricht, 275 ist - so erfahren es die Rezipienten unmittelbar nach dem Abzug der Botin - von Bertelac (ge)dichtet worden, um der ‹falschen› Ginover zum Thron zu verhelfen: Da dichtet Bertelac den brieff und santen dem konig Artus als ir gehört hant (ebd., 54,6f.). Steinhoff überträgt das Verb ‹dichten› hier mit ‹diktieren› (ebd., 55,6), weil «Briefe, private wie öffentliche von einem Schreiber nach mündlichem 194 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 271 In dem Brief selbst wird auf die weiteren ‹Beweise› verwiesen, so auf die Botin, auf Bertelac sowie auf das Gefolge der Botin, das ebenfalls die Wahrheit des Briefinhalts bestätigen könne (LG II, 40,24ff.). 272 Auch diese Fehleinschätzung des Artus läßt sich als implizite Artuskritik werten, zumal seine Ritter - allen voran Gawein - Bertelac nicht uneingeschränkt positiv einschätzen (vgl. LG II, 48f.). 273 Hier bietet sich demnach eine interessante Verknüpfung von Beglaubigungsstrategien, insofern die Anschuldigung Ginovers durch zwei grundlegende Elemente ‹rechtskräftig› wird: Zu der wahrheitsverbürgenden Schrift tritt die Beglaubigung/ Bestätigung durch Personen. Diese personengebundene Zeugnisfunktion beginnt im 13. Jahrhundert an Gewicht zu verlieren, indem die Schrift an ihre Stelle tritt. Vgl. dazu Wenzel, Horst: Szene und Gebärde. Zur visuellen Imagination im Nibelungenlied. In: ZfdPh 111 (1992), S. 321-343, hier S. 331, der einen Beleg aus dem ‹Schwabenspiegel› (um 1280) anführt: «Wir sprechen, daz brieve besser sint danne geziuge. Wan geziuge die sterbent: so beliebent die brieve immer staete.» 274 Ich verwende die Bezeichnung ‹bewußt› insofern, als die Lüge hier «von einer bewußten Täuschungsabsicht begleitet ist», Weinrich, Linguistik der Lüge, S. 13, und damit auch das wesentliche Kriterium der Augustinischen Lüge-Definition erfüllt: «mendacium est enuntiatio cum voluntate falsum enuntiandi.» Augustinus, De mendacio, IV. Insbesondere der Zusatz, ‹mit dem Willen/ der Absicht, Falsches auszusagen›, ist bedeutsam, da er schon in seiner Formulierung an die Bewertung der fabulae erinnert, die dann toleriert werden können, wenn sie sich nicht in den Dienst der Täuschung stellen, ihnen also die ‹intentio fallendi› fehlt. 275 Vgl. Konrad von Mure: Die Summa de arte prosandi des Konrad von Mure. Hg. Walter Kronbichler. Zürich 1968 (Geist und Werk der Zeiten, 17), S. 460: «Unde dicamus, quod epistule tam apud antiquos quam apud modernos qunique sunt partes da maius, uidelicet salutatio, exordium, narratio, petitio, conclusio.» Während der Aufbau des Briefes sich an dieses Muster ziemlich eng anlehnt, ist der Inhalt des Briefes freilich so diskreditierend und kompromittierend, daß er zur Beleidigung gerät. Vgl. ebd., S. 469: «petitio uititatur, que non continet in se uel rectum uel honestum vel necessarium». Diktat verfaßt» 276 wurden. Dies ist im Hinblick auf «die Realität des 13. Jahrhunderts» 277 sicherlich richtig, doch sollte überlegt werden, ob das Verb tihten in einer Episode, die die Täuschungsmöglichkeiten eines Schriftstücks bzw. einer Erzählung thematisiert, nicht noch andere Konnotationen transportiert. 278 Zieht man die Möglichkeit in Betracht, mhd. ‹tihten› mit ‹(lügenhaft) erfinden und ersinnen› 279 zu übertragen, dann würde diese Übersetzung dem Brief Bertelacs insofern gerecht, als die negativen Konnotationen hier deutlich hervortreten: 280 Der Brief könnte demnach im traditionell-negativen Sinne als ‹Fiktion› verstanden werden, weil hier frei Erfundenes zur Täuschung dient. 281 Dabei ist auch zu bedenken, daß die ‹falsche› Ginover in dem Brief zwar selbst darauf hinweist, daß sie den brieff schriben hieß (LG II, 40,21), 282 doch behält dieser Hinweis seine Gültigkeit nur auf der Figurenebene: Was also für die Rezipienten ziemlich rasch als Betrug zu erkennen ist, bleibt auf der Figurenebene das genaue Gegenteil, nämlich ein gewichtiges Zeichen für die Wahrheit der Anschuldigung. 283 Den Anspruch auf Autorität erhebt der Brief nicht nur auf Grund des goldenen Siegels und seiner Schriftform, sondern darüber hinaus durch seinen Inhalt, der sich vor allem durch solche Details auszeichnet, die darauf abzielen, die beglaubigende Funktion des Briefes hervorzuheben. Hierzu zählen insbesondere die in dem Brief ausführlich geschilderten Elemente der vermeintli- Täuschung, Schrift und historia 195 276 Steinhoff, Kommentar zu LG II, S. 967. 277 Ebd. 278 Steinhoff selbst vermerkt in seinem Kommentar, ebd., daß in der Dichtung «eigenhändig verfaßte» Briefe vorkämen (mit Verweis auf den ‹Parzival›, 55,17ff., 625,14f., 622,9ff., ebd.). Neben dem ‹Parzival› begegnen sie auch im ‹Eneas›, vgl. 286,15ff., in Wittenwîlers ‹Ring› (hier sind es ihrer gleich vier), Vv. 1860ff., Vv. 1878ff., Vv. 2085ff., Vv. 2261ff., und im ‹Wigalois›, Vv. 8759ff. 279 Vgl. ‹tihten› in BMZ III, S. 35f. Hier findet sich zunächst die ‹neutrale› Übertragung ‹verfasse in poesie oder prosa›, hergleitet aus lt. dictare (ebd., S. 35, aber bereits hier mit dem Hinweis auf lt. fingere). Als weitere Übersetzungsmöglichkeit bietet das BMZ ‹schaffe selbstthätig, erfinde, ersinne› (ebd.), mit einem Beleg aus der ‹Preußenchronik› von Nicolaus von Jeroschin: valsche list tihten (125. d.). Vgl. auch den im Gr. Lexer, Sp. 1437, angeführten Beleg: valsch man valsch sünde gar wol tihten kann (MSH 3, 164a). 280 Von den gefälschten Briefen, die Mordret versenden läßt, um sich der Herrschaft zu bemächtigen, heißt es, sie seien ‹gemacht› (Wann er dete brieff machen mit eim falsch ingesiegel, ‹Tod des Artus›, 850,6f.). 281 Vgl. Stierle, Art. ‹Fiktion›, bes. S. 391f., mit dem Hinweis auf Augustinus, für den prinzipiell «mit der Vorstellung des fingere der Trug verbunden» sei: «[…] ut hi dicantur fingere, qui aliquid mendacio simulante compununt» (Augustinus, De civitate Dei, 13,24). 282 Die ‹Realität› des Briefeschreibens begegnet daher vor allem auf der Ebene der narratio, bleibt also Bestandteil der Literatur, während die Rezipienten von der ‹Erdichtung› des Briefs wissen. 283 Daß den Rezipienten dieses Wissen um die Täuschung vor allem durch das Verb tihten deutlich gemacht wird, läßt den Schluß zu, daß hier zumindest eine implizite Kritik an fiktionaler Literatur, an Dichtung zu erkennen ist, die dann wie der Brief als Betrug zu verstehen sei. chen Hochzeit des Artus mit ‹Ginover› (LG II, 38,23-28): Die genaue Ortsangabe (in der stat zu Logres, die heubt ist von sim konigrich, in Sant Steffans múnster) sowie die namentliche Erwähnung des erczbischoff Egene, der die Trauung angeblich vollzogen habe, werden dazu genutzt, die Glaubwürdigkeit des Berichteten zu unterstreichen. Darüber hinaus weist das Ich des Briefs darauf hin, daß die Überbringerin der Nachricht mündlich alles Weitere, was in dem Brief nicht verzeichnet sei, berichten werde. Sollte man ihr keinen Glauben schenken, dann würden ihre Begleiter, insbesondere Bertelac die Wahrheit des Berichteten bestätigen (ebd., 40,22ff.). Der ‹erdichtete› Brief i n s z e n i e r t damit eine weitere Beglaubigungsstrategie, indem eigens auf die Ergänzung durch die mündliche Erzählung und deren Beglaubigung durch die Begleiter der Botin hingewiesen wird. Auch diesbezüglich muß daher wieder auf die Diskrepanz zwischen Rezipienten- und Figurenwahrnehmung hingewiesen werden, da diese ‹Inszenierung von Glaubwürdigkeit› für die Rezipienten das Ausmaß des Betrugs noch verstärkt, während sie auf der Figurenebene genau diese Erkenntnis konterkariert, also den Anspruch auf Glaubwürdigkeit noch erhöht. Dies wird noch dadurch intensiviert, daß auch die Erzählung der Botin Elemente beinhaltet, die durch ihre scheinbare Genauigkeit den Wahrheitsanspruch der Lüge vorantreiben. Die Botin beginnt ihre ergänzende Erzählung explizit mit dem Hinweis darauf, daß sie Neues berichten und bereits im Brief Enthaltenes verdeutlichen werde: « ‹Ich solt uch noch ein wenig sagen, herre›, sprach sie [die Botin], ‹von myner frauwen wegen, das an dem brieff nit enstunt. […] Ich will uch ein wenig baß sagen dann uch myn frauw enbot und luterlicher: […]› » (ebd., 42,26-31). Die Neuigkeiten, die ‹Ginovers› Nichte zu berichten weiß, bestehen insbesondere aus der Ausbreitung der Vorgeschichte, 284 die aus des Artus Aufenthalt am Hofe König Leodagans besteht, sowie aus ihren Erläuterungen zu der Tafel, die die vorgebliche Ginover als Mitgift in die Ehe gebracht habe (ebd., 44,20f.). Da diese Tafel von Leodagan an seine Tochter gegeben worden sei, werde sie im Auftrag ihrer Herrin Artus den Anspruch auf die Tafel solange streitig machen, bis die Frage nach der rechtmäßigen Königin geklärt sei (ebd., 46,17ff.). 285 Mit dem Verweis auf die Herkunft der Tafel, um die sich die 196 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 284 Hierzu zählen auch die genaueren Angaben zu dem in der Brautnacht angeblich vollzogenen ‹Frauentausch›, die an das Erzählmuster von der untergeschobenen Braut erinnern; vgl. Harf-Lancer, Laurence: Les deux Guenièvre dans le ‹Lancelot en prose› In: Lancelot: actes du colloque des 14 et 15 janvier 1984 / Univ. de Picardie, Centre d’Études Médiévales. Publ. par les soins de Danielle Buschinger. Göppingen 1984 (GAG, 415), S. 63-73, bes. S. 64ff. Dieses Erzählmuster begegnet häufig im Märchen; erinnert sei hier an ‹Brüderchen und Schwesterchen› (KHM 11) und ‹Die drei Männlein im Walde› (KHM 13). Vgl. auch Brangaene, die Marke in der Hochzeitsnacht ‹untergeschoben› wird (vgl. ‹Tristan›, Vv. 12435ff.). 285 Die Erzählung der Botin von der Entstehung der Tafel widerspricht der Version in der ‹Gralsuche›, die im wesentlichen Roberts de Boron ‹Roman du Saint-Graal› folgt. Vgl. Steinhoff, Kommentar zu LG I und LG II, S. 969f., vgl. auch Kibler, William W.: ‹Round Artusritter versammeln, wird nicht nur die Provokation des Artushofes erneut aufs Schärfste unterstrichen, sondern es wird darüber hinaus innerhalb der erzählten Welt ein weiterer ‹sichtbarer› Beweis geboten, der die Wahrheit der Botenerzählung und des Briefs ‹verdinglicht›. Der Betrug an Artus respektive an Ginover gelingt demnach auf Grund seiner inszenierten Beglaubigungsstrategien, die wechselseitig aufeinander bezogen sind: 286 Der Brief, schon auf Grund der Schriftlichkeit ein vermeintlicher ‹Wahrheitsbeweis›, liefert durch seine genauen Angaben (insbesondere Ort der Hochzeit und Name des Bischofs) scheinbar glaubwürdige Elemente und verstärkt sie durch den Verweis auf die Erzählung der Botin, die sich wiederum auf den Brief beruft und darüber hinaus neue Aspekte einführt, die vor allem durch den Hinweis auf die Tafel Glaubwürdigkeit evozieren. Komplettiert wird diese ‹Inszenierung von Glaubwürdigkeit› durch die Begleiter der Botin, allen voran der vorgeblich vertrauenswürdige Bertelac, welche die Wahrheit des Berichteten bestätigen. Demnach ist es nicht nur die «in ihren Wirkungen dargestellte Autorität der Schrift», die in dieser Episode thematisiert wird, sondern darüber hinaus wird der Glaubwürdigkeitsanspruch aller in der Episode begegnenden Beglaubigungsstrategien als defizient und problematisch ausgewiesen, da eine Lüge die andere bestätigt und damit auch das komplexe Zusammenspiel der Beglaubigungselemente als trügerisches Konstrukt zu erkennen ist. Dieser inszenierte Betrug ist freilich nicht der einzige in der mhd. Literatur und natürlich auch nicht ohne Tradition. 287 Und doch scheinen der ‹erdichtete› Täuschung, Schrift und historia 197 Table›. In: The New Arthurian Encyclopedia, S. 391. Dieser Widerspruch zwischen den beiden Versionen zur Entstehung der Tafel kann nicht eindeutig aufgelöst werden. Denkbar ist jedoch, daß in dem lügenmaere absichtlich eine von der ‹Gralsuche› abweichende Geschichte berichtet wird, so daß auch durch diese Erzählung die betrügerische Absicht der Intrige deutlich wird. 286 Vgl. mit Bezug auf den ‹Engelhard› Konrads von Würzbug Kellner, ‹Wort› - ‹Wortzeichen› - ‹Schrift›, S. 167: «Um die Wahrheit seiner mündlichen Botschaft zu bestätigen, verweist der Bote auf den mitgeführten Brief […].» 287 Anspruch auf Vollständigkeit kann hier natürlich nicht erhoben werden; erinnert sei nur an Tristans Lügengeschichten (vgl. z.B. Vv. 2684ff., 3081ff., 7559ff., 8787ff.), an den Brautwerbungsbetrug von Gunther und Siegfried (6. âv.), Ganeluns Verrat an der Nachhut Karls (Vv. 1877ff.), sowie an die zahlreichen Listen im ‹König Rother›. Nicht zuletzt Odysseus galt als ‹Fachmann› für bzw. ‹Ahnherr› von Lügenerzählungen, was besonders vom Erzähler in Lukians ‹Wahre Geschichte› verdeutlicht wird, wenn es heißt, Odysseus sei der ‹Obermeister› von Lügenerzählungen gewesen. Vgl. dazu Hölscher, Uvo: Die Odyssee. Epos zwischen Märchen und Roman. 2., unveränd. Aufl. München 2000 (Beck’sche Reihe, 1402), bes. Kap. XV. Vgl. allgemein: Homo mendax. Lüge als kulturelles Phänomen im Mittelalter. Hg. Ulrich Ernst. Berlin 2004 (Das Mittelalter, Perspektiven mediävistischer Forschung, 9.2), List, Lüge, Täuschung. Hgg. Corinna Laude und Ellen Schindler-Horst. Bielefeld 2005 (Mitteilungen des deutschen Germanistenverbandes, 52), vgl. auch Bachorski, Hans-Jürgen: Lügende Wörter, versteckte Körper, falsche Schrift. Miß/ gelingende Kommunikation. In: Gespräche - Boten - Briefe, S. 344-364, Semmler, Hartmut: Listmotive in der mittelhochdeutschen Epik. Zum Brief und seine Komplemente innerhalb des ‹Prosa-Lancelot› von besonderer Bedeutung. Ziegeler macht auf die in der Episode «mit den Mitteln der Erzählung» erscheinende «klare Unterscheidung zwischen ‹wahr› und ‹falsch›» 288 aufmerksam. Er bezieht sich dabei auf die Erläuterung des Erzählers, die es den Rezipienten rückblickend ermöglicht, den Betrug zu erkennen, während die Protagonisten weiterhin der Lüge glauben. Ziegeler kommt daher zu der Schlußfolgerung, daß sich der Leser «in diesem labilen komplexen System von interpretierbaren Zeichen [verlöre]», 289 wenn der Erzähler - als Garant der Wahrheit - nicht wäre. Dem läßt sich noch hinzufügen, daß die Rezipienten durch die fortwährende Problematisierung der Kategorien ‹Lüge› - ‹Wahrheit›, zumal wenn sie in Zusammenhang mit der Möglichkeit zur Manipulation von Schrift thematisiert werden, dazu angehalten sind, das Erzählte und dessen Beglaubigungsstrategien selbst in Frage zu stellen. « ‹[…] wann untruw und unwarheit lat sich als wol sagen als ein gerecht rede, man sol ir aber nit zu ferre glauben.› » (LG II, 284,18-20) entgegnet Galahot Morganes Botin, die am Artushof den Tod des sich in Gefangenschaft befindenden Lancelot verkünden und seine ehebrecherische Liebe zu Ginover enthüllen soll. Daß man ihre Lüge, Lancelot sei tot, glaubt, der rechtmäßigen Anschuldigung Ginovers jedoch keinen Glauben schenkt, ist nicht nur auf der Figurenebene bezeichnend für das von Galahot benannte Dilemma: Um die Lüge zu entlarven, muß man sie bzw. die Wahrheit (er)kennen. 290 Zwar sind die Rezipienten auch hier auf Grund ihres Erkenntnisvorsprungs gegenüber den Protagonisten in der Lage, Lüge und Wahrheit zu unterscheiden, 291 und doch müssen sie bemerken, daß Beglaubigungsstrategien in gefälschten Briefen erscheinen und wârzeichen sowohl von Morganes als auch von ‹Ginovers› Botin in betrügerischer Absicht verwendet werden können. Die Differenzierung in Wahrheit auf der einen und Lüge auf der anderen Seite ist damit nicht mehr eindeutig an (topische) Beglaubigungsmechanismen und -strategien oder an die Autorität von Schrift gebunden, sondern wird gerade dadurch erschwert, daß diese ‹Inszenierungen von Glaubwürdigkeit› als I n s z e n i e r u n g e n offenbar werden. Es ist insbesondere der Brief Bertelacs, der diese Problematik verdeutlicht, da die in dem Brief begegnenden Beglaubigungsstrategien sowie der Aspekt der Schriftlichkeit mit den negativ besetzten Konnotationen des fingere in Ver- 198 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› Wandel ethischer Normen im Spiegel der Literatur. Berlin 1991 (PhStQu, 122), sowie allgemein Matt, Peter von: Die Intrige. Theorie und Praxis der Hinterlist. München, Wien 2006. 288 Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 210. 289 Ebd., S. 212. 290 Oder in Anlehnung an Weinrich: «Um die Lüge zu durchschauen, muß der Rezipient den hinter dem Lügensatz stehenden (ungesagten) Wahrheitssatz, der von jenem kontradiktorisch abweicht, (er)kennen». Vgl. Weinrich, Linguistik der Lüge, S. 40. 291 Gleiches gilt im Prinzip auch für die Prophezeiung und den Brief des Eremiten, deren Wahrheit Lancelot und Ginover anzweifeln, obwohl sie ihnen hätten glauben sollen, vgl. Kap. II.2.3 d.A. bindung gebracht werden: In nuce weist der Brief als (trügerische) Fiktion demnach darauf hin, daß die Erkenntnis dessen, was ‹wahr› ist, nicht zwingend aus den bekannten wahrheitsverbürgenden Elementen resultiert. Ebenso wie in dem lügenmaere der Zofe in Hartmanns ‹Iwein› wird damit auch im ‹Prosa-Lancelot› vorgeführt, daß die traditionell zur Beglaubigung der historia genutzten Topoi und Erzählstrategien sich in den Dienst der Lüge bzw. des Betrugs nehmen lassen. Was im ‹Iwein› jedoch ein spielerisches Moment erhält, 292 gerät im ‹Lancelot› nicht nur zu einem Problem für die Protagonisten, sondern auch für die Rezipienten, wenn sie bedenken, daß das dem Werk angeblich zugrundeliegende Quellenkonstrukt sich vergleichbarer Beglaubigungsstrategien bedient. Wenn die Rezipienten also erkennen, daß auf der Figurenebene Glaubwürdigkeit bewußt und oftmals in betrügerischer Absicht inszeniert, ja erfunden (erdichtet) werden kann, dann liegt es nicht fern, dieses Wissen um die Form der Inszenierung auch auf die Erzählung bzw. auf das Quellenkonstrukt und dessen Genese selbst zu übertragen. Zwar muß hier zwischen der Ebene der narratio und der Ebene des discours differenziert werden, aber nicht zuletzt auf Grund der Tatsache, daß sich ‹Maps› Buch letztlich den Erzählungen der Artusritter verdankt, also beide Erzählebenen miteinander verbunden werden, können Zweifel der Rezipienten an der Verläßlichkeit bzw. Glaubwürdigkeit des Erzählten geweckt werden. 293 In beiden Fällen wird somit deutlich, daß es sich um Konstrukte handelt, die Wahrheit verbürgen sollen. Zwar wird die Quellenfiktion nicht - wie der Brief Bertelacs - als trügerische Erfindung ausgewiesen, aber die Verfügbarkeit traditioneller Beglaubigungsmechanismen für Betrug auf der Figurenebene nimmt der Konstitution der Quellenfiktion ihren eindeutigen und autoritativen Charakter, so daß im Rezipienten der Verdacht entstehen kann, auch sie könne sich als trügerisch erweisen. Es sind indes nicht ausschließlich die im ‹Lancelot› begegnenden Täuschungs- und Betrugsmanöver, die in Verbindung sowohl mit mündlich als auch schriftlich Berichtetem dazu dienen, die Problematik wahrheitsgetreuen Erzählens zu thematisieren, darüber hinaus weisen auch einige der zahlreichen inscriptiones darauf hin, daß es nicht immer also ware ist als es die schrifft bezúget. 294 Im folgenden soll daher die Episode um das Fräulein von Challot näher betrachtet werden, da sie die Ambiguität von Schrift sowohl in Briefform als auch in Form einer inscriptio bietet und somit die hier zu untersuchenden Aspekte in sich vereint. Täuschung, Schrift und historia 199 292 Vgl. die Ausführungen zur Kâlogrenant-Erzählung sowie zum lügenmaere der Zofe, Kap. I.2.2.3 und I.2.2.4 d.A. 293 Vgl. dazu ausführlich die Schlußbetrachtung d.A. 294 ‹Tod des Artus›, 682,17f. (Ein Ritter der Tafelrunde zu Mador). II.3.2 Das Fräulein von Challot Die Episode um das Fräulein von Challot wird im folgenden dreigeteilt 295 und umfaßt demnach die Bitte des Fräuleins an Lancelot, ihren Ärmel während des Turniers zu Winchester an seiner Rüstung zu tragen (‹Tod des Artus›, 556ff.), die Erzählung von der unerfüllten Liebe der jungfrouwe zu Lancelot (ebd., 606-610) sowie die Ankunft des Schiffes, in dem der Leichnam der toten Dame samt Brief sich befindet, am Artushof (ebd., 688ff.). Bereits dieser knappen Gliederung läßt sich entnehmen, daß die Episoden um das Fräulein von Challot und der hier im Mittelpunkt stehende Aspekt der Ambiguität von Schrift eng mit der Minne- und Frauendienstthematik verknüpft sind, denn Lancelots Entsprechung der Bitte, den Ärmel des Fräuleins während des Turniers an seiner Rüstung zu tragen, entspringt der folgenden Formulierung der jungfrouwe: « ‹Edeler ritter, gebent mir ein gabe umb das liebst das ir in der werlt hant.› » (ebd., 558,5f.). Lancelot, der auf Grund der Form der Bitte, die er nur auf Ginover (das liebst das ir in der werlt hant) beziehen kann, 296 Folge leisten muß, ist sich zugleich darüber bewußt, daß Ginover, sollte sie je davon erfahren, es im bösen danck sagen und also großen undanck das er nymmer frieden an ir gewúnne (ebd., 558,19f.): «Lancelot ist eben aufgrund der Absolutheit seiner Liebe zu Ginover dazu gezwungen, ihr nach außen hin zuwider zu handeln», 297 was auch auf der sprachlichen Ebene seine Entsprechung findet, wenn der geringe Dank Ginovers zu keinem Dank, ja zur möglichen Verwünschung 298 Ginovers gesteigert wird. Das von Lancelot gefürchtete Ausmaß von Ginovers Reaktion wird somit zusätzlich auf der formalen Ebene exponiert und unterstreicht Lancelots minnebedingtes Dilemma. Als Artus und Ginover durch Gawein davon erfahren, daß Lancelot das Zeichen einer Dame während des Turniers mit sich geführt habe, erfüllt sich Lancelots Befürchtung: Während Artus nun (wiederum) davon überzeugt ist, daß Lancelot und Ginover keiner ehebrecherischen Liebe ergeben sind 200 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 295 In der Steinhoffschen Ausgabe erstreckt sich die Episode von S. 606-631 und umfaßt damit auch Lancelots Genesung nach seiner Verwundung bei dem Turnier zu Winchester. Da bei den folgenden Überlegungen ausschließlich das Fräulein von Challot von Bedeutung ist, wähle ich eine engere Eingrenzung, die daher nicht alle Details der verschachtelten Einzelepisoden, die Frappier unter Berufung auf ihre Fatalität als «Tragödie in fünf Akten bezeichnet hat», Frappier, Étude, S. 267, erfaßt. Vgl. zur Episode auch von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 240ff. 296 Diese spezifische Formulierung der Bitte ‹Erfüllt mir um das Liebste, was ihr in der Welt habt, einen Wunsch›, erscheint an zahllosen Stellen des ‹Lancelot› und dient zumeist dazu, Lancelots Namen zu erfahren. Darüber hinaus weist diese spezielle Formel eine gewisse Nähe zu den sooft von König Artus geforderten ‹Blanko-Versprechen› (Prinzip des don contraignant) auf, die oftmals gleichermaßen dazu dienen, die Idealität des Herrschers (Artus gewährt jedem eine Bitte) darzustellen sowie (implizit) Kritik an der Passivität des Königs zu üben (z.B. Ginover-Entführung). 297 Waltenberger, Das große Herz, S. 146. 298 Vgl. BMZ I, S. 357, sowie Gr. Lexer II, Sp. 1774. (‹Tod des Artus›, 586,6ff.), 299 wertet Ginover das Tragen des Ärmels als Zeichen von Lancelots Untreue (ebd., 590,31f.). Dies bedeutet gleichzeitig, daß weder Artus noch Ginover Lancelots Verhalten bzw. Gaweins Deutung 300 seines Verhaltens tatsächlich durchschauen: Das Tragen des Ärmels, das letztlich der unbedingten Liebe zu Ginover entspringt, wird auf Figurenebene als sichtbarer Beweis, als Zeichen gegen diese Liebe verstanden, wobei sich Lancelot dieser ‹Fehlinterpretation› bereits im Voraus deutlich bewußt ist (vgl. ebd., 558,19f.): Der vermeintliche «Treubruch meint unbedingte Treue», 301 die auf Ebene der Figuren jedoch nicht erkannt werden kann, da weder Ginover noch die anderen Protagonisten den Lancelots Handlung zugrundeliegenden Auslöser kennen. Zwar stellt der Ärmel ein Zeichen von Lancelots Liebe zu Ginover dar, aber diese eigentliche Bedeutung des von Lancelot geleisteten Frauendienstes bleibt den Protagonisten verborgen: Das, was für den König als Treuebeweis seiner Gattin und seines Ritters sich darstellt, gerät für Ginover zum Zeichen von Lancelots Untreue. Es bleibt jedoch nicht bei diesen Folgen, sondern die jungfrouwe von Challot, die Tag und Nacht bei dem verwundeten Lancelot verbringt, gesteht Lancelot schließlich ihre minne in Form einer Frage: « ‹Herre, were der ritter nit unertig den ich umb die mynne bete das er mir sie versaget? › » (ebd., 608, 10f.). Die Absage, die Lancelot dem Fräulein daraufhin zuteil werden läßt, führt letztlich dazu, daß die Dame ihren nahen Tod vorhersagt. Darüber hinaus ist weiterhin bedeutsam, auf welche Weise Lancelot auf diese implizite Liebeserklärung reagiert bzw. wie er die minne der jungfrouwe zurückweist, denn Lancelots Argumentation erfolgt mit Bezug auf traditionelle Elemente der Herzmetaphorik. 302 Ebenso wie die jungfrouwe Lancelot ihre minne nicht explizit gesteht, sondern sie vielmehr verklausuliert in einer rhetorischen Frage äußert, bleibt auch Lancelots Reaktion zunächst indirekt. Er antwortet: ‹Hett er syn hercz in syner gewalt das er synen willen da mit möchte th v n nach uwerm gebot, dann were er eyn recht gebure, versagte er uch es dann! Wann wer Täuschung, Schrift und historia 201 299 Erfahren hat Artus von dieser Liebe zwischen seiner Gattin und Lancelot durch Gaweins Bruder Agravain, und dies erzählt er Gawein, worauf dieser ihn über Lancelots vermeintliche Unschuld informiert. Interessant ist hier, daß Artus bemerkt, er würde diesen Anschuldigungen, würden sie auch Tag für Tag wiederholt, solange keinen Glauben schenken, bis er des Vorwurfs baß geware würde (‹Tod des Artus›, 588,20f.). Genau dies geschieht, wenn Artus bald darauf die Gemälde bei Morgane erblickt und somit erkennt, daß die Anschuldigungen Agravains berechtigt sind. Damit gerät des Artus Aussage auf der Figurenebene zu einer (perspektivischen) Vorausdeutung auf das künftige erzählte Geschehen. 300 Für Gawein ist die Bedeutung des Ärmels natürlich auch an die Erzählung des Fräuleins von Challot geknüpft, in der die Dame Gaweins ‹Minneantrag› mit der Begründung zurückweist, daß sie bereits einem Ritter zugetan sei, den sie mit ganczem […] herczen mynne[ ] (‹Tod des Artus›, 578,28-580,9). 301 Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 212. 302 Der das implizite Liebesgeständnis der jungen Dame einleitende Erzählerkommentar lautet: «Also mynte die jungfrauw Lanczlot so sie aller meyste mocht», was Steinhoff mit er also das er mit imselber noch mit synem herczen nit mocht synen willen gethuon noch uwer gebott geleisten und er versagt uch das, nÿmans ensolt yn darumb schelten. […]›. (‹Tod des Artus›, 608) Erst nach dieser allgemeinen Darlegung bezieht Lancelot das Gesagte auf sich (Und das sagen ich uch umb michselber, ebd.) und gibt der Dame von Challot so zu verstehen, daß ihre Liebe zu ihm unerwidert bleiben müsse. 303 Als das Fräulein daraufhin nachfragt, ob Lancelot denn nicht frei über sein Herz verfügen könne, antwortet er: « ‹Myns herczen willen mag ich wol thun, wann myn hercz ist mit all da ich es han will; 304 aber es möchte an keynem ende baß gesyn dann es ist und dar ich es gesaczt han. […]› » (ebd., 608,26ff.). Gewalt hat Lancelot, so stellt er es dar, also nur insofern über sein Herz, als sein Wille und der Wille seines Herzen eins und ihr beider Wille interdependent ist. Daraufhin gesteht die Jungfrau Lancelot, daß er sie mit seiner Aussage zum Tode verurteilt habe, da sie nun jedweder Hoffnung, in der ein mynnende hercz möchte leben (ebd., 610,3), beraubt sei, weil Lancelot ihr sogar die Möglichkeit auf ein hoffnungsvolles Sehnen genommen habe (ebd.). Dem Fräulein bleibt damit nicht einmal jenes aus der Lyrik bekannte Hoffen, das den suezen kumber des Sänger-Ich durch Hoffnung auf Erhörung und/ oder durch die Möglichkeit, die Geliebte verheimliche ihre Zuneigung, auszeichnet. 305 Beides wird dem Fräulein von Challot durch Lancelots Antwort genommen, so daß ihr letztlich nur der Liebestod bleibt. 306 202 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› «von ganzem Herzen» überträgt. In Steinhoffs Übersetzung klingt die den Dialog zwischen Lancelot und der Dame bestimmende Herzmetaphorik also bereits früher an. Aus stilistischen Gründen kann diese Übertragung überzeugen, sie ignoriert jedoch, daß es im mhd. Text selbst ausschließlich die Protagonisten sind, die sich der Herzmetaphorik bedienen. 303 Dem korrespondiert die Abweisung Gaweins durch das Fräulein von Challot, vgl. Anm. 300 d. Kap. 304 Konjektur nach Kluge, LK III, S. 438. 305 Damit ist nicht gemeint, daß Minnekonzeptionen, wie sie in der Lyrik begegnen, eins zu eins auf diese Passage des ‹Lancelot› zu übertragen seien, zumal in der Lyrik, insbesondere in der Minneklage, ein (meist) männliches Ich begegnet. Nichtsdestominder erinnert die Aussage der Dame an das in der Lyrik so häufig thematisierte unerfüllte Werben, das eine wesentliche Problematik des (literarischen) Frauendienstes auszeichnet. Vgl. Kasten, Ingrid: Frauendienst bei Trobadors und Minnesängern im 12. Jahrhundert. Heidelberg 1986 (GRM Beiheft, 5), und Peters, Ursula: Frauendienst. Untersuchungen zu Ulrich von Lichtenstein und zum Wirklichkeitsbegriff der Minnedichtung. Göppingen 1971 (GAG, 46). 306 Auch wenn der Protagonist sich in seiner Antwort der Herzmetaphorik bedient, ist seine Aussage dennoch für das Fräulein (nach einer Nachfrage) direkt verständlich. Da ihr somit nicht einmal ein hoffnungsvolles Sehnen bleibt, könnte man Waltenbergers Einschätzung, Lancelot weise die Aufforderung, höflich, aber bestimmt zurück, vgl. Das große Herz, S. 146, überdenken. Waltenberger selbst spricht etwas später, ebd., S. 148, von einer schroffen Absage Lancelots. Da die Dame Lancelot zumindest indirekt vorwirft, durch eine weniger dezidierte Antwort, hätte er ihr ein Hoffen erlaubt (Und Die Protagonistin greift damit nicht nur einen wesentlichen Aspekt traditioneller minne-Konzepte auf, sondern sie schafft gleichzeitig einen Rückblick zu einer früheren Episode des Romans, 307 und zwar zu Lancelots Heilung durch ein nicht näher bezeichnetes Fräulein (LGr. I, 438-476). 308 Nur durch eine List Lyonels 309 kann die junge Dame, die auf Grund ihrer plötzlich entflammten minne zu Lancelot erkrankt 310 und ihn somit nicht gänzlich von seiner Vergiftung heilen kann, dazu bewogen werden, sich Lancelots Heilung erneut anzunehmen. Die Lösung des minne-Konflikts in dieser Episode besteht darin, daß die jungfrouwe vorschlägt, Lancelot solle sein vergebenes Herz ihr in einer Weise zuwenden, die seiner Liebe zu Ginover nicht schade: 311 Sie werde aus Liebe zu ihm ihre Jungfräulichkeit stets bewahren und auch von Lancelot keine körperliche Liebe fordern - so könne er, ohne in einen Konflikt zu geraten, seiner Dame und ihr gleichermaßen treu bleiben (vgl. ebd., 472). Mit ihrer Lösung bildet diese Episode demnach das Gegenstück zur Episode um das Fräulein von Challot. Da eine keusche Liebe, 312 wie sie das heil- Täuschung, Schrift und historia 203 hettet ir mir das gesagt ein wenig men verdeckt […], ‹Tod des Artus›, 608,35f.), ist zumindest aus Sicht der Dame keine Höflichkeit zu erkennen. 307 Erinnert sei hier unter anderem auch an den Beginn des Romans bzw. an die Ritterlehre der Dame vom See: Bereits dort entgegnet Lancelot seiner Ziehmutter Ninienne, daß ein jeder handle, als yn syn hercz wiset, es sy gut oder böse (LG I, 342,4f.). Diese Äußerung Lancelots weist natürlich auch auf den einzigen Mangel des Protagonisten hin, der in der descriptio personae als zu breite Brust erscheint und damit nicht ze mâze, sondern unproportional geschaffen ist (vgl. ebd., 102,32-106,15). Allerdings wird auch hier mit dem Einschub von Ginovers Perspektive (ebd., 104,35-106,6), diese Erzählerbemerkung relativiert, da Ginover die Breite von Lancelots Brust nicht in Relation zu Lancelots anderen Gliedmaßen, sondern vielmehr in Relation zu seinem Herzen selbst sieht, das auf Grund seiner Größe eine adäquate Brust benötigt. Im Hinblick auf sein Herz ist Lancelots Brustkorb also doch ze mâze geschaffen. Vgl. zur Lancelot-descriptio detailliert Waltenberger, Das große Herz, S. 45ff., zur hier angeführten Thematik, vgl. ebd., S. 47-49. 308 Zu dieser Episode vgl. zuletzt Waltenberger, Michael: Schlangengift und Sündenschuld. Zur Konkurrenz der Sinnstiftungsmodi in der ‹Préparation à la Queste›. In: Lancelot. Der mittelhochdeutsche Roman im europäischen Kontext, S. 147-171, der die Stelle in Zusammenhang mit den unterschiedlichen Sinnstiftungs- und Diskursmodellen des Romans untersucht. Auf die Parallele zur ‹Challot›-Episode geht Waltenberger auf Grund seiner Fragestellung nicht näher ein, vgl. ebd., S. 155 (Anm. 26). 309 Diese List Lyonels besteht darin, dem Fräulein zuzusichern, daß sie mit Lancelot - insofern sie ihn heile - wie mit ihrem ritter und frunde verfahren könne (LGr. I, 466,20-22). 310 «Und mit demselben traff sie Venus so krefftiglichen das sie sichselber sere erschrackt» (LGr. I, 438,31f.). 311 « ‹Doch das ir uwer hercz zu eyner jungfrauwen seczen wurdent, beheltniß der lieb die uwer frauw zu uch hatt, meyn ich das uch nÿmandes darumb straffen mög› » (LGr. I, 472,15f.). 312 Knapp, Fritz Peter: Chevalier errant und fin’amor. Das Ritterideal des 13. Jahrhunderts in Nordfrankreich und im deutschsprachigen Südosten. Studien zum ‹Lancelot en prose›, zum ‹Moritz von Craun›, zur ‹Krone› Heinrichs von dem Türlin, zu Werken des Strickers und zum ‹Frauendienst›. Passau 1986 (Schriften der Universität Passau. Reihe Geisteswissenschaften, 8), S. 29, sieht in dem keuschen Liebesangebot des heilkundigen Fräukundige Fräulein vorschlägt, für die Dame von Challot nicht zur Debatte steht, bleibt ihr kein Sehnen, sondern nur der Tod aus unerfüllter bzw. unerwiderter Liebe. 313 Die in dem Dialog zwischen Lancelot und dem Fräulein von Challot begegnende Herzmetaphorik wird also zum einen traditionell zur Bezeichnung der Liebe (die Liebe ist dort, wo das Herz verweilt) genutzt, zum anderen jedoch unterstreicht sie auch das spezifische Element der Lancelot-Ginover-minne, indem sie - von Lancelot und dem Fräulein selbst geäußert - die dieser minne eignende Fatalität aufzeigt: Die Unbedingtheit von Lancelots Liebe zu Ginover und der mit dieser Liebe verbundene ‹Zwang› zu Täuschung, Betrug und Verrat fordert auch hier seine Opfer. 314 Indem Lancelot dem Fräulein von Challot seine Liebe, sein Herz verweigert, nimmt er ihr gleichermaßen die Möglichkeit, daß ihr hercz gesaczt [werde] in ein solch suchten von aller gut hoffenung (‹Tod des Artus›, 609,36f.). Während das Tragen des Ärmels im Turnier im Rahmen des - wenn auch initiiert durch die besondere Bitte der Dame - traditionellen Frauendienstes verbleibt und somit von Lancelot erfüllt wird, bleibt dieser Dienst letztlich - wie alle von Lancelot bestrittenen âventiuren - doch Dienst für Ginover. 315 204 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› leins ein positives Gegenbeispiel zur sündigen Lancelot-Ginover-minne. Zur berechtigten Kritik an seiner Position vgl. Reil, Liebe und Herrschaft, S. 70 (Anm. 72). 313 Ob hier tatsächlich ein Hinweis auf luxuria vorliegt, vgl. Waltenberger, Das große Herz, S. 148, ist m.E. fraglich, da die Episode nicht explizit in Zusammenhang mit der geistlichen Ordnung der Gralsuche steht. Mir scheint es sinnvoller, die Episode bzw. den Liebestod des Fräulein von Challot vor dem Hintergrund literarästhetischer bzw. gattungsgeschichtlicher Aspekte zu betrachten. 314 Reil hat im Hinblick auf den Begriff der ‹unbedingten Liebe› versucht herauszuarbeiten, daß im ‹Lancelot› - entgegen den ‹Tristan›-Erzählungen - die Liebe zwischen den beiden Protagonisten durch ihre Einbindung in die Herrschaftsthematik sich verändere, indem «die unbedingte Liebe in den Dienst der Herrschaft gestellt und damit schon in der Grundkonzeption zu einer bedingten wird», Liebe und Herrschaft, S. 146. Ich halte diese Feststellung aus mehreren Gründen für fraglich: Zwar ist richtig, daß «Ginovers Rolle eine doppelte ist» und «daß Dienst für Ginover [fast, Verf.] immer auch Dienst für Artus bedeutet», ebd., doch heißt dies nicht, daß ihre Liebe von Herrschaftsinteressen dominiert würde. Wenn z.B. Ginover Lancelot aus Eifersucht vom Artushof verbannt, handelt sie als (enttäuschte) Liebende, nicht als auf das Wohl des Hofes bedachte Herrscherin. Auch der Untergang des Artusreiches, der - neben weiteren Faktoren - durch die Liebe beider Protagonisten herbeigeführt wird, zeigt, daß die beiden Liebenden - schaffen sie auch keine tatsächliche eigene, neue Ordnung, an der Zerstörung der alten Ordnung ‹Artusherrschaft› maßgeblich beteiligt sind. Vgl. dazu allgemein Luhmann, Niklas: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Frankfurt a.M. 1982, S. 30, zum ‹Lancelot› Schmid, Elisabeth: Lancelot - Stifter der Ordnung oder Zerstörer? Zur Lancelotfigur im ‹Perlesvaus› und im ‹Prosa-Lancelot›. In: Artusroman und Intertextualität, S. 127-146, hier S. 130, sowie Mertens, Artusroman, S. 160. 315 Demnach stellt das Tragen des Ärmels auch für das Fräulein von Challot insofern ein trügerisches Zeichen dar, als sie diesen Dienst Lancelots nicht eindeutig als Dienst an einer anderen Dame erkennen kann. Der Artushof erfährt vom Tod des Fräuleins von Challot, nachdem von Mador Anklage gegen Ginover erhoben und ein Gerichtskampf festgelegt wurde. 316 Um die Mittagszeit erscheint ein prächtiges Schiff, in dem sich der Leichnam des Fräuleins und ein an die Tafelrunde gerichteter Brief befinden. 317 Die Freude, die Artus und Gawein angesichts des kostbaren Schiffs empfinden, 318 wird rasch durch den Fund des Leichnams getrübt, und alsbald erkennt Gawein, daß es sich bei der toten Dame um das Fräulein von Challot handelt (‹Tod des Artus›, 690). Gawein findet den Brief und übergibt ihn Artus, der ihn sogleich selbst liest. Der Grund für den Tod des Fräuleins, der den Rezipienten ja bereits aus der eigenen Vorhersage der jungfrouwe bekannt ist, wird nun auch auf Figurenebene evident: ‹Allen fürsten von der tafelrunden enbúdet diße jungfrauw von Challot yren gruß! […] darumb so laßen ich uch wißen zu aller erst das ich zu mynem ende komen bin von getruwer lieben. Und ob ir fra-<507>gent umb wes willen ich diße not gelitten hann, des antworten ich uch das ich gestorben bin umb des biederbsten mannes willen von der werlt und umb den öbersten, das ist herre Lanczlot von dem Lach […] und das ist mir also sere zu herczen gangen das ich zu mynem ende bin komen umb myne getruwe mynne.› (ebd., 690,34-692,11) 319 Daraufhin legt Artus fest, daß die Jungfrau von Challot im Stephansmünster beerdigt und ihr Grab mit buchstaben versehen werden solle, die da bezugent die warheit von irme tode (ebd., 690,31). Die Inschrift wird also auf Figurenebene explizit als Mittel gekennzeichnet, das die Wahrheit vom Tode des Fräuleins präsentieren und verbürgen soll. Sie lautet wie folgt: « ‹Alhie lyt die jungfrauwe von Challot, die um Lanczlots mynne ge-<511>storben ist› » (ebd., 696,17f.). Die inscriptio verbindet somit die beiden wesentlichen Aussagen aus dem Brief der Dame von Challot, indem sie die Erwähnung der getriuwen minne und die Nennung Lancelots in einen kausalen Zusammenhang bringt. Obgleich Täuschung, Schrift und historia 205 316 Ginover wird vorgeworfen, Garheiß mit einem vergifteten Apfel, den ihr ein Unbekannter gereicht hat und der eigentlich gegen Gawein gerichtet war, getötet zu haben. Zu dieser Episode vgl. Kap. II.3.3 d.A. Einen Vergleich dieser Episode mit der Episode um die falsche Ginover bietet Reil, Liebe und Herrschaft, S. 133ff., die auf bemerkenswerte inhaltliche und strukturelle Parallelen hinweist. 317 Auf die Parallelen zwischen dieser Episode und der Entrückung von Parcevals Schwester geht von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 240ff., genau ein. 318 Zur Figurenperspektive dieser Stelle vgl. Kap. II.3.4 d.A. 319 Folgt man Frappiers Edition, dann läßt sich im mittelhochdeutschen Text eine Änderung gegenüber dem altfranzösischen bemerken, die im Hinblick auf die Bearbeitungstendenzen als Figurengestaltung ad laudem, vgl. Schmitz, Die Poetik der Adaptation, bes. S. 315ff., bezeichnet werden kann. Im französischen Text heißt es nämlich im Brief der Dame, sie habe ihr Leben por le plus preudome del monde et por le plus vilain verloren (Frappier, La Mort, S. 89). Vgl. den Kommentar Steinhoffs zur Stelle, ‹Tod des Artus›, S. 1192. Dieser Gegensatz ist im mhd. Text zugunsten der uneingeschränkten Positivierung Lancelots aufgehoben. Vgl. allerdings auch die Konjektur in Sommers Ausgabe (le plus [vailant] - der trefflichste, Bd. VI, S. 257,26, vgl. den Kommentar, ebd.). diese Reduktion sowohl des Briefinhalts als auch der gesamten Episode oberflächlich betrachtet adäquat erscheint, offenbart sie doch zugleich die Problematik der hier aus Figurensicht gebotenen (schriftlichen) Deutung, denn die inscriptio «beschreibt lediglich das Resultat eines komplexen und ambivalenten Handlungszusammenhangs». 320 Waltenberger faßt dies folgendermaßen zusammen, wenn er konstatiert, daß die Inschrift selbst diese Ambiguität widerspiegelt: Je nach der Zuordnung des Namens ‹Lancelot› als genitivus obiectivus oder subiectivus nämlich ergeben sich zwei verschiedene Lesarten: Im ersten Fall entspricht dabei die Aussage, die Jungfrau sei wegen ihrer Liebe zu Lancelot gestorben, der öffentlichen Wahrheitskonstruktion; der zweite Fall dagegen deutet als (mittelbaren) Grund für ihren Tod Lancelots Liebe zu Ginover an. 321 Die Inschrift läßt demnach Deutungsmöglichkeiten zu, die zum einen den Wissensstand der Rezipienten, zum anderen aber auch die Perspektive einiger Protagonisten, allen voran Ginovers und Artus’ widerspiegeln. Denn während die Königin, nachdem sie von der Todesursache der Dame von Challot erfahren hat, erkennt, daß Lancelot seine Treue auch während des Turniers in Winchester nicht gebrochen hat (‹Tod des Artus›, 694,21ff.), sieht Artus in den Todesumständen des Fräuleins einen Hinweis auf ein schändliches Verhalten Lancelots. 322 Ginovers Deutung entspricht demnach derjenigen der Rezipienten, insofern auch sie Lancelots Liebe zu ihr in den Mittelpunkt rückt. Für sie steht damit nicht im Vordergrund, daß die Jungfrau von Challot aus Liebe zu Lancelot gestorben und somit sein unritterliches Verhalten tadelnswert ist, sondern für Ginover ist zuallererst von Bedeutung, daß dieser ‹Liebestod› Lancelots minne und Treue zu ihr signalisiert. Die Rezipienten wiederum können durch ihren Wissensvorsprung bzw. ihre Kenntnis der Komplexität der gesamten Episode beide ‹Lesarten› der inscriptio erkennen: Zwar liefert die Inschrift auf der Grabstätte des Fräuleins von Challot keine Lüge, aber es wird deutlich, daß ihr Verständnis an die jeweilige Perspektive der Figuren bzw. an den Kenntnisstand der Rezipienten gebunden ist. 323 Diese Feststellung trifft darüber hinaus nicht bloß auf die Inschrift, sondern auch auf eine Formulierung innerhalb des Briefes zu, wenn es dort in den Worten der Dame von Challot heißt: «[…] das ich zu mynem ende komen bin von getruwer lieben.» 206 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 320 Waltenberger, Das große Herz, S. 147. Vgl. auch von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 241, sowie Schmid, Wahrheitsspiele, S. 388f. 321 Waltenberger, Das große Herz, S. 147. 322 Es gilt festzuhalten, daß in des Artus Augen diese ungetruwigkeit Lancelots nicht in Zusammenhang mit Ginover gebracht wird, sondern sich ausschließlich auf Lancelots Verhalten gegenüber dem Fräulein von Challot bezieht. Artus tadelt demnach die Zurückweisung des Fräuleins durch Lancelot, bringt dies jedoch nicht in Zusammenhang mit der Liebe Lancelots zu Ginover. 323 Vgl. Waltenberger, Das große Herz, sowie Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 155. (‹Tod des Artus›, 692,2). Wie bei der Inschrift entsteht somit auch hier für den Rezipienten eine Doppeldeutigkeit, die daraus resultiert, daß die Frage, wessen getriuwe liebe zum Tod des Fräulein geführt habe, nicht konkretisiert wird: Die auf der Figurenebene gezogene Schlußfolgerung, wie sie in der inscriptio begegnet, wird für die Rezipienten also bereits im Brief der Dame konterkariert und um die weitere Bedeutung, das Fräulein von Challot sei an Lancelots unbedingter minne zu Ginover gestorben, ergänzt. Ebenso wie das Tragen des Ärmels während des Turniers zu Winchester also ein Zeichen von Lancelots minne zu Ginover darstellt, das von den Figuren zunächst schlichtweg falsch gedeutet wird, weisen auch die Bedeutung der Inschrift und der Briefinhalt über die einfache Kausalität, aus Liebe zu Lancelot sei das Fräulein von Challot gestorben, hinaus, da sie implizit auch die unbedingte Liebe Lancelots zu Ginover als Todesursache einschließen. Diese Doppeldeutigkeit der Schrift spiegelt damit auch die Essenz des Dialogs zwischen Lancelot und der jungfrouwe von Challot wider und gerät damit zur Chiffre der spezifischen Qualität der Lancelot-Ginover-Liebe, der Ambiguität und Betrug anhaften: 324 Ebenso doppeldeutig wie die Inschrift und der Briefinhalt, ist auch die Liebe zwischen der Königin und Lancelot, die ihre Erfüllung nur im Verborgenen finden kann und somit an (geheime) Zeichen der Liebenden Täuschung, Schrift und historia 207 324 Erinnert sei hier an Ginovers Antwort auf die Anschuldigungen von Morganes Botin (LG II, 284,30-286,30). Der Vorwurf der Botin, Ginover habe mit Lancelot die Ehe gebrochen, entspricht der Wahrheit. Ginover weist diese Anschuldigung zwar zunächst von sich, räumt dann jedoch folgendes ein: «Hett er auch dumber minne an mich gegeret, so mocht ichs im nit versagt han, ob mich gewalt von minnen darzu getriben hett.» (ebd., 286,5f.). Diese Aussage Ginovers ist insofern bemerkenswert, als sie auf zwei Ebenen funktioniert: Innerhalb der narratio erreicht Ginover durch die an die Prinzipien der simulatio erinnernde Formulierung (Vgl. Lausberg, HbRh, § 902,2 ‹positive Vortäuschung einer eigenen, mit einer Meinung der Gegenpartei übereinstimmenden Meinung›, S. 447) und den Konjunktiv, daß die Anschuldigung von Morganes Botin so absurd erscheint, daß sogar Artus Ginovers Argumentation aufgreift und konstatiert, daß Lancelot nie an dergleichen gedacht habe und er ihn sogar dann um sich haben wolle, wenn er Ginover zu wib gekaufft hett (LG II, 286,33 und 288,5f.). Ohne um die tatsächliche Beschaffenheit von Lancelots und Ginovers minne zu wissen, übernimmt der König damit Ginovers (trügerische) Argumentation und unterstreicht damit deren vermeintlichen Wahrheitsgehalt. Für die Rezipienten des Romans hingegen ergibt sich hinsichtlich der Argumentation Ginovers und auch Artus’ ein anderes Bild: Während auf der Figurenebene Ginovers Aussage nur deswegen gelingt, weil - wie in der simulatio gefordert - der Gegner nicht bemerkt, daß eine Ironie vorliegt, Lausberg, HbRh, § 902, S. 447f., kann der Rezipient erkennen, daß Ginovers Aussage als (rhetorische) Inszenierung verstanden werden muß. Was auf der Ebene der Figuren als Beweis für Ginovers und Lancelots Unschuld gilt, gerät für die Rezipienten zum absoluten Gegenteil, und zwar zum Eingeständnis Ginovers. Daß Artus dieses verborgene Geständnis als Beweis von Lancelots und Ginovers Unschuld ansieht, unterstreicht diese ironisierende Wirkung auf die Rezipienten noch zusätzlich. Auch hier können die Rezipienten des Romans also erkennen, daß die Mittel, die auf der Figurenebene zur Plausibilisierung der eigenen Position eingesetzt werden, als bloße ‹Inszenierung von Glaubwürdigkeit› fungieren. gebunden ist. 325 Zu solchen Zeichen geraten das Epitaph und die Formulierung des Briefs auf Grund ihrer Ambiguität für die Rezipienten. Sowohl der Brief als auch die inscriptio erfüllen demnach zwei wesentliche Funktionen. Zum einen verweisen sie auf die (mögliche) Ambivalenz und infolgedessen auf die Deutungsbedürftigkeit von Schrift, indem sie zeigen, das die warheit vom tode der Dame nicht so eindeutig sich darstellt, wie es die Inschrift auf Figurenebene suggeriert. Eng damit verbunden ist für die Rezipienten die Erkenntnis, daß das Verständnis beider ‹Schriftstücke› auf Ebene der narratio abhängig ist von der jeweiligen Perspektive der Protagonisten, während der Leser in der Lage ist, diese verschiedenen Blickwinkel zu überschauen. Zum anderen geraten sie - ebenso wie der von Lancelot getragene Ärmel im Turnier zu Winchester - für die Rezipienten auch zum Zeichen der Ambiguität der Lancelot-Ginover-minne, 326 insofern sich in der Doppeldeutigkeit des Epitaphs und des Briefs die Ambiguität dieser Liebe selbst spiegelt. Der Mehrdeutigkeit der (geheimen) Liebeszeichen korrespondiert die Doppeldeutigkeit des schriftlich Fixierten, so daß Epitaph und Brief für die Rezipienten weniger die Wahrheit vom Tod der jungfrouwe, als vielmehr die Wahrheit von der Liebe Lancelots zu Ginover repräsentieren. II.3.3 Das Grabmal des Garheiß Auch die Erzählung von dem durch Früchte vergifteten Ritter Garheiß, die in die Episode um das Fräulein von Challot integriert ist, thematisiert die Ambiguität von Schrift ein weiteres Mal, 327 wobei der Aspekt der Mehrdeutigkeit hier deutlicher mit der Frage nach Glaubwürdigkeit und Autorität der inscriptio verknüpft ist. Der Ritter Avalan, dem Gawein verhaßt ist, versucht, den Neffen Artus’ durch vergiftete Früchte zu töten (‹Tod des Artus›, 666,19ff.). Er übergibt Ginover die Früchte in dem Glauben, sie würde Gawein diese zuerst anbieten; doch es kommt anders: Ginover reicht die Früchte dem Ritter Garheiß, freilich - so unterstreicht es auch der Erzähler - ohne von dem Gift zu wissen (ebd., 666,28f.). Garheiß stirbt vor den Augen der Königin und den anwesenden Rittern, von denen einer sogleich Artus die Nachricht überbringt. Artus reagiert empört 208 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 325 Das wesentliche Zeichen dieser Liebe ist im Hinblick auf Lancelot, wie Haug festhält, die âventiure: «Das heißt, er [Lancelot] macht diese Taten zu seiner Sprache der Liebe, und so läuft denn auch das Liebesgeständnis über die Identifikation dieser Aventüren.» Haug, Walter: Das Geständnis. Liebe und Risiko in Rede und Schrift. In: Gespräche - Boten - Briefe, S. 23-41, hier S. 28. 326 Dem entspricht auf der Figurenebene Ginover, die den Tod des Fräuleins von Challot als Treuebeweis Lancelots erkennt - ist für die Königin also der Tod der Dame ein Zeichen von Lancelots minne, so ist es für den Rezipienten (auch) die doppeldeutige Inschrift. 327 Eine detaillierte Untersuchung der Episode unter besonderer Berücksichtigung der Tristanreminiszenzen in dem sich später anschließenden Kampf zwischen Mador und Lancelot bietet Reil, Liebe und Herrschaft, S. 133ff. und ist sogleich bereit, seiner Gattin die Schuld an der Ermordung anzulasten. Bereits hier wird die sich später auch in der Inschrift auf des Garheiß Grabmal offenbarende Problematik deutlich, wenn der Ritter Artus mitteilt, daß die «konigin […] eynen ritter gedötet [habe]» (‹Tod des Artus›, 668,5ff.). Artus überzeugt sich sogleich vom Tod des Garheiß und prophezeit seiner Gattin, daß «noch me zorniger darumb werdent» (ebd.) als sie sich vorstellen könne. Die Tatsache, daß Ginover nichts von dem Gift wußte, ist also auf der Figurenebene nicht deutlich und wird auch durch Ginovers Versicherung ihrer Unschuld bzw. Unwissenheit hinsichtlich des Gifts nicht eindeutig bestätigt (vgl. ebd.). 328 Es ist genau diese Differenz zwischen der die bloße Tat benennenden inscriptio und Ginovers Intention, die auch bei der Entdeckung der Inschrift auf des Garheiß Grabplatte erkennbar wird, 329 wenn Mador, der Bruder des Vergifteten, dort liest: « ‹Hie lytt Gaharies von Tarahen, den die koniginne Genievre det sterben mit vergifft› » (ebd., 682,7f.). Der Bruder des Getöteten mag dies zunächst nicht glauben, ruft einen sich in der Nähe befindenden Artusritter und beschwört ihn, ihm eine Frage zu beantworten. Dieser nicht näher bezeichnete Ritter weiß schon um Madors Frage und gibt ihm sogleich folgende Antwort: «[…] ‹ich weiß wol was ir mich fragen wöllent, ob es ware sy das die koniginne uwern bruder gedöt habe. Und ich sol uch antworten von dem. Wißent das es also ware ist als es die schrifft bezúget.› » (ebd., 682,15-18). Damit ist Mador von Ginovers Schuld überzeugt, tritt vor Artus, löst sein mit dem König bestehendes Lehnsverhältnis 330 und fordert einen Gerichtskampf. 331 Der traditionelle Autoritätsanspruch von Schrift wird damit auf Figurenebene nicht sofort eingelöst, sondern erst nachdem der anonyme Artusritter die in der inscriptio begegnenden ‹res gestae› bestätigt hat, ist Mador bereit, der (In-)Schrift ohne weiteres Nachfragen zu glauben. Für die Rezipienten hingegen entsteht auch hier eine deutliche Diskrepanz zwischen ihrer eigenen und der Figurenwahrnehmung, da sie um den tatsächlichen ‹Tathergang› und somit Täuschung, Schrift und historia 209 328 Vgl. auch Schmid, Wahrheitsspiele, S. 379. 329 Diese Feststellung trifft für den ‹Prosa-Lancelot› allerdings nur auf die zweite Erwähnung der Inschrift, bei ihrer Entdeckung durch Mador, den Bruder des Garheiß, (‹Tod des Artus›, 680,31-688,14, bes. 682,1ff.) zu. Während dort die Königin ausdrücklich genannt wird, ist in der ersten Erwähnung der Inschrift nur von der Vergiftung, nicht aber von ihrer vermeintlichen Urheberin die Rede: « ‹Hie lyt Gaharies der Wise von Karahen, Madors bruder von der Porczen, der dott ist mit vergifft› » (ebd., 670,13ff.). Der Hinweis auf Ginover ist in Hs. P allerdings nachträglich von anderer Hand ergänzt worden, vgl. Kluges Apparat, LK III 490, (Anm. 7). Im ‹Lancelot en prose› hingegen enthält auch die erste Erwähnung den Hinweis auf Ginovers vorgebliche Täterschaft: «Ici gist Gaheriz li Blans de Karaheu, li freres Mador de la Porte, que la reine fist morir par venim.» (Frappier, La Mort, S. 78). 330 Zum Akt der diffidatio vgl. LMA V, Spp. 1807-1825, sowie Ganshof, François Louis: Was ist das Lehnswesen? 4., rev. dt. Aufl. Darmstadt 1975, bes. S. 103f. 331 Vgl. dazu Steinhoffs Stellenkommentar, ‹Tod des Artus›, S. 1190f. um Ginovers Ahnungslosigkeit hinsichtlich der vergifteten Früchte wissen. Die Bestätigung der Inschrift, wie der Ritter aus Schottland sie vorträgt, hat damit für die Rezipienten keine autoritative Gültigkeit, da sie über die Vorgeschichte und den Kontext aus dem Erzählten informiert sind. Dem auf der Ebene der narratio begegnendem Glaubwürdigkeitsanspruch der Schrift steht also das Wissen der Rezipienten kontrastiv gegenüber: Was der Protagonist Mador als wahrheitsverbürgendes Kriterium anerkennt, offenbart sich den Rezipienten als unzureichend, insofern die Inschrift und ihre Bestätigung durch den anonymen Ritter die dem Erzählten inhärente Komplexität vereinfachen und seine (Be-)Deutung verfälschen. 332 Die Inschrift selbst stellt folglich eine bereits begrenzte Interpretation des Geschehenen dar, die der Perspektive des Artushofes entspricht ([…] wann sie wústen alle wol das sie [Ginover] den ritter gedötet hett […], ‹Tod des Artus›, 684,13f.). Damit wird Ginover auf Figurenebene eine Intention unterstellt, die sie - so wissen es wiederum die Rezipienten und der Erzähler - nicht gehabt hat. 333 Ebenso wie bei der inscriptio auf dem Grabmal des Fräulein von Challot zeigt sich demnach auch hier, daß die Diskrepanz zwischen der Rezipientenwahrnehmung auf der einen und der Figurenwahrnehmung auf der anderen Seite daraus resultiert, daß die Inschriften einen komplexen und ambivalenten Erzählzusammenhang simplifizieren und daher unangemessen vereindeutigen. Während dies in der Episode um das Fräulein von Challot dazu führt, daß die Protagonisten 334 nur eine Bedeutung der inscriptio erfassen, gerät das Epitaph des Garheiß gar in die Nähe einer Lüge insofern es suggeriert, die Vergiftung Garheiß’ sei Ginovers Intention entsprungen. 335 Beide Inschriften (ver-)bergen also ein Bedeutungspotential, das in seiner Komplexität lediglich die Rezipienten zu durchschauen in der Lage sind. Die hier untersuchten inscriptiones erfüllen ihre beglaubigende und wahrheitsverbürgende Funktion also ausschließ- 210 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 332 Vgl. Waltenberger, Das große Herz, S. 145ff., vgl. auch Sturges, Robert S.: Medieval Interpretation. Models of Reading in Literary Narrative. 1100-1500. Carbondale, Edwardsville 1991, S. 178ff. 333 Mit Bezug auf die Frage der Intention gerät man in den äußerst komplexen Bereich der Schuldthematik, wie sie im Mittelalter unter Rückgriff insbesondere auf Augustinus diskutiert wurde. Hier ist vor allem festzuhalten, daß die Frage nach der fehlenden Intention bzw. der fehlenden Absicht diskutiert und zumindest im gelehrten Diskurs berücksichtigt wurde. Vgl. den Eintrag im LMA VII, Spp. 1577f. Sturges, Medieval Interpretation, S. 19f., sieht hier Abaelards Einfluß wirken, dessen Auseinandersetzung mit den hinter den Handlungen verborgenen Intentionen deutlich werde: «Unlike actions, the intentions that alone provide their true meaning cannot be known with certainty by any observer except God», S. 20 und 178ff. 334 Davon ausgenommen ist freilich Ginover, die den Tod der jungfrouwe als Treuebeweis Lancelots wertet. 335 Genau dies äußert Mador auch gegenüber Ginover, die ihn fragt, ob er glaube, daß sie Garheiß wissentlich/ absichtlich (mit mynem wißen, ‹Tod des Artus›, 684,34) getötet habe, wenn er ihr antwortet: « ‹Ich sprechen […] das ir yne gedötet hant in verretniß und in ungetruwigkeit […]› »(ebd.). lich auf der Ebene der narratio - die warheit vom Tode der Protagonisten - liefern sie nur ausschnittbzw. fehlerhaft. 336 Ein «Spiel für raffende Winde» 337 werden die Inschriften damit zwar nicht im wörtlichen Sinne, aber dennoch gilt für sie ebenso wie für die niedergeschriebenen carmina der Sibylle, daß die in ihnen ‹gespeicherte› Bedeutung mißverständlich wird. Darüber hinaus verweist insbesondere die Garheiß-Episode die Rezipienten auf eine weitere Problematik: Indem auf der Ebene der narratio gezeigt wird, daß der Glaube Madors an die Wahrheit der Inschrift bzw. der Glaube an die Wahrheit ihrer Bestätigung zu einer unberechtigten Anklage Ginovers führt, die den Geschehensbzw. Erzählzusammenhang ignoriert, wird der Autoritäts- und Wahrheitsanspruch von Schrift bewußt hinterfragt und relativiert. 338 Diesen bisherigen Beobachtungen entspricht denn auch die unauffällige, aber dennoch erkennbare Diskrepanz, die sich bei der Erzählung von des Artus Tod entfaltet: Der rex perpetuus wird nämlich dem historisierenden Erzählen bzw. dem Tod nicht eindeutig ‹ausgeliefert›, sondern wie für den Protagonisten «Giflet, so ist auch für den Rezipienten der Tod des Königs nur nachträglich über die Grabinschrift und den ergänzenden Bericht des Eremiten zu rekonstruieren». 339 Die Untersuchung dieses Epitaphs soll daher die vorangegangenen Textbetrachtungen abschließen. II.3.4 Das Grabmal des Artus Die Entrückung des Artus, die auf die Versenkung Excaliburs durch Giflet folgt, wird durch das Gespräch zwischen Artus und Giflet vorbereitet. Auffällig bei diesem Gespräch ist zunächst, daß Giflet nicht vom Tod des Königs ausgeht, sondern fragt, wohin dieser gehen werde (‹Tod des Artus›, 1006), worauf Artus erwidert: « ‹Ich sag sin uch nit! › » (ebd.). Auf der Figurenebene spielt Artus somit selbst auf den schon bei Geoffrey anklingenden Mythos des ‹einstigen und zukünftigen Königs› an, 340 indem er Giflet wegschickt und somit über seinen zukünftigen Verbleib im Unklaren läßt: ‹Artus› scheint sich damit Täuschung, Schrift und historia 211 336 Vgl. Klinger, Der mißratene Ritter, S. 484: «Festigkeit und Autorität des schriftlichen Textes perspektiviert der Roman, indem ihre Unbedingtheit als Auffassung der Subjekte erscheint, […].» 337 ‹Aeneis›, VI,74ff. wie Anm. 239 d. Kap. 338 Vgl. Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 212. 339 Waltenberger, Das große Herz, S. 143. 340 Hist. Reg. Br. XI 2, S. 501, vgl. auch Steinhoffs Kommentar zu ‹Tod des Artus›, S. 1226 (rex quondam rexque futurus). Vgl. auch Waces ‹Brut›, der - gestützt auf eine Prophezeiung Merlins - des Artus Tod noch deutlicher offenläßt (Vv. 4712ff.). Zur Stelle vgl. Burrichter, Wahrheit und Fiktion, S. 124f. Auch hier ergibt sich somit in formaler Hinsicht ein Bezug zur ‹Klage›, in deren letzten Versen (fehlt den Hss. A und *J, in C dem Epilog vorangestellt) über Etzels Verbleib spekuliert wird (Vv. 4323ff.). Diese Idee des ‹ewigen› Königs steht der Historizität des Erzählten freilich nicht entgegen. selbst auch an die Rezipienten zu richten, indem er deren (mythisches bzw. literarisches) Vorwissen aufgreift bzw. aktiviert. Dem korrespondiert das Vorgehen der Erzählerfigur, die den Tod des Königs ebenfalls nicht erzählen wird. Lediglich aus der Ferne kann Giflet dann erkennen (‹Tod des Artus›, 1006f.), daß eyn schiff von frauwen heranrückt, das Artus mitsamt seiner Rüstung und seinem Pferd betritt. Daraufhin reitet Giflet zurück und kann auf dem in die Ferne entschwindenden Schiff den König und unter den Frauen auch Morgane, des Artus Schwester, erkennen (ebd., 1008). Gerade die Erwähnung Morganes, die ja sowohl in der fiktional-arthurischen Erzähltradition als auch im ‹Prosa-Lancelot› selbst dem Bereich des Feenhaften zuzuordnen ist (vgl. auch Kap. II.5.1 d.A.), wirkt so der historisierenden Dimension des Erzählten entgegen. Auch hier scheint der Erzähler also versucht zu sein, ein grundlegendes Element der arthurischen Erzähltradition, wie es im Roman Chrétienscher und Hartmannscher Prägung begegnet, einbinden zu wollen, indem er den eigentlichen Tod des Königs bewußt und entgegen des im ‹Binnenprolog› gewählten Titels ausspart und nicht narrativ entfaltet. 341 Gleichwohl wird damit jedoch auch an die bereits in den historisierenden Erzählungen von Artus kursierende Idee des ‹once and future king› angeknüpft. 342 Freilich folgt im ‹Prosa-Lancelot› auf die Entrückung des Artus drei Tage später Giflets Entdeckung der beiden Sarkophage in der Schwarzen Kapelle (ebd., 1008), die sere richlich und sere schone waren (ebd.) und beide mit einer Inschrift versehen sind. 343 Erst hier erfahren sowohl Giflet als auch die Rezipienten über die Inschrift von des Artus Tod: « ‹Hie lyt konig Artus, der da mit syner byderbekeit im undertenig gemacht hatt zwölff kónigrich.› » (ebd., 1008). Die Inschrift erhält damit zunächst die Funktion, die zahlreichen Hinweise auf den Tod des Artus zu erfüllen und zu fixieren. 344 Für die Rezipienten ebenso wie für Giflet gerät die Inschrift aber auch zu einem Irritationsmoment, insofern zuvor lediglich von des Artus Schiffsentrückung berichtet wurde. Die in der inscriptio begegnende Formulierung ‹hie lyt› setzt damit den Tod des Königs voraus, obwohl er zuvor nicht erzählt wurde. «Das Ende des Königs [sei] damit unwiderruflich» 345 und entgegen der feenhaft-mythischen Entrückungs-Tradition christianisiert worden. Diese Deutung entspricht der Annahme, der ‹Prosa-Lancelot› überführe nicht zuletzt durch das Erzählen vom Tod des Königs die matière de Bretagne (wieder) in die 212 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 341 Vgl. von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 251. 342 Vgl. Burrichter, Wahrheit und Fiktion, S. 123ff., mit Bezug auf Wace, ‹Roman de Brut›, Vv. 4712ff., sowie Johanek, König Artus und die Plantagenets, und von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 251 (Anm. 393). 343 Die andere, weniger schöne Grabstätte ist die des Mundschenks Lucan (‹Tod des Artus›, 1008). 344 Erinnert sei hier nur an die Ermordung des Einsiedlers durch Mordret (LGr. II, 272ff.), vgl. Kap. II.2.3 d.A. 345 Steinhoff, Kommentar zu ‹Tod des Artus›, S. 1226. Historizität. 346 Diese Re-Historisierung vollzieht sich jedoch nicht bruchlos und eindeutig, und zwar weder auf der Ebene des discours noch im Bereich der histoire. Dazu soll zunächst noch einmal auf den genauen Wortlaut des ‹Binnenprologs› geblickt werden: Und da er es hett zuhauff gemacht, da nante er es ‹Des Konig Artus Dott›, umb des willen das er an dem ende diß buchs saget w i e d a s d e r k o n i g A r t u s w u n t w a r t in dem stryt von Salaberis und wie d a s e r s c h i e d v o n G y f l e t, der im als lang gesellschafft det das n a c h d e m n ÿ m a n d s w a s d e r y n y e l e b e n d i g g e s e h e. (‹Tod des Artus›, 544, Herv. Verf.) Vom Tod des Königs ist tatsächlich nur in dem von ‹Map› gewählten Titel die Rede - ansonsten führt der Erzähler genau jene Elemente an, die auch in der narratio begegnen: Des Artus Verletzung, sein Abschied von Giflet und daß den König seitdem niemand mehr lebend gesehen habe. Zwar wird durch die Einschränkung ‹lebendig gesehen› der Tod des Herrschers nahegelegt, nur explizit genannt wird er auch hier nicht. 347 Die narratio erfüllt damit die im ‹Binnenprolog› angedeutete Aussparung des Erzählens vom Tod und desavouiert damit auch die vom fiktiven Mäzen eingeforderten Vorgaben, vom Tod aller Protagonisten zu berichten (vgl. Kap. II.2.1 d.A.) - der Tod des Herrschers erscheint somit nur im Titel des letzten Werkteils und auf dem von Giflet betrachteten Grabmal; erzählt wird er nicht. Im Hinblick auf die Figurenebene fällt dabei zunächst auf, daß Giflet selbst die Wahrheit des Epitaphs anzweifelt, wenn er den Einsiedler fragt: « ‹Herre, umb got, ist diß schrifft ware? › » (ebd., 1008). Zwar mag hier der psychologisierende Einwand geltend gemacht werden, Giflet sei auf Grund seiner Trauer nicht gewillt, den großen Verlust hinzunehmen, und wehre sich gegen die schmerzvolle Gewißheit. Doch bleibt in dieser Deutung außer acht, daß Giflets Frage in bezug auf zuvor Erzähltes eine weitere Dimension erhält. Erinnert sich der Rezipient nämlich der zahlreichen gefälschten und ambivalenten inscriptiones und Schriftstücke, 348 so kann er in Giflets Frage seine eigenen Bedenken gespiegelt sehen. 349 Insbesondere im Hinblick auf die bislang unbe- Täuschung, Schrift und historia 213 346 Vgl. auch Waltenberger, Das große Herz, bes. S. 143f., von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 251f., Burns, Arthurian Fictions, bes. S. 166f., sowie Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 183. 347 So auch Waltenberger, Das große Herz, S. 143. 348 Vgl. Ziegeler, Schrift und Wahrheit, Waltenberger, Das große Herz, S. 145ff. Es ist interessant, daß dem ‹Lancelot en prose› dieser konkrete Hinweis auf die Inschrift fehlt, und Girflet nicht explizit nach der Wahrheit der inscriptio, sondern danach fragt, ob Artus in diesem Grab liege: « ‹Sire, est il voirs que ci gist li rois Artus? […]› »(Frappier, La Mort Atu, S. 251, Herv. Verf.). Der Fokus wird somit nicht auf die Wahrheit der Schrift, sondern auf des Artus Verbleib gelegt. 349 Gerade dieses Nachfragen Giflets scheint mir gegen die Feststellung zu sprechen, daß sich die im ‹Prosa-Lancelot› begegnende Verknüpfung von Begräbnis und Schiffsentrückung gegen die mythische Erzähldimension wende, Steinhoff, Kommentar zu ‹Tod des Artus›, S. 1226. Vgl. auch Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 167f. rücksichtigte Episode, in der Gawein sich in der Dolorosen Garde befindet (LG I, 458ff.) 350 und auf dem dortigen Friedhof zahlreiche Grabstätten erblickt, wird dies deutlich, wenn bedacht wird, daß die auf den Särgen verzeichneten Namen der Artusritter nicht zwingend auf deren Tod hindeuten. 351 Gaweins und seiner Gefährten Jammer entsteht ja auf Grund der Tatsache, daß sie den (z.T. gefälschten) Inschriften Glauben schenken (Sie wonden das es alles war were, ebd., 462), obwohl diese insriptiones eben nicht gänzlich der Wahrheit entsprechen: «Es was ware von ettlichen, und von ettlichen was es gelogen […]» (ebd.). Durch Giflets Frage an den Eremiten wird der Wahrheitsanspruch der Inschrift also auf der Figurenebene explizit thematisiert und sogar noch gesteigert, wenn Giflet weiterhin fragt, wer denn Artus zur Schwarzen Kapelle gebracht habe (‹Tod des Artus›, 1010). 352 Der Verweis des Einsiedlers, edle Damen hätten den König hergebracht, 353 scheint die Wahrheit der inscriptio dann zwar zu bestätigen, doch geschieht dies wiederum durch die Perspektive des Protagonisten Giflet, der die Schlußfolgerung zieht, es habe sich dann wohl um dieselben Damen gehandelt, die Artus auf dem Schiff weggeführt hätten (ebd.). Das ausgesparte Erzählen vom Tod des Artus hat somit auch Auswirkung auf die Ebene des Erzählten, insofern Giflet nicht das Sterben des Königs ‹mit eigenen Augen gesehen hat›, sondern lediglich das Grab und die Inschrift als textinterner Augenzeuge erblickt und deren Glaubwürdigkeit sogleich hinterfragt. So wie Artus’ Tod auf der Figurenebene ungesehen bleibt, so bleibt sein Tod auch für die Rezipienten unerzählt und wird lediglich durch die Grabinschrift repräsentiert. 354 Damit wird gerade durch die vermeintlich wahrheitsverbürgende inscriptio erreicht, daß der Rezipient eine dem Text distanzierte Haltung gegenüber einnehmen kann, weil er zum einen die Unzuverlässigkeit und Ambigui- 214 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 350 Vgl. dazu auch Kennedy, Elspeth: Who is to be believed? Conflicting Presentations of Events in the Lancelot-Grail Cycle. In: The Medieval Opus. Imitation, Rewriting, and Transmission in the French Tradition. Proceedings of the Symposium held at the Institute for Research in Humanities October 5-7 1995 at the University of Wisconsin- Madison. Hg. Douglas Kelly (Faux Titre, 116), S. 168-180, hier S. 172f., sowie Klinger, Der mißratene Ritter, S. 483f. 351 Vgl. LG I, 462,15f.: «[…] begunde lesen allenthalben off jhenen sercken, das der in dem grab lege und das das sin heubt were das off der zinnen da entgegen steckete. Also lase er an maniger statt und nant gn v g ritter ußer des konig Artus hof und ußer sym lande.» 352 Diese zweite Frage Giflets fehlt dem ‹Lancelot en prose› ebenso wie der konkrete Bezug auf die inscriptio (vgl. Anm. 348 d. Kap.). Der Einsiedler fügt seiner Antwort hier direkt den Hinweis auf die ihm unbekannten Damen bei »- Oïl, biax amis, il i gist voirement; ci l’aporterent ne sai quex dames« (Frappier, La Mort, S. 251). 353 In der Übersetzung Steinhoffs wird die Antwort des Eremiten, ‹Ich weiß, frauwen! › (‹Tod des Artus›, 1010) mit: «Edle Frauen, was weiß ich», wiedergegeben. Steinhoffs Übersetzung scheint sich allerdings eher an dem altfranzösischen Text (ne sai quex dames, Frappier, La Mort, S. 251) zu orientieren. Im ‹Prosa-Lancelot› ließe sich die Antwort des Eremiten wohl eher mit ‹Ich denke, edle Damen› übertragen. 354 Vgl. von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 251. tät der Inschriften aus dem bereits Erzählten kennt und zum anderen gemäß der im ‹Binnenprolog› begegnenden Ankündigung keinerlei abschließende Informationen über des Artus Tod erhält. 355 Somit befindet sich der Rezipient - im Gegensatz zu den bisher untersuchten Episoden - erstmals in der gleichen Situation wie die Protagonisten, da er ihren Kenntnisstand teilt: Die Rezipienten werden ebenso wie Giflet lediglich auf eine vorgeblich glaubwürdige Inschrift verwiesen und stehen daher gleichermaßen vor der Frage, ob sie ihr Glauben schenken können oder nicht. Im ‹Prosa-Lancelot› werden also sowohl die fiktionale als auch die historische Erzähltradition insofern vereinigt, als Elemente des ‹klassischen› Artusromans sowie der historia aufgerufen und in Bezug zueinander gestellt werden: Die Inschrift, die zunächst auf der Figurenebene Wahrheit verbürgen soll und dann sogar von dem Protagonisten Giflet selbst angezweifelt wird, verkörpert somit die historisierende Dimension des Erzählten, während das tatsächlich Erzählte eben jenes in der Inschrift gegebene Element ausspart. Obgleich dies nicht zwingend auf eine Fiktionalisierung des Erzählten abheben muß, sei festgehalten, daß durch das Erzählen von des Artus Verbleib letztlich eine mythische Erzähldimension erhalten bleibt, insofern die Möglichkeit des ‹wiederkehrenden Herrschers› bewußt präsent gehalten wird. Diese ‹mythische› Dimension spricht nicht - wie häufig konstatiert wird 356 - gegen die Historizität des Berichteten, 357 sondern sie korrespondiert mit der traditionellen Idee des rex quondam rexque futurus, 358 wie sie auch in der historisierenden arthurischen Erzähltradition, z.B. bei Geoffrey und Wace begegnet. 359 Des Artus Tod ist damit eben doch nicht unwiderruflich, sondern vor dem Hintergrund des bereits Erzählten, das eben auch die Unzuverlässigkeit und verfälschende Dimension von Inschriften umfaßt, wird somit vielmehr deutlich, daß die Idee bzw. der Mythos des rex perpetuus nicht eliminiert wird (oder vielleicht nicht eliminiert werden konnte). 360 Ebenso wie Giflet ist es Täuschung, Schrift und historia 215 355 Vgl. zu diesem Aspekt auch Waltenberger, Das große Herz, S. 142ff. 356 Vgl. Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 148f. 357 Zumal sie ja dem historisierenden Erzählen von der matière de Bretagne entspringt. Erinnert sei hier ferner an die Legendenbildung um Friedrich I. Barbarossa und seinen Enkel Friedrich II. Auch tritt die Idee/ Sage um den Herrscher, «der in Wahrheit nicht gestorben sei, sondern nur in einem heiligen Berg wohne», nicht in Konkurrenz zur Historizität der Person Barbarossas (bzw. Friedrichs II.). Opll, Ferdinand: Friedrich Barbarossa. Darmstadt 1990 (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), S. 299f., sowie Kaul, Camilla G.: Friedrich Barbarossa im Kyffhäuser. Bilder eines nationalen Mythos im 19. Jahrhundert. 2 Bde. Köln u.a. 2007, hier Bd. 1 (Textband), bes. S. 27ff. und 82ff. 358 Anders Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 148f., und Steinhoff, Stellenkommentar zu ‹Tod des Artus›, S. 1226. 359 Vgl. Anm. 357 d. Kap. Allerdings begegnen auch Zweifel am Mythos des ‹wiederkehrenden Königs›. Vgl. dazu Johanek, König Arthur und die Plantagenets, bes. S. 376ff. Vgl. auch Kap. I.2.2.1 d.A. 360 Im Hinblick auf diese Feststellung sei auch an den Epilog-Anhang der Klage (*B) erinnert, in dem der Erzähler Spekulationen über Etzels Verbleib anstellt, freilich unter dem daher den Rezipienten aufgegeben, der Inschrift zu glauben oder aber sie in Frage zu stellen, was aus ihrem Erkenntnisvorsprung im Hinblick auf die anderen Inschriften zusätzlich erschwert wird, insofern die Rezipienten nicht eindeutig wissen können, ob sie den die Inschrift umgebenden (nicht-erzählten) Kontext richtig erfassen. 361 Der Tod des Artus bleibt somit auf zweifache Weise uneindeutig, da die Rezipienten auf Grund der Unzuverlässigkeit anderer Inschriften sowie aus den bekannten arthurischen Erzähltraditionen am Tod des Herrschers zweifeln können. 362 Es ist dies sicherlich kein ans Märchen erinnernder Erzählschluß, wie er z.B. im ‹Erec› (vgl. Vv. 10115ff.) begegnet, aber ein mythischer ‹Rest› bleibt dennoch erhalten und wird sogar durch die Figur Artus selbst evoziert, wenn sie Giflet über ihren Verbleib im Unklaren läßt und damit an die bekannte Idee des ‹ewigen Königs› erinnert. ‹Artus› selbst scheint damit das Erzählen von seinem Ende auf eine Metaebene zu überführen, und dies ist umso bedeutender, als jene Verschiebung der Ebenen keinen Einzelfall innerhalb des ‹Lancelot› darstellt: Bereits an einer vorhergehenden Stelle wird von den Protagonisten Artus und Gawein über das Erzählen vom Ende der âventiuren reflektiert und somit auf eine poetologische Ebene übertragen. Es handelt sich hierbei um die Ankunft des Schiffs, in dem das tote Fräulein von Challot sich befindet: Da der konig, der darnach gedacht, das gesach das ein schiff alda gelendet hett by dem torne, das also schön und also ryche was, da wißte er es herrn Gawin: ‹Sehent das schönste schiff das ich noch ye gesah, laßent uns gan besehen was dahinne sy! › Da gingen sie beyde von dem pallast, und da sie dar waren komen, da gesahen sie das schiff also weydelich gezieret das sie es wunder hett. ‹Uff myn truw›, sprach herre Gawin, ‹ist das schiff also schön innwendig als es ußwendig ist, sicherlich, das ist w v nder, und ich möchte bald sprechen das die abenture <505> wiedder angingen.› ‹Also wolt ich auch gesprochen han›, sprach der konig. (‹Tod des Artus›, 688,24-35) 216 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› Vorbehalt, auf Grund mangelnder zuverlässiger Informationen, keine Angaben machen zu können (Vgl. ‹Klage›, Vv. 4323ff.). Dabei dienen die Spekulationen über Etzels Verbleib auch dazu, den Erzähler als zuverlässig zu erweisen, indem er nur ‹Verbürgtes› zu berichten gewillt ist. 361 Vgl. Waltenberger, Das große Herz, S. 179, sowie Sturges, Medieval Interpretation, S. 191f. 362 Diese Zweifel am Tod des Artus sind, wie im ‹Iwein›/ ‹Yvain› deutlich wird, nicht auf das fiktionale Erzählen von der matière de Bretagne beschränkt, sondern haben ihren Ursprung vielmehr in den historischen Erzählungen von Artus. Während so im ersten Fall die Historizität der Artusfigur eher ignoriert wird, zeugt z.B. der ‹Roman de Rou› explizit von diesen Zweifeln, wenn dort - vermutlich in Anlehnung an Geoffrey, Mertens, Der Artusroman, S. 23 - zu lesen ist, daß der Prophet Merlin zu Recht von Artus zu berichten wußte, daß dieser nicht tot sei (vgl. Vv. 13632ff.). Der Erzähler, der hier in der Rolle des Gelehrten ‹Wace› keine weiteren Angaben über den Verbleib des Artus zu machen gewillt ist, schlüpft somit in die Rolle des zuverlässigen Erzählers, der nur das Verbürgte berichtet, was der Tradition (bzw. des Merlin zugeschriebenen Erzählten) entspricht. Während es also in der zuvor betrachteten Passage um den Tod des Artus selbst geht, verweist diese Textstelle auf ein weiteres signifikantes Element, indem sie das Ende des Erzählens über Artus nicht an dessen Tod, sondern vielmehr an ein weiteres der Gattung Artusroman wesentliches Element bindet, und zwar an die âventiure. Das Verschwinden der âventiuren aus dem Artusreich nach der Gralsuche, jener letzten großen âventiure, 363 wird folglich nicht nur im Erzählten selbst thematisiert, sondern es wird auch auf der Figurenebene reflektiert. Daß es gerade Gawein und Artus, also zwei prominente Protagonisten auch des ‹klassischen› Artusromans sind, die angesichts des Schiffs Hoffnung auf eine Wiederbelebung der âventiuren hegen, ist in diesem Zusammenhang bezeichnend: Ebenso wie es in der zuvor betrachteten Stelle die Figur ‹Artus› ist, die ihr Weiterleben, ihre Mythologisierung unterstützt, sind es auch in der hier betrachteten Episode Protagonisten, die durch ihre (vergebliche) Hoffnung an den gattungskonstituierenden Erzählelementen festhalten. Wie in der Antwort an Giflet scheint Artus als Figur hier also nicht ausschließlich sich im Rahmen der narratio selbst zu bewegen, sondern seine bzw. Gaweins Hoffnung auf den erneuten Beginn der âventiuren kann gleichzeitig als Reflexion über die Gattung ‹Artusroman› gelesen werden: Der Artus, der hofft, die âventiuren begännen erneut, entspricht dabei dem Protagonisten Artus, der über seinen Tod respektive seinen letzten Aufenthalt keine Angaben zu leisten gewillt ist. Die Auseinandersetzung mit dem Ende der âventiuren bzw. mit dem Erzählen von der matière de Bretagne auf der Ebene der Protagonisten steht damit der Erzählerebene diametral gegenüber, da die hier betrachteten Äußerungen der Figuren gegen ein Ende des Erzählens von Artus bzw. ein Ende der Gattung ‹aufzubegehren› scheinen. Der auch im ‹Binnenprolog› nicht eindeutig genannte Tod des Artus wird damit auch in der narratio selbst nicht ausgeführt, sondern in Form der Inschrift nachgeliefert, so daß die ‹schnittige› Formel: «Der König stirbt, die Er- Täuschung, Schrift und historia 217 363 Auch auf der Figurenebene wird evident, daß die Gralsuche das Ende der ‹herkömmlichen› âventiuren einleitet, wenn zwischen der Suche nach dem Gral und den bisherigen suchungen deutlich unterschieden wird: «Wann diese suchung sol nit sin von wúnderlichen sachen, s v nder sol sin von inniglicher lieb unsers herren von der hohen lerung das der meyster kurczlichen leren sol und den g v ten ritter, den er hat uß erlesen zu synem dinst vor andern werntlichen rittern […].» (‹Tod des Artus›, 44,4ff.). Vgl. auch Unzeitig- Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 110ff. Innerhalb der Erzählung wird der Artushof durch die Botschaft des Einsiedlers Nascius auf das Ende der âventiuren bzw. auf deren Umdeutung im Hinblick auf ein heilsgeschichtliches Modell hingewiesen, so daß auf einer Metaebene zugleich eine Gattungstransformation postuliert wird. Vergleichbares findet sich auch im ‹Wigalois›, wenn Lion, der Antagonist Wigalois’, bei den Vorbereitungen zum Namûr-Feldzug verlauten läßt, Wigalois habe sich mit seiner Fehdeansage überschätzt, denn in Namûr werde er keine âventiuren, sondern einen mächtigen Herrscher finden: «hie enist niht âventiure! / die sol er [Wigalois] suochen anderswâ.» (Vv. 10182f.). Im ‹Wigalois› werden also Gattungselemente der ‹chanson de geste›-Tradition mit der des Artusromans konfrontiert, und diese Mischung der Elemente wird ebenso wie im ‹Lancelot› auf Figurenebene geäußert und damit auf eine Metaebene transportiert. zählung ist tot», 364 nicht vollends zutrifft. Das Ende des Erzählens von der matière de Bretagne wird vielmehr über die auctoritas ‹Maps› bzw. des Erzählers und dessen Feststellung, alles weitere Erzählen über Artus könne nur dem Reich der Lüge entstammen (vgl. Kap. II.2.1 d.A.), evoziert. Des Artus Tod selbst aber bleibt ‹unerzählt› und steht damit diesem traditionellen Schlußtopos gegenüber: Da lediglich eine inscriptio den Tod des Herrschers bezeugt, «sieht sich der Rezipient, der sich in den Rekurrenzen des Erzählmusters darauf eingestellt hatte, die Aussagen solcher Inschriften an seinem eigenen, im narrativen Mitvollzug gewonnenen Wissen zu messen», 365 mit dem Aspekt der Autorität des topischen Erzählschlusses konfrontiert, 366 zumal er hier erstmals auch aus dem Erzählten selbst nicht erschließen kann, wie es um die Zuverlässigkeit der Inschrift bestellt ist. In diese Betrachtungen fügen sich auch die Ergebnisse zu den anderen hier untersuchten Schriftstücken bzw. inscriptiones, so heterogen und vielfältig sie auch zunächst scheinen mögen. Gemeinsam ist ihnen, daß die Rezipienten eine der Figurensicht übergeordnete Position einnehmen, auf Grund derer sie die auf der Figurenebene begegnenden litterae beurteilen können. Anhand des Briefs von Bertelac erkennen sie die bewußte Täuschung, im Hinblick auf das Epitaph des Fräuleins von Challot die Ambiguität und im Falle des Garheiß die verfälschende Simplifizierung von Schrift. Dem autoritativen Anspruch auf Eindeutigkeit auf Ebene des discours steht somit die im Erzählten wiederholt sich offenbarende Problematik der Unzuverlässigkeit bzw. Unzulänglichkeit und Vieldeutigkeit der vorgeblich wahrheitsverbürgenden Schrift entgegen. 367 Die Problematisierung wahrheitsverbürgender Topoi und Erzählelemente, die in der narratio insbesondere in den Epitaphien aber auch in weiteren Schriftstücken wie dem hier betrachteten gefälschten Brief Bertelacs begegnet, 368 fordert den Rezipienten also stetig dazu auf, die den Beglaubigungsstrategien 218 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 364 Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 169. 365 Waltenberger, Das große Herz, S. 179. 366 Für Sturges, Medieval Interpretation, S. 191, ist dieser Erzählschluß «highly ironic: Walter Map, the famous man of letters of Henry II’s court and the supposed author of the prose Lancelot, actually died in 1209, some twenty years before the composition of the Mort Artu». An der Verfasserfiktion bzw. der Chronologie würde ich eine ironische Tendenz (Sturges Betonung der Ironie scheint hier doch überzogen) nicht festmachen; es bliebe allerdings zu überlegen, ob sich eine solche Tendenz nicht in der Gegenüberstellung von ‹Binnenprolog› und autoritativ-topischem Schluß ausmachen ließe. 367 Vgl. Sturges, Medieval Interpretation, S. 191, sowie Waltenberger, Das große Herz, S. 179. 368 Ein weiteres Beispiel bieten natürlich auch die von Mordret in Umlauf gebrachten gefälschten Briefe, die letztlich dazu führen, daß des Artus illegitimer Sohn den Thron usurpieren kann. Wie in der Episode um die falsche Ginover führen die Fälschungen bzw. der Glaube der Protagonisten an diese Fälschungen dazu, den Handlungsverlauf maßgeblich zu beeinflussen. Während dies in der falschen Ginover-Episode jedoch durch Ginovers (späte) ‹Rehabilitierung› wieder aufgehoben wird, sind die gefälschten Briefe Mordrets direkt am Untergang des Artusreiches beteiligt. Vgl. Waltenberger, Das große Herz, S. 145, und Klinger, Der mißratene Ritter, S. 484. inhärente auctoritas zu hinterfragen oder sogar als Täuschung zu entlarven. Damit wird auch der traditionell enge Konnex zwischen Schrift und Autorität aufgebrochen, 369 insofern die Rezipienten erkennen, daß sie zum einen für Lüge und Betrug verfügbar ist (Brief Bertelacs) sowie zum anderen komplexe und vieldeutige (Erzähl-)Zusammenhänge vereinfacht bzw. perspektivisch vereindeutigt (Inschriften). 370 Auf der Ebene der narratio wird damit implizite vorgeführt, was bei Brun von Schönebeck - wie Hagenlocher gezeigt hat - explizit reflektiert wird: iz ist um di schrift also geschaffen, als um ein elich wip das do treit doch velen lip und sich vremden mannen leget bi. […] also nimpt di schrift an sich itslich bilde daz sage ich. (Vv. 952ff.) 371 Das Gleichnis von der Schrift als «untreue[m] Weib, ja als liederliche[r] Hure» 372 ist zweifelsohne weitaus drastischer als die im ‹Lancelot› begegnenden (innerliterarischen) Beispiele, die von keiner Reflexion der Erzählerfigur begleitet werden, und dennoch liegt ihnen ein vergleichbares epistemisches Prinzip zugrunde: Autorität und Schrift werden sowohl im ‹Prosa-Lancelot› als auch bei Brun von Schönebeck deutlich voneinander geschieden, so daß die Schrift ihre wahrheitsverbürgende Funktion letztlich einbüßt und zum «bloße[n] Medium, […] das für jeden Zweck verwendbar ist», 373 gerät. Während also das im ‹Lancelot› entworfene Quellenkonstrukt auf der einen Seite vom Rezipienten verlangt, sich auf seine wahrheitsverbürgende Funktion einzulassen, wird diese Bereitschaft, den traditionell wahrheitsverbürgenden Elementen zu glauben, auf der Ebene der narratio beständig relativiert und Täuschung, Schrift und historia 219 369 Vgl. Ziegeler, Schrift und Wahrheit, bes. S. 209f., sowie Hagenlocher, Littera Meretrix, S. 159. 370 Vgl. Klinger, Der mißratene Ritter, S. 445ff., Waltenberger, Das große Herz, S. 144ff. und 178ff. Diese Feststellung gilt im Prinzip auch für die Inschrift, der Lancelot zu Beginn der Tanzbann-Episode begegnet. Die Warnung, die diese inscriptio an jeden Ritter ausspricht («O du ritter und alle die ritter […] der nyt sterben wil sol vermyden dißen weg […]», LGr. I, 580,15-19), ignoriert Lancelots Bestimmung, als einziger in der Lage zu sein, den Tanzbann zu brechen. Zu dieser Episode vgl. Kap. II.5.5 d.A. 371 Brun von Schönebeck: Das hohe Lied. Hg. Arwed Fischer. Tübingen 1893. Nachdr. Hildesheim, New York 1973. Vgl. zur Schriftlichkeitsthematik bei Brun Hagenlocher, Littera Meretrix, bes. S. 137ff. 372 Ebd., S. 141. Hagenlocher weist ferner nach, daß die von Brun an die Schrift herangetragene Kritik, eine Hure zu sein, bei Matthäus von Vendôme, und zwar in dessen ‹Tobias› vorgebildet ist, ebd., S. 143ff. In den hier ausgelassenen Versen wird die Schrift weiterhin als Trägerin einer wächsernen Nase bezeichnet (Vv. 961-964), die ebenso wie das Wachs jedwede Form annehmen bzw. aufnehmen könne. 373 Hagenlocher, Littera Meretrix, S. 158. Vgl. auch Klinger, Der mißratene Ritter, S. 484. konterkariert. Da die Rezipienten erkennen, daß sowohl Beglaubigungsstrategien als auch die Autorität von Schrift wiederholt als trügerisch, ambigue und unzuverlässig dargestellt wird, gerät somit auch die Glaubwürdigkeit des Erzählten bzw. des Quellenkonstrukts selbst in den Blick. Daß die Aufzeichnungen im Auftrag des König Artus niemanden täuschen wollen, wie Knapp meint, 374 ist damit für die Rezipienten nicht mehr sicher, wenn auf der Ebene der narratio jene Elemente, die traditionell zur Beglaubigung herangezogen werden, sich als unzuverlässig und/ oder mehrdeutig entpuppen. Dies ist umso bedeutsamer, als sich die Quellenfiktion selbst durch die sie kennzeichnenden Brüche als wahrheitsverbürgendes Konstrukt zu erkennen gibt. 375 Die Entblößung dieses Konstrukts als Inszenierung von Glaubwürdigkeit wird damit von den für Lüge, Täuschung und Betrug verfügbaren Beglaubigungsstrategien, wie sie auf Ebene der narratio begegnen, komplettiert. Ziegeler ist also durchaus beizupflichten, wenn er festhält, daß der ‹Lancelot› eine «Problematisierung der Wahrheit der historia» 376 bietet; allerdings ist - entgegen seiner Auffassung - auch der Erzähler letztlich kein Garant dieser (erzählten) Wahrheit, 377 sondern im Hinblick auf das Quellenkonstrukt bleibt der Rezipient auf sich allein gestellt. Die Eindeutigkeit, mit der die Erzählerfigur den Rezipienten auf Lüge, Ambiguität und Täuschung innerhalb der erzählten Welt aufmerksam macht, greift im Hinblick auf die Quellenfiktion nicht mehr. Damit bleibt die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Quellenfiktion, die sich die Rezipienten angesichts der in der narratio begegnenden Relativierung von wahrheitsverbürgenden Prinzipien stellen können, letztlich eben so uneindeutig wie der nicht erzählte Tod des Artus. Diese Divergenz zwischen intendierter Re-Historisierung auf der einen und ihrer Relativierung auf der anderen Seite soll abschließend literargeschichtlich eingeordnet und vor dem Hintergrund der arthurischen Erzähltradition betrachtet werden. Dazu werden die Überlegungen zum Quellenkonstrukt sowie zu den Aspekten Schrift und Täuschung im ‹Prosa-Lancelot› mit den vorherigen Ergebnissen zum ‹klassischen› Artusroman Hartmanns bzw. Chrétiens verglichen. II.4 Re-Historisierung vor dem Hintergrund der Gattungstradition Wie in den vorherigen Kapiteln gezeigt wurde, unterscheidet sich das im ‹Lancelot› begegnende Erzählen von âventiure vor allem insofern vom Artusroman Chrétienscher bzw. Hartmannscher Prägung, als seine Verschriftlichung auf der Ebene der narratio dargestellt und somit zur Etablierung einer Quellen- 220 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 374 Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 174. 375 Vgl. dazu Kap. II.4 d.A. 376 Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 208. 377 Vgl. ebd., S. 209 und 212. Re-Historisierung vor dem Hintergrund der Gattungstradition fiktion genutzt wird. Im Prinzip wird also wie z.B. in der ‹Klage› das Erzählen von Selbst-Gesehenem bzw. Selbst-Erlebtem von der Ebene der narratio auf die Ebene des discours übertragen, indem das bereits Erzählte erneut aus Figurensicht berichtet, dann innerhalb der erzählten Welt verschriftlicht wird und schließlich zur Quelle von ‹Maps› Buch gerät. 378 Das Erzählen der Ritter im ‹Lancelot› erfüllt also zwei wesentliche Funktionen: Es soll als adtestatio rei visae die Historizität des erzählten Geschehens belegen und gerät so gleichzeitig zu einer Reflexion des Erzählens von âventiure und der arthurischen Erzähltradition, indem diese âventiuren nicht mehr nur ‹erlebt›, sondern auch berichtet und schriftlich festgehalten werden müssen. Die âventiure als grundlegendes Gattungsmerkmal des ‹klassischen› Artusromans dient somit - um mit Jauß zu sprechen - zugleich der Prägung und der Variation dieses dem Rezipienten bekannten Gattungselements, 379 insofern das Erzählen von und das Erzählen über âventiure im ‹Lancelot› als interdependent erscheinen: 380 Wenn suggeriert wird, ‹Maps› Buch fuße auf den Erzählungen der Artusritter, dann bedeutet dies zum einen, daß die Erzählung des Gelehrten ohne die âventiure- Berichte der Ritter nicht möglich wäre. Zum anderen aber erfahren die Rezipienten ausschließlich aus der eigentlichen Erzählung von den âventiuren und deren Verschriftlichung, so daß das suggerierte Abhängigkeitsverhältnis zwischen ‹Maps› Erzählung und den angeblichen Augenzeugenberichten der Ritter umgedreht wird: Das Erzählte bringt damit die es beglaubigende Konstruktion selbst hervor. Anders verhält es sich hingegen mit der Erzählung des Calogrenant bzw. des Kâlogrenant: Sowohl im ‹Yvain› als auch im ‹Iwein› dienen die dem historisierenden Erzählen entlehnten Wahrheitstopoi in der Figurenerzählung dazu, eine auf Faktizität gerichtete Lesart des Erzählten prinzipiell auszuschließen. Historizität wird hier - bei Hartmann noch deutlicher als bei Chrétien - in das Erzählte eingebunden, ohne sie für das Werk selbst zu reklamieren. Die somit für (‹frei›) fiktionales Erzählen verfügbar gewordenen historia-Signale können daher auch vom Rezipienten erkannt und als ‹sekundär› eingestuft werden, insofern sie auf der Figurenebene verbleiben und die Ebene des discours bzw. die Fiktionalität des Erzählten nicht tangieren. Vergleichbares begegnet bereits im ‹Erec› Chrétiens, wenn Erec nach der Wiederherstellung der joie an den Artushof zurückkehrt und dort von Artus dazu aufgefordert wird, seine âventiuren zu berichten: «[…] et li rois pes feire comande,/ puis anquiert E r e c e t d e m a n d e / n o v e l e s d e s e s a v a n t u r e s» (Vv. 6413-6415, Herv. Verf.). 381 Re-Historisierung vor dem Hintergrund der Gattungstradition 221 378 Vgl. Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 207, mit Verweis auf den ‹Herzog Ernst› (B) und die ‹chanson de geste›-Tradition. Zum ‹Herzog Ernst› vgl. auch Neudeck, Erzählen von Kaiser Otto, S. 99-190, zum Quellenkonstrukt vgl. S. 185ff. 379 Vgl. Jauß, Theorie der Gattungen, sowie ders., Epos und Roman. 380 Vgl. Klinger, Der mißratene Ritter, bes. S. 443ff. 381 In Hartmanns ‹Erec› findet sich der Hinweis auf eine Erzählung der âventiuren durch Erec nicht; hier erläutert Erec lediglich, was es mit den Witwen auf sich habe: «und die Daraufhin beginnt Erec, seine âventiuren zu erzählen (reconter), ohne etwas zu vergessen bzw. auszulassen: Erec ancomance son conte: ses avantures li reconte, que nule n’en i antroblie. (Vv. 6417-6419) Der Bezug zum Prolog, in dem das Erzähler-Ich gleich an drei Stellen den Begriff conte verwendet, ist deutlich: 382 Der conte über Erec wird nun zu Erecs conte. 383 Daß der Erzähler eigens betont, Erec habe bei seiner Erzählung nichts vergessen bzw. ausgelassen, 384 erinnert an den Schwur der Artusritter im ‹Lancelot› sowie an Lancelots Übertretung des Gebots. Doch im ‹Erec› schaltet sich der Erzähler unmittelbar nach dieser Feststellung selbst ein und gibt seinen (fiktiven) Zuhörern zu verstehen, daß er diese Nacherzählung Erecs nicht en detail wiedergeben werde; der künstlerische Aufwand, 385 den das erneute Erzählen erfordere, sei ihm zu beschwerlich, zumal er seinem Publikum bereits die Wahrheit über die avantures und sogar über weitere ‹Dinge› berichtet habe: Mes cuidiez vos que je vos die quex acoisons le fist movoir? Naie; que bien savez le voir et de ice, et d’autre chose, si con ge la vos ai esclose: li reconters me seroit griés, que li contes n’est briés, qui le voldroit recomancier, et les paroles ragencier si com il lor conta et dist: […]. (Vv. 6420-6429) Auch hier steht folglich nicht die Legitimation des conte d’Erec durch einen Augenzeugen der Erzählung im Mittelpunkt des Interesses, sondern Erecs Erzählung (son conte) wird vom Erzähler nur angeführt, um sie gleich darauf einer (vorgeblichen) brevitas-Formel des Erzählers zu ‹opfern›. Vielmehr als an brevitas scheint der Erzählerfigur jedoch daran gelegen, dem (fiktiven) Publikum deutlich zu machen, daß eine erneute Erzählung für die textexternen Rezipienten insofern überflüssig ist, als der Erzähler selbst ja bereits die Wahrheit (le voir) berichtet habe. Damit macht der Erzähler auf spielerische Art und Weise deutlich, daß es sein conte ist, der Autorität beansprucht, während Erecs conte lediglich für die Figurenebene von Interesse ist. Die Differenzierung in 222 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› dar umbe niht westen,/ die vrâgeten von den gesten/ wiez umbe si waere gewant,/ unz inz Êrec tete erkant» (Vv. 9884-9887). 382 Vgl. ‹Erec et Enide›, V. 13, 19 und 20. 383 Ebd., V. 19 (d’Erec, le fil Lac, est li contes) und V. 6417 (Erec ancomance son conte, Herv. Verf.). 384 Vgl. antr’oblier in Foerster, Wörterbuch, S. 26. 385 Vgl. r’ajancier / ajancier in ebd., S. 9 und 209. Erecs conte auf der einen und des Erzählers conte auf der anderen Seite wird somit spielerisch wieder aufgehoben, da le voir letztlich durch den Erzähler präsentiert und verbürgt wird. 386 Obgleich hier nicht wie im ‹Yvain›/ ‹Iwein› die Verfügbarkeit von historia explizit vorgeführt wird, ist dennoch deutlich, daß auch an dieser Stelle von ‹Erec et Enide› kein Versuch unternommen wird, das innerliterarische Erzählen von âventiure auf der Ebene des discours auszuweiten und somit als Beglaubigungsstrategie einzusetzen. Vor dem Hintergrund der arthurischen Erzähltradition wird somit deutlich, daß es in erster Linie der spielerische Umgang mit den traditionell zur Beglaubigung genutzten Erzählelementen und die daraus letztlich entstehende Entfunktionalisierung von historia ist, die im ‹Prosa-Lancelot› wieder aufgegeben und zugunsten der Re-Historisierung der matière de Bretagne umgeformt scheint. Gleichzeitig aber ist es nicht zuletzt diese Gattungstradition, die der Glaubwürdigkeit des Quellenkonstrukts im ‹Lancelot› entgegensteht; denn obwohl die im ‹Prosa-Lancelot› begegnende Quellenfiktion hinsichtlich ihrer Konstruktion eher derjenigen der ‹Klage› vergleichbar ist, 387 besteht ein grundlegender Unterschied darin, daß im ‹Lancelot› Protagonisten der bereits als fiktional etablierten Erzählwelt «das Modell der historia, der Geschichtsdichtung mit dem ihr inhärenten Verlangen nach wahrhaftiger und vollständiger Überlieferung, wie sie letztlich nur der Augenzeuge liefern kann», 388 präsentieren. Damit ist die Quellenfiktion im ‹Lancelot› kein zusätzliches Merkmal, das die (anerkannte) Historizität des Erzählten bzw. der Stofftradition unterstreicht, 389 sondern die Quellenfiktion ist zunächst eine wesentliche Bedingung dafür, eine arthurische historia überhaupt erneut entstehen zu lassen, also gleichsam der Versuch, die arthurische Erzähltradition und die sie kennzeichnende Fiktionalität zu ‹ent-fiktionalisieren›. 390 Re-Historisierung vor dem Hintergrund der Gattungstradition 223 386 Auch hier läßt sich in dieser Hinsicht der Bezug zum Prolog von ‹Erec et Enide› herstellen, wenn bedacht wird, daß der Erzähler auch dort seine Erzählung - auf Grund der nur von ihm ermittelten conjointure - gegenüber den anderen verderbten und zerstückelten contes aufwertet. 387 Vgl. Mertens, Konstruktion und Dekonstruktion, S. 368, Wandhoff, künec, vernemt von mir! , S. 139, sowie Ziegeler, Schrift und Wahrheit, S. 207. 388 Wandhoff, künec, vernemt von mir! , S. 139. 389 Zwar mag hier eingewendet werden, daß auch Swemmel eine fiktive Figur darstellt, und doch entspringt der spilman einer anderen Stofftradition, deren grundlegende Historizität nicht angezweifelt wurde. Die Kritik, die z.B. in der ‹Kaiserchronik› (Swer nû welle bewaern/ daz Dietrich Etzel saehe/ der haize daz buoch vurtragen […], Vv. 14176ff.) oder von Otto von Freising geäußert wird, bezieht sich ja nicht auf die historische Grundlage des Stoffes, sondern eher auf in den Werken präsentierte Einzelheiten (z.B. Anachronismus Theoderich-Etzel etc.). Ebenso wurde auch nicht die Historizität der ‹Aeneis›, sondern lediglich die Faktizität einiger Erzählelemente (z.B. Dido-Episode) angezweifelt. 390 Für diese These spricht, daß in den ‹Prosa-Lancelot› ja nicht nur das aus den bekannten ‹Geschichtswerken› relevante Erzählte einfließt, sondern eben auch Elemente der Chrétienschen Erzähltradition. Dies zeigt sich gerade in der Tatsache, daß die bei Geoffrey Knapp hat dies ähnlich, obgleich kategorischer formuliert, wenn er feststellt, daß alle Fiktionalitätsanzeichen im ‹Lancelot› «durch Signale der Historizität ersetzt» 391 würden. Dabei läßt er aber zweierlei außer acht, und zwar erstens daß diese Substitution im Falle des Quellenkonstrukts nicht ‹reibungslos› verläuft, sondern - wie in den Kapiteln II.2 und auch II.3 untersuchten Passagen - Inkongruenzen hervorruft. Während Knapp diese ‹Brüche› durch die Autorität ‹Maps› aufgefangen sieht, 392 sprechen sie m.E. eher für eine punktuelle Abschwächung der auctoritas ‹Maps› bzw. der Quellenfiktion, da sie über ihre Inkongruenz auf die Konstruiertheit der Quellenfiktion hinweisen. Zweitens vernachlässigt Knapp die Möglichkeit, daß die traditionellen historia-Signale bereits - wie im ‹Yvain›/ ‹Iwein› - entfunktionalisiert werden konnten, so daß sie zumindest für die matière de Bretagne bzw. innerhalb der Gattung ‹Artusroman› nicht mehr uneingeschränkt gültig sein mußten. Im Vergleich zum ‹Yvain›/ ‹Iwein›, der historisierende Erzählelemente in die von Legitimationsformen freie Fiktion einbaut und sie ihrer ursprünglichen Funktion beraubt, begegnet demnach im ‹Lancelot› genau das gegenteilige Prinzip, wenn versucht wird, diese bereits relativierte Historizität wieder ihrer traditionellen Beglaubigungsfunktion zuzuführen. Die Quellenfiktion ist für dieses Bestreben insofern ein aufschlußreiches Element, als sie durch die ihr eignende Unstimmigkeit auf die Problematik dieses narrativ-literarästhetischen Vorgangs hinweist, 393 wenn sie zum einen als Wahrheitsbeteuerung fungieren soll, zum anderen jedoch als bewußt widersprüchlich präsentiert wird. Zwar wird im ‹Lancelot› dieser Fiktionalität mit einer weiteren auf Historizität abzielenden Fiktion begegnet, aber diese fictio zeigt durch die sie kennzeichnende Inkongruenz ihre eigene Konstruiertheit an und verweist damit auf die ihr innewohnende Problematik: Das, was erzählt wird und sich dabei selbst als Beglaubigungsstrategie dient, offenbart gleichzeitig seine eigene Funktionalität und gerät somit auch zu einer impliziten Reflexion seiner selbst. Das Quellenkonstrukt ist damit in seiner Funktionalität, die Anspruch auf Glaubwürdigkeit garantieren soll, für den Rezipienten als Konstrukt zu erkennen und zu durchschauen. Die Konstitution der Quellenfiktion im ‹Prosa-Lancelot› spiegelt damit im Prinzip jenes Problem wider, daß schon der Erzähler im ‹Roman de Brut› von 224 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› oder Wace ausgesparten Friedenszeiten im ‹Lancelot› ebenso berichtet werden wie des Artus ‹historische› Feldzüge. Vgl. zu Wace und Geoffrey Burrichter, Wahrheit und Fiktion, bes. S. 29-132. 391 Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 186. 392 Ebd., S. 174 393 Die denkbar besten Möglichkeiten, das Erzählen von Artus und ‹seinen› Rittern erneut in die historia zu überführen, liefert natürlich die Gralsuche und das in ihr begegnende Prinzip, die âventiuren der Ritter allegorisch zu deuten. Gleichwohl bleibt diese Möglichkeit des Re-Historisierungsprozesses und der konsequent heilsgeschichtlichen Deutung in ihrer Gültigkeit auf einen Ausschnitt des Werks beschränkt und erfaßt den ‹Lancelot› nicht in seiner erzählten Gesamtheit. Wace akzentuiert: Bei den Erzählungen über Artus habe es sich zunächst nicht ausnahmslos um Lügen gehandelt, aber es sei solange ‹fabuliert› worden, daß letztlich alles Erzählen von Artus zur Fabel geraten sei: Ne tut mençunge, ne tut veir, Ne tut folie ne tut saveir. Tant unt li cunteür cunté E li fableür tant flablé Pur lur cuntes enbeleter, Que tut unt fait fable sembler. (Vv. 9793-9798) Burrichter hat im Hinblick auf diese Stelle festgehalten, daß «Wace den Prozeß, der vom historischen Faktum zur ‹fabelhaften› Geschichte führt», skizziere; Wace also zugleich an der Historizität der Artusfigur festhalte und auf den Übergang der matière de Bretagne in fictio aufmerksam mache. Während Wace bzw. sein Erzähler jedoch den Historizitätsanspruch der Erzählung dadurch hervorhebt, daß er - ebenso wie in Geoffreys ‹Historia› - keine verwerflichen Fabeleien berichtet, 394 werden in den ‹Lancelot› sowohl die vermeintlich verbürgten als auch erfundene Erzählaspekte integriert. Ebenso wie bereits bei Geoffrey of Monmouth wird im ‹Lancelot› also Geschichte fingiert, doch geschieht dies literargeschichtlich bzw. sowohl produktionsals auch rezeptionsästhetisch betrachtet aus einer anderen Position heraus, da die Fiktionalität des Artusromans in der Folge des historisierenden Erzählens von Artus sich bereits etabliert hatte 395 und beim kundigen Rezipienten das Wissen um diese ‹freie› fictio, um diesen «Fiktionalitätskontrakt» 396 vorausgesetzt werden konnte. Damit einher geht die Möglichkeit, historia-Elemente in die fiktionale Erzählung einzubauen und sie ihrer traditionellen Beglaubigungsfunktion zu berauben. Im ‹Lancelot› werden also nicht einfach alle fictio- Signale durch Historizitätssignale ersetzt, 397 vielmehr beginnt die Grenze zwischen den verschiedenen Ausprägungen und Graden von fictio insofern zu verwischen, als die eigentlich im Dienste der Historizität stehende Fiktion ‹Quellenkonstrukt› ihre Funktionalität selbst preisgibt und damit den Rezi- Re-Historisierung vor dem Hintergrund der Gattungstradition 225 394 Erinnert sei hier auch an die Stelle des ‹Rou›, in der der Erzähler das den Fabeleien anhaftende Wunderbare der Lächerlichkeit und damit der Unwahrheit preisgibt, wenn er seine Nachforschungen im ‹Wunderwald› als Tat eines Toren darstellt: «[...] La alai jo merveilles querre,/ vi la forest e vi la terre,/ merveilles quis, mais nes trovai,/ fol m’en revinc, fol i alai,/ fol i alai, fol mèn revinc,/ folie quis, por fol me tinc» (Vv. 6415-6420). 395 Dies übersieht m.E. Knapp, wenn er konstatiert, daß der ‹Prosa-Lancelot› ebenso wie Geoffreys ‹Historia› auf einem pseudohistorischen Fundament ruhe, Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 178. Der ‹Lancelot› stützt sich vielmehr auf die gesamte arthurische Erzähltradition, also auch auf den ‹klassischen› Artusroman, was nicht zuletzt die ‹Karrenritter›-Episode zeigt. Damit fließen die historische sowie die fiktionale Erzähltradition ineinander. 396 Begriff nach Warning, Der inszenierte Diskurs, S. 194. 397 Vgl. Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 174. pienten vor die Wahl stellt, ihr zu glauben oder nicht. 398 Diese vermeintlich Glaubwürdigkeit verbürgende und damit funktionale fictio überschreitet demnach die Grenze zu einer von Legitimationsstrategien freien Fiktionalität, indem sie ihre eigene Funktionalität offenbart und sich als narrative Strategie, die Historizität erzeugen soll, zu erkennen gibt. Dem korrespondiert die auf der Erzählebene begegnende Relativierung und Problematisierung historisierender Erzählmechanismen, die den Akt der Re-Historisierung selbst und damit auch die Konzeption des Werks hinterfragen. Als «raffinierte Fiktionssignale» 399 können die hier untersuchten Widersprüche und Ambivalenzen damit ebensowenig gelten wie als traditionelle Beglaubigungstopoi. Vielmehr scheint im ‹Prosa-Lancelot› durch die Gegenüberstellung von den Ebenen des discours und der histoire die Schwierigkeit reflektiert zu werden, im Anschluß an die fiktionale Erzähltradition historisierend von der matière de Bretagne zu erzählen, indem die Grenzen jener wahrheitsverbürgenden Erzählstrategien in all ihren Facetten dargelegt werden. Damit wird nicht ausschließlich eine Absage an den fiktionalen Artusroman 400 formuliert, vielmehr ist die Frage nach dem Wert bzw. der Geltung historisierender Erzählelemente überhaupt angesprochen. Der ‹Prosa-Lancelot› ist damit zunächst kein «Einzelfall» 401 innerhalb der Literaturgeschichte, sondern er reflektiert die bereits im ‹Yvain›/ ‹Iwein› begegnende Verfügbarkeit historisierender Erzählmuster, indem er die produktionsästhetischen Prinzipien umkehrt: Während im ‹Iwein› historia-Elemente ihrer beglaubigenden Funktion bewußt beraubt werden, also die historia für die Fiktionalität verfügbar wird, reflektiert der ‹Lancelot› auf der Ebene der narratio die aus dieser Verfügbarkeit resultierende Problematik historisierenden Erzählens. Die Kategorisierung des ‹Prosa- Lancelot› in eine historia auf der einen und einen fiktionalen Roman auf der anderen Seite wird damit hinfällig, insofern das Werk selbst diese Einteilung bewußt erschwert. 402 Der ‹Prosa-Lancelot› scheitert also nicht am Prinzip der historia, indem er die im klassischen Artusroman gegebene (strukturelle) Sinnsetzung in Frage 226 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 398 Es ist - entgegen Knapp - eben nicht zwingend, daß sich die Rezipienten die Unstimmigkeiten zwischen vermeintlicher Kohärenz der Quellenfiktion und Lancelots Erzählungen aus ‹Maps› auctoritas erklären müssen, vgl. ebd. 399 Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 174. 400 Vgl. Haug, Das Endspiel der arthurischen Tradition, bes. S. 251 und 264ff., Wild, Erzählen als Weltverneinung, passim, Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, bes. S. 168f. und 178f. 401 Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 189. 402 Wenn Knapp einerseits festhält, daß «Gut und Böse in diesem Roman […] nicht [so einfach] zu unterscheiden» seien, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 188, ist ihm ausnahmslos beizupflichten; andererseits jedoch bleibt dann zu fragen, warum Knapp diese Uneindeutigkeit und Ambivalenz nicht auch auf die Fiktionalitätsbzw. Historizitätskonstitution des ‹Lancelot› bezieht und hier eine eindeutige Zuordnung vornimmt, wobei er selbst von einem ‹Roman›, vgl. ebd., spricht. stellt, 403 sondern die traditionellen historia-Elemente ‹scheitern› an der fiktionalen Erzähltradition, wenn narrativ vorgeführt wird, daß grundlegende Prinzipien historisierenden Erzählens keine eindeutige Gültigkeit mehr beanspruchen können. Das traditionelle Beglaubigungselement der adtestatio rei visae ist demnach sowohl durch die ihm eignende Unstimmigkeit als auch durch seine bereits im ‹Yvain›/ ‹Iwein› erfolgte Relativierung als narrative Strategie zu erkennen, und damit offenbart die suppletive fictio ihren funktionalen Charakter, indem sie nicht mehr als bloßer Beleg von historia fungiert, sondern bezeugt, daß die vorgebliche Historizität an den Einsatz (re-)historisierender Strategien gebunden ist, mithin dazu dient, Geschichte zu fingieren. Exkurs: Re-Historisierung im Dienste der Heilsgeschichte: Bohorts Versuchung Ausgenommen von dieser Entblößung im Dienste der Historisierung stehender funktionaler fictio befindet sich - zumindest vordergründig - die ‹Queste›/ ‹Gralsuche›, die das Erzählte um «die Geschichte des Grals und die christliche Heilsgeschichte erweitert». 404 Diese stringente heilsgeschichtliche Perspektivierung setzt mit der Ankunft von Amides und Lancelots Sohn Galaad am Artushof ein: Nachdem Galaad in einem Kloster in der Nähe des königlichen Hofes von seinem Vater zum Ritter geschlagen wurde (‹Tod des Artus›, 11,5-14,11), kommt er in Begleitung eines alten Mannes zu Artus und der versammelten Tafelrunde. Dort angekommen, nimmt er seinen Platz auf dem Sorgenlichen Seß ein und zieht das Schwert aus der roten Marmorsäule; damit erfüllen sich sogleich zwei Prophezeiungen, die dem Artushof und den Rezipienten kurz zuvor durch inscriptiones bekannt wurden: So heißt es in der Inschrift auf dem Sorgenlichen Seß, daß dieser im Jahre 487 nach Christi Geburt eingenommen werde (ebd., 14,34f.), und die inscriptio auf dem Schwertheft besagt, daß nur der beste Ritter der Welt es aus der Säule zu ziehen vermöge (ebd., 18,10f.). 405 Mit der Nennung des Datums 406 wird das Erzählte explizit in eine (heils-)ge- Re-Historisierung vor dem Hintergrund der Gattungstradition 227 403 Haug, Geschichte, Fiktion und Wahrheit, S. 129. Nach der Haugschen Definition der sich im Artusroman offenbarenden Fiktionalität, die sich vor allem aus der besonderen Erzählstruktur speist, kann der ‹Lancelot› eigentlich nur ‹sinnlos› sein, da nach Haug die Sinnsetzung des Erzählten durch den ‹doppelten Cursus› bzw. die conjointure gegeben ist; vgl. Haug, Literaturtheorie, bes. S. 92ff. und 102ff. Vgl. dazu auch Haugs Überlegungen zu den sogenannten Nachklassikern, ebd., S. 259-287. Haug hat diese Sicht später differenziert und z.T. relativiert; vgl. Haug, Walter: Für eine Ästhetik des Widerspruchs. In: ders.: Die Wahrheit der Fiktion, S. 172-184, vgl. auch ders., Das erotische und das religiöse Konzept, bes. S. 250f. 404 Steinhoff/ Haug, Kommentar in ‹Tod des Artus›, S. 1044. 405 Zum Erzählmotiv des Schwertes im Stein, das ursprünglich zur Legitimation des Artus als rechtmäßigem Erben Uterpandragons diente, vgl. Steinhoffs Kommentar zur Stelle, ‹Tod des Artus›, S. 1068. 406 Eine weitere Datierung findet sich - ebenfalls in Zusammenhang mit dem Sorgenlichen Seß - in der Episode um Brumal, ein Ritter des Claudas (LGr. II, 412,6-414,33): Brumal schichtliche Chronologie eingeordnet, die den nun folgenden Erzählteil des ‹Prosa-Lancelot› bestimmt. Gleichzeitig wird durch diese Angabe sowie durch die Inschrift auf dem Schwert die das Erzählte von nun an dominierende Deutungsperspektive betont: 407 Der beste Ritter der Welt, der den Sorgenlichen Seß einnehmen und das Schwert aus der Säule ziehen wird, ist nicht mehr - wie zuvor im Erzählten suggeriert wurde - Lancelot, sondern sein keuscher Sohn Galaad, der enden sol die abentúr von den Großen Britanien (‹Tod des Artus›, 26,27f.). Die auf Galaads Eintreffen am Artushof sich anschließende Erscheinung des Grals gibt dann den endgültigen Anstoß zur suchung: Man läßt die Schreiber kommen, und die Ritter - allen voran Galaad - schwören, nicht eher zum Artushof zurückzukehren, bis sie die Wahrheit von dem heiligen Gral erfahren haben. 408 Lediglich König Artus bleibt zurück und bedauert den durch die Suche verursachten Verlust seiner Ritter: ‹Eya Gawin, ir habt mich gedöt umb die gelúbd die ir hant gethan! Ir hant mir genommen die gröst und die schönst geselschafft die ich ye gewann, und das ist die geselschafft von der tafelrunden. Wann ich wol weiß, als bald als sie von mir kerent, das sie nymmer als bald und als gar wiedder k v ment als sie uß sint gerieten. Wann ich wol weiß das sie sterbent meist teil all in dieser s v chung, wann es nit als bald ende nymet als ir wenent. Da von múwet es mich nit wenig, wann ich sie all myn tag geeret han und gefordert nach aller myner vermöglichkeit, als ob sie weren myn söne oder myn brúder gewest. Darumb thut mir sere we ir scheiden, wann ich gewonet han by yn zu syn und irer geselschafft und kann nit gewißen wie ich mich es getrösten sol›. (ebd., 38,27-40,5) Wie des Artus Weigerung, Giflet Näheres über seinen Verbleib nach seiner Verwundung zu erzählen, bzw. wie das Gespräch zwischen Artus und Gawein über den möglichen Neubeginn der âventiuren im letzten Erzählteil des ‹Prosa- 228 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› nimmt auf dem Sorgenlichen Seß Platz und wird sogleich vor den Augen des Artushofes von herabfallendem Feuer verbrannt. Damit bestätigt sich die Prophezeiung, die zuvor als Inschrift auf dem Sitz erschienen war: « ‹Alhie muß off dißem hutigen tag sterben der hochfertig Brumal; und stirbt er nit, so hatt Merlin gelogen in syner prophecye› » (LGr. II, 410,33ff.). Der Tod Brumals ereignet sich - so der Erzähler - im Jahre 226 nach Christi Geburt (ebd., 414,5f.). Abgesehen von der Datierung selbst ist bedeutsam, daß die Angabe des Datums im ‹Lancelot en prose› (sowie in Hs. s) bereits früher, und zwar bei Lancelots Ankunft in Camelot genannt wird, vgl. Steinhoffs Kommentar zu LGr. I und LGr. II, S. 892. Damit wird in Hs. P eine engere Verbindung zwischen der Brumal- Episode und Galaads Eintreffen am Artushof erzeugt, vgl. ebd. Wenn nicht eine bisher unbekannte französische Vorlage der Grund für die Verschiebung des Datums ist, könnte hier ein weiterer Hinweis auf traditionelle Adaptationstechniken vorliegen. Zur Varianz des Datums bzw. der Jahresangaben innerhalb der französischen Überlieferung vgl. ebd. 407 Vgl. Ruberg, Raum und Zeit, S. 114, sowie von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 215ff. 408 Dieser Schwur wird freilich nur von Bohort eingelöst werden: Galaad, der einzige, dem die eigentliche Gralsschau zuteil wird, stirbt nach seiner Vision und auch Parceval verstirbt und kehrt nicht an den Artushof zurück. Die übrigen überlebenden Ritter hingegen, die zurückkehren, erhalten keinen oder nur einen äußerst begrenzten Einblick in das Mysterium des Grals. Lancelot›, 409 scheint des Königs Klage auch hier auf eine Metaebene übertragbar; denn Artus betrauert nicht ausschließlich den Verlust seiner Ritter und er klagt auch nicht nur darüber, daß «seine Ritter und Schreiber das höchste aller Abenteuer nicht begreifen, nicht in Sprache und Schrift fassen werden können […]»; 410 vielmehr wird in seinem Jammer implizite auch der Verlust der arthurischen Erzähltradition beklagt: Mit dem Ende der âventiuren, der Zerstreuung und dem Tod einiger Artusritter wird auch die Möglichkeit, in traditioneller Manier von den ritterlichen âventiuren zu erzählen, an ihr Ende geführt. Lediglich die Figur Artus - so scheint es - bleibt mit ihrer Trauer zumindest implizit der bekannten Erzähltradition verbunden; die Ritter der Tafelrunde hingegen und mit ihnen die Rezipienten werden mit den sich anschließenden narrationes in eine Welt entlassen, in der die âventiuren «außer dem buchstäblichen Sinn, eine verborgene geistliche Bedeutung [erhalten], die sich erst in der Auslegung durch Einsiedler oder Klausnerinnen enthüllt». 411 Mit diesen âventiuren-Allegoresen geht eine erzählerische Vereindeutigung einher, die die narratio auf Glaubenstatsachen, moralische Anweisungen und/ oder eschatologische Aspekte 412 festlegt und damit den historisierenden Anspruch des Erzählten - zumindest punktuell - absolut setzt. Gleichwohl können auch diese Allegoresen anfällig für Betrug und Täuschung sein, und zwar dann, wenn sich der Teufel ihrer bedient, um die Ritter zu prüfen und in die Irre zu führen. 413 Dies soll im folgenden anhand von Bohorts Suche und Verführung 414 näher betrachtet werden. Im Anschluß an die religiöse Unterweisung durch einen Priester, der Bohort die Beichte abnimmt und ihm die Absolution erteilt, setzt Bohort seine Re-Historisierung vor dem Hintergrund der Gattungstradition 229 409 Vgl. Kap. II.3.4 d.A. 410 von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 48. Genau diese Verschriftlichung wird ja zum Ende der Gralsuche durch Bohorts Erzählung geleistet! Ferner wird dies nicht nur durch Bohorts späteren Bericht (vgl. Kap. II.2.1 d.A.), dem sich Maps Erzählung angeblich verdankt, widerlegt, sondern auch durch die Tatsache, daß dem König selbst eine ‹mangelnde› Einsicht im Hinblick auf den Gral zugesprochen werden muß. Es ist nämlich nicht des Artus Furcht vor einer höheren Wertigkeit der Gralsuche, die dem König Sorgen bereitet, sondern die Tatsache, daß mit der Gralsuche auch die übrigen âventiuren ein Ende finden. 411 Steinhoff, Kommentar zu ‹Tod des Artus›, S. 1040. Vgl. auch Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 117 und 121f., sowie Haug, Das erotische und das religiöse Konzept, S. 255f. 412 Damit werden - obgleich nicht bei der Deutung jedweder âventiure - alle Ebenen des vierfachen Schriftsinns abgedeckt. Zur prinzipiellen Schwierigkeit der Begriffsdifferenzierung und der terminologischen Unschärfe vgl. Meier, Allegorieforschung, passim. 413 Ausgenommen von solchen Versuchungen ist die Figur Galaad, vgl. Haug, Das erotische und das religiöse Konzept, S. 255f. 414 In Kluges und Steinhoffs Ausgabe wird dieser Teil der ‹Gralsuche› unter dem Titel ‹Ein Bruderkampf› geführt, da Bohort und Lyonel zum Ende der Episode aufeinandertreffen, und Lyonel seinen Bruder zum Kampf herausfordert. Kâlogrenant (Galogravant), der zufällig hinzukommt und versucht, Lyonel davon abzuhalten, seinen älteren Bruder zu erschlagen, wird von Lyonel getötet; nur das Eingreifen Gottes kann verhindern, daß Lyonel Bohort, der sich gegen seinen Bruder nicht verteidigen will, tötet (vgl. ‹Tod des Artus›, 370,16-380,14). Suche fort. Nach einiger Zeit erblickt er einen großen Vogel, 415 der sich auf einem Baum niederläßt und dort seine Jungen tot vorfindet. Mit dem Blut aus einer Wunde in seiner Brust, welche sich der Vogel selbst zufügt, erweckt er die kleinen Vögel zu neuem Leben; der Vogel selbst stirbt. Während Bohort sich über das Ereignis wundert, wann er wúst nit was dinges im möchte geschehen von dißer bedutniß (‹Tod des Artus›, 332,12f.), können die Rezipienten erkennen, daß die folgenden âventiuren Bohorts einer geistlichen Deutung unterworfen werden, zumal sie bereits aus den vorherigen Erzählungen um Lancelot, Perceval, Gawein und Hector 416 um die ‹Erzähllogik› der Gralsuche wissen: Dies wird zum einen durch das Signalwort bedutniß, das in der ‹Gralsuche› nahezu bei jeder âventiure bzw. bei ihrer Deutung erscheint, 417 angezeigt. Zum anderen ist anzunehmen, daß zumindest die kundigen Rezipienten mit der traditionellen Auslegung des Pelikan-Gleichnisses vertraut waren 418 und somit gegenüber Bohort einen Erkenntnisvorsprung erhalten. Zwar bleibt der genaue Zusammenhang zwischen der Episode und ihrer bedutniß für die sich anschließenden âventiuren Bohorts zunächst auch für die Rezipienten unklar, aber ihnen wird dennoch nahegelegt, den folgenden Erzählungen eine über das buchstäbliche Verständnis hinausgehende Bedeutung zuzumessen. 230 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 415 Als Pelikan wird der Vogel auch in der späteren Deutung durch einen Geistlichen (‹Tod des Artus›, 362,5ff.) nicht bezeichnet. 416 Vgl. z.B. die Episode um die Mädchenburg (‹Tod des Artus›, 98,23-110,24), deren Bedeutung nicht dem ‹Erlöser› Galaad, sondern Gawein dargelegt wird (ebd., 108,27ff.). Vgl. auch die Deutung von Lancelots Begegnung mit dem Gral (ebd., 114,4-138,33) sowie die Episode um Parcevals Versuchung (bes. ebd., 182,14-228,22). Vgl. ferner die Träume Gaweins und Hectors (ebd., 294,22-298,4) und deren Auslegung durch den Einsiedler Nasiens (ebd., 304,35-314,28). 417 Allein kurz vor der Auslegung der Träume Hectors und Gaweins wird das Nomen bedutniß bzw. das Verb beduten dreimal erwähnt (‹Tod des Artus›, 306,1, 306,20 und 306,21). Vgl. auch ebd., 200,6, 200,15, 200,19-20, 202,32, sowie Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 122. 418 Im ‹Physiologus› (IV) wird der Pelikan, der seine Jungen auf Grund ihrer Bosheit tötet und sie drei Tage später mit dem Blut aus seiner Seite wiedererweckt, als Gottvater, die Jungen werden als Gottes undankbare Geschöpfe gedeutet. Die Erweckung durch das Blut aus der Brust des Pelikans meint die Erlösung der Sünder durch Christi Kreuzestod. Vgl. Physiologus. Griechisch/ Deutsch. Übers. und hg. von Otto Schönberger. Stuttgart 2001 (RUB, 18124), S. 10. Die Deutung erfolgt im ‹Prosa-Lancelot› erst später durch einen Geistlichen, welcher der traditionellen Auslegung auch einen sensus moralis für Bohort abgewinnt, wenn er sagt, daß Bohort ebensowenig Angst haben solle, für Gott zu sterben, wie Gottes Sohn Furcht davor empfunden habe, sein Leben für die Menschen zu lassen (‹Tod des Artus›, 362,5-33). Vgl. grundlegend zur Auslegung und zu Variationen der Pelikan-Allegorie Gerhardt, Christoph: Die Metamorphosen des Pelikans. Exempel und Auslegung in mittelalterlicher Literatur; mit Beispielen aus der bildenden Kunst und einem Bildanhang. Frankfurt a.M. u.a. 1979 (Trierer Studien zur Literatur, 1), vgl. bes. S. 23-27 (Gerhardt untersucht die Episode und ihre Bearbeitung bei Fuetrer unter besonderer Berücksichtigung des dürren Baumes, der im ‹Lancelot› anstelle des Nestes tritt). Vgl. auch Steinhoffs Stellenkommentar, ‹Tod des Artus›, S. 1128. Die âventiuren Bohorts muten auf den ersten Blick ‹klassisch› an: Zunächst steht Lancelots Neffe einer bedrohten Landesherrin bei, die durch ihre ältere Schwester und Priaden den Schwarzen um nahezu ihr gesamtes rechtmäßiges Erbe gebracht wurde (‹Tod des Artus›, 332,18-344,6), 419 und in einer weiteren Bewährung rettet Bohort eine junge Dame davor, von einem Ritter geschändet zu werden (ebd., 344,15-348,20). In die erste Hilfe-âventiure eingeschoben sind jedoch zwei Träume 420 Bohorts, die die Rezipienten (und auch Bohort) wiederum daran erinnern, das Erzählte auf eine weitere Bedeutungsebene zu befragen. Der Übersicht halber seien diese Träume im folgenden kurz zusammengefaßt: In seinem ersten Traum (ebd., 336,28-338,8) erscheinen Bohort ein weißer Schwan und ein Vogel, von dem er glaubt, daß es sich um einen Raben handle (ebd., 336,32). Der Schwan spricht zuerst zu dem Ritter und bietet ihm an - wolle Bohort ihm zu Diensten sein - ihm Macht über die Welt zu verleihen und Bohort also schön und also wiß (ebd., 336,35) zu machen wie er selbst sei. Als Bohort den Schwan daraufhin fragt, wer er sei, antwortet der Vogel mit einer Gegenfrage: «Siehestu nit, wer ich bin, also wiß und also schön und noch gnung me dann du wenest? » 421 (ebd., 338,1f.). Daraufhin wendet sich der schwarze Vogel an den Ritter und bittet ihn darum, ihm am nächsten Morgen beizustehen. Bohort solle ihn nicht hassen, weil er schwarz sei, denn er müsse wissen, daß dieses Schwarz besser sei als das Weiß anderer (ebd., 338,5f.). Sogleich darauf verschwinden die beiden Vögel, und es folgt ein zweiter Traum, in dem Bohort glaubt (yn ducht, ebd., 338,9-29), zu einer Kapelle zu gelangen. In ihr befindet sich ein alter Mann, der auf einem Thron sitzt. Zu seiner Linken befindet sich ein morscher, wurmstichiger Holzklotz und zu seiner Rechten befinden sich zwei Lilien. Bohort sieht, daß eine der Lilien versucht, der anderen ihr Weiß zu rauben, 422 aber der alte Mann trennt die Blumen voneinander und kurz darauf beginnen beide Blumen zu blühen. Daraufhin wendet sich der Mann an Bohort und fragt ihn, ob es nicht Rechtens sei, die Re-Historisierung vor dem Hintergrund der Gattungstradition 231 419 Die Episode weist Parallelen zu dem Erbschaftsstreit der beiden Schwestern im ‹Iwein› bzw. ‹Yvain› auf; vgl. den Stellenkommentar Steinhoffs, ‹Tod des Artus›, S. 1128f. 420 Im ‹Lancelot› sind Träume und Traumdeutungen ein wesentlicher Bestandteil des Erzählten. Vgl. dazu Klinger, Judith: Die Poetik der Träume. Zum Erzählen von und mit Träumen im ‹Prosa-Lancelot›. In: Lancelot. Der mittelhochdeutsche Roman im europäischen Kontext, S. 211-234, Fuchs-Jolie, Stephan: Bedeutungssuggestion und Phantastik der Träume im Prosa-Lancelot. In: Das Wunderbare in der arthurischen Literatur, S. 313-340, Speckenbach, Klaus: Die Galahot-Träume im ‹Prosa-Lancelot› und ihre Rolle bei der Zyklusbildung. In: Wolfram-Studien IX (1986), S. 119-133, ders.: Form, Funktion und Bedeutung der Träume im ‹Lancelot-Gral-Zyklus›. In: I sogni nel medioevo. Seminario internazionale. Roma 2 - 4 ottobre 1983. Hg. Tullio Gregory. Rom 1985 (Lessico intellettuale europeo, 35), S. 317-355, sowie ders.: Handlungs- und Traumallegorese in der ‹Gral-Queste›. In: Formen und Funktion der Allegorie. Symposium Wolfenbüttel 1978. Hg. Walter Haug. Stuttgart 1979, S. 219-242, zur Bohort-Episode vgl. bes. S. 221f. und 228f. 421 Ergänzung Kluges nach Hs. w. Vgl. LK III, S. 233 (Anm. zu Zeile 14f.). 422 Zur Deutung vgl. die weiteren Ausführungen des Exkurses. schönen Blumen zu retten und ihnen den Vorzug vor dem morschen Holz zu geben. Bohort stimmt ihm zu, denn er glaube, daß das holcz nirgent zu taug (‹Tod des Artus›, 338,24). Abschließend ermahnt der Alte Bohort, bei einer ihm bevorstehenden âventiure ebenso zu handeln: Auch Bohort solle die Blumen dem alten Holz vorziehen, um sie vor dem Untergang zu retten. 423 Der Ritter willigt ein, wundert sich aber über die Träume, wann er enkund nit gedencken was sie mochten bedúten (ebd., 338,31f.). Am nächsten Tag entscheidet Bohort den Gerichtskampf zugunsten der bedrohten Landesherrin und setzt seine Suche fort. Bald darauf begegnet ihm eine weitere âventiure, die ebenfalls eine Besonderheit aufweist; denn Bohort gerät hier in ein eigenartiges Dilemma: Nahezu gleichzeitig begegnet Bohort einem Fräulein in Not und seinem Bruder Lyonel, der von zwei Rittern gepeinigt wird. Bohort entscheidet sich gegen den eigenen Bruder und für die junge Frau, die er nach kurzem Kampf aus den Händen des Ritters befreit. Erst jetzt kehrt Bohort um und macht sich auf die Suche nach seinem Bruder, von dem er allerdings keine Spur mehr finden kann (ebd., 348,20f.). Der Zusammenhang der beiden âventiuren bzw. ihr Bezug zu Bohorts Träumen und der die âventiuren einleitenden Vogelepisode bleibt auf der Ebene der narratio solange ohne Deutung 424 bis Bohort auf einen Mann trifft, der auf einem Pferd reitet, das schwerczer dann ein more (ebd., 348,27f.) ist. Von Bohort auf seinen Bruder Lyonel angesprochen antwortet ihm der Reiter, er würde ihm sagen, was er wisse, aber er fürchte, daß Bohort darüber in Verzweiflung geraten werde (ebd., 348,32f.). Daraufhin beginnt Bohort zu klagen und bittet den Reiter, ihm den Leichnam Lyonels zu zeigen. Der gut man weist den Ritter an, sich umzusehen, und da sah er [Bohort] ligen uff der Erden eynen corper, der erscheyn n v welich erschlagen syn. Er besah yne und bekante yn als yn ducht das were syn bruder (ebd., 350,6-8). Der Reiter und Bohort bringen den Leichnam zu einem alten Gebäude in glichnuß einer capellen (ebd., 350,30), um den Toten aufzubahren. Während Bohort sich darüber wundert, daß in dem Gemäuer kein Zeugnis für Christi Gegenwart zu sehen ist, bietet ihm der Reiter an, am nächsten Tag die Totenmesse für den Verstorbenen zu lesen. Auf Bohorts Frage, ob er Priester sei, antwortet ihm der Unbekannte mit ‹ja›. Daraufhin ergreift Lancelots Neffe die Gelegenheit und bittet den Mann darum, ihm die Bedeutung seiner Träume und âventiuren zu entschlüsseln. Nachdem Bohort seine Erlebnisse geschildert hat, erklärt der Mann, daß er ihm einen Teil sogleich und den anderen Teil am nächsten Tag erläutern werde (ebd., 352,8f.). 232 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 423 Damit wird auf der Figurenebene ein direkter Bezug zu der sich anschließenden âventiure Bohorts manifestiert. 424 Vgl. Speckenbach, Handlungs- und Traumallegorese, S. 221. Daß diese verzögerte Auslegung zu dem Eindruck führe, die Allegorese sei «unnötig geworden», ebd., trifft m.E. nicht zu; vielmehr wird durch die Gegenüberstellung von falscher und richtiger Deutung des Geschehenen (vgl. dazu die weiteren Ausführungen) die Dringlichkeit und Signifikanz der Auslegung noch einmal hervorgehoben. Die nun folgende Deutung des Mannes (‹Tod des Artus›, 352,9-34) versetzt sowohl die Rezipienten als auch Bohort in Erstaunen: 425 Der Schwan, den Bohort im Traum gesehen habe, bedeute eine Jungfrau, die in Liebe zu Bohort entbrannt sei und mit ihm schlafen wolle. Werde der Ritter ihr dies verweigern, so werde sie vor Kummer sterben. Der schwarze Vogel meine das Mitleid, das Bohort daran hindern solle, der Jungfrau etwas abzuschlagen, denn weder aus Liebe zu Gott noch auf Grund seiner Tugenden würde er die Dame abweisen, sondern lediglich aus Scheinheiligkeit und Eitelkeit: wann du dust es darumb das man dich halt vor reyne und kúsch, zu verdienen den lop und die edel freude der welt (ebd., 352,19f.). Bohorts Verhalten, so der Fremde weiter, werde den Tod der Jungfrau sowie den Tod Lancelots nach sich ziehen, denn sein Neffe werde von der Verwandten der Jungfrau getötet werden (vgl. ebd., 352,20f.). Nicht nur aus diesem Grund könne Bohort ein morder genannt werden; hinzu komme, daß er seinem Bruder Lyonel nicht beigestanden und statt dessen die junge Dame vor Schändung durch ihren Verwandten gerettet habe. So habe einer der besten Ritter der Welt sein Leben lassen müssen, um die Unschuld einer Dame, die Bohort doch nichts angehe, zu bewahren: «Sicherlichen, mir wer lieber das alle die jungfrauwen in der welt hetten iren magtum verlorn dann er [Lyonel] erschlagen were» (ebd., 352,32-34). Bohort weiß auf diese Anschuldigung nichts zu antworten und auch die Rezipienten dürften sich angesichts dieser Deutung in ihrer Erwartungshaltung enttäuscht sehen: Die Auslegung des Mannes, dem zu Beginn das Attribut gut (vgl. ebd., 350,5) beigefügt wird, fügt sich in keiner Weise in die bisherigen âventiure-Allegoresen. Zwar legt auch der vorgebliche Geistliche Bohorts Träume und âventiuren im Hinblick auf eine weitere Bedeutungsebene aus, aber ihnen wird weder ein allegorischer noch ein gar anagogischer Sinn abgewonnen. 426 Vielmehr wird der Schwan als Minnedame gedeutet sowie Bohorts Streben nach Gottgefälligkeit und Keuschheit als Eitelkeit, ja als Heuchelei und die Rettung der jungen Dame als Mord an seinem Bruder verurteilt. Damit werden nicht nur die bisher in der ‹Gralsuche› begegnenden Allegoresen der Träume und âventiuren nahezu ad absurdum geführt; auch der Protagonist Bohort, über dessen untadeligen Lebenswandel zuvor sogar ein Geistlicher erstaunt war (vgl. ebd., 328,31f.), gerät ins Zwielicht. Die Rezipienten werden somit vor die Frage gestellt, ob sie der Deutung des Mannes Glauben schenken oder Zweifel an seiner Kritik Bohorts hegen sollen. Diese möglichen Zweifel der Rezipienten an der Auslegung speisen sich nicht allein aus den Widersprüchen zu dem bisher Berichteten, sondern sie werden auch durch den Modus des Erzählten selbst evoziert: Das schwarze Re-Historisierung vor dem Hintergrund der Gattungstradition 233 425 Vgl. auch Todorov, Tzvetan: The Poetics of Prose. Transl. from the French by Richard Howard. With a new Foreword by Jonathan Culler. Ithaca, New York 1977, S. 126-127. 426 Vgl. auch von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 224. Allenfalls könnte hier von einem sensus moralis gesprochen werden, da der unbekannte Mann Bohort mehr oder minder deutliche Handlungsanweisungen gibt; daß mit diesen Handlungen aber Bohorts Seelenheil gesichert werde, bleibt offen. Pferd des Reiters, erinnert an die Episode, in welcher der Teufel Parceval in der Gestalt einer jungen Dame ein schwarzes Streitroß zukommen läßt (vgl. ‹Tod des Artus›, 182,14ff.), das ihn in einen reißenden Fluß zu stürzen droht; 427 denn in beiden Episoden wird die tiefschwarze Färbung des Pferdes besonders hervorgehoben und in der Episode um Parceval zusätzlich mit dem Teufel in Verbindung gebracht. 428 Hinzu kommt, daß bereits der Beginn der Episode auf sprachlicher Ebene den Aspekt der Täuschung und Scheinhaftigkeit signalisiert: 429 Dort sah er [Bohort] ligen uff der Erden eynen corper, der e r s c h e y n n v welich erschlagen syn. Er besah yne und bekante yn als yn d u c h t das w e r e syn bruder (ebd., 350,6-8, Herv. Verf.). Erinnert sei auch an das Gebäude, das nicht explizit als Kapelle bezeichnet wird, sondern bloß in g l i c h n u ß einer capellen (ebd., 350,30, Herv. Verf.) erscheint. Die Möglichkeit, daß es sich bei dem Erzählten um eine Täuschung durch den Teufel handle, wird den Rezipienten somit von Beginn an suggeriert und durch die eigentümliche Deutung des Mannes noch verstärkt. Diese Signale setzen sich auch im weiteren Verlauf der Episode fort, wenn eine junge Dame zu Bohort kommt und ihn darum bittet, ihr Geliebter zu werden. Zwar erfüllt sich damit der erste Teil der Auslegung durch den Fremden, aber auch hier wird auf der sprachlichen Ebene der Eindruck von Scheinhaftigkeit erzeugt: Als Bohort die Dame ein erstes Mal abweist, da stalt sie als großen ruwen als er w o n t e, das yn d u c h t, sie schruwe (ebd., 356,14f., Herv. Verf.), und auch als sich die Dame mit zweihundert jungen Frauen auf dem Turm befindet, um sich mitsamt ihnen in die Tiefe zu stürzen, heißt es, daß Bohort glaube (wonde), es handle sich um ein edelwip (ebd., 356,32f.). Für die Rezipienten werden somit die Hinweise auf die Täuschung, der Bohort erliegt, immer deutlicher. Zwar gibt sich der Protagonist der Versuchung durch die Dame selbst nicht hin, aber erst, nachdem er sich angesichts des Todes der vielen jungen Damen bekreuzigt, erkennt auch Bohort, daß es sich bei dem Erlebten um ein betrugniß des Teufels gehandelt hat (ebd., 358,1-23): Unter lautem Gebrüll verschwinden der Turm, die Dame sowie der vorgebliche Leichnam seines Bruders und nur Bohorts Rüstung bleibt zurück. Obgleich mit dieser Auflösung die Werte der Gralsuche vorläufig wieder hergestellt scheinen, da Bohorts Entscheidungen sich - entgegen der Deutung durch den vorgeblichen Geistlichen - als richtig bzw. gottgewollt herausstellen, bleibt für die Rezipienten ein Irritationsmoment bestehen: Zwar werden ihnen bereits früh Signale geboten, die das Erzählte als Blendwerk des Teufels zu erkennen geben, doch auf der Ebene des Protagonisten bleiben diese Hinweise zunächst unwirksam. Bohort weist die Dame schließlich nicht ab, weil er glaubt, 234 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 427 Vgl. dazu Kap. II.5.3 d.A. (Anm. 535). 428 Zur schwarzen Färbung vgl. Ackermann-Arlt, Beate: Das Pferd und seine epische Funktion im mittelhochdeutschen ‹Prosa-Lancelot›. Berlin, New York 1990 (Arbeiten zur Frühmittelalterforschung, 19), S. 152-168, bes.162ff. Vgl. auch Speckenbach, Handlungs- und Traumallegorese, S. 227. 429 Dies hält auch von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 222 (Anm. 282), fest. daß es sich um Teufelswerk handle, sondern weil er seine Keuschheit bewahren möchte und es ihm lieber were […] das sie alle [die Dame und die zweihundert Jungfrauen] ir selen verlören dann er die syne (‹Tod des Artus›, 356,35). Diese Begründung, die der Erzähler für Bohorts Verhalten angibt, entspricht zwar nicht in vollem Maße den Vorwürfen des vorgeblichen Geistlichen, aber sie zeigt den Rezipienten, daß der Protagonist, der das Blendwerk zu diesem Zeitpunkt eben noch nicht durchschaut, das eigene Seelenheil absolut setzt und damit auch den - wenn auch bloß vorgeblichen - Tod anderer in Kauf zu nehmen gewillt ist. 430 Dieses Irritationsmoment wird im folgenden aufgehoben durch die ‹richtige› Auslegung von Bohorts Träumen und âventiuren, die ein Abt vornimmt (ebd., 362,1-368,24), in dessen Kloster Lancelots Neffe nach Verlassen des ‹teuflischen› Ortes übernachtet. Erst jetzt erfahren der Protagonist sowie die Rezipienten sowohl den Zusammenhang zwischen der Pelikan-Episode und Bohorts âventiuren als auch die Bedeutung der Träume. Die Auslegung des Abtes folgt dabei dem Erzählverlauf: Nach der traditionellen Deutung des Vogels und seiner Jungen, 431 erläutert der Geistliche den Bezug zu Bohorts Handeln: Ihm sei Gott in Gestalt des Vogels erschienen, um dem Ritter zu zeigen, daß er nit men <252> [solle] forchten[] zu sterben umb yne [Gottes Sohn] dann als er dete umb uch (ebd., 362,32f.). Die Pelikan-Episode wird also gleichsam ‹rückwirkend› als Festigung und Bestärkung von Bohorts Gottesglauben interpretiert. Es folgt die Deutung des Erbschaftsstreites: Bohort habe richtig gehandelt, da seine Parteinahme für die junge Dame als Eintreten für Gott verstanden werden müsse; denn die junge Dame bedeute die Kirche (ecclesia), während ihre ältere Schwester die alt ee (synagoga) und den vint (ebd., 364,13), den alten Bund bzw. den Teufel bezeichne. 432 Als Ritter Jesu Christi habe Bohort demnach seine Pflicht gegenüber der heiligen Kirche erfüllt, indem er der trauernden, in schwarze Gewänder gekleideten Dame beigestanden habe. 433 Dem Prinzip dieser Auslegung entsprechend wird auch der erste Traum Bohorts gedeutet: Der weiße Vogel sei als Teufel, als inwendig schwarzer Heuchler 434 zu verstehen, Re-Historisierung vor dem Hintergrund der Gattungstradition 235 430 So auch Haug, Das erotische und das religiöse Konzept, S. 362. 431 Vgl. dazu Anm. 418 des Exkurses. 432 Zur Tradition und zur Beurteilung des Verhältnisses von ecclesia und synagoga vgl. Speckenbach, Handlungs- und Traumallegorese, S. 228ff. Vgl. auch grundlegend Ohly, Friedrich: Synagoge und Ecclesia. Typologisches in mittelalterlicher Dichtung. In: ders., Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, S. 312-337. Damit wird das Auslegungsverfahren der Typologie in die allegorische bzw. tropologische Deutung integriert. Zur prinzipiellen Abgrenzungsschwierigkeit der Auslegungs- und Deutungsverfahren vgl. Meier, Allegorie-Forschung, zur Unterscheidung zwischen Allegorie und Typologie, vgl. insb. S. 34ff. 433 Speckenbach, Handlungs- und Traumallegorese, S. 240 (Anm. 87), erwägt hier eine Anspielung auf Ct. 1,5. 434 Zu dieser seltenen Deutung des Schwans vgl. ebd. Vgl. auch das ‹Buch der Natur› (III,B,14): «Jacobus spricht, der swan hât weiz federn und hât doch swarzesz flaisch.» währen der rabenähnliche Vogel Christus bezeichne, der - so der Abt - da sprach: ‹Ich bin schwarcz, wann ich bin schön, 435 wiß, das vil beßer ist myn schwercze dann ander wiße ist› (‹Tod des Artus›, 364,30f.). Obgleich diese Deutung der beiden Farben ungewöhnlich ist, 436 fügt sich die Auslegung des Abtes in die Episode um Bohorts Versuchung; verbirgt sich doch hinter dem schönen Schein - wie im Falle der Dame, die den Ritter in Versuchung führt, - der Teufel; und auch der ‹Geistliche›, der Bohort vorwirft, seinen Bruder getötet zu haben, entpuppt sich als Lügner im Dienste des teuflischen Widersachers; 437 denn - so der Abt - Lyonel lebe (ebd., 366,8f.). Darüber hinaus wird durch das Zitat aus dem Hohenlied auch der Bezug zu der Deutung des Erbschaftsstreites intensiviert: Die dem Mittelalter geläufige allegorische Deutung der Liebenden im Hohenlied als Verbindung Christi mit der Kirche 438 wird auf Grund des Zitats - wenn auch nur implizit - aufgerufen und verstärkt ‹rückblickend› Bohorts Eintreten im Sinne Christi für die Dame respektive die heilige Kirche. Nun folgt die Auslegung des nächsten Traumes, der in Verbindung mit Bohorts zweiter âventiure zu sehen ist: Der morsche, faulige Holzklotz bedeute Lyonel, der ohne Gottesfürchtigkeit und Stärke sowie voll schwerer Sünde sei: «[…] darumb sol man yne [Lyonel] nennen ein ful holcz und wormfreßig» (ebd., 366,16f.). Bohorts Entscheidung, der jungen Dame zu helfen, sei daher - so wie es der alte Mann ihm im Traum gesagt habe - richtig gewesen; denn damit habe er die zwei Blumen gerettet: Der Ritter, der versucht habe, der Dame die Unschuld zu rauben, sei die Lilie, die versucht habe, die andere Blume zu bedrängen; 439 und diese bedrohte Lilie bezeichne die Jungfrau. 440 Somit habe er - wie in seinem Traum der alte Mann - den Blumen den Vorzug vor dem morschen Holz gegeben und im Namen Christi gehandelt (ebd., 368,1f.), da er die Liebe zu seinem Bruder hintanstellte. Auf Grund dieser Gottesliebe sei ein großes Wunder geschehen: Die Ritter, die Lyonel in ihrer Gewalt gehabt hätten, seien nach Bohorts Tat sogleich tot zu Boden ge- 236 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› Konrad von Megenberg: Das Buch der Natur. Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache. Hg. Franz Pfeiffer. 2., reprographischer Nachdr. der Ausg. Stuttgart 1861. Hildesheim, New York 1971, S. 174. 435 Damit zitiert der Abt den Hohelied-Vers: «Nigra sum, sed formosa (Ich bin schwarz, aber schön)», Ct. 1,4. 436 Vgl. den Kommentar Steinhoffs zur Stelle, S. 1131. Auch im ‹Lancelot› selbst ist sie auffallend, wenn man an die den Teufel signalisierende schwarze Färbung der Pferde denkt. 437 Dem vergleichbar ist die Versuchung Parcevals durch die junge Dame, vgl. ‹Tod des Artus›, 208,9-218,19; zur Deutung der Verführungsepisode, der Parceval ebenso wie Bohort durch das Kreuzzeichen entgeht, vgl. ebd., 222,28-226,14. 438 Vgl. LMA V, Spp. 79ff. 439 Die Aussage, die eine Lilie wolle der anderen ir wißikeyt abnehmen (‹Tod des Artus›, 338,16), wird damit verständlich. 440 Das Erblühen der beiden Blumen deutet der Abt weiterhin als die zahlreichen Nachkommen sowohl des Ritters als auch der Dame. Da Bohort die Schändung verhindert habe, habe er somit auch dafür gesorgt, daß weder der Ritter noch die Dame in ewige Verdammnis geraten seien (‹Tod des Artus›, 368,11-24). fallen; Lyonel habe daraufhin einem der toten Ritter die Rüstung und das Pferd genommen und sei davon geritten. Daß dies die Wahrheit sei, werde Bohort bald erkennen (‹Tod des Artus›, 368,5-10). Mit der Auslegung des Abtes wird sowohl für den Protagonisten als auch für den Rezipienten wieder Eindeutigkeit hergestellt: Die Ambivalenz - wie sie in Bohorts Entscheidung zugunsten des eigenen Seelenheils oder im Verlassen des hilfebedürftigen Bruders aufscheint - entpuppt sich durch die Deutungen als rechte, da gottgefällige Handlung. Die Uneindeutigkeit des Erzählten bleibt damit nicht - wie im Falle des Quellenkonstrukts und der inscriptiones - bestehen, vielmehr wird sie durch die geistliche 441 (Be-)Deutung von Bohorts âventiuren revidiert. 442 Der Rezipient wird damit in seiner Erwartungshaltung, die er auf Grund der geistlichen Deutungen der vorherigen âventiuren gewonnen hat, bestätigt: Die Scheinhaftigkeit der (erzählten) Welt ist nicht per se undurchschaubar und ambivalent - auch wenn dies für die Protagonisten und die Rezipienten zunächst den Anschein haben mag -, sondern bedarf lediglich der ‹richtigen›, d.h. geistlichen Erläuterung, 443 die auf der Figurenebene stets geleistet wird. Nichtsdestotrotz bleiben auch durch diese Vereindeutigung für den Rezipienten letztlich Fragen offen: So läßt das Eingreifen Gottes, das den die Episode um Bohorts Versuchung abschließenden Bruderkampf beendet, nicht nur lange auf sich warten, sondern fordert auch den Tod eines weiteren Artusritters heraus (ebd., 370,23-384,3): Lyonel, der nicht vergessen kann, daß ihm sein Bruder nicht beigestanden hat, tötet zuerst einen Einsiedler und dann Kâlogrenant (Galogravant), 444 der Bohort zu Hilfe kommt (ebd., 378,21f.). Zwar wird auch hier Lyonels mangelnde Demut respektive seine fehlende Gottesfurcht (ebd., 372,28f.) vom Erzähler als Ursache angegeben, doch den Rezipienten drängt sich die Frage auf, an «welchem Punkt […] die bedingungslose Suche nach dem eigenen Glück und Heil in Menschenverachtung um[schlägt]». 445 Freilich sind von dem hier betrachteten geistlichen Auslegungsmechanismus der ‹Gralsuche› nicht nur die âventiuren und Träume der Ritter betroffen, Re-Historisierung vor dem Hintergrund der Gattungstradition 237 441 Die Deutungen des Abtes sind nicht allesamt im engeren Sinne allegorisch zu nennen; Bohorts Verzicht auf die Rettung des Bruders zugunsten der Dame sowie das Abweisen der vorgeblichen Dame lassen sich wohl eher tropologisch verstehen. 442 Dies trifft freilich auch auf die Episode um Parcevals Versuchung zu, vgl. Anm. 416 des Exkurses. 443 Problematisch wird die Frage nach der richtigen Auslegung allerdings dann, wenn sie anstelle des Geistlichen der Teufel selbst liefert; vgl. ‹Tod des Artus›, 238,3-242,36. Zu dieser Episode aus Lancelots Bußfahrt vgl. von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 224-227. 444 Vgl. Haug, Das erotische und das religiöse Konzept, S. 257, der das Groteske der Situation noch deutlicher hervorhebt, wenn er konstatiert, daß Gott sich zur Rettung doch «eigentlich etwas früher [hätte] herablassen können! » Eine Verwechslung liegt bei Haug allerdings im Hinblick auf den von Lyonel getöteten Artusritter vor; es handelt sich um Kâlogrenant, nicht um König Bandemagus (Bandirs). 445 Ebd. sondern auch die Frage nach der Historizitätskonstitution; denn mit dem ‹Einbruch› der geistlichen Wahrheit scheint die in den vorherigen Kapiteln untersuchte Diskussion um die Problematik und die Limitationen historisierenden arthurischen Erzählens punktuell beendet zu sein: Der Historizitätsanspruch des Erzählten speist sich aus der heilsgeschichtlichen Einordnung und den allegorischen bzw. tropologischen Auslegungen. Indes ist die Frage, wie das Verhältnis zwischen dieser geistlichen Perspektivierung der ‹Gralsuche›/ ‹Queste› und den anderen Teilen des ‹Lancelot› zu beurteilen ist, damit nicht ausreichend beantwortet. Wird bedacht, daß die ‹Gralsuche› «weniger als ein Sechstel der ganzen Dichtung ausmacht», 446 dann spricht schon die Fülle des Erzählten, das der konsequent geistlichen Deutung nicht unterworfen wird, gegen die Annahme, den gesamten ‹Lancelot› als (heils-)geschichtliches Werk aufzufassen. 447 Viel bedeutsamer ist aber, daß dieses heilsgeschichtliche Erzählkonzept der ‹Gralsuche› mit seinem Ende auch an seine narrativen Grenzen geführt wird; denn auf Galaads Gralsschau und seinen anschließenden Tod folgt die Entrückung des Grals, von dem seither - so der Erzähler - niemand mehr behaupten könne, ihn gesehen zu haben (‹Tod des Artus›, 536,17- 538,34). 448 Die Möglichkeit, geistlich-heilsgeschichtlich von der matière de Bretagne zu erzählen, wird demnach zwar punktuell absolut gesetzt, aber sie wird nicht vollends eingelöst, denn «die Geschichte des Rittertums geht weiter» 449 und auch das in den vorherigen Teilen des ‹Lancelot› Erzählte wird keiner geistlichen Auslegung unterzogen. 450 Die über die geistliche Perspektivierung geleistete Umdeutung und die mit ihr einhergehende Re-Historisierung des Erzählten bleibt folglich auf einen Ausschnitt des Werks beschränkt, und insbesondere durch die Entrückung des Grals, dessen Herrlichkeit ausschließlich Galaad schaut, «kommt die Verweigerung einer Enthüllung dieser 238 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 446 Speckenbach, Form, Funktion und Bedeutung der Träume, S. 326. 447 Vgl. zu dieser heilsgeschichtlichen Deutung des ‹Lancelot› die Überlegungen von Heinzle, Der Durchbruch der Prosa, bes. S. 227f., und Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II). 448 Vgl. im Hinblick auf Galaads vorgebliche Erlöserrolle Haug, Das erotische und das religiöse Konzept, S. 261: «Die Geschichte Galaads ist keine Heilsgeschichte; vielmehr geht mit dem Gral das Heil verloren: Das Heil, das Christus in die Welt gebracht hat und das präsent ist in der Eucharistie, wird in den Himmel zurückgeholt […].»Vgl. auch Kap. II.2.1 d.A. sowie den Kommentar von Steinhoff/ Haug, S. 1046f. 449 Ebd., S. 1047. 450 Selbstredend bestehen Parallelen und auch Bezüge zwischen den verschiedenen Erzählteilen, aber sie werden nicht stringent hierarchisiert. Vielmehr bleibt es den Rezipienten überlassen, das Auslegungsverfahren, wie es in der ‹Gralsuche› erscheint, auch auf andere narrationes des ‹Lancelot› zu übertragen. So bleiben z.B. die beiden Begründungen für das Sterben von Lancelots Vater Ban bestehen: Während es zu Beginn des ‹Lancelot› heißt, Ban sei aus Trauer über den Verlust der Stadt Trebe gestorben (LG I, 40,8ff.), wird in der ‹Gralsuche› angeführt, Ban habe Gott um seinen Tod gebeten (‹Tod des Artus›, 270,12ff.). Vom Erzähler selbst wird hier keine Wertung vorgenommen, so daß beide Deutungsmöglichkeiten einander gegenübergestellt werden. letzten und höchsten Wahrheit dem Eingeständnis gleich, daß es [den], die gesamte Welt des Romans durchdringenden Sinn eben nicht gibt.» 451 Damit gerät letztlich auch am Ende der ‹Gralsuche› die Möglichkeit zur Re-Historisierung des Erzählten problematisch, indem der literarischen Welt der Gral und die mit ihm verbundenen (heils-)geschichtlichen Erzählmöglichkeiten entzogen werden. Die punktuelle Absolutsetzung der geistlichen Deutungsmuster wird insbesondere durch dieses Ende konterkariert und letztlich als defizitär erwiesen. II.5 ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› Der Aspekt des ‹märchenhaften› Erzählens ist in der vorliegenden Studie bereits mit Bezug auf den ‹Erec› und den ‹Iwein› genauer erörtert worden (vgl. Kap. I.1.2 d.A.). Hier wurde im Hinblick auf die beiden Romane Hartmanns anhand ausgewählter Textstellen gezeigt, daß sowohl bestimmte Erzählmodi als auch die narrative Präsentation des Wunderbaren die spezifische Erzählweise der Gattung Märchen aufgreifen. Angesichts der im ‹Prosa- Lancelot› begegnenden Re-Historisierungsstrategien und ihrer Problematisierung stellt sich somit die Frage, ob und wenn ja wie in diesem Werk mit den im ‹klassischen› Artusroman sich zeigenden ‹Märchenelementen› verfahren wird. Dabei muß hinsichtlich der Fülle des im Prosaroman Erzählten noch deutlicher betont werden, daß ein Vergleich mit der Gattung Märchen nur insofern möglich ist, als bestimmte (narrative) Elemente und Motive beleuchtet werden können. 452 Auch in den sich anschließenden Betrachtungen geht es folglich nicht darum, eine Gattung ‹Märchenroman› zu postulieren, sondern es gilt vielmehr, dem Märchen verwandte bzw. vergleichbare Erzählweisen und dichterische Darbietungsformen zu identifizieren und auf ihre Funktion zu befragen. Dabei wird insbesondere zu untersuchen sein, ob die dem ‹Lancelot› von der Forschung so oft bescheinigte Rationalisierung und Plausibilisierung 453 das ‹Märchenhafte› tatsächlich in all seinen Ausprägungen erfaßt. Das Kapitel wird eingeleitet mit der Betrachtung der Figur Ninienne, Lancelots Ziehmutter. Diese Untersuchung des Feenhaften und seiner spezifischen Ausbildung erstreckt sich dabei zum einen auf die Frage, ob ‹Fee› im ‹Prosa- ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 239 451 Klinger, Der mißratene Ritter, S. 452. 452 Vgl. dazu Nolting-Hauff, Märchen und Märchenroman, S. 138ff., sowie die Einleitung d.A. 453 Vgl. Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 186-188, und - mit besonderer Berücksichtigung der feenhaften Protagonistinnen - Unzeitig- Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 85ff., Harf-Lancer, Laurence: Les Fées au Moyen Age. Morgane et Mélusine. La Naissance des fées. Genève 1984, Burrichter, Brigitte: Die narrative Funktion der Feen und ihrer Welt in der französischen Artusliteratur des 12. und 13. Jahrhunderts. In: Das Wunderbare in der arthurischen Literatur: Probleme und Perspektiven. Hg. Friedrich Wolfzettel. Tübingen 2003, S. 281-296, sowie Meyer, Matthias: Das defizitäre Wunder - Die Feenjugend des Helden. In: ebd., S. 95-112. ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› Lancelot› als ein «[natürlicher,] erlernbarer Beruf» 454 dargestellt wird. Zum anderen soll betrachtet werden, ob das Feenhafte dergestalt in die Artuswelt integriert wird, daß es an Eigenständigkeit einbüßt. Daran anschließend soll die Befreiung Bohorts und Lyonels eingehend beleuchtet werden, da sie - nicht zuletzt durch die Verwandlung der beiden Neffen Lancelots in zwei Windhunde - eine große Affinität zum ‹Märchenhaft-Wunderbaren› auch auf sprachlicher Ebene anzeigt und überdies komische Elemente in das Erzählte integriert. In einem nächsten Untersuchungsschritt wird sodann die Dolorose- Garde-Episode betrachtet. Neben Niniennes Schildgabe soll hier auch die abschließende Befreiung der Burg fokussiert werden, um die unterschiedlichen Ausprägungen des Wunderbaren genau herauszuarbeiten. 455 In einem nächsten Schritt wird die Erlösung des ‹Tals ohne Wiederkehr› durch Lancelot näher betrachtet, die Episode, in der auch die andere feenhafte Protagonistin, Morgane, in das Erzählte eingeführt wird. Im Zentrum des dritten Teils des Kapitels steht die Episode im ‹Verlorenen Wald›, 456 in der Lancelot zunächst dem Tanzbann verfällt und ihn letztlich bricht. In allen Kapiteln werden die untersuchten Episoden mit anderen ausgewählten Stellen des Werks verglichen, in denen das Wunderbare bzw. die erzählten Ereignisse als mirabilia erscheinen, also dem Prinzip des ‹Märchenhaften› insofern zuwiderlaufen, als sie eindeutig als Gottes bzw. teuflisch-dämonisches Wirken dargestellt werden. Es liegt nahe, daß diese Textbeispiele vor allem der ‹Gralsuche› entnommen werden, während die zuerst genannten Passagen (ausgenommen ist die Tanzbann-Episode, die ja ebenfalls in die ‹Queste› fällt) aus dem ‹eigentlichen Lancelot› stammen. 457 II.5.1 Ninienne und Morgane: Märchen- oder ‹Berufsfeen›? Ninienne, die Dame vom See, wird - ohne daß ihr Name genannt wird (LG I, 62) - unmittelbar auf Bans Tod folgend in die Erzählung eingeführt (ebd., 44). Sie ist schon durch ihren Beinamen unauflöslich mit ihrem Land und Herrschaftsbereich, dem See, verbunden. Dieser See wird bereits vor der ersten Erwähnung Niniennes in der Erzählung genannt und vom Erzähler mit einer kurzen Erläuterung bedacht: Der See, an dem Ban Alene und seinen Sohn zurückläßt, habe seit heidenischen zytten geheißen Dyanen Lak (ebd., 24). Seinen Namen verdanke er, so der Erzähler weiter, den Ungläubigen, die Diana für eine Göttin gehalten hätten (ebd.). Bereits hier zeigt sich die so oft für den ‹Prosa-Lancelot› beanspruchte Tendenz zur Rationalisierung, 458 wenn der Er- 240 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 454 Burrichter, Die narrative Funktion der Feen, S. 294. 455 Gemeint sind die drei wundersamen Schilde, die Lancelot von einer Botin Niniennes bei der Befreiung der Dolorosen Garde erhält. 456 Im folgenden bezeichnet als Tanzbann-Episode. 457 Vgl. Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 186. 458 Im Hinblick auf die Rationalisierungstendenzen bezüglich der Fee und der ‹Feenlandschaft› im ‹Prosa-Lancelot› vgl. grundlegend Harf-Lancner, Les Fées, sowie Burrichter, zähler sogleich darauf aufmerksam macht, daß es sich bei der Annahme, Diana sei eine Göttin gewesen, um Irrglauben handle; denn Diana sei zur Zeit Vergils 459 Königin von Sizilien, mithin keine Göttin gewesen. Die Möglichkeit, den See als Bestandteil eines Mythos oder gar des ‹Märchenhaften› zu verstehen, wird somit direkt unterbunden, indem der Erzähler ihn über die Bezeichnung als ‹Dianensee› historisch zu erklären versucht: Das Mythische (Göttin) wird rationalisiert (eine Königin zur Zeit Vergils ist Namensgeberin) und chronologisch (Zeit des herausragenden Dichters) eingeordnet. 460 Interessant ist jedoch, daß diese Erzählstrategie nicht konsequent beibehalten, sondern im folgenden der feenja ‹märchenhafte› Aspekt des Sees doch aufgerufen wird. So ist bei der Entführung Lancelots durch Ninienne keinerlei Erklärung zu finden, wenn es heißt da stund sie off mit dem kinde und ging off den lac und saczte ir fuß zusamen und sprang mit dem kinde hininn (LG I, 46). Eine Deutung wird hier lediglich in Form einer Figurensicht geboten, wenn Alene in der juncfrouwe den Teufel zu erkennen glaubt, der ihr den Sohn geraubt habe (ebd., 48), 461 eine Deutung allerdings, die angesichts der folgenden Ereignisse sich als haltlos erweisen wird. Der See wird erst, nachdem von Evaines Flucht mit ihren Söhnen Bohort und Lyonel berichtet wurde und sich der Erzähler erneut Ninienne und Lancelot zuwendet (ebd., 58), wieder erwähnt: und der lac da die jungfrauw inn sprang mit dem kinde enwas nit anders dann g a u c k e l i g . Und der lac was under eim reche, der vil nyderre was dann der konig Ban uff was da er starb. An der selben stat da man wonde das der lac s t u n d e , hett die jungfrauw manig schön huß stan, und all die welt h e t t wol geschworn, es wer ein mere groß und tieff […]. Der jungfrauwen wonung was so bedecket mit dem lac, wann es alle die welt d u c h t , es w e r e ein tieff mere, das nymand so listig was der keyn huß da mocht finden dann Merlin alleyn. (ebd., 64, Herv. Verf.) Hier nun wird den Rezipienten (im Anschluß an die Erläuterungen zu Ninienne und Merlin) die Qualität des Sees offenbart. Von Bedeutung sind zum einen das Attribut gauckelig (ebd., 64) und zum anderen der im Hinblick auf die Figurensicht verwendete Modus (im Zitat hervorgehoben). Durch die Verwendung des Konjunktivs wird der See folglich explizit dargestellt als eine Fiktion, ein ‹Als-ob›, 462 das zu durchschauen lediglich eine exklusive Gruppe ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 241 Die narrative Funktion der Feen, S. 281-296, Meyer, Das defizitäre Wunder, S. 95-112, und Kennedy, Elspeth: Lancelot and the Grail. A Study of the Prose Lancelot. Oxford 1986, S. 111ff. 459 Ein kurzes Lob auf den Dichter wird vom Erzähler ebenfalls eingeflochten: «Dyana was koniginn zu Sicilien by Virgilius gezyten, der guot auctor was» (LG I, 24). 460 Somit wird auch eine Anknüpfung an die literarische Tradition unterbunden, denn es wird nicht auf die Autorität Vergils als Dichter verwiesen, sondern seine historisch geglaubte Lebenszeit wird als Plausibilisierungsstrategie verwendet. 461 «Da saget ir [der Äbtissin] die koniginne was ir wiedderfarn was […], und wie der tufel komen were in einer jungfrauwen glichniß und sprung mit yrme kinde in den lac» (LG I, 48). 462 Vgl. Iser, Akte des Fingierens, S. 142, sowie bes. Kap. I.1.3 d.A. der erzählten Welt imstande ist. Es ist jedoch bedeutsam, daß diese Fiktion sich auf die Ebene der narratio beschränkt und den Rezipienten eigens vom Erzähler erläutert wird. D.h., Erzähler und Rezipient teilen gegenüber der in der Erzählwelt verbreiteten Meinung, der See existiere tatsächlich, einen Wissensbzw. Erkenntnisvorsprung, da sie die Täuschung zu durchschauen vermögen: Als (erfundenes) Trugbild erscheint der See also ausschließlich in der Erzählwelt selbst, während diese Täuschung auf der Ebene des discours entlarvt und für die Rezipienten erkennbar wird. Zwar wird auch hier wie im ‹Erec› (etwa beim Zelter und bei Morganes Pflaster) 463 das Verwunderliche (See-Trugbild) durch das Wunderbare (Zauberursprung) erklärt, doch werden die Rezipienten hier nicht dazu angehalten, der (dichterischen) Täuschung bzw. dem Zauber zu folgen. Gleichwohl aber entsteht eine Diskrepanz zwischen des Erzählers einleitender Bemerkung zu dem See, den er dort ja selbst als ‹existent› darstellt und dessen Herkunft bzw. Bedeutung er erklärt. Damit stehen sich zumindest punktuell auch auf der Erzählebene der See als Täuschung und der See als res facta gegenüber. Die zuvor über den Namen evozierte Plausibilisierung des Sees wird damit implizit wieder relativiert, wenn dieses vorgeblich tieff mere vom Erzähler als bloßer Zauber, als gauckel entlarvt wird. 464 Die Frage, ob Diana nun eine Göttin oder aber eine Herrscherin zu Zeiten Vergils gewesen sei, erscheint damit sekundär, da die Rezipienten erkennen, daß der See eine feengewirkte Täuschung und eine Plausibilisierung mithin überflüssig ist. Es handelt sich bei dem See also um Blendwerk, eine Täuschung, die Ninienne mittels ihrer Zauberkunst hergestellt hat. Nur Merlin, der Lehrer Niniennes, ist in der Lage, das Blendwerk zu durchschauen und damit Zugang zu Niniennes Land zu haben, 465 allen anderen jedoch ist der (selbständige) Zu- 242 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 463 Vgl. I.1.2 d.A. 464 Vgl. auch Ruberg, Raum und Zeit, S. 43, sowie Kennedy, Lancelot and the Grail, S. 115f. Die Differenzierung in Magie und Irreales, die Knapp vornimmt, halte ich nicht für überzeugend: «Was in dem Roman nicht als göttliches Mirakel, wie die Wunder des Graals selbst, gelten kann, ist eben Magie […]. Im damaligen Weltbild hat dies alles seinen Platz, fällt also grundsätzlich nicht unter die Rubrik des Irrealen.» Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 188. Entscheidend für das Prinzip ‹märchenhaften› Erzählens ist ja nicht die Frage, ob das Wunderbare als Zauber, Gaukel oder eben Magie bezeichnet wird - dies findet sich ja auch in diversen Märchen -, sondern auf welche Weise es narrativ offenbar wird. Die Bezeichnung ‹Zauber› ist damit für sich genommen kein ausreichender Beleg für die Rationalisierung oder ‹Ent-Zauberung› des Erzählten. 465 Die Figurensicht auf den See wird auch unterstrichen, wenn Lambegus mit der Botin Niniennes in den See reitet, und sich der Neffe Phariens’ wundert, «wie die jungfrauw getorst in ein so groß waßer ryten so kúnlich» (LG I, 250). Als sie daraufhin an ein großes Tor gelangen, und Phariens bemerkt, daß nirgends Wasser zu entdecken ist, ist er sehr erschrocken. Hier wird zwar auf der Figurenebene ein Erstaunen vor dem Wunderbaren deutlich, wie es dem Märchen eigentlich zuwiderläuft, allerdings teilen Erzähler und Rezipient (sowie auf der Figurenebene die Botin) das Wissen um die Beschaffenheit des gang zum See verwehrt. 466 Durch diese Bemerkung des Erzählers wird auch der Bezug zwischen dem See und Niniennes Künsten präsent gehalten, da unmittelbar zuvor beschrieben wurde, wie Ninienne ihre Fähigkeiten durch den zauberkundigen Merlin erlernt hat (LG I, 60-62). 467 Gerade jene Verbindung zwischen Ninienne und Merlin ist es, die oftmals als Beleg für die «Rationalisierung des Märchenhaften» angeführt wird, da Ninienne «ihre Kenntnisse auf natürliche Weise erlernt» habe. 468 Fee erscheine hier demnach als ein «erlernbarer Beruf», 469 Niniennes Reich sei eine «Dependance der Artuswelt» 470 und gehöre damit auch zur Menschenbzw. Artuswelt. 471 Mit dieser Interpretation sieht Burrichter ihre grundlegende These bestätigt: «Je mehr eine Fee räumlich in die Artuswelt integriert ist, desto geringer ist ihr Gewicht in der narrativen Struktur.» 472 Im Hinblick auf den ‹Prosa-Lancelot› scheint diese Feststellung nicht überzeugend, denn eine räumliche Integration der Fee Ninienne in die Artuswelt wird im ‹Prosa-Lancelot› nicht suggeriert. Ninienne selbst erscheint am Artushof niemals (lediglich ihre Gaben an Lancelot oder Ginover verbinden sie punktuell mit der Artuswelt), und außer Lancelot, Bohort und Lyonel hält sich kein Artusritter jemals im Reich der Fee auf. 473 Vielmehr macht gerade die erste Begegnung zwischen Artus und Ninienne (ebd., 354-358, Lancelots Ankunft bei Artus) deutlich, daß das Artusreich und ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 243 Wunders. Damit ist allerdings nicht ausschließlich der Aspekt der Rationalisierung angesprochen, vielmehr kann der Rezipient, der weiß, daß es sich bei dem See um Blendwerk handelt, - und dies entspricht dann wiederum der Märchenstrategie - das Wunder einfach hinnehmen, weil er um seine Beschaffenheit als Werk der Fee Ninienne weiß. 466 Diese Sicht wird allerdings nicht konsequent beibehalten, wenn Ginover die Botin, die sie zu Ninienne sendet, wie folgt instruiert: «[…] Und als ir da koment, so rytent kónlich on all sorg darinn, wann es nit me dann betrog und zauber ist» (LGr. I, 422). Allerdings bietet der Erzähler hier eine Erläuterung an, die den Täuschungscharakter des Sees insofern bestätigt, als Ginover ihr Wissen über den Weg zum See und seine Beschaffenheit von Lancelot erworben hat. Damit wird zumindest angedeutet, daß Ginover gegenüber den anderen Protagonisten einen Erkenntnisvorsprung genießt, der dem der Rezipienten vergleichbar ist. Dies übersieht Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 87, wenn sie festhält, daß der See als «Bereich einfach erreichbar» sei. 467 Dies teilt sie mit Morgane, die ebenfalls vil zaubers und gauckels von Merlin erlernt hat (LG II, 234,31f.). 468 Steinhoff, Kommentar zu LG I und LG II, S. 808. 469 Burrichter, Die narrative Funktion der Feen, S. 294. Vgl. auch Russ, Anja: Kindheit und Adoleszenz in den deutschen Parzival- und Lancelot-Romanen. Hohes und spätes Mittelalter. Stuttgart 2000, S. 246ff. 470 Burrichter, Die narrative Funktion der Feen, S. 295. 471 Vgl. ebd., S. 296. 472 Ebd., S. 283. Ebenso Russ, Kindheit und Adoleszenz, S. 247. Dem würde ich auch im Hinblick auf den ‹Gauriel› widersprechen. Hier kommt die Fee ja zum Ende des Erzählten selbst an den Artushof - obgleich dies dem narrativen Muster der gestörten Martenehe zuwiderläuft - und ist dennoch wesentliches Element der narrativen Struktur, insofern die gesamte Handlung durch sie bzw. ihre Aufgabe initiiert wird. 473 Ausgenommen ist hier Ginovers Botin; vgl. Anm. 466 d. Kap. das Feenbzw. Seereich zwei voneinander getrennte ‹Welten› darstellen. Dies zeigt sich zum einen darin, daß Ninienne darauf besteht, daß Lancelot die von ihr gespendete Rüstung trage (LG I, 356), und zum anderen wird dies deutlich, wenn Ninienne es ablehnt, bei Artus zu verweilen («Er [Artus] bat sie sere das sie blieb. Sie sprach, sie möchte uber ein nicht bliben […]», ebd., 356) und sich Artus über den Namen der Dame wundert, den er nye me gehört hett (ebd., 358). 474 Eine Begründung dafür, warum sie den Artushof nicht aufsuchen könne, gibt weder die Dame vom See, noch liefert sie der Erzähler, d.h., die Trennung von Artuswelt und Feenreich wird aufrechterhalten. Auch des Artus ‹Unwissenheit› hinsichtlich des Namens der Dame spricht nicht für die Integration der Fee in die Artuswelt. Über eine solche Einbindung der Fee bzw. des Feenreichs in die Artuswelt wird eine Rationalisierung hier also nicht erreicht. Darüber hinaus zeugt diese Begegnung zwischen Artus und Ninienne von einem für den weiteren Verlauf des Werks bedeutsamen Aspekt, denn nachdem die Dame vom See Artus gegrüßt hat, charakterisiert sie ihre Bitte folgendermaßen: « ‹[…] und will uch eyner bett bitten, die ir mir zu recht nit versagen ensolt, wann irs wedder schaden noch schand solt han noch dheynerhand arg; es sol uch uwers guts nicht kosten› » (ebd., 354). Genau betrachtet erweist sich die Beschreibung der Bitte nämlich als trügerisch; denn durch Lancelots Aufnahme an den Artushof erwächst letztlich die minne zu Ginover, die genau das zur Folge hat, was Ninienne in ihrer Bitte ausschließt: schaden, schande und ebenso den Verlust von Hab und Gut. Wenn bedacht wird, daß Ninienne auf Grund ihrer Künste sowohl Lancelots exzeptionelle Rolle als Ritter vorhersieht (vgl. z.B. ebd., 324) 475 als auch den gespaltenen Schild zu Ginover sendet (ebd., 920ff.), 476 dann muß auffallen, daß Niniennes Versprechen nicht vollends der Wahrheit entspricht. Zwar wird Lancelot Artus treu ergeben sein und ihm schließlich im Kampf gegen den Verräter Mordret beistehen, jedoch ist die Entdeckung der minne zwischen Lancelot und Ginover wesentliche Ursache der letztlich das Artusreich zerstörenden Auseinandersetzungen. Auch hier wird somit deutlich, daß Artus- und Feenwelt auch in ihrer Motivation bzw. Intention differenziert werden; nicht der Erhalt des Artusreiches ist Niniennes Anliegen, sondern die Erfüllung von Lancelots Bestimmung. 477 244 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 474 Dies vermerkt auch Kennedy, Lancelot and the Grail, S. 120. 475 «Sie hett manch mal ir loß gewurffen umb yn und hett wol geprúfet das er noch zu hohen dingen solt komen und ritter werden solt und lieb solt werden aller der welt.» Ninienne weiß unter anderem auch, wo Lancelot sich aufhält, als sie ihm Lyonel als Knappen sendet (vgl. LG I, 822-823), und sie weiß um seinen Wahnsinn während des Kriegs gegen die Sachsen (vgl. ebd., 1256ff.). 476 Auch in diesem Zusammenhang wird das Wissen der Dame vom See herausgestellt, ohne daß eine deutliche Plausibilisierungsstrategie bemüht wird: «[…] sie [Ninienne] enbútet uch das sie uwer gedenck und uwers duonnes me wißse dann alle die nuo lebent» (LG I, 922). 477 Dies zeigt sich auch an Niniennes Sitte, nicht zu speisen, ehe sie Lancelot gesehen hat - des Artus Sitte ist es, nicht zu essen, ehe sich eine âventiure ereignet habe (vgl. zu dieser Der Beiname ‹vom lack›, den Lancelot führt, zeigt diese enge Verbindung weiterhin an. 478 Zur Diskussion steht dann noch die Frage, ob Niniennes Fähigkeiten tatsächlich als ‹natürlicher Beruf› verstanden werden dürfen. Neben Burrichter und Meyer hat auch Knapp jüngst die Rationalisierung des ‹Märchen-› bzw. Feenhaften im Hinblick auf die Dame vom See betont. 479 Diesen Meinungen ist im Hinblick auf die Einführung Niniennes im Grunde zuzustimmen, allerdings wird dabei nicht beachtet, wie im weiteren Verlauf des Erzählten (gemeint sind hiermit insbesondere Lancelots Kindheit, aber auch wesentliche andere Stellen des ‹eigentlichen Lancelot›) mit der ‹Feenhaftigkeit› Niniennes verfahren wird. Dazu zunächst ein Blick auf jene Stelle, in der Niniennes Eigenschaften näher dargestellt werden: Zu jenen Zeiten habe man diejenigen Frauen als Feen bezeichnet, die sich auf Zauberei und Gaukelei verstanden und die das Wesen und die Kräfte der Steine, Kräuter und Worte gekannt hätten (LG I, 60). Mittels dieser Fähigkeiten hätten sich diese Frauen jung, schön und reich erhalten können, so wie sie es gewollt hätten (ebd.). Diese Erläuterungen selbst weisen noch nicht unbedingt auf eine Rationalisierungstendenz oder gar auf einen ‹Feenberuf› hin, denn auch die im ‹Erec› begegnende Figur Feimurgan verfügt über ähnliche bzw. die hier genannten Fähigkeiten (vgl. ‹Erec›, Vv. 5213f.). Überdies scheint die Bemerkung des Erzählers interessant, daß es vor allem in dem Großen Brytanien me [Feen] dann in andern landen gegeben habe (LG I, 60). Hier wird der dem gegenüber dem Artusstoff bekannte Fiktionalitätsvorwurf zumindest angedeutet: Jenes Land, das nach Jean Bodel die nur dürftig beglaubigten Erzählstoffe beherbergt, verfügt auch über einen besonders hohen ‹Feenanteil› - also auch über ein hohes wunderbares Potential. Die eigentliche Plausibilisierung des ‹Märchen-› oder Feenhaften erfolgt daher erst dann, wenn Niniennes Fähigkeiten explizit mit denen Merlins in Verbindung gebracht (ebd., 60f.) und dessen Künste nun deutlich als Resultat seiner Herkunft (die Verbindung seiner Mutter mit dem bösen Geist) 480 darge- ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 245 Tradition auch den ‹Wigalois› oder die ‹Crône›). Auch diese Sitten spiegeln die unterschiedliche Gebundenheit der Dame vom See und Artus’ wider, da Niniennes Verhalten von Lancelot, das des Artus aber von dem literarischen Motiv der âventiure abhängt. 478 Lancelot selbst beschreibt diese enge Verbindung zum Herrschaftsbereich Niniennes, wenn er - bezeichnenderweise in der von wunderbaren Elementen geprägten ‹Tal ohne Wiederkehr›-Episode - angesichts eines weiteren ‹Zaubersees› bemerkt: «als sippe ist mir das waßer als im, ich wart doch in dem waßer gezogen! » (LG II, 246,24f.). Vgl. dazu auch Kap. II.5.4 d.A. 479 Vgl. Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 186ff. 480 Auf die unterschiedlichen Redaktionen der Merlin-Geschichte kann hier nur verwiesen werden. Vgl. den Kommentar Steinhoffs zur Stelle (LG II, S. 809-813), Kennedy, Lancelot and the Grail, S.112ff., sowie dies.: The Role of the Supernatural in the Prose Lancelot. In: Studies in Medieval Literature and Language in Memory of Frederick Whitehead. Hgg. W. Rothwell u.a. Manchester 1973, S. 173-184, hier S. 175 und 181. Vgl. auch den legt werden. 481 Da Ninienne ihre Fähigkeiten direkt von Merlin bezieht, wird indirekt auch eine Beziehung zwischen ihren Künsten und dem ‹bösen Geist› (dem Teufel oder aber einem Dämon) evoziert. 482 Niniennes Zauberkünste rücken damit zumindest begrifflich in die Nähe von ‹schwarzer, also dämonischer Magie›, obgleich diese negativ besetzte Herkunft der Künste - wie im Falle Niniennes deutlich wird - eine positive Handhabung nicht ausschließt, 483 im Gegenteil; denn die Dame vom See läßt Lancelot eine umfassende höfische Bildung zukommen und sorgt für ihn wie für ihr eigenes Kind (LG I, 62). Ähnlich verhält es sich auch mit jener anderen feenhaften Protagonistin Morgane, die als Gegenspielerin zur Dame vom See konzipiert ist. 484 Des Artus Schwester 485 hat ihre Zauberkünste ebenfalls von Merlin erlernt (LG II, 234,30f.), verwendet sie allerdings dazu, den Protagonisten, allen voran Lancelot und Ginover, zu schaden oder sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. 486 Ebenso wie Ninienne wird also auch Morgane als Fee (feyn/ fein) bezeichnet, 487 die ihre Zauberkräfte dem bekannten Magier und Propheten 488 verdankt. Mit dieser Anbindung an die Erzähltradition über Merlin werde, so Knapp, eine «rationale Erklärung» des Feenhaften geboten, die zwar den modernen Leser «wenig befriedig[e]», den Rationalitätsansprüchen des zeitgenössischen mittelalterlichen 246 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› Eintrag von Norris J. Lacy: ‹Merlin›. In: The New Arthurian Encyclopedia, S. 319-322, hier bes. S. 320, sowie Brugger-Hackett, Silvia: Merlin in der europäischen Literatur des Mittelalters. Stuttgart 1991 (Helfant-Studien, S 8). 481 Obgleich hier zu bemerken ist, daß auch Feimurgan in Hartmanns ‹Erec› dem christlichen Bereich entgegengesetzt wird: sie lebete vaste wider gote (V. 5190), dies jedoch nicht als Rationalisierung verstanden werden muß (vgl. Kap. I.1.2 d.A.). 482 Damit rückt die Feennatur in die Nähe dessen, was als Hexe bezeichnet wird. Vgl. Sachwörterbuch der Mediävistik, S. 351ff. Im ‹Lancelot en prose› (Q) wird zusätzlich erwähnt, daß die Dame vom See das Gelernte auf Pergament festgehalten habe («Chil li ensegna et l’un et l’autre et ele les escrit en parchemin», Micha, Bd. III, S. 42). 483 Gleiches gilt in der Erzähltradition auch für Merlin, dessen Fähigkeiten nicht nur auf seinen dämonischen Vater, sondern eben auch auf die Gabe Gottes zurückgeführt werden, vgl. den Eintrag ‹Merlin› von Lacy. In: The New Arthurian Encyclopedia, S. 320, sowie Mauritz, Der Ritter im magischen Reich, bes. S. 167ff. 484 Vgl. den Stellenkommentar Steinhoffs zu LG II, S. 998, sowie außerdem Bogdanow, Fanni: Morgain’s Role in the Thirteenth-Century French Prose Romances of the Arthurian Cycle. In: Medium Ævum XXXVIII (1969), S. 123-133, hier S. 125. 485 Zu den unterschiedlichen Ausprägungen der Morgane-Figur in der arthurischen Erzähltradition vgl. den Eintrag von Thompson, Raymond H.: ‹Morgan le Fay›. In: The New Arthurian Encyclopedia, S. 329, vgl. außerdem Bogdanow, Morgain’s Role, S. 125. 486 Vgl. ebd. Erinnert sei hier nur an drei Entführungen Lancelots, die Morgane zum einen dazu nutzen will, sich an Ginover zu rächen sowie zum anderen, um sich Lancelot gewogen zu machen. Hinzu kommt auch die Erschaffung des ‹Tals ohne Wiederkehr›, das Morgane aus verschmähter Liebe als Rache an einem nicht näher benannten Ritter errichtet. 487 Vgl. auch Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 86. 488 Vgl. den Eintrag ‹Merlin› von Lacy, a.a.O., hier bes. S. 320f., siehe auch Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 187, und Kennedy, The Role of the Supernatural, S. 175f. Rezipienten jedoch genüge. 489 Knapp ist insofern zuzustimmen, als über die Figur Merlin, die im ‹Prosa-Lancelot› nie direkt, sondern zumeist in Form von ihr zugeschriebenen Vorausdeutungen erscheint, ein Bezug zur historisierenden Erzähltradition in der Folge von Geoffrey und Wace etabliert wird. Das Wunderbare wird damit zwar wie im ‹Erec› durch ein weiteres Wunderbares erklärt (vgl. Kap. I.1.2 d.A.), aber dieses Wunderbare, also die Zauberkraft Merlins, 490 ist durch die historisierende Erzähltradition bezeugt. 491 Nichtsdestominder bleibt zu fragen, ob diese Tendenz zur Rationalisierung bzw. Erklärung des Wunderbaren ausreicht, um das ‹Märchenhaft-Wunderbare› bzw. das Feenhafte gänzlich zurückzunehmen, zumal gerade Morgane den Rezipienten ja auch aus der fiktionalen Erzähltradition vertraut war. Daher werden im folgenden die Befreiung von Lancelots Neffen, die Befreiung der Dolorosen Garde sowie die Episode ‹Das Tal ohne Wiederkehr› im Hinblick auf ‹märchenhafte› Erzählprinzipien untersucht, um zu prüfen, ob die rationalisierende Darbietung des Wunderbaren konsequent beibehalten wird, das Wunderbare also in die Nähe von res factae gerät, oder ob sich in seiner Darbietungsweise nicht doch ein (ästhetischer) Eigenwert offenbart, der das Erzählte in den Bereich einer fictio gleiten lässt, die über bloße Funktionalität hinausgeht. II.5.2 Die Befreiung Lyonels und Bohorts Um die Neffen Lancelots aus der Gewalt des Claudas zu befreien, entsendet Ninienne eine Botin an Claudas’ Hof. Auch hier bedient sie sich ihrer Künste (Sie det manig gauckel, LG I, 146) und erfährt auf diese Weise, daß Claudas den Jahrestag seiner Krönung mit einem prächtigen Hoftag begehen werde ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 247 489 Ebd. 490 Bei Hartmann heißt es denn auch im Hinblick auf Feimurgans zouberlist: «ich enweiz wer siz lêrte» (V. 5172). Allerdings begegnen auch in zahlreichen Märchen vergleichbare Erzählstrategien, wenn es z.B. im Märchen von den sechs Schwänen heißt, die Königin habe von ihrer Mutter die Hexenkünste gelernt (KHM 49). 491 Gleichwohl ist hier zu bedenken, daß die Merlin-Figur in den verschiedenen Werken äußerst ambivalent erscheint, so daß das ihr anhaftende Wunderbare nicht immer eindeutig als Gottesbzw. Teufelsgabe identifiziert werden kann. Vgl. Lacy, wie Anm. 480 d. Kap., und Mauritz, Der Ritter im magischen Reich, S. 176ff., sowie Lundt, Bea: Melusine und Merlin im Mittelalter. Entwürfe und Modelle weiblicher Existenz im Beziehungs- Diskurs der Geschlechter. Ein Beitrag zur historischen Erzählforschung. München 1991, S. 203ff. Schon in der ‹Historia› Geoffreys bleibt die Merlin-Figur insofern ambivalent, als ihr ‹vaterloser› Ursprung nur aus der Perspektive der Figuren gedeutet wird: Während Merlins Mutter die spezifische Wesensart des Vaters weder explizit als dämonisch noch göttlich einstuft, glaubt Maugantius, in ihm einen Inkubus zu erkennen («[…] inter lunam et terram habitant maligni et immundi spiritus quos incubos daemones vocant […]», 6,18). Zwar wird hier die Glaubwürdigkeit der Annahme dadurch unterstrichen, daß Maugantius sich in seiner Rede auf Bücher der Gelehrten und viele Historien stützt (libris philosophorum et [in] plurimis historiis, ebd.), aber letztlich bleibt es bei dieser Annahme, die nicht weiter spezifiziert wird. (LG I, 146). 492 Sarayde, die ebenfalls wise von maniger behendikeit ist (ebd.), erhält daraufhin den Auftrag, die Söhne Bohorts zu befreien. An des Claudas Hof angekommen, hält Sarayde im Namen ihrer Herrin eine Schmährede auf Claudas (ebd., 148, 150 und 152), die in der Anschuldigung gipfelt, er sei nicht verständig sowie weder höfisch noch freigebig (wise, hubsch, milte, ebd., 150) 493 und behandle die Söhne Bohorts nicht standesgemäß (ebd., 152). Claudas reagiert sofort auf diesen Vorwurf und schickt seinen Truchseß, um die beiden Jungen an den Hof zu holen. Am Hof angekommen, 494 setzt ihnen Sarayde jeweils einen Blumenkranz auf, der auf Grund der eingeflochtenen Steine immense Kampfeskraft verleiht und überdies dafür sorgt, daß sein Träger keine Wunde erhält (ebd., 166). 495 Die Tatsache, daß Steine und Kräuter eine magische Wirkung entfalten, ist für sich genommen kein Indiz für ‹märchenhaftes› Erzählen, aber daß Sarayde die Kinder, um sie vor Claudas zu schützen, kurzerhand in zwei Windhunde verwandelt und zwei wirklichen Windhunden die Gestalt der Kinder verleiht, führt das Feen-, ja ‹Märchenhafte› dann doch vor. 496 Die Plausibilisierung, die noch für Niniennes 248 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 492 Hier soll nicht verschwiegen werden, daß der Erzähler an jener Stelle ebenfalls mit einer Bemerkung die wunderbaren Fähigkeiten Niniennes zu entschärfen sucht, da er unmittelbar folgend erklärt, daß zu jener Zeit die Könige immer am Maria-Magdalenen-Tag großen Hoftag hielten. Dies suggeriert zumindest für den Rezipienten den Eindruck, als hätte sich die Dame vom See ihrer Zauberei nicht bedienen müssen. Jedoch wird somit auch die Alterität der Fee unterstrichen, indem sie eben nicht logisch-vernünftig vorgeht (Bald ist Maria-Magdalena-Tag, folglich hält Claudas Hof), sondern sich ihrer Fähigkeiten bedient. Gerade durch diese Gegenüberstellung von rational-logischer Schlußfolgerung und wunderbar-zauberischer Fähigkeiten wird so Niniennes Feennatur hervorgehoben. 493 Insbesondere was den Vorwurf der fehlenden Freigebigkeit angeht, muß bedacht werden, daß Claudas bereits zu Beginn vom Erzähler in Kontrast zu seinem verschwenderischen Sohn Dorin als geizig beschrieben wird (LG I, 78). Ihm fehlt die wichtige Herrscherqualität der milte, die er nur notgedrungen und ungern ausübt: «Claudas der was aber genöt und gyrig nach guot allewege […]. So enmocht er der lút nit enbern und muost yn geben one synen danck.» Erst als Claudas von seiner Reise an den Artushof zurückgekehrt ist, revidiert er seine Einstellung (zumindest an dieser Stelle der Erzählung), da er von König Artus gelernt habe, daß nymmer konig arm wirt von geben (LG I, 98). Gleichwohl bleibt festzuhalten, daß auch Artus der Tugend der Freigebigkeit - so zumindest wird es ihm der Weise beim Krieg gegen Galahot erläutern - nicht genügend Rechnung trägt (vgl. ebd.). Zur descriptio des Claudas unter besonderer Berücksichtigung der Temperamentenlehre vgl. Waltenberger, Das große Herz, S. 83f. 494 Die Episode zwischen Phariens und den Neffen Lancelots kann hier nicht näher betrachtet werden. Es soll nur darauf hingewiesen werden, mit welcher Genauigkeit die Parallelen zwischen Lyonel und Lancelot dargestellt werden, deren Zornesfähigkeit nahezu übereinstimmt. 495 Rückblickend kann der Rezipient natürlich erkennen, daß durch die Mitnahme der beiden Windhunde die Befreiung einer umsichtigen Planung unterliegt, die Sarayde an dieser Stelle des Erzählten umsetzt (LG I, 148). 496 Vgl., um nur ein bekanntes Beispiel zu nennen, die Verwandlung des Glückskindes in eine Ameise im Märchen von dem ‹Teufel mit den drei goldenen Haaren› (KHM 29). Zauberkünste geboten wird, wird für Sarayde nicht mehr in Anspruch genommen; sie ist vielmehr durch ihre Zugehörigkeit zu Ninienne eindeutig dem feenhaften Bereich zugeordnet und kann auch dementsprechend handeln, d.h. zaubern, ohne daß dies weiter erläutert würde. Ob sie ihre Künste direkt von Ninienne erlernt hat, wird nicht erwähnt, so daß die für Ninienne bemühte Rationalisierung der wunderbaren Fähigkeiten (Unterricht durch Merlin) nicht mehr uneingeschränkt gültig ist. Dadurch erhält Sarayde im Vergleich zur Dame vom See wieder typischere Züge der Fee bzw. des Feenhaften. 497 Hinzu kommt der Aspekt des Komischen (vgl. auch II.5.5 d.A.), der trotz der Tötung Dorins entsteht, wenn beschrieben wird, daß Claudas voller Inbrunst den in Panik fliehenden Windhunden nacheilt, die er für die Kinder Bohorts hält (LG I, 170). Deutlich wird dies vor allem in der Überleitung, die vom nun glücklichen Aufenthalt Bohorts und Lyonels im Reich Niniennes erneut zu Claudas hergestellt wird: «Hie laßen wir die rede beliben von Lancelot und sinen nefen und sprechen furbas wie Claudas mit sin winden thet die er gefangen hett» (ebd., 174). 498 Der Erzähler verbündet sich gewissermaßen mit den Rezipienten, indem er den gemeinsamen Wissensvorsprung gegenüber der Figur Claudas ausnutzt und so dem Rezipienten die Möglichkeit eröffnet, in Distanz zu dem Erzählten zu treten: Nun schauen wir einmal, was Claudas mit seinen Windhunden anfing. Das Bild des Herrschers, der zuvor Ban und Bohort zu Fall brachte, wird somit punktuell ins Lächerliche gekehrt. 499 Durch diese komisch anmutende Erzählerbemerkung entsteht ein Distanzierungseffekt, der auf der sprachlichen Ebene durch den die Prosa durchbrechenden Reim (thet - hett) hervorgehoben wird; und auch bei der Aufhebung des Zaubers (ebd., 196, Herv. Verf.) unterstreicht die sprachliche Ebene des gauckels Wirkung: «das w i n d waren gewesen das wurden k i n t , und das k i n t waren gewesen das wurden w i n d . » Auch hier wird durch den ‹Binnenreim› (kint - wind), vor allem aber durch die Anadiplose (kint) und die chiastische Struktur des Erzählerkommentars die Prosa auffällig kunstvoll ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 249 Kennedy, Lancelot and the Grail, S. 117f., hingegen sieht in dieser Verwandlung ebenfalls eine rationalisierte Form des Wunderbaren. 497 Auch die Bindung, die der von Phariens enttäuschte Lyonel später mit Sarayde eingeht (vgl. LG I, 210ff.), trägt - obgleich sie sich auf die Schüler-Meister-Beziehung beschränkt - zumindest Züge der sogenannten gestörten Martenehe. 498 Im ‹Lancelot en prose› findet sich lediglich eine einfache Überleitung (« […] retorne au roi Claudas […]», Micha, Bd. VII, S. 123), die im Gegensatz zu dem im ‹Prosa-Lancelot› begegnenden Binnenreim (thet - hett) keinen komischen Distanzierungseffekt erzeugt; vgl. die weiteren Ausführungen d. Kap. 499 Dem entspricht z.T. auch die folgende Klage des Claudas über seinen Sohn (LG I, 176-182). Zwar ist seine Trauer so groß, daß selbst diejenigen, die yn nicht lieb hetten (ebd., 182), Mitleid mit Claudas empfinden, jedoch erscheint insbesondere der Preis von Dorins Freigebigkeit wenn nicht komisch, zumindest aber ambivalent wenn bedacht wird, daß sowohl der Erzähler als auch Claudas Dorins vermeintliche Freigebigkeit zuvor als Verschwendung tadelten (vgl. Anm. 493 d. Kap.). geformt. 500 Diese besondere sprachliche Gestaltung erhält somit die Funktion, die Exklusivität des Erzählten zu repräsentieren: Das Wunderbare - die Verwandlung der Jungen in Windhunde - erhält eine hervorgehobene Form. 501 An dieser Stelle muß auch auf die Bedeutung des starken Maskulinums wint hingewiesen werden, das neben ‹Windhund› auf übertragener Ebene auch mit «etwas nichtiges, das nicht in betracht kommt, ohne wirkung bleibt» 502 übersetzt werden kann. Die Steinhoffsche Übertragung soll hier nicht angezweifelt werden, was jedoch bedacht werden sollte ist, daß auch diese Konnotation - neben der Bedeutung ‹Windhund› - von mhd. wint für die Rezipienten präsent bleibt, 503 so daß in der ganzen Episode deutlich wird, daß Claudas tatsächlich kein politisch wirksames Druckmittel (die Kinder Bohorts) in Händen hält, sondern eben ‹etwas, das ohne Wirkung bleibt›, nämlich zwei Windhunde. Gerade durch diese von Sarayde bewirkte Täuschung, die hier keine rationalisierte Form des Wunderbaren darstellt, 504 wird somit aber auch an das von Täuschung geprägte Bedeutungsspektrum von fictio erinnert, das Tradition hat. 505 Der Täuschungsaspekt und das ‹Märchenhaft-Wunderbare› werden in der hier untersuchten Episode so miteinander verwoben, daß sie für die Entwicklung des Erzählverlaufs notwendig 506 und im Rahmen der erzählten Welt sinnvoll erscheinen. Auch die Aufhebung des Zaubers entspricht eher dem ‹Märchenwunder› als dem christlichen mirabilium, da der eigentliche Zauber keinerlei Erstaunen hervorruft. Zwar ist Phariens nach der Übergabe der vermeintlichen Söhne entsetzt (LG I, 196f.), doch ist er dies nicht angesichts des Zaubers bzw. seiner Aufhebung, sondern auf Grund der Tatsache, daß Bohorts Kinder sowie 250 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 500 Da sich die Anadiplose zumeist auf der Versgrenze findet (vgl. Lausberg, HbRh, § 620, siehe auch § 619), weist die Stelle umso deutlicher darauf hin, daß die Prosaform sich hier zumindest in ihrer kunstvollen Gestaltung der Versform annähert. 501 Hier ist natürlich auch zu bedenken, daß die Rettung der Söhne Bohorts einen für das Werk essentiellen Aspekt darstellt, der für den weiteren Verlauf des Erzählten von großer Bedeutung ist (erinnert sei hier nur an die Zeugung Helains des Weißen, Sohn des Bohort und der Prinzessin von Bangorre). 502 BMZ III, S. 714ff., hier S. 715. 503 Hier ist es vielleicht nicht unwichtig zu bemerken, daß die Bezeichnung wintspil (= Windhund), vgl. BMZ II, S. 504, an keiner Stelle der Episode verwendet wird. 504 Eine solche Form des Zauberns spricht m.E. nicht gegen die auch im Märchen begegnenden Zauberwunder; man denke nur an den ‹Froschkönig›, den ‹Teufel mit den drei goldenen Haaren› usf. Nicht nur die eigentliche Verwandlung bzw. der Zauber sind hier vergleichbar, sondern auch die Funktion im narrativen Gefüge: Ebenso wie der adoptierte Müllersohn in eine Ameise verwandelt werden muß, um dem Teufel zu entgehen, so sind auch die Söhne Bohorts auf die Verzauberung durch Sarayde angewiesen. Im übrigen wird auch in dem bekannten Märchen ‹Snêwittchen› das Märchenwunder ausschließlich durch den Spiegel repräsentiert; die Mordversuche der Schwiegermutter an der Stieftochter sind allemal logisch-rational zu erklären - so auch Snêwittchens Erwachen. 505 Hier sei an den Vorwurf Augustins erinnert, vgl. dazu Kap. I.1.3 d.A. 506 Gleiches gilt ja auch für das Pflaster im ‹Erec› und Lunetes Ring im ‹Iwein› (vgl. Kap. I.1. 2 d.A.). der gerade gewonnene Friede mit Claudas verloren scheinen. Es ist demnach nicht das Wunder, das Erstaunen auslöst, sondern ausschließlich der Verlust der Kinder. Das Wunder selbst wird nicht hinterfragt oder auf der Figurenebene thematisiert. Während also das Wunderbare im Hinblick auf Ninienne tatsächlich eine (punktuelle) Rationalisierung über die Figur Merlin erfährt, 507 scheint Sarayde dem ‹märchenhaften› Feentypus weit mehr zu entsprechen, da ihre Fähigkeiten keine explizite Rationalisierung oder Plausibilisierung erfahren, sondern lediglich festgehalten wird, daß auch sie sich auf Zauberei verstehe. Darüber hinaus ist es jedoch vor allem Saraydes Funktion innerhalb des Erzählverlaufs, die an ‹märchenhafte› Erzählmodi erinnert: Ihr Erscheinen am Hofe des Claudas und ihre Zauberkünste erinnern an die aus dem Märchen bekannten Helferfiguren respektive Gaben, insofern auch Sarayde - wenn auch auf Geheiß ihrer (feenhaften) Herrin - gerade dann in die Erzählung tritt, wenn die Protagonisten ihrer bedürfen. Die Zauberkräfte der Botin sind denn auch ausschließlich auf die Befreiung der Söhne des alten Bohort ausgerichtet und rufen auf Ebene des Erzählten weder Staunen noch Angst, wohl aber - nach ihrer Entdeckung - Wut (Claudas) und Verzweiflung (Phariens) hervor. Eine Plausibilisierung des Zaubers erfolgt hier ebensowenig, wie rückblickend eine Angst der Figuren vor diesem Numinosen erkennbar ist. II.5.3 Die Befreiung der Dolorosen Garde 508 Unmittelbar nach Lancelots Ankunft vor der Dolorosen Garde tritt eine verschleierte junge Dame vor Lancelot, die ihm auf seinen Wunsch die abenture von der burg erläutert (LG I, 428,8f.). 509 Bei dieser jungen Dame handelt es ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 251 507 Dabei muß für den mhd. Text bedacht werden, daß die Geschichte Merlins, die dem ‹Lancelot en prose› vorangestellt ist, allen mhd. Übertragungen fehlt (lediglich die Erläuterungen zu Merlin und Ninienne sind in den mhd. Redaktionen unterschiedlich, vgl. Anm. 480 d. Kap.) und somit ihre Einbindung in einen in sich geschlossenen Erzählzusammenhang verliert. 508 Die Episode um die Dolorose Garde bzw. Doloreuse Garde nimmt in der Forschung zum Wunderbaren im ‹Lancelot› den zentralen Platz ein, vgl. Kennedy, Lancelot and the Grail, dies., The Role of the Supernatural, sowie Jefferson, Lisa: The Keys to the Enchantments of Dolorous Guard. In: Medium Ævum LVIII (1989), S. 59-79. Einen Vergleich zwischen der Eroberung der Garde im ‹Lancelot en prose› und der Gralsburg im ‹Perlesvaus› bietet Carman, J. Neale: The Conquests of the Grail Castle and Dolorous Guard. In: PMLA 85 (1970), S. 433-443. Zu den auch in der Dolorose Garde begegnenden Automaten und ihrer Situierung innerhalb der antiken und ma. Erzähltradition vgl. Bruce, J. Douglas: Human Automata in Classical Tradition and Medieval Romance. In: Modern Philology X (1912/ 1913), S. 511-526, sowie Ernst, Ulrich: Mirabilia mechanica. Technische Phantasmen im Antiken- und im Artusroman des Mittelalters. In: Das Wunderbare in der arthurischen Literatur, S. 45-77. 509 Die costume, die die Dolorose Garde bestimmt, wurde unmittelbar zuvor vom Erzähler erläutert (LG I, 426,6 - 428,3). Die gewonheit der Dolorose Garde ist wie folgt gestaltet: sich - so können die Rezipienten aus einer Erzählerbemerkung zumindest bereits hier erkennen (LG I, 12f.) - um eine Botin Niniennes. Sie wird sich Lancelot erst am nächsten Tag, nachdem er unverrichteter Dinge versucht hat, die Burg zu befreien, zu erkennen geben (ebd., 436,21ff.) und ihm die Wunderschilde überreichen, die Lancelot letztlich in die Lage versetzen, sich Einlaß in die Dolorose Garde zu verschaffen. Im Hinblick auf die Frage nach ‹märchenhaften› Erzählmodi erscheint hier zunächst bemerkenswert, auf welche Weise Niniennes Botin in die Episode eingeführt wird: «Innendes kómpt ein schöne jungfrauw gegen im [Lancelot] gende und grußt yn, er gnadet ir» (ebd., 428,8f.). Die Dame erscheint völlig unvermittelt, 510 was durch das innendes auf sprachlicher Ebene noch exponiert wird, und dies um Lancelot genau die Gaben zu übermitteln, die er zur erfolgreichen Befreiung der Burg benötigt. Es ist gerade diese präzise narrative Abstimmung die, nach Max Lüthi, ein wesentliches Element des ‹märchenhaften› Erzählprinzips ausmacht, denn «die abstrakte Stilisierung, das genaue Passen der einzelnen Situationen aufeinander ist genauso wunderhaft wie irgendwelche äußeren Zaubereien, ja es ist in Wahrheit viel wirklichkeitsferner als sie». 511 Ebendieses Prinzip wird auch hier deutlich, wenn Niniennes Botin genau mit den benötigten Gaben erscheint, die zur Bewältigung der anstehenden Aufgabe des Helden unabdingbar sind: Das feenhafte Element von Lancelots Ziehmutter wird damit gegenüber der bereits bemerkten Rationalisierungstendenz exponiert, indem ihr Wissen um die Bedürfnisse ihres Schützlings schlichtweg präsentiert und nicht weiter erläutert wird. 512 In diese Betrachtungen fügt sich auch, daß Lancelot, nachdem er mit der Dame, mit der er Quartier genommen und die er immer noch nicht wiedererkannt hat, sogleich die an der Wand hängenden und mit einem Tuch verdeckten Schilde zu sehen begehrt. 513 Liest 252 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› An den zwei Mauern der Burg muß derjenige, der sie befreien will, jeweils gegen zehn Ritter antreten und sie allesamt besiegen. Von der geglückten Erlösung der Dolorose Garde zeugt ein kupferner Ritter, der - auf der zweiten Mauer angebracht - sobald ihn der rechtmäßige Eroberer anblicke, in die Tiefe stürzen und in der Erde versinken werde. Der Fall dieses kupfernen Ritters, der mit zaubery also off geriecht wurde (LG I, 426,28), signalisiert somit den Untergang des Zaubers, der die Burg bestimme (vgl. ebd., 426,34f.). Voraussetzung für die Befreiung der Dolorose Garde ist jedoch weiterhin, daß der siegreiche Ritter sich vierzig Tage in der Burg aufhalten muß, da andernfalls die Zauberei nicht gänzlich vertrieben werden kann (ebd., 428,1f.). 510 Zum Auftreten und zur Funktion dieser Botinnen Niniennes vgl. Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 46ff. 511 Lüthi, Das Volksmärchen, S. 32. Wirklichkeitsferner ist diese narrative Komposition, insofern sie nicht vorrangig um Plausibilität oder logische Konsequenz bemüht ist, sondern den Erfolg des Helden bzw. das Lösen der Aufgabe zum Zentrum der narrativen Vermittlung macht. Vgl. auch ebd., S. 31. 512 Vgl. auch Kennedy, Lancelot and the Grail, S. 122ff., sowie dies., The Role of the Supernatural, bes. S. 178ff. 513 Die Parallele zwischen den mit Tüchern verdeckten Schilden und der mit einem Schleier bedeckten Dame ist ebenfalls nicht ohne Bedeutung: Verhüllt werden somit jene Eleman dieses Begehren Lancelots auf einer Metaebene, so läßt sich feststellen, daß derjenige Ritter, der zur Befreiung der Dolorosen Garde auserwählt ist, gerade das zu sehen wünscht, was er zur Erfüllung seiner Bestimmung benötigt: Lancelots Begehren entspringt somit - in der Terminologie Lüthis - der abstrakten Komposition, 514 also dem literarisch-ästhetischen Entwurf. Genau dieses Begehren Lancelots, die Schilde zu sehen, greift auch die Botin Niniennes auf, wenn sie explizit nachfragt, wie ihm die Schilde gefallen, und sich weiterhin anschickt, Lancelot auf die spezifische Qualität der Schilde aufmerksam zu machen: Diße dry schilt die ir gesehen hant sint uwer. Ir solt auch furwar wißen das sie w ú n d e r l i c h gnug sint, als ich uch bescheiden will: als schier als ir den schilt mit der einen barren umb uwerm halß thút, so solt ir zuhant eines ritters krafft gewinnen zu der sterck die ir n v hant. Hant ir den mit zweyn barren umb uwern halß, so gewinnent ir zweyer ritter sterck me dan ir vor hant gehabt. […] und zu letst, so irs alles entschumpffieren wollent das by uch ist, so nement den mit den dryn barren: so mag uch nicht wiedderstan. Ir solt das w u n d e r l i c h s t ding sehen das ir ye gesahent oder das ir úmmer gedencken mögent. (LG I, 436,31-438,10, Herv. Verf.) Die in der Figurenrede dargelegte Wirkung der Schilde wird von der Botin Niniennes explizit als wunderlich klassifiziert, womit also auch auf der Figurenebene deutlich gemacht wird, daß die Schilde nicht nur als exzeptionelle Ausstattung Lancelots dienen sollen, 515 sondern sie ihn vielmehr dazu befähigen, den besonderen Anforderungen der âventiure zu genügen. Der Einlaß in die Burg, die zaubery und gauckel unterworfen ist, erfolgt also mittels eines wunderbaren ‹Gegenmittels›. Eine rationalisierende bzw. plausibilisierende Erläuterung der Eigenschaften jener Wunderschilde vermißt man hier ebenso wie die mögliche Verwunderung Lancelots angesichts der ihm angetragenen Hilfsmittel. Es ist demnach nicht allein die wunderbare Eigenschaft der Schilde, die die Episode den Prinzipien ‹märchenhaften› Erzählens annähert, sondern insbesondere die Art und Weise wie diese wunderbaren Elemente in das Erzählte integriert werden: Er [der Märchenheld] läßt sich auch das Wunder schenken. Der Märchenheld ist nicht selber ein Zauberer, er empfängt die Zauberdinge von außen […]. Er erfleht sie nicht einmal, er denkt nicht einmal an sie - aber dort, wo sie ihm nötig sind, werden sie ihm zuteil. […] Daß Gabe und Aufgabe, Gabe und Notlage einander genau entsprechen, daß alle Situationen aufeinander passen, gehört zum abstrakten Stil des Märchens; das Wunder ist dessen letzter vollkommenster Ausdruck. 516 ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 253 mente, die dem Bereich der Dame vom See entspringen, wobei die eigentlichen Gaben zuerst enthüllt werden. Dem Erkennen der Botin auf seiten Lancelots korrespondiert also auch die Entdeckung der zur Lösung der Aufgabe übermittelten Schilde. 514 Vgl. Lüthi, Das Volksmärchen, S. 32. 515 Ein solches Beispiel gäbe die Lancelot von Ninienne zugedachte weiße Rüstung bei seinem ‹Ritterdebüt› ab. 516 Lüthi, Das Volksmärchen, S. 55. Sieht man einmal von der Bezeichnung ‹Märchenheld› in dem oben angeführten Zitat Lüthis ab, 517 dann zeigt sich, daß die dort beschriebene Vermittlung der Gabe und deren Funktion der hier betrachteten Textstelle des ‹Prosa- Lancelot› durchaus gerecht wird. Die fehlende Verwunderung des Protagonisten - sowohl angesichts der Erläuterung der Schildeigenschaften durch Niniennes Botin als auch bei dem Einsatz der Schilde im Kampf gegen die Ritter der Burg - zeigt dies ebenso wie die Tatsache, daß die Schilde Lancelot gerade dann im Auftrag Niniennes überbracht werden, wenn er sie dringlich benötigt. 518 Sind im ‹Erec› das Pflaster Feimurgans und die (Symbol-)Struktur des Romans also insofern interdependent, als der Genesung Erecs die (narrative) Sinnvermittlung korrespondiert, 519 so eignet den wunderbaren Schilden im ‹Prosa-Lancelot› eine vergleichbare narrative Funktion: Sie werden Lancelot zur rechten Zeit von der Dame vom See zur Verfügung gestellt, um die Aufgabe, die nicht nur Lancelots bona fama wesentlich vorantreiben, sondern ihm auch seine Herkunft enthüllen wird, 520 zu erfüllen. Mag man auch im Hinblick auf die im Prosaroman begegnende Erzähltechnik des entrelacement nicht von einer ‹Symbolstruktur› sprechen, zeigt sich dennoch, daß auch hier die wunderbare Gabe mit dem Erzählverlauf korrespondiert, ja die wunderbare Ausstattung des Protagonisten seinen weiteren (erzählten) Weg bedingt. Der Beginn der Dolorose-Garde-Episode ist also sowohl über die wunderbaren Kräfte der Schilde, die nicht weiter erklärt werden, als auch über ihre Einführung in die narratio von ‹märchentypischen› Elementen gekennzeichnet. Dies wird noch exponiert durch die enge Verbindung bzw. Interdependenz von Gabe, Protagonist und âventiure. Auch Ninienne scheint somit - entgegen der rationalisierenden Tendenz zu Beginn des Romans - wieder dem ‹Märchen-› bzw. Feenhaften angenähert zu werden, da ihr Wissen um Lancelots Weg und dessen Anforderungen ihr schlichtweg bekannt sind. Erst bei der abschließenden Erlösung der Dolorosen Garde, die Lancelot auf Grund eines Täuschungsmanövers vollzieht, 521 tritt der Aspekt des ‹Mär- 254 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 517 Da es ausdrücklich nicht darum geht, den ‹Prosa-Lancelot› als ‹Märchenroman› bzw. Lancelot als ‹Märchenhelden› zu identifizieren, muß diese Einschränkung erfolgen. Wieweit jedoch das Erzählte der dem Märchen zugrundeliegenden ‹Denkform›, um mit Jolles zu sprechen, unterworfen wird, läßt sich an der narrativen Darbietung der Textstelle m.E. gut zeigen. Vgl. zu dieser Unterscheidung auch Mauritz, Der Ritter im magischen Reich, S. 16f. 518 Hier Beispiele aus bekannten Märchen anzuführen, wäre angesichts der Materialfülle müßig. Statt dessen sei auf die Artusromane Hartmanns verwiesen: Erec gerät genau dann in den Genuß des Zauberpflasters, wenn er es benötigt, und auch Iwein wird durch Lunetes Ring in genau jener Situation geschützt, in der er auf die Gabe angewiesen ist. Vgl. dazu Kap. I.1.2 d.A., sowie im Hinblick auf den ‹Yvain› Chrétiens Knapp, Märchenhaftes Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), S. 208. 519 Vgl. Kap. I.1.2 d.A., sowie Knapp, Historiographisches und fiktionales Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), S. 34f., sowie ders., Erkenntnis und Fiktion. In: ebd., S. 254ff. Vgl. auch Haug, Literaturtheorie, S. 100. 520 LG I, 452,23-454,7. 521 Man läßt Lancelot glauben, Ginover sei in der Dolorosen Garde gefangen und werde erst dann freigelassen, wenn die Burg gänzlich von Zauber und Gaukel befreit sei. Die chenhaft-Wunderbaren› in den Hintergrund bzw. wird er verbunden mit mythisch-christlichen Wunderelementen; 522 denn während Lancelots erster Einlaß in die Burg mit Hilfe der wunderbaren Schilde erfolgt, bricht er den eigentlichen Zauber, indem er eine weitere âventiure besteht. Nachdem er sich bereit erklärt hat, die Dolorose Garde endgültig zu befreien, wird Lancelot vor die folgende Wahl gestellt: Entweder könne er vierzig Tage in der Burg bleiben, um den Zauber zu brechen, oder er müsse die slussel farn suchen von dem zauber (LG I, 576,21-23). Lancelot entscheidet sich für die Schlüssel (und damit für eine weitere âventiurehafte Bewährungsprobe) und wird zu dem Friedhof geleitet, auf dem er bei seinem ersten Aufenthalt in der Burg seinen Namen erfahren hatte. Er wird zu dem Eingang einer Höhle (loch 523 ) geführt, in der sich die Schlüssel befinden. Lancelot bekreuzigt sich 524 und betritt die Höhle nur mit seinem Schwert bewaffnet. Während er zuerst nicht die Hand vor Augen erkennen kann, wird es, als er sich tiefer in die Höhle begeben hat, übermäßig hell (ebd., 576), und nach dem Öffnen einer Tür erhebt sich ein lautes Gebrüll. 525 Bereits hier läßt sich erkennen, daß der Beginn der Schlüsselsuche einige Parallelen zu bekannten Unterweltsfahrten bzw. Jenseitsreisen aufweist, 526 so die Bezeichnung des Eingangs als Höhle, die den descensus ad inferos erschwerende Finsternis und das plötzlich auftretende Gebrüll. 527 ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 255 Liebe zur Königin läßt Lancelot also aufbrechen und die endgültige Befreiung der Garde antreten. Als er - nach der geglückten Erlösung der Burg - erfährt, daß Ginover gar nicht in der Dolorosen Garde gewesen sei, zeigt er sich dennoch erfreut über seine Tat («Er hort zuhant wol das er betrogen was, nochdann was im lieb das er den zauber und das gauckel zurbrochen hette», LG I, 580,35ff.). 522 Vgl. Jefferson, The Enchantments, S. 63: «There is little that is overtly religious here, only the devils, the sign of the cross and the placing of the keys on the chapel altar.» 523 Im ‹Fortunatus› findet man bei der Beschreibung des Eingangs zu St. Patricks Fegefeuer sowohl die Bezeichnung loch als auch hüle, ‹Fortunatus›, S. 444ff. 524 Anders als in der ‹Suche nach dem Gral› dient das Bekreuzigen hier nicht als Aufhebung des Zaubers, so daß Lancelots Verhalten eher als stereotype Handlung, denn als genuin christliche Tat zu werten ist. 525 Auch dieses Gebrüll findet seine Entsprechung im ersten Teil der Burgeroberung, wenn eine junge Dame nach Lancelots Sieg über die Ritter das Tor der Dolorosen Garde öffnet und ein ohrenbetäubender Schrei (LG I, 450,28) ertönt; vgl. ‹Aeneis› VI (Pforten des Tartarus). Vgl. auch die Befreiung des ‹Finster Ascalon› (LG II, 226,32). 526 Vgl. auch Ruberg, Raum und Zeit, S. 35ff. und 43f., Jefferson, The Enchantments, S. 65f., sowie Mauritz, Der Ritter im magischen Reich, bes. S. 135-147 und 233-238. Im ‹Lancelot› begegnen noch weitere Episoden, die Züge bzw. Motive von Jenseitsreisen aufweisen, so Ginovers Befreiung aus Gorre mit Lancelots Überquerung der Schwertbrücke, die Erlösung des ‹Finster Ascalon› oder die Episode vom ‹Tal ohne Wiederkehr›, die unter Punkt II.5.4 d.A. untersucht wird. Vgl. zur Thematik allgemein Braches, Hulda H.: Jenseitsmotive und ihre Verritterlichung in der deutschen Dichtung des Hochmittelalters. Assen 1961 (Studia Germanica, III), sowie Dinzelbacher, Peter: Die Jenseitsbrücke im Mittelalter. Wien 1973 (Dissertationen der Universität Wien, 104). 527 Hier kann nur eine arbiträre Auswahl an Belegstellen geboten werden; Vollständigkeit ist nicht angestrebt. Vgl. zur Situierung des Eingangs vor allem die Legenden um den Hl. Patrick (so z.B. im ‹Fortunatus›, wie Anm. 523 d. Kap.), sowie die Unterweltseingänge in Eine weitere Tür wird von zwei kupfernen Apparaturen in Form von Rittern bewacht, die beide mit ihren Schwertern so schnell und in dichter Folge schlagen, daß niemand, ohne verletzt zu werden, hindurch gelangen kann. Hier wird also nicht nur das ebenfalls in den Unterweltsfahrten bekannte Motiv des Wächters aufgegriffen, 528 sondern darüber hinaus ein Bezug zum ersten Teil der Dolorose-Garde-Episode hergestellt; denn dort ist es ein kupferner Ritter, 529 der - von Zauberei errichtet (LG I, 426,28) - nach dem Ende der Kämpfe von dem Torbogen herabstürzt und damit Lancelots Sieg bestätigt. Lancelot überwindet auch dieses Hindernis, um jedoch gleich darauf dem nächsten gegenüberzustehen: Es handelt sich um einen schwarzen Pfuhl, der fürchterlich stinkt und aus dem das Gebrüll zu kommen scheint (ebd., 578,15f.). Auf der anderen Seite des Tümpels befindet sich eine dritte Tür, die von einem ungeheuren Mann versperrt wird: «was im syn heubt schwarcz als bech, und ging im ein starcker flamme ußer der kelen, die augen und die zene luchten im als ein fuer» (ebd.). Erneut klingt hier das für Unterweltfahrten typische Wächtermotiv an, wobei darüber hinaus über den schwarzen Pfuhl auch an das traditionelle Bild des Unterweltflusses erinnert wird. 530 Lancelot überwindet auch 256 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› der ‹Aeneis› (spelunca alta, VI,237) und im ‹Eneasroman› (grûbe, 89,22 und loch, 90,10). Das Motiv der Finsternis und des Getöses trifft man sowohl bei den bereits genannten Textstellen als auch in Dantes ‹Commedia› an (vgl. z.B. ‹Inferno› III,23, IV,11ff.). Zum Motiv der ‹höllischen› Finsternis vgl. auch Lang, Bernhard/ McDannell, Colleen: Der Himmel. Eine Kulturgeschichte des ewigen Lebens. Frankfurt a.M. 1996, bes. S. 123. 528 Vor allem Dante liefert in seiner ‹Commedia› neben Cerberus eine Reihe weiterer Wächterfiguren. Anklänge an das Wächtermotiv bietet auch der ‹Wigalois›, und zwar bei der Begegnung des Titelhelden mit König Jorêl, der - in ein Tier verwandelt - Wigalois in das Land Korntîn führt, wo er über eine Art elysisches Gefilde verfügt (Vv. 4510-4689). Noch deutlicher werden die Bezüge vor des Wigalois Eintritt in Roaz’ Reich bei dem Kampf gegen Karriôz und der anschließenden Überwindung der Schwertrad-Brücke, der ein weiterer Kampf gegen das Ungeheuer Marrien und zwei Torwächter folgt (Vv. 6920ff.). Die Jenseitsmotive werden hier zusätzlich durch die unheimlich-dunkle Umgebung sowie die aus dem Nichts erklingende Stimme unterstrichen. Vgl. dazu auch Brinker, Claudia: ‹Hie ist diu aventiure geholt! › Die Jenseitsreise im Wigalois des Wirnt von Grafenberg: Kreuzzugspropaganda und unterhaltsame Glaubenslehre? In: Contemplata aliis tradere. Studien zum Verhältnis von Literatur und Spiritualität. Hgg. dies. u.a. Bern u.a. 1995, S. 87-110. Auf Anspielungen auf Jenseitsmotive in der ‹Crône› kann hier nicht gesondert eingegangen werden. 529 Jefferson, The Enchantments, versucht, über das Material der Statue auf eine mögliche Bedeutung der Eroberung zu schließen: Das Kupfer symbolisiere die Sünde der luxuria, die von Lancelot und «his very high moral worth», ebd., S. 71, überwunden werde. Mit dieser Deutung entfernt Jefferson sich m.E. zu weit vom Text, der keinerlei Anhaltspunkte dafür bietet, das Material mit der (Tod-)Sünde in Verbindung zu bringen. Auch Jeffersons Einschätzung von Lancelots moralischer Vollkommenheit erscheint mir unstimmig, zumal Lancelot nur auf Grund einer List dazu bereit ist, die endgültige Erlösung der Dolorosen Garde anzutreten. 530 Vgl. den ‹Roman d’Eneas›, V. 2355 (et d’une eue neire et fanjose) und 2440 (L’eue est parfonde laie et neire) sowie V. 2485 und 2498. Vgl. auch Dantes ‹Inferno› VII,100-130, v.a., diese beiden Hindernisse, indem er den Tümpel überspringt und den fürchterlichen Mann nach einem Kampf in die pfucz hineinwirft. Nun endlich sieht er sich den Schlüsseln gegenüber, die sich in der Hand einer aus Kupfer gefertigten Frauenstatue befinden. Lancelot nimmt die Schlüssel an sich und tritt vor eine Kupfersäule, die mit der folgenden Inschrift versehen ist: ‹Diße súl sol man entschließen mit dem großen schlußel, und darinn stet ein schryn, den entschluet man mit dem cleynen schlußel.› (LG I, 580,6f.) Nach Öffnen der Säule kommt Lancelot ein fürchterliches Geheul entgegen, das von dreißig Pfeifen, die sich in dem Schrein befinden, stammt, und nachdem er auch den Schrein selbst geöffnet hat, erhebt sich ein solcher Sturm, daß Lancelot ducht wie alle die túfel von der helle mit dem winde furen (ebd.). Genau so, ergänzt der Erzähler, habe es sich auch verhalten, denn die Pfeifen seien von lauter bösen Geistern geblasen worden (ebd.). Als Lancelot sich daraufhin auf den Rückweg macht, versinken die Kupfersäule und die kupferne Frauenstatue im Boden, und sowohl der Pfuhl als auch der Friedhof am Eingang der Höhle sind verschwunden. 531 Lancelot begibt sich mitsamt den Schlüsseln in die anliegende Kapelle und bringt sie auf dem Altar dar; von nun an, so schließt der Erzähler, habe die Burg Jovisegarde geheißen (ebd., 582,3). 532 Entgegen der anfänglichen Eroberung der Burg, die Lancelot mit Hilfe der wunderbaren Schilde gelingt, wird die Aufhebung des Zaubers, also die abschließende Erlösung der Dolorosen Garde, im Hinblick auf das Wunderbare anders gestaltet. Hier dominiert nicht das ‹Märchenhaft-Wunderbare›, wie es sich in der Schildgabe Niniennes manifestiert, sondern durch die mehr oder minder deutlichen Reminiszenzen an bekannte Jenseitsmotive erscheint das Wunderbare, der Zauber der Episode in einem mythologisch-christlichen ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 257 Vv. 107f., 111, 121 und 128. Erinnert sei hier auch an die Beschreibung des Acheron (trüb von Unrat, VI,296) und des Charon (er stiert aus glühenden Augen/ lumina flamma, ebd.) in Vergils ‹Aeneis›. 531 Insbesondere das Verschwinden des Friedhofs scheint hier interessant; denn bei der Öffnung ‹seines› Grabs enthüllt die in dem Sarg sich befindende Inschrift Lancelot ja nicht nur seinen Namen und seine Herkunft, sondern gibt ferner an, daß er nach seinem Tod in diesem Grab liegen werde. Da nach der Erlösung der Garde auch alle Gräber verschwunden sind (LG I, 580,26), muß sich der Rezipient (und genaugenommen auch Lancelot) fragen, wie sich die Prophezeiung überhaupt noch erfüllen könne. Zwar wird Lancelot tatsächlich - wie der bereits verstorbene Galahot - in der Dolorosen Garde beerdigt, aber es handelt sich dabei eben doch nicht um das Grab, das nach der Erlösung der Burg verschwunden ist. 532 Wie in der Abschluß-âventiure des ‹Erec› wird also die vreude/ joie wieder hergestellt, was im ‹Lancelot› allerdings durch die Änderung des (sprechenden) Namens noch zusätzlich betont wird. Vgl. auch die Namensänderung von ‹Finster Ascalon› in ‹Ascalon die Verwende› (LG II, 230,16). Eine interessante Beobachtung bietet Jefferson, The Enchantments, S. 74, wenn sie auf die Herleitung von dolor hinweist: «Dolor, as well as meaning ‹pain› or ‹grief›, is the attribute often assigned in the Middle Ages to hell, and Dante uses it frequently in the Inferno.» Horizont. 533 Dies wird nicht zuletzt durch die Bemerkungen des Erzählers evoziert, Lancelot habe die Schlüssel auf dem Altar der Kapelle dargebracht, und lauter böse Geister hätten die Pfeifen in dem kleinen Schrein geblasen (LG I, 580): Indem zumindest ein Teil des Zaubers Dämonen zugewiesen wird, erscheint somit zeitweilig auch der die Dolorose Garde insgesamt beherrschende Bann als Teufelswerk. Und dennoch bleibt diese Erklärung letztlich nur auf einen kleinen Ausschnitt des Unheimlich-Wunderbaren beschränkt, da weder der Ursprung des gesamten Zaubers noch dessen Urheber genannt werden. 534 Hinzu kommt, auf welche Weise Lancelot dem Zauber begegnet; denn er bricht ihn nicht durch Gebet und Kreuzeszeichen - wie z.B. Parceval in der ‹Gralsuche› 535 -, sondern er handelt in typischer Manier des âventiure-Ritters: «Er will helfen, die Aventüre ‹bewältigen› [und] geht völlig furchtlos seinen Weg zum Erfolg.» 536 Furcht vor dem Numinosen zeigt Lancelot also auch hier nicht, er bekämpft den (dämonischen) Zauber ebenso ohne Erstaunen, wie er Niniennes Schilde als ‹zauberhafte› Hilfsmittel im Kampf gegen die Ritter der Garde akzeptiert. Dem mythisch-christlich geprägten Wunderbaren, wie es sich in der abschließenden Befreiung der Dolorosen Garde zeigt, steht somit Lancelots ‹märchenhaft›-furchtloses Handeln gegenüber. Das in der Episode begegnende Wunderbare oszilliert also zwischen Märchenwunder auf der einen und (dämonischer) nigremance auf der anderen 258 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 533 Vgl. auch Kennedy, Lancelot and the Grail, S. 128ff. 534 Ähnlich verhält es sich mit der âventiure um das ‹Finster Ascalon›. Zwar erklärt die junge Dame dem Herzog von Clarence, nachdem er an der âventiure gescheitert ist, die Lancelot letztlich bestehen wird, seit wann in Ascalon Finsternis herrscht (LG II, 218,29-220,14), und zwar seit siebzehn Jahren, nachdem der Herr der Stadt im Münster eine junge Dame vergewaltigt habe (ebd.). Wer aber der Urheber der Finsternis ist - sei es eine Strafe Gottes oder Teufelswerk - bleibt unerklärt, und lediglich die Vermutung der jungfrouwe legt nahe, daß es sich bei der âventiure um Teufelswerk handle: «Die sleg und die groß kelte weiß nymant wannen die komen wann von des túfels wegen […]» (ebd., 220,12f.). Ebenso wie die heilenden Kräfte des Grabes, die Lancelot nach Erlösung des ‹Finster Ascalon› von seinen Blessuren genesen lassen, nicht weiter erläutert werden, bleibt also auch der das Münster bzw. die Stadt geißelnde Zauber letztlich unerklärt. 535 Parceval, dem der Teufel (fynt) in Form einer jungen Dame begegnet und ihm ein unheimliches schwarzes Streitroß zukommen läßt, gelangt an einen reißenden Strom, den er nicht zu durchqueren wagt. In seiner Not bekreuzigt er sich, was dazu führt, daß der Teufel, der das heilige Kreuz - im ursprünglichen Sinne des Wortes - nicht ertragen kann, von Parceval abläßt und in den Fluß flüchtet. Das Wasser beginnt sogleich an vielen Stellen lichterloh zu brennen, so daß Parceval erkennt, daß es der fynt was der yn dar hett getragen yne zu betreten und zu verliesen lip und sele. Erneut bekreuzigt er sich und verbringt die ganze Nacht im Gebet (‹Tod des Artus›, 180,30-184,21). Auch im weiteren Verlauf der Episode verläßt sich Parceval men an syn [Gottes] hilff und an synen trost wann an syn [Parcevals] schwert (ebd., 186,2f.). Vgl. dazu auch den Exkurs zu Re- Historisierung und Heilsgeschichte d.A. Vgl. allgemein Mauritz, Der Ritter im magischen Reich, S. 48. 536 Knapp, Märchenhaftes Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), S. 221. Knapp argumentiert hier mit Bezug auf Gaweins âventiure-Fahrt in Heinrichs ‹Crône›. Seite, 537 was sich insbesondere in dem Verlauf der Erlösung der Burg zeigt: Während Lancelot zu Beginn der Eroberung auf die ‹märchenhaft› anmutenden Schildgaben seiner feenhaften Ziehmutter angewiesen ist, um die âventiure bestehen zu können, wird der abschließende Eroberungsteil als mythischchristlich konnotierter descensus dargestellt, in dem der Zauber in die Nähe von Teufelswerk gerät. Entscheidend ist jedoch, daß eine eindeutige Zuordnung des Wunderbaren, wie es in der Episode begegnet, letztlich nicht möglich ist - denn es bleibt bei bloßen Andeutungen: Lancelots descensus ist eben keine wirkliche Unterweltsfahrt, sondern bleibt eingebettet in eine Erlösungs-âventiure, in der sich traditionelle Jenseitsmotive mit ‹märchenhaften› (Erzähl-)Elementen vermischen: Der Zauber wird nicht durch Gottes Beistand oder des Protagonisten Gebet gebrochen, sondern durch den zielgerichteten Einsatz des Helden, dessen fehlende Furcht vor dem Numinosen zumindest entfernt an den Typus des Märchenhelden erinnert. 538 Damit aber wird nicht nur die Ausprägung des Wunderbaren bewußt ambivalent gestaltet, sondern auch das Erzählte selbst widersetzt sich einer eindeutigen Differenzierung in res factae bzw. res fictae: Indem der Beginn der âventiure durch einen ans Märchen gemahnenden Erzählmodus und die wunderbaren Schilde den ‹klassischen› Artusroman zitiert und dann mit den mythisch-sagenhaften Elementen konfrontiert, ist für die Rezipienten nicht eindeutig zu erkennen, ob das Wunderbare bzw. das Erzählte «den Status eines realen Geschehens» 539 erhalten soll oder nicht doch einen literarischen Eigenwert offenbart, der gleichsam eine eigene literarische Welt gestaltet. Im Unterschied zur Gralsuche, in der Zauberei und Blendwerk durch das Bekreuzigen oder Gebet der Protagonisten vertrieben werden können 540 und âventiuren durch Deutung von Eremiten 541 eine allegorische Bedeutung erhalten, 542 wird der Zauber, wird das Wunderbare der Dolorosen Garde keiner expliziten (Be-)Deutung und Enträtselung 543 unterworfen; vielmehr treibt die narrative Darbietung der aus verschiedenen Gattungen stammenden wunderbaren Elemente die Verrätselung der Episode ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 259 537 Entgegen Knapp halte ich nichts davon, die bloße Bezeichnung zouber als Beleg für eine Rationalisierung des Wunderbaren aufzufassen; denn auch bei Chrétien, dessen Erzählen Knapp durch ein hohes Ausmaß an ‹märchenhaften› Erzählmodi gestaltet sieht, heißt es bei der Beschreibung des Gartens in der ‹joie de la curt›-Episode: mes de l’air est de totes parz/ par n i g r o m a n c e clos li jarz (Vv. 5691f., Herv. Verf.). 538 Vgl. Lüthi, Das Volksmärchen, bes. S. 9ff., und Knapp, Märchenhaftes Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), S. 221. 539 Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 188. 540 Vgl. die in Anm. 535 d. Kap. genannte Parceval-Episode. 541 Freilich ist auch in der ‹Gralsuche›/ ‹Queste› nicht alles, wie es scheint: Der Teufel kann in Gestalt eines Einsiedlers oder einer jungen Dame Falsches verbreiten und den Ritter in Versuchung führen. Entscheidend ist jedoch, daß diese punktuelle Uneindeutigkeit letztlich durch eine autoritative, ‹wahre› Deutung aufgefangen wird. 542 Vgl. Mauritz, Der Ritter im magischen Reich, S. 48f. 543 Vgl. Knapp, Märchenhaftes Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), S. 204. voran, indem das ‹Märchenhaft-Wunderbare› und das christliche mirabilium innerhalb der âventiure eine enge Verbindung eingehen und sich damit einer eindeutigen Klassifizierung entziehen. Noch deutlicher tritt diese Vermischung wunderbarer Erzählelemente in der Episode vom ‹Tal ohne Wiederkehr› hervor, die im folgenden Unterkapitel näher untersucht wird. II.5.4 Das ‹Tal ohne Wiederkehr› Die Episode vom ‹Tal ohne Wiederkehr› folgt auf die Auflösung des Betrugs um die falsche Ginover und ist eingebettet in die âventiure-Fahrten des Herzogs von Clarence und Lancelots Befreiung des ‹Finster Ascalon› (LG II, 234,11-256,20). Erwähnt wird das ‹Tal ohne Wiederkehr› das erste Mal von dem Hausherrn, bei dem der Herzog von Clarence übernachtet, nachdem er an der Erlösung des ‹Finster Ascalon› gescheitert ist (ebd., 220,21f.). Als der Herzog von Clarence seinen Gastgeber nach dem Weg zum Jammervollen Turm fragt, antwortet dieser, daß es zwei Wege gebe: […] ‹Dar geent zwen wege: der ein ist angstlich, der durch den tal geet dannen nie keyn ritter gekeret, der ander ist gut, aber er ist ein wenig lenger, er ist aber on angst und geet bi einer capellen, die man heißet Morgen Capelle.› (ebd., 220,21-24) Die beiden vom Gastgeber benannten Wege werden damit nicht nur - so kann der Rezipient es rückblickend erkennen - Morgane zugeordnet, 544 sondern sie weisen ebenso Parallelen zu den biblischen Gleichnissen von den ‹Zwei Wegen› (Mt., 7,13ff.) bzw. von dem ‹Engen Tor› (vgl. auch Lk. 13,22ff.) auf: 545 260 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 544 Vgl. den Kommentar Steinhoffs zu LG I und LG II, S. 996. Daß auch das ‹Tal ohne Wiederkehr› von Morgane geschaffen wurde (LG II, 234,24ff.), wird hier noch nicht erwähnt; die Rezipienten können erst später, beim Eintritt des Grafen in das Tal erkennen, daß beide Wege von der zauberkundigen Schwester des Artus beherrscht werden. 545 So auch Harms, Wolfgang: Homo viator in bivio. Studien zur Bildlichkeit des Weges. München 1970 (Medium Aevum, 21,), S. 282-285, sowie an Harms anknüpfend Trachsler, Ernst: Der Weg im mittelhochdeutschen Artusroman. Bonn 1979 (Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik, 50), bes. S. 58f., 209ff. und 221f. Erinnert sei hier auch an die Wegscheide im ‹Erec› vor der ‹joie de la curt›-âventiure. Noch deutlicher als bei Chrétien akzentuiert Hartmann die Wegwahl der Protagonisten: «nû truoc si der huofslac/ ûf einer schoenen heide/ an eine wegscheide: […] die rehten strâze si vermiten: / die baz gebuwen si riten» (Vv. 7811ff.). Erweist sich der besser beschaffene Weg auch letztlich als der rechte Weg Erecs (und damit nicht als der einfachere, sündige Weg), so muß doch festgehalten werden, daß die Anklänge an Mt. 7,13 von Hartmann bewußt gewählt, gleichwohl dichterisch variiert worden. Ob damit der Weg zur ‹joie de la curt›-âventiure tatsächlich zum Saelden wec konjiziert werden muß, sei hier einmal dahingestellt. Vgl. dazu den Kommentar zur Stelle in der ‹Erec›-Ausgabe von Scholz, S. 948. 13 Geht durch das enge Tor! Denn das Tor ist weit das ins Verderben führt, und der Weg dahin ist breit, und viele gehen auf ihm. 14 Aber das Tor, das zum Leben führt, ist eng, und der Weg dahin ist schmal, und nur wenige finden ihn. (Mt., 7,13ff.) 546 23 Da fragte ihn [Jesus] einer: Herr, sind es nur wenige, die gerettet werden? Er sagte zu ihnen: 24 Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen; denn viele sage ich euch, werden versuchen hineinzukommen, aber es wird ihnen nicht gelingen. (Lk., 13,22ff.) 547 Während der Hausherr seinen Gast lediglich auf die beiden Wege hinweist, äußert der Knappe des Herzogs von Clarence jedoch, man solle den unbeschwerlichen Weg nehmen (LG II, 234,15f.). Entgegen der traditionellen Auslegung der oben angeführten Bibelstellen, 548 in der der beschwerliche, enge Weg bzw. das enge Tor als Weg Christi bzw. Christus selbst und der breite Weg respektive das breite Tor als Teufel gedeutet wird, 549 plädiert der Knappe also für den leichten und damit - im christologischen Sinne - falschen Weg. 550 Der Herzog läßt sich jedoch nicht beirren und hält seinem Knappen folgendes entgegen: ‹Du bist ein wunderlich man, das du wilt din gerecht straß laßen durch der lut klaffen; man muß alle straßen ritten, oder die abenture werdent nymer zu ende bracht. Ich will durch den tal riten›, sprach er, ‹wies auch mit dem wiedderkeren kum.› (ebd., 234,18f.) Des Herzogs Antwort ist insbesondere insofern bedeutsam, als sie die biblischen Reminiszenzen und deren Deutung (sei es nun die richtige oder falsche Wegwahl) grosso modo zurückweist: Die Wahl des Weges, sei er nun beschwerlich oder nicht, wird ausschließlich an das Prinzip der âventiure gebunden, dem der (Artus-)Ritter verpflichtet ist. 551 Das (Ver-)Suchen der âventiure wird dabei vom Herzog von Clarence höher eingestuft als ihr möglicher Ausgang (wie auch immer es mit der Wiederkehr aus dem Tal aussieht) - was wiederum an Erecs Aussagen zu Beginn der ‹joie de la curt›-âventiure erinnert. 552 ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 261 546 Intrate per angustam portam / quia lata porta et spatiosa via / quae ducit ad perdtionem / et multi sunt qui intrant per eam / quam angusta porta et arta via quae / ducit ad vitam / et pauci sunt qui inveniunt eam. Biblia sacra, S. 1535. Dt. Übersetzung nach Neue Jerusalemer Bibel, S. 1388. 547 Ait autem illi quidam / Domini si pauci sunt qui salvantur / ipse autem dixit ad illos / contendite intrare per angustam portam / quia multi dico vobis quaerunt intrare et non poterunt. Biblia sacra, S. 1636. Dt. Übersetzung nach Neue Jerusalemer Bibel, S. 1484f. 548 Vgl. Luz, Ulrich: Das Evangelium nach Matthäus. 1. Teilband Mt. 1-7. 5., völlig neubearb. Aufl. Düsseldorf, Zürich 2002 (EKK), S. 515ff. Vgl. auch Harms, Homo viator in bivio. 549 Vgl. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, S. 520. 550 Vgl. Harms, Homo viator in bivio, S. 283. 551 Als «freiwillige Bußleistung», wie Harms, ebd., S. 282, meint, würde ich die Wahl des Herzogs daher nicht bezeichnen, da somit indirekt die christlichen Deutungsmechanismen aufgerufen werden. 552 Vgl. Chrétiens ‹Erec et Enide›, Vv. 5319ff., bes. V. 5370, 5401, 54118ff., und Hartmanns ‹Erec›, Vv. 7894ff., bes. Vv. 7915ff., 7935f., 8045ff. Indem also durch die Aussage des Gastgebers bewußt Parallelen zur christlichen Deutung der bivium-Tradition aufgerufen, aber im Anschluß sogleich wieder verworfen werden, wird angezeigt, daß eine allegorisierende Deutung der Wegwahl hier nicht intendiert ist. Zwar wählt der Herzog von Clarence den angestlîchen Weg, aber dies geschieht ausschließlich auf Grund seiner uneingeschränkten Bereitschaft zur âventiure, nicht etwa weil er den beschwerlichen Weg als Weg des Leidens, den nur die Gerechten gehen bzw. zu gehen vermögen, 553 deutet. 554 Damit aber gewinnt auch die Tatsache, daß beide Wege unter dem Zeichen Morganes stehen, eine nuancierte Bedeutung: Da der aus dem ‹klassischen› Artusroman bekannten, feenhaften Schwester des Artus sowohl der beschwerliche Weg durch das ‹Tal ohne Wiederkehr› als auch der ‹leichte› Weg, der jedoch an einer nach ihr benannten Kapelle vorbeiführt, zugeordnet sind, gerät die Wahl des Weges - wenn auch nur implizit - letztlich zu einer Wahl zwischen zwei âventiuren: 555 wies auch mit dem wiedderkeren kum - ob beschwerlich oder nicht, der âventiure wird sich angenommen. Getreu diesem Motto handelt denn auch der Herzog von Clarence und reitet furbas in den tal (LG II, 234,27). Daß der Herzog an der Befreiung des Tals scheitert, ist somit auch nicht Ursache der falschen Wegwahl, sondern resultiert aus der Tatsache, daß er eben nicht derjenige ist, der dazu bestimmt ist, die âventiure zu bestehen respektive den Zauberbann Morganes zu brechen. 556 Vergleicht man diese Episode mit einer Textstelle aus der Gralsuche, dann zeigen sich die hier aufgezeigten Anklänge an den ‹klassischen› Artusroman umso deutlicher. Als Vergleichsbasis sei hier die Episode um den Ritter Meliant zitiert. Zusammen mit Galaad gelangt Meliant an eine Wegscheide, an der ein Kreuz steht, auf dem die folgende Inschrift angebracht ist: ‹Ritter, höre es! Du, der abentur súchet, besehe hie zwen weg, eyner zu der rechten hant und einer zu der lincken hant. Den zu der lincken siten verbieten wir dir das du nit darinn k v mest, wann zu mal ein biederman muß es sin der darinn kómet, das er herwiedder uß kom. Und ob du zu der rechten kómest, bald soltu daruß k v men.› 557 (‹Tod des Artus›, 84,17-22) 262 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 553 Vgl. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, S. 519f. 554 Lediglich im Rahmen der ‹Gralsuche›/ ‹Queste› begegnen derartig ‹dogmatische› Deutungen, was wiederum anzeigt, daß die in diesem Teil des ‹Lancelot› sich offenbarende Sinnsetzung nur bedingt auf das gesamte Werk appliziert werden kann. 555 Vgl. auch Harms, Homo viator in bivio, S. 283, sowie Trachsler, Der Weg, S. 209 und 221. 556 Ebd. Zu diesem Prinzip der Auserwähltheit, das sowohl im Märchen als auch im ‹klassischen› Artusroman begegnet, vgl. Knapp, Märchenhaftes Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), S. 206. Ein bekanntes Beispiel liefert hier der ‹Iwein›, wenn Kâlogrenant an der Brunnen-âventiure scheitert, die Iwein bestehen wird. Im Falle des Herzogs von Clarence kommt natürlich auch hinzu, daß er die Bedingungen, an die die Erlösung geknüpft ist - nämlich in der Liebe ohne Tadel zu sein - nicht erfüllt. Gerade durch diesen engen Bezug zwischen minne-Thematik und âventiure wird die Auserwähltheit Lancelots noch exponiert. 557 Der altfranzösische Text weist hingegen die folgende Formulierung auf: tost i porras perir (kannst du schnell zugrunde gehen, Pauphilet, La Queste. S. 41,8. Vgl. auch den Ebenso wie der Herzog von Clarence befinden sich also auch Meliant und Galaad vor einer Wegscheide, wobei sich jedoch gleich zu Beginn ein signifikanter Unterschied erkennen läßt: Die an dem Kreuz angebrachte Inschrift besagt ausdrücklich, daß nur ein unbescholtener, tapferer Mann den linken Weg wählen solle. Darüber hinaus weist die Aussage der inscriptio implizit auf die christliche Rechts-Links-Symbolik hin, wenn der linke Weg als verboten dargestellt wird. 558 Dies steht zwar zunächst der Deutung des beschwerlichen, engen Weges als dem Weg der Gerechten entgegen, doch wird dieser scheinbare Gegensatz durch die sich anschließende Auslegung des Geistlichen aufgehoben: Meliant, der entgegen Galaads Bitte den linken Weg eingeschlagen hat, um seine Tapferkeit unter Beweis zu stellen (‹Tod des Artus›, 84,23ff.), findet im Wald eine goldene Krone, die er an sich nimmt, und wird daraufhin auf seinem weiteren Weg von einem Ritter auf einem mächtigen schwarzen Streitroß beinahe tödlich verletzt. Nur durch den ihm zu Hilfe eilenden Galaad kann ihm das Leben gerettet werden. Galaad bringt den Verwundeten zu einem Kloster, und dort erfährt Meliant, daß er auf Grund seiner Sünden an dem linken Weg gescheitert sei (ebd., 90,27ff.). Er habe die Inschrift - so erklärt es der Geistliche - falsch gedeutet; denn die schrifft meynt von geistlicher ritterschafft, während Meliant an werltliche ritterschafft gedacht habe (ebd., 92,33f.). 559 Hier gilt nicht die Tapferkeit oder âventiure-Bereitschaft des Ritters, sondern ausschlaggebend ist die Gottesfürchtigkeit, das volkumen[-Sein] in der gottes mynne (ebd.). Meliant scheitert also an dem linken Weg - so legt es der Geistliche nahe -, weil er nicht die Festigkeit des Glaubens, sondern seine bloße Tapferkeit habe unter Beweis stellen wollen (wann du gedecht, du solltest wol durchkomen durch din biederbkeit, 560 ebd., 92,31f.) und überdies die Krone an sich genommen habe. 561 Den linken Weg, der gleichzeitig der beschwerliche Weg ist, kann also nur derjenige beschreiten, dessen Liebe zu und Glaube an Gott vollkommen sind - nur dann könnten ihm die Versuchungen des Teufels nichts anhaben: 562 ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 263 Kommentar Steinhoffs zur Stelle, ‹Tod des Artus›, S. 1089). Diese Hinzufügung steht der späteren Deutung durch den Geistlichen entgegen, der Meliant ja darauf hinweist, er hätte den rechten Weg einschlagen sollen (vgl. ‹Tod des Artus›, 92,22ff.). Der mhd. Text hat demnach - sofern die Abweichung nicht auf eine andere Vorlage zurückgeht - die im französischen Text begegnende unstimmige Erläuterung sinnvoll verändert. 558 Vgl. Harms, Homo viator in bivio, bes. S. 41, 46 und 264ff. 559 Vgl. auch Ehlert, Normenkonstituierung, S. 115. 560 Diese Fehlinterpretation der Inschrift durch Meliant zeigt sich auf sprachlicher Ebene in den Bedeutungsschattierungen von biderbe bzw. biderbekeit: Während Meliant die Konnotationen von ‹Tapferkeit› als Grundlage seiner Wegwahl heranzieht, scheint die Inschrift - so wird es der Geistliche darlegen - hingegen auf den Bedeutungsbereich von ‹Frömmigkeit› abzuzielen. 561 Der Geistliche deutet beide Handlungen Meliants als Todsünden: Hybris (Wegwahl) und Begierde/ Habgier (Entwendung der Krone), vgl. ‹Tod des Artus›, 92,35-94,7. 562 Als Teufel (fynt) deutet der Geistliche den Ritter auf dem schwarzen Streitroß, der Meliant im Wald angegriffen habe. Nur das Kreuz, das Meliant geschlagen hätte, habe ihn vor dem Tod bewahrt (‹Tod des Artus›, 94,5ff.). Nicht das Prinzip der (arthurischen) âventiure, sondern das Prinzip der Gottesfürchtigkeit bestimmt hier die Wahl des Weges - so wie es der Bote von Nasciens zu Beginn der Gralsuche vorhergesagt hatte: Wann diese suchung [nach dem Gral] sol nit sin von wúnderlichen sachen, s v nder sol sin von inniglicher lieb unsers herren von der hohen lerung das der meyster kurczlichen leren sol und den g v ten ritter, den er hat uß erlesen zu synem dinst vor andern werntlichen rittern […]. (‹Tod des Artus›, 44,4ff.) In der Meliant-Episode (wie in der Gralsuche überhaupt) wird also eine âventiure-Kritik deutlich, indem das Prinzip der ‹geistlichen Ritterschaft› der ‹weltlichen Ritterschaft› gegenübergestellt wird, was gleichzeitig zur Folge hat, daß das Erzählen von âventiure, also auch die Gattung des Artusromans entwertet wird. Dem diametral gegenüber steht die Aussage des Herzogs von Clarence, man müsse um der âventiuren willen alle Straßen wählen, wie auch immer es um den Ausgang des ‹Abenteuers› bestellt sei (LG II, 234). 563 Entgegen der Gralsuche wird somit auch auf der Figurenebene an das traditionelle âventiure-Prinzip, wie es im ‹klassischen› Artusroman begegnet, angeknüpft. Die Rezipienten werden also sowohl durch die Äußerung des Herzogs von Clarence als auch durch die Verbindung zwischen dem ‹Tal ohne Wiederkehr› und Morgane dazu angehalten, die folgende narratio im (Gattungs-)Horizont ‹Artusroman› zu lesen, was durch das in der Episode aufscheinende Wunderbare weiterhin unterstrichen wird. Die Beschreibung respektive Erklärung des Tals und seiner besonderen Disposition erinnert an die Erläuterungen, die der Erzähler gibt, wenn er den See, also Niniennes Herrschaftsbereich in die Erzählung einführt: Auch hier verweist er auf Merlin, von dem Morgane die Fähigkeit zu zaubern erlernt habe (ebd., 234,30f.), kommentiert den das Tal umgebenden Zauber und gibt ferner den Grund an, warum Morgane das Tal geschaffen habe: Sie habe einen Ritter geliebt, der sie jedoch verschmäht und eine andere Dame zur Freundin genommen habe. Als Morgane das Paar in einem lieblichen Tal überraschte, habe sie mit einem Bann dafür gesorgt, daß kein Ritter, der jemals irgendeine Art von Untreue in der Liebe begangen habe, das Tal wieder verlassen könne. Nur derjenige, der der minnen nie kein untruwe getan hett mit keynerhand sachen, könne den Bann brechen und die bereits gefangenen Ritter erlösen (ebd., 234,31-236,15). Darum, so der Erzähler, habe das ‹Tal ohne Wiederkehr› auch das Tal Falscher Minner geheißen (ebd., 236,26). Gemildert wird der Bann allerdings durch die Tatsache, daß Damen und Knappen das Tal ohne Probleme betreten und wieder verlassen können, so daß es den gefangenen Rittern nicht an Gesellschaft fehlt. Auch für die höfische Unterhaltung ist insofern gesorgt, als den Rittern von Morgane schöne Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden (ebd., 236), und sie ferner die Möglichkeit haben, sich an der 264 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 563 Diese Ambivalenz und Variation des bivium bzw. der Wegwahl erkennt Harms als ein grundlegendes Merkmal des ‹Prosa-Lancelot›, Homo viator in bivio, bes. S. 250-286. Jagd zu erfreuen. Ein Ort des immerwährenden Schreckens ist der hortus conclusus also nicht - lediglich der Zwang, in dem Tal verweilen und auf Erlösung warten zu müssen, wird als Bedrohung dargestellt. 564 Wie der wunderbare Garten bei der Burg Brandigant in Chrétiens ‹Erec› 565 ist auch das ‹Tal ohne Wiederkehr› durch Zauberei mit nichts als Luft umschlossen: da was der tal nirgent gemuret dann mit der lucht (LG II, 234,27f.). 566 Sowohl durch diese Anklänge an den ‹Erec› - die noch durch die enge Verbindung zur minne-Thematik unterstrichen werden - als auch durch die Figur Morgane gerät das ‹Tal ohne Wiederkehr› also zu der für den ‹klassischen› Artusroman typischen wunderbaren (Gegen-)Welt, 567 der der Artusritter entgegentritt. Dieses Wunderbare manifestiert sich in der Episode vor allem beim Eintritt in das ‹Tal ohne Wiederkehr›, bei dem der eintretende Ritter drei Hindernisse zu überwinden hat: 568 Es handelt sich dabei um vier Drachen, die in einem tiefen Keller angekettet sind, die Überquerung eines Flusses über einen schmalen Steg, der von zwei Rittern bewacht wird, und das Erklimmen einer schmalen Stiege, die wiederum von einem Ritter gehütet wird. Ebenso wie bei der Eroberung der Dolorosen Garde wird der Weg in das ‹Tal ohne Wiederkehr› durch Wächter und Hindernisse gekennzeichnet, die an bekannte Schilderungen von Unterweltsreisen erinnern: Insbesondere der Eingang, der durch einen tiefgelegenen Keller führt, also deutlich an einen descensus ad inferos gemahnt, ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 265 564 Hinzu kommt natürlich auch, daß die Gefangenen insofern ihre êre einbüßen, als durch ihre Gefangenschaft in dem Tal ihre Untreue in der minne deutlich wird - das zunächst unbekannte Fehlverhalten wird somit durch das Unvermögen, das Tal zu verlassen, vergegenwärtigt und gleichsam äußerlich. 565 «El vergier n’avoit an viron/ mur ne paliz, se l’air non; / mes de l’air est de totes parz,/ par nigromance clos li jarz, […]» (‹Erec et Enide›, Vv. 5689-5692). In Hartmanns ‹Erec› heißt es im Hinblick auf die ‹Verschlossenheit› des Gartens: man sach ein wolken drumbe gân (V. 8751), und vorher hält der Erzähler ebenso wie bei Chrétien fest, daß nichts (weder Mauer noch Zaun oder Graben) den Garten umgeben habe, was man begrîfen könne (V. 8707). Durch die Wahl dieses Verbs entsteht somit bei Hartmann erneut (vgl. Kap. I.1.3 d.A.) ein Spiel mit unterschiedlichen Konnotationen, die sich von ‹anfassen› bis zu ‹verstehen› erstrecken: Das, was den Garten umgibt, kann im wörtlichen Sinne nicht angefaßt und damit nicht als res facta verstanden werden. 566 Auch am Sachsenfels findet sich an der Flußseite eine Pforte, die (von der Zauberin Gartissie? ) verzaubert und nur mit Luft verschlossen ist («Gein dem waßer was ein pfort mit zaubery so gemacht das sie die luht besloß; und wer darfúr qwam der darumb nit enwúst, er hett gewet das alle die welt die porte nit gewinnen möcht.» LG I, 1248, 21ff.). 567 Vgl. auch Knapp, Märchenhaftes Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), S. 206. Daß hier erklärt wird, wie es zu der Entstehung der âventiure gekommen ist, muß nicht als Rationalisierung dieser Wunderwelt verstanden werden - erinnert sei hier an die Pesmeâventiure im ‹Yvain› bzw. an die Burg zum schlimmen Abenteuer. 568 Da der Herzog von Clarence bereits an dem zweiten Hindernis, einer Brücke, über die ein langer schmaler Steg führt, der von zwei Rittern bewacht wird, überwältigt wird (LG II, 238,18ff.), dient hier der Eintritt Lancelots in das ‹Tal ohne Wiederkehr› als Grundlage der Überlegungen. und der bewachte Fluß mit der schmalen Brücke, 569 die in das Tal führt, unterstreichen diese Parallelen. Während in der Dolorosen Garde jedoch letztlich offenbleibt, wer der Urheber des Wunderbaren ist, können die den Eintritt in das Tal erschwerenden Hindernisse als (Zauber-)Werk Morganes erkannt werden, so daß gleichsam deutlich wird, daß der Eingang in das Tal «Züge der Unwelt trägt, ohne sie eindeutig zu sein». 570 Dies wird noch dadurch unterstrichen, daß Lancelot, der die beiden ersten Hindernisse erfolgreich überwunden hat, glaubt, an der Hand verletzt zu sein, und daraufhin die Manikel von seiner Hand nimmt: Als er den Ring erblickt, den ihm Ninienne vor seiner ersten Begegnung mit Ginover übergeben hatte (vgl. LG I, 360,2ff.) und der die Kraft besitzt, Gaukelwerk und Zauberei offenzulegen, 571 erkennt er die Zauberei - weder von dem Fluß noch von dem gerade in die Flucht geschlagenen Ritter ist etwas zu sehen - und ärgert sich darüber, umsonst gekämpft zu haben (LG II, 244,30). 572 Deutet man diese punktuelle ‹Aufhebung› des Zaubers als Rationalisierung des ‹Märchenhaft-Wunderbaren›, dann bleiben m.E. zwei Aspekte unberücksichtigt, und zwar erstens der Ursprung von Lancelots Erkennen des Gaukelspiels; denn Lancelot erkennt den Zauber nur auf Grund des Rings, den ihm seine feenhafte Ziehmutter hat zukommen lassen - die Entdeckung des Blendwerks wird also mittels eines anderen wunderbaren Gegenstandes erreicht. 573 Die vermeintliche Rationalisierung des Zaubers wird somit partiell 266 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 569 Vgl. den aus der ‹Aeneis› bekannten Acheron, der auch im ‹Roman d’Eneas› und dem ‹Eneasroman› begegnet (hier als Phlegethon, 91,11), und den Styx (auch hier Acheron, Pyriphlégeton und Kokytos, X, 511ff.) der ‹Odyssee›. Vgl. ferner den Sumpf im ‹Wigalois›, über den eine Brücke ins Reich des Roaz führt, dessen Eingang von dem Schwertrad versperrt wird (Vv. 6767ff.). 570 Knapp, Märchenkomik. In: Historie und Fiktion (II), S. 138. 571 « ‹Diß fingerlin hatt die krafft›, sprach sie, ‹das es allerhand gauckel und zaubery entdecket und mag sie geoffenbaren.› » (LG I, 360,2-4) und «Vor dem fingerlin kund keyn zaubery bestan noch keyn gauckel.» (LG II, 244,27f.). 572 Damit wird - wie Schmid im Hinblick auf das im ‹Didot-Perceval› begegnende Wunderbare festhält - «zusätzlich zum göttlichen Wunder, zum Teufelswerk und zum Feenzauber noch eine Deutungskategorie anderer Art ins Spiel [gebracht]: die übernatürliche Erscheinung als Ausgeburt des Kopfes, als subjektive Wahrnehmungsstörung». Schmid, Elisabeth: Da staunt der Ritter, oder der Leser wundert sich. Semantische Verunsicherungen im Wald der Zeichen. In: Das Wunderbare in der arthurischen Literatur, S. 79-94, hier S. 83. Gleichwohl muß hier bemerkt werden, daß diese ‹Wahrnehmungsstörung› nur punktuell expliziert wird, und Lancelot sogleich gegen weitere Hindernisse ankämpft, als hätte er den Zauber nie erkannt. Will man hier also von einer Störung der Perzeption sprechen, dann muß bedacht werden, daß sie sowohl die Protagonisten (nicht nur der Herzog von Clarence, sondern auch die Lancelot begeleitende Dame wird vom Zauber getäuscht! ) als auch die Rezipienten betrifft, die auf Grund Lancelots weiterer Kämpfe ebenso dazu aufgefordert werden, dem Zauber bzw. der Illusion zu folgen. 573 Vgl. auch die Überquerung der Schwertbrücke durch Lancelot: Auch hier verhilft ihm der Ring Niniennes dazu, den ihn am Ende der Brücke erwartenden Zauber (riesenhafter Mann und zwei Löwen) zu durchschauen: «Da er des geware wart, er schneid den riemen von der lincken manickel enzwey und besah ein vingerlin das im sin frau von dem Lack wieder aufgehoben, wenn deutlich wird, daß dieses Erkennen lediglich durch ein anderes zauberhaftes Hilfsmittel bedingt ist. Ebenso wie der See Niniennes sind also auch die zu überwindenden Hindernisse am Eingang des ‹Tals ohne Wiederkehr› als fictiones gekennzeichnet, 574 die allerdings sowohl dem Protagonisten als auch den Rezipienten erst nachträglich als solche offenbar werden. Umso erstaunlicher ist, daß Lancelot, hat er doch den Zauber gerade erst durchschaut und ‹umsonst› gekämpft, dem letzten Hindernis ebenso gegenübertritt wie den Drachen und den Rittern am Fluß. Er erklimmt die Stiege, die in einen großen Saal führt, und kämpft dort gegen drei Ritter, die er allesamt niederschlägt. Nur einer der drei flüchtet zunächst in einen Baumgarten und dann über einen See, der mit zauber gemacht [was] (LG II, 246,21). Der Gegenzauber wirkt also nur kurz, und Lancelot verhält sich weiter gemäß den Regeln der wunderbaren Gegenwelt: Ob der Kampf genauso sinnlos ist, wie der gegen die Drachen oder die beiden Ritter, wird völlig ausgeblendet und spielt für Lancelot keinerlei Rolle mehr - was für die Rezipienten gleichzeitig dazu führt, Lancelots Wahrnehmung, die ersten Kämpfe seien sinnlos gewesen, zu hinterfragen. Dem gerade entlarvten Gaukelwerk wird auf der Figurenebene nun doch wieder begegnet, als sei es ‹wirklich›. Dies zeigt sich am deutlichsten an der Überquerung des Zaubersees durch Lancelot. Während die Dame, die Lancelot begleitet, ihn vor dem Ertrinken warnt, äußert Lancelot: « ‹Joch ging er [der flüchtende Ritter] daruber, […] als sippe ist mir das waßer als im, ich wart doch in dem waßer gezogen! › » (ebd.). Lancelot selbst gibt hier keine rationalisierende Deutung des Sees (ebensowenig der Erzähler), er verweist vielmehr auf seine Herkunft aus dem Reich der Dame vom See, dessen feenhafte Züge zwar gemildert, aber nicht gänzlich aufgegeben sind (vgl. Kap. II.5.1 d.A.). Damit stilisiert sich Lancelot nicht nur selbst als Bestandteil der wunderbaren (Gegen-)Welt Morganes, sondern er betont überdies das Feenhaft-Wunderbare von Niniennes Reich. Lancelot erscheint somit nicht auf Grund seiner unbedingten Liebe zu Ginover als Erlöser des Tals, sondern auch wegen seiner Zugehörigkeit zum Reich Niniennes: Wie der Ring der Dame vom See den Zauber Morganes punktuell entlarvt, so bricht ihr Zögling letztlich den das Tal bestimmenden Bann. Damit aber sind auch die Rezipienten vor die Frage gestellt, wie es um die Konstitution des Wunderbaren bestellt ist. Die Ausprägungen des Wunderbaren oszillieren zwischen zauberischem Blendwerk, mythisch-sagenhaften Elementen und poetisch-literarischem ‹Märchenwunder›, womit gleichzeitig an die verschiedenen Konnotationen des fingere erinnert wird: Morganes Zauber erscheint auf der Figurenebene zwar punktuell als Täuschung, als Illusion, doch - so Stierle - «es bedarf in dieser Welt des Zauberrings, um die Welt vom Trug befreit als diese selbst zu sehen, aber wäre ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 267 geben hett. Da sah er zun lewen wert, und er kund ir keinen gesehen wedder man noch lewen und wust zuhant wol das es gauckel was» (LG II, 394,19-24). 574 Im traditionellen Sinne verstanden als bewußte Täuschungen, vgl. dazu Stierle, Art. ‹Fiktion›, bes. S. 390ff. dies nicht eben selbst ein Trug? ». 575 Dieses Zitat bezieht sich ursprünglich auf Ariosts ‹Orlando furioso›, trifft aber ebenso auf die hier betrachtete Episode des ‹Prosa-Lancelot› zu. 576 Wenn die Entdeckung des Zaubers von einem weiteren Zauber abhängt, die res ficta die figmenta entlarvt, dann werden die Rezipienten letztlich dazu angehalten, diese besondere Konstitution des Wunderbaren als bewußte Auseinandersetzung mit dem Aspekt der Fiktionalität anzuerkennen: Wie dieses Wunderbare auf der Figurenebene Trug (Entlarvung) und Schöpfung (Zaubersee) zugleich ist, vereint es auch auf Ebene des discours die Aspekte der «Hervorbringung einer ästhetischen Form und Bewirkung eines Trugs». 577 Der Zeltbeschreibung im ‹Erec› vergleichbar (vgl. Kap. I.1.3 d.A.) wird also auch hier eine in die narratio verlegte Reflexion über Fiktionalität geboten, die die traditionelle Doppeldeutigkeit des fingere implizite thematisiert. Sobald die Rezipienten dies auf das Erzählte selbst übertragen und sich darüber hinaus der Anklänge an die fiktionale Gattung des Artusromans, wie sie in der Episode begegnen, erinnern, gerät auch das Erzählen vom ‹Tal ohne Wiederkehr›, zu einer narratio, in der die res fictae - nicht zuletzt auf Grund ihrer im Erzählten sich offenbarenden Ambivalenz - eine ‹Autonomisierung› erfahren, die die Grenzen der Historizität deutlich überschreitet: Morganes Zauber mag auf Figurenebene zwar kurzzeitig als Trug entlarvt werden, aber nicht zuletzt dadurch, daß hier das Wunderbare den Zauber entlarvt, bietet sich den Rezipienten gleichermaßen die Möglichkeit, die gesamte Episode als ästhetische Form von Trug oder positiv gewendet als fiktionale Erzählung zu erkennen, die nicht den Glauben an Historizität, sondern den Glauben an die poietische Macht von Literatur ein- und erfordert. Im folgenden letzten Unterkapitel soll dieses Ergebnis anhand der Untersuchung der Episode im ‹Verlorenen Wald› überprüft und ergänzt werden. II.5.5 Der Tanzbann im ‹Verlorenen Wald› Auf der Suche nach seinem Halbbruder Hector gelangt Lancelot in Begleitung eines Knappen zu einem dichten Wald, 578 an dessen Eingang sich eine Kapelle befindet. Auf einer Marmorwand bei dem Eingang zur Kapelle entdeckt Lancelot eine Inschrift, die jeden Ritter davor warnt, den Wald zu betreten: 268 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 575 Stierle, Art. ‹Fiktion›, S. 401. 576 Es geht hier wohlgemerkt nicht darum, weitreichende Parallelen zwischen dem romanzo und dem ‹Lancelot› zu postulieren; aber nichtsdestominder macht gerade dieses Zitat Stierles, das auch auf den ‹Lancelot› hätte gemünzt sein können, deutlich, daß die insbesondere von Knapp vorgenommene Differenzierung in Mirakel auf der einen und bloßer Magie auf der anderen Seite, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 210, zu schematisch anmutet. 577 Stierle, Art. ‹Fiktion›, S. 401. 578 Vgl. zu dieser Episode die psycho-analytisch ausgerichteten Überlegungen von Welz, Dieter: Lancelot im Verlornen Walt. Zu Struktur und Sinn einer Episode aus dem deut- ‹O du ritter und alle die ritter die dißen weg herkoment, abenture zu súchen, und der nit sterben will sol vermyden dißen weg, wann du darvon nit magst sunder schande und mercklichen schaden libs und eren noch sunder dem tode! › (LGr. I, 580,15-19) Obgleich auch der Knappe ihn warnt, schenkt Lancelot der Inschrift keine weitere Beachtung und hält an seinem Entschluß fest, den Wald zu durchqueren; weder die Inschrift noch andere Dinge würden ihn davon abhalten, in den Wald zu reiten: ich will dard v rch (ebd.). 579 Auch der nun erscheinende Eremit kann Lancelot nicht dazu bewegen, von seinem Vorhaben abzulassen. Er überredet ihn lediglich dazu, über Nacht zu bleiben und seinen Weg am kommenden Tag fortzusetzen. Als Lancelot mehr über die Inschrift und den Wald erfahren will, antwortet ihm der Einsiedler, daß die buchstaben me wann sehs jare (ebd.) dort gestanden hätten, und auch dies bestärkt Lancelot noch in seiner Absicht: dann ich blib zuvil lang (ebd.). Während also der Eremit durch die Zeitangabe betont, daß die Warnung der Inschrift zu beachten sei, da schon seit einigen Jahren kein Ritter den Wald erfolgreich durchquert habe, interpretiert Lancelot die Antwort auf andere Weise: Da die inscriptio schon seit langer Zeit Ritter davor warne, in den Wald zu reiten, habe er bereits zu viel Zeit verstreichen lassen und müsse sich dieser âventiure nun endlich annehmen. Auch der Hinweis des Eremiten, daß der Wald der ‹Verlorene Wald› heiße, weil kein Mensch wieder hinausfinde (ebd., 584,13-16), 580 bestärkt Lancelot in seinem Vorhaben: ‹Das ist wunder›, sprach Lancelot, ‹das nÿmands wiedder kompt, ich meyn, es sy der W e g s u n d e r W i d d e r k e r e; […] so helff mir gott númmer, ob das ich umb keyn sach gelaß, ich ziehe darinn und wiß wo hien alle die ghene komen die dainn bliben sint.› (ebd., Herv. Verf.) Ebenso wie der Herzog von Clarence aus âventiure-Bereitschaft den Weg durch das ‹Tal ohne Wiederkehr› wählt, ist also auch Lancelot gewillt, den vermeintlichen ‹Weg ohne Wiederkehr› einzuschlagen. Daß Lancelot hier selbst die Bezeichnung ‹Weg ohne Wiederkehr› wählt, ist insofern bedeutsam, als damit auf der Figurenebene ein innertextlicher Bezug sowohl zum ‹Tal ohne Wiederkehr› als auch zum ‹Land ohne Wiederkehr› hergestellt wird. Lancelot selbst etabliert damit eine Verbindung zwischen der nun folgenden Tanzbann- ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 269 schen ‹Prosa-Lancelot›. In: ZfdA 107 (1978), S. 231-247, und ders.: Poetry and Truth: On Two Episodes of the Medieval Prose-Lancelot. In: Euph. 73 (1979), S. 121-131. 579 Auch hier zeigt sich wiederum die bereits untersuchte Problematik der im ‹Lancelot› begegnenden Inschriften, da Lancelots Mißachtung der inscriptio (und der mündlichen Warnungen) letztlich dazu führt, daß er den Tanzbann im ‹Verlorenen Wald› bricht. Das Ignorieren der Warnung erweist sich somit rückblickend als richtige Entscheidung Lancelots, während die Aussage der Inschrift zumindest im Hinblick auf Lancelot in die Irre führt. 580 Dem steht sowohl die Inschrift, die sich ausdrücklich auf Ritter bezieht, als auch die Aussage des Knappen, er kenne den Weg durch den Wald, entgegen. Episode und seinen beiden anderen Erlösungsfahrten. 581 Für die Rezipienten ist dies somit auch eine implizite Vorausdeutung auf den erfolgreichen Ausgang der nun folgenden âventiure, da sie Lancelot aus dem bisher Erzählten als den Protagonisten kennen, der bereits zweimal einen vermeintlichen ‹Weg ohne Wiederkehr› erfolgreich beschritten hat. Entgegen den zuvor untersuchten Episoden ist der Eingang in den Wald durch keinerlei wunderbar-zauberisches Hindernis versperrt. Trotzdem wird mit Lancelots Eintritt in den ‹Verlorenen Wald› deutlich, «daß hier die lange Tradition […] des wilden waldes weiterlebt, den der höfische Roman als ‹märchenhaftes› und mythologisches Motiv übernahm und als seinen typischen Raum der wunderbaren Abenteuer immer wieder beschrieben hat». 582 Der ‹Verlorene Wald› erinnert somit an den durch Wace und vor allem durch Chrétien bekannt gewordenen Zauberwald von Broceliande, dem ‹gattungsgemäß› traditionellen Ort der âventiure. 583 Die narratio gerät damit in die Nähe des im ‹klassischen› Artusroman begegnenden ‹märchenhaften› Erzählens, insofern sie bestimmte Motive (Wald, wiederholte Warnungen) und Erzählmodi bemüht und somit auf das literarische (Vor-)Verständnis der Rezipienten rekurriert. Zur Primzeit begegnet Lancelot und dem Knappen eine junge Dame, die Lancelot erneut vor seinem Weg durch den Wald warnt und dann davonreitet. Kurz darauf gelangen die beiden an einen Turm, der von einer grünen Wiese umgeben ist (LGr. I, 586,28ff.). Auf der Wiese sind dreißig wunderschöne Zelte aufgeschlagen, zwischen denen vier Quellen ineinanderfließen. 584 Zwischen diesen Quellen befindet sich ein mit grünem Brokat bezogener Sessel, auf dem eine goldene Krone liegt. Die Wiese ist weiterhin bevölkert von Rittern, Damen und jungfrouwen, die sich ihre Zeit mit Singen und Tanz vertreiben. Als Lancelot dieses Treiben sieht, will er sogleich den Grund für die groß freud erfahren und nähert sich den Tanzenden (ebd., 588,7ff.). Bereits hier zeigt sich, daß die narratio von ‹märchenhaft› anmutenden Elementen geprägt ist, was sich zuallererst in der Schilderung des Ortes offenbart. Der dunkle Wald öffnet sich zu einer wunderschönen Lichtung: der locus terribilis wird 270 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 581 Gemeint sind die Befreiung der in Morganes Tal gefangenen Ritter sowie die Befreiung Ginovers aus Gorre. 582 Ruberg, Raum und Zeit, S. 59. Die Episode vom ‹Verlorenen Wald› belegt, daß Rubergs weitere Schlußfolgerung, im ‹Prosa-Lancelot› seien innerhalb des Waldes «nur noch selten Zaubermächte» anzutreffen, ebd., nur bedingt zutrifft. Auch Lancelots dritte Gefangenschaft durch Morgane nimmt ihren Anfang in einem Wald. Zum Waldmotiv vgl. auch Roloff, Volker: Der Märchenwald als Traum. Zur Interpretation von Märchenmotiven in der Artusepik (‹Tristan› und ‹Lancelot en prose›). In: Artusrittertum im späten Mittelalter. Ethos und Ideologie, S. 146-158, sowie Welz, Lancelot im Verlornen Walt, ders., Poetry and Truth, und Wagner-Harken, Märchenelemente, S. 87. 583 Vgl. Roloff, Der Märchenwald, bes. S. 149. 584 Im ‹Lancelot en prose› sind es keine Quellen, sondern drei hohe Kiefern (III. granz pins, Micha, Bd. IV, S. 234), die die Wiese schmücken, vgl. auch den Kommentar Steinhoffs zu LGr. I und LGr. II, S. 816. zum locus amoenus. Auch die vier Quellen (brunnen) verleihen dem hier geschilderten Raum eine ans Märchen gemahnende Atmosphäre, insofern sie an die aus der (arthurischen) Erzähltradition bekannte wunderbar-literarische Umgebung erinnern (vgl. ‹Yvain›, Vv. 410ff., ‹Iwein›, Vv. 990ff., vgl. auch ‹Diu Crône›, Vv. 12809). 585 Daß diese Reminiszenzen bewußt in das Erzählte eingefügt wurden, zeigt sich daran, daß es sich hier um einen der eher seltenen Eingriffe des Bearbeiters handelt, denn im französischen Text sind es drei Kiefern, die die Lichtung zieren. 586 Will man hier nicht von einem Übersetzungsbzw. Lesefehler ausgehen, dann kann die Hinzufügung des Quellenmotivs als intertextueller Verweis verstanden werden, der an das Gattungsverständnis der Rezipienten appelliert und dementsprechend dazu führt, daß das ‹Märchenhaft›- Wunderbare an Präsenz gewinnt. Lancelot, der sich nun zu den Tanzenden gesellt hat, überkommt sogleich eine unbeschreibliche Freude, die ihn alles vergessen läßt: «er vergaß syner frauwen der koniginn, syner gesellen und synselbs so gar das im nichts me gebrast» (LGr. I, 588,15f.). Welz deutet diesen ‹Selbstverlust› des Helden unter Rückgriff auf Hegel und Horkheimer/ Adorno als in sich ambivalente Selbstentäußerung und Selbstfindung, deren positive Unabhängigkeit im Erzählkosmos letztlich negativ als Narretei verstanden werde. 587 Welz ist insofern zuzustimmen, als Lancelots ‹Selbstvergessenheit› durch den Zusatz, «daß es ihm an nichts mehr fehlte», gemildert wird. Ob damit jedoch tatsächlich eine ‹Selbstfindung›, ein ‹Zauber des Genusses› im Sinne der Frankfurter Schule 588 geschildert wird, halte ich für fraglich. Der positive Zusatz des Erzählers scheint hier vielmehr die Perspektive des Protagonisten zu übernehmen, der auf Grund des ihn plötzlich bestimmenden (Zauber-)Bannes wunschlos glücklich scheint: Vielmehr als ein Zauber des Genusses wird damit der (trügerische) Genuß des Zaubers evident. Dies zeigt sich insbesondere im Vergessen der Minneherrin, auf die Lancelots Taten und sein hercz bisher ausgerichtet waren: War Lancelots Herz bisher bei Ginover bzw. Ginover in seinem Herzen, so ist sein hercz nun vol anderer freuden (ebd., 588,12). Gleichzeitig aber singt Lancelot, sobald er dem Tanzbann verfallen ist, ein Lied über Ginover: «Er 589 ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 271 585 Diese Tradition lebt auch in einigen Romanen der frühen Neuzeit fort; so trifft Reymund im Wald an einem Brunnen auf Melusine, S. 23f., und auch Fortunatus begegnet im wilden Wald in der Nähe eines Brunnens der Jungfrau des Glücks, S. 428,2f. 586 Vgl. Anm. 584 d. Kap. Allerdings ziert auch den Brunnen im ‹Yvain› eine schöne Fichte (Vv. 413f.). 587 Welz, Lancelot im Verlornen Walt, S. 238. Vgl. - allerdings mit anderer Akzentuierung - auch Klinger, Der mißratene Ritter, S. 285ff. 588 Horkheimer, Max/ Adorno, Theodor: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. 2. Aufl. Frankfurt a.M. 1969, S. 127. 589 Warum Steinhoff hier - wohl in Anlehnung an den ‹Lancelot en prose› - mit ‹M a n sang ein Lied von der Königin Ginover […]› (Herv. Verf.) überträgt, ist mir nicht einsichtig, da der Fokus der narratio auf Lancelot gerichtet ist und gerade durch das Lied über Ginover ein innertextlicher Verweis etabliert wird. sang ein lied von der konigin Genover […]: ‹Fúwar, wir han eyn schön konigin vor allen andern.› » (LGr. I, 588). Gerade durch diese Gegenüberstellung vom Vergessen der Königin auf der einen und ihrem Besingen auf der anderen Seite entsteht aber auch eine gewisse Komik, da der «Kern der Lancelot-Geschichte: die Ginevra-Liebe» 590 geradezu ironisch reflektiert bzw. parodiert wird: Sind sonst Lancelots Wahnsinn (folie) und seine ‹Selbstvergessenheit› (penser) typisches Zeichen bzw. Folge seiner minne zur Königin, 591 so ist hier das durch den Zauberbann bedingte närrische Verhalten Ursache für das Vergessen der minne; Ursache und Wirkung des Wahnsinns werden damit geradezu umgekehrt. 592 Indem Lancelot also ein Lied über Ginovers Schönheit singt und gleichzeitig kundtut, daß er für niemanden den Tanz verlassen werde (ebd.), entwirft er gleichsam selbst eine Parodie - im wörtlichen Sinne verstanden als ‹Gegengesang› - des bisher Erzählten, da der durch den Zauber bedingte Wahnsinn zum Vergessen der Liebe führt und dennoch das ursprüngliche Ziel dieser minne, die Geliebte, weiterhin besungen wird. Diese die Episode akzentuierende Komik wird noch unterstrichen, wenn Lancelot dem zweiten Versuch des Knappen, ihn zum Weiterreiten aufzufordern, mit den Worten ‹G v ten morgen, C v ncz! › (ebd., 590,2) begegnet, und der Knappe betrübt darüber weiterzieht, daß der best ritter dißer welt […] durch zaubery bezwungen worden sei (ebd.). Im ‹Lancelot en prose› lautet Lancelots Antwort bzw. der Text des gesungenen Liedes, «Führwahr, es ist gut, die Liebe zu hüten/ zu bewahren» 593 (Voirement fait il bon maintenir amors, Micha, Bd. IV, S. 236). Dies fügt sich freilich besser in die Liebesthematik und unterstreicht die Ambivalenz des Banns, der die Liebe zur Königin vergessen läßt, aber gleichzeitig dazu führt, in Liebe zu dem Tanz zu ‹entbrennen› (pris par folie et anchantement, ebd.). Nichtsdestominder wird durch das im mhd. Text aufscheinende burleske Element 594 Lancelots Narrentum noch exponiert, wenn er dem Knappen völlig zusammenhangslos mit einem Lied, das einen «beson- 272 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 590 Ruh, Kurt: Lancelot. In: Der arthurische Roman. Hg. Kurt Wais. Darmstadt 1970 (Wege der Forschung, 157), S. 237-256, hier S. 241. 591 Vgl. LGr. I, 768. 592 Gerät Lancelot ansonsten «im Bann der Königin [zu] einer grotesken Figur», Haug, Das erotische und das religiöse Konzept, S. 256, so wird das Groteske hier gerade im durch den Zauber bedingten Vergessen sichtbar. 593 In Steinhoffs Kommentar findet sich die Übersetzung: «Fürwahr, es tut gut, verliebt zu sein» S. 817. Diese Übertragung ist m.E. insofern weniger sinnvoll, als sie den Bezug zum Ursprung des Zaubers verwischt, der in dem Verb maintenir = ‹hüten›, ‹bewahren› bzw. ‹festhalten› gewahrt bleibt: Obgleich Lancelot sich selbst und seine Liebe zur Königin vergißt, bleibt sie doch in dem von ihm gesungenen Lied bewahrt - das Vergessene und zugleich Bewahrte wird somit in dem gesungenen Lied gleichsam veräußerlicht. Vgl. zu den Übersetzungsmöglichkeiten von maintenir Greimas, A[lgirdas] J[ulien]: Dictionnaire de L’ancien France jusqu’au milieu du XIV e siècle. 2 e édition, revue et corrigée. Paris 1968, S. 381 (conserver, garder). 594 Vgl. auch den Kommentar Steinhoffs zu LGr. I und LGr. II, S. 817. ders für Bauern vielgebrauchte[n] Allerweltsname[n]» 595 beinhaltet, antwortet. Der Name des Tölpels fällt damit auf den singenden, springenden Lancelot selbst zurück und läßt ihn umso deutlicher als Narren erscheinen. Gleichzeitig aber dient die in der Episode begegnende Komik dazu, den ‹märchenhaften› Duktus des Erzählten noch zu unterstreichen. Nicht nur die Tatsache, daß Lancelots Narretei letztlich Folge eines Zauberbannes und somit selbst wunderbaren Ursprungs ist, sondern vor allem die enge Verbindung zwischen Komik und innerrespektive intertextuellen Verweisen der Episode macht dies deutlich. Daß Lancelot den Bann nur brechen kann, indem er ihm zunächst selbst verfällt, ist das eine; zum anderen jedoch gerät die Episode für die Rezipienten auch zu einer spielerischen Auseinandersetzung mit den ‹Märchenelementen› der arthurischen Gattungstradition: Während die Umgebung (finsterer Wald, schöne Lichtung, Quellen) an die ‹wunderbar-märchenhafte› Gegenwelt des Artusromans erinnert, erscheint die in dieser Welt zu bestehende âventiure zunächst als Burleske - der zur Erlösung auserwählte Ritter verfällt selbst der den Ort beherrschenden costume und wird somit umso deutlicher in diese literarische Anderswelt integriert, ja von ihr aufgesogen. Damit aber wird gleichzeitig signalisiert, daß die Anklänge an die wunderbar-fiktionale Erzählwelt des ‹klassischen› Artusromans die narratio dominieren, denn Historizitätsmerkmale oder narrative Re-Historisierungsstrategien begegnen hier nicht, im Gegenteil: Das Wunderbare - zunächst in Form von literarischen Reminiszenzen und bekannten (‹Märchen-›)Motiven präsent - erfährt eine Verselbständigung, die auf der Ebene der narratio sogar kurzzeitig den Protagonisten, den auserwählten Ritter selbst erfaßt. Die res fictae werden somit nicht nur exponiert, sondern durch die in der Komik aufscheinende spielerische Auseinandersetzung mit der Gattungstradition geradezu absolut gesetzt: Damit wird gerade nicht der Glaube an die Historizität des Erzählten den Rezipienten nahegelegt oder gar abverlangt, sondern sie sind dazu angehalten, in Distanz zu dem Erzählten zu treten, da sie erkennen, daß auch die Fiktionalität der Episode auf komisch-spielerische Weise hinterfragt wird, wenn der Zauber der âventiure sogar den ‹auserwählten› Ritter zum Narren werden läßt. Die Dominanz des Wunderbaren wird damit ebenso wie die Absolutheit der Lancelot-Ginover-minne kurzzeitig komisch gebrochen und daher für die Rezipienten umso deutlicher zum Thema. Das Element des Spielerischen erfaßt die hier dargebotenen res fictae selbst und treibt somit den Grad der im ‹Prosa- Lancelot› begegnenden Relativierungsstrategien weiter voran. Selbst als Lancelot von einer jungen Dame gebeten wird, auf dem mit Brokat bedeckten Sessel Platz zu nehmen und die Krone aufzusetzen (LGr. I, ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 273 595 Ebd. Steinhoff weist hier auf den Namen Kunz hin, der auch in Sebastian Brants ‹Narrenschiff› im Kapitel 61 ‹Vom Tanzen› gewählt wird. Über diesen Beleg hinaus ließe sich aber auch dieses ganze Kapitel des ‹Narrenschiffs› mit seinen ironisch-kritischen Bemerkungen zum Tanz in bezug zur Tanzbann-Episode lesen, wenn die dem Tanz (und damit die dem bloßen Vergnügen) sich Hingebenden als Narren deklariert werden. 672,1ff.), um festzustellen, ob er der Erlöser sei, bleibt ein komischer Rest erhalten, wenn Lancelot der Bitte folgt, aber gleichzeitig festhält, ihm sei es egal, ob sie erlöst würden, da es ihm äußerst gut gehe (ebd.). Die Wirkung des Banns bleibt also erhalten, und Lancelot bricht ihn nicht aus eigenem Antrieb, sondern nur nach ausdrücklicher Aufforderung. Unmittelbar nachdem er auf dem Sessel Platz genommen und die Krone aufgesetzt hat, 596 fällt die in eine Platte gegossene Gestalt eines Königs zur Erde und zerbricht: «Und da mit was der zauber gar zurbrochen» (LGr. I, 672,17f.). 597 Lancelot sowie die anderen Ritter und Damen kommen nun wieder zu sich; sie feiern Lancelot als ihren Erlöser und geleiten ihn zu dem Turm, damit er die Rüstung ablegen könne. Dort angekommen tritt ein alter Mann vor Lancelot und preist ihn als den besten und schönsten Ritter der Welt. Dies habe seine Richtigkeit, unterstreicht auch der Erzähler, denn der Zauber habe nur durch den schönst und [den] best ritter dißer welt (ebd., 672,35-674,1) aufgehoben werden können, und [d]er was er (ebd.). 598 Es fällt auf, daß dieser Einschätzung Lancelots nicht - wie so oft - die Einschränkung, wan ein ritter, also Galaad, beigefügt wird, die auf Lancelots Versagen innerhalb der Gralsuche hinweist. Im Rahmen der âventiure im ‹Wald ohne Wiederkehr› wird Lancelot also sowohl auf der Ebene der narratio als auch auf der Ebene des discours ohne jedwede (geistlich konnotierte) Schmälerung als der auserwählte Ritter ausgezeichnet, dem der Sieg über den Zauber - wie dem Held im Märchen 599 - zukommt. Erst als Lancelot den alten Mann fragt, durch was sachen diß wunder zukomen ist (ebd., 674,5f.), scheint der ans Märchen erinnernde Erzählmodus verlassen zu werden, da der Protagonist hier explizit eine Erklärung des Wunderbaren einfordert. Damit ist zwar noch keine Angst vor dem Numinosen angezeigt, aber es wird dennoch deutlich, daß - entgegen der Manifestation des Wunderbaren im Märchen 600 - der Zauber hinterfragt wird. Während also Lancelots Frage nach dem Ursprung des wunders eine Tendenz zur Rationali- 274 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 596 Daß die Krone Bans, der sie für den besten Ritter zurückließ, ohne zu wissen, daß es sich dabei um seinen Sohn handeln werde, hier auf Lancelot übergeht, gerät damit auch zu einer symbolischen Verdichtung von Lancelots Identität. Ebenso zeigt sich auch in Lancelots Reaktion - er wirft die Krone auf den Boden und springt aus dem Sessel, da er nicht auf einem Königsthron sitzen wolle - eine Vorausdeutung auf das spätere Geschehen, wenn Lancelot das Erbe seines Vaters ausschlägt und nicht Landesherr, sondern Ritter sein will. 597 Die Aufhebung des Zaubers wird demnach auch durch die Wiederholung auf sprachlicher Ebene verdeutlicht: «es [das Bildnis des Königs] viel so hart uff die erde das es gancz zurbrach» (LGr. I, 672,16f.). 598 Dies wird in der nun folgenden Erzählung des Alten über die Entstehung des Zaubers noch deutlicher, wenn der Urheber des Banns Beginn und Ende des Zaubers folgendermaßen festsetzt: « ‹[…] also sol er [der Zauber] ane gan mit schönheit und mit schönheit ußgan.› » Vgl. die weiteren Ausführungen des Kap. 599 Vgl. Knapp, Märchenhaftes Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), bes. S. 221, Lüthi, Das Volksmärchen, S. 17ff. 600 Vgl. ebd. sierung erkennen läßt, weist die Antwort des alten Mannes wiederum in eine andere Richtung; denn der Alte reagiert auf Lancelots Nachfrage mit einer Erzählung in der Erzählung (LGr. I, 674,10-682,1), die wiederum deutliche Elemente bzw. Motive ‹märchenhaften› Erzählens aufweist. Damit wird die punktuell aufscheinende Rationalisierungstendenz sogleich wieder verworfen, und der Frage nach dem Ursprung des (erzählten) Wunderbaren wird mit einer weiteren ‹märchenhaft-wunderbar› anmutenden Erzählung begegnet. 601 Der Untersuchung dieser Binnenerzählung sei hier der Übersicht halber eine kurze Zusammenfassung des Erzählten vorangestellt: Fünfzehn Tage nach des Artus Hochzeit mit Ginover sei König Ban, Lancelots Vater, in den Wald geraten und habe auf der Lichtung eine Dame auf einem Sessel sowie weitere sechs junge Damen tanzen gesehen, die ein Lied über Ginover gesungen hätten. In seiner Begleitung sei ein Verwandter gewesen, der sich auf Zauberei verstanden habe. Dieser Verwandte habe sich so sehr in die Schönste, die Dame auf dem Sessel, verliebt, daß er wolt nymer freud in synem herczen gehaben, es wer dann sie synen willen dett (ebd., 674,34f.). Nachdem König Ban dem Treiben eine Zeitlang zugesehen hat, kommt er zu dem Schluß, daß jede der tanzenden Damen einen Ritter an ihrer Seite haben solle, und läßt sechs seiner Ritter absitzen, um die jungfrouwen zu begleiten. Als die auf dem Sessel sitzende Dame den Tanz betrachtet, ist sie so entzückt, daß sie feststellt, derjenige, der alczyt solchen dancz mocht haben, sei zu guten stunden geboren (ebd., 676,7). Daraufhin bietet der Zauberkundige an, ihr einen noch schöneren Tanz zu schenken, der bis zu ihrem Tod und darüber hinaus andauern werde. Als Gegenleistung verlange er von ihr, daß sie vor Ban schwöre, keinen anderen Geliebten als ihn zu nehmen, dann werde er sogar noch mehr tun und dafür sorgen, daß niemand, der den Tanz sehe und Freude und Liebe in sich trage, sich dem Wunsch zu tanzen entziehen könne. Dieser Tanz werde so lange andauern, bis der beste und schönste Ritter der Welt komme; sollte er nicht erscheinen, dann müsse er ewig fortdauern. 602 Somit solle der Tanz mit Schönheit beginnen und mit Schönheit enden: […] ‹Jungfrauwe, ir sint inn mynen sinnen die schönst dißer welt; also sol er [der Zauber] ane gan mit schönheit und mit schönheit ußgan.› (ebd., 678,2f.) Da die jungfrouwe dies nicht englaubt, lobt sie bereitwillig, was der Verwandte Bans von ihr verlangt, und sogleich verzaubert er die Tanzenden, das ir keyner sich darnach gescheiden mocht oder dannen komen wolt (ebd.). Bevor König Ban aufbricht, läßt er seine Krone für den besten und schönsten Ritter ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 275 601 Es ist freilich nicht zu leugnen, daß auch diese Erzählung in der Erzählung Elemente aufweist, die der ‹Idealform› des Märchens bzw. seiner spezifischen Erzählweise zuwiderlaufen, vgl. die weiteren Ausführungen. Nichtsdestominder überwiegen auch in der Erzählung des alten Mannes die ‹märchenhaften› Elemente, so daß durchaus von einer ‹märchenhaften› Erzählung in der Erzählung gesprochen werden kann. 602 Dies übersieht Welz, Lancelot im Verlornen Walt, der festhält, der Tanz solle «nun zwar nicht bis in alle Ewigkeit» dauern, S. 242. zurück, der einst den Bann brechen werde. Seitdem seien viele gekommen, das Wunder zu sehen, und seien durch den Zauber ‹gefangen› worden. Einmal, so weiß der alte Mann zu berichten, seien gar einhundertundfünfzig auf einmal dem Bann verfallen. Nach unbestimmter Zeit jedoch sei die Dame des Treibens überdrüssig geworden und habe ihren Geliebten gebeten, den Zauber aufzuheben. Dies habe er jedoch nicht gekonnt, da die Frist bzw. das Ende des Zaubers bereits bestimmt worden sei. Daraufhin bittet die Dame, daß ihr Geliebter ihr ein anderes Spiel herstelle, daß so kunstvoll sein solle, daß alle es fur ein wunder haben (LGr. I, 678,28). Der Gelehrte ist bereit, auch diesen Wunsch seiner Geliebten zu erfüllen, und erschafft ein kostbares Schachbrett, dessen Figuren selbst ziehen und jeden, ausgenommen denjenigen, der den Tanzbann brechen werde, matt setzen. 603 Jene Kraft werde das Brett solange behalten, bis dieser auserwählte Ritter sterben werde. Hier beendet der alte Mann seine Erzählung, in die er abschließend noch ein Lob Lancelots flicht (ebd., 680,34f.). Lancelot wünscht nun sogleich, das Schachbrett zu sehen und sich an ihm zu versuchen. Die Erzählung des Alten über den Ursprung des Zauberbanns zeichnet sich also insbesondere durch die Verbindung von ‹märchenhaften› Erzählprinzipien mit der Liebesthematik aus: Um der Liebe willen wird der Bann geschaffen, und nur wer liebt (er hab freud und am v r, ebd., 676,33), kann dem Zauber verfallen. Der Zauber vereint damit in sich sowohl den Wunsch seines Urhebers nach Liebe als auch den Wunsch der schönen Dame, der Tanz möge fortdauern: Und yne beducht, das er wol geborn were der von solcher jungfrauwen freuwet solt haben. (ebd., 674,31f.) Und da die ghene die im seßel saß sölch schon gesellschaft gesah, da sagt sie das er zu guten stunden geborn were der alczyt solchen dancz mocht haben der so schön were. (ebd., 676,5f.) 604 Der besonderen Konstitution des Banns entspricht also die auf formal-sprachlicher Ebene begegnende Parallelität, die die Wünsche der beiden Figuren kennzeichnet. Gleichzeitig aber wird so auch ein anderes Licht auf die Erlöserrolle Lancelots geworfen, denn er ist nicht nur - wie es in der Episode verlautet - der beste und schönste Ritter, sondern auch seine absolute minne zu Ginover ist, so legt es die Wesensart des Tanzbanns nahe, ausschlaggebend für die Be- 276 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 603 Zu dem Motiv vgl. den Kommentar Steinhoffs zu LGr. I und LGr. II, S. 824, sowie Haug, Walter: Der Artusritter gegen das magische Schachbrett oder Das Spiel, bei dem man immer verliert. In: ders.: Strukturen als Schlüssel zur Welt. Tübingen 1989, S. 672-686. 604 Bezeichnenderweise überträgt Steinhoff die Wendungen ‹wol geborn› bzw. ‹zu guten stunden geborn› beide Male mit ‹daß der ein Glückskind sein müsse› (LGr. I, 675,33f. und 677,6f.) - die Bezeichnung ‹Glückskind›, die in Märchen häufig begegnet (vgl. u.a. ‹Teufel mit den drei goldenen Haaren›, KHM 29), gibt den mhd. Text sehr frei wieder, so daß der Eindruck entsteht, Steinhoff selbst habe sich an dem in der Episode offenbarenden ‹Märchenhaften› orientiert und es in seiner Übertragung wiedergeben wollen. freiung: 605 Daß Lancelot dem Bann, so können es die Rezipienten nachträglich erkennen, nur verfällt, weil er selbst liebt, ist gleichzeitig auch eine weitere Bedingung dafür, den Zauber überhaupt brechen zu können. Damit werden auch die zu Beginn der Episode aufscheinenden komisch-burlesken Elemente relativiert, freilich ohne sie gänzlich aufzuheben: Daß Lancelot nach seiner ersten Begegnung mit Ginover am Artushof «die Liebe zum einzigen Kriterium seines Handelns werden läßt», 606 erweist sich für die Rezipienten rückblickend auch mit Bezug auf die Tanzbann-Episode als virulent. Während es also zu Beginn der Episode und ohne Kenntnis über den Ursprung des Zaubers komisch erscheint, daß der ‹selbstvergessene› Lancelot ein Lied über Ginover singt, ohne ihrer tatsächlich eingedenk zu sein, ergibt sich nach der Erzählung des Alten ein diffizileres und weniger burlesk anmutendes Bild: Lancelots folie und das vermeintlich unbewußte Besingen der Königin geraten für den Rezipienten nun doch zum Zeichen der Lancelot-Ginover-minne, insofern diese Liebe - scheint sie auch vorübergehend vergessen - wesentlicher Bestandteil des Erlösungsaktes ist. Beginn und Aufhebung des Zaubers sind damit nicht nur, wie es der zauberkundige Gelehrte äußert, von Schönheit gekennzeichnet (LGr. I, 678,2f.), sondern vor allem auch durch das Element der minne, 607 das Lancelots sowie auch das Handeln des Zauberers bestimmt. Damit erscheint letztlich auch der dem Tanzbann eignende Wahnsinn in einem ambivalenten Licht; denn Liebe und Wahnsinn gehen in dem Zauber eine ebenso interdependente Verbindung ein wie in der Lancelot-Ginover-minne selbst: Sowohl im Zauber als auch in der minne Lancelots zu Ginover gerät der Wahnsinn zum Zeichen der Absolutheit der Liebe. Das Wunderbare ist hier vor allem in der Figur des zauberkundigen Gelehrten (philosophus) präsent, dessen Künste zwar als nigremance bzw. Schwarzkunst bezeichnet (ebd., 674,27f.), aber weder vom eigentlichen Erzähler noch von der textinternen Erzählerfigur näher plausibilisiert werden: Er ist vielmehr der Zauberkunst mächtig und bedient sich ihrer, ohne auf der Figurenebene auf Erstaunen zu stoßen. Darüber hinaus erinnern auch zahlreiche andere Motive respektive Erzählelemente an die Gattung Märchen: So die - obgleich ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 277 605 Dies erinnert deutlich an die Episode vom ‹Tal ohne Wiederkehr›, dessen Erlösung ebenfalls an die (unverdorbene) Liebesfähigkeit des Ritters gebunden ist. 606 Reil, Liebe und Herrschaft, S. 29. 607 Dies zeigt sich weiterhin darin, daß Lancelot das magische Schachbrett, dessen selbstziehende Figuren er matt setzt, an Ginover sendet. Das zweite Geschenk des Zauberkundigen an seine Geliebte wird von Lancelot an seine Geliebte weitergereicht, womit eine weitere Parallele zwischen der Tanzbann-Episode und der Lancelot-Ginover-minne etabliert wird. Dies wird auf Figurenebene noch dadurch unterstrichen, daß Artus, der Lancelots Geschenk an Ginover bewundert, konstatiert: «[…] er hat uch ein schön gab gesant an dem schachzabelspiel, und ir danckent im billich sere wann ir yn sehent, […]» (LGr. I, 686,27ff.). Genau diesen Wunsch des Artus wird Ginover - freilich anders als von ihrem Gemahl gedacht - erfüllen, wenn Lancelot und sie während des Turniers zu Camelot eine weitere Liebesnacht miteinander verbringen. hier eher implizit begegnende - Aufgabe, an die die Erlangung der Geliebten geknüpft ist (Erschaffung des Tanzbanns zur Freude der Dame), sowie vice versa die an jene Aufgabe sich anschließende Bedingung des Werbers (lebenslange Treue der Geliebten). 608 Hierzu gehört auch die spezifische Konstitution des Zauberbanns, der bis in alle Ewigkeit andauert, wenn er nicht von dem eigens dazu bestimmten auserwählten Protagonisten gebrochen wird. Gerade im Hinblick auf dieses Element des Banns ist es umso bedeutsamer, daß auch der Urheber des Banns nicht in der Lage ist, den Zauber vor Erscheinen des auserwählten Ritters wieder aufzuheben: Einmal erschaffen, erhält das Wunder ein ‹Eigenleben›, das auch der Macht des Zauberkundigen entzogen ist. Die Dominanz des ‹Märchenhaft-Wunderbaren› - wie sie auch die Ebene der narratio prägt - wird damit auch auf der Figurenebene bzw. innerhalb der Binnenerzählung exponiert. Zwar mag hier eingewendet werden, daß die zeitliche Situierung der Binnenerzählung (Hochzeit des Artus mit Ginover) der ‹märchenhaften› Zeitlosigkeit 609 entgegensteht, doch wird dieser Chronologie 610 hier mit der ans Märchen gemahnenden unbestimmten Topographie begegnet. Darüber hinaus weist auch der Binnenerzähler selbst insofern ‹märchenhafte› Züge auf, als er völlig unvermittelt auftaucht und seine Zuordnung zur Tanzbann-âventiure rätselhaft erscheint: Weder ist er selbst ein dem Tanz Verfallener, noch ist klar, woher er Lancelots Namen und seine Herkunft kennt. Die Erzählung des Alten über den Ursprung des Wunders erhält damit also wiederum selbst wunderbar anmutende Elemente, die einer strikten Rationalisierung zuwiderlaufen. Der wundersame Tanzbann wird vielmehr über seinen ‹zauberhaften› Ursprung noch deutlicher als literarisch-wunderbare âventiure charakterisiert, die weder den Anspruch auf Faktizität erhebt noch den Anschein von Historizität erweckt. Den ‹Prosa-Lancelot› durch eine konsequente Rationalisierung des ‹Märchenhaften› gekennzeichnet zu sehen, hieße - dies sollten die hier angeführten Überlegungen verdeutlichen - dem Werk eine Strenge und Konvergenz unterstellen, die der Vielschichtigkeit des Texts nur schwerlich gerecht werden können. Die hier untersuchten Episoden des ‹Prosa-Lancelot› sollten vielmehr gezeigt haben, daß von einer stringenten Rationalisierung bzw. Plausibilisierung des ‹Märchenhaften› allenfalls im Hinblick auf die ‹Gralsuche› gesprochen werden kann. Der ‹Prosa-Lancelot› zeugt an zahlreichen Stellen von einer reflexiven 278 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 608 Ähnlich, um ein prominentes Beispiel aus der Gattung Märchen anzuführen, auch im ‹Froschkönig› (KHM 1). Auch die Skepsis der Dame, die das Versprechen nur gibt, weil sie glaubt, ein solches Wunder könne Bans Verwandter nicht wirken, muß dem ‹märchenhaften› Erzählstil nicht zuwiderlaufen. Vgl. auch hier den ‹Froschkönig› sowie ‹Die zertanzten Schuhe› (KHM 133), ‹Der König vom goldenen Berg[e]› (KHM 92). 609 Vgl. Lüthi, Das Volksmärchen, S. 20f. 610 Darüber hinaus muß bemerkt werden, daß die zeitliche Einordnung des Tanzbanns, wie sie der Alte liefert, der Aussage des Eremiten zu Beginn der Episode gegenübersteht, wenn er bemerkt, daß die vor der âventiure warnende Inschrift seit sechs Jahren an der Kapelle angebracht sei. Auseinandersetzung mit der im ‹klassischen› Artusroman begegnenden ‹märchenhaft-wunderbaren› Erzähltradition, die sogar - so in der Episode vom ‹Wald ohne Wiederkehr› - spielerische Züge annehmen kann. Damit tritt der Historizitätsanspruch des Erzählten nicht nur zugunsten einer (intertextuell geprägten) Literarizität zurück, sondern die hier betrachteten Episoden geraten insbesondere vor dem Hintergrund der fiktionalen Gattung ‹Artusroman› auch in die Nähe einer fictio, die sich als unabhängig von Legitimationsstrategien exponiert, indem sie ‹märchenhafte› Erzählmodi und -motive aufgreifen und bewußt einsetzen. In den hier untersuchten Passagen dominieren die res fictae das Erzählte, und sie werden weder zur Plausibilisierung noch zur bloßen Ausschmückung des Erzählten genutzt: So entsteht ein poetischer Eigenwert des Erzählten, der nicht zuletzt über die ‹Autonomisierung› des Wunderbaren erreicht wird. Damit wird auch in den betrachteten Episoden letztlich der «Glaube an die verzaubernde Macht der Poesie» 611 erkennbar, der sich sowohl im Märchen als auch im ‹klassischen› Artusroman offenbart. Während auf der Ebene der narratio das Wunderbare bzw. der Zauber gelegentlich als illusorischer Trug entlarvt wird, 612 so wird damit doch auch auf produktionsästhetischer Seite «die kunstvolle Verschlingung einer Erzählvielfalt, die immer neu wie spielerisch die Grenzen des Wahrscheinlichen überschreitet» 613 offensichtlich: Das Wunderbare dominiert den Erzählverlauf, und der Zauber entblößt den Zauber, so ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 279 611 Knapp, Märchenkomik. In: Historie und Fiktion (II), S. 148. Knapp bezieht seine überzeugenden Überlegungen zur Komik und zur Poetologie des Märchens freilich nicht auf den ‹Lancelot›, den er - gemäß seiner strikten Vorgehensweise - als reine historia versteht. Ohne die unleugbaren Historisierungstendenzen des ‹Lancelot› ignorieren zu wollen, halte ich seine Einschätzung des Prosaromans hinsichtlich des ‹Märchenhaft- Wunderbaren› für simplifizierend; so ist Knapp durchaus bereit, anderen Texten (so z.B. Heinrichs ‹Crône› oder der Erzählung ‹Le château de cristal›), die nicht uneingeschränkt von ‹märchenhaften› Erzählprinzipien geprägt sind, den Charakter des Hybriden zuzugestehen: «Aber auch dieses Verfahren [Allegorisierung bzw. Rationalisierung des Wunderbaren in der ‹Crône›] wird keineswegs durchgehalten. Es bleibt genug mehr oder minder Märchenhaftes übrig […]», Märchenhaftes Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), S. 223. Die im ‹Lancelot› begegnenden typisch ‹märchenhaften› Elemente, ignoriert Knapp jedoch, ohne zwischen dem aufscheinenden Wunderbaren und seiner narrativen Darbietung zu differenzieren. Dies zeigt sich insbesondere in seiner Untersuchung der Erzählung ‹La mule sans frein› (oder ‹La damoisele a la mure›): Während Knapp das in dieser Erzählung begegnende Wunderbare unter anderem durch «Zaubermaschinen», Märchenkomik. In: Historie und Fiktion (II), S. 138, gekennzeichnet sieht, genügt ihm im Hinblick auf den ‹Prosa-Lancelot› allein die Bezeichnung des Wunders mit dem Begriff zouber als Rationalisierungsbeleg, vgl. Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: ebd., S. 186ff., bes. S. 188. 612 Vgl. auch Klinger, Der mißratene Ritter, S. 444ff., die dieses Trügerisch-Illusorische als Ausdruck der sich im ‹Lancelot› entwickelnden «epistemischen Logik des Erzählens» erkennt. Dennoch bleibt damit der weitere grundlegende Aspekt des ‹Wunderbaren› unberücksichtigt. 613 Stierle, Art. ‹Fiktion›, S. 402. daß letztlich die Konzeption des Fiktionalen selbst der Reflexion übereignet wird. Das im ‹Prosa-Lancelot› begegnende Wunderbare bzw. die in dem Werk aufscheinenden ‹märchenhaften› Erzählelemente werden also keineswegs einer eindeutigen Rationalisierung und ‹Entzauberung› unterworfen, 614 vielmehr werden die unterschiedlichen Ausprägungen des Wunderbaren mit Bezug auf ihre verschiedenen und heterogenen Deutungsmöglichkeiten beleuchtet. 615 Gerade in den hier untersuchten Episoden wird so immer auch die poietische Eigenschaft der res fictae betont, die den mirabilia und dem Teufelswerk der Gralsuche diametral gegenübersteht. Gesteht man dem ‹Prosa-Lancelot› diese punktuelle Inanspruchnahme einer über bloße Funktionalität hinausgehenden fictio zu, dann kann im Hinblick auf das Werk nur dann uneingeschränkt von einer historia gesprochen werden, wenn man das in der ‹Gralsuche› begegnende geistliche Denkmodell rückwirkend der gesamten Erzählung ‹überstülpt›. Das insbesondere von der jüngeren Forschung konstatierte «Nebeneinander divergenter Handlungs- und Erzählmuster im gesamten Roman» 616 legt entgegen dieser Deutung vielmehr - wie auch die hier untersuchten Episoden und Textstellen - den Schluß nahe, auch die Fiktionalitäts- und Historizitätskonstitution nicht vorschnell zu beurteilen. Sowohl die im Bereich des Wunderbaren aufscheinende Fiktionalität (und die sie begleitende z.T. spielerische Reflexivität) als auch die vor allem auf der Ebene der narratio begegnende Problematisierung und Relativierung traditioneller Beglaubigungsstrategien und Autoritätsmerkmale trägt vielmehr dazu bei, daß der ‹Prosa-Lancelot› zu einer äußerst komplexen und auch subtilen A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit der arthurischen Erzähltradition sowie deren gattungsbildenden und poetologischen Elementen gerät. Wird dieser Aspekt gegenüber der Deutung des Werks als «Absage an den arthurischen Roman» 617 hervorgehoben - so auch Haug in einem seiner jüngeren Beiträge zum ‹Lancelot› 618 - dann hat dies nicht zuletzt auch Auswirkungen auf die Beurteilung der 280 Fictio und historia im ‹Prosa-Lancelot› 614 Dies gilt freilich nicht für die während der Gralsuche begegnenden âventiuren und Wunder, die entweder als mirabilia oder Teufelswerk erscheinen und damit die Historizität des Erzählten nicht unterlaufen. Vgl. dazu die in dem Kapitel angeführten Beispiele sowie Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), bes. S. 188. 615 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Kennedy, The Role of the Supernatural, S. 175: «This [Arthurian] world presents a fascinating combination of the two intertwining traditions of chronicle and romance, a combination which often reveals an interesting ambivalence with regard to the merveilleux.» 616 Ridder/ Huber: Einleitung. In: Lancelot. der mittelhochdeutsche Roman im europäischen Kontext, S. 4. 617 So ursprünglich Haug, Das Endspiel der arthurischen Tradition, sowie auch Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 175. 618 Haug, Das erotische und das religiöse Konzept, S. 259ff. Haug hält hier fest, daß es bei dem Übergang vom ‹eigentlichen Lancelot› zur ‹Gralsuche› «weniger um eine Ablösung des erotischen durch ein religiöses Konzept [gehe], als um ein Durchspielen ein und desselben Denkmodells auf zwei unterschiedlichen Ebenen», S. 259. Die Grundlage dieses Konzeptionen von Fiktionalität und Historizität. 619 Der ‹Prosa-Lancelot› verharrt nicht in einer einseitigen Gegenüberstellung von fictio und historia, sondern er verlegt die Reflexion der im Artusroman Chrétienscher bzw. Hartmannscher Prägung begegnenden Fiktionalität in die narratio, indem er die Quellenfiktion als Konstrukt offenbart, gängige Beglaubigungsmechanismen relativiert und letztlich dem Wunderbaren zumindest an einigen Stellen einen poetischen Eigenwert zugesteht. Damit einher geht auch die implizite Auseinandersetzung mit der vor allem aus dem ‹Yvain›/ ‹Iwein› resultierenden relativierten Historizität. Der Versuch der Re-Historisierung, der innerhalb des Werks beständig auf seine Gültigkeit befragt und oftmals desavouiert wird, zeigt dementsprechend auch, daß auf Grund der fiktionalen Erzähltradition ein historisierendes Erzählen von Artus nicht mehr eindeutig möglich ist, wenn die suppletive fictio als Mittel erkennbar wird, das Historizität erzeugen soll, sie aber letztlich nicht mehr verbürgen kann. Den ‹Prosa-Lancelot› uneingeschränkt als historia zu lesen, läßt sich demnach nur dann aufrechterhalten, wenn die im ‹Lancelot› bewußt eingesetzten Relativierungsstrategien zugunsten einer simplifizierend-vereindeutigenden (heils-)geschichtlichen Lesart vernachlässigt werden. Diese Überlegungen sollen in dem folgenden letzten Kapitel systematisiert und ausgewertet werden, indem die Ergebnisse zu Hartmanns Romanen und zum ‹Prosa-Lancelot› zusammengefaßt und die Entwicklungslinien der in dieser Arbeit untersuchten poetologischen Konzeptionen nachgezeichnet werden. ‹Märchenhaft-Wunderbares› im ‹Prosa-Lancelot› 281 Modells sei, so Haug, das Absolute, mit dem der ‹Lancelot› sich als «narrative[s] Experiment» (ebd.) auseinandersetze. Damit entfernt sich Haug zumindest ansatzweise von seiner früheren Feststellung, der Roman sei eine Absage an das arthurische Erzählmodell Chrétiens bzw. Hartmanns, indem er nun den produktiven Aspekt der Auseinandersetzung des ‹Lancelot› mit der Gattungstradition deutlicher hervorhebt. Daß auch bei dieser narrativen Auseinandersetzung mit dem Absoluten die Welt letztlich zugrunde geht, läßt sich freilich nicht leugnen, doch ist damit hinsichtlich der Frage, wie es zu diesem Ende kommt, ein anderer Akzent gesetzt. 619 Anders Knapp, Erzählen, als ob Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 189, der festhält, daß man in «diesem Punkt […] bei der Suche nach poetologischen Universalien nicht fündig» werde. III. Galeotto fu il libro e chi lo scrisse? […] Ja, ich weiß, das ist nicht die Wahrheit, aber in einer großen Geschichte kann man kleine Wahrheiten ändern, damit die größere Wahrheit hervortritt. 1 In einer Pressemitteilung vom 12. Oktober 2007 teilte das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluß zum sogenannten Fall ‹Esra› mit: Der gleichnamige Roman Maxim Billers bleibe weiterhin verboten, da er auf Grund zahlreicher Realitätsbezüge die Persönlichkeitsrechte der Klägerin, Billers ehemaliger Lebensgefährtin, verletze. 2 Als Begründung seiner Entscheidung führte das Gericht an, daß der Grad der Fiktionalisierung in einem Kunstwerk umso höher sein müsse, wie es die Dimension des Persönlichkeitsrechts berühre. 3 Literaturwissenschaftlich gewendet ließe sich demnach sagen, daß der Grad an Fiktionalität in Billers Roman nicht dazu ausgereicht habe, die in dem Werk begegnenden ‹Fakten› und Realitätsbezüge zu fiktionalisieren - oder anders gewendet, die Faktizität habe sich gegen die Fiktionalität durchgesetzt. 4 Obgleich im Fall ‹Esra› mit der Frage nach der Verletzung der Persönlichkeitsrechte eine weitere Dimension in die Diskussion gerät, zeigt das Urteil dennoch, daß auch im Bereich (post-)moderner Literatur Fiktionalität - ungeachtet konstruktivistischer oder an Sprachhandlungen orientierter Theorien - primär in Relation zu Faktizität gedacht wird, wenn das narrative Konstrukt bzw. die literarische Wirklichkeit mehr an der quantitativen als an der qualitativen Verwendung fiktionaler Elemente gemessen wird. 5 Es ist ebendieser Aspekt, nämlich die 1 Eco, Baudolino, S. 597f. 2 Bundesverfassungsgericht/ Pressestelle, Pressemitteilung Nr. 99/ 2007 vom 12. Oktober 2007, Beschluß vom 13. Juni 2007 - 1 BvR 1783/ 05. Die Urteilsbegründung ist einzusehen im Internet unter: http: / / www.bundesverfassungsgericht.de/ pressemitteilungen/ bvg07- 099.html. 3 Vgl. ebd. (Absatz 1). 4 Es kann an dieser Stelle wohlgemerkt nicht darum gehen, sich intensiv mit dem Urteil auseinanderzusetzen; gleichwohl aber zeugt die Begründung des Senats (lediglich drei Richter widersprachen dem Beschluß und fügten der Presseerklärung zwei gesonderte Berichte an) von einer Literaturauffassung, die insbesondere im Hinblick auf die Kategorie des Fiktionalen fragwürdig bleibt. 5 Dies steht in Kontrast zu jenen modernen Fiktionalitätstheorien, die Fiktionalität nicht im Gegensatz zu Faktizität/ Realität verstehen, sondern den Aspekt des Fiktionalen bzw. fiktionale Literatur über den Begriff des wahrheitsindifferenten Sprechens, der keine Aussagen über eine reale außertextuelle Welt treffe, zu erklären versuchen. Galeotto fu il libro e chi lo scrisse? Galeotto fu il libro e chi lo scrisse? Gewichtung von Fakt und Fiktion im literarischen Werk, der - aller grundsätzlichen Unterschiede zwischen Mittelalter und ‹Moderne› zum Trotz - auch die mediaevistische Fiktionalitätsdebatte bestimmt. Das Urteil im Fall ‹Esra› zeigt demnach, daß das Verhältnis von Fakt und Fiktion bzw. Fiktionalität und Historizität bei der Bewertung auch von ‹moderner› Dichtung durchaus strittig sein kann. 6 Man mag hier mit Knapp einwenden, daß der mittelalterliche fictio-Begriff diese Problematik insofern entschärfe, als - bis auf wenige Ausnahmen - Fiktionalität im mittelalterlichen Erzählen im Bereich der Funktionalität verbleibe und damit sowohl ein frei-fiktionales Erzählen als auch eine Fiktionalisierung von historia (nahezu) ausgeschlossen sei. 7 Obgleich an dieser prinzipiellen Unterscheidung in eine funktionale fictio und eine Fiktionalität, die sich als unabhängig von Legitimationsmustern exponiert, festzuhalten ist, läßt sich dennoch vermerken, daß mit der Inanspruchnahme einer in diesem Sinne ‹freien› Fiktionalität im ‹klassischen› Artusroman auch die Konzeption der historia und mithin funktionaler fictio eine Veränderung erfährt. Dieser Wandel betrifft dabei nicht nur - wie Knapp mit Bezug auf Chrétiens ‹Erec› festhält - das bloße Ignorieren historisierender Erzählelemente, 8 sondern er erfaßt, wie anhand des ‹Yvain› und des ‹Iwein› gezeigt werden konnte, auch den Aspekt der Historizität selbst. Ist damit auch noch keine Fiktionalisierung von historia per se erreicht, so wird es dennoch auch für mittelalterliches Erzählen möglich, historisierende Erzählelemente ihrer beglaubigenden Funktion zu berauben und damit Historizität zu relativieren und für fiktionales Erzählen verfügbar zu machen. Im Hinblick auf Hartmanns ‹Erec› allerdings spielt diese Relativierung historisierender Erzählelemente eine eher untergeordnete Rolle. Zwar begegnet auch hier ein zum Teil spielerischer Umgang mit dem Augenzeugentopos (so insbesondere in der Zelter-descriptio und in der Erzählerbemerkung zum Kleid von Enîtens Cousine), 9 doch diese Reflexion von Fiktionalität tritt vor allem in den Erweiterungen gegenüber Chrétien und mithin in Auseinandersetzung mit funktionaler fictio in Erscheinung. Anhand der im ‹Erec›-Kapitel 284 Galeotto fu il libro e chi lo scrisse? 6 Ein Beispiel mit anderen Grundlagen bietet das Hörspiel von Orson Welles, der 1938 mit seiner Adaption der 1898 in Buchform veröffentlichten Erzählung ‹The War of the Worlds› von Herbert George Wells Teile der USA in Panik versetzte. Die am 30.10.1938 ausgestrahlte vorgebliche Livesendung spielte ganz offensichtlich mit dem - hier nicht uneingeschränkt voraussetzbaren - Fiktionalitätskontrakt, oder anders formuliert - ihre intentio fallendi war nicht zwingend zu durchschauen. 7 Vgl. Knapp, Vorwort. In: Historie und Fiktion (II), S. 10f., sowie ders.: Abschlußdiskussion der Referenten. In: Historisches und fiktionales Erzählen, S. 144 (These/ Antithese 9). Anders beurteilt Knapp die Erzählung des Calogrenant im ‹Yvain›, die er als Parodie des Augenzeugentopos wertet, vgl. ders., Historiographisches und fiktionales Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), S. 35. 8 Vgl. Knapp, Erkenntnis und Fiktion. In: Historie und Fiktion (II), S. 254. 9 Vgl. dazu zusammenfassend Kap. I.1.5 d.A. untersuchten digressiones und descriptiones konnte gezeigt werden, daß die von Hartmann eingefügten figmenta über ihre traditionellen Funktionen insofern hinausgehen, als sie nicht nur dazu dienen, das Erzählte zu plausibilisieren, sondern ferner dazu genutzt werden, die Fiktionalität dieser figmenta offenzulegen, ja, gar als von ihrer Funktionalität unabhängig zu erweisen und sie damit der Reflexion zu übereignen. Die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Erweiterungen Hartmanns sind dementsprechend von einem spielerischen Duktus geprägt, der den Rezipienten letztlich auch darauf hinweist, daß das Erzählte im Bereich der (literarischen) Erfindung zu verorten ist. Damit werden die dem mittelalterlichen Fiktionalitätsbegriff inhärenten Ambivalenzen erkennbar, wenn die figmenta poetarum nicht in ihrer Funktionalität verbleiben, sondern gleichzeitig als Erfundenes präsentiert werden. Die in der Fiktionalitätsdebatte häufig herangezogene Zelter-descriptio bietet dafür das überzeugendste Beispiel, 10 zumal hier die souveräne Erzählerfigur und Aspekte des ‹Märchenhaften› hinzukommen. Aber auch die in dieser Arbeit herangezogenen Textstellen belegen, daß eine «historische Inkompatibilität von Fiktivität und Wiedererzählen» 11 nicht zwangsläufig angenommen werden muß, wenn z.B. bei der Bewirtung Erecs die descriptio aufhört, bloße Beschreibung zu sein, indem sie zeigt, was nicht vorhanden ist, und bei der Beschreibung des Zeltes im Wundergarten der ‹joie de la curt›-Episode die Qualität des ‹Alsob›-Status des Erzählten offenbar wird. 12 Aus den untersuchten Beispielen in Hartmanns ‹Erec› geht damit deutlich hervor, daß konstitutive Elemente des ‹Wiedererzählens› bzw. traditionelle Adaptationstechniken der Inanspruchnahme von und der Reflexion über fictio nicht entgegenstehen, sondern vielmehr eine weitere Möglichkeit bieten, die Fiktionalität des Erzählten als einen Eigenwert zu erweisen. 13 Diese Beobachtungen zum ‹Erec› treffen grundsätzlich auch auf Hartmanns ‹Iwein› zu, wie insbesondere anhand des Dialogs zwischen Erzähler und Vrou Minne gezeigt werden konnte. Während im Falle der Erzählereinschübe zum Iwein-Gawein-Kampf lediglich von einer Reflexion funktionaler Fiktionalität und deren Einsatz zu sprechen ist, 14 die - obgleich von spielerischer Distanzierung geprägt - letztlich keinen Verweis auf fictio bietet, die über ihre Funktionalität hinausgeht, liefert der Dialog ein weitaus komplexeres Bild: Ebenso wie in den untersuchten digressiones im ‹Erec› wird hier deutlich, «zu welch unwahrscheinlicher Steigerung eine Kunst gelangt, sobald sie sich ihrer eigenen Tradition bewußt wird und mit dieser zu spielen beginnt, sobald sie ihre be- Galeotto fu il libro e chi lo scrisse? 285 10 Vgl. dazu ebd. 11 Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 274 mit Bezug auf Worstbrock, Wiedererzählen und Übersetzen, S. 130. 12 Die Thematisierung des ‹Als-ob› begegnet freilich ebenso deutlich in der Beschreibung des Pferds bzw. des Sattels und der Satteldecke. 13 Vgl. auch Kellner, Spielräume der Fiktionalität, und Hasebrink, Die Ambivalenz des Erneuerns. 14 Vgl. Kap. I.2.1.1 d.A. währten Verfahren als Bewußtseinselemente in den Köpfen des Publikums erkennt und in das ästhetische Kalkül integriert». 15 In dem Dialog zwischen Vrou Minne und Erzähler wird nicht nur über Anklänge an das Gespräch zwischen Lavinia und ihrer Mutter eine Reflexion über die traditionelle Verwendung metaphorischen Sprechens geboten, sondern darüber hinaus wird die in der digressio verwendete funktionale Fiktionalität dazu genutzt, das Erzählte als bloßes Konstrukt zu erweisen, indem die personifizierte Minne die Metapher des Herzentauschs deutet. Der Aspekt der Fiktionalität wird damit in all seinen Schattierungen reflektiert, und darüber hinaus wird das Wissen um dieses Bedeutungsspektrum von fictio in dem Dialog zwischen Erzähler und Vrou Minne auch beim Rezipienten vorausgesetzt, wenn er in dem ‹Streitgespräch› der beiden Deutungsinstanzen ein ironisches Spiel mit der traditionellen Reflexion über bildliche Redeweise erkennt. 16 Weiterhin konnte gezeigt werden, daß zwischen den beiden Artusromanen Hartmanns auch Unterschiede in der Auseinandersetzung mit den Aspekten von Fiktionalität und Historizität bestehen. Diese Unterschiede betreffen freilich nicht die grundlegende Erzählstruktur der Werke, die durch das Prinzip der in der ‹märchenhaft-wunderbaren› Welt angesiedelten âventiure gekennzeichnet ist. 17 Dieser grundlegenden Gemeinsamkeit ungeachtet, läßt sich für Hartmanns ‹Iwein› jedoch darüber hinaus festhalten, daß hier eine deutlichere Auseinandersetzung mit historisierenden Erzählelementen stattfindet, die sich ebenfalls Chrétiens ‹Yvain› verdankt. Wird bei Chrétien innerhalb der Calo- 286 Galeotto fu il libro e chi lo scrisse? 15 von Matt, Die Intrige, S. 131. Dies konstatiert Peter von Matt für Molières ‹Le Tartuffe›, doch läßt sich das seiner Feststellung zugrundeliegende Prinzip m.E. ohne Schwierigkeiten auf Hartmann übertragen; insofern auch hier eine Auseinandersetzung mit den poetischen Verfahren und poetologischen Implikationen zu erkennen ist, die auf spielerische Weise reflektiert werden sowie den literarischen/ literarästhetischen Erwartungshorizont der Rezipienten voraussetzen und herausfordern. 16 Vgl. Kap. I.2.1.2 d.A. 17 Dazu sei an dieser Stelle nur auf Haug, Literaturtheorie, bes. S. 92ff., und Knapp, Märchenhaftes Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), bes. S. 206ff. (mit Bezug auf Köhler, Erich: Ideal und Wirklichkeit in der höfischen Epik. 2. Aufl. Tübingen 1970, S. 66ff.) verwiesen. Auf die z.T. berechtigte Kritik von Schmid, Weg mit dem Doppelweg, wurde bereits in Kap. I.1 d.A. hingewiesen. Ich stimme mit Schmid dahingehend überein, daß die Chrétiens und Hartmanns Romanen zugrundeliegende narrative Struktur nicht dazu führen sollte, die in den Werken begegnenden Unterschiede zu ignorieren und damit die Interpretation des einen Romans eins zu eins auf den anderen zu übertragen (was Schmid einleuchtend an Haugs Betrachtung der ersten ‹Bewährungs›-âventiure und der joie-Episode zeigt: «Auch hier zeigt sich, daß es um Unterschiede im Detail nicht gehen kann. Wie ließe sich sonst erklären, daß Haug, um die in Brandigan darniederliegende ‹Hofesfreude› zu illustrieren, die achtzig trauernden Witwen aus Hartmanns Bearbeitung in Chrétiens Version interpoliert […]? », ebd., S. 84). Nichtsdestotrotz lassen sich prinzipielle Gemeinsamkeiten innerhalb der von der âventiure/ avanture bestimmten Erzählwelt feststellen, die von einer Interdependenz mit ‹märchenhaften› Erzählmodi und -motiven gekennzeichnet ist. grenant-Erzählung eine historisierende Lesart des Erzählten ad absurdum geführt, indem der bekannte Erzählerkommentar aus Waces ‹Rou› gleichsam parodiert wird, so wird im ‹Iwein› bereits im Prolog durch die Einbindung Historizität verpflichteter Erzählstrategien ein Spiel mit der Erwartungshaltung der kundigen Rezipienten entfaltet; 18 damit gerät die historia bei Hartmann gleich zu Beginn des Romans in den Mittelpunkt des Erzählten. Dies wird vor allem durch die sich nahezu unmittelbar an den Prolog anknüpfende Kâlogrenant-Erzählung deutlich: Die in dieser Figurenerzählung begegnenden Beglaubigungstopoi überführen die historisierenden Erzählelemente auf die Ebene der histoire und verweisen den Rezipienten somit darauf, auf die Verwendung historisierender Erzählstrategien innerhalb der literarischen Welt zu achten. Damit einher geht die spielerische Haltung des Erzählers, der sich - so in der Bemerkung zum Kampf Iweins gegen Ascalon - auf der Ebene des discours von historisierenden Erzähl- und Beglaubigungsstrategien distanziert, indem er das Fehlen der adtestatio rei visae nur betont, um es im Anschluß für sein Erzählen auszuschließen. Daß Iwein nun - getrieben von der Sorge, keinen Zeugen für seinen Sieg über den Brunnenherrscher vorweisen zu können (Vv. 1069f.) - Ascalon hinterherjagt (vgl. V. 1056), läßt diese Diskrepanz zwischen narratio und Erzählerebene umso deutlicher hervortreten: 19 Während der Erzähler sich zunächst auf Grund des Mangels an Augenzeugen weigert, den Kampf zu schildern, dann jedoch souverän über Details verfügt (vgl. Vv. 1045ff.), wird in den Handlungen und Äußerungen der Protagonisten Iwein und Keiî das vermeintliche Problem des Erzählers wieder aufgegriffen. Das Beglaubigungspotential der adtestatio rei visae im besonderen und historisierender Erzählmodi im allgemeinen (so im lügenmaere der Zofe) wird damit insofern relativiert, als es nur noch auf der Ebene der histoire Gültigkeit erlangt. Damit werden die im ‹Iwein› begegnenden Historisierungsstrategien nicht wie Kellermann meint 20 dazu genutzt, die matière de Bretagne zu rehistorisieren, sie dienen vielmehr dazu, diese der historia verpflichteten Topoi als sekundär zu entlarven. Entgegen Schmitts Annahme, die «Inszenierungen von Glaubwürdigkeit [zeichneten] sich […] insgesamt durch ihre Konsistenz und Widerspruchsfreiheit aus», 21 läßt sich vielmehr festhalten, daß bei Chrétien und ihm folgend bei Hartmann ein Spiel mit dieser ‹Inszenierung› zu erkennen ist, das Faktizität als Wahrheitskriterium des Erzählten ad absurdum führt: 22 Historisierende Erzählelemente und Beglaubigungsstrategien werden inner- Galeotto fu il libro e chi lo scrisse? 287 18 Vgl. dazu Kap. I.2.2.1 und I.3 d.A. 19 Vgl. dazu detailliert Kap. I.2.2.6 d.A. 20 Vgl. Kellermann, «Exemplum» und «historia», S. 10. 21 Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, S. 274. 22 Bei Chrétien verhält es sich insofern ähnlich, als hier über den impliziten Verweis auf Wace innerhalb der Calogrenant-Erzählung deutlich wird, daß des Erzählers ‹Wundersuche› im ‹Rou› (vgl. Vv. 6395ff.) nur in die Irre führen kann, da sie die Fiktionalität der erzählten aventures/ merveilles ignoriert. halb des fiktionalen Erzählrahmens verfügbar und damit ihrer traditionellen Funktion und ihres Autoritätsanspruchs beraubt. Der ‹Lancelot› scheint dieser Entfunktionalisierung und Verfügbarkeit von historia die Re-Historisierung der matière de Bretagne entgegenzusetzen. Für diese Lesart des Werks ist vor allem Knapp eingetreten, der den Status des ‹Lancelot› als historia unter anderem im Rückgriff auf Dante zu plausibilisieren sucht: «Was Dante als historische Quelle recht war, sollte uns billig sein.» 23 Wenn Dante also - so ließen sich Knapps Überlegungen zusammenfassen - Lancelot als historische Figur und die Erzählung von Lancelot somit als historia verstanden habe, so sollten auch wir ‹modernen› Leser Abstand davon nehmen, dem ‹Prosa-Lancelot› eine Form von Fiktionalität zu bescheinigen, die über traditionelle Legitimationsgebundenheit hinausgeht. 24 Dieses Diktum Knapps wirft bei näherem Hinsehen jedoch Zweifel auf, und zwar ist erstens die «berühmte Erwähnung Galehots in der Geschichte von Paolo und Francesca» 25 keineswegs so eindeutig, wie Knapp suggeriert. Zweitens sind in Dantes ‹Commedia› (Inferno) auch weitere Belege dafür zu finden, daß historische Exempla mit fiktionalen oder aber literarischen ‹vermischt› werden. Die Tatsache, daß Dante Lancelot wiederholt als Exempel heranzieht, 26 deutet sicherlich auf eine didaktisch motivierte Rezeption, daß damit jedoch Historizität begründet wird, ist nicht eindeutig. Vielmehr empfiehlt die antike Rhetorik den Gebrauch sowohl von historischen als auch poetischen Exempla, 27 wobei allerdings den poetischen Exempla gemeinhin eine geringere Glaubwürdigkeit zukam. 28 Ferner erzeugt Knapps Einwand, im fünften Gesang des ‹Inferno› sei ausschließlich von der verführerischen Lektüre des Romans die Rede, 29 den Eindruck, als werde der Protagonist Lancelot hier gar nicht erwähnt. Ehe jedoch 288 Galeotto fu il libro e chi lo scrisse? 23 Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 189. 24 Er bezieht sich dabei zuvorderst auf zwei Stellen aus Dantes Oeuvre, und zwar die Erwähnung Lancelots im fünften Gesang des Inferno der ‹Divina Commedia› sowie auf Part IV aus Dantes ‹Convivio›, in dem Lancelot zusammen dem Ghibellinenführer Guido da Montefeltro genannt wird. Der Hinweis auf die Rezeption des Lancelot-Stoffes bei Dante eröffnet ohne Zweifel interessante Möglichkeiten der Interpretation, die auf Grund ihrer Komplexität einen eigenständigen Forschungsbereich eröffnen, der hier nicht hinreichend untersucht werden kann. 25 Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 189. 26 Das exemplum wird hier in der Figur gefaßt, so daß auch von Antonomasie gesprochen werden kann, vgl. Lausberg, HbRh, S. 699 und § 581. 27 Vgl. Lausberg, HbRh, § 410ff., vgl. insbesondere § 411: «Die inhaltlichen Quellen des exemplum entsprechen den Arten der Vorgangserzählung […]. Es gibt somit das der historia […] entsprechende historische exemplum [und] das der fabula […] entsprechende poetische exemplum […].» 28 Vgl. ebd., sowie Knapp, Historische Wahrheit und poetische Lüge, S. 591. Wobei die Figur Lancelot natürlich kein wirkliches poetisches, erdichtetes Exempel darstellt, sondern lediglich der Literatur entnommen ist, vgl. Anm. 26 und 27 d. Kap. 29 Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 189. das Wort galeotto fällt (V,137), werden Lancelot und seine Liebe explizit genannt (V,128), so daß die «verführerische Lektüre» mit seinem Namen direkt verbunden wird. Darüber hinaus ist nicht nur der Akt des Lesens verführerisch, sondern Buch/ Erzählung und Verfasser werden gleichsam als Verführer angesprochen. 30 Die Bezeichnung galeotto wird somit übertragen gebraucht, indem sie nicht nur auf die Episode des ‹Prosa-Lancelot› hinweist, in der Galahot Lancelot und Ginover dazu anhält, ihr Minneversprechen mit einem Kuß zu besiegeln, 31 sondern indem galeotto nun auch das Buch bzw. die Erzählung und deren Verfasser bezeichnet. Wie Galahot im erzählten Geschehen als Urheber des Kusses (nicht der minne, die ja bereits früher existiert 32 ) gilt, so werden für Paolo und Francesca - natürlich aus der ihnen vom Verfasser in den Mund ‹gelegten› Perspektive - das Buch und dessen Urheber zum Auslöser des Kusses. Dieser metonymische Gebrauch des Eigennamen macht ferner eine weitere Ambivalenz deutlich, denn galeotto kann auch ‹unglaubwürdiger Schurke› oder gar ‹Speichellecker› bedeuten, 33 also in jedem Fall auch pejorative Konnotationen aufweisen. So werden sowohl die negativen Aspekte als auch die aus dem Roman entlehnten positiven Elemente des ritterlich feinen Liebesboten aufgerufen. Deutlich wird somit aber auch, daß Lancelot hier zuallererst als literarische Figur gedacht wird, die zwar - wie Tristan - als Exempel ritterlich-höfischer Liebe gelten mag, deren erzähltes Verhalten jedoch - bei falscher Rezeption - letztlich negative Konsequenzen bedeuten kann. Aus diletto (V,127) lesen Francesca und Paolo - hier an bloße delectatio zu denken liegt nicht fern. So ist gleichsam eine Kritik an der Lancelot-Erzählung (zumindest jedoch ihrer Rezeption) 34 formuliert, die - wie das Exempel des Paares Galeotto fu il libro e chi lo scrisse? 289 30 Vgl. dazu auch Hoffman, Donald L.: Lancelot in Italy. In: A Companion to the Lancelot- Grail Cycle. Ed. Carol Dover. Cambridge 2003 (Arthurian Studies), S. 163-172, bes. S. 164. Vgl. auch Stierles Bemerkungen zu dem um 1268 entstandenen Roman ‹Claris et Laris›, in dem der Protagonist über die Lektüre zur Liebe gelangt, Die Verwilderung des Romans, S. 262. 31 LG I, 800,8-26. 32 Vgl. ebd., S. 788,14ff., sowie Meyer, Matthias: Causa amoris? Noch einmal zu Lancelot und Galahot. In: Spannungen und Konflikte menschlichen Zusammenlebens in der deutschen Literatur des Mittelalters. Bristoler Colloquium 1993. Hgg. Kurt Gärtner u.a. Tübingen 1996, S. 204-214, bes. S. 204ff. 33 Vgl. das Dizionario etimologico italiano. Bd. III: Fa-Me. Hgg. Carlo Battisti und Giovanni Alessio. Florenz 1952, S. 1750. 34 Vgl. Haug, Walter: Lesen oder Lieben? Erzählen in der Erzählung, vom ‹Erec› bis zum ‹Titurel›. In: PBB 116 (1994), S. 302-323, hier S. 320, der betont, daß die Liebenden der imitatio gegenüber der Reflexion des Erzählten den Vorzug gäben. Vgl. dazu auch Hirdt, Willi: Ein Kuß mit Folgen. Zum 5. Gesang des Inferno in der Divina Commedia. In: Sprache und Literatur in der Romania. Tradition und Wirkung. Fs. Horst Heinze. Hgg. Irmgard Osols-Wehden u.a. Berlin 1993, S. 29-37, hier S. 35. Hirdt verweist ferner auf Petrarca, der «in seinem allegorischen Werk Trionfi dem an ihm vorbeidefilierenden Zug großer Liebhaber - im unmittelbaren Anschluß an die mißbilligend genannte Semiramis! - jene einreiht, ‹die die Bücher mit Träumen anfüllen› […] Zu diesen zählt - neben Francesca und Paolo zeigt - ins Verderben führen kann; denn die im Winde der Hölle treibenden Liebenden haben (nach Dante) den ‹Lancelot› eben nicht als lêre einer unheilbringenden Liebe gelesen, sondern die Lektüre zum Anlaß genommen, einen ähnlich fragwürdigen Weg einzuschlagen. 35 Francescas Erklärung gleicht damit der «fatale[n] Entscheidung [Sigunes] für die ‹delectatio› einer ‹aventiure›», die Neukirchen im Hinblick auf Albrechts ‹Jüngeren Titurel› konstatiert. 36 Gleichwohl ist hier zu bedenken, wer von der Lektüre erzählt, denn es ist Francesca, die das Leseerlebnis als (bestimmenden) Auslöser, als erste Wurzel (la prima radice, V,124) des Ehebruchs benennt. 37 Francesca, eine historische Person, berichtet von einem durch Literatur initiierten Erlebnis, das wiederum ‹historische› Folgen hat, und zwar innerhalb der erzählten Welt. Diese bewußte Verschachtelung verschiedener Ebenen verleiht dem Erzählten eine Dimension, die über eine bloße Gegenüberstellung von Fiktionalität und Historizität hinausgeht, zumal sich diese Mischung historischer und literarischer Exempelfiguren auch früher in Gesang V findet, wenn Vergil dem Wanderer die Namen der umherwirbelnden Seelen offenbart (V,52ff.) 38 und dabei auch Tristan und Dido nennt. Die Beweisbzw. Aussagekraft jener Figuren ist in der literarischen Tradition begründet, nicht in ihrer (vermeintlichen) Historizität. Auch die Erwähnung Lancelots im ‹Convivio› fügt sich in diese Über- 290 Galeotto fu il libro e chi lo scrisse? den ausdrücklich genannten Lanzelot, Tristan, Guinevere und Isolde - schließlich auch ‹das Paar von Rimini› […]», ebd. 35 Die delectatio, der die Lektüre (laut Francesca) entspringt, leibt sich somit den dem Exempel innewohnenden Appell zur imitatio ein, indem nicht das unheilvolle Ende der Liebenden Ginover und Lancelot als Warnung fungiert, sondern nur ein Ausschnitt des Erzählten berücksichtigt wird. Francescas Äußerung: «An jenem Tage lasen wir nicht weiter» (V,138) kann, deutet man sie wörtlich, als Begründung gelten: Wenn sie das Ende der Erzählung nicht kannten, konnten sie auch die negativen Folgen nicht kennen. 36 Neukirchen, Die ganze aventiure, S. 341. Vgl. auch ebd., S. 334 (Anm. 4). 37 Vgl. dazu Hatcher, Anna/ Uma, Mark: The Kiss Inferno V and the Old French Prose- Lancelot. In: Comparative Literature 20 (1968), S. 97-109. 38 Auch im Paradiso findet sich ein Verweis auf die Lancelot-Erzählung, wenn es heißt, die abseitsstehende, lächelnde Beatrice gleiche jener, «die einst gehustet/ Beim ersten Fehltritt von Ginevra» (Par., XVI,14f.). Beatrice wird hier mit der Dame von Maloaut verglichen, die dem von Galahot initiierten Treffen zwischen Lancelot und Ginover beiwohnt. Als die beiden, die sich in einiger Entfernung befinden, sich allzu angeregt unterhalten, räuspert sich die Dame von Maloaut als der da sprichet: ich weiß wol was ir meynet (LG I, 792,37-794,1). Durch eine List wird sie später die Vertraute Ginovers, die wiederum ein Liebesbündnis zwischen der Dame von Maloaut und Galahot stiftet und somit Galahots frühere Rolle übernimmt (auch Ginover initiiert den ersten Kuß des Paars ‹Galahot-Maloaut›). Da ungewiß ist, in welcher Form Dante die Lancelot-Erzählung kannte, ist die Frage nach dem Vergleich zwischen der Dame von Maloaut und Beatrice müßig. Festgehalten sei jedoch, daß die Dame von Maloaut in dieser Episode des mhd. ‹Lancelot› komödiantische Züge erhält, da sie - selbst in Lancelot verliebt - das Treffen zwischen Königin und Ritter mißtrauisch und argwöhnisch beäugt. Ihr Räuspern ist daher weniger eine freundschaftliche Warnung der Liebenden, als vielmehr eine versteckte Drohung. legungen und muß nicht zwingend darauf hindeuten, daß Lancelot hier als historische Person aufgefaßt wird, vielmehr scheint der Wert des moniage hier sowohl durch ein der Literatur entnommenes als auch durch ein (zeitgenössisches) historisches Beispiel dargestellt zu werden. Somit verbindet sich die deutlichere, weil historisch begründete Glaubwürdigkeit mit der Exempelfunktion der literarischen Tradition. Gerade im Inferno wird Lancelot durch das von Francesca geschilderte Leseerlebnis deutlich an Literatur gebunden, ohne daß die Frage nach der Historizität überhaupt thematisiert wird. Darüber hinaus gilt es zu bedenken, daß Guido da Montefeltro nicht nur im ‹Convivio›, sondern ebenfalls im ‹Inferno› Erwähnung findet, und zwar in canto XXVII, auf die in einer Flamme erscheinenden Seelen des Odysseus und Diomedes folgend. 39 Zwar ist hier sicherlich der Verrat des Papstes Bonifaz VIII. von vorrangiger Bedeutung, aber dennoch geht auch im Falle des Exempels ‹Guido da Montefeltro› eine rein positive sowie ausschließlich historisierende Zuordnung nicht eindeutig auf. Vielmehr werden auch hier die historischen ‹Fakten› als Erzählfundus genutzt, 40 Kritik an der päpstlichen Gewalt zu üben: Das Schicksal Montefeltros wird literarisiert zugunsten der dem canto eingeschriebenen (politischen) Stellungnahme. Damit soll dem Exempel ‹Guido da Montefeltro› natürlich nicht seine auf Historizität gegründete Basis entzogen werden; gleichwohl muß jedoch bedacht werden, daß im ‹Convivio› lediglich der positive Aspekt des moniage angesprochen, dessen unglücklicher Ausgang jedoch in der ‹Commedia› geliefert wird. Recht und billig war der ‹Prosa- Lancelot› (bzw. eine Version des Lancelotstoffes) Dante daher wohl zunächst als literarischer Fundus, der sich vor allem im Hinblick auf die Liebesthematik dazu anbot, das Schicksal Paolos und Francescas zu literarisieren. Die Erwähnung Lancelots bzw. die Hinweise auf eine Dante bekannte Version des Prosaromans liefern daher weder einen überzeugenden Beweis dafür, daß Dante das Werk als historische Quelle verstand, noch besagen sie, daß die Erzählung von Lancelot generell als historia aufgefaßt werden sollte. Es bleibt also nur, nach den im Werk selbst begegnenden Re-Historisierungsstrategien und ihrer Konstitution zu fragen, um zu einer Antwort hin- Galeotto fu il libro e chi lo scrisse? 291 39 In diesem Zusammenhang wäre eigentlich zu untersuchen, inwiefern die Figuren der griechischen Sage hier tatsächlich noch historisch geglaubt oder aber als (Personifikations-)Allegorien verwendet wurden, im Falle des Odysseus vielleicht als Allegorie von superbia und curiositas. Hinsichtlich der Fiktionalitätsdebatte bewegt man sich dann natürlich immer noch im Bereich funktionaler fictio. Eher in den Bereich der Allegorie scheint mir auch die Erwähnung Mordrets im ‹Inferno› (canto XXXII,62f.) zu gehören, auch wenn Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 188, bemerkt, daß niemand leugnen wolle, daß Dante «hier [im untersten Höllenkreis] nur historische Gestalten gebrauchen konnte». 40 Nicht zuletzt die Namensgleichheit von Verfasser und Ich-Erzähler macht deutlich, daß Dante historische und literarisch-fiktionale Ebene bewußt miteinander zu verbinden wußte; er sich auch der Trennung und des Potentials einer solchen ‹Verschachtelung› bewußt war. sichtlich der im ‹Prosa-Lancelot› sich offenbarenden fictio- und historia- Konzeptionen zu gelangen. Diesbezüglich wurde in den Betrachtungen zum ‹Prosa-Lancelot› zu zeigen versucht, daß die prominenten Re-Historisierungsstrategien immer zugleich die Möglichkeit in sich tragen, die Re-Historisierung der matière de Bretagne zu konterkarieren. Im Falle der Prosaform geschieht dies durch das mit ihr eng verbundene Organisationsprinzip des entrelacements, das den Historizitätsmerkmalen der brevitas und Klarheit entgegensteht. 41 Weitaus bedeutsamer sind aber das als unstimmig präsentierte Quellenkonstrukt sowie die an zahlreichen Textstellen begegnende implizite Problematisierung der Wahrheitsthematik. 42 Hierzu tritt ferner auch die Inanspruchnahme ‹märchenhafter› Erzählstrategien, die in den untersuchten Episoden zumindest punktuell eine Wirkung entfalten, die das Erzählte in einen Fiktionalitätsbereich hebt, der sich nicht in einer bloßen Funktionalität erschöpft. Vielmehr wird die vorgebliche Faktizität durch den ästhetischen Eigenwert des Wunderbaren gleichsam entgrenzt und knüpft damit an die literarästhetischen Eigenheiten des ‹klassischen› Artusromans an. Den ‹Lancelot› auf diese Problematisierung und Relativierung von Historisierungsstrategien 43 reduzieren zu wollen, hieße die Vielschichtigkeit des Werkes ignorieren; dies bedeutet jedoch nicht, daß man im Hinblick auf die fictiorespektive historia-Konzeptionen in diesem Werk «nicht fündig» 44 werden würde - im Gegenteil: Gerade die Ambivalenz und Komplexität des ‹Lancelot› legen die Annahme nahe, daß er eine Vielzahl von poetologischen Elementen in sich vereint und somit auch ein signifikantes Licht auf die Frage nach der Entwicklung von fictio und historia wirft, da das Werk schließlich nicht im ‹luftleeren› Raum verfaßt wurde, sondern sich mit der Ausprägung von fictio und der Relativierung von historia, wie sie im ‹klassischen› Artusroman begegnen, auseinandersetzen mußte. Vor diesem Hintergrund scheint es, als sei im Anschluß an die Artusromane Chrétiens und Hartmanns das historisierende Erzählen von Artus und seinen Rittern nicht mehr uneingeschränkt möglich: Der Erzählstoff, die matière, war vielmehr derart mit dem Fiktionalitätsverdacht verbunden, 45 daß nicht ausschließlich die Ausprägungen von fictio, sondern auch die Frage nach historisierenden Erzählmöglichkeiten brisant wurde. Im ‹Prosa-Lancelot› werden damit nicht einfach alle fictio-Signale durch Historizitätsmerkmale ersetzt, 46 sondern es scheint nach einer Möglichkeit gesucht zu werden, das als 292 Galeotto fu il libro e chi lo scrisse? 41 Zu diesen Merkmalen vgl. Knape, Historie, bes. S. 64 und 91. Vgl. auch Stierle, Die Verwilderung des Romans, bes. S. 275f. 42 Vgl. Ziegeler, Schrift und Wahrheit, bes. S. 208, wo er konstatiert, daß «innerhalb des Textes […] Schriftlichkeit und Augenzeugenschaft geradezu systematisch daraufhin befragt [werden], wie anfällig sie für Fälschungen» seien. 43 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. II. d.A. 44 Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 189. 45 Vgl. dazu auch Kap. II.4 d.A. 46 Vgl. Knapp, Erzählen, als ob es Geschichte sei. In: Historie und Fiktion (II), S. 186. fiktional etablierte Erzählen von Artus wieder in die Historizität zu überführen. Da aber mit der Inanspruchnahme von Fiktionalität im Bereich der matière de Bretagne auch die Relativierung historisierender Erzählelemente einhergeht (so im ‹Yvain›/ ‹Iwein›), ist der ‹Lancelot› zuallererst auch das literarische Zeugnis einer Auseinandersetzung mit dieser relativierten Historizität: D.h., auf der Basis des bereits als fiktional etablierten Artusromans wird hier versucht, eine historia von Artus erneut entstehen zu lassen - die produktionsästhetischen Bedingungen werden demnach gleichsam umgekehrt. Der ‹Prosa-Lancelot ist also kein «Geschichtsroman», 47 vielmehr wird in ihm Geschichte fingiert, und es wird gleichzeitig vorgeführt, daß die traditionellen Historisierungselemente nicht mehr universell gültig sind. Was somit im ‹Yvain› und im ‹Iwein› zum Spiel mit Historizität gerät, wird im ‹Prosa- Lancelot› problematisiert: Gerade im Versuch, die arthurische Erzähltradition zu re-historisieren, wird vorgeführt, daß diese vermeintliche Historizität ein an Erzählstrategien gebundenes Konstrukt darstellt, dessen traditionelles Beglaubigungspotential nicht mehr uneingeschränkt gültig sein muß. Damit offenbart der ‹Prosa-Lancelot› das Paradox, die von Funktionalität entbundene fictio des ‹klassischen› Artusromans gleichzeitig abzulehnen und dennoch ihre Gültigkeit hervorzuheben. Insofern wird nicht einfach ein ‹historisierendes› Gegenstück zum ‹klassischen› Artusroman entworfen, sondern es werden die Möglichkeiten und insbesondere Limitationen historisierenden Erzählens im Bereich der matière de Bretagne reflektiert und letztlich an ihre Grenze geführt: Denn nicht nur die âventiuren als konstitutives Merkmal des ‹klassischen› Artusromans, sondern selbst der Gral und damit die Möglichkeit zur (heils-)geschichtlichen Überhöhung werden dem Artusreich und dem Erzählen von Artus entzogen. Nichtsdestoweniger liefert der Text zumindest aus Figurensicht einen Hinweis darauf, daß dieses ‹Ende› wieder aufgehoben werden kann, wenn Sornehans in ironisierender Auseinandersetzung mit dem typischen ‹Märchenglück› der Artusritter folgendes bemerkt: 48 Er hub an zu lachen und <206> sprach: ‹Furware, die von der tafelrunde sint gluckhafftiger dann all ander ritter, wann wern sie dot, sie fúnden nach mym dúncken die ghenen die sie wiedder lebendig mechten› […]. (LGr. I, 372,18ff.) Diese ‹Auferstehung› ist dem Erzählen von Artus tatsächlich bis heute auf verschiedenste Weise beschieden. 49 Galeotto fu il libro e chi lo scrisse? 293 47 Reil, Liebe und Herrschaft, S. 245 und 254. 48 Diesen Textbeleg führt auch Unzeitig-Herzog, Jungfrauen und Einsiedler, S. 163, an, allerdings ohne den in dieser Figurenrede ironischen Duktus zu bemerken. 49 Selbst im ‹Lancelot› begegnet diese Möglichkeit: Die âventiure von Merlins Turm (vgl. LG II, 696f.), von der ein Hausherr Lancelot berichtet, bleibt unversucht, da Lancelot seinen Termin mit König Bandemagus einhalten muß. In diesem Turm, so der Hausherr, befänden sich alle Wunder der Welt, ausgenommen des Grals. Die Inschrift auf einem Grab am Eingang des Turms, von der der Hausherr berichtet, besagt, daß alle Wunder so lange bestehen blieben, bis Lancelot komme (ebd., 698,10f.). Da Lancelot dieser Der ‹Prosa-Lancelot› bildet damit zwar nicht zwangsläufig den Beginn einer neuen Gattungstradition, 50 aber er markiert nicht zuletzt auf Grund der in ihm begegnenden Problematisierung und Reflexion von fictio und historia einen signifikanten Punkt im Bereich des arthurischen Erzählens im besonderen und mittelalterlicher Erzählmöglichkeiten im allgemeinen, da er den eigenen Status als fingierte historia nicht verdeckt, sondern den Rezipienten offenbart: Die vermeintlich im Dienste von Glaubwürdigkeit und Historizität stehende Quellenfiktion überschreitet damit ihren traditionellen Anspruch, indem sie sich dem Rezipienten als historisierendes Konstrukt zu erkennen gibt. Die Verfügbarkeit historisierender Erzähltopoi und -strategien setzt sich - wenn auch nicht linear 51 - innerhalb der Literaturgeschichte fort und bildet damit eine wesentliche ‹Begleiterscheinung› bei der Etablierung fiktionalen Erzählens, 52 deren Bedingungen und Möglichkeiten auf vielfältige Weise ausgelotet werden können. Das bedeutet freilich nicht, daß die traditionelle Unterscheidung zwischen der historia und fictio im Sinne einer freien Erfindung (wie der fabula) prinzipiell aufgegeben wird; aber sie wird zumindest punktuell 294 Galeotto fu il libro e chi lo scrisse? âventiure nicht nachgeht, wird somit innerhalb der narratio die Möglichkeit suggeriert, daß auch nach der Gralsuche zumindest eine âventiure bestehen bleibt. 50 So Reil, Liebe und Herrschaft, S. 237, und ihr folgend Waltenberger, Das große Herz, S. 187, sowie von Merveldt, Translatio und Memoria, S. 186ff. und 250ff. 51 Damit ist freilich nicht gemeint, daß Beglaubigungsstrategien per se als topische Floskeln oder raffinierte Fiktionssignale zu lesen seien. Vielmehr sehe ich ein Nebeneinander von relativierter und traditionell beglaubigender Historizität. Anders Schmitt, Inszenierungen von Glaubwürdigkeit, bes. S. 274f., und Knapp, Historiographisches und fiktionales Erzählen. In: Historie und Fiktion (II), S. 36, der hier mit dem Verweis auf Diderot (‹Jacques le fataliste›) folgendes festhält: «Ganz im Gegenteil scheint es gänzlich undenkbar, daß die Behauptung, historische Wahrheit zu berichten, allein in Form einer notorischen Inversion vom 12. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts überlebt und dann noch als Mittel witzigen literarischen Spiels getaugt hätte.» Dem läßt sich entgegenhalten, daß gerade die Auseinandersetzung u.a. mit dem alten Vorwurf Solons, die Dichter lögen, zu immer neuen Reaktionen herausgefordert hat. Das Spiel mit den Verifikationsmustern und Möglichkeiten wahrheitsgetreuen Erzählens bzw. das Insistieren auf der Erschaffung einer eigenen literarischen Wirklichkeit konnte gerade deshalb ungebrochen wirken, da ihm bis heute eine grundlegende Bedeutung zukommt. So wie auch bestimmte Themen und Motive in der Literatur stets wiederkehren, ist auch die Beschäftigung mit der Wahrheit von Literatur - sei sie nun ironisches Spiel oder Ernst - ein poetologisches Universale. 52 Vgl. auch Haug, Geschichte, Fiktion und Wahrheit, S. 128ff., sowie Ebenbauer, Alfred: Das Dilemma mit der Wahrheit. Gedanken zum ‹historisierenden Roman› des 13. Jahrhunderts. In: Geschichtsbewußtsein in der deutschen Literatur des Mittelalters. Tübinger Colloquium 1983. Hgg. Christoph Gerhardt u.a. Tübingen 1985, S. 52-71, bes. S. 70f. Für den Zeitraum des 16. und 17. Jahrhunderts vgl. auch Kleinschmidt, Erich: Die Wirklichkeit der Literatur. Fiktionsbewußtsein und das Problem der ästhetischen Realität von Dichtung in der Frühen Neuzeit. In: DVjs 56 (1982), S. 174-197. Kleinschmidt setzt sich insbesondere mit der Aristotelesrezeption und der Umdeutung des antiken Mimesis-Konzepts auseinander, vgl. ebd., S. 176ff. aufgebrochen. Was Stierle unter gattungstheoretischen Gesichtspunkten für die Entwicklung des Romans gezeigt hat, 53 läßt sich demnach mit der Entwicklung der fictio- und historia-Konzeptionen und ihrer narrativen Inanspruchnahme vergleichen: Erst wo ‹chanson de geste› und ‹höfischer Roman› sich zu einer neuen Struktur verbinden, wird die Form des Romans zu einer dialektischen Form, die immer neu hervorgeht aus einem gattungskonstitutiven Widerspruch, der gleichsam die Unruhe bildet, die den Roman immer wieder neu aus seinen Verfestigungen und Begrenzungen ausbrechen ließ. 54 Mit dieser Entwicklung einher geht die den Gattungen inhärente Frage nach dem Status der Aspekte von fictio und historia, die nicht bei einer bloßen Entgegensetzung verharrt, sondern in eine produktive Auseinandersetzung mündet. Eine nicht länger an Legitimationsfunktionen gebundene Fiktionalität sowie relativierte oder fingierte Historizität werden damit sicher nicht zur Regel mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Erzählens, aber sie sind verfügbar und werden auch im weiteren Verlauf der Literaturgeschichte implementiert und weiterentwickelt, was sich nicht zuletzt anhand einiger Prosaromane der frühen Neuzeit nachweisen ließe: So zeigt sich z.B. auch in Thürings ‹Melusine›, daß die als historisch verstandenen mythisch-genealogisch gebundenen Erzählelemente der französischen Vorlage bei Thüring (wieder) für fictio verfügbar werden, so daß seine ‹Melusine› sich letztlich als ein bewußtes Spiel mit den res factae und res fictae offenbart. 55 Diese ‹Autonomisierung› von fictio und die mit ihr einhergehende Relativierung traditioneller historia-Elemente existieren damit nicht nur «für einen historischen Moment», 56 sondern sie entfalten sich graduell und werden somit an verschiedenen literarhistorischen Punkten auf unterschiedliche Weise greifbar. Ihre spezifische Ausprägung, muß die jeweilige Textinterpretation erweisen, die bei aller gebotenen Vorsicht nicht vergessen sollte, daß im mittelalterlichen Erzählen gerade in der (spielerischen) Auseinandersetzung mit fictio und historia «neue Arten der Verzauberung […] erfunden» 57 wurden. Nicht nur fictio, sondern auch (fingierte) Historizität kann damit zum galeotto im doppelten Sinne des Wortes geraten. Galeotto fu il libro e chi lo scrisse? 295 53 Vgl. Stierle, Die Verwilderung des Romans. 54 Ebd., S. 258. 55 Vgl. Verf.: gotes wvnder oder gespenste? Fiktionalität und Historizität in der Melusine Thürings von Ringoltingen. In: Fortunatus, Melusine, Genovefa. Internationale Erzählstoffe in der deutschen und ungarischen Literatur der Frühen Neuzeit. Hgg. Dieter Breuer und Gábor Tüskés. Bern u.a. 2010 (Beihefte zu Simpliciana, 6), S. 167-190. 56 Knapp, Erkenntnis und Fiktion. In: Historie und Fiktion (II), S. 256. 57 Cervantes, Don Quijote, Bd. I, S. 531. 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Autoren und Werktitel Aristoteles (II,75), (III,52) ‹Poetik› (Einl., 145) Augustin 7, 61, 188, (II,333), (II,505) ‹Confessiones› (II,243) ‹De civitate Dei› (I,117), (I,153), (II, 281) ‹De magistro› (II,229), (II,251) ‹De mendacio› / ‹Contra mendacium› (II,274) Bernardus Silvestris (Einl., 61) Brant, Sebastian ‹Das Narrenschiff› (II,595) Brun von Schönebeck ‹Das hohe Lied› 219 Chrétien de Troyes 5, (Einl., 25), 7, (Einl., 33), 11, 14, 18ff., 35-38, 71f., 81, (I, 193), 127, 134f., (II,45), 146, 154, 163, 186, 212, 220, 270, 281, (II,618), (III, 17), 292 ‹Le Chevalier au Lion (‹Yvain›)› 33, 36, (I,15), 54, 83, 87, 89ff., (I,227), 98, 103f., 106, (I,295), 109, 113f., (I,323), 122, 124, 128, 136, 147, (II, 177), 173, (II,185), 176, (II,362), 221ff., (II,586), 281, 284, 286f., 293 ‹Erec et Enide› 3, 12, (Einl., 105) (Einl., 108), 20, 39, 42f., 48f., 50, (I,84), 58, 62, 68, 71, (II,41), (II,183), 221, 223, (II,386), (II,537), (II,552), (II, 565), 284 ‹Lancelot (‹Le Chevalier de la Charrete›)› (II,30), (II,84), (II,172) ‹Le Roman de Perceval ou Le Conte du Graal› 159 Cicero ‹De Oratore› (Einl., 147), (I,256) ‹De inventione› (II,127) Dante 288, (III,24), 290f., (III,40) ‹Convivio› (III,24), 290f. ‹Divina Commedia› (II,527), (II,528), (II, 530), (II,532), 288, (III,38), (III,39) Eco, Umberto ‹Baudolino› 2, (III,1) ‹Fortunatus› (II,523), (II,527), (II,585) Geoffrey of Monmouth (I,280), 154, 247 ‹Historia regum Britanniae› (Einl., 64), (I,193), 132, 211, 215, (II,390), 225, (II,491) Gottfried von Straßburg (Einl., 72), 52, 70, (II,255) ‹Tristan› 28, (I,73), (I,81), (I,93), (I, 99), 70, (I,151), (I,263), (I,272), (I, 374), (II,255), (II,287), 289f. Register Autoren und Werktitel Hartmann von Aue 3, (Einl., 25), 19f., 32, 40, (I,34), 42, (I,54), 47, (I,63), 49f., (I,73), (I,82), (I,92), (I,98), 58, 62, 67ff., (I,152), 71, 81f. 87, (I,212), (I,227), 94, (I,239), 98, (I,247), (I,250), (I,267), (I,280), 106, 121, 127f., (II,40), 221, (II,545) ‹Der arme Heinrich› (I,289) ‹Erec› 21, (Einl., 116), (Einl., 312), 31ff., 35ff., 39-71 passim, 72, 74, 76, 78ff., 81-84, (I,214), 98, 101, (I,271), 105, 114f., 122f., 125, 127, 132-136 passim, (II,28), (II,45), 148, (II,234), 216, (II,381), 242, 245, 247, (II,506), 254, (II,532), (II, 545), (II,552), (II,565), 268, 284f. ‹Gregorius› (I,62), (I,82), (I,237), (I, 289), (I,388) ‹Iwein› (Einl., 33), 31, 33, 35ff., (I, 58), (I,73), 54, (I,146), (I,171), 75, 81-128 passim, 130ff., 132-136 passim, (II,40), 147f., (II,122), (II, 177), (II,182), 176f., (II,234), 186, (II,254), 199, (II,362), 221ff., 226f., (II,419), 239, (II,506), (II,556), 271, 281, 284-287, 293 ‹Klagebüchlein› (I,237) Heinrich von dem Türlîn (Einl., 33), (I, 65) ‹Diu Crône› (Einl., 20), (Einl., 52), (Einl., 177), (I,92), (I,110), (I,165), (I,292), 136, (II,122), (II,192), (II, 221), 271, (II,611) Heinrich von Veldeke, 75 ‹Eneas› (Einl., 58), 16, 28, 45ff., (I, 93), (I,96), (I,125), (I,174), (I,176), 92, 95, (I,370), (I,374), (II,166), (II, 278), (II,527), (II,569), Heinrich Wittenwîler ‹Der Ring› (II,77), (II,278) Hugo von Trimberg ‹Der Renner› 154 Isidor von Sevilla 99, 121 ‹Etymologiae› 7, (Einl., 46), (Einl., 47), (Einl., 165), (I,251) Jacobus de Voragine ‹Legenda Aurea› (I,64) Jean Bodel 245 ‹Chanson des Saisnes› (Einl., 64), (Einl., 146) John Hardyng 177 ‹The Chronicle of John Hardyng› 177 ‹Kaiserchronik› (II,398) ‹Die Klage› 33, 83, (I,321), (I,345), 128- 132, (II,13), 148, 163, 167, (II,176), (II,340), (II,360), 221, 223 ‹König Rother› (I,374), (I,383), (II,86), (II,287) Konrad (Pfaffe) ‹Rolandslied› (Einl., 177), (II,374) Konrad von Fußesbrunnen ‹Die Kindheit Jesu› 121, (I,348), (II, 181), Konrad von Megenberg ‹Buch der Natur› (II,434) Konrad von Mure ‹Summa de arte prosandi› (II,275) Konrad von Stoffeln 14 ‹Gauriel› (Einl., 20), (Einl., 72), 29, 31f., 66f., 71, (I,322), (I,354), (I, 363), 135f., (II,112), (II,472) ‹Lancelot› s. ‹Lancelot en prose› und ‹Prosa-Lancelot› ‹Lancelot en prose› (Einl., 178), 137, (II, 6), 138-143, 153f., 160, 165f., 168f., (II,230), (II,268), (II,329), (II,348), (II,352), (II,406), (II,482), (II,498), (II,507), (II,584), (II,589), 272 ‹Lucidarius› 150, (II,73), 154, (II,172) Matthäus von Vendôme (II,372) ‹Ars versificatoria› (Einl., 105) Miguel de Cervantes Saavedra ‹Don Quijote› (Einl., 48), (I,249), 112, (III,57) ‹Nibelungenlied› 28, (Einl., 163), (Einl., 177), (I,237), 129,131, (II,13) Ovid, (I,173) ‹Metamorphosen› 60 326 Register ‹Physiologus› (II,418) ‹Prosa-Lancelot› 5, 29, 31, 33f., (I,193), (I,292), (I,374), (I,382), 137-281 passim, 288f., 292ff. Quintilian ‹Institutio Oratoria› (I,330) ‹Rhetorica ad Herennium› (Einl., 75), 16, (Einl., 165), (I,131), (II,127) ‹Le Roman d’Eneas› (II,166), (II,530), (II, 569) Der Stricker ‹Daniel von dem blühenden Tal› 18, (Einl., 110), (Einl., 177), 80, (I, 222), (I,292), (I,310), (II,192), (II, 254), (II,261) Thomas von Aquin, ‹Summa theologica› (I,171) Thomasin von Zerclaere ‹Der welsche Gast› 13, (II,262) Thüring von Ringoltingen 295 ‹Melusine› (Einl., 100), 151ff., (II,86), (II,139), (II,181), (II,585), 295 ‹Tristrant und Isalde› (‹Prosa-Tristan›) 153 Vergil, (Einl., 58) 16, (I,96), 92, 241f., ‹Aeneis› (Einl., 61), (I,374), (II,166), (II,239), 190, (II,337), (II,389), (II, 525), (II,527), (II,530), (II,569) Wace 13f., 135, 154, 215, (II,390), 247, 270 ‹Roman de Brut› 14, (I,193), (II,340), (II,342), 224f. ‹Roman de Rou› (I,300), 113f., (II, 154), (II,362), 287, (III,22) Walter Map 164ff., (II,159), 169, (II,366) ‹De nugis curialium› (II,139) Werner der Gärtner ‹Helmbrecht› (I,295) ‹Wigoleis› (‹Prosa-Wigalois›) 152 Wirnt von Gravenberg 14, 152 ‹Wigalois› 5, 71-80, (I,220), 126, (I, 366), 135f., 154, (II,87), (II,122), (II,278), (II,363), (II,477), (II,528), (II,569) Wolfram von Eschenbach (Einl., 38), (Einl., 110), (Einl., 177), (I,73), (I,180), (I,283), (I,391), (II,45), (II,87), (II, 255) ‹Parzival› 18, (Einl., 110), 24, (I,73), 71, (II,45), (II,87), 159, (II,117), (II,278) ‹Willehalm› 7, (Einl., 177), (I,126), (I, 225), (I,390) Begriffe und Sachen Adaptation 19f., (Einl., 176), (Einl., 178), 39, (I,27), (I,31), 41, 42, (I,43), 50, 68, 71, 134, (II,40), 143f., (II,162), (II, 406), 285 s. auch Wiedererzählen adtestatio rei visae 33, 64, 69, 80, 99-119, 121, 123, (I,357), 129, 132, 163, 175- 178, 227, 287 s. auch Augenzeugenschaft / Augenzeugenbericht s. auch Beglaubigung / Beglaubigungsstrategien s. auch Wahrheitsbeteuerung(en) Artus (Einl., 60), 50ff., (I,90), 86, 92, 102- 112, 133, 154, (II,106), 165, 168-178, (II,211), 180-185, 190-201, (II,314), 205f., 208ff., 211-218, 220, 221, (II, 390), 225, 227ff., (II,405), 243-248, (II,544), 261, (II,607), 281, 292f. Artusroman (arthurische Erzählung(en)) 4ff., 9, 11ff., 17-19, 29, 30ff., (I,76), 71, 72, 73, 101, 107, 115, (I,388), 135, 136, (II,30), (II,49), 146ff., (II,84), 157, 159, (II,122), 172, 176f., 186, 212, 216, 217, (II,363), 220-227, (II,403), 238, 239, (II,518), 259, 262-265, 268, Begriffe und Sachen 327 Begriffe und Sachen 270, 271, 273, 279ff., (II,618), 284, 286, 292ff. s. auch matière de Bretagne Augenzeugenschaft / Augenzeugenbericht 26, 33ff., 61-65, 77, 80, 83, 100, (I, 263), 101-132, 135, (II,42), 163, 175- 178, 221 âventiure / âventiure-Begriff 12, 52, 54, (I,112), 72f., 84, 93, 107, 110-115 passim, 118, 120, 126, 131f., (I,391), (II, 40), 148, 168, (II,167), 175, 176-180, 182, 184-186, 191, 204, (II,325), 216f., 220-223, (II,393), 228-233 passim, 235ff., (II,477), 253f., (II,532), (II,534), 259-264 passim, 269f., 273f., 278, (II, 614), 286, (III,17), 293, (III,49) Beglaubigung / Beglaubigungsstrategien 18ff., 52, (I,82), 56, 79f., (I,203), 88, 101, 107f., 111, 114-118, 123f., 127f., 130-135, 147f., 164, 186, (II,269), (II, 273), 196-199, 218, 220-227, 280f., 287f., 293, (III,51) Chanson de geste (II,87), 159, (II,363), 295 s. auch Heldenepik descriptio(nes) 32, (I,25), 40f., 43, (I,62), 69, 72, 121, (II,40), (II,307), (II,493), 285 Erecs Bewirtung (Bettstatt und Gastmahl) 42-49, 134, 285 Florie (‹Wigalois›) 71-80 gestüele (‹Gauriel›) 66-68 roc von Mabonagrîns Dame 61-65, 76, 101, 114, 123, 134, 284 Zelt (joie de la curt) 58-61 Zelter (Einl., 116), (I,34), 41, (I,63), 51, 57, (I,98), 64-66, 69, 76, 78, 84, 101, 114, 134, 284 digressio 32, 40f., 71, 86, 90, (I,220), 94, (I,235), 97f., (I,249), 285f. Feimurgan / Pflaster 50-58, 69 Erec 42, 45, 48, 50f., 54, 58, 61, 63, (I, 146), 74, 89, (I,271), (I,310), 123, (I,356), (I,357), 125, 134, 155, 221f., (II, 383), 254, (II,518), (II,545), 261, 285 Erzählung in der Erzählung / Figurenerzählung 83, 107, (I,296), 112, 114, (I, 374), 131f., 175, 183, 275, (II,601) Kâlogrenant-Erzählung 33, 81, 83, 107, 108-115, 119f., 123, 131, 132f., 176, (II,261), (II,292), 221, 287 lügenmaere der maget 33, 83, 108, 116-119, 134, 199, (II,292), 287 Erzählung des Alten in der Tanzbannepisode 275-278 fabula 10-12, 15, (Einl., 142), (I,153), (I, 267), (II,274), 225, (III,27), 294 Fee / Feenhaftes (I,73), 52ff., (I,81), (I, 141), (I,142), 68, (I,182), 118, 239ff., 248f., 251, (II,572) Morgane / Feimurgan (I,28), 50-58, 83, (II,115), (II,125), (II,221), (II, 269), 198, (II,299), (II,324), 212, (II,453), 240, 245ff., 254, 260, 262, 264-268, (II,582) Ninienne (II,307), 240-247, 248f., 251- 254, 257f., 264, 266f. fictio 1-34 passim, 35ff., 41f., 44, 49, 57, 60f., 69ff., 75f., 79, 83, 99, (I,264), (I, 282), (I,284), 128, 134ff., 145f., 147f., 155, (II,121), 174, 180, 224-227 passim, 247, 250, 279ff., 284f., 291-295 figmentum(a) poetarum 43, (I,62), (I, 64), 64, 125, 268, 285 funktionale / legitimierte fictio 27f., 83f., 88, (II,235), 99, 121, 123, 134, 136, 226, 284, 286 Fiktionalität 1-34 passim, 49, (I,84), (I,110), 68-71, 73ff., 80, 82f., 98, 105ff., 113, 115, 122, 127f., 132- 136 passim, 146, 154ff., 174, 178, 185f., 221, 224- 227, 245, 268, 273, 280f., 283-295 passim res ficta(ae) 1, 34, 70, 101, 259, 268, 273, 279f., 295 Gawein (Einl., 73), 33, (I,65), (I,146), 74f., 77, (I,182), 83, 84-89, (I,214), (I,240), 107, (I,356), 126f., (II,115), (II,122), (II,196), (II,221), (II,272), 200ff., 205, 208, 214, 216f., 228, 230 Ginover (I,15), 50, 107, (I,380), 131, (II, 40), (II,204), 180-186, 191-199, 200f., 328 Register (II,307), 205, (II,316), 206, (II,324), 208-211, 243, (II,466), 244, 246, (II, 486), (II,521), (II,526), 266, 271f., 275, 277 ‹falsche› Ginover, 191-199, (II,368), 260 Gönner / Mäzen (I,181), (I,212), 164ff., (II,172) Gönnerfiktion 164-175 Heldenepik 25, (Einl., 177) Heilsgeschichte 99f., 121, 136, 227, (II,448) s. auch historia Herzentausch (I,210), 89-92, (I,223), 93- 99, 201-204, 271f., 286 historia, 2 (Einl., 12), (Einl., 13), (Einl., 25), 7, 10, 15f., 18, 22, 25-27, 30f., 36, 69, 82, 99-107 passim, 112, 114ff., 117f., 121, 125, 128, 132, 135, 145ff., 154, (II,82), (II,87), 156, 159f., 162f., 171f., 185, (II,243), 190, 199, 215, 220f., 223-227 passim, (II,611), 280f., 284, 287f., 291-295 Historizität, 14f., (Einl., 100), 19f., 25, 27, 29-31, 33, 35f., 57, 71, 77, 80f., 83, 99, 105, 107, 111, 114, (I,320), (I,321), 125, 127f., (I,378), 131- 136, 146ff., 154ff., 159f., 162, (II, 142), 170, 175f., 178, 185f., (II, 340), 215, (II,362), 221, 223-227 passim, 238, 268, 273, 279ff., 284, 287f., 290-295 Re-Historisierung, (Einl., 69), 33, 82, 105, 107, 147f., 163, 167, 172, 213, 220-239 passim, 273, 281, 288, 291ff. s. auch res facta(ae) / res gesta(ae) inscriptio(nes) / Inschrift(en) 33, (II,221), (II,231), (II,232), 190, 199, 205-216, 218f., (II,370), 227f., 237, 257, 262ff., 268f., (II,610), (III,49) integumentum 10-13, 16 intentio fallendi (I,119) s. auch Lüge / Lügendichtung s. auch mendacium Iwein 19, 33, 53f., 81, 83, 84-99, (I,273), 106, 107f., 111ff., 116-125, (II,212), (II,237), (II,518), (II,556), 285, 287 Kampf 73, (I,166), 84, (I,201), 86, (I,206), 88, (I,212), 93, 96, (I,357), 126, (I,363), 127, (I,391), (II,115), (II,237), 193, 205, (II,327), (II,414), 232, 244, 254, (II,528), 258, 267 Bohort-Lyonel 237, (II,444) Iwein-Ascalon 19, 33, 81, 83, 119- 126, 131, 134, 287 Iwein-Gawein 33, 83, 84-89, 285 Tristan-Morold 52, (I,99), 70 Kaufmannsmetaphorik 84, 88f. Lancelot (I,292), (II,40), (II,45), (II,125), 172, (II,196), 178-186, (II,266), 193, 198, 200-208, (II,325), (II,334), (II, 370), 222, (II,398), 227f., (II,416), 233, (II,455), 241, (II,466), 244ff., (II,486), 251-278 passim, 288-291, (III,49) Liebe s. minne Literarizität 27f., 30, 58, 71, 82, 84, 94, (I,238), 97f., 104ff., 279 Lüge / Lügendichtung 2, (Einl., 10), (Einl., 25), 10f., (Einl., 57), (Einl., 60), 16, 24, (Einl., 142), (Einl., 157), (I,53), 48f., 52, (I,119), 92, (I,222), 106, 108, (I, 295), 113f., 116-119, (I,372), (I,374), 134, (II,55), 173ff., 186, (II,243), (II, 251), (II,254), 190, 194, (II,274), 195- 197, (II,287), 198f., 206, 210, 218ff., 225 s. auch intentio fallendi s. auch mendacium s. auch Vers-Prosa-Diskussion / Lügevorwurf Märchen / Märchenhaftes 8-12, 34, 41, 50-58, 62, 67, 69, (I,279), 116, 128, 132, (II,182), (II,284), 216, 239-281 passim, (III,17), 292 Märchenhaft-Wunderbares 10, 12, 34, 53, (I,89), 73, 239f., 247, 250, 257, 260, 266f., 271, 275, 278, (II,611), 286 matière de Bretagne (Einl., 60), (Einl., 64), 15, (Einl., 146), 33, 82, 106, 122, 133, 154f., 160, 162, (II,160), 171, 177f., 212, (II,357), (II,362), 217f., 223-226, 238, 287f., 292f. Begriffe und Sachen 329 s. auch Artusroman mendacium (Einl., 57), 61, (I,251), (II,274), (II,281) s. auch Lüge / Lügendichtung Merlin (I,280), (II,340), (II,362), 241-247, 251, 264, (III,49) Metaphorik s. Herzentausch s. Kaufmannsmetaphorik minne (I,92), (I,141), 75, 77, (I,185), 84, 87f., 91, (I,225), 97f., (I,248), (I,272), 123, 200f., 203, (II,556) Lancelot und Ginover 33, (II,40), (II, 204), 184, 193, 204, 206-208 passim, 244, 272f., 276f. mirabilium (I,82), 250, 260, (II,614) Plausibilität / Plausibilisierung des Erzählten (Einl., 145), 28, 49, 52, 57, 67, 69, (I,152), 77, 86, 88, (I,330), 123, 126, 145, 171, 175, (II,324), 239, (II, 460), 242, 245, 247, 251-253, 277ff., 285, 288 Prosa s. Vers-Prosa-Diskussion Quellenberufung / Quellentreue (Einl., 25), 56, 63, (II,254) s. auch Wahrheitsbeteuerung(en) s. auch Beglaubigung res facta(ae) / res gesta(ae) 1, 10, 13, 22, 26, 49, 69, (I,198), 100f., 104, 108, 111, 113, 115, 119, 125, 128, 133, 135, 156, 159, 171f., 177, 209, 242, 247, 259, (II,565) s. auch historia s. auch Historizität ‹Tal ohne Wiederkehr› 260-268 ‹Verlorener Wald› 268-278 Vers s. Vers-Prosa-Diskussion Vers-Prosa-Diskussion 33, 148-163 Lügevorwurf 149f., 152, 156 Wahrheit 149f., (II,71), 152, 153f., 156, 159ff. Wahrheit, dichterische s. Wahrheitsindifferenz / ‹dichterische› Wahrheit Wahrheit, historische s. historia s. auch Beglaubigung / Beglaubigungsstrategien s. auch Wahrheitsbeteuerung(en) Wahrheitsbeteuerung(en) 18, 20, (Einl., 110), 44, (I,294), 110f., 130, 132, (II, 254), 224 s. auch Beglaubigung / Beglaubigungsstrategien Wahrheitsindifferenz / ‹dichterische› Wahrheit 7f., 11f., 13, (Einl., 107), (Einl., 116), 22, (Einl., 159), 28, 45, 48f., 53, 71, 73, 78, 94, 128, 174, (II,290), 222, 252, (III,5), (III,51) Wald 113, (II,394), 263, (II,562), 268ff., (II,582), (II,585), 273, 279 s. auch ‹Verlorener Wald› Wiedererzählen 19f., 285 s. auch Adaptation Wunder / Wunderbares 8, (Einl., 41), 10, 34, 39, 51, (I,71), 53, (I,82), 54ff., (I,96), 58, 64, 67, 70, (I,162), (I,171), 83, 89ff., 96, 103, 105, 113f., 116, (I,325), 125, (II,86), 191, (II,394), 239f., 242, (II,464), (II,465), 245-247, (II, 491), 250ff., (II,504), (II,508), 256-260, 264- 268, 270f., 273ff., 278ff., (II,611), 281, 285, 292, (III,49), (III, 86) s. auch Märchenhaft-Wunderbares s. auch mirabilium 330 Register Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de NEUERSCHEINUNG SEPTEMBER 2010 JETZT BESTELLEN! Balász J. Nemes Von der Schrift zum Buch - vom Ich zum Autor Zur Text- und Autorkonstitution in Überlieferung und Rezeption des »Fließenden Lichts der Gottheit« Mechthilds von Magdeburg Bibliotheca Germanica, Bd. 55 2010, X, 555 Seiten €[D] 98,00/ SFr 137,00 ISBN 978-3-7720-8362-4 Vor dem Hintergrund der altgermanistischen Diskussion um den Umgang mit früh- und vormoderner Textualität und den Instanzen der Textautorisation findet im vorliegenden Buch eine kritische Auseinandersetzung mit dem ‚Ein Werk/ ein Autor‘-Modell der Mechthild-Forschung statt. Diese erfolgt in zwei Schritten. Zunächst gilt es, den textgeschichtlichen Status der beiden Überlieferungszweige des ›Fließenden Lichts‹ neu zu verhandeln und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Verfasserschaft zu reflektieren. Erwartungsgemäß ist die Herangehensweise an die Frage nach der Autorschaft des ›Fließenden Lichts‹ in diesem Zusammenhang eine primär textgeschichtliche bzw. produktionstechnische. Diese Sicht wird in einem zweiten Schritt in eine rezeptionsorientierte Perspektive überführt, so dass nach der ‚Buchwerdung der Schrift‘ die Frage nach der ‚Autorwerdung des Ich‘ im Mittelpunkt steht. Die Schlagworte dabei lauten: ‚Autorkonkretisation‘ und ‚Re-Personalisierung der Autorrolle‘. Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.francke.de · E-Mail: info@francke.de Die in der Romania außerordentlich beliebte französische Heldenepik, die Chanson de geste, gilt häufig als Genre, das in der deutschen Literatur des Mittelalters kaum Spuren hinterlassen hat. Die Studie zeigt hingegen, dass diese Annahme nicht zutrifft. Die entsprechenden Texte erweisen sich oft als überformende Bearbeitungen, die die heldenepischen Charakteristika für ein deutsches Publikum modifizieren, so dass die ursprünglichen Gattungskennzeichen verschwinden und statt dessen überwiegend von einer Hagiographisierung des Epischen gesprochen werden kann: Die Helden erscheinen als Heilige. Bernd Bastert Helden als Heilige Chanson de geste-Rezeption im deutschsprachigen Raum Bibliotheca Germanica, Band 54 2010, X, 492 Seiten, geb. €[D] 88,00/ SFr 136,00 ISBN 978-3-7720-8356-3 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.francke.de · E-Mail: info@francke.de Ist die ,Krone‘ Heinrichs von dem Türlin tatsächlich, wie der Epilog es andeutet, als Tugendmessgerät und ihre Rezeption als Tugendprobe konzipiert? Worin könnten die dem Rezipienten abverlangten Tugenden bestehen? Und welchen Lohn stellt ihm die ,Krone‘ für seine Tugendhaftigkeit in Aussicht? Fest steht: die ,Krone‘ macht es dem Rezipienten nicht gerade leicht. Immer wieder wird er auf sich selbst zurückgeworfen, immer wieder wird er gezwungen, sich selbst dabei zu beobachten, wie er das scheinbare Chaos der âventiuren ordnet, wie er über prätextuelle Erwartungshaltungen stolpert, wie er Sinn zu konstruieren versucht - und womöglich dabei scheitert. Die hier vorgelegte Studie verbindet ein strukturanalytisches und ein intertextuelles Interesse mit einer rezeptionsästhetischen Fragestellung. Sie versteht sich als Wegweiser durch Heinrichs faszinierenden Artusroman, aber auch durch die betreffende, bereits zur Unübersichtlichkeit tendierende Forschungsliteratur. Justin Vollmann Das Ideal des irrenden Lesers Ein Wegweiser durch die ,Krone‘ Heinrichs von dem Türlin Bibliotheca Germanica, Band 53 2008, X, 272 Seiten, €[D] 68,00/ SFr 115,00 ISBN 978-3-7720-8311-2 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.francke.de · E-Mail: info@francke.de Gottfried von Straßburgs Tristanroman ist und bleibt eine Herausforderung für die literaturwissenschaftliche Interpretation. Anina Barandun wagt mit ihrer Tristan-Trigonometrie einen neuen Zugriff auf Gottfrieds großen Minneroman, indem sie die Seiten und die Winkel des Figurendreiecks Tristan - Isolde - Marke präzise bestimmt. Kernpunkte ihrer Untersuchung sind die Ritterlaufbahn des Helden vor der Folie der Artusliteratur, Markes verkehrte Liebeswelt, in der die klassischen quinque gradus amoris auf den Kopf gestellt sind, sowie die Schlussmonologe von Tristan und Isolde, die trotz der Trennung der Geliebten in einer Art Ferndialog aufeinander bezogen bleiben. Die Aussagekraf t der Gottfried’schen Poesie wird in ihrem Verhältnis zur zeitgenössischen Literatur und Rechtspraxis ausgelotet und durch überraschende Querbezüge auf spätere literarische Werke und das grafische Œuvre von Paul Klee behutsam an die Gegenwart herangeführt. Anina Barandun Die Tristan- Trigonometrie des Gottfried von Straßburg Zwei Liebende und ein Dritter 2009, VIII, 248 Seiten, zahlreiche Abb. und Tab., €[D] 58,00/ SFr 98,00 ISBN 978-3-7720-8323-5